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German Pages 251 [252] Year 1994
Sabina Schroeter Die Sprache der DDR im Spiegel ihrer Literatur
Sprache Politik Öffentlichkeit Herausgegeben von Armin Burkhardt · Walther Dieckmann K. Peter Fritzsche · Ralf Rytlewski
Band 2
w DE
G
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994
Sabina Schroeter
Die Sprache der DDR im Spiegel ihrer Literatur Studien zum DDR-typischen Wortschatz
w DE
G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994
© G e d r u c k t auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt
Die Deutsche
Bibliothek
—
CIP-Einheitsaufnahme
Schroeter, Sabina: Die Sprache der D D R im Spiegel ihrer Literatur : Studien zum DDR-typischen Wortschatz / Sabina Schroeter. — Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1994 (Sprache, Politik, Öffentlichkeit ; Bd. 2) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-11-013808-5 NE: G T
© Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung a u ß e r h a l b der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Übersetzungen, M i k r o verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e r m a n y Druck: Werner H i l d e b r a n d , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & B a u e r - G m b H , Berlin
Vorbemerkung Mit den Vorarbeiten zu dieser Studie habe ich Anfang 1988 begonnen - zu einer Zeit, als nicht abzusehen war, daß die DDR aufhören würde zu existieren. Als ich damit begann, über die Sprache in der DDR zu schreiben, war ich auf Aktualität bedacht, denn es war meine Absicht, westdeutschen Lesern Sprache und Literatur der DDR näherzubringen, linguistische Beobachtungen bei Besuchen in der DDR zu analysieren, Medien und 'Schöne Literatur' auf sprachliche Eigenheiten hin zu untersuchen. Die Ereignisse im Herbst 1989 haben - wie so vieles - auch mein Vorhaben radikal verändert. Plötzlich mußte ich in meiner Darstellung das Präteritum oder doch das historische Präsens benutzen! Die DDR, über deren "Sprache im Spiegel ihrer Literatur" ich schrieb, gab es nicht mehr. Die vorliegende Wortschatzuntersuchung ist also nicht mehr aktuell in dem Sinne, daß sie gegenwärtige sprachliche Begebenheiten "im anderen deutschen Staat" analysiert; sie behandelt jedoch ein Thema, das noch einige Zeit in den Prozeß der Vereinigung beider deutscher Staaten hineinreichen wird: die sprachlichen Aspekte und Auswirkungen des DDR-eigenen Erfahrungshintergrundes. Vor diesem Hintergrund behält diese Untersuchung ihre Aktualität und Relevanz: sie soll - über die Analyse von Sprache und Literatur zu einem besseren Verständnis zwischen den beiden Teilen der nun vereinigten Bundesrepublik beitragen. Von 1985 bis 1992 war ich oft als Gast in der DDR bzw. in Ostdeutschland, meist bei Freundinnen und Freunden, 1989 auch für einen Monat als Stipendiatin des DAAD in Leipzig. Ich habe viel von dem Land kennengelernt und mich bemüht, seine Sprache zu lernen. Die vorliegende Studie wäre in dieser Form nicht zustande gekommen ohne die vielen Gespräche und Begegnungen zwischen Ost und West, die ich in den vergangenen Jahren, von den letzten Semestern meines Lehramtsstudiums bis zur Fertigstellung dieser Arbeit, erlebt habe. Ich danke vor allem meinen Freundinnen und Freunden, meiner Familie und den Studentinnen und Studenten der Katholischen Hochschulgemeinden in Bonn und Karl-Marx-Stadt/Chemnitz für ihr Interesse an meiner Arbeit, für ihre Unterstützung und Ermutigung. Ich danke Herrn Prof. Dr. Klaus-Peter Wegera (Bonn), dem wissenschaftlichen Betreuer meiner Arbeit, für die Offenheit und Fairneß, mit der er die Dissertation begleitet hat, für seine förderliche Kritik und Unterstützung.
VI
Vorbemerkung
Zu besonderem Dank bin ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliothek des Gesamteuropäischen Studienwerks Vlotho verpflichtet. Ich hatte dort die Möglichkeit, alle DDR-Romane der 50er und der frühen 60er Jahre zu entleihen, vor allem die sonst im Westen kaum zugängliche 'Produktionsliteratur'. Weiterhin danke ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) für die Finanzierung des Studien- und Forschungsaufenthalts an der Universität Leipzig im Juni 1989. Diese vier Wochen waren nicht nur sehr wesentlich für meine Arbeit, sondern auch für mich persönlich, konnte ich doch einen der letzten Monate der DDR unmittelbar vor Ort erleben. In diesem Zusammenhang möchte ich alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Sektion Germanistik und Literaturwissenschaft der KarlMarx-Universität Leipzig nennen, die sich viel Zeit für Gespräche mit mir genommen haben, die mich in ihren Seminaren hospitieren ließen bzw. mir die Gelegenheit gaben, meine Arbeit einer Seminargruppe vorzustellen, und denen ich, was das Literaturkorpus und die Einschätzung des DDR-Typischen betrifft, sehr viel verdanke. Es sind dies die Damen und Herren Prof. Dr. Rudolf Große, der die wissenschaftliche Betreuung während des Studienaufenthaltes übernahm, Dr. sc. Irmhild Barz, Prof. Dr. em. Wolfgang Fleischer, Dr. Ruth Geier, Prof. Dr. Walfried Hartinger, Dr. Ursula Kändler f , Prof. Dr. Gotthard Lerchner, Dr. Hannelore Poethe, Uta Steffen und Dr. Barbara Uhlig. Bei Dirk Lanzerath und Dieter L. Ney, Bonn, bedanke ich mich für die Erstellung der Druckvorlage.
Lüneburg, im November 1993
Sabina Schroetei
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.5 1.6 1.6.1 1.6.2 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.3.1 2.1.4
Einleitende Überlegungen Situation der deutschen Sprache in Europa Erkenntnisinteresse und Ziel der Studien Forschungssituation Methode Auswahl der Romane und Erzählungen Der Begriff des DDR-Typischen Gewinnung der Wortbelege Klassifizierung der Lexeme Themen der Wortschatzuntersuchimg Literaturkorpus 1. Gruppe (1949-1965) 2. Gruppe (1968-1989)
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme Substantive Mehrgliedrige Wortbildungskonstruktionen (WBK) Kurzwortbildung Reihenbildung Kommunikationsbereiche der reihenbildenden Komposita Das Suffix -(n)ung. Deverbative Ableitung als Charakteristikum des Nominalstils 2.1.5 Die Suffixe -tum, -ismus, -ler, -(ig)er als Wortbildungsmorpheme mit pejorativer Konnotation 2.1.6 DDR-typische Wörter aus dem Bereich der Alltagssprache 2.2 Adjektive 2.2.1 Attribuierung ideologischer Kernbegriffe 2.2.1.1 sozialistisch 2.2.1.2 fortschrittlich bzw. progressiv 2.2.1.3 kollektiv, volkseigen, werktätig 2.2.2 Prädikativer Gebrauch DDR-typischer Adjektive 2.2.3 Adverbialer Gebrauch DDR-typischer Adjektive 2.2.4 Adjektive bei Uwe Johnson 2.3 Verben
I 1 1 2 6 9 9 11 14 16 17 18 22 27 29 30 30 36 38 40 46 50 54 64 64 64 68
69 69 70 71 75
VIII
Inhaltsverzeichnis
3.
DDR-typische Paläologismen. Der Wortschatz der Nachkriegszeit bis Mitte der 60er Jahre 3.1 Kommunikationsbereiche der Paläologismen 3.1.1 Industrielle und landwirtschaftliche Produktion 3.1.1.1 Landwirtschaft 3.1.1.2 Industrie 3.1.2 Staat, Partei und Massenorganisationen 3.1.3 Wirtschaft und Handel 3.1.4 Bildung, Erziehung und Kultur 3.2 Motive für sprachliche Veränderungen 3.2.1 Umsiedler 3.2.2 Demokratische Umgestaltung 3.2.3 Niethose 3.3 Russischer Spracheinfluß 3.3.1 Lehnwörter 3.3.2 Lehnübersetzungen 3.3.3 Zur Wortbildung der Paläologismen russischen Ursprungs 3.4 Funktionen der Paläologismen im Text 3.4.1 Obrigkeit als leitmotivischer Begriff in Brezans Roman Mannesjahre 3.4.2 Der Gebrauch von Kolchos bzw. Kolchose als Mittel der Figurencharakteristik 3.4.3 Benennungen für Realien in Strittmatters Roman Ole Bienkopp
107
4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.2.1 4.1.2.2 4.2
DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen Durch das Russische vermittelte Internationalismen Direkte Entlehnungen Bedeutungsentlehnungen Lexeme mit neuer Bedeutung Bedeutungsspezialisierungen Lehnübersetzungen aus dem Russischen
108 109 111 114 115 118 121
5.
Frau, Kollegin, Diplomingenieur. Movierte und unmovierte Berufs- und Personenbezeichnungen in der DDR Zur Bildung der movierten Formen Beobachtungen in der Alltagssprache Movierung von DDR-typischen Lexemen in der Literatursprache Movierung in den Romanen 1949-1965
5.1 5.2 5.3 5.3.1
81 82 82 82 90 91 92 93 95 95 96 97 98 99 101 102 103 103 105
127 127 127 131 131
Inhaltsverzeichnis
5.3.1.1 Darstellung von Frauen in der Arbeitswelt bei Hans Marchwitza, Roheisen und Erik Neutsch, Spur der Steine 5.3.2 Movierung in den Romanen 1968-1989 6. 6.1
6.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.5 6.6 7. 7.1 7.1.1 7.1.1.1 7.1.1.2 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.2.1 7.3.2.2 7.3.2.3
Zusammensetzungen mit Volk'Das Volk1 bzw. 'die Rolle der Volksmassen' in der Arbeiterbewegung und in der marxistisch - leninistischen Philosophie Komposita mit Volk- in den Romanen Kommunikationsbereiche der Zusammensetzungen mit VolkWorterklärungen und Vergleich mit russischen Benennungen Komposita mit Volk- im Deutschen und Russischen Verschiedene Bezeichnungen für die gleiche Sache im Deutschen und Russischen Zusammensetzungen mit Volk- in den Romanen Volksfeind und Volkszorn Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie "Aktive Negation" als Wesensmerkmal gesellschaftlicher Identität im Sozialismus Sprachliche Erscheinungsformen der negativen Identität Wörter und Redewendungen als Ausdruck des sozialistischen Feindbildes Wörter und Redewendungen mit kämpferischem bzw. militaristischem Charakter Pseudoreligiöser Sprachgebrauch Bedeutungsübertragung sakraler Begriffe in den parteipolitischen Rahmen der SED Die SED als Inquisitionsbehörde - Aussprache, Lossagung, Reue-Erklärung, Bewährung in der Produktion Die Jugendweihe als weltlicher Initiationsritus Kontinuitäten nationalsozialistischen Sprachgebrauchs Die DDR als antifaschistischer Staat Sprachliche Folgen der fehlenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Wörter und Redewendungen "der vorigen Regierung" in Johnsons Roman Ingrid Babendererde Die Bodenreform als Nachwehe des 'Blut-und-Boden-Mythos' in Gotsches Roman "Tiefe Furchen" NS-Wortschatz bei anderen Schriftstellern
IX
132 135 137
137 139 140 141 142 143 145 148 150 150 154 154 167 183 184 186 188 190 190 193 193 195 198
X
8.
8.1 8.2 8.3 9. 9.1
Inhaltsverzeichnis
"Herr Stalin", "Old Joe" oder "Führer der kommunistischen Partei der Sowjetunion". Die Darstellung Stalins in den Romanen Stalin als nicht hinterfragte Führungs- und Identifikationsfigur Kritik am Stalinkult aus der Distanz der 60er Jahre Stalin als "verspottetes oder geheiligtes Symbol des Kampfes" bei Johnson
200 200 202 205
Bezeichnungen für Deutschland und Berlin Die Art, von Deutschland zu reden, als Unterscheidungsmerkmal von Gut und Böse - Anna Seghers' Die Entscheidung "Von unserer Republik geht der Friede für ganz Deutschland aus" - Erik Neutschs Spur der Steine Die beiden deutschen Staaten kurz vor dem Umsturz in der DDR - Helga Schütz' In Annas Namen
214
10.
Schlußbemerkungen
216
11.
Literaturverzeichnis
220
12.
Wortindex
232
9.2 9.3
208
210 213
1.
Einleitende Überlegungen
1.1 Situation der deutschen Sprache in Europa Deutsch wird in 14 europäischen Staaten von etwa 95 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen.1 Dabei wird meistens übersehen, daß Deutsch, wie Englisch und'Spanisch, eine "polyzentrische Sprache"2 ist, "a language with several national varieties, each with its own norms"3. Die deutschsprachigen Kommunikationsgemeinschaften in Mittel- und Mittelosteuropa sprechen jeweils ihre eigene Variante der deutschen Sprache, mit eigenen, historisch gewachsenen Spezifika in Wortschatz und Wortgebrauch, in den Stilnormen und Konnotationen. Die Varianten sind gleichwertig; keine Kommunikationsgemeinschaft hat das Recht, ihre Varietät als Maßstab hinzustellen, von dem andere Kommunikationsgemeinschaften 'abweichen', obwohl faktisch der Bundesrepublik als zahlenmäßig größter Gruppe von Sprecherinnen und Sprechern ein besonderes - auch normgebendes - Gewicht zukommt. 4 Im deutschen Sprachraum hat die Frage nach der Sprache als Frage nach der (staatlichen) Einheit aufgrund der politischen und kulturellen Geschichte einen besonderen Stellenwert. Über tausend Jahre hindurch war der deutsche Sprachraum kein politisch einheitliches Gebilde, sondern eine Sprach- und Kulturgemeinschaft, die regionale Eigenarten nicht nur duldete, sondern auch förderte. Allerdings führte dieser ausgeprägte Föderalismus spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch zu Identifikationsproblemen der Angehörigen des deutschen Sprachraums. In der Situation politischer Uneinigkeit "spielte und spielt die Frage nach der Sprache und den durch sie vermittelten kulturellen Gemeinsamkeiten als Ersatz politischer Einheit und als Mittel zu ihrer Wiedererlangung eine bedeutende Rolle".5 Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum nach der erneuten Spaltung Deutschlands als Resultat des 2. Weltkriegs sofort die Angst vor der Sprachtrennung als Ausdruck der politischen Trennung umging und das Thema "Ostdeutsch - Westdeutsch" über den gesamten vierzigjährigen Zeit1 Vgl. Oschlies 1989, 13. 2 Clyne 1984, "a pericentric language", Klappentext letzte Seite; vgl. auch Polenz 1988. 3 Clyne 1984, 1. 4 Vgl. dazu Hellmann 1990, 268f. 5 Schlosser 1989, 37.
2
Einleitende Überlegungen
räum der Existenz zweier deutscher Staaten die Sprachwissenschaft (und nicht nur diese!) beschäftigte.6 Das Interesse an den Differenzierungen der deutschen Sprache hält auch nach der Vereinigung an; allerdings ist ihm die OstWest-Polarisierung genommen. Die linguistische Forschung kann heute gelassener die sprachliche Situation der beiden nunmehr vereinigten deutschen Staaten betrachten.
1.2 Erkenntnisinteresse und Ziel der Studien Das vorliegende Buch soll zur "Klärung der Beziehungen zwischen Sprache und Gesellschaft"7 am Beispiel der DDR beitragen. Erkenntnisinteresse ist die Wahrnehmung, Beschreibung und Analyse der Unterschiede im deutschen Wortschatz, die sich im Verlauf der 'spezifisch anderen', oft gegensätzlichen politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und individuellen Lebensbedingungen in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland entwickelt haben. Es handelt sich allerdings nicht um eine vergleichende Sprachuntersuchung. Untersuchungsgegenstand ist allein der Teil des Wortschatzes der deutschen Sprache, der für die DDR typisch war. 'DDR-typisch' wird der Wortschatz aber erst im Gegenüber einer anderen Kommunikationsgemeinschaft, hier: der BRD. Auch wenn der Akzent des Interesses auf der 'Sprache der DDR' liegt: Die Verfasserin ist in der Bundesrepublik aufgewachsen und nimmt von daher einen anderen Standpunkt der Betrachtung ein als dies ein DDR-Bürger oder eine Österreicherin etc. tun würden. In der DDR, diesem "Vaterland ohne Mutterboden"8, hatten sich im Verlauf ihrer vierzigjährigen Geschichte Gesellschafts- und Lebensverhältnisse entwickelt, die sich von denen in der Bundesrepublik, aber auch in anderen deutschsprachigen Staaten, grundlegend unterschieden und die sich in Wortschatz und Wortgebrauch sowie in den Stilnormen nicht nur in der "Verlautbarungssprache"9 der SED, sondern auch in der Alltagssprache widerspiegelten und wohl noch eine Weile eine Rolle spielen. Die sprachlichen Auswirkungen des DDR-eigenen Erfahrungshintergrundes sollen beschrieben und analysiert werden. 10 Unter 'DDR-typischem Wortschatz' sind zu verstehen, Wörter, Syntagmen und Redewendungen, die entweder nur in der DDR gebräuchlich waren bzw. 6 Vgl. Hellmann 1976 und auch die sog. 'Variantenfrage' der späten 70er und der 80er Jahre, zuletzt dargestellt bei Hellmann 1989c. 7 Dieckmann 1989, 177. 8 Volker Braun anläßlich einer Lesung zur Leipziger Buchmesse 1989. In: Frankfurter Rundschau 21.3.89, 8. 9 Begriff bei Oschlies 1989, 57. 10 Vgl. Dieckmann 1989, 178.
Erkenntnisinteresse und Ziel der Studien
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in den neuen Bundesländern noch gebräuchlich sind oder aber in bezug auf ihre Häufigkeit, Allgemeingültigkeit oder syntaktisch-semantische Umgebung für den Sprachgebrauch in der DDR typisch waren. Mit dem Ausdruck "DDR-Typikum [...][wird] deutlich gemacht, daß bestimmte Benennungen den Kommunikations- und Kognitionsbedingungen in der sozialistischen Gesellschaft der DDR in besonderer Weise entsprechen". 11 Es gab in der DDR zwei Sprach- bzw. Stilebenen: - die Sprache von oben, die Sprache der SED als " Außer-Haus-Sprache"12 - und die Sprache von unten, die private Sprache, die Sprache für den Alltag und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Auch letztere unterschied und unterscheidet sich (noch) von der Sprache in den westdeutschen Bundesländern. Die beiden Ebenen sind nicht immer deutlich zu trennen. Die Sprache der SED wirkte auch in die Alltagssprache hinein, dagegen war ein Austausch in umgekehrter Richtung nicht zu beobachten - es wurde durchgestellt,13 Der Wortschatz der Partei war ein militanter Wortschatz, eine Kampfsprache. Viele Menschen in der DDR haben sich dagegen gewehrt, und doch "können Worte sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da" 14 . Die Vorüberlegungen zu dieser Studie waren bestimmt von der Frage, wie es gelingen kann, sich dem alltäglichen Sprachgebrauch auch unterhalb des "Spruchbänder-, Behörden- und Parteijargons" 15 anzunähern. In der östlichen wie westlichen Forschung wurde überwiegend der politische Wortschatz bzw. die Zeitungssprache untersucht (vgl. Kap. 1.3). Gegenstand des Erkenntnisinteresses in dieser Studie ist die Sprache der 'Schönen Literatur'. Es soll eine linguistische und literarische Annäherung an ein Land versucht werden, das sich DDR nannte. Christa Wolf sagt in ihrer Büchnerpreisrede: "Die Sprache der Literatur scheint es merkwürdigerweise zu sein, die der Wirklichkeit des Menschen heute am nächsten kommt; die den Menschen am besten kennt, wie immer Statistiken, Zahlenspiegel, Normierungs- und Leistungstabellen dagegen angehen mögen. Vielleicht weil immer moralischer Mut des Autors - der zur Selbsterkenntnis - in Literatur eingeht." 16
11 Fleischer 1987, 41. Zum Begriff 'DDR-typisch' vgl. ausführlich 1.4.2. 12 Röhl 1990, 84. 13 I.S.v. "eine Weisung von oben nach unten durchgehen und verbindlich machen" (Hellmann 1990, 283). 14 Klemperer 1946, 21. 15 Weiskopf 1955, 419. 16 Christa Wolf, Von Büchner sprechen. Zit. nach
Sprichwenndukannst 1989, 104.
4
Einleitende Überlegungen
35 Romane und Erzählungen bilden die Grundlage für die Wortschatzuntersuchung.17 Die epischen Texte von 28 Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die in der DDR aufgewachsen sind oder sich nach dem Krieg für ein Leben in diesem Land entschieden haben, sind so ausgewählt, daß die gesamte Geschichte der DDR von 1948/49 an (Otto Gotsche, "Tiefe Furchen") bis zur letzten Leipziger Buchmesse vor dem Umsturz (März 1989 - Christoph Hein, "Der Tangospieler"; Christa Wolf, "Sommerstück") berücksichtigt wird. Bedingung für die Aufnahme in das Literaturkorpus war die literarische Gestaltung des Alltags in der DDR durch den jeweiligen Roman bzw. die Erzählung. Die literarisch-künstlerische Kommunikation ist der Bereich, in dem DDR-typischer Wortschatz am wenigsten erwartet bzw. auch vehement bestritten wird. Die 'Schöne Literatur' gilt als Ort, in den die 'Verlautbarungssprache' der Partei nicht hineingelangen konnte. W. Oschlies beispielsweise schreibt dazu: "Die lexikalischen Differenzen sind politisch-ideologischer Natur, also (fast) nur in der Verlautbarungs- und Mediensprache, selten in der Literatur und kaum in der Umgangssprache anzutreffen."18 Die Studie wird zeigen, daß DDR-typischer Wortschatz in allen untersuchten epischen Texten vorkommt. Die Zahl der Belege ist in den einzelnen Romanen unterschiedlich und auch abhängig vom Erscheinungsjahr - in den Romanen der 50er und 60er Jahre sind deutlich mehr DDR-typische Lexeme nachzuweisen als in den Texten der 70er und 80er Jahre. Ein ästhetischer Text steht allerdings immer in einer Auseinandersetzung, einer Differenz zur Wirklichkeit, er ist nie nur deren reines Abbild. Dieser Umstand ist es, der bei W. Emmerich zu einer großen Skepsis gegenüber Literatur als Basis von Untersuchungen führt. "Literatur ist ihrer Spezifik nach immer ein Konstrukt, das sich von der unmittelbaren Wirklichkeit [...] durch eigene Verfahrensweisen der Abbildung und des Bezeichnens, durch eigene Sprachverwendung unterscheidet, so daß mit der detektivischen Ermittlung von Realitätspartikeln in einer Dichtung (im Umgang mit DDR-Literatur ein besonders beliebtes Verfahren) wenig oder nichts geleistet ist." 19 Es ist wichtig, diese 'Brechung der Realität' durch die Literatur bei Analysen und Interpretationen zu berücksichtigen. DDR-Autorinnen und -Autoren haben oft beklagt, daß ein nicht geringer Teil ihrer Leserschaft ihre Werke nur daraufhin lese, was denn 'zwischen den Zeilen' zu finden sei (was die Medien verschweigen) und dabei die eigentliche poetische Information eines Romans etc. übersähe.20 Doch ist es 'typisch westliche' bzw. westdeutsche Sehweise, die Literatur allzusehr von der Re17 Zur Auswahl der literarischen Gattung vgl. 1.4.1. 18 Oschlies 1989, 57. 19 Emmerich 1989, 18. 20 z . B . Helga Schütz in einem Gespräch mit mir am 8.6.89 in Potsdam.
Erkenntnisinteresse und Ziel der Studien
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alität abzuheben. In den Literaturen Mittelost- und Osteuropas (die DDR ist aufgrund ähnlicher ökonomischer und gesellschaftlicher Verhältnisse bedingt dazuzurechnen) ist das anders. Ein Beispiel aus der sowjetischen Literatur soll das verdeutlichen. Der sowjetische Autor kirgisischer Nationalität, Tschingis Aitmatow, dessen Roman "Die Richtstatt"21 einen wichtigen Platz im Prozeß der Perestroika einnahm, macht den Leser bzw. die Leserin mit zwei in der sowjetischen Gesellschaft nicht ausgesprochenen Realitäten (!) bekannt, - dem (innersowjetischen) Drogenhandel - und der Umweltzerstörung in den mittelasiatischen Unionsrepubliken. Natürlich geschieht dies mit fiktionalen Mitteln, teilweise mit ausgesprochen märchenhaften Zügen, es wäre jedoch fatal, fiktionale Texte als Quelle von Untersuchungen auszuschließen.22 Die künstlerische Kommunikation hat eine ihr eigentümliche Nähe zur Realität. Die ästhetischen Texte regen durch ihre phantasievolle Auseinandersetzung mit den Wirklichkeiten und Möglichkeiten ihrer Lebensumgebung dazu an, 'genauer hinzuschauen'. "Wesensbestimmend für die künstlerische Tätigkeit ist [...] deren ästhetischer Charakter, der in einer spezifischen Erscheinungsweise der Widerspiegelung von Wirklichkeit im ästhetischen Bewußtsein der Menschen besteht. Ergebnis dieser Prozesse sind ästhetisch bestimmte Beziehungen des Menschen zur Wirklichkeit, deren Erkenntnis und Bewertung in der Einheit [...] von Gedanken und Gefühlen erfolgt; dadurch werden stark emotional ausgerichtete Formen des Erlebens der Wirklichkeitsbeziehungen ermöglicht. " 23 Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller gestalten ihr Sujet auf verschiedene Weise, und das schlägt sich in ihrem Sprachgebrauch nieder. Einige wollen den Sozialismus auf literarische Weise vorantreiben und scheinen seine sprachlichen Erscheinungsformen mit den Leserinnen und Lesern einüben zu wollen. Das gilt vor allem für die Romane bis Mitte der 60er Jahre (Literatur des 'Sozialistischen Realismus'). Bei anderen erfährt man einiges über den DDR-Wortschatz - allerdings ausschließlich in ironischer Distanz des Erzählers. Schließlich besteht die Möglichkeit, daß DDR-Wortschatz bewußt vermieden wird. Auch das ist bei der Analyse zu berücksichtigen. Die Literatur weist beide Sprachebenen auf, die Sprache der SED und die private Sprache. Beide Ebenen werden beobachtet und analysiert. Anhand der Literatur soll gezeigt werden, daß sich im Verlauf der 40jährigen Geschichte der deutschen Teilung ein für die DDR eigener Bereich 21 Leipzig 1988 (russ. 1986). 22 Das wird von Emmerich, wie die Kleine Literaturgeschichte der DDR zeigt, auch so nicht praktiziert. 23 Lerchner 1987, 23.
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Einleitende Überlegungen
innerhalb des deutschen Wortschatzes gebildet hat. Einiges aus diesem Wortschatz hat auch nach der Vereinigung seine Geltung innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft nicht verloren - oder anders ausgedrückt: Die Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer werden ihre gewohnten und vertraut gewordenen Wörter auch weiterhin noch gebrauchen.24
1.3 Forschungssituation Veröffentlichungen zum Wortschatz in der DDR und/oder in der Bundesrepublik gibt es seit Anfang der fünfziger Jahre. Sie wurden recht kontinuierlich bis in die jüngste Gegenwart fortgeführt. Von Anfang an geht es um die Einheit der deutschen Sprache; die "Gefahr einer Sprachentfremdung"25 wird gesehen. Victor Klemperer und Franz Carl Weiskopf sind auf DDR-Seite die ersten, die aus philologischer Sicht die Sprachsituation ihrer Zeit analysieren und auf der Grundlage von Stalins Sprachbetrachtungen (1950) die Rolle der Sprache für die Einheit der deutschen Nation betonen.26 Beide Autoren beklagen die ihrer Ansicht nach zunehmende Sprachentfremdung zwischen den beiden deutschen Staaten. Die östliche Seite trage durch das "Überwuchern des Spruchbänder-, Behörden-, und Parteijargons" sowie durch die mechanischen Übersetzungen aus dem Russischen zur Sprachentfremdung bei. 27 Auf westlicher Seite sei das massive Eindringen von Amerikanismen zu beobachten.28 Die Aufsätze muten zwar aus heutiger Sicht sprachpuristisch an, enthalten aber wichtige und durchaus zutreffende Beobachtungen. Seit der 2. Hälfte der 70er Jahre wird das "sprachliche Ost-West-Problem" 29 in vielen Aufsätzen auf die sogenannte 'Variantenfrage' eingeengt.30 Die Analyse der Wortschatzunterschiede unter dem spezifischen Blickwinkel, ob die Sprache in den beiden deutschen Staaten eine einheitliche Variante der deutschen Sprache bildet oder nicht, ist durch die Ereignisse im Herbst 1989 24 Ein treffendes Beispiel hierfür ist das Wort Plaste. Drei Wochen, nachdem Reinhard Olt in seinem Leitartikel in der FAZ vom 13.10.90 "das Zeitalter der 'Plaste'" für beendet erklärt hatte (S.l), wurden in Leipzig neue Müllsammei-Container aufgestellt und mit der Aufschrift versehen: "Nur für Plaste". 25 So der Titel bei Weiskopf 1955. 26 Vgl. Weiskopf 1955, 416; Klemperer 1953, 216. 27 Weiskopf 1955, 419 und 421. 28 Ebd. 424. 29 So der Titel bei Hellmann 1981 und Schaeder 1981. 30 'Variantenfrage': Debus 1976; G.D. Schmidt 1978; Huth 1979; Schlosser 1981; Andersson 1983; G.D.Schmidt 1983; Reiffenstein 1983; u.a.; 'modifizierte Variantenfrage' auf der Grundlage des 'Plurizentrismuskonzepts': Clyne 1984; v. Polenz 1988; Hellmann 1989c; Dieckmann 1989; Fleischer 1989; Besch 1990; Härtung 1990.
Forschungssituation
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hinfallig geworden. Die jahrelangen Diskussionen hatten aber zu der Einsicht beigetragen, daß eine Sprache kein homogenes, statisches System ist, sondern ein offenes, das Differenzierungen zuläßt, ohne daß sich die Sprachgemeinschaft in ihrer Einheit bedroht fühlen müßte. Dieses Mehr an Offenheit und Toleranz ist im Hinblick auf die deutsche und europäische Einigung sehr hilfreich. Wie schon in 1.2 erwähnt, basierten die Publikationen über den Wortschatz der deutschen Sprache in der DDR überwiegend auf der veröffentlichten Sprache; Untersuchungsgegenstand waren die (Partei-) Medien. Grundlage vieler Analysen zum Sprachgebrauch in der DDR war das sogenannte "Zeitungskorpus" von M.W. Hellmann, der ab 1965 mit seiner Projektgruppe Texte aus dem Neuen Deutschland und der Welt gesammelt und untersucht hat. 31 Durch seine sachliche, unpolemische, jedoch keineswegs unkritische Art der Darstellung hat er sich auch in der DDR vor der "Wende" Achtung erworben. 32 Zu den jüngsten Veröffentlichungen über die deutsche Sprache in der DDR zählen zwei Bücher, die jeweils ein Kapitel der Literatur in der DDR widmen. U. Kändler und G. Yos haben für den Abschnitt "Lexikalische Charakteristika in der Epik der DDR" in der Monographie des Leipziger Wortschatzforschungskollektivs33 "jeweils 2000 Wörter fortlaufenden Text" aus 16 Romanen und Erzählungen untersucht. 34 Gegenstand ihrer Analyse sind "Übertragener und bildlicher Wortgebrauch", "Okkasionalismen", "Fachlexik als Ausdruck der Orientierung auf die Praxis im Sozialismus" und "Stilschichtlich markierte Lexik". 35 Die erzählende Literatur ist nur einer von mehreren Bereichen, die in der Monographie untersucht werden (Tagespresse, Monatsschriften, wissenschaftliche Darstellungen, Verwaltung, Rechts- und Bildungswesen). 36 Der Anzahl der Romane und dem Umfang ihrer lexikalischen Analyse waren daher von vornherein Grenzen gesetzt. Ich verdanke aber diesem Kapitel eine Reihe von Anregungen, vor allem, was den zeitlich markierten Wortschatz und die Fachlexik in epischen Texten betrifft. Die kommunikationswissenschaftlich orientierte Monographie von H.D. Schlosser enthält - wie die Leipziger Veröffentlichung - umfassende Untersuchungen zu den verschiedenen Ebenen von Sprachsystem und -Verwendung. Ein Kapitel gilt der "Sprache der Literatur und des Films in der DDR". 37 31 Vgl. Hellmann 1973, 21; letzte Veröffentlichung zum Zeitungskorpus: Hellmann 1984. 32 Wie mir bei meinem Studienaufenthalt in Leipzig im Juni 1989 versichert wurde. 33 Fleischer 1987, 159-200. 34 Vgl. ebd., 160f. 35 Das sind die Überschriften in ihrem Kapitel. 36 Vgl. Fleischer 1987, 22. 37 Schlosser 1990, 132-156.
8
Einleitende Überlegungen
Hier geht es nicht so sehr um eine lexikologische Analyse des Literatur-Wortschatzes, sondern um die Stellung der Belletristik in den beiden deutschen Kommunikationsgemeinschaften vor dem Umsturz sowie die Herausarbeitung von DDR-spezifischen Themen und Argumentationsweisen, von sprachlicher Gestaltung und Wortwahl in der Literatur der DDR. Schlosser hat sein Buch im Herbst 1990 veröffentlicht, konnte also die inzwischen veränderte Sichtweise auf Sprache und Literatur in der DDR berücksichtigen. Unmittelbar vor den Ereignissen im Herbst 1989 erschien Oschlies' Würgende und wirkende Wörter - Deutschsprechen in der DDR38. Der Verfasser trägt in salopper Art eine Fülle von Material zu Sprache und Kommunikation in der DDR zusammen. Für sein Anliegen ("das einigende Band der Sprache hält!") ihm nicht geeignet erscheinende Bereiche der Sprache (z.B. die Sprache der Literatur) klammert er allerdings aus.39 Literatur als Basis einer Sprachuntersuchung wählen heißt, sich im Grenzbereich zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft zu bewegen. Die Studie geht zwar von explizit linguistischer Seite an die Literatur heran, berücksichtigt aber auch literaturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden. Das gilt sowohl für die literaturgeschichtliche Einordnung der Romane und Erzählungen als auch für das Herausfinden von Erzählstrukturen in den jeweiligen Texten. Eine Wortschatzbeschreibung und -analyse darf sich nicht auf isolierte Wörter beschränken, sondern muß Text und Kontext berücksichtigen40, denn die Rolle des Kontextes ist relevant für die Identifikation der Sememe.41 Die Wörter stehen ja nicht für sich, sondern nehmen im literarischen Werk eine bestimmte Funktion ein, dienen z.B. der Figurencharakteristik, illustrieren die Haltung des Erzählers oder gestalten Zeit und Milieu. Der Leipziger Linguist G. Lerchner hat einige Arbeiten zum Thema "Sprachform von Dichtung" bzw. "Poetische Kommunikation" veröffentlicht42, die - ebenfalls im Grenzbereich zwischen Linguistik und Literaturwissenschaft - die theoretische Fundierung einer kommunikationsorientierten Textbeschreibung bilden. Eine explizit textlinguistisch ausgerichtete Wortschatzuntersuchung wurde 1989 von der Russin G. Scheweljewa in Halle als Dissertation verteidigt.43 Diese Arbeit ist für die vorliegende Untersuchung besonders interessant, da hier Wortschatzneuerungen anhand eines in der DDR erschienenen Romans analysiert werden. Scheweljewa untersucht die textuellen Funktionen DDR38 Oschlies 1989. 39 Vgl. die Rezension von Fleischer; in: Fleischer 1990, 95f. 40 Vgl. die Artikel von Heinemann 1982 und Neubert 1982. 41 Vgl. Heinemann 1982, 14. 42 Lerchner 1982, 1986, 1987. 43 Scheweljewa 1989.
Forschungssituation
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typischer Neologismen - von ihr in Anlehnung an die sowjetische Linguistik "Innovationen" genannt - im 2. Band des Romans Gewalt und Zärtlichkeit von Horst Bastian (1978). Der Umbruch im Herbst 1989 und die Integration der DDR in die Bundesrepublik verändern nicht nur das Land selbst, sondern auch den Blick auf seine Geschichte. Sie lassen vordem aktuelle Interessen historisch werden und machen sie dadurch - vielleicht - leichter einsehbar. 44 Vor allem stellen sie die bisherige Forschung in Frage. Aufsätze, die nach 1989 erschienen sind (nur eine Monographie - Schlosser 1990) lassen die momentane Umbruchssituation sichtbar werden. Vorsichtig werden zur Zeit noch existierende DDR-spezifische Ausdrücke aufgelistet. 45 Noch ist nicht abzusehen, wieviel von dem bisher üblichen Wortschatz übrigbleibt, was eventuell in den Sprachgebrauch der Bundesrepublik aufgenommen wird und was nicht. 46 Die vorliegende Wortschatzuntersuchung möchte sich bewußt den Unsicherheiten stellen. Viele Wörter sind 'nur' noch von historischem Interesse, darum aber nicht weniger interessant, vor allem auch, was die Klärung des Verhältnisses zwischen Sprache und Ideologie betrifft. Ein Teil des untersuchten Wortschatzes war auch schon vor der "Wende" historisch: die sogenannten "Paläologismen"47 der DDR der fünfziger und frühen sechziger Jahre, die aber für die Geschichte des vergangenen sozialistischen deutschen Staates von großer Bedeutung sind.
1.4
Methode
1.4.1
Auswahl der Romane und Erzählungen
Welche Erfahrungen haben Menschen in der DDR gemacht? Welche Lebensbedingungen haben sie vorgefunden, die anhand sprachlicher Kennzeichen ermittelt werden können und die in der 'Schönen Literatur' widergespiegelt werden? Aus der Fülle der Veröffentlichungen seit 1949 sind für diese Untersuchung 35 Romane und Erzählungen ausgewählt worden. Die Beschränkung auf die Gattungsform der Epik und die bewußte Ausklammerung von Lyrik und Dramatik sichert eine - zumindest von der Diktion her - einheitliche Vergleichsgrundlage der Texte. Gedichte und Theaterstücke haben ihre eige44 Diese Überlegungen waren Gegenstand der Tagung "Moral - Politik - Ästhetik. Eine Zwischenbilanz nach der Wende" der Karl-Arnold-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Arbeitskreis für Literatur und Germanistik in der DDR. Bonn 14.- 16.12.1990. 45 Hellmann 1990. 46 in letzter Zeit häufiger "orientieren auf" im Sinne von "eine Richtlinie geben", "aufmerksam machen" (WDR Hörfunk, Dez. 1990). 47 Begriff von G.D. Schmidt, 1982.
10
Einleitende Überlegungen
nen Besonderheiten im künstlerischen Sprachgebrauch und können daher nicht ohne weiteres zusammen mit epischen Texten analysiert werden. Kriterium für die Aufnahme eines Romans oder einer Erzählung in das Literaturkorpus ist das Sujet "Leben in der DDR". Die literarische Gestaltung des Alltags, die Verarbeitung von individuellen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen, wie sie nur in der DDR und nicht in der BRD vorzufinden waren, verbindet die ausgewählten literarischen Werke, so unterschiedlich sie auch sonst zum Teil sind. Dieser DDR-eigene Erfahrungshintergrund wurde in der Bundesrepublik oft unterschätzt. Ein Beispiel für die Art des Umgangs mit DDR-Literatur, die die unterschiedlichen Alltagserfahrungen in Ost und West ignoriert, ist die Kurzcharakteristik des Luchterhand-Verlags auf der 4. Umschlagseite des Romans von Gerti Tetzner, "Karen W." (1975), mit der auf dem westdeutschen Buchmarkt Interesse für den DDR-Roman geweckt werden soll. "Fiele nicht einmal das kleine Wörtchen 'Kaderakte', dann könnte der Roman überall und nirgends spielen." Es ist richtig, daß viele Erlebnisse der Hauptfigur nicht auf ein Leben in der DDR beschränkt sind, daß Karen W. Erfahrungen macht, Begegnungen hat und Enttäuschungen erlebt, die von ihren westlichen Leserinnen und Lesern geteilt werden. Doch welche Leserin hatte in Westdeutschland die Gelegenheit, als Notariatspraktikantin die Kollektivierung der Landwirtschaft zu erleben und auf "einem dieser Vollgenossenschaftlichkeitsbälle" von einem Agronomen einen eindeutigen Antrag zu erhalten? Wer hat im Westen an einem Exmatrikulationsverfahren teilgenommen, an dessen Ende ein Student "zur Bewährung in die Produktion" geschickt werden soll? Und wer arbeitete in einer "Feldbaubrigade" und gab sein Kind in die Krippe? Der Schauplatz des Romans ist die DDR-Gesellschaft. Die Handlung ist viel zu konkret an diese spezifische Erfahrungswelt gebunden, als daß sie "überall und nirgends" angesiedelt sein könnte. Das Literaturkorpus wurde mit Hilfe von Literaturgeschichten aus Ost und West zusammengestellt.48 Hinzu kam die Autobiographie Durch die Erde ein Riß von Erich Loest, die einen subtilen Einblick in die literaturpolitische Szene der SBZ/DDR von 1945 bis zu Loests Verhaftung 1957 gibt. Der Lehrplan Deutsche Sprache und Literatur. Abiturstufe des Ministeriums für Volksbildung gab Hinweise, welche Romane für den Deutschunterrricht in der 11. und 12. Klasse vorgeschrieben waren und damit - aus dessen Sicht als 'typisch' für die DDR-Literatur gelten konnten. 49 Auch literaturwissenschaftliche Einzeldarstellungen und Analysen zu den verschiedensten Themen 48 West: Kindlers Literaturgeschichte 1974, Emmerich 1989; Ost: Geschichte der Literatur der DDR 1976, Kulturgeschichtliche Tabellen 1986. 49 Lehrplan, 48: "Aus der Literatur der DDR" im Themenkomplex "Literatur des sozialistischen Realismus".
Methode: Auswahl der Romane und Erzählungen
11
deutscher Literatur seit 1945 trugen zur Entscheidung darüber bei, welche Werke als repräsentativ für ihre Zeit anzusehen sind. 50
1.4.2 Der Begriff des DDR-Typischen Untersucht werden Lexeme, d.h. im 'Wortschatzinventar' gespeicherte sprachliche Einheiten. Gelegentlich werden auch Okkasionalismen einzelner Autorinnen und Autoren herangezogen, die ihre Wortschöpfungen oft bewußt in Gegensatz zur offiziellen Schreibart stellen. 'DDR-typisch' kann ein Lexem oder Syntagma in verschiedener Hinsicht sein: 1. Am auffalligsten sind die lexikalischen Einheiten des deutschen Wortschatzes, die in bezug auf Form und Bedeutung in ihrem Gebrauch auf das Gebiet der DDR beschränkt waren. Broiler, Plaste, Kombine, Brigade, Traktoristin u.a. gehören zu dieser Gruppe von Wörtern, die in den meisten Fällen auf Entlehnung zurückzuführen sind. Lexeme dieser Gruppe sind in Westdeutschland nicht vorhanden, es sei denn als Elemente von Sonderwortschätzen, Brigade z.B., erscheint hier nur im militärischen Bereich und bei gewerkschaftlichen Gruppierungen, Solidaritätsbrigaden in Nicaragua. 2. Die numerisch größte Gruppe bilden die lexikalischen Einheiten, die im deutschen Sprachsystem allgemein vorhanden sind, aber dadurch zu DDR-Typika werden, daß sie mit bestimmten anderen, ebenfalls im deutschen Sprachsystem allgemein vorhandenen Lexemen zu Komposita oder Syntagmen verknüpft werden, z.B. Jugend und Leben zu Jugendleben, Volk und Buchhandel zu Volksbuchhandel, Held und Arbeit zu Held der Arbeit. Oft sind diese Wörter bzw. festen Wortverbindungen Übersetzungen aus dem Russischen: Wandzeitung < stennaja gazeta, Held der Arbeit < geroj truda, Kulturhaus bzw. Haus der Kultur < dom kulturyj. DDR-typisch ist hier nicht die Wortbildungsart, sondern die Zusammenstellung der Konstituenten und die sich daraus ergebende neue Wortbedeutung. 3. DDR-typisch sind oft nicht die Wörter an sich, sondern ihre Kollokationen. Das Verb delegieren kennt man beispielsweise auch im Westen. Aber die spezifische Verknüpfung mit Präposition und Substantiv zum Hochschulstu50 Beraten haben mich in dieser Frage auch Ursula Kändler und Walfried Hartinger von der Sektion Germanistik und Literaturwissenschaft an der Universität Leipzig, die meine Literaturliste auf ihre Stringenz überprüften und mich auf nicht berücksichtigte Autoren aufmerksam machten.
12
Einleitende Überlegungen
dium delegieren läßt das Syntagma DDR-typisch werden. Gleiches gilt für die Kollokationen von Plan und Soll: den Plan/das Soll erfüllen, übererfüllen, unterbieten. 4. Auch die außersprachlichen Referenzbezüge eines Wortes tragen dazu bei, dem allgemeinen Formativ eine DDR-typische Bedeutung zu geben. Das Denotat eines sprachlichen Zeichens verweist auf die politischen Verhältnisse in der SBZ/DDR, z.B. gewinnt das Lexem Bodenreform dadurch sein DDR-typisches Semem, daß damit die spezifischen Erscheinungsweisen der sogenannten 'demokratischen Umgestaltung auf dem Lande' 1945/46 in der SBZ bezeichnet werden: Enteignung der NS-Kriegsverbrecher und des Grundbesitzes über 100 ha, Zuteilung von 58 ha Land an landlose Bauern und Landarbeiter, Bildung volkseigener Güter etc. 5. Ideologische Begriffsfestlegungen von Seiten der SED führen dazu, daß die Sememstruktur mancher Lexeme auf eine ganz bestimmte Bedeutung festgelegt wird, die in dieser Ausschließlichkeit auf den Kommunikationsbereich der DDR beschränkt ist, fortschrittlich im Sinne von "[...] für den Soz. eintretend", parteilich im Sinne von "bewußt für den Sozialismus [...] Partei ergreifend"; volkstümlich hat einen kunstphilosophischen Hintergrund auf der Grundlage des sozialistischen Realismus, "dem Denken und Fühlen des werktätigen Volkes entsprechend"51. 6. DDR-typisch kann auch eine 'Nicht-Form' sein, z.B. das Nicht-Movieren weiblicher Berufs- und Personenbezeichnungen. Der Direktor der POS, Frau XY. Gegen Ende der 80er Jahre war eine zunehmende Tendenz zu beobachten, weibliche Personen auch grammatisch zu kennzeichnen, doch in parteioffiziellen Veröffentlichungen wurde dies bis zum Umsturz vermieden. Diese verschiedenen Erscheinungsweisen des DDR-Typischen erlauben einen recht großzügigen Umgang mit der Fragestellung, ob ein Lexem als DDR-typisch einzustufen ist oder nicht. In einigen Fällen wird die Entscheidung umstritten sein. 'Typisch' ist weniger exklusiv als 'spezifisch'. Nicht jedes DDR-typische Wort ist in den anderen deutschsprachigen Staaten automatisch ein 'Fremdwort'. Berücksichtigt wird sowohl die onomasiologische Fragestellung: Ist das Denotat DDR-typisch? als auch die semasiologische Fragestellung: Ist die Benennung DDR-typisch? 'DDR-typischer Wortschatz' kann auch heißen: traditioneller deutscher Wortschatz, der in der Bundesrepublik durch innovative Wortbildungen verdrängt worden ist. Beim Lesen von DDR-Literatur, aber auch in der Alltagssprache fallt eine Wortwahl auf, die nach westdeutschen Maßstäben als 'liebenswert altmodisch' bezeichnet werden kann. Zu diesen traditionellen 51 Zitate aus dem Handwörterbuch der deutschen
Gegenwartssprache.
Methode: Der Begriff des DDR-Typischen
13
Lexemen gehören barmen, Schulspeisung, die Anrede mit "wert", werte Frau Kollegin, werter Herr sowie Vertiko und Anrichte. H.D. Schlosser führt dieses Phänomen darauf zurück, "daß sich die deutsche Sprache in der Bundesrepublik viel schneller als in der DDR von älteren Sprachtraditionen losgesagt hat, die teilweise noch bis in die fünfziger Jahre gesamtdeutsch galten"52. Diese Beobachtung ist zutreffend, wenn man die Schnellebigkeit in Westdeutschland vor Augen hat, den Zwang, immer auf dem neuesten Stand zu sein. Das führt zu Innovationen, zu Lebendigkeit, es werden aber auch Traditionen verschüttet, die durchaus erhaltenswert wären. In der DDR hat sich durch die Abgeschlossenheit und das ohne Markt- und Werbemechanismen existierende Wirtschaftssystem teilweise ein 'älterer' Wortschatz erhalten. Die Kehrseite der Medaille war die verordnete Blindheit gegenüber Entwicklungen außerhalb des 'sozialistischen Weltsystems', die nicht nur in der Sprache und im Denken zur Stagnation führte. Ein Beispiel für diesen 'liebenswert altmodischen' Sprachgebrauch ist das Wort barmen53, für das ich je einen Beleg in der Literatur und in der Alltagssprache gefunden habe: "Die Dorffrauen barmend auf der Dorfstraße, alle Blicke gebannt auf das brennende Feld." (Christa Wolf, Sommerstück, 1989, 196). Noch ungewöhnlicher, geradezu beeindruckend ist es, dieses Wort im alltäglichen Sprachgebrauch zu hören. "Du hast ja schon im Tschechei-Urlaub gebarmt, daß der Junge noch nicht trocken ist." 54 Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis diese alten Wörter auch in den neuen Bundesländern verschwinden. Einige Lexeme entstammen dem Wortschatz der Arbeiterbewegung und anderer sozialer oder 'freigeistiger' Bewegungen des 19. Jahrhunderts, z.B. Agitation und Jugendweihe. In der DDR wurden sie nach 1945 wieder eingeführt oder überhaupt erst allgemein verbreitet. Es gibt allerdings kein Wörterbuch, das zuverlässige Informationen über Wortschatz und Wortgebrauch der Arbeiterbewegung im 19. und frühen 20. Jahrhundert geben könnte. Ein in der DDR häufig benutztes und 'arbeiterbewegt' klingendes Wort ist noch älter: werktätig ist schon bei Adelung als Lemma vorhanden.55
52 Schlosser 1990, 139. 53 Mit der Bedeutung 'klagen', 'jammern'. 54 Ein Facharbeiter aus Crimmitschau/Sachsen, 1990. 55 Vgl. Adelung 1774-1786, Bd. 5, 1506: "werkthätig, adj. et adv. Durch die Werke, d.i. Handlungen, thätig; [...]."
14
Einleitende Überlegungen
1.4.3 Gewinnung der Wortbelege Die ausgewählten Romane und Erzählungen geben einen differenzierten Einblick in die Geschichte der DDR und bieten als Grundlage für die linguistische Analyse umfangreiches Wortmaterial. Bei der Untersuchung wird so vorgegangen, daß zunächst die den Romanen und Erzählungen entnommenen und von mir als unbekannt oder auffallig (und daher möglicherweise DDR-typisch) identifizierten Lexeme aufgelistet werden. Die Wörter werden dann auf einer Datenbank unter folgenden Kriterien gespeichert: -
Erzählersprache oder Figurendialog Wortart Genus Entlehnung (Herkunftssprache oder -Ideologie) Wortbildung Fundstelle.
Diese Vorauswahl der Lexeme wird im nächsten Schritt daraufhin überprüft, ob es sich tatsächlich jeweils um ein DDR-typisches Wort oder Syntagma handelt. Korrektive bilden dabei: * Allgemeine deutschsprachige Wörterbücher - Leipziger und Mannheimer Duden (Rechtschreibwörterbücher ab 1947, z.T. auch ältere Ausgaben). - Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG) und Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Beide Berlin/Ost56. - Gerhard Wahrig, Deutsches Wörterbuch. München57. - Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 6 Bänden. Mannheim.
56 Das 1984 erschienene zweibändige Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache des Ost-Berliner Akademie-Verlages wird wegen seiner konsequent marxistisch-leninistischen Ausrichtung in dieser Arbeit besonders häufig zur Definition eines Lexems herangezogen. Das Zitierkürzel ist jeweils Handwörterbuch. 57 Wahrigs Deutsches Wörterbuch wird in dieser Arbeit als 'westdeutsches' Pendant zum Handwörterbuch gewertet. Zitierkürzel: "Wahrig".
Methode: Gewinnung der Wortbelege
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* Wörterbücher zu Wortschatz und Sprachgebrauch in der DDR - Michael Kinne/Birgit Strube-Edelmann, Kleines Wörterbuch des DDRWortschatzes. Düsseldorf 1980. Verfasserin und Verfasser stammen aus der Bundesrepublik; das Wörterbuch entstand im Umfeld des 'Zeitungskorpus1 von M.W. Hellmann (vgl. 1.3). - Martin Ahrends, Allseitig gefestigt. Stichwörter zum Sprachgebrauch der DDR. München 1989. Ahrends wurde 1951 in der DDR geboren, er siedelte 1984 in die Bundesrepublik über. Aufgrund seiner Beobachtung, daß vielen Westdeutschen nicht unbedingt die Definition der "neuartigen Wörter", aber die Vorstellung davon fehlt, "was das Bezeichnete für eine Rolle im Leben in der DDR spielt", verzeichnet Ahrends im Wörterbuch alle ihm zugänglichen lexikalischen Besonderheiten, "Wörter, die es in dieser Bedeutung nur in der DDR-Sprache gibt" 58 . - Ernst Röhl, Wörtliche Betäubung. Neudeutscher Mindestwortschatz. Berlin/Ost31989. Bei diesem satirischen "Verbarium" des Eulenspiegel-Herausgebers handelt es sich um einen "einsprachigen Sprachmittler für DDRBürger"59. Viele Stichwörter wirken auf den ersten Blick nicht unbedingt typisch nur für den Sprachgebrauch in der DDR, sind es aber durch ihre Kollokationen. "Zielstellungen werden bürgernah abgearbeitet, [...] Probleme schwerpunktmäßig angedacht, [...] Konzeptionen niveauvoll abgenickt." 60 * Historische Wörterbücher61 - Johann Christoph Adelung, Wörterbuch der hochdeutschen Mundart. Leipzig 1774-1786. - Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache. Braunschweig 1807-1811. - Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854-1961. * Sekundärliteratur - Linguistische Untersuchungen zu einzelnen Lexemen oder allgemein zum DDR-typischen Sprachgebrauch.
58 Zitate vgl. Vorwort bei Ahrends 1989, 7-9. 59 Röhl 1989, 8. 60 Ebd. 6. Für genaue bibliographische Angaben vgl. Literaturverzeichnis.
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Einleitende Überlegungen
* Beiträge aus den Medien - Berichte und Interviews aus der DDR bzw. den neuen Bundesländern. * Kompetenz der Verfasserin - Eigene Beobachtungen zum DDR-typischen Wortschatz und Sprachgebrauch, die auf regelmäßigen Reisen nach Ostdeutschland seit 1985 gewonnen wurden. * Kompetenz der 'Muttersprachler von Hoch-DDRsch' 62 - Gespräche in der DDR und mit Übergesiedelten trugen dazu bei, ein Wort oder eine Redewendung in den kommunikativen Kontext einzuordnen oder die Bedeutung eines nicht in ein Wörterbuch aufgenommenen Lexems zu verstehen. Viele Bürgerinnen und Bürger Ostdeutschlands haben ein feinsinniges Gespür für ihren Sprachgebrauch; doch auch von ihnen unbewußt benutzte DDR-typische Wörter und Redewendungen sind relevant für die Sprachanalyse.63
1.4.4 Klassifizierung der Lexeme Von den auf der Datenbank isolierten Lexemen können etwa 730 Belege als DDR-Typika bezeichnet werden. Als Types zählen hierbei sowohl Simplizia als auch Zusammensetzungen, Ableitungen und Syntagmen. Da einige Lexeme in quantitativ großer Zahl auftreten, Brigade- und Genossenschaft- beispielsweise allein bei Marchwitza bzw. Claudius etwa 150 mal, ist die Zahl der Tokens natürlich wesentlich höher. Festzuhalten ist aber die Summe von etwa 730 DDR-typischen Wortbelegen, die aus den Romanen gewonnen wurden.
62 Das Wort "Hoch-DDRsch" prägte Stefan Heym (vgl. Oschlies 1989, 93). 63 Ein Beispiel für einen unbewußt gebrauchten DDR-typischen Ausdruck ist die Aussage des Hallenser Psychotherapeuten Hans-Joachim Maaz, der bei einem Vortrag in Bonn (10.6.91) sagte: "Wir brauchen ein neues Geburtsregime" (i.e. Ärzte und Hebammen sollen sich mehr auf die Bedürfnisse von Mutter und Kind einstellen). Diese Wortwahl löste beim Publikum Erstaunen und Unverständnis aus, was wiederum Maaz unsicher werden ließ. Der Begriff mußte erläutert werden, um die Diskussion fortsetzen zu können.
Methode: Klassifizierung der Lexeme
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Um diese Wortmenge zu ordnen, werden die Lexeme in fünf Kommunikationsbereiche eingeteilt: 1. 2. 3. 4. 5.
Industrielle und landwirtschaftliche Produktion Staat, Partei und Massenorganisationen Wirtschaft und Handel Bildung, Erziehung und Kultur Marxistisch-leninistische Philosophie64
Die Rangfolge ist diskutabel - sie zeigt bereits das Gewicht an, das Produktion und Partei in der Gesellschaft der DDR und damit auch in der fiktionalen Darstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit einnehmen. Die Einteilung geschieht in Anlehnung an die von Große (1982) und Fleischer (1987) vorgenommene "Klassifizierung von Kommunikationsbereichen der sozialistischen Gesellschaft"65. Die literarisch-künstlerische Kommunikation stellt demnach einen eigenen Bereich dar. 66 Die Kommunikationssphären der gesellschaftlichen Praxis werden in den epischen Texten auf einer Metaebene widergespiegelt. Die Einteilungen bei Große und vor allem bei Fleischer sind zwar detaillierter, eine größere Differenzierung würde in der vorliegenden Studie aber keinen Erkenntnisgewinn erbringen. Einige Bereiche fehlen, z.B. die Bereiche 'Sport1, 'Kirchen', 'Militär'; das mag mit der Auswahl der Texte zusammenhängen.
1.5 Themen der Wortschatzuntersuchung Das aus den Romanen gewonnene Wortmaterial wird in den Kapiteln 2 bis 9 unter verschiedenen thematischen Aspekten beschrieben und analysiert. Dabei greifen die Untersuchung der einzelnen Lexeme und die Untersuchung des gesellschaftlichen Kontextes der Wörter und Redewendungen ineinander. Das 2. Kapitel analysiert die Wortarten und bestimmte Wortbildungsprinzipien der DDR-typischen Lexeme. Das 3. Kapitel widmet sich dem Wortschatz der Nachkriegszeit, den "DDR-typischen Paläologismen". Das 4. Kapitel, "DDRtypische Entlehnungen", erweitert die Fragestellung des Wortbildungskapitels im Hinblick auf die Herkunftssprache entlehnter DDR-typischer Lexeme. Die DDR wird dabei im Zusammenhang mit den anderen sozialistischen Staaten 64 Damit ist das 'herrschende' philosophische System gemeint, das in den sozialistischen Staaten maßgeblich war, die 'Staatsideologie' darstellte. "Die marxistisch-leninistische P. bildet die allgemeine theoretische und methodologische Grundlage und zugleich den Kem der umfassenden Weltanschauung des Marxismus-Leninismus." (Wörterbuch der marxistisch-lenistisch Philosophie, 403) 65 Fleischer 1987, 32, vgl. Große 1982, 45. 66 Vgl. Fleischer 1987, 33.
18
Einleitende Überlegungen
Mittel- und Osteuropas gesehen. Das 5. Kapitel untersucht die (Nicht-)Movierung weiblicher Personen- und Berufsbezeichnungen. Die Kapitel 6 bis 8 enthalten eine explizit ideologiekritische Analyse des DDR-typischen Wortschatzes. Kapitel 6 beobachtet den häufigen Gebrauch des Lexems Volk in der DDR und vergleicht ihn mit dem Sprachgebrauch in der Sowjetunion vor der Perestroika. Im 7. Kapitel ist der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie Gegenstand der Untersuchung. Es werden diejenigen Wörter und Redewendungen analysiert, die die "negativ definierte Identität"67 im Sozialismus sprachlich abbilden: Lexeme, die ein Feindbild ausdrücken oder mit einer kämpferisch-militaristischen Note versehen sind. Zum Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie gehören auch ein pseudoreligiöser Sprachgebrauch und - als Folge der fehlenden tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Hitler-Diktatur - Kontinuitäten nationalsozialistischen Sprachgebrauchs. Das 8. Kapitel rundet die ideologiekritischen Untersuchungen ab mit der Frage, wie Stalin in der erzählenden Literatur der DDR dargestellt wird. Im Hinblick auf die Vereinigung der beiden deutschen Staaten werden die Romane im 9. Kapitel unter der Fragestellung analysiert, welche 'Namen' sie für Deutschland und Berlin verwenden, welche Bezeichnungen es somit für die beiden deutschen Staaten und das geteilte Berlin in den vierzig Jahren Geschichte der DDR aus ostdeutscher Sicht gegeben hat. Dieses Kapitel schließt die Wortschatzuntersuchungen ab, aus denen in Kapitel 10 Folgerungen für die gesellschaftliche Praxis und die weitere linguistische Forschung gezogen werden. Am Schluß der Untersuchung werden in einem Wortindex alle DDRtypischen Belege, die aus den Romanen gewonnen wurden, aufgelistet.
1.6 Literaturkorpus 1. Gruppe:
Literatur als Widerspiegelung der neuen Produktionsverhältnisse Romane und Erzählungen 1949 bis 1965
1. Otto Gotsche, 1904-1985, Tiefe Furchen. Roman des deutschen Dorfes. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale 1949. Benutzte Ausgabe: 9. Auflage 1975. 541 S. 2. Eduard Claudius, 1911-1976, Menschen an unsrer Seite. 1951. Benutzte Ausgabe: Verlag Volk und Welt. Berlin. 1. Aufl. 1956. 396 S.
67 Stojanov 1991, 39.
Literaturkorpus
19
3. Erwin Strittmatter, geb. 1912, Tinko. Der Kinderbuchverlag. Berlin 1954. 388 S. 4. Stephan Hermlin, geb. 1915, Die Kommandeuse. 1954. Benutzte Ausgabe: Ders., Arkadien. Gesammelte Erzählungen. Verlag Ph. Reclamjun. Leipzig 1985 ( = RUB Band 1000). S. 178-189. 5. Hans Marchwitza, 1890-1965, Roheisen. Verlag Tribüne. Berlin 1955. 531 S. Erhielt den "Nationalpreis" (1955). 6. Eduard Claudius, 1911-1976, Von der Liebe soll man nicht nur sprechen. Roman. Verlag Volk und Welt. Berlin 1957. 514 S. 7. Anna Seghers, 1900-1983, Die Entscheidung. Roman. Aufbau-Verlag. Berlin 1959. 597 S. 8. Brigitte Reimann, 1933-1973, Ankunft im Alltag. Roman. Verlag Neues Leben. Berlin 1961. Benutzte Ausgabe: dtv Nr. 10666. München 1986. 239 S. 9. Karl-Heinz Jakobs, geb. 1929, Beschreibung eines Sommers. Roman. Verlag Neues Leben. Berlin 1961. 219 S. 10. Christa Wolf, geb. 1929, Der geteilte Himmel. Erzählung. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale 1963. Benutzte Ausgabe: dtv Nr. 915. 21. Aufl. 1987 (1. Aufl. 1973). 199 S. 11. Erwin Strittmatter, Ole Bienkopp. Roman. Aufbau-Verlag. Berlin 1963. 428 S. 12. Jurij Brezan, geb. 1916, Mannesjahre. Roman. Verlag Neues Leben. Berlin 1964. Benutzte Ausgabe: 11. Aufl. 1977. 392 S. 13. Erik Neutsch, geb. 1931, Spur der Steine. Roman. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale. 1964. 911 S. 14. Hermann Kant, geb. 1926, Die Aula. Roman. DDR 1965. BRD Berlin (West) 1966. Benutzte Ausgabe: Fischer Taschenbuchverlag Nr. 931. Frankfurt am Main 1979. 317 S. 15. Uwe Johnson, 1934-1984, Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953. Geschrieben 1953-1956. Erstveröffentlichung: Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 1985. 248 S.
20 2. Gruppe:
Einleitende Überlegungen
Literatur als Zivilisationskritik Romane und Erzählungen 1968 bis 1989
1. Christa Wolf, geb. 1929, Nachdenken über Christa T. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale 1968. Benutzte Ausgabe: Sammlung Luchterhand 31. Darmstadt 1987. 183 S. (löste in der DDR z.T. heftige Kritik aus, polemische Rezensionen, wurde nur in geringer Auflage verlegt). 2. Ulrich Plenzdorf, geb. 1934, Die neuen Leiden des jungen W. In: Sinn und Form 1972. VEB Hinstorff Verlag. Rostock 1973. Benutzte Ausgabe: Suhrkamp Taschenbuch Nr. 300. Frankfurt am Main 1980. 148 S. (mußte umgeschrieben werden). 3. Stefan Heym, geb. 1913, Fünf Tage im Juni. Roman. Bertelsmann Verlag. München 1974. 383 S. (nur in der BRD erschienen). 4. Gerti Tetzner, geb. 1936, Karen W. Roman. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale 1974. Benutzte Ausgabe: Sammlung Luchterhand 212. Darmstadt und Neuwied 1975. 239 S. 5. Volker Braun, geb. 1939, Unvollendete Geschichte. In: Sinn und Form 1975 (in der DDR 1988 als Buch erschienen). Benutzte Ausgabe: Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 1977. 98 S. 6. Klaus Schlesinger, geb. 1937, Alte Filme. Eine Berliner Geschichte. VEB Hinstorff Verlag. Rostock 1975. Benutzte Ausgabe: Fischer Taschenbuchverlag Nr. 2091. Frankfurt am Main 1979. 127 S. 7. Thomas Brasch, geb. 1945, Vor den Vätern sterben die Söhne. Rotbuch Verlag. Berlin (West) 1977. 109 S. (Ausreise in die BRD 1976; Druckverbot für das Buch in der DDR). 8. Paul Gratzik, geb. 1935, Transportpaule. VEB Hinstorff Verlag. Rostock 1977. 1. Auflage 1981. 189 S. 9. Erich Loest, geb. 1926, Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene. Roman. Greifenverlag. Rudolstadt 1979. 294 S. (Nach einer minimalen 2. Aufl. nicht wieder verlegt, polemische Rezensionen). 10. Günter de Bruyn, geb. 1926, Märkische Forschungen. Erzählung för Freunde der Literaturgeschichte. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale 1979. Benutzte Ausgabe: S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 1979. 152 S. 11. Dieter Noll, geb. 1927, Kippenberg. Roman. Aufbau-Verlag. Berlin und Weimar 1979. 1. Aufl. 1981. 292 S.
Literaturkorpus
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12. Helga Schütz, geb. 1937, Julia oder Erziehung zum Chorgesang. AufbauVerlag. Berlin und Weimar 1980. Benutzte Ausgabe: Sammlung Luchterhand Nr. 728. Darmstadt 1988. 254 S. 13. Monika Maron, geb. 1941, Flugasche. Roman. Frankfurt am Main 1981. Benutzte Ausgabe: Fischer Taschenbuchverlag Nr. 3784. Frankfurt am Main 1989. 244 S. (nur in der BRD erschienen). 14. Gert Neumann, geb. 1942, Elf Uhr. S. Fischer. Frankfurt am Main 1981. 351 S. (nur in der BRD erschienen). 15. Christoph Hein, geb. 1944, Der fremde Freund. Aufbau-Verlag. Berlin und Weimar 1982. In der BRD 1983 mit dem Titel Drachenblut. Novelle erschienen. Benutzte Ausgabe: Sammlung Luchterhand Nr. 616. Darmstadt 1985. 175 S. 16. Volker Braun, Hinze-Kunze-Roman. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Leipzig 1985. Benutzte Ausgabe: Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 1985. 199 S. (Erschien in der DDR mit Verzögerung, begleitet von z.T. heftiger Kritik). 17. Helga Schütz, In Annas Namen. Roman. Aufbau-Verlag. Berlin und Weimar 1986. Benutzte Ausgabe: Luchterhand Verlag. Darmstadt und Neuwied 1987. 271 S. 18. Ulrich Schacht, geb. 1951, Brandenburgische Konzerte. Sechs Erzählungen um einen Menschen. Deutsche Verlags-Anstalt. Stuttgart 1989. 167 S. (Ausreise in die BRD 1976). 19. Christoph Hein, Der Tangospieler. Roman. Aufbau-Verlag. Berlin und Weimar 1989. Benutzte Ausgabe: Luchterhand Literaturverlag. Frankfurt am Main 1989. 217 S. 20. Christa Wolf, Sommerstück. Aufbau-Verlag. Berlin und Weimar 1989. Benutzte Ausgabe: Luchterhand Literaturverlag. Frankfurt am Main 1989. 228 S. Die Zitate aus den Romanen und Erzählungen werden in der Analyse durch die Angabe des Autors und der Seitenzahl bibliographisch nachgewiesen, z.B. Heym, 128. Liegen mehrere Veröffentlichungen eines Autors bzw. einer Autorin vor, wird das Erscheinungsjahr des Werks hinzugefügt, z.B. Wolf 1968, 164.
22
1.6.1
Einleitende Überlegungen
1. Gruppe (1949-1965)
Die Romane der 1. Gruppe führen vor allem die Rezipienten, die in der Bundesrepublik aufgewachsen sind, in die Nachkriegszeit und in die unbekannte DDR der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Von den angegebenen Werken sind nur die von Seghers, Reimann, Wolf, Strittmatter (Ole Bienkopp) und Kant auch in der Bundesrepublik verlegt worden68 und waren somit dem westdeutschen Lesepublikum zugänglich. Die Veröffentlichungen der übrigen Autoren sind in den alten Bundesländern weitgehend unbekannt. Alle Romane sind einem Programm verpflichtet: dem Aufbau eines antifaschistischen, sozialistischen, friedliebenden deutschen Staates. "Stärker als das Gros westdeutscher Schriftsteller fühlten sich die frühen Autoren der SBZ verpflichtet, einen Beitrag zum geistigen Wiederaufbau Deutschlands i.S. eines 'antifaschistischen', friedlichen Staates zu leisten."69 Viele Schriftsteller, aber auch Philosophen und Publizisten, die während des Nationalsozialismus ins Exil gehen mußten, zog es in die SBZ/DDR, was nicht heißt, daß sich einige von ihnen im Verlauf der fünfziger und sechziger Jahre enttäuscht von der DDR abwandten bzw. auch von dort wieder gehen mußten.70 Betrachtet man die Biographien der bis 1926 geborenen Autoren, zeigt sich, daß die meisten von ihnen schon in der Weimarer Republik Mitglied der KPD gewesen waren, während der NS-Herrschaft ins Exil gingen oder im Widerstand tätig waren, teilweise auch bei den Interbrigaden im Spanischen Bürgerkrieg kämpften. Sie alle hatten klare politische Ziele, die in ihren Romanen und Erzählungen zum Ausdruck kommen. Ihr Idealismus, ihre 'Parteilichkeit'71, auch der unverhohlene Stolz, mit dem sie vom Aufbau in der DDR erzählen, wird vor diesem Hindergrund verständlicher. - Otto Gotsche, der 1. Autor dieser Gruppe, war Arbeiter, in der Weimarer Republik KPD-Mitglied, 1933-1934 im KZ Sonnenburg interniert, danach Industriearbeit und Widerstandstätigkeit, 1945/46 Regierungspräsident von Halle-Merseburg (Durchführung der Bodenreform), ab 1949 war er persönlicher Referent Ulbrichts. - Eduard Claudius war ebenfalls Arbeiter, Mitglied der KPD, nahm am Spanischen Bürgerkrieg teil, kam 1939 in die Schweiz, wurde dort verhaftet,
Johnsons Ingrid Babendererde ist erst postum erschienen, nachdem Suhrkamp den Roman in den 50er Jahren abgelehnt hatte; vgl. das Nachwort von Unseld in der Suhrkamp-Ausgabe des Romans, 249-264. 69 Schlosser 1990, 135. 70 Bekannte Beispiele dafür sind Emst Bloch und Hans Mayer, die 1947 bzw. 1948 in die SBZ kamen, 1961 bzw. 1963 die DDR aber wieder verließen. 71 Im Sinne von "bewußt für den Sozialismus, für die Sache der Arbeiterklasse Partei ergreifend" (Handwörterbuch).
Literaturkorpus: 1. Gruppe (1949-1965)
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war bis 1945 in verschiedenen Arbeitslagern in der Schweiz interniert, 1945 Mitglied einer Partisanenbrigade in Oberitalien, nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück, zuerst in die Westzonen, ab 1947 SBZ. Erwin Strittmatter stammt aus einer Bäcker- und Kleinbauernfamilie, Mitglied der sozialistischen Arbeiterjugend, 1939 Soldat, kurz vor Kriegsende Desertion, 1945 Arbeit als Bäcker, erhielt bei der Bodenreform ein Stück Land. Stephan Hermlin wurde 1931 Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes, 1933 illegale antifaschistische Tätigkeit in Berlin, nahm am Spanischen Bürgerkrieg teil, war danach bei der Resistance in Frankreich, 1945 Rückkehr nach Deutschland, zuerst Frankfurt am Main, ab 1947 SBZ. Hans Marchwitza, Arbeiter, KPD-Mitglied, nahm am Spanischen Bürgerkrieg teil, wurde 1939 in Frankreich interniert, floh 1941 in die USA, kehrte 1946 nach Deutschland zurück, zunächst in die Westzonen, dann in die SBZ. Anna Seghers, promovierte Kunsthistorikerin, KPD-Mitglied, 1933 Verhaftung, Flucht nach Frankreich, 1940 nach Mexiko, 1947 siedelte sie von dort in die SBZ über. Jurij Brezan, wurde nach 1933 Mitglied einer sorbischen Widerstandsgruppe, 1937 Emigration in die CSR, 1938 nach Polen, dann Haft in Dresden, 1939-1944 Soldat, nach Kriegsende wurde er sorbischer Jugendfunktionär. Hermann Kant schloß eine Lehre als Elektriker ab, 1942-1945 Soldat, vier Jahre polnische Kriegsgefangenschaft, 1949-1951 studierte er an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Greifswald.72
Diese Autoren sahen in der politischen Ordnung der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR die Möglichkeit, ihre in Exil oder Gefangenschaft gehegten politischen Vorstellungen zu realisieren.73 Zunächst schrieben sie über ihre Erlebnisse im Faschismus. Anna Seghers brachte Das siebte Kreuz (1942) aus dem Exil mit. Neben Theodor Plieviers Stalingrad-Reportage war dieser Roman der Bestseller des Jahres 1946.74 Eduard Claudius schrieb ein Buch über den Spanischen Bürgerkrieg, Grüne Oliven und nackte Berge (1945), Strittmatter veröffentlichte 1951 seinen autobiographischen Roman Ochsenkutscher,75 Otto Gotsche war der erste Autor, der sich der Gegenwart zuwandte und die neuen politischen Verhältnisse in der SBZ zu einem "Roman des deut-
Alle Kurzbiographien sind aus Kindlers Literaturgeschichte entnommen; vgl. ebd. 633ff. 73 Vgl. Kindlers Literaturgeschichte, 74 Vgl. ebd. 7
5 Vgl. ebd. 351, 356.
328.
