Siebenbürgen: Eine frühneuzeitliche Kulturlandschaft in Mittelosteuropa im Spiegel ihrer Literatur [1 ed.] 9783428551651, 9783428151653

Eine Geschichte der deutschen Literatur im alten deutschen Sprachraum des Ostens bleibt das große Desiderat einer europä

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Siebenbürgen: Eine frühneuzeitliche Kulturlandschaft in Mittelosteuropa im Spiegel ihrer Literatur [1 ed.]
 9783428551651, 9783428151653

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Literarische Landschaften Band 16

Siebenbürgen Eine frühneuzeitliche Kulturlandschaft in Mittelosteuropa im Spiegel ihrer Literatur

Herausgegeben von Klaus Garber Axel E. Walter

Duncker & Humblot · Berlin

KLAUS GARBER / AXEL E. WALTER (Hrsg.)

Siebenbürgen

Literarische Landschaften Herausgegeben im Auftrag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen von Frank-Lothar Kroll

Band 16

Siebenbürgen Eine frühneuzeitliche Kulturlandschaft in Mittelosteuropa im Spiegel ihrer Literatur

Herausgegeben von Klaus Garber Axel E. Walter

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2017 Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Kommission bei Duncker & Humblot GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1439-1201 ISBN 978-3-428-15165-3 (Print) ISBN 978-3-428-55165-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85165-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort

Zu den literatur- und kulturwissenschaftlichen Bravourstücken auf dem weiten Feld der Frühen Neuzeit gehört die forschungspolitische Rückkehr des alten deutschen Sprachraums des Ostens. Wie Städte und Regionen, Landschaften und Siedlungen haben kulturelle Ensembles ihre von Dauer wie von Wechsel bestimmten Gezeiten. Sie ziehen zuweilen ein besonderes Interesse auf sich und treten zu anderer Zeit zurück in der Wahrnehmung. Diesem in stetigem Wandel begriffenen Geschehen nachzuspüren, gehört zu den ebenso reizvollen wie delikaten Obliegenheiten der Kulturwissenschaft, spielen doch allemal diverse Faktoren hinein. Politische Prozesse und geschichtliche Bewegungen verbinden sich mit mentalen Apperzeptionen und bewusstseinsförmigen Prädispositionen. Einem dichten Geflecht geschichtlich-kultureller Vernetzungen antworten agile wertbesetzte Körperschaften der Rezeption, die Bilder generierend den Transfer über die Zeiten hinweg verbürgen. Es bedarf keines Wortes, dass der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg die maßgeblichen Faktoren jenes Umbruchs darstellen, der sich auf allen Feldern der kulturellen Überlieferung bestimmend geltend macht. Das Antlitz Europas war binnen weniger Dezennien entstellt. Vor allem im Osten fanden Prozesse statt, die einer Sistierung geschichtlich geprägter Zeit gleichkamen. Neuanfänge wurden proklamiert und inszeniert, darauf angelegt, historisch gewachsene Entitäten auszulöschen. Im Gefolge des Ersten Weltkrieges hatte die Erosion eingesetzt, im Gefolge des Zweiten wurde sie ratifiziert. Sprachregulierungen und Nomenklaturen flektierten und promovierten den gewaltsamen Eingriff. Europas Physiognomie blieb eine verwandelte und verschandelte. Umso eindrucksvoller die Behauptung der Kräfte des Beharrens und der geschichtlichen Erinnerung. Wie zum Beweis, dass die diktatorische Verfügung über Geschichte eine zum Scheitern verurteilte bleibt, erhoben sich die geschundenen Glieder und gewannen ihre historische Statur zurück. Dem imperialen Gestus antwortete eine restaurative Bewegung. Ihr und nicht der geschichtsverlorenen politisch-ideologischen Hypertrophie gehörte die Zukunft. Das Antlitz Europas trat sukzessive wieder hervor und dieses begriffen die Menschen als das ihre. Es ist ein gefährdetes, ein von destruktiven Mächten bedrohtes. Aber es ist dasjenige, welches die Züge des Bewahrens wie der

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Vorwort

Verwandlung zugleich birgt. Ihnen förderlich zur Seite zu stehen, bleibt die vornehmste Bestimmung der historischen Kulturwissenschaften. Wie wohl keine andere Disziplin ist die Literaturwissenschaft dazu angetan und zugleich dazu berufen, diesem Auftrag zu genügen. Und das in besonderer Weise aus der Optik der Deutschen und im Blick auf den Osten. Tief hinein in die Völkerschaften des Ostens Europas erstreckte sich die deutsche Literatur. Und das in lebhaftem Austausch mit den ‚einheimischen‘ Entwicklungen vor Ort. Die politischen Grenzen markierten keine kulturellen und schon gar nicht literarische Demarkationslinien. Über weite Strecken waren nationalpolitisch tingierte Beweggründe irrelevant. Entsprechend blieben nationalliterarisch angelegte Unternehmungen, wie sie das 19. Jahrhundert favorisierte, mit dem Makel behaftet, literarische Bewegungen jenseits der Nation zu marginalisieren. Nicht die Nation, sondern der Sprachraum bildet den Rahmen auch und gerade der Literatur. Eine Geschichte der deutschen Literatur im alten deutschen Sprachraum des Ostens bleibt das große Desiderat einer europäisch votierenden Literaturwissenschaft. Zu ihr leistet auch der vorliegende Band einen wie auch immer bescheidenen Beitrag. Er fügt sich einer Reihe von verwandten Bemühungen ein und bezeichnet in gewisser Weise einen – vorläufigen – Schlussstein. Schon in den 1970er Jahren und also lange vor der Wende führten Bibliotheksreisen zu wiederholten Malen nach Polen, in die Tschechoslowakei und die Sowjetunion. Die meisten von ihnen wurden gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die ein wissenschaftliches Austauschprogramm mit der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion unterhielt. Sie galten nicht ausschließlich, jedoch vorwiegend der Erkundung des Verbleibs wertvoller Altbestände aus ehemals deutschen Bibliotheken in den einschlägigen Institutionen der bereisten Länder Mittelost- und Osteuropas. Über die – teils sensationellen – Entdeckungen bzw. Wiederentdeckungen wurde der Deutschen Forschungsgemeinschaft kontinuierlich berichtet. Inzwischen liegen neben zahlreichen Abhandlungen eine Reihe von Büchern vor, in denen das über die Jahrzehnte Ermittelte dokumentiert ist. Als die Wende einsetzte, übernahm vor allem die VolkswagenStiftung den förderlichen Part. Dank überaus großzügiger Bereitstellung von Personal- und Sachmitteln war es möglich, ein Quellen- und Katalogwerk zu schaffen, das den Bedürfnissen der historischen Literatur- und Kulturwissenschaften der Frühen Neuzeit gleichermaßen entgegenkommt. Personales Gelegenheitsschrifttum zu den verschiedensten Anlässen ist forschungspolitisch das Medium der Wahl, um Autoren und Adressaten ebenso wie literarische und gelehrte Verkehrsformen zu eruieren, die in dieser Konfiguration nur über anlassbezogenes Schreiben begegnen. Mehr als zwanzig Bibliotheken und Archive in Polen, den baltischen Staaten und Russland wurden nominiert, in denen mit

Vorwort

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Unterstützung der VolkswagenStiftung entsprechende quellenkundliche Erhebungen in großem Stil durchgeführt wurden. Die ermittelten Materialien wurden vor Ort verfilmt und in Osnabrück nach einem eigens entwickelten bibliothekarisch-kulturraumkundlichen Verfahren erschlossen. Inzwischen liegen 32 Bände vor, jeweils mit ausführlichen bibliotheks-, kultur- und literaturgeschichtlichen Einleitungen und Bibliographien versehen, in denen der forscherliche Ertrag dokumentiert ist. Das Werk ist seit kurzen auch online zugänglich. Gleiches gilt für die Texte. Die vom OlmsVerlag vertriebenen Mikrofiches werden abgelöst durch Digitalisate, die ihrerseits mit dem Katalogwerk verknüpft sind. Bisher konnte knapp die Hälfte der in Institutionen des Ostens aufgetanen rund 75.000 Texte bearbeitet werden. Ein mächtiger, im Osnabrücker Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit verwahrter Fundus an Quellen harrt weiterhin der Erschließung. Das Werk ist also auf Fortsetzung hin angelegt. Ihm treten verwandte, gleichwohl anders geartete Unternehmungen zur Seite, denen auch das hier dokumentierte Vorhaben angehört. Der alte deutsche Sprachraum des Ostens sollte über kulturgeschichtliche Vorstöße sukzessive vermessen werden. Und das in Form von interdisziplinär angelegten Kongressen, auf denen Fachleute aus der Optik ihrer Disziplinen einen Beitrag zur Rekonstruktion der kulturellen Physiognomie historischer Landschaften des alten deutschen Sprachraums im Osten leisteten. Der Rahmen wurde auf zwei in Osnabrück 1986 und 1990 abgehaltenen Kongressen zu den Thema „Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit“ sowie „Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit“ abgesteckt. Ihnen folgten Kongresse zur Kulturgeschichte Ostpreußens, der baltischen Lande, des Preußens Königlich Polnischen Anteils und Pommerns. Ein paralleles Werk über Schlesien wurde über die Einwerbung von Beiträgen geschaffen. Alle erwähnten Vorhaben erschienen in der von einem der beiden Unterzeichnenden begründeten Reihe „Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur im europäischen Kontext“. Ein Desiderat blieb die kulturwissenschaftliche Erschließung des alten deutschen Sprachraums der Frühen Neuzeit im Südosten Europas. Er war zunächst nicht Gegenstand des erwähnten Projekts der VolkswagenStiftung. Um so dankbarer wurde die Gelegenheit ergriffen, im Zusammenwirken mit Tünde Katona von der Universität Szeged und Detlev Haberland vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa ein den bisherigen Kongressen analoges Unternehmen zur Kulturgeschichte Siebenbürgens und des Karpatenraumes in Angriff zu nehmen. Im Jahr 2009 wurde ein entsprechender Kongress an der Universität Szeged abgehalten. Seine Dokumentation in Gänze zerschlug sich indes. Sie hätte nicht ohne gründliche Überarbeitungen in das bewährte Profil dieser Sequenz von Tagungsbänden hineingepasst.

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Vorwort

Inzwischen ist eine erste Publikation, herausgegeben von den beiden Mitveranstaltenden der damaligen Tagung, zustande gekommen, auf die auch an dieser Stelle verwiesen sei. Ihr zur Seite tritt nun die hier vorgelegte Publikation, wie sie in Absprache mit den beiden geschätzten Kollegen entwickelt wurde. In ihr sind auf der einen Seite Beiträge enthalten, die auf dem erwähnten Kongress in Szeged vorgetragen wurden, in dem eben erwähnten Band jedoch nicht zum Abdruck gelangten. Auf der anderen Seite wurden neue Beiträge eingeworben, um dem Band die erforderliche Rundung zu verleihen. Ziel war es, die Literatur der Frühen Neuzeit in Siebenbürgen und im Karpatenraum in das Zentrum zu rücken. Zugleich aber wollte die Chance wahrgenommen werden, den historischkulturellen Rahmen dieser überaus reizvollen Region neu abzustecken, wobei der Forschungsstand inspiziert und amplifiziert und wichtige Forschungsaufgaben nominiert werden sollten. Insbesondere auf dem unerschöpflichen Gebiet des Kleinschrifttums bleibt auch für diese an ihm sehr reiche Region noch Vieles auf den Weg zu bringen, verbunden mit der Hoffnung der beiden Unterzeichnenden, eines nicht zu fernen Tages wie für andere Regionen auch diesem Sammelband mit Forschungsbeiträgen Bände des Osnabrücker Handbuchs an die Seite zu stellen. Die Herausgeber danken allen Mitwirkenden für ihre Beiträge und für ihre Geduld. Es bedurfte eines längeren Zeitraums, bevor der nun vorliegende Band jene Gestalt gewann, die den Herausgebern von Beginn an vorschwebte. Sie schätzen sich glücklich über die enge Kooperation mit Frank-Lothar Kroll, der der Publikation gerne in seiner eindrucksvollen Reihe „Literarische Landschaften“ einen Platz einräumte. Seit langer Zeit ist die Literatur- und Kulturwissenschaft, wie sie auch von den Herausgebern vornehmlich betrieben wird, dem Konzept einer regionalen Kulturraumforschung verpflichtet. Sie nach den Abwegen im Gefolge des Nationalsozialismus in Ehren zu halten, ist ihnen ein nachdrückliches Anliegen. Möge auch dieser Band seinen wie immer bescheidenen Beitrag zur Pflege eines forschungspolitischen Ansatzes leisten, der – recht verstanden – dem einen Europa, auf das sich die Hoffnungen der Menschen richten, nur zugute kommen kann. Osnabrück und Eutin im Juni 2017

Klaus Garber Axel E. Walter

Inhalt

Márta Fata „Feengarten“ an der Peripherie zweier Großmächte. Das Fürstentum Siebenbürgen im 16. und 17. Jahrhundert ....................................

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Peter Wörster Großwardein als humanistisches Zentrum vor der Reformation ............................

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Klaus Garber Konfessionelle Räume und literarischer Transfer im alten deutschen Sprachraum. Ein Brückenschlag zwischen Schlesien, der Pfalz und Ungarn anlässlich Martin Opitzens Besuch in Siebenbürgen ..........................

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Axel E. Walter Albert Szenci Molnár (1574-1634) in Heidelberg. Zu den personalen Netzwerken Molnárs in der oberrheinischen Gelehrtenrepublik ............................

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András Szabó Der Briefwechsel eines ungarischen Wandergelehrten: Albert Molnár und seine Freunde ........................................................................... 105 Hartmut Laufhütte Der Teutsche Epaminondas – das Gefecht an der Mur am 29. Mai/9. Juni 1664 in der Darstellung Sigmund von Birkens und in öffentlichen Medien der Zeit ................................................. ...................... 119 Hartmut Laufhütte Ein falsch plaziertes Ehrengedicht. Sigmund von Birken und Johann Trösters Siebenbürgen-Buch ................................................ ...................... 133 Boris Dunsch Ars est incentrix artis et ingenii: Valentin Francks Hecatombe Sententiarum Ovidianarum (1679) ......................................................................... 149

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Inhalt

Axel E. Walter Reisebeschreibung und Landeskunde aus der Perspektive eines Diplomaten des 16. Jahrhunderts, übersetzt für den Leser des 19. Jahrhunderts. Georg von Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen in der Taschen-Bibliothek der wichtigsten und interessantesten Reisen von Heinrich Joachim Jäck .............................................. 173 Die Autorinnen und Autoren des Bandes ................................................................... 211

„Feengarten“ an der Peripherie zweier Großmächte Das Fürstentum Siebenbürgen im 16. und 17. Jahrhundert Von Márta Fata

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts publizierte der ungarische Schriftsteller Zsigmond Móricz eine Trilogie über Siebenbürgens Geschichte und griff damit das goldene Zeitalter des Fürstentums im 17. Jahrhundert auf. Die Wahl des Sujets war keineswegs zufällig. Das seit 1868 mit dem Königreich Ungarn wiedervereinigte Großfürstentum Siebenbürgen wurde von den alliierten Siegermächten im Friedensvertrag von Trianon 1920 Rumänien zugesprochen, was die ungarische politische und Bildungselite besonders schmerzte: Für sie war Siebenbürgen mit den Worten von Móricz jahrhundertelang ein „Feengarten“ der gesamtungarischen Kultur gewesen. 1 Eine kulturelle Reminiszenz an das frühneuzeitliche Siebenbürgen gibt es auch in der europäischen historischen Erinnerung, in der das Fürstentum als eine glückselige Insel des Friedens und der Toleranz inmitten der Kriege und der religiösen Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts gilt. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob und warum dieses Gebiet eine derartige Stellung im politischen Geschehen und in der Kultur des Donau- und Karpatenraums einnehmen konnte. I. Schon im Mittelalter hatten die Völker Siebenbürgens an der östlichen Peripherie des Stephansreichs die militärische Aufgabe, das ungarische Reich vor den Angriffen der Tataren und Wandervölker aus dem Osten zu beschützen. Nach der Niederlage Ungarns auf dem Mohácser Schlachtfeld 1526 wurde die Schutzfunktion des östlichen Gebietes vor allem aus politischen Gründen aufgewertet. Verfügte Siebenbürgen bereits vor der osmanischen Eroberung über eine verwaltungsmäßige Sonderstellung innerhalb des Königreichs Ungarn, so wurde es nach 1526 zu einem eigenständigen Staatsgebilde ausgebaut. ___________ 1 So der Haupttitel des ersten Teils der Trilogie. Vgl. dazu in deutscher Übersetzung: Zsigmond Móricz, Siebenbürgen. Historische Romantrilogie, Berlin 1936 (der ungarische Titel Tündérkert wurde in den deutschen Ausgaben stets mit „Zaubergarten“ übersetzt, was nicht korrekt ist).

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Die Grundlage dafür lieferte die doppelte Königswahl 1526/27, als die ungarischen Stände nach dem siebenbürgischen Woiwoden Johann Szapolyai auch den Habsburger Ferdinand I. zum König von Ungarn wählten. Nachdem jedoch keiner der beiden Kontrahenten in der Lage war, das gesamte Gebiet des Stephansreichs zu kontrollieren, wurde 1538 vertraglich vereinbart, das Königreich Ungarn bis zum Ableben des kinderlosen Szapolyai in ein westliches und in ein östliches Gebiet zu teilen. Nach Szapolyais Tod sollte Siebenbürgen in den Besitz der Habsburger übergehen, um so die Einheit des Königreichs wieder herzustellen. Nachdem Szapolyai jedoch 1540 ein Sohn geboren wurde, brach er den Vertrag. Ein neuer Status quo wurde erreicht, als der Sohn Johann Sigismund 1570 auf seinen Titel als gewählter König von Ungarn zugunsten Maximilians I. verzichtete, der im Gegenzug Szapolyais Herrschaft über Siebenbürgen und das daran anschließende Partium anerkannte. Neben den Habsburgern mussten sich die siebenbürgischen Herrscher auch mit den Osmanen arrangieren. Johann Szapolyai nahm 1528, sein Sohn 1566 den osmanischen Protektoratenstatus an, um auf diese Weise eine Eingliederung Siebenbürgens in das Osmanische Reich abzuwenden. Die Hohe Pforte bestätigte die vom siebenbürgischen Landtag gewählten Fürsten, kontrollierte die Außenpolitik des Fürstentums und verpflichtete es 1541 zur jährlichen Tributzahlung; sie räumte ihm jedoch eine weitgehende innere Autonomie ein. Aufgrund dieser Bewegungsfreiheit konnte Siebenbürgen an der Peripherie zwischen zwei Großmächten zum Palladium der ungarischen Staatlichkeit werden, denn die siebenbürgischen Fürsten haben sich stets als Behüter und Bewahrer des ungarischen Königreichs betrachtet und das Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit und Souveränität des seit den 1540er-Jahren verwaltungsmäßig dreigeteilten Ungarn nie aus den Augen verloren. Fürst Stephan Bocskai beschrieb die Vordringlichkeit dieser Aufgabe in seinem politischen Testament von 1606 folgendermaßen: Solange sich die ungarische Krone im Besitz der stärkeren Deutschen [d.h. Habsburger] befindet und das Schicksal des ungarischen Königreichs von den Deutschen abhängt, wird es nötig und nützlich sein, das ungarische Fürstentum in Siebenbürgen aufrechtzuerhalten, weil es auch für dieses [das ungarische Königreich] nützlich sein wird. […] Für den Fall, dass Gott einmal ermöglicht, dass die ungarische Krone in Ungarn in ungarische Hände eines gekrönten Königs kommen wird, mahnen wir die Siebenbürger, sich von Ungarn nicht loszulösen und nichts dagegen zu unternehmen, vielmehr nach Fähigkeit zu helfen und sich 2 der Krone nach alter Weise zu unterwerfen.

___________ 2 Bocskay István magyar- és erdélyországi fejedelemnek testamentomi rendelése, in: Márton Tarnóc (Hrsg.), Magyar gondolkodók. 17. század, Budapest 1979, S. 14.

„Feengarten“ an der Peripherie

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In Anbetracht ihrer staatspolitischen Ziele und der geopolitischen Lage verfolgten die Fürsten eine viel diplomatisches Geschick erfordernde, zwischen den Habsburgern und den Osmanen lavierende Politik und suchten nach Rückhalt auf der internationalen politischen Bühne. Nicht zuletzt aus diesem Grund bestieg 1576 Fürst Stephan Báthori den polnischen Thron oder kämpfte Stephan Bocskai 1604/05 an der Spitze des ständischen Aufstandes gegen die Habsburger im königlichen Ungarn und ließ 1606 neben den Rechten der ungarischen Stände zugleich Siebenbürgens Selbständigkeit durch die Habsburger bekräftigen. Auch Gabriel Bethlen und Georg I. Rákóczi verfolgten die traditionelle Politik, als sie sich auf protestantischer Seite am Dreißigjährigen Krieg beteiligten und hierdurch erreichten, dass die Selbständigkeit des Fürstentums im Frieden von Nikolsburg 1621 anerkannt und im Westfälischen Frieden 1648 verbindlich bestätigt wurde. Infolge der Bemühungen der Fürsten gehörte Siebenbürgen schon seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zu den bedeutenderen europäischen Staaten. Im „Großen Plan“ des Herzogs von Sully beispielsweise, Minister des französischen Königs Heinrich IV., befand sich das Fürstentum unter jenen 15 wichtigsten Staaten, die zu einer europäischen Föderation gegen die Osmanen zusammengeschlossen werden sollten. Doch 1657/58 scheiterte die fürstliche Politik, als Georg II. Rákóczi – ganz im Sinne der siebenbürgischen Traditionen – einen Feldzug um den polnischen Thron führte, allerdings ohne osmanische Genehmigung. Die Folgen waren verheerend: Die Bewegungsfreiheit des Fürstentums wurde durch die Hohe Pforte eingeschränkt und das Gebiet des Fürstentums von den Krimtataren verwüstet, währenddessen der fürstliche Hof und eine Vielzahl von Städten und Dörfern zugrunde gingen – ein Zustand, den das Land lange Zeit nicht überwinden konnte. Fürst Michael I. Apafi konnte erst in den 1660er-Jahren die brisante Lage durch rege Handelsbeziehungen zu England und den Niederlanden sowie die weitere Öffnung des Fürstentums für Einwanderer aus ganz Europa mühsam konsolidieren. Mit der gleichzeitig beginnenden Krise des Osmanischen Reiches veränderte sich allmählich auch das militärische Kräfteverhältnis im Donau- und Karpatenraum zugunsten der Habsburger, wodurch die siebenbürgische ‚Schaukel-Politik‘ immer mehr an Durchschlagskraft verlor. Nach der Vertreibung der Osmanen aus dem Königreich Ungarn wurde in der Fogaraser Erklärung von 1688 das osmanische Protektorat Siebenbürgens aufgekündigt, und das Gebiet kehrte zum Königreich Ungarn zurück. Es wurde jedoch – anders als das Partium – nicht wieder von Ungarn aus, sondern im Sinne der habsburgischen Politik divide et impera als Separatum der Stephanskrone unmittelbar von der Wiener Regierung verwaltet.

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II. Das im 16. Jahrhundert etablierte Fürstentum Siebenbürgen war ein Ständestaat, dessen Herausbildung auf dem 1437 in der Union von Kápolna besiegelten Bündnis (Unio trium nationum) der drei siebenbürgischen nationes (Landstände) basierte. Der siebenbürgisch-ungarische Adel, die Szekler und die Siebenbürger Sachsen schworen der ungarischen Krone die Treue und verpflichteten sich zur gegenseitigen Hilfe gegen die aufständischen Bauern und die osmanische Bedrohung. Das Bündnis wurde angesichts der osmanischen Gefahr immer wieder erneuert, ansonsten agierten die Landstände aber ohne ein gemeinsames staatliches Ziel stets im eigenen Gruppeninteresse. Der an Grundbesitz eher arme Adel in den siebenbürgischen Komitaten, die zur Landesverteidigung entlang der östlichen Grenzen angesiedelten ungarischsprachigen Szekler und die zur Landesverteidigung und -ausbau eingeladenen Deutschen aus dem Rheingebiet genossen in ihren Stühlen eine privilegierte Rechtsstellung, die auf ihrer territorialen Autonomie mit eigener Verwaltung und Rechtsprechung beruhte. In einer Zeit politisch starker und kluger Fürsten konnte die Zusammenarbeit der Landstände intensiviert werden, so etwa unter Bethlen, der 1614 die Union der nationes auf dem Landtag von Medgyes als ein Bündnis zur Aufrechterhaltung des Landes bekräftigen ließ. Formal war Siebenbürgen ein Wahlfürstentum, wobei es von Zeit zu Zeit – wie auch bei Bethlens Wahl – vorkam, dass der Fürst unter äußerem (osmanischen) Druck gewählt wurde. Die Landstände ließen zwar bei der Wahl ihre conditiones, so ihr freies Wahlrecht, die Religionsfreiheit, die Bewahrung der Landesgesetze und der Adelsprivilegien sowie das Recht der freien Meinungsäußerung, durch den neuen Fürsten bekräftigen. Aber die einzige politische Kraft, die in der Lage war, die Stände zu vereinigen und die Interessen auszugleichen, war die fürstliche. Die Souveränität der Fürsten beruhte vor allem auf den eigenen militärischen Fähigkeiten, weil das zwischen zwei Großmächten eingekeilte Fürstentum in einer ständigen militärischen Bereitschaft leben musste. Zugleich war der Herrschaftsanspruch der Fürsten – wie auch anderswo im frühneuzeitlichen Europa – in der Dei gratia begründet. Zur Zeit der reformierten Fürsten im 17. Jahrhundert wurde das Gottesgnadentum in Siebenbürgen ganz im Sinne des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses ausgelegt: Jede Art von Obrigkeit ist von Gott selbst eingesetzt zu Frieden und Ruhe des menschlichen Geschlechtes, und zwar so, dass sie in der Welt die oberste Stellung innehat. […] Sie soll selbst Gottes Wort zur Hand haben und dafür sorgen, dass nichts ihm Widersprechendes gelehrt werde. Sie regiere ferner das Volk, das ihr von Gott anvertraut ist, mit guten, dem Worte Gottes entsprechenden Ge3 setzen, und halte es in Zucht, Pflicht und Gehorsam.

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Neben dem Helvetischen Glaubensbekenntnis, das Bethlen 1616 – zu jener Zeit, als seine Stellung sowohl von den Habsburgern als auch von den Osmanen bedroht wurde – ins Ungarische übersetzen ließ, hatten auch Bücher der zeitgenössischen politischen Literatur eine große Wirkung auf das Selbstverständnis der siebenbürgischen Fürsten ausgeübt: Bereits 1612 wurde der Fürstenspiegel Basilikon doron des englischen Monarchen Jakob I., in dem neben den Rechten auch die Pflichten des Herrschers betont wurden, von György Szepsi Korotz, dem früheren Schreiber von Bocskai, übersetzt. Die Übersetzung des 1529 veröffentlichten Buches Relox de príncipes des spanischen Franziskaners Antonio Guevara erfolgte 1628 im Auftrag von Georg I. Rákóczi und diente nicht nur dem Fürsten, sondern auch den gebildeten Adligen in Siebenbürgen zur Richtschnur. Ebenso waren die politischen Schriften des flämischen Philosophen Justus Lipsius von Bedeutung, vor allem mit ihren Aussagen über die Notwendigkeit der absoluten Fürstenmacht, die von Lipsius anders als bei Machiavelli im Einklang mit dem Christentum auf der Grundlage neustoischer Moral begründet wurde. Die meisten Fürsten verstanden es, den inneren Frieden durch das Einhalten der Landesgesetze zu sichern und darüber hinaus ihre Macht mithilfe der modernen merkantilistischen Wirtschaftspolitik und nicht zuletzt mittels der Bildungsförderung zu erweitern und zu festigen. János Szalárdi führte dem Leser in seiner zwischen 1662 und 1664 verfassten Chronik die vielfältigen Tätigkeitsfelder am Beispiel Gabriel Bethlens vor Augen: Der Fürst wandte sich gleich [nach seiner Wahl] zur Befriedung des Landes, Bekräftigung seiner Gesetze und Befestigung seiner Grenzburgen und Burgen hin. Er knüpfte gute Nachbarschaft und Freundschaft zu den moldauischen und walachischen Woiwoden sowie zu Polen […]. In den Fiskalgütern ließ er zur Bewirtschaftung der Meierhöfe und Ökonomien Präfekten und sorgfältige Vorsteher anstellen, erließ Maßnahmen zur Instandhaltung der Salz-, Gold-, Silber-, Sulfat- und Kupferbergwerke und lud für deren Bewirtschaftung von Weitem und mit viel Geld Fachkräfte ein. So verstärkt, ließ er die fürstlichen Häuser und den Hof verschönern […]. Aber vor allem bemühte er sich Ehre Gottes zu verbreiten, Schulen zu bauen und darin die schönen Künste lehren und gebildete Junge mit viel Geld an niederländischen und englischen Akademien ausbilden zu lassen und in das 4 Land reformierte Lehrer und gelehrte Professoren einzuladen.

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Heinrich Bullinger, Confessio Helvetica posterior (1566), hier zit. nach http:// www.englbauer.de/theol/download/texte/helvbek_3.htm (letzter Abruf 25.11.2015). 4 Ferenc Szakály (Hrsg.), Szalárdy János siralmas magyar krónikája. Mit einer Einleitung sowie mit Notizen, Budapest 1980, S. 93f.

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III. Die Grenzen des etwa 100.000 Quadratkilometer großen Fürstentums wurden in dem zwischen Maximilian I. und Johann Sigismund 1570 in Speyer unterzeichneten Vertrag festgelegt. Danach gehörten zum Fürstentum nicht nur die siebenbürgisch-ungarischen Komitate und die Stühle der Szekler und der Siebenbürger Sachsen, die sich auf insgesamt 58.000 Quadratkilometer erstreckten, sondern auch das beinahe gleich große Partium mit mehreren an Siebenbürgen im Norden und Westen anschließenden ungarischen Komitaten. Mit seinen für die Landwirtschaft besonders geeigneten Gebieten und reichen Salzbergwerken sicherte das Partium dem Fürstentum eine bedeutende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage, brachte es doch an Steuern zweimal so viel ein wie Siebenbürgen selbst. Doch das neue Staatsgebilde litt unter Inflation und Geldmangel, was durch seine geografische Entfernung zu den wichtigen europäischen Märkten und die ständigen Militärausgaben verursacht wurde. Hinzu kam, dass der siebenbürgische Adel über keine großen und geschlossenen Landgüter verfügte, weshalb er sich von den anderen Gesellschaftsschichten nicht abheben konnte und somit für Aufstiegswillige aus dem In- und Ausland stets offen war. Diese Offenheit zeigte sich auch während der häufig auftretenden innenpolitischen Krisen, die im obersten Gremium, im fürstlichen Rat, immer wieder zum Wechsel des leitenden Personals führten. Die Fürsten ließen nicht selten ihre Gegenspieler und ihnen unliebsam gewordenen politischen Gefährten hinrichten und sie mit Vertretern des homo novus ersetzen, die sich allein durch ihre Fähigkeiten, ihr Wissen und ihre Ausbildung ausgezeichnet hatten. Auch die Bevölkerung wurde von Zeit zu Zeit von demografischen Krisen erfasst und war insgesamt durch Instabilität gekennzeichnet. Die unter dem Zepter der siebenbürgischen Fürsten lebenden Untertanen, deren Zahl im 16. Jahrhundert schätzungsweise 800.000 bis 900.000 betrug, wurden regelmäßig durch Feldzüge und Epidemien dezimiert. Die demografischen Veränderungen gingen mit einer Modifizierung der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung einher: Während die Zahl von Ungarn und Siebenbürger Sachsen in einigen Landstrichen zurückging oder sie sogar ganz verschwanden, nahm die Zahl der Rumänen seit dem 14. Jahrhundert durch permanente Einwanderung aus den beiden rumänischen Fürstentümern zu. Die Rumänen in Siebenbürgen gehörten dennoch nicht zu den privilegierten nationes. Begründet war dies in der Tatsache, dass sie fast ausschließlich von Viehzucht und Ackerbau in den Dörfern lebten, während sozial aufsteigende Rumänen schnell im ungarischen Adel aufgingen und mit ihm in allen Bereichen gleichgestellt wurden. Bei den Szeklern, die ursprünglich eine Zweischichten-Gesellschaft, bestehend aus Reitern und Fußvolk, darstellten und über den kollektiven Adelsstand

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und damit über Steuerfreiheit verfügten, führte 1562 die Abschaffung dieser Privilegien zur sozialen Ausdifferenzierung. Gegenüber dem adligen Reiterstand befanden sich die untertänigen Szeklern, von denen nicht wenige freiwillig die Leibeigenschaft auf sich nahmen, weil dies mit der Befreiung von dem finanziell belastenden Militärdienst verbunden war. Die Fürsten, die nur über ein zahlenmäßig kleines stehendes Heer verfügten, konnten jedoch auf das Kontingent der Szekler Soldaten nicht verzichten und versuchten deshalb, dem Soldatenschwund mit der Besteuerung der leibeigenen Szekler bzw. der Wiederherstellung der Szekler Privilegien entgegenzuwirken. Die fürstliche Politik führte letztendlich zu einer Umgestaltung der Szekler Gesellschaft, indem sie sich allmählich der in den Komitaten anglich. Dagegen konnten die Siebenbürger Sachsen ihren privilegierten Status wie auch ihre innere Organisation unverändert behalten, die ihnen insgesamt eine positive Entwicklung bescherte. Dies war allerdings mit einer konsequenten Absonderung in ihren autonomen Siedlungsgebieten verbunden. So erließ etwa 1613 die sächsische Nationsuniversität (Concilium Transylvania Saxonicum) die Verordnung, jene Siebenbürger Sachsen, die Adelsbesitz in den Komitaten erwarben und sich zum ungarischen Adelsstand zugehörig fühlten, zur Bekleidung städtischer Ämter nicht mehr zuzulassen. 1625 untersagte die Nationsuniversität auch den Erwerb von Häusern durch ungarische und Szekler Adlige in den sächsischen Städten, um so den fremden Einfluss auf die Sachsen einzudämmen. Trotz der Entfernung zu den europäischen Marktzentren, was die Entwicklung der Städte ungünstig beeinflusste, gab es in Siebenbürgen eine Vielzahl von privilegierten Bergwerks- und Marktstädten. Deren Bevölkerung stagnierte in ihrer Größe zwar eher und wuchs kaum über ihre Mauern hinaus: Sie pflegten jedoch intensive Handels- und kulturelle Beziehungen zum Ausland und wiesen mit ihren Schulen, Druckereien und Bibliotheken sowie einer an ausländischen Akademien ausgebildeten Bildungselite ein reges urbanes Leben auf. Eine zentrale Stellung unter den Städten nahm Kolozsvár/Klausenburg ein, das schon im 16. Jahrhundert als civitas primaria betitelt wurde. Die in Gyulafehérvár/Weißenburg residierenden Fürsten hielten sich oft in Klausenburg auf, in deren Mauern 37 Landtage abgehalten, mehrere Fürsten gewählt und Triumphzüge siegreicher Feldherren gefeiert wurden. Auch für die siebenbürgische Reformation und Kultur spielte die von Deutschen und Ungarn bewohnte Stadt eine besondere Rolle, indem Theologen, Stadtobrigkeit und Gläubige die reformatorische Bewegung von den lutherischen Lehren bis hin zur radikalen Richtung des Antitrinitarismus in einer schnellen Abfolge mittrugen.

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IV. Die siebenbürgische Ständestruktur, in welcher der Hohe Klerus als Prälatenstand nicht vertreten war, schuf eine günstige Ausgangslage für die schnelle Verbreitung und friedliche Etablierung der Reformation im Land. Den Grundstein für das Nebeneinander der Glaubensrichtungen legte die im Namen der unmündigen Fürsten regierende katholische Isabella Szapolyai, als sie 1545 die lutherische Reformation der Siebenbürger Sachsen zunächst in den Städten anerkannte, 1550 den Landtagsbeschluss über die allgemeine freie Religionsausübung für Katholiken und Lutheraner akzeptierte und dies 1557 schließlich mit ihrer Unterschrift bekräftigte. Sie tat dies mit der Erklärung, dass es ihre königliche Pflicht sei, jede Religion zu beschützen, wobei sie die Religionsfrage ganz dem Landtag überließ. Ebenso verhielt sich Johann Sigismund, der – katholisch erzogen – in nur acht Jahren zunächst Anhänger der Lehren von Luther, dann von Calvin und schließlich der Antitrinitarier wurde. Die Reformation in Siebenbürgen erwies sich als äußerst innovationsfreudig. So verbreitete sich die lutherische Reformation in den 1540er-Jahren zunächst unter den Siebenbürger Sachsen, dann auch unter den Ungarn. Doch schon in den 1550er-Jahren fasste bei den Ungarn die aus Debrecen im Partium übergreifende helvetische Richtung Fuß. In den 1560er-Jahren entfalteten sich dann die antitrinitarischen Lehren in Klausenburg sowie unter den Szeklern in Torda/Torenburg und im Stuhl Udvarhely. In den 1570er-Jahren tauchte schließlich auch die Bewegung der Sabbatianer auf. Der katholische Glaube beschränkte sich dagegen auf einzelne Gebiete der Szekler und auf wenige, allerdings bedeutende Adelsfamilien wie die Báthoris. Die Landtage sicherten grundsätzlich die Bekenntnisfreiheit der Untertanen bei gegenseitiger Achtung der Konfessionen zu, wobei sie den jeweiligen aktuellen Stand der Konfessionalisierung festhielten und ein Neuerungsverbot im Interesse des zu bewahrenden Landfriedens aussprachen. So beschloss 1545 der Landtag, dass ein weiteres Ausbreiten der lutherischen Lehre im Land zu verhindern sei. Als sich jedoch die lutherische Reformation auch unter den Ungarn ausdehnte, wurde 1550 die Religionsfreiheit sowohl für die Katholiken als auch die Lutheraner bestätigt. Durch die Wiederbesetzung des siebenbürgischen Bistums zur Zeit des habsburgischen Provisoriums in Siebenbürgen zwischen 1551 und 1556 geriet das erreichte Gleichgewicht allerdings in Gefahr, weshalb die Forderung nach dem in den Landesgesetzen verankerten Schutz der Konfessionen laut wurde. Aus diesem Grund wurde 1556 auch die 1542 begonnene Säkularisation der katholischen Kirche vollendet. Kirchenbesitz und Kirchenzehnt kamen dem staatlichen Fiskus und den protestantischen Einrichtungen, darunter den Schulen, zugute. 1557 erhob schließlich der Landtag die Religionsfreiheit zum Gesetz. Es bezog sich noch immer auf Katholiken und Lutheraner, aber anders als der Landtagsbeschluss von 1545, der mehr die Interessen

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der Katholiken vertreten hatte, bedeutete der Beschluss von 1557 den Sieg der Lutheraner. Der Landtag von 1558 sprach sich gegen eine weitere konfessionelle Aufsplitterung durch die erstarkende Gruppe der Reformierten aus. Doch nachdem diese ihre Interessen mit genügend Nachdruck vertreten konnten, gewährte der Landtag von 1564 jeder königlichen Freistadt, jedem Marktflecken und jedem Dorf mit der Begründung pro quiete regnicolarum die freie Religionswahl, was die Anerkennung der Reformierten bedeutete. Nach dem anschließenden Auftreten der Antitrinitarier zeichnete sich die Notwendigkeit ab, selbst das Prinzip der freien Religionsausübung rechtlich abzusichern, zumal das zwischen den beiden Großmächten eingekeilte Fürstentum es sich nicht leisten konnte, wegen innerer religiöser Gegensätze seinen äußeren Feinden ausgeliefert zu sein. Auf dem Landtag von 1568 wurde deshalb die freie Religionsausübung für die vom Landtag akzeptierten vier Konfessionen im Sinne der religiösen Gewissensfreiheit verabschiedet. Dabei ging es dem Fürsten Johann Sigismund und den Landständen neben der politischen Notwendigkeit auch um die Freiheit der Verkündigung des wahren Evangeliums im Sinne von Luthers Programm fides ex auditu und der biblischen Argumentation der Basler Humanisten wie Erasmus von Rotterdam und Sebastian Castellio mit der Erklärung: „Die Religion ist ein Geschenk Gottes und diese entstehe durch das Hören des Wortes Gottes“. 5 Jede Gemeinde erhielt die freie Pfarrerwahl zugesprochen, wobei die Prediger und Pfarrer von der dogmatischen Aufsicht ihrer Superintendenten und Bischöfe befreit wurden. Hiermit sollte ein protestantisches Fürstentum durch die permanente Verkündigung des Evangeliums errichtet werden. Weil zudem das Interesse des Fürstentums mit dem des evangelischen Glaubens übereinstimmte, wurde das Ausmerzen der Ketzerei, sprich des Katholizismus, zum politischen Ziel erhoben. Deshalb wurden die katholischen Pfarrer schon 1566 vom Landtag des Landes verwiesen – zumindest auf dem Papier –, und die freie Religionsausübung für die Katholiken musste in der Praxis bis 1581 ungültig bleiben. 1566 wurde der Reformationszwang auch auf die orthodoxen Rumänen ausgeweitet, was jedoch in der Praxis trotz aller Versuche ebenfalls nicht umgesetzt werden konnte. Das Gesetz über die Religionsfreiheit von 1568 war trotz aller Bevorzugung der Protestanten einzigartig und beispielhaft in dem von konfessionellen Kriegen beherrschten Europa. Mit dem katholischen Fürsten Stephan Báthori kam ein Realpolitiker auf den siebenbürgischen Thron, der die Prinzipien des Landtagsbeschlusses von 1568 nie in Frage stellte, aber zusammen mit seinem Bruder und Stellvertreter Christoph wesentlich stärker als seine Vorgänger in das Leben der Konfessionen ein___________ 5 Sándor Szilágyi (Hrsg.), Monumenta Comitialia Regni Transylvaniae. Erdélyi országgyűlési emlékek (1556-1576). Bd. 2, Budapest 1876, S. 343.

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griff. Besonders bedacht war er darauf, einerseits weitere Neuerungen der Reformation zu verhindern, andererseits den Katholiken Rechte zuzusichern, darunter die freie Pfarrerwahl und die Selbstorganisation in den mehrheitlich von Katholiken bewohnten Orten. Der Fürst verschaffte damit dem Prinzip der freien Religionsausübung volle Geltung, was die Protestanten wenigstens bis 1606 akzeptieren konnten. Einen Höhepunkt erlebte das Prinzip der Religionsfreiheit und die Art und Weise, wie es in die Tat umgesetzt wurde, dann wieder zur Zeit Gabriel Bethlens. Der reformierte Fürst förderte nicht nur die eigene Konfessionsgemeinschaft, etwa durch die Erhebung der reformierten Prediger in den kollektiven Adelsstand im Jahre 1629. Er regelte auch die Stellung der rumänischorthodoxen Popen durch Besoldung, förderte die katholische Bibelübersetzung, nahm zwischen 1621 und 1623 aus Mähren geflüchtete Anabaptisten auf, denen er die freie Religionsausübung zusicherte, genehmigte 1623 die Ansiedlung und ungestörte Religionsausübung der Juden und tolerierte die sonst verfolgten Sabbatarier im Land. V. Mit der Annahme der Reformation gelangten die Schulen in den Besitz der einzelnen Konfessionsgemeinschaften, die bestrebt waren, sowohl die Grundschulbildung zu erweitern als auch die Ausbildung der eigenen konfessionellen Elite voranzutreiben. Forciert wurde die Bildungspolitik zudem von den Fürsten, die beim Ausbau einer effektiven Bürokratie auf gut ausgebildete Kräfte in der Verwaltung, Rechtsprechung und Diplomatie angewiesen waren. Im Donau- und Karpatenraum, wo – bis zur Gründung der Jesuitenuniversität in Nagyszombat/Tyrnau 1635 – keine Universität dauerhaft etabliert werden konnte, entfaltete sich im Reformationsjahrhundert ein Schultyp, der neben der Grund- und Mittelschulausbildung auch die Grundlagen der höheren philosophischen und theologischen Ausbildung beinhaltete. Diese reformierten Kollegien, lutherischen Lyzeen oder katholischen Akademien orientierten sich in ihren Methoden und Lehrinhalten an ausländischen Vorbildern. Für die Protestanten dienten vor allem die Methoden von Melanchthon, Trotzendorf und Sturm als Leitbilder, die von den aus dem Ausland heimkehrenden Studenten, die im 16. Jahrhundert in der Regel an Universitäten im deutsch-römischen Reich studierten, in die Praxis umgesetzt wurden. Bei den Siebenbürger Sachsen, deren Autonomieorganisation, die Nationsuniversität, 1545 die einheitliche Annahme der Lehre Luthers beschloss, hatte der Reformator Johannes Honterus die Stadtpfarrschule von Kronstadt bereits 1543 reformiert. Dieses erste protestantische Gymnasium Siebenbürgens konnte sich im weiteren Verlauf dennoch nicht zum Lyzeum entwickeln.

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Die bedeutendste Schule der Siebenbürger Sachsen entstand in Hermannstadt. Sie wurde ab 1578 zur Schule des sächsischen Landstandes ausgebaut, bevor dort 1598 unter der Leitung von Leonhard Hermann, der in Frankfurt an der Oder studiert hatte, mit dem Unterricht in Philosophie und Theologie begonnen wurde. Die wichtigste Schule der Antitrinitarier war seit 1568 das Kollegium von Klausenburg mit mehreren Partikularschulen im Fürstentum und sogar im osmanisch besetzten Ungarn. Im Kollegium wirkten besonders zahlreiche Naturwissenschaftler und Ärzte, nachdem die antitrinitarischen Studenten während ihrer Peregrination nicht die Theologischen, sondern mit Vorliebe die Medizinischen Fakultäten vor allem in Padua, später auch in Leiden wählten. Die Zahl der reformierten Schulen und Kollegien, von denen die berühmtesten in Klausenburg, Weißenburg, Nagyenyed/Straßburg am Mieresch und Várad/Wardein (sowie in Debrecen und Sárospatak im Partium) ansässig waren, wuchs im 17. Jahrhundert an, als die Fürsten eine großzügige Bildungspolitik betrieben. Infolge dessen vervielfachte sich nicht nur die Zahl der Schüler und Studenten, sondern auch der Anteil der Leibeigenen unter ihnen. In Siebenbürgen garantierten nämlich ein altes Gewohnheitsrecht und ab 1624 auch ein von Bethlen sanktioniertes Landtagsgesetz den freien Zugang zur Bildung für Kinder aus allen sozialen Schichten. Damit wurde das Lernen ein wichtiger Weg des sozialen Aufstiegs. Das Recht auf Lernen wurde von den Fürsten immer wieder bekräftigt, so auch von Michael I. Apafi, der das Gesetz 1669 mit dem Recht auf die freie Studentenwanderung erweiterte. Danach hatte ein jeder Student das Recht auf einen salvus conductus zum Auslandstudium – wenn ihm dieser nicht erteilt wurde, durfte er auch ohne Geleitbrief die Peregrination beginnen. Einen Höhepunkt erlangte die siebenbürgische Schul- und Bildungspolitik zur Regierungszeit Bethlens. Der Fürst wollte nicht nur die untere Schulbildung erweitern, sondern auch die Hochschulbildung etablieren. Damit folgte er dem Beispiel des katholischen Fürsten Báthori, der das von ihm 1579 gegründete Jesuitengymnasium in Klausenburg 1581 zu einer Zwei-Fakultäten-Universität erhob, die allerdings nach der zweiten Vertreibung der Jesuiten aus dem Land 1606 geschlossen wurde. Bethlen gründete 1620 ein Kollegium in Weißenburg, das im Sinne des Landtagsbeschlusses von 1622 zum Academicum Collegium seu Gymnasium Illustre, also zu einer Hohen Schule, ausgebaut werden sollte. Die zur Gründung und zum Betrieb der Bildungsanstalt notwendigen Mittel sicherte der Fürst, der neben großzügigen Benefizien auch ein Stipendium für 40 Studenten stiftete und Professoren aus dem Ausland einlud. Der erste Leiter der Akademie wurde 1622 der schlesische Dichter und Philologe Martin Opitz, der Siebenbürgen jedoch bald wieder verließ. 1629 trafen Philipp Ludwig Piscator aus Heidelberg sowie Johann Heinrich Bisterfeld und Johann Heinrich Alstedt aus Herborn ein. Die beiden letzten Professoren wirkten bis zu ihrem Lebensende an der Akademie, wo mit ihrer Hilfe die Theologische Fakultät

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ausgebaut werden konnte. Dass die Akademie nicht zu einer vollen Universität werden konnte, war nicht zuletzt Georg I. Rákóczi zuzuschreiben, der sich im Gegensatz zu Bethlen nicht die Förderung der Hohen Schule, sondern die der reformierten Kollegien zum Ziel setzte. Als dann 1658 die Krimtataren im Auftrag des Sultans große Gebiete Siebenbürgens verwüsteten, brannten sie auch die Akademie ab, und die Lehranstalt wurde 1658 nach Straßburg am Mieresch verlegt, wo sie als Kollegium weiterwirkte. Durch das Fehlen einer Universität waren die siebenbürgischen Studenten gezwungen, ihr Studium im Ausland zu absolvieren. Zwischen 1521 und 1700 besuchten nachweislich 2.851 Studenten über 60 Universitäten und Hohe Schulen im Ausland. Während im 16. Jahrhundert noch das Theologiestudium an der Universität Wittenberg bevorzugt wurde, gab es im 17. Jahrhundert signifikante Veränderungen bei der Richtung der Studentenwanderung. So besuchten lutherisch-sächsische Studenten neben Wittenberg auch Jena, Leipzig oder Tübingen, während ungarisch-reformierte Studenten bis zum Dreißigjährigen Krieg Altdorf und Heidelberg, danach hauptsächlich Universitäten in England und den Niederlanden wählten. Katholische Studenten studierten an italienischen Universitäten oder in Graz und Ingolstadt. Trotz Rückschlägen konnte die fürstliche Schul- und Bildungspolitik schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf große Erfolge zurückblicken, als sich eine siebenbürgische Elite europäischen Formats zu Wort meldete. Stellvertretend soll János Apáczai Csere erwähnt werden, über den sein einstiger Schüler, Siebenbürgens Kanzler Miklós Bethlen, festhielt: „Apáczai öffnete in Siebenbürgen das Tor für […] die Wissenschaften […]“. 6 Der aus einer freien Bauernfamilie stammende Apáczai studierte bei Bisterfeld in Weißenburg, dann mit dem Stipendium des reformierten Bischofs István Geleji Katona in Franeker, Leiden und Utrecht. An der neuen Universität Harderwijk war er der erste, der 1651 den Doktorgrad im Fach Theologie erlangte. 1653 folgte er einem Ruf an die Weißenburger Akademie, wo er Professor für Poetik wurde und Pläne zur Umgestaltung des Unterrichts, so durch die Aufnahme der Naturwissenschaften in das Lehrprogramm, vorlegte. Mit seinen Plänen und seinen presbyterianischpuritanischen Reformgedanken stieß er jedoch auf Widerstand beim Leiter der Akademie, Isaac Basire, Hofpfarrer des hingerichteten englischen Königs Karl I. Apáczai musste die Akademie verlassen, wurde aber mit der Leitung des Klausenburger Kollegiums beauftragt. In seiner Inaugurierungsrede forderte er nicht nur die Einführung von neuen Fächern und Lehrmethoden, sondern auch die Verbreitung des muttersprachlichen Unterrichts und die Verwendung der Muttersprache in der Wissenschaft. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran, als ___________ 6 Éva V. Windisch (Hrsg.), Bethlen Miklós művei. 2. Aufl., Budapest 2000, hier zit. nach http://mek.oszk.hu/06100/06152/html/bethlen0020001.html (letzter Abruf am 25.11.2015).

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er 1655 in Utrecht sein Hauptwerk, Magyar Encyclopaedia [Ungarische Enzyklopädie], veröffentlichte, welche auch im Unterricht verwendet wurde. Die Inspiration für das Werk hatte er von Bisterfeld und Alstedt noch in der Weißenburger Fürstenschule bezogen. Den Schwerpunkt seiner Arbeit legte er auf die Naturwissenschaften und die Vermittlung des neuen Weltbildes, indem er auf die Arbeiten von Descartes, Regius und Ramus zurückgriff. Zugleich schuf er die Grundlagen der ungarischen Wissenschaftssprache. Apáczais Wirken war auch ein Zeichen für die allmähliche Säkularisierung in der siebenbürgischen Wissenschaft und Gesellschaft, die sehr stark von der Theologisierung der Kultur und der Stärkung des geistigen Standes geprägt war. Die muttersprachliche Kultur in Siebenbürgen wurde sowohl von den Landständen als auch von den Fürsten durch finanzielle Unterstützung bei Übersetzungen und der Drucklegung von Büchern oder durch die Einführung des Ungarischen in der politischen und diplomatischen Korrespondenz gefördert, was einen wichtigen Beitrag zur Entfaltung der modernen ungarischen Sprache bedeutete. Doch die Sprach- und Kulturförderung der Fürsten war nicht einseitig, wie etwa die Gründungurkunde der Fogaraser rumänischen Schule von 1657 belegt. Die Witwe des Fürsten Georg I. Rákóczi, Zsuzsanna Lorántffy, die auf ihren Gütern zahlreiche rumänische Schulen gründete, verfügte den muttersprachlichen Unterricht zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Rumänen. Zugleich verordnete sie aber, dass die rumänische Schule neben der ungarischen stehen solle, damit die Rumänen Ungarisch, die Ungarn wiederum Rumänisch lernen könnten. VI. War nun Siebenbürgen ein ideales Staatsgebilde, ein „Feengarten“ im frühneuzeitlichen Europa? Die Siebenbürger im 17. Jahrhundert, die ihr Land selbst als Feengarten bezeichneten, beschrieben damit jenen Zustand, in dem sie sich befanden: eine Zeit der schnellen Veränderungen. Denn was sie für dauerhaft und wahrhaftig hielten, verschwand schon nach kurzer Zeit wieder. Erst die historische Erinnerung machte Siebenbürgen zu einem idealisierten Staat – allerdings nicht ganz ohne Grund, konnte sich doch das Fürstentum als ein selbständiger Staat zwischen zwei einander und auch ihm selbst feindlich gesonnenen Großmächten etablieren und mit seiner dynamischen, an Westeuropa orientierten Strategie in der Diplomatie eine anerkannte Stellung im internationalen Staatensystem des frühneuzeitlichen Europa erlangen. Seine von den Zeitgenossen gelobten, gesellschaftlich offenen und vor allem religiös toleranten Einrichtungen waren die Folge der fürstlichen Realpolitik. Die sprachliche und konfessionelle Vielfalt des Landes führte die Fürsten zu der Erkenntnis, dass die staatliche Unabhängigkeit des Fürstentums und die Fortführung der Politik des Gleichgewichts zwischen den beiden Großmächten nur mithilfe des

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Bündnisses der Landstände über jede sprachlichen, ethnischen und konfessionellen Unterschiede hinaus erreicht werden könnten. So wurde Siebenbürgen Garant der Privilegien der drei nationes mit einer gewissen Aufgeschlossenheit gegenüber den anderen, nicht ständischen Völkern im Land sowie zum Hort der konfessionellen und muttersprachlichen Kulturen. Vergleicht man Siebenbürgen unter diesen Gesichtspunkten mit den anderen europäischen Staaten in der Frühen Neuzeit, so kann festgehalten werden, dass sein Modell ein durchaus positives Beispiel für ein gelingendes Staatswesen gebildet hat. Auswahlbibliographie Fata, Márta: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500-1700, Münster 2000. Fata, Márta / Schindling, Anton (Hrsg.): Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918, Münster 2010. Harai, Dénes: Gabriel Bethlen. Prince de Transylvanie et roi élu de Hongrie (15801629), Paris 2013. König, Walter (Hrsg.): Beiträge zur siebenbürgischen Schulgeschichte, Köln 1996. Köpeczi, Béla (Hrsg.): Kurze Geschichte Siebenbürgens, Budapest 1990. Leppin, Volker / Wien, Ulrich A. (Hrsg.): Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2005. Molnár, Andrea: Fürst Stefan Bocskay als Staatsmann und Persönlichkeit im Spiegel seiner Briefe 1598-1606, München 1983. Móricz, Zsigmond: Siebenbürgen. Historische Romantrilogie, Berlin 1936. Oborni, Teréz: Between Vienna and Constantinople. Notes on the Legal Status of the Principality of Transylvania, in: Gábor Kármán / Lovro Kunčević (Hrsg.): The European Tributary States of the Ottoman Empire in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, Leiden [u.a.] 2013, S. 67-89. Oborni, Teréz: The Artful Diplomacy of István Báthory and the Survival of the Principality of Transylvania (1571), in: Arno Strohmeyer / Norbert Spannenberger (Hrsg.): Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen, Stuttgart 2013, S. 85-93. Roth, Harald (Hrsg.): Die Szekler in Siebenbürgen. Von der privilegierten Sondergemeinschaft zur ethnischen Gruppe, Köln [u.a.] 2009. Várkonyi, Ágnes R.: Europica varietas – Hungarica varietas 1526-1762. Selected studies, Budapest 2000.

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Volkmer, Gerald: Siebenbürgen zwischen Habsburgermonarchie und Osmanischem Reich. Völkerrechtliche Stellung und Völkerrechtspraxis eines ostmitteleuropäischen Fürstentums 1541-1699, München 2015. Zach, Krista: Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte, Münster 2004.

Großwardein als humanistisches Zentrum vor der Reformation Von Peter Wörster Meinem verehrten Lehrer Hans-Bernd Harder in Dankbarkeit

Einleitung Der Reichtum und die Vielfalt der Kulturgeschichte Mitteleuropas erschließt sich erst dann, wenn man sie nach ihren Zentren erforscht, d.h. wenn man den regionalen Spuren nachgeht und für die verschiedenen Länder und Landschaften, Völker und Stämme des mitteleuropäischen Kulturkreises die Erscheinungen und Zusammenhänge zu erfassen und zu deuten versucht. So lässt sich ermitteln, aus welchen Quellen der allgemeinen Kulturgeschichte immer wieder Begabungen zuwuchsen und warum dies geschah. Das gilt auch für den Raum zwischen dem Böhmerwald im Westen und den östlichen Ausläufern der lateinischen Kirche. 1 In diesem Bereich haben wir es mit den Ländern dreier Königreiche zu tun: einmal mit der Krone Polen mit dem Großfürstentum Litauen; dann mit der Krone Böhmen mit der Markgrafschaft Mähren und mit den schlesischen Herzogtümern; und dann vor allem auch mit dem Königreich Ungarn vom Neusiedlersee bis zum Kamm der Karpaten zugleich auch mit dem Königreich Kroatien. ___________ 1 Hier werden zunächst Überlegungen wiedergegeben, die für den Verf. grundsätzliche Bedeutung haben und die schon in einem früheren Beitrag zu einem ähnlichen Problem formuliert wurden: Peter Wörster, Breslau und Olmütz als humanistische Zentren vor der Reformation, in: Winfried Eberhard / Alfred A. Strnad (Hrsg.), Humanismus und Renaissance in Ostmitteleuropa vor der Reformation, Köln 1996 (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, Bd. 28), S. 215-227. – Der Aufsatz erschien in Absprache mit den Herausgebern auch in: Tünde Katona / Detlef Haberland (Hrsg.), Kultur und Literatur der Frühen Neuzeit im Donau-Karpatenraum. Transregionale Bedeutung und eigene Identität, Szeged 2014 (= Acta Germanica. Eine Schriftenreihe des Instituts für Germanistik an der József-Attila-Universität zu Fragen der Linguistik und der Literaturgeschichte, Bd. 14), S. 15-36.

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Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Bischofssitz Großwardein (Oradea / Nagyvárad / Vel’ký Varadín). Es sollen einige Beobachtungen mitgeteilt werden, die es aus Sicht des Verfassers lohnend erscheinen lassen, Großwardein als humanistisches Zentrum umfassend in den Blick zu nehmen, was an dieser Stelle nur in Umrissen geschehen kann. 2 Für diese ‚Umrisse‘ sind nicht allein Platzgründe entscheidend. Vielmehr ist es die Quellenlage selbst, die für Großwardein wie für vergleichbare Zentren im mittleren, von den Türken besonders heimgesuchten Teil des Königreichs Ungarn besonders schwierig ist. Hier sind kaum Quellen und Angaben aus der Zeit vor den Zerstörungen, im Falle Großwardeins vor allem vor denen des Jahres 1660, erhalten geblieben. Die Verluste betreffen sowohl das Archiv und die Bibliotheken des Bistums wie die des Domkapitels und die der Stadt. So kommt jenen Quellen besondere Bedeutung zu, die sich an anderen Orten erhalten und die einen Bezug auf Großwardein haben bzw. sogar dort entstanden sind und vor den Zerstörungen an andere Orte verbracht wurden. 3 Im vorliegenden Falle ist es vor allem das Regestrum, das aus der Zeit von König Andreas II. (1204-1235) stammt und das unter anderem die Namen jener Personen enthält, die die verschiedenen Ämter innerhalb des Domkapitels innehatten – Angaben, die für die Zeit des Humanismus so allerdings fehlen. 4 Eine weitere erstrangige Quelle für die Geschichte des Bistums Großwardein ist das Chartularium. Es handelt sich dabei um einen umfangreichen handschriftlichen Band, der in Großwardein Ende des 14. Jahrhunderts zusammengestellt wurde, der aber spätere ausführliche Ergänzungen bis zur Zeit Sigismund Thurzos als Bischof von Großwardein (seit 1506) enthält. Eine Nachricht über das Ende seiner Amtszeit 1512 fehlt, weshalb man wohl zu recht annehmen darf, dass der Fortsetzer 1512 nicht mehr erlebt hat. Diese Handschrift wurde von Johannes Henkel/Henckel, einem Verwandten der Thurzos, der eine Stelle im Domkapitel erhalten hatte und dessen Familie mit dieser Stadt auch sonst noch verbunden war, von Großwardein in seine Heimatstadt Leutschau (Levoča/Lőcse) in Oberungarn gebracht und damit vor den Zerstörungen der nachfolgenden Türkenzeit bewahrt. Aus Leutschau gelangte die Handschrift ___________ 2

Zu den auch für den Bischofssitz Großwardein wichtigen Beobachtungskriterien vgl. die Studie des Verf.s über Olmütz: Humanismus in Olmütz. Landesbeschreibung, Stadtlob und Geschichtsschreibung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Marburg 1994 (= Kultur- und Geistesgeschichte Ostmitteleuropa-Studien, Bd. 5). 3 Vgl. Vincze Bunyitay, A Váradi püspökség története alapitásától a jelenkorig [Die Geschichte des Bistums Großwardein von der Gründung bis zur Gegenwart]. Bd. 1, Nagyvárad 1883, S. VIIf.: Wichtig sind die Archive und Bibliotheken in Budapest, in verschiedenen Stadtarchiven wie etwa Hermannstadt, Kaschau und Leutschau, Archive adliger Familien und schließlich die Vatikanischen Archive. 4 Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 130, vor allem auch Anm. 6 und 7; vgl. auch Gyula Vajda, A Nagyváradi regestrum [Das Regestrum aus Großwardein], Budapest 1880.

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Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Bemühungen von Ignaz Batthyány, dem bedeutenden Bischof von Siebenbürgen, in seine Residenzstadt Weißenburg (Karlsburg/Gyulafehérvár/Alba Iulia). Die Handschrift enthält ausführliche Nachrichten und Abschriften älterer, später verloren gegangener Dokumente zur Geschichte des Bistums Großwardein, insbesondere zur Gründung, zu den Bischofspersönlichkeiten, zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Bistums und des Kapitels sowie zu den Verhältnissen der Domherren, auch welcher Provision sie die Stelle im Kapitel zu verdanken hatten und betreffend ihre Testamente. 5 I. Die Geschichte Großwardeins und seines Bistums Großwardein war in der Geschichte Ungarns eine der bedeutendsten Städte – war religiöses, politisches und kulturelles Zentrum seit dem 11. Jahrhundert. Es liegt im früheren Komitat Bihár, im östlichen Streifen der Großen Tiefebene, im sogenannten Partium-Land, heute auf rumänischem Territorium, nur wenige Kilometer östlich der jetzigen Grenze. Bis zum diktierten Frieden von Trianon 1920 lebten in Großwardein über 90% Ungarn, 6% Rumänen, und zusammen ca. 3% Deutsche, Slowaken und Polen. Die Deutschen waren konkret mit nur 1.400 Personen vertreten. In den 1990er Jahren machte der ungarische Bevölkerungsanteil immer noch 33% aus. Die Könige aus dem Hause der Arpaden waren der Stadt besonders verbunden. Hier ist vor allem König Ladislaus I. (László, König von 1077-1095) zu nennen, der 1192 heilig gesprochen wurde und der neben Stephan dem Heiligen der wohl wichtigste Landespatron Ungarns war. Die Geschichte des Bistums Großwardein beginnt mit König Ladislaus, der hier zwischen 1080 und 1090 eine Stadt und vor allem ein Bistum gründete, das dem ungarischen Erzbistum in Kalocsa unterstand und das er überaus reich ausstattete. Ladislaus gründete zwei Bistümer, neben Großwardein auch Agram (Zagreb); beide galten als „zwei geschwisterliche Bistümer“, die bis ins 15. Jahrhundert in engen personellen Beziehungen blieben. 6 König Ladislaus wurde 1095 hier in ‚seiner‘ ___________ 5 Vgl. Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 4, 9-21. Bunyitay bietet in Bd. 2 seiner Geschichte des Bistums Großwardein Angaben zu vielen Domherren. Vgl. Vincze Bunyitay, A Váradi Püspökség. Káptalanai s Monostorai. A püspökség alapitásától 1566-évig [Das Bistum Großwardein. Kapitel und Klöster. Das Bistum von der Gründung bis zum Jahre 1566]. Bd. 2, Nagyvárad 1883. 6 Vgl. Manfred Hellmann, Die politisch-kirchliche Grundlegung der Osthälfte Europas. Ungarn, in: Theodor Schieder (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Geschichte. Bd. 1, Stuttgart 1976, S. 897-901, hier S. 898. Vgl. Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 232. Es gilt als erwiesen, dass die Gründung des Ladislaus in Großwardein 1093 kirchenrechtlich eigentlich ‚nur‘ eine Verlegung des 1020/40 von König Stephan dem Heiligen in Olaszi gegründeten Bistums Bihar war, was immer von der einstigen Gründung Stephans dort noch übrig geblieben war; vgl. Gabriel Adriányi, in: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 4. 3. völlig neu bearb. Aufl., Freiburg im Breisgau 1995, Sp. 1065. Allgemein zur Geschichte Großwardeins und seiner Burg vgl. Jolán Balogh, Varadinum.

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Bischofsstadt Großwardein (nach der ersten Grablege in Somogyvár nahe dem Südufer des Plattensees) zum zweiten Male beigesetzt. Ihm folgten auch andere Könige (Stephan II. 1131, Andreas II. 1235, der Vater der heiligen Elisabeth, Ladislaus IV., der Kumane, 1290) und weitere Angehörige des Arpadenhauses. Grablege war Großwardein aber nicht nur für viele Arpaden: Kaiser Sigismund aus dem Hause Luxemburg, der von 1387 bis 1437 König von Ungarn war, setzte ein deutliches Zeichen in der Verehrung für Ladislaus den Heiligen und dessen Stiftung, als er bestimmte, dass er in der dortigen Kathedrale beigesetzt zu werden wünsche. 7 Die landesweite Bedeutung der Stadt kommt auch darin zum Ausdruck, dass die ungarischen Könige in Großwardein den Krönungseid zu leisten hatten. Wegen der besonderen Bedeutung von König Ladislaus I. für die Stadt und das Bistum wurde 1390 vor der Kathedrale ein Reiterstandbild des heiligen Königs errichtet, das in Anwesenheit von König und Kaiser Sigismund und seiner Frau Maria enthüllt wurde und das im damaligen Europa als einmalig galt. 8 Großwardein erwies sich als wichtiges geistliches Zentrum auch deshalb, weil viele seiner Bischöfe aus bestimmten Stellungen nach hier kamen oder von Großwardein weggingen, um wichtige höhere Ämter einzunehmen (z.B. Erzbischöfe von Gran/Esztergom zu werden). Der Bischofsstuhl in Großwardein war also gleichsam ein ‚Karrieresprungbrett‘ für die hohe geistliche Hierarchie des Königreichs. Die erste Blüte Großwardeins zerstörten die Mongolen Mitte des 13. Jahrhunderts und dann auch die Auseinandersetzungen um die Kumanen Ende des gleichen Jahrhunderts. Eine gründliche Erneuerung der landesweiten Bedeutung Großwardeins ergab sich erst in der Zeit von König Matthias Corvinus im 15. Jahrhundert, als der dortige Bischofsstuhl hintereinander mit namhaften Vertretern des Humanismus besetzt wurde. Nach der Schlacht bei Mohács 1526 und in der dann folgenden Zeit der Dreiteilung Ungarns gehörte Großwardein zur Herrschaft der Fürsten von Siebenbürgen, die hier auch häufiger residierten, wenngleich die Stadt und das schon erwähnte Partium-Land nie ‚Siebenbürgen‘ waren. Großwardein erlebte in den ___________ Várad vára [Die Burg von Großwardein]. Bd. 2, Budapest 1982 (= Művészettörténeti füzetek. Kiadványai a Magyar Tudományos Akadémia Művészettörténeti Kutató Csoportjának, Bd. 13/2), S. 22-66, mit der Wiedergabe zahlreicher mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Quellen im Originaltext. 7 Vgl. Jörg K. Hoensch, Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit 1368-1437, München 1996, S. 461f.; Terézia Kerny, Begräbnis und Begräbnisstätte von König Sigismund, in: Imre Takács (Hrsg.), Sigismundus. Rex et Imperator. Kunst und Kultur zur Zeit Sigismunds von Luxemburg 1387-1437. Ausstellungskatalog Szépművészeti Múzeum, Budapest 2006, S.475-479. 8 Vgl. Csaba Csorba / János Estók / Konrád Salamon, Die illustrierte Geschichte Ungarns, Budapest 1999, S. 28; die beiden Künstler Martin und Georg stammten aus Klausenburg. Sie schufen auch das Reiterstandbild des heiligen Georg von 1373 im dritten Innenhof der Prager Burg, vgl. Emanuel Poche, Prag. Kunstdenkmäler der Tschechoslowakei, hrsg. von Reinhardt Hootz, Darmstadt 1978, S. 266.

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folgenden 100 Jahren in den Auseinandersetzungen mit den Türken eine äußerst bewegte, teilweise auch tragische Geschichte mit Belagerungen, Zerstörungen (z.B. wurde auch die Kathedrale fast ganz zerstört, so dass sie später an einem anderem Ort in der Stadt neu errichtet werden musste) und Eroberungen. Diese Epoche endete 1692, als kaiserliche Truppen Großwardein belagerten und die Türken für immer aus der Stadt vertrieben. Es begann ein Wiederaufbau, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts, vor allem in der Zeit unter Maria Theresia, zu einem sichtbaren Erfolg führte. II. Humanistische Gesichtspunkte 1. „Koloman, der Bücherfreund“ Es war für die Humanisten des 15. Jahrhunderts von besonderer symbolischer Bedeutung, dass als erster Bischof von Großwardein eine Persönlichkeit erscheint, die den Beinamen „Bücherfreund“ trägt: „Koloman, der Bücherfreund“ oder ungarisch: „könyves Kálmán“. 9 Interessanterweise ist sein Beiname in der bekannten lateinisch geschriebenen Chronik des Königreichs Ungarn von Johannes Thuróczy (gest. 1489?) in ungarischer Sprache überliefert: „Kewnwes Kalman vocabatur“. Er war der älteste Neffe des kinderlosen Königs Ladislaus I., des Gründers des Bistums Großwardein. Ladislaus’ ganze Liebe und Sorge galt diesem Bistum, 10 so dass er Koloman zum Priesteramt bestimmte und bei Gründung des Bistums Großwardein zu dessen erstem Bischof machte. Koloman war körperlich behindert und kam nach dem Wunsch seines Onkels für die Thronfolge zunächst nicht in Betracht. Der König änderte seine Meinung kurz vor seinem Tod, so dass Koloman doch als König nachfolgen sollte. Mittels eines Vatikanischen Dispenses wurde er aus dem geistlichen Stand entlassen, um die Thronfolge nach Ladislaus I. antreten zu können. Es war, wie schon angedeutet, für die Humanisten des 15. Jahrhunderts wie eine früh sichtbare Bestimmung ihres Bistums Großwardein, dass eine solche hochbegabte und hochgelehrte, Bücher sammelnde Persönlichkeit am Anfang der Bistumsgeschichte stand. Der Legende des 15. Jahrhunderts nach ist es diesem ‚Bücherfreund‘ zu danken, dass das erste Siegel des Bistums Großwardein ein Buch zeigte. Ein Teil seiner Handschriften wurde zum Grundstock der dortigen Kapitelbibliothek.

___________ 9

Bunyitay (wie Anm. 3), S.45ff.; vgl. Csorba / Estók / Salamon (wie Anm. 8), S. 29f. Thomas von Bogyay, Grundzüge der Geschichte Ungarns. 4., überarb. Aufl., Darmstadt 1990, S. 30. 10

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2. Die Bedeutung Italiens Wichtig für die Ausbildung und Ausbreitung der Renaissance und des Humanismus in Ungarn waren die Verbindungen nach Italien. In diesem Zusammenhang nahm Großwardein sogar eine besondere Stellung ein, lassen doch die Namen von drei Stadtteilen auf die ständige Anwesenheit von Italienern schließen: Venedig, Padua, Bologna. 11 Das galt schon für die Zeit der Arpaden, als sich Italiener in der Stadt ansiedelten, das galt vor allem aber in der Zeit der Anjou-Dynastie. Dass Großwardein so enge Kontakte nach Italien unterhalten konnte, liegt auch an der engen Verbindung zwischen den Bistümern Agram und Großwardein: Von 1409 bis 1426 war Andrea Scolari Bischof in Großwardein, der vorher den bischöflichen Stuhl in Agram innegehabt hatte und mit dem neuerlich zahlreiche Italiener nach Ungarn – eben auch in die Domkapitel von Agram und Großwardein – kamen. Scolari verbreitete „die Kunst der italienischen Frührenaissance hier [in Großwardein]“. 12 Wegen der sowohl bei Hofe wie in der Oberschicht des Königreichs Ungarn traditionell weit verbreiteten Kenntnis des Lateinischen, die auch im 15. und frühen 16. Jahrhundert noch nicht von nationalsprachlichen Bewegungen überlagert wurde, war es italienischen Humanisten einfach, sich in Ungarn niederzulassen und dort Fuß zu fassen. 13 3. Das 15. Jahrhundert, das Jahrhundert von Johannes Vitéz und Janus Pannonius Im 15. Jahrhundert wurde aus dem geistlichen Zentrum Großwardein ein allgemein bedeutsames geistiges Zentrum im Zeichen von Renaissance und Humanismus, der neuen Bildungsbewegung in Europa. Das gilt schon für den Bischof Giovanni de Dominis, besonders aber für seinen unmittelbaren Nachfolger Johannes Vitéz de Zredna (1408-1472), der sein Amt in Großwardein 1445 auf Betreiben des Reichsverwesers Johannes Hunyadi übernahm, aber schon einige Jahre zuvor als Propst des Domkapitels dort lebte und wirkte. Auch im Falle des Vitéz war die seit Ladislaus dem Heiligen bestehende Verbindung zwischen Agram und Großwardein wichtig: Vitéz hatte für seine guten ___________ 11 Klára Csapodi-Gárdonyi, Die Bibliothek des Johannes Vitéz, Budapest 1984 (= Studia Humanitatis, Bd. 6), S. 29. 12 Ebd., S. 28. Auch andere Italiener, die nicht über Agram gekommen waren, hatten in der Zeit des Humanismus den Bischofsstuhl in Großwardein inne. Erinnert sei hier an Giovanni de Dominis (1440-1444), der vorher Bischof von Senj war; vgl. Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 262-268. An anderer Stelle ist der Frage nachzugehen, inwieweit der Kreis um Vitéz Personen aus dem kroatischen Südwesten des Königreichs Ungarn zum kulturellen Aufstieg verhalf, einer Region, der Vitéz selbst und sein Neffe Janus Pannonius und andere in seiner Umgebung entstammten. 13 Vgl. Ágnes Ritoók-Szalay, Der Humanismus in Ungarn zur Zeit von Matthias Corvinus, in: Eberhard / Strnad (wie Anm. 1), S. 157-171, hier S. 158.

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Dienste schon 1438 die Agramer Kustodie erhalten. 14 In die Zeit des Bischofs Giovanni de Dominis und des Propstes Johannes Vitéz gehörte auch der Aufenthalt des für den Humanismus in Ungarn und ganz speziell für Vitéz so bedeutenden italienischen Gelehrten Petrus Paulus Vergerius (1370-1444), der sich auf Einladung Kaiser Sigismunds seit 1418 in Ungarn aufhielt, speziell in Großwardein zwischen 1437 und 1444. Vergerius war ausschlaggebend für die „Ausprägung der humanistischen Persönlichkeit [des Johannes] Vitéz’“. 15 Wichtig wurde Vergerius auch für die unter Humanisten so bezeichnende Verehrung des heiligen Hieronymus, auf den er einen Sermo schrieb. In diese Zeit fällt auch die Einweihung einer Hieronymus-Kapelle in der Kathedrale zu Gran/Esztergom. 16 Vitéz blieb 20 Jahre Bischof von Großwardein, bis er 1465 auf Betreiben von König Matthias Erzbischof von Gran wurde. Vitéz gilt zu recht als ‚Vater des ungarischen Humanismus‘. Er schuf in Großwardein „das älteste Zentrum des Renaissance-Humanismus in Ungarn, das bald auch mit einer ausgezeichneten Bibliothek aufwarten konnte“. 17 Über den dortigen Humanistenkreis und die in Großwardein angelegten Handschriftensammlungen hat insbesondere Klára Csapodi-Gárdonyi jahrzehntelang geforscht. Sie hat damit eine bis heute unverzichtbare Grundlage für alle nachfolgenden Forschungen über ‚Großwardein als humanistisches Zentrum‘ geschaffen. Vitéz war einer der erfahrensten Politiker des Königreichs Ungarn. Er hatte noch ein Jahr unter Kaiser Sigismund als Notar in der Hofkanzlei gewirkt und war unter den Nachfolgern Sigismunds – seit 1438 unter Władisław aus dem Hause der Jagiellonen – weiterhin in der königlichen Kanzlei geblieben, später dann vor allem unter Johann Hunyadi und seinem Sohn Matthias Kanzler des Königreichs geworden. Vitéz war auch der Erzieher von Matthias, des späteren Königs. Tibor Klaniczay hat darauf hingewiesen, dass sich ein erster Humanistenkreis im Königreich Ungarn am Hofe des Vitéz in Ofen und Großwardein gebildet hatte. Vitéz hatte durch seine offizielle Stellung in der Kanzlei des Königreichs, dann aber auch durch seinen eigenen Hof als Kirchenfürst in Großwardein und danach in Gran „Möglichkeit zur Unterhaltung von mannigfaltigen […] freund___________ 14 Im November 1442, wenn nicht faktisch schon 1440 nach dem Tod seines Vorgängers Konrad, war er bereits Propst des Großwardeiner Kapitels geworden. Vgl. Iohannes Vitéz de Zredna, Opera quae supersunt. Hrsg. von Iván Boronkai, Budapest 1980, S. 11; Csapodi-Gárdonyi (wie Anm. 11), S. 10. In Agram hatte Vitéz die Schule besucht und in Wien (wohl nicht in Italien?) studiert; vgl. Vitéz de Zredna (wie eben), S. 11. 15 Csapodi-Gárdonyi (wie Anm. 11), S. 18-28, Zitat S. 28. 16 Vgl. Ritoók-Szalay (wie Anm. 13), S. 159. 17 Alfred A. Strnad, Die Rezeption von Humanismus und Renaissance in Wien, in: Eberhard / Strnad (wie Anm. 1), S. 71-135, hier S. 89. Kurz festgehalten sei die zutreffende Beobachtung von Ritoók-Szalay: „Im letzten Drittel des Jahrhunderts waren alle Bischofssitze humanistische Zentren, wo auch die Umgebung nach italienischem Vorbild umgestaltet wurde.“ Ritoók-Szalay (wie Anm. 13), S. 170.

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schaftlichen Beziehungen“. Zu diesen gehörten u.a. päpstliche Legaten, Hochadlige und Kirchenfürsten aus Böhmen, Mähren, Polen und Italien. Zu nennen sind hier als päpstliche Legaten Enea Silvio (lat. Aeneas Sylvius) Piccolomini, Giuliano Cesarini und Juan de Carvajal, später auch noch Nicolaus Modrusiensis, der Gesandte des Aeneas Sylvius als Papst (Pius II.), der einen ganzen Winter in Großwardein zubrachte und ein Hohes Lied auf die Bibliothek des Vitéz sang; die polnischen Humanisten Gregorius Sanoceus (von Sanok), Lehrer des künftigen Königs Władisław, später Erzbischof von Lemberg, der sogar längere Zeit in Großwardein blieb und Mitglied des Domkapitels wurde; Nicolaus Lasocki, der Dekan des Krakauer Domkapitels, der Bischof und spätere Kardinal Zbigniew Oleśnicki und andere. 18 Für diesen Zusammenhang ist vor allem Aeneas Sylvius de Piccolomini zu nennen, der bis zu seiner Wahl zum Papst 1458 in der Kanzlei Kaiser Friedrichs III. in Wien wirkte. Mit ihm stand Vitéz gerade in seiner Großwardeiner Zeit in enger Verbindung, vor allem in einem engen geistigen Austausch, der nicht zuletzt auch durch gleiche oder ähnliche Ziele in politischen Fragen bestimmt war, und in dessen Zentrum außenpolitisch die zunehmende Türkengefahr, innenpolitisch die sogenannte Ketzerfrage stand. 19 Vitéz und seinem Kreis in Großwardein ist die Vermittlung der Werke des Aeneas nach Ungarn und deren frühe Rezeption zu danken. Klára Csapodi-Gárdonyi weist in ihrer Arbeit über die Bibliothek des Vitéz darauf hin, dass dieser die Historia Bohemica des Aeneas sowie dessen Historia de Ratisponensi dieta (1454) als Handschrift besessen habe. Es gilt als sicher, dass Vitéz auch noch andere Werke des Aeneas besaß, doch sind diese bislang noch nicht identifiziert worden. 20 Besondere Aufmerksamkeit darf die Tatsache beanspruchen, dass Aeneas Sylvius seinen Freund Johannes Vitéz im April 1453 gebeten hatte, ihm eine Geschichte Ungarns zu besorgen. 21 Dies steht einmal im Zusammenhang mit den Studien des Aeneas Sylvius über die einzelnen Staaten und Regionen gerade im östlichen Mitteleuropa vor allem im Hinblick auf die Ketzerfrage und die Türkengefahr, zum anderen im Zusammenhang mit der sich ändernden Meinung des Aeneas über Ungarn, die anfangs nicht günstig gewesen sein soll, die sich aber gerade im Angesicht der Türkengefahr positiv veränderte. Es ist bedeutungsvoll, dass dies in die Großwardeiner Zeit des Vitéz fiel. ___________ 18 Zitat und Hinweise: Ritoók-Szalay (wie Anm. 13), S. 160; Csapodi-Gárdonyi (wie Anm. 11), S. 30. 19 Csapodi-Gárdonyi (wie Anm. 11), S. 32f. 20 Ebd., S. 82-84. 21 Ebd., S. 33, mit der entsprechenden Briefstelle „petebam commodari mihi historiam Hungaricam“. Aeneas Sylvius am 27.4.1453 an den Vitéz-Schützling Nicolaus Bánfalvai nach der Edition: Rudolf Wolkan (Hrsg.), Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini. Abt. 3. Briefe von seiner Erhebung zum Bischof von Sienna bis zum Ausgang des Regensburger Reichstages (23. September 1450-1. Juni 1454). Bd. 1, Wien 1918 (= Österreichische Akademie der Wissenschaft, Philosophisch-Historische Klasse, Historische Kommission. Fontes rerum Austriacarum, Bd. 68), S. 143f.

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Vitéz nutzte seine hohen Ämter und seinen Bekanntheitsgrad unter den Gelehrten seiner Zeit „vor allem zur Verwirklichung eines europäischen Zusammenschlusses gegen die Türken“. 22 In glänzenden Reden führte er dem gesamten abendländischen Kulturkreis vor Augen, welche Gefahren gerade der neuen, mit viel Mühe gewonnenen Kultur des Humanismus drohten, wenn ein europäischer Zusammenschluss nicht gelänge und die Türken Ungarn besiegen und erfolgreich nach Deutschland weitermarschieren könnten. Hier trafen sich die Befürchtungen des Vitéz mit denen des Aeneas. Nochmals sei hervorgehoben, dass Vitéz an den verschiedenen Orten, an denen er wirkte, ‚Humanistenkreise‘ um sich versammelt hat, die vor allem auch an seiner ausgezeichneten Bibliothek interessiert waren, die zum Studium einlud, vor allem auch weil Vitéz Handschriften übernommen hatte, die vorher anderen Dichtern und Gelehrten gehörten, wie zum Beispiel solche aus der ehemaligen Bibliothek des Vergerius. 23 Wie in der Zeit üblich, lieh man sich bei Vitéz Handschriften aus, um sie kopieren zu lassen. Im Humanistenkreis des Vitéz wurden offenbar regelmäßige Disputationen veranstaltet, wobei wir auch über einige Themen orientiert sind (etwa Probleme der polnischen und ungarischen Urgeschichte). Man las gemeinsam Handschriften und bearbeitete die Texte: Das bedeutendste Produkt dieser frühen Gelehrtengesellschaft ist die Sammlung seiner, des Vitéz eigner Briefe. Diese bewusst redigierte und mit philologischen Anmerkungen versehene Sammlung wurde im Jahre 1451 von Paul Ivanics, Kanoniker von Zagreb und Wardein, abgeschlossen. Offenbar war auch Ivanics ein 24 Mitglied der Humanistengesellschaft [des Vitéz] gewesen.

Beachtlich sind auch Menge und Qualität der Orationes des Vitéz, die neben den Briefen ebenfalls in der Edition von Iván Boronkai aus dem Jahre 1980 vorliegen. Ein großer Teil von ihnen stammte aus der Zeit, da Vitéz Bischof in Großwardein war. Galeotto Marzio befand, dass Vitéz bemüht war, Ungarn „in den Wohnsitz der neuzeitlichen Musen zu verwandeln“. 25

___________ 22

Vgl. Vitéz de Zredna (wie Anm. 14), S. 11. Ritoók-Szalay (wie Anm. 13), S. 160f. Diese gilt es, systematisch zu rekonstruieren – vor allem im Hinblick auf die verschiedenen Wirkungsorte des Vitéz. So wird man auch den Humanistenkreis in Großwardein zur Zeit des Vitéz konkret fassen können. In den Blick käme dann sicher auch Peter Váradi, ein Schüler des Vitéz, der es bis zum Amt des Erzbischofs von Kalocsa gebracht hatte; vgl. ebd., S. 170. Dass die Zusammensetzung des Domkapitels vor allem im Hinblick auf die Frage, welche Handschriften- und Büchersammlungen die Domherren in Großwardein besaßen, von zentraler Bedeutung ist, bedarf keiner Begründung. 24 Ebd., S. 160. Die Zusammenstellung des Ivanics war die Grundlage für einen Teil der 1980 von Boronkai vorgelegten Edition Vitéz de Zredna (wie Anm. 14). 25 Vgl. Csapodi-Gárdonyi (wie Anm. 11), S. 29. 23

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Bei der Frage, welcher Humanistenkreis unter Johannes Vitéz in Großwardein versammelt war und welche Wirksamkeit dieser entfalten konnte, darf man die andere Frage nicht außer Acht lassen, wann Vitéz selbst tatsächlich in seiner Bischofsstadt anwesend war. Darauf kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden, doch lässt sich leicht ermessen, dass Vitéz häufig nicht in Großwardein sein konnte – wegen seiner hohen Ämter am Hofe und der sich daraus ergebenden Pflichten, sich auch auf längere Gesandtschaftsreisen zu begeben oder seinen König zu begleiten. Johannes Vitéz trat auch als Mäzen hervor, als Förderer von Nachwuchskräften – etwa zugunsten von deren Studien im Ausland, vor allem in Italien. Unter ihnen ist besonders sein Neffe Janus Pannonius (1434-1472) zu nennen, „der Begründer der lateinischen humanistischen Dichtung in Ungarn“. 26 Johannes Vitéz verhalf Janus Pannonius zum Studium in Italien, zu einem Kanonikat in Großwardein, um ihn erst einmal zu versorgen; später kamen durch Vermittlung des Onkels auch noch andere Ämter hinzu, u.a. die Stelle des Generalvikars in Großwardein und dann vor allem der Bischofsstuhl in Fünfkirchen, was Vitéz bei seinem Freund Aeneas Sylvius durchsetzen konnte, der dann schon als Pius II. den Stuhl Petri bestiegen hatte. 27 Zu nennen ist aber auch ein anderer Neffe: Johannes Vitéz (der Jüngere), der ebenso auf Kosten des berühmten Onkels in Italien studierte, Mitglied des Domkapitels in Großwardein und später nach dem Tod des Onkels Bischof von Syrmien wurde. Vitéz d.J. sammelte nach dem Tod des Janus Pannonius im Auftrage von König Matthias als erster die Werke des Janus Pannonius. Dieser jüngere Vitéz war Haupt der von Konrad Celtis gegründeten Sodalitas Danubiana in Wien. Sein Name muss aber auch im Hinblick auf Großwardein berücksichtigt werden. Das Beispiel des Janus Pannonius und Johannes Vitéz d. J. zeigt die Wichtigkeit, die bewusste ‚Personalpolitik‘ des älteren Johannes Vitéz ganz allgemein, hier vor allem aber für sein Bistum Großwardein, zu erkennen. In künftigen Studien ist näher und vor allem vollständiger zu bestimmen, wem er Stellen und Ämter im Domkapitel und in der Bistumsverwaltung verschaffte, wen er als Gast nach Großwardein einlud und wer von diesen Eingeladenen hier wenigstens eine Zeitlang zum Aufenthalt blieb. Zu fragen ist, was daraus an Intentionen abzulesen ist – vor allem im Hinblick auf die Förderung der neuen Bildungsbewegung und insbesondere im Hinblick auf neue literarische Werke. Allein schon das dreibändige monumentale Werk von Vincze Bunyitay über das Bistum Großwardein von 1883 und die Studien von Klára CsapodiGárdonyi aus den 1980er Jahren enthalten dazu zahlreiche Hinweise. Der Zu___________ 26 27

Ritoók-Szalay (wie Anm. 13), S. 161. Vgl. Csapodi-Gárdonyi (wie Anm. 11), S. 36.

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sammensetzung des Domkapitels Großwardein in der Zeit des Vitéz kommt dabei besondere Bedeutung zu. 28 Des Weiteren ist die Bibliothekssituation in Großwardein eingehend zu untersuchen. Es steht fest, dass die Bibliothek des Bistums schon in der Amtszeit des Bischofs Andrea Scolari Anfang des 15. Jahrhunderts angelegt wurde. Sie soll sogar einen eigenen Bibliothekar gehabt haben. Sicher ist ferner, dass auch Klöster und geistliche Würdenträger in Großwardein Handschriftensammlungen besessen haben. Wie Klára Csapodi-Gárdonyi mitteilt, sind „in Bezug auf Großwardeins Buch- und Bibliothekskultur ziemlich viele Angaben bekannt“. 29 Es ist nicht zu bezweifeln, dass auch Vitéz Bücher mit nach Großwardein brachte, doch wissen wir nach den Feststellungen von Klára Csapodi-Gárdonyi nur in wenigen Fällen, welche Bücher das waren. Auf die im Zusammenhang mit Vitéz immer wieder behandelte Universitätsgründung in Pressburg (Bratislava) kann und muss hier nur kurz eingegangen werden. Zwar wurde sie vermutlich bereits in der Großwardeiner Zeit des Vitéz konzeptionell vorbereitet, aber erst 1467 realisiert – also nach seiner Berufung zum Erzbischof in Gran. Vitéz hatte schon in seiner Zeit in Großwardein den Wert einer Universität für sein Land erkannt. Kurz nach seiner Wahl zum Erzbischof von Gran nutzte er seine hohe Stellung, eine eigene Universität in Ungarn zu gründen: Mit nachhaltiger Förderung durch König Matthias und großem Wohlwollen des Papstes konnte Vitéz schließlich 1467 – allerdings auf eigene Rechnung – die Universität in Pressburg gründen (Academia Istropolitana). Vitéz gelang die Berufung bedeutender Gelehrter seiner Zeit aus vielen Ländern. Diese Universitätsgründung ging allerdings schon nach 1472 wieder ein, als Vitéz bei König Matthias in Ungnade gefallen war. 30 Vitéz betrieb auch die Gründung einer Druckerei, allerdings in Ofen und erst in seiner Zeit in Gran 1465-1472. In seinen Jahren in Großwardein – also bis 1465 – war die Frage der Gründung einer Druckerei offenbar noch nicht relevant. Er lud den in Rom wirkenden deutschen Drucker Andreas Hess ein, nach Ungarn zu kommen, doch erlebte Vitéz die 1473 zustande gekommene Gründung der landeseigenen ersten Druckerei nicht mehr. Der erste ständige Dru-

___________ 28 Die Zusammensetzung des Domkapitels ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Hier bedarf es allerdings weiterer prosopographischer Studien. 29 Csapodi-Gárdonyi (wie Anm. 11), S. 29. 30 Weil König Matthias den Wert einer eigenen Landesuniversität auch nach dem Bruch mit Vitéz und Janus Pannonius durchaus weiterhin einsah, wollte er die in Pressburg bestehende Gründung des Vitéz nach Ofen verlegen, doch kam es nur zur Gründung einer Theologischen Fakultät, die später den Dominikanern übergeben wurde, die sie zu einem Studium Generale verwendeten; Ritoók-Szalay (wie Anm. 13), S. 162.

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cker, den wir in Großwardein kennen, war Raphael Hofhalter, ein gebürtiger Pole (Rafał Skrzetuski). Er ließ sich hier in den späten 1550er Jahren nieder. 31 4. Jan Filipec / Filipecz János Eine weitere Bischofspersönlichkeit aus Großwardein wurde zu einem wichtigen Wegbereiter des Humanismus im südöstlichen Mitteleuropa: Jan Filipec aus Proßnitz in Mähren, dort 1431 geboren. 32 Er war zunächst als Notar und Geheimschreiber in verschiedenen Stellungen seiner mährischen Heimat tätig und kam 1469 in dieser Eigenschaft zum Wojewoden von Siebenbürgen. Damit hatte Filipec Anschluß an den ungarischen Humanismus unter Matthias Corvinus gefunden. Filipec trat in die Dienste des Königs, wurde sein Kanzler und Ratgeber. Auf Betreiben des Königs wurde er ohne Priesterweihe mit einer Ausnahmegenehmigung des Papstes 1476 Bischof von Großwardein. Filipec war, wie schon Johannes Vitéz, in wichtigen staatlichen Funktionen tätig und führte Gesandtschaften im Auftrag von Matthias nach Frankreich, Italien und nach Krakau. 1484 wurde Filipec auf Wunsch von Matthias zum „immerwährenden Administrator“ des Bistums Olmütz gewählt, das zwischen 1482 und 1497 – also zwischen Prothasius Boskowitz und Stanislaus Thurzo – nicht besetzt war. Filipec hat den Hoffnungen seines Königs Matthias im Hinblick auf Großwardein voll entsprochen. Er bemühte sich erfolgreich, die Verwüstungen der ersten türkischen Besetzung der Stadt (1474/75) zu beseitigen. Er baute Großwardein wieder auf, sicherte es durch Mauern und rekonstruierte vor allem den Dom. Da er sich wegen seiner vielfältigen Ämter und Verpflichtungen nur selten in seiner Bischofsstadt Großwardein aufhalten konnte, ließ er sich durch den Propst des Domkapitels und Weihbischof Nicolaus Alattyány vertreten. 33 Filipec wirkte sowohl in Großwardein als auch in Olmütz im Sinne der neuen Bildungsbewegung, weshalb ihm Antonio Bonfini ein rühmendes literarisches Denkmal setzte. Filipec besaß eine eigene Bibliothek 34 und er bemühte sich – zumindest in Mähren – um die Förderung des Buchdrucks: 1486 gründete er in Brünn eine dem Bistum gehörende Druckerei mit deutschen Druckern, die ___________ 31

Vgl. Josef Benzing, Die Buchdrucker des 16.und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. 2., verb. und erg. Aufl., Wiesbaden 1982 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 12), S. 486. 32 Vgl. Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 308-322; Rudolf Grieger, Filipecz. Johann Bischof von Wardein. Diplomat der Könige Matthias und Wladislaw, München 1982 (= Studia Hungarica, Bd. 20); Wörster, Humanismus (wie Anm. 2), S. 28f.; Antonín Kalous, Itinerář Jana Filipce (14311509) [Das Itinerar des Jan Filipec], in: Acta Universitatis Palackianae Olomucensis, Facultas Philosophica/Historica 34 (2008), S. 17-43. 33 Vgl. Grieger (wie Anm. 32), S. 69-71; Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 158-160. Nach den Feststellungen von Kalous (wie Anm. 32) hielt sich Filipec nur äußerst selten in Großwardein auf. 34 Vgl. Jolán Balogh, Die Anfänge der Renaissance in Ungarn, Graz 1975, S. 223 und 238.

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vorher in Venedig wirkten. Hier in Brünn sorgte Filipec 1488 für die Drucklegung der Chronica Hungarorum des Johannes Thuróczy. Die besonderen historischen und politischen Interessen des Filipec treten klar hervor, wenn man bedenkt, dass er aus dem Handschriftenbestand seines Bistums Großwardein den Text des Rogerius „Carmen miserabile super destructione Regni Hungariae per Tataros facta“ zur Verfügung stellte und der Chronik des Johannes Thuróczy beifügen ließ, womit er eine historische Parallele zwischen den Verwüstungen des Landes durch den Tatareneinfall Mitte des 13. Jahrhunderts und der aktuellen Bedrohung durch die Türken ziehen wollte. 1488 erschien in Augsburg schon die zweite Auflage der Chronik – in einer prächtigen Ausgabe für König Matthias. Nach dem Tod des Königs schied Filipec 1490 aus allen Ämtern und trat in das Franziskanerkloster in Breslau ein, wurde aber durch die Nachfolger von Matthias weiterhin in die Politik verstrickt. In dieser letzten Lebens- und Wirkungsperiode sehen wir Filipec in engem Einvernehmen und Zusammenwirken mit der Familie Thurzo, insbesondere mit dem Bischof Stanislaus in Olmütz und mit seinem Bruder Johann Thurzo in Breslau. 35 5. Die Familie Thurzo Die bekannte Unternehmer- und Humanistenfamilie Thurzo kam, soweit man weiß, erstmalig mit Großwardein und seinem Bistum in Kontakt, als es in der Zeit des Bischofs Dominikus (Domokos) Kálmáncsehi (1495-1501) um den Abbau der Silbererze in dem dem Bischof gehörenden Gebiet ging. Die Familie Thurzo war wegen ihrer Fähigkeiten im Bergbau von den ungarischen Königen nach Oberungarn berufen worden (vor allem in die Gegend um Leutschau). 36 Dort waren sie rasch zu Reichtum und Einfluss gekommen und betrieben in Verbindung mit den Fuggern im ganzen östlichen Mitteleuropa den Abbau der Erze und deren Vermarktung, bei der Krakau eine besonders wichtige Rolle spielte – nicht nur für die Familie Thurzo. 37 ___________ 35 Die Tätigkeit des Filipec an seinem Bistumsort Großwardein ist in anderem Zusammenhang eingehend zu betrachten. Dabei gilt es, die gleichen Kriterien wie bei Johannes Vitéz zu beobachten: die Frage der Bibliothek, des Mäzenatentums, der Ämtervergabe/Personalpolitik, die Frage nach einem ‚Humanistenkreis‘, die Frage nach der literarischen Produktion. 36 Zur Familie Thurzo allgemein vgl. Karen Lambrecht, Aufstiegschancen und Handlungsräume in ostmitteleuropäischen Zentren um 1500. Das Beispiel der Unternehmerfamilie Thurzó, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 47 (1998), S. 317-346; Maximilian Kalus, Die innere Organisation des „Ungarischen Handels“ der Fugger und Thurzo. Interne Firmenkommunikation eines räumlich verteilten Unternehmens im 16. Jahrhundert, in: Scripta Mercaturae 40 (2006), S. 37-66. 37 Vgl. Gusztáv Wenzel, Thurzó Zsigmont, János, Szaniszló és Ferencz. Négy egykorú püspök a bethlenfalvi Thurzó családból 1497-1540 [Sigismund, Johann, Stanislaus und Franz Thurzo. Vier gleichzeitige Bischöfe aus der Familie Thurzo von Bethlenfalva 1497-1540], Budapest 1878; Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 354-366; Martin Rothkegel, Der lateinische Briefwechsel des

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Es mag an diesen früher schon bestehenden Geschäftskontakten gelegen haben, dass die Familie Thurzo es für angebracht hielt, das Bistum in ihre Hand zu bekommen. Dies wurde 1506 erreicht, als Sigismund Thurzo (geb. ca. 1465) Bischof von Großwardein wurde und dies bis zu seinem Tod 1512 auch blieb. Sigismund Thurzo war vorher Bischof von Syrmien (ab 1501) ganz im Süden des Königreichs und danach von Neutra (Nitra) in Oberungarn (1504) und von Siebenbürgen (Weißenburg 1505). Er war Vetter der beiden Bischofsbrüder Stanislaus in Olmütz und Johann in Breslau. Unter seiner Leitung soll der Neubau des dortigen Bischofspalastes im Renaissancestil erfolgt sein. Er war zugleich auch königlicher Sekretär und Diplomat in der Zeit von Władisław II. In der Rangfolge stand er wegen der Bedeutung von Großwardein für das Königreich gleich hinter den beiden Erzbischöfen (Gran und Kalocsa) an dritter Stelle. 38 In dieser Zeit hatten Angehörige der Familie Thurzo gleichzeitig vier Bischofsstühle inne. 6. Weitere Personen Hier ist vor allem an Johannes Henkel/Henckel aus Oberungarn (Kaschau/Košice/Kassa, Leutschau) zu erinnern, der ein Verwandter der Thurzos war und wohl unter Bischof Sigismund Thurzo eine Stelle im Domkapitel von Großwardein erhalten hatte, wo er sich einige Jahre aufhielt, bevor er 1513 als Pfarrer nach Leutschau und Kaschau ging und, wie anfangs geschildert, das Chartularium aus Großwardein mitgenommen hat. Später war er als einer der gebildetsten Männer der Zeit Hofgeistlicher der Königin Maria, der Witwe des in der Schlacht von Mohács umgekommenen Königs Ludwig II. Er hinterließ seine Bibliothek der Leutschauer Kirche. 39 Er gehörte sicher zu den bemerkenswerten humanistisch gebildeten und im Sinne der neuen Bildungsbewegung in Großwardein tätigen Persönlichkeiten. Sein Anteil für die Zeit in Großwardein muss allerdings noch näher bestimmt werden. Zusammenfassung Das Bistum Großwardein war von der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Zentrum des Humanismus. Begründet war das nicht zuletzt durch die Wirksamkeit von Johannes Vitéz zuerst als Propst des Domkapitels, später als Bischof. Durch ihn kamen zahlreiche im ___________ Olmützer Bischofs Stanislaus Thurzó. Eine ostmitteleuropäische Humanistenkorrespondenz der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Hamburg 2007 (= Hamburger Beiträge zur Neulateinischen Philologie, Bd. 5), S. 25, 54 und 63. 38 Auch im Falle des Stanislaus Thurzo sind im Hinblick auf seine Zeit in Großwardein dieselben Fragen zu bearbeiten, die für Filipec (s. Anm. 35) schon genannt wurden. Vgl. auch Wörster, Humanismus (wie Anm. 2), S. 30-36. 39 Vgl. Bunyitay (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 170-177.

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Sinne der neuen Bildungsbewegung strebende Persönlichkeiten nach Großwardein, nicht zuletzt Janus Pannonius, der bedeutendste Dichter des ungarländischen Humanismus. Wichtig für diese Stellung Großwardeins war der seit der Arpadenzeit ununterbrochene Kontakt zwischen Großwardein und Italien und zu Gelehrten aus Italien, sehr oft über Agram vermittelt, das seit der Gründungszeit des Bistums eng mit Großwardein verbunden war. Für alle humanistischen Zentren nördlich und östlich der Alpen war die Begegnung mit der Person und mit dem Werk des Aeneas Sylvius von besonderer Bedeutung, das gilt für Böhmen und Mähren und für Schlesien, das gilt aber auch und vielleicht in noch verstärktem Maße für Ungarn. Innerhalb dieses Landes war es vor allem Großwardein in der Zeit des Vitéz, das diese Verbindung zu Aeneas Sylvius unterhielt. Was das im Einzelnen auch qualitativ bedeutete, ist in weiteren Arbeiten näher zu bestimmen. Die nicht zuletzt durch die ‚Personalpolitik‘ des Johannes Vitéz zahlreich nach Großwardein gelangten Humanisten sorgten für eine Kontinuität entsprechender Bestrebungen auch nach dem Weggang von Vitéz 1465. Immer wieder gab es auch nach ihm neue Impulse durch bedeutende humanistische Persönlichkeiten auf dem Großwardeiner Bischofsstuhl, wie etwa durch Jan Filipec und Sigismund Thurzo, die beide – vor allem aber Thurzo – zu Gesamtmitteleuropa umfassenden humanistischen Netzwerken gehörten, so dass Großwardein davon immer wieder profitierte. Diese Stadt und ihr Bistum gehörten nie zur Peripherie, sondern standen selbst im Zentrum der Bestrebungen. Erst das vorläufige Ende des Bistums Mitte des 16. Jahrhunderts führte Großwardein in eine Randlage, machte es zu einem Anhängsel von Siebenbürgen, im 17. Jahrhundert zum Spielball und Opfer türkischer Okkupation und Zerstörung. Bedeutende Zentren des Humanismus vor der Reformation waren im östlichen Mitteleuropa sicher Wien und Krakau, teilweise auch Ofen/Buda und sehr eingeschränkt Prag. Sie waren es deswegen, weil hier, wenn auch mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung, landesherrliche Höfe, Universitäten (außer in Ofen) sowie in diesen Städten selbst oder in ihrer Umgebung Bistumszentren mit den entsprechenden Domkapiteln vorhanden waren. Dieses ‚Netzwerk‘ von Institutionen bot an diesen Orten vielfältige Kontaktmöglichkeiten und konnte über längere Zeiträume hinweg geistige Anregungen vermitteln. Es waren dadurch zahlreiche Ämter und Stellungen verfügbar, die einen beträchtlichen Zuzug von außen und vielen Gebildeten Arbeitsmöglichkeiten und damit langfristige Aufenthalte ermöglichten. So waren Wien, Krakau und Ofen, weniger Prag, humanistische Zentren erster Ordnung. Breslau und Olmütz waren solche zweiter Ordnung, weil dort weltliche Höfe und Universitäten fehlten, wodurch nicht zuletzt die Entwicklungsmöglichkeiten des Humanismus beschränkt blieben. Großwardein ist sicher in ähnlicher Weise zu sehen wie Breslau und Olmütz, wenngleich es durch die besonders profilierte Persönlichkeit des Kanzlers

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Peter Wörster

des Königreichs (Vitéz) und wegen der im Gegensatz zu Breslau und Olmütz starken Einbindung der Stadt in die Auseinandersetzungen mit den Türken vielfach mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand als jene Städte. Dies muss in weiteren Studien noch näher untersucht werden.