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Einleitende Überlegungen
sehen Dorfes" 76 verarbeitete (1948/49). Die ersten Romane über den Aufbau der Industrie oder die Umgestaltung der Landwirtschaft entstanden zu einer Zeit, in der die SED die Zügel der Kulturpolitik schon fest in der Hand hielt. Die sowjetischen Kulturoffiziere, die sich zum Teil durch hohes Kunstverständnis auszeichneten, hatten als vertrauensbildende Maßnahme zunächst eine recht liberale Kulturpolitik betrieben.77 Doch noch vor Staatsgründung der DDR "wurden Kultur und Literatur wesentliche Aufgaben im Rahmen einer sozialistischen Gesellschaftsplanung zugeteilt" 78 . Der SED-Kulturfunktionär Alexander Abusch sprach auf einer Tagung 1948 deutlich aus, was die Partei von den Schriftstellern verlangte: (zunächst) "den Zweijahresplan zu propagieren"79. Und Walter Ulbricht erwartete auf der 1. Parteikonferenz 1949 von der schreibenden Zunft: "Die fortschrittlichen Schriftsteller können durch ihre Werke dazu beitragen, Arbeitsfreude und Optimismus bei den Arbeitern in den Betrieben und bei der werktätigen Landbevölkerung zu entwickeln. " 80 Verpflichtende Vorgabe für Literatur und Kunst in der DDR war der sogenannte 'sozialistische Realismus', der in der Sowjetunion bereits in den dreißiger Jahren als verbindlich formuliert worden war (Stalin, Maxim Gorki, Andrej Sdanov) und von der SED übernommen wurde. Diese Kunsttheorie fordert die "historisch-konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung"81. Das Kunstwerk hat die Aufgabe, "die werktätigen Menschen im Geiste des Sozialismus ideologisch umzuformen und zu erziehen" 82 . Der 'sozialistische Realismus' als Literaturdoktrin hatte Konsequenzen für die thematische Gestaltung der literarischen Werke zumindest in den 50er und 60er Jahren, vereinzelt noch darüber hinaus. Mit Ausnahme der Texte von Johnson und Kant, deren Handlung im Schulmilieu angesiedelt ist, und der Erzählung von Hermlin, die den 17. Juni 1953 thematisiert, wird der Mensch in allen Romanen der 1. Gruppe in seiner Eigenschaft als Produzent dargestellt und auf diese Rolle auch reduziert. Die Figuren tragen wenig individuelle Züge, viele werden ausschließlich durch ihre berufliche Funktion charakterisiert: "Der Brigadier", "die Kranführerin", "Parteisekretär Honrath"83, also nur sehr typisierend dargestellt.84 Der von 76 So der Untertitel von Tiefe Furchen. 77 Diese Information verdanke ich dem Vortrag "Sowjetische Kulturpolitik und Literaturpropaganda im Berlin der Nachkriegszeit'', den Anneli Hartmann auf dem Germanistentag 1987 in Berlin/West gehalten hat. 78 Emmerich 1989, 94. 79 Ebd. 474. 80 Kindlers Literaturgeschichte,
35.
81 Sachwörterbuch der Literatur, 767. 82 Sdanov, zitiert nach Emmerich 1989, 100. 83 Beispiele aus Neutsch, Spur der Steine.
Literaturkorpus: 1. Gruppe (1949-1965)
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der Partei erteilte pädagogische Auftrag führt zu einem eklatanten Wirklichkeitsverlust. Das Personal ist in allen Romanen gleich: fleißige Arbeiter bzw. Genossenschaftsbauern, Aktivisten, die sich aufopfern, Optimisten, zweifelnde Intellektuelle, Vertreter der 'alten Ordnung', die überzeugt bzw. bekämpft werden müssen, und vor allem ein Parteisekretär, der sich für den Betrieb oder das Dorf aufreibt. Unüberwindliche Hindernisse auf dem Weg zum Sozialismus gibt es nicht, auch die dargestellten Personen haben keine unlösbaren Konflikte. Dennoch erfahrt man aus den Romanen viel, auch viel Hintergründiges über die Entwicklung in der DDR. Gotsche und Strittmatter 1954 erzählen von der 'sozialistischen Umgestaltung auf dem Lande', Gotsches Roman ist die literarische Gestaltung der Bodenreform, die er selbst als Regierungspräsident von Halle-Merseburg durchführte; Strittmatter erzählt von der 'neuen Zeit' in einem brandenburgischen Dorf aus der Sicht eines etwa zehnjährigen Jungen. An der Sprache der Texte läßt sich die gesellschaftliche Entwicklung der DDR ablesen. Chronologisch sind die beiden Romane während bzw. nach der Bodenreform (ab September 1945), aber vor der Kollektivierung einzuordnen. Claudius (1957) benutzt dagegen in seinem Landwirtschaftsroman schon den Wortschatz der Vergenossenschaftlichung. Claudius (1951), Marchwitza und Seghers schildern das Arbeitsleben in der Industrie. Claudius beschreibt die Aktivistenbewegung und propagiert den Zweijahrplan, Marchwitza erzählt vom Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost und der dazugehörigen "Wohnstadt", Seghers schildert das neue Verhältnis der Menschen zur Arbeit im fiktiven Elbewerk "Kossin" - im Gegensatz zu den Bedingungen des ursprünglich dem gleichen Unternehmer gehörenden Werkes in Westdeutschland, in dem die alten Zustände weiter bestehen. Brezan und Kant erzählen aus der Retrospektive - Brezan von der Nachkriegszeit in der Lausitz (dem Sorbenland), Kant von der zur Zeit der Veröffentlichung (1965) schon historisch überholten Einrichtung der Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten; er schreibt aus der Perspektive und mit dem Optimismus des Siegers der Geschichte. Zu diesen Autoren gesellen sich in der 1. Gruppe noch einige jüngere; sie beginnen in den 60er Jahren mit ihren Veröffentlichungen und sind literaturpolitisch schon in eine andere Phase getreten, in die Literatur des "Bitterfelder Weges". Die Kulturpolitik des Bitterfelder Weges (1959-1964) kann in zwei Sätzen skizziert werden: Schriftstellerinnen und Schriftsteller sollen für eine längere Zeit in der Produktion tätig sein, Arbeiterinnen und Arbeiter von ihrer Arbeit erzählen und somit schriftstellerisch tätig werden. Brigitte Reimann, KarlHeinz Jakobs und Christa Wolf, deren Romane für diese Untersuchung aus84 Dieses Verfahren entspricht den Vorgaben des 'sozialistischen Realismus'.
26
Einleitende Überlegungen
gewählt wurden, haben selbst längere Zeit in einem Betrieb gearbeitet; Reimann in der "Schwarzen Pumpe" (Braunkohlekombinat Hoyerswerda), Jakobs im Petrochemischen Kombinat Schwedt/Oder und Wolf im Waggonbau Halle. Die Orte ihrer Arbeit standen Modell für die Betriebe bzw. die Aufbaustadt85 in den literarischen Werken. Neutschs Spur der Steine verrät wiederum eine veränderte Zeit: Sein Roman ist der literarische Ausdruck des 'Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖS)' 86 Hier geht es - real und fiktiv - nicht mehr so sehr um den einzelnen Arbeiter bzw. eine Brigade, sondern um die "Helden der Königsebene"87: die "Planer und Leiter, die den [...] Prozeß der Produktivitätssteigerung beispielhaft voranbringen". 88 Strittmatters Ole Bienkopp ist ein Dorf- und Bauernroman. Er schildert den Umbruch der Eigentums- und Arbeitsverhältnisse auf dem Land, allerdings nicht mehr in der kritiklosen Distanz seiner Vorgänger in den 50er Jahren. Schwierigkeiten bereiten nicht mehr nur die 'Feinde der neuen Ordnung', sondern gerade auch die 'eigenen Leute': Bürokratie, starre Normerfüllung auch wider besseres Wissen, Selbstherrlichkeit der Partei machen Ole Bienkopp das Leben schwer. An letzter Stelle der 1. Gruppe steht Johnsons Ingrid Babendererde. Der wohl zwischen 1953 und 1956 geschriebene, aber erst 1985 postum veröffentlichte Roman paßt aufgrund seiner Thematik und vor allem wegen seiner Erzählstruktur nicht zu den Betriebs- und Landwirtschaftsromanen der 50er Jahre und der Literatur des Bitterfelder Weges. Inhaltlich geht es um die Probleme einer Oberschulklasse mit dem 'veränderten Lehrstoff, bildlich sehr eindrucksvoll festgemacht an dem "Bildnis des Führers der kommunistischen Partei der Sowjetunion"89, das nun anstelle des Porträts seines 'Vorgängers' 90 im Klassenzimmer hängt. Johnsons Buch ist in dieser Arbeit wichtig als Spiegel für den Wortschatz der DDR der fünfziger Jahre. Die dem offiziellen Parteivokabular entnommenen Lexeme und Attribuierungen werden dem Leser ausschließlich in (oft ironischer) Distanz des Erzählers dargeboten. Es überwiegt deutlich die Erzählerrede, Figurendialoge werden nie in Anführungs-, sondern nur in Gedankenstriche gesetzt. Ein fast erhabener Stil macht die Distanz zur offiziellen Sprache vollkortimen.
85 "Wartha" bei Jakobs. 86 Beschlossen auf dem VI. Parteitag der SED 1964. 87 Kindlers Literaturgeschichte,
120.
88 Emmerich 1989, 174. 89 Der Name Stalin wird nie genannt. 90 Nämlich Hitler. Die NS-Diktatur wird im Roman mit der Wendung "vorige Regierung" umschrieben (33).
Literaturkorpus: 2. Gruppe (1968-1989)
27
Der Roman, obwohl schon Anfang der 50er Jahre geschrieben, markiert den Übergang zur 2. Gruppe des Literaturkorpus.91
1.6.2 2. Gruppe (1968-1989) Die Romane dieser Gruppe können unter der Überschrift "Hinwendung zum Subjekt" zusammengefaßt werden. Sie sind insgesamt bekannter, teilweise haben ihre Autorinnen und Autoren einen festen Leserkreis in der (alten) Bundesrepublik. Trotzdem ist es wesentlich schwieriger, sie kurz darzustellen, da sie uneinheitlicher sind als die Texte der 1. Gruppe. Für die seit 1968 veröffentlichten Romane gilt, daß der Mensch nicht mehr als Objekt in einem gesetzmäßig verlaufenden Geschichtsprozeß gesehen, sondern subjektiv mit seinen Bedürfnissen dargestellt wird. Nicht mehr nur die Gesellschaft hat Ansprüche an den einzelnen, sondern die jeweils dargestellten Personen haben Wünsche und Träume für ihr eigenes Leben sowie Forderungen an die Gesellschaft. Widersprüche und Probleme werden nicht in jedem Fall als überwindbar angesehen, sondern bleiben oft in ungelöster Spannung stehen. Die Entmündigung des Individuums ist ebenso Thema wie die Zerstörung der Umwelt, die den Menschen beherrschende Technik und die Arbeitswelt. Gerade der letztgenannte Punkt hebt die in der DDR erschienenen Romane in erfrischender Weise von westdeutscher Literatur ab. Mit Ausnahme von Wolfs Sommerstück, das ausdrücklich in 'Urlaubsumgebung' angesiedelt ist, sind die dargestellten Personen erwerbstätig, ist die Arbeitswelt Ursache oder Begleitumstand von Partnerkonflikten oder persönlichen Problemen.92 Die Literatur bekommt dadurch in ihrer Fiktionalität eine Realitätsnähe, die westlichen Veröffentlichungen oft abgeht. DDR-Literatur der 70er und 80er Jahre spielt sich in und außerhalb der DDR ab. Einige Romane sind bis zum Umsturz nicht in der DDR erschienen: Heyms Fünf Tage im Juni, Braschs Vor den Vätern sterben die Söhne, Marens Flugasche, Neumanns Elf Uhr. Wolfs Nachdenken über Christa T. wurde nur in sehr geringer Auflage gedruckt, Plenzdorf mußte seine Neue Leiden des jungen W. umschreiben, Brauns Unvollendete Geschichte erschien 1975 nur in der Literaturzeitschrift Sinn und Form, und erst ab 1988 als Buch. Loests Es geht seinen Gang wurde nach einer minimalen 2. Auflage nicht wieder verlegt, Brauns Hinze-Kunze-Roman erschien mit Verzögerung, und Ulrich
91 Der Schnitt zwischen der 1. und der 2. Gruppe wird deutlich an Christa Wolfs Roman Nachdenken über Christa T.. Der Abstand zu den Texten des Bitterfelder Weges ist augenfällig, denn "Christa Wolfs Figur Christa T. steht am deutlichsten für eine neue Haltung des Subjekts." (Emmerich 1989, 199). 92 Vgl. dazu auch Schlosser 1990, 137.
28
Einleitende Überlegungen
Schacht verließ schon als 25jähriger die DDR, nachdem er einige Jahre im Zuchthaus Bautzen gesessen hatte. Seine 1989 veröffentlichten Brandenburgischen Konzerte sind Ausdruck dieser Zeit. 93 Doch es gab auch Zeichen der Entspannung. So erschienen Heins Tangospieler und Wolfs Sommerstück im Frühjahr 1989 zeitgleich im Aufbau-Verlag und bei Luchterhand. Nach dem Umsturz erschienen bisher nicht in der DDR verlegte Werke z.T. als Fortsetzungsromane in Tageszeitungen, z.B. Collin von Stefan Heym im Neuen Deutschland94.
93 Der Erzählungsband wurde nur in der BRD veröffendicht; ich wurde aber in der DDR auf ihn aufmerksam gemacht. 94 Januar/Februar 1990. Inzwischen (1991) liegt der Roman im Aufbau-Verlag als Buch vor.
2.
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Bevor in den nächsten Kapiteln bestimmte Teilbereiche des DDR-typischen Wortschatzes untersucht werden, ist in diesem ersten Abschnitt der Wortanalyse die Gesamtheit der aus der erzählenden Literatur gewonnenen DDR-typischen Lexeme Gegenstand des Interesses. Die Errichtung und Etablierung sozialistischer Strukturen hat eine Fülle von Wörtern und Wortverbindungen hervorgebracht, die zunächst unter dem Aspekt ihrer Bildimg geordnet und analysiert werden. Die Untersuchung der Wortbildung DDR-typischer Lexeme wird unter kommunikativen Gesichtspunkten vorgenommen. Im Vordergrund steht also die Frage, welche Auswirkungen bzw. welchen Einfluß die Art und Weise der Wortbildung auf das kommunikative Geschehen in der DDR hatte. Es gibt im Deutschen zwei Arten der Verknüpfung von Morphemen und damit - neben der Entlehnung aus anderen Sprachen - zwei Bildungsweisen neuer Wörter: die Wortbildungskonstruktion und das Syntagma. Eine Wortbildungskonstruktion (WBK) bildet einen Komplex aus zwei oder mehr Morphemen in einer 'Einwortstruktur', Beispiel: Freundschaftsratsvorsitzender. Es kann sich dabei sowohl um ein Kompositum als auch um ein Derivat oder ein Präfixwort handeln.1 Ein Syntagma ist eine syntaktische Verbindung mehrerer Wörter, aber im Unterschied zum Satz ohne prädikative Beziehung; Beispiel: Vorsitzender des Freundschaftsrates.2 Die morphologische Analyse der Romane ergibt etwa 730 Simplizia, Wortbildungskonstruktionen und Syntagmen, die als DDR-typische Lexeme bezeichnet werden können.3 Die weitaus größte Zahl der DDR-Typika bilden die Substantive, gefolgt von überwiegend attributiv verwendeten Adjektiven und einigen Verben. Ein lexikalisches Zeichen ist eine Einheit aus Form und Bedeutung. Die Benennung von Gegenständen, Sachverhalten, Eigenschaften und Handlungen löst Wortbildungsprozesse aus, die wiederum die Wortbedeutung beeinflussen. Zwischen Wortbildung und Wortbedeutung besteht ein
1 Vgl. Fleischer 1981, 9. 2 Vgl. Stepanova/Fleischer 1985, 64. Anstelle von "Syntagma" verwenden sie die Bezeichnung "Wortgnippe"; "Wortgruppe" ist aber nicht deutlich genug von "Wortbildungskonstiukdon" getrennt. "Syntagma" bringt eindeutiger zum Ausdruck, daß es sich um eine syntaktische Verbindung mehrerer Wörter handelt. 3 Simplizia werden überwiegend durch Entlehnung gewonnen.
30
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
enger Zusammenhang, der für die lexikalisch-semantische und soziolinguistische Analyse der DDR-Typika relevant ist. Nicht alle 730 Lexeme, ihre Komposita und Derivate (die die Zahl der Belege auf über 2000 ansteigen lassen) können hier aufgelistet und analysiert werden. Es lassen sich aber Tendenzen aufzeigen, die für den Sprachgebrauch in der DDR typisch sind und etwas über das gesellschaftliche System aussagen, z.B. der Wortbildungstyp -(rt)ung + erfolgen, die Bildung mehrgliedriger Komposita vom Typ Abteilungsgewerkschaftsleitung und deren Kürzung (AGL), das Vorkommen bestimmter Adjektive in feststehender semantischer Umgebung, z.B. allseitige Bildung, Derivationsmodelle mit pejorativer Konnotation, z.B. -ler, und die Reihenbildung bestimmter Komposita oder Adjektivattribute, z.B. Brigade oder sozialistisch.4 Es gibt auch Wortbildungen, die DDR-typisch sind, aber nicht oder nur mittelbar auf das politische System verweisen: z.B. Plaste, Rekonstruktion, Zielstellung. Diese Lexeme können sich vielleicht am längsten über die staatliche Vereinigung hinaus halten. Eine Reihe von Zusammensetzungen weist keinerlei Besonderheiten wie Mehrgliedrigkeit, Kurzwortbildung etc. auf, sondern wird nach dem simplen Schema Grundwort + Bestimmungswort gebildet. DDR-typisch ist bei diesen Wörtern lediglich die Zusammenstellung der beiden Konstituenten und die sich daraus ergebende spezifische Wortbedeutung, z.B. Betriebsvergnügen, Meinungsstreit, Theateranrecht.
2.1
Substantive
2.1.1
Mehrgliedrige Wortbildungskonstruktionen
Zu den Entwicklungstendenzen der deutschen Wortbildung gehört die Bildung mehrgliedriger Wortbildungskonstruktionen sowie deren Kürzung5, Betriebsgewerkschaftsleitung - BGL. [...] Derivate und Komposita [werden] in zunehmendem Maße mehrgliedrig. Der hohe Anteil substantivischer WBK gegenüber verbalen und adjektivischen WBK erklärt sich daraus, daß ihre Strukturen gut ausbaufähig sind und durchaus mehr als zwei Grundmorpheme aufnehmen können. [...] Dadurch erweist sich das Substantiv als besonders geeignet für differenzierende Benennungen, und sein gegenüber anderen Wortarten besonders reicher Begriffsgehalt spiegelt sich in mehrteiligen Benennungsstrukturen wider. Als Wortbildungsver-
4 Die DDR-typischen Wörter werden nach Wortbildungsmustern und mit Hilfe von Wortbildungsmitteln gebildet, die in der deutschen Sprache allgemein üblich sind; es gibt keine DDR-typische Wortbildung. 5 Vgl. Schröder in Sommerfeldt 1988, 174.
Substantive
31
fahren unterliegt die substantivische Komposition relativ geringen Beschränkungsregeln.6 Eine bereits vorhandene Benennung wird einfach um eine oder mehrere lexikalische Einheiten ergänzt. Jeder Sprachbenutzer prägt täglich solche WBK als Gelegenheitsbildungen, z.B. Erdbeerquarkschüssel. Die Bildung mehrgliedriger substantivischer Wortbildungskonstruktionen entspricht dem kommunikativen Bedürfnis nach Verdeutlichung, Differenzierung und Systematisierung.7 Aber nicht jede Wortbildungskonstruktion ist in ihrer Bedeutung durchschaubar. Es herrschen komplizierte semantische Beziehungen zwischen der Bedeutung einer Wortbildungskonstruktion als ganzer und der Bedeutung ihrer einzelnen Konstituenten. Im Leipziger Wortschatz-Forschungskollektiv von W. Fleischer wird unterschieden zwischen der lexikalischen Bedeutung einer Wortbildungskonstruktion und ihrer "Wortbildungsbedeutung". Die Wortbildungsbedeutung ist die Bedeutung der einzelnen Konstituenten einer Wortbildungskonstruktion "einschließlich ihrer Beziehung untereinander"8. Die Durchschaubarkeit der Bedeutung eines mehrgliedrigen Kompositums oder Derivats kann aus morphologischen oder soziologischen Gründen beeinträchtigt werden. Die Bildung von Wortbildungskonstruktionen ist an den Vorgang der Univerbierung und damit an syntaktische Komprimierung gebunden9, d.h. von der Kommunikationsgemeinschaft werden jeweils nur bestimmte Eigenschaften eines Denotats zur Benennung ausgewählt. "Auswahl und Kürzung beeinträchtigen erst dann die Durchschaubarkeit, wenn die in den UK [unmittelbaren Konstituenten] benannten Eigenschaften des Denotats nur mittelbar miteinander in Beziehung stehen"10 oder auf einer hohen Abstraktionsstufe zusammengefaßt werden. Beispiele dafür sind Studentensommer und Kinderkombination. Studenten und Sommer stehen nur mittelbar in Beziehung zueinander; zum genauen Verständnis müßte eingefügt werden, daß die Studenten im Sommer [auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder Industrie] arbeiten. Eine Kinderkombination ist die - kürzende - Univerbierung des Syntagmas kombinierte Einrichtung Kindergarten und -krippe. Wichtig ist die Reihenfolge der Konstituenten, die auch bei der Silben- bzw. Worttrennung beachtet werden muß.11 6 Ebd. 175, WBK = Wortbildungskonstiuktion. 7 Ebd. 192 und Barz in Fleischer 1987, 302. 8 Schröder 1982, 80. Vgl. ausführlicher Fleischer 1980, 48, für den die Wortbildungsbedeutung "die verallgemeinerbare semantische Beziehung zwischen den unmittelbaren Konstituenten des Modells" ist. 9 Vgl. Barz in Fleischer 1987, 301. 10 Schröder 1982, 81. 11 Vgl. dagegen eine Werbeanzeige in der Leipziger Volkszeitung, August 1990: "Vollkunststoffsessel" (es handelt sich dabei um Gartenmöbel aus Kunststoff).
32
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Aber auch soziologische Faktoren beeinflussen die Durchschaubarkeit: das Sachwissen von Sender und Empfanger, der Kommunikationsbereich, zu dem das Wort gehört, Konnotationen und Erfahrungen, die mit dem Wort verbunden werden. Der soziologische Aspekt der Motivation von Wortbildungskonstruktionen ist bei der sprachlichen Annäherung von Ost und West von großer Bedeutung. Die unterschiedlichen individuellen und gesellschaftlichen Erfahrungen, die der oder die einzelne gemacht hat, führen zu Verständnis- und Verständigungsschwierigkeiten, die oft nur durch Klärung des außersprachlichen Hintergrunds ausgeräumt werden können, obwohl die lexikalische Bedeutung einer Wortzusammensetzung aus der Wortbildungsbedeutung ersichtlich sein kann. Die meisten der aus den Romanen isolierten Wortbildungskonstruktionen sind zweigliedrig und durchschaubar, Pädagogenkollektiv, Parteisekretär, Pionierleiter etc.12 Einige Zusammensetzungen und Ableitungen sind in ihrer Struktur komplexer; sie haben drei oder vier Grundmorpheme bzw. ein bis zwei Grund- und mehrere Wortbildungsmorpheme. Mehrgliedrige Wortbildungskonstruktionen in den Romanen: Abteilungsgewerkschaftsleitung Abschnittsbevollmächtigter Arbeitseinsatzsonntag Betriebsgewerkschaftsleitung Betriebskollektivvertrag Betriebsparteiorganisation Bodenreformverordnung Freundschaftsratsvorsitzender Führungskadergespräch Konsumverkaufsstelle Kulturbundfreund Maschinenausleihstation Milchsollerfüllungsformular Obergenossenschaftsvorsitzender15 Vervielfältigungsmaschine
(AGL)13 (ABV) [Paläologismus]14 (BGL) (BKV) (BPO)
[Paläologismus]
(KVS) [Anrede] (MAS [Paläologismus]) [Paläologismus]
12 Zu zweigliedrigen Komposita, die ohne Kenntnis der gesellschafdichen Strukturen nicht ohne weiteres verständlich sind, vgl. 2.1.6. 13 Abkürzungen vgl. 2.1.2. 14 Als Paläologismen werden Wörter aus der der Anfangszeit der DDR bezeichnet, die Mitte der 60er Jahre schon veralteten, vgl. Kap. 3. 15 Ironisch, Claudius 1957, 446.
Substantive
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Vollgenossenschaftlichkeitsball Vollerntemaschine Roggenvollerntekette Zu den mehrgliedrigen Wortbildungskonstruktionen gehören auch die Komposita mit Durchkopplungsbindestrich, eine Sonderform des Determinativkompositums.16 Arbeiter-und-Bauern
- Fakultät [Paläologismus] - Student [Paläologismus] - Macht - Staat - Inspektion
Maschinen-und-Traktoren-Station [Paläologismus] Dem Verständnis einiger Lexeme tut die Mehrgliedrigkeit keinen Abbruch. Die Bedeutungen von Abteilungs- und Betriebsgewerkschaftsleitung, Arbeitseinsatzsonntag, Bodenreformverordnung, Betriebsparteiorganisation, ja sogar die komplexen Bildungen Milchsollerfüllungsformular17 und Vervielfältigungsmaschine können aus der Bedeutung ihrer Konstituenten erschlossen werden, wenn auch ein gewisses Sachwissen über den gesellschaftlichen Hintergrund der Wörter hilfreich ist. Die Bedeutung der Wortbildungskonstruktion Freundschafisratsvorsitzender erschließt sich aus ihren Bestandteilen, doch ist gesellschaftliches Hintergrundwissen zum Verständnis unbedingt erforderlich. Eine (Pionier-) Freundschaft war die Grundorganisation der Pionierorganisation "Ernst Thälmann" an einer Schule. Die Pioniere, das waren die Kinder der 1.-7. Klassen, wählten jährlich den Freundschaftsrat, d.h. die Mitglieder des Freundschaftsrats und dessen Vorsitzenden.18 Für den Abschnittsbevollmächtigten brauchen Westdeutsche bereits ein Wörterbuch: "/auch ABV/ Volkspolizist, der in einem bestimmten territorialen Bereich von Städten, Gemeinden für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verantwortlich ist." (.Handwörterbuch)19. Die Bildung Vollgenossenschaftlichkeitsbalfi0 ist aufgrund der drei Derivationsmorpheme recht schwerfällig. Bei der Kollektivierung der Landwirtschaft der DDR in den 50er Jahren entstand die Losung "XY ist ein vollgenossenschaftliches Dorf", die besagte, daß sich in diesem Ort alle ehemals 16 Vgl. Fleischer 1982, 98f. 17 Okkasionalismus bei Wolf 1968, 171. 18 Vgl. Ahrends 1989, 61. 19 Territorial entspricht dem westdeutschen regional. 20 Bei Tetzner, in Anfiihrungsstrichen, "auf so einem 'Vollgenossenschaftlichkeitsball" (46).
34
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
privaten Landwirtschaftsbetriebe zu einer LPG zusammengeschlossen hatten. Der obengenannte Ball ist nichts anderes als ein Dorffest, auf dem der Eintritt des letzten Bauern in die Genossenschaft gefeiert wurde. Bei Roggenvollerntekette ist der Grad der Verdichtung so hoch, daß die Bedeutung des Lexems aus seinen Konstituenten allein nicht mehr erschlossen werden kann. Hier wird deutlich, daß sich Wortschatzbeschreibung und Wortschatzanalyse nicht auf isolierte Wörter beschränken darf, sondern Text und Kontext berücksichtigen muß. 21 Die Rolle des Kontextes ist relevant für die Identifikation der Sememe von Lexemen. "In allen Fällen der lexikalischen Mehrdeutigkeit erfolgt eine Disambiguierung in der Regel erst mit Hilfe von Kontextelementen [...]." 22 Der textuelle Rahmen, in den die Wortbildungskonstruktion eingebettet ist, lautet: Andi Hoffmann chauffiert eine Ε 510, eingeordnet in die Roggenvollerntekette, erste Schicht, erste Kombine. (Schütz 1980, 254)
Wer weiß, wie in sozialistischen Ländern die Getreideernte vonstatten ging, kann sich jetzt vorstellen, was gemeint ist. Christa Wolf schildert im Sommerstück diesen Vorgang plastischer als Helga Schütz, so daß deutlich wird, was unter Roggenvollerntekette zu verstehen ist. Im gleichen Augenblick begann auf dem großen Feld jenseits der Dorfstraße die Gerstenernte. Beeindruckend, dachte Ellen, wenn man's das erstemal aus der Nähe sieht: Acht Vollerntemaschinen rückten vom Sandberg her gegen sie vor, in gestaffelter Formation. (Wolf 1989, 128)
Jetzt muß noch bekannt sein, daß in der DDR Mähdrescher als Kombines oder Vollerntemaschinen23 bezeichnet wurden, und die Bedeutung der WBK ist entschlüsselt. Eine Roggenvollerntekette ist eine Formation aus Mähdreschern (-vollernte-[maschinen]), die in gestaffelter Abfolge (-kette) ein (großflächiges) Roggenfeld abernten. Der Begriff mutet recht abstrakt und verwaltungstechnisch an; Helga Schütz gibt mit ihrer Ernteschilderung aber durchaus die Sprache wieder, in der jeweils im Juli/August in allen Zeitungen der DDR über die Getreideernte berichtet wurde. Einerseits gaben die Artikel einen Einblick in den hohen Mechanisierungsgrad der Landwirtschaft; die Maschinentypen wurden genau benannt (E 510), von den Leistungen der Traktoristen und Kombinefahrer wurde berichtet, andererseits erfuhr gerade die Getreideernte einen hohen Grad an Metaphorisierung. Erntekapitäne 21 Vgl. Heinemann 1982. 22 Heinemann 1982, 14. 23 Kombine (in engl. Aussprache) ist ein Lehnwort aus dem Russischen, kombain - vgl. Kap. 4. Vollerntemaschine ist die deutsche Übersetzung, "Erntemaschine, mit der alle fur die Bergung der Ernte notwendigen Arbeitsgänge ausgeführt werden können" (Handwörterbuch). Der Begriff bezieht sich nicht nur auf Mähdrescher, sondern bezeichnet auch Maschinen für die Ernte von Rüben, Kartoffeln etc.
Substantive
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lenkten ihre Ernteschiffe oder rückten aus zur Ernteschlacht. Das Getreide wurde auch nicht einfach geerntet, sondern geborgen.2* An der Wortbildung Roggenvollerntekette ist zu kritisieren, daß die Benennungsmotivik in nur schwer durchschaubarer Beziehung zur Bezeichnung steht und das Verständnis dadurch beeinträchtigt wird. Ein Nicht- oder Mißverstehen dieser WBK hat daher nicht nur etwas mit mangelnder Sachkenntnis zu tun. Führungskadergespräch bereitet einige Schwierigkeiten, die mit der 'richtigen' Reihenfolge der Konstituenten zusammenhängen. Unter dem Lemma Kadergespräch verzeichnet das Handwörterbuch: "Gespräch eines Mitarbeiters der Kaderleitung, eines Vertreters der Leitung und der Gewerkschaftsorganisation des jeweiligen Betriebes mit einem Mitarbeiter dieses Betriebes über seine berufliche und gesellschaftliche Entwicklung". Die Studierenden eines Hauptseminars an der Universität Leipzig meinten, es müsse eher Kaderführungsgespräch heißen.25 Kader wurde in der DDR (u.a.) in der Bedeutung Mitarbeiter gebraucht. Bei den beiden Varianten kommt es wohl darauf an, was im Vordergrund der Aussage steht. Führungskadergespräch betont, daß der Führungskader, also die Leitung des Betriebes, das Gespräch führt, Kaderführungsgespräch geht eher vom Mitarbeiter aus, dessen Angelegenheiten besprochen werden. Aus dem Text läßt sich die genaue Bedeutung der WBK nicht erschließen. [...] hüten uns vor Führungskadergesprächen und Leitungsfunktionen. (Schütz 1986, 202)
Kulturbundfreund war die offizielle Anrede für Mitglieder des Kulturbundes der DDR. Es gab einige Zusammensetzungen mit -freund als Anredeform, z.B. Gartenfreund für den Angehörigen einer Laubenkolonie oder Jugendfreunde als Bezeichnung und Anrede der FDJ-Mitglieder. Die meisten Zusammensetzungen wirken schwerfällig, der "Außer-HausSprache" zugehörig. Es ist nicht unbedingt die Mehrgliedrigkeit der Wörter, ihre Länge oder die Anzahl gebundener Morpheme, die auffallt, sondern die Exaktheit und zum Teil auch das Gestelzte, das durch die Wortbildung zum Ausdruck kommt. Die marxistisch-leninistische Ideologie der SED forderte von der offiziellen Sprache Eindeutigkeit ohne die Möglichkeit einer Variation der Benennungen. Abteilungsgewerkschaftsleitung, Betriebsparteiorganisation, jedes Element dieser Komposita ist festgelegt. Das sozialistische Staatswesen der DDR basierte auf einer vollständigen Planung und Steuerung der Gesellschaft durch die staatlichen Leitungsorgane - mit den sprachlichen 24 Vgl. die Definition im Handwörterbuch, Anm. 23 ("Bergung der Ernte") und das Syntagma "verlustlose Einbringung der Ernte", vgl. 2.1.4. 25 WOA-Seminar für Germanistik-Studenten, Juni 1989 [WOA = wahlweise-obligatorische Ausbildung],
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Konsequenzen, daß das 'Bürokratendeutsch' eine Verbreitung erlangte, die weit über die Verwaltungsebene hinausging.26 Bürokratie und die geforderte 'Reinheit der Lehre' sind durchaus der Grund für mehrgliedrige Komposita, da das jeweilige Grundwort exakt bestimmt werden muß. Die DDR war beispielsweise nicht einfach ein Staat, sondern ein Arbeiter-und-Bauern-Staat. Konsumverkaufsstelle27 ist verwaltungssprachlich; es handelt sich um ein (Lebensmittel-)Geschäft der Konsumgenossenschaft. Für diesen Begriff gibt es eine umgangssprachliche Entsprechung: der Konsum (im Konsum einkaufen gehen). Im Text hat der verwaltungssprachliche Ausdruck die Funktion, die Berufstätigkeit einer Frau positiv hervorzuheben: [...] Frau Biasing, die eine Konsum-Verkaufsstelle leitete und ihre drei Kinder erzog [...]. (Wolf 1968, 166)
An der Bildung Konsumverkaufsstelle und auch bei Roggenvollerntekette ist die Trennlinie zu erkennen, die in der DDR zwischen offizieller Sprache und Alltagssprache gezogen war. Beide Wörter sind viel zu gespreizt für den zwischenmenschlichen Umgang. 28 DDR-typische mehrgliedrige Komposita kommen in allen Romanen vor. Häufiger als in der vollen Form sind sie allerdings in ihrer Kürzung anzutreffen, meist als Initial Wörter: Betriebsgewerkschaftsleitung < BGL. Das Initialwort ist wiederum Ausgangspunkt für Ableitungen und Komposita. Der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung heißt beispielsweise umgangssprachlich BGLer, was ihm eine weniger offizielle Note verleiht.
2.1.2 Kurzwortbildung Die Bildung von Initial- und Silbenwörtern entspricht der Intention der Sprachbenutzer, rationell zu kommunizieren.29 Kurzwörter sind verkürzte Formen von Wortbildungskonstruktionen und Syntagmen. Kurzwörter in den Romanen:
26 Artikel 9 Absatz 3 der Verfassung von 1974: "In der Deutschen Demokratischen Republik gilt der Grundsatz der Leitung und Planung der Volkswirtschaft sowie aller anderen gesellschaftlichen Bereiche. [...]". 27 Betonung auf der 1. Silbe. 28 H.D. Schlosser hat herausgearbeitet, daß sich die offizielle Sprache in der DDR scharf von der Alltagssprache abgrenzte. Zwischen beiden Ebenen gab es keinen Austausch, so daß sie sich gegenseitig blockierten. Vgl. Schlosser 1990, Kap. 8.4. 29 Vgl. Schröder in Fleischer 1987, 312.
Kurzwortbildung
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- als Initialwort aus einem zwei- oder mehrgliedrigen Determinativkompositum gebildet: AGL = Abteilungsgewerkschaftsleitung ABV = Abschnittsbevollmächtigter BGL = Betriebsgewerkschaftsleitung BKV = Betriebskollektivvertrag BPO = Betriebsparteiorganisation HO = Handelsorganisation KVS = Konsumverkaufsstelle - als Initialwort aus einem Kompositum mit Durchkopplungsbindestrich gebildet: ABF = Arbeiter-und-Bauern-Fakultät ABI = Arbeiter-und-Bauern-Inspektion - als Initialwort aus einem Syntagma gebildet: DDR = Deutsche Demokratische Republik FDJ = Freie deutsche Jugend LPG = Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft KAP = Kooperative Abteilung Pflanzenproduktion VEB = Volkseigener Betrieb WIK = Wohnungsbau- und Instandhaltungskombinat30 NAW = Nationales Aufbauwerk MMM = Messe der Meister von morgen NFG = "nebelloses Farbspritzgerät"31 SED = Sozialistische Einheitspartei Deutschlands VdgB = Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe VP = Volkspolizei ZSGL = Zentrale Schulgruppenleitung [der FDJ] - als'Kopfwort': MEI-Bereich = Meisterbereich32 - als Silbenwort: Jumo = Jugendmode Die gebildeten Kurzwörter können ihrerseits Bestandteil von Ableitungen und Zusammensetzungen sein: HO-Gaststätte, FDJ-Hemd, FDJler etc. Nach W. Fleischer ist die Verwendung von Kurzwörtern deshalb so bedeutungsvoll, 30 Nur bei Plenzdorf, 7. 31 Okkasionalismus bei Plenzdorf, 96. 32 Ein Meisterbereich ist der "von einem Meister geleitete Bereich innerhalb der Produktionsabteilung eines Industriebetriebes" (Handwörterbuch). Die Abkürzung MEI-Bereich wurde nur bei Reimann, 158, gefunden.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
weil Initialwörter die einzige Möglichkeit sind, "um onymische Wortgruppen und Nominationsstereotype aus mehr als zwei Basiselementen als Kompositionsglieder verfügbar zu machen."33 Als Beispiele aus den Romanen gehören dazu ABF-Student, BGL-Büro, BGL-Vorsitzender, FDJ-Sekretär, LPG-Buchhalterin, MTS-Direktor. Initial Wörter können auch Basis von Ableitungen sein: FDJler, BGLer, ihre Zahl ist aber im Gegensatz zu den Komposita gering. Eine Adjektivbildung ist belegt: HO-eigen (Jakobs, 189 "HO-eigene Kramläden"). Die Ableitung mit -/erbietet der Umgangssprache die Möglichkeit, offizielles Vokabular etwas persönlicher zu formulieren. Der BGL-Vorsitzende hieß in seinem Betrieb oft einfach BGLer. Die Kurzwörter sind ihrerseits zum Teil so stark idiomatisiert, daß es zu Doppelungen kommt, der AGL-Leiter.
2.1.3 Reihenbildung Der für das Deutsche charakteristische Wortbildungstyp Determinativkompositum ist auch im hier gesammelten Wortmaterial am produktivsten. Das Schema dieses Wortbildungsmusters ist einfacher und weniger abstrakt als das der Ableitung. Die Konstituenten sind selbständiger, der Referenzbezug auf ein außersprachliches Denotat ist meist deutlich festgelegt. "Die Tendenz der Reihenbildung führt dazu, daß Serien von Determinativkomposita entstehen, in denen als erste oder zweite Konstituente massenhaft das gleiche Element erscheint [...]." 34 Kompositabildung ist im Deutschen außerordentlich produktiv, aber nicht jedes Simplex muß deshalb massiv reihenbildend auftreten. Bei den aus den Romanen gewonnenen DDR-typischen Reihenwörtern handelt es sich um gesellschaftspolitisch bedeutsame Benennungen. Sie spiegeln gesellschaftliche Institutionen und Gruppierungen wider, die das Gemeinwesen DDR wesentlich konstituierten. Manchmal ist ein Lehnwort Basis einer Gruppe von reihenbildenden Komposita.35 Es handelt sich dabei um einen Begriff, der eine in allen sozialistischen Ländern relevante Institution bezeichnet, z.B. ABF, russ. rabocij fakul'tet, in den 50er Jahren, Brigade, russ. brigada, als kollektive Arbeits- (und Lebens-)form, Kader, russ. kadry (PI.). Plan und Wettbewerb haben aus dem Russischen, das schon die Erfahrungen mit dem sozialistischen System in der Sowjetunion in sich aufgenommen hatte, neue Bedeutungen erhalten. Plan erhält das neue Semem "verbindliche [...] Richtlinie für die Entwicklung der soz. Volkswirtschaft" (Handwörter33 Fleischer, Wolfgang. 1982. Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. 34 Fleischer 1982, 102. 35 Vgl. Kap. 4.
Leipzig. 193.
Reihenbildung
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buch). Der Sozialistische Wettbewerb als planwirtschaftliche Methode zur Steigerung der Arbeitsproduktivität gilt in der Politischen Ökonomie als das positive Gegenstück zum 'kapitalistischen Konkurrenzkampf. 36 Der Begriff wurde mit dem Denotat aus der Sowjetunion übernommen, socialisticeskoje sorevnovanie, die die Wettbewerbsbewegung schon 1919 eingeführt hatte.37 Bei Marx hieß der Begriff Wetteifer; durch die Rückübersetzung aus dem Russischen wurde er zu Wettbewerb.38 Als reihenbildende Substantive sind belegt: ABF als 1. unmittelbare Konstituente (UK) AGL und BGL als 1. UK Betrieb als 1. UK Boden(reform) als 1. UK Brigade als 1. und 2. UK Brigadier als 2. UK FDJ als 1. UK Genossenschaft als 1. UK Jugend als 1. UK Kader als 1. und 2. UK Kultur als 1. und 2. UK Partei als 1. UK Pionier als 1. UK Plan als 1. und 2. UK Soll als 1. und 2. UK Volk als 1. UK 39 Wettbewerb als 1. und 2. UK Es besteht ein deutlicher Unterschied zwischen den Romanen der 1. und 2. Gruppe. Massiv reihenbildend treten die oben genannten Lexeme nur in den Texten der 50er und frühen 60er Jahre auf, in den späteren Veröffentlichungen kommen wohl einige Komposita mit dem gleichen Grund- oder Bestimmungswort vor, jedoch nicht massenhaft. Die Spannbreite reicht von 25 Komposita mit Brigade bei Marchwitza (1955; insgesamt 147 Belege) bis zu den Romanen von Wolf und Hein (1989), in denen kein Kompositionselement mehr als einmal auftritt. Zu den Paläologismen zählen nur die Bildungen mit ABF-, Bodenreform)- und -Soll-. 36 Vgl. Wörterbuch der Ökonomie, 815. 37 Vgl. DDR-Handbuch, Band 2, 1193. 38 Vgl. Schlosser 1990, 78 bzw. 208 Anm. 32. Schlosser hat diesen Hinweis vermutlich Lehmann 1972, 404f. entnommen. 39 Auflistung und Analyse der Komposita mit Volk- vgl. Kap. 6.
40
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Die Romane der 1. Gruppe enthalten jeweils ein oder mehrere Lexeme, die als reihenbildende Konstituenten auftreten. Diese Wörter weisen zugleich auf den inhaltlichen Schwerpunkt des Romans hin. 40 Gotsche 1949: Claudius 1951: Strittmatter 1954: Marchwitza 1955: Claudius 1957: Seghers 1959: Reimann 1961: Jakobs 1961: Wolf 1963: Strittmatter 1963: Brezan 1964: Neutsch 1964: Kant 1965:
Bodenreform) Partei Pionier, Soll Brigade, Kultur, Partei Genossenschaft Wettbewerb Brigade Brigade, FDJ, Partei Brigade Genossenschaft, Partei, Volk Partei Brigade, Brigadier, Partei, Plan ABF, FDJ, Partei, Kader
2.1.3.1 Die Kommunikationsbereiche der reihenbildenden Komposita Die DDR-typischen Reihenwörter werden in vier Kommunikationsbereiche eingeteilt: a) Industrielle und landwirtschaftliche Produktion b) Staat, Partei und Massenorganisation c) Wirtschaft und Handel d) Bildung, Erziehimg und Kultur
a) Industrielle und landwirtschaftliche Produktion AGL- bzw. BGL- Arbeit Büro Funktionär Leiter Mann Wahl Vorsitzender
Betriebsakademie -funkred akteurin -gewerkschaftsleitung -gruppe (der Partei) -kollektiwertrag -klinik -Parteiorganisation -schule
40 Eine Ausnahme ist Johnson. Er setzt dem offiziellen Sprachstil einen eigenen, fast erhabenen Stil entgegen; FDJ und DDR sind beispielsweise immer ausgeschrieben, so dafi sich eine Kompositabildung erübrigt.
Reihenbildung
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Betriebsschutz -vergnügen -zeitung Boden(reform) 41 Brigade als 1. und 2. UK tritt vor allem bei Marchwitza, Reimann, Jakobs, Wolf (1963) und Neutsch reihenmäßig auf. Insgesamt sind über 200 Belege zu verzeichnen, die zum Teil auch in den Romanen der 80er Jahre gefunden wurden, z.B. bei Schütz (1986) oder Wolf (1989). Allein bei Marchwitza kommt -brigade- nicht weniger als 147 mal vor. Eine Brigade ist eine Arbeitsgruppe, sie ist die kleinste Struktureinheit in einem sozialistischen Betrieb. Ihr massenhaftes Auftreten als Grund- oder Bestimmungswort in den Romanen dokumentiert die Bedeutung, die der Begriff in der sozialistischen Wirtschaft innehatte, nicht nur für den Produktionsprozeß, sondern auch für die arbeitenden Menschen. Brigade ruft Konnotationen wie 'Zusammenarbeit, Verbundenheit, Gemeinschaftsgefühl' hervor. Komposita mit Brigade als Bestimmungswort: Brigade(n)angelegenheit -arbeit -egoismus -feier -kollege -leiter -leiterin
-leute -mitglied
-Verrechnung -Versammlung -vertrag
-vorstand
Komposita mit Brigade als Grundwort: Arbeitsbrigade BetonErdarbeiterErnteErzbunkerFeierabendFlechterFrühschichtHolzfaller-
MaurerMontageNieterReparaturSchweißerStammSteinepackerTransport-
41 Die 'demokratische Bodenreform' in der Sowjetischen Besatzungszone ist das Thema des Romans Tiefe Furchen von Otto Gotsche. Die Konstituente Bodenreform)- ist von daher Ausgangspunkt einer Serie von Determinativkomposita. Um Doppelungen zu vermeiden, werden die Komposita von Boden- hier nicht aufgeführt, da sie im Kapitel "Paläologismen der DDR" ausführlich besprochen werden. Vgl. 3.1.1.1 unter 1.
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InstrukteurJugendKomplexLoren-
VerputzerWerkWettbewerbsZimmerer-
Die Belege bei Marchwitza verteilen sich auf 129mal Erzählersprache und 18mal Figurensprache. Die Häufigkeit der einzelnen Benennungen ist unterschiedlich, Holzfäller- und Lorenbrigade kommen jeweils nur einmal vor, Brigadeleiter/in etwa 20mal. Feldbaubrigadier 42 SpitzenZimmererMaurerSchweißerClaudius (1957) und Strittmatter (1963) thematisieren in ihren Romanen die Bildung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs). Bei ihnen gibt es von daher eine Menge Komposita mit Genossenschaft, häufig handelt es sich um Gelegenheitsbildungen. Genossenschafts -LKW -bauer -bäuerin -buchhalter -büro -feld -geld -getreide -hochzeit -kampagne -kandidat
Genossenschaftskasse -kuhstall -kulturraum -leitung -mitglied -pfarrer -scheune -schwein -stall -Vorsitzender -weide
Kaderabteilung43 -akte -entwicklung -gespräch -heft -leiter/in
42 Ein Brigadier ist der Leiter einer Brigade; die Aussprache ist meist russ. [brigadir], nicht frz. [brigadje], vgl. Kap. 4. 43 in der Bedeutung 'Personal'; Kader als 2. UK in der Bedeutung "Menschen, [...] die sich durch unbedingte Treue zur Arbeiterklasse, ihrer Partei und zum Marxismus-Leninismus [...] auszeichnen" (Ahrends 1989, 90), vgl. 2. Kommunikationsbereich.
Reihenbildung
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Kaderleitung -notizen Plan als der zentrale Begriff im sozialistischen Wirtschaftssystem kommt besonders häufig bei Neutsch vor, der in seinem Roman das "Neue ökonomische System der Planung und Leitung" (NösPl) literarisch verarbeitet. Planauflage -disziplin -erfiillung -kennziffer -rückstand -schulden -summe -termin -Übererfüllung -Veränderung -Verschiebung -Wirtschaft Soll 44 -abgabe -erfüllung
Eiersoll WeizenMilch-
Wettbewerb ist in dem Roman von Seghers ein wichtiger Begriff. Es ist die Kurzform von sozialistischer Wettbewerb, einer "Massenkampagne zur Produktionssteigerung in der soz. Wirtschaft" 45 Im Roman ist der Wettbewerb ein Kampfmittel gegen den 'kapitalistischen Feind in Westdeutschland'. 46 Unsere Antwort hier in der DDR sei der Fünfjahrplan, den wir erfüllen werden, ohne Bentheim und Adenauer und Eisenhower. [...] Seine Partei [...] halte es für richtig, [...] mit dem Wettbewerb zu beginnen. (Seghers, 556)
Wettbewerbsarbeit -bedingung -bezahlung -brigade -kommission -woche 44 Soll ist bei Strittmatter 1954 ein häufig auftretendes Kompositionselement, da die Handlung seines Jugendbuchs in einem Dorf in der unmittelbaren Nachkriegszeit angesiedelt ist, dessen Bauern der von der SMAD verfügten Pflichtablieferung Folge leisten müssen. Wie Bodenreform gehört es zu den Paläologismen, vgl. deshalb 3.1.1.1 unter c). 45 Ahrends 1989, 155. 46 "Feindbild" und "Kampfwortschatz" vgl. Kap. 7.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Januarwettbewerb Zeitb) Staat, Partei und Massenorganisationen Sehr produktiv sind Wortbildungen mit FDJ-, Partei- und Pionier- als erster Konstituente: FDJ -
Alter Abend Arbeiter Arbeit Bezirksleitung Bluse Ferienlager Gruppe Gruppenkompass Heim Hemd Lager Leiterin Leitung Makker Mitglied Nadel Schule Sekretär/in Stab Versammlung Vorsitzender
Pioniereinsatz -familie -feier -freundschaft -gebot -gesetz -grüß -haus -hemd -jacke -kasse -leiter/in -leitung -lied -tuch -uniform -verband -zirkel
Partei- hat in den Romanen die meisten Komposita überhaupt, ein Zeichen dafür, welch exponierte Stellung die SED und ihre Jugend- bzw. Kinderorganisation in der Gesellschaft der DDR innehatte: Parteiabzeichen -aktiv -aktivkonferenz -aktivtagung -arbeit -arbeiter -auftrag -ausschluß
Parteikabinett -leben -lehijahr -leitung -linie -loser -moral -organisation
45
Reihenbildung
Parteibeauftragter -beschluß -buch -büro -disziplin -engel -feind -feindlichkeit -funktionär -genossenschaft -gruppe -gruppenorganisator -hochschule
Parteiorganisator -programm -plenum -rüge -sache -Schädlichkeit -schule -sekretär47 -Sekretariat -Sitzung
-strafe -treue
-jugend
-Veranstaltung -verfahren -Versammlung
-leute
-zeitung
-Instrukteur
Eine wesentlich geringere Produktivität hat dagegen das Grundwort -kader: Arbeiterkader FührungsKlassenReisec) Wirtschaft und Handel Betrieb, Genossenschaft, Plan und Wettbewerb gehören in diese Gruppe; sie sind schon im 1. Kommunikationsbereich (vgl. 2.1.3.1 a)) aufgelistet worden. d) Bildung, Erziehung und Kultur Die Lexeme Jugend und Kultur als Basis für serienmäßige Zusammensetzungen dokumentieren das große Interesse, das Staat und Partei sowohl an der Jugend als auch an kulturellen Einrichtungen und Veranstaltungen hatten. Jugend· und Kulturpolitik waren wichtige Elemente, um das angestrebte Ziel, die allseitig entwickelte sozialistische Persönlichkeit, zu erreichen: Jugendbrigade -freund -gruppe (FDJ) -kultur -leben
Kulturabend -abteilung (der FDJ) -arbeit -bund -bundfreund
47 Eine Parteisekretärin kommt in keinem der Romane vor.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Jugendmode 48 -objekt -verband (FDJ) -weihe -werkhof
Kulturdirektor -ensemble -erbe -funktionär -halle -haus -leben -leitung -räum -saal
ABF = Arbeiter-und-Bauern-Fakultät49 ABF -Abiturienten -Dozenten -Semester
2.1.4 Das Suffix -ung. Deverbative Ableitung als Charakteristikum des Nominalstils Charakteristisch für die Partei- und Zeitungssprache in der DDR war ein pathetischer Nominalstil. In einer Einladung der FDJ an der Uni Leipzig war beispielsweise zu lesen: "In unserem GO-Kampfprogramm haben wir uns die Selbstverpflichtung auferlegt, auf einer Aktivtagung Bilanz der 1. Hälfte der Wahlperiode zu ziehen. " 5 0 Die typischste Wendung war ein Substantiv mit der Endung -ung + erfolgen, z.B. die Lösung der Aufgabe erfolgt im Kollektiv. Dieses "Funktionärsdeutsch" 51 setzte mit Gründung der DDR ein und konnte sich bis zu ihrem Ende gegen alle Mißbilligung erfolgreich behaupten. Die in Leipzig erscheinende Zeitschrift Sprachpflege kritisierte immer wieder diesen 'parteitypischen' Stil. Der erste Artikel dazu erschien 1956 unter dem Titel
48 Auch Jumo, Name einer 'Kette' von Bekleidungsgeschäften der HO. 49 Die ABF war eine Bildungseinrichtung, die es Angehörigen der Arbeiterklasse ermöglichte, nach abgeschlossener Lehre das Abitur nachzuholen. Sie bestand von 1949 bis Anfang der 60er Jahre. Das Lexem zählt also zu den Paläologismen, vgl. 3.1.4. Kants Roman Die Aula erzählt von einer ABF, das Wort ist in seinem Buch Ausgangspunkt vieler, z.T. auch okkasioneller Zusammensetzungen. 50 Mai 1989; GO = Grundorganisation. 51 Oschlies 1989, 72.
Suffix -ung
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"Gegen Schwulst und Phrase", der letzte Beitrag im Juli 1989 mit der Überschrift "Es sollte weniger 'erfolgen'!" 52 . Unter Nominalstil versteht man das Dominieren nominaler Fügungen bei der Textgestaltung. Dieser Stil ergibt sich aus dem Bestreben nach Eindeutigkeit und Sprachökonomie und gilt daher bei sachbetonter Darstellung als angemessen. 53 Vor allem verwaltungstechnische Schriften und Verlautbarungen von Behörden sind in diesem Stil verfaßt. 54 Substantivischer Stil ist aber längst nicht in allen Kommunikationssituationen angebracht. Häufig wirkt er starr und phrasenhaft, mit Klischees und Leerformeln ausgestattet. Die Sprachpflege gibt 1956 einen (negativen) Beispielsatz, der 1988 in einem populärwissenschaftlichen Stil-Ratgeber wieder abgedruckt wird, also von seiner Bedeutung offenbar nichts eingebüßt hat. "Vor uns steht die Aufgabe der Organisierung der Durchführung einer gründlichen Überprüfung der Möglichkeiten der Verbesserung der Produktionstechnik der Abteilungen des Betriebes und der Maschinen." 55 Vier deverbale Ableitungen auf -ung, ein Verb (sowie acht Genitivattribute). Manes Sperber schreibt über einen solchen Stil: "Eine Führung, die die Tätigkeitswörter vergessen hat und die Handlungen nur in abstrakten Substantiven ausdrücken kann, die sie ewig mit 'durchführen' verbindet, wird weder eine Revolution vorbereiten, noch irgendeinen verräterischen Charakter erfolgreich entlarven." 56 Der Nominalstil in den DDR-Zeitungen und offiziellen Verlautbarungen war eine Folge der planwirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft und des Marxismus-Leninismus als einheitlicher Staatsideologie. Die Ideologie des Marxismus-Leninismus stellte ein Normensystem dar, das "äußerlich durch bürokratische Herrschaft garantiert war" 57 . Alle Texte, die veröffentlicht wurden, mußten exakt formuliert werden; ideologisch relevante Begriffe waren genau definiert und konnten von daher in keiner anderen als der offiziellen Bedeutung gebraucht werden. "Die politisch-ideologische Sprache offizieller Verlautbarungen gab sich in ihrer Monosemierung und formelhaften Fixierung wie eine Fachsprache, die um der Eindeutigkeit willen ohne jede Variation benutzt werden mußte. " 5 8 52 Sprachpflege 5, 1956, 45-47 in der Rubrik "Stilkundliche Ratschläge für Alltagsschreiber" (ohne Autorangabe); Sprachpflege 38, 1989, 105. (Leserbrief von Jörg Schuster). 53 Vgl. Lexikon sprachwissenschaftlicher
Termini, 163.
54 Die Behördensprache ist allerdings auch in Westdeutschland der Kritik ausgesetzt. Die Stadt Nürnberg hat z.B. für ihre Verwaltungsangestellten eine Broschüre mit dem Titel "Sieben Regeln für den guten Ton im Brief" herausgegeben. Die 4. Regel lautet: "Vermeiden Sie Hauptwörter auf UNG!" Vgl. Lambertz 1990, 394, Anm. 92. 55 Sprachpflege 5, 1956, 46 bzw. Ludwig 1988, 165. 56 Manfes Sperber, "Wie eine Träne im Ozean". Zitiert nach Oschlies 1989, 72. 57 Stojanov 1991, 37. 58 Schlosser 1990, 13.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Einige Autorinnen und Autoren verwenden in ihren Romanen bewußt diesen Nominalstil mit -ung-Wörtern, entweder, um aus Aufrufen der Partei zu zitieren oder um die Sprache der Genossen zu karikieren. Jakobs und Schütz (1980) übernehmen das Vokabular der FDJ und zitieren aus Aufrufen, bei der Ernte zu helfen. Bei Schütz wird darüber hinaus die 'Erntemetaphorik' deutlich, mit der die Zeitungen bis 1989 über die Getreide-, Kartoffel- oder Rübenernte berichteten. So wurde nicht einfach geerntet, sondern die Ernte wurde geborgen bzw. erfolgte die rechtzeitige Bergung des Getreides. Als die Kampagne des Zentralrats der FDJ zur verlustlosen EinbringUNG der Ernte begann, sammelte Doberge die Hälfte meiner Mannschaft und verpflichtete sich zur Erntearbeit in Bergschmiede [...] (Jakobs, 141). 5 9 Sonnig gelber Oktober. Die Nächte sind klar und kalt. Drei Grad minus und die Hackfrüchte noch nicht geborgen. Also Studenten aufs Feld, helft den Einzelbauern bei der EinbringUNG der Ernte. (Schütz 1980, 29).
Diese Beispiele führen aus, was eingangs über die Phrasenhaftigkeit des Nominalstils gesagt wurde. Die Redewendung "Einbringung der Ernte" ist überflüssig, "Helft den Bauern bei der Ernte" hätte als Appell vollkommen ausgereicht. Die Erweiterung mit einem Substantiv auf -ung steigert aber die Wichtigkeit des Aufrufs, der bei Jakobs zusätzlich noch durch das Adjektiv verlustlos verstärkt wird. Gleichzeitig ist dieses '-UNG-Wort' ein Beispiel für bürokratischen Sprachgebrauch. Der Zentralrat der FDJ (bei Jakobs) bzw. die Parteileitung (bei Schütz) hat von oben beschlossen, daß die FDJler der Baustelle bzw. die Studenten der ABF bei der "Einbringung der Ernte" helfen müssen. Der Beschluß wird sprachlich wie eine Verwaltungsentscheidung nach unten weitergegeben und hat verbindlichen Charakter. Er wurde durchgestellt, wie es in der Umgangssprache hieß. In Strittmatters Roman Ole Bienkopp (1963) werden häufig ParteiVersammlungen geschildert, auf denen sich die Bürgermeisterin Frieda Simson in konstanter Regelmäßigkeit bei ihren Genossen unbeliebt macht - durch ihr Verhalten und vor allem durch ihre Sprache, die sie als eifrige Leserin von Parteibeschlüssen und -Organen entlarvt. Im folgenden Textbeispiel geht es um die Vorbereitung eines Erntefestes, des ersten der neugebildeten Genossenschaft. Der kleine Festausschuß beriet schon eine Weile, da knatterte unterm Fenster ein Moped. Frieda Simson kam aus der Stadt. [...] Sie entriß Frau Förster Stamm das Wort. 'Gestattet mir prinzipielle AusfiihrUNGen zu Grundsatzfragen in bezug auf die ErntefestfeierUNG!' [...] 'Ich bitte um ErnstaufbringUNG! Oberste Grundsatzfrage bei der DurchfiihrUNG des Erntefestes ist geschlossene Dorfharmonie mit allen Kräften. Das einzelbäuerliche Element muß sich mittels
59 Hervorhebung von -UNG in Großbuchstaben von der Verfasserin.
Suffix -ung
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zu leistender Dorfharmonie bei der gründlich zu durchdenkenden ErntefestgestaltUNG an die Genossenschaft herangezogen fühlen!' (Strittmatter 1963, 37S). AusarbeitUNG des Festprogramms bis übermorgen mittag zwecks GenehmigUNG und letzter BegutachtUNG auf Friedas Schreibtisch. (Strittmatter 1963, 376)
Der Kontrast zur vorher geschilderten Vertrautheit der Dorfbewohner untereinander, die ihr Erntefest vorbereiten, kann nicht größer sein. Das Mädchen Märtke ist aufgeregte Gastgeberin, hat extra die Tischtücher gewaschen und Blumen auf die Tische gestellt, sogar vom Konsumfräulein ein Spruchband malen lassen, und jetzt kommt eine Parteifunktionärin aus der Stadt und redet von "gründlich zu durchdenkender Emtefestgestaltung". Der Erzähler bringt mit geradezu meisterhafter Komik die Abgehobenheit und Distanz zum Ausdruck, mit der leitende Genossen ihrer Basis begegneten; die Leute hatten nicht zu überlegen oder zu erzählen, sondern Bericht zu erstatten und wurden mit Anweisungen und Aufträgen belegt. 'Es ist zu verzeichnen ... und so steht die Frage ...', und zum Schluß wußte niemand, wie das Erntefest zu feiern wäre. Auf nebensächliche Dinge konnte sich Frieda bei ihrer Leitungstätigkeit nicht einlassen. Für Spielchen [...] und das Ausschmücken des Dorfes sollte der Ausschuß [...] sorgen. (Strittmatter 1963, 375f.)
Aus der Sicht der Parteileitung ist Friedas Auftritt logisch. Das Erntefest ist primär kein Vergnügen, sondern Taktik. Die Bauern, die noch nicht in die Genossenschaft eingetreten sind, sollen durch das Fest dazu gebracht werden. Von daher müssen die einzelnen Programmpunkte genau geplant und organisiert werden, was zur Folge hat, daß Dinge und Verhaltensweisen, die zu einer Feier dazugehören, z.B. Spontaneität, vermieden werden. Claudius beschreibt diese Einstellung der Partei in seinem Roman Von der Liebe soll man nicht nur sprechen (1957): Die OrganisierliNG des fröhlichen Jugendlebens ist eine politische Aufgabe der gesamten Jugend, und man kann sie nicht dem Selbstlauf überlassen. Planmäßig muß man die EntwicklUNG der Jugendkultur... (Claudius 19S7, 319)
Auch Kant ironisiert den Nominalstil in einem Gespräch, das der 'Aularedner' Robert Iswall spätabends mit seiner Frau führt: '[...] will ich dir sagen, daß unter BildUNG hier nicht das verstanden wird, womit du immer so angibst [...], sondern soviel wie GründUNG, und die GriindUNG der ABF, ihre ErrichtUNG, nein, ErrichtUNG geht nicht, also doch die GründUNG oder BildUNG geht eben auf eine VerordnUNG zurück.' - 'nung, nung', sagte Vera. - 'Wie bitte?' - 'Die VerordnUNG geht auf die BildUNG und die auf die GründUNG und die auf die VerwirklichUNG und die auf eine BeschließUNG zurück - bei historischer BetrachtUNG.' - 'Geh ins Bett!' (Kant, 15f.)
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
2.1.5 Die Suffixe -tum, -ismus, -ler, -(ig)er als Wortbildungsmorpheme mit pejorativer Konnotation60 Direktiventum Paschatum Sektierertum Versöhnlertum
(Claudius 1951) (Claudius 1951) (Maron) (nur in den Wörterbüchern; in den Romanen von Johnson und Schütz als Adjektiv versöhnlerisch)
Kosmopolitismus Objektivismus Revisionismus Sozialdemokratismus Subjektivismus
(Kant) (Strittmatter 1963) (Brezan) (Strittmatter 1963) (Neutsch, Wolf 1968)
Intelligenzler Versöhnler Zweifler(geist)
(Brezan) (Strittmatter 1954, Neutsch) (Strittmatter 1963)
Republikflüchtiger
(Brezan, Kant, Maron)
Im Deutschen ist es möglich, eine negative Einstellung zu Personen, Ansichten oder Verhaltensweisen nicht nur über die Wortbasis, sondern auch durch ein Wortbildungsmorphem auszudrücken. Ein Suffix verleiht einem Lexem, dessen Basis als neutral zu bezeichnen ist, eine pejorative Färbung: Versöhnler, Objektivismus. -tum ist ein Suffix, das sich im Neuhochdeutschen nur schwach entwickelt hat. Die meisten Bildungen haben als Basis eine Personenbezeichnung. Die Wörter auf -tum bezeichnen das Verhalten einer Person. Es überwiegen Benennungen, die sich auf negativ bewertete Begriffe beziehen.61 In den Romanen finden sich vier Wortbeispiele mit dem Morphem -tum, die alle negativ konnotiert sind: Direktiventum, Paschatum, Sektierertum, Versöhnlertum. Die beiden ersten Beispiele stammen aus dem Roman von Claudius Menschen an unsrer Seite (1951). Die SED hat festgestellt, daß die Berichte des Betriebssekretärs an die Parteileitung 'frisiert' sind. Der Instrukteur soll den tatsächlichen Zustand des Betriebs herausfinden. Aber die wirkliche Lage dort? Wahrscheinlich Paschatum, keine kollektive Arbeit der Parteileitung, sondern Direktiventum. (Claudius 1951, 88)
60 Vgl. auch Kap. 7.1.1.1 "Wörter und Redewendungen als Ausdruck des sozialistischen Feindbildes". 61 Vgl. Fleischer 1982, 163.
Suffixe mit pejorativer Konnotation
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Direktiventum bezeichnet den zu kritisierenden Leitungsstil der führenden Genossen der SED-Betriebsgruppe, die nicht aufgrund kollektiv gefaßter Beschlüsse, sondern mit Hilfe von verbindlichen Weisungen agieren. Paschatum kennzeichnet ihr generelles Auftreten im Betrieb. Die beiden Begriffe können als eher okkasionelle Bildungen angesehen werden. Anders verhält es sich mit den Lexemen Sektierertum und Versöhnlertum, die auch auf den ersten Blick okkasionell zu sein scheinen und wegen der beiden gebundenen Morpheme -(l)er + -tum etwas schwerfällig wirken. Sie bezeichnen ein Verhalten, das für den Sozialismus 'schädlich' ist. Die beiden Begriffe sind auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus exakt definiert und hatten in der DDR keine andere Bedeutung als die offiziell festgelegte. Das schon öfter zitierte Ost-Berliner Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache ist für die 'sozialistische' Definition ideologiehaltiger Lexeme ein geeignetes Nachschlagewerk, da in diesem Wörterbuch der "ideologiegebundene Wortschatz nach den auf den Erkenntnissen des Marxismus-Leninismus basierenden Einsichten beschrieben [wird]. Das betrifft naturgemäß in erster Linie Lexeme des ideologisch-philosophischen, des gesellschaftlich-politischen-[...] ökonomischen Sachbereichs. Dies reicht von daher jedoch auch vielfach nuanciert hinein in die Sphäre des Alltags."62 Sektierertum wird im Handwörterbuch wie folgt definiert: /o.Pl./ innerhalb der Arbeiterbewegung betriebene schädliche Politik, die mit scheinrevolutionären Phrasen arbeitet und die Ausnutzung vorhandener Möglichkeiten für die revolutionäre Arbeit unter den Massen vernachlässigt.
Versöhnlertum ist unter dem Lemma Versöhnler eingetragen: jmd., der innerhalb der Arbeiterbewegung gegenüber rechts- und linksopportunistischen Strömungen ein prinzipienloses antimarxistisches Verhalten zeigt; dazu Versöhnlertum /o.Pl./.
Der Vorwurf des Sektierer- oder Versöhnlertums konnte für die so getadelte Person - es handelte sich um ein Parteimitglied - disziplinarische Konsequenzen haben, wie aus Monika Marons Roman Flugasche zu erfahren ist. Die 'Heldin' Josefa Nadler wurde während ihres letzten Studienjahrs wegen Sektierertum als FDJ-Sekretärin abgelöst. (94)
Nicht folgenlos bleibt ebenfalls die versöhnlerische Gesinnung eines Schülers bei Johnson und eines Lehrers bei Schütz (1986).63
62 Handwörterbuch, Band 1, XIII. 63 Vgl. Johnson, 114 und Schütz 1986, 97; die beiden Textstellen werden in Kap. 7.1.1.1 zitiert und analysiert.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Auch die Bildungen auf -ismus sind ideologisch determiniert; sie bezeichnen ein Verhalten, das von der 'Parteilinie' abweicht und deshalb bekämpft werden muß: Kosmopolitismus /o.PI./ heute reaktionäre bürgert. Ideologie, die [...] zum Verzicht auf nationale Selbstbestimmung und Nationalkultur aufruft und der Verschleierung des imperial. Vonnachtstrebens der Bourgeoisie dient.
Robert Iswall in Kants Aula muß sich den Vorwurf des Kosmopolitismus gefallen lassen - wegen seines Haarschnitts (Kant, 174). Objektivismus /o.PI./ unwissenschaftliche [...] bürgerl.-ideologische Denkhaltung, wonach jede Parteilichkeit der Wissenschaftlichkeit widerspricht.
Das Mädchen Märtke in Strittmatters Roman Ole Bienkopp fallt der Bürgermeisterin negativ auf, da sie das Versammlungszimmer mit einer unpolitischen Losung geschmückt hat: "Fröhlichkeit hilft schaffen" (374). Die Genossin Simson trägt daraufhin in "ihr schwarzes Diarium" ein: Objektivismus einer künftigen Parteikandidatin. (375)
Revisionismus, verbunden mit dem negativ verstärkenden Adjektiv intelligenzlerisch, kommt im Roman Mannesjahre von Brezan vor. Die Hauptfigur, Felix Hanusch, ergreift für eine Person, die der Dorfbürgermeister und Genösse Rumbo zum "Feind des sozialistischen Aufbaus" (333) erklärt hat, Partei und nimmt damit eine Haltung ein, die mit den Interessen der SED nicht mehr im Einklang steht, sondern 'dem Klassenfeind nützt1. Revisionismus ist eine "opportunistische Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung, die die theoretischen und politischen Grundlagen des MarxismusLeninismus, bes. die Lehre vom Klassenkampf [...] für revisionsbedürftig erklärt, sie mit bürgerl. [...] Theorien zu durchsetzen sucht und sich heute in objektiv konterrevolutionärer Rolle gegen den real existierenden Soz. richtet." Sozialdemokratismus ist die negative Variante zu Sozialdemokratie. Das Suffix -ismus verleiht dem Grundmorphem -demokrat- eine pejorative Konnotierung. Auch Sozialdemokratismus hat eine festgelegte Bedeutung im Bereich der marxistisch-leninistischen Ideologie. Der Begriff bezeichnet die "Ideologie und Politik der rechten Führung der Sozialdemokratie".64 Einzig Subjektivismus ist im Handwörterbuch ohne ideologische Paraphrase erläutert. In der Erzählung Nachdenken über Christa T. von Christa Wolf wird aber deutlich, daß es sich auch bei diesem Wort um einen ideologischen Begriff handelt bzw. um einen schweren Vorwurf an ein FDJ-Mitglied in 64 Wortbeleg bei Strittmatter 1963, 191.
Suffixe mit pejorativer Konnotation
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leitender Position, von der es denn auch abgesetzt wird. Ein Lehrerstudent hat vor einer Schulklasse leidenschaftlich "für den Tod in der modernen Liebe gestritten" (70). In der daraufhin einberufenen Versammlung wird er als Beispiel [abgeurteilt], wohin ein Mensch gerät, der dem Subjektivismus verfällt. (71)
-ler ist durch Suffixerweiterung von -er entstanden. "Die Derivation mit -ler hat "ein Modell mit pejorativer Konnotation entwickelt."65 Versöhnler wurde schon erklärt; mit Intelligenzler wird Felix Hanusch aus dem oben bereits zitierten Roman von Brezan beschimpft, ihm wird vorgeworfen, intelligenzlerischen Revisionismus (332) zu betreiben und ein zurückgebliebener bürgerlicher Intelligenzler (116) zu sein. Klassenfremden Zweiflergeist hat ein Volksbuchhändler bei Strittmatter (1963) während seiner englischen Exilszeit im 2. Weltkrieg in sich aufgesogen. Jedenfalls vermuten das treue Parteileute, die nicht verstehen können, wie der Buchhändler sonst behaupten kann, nicht alle neueren Romane aus der Sowjetunion seien gut (327).
Das interessanteste Wortbeispiel dieser Gruppe ist die Bildung Republikflüchtiger. Das Wort bezieht sich auf Republikflucht, das in der ehemaligen DDR einen Straftatbestand bezeichnete. Im Deutschen gibt es zwei Möglichkeiten, aus dem Verbalsubstantiv Flucht eine Personenbezeichnung abzuleiten: zum einen durch das Suffix -ling, zum anderen über den Umweg des von Flucht abgeleiteten Adjektivs flüchtig mit dem Suffix -er. Flücht-iger ist im Gegensatz zu Flücht-/mg eindeutig negativ konnotiert. Die Zusammensetzung Republikflüchtiger ist wohl eine Anlehnung an das ältere Kompositum Fahnenflucht bzw. an das davon abgeleitete Fahnenflüchtiger, wobei beide Komposita einen Tatbestand bezeichnen, der gesellschaftlich ebenfalls negativ bewertet wird. Republikflüchtiger steht weder in den Leipziger Dudenausgaben noch im Handwörterbuch, wohl aber in den Romanen, z.B. bei Brezan, Kant und Maron. Heidi kam in eine Zelle mit zwanzig anderen Frauen, Prostituierten, gescheiterten Republikflüchtigen, Alkoholikern. (Maron, 1 0 8 ) 6 6
65 Fleischer/Stepanova 1985, 119. 66 Im Duden 1991 sind neben "Republikflucht (Flucht aus der ehem. DDR)" das Adjektiv "republikflüchtig" und das Substantivderivat "Republikflüchtling" verzeichnet. Diese Angabe erstaunt die Verfasserin, da ihrer Kenntnis zufolge Personen, die das Gebiet der DDR illegal verlassen hatten (bzw. wollten), mit der negativ konnotierten Ableitung -flüchtiger und nicht mit dem eher neutralen -flüchtling bezeichnet wurden.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
ι
2.1.6 DDR-typische Wörter aus dem Bereich der Alltagssprache DDR-typischer Wortschatz existiert auch im alltäglichen Sprachgebrauch, in der Umgangssprache. Daß es im Bereich der Alltagskommunikation Wörter und Redewendungen gibt, die Westdeutschen unbekannt oder zumindest ungewohnt sind, haben viele erst im zweiten Jahr der deutschen Vereinigung bemerkt. Viele dieser DDR-typischen Lexeme sind 1989 ad hoc veraltet, weil die Denotate verschwunden sind, z.B. Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (ABI), oder SERO-Annahmestelle,67 Die Besonderheiten in der Alltagskommunikation der DDR wurden in Westdeutschland überwiegend ignoriert, zum einen, weil von der These ausgegangen wurde, daß die Sprache - außer in Verlautbarungen der SED - in beiden Teilen des Landes die gleiche sei, zum anderen aber auch, weil Ostdeutsche viel mehr über die Lebenswirklichkeit der Westdeutschen wußten bzw. wissen als umgekehrt und deshalb für ihre Besucherinnen und Besucher aus dem Westen ihre Sprachbesonderheiten 'übersetzten', d.h. die gängigen westdeutschen Bezeichnungen benutzten.68 Aber schon ein Theaterbesuch konnte zu Irritationen führen, da es viele Anrechtskarten gab (und teilweise wenig freier Verkauf), in der Pause wurde Juice angeboten (statt [Orangen]Saft) und hinterher hatte vielleicht noch eine Broiler-Bar geöffnet. Die umgangssprachlichen Wendungen sind vielleicht diejenigen, die sich am ehesten halten oder sogar gesamtdeutsch werden können. Gerade bei den Verben gibt es einige pfiffige Redewendungen wie ein Konzept, einen Vorschlag andenken, ein Vorhaben abnicken, d.h. von oben bestätigen, sich einen bzw. keinen Kopf machen, d.h. sich (keine) Gedanken machen. Aber auch Kollektiv oder Brigade für Arbeitsgruppe könnten die Vereinigung überdauern, jedenfalls solange gemeinsames Arbeiten betont wird. 69 Aus den Romanen (überwiegend der 80er Jahre) werden im folgenden die Lexeme aufgelistet, die über den Bereich des Offiziellen hinausgehend zum Alltagswortschatz gehören. Dabei handelt es sich sowohl um Begriffe, die aus dem offiziellen Vokabular in die Umgangssprache eingegangen sind, als auch um Wörter, die mit dem politischen System nichts zu tun haben, sondern 'einfach so' entstanden sind.