Konfessionelle Räume und literarischer Transfer im alten deutschen Sprachraum Ein Brückenschlag zwischen Schlesien, der Pfalz und Ungarn anlässlich Martin Opitzens Besuch in Siebenbürgen Von Klaus Garber

I. Wiederaufstieg des mitteleuropäischen Kulturraums Seit geraumer Zeit vollzieht sich ein atemberaubender Vorgang. Mitteleuropa steigt als kultureller Schauplatz wieder empor. Erinnerungen werden wach, dass einst ein lebhafter intellektueller Verkehr von der Ostsee bis herab in den Karpatenraum herrschte. Der Eiserne Vorhang musste fallen, um den Blick freizugeben für Zusammenhänge, die im Gefolge zweier Weltkriege verschüttet und hernach im Kalten Krieg obsolet geworden waren. Den neue und vielfach willkürliche Ordnungen kreierenden Machthabern lag nichts an geschichtsträchtigen Reminiszenzen. Das alte Europa schien definitiv beerdigt. In imperialem Gestus waren neue Demarkationslinien gezogen. Sie sollten und durften durch ganz anders geartete, nämlich geschichtlich unterfangene Bilder nicht in Frage gestellt werden. 1 Inzwischen überschlagen sich die Ereignisse. Wer in den siebziger und achtziger Jahren alleine in den Weiten des Ostens unterwegs war – stets auf eigene Faust, immer willkommen, aber eben ein Einzelgänger –, vermag den Einladungen kaum zu folgen. Und sie ergehen aus dem Osten wie dem Westen gleichermaßen. Ein immenser Nachholbedarf gibt sich in einem Reigen reizvoller thematischer Vorhaben zu erkennen. Nicht abzusehen, wann und mit welchem Resultat ein erstes Fazit mit stabilen Ergebnissen gezogen werden mag.

___________ 1 Drei gezielte Hinweise: Karl Schlögel, Das Wunder von Nishnij oder Die Rückkehr der Städte, Frankfurt am Main 1991; Erhard Busek, Mitteleuropa – ein Konzept der Hoffnung; Klaus Garber, Hoffnung im Vergangenen? Die Frühe Neuzeit und das werdende Europa. Die beiden letzteren Beiträge in dem gehaltreichen und wiederholt programmatischen Band: Walter Schmitz (Hrsg.), Zwischeneuropa / Mitteleuropa. Sprache und Literatur in interkultureller Konstellation. Akten des Gründungskongresses des Mitteleuropäischen Germanistenverbandes, hrsg. in Verbindung mit Jürgen Joachimsthaler, Dresden 2007, S. 34-42 und S. 43-57.

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Die exploratorischen Unternehmungen sind weiterhin mitten im Gange. Es bleibt zu hoffen, dass sie langfristig auch der Grundlagenforschung zugute kommen. 2

___________ 2 Ein Forschungsbericht über die entsprechenden Kongress-Aktivitäten der vergangenen zwanzig Jahre, der sehr reizvoll sein könnte, fehlt bislang offensichtlich. Wir selbst haben u.a. an den folgenden Veranstaltungen aktiv teilgenommen und führen die dazu beigesteuerten Beiträge exemplarisch auf: Schlesiens Bildungslandschaft zwischen Barock und Aufklärung im Kontext des Späthumanismus, in: Halub / Manko-Matysiak (wie Anm. 23), Bd. 1 (2004), S. 288-301; Alte deutsche Bücher in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas. Ein Reisebericht, in: Hans-Werner Rautenberg (Hrsg.), Wanderungen und Kulturaustausch im östlichen Mitteleuropa. Forschungen zum ausgehenden Mittelalter und zur jüngeren Neuzeit, München 2006 (= Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa, Bd. 1), S. 293-319; Aspekte gelehrter Kommunikation im schlesisch-lausitzischen Raum in der Frühen Neuzeit. Ein Beitrag zur Morphologie und Restitution mitteleuropäischer Überlieferungen, in: Joachim Bahlcke (Hrsg.), Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse, Leipzig [u.a.] 2007 (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 30), S. 243-255; Die Piastenhöfe in Liegnitz und Brieg als Zentren der deutschen Barockliteratur und als bibliothekarische Schatzhäuser, in: Jan Harasimowicz / Aleksandra Lipińska (Hrsg.), Dziedzictwo reformacji w ksiestwie legnicko-brzeskim – Das Erbe der Reformation in den Fürstentümern Liegnitz und Brieg, Legnica 2007 (= Muzeum Miedzi w Legnicy. Zródla i materialy do dziejów Legnicy i ksiestwa Legnickiego, Bd. 4), S. 191-209; Litterärgeschichte und Aufklärung. Das Werk Georg Christoph Pisanskis, in: Hanspeter Marti / Manfred Komorowski (Hrsg.), Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit. Unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach, Köln [u.a.] 2008, S. 345-378; Schwellenzeit. Das untergegangene alte Königsberg um 1800, in: Bärbel Holtz / Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Kennen Sie Preußen – wirklich? Das Zentrum ‚Preußen-Berlin‘ stellt sich vor. Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2009, S. 31-58; Adelsbibliotheken in Schlesien – eine Annäherung, in: Jan Harasimowicz / Matthias Weber (Hrsg.), Adel in Schlesien. Bd. 1: Herrschaft – Kultur – Selbstdarstellung, München 2010 (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Bd. 36), S. 479-497; Die ‚Bibliotheca Rudolphina‘ zu Liegnitz, in: Edward Bialek / Hubert Unverricht (Hrsg.), Geistiges Leben in Liegnitz vom 17. bis 20. Jahrhundert. Aufsätze zur Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte, Dresden 2010, S. 9-32; Die ‚Bibliotheca Rigensis‘ als Memorialstätte städtischer Kultur im alten Livland, in: Michael Jaumann / Klaus Schenk (Hrsg.), Erinnerungsmetropole Riga. Deutschsprachige Literatur- und Kulturvielfalt im Vergleich, Würzburg 2010, S. 127-144; Die deutsch-baltische Literatur der Frühen Neuzeit im Spiegel von Gelehrten und Sammlern, Archiven und Bibliotheken des 18. Jahrhunderts, in: Ulrich Kronauer (Hrsg.), Aufklärer im Baltikum. Europäischer Kontext und regionale Besonderheiten, Heidelberg 2011 (= Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Akademiekonferenzen, Bd. 12), S. 165-185; Barocke Bücherwelten des Ostens. Entdeckungen auf Bibliotheksreisen, in: Dirk Kemper / Ekaterina Dmitrieva / Jurij Lileev (Hrsg.), Deutschsprachige Literatur im westeuropäischen und slavischen Barock, München 2012 (= Schriftenreihe des Instituts für russisch-deutsche Literatur- und Kulturbeziehungen an der RGGU Moskau, Bd. 7), S. 103-120; Ein europäisches Juwel des Adels in Preußen. Die Wallenrodtsche Bibliothek und ihre Rekonstruktion, in: Klaus Garber / Hans-Günther Parplies (Hrsg.), Simon Dach im Kontext preußischer Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Berlin 2012 (= Literarische Landschaften, Bd. 13), S. 175-192; Rückgewinnung der Vergangenheit. Eine Rekonstruktion versprengter Quellengruppen mit unikatem Kleinschrifttum aus der untergegangenen Rigaer Stadtbibliothek, in: Dirk Baldes / Inta Vingre (Hrsg.), Deutsch-baltischer Kulturtransfer. Beiträge einer Tagung zur Perspektivierung der nordosteuropäischen Literatur- und Kulturbeziehungen vom 3.-4. September 2012 in Daugavpils, Daugavpils 2012, S. 171-183; Affinitäten – Der Ostseeraum und sein Personalschrifttum, in: Peter Tenhaef (Hrsg.), Gelegenheitsmusik im Ostseeraum vom 16. bis 18. Jahrhundert, Berlin 2015 (= Greifswalder Beiträge zur Musikwissenschaft, Bd. 20), S. 43-59.

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Der Literaturwissenschaftler profitiert von dem Umstand, dass der deutsche Sprachraum ein weiter und politisch nicht präjudizierter war. Deutsche Literatur wurde in vielen Ländern jenseits des alten Reichs verfasst. Der alte deutsche Sprachraum, nicht ausschließlich, aber doch vor allem in den mitteleuropäischen Raum hinein sich erstreckend, hatte im alten Europa keine Parallele. Befasst mit der Geschichte der deutschen Literatur richtet ihr Historiker ganz selbstverständlich seinen Blick nicht nur nach Österreich, in die Schweiz und in das Elsass, sondern mit derselben Selbstverständlichkeit in die baltischen Staaten und nach Großpolen, nach Böhmen und Mähren, die Zips und nach Siebenbürgen, um nur einige Zentren und Knotenpunkte in der Frühen Neuzeit zu erwähnen. 3 Haben wir aber, um diese Frage gleich einleitend zu stellen, eine Geschichte der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit, die diesem Umstand auch nur entfernt oder gar annäherungsweise Rechnung trüge? Auf eine denkwürdige Weise ist die Germanistik, gerade sofern mit älteren Texten und literarischen Entwicklungen befasst, der räumlichen Erstreckung ihres Gegenstandes nicht gewachsen. Und das nicht nur hinsichtlich der deutsch- oder lateinischsprachigen Traditionsbestände, sondern ebenso und vielleicht noch mehr im Blick auf die gerade in diesen Räumen zu studierenden Austauschprozesse mit den Literaturen jener Völker, die wie die Deutschen in den nämlichen Räumen siedeln und gleichfalls vielfältig schöpferisch tätig sind. Eine nach Räumen gegliederte, den mitteleuropäischen Raum seiner Bedeutung gemäß angemessen einbeziehende Geschichte der deutschen Literatur in diesem Sinn besitzen wir nicht. Und es ist fraglich, ob sie je noch wird zustande kommen. Das ändert überhaupt nichts an der Artikulation des Desiderats, ja der von der Sache her gebotenen Notwendigkeit, sich des Problems anzunehmen. Denn dass hier eine Europas und in besonderem Maße Mitteleuropas würdige Aufgabe auf kundige Hände warten würde, zumindest darüber sollte leicht Übereinstimmung zu erzielen sein. 4

___________ 3

Vgl. Klaus Garber, Der alte deutsche Sprachraum des Osten im Herzen Mitteleuropas, in: Ders., Nation – Literatur – Politische Mentalität. Beiträge zur Erinnerungskultur in Deutschland. Essays, Reden, Interventionen, München 2004, S. 207-244; Walter Schmitz, ‚Mitteleuropa‘ und die Germanistik. Zur Eröffnung des Gründungskongresses des Mitteleuropäischen Germanistenverbandes, in: Schmitz (wie Anm. 1), S. 26-33; Klaus Garber, Mitteleuropa-Phantasien. Ein Verband betritt die kulturpolitische Bühne, in: Frank Almai / Ulrich Fröschle (Hrsg.), Literatur im Kontext. Kunst und Medien, Religion und Politik. Festschrift für Walter Schmitz, Dresden 2014, S. 10171042. Vgl. auch die vorzügliche Dokumentation: Jens Stüben (Hrsg.), Ostpreußen – Westpreußen – Danzig. Eine historische Literaturlandschaft, München 2007 (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa, Bd. 30). 4 Vgl. Klaus Garber, Deutsche Literatur im Osten. Memorandum zu einem literaturgeschichtlichen Projekt, in: Ders., Nation – Literatur – Politische Mentalität (wie Anm. 3), S. 247-253; Walter Schmitz in Verbindung mit Klaus Garber, Geschichte der deutschsprachigen Literatur in Mitteleuropa. Ein Konzept, in: Ingeborg Fiala-Fürst / Jürgen Joachimsthaler / Walter Schmitz (Hrsg.),

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Natürlich ist die Diskreditierung im Auge zu behalten, die Raumkonzepten jedweder Anlage und Provenienz gerade in den dunklen Jahren der Vorkriegsund Kriegszeit widerfahren ist. Und das disziplinenübergreifend, keineswegs beschränkt auf die Germanistik oder prononciert in ihr hervortretend. Problematische oder gar verhängnisvolle Traditionen werden jedoch nicht durch Beschweigen oder Umgehen überwunden, sondern nur durch Zurechtrückung und Reinigung. Und dies durch Anknüpfung an unverächtliche Konzepte und praktische Handhabungen, die es selbstverständlich auch gegeben hat und um deren Hege und Pflege es dem Fach – anknüpfend und weiterentwickelnd – besonders zu tun sein sollte. Zu denken wäre beispielsweise an Robert Minders großartiges und doch so gut wie unbekanntes Werk Allemagnes et Allemands, 1948 in den Editions du Seuil erschienen und gleich im nächsten Jahr verbessert nochmals vorgelegt. 5 Aber es blieb Fragment, war dreibändig geplant, nur der erste Band, den Regionen im Westen gewidmet, konnte abgeschlossen werden. Übersetzt ist es bis heute nicht. Ideologisch unverdächtig ist es selbstverständlich allemal. 6 Doch auch Werke mit zweifelhaften Prämissen wie Joseph Nadlers große vierbändige Literaturgeschichte werden nicht dadurch pariert, dass man sie meidet, weil man Berührungsängste pflegt. Sie ist die einzige, in der auch von den mitteleuropäischen Räumen gehandelt wird, und zwar nicht in Form von Spezialstudien, sondern als integralen Bestandteilen einer Entfaltung des Panoramas der deutschen Literatur als ganzer. 7

___________ Mitteleuropa. Kontakte und Kontroversen. Dokumentation des II. Kongresses des Mitteleuropäischen Germanistenverbandes (MGV) in Olomouc/Ölmütz, Dresden 2013, S. 153-167. 5 Robert Minder, Allemagnes er allemands. Essai d’histoire cuturelle. Tome I. Edition revue et augmentée, Paris 1949. 6 Vgl. zum Kontext: Albrecht Betz / Richard Faber (Hrsg.), Kultur, Literatur und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich. Zum 100. Geburtstag von Robert Minder, Würzburg 2004. Als höchst anregende Monographie: Anne Kwaschik, Auf der Suche nach der deutschen Mentalität. Der Kulturhistoriker und Essayist Robert Minder, Göttingen 2008. 7 Vgl. Wolfgang Neuber, Nationalismus als Raumkonzept. Zu den ideologischen und formalästhetischen Grundlagen von Josef Nadlers Literaturgeschichte, in: Klaus Garber (Hrsg.), Kulturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk im Blick auf das Europa der Frühen Neuzeit. Unter Mitwirkung von Sabine Kleymann, München 2002, S. 175-191; Wolfgang Höppner, Die regionalisierte Nation. Stamm und Landschaft im Konzept von Literaturgeschichtsschreibung bei August Sauer und Josef Nadler, in: Andras F. Balogh / Eberhard Schütz (Hrsg.), Regionalität und Fremde. Literarische Konstellationen, Visionen und Konzepte im deutschsprachigen Mitteleuropa, Berlin 2007, S. 29-50. Jetzt die große Monographie von Irene Ranzmaier, Stamm und Landschaft. Josef Nadlers Konzeption der deutschen Literaturgeschichte, Berlin 2008 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. N.F., Bd. 48). Vgl. auch Klaus Garber, Alteuropäisches Erbe. Das Werk Josef Nadlers in der Optik Rudolf Borcherdts – mit Seitenblicken auf Konrad Burdach, Hugo von Hofmannsthal und Walter Benjamin, in: Barbara Beßlich / Dieter Martin (Hrsg.), „Schöpferische Restauration“. Traditionsverhalten in der Literatur der Klassischen Moderne. [Kolloquium […] aus Anlass des 60. Geburtstags […] von Achim Aurnhammer], Würzburg 2014 (= Klassische Moderne, Bd. 21), S. 115-144.

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Es langt mit anderen Worten nicht hin, problematischen Erbschaften durch Negieren beizukommen. Tätige Sorge um Abhilfe ist vonnöten. Ihr entsprang eine Sequenz von Veranstaltungen zur Kulturgeschichte mittelosteuropäischer Räume in der Frühen Neuzeit, die auch als ein Beitrag zum produktiven Umgang mit raumkundlichen Ansätzen und Konzepten verstanden sein wollte. 8 Nun also führt der Weg im Anschluss an Pommern, Ostpreußen, Westpreußen, das Baltikum und Schlesien in den Karpatenraum. Er ist zweifellos der literaturwissenschaftlich am wenigsten erforschte. 9 Joseph Nadler kommt im vierten und letzten, dem 20. Jahrhundert gewidmeten Band auf ihn zu sprechen und holt in Riesenschritten das in den Vorgängerbänden verabsäumte Pensum nach. 10 Ganz ähnlich ergeht es übrigens dem Baltikum, das im dritten Band

___________ 8 Vgl. die folgenden Publikationen: Klaus Garber (Hrsg.), Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit. 2 Bde. Unter Mitwirkung von Stefan Anders und Thomas Elsmann, Tübingen 1998 (= Frühe Neuzeit, Bd. 39); Ders. / Manfred Komorowski / Axel E. Walter (Hrsg.), Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2001 (= Frühe Neuzeit, Bd. 56); Ders. / Martin Klöker (Hrsg.), Kulturgeschichte der baltischen Länder in der Frühen Neuzeit. Mit einem Ausblick in die Moderne, Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit, Bd. 87); Sabine Beckmann / ders. (Hrsg.), Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2005 (= Frühe Neuzeit, Bd. 103); Ders. (Hrsg.), Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit. 2 Bde., Tübingen 2005 (= Frühe Neuzeit, Bd. 111). Die Reihe wurde eröffnet mit: Wilhelm Kühlmann / Horst Langer (Hrsg.), Kulturgeschichte Pommerns in der Frühen Neuzeit. Literatur und Kultur in Stadt und Region, Tübingen 1994 (= Frühe Neuzeit, Bd. 19). 9 Verwiesen sei an dieser Stelle auf die folgenden literaturgeschichtlichen Darstellungen: Richárd Csáki, Vorbericht zu einer Geschichte der deutschen Literatur in Siebenbürgen, Hermannstadt 1920; Karl Kurt Klein, Deutsches Schrifttum in Siebenbürgen. Seine Entwicklung von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, in: Karl Bell (Hrsg.), Siebenbürgen, Dresden 1930 (= Das Deutschtum im Ausland, Bd. 3), S. 103-170; Karl Kurt Klein, Literaturgeschichte des Deutschtums im Ausland. Schrifttum und Geistesleben der deutschen Volksgruppen im Ausland vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 1939, S. 22-30, 46-57, 66-84, 106-119, 138-166, 226-256, 395-442 (mit grundlegender Bibliographie S. 445-453); Béla von Pukánszky, Geschichte des deutschen Schrifttums in Ungarn. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts, Münster 1931 (= Deutschtum und Ausland. Studien zum Auslandsdeutschtum und zur Auslandskultur, Bd. 34) (mit reichem bibliographischem Anhang); Adolf Schullerus, Kleine Studien zur siebenbürgischdeutschen Literaturgeschichte, in: Korrespondenzblatt des Vereins für siebenbürgische Landeskunde 20 (1897), S. 22-25, 76f., 129-133; 21 (1898), S. 52-56; 22 (1899), S. 114f.; 33 (1910), S. 33-42; 34 (1911), S. 1-6; Stefan Sienerth, Geschichte der siebenbürgisch-rumänischen Literatur. Von den Anfängen bis zum Ausgang des sechzehnten Jahrhunderts, Cluj-Napoca 1984; Ders., Beiträge zur rumänisch-deutschen Literaturgeschichte, Cluj-Napoca 1989; Ders., Geschichte der siebenbürgischdeutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert, Klausenburg 1990; Ders. / Joachim Witstock (Hrsg.), Die deutsche Literatur Siebenbürgens. Von den Anfängen bis 1848. Bd 1: Mittelalter, Humanismus und Barock. Bd. 2: Pietismus, Aufklärung und Vormärz, München 1997-1999 (= Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks. Reihe B: Wissenschaftliche Arbeiten, Bd. 8182). Zum Barock vgl. Horst Helge Fassel, Zum siebenbürgisch-sächsischen Barock, in: Cahiers roumains d’études littéraires 4 (1978), Heft 1, S. 145-148. Zur geistlichen Dichtung vgl. Udo Peter Wagner, Die geistliche Dichtung Siebenbürgens im 17. Jahrhundert, in: Germanistische Beiträge 2 (1995), S. 31-47 (Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt). Vgl. auch die Nachweise unten Anm. 10, 27 und 56. 10 Vgl. Josef Nadler, Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 4: Der deutsche Staat (1814-1914). 3. Aufl., Regensburg 1932, S. 861-878: „Die Karpathendeutschen“. In der vierten und letzten Auflage – nun bekanntlich unter dem Titel Literaturgeschichte des Deut-

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zum 19. Jahrhundert platziert ist, da die frühneuzeitlichen Impulse alle schon verebbt sind. Eine gleichgewichtige, wohlaustarierte, gerade den Randzonen angemessene Würdigung und Platzierung zuweisende Darstellung ist nirgends zu gewahren. Und vielleicht muss tatsächlich weiterhin Zeit vergehen, eine Konzentration auf einzelne ausgewählte Kulturräume statthaben, bevor mit Aussicht auf Erfolg an eine übergreifende, das Ganze in den Blick nehmende Darstellung Hand angelegt werden kann. II. Grenzgänger Martin Opitz Zu handeln ist an dieser Stelle von dem literarischen wie dem kulturellen Ereignis ‚Martin Opitz in Siebenbürgen‘. Davon weiß der Opitz-Forscher mit Gewissheit noch, der Barockforscher vielleicht, der Literaturhistoriker anderer Zeiten im Regelfall gewiss nicht mehr. Es ist nicht der einzige symptomatische und symbolträchtige Aufenthalt eines großen Dichters des 17. Jahrhunderts fernab der Heimat, und im Leben des Martin Opitz ja auch keineswegs der einzige. Die Gedanken gehen hinüber etwa zu dem Pfälzer Theobald Höck in Prag, dem Württemberger Georg Rudolph Weckherlin in London, dem Hartensteiner Paul Fleming in Reval auf dem Hin- und Rückweg in das russische Riesenreich und dies in Begleitung der persischen Delegation des Herzogs von Gottorf, von den vielen niederländischen, eher am Rande auch französischen und italienischen Aufenthalten mancher der Barockdichter zu schweigen. 11 Gerade die Aufenthalte in den mitteleuropäischen Regionen geben einen ersten Hinweis auf die prinzipiell anders gelagerte räumliche Strukturiertheit in der Frühen Neuzeit, nämlich die geringere Bedeutung nationaler Grenzziehungen, die selbstverständlichen Verbindungen über weite Entfernungen, die offenkundig über andere denn ethnische Zugehörigkeiten verlaufenden Kontakte, unter denen die konfessionellen im 17. Jahrhundert die erste Stelle einnehmen. Es ist also jeweils sehr präzise zu fragen, welchen Umständen im Einzelnen die zeitweilige Niederlassung an einem bestimmten Ort geschuldet sein könnte. Und so auch im Falle Opitzens. 12

___________ schen Volkes firmierend – steht das entsprechende im vierten, 1941 erschienenen Band, vergleichsweise textlich unversehrt und nunmehr reich illustriert, auf den Seiten 129-148. Zu den Vorzügen des Nadlerschen Werkes gehört der hervorragende bibliographische Unterbau. Die Literatur zu dem Karpatenraum-Kapitel in der 3. Aufl. S. 979f., in der 4. Aufl. S. 653f. 11 Eine Darstellung, die den Schicksalen deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts jenseits der Grenzen des alten Reichs eben im weiten alten deutschen Sprachraum nachgehen würde, fehlt bislang. Sie wäre zugleich in vielen Fällen eine solche der Exilierung. 12 Zu Opitz dürfen hier wenige gezielte Hinweise reichen. Die große Monographie steht nach wie vor aus. Als frühzeitige geschlossene Darstellung bleibt in Geltung die Monographie des allzu früh verstorbenen polnisch-schlesischen Barockforschers Marian Szyrocki, Martin Opitz, Berlin 1956. 2., überarb. Aufl., München 1974 (ohne die Werkbibliographie aus der ersten Auflage). Aus einem Vortrag hervorgegangen das Porträt von Wilhelm Kühlmann, Martin Opitz. Deutsche Litera-

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Opitz hatte seine epochemachenden Werke noch gar nicht vorgelegt, als er 1623 nach Siebenbürgen aufbrach. Gleichwohl war er – noch nicht dreißigjährig – schon ein berühmter Mann. Er war frühzeitig mit den entscheidenden Personen in Verbindung gekommen. Das entschied, wie zu allen Zeiten, so auch im Späthumanismus in besonderer Weise über die weitere Karriere. Besaßen die Kontaktpersonen Renommee im internationalen Verband der Gelehrten und verfügten sie überdies über Verbindungen zu Fürsten und anderweitigen herausragenden politischen Funktionsträgern, so war vieles für die Schützlinge möglich. Aber natürlich mussten diese wie zu allen Zeiten Anlass zu berechtigten Hoffnungen geben. Im Blick darauf zählte das Werk gewiss, aber doch keineswegs alleine. Die Person musste erkennen lassen, dass sie imstande war, sich in der ständisch fest gefügten Gesellschaft zu bewegen. Sie musste Zeichen ‚politischen‘ Verhaltens an den Tag gelegt haben. Und dies in dem alteuropäischen Sinn, der im 17. Jahrhundert sich schärfte, dass situationsgerechtes Agieren ohne den Beigeschmack des Lavierens zu beobachten war und fortan zu erwarten stand. Die politische Zuspitzung um 1600 verlangte nach Personen, die auf dem glatten Parkett sich zu bewegen verstanden und die dabei nicht zuletzt die richtigen Weichenstellungen vornahmen. 13 Das alles muss frühzeitig bei Opitz ausgebildet gewesen sein. Sonst wäre er nicht zu dem Diplomaten aufgestiegen, als der er noch in den zwanziger Jahren von den verschiedensten Kreisen in vielfältige Dienste genommen werden sollte. Opitz ist dreierlei gewesen: Dichter, Kulturpolitiker und Diplomat. Man sollte vorsichtig damit sein, vorschnell Hierarchisierungen hinsichtlich der Wichtigkeit und der Bewertung vorzunehmen. Er war Schlesier, genauer gebürtiger Bunzlauer. Und er kam zur rechten Zeit zur Welt. Die nur rund zehn Jahre Jüngeren wie Johann Rist oder Simon Dach oder Paul Fleming wuchsen noch

___________ tur und deutsche Nation, Herne 1991. 2., durchges. und erweit. Aufl., Heidelberg 2001. Die Literatur zu Opitz zusammengeführt in: Julian Paulus / Robert Seidel, Opitz-Bibliographie. 1800-2002, Heidelberg 2003, sowie bei Klaus Garber, Martin Opitz, in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2. vollst. überarb. Aufl., hrsg. von Wilhelm Kühlmann. Bd. 8, Berlin 2010, S 715-722. Vom Verf. heranzuziehen: Martin Opitz, in: Harald Steinhagen / Benno von Wiese (Hrsg.), Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts, Berlin 1984, S. 116-184; Ders., Der junge Martin Opitz. Umrisse einer kulturpolitischen Monographie, in: Ders., Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie, hrsg. von Stefan Anders und Axel E. Walter, Berlin 2012, S. 77145. Hinzuzunehmen zur wissenschaftsgeschichtlichen Orientierung vom Verf., Martin Opitz – ‚Der Vater der deutschen Dichtung‘. Eine kritische Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik, Stuttgart 1976. 13 Hier sei exemplarisch nur verwiesen auf das mit reichen Beispielen versehene Kapitel: „Der Gelehrte in der Gesellschaft. Die literarische Kritik des scholastischen Humanismus im Horizont sozialer Rationalität und kulturellen Wandels“, in: Wilhelm Kühlmann, Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters, Tübingen 1982 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 3), S. 285473.

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in frühester Jugend in den Krieg hinein. Für die im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts Geborenen verblieb Zeit zur Orientierung und zur Sammlung von Erfahrungen, die am Ende auch der Dichtung noch zugute kamen. 14 Entscheidend aber blieben die Vorgaben der kulturellen Landschaft, des intellektuellen Milieus, der vorhandenen gelehrten Institutionen. Und da stand Schlesien um 1600 einzig da. Allenfalls die Pfalz wäre in Betracht zu ziehen, wenn es um Vergleiche zu tun ist. Schlesien war die Hochburg des Späthumanismus im deutschen Sprachraum. Das Land war glänzend mit Lateinschulen und Gymnasien bestückt und es besaß mit Breslau, Liegnitz, Brieg und Oels städtische und höfische Kristallisationspunkte, die der gelehrten Arbeit aller Sparten eminent zugute kamen. 15 Personen wie Caspar Cunrad, Tobias von Schwanensee und Bregoschitz und Nikolaus Henel von Hennenfeld, um nur drei Namen zu nennen, verfügten weit über Schlesien hinaus über einen glänzenden Ruf in der nobilitas literaria. 16 Sie waren Repräsentanten einer gelehrten Elitekultur Europas, wie sie in dieser Ausformung nur um 1600 möglich war. 17 Wir müssen so allgemein bleiben, weil jede nähere Befassung alsbald

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14 Vgl. in diesem Zusammenhang, neben der eben zit. Arbeit von Kühlmann Klaus Garber, Späthumanistische Verheißungen im Spannungsfeld von Latinität und nationalem Aufbruch, in: Eckard Keßler / Heinrich C. Kuhn (Hrsg.), Germania latina – Latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, humanistische Kultur vom späteren Mittelalter bis in unsere Zeit. 2 Bde., München 2003 (= Humanistische Bibliothek, Reihe I: Abhandlungen, Bd. 54), S. 107-142. Zum Kontext: Heinz Schilling (Hrsg.), Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. Unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 2007 (= Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 70). Klaus Garber, Religionsfrieden und praktizierte Toleranz um 1600. Eine irenische Stiftungsurkunde im Zeichen des ‚vhralten Catholischen Christlichen Glaubens‘ aus dem Gymnasium Schoenaichianum zu Beuthen an der Oder, in: Friedrich Vollhardt (Hrsg.), Toleranzdiskurse in der Frühen Neuzeit. Unter Mitarbeit von Oliver Bach und Michael Multhammer, Berlin [u.a.] 2015 (= Frühe Neuzeit, Bd. 198), S. 87-131. 15 Vgl. Herbert Schöffler, Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung. Von Martin Opitz zu Christian Wolff. 3. Aufl., Frankfurt am Main 1974 (1. Aufl. 1940); Manfred P. Fleischer, Späthumanismus in Schlesien. Ausgewählte Aufsätze, München 1984; Robert Seidel, Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577-1631). Leben und Werk, Tübingen 1994 (= Frühe Neuzeit, Bd. 20); Klaus Garber, Das Liegnitzer und Brieger Bibliothekswesen im kulturellen Kontext, in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums (wie Anm. 57), Bd. 19, S. 17101; Ders., Die Piastenhöfe in Liegnitz (wie Anm. 2). 16 Alle drei eingehend porträtiert in Gestalt von Werkverzeichnissen in einem quellenkundlichen Anhang bei Klaus Garber, Martin Opitz, Paul Fleming, Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas, Köln 2013 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas, Bd. 4), S. 132-144 (Cunrad), S. 152-154 (Henel), S. 71-91 (Scultetus). Vgl. auch die Einträge des Verf.s zu den drei Gestalten in: Frühe Neuzeit in Deutschland 15201620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon. Bd. 1ff., hrsg. von Wilhelm Kühlmann [u.a.], Berlin 2011ff. 17 Das ist paradigmatisch am Beispiel Prags gezeigt worden in zwei eindrucksvollen Werken: Robert J[ohn] W[eston] Evans, Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History 1576-1612, Oxford 1973. Corrected paperback ed., London 1997. Gekürzte deutsche Version unter dem (merkwürdigen) Titel: Rudolf II. Ohnmacht und Einsamkeit, Graz 1980. Des Weiteren: Erich Trunz, Wissenschaft und Kunst im Kreise Kaiser Rudolfs II. 1576-1612, Neumünster 1992 (= Kieler Studien zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 18). Es handelt sich um eine in der ersten Hälfte der

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auf die spannendsten, aber eben auch schwerlich zu erschöpfenden Fährten führen würde. Das ist anderwärts von uns wie von Gleichgesinnten geschehen und muss jetzt also zurückstehen. Opitz war alsbald mit allen drei Personen in Kontakt, was eben zeigte, wie es um Veranlagung und Stellung eines offenkundig frühreifen Genies bestellt war. Der Weg war ein gradliniger. Über die Lateinschule seiner Heimatstadt Bunzlau führte er in die Breslauer Metropole ans Magdalenen-Gymnasium und von dort an die eben gegründete erste universitätsähnliche Bildungsstätte des Landes, das Gymnasium zu Beuthen an der Oder. Es verdankte seine Gründung mit Johann Georg von Schönaich einem Mann, der wie alle erwähnten Personen und andere, denen Opitz auf seinem Bildungsweg begegnete, überzeugt zum Reformiertentum sich bekannte, dies jedoch freilich wie seine Gefährten im Geiste kaschieren musste. Melanchthon blieb der Mann, der dies ermöglichte. 18 Das Milieu war das anregendste, das sich denken ließ. Im Beuthener Gymnasium wurde um 1600 in einer Atempause das erste Fazit des aufgewühlten 16. Jahrhunderts gezogen. Es lautete auf Toleranz, auf Irenik in konfessionellen Dingen, auf die Läuterung des Christentums in Gestalt weniger verbindlicher Glaubenssätze, über die bei gutem Willen sich alle Konfessionen müssten ver-

___________ 1940er Jahre geschriebene Untersuchung, der Zeit entstammend, da Trunz an der Deutschen Universität in Prag wirkte. Die Studie ist wie alle aus der Feder von Trunz hervorragend mit Literatur und darüber hinaus mit eindrucksvollen Abbildungen ausgestattet. 18 Vgl. C[hristian] D[avid] Klopsch, Geschichte des berühmten Schönaichischen Gymnasiums zu Beuthen an der Oder, aus den Urkunden des Fürstlich-Carolatischen Archivs und den besten darüber vorhandenen Schriften gesammelt, Groß-Glogau 1818; Jörg-Ulrich Fechner gebührt das Verdienst, in jüngerer Zeit erstmals wieder Hinweise auf die Institution gegeben zu haben: Der Lehr- und Lektüreplan des Schönaichianums in Beuthen als bildungsgeschichtliche Voraussetzung der Literatur, in: Albrecht Schöne (Hrsg.), Stadt – Schule – Universität – Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Vorlagen und Diskussionen eines Barock-Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1974 in Wolfenbüttel, München 1976, S. 324-334. Des Weiteren: Kühlmann, Gelehrtenrepublik (wie Anm. 13), S. 140-151, S. 165-178; Seidel, Späthumanismus (wie Anm. 15), S. 230-264; Siegfried Wollgast, Zum Schönaichianum in Beuthen an der Oder, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 35 (1994), S. 63-103. Klopsch schreibt in der Vorrede zu seinem Werk: „Ich benutzte Henel, Lucae, Ehrhardt. Sie gaben keiner so viel, als der fleißige Hering in seinen von 1784-1789 erschienenen Einladungsschriften, welche unter der bescheidenen Überschrift von Nachlesen zum Ehrhardt zuerst eine ‚Geschichte des berühmten Gymnasiums zu Beuthen‘ lieferten.“ (S. If.). Eben diese Literatur und zahllose weitere vorwiegend ältere findet man jetzt verarbeitet bei Klaus Garber, Das Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen an der Oder und ein zeitgenössischer Sammelband aus seinem Umkreis, in: Ders., Opitz, Fleming, Dach (wie Anm. 16), S. 15-36. Hinzuzunehmen ist das Quellenverzeichnis daselbst: „Verzeichnis bio-bibliographischer handschriftlicher und gedruckter Hilfsmittel zur schlesischen Personenkunde der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Späthumanismus“, S. 97-157. Im Druck befindet sich Klaus Garber, Geistes-Adel und Glauben in Schlesien. Das Gymnasium Schoenaichianum in Beuthen an der Oder inmitten des entfesselten Konfessionalismus am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Die Arbeit erscheint im BöhlauVerlag in der von Klaus Garber und Axel E. Walter herausgegebenen Reihe „Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas“.

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ständigen können. Und es war all dem ganz vorsichtig und dezent eine Hoffnung beigesellt, dass auch den Deutschen vergönnt sein möge, was Spanien, was Frankreich, was England, ja was Polen und Ungarn auf welchen Wegen auch immer zuteil geworden war, nämlich über ständische, konfessionelle und territoriale Grenzen hinweg als Glieder einer größeren, einer deutschen Nation sich zu wissen. Das war die fortschrittlichste Option, die um 1600 verlauten mochte. Opitz und die seinen wuchsen in ihrem Umkreis auf. Das ist ihrem gelehrten Habitus nicht anders als ihrem dichterischen Werk vielfältig zugute gekommen. Aber wo sind die Arbeiten, die uns dies zeigten? In der Nähe von Beuthen an der Oder residierte auf seinem Schloss Tobias von Bregoschitz und Schwanensee, genannt Scultetus. Opitz durfte sich früh der Unterstützung des weitgereisten und mit vielfältigen Kontakten ausgestatteten Kaiserlichen Rats erfreuen. Er ehrte seinen Mentor und Mäzen mit einer großen neulateinischen Ekloge, die er Daphnis betitelte. Sie war seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen und wurde von uns in der traditionsreichen Universitätsbibliothek der litauischen Hauptstadt Vilnius wiederaufgefunden. 19 Scultetus war wie alle schlesischen Späthumanisten von Rang im Südwesten gewesen, hatte in Straßburg studiert, in Heidelberg sich aufgehalten und war weitergezogen über die Schweiz, Italien, Frankreich, bevor er über Prag nach Schlesien zurückkehrte. Solche Reisen bescherten Kontakte fast ohne Ende und insbesondere dann, wenn man wie Scultetus als Hofmeister von Adeligen unterwegs war. So war es ihm ein leichtes, Opitz in den Westen auf den Weg zu bringen, in das Mekka der reformierten Intelligenz, an Universität und Hof zu Heidelberg, dem strahlendsten Gestirn im Reich. 20

___________ 19

Vgl. Klaus Garber, DAPHNIS. Ein unbekanntes Epithalamium und eine wiederaufgefundene Ekloge von Martin Opitz in einem Sammelband des schlesischen Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen in der litauischen Universitätsbibliothek, in: Ders., Opitz, Fleming, Dach (wie Anm. 16), S. 1-96. Hier der Text der Ekloge nebst deutscher Übersetzung S. 65-71. Zweisprachige Version ebenfalls in: Veronika Marschall / Robert Seidel (Hrsg.), Martin Opitz. Lateinische Werke. In Zusammenarbeit mit Wilhelm Kühlmann, Hans-Gert Roloff und zahlreichen Fachgelehrten hrsg., übersetzt und kommentiert. 3 Bde., Berlin [u.a.] 2009-2015 (= Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), Bd. 1: 1614-1624 (2009), S. 90-97, Kommentar S. 337-342. Zur Biographie von Scultetus vgl. Garber, Daphnis (wie eben), S. 71-91. 20 Dazu jetzt mit der einschlägigen Literatur: Volker Hartmann / Wilhelm Kühlmann, Heidelberg als kulturelles Zentrum der Frühen Neuzeit. Grundriß und Bibliographie, Heidelberg 2012. Hier geht es um die Bedeutung Heidelbergs und der Pfalz für Opitz. Sie steht im Mittelpunkt der beiden Opitz-Porträts des Verf.s. Vgl. Garber, Martin Opitz (1984) (wie Anm. 12), S. 119-125 mit den Anmerkungen 19-34, S. 172-175; Ders., Der junge Martin Opitz (wie Anm. 12), S. 106-145. Das gesamte späthumanistische Milieu umfassend rekonstruiert bei Axel E. Walter, Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenz Georg Michael Lingelsheims, Tübingen 2004 (= Frühe Neuzeit, Bd. 95). Vgl. jetzt auch die auf sechs Bände berechnete Dokumentation unter der Obhut der Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Wilhelm Kühlmann [u.a.] (Hrsg.), Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit. Abt. I: Die Kurpfalz, Turnhout 2005ff. (= Europa humanistica, Bd. 3ff.). Schließlich ist hinzuweisen auf den wichtigen

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Diese Jahre miterlebt zu haben, entschied über ein ganzes Leben. Opitz wurde Zeuge der Zurüstung Kurfürst Friedrichs V. und seiner Ratgeber, den Brückenschlag nach Prag zu vollziehen, um dem Habsburger Ferdinand II. die königliche Krone zu entwinden. 21 Dieser riskante Versuch scheiterte bekanntlich. Das hat unabsehbare Folgen für die Geschichte der späthumanistischen Intelligenz, die Geschicke des Reformiertentums auf mitteleuropäischen Boden und nicht zuletzt die Fortentwicklung der eben erst ins Leben getretenen neueren deutschen Literatur in der von Opitz und den Seinen verordneten klassizistischen Statur gehabt. 22 Auch aus dem bislang begünstigten Jüngling Martin Opitz wurde ein Flüchtling, ein zeitweiliger Exilant, ein heimat- und herrenloser. Seine Heidelberger Freunde traf es teilweise noch schwerer. Aber auch Opitz vermochte nach

___________ Sammelband: Joachim Bahlcke / Albrecht Ernst (Hrsg.), Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung, Heidelberg [u.a.] 2012 (= Pforzheimer Gespräche, Bd. 5). 21 Vgl. Peter Wolf [u.a.] (Hrsg.), Der Winterkönig. Friedrich V. Der letzte Kurfürst aus der Oberen Pfalz. Amberg – Heidelberg – Prag – den Haag, Augsburg 2003 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Bd. 46). Hier eine gediegene Literaturauswahl S. 371ff.; auch unter dem Titel: Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz, Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Darmstadt 2003. Dazu begleitend: Annette Frese / Frieder Hepp / Renate Ludwig (Hrsg.), Der Winterkönig. Heidelberg zwischen höfischer Pracht und Dreißigjährigem Krieg, Remshalden 2004. Zur politischen Biographie: Peter Bilhöfer, Nicht gegen Ehre und Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz – der Winterkönig von Böhmen (1596-1632), Heidelberg 2004 (= Bausteine zur Kreisgeschichte, Bd. 7); Brennan C. Purcell, The Winter King: Frederick V of the Palatinate and the Coming of the Thirty Years’ War, London 2003. In diesen Kontext gehört auch die große Rede, die Opitz auf den Pfälzer Kurfürsten hielt, in der der Dichter zum Aufbruch auf den Prager Königsthron ermunterte. Vgl. Klaus Garber, Opitzens ‚Oratio ad Fridericum Regem Bohemiae‘, in: Ders., Der junge Martin Opitz (wie Anm. 12), S. 142f.; Dieter Mertens, Zincgrefs ‚Epos ad Fridericum‘, in: Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz, hrsg. in Verb. mit Hermann Wiegand, Ubstadt-Weiher 2011 (= Mannheimer historische Schriften, Bd. 5), S. 101-133. Zum Kontext das Kapitel „Politische Publizistik im Umkreis des ‚Winterkönigs‘“ bei Garber, Der junge Martin Opitz (wie Anm. 12), 136-139. Vgl. auch Michael Schilling, Die bildpublizistischen Kampagnen um Friedrichs V. böhmisches Königtum und ihre mediengeschichtliche Bedeutung, in: Wilhelm Kreuz / Wilhelm Kühlmann / Hermann Wiegand (Hrsg.), Die Wittelsbacher und die Kurpfalz in der Neuzeit. Zwischen Reformation und Revolution, Regensburg 2013, S. 389-408. 22 Vgl. Klaus Garber, Der deutsche Sonderweg – Gedanken zu einer calvinistischen Alternative um 1600, in: Gerhard Schulz / Conrad Wiedemann / Viktor Zmegac (Hrsg.), Kulturnation statt politischer Nation? Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Bd. 9, Tübingen 1986, S. 165-172; Ders., Zentraleuropäischer Calvinismus und deutsche ‚Barock‘-Literatur. Zu den konfessionspolitischen Ursprüngen der deutschen Nationalliteratur, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der ‚Zweiten Reformation‘, Gütersloh 1986 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195), S. 307348. Beide Texte eingegangen in Klaus Garber, Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit, München (im Druck). Vgl. auch die Abschnitte „Der Aufbruch des Pfälzer Kurfürsten nach Prag in konfessionspolitischer Perspektive: Luthertum und Calvinismus“ sowie „Dialektik der Pfälzer Böhmen-Politik“ und „Die verlorene Schlacht am Weißen Berg als historische Wende von europäischer Dimension“ bei Garber, Der junge Martin Opitz (wie Anm. 12), S. 127-136 (mit reicher Literatur).

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Rückkehr in die schlesische Heimat sicheren Fuß nicht mehr zu fassen. Die Herzöge von Liegnitz und Brieg, seine Gönner, waren wie seine älteren humanistischen Mentoren und Freunde Parteigänger des Winterkönigs gewesen. Sie mussten das Schlimmste befürchten. Und wenn das Ungewitter anders als in Böhmen glimpflich sich entlud, so war doch klar, dass bestenfalls eine Atempause gewährt worden war. Noch im zweiten Dezennium setzte auch in Schlesien die Rekatholisierung ein und wurde unnachsichtig betrieben. Die große schlesische Dichtung legt ergreifend Zeugnis davon ab. 23 Auch Opitz war zeitweilig genötigt, katholische Dienste zu nehmen, bevor ein zweites Mal das Exil angetreten werden musste, getreulich immer noch an der Seiten der Piasten, die ein nämliches Schicksal ereilte. Nun führte der Weg in das polnische Königreich. Und das auf Trassen, die der Literaturwissenschaft zu ihrem Schaden immer noch weitgehend verschlossen sind. Um Lissa und Posen und Thorn und im Umkreis der reformierten oder gar unitarischen Magnaten machte man Station, bevor es zumindest für Opitz weiterging in den Schmelztiegel Danzig, der ihm noch einmal reiche, aber eben nur allzu kurze Wirkungsmöglichkeiten eröffnete. 24 Als ihn die Pest dahinraffte, war ein ge-

___________ 23 Wie für die meisten Territorien fehlt eine gediegene moderne regionale Literaturgeschichte auch für Schlesien in der Frühen Neuzeit bzw. im 17. Jahrhundert. Wichtig jetzt vor allem neben den oben Anm. 15 zitierten Arbeiten die Folge von Studien zur schlesischen Gelehrtenkultur: Marek Halub / Anna Manko-Matysiak (Hrsg.), Schlesische Gelehrtenrepublik – Śla̜ska republika uczonych. Bd. 1ff., Wroclaw 2004ff. (bislang sechs Bände). Vgl. neben dem in Anm. 8 aufgeführten Sammelband zur Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit auch: Mirosława Czarnecka (Hrsg.), Zur Literatur und Kultur Schlesiens in der Frühen Neuzeit aus interdisziplinärer Sicht, Wroclaw 1998 (= Acta Universitatis Wratislaviensis, Bd. 1968). Gehaltreich im Blick auf die zur Rede stehende Literatur Schlesiens in der Frühen Neuzeit auch der Marian Szyrocki gewidmete Gedenkband: Mirosława Czarnecka [u.a.] (Hrsg.), Memoriae Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Zum Gedenken an Marian Szyrocki (1928-1992), Wroclaw 2003. Zum historischen Kontext: Ludwig Petry / Josef Joachim Menzel / Winfried Irgang (Hrsg.), Geschichte Schlesiens. Bd. 2: Die Habsburger Zeit 1526-1740. 3. Aufl., Stuttgart 2000; Norbert Conrads (Hrsg.), Schlesien, Berlin 1994 (= Deutsche Geschichte im Osten Europas); Joachim Bahlcke (Hrsg.), Schlesien und die Schlesier, München 2000 (= Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche. Eine Studienbuchreihe, Bd. 7); Jochim Bahlcke (Hrsg.), Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft, Köln 2005 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, Bd. 11); Jörg Deventer, Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526-1707, Köln 2003 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, Bd. 8); Arno Herzig, Konfession und Heilsgewissheit. Schlesien und die Grafschaft Glatz in der Frühen Neuzeit, Bielefeld 2002 (= Religion in der Geschichte, Bd. 9); Ders., Das unruhige Schlesien. Krisendynamik und Konfliktlösung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. von Jörg Deventer und Christine Schatz, Köln [u.a.] 2014 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, Bd. 25). 24 Der großpolnische Raum ist kultur- und insbesondere literaturgeschichtlich zumal im Blick auf das 17. Jahrhundert bislang keinesfalls angemessen erforscht. Zur historischen Einführung sei vor allem auf die Arbeiten von Jerzy Topolski verwiesen: Jerzy Topolski, Die Rolle Großpolens in der Geschichte Polens, in: Slawen, Deutsche und Dänen in zwei historischen Grenzregionen (Schleswig-Holstein und Großpolen). Vorträge einer gemeinsamen Konferenz des Instituts für Ge-

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waltiges Werk vollbracht. Aber was alles hatte noch vor ihm gelegen! Den Frieden, die ihm gewidmeten Feierlichkeiten, so oft in Erinnerung an ihn und seine Reform begangen – er hat ihn nicht mehr erlebt. III. Unter dem Schirm Gábor Bethlens: Dichterisches Exil Doch wir sind weit vorausgeeilt, um den Bogen zu spannen. 1622/23 ging es unter dem Patronat der Piasten um nichts anderes als den überaus prekären Versuch, die Lage nach dem Prager Desaster zu stabilisieren sowie mit dem böhmischen König und dem Kaiser ein wie auch immer geartetes Einvernehmen zu suchen. In dieser Situation muss es für die Herzöge ein Glück gewesen sein, Opitz eine Perspektive im fernen Siebenbürgen bieten zu können. Umgekehrt durften sie gewiss sein, einen klugen Informanten daselbst zu wissen. Entscheidend für die Wahl des Ortes erwies sich noch einmal die Religion, das nun in Schlesien nicht mehr verlautende, vom Calvinismus inspirierte Bekenntnis des Glaubens. Opitz brauchte sich nicht zu verleugnen, als er aufbrach. Und er wusste, dass er in ein multikonfessionelles Land kam, in dem unter der Führungsrolle der Calvinisten vier Konfessionen ihr verbrieftes Recht zur Ausübung ihres Glaubens besaßen – eine nicht eben häufig anzutreffende Situation. Sie dürfte für Opitz die ausschlaggebende Motivation bewirkt haben. Doch kam vielerlei zusammen. 25

___________ schichte der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań und des Historischen Seminars der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, Poznań 2001 (= Publikacije Instytutu Historii UAM, Bd. 38), S. 223230; von ihm stammt auch die postum erschienene große Einführung in die frühneuzeitliche National- und Kulturgeschichte Polens: Ders., Polska w czasach nowożytnych. Od środkowoeuropejskiej pote̜gi do utraty niepodległości (1501-1795) [Polen in der Neuzeit. Von einer mitteleuropäischen Macht bis zum Verlust der Unabhängigkeit.], Poznań 1999 (= Polska – dzieje narodu, państwa i kultury, Bd. 2). – Für Danzig ist neben dem großen von Edmund Cieslak herausgegebenen fünfbändigen Standardwerk (1978-1997) aus jüngster Zeit zu verweisen auf: Frank Fischer, Danzig. Die zerbrochene Stadt, Berlin 2006. Speziell zur Kultur-, Literatur- und Bibliotheksgeschichte vgl. Klaus Garber, Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen königlich polnischen Anteils. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte, in: Beckmann / Ders., Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils (wie Anm. 8), S. 301355, in erweiterter Version in Ders., Das alte Buch im alten Europa, München 2006, S. 439-489; Ders., Die Danziger Stadtbibliothek. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Umkreis der Stadt, in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums (wie Anm. 57), Bd. 23, S. 15-50. 25 Zur Geschichte Siebenbürgens liegt eine Reihe von einführenden Darstellungen vor. Hervorzuheben ist die Gemeinschaftsarbeit zahlreicher ungarischer Historikerinnen und Historiker der Ungarischen Akademie der Wissenschaften: Béla Köpeczi (Hrsg.), Kurze Geschichte Siebenbürgens. Unter Mitarbeit von Gábor Barta [u.a.], Budapest 1990. Die Darstellung Siebenbürgens zwischen 1526 und 1606 stammt von Gábor Barta, diejenige zwischen 1606 und 1660 von Katalin Péter, diejenige der Jahre 1660 bis 1711 von Agnes R. Várkonyi. Das Werk genügt dem Anspruch einer Standard-Darstellung. Es ist reichhaltig mit Literatur ausgestattet. – Die Geschichte des Protestantismus und speziell der Reformation in Ungarn ist ausgezeichnet erforscht. Die Beschäftigung mit dem Thema hat eine lange Tradition. Als heute maßgebliche Darstellung darf das zweibändige Werk von Mihály Bucsay gelten: Der Protestantismus in Ungarn 1521-1978. Ungarns Re-

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1613 war Gabriel Bethlen zum Fürsten von Siebenbürgen gewählt worden. 26 Seine vielfältigen Aktivitäten umfassten auch bildungspolitische Maßnahmen.

___________ formkirchen in Geschichte und Gegenwart. Bd. 1: Im Zeitalter der Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform. Bd. 2: Vom Absolutismus bis zur Gegenwart, Wien 1977-1979 (= Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte. Erste Reihe, Bd. 3/1-2). Voran ging bereits eine schmalere Synopsis: Mihály Bucsay, Geschichte des Protestantismus in Ungarn, Stuttgart 1959. Bucsay hat auch frühzeitig eine verdienstvolle Quellenedition vorgelegt: Bibliothek des Protestantismus im mittleren Donauraum. Bd. 1: Das evangelisch-theologische Schrifttum in Ungarn, Halle 1940. – Zur Geschichte der evangelischen Kirche und speziell der Reformation in Siebenbürgen liegt eine reiche Literatur vor. Das Standardwerk stammt bekanntlich von Friedrich Teutsch, Geschichte der evangelischen Kirche in Siebenbürgen. 2 Bde., Hermannstadt 1921-1922. Aus der Nachkriegszeit ist in erster Linie zu verweisen auf die Darstellung von Erich Roth, Die Reformation in Siebenbürgen. Ihr Verhältnis zu Wittenberg und der Schweiz. Bd. 1: Der Durchbruch. Bd. 2: Von Honterus zur Augustana, Köln [u.a.] 1962-1964 (= Siebenbürgisches Archiv, Bde. 2 und 4). Es handelt sich um die posthume Publikation einer in Göttingen in der ersten Hälfte der vierziger Jahre erarbeiteten Dissertation und Habilitationsschrift. Beiden Teilen des Werkes steht jeweils ein Vorwort des Bearbeiters und Herausgebers Karl Reinerth voran. Reinerth, evangelischer Pfarrer, legte seinerseits eine Darstellung vor: Karl Reinerth, Die Reformation der siebenbürgischsächsischen Kirche, Gütersloh 1956. – Die jüngste zusammenhängende, reichhaltig mit Literatur ausgestattete, außerordentlich informative Arbeit stammt von Márta Fata und ist in dem von Anton Schindling und Walter Ziegler aufgebauten grundlegenden vielbändigen und sukzessive fortschreitenden Werk zur Konfessionalisierung in einzelnen Territorien des Reichs und in Mittelosteuropa erstmals einem ganzen Land gewidmet. Vgl. Márta Fata, Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700, Münster 2000 (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 60). Es enthält abschließend (S. 285-292) einen Forschungsbericht, in dem vor allem auch die zahlreichen ungarischen Arbeiten aufgeführt und knapp charakterisiert sind, aus denen Fatas Darstellung vielfach schöpft. – Neben den monographischen Darstellungen stehen die einschlägigen Sammelwerke. Hier ist an erster Stelle ein Band des „Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde“ zu erwähnen, in dem die Beiträge einer Tübinger Tagung des Jahres 1983 dokumentiert sind: Georg Weber / Renate Weber (Hrsg.), Luther und Siebenbürgen. Ausstrahlungen von Reformation und Humanismus nach Südosteuropa, Köln 1985 (= Siebenbürgisches Archiv. Archiv des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde. 3. Folge, Bd. 19). Thematisch weiter ausgreifend jetzt der Band: Volker Leppin / Ulrich A. Wien (Hrsg.), Konfessionalisierung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2005 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 66). – Die Geschichte der katholischen Kirche in Ungarn ist neuerdings wieder Gegenstand eingehenderer Forschungen. Es sei monographisch verwiesen auf: Gabriel Adriányi, Geschichte der katholischen Kirche in Ungarn, Köln 2004 (= Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte, Bd. 26). Hinzuzunehmen das gehaltvolle, alle Epochen und Regionen abdeckende Sammelwerk jüngsten Datums: Joachim Bahlcke / Krista Zach (Hrsg.), Kirche – Staat – Nation. Eine Geschichte der katholischen Kirche Siebenbürgens vom Mittelalter bis zum frühen 20. Jahrhundert. Aus dem Ungarischen von Juliane Brandt [u.a.], München 2007 (= Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wissenschaftliche Reihe, Bd. 98). 26 Zu Gábor Bethlen vgl. neben den eben in Anm. 25 aufgeführten Darstellungen zur Geschichte Ungarns z.B. Dávid Angyal, Gabriel Bethlen, in: Revue historique 158 (1928), S. 19-80; Lászlo Makkai, Gábor Bethlen et la culture européene, in: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 28 (1982), S. 37-71; Jörg-Peter Findeisen, Der Dreißigjährige Krieg. Eine Epoche in Lebensbildern, Graz 1998, S. 101-104. Alle Beiträge mit weiterer Literatur. Zum Kontext grundlegend: Maja Depner, Das Fürstentum Siebenbürgen im Kampf gegen Habsburg. Untersuchungen über die Politik Siebenbürgens während des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 1938 (= Schriftenreihe der Stadt der Auslandsdeutschen, Bd. 4).

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Das Vorbild, dem es nachzueifern galt, war offenkundig Matthias Corvinus als weit über das Land hinaus gefeierter Mäzen und Verehrer der Künste im Stil der Renaissance. 27 Dieses Erbe verband sich bei dem überzeugten Calvinisten Bethlen nicht nur mit dem Auftrag des Schutzes der Religion, sondern in guter calvinistischer Tradition auch mit dem Vorsatz, gestaltend in alle Belange des Landes einzugreifen. Schon von Schlesien her war Opitz der reformierte Brückenschlag in die Kurpfalz vertraut. Nun wiederholte er sich in Siebenbürgen.

___________ 27 Zu Corvinus und der Renaissance bzw. dem Humanismus vgl. Jolán Balogh, Die Anfänge der Renaissance in Ungarn. Matthias Corvinus und die Kunst, Graz 1975; Gottfried Stangler (Hrsg.), Matthias Corvinus und die Renaissance in Ungarn. 1458-1541. Katalog der Ausstellung auf der Schallaburg 1982, Wien 1982; Rózsa Feuer-Tóth, Art and Humanism in Hungary in the Age of Matthias Corvinus, Budapest 1990; Erno Marosi, Die ‚Corvinische Renaissance‘ in Mitteleuropa. Wendepunkt oder Ausnahme?, in: Bohemia 31 (1990), S. 326-338; Tibor Klaniczay / Jozef Jankovics (Hrsg.), Matthias Corvinus and the Humanism in Central Europe, Budapest 1994; Agnes Ritook-Szalay, Der Humanismus in Ungarn zur Zeit des Matthias Corvinus, in: Winfried Eberhard / Alfred A. Strnad (Hrsg.), Humanismus und Renaissance in Ostmitteleuropa vor der Reformation, Köln 1996 (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, Bd. 28), S. 157-171; Ernö Marosi, Die Corvinische Renaissance in Ungarn und ihre Ausstrahlung in Ostmitteleuropa, in: Ebd., S. 173-187; Jörg K. Hoensch, Matthias Corvinus. Diplomat, Feldherr und Mäzen, Graz 1998. – Zur Bibliothek des Corvinus: Bibliotheca Corviniana. Die Bibliothek des Königs Matthias Corvinus von Ungarn. Eingeleitet und erläutert von Csaba Csapodi und Klára Csapodi-Gárdonyi, München 1969; Csaba Csapodi, The Corvinian Library. History and Stock, Budapest 1973; Ferenc Földesi (Hrsg.), Bibliotheca Corviniana. 1490-1990. International Corvina Exhibition on the 500th Anniversary of the Death of King Matthias, Budapest 1990; Ernst Gamillscheg / Brigitte Mersich (Hrsg.), Matthias Corvinus und die Bildung der Renaissance. Handschriften aus der Bibliothek und dem Umkreis des Matthias Corvinus aus dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien 1994. – Die Geschichte des Humanismus in Ungarn und speziell in Siebenbürgen gehört zu den glanzvollen Kapiteln frühneuzeitlicher Kulturgeschichte. Entsprechend reich ist die Literatur. Erwähnt seien: Friedrich Teutsch, Aus der Zeit des sächsischen Humanismus, in: Archiv für siebenbürgische Landeskunde 16 (1880/81), S. 227-277; Andreas Angyal, Südosteuropäische Spätrenaissance, in: Johannes Irmscher (Hrsg.), Renaissance und Humanismus in Mittel- und Osteuropa. 2 Bde., Berlin 1962, Bd. 1, S. 287-301; daselbst im zweiten Band zwei Beiträge von János Balázs, Sylvester und der Humanismus in Mittel- und Osteuropa, S. 19-37, und: Tibor Klaniczay, Probleme der ungarischen Spätrenaissance (Stoizismus und Manierismus), S. 61-94; Tibor Kardos, Zentralisierung und Humanismus im Ungarn des 15. und 16. Jahrhunderts, in: György Szekely / Erik Fügedi (Hrsg.), La Renaissance et la Réformation en Pologne et en Hongrie (1450-1650), Budapest 1963, S. 397-414; Francis Pall, Fragen der Renaissance und der Reformation in der Geschichte Rumäniens, in: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 9/2 (1966), S. 5-27; Jean Berenger, Caractères originaux de l’humanisme hongrois, in: Journal des savants 1973, S. 257-288; Stefan Torjai-Szabo, Das literarische Schaffen im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance in Ungarn, in: Ungarn-Jahrbuch 10 (1979), S. 133-162; Krista Zach, Humanismus und Renaissance in Siebenbürgen. Über ihre Voraussetzungen und Wege zur Entfaltung in einer Randzone (15./16. Jahrhundert), in: Ungarn-Jahrbuch 19 (1979), S. 163-224; Tibor Klaniczay, Die soziale und institutionelle Infrastruktur der ungarischen Renaissance, in: Georg Kauffmann (Hrsg.), Die Renaissance im Blick der Nationen, Wiesbaden 1991 (= Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, Bd. 9), S. 319-337; Winfried Baumann, Humanistische Literatur bei Süd- und Westslaven. Ein Überblick, in: Humanismus und Renaissance in Ostmitteleuropa (wie oben), S. 301-315; Ulrich A. Wien / Krista Zach (Hrsg.), Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert, Köln 2004 (= Siebenbürgisches Archiv, Bd. 37).

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Wie kein anderer Landstrich versorgte insbesondere Heidelberg den im Aufbruch begriffenen Staat mit Predigern, Gelehrten, Verwaltungsfachleuten. 28 Eine rege Korrespondenz entfaltete sich mit dem gebürtigen Schlesier und reformierten Theologen David Pareus, der in den entscheidenden Jahren vor dem Ausbruch des Krieges eine Schlüsselstellung in Heidelberg einnahm. 29 Der Hörerkreis, den er um sich zu scharen wusste, war international zusammengesetzt. Ungarn und Siebenbürgen fehlten ebenso wenig wie Studierende der zweiten östlichen Großmacht Polen. Das Bekenntnis zum Widerstandsrecht verband sich bei Pareus mit einer überzeugten irenischen Ausrichtung in der Nachfolge des Zacharias Ursinus, wie sie in seinem Irenicum sive de unione et synodo evangelicorum liber votivus aus dem Jahre 1614, das gleich im folgenden Jahr ins Deutsche übersetzt wurde, zum Ausdruck kam. Opitz betrat also einen Raum, der ihm vom Milieu her gleichermaßen aus dem Beuthen Georgs von Schönaich wie aus Heidelberg vertraut war. Den unmittelbaren Anstoß aber gab der Plan Bethlens, eine Universität im eigenen Lande zu gründen. 1622 begann er damit, die Lateinschule in Weißenburg zu einem Gymnasium auszubauen. 30 Folgerichtig erfolgte als nächster

___________ 28 Vgl. die einschlägigen Beiträge in den beiden äußerst gehaltreichen Sammelbänden jüngeren Datums: Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hrsg.), Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Unter Mitarbeit von Wolfram Hauer, Stuttgart 2004 (= Contubernium, Bd. 62), darin u.a.: Robert Seidel, Der ungarische Späthumanismus und die calvinistische Pfalz, S. 227-251; Matthias Asche, Bildungsbeziehungen zwischen Ungarn, Siebenbürgen und den deutschen Universitäten im 16. und frühen 17. Jahrhundert, S. 2752. Des Weiteren: Márta Fata / Anton Schindling (Hrsg.), Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918, Münster 2010 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Bd. 155). Vgl. auch Janos Heltai, Die Heidelberger Peregrination 1595-1621, in: András Szabó (Hrsg.), Iter Germanicum. Deutschland und die Reformierte Kirche in Ungarn im 16. und 17. Jahrhundert, Budapest 1999, S. 169-179. 29 Vgl. jetzt die eingehende Dokumentation in: Kühlmann, Die deutschen Humanisten (wie Anm. 20), Bd. 2: David Pareus, Johann Philipp Pareus, Daniel Pareus. Hier das Porträt zu David Pareus sowie die einschlägige wissenschaftliche Literatur nebst einem Verzeichnis der Werke des Pareus, S. 1-7. Sodann ist der Eintrag von Karl Friedrich Ulrichs in: Biographisches-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), begr. und hrsg. von Friedrich Wilhelm Bautz, fortgef. von Traugott Bautz. 2. Aufl. 19 Bde., Hamm [u.a.] 1990-2001, Bd. 6 (1993), Sp. 1532-1536, heranzuziehen, in dem sich gleichfalls ein eingehendes Werk- und Literaturverzeichnis befindet. Hinzuzunehmen Gustav Adolf Benrath, David Pareus, in: Helmut Neubach / Ludwig Petry (Hrsg.), Schlesische Lebensbilder des 15. bis 20. Jahrhunderts, Würzburg 1968 (= Schlesische Lebensbilder, Bd. 5), S. 1323. Monographisch einschlägig: Wilhelm Holtmann, Die pfälzische Irenik im Zeitalter der Gegenreformation. Diss. theol. Göttingen 1960; Günter Brinkmann, Die Irenik des David Pareus. Frieden und Einheit in ihrer Relevanz zur Wahrheitsfrage, Hildesheim 1972 (= Studia Irenica, Bd. 14). Vgl. auch die in Anm. 3 des Beitrags von Seidel, Der ungarische Späthumanismus (wie Anm. 28) aufgeführte Literatur. 30 Vgl. Horst Helge Fassel, Der Fürstenhof von Weißenburg (Alba Julia) und seine Bedeutung für Wissenschaft und Kunst in Siebenbürgen zur Zeit Gabriel Bethlens, in: August Buck [u.a.] (Hrsg.), Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. 3 Bde., Hamburg 1981 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bde. 8-10), S. 637-645. Vgl. auch Katalin Péter, Das Kollegium von Weißenburg und Straßburg bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, in: Walter König (Hrsg.),

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Schritt, abgesegnet durch einen entsprechenden Landtagsbeschluss, die Aufstockung zum academicum collegium. Wie so häufig auch anderwärts, gelang der letzte Schritt hin zur Universität nicht, weil er mit der Bestätigung entsprechender Privilegien verbunden war. Doch gab es genügend Gymnasien, die im wissenschaftlichen Rang aufgrund ihres gediegenen Lehrkörpers den Universitäten in nichts nachstanden. Sieht man, dass Bethlen Gelehrte wie Johann Alsted, Johann Bisterfeld oder Johann Piscator für seine junge Schöpfung zu verpflichten wusste, die allesamt von der reformierten Herborner Universität kamen, so wird der angestrebte Nimbus sogleich evident, auch wenn eingeräumt werden muss, dass die illustren Köpfe inzwischen selbst zu Glaubensflüchtlingen geworden waren. 31 Wie ernst es dem Fürsten mit seinem Anliegen war, geht auch daraus hervor, dass er eine Bibliothek für die Studierenden einrichtete, die er selbst mit vielfach bibliophilen Werken bestückte. Dazu gehörte schließlich, dass in Weißenburg eine Druckerei installiert wurde. Die für gymnasiale Schöpfungen so typische Trias aus Schule, Bibliothek und Druckerei war also auch in Weißenburg alsbald gegeben. 32 Opitz durfte folglich erwarten, an einem Bildungswerk mitzuwirken, dem eine Zukunft gehörte. Und ihm wurde eine Position geboten, die die begehrteste im Umkreis der philologischen nobilitas literaria blieb, die Professur für Poesie und Rhetorik. Dass diese Hoffnungen sich gleichwohl offenkundig nicht erfüll-

___________ Beiträge zur siebenbürgischen Schulgeschichte, Köln [u.a.] 1996 (= Siebenbürgisches Archiv, Bd. 32), S. 185-204. 31 Zu ihnen im Kontext der Herborner Universitätsgeschichte Gerhard Menk, Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584-1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation, Wiesbaden 1981 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 30). Vgl. auch die Bemerkungen bei Fassel, Der Fürstenhof (wie Anm. 30), S. 641. Alsteds Encyclopaedia erschien 1620 in Weißenburg, 1648 kam sein Lehrbuch Latinum in nuce daselbst heraus. Auch von Bisterfeld erschienen eine Reihe von Titeln zwischen 1630 und 1655. 32 Über die Bibliothek liegen, soweit zu sehen, keine näheren Informationen vor. Vgl. die Bemerkungen bei Fassel, Der Fürstenhof (wie Anm. 30), S. 640f. Auch Weißenburg ist als Druckort der Frühzeit jetzt hervorragend erschlossen durch Christian Rother, Siebenbürgen und der Buchdruck im 16. Jahrhundert. Mit einer Bibliographie ‚Siebenbürgen und der Buchdruck‘. Mit einem Geleitwort von P. Vodosek, Wiesbaden 2002 (= Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München, Bd. 71). Hier zu den Weißenburger Druckern des 16. Jahrhunderts Raphael Hoffhalter und Laurentius Fronius, S. 82-83. Vgl. auch das Standardwerk: Gedeon Borsa (Hrsg.), Alte siebenbürgische Drucke (16. Jahrhundert), Köln 1996 (= Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, Bd. 21). Zur Weißenburger Druckerei im 17. Jahrhundert vgl. wiederum die Bemerkungen bei Fassel, Der Fürstenhof (wie Anm. 30), S. 641. Vgl. in dem Werk von Rother auch den Registereintrag zur Bibliographie s.v. „Alba Julia“, S. 369, mit dem Nachweis vorwiegend rumänisch- und ungarischsprachiger Literatur. Zum Kontext: Detlef Haberland (Hrsg.), Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit. Unter Mitarbeit von Tünde Katona, München 2007 (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Bd. 34).

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ten, Opitz den Ort schon nach einem Jahr wieder verließ, steht auf einem anderen Blatt und hat Anlass zu diversen Spekulationen gegeben, von denen die meisten schlicht nur als müßig zu qualifizieren sind. 33 Die knapp bemessene Zeit reichte hin, um auch dieser Periode im Leben des Dichters Profil zu verleihen. Sie verbindet sich mit einer besonders schönen dichterischen Schöpfung. Und sie hat auch sonst im Leben des Dichters wie des Gelehrten Epoche gemacht. Bis zum Lebensende fuhr Opitz fort an einem Projekt zu arbeiten, das er in Weißenburg begonnen hatte. Und bis heute liegt über ihm ein Rätsel, das bislang nicht aufgeklärt werden konnte, vielleicht, ja wahrscheinlich überhaupt nicht mehr zu lösen sein wird. Wir nähern uns damit dem dichterischen und gelehrten Ertrag der Siebenbürgen-Exkursion. In einem Dreischritt soll dies geschehen, freilich keinem ausgewogenen. Dem zuletzt zu behandelnden Text soll unsere besondere Aufmerksamkeit gelten. Auch frühneuzeitliche Texte, vielleicht gerade sie, sind so diffizil, dass ihnen mit Generalisierungen nicht beizukommen ist. 34 IV. Gelegenheitsdichtung und Landeskunde Opitz setzte selbstverständlich die Produktion von Gelegenheitsdichtung an seinem neuen Wirkungsort fort. Eine herausragende Bedeutung kam der Trau-

___________ 33 Der Aufenthalt Opitzens in Siebenbürgen hat immer wieder Aufmerksamkeit gefunden, vor allem am Ort selbst. Vgl. Johann Karl Schuller, Martin Opitz in Weißenburg, in: Der Siebenbürger Bote, Hermannstadt 1863, Nr. 6, Beiblatt ‚Transylvania‘ N.F. 3 (1863), S. 161-174; Hermann Antal, Opitz Marton Edélyben. 1622-23 [Martin Opitz in Siebenbürgen. 1622/23], Budapest 1876; Robert Gragger, Martin Opitz und Siebenbürgen, in: Ungarische Jahrbücher 6 (1926), S. 313-320; Karl Kurt Klein, Beziehungen Martin Opitzens zum Rumänentum, in: Korrespondenzblatt des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde 50 (1927), S. 89-116 (Separatdruck Hermannstadt 1927); Ders., Germanissimi Germani, in: Korrespondenzblatt des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde 50 (1927), S. 41-43; Ders., Zur Frage des ‚Germanissmi Germani‘ des Dichters Martin Opitz, in: Südostdeutsches Archiv 4 (1961), S. 19-29, wiederabgedruckt in Ders., Saxonica Septemcastrensia. Forschungen, Reden und Aufsätze aus vier Jahrzehnten zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, Marburg 1971, S. 290-301; Ilie Daianu, Poetul silezian Martin Opitz si Români din Transilvania [Der schlesische Dichter Martin Opitz und die Rumänen Siebenbürgens], Alba Jula 1946; Ilona Komor, Beiträge zur Frage ungarisch-deutscher kultureller Beziehungen im 17. Jahrhundert. 1. Martin Opitz in Siebenbürgen, in: Filologiai közlöny 1 (1955), S. 534-544 [in ungarischer Sprache!]; Rolf Marmont, Martin Opitz in Weißenburg 1622-1623, in: Neue Literatur (Bukarest) 22 (1971), S. 98-105; Hans-Christian Maner, Marin Opitz in Siebenbürgen (1622-1623) – Traum und Wirklichkeit fürstlicher Machtpolitik unter Gabriel Bethlen. Darstellung und Rezeption, in: Thomas Borgstedt / Walter Schmitz (Hrsg.), Martin Opitz (1597-1939). Nachahmungspoetik und Lebenswelt, Tübingen 2002 (= Frühe Neuzeit, Bd. 63), S. 154-168. 34 Wir knüpfen dabei unmittelbar an zwei jüngst erschienene wichtige Beiträge an. Vgl. Achim Aurnhammer, Tristia ex Transilvania. Martin Opitz’ Ovid-Imitatio und poetische Selbstfindung in Siebenbürgen (1622/23), in: Kühlmann / Schindling (wie Anm. 28), S. 253-272; Janos Heltai, Martin Opitz und sein intellektuelles Umfeld in Siebenbürgen, in: Jörg-Ulrich Fechner / Wolfgang Kessler (Hrsg.), Martin Opitz 1597-1639. Fremdheit und Gegenwärtigkeit einer geschichtlichen Persönlichkeit, Herne 2006 (= Martin-Opitz-Bibliothek. Schriften, Bd. 3), S. 79-103.

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errede auf die Fürstin Zsuzsanna Károly zu, der ersten Gemahlin Gábor Bethlens. Sie wurde erst 1880 entdeckt. 35 Heute ist sie nur noch schwer aus dem Opitzschen Oeuvre fortzudenken. 36 Insbesondere auf seinen Aufenthalt in Siebenbürgen fällt ein willkommenes Licht, erhellender als seine brieflichen Äußerungen, die allzu rasch für bare Münze genommen wurden. Die Trauerrede gilt einer Frau. 37 Wie üblich jedoch ist auch der Mann präsent, und ist er ein Fürst, dann allemal. Er geht als Streiter für den rechten Glauben in das Werk ein. 38 Doch mehr als das. Drei Jahre liegt die Schlacht am Weißen Berg zurück, nur eben ein Jahr der Fall Heidelbergs. Die entfesselte Wut der Hölle habe sich gegen die im Stich gelassene Kirche des Fürsten gerichtet. Es ist die Kirche der Reformierten, im Weiteren die aller Protestanten. Dass wir diese Erweiterung vornehmen dürfen, dazu berechtigt uns der Blick des Dichters nach Deutsch-

___________ 35 Vgl. Anton Herrmann, Eine lateinische Leichenrede Opitzens, in: Archiv für Litteraturgeschichte 9 (1880), S. 138-143. 36 Maria Fürstenwald kommt das Verdienst zu, die Rede in jüngerer Zeit der Forschung wieder zugänglich gemacht zu haben. Vgl. Maria Fürstenwald (Hrsg.), Trauerreden des Barock. Wiesbaden 1973 (= Beiträge zur Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts, Bd. 4), S. 11-19, 467f. und 513. Es handelt sich um eine zweisprachige Wiedergabe mit der Übersetzung des allzu früh verstorbenen Göttinger Latinisten Helmut Dreitzel, der zahlreichen Ratsuchenden mit Rat und Tat auf dem Feld der neulateinischen Philologie zur Seite gestanden hat und dem wir eine dankbare Erinnerung bewahren. Inzwischen hat der Text bereits zweimal eine weitere Edition erfahren. Er steht – versehen, wie stets, mit einer sachkundigen Einleitung – in der leider nicht mehr zum Abschluss gelangten Ausgabe: George Schulz-Behrend (Hrsg.), Martin Opitz. Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. 4 Bde. in 7 Teilen, Stuttgart 1968-1990 (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Bde. 295-297, 300f., 312f.), Bd. 2: Die Werke von 1621 bis 1626. 1. Teil (1978), S. 48-56. Jetzt ist er – versehen mit einem ausgiebigen Sachkommentar – eingegangen in: Marschall / Seidel (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 256-271, Kommentar S. 462-477. 37 Das einzige bekannte Exemplar verwahrt die Ungarische Nationalbibliothek Budapest. Es ist Bestandteil eines mächtigen Sammelbands für Zsuzsanna Karolyi, der sich aus zwei Bestandteilen zusammensetzt, auf die die Vergabe einer zweifachen Signatur bereits verweist: RMK I. 539; RMK I 539/a. Unter der ersten Signatur sind die Exequien in lateinischer Sprache zusammengeführt, unter der zweiten die ungarischsprachigen. In dieser ersten Abteilung steht zunächst die „Oratio D. M. Martini Opicii“ auf die Fürstin, S. 146-153. An späterer Stelle ist auf den unpaginierten Seiten 185-187 – die Paginierung reicht in dem Band nur bis S. 167; die Seiten 168-204 sind unpaginiert! – die „Elegia M. Opitii“ platziert (Bl. Aar-Aa2r). Das Werk Opitzens blieb unbekannt, weil in dem Grundwerk der ungarischen Nationalbibliographie aus dem Sammelband 539 nur die ungarischen Titel im Einzelnen aufgeschlüsselt erscheinen. Ein handschriftlicher Zusatz „539a“ in dem Handexemplar der Ungarischen Nationalbibliothek verweist darauf, dass de facto nur dieser Bestandteil des Sammelbands verzeichnet ist. Vgl. Karolyi Szabo, Regi Magyar Könyvtar. AZ 1531-1711. Megjelent magyar nyomtatvanyok. Könyvészeti kézikönyve, Budapest 1879. In der Bibliographie sind unter den Positionen Nr. 539 und 539a (S. 241f.) zahlreiche Exemplare nachgewiesen. Es dürften sich also auch mehr Exemplare der beiden Opitzschen Titel erhalten haben als bislang bekannt. Der Verf. dankt Frau Dr. Klára Berzeviczy und Herrn Prof. Dr. András Szabó für die Unterstützung seiner Arbeiten in der Ungarischen Nationalbibliothek. 38 Die einschlägigen Informationen zu Gábor Bethlen und Zsuzsanna Karolyi sowie dem Anlass jetzt zusammengefasst in dem Kommentar von Thomas Haye und Veronika Marschall in der oben Anm. 19 zitierten Edition von Marschall / Seidel, Bd. 1, S. 462-466.

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land. Dies Land sei wie kein anderes von dem siegreichen Vorrücken des Gegners betroffen. Seine Wahlheimat die Pfalz ist das vornehmste Exempel; dort haben sich barbarische Szenen soeben abgespielt. Aber der Druck auf Schlesien nach dem Fall Böhmens schwingt unausgesprochen mit. Unversehens nimmt die Weißenburg-Episode derart den Charakter eines Exils an und der Dichter ist sich sehr wohl eines großen Vorgängers in der Gestalt Ovids bewusst. Nur aus der Ferne und im Gewande des Asylanten, der sich im ungarischen Fürstentum Siebenbürgen unter dem mächtigen Schirm Gábor Bethlens geborgen weiß, darf er sich zu einem Ton erkühnen, der in der Heimat seit dem Herbst 1620 nicht mehr verlauten durfte. Es ist der Ton des Trostgedichtes in Widerwertigkeit des Krieges, der da erklingt. Dieser große Text aber ruht wohlverschlossen im Schreibtisch; kein Gedanke daran, mit ihm nach 1620 oder gar 1622 hervorzutreten. So verstanden hat die kurze und vermeintlich von Opitz geschmähte Weißenburger Episode eine bedeutende Funktion in seinem Leben und bezogen auf sein Werk innegehabt. Sie bekräftigte den Dichter in seinem Anspruch als eines Repräsentanten und literarischen Fürsprechers der deutschen Nation, als welchen er sich spätestens seit seinen Heidelberger Jahren verstand. Nun trat er wie in seinem Trostgedichte und wie in seiner Oratio auf den Winterkönig neuerlich als politischer Agitator hervor. O mein Gott, spät komme der Tag, welcher auch den vortrefflichsten Fürsten zurückfordert, der ja geboren ist zur Verteidigung von Religion und Vaterland. Gewähre ihm Frieden, gewähre ihm Sicherheit, oder, wenn ein offener Krieg einem unzuverlässigen Frieden vorzuziehen ist, gib, daß er die ruchlosen Pläne der Feinde ohne Schwanken so wie bisher durchkreuzt. Und da sich gegen deine im Stich gelassene Kirche die ganze Wut der Hölle, zumal in unserem deutschen Land, erhebt und uns grausam verhöhnt, als sei sie schon im Besitz des Sieges, so gib, daß wir lernen, mit ungebrochenem Mut für den Ruhm deines Namens, für die Freiheit, für Heim und Herd zu leben und zu sterben! Ohne dich, den Gott der Heerscharen, unseren siegreichen Führer, vermögen wir nichts. Du bist unsere Hilfe, du bist unsere Stärke. Komm also und zögere nicht. Gib jenen den gesunden Verstand wieder, die sich – aus Feindseligkeit und Neid oder getrieben von feiger Angst – von der guten Sache getrennt haben. Richte die Geschlagenen auf, verjage die unrechtmäßigen Besitzer und gib jedem seine Heimat wieder, bis wir Dich in der anderen Heimat, die über uns ist und in die wir die allerseligste Fürstin schon vorausgeschickt haben, ohne Ende feiern und preisen! 39 Amen.

___________ 39 Ebd., S. 267. Hier in der Übersetzung von Thomas Haye. Der lateinische Text: „Sera sit dies ô Deus, quae Principem optimum ad defensionem Religionis et Patriae natum, reposcat; concede ipsi

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Das ist die Sprache der Pfälzer Publizistik, wie sie bis in das Epos in der Volkssprache, das Opitzsche Trostgedichte, hineinragte. Im Exil durfte sie ungerächt und unkaschiert noch einmal verlauten. Opitz hatte auf den richtigen Herrn gesetzt. 40 Nur vermeintlich in eine ganz andere Richtung führt seine geheimnisumwobene Dacia antiqua. 41 Humanistische Dichtung, humanistisches gelehrtes Wir-

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pacem, concede securitatem, aut si infidae paci apertum bellum praeferendum est, da ut infandas hostium molitiones, constanter sicut hactenus, evertat. Et quoniam contra relictam Ecclesiam tuam, totus furor inferorum in nostra praesertim Germania exsurgit, ac velut campos iam victoriae crudeliter nobis insulat, fac ut infracto animo pro nominis tui gloria, pro libertate, pro aris et focis vivere discamus et mori. Sine te, Deo exercitum, victore nostro et Duce nihil possemus. Tu auxilium tu fortitudo nostra es. Veni igitur et noli tardere. Redde illis sanam mentem, qui simultatis et invidiae studio aut imbelli metu perculsi, divortium à bona causa fecerunt. Errige afflictos, et pulsis iniquis possessoribus suam cuique Patriam redde: donec te in altera, quae supra nos est Patria, in quam beatissimam Principem praemisimus, celebremus sine fide et laudemus. Amen.“ (S. 266). 40 Es ist hier daher womöglich der Ort, die wichtigsten Arbeiten zu Opitzens größter Dichtung, dem Trostgedichte in Widerwertigkeit des Krieges aufzuführen, um eine nähere Beschäftigung mit den Text zu erleichtern. Im Taschenbuch ist er leider nur in einem Auszug greifbar. Vgl. Jan-Dirk Müller (Hrsg.), Martin Opitz. Gedichte. Eine Auswahl, Stuttgart 1970 (= Reclams UniversalBibliothek, Bde. 361-363), S. 32-72 (Buch I und II). Der vollständige Text in zuverlässiger Darbietung: Schulz-Behrend (wie Anm. 36), Bd. 1: 1614-1621 (1968), S. 187-266. Eine Monographie zum Trostgedichte legte William Leonard Cunningham vor: Martin Opitz. Poems of Consolation in Adversities of War, Bonn 1974 (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 134). – Die Verwirrung beginnt schon im Titel. Das Opitzsche Werk ist ein durchlaufender Text, Trostgetichte deshalb selbstverständlich als Singular zu lesen. Vgl. im übrigen die seinerzeitige hellsichtige Kritik von Wilhelm Kühlmann, in: Daphnis 4 (1975), S. 217-219. Das Werk auch behandelt bei Horst Nahler, Das Lehrgedicht. 2 Teile, Diss. phil. Jena 1961 [masch.], S. 69ff. Versuch einer Herausarbeitung des zeitgeschichtlichen Gehalts bei Garber, Martin Opitz (1984) (wie Anm. 12), S. 145-167. Aus der neueren Literatur: Barbara Becker-Cantarino, Daniel Heinsius’ ‚De contemptu mortis‘ und Opitz ‚Trostgedichte‘, in: Dies. / Jörg-Ulrich Fechner (Hrsg.), Opitz und seine Welt. Festschrift George Schulz-Behrend, Amsterdam 1990 (= Chloe, Bd. 10), S. 37-56; Jörg-Ulrich Fechner, Martin Opitz’ ‚Trostgedichte‘ in der Nachfolge von Petrarcas ‚De remediis utriusque fortunae‘? Eine methodische Überlegung, in: Ebd., S. 157-172; Jean Charue, Les[!] ‚Trost-Gedichte‘ d’Opitz, in: Le texte et l’idée 10 (1995), S. 45-61; Andreas Solbach, Martin Opitz’ ‚Trostgedichte in Widerwertigkeit des Krieges‘, in: Borgstedt / Schmitz (wie Anm. 33), S. 222-235; Klaus Garber, Konfessioneller Fundamentalismus und späthumanistischer Nationalismus. Die europäischen Bürgerkriege in der poetischen Transformation um 1600: Opitzens ‚Trost-Getichte in Widerwärtigkeit des Krieges‘, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. Unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 2007 (= Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 70), S. 23-46. Zum Kontext besonders wichtig die kleine Arbeit von Pierre Béhar, Martin Opitz: Weltanschauliche Hintergründe einer literarischen Bewegung, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 34 (1984), S. 44-53. Vgl. auch Jane O. Newman, Mariages of Convience: Patterns of Alliance in Heidelberg Politics and Opitz’s Poetics, in: Modern Language Notes 100 (1985), S. 537-576; Achim Aurnhammer, Martin Opitz’ ‚Trost-Getichte‘. Ein Gründungstext der deutschen Nationalliteratur aus dem Geist des Stoizismus, in: Barbara Neymeyr / Jochen Schmidt / Bernhard Zimmermann (Hrsg.), Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. 2 Bde., Berlin 2008, Bd. 2, S. 711-729. 41 Vgl. Walter Gose, Dacia antiqua. Ein verschollenes Hauptwerk von Martin Opitz, in: Südostdeutsches Archiv 2 (1959), S. 127-144. Dazu die Informationen in der oben Anm. 33 zitierten Literatur. Vgl. vor allem Gragger (wie Anm. 33), S. 315-319; Klein, Beziehungen Martin Opitzens

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ken, versteht sich als Akt wie als Teilhabe am umfassenden Auftrag von Akkulturation. Mit jeder in Sprache gefassten Verlautbarung vollzieht sich ein Sieg über Natur, erfolgt eine Humanisierung von Wirklichkeit, wird ein Beitrag zum Heimischwerden des Menschen auf Erden geleistet. Das hatten die Archegeten des Humanismus vom Schlage eines Petrarca oder Conrad Celtis so gesehen. Diese Erbschaft verlor sich nicht wieder. Und wusste man wie Opitz die große Pose des Gründers zu wiederholen, so war der Weg zu entsprechenden poetisch-gelehrten Kundgebungen nicht weit. Opitz war insbesondere über seinen väterlichen Freund Janus Gruter, dem er in Heidelberg begegnet war, die Bedeutung der Inschriftenkunde vertraut, er kannte die großen Sammlungen, die Gruter in seinem monumentalen Inschriften-Corpus zusammengebracht hatte und ihm war aufgegangen, dass die namhaftesten humanistischen Autoritäten diesen Zweig gelehrter Produktion nicht verschmäht hatten. 42 Er wollte sich auf einem wenig bestellten Feld einreihen in diese Reihe, war es doch überhaupt sein Bestreben, den Radius humanistischen Schreibens so umfassend wie irgend möglich auszuschreiten, auch wenn im vorliegenden Fall eine Transformation ins Deutsche entfiel. Doch damit erschöpfte sich der Sinn seiner Bemühungen nicht. Der Fürst erwartete von Opitz eine bis dato nicht existierende moderne Landeskunde. Eine solche paarte sich in aller Regel mit historiographischen Einlagen. Opitzens Inschriften-Studien und Transkriptionen verweisen eben darauf. Historiographie und Landeskunde lagen fest in den Händen der Humanisten. Sie sicherten ihnen überall einen Platz im Umkreis der Höfe. Es waren dies die sensibelsten Gattungen, in denen man sich zu bewähren hatte, ging es doch immer um aktuelle Fluchtlinien und Interessen. Deshalb war das Verständnis für die Intentionen des fürstlichen Auftraggebers oberstes Gebot. Opitz beherrschte auch dieses Metier souverän. Im speziellen Fall hatte er nicht nur – wie überall auch sonst – die Befestigung fürstlicher Herrschaft, hier der Bethlenschen, zu leisten. Vielmehr war zugleich die dezente Deduktion des Bethlenschen Anspruchs auf die ungarische Königskrone und die Stabilisierung

___________ zum Rumänentum (wie Anm. 33), S. 103-113. Es bleibt ein denkwürdiger Vorgang, dass sich ein Gelehrter vom Rang Theodor Mommsens in seinem monumentalen Werk lateinischer Inschriften der verstreuten Opitzschen Notizen zu bedienen vermochte. Vgl. Theodor Mommsen, Corpus inscriptionum Latinarum. P. 3. Inscriptiones Asiae provinciarum Europae Graecarum Illyrici Latinae. 2 Bde., Berlin 1872-1873, Bd. 1, S. 157. Zusammenstellung der Opitzschen Beiträge im Mommsenschen Werk bei Gragger, a.a.O., S. 317ff. Vgl. im Kontext der „Dacia antiqua“ auch die unten Anm. 47 zitierte Schrift Opitzens. 42 Zum Gruterschen Inschriftenwerk vgl. die kommentierte Dokumentation in: Kühlmann, Die deutschen Humanisten (wie Anm. 20), Bd. 1/2: Janus Gruter, S. 639-723: „Inscriptiones Antiquae Totius Orbis Romani. 1602.“ Zu Gruter selbst die Kurzbiographie, das Werkverzeichnis und die Zusammenstellung der wissenschaftlichen Literatur im Eingang zum zweiten Teil des ersten Bandes, S. 531-536.

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des calvinistischen Bekenntnisses als offizieller Staatsreligion vorzunehmen. Und dies Letztere ungeachtet des Lebensrechts der anderen Bekenntnisse auf ungarischem Boden. Historiographisch-archäologische Erkundungen mussten so angelegt sein, dass aus dem Ursprung eines Landes, seiner Verfasstheit, dem Charakter seiner Einwohner, möglichst bruchlos das in der Gegenwart Intendierte heraussprang. Das im Umkreis Bethlens in Umlauf befindliche Schlagwort einer ‚Restitutio Daciae‘ erfüllte diesen Anspruch nicht anders als der humanistische Mythos von Germanien im alten Reich. „Das antike Dakien sollte dem sprachlich und religiös heterogenen Gebilde Siebenbürgen die nationale Identität verbürgen und über Gebietsansprüche hinaus die Idee eines ungarischen Nationalkönigtums – nach dem Vorbild des Matthias Corvinus – historisch legitimieren“. 43 Opitz war im Begriff zu exekutieren, was überall gängige Praxis auch noch im 17. Jahrhundert war. Es ist leicht begreiflich, dass er an diesem Projekt lange festhielt. Und das umso mehr, als der Fürst bei Lebzeiten ihn dazu immer wieder ermunterte und auf eine baldige Rückkehr des Dichters eben deshalb drängte. Ob das spurlose Verschwinden des Werkes womöglich nicht doch damit zusammenhängt, dass es brisante Passagen genug barg, die Opitz angesichts des nahenden Todes nicht unkontrolliert in fremden Händen wissen wollte? Wir wissen es nicht und kommen zu einem dritten Text, übergehen also Opitzens gleichfalls in Siebenbürgen entstandenen Lobgesang Jesu Christi. Vor langer Zeit haben wir uns an einer Interpretation von Opitzens Landlebengedicht Zlatna versucht – Teil eines großen Werkes zur europäischen ArkadienUtopie. Nun ist Gelegenheit, darauf zurückzukommen, wenngleich auch nur als Abbreviatur. 44 V. Ein Siebenbürger Juwel: Zlatna Das Gedicht ist dem Liegnitzischen Rat Heinrich von Stange und Stonßdorff gewidmet. Zugleich aber ist es, wie Opitz in der Widmungsvorrede mitteilt, an

___________ 43

Aurnhammer, Tristia ex Transilvania (wie Anm. 34), S. 265. Die seinerzeitige Interpretation jetzt nachzulesen bei Klaus Garber, Ständische Kulturpolitik und ländliche Poesie. Ein Auftakt zum Arkadienwerk, in: Ders., Wege in die Moderne (wie Anm. 12), S. 146-182. Vgl. zu dem – inzwischen wiederholt ins Rumänische übersetzten – Gedicht Joachim G. Boeckh, Poemul ‚Zlatna‘ de Martin Opitz, in: Revista de filologie romanica si germanica 3 (1959), S. 39-56 (mit deutscher Zusammenfassung); Nahler (wie Anm. 40), Teil 1, S. 97; George Schulz-Behrend, Opitz’ Zlatna, in: Modern Language Notes 77 (1962), S. 398-410; AnkeMarie Lohmeier, Beatus ille. Studien zum ‚Lob des Landlebens‘ in der Literatur des absolutistischen Zeitalters, Tübingen 1981 (= Hermaea, Bd. 44), S. 220-248; Alexandru Ronai, Probleme des Barock und der Romantik in der Dichtung ‚Zlatna‘ von Martin Opitz, in: Zeitschrift für Germanisten Rumäniens 4 (1995), S. 59-62. Es darf an dieser Stelle hingewiesen werden auf einen inzwischen abgeschlossenen Teil zu Opitzens Landlebendichtung, mehr als hundert Seiten umfassend, der nachzulesen sein wird in dem zweiten Band des Arkadienwerks des Verf.s. 44

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den Verwalter des Bergwerks Zlatna Heinrich Lisabon gerichtet. 45 Diese nicht eben häufige Form der Doppel-Widmung über Vorrede und Text selbst hat hier den Sinn, einen siebenbürgisch-schlesischen Brückenschlag zu ermöglichen. Der Dichter eines bevorzugten Aufenthalts in Siebenbürgen ehrt die Gestalt eines zum Freund herangewachsenen Vertrauten. Und zugleich bereitet er seine Rückkehr nach Schlesien widmungsstrategisch vor. Liegnitz, der Hof Johann Christians, bleibt erster Fixpunkt des nach Brotgeber und Schirmherr Ausschau haltenden Dichters. Folgerichtig endet das Stück mit einer Hommage an die Piasten. In vertrauter Manier koppelt Opitz das Motiv des Lobpreises ländlichen Lebens mit dem neostoischen Ideal der ‚Ruhe des Gemüts‘. Doch schon in der Vorrede hatte er dezent angedeutet, dass er sich vorgesetzt habe, „von dem lauff gemeinen wesens etlicher massen deutlich“ zu schreiben. 46 Das kann nur Neugier erwecken. Was dem Dichter mit der Dacia antiqua nicht vergönnt war, das gelingt ihm mit Zlatna. Das Gedicht ist gespickt mit historischen und landeskundlichen Daten. 47 Opitz, der verkappte wie verhinderte Epiker, verschmilzt – wie sein maßgeblich bleibendes Vorbild Vergil – das Lehrgedicht mit dem epischen, vaterländischen Sujet. So im Trostgedichte und so nun, gattungsbedingt anders gewendet, in Zlatna. Spuren der Römer sind allenthalben zu gewahren. Sie belegen die Distinguiertheit der Örtlichkeit und tragen bei zu ihrer Aufwertung. Am meisten gilt dies für Zlatna selbst Da dem Decebalo Trajanus angesieget/ Wie Ich vermutten kan/ weil jetzt noch allermeist 48 Ein grünes Feld allda Trajanus wiesen heist.

Der Dichter führt sich als Ortskundiger und geschichtlich Ausgewiesener ein. Aus der Fremde kommend, leistet er gleichwohl Dolmetscherdienste für die Einheimischen. Insofern bleibt Gábor Bethlen geheimer Adressat auch dieses Gedichts. Mythologisches, Volkskundliches, Sagenhaftes, umlaufendes Erzählgut – alles hat seinen Platz in diesem Werk. Es stellt neben vielen anderem auch einen aufs Ganze gesehen eher seltenen Typ des humanistischen Preises

___________ 45 Vgl. Leonard Forster / Gustav Gündisch / Paul Binder, Henricus Lisbona und Martin Opitz, in: Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literaturen 215 (1978), S. 21-32. 46 Das Gedicht wird im Folgenden zitiert nach der von George Schulz-Behrend veranstalteten kritischen Ausgabe (wie Anm. 36), Bd. 2, 1. Teil (1978), S. 60-106. Das Zitat hier S. 67. 47 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Opitzens Variarum lectionum liber. In quo praecipue Sarmatica. Dantisci Ex officina Andreae Hünefeldii. M.DC. XXXVII. Dazu Gose (wie Anm. 41), S. 138ff. 48 Opitz, Zlatna (wie Anm. 46), V. 30-32, S. 72. – Zu „Trajanus wiesen“ vgl. Eugenio Coserio, Rumänisch ‚prat‘ ein ‚ghost word‘? Mit einem Zeugnis von Martin Opitz, in: Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literaturen 214 (1977), S. 89-93.

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einer Region dar, da die Humanisten in der Regel doch bevorzugt zum Lob der Stadt sich aufschwingen. Der Dichter waltet als Stifter von Gedächtnis seines Amtes. Das schriftkundige Volk der Römer, das sich überall in der Region verewigt hat, wartet auf den Übersetzer, der ausgrabend, deutend, tradierend die Brücke zur Vergangenheit schlägt, ja, das ihr eignende Verpflichtende geradezu herausmeißelt: Nun liegt jhr grossen helden/ Vnd laßt/ seid ihr gleich stumm/ die steine von euch melden. Aus ewern Gräbern wächst jetzt manche Blume für/ 49 Wie jhr euch dann gewünscht vnd steht in voller zier.

Das tun sie jedoch nicht von selbst. Die Blume, die da über ihren Gräbern blüht – sie birgt auch die poetische Auferweckung, wie sie Opitz in Zlatna in großem Stil praktiziert. Immer wird darin der Gegenwart und ihrem fürstlichen Repräsentanten ein erinnerungswürdiges, die große Vergangenheit bezeugendes Gut zugeführt, dem adhortative Momente beigesellt sind. Geht der Dichter dann zu einer Paraphrase der Eitelkeit alles Irdischen über, so hat er vorab doch Hinweise gegeben, wie ihr aus humanistischem Geist zu widerstreiten sei: Die Namen so anjetzt Auff blossen Steinen stehn/ vnd sind fast abgenützt Durch Rost der stillen zeit/ die wil ich dahin schreiben/ Da sie kein Schnee/ kein Plitz/ kein Regen wird vertreiben/ Da euch der Gothen schar/ wie sie vorweilen pflag/ 50 Mit jhrer grimmigkeit zu schaden nicht vermag.

So zeichnet sich für einen Moment ein triadisches Schema ab. Die römische Zeit ist ein Opfer der Eroberer geworden. Diese haben nichts unternommen, um Zeugnis von der gloriosen Vergangenheit zu geben. Sie haben sich als Barbaren verhalten. Der Dichter der Moderne in Gestalt des Humanisten holt das Versäumte nach Maßgabe des Möglichen nach. Eine Anknüpfung an die Zeit der Völkerwanderung ist nicht möglich und soll nicht statthaben. Massiv wertend und eingreifend, weist der Dichter dem Volk um Zlatna und Weißenburg seine rechtmäßigen Überlieferungsbestände an: Es steckt manch edles Blut in kleinen Bawrenhütten/ Die noch den alten brauch vnd der Vorfahren sitten 51 Nicht gänzlich abgelegt.

___________ 49 50 51

Opitz, Zlatna (wie Anm. 46), V. 69-73, S. 73. Ebd., V. 87-92, S. 74. Ebd., V. 105-107, S. 74.

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Lisabon aber ist mit den Seinigen aus der niederländischen Heimat geflohen. Und auch dafür wird der Grund genannt: Ob Gleich die ewrigen jhr Vaterland verlassen/ Aus zwang der Tyranney/ wie Alba alle Gassen Mit Blutte volgefüllt/ vnd Antorff ewre Stadt/ Die sonst so Volckreich war/ gantz ausgeleeret hat; Ob gleich ihr nicht bey jhr/ vnd jhren hohen spitzen/ Nach an der tieffen Scheld’ im schatten möget sitzen/ Vnd sehn den Schiffen zu: Ob gleich das edle Land Das billich euch gehört nun ist in frembder hand: So hat der Blutthund doch euch diß nicht nehmen können Was mehr ist als das Gutt: den Mutt/ die freyen sinnen/ Vnd Liebe zu der Kunst/ die euch noch angeerbt 52 Von ewrem Vater her/ vnd nicht stirbt wann jhr sterbt.

Das schändliche Tun der Spanier, vier Jahre vorher im Trostgedichte drastisch gebrandmarkt, ist nicht vergessen. Der ‚Bluthund‘ hat dem Flüchtling nicht nehmen können, was eigentlich zählt im Leben, wozu nicht zuletzt der erfahrene Umgang mit den Wissenschaften gehört, wie ihn Lisabon praktiziert. Findet er mit den Seinen unter Gábor Bethlen eine neue Heimat, so ist damit auch Triftiges über das Land und seinen Herrscher gesagt. Hier waltet Freiheit, seit eh und je in der Landlebendichtung besungen. Und Lisabon, eingehend in dem Gedicht porträtiert, bezeugt dies durch seine Existenz. Ein großes Freundschaftsgedicht ist Opitz da gelungen. Hier im fernen Siebenbürgen darf er es wagen, was in seiner Heimat nicht mehr möglich wäre, einem von den Spaniern Verfolgten poetisch zu huldigen. Das Gedicht endet mit einem Preis auf die Vorzüge des ländlichen Lebens unter dem Schirm christlich-stoisch-gelehrter Werte, wie in der Gattung üblich und nun auch an Lisabon exemplifiziert. Noch diesem Passus aber ist eine an Deutlichkeit schwerlich zu überbietende Kritik an Hof und Adel eingeschrieben. Gewiss, auch sie gehört zur Gattung. Aber sie birgt durchaus Zündstoff. Das beweist unter anderem der Umstand, dass diese Passage in späteren Drucken fortgelassen wurde. Der Dichter hatte sich erneut zu weit vorgewagt. Er, der Humanist, pocht mit seinem Stand auf Anerkennung der gelehrten Meriten, die den Hofschranzen doch nur allzu häufig abgehen: Da pralet einer her mit grossen weitten schritten/ Der/ wann ein gutter mann jhn hat vmb was zu bitten/ Der besser ist als er/ vnd vielmehr weiß vnd kan/ So sieht er jhn doch kaum halb über Achsel an/

___________ 52

Ebd., V. 245-256, S. 79f.

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Vnd fertigt jhn kahl ab. Bald trifft sich eine Stunde/ Wann der Fürst mucken hat/ so geht der Held zu grunde Der hoch am Brete war/ vnd kriegt ein newer gunst/ So bloß vom Glücke kömpt/ nicht von verdienst und kunst/ 53 Die hier dahinten steht.