67 Der Recyclinghandel (westdeutsch) bzw. die Sekundärrohstofferfassung (ostdeutsch) in der DDR ist bereits kurz nach der Wende zusammengebrochen, obwohl der Wiederverwertungsgrad von Altstoffen hoch war. Die SERO [=SekundärFohstoff]-Annahmestellen mußten schließen. 68 Die Verfasserin hat es selbst erlebt, daß ein Bekannter aus Karl-Marx-Stadt ihr gegenüber von "Personalabteilung" sprach, zu einem DDR-Bürger aber von "Kaderabteilung". 69 Noch mehr als zwei Jahre nach ihrer Übersiedlung erzählte eine jetzt in Bonn lebende Leipzigerin von ihrer Nachbarin: "Sie arbeitet in einer Feierabendbrigade." D.h., sie putzt stundenweise (in einem Bonner Kindergarten).
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Aktiv Ein Aktiv ist eine kleine Arbeitsgruppe innerhalb eines größeren Kollektivs, meist für besondere Aufgaben. Das Wort ist aus dem Russischen entlehnt, aktiv, die Betonung liegt auf der letzten Silbe. Aktiv ist nicht nur als Simplex gebräuchlich, sondern auch als 1. oder 2. Konstituente in Komposita. Anna sollte eine Persönlichkeit sein. Leistungen wurden gefordert. Vielfältige Interessen. Soziales Engagement. Mitarbeit im Umweltaktiv wurde ihr anempfohlen. Anna wollte nichts. (Schütz 1986, 79)
Aussprache Eine Aussprache ist ein klärendes Gespräch, meist im Bereich der Partei. Die Kommunikationspartner sind ungleich, die Person, mit der eine Aussprache geführt wird, hat in der Regel einen Fehler begangen, den sie einsehen soll. Eine Studentin in einem Germanistik-Seminar erklärte den Begriff mit den Worten: "Aussprache heißt, du sollst klein beigeben."70 [...] drei Tage später teilte er Josefa mit, sie sei zu einer Aussprache mit dem zuständigen Genossen geladen, morgen früh um zehn Uhr. (Maron, 163)
Autoanmeldung Anna im gleichnamigen Roman von Helga Schütz meldet nicht etwa ihr neues Auto bei den zuständigen Behörden an - sie hat noch gar keins. Sie meldet sich an, um ein Auto kaufen zu können. In Wirklichkeit will sie ihre Autoanmeldung in Zahlung geben, entweder reell gegen reell oder Wucher gegen Wucher. (Schütz 1986, 172)
Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (ABI) Dieser Begriff bezeichnet ein "staatlich-gesellschaftliches Kontrollorgan, das die Aufgabe hat, durch systematische Kontrolle über die Durchführung der Beschlüsse und Direktiven der Partei- und Staatsführung zu wachen". (Handwörterbuch;). Die Einrichtung der Arbeiter-und-Bauem-lnspektion wurde in der DDR 1963 nach sowjetischem Vorbild eingeführt; die Bezeichnung ist eine Lehnübersetzung aus dem Russischen.71 Die ABI war eine der wenigen Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger der DDR, sich gegen Ungerechtigkeiten und Willkürakte zwischengeordneter Instanzen zu wehren72, wie das folgende Beispiel aus In Annas Namen zeigt. Anna hat ihren Trabant seit einem dreiviertel Jahr in einer Autowerkstatt stehen.
70 Uni Leizpig, Juni 1989. 71 Vgl. Lehmann 1972, 210. 72 Vgl. Ahrends 1989, 20.
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Sie argumentierte. Schimpfte, drohte mit der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion. [...] ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich nächste Woche [...] zu Ihnen komme, um mir mein Auto repariert und fahrbereit abzuholen. (Schütz 1986, 229)
Betriebspoliklinik Es gab in der DDR Betriebspolikliniken zur sogenannten Dispensairebetreuung. Dabei handelte es sich um ein Prinzip des sozialistischen Gesundheitswesens zur "Überwachung und Behandlung von Personen, die [...] auf Grund gleicher Risiken bzw. gleicher Arbeit gesundheitlich gefährdet sind". (Handwörterbuch) Der Kollege soundso wird in der Betriebspoliklinik dispensaire betreut. (Maron, 17f.)
Betriebsvergnügen Hinter diesem Kompositum verbirgt sich ein Betriebsausflug, eine Feier oder auch ein Kneipenabend einer Brigade. Wenn's darauf ankommt, verträgt Kotte eine Stange. Einmal, zum Betriebsvergnügen [...], hat er aufWette anderthalb Flaschen Adlershofer Wodka getrunken und ist danach zehn Meter auf dem Strich von der Stempeluhr bis zum Betriebsschutz gegangen. (Schlesinger, 54)
Brause bzw. Faßbrause war in den 60er Jahren in der Bundesrepublik auch noch gebräuchlich, danach wurde es durch Limoinade) bzw. die Firmennamen von Limonadenherstellern verdrängt.73 Die Kantine war schäbig [...]. Zweimal Bulette mit Bayrisch Kraut. Thal holte Brause. (Maron, 135) Sie ging zum Kühlschrank. 'Eine Flasche Bier und eine Flasche Brause, das ist alles, was ich im Haus habe'. (Hein 1989, 106)
Brigade in der Bedeutung "Kollektiv von Werktätigen [...] in soz. Betrieben" (Handwörterbuch) kommt in den verschiedensten Zusammensetzungen vor, als Simplex auch häufig mit dem Possessivpronomen unser. Anna mußte mit ins Theater gehn. Alle gingen. Sie hatten sich im Archiv laut Jahresplan dazu verpflichtet. Eine Dampferfahrt stand auf dem Programm, eine Brigadefeier, ein Kegelabend und ein Theaterbesuch. (Schütz 1986, 266)
73 in den 80er Jahren veraltete es auch in der DDR zunehmend.
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Brigadier Ein Brigadier ist der Leiter einer Brigade. Der Begriff bezeichnet nicht nur die fachliche, sondern vor allem die politische Qualifizierung. 74 Von Katharina erfuhr ich, daß Paul, ihr ältester Bruder, im Werk nicht mehr als Brigadier arbeiten dürfe, weil er einer christlichen Jugendgruppe angehöre. (Hein 1982, 122)
Datsche gebildet aus russisch daca bezeichnet jede Art von Wochenend- oder Ferienunterkunft im Grünen, vom geräumigen Landhaus bis zur Laube im Schrebergarten. Strutzer [Redaktionschef und führendes Parteimitglied] besaß [...] eine Vierzimmerwohnung und ein Auto. Von einer Datsche wußte Josefa nichts, aber es war anzunehmen, daß sie vorhanden war. (Maron, 115)
Dederon ist eine DDR-Chemiefaser, die etwa dem westdeutschen Perlon entspricht. Das Kunstwort ist gebildet aus DDR + -on. Kein Urteil stand uns zu [...]. Über die in mißfarbige Dederonblusen gezwängten großbusigen Frauen [...]. (Wolf 1989, 184)
Fahrerlaubnis entspricht dem westdeutschen Führerschein. Das Wort wurde eingeführt, um die Bezeichnung Führer zu vermeiden. Führerschein wurde in der DDR 1982 wieder eingeführt 75 , in der Umgangssprache war Fahrerlaubnis aber noch weiter in Gebrauch. Im Juni hab' ich die Fahrerlaubnis gemacht, aber denkt ihr, er gibt mir den Wagen? (Reimann, 49)
Jahresendprämie heißt die "nach Abschluß eines Jahres an alle Mitarbeiter eines soz. Betriebes gezahlte Prämie für die kollektive Leistung der Werktätigen für die soz. Gesellschaft" (Handwörterbuch). Die Jahresendprämie ist Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbs und richtet sich nach der Planerfüllung. Vor Jahren haben wir mal Unterschriften gesammelt, weil uns die Jahresendprämie gekürzt werden sollte. [...] Achtzig Leute haben unterschrieben, hundert Prozent. Die Prämie haben wir gekriegt, aber fragense nicht, wieviele
74 Aussprache ist wie im Russischen [-di:r], nicht wie französisch [-dje]; Brigade und Brigadier sind Bedeutungsentlehnungen aus dem Russ., vgl. Kap.4. 75 Vgl. Ahrends 1989, 52.
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nachher durch den Betrieb gelaufen sind, um nach sonstwas zu suchen. (Maron, 139)
Kabinett hat die Bedeutung Fach(unterrichts)raum, z.B. Computerkabinett, Sprachkabinett (für Sprachlabor). Anna hatte einen Platz im Lesekabinett zugewiesen bekommen. (Schütz 1986, 106)
Kader als 1. Konstituente in Komposita hat die Bedeutung Personal, als 2. Konstituente bezeichnet das Wort besonders zuverlässige Führungskräfte der Partei. Die nächsten Tage verbrachte er damit, sich eine Arbeit zu suchen. [...] Er ließ sich den Weg zur Kaderabteilung erklären und ging ins Bürogebäude herüber. (Hein 1989, 124) Zu oft hatte sein Chef ihm eine Einladung aus dem Ausland mit einem falschen, bedauernden Lächeln zurückgegeben: Kein Reisekader. (Wolf 1989, 152)
Kollektiv wird allgemein verwendet für Arbeitsgruppe, Team, aber auch Kollegium oder Belegschaft. Der Begriff hat eine ideologische Komponente, "weil das sozialistische K. als Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft die 'Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten maßgeblich beeinflussen' soll." 76 Im Plan steht: Reportage über B. [...] Der Kollege Soundso ist ein freundlicher Mensch, erspart mir die Skrupel, erzählt von seinem guten Kollektiv, seinem guten Meister, seiner guten Ehe und arbeitet weiter. (Maron, 13)
Kulturraum, -saal, -haus, -palast sind Lehnübersetzungen aus dem Russischen. Ein Kulturraum oder -saal ist ein Raum für kulturelle oder politische Veranstaltungen in Betrieben. Ein Kulturhaus, russ. dom kul'turyj, ist ein staatlich, betrieblich oder kommunal unterhaltenes Gebäude für Kultur- und Freizeitveranstaltungen, ein besonders großes Kulturhaus wird auch Kulturpalast genannt, von russ. dvorec kul'tury. Vielleicht sah er in Gedanken alle Kraftwerker im großen Kulturraum sitzen, in blauen Monturen [...]. Der Minister würde in seinem großen schwarzen Auto vorfahren, würde nicht im Präsidium Platz nehmen, denn sie hätten keins aufgebaut. (Maron, 52)
76 Ahrends 1989, 97. Kabinett, Kader und Kollektiv sind Bedeutungsentlehnungen aus dem Russischen.
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[...] und dann läßt er sich die Vorgänge in der Feengrotte erzählen, die Geschichte mit Christian nach dem Ball im Kultursaal [...]." (Schütz 1980, 42)
Landambulatorium kann am besten mit 'Poliklinik auf dem Land' erklärt werden. Das Handwörterbuch, in dem Landambulatorium als Lemma verzeichnet ist, definiert Ambulatorium als eine "medizinische Einrichtung mit mindestens zwei Fachabteilungen für die ambulante Behandlung von Patienten". Das System der Polikliniken und Landambulatorien bestand in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern anstelle der Niederlassungen freiberuflich arbeitender Ärzte. Der Arzt im Landambulatorium verlängerte das Attest. (Schütz 1986, 101)
Objekt Mit Objekt werden Gaststätten und Ferien- bzw. Erholungseinrichtungen bezeichnet. Ein Objektleiter ist z.B. der Leiter einer HO-Gaststätte.77 In Annoncen war häufig zu lesen: "Kinderferienlager an der Ostsee zu vermieten. Suchen gleichwertiges Objekt in Thüringen". Ich aber hatt nun mal Appetit auf Bier [...]. Und ich geh zu dem Objektleiter und sag: Ist das nun eine Erholung für mich, wenn ich nicht mal 'ne Molle trinken kann? (Neutsch, 404) Es ist ja heute das erste Mal, daß mein Gatte das Objekt [die Datsche] gesehn hat. (Schütz 1986, 179)
Plaste, die bzw. Plast, der ist das DDR-typische Wort für Plastik. Der Grund, wieso es in Westdeutschland Plastik heißt, in Ostdeutschland aber Plaste, liegt in der Entlehnung aus verschiedenen Sprachen. Das westdeutsche Plastik stammt von dem Englischen plastics, die ostdeutsche Plaste bzw. der Plast ist eine Lehnbildung nach russisch plast massy.1* Der Plast ist in der DDR die Industriebezeichnung für Kunststoff, Plural die Plaste.19 In der Umgangssprache hat sich das Femininum die Plaste eingebürgert, Plural die Plasten (selten).80 In der Literatur spiegelt sich die unterschiedliche Schreibart wie-
77 Ambulatorium und Objekt sind Bedeutungsentlehnungen aus dem Russischen. 78 Vgl. 4.1.1. 79 Vgl. die langjährige Reklame an Autobahnbrücken oder im Leipziger Hauptbahnhof "Plaste und Elaste aus Schkopau". 80 Von Sprachpflegern wurde die feminine Bildung oft bedauert, umsonst aber auf dem Plast beharrt; die Plaste hat sich durchgesetzt. Vgl. den Artikel von Klaus Heller: "Der Plast - ein Sorgenkind des Grammatikers." In: Sprachpflege 14, 1965, 75-77.
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der. Hein benutzt die maskuline, andere Autorinnen und Autoren bevorzugen die feminine Form. In einem Plastbecher steckte eine in Zellophan verpackte Zahnbürste. (Hein 1989, 27) Anna mußte einsehn, es geht ihm gut. Opfer bringt er aus Liebe. Wie er sich tapfer in der Hinterhofstube in einer gelben Plasteschüssel wäscht. (Schütz 1986, 166) [In der Stammkneipe der Redaktion] Es gibt hervorragende Knackwurst und Stühle aus Holz statt aus Plaste und Stahlrohr [...]. (Maron, 55)
Rekonstruktion ist das DDR-typische Wort für Sanierung/Modernisierung (speziell von Altbauwohnungen), es bezeichnet in der aus dem Russischen entlehnten Bedeutung aber auch den Umbau von Geschäften oder Gaststätten und die Sanierung von Produktionsanlagen: Mit einigen Kollegen hatte er Großstädte besucht, um sich dort Rekonstruktionen technischer Anlagen anzusehen. (Hein 1982, 48)
Schulspeisung auch Schulessen, bezeichnet das Mittagessen, das in vielen Schulen ausgegeben wurde. Den Begriff gab es in den 50er Jahren auch noch in der Bundesrepublik, seitdem ist er dort veraltet; in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern ist er noch in Gebrauch.81 [Er][ ] redete vielmehr vom Wasserstand der Spree, vom Zustand der Schulspeisung und von den Umständen, in denen die Russisch-Lehrerin angeblich war [...]. (de Bruyn, 33)
Sicherheit ist die Kurzform von Staatssicherheit, vor der gewarnt wird; den Personen, die mit ihr zu tun haben, wird mit äußerster Vorsicht begegnet. Im Roman Flugasche von Maron möchte ein Arbeiter dem Minister über die Zustände in Bitterfeld schreiben und ihn einladen, sich das Kraftwerk an Ort und Stelle anzusehen. Der Vertrauensmann der Gewerkschaft ist anderer Ansicht. Mensch, [...] bist du bekloppt. Den Minister darfste dir dann in der Zeitung angucken und hier haste die Typen von der Sicherheit aufm Hals. (Maron, 139)
81 Lesebeleg in der Nr. 48/21.11.91 der (Ost-) Berliner Wochenzeitung Wochenpost.
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Theateranrecht Betriebe und Bildungseinrichtungen erhielten von den Leitungen der Opernund Schauspielhäuser Kontingente von Theaterkarten für Theaterbesuche ihrer Mitglieder. Diese nicht im freien Verkauf zugänglichen Karten hießen Anrechtskarten: Und einmal besucht mich Pagel. An dem Abend, als Traudchen und Sigrid auf Theateranrecht in die Komische Oper gefahren sind [...]. (Schütz 1980, 33)
Urlaubsplätze auch Ferienplätze genannt, wurden in der DDR in der Regel über die Betriebe oder den FDGB vergeben. Die Betriebe, Institute und der FDGB unterhielten eigene Erholungsheime und Kinderferienlager, in denen die Mitglieder und ihre Familien einen meist zweiwöchigen Urlaub verbringen konnten: [Aushang des Historischen Instituts] Für verheiratete Studentinnen und Studenten mit Kindern wurden billige Urlaubsplätze angeboten. (Hein 1989, 44)
Westfernsehen Abends kam der Westen in die Wohnungen. In den 50er und 60er Jahren verboten, in den 70ern geduldet, war das Westfernsehen in den 80er Jahren ein Muß, um bestimmte Berichte in den Zeitungen der DDR zu verstehen. Vor allem in Artikeln über das westliche Ausland wurden manchmal keine Fakten mehr geliefert, d.h. es wurde nicht informiert, sondern direkt kommentiert. Wer kein Westfernsehen hatte, dem konnte es passieren, daß er in der Zeitung Kommentare zu nicht genannten Fakten zu lesen bekam. Als Informationsquelle galt das am Abend vorher ausgestrahlte Westfernsehen.82 Auch Anna, die in ihrer Beziehung zu einem Arzt Konkurrenz von einer reichen WestBerlinerin bekommt, informiert sich im Westfernsehen über "so einen Westler": Anna sammelte Informationen [...]. Sie hörte den Bericht zur Lage der Nation im Westfernsehn. (Schütz 1986, 151)
Wohnraumlenkung, Wohnungsverwaltung, -kommission Es gab in der DDR keinen Wohnungsmarkt, sondern eine staatliche Erfassung und Verteilung des Wohnraums, Wohnraumlenkung genannt. Die Entscheidung über die Vergabe von Wohnraum traf die Wohnungskommission, ein ehrenamtliches Gremium bei Stadträten und Betrieben, in Absprache mit der 82 Die Erfahrung des Nicht-Informiertwerdens machte die Verfasserin während ihrer Studienaufenthaltes in Leipzig. Einen Tag nach der Europawahl vom Juni 1989 empörten sich Neues Deutschland und Leipziger Volkszeitung über den z.T. hohen Stimmenanteil der Republikaner, aber die genaue prozentuale Verteilung bzw. deren prozentualer Anteil am Gesamtergebnis war aus den Zeitungen nicht zu erfahren. Eine darauf angesprochene Dozentin sagte dazu: "Wozu auch? Das wissen wir doch aus der Tagesschau."
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Kommunalen Wohnungsverwaltung, einem VEB, der für die Verwaltung des Volkseigentums an Gebäuden und/oder Grundstücken zuständig war. Die DDR war eine Versorgungsgesellschaft, wie gerade am Beispiel des Wohnungswesens deutlich wird. Einige Autoren gehen sehr subtil auf dieses Thema ein. In Schlesingers Erzählung Alte Filme bemüht sich ein junges Paar mit Kind schon lange um eine größere Wohnung bzw. um die Möglichkeit, ihre jetzige Wohnung, die sie mit einer alten Dame teilen müssen, allein nutzen zu können. Viele Ämtergänge sind nötig, um der zuständigen Kollegin von der Wohnraumlenkung zumindest die Aussage zu entlocken, es sei vielleicht etwas zu machen. Aus den Romanen wird auch deutlich, was alles in den Aufgabenbereich der staatlichen Wohnungsverwaltung fallt: Verwaltung und Verteilung des verfügbaren Wohnraums einschließlich der Kontigentierung für bestimmte Betriebe, Reparaturen und Neuinstallationen, kurz die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum, wobei das Niveau der Versorgung und auch der Instandhaltung von Gebäuden und Wohnungen oft sehr niedrig war. [...] in Kottes Bereich fielen all jene Amtsgänge, bei denen weibliche Angestellte eine Rolle spielten. Im Fall der staatlichen Wohnraumlenkung war das bis zum vorigen Jahr die Kollegin Sabottke [...]. (Schlesinger, 10) Das ganze Wohnungsamt [...] sei ausgewechselt worden wegen gewisser Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung von Wohnraum. (Schlesinger, 17) Sie hatte die Redaktion eine Stunde früher als üblich verlassen, um in der Wohnungsverwaltung einen neuen Badeofen zu bestellen. (Maron, 175) Der Chef bat mich, mit ihm an Nachmittag zum Bürgermeister zu gehen. Er hatte eine Ausspache verlangt, da die Wohnungskommission der Klinik zwei Zimmer gestrichen hatte. Unser Kontingent an Wohnraum war bislang nie eingeschränkt worden. Wir brauchen die Zimmer für neue Krankenschwestern, die wir aus der Provinz holen. (Hein 1982, 9)
Zellophantüte Zellophan ist auch in Westdeutschland der Handelsbegriff für dünne Folie aus Kunststoff, die vor allem zur Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet wird. Daß eine Bonbon-, Lakritz- oder andere Tüte auch in der Umgangssprache Zellophantüte genannt wird, bleibt in dieser Exaktheit dem Wortschatz in der ehemaligen DDR vorbehalten. Luise holte eine Zellophantüte mit Lakritze aus ihrer Handtasche. (Maron, 47)
Zielstellung ist der DDR-typische Ausdruck für das westdeutsche Zielsetzung. Der Begriff hat sich so weit eingebürgert, daß er auch nach der "Wende" mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie zu DDR-Zeiten verwendet wird. Wie es zu dieser
Alltagssprache
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Bildung kam und ab welchem Zeitpunkt das Wort in der DDR 'eingeführt' wurde, läßt sich nicht feststellen. G.D. Schmidt vermutet, daß die Bildung Zielstellung von der russischen Sprache beeinflußt sei. "Im Russischen wird nämlich Ziel iceV) mit dem Verb stavit'/postavit' verbunden, das man im Deutschen wörtlich nur mit stellen übersetzen kann. " 83 Diese Überlegung ist zumindest bedenkenswert, da ein Beleg für dieses Lexem in einem frühen DDR-Roman gefunden wurde - Jakobs Beschreibung eines Sommers (1961) also zu einer Zeit, in der die Sowjetunion noch unangefochten Vorbild und Maßstab für die Verhältnisse in der DDR war. Der Kontext, in den das Wort Zielstellung eingebettet ist, ist die FDJ der Chemiebaustelle des fiktiven Werks "Wartha": So habe jeder FDJler, so erfuhr ich, vor allem seinen persönlichen Kompaß zu erfüllen, in dem persönliche Zielstellung sowie die Verpflichtungen aus den FDJ-Gruppenkompassen enthalten seien [...]. (Jakobs, 43)
Zielstellung ist hier zumindest (partei)offizieller Sprachgebrauch. Über die Frage, inwieweit die FDJ Gepflogenheiten des sowjetischen Jugendverbands "Komzomol" übernommen hat und inwieweit die Bezeichnungen für Verhaltensweisen und Gebräuche wörtlich übersetzt wurden, läßt sich hier nur spekulieren; fest steht, daß die DDR sich eng an die Sowjetunion angelehnt hat und erst in den 80er Jahren eigene Entwicklungen betonte. G.D. Schmidt könnte von daher mit seiner Annahme, bei Zielstellung handle es sich um eine Lehnbildung, recht haben. Der Ausdruck begegnete oft in Verlautbarungen der Partei, aber auch in Inhaltsverzeichnissen wissenschaftlicher Arbeiten und nicht zuletzt in der Alltagssprache, oft als Syntagma wir haben uns das Ziel gestellt... Die Romane geben einen subtilen Einblick in das alltägliche Leben in der DDR vor dem Umsturz. Die Lexeme Aktiv, Brigade und Kollektiv bezeichnen eine für das gesellschaftliche System der DDR grundlegende Arbeits- und Lebensform: das Arbeiten, Leben und Lernen im Kollektiv. Das Eingebundensein in eine Gruppe, die Zugehörigkeit und Geborgenheit bot, aber auch stark nivellierenden Druck ausübte, ist eine Erfahrung, die Menschen in der DDR weit über das Arbeitsleben hinaus geprägt hat. Theateranrecht, Urlaubsplätze, Wohnraumlenkung u.a. geben einen Einblick in die Art, wie der Alltag gestaltet wurde; daß fast nichts ohne die Betriebe oder ein 'übergeordnetes Organ' "lief". Die Wörter markieren die soziale Sicherheit, die in der DDR bestanden hat, aber auch die Abhängigkeit von den Behörden, die diese Sicherheit vermittelten. Die Datsche steht als Ausdruck für den Rückzug ins Private, sie diente als Nische, um sich dem permanenten politischen Einfluß und der Abhängigkeit zu entziehen.
83 G.D. Schmidt 1987, 40.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Es gibt auch Wörter, die mit dem Gesellschaftssystem nur sehr mittelbar verbunden sind. Plaste, Kabinett, Rekonstruktion oder Zielstellung mögen zwar aus dem Russischen (bedeutungs-)entlehnt worden sein, aber das ist eine eher nebensächliche Beobachtung. Sie haben sich eingebürgert, teilweise in der Kurzform, z.B. Reko-WohnungS4. Diese Lexeme sind typisch für die Kommunikationsgemeinschaft der DDR bzw. der neuen Bundesländer, aber nicht 'sozialismustypisch'.
2.2
Adjektive
2.2.1
Attribuierung ideologischer Kernbegriffe
Die Herrschaft einer einzigen Partei und der dazugehörigen Ideologie führte in der DDR zur "Ideologisierung eines zentralen Teils der offiziellen Sprache" 85 . Ideologien werden nicht nur durch Substantive ausgedrückt, sondern gerade auch durch Adjektive, die Begriffe oder Gegenstände charakterisieren, die mit dem Substantiv genannt sind. Die meisten der politischen und ökonomischen Kernbegriffe in der Gesellschaft der DDR werden mit einem Attribut ausgestattet, das den jeweiligen Begriff auf eine sozialistische Bedeutung festlegt. Gesinnung erhält beispielsweise durch das Attribut fortschrittlich einen spezifischen Sinn, der auf sozialistische Deutungsmuster von Realität verweist. Ebenso deutet die Attribuierung von Großbetrieb durch volkseigen auf sozialistische Eigentums- und Produktionsverhältnisse hin. Am häufigsten werden Kernbegriffe durch das Attribut sozialistisch charakterisiert.86 Andere typische Attribute sind fortschrittlich, progressiv, kollektiv, volkseigen, werktätig. Diese Adjektive versehen ihre Bezugswörter semantisch mit positiven Merkmalen im Sinne des Sozialismus.
2.2.1.1
sozialistisch
sozialistisch/e/er/es arbeitender Betrieb Arbeitsgemeinschaft Aufbau
(Neutsch) (Neutsch) (Brezan)
84 Eine sanierte Altbauwohnung. 85 Schlosser 1990, 60. 86 Das trifft sowohl für die gesellschaftliche Wirklichkeit als auch für die erzählende Literatur zu.
Adjektive
Bauweise Bedingungen Bewußtsein Brigade Demokratie Denken Einstellung zur Arbeit Ethik Gemeinschaftsarbeit Gesetzlichkeit Heimat Hilfe Jugendverband Kollektiv Kulturtradition Land Leitungsmethoden Moral Presse Romantik Umgestaltung Wettbewerb
65
(Neutsch) (Maron) (Neutsch) (Neutsch) (Maron) (Neutsch) (Neutsch) (Reimann) (Neutsch) (Claudius 1957, Brezan) (Johnson) (Jakobs) (Hein 1982) (Maron) (de Bruyn) (Maron) (Neutsch) (Claudius 1957, Jakobs) (Neutsch) (Jakobs) (Neutsch) (Claudius 1957, Neutsch, Maron)
Die Determination gesellschaftlich wichtiger Begriffe durch das Attribut sozialistisch instrumentalisiert diese Begriffe und die dadurch bezeichnete Wirklichkeit im Sinne einer sozialistischen Interpretation von Gegenwart und Zukunft. Gleichzeitig werden die Denotate aufgewertet unter dem Aspekt des Neuen, Fortschrittlichen, qualitativ Höheren, das gemäß der marxistischleninistischen Ideologie durch den Sozialismus erreicht worden ist. Einige Attribuierungen - vor allem im philosophischen Bereich - bleiben vage, es wird nicht deutlich, was ein mit sozialistisch bestimmtes Substantiv genau bedeuten soll, welche Inhalte und Vorstellungen es bezeichnet. Was ist z.B. sozialistische Ethik, Moral, Hilfe, sozialistisches Bewußtsein, Denken? Das Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie schreibt, daß die sozialistische Moral eine "objektiv neue Stufe in der Moral" bedeute, "weil sie auf den sozialistischen Produktionsverhältnissen" beruhe. Man erfährt auch, daß die grundlegenden Werte und Normen der sozialistischen Moral "bereits tief im Denken und Handeln der Werktätigen verankert" seien.87 Man vermutet, daß die Arbeitsmoral bzw. eine positive Grundhaltung zur Arbeit, die sich wiederum aus den Produktionsverhältnissen ergeben soll, als entscheidendes Merkmal sozialistischer Moral gilt. Aber was letztlich das So87 Zitate aus dem Wörterbuch der marxistisch-leninistisch Philosophie, 351.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
zialistische an der Moral oder Ethik ist bzw. was ihre "grundlegenden Werte und Normen" sind, bleibt offen. Das Attribut sozialistisch bezeichnet bei seinen Beziehungswörtern selten etwas Reales, sondern meist etwas Erwünschtes, Angestrebtes, Ideales. "Die Uneindeutigkeit, ob s. etwas Empirisches oder etwas Seinsollendes meint, wird bewußt aufrechterhalten und legt [...] einen verklärenden Schleier über die schnöde Tatsächlichkeit."88 Im Kleinen politischen Wörterbuch des SEDeigenen Dietz-Verlags bleiben beispielsweise alle mit sozialistisch attribuierten Begriffe (z.B. Gemeinschaftsarbeit, Gesetzlichkeit, Rationalisierung u.a.) trotz seitenlanger Definitionen seltsam vage, da sie zum einen unhinterfragt als "unmittelbare Konsequenz" oder "gesetzmäßiges Ergebnis" der sozialistischen Produktionsverhältnisse betrachtet werden, zum anderen erwünschte und nicht unbedingt tatsächliche Inhalte zur Begriffsdefinition herangezogen werden. So wird z.B. behauptet, daß sozialistische Gemeinschaftsarbeit "als unmittelbare Konsequenz der sozialistischen Produktionsverhältnisse" durch "gegenseitige Hilfe und kameradschaftliche Zusammenarbeit" gekennzeichnet sei. 89 Nach der Analyse des bulgarischen Soziologen Stojanov besteht "die entscheidende Aufgabe der [kommunistischen] Ideologie [...] darin, die Realitätswahrnehmung utopisch zu verzerren."90 Der Roman Spur der Steine von Erik Neutsch ist ein Beispiel für die uneindeutige Verwendung des Attributs sozialistisch. Neutsch ist der Autor, der das Adjektiv am häufigsten gebraucht, im Gegensatz zu anderen Autoren auch ohne Ironie, sondern ganz im Einklang mit der herrschenden Partei. Ebenso vage ist von daher die Kennzeichnung bestimmter Arbeits- und Verhaltensweisen, Methoden u.ä. durch das Attribut sozialistisch. Die so beschriebene uneindeutige Verwendung wird besonders deutlich in einem Telegramm, das die "Betriebsparteiorganisation" der "Chemiebaustelle Schkonawerke" an ihren zuständigen Kreissekretär schickt. Teilen hierdurch mit, daß heute ab vierzehn Uhr in Schkona mit dem komplexen und industriellen Bauen [...] begonnen wurde. Es ist das Ergebnis sozialistischer Gemeinschaftsarbeit. [...] Alle Schichten arbeiten als Komplexbrigaden, und zwar a) im sozialistischen Wettbewerb, b) im Objektlohn, c) mit täglicher Planaufschlüsselung. Trotz der schwierigen Bedingungen im Winter haben wir damit die alte traditionelle Bauweise durchbrochen und einen neuen Weg beschritten, nach dem Vorbild eines exakt sozialistisch arbeitenden Industriebetriebes. (Neutsch, 317)
Sozialistischer Wettbewerb ist der Begriff, der noch am ehesten zu bestimmen ist. Er ist der Versuch, Leistungs- und Produktionssteigerung ohne 88 Ahrends 1989, 154. 89 Kleines politisches Wörterbuch, 868. 90 Stojanov 1991, 40; vgl. Kap. 7.
Adjektive
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'kapitalistischen Konkurrenzkampf' herzustellen. Einzelne Brigaden oder Betriebe sollen untereinander um die besten Arbeitsergebnisse kämpfen, wobei auch Qualität und Materialeinsparungen berücksichtigt werden. Der Begriff ist eine bewußte Gegenbildung zum Lexem Konkurrenz, das in der Planwirtschaft keine Existenzgrundlage hat. Hier liegt eine doppelte Aufwertung vor, erstens durch das Ersetzen von Konkurrenz durch Wettbewerb, zweitens durch die Attribuierung mit sozialistisch, die dem Lexem Wettbewerb zusätzlich die Eigenschaften 'kollegial, kameradschaftlich, Hilfe leistend' verleiht. Sozialistische Gemeinschaftsarbeit ist eine Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse, denn das Dreischichtsystem wurde auf der Baustelle aufgrund eines Parteibeschlusses eingeführt, der für die Beschäftigten verbindlichen Charakter hatte und den der Parteisekretär der Baustelle unter hohem persönlichen Einsatz durchsetzen mußte. Natürlich war es im Endeffekt so, daß alle Brigaden mitzogen (es blieb ihnen auch nichts anderes übrig), so daß dann auch von sozialistischer Gemeinschaftsarbeit gesprochen werden konnte.91 Was unter einem "exakt sozialistisch arbeitenden Industriebetrieb" zu verstehen ist, bleibt offen. Es geht auch gar nicht um die genaue Beschreibung der Inhalte, vielmehr soll durch das Attribut sozialistisch das Neue, Bessere beschworen werden, das auf der Baustelle (und anderswo) Einzug gehalten hat. Utopie und Realität vermischen sich miteinander. Der Wunsch, in der Wirklichkeit ideale Verhältnisse zu erreichen, wird mit dem Adjektiv sozialistisch ausgedrückt, das positive Konnotationen hervorrufen soll, aber unklar läßt, ob das Positive schon erreicht oder nur Wunschdenken ist. Je unvollkommener sich die Realität gebärdet, desto 'sozialistischer' wird ihr sprachlicher Ausdruck durch die Partei. Monika Maron nimmt in ihrem Roman Flugasche genau zu diesem Thema Stellung. Ihre 'Heldin', die Journalistin Josefa Nadler, soll eine Reportage über Bitterfeld schreiben und inspiziert dort ein Kraftwerk. Ich laufe schneller, weg hier, weg von dem Gestank, dem Dreck, weg von den gebeugten Menschen in den Aschekammern. [...] vor zwanzig Jahren heizte ein Heizer zwei Öfen, jetzt heizt er vier, und die meisten Heizer sind inzwischen Frauen. Dafür sind sie jetzt ein sozialistisches Kollektiv. Ist das der Fortschritt, Luise? Liegt darin unsere höhere Gerechtigkeit, die gerechtere Verteilung des Reichtums, der Arbeit, der Luft? (Maron, 20)
91 Das fiktive Telegramm bei Neutsch gibt sehr gut den Stil der Briefe wieder, die Arbeitskollektive im Neuen Deutschland mit der Anrede "Werter Genösse Erich Honecker" schrieben, um ihm und der Öffentlichkeit von ihren Produktionserfolgen zu berichten.
68
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
2 . 2 . 1 . 2 fortschrittlich bzw. progressiv fortschrittliche/er/es Gesinnung Theater Chirurg Historiker Kollegin
(Brezan) (Brezan) (Kant) (de Bruyn) (Brasch)
progressive/er Traditionen Märker92 Dichter Historiker und Dichter Luftbewegung
(de Bruyn) (de Bruyn) (de Bruyn) (de Bruyn) (Kant)93
Fortschrittlich und progressiv sind Synonyme, ihre Bedeutung ist festgelegt auf "für den gesellschaftlichen Fortschritt, [...] für den Sozialismus] eintretend". (Handwörterbuch) Die Attribute sind positiv konnotiert und fast gleichbedeutend mit sozialistisch. Als fortschrittlich/progressiv gilt in der DDR eine Person, die sich zur führenden Rolle der SED bekennt. Außerhalb sozialistischer Gesellschaftsordungen bezieht sich die Klassifizierung auf Personen oder Einstellungen, die explizit antikapitalistisch ausgerichtet sind. In historischen Darstellungen werden allerdings auch Personen für 'den Fortschritt' im sozialistischen Sinn beansprucht, die das nicht unbedingt waren oder sein wollten. Ein ironisches Beispiel hierfür gibt Günter de Bruyn in seiner Erzählung Märkische Forschungen. Ein märkischer Dichter, "Max Schwedenow, geboren 1770, gestorben 1813" (de Bruyn, 12), wird von einem parteitreuen Germanistikprofessor namens Menzel der Vergessenheit entrissen und dem sozialistischen Kulturerbe dienstbar gemacht. Schwedenow wird als "fortschrittlicher Historiker und revolutionärer Dichter" (12) klassifiziert, durch seine, Menzels, Arbeit wird der progressive Historiker und Dichter bald fester Bestandteil sozialistischer Kulturtradition sein. (142)
Interessierte sollen sich "das Werk des progessiven Märkers" (62) aneignen.94 92 "das Werk des progressiven Märkers" (de Bruyn, 63); gemeint ist ein Dichter aus der Mark Brandenburg. 93 iron. "Ja, wenn es nicht "Vom Winde verweht1 gewesen wäre, sondern 'Der Sturm' von Ilja Ehrenburg oder sonst etwas mit einer progressiven Luftbewegung [...]". (Kant, 13). 94 Nebenbei wird die Leserin bzw. der Leser mit den Arbeitsmethoden Menzels konfrontiert: "Um zu verhindern, daB der Leser die eine Stelle, an der von Revolution die Rede ist, gar nicht bemerkt, behandelt er sie auf 45 Seiten." (65).
Adjektive
69
De Bruyn verarbeitet in seiner Erzählung offiziellen Wortschatz, distanziert sich aber gleichzeitig davon, indem er die Wörter, speziell die Adjektive, ironisch verwendet.95
2.2.1.3 kollektiv, volkseigen, werktätig Diese Adjektive dienen der Charakterisierung sozialistischer Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Kollektive Arbeit, kollektive Leitung besagt, daß Arbeit nicht allein getan, eine Entscheidung nicht individuell getroffen werden soll, d.h. Aufgaben nicht individuell, sondern im Rahmen einer Gruppe gelöst werden sollen. Das Arbeiten, Leben und Lernen im Kollektiv gehört zu den Grundelementen des Sozialismus. Bock hat versagt, in jeder Hinsicht. Seine Arbeit war keine kollektive [...]. Vor drei Tagen fand eine Sitzung statt, [...] in der er den Auftrag bekam, innerhalb von zwei Tagen eine kollektive Leitung zu bilden. (Claudius 1951, 197).
Volkseigen und werktätig beziehen sich auf die Eigentumsstrukturen in der sozialistischen Gesellschaft. Die Produktionsmittel befinden sich nicht in Privatbesitz, sondern sind 'dem Volk eigen', Volkseigentum, deshalb die Attribuierungen volkseigener Betrieb, volkseigenes Kombinat etc. 96 Auch werktätig hat eine festgelegte Bedeutung, die mit berufstätig nicht hinreichend erklärt ist. Die Wendung "werktätige Bäuerin" (Claudius 1957, 295) besagt z.B., daß eine so bezeichnete Bäuerin Mitglied einer LPG ist, d.h. Anteil am Volkseigentum hat. In der Umgangssprache sind Attribuierungen mit werktätig vielfach zu ironischen Wendungen geworden. Jenny brühte Tee, dann saßen sie alle um den Tisch und sahen andächtig zu, wie der werktätige Mensch aß und trank. (Wolf 1989, 168)
2.2.2 Prädikativer Gebrauch DDR-typischer Adjektive Einige vorwiegend attributiv verwendete Adjektive können auch prädikativ gebraucht werden, z.B. der Betrieb ist volkseigen, die Person ist republikßüchtig.
95 Ein Verfahren, das Uwe Johnson in seinem Roman Ingrid Babendererde noch durchgängiger und feinsinniger anwendet, vgl. 6.2.4. 96 Volkseigentum wurde in Polen und der Sowjetunion als sozialistisches bezeichnet, was der Realität auch eher entsprach; vgl. Kap. 6.
Staatseigentum
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme Zufällig fiel der Empfangsabend für die Waggonbauer beim Rat der Stadt veranstaltet, weil das Werk, eines der größten im Stadtbezirk, fünfzehn Jahre volkseigen war - genau auf den Tag der ersten vollständigen Planerfüllung seit Monaten. (Wolf 1963, 81) 'Riek? Ist das der ...?' - 'Ja, der Republikflüchtige.' - 'Völlig richtig, republikflüchtig, [...] ich meine, über solche Elemente sollte auf keinen Fall gesprochen werden.' (Kant, 182). Die Akte 'Fiebach' stand an ihrem Platz und die Akte 'Nonnenmacher' auch. In beide war ein DIN A4 eingeheftet, und darauf stand mit dickem Rotstift: 'rf.' (Kant, 186).
Claudius greift in seinem Landwirtschaftsroman eine der Parolen auf, die in den 50er Jahren zur Bildung der Genossenschaften ausgegeben wurden, und die hier als Beispiel für den prädikativen Gebrauch von Adjektiven dienen kann: Unten im Keller werden wir, die Genossenschaft, eine Wäscherei bauen. [...] Und eine Duschanlage werden wir auch bauen. Kulturell und sauber muß auch unser Dorfleben werden. (Claudius 1957, 268)
2.2.3 Adverbialer Gebrauch DDR-typischer Adjektive In den Romanen finden sich einige Beispiele zu diesem Thema. Es wird kollektiv gearbeitet (Marchwitza), sozialistisch gegrüßt (de Bruyn), ein Drama wird agitatorisch gestaltet (Brezan), die fünf Punkte des sozialistischen Realismus werden allseitig erfüllt (Kant). Am eindrucksvollsten ist ein Spruchband in der Aula der Gustav-Adolf-Oberschule in Johnsons Roman Ingrid Babendererde. An der Stirnwand war unübersehbar eine grosse rote Fahne an die Wand genagelt, darauf hatte die 9BI die Losung befestigt aus einzelnen weissen Pappbuchstaben: REINIGT WACHSAM UND UNERBITTLICH UNSERE REIHEN VON DEN FEINDEN UNSERER DEMOKRATISCHEN ORDNUNG. Der siebenunddreissigste Buchstabe hing schief. (Johnson, 140) 97
Adverbien dienen dazu, durch ein Verb ausgedrückte Tätigkeiten oder Handlungen im Hinblick auf ihre Art oder Beschaffenheit näher zu charakterisieren. Die Adverbien in den Literaturbeispielen bestimmen die Verben im Blick auf eine 'sozialistische' Interpretation bzw. Determination von Handlungen. Im Ulbricht-Zitat bei Marchwitza "Arbeitet kollektiv!" (444) legt das
97 Kapitälchen bei Johnson.
Adverbialer Gebrauch DDR-typischer Adjektive
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Adverb kollektiv z.B. fest, wie unter sozialistischen Bedingungen gearbeitet werden soll. Ebenso sind Wachsamkeit und Unerbittlichkeit Eigenschaften des 'Kämpfers für den Sozialismus'. Die beiden Adverbien auf dem Spruchband bei Johnson sind von daher nicht zufällig gewählt, obwohl sie formal - im Gegensatz zu kollektiv oder allseitig - nicht DDR-typisch sind. In bezug auf ihre semantische Umgebung sind sie aber charakteristisch für den politischen Sprachgebrauch in der DDR der 50er Jahre.
2.2.4 Adjektive bei Uwe Johnson In Johnsons Roman Ingrid Babendererde steht die Abiturklasse einer mecklenburgischen Oberschule Anfang der 50er Jahre im Mittelpunkt des Erzählinteresses. Schüler- und Lehrerschaft sind gespalten in der Frage, ob sie für oder gegen die 'neue Ordnung' sind. Durch die harte Haltung des Schulleiters, der den Sozialismus an der Schule um jeden Preis einführen will, auch mit Hilfe der Staatssicherheit, kommt es zu vielen Auseinandersetzungen, die meist in der Form von Reden auf Schul Versammlungen ausgetragen werden. Die Kommunikationspartner sind dabei ungleich. Am Ende einer Versammlung wird in der Regel die Relegation eines Schülers beschlossen, der wegen seiner Einstellung und seines Verhaltens kein "würdiger Schüler einer demokratischen [ = sozialistischen] Oberschule" ist. (Johnson, 143). Vielen Schülern und Lehrern macht der neue, 'sozialistische' Lehrstoff, aber auch das neue Vokabular zu schaffen. Die Schulatmosphäre ist aufgeladen durch die ständige Anwesenheit sprachlicher und bildlicher Symbole des Sozialismus. Im Treppenhaus und in der Aula hängen Spruchbänder und rote Fahnen, in jedem Klassenzimmer befindet sich "an der Stirnseite" ein Stalinbild, der Schulleiter und andere Genossen, aber auch der Erzähler, sprechen "Hoch-DDRsch, gepflegt bürokratisch, voll hochtönender Substantiva, die mit den entsprechenden Adjektiven verbrämt werden [...]. " 9 8 . Die Leser bekommen den offiziellen politischen Wortschatz durchgängig in einer feinsinnigen Ironie vermittelt. Von allen Romanen der 1. Gruppe bietet Ingrid Babendererde den differenziertesten Einblick in die Gesellschaft der DDR Anfang der 50er Jahre. Johnson ermöglicht dem Leser beides: das Kennenlernen des offiziellen Sprachgebrauchs und die kritische Distanzierung von ihm. Auffällig sind die vielen Attribuierungen, die reine Zitatwörter sind und vom Erzähler mit ironischer Distanz in das Geschehen eingeflochten werden.
98 Stefan Heym, Wege und Umwege - Streitbare Schriften aus fünf Jahrzehnten. München 1980, 346.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Die dem Wortschatz der SED entnommenen Adjektive lauten: allseitig bedeutend demokratisch fröhlich und geordnet großartig heroisch kapitalistisch lebendig nützlich sozialistisch versöhnlerisch wachsam und unerbittlich" Die Attribuierungen sind ein subtiles Beispiel für ideologisches Sprachverhalten. Die feste Verbindung von Substantiv und verstärkendem Adjektiv gehörte zu den einfachsten Elementen des offiziellen Sprachgebrauchs in der DDR während des ganzen Zeitraums ihres Bestehens. Im Roman ist es vorwiegend der Leiter und 'Chefideologe' der Schule, der die Attribuierungen verwendet, aber auch der Erzähler benutzt sie, wobei klar ist, daß das nicht seine Sprache ist. Im folgenden wird aus den Textpassagen zitiert, in denen die Lexeme jeweils vorkommen. Dadurch kann ein genauerer Einblick in die (Sprach-) Welt des Romans vermittelt werden. Gleichzeitig wird deutlich, welche Substantive und Verben durch ein Attribut näher charakterisiert bzw. determiniert werden. Auf dem Flur waren bedeutende Vorbereitungen getroffen worden anlässlich des Empfangs für den allseitig verehrten Direktor der Gustav Adolf-Oberschule. (137) 1 0 0
Allseitig und bedeutend waren bis zur Wende hochfrequente Adjektive. Sie sagen nichts weiter über ihr Bezugswort aus, werten es aber auf und verleihen der ganzen Satzaussage einen pathetischen Zug. Die Ironie ergibt sich aus dem Kontext des Satzes. Es handelt sich um einen Schülerstreich und nicht etwa um einen 'würdevollen' Empfang. Der Streich ist allerdings von einer Qualität, die bedeutend und allseitig passend erscheinen läßt. Und da hab ich ihr klar gemacht dass die demokratische Presse nie lügt. Im Gegensatz zur kapitalistischen Presse in Westdeutschland [...]. (53)
99 VgJ. 2.2.3. 100 Kursivierung in den Zitaten von der Verfasserin; Rechtschreibung (ss für ß) und Zeichensetzung ('Weglassen' von Kommata) in diesem und den folgenden Zitaten im Original.
Adjektive bei Uwe Johnson
73
Ein Schüler, der Mitglied der SED ist, versucht einem Mitglied der "Jungen Gemeinde1'101 die Unterschiede zwischen der Presse in den beiden deutschen Staaten klar zu machen (und seine Mitschülerin zum Austritt aus der Jungen Gemeinde zu bewegen). Demokratisch = sozialistisch und kapitalistisch sind reine Gegensatzpaare im Sinne von 'gut' und 'schlecht'. Das jeweils attribuierte Substantiv erhält dadurch ein positives oder negatives Bedeutungsmerkmal. Eine Kommission des Ministeriums für Volksbildung und der Sozialistischen Einheitspartei fand das fröhliche und geordnete Jugendleben des Internatskollektivs vor und überzeugte sich in einer Geschichtsstunde der 10BI [...] von den höheren Fähigkeiten des langjährigen Genossen Siebmann [Schulleiter] und seiner lebendigen Verbindung zu den Massen. (160)
Fröhliches Jugendleben war vor allem in den 50er und 60er Jahren in der DDR eine feste Wortverbindung. In noch zwei anderen Romanen kommt die Wendung vor: bei Claudius (1957): Die Organisierung des fröhlichen Jugendlebens ist eine politische Aufgabe der gesamten Jugend [...]. (319),
und bei Kant: Verrate dem Jugendverband das Geheimnis fröhlichen Lebens. (285).
Das bissige Zitat des Erzählers bei Johnson trifft die Realität eines staatlich gelenkten Jugendverbandes sehr genau. Die Schüler des Internats sind ausnahmslos Mitglieder der FDJ, sie sind fröhlich (bzw. das, was Funktionäre darunter verstehen), aber die SED hat alles im Griff. Deswegen kann ihr Zustand als fröhliches und geordnetes Jugendleben beschrieben werden. Im Roman von Claudius ist es ähnlich. Dort heißt es weiter unten, man kann sie [die Aufgabe des fröhlichen Jugendlebens] nicht dem Selbstlauf überlassen (319).
Lebendige Verbindung ist ebenfalls eine feststehende Redewendung. Die Verbindung eines Genossen zu den Volksmassen war immer lebendig. Und Ahnst [Ernst] berichtete mit ebensolcher Aussprache über die grossartige Umgestaltung, die die Natur erfahren hatte in der Sowjetunion. (16)
Die Sowjetunion bzw. die Freundschaft der DDR zur Führungsmacht und den anderen Warschauer Vertragsstaaten wurde stets mit pathetisch steigernden Adjektiven ausgedrückt: unverbrüchlich, grossartig, ruhmreich etc. [Schulleiter:][...] was sage Peter Beetz nämlich zu dieser Schändung der heroischen Revolutionsgeschichte des deutschen Volkes? (143)
101 Evangelische Jugendgmppe in der DDR.
74
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Die Schändung besteht darin, daß die Junge Gemeinde "die Stellung Martin Luthers im deutschen Bauernkrieg christlich gedeutet" habe (142f.). Das Adjektiv heroisch verleiht, ähnlich wie allseitig und grossartig, seinem Bezugswort eine Steigerung ins Pathetische. Inhaltliche Informationen gibt es nicht, das Attribut dient dazu, das 'Verwerfliche' an der Aussage der Jungen Gemeinde zu unterstreichen. Durch seine Verwendung des Wortes heroisch entlarvt der Schulleiter seine Nähe zur "LH". 1 0 2 Er [Schulleiter] schlug vor eine Ermahnung für den Genossen Petersen [Schüler] wegen eigenmächtigen und parteischädigenden (versöhnlerischen) Verhaltens. [...] - Sei das Verhalten des Schülers Seevken nicht auch eine Eigenmächtigkeit gewesen? - Aber. Eine nützlichel [...] Eine, die uns vorwärtsbringt! (114)
'Nützliches' und 'schädliches' Verhalten im Sinne der SED werden hier gegenübergestellt. Versöhnlerisch ist ein Beispiel dafür, wie durch Wortbildungsmorpheme Wertungen ausgedrückt werden können. Die Suffixerweiterung -erisch verleiht dem an sich neutralen bzw. positiven Denotat von versöhnlich eine negative Komponente.103 [Schulleiter:] Die illegale Verbrecherorganisation. Vom kapitalistischen Ausland bezahlter Volksfeinde!... Die in der sozialistischen Heimat ihre reaktionäre Irrlehre verbreiten! (141) 1 0 4
Kapitalistisches Ausland und sozialistische Heimat sind die beiden Gegensatzpaare, deren substantivische Komponente jeweils von einem negativ bzw. positiv konnotierten Adjektiv begleitet werden. Ist Ausland ein eher nüchterner Begriff, so erweckt Heimat stark emotionale Assoziationen wie Geborgenheit, Vertrautheit, Schutz. Dieser gefühlsbetonte Begriff wird positiv verstärkt durch das Attribut sozialistisch. Ausland dagegen wird negativ gedeutet durch kapitalistisch. Bedrohliches Ausland - Schutz bietende, aber auch Schutz fordernde Heimat. Der Schulleiter ist ein geübter Demagoge. Seine Rede zielt darauf ab, die Schulversammlung zur Zustimmung zum Verweis von der Schule einiger Mitschüler zu bewegen. Durch die beiden determinierten Substantive nagelt er die Versammlung auf ein klares Entweder-Oder fest: entweder für die sozialistische Heimat oder für das kapitalistische Ausland. Die Versammlung entscheidet sich mehrheitlich für die sozialistische Heimat.
102 LTI = Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reiches (Titel eines Buches von Victor Klemperer über die Sprache im Nationalsozialismus); vgl. Kap. 7.3. 103 Vgl. Kap.7.1. 104 Gemeint ist die Junge Gemeinde.
Adjektive bei Uwe Johnson
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Die Distanz des Erzählers drückt Johnson, das wurde schon gesagt, durch Ironie aus, aber auch durch Satzbau und Orthographie. Eine weitere Möglichkeit der Distanzierung von der herrschenden politischen Linie bietet die Darstellung der Parteimitglieder in ihrer Typenhaftigkeit. Es gibt einige Textstellen, in denen führende Genossen seltsam gesichts- und konturlos bleiben. Man spürt ihre Anwesenheit, auch ihre Macht, aber der Erzähler läßt sie nicht aus ihrer Anonymität herauskommen. Er verweigert ihnen die Personalität. Auch das gelingt ihm mit Hilfe der Wortbildungskonstruktion Substantiv + Adjektivattribut. Hinter Pius [Schulleiter] befand sich an ebenso rot verhängten Tischen das Präsidium. In dem waren vier völlig fremde Gesichter über blauen Hemden, ein Platz war frei. (141) [...] sie sahen bald nur noch den grossen Rücken von Peter Beetz und die vorruckenden Oberkörper über den rot verhängten Tischen und sie [i.e. die vorruckenden Oberkörper] sagten: Peter Beetz sei doch illegal [...]. (142)
2.3 Verben Die Wortart, die Handlungen und Tätigkeiten ausdrückt, macht in der Gruppe der DDR-typischen Lexeme den kleinsten Teil aus. Im 1. Kapitel wurde gesagt, daß oft nicht die Wörter selbst DDR-typisch sind, sondern ihre Kollokationen. Das gilt besonders für die Verben. Ihre semantisch bedingte Verknüpfung mit Substantiven und Präpositionen sowie ihre außersprachlichen Referenzbezüge lassen einige im deutschen Wortschatz allgemein vorhandene Verben zu DDR-typischen Lexemen werden: abrechnen agitieren bürgen für delegieren den Plan erfüllen überbieten einreihen exen quer liegen zur Fahne dürfen im Wettbewerb stehen in die Produktion gehen enteignen kollektivieren
(Reimann) (Strittmatter 1963, Kant, Tetzner) (Reimann) (Kant) (Seghers, Reimann, Wolf 1963, Maron) (Tetzner) (Plenzdorf) (Plenzdorf) (Plenzdorf) (Plenzdorf) (Seghers) (Reimann) (Gotsche, Claudius, Johnson, Brezan, Neutsch) (Neutsch)
76
Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
raboten rübermachen sich bewähren sich verpflichten
(Strittmatter 1954)105 (Reimann)106 (Gotsche, Brasch, Schütz 1980) (Reimann, Jakobs, Schütz 1986)
Abrechnen und die verbalen Syntagmen den Plan erfüllen bzw. überbieten, im Wettbewerb stehen, in die Produktion gehen, sich verpflichten gehören in den Kommunikationsbereich "Produktion". Abrechnen hatte innerhalb der Planwirtschaft der DDR eine ganz bestimmte Bedeutung. Die einzelnen Beschäftigten und Kollektive hatten Arbeitspläne (Planaufträge) zu erfüllen, die mit dem Gesamtplan des jeweiligen Betriebs abgestimmt waren. Die Brigaden mußten abrechenbare Leistungen erbringen.107 Im Rahmen des 'sozialistischen Wettbewerbs' wurde darüber hinaus von den Brigaden erwartet, daß sie die vorgegebenen Produktionspläne vorfristig erfüllten oder überboten. Preuß war erst vor einer Woche in die Brigade gekommen. Er war zehn Jahre lang Lehrausbilder gewesen. Als er den zweiten Tag in der Armaturenschlosserei war, rechneten sie mit 150% ab, und niemand hatte gepfuscht. (Reimann, 116) Jede Woche steht etwas in der Zeitung über B., [...] über vorfristig erfüllte Pläne [...]. (Maron, 21)
Im Wettbewerb stehen besagt, daß eine Brigade im Rahmen des 'sozialistischen Wettbewerbs' im inner- oder überbetrieblichen Vergleich um die besten Arbeitsergebnisse 'kämpft'. Zuerst soll eine Brigade hier in Neustadt mit der anderen im Wettbewerb stehen und dann wir alle zusammen mit der Dresdener Fabrik. (Seghers, 285)
In die Produktion gehen war eine typische Formulierung vor allem in der Zeit des "Bitterfelder Weges". Intellektuelle sollten für einige Zeit in einem Betrieb arbeiten und dadurch das Leben der Arbeiter und die Produktionsabläufe besser kennenlernen. Brigitte Reimann, die selbst in der "Schwarzen Pumpe" in Hoyerswerda arbeitete, erzählt in ihrem Roman von drei Abiturienten, die vor Aufnahme ihres Studiums für ein Jahr in eine Fabrik gehen. [Schulleiter] Sie wissen, daß ich es für gesund und nützlich halte, wenn die Abiturienten für ein Jahr in die Produktion gehen. (Reimann, 16)
Im Rahmen des 'sozialistischen Wettbewerbs' war es üblich, daß sich einzelne oder Kollektive zu etwas verpflichteten, z.B. zu Materialeinsparungen, zur Null-Fehler-Produktion u.ä. Man konnte (bzw. mußte) sich auch zur 105 Spöttisch für 'schwer arbeiten1, aus russ. rabotat. 106 Umgangssprachlich für 'in den Westen gehen'. 107 "abrechenbar (abrechenbare Leistungen) ist zu einem stehenden Begriff auch in der Umgangssprache der DDR geworden [...]." (Schlosser 1990, 208 Anm. 33).
Verben
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Teilnahme an einem Programm außerhalb der normalen Arbeit verpflichten, z.B. zum Ernteeinsatz oder zum Besuch einer Kulturveranstaltung. Die Brigade hat sich verpflichtet, unfallfrei zu arbeiten. (Reimann, 50) Anna mußte ins Theater gehn. Alle gingen. Sie hatten sich im Archiv laut Jahresplan dazu verpflichtet. (Schütz 1986, 266)
Agitieren, sich bewähren, delegieren und bürgen für können in den Kommunikationsbereich "Staat, Partei" eingeordnet werden. Agitieren war ein im politischen Bereich häufig benutztes Verb, da Agitation ein wesentlicher "Bestandteil der politischen Überzeugungs- und Erziehungsarbeit der SED" 108 war. Ole, der Vorsitzende der GEGENSEMGEN BAUERNHILFE, ging umher und agitierte. [...] Am schwersten war's für Ole, bei sich selber, also bei Anngret, für die gerechte Sache zu agitieren. (Strittmatter 1963, 80) 1 0 9
Die Agitation der SED, die im Gegensatz zur Propaganda auf breite Kreise der Bevölkerung zielte, bezweckte die "permanente und systematische Beeinflussung des Denkens und Handelns"110 der Menschen. Im Roman Karen W. von Gerti Tetzner wehrt sich ein Doktorand auf einem gegen ihn angestrengten Exmatrikulationsverfahren gegen den Anspruch, alle wissenschaftlichen Erkenntnisse mit der Parteilinie abstimmen zu müssen: Meine Aufgabe als zukünftiger Wissenschaftler besteht nicht im Absichern und Agitieren - dafür gibt es schon Leute genug. (Tetzner, 114)
Als Reaktion auf diese Äußerung fordern einige bei dem Verfahren anwesende Personen prompt, er solle sich erst einmal "in der Produktion bewähren". Bewährung in der Produktion war eine vor allem in den 50er bis 70er Jahren häufig angewandte Disziplinarmaßnahme für unbotmäßige Intellektuelle, aber z.B. auch für leitende Angestellte, die Fehler begangen hatten. In den 80er Jahren schickte die SED keinen mehr "in die Produktion" (zumindest nicht explizit). Die Maßnahmen der Exmatrikulation oder Verweigerung des Abiturs, die praktisch zur 'Arbeit in der Produktion1 führten, wurden aber bis zur Wende bei sich kritisch äußernden oder christlich orientierten Personen beibehalten. Dorothea wird exmatrikuliert, hinausgeschmissen. Sie soll sich in Hennigsdorf im Stahl- und Walzwerk bewähren. Einstimmig angenommen. (Schütz 1980, 45)
108 Ahrends 1989, 13. 109 Kapitälchen bei Strittmatter. HO Vgl. Anm. 104.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
Im Gegensatz zur zitierten Textstelle aus dem Roman Julia von Helga Schütz, die sich auf das Studium der Erzählerin an einer Arbeiter-und-BauernFakultät Anfang der 50er Jahre bezieht, erzählt Thomas Brasch von einem Arbeiter in den 70er Jahren, der die Gelegenheit bekommt aufzusteigen, aber dann gegen die 'sozialistische Moral' verstößt und degradiert wird. In seiner alten Abteilung wird er von heute an wieder als Dreher tätig sein und sich zu bewähren haben. Dies ist der Beschluß der Konfliktkommission. (Brasch, 99)
Delegieren bzw. delegiert werden ist ein Wort, das etwas über die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft bzw. in einem Betrieb aussagt. Ein Betriebsangehöriger konnte beispielsweise von seinem Betrieb zum Studium delegiert werden. Er oder sie hatte in diesem Betrieb eine Facharbeiterausbildung oder eine Berufsausbildung mit Abitur absolviert, hatte sich durch gute Arbeit ausgezeichnet und konnte dann auf Kosten des Betriebes an einer Hoch- oder Fachschule studieren. Da die Plätze für die EOS (Abiturstufe) bzw. ein Studium sehr begrenzt waren, nutzten einige Bürgerinnen und Bürger der DDR die Möglichkeit, von ihrem Betrieb eine Delegierung zum Studium zu erhalten. Die DDR, das macht dieser Begriff sehr deutlich, war eine Arbeits- und Versorgungsgesellschaft. Die Arbeitstelle hatte eine sehr viel größere Bedeutimg und weiterreichende Befugnisse für die einzelnen Beschäftigten, als das in der Bundesrepublik der Fall war. Über sie bekam man einen Urlaubsplatz, eventuell eine Wohnung, eine Delegierung zum Studium bzw. zur Weiterqualifizierung. Man wurde, wie es in der Umgangssprache hieß, hinbesorgt. H.D. Schlosser zitiert in seiner Monographie Die deutsche Sprache in der DDR aus einem Interwiew mit einer leitenden Angestellten der Deutschen Reichsbahn, die auf dieses Versorgtwerden durch den Betrieb hinweist. Die Frau äußerte sich zu ihrer beruflichen Laufbahn mit den Worten "sie sei zum Studium delegiert, also hinbesorgt worden".111 Delegieren im Sinne von zur Weiterbildung schicken muß es schon zur Gründungszeit der DDR gegeben haben, denn Kant erzählt in seinem ABF-Roman Die Aula, wie ein Waldarbeiter zum Studium an einer Arbeiter-und-Bauern-Fakultät gelangte, obwohl er selbst dies nicht wollte. Uns kommst du nicht aus, denn sie haben hier eine neue Erfindung gemacht, mit der man einen jeden überreden kann, auch wenn er nicht will, und sie nennen es: delegieren. Wir delegieren dich, und dann stehst du da, denn hier ist Demokratie. (Kant, 250)
Bei Jakobs wird ein Ingenieur auf eine Baustelle 'abgeordnet'. Auch dieser Vorgang wird delegieren genannt: 111 Schlosser 1990, 215 Anm.5; Interview vom 8.12.88; Kursivierung bei Schlosser.
Verben
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Hast du nicht Lust, zum Bau der Jugend nach Wartha zu gehn? Wir möchten dich gern dorthin delegieren. (Jakobs, 10)
Bürgen, für eine Person eintreten, war in der DDR eine übliche Einrichtung der Bewährungshilfe. Meist waren es das Arbeitskollektiv oder die Hausgemeinschaft, die für eine straffällig gewordene Person oder einen verhaltensauffälligen Jugendlichen bürgten und damit ermöglichten, eine Gefängnisstrafe oder Heimeinweisung auszusetzen. Bürgschaften gab es auch für ehemalige Inhaftierte, um ihnen die Reintegration zu erleichtern. In Reimanns Roman Ankunft im Alltag bürgt eine Brigade für einen Lehrling, der in einem Heim wohnt und schon einmal "nach Westberlin abgehauen" ist. Er müßte in die Charite, um sich einer Operation zu unterziehen, die Heimleitung willigt aber wegen seines Fluchtversuches nicht ein. 'Wir überreichen eine diplomatische Note, wir bürgen für Erwin, daß er nicht noch mal nach Westberlin abhaut.' [...] Rolf sollte am nächsten Morgen den Text der Bürgschaft aufsetzen und jeden aus der Brigade unterschreiben lassen; später würde dann eine Delegation, feierlich und energisch, der Heimleitung die Note überreichen. (Reimann, 200-202)
Einreihen, exen, quer liegen sind Wörter der Umgangs- bzw. der Jugendsprache. Die ironische Wendung zur Fahne dürfen kann auch noch dazugerechnet werden, wobei die hohe Frequenz des Verbs dürfen allgemein DDRtypisch war. Die Begriffe haben allesamt mit Anpassung bzw. Nichtanpassung an die bestehende sozialistische Ordnung zu tun. Einreihen bzw. eingereiht werden - der Vorgang wird eher an einer Person vollzogen, als daß sie selbst aktiv eingreift - bedeutet, in die sozialistische Gesellschaft eingegliedert zu werden und unauffällig seinen Alltag zu bestehen, d.h., sich in seinen Äußerungen zurückzuhalten und in bezug auf Verhalten und Kleidung den Rahmen einzuhalten. Quer liegen oder auch schräg diskutieren, sind Ausdrücke für das Verhalten einer Person, die in ihren Äußerungen von der Parteilinie abweicht. Die sprachlichen Bilder der 'Quer- oder Schräglage' beziehen sich auf die in der marxistisch-leninistischen Ideologie vorhandene Auffassung, die von einer sozialistischen Partei geäußerten Meinungen stünden wie gleichartige Halme aufrecht und fest, und kein Halm liege quer oder 'schwanke im Wind'. 112 Wer quer liegt oder schräg diskutiert, läuft Gefahr, geext zu werden. Exen bedeutet, eine Person von der EOS (Abiturstufe) oder Universität zu weisen. Es ist die Kurzform von exmatrikulieren. Die Wörter sind in Plenzdorf Die neuen Leiden des jungen W. belegt.
112 Von diesem Bild ist auch der Ausdruck eine schwankende Position beziehen abgeleitet, das Gegenteil von der Haltung 'einen festen (Klassen-) Standpunkt einnehmen'.
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Wortbildung der DDR-typischen Lexeme
[Edgar Wibeau erzählt von einem Film] Es ging um so einen Typ, der aus dem Bau kam und jetzt ein neues Leben anfangen wollte. Bis dahin hatte er wohl ziemlich quer gelegen, ich meine politisch [...]. Der Mann würde so lange auf ihn losreden, bis er alles einsah, und dann würden sie ihn hervorragend einreihen. Und so kam es dann auch. Er kam in eine prachtvolle Brigade mit einem prachtvollen Brigadier [...] und zuletzt durfte er dann auch noch zur Fahne. (Plenzdorf, 40)
Enteignen und kollektivieren sind zwei Verben aus der Phase der Bodenreform bzw. der Bildung von landwirtschaftlichen Genossenschaften (1945/46 bis ca. 1960). Sie wurden überwiegend passivisch gebraucht: enteignet werdenl13, kollektivieren lassen. Kollektivieren ist eine Bedeutungsentlehnung aus dem Russischen, kollektivizirovat'.114 Du bist noch nicht der letzte, der sich [...] gegen die Genossenschaft wehrt. Es sind auch nicht die schwächsten Bauern, die ihre Wirtschaft nicht kollektivieren lassen. (Neutsch, 107)
113 Vgl. Kap. 4. 114 Lehmann 1973, 272, bezeichnet kollektivieren als Lehnübersetzung.
3.
DDR-typische Paläologismen. Der Wortschatz der Nachkriegszeit bis Mitte der 60er Jahre
Ein Paläologismus ist - im Gegensatz zum Neologismus - ein Lexem, "das innerhalb einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft seine kommunikative Relevanz verloren hat oder nicht mehr als verwendungswürdig akzeptiert wird und deshalb als veraltet gilt."1 Nach dem Untergang der SED-Herrschaft 1989/90 gab es eine Fülle von Lexemen, die ad hoc veralteten, da ihre Denotate verschwanden, z.B. Arbeiter-und-Bauern-Inspektion, Betriebskollektivvertrag. Um diese Wörter geht es hier nicht, gemeint sind vielmehr Lexeme, die Gegenstände und Sachverhalte aus den ersten Jahren des Bestehens der DDR benennen und schon ab Mitte der 60er Jahre die Markierung 'historisch' erhielten. Es handelt sich dabei sowohl um Lexeme, die nach 1945 in der SBZ/DDR neu gebildet wurden, vielfach als Lehnwort oder Lehnübersetzung aus dem Russischen, z.B. Traktorist, Maschinen-Ausleih-Station, Arbeiter-und-Bauern-Fakultät, als auch um Lexeme, die zum traditionellen Wortschatz des Deutschen gehören, aber in einem neuen Kontext verwendet wurden, z.B. Bodenreform. Die Lexeme, die nach dem Krieg neu gebildet wurden, werden in der Forschung auch als Nachkriegsneologismen bezeichnet.2 Die Paläologismen werden zunächst in Kommunikationsbereiche eingeordnet und auf ihren spezifischen kommunikativen Gehalt hin überprüft. Darauf aufbauend werden die Motive für sprachliche Veränderungen anhand dreier Wortbeispiele analysiert. Des weiteren geht es um russischen Spracheinfluß und abschließend um die Funktionen von bestimmten Paläologismen im jeweiligen Text. Von der Umgestaltung des öffentlichen Lebens in eine sozialistische Gesellschaftsordnung waren ab 1945 in der SBZ/DDR alle Bereiche betroffen. Bei aller Kontinuität zentralistischer Strukturen3 waren die Eigentums- und Arbeitsverhältnisse einer grundlegenden Veränderung unterworfen. Bodenreform und Kollektivierung der Landwirtschaft, Verstaatlichung der Industriebetriebe, Vereinheitlichung des Schulwesens, Bildung von Massenorganisa1 G.D. Schmidt 1982, 131. 2 Ebd. 138. Die meisten der aus den Romanen gewonnenen Lexeme können als 'Nachkriegsneologismen' klassifiziert werden; da neue Wörter aber nicht nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern auch in den SOer Jahren gebildet wurden und diese bis etwa Anfang der 60er Jahre in Gebrauch waren, ist der Begriff 'Paläologismen' angemessener. 3 Wie Schlosser (1990), 22f. und 34-36, herausgearbeitet hat.
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Paläologismen
tionen unter der Führung einer Partei, Zusammenfassung von Handel und Handwerk in Genossenschaften u.v.m. schufen Strukturen, die unter dem Kennwort "demokratischer Zentralismus" bis 1989 in der DDR Gültigkeit hatten. Lexeme, die in der Aufbauphase der DDR gebildet wurden, spiegeln die Umbruchssituation wider. Wörter kommen auf und verschwinden wieder, weil entweder die bezeichnete Sache ihre Gültigkeit verliert oder weil die Benennung sich als ungünstig erwiesen hat und durch eine andere ersetzt wird.
3.1
Die Kommunikationsbereiche der Paläologismen
3.1.1
Industrielle und landwirtschaftliche Produktion
3.1.1.1 Landwirtschaft In der Landwirtschaft war die Umgestaltung ein langer und von der SED sehr hart geführter Prozeß, der erst um 1960 seinen Abschluß fand. Der größte Teil der DDR-typischen Paläologismen stammt aus diesem Kommunikationsbereich, da hier die Umstellung von einer traditionellen Lebensweise in neue Arbeits- und Eigentumsstrukturen viele Um- und Neubenennungen erforderte, von denen einige selbst wiederum nur kurzfristig in Gebrauch waren. Hinzu kam die kritische Ernährungslage der Nachkriegszeit, die der Agrarproduktion Aufmerksamkeit verschaffte, und eine Vielzahl von Flüchtlingen und Vertriebenen4 aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße, die überwiegend auf dem Land unterkamen und dort Arbeit fanden. Sie mußten in die neuen Strukturen integriert werden. Von den neuen Lebens- und Arbeitsverhältnissen im ländlichen Raum erzählen die Romane von Gotsche, Strittmatter (1954 und 1963), Claudius (1957) und Brezan. Tetzner (1974) läßt ihre Hauptfigur Karen W. rückblickend einiges aus dieser Zeit erzählen.
a) Der Begriffskomplex Bodenreform Im September/Oktober 1945 wurden Großgrundbesitzer und NS-Parteimitglieder enteignet. Ihr Landbesitz wurde Kleinbauern, Landarbeitern und Flüchtlingen (sog. Umsiedlern) zugeteilt. Die im folgenden aufgeführten Wörter und festen Wortverbindungen sind Repräsentanten der unmittelbaren Nachkriegszeit in der SBZ. Sie waren vom Herbst 1945 bis etwa zur Staatsgründung der DDR in Gebrauch und wurden ab 1949 allmählich vom Wortschatz der beginnenden Kollektivierung abgelöst. 4 In der SBZ/DDR Umsiedler genannt; vgl. 3.2.1.
Produktion/Landwirtschaft
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feudaljunkerlicher Boden Bodenbewerber -fonds -kommission -kommissionsmitglied Gemeindebodenkommission KreisProvinzialBodenreform Bodenreformfibel5 -dekret -kalender -Verordnung -zeit -er metaphorische Bezeichnungen für Bodenreform: demokratische Umgestaltung (auf dem Lande) Umwälzung auf dem Dorfe Enteignung enteignen Enteigneter6 Die hier aufgeführten Wörter und Syntagmen sind fast ausschließlich bei Gotsche (1949) belegt, der als Regierungspräsident von Halle-Merseburg die Bodenreform aus erster Hand erlebte und literarisch verarbeitete. Die Benennungen sind eine Mischimg aus traditionellem deutschen Sprachgebrauch Bodenreform ist schon im Duden 1934 belegt, die Verwendung von Boden greift ein während der NS-Herrschaft viel strapaziertes Wort auf - und Übersetzungen aus dem Russischen. Gotsche zitiert in seinem Roman aus den im September 1945 von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) erlassenen "Verordnungen über die Bodenreform".7 Demokratische Umgestaltung ist beispielsweise eine Lehnübersetzung, russ. demokratiteskaja Perestroika.