Der Kenner vernimmt den Diskurs de vera nobilitae hinter den Worten, den Opitz unaufhörlich und so einprägsam wie sonst nur später noch Sigmund von Birken in seinen Dichtungen umspielte. Die Auseinandersetzung mit dem unberechtigt privilegierten Adel unter Missachtung gelehrter Kompetenz durchzieht sein gesamtes Werk. Zlatna schließt mit einem großen Selbstentwurf zukünftiger dichterischer Bestimmung. Im Trostgetichte war er verlautet, die Erfahrungen der schlesischpfälzisch Lehr- und Wanderjahre grandios zusammenführend. Nun setzt der Dichter neuerdings an. Als Epiker wie als Lehrdichter umspannt er den Kosmos des Wissens wie des Wissenswerten. Die Zeit als Liebesdichter liegt hinter ihm – er hat sein diesbezügliches Werk in Heidelberg unpubliziert zurückgelassen. Nun ist Fürsten-Panegyrik angesagt. Mit der Zusage, Johann Christian von Liegnitz und Brieg und das Geschlecht der Piasten besingen zu wollen, verabschiedet sich der Dichter von einem Land, das ihm Gastrecht und Muße zu gelehrter und dichterischer Betätigung geboten hat. Von Heinrich II. bis zu Johann Christian und Georg Rudolph spannt sich der Bogen der aufgerufenen großen Piasten. Der Dichter bereitet seine Heimkehr in das geknebelte Land vor und empfiehlt sich als berufener Sachwalter der schlesischen Sache an der Seite der Fürsten. Wendet er sich am Schluss also zurück, spricht er die Piasten an in der Hoffnung, dass Freiheit wie in Siebenbürgen so auch in Schlesien inskünftig walten möge, so rundet er den Kreis auch textuell, den er widmungsstrategisch gleich einleitend gezogen hatte. Opitz war ein Meister des Eingangs und des Ausgangs in seinen Texten. Liebe zum Vaterland, Verbeugung vor den Daciern und Bezeugung unwandelbarer Freundschaft – mit dieser Trias brachte Opitz die poetische Ernte seines Siebenbürgischen Jahres in die Scheuer: O liebstes Vaterland/ wann werd’ ich in dir leben? Wann wirst du meine freund’ vnd mich mir wieder geben? Ich schwinge mich schon fort; gehab dich künfftig wol/ Du altes Dacia/ ich wil wohin ich sol. Vnd jhr/ Herr Lisabon/ bleibt der jhr seid gewesen/ Mein Herr/ mein werther freund: das was hier wird gelesen/

___________ 53

Ebd., V. 341-349, S. 83.

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Klaus Garber Wie schlecht es jmmer ist/ wird künfttig doch allein 54 Bezeugen meine trew wann ich und jhr nicht sein.

Der Dichter hatte es wie so oft verstanden, Vergangenes und Gegenwärtiges, Zeitkritisches und Ewiges in ein wohlkalkuliertes Gleichgewicht zu setzen. Die nicht verstummende Rede, es ermangle ihm der eigentlich dichterische Impetus, ist absurd und besagt Aufschlussreiches in erster Linie über ihre Urheber. Appendix: Forschungs-Perspektiven Wir verlassen Opitz in der Hoffnung, Lust und Begierde erweckt zu haben, neuerlich in sein Werk und nicht zuletzt seine Siebenbürger Dichtung einen Blick zu werfen. Den Schluss unserer Ausführungen bilden – recht unvermittelt und doch auch wieder nicht – Perspektiven deutsch-ungarisch-rumänischer Kooperation. Auch als Gelegenheitsdichter hat Opitz sich in Siebenbürgen betätigt. Wie sollte es anders sein. 55 Gelegenheitsdichtung gehörte zum Leben des Dichters im Humanismus wie das tägliche Brot. Keine Provinz, die von der humanistischen Vogue ergriffen war, welche nicht ihren Beitrag geleistet hätte. Ohne Kenntnis dieser Produktion keine Kenntnis des literarischen Lebens vor Ort und keine Kenntnis von häufig nur über diese Texte vermittelte Namen von Autoren und Adressaten. Siebenbürgen hat sich angelegentlich an diesem poetischen Spiel, das zugleich mehr war als dies, beteiligt. Überwiegend zunächst auf lateinisch, zunehmend, je weiter es auf das 18. Jahrhundert zuging, dann auch auf Deutsch. Lore Poelchau, deren Andenken wir ehren, hat über diese Versuche Jahrzehnte lang berichtet und uns Texte und Übersetzungen mitgeteilt. 56 Frühzeitig regte

___________ 54

Ebd., V. 561-568, S. 90. Vgl. die entsprechenden Gedichte in der Ausgabe von Schulz-Behrend (wie Anm. 36), Bd. 2, 1. Teil, Nr. 49, S. 44-47, anlässlich der Hochzeit von Michael Bartsch und Helene Burchard; auch in der Ausgabe Marschall / Seidel (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 238-243, Kommentar S. 440-446. Des Weiteren: Schulz-Behrend (wie Anm. 36), Bd. 2, 1. Teil, Nr. 52, S. 58-60; Marschall / Seidel (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 242-245, Kommentar S. 446-448, das Gedicht zur Hochzeit von Paul Hallmann und Dorothea Baudissin. Schließlich ist zu verweisen auf die auf den 17. Januar in Weißenburg datierte poetische Zuschrift zu Caspar Cunrads Wahlspruch „Domini est Salus“, Schulz-Behrend (wie Anm. 36), Bd. 2, 1. Teil, S. 57f., Marschall / Seidel (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 254f., Kommentar S. 460-462. Dazu Garber, Opitz, Fleming, Dach (wie Anm. 16), S. 137-140. Vgl. auch die Elegie für Bernhard Wilhelm Nüßler im Vorspann zu Opitzens weitgehend in Siebenbürgen entstandenem Lobgesang Vber den Frewdenreichen Geburtstag Vnseres HErren vnd Heilandes JEsu Christi, in: Schulz-Behrend (wie Anm. 36), Bd. 2, 1. Teil, Nr. 55.1, S. 125f.; Marschall / Seidel (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 248-251, Kommentar S. 453-457. Opitz selbst hat seinem Abschied aus Siebenbürgen ein Gelegenheitsgedicht gewidmet, das 1625 im Anhang zu seinen Acht Büchern Deutscher Poematum (S. 242-244) veröffentlicht wurde. Vgl. Schulz-Behrend (wie Anm. 36), Bd. 2, 2. Teil, S. 746-748. 56 Vgl. Lore Wirth-Poelchau, Die Leichengedichte auf den Kronstädter Stadtpfarrer Marcus Fronius (1713). Ein Beitrag zur Person des Verstorbenen, zu den Gedichten und den Dichtern, in: Zeit55

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sich der Wunsch, diese Texte allesamt in den heutigen Verwahrungsstätten zu ermitteln, zu verfilmen und zu katalogisieren. Auf diese Weise würde ein weiterer Bezirk des alten deutschen Sprachraums vermessen und der Erinnerung zurück gewonnen. Osnabrück hat Erfahrung mit diesem schwierig zu handhabenden Genre. Hier wurden 31 Bände mit der katalogischen Dokumentation der Bestände in Bibliotheken Polens, Russlands und des Baltikums herausgebracht. 57 Weitere sollen

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schrift für Siebenbürgische Landeskunde 13 (1990), S. 39-61; Dies., Gelegenheitsgedichte eines Kronstädters um 1700. Magister Marcus Fronius (1659-1713), in: Humanistica Lovaniensia 40 (1991), S. 312-335; Dies., Lateinische und deutsche Barockdichtung. Hochzeitsgedichte aus Siebenbürgen, in: Germanistische Beiträge 2 (1995), S. 7-30 (Lucian-Blaga Universität Hermannstadt. Lehrstuhl für Germanistik); Dies., Zum Abschied Siebenbürgischer Studenten aus Wittenberg. Lateinische und deutsche Gelegenheitsgedichte aus dem 17. Jahrhundert, in: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 37/2 (1995), S. 33-49 (= Rumänische Akademie. Institut für Gesellschaftlich-Humanistische Forschungen. Hermannstadt/Sibiu); Dies., Johannes Sommer (1542-1574), in: Humanistica Lovaniensia 46 (1997), S. 182-239. Vgl. von Lore Wirth-Poelchau auch: Zur Geschichte der Pfarrarchive der evangelischen Gemeinden A.B. in Siebenbürgen, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 18 (1995), Heft 1, S. 3-22; Dies., Zum Inhalt und zum derzeitigen Zustand der Pfarrarchive der evangelischen Gemeinden A.B. in Siebenbürgen, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 18 (1995), Heft 2, S. 121-141. – Hinzuzunehmen der Beitrag von Stefan Sienerth, Siebenbürgisch-deutsche Gelegenheitsgedichte des 17. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 31/1 (1988), S. 52-64. 57 Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven, im Zusammenwirken mit der Forschungsstelle Literatur der Frühen Neuzeit und dem Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück hrsg. von Klaus Garber, Hildesheim [u.a.] 2001ff. [bislang 31 Bde.]. Bd. 1-2: Breslau, Universitätsbibliothek – Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka. Abt. 1: Rhedigeriana, St. Elisabeth. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Klaus Garber, hrsg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Martin Klöker (2001); Bd. 3-6: Thorn, Öffentliche Wojewodschaftsbibliothek und Kopernikus-Bücherei – Toruń, Wojewódzka Biblioteka Publiczna Książnica Kopernikańska. Abt. 1: Gymnasialbibliothek Thorn. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von S. Beckmann, hrsg. von S. Anders und S. Beckmann (2002); Bd. 7: Reval – Tallinn. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von M. Klöker, hrsg. von S. Beckmann und M. Klöker (2003); Bd. 8: Dorpat – Tartu. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von M. Klöker, hrsg. von S. Beckmann und M. Klöker (2003); Bd. 9-11: Breslau, Universitätsbibliothek – Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka. Abt. 2: St. Bernhardin. Mit einer einleitenden Skizze zur Geschichte der Bibliothek von K. Garber, hrsg. von S. Anders und S. Beckmann (2003); Bd. 12-15: Riga – Rīga. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von M. Klöker, hrsg. von S. Beckmann und M. Klöker (2004); Bd. 16: Königsberg, Bibliothek der Russischen Staatlichen Immanuel Kant-Universität – Kaliningrad, Biblioteka rossiiskogo gosudarstvennogo universiteta imeni Immanuila Kanta. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von Axel E. Walter, hrsg. von S. Beckmann und A.E. Walter (2005); Bd. 17-18: Breslau, Universitätsbibliothek – Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka. Abt. 3: St. Maria Magdalena. Mit einer einleitenden Skizze zur Geschichte der Bibliothek von K. Garber, hrsg. von S. Anders und S. Beckmann (2005); Bd. 19-20: Breslau, Universitätsbibliothek – Wrocław, Biblioteka Uniwersytecka. Abt. 4: Bestände aus Liegnitz und Brieg. Mit einer kulturund bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von K. Garber, hrsg. von S. Anders und S. Beckmann (2007); Bd. 21-22: Elbing – Elbląg. Elbinger Bestände, unter Berücksichtigung der historischen Sammlungen der ehemaligen Elbinger Stadtbibliothek und des ehemaligen Elbinger Stadtarchivs. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kom-

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sich anschließen. Es wäre zu wünschen, dass Siebenbürgen hinzutreten würde. Wo ließe sich ein ähnlich geeignetes europäisch inspiriertes Projekt ausmachen? Haben wir Mut und Tatkraft, die Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen! Eine europäische Philologie, eine europäische Kulturwissenschaft, wie sie denn doch eines Tages kommen muss, wird es uns danken.

___________ mentierten Bibliographie von Fridrun Freise, hrsg. von F. Freise (2008); Bd. 23-26: Danzig, Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften – Gdańsk, Gdańska Biblioteka Polskiej Akademii Nauk. Mit einer bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer Bibliographie von K. Garber, hrsg. von S. Anders und S. Beckmann (2009); Bd. 27-31: Stettin, Pommersche Stanisław-Staszic-Bibliothek, Staatsarchiv – Szczecin, Ksia̜żnica Pomorska im. StanisławaStaszica, Archiwum Państwowe. Mit einer kultur- und bibliotheksgeschichtlichen Einleitung und einer kommentierten Bibliographie von S. Beckmann, hrsg. von S. Beckmann (2013) (zugl. Diss. phil. Osnabrück). – Vgl. zu diesem Projekt (und seiner aktuellen Fortsetzung in der Forschungsbibliothek Gotha) zuletzt: Stefan Anders, Personalschriften als biographische Quelle. Ein Projekt zum personalen Gelegenheitsschrifttum in den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha, in: Axel E. Walter (Hrsg.), Medien höfischer Kommunikation. Formen, Funktionen und Wandlungen am Beispiel des Gothaer Hofes, Leiden [u.a.] 2015 (= Daphnis 42, Heft 3), S. 427-466. Vgl. zu den Hintergründen des Projekts auch die ausführliche Beschreibung des Vorhabens in: Göttin Gelegenheit. Das Personalschrifttums-Projekt der Forschungsstelle Literatur der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück. Redaktion: Stefan Anders und Martin Klöker, Osnabrück 2000 (= Kleine Schriften des Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Bd. 3).Weitere Literatur demnächst auf der website des Projektes www.ikfn-hpg.uni-osnabrueck.de.

Albert Szenci Molnár (1574-1634) in Heidelberg Zu den personalen Netzwerken Molnárs in der oberrheinischen Gelehrtenrepublik Von Axel E. Walter

Einleitung Der Haupttitel dieses Beitrags ist ein Zitat: 1969 erschien in dem Sammelband Studien zur Geschichte der deutsch-ungarischen Beziehungen, der von Leopold Magon und Anderen im Akademie-Verlag herausgegeben wurde, mit diesem Titel ein längerer Aufsatz des ungarischen Professors für Weltliteratur, später für deutsche Literatur József Turóczi-Trostler (1888-1962). Die Übersetzung der Herausgeber basierte auf einem erstmals 1955, in überarbeiteter Form 1961 publizierten Aufsatz, der um eine Einleitung und eine Schlussbemerkung aus einer anderen Abhandlung des Verfassers ergänzt wurde. 1 Obwohl die ungarische Forschung in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von wichtigen Forschungsbeiträgen zum ungarischen Späthumanismus und zu Albert Szenci Molnár auch in deutscher Sprache vorgelegt hat, genannt seien beispielhaft nur die Namen Tibor Klaniczay oder András Szabó, bietet Turóczi-Trostler eine der bis heute anregendsten Betrachtungen der geistigen Einflüsse, die Molnár im intellektuellen und konfessionellen bzw. konfessionspolitischen Umfeld des oberrheinischen Späthumanismus erfahren haben dürfte. Sein Aufsatz liefert damit an einem ebenso konkreten wie exponierten Exempel einen Beitrag zur Kulturtransferforschung. Wenngleich diese heute etablierte Forschungsrichtung seinerzeit noch nicht ausformuliert worden war, mag es in unseren Zeiten des Ringens um möglichst innovative kulturwissenschaftliche Forschungsdesigns als ein willkommener Hinweis aufgegriffen werden dürfen, dass oft genug doch nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt und dabei lediglich umetikettiert wird. Wenn ich den Titel von Turóczi-Trostler explizit beibehalte, weist das deshalb nicht nur den Referenzbeitrag aus, von dessen Ergebnissen hier ausgegangen ___________ 1 József Turóczi-Trostler, Albert Szenczi-Molnár in Heidelberg, in: Leopold Magon [u.a.] (Hrsg.), Studien zur Geschichte der deutsch-ungarischen literarischen Beziehungen, Berlin 1969, S. 70-99. Die Nachweise früherer ungarischer Publikationen dort S. 70, Anm. *.

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wird, sondern es bekennt auch das eigene kulturgeschichtliche Vorgehen, das sozialgeschichtliche Zugriffe auf Texte und Akteure keineswegs für obsolet hält, um als Geisteswissenschaftler in Zeiten ‚nach der Sozialgeschichte‘ stattdessen die eigentlichen Gegenstände des Interesses in höheren Sphären zu überfliegen. Der Untertitel dieses Aufsatzes deutet allerdings schon darauf hin, dass dennoch eine Revision der Ergebnisse von Turóczi-Trostler vorgenommen werden muss. Die personalen Gewichte in dem prägenden geistigen und politischen Kräftefeld Heidelberg und Oberrhein, in dem Turóczi-Trostler die gelehrte und kulturpatriotische Sozialisation Molnárs verortet hat, sind nämlich zu verschieben. Dabei geht es im Folgenden speziell um das Verhältnis Albert Szenci Molnárs zu Georg Michael Lingelsheim, dessen Analyse dann freilich sogar zu einer grundlegenden Überprüfung der Grundthese Turóczi-Trostlers führen wird. I. Zu den kulturellen Austauschprozessen zwischen der Kurpfalz und Ungarn Turóczi-Trostler konzentriert seine Ausführungen auf die zwei Jahrzehnte von 1600 bis 1622, die Molnár, unterbrochen von zwei längeren Aufenthalten in Ungarn und Siebenbürgen von August 1612 bis Januar 1613 und von März 1613 bis November 1615, an verschiedenen Orten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation lebte. Molnárs ab 1584 nachweisbare Besuche verschiedener Schulen in seiner ungarischen Heimat finden ebenso wenig Beachtung wie seine Ankunft im Dezember 1590 in Wittenberg, der anschließende Besuch des Gymnasiums zum Heiligen Kreuz in Dresden und die Rückkehr an die Wittenberger Universität zum Wintersemester 1591. Interessant – und das ist durch den Titel sofort pointiert – werden für Turóczi-Trostler erst die Jahre danach, denn Molnár „verbrachte die fruchtbarsten Jahre seines Lebens in Heidelberg und Straßburg“. 2 Der erste Studienaufenthalt in Heidelberg 1592/93; die Jahre auf dem Straßburger Gymnasium von der Aufnahme in das Collegium Wilhelmiticum am 24. Juni 1593 bis zur Ausweisung aus der Stadt durch die lutherische Orthodoxie im Juli 1596, weil der ungarische Student den reformierten Gottesdienst in Bischweiler besucht hatte; die anschließende mehrwöchige, von Gönnern finanzierte Studienreise in die Schweiz und nach Italien, die unter anderem in Basel zu einem Treffen mit Johann Jakob Grynaeus und in Genf zu einer Begegnung mit Théodore de Bèze führte und die in Rom mit dem überwältigten Aufsaugen des antiken Kulturerbes ihr Ziel erreichte; die Rückkehr nach Heidelberg im Dezember 1596, wo er sein Studium wieder aufnahm und ___________ 2

Ebd., S. 70.

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bis in den Oktober 1599 blieb, bevor er erstmals nach Siebenbürgen reiste, um dort einflussreiche reformierte Mäzene aufzusuchen und durch ihre Unterstützung die Weichen für seinen zukünftigen Aufenthalt in Deutschland zu stellen – das alles streift Turóczi-Trostler quasi als Propädeutika, die Molnár für die entscheidenden geistigen Anregungen vorbereiteten und zugleich in den ‚Kreis‘ einführten, in dem er seine endgültige geistige Formung erhielt. 3 Turóczi-Trostler meint damit „Berneggers Kreis“, 4 der eng mit Heidelberg verbunden war, wo „M.G.[!] Lingelsheim, fürstlicher Rat, Berneggers vertrautester Freund und Protektor“ 5 lebte. Dementsprechend ist im weiteren Verlauf des Aufsatzes wiederholt vom „Straßburg-Heidelberg-Kreis“ die Rede. 6 Es wird sehr deutlich, dass diese (Re-)Konstruktion auf Alexander Reifferscheids Standardwerk Briefe G.M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde zurückgeht. 7 Von Molnár findet sich dort zwar kein Brief, doch der von Reifferscheid edierte Brief des Martin Opitz an Martin Schödel (den Turóczi-Trostler sogleich, aber nur in seiner Einleitung in einem Atemzug mit seinem Landsmann Molnár nennt) enthält den Hinweis auf eine, wenngleich wohl sporadische Korrespondenz zwischen dem in Wartberg (ung. Szenc, heute slowak. Senec) Gebürtigen und dem Schlesier, von der aber keine Überreste mehr erhalten sind. 8 Dass Reifferscheid für seine bis heute unentbehrliche Ausgabe nur einige der großen Handschriftensammlungen gezielt ausgeschöpft hat und damit nur einen ersten Band Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts – wie der von ihm gewählte Reihentitel lautete – vorzulegen beabsichtigte, dass dieser Band zudem in erster Linie die ___________ 3 Grundlage Turóczi-Trostlers wie jeder biographischen Beschäftigung mit Molnár ist dessen Tagebuch. Es wurde erstmals von Lajos Dézsi veröffentlicht (siehe Anm. 9), ist nunmehr aber in der kenntnisreich und akribisch kommentierten Edition von András Szabó (Hrsg.), Szenci Molnár Albert naplója [Das Tagebuch von Albert Szenci Molnár], Budapest 2003 (= Historia Litteraria, Bd. 13) zu benutzen. – Für die notwendigen Übersetzungen aus dem Ungarischen danke ich meinem Absolventen Fülöp Máté Sterczer (Universität Klaipėda). 4 Turóczi-Trostler (wie Anm. 1), S. 73. 5 Ebd., S. 74. 6 Z.B. ebd., S. 83. 7 Alexander Reifferscheid (Hrsg.), Briefe G.M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde. Nach Handschriften […] hrsg. und erläutert, Heilbronn 1889 (= Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts, Bd. 1 [mehr nicht erschienen]). 8 Ebd., S. 402f. Datiert Paris, 14.05.1630. Der Brief jetzt auch, mit deutscher Übersetzung und Reifferscheid reichhaltig ergänzenden Kommentaren in: Klaus Conermann (Hrsg.), Martin Opitz. Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. An der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel hrsg. […] unter Mitarbeit von Harald Bollbuck. 3 Bde., Berlin [u.a.] 2009, Bd. 2, S. 800-810. Nachdem Opitz Molnár als hochgelehrten Beförderer der Kirche und des Schulwesens in Ungarn gelobt hat, fährt er fort: „At ego ab ipso responsum ad meas praestolor, utque precibus meis, in emolumentum antiquitatis et doctrinae rarioris satisfaciat, amice rogo.“ Übersetzung nach Conermann: „Ich allerdings erwarte von ihm eine Antwort auf meinen Brief und bitte freundschaftlich, daß er mein Ersuchen zum Nutzen des Altertums und etwas ungemeiner Gelehrsamkeit erfüllen möge.“

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epistolaren Zeugnisse edierte, welche die Anfänge der neuen deutschen Kunstdichtung im personalen Umfeld des oberrheinischen und schlesischen Späthumanismus genauer als bis dahin möglich verorteten, wird von Turóczi-Trostler nicht reflektiert. Da ihm aber natürlich die von Lajos Dézsi veranstaltete Ausgabe des Tagebuchs, eines großen Teils der erhaltenen Briefwechsel und anderer Dokumente von Albert Szenci Molnár vorgelegen hat, 9 die einen Korrespondentenkreis mit nur ganz wenigen personalen Überschneidungen zu dem kurz zuvor von Reifferscheid präsentierten Korrespondentennetzwerk vorstellt, muss sich TurócziTrostler mit einer wenig überzeugenden Marginalisierung des in Dézsis Edition sichtbaren Personenkreises behelfen: „Es gab andere Personen, denen SzencziMolnár menschlich viel näher stand; hierzu zählen Georg Rem, Nürnberger Rechtsbeirat, Philologe und Dichter; Conrad Rittershausen, Rechtslehrer in Altdorf, und der Philosoph Bartholomäus Keckermann“. 10 Indem ‚menschliche Nähe‘ und gelehrtes Gewicht gegeneinander abgegrenzt werden, benötigen diese drei Gelehrten keine weitere Aufmerksamkeit in seinem Aufsatz. Selbstverständlich gehörten sie genauso wie Bernegger und Lingelsheim zur späthumanistischen res publica literaria, sie repräsentierten aber eben die südwestdeutsche und die nordöstliche ‚Fraktion‘, die Reifferscheids erster Band nicht in den Blick gerückt hat. Beispielsweise hat der Greifswalder Germanistikprofessor damals die Briefe von Konrad Rittershausen an Georg Michael Lingelsheim aus seiner Edition ausgespart, 11 die ihm – freilich nur als Exzerpte – in den großen, wesentlich auf Berneggers Schwiegersohn Johannes Caspar Freinsheim (1608-1660) zurückgehenden Briefkonvoluten der ‚Königlichen Sammlungen‘ in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen natürlich begegnet sind. 12 Auch die Briefe Berneggers an Georg Rem, in den in der Uffenbach-Wolffschen Briefsammlung der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek erhaltenen Brief-

___________ 9 Lajos Dézsi (Hrsg.), Szenczi Molnár Albert. Naplója, levelezése és irományai [Tagebuch, Briefwechsel und Dokumente], Budapest 1898. 10 Turóczi-Trostler (wie Anm. 1), S. 77. – Zu Rem siehe unten Anm. 73. 11 Bei Reifferscheid (wie Anm. 7) sind diese Schreiben nur summarisch auf S. 693 erwähnt. Insgesamt kommen die Nürnberger Beziehungen Georg Michael Lingelsheims in dieser Ausgabe zu kurz, vgl. dazu auch die entsprechenden Kapitel in meiner in Anm. 43 genannten Studie. 12 Zu den von Freinsheim angefertigten Abschriften, die auf Papiere Lingelsheims zurückgehen, vgl. jetzt mit weiteren Literaturangaben Axel E. Walter, Medien und Praktiken persönlicher Kommunikation in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik – Am Beispiel der Beziehungen von Julius Wilhelm Zincgref zur Familie Lingelsheim, in: Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz, hrsg. in Verbindung mit Hermann Wiegand, Ubstadt-Weiher 2011 (= Mannheimer historische Schriften, Bd. 5), S. 343-404.

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büchern Berneggers überliefert, hat Reifferscheid nur für seine Anmerkungen ausgewertet. 13 Die grundsätzliche Problematik, ‚feste‘ Gelehrtenkreise selbst in der auf sodalitäre Strukturen so sehr bedachten res publica literaria zu sortieren, soll an dieser Stelle nicht reflektiert werden, zumal Turóczi-Trostler selbst nur „eine ideele[!] Arbeitsgemeinschaft von Historikern, Philologen, Philosophen, gebildeten Laien und Schriftstellern“ 14 um die zentrale Gestalt Berneggers konstituieren möchte. Dass Matthias Bernegger (1582-1640), seit 1613 Professor für Geschichte, von 1626 bis 1629 zusätzlich auch Rhetorikprofessor, eine Schlüsselfigur des oberrheinischen Späthumanismus war, ist in der Forschung unbestritten. Wilhelm Kühlmann hat das in seinem Standardwerk Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat detailliert nachgezeichnet und insbesondere auch Berneggers Rolle bei der Durchsetzung der neuen deutschen Kunstdichtung herausgearbeitet. 15 Freilich zeigt bereits Reifferscheids Edition, dass Bernegger eine herausragende Position in der oberrheinischen Gelehrtenrepublik erst nach dem Zusammenbruch des Heidelberger Späthumanismus zuwuchs, also nach der Niederlage am Weißen Berg und der Eroberung der Kurpfalz durch katholischligistische Truppen – und somit erst zu der Zeit, als Molnár nach einigen Jahren der Ruhe in der Kurpfalz aufgrund der Kriegsereignisse wieder sein unruhiges Wanderleben aufnehmen musste: Bis 1622 ist er durch die Abendmahlsverzeichnisse in Heidelberg nachzuweisen, danach in Hanau, 1623 zunächst in Kassel und dann in Den Haag, 1624 bereits in Danzig und seit 1625 in Kaschau (Košice). 16 Dass Molnár ein „Bernegger-Verehrer“ 17 gewesen sei, mag man annehmen dürfen – der Straßburger Professor genoss damals eine überragende Reputation in der Gelehrtenrepublik und übte insbesondere auf junge Gelehrte Einfluss aus. Dass er jedoch nach seiner Ausweisung aus Straßburg die Reichsstadt jemals ___________ 13 Berneggers Briefe sind verzeichnet in: Nilüfer Krüger (Hrsg.), Supellex epistolica Uffenbachii et Wolfiorum. 2 Bde., Hamburg 1978 (= Katalog der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Bd. 8). Reifferscheid (wie Anm. 7) zitiert aus verschiedenen Schreiben Berneggers an Rem aus den Jahren 1623 und 1624 (S. 766, 779, 780 und 783). 14 Turóczi-Trostler (wie Anm. 1), S. 73. 15 Wilhelm Kühlmann, Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters, Tübingen 1982 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 3). Einen anderen Aspekt, für die Einschätzung Berneggers als eine der wichtigsten Gestalten eines sich transformierenden späthumanistischen Bildungs- und Wissenskosmos’ nicht minder bedeutsam, arbeiten nunmehr heraus: Gerd Graßhoff / Hubert Treiber, Naturgesetz und Naturrechtsdenken im 17. Jahrhundert. Kepler – Bernegger – Descartes – Cumberland, Baden-Baden 2002 (= Fundamenta juridica, Bd. 44), insbes. S. 105-161. 16 Vgl. Gerriet Giebermann, Albert Molnár (1574-1634), ungarischer reformierter Theologe und Wandergelehrter, 1615-1619 Kantor und Rektor in Oppenheim, in: Oppenheimer Hefte 30/31 (2005), S. 2-100, hier S. 28f. 17 Turóczi-Trostler (wie Anm. 1), S. 74.

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wieder betreten hätte und überhaupt Bernegger irgendwann persönlich begegnet wäre, lässt sich nicht feststellen. Selbst für einen auch nur mittelbaren Kontakt zwischen ihnen liefert schon Reifferscheids Edition keine Belege. Molnár führte bis Mitte des Jahres 1617 ein Tagebuch, in dem er seine Begegnungen sehr genau festhielt. András Szabó hat dieses Tagebuch vor einigen Jahren neu ediert und eingehend kommentiert. 18 Der Name Bernegger fällt an keiner Stelle. Wenn man sich die in diesem Tagebuch notierten Namen anguckt und sie mit dem von Reifferscheid versammelten Korrespondenten abgleicht, ergibt sich eine relativ geringe personale Schnittmenge, ganz im Gegenteil treten andere Namen in den Vordergrund, die Turóczi-Trostler, wie gesehen, bewusst marginalisiert. Die von Dézsi edierten Briefe an Molnár bestätigen, dass dieser intensive Kontakte nach Marburg, Herborn, Nürnberg-Altdorf unterhielt, in Universitätsstädte also, in denen er selbst studiert hatte und aus denen in Reifferscheids Edition nur verhältnismäßig wenige Briefschreiber oder empfänger zu finden sind. Demgemäß stellt Szabó, der sich durch mehrere Publikationen auch in deutscher Sprache als großer Molnár-Kenner ausgewiesen hat, in einem grundlegenden biographischen Aufriss die prägende Bedeutung Herborns für jenen heraus. 19 Dies bezieht sich auf den unter ‚den‘ oberrheinischen Calvinisten keineswegs unumstrittenen Theologen Johann Piscator (1546-1625), mit dem Molnár, der sich zwei Mal in die Matrikel der Herborner Hochschule eintrug, 20 über diese Aufenthalte hinaus in einer langjährigen Korrespondenz stand. Szabó betont vor allem, Piscator habe mit der von ihm vertretenen Lehrausrichtung und mit seiner deutschen Bibelübersetzung „einen großen Eindruck“ bei Molnár hinterlassen. 21 Das rückt einen Aspekt des Werkes und Wirkens Molnárs in den Vordergrund, den Turóczi-Trostler keinesfalls verkennt, aber eher an den Rand stellt: Er betont Molnárs calvinistische Provenienz, ohne sie zu differenzieren, sondern setzt sie als unablösbaren und motivierenden Bestandteil des späthumanistischen Gelehrten, um den es ihm vorrangig geht, einfach voraus. Bei den bislang vorgetragenen Korrekturen bzw. Präzisierungen des personalen Netzwerks, in das Molnár integriert war, wird natürlich keineswegs übersehen, dass Turóczi-Trostler im Titel seines Aufsatzes „Heidelberg“ metonymisch ___________ 18

Vgl. Anm. 3. András Szabó, Albert Molnár (1574-1634), in: Andreas Flick / Albert de Lange (Hrsg.), Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser, Bad Karlshafen 2001, S. 189-203, hier S. 200. 20 Vgl. Gottfried Zedler / Hans Sommer (Hrsg.), Die Matrikel der Hohenschule und des Pädagogiums zu Herborn, Wiesbaden 1908 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 5), S. 32, Nr. 793 (23.11.1600); S. 47, Nr. 1251 (05.04.1607 – also zur Zeit des Psalmendrucks, s.u.). 21 Szabó, Molnár (wie Anm. 19), S. 192. Eingehender dazu der Aufsatz von Judit P. Vásárhelyi, Johann Piscator und Albert Szenci Molnár, in: András Szabó (Hrsg.), Iter Germanicum. Deutschland und die Reformierte Kirche in Ungarn im 16.-17. Jahrhundert, Budapest 1999, S. 191-200. 19

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für eine ‚Geisteshaltung‘ einsetzt, nämlich für einen gelehrten Späthumanismus mit europäischer Ausrichtung, der eine eindeutige konfessionelle, nämlich reformierte Prägung besaß, der zugleich auch als kulturpolitische Initiative den Übergang der – in einem weiteren Sinne zu verstehen – Dichtung in die Nationalsprache propagierte. Der Zusammenhang zwischen reformiertem Bekenntnis und kulturpatriotischem Einsatz für die Entstehung der neuen deutschen Kunstdichtung ist von der Forschung herausgestellt worden, wobei eben Heidelberg und Straßburg neben Schlesien die frühen Zentren waren. 22 Was Molnár in Heidelberg, und das ist für Turóczi-Trostler weitgehend synonym mit dem „Straßburg-Heidelberg-Kreis“, lernte, das waren die europäische Perspektive seines Denkens und die Verantwortung, diese Perspektive in die ungarische Nation zu vermitteln, außerdem die damit verbundene Geschichtsauffassung und Sprachkonzeption, wobei ‚moderne‘ Wissenschaft, also späthumanistische Gelehrsamkeit, und unerschütterliche konfessionelle Überzeugung eine Einheit bildeten. 23 „Seine vornehmen Gönner, unter anderen Lingelsheim, schätzten ihn nicht nur als ungarischen Studenten und angehenden Wissenschaftler, sondern sie sahen in ihm auch den Vertreter der ungarischen Kalvinisten. Das erklärt die erhöhte Aufmerksamkeit, mit der sie seine Studien und Arbeiten verfolgten. Aber sie sorgten auch für seine politische Bildung“. 24 Damit verbanden sich, so ___________ 22 Dazu insbes. Klaus Garber, Martin Opitz, in: Harald Steinhagen / Benno von Wiese (Hrsg.), Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk, Berlin 1984, S. 116-184; Ders., Zentraleuropäischer Calvinismus und deutsche „Barock“-Literatur. Zu den konfessionspolitischen Ursprüngen der deutschen Nationalliteratur, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1985, Gütersloh 1986 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195), S. 317-348; Ders., Zur Konstitution der europäischen Nationalliteraturen. Implikationen und Perspektiven, in: Ders. (Hrsg.), Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des I. internationalen Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Tübingen 1989 (= Frühe Neuzeit, Bd. 1), S. 1-55; Ders., Späthumanistische Verheißungen im Spannungsfeld von Latinität und nationalem Aufbruch, in: Eckhard Kessler / Heinrich C. Kuhn (Hrsg.), Germania latina – Latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, humanistische Kultur vom späten Mittelalter bis in unsere Zeit. 2 Bde., München 2003 (= Humanistische Bibliothek. Reihe I. Abhandlungen, Bd. 54), Bd. 1, S. 107-142; Ders., Faktoren der klassizistischen Dichtungsreform im Deutschland um 1600. Eine Einleitung zur Geschichte der deutschen Schäfer und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts, in: Ralf Bogner [u.a.] (Hrsg.), Realität als Herausforderung. Literatur in ihren konkreten historischen Kontexten. Festschrift für Wilhelm Kühlmann zum 65. Geburtstag, Berlin 2011, S. 181-198; Ders., Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie, hrsg. von Stefan Anders und Axel E. Walter, Berlin 2012, dort Teil II: „Absolutismus und Konfessionalismus – Kulturpolitik und Literatur. Zum Ursprung der neueren deutschen Dichtung“. 23 Zu den kulturgeschichtlichen, insbes. literaturgeschichtlichen Kontexten in diesen konfessionspolitischen Rahmenbedingungen sind in jüngster Zeit zwei gewichtige Sammelbände erschienen: Kühlmann, Zincgref (wie Anm. 12); Wilhelm Kreutz / Wilhelm Kühlmann / Hermann Wiegand (Hrsg.), Die Wittelsbacher und die Kurpfalz in der Neuzeit. Zwischen Reformation und Revolution, Regensburg 2013. 24 Turóczi-Trostler (wie Anm. 1), S. 82.

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ist die Kernthese Turóczi-Trostlers weiter zusammenzufassen, die Impulse und die ‚Modelle‘ für die von Molnár realisierten Werke, „die praktischen und konfessionellen Bedürfnissen genügen sollten. Ihr ideologischer Quellenbereich ist ausnahmslos Heidelberg. Doch als sprachliche Leistungen gehen sie über die Schranken einer Konfession hinaus“. 25 Den Hintergrund für diese Fixierung auf das geistige Milieu Heidelbergs bietet eine andere Beobachtung TurócziTrostlers: „Mit einiger Übertreibung könnte man sagen: Wo immer in der zeitgenössischen deutschen Literatur Zeichen einer tieferen Ungarnfreundschaft sichtbar werden, gehen sie auf den Straßburg-Heidelberg-Kreis zurück“. 26 Es erscheint nach allem bislang Gesagten sinnvoll, sich zunächst noch einmal Molnárs gelehrt-literarisches Werk zu vergegenwärtigen. 1604 veröffentlichte er ein Dictionarium Latinoungaricum, 1607 eine ungarische Psalmennachdichtung, 1610 eine ungarische Grammatik, 1612 eine neue ungarische Bibelübersetzung, nachdem er bereits 1608 eine überarbeitete Ausgabe der ersten vollständigen ungarischen Bibel von Gáspár Károlyi herausgegeben hatte. 27 Das alles sind wegweisende Publikationen für die ungarische Kultur, die Molnár als Theologen und Pädagogen, als Philologen und Übersetzer, aber auch als sprachbegabten, sprachgewandten, ja als Psalmennachdichter sogar über poetisches Talent verfügenden Gelehrten zeigen, der ganz eindeutig von einem westeuropäisch-protestantischen Späthumanismus geprägt war, wobei sich das Bemühen um das calvinistische Glaubensverständnis und um die nationale Sprache vereinten. Dabei zeigt sich in diesen genannten Werken eine für die ungarische Kultur der Frühen Neuzeit kennzeichnende Asymmetrie der kulturellen Ausgleichsprozesse, in denen das dreigeteilte Ungarn die aufnehmende ‚Nation‘ blieb. Dem Wörterbuch, der Grammatik, auch den Psalmen ist in der Tat keine konfessionelle Dogmatik zu attestieren, aber ebenso wenig – wie auch für die Bibelübersetzung, der eben Piscator eine Vorlage bot – sind spezifische Ideen oder ‚Ideologien‘ zu erkennen, die konkret auf den von Turóczi-Trostler gebildeten ‚Heidelberg-Straßburg-Kreis‘ zurückzuführen wären. Spätere Werke Molnárs dagegen weisen einen eindeutigen Einfluss des kurpfälzischen Calvinismus auf: 1617 übersetzte er die Postilla Scultetica, also des Heidelberger Hofpredigers Abraham Scultetus (1566-1624), den die Zeitgenossen nach der Schlacht am Weißen Berg als einen der Hauptverantwortlichen für die aggressive Konfessionspolitik der Kurpfalz ausmachten; 28 1618 übersetzte er eine Pre___________ 25

Ebd., S. 88. Ebd., S. 83. 27 Diesen hatte Molnár in seiner Jugend kennen gelernt, als er mit dem Abschluss seiner Bibelübersetzung beschäftigt war; vgl. Szabó, Molnár (wie Anm. 19), S. 189. 28 Zur historischen Bewertung von Scultetus’ Rolle in der kurpfälzischen Konfessionspolitik und in der böhmischen Frage vgl. grundsätzlich Gustav Adolf Benrath, Abraham Scultetus (15661624), in: Pfälzer Lebensbilder. Bd. 2, hrsg. von Kurt Baumann, Speyer 1970, S. 97-116. Entsprechenden Vorwürfen, die in zahlreichen zeitgenössischen Flugschriften verbreitet wurden, suchte 26

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digt desselben zum einhundertjährigen Reformationsjubiläum ins Ungarische, im gleichen Jahr, in dem die Kurpfalz nach der böhmischen Krone griff, begann er, vom Heidelberger Kirchenrat finanziell unterstützt, außerdem mit der ungarischen Übersetzung von Calvins Institutio Christianae Religionis, die aber erst 1624 in Hanau herauskam. 29 Zwischen 1583, nach dem Tode des lutherischen Kurfürsten Ludwig VI., und 1621, der Eroberung der Kurpfalz durch die spanisch-ligistischen Truppen, gehörte die Heidelberger Universität zu den meistfrequentierten Hochschulen ungarisch-siebenbürgischer Reformierter. 30 Wittenberg, bis dahin ein bevorzugter Studienort, verlor für diese Studenten seit der Vertreibung der Kryptocalvinisten an Anziehungskraft (auch Molnár hatte die Universität deshalb verlassen), wohingegen beispielsweise seit 1607 Marburg ein häufiger gewähltes Ziel wurde. 31 Robert Seidel hat vor kurzem den bislang fehlenden Überblick über die Beziehungen zwischen dem ungarischen Späthumanismus und der calvinistischen Pfalz verfasst. 32 Sein Aufsatz bietet einen sehr viel differenzierteren Blick als denjenigen Turóczi-Trostlers auf die kulturellen Ausgleichsprozesse zwischen dem gelehrt-literarischen Zentrum Heidelberg und dem am geographischen Rand der direkten politischen Kontaktzone des Heiligen Römischen Reiches gelegenen, damals, vor allem unter Gábor Bethlen, aber eine zentrale diplomatische und militärische Bedeutung im konfessionspolitischen Ringen im Reich und in Europa besitzenden Fürstentum Siebenbürgen. Als eine zentrale Ansprech- und Anlaufstation für die ungarischen Reformierten erkennt Seidel den Heidelberger Theologieprofessor David Pareus, dem man hinsichtlich der ___________ Scultetus noch auf seiner letzten Lebensstation in Emden, wo er seit 1622 als Prediger tätig war, mit seiner Autobiographie entgegenzuwirken, vgl. dazu auch die Vorrede des Herausgebers in: Gustav Adolf Benrath (Hrsg.), Die Selbstbiographie des Heidelberger Theologen und Hofpredigers Abraham Scultetus (1566-1624), Karlsruhe 1966 (= Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evangelischen Landeskirche in Baden, Bd. 25). 29 Zu den beiden Scultetus-Übersetzungen, die in Oppenheim von Hieronymus Galler gedruckt wurden, vgl. die bibliographischen Angaben bei Giebermann (wie Anm. 16), S. 21; die ‚Hanauer Bibel‘ Molnárs ist faksimiliert und für Recherchen aufbereitet unter der folgenden Adresse zu finden: http://mek.oszk.hu/06500/06546/#. – Die Übersetzung der Reformationspredigt widmete Molnár Gábor Bethlen. 30 Dazu als Überblick János Heltai, Die Heidelberger Peregrination 1595-1621, in: Szabó, Iter Germanicum (wie Anm. 21), S. 169-179. Vgl. auch János Heltai, Adattár a heidelbergi egyetemen 1595-1621 között tanult magyarországi diákokról és pártfogóikról [Verzeichnis der Studenten aus Ungarn an der Universität Heidelberg 1595-1621 und ihrer Mäzene], in: Az Országos Széchényi Könyvatár évkönyve (1980), S. 243-347. 31 Vgl. Jukunda Nagy, Ungarische Studenten an der Universität Marburg 1571-1914. Studien zur hessischen Stipendiatengeschichte, Darmstadt 1974 (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, Bd. 27). 32 Robert Seidel, Der ungarische Späthumanismus und die calvinistische Pfalz, in: Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hrsg.), Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Unter Mitarbeit von Wolfram Hauer, Stuttgart 2004 (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 62), S. 227-251.

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poetisch gepflegten Kontakte dessen „offensichtlich besonders hungarophilen“ 33 Sohn Johann Philipp Pareus (1576-1648) an die Seite stellen kann, der 1619 die Sammlung Delitiae Poetarum Hungaricorum vorlegte. 34 Der Vater, der wohl bedeutendste kurpfälzische Theologe seiner Zeit und der maßgebliche Vertreter der dort propagierten protestantischen Irenik, wurde den ungarischsiebenbürgischen Studenten in Heidelberg der einflussreichste Lehrer, und er stand auch über Briefwechsel mit ungarischen Theologen und sogar mit Bethlen in Verbindung. 35 Molnár gehörte ebenfalls zu Pareus’ Korrespondenten. 36 Turóczi-Trostler übergeht diese Beziehung, die, wie im Falle der Verbindung mit Piscator, einen wichtigen theologischen Einfluss auf den ungarischen Bibelund Psalmenübersetzer namhaft machen dürfte, der nun ganz zweifellos auf die kurpfälzische Konfessionspolitik zurückgeht. Seidel sieht diese Bedeutung des Pareus für die ungarisch-siebenbürgischen Calvinisten genau, ohne sie für Molnár zu spezifizieren. Aber er rückt jenen einerseits in die Reihe anderer bedeutender dortiger Späthumanisten ein, die in den gelehrten, konfessionellen und poetischen Beziehungen zwischen beiden Regionen Brücken schlugen (Georgius Thurius, Paulus Orvos Surius, Johannes Filiczki u.a.), wobei sich andererseits die exzeptionelle Stellung Molnárs im Kreise seiner Landsleute bestätigt, die sich nicht allein aus seinem unter diesen singulär stehenden Werk ergab, vielmehr auch darin bestand, dass die ungarische ‚Nation‘ von ihm diese Werke erwartete. 37 Deshalb erlaubten und ermöglichten ihm, nach anfänglichen Widerständen, seine Gönner in der Heimat so lange in Deutschland zu leben, während Andere nach Abschluss ihrer Studien meist sehr bald in ihre Heimat zurückkehrten und Amtsfunktionen übernahmen. Seidel konkretisiert somit die kulturellen Transfers, die von Heidelberg nach Ungarn bzw. Siebenbürgen vorgenommen wurden, und er belegt genauer, wie fruchtbar die pfälzischsiebenbürgischen Beziehungen in den drei Jahrzehnten vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges waren. ___________ 33

Ebd., S. 244. Frankfurt am Main: Jakob Fischer /Erben 1619. 35 Vgl. dazu die Quellenedition von János Heltai, David Pareus magyar kapcsolatai [Ungarische Kontakte des David Pareus], in: János Herner (Hrsg.), Tudóslevelek. Művelődésünk külföldi kapcsolataihoz 1577-1797, Szeged 1989 (= Adattár XVI-XVIII. századi szellemi mozgalmaink történetéhez, Bd. 23), S. 13-76. Zusammenfassend zur Rolle von David Pareus in den kurpfälzischungarischen Beziehungen Seidel, Der ungarische Späthumanismus (wie Anm. 32), S. 245-248. Den dort in Anm. 71 genannten Arbeiten über David Pareus ist unbedingt hinzuzufügen: Günter Brinkmann, Die Irenik des David Pareus. Frieden und Einheit in ihrer Relevanz zur Wahrheitsfrage, Hildesheim 1972 (= Studia Irenica, Bd. 14). 36 Zwei Briefe von Pareus an Molnár aus den Jahren 1611 und 1621 ediert Dézsi (wie Anm. 9), S. 371 und 391. 37 Seidel, Der ungarische Späthumanismus (wie Anm. 32) zitiert S. 250f. aus einem Brief von Stephanus Miscolcinus an David Pareus, in dem er jenen bittet, dass er den Landsmann ansporne, seine Bibelübersetzung endlich fertig zu stellen, „quorum nos omnes magna sitis premit.“ Der Brief findet sich in: Dézsi (wie Anm. 9), S. 213. 34

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Heidelberg bzw. die Kurpfalz boten Molnár – und das bietet Turóczi-Trostler den biographisch-historischen Hintergrund seiner These – die längsten Aufenthaltsstationen in Deutschland. Er hielt sich keineswegs nur als Student in der Stadt am Neckar auf (1592/93 und 1596-1599), er kehrte als praeceptor und Besucher mehrfach dorthin zurück, 38 und er trat 1615 sogar in kurpfälzische Dienste ein. Bis dahin hatte Molnár ein unstetes Wanderleben geführt, finanziert von seinen Gönnern und Mäzenen und nur zeitweilig in verschiedenen Brotarbeitsverhältnissen an unterschiedlichen Orten stehend. Ende August 1615 erhielt er zunächst eine Stelle als Konrektor im oberpfälzischen Amberg, die er kurz darauf schon wieder verließ, um in der zweiten Oktoberhälfte Kantor an der Lateinschule in Oppenheim zu werden. Zwei Jahre später ernannte ihn der Heidelberger Kirchenrat zum Rektor dieser Schule. Molnárs Tagebuch endet mit der Einführung in dieses Amt am 12. Mai 1617. 39 Für die nächsten Lebensjahre fehlen adäquate Quellen. Was über Molnárs Jahre in Oppenheim festzustellen ist, hat vor einiger Zeit Gerriet Giebermann akribisch zusammengetragen. Die einzige Quelle, die über die Demission des Rektors am 16. August 1619 informiert, bleibt Johann Heinrich Andreaes Oppenhemium Palatinum illustrari (Heidelberg: [o.D.] 1778). Demnach scheint Molnár von Landgraf Moritz von Hessen auf eine bessere Stelle berufen worden zu sein. 40 Diese trat er jedoch aus unbekannten Gründen nicht an. Stattdessen scheint sich Molnár wieder nach Heidelberg gewandt zu haben. Über eine dortige Tätigkeit bis zu seiner Flucht aus der eroberten Stadt 1622 ist nichts bekannt. András Szabó kann deshalb der Versuchung nicht widerstehen, für diese drei Jahre eine andere persönliche Begegnung Molnárs herauszustellen, die nunmehr dessen kulturgeschichtlichen Rang für die ungarische Literatursprache noch aus einer weiteren Warte heraushebt. Denn in Heidelberg habe Molnár mit Martin Opitz, dem ‚Vater der deutschen Dichtung‘, eine Freundschaft geschlossen, die später in einem Briefwechsel weitergeführt worden sei. Szabó kann sich dafür ebenfalls nur auf den bereits erwähnten, erstmals bei Reifferscheid und nunmehr mit einer deutschen Übersetzung von Klaus Conermann edierten Brief Opitzens an Martin Schödel stützen. 41 Damit überschneidet sich Szabós biographischer Aufriss an ausschlaggebender Stelle mit den Ausführungen von József Turóczi-Trostler, indem auch er einer speziellen Heidelberger Konstellation eine zentrale Bedeutung impliziert: Denn in Heidelberg, damals „Zentrum des literarischen Lebens“, war der „junge deutsche Dichter […] Hauslehrer bei dem gelehrten Hofrat Georg Michael Lingelsheim, bei dem ___________ 38 Zu den einzelnen Aufenthalten vgl. das detaillierte Register in: Szabó, Szenci Molnár Albert naplója (wie Anm. 3). 39 Ebd., S. 102. 40 Zitiert nach Giebermann (wie Anm. 16), S. 19. 41 Wie Anm. 8. Schödel übrigens ist in der Tat stark von Bernegger beeinflusst und angeregt worden, vgl. den Kommentar in: Conermann, Briefwechsel (wie Anm. 8), S. 804f.