5 Okkasionalismus von Gotsche. 6 Enteignung ist natürlich kein Paläologismus; das Wort gehört aber in die Gruppe "Bodenreform", da es eine wichtige Voraussetzung für diese bezeichnet. 7
Vgl. auch Schlosser 1990, 42.
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Paläologismen
Für die Klassifizierung von Bodenreform als DDR-typisches Lexem gilt das in Kapitel 1.4.2 Gesagte. Nicht das Formativ an sich, sondern die Referenzbedeutung ist DDR-typisch insofern, als sie die spezifischen Erscheinungsweisen der 'Umgestaltung auf dem Lande' in der SBZ bezeichnet: Enteignung des Großgrundbesitzes, also feudaljunkerlichen Bodens, Bildung von Bodenkommissionen (meist KPD/SED-Mitglieder) auf Gemeinde- oder Kreisebene, die mit der Durchführung der Landreform beauftragt sind. Flüchtlinge und zuvor landlose Bauern erheben Anspruch auf das enteignete Land und werden dadurch zu Bodenbewerbern. Feudaljunkerlich ist sozialistischer Sprachgebrauch; die Bodenreform richtete sich vor allem gegen Großgrundbesitzer und sogenannte Junker, Repräsentanten einer Gesellschaftsordnung, die überwunden werden sollte. Gotsches Erzähler ist ein Anhänger der 'neuen Ordnung'. Für ihn ist die Bodenreform eine Chance für die 'kleinen Leute', selbst ein Stück Land zu besitzen und zu bearbeiten. Für die Veränderungen, die auf dem Land durchgeführt werden, gibt es daher die metaphorische Bezeichnung Umgestaltung auf dem Lande, die zusätzlich noch mit dem positiven Attribut demokratisch versehen wird. Sozialistische Umgestaltung wäre eine der Sache angemessenere Bezeichnung gewesen. Da Parteileute die Bodenreform im Dorf durchführen, erhält das Lexem demokratisch eine 'sozialistische' Bedeutungskomponente8, die aber nicht direkt sichtbar ist (vgl. 3.2.2).
b) Bezeichnungen für die in der Landwirtschaft tätigen Personen Altbauer Synonyme9: Kulak10 und Junker Kulakensohn Kulakengenossenschaft Junkerstall
8 Im sozialistischen Demokratieverständnis wild die 'Herrschaft des Volkes' (aus gr. 'demos' 'Volk' und 'kratein' - 'herrschen') an die Fühlung durch die marxistisch-leninistische Partei gebunden. 9 Sofern es sich beim Altbauern um einen Großbauern handelt. 10 Russ. kulak, Großbauer, Großgrundbesitzer (Duden Leipzig 18. Aufl. 1987 markiert 'hist.').
Produktion/Landwirtschaft
Neubauer/Neubäuerin Synonyme: Einzelbauer
werktätiger Einzelbauer Bauer auf 5 ha
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Gemeinschaftsbauer Genossenschaftsbauer11 Muschik12 Meisterbauer13
einzelbäuerliches Element Umsiedler/-in (Guts-) Inspektor14 Die hier aufgeführten Nomina Agentis spiegeln das Nebeneinander von Altem und Neuem wider, das fur die Nachkriegsjahre charakteristisch war. Zunächst gab es die Unterscheidung zwischen einem Altbauern, der schon vor der Bodenreform Land (und Maschinen etc.) besaß, und einem Neubauern, der durch die Reform Land (in der Regel 5-8 ha) erhielt. Ein Altbauer war, auch wenn er nicht zu den Großgrundbesitzern zählte, durchaus ein Vertreter der 'alten Ordnung'. Das ist aus den Romanen deutlich herauszulesen, wobei die erzählte Zeit eine Rolle bei der Bewertung der Personen spielt. Bei Gotsche (1949) ist Altbauer eine eher sachliche Bezeichnimg, Strittmatter (1963) dient sie der Typisierung seiner Figuren - "Altbauer Serno"- und hat schon einen leicht pejorativen Charakter; bei Brezan (1964) ist Altbauer eindeutig negativ konnotiert. Der Begriff wird fast ausschließlich von Adjektiven und Verben umgeben, die Negatives ausdrücken. Altbauern sind "höhnisch" (79), "krümmen keinen Finger" (94), "hocken in der Stube" (103), "krächzen mit rostiger Stimme" (153), wohnen in einer "übelriechenden Räuberhöhle", "dröseln" (256). Altbauern, die viel Land besitzen, werden auch als Kulaken (s.u.) oder Junker bezeichnet. Junker ist an sich kein DDR-typischer Paläo-
11 Die Genossenschaftsbauern rekrutierten sich zuerst und überwiegend aus den Neubauern; da aber bis 1960 alle Bauern einer LPG beitreten mußten, wurden auch die Altbauern kollektiviert. 12 Russ. mu'zik, "Bauer im zaristischen Rußland" (Duden Leipzig 18. Aufl. 1987 markiert 'hist.'); Konnotation: 'schwere körperliche Arbeit, Leibeigener'. Ehrentitel für Genossenschaftsbauern; analoge Bildung zur Lehnübersetzung Meister des Sports (russ. master sporta); in den 60er Jahren in Hervorragender Genossenschaftsbauer umbenannt; zuletzt als Ehrentitel Verdienter Genossenschaftsbauer der Deutschen Demokratischen Republik verliehen; vgl. Kleines politisches Wörterbuch, 904; zur Wortbildung vgl. Damaschke 1974, 36. Kein DDR-typischer Paläologismus; der Begriff wird hier der Vollständigkeit halber bei den Nomina Agentis im Bereich Landwirtschaft aufgeführt, da dieser Begriff 'der alten Ordnung' ausgerechnet das Verhalten eines LPG-Vorsitzenden charakterisiert (s.u. in diesem Kapitel).
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Paläologismen
logismus, sondern ein Begriff des Feudalismus, hat aber im Text die spezifische Funktion der negativen Konnotierung des Lexems Altbauer inne.15 Neubauern wurden auch als Bauern mit 5 ha bezeichnet, was ihren neuen Besitzstand ausdrückt, oder als werktätige Einzelbauern. Dieser Begriff steht schon für eine 'fortgeschrittene gesellschaftliche Entwicklung'. Das Attribut werktätig markiert die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse und damit zur staatstragenden Klasse der DDR, die sich selbst als Arbeiter-und-Bauern-Macht bezeichnete. Werktätiger Einzelbauer (nur bei Brezan belegt) zeigt an, daß die erzählte Zeit des Romans nach 1952 angesetzt ist.16 In Mannesjahre geht es um die Bildung von Genossenschaften. Erzählt wird von 'fortschrittlichen' (Partei-)Leuten, die die Kollektivierung vorantreiben und solchen, die sich wiedersetzen (den Altbauern). Dazwischen sind die werktätigen Einzelbauern anzusiedeln. Sie sind, um im sozialistischen Sprachgebrauch zu bleiben, keine Gegner der neuen Ordnung, aber ihr Klassenbewußtsein muß noch entwickelt werden. Sie schwanken noch und müssen von der neuen, guten Sache überzeugt werden. Das versucht auch in Brezans Roman der Parteisekretär: Doch reichte die Zeit des Sekretärs, den mittelalterlichen Kuhstall der [...] Genossenschaft zu rügen und zu erklären, daß nur eine vorbildliche Genossenschaft die werktätigen Einzelbauern von den Vorteilen der neuen Bauerngemeinschaft zu überzeugen vermöge. (265)
In Ole Bienkopp gibt es einmal die Wendung einzelbäuerliches Element (375), als ironische Redewiedergabe der Parteisekretärin durch den Erzähler. Das einzelbäuerliche Element muß sich mittels zu leistender Dorfharmonie bei der gründlich zu durchdenkenden Erntefestgestaltung an die Genossenschaft herangezogen fühlen. (Strittmatter 1963, 375)
Neubauer- ist als 1. Konstituente massenhaft Bestimmungswort in Komposita, ein Umstand, der die kommunikative Relevanz dieses Nachkriegsneologismus zum Ausdruck bringt: Neubauernanwesen -haus -besitz -doktor17 15 "Altbauer" ist in den Wörterbüchern als DDR-typisches Lexem markiert. Neben der Bedeutung "alter Bauer (Ggs. Jungbauer)" hat es im "Duden Großes Wörterbuch" unter 2. den Eintrag "(DDR früher) altansässiger Bauer (Ggs. Neubauer)". Das "Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache" notiert "Neubed. DDR". 16 Auf der 2. Parteikonferenz der SED 1952 wurde die Kollektivierung der Landwirtschaft, d.h. die Gründung von LPGs, beschlossen (vgl. Ahrends 1989, 106). Okkasionalismus von Gotsche.
Produktion/Landwirtschaft
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Neubauerfamilien -gemeinschaft -hof -stand -stelle -streifen -tag Zu den Neubauern zählen auch die Umsiedler, wie in der SBZ/DDR die Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten genannt wurden (vgl. 2.2.1). Auch Umsiedler- ist Ausgangspunkt reihenbildender Komposita: Umsiedleraussteuer -familie -feind -frage -junge -kinder -mutter -trapp Zwei abwertende Bezeichnungen aus dem Russischen sind noch zu erläutern: Muschik und Kulak. In Strittmatters Roman Ole Bienkopp bezeichnet ein 'westlicher Radiosender' die Bauern der neugegründeten Genossenschaft als Muschiks. Die Bauern wurden gezwungen, ihr Vieh zusammenzutreiben und wie Muschiks gegen Hungerlöhne zu arbeiten. (187)
Kulak ist ein Schimpfwort für die 'Feinde der neuen Ordnung', sofern es sich um Großbauern handelt, z.B. bei Brezan: In dem alten Junkerstall sitzt der Kulakensohn... (311) 18
Gutsinspektor wiederum ist ein Wort, das die überwundene Ordnung auf dem Land kennzeichnet. Ausgerechnet ein LPG-Vorsitzender ist es, der sich den Vergleich mit seinem feudalen Vorgänger gefallen lassen muß und somit als Vertreter der historisch überholten Zeit gilt (und später auch abgesetzt wird). Sadowski war aus dem Büro herausgekommen [...], breit die magere Brust herausgestreckt wie weiland der Inspektor [...]. (Claudius 1957, 295)
18 Kulak ist außer bei Brezan auch bei Strittmatter (1954 und 1963) sowie bei Claudius (1957) belegt.
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Paläologismen
c) Der Begriffskomplex Soll - Pflichtablieferung19 Abgabekartoffeln Kartoffelabgabe Ablieferungskartoffeln -getreide Eiersammelstelle Getreidesammeistelle Strohstützpunkt das Soll erfüllen, nicht erfüllen, abliefern Komposita mit Soll als Grundwort: EierWeizenJahresFischGetreideMilchMilch-soll-erfüllungsformulare Komposita mit Soll als Bestimmungswort: -abgabe -ablieferung -erfüllung -eier -kartoffeln Übersollprodukte freie Spitzen20 Diese Wörter gehören in die unmittelbare Nachkriegszeit. Eine wahre Fundgrube dafür ist Strittmatters Roman Tinko (1954, erzählte Zeit ca. 1945/47), der auch zeigt, daß die Abgaben durchaus nicht freiwillig geleistet wurden. Junge Pioniere gingen von Haus zu Haus, um säumige Bauern zu mahnen und wurden auf diese Weise zu "Eiersoll-Singern" (Strittmatter 1954, 321). 19 in der Nachkriegszeit (SBZ) administrativ festgesetzte Ablieferungsmenge landwirtschaftlicher Produkte zur Versorgung der Stadtbevölkerung; vgl. die Artikel von Klug 1986. 20 Beide Lexeme bezeichnen das gleiche, nämlich das, was über die festgesetzte Ablieferungsmenge hinaus produziert wurde und zu höheren Preisen verkauft werden konnte (vgl. Handwörterbuch)·, Duden Leipzig 14. Aufl. 1952 und 15. Aufl. 1960: "freier Markt, freie Spitzen".
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d) Bezeichnungen für landwirtschaftliche Einrichtungen und Organisationsformen; landwirtschaftliche Fachbegriffe Maschinen-Ausleih-Station (MAS) Maschinenstation Ausleihstation Ausleihstelle Maschinen-Traktoren-Station (MTS) Traktorenstation Traktorenstützpunkt MTS-Direktor Bäuerliche Hilfe Bauernhilfe gegenseitige Bauernhilfe21 neue Bauerngemeinschaft22 Vollgenossenschaftlichkeitsball23 Kollektivlandwirtschaft Kolchos Kolchose
agrotechnischer Termin Anbauplan Jarowisation -ierung Lyssenko Melioration meliorieren Mitschurin-Gärten Offenstallfrage -heckmeck -initiative -kampagne -kurs -rummel Trawopolnaj asystem
Mit Ausnahme von Neue Bauerngemeinschaft und Vollgenossenschaftlichkeitsball sind alle Lexeme russischen Ursprungs und werden in Kapitel 3.3 erläutert.
e) Bezeichnungen für kollektive Arbeit Arbeitseinsatzsonntag Dorfaufgebot Gemeindearbeitstag Gemeinschaftsarbeit Gemeinschaftshilfe Mit allen fünf Komposita ist das gleiche gemeint: An einem Sonntag hilft das ganze Dorf, die Ernte einzubringen, um der Pflichtablieferung zu genü21 "Verein für gegenseitige Bauernhilfe" (VdgB). 22 Okkasionalismus von Strittmatter 1963 (in Kapitälchen) und Brezan. Gemeint ist eine LPG. 23 Tetzner, 46. Festveranstaltung, auf der der Eintritt des letzten Bauern in eine LPG gefeiert wird.
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Paläologismen
gen. 24 Solche mehr oder weniger freiwilligen Arbeitseinsätze wurden bis 1989 auch als Subbotniks bezeichnet, vgl. die Erklärung des ABF-Studenten Quasi Riek in Kants Aula: Ein Subbotnik [...] ist eine Keimform des Kommunismus, ein freiwilliger Arbeitseinsatz. Subbotnik kommt von Subbota, und Subbota ist russisch Sonnabend. (45)
3 . 1 . 1 . 2 Industrie EMW (Eisenacher Motorenwerke) Zweijahr(es)plan Siebenjahrplan25 SAG = Sowjetische Aktiengesellschaft Tausenderbewegung26 -methode Das ist schon alles, was in diesem Bereich an veraltetem Wortschatz aufgeführt werden kann. Der EMW war der Vorläufer des Wartburg. Durch die Enteignimg der Betriebe in der Ostzone wurde das ursprünglich BMW gehörende Werk in Eisenach volkseigen und erhielt zunächst den Namen Eisenacher Motorenwerke, später Wartburgwerk. Die Neubildungen Zweijahrund Siebenjahrplan sowie Tausenderbewegung gehörten jeweils nur für kurze Zeit zum DDR-typischen Wortschatz.27 Sowjetische Aktiengesellschaften wurden 1946 zur Erfüllung von Reparationsansprüchen gebildet. Aus ihnen gingen die ersten Kombinate hervor. 28 Alle anderen Wörter, die in den 50er Jahren für den industriellen Bereich gebildet wurden {Kombinat, Arbeitsbrigade, Dispatcher etc.) blieben gültig bis zum Ende der Planwirtschaft und können daher nicht zu den Paläologismen gezählt werden.
24 in Gotsches Roman Tiefe Furchen. 25 Nur jeweils einmal wurde in diesen Zeiträumen geplant; die Wirtschaftsplanung vollzog sich im übrigen in Fünfjahrplänen. 26 Eine bestimmte, aus Polen stammende Methode des Mauerns, Anfang der 50er Jahre kurzzeitig als 'fortschrittlich' propagiert. 27 Siebenjahrplan bei Neutsch, SAG bei Seghers, alle anderen Belege bei Claudius (1951). 28 Vgl. Schlosser 1990, 65. Bis 1989/90 bestand die SDAG (Sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft) Wismut, die einzige Uranbergbaugesellschaft der DDR (vgl. Ahrends 1989, 182).
Staat, Partei und Massenorganisationen
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3.1.2 Staat, Partei und Massenorganisationen Antifa-Ausschuß Ausschuß aus Antifaschisten Obrigkeit29 Obrigkeitsstiefel Nationales Aufbauwerk NAW-Stunde Aufbau Aufbauhelfer -stunde, freiwillige -nadel, silberne -leitung -objekt -stab -lied [der FDJ] Bau der Jugend Dorf der Jugend Hennecke Akkorddrücker Die Arbeit von Antifa-Ausschässen wird bei Gotsche (1949) beschrieben. In seinem fiktiven Dorf wird ein solcher Ausschuß zur Unterstützung des Bürgermeisters gebildet (206). Er kümmert sich um die Unterbringung der Umsiedler (266) und um die Durchflihrung der Bodenreform (297). In den 50er und 60er Jahren gab es viele Zusammensetzungen mit Aufbau.30 Sie bezogen sich zunächst auf den Wiederaufbau der zerstörten Städte und Dörfer, ab Mitte der 50er Jahre auf den Aufbau der Schwerindustrie. Das Nationale Aufbauwerk war eine 1951 initiierte Bewegung zum Aufbau der 'Hauptstadt Berlin' Die Bewegimg wurde später auf die ganze DDR ausgedehnt und umfaßte Arbeitseinsätze der Bevölkerung, die freiwillige Aufbaustunden leistete.31 Ein Außauhelfer, der sich bei den Arbeitseinsätzen besonders verdient gemacht hatte, bekam die silberne Aufbaunadel verliehen. Aufbauleitung, -objekt und -stab beziehen sich auf den Bau der neuen Chemieund Braunkohlenkombinate, der in den Romanen des 'Bitterfelder Weges' be29 Traditionelles deutsches Lexem, das in Brezans Mannesjahre eine neue Bedeutung erhält, die auf die veränderten politischen Verhältnisse in der DDR verweist; das Kompositum Obrigkeitsstiefel ist ein Okkasionalismus von Brezan. Obrigkeit hat in Brezan Roman leitmotivische Funktion und wird in 3.4 interpretiert. 30 Belegt bei Reimann, Jakobs, Brezan, Kant, Neutsch; rückblickend Schütz 1980. 31 Vgl. DDR-Handbuch, 938.
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Paläologismen
schrieben wird. 32 Zum Teil wurde der Aufbau eines Werks der FDJ übertragen: Bau der Jugend.33 Mit dem Aufbau der neuen, sozialistischen Ordnung in der DDR hat das Aufbaulied zu tun: "Bau auf (4x), Freie Deutsche Jugend, bau auf...". Der Bergarbeiter Adolf Hennecke leitete 1948 in der DDR die aus der Sowjetunion übernommene Aktivistenbewegung ein, indem er seine Tagesnorm mit 387% übererfüllte.34 Seine Vorbildfunktion muß in Witzen oft ins Visier genommen worden sein. So wird Hennecke bei Claudius, Seghers und Kant mit Witzen in Zusammenhang gebracht - "Kennen Sie den neuesten von Hennecke?" (Claudius 1951, 17). Bei Kant sorgt außerdem die in der Aula der Universität vorgetragene Losung "Das Beispiel des Kollegen Hennecke muß auch für die Universitäten in Anwendung gebracht werden" (143) für (nicht beabsichtigte) Heiterkeit. Wer arbeitet wie Hennecke, muß es sich gefallen lassen, als Akkorddrücker beschimpft zu werden (vgl. Claudius 1951, 16).
3.1.3 Wirtschaft und Handel Monofilstrumpf Niethose Bei diesen beiden Wörtern handelt es sich um Begriffe aus der Textilbranche. Ein Monofilstrumpf (Jakobs, Beschreibung eines Sommers 24) war die DDR-Variante des Nylonstrumpfs. Das Wort ist im WDG (Bd.4., 1974) belegt: "Neupräg. Chem., Strumpf für Damen aus einfädig ersponnenem Dederon". 35 Niethose war in den 60er und 70er Jahren in der DDR die Bezeichnung für Jeans?6 Was ihren Gebrauch betrifft, war Niethose die "eindeutig vorherrschende Bezeichnung"37.
32 Hier bei Jakobs und Reimann. 33 Bei Jakobs fiktiv "Bau der Jugend in Wartha", bei Neutsch "Dorf der Jugend Schlieben". Eine tatsächliche "Großbaustelle der Jugend" war die Talsperre Sosa mit der Losung "Max braucht Wasser", vgl. Merkel 1990, 68. 3^ Kleines politisches Wörterbuch, 30. 35 Dederon, gebildet aus DDR und -ort, ist eine Polyamidfaser. 36 Das Tragen von Jeans konnte mit Schulverweis geahndet werden. Bei Neutsch gehören "blaue Niethosen" allerdings zur Arbeitskleidung der Ingenieurin Katrin Klee (86 u.ö.), vgl. auch Kap. 3.2.3. 37 Langner 1986, 415.
Bildung und Kultur
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3.1.4 Bildung, Erziehung und Kultur Arbeiter-und-Bauern-Fakultät (ABF) Fakultät Fakultätsball Arbeiter-und-Bauern-Student ABF -
Abiturienten Dozenten Herbarium Historie Semester Sprecher Student/in Würdigung
Neulehrer -kurs Deutschlandtreffen der FDJ Pfingsttreffen Gegenwartskunde Gegenwartsunterricht Erzieherpersönlichkeit Von 1949 bis 1963 bestanden als Einrichtung an Universitäten sogenannte Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten, die Kinder aus Arbeiter- und Bauernkreisen, die die 8. Klasse und eine Lehre absolviert hatten, zum Abitur führten. Es gab bis 1989 noch zwei ABF, eine an der Universität Halle, die aber der Vorbereitung auf ein Auslandsstudium diente, und eine weitere an der traditionsreichen Bergakademie Freiberg/Sachsen, die Facharbeiter fur Bergbau und Hüttenwesen aufnahm. 38 Trotz des Weiterbestehensdieser beiden Fakultäten waren Denotat und Bedeutung des Lexems Arbeiter-und-Bauern-Fakultät ab Mitte der 60er Jahre veraltet, das Wort kann daher zu den Paläologismen gezählt werden. Kant widmet der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät einen eigenen Roman, aber auch bei Jakobs, Reimann, Brezan, Tetzner und Schütz (1980) hat eine Person eine ABF absolviert.
38 Vgl. DDR-Handbuch, 52f.
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Paläologismen
1945/46 wurden Berufstätige kurzfristig zu Neulehrern ausgebildet um die Lehrer zu ersetzen, die ihren Dienst quittieren mußten, weil sie Mitglieder der NSDAP waren. 39 "Deutschlandtreffen der Jugend", bei Seghers Deutschlandtreffen, bei Kant Pfingsttreffen genannt, fanden 1950, 1954 und 1964 in Berlin (Ost) statt. Sie wurden von der FDJ veranstaltet und folgten den deutschlandpolitischen Aktivitäten der SED. Es konnten auch Jugendliche aus der Bundesrepublik daran teilnehmen. Nach 1964 wurde diese Tradition nicht fortgeführt.40 Gegenwartskunde oder Gegenwartsunterricht41 hieß der Vorläufer der Staatsbürgerkunde, eines Unterrichtsfachs in der 7.- 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule bis 1989/90. Bei Johnson dient das Fach zur näheren Charakterisierung eines besonders parteilinientreuen Lehrers: der Lehrer fiir Geschichte/Gegenwartskunde/Sport Robert Siebmann" (155, 159); ... Herr Direktor Siebmann war ein eifriger und seiner Verantwortung bewusster Pädagoge (Geschichte/Gegenwartskunde/Sport). (87)
Herr Direktor Siebmann war nicht nur Lehrer für Geschichte/Gegenwartskunde/Sport, sondern auch eine Erzieherpersönlichkeit. In der DDR, aber auch in der Sowjetunion und in Polen wurden Lehrer, die sich durch ihr Engagement für den Sozialismus auszeichneten, mit diesem Begriff bezeichnet. Johnson verwendet den Begriff in seinem Roman mehrfach mit der ihm eigenen ironischen Distanz: Die Erzieherpersönlichkeit sagte: so sei es, und sei da keine andere Weise die Dinge zu betrachten. Dabei jedoch Hess sie außer Acht dass frühere Erzieherpersönlichkeiten von Herzschlag gesprochen hatten; es war dann aber etwas anderes gewesen. Als der Schüler Niebuhr nun abermals eine Schule besuchte, so also achtete er darauf dass die Erzieherpersönlichkeit nicht abermals dieses für ein anderes sagte. [...] So waren [...] Worte unzuverlässig geworden [...]. (Johnson, 170) 4 2
39 Vgl. Schlosser 1990, 83. 40 Vgl. DDR-Handbuch, 459. 41 Bei Johnson, Kant und Seghers. 42 Rechtschreibung und Zeichensetzung im Original. In Johnsons Roman geht es u.a. um Wahrhaftigkeit und Lüge sprachlicher Äußerungen bzw. um die Zuverlässigkeit sprachlicher Benennungen, wie an dieser Textstelle deutlich wird. Der Ausdruck "frühere Erzieherpersönlichkeiten" bzw. "vorige Regierung" (an anderer Stelle) bezieht sich auf die Diktatur des Nationalsozialismus, die von Johnson nie explizit benannt wird. Hinter dem "Herzschlag" verbergen sich Totenscheine aus Auschwitz, Bergen-Belsen und anderen Konzentrationslagern, die in ordendicher Regelmäßigkeit "Insuffizienz des Herzmuskels" als Todesursache angaben und an die zuständigen Gemeindeämter geschickt wurden. Vgl. Klemperer 1946, 182.
Motive für sprachliche Veränderungen
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3.2 Motive für sprachliche Veränderungen Sprache und Wirklichkeit stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Verändert sich die Wirklichkeit, so verändern sich oft die Benennungen für diese Wirklichkeit in einer Sprache. Umgekehrt kann aber auch die Realität mittels Sprache verändert bzw. gezielt uminterpretiert werden. Für die Bezeichnung eines Sachverhalts oder Gegenstands der Realität stehen häufig mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. "[...] die endgültige Wahl einer bestimmten sprachlichen Möglichkeit ist darum auch eine Entscheidung für eine bestimmte Interpretation der Wirklichkeit."43 Ein westdeutsches Beispiel: Für die Benennimg der Personengruppe 'junge Männer, die keinen Grundwehrdienst leisten' gibt es mehrere Möglichkeiten, die jeweils einen bestimmten Bedeutungsaspekt hervorheben. Zivildienstleistender betont den Gegensatz zu Militärdienst; Ersatzdienstleistender drückt aus, daß das eigentlich zu leistende der Wehrdienst ist; Kriegsdienstverweigerer wiederum betont die innere Haltung der Person. Es gibt sprachlich die Möglichkeit, die Wirklichkeit auf eine Bedeutung festzulegen und andere in ihr angelegte Bedeutungen zu verschweigen, zu bestreiten, zu beschönigen etc.
3.2.1
Umsiedler
Ein Beispiel dafür aus dem Kreis der Paläologismen ist das Wort Umsiedler. Es ist ein Beispiel für eine bewußte Uminterpretation der Wirklichkeit. Bezeichnet werden mit diesem Begriff Personen, die aus den ehemaligen Ostgebieten geflohen sind, vertrieben oder verschleppt wurden. Sie wurden bis Kriegsende und zunächst auch in der SBZ als Flüchtlinge bezeichnet. "Doch schon im Oktober 1945 verfügte die sächsische Landesverwaltung, daß das Wort Flüchtlinge fortan durch Umsiedler zu ersetzen sei. Auf Veranlassung der SMAD bekam diese Sprachregelung bald auch für die anderen Länder und Provinzen der SBZ Gültigkeit."44 Bei Gotsche und Brezan werden beide Begriffe teilweise noch (unreflektiert?) nebeneinander verwendet: "Umsiedler und Flüchtlinge"45, Umsiedler wird aber häufiger gebraucht. Alle anderen Autoren, die diese Personengruppe benennen, benutzen, teilweise mit hoher Frequenz, Umsiedler.46
43 Schlosser 1990, 29. 44 G.D. Schmidt 1982, 137. 45 Gotsche, 289; Brezan, 20. 46 Marchwitza, Claudius 1957, Seghers, Strittmatter, Tetzner, Schütz 1980.
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Paläoiogismen
Das Wort ist nicht neu und in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht SBZ/DDR-typisch. In beiden deutschen Staaten wurden beispielsweise in den 60er und 70er Jahren Menschen wegen des Braunkohleabbaus umgesiedelt. DDR-typisch ist jedoch die spezifische Bedeutung. In den Westzonen hielt sich die Bezeichnung Flüchtlinge wesentlich länger, im offiziellen Sprachgebrauch der Bundesrepublik wurde sie schließlich auch ersetzt durch Vertriebene bzw. Heimatvertriebene.47 Die negativen Konnotationen, die den Bezeichnungen Flüchtling oder Vertriebener anhaften, sollen in der SBZ/DDR durch die Begriffsänderung unterbunden werden. Schließlich waren Polen und die Sowjetunion zu " Bruderländern" geworden, aus denen man nicht floh oder vertrieben wurde. Der Begriff des Umsiedeins sollte positivere Assoziationen wecken, etwa im Sinne von 'umziehen'. Im Polnischen gibt es dazu eine erstaunliche Parallele: Dort wurden die aus Ostgalizien vertriebenen Polen, die überwiegend in Westpolen angesiedelt wurden, ebenfalls nicht als Vertriebene, sondern mit dem aus dem Deutschen entlehnten Wort przesiedleniec bezeichnet.48 Die Wahl der Bezeichnung hat sehr viel mit dem Sich-der-eigenen-Geschichte-Stellen der eigenen Geschichte zu tun. In einer Kirchenzeitung der DDR wurde 1988 zu diesem Problem Stellung genommen: "[...] Warum ist es der älteren Generation so schwergefallen, über eigenes Erleben und die Schmach [des Nationalsozialismus', d.Vf.] zu reden? [...] Ein wichtiger Grund mag darin liegen, daß sie in der Vergangenheit gezwungen waren, auch das eigene persönliche und nationale Leid zu verschweigen, zum Beispiel durfte von Flüchtlingen, Vertriebenen und Verschleppten nicht gesprochen werden. Es gab nur Umsiedler. " 49 Der Sprachgebrauch der Vertriebenenverbände in den alten Bundesländern hat in der Regel auch wenig mit ehrlicher Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur und ihren Folgen zu tun. Die Urabenennung von Flüchtling in Umsiedler war die DDR-spezifische Variante der 'Vergangenheitsbewältigung'.
3.2.2 Demokratische
Umgestaltung (auf dem Lande)
In der Sowjetunion lautete der Terminus, der die Vergenossenschaftlichung der landwirtschaftlichen Betriebe bezeichnet, kollektivizacija (Kollektivierung).50 Dieser Begriff wurde in der DDR vermieden. Statt dessen wählte man die Bezeichnung demokratische bzw. sozialistische Umgestaltung (der 47 Vgl. G.D. Schmidt 1982, 137. Diese Information verdanke ich einem polnischen Slawistikstudenten aus Kraköw. 49 Das Zitat aus Die Kirche vom 13.11.88 findet sich bei Schlosser 1990, 122. 50 Vgl. Lehmann 1972, 272.
Motive für sprachliche Veränderungen
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Landwirtschaft). Die Motive für diese Benennungsbildung sind ähnlich wie die oben genannten. Wie in 3.1.1 erläutert, gehört dieses Syntagma in die Gruppe 'Bodenreform'. Demokratisch ist ein positives Attribut, das sowohl die negativen Folgen für die ehedem Besitzenden als auch die wahren Motive der Reformer verschleiern bzw. umdeuten soll. Demokratisch ist hier ein Synonym für sozialistisch. Die 'ehrliche' Nennung der tatsächlich angestrebten gesellschaftlichen Verhältnisse hätte aber nicht nur Großgrundbesitzer vor den Kopf gestoßen. Demokratisch hingegen läßt die Zustimmung breiterer Kreise erhoffen. In Gotsches Roman Tiefe Furchen läßt das Mitglied des Antifa-Ausschusses, Schuster, keinen Zweifel an den Plänen seiner Partei. Die Zukunft muß dem Sozialismus gehören. Alle Verhältnisse so umzugestalten, sie zu festigen, das erst sichert den Frieden. [...] Und Theorie und Praxis erhärten und bestärken uns immer mehr darin, daß die demokratische Umgestaltung der jetzigen Ordnung kommen wird, weil sie kommen muß. [...] Deshalb muß unsere Partei stark werden [...]. (Gotsche, 273f.)
3.2.3
Niethose
Neutschs Heldin in Spur der Steine (1964), die Diplomingenieurin Katrin Klee, trägt während der Arbeit vorzugsweise "blaue Niethosen und knallbunte Blusen" (87). Im offiziellen Sprachgebrauch ersetzt Niethose in der DDR der 60er Jahre das Wort (Blue) Jeans. Das ist an sich noch nichts Spezifisches, da in der BRD der 60er Jahre das Wort Nietenhose in Gebrauch war. Im Mannheimer Duden (Bd. 15/1961) findet sich nur das Lemma Blue jeans, aber ab Bd. 16 (1967) sind beide Begriffe, Blue jeans und Niet(en)hose, verzeichnet. 51 In der DDR hatte die Bezeichnung Niethose für dieses nicht nur bei ostdeutschen Jugendlichen populäre 'westliche' Kleidungsstück primär einen kulturpolitischen bzw. sprachkulturellen Hintergrund. Zum einen war Jeans ein Begriff der amerikanischen Kultur und deshalb für die DDR indiskutabel. Ein von DDR-Bürgern getragenes Kleidungsstück sollte nicht in Zusammenhang mit westlicher Mode gebracht werden. Das Lemma (Blue) Jeans fehlt in den Leipziger Dudenausgaben der 60er und frühen 70er Jahre und im Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (Bd.l, 1964 bzw. Bd.3, 1969). Dafür findet sich unter Niethose ein längerer Eintrag. "Neupräg., Hose aus sehr strapazierfähigem, meist dunkelblauem Drell, mit andersfarbigen Steppnäh51 Das Vorhandensein zweier Bezeichnungen ergab sich daraus, daß die 'echten' und daher begehrten Levis Jeans genietet und nicht genäht waren. Im Duden. Das großes Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 4, werden sie als eine Art "Spezialjeans" erklärt: "Nietenhose, Hose (meist im Stil von Jeans) mit einer Art von Nieten an verschiedenen Nähten [...]."
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Paläologismen
ten, oft mit Nieten an Bund und Taschen: Jugendliche in Nickis und Niethosen." (Bd. 4, 1974). Zum anderen gab es Bestrebungen sprachpuristischer Art, 'ausländische', besonders englische Wörter durch deutsche zu ersetzen, z.B. auch Diskjockey durch Diskosprecher oder Schallplattenunterhalter. Die Umwandlung der Jeans in eine Niethose war schon ein Zugeständnis an ihre Träger, die in Schule und Lehre diskriminiert wurden. Es erwies sich aber als unmöglich, das Kleidungsstück samt seiner englischen Bezeichnung zu verhindern. Die Motive für die Begriffswahl Niethose verschwanden Anfang der 70er Jahre. Edgar Wibeau in Plenzdorfs Werther (1973) bringt die Sache auf den Punkt - "Ich meine, Jeans sind eine Einstellung und keine Hosen." (27).
3.3 Russischer Spracheinfluß Die Sowjetunion war bis 1945 das einzige Land, in dem sozialistische Produktionsverhältnisse realisiert waren. Da in der SBZ/DDR ebenfalls eine sozialistische Gesellschaftsordnimg aufgebaut werden sollte, war die Sowjetunion das Vorbild, dem es nachzueifern galt. Das sowjetische Wirtschaftssystem wurde in seinen wesentlichen Zügen schrittweise übernommen. Die Anpassung an das sowjetische Vorbild geschah jedoch nicht nur auf der sachlichen Ebene, sondern ist auch an der Sprache zu beobachten: im Bestreben bzw. der Verpflichtung, möglichst wortgetreue Wiedergaben der russischen Begriffe vorzulegen, sich der russischen Terminologie und Diktion anzugleichen.52 Eine Reihe von Paläologismen, überwiegend aus dem landwirtschaftlichen Kommunikationsbereich, sind aus dem Russischen entlehnt oder übersetzt oder in Anlehnung an ein russisches Sprachmuster gebildet worden. 53 Es sind die Lexeme: agrotechnischer Termin Anbauplan demokratische Umgestaltung Jarowisation, -ierung jarowisieren Kolchos/e Kollektivlandwirtschaft Kulak
52 Vgl. Lehmann 1972, 38. 53 Zu Entlehnungen aus dem Russischen, die bis 1989/90 gültig waren, vgl. Kap.4.
Russischer Spracheinfluß
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Lyssenko54 Maschinen-(und)-Traktoren-Station Maschinen-Ausleih-Station Meisterbauer55 Melioration meliorieren Mitschurin-Garten Muschik Offenstall Staatsgut Trawopolnaja-System Siebenjahrplan Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Erzieherpersönlichkeit
3.3,1 Lehnwörter Zwischen Fremd- und Lehnwort wird hier nicht unterschieden. Als Lehnwort gilt ein Lexem, das in der Struktur der Herkunftssprache übernommen, zum Teil aber phonologisch und morphologisch an das deutsche Sprachsystem angeglichen wird. Jarowisation, -ierung jarowisieren Kolchos bzw. Kolchose Kulak Lyssenko (-Methode) Melioration meliorieren Mitschurin (- Garten) Muschik Trawopolnaja (- System) Jarowisation, Lyssenko, Mitschurin-Garten und Trawopolnaja-System gehören zusammen. Es handelt sich um Ackerbaumethoden, die sich nicht bewährt haben, in der DDR aber eingeführt wurden, da sie in der Sowjetunion
Eigentlich ein Eigenname; Lyssenko war ein russ. Agrobiologe; im Deutschen als Bestandteil von Komposita: Lyssenko-Methode. 55 Vgl. 3.1.1.1.
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Paläologismen
praktiziert wurden. 56 Jarowisation, russ. jarovizacija, "[russ. 'Sommerung'] Behandlung des keimenden Saatgutes durch bestimmte Temperaturen, um die Entwicklungsdauer von Nutzpflanzen abzukürzen, z.B. Anbau des Wintergetreides als Sommergetreide." (Duden Leipzig 1952). Jarovoj- bezeichnet im Russischen Sommer- (in Zusammensetzungen mit Getreide).51 Die Jarowisation wurde von dem sowjetischen Agrobiologen Lyssenko entwickelt.58 Ein Mitschurin-Garten war "eine nach den Erfahrungen des sowj. Biologen Mitschurin bewirtschaftete Lehrgartenanlage" (Duden Leipzig 1952). Bei Trawopolnaja, russ. travopol'naja (sistema), handelt es sich um "Futtergrasanbau auf den Feldern zur Wiedererlangung der Fruchtbarkeit des Bodens; Feldgrasanbau".59 Zu dieser Gruppe gehört auch die Lehnübersetzung Offenstall (vgl. 3.3.2). Dabei handelt es sich um einen überdachten, aber nur nach drei Seiten geschlossenen Stall für Rinder. 60 In Ole Bienkopp erfährt man einiges über diese Art der Viehhaltung, die sich von allen aus der Sowjetunion eingeführten Neuerungen wohl am wenigsten bewährt hat, da die Tiere im Winter erfroren. 61 Die neu eingeführten Methoden werden in den Romanen überwiegend ironisch dargestellt. Die Zeit ging hin. Das Trawopolnaja-System, die Mitschurin-Gärten, die Jarowisierung und das Quadratnestpflanzverfahren kamen aus der Mode. Hatte man Krüger vielleicht ganz ungerechterweise den Großvaterbart umgehängt? (Strittmatter 1963, 253) Die beiden überfahrt kein Instrukteur mit Trawopolnaja und Eisbärkühen. (Brezan, 255). 6 2
Über das Wachstum mit Hilfe der Methoden Lyssenkos macht sich der Erzähler der Aula Gedanken: "Wie gedeiht eine Lyssenko-Ehe?" (Kant, 279). Und in Ole Bienkopp wird hitzig über die Offenstallfrage debattiert: "Ihr habt einen Offenstall." - "Das kostbare Vieh vom Winde umpfiffen auf offener Bühne?" (Strittmatter 1963, 393)
56 So W. Oschlies in einem Gespräch mit der Verfasserin im "Ostinstitut" in Köln am 9.10.1989. 57 Russ.-dt. Wörterbuch. 58 Vgl.Lehmann 1972, 259. 59 Russisch-deutsches
Wörterbuch.
60 Vgl. die Definition im Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache,
Bd. 4.
61 Strittmatter 1963, 227, 259, 398 u.ö. 62 Mit "Eisbärkühen" sind die Tiere gemeint, die in den sog. "Offenställen" überwintern müssen.
Russischer Spracheinfluß
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Kolchos ist im Russischen ein Kurzwort für kollektivnoje chozjajstvo, 'Kollektivwirtschaft', und bezeichnet eine der beiden landwirtschaftlichen Organisationsformen in der Sowjetunion (neben Sowchos). Das Wort kommt in den Romanen häufig vor, entweder als Bezeichnungsexotismus - in Strittmatters Tinko arbeitete der "Heimkehrer" als Kriegsgefangener auf einem Kolchos in der Sowjetunion und erzählt von dieser Zeit - oder als Synonym für Genossenschaft. Vor allem die Gegner der Genossenschaften verwenden die Bezeichnung Kolchos bzw. ihre eingedeutschte Fassung die Kolchose, um die neue Organisationsform zu diffamieren. 63 Melioration, russ. melioracija, bezeichnet ein Verfahren der Bodenverbesserung (meist der Trockenlegung von Feuchtgebieten). Mit Ausnahme von Trawopolnaja sind alle hier aufgeführten Lehnwörter in den Dudenausgaben (Leipzig 1952 und 1960) verzeichnet; 1952 werden sie auf eine für ein Rechtschreibwörterbuch außergewöhnlich ausführliche Weise erklärt. Das zeigt an, wie wichtig für Staat und Partei die Propagierung der in der Sowjetunion üblichen Methoden und Betriebsformen war. 64
3.3.2 Lehnübersetzungen agrotechnischer Termin (Zeitpunkt des errechneten Beginns der Ernte) Anbauplan (Vorgabe für den Anbau von Getreide und Feldfrüchten)
demokratische Umgestaltung Maschinen-(und)-TraktorenStation, MTS Maschinen-Ausleih-Station, MAS (MTS und MAS bezeichnen Landmaschinenparks [in der Kollektivierungsphase])
agrotechnifceskij termin
plan posadok (für Hackfrüchte, wörtlich Plan der Pflanzungen), bzw. posevnoj plan (für Getreide, wörtl. Plan der Aussaat)65 demokratiCeskaja perestroika (bzw. kollektivizacija) maü>ino-traktornaja stancija maSino-prokatnaja stancija
63 Zu den Funktionen von Kolchos in den jeweiligen Texten vgl. Kap. 3.4. 64 Kulak und Muschik vgl. 3.1.1.1. 65 Lehmann 1972. 330.
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Paläologismen
Kollektiv[land]wirtschaft Offenstall Staatsgut
kolchoz poluotkritoje pomeSfienie dlja sovchoz
Siebenjahrplan
semiletka, semiletnij plan
Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Erzieherpersönlichkeit
raboCij fakul'tet, rabfak vospityvajuscaja lifcnost'66
Arbeiter-und-Bauern-Fakultät ist keine exakte Übersetzung, sondern eine erweiterte Wortbildung (Erweiterung: -Bauern). Es gab in der DDR viele Zusammensetzungen mit Arbeiter-und-Bauern- {Macht, Staat etc.); diese Determinativkomposita wirkten sich wohl analogiebildend auf die Bezeichnung für die neu geschaffene Studieneinrichtung aus. 67
3.3.3 Zur Wortbildung der Paläologismen russischen Ursprungs Bei den Lehnwörtern fällt auf, daß es sich, von den Eigennamen abgesehen, um Lexeme handelt, die auch im Russischen als 'Fremdwort' gelten. Es sind Internationalismen mit griechischer und/oder lateinischer Wurzel: agrotechn-, kollektiv- (lat. colligere), melior-, -plan- stammen aus dem Französischen, die Bedeutung 'Vorgabe' ist unter sowjetisch-russischem Einfluß hinzugekommen. 68 Unter diesem Gesichtspunkt ist vor allem Melioration ein Grenzfall der Entlehnung aus dem Russischen. Mit der Propagierung der Maßnahmen zur Bodenverbesserung kam zwar das Wort aus dem Russischen ins Deutsche, es ist aber lateinischen Ursprungs: lat. melior 'besser', Melioration 'Verbesserung'. 69 Bei Trawopolnaja-System wird deutlich, daß die Verwendbarkeit russischer Lehnwörter im Deutschen begrenzt ist. Die Sprachen sind allein schon phonologisch zu unterschiedlich, als daß es zu zahlenmäßig bedeutsamen Übernahmen (im Gegensatz zum Englischen) kommen könnte. Es wirkt schwerfällig, von Trawopolnaja zu sprechen. Auch die Lehnübersetzungen mit Durchkopplungsbindestrich hemmen den Sprachfluß: Arbeiter-und-Bauern-Fakultät, Maschinen-und-Traktoren-Station. Im Russischen werden diese Wörter nach 66 Alle Übersetzungen aus dem Russisch-deutschen bzw. Deutsch-russischen Akademie der Wissenschaften der DDR.
Wörterbuch der
67 Vgl. Hengst 1967, 78. 68 Vgl. Duden Großes Wörterbuch, Bd. 1. 69 Es kann durchaus sein, daß das Lexem als landwirtschaftliches Fachwort schon vor 1945 in mehreren europäischen Sprachen existierte.
Russischer Spracheinfluß
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dem Modell Adjektiv + Substantiv gebildet: raboönij fakul'tet, maSinotraktornaja stancija, bzw. als Kurzwort benutzt: rabfak (für rabo&iij fakul'tet).10 Es ist allerdings nicht d i e russische Sprache, aus der die hier aufgeführten Lexeme entlehnt wurden. Vielmehr gehören die Wörter im Russischen der gleichen Stilschicht an wie ihre deutschen Nachbildungen in der DDR: dem "Spruchbänder-, Behörden- und Parteijargon".71
3.4 Funktionen der Paläologismen im Text Alle Paläologismen erzeugen in den Romanen zeitliches Kolorit. Die Leserin bzw. der Leser kann mit Hilfe der historisch markierten Lexik in die erzählte Zeit der Texte einsteigen, z.B. in die Nachkriegszeit eines Dorfes mit seinen Versorgungsproblemen und den Schwierigkeiten, die die 'neue Ordnung' mit sich bringt (Strittmatter, Tinko) oder in die 'Wildostromantik' des Aufbaus der Schwerindustrie (Neutsch, Spur der Steine). Besonders interessant wird es aber, wenn ein Paläologismus über die Gestaltung des Zeitkolorits hinaus eine spezifische Funktion im jeweiligen Text erhält, z.B. eine leitmotivische Aufgabe annimmt, zur Charakterisierung einer Figur beiträgt oder Benennungen für Realien fiktiv umschreibt.
3.4.1 Obrigkeit als leitmotivischer Begriff in Brezans Roman Mannesjahre Der Roman erzählt vom Aufbau sozialistischer Arbeits- und Lebensverhältnisse in einem sorbischen Dorf in der Lausitz. Die erzählte Zeit umfaßt etwa die Jahre 1945/46-1955/56. Es ist die Zeit des Nebeneinanders von Alt und Neu, das bisherige Leben der Dorfbewohner, die Strukturen des ländlichen Raums wandeln sich, die alten Gewohnheiten und Denkmuster bleiben aber größtenteils erhalten. Für diesen 'Kampf des Alten mit dem Neuen' hat der Autor ein historisch markiertes Wort gewählt, das die Veränderung des politischen Lebens in seinem fiktiven Dorf illustrieren soll: Obrigkeit. Als ein Begriff aus der Zeit des Feudalismus ist Obrigkeit kein explizit DDR-spezifischer Paläologismus. Im Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache ist das Lexem als "hist." gekennzeichnet, im Duden Großes Wörterbuch als "veraltend". Es mutet zunächst etwas ungewöhnlich an, einen solchen Begriff in einem Roman zu 70 Andere Gründe für die zahlenmäßig geringe Übernahme russischer Lexeme vgl. Kap. 4. 71 Weiskopf 1955, 419.
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Paläologismen
finden, der die Errichtung der neuen, sozialistischen Ordnung zum Thema hat. Doch ist Obrigkeit vom Autor mit Bedacht gewählt und nicht ironisch zu verstehen. Die Sememstruktur dieses Wortes verweist auf die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR. Felix Hanusch, die Hauptfigur des Romans, wird nach dem Krieg in seinem sorbischen Dorf Genossenschaftsvorsitzender und Parteisekretär. Zusammen mit seinen Parteileuten verkörpert er die 'neue Ordnung'. Sein Vater, ein Steinbrucharbeiter, befürchtet, daß die 'Kommunisten' und damit sein Sohn sich zu neuen Herren des Dorfes aufschwingen könnten, statt daß endlich "die Meinung der vielen Kleinen im Dorf das richtige Gewicht haben werde" (14). Die Frage 'Wer sind die neuen Herren?' durchzieht den ganzen Roman und tritt in dem Wort Obrigkeit am Anfang, in der Mitte und im Epilog des Buches als Leitmotiv in Erscheinung. Gleich im 1. Kapitel des Romans, Felix ist gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und möchte sich "in der Stadt" bei der Partei umsehen, wird das Thema angeschnitten. Jakob Hanusch hofft, daß, wenn schon sein Sohn "Obrigkeitsstiefel anzöge, es keine Tretstiefel sein würden" (14). Er läßt im Geiste alle Dorfbewohner vor sich herziehen und ihm fallt kaum jemand ein, den er nicht in seine neue Obrigkeitsliste aufnehmen würde. [...] wir wären schon eine richtige Obrigkeit. [...] Und einer muß ja der Erste sein, warum nicht Felix? (14)
Im 12. Kapitel wird über die neue Entwicklung im Dorf ein Resümee gezogen, und Jakob Hanusch kommt zu dem für ihn befriedigenden Ergebnis: Felix, sein Sohn, hatte keine Tretstiefel angezogen, Kumt und Sielen hatte er sich übergestreift und war doch geachtet als Obrigkeit, mehr als irgendeine Obrigkeit früher im Dorf geachtet worden war. (241)
Die sorbischen Arbeiter und Bauern haben die Macht in die Hand genommen. Das historisch markierte Wort Obrigkeit und die okkasionelle Bildung Obrigkeitsstiefel erhalten eine neue Bedeutung. Die 'Obrigkeit' tritt nicht mehr die 'kleinen Leute'. "Felix und seinesgleichen ziehen diese Obrigkeitsstiefel an. Damit bringt der Autor die gesellschaftliche Veränderung und das Verhältnis des sorbischen Volkes zur 'richtigen Obrigkeit', die aus seinen Reihen kommt, zum Ausdruck. " 7 2 Mit dem Wort wird aber auch (vom Autor eher unbeabsichtigt) noch etwas anderes ausgedrückt: Die Notwendigkeit einer Obrigkeit' wird grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Es ist eher so, daß die Exponenten der alten Ordnung durch die der neuen ausgetauscht werden; eine Umkrempelung des Gemeinwesens in basisdemokratische Strukturen oder zumindest in ein System mit mehreren Gruppierungen ist nicht im Blickfeld, deshalb auch das Verhaftetsein des Erzählers und der Figuren in den Begriffen 72 Kandier in Fleischer 1987, 198.
Funktionen der Paläologismen im Text
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der alten Ordnung. Bürgermeisterei (183, 389) gehört ebenfalls hierher, auch wenn das Wort keine leitmotivische Funktion hat, sondern vom Erzähler unmarkiert verwendet wird. Im Epilog ist die Gestaltung der neuen Ordnung abgeschlossen. Die Obrigkeit des Dorfes tritt jetzt gegenüber ihrer Obrigkeit (den Parteisekretären) selbstbewußt auf. Denn es ist kein Zweifel, daß Mjetk die Obrigkeitsstiefel, die er von Felix übernommen hat, nicht zum Leisetreten benutzen wird. (390) 73
3.4.2 Der Gebrauch von Kolchos bzw. Kolchose als Mittel der Figurencharakteristik Kolchos ist heute ein Bezeichnungsexotismus zur Benennung einer in der ehemaligen Sowjetunion existierenden landwirtschaftlichen Organisationsform. In der SBZ strebte die SED die Kollektivierung der Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild an. Ein deutsches Wort für den genossenschaftlichen Zusammenschluß der Bauern (seit Anfang der 50er Jahre: LPG) war zunächst nicht vorhanden, wohl aber das Wissen um die sowjetischen Kolchosen. Kolchos ist im Russischen Maskulinum, im Deutschen sind sowohl die Form der Kolchos /PI. Kolchose, als auch die feminine Variante die Kolchose/ PI. die Kolchosen möglich. In den Romanen der 50er und frühen 60er Jahre ist viel von Kolchos/e die Rede, wenn eine landwirtschaftliche Genossenschaft gemeint ist. Bei Strittmatter (1954), Brezan und Claudius (1957) dient die Verwendung von Kolchos/e der Figurencharakteristik. Die feminine Form Kolchose gebrauchen die 'Gegner' der Kollektivierung, das Wort ist eindeutig negativ konnontiert, wohl in Anlehnung an die Schose. Der jeweilige (parteiliche!) Erzähler des Romans und die Protagonisten der neuen Ordnung sprechen von Kolchos oder Genossenschaft.74 In Tinko, das in der immittelbaren Nachkriegszeit spielt, 72 Obrigkeit war in der DDR ein gebräuchliches Wort für 'die da oben' in Betrieb und Partei. In der Sendung "Unter deutschen Dächern" (ARD, 17.10.91) bezeichneten Brigadiere einer in Auflösung begriffenen LPG in Mecklenburg die Leitung ihrer LPG als Obrigkeit. Auch sie meinten dies nicht ironisch, sondern es klang so, als hätten sie diese Bezeichnung schon immer für ihre Vorsitzenden gebraucht. Aus den Schilderungen der Brigadiere ging dann auch hervor, daß die Leitung der LPG sich wie eine Obrigkeit aufführte. Die interviewten LPG-Mitglieder beklagten nicht nur mangelnde Mitsprache, sondern auch ein großes Informationsdefizit darüber, "wie es denn mit der Genossenschaft weitergehen solle". Vgl. auch im Roman von Brasch : "Das kommt davon, wenn man der Obrigkeit in den Hintern kriecht." (102) 74 Parteilich im Sinne von "bewußt für den Sozialismus, für die Sache der Arbeiterklasse Partei ergreifend" (Handwörterbuch).
106
Paläologismen
wird das besonders deutlich an den beiden Widersachern "Großvater" und "Heimkehrer". Der Großvater ist der Repräsentant der 'alten Ordnung'.75 Er ist wütend über die 'neuen Sitten', die der Heimkehrer aus seiner Kriegsgefangenschaft in Rußland mitbringt. Der Heimkehrer war, wie er und der Erzähler übereinstimmend berichten, in Rußland "auf dem" bzw. "im Kolchos" (42, 146). Der Großvater spricht grundsätzlich verächtlich von "deine[r] Kolchose" (49) oder sagt etwa: "da muß einer aus der Kolchose kommen" (75). Es ist jeweils ein Kolchos in der Sowjetunion gemeint, die erzählte Zeit des Romans (etwa 1945/48) ist vor der Kollektivierungsphase anzusetzen; das fiktive Dorf ist noch nicht genossenschaftlich organisiert, jedoch werden die ersten Vorkehrungen dafür getroffen, die heftigen Streit auslösen. Bei Claudius und Brezan (erzählte Zeit Anfang der 50er Jahre) wird die Kollektivierung vorangetrieben; Gegner und Befürworter des Zusammenschlusses sind durch die Wortwahl eindeutig auseinanderzuhalten. "ne Kolchose wollen sie bauen', kicherte Hülsebeck [ein Großbauer] spöttisch. (Claudius, 251) Ich kriege keinen Traktor mehr auf den Acker. Reif machen wollen sie mich für deine Kolchose. Mich nicht! (Brezan, 135).
Die Parteileute bei Brezan und Claudius denken und reden anders von 'ihrer' Sache. Ich an deiner Stelle, Jakob, würde mir den Eintritt in die Genossenschaft nicht mehr lange überlegen. (Brezan, 155)
Bei Claudius (1957) kommt das Wort Genossenschaft, Zusammensetzungen und Ableitungen mit eingerechnet, etwa 150 mal vor. Selbst eine "Genossenschaftshochzeit" wird gefeiert (483). In Brezans Roman hat sich der alles in allem parteiliche Erzähler auch ein wenig humorvolle Distanz zur Genossenschaft bewahrt: Am Ende hingen die Bilder - der Maler verfertigte in einer Woche mehr Kühe, als insgesamt in den Ställen des Dorfes standen - mit Erlaubnis Dr. Batschons im Wartezimmer des Ambulatoriums und hießen 'Genossenschaftskühe auf der Weide', 'Genossenschaftskühe am Abend', 'Genossenschaftskühe vor dem Gewitter'. (186)
75 Er stirbt auch am Ende des Buches.
Funktionen der Paläologismen im Text
3.4.3
107
Benennungen für Realien in Strittmatters Roman Ole Bienkopp
Aus der Liste der Paläologismen geht hervor, daß bei den meisten Autoren offizielle Bezeichnungen für in der DDR bestehende Einrichtungen und Organisationen in die Romane einfließen76, z.B. Maschinen-und-Traktoren-Station, Neulehrerkurs. Strittmatter distanziert sich in seinem Roman Ole Bienkopp von diesen offiziellen Benennungen, indem er sie graphisch vom übrigen Text abhebt, d.h. entweder in Kapitälchen setzt oder kursiv druckt. Zusätzlich werden einige Begriffe etwas variiert. So ist Ole Bienkopp Vorsitzender der BAUERNHILFE bzw. der NEUEN BAUERNGEMEINSCHAFT, die auch Bauerngemeinschaft vom Neuen Typus genannt wird. Oles NEUE BAUERNGEMEINSCHAFT wird auch von der Offenstallkampagne erfaßt. "Neue Bauerngemeinschaft" bezeichnet bei Strittmatter das, was in der DDR ab Anfang der 50er Jahre LPG heißt. In der zweiten Hälfte des Romans, in der die sozialistische Entwicklung schon fortgeschritten ist, kommt das offizielle Wort auch als ELLPEGE vor. Kursiv setzt Strittmatter Zitate aus Zeitungen, Parteibeschlüssen, aus der Redeweise anderer, z.B. der "Kolchos von Ole Bienkopp" (188).77 Eine ironische Replik auf die in den 50er Jahren aus dem Boden schießenden sozialistischen Ehren- und Gedenktage ist der internationale Bürokratentag (308).78 Solche Paläologismen schaffen Zeitkolorit wie in den anderen Romanen auch, doch heben sie etwas davon ab, reine Zitatwörter zu sein, und tragen dadurch dazu bei, eine eigene Romanwelt zu gestalten.
76 Vgl. Kandier in Fleischer 1987, 197. 77 So nennen die "Altbauern" die Genossenschaft. 78 Alle Kapitälchen und Kursiviemngen bei Strittmatter.
4.
DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
Es gibt Lehnwörter, Lehnübersetzungen und Bedeutungsentlehnungen, die für den Sprachgebrauch in der DDR charakteristisch waren. In ihrer Mehrzahl sind sie aus dem Russischen entlehnt bzw. bedeutungsentlehnt worden, da sie Denotate bezeichnen, die die DDR von der Sowjetunion übernahm. Mit der Einrichtung wurde gleichzeitig die Bezeichnung übernommen.1 Über den russischen Spracheinfluß in der DDR ist viel geschrieben worden.2 In westdeutschen Veröffentlichungen wurde er meistens überschätzt. Das liegt daran, daß die meisten Entlehnungen Einrichtungen und Sachverhalte bezeichnen, die auf ein sozialistisches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verweisen und in den DDR-Medien häufig gebraucht wurden, wie Aktiv, Brigade, Direktive, Fünfjahrplan, Kader, Kombinat, sozialistischer Wettbewerb u.a. Die kritische Haltung gegenüber den nach russischem Muster gebildeten Lexemen war eher ein Ausdruck der Distanz gegenüber der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Tatsächlich war der Einfluß des Russischen auf das Deutsche der DDR gering, und das obwohl Russisch die erste (und meist einzige) Fremdsprache an den Schulen war. Russisch war in allen Ländern des Warschauer Vertrages unpopulär. Es war die Sprache der Besatzungsmacht, die gelernt werden mußte, wobei in der Regel eine stillschweigende Übereinkunft zwischen Schülern, Lehrern und Eltern bestand, daß eigentlich niemand Russisch lernen will. Während in Polen oder Ungarn viele Schüler neben Russisch noch eine andere Sprache belegten und diese wirklich erlernten, blieben die meisten DDR-Bürgerinnen und -Bürger ohne Fremdsprachenkenntnisse. Im Russischunterricht der DDR begegneten sich zwei Diktaturen, eine wirkliche Kommunikation mit den Menschen des Landes, dessen Sprache gelehrt wurde, fand nicht statt. Im Unterricht wurde wenig aktiv gesprochen, eine Begegnung mit der russischen Literatur blieb den meisten Schülerinnen und Schülern vorenthalten.3 Das Russische hat im DDR-Alltag "keine Chance. 1 Ein DDR-typisches Lehnwort aus dem Englischen ist Juice (für Orangensaft); ansonsten sind die aus dem Angloamerikanischen entlehnten Lexeme gesamtdeutsch und von daher hier nicht Gegenstand des Interesses. 2 Vgl. neben anderen Veröffentlichungen Kohls 1965, Hengst 1967, Kraft 1968, Nyvelius 1970, Lehmann 1972, zuletzt Steltner 1989. 3 Oschlies 1989 beklagt das niedrige "didaktisch-methodische Niveau des DDR-Russischunterrichts" (158) und zitiert einen jungen Wissenschaftler aus der DDR, den er 1988 über seine Russischkenntnisse befragte. "'Recht gut', sagte er selbstbewußt, 'ich war nämlich auf einer Spezialschule mit verstärktem Russischunterricht - aber zu einem Gespräch reicht's natürlich
Internationalismen
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Die Sprache tritt vorwiegend als Lieferant häßlicher Lehnwörter auf [...]: Regime (Ordnung), Trasse (Leitung), Rekonstruktion (Sanierung), Stomatologie (Zahnheilkunde) etc." 4 In den Romanen findet sich ein einziges russisches Lehnwort: Datsche, aus russ. daca (bei Schütz 1986 und Maron).5 Es gibt allerdings eine Reihe von Russismen, die "eigentlich gar nicht primär russischen Ursprungs, sondern in der russischen Sprache selbst Fremdwörter waren, als Quasi-Internationalismen gelten konnten und die teilweise sogar schon ein 'deutsches Vorleben' hatten. Gerade bei diesen ergeben sich [...] zahlreiche Bedeutungsverschiebungen [...], die noch heute [1990] das Sprachleben der DDR bestimmen."6 Hinzu kommen einige Lehnübersetzungen und Übertragungen syntaktischer Fügungen.
4.1 Durch das Russische vermittelte Internationalismen Als Internationalismen werden Lexeme bezeichnet, "die in mehreren Sprachen in jeweils mehr oder weniger abgewandelter lautlicher, grammatischer und orthographischer Gestalt vorhanden sind."7 In den Romanen sind eine Reihe von Internationalismen belegt, die durch das Russische in den Sprachgebrauch der DDR gelangt sind. Ihrer Herkunft nach sind sie aber nicht russischen, sondern altgriechischen, lateinischen, französischen und englischen Ursprungs.8 Sie sind nach der Oktoberrevolution 1917 ins Russische entlehnt worden, haben dem russischen Sprachsystem entsprechende Wortbildungsmorpheme, Kollokationspartner und stilistische Bindungen erhalten und zum Teil eine neue Bedeutung angenommen, die den neugeschaffenen sozialistischen Realitäten in der Sowjetunion entsprach. Nach 1945 wurden in der SBZ/DDR mit den Denotaten auch die Bezeichnungen aus der Sowjetunion übernommen.
n i c h t . ( O s c h l i e s 1989, 159). Eine Spezialisiemng dieser Art hieß in der DDR allerdings "Oberschule mit erweitertem Russischunterricht". 4 Oschlies 1989, 159; Kursivierungen im Original. 5 Hinzu kommt noch ein Lehnwort aus dem Sorbischen, einer westslawischen Sprache, im obersächsischen Dialekt: Plinse, sorb, blinc = "Eierkuchen" (vgl. Bielfeldt 1965, 44). Beleg bei Brezan (1964), dessen Romanhandlung in der Lausitz, dem Gebiet der sorbischen Minderheit in der DDR (bzw. in Sachsen und Brandenburg), angesiedelt ist. "Maria schüttelte den Tiegel, der Plinsen sprang folgsam hoch und drehte sich um." (50). 6 Schlosser 1990, 24. 7 Kleine Enzyklopädie deutsche Sprache 1983, 304. Vgl. auch Braun u.a. 1990. 8 Vgl. Steltner 1989, 105; er nennt diese Lexeme "Latino-, Graeco-, Anglo- und Gallorussismen".
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DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
Agitation Agitator Agronom Agronomie Aktiv Aktivist Ambulatorium Aspirant Brigade Brigadier9 Direktive Dispatcher Intelligenz Kabinett Kader Kollektiv Kombinat Kombine10 Losung Objekt Pionier Plan Plast/e Rekonstruktion Traktorist
(lat./russ.)
agitacija agitator (altgr./russ.) agronom agronomija (lat./russ.) aktiv aktivist (lat./russ.) ambulatory a (lat./russ.) aspirant (frz./russ.) brigada brigadir (frz./russ.) direktiva (engl./russ.) dispetCer (lat./russ.) intelligencija (frz./ital./russ.) kabinet (frz./russ.) kadry (lat./russ.) kollektiv (lat./russ.) kombinat kombajn (engl./russ.) lozung (dt./russ.) (lat./russ.) objekt pioner (frz./russ.) plan (frz./russ.) (altgr./russ.) plastmassy (lat./russ.) rekonstrukcija (lat./russ.) traktorist11
Die Lexeme können als sogenannte sozialistische Internationalismen klassifiziert werden. 12 Sie waren in allen sozialistischen Ländern in Gebrauch, z.B. Kombine (dt.), kombajn (poln., ungar., russ.) für Erntemaschine.13 Zur genaueren Untersuchung werden die Internationalismen in zwei Gruppen eingeteilt: in die der direkten Entlehnungen, d.h. Form und Bedeutung sind aus dem Russischen entlehnt, wobei bereits im Russischen ein Entlehnungsvorgang aus einer dritten Sprache stattgefunden hat, und in die Gruppe der Bedeutungsentlehnungen, d.h. ein bereits in der aufnehmenden Sprache
9 Mit russ. Aussprache [-di:r], 10 Mit engl. Aussprache [-ain], 11 Russ. Lexeme vgl. Deutsch-Russisches bzw. Russisch-Deutsches
Wörterbuch.
12 Vgl. Huth in Fleischer 1987, 276. 13 Primär für 'Mähdrescher', aber auch für 'Rüben-' und 'Kartoffelerntemaschine'.
Internationalismen
111
(deutsch) vorhandenes Formativ, dem schon mindestens eine Bedeutung zugeordnet war, erhält von der Spendersprache (russisch) ein weiteres Semem hinzu. 14
4.1.1 Direkte Entlehnungen Aktiv 15 Dispatcher Kombine Kombinat Plast(e) Traktorist
(Claudius 1951, Schütz 1986) (Reimann) (Brezan, Neutsch, Tetzner, Schütz 1980) (Marchwitza, Reimann, Brezan, Neutsch, Kant, de Bruyn, Maron) (Jakobs, Neutsch, de Bruyn, Schütz 1980+1986, Hein 1982 + 1989, Wolf 1968 + 1989, Maron) (Strittm. 1954 + 1963, Claudius 1951 + 1957, Brezan, Neutsch, de Bruyn, Tetzner, Wolf 1989)
Zu den direkten Entlehnungen aus dem Russischen zählen im Deutschen der DDR die Berufsbezeichnungen des Dispatchers und des Traktoristen. Dispatcher gehört zu den "sowjetischen Anglizismen" - zusammen mit bandit, kombajn und miting die dem "Parteijargon der Bolschewiken" zuzuordnen sind. 16 Sie kamen Anfang der 50er Jahre in die DDR. Ein Dispatcher ist ein Mitarbeiter in einem Betrieb bzw. im Verkehrswesen, der für die Lenkung und Kontrolle der Prozesse in der Produktion bzw. in einem Streckenabschnitt verantwortlich ist. In einem Produktionsbetrieb war er auch häufig für die Materialbeschaffung zuständig, wie aus dem Roman von Reimann hervorgeht: [Meister] Ich kann mir keine Schweißzeuge aus den Rippen schneiden... Frag den Dispatcher, manchmal weiß der auch was. (Reimann, 47)
Dispatcher kommt in offiziellen Wirtschaftstexten der DDR ab 1953 vor. 17 Die Berufsbezeichnung gab es vorher in Deutschland nicht. 18 Dispatcher hat im Englischen die Bedeutung Fahrdienstleiter. Die Bezeichnung gibt es auch in der Bundesrepublik, allerdings wurde sie erst zu einem späteren Zeitpunkt
14 Terminologie ("direkte Entlehnung" - "Bedeutungsentlehnung") nach Huth in Fleischer 1987, 275-78. 15 Das Aktiv (Betonung auf der letzten Silbe). 16 Vgl. Oschlies 1988, 206. 17 Vgl. Lehmann 1972, 227. 18 Das Lexem wird deshalb zu den direkten Entlehnungen gezählt und nicht, wie bei Huth (in Fleischer 1987, 278), zu den Bedeutungsentlehnungen.
112
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als in der DDR eingeführt, mit der Bedeutungsdifferenzierung des Koordinators, z.B. im Flugbetrieb der Deutschen Lufthansa.19 Ein Traktorist ist ein Traktorfahrer. Der Begriff verweist auf den hohen Grad der Spezialisierung in der sozialistischen Landwirtschaft, Traktorist ist ein landwirtschaftlicher Beruf. Ein junger Mensch [...], später war er Traktorist in der LPG und drum ein guter Freund von Thonke [...]. (Claudius 1957, 241) 2 0
Zu den direkten Übernahmen aus dem Russischen zählen auch die beiden Lexeme Kombinat und Kombine. Die Bezeichnung Kombine wurde zusammen mit den Maschinen aus der Sowjetunion importiert. Die Kombine ist eine "Maschine, die verschiedene Arbeitsgänge gleichzeitig ausführt."21 In der Landwirtschaft heißt der (DDR-)deutsche Begriff Vollerntemaschine. Es gibt die Getreidekombine, westdeutsch Mähdrescher, aber auch Kartoffel- und Rübenkombines. Im Bergbau wird die Braunkohlenkombine eingesetzt. Combine (harvester) wurden die in den 30er Jahren in den USA entwickelten Mähdrescher genannt22, die offensichtlich auch in die Sowjetunion exportiert wurden, denn dort wurde die englische Bezeichnung übernommen. Die Kombine galt besonders in den 50er Jahren als Fortschritt, den die Kollektivlandwirtschaft ermöglicht hatte. Die Erzählerin in Tetzners Roman Karen W. berichtet aus der Retrospektive allerdings auch von Problemem, die die neuen Maschinen mit sich brachten, und wie in den Medien mit diesen Problemen umgegangen wurde: Es geht um die Rübenkombine, die nutzlos am Feldrand steht. Sie schneidet die Rüben zu hoch oder zu tief ab und vermischt sie mit Dreck und Steinen. Kein Bauer kann diesen Dreck reinen Gewissens dem Vieh vorsetzen. Die Zeitung schimpft nicht über Konstrukteure und Lieferer solcher Maschinen, sondern über die Osthausener Bauern, die die Maschine am Feldrand stehen lassen und die Rüben 'wie ihre Vorfahren vor hundert Jahren' ernten. (Tetzner, 52)
Kombinat als Bezeichnung für einen Verbund mehrerer volkseigener Betriebe des gleichen Produktionszweiges ist auch "sächlich sowjetischer Wirtschaft entlehnt worden, und zwar zunächst im Rahmen Sowjetischer Aktiengesellschaften (SAG)."23 Marchwitzas Roman Roheisen handelt von dem ersten industriellen Großprojekt der DDR, vom Aufbau des Eisenhütten-
19 Vgl. Schlosser 1990, 207 Anm. 3. 20 Hörbeleg ARD 17.10.91; interviewt wurden "Traktoristen und Brigadiere" einer noch bestehenden LPG in Mecklenburg. 21 Lehmann 1972, 277. 22 Ebd. 23 Schlosser 1990, 74.
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kombinates Ost (EKO). Das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt an der Oder wurde als erster Großbetrieb mit der Bezeichnung Kombinat belegt.24 Der Begriff wurde auf alle Produktionszweige ausgeweitet. Es gab das Backwaren-, Chemie-, Dienstleistungs-, Getränke-, Wohnungsbau-, ... -kombinat, meist mit dem Kurzwort VEB davor, z.B. VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld, VEB Braunkohlenkombinat Hoyerswerda "Schwarze Pumpe". Während Jakobs und Kant die Bezeichnung Kombinat nur einmal verwenden - als Bezeichnungsexotismus, bei Jakobs erzählt ein Bauarbeiter von einem Hüttenkombinat in Kuznesk, bei Kant geht ein ABF-Absolvent an ein Industriekombinat in China -, kommt die Bezeichnung bei Marchwitza und bei Reimann, die von 1960-1968 in Hoyerswerda lebte und zeitweilig in der "Schwarzen Pumpe" arbeitete, häufig vor, bei Marchwitza meist als Kompositum Eisen(hütten)kombinat. Die Weltfestspiele der Jugend sollten in diesem Jahr in Berlin stattfinden und das Eisenhüttenkombinat hatte dazu ein eigenes Ensemble zu stellen. (Marchwitza, 315)
Reimann verwendet den Begriff in ihrem Roman über dreißigmal, die Wendung im Kombinat ist gleichbedeutend mit im Betrieb, im Werk, in der Fabrik. [...] sie waren Reparaturbrigade, sie waren, Hamann an der Spitze, verantwortlich für das Rohrleitungsnetz im Kombinat, und es gab Nächte genug, in denen ein Dispatcher-Jeep vor der Haustür hielt. (Reimann, 6 1 ) 2 5
Der ostdeutsche Plast bzw. die Plaste ist nach dem russischen plastmassy gebildet worden wie das westdeusche Plastik nach dem angloamerikanischen plastics. Das Wort gibt es in der DDR seit dem Ende der 50er Jahre26 als Fremdwort für Kunststoff. Plast (e) wurde in der DDR häufiger gebraucht als in der Bundesrepublik Plastik, vgl. z.B. Kunststoffindustrie (BRD) - Piastund Chemiefaserindustrie (DDR). Ein Grund dafür könnte sein, daß Zusammensetzungen mit Kunst- bei Waren des täglichen Bedarfs in der DDR negativ konnotiert waren, da teilweise Ersatzstoffe angeboten wurden, z.B. Kunsthonig. Es gab in der DDR auch die Tendenz, Begriffe aus der Fachsprache über die Medien einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, vgl. z.B. die 'Reklame', die an Autobahnbrücken und Hauptbahnhöfen zu lesen war: "Plaste und Elaste aus Schkopau".27 Plastik wiederum gilt in der Bundesrepublik als 'Billigstoff'; Plastikindustrie wäre von daher kein Begriff, mit dem sich Werbung machen ließe. Lehmann vermutet, daß die Neuprägung Plast 24 Ebd. 25 mit ...an der Spitze ist auch aus dem Russischen entlehnt, vo glave s, vgl. 4.2. 26 Lehmann 1972, 348. 27 Plaste und Elaste sind Pluralformen.
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entstanden sei, "als man die offenbar nur als Fachwort gebräuchliche Lüs. Plastmasse in Zusammensetzungen benutzen wollte."28 Nicht alle sozialistischen Länder haben das Lehnwort für Kunststoff aus dem Russischen übernommen, Polen und Ungarn z.B. orientierten sich an der englischen Bezeichnung, poln. plastyk, ungar. plasztik. Wie der Roman von Jakobs zeigt, war die Erfindung der Plaste ein großer Fortschritt. Das Textzitat belegt die Euphorie der 50er Jahre, die im Westen sicher nicht geringer war: Ich habe Tischler gelernt. [...] Morgen aber wird es keine Tischler mehr geben. [...] Und dann werde ich auf Plaste umlernen. Wenn Möbel später alle aus Plaste gemacht werden, dann müssen die Tischler sich logischerweise auch umstellen. (Jakobs, Iii.)
Das Aktiv29 ist ein russisches Kunstwort lateinischen Ursprungs. Es bezeichnet eine "kleine Arbeitsgruppe innerhalb eines größeren Kollektivs, die auf ihr Umfeld aktivierend im Sinne des sozialistischen Aufbaus wirken soll". 30 Das Lehnwort erscheint häufig als Grundwort in Komposita: Elternaktiv^, Parteiaktiv, in den 80er Jahren auch Umweltaktiv. Das Wort wurde schon Ende der 40er Jahre übernommen, Claudius verwendet es bereits in seinem Industrieroman Menschen an unsrer Seite, allerdings verrät er noch Unsicherheit im Umgang mit diesem neuen Begriff: 'Was meinst du, Genösse Aehre?' fragte Schadow, der provisorisch die Leitung der Versammlung aller entscheidenden Genossen des Betriebes - sozusagen des Parteiaktivs - übernommen hatte. (Claudius 1951, 196)
4.1.2 Bedeutungsentlehnungen Agitation/ Agitator Agronom Aktivist
Ambulatorium Aspirant(in)
(Johnson, Marchwitza, Jakobs, Strittmatter 1954 + 1963, Wolf 1963, Brezan, Neutsch, Kant, Plenzdorf) (Strittmatter 1963, Tetzner) (Marchwitza, Jakobs, Kant, Strittmatter 1963, Claudius 1951, Seghers, Reimann, Neutsch, Schütz 1986) (Brezan, Schütz 1986) (Neutsch, Wolf 1968, Schütz 1986)
28 Lehmann 1972, 349; Lüs. = Lehnübersetzung. 29 [-i:v], Plural Aktivs oder (seltener) Aktive. 30 Ahrends 1989, 14. 31 Elternvertretung einer Schulklasse.
Bedeutungsentlehnungen
Brigade Brigadier Direktive Intelligenz
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(fast alle Autorinnen und Autoren)
(Claudius 1951, Marchwitza, Brezan) (Marchwitza, Jakobs, Kant, Brezan, Reimann, Seghers, Neutsch, Wolf 1968, de Bruyn) (Schütz 1986) Kabinett Kader (Kant, Seghers, Strittmatter 1963, Reimann, Brezan, Neutsch, Schlesinger, Tetzner, Wolf 1963 + 1989, Jakobs, Brasch, Hein 1989) (Reimann, Marchwitza, Jakobs, Kant, Kollektiv Seghers, Strittmatter 1954, Johnson, Neutsch, Wolf 1968, de Bruyn, Schlesinger, Schütz 1980+1986) Losung (Johnson, Wolf 1963 + 1968, Kant, Seghers, Marchwitza, Brezan, Neutsch, Strittmatter 1963, Tetzner, Hein 1982) Objekt (Neutsch, Schütz 1986, Wolf 1989) Pionier (Strittmatter 1954, Maron 1981) Plan (Claudius 1951, Marchwitza, Jakobs, Kant, Reimann, Seghers, Wolf 1963, Neutsch, Strittmatter 1963) Rekonstruktion (Hein 1982) Durch die Übertragung einer im Russischen geläufigen Bedeutung auf ein im Deutschen schon vorhandenes Wort gewinnt das jeweilige Lexem entweder eine weitere (neue) Bedeutung hinzu oder seine Bedeutung erfahrt eine Spezialisierung. Die neue Bedeutung bzw. die Bedeutungsspezialisierung des Lexems wird zur vorrangigen Bedeutung in der Kommunikationsgemeinschaft DDR.
4.1.2.1 Lexeme mit neuer Bedeutung Zu den Wörtern, die durch das Russische eine neue Bedeutung erhalten, gehören Ambulatorium, Brigade, Intelligenz, Kabinett, Kader, Objekt, Pionier und Rekonstruktion. Ambulatorium ist im Deutschen ein Synonym für das gebräuchlichere Wort Ambulanz, das eine Station im Krankenhaus zur ambulanten Behandlung der Patienten bezeichnet.32 In der DDR bezeichnet es in Anlehnung an die russi32 Vgl. Wahrig.
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DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
sehe Bedeutung eine (kleine) Poliklinik, speziell auf dem Land. Polikliniken und (Land-)Ambulatorien wurden in den sozialistischen Ländern anstelle der privaten Arztpraxen eingerichtet. Im Handwörterbuch wird Ambulatorium definiert als "medizinische Einrichtung mit mindestens zwei Fachabteilungen für die ambulante Behandlung von Patienten". Daß der an einem Ambulatorium angestellte Arzt die gleichen Aufgaben hat wie sein westlicher Kollege mit eigener Praxis, wird im Roman von Schütz deutlich: In letzter Minute war Anna mit Rainer zum Landambulatorium gerannt. Sie bat den dortigen Arzt um ein Attest. (Schütz 1986, 99)
Die Bedeutungen von Brigade, Kader und Pionier, die ursprünglich auf den militärischen Bereich beschränkt waren, wurden auf andere Gebiete übertragen. Brigade erhielt die Bedeutung "Kollektiv von Werktätigen [...] in soz. Betrieben aller Wirtschaftsbereiche [...]" (Handwörterbuch), Pionier bezeichnet das Mitglied der sozialistischen Kinderorganisation. Kader erhielt zwei neue Bedeutungen, zum einen bezeichnet es eine "Einzelperson mit bestimmten Funktionen (z.B. [der] Reisekader)"33 - Kader tendiert hier in Richtung Funktionär - zum anderen ist es in seiner Pluralform ein Synonym für Personal. Welche Bedeutung jeweils aktualisiert wird, läßt sich an den Kompositionselementen erkennen. Kader als Grundwort eines Kompositums bezeichnet eine Person auf der Leitungs- bzw. Funktionärsebene: Reisekader, Führungskader, Kader als Bestimmungswort meint Arbeitskräfte allgemein: Kaderabteilung, Kaderakte. Die aus dem Russischen übernommenen neuen Bedeutungen sind in den Wörterbüchern die vorrangigen und in den Romanen die einzigen aktualisierten Bedeutungen der Lexeme. Sie verweisen auf das sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem bzw. die dahinterstehende marxistischleninistische Ideologie.34 Nicht bei jedem Wortbeleg in den Romanen wird der ideologische Hintergrund aktiviert, aber in allen literarischen Werken gibt es Textstellen, die auf den politischen Zusammenhang der neuen Bedeutungen verweisen. [...] seit einer Viertelstunde waren sie die jüngsten Mitglieder der Brigade '8. Mai', einer Brigade von zwanzig Rohrlegern und Schweißern. (Reimann, 37) Die Erzählung [...] muß mich, obwohl ich ein bewußter und vorbildlicher Jungpionier war, tief beeindruckt haben [...]. (Maron, 87) "Wir werden uns einschalten", sagte Völschow [Genösse und ABF-Direktor], "wir werden unsere neuen staatlichen Stellen einschalten. Schließlich handelt es sich um einen Arbeiterkader." (Kant, 109)
33 Schlosser 1990, 72. 34 Vgl. auch Kap. 7.
Bedeutungsentlehnungen
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Intelligenz bezeichnet in der aus dem Russischen übernommenen Bedeutung die "soziale Schicht der berufsmäßig Geistesschaffenden".35 Dazu zählen Berufstätige im Bereich der Lehre und Forschung, der Medizin und Technik sowie künstlerisch Tätige. In der marxistisch-leninistischen Ideologie ist die Intelligenz ausdrücklich keine Klasse, sondern eine soziale Schicht, "weil sie sich in jeder Gesellschaftsformation aus Angehörigen verschiedener Klassen bildet." 36 Auch in der Bundesrepublik gibt es das Wort in der Bedeutung "Gesamtheit der geistig Schaffenden" (Wahrig), außerhalb des näheren Umfelds von SPD und DGB ist der Begriff aber ungebräuchlich.37 Die Intelligenz wird sprachlich durch die Akademiker (schaff) bzw. (seltener) durch die Intellektuellen repräsentiert. In den sozialistischen Ländern bezieht die Arbeiterklasse als herrschende Klasse durch ihre Bündnispolitik die Intelligenz in den Aufbau der Gesellschaft mit ein, doch sollten die Angehörigen der Intelligenz in ihren Forderungen nicht zu weit gehen. Der Ingenieur Tom Breitsprecher in Jakobs' Roman hat seine Position jedenfalls überschätzt und wird von einem Brigadier - also einem Angehörigen der herrschenden Klasse zur Ordnung gerufen: [...] gehst du nicht etwas zu weit in der Selbstüberschätzung, anzunehmen, der Arbeiter-und-Bauern-Staat stelle aus seinem Haushaltsplan [...] fünftausend Mark zur Verfügung, um dich von deiner Geliebten zu trennen? [...] Bei aller Wertschätzung der Intelligenz, so was kann man vom Arbeiter-und-BauernStaat nicht erwarten. (Jakobs, 165)
Kabinett, Objekt und Rekonstruktion haben durch das Russische eine weitere Bedeutung hinzubekommen. Kabinett, das im Deutschen allgemein ein "kleines Zimmer, Nebenraum; Raum für Kunstsammlung" (Wahrig) bezeichnet, erhielt die Bedeutung 'Fachunterrichtsraum, Arbeits- und Beratungszimmer'. Das Lexem begegnet häufig als 2. Konstituente in Komposita, Lese-, Computer-, Sprach- (Sprachlabor), Traditionskabinett.38 Anna hatte einen Platz im Lesekabinett [der Bibliothek] zugewiesen bekommen. (Schütz 1986, 1 0 6 ) 3 9
35 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, 257; vgl. auch Ahrends 1989, 84. 36 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, 257. 37 Der SPD-Politiker Peter Glotz spricht des öfteren von der "technischen Intelligenz", z.B. in Schnüss. Das Bonner Stadtmagazin, 6/1992, 11. 38 Ein Traditionskabinett war eine ausstellungsartige Einrichtung in Schulen und Betrieben, die "die Tradition der entsprechenden Institution dokumentieren und in Ehren halten soll". (Ahrends 1989, 164). Eine "POS Ernst Thälmann" hatte z.B. ein Zimmer, in dem das Leben und die politische Tätigkeit Thälmanns dargestellt wurde. 39 in den westlichen Demokratien bezeichnet Kabinett die Regierung als Gesamtheit der Minister (und nicht, wie bei Wahrig angegeben, "die persönl. Berater eines Staatsoberhauptes").
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DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
Objekt hatte die Bedeutungen 1. "Gegenstand oder Ziel des Denkens und Handelns", 2. "Wertgegenstand, bes. Grundstück" und 3. "Bezeichnung für einen grammatischen Terminus". 40 Als neue Bedeutung kommt hinzu: "für die Allgemeinheit geschaffene bauliche Einrichtung, betriebswirtschaftliche Einheit, bes. Verkaufsstelle, Gaststätte".41 In den Romanen finden sich zwei Belege für die aus dem Russischen entlehnte DDR-typische Bedeutung: Bei Schütz 1986 steht Objekt für Datsche, bei Neutsch für Ferienheim. Es ist ja heute das erste Mal, daß mein Mann das Objekt gesehen hat. (Schütz 1986, 179) Ich aber hatt nun mal Appetit auf Bier [...]. Und ich geh zum Objektleiter und sag: 'ist das nun eine Erholung für mich, wenn ich noch nicht mal 'ne Molle trinken kann?' (Neutsch, 404)
Der ursprünglichen Bedeutung von Rekonstruktion "Wiederherstellung (des ursprünglichen Zustandes)" (Wahrig) wurde die Bedeutung 'Sanierung, Renovierung, Modernisierung von Gebäuden und Industrieanlagen oder auch Umbau von Geschäften, Restaurants etc.' hinzugefügt. "Wir rekonstruieren" war häufig an geschlossenen Gaststätten zu lesen. Das Wort bezeichnete zunächst die Rationalisierung und Modernisierung von Industrieanlagen. In dieser Bedeutung war es auch aus dem Russischen entlehnt worden.42 "Nach dem V. Parteitag [der SED, 1958] wurde mit der sozialistischen Rekonstruktion der Industrie begonnen." 43 Rekonstruktion in der Bedeutung 'Erneuerung, Renovierung' wurde allmählich auch auf nichtindustrielle Bereiche übertragen. Der Wortbeleg aus der Erzählung Drachenblut verweist noch auf die ursprüngliche russische Bedeutung: Mit einigen Kollegen hatte er Großstädte besucht, um sich dort Rekonstruktionen technischer Anlagen anzusehen. (Hein 1982, 48)
4.1.2.2 Bedeutungsspezialisierungen Durch die Übertragung einer im Russischen geläufigen Bedeutung auf ein im Deutschen bereits vorhandenes Lexem kann dessen Bedeutung spezialisiert werden. Ein Beispiel hierfür ist Aspirant mit der allgemeinen Bedeutung Anwärter, Bewerber {Wahrig). Nach dem Vorbild des Russischen wurde in der 40 Vgl. V. Schmidt 1978, 36. 41 Vgl. ebd. und Handwörterbuch. 42 Lehmann (1972, 360), setzt die Jahre 1959/63 als Zeitraum der Übernahme und des häufigen Gebrauchs an. 43 SED-Programm, zitiert nach Lehmann 1972, 361.
Bedeutungsentlehnungen
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DDR die Bedeutung von Aspirant auf den Hochschulbereich beschränkt. Das Lexem bezeichnet einen "Nachwuchswissenschaftler, der sich auf den Erwerb eines akademischen Grades vorbereitet"44. Die meisten Bedeutungsentlehnungen in der Gegenwartssprache der DDR spezialisieren das jeweilige Lexem im Hinblick auf die sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bzw. die marxistisch-leninistische Ideologie. Mit der Spezialisierung ist häufig eine Aufwertung verbunden. Der Einfluß der russischen Sprache ist insofern gegeben, als in der Sowjetunion schon ein sozialistisches Gesellschaftssystem bestand, das gegenüber der DDR eine Vorbildrolle einnahm. Die Lexeme sind teilweise älter, stammen aus der Arbeiterbewegung oder den Schriften der 'Klassiker des Sozialismus'. Ihre spezifische Bedeutung erhielten sie im Laufe der Konsolidierung der UdSSR und der DDR. Agitation bezeichnet die "politisch-ideologische Aufklärungsarbeit marxistisch-leninistischer Parteien" (Handwörterbuch). Die Agitation ist ein fester Bestandteil der politischen Überzeugungsarbeit der SED und zielt über Betriebe und Bildungseinrichtungen auf breite Kreise der Bevölkerung.45 Der Begriff ist positiv konnotiert - im Unterschied zur 'westlichen' Interpretation, die Agitation negativ wertet: "aggressive politische Werbung" (Wahrig). In Marchwitzas Roman Roheisen gehört Agitationsarbeit zu den Aufgaben des Parteisekretärs auf der Großbaustelle des Eisenhüttenkombinats Ost. Roheisen - das war das Ziel dieses Jahrviertels... es trieb Leitner zu Kämpfen mit [...] fluchenden und widersetzlichen Partei- und AGL-Funktionären um Verbesserung der Agitation und der Kulturarbeit [...]. (Marchwitza, 338) 4 6
Agronomie hat im Deutschen der DDR wie im Russischen die engere Bedeutung Ackerbau- (und nicht allgemein Landwirtschaft-). Ein Agronom ist eine Fachkraft im Bereich der Pflanzenproduktion. Er [der Traktorist] wurde Agronom und kein schlechter. Bald konnten sich die Getreide- und Futterernten der Genossenschaft sehen lassen. (Strittmatter 1963, 307)
Ein Aktivist ist nicht nur ein "politisch tatkräftiger Mensch" (Wahrig), sondern bezeichnet in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten einen "Werktätigefn], der bei der Erfüllung des Planes, im soz. Wettbewerb und in der gesellschaftlichen Tätigkeit außerordentliche Leistungen vollbracht hat" (Handwörterbuch) und dafür staatlich ausgezeichnet worden ist. 47 44 V. Schmidt 1978, 30. 45 Vgl. auch Ahrends 1989, 13. 46 Jahrviertel ist die Übersetzung von Quartal - eine okkasionelle Bildung des Arbeiterschriftstellers Marchwitza wohl aus Gründen der Verständlichkeit. Anfang der 50er Jahre wurden in den Betrieben z.T. sogenannte Quartalspläne aufgestellt, eine Lehnübersetzung von mss. kvartal'nyj plan. 47 Vgl. auch Lehmann 1972, 194.
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DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
Franz war der Brigadier und vierfacher Aktivist, und er war ein tüchtiger und umsichtiger Brigadier [...]. (Reimann, 41)
Direktive und Plan beziehen sich auf den sogenannten Volkswirtschaftsplan, der von der Regierung eines sozialistischen Landes jeweils für ein Jahr aufgestellt wurde und für die Wirtschaft und das gesamte gesellschaftliche Leben maßgebend war. Die Bedeutung 'verbindliche Richtlinie' ist bei Plan die durch das Russische vermittelte Bedeutungsspezialisierung. Der Plan war in der DDR "die verbindliche, durch Volkskammerbeschluß zum Gesetz erhobene Richtlinie für die Entwicklung der soz. Volkswirtschaft [...] in einem bestimmten Zeitraum" (Handwörterbuch). Plan ist Bestandteil vieler Lehnübersetzungen: Fünfjahrplan, den Plan (vorfristig) erfüllen etc. (vgl. 4.2). Da in der DDR nicht nur die Wirtschaft, sondern alle Gesellschaftsbereiche der Planung unterlagen, gaben Volkswirtschaftspläne oder Parteitagsbeschlüsse detaillierte Richtlinien für die verschiedensten Produktionsbereiche, aber auch für die Arbeit in Wissenschaft und Kunst. Die Gesellschaftswissenschaft erhielt z.B. auf dem VIII. Parteitag der SED (1971) eindeutige Arbeitsaufträge. "Aus der Aufgabenstellung für die Gesellschaftswissenschaftler nach dem VIII. Parteitag der SED leiten die Linguisten die Frage nach der Verwirklichung der Führungsrolle der Arbeiterklasse in der Sprache ab." 48 Ähnlich erging es der Kunst, vor allem in den 50er und 60er Jahren, wie aus dem Roman Mannesjahre von Brezan hervorgeht. Die Partei hatte genaue Vorstellungen, wie Inhalt und Form eines Theaterstücks auszusehen hatten. Was wollen Sie? Das Stück entspricht genau den Direktiven, der Inhalt ist höchst lobenswert, Probleme des Sozialismus auf dem Land undsoweiterundsofort. (Brezan, 227)
Der Plan mußte erfüllt werden, wie es hieß, Aufrufe zur Erfüllung oder Überbietung des Plans gehörten auch zur Agitationsarbeit in den Betrieben. Die Lehrerstudentin Rita Seidel, die in Christa Wolfs Erzählung Der geteilte Himmel für einige Monate in die Produktion geht, sieht an ihrem ersten Arbeitstag gleich die Wandtafeln in der Produktionshalle Waggonbauer! Sichert die Planerfüllung für März! (Wolf 1963, 31)
Kollektiv ist die 'sozialistische' Bezeichnung für Arbeitsgruppe, Team. Der Begriff ist ideologisch determiniert; nach marxistisch-leninistischer Auffassung fungiert das Kollektiv als "Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft und [soll] die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten maßgeblich beeinflussen"49. Das Arbeiten, Leben und Lernen im Kollektiv ist ein Grund-
48 Damaschke 1974, 35. 49 Ahrends 1989, 97.
Bedeutungsentlehnungen
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pfeiler der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Das Wort bezeichnet sowohl kleine Gruppen als auch Belegschaften ganzer Betriebe. Eine Kommission des Ministeriums für Volksbildung [...] fand das fröhliche und geordnete Jugendleben des Internatskollektivs vor [...]. (Johnson, 160)
Losung ist ein Beispiel für die engen Beziehungen sowjetischer und deutscher Kommunisten schon vor 1945. Im Russischen ist lozung ein Lehnwort aus dem Deutschen, wo es ursprünglich die Bedeutung Kennwort, Spruch;50 hatte. Die auf die politisch-ökonomischen Verhältnisse im Sozialismus gerichtete Bedeutung "kurz und einprägsam formulierter mobilisierender (politischer) Leitsatz" (Handwörterbuch) bzw. "Kampfspruch" erhielt das Wort dann über das Russische51, wobei aber nicht klar zu unterscheiden ist, "wer von wem was gelernt hatte" 52 . Die Losungen in den 50er Jahren ähnelten einander sehr - nicht nur in der 'objektiven Realität', sondern auch in den Romanen. Bei Strittmatter ersinnt Friedas reger Geist eine besondere Losung zur Ausschmückung des Versammlungslokals. Die Genossin Danke vom Dorfkonsum schreibt die Losung mit Kaufmannsschrift auf rotes Fahnentuch: JEDER HAMMERSCHLAG FÜR DEN FRIEDEN EIN NAGEL ZUM SARGE DER KRIEGSTREIBER!!! Drei Ausrufzeichen. (Strittmatter 1963, 187) 53
Bei Seghers schreibt ein junger Arbeiter während des 'Sozialistischen Wettbewerbs' im Walzwerk Losungen auf die äußere Eisenwand. Er schrieb, was Gerber geschrieben hatte: "Wir holen auf bis zum 1. August." - Und er schrieb aus sich selbst heraus: "Jeder Stich - ein Stich gegen die Kriegshetzer!" (Seghers, 563)
4.2 Lehnübersetzungen aus dem Russischen Im Gegensatz zum Englischen, das mit vielen Lehnwörtern in der deutschen Sprache präsent ist, gestalten sich die russisch-deutschen Lehnbeziehungen auf der Ebene der Bedeutungsentlehnungen und der Lehnübersetzungen. Das liegt zum Teil an den Strukturunterschieden zwischen den beiden Sprachen, hat aber außerdem den Grund, daß Russisch auch in der DDR ein niedrigeres Prestige hatte als Englisch. Lehmann hat in ihrer Studie nachgewiesen, daß sich die meisten Entlehnungen aus dem Russischen für die Jahre des Neuauf50 Vor allem auch bei der "Herrnhuter Brüdergemeinde" (vgl. Wahrig). 51 Huth in Fleischer 1987, 285 und Lehmann 1972, 291. 52 Vgl. auch Schlosser 1989, 38. 53 Kapitälchen im Original.
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DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
baus in der DDR nachweisen lassen, also für die 50er Jahre, als die Parteiund Staatsführung sich sehr eingehend an der Sowjetunion orientierte und vor allem im wirtschaftlichen Bereich auf sowjetische Erfahrungen bzw. Vorgehensweisen zurückgriff. 54 Die Bezeichnungen, die die DDR von der Sowjetunion übernahm, wurden in der Regel übersetzt. Das war auch notwendig, weil in den 50er Jahren kaum jemand Russisch sprechen konnte bzw. die Arbeiterklasse, die in der DDR die Herrschaft übernahm, traditionell wenig Zugang zu Fremdsprachen hatte, und wenn, dann nicht zum Russischen.55 Die Lehnübersetzungen nahmen den neuen Einrichtungen das Fremde und trugen mit dazu bei, daß sich die Menschen an die neugeschaffenen sozialistischen Strukturen gewöhnten.56 Statt von pjatiletka, stengazeta oder dorn kul'turyj sprach man von Fünfjahrplan, Wandzeitung oder Kulturhaus. Teilweise wurden auch russische Strukturen übernommen, z.B. Haus der Kultur (Genitivattribut statt Komposition). Bereits Anfang der 50er Jahre wurde die inzwischen auch im Westen gebräuchliche syntaktische Fügung mit ... an der Spitze aus russ. vo glave s übersetzt sowie die Wendung im Ergebnis ( + Genitiv) > ν resul'tate.57 Franz Carl Weiskopf beklagte schon 1955 in seinem Kapitel "Ostdeutsch und Westdeutsch oder Über die Gefahr der Sprachentfremdungdaß "Slawismen, durch mechanische Übersetzung aus dem Russischen (zumeist auf dem Wege über die Presse) ins Deutsche eingedrungen, [...] eine weitere Art der Sprachverwilderung [darstellen], die - weil nur bei uns, nicht auch drüben anzutreffen - dem Prozeß der sprachlichen Entfremdung zwischen beiden Teilen Deutschlands Vorschub leistet." 58 Als Beispiele führt er die oben genannten syntaktischen Fügungen an, aber auch Redewendungen wie den Plan (vorfristig) erfüllen bzw. übererfüllen. Weiskopfs Befürchtung der "Sprachverwilderung" wirkt für heutige Maßstäbe übertrieben, allerdings gibt sein Artikel einen dezidierten Einblick in Entlehnungsvorgänge, die über die Presse und SMAD-Befehle in der SBZ/DDR schon ab 1945 eingesetzt haben. Weiskopf übersieht, wie in einer Rezension der Sprachpflege 1956 kritisiert wird, "die große Gruppe der Lehnübersetzungen aus dem Russischen".59
54 Vgl. Lehmann 1972, 116-118. 55 Vgl. Huth in Fleischer 1987, 284. 56 Vgl. ebd., 285. 57 Die Wendung im Ergebnis findet sich vor allem in wissenschaftlichen Arbeiten in der DDR, vgl. Heiß 1987, 167: "Im Ergebnis der Untersuchungen können wir konstatieren, daß [...]." 58 Weiskopf 1955, 421. Dem Westen kreidet er die "Amerikanismen" an. 59 Sprachpflege 5, 1956, 29 (ohne Autorangabe).
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Lehnübersetzungen
In den Romanen sind die folgenden Übersetzungen belegt60: Arbeiter-und-Bauern-Inspektion
> raboCe-krest'janskaja inspekcija61 > peredovik > polevodstvo > 2isn' molodjoZnoj > obSCestvo krest'janskoj vzaimopomoSfii > sten(naja)gazeta > socialistiCeskoe sorevnovanie > vo glave s
Bestarbeiter [Ehrentitel] Feldbau Jugendleben, (fröhliches) Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Wandzeitung Wettbewerb, sozialistischer mit... an der Spitze
Lehnübersetzungen sind auch viele Zusammensetzungen mit - Freundschaft, z.B. Pionierfreundschaft - Jugend, z.B. Jugendbrigade - Kultur, z.B. Kulturhaus - Plan, z.B. Fünfjahrplan
> pionerskaja druXina62 > molodjoftiaja brigada > domkul'turyj > pjatiletnyj plan bzw. pjatiletka
sowie Kompositionen mit den 'russischen' Internationalismen Aktiv, z.B. Parteiaktiv Brigade, z.B. Komplexbrigade Brigadier, z.B. Feldbaubrigadier Kader, z.B. Kader arbeit Kollektiv, z.B. Lehrkollektiv Pionier, z.B. Pioniertuch
> partijnyj aktiv (partaktiv) > kompleksnaja brigada63 > brigadir polevod&skoj brigady > rabota s kadrami > uCebnyj kollektiv > pionerskij galstuk64
Auch das verbale Syntagma den Plan erfüllen bzw. übererfüllen ist eine wörtliche Übersetzung aus dem russischen (pere)vypolnit' plana, ebenso die
Wendung vorfristige Erfüllung des Plans aus dosrotnoe
vypolnenieplana.
60 Vgl. auch 3.3.2 (Paläologismen, die Lehnübersetzungen sind). 61 Alle Übersetzungen vgl. Deutsch-Russisches
bzw. Russisch-Deutsches
62 Die Pionierorganisation an einer Schule. 63 Eine Brigade aus Facharbeitern unterschiedlicher Bemfe. 64 Galstuk (Halstuch) - ein deutsches Lehnwort im Russischen.
Wörterbuch.
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DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
Die Arbeiter-und-Bauern-Inspektion ist ein Organ der Volkskontrolle65. Sie wurde 1963 nach sowjetischem Vorbild gegründet. Mit Hilfe ehrenamtlicher Mitglieder kontrollierte die ABI im Auftrag von Partei und Regierung die Verwirklichung der Beschlüsse und Direktiven. "Die ABI ist eine der wenigen Möglichkeiten für DDR-Bürger, sich gegen Übergriffe und Ungerechtigkeiten zwischengeordneter Instanzen zur Wehr zu setzen. " 66 Mit der Einrichtung der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion droht beispielsweise die Hauptfigur in Schütz1 Roman In Annas Namen, als ihr Auto nach einem dreiviertel Jahr immer noch nicht repariert ist: Sie argumentierte. Schimpfte, drohte mit der Arbeiter- und Bauerninspektion. [...] ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich nächste Woche [...] zu Ihnen komme, um mir mein Auto [...] abzuholen. (Schütz 1986, 229)
Ein Bestarbeiter ist ein "Werktätiger in der DDR, der besondere Leistungen auf seinem Arbeitsgebiet und für die Stärkung des Soz. vollbringt." (.Handwörterbuch) Der Busfahrer [...] unterstrich seinen sonst vorbildlichen Arbeitseifer nachdrücklich, der in den vergangenen zehn Jahren zu einer zweimaligen Auszeichnung als Bestarbeiter geführt habe. (Schlesinger, 18)
Feldbau, vor allem als Bestimmungswort in Feldbaubrigade ( > polevodHeskaja brigada), ist ein Synonym für Ackerbau. Hengst bezeichnet Feldbaubrigade als Lehnübersetzung, bei Feldbau vermutet er, daß eine Lehnübertragung vorliege.67 Feldbau kommt in den westdeutschen Dudenausgaben nicht vor, im Leipziger Duden (1987) ist das Stichwort Feldbaubrigade verzeichnet. Ein Feldbaubrigadier hat durch schlechte Arbeitsorganisation soundsoviel Hektar Futterkartoffeln und Rüben im Herbst umkommen lassen, obwohl er jedes Jahr von Oktober an mit Frost rechnen muß. (Tetzner, 196) \
Jugendleben, meist in Kombination mit dem Attribut froh bzw. fröhlich, meint die "kulturvolle jugendgemäße Freizeitgestaltung der Jugend"68. Die Tautologie in dieser Definition läßt ahnen, wie es um die (organisierte) Frei-
65 Volkskontrolle (nicht in den Romanen) ist auch eine Lehnübersetzung aus dem russischen rabotij kontroV (wörtlich: "Arbeiterkontrolle"). 66 Ahrends 1989, 20. 67 Hengst 1967, 80. Lehnübertragung bezeichnet die 'freiere' Übersetzung, die meist aus sprachstrukturellen Gründen vorgenommen wird. Die Unterschiede in der Wortbildung des Deutschen und Russischen machen eine Übertragung in die jeweils andere Struktur der Sprache aber fast immer notwendig, z.B. ist polevodieskaja brigada eine Adjektiv-SubstantivBildung, die im Deutschen durch Komposition wiedergegeben wird. 68 Handwörterbuch, mit dem Zusatz "/in der DDR/". Kulturvoll ist ein DDR-typisches Lexem, westdt. niveauvoll.
Lehnübersetzungen
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zeitgestaltung der Jugendlichen bestellt war. In Johnsons Roman wird die zuvor geschilderte Disziplin im Internat als Jugendleben bezeichnet: Eine Kommission des Ministeriums für Volksbildung und der Sozialistischen Einheitspartei fand das fröhliche und geordnete Jugendleben des Internatskollektivs vor [...]. (Johnson, 160)
Die Bezeichnung Jugendleben gab es außer in der Sowjetunion und der DDR auch in den anderen sozialistischen Ländern, z.B. in Polen und der Tschechoslowakei: zycie mlodziezy (poln.), livot mlädeie (slow.). Die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) wurde in der SBZ 1946 gegründet69; sie bestand bis 1989/90. Die VdgB war eine staatliche Versorgungseinrichtung für landwirtschaftliche Produktionsbetriebe, die die erforderlichen Arbeitsgeräte, Düngemittel etc. beschaffte, aber auch für die Versorgung der Landbevölkerung zuständig war. 70 Im Roman Tinko erhalten die Bauern z.B. "Mähmaschinen von der Bauernhilfe" (Strittmatter 1954, 145). Eine Wandzeitung war ein häufig anzutreffendes Agitationsmittel in Schulen und Betrieben. Der Begriff ist in Deutschland schon in den 20er Jahren bei "kommunistischen Organisationen"71 gebräuchlich. In den Schulen und Betrieben wurden die Wandzeitungen von Schülern und Lehrlingen im Rahmen ihrer Pionier- bzw. FDJ-Arbeit gestaltet, meist zu politischen Themen, aber auch zur Arbeitsproduktivität der einzelnen Brigaden. In Wolfs Erzählung Der geteilte Himmel sammelt die "Brigade Ermisch" für die Wandzeitung Artikel über ihre guten Arbeitsergebnisse. Günter Ermisch reichte einen Zeitungsartikel herum, der von ihnen handelte (Die tüchtigen Zwölf!), sie lasen ihn der Reihe nach, kauten dabei ihre Brote und sagten nichts. Ermisch heftete den Artikel zu den anderen an die Wandzeitung. (Wolf 1963, 32)
Der sozialistische Wettbewerb geht auf Lenin zurück. Das russische Wort sorevnovanie ist eine Übersetzung des Marxschen Begriffs Wetteifer, Ende der 40er Jahre wurde es in Deutsche der DDR rückübersetzt - als Wettbewerb,72 Wettbewerb ist eine bewußte Gegenbezeichnung zur 'kapitalistischen Konkurrenz' . Auch die Wendung Wettbewerb von Brigade zu Brigade ist eine Lehnübersetzung (bzw. -Übertragung) aus russ. brigadnoe sorevnovanie. Zwischen Brigaden, Abteilungen oder auch zwischen Betrieben wurden Wettbewerbe um die besten Arbeitsergebnisse ausgetragen. Beim sozialistischen Wettbewerb handelt es sich um ein Mittel der sozialistischen Wirtschaft, ohne ökonomischen Konkurrenzkampf zu mehr Leistung anzuspornen. Im Roman von 69 Vgl. Lehmann 1972, 395. 70 Vgl. Ahrends 1989, 170f. 71 Lehmann 1972, 402. 72 Vgl. ebd., 404f.
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DDR-typische Entlehnungen aus anderen Sprachen
Seghers kämpfen die Arbeiter im volkseigenen Stahlwerk Kossin um die besten Arbeitsergebnisse. Der sozialistische Wettbewerb ist bei der Autorin ein 'Kampfmittel' gegen den 'kapitalistischen Feind'. In Kossin gibt es einen "Wettbewerb von Abteilung zu Abteilung" (555), einen "Wettbewerb zwischen zwei Jugendbrigaden" (357) und "Wettbewerbe zwischen den besten Facharbeitern" (559). Die Redewendung mit ...an der Spitze ist inzwischen zu einem festen Bestandteil politischen Sprachgebrauchs auch in der Bundesrepublik geworden, z.B. in der Formulierung "die deutsche Delegation mit Bundeskanzler Helmut Kohl an der Spitze".73
73 Südamerikabesuch des Bundeskanzlers, Oktober 1991. Hörbeleg WDR 2 Hörfunk, 15. 10. 1991.
5.
Frau, Kollegin, Diplomingenieur.1 Movierte und unmovierte Berufs- und Personenbezeichnungen in der DDR
5.1 Zur Bildung der movierten Formen Das sprachliche System des Deutschen bietet für die Bildung der movierten Entsprechungen zu unmovierten Bezeichnungen folgende Möglichkeiten2: a) b) c) d)
Ableitung mit Hilfe des Suffixes -in als die häufigste Form der Movierung. Zusammensetzung mit -frau. Attribuierung mit weiblich. Ableitung mit den Lehnsuffixen -euse, -ess(e)
Bildungsbeschränkungen für Ableitungen mit -in gelten nur bei bereits vorhandenen maskulinen Ableitungssuffixen: -ling, -bold, -jan und -rieh. In den Romanen wurden ausschließlich Belege mit dem Movierungssuffix -in gefunden.
5.2 Beobachtungen in der Alltagssprache Westdeutschen Beobachterinnen und Beobachtern fallt in den neuen Bundesländern ein Phänomen auf, das nach hiesigen Kriterien als Widerspruch zu bezeichnen ist: Etwa 90% der Frauen in der DDR waren erwerbstätig3, sprachlich findet das - bis heute - jedoch so gut wie keinen Niederschlag. Es ist immer wieder festzustellen, daß sowohl männliche als auch weibliche Personen die männliche Berufsbezeichnung für Frauen wählen: "Ich bin Technischer Zeichner" (ein typischer Frauenberuf in der DDR), "Ich stehe als Facharbeiter für Rinderproduktion meinen Mann" (sagt eine Frau), "Unser Sektionsdirektor, Frau Professor XY". 4 Die Berufstätigkeit von Frauen wurde von der SED
1 DDR-typische Schreibweise; in der BRD mit Bindestrich: Diplom-Ingenieur(in). 2 Fleischer 1982, 182-85. 3 Neues Deutschland 8.3.83, S.3 "über 88%" (Zitat bei Barz 1985, 190); das ist ein wesentlich höherer Prozentsatz als in den alten Bundesländern. 4 Dieses Sprachverhalten ist auch nach der Vereinigung noch zu beobachten, wie in der Sendung "Thema heute" des WDR 2 (4.4.91.) deutlich wurde. Die nach ihrem Beruf befragten Frauen in den neuen Bundesländern gaben überwiegend die männliche Form an.
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Moviening
von Anfang an gefördert; die Planwirtschaft brauchte Arbeitskräfte. Zudem hat die Arbeit in der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus eine zentrale Stellung inne. "Die Arbeit ist in allen Gesellschaftsformationen Existenzbedingung des Menschen, 'erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen'." 5 In der Verfassung der DDR bilden "das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit [...] eine Einheit"6. Der Grundsatz von der Befreiung des Menschen aus seiner ökonomischen Abhängigkeit galt für Männer und Frauen. Weibliche Erwerbstätigkeit wurde gefördert, vor allem im Produktionsbereich. Art. 20, Abs. 2 der Verfassung der DDR besagte: "Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe". Gleichberechtigung hieß in der DDR vor allem: von oben verordnete berufliche und ökonomische Gleichberechtigung. Als in den 50er Jahren die Berichte über Frauen in Beruf und Partei zunahmen, begann die Überlegung, wie diese Frauen zu benennen seien. In der Zeitschrift Sprachpflege wurde darüber diskutiert, ob den Frauen nicht die movierte Form der Berufsbezeichnungen zugebilligt werden sollte, gleichsam als sprachlicher Ausdruck ihrer Gleichberechtigung. Ein mit "W. Ebert" gekennzeichneter Artikel machte in der Ausgabe 1956 mit der Überschrift "Warum nicht 'Heldin der Arbeit'?" den Anfang. Ebert beobachtete, daß der offizielle Wortlaut bei Auszeichnungen (Held der Arbeit, Nationalpreisträger), indem er die männliche Form verwendete, keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern zuließ und sah dies als "Ausdruck dafür, daß Männer und Frauen in voller Gleichberechtigung nebeneinanderstehen"7. Wie die Redaktion in der Ausgabe 1957 mitteilt, hat dieser Artikel eine Reihe von Leserinnen- und Leseranfragen an die Zeitschrift ausgelöst.8 Interessant ist die Beobachtung von Klewitz, die in der Sprachpflege 1957 abgedruckt wird. Sie besagt, daß das "natürliche Sprachgefühl" Ärztin sage, wenn es eine Frau meine. Im amtlichen Sprachgebrauch dagegen heiße eine Ärztin, wenn sie ein Krankenhaus leite, plötzlich Chefarzt und scheine dadurch zu entrücken.9 Ein von der Redaktion eingeholtes Gutachten der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin sprach sich dafür aus, Ehrentiteln bei
5 Wörterbuch der Ökonomie. Sozialismus, 51. 6 Art. 24, Abs. 2; 1968/74. 1 Sprachpflege 5, 1956, 77. 8 Sprachpflege 6, 1957, 129. 9 Ebd.
Alltagssprache
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Frauen die movierte Form zu geben. Allerdings wurde die Befürchtung geäußert, Frauen könnten sich durch die weibliche Benennung abqualifiziert fühlen. 10 Diese Diskussion hatte offenbar keinerlei Auswirkungen auf den offiziellen Sprachgebrauch in der DDR und ruhte etwa 20 Jahre lang, bis sie in den 70er und 80er Jahren, beeinflußt von westlichen Auseinandersetzungen über das Thema 'Movierung', von neuem aufgenommen wurde, zunächst wieder in der Sprachpflege11, dann von der Leipziger Sprachwissenschaftlerin Irmhild Barz. 12 In den letzten Jahren vor der "Wende" war zu beobachten, daß in der Alltagssprache durchaus moviert wurde, - "ich war bei der Ärztin", "unsere Kaderleiterin" -, in den (Partei-) Medien dagegen die unmovierten Formen deutlich überwogen. In der Staats- und Parteispitze sowie bei Auszeichnungen und Ehrentiteln gab es nur die männlichen Formen: "der Minister für Volksbildung, Margot Honecker" 13 , "Held der Arbeit", "Verdienter Lehrer des Volkes" etc. In einem Artikel der Leipziger Volkszeitung von 1984 ist zu beobachten, daß die beruflichen Positionen einer Frau in der movierten Form ausgedrückt werden, ihre Funktionen in der Partei dagegen unmoviert: Gerlinde Harnack - bewährt als Ingenieurin und Neuerin, verfugt heute als Bereichsingenieurin und stellvertretende Leiterin über einen großen Wissensschatz. Sie ist SEKRETÄR der Neuererbrigade und PARTEIGRUPPENORGANISATOR, leitet als langjähriges Mitglied der BGL die Wettbewerbskommission und wirkt als ZIRKELLEITER im Parteilehrjahr.14
Porsch spricht sich 1988 in einem Hochschullehrbuch dafür aus, mehr als bisher und konsequenter Benennungen [zu verwenden], die das natürliche Geschlecht ausdrücken. Andererseits ist es gerade die weit vorangeschrittene Verwirklichung der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der DDR, die eine konsequente Unterscheidung des natürlichen Geschlechts bei der Benennung von Personen aus politischen und agitatorischen Gründen weniger dringlich macht als in den deutschsprachigen kapitalistischen Staaten. 15
Ob die Gleichberechtigung tatsächlich so weit vorangeschritten war, mag dahingestellt sein, doch kann es durchaus zutreffen, daß Frauen in der DDR nicht in gleichem Maße das Bedürfnis hatten, sich auch sprachlich präsent zu
10 Ebd. 130. 11 Vgl. die Artikel von Thöner 1973, Hochmuth 1974, Trempelmann 1977, 1987 und 1988. 12 Barz 1985 und in Fleischer 1987, 331-38. 13 Teilweise mit Genusinkongruenz: "der Minister Margot Honecker und ihre Begleiter". 14 Zitiert nach Schröder in Sommerfeldt 1988, 188; Kursivierung (berufliche Positionen) und Kapitälchen (Parteiämter) von der Verfasserin. 15 Porsch in Sommerfeldt 1988, 143.
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Movierung
sehen, da sie durch ihre Erwerbstätigkeit einen Platz in der Öffentlichkeit16 innehatten und vor allem eine ökonomische Unabhängigkeit besaßen, die das Gros westdeutscher Frauen bei weitem übertraf. Gleichberechtigung wurde auf Berufstätigkeit reduziert, hatte aber positive Auswirkungen auf das Selbstbewußtsein der Frauen. Insofern war der Druck, auch sprachlich sichtbar zu sein, tatsächlich nicht so groß wie in der BRD. Außerdem war der Hauptkonflikt für die Frauen in der DDR nicht der zwischen Frau und Mann, sondern zwischen oben und unten. Anpassung und Heuchelei wurde bei Frauen u n d Männern gefordert, Aufrichtigkeit und Selbständigkeit bei Frauen u n d Männern bestraft. "Der Druck des Staates war [...] nie ein Druck auf die Frau als solche. Nie wurde sie von der Partei als Frau diskriminiert oder zum Objekt entwürdigt. Sie bekam einen Blauhelm auf den Kopf und wurde zur Mutti getuttelt, aber diskriminiert wurde sie nicht." 17 Die Arbeitsbelastung der Frauen war überdies so groß, daß "ein In-sichhinein-Horchen als Luxus wegfiel und ihnen die physische Erschöpfung den Werktag beendete".18 Bei einer Wochenarbeitszeit von 43 3/4 Stunden (erst ab dem 2. Kind 40 Stunden), einkaufen bzw. Schlange stehen, Kinder versorgen, sich um den Haushalt kümmern, sich überhaupt viel bemühen müssen, um Dinge des täglichen Bedarfs (und darüber hinaus) zu bekommen, blieb den Frauen nicht viel Zeit, um über sich nachzudenken und die von Staat und Partei als "praktisch verwirklicht"19 gefeierte Emanzipation anzufragen. Auch das erklärt vielleicht das 'Fehlen des Bewußtseins' für die sprachliche Kennzeichnung weiblicher Personen- und Berufsbezeichnungen. Ein weiterer Grund war das Fehlen einer kritischen Öffentlichkeit und auch einer kritischen Linguistik. Kritik an der Sprache der (Partei-) Medien zu üben, hieß, die Partei als solche anzugreifen. Sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema 'Movierung' geschah von daher nur auf eine sehr vorsichtige Weise. "Wir sollten uns vielleicht auch im offiziellen Sprachgebrauch - so müßte dann die Empfehlung der Sprachwissenschaft lauten - nicht
16 Soweit Bürgerinnen und Bürger der DDR überhaupt einen Platz in der Öffentlichkeit hatten; das Problem, 'nicht vorzukommen', war aber kein spezifisches Problem der Frauen. 17 Freya Klier in ihrem Artikel "Zwischen Kombi und Kreißsaal" in der Verbandszeitschrift der GEW, Erziehung und Wissenschaft, Nr. 3, 1991, 12. Anders als Klier beurteilt Ina Merkel 1990 die Situation der Frauen in der DDR, deren Politik sie als "Frauenpolitik an der Emanzipation vorbei" bezeichnet. "Das am männlichen Lebenszusammenhang - d.h. an Arbeit und Leistung - orientierte Maß dieser Gleichheit [...] schlug sich vor allem in der formaljuristischen Gleichstellung der Frauen vor dem Gesetz nieder." (174). 18 Klier (s.o.) 12. Die Schriftstellerin Helga Schütz äußerte sich in dem Gespräch mit der Verfasserin am 8.6.89 ähnlich zu diesem Thema: "Viele DDR-Frauen beneiden Westfrauen, da sie offenbar Zeit und Muße haben, über sich nachzudenken." 19 Barz 1985, 190.
Alltagssprache
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von einer Entwicklungstendenz entfernen, die im deutschen Sprachraum hauptsächlich von fortschrittlichen Gruppen in den kapitalistischen Staaten getragen wird [...]." 20
5.3 Movierung DDR-typischer Lexeme in der Literatursprache21 In der untersuchten Literatur ist ein sensibleres Sprachverhalten zu beobachten. Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, ob in den 50er oder in den 80er Jahren, verwenden bis auf wenige Ausnahmen die movierten Formen.
5.3.1 Mo vierung in den Romanen 1949 bis 1965 ABF-Studentin Agitatorin (der Partei) Aktivistin Betriebsfunkredakteurin Brigadeleiterin Leiterin der Brigade FDJ-Leiterin Funktionärin Genossenschaftsbäuerin Heldin, positive Jugendfreundin [Anrede für weibl. FDJ-Mitglieder] Jungpionierin Kaderleiterin Kandidatin (der Genossenschaft) Kandidatin (der Partei) Kranführerin Neubäuerin Traktoristin Umsiedlerin
(Kant) (Marchwitza) (Seghers, Reimann) (Wolf) (Marchwitza, Seghers) (Seghers) (Seghers) (Strittmatter 1963) (Claudius 1957) (Brezan) (Kant) (Strittmatter 1954) (Jakobs) (Brezan) (Marchwitza) (Reimann, Neutsch) (Gotsche, Strittmatter 1963) (Claudius 1951) (Gotsche, Marchwitza, Claudius 1957)
Im Verhältnis zur Gesamtzahl der DDR-Typika in den Romanen 19491965 bilden die movierten Berufs- und Personenbezeichnungen nur eine kleine Gruppe. Die in den Romanen dargestellte Welt der Baustellen, Betriebe 20 Porsch 1988, 90. 21 Gemeint ist die Sprache der 'Schönen Literatur'
132
Movierung
und der Landarbeit ist eine Welt der Männer. Wenn von Frauen die Rede ist, werden sie allerdings auch sprachlich gekennzeichnet. Das unterscheidet die epischen Texte von der Alltagssprache in der DDR und drückt ihre pädagogische Funktion aus, die die Partei ihnen zugewiesen hatte. Die Romane sollten Vorbildcharakter haben. Im Sinne des sozialistischen Realismus sollte "die Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung, in ihrer Bewegung zur sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft hin künstlerisch dar[ge]stellt [werden]".22 Frauen haben ihren Platz in den Romanen. Sie bekommen bei der Bodenreform Land zugewiesen und werden Neubäuerin. Auch als Umsiedlerin können sie sich, wenn auch mühsam, in der neuen Umgebung behaupten, später als Kandidatin einer LPG beitreten, dort als Genossenschaftsbäuerin arbeiten. Von zwei für die DDR typischen technischen Frauenberufen wird erzählt: Kranführerin und Traktoristin. Frauen konnten Brigadeleiterin23 werden oder durch gute Arbeit als Aktivistin ausgezeichnet werden. Doch sind dies alles Berufe auf Facharbeiterebene. Eine verantwortungsvolle Leitungstätigkeit übt nur die "Kaderleiterin Neutz"24 in dem Roman von Jakobs aus und nur die "ABF-Studentin Vera Bilfert" in Kants Aula wird studieren. In der Partei ist es um die Leitungstätigkeit von Frauen noch schlechter bestellt. Die Funktion des Parteisekretärs, in allen Romanen z.T. mit hoher Frequenz beschrieben, ist ausschließlich Männern vorbehalten.
5.3.1.1 Darstellung von Frauen in der Arbeitswelt bei Hans Marchwitza, Roheisen und Erik Neutsch, Spur der Steine In Marchwitzas Roman Roheisen (1955) spielen Frauen eine große Rolle im Produktionsprozeß bzw. beim Aufbau des Eisenhüttenwerks. Sie leisten sehr schwere körperliche Arbeit in einer Beton- oder einer Steinepackerbrigade, was vom Autor als solches nicht thematisiert wird. Er schildert eher die Zufriedenheit der Frauen, gebraucht zu werden und eigenes Geld zu verdienen. Die Arbeit der Frauen, und sei es auch als Brigadeleiterin oder Schachtmeisterin, hat keinerlei Auswirkung auf vorhandene Machtstrukturen oder herkömmliches Rollenverhalten. Der Autor erzählt beispielsweise, wie Anna Hoff gegen den Willen ihres Mannes durchsetzt, arbeiten zu gehen.
22 Kleines politisches Wörterbuch, 879. 23 Das entspricht etwa der westdeutschen Vorarbeiterin, die noch seltener anzutreffen ist. 24 Leiterin der Personalabteilung eines Betriebs.
Literatursprache 1949-1965
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Anna Hoff arbeitete seit mehreren Tagen in Marthas Brigade beim Schleusenbau. [...] Die Frauen waren mit dem Abladen von Kies und mit den Vorbereitungen für das Ausbetonieren des Schleusenbeckens beschäftigt. (437)
Dieselbe Frau hatte zuvor ihrem Mann die Arbeit mit folgenden Worten schmackhaft zu machen versucht: "Die verdienen gut. Sie haben gerade einen neuen Wettbewerb, und da kann ich gleich mit beiden Füßen hineinspringen", berichtete Anna, während er unmutig sein Essen hinunterschlang. "Die Wohnung mach' ich früh, und das Essen kriegst du auch noch auf den Tisch, ich kann mich schon drehen." (436)
Anna Hoff hat Vorbildfunktion für andere Frauen im Roman (und auch für die Leserinnen und Leser), doch ihre Arbeitsbedingungen, ihre Doppelbelastung und ihre Position im Werk (Hilfsarbeiterin) werden nicht hinterfragt. Im Roman Spur der Steine von Neutsch, den er in der Phase des NÖS (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung) geschrieben hat, gehört dagegen eine Frau in leitender Position zu den Hauptfiguren. Nach dem Mauerbau wandte sich die SED nicht mehr den Produktionsbrigaden, sondern der Leitung gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse zu. Neutsch, ganz auf dieser Linie, gestaltet als "Helden" drei Personen aus der Leitungsebene eines Betriebes: Brigadier Balla, Parteisekretär Horrath und - eine Ingenieurin, "Diplomingenieur Katrin Klee." (27) Die unmovierte Form erscheint nur zweimal, einmal in dem oben zitierten Titel - Titel blieben in der DDR unmoviert - und ein anderes Mal, als die Skepsis und Ratlosigkeit des Oberbauleiters ausgedrückt werden soll, als ihm mitgeteilt wird, er werde eine Frau auf die Baustelle bekommen. Er erinnerte sich nicht, in seiner zwanzigjährigen Praxis jemals mit einem Ingenieur in Röcken zusammen gearbeitet zu haben. Wenn das Fräulein auf die Gerüste steigt, liegt eine ganze Baustelle still und dreht ihm ihre Augen unters Kleid... (30) 2 5
Katrin Klee, sie heißt im folgenden "die Ingenieurin", belehrt ihn eines besseren. Im Roman wird geschildert, wie sie sich durch ihre Kompetenz die Achtung der Bauleute erwirbt. Sie und eine Kranführerin bleiben allerdings die einzigen Frauen auf der Baustelle, die eine höhere Position einnehmen, sowohl auf der Berufs- als auch auf der Parteiebene. Die Kombinatsführung besteht ausschließlich aus Männern. 26 In der Direktion waren die Spitzen der Kombinatsgesellschaft bereits versammelt, der Direktor, der Planungsleiter, der Technische Direktor, der Arbeitsdi
25 Kursivierangen im Zitat von der Verfasserin. 26 Katrin Klee ist außerdem unverheiratet und kinderlos. Traditionelle Frauenrolle und gehobene berufliche Position stehen also nicht miteinander in Konflikt.
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Movierung
rektor, der Kaderleiter, der Vorsitzende der Gewerkschaft aller Chemiebaustellen [...], alle mit grauen und glatten Gesichtern in grauen und glatten Anzügen. (137)
Die Parteileitung hat in der Kranführerin ein weibliches Mitglied, das aber beim Erzähler nicht gut wegkommt. Er [Parteisekretär Horrath] rief die Parteileitung zusammen, der außer ihm noch acht Genossen angehörten: Oberbauleiter Richard Trutmann und Oswald Ziehmer, der Zimmerer; Ingenieur Bertram, ein sehr gewissenhafter, wenn auch etwas trockener Technologe [...]; die platinblondierte, rundliche Kranführerin Hanna Gossert, die gleichzeitig dem Frauenausschuß vorstand und sich demzufolge in jeder Versammlung veranlaßt fühlte, wider die Männer zu schmähen; Waldemar ProkofF, der Maurerbrigadier, [...] treu und verläßlich; der mürrische Meister Kliesch [...]; schließlich der Transportarbeiter Schneegans, ein fideler Bursche [...] und Salomon [...] hauptamtlicher Gewerkschaftsvorsitzender [...]. (232f.) 27
Hanna Gossert ist die einzige Person, zu deren Aussehen etwas (Negatives) gesagt wird, die Männer werden nach ihrer Arbeit oder ihren Charaktereigenschaften beurteilt, gleichzeitig wird der Analogieschluß gezogen, daß, wer im Frauenausschuß ist, "demzufolge" nur gegen die Männer streitet (und sonst nichts zu sagen hat). Die einzige Frau in der Parteileitung scheint also auf der ganzen Linie unqualifiziert. Von dargestellter Gleichberechtigung ist der Roman weit entfernt, trotz einer Ingenieurin als 'positiver Heldin'. Das ist eigentlich in allen Romanen der 1. Gruppe (1949-1965) der Fall. Auf den ersten Blick fallen die vielen Frauen auf, die am Produktionsprozeß beteiligt sind oder sich auf Genossenschaftsversammlungen etc. zu Wort melden. Der jeweilige Erzähler macht durch seine Haltung deutlich, daß es eine Errungenschaft der sozialistischen Gesellschaft, also ein Fortschritt ist, wenn Frauen voll erwerbstätig sind. Aber wirkliche Gestalterinnen des Arbeitsprozesses sind Frauen in keinem der Romane. Keine Frau, die bei der Bodenreform zur Kommission gehört, die das Land aufteilt (dabei gab es in der Nachkriegszeit einen enormen Frauenüberschuß), von keiner Betriebsleiterin, Partei- oder Gewerkschaftssekretärin, die ihrem Arbeitsbereich den eigenen Stempel aufdrückt, wird erzählt. An den movierten Berufsbezeichnungen in den Romanen der 1. Gruppe wird deutlich, was für die DDR bis zum Umsturz galt: Viele Frauen leisteten schwere körperliche Arbeit bei gleichzeitiger Zugehörigkeit zu einer Niedriglohngruppe.
27 Kursivierungen im Zitat von der Verfasserin.
Romane 1968-1989
135
5.3.2 Movierung in den Romanen 1968 bis 1989 Mo vierte Personenbezeichnungen: Aktivistin Aspirantin28 FDJ-Sekretärin FDJlerin Jugendfreundin Kaderleiterin Kandidatin [der SED] Kollegin, fortschrittliche "Kölln. Graf" [Kollegin] Lehrerinnenkollektiv Unterstufenlehrerin
(Schütz 1986) (Wolf 1968, Schütz 1986) (Maron, Tetzner) (Tetzner) (Maron) (Brasch) (Maron) (Brasch) (Loest) (Schütz 1986) (Maron)
Unmovierte Personenbezeichnungen: Assistent Jungpionier
(Hein 1989) (Maron)
Die Autorinnen und Autoren der 2. Gruppe benutzen die movierten Formen unbefangener. Es gehört dazu, bei der Nennung weiblicher Personen die movierten Endungen zu benutzen; im Text fallt das kaum noch auf. Aktivistin ist beispielsweise die Umsetzung des offiziellen Ehrentitels "Verdienter Aktivist" auf eine weibliche Romanfigur - mit hinzugefügtem Humor der Erzählerin: Ich als Frau. Aktivistin. Preisträgerin. Ich will mein Telefon behalten. (Schütz 1986, 165)
Auch die Kommilitoninnen von Christa T. geben ihre Berufswünsche in der movierten Form an: Lehrerin, Aspirantin, Dozentin, Lektorin .... (Wolf 1968, 40)
"Kölln." = Kollegin war die typische Bezeichnung für Mitarbeiterinnen vor allem im Dienstleistungssektor, in der DDR oft auf Türschildern oder an Schaltern zu lesen. Loest spielt mit dieser Anrede, indem sich seine Hauptfi28 Eine Aspirantin ist eine Nachwuchswissenschaftlerin, die zum Erwerb einer Dissertation oder Habilitation (DDR: Dissertation B) in eine Aspirantur aufgenommen wird; diese wiederum ist "eine Form der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses an soz. Universitäten, die wissenschaftlichen Kadern mit abgeschlossenem Hochschulstudium die Möglichkeit bietet, sich auf den Erwerb eines höheren akademischen Grades vorzubereiten". (Handwörterbuch).
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Movierung
gur Wolfgang Wülff in eine "Kölln. GraF verliebt. "Im Fortgehen las ich dieses Schild: 'Hier bedient Sie Kölln. Graf'." (Loest 1979, 272). Später schreibt er eine Karte an "Kolin. Graf, Postamt, Schalter 3" (273). Die movierte Pluralform als 1. UK eines Kompositums, noch dazu mit dem Lehnwort Kollektiv ist für die DDR eine ungewöhnliche Wortbildung: Lehrerinnenkollektiv. Anna verscheuchte endlich auch ihr Zensorengesicht. Sie behielt das Lehrerinnenkollektiv im Auge und lachte mit ihm an den vorgesehenen Stellen. (Schütz 1986, 266)
Zwei unmovierte Personenbezeichnungen fallen auf. In Heins Tangospieler sagt eine junge Wissenschaftlerin: "Seit einem Jahr bin ich Assistent." (32), und Josefa Nadler, Marons Hauptfigur in ihrem Roman Flugasche, behauptet von sich, "ein bewußter und vorbildlicher Jungpionier" gewesen zu sein (87). Das erste Beispiel ist eine ganz alltägliche Aussage, wie sie bei Frauen an den Hochschulen der DDR oft vorkam. "Ich bin Assistent, Dozent, Student... Ich wohne hier noch im Studenteninternat, lerne aber inzwischen Physiklaborant". 29 Die unmovierten Berufsbezeichnungen fallen einer westlichen Beobachterin vielleicht deshalb so deutlich auf, da in der (alten) Bundesrepublik der gleiche Sachverhalt oft durch ein Verb ausgedrückt wird - "Ich studiere, lehre an der Uni ..." statt "Ich bin ..." - und sich die Frage Movierung oder nicht erst gar nicht stellt. Das zweite Beispiel ist ein Zitat aus der Pionierpädagogik; die Kinder der 1. bis 3. Klasse wurden angespornt, "bewußte und vorbildliche Jungpioniere" zu werden. In Marons Roman hat dieses Zitat natürlich eine ironische Bedeutungskomponente. Obwohl Josefa "ein bewußter und vorbildlicher Jungpionier" war, glaubte sie an "alte Geschichten" (273).
29 Aussagen in einem Wohnheim der TU Karl-Marx-Stadt, 1988.
6.
Zusammensetzungen mit Volk-
Wer vor dem Herbst 1989 in die DDR reiste, konnte den Eindruck gewinnen, daß es in diesem Land mehr Komposita mit Volk- (meist als 1. Konstituente) bzw. mehr Berufungen auf "das Volk" gab als in der Bundesrepublik. Es gab ein Ministenum für Volksbildung und eine Volkskammer, volkseigene Betriebe, Volksbuchhandlungen und Volksschwimmhallen, eine Volksarmee und eine Volkspolizei, die Volkskontrolle und das Staatsvolk der DDR (u.a.). Die Romane, vor allem die der 1. Gruppe (1949-65), bestätigen den Eindruck. Zusammensetzungen mit Volk- als Bestimmungswort sind häufig anzutreffen. Die Isolation der Wörter ergibt 20 Substantiv-Komposita, die wiederum z.T. oft verwendet werden; bei den vier Adjektiven handelt es sich um Derivate aus substantivischen Zusammensetzungen mit Volk- als 1. UK. Eine Bildung mit -volk als Grundwort gehört auch zu dieser Gruppe: Sowjetvolk.
6.1 'Das Volk' bzw. 'die Rolle der Volksmassen' in der Arbeiterbewegung und in der marxistisch-leninistischen Philosophie Der häufige Gebrauch des Wortes Volk mutet mit Blick auf die deutsche Geschichte merkwürdig an, war es doch im Nationalsozialismus inflationär gebraucht worden: Volksgenosse, Volksgerichtshof, Volksschädling etc. Die Berufung auf 'das Volk' ist allerdings keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern geht in Deutschland auf die Romantik und die Nationalbewegung im 19. Jahrhundert zurück; 'das Volk' war ein zentraler Begriff der Arbeiterbewegung. Wie viele andere Wörter war Volk nach 1945 eigentlich unbenutzbar geworden. Daß die KPD/SED trotzdem diesem Begriff treu blieb, liegt daran, daß das Volk bzw. die Volksmassen, wie es im historischen Materialismus heißt, ein Kernbegriff der Arbeiterbewegung und der marxistisch-leninistischen Philosophie ist, an dem die SED nicht vorbeigehen konnte oder wollte. Im (DOR-)Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache wird Volk definiert als "Gesamtheit der den werktätigen Teil der Gesellschaft umfassenden Klassen und sozialen Schichten [...], [es] bezeichnet unter soz. Verhältnissen
138
Zusammensetzungen mit Volk-
die Gesamtheit der Angehörigen eines Staates [...]. 1,1 Durch das Adjektiv werktätig ist der wesentliche Punkt der marxistischen Definition von Volk genannt. Volk ist primär eine ökonomische, keine ethnische Größe. Dieser Beschreibungsansatz muß herausgestellt werden, um der SED nicht von vornherein eine Kontinuität des NS-Sprachgebrauchs zu unterstellen. Das Volk wird im historischen Materialismus jeweils im Zusammenhang mit einer bestimmten ökonomischen Gesellschaftsformation gesehen. Die Werktätigen als die Produzenten der materiellen Güter sind der Kern des Volkes, das die große Mehrheit der Bevölkerung eines Landes umfaßt und alle sozialen Schichten einschließt, sofern sie den gesellschaftlichen Fortschritt fördern. "Die Volksmassen sind Schöpfer und Hauptkraft der Geschichte, weil durch ihre Produktionstätigkeit die Gesellschaft mit allen notwendigen Existenzmitteln versorgt wird und damit zugleich die materiellen Bedingungen für die Entwicklung der Gesellschaft erzeugt werden. " 2 In der sozialistischen Gesellschaft erreicht die Rolle der Volksmassen nach marxistisch-leninistischer Weltanschauung eine neue Qualität, deren materielle Grundlage das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln ist, in der DDR als Volkseigentum bezeichnet. Das Selbstverständnis der DDR ist in Artikel 1 der Verfassung von 1974 ausgedrückt. "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei." 3 Die Machtfrage ist damit unmißverständlich geklärt. Es gibt eine Partei, die alle Macht zentral steuert, 'das Volk' repräsentiert und dessen Weltanschauung bestimmt. Die Berufung auf 'das Volk' hatte in der DDR wohl nicht nur den Grund, daß sich die SED auf die Traditionen der Arbeiterbewegung besann. Die Sprache entlarvt in den zahlreichen Zusammensetzungen mit Volk- auch alte Denkstrukturen, die von der Einheit einer Führung mit ihrem geführtem Volk ausgehen. In linguistischen Untersuchungen wurde von DDR-Sprachwissenschaftlerinnen und -Sprachwissenschaftlern häufig eine solche Einheit auf die Sprache übertragen und den Analysen zugrunde gelegt. "Heute, synchron gesehen, können wir bei den Werktätigen der DDR eine gewisse Einheit der Ideologie und der Ziele der Gesellschaftsentwicklung und demzufolge einen weitgehend gemeinsamen Sprachgebrauch ideologierelevanter, klassenmäßig determinierter Wörter annehmen. " 4 1 Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG), Band 6, 1977; zitierte Definition dort unter 2.; unter 1. natürlich auch die Definition "Bevölkerung eines Landes". 2 Artikel "Volksmassen" im Wörterbuch der marxistisch-leninistischen hier 543. 3 Verfassung der DDR, 36. 4 V. Schmidt 1978, 20.
Philosophie,
542-44,
Zusammensetzungen mit Volk-
139
Volk ist letztlich eine vage, undefinierbare Größe, wie schon Adelung in seinem Wörterbuch vermerkte, "ein Wort, welches überhaupt eine unbestimmte Menge oder Vielheit, besonders lebendiger Geschöpfe, bedeutet
ur·5
6.2 Komposita mit Volk- in den Romanen Volksarmee -befragung -betrieb [VEB] -bildung -buchhändler -chor -demokratie -eigentum -feind -gut [VEG] -kontrolle -korrespondenz -macht -massen -polizei -polizist
-Solidarität -vermögen -wacht [Parteizeitung] -Wirtschaft -zorn volksdemokratisch -eigen -tümlich -verbunden Sowjetvolk 5 Adelung 1786, Bd.5.
(Reimann, Neutsch) (Marchwitza) (Seghers) (Strittmatter 1963; de Bruyn) (Strittmatter 1963) (Strittmatter 1954) (Gotsche, Claudius 1951) (Seghers, Claudius 1957, Reimann, Brezan, Kant) (Johnson) (Wolf 1968) (Strittmatter 1963) (Strittmatter 1963) (Claudius 1957) (Tetzner) (Claudius 1951, Hermlin, Strittmatter 1954 und 1963, Marchwitza, Jakobs, Reimann, Kant, Neutsch, Plenzdorf, Schlesinger) (Gotsche, Strittmatter 1954 und 1963, Kant) (Gotsche) (Plenzdorf) (Claudius 1957) (Gotsche) (Marchwitza, Neutsch) (Claudius 1951, Seghers, Reimann, Wolf 1963, Strittmatter 1963, Brezan, Kant) (de Bruyn) (Neutsch) (Marchwitza)
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Zusammensetzungen mit Volk-
Volksvermögen und Volkswirtschaft sind an sich keine DDR-typischen Lexeme. Sie werden zu DDR-Typika aufgrund ihrer Kollokationen bzw. durch den kommunikativen Kontext: Sabotage am Volksvermögen (Gotsche 413), die Volkswirtschaft schädigen (Claudius 1957, 456). Volksbefragung gewinnt durch den konkreten außersprachlichen Referenzbezug - Volksbefragung für einen Friedensvertrag [mit Polen] (Marchwitza 333) ein DDR-typisches Semem, ebenso volkstümlich als Qualitätsbegriff in der Kunsttheorie des sozialistischen Realismus.6
6.3 Kommunikationsbereiche der Zusammensetzungen mit Volka) Industrielle und landwirtschaftliche Produktion: Volksbetrieb -gut b) Staat, Partei und Massenorganisationen: Volksarmee -polizei -befragung -kontrolle -Solidarität -wacht c) Wirtschaft und Handel: Volksbuchhändler -eigentum -vermögen -Wirtschaft volkseigen d) Bildung, Erziehung und Kultur: Volksbildung -chor -korrespondenz volkstümlich
6 Vgl. 1.4.2.
Kommunikationsbereiche der Zusammensetzungen mit Volk-
141
e) Marxistisch-leninistische Philosophie: Volksdemokratie -macht -massen volksdemokratisch volksverbunden Nicht eingeteilt wurden: Sowjetvolk Volksfeind Volkszorn7
6.4 Worterklärungen und Vergleich mit russischen Benennungen Alle in die verschiedenen Kommunikationsbereiche eingeteilten Komposita basieren auf dem sozialistischen Verständnis von Volk als das werktätige, d.h. durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienende Volk.8 In den meisten Worterklärungen unter dem Stichwort Volk- im WDG kommt das Adjektiv werktätig vor, z.B. bei Volksarmee: "aus Angehörigen des werktätigen Volkes gebildete Armee". Bei einigen Wörtern handelt es sich um sogenannte sozialistische Internationalismen, d.h. sie waren auch in anderen sozialistischen Ländern in Gebrauch.9 Da die Sowjetunion Vorbild und Führungsmacht der RGW-Staaten war, werden die deutschen Bezeichnungen mit den russischen verglichen. Sofern es möglich ist, werden auch Beispiele aus dem Polnischen hinzugezogen. So sehr die Staaten des RGW sich äußerlich glichen und so strikt auch die Gefolgschaft gegenüber Moskau gefordert wurde, die einzelnen Länder unterschieden sich im Erscheinungsbild des Sozialismus nicht unwesentlich voneinander. Polen und Ungarn galten gemeinhin als weniger ideologisch als Sowjets und DDR-Deutsche. Grundlegend für die Wortuntersuchung in diesem Kapitel ist die Frage, ob es in der DDR mehr Bildungen mit Volk- gab als in der Sowjetunion und wenn ja, warum.
1 Volksfeinde und -zorn vgl. Kap. 6.6. 8 Vgl. Kleines politisches Wörterbuch, 1061. 9 Begriff bei Huth in Fleischer 1987, 276.
142
Zusammensetzungen mit Volk-
6.4.1 Komposita mit Volk- im Deutschen und Russischen Die Wort- bzw. Wörterbuchanalyse ergibt: Nicht einmal die Hälfte der aus den Romanen gewonnenen Lexeme wird auch im Russischen mit dem Grundmorphem volk-Znarod- gebildet.10 Der einzige Kommunikationsbereich, dessen Wörter in beiden Sprachen deckungsgleich sind, ist der des Marxismus-Leninismus: Volksdemokratie
-macht -massen volksdemokratisch
narodnaja demokratija bzw. strana narodnoj demokratij (wenn ein Staat gemeint ist) vlast' naroda narodnie massi narodno-demokratiCeskij
In bezug auf die Wortbildung ergeben sich natürlich morphologische Unterschiede. Entsprechungen zu deutschen Komposita werden im Russischen durch ein Genitivattribut oder ein attributives Adjektiv ausgedrückt. Die Sememstruktur ist aber in beiden Sprachen gleich, ein Ausdruck der ideologischen Begriffsfestlegung in der marxistisch-leninistischen Philosophie. Volksdemokratie wird sehr genau definiert als "unter den besonderen historischen Bedingungen nach dem 2. Weltkrieg entstandener sozialistischer Staat, in dem die Herausbildung der Diktatur des Proletariats meist durch die Errichtung einer antifaschistisch-antiimperialistischen Volksmacht eingeleitet wurde". 11 Gemeint sind damit in erster Linie die Staaten Mittel- und Südosteuropas, soweit sie zum RGW gehören. Im Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (HDG 1984) ist sogar der Numerus festgelegt: "ohne Plural". 12 Die beiden Begriffe aus dem historischen Materialismus, Volksmacht und Volksmassen, sind ebenfalls genau definiert. "Volksmacht, [ohne Plural] vom werktätigen Volk unter Führung der Arbeiterklasse ausgeübte staatliche Macht." "Volksmasse, [vorwiegend Plural] die werktätige Bevölkerung, die fortschrittlich handelnden Klassen und Schichten in einer gegebenen Gesellschaft." (HDG). Im Bereich Staat, Partei und Massenorganisationen sind es zwei Begriffe, die im Deutschen und Russischen vorkommen: Volkskontrolle, narodnij kontrol' (auch rabofij kontrol', Arbeiterkontrolle) und Volkssolidarität, narodnaja solidarnost'. 10 Deutsch-Russisches Wörterbuch in 3 Bänden der Akademie der Wissenschaften der DDR. Berlin/Ost. 1983-84. 11 Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (WDG), Band 6, 1977. 12 Vgl. Schlosser 1990, 36.
Komposita im Deutschen und Russischen
143
Volkskontrolle ist eine Lehnübersetzung bzw. -Übertragung aus dem Russischen. Mit der Einrichtung wurde in der DDR die Bezeichnung übernommen lind übersetzt. Es handelt sich dabei um eine "gesellschaftliche Kontrolle der Durchführung von Beschlüssen der Partei- und Staatsführung in einem soz. Staat [...]". (HDG, ohne Plural). Ebenso wurde bei Volkssolidarität mit der Übernahme dieser Institution aus der Sowjetunion die Bezeichnung übersetzt.13 Die Volkssolidarität ist "eine sozialistische Massenorganisation, gegründet 1945 in Dresden".14 Es handelt sich um einen Wohlfahrtsverband, der zur Linderung der Not in der Nachkriegszeit gegründet wurde, in der DDR dann bis 1990 für die Altenpflege zuständig war. Die Bezeichnung "Massenorganisation" verweist auf deren Führung durch die SED. Die Volkssolidarität unterschied sich damit schon bald von anderen Wohlfahrtsverbänden, die in der SBZ zugelassen waren, und nahm eine "der NS-Volkswohlfahrt formal vergleichbare Position" ein. 15 Der Vergleich mit dem nationalsozialistischen "Winterhilfswerk" in Gotsches Roman Tiefe Furchen (1949) kommt daher nicht von ungefähr. Ich arbeite für die Volkssolidarität. Das hat mit Winterhilfswerk gar nichts zu tun. (205)
Volkstümlich, ein Begriff des sozialistischen Realismus, wird im Russischen mit narodnij, dem Adjektiv von narod, wiedergegeben. Das Wort soll die Nähe eines Kunstwerks zum 'werktätigen Volk' ausdrücken.
6.4.2 Verschiedene Bezeichnungen für die gleiche Sache im Deutschen und Russischen Alle anderen Bezeichnungen der jeweiligen Kommunikationsbereiche werden im Russischen nicht durch eine Bildung mit Volk- ausgedrückt. Der zentrale Bereich der Wirtschaft und des Volkseigentums wird als staatlich-sozialistisch bzw. sozialistisches Staatseigentum bezeichnet, ebenso im Polnischen.16 Es gibt kein Volksgut, sondern ein Staatsgut (sovchoz) bzw. einen "StaatsAgrar-Hof" (poln. PGR), die Betriebe sind nicht volkseigen, sondern sozialistisch (socialistifeskij), es gibt auch keinen Volksbuchhandel, sondern (nur) einen Buchhandel. Ebenso im Bildungsbereich: Die staatlichen Einrichtungen
Es ist die Annahme der Verfasserin, daß es in der Sowjetunion eine "Volkssolidarität" gab, die dann nach diesem Vorbild 1945 in der SBZ gegründet wurde; in Polen gab es in den 50er Jahren eine "Volkssolidarität". 14 Kleines politisches Wörterbuch, 1027. 15 Schlosser 1990, 36. 16 Diese Information verdankt die Verfasserin einem polnischen Slawistikstudenten aus Krakow.