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Molnárs älteste Stieftochter als Hausmädchen diente“. 42 Wir stoßen also ein weiteres Mal auf Georg Michael Lingelsheim, der für Molnár eine entscheidende Figur gewesen zu sein scheint. Ihre Beziehung sei nunmehr im zweiten Teil unseres Beitrags untersucht. II. Molnárs Beziehungen zur Familie Georg Michael Lingelsheims Georg Michael Lingelsheim (1557-1636) war eine der zentralen Gestalten in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik Europas. 43 Sein Vater Diebold war Lehrer am Straßburger Gymnasium und besaß offensichtlich calvinistische Neigungen, ohne sich jemals öffentlich zum reformierten Glauben zu bekennen. Sein erstgeborener Sohn absolvierte dann eine glanzvolle politische Karriere, in der sich die großen sozialen Aufstiegsmöglichkeiten zeigen, die sich damals jungen Gelehrten boten, wenn sie einerseits über die entsprechenden intellektuellen Fähigkeiten, andererseits und vor allem über Förderer und Gönner mit Beziehungen in der Gelehrtenrepublik verfügten. Nach dem Erwerb der juristischen Doktorwürde an der Basler Universität 1583 wurde Georg Michael Lingelsheim ein knappes Jahr später praeceptor des Kurprinzen Friedrich (IV.). 1592 wurde er in den nach dem Tode des Kuradministrators Johann Casimir von Pfalz-Lautern neu konstituierten Oberrat berufen. Bis zu seiner Flucht aus Heidelberg im November 1621 und damit so lange wie kein anderer Oberrat blieb er Mitglied dieses entscheidenden Kollektivgremiums der Kurpfalz, deren konfessionelle und dynastische Konfrontationspolitik den Dreißigjährigen Krieg ausgelöst hat. 44 Er war ein überzeugter Calvinist, mit seiner Übersetzung von Henry Savile’s Commentarivs de militia romana (Heidelberg: Vögelin 1601) leistete er einen wichtigen Beitrag für die Einrichtung eines Landesdefensionswerks, das gegen drohende katholische Übergriffe ins Leben gerufen wurde, und als Oberrat vertrat er aktiv die kurpfälzische Konfessionspolitik. Doch ___________ 42

Szabó, Molnár (wie Anm. 19), S. 198. Zur Biographie und zum Korrespondentenkreis Georg Michael Lingelsheims vgl. Axel E. Walter, Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims, Tübingen 2004 (= Frühe Neuzeit, Bd. 95). 44 Grundlegend Volker Press, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559-1619, Stuttgart 1970 (= Kieler Historische Studien, Bd. 7). Zu den historischen Zusammenhängen seien in Auswahl nur einige neuere Studien zu Friedrich V. genannt: Peter Bilhöfer, Nicht gegen Ehre und Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz – der „Winterkönig“ von Böhmen (1596-1632), Heidelberg 2004 (= Bausteine zur Kreisgeschichte, Bd. 7); Brennan C. Pursell, The Winter King. Frederick V of the Palatinate and the Coming of the Thirty Years’ War, Burlington 2003; neuerdings für den in diesem Aufsatz behandelten Zeitraum Magnus Rüde, England und die Kurpfalz im werdenden Mächteeuropa (1608-1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen, Stuttgart 2007 (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B. Forschungen, Bd. 166). 43

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Lingelsheim gehörte zu den moderaten Kräften, ihm fehlte jegliche Militanz, und er zählte deshalb auch zu den warnenden Stimmen in der Entscheidung über die böhmische Königswahl, deren Annahme die so lange schwelenden Konflikte zwischen den Reichsständen und ihren europäischen Verbündeten zur Eskalation brachte, und er neigte als Gelehrter insgesamt zu einer Irenik, wie sie der Heidelberger Theologe David Pareus aus calvinistischer Perspektive formuliert hatte. In den knapp vier Jahrzehnten in kurpfälzischen Diensten stieg Georg Michael Lingelsheim zu einer der führenden Gestalten der oberrheinischen und westeuropäischen res publica literaria auf. Seine kulturgeschichtliche Bedeutung resultiert weder aus seinem Wirken als Politiker bzw. Diplomat noch aus einem bedeutenden gelehrt-literarischen Werk, sie liegt in seinen umfangreichen und weit gespannten Briefwechseln, die er über mehr als fünf Jahrzehnte mit Gelehrten und Diplomaten in den protestantischen und antihabsburgischen Zentren des Reiches wie in der Eidgenossenschaft, Frankreich, England und den Niederlanden unterhielt. Seine in Autographen, Abschriften, Exzerpten erhaltene bzw. an verschiedensten Publikationsorten edierte Korrespondenz wurde vor einigen Jahren soweit wie möglich rekonstruiert, wobei weit über 2.000 Briefe, die er mit mehr als achtzig Korrespondenten wechselte, erschlossen werden konnten. In Lingelsheims Briefwechseln mischen sich konfessionspolitische Interessen, die in seine Amtsgeschäfte fielen und die er mit einer irenischen Grundüberzeugung vertrat, gelehrte Diskussionen, denen seine Neigungen galten und die seinen Rang in der res publica literaria belegen, und persönliche Mitteilungen, die Einblicke in die Lebenswirklichkeit um 1600 bieten. Nicht wenige dieser Briefe, beispielsweise die mit Jacques Bongars (1554-1610), 45 dem Residenten des französischen Königs Henri IV bei den protestantischen Reichsständen und engsten Brieffreund Lingelsheims, oder die mit Michael Loefen (um 15501620), 46 einem maßgeblichen Vertreter der aggressiven kurpfälzischen Konfessionspolitik im Heidelberger Oberrat und Schwiegervater Georg Michael Lingelsheims gewechselten, besaßen einen offiziösen Charakter und übermittelten Informationen, die zur Weitergabe an die jeweiligen politischen Entscheidungs___________ 45

Zu Bongars jetzt Ruth Kohlndorfer-Fries, Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554-1612), Tübingen 2009 (= Frühe Neuzeit, Bd. 137). Bongars’ gelehrte Schriften, darunter unter anderem die erste umfangreiche Quellensammlung zur Geschichte und Geographie Ungarns (Rerum hungaricarum scriptores varii, historici, geographici, ex veteribus plerique sediam fugientibus editionibus revocati, Frankfurt am Main 1600, zweite Aufl. ebd. 1606), werden von Kohlndorfer-Fries nur knapp gestreift. Als Überblick der Artikel vom Verf. (sub verbo), in: Geschichte der Altertumswissenschaften. Biographisches Lexikon, hrsg. von Peter Kuhlmann und Helmuth Schneider, Stuttgart 2012 (= Der Neue Pauly, Supplement, Bd. 6), Sp. 128-131. 46 Zu Michael Loefen, den Press (wie Anm. 44), S. 422, als den „militantesten Calvinisten, den es unter den Räten gab“, bezeichnet, fehlt eine Biographie, bis dahin am ausführlichsten Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43), S. 262-266.

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träger bestimmt waren; sie woben in diese Nachrichten aber stets das private Wort hinein. Auch nach seiner Flucht im November 1621 nach Straßburg, dessen Bürgerrecht er besaß, stand Georg Michael Lingelsheim weiterhin im Zentrum eines ‚internationalen‘ Korrespondentennetzwerks, dessen Zusammensetzung sich indes veränderte und dessen Größe sich verringerte. Erst in diesen Jahren kam es zu einem engen gelehrtem Austausch und freundschaftlichem Zusammenleben mit dem bereits erwähnten Matthias Bernegger. Die konfessionspolitischen Interessen der Kurpfalz im „konfessionellen Zeitalter“ besaßen eine deutliche ‚Westorientierung‘, die sich geradezu selbstverständlich aus der Verbreitung des ‚internationalen‘ Calvinismus wie aus der Geographie der antihabsburgisch-antispanischen Mächtekonstellation in Europa ergab. 47 Georg Michael Lingelsheims Korrespondentenkreis spiegelt diese ‚Westorientierung‘ wider, wobei allerdings praktische Gründe hineinspielten: Zum einen war er in der durch die wachsenden Aufgaben zunehmend spezialisierten Organisation politischer Zuständigkeiten vornehmlich für die ‚Innenpolitik‘ und, sofern er in die diplomatischen Geschäfte eingriff, für die französischen, vereinzelt auch für die niederländischen und englischen Kontakte zuständig; zum anderen lagen die großen Zentren der späthumanistischen Gelehrtenrepublik ebenfalls im Westen, hier vornehmlich in Paris und Leiden. Es ist in diesem Aufsatz nicht weiter zu verfolgen, dass im Rahmen der Auseinandersetzung mit ‚dem‘ Westen etwa die verbreiteten kulturhistorischen Betrachtungen eines deutschen ‚Sonderwegs‘ zu verorten sind, und ebenso wenig wollen wir uns damit auseinandersetzen, dass mit der Adaption von ‚Westlichem‘ immer auch eine ‚Modernisierung‘ von der Forschung vorausgesetzt wird. Letzteres steht etwa hinter der These von Turóczi-Trostler, vor deren Hintergrund Molnár erst recht an kulturgeschichtlicher Bedeutung gewinnt: „je ungarischer, um so europäischer“. 48 Für die Kurpfalz hat Cornel A. Zwierlein in einer luziden Analyse der strukturellen Kontextbedingungen vorgeführt, wie sehr diese Westorientierung in Heidelberg den „Denkrahmen“ und die „Wahrnehmungsmuster“ des dortigen Geisteslebens um 1600 bildete. 49 Schon damals bot der ‚Osten‘ dazu einen ___________ 47 Exemplarisch dafür, dass die Kurpfalz alle großen Mächte Europas in ihre Bündnispolitik einbezog, seien hier nur die Missionen Hippolyt von Collis aufgeführt, der bis zu seinem Tod der aktivste Diplomat der Kurpfalz in Europa war: Er war „1599 in der Schweiz, 1601 in Polen, 1605 abermals in der Schweiz, 1608 bei den Generalstaaten, 1609 in Frankreich, 1610 in London, 16101611 in Prag“. Emil Steffenhagen, (sub verbo), in: ADB. Bd. 4, Leipzig 1876, S. 405f., hier S. 406. 48 Turóczi-Trostler (wie Anm. 1), S. 95. 49 Cornel A. Zwierlein, Heidelberg und „der Westen“ um 1600, in: Christoph Strohm / Joseph S. Freedman / Herman J. Selderhuis (Hrsg.), Späthumanismus und reformierte Konfession. Theologie, Jurisprudenz und Philosophie in Heidelberg an der Wende zum 17. Jahrhundert, Tübingen 2006, S. 27-92. Zwierlein bemüht sich in der seit Jahrzehnten geführten Forschungsdiskussion um eine

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Gegensatz, der dann im 18. Jahrhundert unter dem Diktum westlicher Zivilisation vollends aufbrach. 50 War ‚der‘ katholische Süden bei aller Wertschätzung seiner antiken Kulturvermächtnisse aus protestantischer Sicht ein problematisches Terrain, in das nur vereinzelte gelehrte Kontakte unterhalten wurden, und wuchs der protestantische Norden, mit Schweden an der Spitze, erst mit dem Dreißigjährigen Krieg nach Mitteleuropa hinein, so lagen im Osten die Grenzregionen mit den ‚nicht-westlichen‘ Mächten, unter ihnen die Türkei an erster Stelle, zunehmend aber auch das Reich der Moskowiter. 51 Gerade dorthin waren im kulturellen ‚Verteidigungskampf‘ einerseits ‚westliche‘ Politikkonzeptionen, Konfessionsorganisation und Kulturwerte zu exportieren, andererseits aber bestanden in diesen Grenzregionen – sei es des alten deutschen Sprachraums (z.B. Schlesien) oder des habsburgischen Reiches (z.B. Ungarn) – auch Spielräume ständischer Freiheiten, die einen Import ‚westlicher‘ Verhaltens-, Vorstellungs- und Handlungsmuster suchten. Siebenbürgen allerdings besaß Anfang des 17. Jahrhunderts für die kurpfälzische Europapolitik eine besondere Bedeutung. Hatte Gabriel Báthory seine Wahl zum Fürsten 1608 durch das Versprechen erreicht, das calvinistische Bekenntnis zu fördern, entwickelte sich sein 1613 auf Druck der Pforte gewählter Nachfolger Gábor Bethlen zu einem wichtigen Verbündeten der antihabsburgischen Mächte Europas. 52 Noch nach dem Zusammenbruch der Kurpfalz trat Achaz Burggraf und Herr zu Dohna (1581-1647), der in der Heidelberger Konfessionspolitik vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges eine gewichtige Rolle ohne entsprechendes Amt gespielt hatte, im Februar 1623 eine diplomatische Mission nach Siebenbürgen an, die er freilich sehr bald abbrach. 53 Was Zwierlein aber vor allem noch einmal ganz deutlich heraushebt, ist die Funktion Heidelbergs als „die entscheidende ___________ entontologisierte Definition von ‚Westen‘, wodurch auch das (oft gänzlich unreflektiert wiederholte) Paradigma einer Modernisierungsthese einer neuen Inspektion unterworfen ist. 50 Vgl. Larry Wolff, Inventing Eastern Europe. The map of civilization on the mind of the Enlightenment, Stanford 1994. Im 19. Jahrhundert spitzte sich ‚Osten‘ dann ganz auf Russland zu, vgl. z.B. Manfred Hildermeier, Osteuropa als Gegenstand vergleichender Geschichte, in: Gunilla Budde [u.a.] (Hrsg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 120f. 51 Zur Reichspolitik gegen die Türken, die seit dem 16. Jahrhundert zu einer Konstante der Außenpolitik wurde, einschlägig Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978. Ebenso wichtig: Bodo Guthmüller / Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Europa und die Türken in der Renaissance, Tübingen 2000 (= Frühe Neuzeit, Bd. 54). 52 Deutschsprachige Einführungen in die geschichtlichen Zusammenhänge bieten: Gábor Barta [u.a.], Kurze Geschichte Siebenbürgens, Budapest 1990; Harald Roth, Kleine Geschichte Siebenbürgens. 2., durchges. Aufl., Köln 2003. 53 Zu ihm Emil Steffenhagen, (sub verbo), in: Altpreußische Biographie, hrsg. im Auftrag der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung. Bd. 1, hrsg. von Christian Krollmann, Königsberg 1941, S. 140. Am ausführlichsten S[iegmar Friedrich] Graf von Dohna, Aufzeichnungen über die Vergangenheit der Familie Dohna. 4 Bde., Berlin 1877-80, Bd. 1, S. 168207.

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kommunikative Drehscheibe für den reformatorischen West-(Süd-)OstAustausch“ – und diese Funktion habe eben gerade daraus resultiert, dass in Heidelberg wie in keinem anderen Territorialstaat im Reich die mentale Konzeption eines spezifisch ‚westlichen‘ „Zeit- und Geschichtsablaufverständnisses“ geherrscht habe. 54 Seidels Überlegungen erhalten somit einen weiteren mentalitätsgeschichtlichen Kontext, in dem sie fortzuführen wären. Dass schon József Turóczi-Trostler von diesen Zusammenhängen ausgegangen ist, wird an seiner Würdigung Georg Michael Lingelsheims deutlich. Demnach habe Molnár „in diesem großen Manne sein Vorbild“ gesehen. 55 Diese Vorbildfunktion bezog sich auf den Politiker und Gelehrten calvinistischer Façon, der Molnárs humanistisches Weltverständnis, seine Geschichtsauffassung und Sprachkonzeption entscheidend geprägt habe. Für diese prägende Bedeutung vermag Turóczi-Trostler nun eine ganze Reihe von Belegen aus dem Tagebuch, dem Briefwechsel und den Vorreden Molnárs zusammenzutragen. Sie zeigen, so Turóczi-Trostler, eine langjährige Beziehung, die 1603 mit dem Geschenk eines Goldstücks begann, womit Lingelsheim „einer der ersten“ wichtigen Bekannten Molnárs war und dies für die nächsten Jahrzehnte blieb. Dafür zeugten, dass er jenen in einem Brief „seines größten Wohlwollens“ versicherte und dass er ihn zum gemeinsamen Frühstück zusammen mit Hippolyt von Colli (1561-1612) in sein Heidelberger Haus einlud, dass er ihm ein Hochzeitsgeschenk sandte, die Patenschaft für Molnárs Sohn übernahm und „sein literarisches Fortkommen förderte“. Letzteres wiederum bewiesen die nachdrücklichen Danksagungen, die Molnár in den Vorreden verschiedener späterer Werke platzierte. 56 Keine andere Person gewinnt bei Turóczi-Trostler ein vergleichbares Profil als Förderer, Gönner und Anreger Molnárs – Georg Michael Lingelsheim wäre somit als die Vermittlungsfigur zu benennen, über die sich der ‚westliche‘ Kulturtransfer im Leben und Werk des ungarischen Gelehrten und Theologen realisierte. Robert Seidel hat das allerdings sofort in Frage gezogen und angemahnt, dafür seien Molnárs Beziehungen zu den kurpfälzischen Gelehrten und ‚Politikern‘ erst noch für den jeweiligen Einzelfall detailliert anhand der Quellen zu überprüfen. 57 Auf Widmungszuschriften Molnárs, für die zudem die von den Zeitgenossen sehr genau einzuhaltenden rhetorischen Konventionen zu beachten wären, soll nicht weiter eingegangen werden, stattdessen seien die doch sehr weit in den persönlichen Bereich hineinführenden Begegnungen und Kontakte betrachtet. Dafür sind zunächst einmal die Angaben Turóczi-Trostlers zu präzisieren, denn er hat seine Quellen äußerst ungenau zusammengezogen – keines___________ 54

Zwierlein (wie Anm. 49), S. 86. Turóczi-Trostler (wie Anm. 1), S. 75. 56 Alles nach ebd., S. 76. 57 Seidel, Der ungarische Späthumanismus (wie Anm. 32), S. 249f. 55

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wegs nur Georg Michael Lingelsheim, sondern verschiedene Mitglieder seiner Familie standen mit Albert Szenci Molnár über die Jahre in einem losen Kontakt. 58 Die ersten persönlichen Begegnungen mit einem Mitglied der Familie Lingelsheim hatte Molnár mit Gabriel, einem jüngeren Bruder Georg Michael Lingelsheims. Molnár hatte sich 1602 einige Monate in Amberg niedergelassen und war dort eine Zeit lang als praeceptor im Hause Johannes (Friedrich) Gernands tätig, der seinerseits in einem engeren freundschaftlichen Verhältnis zu Georg Michael Lingelsheim stand. 59 Im Januar 1603 immatrikulierte er sich an der Universität Altdorf und begann dort im Mai mit der Arbeit an seinem Dictionarium Latinoungaricum, das im Sommer 1604 in Nürnberg erschien. In dieser Zeit taucht in seinem Tagebuch, eingetragen unter dem 24. Mai 1603, 60 erstmals eine Verbindung zur oberpfälzischen Familie Lingelsheim-Loefen auf, aus deren Umfeld er in Form eines einmaligen Geldgeschenks finanzielle Unterstützung erhielt. Molnár widmete sein Wörterbuch Rudolf II. und reiste im Herbst 1604 nach Prag, um es dort dem Kaiser persönlich zu übergeben. Die Mittel für diese Reise und den zweimonatigen Aufenthalt im Radius des Prager Hofes verschafften ihm wiederum Geldgeschenke. Es zeugt für die trotz aller Konfliktlinien mögliche Durchlässigkeit der konfessionellen Grenzen in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik, dass ihm für diese Reise auch kurpfälzisch-calvinistische Beamte finanzielle Donationen aushändigten, die Molnár unter dem 10. September 1604 in seinem Tagebuch genau notiert: „Hainburgi dn. Lingelsheim dedit aureum, Neumarki Dominus Sölfleisch 2 taleros, Dominus Rhumel florenum 1 pro exhibitis“. 61 Über Gabriel Lingelsheim, der an dieser Stelle gemeint ist, ist kaum etwas bekannt. 62 Er war seit 1594 Amtmann im oberpfälzischen Haimburg und blieb in dieser Stellung bis 1625, als er wie zahlreiche andere Reformierte unter dem Druck der katholischen Gegenreformation aus der Oberpfalz auswanderte. 1596 hatte er eine Schwester Marquard Frehers geheiratet. Gabriel Lingelsheim bietet ___________ 58 Das Folgende berührt sich an manchen Stellen eng mit dem Aufsatz vom Vf.: Die ‚private‘ Seite des europäischen Späthumanismus – Albert Szenci Molnárs Beziehungen zum Hause Lingelsheim, in: Bogner [u.a.] (wie Anm. 22), S. 135-146. 59 Zu ihm Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43), S. 284-286. 60 Dézsi (wie Anm. 9), S. 35; in der neuen Ausgabe: Szabó, Szenci Molnár Albert naplója (wie Anm. 3), S. 78, ist stattdessen der 29. Mai angegeben. Der Eintrag lautet: „Exii Gnadenberg, et Homburg [= Haimburg; A.W.] illic a Domino Lingelsheym ducatum, Neomarchii a fratribus duos thaleros accepi.“ 61 Dézsi (wie Anm. 9), S. 38; Szabó, Szenci Molnár Albert naplója (wie Anm. 3), S. 79. Zu Jakob Solfleisch, Gerichtsschreiber in Neumarkt, und Johann Konrad Rhumel, Physikus ebenda, trägt Szábo in seiner Edition S. 148 die greifbaren biographischen Informationen aus dem Deutschen Biographischen Archiv zusammen. 62 Zu ihm: Wilhelm von Lingelsheim, Familien-Chronik derer von Lingelsheim, Mengeringhausen 1922, S. 35f.

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ein Beispiel dafür, welche enormen Aufgaben vor der Forschung noch liegen, um die späthumanistischen Korrespondentenkreise zu erschließen und damit den ganzen Umfang der personalen Strukturen und Vernetzungen der res publica literaria zu erfassen. Außerhalb der kulturellen Zentren, der Höfe, Universitäten oder großen Reichsstädte in einem Amt stehend, weder als Gelehrter noch durch seine Tätigkeit in irgendeiner Weise hervortretend, partizipierte er in der Provinz selbstverständlich an der eruditären Kommunikationskultur, die sich im Medium des lateinischen Briefes nicht nur eine exklusive Artikulationsform vorbehielt, sondern darüber ebenso eine Zugehörigkeit zu einem überlegenen Existenzmodell verbürgte. Freilich geschah dies in seinem Fall aus einer untergeordneten Stellung in der Hierarchie der Gelehrtenrepublik heraus. Molnár profitierte gleichwohl entscheidend von seiner Bekanntschaft mit Gabriel Lingelsheim, als er sich nämlich um einen persönlichen Kontakt mit dessen berühmten Bruder in Heidelberg bemühte. Sogar ein Gelehrter wie der junge Ungar, der sich durch sein Wörterbuch bereits einigen Ruhm in der Gelehrtenrepublik erworben hatte und vom Kaiser selbst für die Widmung des Werkes reich belohnt worden war, kam nicht so einfach an Georg Michael Lingelsheim heran. Dieser empfing in Heidelberg zwar immer wieder auswärtige Besucher, doch diese waren in der Regel mit Empfehlungen anderer Gelehrter ausgestattet, die ihrerseits seinem engeren Korrespondentenkreis zugehörten oder wenigstens sehr nahe standen. Molnár hatte sich vom 14. November 1606 bis zum 20. Februar 1607 in Heidelberg aufgehalten. In seinem Tagebuch notiert er kein Zusammentreffen mit Georg Michael Lingelsheim. Ein solches musste er vielmehr erst über Umwege vorbereiten. Er beschritt dafür den üblichen Kommunikationsweg, sich nämlich von anderen in die Gunst des Oberrats empfehlen zu lassen. In Heidelberg – das sei im Blick auf Turóczi-Trostlers Ausführungen besonders betont – verfügte Molnár zu diesem Zeitpunkt offenbar über keine persönlichen Kontakte, die ihm dabei helfen konnten, denn er wandte sich nach außerhalb, um vor Ort introduziert zu werden. In Dézsis Ausgabe finden sich einige Briefe vom Anfang des Jahres 1607, aus denen erkennbar wird, auf welchen Kanälen Molnár seine Interessen vorantrieb. Am 1. Februar sicherte ihm Gabriel Lingelsheim in der Antwort auf ein bislang nicht bekannt gewordenes Schreiben aus Haimburg die „commendationem apud fratrem meum“ zu, 63 einige Tage später kündigte Johann Karl Heuss in einem Brief aus Moringen an, dass er an Georg Michael Lingelsheim und Michael Loefen schreiben und ihnen dafür danken werde, „quod te […] in numerum clientum acceperint“. 64 Bereits diese Wendung macht deutlich, wie sich die ___________ 63

Dészi (wie Anm. 9), S. 200. Ebd., S. 203. – Zu Heuss weiß Szabó, Szenci Molnár Albert naplója (wie Anm. 3), S. 208, nur zu vermerken, dass er seit 1599 als Priester tätig war; er hatte sich am 17.05.1597 in Heidelberg immatrikuliert und war somit damals Kommilitone Molnárs. 64

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persönliche Beziehung zwischen diesen Gelehrten unterschiedlichen Ranges gestalten würde: als Klientelverhältnis, das sich nach einem seit der Antike eingeführten kulturellen Kommunikationsmodell öffentlich inszenierte. Erst nachdem Molnár auf diese Weise das Wohlwollen des umworbenen Patrons signalisiert worden war, wandte er sich selbst mit einem Brief an Georg Michael Lingelsheim. Dézsi kennt nur dessen Antwortschreiben, das auf den 19. April 1607 datiert und nach Siegen adressiert ist; Molnárs Brief ist bislang noch nicht aufgefunden. Der Brief, der seinerzeit von mir für mein Buch über Georg Michael Lingelsheim und seinen europäischen Korrespondentenkreis übersehen worden ist, wird hier nach der Ausgabe von Dézsi abgedruckt: 65 S. Literae tuae, vir clarissime, mihi periucundae fuerunt, ex quibus cognovi studium tuum singulare in me et de statu rerum tuarum, quae optabilia videntur. Hungarus ille, ad quem literas dedisti, iamdudum abierat, secutus patronum suum Theokelium, 66 parentis sui obitu domum retractum, misi tamen literas Norimbergam, unde mitti poterunt ulterius. A fratre meo hic habes literas, me incitat ad te amandum et fovendum. Cupio certe, quae vis et commodabo libens, qua potero. De Wakero quae scribis, non aliena videntur ab hominis illius ingenio, gaudeo autem te aliorum bonorum virorum beneficentiam expertum esse et voveo, ut feliciter ad exitum laudabilia instituta tua perducere possis. Resalutat te amanter socer meus ac Freherus. Tu ne dubita de nostro mutuo in te studio, ac vale felicissime. Heidelberga 19. Aprilis 1607. Tuus omni officio Georgius Michaelis Lingelshemius.

[Sei gegrüßt! Dein Brief, hochberühmter Mann, war mir außerordentlich angenehm. Aus ihm ersah ich Dein besonderes Wohlwollen mir gegenüber und erfuhr vom Stand Deiner Angelegenheiten, die nach Wunsch zu verlaufen scheinen.

___________ 65 Dézsi (wie Anm. 9), S. 372. Ich habe diesen Brief erstmals in dem in Anm. 58 genannten Aufsatz bekannt gemacht. Auch an dieser Stelle danke ich nochmals Prof. Dr. Robert Seidel (Frankfurt/Main) für seine Unterstützung bei der dortigen Edition. 66 Gemeint ist der ungarische Baron Miklós Thököly (1587-1617), den István Miskolci Csulyak (1575-1646) als praeceptor auf das Gymnasium Görlitz 1601 und die Universität Heidelberg 1603-1607 begleitete. Molnár hatte den Baron Mitte November 1606 in Heidelberg kennen gelernt.

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Axel E. Walter Jener Ungar, an den Du geschrieben hast, war schon lange abgereist und seinem Herrn Thököly gefolgt, der durch den Tod seines Vaters nach Hause gerufen worden war. Ich schickte dennoch einen Brief nach Nürnberg, von wo er weitergeschickt werden kann. Von meinem Bruder hast Du hier einen Brief; er mahnt mich Dich zu lieben und zu fördern. Ich wünsche gewiss, was du wünschst, und werde mich Dir gefällig erweisen, wo ich kann. Was Du über Wacker schreibst, scheint mir mit dem Geist dieses Mannes nicht schlecht zusammen zu passen; ich freue mich aber, dass Du auch das Wohlverhalten anderer guter Männer erfahren hast, und wünsche, Du mögest Deine rühmenswerten Vorhaben bis zum Abschluss glücklich durchführen können. Es grüßen Dich freundlich mein Schwiegervater und Freher. Du zweifle nicht an unserem gegenseitigen Wohlwollen Dir gegenüber, und lebe glücklich und wohl. Heidelberg, den 19. April 1607 Dein sehr ergebener Georg Michael Lingelsheim.]

Nur einige wenige Anmerkungen seien zu diesem kurzen Brief gemacht. Sie betreffen zuerst und vor allem den erwähnten Johann Matthäus Wacker von Wackenfels (1550-1619), der um 1600 eine der Leitfiguren des schlesischböhmischen Späthumanismus war und über großen politischen Einfluss am Hofe Rudolfs II. verfügte. 67 Georg Michael Lingelsheim war einst an seiner Stelle praeceptor Robert Sidneys, des jüngeren Bruders des Arcadia-Dichters, geworden. Er stand aber, etwa im Gegensatz zu Marquard Freher, mit Wacker in keinem Briefwechsel. Selbst in seinem Brief an Molnár formuliert er dezent seine Reserve gegenüber Wacker, die sicherlich nicht zuletzt daraus resultierte, dass jener 1592 zum Katholizismus konvertiert war. Lingelsheims Korrespondentenkreis weist ein eindeutiges konfessionelles Profil auf. Obgleich er eine irenische Haltung besaß, beschränkte sich diese ganz auf eine protestantische Irenik, wie sie auch Pareus vertrat. Zwar teilte er nicht den aggressiven Eifer eines Michael Loefen, doch prägte ihn eine strikte antikatholische Gesinnung, die sich vor allem aus einer scharfen Gegnerschaft gegen die reichspolitischen Vormachtansprüche der habsburgisch-päpstlichen Allianz ergab. Man wüsste deshalb gern, was Molnár über Wacker geschrieben hat. Er stand mit dem Prager Reichshofrat, der auch nach seinem Konfessionswechsel in weiten Teilen der protestantischen Gelehrtenschaft unverändert große Anerkennung genoss, ___________ 67

Zu seiner Rolle am Prager Hof wie im dortigen Gelehrtenleben vgl. Robert J. W. Evans, Rudolf II. Ohnmacht und Einsamkeit, Graz [u.a.] 1980, S. 108f. Nach wie vor am ausführlichsten: Theodor Lindner, Johann Matthäus Wacker von Wackenfels, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 8 (1867), Heft 1, S. 319-351.

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1605, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Prag, kurzzeitig in einem Briefwechsel. 68 Molnárs Kontakt zu Wacker dürfte über seine schlesische Verwandtschaft begünstigt worden sein. Zu dieser zählte eine andere zentrale Gestalt des schlesischen Späthumanismus, die bislang von der Forschung kaum wahrgenommen worden ist: Tobias Scultetus (1565-1620), nobilitiert als Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, war mit einer Nichte von Molnárs Ehefrau verheiratet. 69 Scultetus war weitgereist und in der europäischen Gelehrtenrepublik bestens vernetzt. 70 1594, als seine einzige Gedichtausgabe in Heidelberg erschien, hatte ihn Paul Schede Melissus dort zum Dichter gekrönt; damals bereitete offenbar David Pareus, selbst ein gebürtiger Schlesier, als Kontaktmann den Heidelberger Aufenthalt von Scultetus vor, der sich am 4. Juli 1593 in die Matrikel eintrug, 71 aber vermutlich schon im Jahr zuvor als Hofmeister eines schlesischen Adligen dorthin gekommen war. 1599 wurde Scultetus in Basel zum Doktor beider Rechte promoviert. Er scheint bereits zu dieser Zeit diplomatische Aufgaben übernommen zu haben, später stand er als Kammerfiskal in Schlesien in einem äußerst einflussreichen politischen Amt. Während seiner fast zweijährigen Reise, die ihn seit 1613 nach Siebenbürgen zurückgeführt hatte, traf Molnár im November und Dezember 1614 sowie im Mai und Juni des folgenden Jahres mehrfach mit Scultetus, unter anderem in dessen Haus in Beuthen, zusammen. In dieser Zeit bemühte sich Molnár offenbar intensiv um eine Anstellung. Szabó vermutet mit überzeugenden Gründen, dass er für eine Professur am Schönaichianum im Gespräch war. Scultetus könnte hier seinen Einfluss geltend gemacht haben. Dass dieser zu dem 1616 gegründeten Gymnasium Illustre eine nähere Beziehung besaß, belegen etwa seine poetischen Beiträge auf den Tod ihres Gründers (das Gedicht wurde der Grabrede Caspar Dornaus 1619 beigegeben) oder zur Antrittsrede Dornaus, die 1617 im Druck erschien. 72 Hier findet sich übrigens auch ein Gedicht des bereits erwähnten Georg Rem (1561-1625), ___________ 68 Ein kurzes Schreiben Wackers an Molnár in: Dézsi (wie Anm. 9), S. 173. Zwei Briefe Molnárs an jenen, vom 25.01. bzw. 05.03.1605, verzeichnet Lindner (wie Anm. 67), S. 350. Dort sind S. 349 auch zwei Briefe von Marquard Freher (06.06.1604 und 17.05.1611) notiert. 69 Zur Verwandtschaft Molnárs mit Tobias Scultetus und zu seinen Aufenthalten bei diesem in Schlesien vgl. András Szabó, Albert Szenci Molnár in Schlesien, in: Szabó, Iter Germanicum (wie Anm. 21), S. 201-213. 70 Zu ihm jetzt ausführlich Klaus Garber, Daphnis. Ein unbekanntes Epithalamium und eine wiederaufgefundene Ekloge von Martin Opitz in einem Sammelband des schlesischen Gymnasium Schönaichianum zu Beuthen in der litauischen Universitätsbibliothek Vilnius, in: Ders., Martin Opitz – Paul Fleming – Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittelund Osteuropas, Köln 2013 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas, Bd. 4), S. 1-157, hier S. 73-91 et passim. 71 Gustav Toepke (Hrsg.), Die Matrikel der Universität Heidelberg. 7 Bde. [Bd. 7 bearb. von Paul Hintzelmann.], Heidelberg 1884-1916 (ND Nendeln/Liechtenstein 1976), Bd. 2, S. 16. 72 Nachweise bei Szabó, Molnár in Schlesien (wie Anm. 70), S. 208f.

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der ein enger Freund von Dornau war. 73 Molnárs Berufung nach Beuthen scheiterte allerdings ebenso wie eine Anstellung in kurbrandenburgischen Diensten, wobei ihm eine Professur am Joachimstaler Gymnasium angeboten worden zu sein scheint. 74 Gründe für dieses Scheitern sind nicht bekannt, aber dass Molnár kurz darauf in kurpfälzische Dienste eintrat, dürfte ohne Zweifel durch das stabile personelle Beziehungsgeflecht zwischen Schlesien und Heidelberg begünstigt worden sein. Über die Oppenheimer Kantorenstelle entschied der Heidelberger Kirchenrat, in dem mit Abraham Scultetus und David Pareus zwei Schlesier saßen. 75 Die nötigen Mittel für die Reise stellten Molnár und seiner Familie der Verwandte Tobias Scultetus und der ebenfalls schon genannte Achaz von Dohna zur Verfügung. 76 Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Georg Michael Lingelsheim bei der Berufung Molnárs in kurpfälzische Dienste in irgendeiner Form involviert war. Indes führt, das sei an dieser Stelle als kurzer Exkurs eingeschoben, über Tobias Scultetus die Spur in ein personales Netzwerk, dem Georg Michael Lingelsheim ablehnend gegenüber stand – und wir stoßen dabei auf einen weiteren, bislang übersehenen Brief an ihn. Scultetus stand mit Johann Matthäus Wacker von Wackenfels in einem freundschaftlichen Verhältnis. Im Anschluss an seinen Heidelberger Aufenthalt hatte sich Scultetus mit seinem Schützling zunächst 1595 auf die Straßburger Akademie begeben – obwohl Molnár dort gleichzeitig studierte, scheint es zu keiner persönlichen Begegnung gekommen zu sein –, ___________ 73 Zu Re(h)m vgl. Heinrich Kunstmann, Die Nürnberger Universität, Altdorf und Böhmen. Beiträge zur Erforschung der Ostbeziehungen deutscher Universitäten, Köln 1963, S. 121-128, dort insbes. zu dessen Kontakten nach Schlesien. Rem stand mit Caspar Dornau in einer intensiven Korrespondenz, zu ihrem Verhältnis vgl. Robert Seidel, Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577-1631) – Leben und Werk, Tübingen 1994 (= Frühe Neuzeit, Bd. 20), insbes. S. 383 et passim. Ebd. S. 265-306 auch eine eingehende Analyse von Dornaus Charidemus, zu dem Rem ein Vorsatzgedicht lieferte. 74 Vgl. Szabó, Molnár in Schlesien (wie Anm. 69), S. 204-206. 75 Molnár stand so wie mit David Pareus auch mit Abraham Scultetus – zumindest zeitweilig – in einer Korrespondenz, ein Brief des Heidelberger Theologen an ihn aus dem Jahre 1610 ist ediert in: Dézsi (wie Anm. 9), S. 342. – Zu den engen Beziehungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz, die insbes. auf der Migration von (krypto-)calvinistischen Theologen in die Kurpfalz basierten, erstmals der Überblick von G. Hecht, Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 81 (1929), S. 176-222. Nimmt Hecht die Gesamtheit der kulturellen Austauschprozesse in den Blick, konzentriert sich Bellardi auf die frühe Zeit des kurpfälzischen Calvinismus unter Friedrich III. Werner Bellardi, Schlesien und die Kurpfalz. Der Beitrag vertriebener schlesischer Theologen zur „reformierten“ Theologie und Bekenntnisbildung (1561-1576), in: Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte N.F. 51 (1972), S. 48-66. Zum Gesamtkontext nunmehr der Band von Joachim Bahlcke, Albrecht Ernst (Hrsg.), Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung, Heidelberg [u.a.] 2012 (= Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschaftsund Stadtgeschichte, Bd. 5). 76 So der Tagebucheintrag vom 02.08.1615, in: Szabó, Szenci Molnár Albert naplója (wie Anm. 3), S. 99.

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danach weilte er für einige Monate in Köln. Dort kam es zur Bekanntschaft mit Kaspar Schoppe (1576-1649). Diesen führte Scultetus kurz darauf bei Wacker ein, 77 auf dessen Einfluss dann schon wenig später Schoppes Konversion zurückzugehen scheint. 78 Als Philologe bereits in jungen Jahren gerühmt, wurde Schoppe nach seinem Übertritt zum Katholizismus durch seine polemischen Streitschriften gegen die Reformierten berüchtigt. Georg Michael Lingelsheim äußert sich in seinen Briefen immer wieder verächtlich über ihn. In seinen Korrespondenzen der Jahre 1607/08 bildet Schoppes Scaliger hypobolimaeus ein durchgängiges Thema. 79 Umso interessanter ist deshalb ein undatierter Brief Schoppes an Lingelsheim, der sich in dessen Suspectarum Lectionum Libri quinque befindet, sich aber nicht auf diesen Streit mit Scaliger beziehen lässt, sondern auf einen von Lingelsheim zum Druck beförderten Brief Isaac Casaubons, in dem er vehement gegen Schoppe polemisiert. 80 Dieser Brief harrt seiner Auswertung durch die Forschung. – Wir können uns an dieser Stelle freilich nicht näher mit diesem Schreiben Schoppes beschäftigen und kehren nach dieser kleinen Abschweifung, welche die zahlreichen Schnittmengen personaler Netzwerke in der res publica literaria noch einmal deutlich gemacht hat, zurück in das Jahr 1607 und zu dem Brief Lingelsheims an Molnár. ___________ 77 Vgl. Ernst Koch, Böhmische Edelleute auf dem Görlitzer Gymnasium und Rektor Dornau, in: Neues Lausitzisches Magazin 93 (1917), S. 1-48, hier S. 31f.; zitiert bei Garber (wie Anm. 70), S. 86f., Anm. 97. 78 Vgl. Evans (wie Anm. 67), S. 108. 79 Schoppe taucht seit 1604 in seinen Korrespondenzen immer wieder auf. Zu dessen persönlichen Angriffen auf Scaliger, die Lingelsheim sehr erzürnten, erstmals sein Brief an Hugo Grotius, Heidelberg, 18.12.1606 (in: Reifferscheid (wie Anm. 7), S. 654f.: „Audio Romae editum a Scioppio nescio quid in divinum Scaligerum […]“); im Jahre 1608 durchzieht die Angelegenheit ihren Briefwechsel, so im Schreiben Grotius’ vom 26.01.1608, Lingelsheims Antwortbrief vom 03.02.1608 und den beiden späteren Grotius-Briefen an Lingelsheim vom 11.04. bzw. 04.12.1608 (sämtliche Schreiben in: Ebd., S. 24f., 656f., 26f.). Auch in Lingelsheims Briefwechseln mit Jacques Bongars (Bongars an Lingelsheim, 08.01.1607, Lingelsheim an Bongars, 20.04., 05.05., 06.05., 13.05., 13.09., 26.09., 16.10., 31.10. und 07.11.1607), mit Hippolyt von Colli (dort in dessen Briefen an Lingelsheim vom 18.04., 25.04., 13.06. und 27.10.1608), mit Scipio Gentilis (Lingelsheims Schreiben vom 19.02.1607), mit Michael Loefen (Lingelsheims Schreiben vom 26.07., 30.07., 05.08. und 08.08.1608) wird die Angelegenheit behandelt; zentral ist sie natürlich in Lingelsheims Korrespondenz mit Scaliger selbst. Zu den Nachweisen vgl. das Briefverzeichnis in: Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43). 80 CASPARIS SCIOPPI, FRANCI, SUSPECTARUM LECTIONUM LIBRI QUINQUE, In centum & quatuordecim epistulas ad celeberrimos quosque ævi nostri viros aliosque amicos, facti. […] AMSTELODAMI, Apud Jodocum Pluymer, Bibliopolam, 1664 (Exemplar: Biblioteka Uniwersytecka Wrocław, Sign.: 372921), S. 174-176. Zu der publizistischen Fehde mit der weiterführenden Literatur vgl. Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43), S. 213-215). In diesem Zusammenhang ist auch Lingelsheims scharfes Urteil über Schoppe bezeichnend, das er in dem Schreiben an Jean Hotman, Heidelberg, 24.10.1612, fällt (Autograph in: La Bibliothèque de la Sociéte du Protestantisme français, Paris, Sign.: Mss10V, Bl. 3r). – Auch in Lingelsheims Korrespondenz mit Casaubonus spielte Scaliger hypobolimaeus bereits 1607 eine Rolle, so in Lingelsheims Brief vom 10.08.1607 und Casaubons Briefen vom 23.08. und 17.11.1607 sowie 09.03.1608 (Nachweise wiederum Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43)).

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Molnár war in den Monaten nach seinem Aufbruch aus Heidelberg damit befasst, den Druck seines Psalterium Ungaricum vorzubereiten und zu überwachen. Weil der ursprünglich dafür vorgesehene Frankfurter Drucker Zacharias Palthenius keine Druckerlaubnis erhielt, erschien das Werk in der Herborner Offizin von Christoph Corvinus. Molnár kam am 17. April in Herborn an, fünf Tage später begann Corvinus mit dem Druck, am 12. Mai war das Werk fertig. Dass Georg Michael Lingelsheim in seinem Brief an Molnár auf die publizistische Fehde Schoppes mit Scaliger nicht eingeht, obwohl diese in seiner übrigen Korrespondenz aus dieser Zeit einigen Raum einnimmt, bietet ein Indiz für eine Außenposition des Adressaten, der trotz seiner Nachrichten über Wacker aus dem ‚inneren‘ Kreis der vertrauten amici ausgeschlossen bleibt. Aber auch Molnárs Psalterium erwähnt Lingelsheim mit keinem Wort. Stattdessen erreicht den Bittsteller ein knapp gehaltener Brief, der die Position eines mit entsprechenden Andienungen häufig konfrontierten, in der Hierarchie der Gelehrtenrepublik weit oben stehenden Schreibers markiert und auch darin bereits das künftige Verhältnis zwischen ihnen fixiert. Georg Michael Lingelsheim streicht heraus, dass Molnár es seinem Bruder Gabriel verdanke, diese Zeilen zu erhalten. In der durch Formeln codierten Briefkommunikation der Zeit signalisieren die abschließend ausgerichteten Grüße von Loefen und Freher allerdings sogleich, dass Molnárs Referenzen ihm das Entrée in die familiäre Klientel verschafft hatten. Molnár begab sich unmittelbar nach Abschluss des Druckes mit seinem ungarischen Psalter im Gepäck auf Reisen. Er hatte sein Werk dieses Mal den beiden Fürsten gewidmet, die an der Spitze der reformierten Reichspolitik standen: dem Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel und dem Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz. Molnár ging zuerst in die Landgrafschaft und kam von dort aus am 8. Juni des Jahres in Heidelberg an. Er konnte beiden Fürsten das Buch persönlich überreichen und erhielt dafür großzügige Geldgeschenke. Am 12. Juni traf er endlich mit Georg Michael Lingelsheim zusammen. Wie im Falle der Geschenkübergabe, die mit einem Gegengeschenk vergolten wurde, 81 vollzog sich auch dieses Treffen in einer ritualisierten sozialen Handlungsform: „Pransus sum cum domino Hyppolito et domino Lingelsheim“ notiert Molnár das Ereignis in seinem Tagebuch. 82 In diesem gemeinsamen Frühstück antizipierte sich einerseits die antike Form mäzenatischer Wertbekundung als eine Lebenspraxis der späthumanistischen Gelehrtenrepublik. Die persönliche Begegnung reali___________ 81 Zur Bedeutung des Buchgeschenks als Kommunikationsmittel in den sozialen Beziehungen der humanistischen wie höfischen Kultur exemplarisch die Dissertation von Nadezda Shevchenko, Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation, Göttingen 2007 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 234), insbes. S. 145-176. 82 Zit. nach Szabó, Szenci Molnár Albert naplója (wie Anm. 3), S. 81. Bei Dézsi (wie Anm. 9), S. 47, eine deutlich abweichende Schreibung.

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sierte sich damit in einer repräsentativen Handlung, der Öffentlichkeitscharakter insofern aneignete, als dieses Zusammentreffen durchaus einen offiziellen Charakter besaß: Landgraf Moritz hatte Molnár zu einer gemeinsamen Bootsfahrt geladen – in Heidelberg trat das gemeinsame Frühstück mit zwei führenden Beamten an die Stelle eines höfischen Aktes der Wertschätzung. Freher und Loefen nahmen nicht daran teil, stattdessen mit Hippolyt von Colli der (neben Volrad von Plessen) wichtigste Diplomat der kurpfälzischen Europapolitik. 83 Das signalisierte kaum nur die Wertschätzung des Eingeladenen, vielmehr diente es wohl zuvorderst dem Ausloten von dessen möglicher Verwendung in der Konfessionsdiplomatie mit Siebenbürgen. Aus diesem Treffen ergab sich keine nähere Verbindung Molnárs zu Georg Michael Lingelsheim, die sich etwa in einem Briefwechsel verfestigte. Soweit ich es übersehe, enthält Lingelsheims gesamte bislang bekannt gewordene Korrespondenz keinen Hinweis darauf, dass er jemals wieder von Molnár einen Brief erhalten oder ihm geschrieben hätte. Einige Monate nach seiner Rückkehr aus Heidelberg richtete Molnár einen Brief an Gabriel Lingelsheim, nicht aber an dessen Bruder. 84 Erst vier Jahre später lässt sich wieder ein Kontakt nachweisen: Als Molnár im Jahre 1611 heiratete, übermittelte ihm Friedrich Lingelsheim in einem Brief am 2. Oktober die Glückwünsche des Vaters, der als Geschenk – ganz der Mäzen – ein Goldstück beilegte. 85 Friedrich, der älteste Sohn aus der ersten Ehe Georg Michael Lingelsheims mit Claudine Virot, wurde Ende 1592 oder Anfang 1593 geboren. Ein Brief des Vaters an Hippolyt von Colli vom 27. Februar 1593 lässt auf eine noch nicht lange zurückliegende Geburt schließen. 86 Kein anderer Sohn kommt in den Briefen Georg Michael Lingelsheims so oft vor wie sein Erstgeborener, der offenbar schon frühzeitig zu großen Hoffnungen Anlass gab, jedoch bereits am 13. September 1616 verstarb.

___________ 83 Zu Colli auf Basis des aktuellen Forschungsstandes Wilhelm Kühlmann, (sub verbo), in: Killy Literaturlexikon. 2. Aufl., hrsg. von Wilhelm Kühlmann. 13 Bde., Berlin 2008-2013, Bd. 2, S. 464f. Nunmehr ausführlich der Aufsatz von Wilhelm Kühlmann, Hippolytus a Collibus (1561-1612), ein politischer Schriftsteller, und der Zincgref-Kreis, in: Ders., Zincgref (wie Anm. 12), S. 451-469. Die bis dahin vorgelegte, keinesfalls umfangreiche Forschungsliteratur ist ausgewertet in dem Colli-Kapitel in Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43), S. 274-276. 84 Vgl. Georg Rem an Molnár, 31. August 1607, in: Dézsi (wie Anm. 9), S. 221. 85 Ebd., S. 372. 86 Georg Michael Lingelsheim an Hippolyt von Colli, Heidelberg, 27.02.1593 (Autograph in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: Sup. Ep. 14, Bl. 40v). Zu Friedrich Lingelsheim vgl. Lingelsheim, Familien-Chronik (wie Anm. 62), S. 46-49; Wilhelm Kühlmann / Hermann Wiegand (Hrsg.), Parnassus Palatinus. Humanistische Dichtung in Heidelberg und der alten Kurpfalz. Lateinisch – Deutsch, Heidelberg 1989, S. 275; Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43), S. 308-310; Walter, Medien (wie Anm. 12), S. 354-364.

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Friedrich Lingelsheim bewies sich schon in jungen Jahren als gewandter neulateinischer Gelegenheitsdichter, in Julius Wilhelm Zincgrefs „Anhange Vnderschiedlicher außgesuchter Getichten“ zur Straßburger Ausgabe der für die neue deutsche Kunstdichtung die Bahn brechenden Teutsche[n] Pöemata von Martin Opitz (1624) findet sich von ihm außerdem ein deutschsprachiges Epithalamium. 87 Seine neulateinischen Kasualpoeme versammelte Johann Leonhard Weidner zusammen mit den ‚Jugendgedichten‘ Zincgrefs 1619 in der Triga amico-poetica. 88 Durch seine Herkunft eröffneten sich Friedrich Lingelsheim ganz andere Möglichkeiten als einem Albert Molnár, mit bedeutenden Gestalten der späthumanistischen res publica literaria in persönlichen oder wenigstens literarischen Kontakt zu treten. In Frankreich etwa wurde der junge Gelehrte auf seiner peregrinatio academica ganz selbstverständlich von Jacques-Auguste de Thou und Pierre Dupuy, den Größen der Pariser Späthumanisten, empfangen. 89 Auch andere klangvolle Namen der europäischen Gelehrtengemeinschaft und Diplomatie finden sich unter den Adressaten seiner Kasualpoeme, beispielsweise Guillaume d’Ancel (gest. 1615), Gesandter des französischen Königs am Prager Kaiserhof, Jacques Bongars, Hippolyt von Colli, Joseph Justus Scaliger (1540-1609), damals eine der berühmtesten Gestalten in der europäischen Gelehrtenrepublik und zusammen mit seinen Schülern hauptsächlich für den Rang der Universität Leiden im späthumanistischen Europa verantwortlich, 90 oder ___________ 87 „Hochzeitlied an seine Schwester Fraw Salome/ Herrn D. Petri de Spina Hochzeiterin“, in: George Schulz-Behrend (Hrsg.), Martin Opitz. Gesammelte Werke. 4 Bde. in 7 Teilen, Stuttgart 1968-1990 (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Bde. 295, 296, 297, 300, 301, 312, 313), hier die Teutschen Pöemata in Bd. 2/1, S. 161-290 mit dem Gedicht von Friedrich Lingelsheim auf S. 270ff. („Anhang“, Nr. [38]). 88 Triga Amico-Poetica. siue Ivlii Gvlielmi Zincgrefii Heidelbergensis Iuuenilia Poetica: Friderici Lingelshemii Heidelbergensis p.m. Reliquiæ Poeticæ. Ioannis Leonhardi VVeidneri Palatini Conatuum Poeticorum Prodromus. Editio prima procurata ab eodem Ioanne Leonhardo VVeidnero. [o.O. o.D.] 1619 (Exemplar der Stadtbibliothek Wuppertal, Sign.: Gym D 12 56). – Drei Gedichte Friedrich Lingelsheims aus der Triga sind mit deutschen Übersetzungen leicht zugänglich in: Kühlmann / Wiegand (wie Anm. 86), S. 186-195. 89 Zur zentralen Rolle von Paris als Zentrum des Späthumanismus der Aufsatz von Klaus Garber, A propos de la politisation de l’humanisme tardif européen. Jacques Auguste de Thou et le „Cabinet Dupuy“ à Paris, in: C. Lauvergnat-Gagnière / B. Yon (Hrsg.), Le juste et l’injuste à la Renaissance et à l’âge classique. Actes du colloque international tenu à Saint-Etienne du 21 au 23 avril 1983, Saint-Etienne 1986 (= Publications de l’Université de Saint-Etienne), S. 157-177; in deutscher Sprache: Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus. Jacques Auguste de Thou und das Cabinet Dupuy, in: Sebastian Neumeister / Conrad Wiedemann (Hrsg.), Respublica litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. (Vorträge und Referate gehalten anläßlich des 5. Jahrestreffens des Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel vom 25. bis 28. März 1985). 2 Bde., Wiesbaden 1987 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 14), S. 71-92. Unentbehrlich nach wie vor der erste große Überblick von Josephine de Boer, Men’s Literary Circles in Paris 1610-1660, in: Publications of the Modern Language Association of America 53 (1938), S. 730-780. 90 Zur herausragenden Rolle der Universität Leiden im gelehrten Europa des 17. Jahrhunderts der beste Überblick in den Aufsätzen in: Th[eodoor] H[ermann] Lunsingh Scheurleer / G.H.M.

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Henry Wotton (1568-1639), über zwei Jahrzehnte Botschafter des englischen Königs in Venedig und danach Direktor des Eton College. 91 Sie alle gehörten zum engeren Freundeszirkel seines Vaters und standen mit diesem in einer Korrespondenz. Eine andere Adressatengruppe Friedrich Lingelsheims, neben den beiden häufiger bedichteten Freunden Weidner und Zincgref, bildete die Familie. Dieser kamen einige Personen aus dem näheren Umfeld des väterlichen Hauses hinzu, denen er Freundschaftsgedichte zueignete. Dazu gehörten beispielsweise seine beiden Praeceptoren Thomas Rhau und Gottfried Jungermann (1577/78-1610) 92 – und offenbar auch Albert Molnár. Friedrich Lingelsheim dichtete auf Molnárs Hochzeit mit Kunigunde Ferinarius, ihrerseits eine Enkeltochter des engen Luther-Mitstreiters Caspar Cruciger (1504-1545), ein kurzes Epithalamium, das in die Triga amico-poetica ans Ende seiner Epigramme gestellt und damit exponiert ist. Dieses Gedicht legte er in einer handschriftlichen Version seinem Brief an Molnár als sein persönliches Hochzeitsgeschenk bei. 93 Die persönliche Teilnahme eines ‚Familienvertreters‘ an dieser Hochzeit sagte der Schreiber ab, weil die „distantia loci“ (die Hochzeit fand in Marburg statt) dafür zu weit sei. Der Brief wie das Gelegenheitsgedicht erfüllten mediale Stellvertreterfunktionen, die ihnen in der gesellschaftlichen Kommunikation der Zeit zugewiesen waren. Georg Michael Lingelsheim, so kann man wohl voraussetzen, hat diesen Brief ebenso an seinen Sohn Friedrich delegiert wie einige Jahre später die Übernahme der Patenschaft, die József Turóczi-Trostler erwähnt hat, an seinen zweitgeborenen Sohn. Am 14. Mai 1618 fand in Oppenheim die Taufe von Paulus, dem Sohn Albert Szenci Molnárs und seiner Frau Kunigunde, statt. Gevatter standen Susanne de Bry, eine Tochter des bekannten Verlegers und Kupferstechers Johann Theodor de Bry, und der „Juncker Paulus Lungelsheimer“, nach dem der Täufling benannt wurde. 94 Paul Lingelsheim stammte wie sein Bruder ebenfalls aus der ersten Ehe seines Vaters. Während Friedrich Lingelsheim zumin___________ Posthumus Meyjes (Hrsg.), Leiden University in the Seventeenth Century. An Exchange of Learning. With the Assistance of A. G. H. Bachrach [u.a.], Leiden 1975. 91 Für alle hier genannten Personen sei auf die entsprechenden Kapitel in Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43) verwiesen. Dort fehlt nur Ancel, der zwar, wie aus anderen Briefen nachweisbar, mit Georg Michael Lingelsheim spätestens seit 1594 und noch 1612 in einem Briefwechsel stand, davon sind jedoch keine Überreste mehr erhalten. Zu Ancel nunmehr: Kohlndorfer-Fries (wie Anm. 45), S. 243-249. 92 Zu Jungermann wiederum das Kapitel in Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43), S. 360f. Über Rhau vermochte ich keine Informationen zu ermitteln. 93 Das Gedicht unter dem Titel „Nuptijs Alberti Molnaris Vngari“ in: Triga Amico-Poetica (wie Anm. 88), S. 100f.; außerdem in: Dézsi (wie Anm. 9), S. 455. Beide Editionen weisen gravierende Abweichungen auf, vgl. dazu Walter, Medien (wie Anm. 12), S. 372, Anm. 95. – Ein Dankschreiben Molnárs ist nicht erhalten. 94 Vgl. Giebermann (wie Anm. 16), S. 32, dort in Anm. 169 das Zitat aus dem Oppenheimer reformierten Kirchenbuch, S. 310.

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dest in Fachkreisen bis heute bekannt ist, weiß man über seinen jüngeren Bruder so gut wie nichts. Wie aus Marquard Frehers „Odarion“ auf Georg Michael Lingelsheims zweite Hochzeit 1596 und aus einem Brief des Vaters an Otto von Grünrade, Präsident des kurpfälzischen Kirchenrats, aus dem selben Jahre zu erschließen ist, verstarb Claudine Virot Ende 1595 oder Anfang 1596. 95 Das ist der Terminus ante quem für seine Geburt. Im Dreißigjährigen Krieg trat Paul, wie ebenfalls Briefen Georg Michael Lingelsheims zu entnehmen, in den Militärdienst ein und geriet zeitweilig in Gefangenschaft. 96 Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Friedrich fand Paul Lingelsheim aber nur höchst selten in den Briefen seines Vaters Erwähnung; eigene Spuren im gelehrt-literarischen Leben seiner Zeit hinterließ er nicht. Der letzte zumindest mittelbare Kontakt, der hier bilanziert werden kann, betrifft schließlich die von Szabó ins Spiel gebrachte Tätigkeit der ältesten Stieftochter Molnárs, der 1599 geborenen Magdalena Vietor, als Dienstmagd im Hause Georg Michael Lingelsheims. Zwar lässt nichts vermuten, dass ___________ 95 Trotz intensiver Recherchen in den Straßburger Akten konnte ich bislang weder über eine Hochzeit noch über die Herkunft von Lingelsheims erster Frau etwas in Erfahrung bringen. Reifferscheid (wie Anm. 7), S. 767, setzt die Eheschließung nach 1588 an, in Lingelsheim, FamilienChronik (wie Anm. 62) ist S. 43 ein Dokument zitiert, wonach Claudine Virot noch am 04.03.1595 lebte. Dass der Tod seiner ersten Ehefrau am Tage seiner zweiten Hochzeit neun Monate zurücklag, also etwa Ende 1595/Anfang 1596 erfolgte, führen die ersten zwei Verse von Frehers „Odarion“ von 1596 an: „Iam satis indultum lachrymis; ternoque trimestri | Eluxe sociam sifficit […]“, in: In Nvptias Georgii Michaelis Lingelshemii Ic. Consiliarii Pal. Et Agnetis Loefeniæ Michaelis Loefenii Ic. Consil. Palat. F. Vota Bona Amicor. Heidelberg: [o.D.] 1596 (Exemplar Stadt- und Universitätsbibliothek Bern, Sign.: Bong. VI. 202 (2), S. 9. In Lingelsheims Briefen sind keine direkten Nachrichten über seine erste Ehefrau zu finden. Eine Reflexion ihres Todes scheinen lediglich die einleitenden Sätze in seinem Brief an Otto von Grünrade vom 30.03.1596 zu sein, in denen er ganz offensichtlich von dem erst vor kurzem erfolgten Todesfall bewegt ist und die „praesentes […] miserias“ noch so frisch sind, dass Grünrades „consolatoria epistola […] vehementer me mouit, vt lacrumis rursus diffluerent. Ademit mihi casus ille meus hilaritatem et alacritatem, auxit meditationes et exercitia pietatis, magisq; a terrenis curis abstractum ad coelestia et aeterna erigit.“ (Autograph in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Sign.: Sup. ep. 14, Bl. 176r). Möglicherweise stammte Claudine Virot aus der bekannten Straßburger Druckerfamilie; zu einzelnen Druckern vgl. Josef Benzing, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. 2., verb. u. erg. Aufl., Wiesbaden 1982 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 12), S. 449, 452. Ebenfalls nichts dazu bei Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 51), S. 894 (Nikolaus Wyriot d. Ä.) und 899 (d. J.). Die Druckerei wurde übrigens 1629 von Bernegger gekauft. 96 Lingelsheim, Familien-Chronik (wie Anm. 62) führt Paul Lingelsheim auf S. 50 auf, vermag aber ebenfalls keine Angaben zu seiner Person beizubringen und kann auch nur einen Brief Georg Michael Lingelsheims nennen. Die aus dessen Korrespondenz zu ermittelnden Informationen in Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43), S. 160, Anm. 358. Zu seinem Eintritt in den Militärdienst vgl. den Brief Balthasar Venators an Matthias Bernegger, 30.04.1625, in: Georg Burkard / Johannes Schöndorf (Hrsg.), Balthasar Venator: Gesammelte Schriften. 2 Bde., Heidelberg 2001 (= Bibliotheca Neolatina, Bd. 9), hier Bd. 2, S. 16f.

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Molnár selbst nach dem Rücktritt von seinem Oppenheimer Rektorenamt im Heidelberger Haus Lingelsheims – sei es auch nur zeitweilig – Aufnahme gefunden hätte, doch in der Anstellung der Stieftochter, obgleich in einem niedrigen Dienstverhältnis, bewährte sich ebenfalls die Fürsorge für den Klienten und seine Familie. 97 Weitere und spätere Spuren eines Kontaktes von Molnár zum Hause Lingelsheim gibt es nicht. Vielmehr scheinen die Verbindungen im Zuge der Kriegsläufe, die beide aus Heidelberg vertrieben und an weit auseinander liegende Orte führten, abgebrochen zu sein. Zwar liegen zu Molnárs letzten knapp eineinhalb Lebensjahrzehnten sehr viel weniger Quellen vor, während bis 1617 eine ‚dichte‘ Beschreibung seines Lebenslaufs alleine durch das Tagebuch möglich war; doch in Georg Michael Lingelsheims Korrespondenz nach 1621 wird Molnár, soweit ich sehe, mit keinem Wort erwähnt. Opitz’ Brief an Martin Schödel vom 14. Mai 1630 bietet vielmehr einen Beleg dafür, dass Molnárs Kontakte zum oberrheinischen Späthumanismus insgesamt sehr brüchig geworden zu sein scheinen. Zusammenfassung Georg Michael Lingelsheim, dem von Turóczi-Trostler Ereignisse persönlich zugeschrieben werden, an denen lediglich Angehörige seiner Familie teilnahmen, lässt sich, so können wir zusammenfassen, keineswegs als der prägende ‚Lehrer‘ Molnárs rekonstruieren, sofern es nachhaltige Einflüsse auf dessen gelehrte Tätigkeit sowie seine konfessionellen Überzeugungen betrifft. Ein Einfluss Matthias Berneggers ist noch weniger zu erkennen. Allerdings bestand zu Georg Michael Lingelsheim über die Jahre eine stabile Klientelbeziehung. So gibt sich in den Kontakten Albert Szenci Molnárs zur Familie eines führenden kurpfälzischen Politikers und einflussreichen Gelehrten eine Lebenswirklichkeit persönlicher Beziehungen im europäischen Späthumanismus zu erkennen, in der sich das Subjekt unter den gesellschaftlichen wie mentalen Auspizien eines gelehrten ‚Standesbewusstseins‘ einrichtete und bewegte. Das reichte bis in den Bezirk des ‚Privaten‘ hinein, der nicht in Opposition zum ‚Öffentlichen‘ stand, 98 sondern die in den soziogenen Formen gelehrtliterarischer Kommunikation und ihren spezifischen Medien stilisierte Lebensform in intersubjektiven Handlungspraktiken fortführte. Da Molnárs direkte Kontakte zu Georg Michael Lingelsheim sehr beschränkt waren, vielmehr in der Verteilung der verschiedenen Aufgaben in der Beziehungspflege eine Art von ___________ 97 Zu diesem Dienstverhältnis vgl. den Brief Molnárs an Ludwig Camerarius, 03.03.1624, in: Judit Vásárhelyi (Hrsg.), Szenci Molnár Albert válogatott müvei [Ausgewählte Werke von Albert Szenci Molnár], Budapest 1976, S. 624. 98 Als konzisen Überblick über die Forschungsdiskussionen vgl. Fridrun Freise, Einleitung, in: Caroline Emmelius [u.a.] (Hrsg.), Offen und Verborgen. Vorstellungen und Praktiken des Öffentlichen und Privaten in Mittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 2004, S. 9-31.

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‚Familienpolitik‘ zu sehen ist, darf daraus kaum auf eine besondere Stellung des ungarischen Gelehrten in diesem weit gespannten Netzwerk personaler Kontakte geschlossen werden. Auch Johann Philipp Pareus sprach Georg Michael Lingelsheim in seinem Brief als seinen „Mæcenas“ 99 an, und er konstituierte damit ebenso einen soziogenen Rahmen des gegenseitigen Umgangs, wie ihn auch Molnár suchte. Für Martin Opitz oder auch Balthasar Venator war Lingelsheim ebenfalls ein bewunderter Förderer, der finanzielle Hilfe leistete, indem er beiden eine Stellung gab (die Molnár niemals in seinem Haus bekleidete). 100 Molnár selbst besaß, wie sein Tagebuch ganz deutlich macht, ein späthumanistisches Selbstkonzept, das auf die Erfüllung wie Aufführung der öffentlichen Rolle des Gelehrten im Netzwerk ausgelegt war. Seinen ‚Denkrahmen‘ bot der westliche Späthumanismus mit einer calvinistisch-irenischen Imprägnierung, der bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges ein Zentrum in Heidelberg besessen hatte. Dabei ist der Theologe nicht vom Philologen zu trennen. So bleibt unter den Zeitgenossen Lingelsheims in Heidelberg nicht nur, aber besonders auch für Molnár noch die Rolle des David Pareus eingehender zu betrachten. Er schickte übrigens im Gegensatz zu Georg Michael Lingelsheim eigenhändige Glückwünsche zu Molnárs Hochzeit. 101 Aber ebenso müssen die Beziehungen nach Herborn, nach Marburg und nach Altdorf noch genau analysiert werden. Alleine eine Gestalt wie Georg Rem, der ein wichtiger Vermittler zwischen den Reformierten in den böhmischen Ländern und dem Westen des Reiches wie der Schweiz war und der mit Dornau wie mit Molnár bekannt war, liefert ein gewichtiges Argument dafür, die Kontakte des ungarischen Gelehrten nach Altdorf detailliert zu untersuchen. 102 Eine weitere Spur nach Schlesien und speziell nach Beuthen bzw. zu Caspar Dornau, die über Wacker von Wackenfels führt, ergibt sich über die von Molnár vorgelegte Sammlung Lusus poetici (Hanau: Thomas de Villier, Jean Le Clercq 1614). Molnár wurde dazu von Wacker angeregt, wie der oben bereits genannte Brief vom 21. Januar 1605 zeigt, der hier wieder abgedruckt ist. 103 Und Wacker wiederum war ein Freund und Förderer Dornaus, der für sein Amphitheatrum Sapientiae Socraticae IocoSeriae (Hanau: Johann Aubry, Clemens Schleicher 1619) größere Teile von Molnárs Sammlung übernahm. 104 Selbst wenn sich andeutet, dass nach Molnárs Eintritt in kurpfälzische Dienste Heidelberger Einflüsse hinsichtlich einer Konfessionalisierung seiner theologischen Übersetzungen zu erkennen sind, muss ___________ 99 So in seinem Brief an Lingelsheim vom 16.12.1617 (Autograph in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Sign.: Sup. ep. 14, Bl. 309r). Auch zu Johann Philipp Pareus sei auf das Kapitel in Walter, Späthumanismus (wie Anm. 43) verwiesen. 100 Vgl. Walter, Medien (wie Anm. 12), S. 395f. 101 Pareus’ Brief in: Dézsi (wie Anm. 9), S. 371. 102 Zu ihm vgl. Anm. 73. 103 Siehe Anm. 68. 104 Dazu Seidel, Späthumanismus (wie Anm. 73), S. 355, Anm. 50.

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man die von József Turóczi-Trostler exponierte Zentralfunktion Heidelbergs für Molnárs intellektuelle und konfessionelle Entwicklung also einerseits relativieren, andererseits erst noch genauer personalisieren, womit der Blick zwangsläufig auf andere Personen und Orte zu erweitern ist (von Straßburg darf allerdings ganz abgesehen werden). Vice versa ist in Albert Szenci Molnár nicht nur „die Hauptfigur in den gelehrten Beziehungen zwischen Ungarn und der Kurpfalz“ 105 zu erkennen, sondern in ihm begegnet uns der zentrale kulturelle Mittler zwischen einem auf gesellschaftliche Wirkung ausgerichteten Späthumanismus westeuropäisch-protestantischer Prägung und dem seit 1526 dreigeteilten Ungarn in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

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Seidel, Der ungarische Späthumanismus (wie Anm. 32), S. 248.

Der Briefwechsel eines ungarischen Wandergelehrten: Albert Molnár und seine Freunde Von András Szabó

Die zweite Hälfte des 16. und der Anfang des 17. Jahrhunderts waren lange Zeit für Literaturwissenschaftler nicht besonders attraktiv; hingegen tritt die Forschung über die respublica litteraria des Späthumanismus in den letzten Jahrzehnten immer mehr in den Vordergrund. 1 Die Mitglieder der „Gelehrtenrepublik“ – wie auch die Humanisten früherer Zeitabschnitte – verband zunächst die gelehrte Korrespondenz miteinander. Die Entdeckung von Briefkontakten und die Edition von Korrespondenzen können wesentliche Aufschlüsse über diesen Zeitraum erbringen. Deshalb sind Studien wie etwa über die Korrespondenz von Georg Michael Lingelsheim von Bedeutung. 2 Aber auch unter deutschen Kollegen ist nur wenig bekannt, dass sich das ihnen geläufige Gesamtbild durch die Korrespondenz des Albert Molnár, der selbst dreißig Jahre lang in Deutschland lebte, noch weiter vervollständigen ließe. Vor der Darstellung von Molnárs Kontakten soll die ungarische Geschichte der Gattung „humanistischer Brief“ kurz skizziert werden. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts war der humanistisch gebildete Prälat János Vitéz der erste, der seine Korrespondenz gesammelt hat. 3 Nach seinem Vorbild waren alle

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1 Erich Trunz, Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 21 (1931), S. 17-53; Gunter E. Grimm, Literatur und Gelehrtentum in Deutschland. Untersuchungen zum Wandel ihres Verhältnisses vom Humanismus bis zur Frühaufklärung, Tübingen 1983 (= Studien zur deutschen Literatur, Bd. 75); Christine Treml, Humanistische Gemeinschaftsbildung. Sozio-kulturelle Untersuchung zur Entstehung eines neuen Gelehrtenstandes in der frühen Neuzeit, Hildesheim 1989 (= Historische Texte und Studien, Bd. 12); Notker Hammerstein / Gerrit Walther (Hrsg.), Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000; Theodor Verweyen, [Rez. von Erich Trunz, Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock. Acht Studien, München 1995 unter dem Titel:] Literarische Evolution um 1600. Epochenschwellen und Epochenprobleme, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 252 (2000), S. 76-100. 2 Axel E. Walter, Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims, Tübingen 2004 (= Frühe Neuzeit, Bd. 95). 3 Über den frühen Humanistenbriefwechsel in Ungarn: V. Sándor Kovács (Hrsg.), Magyar humanisták levelei XV-XVI. század [Briefe ungarischer Humanisten des 15.-16. Jhs.], Budapest 1971.

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namhaften Gelehrten bemüht, Briefe zu überliefern: beispielsweise der Dichter Janus Pannonius und sein Verwandter Péter Váradi. Die Humanisten zu Beginn des 16. Jahrhunderts nahmen sogar mit Erasmus Kontakt auf, allen voran Miklós Oláh, der ebenfalls einen Korrespondenzband zusammenstellte. Etwa ab der Mitte des 16. Jahrhunderts begann jener Zeitabschnitt, der gemeinhin mit Konfessionalisierung bezeichnet wird. Die Gelehrten wandten sich schriftlich vor allem an die hervorragenden Persönlichkeiten ihrer eigenen Konfession, aber zuweilen überschritten sie auch weiterhin die konfessionellen Grenzen. Die ungarischen Protestanten schrieben an Melanchthon 4 und die Reformierten an Schweizer Theologen wie Théodore de Bèze in Genf, Josias Simler in Zürich oder Johann Jakob Grynaeus in Basel. 5 Gegen Ende des Jahrhunderts versuchten mehrere Gelehrte, Kontakt mit dem größten Gelehrten dieser Zeit, dem Philologen, Historiker und Philosophen Justus Lipsius, herzustellen, der aber nur auf einen einzigen ungarischen Brief antwortete. 6 Aus dieser Zeit sind zumeist nur aus Ungarn ins Ausland adressierte Briefe erhalten geblieben, weil die Mehrzahl der in Ungarn empfangenen Briefe während der Türkenkriege verloren gegangen ist. Der einzige erhaltene Korrespondenzband stammt von einem Lehrer slowakischer Abstammung, Matthias Thoraconymus (Matej Kabát), der Briefe sammelte, um sie Schülern als ars epistolandi vorzuführen. Sein Lieblingsschüler, der kryptocalvinistische Geistliche Sebastian Ambrosius Lahm aus Käsmark (Késmárk, Kežmarok), wurde einer der größten Briefschreiber; Bibliotheken und Archive in ganz Europa sind gleichsam voll mit seinen Briefen aus den 80er und 90er Jahren des 16. Jahrhunderts. 7 Es ist daher nicht verwunderlich, dass Lahm auch Briefpartner und väterlicher Freund des jungen Albert Molnár war. Glücklicherweise ist die Forschung für Molnár nicht auf abgeschickte und unter Umständen beim Adressaten aufgehobene Briefe angewiesen, denn sein Korrespondenzband aus seiner Jugendzeit ist überliefert. Dieser Band umfasst Briefe und diverse Schriftstücke aus den Jahren 1590 bis 1613 und wird jetzt in

___________ 4 Ágnes Ritoók-Szalay, Warum Melanchthon? Über die Wirkung Melanchthons im ehemaligen Ungarn, in: Günter FrankMartin Treu (Hrsg.), Melanchthon und Europa, Stuttgart 2001 (= Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten, Bd. 6/1), S. 273-284. 5 András Szabó (Hrsg.), Johann Jakob Grynaeus magyar kapcsolatai [Die ungarischen Beziehungen des Johann Jakob Grynaeus], Szeged 1989 (= Adattár XVI-XVIII. századi szellemi mozgalmaink történetéhez, Bd. 22). 6 Siehe dazu: Antal Pirnát (Hrsg.), Forgách Mihály és Justus Lipsius levélváltása [Der Briefwechsel des Mihály Forgách und Justus Lipsius], Budapest 1970. 7 András Szabó, Briefe und Korrespondenz im Späthumanismus. Drei Beispiele aus Ungarn: Matthias Thoraconymus, Sebastian Ambrosius Lahm und Mihály Forgách, in: Marcell Sebők (Hrsg.), Republic of Letters, Humanism, Humanities. Selected papers of the workshop held at the Collegium Budapest in cooperation with NIAS between November 25 and 28, 1999, Budapest 2005 (= Collegium Budapest Workshop Series, Bd. 15), S. 183-197.

Briefwechsel eines ungarischen Wandergelehrten

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der Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest aufbewahrt. 8 Das Manuskript von Molnárs Tagebuch, das in Marosvásárhely (Tîrgu Mureş) aufbewahrt wird, 9 und die seinerzeit bekannten Kollektionen im Ausland bildeten die Grundlage für die Quellenausgabe von Lajos Dézsi von 1898, die Molnárs Tagebuch, seine Korrespondenz und seine Schriften umfasst. 10 Diese heute seltene Ausgabe bietet nicht nur in Ungarn ein Fundament der Forschung, sondern sie enthält auch wichtige Quellen zum zeitgenössischen deutschen Geistesleben. Gerhard Menk, der aus Molnárs Tagebuch alle die Herborner Hochschule betreffenden Abschnitte ins Deutsche übersetzte, konnte diesen Band nur als Kopie benutzen, weil er damals in (west)deutschen Bibliotheken nicht nachzuweisen war. 11 Seit Dézsis Ausgabe wurden bis jetzt weitere unveröffentlichte Briefe gefunden, die ungarische Forscher publizierten. Der Handschriftenbestand europäischer Bibliotheken ist auch in Ungarn zum größten Teil bekannt, aber es befinden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weitere unbekannte Molnár-Briefe in den Archiven. 1990 wurde endgültig klar, dass Dézsis Arbeit einer Revision bedarf, und zwar nicht nur wegen der überholten Editionsprinzipien, sondern auch aufgrund zahlreicher Fehler: Er hat zum Teil nicht einmal die Namen der Absender richtig entziffert. 2003 erschien auf der Basis neuer Editionsprinzipien die lateinisch-ungarische kritische Ausgabe des Tagebuchs mit umfassenden Kommentaren als Resultat der zehnjährigen Arbeit des Verfassers. 12 Nach wie vor ist es mein Anliegen, dieses Werk auch in deutscher Sprache zugänglich zu machen. Deshalb unterstützte ich die Bemühungen von Gerriet Giebermann, der 2005 eine Abhandlung von 100 Seiten über Molnárs Oppenheimer Aufenthalt schrieb, und einschlägige Abschnitte aus dem Tagebuch übersetzte. 13 Es ist zu hoffen, dass eine vollständige Übersetzung des Tagebuchs in absehbarer Zeit fertig ist.

___________ 8 Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und alte Bücher, Sign.: K 787. 9 Teleki-Bibliothek, Marosvásárhely, Sign.: To – 3619b. 10 Lajos Dézsi (Hrsg.), Szenczi Molnár Albert naplója, levelezése és irományai [Tagebuch, Briefwechsel und Akten des Albert Molnár], Budapest 1898. Siehe auch: http://www.europeana. eu/portal/record/92006/BibliographicResource_1000095232235.html (zuletzt aufgerufen am 16.11.2015). 11 Gerhard Menk, Streiflichter aus dem Herborner Studentenleben am Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Joachim Wienecke (Hrsg.), Von der Hohen Schule zum Theologischen Seminar Herborn, Herborn 1984, S. 38-53. 12 András Szabó (Hrsg.), Szenci Molnár Albert naplója [Das Tagebuch von Albert Molnár], Budapest 2003 (= Historia Litteraria, Bd. 13). 13 Gerriet Giebermann, Albert Molnár (1574-1634), ungarischer reformierter Theologe und Wandergelehrter, 1615-1619 Kantor und Rektor in Oppenheim, in: Oppenheimer Hefte 30/31 (2005), S. 2-100.

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András Szabó

Vor nicht allzu langer Zeit wurde, gefördert vom OTKA (Országos Tudományos Kutatási Alapprogramok, die ‚ungarische DFG‘), die Neuausgabe der Korrespondenz begonnen. Diese ist dringend notwendig, weil die Kommentare Dézsis vom Umfang und inhaltlich unbefriedigend sind. Außerdem ermöglichen erst die Sekundärliteratur sowie die Kataloge und Datenbanken der letzten zwei Jahrzehnte die Anfertigung von Anmerkungen, die den Hintergrund einzelner Briefe befriedigend erhellen können. Zunächst war zu entscheiden, was edierenswert ist und was nicht. Dézsis Editionspraxis konnte nicht mehr gefolgt werden. Also wurde auf Molnárs persönliche Schriftstücke, die ihm gewidmeten Lobgedichte und die bei Molnár verbliebenen bzw. die von ihm handelnden fremden Briefe verzichtet. Es blieben schließlich die von ihm und an ihn geschriebenen Briefe übrig. Fügt man zu Dézsis Buch die seitdem aufgefundenen Stücke noch hinzu, so beläuft sich die Anzahl der Briefe auf 242; der erste ist 1591, der letzte 1626 datiert. Darüber hinaus war auch die Editionsmethode neu auszuwählen. In Ungarn werden Briefe auf Ungarisch gewöhnlich buchstabengetreu herausgegeben, während die lateinischen der Humanisten gemäß der klassischen Orthographie korrigiert werden. Für das neue Projekt war zunächst die internationale Praxis ausschlaggebend, so dass die lateinischen Texte buchstabengetreu wiedergegeben wurden. 14 Den Briefen vorangestellt sind Resümees auf Deutsch, um den Zugang zu den ungarischen Texten zu erleichtern. Transkription und Revision der Brieftexte unterstützen drei Doktoranden: Tiborc Szabolcs Pénzes, András Péter Szabó und Eszter Venasch, während der Verfasser den Kommentarteil selbst schreibt. Unterstützung kommt auch von Judit P. Vásárhelyi und von der ungarischen Molnár-Forschung im Allgemeinen wie ebenso von deutschen Kollegen. Betrachtet man die Briefe selbst, so lässt sich feststellen, dass der geringere Anteil der Briefpartner aus Ungarn stammt. Eine erhebliche Gruppe bilden die Familienbriefe, insbesondere die auf Ungarisch geschriebenen seines älteren Bruders Benedek Molnár und die lateinischen seines Cousins Lukács Szíjgyártó. Zur nächsten größeren Gruppe gehören die in Deutschland studierenden ungarischen Briefpartner; manche waren seine Kommilitonen, andere wurden erst nach der Studienzeit zu seinen Freunden. Es gilt von ihnen jene hervorzuheben, die auch literarisch aktiv waren: György Thúri, 15 Peter Felck-

___________ 14 Vgl. Wolfgang Frühwald (Hrsg.), Probleme der Brief-Edition. Kolloquium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Schloß Tutzing am Starnberger See, 8.-11. September 1975. Referate und Diskussionsbeiträge, Boppard 1977; Hans-Gert Roloff (Hrsg.), Wissenschaftliche Briefeditionen und ihre Probleme. Editionswissenschaftliches Symposion, Berlin 1998 (= Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft, Bd. 2). 15 Robert Seidel, Der ungarische Späthumanismus und die calvinistische Pfalz, in: Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hrsg.), Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissen-

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mann, István Miskolci Csulyak 16 und János Filiczki. 17 Das bislang unveröffentlichte Tagebuch der peregrinatio academica des István Miskolci Csulyak über die Jahre in Deutschland könnte der deutschen Forschung, genauso wie die Korrespondenz Molnárs, als bedeutende Quelle dienen. 18 Unter den ungarländischen Partnern finden sich noch ältere Pfarrer, wie der bereits erwähnte Sebastian Ambrosius Lahm; Freunde, wie der Lausitzer Gelehrte Johannes Bocatius (Bock) aus Kaschau (Kassa, Košice); sowie Mäzene, etwa der reiche Bürger von Tyrnau (Nagyszombat, Trnava), András Asztalos. Es ist angebracht, die Briefpartner aus den deutschsprachigen Ländern lokal (nach Städten und Regionen) zu erfassen. Ihre Anzahl übertrifft bei weitem die der ungarländischen. Daher ist diese Korrespondenz von internationaler Relevanz. Der junge Albert Molnár studierte einige Jahre an der von Johann Sturm gegründeten Hochschule zu Strassburg. Später noch korrespondierte er mit dem Straßburger Kommilitonen, dem Schlesier Amandus Polanus von Polansdorf, der Theologieprofessor an der Universität Basel geworden war. 19 Sein Kommilitone und Freund an der Universität Heidelberg (und früher in Wittenberg!), der früh verstorbene Bartholomäus Keckermann, galt zu seiner Zeit als Gelehrter von Rang. 20 Zu seinen Mäzenen zählte Georg Michael Lingelsheim, Mitglied des kurpfälzischen Oberrats und prägende Persönlichkeit des Heidelberger Dichterkreises. 21 Molnár korrespondierte auch mit dessen Sohn Friedrich. Von den Texten des Abraham Scultetus (dem Hofprediger Friedrichs V., Kurfürsten von der Pfalz) fertigte er nicht nur Übersetzungen an, sondern hielt mit ihm auch schriftlich Kontakt. 22 Unter den Briefpartnern fehlt auch der Name von David Pareus nicht. 23 Er galt unter den ungarischen Studenten als der populärste Theologieprofessor in Heidelberg, welcher über Molnár hinaus auch

___________ schaftsbeziehungen während der Renaissance, Stuttgart 2004 (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 62), S. 227-251, hier S. 229-231, 233-234. 16 András Szabó, Liebeslyrik und Ehegedichte ungarischer Dichter. Am Beispiel des István Miskolci Csulyak, in: József Jankovics / Katalin Németh (Hrsg.), Der Mythos von Amor und Psyche in der Europäischen Renaissance, Budapest 2002 (= Studia Humanitatis, Bd. 12). 17 Seidel (wie Anm. 15), S. 234f. 18 Nationalbibliothek Széchényi, Budapest, Handschriftenabteilung, Sign.: Oct. Lat. 656. 19 Ernst Staehelin, Amandus Polanus von Polansdorf, Basel 1955 (= Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel, Bd. 1). 20 Willem Hendrik van Zuylen, Bartholomaeus Keckermann. Sein Leben und Wirken, Leipzig 1934; Dagmar Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386-1651, Berlin [u.a.] 2002, S. 64f. 21 Walter (wie Anm. 2). Vgl. auch Axel E. Walter, Medien und Praktiken intersubjektiver Kommunikation in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik. Am Beispiel der Beziehungen von Julius Wilhelm Zincgref zur Familie Lingelsheim, in: Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Julius Wilhelm Zincgref und der Heidelberger Späthumanismus. Zur Blüte- und Kampfzeit der calvinistischen Kurpfalz, hrsg. in Verbindung mit Hermann Wiegand, Ubstadt-Weiher [u.a.] 2011 (= Mannheimer historische Schriften, Bd. 5), S. 347-408, dort auch zum Verhältnis Molnárs zu Georg Michael Lingelsheim und seiner Familie. Vgl. auch den Aufsatz von Axel E. Walter in diesem Band. 22 Drüll (wie Anm. 20), S. 498f. 23 Ebd., S. 433-435.

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mit sonstigen ungarischen und siebenbürgischen Studenten korrespondierte. 24 Nach dem Fall Heidelbergs 1622 und der zeitweiligen Aufhebung der Universität blieb Molnár mit den Diplomaten und Beamten der Pfälzer Exilregierung in Kontakt. Zu diesen gehörten Ludwig Camerarius, 25 Johann Joachim von Rusdorf 26 und Leodius 27 in Den Haag. Aus Nürnberg und von der durch die Stadt gegründeten Universität in Altdorf stammten zwei gelehrte Juristen, Georg Rem 28 und Konrad Rittershausen, 29 die zu den Briefpartnern gehörten, die nicht nur mit Molnár, sondern auch mit zahlreichen anderen ungarischen und böhmischen Gelehrten regen Kontakt pflegten. Von den Professoren der Universität Altdorf tauchen in diesem Kreis Scipio Gentilis 30 und Georg Mauritius der Jüngere 31 (verwandt mit der Frau von Molnár) auf. Molnár korrespondierte mit mehreren Kommilitonen der reformierten Hochschule zu Herborn (welche vorübergehend nach Siegen verlegt wurde). 32 Zu ihnen (und zu den engsten Freunden) zählten der Lokalhistoriker Johann Textor von Haiger, 33 der spätere Lehrer am Gymnasium Illustre in Beuthen an der Oder, Ernest Nolde, 34 und insbesondere der spätere Professor in Herborn und Weißenburg (Gyulafehérvár, Alba Iulia), Ludwig Piscator, sowie der hervorragende Theologe, Pädagoge und Enzyklopädist dieser Epoche, Johann Heinrich Alsted, 35 der später ebenfalls in Siebenbürgen bzw. Weißenburg wirkte. Inmitten der Aufstellung der damaligen Hochschulprofessoren und Korrespondenz-

___________ 24

Seidel (wie Anm. 15), S. 244-248. Friedrich Hermann Schubert, Ludwig Camerarius 1573-1651. Eine Biographie, Kallmünz (Oberpfalz) 1955. Neu hrsg. von Anton Schindling, Münster 2013. 26 Friedrich Krüner, Johann von Rusdorf, kurpfälzischer Gesandter und Staatsmann während des Dreißigjährigen Krieges. Ein Beitrag zur Geschichte der Politik des 17. Jahrhunderts, Halle 1876. 27 Nicht identifiziert. Nicht identisch mit Hubert Thomas Leodius, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte. 28 Heinrich Kunstmann, Die Nürnberger Universität Altdorf und Böhmen. Beiträge zur Erforschung der Ostbeziehungen deutscher Universitäten, Köln 1963, S. 87-144. 29 Ebd., S. 33-86; Wolfgang Mährle, Academia Norica. Wissenschaft und Bildung an der Nürnberger Hohen Schule in Altdorf (1575-1623), Stuttgart 2000 (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 54), S. 451-460. 30 Mährle (wie Anm. 29), S. 445-450. 31 Wilhelm Scherer, Georg Mauritius der Jüngere, in: ADB. Bd. 20, Leipzig 1884, S. 710. 32 Gerhard Menk, Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584-1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation, Wiesbaden 1981 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, Bd. 30). 33 Karl Löber, Johann Textor von Haiger, Haiger 1974 (= Haigerer Hefte, Bd. 7). 34 Hugo Grün, Die theologische Fakultät der Hohen Schule Herborn 1584-1817, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 19 (1968), S. 57-145, hier S. 66. 35 Friedrich Wilhelm Bautz, Johann Heinrich Alsted, in: Biographisches-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), begr. und hrsg. von Friedrich Wilhelm Bautz, fortgef. von Traugott Bautz. 2. Aufl. 19 Bde. Hamm [u.a.] 1990-2001, Bd. 1 (1990), Sp. 124f., online unter: http://www.bbkl.de (zuletzt aufgerufen am 15.11.2015). 25

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partner Molnárs findet man die Namen Georg Pasor, 36 Johannes Piscator 37 und Matthias Martinius, 38 aber auch den des Druckers dieser Lehranstalt (er ist zugleich der Drucker von Molnárs Arbeiten), Christoph Corvinus, 39 sowie Johann Heidfeld, 40 dessen späthumanistischen Sphynx Molnár ergänzt hatte. Unter den Lehrern des calvinistischen Gymnasiums zu Amberg stand er mit dem späteren Basler Professor Ludovicus Lucius 41 in Kontakt, unter den Freunden aus der Oberpfalz soll der Name Gabriel Lingelsheim betont werden, der Bruder von Georg Michael. Molnár unterhielt Briefwechsel mit dem Regensburger lorbeergekrönten Dichter Christoph Donaver und dem Augsburger Kupferstecher Dominicus Custos 42 sowie mit dem humanistisch gebildeten Arzt und Lehrer Georg Henisch, 43 der eigentlich aus Bartfeld (Bártfa, Bardejov) stammte. Moritz der Gelehrte, Landgraf von Hessen, war einer seiner großzügigsten Mäzene. Er und sein ältester Sohn sowie zwei Angehörige des Kasseler Hofes stehen selbstverständlich auch im Verzeichnis der Briefpartner. Dies muss deshalb betont werden, weil eine grandiose Ausstellung und deren beeindruckender Katalog 1997 Moritz’ gedachten, ohne jedoch jene Werke, die Molnár mit seiner materiellen Förderung herausgab, zu erwähnen. 44 Je ein Brief aus der Sammlung stammt vom Wittenberger Professor der Poetik, Friedrich Taubmann, 45 und vom Lehrer des Gymnasium Arnoldinum zu Steinfurt, Georg Sölling. 46 Von den Professoren der Universität Marburg schrieb Johannes Hartmann 47 mehrere Briefe. Er war der erste Professor für

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Karl Friedrich Ulrichs, Georg Pasor, in: BBKL (wie Anm. 35), Bd. 17 (2000), Sp. 1055-1059. Erich Wenneker, Johannes Piscator, in: Ebd., Bd. 7 (1994), Sp. 640-644. 38 Gerhard Menk, Matthias Martinius (1572-1630) und seine Werke, in: Geschichtsblätter für Waldeck 76 (1988), S. 31-53. 39 Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 51), S. 371f. 40 Erich Wenneker, Johann Heidfeld, in: BBKL (wie Anm. 35), Bd. 19 (2001), Sp. 643-645. 41 Jakob Franck, Ludwig L. Lucius, in: ADB. Bd. 19, Leipzig 1884, S. 354f. Neuerdings: Karl Wilhelm Beichert / Wilhelm Kühlmann, Ungedruckte Briefe Julius Wilhelm Zincgrefs an den Basler Professor Ludovicus/Ludwig Lucius aus den Jahren der pfälzischen Katastrophe. Mit Übersetzung und Kommentar, in: Kühlmann (wie Anm. 21), S. 190-222. 42 Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, begr. von Ulrich Thieme und Felix Becker. Bd. 8. Leipzig 1913, S. 366f. 43 Jakob Franck, Georg Henisch, in: ADB. Bd. 11, Leipzig 1880, S. 750f. 44 Heiner Burggrefe / Vera Lüpkes / Hans Ottomeyer (Hrsg.), Moritz der Gelehrte. Ein Renaissancefürst in Europa, Eurasburg 1997. 45 Ludwig Fränkel, Friedrich Taubmann, in: ADB. Bd. 37, Leipzig 1894, S. 433-440. 46 Ingeborg Höting, Die Professoren der Steinfurter Hohen Schule, Steinfurt 1991 (= Steinfurter Schriften, Bd. 21), S. 179f.; Georg Heuermann, Geschichte des reformirten gräflich Bentheimschen Gymnasium Illustre Arnoldinum zu Burgsteinfurt, Burgsteinfurt 1878, S. 101 et passim. 47 Franz Gundlach, Catalogus professorum academiae Marburgensis. Die akademischen Lehrer der Philipps-Universität in Marburg von 1527 bis 1910. Bd. 1, Marburg 1927 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, Bd. 15), S. 366. 37

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András Szabó

Chemie in Europa in einer Periode, in der Alchemie noch integraler Bestandteil der sich entwickelnden Naturwissenschaften war. Er pflegte so engen Kontakt zu Molnár, dass er sogar zum Taufpaten des ältesten Sohnes des gelehrten Ungarn wurde. In Marburg wurde der Pole Jan Turnowsky 48 zum Doktor der Theologie geweiht. Mit diesem pflegte Molnár einen regen Briefkontakt und eine enge Freundschaft. Schließlich seien noch die Briefpartner aus Prag erwähnt: der Hofastronom Johann Kepler, der Hofpoet Georg Carolides von Karlsberg 49 und der Berater bei Hofe, Johann Matthäus Wacker von Wackenfels 50 – sie alle gehörten zum engeren Kreis um Kaiser Rudolf II. In Anbetracht der Anzahl und Frequenz der Briefwechsel ragen die beiden Nürnberger Juristen Georg Rem und Konrad Rittershausen weit hervor. Bei genauer Analyse der Brieftexte entdeckt man ein ausgedehntes Netzwerk, das die bereits geäußerte Vermutung nahelegt, dass mit dem Auftauchen weiterer Briefe zu rechnen ist. Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass der in Budapest aufbewahrte Korrespondenzband keine Briefe mehr über das Jahr 1613 hinaus umfasst. Albert Molnár sammelte wohl seine Briefe auch weiterhin, aber 1622, als die bayrischen Truppen Heidelberg einnahmen, wurde der ungarische Gelehrte gefoltert und seine Bibliothek durchwühlt – vermutlich ging der nächste Band dabei verloren. 51 Nach 1622 lebte er noch zwölf Jahre lang (seit 1624 bereits in Ungarn und Siebenbürgen), aber nicht einmal Briefe dieser zwölf Jahre sind in seiner eigenen Sammlung überliefert; nur einige Stücke aus der Korrespondenz mit Mitgliedern der Pfälzer Exilregierung sind aus dieser Periode bekannt. Summarisch kann man also sagen, dass etwa ein Drittel der Briefe dieses humanistischen Gelehrten der Nachwelt überliefert ist. Es lässt sich aufgrund verschiedener Hinweise folgern, worum es sich bei den verschollenen zwei Dritteln gehandelt hat. Zwischen 1613 und 1615 hat Molnár den Versuch unternommen, nach Ungarn zu übersiedeln und Kontakt mit Fürst Gábor Bethlen aufzunehmen. Dann kam es zur Arbeitssuche in Schlesien und in Brandenburg, zur kurzfristigen Anstellung in Amberg und anschließend zur Anstellung in Oppenheim 1615 bis 1619. Schließlich folgten die Hei-

___________ 48 György Gömöri, Ismeretlen Szenci Molnár Albert-vers egy marburgi antológiában [Ein unbekanntes Gedicht von Albert Molnár in einer Marburger Anthologie], in: Irodalomtörténeti Közlemények 107 (2003), S. 532-534. 49 ‚Rukovět‘ humanistického básnictví v Čechách a na Moravě. Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae [Handbuch der humanistischen Dichtung in Böhmen und Mähren], begr. von Antonin Truhlář und Karel Hrdina, fortgeführt von Josef Hejnic und Jan Martínek. Bd. 1, Praha 1966, S. 327-346. 50 Colmar Grünhagen, Johann Matthäus Wacker von Wackenfels, in: ADB. Bd. 40, Leipzig 1896, S. 448f. 51 Über Molnár im Allgemeinen: András Szabó, Albert Molnár (1574-1634), in: Andreas Flick / Albert de Lange (Hrsg.), Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser, Bad Karlshafen 2001 (= Geschichtsblätter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, Bd. 35), S. 189-203.

Briefwechsel eines ungarischen Wandergelehrten

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delberger Jahre (1619-1622) und nach der Belagerung die Flucht nach Hanau, zwischenzeitlich noch eine Reise nach Holland und England (1622-1624). Die letzten zehn Jahre verbrachte Molnár schließlich in Ungarn. Über diese Zeit ist aber nur sehr wenig bekannt, da er bereits seit 1617 mit Tagebuchschreiben aufgehört hatte. Einen besonders schmerzenden Hiatus bildet auch die vermisste Korrespondenz zwischen Martin Opitz und Molnár. 52 Opitz war Hofmeister bei einem Verwandten von Albert Molnárs Frau, Tobias Scultetus, in Beuthen an der Oder. 53 Später hatten sie in Heidelberg 1619 bis 1620 die Gelegenheit, sich auch persönlich in Georg Michael Lingelsheims Haus, dem Zentrum des literarischen Lebens in der Stadt, zu treffen. Nach 1620 trennten sich ihre Wege: Als Opitz nach Siebenbürgen ging, kehrte Molnár noch nicht heim, und als Molnár zurückkehrte, war Opitz bereits abgereist. Ihre Beziehung blieb aber bestehen, und sooft Opitz die besten Dichter Europas aufzählte, gedachte er jedes Mal des ungarischen Übersetzers des Genfer Psalters, Albert Molnár. Einen tatsächlichen Briefkontakt belegt Opitzens Schreiben an Martin Schödel aus dem Jahr 1630. Opitzens Briefe wurden im Rahmen eines Projekts der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel als kritische Ausgabe ediert. 54 Da von ihm kein Korrespondenzband erhalten blieb, sind uns vor allem die Texte aus der letzten Lebensperiode bekannt, und selbst diese nur zufällig – während die späteren Briefe Molnárs fast gänzlich fehlen. Die Vernichtung der Quellen in einem solchen Ausmaß lässt wenig Hoffnung für die Überlieferung dieses Briefwechsels. Bei all dem ist und bleibt die überkommene Korrespondenz Albert Molnárs eine bedeutende Quelle des Späthumanismus in Ungarn, und vielleicht noch mehr die des protestantischen Geisteslebens vor dem Dreißigjährigen Krieg im Deutschen Reich. Die neue kritische Ausgabe trägt sicher zur gründlicheren Erschließung ungarisch-deutscher literarischer Kontakte bei.

___________ 52 András Szabó, Albert Szenci Molnár in Schlesien, in: Klaus Garber (Hrsg.), Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2005 (= Frühe Neuzeit, Bd. 111), S. 385-396. 53 Zu ihm jetzt: Klaus Garber, Martin Opitz, Paul Fleming, Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas, Köln [u.a.] 2013 (= Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas, Bd. 4), hier insbes. das Kap. „Opitz’ ‚Daphnis Ecloga‘ für Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, gen. Scultetus“, S. 63-96. 54 Klaus Conermann (Hrsg.), Martin Opitz. Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung, an der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel hrsg. unter Mitarbeit von Harald Bollbuck, 3 Bde., Berlin [u.a.] 2009.

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András Szabó

Die Briefpartner von Albert Molnár Aus Ungarn

Familie Benedek Molnár Lukács Szenci Szíjgyártó Lukács Molnár György Ádám Pfarrer, Lehrer, Geistliche Tamás Tolnai Fabricius Sebastian Ambrosius Lahm János Siderius Máté Makay György Rátkai Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Ferenc Wentey András Asztalos Der Richter und Stadtrat von Szenc Joannes Bocatius Studienfreunde und ehemalige Kommilitonen, Heidelberger Studenten István Nagytállyai Imre Újfalvi Katona Sebastian Ambrosius d.J. György Thúri Péter Taksonyi Mihály Suri Orvos Peter Felckmann János Megyeri M. Péter Somosújfalvi Érsek István Miskolci Csulyak Daniel Marcellides Der ungarische coetus in Wittenberg János Keserűi Dajka Mihály Szepsi Láni Gergely Váradi Farkas István Debreceni Dormány János Filiczki Mihály Foktői P. Péter Szenci Csene Gergely Váci

Briefwechsel eines ungarischen Wandergelehrten Aus dem Deutschen Reich Straßburg

Studienfreunde und ehemalige Kommilitonen David Kügler Jacobus Liscovicius Peter Huber Amandus Polanus von Polansdorf Professoren Anton Faber

Heidelberg

Studienfreunde und ehemalige Kommilitonen Bartholomäus Keckermann Johann Karl Heuß (Heysen) Christian Rumpf Walther Gothofred Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Jean Boilblanc Georg Michael Lingelsheim Abraham Scultetus Friedrich Lingelsheim Georg Weirach Professoren David Pareus Pfälzische Exilregierung Ludwig Camerarius Johann Joachim von Rusdorf Leodius

Nürnberg und Altdorf

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Konrad Rittershausen Johann Clemens Cuno Georg Rem Antonius Herzberg Professoren Scipio Gentilis Georg Mauritius d. J.

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András Szabó Studienfreunde und ehemalige Kommilitonen Johannes Knöttner Matthias Majer Janus Majer Jeremias Hölzlin Georgius Gerberides

Herborn und Siegen

Studienfreunde und ehemalige Kommilitonen Ernest Nolde Johann Textor von Haiger Bohuslav Hodejova Smil Hodejova Přech Hodejova Philipp Ludwig Piscator Johann Heinrich Alsted Professoren Georg Pasor Johannes Piscator Matthias Martinius Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Christoph Corvinus (Rab) Johann Heidfeld Gottfried Heidfeld

Amberg

Studienfreunde und ehemalige Kommilitonen Joannes Orsinovsky Michael Ludovicus Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Ludovicus Lucius

Oberpfalz

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Johann Konrad Rummel, sen. Johannes Bavarus Sebald Stänzing Gabriel Lingelsheim

Regensburg

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Christoph Donaver

Briefwechsel eines ungarischen Wandergelehrten Augsburg

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Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Freigius (?) Dominicus Custos Georg Henisch

Frankfurt am Main

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Zacharias Palthenius

Kassel

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Hermann Wolff Landgraf Otto von Hessen Herrmann Thalmüller Landgraf Moritz der Gelehrte

Oppenheim

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Jean Combillon

Wittenberg

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Friedrich Taubmann

Marburg

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Johannes Hartmann Andreas Christiander Johann Caspar Lavater Anonymus Gregorius Schönfeld Jan Turnowski

Steinfurt

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Georg Sölling

Aus Böhmen Prag

Gönner, Freunde und sonstige Bekannte Johann Matthäus Wacker von Wackenfels Johannes Kepler Georg Carolides von Karlsberg

Der Teutsche Epaminondas – das Gefecht an der Mur am 29. Mai / 9. Juni 1664 in der Darstellung Sigmund von Birkens und in öffentlichen Medien der Zeit 1 Von Hartmut Laufhütte

Weder die Karpaten noch das damalige Ungarn hat der Autor je gesehen. Nicht einmal bis nach Wien ist er gekommen, obwohl es entsprechende Pläne in seinem Leben mehrmals gegeben hat. Der südlichste Ort im Donauraum, an dem er gewesen ist, war Regensburg. Die Rede ist von einem der zu Lebzeiten angesehensten und wirkungsmächtigsten Autoren der Frühen Neuzeit im deutschen Sprachraum, dem von der Literaturgeschichtsschreibung immer noch nicht angemessen gewürdigten Sigmund von Birken (1626-1681). 2 Er war aus Wildstein bei Eger gebürtig, doch von früher Kindheit an in Nürnberg ansässig. In jungen Jahren hat er, nach kurzem Studium in Jena, ein paar Jahre in Norddeutschland verbracht – Wolfenbüttel, Braunschweig, Hamburg, Rostock, Lüneburg, Dannenberg –, später, ab 1658, zweieinhalb Jahre in Bayreuth. Nach 1660 hat er Nürnberg und das engste Umland der Reichsstadt nicht mehr verlassen.

___________ 1 Der Wortlaut des am 25.4.2008 gehaltenen Vortrags ist bis auf die Wiedereinfügung einiger aus zeitlichen Gründen ausgeschiedener Passagen unverändert. Die Anmerkungen wurden für die Veröffentlichung hinzugefügt. 2 Zu diesem Autor s. Klaus Garber, Sigmund von Birken, in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2. vollst. überarb. Aufl., hrsg. von Wilhelm Kühlmann. Bd 1, Berlin 2008, S. 558-564; Hermann Stauffer, Sigmund von Birken (1626-1681). Morphologie seines Werks. 2 Bde., Tübingen 2007; Hartmut Laufhütte, Sigmund von Birken. Leben, Werk und Nachleben. Gesammelte Studien. Mit einem Nachwort von Klaus Garber, Passau 2007. – In Regensburg war Birken als Hofmeister zusammen mit seinem Schüler Paul Albert Rieter von Kornburg (1635-1704) Anfang Dezember 1652. Den 1. Dezember hat er in seiner Autobiographie als den Tag der Abreise dorthin, den 8. Dezember als den der Heimkehr nach Nürnberg bezeichnet. Beim Reichstag in Regensburg hat er Kaiser Ferdinand III. und den späteren Ferdinand IV. gesehen. Vgl. Sigmund von Birken, Prosapia/Biographia, hrsg. von Dietrich Jöns und Hartmut Laufhütte, Tübingen 1988 (als Bd. 14 der Ausgabe: Sigmund von Birken. Werke und Korrespondenz, hrsg. von Klaus Garber, Ferdinand van Ingen, Hartmut Laufhütte und Johann Anselm Steiger, mitbegründet von Dietrich Jöns (†), Tübingen 1988ff., Berlin 2010ff.), S. 48f. Auch Birkens Aufenthalte in Jena und in Norddeutschland sind in der Autobiographie ausführlich dokumentiert: S. 24, S. 3043.