144
Zusammensetzungen mit Volk-
der Volksbildung heißen in der Sowjetunion prosveXtenie, (hohe) Bildung, ein Volkskorrespondent ist ein "außeretatmäßiger" (vnestatnij) Korrespondent.17 Volksarmee und Volkspolizei sind DDR-spezifische Bezeichnungen. Warum sind Bildungen mit Volk- in der DDR häufiger gewesen als in der Sowjetunion und änderen sozialistischen Staaten? Zum einen war die DDR nach offiziellem Selbstverständnis ein "Staat der Arbeiter und Bauern", also des "werktätigen Volkes". Das hatte sie gemeinsam mit allen anderen sozialistischen Ländern. Nach der Bodenreform und der Enteignung von Industriebetrieben hatten die deutschen Kommunisten aber offensichtlich besonders das Bedürfnis, auch sprachlich kundzutun, daß nun die Werktätigen die neuen Eigentümer der Produktionsmittel seien. Um das Adjektiv volkseigen hat sich von daher ein ganzes Begriffsnetz gelegt: volkseigene Betriebe, Kombinate, Produktionsstätten, volkseigene Warenhäuser, volkseigener Sektor des Buchhandels etc. Volkseigen kommt im Duden das erste Mal in der Leipziger Ausgabe von 1952 vor. H. Bartholmes hat aber nachgewiesen, daß es das Lexem schon im 19. Jahrhundert gab, vorgeschlagen als Ersatz für national im Verdeutschungswörterbuch von K.F. Dobel im Jahre 1833.18 Offensichtlich konnte es sich nicht durchsetzen, denn auch in den Dudenausgaben der 20er und 30er Jahre dieses Jahrhunderts, die ansonsten einen sprunghaften Anstieg der Zusammensetzungen mit Volk-Nolk- verzeichnen, kommt das Lexem nicht vor. Die Bildung volkseigen im Sinne von staatseigen ist in jedem Fall eine DDR-typische Bildung. Volkseigen kann auch prädikativ gebraucht werden, der Betrieb ist volkseigen, die Gießerei wurde volkseigen. Vor allem in der Kollektivierungsphase war die prädikative Verwendung häufiger; nach der fast vollständigen Überführung der Betriebe in Volkseigentum wurde es überflüssig zu betonen, das Kombinat etc. sei volkseigen. Nun wurde ein privater Betrieb sprachlich hervorgehoben: "In Suhl gibt es einen Privatbäcker, das Cafe in der Uni Leipzig ist privat". 19 Volkseigentum ist ein Synonym für gesellschaftliches Eigentum und für Staatseigentum; der letztgenannte Begriff wurde in der DDR aber vermieden, da nach offizieller Verlautbarung Staat, Partei und Volk identisch waren und die "Volksmassen in der sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln unmittelbar und in verschiedenen Formen an der Lenkung und Leitung der materiellen Produk-
17
Den Begriff Volksbildung gab es allerdings schon in Preußen; "das frühere 'kultusministerium' in Preuszen heiszt seit der revolution 1918 Ministerium für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung" (J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 26, 1951).
18 Vgl. Bartholmes 1962, 184. 19 Hörbelege in Leipzig, Juni 1989.
Unterschiede russisch/deutsch
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tion sowie an der Gestaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens teilnehmen [...]". 20 Vielleicht war auch die Illusion der Partei, tatsächlich das Volk zu vertreten, größer als in Polen und der Sowjetunion. Erich Honecker sagte auf dem X. Parteitag der SED: "Gestützt auf die ständige Beratung mit den Werktätigen [...] geht unsere Partei die Massen lehrend und zugleich von ihnen lernend voran. In alledem liegen wesentliche Ursachen für das große Vertrauen, daß ihr vom Volk entgegengebracht wird. " 21 Die DDR legte außerdem seit dem Mauerbau Wert darauf, ein eigener Staat mit eigenem " Staats volk" zu sein. Die beiden deutschen Staaten standen in ständiger Konkurrenz gegeneinander. Das führte dazu, daß (auf beiden Seiten) die Dinge nicht so gelassen betrachtet werden konnten wie in anderen Ländern. In der DDR führte das zu der auch sprachlich vorgenommenen Selbstvergewisserung, daß hier - im Gegensatz zum kapitalistischen westdeutschen Staat - das "werktätige Volk" an der Macht sei, daß aus seinen Reihen Staat und Regierung gebildet würden. Daß ein ostdeutscher Arbeiter nurmehr ein sehr abstrakter Eigentümer seiner Maschine ist und diese verkommen läßt, während sein westdeutscher Kollege, dem seine Maschine nicht gehört, diese pflegt, wurde in einer Reportage von Landolf Scherzer 1988/89 mit einer gewissen Trauer und der Einsicht, daß da etwas nicht stimmen könne, festgestellt.22 Für die SED, die auch diese Veröffentlichung (eines Parteimitglieds) behinderte, kam die Einsicht erst im Herbst 1989 nach wochenlangen Demonstrationen auf der Straße mit den entlarvenden Worten "Wir sind das Volk".
6.5 Zusammensetzungen mit Volk- in den Romanen Von wenigen Ausnahmen abgesehen finden sich Bildungen mit Volk- nur in den Romanen der 1. Gruppe. Die Komposita werden dabei in ganz unterschiedlicher Intention gebraucht. Die Sprache ist das Medium, in dem das Neue der sozialistischen Gesellschaftsordnung reflektiert wird - unter den Komposita sind viele vor 1945 nicht übliche Zusammensetzungen - , sie bringt aber auch traditionelle Sprach- und Denkmuster in das Neue mit ein, z.B. bei volkstümlich, volkseigenes Gut, und sie verrät den Sprechenden, wenn er in Denkstrukturen verharrt, die eigentlich überwunden sein sollten: Volksfeind und -zorn. 20 Kleines politisches Wörterbuch, 1027. 21 Honecker, X. Parteitag, 130/31. Zit. nach: Kleines politisches Wörterbuch, 1027. 22 Landolf Scherzer, Der Erste. Greifenverlag. Rudolstadt 1989. [2. Auflage, Lieferung Juni 1989].
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Zusammensetzungen mit Volk-
Volksdemokratie ist ein Wort, das die neuen politischen Verhältnisse ausdrückt. In den Industrieromanen von Claudius (1951) und Marchwitza (1955) sind damit die sozialistischen Staaten Mitteleuropas gemeint. Das bedeutet nicht zuletzt einen großen Ausfall für unseren Export, der nicht nur in die Volksdemokratien, sondern auch in die westlichen Länder geht. (Claudius 1951, 32) 2 3 Und auch unseren volksdemokratischen Nachbarländern, Polen und der Tschechoslowakischen Republik, verdanken wir viele Freundeshilfe. (Marchwitza, 521)
Doch auch auf die Verhältnisse in der SBZ/DDR wird der Begriff angewandt. In Gotsches Roman (1949) hält der "rote Schuster", ein dialektisch geschulter alter Parteikämpfer, eine Rede für die Bodenreform und die 'Umkrempelung der ganzen Ordnimg' und kommt zu dem Schluß: Wir können das aber nur fertigbringen, wenn eine wirkliche Volksdemokratie kommt. (Gotsche, 271)
Hier ist eine Volksherrschaft im ursprünglichen Wortsinn gemeint. 'Von unten' soll sich die Gesellschaft grundlegend ändern, die 'kleinen Leute' sollen ihr Land in Besitz nehmen. 24 Ein quasi-juristischer Terminus ist volksdemokratisch bei Neutsch (1965). Man schulmeisterte noch darüber, daß Regierung und Partei in einem volksdemokratischen Staat keine Gegensätze seien. (Neutsch, 140)
Das Thema "Oder-Neiße-Grenze" als "Friedensgrenze" läßt Marchwitza in seinem Roman Gegenstand einer "Volksbefragung" sein. 25 In diesem Zusammenhang fallt auch das Wort Sowjetvolk. Marchwitzas Roman erzählt vom Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost an der Oder, also an der Grenze zu Polen. Das Thema "Friedensgrenze", das die Aussöhnung mit Polen und der Sowjetunion beinhaltet, wird nicht zwischen den Arbeitern diskutiert - im Gegensatz zu Themen wie Normerhöhungen oder Maurermethoden. Der Erzähler läßt es entweder in Festreden "des Ministers" behandeln oder indem er die Gedanken eines "Umsiedlers" wiedergibt, der sich mit dem Inhalt der "Volksbefragung" schwer tut. [...] er las jeden Morgen unter einem Zwang: Volksbefragung! [...] Er solle nun auch für diese Oder-Neiße-Grenze sein Ja hergeben. Plaschek mußte in
23 Volksdemokratie wird hier noch im Plural gebraucht! 24 Legt man die griechischen Wörter demos und kratein zugrunde, so ist Volks-Demokratie eine Tautologie. 25 Die DDR und Polen haben am 6.7.1950 im "Görlitzer Vertrag" die "Oder-Neiße-Grenze" als gemeinsame Grenze festgeschrieben. Vgl. Kulturgeschichtliche Tabellen zur deutschen Literatur, Band 2, 282.
Volk- in den Romanen
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seinen bewegten und oftmals wieder finsteren Gedanken eine weite, alte Strecke durchwandern. (Marchwitza, 333)
Der Minister spricht anläßlich des 1. Mai bzw. einer Betriebsfeier zu den Arbeitern des Kombinats: [...] wir wissen, daß von dieser Odergrenze her kein Krieg kommen wird; die polnischen Menschen drüben sind unsere Freunde. Und ein großer, beharrlicher Freund wacht [...] - das Sowjetvolk und sein Lehrer und Meister Stalin ... (319f.) Wir sehen im Entstehen dieses Werkes an der Odergrenze ein Symbol der Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk ... Die Freundschaft des Sowjetvolkes [...] gab uns die Möglichkeit, mit einer großen Roheisen- und Stahlproduktion beginnen zu können. (372). Dieser Sieg sei in erster Linie der starken Freundschaft mit dem Sowjetvolk zu verdanken. (466)
Sowjetvolk ist ein Begriff aus der Stalinzeit, russ. sovjetskij narod. Es gibt auch die Variante Sowjetmenschen, sovjetskij ljudi,26 Die Bezeichnungen drücken das Bestreben aus, eine Einheit zwischen Volk und Führung herzustellen. Marchwitza stellt das "Sowjetvolk" als eine Person dar, "ein beharrlicher Freund...". 27 Einheit und Freundschaft mit dem "Sowjetvolk" und den "polnischen Menschen" werden in dem Roman nicht gelebt, sondern in Festreden beschworen. Obwohl schon 1955 veröffentlicht, ist das Buch auch heute noch ein Spiegel für die Beziehungen vieler Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer zu ihren östlichen Nachbarn. Genauso wie "das Volk" wird eine "Völkerfreundschaft" offiziell um so mehr konstatiert, je weniger diese vorhanden ist. Die Beziehungen zu Polen und der Sowjetunion, in der ehemaligen DDR-Presse nie anders als positiv dargestellt, sind im Alltag - bis heute - nicht selten von Haß und Verachtung gekennzeichnet.28 Viele Bildungen mit Volk-, zum Teil gepaart mit einer Portion Humor, finden sich in Strittmatters Ole Bienkopp: Volksbildung, Volksbuchhändler, Volkschor, Volkskontrolle, Volkskorrespondenz, Volkspolizei. Volkschor wird in Strittmatters Tinko (1954) als eine Wortbildung besonders 'fortschrittlicher' Dorfbewohner vorgestellt. Lehrer Kern Iäßt anstelle des 'rückständigen Gesangvereins' einen solchen Chor gründen (252). Ole Bienkopp steht ähnliches bevor. 26 Bei Strittmatter 1963, 328, in leicht ironischer Distanz des Erzählers. 27 Die Vorstellung, das 'Sowjetvolk' habe 'wie ein Mann' hinter Stalin gestanden, brach auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 zusammen; daß es in der Sowjetunion kein Volk, sondern Völker gibt, ist eine Einsicht der 80er Jahre. 28 Das ist z.B. sehr deutlich geworden bei der Einführung der Visumfreiheit für polnische Bürgerinnen und Bürger im April 1991. Es kam zu Übergriffen auf polnische Reisende.
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Zusammensetzungen mit Volk-
Anton gerät in Begeisterung. Ole soll Klavier spielen lernen. Frist: drei Monate. Auf Weihnachten muß er einen Singeklub, einen Volkschor, übernehmen. (Strittmatter 1963, 74)
Aus der Nachkriegszeit stammt die Geschichte von der Volkskontrolle: Um die Handtaschen von Funktionärinnen macht der Kakao einen Bogen. Funktionärinnen halten nicht dicht. [...] Sie schimpfen auf den Schwarzmarkt. Wenn sie Appetit auf Schwarzmarktwaren haben, spielen sie Volkskontrolle. Sie nehmen anständigen Hausfrauen auf dem Bahnhof [...] den Kakao weg. (Strittmatter 1963, 271) 2 9
Das Adjektiv volksverbunden bezeichnet einen Verbündeten der Arbeiterklasse: die 'fortschrittlichen Kreise' der Intelligenz. Die ganze Welt gründet sich auf die materiellen Werte, die von der Arbeiterklasse, von der werktätigen Bauernschaft und von der volksverbundenen Intelligenz geschaffen werden. (Neutsch, 484)
In den Romanen der 2. Gruppe finden sich, von Volkspolizei oder Volksgut einmal abgesehen, Bildungen mit Volk- nur als Zitat oder in ironischer Absicht. Karen W. beispielsweise, die Hauptfigur in Tetzners gleichnamigem Roman (1974), sagt sich, wenn sie in bedrückter Stimmung ist, "schnell das Prüfungspensum vom letzten Jahr über die Rolle der Volksmassen her". (48). In de Bruyns Märkischen Forschungen (1979) hält ein Mitarbeiter eine Parodie auf einen linientreuen Germanistikprofessor: "Rotkäppchens Aufruf zur nationalen Erhebung". Die Ausgangsfrage der Rede lautet: Was geschieht also wirklich in dieser zutiefst volkstümlichen und zugleich symbolträchtigen Dichtung? (67)
Das Fehlen der Bildungen mit Volk- zeigt die größere Distanz, die die Literatur der DDR seit Ende der 60er Jahre gegenüber dem offiziellen politischen Geschehen einnimmt. Realien werden genannt soweit notwendig, z.B. Volkspolizei, ansonsten gibt es keine Verdoppelung politischer Verhältnisse durch die Kunst, wie es in den 50er Jahren durch das Verständnis einer affirmativen Ästhetik vorherrschend war.
6.6 Volksfeind und Volkszorn In zwei sehr früh geschriebenen Romanen wird jeweils ein Begriff verwendet, der nach 1945 eigentlich nicht mehr vorkommen sollte: Volksfeinde bei Johnson (ca. 1953-56) und Volkszorn bei Gotsche (1949).30 29 Kursiv bei Strittmatter. 30 Beide Romane werden auch in Kap. 7 . 3 "NS-Kontinuitäten" analysiert.
Volksfeind und Volkszorn
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Johnsons Roman Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953 erzählt vom Kampf der FDJ gegen die (evangelische) Junge Gemeinde. Ohne den Sozialismus in der DDR mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen, werden im Verhalten besonders des Schulleiters Siebmann, genannt Pius, Ähnlichkeiten sichtbar. Das Wort Volksfeinde fallt in einer Rede, die der Schulleiter während einer Schulversammlung in der Aula hält. Ziel der Versammlung ist die Relegation eines Schülers aus der Abiturklasse wegen seiner Mitgliedschaft bei der Jungen Gemeinde.31 - Die illegale: sagte Pius und atmete. - Die illegale Verbrecherorganisation. Vom kapitalistischen Ausland bezahlter Volksfeinde!... Die in der sozialistischen Heimat ihre reaktionäre Irrlehre verbreiten! Er sprach feierlich und in grosser Entscheidung gefasst. (141) 3 2
Bei Gotsche gibt es das Wort Volkszorn in der Erzählersprache, die die Gedanken eines Großbauern wiedergibt: Dabei spielte seine Angst eine nicht geringe Rolle, daß nun der Volkszorn sich gegen alle Großbauern richten würde. (413)
Bei Gotsche finden sich einige Wörter aus dem Umfeld von "Blut-und-Boden" (vgl. Kap. 7). Anders als bei den übrigen Beispielen ist hier durchaus eine Distanz des Erzählers gegenüber diesem Begriff zu spüren. Er erzählt von der Umbruchssituation auf dem Land. Das Blatt hat sich gewendet; waren vor 1945 die Großbauern diejenigen, die die Macht hatten, so sind es jetzt die 'kleinen Leute', vor denen die ehemals großen Angst haben müssen. Volkszorn ist dann ein Zitatwort, das in die 'neue Zeit' übertragen wird. Volksfeind kennt man auch im Polnischen (wrog ludu) und Russischen iyrag naroda), Volkszorn im Polnischen (gniew ludu).
31 Volksfeind ist zum ersten Mal im Duden 11/1934 als Lemma eingetragen. 32 Rechtschreibung von Johnson.
7.
Der Wortschatz der mandstisch-Ieninistischen Ideologie
7.1 "Aktive Negation" als Wesensmerkmal gesellschaftlicher Identität im Sozialismus1 Die DDR war ein weltanschaulich gebundener Staat. Grundlage ihrer sozialistischen Gesellschaftsordnung war die Ideologie des Marxismus-Leninismus.2 "Zum Unterschied von allen anderen Weltanschauungen ist die marxistischleninistische Weltanschauung der wissenschaftliche Ausdruck der Klasseninteressen der Arbeiterklasse. Sie ist ein in sich geschlossenes System philosophischer, ökonomischer und politischer Anschauungen, die zugleich auch bestimmte moralische Überzeugungen, Normen und ästhetische Anschauungen einschließen."3 Der Marxismus-Leninismus grenzt sich entschieden gegenüber allen anderen Gesellschaftsentwürfen und Religionen ab. Er stellt eine spezifische Sichtweise von Welt und Gesellschaft dar, die in den sozialistischen Ländern das Monopol der Erkenntnis und der Realitätsdeutung für sich beanspruchte. Der bulgarische Soziologe Stojanov setzt sich in einem 1991 veröffentlichten Artikel mit den zentralen Elementen des "real existierenden Sozialismus" auseinander.4 Grundlegender Bestandteil der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist seiner Ansicht nach die Ideologie des Marxismus-Leninismus5, die als ein System von Normen kodifiziert ist und mit Hilfe bürokratischer Herrschaft garantiert wird. Sie stellt ein sozialistische^]' Deutungsmuster gesell-
1 Vgl. Stojanov 1991, 42. 2 Eine Diskussion über die Begriffe Weltanschauung und Ideologie und deren Problematik wird hier nicht geführt. Ideologie ist zu verstehen als ein "System gesellschaftlicher Anschauungen, die bestimmte Klasseninteressen widerspiegeln" (Handwörterbuch). Der Begriff ist - zumindest im 'Westen' - negativ konnotiert und schließt die Wertungen 'Exklusivität' und 'mangelnde Offenheit' ein. Bei der Einteilung der Lexeme in Kommunikationsbereiche und in Kap. 6 wird statt Ideologie der nach westlicher Auffassung 'neutralere' Begriff Philosophie verwendet. Philosophie und Ideologie hängen im Sozialismus untrennbar zusammen. Die marxistisch-leninistische Philosophie bildet den "Kem der umfassenden Weltanschauung des Marxismus-Leninismus" (Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, 403). 3 Dialektischer und historischer Materialismus, 8 (dort überwiegend fett gedruckt). 4 Stojanov 1991, 36-46. 5 Von ihm "kommunistische Ideologie" genannt, vgl. ebd., 37.
"Aktive Negation"
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schaftlicher Wirklichkeit" dar. 6 Das gesellschaftliche Leben ist den Kriterien dieser "herrschenden Staats- und Parteiideologie" untergeordnet.7 Die Gesellschaftsanalysen von Marx und Engels leisten bis heute zweifellos einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis und Veränderung neuzeitlicher Industriegesellschaften. Das Problem und letztlich das Verhängnis der sozialistischen Staaten in Europa nach 1917 bzw. 1945 war die Engführung dieser Ideen und politisch-ökonomischen Lehren zu einem geschlossenen ideologischen System, dessen Erkenntnisse wie Dogmen verkündet wurden, an denen nicht gezweifelt werden durfte. Anschauungen und Normen des MarxismusLeninismus als nwissenschaftliche[r] Weltanschauung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei"8 wurden nicht hinterfragt und theoretisch nicht begründet - trotz des beanspruchten wissenschaftlichen Charakters. Der Sozialismus stellt sich dar als System von Behauptungen und Wunschvorstellungen, die als real vorhanden dargestellt werden. Alle gesellschaftlichen Bereiche, alle Tätigkeiten werden in das sozialistische Deutungsmuster von Realität hineingenommen. Ein Ausdruck dieser einheitlichen Staatsideologie ist die - auch in der linguistischen und philosophischen Fachliteratur geäußerte Ansicht, 'das Volk' stehe geschlossen hinter Staat und Partei. "Es gehört zu den Vorzügen des Sozialismus, daß sich jeder Bürger unserer Republik mit seinem sozialistischen Vaterland uneingeschränkt identifizieren kann
[...r 9 Stojanov macht als eines der zentralen Integrationsmuster des Sozialismus das Feindbild aus. 10 Die sozialistische Gesellschaftsordnung basiert auf dem "logischen Schema der Negation des Kapitalismus der Vergangenheit".11 Die Geschichte des Sozialismus stellt sich dar als ein Kampf gegen Ausbeutung und Privateigentum, gegen die bürgerliche Gesellschaft und den für sie typischen Individualismus, gegen persönliche Autonomie, gegen Gesellschaftsund Welterkenntnis außerhalb ihrer Ideologie. Die Identität dieser als Alternative zum Kapitalismus bzw. zu dessen Überwindung gedachten Gesellschaft ist demnach vorwiegend negativ definiert. Das Selbstbild des Sozialismus bietet vor allem Hinweise auf das, was er nicht sein darf. Er gründet sich auf Abgrenzung und Kritik. Symbolfigur der durch Verneinung gestifteten Iden-
6 Ebd. 7 Vgl. ebd. 8 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, 325. 9 Weisspflug 1979, 724; vgl. auch Anm. 4 in Kap. 6. 10 Vgl. Stojanov 1991, 39f., 42. 11 Ebd., 39.
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
tität ist "der Klassenfeind" als abstrakte Größe. 12 Konstruktive Angebote zur Stiftung einer positiven Identität, die aus sich selbst und nicht durch Negation existierte, fehlen weitgehend.13 Die Fixierung auf den "Klassenfeind" im Westen bzw. im eigenen Land führte gerade auch in der DDR zu Stagnation und Innovationsfeindlichkeit. Mangelnde Reflexion der eigenen Vorstellungen und Handlungsmuster ließ einen konstruktiven Diskurs mit anderen Denkweisen oder auch anderswo gemachten Erfahrungen unmöglich werden. Der Sozialismus bzw. die jeweils herrschende sozialistische Partei in den Warschauer Vertragsstaaten war nicht in der Lage, auf die ökonomischen und ökologischen Herausforderungen in ihrem Land zu reagieren, erst recht nicht zu agieren. Es entwickelte sich kein "ökologischer Sozialismus", der die Umweltprobleme zu lösen versuchte oder wenigstens wahrnahm. Die "Theologie der Befreiung" in Lateinamerika, die die Ergebnisse der marxistischen Gesellschaftsanalyse anwendet, wurde in den sozialistischen Ländern nicht aufgegriffen. 14 Die marxistisch-leninistische Ideologie galt als Wahrheit letzter Instanz, die bestimmte, wie Realität wahrzunehmen war. Orientiert hat sie sich immer an dem, was sie verneinte, dem 'Westen'. Diese von Stojanov so analysierte "negativ definierte Identität"15 der Angehörigen sozialistischer Gesellschaftsordnungen wird in ähnlicher Weise in einem Artikel des Schriftstellers Rainer Schedlinsky und - auf poetische Art in der "Unvollendeten Geschichte" von Volker Braun dargestellt. Unter dem Eindruck der Massenausreisen im Spätsommer 1989 schrieb Schedlinsky für die Literaturzeitung "Temperamente": "die ddr [...] hat die eigenen erfolge gelobt und die westlichen gebrechen beanstandet, so lange, bis die leute es geschluckt haben, nur eben andersrum, sie hat lauthals allen dingen das westliche maß auferlegt.[...] es ist das original, was sie der ewigen nachahmung vorziehen, wenn die leute nun die ddr verlassen, die seit jähr und tag nichts anderes tut, als den westen vergleichsweise zur
12 im Handwörterbuch wird das Lexem definiert als "/o.Pl./ Vertreter(gruppe), als Gesamtheit aufgefaßte Vertreter einer gegen das Klasseninteresse der Arbeiterklasse [...] gerichteten Politik und Ideologie". Ein Umstand, der sich auch bei der Umgestaltung der mittelosteuropäischen Gesellschaften bemerkbar macht: Die Menschen wissen vor allem, was sie nicht wollen; positiv zu formulieren, wie die politische und wirtschaftliche Ordnung aussehen soll, in der sie leben wollen, fällt den meisten schwer. Während ihres Studienaufenthaltes in Leipzig hat die Verfasserin mit Dozentinnen und Dozenten der Karl-Marx-Universität häufig gerade über dieses Thema gesprochen. Einige nannten es "Theoriedefizit der SED". Aufgrund elementarer theoretischer Mängel und dogmatischer Handhabung ihrer Ideologie könne die SED nicht angemessen auf offensichtliche Probleme und schon gar nicht auf Kritik reagieren. 15 Stojanov 1991, 39.
"Aktive Negation"
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alternative zu machen, anstatt ihre identität in eigenen werten zu suchen
f...]." 16 Braun hatte bereits 1975 den Sozialismus in der DDR als "Wettlauf mit den Toten" dargestellt. "Der Wettlauf mit den Toten, wir Totengräber jagen dem Kapitalismus nach über den Friedhof unserer Pläne. Die Leiche legt einen Zahn zu, wir können uns einen ziehen. Der Weg zur Überlegenheit: vor, zurück, zur Seite, ran und so weiter." 17 Die "aktive Negation" 18 des Kapitalismus bzw. der bürgerlichen Gesellschaft und die Dominanz der Ideologie hatte mehrere Konsequenzen. Zum einen das schon oben angesprochene klare Feindbild. Die DDR war eine 'geschlossene Gesellschaft' mit einem kämpferischen und unversöhnlichen Freund-Feind-Schema, das sich vor allem auch sprachlich ausdrückte (vgl. 7.1.1.1). Daraus folgte wiederum, daß die militärische Organisation Vorbild für viele gesellschaftliche Bereiche war. Die in diesen Bereichen handelnden Personen wurden - idealtypisch - eher als Soldaten bzw. Kämpfer denn als Schüler, Studenten, Arbeiter etc. dargestellt. Die Schulen begannen den Unterricht zumindest mehrmals im Schuljahr mit einem "Fahnenappell" auf dem Schulhof, der Klassensprecher machte vor Unterrichtsbeginn Meldung, daß die Klasse zum Unterricht angetreten sei, der Arbeitsplatz war "ein Kampfplatz für den Frieden" 19 , die Vorlesung "Germanische Philologie im Überblick" wurde ins "Kampfprogramm der FDJ-GO [Grundorganisation] aufgenommen" 20 (vgl.7.1.1.2). Zum anderen wurden durch die Absolutsetzung von Ideologie und Partei quasi-religiöse Denk- und Verhaltensmuster frei. Die Angehörigen der sozialistischen Gesellschaftsordnung durften nicht sagen, was sie dachten bzw. beobachteten, sie durften keine Ideen haben und keine Initiative ergreifen, da die Partei als 'höhere Instanz' über alles Bescheid wußte und das Geschehen lenkte. 21 Wie nah Repräsentanten des Marxismus-Leninismus ihre Lehre an eine Religion heranrücken, läßt sich vor allem sprachlich beobachten. Beispiele hierfür sind der Ausspruch Lenins: "Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist" und die Formulierung des PEN-Vorsitzenden der DDR, Kamnitzer, im Januar 1988, der in einem Artikel im Neuen Deutschland die
16 Schedlinsky 1990, 7. 17 V. Braun, Unvollendete Geschichte, 69. 18 Stojanov 1991, 42. 19 So lautete eine Losung Mitte der 80er Jahre. 20 Studienjahr 1988/89 an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Zitat aus dem Aushang der FDJSekretärin der Sektion Germanistik. 21 Vgl. dazu auch Stojanov 1991, 42.
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
Proteste anläßlich der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration mit den Worten beschreibt: "Was da geschah, ist verwerflich wie eine Gotteslästerung".22
7.1.1
Sprachliche Erscheinungsformen der negativen Identität
7.1.1.1 Wörter und Redewendungen als Ausdruck des sozialistischen Feindbildes Jede Gesellschaft und jede Gruppe benötigt offenbar als Ausdruck oder zumindest zur Unterstützung ihrer Identität ein Feindbild. Wenn nun im folgenden aus den Romanen Wörter, Sätze oder Losungen entnommen werden, die ein Feindbild, eine Abgrenzung gegenüber Andersdenkenden oder sogar die Vernichtung des Gegners ausdrücken, so ist das keine spezifische Erscheinungsweise des Sozialismus. Das Feindbild des Sozialismus hat jedoch eine Semantik, die für ihn typisch ist. Der "Klassenfeind" als Denkfigur und Ausgangspunkt eigener, negativ definierter Identität hat Konsequenzen für das gesellschaftliche und individuelle Bewußtsein und seine sprachlichen Ausdrucksformen. Zunächst die Auflistung der einzelnen Lexeme, die aus den Romanen gewonnen wurden: Ansichten, feindliche Aussehen, kosmopolitisches Bandit, imperialistischer Bewußtsein, mangelhaftes vorsintflutliches Boykotthetze, konterrevolutionäre Element, einzelbäuerliches labiles, schwankendes klassenfremdes solches [republikflüchtig] Feind, des sozialistischen Aufbaus der demokratischen Ordnung der Republik Klassenfeind Schutzhelfer des Klassenfeinds
22 Neues Deutschland, 28.1.88, 2.
(Strittmatter 1963) (Kant) (Jakobs) (Neutsch) (Claudius 1951) (Brezan) (Strittmatter 1963) (Brezan) (Kant, Neutsch) (Kant) (Brezan) (Johnson) (Brezan) (Brezan, Jakobs, Schütz 1980, Maron) (Brezan)
Sozialistisches Feindbild
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Parteifeindlichkeit (versus Parteitreue) Volksfeind Intelligenzler, zurückgebliebener bürgerlicher Ismen, sonstweicher, bezichtigen Kapitulant Koexistenz, ideologische [mißbilligend] Konterrevolution, faschistische Kosmopolitismus Objektivismus Republikflüchtige/r Revisionismus, intelligenzlerischer Schädling Sektierer, intellektueller Sektierertum Schwächen, erhebliche ideologische Sozialdemokratismus Standpunktlosigkeit Subjektivismus Umtriebe, konterrevolutionäre Versöhnler Wachsamkeit (gegenüber dem Klassenfeind) Zweiflergeist, klassenfremder
(Strittmatter 1963) (Johnson) (Brezan) (Neutsch) (Neutsch) (Strittmatter 1963) (Brezan) (Kant) (Strittmatter 1963) (Brezan, Kant, Maron) (Brezan) (Johnson) (Brezan) (Maron) (Maron) (Strittmatter 1963) (de Bruyn) (Neutsch, Wolf 1968) (Maron) (Strittmatter 1954, Neutsch) (Brezan, Kant) (Strittmatter 1963)
bürgerlich faschistisch feudalistisch imperialistisch intelligenzlerisch kapitalistisch klassenfremd konterrevolutionär kosmopolitisch opportunistisch parteifeindlich schädlich republikflüchtig sektiererisch staatsfeindlich versöhnlerisch westlich dekadent
(Brezan) (Brezan) (Brezan) (Jakobs) (Brezan) (Johnson) (Strittmatter 1963) (Brezan, Maron) (Kant) (Brezan) (Brezan, Strittmatter 1963) (Strittmatter 1963) (Kant) (Jakobs, Kant) (Maron) (Johnson, Schütz 1986) (Maron)
ausschließen, aus der Partei zu Kreuze kriechen
(Claudius 1951, Maron) (Brezan)
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Schluß machen, mit dem Klassenfeind zertreten, jeden möglichen Keim der Konterrevolution reinigen, unsere Reihen von den Feinden unserer demokratischen Ordnung
(Brezan) (Brezan) (Johnson)
Ein Blick auf die Autoren verrät, daß die meisten Belege aus der 1. Gruppe der Romane stammen. Die 50er und 60er Jahre waren die Zeit des Aufbaus und der Konsolidierung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der DDR; in dieser Zeit wurden auch die härtesten ideologischen Kämpfe ausgefochten. Die Romane von Monika Maron (Flugasche) und Helga Schütz (In Annas Namen) verraten aber, daß auch in den 80er Jahren an dem Feindbild festgehalten wurde und die SED hart gegen ihre Gegner vorging. Die meisten der oben aufgeführten Lexeme sind in dem 1984 erschienen Ost-Berliner Handwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache auf der ideologischen Grundlage des Marxismus-Leninismus definiert. Beispiel: "Sektierertum, innerhalb der Arbeiterbewegung betriebene schädliche Politik, die mit scheinrevolutionären Phrasen arbeitet und die Ausnutzung vorhandener Möglichkeiten für die revolutionäre Arbeit unter den Massen vernachlässigt." Die Wortliste macht deutlich, daß die 'Feinde' bzw. 'feindliche' Denk- und Verhaltensweisen nicht einfach beschimpft werden, sondern ihre Klassifizierung als Gegner und die daraus folgende sprachliche Negativbenennung auf klaren ideologischen Grundsätzen basieren. Vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus aus werden enge Grenzen gezogen, innerhalb derer man sich als 'Freund', außerhalb als 'Feind' bewegt. Sprachlich gibt es im Deutschen mehrere Möglichkeiten, eine Abgrenzung gegenüber Personen, Einstellungen oder Verhaltensweisen vorzunehmen und diese negativ zu benennen.23 In Komposita oder Nominalbildungen mit Genitivattribut kann das Lexem feind die negative Kennzeichnung des Benannten übernehmen: Klassenfeind. Einer Person können Bezeichnungen zugewiesen werden, die sie kriminalisieren: Bandit, Element, und die zusätzlich mit Adjektivattributen ausgestattet werden können, die sie abwerten: imperialistischer Bandit, labiles Element. Außerdem besteht im Deutschen die Möglichkeit, an sich positiv oder neutral gewertete Nomina Agentis oder Abstrakta durch die Wortbildungsmorpheme -ler, -ant, -ismus negativ zu konnotieren. Ähnlich wird verfahren, wenn ein im allgemeinen Sprachgebrauch neutral oder positiv geweitetes Nomen ein negatives Attribut erhält: mangelhaftes Bewußtsein. Durch Verben kann der Wunsch der physischen Vernichtung des
23 Vgl. auch Kap. 2, Wortbildung.
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Gegners ausgedrückt werden: Schluß machen, reinigen, zertreten. Die Benennung Schädling rückt schon sehr nah an den NS-Sprachgebrauch heran (vgl. 7.3). Die aufgeführten Wortbelege gliedern sich a) in Lexeme, die eine Person oder Gruppe als 'feindlich' oder zumindest als 'gegnerisch' klassifizieren, b) in Benennungen für Einstellungen und Verhaltensweisen, die diese Personen haben und die als 'feindlich' zu bezeichnen sind, c) in attributiv (teilweise auch prädikativ) gebrauchte Adjektive, die diesen Personen und Einstellungen verdeutlichend oder verstärkend hinzugefügt werden. Eine Ausnahme bildet das Derivat Wachsamkeit. Es bezeichnet nicht die Haltung des Klassenfeinds, sondern im Gegenteil die Haltung der Parteitreuen, die sie diesem gegenüber einnehmen sollen.24
a) Benennungen für 'feindliche 1 Personen und Gruppen Bandit, imperialistischer Element, einzelbäuerliches, klassenfremdes, labiles,schwankendes, solches Feind der demokratischen Ordnung, der Republik, des sozialistischen Aufbaus Klassenfeind Volksfeind Intelligenzler, zurückgebliebener bürgerlicher Kapitulant25 Lehrer, versöhnlerisch gesonnener Republikflüchtiger Schädling Sektierer, intellektueller Versöhnler In Jakobs' Roman Beschreibung eines Sommers (1961) geht es um den Aufbau des fiktiven Chemiewerks Wartha. Tom Breitsprecher, der 'Held' des Buches, wird von seinem Betrieb auf die Chemiebaustelle geschickt. Er ist ein fähiger Ingenieur, hat aber mit Politik nichts im Sinn. Das bringt ihn in Wi24 Ausführlich dazu (und zum Unterschied zwischen Mißtrauen und Wachsamkeit) Kant, 113. 25 Duden Mannheim 1980: "DDR/ jemand, der vor den Argumenten politischer Gegner kapituliert"; vgl. Neutsch, 120.
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derspruch zu den Bauleitern und Brigadieren der Baustelle, die im Parteiauftrag und aus politischer Überzeugung handeln und in ihrer Leitungstätigkeit nicht nur eine technische, sondern vor allem eine erzieherische Aufgabe sehen. Gleichzeitig empfinden sie den Aufbau des Chemiewerks als einen Schritt zum Sieg über den 'Klassenfeind', wie in dem folgenden Gespräch zwischen dem Bauleiter Senkpur und Tom deutlich wird: [...] denk, daß du's hier mit jungen Menschen zu tun hast, für die du Vorbild bist. [...] Denk auch dran, daß es unsere Klassenbrüder sind, die du von der Baustelle gewiesen hast. Wenn wir uns nicht um unsere Klassenbrüder kümmern, dann kümmert sich unser Feind um sie. [...] Wenn sie nicht spüren, daß ihre Heimat bei uns ist, dann hat der Klassenfeind leichtes Spiel. (117)
Senkpur sieht in den Waldbränden, die die Arbeiten auf der Baustelle verlangsamen, einen Sabotageakt des 'Klassenfeinds': Unsere allererste Aufgabe zur Zeit ist, die Baustellen vor Angriffen imperialistischer Banditen zu schützen. (118) 2 6
Auf humorvolle Weise setzt sich Strittmatter mit den Feindbildern seiner Zeit auseinander. Der Erzähler von "Ole Bienkopp" (1963) macht sich über die übereifrige Bürgermeisterin Frieda Simson lustig und läßt sie auf einer Dorfversammlung sagen: Das einzelbäuerliche Element muß sich mittels zu leistender Dorfharmonie bei der gründlich zu durchdenkenden Erntefestgestaltung an die Genossenschaft herangezogen fühlen. (375)
Was sich bei Strittmatter noch vergleichsweise harmlos anhört, hat in anderen Veröffentlichungen der 50er und 60er Jahre einen ganz anderen Stellenwert und macht deutlich, mit welcher Härte und Unerbittlichkeit das ideologische Ziel, die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in der DDR, verfolgt wurde und wie schnell selbst treue Parteileute in den Verdacht der 'Feindlichkeit' gerieten. 27 Besonders krasse Beispiele hierfür sind der Bürgermeister Rumbo in Brezans Mannesjahre (1964) und Direktor Siebmann in Johnsons Ingrid Babendererde (ca. 1953-1956). Rumbo ist mit klaren Absichten in die Partei eingetreten und nach 1945 Bürgermeister geworden. Aber erst will ich dir noch sagen, wofür wir die Macht haben. [...] um Schluß zu machen mit dem Klassenfeind - ein für allemal. (Brezan, 31)
26 Die Bezeichnung imperialistische Banditen gab es auch in anderen sozialistischen Ländern, russ. imperialisticeskije bandity. 27 Neutsch hat eine sprachlich gelungene Formulierung für diese parteiinternen Kämpfe gefunden: "Die Genossen [...] hätten ihn sonstweicher Ismen bezichtigt, ihn als Bremser betrachtet - wie es neuerdings hieß -, auf die sie unerbittlich Jagd machten." (259).
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Der Erzähler schildert Rumbo als zupackenden Heißsporn mit der Einstellung "Wo gehobelt wird, fallen auch Späne". Er wird nicht ohne sympathische Züge dargestellt, aber seine verbalen Ausfalle gegen einige Dorfbewohner und die Denunziation seines Parteigenossen und eigentlichen 'Helden' des Romans, Felix Hanusch, verraten, wohin ein starres Freund-Feind-Denken führen kann. Rumbo geht mit "einzelbäuerlichen Elementen" ganz anders um als Frieda Simson bei Strittmatter. Und Rumbo soll beim Schnaps geprahlt haben: Ich kriege den Jakob Domanja in die Genossenschaft, ganz freiwillig kriecht der Vorsänger Gottes zu Kreuze. (165)
Sein Verhalten führt dazu, daß Domanja die DDR verläßt; von nun an heißt er "Republikflüchtiger Domanja" (264). Rumbo hat ein klares Feindbild. Den Oberlehrer des Dorfes nennt er einen "Schutzhelfer des Klassenfeinds" (25), der Vorsitzende der Bauernhilfe ist "genauso ein labiles Element wie alle" (263) 28 , die Witwe Nakonz, die ihn beschimpfte, hat seiner Ansicht nach dadurch "konterrevolutionäre Boykotthetze betrieben" (332) und ist "ein Feind der Republik und des sozialistischen Aufbaus" (333). 29 Schwerwiegender ist die Behandlung seiner Gegner innerhalb der Partei. Felix Hanusch, der eher vermittelnd und überzeugend 'für seine Sache' arbeitet, ist die Zielscheibe seiner Feindschaft. Felix' ausgleichende Haltung gegenüber Nichtkommunisten verleitet Rumbo dazu, ihn als ein "schwankendes Element" (78) und einen "zurückgebliebenen bürgerlichen Intelligenzler" (116) anzusehen. Schwankend und labil bezieht sich auf den sogenannten Klassenstandpunkt, auf die Erwartung der Partei, daß ihre Mitglieder eine feste, klare - und keine labile, schwankende - Position zur 'herrschenden Arbeiterklasse' einnehmen. Rumbo macht etwas, das in der SED bis zum Umsturz sehr häufig vorkam: er schreibt einen Bericht an "sein übergeordnetes Organ" (263), an die Kreisleitung der Partei und bezichtigt Felix, zwei Gesichter zu haben, ein parteitreues vor der Partei, ein opportunistisches vor den Bauern (263). Im "Fall Republikflüchtiger Domanja" habe er "eine schwankende Position bezogen" (264).
Opportunismus ist im Handwörterbuch definiert als "kleinbürgerliche, antimarxistische Strömung in der Arbeiterbewegung, die die Klasseninteressen des Proletariats um vermeintlicher Vorteile willen denen der Bourgeoisie un28 Eine Begründung für sein MiBtrauen wird nicht gegeben. 29 Zu Rumbos Ehrenrettung muß gesagt werden, daß die Witwe Nakonz ihm das wünschte, was mit den Kommunisten gerade (1956) in Ungarn geschah (vor der Niederschlagung des Aufstands), vgl. Brezan, 294.
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terordnet". 30 Rumbo kämpft also gegen den 'Feind in den eigenen Reihen'. Ahnlich verhielt sich ein Kreissekretär, der Felix (in der Vergangenheit des Romans) einen intellektuellen Sektierer und opportunistisch schmutzer des Kampfes der Partei
Angekränkelten,
einen
Be-
nannte, weil dieser sich kritisch über das Alter einiger Losungen und Transparente geäußert hatte (346). Bei Brezan nimmt trotz der markigen Worte alles noch ein gutes Ende. Felix bleibt Parteisekretär, die Witwe Nakonz wird nicht verhaftet. Daß es auch anders ausgehen kann, wenn man "unsere Reihen wachsam und unerbittlich von den Feinden unserer demokratischen Ordnung reinigt"31, zeigen die Romane von Schütz und Johnson. Julia im gleichnamigen Buch von Schütz erzählt aus der Retrospektive von ihrer Zeit an einer Arbeiter-und-Bauern-Fakultät. Auf einer Maiparade hatte der Physiklehrer Hempel vor der Tribüne die Faust erhoben und "Freiheit, Freiheit" gerufen (Schütz 1980, 102f.). Daraufhin tagt in der ABF eine kleine Sonderkommission. Julia soll bezeugen, daß der Klassenfeind an meiner Seite marschiert sei, mit erhobener Faust und aufwieglerischen Rufen (103).
Hempel wird in die Provinz geschickt. Ahnlich ergeht es dem Geschichtslehrer. Er hat sich Schuhe aus dem Westen schicken lassen und außerdem Arbeiterkind Arnold Ziemer mit einer Fünf in Geschichte ausgestattet. Wo bleibt denn da der Klassenstandpunkt, und ist das nicht vielleicht der Einfluß des Feindes? (37)
Der Lehrer wird als "Agent" bezeichnet; bevor er entsprechenden Besuch erhält, flieht er. [...] das ist der Beweis. Wir waren ihm auf der Spur. Aber wir hätten noch wachsamer sein sollen. (38)
Der 'Feind' in Johnsons Ingrid Babendererde ist die "Junge Gemeinde"32 Die - authentische - Auseinandersetzung zwischen FDJ und Junger Gemeinde im Jahr 1953 bildet die Grundlage seiner Erzählung. Johnson hatte den Konflikt als Germanistikstudent in Rostock miterlebt33, in seinem Buch verlegt er 30 Handwörterbuch unter 1.; unter 2. die allgemeine Bedeutung "[...] Preisgabe von Grundsätzen zugunsten von Augenblicks-[...] erfolgen". 3 t Losung im Roman von Johnson, 140. 32 So heißen, wie bereits eben erwähnt, die evanglischen Jugendgruppen in der DDR/in Ostdeutschland. 33 Er selbst wurde im Frühjahr 1953 von der Universität relegiert, was nach dem 17. Juni stillschweigend - zurückgenommen wurde. (Diese Information verdankte die Verfasserin der
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ihn an eine Oberschule in einer mecklenburgischen Kleinstadt.34 Die folgenden Zitate entstammen einer Versammlung der Schulparteiorganisation, auf der die Entfernung eines Schülers aus der Oberschule wegen seiner Mitgliedschaft bei der Jungen Gemeinde beschlossen werden soll. An der Stirnwand [der Aula] war unübersehbar eine grosse rote Fahne an die Wand genagelt, daraufhatte die 9GI die Losung befestigt [...]: 'Reinigt wachsam und unerbittlich unsere Reihen von den Feinden unserer demokratischen Ordnung'. Der siebenunddreissigste Buchstabe hing schief. (140) 35
In der Sitzung wird genau so verfahren. Der Direktor redet als erster. - Die illegale: sagte Pius und atmete. - Die illegale Verbrecherorganisation. Vom kapitalistischen Ausland bezahlter Volksfeinde! (141)
Der Schulleiter, jung und dynamisch, ist der Repräsentant der neuen Ordnung, der dafür sorgt, daß an seiner Schule nur die Parteilinie gilt. Er unterteilt seine Schüler in "würdige Schüler einer demokratischen Oberschule" und "Volksfeinde" (141) und trägt dadurch zu einem gereizten und angespannten Schulklima bei. In dem herrschenden Freund-Feind-Schema tun sich viele Gegensatzpaare auf: "nützliche Mitglieder der Republik" (90) - "Schädling" (21), "demokratische Presse" - "kapitalistische Presse "/"christliche Zeitung" (53), FDJ - "anarchistische Junge Gemeinde" (141), "parteischädigendes (versöhnlerisches) Verhalten" - "nützliches Verhalten" (114). Das letzte Gegensatzpaar bezieht sich auf das Verhalten zweier Schüler und FDJ-Mitglieder gegenüber einer Klassenkameradin, die Mitglied der Jungen Gemeinde ist und deshalb von der Schule gewiesen werden soll. Gegen Jürgen wird eine Ermahnung ausgesprochen, wegen eigenmächtigen und parteischädigenden (versöhnlerischen) Verhaltens (114).
Er hatte seiner Mitschülerin das FDJ-Mitgliedsbuch zurückgegeben. Dieter dagegen, der das Mädchen provozierte, hat sich "nützlich" verhalten. Sei das [...] nicht auch eine Eigenmächtigkeit gewesen? - Aber. Eine nützliche! [...] Eine die uns vorwärts bringt! (114)
Eine "versöhnlerische" Gesinnung wirft auch ein parteitreuer Vater einem Lehrer in Helga Schütz' Roman In Annas Namen vor. In einer Elternversammlung wird über Schüler verhandelt, die Kriegsspielzeug zerstört haben (97). Der Lehrer versucht, einen "Jungenstreich" daraus zu machen. Darauf meldet sich ein empörter Vater zu Wort: Tagung "Uwe Johnson" des "Internationalen Arbeitskreises für Literatur und Politik in Deutschland", 29.11.- 1.12.91 in Bonn). 34 Vgl. das Nachwort von Unseld in der Suhrkamp-Ausgabe von Ingrid Babendererde, 251. 35 Losung im Originaltext in Kapitälchen.
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Ihm sei zu Ohren gekommen. Der Mann schoß seine Rede aus der hintersten Reihe an den Köpfen vorbei. Kurz: Ein Schüler haben den Genossen Direktor einen Genitivparasiten genannt und seinen Stellvertreter einen Naziheinz. Ob das auch ein Jungenstreich sei? Das donnerte er dem versöhnlerisch gesonnenen Lehrer an den Hinterkopf. (97) Versöhnlerisch hat eine festgelegte ideologische Bedeutung. Ähnlich wie bei opportunistisch liegt die negative Konnotierung, die durch das Morphem ler ausgedrückt wird, in der Bedeutung "prinzipienloses, antimarxistisches Verhalten"36. Versöhnlerisch ist vielleicht das beste sprachliche Beispiel für die negativ definierte sozialistische Identität. Die Orientierung am 'Gegner der sozialistischen Gesellschaft' im weitesten Sinne und die Abgrenzung von ihm als integrierendes Moment ist so zwingend notwendig, daß ein positiver Wert, Versöhnung, versöhnlich, der einschließt, einen Schritt auf den 'Gegner' zuzugehen, in sein genaues Gegenteil verkehrt und als negative Haltung verurteilt wird. 37
b) Bezeichnungen für 'feindliche' Einstellungen und Verhaltensweisen Absichten, feindliche Bewußtsein, mangelhaftes Boykotthetze, konterrevolutionäre Koexistenz, ideologische, in der Sprache Konterrevolution, faschistische Kosmopolitismus Objektivismus Parteifeindlichkeit Revisionismus, intelligenzlerischer Sozialdemokratismus Standpunktlosigkeit Subjektivismus Umtriebe, konterrevolutionäre Zweiflergeist, klassenfremder Strittmatter gibt in Ole Bienkopp die Vorwürfe, mit denen sich die Parteileute seiner Zeit gegenseitig bedachten, auf humorvolle Weise wieder. Der Vorwurf des Objektivismus und der Koexistenz fallen auf der in 7.1.1.1. schon erwähnten Versammlung zur Vorbereitung des Erntefestes. Das Mäd36 Handwörterbuch; bei Neutsch als Substantiv: "Ewiger Versöhnler", 328. 37 Helga Schütz hat das Adjektiv bewußt als Zitatwort aus der 'gesellschaftlichen Praxis' in die Erzählersprache ihres Romans aufgenommen und sich gefragt, ob man einen positiven Wert so umkehren dürfe. (Gespräch mit der Verfasserin am 8.6.89).
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chen Märtke ist aufgeregte Gastgeberin und läßt eigens für die Versammlung "vom Konsumfräulein" einen Wandspruch malen (einen, der keinem wehtut): "Fröhlichkeit hilft schaffen". (374). Die Genossin Frieda Simson zückt beim Anblick dieser 'unparteilichen Losung' ihr "schwarzes Diarium" und trägt ein: "Objektivismus einer künftigen Parteikandidatin" (375). Auf der gleichen Versammlung rügt ein Lehrer die Verwendung des Wortes "Quiz". Lehrer Sigel schüttelte sich. Weshalb Quiz und Toto? Ideologische Koexistenz in der Sprache. Aber wie soll es die Jugend auch besser wissen, wenn unsere Redakteure in den Zeitungen 'Knüller' und 'Thriller' schreiben und auf solche Weise westlich schielen [...]. (376)
Auf einer anderen Parteiversammlung erscheint unerwartet Bürgermeister Nietnagel, "dieses Teilstück von einer Obrigkeit", um "alles Gerede von aufglimmender Parteifeindlichkeit mit sozusagen seinen Füßen zu ersticken". (138). Auf einer späteren Versammlung fürchtet sich Nietnagel, Ole Bienkopp zu verteidigen. Man wird ihm [Nietnagel] seinen alten Sozialdemokratismus vorhalten. (191)
Die Bezeichnungen feindliche Ansichten und klassenfremder Zweiflergeist stehen als einzige von Strittmatters Belegen zu diesem Kapitel nicht in einem humorvollen Rahmen, sondern verweisen auf einen Vorfall in der Stalinzeit. Kreissekretär Wunschgetreu erinnert sich an einen Fall aus seiner ersten Zeit als Sekretär. Ein älterer Genösse, der Volksbuchhändler war, hatte behauptet, "nicht alle neueren Romane aus der Sowjetunion seien gut" (327). Für Wunschgetreu stand fest: "Ein alter Genösse vertrat feindliche Ansichten". (327). Eine Parteiaktivsitzung fand statt, es wurde nachgeforscht, der Buchhändler war während des Krieges in englischer Emigration gewesen. Möglich, daß klassenfiremder Zweiflergeist in ihn eingedrungen war. [...] Verdachtsmomente. Man nahm den Volksbuchhändler in Haft. (328)
In den Belegen bei Brezan geht es, wie im vorigen Abschnitt, um die Witwe Nakonz. Rumbo wirft ihr vor, mit ihrem Wutausbruch [sie wollte ihn aus dem Dorf jagen - "wie in Ungarn", vgl. 294] gegen ihn "konterrevolutionäre Boykotthetze betrieben" zu haben. (332). Felix und ein anderes Parteimitglied verteidigen sie. Darauf entgegnet der Bürgermeister: Wer das sagt, was sie gesagt hat, meint's auch. Alles andere ist intelligenzlerischer Revisionismus. (332)
Rumbo hat für alle Verhaltensweisen die passenden Begriffe aus der Parteiideologie parat. Intelligenzlerischer Revisionismus mutet für die Sache, um die es geht, recht dramatisch an; vom marxistisch-leninistischen Standpunkt aus betrachtet ist der Vorwurf jedoch folgerichtig. Felix verteidigt eine Person, die Rumbo zum 'Feind' erklärt hat, und nimmt damit eine
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'opportunistische' Haltung ein. Unter Revisionismus wird eine "Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung" verstanden, die "[...] bes. die Lehre vom Klassenkampf [...] für revisionsbedürftig erklärt [...] und sich heute in objektiv konterrevolutionärer Rolle gegen den real existierenden Soz. richtet."38 Der Vorwurf des Revisionismus, Sektierertums oder Opportunismus war, an die Adresse eines Parteimitglieds gerichtet, nicht unerheblich, da der so Beschuldigte mit seinen Äußerungen oder seinem Verhalten die Parteilinie verlassen hatte. Das konnte durchaus disziplinarische Konsequenzen haben. Die Heldin in Marens Roman Flugasche wurde beispielsweise "wegen Sektierertum als FDJ-Sekretärin abgelöst" (94). Die Debatte um die Witwe Nakonz geht in der Parteiversammlung erhitzt weiter. Rumbo bezichtigt sie im folgenden, sich "auf die Seite der faschistischen Konterrevolution gestellt" zu haben (333), bei Berücksichtigung der Ereignisse in Ungarn 1956 eine logische, wenn auch übertriebene Schlußfolgerung. Können die Äußerungen Rumbos noch als impulsive Wortausbrüche mit phrasenhaften Lehrbuchzitaten gewertet werden, so erhalten sie ein schwereres Gewicht durch die Unterstützung des Schulleiters Nekela, des 'Gebildeten' im Dorf. Dieser geht von der "weltpolitischen Lage" (333) aus und kommt zu dem Schluß: Es sei notwendig, jeden möglichen Keim der Konterrevolution rechtzeitig zu zertreten. (334)
Dieses sprachliche Bild drückt sehr viel an Destruktivität aus und ist gleichzeitig ein Schlüssel zum Verständnis von Ideologien. Das Verlangen, 'alles Unkraut auszureißen' und in Kauf zu nehmen, daß dabei auch 'der Weizen' vernichtet wird, ist offensichtlich in vielen Religionen und Weltanschauungen vorhanden. Eine Ursache dafür ist, daß ein Ideal oder ein bestimmtes Ziel über den einzelnen Menschen gestellt wird. In der Partei Versammlung bei Brezan geht es um 'die Welt', die 'Menschheit' an sich, die zum Kommunismus geführt werden soll. Ein einzelner Mensch, der im Weg steht, muß unschädlich gemacht werden. Die inhumane Haltung, die in Nekelas Metapher zum Ausdruck kommt, wird von Felix deutlich erkannt: Weißt du, wohin deine Forderung, die Witwe Nakonz im Interesse der Menschheit einzusperren, fuhren muß [...] oder fuhren kann? Geradeaus zu Stalin! [...]. (335)
Ein ähnliches Beispiel für den Vorrang des Allgemeinen vor dem einzelnen Individuum findet sich in Christa Wolfs Erzählung Nachdenken über Christa T. Ein Lehrerstudent hält eine Lehrprobe zum Thema "Kabale und Liebe" mit dem Ziel, den "Vorrang der gesellschaftlichen vor den persönlichen Motiven im Verhalten Ferdinands" herauszuarbeiten. (70). Eine Schülerin vertritt die 38 Handwörterbuch.
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('richtige') Ansicht, "unglückliche Liebe sei, in der modernen Gesellschaft, kein Grund mehr, sich umzubringen. Alle waren sich einig: So weit hatten wir es schon gebracht." (70). Der Student streitet vor den Schülern leidenschaftlich "für den Tod in der modernen Liebe" - und stürzt ab. Günter aber würde nicht als Günter abgeurteilt werden, sondern als Beispiel, wohin ein Mensch gerät, der dem Subjektivismus verfällt. [...] der Mensch Günter und der Fall des Subjektivismus wurden voneinander abgetrennt [...]. (71)
Günter wurde als FDJ-Gruppenleiter abgesetzt. Kant, Neutsch und de Bruyn weisen Wortbelege auf, die die Bedeutung des 'richtigen' Bewußtseins aufzeigen. Bei Kant geht es um die Frisur des ABF-Studenten Robert Is wall. Sein (kommunistischer) Stiefvater trug sein Haar wie ein preußischer Unteroffizier, und natürlich waren Roberts Haare falsch geschnitten und gaben ihm ein kosmopolitisches Aussehen und Kosmopolitismus war die Kehrseite vom Chauvinismus [...]. Bis zum ersten Krach dauerte es nur eine Woche. (174)
Bei Neutsch wird in der Parteileitung der Baustelle eine 'Fehlerdiskussion' geführt; es werden verschiedene Ansichten über die Ursache der mangelnden Arbeitsproduktivität diskutiert. Eine andere [Ansicht] wollte alles auf ein mangelhaftes Bewußtsein reduzieren [.··] (493).
In de Bruyns Märkischen Forschungen wirft ein Germanist einem Dorflehrer und Heimatforscher "Standpunktlosigkeit" vor (121) - dabei ist dieser nur 'der Wahrheit' auf der Spur, die er allerdings nicht beweisen kann. Im Roman Flugasche von Monika Maron geht es der Journalistin Josefa Nadler darum, in ihrer Zeitung zu schreiben, was wirklich im Land passiert, und nicht nur die "kastrierte Wahrheit" (36). Bei ihren Recherchen für eine Reportage über Bitterfeld schlägt sie einem Arbeiter vor, sich beim Minister über die Zustände dort zu beschweren, ist sich aber gleich darauf der Tragweite ihrer Aufforderung bewußt. Ich wußte auch nicht, wie Hodriwitzka es machen sollte, was ich ihm in meiner Wut über diese dreckige Stadt vorgeschlagen hatte, ohne daß er konterrevolutionärer Umtriebe verdächtigt würde. (52f.)
Zwischen den Romanen der ersten Gruppe und dem von Maron liegen etwa zwanzig Jahre. Das Feindbild und die Wortwahl haben sich nicht wesentlich verändert. Personenbezeichnungen wie Volksfeind oder Kapitulant waren in den 80er Jahren nicht mehr gebräuchlich, Abstrakta wie Kosmopolitismus oder Sozialdemokratismus wurden nur noch selten verwendet, aber die Bei
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spiele bei Schütz und Maren zeigen, daß eine prinzipientreue sozialistische Haltung Großzügigkeit gegenüber Andersdenkenden und Kritik an Erscheinungen des Systems ausschließt.39
c)
Adjektive zur Verdeutlichung bzw. Verstärkung der diagnostizierten Feindlichkeit einer Person oder Einstellung
bürgerlich faschistisch feudalistisch imperialistisch intelligenzlerisch kapitalistisch klassenfremd konterrevolutionär kosmopolitisch opportunistisch parteifeindlich schädlich republikflüchtig sektiererisch staatsfeindlich versöhnlerisch westlich dekadent
(Intelligenzler) (Konterrevolution) (Heiliger)40 (Bandit) (Revisionismus) (Ausland) (Zweiflergeist) (Boykotthetze) (Aussehen) (Gesicht) (sein) (sein) (Element) (sterben) (sich äußern) (gesonnen sein) (Literatur)
Die meisten der Adjektive sind unter Punkt 1. und 2. bei den Personenbezeichnungen oder Abstrakta, denen sie zur Verdeutlichung vorangestellt werden, schon mitgenannt worden. Wie oben bereits erläutert, dienen sie dazu, entweder einem mit positiver oder neutraler Bedeutung verwendeten Lexem eine negative Komponente zu geben, oder sie verstärken den schon im Substantiv ausgedrückten negativen Wert. Einige Adjektive sind für sich genommen keine DDR-Typika, aber ihre Kollokationen sind nicht nur DDR-typisch, sondern in viel spezifischerer Weise Ausdruck des sozialistischen Feindbildes. In einem geschlossenen ideologischen System, wie es der Sozialismus darstellt, können Denk- und Verhaltensweisen, die als für das System abträglich gelten, besonders gut durch Adjektive ausgedrückt werden. Mit ihrer Hilfe kann eine Einstellung oder Person unmißverständlich als gegnerisch charakterisiert werden. 39 Es gab in der DDR den § 106 StGB "Staatsfeindliche Hetze" (Fassung von 1979). 40 Das ist Sankt Martin (!), vgl. Brezan, 357: "Brimborium um einen feudalistischen Heiligen".
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Bürgerlich als vorangestelltes Adjektiv beispielsweise gibt dem an sich schon mit einer leichten negativen Bedeutungskomponente behafteten Wort Intelligenzler eine stärkere negative Färbung, die in Richtung klassenfeindlich tendiert. Durch die Verknüpfung mit bürgerlich (und zurückgeblieben) wird die Negativbenennung einer Person vollends erreicht: "ein zurückgebliebener bürgerlicher Intelligenzler" (Brezan, 116). Faschistisch ist eine klare Bezeichnung für eine 'feindliche' Haltung, denn die DDR verstand sich als "antifaschistischer" Staat (vgl. 7.3). Der Faschismusbegriff im Sozialismus ist weit gefaßt. Er bezeichnet eine "offen terrorist. Diktatur reaktionärster imperialistischer Kreise" (Duden Leipzig 1987), als Kern des Faschismus wird der "Antikommunismus" betrachtet41. Diese Definition ermöglicht es, Gegner des sozialistischen Systems als "faschistisch" zu bezeichnen. Die Adjektive sollen jetzt nicht mehr einzeln aufgeführt werden, erwähnenswert ist aber das prädikativ verwendete sektiererisch, das zeigt, wie schnell man die vorgeschriebene Linie verlassen kann. In der ABF in Kants Aula geben die vier 'Helden' ihrer Studentenbude den Namen "Roter Oktober" und dichten ein Lied dazu (76). Quasi Riek liefert die erste Strophe: "Wir sind deutsche Demokraten und sterben für die Republik [...]". Darauf entgegnet sein Kollege Trullesand: "Ganz gut, [...] aber 'sterben', das klingt auch so sektiererisch - 'leben für die Republik' ist besser [...]". In der 3. Liedzeile ist "Hammer und Räder" sektiererisch, da das "Geistige" fehlt, die Zeile wird geändert in "Hammer und Feder". Das - nun parteitreue - Lied lautet: Wir sind deutsche Demokraten und sterben für die Republik / sterben will keiner, aber leben will jeder / darum nun Schluß mit dem Krieg / greift nun zum Hammer und greift auch zur Feder / Nah ist euch dann schon der Sieg! (76f.)
7.1.1.2 Wörter und Redewendungen mit kämpferischem bzw. militaristischem Charakter Agitation Agitator/in Appell Arbeiter-und-Bauem-Inspektion Arbeiter-und-Bauern-Macht 41 Kleines politisches Wörterbuch, 257.
(Marchwitza, Johnson, Strittmatter, Jakobs, Brezan) (Marchwitza, Jakobs, Kant, Plenzdorf) (Schütz 1980) (Schütz 1986) (Neutsch, Kant)
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Aufgebot, DorfAufmarsch Ausbildung, vormilitärische Banner, rotes Bannerträger Sonnenbanner Blauhemd Blockpolitik Brigade Brigadier/in Disziplin, Partei-, PlanFDJ-Stab Fahnenappell Front der Arbeit Front, ökonomische Genossenschaftskampagne Grundeinheit, der FDJ, der Partei Grundorganisation [der SED] Hauptplanposition Kader als 1. oder 2. UK in Komposita
Reisekader Kampf als 1. UK in Komposita: -auftrag -bund -entschlossenheit -gruppe -grüß -pause -plan Kampf um den Frieden Klassenkampf Linie der Partei verteidigen Machtergreifung [der Arbeiterklasse] Marschziel Nationale Front Offensive Operativstab Orden: "Banner der Arbeit"
(Gotsche) (Seghers, Hermlin) (Plenzdorf) (Neutsch) (Kant) (Schütz 1980) (Reimann, Strittmatter 1963, Schütz 1980) (Strittmatter 1963) (fast alle Autoren/-innen) (fast alle Autoren/-innen) (Strittmatter 1963, Kant) (Jakobs) (Wolf 1968, Schütz 1980) (Neutsch) (Neutsch) (Neutsch) (Strittmatter 1963, Johnson) (Jakobs, Brezan) (Schütz 1986) (Jakobs, Strittmatter 1963, Brezan, Kant, Wolf 1963, Tetzner, Schlesinger, Hein 1989) (Wolf 1989) (Schütz 1980) (Schütz 1980) (Schütz 1980) (Hermlin) (Kant) (Strittmatter 1963) (Seghers) (Johnson) (Johnson, Brezan, Schütz 1980) (Maron) (Neutsch) (Strittmatter 1963) (Brezan, Kant) (Neutsch) (Neutsch) (Marchwitza, Maron)
"Kampfwortschatz"
Pionieruniform Propaganda Protest-Aufmarsch Protestmarsch Staatsmacht Staatsorgan Standortbestimmung, ideologische Stützpunkt, ReparaturStrohTraktorenSturmbock Veteran Vorhut der Arbeiterklasse Vortrupp der Arbeiterklasse Ziel, strategisches und taktisches
(Strittmatter 1954) (Brezan) (Johnson) (Kant) (Neutsch, Wolf 1989) (Brezan)
einmarschieren einreihen
(Jakobs) (Plenzdorf)
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(de Bruyn) (Schlesinger) (Gotsche) (Strittmatter 1963) (Gotsche) (Johnson, Reimann, Stritt. 1963) (Seghers) (Jakobs) (Maron)
Kämpferischer Sprachgebrauch oder, wie der Ost-Berliner Satiriker Ernst Röhl 1988 dichtete, die "Kampf-Walze"42 war im offiziellen Wortschatz der DDR hoch frequentiert. Schlosser führt dies auf "Traditionen der Arbeiterbewegung" zurück, deren "Kampfmetaphorik" von den Nationalsozialisten adaptiert, nach 1945 in der SBZ aber von den Kommunisten wieder aufgegriffen wurde. 43 Ein Traditionsbruch, wie er in der westdeutschen Arbeiterbewegung zu beobachten war, wurde seiner Ansicht nach "durch die Kontinuität der Parteiarbeit im aktiven Widerstand", aber auch durch die sowjetische Emigration von Parteileuten vermieden.44 Es trifft zu, daß eine Reihe von Kampfausdrücken aus der Arbeiterbewegung stammt, dies gilt auch für einige der oben aufgeführten Lexeme.45 Für eine zureichende Begründung eines derart häufigen Gebrauchs militaristischer Wörter und Redewendungen reicht der Rückgriff auf proletarische Traditionen jedoch nicht aus. 46
42 In: Eulenspiegel Nr. 32, 1988. 43 Schlosser 1990, 37. 44 Ebd. 38. 45 Es gibt kein Wörterbuch, das den Wortschatz der Arbeiterbewegung verzeichnet; das erschwert ein Nachprüfen, ob es sich bei dem einem oder anderen Ausdruck um einen Begriff aus der Arbeiterbewegung handelt oder nicht. 46 Schlosser geht es im unter Anm. 43 und 44 zitierten Kapitel nicht um eine exakte Analyse des 'Kampfwortschatzes' der DDR, sondern eher um das Aufzeigen von "Kontinuitäten traditionellen Sprachgebrauchs" (34ff.).
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Seine Hauptursache hat der kämpferische Sprachgebrauch in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern in der Ideologie des Marxismus-Leninismus als kämpferischer Ideologie. "Der M.-L. [...] begründet die Strategie und Taktik des Klassenkampfes [...]". 47 Dessen Hauptinhalt besteht darin, "durch eine prinzipielle Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie zur weltweiten Offensive des Marxismus-Leninismus beizutragen. " 48 Der Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer "gegen das Klasseninteresse der Arbeiterklasse gerichteten Ideologie"49 als identitätsstiftendes Merkmal der sozialistischen Gesellschaft (vgl. 7.1) zieht als sprachliche Konsequenz Wörter und Redewendungen mit militaristischem Charakter nach sich. "Angesichts der Rolle des Feindbildes für diese Gesellschaftsordnung ist die militärische Organisation das Vorbild für die Funktionsweise des 'real existierenden Sozialismus'." 50 Kämpferischen Sprachgebrauch gibt es in allen Kommunikationsbereichen der Gesellschaft der DDR. Im Gegensatz zu den 'sprachlichen Feindbildern' kommen militaristische Ausdrücke gleichmäßig verteilt in fast allen Romanen vor, zwar mit leichter Tendenz zur 1. Gruppe, jedoch auch auffällig häufig noch in den Romanen der 80er Jahre. Kommunikationsbereiche des 'Kampfwortschatzes': a) Industrielle und landwirtschaftliche Produktion Brigade Brigadier/in Front der Arbeit Front, ökonomische Genossenschaftskampagne Kader Kampfpause -plan Offensive Operativstab Orden: "Banner der Arbeit" 51
47 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, 326. 48 Ebd. 285. 49 Vgl. Anm. 12. 50 Stojanov 1991, 39. 51 Den Orden gab es in drei Stufen, verliehen durch den Staatsratsvorsitzenden der DDR (Kleines Politisches Wörterbuch, 903).
"Kampfwortschatz"
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Stützpunkt, ReparaturStrohTraktorenBei allen Lexemen handelt es sich um Bedeutungsentlehnungen aus dem Bereich des Militärischen. Die Lehnwörter Brigade!Brigadier und Kader, die über das Russische ins Deutsche der DDR gelangt sind, bezeichneten ursprünglich bestimmte Teile einer Truppe. Brigade, aus dem Französischen stammend, ist im militärischen Sprachgebrauch eine "Einheit aus mehreren Truppenteilen derselben Waffe" (Wahrig). In den sozialistischen Ländern bedeutet Brigade, russ. brigada, ein "Kollektiv von Werktätigen [...] zur Lösung gemeinsamer Aufgaben in soz. Betrieben [...]" (Handwörterbuch). Eine Brigade ist die kleinste Organisationseinheit der sozialistischen Wirtschaft und wird von einem Brigadier geleitet. Im Unterschied zum Meister bedeutet Brigadier keine berufliche Qualifikation, sondern eine politische (wobei die berufliche hinzukommen kann). Brigade und Brigadier sind in einigen Romanen die am häufigsten vorkommenden DDRTypika, z.B. bei Marchwitza mit über 140 Belegen.52 Kader (m.), ebenfalls aus dem Französischen entlehnt, stammt auch aus der Militärsprache und meint eine "Kerntruppe" (Wahrig). In den kommunistischen Parteien diente das Wort schon vor dem 2. Weltkrieg zur Bezeichnung einer "systemat. herangebildete[n] Gruppe von Arbeits-, Fachkräften" (Wahrig). In der DDR und den anderen sozialistischen Ländern bezeichnet Kader, russ. kadry53, sowohl einen Bestand an Mitarbeitern oder Funktionären im Sinne von Personal, Fachkräfte oder Führungskräfte als auch eine einzelne Person. Die Romane geben die unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen das Wort Kader gebraucht wird, anschaulich wieder. Die Bezeichnung einzelner Personen als ein Kader oder mehrere Kader findet sich u.a. bei Brezan: "Sie haben genügend gelernt, um als zweisprachiger Kader zu gelten." (114) und bei Strittmatter 1963 "Junge Kader aufs Land!" (277) Hier hat Kader die Bedeutung Fachkraft, allerdings wird die Zugehörigkeit zur Partei indirekt mit ausgedrückt. In den Komposita Kaderabteilung, -akte, -gespräch, Kaderleiter/in, Kaderleitung hat Kader als Bestimmungswort die Bedeutung Personal. Der Begriff bezieht sich hier auf Arbeitskräfte im allgemeinen. Der "Tangospieler" in Heins gleichnamigen Roman (1989) spricht beispielsweise nach seiner Haftentlassung in der "Kaderabteilung" (124) mehrerer Betriebe vor, um eine Arbeit zu finden. Jeder Beschäftigte hatte eine Kaderakte, die zwar mit der Personalakte in der Bundesrepublik vergleichbar war, jedoch eine höhere Bedeutung hatte, da sie auch über die politisch-ideologische Zuverlässigkeit des Beschäftigten Auskunft gab, was wiederum ent52 Vgl. Kap. 2, Wortbildung. 53 Lehmann 1972, 219, "kadry, nicht inbezug auf einzelne Personen", mit Verweis auf Lenin.
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
scheidend für das berufliche Fortkommen war. 54 So konnten Erwerbstätige durchaus eine "rückläufige Kaderentwicklung" (Wolf 1963, 57; Tetzner, 202) aufweisen, d.h. sie wurden aus beruflichen oder politischen Gründen degradiert. Kader als Grundwort in Komposita hat dagegen die engere Bedeutung von 'Fachkraft, Führungskraft' bzw. 'Bestand von' - politisch zuverlässigen 'Fachkräften'. Arbeiterkader, Führungs-, Klassen- (Kant) sowie Reisekader (Wolf 1989) bezeichnen eindeutig eine Personengruppe, die sich durch Treue und Zuverlässigkeit zum Sozialismus auszeichnet und der deshalb eine Führungsaufgabe übertragen wird oder die ins westliche Ausland reisen kann: Zu oft hatte sein Chef ihm eine Einladung aus dem Ausland mit einem falschen bedauernden Lächeln zurückgegeben: Kein Reisekader. (Wolf 1989, 152) 5 5
Stützpunkt ist ebenso eine Anleihe aus der Militärsprache. Das Lexem als 2. UK in Komposita entstand in der Nachkriegszeit und ist eine Bedeutungsentlehnung aus dem Russischen. In einem fingierten SMAD-Befehl bei Gotsche (1949) taucht es das erste Mal auf. "Gleichzeitig sind Strohstützpunkte einzurichten." (215). Strittmatter 1963 benutzt das Lexem "Traktorenstützpunkt" (307). Es ist wohl eine Variante der Lehnübersetzung Traktorenstation, russ. /maSino-] traktornaja stancija. Beide Komposita sind als Paläologismen zu werten. 56 Im Handels- und Dienstleistungssektor wurden in der DDR bis zur "Wende" bestimmte Einrichtungen als Stützpunkte bezeichnet: Getränkestützpunkt ( = Getränkemarkt)57, Waschstützpunkt ( = Wäscherei, Waschsalon). Ein Reparaturstützpunkt (Schlesinger 1975, 77) leiht Werkzeuge und Material für Wohnungsreparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen aus, vermittelt aber auch Fachkräfte.58 Die übrigen Begriffe des 1. Kommunikationsbereichs sind metaphorische Bezeichnungen für Produktionsprozesse. Die Armee ist das Vorbild für die Organisation der Wirtschaft; der Aufbau des Sozialismus, die Arbeit in der Produktion werden als ein (siegreicher) Kampf dargestellt. Die Metaphorik besteht darin, daß das Bild der kämpfenden Soldaten an der Front übertragen wird auf das Bild der "kämpfenden" Arbeiter 'an der Arbeitsfront', d.h. in 54 Vgl. Ahrends 1989, 90. 55 in der Alltagssprache konnte Kader außerdem die Bedeutung 'Absolvent' annehmen. So sagte eine Leipzigerin, mehr als 2 Jahre nach ihrer Ausreise aus der DDR bei einem Vortrag in Bonn: "Als Referent müßte ich schon berücksichtigen, ob ich Facharbeiter oder Hochschulkader vor mir sitzen habe." (Okt. 1990). 56 Vgl. Kap. 3, DDR-typische Paläologismen. 57 Das (Ost-) Berliner Kabarett "Distel" kommentiert diese Einrichtung: "Wer einen Saftladen als Getränkestützpunkt bezeichnet, muß früher beim Militär gewesen sein." (WDR 2 Hörfunk, 9.9.91) 58 Vgl. Ahrends 1989, 145.
" Kampfwo rtschatz"
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der Produktion. Vor allem bei Seghers und Neutsch wird der Fünf]ahrplan bzw. der Bau eines Chemiewerks als "Kampf" dargestellt, "der Wirtschaftsplan ein Kampfplan genannt" (Seghers 519). Bei Neutsch hält Kreissekretär Jansen eine "kämpferische" Rede vor den Bauarbeitern: Erhoben hat sich die Arbeiterklasse, und nunmehr hat das werktätige Volk bereits auf deutschem Boden [...] das rote Banner ergriffen und die Offensive begonnen für den vollständigen Sieg des arbeitenden Volkes. [...] Diese Auseinandersetzung zwischen dem Neuen und dem Alten wird hauptsächlich an der Front der Arbeit entschieden. Deshalb betone ich [...], daß die komplexe und industrielle Bauweise, die ihr an eurem Objekt eingeführt habt, ein großer Sieg ist. (482) 5 9
Vor der Einführung der "komplexen und industriellen Bauweise", die als Parteibeschluß vorlag und somit maßgeblich war, hatte sich der Parteisekretär der Chemiebaustelle (und nicht etwa der Bauleiter) Gedanken über die bevorstehenden Schwierigkeiten gemacht: Horrath unterschätzte keineswegs die Anstrengungen, die der Kampf um die neue Bauweise kosten würde. [...] er entwarf bereits den Schlachtplan. Parteileitung, Operativstab, Gewerkschaft und Jugendverband, dann die Meisterbereiche, die Brigadiere [...], so würde der Gang der Beratungen sein. (232)^
Die Sprache verrät die geradezu militärische Strategie, mit der der Parteisekretär den Parteibeschluß durchsetzen will. Die Parallele Armee - Industriebetrieb ist perfekt. Wie ein Stabsoffizier plant Horrath sein Unternehmen, kalkuliert Schwierigkeiten ein, überlegt, wen er zu Rate zieht und in welcher Reihenfolge, wobei für ihn feststeht, daß er den "Kampf" gewinnen muß. Interessant ist natürlich auch die Befehlsfolge, die von der Parteileitung über die gesellschaftlichen Organisationen geht und erst an Ende die eigentlichen Adressaten, die Meister und Brigadiere erreicht. Der Betriebsleiter und die Ingenieure haben offenbar in dieser Frage nichts zu sagen.61 Eine Kampagne in der ursprünglichen Bedeutung Feldzug (Wahrig) findet ebenfalls in Neutschs Roman statt, eine Genossenschaflskampagne, bei der alle Einzelbauern dazu gebracht werden sollen, in die LPG einzutreten. In Angersfurt hatte jeder seine eigene Methode, sich an der Genossenschaftskampagne zu beteiligen, heraushalten konnte sich niemand. (342)
59 Beleg "ökonomische Front" bei Neutsch, 486. 60 Ein Operativstab ist "für akut auftretende Probleme zuständig" (Ahrends 1989, 127). Operativ heißt im DDR-Sprachgebrauch "konkrete Maßnahmen festlegend" (Handwörterbuch). 61 Noch anschaulicher als Neutschs Roman bringt der nach ihm gedrehte DEFA-Film von Gerhard Wolf die mächtige Stellung des Parteisekretärs in einem sozialistischen Betrieb zum Ausdruck. Schräg gegenüber dem Büro des Betriebsleiters hat der Parteisekretär sein Zimmer. Betriebsangehörige gehen oft zuerst zu ihm, erst dann (wenn überhaupt) zum Betriebsleiter.
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
Strittmatter gebraucht den Kampfwortschatz in der Landwirtschaft mit dem ihm eigenen Humor: Für Sprotten hätte Willi Kraushaar auch als Traktorist bei der Hektarjagd eine Kampfpause eingelegt. (Strittmatter 1963, 308)
b) Staat, Partei und Massenorganisationen Agitation Agitator/in Appell Fahnenappell Arbeiter-und-Bauern-Inspektion Arbeiter-und-Bauern-Macht Arbeiter-und-Bauern-Staat62 Aufgebot, DorfAufmarsch Protest-Aufmarsch Protestmarsch Banner, rotes Bannerträger Sonnenbanner63 Blauhemd Blockpolitik FDJ-Stab Grundeinheit Grundorganisation Kader Kampfgruß, brüderlicher Linie der Partei Marschziel Nationale Front Parteidisziplin Pionieruniform Propaganda
62 Arbeiter-und-Bauem-Macht 63 Das ist die Fahne der FDJ.
und -Staat vgl. Kommunikationsbereich Philosophie (e).
" Kampfwortschatz"
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Staatsmacht64 -organ65 Veteran einmarschieren einreihen Von einigen Begriffen für staatlich-gesellschaftliche Organisationen bzw. Einrichtungen wie Arbeiter-und-Bauern-Inspektion und Nationale Front66 abgesehen, sind die Lexeme des 2. Kommunikationsbereichs Ausdruck der straffen, teilweise militärisch anmutenden Disziplin, die innerhalb von SED und FDJ herrschte. Organisatorische Basis der Partei und der FDJ war die Grundorganisation bzw. die Grundeinheit. Herr Siebmann war damals der Leiter des Internats [...], und bald war das Internat verwandelt in eine selbständige Grundeinheit der Freien Deutschen Jugend, deren Tageslauf mit Fahnenweihe, Verlesen von Tagessprüchen [...] und diszipliniertem Marsch zum Unterricht begann und endete mit Versammlungen anlässlich [...] verweigerter oder erteilter Ausgeh-Erlaubnis. (Johnson, 160)
Von den Mitgliedern wurde strikte Anpassung gefordert, Plenzdorf nennt es einreihen. Seine Hauptfigur Edgar Wibeau erzählt von einem Film, in dem es "um so einen Typ[en]" ging, der vorher wohl ziemlich quer gelegen hatte, ich meine politisch. [...] Aber im Krankenhaus, auf seinem Zimmer, lag so ein Agitator. [...] Als ich das sah, wußte ich sofort, was kam. Der Mann würde so lange auf ihn losreden, bis er alles einsah, und dann würden sie ihn hervorragend einreihen. (Plenzdorf, 40)
FDJler und Pioniere trugen eine bestimmte Kleidung, das Blauhemd bzw. die Pionieruniform, wie es bei Strittmatter 1954 noch heißt67. Blauhemd und Pioniertuch wurden vor allem bei Feiern und Appellen als äußeres Zeichen der Einheitlichkeit getragen. Im Roman von Helga Schütz, Julia oder Erziehung zu Chorgesang, geht es um Anpassung bzw. Nichtanpassung; Blauhemden und Appelle spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Bleib schön in der Mitte. [...] Zieh dir die Jacke an, das blaue Hemd, vergiß es nicht, wenn die Feiertage und Appelle kommen. (85) 64 Gemeint ist hier ein Dorfpolizist; Wolf 1989, 211. 65 Ein Staatsorgan ist z.B. der Bürgermeister; Brezan, 338. 66 Arbeiter-und-Bauern-Inspektion: "Wichtigste Einrichtung der Volkskontrolle in staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen und Organen sowie in den soz. Betrieben [...]. Die ABI [...] kontrolliert unmittelbar im Auftrag der Partei und Regierung die Verwirklichung der Beschlüsse und Direktiven." (Ahrends 1989, 20). Nationale Front: Dachorganisation der Parteien (SED und Blockparteien) und Massenorganisationen in der DDR unter Führung der SED. 67 Bei den Pionieren beschränkte sich die einheitliche Kleidung zuletzt auf das blaue oder rote Pioniertuch.
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Einer Schülerin, deren Freund durch unbotmäßiges Verhalten auffallt, wird nahegelegt, von ihm Abstand zu nehmen. Störfaktor Numero eins [für ihren Wunsch, Medizin zu studieren] bleibt dieses Element [...] und die Tischsitten und die roten Socken zum Appell und daß er immerzu frech Goethe zitiert. (155)
Der schon in 7.1.1.1 erwähnte Ingenieur Tom Breitsprecher in Jakobs' Roman Beschreibung eines Sommers sehnt an einem Sonntag in einer schäbigen Kleinstadt den "Einmarsch" der FDJ herbei - obwohl er selbst nichts damit zu tun haben will: Ich dachte: Wenn jetzt die FDJ anmarschiert käme, mit blauen Hemden und blauen Fahnen anmarschiert käme, und wenn sie Krach machen würde mit ihren Trommeln, [...] wie herrlich würde das diesen Kirchhofsfrieden stören! [...] Vielleicht würde sie bereits nächsten Sonntag einmarschieren. (160) 68
Ebenfalls zur FDJ gehören militärähnliche Institutionen wie ein FDJ-Stab (Jakobs, 120) und die Übermittlung von Kampf grüßen. "Gib mir mal die Blumen", sagte Robert, "wir sind nämlich eine Delegation und überbringen die brüderlichen Kampfgrüße der Arbeitsgruppe A l und so." (Kant, 228) 6 ί Γ
Ausdruck der Parteidisziplin der SED sind Lexeme, die eine bestimmte Richtung angeben, die befolgt werden muß. "Es sei nötig, die Linie der Partei immer zu verteidigen" (Maron, 116), "[Die Parteikonferenz] gab uns ein Marschziel in die Zukunft" (Strittmatter 1963, 238). Marsch drückt konkreter als Demonstration aus, daß ein bestimmtes Ziel anvisiert ist, auf das diszipliniert zugesteuert wird. Dabei wird sowohl das inhaltliche Ziel, wofür oder wogegen marschiert wird, festgesetzt als auch die konkrete Wegstrecke. Unendschuldigtes Fernbleiben [...] von Protest-Aufmärschen wurde in gefährlichen Verhandlungen bestraft [...]. (Johnson, 161) 7 0
Aufgebot gehört ebenfalls in die Gruppe der Wörter, die ein Ziel bzw. eine konkrete Aktion ausdrücken. Ein Aufgebot ist eine für eine bestimmte Aufgabe eingesetzte Anzahl von Menschen; in der DDR handelte es sich speziell um eine staatlich organisierte Aktion, vor allem der Kinder und Jugendlichen,
68 "einmarschieren" ist wohl als bewußte Anlehnung an den militärischen Sprachgebrauch zu verstehen. 69 Diese Begrüßung ist als Verlegenheitsäußerung des 'Helden' Robert Iswall zu verstehen. Vor lauter Befangenheit gegenüber seiner Zukünftigen redet er sie in diesem 'pathetischen Kampfstil' an. 70 Zu Aufmarsch vgl. auch Kap. 7.3.
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zur Erfüllung von Lemaufgaben oder wirtschaftlich vorrangiger Ziele. Es gab z.B. das "Pionieraufgebot 'Unter der blauen Fahne'" und das "Aufgebot DDR 40" (zum 40. Jahrestag der DDR). In den Romanen taucht das Lexem nur in Gotsches Tiefe Furchen (1949) auf, als Grundwort des Kompositums Dorfauf gebot. Es bezeichnet einen Arbeitseinsatz des ganzen Dorfes, um die Ernte einzubringen und der von der SMAD befohlenen Pflichtablieferung Folge zu leisten. Der Textzusammenhang des Begriffs zeigt, daß Aufgebot ein Wort aus der Arbeiterbewegung ist, das jetzt in die neuen Verhältnisse der entstehenden DDR übertragen wird. Die Kommunisten, die die politische Führung eines Dorfes übernommen haben, sorgen sich um die nur schleppend vorankommende Ernte und verdächtigen die Großbauern, absichtlich ihr Getreide auf den Feldern zu lassen, damit die Bevölkerung im Winter hungere. Bürgermeister Lößner, der von der Arbeiterfraktion für dieses Amt aufgestellt worden war, ruft auf einer Dorfversammlung alle Bewohner auf, die Ernte gemeinsam einzubringen: Wir werden nur das essen können, was wir ernten. Helfen wird uns keiner. Um so mehr sollte jeder dafür sorgen, daß alles richtig klappt. Ich möchte der Versammlung deshalb vorschlagen, und dazu haben wir eingeladen, für Sonntag ein Dorfaufgebot aufzustellen und restlos jede Hand dafür einzusetzen. (199)
Ein Aufgebot aufstellen ist ein sehr kämpferischer Ausdruck für das, was gemeint ist. Gotsche gibt hier aber nur die Sprache eines aus der Arbeiterbewegung stammenden Mannes wieder, der nun zusammen mit den Kommunisten 1945-1947/48 die Geschicke des Dorfes lenkt. Der Bürgermeister und auch der Erzähler benutzen den pathetischen Stil und die Kampfmetaphorik der Arbeiterbewegung.71 Lößner redet und denkt schon vor seinem Vorschlag, "ein Dorfaufgebot aufzustellen", in diesem Stil. Jetzt die passenden Worte finden, die ganze Einwohnerschaft des Ortes in Arbeitskommandos einteilen, und fertig ist die Laube. (198) Darum habe ich ja die Gemeinde aufgeboten... (198)
Nationale Front und Blockpolitik ( = Politik des Demokratischen Blocks) sind zwei weitere Begriffe aus dem politischen Bereich, die als Beispiele für den kämpferischen Sprachgebrauch in der DDR gelten können. Der Demokratische Block war der "Zusammenschluß aller Parteien und Massenorganisationen der DDR zu einem politischen Bündnis unter der Führung der SED". 72 Er bildete den Kern der Nationalen Front73, die bei den Volkskam
71 Vgl. Schlosser 1990, 37f. 72 Ahrends 1989, 36. 73 Zu Nationale Front vgl. Anm. 66.
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merwahlen die einheitliche Wählerliste aufstellte. In Kants Aula befestigen vier Studenten der ABF anläßlich einer Wahl ein Spruchband auf dem Dach ihres Wohnheims: Auf dieses Haus soll keine Bombe fallen. Deshalb wählen wir die Nat. Front. (124)
Die Blockpolitik dient der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Sie versucht, auch dem Sozialismus distanziert gegenüberstehende Personen zu überzeugen. So z.B. der Parteivorsitzende Anton Dürr in Bienkopps Dorf, der mit dem Sägemüller (und Kapitalisten) Ramsch über Holzzuteilung verhandelt. Anton macht Blockpolitik, redet mit Ramsch. Geht's dem Sägemüller wirklich nur ums Wohl der Sägewerksarbeiter, oder geht's ihm um andere Dinge? (Strittmatter 1963, 14f.)
Veteran bezeichnet einen altgedienten Soldaten; vor allem in Frankreich wurden so die Soldaten des 1. Weltkriegs genannt (vitiran). In der DDR ist Veteran die Kurzform für Arbeiter- oder Parteiveteran, es bezeichnet aber auch Rentner im allgemeinen; die Volkssolidarität unterhielt z.B. sogenannte Veteranenklubs. Die Bedeutung 'altgedient, treu, erfahren', die in dem Wort Veteran ausgedrückt ist, wird auf einen Arbeiter und/oder Genossen übertragen. Ein 'Veteran der Arbeit' ist auch der Meister Hamann in Reimanns Roman Ankunft im Alltag. Er erzählt seinen jungen Brigademitgliedern wunderliche Geschichten aus der großen, glorreichen Goldgräberzeit; selbst für diesen klugen, nüchternen Mann schienen sich, wie für die meisten Veteranen, die Härte und Mühsal [...] dieser Jahre nachträglich mit Klondike-Glanz zu verklären. (124)
Agitation und Propaganda sind abschließend noch zu nennen. Für sich betrachtet sind diese beiden Lexeme keine DDR-Typika, doch haben sie eine DDR-typische Referenzbedeutung und sind im Sprachgebrauch der SED auch klar unterschieden. Die Propaganda richtet sich an Parteimitglieder, denen sie spezielle Kenntnisse der marxistisch-leninistischen Theorie vermittelt; die Agitation zielt dagegen auf breitere Bevölkerungsschichten, die sie im Sinne der SED beinflussen möchte. 74 Zum Beispiel ist Ole Bienkopps Bestreben, "Hermann, den Gottesmann" in seine Genossenschaft zu bekommen, nur mit Mitteln der Agitation und nicht durch Propaganda möglich. Allerdings schlägt
74
Vgl. Ahrends 1989, 13. Die Begriffe Agitation und Propaganda stehen in Wechselwirkung zueinander und gehen auf Lenin zurück. "Um die Hauptaufgabe der Partei zu lösen, schrieb Lenin, 'müssen wir sowohl als Theoretiker und als Propagandisten wie auch als Agitatoren und Organisatoren' in alle Klassen der Bevölkerung gehen." (Kleines politisches Wörterbuch, 18).
"Kampfwortschatz"
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auch sein "agitatorischer Kniff" - "[Ole] fallt wie eine weiße Taube in die frommen Seelenfelder Hermanns ein" - zunächst fehl: Bienkopp kommt mit der frömmsten Agitation bei Hermann nicht weiter [...]. (Strittmatter 1963, 96)
c) Wirtschaft und Handel Hauptplanposition Plandisziplin Für diesen Bereich sind nur zwei Belege aufzuweisen. Der erste betrifft die Kulturplanung der Filmhochschule, an der Anna in Schütz' gleichnamigem Roman arbeitet. Anna saß in der Bibliothek und durchwühlte Luther-Schriften. [...] Die alten Folianten wurden nicht ausgeliehen. Da half auch kein Schreiben vom Fernsehen: Wir planen zum Luther-Jahr mehrere Filme - Hauptplanposition unter Schirmherrschaft des Staatlichen Komitees. (Schütz 1986, 106) Der zweite Beleg ist zwar ein Begriff aus der Planwirtschaft, in der Literatur kommt er aber nur als Bedeutungsübertragung zur Bezeichnung des unübertrefflichen Organisationstalents des ABF-Studenten Quasi Riek vor (Kant, 98). Als die ABF geschlossen zur Tbc-Untersuchung antreten soll, entwirft er in einer Nachtsitzung einen Plan, wie die Studenten zur Untersuchung gelangen, ohne daß Wartezeiten entstehen. Nur eine Nachtstunde und er hatte einen genauen Zeitplan aufgestellt: Abmarsch von Wohnheim, Eintreffen Klinik [...]. "Die Voraussetzung für das Gelingen des Plans ist quasi die Plandisziplin!" (98) Der Arzt ist begeistert: "Heute geht es militärisch bei uns zu. [...] Junger Mann, Sie landen noch im Generalstab". (99)
d) Bildung, Erziehung und Kultur Appell Fahnenappell Ausbildung, vormilitärische
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Hauptplanposition75 Kader, zweisprachiger Kampfauftrag -bund -entschlossenheit Kampf um den Frieden Appell wurde unter 2. schon zitiert; es meint die vor Schulbeginn an den Oberschulen stattfindenden Fahnenappelle. So gibt das Handwörterbuch den Beispielsatz: "Die Schüler sind zum F. angetreten." Appelle dienten auch der Belobigung oder dem öffentlichen Tadel einzelner Schüler, wie bei Helga Schütz nachzulesen ist. Ihre Hauptfigur Julia hatte mit einigen Mitschülern von der ABF "einer Schieberin" das Handwerk gelegt. Beim Fahnenappell werden Kallweit, Ebert und ich gelobt. Unsere Wachsamkeit und unser Klassenbewußtsein. (Schütz 1980, 27)
Fahnenappelle gab es bereits während des Nationalsozialismus. Die Erzählerin von Christa T. berichtet aus der Retrospektive von ihrer Schulzeit während des Krieges: Die Fliegeralarme wurden länger, die Fahnenappelle düsterer und schwächlicher [...]. (Wolf 1968, 15)
Die vormilitärische Ausbildung war "fester Bestandteil der Lehrpläne der Erweiterten Oberschule und der Ausbildungspläne für Lehrlinge".76 Edgar Wibeau in Plenzdorfs Erzählung nutzt diese Ausbildung, um mit Charlie zusammenzusein. Ich zeigte ihr, wie man den Kolben in die Schulter zog [...], und das ganze Zeug aus der vormilitärischen Ausbildung, das sie einem da beibringen. (Plenzdorf, 126)
Zweisprachige Kader waren für die SED im Gebiet der Sorben interessant, um auch dort den Sozialismus aufzubauen.77 Die Zusammensetzungen mit Kampf geben einen Einblick in den politischen Lehrstoff, der den Schülern und Studenten beigebracht wurde. Wir, die Töchter und Söhne der Arbeiterklasse, hatten einen Kampfauftrag zu erfüllen. [...] Wir sollen den Westlern reinen Wein einschenken über unser Leben und das schiefe Bild der Regenbogenpresse zerstören. (Schütz 1980, 39)
75 Der Begriff hat zwar mit Kultur zu tun, wurde aber unter c) schon erklärt, da die Konstituente Plan etwas genuin Wirtschaftliches bezeichnet. 76 Ahrends 1989, 176. 77 Beleg bei Brezan, vgl. Kommunikationsbereich Produktion (a).
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Gleich hinter dem Sonnenbanner die Männer mit den Barten. Alle in einer Reihe. [...] Ich zeige meine Verbundenheit oder Kampfentschlossenheit sehr verschämt. Versteckt, vier gekrümmte Finger, der Daumen locker, römischer Haltegriff. (Ebd., 102f.)
An der Oberschule in Johnsons Roman hängt im zweiten Stock ein "Spruchband", das mitteilt: Die Arbeit an den Oberschulen Mecklenburgs ist ein bedeutender Beitrag im Kampf um Frieden und Einheit für Deutschland. (24)
Der Beleg Kampfbund bei Schütz ist ein ironisches Zitatwort: Aber dann hat Dietmar einen neuen Kampfbund mit einer [...] Jungbäuerin geschlossen. (Schütz 1980, 44.)
e) Marxistisch-leninistische Philosophie Klassenkampf Ziel, strategisches und taktisches Arbeiter-und-Bauern-Macht Vorhut, Vortrupp der Arbeiterklasse Standortbestimmung, ideologische In der Philosophie des Marxismus-Leninismus gilt der Klassenkampf als "entscheidende unmittelbare Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung in allen Klassengesellschaften. [...] Die Lehre von den Klassen und vom Klassenkampf ist untrennbarer Bestandteil des Marxismus-Leninismus."78 Wenn nun das Wort Kampf schon explizit in der Definition der eigenen philosophischen Richtung vorkommt, so ist es nicht verwunderlich, daß einige andere philosophische Begriffe ebenfalls entweder Ausdruck dieser kämpferischen Haltung sind oder zumindest Konnotationen hervorrufen, die mit militärischen Handlungen oder Einrichtungen in Verbindung gebracht werden. Der Klassenkampf wird "von der marxistisch-leninistischen Partei auf der Grundlage einer wissenschaftlich ausgearbeiteten Strategie und Taktik geführt." 79 Diese Taktik verbietet interne Kritik am politischen System des Sozialismus. Die Journalistin Josefa N. in Marons Roman Flugasche darf zum Beispiel aus taktischen Gründen nichts Negatives über Bitterfeld schreiben. "Zu jeder Zeit gäbe es im Klassenkampf ein strategisches und ein taktisches Ziel" (169), erklärt ihr ein führender Genösse. Das strategische Ziel schließe
78 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, 283.
79 Ebd., 284.
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die Beseitigung einer Stadt wie Bitterfeld ein, wann und wie diese vonstatten zu gehen habe, sei eine taktische Frage. 80 Syntagmen mit Arbeiter-und-Bauern- sind aus dem Russischen entlehnte Wortverbindungen, "die den - besonders für russische Verhältnisse entscheidenden - Bündnischarakter der Diktatur des Proletariats deutlich machen soll [en]". 81 Arbeiter-und-Bauern-Macht wurde von der DDR 1952 aus der sowjetischen Staatslehre zur Eigenbezeichnung übernommen und war bis Ende der 60er Jahre gültig. 82 In der Verfassung von 1974 bezeichnet sich die DDR als "sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern" (Art. 1). Sozialistischer Staat wird definiert als "Organisationsform und Hauptinstrument der von der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei geführten Werktätigen [...]." 83 Als Synonym für DDR findet sich auch in den Romanen das Syntagma Arbeiter-und-Bauern-Macht, vor allem bei Neutsch: Mehrere Jahre vertrat er [Kreissekretär Jansen] die Arbeiter-und-Bauern-Macht in der Tschechoslowakischen Volksrepublik. (Neutsch, 222)
Im nächsten Beispiel, ebenfalls aus dem Roman von Neutsch, ist der Begriff Arbeiter-und-Bauern-Macht mehr als nur ein Synonym. Er gibt zu verstehen, wer in der DDR die Macht hat, und sagt mit, daß mit dieser Macht nicht zu spaßen ist, denn es handelt sich durchaus um eine 'Streitmacht'. Auf der Chemiebaustelle kommt es zu einem Streik. Trutmann, Oberbauleiter und Mitglied der Parteileitung, spricht mit den Arbeitern: Wissen Sie, was das ist? Das ist ungesetzlich, das ist strafbar. Das ist ein Verbrechen an der Arbeiter-und-Bauern-Macht. Sie werden dafiir zur Verantwortung gezogen.(674)
Die SED wird als führende Kraft auch als Vortrupp oder Vorhut der Arbeiterklasse bezeichnet. Das sind nun schon explizit militärische Ausdrücke, die metaphorisch auf die politische Situation in der DDR übertragen werden. [...] all diese zweifelhaften Gestalten, die auf einmal in eure Partei geschlupft sind, die sollen die Vorhut der Arbeiterklasse darstellen [...]? (Seghers, 218)
Standortbestimmung weckt ebenfalls Assoziationen an militärische Einrichtungen, konkret geht es jedoch um eine geplante literarhistorische Publi-
co Warum eine Stadt wie Bitterfeld aus taktischen Gründen nicht beseitigt werden kann, ist (einer westlichen Leserin) unverständlich. Ich vermute, daß gegenüber dem 'Klassenfeind' keine Fehler oder Fehlentwicklungen zugegeben werden sollen und deshalb das (in diesem Fall) Ausmaß der Umweltkatastrophe in Bitterfeld verschwiegen wird. 81 Ahrends 1989, 19. 82 Vgl. DDR-Handbuch, Band 1, 54. 83 Kleines Politisches Wörterbuch, 880f.
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"Kampfwortschatz"
kation eines bei de Bruyn als recht unsympathisch dargestellten Germanistikprofessors: Zwar war Biographisches in seinem Werk der ideologischen Standortbestimmung an den Rand verwiesen, es spielte aber doch seine, wenn auch kleine, Rolle, (de Bruyn, 32)
Als Repäsentanten des kämpferischen Wortschatzes wären noch Sturmbock der Neubauern und die Formulierung Machtergreifung der Arbeiterklasse zu nennen. Wegen ihrer Nähe zum nationalsozialistischen Sprachgebrauch werden sie in Kapitel 7.3 untersucht.
7.2 Pseudoreligiöser Sprachgebrauch In 7.1 wurde schon ausgeführt, daß durch die Absolutsetzung einer Ideologie und einer Partei quasi-religiöse Denk- und Verhaltensmuster freigesetzt werden. Die SED war höchste Instanz in allen politischen, ökonomischen, sozialen und ethischen Fragen. Sie formulierte einen "gesellschaftlichen sinn" 84 für alles, was getan oder gedacht wurde. Sprachliche Konsequenz der Dominanz einer Partei und der dazugehörigen Ideologie war neben dem kämpferischen Wortschatz ein "pseudoreligiöses Pathos".85 Die Partei und zum Teil auch ihre Führungspersonen wurden in ' Gotteshöhe' erhoben und verhielten sich entsprechend.86 Dies ist umso ungewöhnlicher, als sich die DDR als atheistischer Staat verstand. Religion gilt in der Ideologie des Marxismus-Leninismus als zu überwindende Bewußtseinsform, "welche durch eine phantastische, illusorische, verkehrte Widerspiegelung der objektiven Realität charakterisiert ist". 87 Religion wurde als der 'kapitalistischen Ausbeutergesellschaft' zugehörig angesehen, der in der sozialistischen Gesellschaft der DDR die Basis entzogen war. Da Religion demnach etwas Rückständiges war, wurde sich mit ihr nicht auseinandergesetzt - was die Konsequenz in sich barg, daß unkritisch oder unbewußt Elemente der Religiosität übernommen bzw. Verhaltensweisen, die früher für den kirchlichen Bereich galten, auf die Partei übertragen wurden. Rosi S. in Maxie Wanders Frauenprotokollen Guten Morgen, du Schöne hat dieses Verhalten in ihrer Umgebung beobachtet:
84 Rainer Schedlinsky in Sprache und Antwort 1988, 161. 85 Schlosser 1990, 37. 86 Vgl. das Lied von Fürnberg "Die Partei hat immer recht", die Verehrung Stalins, Titos oder Maos oder auch den Ausspruch von Stasichef Erich Mielke im Herbst 1989: "Wir lieben euch doch alle." 87 Wörterbuch der marxistisch-leninistischen
Philosophie,
450.
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
Man geht natürlich zu den Parteiversammlungen und läßt keine falsche Diskussion aufkommen, so wie ihre Eltern früher in die Kirche gegangen sind und keine Fragen über Gott zuließen. Wenn du ein bißchen an der roten Farbe kratzt, kommt der ganze alte Mist hervor, eine Tapete nach der andern, zurück bis zu Kaisers Zeiten.*^
Der Sozialismus, der die Religion ersetzen wollte, mußte das Grundbedürfhis der Menschen nach Sinngebung erfüllen und Angebote schaffen, die über das rein Materielle hinausgingen. In bezug auf das Verhältnis von Sozialismus und Religion ergeben sich aus dem bisher Gesagten drei Schlußfolgerungen: - Religion wird zum Zweck der Sinnstiftung im Sozialismus instrumentalisiert; religiöse Handlungen und ihre sprachlichen Formeln werden auf 'weltliche' Feiern übertragen, Beispiel: Jugendweihe. - Die Partei ist Kirchenersatz. Sie bietet Glauben, Heimat und Autorität. - Die Partei ist eine mächtige, unanfechtbare Institution, die Züge einer auf Dogmatik und Inquisition reduzierten Religion trägt. Beispiele: Aussprache, zur Bewährung schicken. Pseudoreligiöser Sprachgebrauch äußert sich sowohl in einzelnen Lexemen, die aus dem Bereich des Kirchlich-Religiösen in den politischen Bereich der DDR übertragen werden, als auch in Formulierungen, die sich an biblische oder liturgische Texte anlehnen. Es gibt auch Beispiele dafür, daß Einrichtungen aus dem kirchlich-religiösen Bereich übernommen, aber sprachlich anders bezeichnet werden, z.B. Beichte/Inquisition - Aussprache. Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller gehen mit dem pseudoreligiösen Sprachgebrauch jeweils verschieden um. Ihre Art und Weise, dieses Vokabular zu gebrauchen, hängt von der eigenen Einstellung zum politischen System der DDR und eigenen politischen oder religiösen Ansichten ab.
7.2.1 Bedeutungsübertragung sakraler Begriffe in den parteipolitischen Rahmen der SED Neutsch, Claudius, Strittmatter, Brezan und Johnson verwenden Lexeme aus dem sakralen Bereich, um mit ihnen die Partei oder einzelne Vertreter zu charakterisieren bzw. sich ironisch von ihnen zu distanzieren. Neutsch stattet die SED mit göttlichen Eigenschaften aus: Die Wege der Partei sind manchmal unerforschlich. (60)
88 Maxie Wander 1979, 70.
Pseudoreligiöser Sprachgebrauch
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Ich glaubte nicht an die Weisheit des Kollektivs, nicht, letztlich an die Kraft der Partei... (428, Worte von Oberbauleiter Trutmann in einer Aussprache).
Weisheit und Kraft sind Eigenschaften, die in den meisten Religionen sowohl (einer) Gott(heit) als auch einem Herrscher zugewiesen werden. König Salomo wünschte sich beispielsweise Weisheit. Es mutet schon recht seltsam an, diese Worte auf einer Parteiversammlung der Beschäftigten einer Chemiebaustelle zu hören. Weisheit des Kollektivs und Kraft der Partei drücken den hohen Anspruch aus, der an die kollektive Arbeitsweise und die Parteiführung gestellt wird. Die beiden Syntagmen sagen aber auch etwas aus über die Anmaßung, mit der die Partei der einzelnen Person gegenübertritt und von der sie Glauben und Vertrauen fordert. Claudius übernimmt die Symbolik des Religiösen, um die Partei mit der Aura des Geheimnisvollen und Irrationalen auszustatten: [...] all die guten und teuren Worte der Partei, die wie eine rote Fahne vor ihm hergingen und die er in sich fühlte [...]. Und diese Fahne, diese starken Worte [...]. Wie ein dunkler feuriger Strom gehen diese Worte durch ihn, brennen in ihm mit nicht zu verlöschender Flamme... (Claudius 1951, 79f.)
Auch das ist Bedeutungsübertragung aus dem religiösen Bereich. In der Bibel kommt oft die Wendung vor, daß das Wort Gottes im Menschen brenntß9 Neutsch und Claudius übernehmen religiöse Sprache recht unreflektiert zur Charakterisierung einer 'weltlichen' Partei und ihrer Anhänger. Strittmatter geht mit dem christlichen Sonderwortschatz, den er in seinem Roman Ole Bienkopp sehr häufig auf den Sozialismus - sprich Bienkopps Neue Bauerngemeinschaft - überträgt, distanzierter, zum Teil auch spielerisch um. Er experimentiert mit den Wörtern Parteiengel, Gemeinschaft der Gerechten (die LPG), rotfromm und auch mit volkskirchlichen Requisiten wie einem Kirchenanzug, an dessen Rockaufschlag ein Abzeichen mit Hammer und Sichel genäht wird. Der Erzähler beschreibt den Partei Vorsitzenden in Bienkopps Dorf mit den Worten: In politische Obhut nahm ihn Anton Dürr, der Seelsorger und Vater aller, die sich von der gottgewollten Gewalt befreiten. (Strittmatter, 120)
Diese Textstelle macht ein Grundmotiv bei. Strittmatter deutlich, das sich durch den ganzen Roman zieht. Der Sozialismus ist die neue, 'bessere Religion', die Kommunisten sind die 'besseren Christen'. In Bienkopps Neuer Bauerngemeinschaft soll auch explizit nach dem Gesetz der Urchristen gehandelt werden [...]: was mein ist - ist dein. (127)
89 Z.B. Lk 24, 32.
186
Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
Brezan überträgt die Redewendung aus der Kirche austreten auf die neue politische Situation: Zwei Siebzigjährige traten aus dem Sozialismus aus. (327)
Johnson charakterisiert den Schulleiter seiner fiktiven mecklenburgischen Oberschule mit der ihm eigenen Erzählerdistanz - und unter Verwendung eines päpstlich anmutenden Namens: Niemand wusste warum Pius Pius hiess. Päpste haben so geheissen, und in der Tat stand Pius der Schule vor und ihrer Parteiorganisation mit solcher Autorität [...]. 'Pius' ist lateinisch und bedeutet 'der Fromme' und für die 12 Α bedeutete dies im besonderen dass Pius auf eine fromme Art zu tun hatte mit der Sozialistischen Einheitspartei [...]. (δόί.) 9 0
Das Ritual, das täglich vor Unterrichtsbeginn im Internat vollzogen wird, erinnert an eine Morgenandacht mit anschließender Prozession. [...] bald war das Internat verwandelt in eine selbständige Grundeinheit der Freien Deutschen Jugend, deren Tageslauf mit Fahnenweihe, Verlesen von Tagessprüchen [...] und diszipliniertem Marsch zum Unterricht begann [...].
(160)
Der aus katholischem Milieu stammende sorbische Autor Brezan reflektiert in seinem Roman, der den Aufbau des Sozialismus in einem sorbischen Dorf beschreibt, die Themen Religion, Sozialismus, Befreiung des Menschen aus seinen (religiösen oder politischen) Abhängigkeiten. In einem Dialog über Stalin läßt er seinen 'Helden' Felix Hanusch sagen: Wer im Kommunismus eine Heilslehre sieht, braucht einen Katechismus, braucht Fetische, braucht Riten, braucht - letzten Endes - einen Gottersatz. (297)
7.2.2 Die SED als Inquisitionsbehörde - Aussprache, Lossagung, Reue-Erklärung, Bewährung in der Produktion Die SED hatte einen rigiden Verhaltenskodex, dem sich alle Mitglieder zu unterwerfen hatten. Das galt vor allem für Schüler, die das Abitur machen wollten, Studenten und Betriebsangehörige in leitender Position. Gefordert wurde vor allem Anpassung an die Vorgaben von Staat und Partei; Kritikfähigkeit durfte nur gegenüber dem 'Klassengegner' ausgebildet werden. Für Personen, die sich nicht an die Spielregeln hielten, gab es die Institution der Aussprache. Aussprache hat zum einen die Bedeutung Unterredung, Mei90 Rechtschreibung (ss f ü r ß ) und Zeichensetzung ('Weglassen' von Kommata) im Original.
Pseudoreligiöser Sprachgebrauch
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nungsaustausch. Das ist hier aber nicht gemeint. Die Aussprache ist ein Mittel der Disziplinierung; die Kommunikationsteilnehmer sind nicht gleichberechtigt, sondern die Person, mit der eine Aussprache geführt wird, steht in einer 'Unrechtsposition'. In der Regel wird erwartet, daß sie ihren Fehler bzw. ihr Fehlverhalten einsieht, sich davon distanziert und eine eventuell ausgesprochene disziplinarische Maßnahme akzeptiert.91 Disziplinarstrafen waren z.B. die auch in den 80er Jahren durchaus nicht seltenen Schulverweise und Exmatrikulationen (in der Umgangssprache er/sie wurde geext). Eine Reihe von Autorinnen und Autoren beschreibt den Ablauf und die Folgen einer Aussprache. In den 50er und 60er Jahren war sie für die betroffenen Personen besonders hart, da die SED vor allem auch im Privatleben ihrer führenden Genossen die Einhaltung der sozialistischen Moral erwartete. Wenn wir ein einziges Mal einen Einbruch in unsere sozialistische Moral ungestraft hinnehmen, sind wir für immer verratzt. (Jakobs, 197)
Jakobs und Neutsch beschreiben die Aussprache der Parteileitung mit einem Ingenieur bzw. dem Parteisekretär, die beide ein 'Verhältnis' mit einer Betriebsangehörigen haben. Der Anklagepunkt lautet: Mißachtung der sozialistischen Moral (Ehebruch). Die Aussprachen erwecken Assoziationen an ein Verhör bzw. eine inquisitorische Befragung. Besonders demütigend war eine solche Aussprache für Frauen, wie beide Autoren gleichermaßen ausführen. Sie hatte es sich tausendmal im voraus schon vorgestellt. Die Erpressungen würden beginnen. Jeder, der es wünschte, würde nach dem Intimsten fragen können, bis seine Neugier gestillt war. Die Studentin aus Katis Seminargruppe damals in Weimar war von der Hochschule gewiesen worden. Die Partei würde unerbittlich sein, fünf oder sieben Genossen [...] mit dem strengen Gesicht ihres Vaters. Sie würden von Horrath und von ihr verlangen, sich zu trennen, und die anderen würden folgsam die Hände heben, wenn über den Beschluß abgestimmt würde. Sie würden beide bestraft und irgendwohin zur Bewährung geschickt werden [...]. (Neutsch, 4 5 1 ) 9 2
Meist ging es bei Aussprachen nicht um Themen aus dem Privatleben, sondern um 'abweichende' Meinungen, Kontakte zu regimekritischen Gruppen oder zu Personen oder Ansichten, die mit dem sozialistischen Weltbild nicht übereinstimmten. Johnson schildert eine Aussprache über die Junge Gemeinde. Nach dem dritten Referat (eines der Auswärtigen) erhoben sich nacheinander die Vorsitzenden der Gruppen 9B/11A/10A [etc.] und veröffentlichten namens ihrer Gruppen heftigen Abscheu. Sodann erfolgten Lossagungen. Acht Schüler
Eine Studentin einer germanistischen Seminarveranstaltung an der Uni Leipzig erklärte den Begriff: "Aussprache heißt, du mußt klein beigeben." (Juni 1989).
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie (davon fünf Mädchen) gaben Reue-Erklärungen, an einzelnen Stellen der Aula wurden Hände zusammengeschlagen. ( 1 4 5 ) "
Bei Helga Schütz wird deutlich, was für eine Erniedrigung eine Ausspache für die Person bedeutet, die vor einer Versammlung ihre Ansichten widerrufen muß: Nach einer Woche stehe ich hinter dem Pult und erkläre mich laut gegen Schopenhauer und seine Philosophie. [...] Wir beginnen gleich mit dem Wachauf-Chor. Ebert spricht verbindende Worte. Ich halte die Stimme. Wie heiß muß Zorn glühen, damit die Speerspitzen in meinem Fleische schmelzen. (Schütz 1980, 2 0 4 )
7.2.3 Die Jugendweihe als weltlicher Initiationsritus Die Jugendweihe ist in der DDR bzw. in Ostdeutschland eine Feier zur Aufnahme der 13 - 14jährigen Jugendlichen in die Gemeinschaft der Erwachsenen. Bei dem Grundwort liegt eine Bedeutungsübertragung aus einem originär religiösen in den für die DDR typischen gesellschaftspolitischen Bereich vor. Weihe (aus ahd. wihen > wih- 'heilig') hat sein an das Christentum gebundenes Bedeutungselement ('heilig') aufgegeben. Die Jugendweihe wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Angehörigen freigeistiger Gemeinschaften in Deutschland eingeführt. "Diesen seitdem nur von relativ wenigen praktizierten Ritus zur Einführung Jugendlicher in die Vollmitgliedschaft einer weltanschaulich selbstbestimmten Gemeinschaft inhaltlich auf die DDR-Variante des Sozialismus festzulegen und de facto für alle Jugendliche in der DDR [...] verpflichtend zu machen [...], blieb allerdings der SED vorbehalten."94 Die Teilnahmequote lag zuletzt bei 97% der Schüler eines Jahrgangs.95 Der Anlaß, der hinter dem Ritus der Jugendweihe steht, ist aber keine Erfindung der SED bzw. freireligiöser Gemeinden, sondern ein religionsgeschichtliches Erbe fast aller Völker. Als Beispiele seien die Konfirmation im Christentum, die Bar-Mizwa-Feier im Judentum oder die in die Reihen der Erwachsenen aufnehmenden Riten der einzelnen afrikanischen, indianischen, 92 In dem DEFA-Film nach dem Roman von Neutsch wird die Brutalität der "Aussprache" deutlicher herausgearbeitet. Der Kommentar einiger Germanisten aus den neuen Bundesländern dazu lautete: "Eine Aussprache war auch wie eine Inquisition." 93 Reue-Erklärungen und Lossagungen sind Begriffe, die Johnson bewußt einsetzt, um die Ähnlichkeit mit kirchlichen Institutionen herauszustellen. 94 Schlosser 1990, 85f. 95 Deutsche Lehrerzeitung vom 14.3.1986, S. 2. (DLZ. Organ des Ministeriums fiir Volksbildung und des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung. Berlin/Ost).
Jugendweihe
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polynesischen und anderen Völker genannt. Neu ist, daß eine solche Feier nicht im Rahmen eines religiösen Zusammenhangs vorgenommen wird. 96 Die in den 50er Jahren von der SED eingesetzte Jugendweihe war lange Zeit eine Konkurrenz zur Konfirmation und diente neben Schule und Jugendorganisation als weiteres Mittel, Jugendlichen den Sozialismus nahezubringen. Staat und Partei übten eine starken Druck auf Eltern und Schüler aus, dem zuletzt nur noch wenige widerstanden. Allerdings verlor die Jugendweihe ihren Konkurrenzcharakter dadurch, daß 1. immer mehr Jugendliche nicht konfirmiert wurden und 2. christliche Familien dazu übergingen, beiden Riten beizuwohnen: Konfirmation/Firmung und Jugendweihe. Die Feier selbst erinnert in Aufbau und Sprache deutlich an christliche Riten. Den Kern der Handlung bildet das Jugendweihe-Gelöbnis, bei dem die Jugendlichen u.a. versprechen, für den Sozialismus "zu arbeiten und zu kämpfen" und die Freundschaft mit der Sowjetunion "weiter zu vertiefen". 97 Die Vorbereitung auf die Jugendweihe war straff organisiert. In den sogenannten Jugendstunden wurden die Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen einige Monate auf die Feier vorbereitet. Für die Jugendlichen hatte dies keineswegs immer etwas mit Zwang zu tun. Der Beginn des Jugendstundenjahres bedeutete für sie auch: wir sind keine Kinder mehr. Die Akzeptanz der Jugendweihe in der Bevölkerung war seit den 80er Jahren groß. Durch den Rückgang der Kirchenmitgliedschaften bestand offenbar ein echtes Bedürfnis nach einem Ersatz für die kirchlichen Feste, die bislang einige Tage des Jahres aus dem Alltag herausgehoben hatten. Von allen sozialistischen Riten - sozialistische Namensgebung, Arbeiterweihe, sozialistische Trauung - deren Bedeutung eher gering war, hat die Jugendweihe die größte Verbreitung erfahren. Für die Jugendlichen war es i h r Fest. Der Zeitpunkt war entwicklungspsychologisch günstig gewählt. "Es handelte sich um einen 'rite de passage' in der Übergangssituation vom Kind zum Erwachsenen." 98 Durch die Verlängerung der Schulzeit von acht auf mindestens zehn Jahre fiel auch die Schulentlaßfeier nach der 8. Klasse weg, die einen solchen Übergang markiert hatte. Entfiel nun auch noch ein religiöser Ritus, so stellte sich tatsächlich die Frage nach Ersatz, zumal in einer Gesellschaft, die sich als weltanschaulich an den Sozialismus gebunden verstand. Die Schulaufnahmefeier ist ein ähnliches Beispiel für einen solchen Ersatz. Die Aufnahme der Schulneulinge - als Schul- und Familienfeier - hatte in den 96 Die DDR war das einzige sozialistische Land, in dem es den Begriff und die Einrichtung der Jugendweihe gab. Im Russischen wird Jugendweihe entweder als Lehnwort wiedergegeben, "jugendwaje, GDR", oder mit der Bezeichnung "grazdanskaja konfirmacija" (bürgerliche Konfirmation) erklärt, vgl. Das große russisch- deutsche Wörterbuch von Leping u.a. 97 Text des Gelöbnisses bei Schlosser 1990, 86f. 98 Artikel "Befreit von alten Wunden? Jugendweihe in Ostdeutschland" von Franz Georg Friemel (Erfurt) in: Publik Forum Nr. 20, 4.10.91, 16-18.
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
letzten Jahren vor der "Wende" ein solches Ansehen erreicht, daß sie als Grund für die Genehmigung einer Reise in den Westen 'zu besonderen Familienfeierlichkeiten' galt. Auch im Schuljahr 1992/93 wurden noch viele Erstkläßler an einem Samstag eingeschult - damit die ganze Familie teilnehmen konnte. Mit der Jugendweihe verhält es sich ähnlich. Im Frühjahr 1991 sind noch etwa 85000 Jugendliche zur Jugendweihe geführt worden, teilweise ganze Klassen." Die Diskussion um ihre Beibehaltung oder Abschaffung ist noch nicht beendet. Ein Grund für die Beibehaltung der Jugendweihe sind - neben dem feierlichen Anlaß - auch die Geschenke. Wie Kommunion und Konfirmation ist die Jugendweihe eine einmalige Gelegenheit für viele Kinder und Jugendliche, wirklich reich beschenkt zu werden. Alle kirchlichen und sozialistischen Feiern vereinigen sich im Anzug des Dorflehrers Pötsch in de Bruyns Märkischen Forschungen: Pötschs dunkler Anzug hatte ihm seit mehr als zehn Jahren bei Jugendweihen, Konfirmationen, Beerdigungen, Tanzvergnügen und Familiengeburtstagen gut gestanden. (85)
7.3
Kontinuitäten nationalsozialistischen Sprachgebrauchs
7.3.1
Die DDR als antifaschistischer Staat
Die Identifizierung von Nationalsozialismus und Faschismus ist in der westlichen historischen und soziologischen Forschung umstritten, in der marxistisch-leninistischen Theorie "hingegen ist die Subsumierung unter den als Oberbegriff verstandenen Faschismus zwingend" 100 . Die marxistischleninistische Geschichtsdeutung betrachtet den Faschismus als Symptom der finalen Krise des Kapitalismus, gesetzmäßig verbunden mit dem Imperialismus. Als Kern der "den reaktionärsten Kreisen der Monopolbourgeoisie dienende[n], auf die Verschmelzung bes. des Finanzkapitals mit dem imperialistischen Staat gerichtetefn]" 101 Ideologie des Faschismus gilt der Antikommunismus. Dieser "sozio-ökonomisch verdünnte" 102 Faschismusbegriff läßt "das Zentrum und [...] das entscheidende Moment des gesamten Nazismus" unbe-
99 Publik Forum Nr. 20, 16. 100 Schlosser 1990, 31. 101 Handwörterbuch. 102 Bedürftig 1991, 142.
Kontinuitäten des NS-Sprachgebrauches
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rücksichtigt: den Antisemitismus 103 , überhaupt den Rassismus und Herrenmenschendünkel, den 'Blut-und-Boden-Mythos'. "Man zog einen schwer begreifbaren 'internationalen Faschismus1 als Bedrohung und Feindbild vor, da in der marxistisch-leninistischen Weltdeutung Rassismus nicht vorgesehen und darum als Triebkraft der Geschichte auch unvorstellbar war. Mit abenteuerlichen Verrenkungen wurde Hitler zum 'Agenten' und 'Handlanger' des Monopolkapitals stilisiert." 104 Der Antisemitismus als das entscheidende Moment des Nationalsozialismus wurde ausgeklammert - mit weitreichenden Folgen z.B. für den Geschichtsund Heimat-/Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR. Im Heimatkunde-Lehrbuch für Klasse 3 lernen die Kinder auf mehr als 30 Seiten etwas über "Ernst Thälmann als Vorbild für alle Antifaschisten" und "Vom mutigen Kampf der deutschen Antifaschisten". Die Kinder erfahren nicht, daß in den Konzentrationslagern auch (bzw. vor allem) Juden waren, das Stichwort fällt nicht einmal. In den Konzentrationslagern waren und gegen den Faschismus kämpften "Antifaschisten" - wer immer das im einzelnen gewesen sein mag. 105 "Diese Antifaschisten wurden in ihrem Kampf von den Kommunisten geführt. Das war der Grund, warum die Faschisten vor allem die Kommunisten vernichten wollten." 106 Nach 1945 errichteten die Kommunisten in der SBZ eine "antifaschistischdemokratische Ordnung". Die Diskussion über die Ursachen der Hitlerdiktatur und den von ihr entfachten Weltkrieg wurde ohne Zweifel engagiert und intensiv begonnen, vor allem auch im kulturellen Bereich, aber nur sehr kurze Zeit geführt. Ab 1949 war man in der DDR, wie die Hymne von Johannes R. Becher ausdrückt, "der Zukunft zugewandt". Der Faschismus wurde dem Westen übertragen. Die DDR proklamierte sich als "antifaschistischen Staat", als Nachfolgerin des klassischen humanistischen deutschen Erbes und stieg damit aus (der Hälfte) der deutschen Geschichte aus. In der Verfassung von 1974 heißt es in Artikel 6: "Die Deutsche Demokratische Republik hat [...] auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet [...]." Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, vor allem auch mit dem 'alltäglichen Nazismus der kleinen Leute' blieb dadurch ausge-
103 Klemperer 1946, 141. 104 Bedürftig 1991, 142. Ein literarisches Beispiel für diese Geschichtsdeutung ist Brechts Parabelstück Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (geschrieben 1941 im finnischen Exil). 105 Es stellt sich natürlich auch grundsätzlich die Frage, ob das Thema in diesem Umfang für das 3. Schuljahr geeignet ist. Wb Lehrbuch Heimatkunde Kl. 3, 68f. Auch im Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie fehlt das Stichwort. Buddhismus, Christentum und Islam sind als Weltreligionen erklärt, das Judentum fehlt.
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Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
klammert. 107 Die Sekretärin Rosi S. in Guten Morgen, du Schöne ist sensibel für diesen 'alltäglichen Nazismus' in ihrer Umgebung: Wir haben ja keine Vergangenheit zu bewältigen, nicht? Wir haben ja mit der Gründung unseres Staates den Faschismus ausgerottet und die ganze deutsche Misere. [...] Gestern in der Kantine. Einer ruft irgendwas wie: D u , die und die fahrt nach Ravensbrück. - Oh, schreit eine Frau vergnügt, dort gehört sie auch hin!108
Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, in der Bundesrepublik würde man sich überall schonungslos und offen mit den dunklen Seiten der deutschen Geschichte auseinandersetzen.109 Gegenstand der Untersuchung in diesem Kapitel ist die Beobachtung, daß es im Wortschatz der DDR Kontinuitäten des NS-Sprachgebrauchs gab, obwohl - bzw. weil - die DDR sich als 'antifaschistischer Staat' bezeichnete. Die Überlegungen knüpfen an die in 7.1 dargestellte negativ definierte Identität der DDR-Gesellschaft an. Anti-Faschismus ist ja auch eine Negativaussage über das Selbstverständnis eines Staates. Es ist offenbar 'gesetzmäßig', daß eine Person oder Gesellschaft dem immer ähnlicher wird, wogegen sie sich wendet, wenn sie sich mit ihrem Gegen-Bild nicht auseinandersetzt. Die DDR nannte sich antikapitalistisch - und jagte dem Westen nach. 110 Der Sozialismus war atheistisch - und wurde zur Ersatzreligion. Die DDR bezeichnete sich als antifaschistisch - und übernahm wesentliche Züge der Hitlerdiktatur: "geschlossene Ideologie und ihre polizeistaatliche Durchsetzung, Revolution von oben, Zensur, Einparteiendiktatur". 111 Und sie behielt in ihrem offiziellen Sprachgebrauch einige Lexeme des NS-Wortschatzes bei: Volk- und Komposita, Fahnenappell, Aufmarsch, kämpferisch, um nur die Wörter zu nennen, die bis 1989 in Gebrauch waren.
107 Es gibt einige literarische Auseinandersetzungen mit diesem Thema, z.B. das Ungarntagebuch von Franz Fühmann 22 Tage oder Hälfte des Lebens und der Roman Kindheitsmuster von Christa Wolf. 108 Maxie Wander 1979, 65f. 109 Sprachliche Folgen des Sich-Nicht-der- Geschichte-Stellens können sogar recht häufig beobachtet werden. Z.B. waren auf einer Podiumsdiskussion in Bonn die Begriffe entartet und gesunder völkischer Humor zu hören (März 1991). Ein Kommunalpolitiker sagte in einem Interview zur Verkehrssituation in einem Bonner Stadtteil: "Die Leute dort werden systematisch vergast." (Sept. 1991), vgl. auch die in Ost und West verwendete Formulierung "bis zum Vergasen". 110 Vgl. die Zitate von Schedlinsky und Braun in 7.1. H l Bedürftig 1991, 142.
Kontinuitäten des NS-Sprachgebrauches
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7.3.2 Sprachliche Folgen der fehlenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Die Selbstbezeichnung wir sind ein antifaschistischer Staat führte in der DDR zu einigen, teilweise ungenierten Übernahmen aus dem NS-Sprachgebrauch in den offiziellen Wortschatz von Staat und Partei. Die Bezeichnung der SED als die Partei ist ein augenfälliges Beispiel dafür, auch die Vielzahl der Zusammensetzungen mit Volk-, trotz des kompromittierenden Gebrauchs durch die Nationalsozialisten, gehört dazu (vgl. Kap. 4). In der DDR wurden ungezwungener als in der Bundesrepublik Volkslieder gesungen, Fahnen geschwenkt und Aufmärsche veranstaltet, auch die Gestik des Pioniergrußes (die rechte Hand wurde über den Kopf gewinkelt) ließ durchaus Assoziationen an die Zeit vor 1945 zu. In der erzählenden Literatur ist nationalsozialistischer Wortschatz im Verhältnis zu anderen lexikalischen Bereichen gering. Er konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Romane: Ingrid Babendererde von Uwe Johnson und Tiefe Furchen von Otto Gotsche, beide in der Anfangsphase der DDR geschrieben. Die Autoren markieren die beiden Extrempunkte, in denen NSWortschatz literarisch verarbeitet ist: Johnson nutzt ihn bewußt, um besonders den Schulleiter als 'Nazi unter sozialistischen Vorzeichen' darzustellen, Gotsche gebraucht nationalsozialistische Redewendungen, wohl ohne sich dessen bewußt zu sein. Bei den anderen Autoren tritt dieser Wortschatz nur ganz vereinzelt auf. Mit der Bezeichnung 'NS-Wortschatz' sind nicht nur reine Zitatwörter aus der Zeit von 1933-1945 gemeint, sondern auch Wörter aus dem Umfeld von Blut, Boden und Volk und Begriffe, die an sich nicht aus der "LTI" 112 stammen, aber Assoziationen an diese Sprache hervorrufen.
7.3.2.1 Wörter und Redewendungen "der vorigen Regierung"113 in Johnsons Roman Ingrid Babendererde Ausschluß aus der Schulgemeinschaft Schändung der heroischen Revolutionsgeschichte des deutschen Volkes Schädling Volksfeind Fahnenweihe
112 LTI = Lingua tertii imperii, "Sprache des Dritten Reiches", so der Titel des Buches von Klemperer 1946. 113 Johnson, 33; gemeint ist das 'Dritte Reich'.
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Johnson, selbst Schüler einer "Nationalpolitischen Lehranstalt" in Pommern, nach dem Krieg einer Oberschule in Güstrow 114 , beschreibt die Schwierigkeiten der Schüler seiner fiktiven Oberschule mit dem veränderten Lernstoff. Das Bild Hitlers im Klassenzimmer ist vom Stalins abgelöst worden. "Ohne daß Johnson Rot und Braun je gleichsetzen wollte, wurde doch eine Erfahrung immer stärker: daß auch das neue System des Sozialismus im Zeichen Stalins gleichbedeutend war mit Macht, mit Willkür und einem Gebrauch der Sprache 'mit dem Vorsatz zu betrügen'." 115 Die oben aufgeführten Lexeme stammen sowohl aus der Erzähler- als auch aus der Figurensprache. Der Erzähler berichtet von einer Schul-Parteisitzung, auf der die Mitgliedschaft einer Schülerin bei der Jungen Gemeinde geahndet wird. Er stellte den Antrag auf Ausschluss der Schülerin Rehfelde aus der Freien Deutschen Jugend und auf Ausschluss der Schülerin Rehfelde (IIA) aus der Schülergemeinschaft. (113)
Von der Formulierung Ausschluss aus der Schülergemeinschaft ist es nicht mehr weit zur Formel Ausschluß aus der Volksgemeinschaft, die besonders nach Vollstreckung von Todesurteilen in der NS-Presse zu lesen war. Nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl hieß es beispielweise, sie hätten sich "durch ihr Tun automatisch aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen".116 Die Wendung Schändung der heroischen Revolutionsgeschichte des deutschen Volkes ist auch kein reines Zitat, erinnert aber in der ganzen Art, wie der Schulleiter seine Rede vorträgt, an Sprachsituationen während der NS-Herrschaft: Und die Junge Gemeinde habe am siebzehnten März abends einundzwanzig Uhr die Stellung Martin Luthers im deutschen Bauernkrieg christlich gedeutet, was sage Peter Beetz nämlich zu dieser Schändung der heroischen Revolutionsgeschichte des deutschen Volkes? (142f.) 1 1 7
Schädling, Volksfeind und Fahnenweihe sind Lexeme aus dem Sprachbereich der LTI. Volksfeind wird erstmals in der 11. Auflage des Duden (1934) verzeichnet, Schädling (als Stichwort Volksschädling) in der 12. Auflage von 1941. Beide Begriffe meinen in etwa das gleiche: Schädling macht die zum Feind erklärte Person noch verächtlicher durch die Wahl eines Begriffs aus dem Reich der Insekten. Konkret ist mit Schädling ein Lehrer gemeint, der
1 1 4 Vgl. Kindlers Literaturlexikon, 642. Statt "Napola" heißt es dort zurückhaltend: "1944/45 in einem Internat in Polen". 115 Emmerich 1989, 131. 116 Inge Scholl 1982, 11. 117 Klemperer 1946 zählt die Wörter heroisch und kämpferisch zum Kernwortschatz der LTI; vgl. sein Einleitungskapitel "Heroismus. Statt eines Vorwortes", 7-14.
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nichts vom Klassenkampf hält (21), Volksfeinde sind nach Ansicht des Schulleiters die Mitglieder der Jungen Gemeinde. Fahnenweihe (160) gehört zu den Lexemen, die eine Ritualisierung des Alltags ausdrücken. Das Wort ist ein Beispiel für die "[bei Nationalsozialisten wie Kommunisten] erstaunliche Ritualisierung öffentlicher Sprechakte, die die Nähe zu religiösen, geradezu liturgischen Weihehandlungen wenn nicht suchen, so doch zumindest nicht vermeiden"118. Der Nationalsozialismus hat die Nähe zu Weihehandlungen ausdrücklich gesucht, Fahnen spielten dabei immer eine Rolle; in Johnsons Roman führt der Schulleiter den Ritus der Fahnenweihe zu Beginn jedes Schulmorgens ein. Durch diese Handlung artikuliert er - ihm selbst nicht bewußt - seine Nähe zum Nationalsozialismus. [...] bald war das Internat verwandelt in eine selbständige Grundeinheit der Freien Deutschen Jugend, deren Tageslauf mit Fahnenweihe, Verlesen von Tagessprüchen [...] und diszipliniertem Marsch zum Unterricht begann [...].
(160)
7.3.2.2 Die Bodenreform als Nachwehe des Blut-und-BodenMythos in Gotsches Roman Tiefe Furchen Born des Volkstums, unerschöpflicher Sturmbock der Neubauern Boden Volkszorn Blut Victor Klemperer veröffentlichte 1945/46 sein LTI. Notizbuch eines Philologen. Seine Aufzeichnungen über die "Sprache des Dritten Reiches" basieren auf Tagebucheintragungen, die Klemperer zwischen 1933 und 1945 fast täglich anfertigte. Er war bis 1933 Professor für Romanistik in Dresden; nach der Machtergreifung Hitlers war er als Jude schwersten Repressalien ausgesetzt, blieb aber bis zur Bombennacht im Februar 1945 in Dresden und konnte danach fliehen. Mit philologischem Interesse, das ihm auch half, seine eigene Betroffenheit zu ertragen, beobachtete er das alltägliche sprachliche Erscheinungsbild des Nationalsozialismus. Er beschreibt die LTI als Gift, das alle geschluckt haben. "[...] sogar bei denen, die die schlimmst verfolgten Opfer und mit Notwendigkeit die Todfeinde des Nationalsozialismus waren, sogar bei den Juden, herrschte überall,
118 Schlosser 1990, 38.
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in ihren Gesprächen und Briefen [...] ebenso allmächtig wie armselig und gerade durch ihre Armut allmächtig, die LTI." 1 1 9 Ein Beispiel für einen Schriftsteller, der selbst im 'Dritten Reich' verfolgt wurde, aber - noch nach 1945 - sprachlich von dieser Giftwirkung betroffen war, ist Otto Gotsche. Er wird 1945 Landrat von Halle-Merseburg und führt dort die Bodenreform durch. Sein Roman Tiefe Furchen (1948/49) ist die literarische Verarbeitung seiner Erlebnisse, Erfahrungen und Wünsche während dieser Zeit. Die demokratische Bodenreform ist für die sowjetische Besatzungsmacht und ihre deutschen Verbündeten Ausdruck des Neuen, das in der SBZ eingeführt werden soll. Verteilung des Großgrundbesitzes an Kleinbauern, Flüchtlinge und Landarbeiter, die Schaffung gerechterer Eigentumsverhältnisse auf dem Land. Gotsche beschreibt dies alles mit viel Einfühlungsvermögen, Begeisterung und Sympathie für 'die kleinen Leute', die nun ihre Sache in die Hand nehmen. Die Sprache, in der er erzählt, weist aber tief in die Zeit des Nationalsozialismus zurück. Heutige Leserinnen und Leser, vor allem in den 60er Jahren und später Geborene, müssen natürlich berücksichtigen, daß der Sprachstil auch in den 50er Jahren noch pathetischer war als heute. Bei Gotsche geht es um die Verteilung von Boden, um die 'eigene Scholle', die jeder Bauer erhält. Dieses Thema ist natürlich anfällig für nationalsozialistische Stil- und Lexemeigentümlichkeiten, vor allem, wenn man die geringe zeitliche Distanz bedenkt, die zwischen Kriegsende und Veröffentlichung des Romans liegt. Die oben aufgeführten Wörter sind ausschließlich Teil der Erzählersprache. Das erste Beispiel stammt aus der Gedankenwiedergabe des Landrats, als dieser Besuch vom einem Bürgermeister bekommt, der um Hilfe für sein Dorf bittet: Da war er, der gesunde Kern! Da waren sie, die neuen Kräfte, die aus dem unerschöpflichen Born des Volkstums wuchsen! (109)
Auf einer Partei Versammlung wird ein engagierter Neubauer gelobt: Schuster wußte, Balster würde vor den Hindernissen, die noch kamen, nicht zurückweichen, und bezeichnete ihn als den Sturmbock der Neubauern. (530)
Sturmbock ist keine Wortschöpfung der Nationalsozialisten, sondern bezeichnet ein Werkzeug der antiken Belagerungstechnik. Die Idee eines kommunistischen Partei Vorsitzenden, einen Bauern als Sturmbock zu bezeichnen, hat etwas mit der Vorliebe der KPD/SED für kämpferischen Sprachgebrauch zu tun. In gewisser Weise greifen Schuster bzw. der Erzähler greifen durchaus auf nationalsozialistischen Sprachgebrauch zurück, vor allem durch das Bestimmungswort Sturm-: "Sein [des Nazismus] ganzer Sprachschatz ist von
H9Klemperer 1946, 26.
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dem Willen zur Bewegung, zum Handeln beherrscht. Sturm ist sozusagen sein erstes und letztes Wort [...]." 1 2 0 Vollends die Züge einer Weihehandlung übernimmt die Feier, auf der am Schluß des Buches "dreiundachtzig Neubauern" ihren Boden in Besitz nehmen. Der Wortschatz, in dem Gotsche von dieser Feier erzählt, stammt aus dem Umfeld des BLUBO-Mythos121, auch wenn am Schluß die Internationale gesungen wird. Der starke gewaltige Mann [der Landrat] breitete seine Arme aus und umfaßte das ganze Land. Den Menschen um ihn schien es, als stampfe er die Fundamente dieser Zeit [...] aus dem Boden. Aus dem Boden, den er heute in die Hände der freudigen, arbeitsamen und erwartungsvollen Menschen legte [...]. Sie nahmen diesen Boden auf. Ein junges Mädchen in weißem Kleid [...] hielt den bekränzten Korb mit der braunen, fruchtbaren Ackererde still vor sich hin und streute sie mit den Händen aus, wenn ein Neubauer vor den Landrat hintrat. Hübner verlas Namen um Namen. Die langen roten Schnüre der eingebunden Liste tropften wie warmes Blut auf die verstreute Erde. Einzeln, mit erhobenen Häuptern, traten die Männer und Frauen vor den Landrat [...]. Tiefer Ernst stand auf ihren Gesichtern, als sie die Worte des Landrats nachsprachen: Ich nehme an! Ich will den Boden getreulich halten. Damit will ich unserem ganzen Volke dienen. (534f.)
Auch Volkszorn (413), von Klemperer als "Phrase von der kochenden Volksseele" bezeichnet, gehört zum Vokabular des Nazismus. 122 Das letzte Wortbeispiel bei Gotsche steht in Zusammenhang mit den NSVerbrechen des Grafen und ehemaligen Großgrundbesitzers im Dorf des Romans: Korten hatten die Amerikaner mitgenommen [...]. Den Grafen, trotz seiner Beteiligung am zwanzigsten Juli 44, auch. Das, was er in Polen, in Serbien, in Rußland getan hatte, wog tausendmal den einen Tag auf. Und das, was er die Jahre zuvor dem eigenen Volke, dem eigenen Blute angetan, wurde nicht ungeschehen, weil jemand eine Bombe warf, die nur Scheiben zersplitterte. (48)
... dem eigenen Volke, dem eigenen Blute, es mutet schon eigenartig an, diese Worte aus dem Mund eines Erzählers zu hören, der 'parteilich' ist für die Sache des Sozialismus. Aus heutiger Sicht ist es schwer, Sprachgebrauch und Stil Gotsches so zu bewerten, daß es ihm gerecht wird. Die Wortwahl, gerade auch die der zitierten Beispiele, läßt aber den Eindruck entstehen, als habe eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in sprachlicher Hinsicht nicht stattgefunden. Wenn man berücksichtigt, daß Gotsche als Kommunist im Widerstand tätig war und selbst ein Jahr im KZ gesessen hat, 120Ebd., 239. 121BLUBO ( = Blut und Boden) bei Klemperer 1946, 253. 122 Ebd., 252; seiner Beobachtung zufolge wurde das Wort zur Begründung der Pogromnacht im Nov. 1938 gebildet.
198
Der Wortschatz der marxistisch-leninistischen Ideologie
ist dieses Ergebnis bestürzend. Es macht die Ausmaße der "Giftwirkung" deutlich, von der Klemperer in seiner LTI geschrieben hat.
7.3.2.3 NS-Wortschatz bei anderen Schriftstellern Bei den Lexemen Fahnenappell und Aufmarsch ist zu beobachten, daß sie in jeweils einem Roman zur Bezeichnung eines Geschehens in der DDR verwendet werden, in einem anderen jedoch zur Schilderung einer Begebenheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Schütz (1980) erzählt von Fahnenappellen, an denen die Erzählerin vor Unterrichtsbeginn in ihrer Arbeiter-und-Bauern-Fakultät teilnahm; bei Wolf (1968) berichtet dagegen die Erzählerin von ihrer Kindheit während der Zeit des Nationalsozialismus, in der ebenfalls vor Schulbeginn Fahnenappelle stattfanden. Ähnlich verhält es sich bei Seghers und Hermlin. Bei Seghers wird ein Aufmarsch veranstaltet, "um den Jahrestag irgendeiner Befreiung zu feiern" (553), bei Hermlin träumt eine ehemalige KZ-Wächterin von den Aufmärschen etc. der NS-Zeit, nach denen sie sich zurücksehnt. Aufmarsch ist ein Beispiel für den ausgebliebenen Traditionsbruch in der DDR. Der Begriff stammt aus der Arbeiterbewegung, wurde aber von den Nationalsozialisten mit ihrem Hang zum Marschieren übernommen. Trotz des kompromittierenden Gebrauchs während des 'Dritten Reichs' wurde das Wort nach 1945 weiterhin verwendet. In der Erzählung Die Kommandeuse von Hermlin treffen sich die beiden Systeme - sprachlich festzumachen am Begriff Aufmarsch. Hermlin schildert den Aufstand des 17. Juni 1953 als 'faschistische Konterrevolution'. Die bislang unentdeckten Nazi-Verbrecher tauchen auf und hoffen, daß das Versteckspiel nun ein Ende hat und "das rote Pack" (184) verschwindet, sie wieder 'die Macht ergreifen' können. Liest man aber gerade die Textstelle, in die das Stichwort Aufmarsch eingebettet ist, so wird auf den ersten Blick nicht deutlich, welche politischen Verhältnisse gemeint sind: Eine Sekunde lang dachte sie sich eine ganze unendliche Zukunft, erfüllt von Aufmärschen, Sondermeldungen, brüllenden, jubelnden Lautsprechern; sie stellte sich eine Menge verschiedenfarbiger adretter Uniformen vor [...]. (185)
An diesem Beispiel wird vielleicht am deutlichsten, was fehlende Auseinandersetzung des Sozialismus mit dem Nationalsozialismus heißt. Hermlin macht die Träume einer 'unverbesserlichen', bisher unerkannt gebliebenen Nazi-Verbrecherin ausgerechnet an einem Bild fest, das an bestimmten Feiertagen, z.B. am 7. Oktober, auch - in Modifikationen - auf das Straßenbild der DDR zutreffen konnte.
Kontinuitäten des NS-Sprachgebrauches
199
Schutzhelfer des Klassenfeinds ist eine Redewendung, mit der Rumbo die Witwe Nakonz in Brezans Mannesjahre belegt (vgl. 7.1.1). Das Lexem ist von dem verbalen Syntagma Schützenhilfe leisten abgeleitet; Schutzhelfer weckt Assoziationen an Zusammensetzungen mit Schutz- während der Nazizeit: Schutzhaft, Schutzstaffel. Den Ausdruck Machtergreifung gebraucht der Kreissekretär in Neutschs Spur der Steine während einer Rede an die Chemiearbeiter: Die Arbeiterklasse wird nur dann siegen, wenn sie nach der Machtergreifung vermag, die Produktion so zu organisieren [...]. (483)
Was gemeint ist, ist klar, auch daß es Neutsch hier keinesfalls um Zurückfallen in die nazistische Diktatur geht, aber das Lexem Machtergreifung gehört zu den Wörtern im Deutschen, die auf die Zeit des Nationalsozialismus festgelegt und für andere Zusammenhänge imbenutzbar geworden sind. Das Wort allein bezeichnet die Machtergreifung Hitlers am 30.1.33. 123
123 Vgl. Wahrig: "Machtergreifung = Machtübernahme. Übernahme der Regierungsgewalt durch Hider 1933."
8.
"Herr Stalin", "Old Joe" oder "Führer der kommunistischen Partei der Sowjetunion". Die Darstellung Stalins in den Romanen
Stalin bzw. sein Bild kommt nur in der 1. Gruppe des Literaturkorpus vor, immerhin in neun von fünfzehn Romanen, und zwar sowohl in der Erzählersprache als auch im Figurendialog. Die Romane unterscheiden sich zum Teil beträchtlich in der Art und Weise, wie der "Generalissimus aus Grusien" (Kant) dargestellt wird. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 wurden die Verbrechen Stalins aufgedeckt; Chruschtschows Geheimrede löste vor allem bei vordem 'gläubigen' Kommunisten eine tiefe Erschütterung aus und brachte bisher Unumstößliches ins Wanken. Für die Darstellung oder auch nur Nennung Stalins in der erzählenden Literatur der 50er Jahre macht es von daher einen Unterschied, ob der betreffende Roman vor oder nach 1956 erschienen ist.
8.1 Stalin als nicht-hinterfragte Führungs- und Identifikationsfigur Der Roman Menschen an unsrer Seite von Claudius, 1951 veröffentlicht, ist der erste des Korpus, in dem von Stalin die Rede ist. Dieser wird nicht als überragende Gestalt gepriesen, sondern eher sachlich als Vorbild betrachtet; sein Bild ist selbstverständlicher Wandschmuck im Zimmer des Betriebsleiters oder Parteisekretärs. Katrin, die Frau des 'Helden' Aehre, bildet sich weiter und liest dazu Aufsätze von Stalin. Sie schob ihm das Buch hin [...], fragte: "Meinst du nicht auch, es trifft genau auf uns zu, was Stalin von der russischen Situation sagte während des ersten Fünfjahrplans?" (270)
An anderer Stelle des Romans ist es ein 'Ingenieur der alten Schule', der auf Stalin gestoßen wird. Die Szene im Zimmer des neuen Betriebsleiters, der aus der Arbeiterklasse stammt, hat für den Angehörigen der Intelligenz etwas Unausweichliches, was durch das Stalinbild ausgedrückt wird. Er [der Ingenieur] erhob sich, stand gebeugt vor dem Schreibtisch des Direktors; das Gesicht zerknittert, starrte er voller Bitterkeit an Carlin vorbei auf die Wand. Dort hing ein Bild Stalins, ein grellbunter Druck. (34)
Darstellung Stalins in den Romanen
201
Anders verhält es sich im "Tinko", dem Jugendbuch von Strittmatter (1954). Stalin wird an einer Stelle als Gedankenwiedergabe des Jungen Tinko in den Roman eingebracht. Die Textstelle verrät, daß den Kindern beigebracht wurde, Stalin als einen 'guten Onkel' anzusehen. Tinko will sich bei ihm beschweren. Er gehört nicht zu den Pionieren, die nach Polen fahren dürfen, weil er keine guten Leistungen in der Schule hat. Wenn ich ein großer Mensch bin, werde ich mir selber eine Eisenbahn kaufen. Ich werd durch Deutschland fahren und alle Kinder einsammeln, die fur die Gerechtigkeit gelitten haben. [...] Vielleicht fahren wir zu Herrn Stalin ran. Dann werde ich Herrn Stalin sagen: Ich bin der Tinko, der wegen Gerechtigkeit nicht nach Polen durfte. (335)
In Roheisen von Marchwitza (1955) ist Stalin der Lehrer und Freund, ein Führer, zu dem die Menschen aufschauen. Assoziationen zu seinem deutschen Pendant sind von Marchwitza nicht beabsichtigt, stellen sich jedoch ein: [Rede des fiktiven Ministers] "[...] Und ein großer, beharrlicher Freund wacht, er berät und fördert unser Beginnen - das Sowjetvolk und sein Lehrer und Meister Stalin..." Händeklatschen brauste auf. Und tausendstimmig erhob sich der Jungen Jubelruf: "Stalin - Wilhelm Pieck - Stalin - Bierut - Wilhelm Pieck!" (320) Michailowitsch und Schulgin verabschiedeten sich [...]. Und sie hätten einen beharrlichen Lehrmeister, Stalin, der ihnen allen so viel Neues eröffnet habe... (518) Eisendorn glaubte, mit dem gesamten Bau bis zum 21. Dezember - dem Geburtstag Stalins - fertig zu sein. (412)
Stalin als Lehrer und Freund kommt auch in dem Gespräch zweier Arbeiter zum Ausdruck: "Oder wir setzen dem Genossen Stalin ein Schreiben auf, was meinst du, Heiner?" (518)
Stalin wird hier gewissermaßen von seinem Sockel heruntergeholt, er ist Genösse der beiden Hochofenarbeiter. Der erhabene Stil "wir setzen ein Schreiben auf" statt "wir schreiben an" verrät jedoch den Respekt vor seiner Person. In dieser Gruppe zu nennen ist auch der Roman von Seghers Die Entscheidung, 1959 veröffentlicht. Rückblickend wird aus der unmittelbaren Nachkriegszeit erzählt. Stalins Bild ist hier Zeichen des Neuen, das inmitten der Verwüstung begonnen hat. Der Spanienkämpfer Robert Lohse erhält in seinem französischen Exil von einem Genossen den Anstoß, nach Deutschland zurückzukehren und beim Aufbau zu helfen:
202
Darstellung Stalins in den Romanen Der deutsche Genösse beschrieb ihm das verwüstete Land, seine zertrümmerten Städte, seine zerrütteten Menschen. Er beschrieb auch die kleine Baracke mit ihrem roten Fähnchen und Sichel und Hammer auf der Grenze der sowjetischen Zone. Stalins Bild auf der Barackenwand über dem Gesicht des Soldaten, der die Papiere prüfte. (47)
8.2 Kritik am Stalinkult aus der Distanz der 60er Jahre Strittmatter, Brezan und Kant lassen ihre Erzähler oder Figuren auf die Stalinzeit und die Unsicherheiten nach dem Moskauer Parteitag eingehen. Am ausführlichsten setzt sich Brezan mit dem Thema auseinander. Sein Roman Mannesjahre ist in den Jahren von 1945 bis etwa 1956/57 angesiedelt, d.h. von der Zeit unangefochtener Stalinverehrung bis zur "Zertrümmerung von Gips". Die erste Erwähnung findet Stalin in einer Einladung an den 'Helden' des Buches, Felix Hanusch. Dieser wird im Sommer 1945 von einem ehemaligen Klassenkameraden angesprochen: "Ich habe da einen Wodka oben, würde sich verdammt freuen, von dir getrunken zu werden! Fraglich, ob Onkelchen Stalin einen besseren trinkt." Er schnitt eine Grimasse. (Brezan, 45)
Die Bezeichnung als Onkelchen ist typisch für die Verniedlichung des Diktators in der Sowjetischen Besatzungszone nach 1945; die Verkleinerungsform ist eine Anlehnung an russische Kosenamen Väterchen, Mütterchen, Onkelchen. Sie ist auch in Kants Roman anzutreffen (s.u.). Der Klassenkamerad ist keineswegs Stalinist, und seine Rede von "Onkelchen Stalin" ist ironisch zu verstehen - sie wird auf der nächsten Seite wiederholt und ausgedehnt: "Bully Churchill raucht Zigarre und Onkelchen Stalin Pfeife" (46). Felix' Bekannter distanziert sich durch seine Ironie von dem zu seiner Zeit üblichen Sprachgebrauch. Die beiden Textstellen machen die Art und Weise, wie Stalin sich in der Öffentlichkeit der vierziger und frühen fünfziger Jahre darstellt bzw. wie er dargestellt wird, sehr anschaulich: als gemütlicher, vertrauenerweckender Onkel mit Pfeife - so daß auch Strittmatters Tinko ihn als helfende Instanz anrufen kann. Die nächste Textstelle ist schon nach Stalins Tod anzusiedeln. Jahre später [...] entsann er sich der ersten Nacht nach Stalins Tod. Rumbo trug einen Trauerflor und Felix war voller Unruhe. Solange Er lebte, fand der Krieg nicht statt. (Brezan, 182)
Die eigentliche Auseinandersetzung mit der Stalinzeit findet erst gegen Ende des Romans statt. Im Herbst 1956 blickt der Erzähler auf das vergangene Jahr zurück:
Kritik am Stalinkult
203
Dieses Jahr mußte man sich auch in anderer Beziehung merken. Im Februar hatte in Moskau ein Parteitag stattgefunden, dort wurde eine Gottesstatue gestürzt, und übrig blieb unter Marmor, Bronze und Gips ein Mensch, der sich über die Menschen erhoben hatte, ohne in Menschlichkeit über sie hinausgewachsen zu sein. Glauben waren zusammengebrochen und tönerne Unbedingtheiten erschüttert worden. [...] und war der Gott gestürzt - was ist dann schon am Menschen dran? (292)
Die Kritik des Erzählers bei Brezan ist in ihrer Ernsthaftigkeit die einzige dieser Art in den Romanen. Der Vorwurf der Gleichsetzung Stalins mit Gott oder genauer gesagt, mit einer Gottheit - Gottesstatuen gibt es in den drei Buchreligionen nicht -, ist hart und trifft den Sozialismus seiner Zeit eigentlich an der Wurzel. Eine sich als wissenschaftlich und atheistisch bezeichnende Weltanschauung hat den Parteivorsitzenden eines Landes zu einer Gottheit erhoben, der Statuen aus Marmor, Gips und Bronze errichtet wurden. Er wurde verehrt, es wurde an ihn geglaubt.1 Wie schwer für viele Parteigänger die Erkenntnisse über Stalin zu verkraften waren, zeigt die Reaktion des Dorfbürgermeisters Rumbo auf den 1956 einsetzenden 'Bildersturm': Er hatte Stalinworte auswendig gelernt - sie zertrümmerten Gips, schmolzen Bronze ein und verbrannten Bilder, "...und ich lasse ihn hängen bei mir! Solange ich Bürgermeister bin, bleibt sein Bild an der Wand. Ich pfeife darauf!" [...] es war viel, worauf er pfiff, vor allem pfiff er auf die Wechselrahmen: mal dieses Bild, mal jenes, mal diese Revolution, mal jene. (Brezan, 303)
Es ist doch interessant, welch wichtige Rolle Bilder spielen. Sie leisten Unterstützung beim Aufbau von Identifikationsfiguren und bieten die Möglichkeit, Wünsche und Projektionen in sie hineinzulegen. Sie dienen auch dazu, Herrscher (seien es nun Götter oder Menschen) den Menschen immer wieder vor Augen zu führen, ihre Allgegenwart zu präsentieren und fordern zur Verehrung auf. In Johnsons Roman spielen diese Bilder eine wichtige Rolle. Die wechselnden Klassenzimmerportraits von Hitler und Stalin markieren einen Austausch von Identifikationsobjekten, der nicht zu einer Befreiung, sondern zu einer Diktatur unter anderen Vorzeichen führt (vgl. 8.3). Kritik am Stalinkult üben in den sechziger Jahren auch Strittmatter - in seinem Roman Ole Bienkopp - und Kant. Er [der Parteisekretär] studierte die Lebensgeschichte des Mannes, der Stalin hieß. Er war in diesem Buche zu Hause, bis es ihm im Jahre neunzehnhundertsechsundfiinfzig sozusagen aus der Hand fiel. (Strittmatter 1963, 328)
In Kants Roman bezeichnen die Studenten der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Stalin als "Generalissimus Josef Wissarionowitsch Stalin" (140) bzw. "Generalissimus aus Grusien", als den "Weisen aus Gori" (141) und als 1 Dieser Glaube ist ein Phänomen, das Klemperer auch bei Hitler-Anhängern beobachtet hat; vgl. Victor Klemperer, L77. 1946.
204
Darstellung Stalins in den Romanen
"Genösse Stalin" (142). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die ABF-Handlung 1949/50 spielt, der Erzähler jedoch Anfang der 60er Jahre von dieser Zeit berichtet, also in bezug auf Stalin ein 'Wissender' ist. Die Titel sind deshalb ironisch zu verstehen, was vor allem an der Bezeichnung "Generalissimus aus Grusien" deutlich wird; Grusinien heißt Stalins Herkunftsland ja richtig, und Grusien soll wohl eine Assoziation an Gruseln wecken. Die oben schon angesprochene Verniedlichung Stalins, wie sie bei Brezan durch die Bezeichnung Onkelchen ausgedrückt wird, gestaltet sich bei Kant in der Wendung zum Kumpelhaften. Stalin wird zu Old Joe. Der Erzähler kritisiert zwar den Stalinkult und damit auch diese Bezeichnung, doch fallt bei Kant diese Kritik eher harmlos aus, wie die folgende Textstelle belegt: [nach einem Ausflug nach West-Berlin] "Warum hat Old Joe eigentlich nicht diesen Teil genommen, sieht doch viel lustiger aus als das gammelige Karlshorst, findest du nicht auch, Vera?" - "Vielleicht ist er nicht so für lustig." Das stellte sich in der Tat eines Tages heraus, [...] aber bevor die Rede war von Blut und Eismeerkälte und erstickten Liedern, ging sie noch lange von der Schlacht bei Zarizyn und bewässerten Wüsten und den endlich gelösten Rätseln der Sprachwissenschaft, und schon in Versammlungen mittlerer Größe wählte man Ehrenpräsidien, denen ER vorsaß, und im Kino klatschte man, wenn ER auf dem Trittbrett des Panzerzuges vorbeifuhr [...]. (Kant, 274f.)
Die Textbeispiele zeigen, wie schwer die meisten Autoren sich damit tun, sich ernsthaft mit Stalin und dem Stalinkult auseinanderzusetzen. Bei Strittmatter und Kant ist dies eher ein harmloses Vergnügen. Einem Parteisekretär fallt ein Stalinbuch "sozusagen aus der Hand", der ABF-Studentin Vera kommt der Gedanke, daß Stalin "es vielleicht nicht so mit lustig" habe, und das ist es dann auch schon. Die Textbeispiele lassen ahnen, daß hinter dieser jovialen Kritik mehr stecken könnte, aber sprachlich wird das nicht ausgedrückt. Eine Ausnahme ist Brezan. Vom Standpunkt des Sozialismus aus setzt er sich in seinem Roman mit dem traditionellen Christentum seiner sorbischen Landschaft auseinander, mit der noch neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung und auch mit dem Stalinkult. Durch seine Kritik an der überkommenen Religiosität seiner Umgebung findet er zur Kritik am Stalinismus, seine Verneinung der Existenz eines Gottes führt zu einem Mißbehagen an der Stilisierung Stalins zu einer Gottheit. Du drückst auf einen Knopf, und ein Lehrsatz springt heraus, Matthäus 5 , 1 - 3 oder Stalin, 2. Band, Seite 341. (167) Weil ich keinen Gott hatte, [...] stürzte mir kein Himmel ein. (297)
Der einzige Schriftsteller, der seine Kritik am Stalinismus bereits vor dem XX. Parteitags der KPdSU literarisch zum Ausdruck bringt, ist Uwe Johnson.
205
Stalin in Uwe Johnsons Roman
8.3 Stalin als "verspottetes Kampfes" bei Johnson
oder
geheiligtes
Symbol
des
Der Roman Ingrid Babendererde, den Johnson zwischen 1953 und 1956 schrieb, stellt in jeder Hinsicht eine Ausnahme dar. Vom Stoff her gehört er in die 50er Jahre. Erzähltechnisch ist er den zur gleichen Zeit erscheinenden DDR-Romanen weit voraus. Der Erzähler berichtet sehr detailliert von den Vorgängen an einer mecklenburgischen Oberschule Anfang der 50er Jahre. Dem Leser wird viel DDR-typischer Wortschatz, vor allem aus dem Umfeld von SED und FDJ dargeboten, aber ausschließlich in ironischer Brechung durch den Erzähler, der eine sehr distanzierte Position zum Geschehen einnimmt. Die Erzählerrede überwiegt, auch das ist Ausdruck der Distanz. Ingrid Babendererde steht der offiziellen Politik als Stellungnahme gegenüber. Stilistisch ist das Buch das genaue Gegenteil zur offiziellen Sprache. Themen werden angeschnitten, aber offen gelassen, Sätze nicht zu Ende geführt. Johnson schreibt eine komplizierte Prosa, die Widersprüche und offene Fragen sichtbar werden läßt - im Gegensatz zu den offiziellen Spruchbändern und Wandzeitungen, die mit dem "Anspruch unumschränkter Gültigkeit" (161) auftreten. Johnson löst die Sprachformeln durch Erzählen auf. Offizielle Bezeichnungen für Gegenstände und Eigennamen werden bei ihm umbenannt bzw. genau, fast umständlich beschrieben, z.B. das Mitgliedsbuch der FDJ: "ein flaches, blaues Buch, auf dem war in einem Schild gelb eine aufgehende Sonne unter den Anfangsbuchstaben von frei und deutsch und Jugend dargestellt". Auch Stalin tritt nicht mit seinem üblichen Namen auf, sondern erscheint in einer Nominalkonstruktion mit zwei bis drei Genitivattributen.2 Er heißt Führer der kommunistischen Partei der Sowjetunion, oder es ist im Ro-
man vom Bildnis des Führers der kommunistischen Partei der Sowjetunion die Rede, da in erster Linie nicht Stalin selbst, sondern sein Porträt das Geschehen an der Schule bestimmt. Sein Bild hängt in allen Klassen- und Konferenzzimmern. In den vorherigen Kapiteln (7.1, 7.2) war schon von dem harten Regiment die Rede, das der Schulleiter im Sinne der Partei an der Schule führt. Sein Kampf für den Sozialismus und der Widerstand der Klasse 12A gegen ihn und seinen Absolutheitsanspruch werden durch die Stalinbilder in der Schule symbolisiert. Jedesmal, wenn der Erzähler eine Szene in einem Klassenraum oder eine Partei- bzw. Schulversammlung darstellt, erinnert er den Leser daran, daß "an den Wänden" (52), "neben der Tafel" (102) oder "auf einer ausge-
2 Das ist eine Anlehnung an den offiziellen Sprachstil.
206
Darstellung Stalins in den Romanen
breiteten und rotbunt gestickten Fahne" (113) ein "grosses Bildnis des Führers der kommunistischen Partei der Sowjetunion"3 hängt. Der Widerspruch, der sich an dem Bild festmacht, besteht in der Tatsache, daß einerseits am unteren Rand des Porträts ein Ausspruch Stalins geschrieben steht, der besagt, die deutsche Jugend solle erzogen werden zu selbständig denkenden und verantwortungsbewusst handelnden Erbauern eines Neuen Deutschland. (161) 4
Andererseits mißachtet der Schulleiter ständig Stalins Worte, indem er seine straffe Linie an der Schule sogar mit Hilfe der Staatssicherheit durchsetzt. Selbständiges Denken hat da keinen Platz, allerdings auch nicht bei Stalin. Sein Bildnis symbolisiert die Unfreiheit und Ausgrenzung, die an der Schule herrschen, trotz seines 'ermutigenden Ausspruchs'. Die Schüler erkennen sehr wohl den Zusammenhang zwischen dem Stalinbild in allen Schulräumen und der Repression durch den Schulleiter: [...] vielmehr erlag die Freiwilligkeit der bisherigen Mitarbeit [der 12A bei der FDJ] den Ereignissen, die sich innerhalb der vier Wände der Klasse und unter den Augen also wohl im Sinne jenes Bildes zutrugen. (161)
Das Bild Stalins, das so unausweichlich an den Schul wänden hängt, symbolisiert den Kampf des Direktors Siebmann für den Sozialismus, es symbolisiert aber auch den Widerstand der Schüler, indem sie sich nicht (nur) über den Schulleiter oder die SED lustig machen, sondern das Bild verspotten: Verspottetes oder geheiligtes Symbol des Kampfes wurde bald die Person oder das Bild des Führers der kommunistischen Partei der Sowjetunion [...]. (162)
Für den Schüler Klaus Niebuhr, dessen Eltern unter der "vorigen Regierung" (33) in einem KZ umgebracht wurden, steht das Bild Stalins darüberhinaus für "einen Gebrauch der Sprache 'mit dem Vorsatz zu betrügen'". 5 Die Erzieherpersönlichkeit [Direktor Siebmann] sagte: so sei es, und sei da keine andere Weise die Dinge zu betrachten. Dabei jedoch Hess sie ausser acht dass frühere Erzieherpersönlichkeiten von Herzschlag gesprochen hatten; es war dann aber etwas anderes gewesen. Als der Schüler Niebuhr nun abermals eine Schule besuchte, so also achtete er darauf dass die Erzieherpersönlichkeit nicht abermals dieses für ein anderes sagte; andernfalls würde der Schüler Niebuhr sich erlauben dieses zu sagen und ein anderes zu meinen auch. (170) 6
3 "Bildnis des ..." 52, 103, 113; bzw. "Bild des ..." 161, 162. 4 Rechtschreibung (ss f ü r ß ) und Zeichensetzung ('Weglassen' von Kommata) in den Literaturzitaten im Original. 5 Emmerich 1989, 131. 6 "Herzschlag" spielt auf die Totenscheine an, die der betreffenden Gemeinde aus Ravensbrück, Auschwitz oder anderen Konzentrationslagern zugeschickt wurden. "Darauf ist die
Stalin in Uwe Johnsons Roman
207
Hier sind zwei Kommunikationssysteme nebeneinandergestellt, die die Sprache als Instrument der Lüge einsetzen. Das Vertrauen des Schülers Niebuhr in die Wahrhaftigkeit sprachlicher Kommunikation ist unter der "vorigen Regierung" auf brutalste Weise zerstört worden7, nun macht er unter dem "Bildnis" Stalins die Erfahrung, daß "abermals dieses für ein anderes" gesagt wird. Das eine System mit dem Bild Hitlers wird durch ein anderes mit dem Bild Stalins abgelöst; beide Systeme mißbrauchen die Sprache für ihre Zwecke. Klaus Niebuhr und Ingrid Babendererde verlassen die DDR.
Todesursache präzis und sogar abwechslungsreich [...] angegeben; sie heißt umschichtig 'Insuffizienz des Herzmuskels' [...]." (Klemperer 1946, 182). 7 Seine Eltern sind an "Herzschlag" gestorben.
9.
Bezeichnungen für Deutschland und Berlin
Arbeiter-und-Bauern-Staat Berlin W Bundesrepublik DDR DDR, unsere Deutsche Demokratische Republik Deutschland Deutschlands, in diesem Teil Deutschlands, im Osten drüben [Osten/Westen]
Frontstadt [West-Berlin] hüben [Osten] Ostberlin ostdeutsch Ostdeutschland Osten Ostsektor Ostzone Republik, die Republik, unsere Republik, demokratische Sektor, demokratischer, russischer, sowjetischer Sowjetsektor, -zone Territorium der Deutschen Demokratischen Republik West-Berlin
(Jakobs, Kant, Maron) (Wolf 1963) (Seghers) (Seghers) (Claudius 1957) (Seghers, Marchwitza, Kant, Brasch) (Seghers, Jakobs, Brezan, Neutsch, Kant) (Claudius 1951) (Neutsch) (Claudius 1951, Marchwitza, Seghers, Brezan, Schlesinger, Reimann, Wolf 1963 und 1968, Neutsch, Kant, Tetzner, Schütz 1986) (Schütz 1980) (Schütz 1986) (Seghers, Wolf 1968) (Seghers) (Seghers) (Seghers) (Strittmatter 1963) (Marchwitza, Seghers, Strittmatter 1963, Neutsch) (Claudius 1951, Seghers, Jakobs, Neutsch, Kant, Hein 1982) (Seghers, Neutsch, Hein 1982) (Johnson) (Claudius 1951, Marchwitza, Seghers) (Seghers) (Schütz 1986) (Claudius 1951, Kant)
Bezeichnungen fur Deutschland und Berlin
Westberlin
Westdeutschland
Westen, der
Westsektor Zone, die [Osten] Zone, russische, sowjetische
209
(Johnson, Marchwitza, Seghers, Reimann, Wolf 1963, Strittmatter 1963, Brezan, Neutsch, Schütz 1986) (Claudius 1951, Marchwitza, Seghers, Reimann, Wolf 1963, Brezan, Kant, Brasch, Hein 1982) (Claudius 1951 und 1957, Seghers, Reimann, Wolf 1963, Brezan, Neutsch, Kant, Schlesinger, Brasch, Schütz 1986) (Claudius 1951) (Claudius 1951, Wolf 1963, Brezan, Seghers, Strittmatter 1963, Schütz 1986) (Seghers)
Die Romane spiegeln die politischen Fragen und Probleme ihrer Zeit wider. Vor dem Hintergrund der Vereinigimg der beiden deutschen Staaten ist es interessant, die Texte daraufhin zu lesen, wie die 'zwei Deutschländer' im Verlauf ihrer 40jährigen Geschichte seit dem 2. Weltkrieg benannt werden. Die DDR und ihr ständig präsentes "geheimes gegenteil"1 werden in fast allen Romanen zumindest erwähnt, sei es nun als ironisches Zitat wie in Heins Drachenbluf. Die Behörden des Kreises und die Schulleitung seien der Ansicht, es sei nicht gewährleistet, daß sie das Erziehungsziel einer Oberschule unserer Republik erreichen könne (123),
oder als ein stolzes Sich-Berufen auf ein neues, besseres Land: Wir heißen nicht mehr Deutsches Reich, [...] wir heißen jetzt Deutsche Demokratische Republik [...]. (Kant, 73)
Die Schülerin, die in Heins Roman das "Erziehungsziel" (politisch) nicht erreicht, geht nach "Westdeutschland" (123). In drei Romanen sind die vier Besatzungszonen bzw. die beiden deutschen Staaten explizit Teil der Handlung: In Anna Seghers' Die Entscheidung (1959), Erik Neutschs Spur der Steine (1964) und Helga Schütz' In Annas Namen (1986). Bei Seghers dient darüber hinaus die Art und Weise ihrer Benennung der Charakterisierung einzelner Figuren. Die Untersuchung der Bezeichnungen für Deutschland geht über das hinaus, was in Kap. 1.4.2 als Kriterium für "DDR-typische Lexeme" vorgegeben wurde. Als DDR-typische Benennungen können in diesem Kapitel nur Arbeiter-und-Bauern-Staat, Frontstadt und unsere DDR bezeichnet werden. Auf die sprachliche Analyse der Art und Weise, wie das Phänomen der beiden deutschen Staaten aus litera1 Gemeint ist "der Westen"; Rainer Schedlinski in Temperamente 1/1990, 5.
210
Bezeichnungen für Deutschland und Berlin
rischer Sicht angegangen wird und seinen Ausdruck in - z.T. wertenden - Bezeichnungen findet, möchte ich dennoch nicht verzichten. DDR-typisch sind nicht die jeweiligen Benennungen, aber der Standort der Betrachtung und die Gestaltung des Themas lassen einen Hintergrund erkennen, der auf die DDR zurückverweist und sich als bestimmend für die Begriffs wähl erweist.
9.1 Die Art, von Deutschland zu reden, als Unterscheidungsmerkmal von Gut und Böse - Anna Seghers' Die Entscheidung In dem 1959 veröffentlichten Roman von Anna Seghers kommen die meisten Bezeichnungen für die besetzten Zonen bzw. die beiden deutschen Staaten vor. Der Gegensatz Ost-West als Gegensatz von Neu und Alt, Gut und Schlecht wird an Arbeitern und Ingenieuren zweier ehemals dem gleichen Unternehmer gehörenden Fabriken dargestellt. Schauplätze des Romans sind (u.a.) das "volkseigene Stahlwerk Kossin" in der sowjetischen Zone und die "Bentheim-Werke Hadersfeld" in der amerikanischen Zone. Erzählt wird von ihrem je verschiedenen Aufbau und der Etablierung einer jeweils anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnimg in den Jahren 1947 bis 1951. Die Erzählerin erweist dabei dem Aufbau des Sozialismus in der SBZ/DDR strikte Parteilichkeit. Der Mensch verändert sich durch die geänderten Produktionsverhältnisse, wenn er sich für den sozialistischen Weg entschieden hat. 2 Arbeiter und Arbeiterinnen kämpfen im 'sozialistischen Wettbewerb' für ihr Werk, die Ingenieure sind gespalten, einige leben mit dem volkseigenen Betrieb, andere 'verraten' ihn. Dem VEB Kossin negativ gegenübergestellt werden die Bentheim-Werke im Westen, in denen 'alles beim alten' bleibt, sogar Nazis kommen wieder in leitende Positionen. Die literarische Konfrontation der beiden Fabriken und der jeweils für oder gegen den Sozialismus agierenden Menschen gerät zur Schwarz-Weiß-Zeichnung. Für ihr eigenes Buch gilt, was Anna Seghers auf dem IV. Schriftstellerkongreß 1956 an anderen Texten beklagt hatte: "Man erkennt augenblicklich, wie in den Mysterienspielen des Mittelalters, die Engel an ihren Flügeln und die Teufel an ihren Hörnern. Und die Personen handeln, wie es ihren Insignien entspricht".3 An der Art und Weise, wie von den Zonen bzw. den beiden deutschen Staaten gesprochen wird, erkennt man die Einstellung der Figur; nicht jede Person im Roman nimmt z.B. das Wort "Blockade" in den Mund, und wer "sowjetische Zone" sagt, wird nicht von "Sowjetzone" sprechen. 2
Vgl. Kindlers Literaturgeschichte,
3
Zitat A. Seghers bei Reich-Ranicki 1963, 378.
338.
Deutschland bei Anna Seghers
211
Hier zunächst die Auflistung der Bezeichnungen, unterschieden nach Erzähler- und Figurensprache, Herkunft bzw. Einstellung der Figur oder des Erzählers: Schlüssel: e = f Osten
=
Westen
=
Erzählersprache Figurensprache Erzähler/Figur im Osten bzw. mit pro-sozialistischer Einstellung Erzähler/Figur im Westen bzw. mit antisozialistischer, 'verräterischer' Einstellung
Ausland [i.e. die DDR, 1949] Bundesrepublik DDR Deutsche Demokratische Republik Republik, unsere sowjetische Zone sowjetischer Sektor Westberlin
nur f, nur Osten nur f, nur Osten nur f, nur Osten e,f, nur Osten e,f, nur Osten nur e, nur Osten e,f, nur Osten e,f, nur Osten
Ostberlin Ostdeutschland ostdeutsch Osten Ostzone Sowjetsektor Sowjetzone
e,f, nur Westen e,f, nur Westen nur e, nur Westen nur f, nur Westen e,f, nur Westen nur f, nur Westen nur f, nur Westen
Deutschland Westdeutschland Westen russische Zone drüben
e,f, Westen und Osten e,f, Westen und Osten e,f, Westen und Osten e,f, Westen und Osten nur f, Westen und Osten
Lexeme, die zwar nicht zur Bezeichnung der Länder dienen, aber mit der Thematik zu tun haben: Wiedervereinigung Blockade [Berlins] Eiserner Vorhang Luftbrücke
nur f, nur Osten nur f, nur Westen e,f, nur Westen nur e, nur Westen
Ausland meint die SBZ nach dem 23.5.1949 bei Unterstellung 'bundesrepublikanischer' Ansichten. "Wir [SBZ] gelten ja jetzt dort als Aus-
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Bezeichnungen für Deutschland und Berlin
land" (278). Dem setzt der Parteisekretär von Kossin die Einheit eines sozialistischen Deutschlands entgegen: [...] Allen Angeboten auf Frieden und Wiedervereinigung zeige Adenauer die kalte Schulter. Aber mit Eisenhower mache er aus, daß die Jugend der Bundesrepublik in der Europaarmee kämpfen dürfe. [...] Unsere Antwort hier in der DDR sei der Fünfjahrplan, den wir erfüllen werden. (556)
Ausland, Wiedervereinigung, Bundesrepublik, DDR sind ohne westliches Pendant, während die anderen Benennungen der Gruppe Osten' jeweils 'im Westen' mit einem anderen Ausdruck bezeichnet werden. Nennt z.B. eine sozialistisch eingestellte Romanfigur die DDR Deutsche Demokratische Republik oder unsere Republik, so spricht eine westliche Person von Osten oder Ostdeutschland. Ebenso wird auf östlicher Seite die Bildung Substantiv + attributives Adjektiv benutzt: sowjetische Zone, sowjetischer Sektor, wo auf westlicher Seite das Modell Komposition vorherrscht, das zu einer pejorativen Konnotation tendiert: Sowjetzone, Sowjetsektor. Deutlich wird das an der folgenden Textstelle, in der Liesel, die im Ostsektor Berlins lebt, ihren in Westdeutschland lebenden Bruder davon unterrichtet: "Sein Krankenhaus liegt im sowjetischen Sektor; wir sind dort hingezogen; ich werde dort Laborantin." - "Was sagst du, Sowjetsektor? Meinst du damit: Bei den Russen?" (256)
Auch Büttner, Assistent des Werkleiters von Kossin, verwendet die Bezeichnung Sowjetsektor, kurz bevor er von einem westlichen Geheimdienstagenten angeworben wird, was als Ausdruck seiner Distanz zum Sozialismus gewertet werden kann. (265). Ost- und Westberlin dagegen drücken nur den gegensätzlichen Standpunkt der Betrachtung aus, sie haben keine kennzeichnende Funktion. Drüben ist das Wort, das am häufigsten vorkommt, jeweils im Westen oder Osten und jeweils das andere meinend. Die drei der Liste hinzugefügten Bezeichnungen kommen nur in Aussagen von 'Westlern' vor: Blockade benutzen eine ältere Dame aus Westberlin und Helga, die Frau des 'Verräters' Büttner (190, 192). Eiserner Vorhang gehört ebenfalls zum Wortschatz der Westberlinerin sowie eines westdeutschen Pfarrers (191, 490). Die Luftbrücke (im Originaltext in Anführungszeichen) wird nur in der Gedankenwiedergabe des Erzählers bei Liesels Bruder und Mutter (vgl. Sowjetsektor) in Westdeutschland erwähnt (133, 139, 173, 231). Die unterschiedlichen Bezeichnungen dienen dem Aufbau von positiven Konnotationen, sofern der Aufbau des Sozialismus in der SBZ/DDR unterstützt wird - vom Erzähler als hilfsbereit, charakterfest und einsatzbereit gezeichnete Personen sprechen vom Aufbau der Republik und von der Deutschen Demokratischen Republik·, negative Konnotationen werden erzeugt, wenn z.B. eine dieser positiv gezeichneten Figuren in 'Westzeitungen' Schlagzeilen dieser Art vermutet:
Deutschland bei Anna Seghers
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Der Professor Berndt [Werkleiter des VEB Kossin] hat das Leben in der Ostzone nicht mehr ertragen, darum ist er fort. (504/5)
9.2 "Von unserer Republik geht der Friede für ganz Deutschland aus" - Erik Neutschs Spur der Steine Neutsch, der seinen Roman 1964 veröffentlichte, geht von einem Deutschlandbegriff aus, der die Teilung entweder ignoriert oder sie politisch im Sinne des Sozialismus zu überwinden sucht. Gleich im ersten Satz dieses monumentalen Industrieromans wird das fiktive Chemiewerk "Schkona" vom Erzähler in ein gesamtdeutsches Maß gesetzt: Sechzehn Schornsteine stützen den Himmel über der Stadt [...], staubgrau und steil, wie sie nirgends noch einmal in Deutschland zu finden sind. (9)
Gegen Ende des 2. Kapitels wird Schkona ein weiteres Mal in seinen superlativischen Ausmaßen geschildert: Viele ihrer [des chemischen Werkes Schkona] riesigen Produktionsgebäude hätten [...] in weniger industrialisierten Gegenden Deutschlands einen beachtlichen Betrieb für sich abgegeben. (61)
Wobei zu beachten ist, daß dieses Chemiewerk, von dessen Aufbau der Roman erzählt, auf dem Boden der DDR steht und eine 'sozialistische Großbaustelle' ist. Die erzählte Zeit des Romans erstreckt sich von ca. 1959 bis 1961, bis kurz vor dem Mauerbau. Die Deutschlandpolitik der SED, speziell Ulbrichts, findet hier ihren literarischen Niederschlag. Auf der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED im Mai 1959 hatte Ulbricht einen Friedensvertrag mit zwei deutschen Staaten gefordert. Am 17.4.1960 wurde der "Deutschlandplan des Volkes", ein "Offener Brief des Zentralkomitees an die Arbeiterschaft Westdeutschlands" in allen Zeitungen der DDR veröffentlicht.4 Auf diese beiden realpolitischen Ereignisse Bezug nehmend heißt es im Roman auf Transparenten und über Lautsprecher: "Wir fordern von Genf einen Friedensvertrag für Deutschland" (11) und "Von unserer Republik geht der Friede für Deutschland aus" (15). Der "Deutschlandplan des Volkes" wird im Roman den Bauleuten von Schkona (und den Lesern) in einer Rede des 1. Sekretärs der Bezirksleitung der SED erläutert (474-87): Die Wiedervereinigung des deutschen Volkes wird sich nicht auf der Grundlage vollziehen, die die Monopolherren Westdeutschlands im Auge haben. [...] Erhoben hat sich die Arbeiterklasse, und nunmehr hat das werktätige Volk be4 Vgl. Weber 1980, 76, 78.
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Bezeichnungen für Deutschland und Berlin reits auf deutschem Boden, auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik, das rote Banner ergriffen und die Offensive begonnen für den vollständigen Sieg des arbeitenden Volkes. Nicht nur in unserer Republik, [...] sondern auch für den Sieg der gesamten deutschen Arbeiterklasse, des gesamten werktätigen deutschen Volkes. (482)
Ziel der Rede des 1. Sekretärs ist es - und darin decken sich Roman und Realpolitik - die Arbeitsproduktivität in der DDR "auf einen solchen Stand zu heben, daß sie höher ist als im kapitalistischen Westdeutschland" (484), um so die westdeutsche Arbeiterschaft von der Überlegenheit des Sozialismus zu überzeugen. Es wird für ganz Deutschland gedacht, aber von der DDR als dem fortschrittlicheren deutschen Staat ausgegangen. In einem Interview im August 1959 hatte Ulbricht die Erwartung geäußert, die DDR werde die Bundesrepublik "bis 1961 einholen und überholen." 5 Der Mauerbau - auch als Konsequenz der Einsicht, dieses Ziel nicht erreichen zu können - wird von Neutsch ausgeklammert. Es soll nicht der Eindruck entstehen, bei Spur der Steine handle es sich um einen deutschlandpolitischen Roman; vielmehr werden auf den 911 Seiten viele Themen angeschnitten: komplexe industrielle Bauweise, Mehrschichtsystem, Einführung sozialistischer Brigaden, Kollektivierung der Landwirtschaft, eine Frau in leitender Position und nicht zuletzt die sozialistische Moral, die das 'Verhältnis' des Parteisekretärs mit der Ingenieurin hart ahndet. Das Thema 'Deutschland' tritt im Lauf der Handlung aber immer wieder hervor und entspricht in der Kopplung mit dem Thema 'Steigerung der Arbeitsproduktivität' auch der Politik der Jahre 1958/59-61. Das Wort Ostzone kommt im Roman nur einmal vor, ebenso drüben und der Westen. Eine Polarität Ostdeutschland-Westdeutschland wie bei Seghers gibt es bei Neutsch nicht. Beide Autoren haben - vom sozialistischen Standpunkt aus - ganz Deutschland im Blick, aber im Gegensatz zu Seghers Roman schildert Spur der Steine das Leben und Arbeiten in der DDR, ohne es ständig mit einem negativen westlichen Gegenüber zu konfrontieren.
9.3 Die beiden deutschen Staaten kurz vor dem Umsturz in der DDR - Helga Schütz' In Annas Namen Anna aus Potsdam liebt einen Arzt aus der gleichen Stadt, doch wird dieser von einer Westberlinerin mit reichem "Käsesegen" und extravaganter Kleidung bedacht, was dazu führt, daß Anna aus der DDR gegenüber der Frau aus dem Westen unterliegt. Der ganze Roman lebt von der Spannung West-Ost, ständigen Grenzübertritten und dem Vergleich von Annas Liebe zu Rolf mit 5 Weber 1980, 76.
Deutschland bei Helga Schütz
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dem Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander. 'Der Westen' ist dabei eine Metapher für 'die (unzugängliche) Welt', für 'größer, besser, schöner, glitzernder...'. Das Wort durchzieht wie eine magische Formel den ganzen Roman. Die Frau wohnt im Westen. (8) Manchmal wünschte sie sich mehr. [...] eine Reise in den Westen. (45) Ich fahre nach dem Westen. (63) Sie kommt aus dem Westen. (83) Sie hatte beschlossen, ihm was zu schenken, und zwar nichts aus der Kaufhalle [...] und auch nichts von den eigenen Hühnern und Obstbäumen [...], sondern was aus dem Westen. (108) Anna fing an herumzuhorchen, wie das war mit dem Westen. (151) Es sollte ein Geschenk für Rolf werden. Brennesselhaarwasser - besser als jedes teure und nobel verpackte Geschenk aus dem Westen. (159)
Ein Synonym für Westen ist drüben. Anna hat das Privileg, für die Filmhochschule Babelsberg in Archiven in West-Berlin zu arbeiten. Doch zum Leidwesen ihres Sohnes nutzt sie die Gelegenheit nicht, um sich "die Welt" anzusehen, sondern sucht die Villa ihrer reichen Westberliner Konkurrentin auf. War nicht rauszukriegen, wie die Welt aussah [...]. Hättste wenigstens drüben mal eine Pizza gegessen [...] (196)
Anna hat der Sehnsucht ihres Geliebten nach einer Welt, die anders ist als sein Alltag, nichts entgegenzusetzen als ihre Liebe, und das reicht nicht, um ihn für sie zu gewinnen. Annas Liebe taugte nichts, so wie die Landeswährung nichts taugte, die Liebe war löchrig, wie die Straße [...] von Ketten zerfahren war. [...] die Busse hielten die Fahrpläne nicht. Wie sollte ihre Liebe halten [...]? (220/21)
Dieser Kommentar der Erzählerin gegen Ende des Romans ist Ausdruck einer traurigen Liebe zu ihrem Land. Von dem Stolz der Romanhelden bei Anna Seghers, es besser zu machen als im 'Dritten Reich' oder im anderen deutschen Staat, ist nichts mehr übrig geblieben. Ebenso hat sich die Hoffnung bei Erik Neutsch, das 'Modell DDR' könne wegweisend für ganz Deutschland sein, als Trugschluß erwiesen. Die Stimmung im Roman In Annas Namen, auch die Ahnung, daß es so nicht weitergehen könne, gibt sehr einfühlsam die Stimmung in der DDR in der 2. Hälfte der 80er Jahre wieder, das Gefühl, das Land stehe seit Jahren still.6 Osten und Westen haben sich so weit voneinander entfernt, daß die Besuche im jeweils anderen Teil Deutschlands wie Ausflüge in eine andere Welt anmuten.
6
Aussage eines sächsischen Studentenpfarrers im Februar 1989: "Es muß sich hier bald etwas ändern, sonst kommt es zu einem Bürgerkrieg oder etwas ähnlichem."
10. Schlußbemerkungen Die Studie über den DDR-typischen Wortschatz wurde Anfang 1988, also etwa anderthalb Jahre vor dem Umsturz in der DDR, begonnen. Ziel war es, Zustand und Entwicklung der Sprache der DDR, wie sie in der 'Schönen Literatur' widergespiegelt wird, darzustellen und zu analysieren. Durch den formellen Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 wurde dieses Vorhaben unvermittelt zu einer historischen Studie, die 'Zwischenbilanz' (40 Jahre DDR!) geriet zu einer 'Endbilanz'. Die vierzigjährige getrennte Geschichte der beiden deutschen Staaten ist allerdings mit der Vereinigimg nicht automatisch überwunden, sondern wird in ihren verschiedenen politisch-ökonomischen und psychosozialen Ausprägungen noch lange nachwirken.1 Das gilt auch für die deutsche Sprache. Die Analyse der Romane und Erzählungen hat gezeigt, daß sich für die DDR ein eigener Bereich des deutschen Wortschatzes gebildet hat. Dieser Bereich sprachliches Abbild des gesellschaftlichen Systems der DDR - war gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Geschlossenheit. Die Durchsicht der 1. Gruppe des Literaturkorpus ergab die Zahl von etwa 700 DDR-typischen Lexemen bzw. Bedeutungen und Syntagmen, die durch die Prüfung der 2. Gruppe nicht wesentlich erweitert wurde. Der DDR-typische Wortschatz der deutschen Sprache ist recht umfangreich, aber überschaubar. In dieser Untersuchung fehlen einige Wörter aus dem Bereich der Alltagssprache (z.B. Broiler, Juice und DDR-typische Elemente der Jugendsprache, da sie das Aufnahmekriterium - Vorkommen in einem literarischen Werk - nicht erfüllten. Deutlich sichtbar geworden ist die Funktion, die den einzelnen DDR-typischen Lexemen in den jeweiligen Romanen und Erzählungen zugewiesen wird. In der Analyse der vorangegangenen Kapitel sind drei funktionale Aspekte des DDR-typischen Sprachgebrauchs herausgearbeitet worden: 1. Einsetzen der Wörter zum Zweck der Agitation und zur Verbreitung der (neuen) Ideologie - vor allem in der 1. Gruppe der Romane; parteitreue Romanfiguren bzw. der parteiliche Erzähler treiben den Sozialismus (sprachlich) voran.
1
Das vor allem im westdeutschen politischen Diskurs verwendete Wort Wiedervereinigung ist eine Art Euphemismus. Der Terminus suggeriert, daß BRD und DDR schon einmal vereinigt gewesen seien. Tatsächlich wurden am 3.10.90 zwei völlig verschiedene politische Gemeinwesen zu einem Staat vereinigt bzw. trat die DDR der BRD bei.
Schlußbemerkungen
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2. Einsetzen der Wörter zum Zweck der Systemkritik bzw. der Kritik an einzelnen Erscheinungsweisen von Partei und Staat; DDR-typischer Wortschatz wird in ironischer Distanz des Erzählers dargeboten. 3. Einsetzen der Wörter zur Charakterisierung bestimmter Romanfiguren und ihrer Abgrenzung von anderen dargestellten Personen. Die Nähe der Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der DDR zum Alltag in diesem Land ermöglicht einen sehr differenzierten Einblick in die Art und Weise, wie in der DDR gelebt wurde, wie Beziehungen gestaltet, Arbeit und gesellschaftliches Leben organisiert wurden, wie sich der Rückzug in den privaten Bereich vollzog. Diese Alltagserfahrungen unterschieden sich von denen in der Bundesrepublik und fanden auch ihren unterschiedlichen sprachlichen Ausdruck, der mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems nicht plötzlich verschwunden ist. Es geht weniger um die Frage, ob eine Gruppe als Team oder als Kollektiv bezeichnet werden soll, relevant sind vielmehr die "Differenzen der Realitätsdeutung"2, die zwischen "alten" und "neuen" Bundesbürgern bestehen und die Verständigung erschweren. Diese Differenzen sind die Folge der unterschiedlichen politischen Systeme, die je verschiedene Wertordnungen hervorgebracht haben. In der westlichen linguistischen Forschung zur Sprache in der BRD/DDR wurde immer wieder befürchtet, daß die deutsche Sprache in ihrer Einheit gefährdet sei.3 Die Schuldzuweisung traf in der Regel den offiziellen politischen Wortschatz der DDR, wie er sich in den Medien darstellte. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat gezeigt, daß es darauf nicht ankommt. Das spezifische SED-Vokabular (z.B. allseitig entwickelte sozialistische Persönlichkeit) und viele Benennungen für Einrichtungen der sozialistischen Gesellschaft verschwanden in den ersten Monaten nach dem Sturz des Regimes, und kaum jemand wird diesem Sprachgebrauch nachtrauern. Durch den Untergang des offiziellen politischen Wortschatzes ist aber die sprachliche Einheit der Deutschen noch lange nicht wiederhergestellt. Der Grund für die nach wie vor anhaltenden sprachlichen Differenzierungen, die wiederum ein Ausdruck der geistigen und psychischen Trennung sind, liegt darin, daß sich die beiden deutschen Staaten in ihrer vierzigjährigen Geschichte weit voneinander entfernt haben. Man wußte fast nichts voneinander. Die DDR Schloß sich weitgehend ein, und die Bundesrepublik orientierte sich fast ausschließlich nach Westen. Diese Entfremdung kommt in dem Roman von Helga Schütz, In Annas Namen, sehr deutlich zum Ausdruck (vgl. 9.3). Wenn es je eine Gefahrdung der Einheit der deutschen Sprache gab, dann hatte sie ihre Ursache nicht im Parteijargon der SED, sondern in dieser gegenseitigen Entfremdung, wobei die Kommunikationsgemeinschaft 2
Schlosser 1990, 198.
3
Zuletzt Oschlies 1989, 228 ("Spannungsfeld potentieller Gefährdungen").
218
SchluBbemerkungen
der Bundesrepublik durch ihre Unkenntnis und ihr Desinteresse am anderen deutschen Staat entscheidend zu dieser Entwicklung beitrug. Die Vereinigung zeigt bisher, daß die "Deutschen in der DDR auf allen Gebieten, so auch der Sprache, die größeren Anpassungsleistungen vollbringen müssen [,..]." 4 Daß es nicht nur DDR-typischen Wortschatz, sondern auch einen Sonderwortschatz der BRD gab, erfuhren die Bürgerinnen und Bürger Ostdeutschlands sehr massiv nach dem Beitritt der DDR, als der westdeutsche Wortschatz des Steuer- und Versicherungswesens, der Banken und vor allem des Managements buchstäblich über sie hereinbrach. Das öffentliche L-eben der neuen Bundesländer orientiert sich zur Zeit fast ausschließlich an den Sprachnormen der führenden politischen und wirtschaftlichen Kräfte der (alten) Bundesrepublik. In Westdeutschland dagegen sieht man keinen Anlaß, ostdeutsche Sprachbesonderheiten zu übernehmen oder zumindest wahrzunehmen. Dabei stellt sich durchaus die Frage, ob alle Bezeichnungen, die in der Bundesrepublik in den letzten Jahren entstanden sind, so viel treffender sind als ihre ostdeutschen Pendants, z.B. westdeutsch Auszubildende/r für ostdeutsch Lehrling. Erst ganz allmählich wird Eigenes gegenüber dem Anspruch der alten Bundesländer verteidigt, müssen sich westdeutsche Unternehmer und Verleger auf den Sprachgebrauch in Ostdeutschland einstellen.5 Einige DDR-Typika werden wohl als regionale Besonderheiten in Gebrauch bleiben, z.B. Kaufhalle für Supermarkt, Plaste für Plastik, vielleicht sogar der Broiler. Einige Redewendungen aus der Umgangssprache könnten gesamtdeutsche Gültigkeit erlangen, z.B. ich mache mir keinen Kopf, das hebt mich nicht an. Für die zukünftige linguistische Forschung auf dem Gebiet "Sprache und Gesellschaft" ergibt sich die Notwendigkeit von Analysen des Vereinigungsprozesses im Ost-West-Sprachgebrauch, wobei jetzt die Möglichkeit gemeinsamer Arbeit von Sprachwissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern aus beiden Kommunikationsbereichen besteht. Sinnvoll wäre auch eine kritische Analyse der westdeutschen Sprachbesonderheiten, eventuell verbunden mit einer Konfrontation der entsprechenden traditionellen DDR-typischen Bezeichnungen - solange sie noch greifbar sind. Was aber vor allem noch aussteht, ist eine differenzierte lexikographische Aufarbeitung DDR-typischer Lexik und Semantik. Es wird keine neue DDR-Literatur geben. Die literarischen Werke, die 1989 zur Leipziger Buchmesse erschienen, haben, ohne daß es ihren Autorinnen und Autoren bewußt war, das Zeitalter der DDR-Literatur abge4
Schlosser 1990, 199.
5
Der Verleger des Expreß in Halle teilte in einem Interview mit dem WDR (2. Hörfunkprogramm, Okt. 1991) beispielsweise mit, daß es sich seine Zeitung nicht leisten könne, eine Zwei-Zimmer-Wohnung anzubieten. Sie müsse sich an die sprachlichen Gepflogenheiten halten und eine Zwei-Raum-Wohnung offerieren.
Schlußbemerkungen
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schlossen. Die momentane wirtschaftliche und kulturelle Umbruchsituation ist offenbar keine produktive Zeit für Literatur. Die erste Autorin, die nach der Vereinigung 'ihre Sprache wiedergefunden' hat, ist Monika Maron mit ihrem Roman Stille Zeile sechs (1991 bei S. Fischer erschienen). Die Handlung spielt in der DDR Mitte der 80er Jahre. Ob oder wann und in welcher 'Sprache' andere Autoren aus der ehemaligen DDR wieder das Wort ergreifen und Erfahrungen aus der DDR oder der größer gewordenen Bundesrepublik 'verdichten', ist noch nicht abzusehen.
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12. Wortindex Verzeichnis aller DDR-typischen Belege, die aus den Romanen gewonnen wurden; die Zahl hinter den einzelnen Stichwörtern bezeichnet die Seitenzahl in dieser Studie, Kursivierungen verweisen auf das Auftreten des Stichwortes in einer Fußnote der angegebenen Seite.
Abgabekartoffeln 88 Ablieferungsgetreide 88 -kartoffeln 88 abrechnen 75, 76 Abschnittsbevollmächtigter (ABV) 32, 33, 37 Abteilungsgewerkschaftsleitung (AGL) 30, 32, 33, 35, 37, 39 AGL-Arbeit 40 -Funktionär 40, 119 -Leiter 38, 40 -Mann 40 -Wahl 40 Agitation 13, 77, 110, 114, 119, 168, 175, 181, 182 Agitationsarbeit 119, 120 -mittel 125 Agitator/in 110, 114, 131, 168, 175, 177, 181 agitatorisch 70, 129, 182 agitieren 75, 77 Agronom 10, 110, 114, 119 Agronomie 110, 119 agrotechnisch 89, 98 101, 102 Akkorddrücker 91, 92 Aktiv 55, 63, 108, 110, 111, 114, 123
Umwelt-55, 114 Aktivkonferenz -tagung 46 Aktivist/in 25, 110, 114, 119, 120, 131, 132, 135 Aktivistenbewegung 25, 92 allseitig 15, 30, 45, 70, 71, 72, 74, 217 Altbauer/-bäuerin 84, 85, 86, 87, 107 Ambulatorium 59, 106, 110, 114, 115, 116 Anbauplan 89, 98, 101 Antifa-Ausschuß 91, 97 antifaschistisch 22, 23, 142, 168, 193 Arbeiterklasse 22, 86, 105, 117, 120, 122, 125, 148, 150, 151, 200, 213, 214 Arbeiter-und-Bauern-Inspektion 33, 37, 54, 55, 81, 123, 124, 168, 175, 177 -Macht 33, 86, 102, 175, 184 -Staat 33, 36, 102, 117, 175, 208, 209 -Student 33, 93
233
Wortindex
Arbeiter-und-Bauern-Fakultät (ABF) 25, 33, 37, 39, 40, 46, 48, 49, 78, 81, 93, 99, 102, 160, 168, 204 ABF-Abiturient 46, 93 -Dozent 46, 93 -Student/in 38, 90, 93, 131, 132, 165, 181, 182, 183, 204 Arbeitseinsatzsonntag 32, 33, 89 Arbeitsproduktivität 39, 125, 165, 214 Aspirant/in 110, 114, 118, 119, 135 Aufbauhelfer 91 -leitung 91 -lied (der FDJ) 91, 92 -nadel (Abzeichen) 91 -Objekt 91 -stab 91 -stunde 91 Aufmarsch 169, 175, 178, 196, 202 Aussprache 55, 73, 187, 188, 189, 190 Autoanmeldung 55 Bandit, imperialistischer 154, 156, 157, 158, 167 Banner, rotes 169, 174, 175, 214 Banner der Arbeit (Orden) 169, 171 barmen 13 Bauer auf 5 ha 85, 86 Bauerngemeinschaft, neue 89, 107, 185 Bauernhilfe (vgl. VdgB) 37, 77, 89, 107, 123, 125, 159 Bestarbeiter 123, 124 Betriebsakademie 40 -funkredakteurin 40, 131 -gewerkschaftsleitung (BGL) 30, 32, 33, 35, 36, 37 BGL-Büro 40
-Mann 40 -Vorsitzender 40 Betriebsgruppe (der SED) 40 -klinik 40 -kollektiwertrag (BKV) 32, 37, 81
-Parteiorganisation (BPO)32, 33, 37, 40, 66 -poliklinik 56 -schule 40 -schütz 56 -vergnügen 30, 41, 56 -zeitung 41 Bewährung (in der Braunkohle, Produktion) 10, 77, 187, 189, 190 bewähren, sich 76, 77, 78, 129 Bewußtsein 65, 154, 162, 165, 186 Bezirksleitung (der SED) 44, 213 Blauhemd 169, 175, 177 Blockpolitik 169, 175, 179, 181 Boden, feudal-junkerlicher 83, 84 Bodenbewerber 83, 84 -reform 12, 22, 23, 25, 39, 40, 41, 43, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 91, 97, 132, 134, 144, 146, 199, 200 -reformdekret 83 -reformer 83 -reformverordnung 32, 33, 83 Born des Volkstums 199, 200 Boykotthetze 154, 159, 162, 163, 167 Brause 56 Brigade 11, 16, 26, 30, 38, 39, 40, 41, 54, 56, 57, 63, 65, 67, 76, 77,79, 80, 108, 110, 115, 116, 123, 125, 133, 169, 171, 172, 214
234 Brigade(n)angelegenheit 41 -arbeit 41 -egoismus 41 -feier 41, 56 -kollege 41 -leiter/in 41, 42, 131, 132 -leute 41 -raitglied 41, 181 -Verrechnung 41 -Versammlung 41 -vertrag 41 -vorstand 41 Aktivistenbrigade 41 Arbeits- 41, 90 Beton- 41 Erdarbeiter- 41 Ernte- 41 Erzbunker- 41 Feierabend- 41, 54 Feldbau- 10, 124 Flechter- 41 Frühschicht- 41 Holzfäller- 41 Instrukteur- 42 Jugend- 42, 45, 123, 126 Komplex- 42, 66, 123 Loren- 42 Maurer- 41 Montage- 41 Nieter- 41 Reparatur-41, 113 Schweißer- 41 Stamm- 41 Steinepacker-41, 132 Transport- 41 Verputzer- 42 Werk- 42 Wettbewerbs- 42, 43 Zimmerer- 42 Brigadier/in 24, 39, 40, 42, 57, 80, 105, 110, 112, 115, 117, 120,
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123, 133, 158, 169, 171, 172, 174 Feldbaubrigadier 42 Maurer- 42, 134 Schweißer- 42 Spitzen- 42 Zimmerer- 42 Broiler 11, 54, 216, 218 bürgen für 75, 77, 79 Datsche 57, 59, 63, 109, 118 DDR, unsere 208, 209 Dederon (Chemiefaser) 57, 92 Dederonbluse 57 delegieren 11, 12, 29, 77, 78, 79 demokratisch 41, 71, 72, 73, 84, 97 demokratische Umgestaltung 12, 83, 96, 97, 98, 101 demokratischer Zentralismus 82 Demokratie, sozialistische 84 Deutsche Demokratische Republik 37, 208, 209, 211, 212, 214 Deutschland 18, 208, 209, 210, 211, 213, 214 Deutschlandplan 213 Deutschlandtreffen (der FDJ) 93, 94 Diplomingenieur 127, 133 Direktive 108, 110, 115, 120 Direktiventum 50, 51 Dispatcher 90. 110, 111 dispensaire betreut werden 56 Dorfaufgebot 89, 177 dürfen, zur Fahne 75, 79, 80 Eiersammelstelle 88 Eiersoll 43, 88 Einbringung, verlustlose, der Ernte 48, 35 einreihen 29, 79, 80, 169, 175 Einzelbauer 85, 86
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Eisenhüttenkombinat 112, 113, 119 Element 156, 166 -einzelbäuerliches 48, 85, 86, 154, 157, 158, 159 -klassenfremdes 154, 157 -labiles 154, 156, 157, 159 -schwankendes 154, 159, 157 enteignen 75, 80, 83 Enteignung 83, 84 erfolgen ( + -ung) 30, 46, 47, 48 erfüllen (den Plan) 12, 43, 75, 76, 120, 122, 123, 212 Erzieherpersönlichkeit 93, 94, 99, 102, 206 exen 75, 79 Exmatrikulationsverfahren 10, 77 Fahnenappell 153, 168, 174, 179, 180, 192, 198 Fahnenweihe 175, 186, 193, 194, 195 Fahrerlaubnis 57 Feind der Republik 154, 157 Feldbaubrigade/-ier 10, 42, 123, 124 feudalistisch 155, 166 fortschrittlich (als Attribut) 12, 24, 64, 68, 86 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 37, 39, 40, 45, 48, 63, 175 FDJ-Alter 44 -Abend 44 -Arbeit 44, 125 -Arbeiter 44 -Bezirksleitung 44 -Bluse 44 -Ferienlager 44 -Gruppe 44 -Gruppenkompass 44, 63 -Heim 44 -Hemd 37, 44 -Lager 44
235 -Leiterin 44, 131 -Leitung 44 -Macker 44 -Mitglied 35,44, 131 -Nadel 44 -Schule 44 -Sekretär/in 38, 44, 135 -Stab 44, 168, 174, 176 -Versammlung 44 -Vorsitzender 44 FDJler/in 37, 38, 135 Freundschaftsrat 29,33 Freundschaftsratsvorsitzender 29, 32, 33 fröhlich (Jugendleben) 49, 73, 123, 124, 125 Führungskadergespräch 32, 35 Fünfjahrplan 108, 120, 122, 123, 212 Gegenwartskunde 93, 94 Genitivparasit 162 Genossenschaft 16, 34, 39, 40, 42, 45, 101, 105, 106 Genossenschafts-LKW 42 -bauer 42, 85 -bäuerin 42, 131, 132 -buchhalter 42 -büro 42 -feld 42 -geld 42 -getreide 42 -hochzeit 42 -kampagne 42, 168, 170, 173 -kandidat 42 -kasse 42 -kuhstall 42 -kulturraum 42 -leitung 42 -mitglied 42 -pfarrer 42 -scheune 42 -schwein 42
236 Genossenschaftsstall 42 -Vorsitzender 42 -weide 42 Getreidesammelstelle 88 Getreidesoll 88 Gewerkschaftsorganisator Großbauer 87, 84 Grundeinheit (der FDJ, SED) 168, 174, 175 Grundorganisation (der FDJ, SED) 153, 168, 174, 175 Gruppenrat (der Pioniere) Gut, volkseigenes 145 Handelsorganisation (HO) 37, 38 HO-Gaststätte 37, 59 -eigen 38 Hauptplanposition 168, 179, 180 Heldin, positive 131, 134 Hennecke-Bewegung 91, 92 ideologisch 155, 162, 169, 181 imperialistisch 154, 155, 156, 157, 158, 166, 167, 190 Instrukteur (der SED) 42, 45, 50 Intelligenz 110, 115, 117 Intelligenzler 50, 53, 155, 157, 159, 166, 167 intelligenzlerisch 52, 53, 155, 162, 163, 166 Jahresendprämie 57 Jahresplan56, 57 Jahressoll 88 Jahrviertel 119 Jarowisation 89, 98, 99, 100 Jugend- 11, 39, 42, 45, 123 -brigade 42, 45, 123 -freund/in (Anrede) 35, 45, 131, 135 -gruppe (FDJ) 45 -kultur 45, 49 -leben 11, 45, 49, 73, 123, 124, 125
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-mode (Jumo) 37, 46 -objekt 46 -verband (FDJ) 46, 65 -weihe 13, 46, 184, 188, 189, 190 -werkhof 46 Junge Gemeinde 73, 149, 160, 161, 187, 194, 195 Junge Pioniere 88 Jungpionier/in 116, 131, 135, 136 Junker 84, 85 Kabinett 58, 64, 110, 115, 117 Lesekabinett 58, 117 Kader (Sg. u. PI.) 35, 38, 39, 40, 45, 58, 108, 110, 115, 116, 123, 168, 170, 171, 172, 174, 180 Kaderabteilung 42, 54, 58, 116, 171 -akte 10, 42, 116, 171 -entwicklung 42, 172 -gespräch 32, 35, 42 -heft 42 -leiter/in 42, 129, 131, 135, 171 -leitung 43, 171 -notizen 43 Arbeiterkader 45, 116, 172 Führungs- 35, 45, 116 Klassen- 45 Reise-45, 58, 116, 168, 172 Kampfauftrag 168, 180 -bund 168, 180, 181 -entschlossenheit 168, 180, 181 -gruppe 168 -grüß 168, 174, 176 -plan 168, 170, 173 Kandidat/in (der SED) 131, 132, 135 kapitalistisch 39, 43, 67, 72, 73, 74, 125, 126, 129, 131, 145, 149, 155, 157, 161, 166, 183 Kapitulant 155, 157, 165
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Kartoffelabgabe 88 Kaufhalle 215 Klassenbewußtsein 86, 180 -bruder 158 -feind 52, 152, 154, 156, 157, 199 -kämpf 52, 164, 168, 181 -Standpunkt 159, 160 klassenfremd 53, 154, 155, 157, 162, 163, 166 Koexistenz 155, 162, 163 Kolchos 89, 98, 101, 105, 106 Kolchose 89, 98, 101, 105, 106 kollektiv (als Attribut) 50, 51, 69, 70, 102 kollektivieren 75, 80 Kollektivierung 10, 96, 214 Kollektiv 46, 54, 56, 58, 63, 64, 65, 110, 115, 116, 120, 123, 136, 171, 185, 217 -landwirtschaft 89, 98, 102 Lehrerinnenkollektiv 135, 136 Kombinat 69, 90, 108, 110, 111, 112, 113, 144 Braunkohlen- 113 Getränke- 113 Kombine 11, 34, 110, 111, 112 Konfliktkommission 78 Konsumverkaufsstelle 32, 36, 37 Konterrevolution 155, 162, 164, 166, 198 konterrevolutionär 52, 154, 155, 159, 162, 163, 164, 165, 166 Kooperative Abteilung Pflanzenproduktion (KAP) 37 Kosmopolitismus 50, 52, 155, 162, 165 kosmopolitisch 154, 155, 165, 166 Kranführerin 24, 131, 132, 133, 134 Krippe 10, 31
237 Kritik und Selbstkritik 151, 166, 181, 202, 203, 204, 217 Kulak 84, 85, 87, 98, 99, 101 Kultur 39, 40, 45, 123 -abend 45 -abteilung (der FDJ) 45 -arbeit 45 -bund 45 -bundfreund 32, 35, 45 -direktor 46 -ensemble 46 -erbe 46 -funktionär 46 -halle 46 -haus 11, 46, 58, 122, 123 -leben 46 -leitung 46 -palast 58 -räum 42, 46, 58 -saal 46, 58, 59 Landambulatorium 59, 116 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) 34, 37, 42, 64, 85, 86, 105, 107 LPG-Buchhalter/in 38 -Vorsitzender 85, 87 Lossagung 186, 187, 188 Losung 110, 115, 121, 154 Lyssenko-Methode 89, 99, 100 -Ehe (iron.) 100 Maschinen-Ausleih-Station (MAS) 32, 81, 89, 99, 101 Maschinen-Traktoren-Station (MTS) 33, 89, 99, 101, 102, 107, 172 MTS-Direktor 38, 39 Meinungsstreit 30 Meisterbauer 85, 99 Melioration 89, 99, 101, 102 meliorieren 89, 99 Messe der Meister von morgen (MMM) 37
238 Mitschurin-Garten 89, 99, 100 Monofilstrumpf 92 Muschik 85, 87, 99, 101 Nationales Aufbauwerk (NAW) 37, 91 Nationale Front 168, 174, 175, 177, 178 Neubauer, -bäuerin 85, 86, 87, 183, 195, 196, 197 Neubauernanwesen 86 -haus 86 -familie 87 -hof 87 Neulehrer 93, 94 Niethose 92, 93, 97, 98 Norm 150, 151 Normerfüllung 26 Objekt 59, 91, 110, 115, 117, 118, 173 Objektivismus 155, 162, 163 Obrigkeit 91, 103, 104, 105, 163 Offenstall (-frage) 89, 99, 100, 102, 107 Operativstab 168, 170, 173 Organ 63, 124, 159, 169, 175, 188 Ostberlin 208, 211 Ostdeutschland 208, 211, 212, 214 Ostsektor 208, 212 Ostzone 90, 208, 211, 213, 214 Partei, die 39, 40, 44, 193 Parteiabzeichen 44 -aktiv 44, 114, 123 -aktivkonferenz 44 -aktivtagung 44 -arbeit 44 -arbeiter 44 -auftrag 44 -ausschluß 44 -beauftragter 45
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-beschluß 45 -buch 45 -büro 45 -disziplin 45, 174 -engel 45, 185 -feind 45 -feindlichkeit 45, 155, 162, 166 -funktionär 45 -genossenschaft 45 -gruppe 45 -gruppenorganisator 45 -hochschule 45 -Instrukteur 45 -jugend 45 -kabinett 44 -leben 44 -lehijahr 44 -leitung 44 -leute 45 -linie 44 -loser 44 -moral 44 -organisation 44 -Organisator 45 -plenum 45 -rüge 45 -sache 45 -Schädlichkeit 45 -schule 45 -sekretär 32, 45 -Sekretariat 45 -Sitzung 45 -strafe 45 -treue 45, 155, 216 -Veranstaltung 45 -verfahren 45 -Versammlung 45 -zeitung 45 parteilich 12, 105, 197 -schädigend 74, 161 -treu 157, 161, 167 Pfingsttreffen (der FDJ) 93, 94
239
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Pionier 39, 40, 44, 110, 115, 116, 123 -einsatz 44 -familie 44 -feier 44 -freundschaft 33, 44, 123 -gebot 44 -gesetz 44 -grüß 44, 193 -haus 44 -hemd 44 -jacke 44 -kasse 44 -leiter/in 32, 44 -leitung 44 -lied 44 -tuch 44, 123, 175 -uniform 44, 169, 174, 175 -verband 44 -zirkel 44 Jungpionier/in 116, 131, 135, 136 Plan 38, 39, 40, 43,45, 110, 115, 120, 122, 123, 168, 180 Plan (über-)erfüllen 12, 75, 76, 120, 123 Planauflage 43 -disziplin 43, 179 -erfüllung 43 -kennziffer 43 -rückstand 43 -schulden 43 -summe 43 -termin 43 -Übererfüllung 43 -Veränderung 43 -Verschiebung 43 -Wirtschaft 43 Plast/e 6, 11, 30, 59, 60, 64 -schüssel 60 Poliklinik 56, 59, 116 prinzipientreu 166
Produktionsplan 76 progressiv (als Attribut) 64, 68 quer liegen 75, 79, 80, 175 Rekonstruktion 30, 60, 109, 110, 115, 117, 118 Reparaturstützpunkt 169, 171, 172 Republik, unsere 151, 208, 211, 212, 213, 214 Republikflucht 53 Republikflüchtiger 50, 53, 70, 155, 157 republikflüchtig 69, 70, 154, 155, 166 Reueerklärung 186, 188 Revisionismus 29, 52, 53, 155, 162, 163, 164, 166 Roggenvollerntekette 33, 34, 35, 36 rübermachen 76 Schädling 137, 155, 157, 161, 193, 194 Schulspeisung 13, 60 Schutzhelfer des Klassen feinds 154, 159, 199 Schwächen, ideologische 155 -, subjektive 155 SED 37 Sektierer 155, 157, 160 Sektierertum 50, 51, 155, 156, 164 sektiererisch 155, 166, 167 Selbstlauf 49, 73 Selbstverpflichtung 46 Seminargruppe 187 Sicherheit, bei der sein 60 Siebenjahrplan 90, 99, 102 Singeklub 148 Soll 12, 39, 40, 43, 88 Soll erfüllen 12, 88
240 Sollabgabe 43, 88 -ablieferung 88 -eier 43, 88 -erfiillung 43, 88 -kartoffeln 88 Sonnenbanner 168, 174, 181 Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) 90, 112 Sowjetvolk 137, 139, 141, 146, 147, 201 Sowjetzone 208, 209, 210, 211, 212 Sozialdemokratismus 50, 52, 155, 162, 163, 165 Sozialismus 151, 152, 153, 154, 216 sozialistisch (als Attribut) 30, 64, 65, 66, 67, 68, 70, 72, 73, 74, 97 Spitze, mit ... an der 122, 123, 126,113 Staatsbürgerkunde 94, 191 Staatseigentum 69, 143, 144 -grenze -macht 169, 175 -organ 169, 175 -Sicherheit 60 staatsfeindlich 155, 166 Stalin 183, 186, 194, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207 Standortbestimmung 169, 181, 182, 183 Standpunktlosigkeit 155, 162, 165 Stützpunkt 164, 172 Reparatur- 169, 171, 172 Stroh- 88, 169, 171, 172 Traktoren- 89, 169, 171 Sturmbock der Neubauern 169, 183, 195, 196 Subbotnik 90 Subjektivismus 50, 52, 53, 155, 162, 165
Wortindex
Tausenderbewegung 90 Termin, agrotechnischer 89, 98, 101 Theateranrecht 30, 61, 63 Traktorenstation 33, 89, 99, 101, 102 Traktorist/in 11, 81, 110, 111, 112, 131, 132 Trawopolnaja-System 89, 99, 100, 101, 102 übererfüllen 12, 122, 123 Übererfüllung (des Plans) 43 Übersollprodukte 88 Umsiedler/in 82, 85, 87, 91, 95, 96, 131, 132 Umsiedlerfamilie 87 -ung (Suffix) 46, 47, 48 Unterstufenlehrerin 135 Urlaubsplätze 61, 63 Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) 37, 123, 125 VdgB, Bauernhilfe 77, 89, 125 VdgB, bäuerliche Hilfe 89 verpflichten, sich 46, 48, 56, 76, 77 Versöhnler 50, 51, 53, 155, 157 Versöhnlertum 50, 51 versöhnlerisch 50, 51, 72, 74, 155, 157, 161, 162, 166 Vervielfaltigungsmaschine 32, 33 Veteran 169, 175, 178 Volk (Komposita) 11, 18, 34, 40, 137ff. Volksarmee 137, 139, 140, 141, 144 -befragung 139 -betrieb 139, 140 -bildung 73, 121, 125, 137, 139, 140, 144, 147 -buchhandel 11, 137, 143 -buchhändler 53, 139, 147, 163
Wortindex Volkschor 139, 140, 147, 148 -demokratie 139, 141, 142, 146 -eigentum 69, 62, 138, 139, 140, 143, 144 -feind 74, 139, 141, 145, 148, 149, 155, 157, 161, 165, 193, 194, 195 -kontrolle 124, 137, 139, 140, 142, 147, 148 -korrespondenz 139, 140, 144, 147 -macht 139, 141, 142 -massen 73, 137, 138, 139, 141, 142, 143 -polizei 37, 137, 139, 147, 148 -polizist 33, 139, 140, 144 -Solidarität 139, 140, 142, 143,
178 -Wirtschaft, soz. 38, 120, 139,
140 -zorn 139, 141, 145, 148, 149, 195, 197 volksdemokratisch 139, 141, 142, 146 volkseigen (attr., präd.) 12, 64, 69, 70, 137, 139, 140, 143, 144 Volkseigener Betrieb (VEB) 37 volkstümlich 12, 139, 140, 143, 145, 148 Vollerntemaschine 33, 34, 112 Vollgenossenschaftlichkeitsball 10, 33, 89 vorfristig 76, 120, 122, 123 vormilitärisch 168, 179, 180 Wandzeitung 11, 122, 123, 125 Weltfestspiele 113 werktätig (als Attribut) 13, 64, 69, 85, 86, 138, 141 Werktätiger 56, 138, 144, 145 Westberlin 209, 211, 212 Westdeutschland 43, 209, 211
241 Westen 152, 209, 211, 212, 214, 215 Westfernsehen 61 westlich dekadent 155, 166 Westsektor 209 Westzeitung 212 Wettbewerb 38, 39, 40, 43, 45, 65, 67, 75, 76, 125 Wettbewerb, sozialistischer 39, 43, 66, 108, 123, 125, 126 Wettbewerbsarbeit 43 -bedingung 43 -bezahlung 43 -brigade 42, 43 -kommission 43 -woche 43 Wohnraumlenkung 61, 63 Wohnungskommission 61 -Verwaltung 61, 62 Zellophantüte 62 Zentralismus 82 Zentralrat (der FDJ) 48 Zielstellung 15, 30. 62, 63 Zirkel 44 Zone 202, 209, 211, 212 Zweiflergeist, klassenfremder 50, 53, 155, 162, 163, 166 Zweij ahrplan 90
Sprache im Umbruch Politischer Sprachwandel im Zeichen von „Wende" und „Vereinigung" Herausgegeben von Armin Burkhardt und K. Peter Fritzsche 23,0 χ 15,5 cm. XXI, 314 Seiten. Mit 1 Abbildung. 1992. Ganzleinen. ISBN 3-11-013613-9 (Sprache, Politik, Öffentlichkeit, Band 1) Thema des Buches sind die sprach- und politikwissenschaftlichen Untersuchungen der politischen Sprache in der DDR vor und nach der „Wende". Im Kontext der deutschen Vereinigung und der ersten gesamtdeutschen Wahlen von 1990 werden u.a. folgende Aspekte behandelt: Politische Kultur in der DDR - „Macht des Wortes" „Wir sind das Volk" — Sprechchöre bei der „MontagsDemo" in Leipzig — Christa Wolfs Streit mit dem „großen Bruder" — Sprache des Umbruchs und ihre Übersetzung — Sprache der Volkskammer — Schulbücher in der DDR — „Haus Europa" — Die Deutschen und das Deutsche — Gesamtdeutsche Bundestagswahlen — Sprache der Vereinigung.
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Walter de Gruyter Berlin · New York