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Hartmut Laufhütte

Der Karpatenraum bzw. das damalige Ungarn aber hat ihn, wenn auch aus der Ferne, stark interessiert und beschäftigt, nicht nur der zu seinen Lebzeiten und besonders in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts grassierenden, vielfach eschatologisch geprägten Türkenangst wegen, 3 sondern auch infolge seiner Ausrichtung als Literat auf Österreich und das Kaiserhaus. Es hatte damit begonnen, dass Birken, obwohl frommer Lutheraner, sich während der 1649/50 in Nürnberg veranstalteten Nachfolgekonferenz zum Westfälischen Frieden in den Dienst der kaiserlichen Verhandlungsdelegation gestellt hatte 4 und die damals geknüpften Kontakte für sein weiteres Fortkommen nutzte. 5

___________ 3 Sigmund von Birkens immer noch weithin unerschlossener Nachlass, aber auch sein zu Lebzeiten gedrucktes Werk enthält zahlreiche einschlägige Dokumente. Zum Türkenkrieg der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts s. Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Teil 1, Wien 2004, S. 151-161; Ekkehard Eickhoff, Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645-1780. 3. völlig überarb. und erw. Aufl., Stuttgart 2008, S. 168-211. 4 Hartmut Laufhütte, Das Friedensfest in Nürnberg 1650, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, hrsg. von Klaus Bußmann und Heinz Schilling, [Münster] 1998, Bd. 2: Kunst und Kultur, S. 347357; neuerdings in Laufhütte (wie Anm. 2), S. 153-169. 5 Das lässt sich an Birkens Korrespondenz der fünfziger und frühen sechziger Jahre ablesen, besonders deutlich an seinem Briefwechsel mit dem Freiherrn und späteren Grafen Gottlieb von Windischgrätz (1630-1645), s. Der Briefwechsel zwischen Sigmund von Birken und Georg Philipp Harsdörffer, Johann Rist, Justus Georg Schottelius, Johann Wilhelm von Stubenberg und Gottlieb von Windischgrätz, hrsg. von Hartmut Laufhütte und Ralf Schuster, Tübingen 2007 (Bd. 9 der in Anm. 2 vorgestellten Ausgabe Birken. Werke und Korrespondenz), Teil 1 (Texte), S. 259f., Teil 2 (Apparate und Kommentare), S. 997-1393. Vgl. auch: Gottlieb Graf von Windischgrätz, Die Gedichte, hrsg. von Almut und Hartmut Laufhütte, Tübingen 1994 (= Frühe Neuzeit, Bd. 3), S. 3-128. Von den zahlreichen gedruckten Werken des jungen Sigmund von Birken, die zu Ehren des Kaiserhauses geschrieben wurden, sei hier nur dasjenige genannt, mit dem er sich für Adel und Palatinat bedankte: Ostländischer Lorbeerhäyn/ Ein Ehrengedicht/ Von Dem höchstlöbl. Erzhaus Oesterreich: Einen Fürsten-Spiegel/ in XII. Sinnbildern/ und eben sovielen Keyser- und TugendBildnissen/ Neben Dem Oesterreichischen Stamm- und Zeit-Register/ Kürtzlich vorstellend: Samt Einem Anhang von Ehrengedichten/ an Fürsten/ Grafen und Herren. Durch SIGISMUNDUM à Birken/ dict. Betulium, C. Com. Pal. N. Nürnberg/ Bey Michael Endter: Jm Jahr des Heils MDCLVII. – Zu diesem Werk s. Stauffer (wie Anm. 2), S. 244-250. Im Auftrag des Kaisers bearbeitete Birken seit 1660 eine Chronik aus dem 16. Jahrhundert zur repräsentativen Darstellung der frühen Geschichte des Kaiserhauses: Spiegel der Ehren des Höchstlöblichen Kayser- und Königlichen Erzhauses Oesterreich […] mit Käys. Rudolphi I GeburtsJahr 1212 anfahend/ und mit Käys. Maximiliani I TodesJahr 1519 sich endend. Erstlich vor mehr als C Jahren verfasset/ Durch Den Wolgebornen Herrn Herrn Johann Jacob Fugger/ Herrn zu Kirchberg und Weissenhorn/ der Röm. Käys. und Kön. Maj. Maj. Caroli V und Ferdinand I Raht; Nunmehr aber/ auf Röm. Käys. Maj. Allergnädigsten Befehl/ Aus dem Original neu-üblicher ümgesetzet/ und in richtige Zeitrechnung geordnet/ aus alten und neuen Geschichtschriften erweitert […] und in Sechs Bücher eingetheilt/ Durch Sigmund von Birken/ Röm. Käys. Maj. Comitum Palatinum, in der Hochlöbl. Fruchtbringenden Gesellschaft den Erwachsenen. Nürnberg/ Bey Michael und Johann Friderich Endtern. ANNO CHRISTI MDCLXVIII.

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Ungarisches und damals Aktuelles behandeln zahlreiche Werke von ihm, kleinere, wie mit Texten versehene illustrierte Flugblätter, und größere; 6 nur zwei 1664 in Nürnberg veröffentlichte seien erwähnt. Das erste: MAUSOLEUM POTENTISSIMORUM AC GLORIOSISSIMORUM REGNI APOSTOLICI REGUM & PRIMORUM MILITANTIS UNGARIAE DUCUM. 7

Dabei handelt es sich um ein Werk des 1671 hingerichteten ungarischen Grafen Franz Nádasdy, 8 das Birken redaktionell betreut und dem er eine eigene Übersetzung ins Deutsche beigefügt hat. Das zweite: Der Donau-Strand mit Allen seinen Ein- und Zuflüssen/ angelegenen Königreichen/ Provinzen/ Herrschaften und Städten/ auch dererselben Alten und Neuen Nahmen/ vom Ursprung bis zum Ausflusse: in Dreyfacher LandMappe vorgestellet auch samt kurtzer Verfassung einer Hungar- und Türkischen Chronik und Heutigen Türken-Kriegs, beschrieben durch Sigmund von Birken. Com. Pal. Nebenst. Figuren der vornehmsten Hungarischen Städte und Vestungen in Kupfer hervorgegeben von Jakob Sandrart/ Kupferstecher und Kunsthändler in Nürnberg. 9

Dieses Buch, im Spätjahr 1664 erschienen, Birkens erfolgreichstes Werk, zu seinen Lebzeiten noch zwei Mal, 1665 und 1674, neu aufgelegt, noch lange nach seinem Tod nachgedruckt, erweitert und in andere Sprachen übersetzt, ist vor allem eine geographisch-politisch-historische Beschreibung des damaligen Ungarn. Es ist noch kaum wissenschaftlich bearbeitet worden, so wünschenswert das wäre. 10 Abgesehen von den wenigen Quellenwerken, die er selbst

___________ 6

Auf die exakte Dokumentation bei Stauffer (wie Anm. 2) sei verwiesen. Der vollständige Titel: MAUSOLEUM POTENTISSIMORUM ac GLORIOSISSIMORUM REGNI APOSTOLICI REGUM & PRIMORUM MILITANTIS UNGARIAE DUCUM Vindicatis è mortuali pulvere RELIQUIIS ad gratam apud posteros memoriam, à PIO ET IVSTO PATRIÆ DOLORE ERECTVM Cum versione Operis Germanicâ NORIMBERGÆ Apud Michaëlem & Joannem Fridericum Endteros. Zu diesem Werk, das Versbiographien der 44 ungarischen Könige von Stephan dem Heiligen bis Ferdinand IV. enthält, s. Stauffer (wie Anm. 2), S. 460-462. 8 Zu Franz (Ferenc) Graf Nádasdy de Forgacs (1623-1671) und seiner Rolle in der ungarischen Magnatenverschwörung s. den Artikel „Franz von Nadasti“, in: [Johann Heinrich Zedler,] Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 23, Halle, Leipzig 1740, Sp. 321-323; Winkelbauer (wie Anm. 3), S. 143-161; Eickhoff (wie Anm. 3), S. 294-309. 9 Zu diesem Werk s. Stauffer (wie Anm. 2), S. 494-511. Es enthält (S. 134-178) ebenfalls eine Folge von – sehr kurzen, in Prosa abgefassten – Biographien von nunmehr 45 ungarischen Königen, von Stephan bis Leopold I. 10 Vgl. John Roger Paas, The publication of a seventeenth-century bestseller. Sigmund von Birkens „Der Donaustrand“ (1664), in: John L. Floo / William A. Kelly (Hrsg.), The German Book. 1450-1700. Festschrift David Paisey, London 1995, S. 233-245; Horst Helge Fassel / Klaus H. Schröder, Das Rumänienbild bei Sigmund von Birken, in: Südostforschungen 31 (1972), S. 164177; Horst Helge Fassel, Sigmund von Birken und Rumänien, in: Wolfenbütteler BarockNachrichten 5 (1978), S. 140-142. 7

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Hartmut Laufhütte

nennt, 11 ist nicht bekannt, welche älteren und zeitgenössischen Arbeiten Birken für seine Darstellung genutzt hat. Um eine seiner Quellen geht es mir hier. Bei der Behandlung der Drau, einem „von den 4 Hungarischen Hauptströmen“, 12 die bei Mohacz in die Donau fließt, wird auch des Flusses Mur gedacht, der, aus dem Grenzbereich zwischen Steiermark und Ungarn kommend, in die Drau mündet. Dort gibt es die folgende Passage: 13 Beym Ausfluß in die Draw/ ümfähet die Muer mit zweyen Armen/ die Jnsel der Herren Grafen von Serin: welche A. 1660 zur linken Seiten des linken Arms/ auf Türkischem Boden/ der Türken zu Canischa Streifereyen zu verwehren/ eine veste Schanz erbauet/ und nach ihrem Namen Serinvvar genennet. Diese Brille/ wolt der GroßTürk nicht auf der Nase leiden: immassen er/ an die Röm. Keys. Majest. deren Schleiffung begehret/ und A. 1663 den 13 August. sie durch 10000 Mann, aber mit Verlust/ berennen lassen. In diesem 1664 Jahr/ ward sie von der Türkischen Armee/ mit Anfang des Monats Junij belägert/ und zu Ende desselben den 30 N. Cal. in Angesicht unsrer starken Armee/ welche disseits der Jnsel lage/ mit einem ernstlichen Sturm erobert/ auch folgends den 6 Jul. zersprenget/ und also eine Vormaur der Steyrmark zur Erden geworfen. Vier Wochen vorhero/ den 29 May. geschahe das Treffen an der Muer/ da H. General Graf von Hohenloh/ neben H. General Grafen Peter Strozzi (gleichwie im vorhergehenden Jahr den 17/27 Nov. H. General Gr. Niclas von Serin/ ) die Türken/ so über die Muer herüber setzen wollen/ mit Verlust von 3000 Mann zurück getrieben: Welcher herrliche Sieg uns gleichwol verbittert werden müssen/ durch den Tod des Teutschen Epaminondas/ des unvergleichlichen Heldens Grafens Strozzi/ von deme man wol sagen kan/ daß er gestorben/ üm in dem Ruhm ewig zu leben; gleich wie er also gelebet/ daß sein Name nimmermehr sterben wird.

Dass dieser Todesfall so auffällig markiert wird, 14 hat eine Vorgeschichte. Am 15. Juni 1664 nc, 15 also eine knappe Woche nach dem Tod des Grafen Strozzi,

___________ 11 Birken beruft sich für seine topographischen Angaben auf eine stattliche Anzahl älterer und jüngerer Autoren. Die Quellen für die Passagen mit aktuellen Informationen bleiben ungenannt. Birkens Bemühen um Aktualität tritt deutlich in dem Schlusskapitel „TürkenKriegs Verlauf“ (S. 178184) zutage, das die zuvor schon von Fall zu Fall abgehandelten Begebenheiten von Mitte 1662 bis Anfang August 1664 knapp auflistet. Auf neuestem Informationsstand ist auch der Abschnitt über die Stadt Passau (S. 35-37). Nicht nur der Verlauf des verheerenden Stadtbrandes vom 17. April 1662 nc ist referiert; auch die zur Zeit der Niederschrift im Gang befindlichen Wiederaufbauarbeiten sind erwähnt. Eine Quellenangabe fehlt. 12 Birken, Donau-Strand (wie S. 121), S. 71. 13 Ebd., S. 72-74. 14 In der knappen Zusammenfassung am Ende des Werkes (s. Anm. 11) kommt Birken nochmals auf diese Vorgänge zurück; allerdings ist ihm oder dem Setzer ein Datierungsfehler (6 statt 9) unterlaufen: „Den 6 diß/ N.C. geschahe das zweyte Treffen an der Muer bey Serinwar: da die Generalen H. Gr. von Hohenloh und H. Gr. Peter Strozzi mit äuserster Dapferkeit gefochten/ und dieser theure Held die erhaltene Victorie/ mit seinem Blut und Tod versiegelt.“

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richtete dessen Freund, der damalige Reichshofrat Graf Gottlieb von Windischgrätz, von Wien aus ein langes Schreiben an Sigmund von Birken, mit dem er seit den frühen fünfziger Jahren in Verbindung stand. 16 Er übermittelte die Todesnachricht, lieferte einen ausführlichen biographischen Abriss mit besonderer Betonung der militärischen Laufbahn und der entsprechenden Qualitäten und Leistungen des Gefallenen und erklärte sich selbst als zu erschüttert und fassungslos, als dass er zu einer angemessenen literarischen Würdigung zu diesem Anlass fähig wäre. Es lief auf einen Auftrag hinaus. Die entsprechende Passage des Briefes lautet: Allßo bite den herrn weill der herr von dem grösten menschen in meiner Perßohn schreiben ßolle, der in vnßrem seculo gelebt, der herr mache es wie der herr wohl kann, daß die schrifft dem Jnnhalt gleich werde, vndt kann der herr auß allen dießen vnordentlich= vndt in höchster eill auffgeßetzten bericht die vornehmste vmständ ßeines lebens anführen, nach deme er mich gantz kläglich in meiner Perßohn allein oder an die Witib redendt einführet, wie vbermäßlich ein ßolches leiden seye Entlich zum schluss müste Jch ßie vndt mich ßelbst mit dem trösten, daß gleich wie er in der tapferkeit oder Cesarem vndt Alexandrum vbertroffen oder wenigest gleich gewest, allßo habe er ßie beede wie Jn den tugenden allßo in der ahrt des todes vbertroffen, Ja wie die andern gestorben ßeye bekannt, dießer seye vor die wohlfahrt der Christenheit, des vaterlands, des kayßers ßeine Ehr vndt ßeligkeit gestorben; Loco einer grabschrifft auch waß Lateinisches stylo Lapidario kurtz vndt gutt auffzußetzen, […] Jch will dem herrn eine gute recompens schüken, undt bite ßich wohl zu befleißigen ein wohlausgemachtes trauer gedicht hierbey in meiner perßohn zu verfertigen […]. 17

Es ging demnach um poetische Texte, die Windischgrätz als von ihm selbst verfasst vor der Wiener Hofgesellschaft präsentieren wollte. 18 Birken hat schon am 25. Juni ac, elf Tage nach Eingang des Bestellschreibens, dem am 21. Juni nc noch eines mit Zusatzwünschen nachgesandt worden war, 19 mit einem 224 Verse langen Alexandrinergedicht reagiert, das den im Bestellschreiben fixierten Vorgaben genau entspricht und alle Informationen des gelieferten biogra-

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15 Im Folgenden werden im Text die Datierungen nach dem alten und dem neuen Kalender mit einem nachgestellten „ac“ bzw. „nc“ ausgewiesen. So auch bereits in Anm. 11. 16 Text Nr. 138 im Briefwechsel Birken-Windischgrätz (wie Anm. 5), Teil 1, S. 446-451, Teil 2, S. 1241-1247. Birken und Windischgrätz hatten einander 1650 in Nürnberg bei der Aufführung des Birkenschen Dramas Psyche kennengelernt und standen seither in regem Briefkontakt; s. Laufhütte (wie Anm. 2), S. 73-128. 17 Briefwechsel Birken-Windischgrätz (wie Anm. 5), Teil 1, S. 450f. 18 Es hatte schon früher mehrmals solche Bestellungen mit genauen Vorschriften für Inhalt und Art der Ausführung gegeben. Besonders aufschlussreich ist der Bestellvorgang anlässlich des Todes Ferdinands IV. Vgl. die Texte Nr. 17-20 des Briefwechsels Birken-Windischgrätz (wie Anm. 5), Teil 1, S. 290-301, Teil 2, S. 1032-1041. 19 Text Nr. 139, ebd., Teil 1, S. 451f., Teil 2, S. 1247f.

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phischen Abrisses nutzt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Birken das religiöse Element etwas stärker herausarbeitet; in Windischgrätz’ Darstellung war ihm wohl Strozzis Insistenz auf seiner Ehre zu stark betont worden. Birkens Gedicht ist überschrieben: Über den Todes-Fall des theuren Heldens Herrn Grafens Peter Strozzi Römisch Keyserlicher Majestät Feldmarschalk-Leutenants etc. im Namen seines Orestes. 20

Eine Woche später, am 2. Juli 1644, hat Birken auch die bestellte Grabschrift stilo lapidario geliefert, außer der lateinischen auch eine deutsche Version, 51 Zeilen jene, 76 diese lang; der deutschen Fassung ist noch ein vierzeiliges Epigramm angehängt. 21 Wohl vor Beginn der Versifizierungsarbeit hatte Birken aus dem Bestellbrief eine Prosa-Vorlage für seine Nachrufdichtung verfasst; sie hat sich ebenfalls in seinem Nachlass erhalten. 22 Nur auf eine Passage im Lebensabriss des Bestellbriefes und in den beiden Nachruffassungen will ich eingehen: die jeweilige Darstellung der näheren Umstände von Strozzis Tod. Nach der Erwähnung einer Gesandtschaftsreise Strozzis nach Paris und seiner Berichterstattung danach vor dem Kaiser, der sich beim Reichstag in Regensburg aufhielt, 23 heißt es bei Windischgrätz: ßobald er nur nach Regensburg komen haben Jhme Jhr kayßerliche mayestät die belägerung vor Canisa auffgetragen, darzu er Aber wegen Ermanglung Aller reqvisiten schlechten lust gezeigt, zu gehorßamen Ehren aber wihlig vber ßich genohmen, allwo Er mit ßeinem vnvberwindtlichen muht, freygäbigkeit (dann er das geld weniger Alls stroh geachtet) wachtßamkeit vndt vnverdroßnen fleißes, vnßrer leüthe zagheit, abgang vndt mangel schläffrigkeit vndt trägheit allein erßetzet, kein schlaaff kam fast in ßeine augen, vndt wo der geringste außfahl oder vnordnung da ware er der Erste darbey, in welchem er auch 2. wunden in die hand vndt arm bekam, vielleicht wohlte Jhn ßein gutter Engel dardurch wahrnen, Aber ßein vnerschrockner helden-muht wohlte hiervon nichts wissen, waß er alles gerahten wie vndt welcher gestahlt man dem feindt begegnen vndt den Anzug verhindern ßollte, weißen ßeine relationen auß, aber ßein geschück zoge Jhn anderswohin, Jn deme den 8. Junij Er ßich mit gott verßöhnte vndt ßeinen leüthen zu ßprache ßie möchten guttes muhts ßein, er merke es werde die künfftige nacht eine warme nacht ßein, auff welche vm 4 vhr früh morgens den 9. alles novo stilo der Türk schon in der Jnßul vber der muhr posto gefasst hate. Alls dießer vnvergleichliche Held Eben mit ßeinen abgemahten strapazirten

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Text Nr. 140, ebd., Teil 1, S. 452-458, Teil 2, S. 1248-1251. Textgruppe Nr. 141, ebd., Teil 1, S. 459-463, Teil 2, S. 1251-1253. 22 Text Nr. 19, ebd., Teil 1, S. 555-560, Teil 2, S. 1390-1393. 23 Zu den Verhandlungen in Regensburg und Strozzis Gesandtschaftsreise s. Winkelbauer (wie Anm. 3), S. 152f.; Eickhoff (wie Anm. 3), S. 196-201. 21

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leüthen allein von allen Generals-Perßohnen darzu kam, den feindt mit ßolcher gewahlt angrieffe daß er Jhn nicht allein hinvber Jagte, ßondern alls die türken mit 40000. den Angriff zum dritenmahl thaten auch hinvber kamen aber nicht allein alletzeit wider hinvber geiagt wurden, ßondern Jhnen Entlich auff der anderen ßeiten Jhre stuk weknehmen liesse, eine gantze halbe meill lang hat der türk an den strand alles mit stuken vndt mousqveten auch 2 Battereyen auff den höhen dergestahlt geßpickt gehabt, daß ßie auf 12. schrit, (dann breiter ist derohrten die muhr nicht) in continuirlichen feer gewest, 5. stund hat dießes bluhtige gefecht gewehrt, vndt anderthalb stund ist er von allen Generals perßohnen allein darbey gewest, wie mirs graf von Hohenloë ßelbsten schreibet, vndt darbey gedenckt daß er nicht begreiffen könne wie es möglich daß sie nicht alle geblieben, weill es von lautter feer auff ßie geregnet habe, Alls nun dießer Alexander Alles gethan waß vor nie im krieg erhört, vndt die türken wie berg, ßo voller toder da lagen, ßich auch schon gäntzlich reterirten, vndt er graf Strozzi schon auff das 4te pferd, ßo vnder Jhme geschossen, komen, vndt er ßich eben vber die victoria mit den andern erfreyte, komt eine maht-verflogne kugel oben her geht ihme im haupt daß dießer aller helden held zwahr gantz ßiegreich mit taußendt Lorbeerzweigen behangen, tod darnider fählt, nechst gott hat graf Serini vndt der kayßer niemand anders alls Jhm zu danken daß die Jnßul vndt einfolglich gantz Steyer nicht in des feindes | handen ßeyen, graf Serini ist bey dießem bluhtigen gefecht nicht gewest, es ßeyndt vber 3000. türken geblieben; mir hat er wie alletzeit Allßo etliche stund vor dießem gefecht, alle ßeine innerste Anligen vertrauet […]. 24

Windischgrätz hängt in diesem Bericht zwei Aktionen ineinander, die in Wirklichkeit aufeinanderfolgten: die Belagerung der strategisch wichtigen Festung Canischa an der Mündung des gleichnamigen Flüsschens in die Mur 25 bzw. die Aufhebung der Belagerung und das unmittelbar darauf folgende Gefecht um die Mur-Insel. Zur ersten Aktion noch ein kleiner Auszug aus dem DonauStrand: Mitten zwischen den Flüssen Draw/ Sal/ Muer und Rab/ an der Gränzscheid/ von Steyr/ Hungarn und Croatien/ ligt in einem Morast die Vestung Canisia oder Canischa: welcher Ort A. 1566 von Keys. Maximilian II. bevestiget; noch selbiges Jahr/ von Francisco Tahe wieder der Türken Anfall vertheidiget; von den Türken/ A. 1572/ bis an das Schloß erobert/ ausgeplündert/ verbrennt; endlich An. 1600 mit Anfang itzigen Seculi, von dem Obristen Georg Paradeisern/ nach 45tägiger Belägerung und Abzug des Keyserlichen Entsatzes/ den 22 Oct an den Vezier Bassa Jbrahim/ zum höchsten Schaden der Christenheit/ übergeben; und

___________ 24

Text Nr. 138, in: Briefwechsel Birken-Windischgrätz (wie Anm. 5), Teil 1, S. 449f. Zur Festung Canischa vgl. Zedler (wie Anm. 8), Bd. 5 (1733), Sp. 547f.; Eickhoff (wie Anm. 3), S. 201. 25

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Hartmut Laufhütte im folgenden 1601 Jahr/ durch Erzherzog Ferdinand/ vom 10 Sept. bis 16 Nov vergeblich (in dem der Himmel selber/ durch Kälte/ Regen und Eis/ sie von dannen gejagt/ und etliche tausend Mann darüber verdorben/) belägert worden. Jn gegenwärtigem 1664 Jahr/ ward/ mit Anfang des Neuen Majens/ diese Belägerung aufs neue und mit grösserer Hoffnung/ aber mit gleichem Ausgang/ vorgenommen/ und zu Ende des Monats/ wegen Anzugs des Türkischen Heers/ mit grossem Verlust geendet und aufgehoben. 26

Unmittelbar darauf erfolgte das Gefecht an der Mur, in das die von Strozzi befehligten Truppen, von der Belagerung erschöpft und dezimiert, aus einem langen Nachtmarsch heraus geführt wurden. In Birkens prosaischer Darstellung erscheint das Gefecht an der Mur mit seinem siegreich-tragischen Ausgang so: Sobald er wieder zurück und nach Regensburg kommen, haben ihme Jhre Mayestät die Belägerung von Canischa aufgetragen: darzu er zwar, wegen ermangelung aller requisiten, schlechten lust gezeiget, gleichwol zu gehorsamen Ehren alles willig über sich genommen. Jm Lager hat er, mit seinem unüberwindlichen Muht, Freygebigkeit, (dann er das Geld als Stroh geachtet und die Soldaten offt von seinen eignen mitteln gekleidet,) Wachsamkeit und unverdrossnem Fleiß, unsrer Leute Zagheit, Schläffrigkeit und Trägheit, allen abgang und Mangel, allein ersetzet. kein Schlaff kame fast in seine Augen, und wo der geringste Ausfall oder Unordnung vorgienge, war er der erste darbey: wie er dann 2 Wunden in Hand und Arm bekommen, womit ihn vielleicht sein guter Engel warnen wollen. Aber sein unerschrockner Heldenmut, wolte von keiner Zagheit wissen. Was er alles gerahten, wie man dem Feind begegnen und den Abzug verhintern solte, weisen seine Relationen. Aber sein Geschicke, wolte es mit ihm enden. Er hatte den 8. Junij Stilo novo sich mit Gott versöhnt, und seinen Leuten zugesprochen: Sie möchten guts muts seyn, er merke, es werde die künftige Nacht eine warme Nacht seyn. Morgens um 4 Uhr den 9. diß, hatte der Türk schon in der Jnsel über der Muer posto gefasst, als dieser Held eben mit seinen abgematteten strappazirten Leuten alleine unter den Generalspersonen darzu kame, und den Feind mit solcher Forza angefallen, daß er ihn nicht allein wieder hinübergejagt, sondern als die Türken mit 40000 Mann den angrieff zum drittenmal thäten, auch herüber kommen, ihn allemahl repoussirt, auch endlich auf der andern seiten ihme die Stücke wegnehmen lassen. Eine ganze halbe Meil lang, hatte der Türk am Strand alles mit Stücken und Musquetirern belegt, auch 2 Batterien auf

___________ 26 Birken, Donau-Strand (wie S. 121), S. 74f. Die Passage geht so weiter (S. 75): „Es sollen/ welches Nicol. Jsthuanfius auch von der vorigen Belägerung aufgezeichnet/ viel verteufelte und verzweifelte Christen sich zu den Feinden Christi geschlagen/ und also die Eroberung hintertrieben haben: denen/ vor diesen guten Dienst/ ihr Vater der Satan/ in Mahumeds Paradeis/ wie dem Judas und allen Verrähtern mit Schwefel und Feuer ablohnen wird.“

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den höhen aufgeworfen, daß sie, auf 12 Schritte vom Feind (dann nur so breit ist daselbst die Muer) 5 Stunden lang in continuirlichen Feuer und blutgen gefechte gestanden, da Graf Strozzi anderthalb Stunden allein, ohne andre Generalspersonen, commandiret. Wie dann Herr Graf von Hohenloh selber schreibet, daß er nit begreiffen könne, wie es möglich, daß sie nit alle geblieben, weil es von lauter Feuer auf sie geregnet habe. Als nun dieser Held alles gethan, was vor nie im Kriege erhört, und die todten Türken, als derer über 3000 geblieben, wie ganze Berge lagen, sich auch schon gänzlich retirirten, und er schon aufs vierte Pferd, nachdem 3 unter ihm erschossen kommen, auch sich eben über die Victorie mit den andern erfreute, kommt eine matt verflogne Kugel von oben her, und geht ihme ins Haubt, daß dieser Helden-Held, zwar siegreich und mit tausend Lorbeerzweigen behangen, todt darnieder fiele. Nächst Gott hat Keyserliche Mayestät und Graf Serini (der bey dieser action nicht gewesen) niemand anders als ihm zudanken, daß die Jnsel und ganz Steyrmark nicht in des Feinds händen seyn. Etliche Stunden vor diesem Gefechte, schriebe er an einen Freund, wie daß er, der Christenheit zum bästen und seinem herrn zu Nutzen, sein Leben wie einer Mucken achte. Das Feuer brennte gar zu stark in ihm, darüm er unmöglich lang dauern können. 27

Birken hat für seine prosaische Darstellung des Gefechts an der Mur und seinen siegreich-tragischen Ausgang ausschließlich Informationen des WindischgrätzBriefes verarbeitet, mit wörtlicher Übernahme langer Sequenzen. Die Darstellung ist gegenüber der Vorlage geglättet, etliche Einschübe sind aus anderen Teilen des Briefes entnommen. Selbst die Tatsache, dass Windischgrätz einige Details – zur Belagerung von Canischa und zum Gefecht an der Mur – einem an ihn gerichteten Brief des Grafen Hohenlohe, eines bei der Aktion Mitkommandierenden, entnommen hatte, klingt an. Wie in Windischgrätz’ Brief ist der Zusammenhang zwischen der Aufhebung der Belagerung von Canischa und dem Gefecht an der Mur, das mit erschöpften und dezimierten Truppen geführt werden musste, undeutlich. Daher wirkt – dort wie hier – die prognostische Rede von der bevorstehenden warmen Nacht unsituiert, und völlig ratlos lässt beide Male die Rede von der ‚matt-verflognen‘ Kugel. Etwas komprimierter und panegyrisch überhöht erscheint alles dann in Birkens versifizierter Darstellung, in welcher, auftragsgemäß, Gottlieb von Windischgrätz als Sprecher fungiert: Ach was Feuer hat sein Muht vor Canischa lassen spüren! es wolt löschen aus, weil dißmal es zu-grosse Flammen gab. Er war allzeit vorn daran; er war überall zugegen. er ließ ungewagt kein wagnis. kein Gefahr war ihm zu heiß.

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Text Nr. 191, in: Briefwechsel Birken-Windischgrätz (wie Anm. 5), Teil 1, S. 558f.

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Hartmut Laufhütte zwar zwo wunden warnten ihn: konden doch den Muht nicht legen weil ihn das verhängnis rieffe zur bestimmten Todes-Reis. Ach ihm schwahnte dieser Gang: mit den bästen Himmels-bissen, ließ er, als mit reisse-zehrung, sich des Tags vorher versehn. Solt, so eine grosse Seel, nicht von ihrer Abreiss wissen? Morgen wird, (sprach er,) ihr Brüder, uns ein warme Nacht angehn. weil der Feind in deß bey Nacht sich hatt’ über Strom gesetzet, fande Morgens, auf der Jnsel Strozzi, was er nicht gesucht. darauf hat er Rand und Strand mit der Türken Blut genetzet; Er allein, in zweythalb Stunden, trieb sie dreymal in die Flucht. Man sah, langst der Muhr hinab, soviel tausend Kugeln blitzen, daß fünf Stunden lang das Ufer nur in lauter Feuer stund, da der Held von Hohenloh ihme zutratt an die Spitzen, und der heiße Flammenregen sie mit weichen machen kund. wohl 3000 Türken sind damals über Styx geschwommen, daß mit lauter Leichenhügeln lag beschanzt die Ufer Erd. Strozzi war, in diesem Straus, auf das vierte Pferd gekommen. wunder thät er, was noch niemals war gesehen und gehört. Als der Feind itzt wiech zurück, und der Sieg erstritten ware; da must eine Unglücks Kugel uns verbittern diese Freüd: sie traff dieses Hauptes haubt, riss den Faden seiner Jahre; warfe Tod zur Erd, der vieler Feinde, Tod gewesen heüt. ach! ein Fall, der billich macht Threnen aus den augen fallen. Strozzi ligt, der Feinde Schrecken und der Freünde Hoffnungs Schutz! Jhrer Niderlag zu trost wird die Post in Stambol schallen, von des Uberwinders Tode, mehren itzt der Feinde Trutz. Zwar er fiel, der HeldenHeld, ganz behängt mit Lorbeerzweigen: der, wie Samson, lebt’ und starbe, und obsiegend unterlag. Muhr! kehr um, sey du sein Ruhm! laß keins deiner Tröpflein schweigen, daß die blutgefärbte Struten wudeln diese Trauerklag. Muhr! Er ware deine Maur. Deine Steyrmark stund im Brande, Ach wär deine Einfluß-Jnsel, Leut und Haab der Türken Beüt: Wann nit Strozzi seinen Leib hätt’ geopfert deinem Rande, wann er nicht sich hätt gestellet vor den Riß im rohten Streit. Unser Keyser und das Reich, Hungern du und alle Christen haben viel an Jhm verlohren. Grösser dünkt mich mein verlust. 28

Die zuletzt in diesem Verstext begonnene persönliche Klage des Freundes zieht sich über viele Verse hin, ganz der Bestellung gemäß. 29 Auch die an die Witwe

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Ebd., Teil 1, Text Nr. 140, S. 457f., V. 159-198. Ebd., Teil 1, Text Nr. 138, S. 450.

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gerichtete Trostrede ist auftragsgemäß ausgeführt. 30 Wie die zitierte Passage des Gedichtes beruhen auch die voraufgehenden und noch folgenden Teile auf den Anregungen und Informationen, die Windischgrätz brieflich übermittelt hatte. Sogar die Feststellung, der Kaiser habe „viel an ihm verloren“, geht auf eine im Brief vom 21. Juni 1664 nc nachgetragene Mitteilung durch Windischgrätz zurück: Sie paraphrasiert eine Formulierung aus dem Trostschreiben, das der Kaiser an die Witwe gerichtet hatte. 31 Welche Rolle Birkens prompt gelieferte Gedichte in Wien gespielt haben, ob sie gedruckt worden sind, ist nicht bekannt. Im Briefwechsel Birkens mit Windischgrätz in dieser Angelegenheit ist auch von bildlichen Darstellungen die Rede. Schon am 24. Juli 1664 nc kündigt Windischgrätz an, ein Brustbild des gefallenen Freundes werde ins Diarium Europaeum kommen. 32 Das Diarium Europaeum ist ein riesiges annalistischdiaristisches zeitgeschichtliches Kompendium, das, von dem Schlesier Martin Meyer begründet und bis zum Jahrgangsband 20 redigiert, von 1659 bis 1683 in 45 Bänden in Frankfurt am Main erschien. 33 Im 1665 erschienenen elften Band

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Text Nr. 140, ebd., V. 205-224: Zwar es hat sonst noch ein Herz dieser Schmerz voraus betrübet. Leid-gesellschaft, tröst das Leiden. Ach ich weiß es ja, wie Er, Edle Freündinn dieses Freünds! wie er sie so treu geliebet. Er ist wehrt so schöner Seüfzer; Er verdient ein Augen Meer. Doch ist grosser Trost hierbey. Er starb, als die Helden sterben: die kein Tod vermag zu tödten. Er war Alexandern gleich, und dem Caesarn, dann er kond sein Gerücht mit Purpur färben. Doch an Tugend, sie ihm weichen, und an Todes-art, der Leich. Wie sie starben ist bekandt. Unser Held hat Blut und Leben, in dem Feld, vor Gott, vor Keyser, Vatterland und Christenheit, vor sein Ehr’, und vor das Heil seiner Seele, hingegeben. Solt nit so ein theurer Nachruhm, halten Wag dem grösten Leid? Tugendheldinn! So ein Schmerz ist zwar groß, doch zuverdrucken, den ein Keyser selber tröstet, und auch selber fühlet mit. Sie laß dann, den Ehrgewinn, diesen Lust verlust verschlucken; überlaß sich ihrer Tugend, und des treuen Himmels Güt. Zwar der Trost, den ich Jhr gib, selbst bey mir nit will verfangen. Dieser Tode, und sein Leben, lebt mir ewig in den Sinn. Schweige, Feder! laß itzund reden fort die nassen Wangen: weil dir vom Papier die worte, dieser Regen, wäschet hin. 31 Ebd., Teil 1, S. 451: „Jhr kayßerliche mayestät haben der Witib gester ein ßehr nachdenklichbewegliches beklagungs-brieflein vnder andern Aber dieße nachdenkliche wohrt geschrieben Jch habe an Eren Ehman ßehr viell verlohren weill Jch auff ßeine perßohn einen großen theill mein vndt meiner länder glükksehligkeit gegründet; ßeindt nachdenkliche wohrt.“ 32 Brief Nr. 142, in: Ebd., Teil 1, S. 463: „in das Diarium Europaeum wirdt erst ßein brustbild einkomen ist ßonst noch nirgends in Kupffer zu bekomen, wann aber zu Nürnberg ein gutter künstler ßich befände, wohlte ich ßolches gerissen dahin schüken, damit er zu pferd wie graf Hohenlöe vndt andere mehr, möchte in kupffer gebracht werden, wann Jch nur wüste waß davon zu geben“. 33 PHILEMERI JRENICI ELISII DIARIUM EUROPAEUM insertis actis electoriis. Oder Kurtze Beschreibung denckwürdigster Sachen […]. 44 Bde., Frankfurt am Main 1659-1683. – Der 1659 erschienene erste Band behandelt Ereignisse der Jahre 1657-1659, die folgenden Bände mit jeweils

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wurde tatsächlich ein Kupferstichporträt Strozzis gedruckt, gestochen und signiert von Martin Frölich, von dem auch das – nicht signierte – Porträt des Grafen von Windischgrätz im selben Band stammt. 34 Viel interessanter ist aber, dass der Bericht über Strozzis Ende im Diarium Europaeum 35 insgesamt und bis in einzelne Formulierungen hinein eine auffällige Nähe zu Windischgrätz’ brieflichen Informationen für Birken aufweist. Es gibt zwei Möglichkeiten, das zu erklären: Entweder ist der Bericht des Grafen Hohenlohe an Windischgrätz, auf den dieser sich Birken gegenüber beruft, in ähnlicher Form auch an den Redakteur des Diarium Europaeum gegangen, oder Windischgrätz selbst hat nicht nur seinen ‚Ghostwriter‘ Birken, sondern auch Meyer informiert. Für diese letztere Vermutung könnte Folgendes sprechen: Das Diarium Europaeum war eine wichtige Quelle für die entsprechenden Bände des monumentalen zeitgeschichtlichen Kompendiums Theatrum Europaeum, das ebenfalls in Frankfurt am Main erschien. Wenigstens zwei der Bände dieses Werkes hat sogar Martin Meyer redigiert. 36 In dem ersten Schreiben, das Windischgrätz in dieser Sache an Birken gerichtet hat, dem Brief vom 15. Juni 1664 nc, gibt es die folgende Passage: mir hat er wie alletzeit Allßo etliche stundt vor dießem gefecht, alle ßeine innerste Anligen vertrauet, dahero verßichert er der Christenheit zum bästen vndt seinem herrn zu nutzen er ßein leben wie eine mucken achte […]. 37

In der Darstellung des Theatrum Europaeum (Bd. IX, 1672), der diejenige des Diarium Europaeum zugrunde liegt, wird mitgeteilt, wegen der Aufhebung der Belagerung von Canischa seien Vorwürfe gegen die dort Kommandierenden erhoben worden. Dazu heißt es: Dieses schnitte unter anderen sonderlich dem Kerntapffern Soldaten und ritterlichem Cavallier/ Herrn Feldmarschall-Leutenant und Grafen, in sein sonst gegen alle Feindes-Gefahr unüberwindliches Hertz dermassen empfindliche Wunden/ daß er länger nicht schweigen konnte/ sondern sich und seine hohe Herren

___________ leicht variierenden Titeln sind als ‚Continuationen‘ bezeichnet. Zum Begründer und Redakteur Martin Meyer (ca. 1630-ca. 1672) s. Adolf Schimmelpfennig, Martin Meyer, in: ADB. Bd. 21, Leipzig 1885, S. 610f. 34 PHILIMERI JRENICI ELISII CONTINUATIO X. DIARII EUROPAEI, Insertis quibusdam, maximè verò, Germano-Gallo-Anglo-Polono-Sueco-Belgo-Ungaricis ACTIS PUBLICIS. Oder Täglicher Geschichts-Erzehlung Eylffter Theil […], Frankfurt am Main 1665. Das Brustbild Strozzis steht zwischen den Seiten 260 und 261 und ist so signiert: „AFröl. fec.“ Das nicht signierte Windischgrätz-Portrait ist reproduziert in: Laufhütte (wie Anm. 2), S. XI. 35 Ebd., S. 267-271. 36 Schimmelpfennig (wie Anm. 33), S. 611. Es sind die Bände 8 (1658-1660) und 9 (1661-1665), die 1667 und 1672 erschienen. 37 Text Nr. 138, in: Briefwechsel Birken-Windischgrätz (wie Anm. 5), S. 450.

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Cameraden an einem hohen Orte auch mit der Feder vertheidigte nachfolgender massen […]. 38

Der wörtlich mitgeteilte Bericht an eine mit „Eu. Excell.“ angeredete Person weist so viele Übereinstimmungen sowohl in der Sache wie auch in einzelnen Formulierungen mit den entsprechenden Teilen des Windischgrätzschen Bestellbriefes an Birken auf, dass die Annahme naheliegt, der Adressat der Verteidigung sei eben Windischgrätz gewesen, dem als Reichshofrat der Titel Excellenz zustand und dem Strozzi ja tatsächlich ganz kurz vor seinem Tod geschrieben hatte. Und selbst unter Freunden waren damals die Anreden immer formell und korrekt. 39 Eine von vielen Passagen in Strozzis Verteidigung, welche die Vermutung stützt, Windischgrätz könnte der Adressat gewesen sein, ist die folgende: Jch an meinem Ort schätze mich nur deßhalben unglücklich/ daß ich Tag und Nacht gearbeitet/ und mein Leben nicht einer Mucken gleich geschätzet/ und doch etwan bey theils Leuten Undanck verdienet haben solle. 40

Eben diese Wendung begegnet einem auch – sie wurde zitiert – in Windischgrätz’ Bestellbrief, der in größter zeitlicher Nähe zum Eintreffen der Todesnachricht in Wien geschrieben worden war. Es gibt viele weitere Übereinstimmungen, die Windischgrätz als Adressaten der Verteidigung und diese neben Hohenlohes Bericht an Windischgrätz als Quelle sowohl für den Bestellbrief und eine diesem entsprechende Darstellung als für Meyer und damit letztlich auch für die Darstellung im Theatrum Europaeum plausibel machen. Als ich vor mehr als zwanzig Jahren im Windischgrätz-Familienarchiv in Klatovy nach Spuren des Kontaktes des Grafen Gottlieb mit Sigmund von Birken suchte und unerwartet fündig wurde, 41 war mir der hier vorgestellte Vorgang noch nicht bekannt. Zwar kann ich mich nicht erinnern, Briefe Strozzis und/oder Hohenlohes an Gottlieb von Windischgrätz dort gesehen zu haben, aber das müsste noch einmal nachrecherchiert werden. Doch unabhängig vom Ergebnis einer solchen Nachforschung spricht vieles dafür, dass Gottlieb von Windischgrätz nicht nur ‚eigene‘ Dichtungen zu Ehren des gefallenen Freundes bestellt, sondern auch für dessen angemessene Würdigung in den beiden großen und weitverbreiteten Darstellungen jüngstvergangener Ereignisse der damaligen Zeit gesorgt hat.

___________ 38 JRENICO-POLEMOGRAPHIAE CONTINUATIO II. Das ist: Der Historisch-fortgeführten Friedens- und Kriegs-Beschreibung Dritter- oder deß THEATRI EUROPAEI Neundter Theil […], Frankfurt 1672, S. 1183. 39 In der Darstellung des DIARIUM EUROPAEUM (wie Anm. 34) ist Strozzis Rechtfertigungsschreiben gar als Bericht an einen Freund deklariert. 40 JRENICO-POLEMOGRAPHIAE CONTINUATIO II (wie Anm. 38), S. 1183. 41 Vgl. Laufhütte (wie Anm. 2), S. 3-9.

Ein falsch plaziertes Ehrengedicht Sigmund von Birken und Johann Trösters Siebenbürgen-Buch Von Hartmut Laufhütte

I. In Sigmund von Birkens (1626-1681) handschriftlich geführter und chronologisch angelegter Gedichte-Sammlung „S. v. B. Birken-Wälder“ 1 steht als 272. Text das aus 66 paarig gereimten Alexandrinern mit abwechselnd ein- und zweisilbiger Kadenz bestehende Gedicht „Zu Herrn Trösters Dacien“. 2

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So hebe nun empor, das langgesenkte Haupt, Bedrangtes Dacien! dein Reben wieder traubt will nach dem Weinen dir itzt Freüdenwein ein schenken. Kein Cuczuk lauret mehr im Lande, dich zu kränken. Dein Fürst will, wie er heisst, nun dein Michael seyn: der in Oliven Laub hüllt seinen Zepter ein, dich unterm Feigen-Baum und Weinstock machet sitzen; der dich mit Güt’, und Recht, und witze weiß zu schützen. der Himmel lang ob dir laß diese Sonne stehn: So bleibst du, was du bist, vergnügtes Dacien, Das Glück dich trösten will. Mit Lorbeerlaub dem schönen, nicht nur mit Friedensgold, es kommet dich zukrönen. Seither begrube dich so mancher Römscher Stein:

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Birkens weitgehend erhaltener Manuskripte-Nachlass und Teile seiner Bibliothek, Eigentum des Pegnesischen Blumenordens, werden im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg aufbewahrt. Die Manuskripte stehen unter der Leitsignatur PBlO. Das Gedicht-Buch „S. v. B. Birken-Wälder“, das Casualia an oder für Adressaten und Auftraggeber bürgerlichen Standes oder aus dem reichsstädtischen Patriziat enthält, trägt die Signatur PBlO.B.3.1.1. Es ist publiziert als Bd. 2 (Sigmund von Birken, Birken-Wälder, hrsg. von Klaus Garber, Christoph Hendel und Hartmut Laufhütte, Berlin 2014) der Ausgabe: Sigmund von Birken, Werke und Korrespondenz, hrsg. von Klaus Garber, Ferdinand van Ingen, Hartmut Laufhütte und Johann Anselm Steiger, mitbegründet von Dietrich Jöns (†), Tübingen 1988ff., Berlin 2010ff. 2 Birken, Birken-Wälder (wie Anm. 1), S. 343-345 (Text), S. 946-950 (Apparat / Kommentar). Im Manuskript steht das Gedicht auf den Blättern 191r-192v.

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und deine Grabschrifft war, was war gegraben drein. Jtzt werden sie gehebt: dich wieder dir zu geben. Steh auf, und tritt hervor, heb wieder an zuleben, Ur Altes Dacia! werd Adler jung und neu. Zwar macht, der dich verjüngt, dich erst recht Alt darbey. Mein Opitz machte mich, zugleich dein schönes wesen und was er dir versprach, mit Lust und Unlust lesen. Mein Lust ist das, wovon sein und dein Zlatna redt: Mein Unlust, daß der Tod den Mann gelegt zu Bett, eh er dich uns beschrieb. Er sprach: Lässt mich Gott leben, | so bin ich ja geneigt, dem Lande das zugeben, was Reichtum nicht vermag. Die Namen so anitzt auf blossen Steinen stehn, und sind fasst abgenützt durch Rost der stillen Zeit: die will ich dahin schreiben, da sie kein Schnee, kein Blitz, kein Regen wird vertreiben Er wolt: er konte nicht. Dein Tröster, Dacien! Zahlt dir Opitzens Schuld; gibt dich hier uns zu sehn. Du Edles Land! heb an hierinn von dir zu lesen: das eher Teütschland fast, als unsers ist gewesen du altes Gothen-Haus! davon die Sarmiz noch aus ihrem Grabe redt. Dich hat das RömerJoch spat und nicht lang gedruckt. Wir haben dir nicht Leüte, (wie zwar der Hungar träumt, der dich nur kennt von heüte) du hast sie uns, geschickt. diß grosse Teütschland hier, was es vor Völker hat, die hat es meist von dir. du bist die Röhr, wodurch Europa überflossen, die Teütsche Nation, die sich so weit ergossen: Mann frage dieses Buch. der Scyth hat erstlich dich, der Gothe, und Sarmat: eh er hier setzte sich. Diß und ein mehrers hat dein Tröster hier beschrieben: der dir hierdurch bezeügt sein herzgetreües Lieben. Dank diesem deinem Sohn, O Mutter! den du, dir | zum Preise, hast gebohrn. Er ewig deine Zier Wer stirbt vors Vatterland ihm so nur einmal nützet: Wer vor Vergessenheit, dem Namens Tod es schützet, der nützt ihm immerdar. So liebe diesen Sohn. Setz ihn in deinen Schoß. Gib ihm die Ehren Kron: gib wieder, wie er gab. Du Edles Siebenbürgen, du Sieben Städte-Land! Kein Türke muß mehr würgen die Bürger deines Staats. das Band der Einigkeit soll dich, wie dein Gebirg ümfästen alle Zeit. Jhr aber wehrter Freünd! treibt fort diß schöne wesen

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Gebt eure Steine uns einmal von Haus zulesen. Lasst an die Pegnitz her erschallen von Cibin: was ihr ihm schicket itzt, von unsrer Pegnitz hin. Schreibt fort, und gebet auch die Pforte uns zusehen, wordurch man in das Meer siht unsren Jster gehen die Fama ist in Eüch, und ihr in sie verliebt: diß Buhlen uns gewiß noch manches SinnKind gibt. das werk bezeügt es schon. Jhr sucht nun auch in Polen die Teütschen, zeigt, woher sey der Slawack zuholen, Was seine Sprache sey. diß ist der zweyte Fleiß. Zielt fort, mit hohem Pfeil nach solchem Zweck und Preiß. |

Geschrieben wurde es im Januar 1666 als Ehrengedicht zu dem Werk: Das Alt- und Neu-|Teutsche | DACIA. | Das ist: | Neue Beschreibung | des Landes | Siebenbürgen/ | Darinnen dessen Alter/ und jetziger Einwohner/ wahres Her-|kommen/ Religion/ Sprachen/ Schriff-|ten/ Kleider/ Gesetz/ und Sitten/ nach Hi-|storischer Warheit von zweytausend Jahren her | erörtert: Die berühmteste Städt in Kupfer | eigentlich abgebildet; dabey viel Gothische und Römische Antiquitäten und Anmahnun-|gen entdecket werden. | Neben etlichen andern Kupfern/ | und einer geschmeidigen emendirten | Landkarten das erste mahl | herausgegeben | von | JOHANNE Tröster/ | Cibinio-|Transsylv. SS. Th. & Philosoph. | Medicae Studioso. | Nürnberg/ | Jn Verlegung Johann Kramers/ | Ge3 druckt bey Christoph Gerhard/ 1666.

Das Werk ist vom Autor dem Stadtvätern von Hermannstadt, „Seinen allerseits Großmögenden Herren/ und Großgünstigen Beförderern […] Wie auch Der gantzen Sächsischen Nation in Siebenbürgen seinem lieben Vaterland“ gewidmet, die „Zuschrifft“ auf den 15./25.1.1666 datiert. Birkens Gedicht ist in diesem Werk, für das es bestimmt war, nicht gedruckt worden. Auch sonst gibt es Irritationen: In Birkens Tagebuchnotiz zur Entstehung des Gedichtes im Januar 1666 ist die Zweckbestimmung ebenfalls benannt: „Add‹itum› zu Trösters Dacien Beygedicht 62 Verse“. 4 Zu dieser Anga___________ 3 Zu Bibliotheksnachweisen für Trösters Werk s. Hermann Stauffer, Sigmund von Birken (16261681). Morphologie seines Werks, Tübingen 2007, S. 573. Es gibt einen Nachdruck: Das Alt- und neu-teutsche Dacia. Das ist: Neue Beschreibung des Landes Siebenbürgen von Johannes Tröster. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1666, mit einer Einführung von Ernst Wagner, Köln 1981 (= Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens. Ergänzungsreihe zum Siebenbürgischen Archiv, Bd. 5). 4 Die Tagebücher des Sigmund von Birken, bearb. von Joachim Kröll. 2 Teile, Würzburg 19711974 (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe VIII; Quellen und Darstellungen zur fränkischen Kunstgeschichte, Bde. 5-6), Teil 1, S. 223. Wegen der Unzuverlässigkeit der Kröllschen Transkriptionen werden alle Zitate aus den Tagebüchern Birkens nach dem Manuskriptbefund mitgeteilt und zuerst nach Krölls Edition, dann nach dem Manuskript nachgewiesen, hier: PBlO.B.2.1.4, 37r. Die in Birkens Tagebüchern besonders reich verwendeten Kürzel

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be stimmt aber der Umfang des Gedichtmanuskripts nicht; es umfasst 66 Verse. So ist es auch in dem Druck, zu dem es – wenn auch an einem anderen als dem vorgesehenen Ort – noch im Jahr 1666 kam. Wie lässt sich die Wirrnis auflösen? II. Johann Tröster stammte aus dem Siebenbürgischen Hermannstadt / Sibiu. Sein Geburtsjahr kennen wir nicht; auch das Datum seines Todes ist ungewiß. Die Jahre 1670 5 und 1685 6 werden genannt. Wir wissen nicht einmal sicher, wann er nach Deutschland gekommen ist, 7 wohl, dass er im März 1667 bei der Heimreise nach Siebenbürgen ein Dezennium von dort fortgewesen war (siehe ___________ und Abkürzungen werden aufgelöst. Die Textwiedergabe erfolgt nach den für die Birken-Ausgabe (wie Anm. 1) gültigen Kriterien. Stauffer (wie Anm. 3) datiert Birkens Gedicht aufgrund der Tagebuchnotiz auf den 31.1.1666 (S. 573). Das ist problematisch. Birkens Tagebuchnotizen zu diesem Datum wie zum Monat Januar 1666 insgesamt sind durch einen über die ganze Seitenbreite geführten waagrechten Strich abgegrenzt. Darunter stehen zwei undatierte Nachträge. Der erste ist das obige Zitat. Unter dem zweiten beginnen mit neuer Überschrift die datierten Notizen zum Februar 1666. Die Notiz zur Entstehung des Gedichtes kann somit nur dem Monat Januar, nicht einem bestimmten Tag zugeordnet werden. 5 Dieses Jahr vermuten Ernst Wagner, Einführung, in: Tröster (wie Anm. 3), S. V-XIII, hier S. XII, und Heinz Stanescu, Deutsches Barockschrifttum in Siebenbürgen, in: Leonard Forster (Hrsg.), Studien zur europäischen Rezeption deutscher Barockliteratur, Wiesbaden 1993 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 11), S. 81-104, hier S. 82. 6 So in [Johann Heinrich Zedler,] Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste […]. Bd. 45, Leipzig 1745, Sp. 1049, und bei Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon […]. Bd. 4, Nürnberg und Altdorf 1758, S. 72f. 7 Die außer dem Wenigen, das sich aus Trösters Werk erschließen lässt, ältesten, freilich zweifelhaften Informationen bieten Zedlers Lexikon und Wills Nürnbergisches Gelehrten-Lexikon (wie Anm. 6). Beide behaupten, Tröster habe meist in Nürnberg gelebt und sei dort 1685 bzw. um 1685 gestorben. Bei beiden fehlt im Schriftenverzeichnis das Werk Trösters, für welches Birkens Gedicht bestimmt war; beide verzeichnen dagegen Trösters ebenfalls 1666 in Nürnberg erschienenes zweites Siebenbürgen-Werk: Das | Bedrängte | DACIA. | Das ist: | Siebenbürgische | Geschichten/ | So sich vom Tode des Durchläuch-|tigsten Fürsten und Herrn | H. BETLEN GABOR, (1629.) | bis auf den jetzt Regierenden Für-|sten; den Durchläuchtigsten Für- | sten und Herrn | H. MICHAEL APAFI | &c. &c. | (1663.) darinnen zugetragen | haben. | Aus selbst-eigner Erfahrung beschrieben | von | JOHANNE BETLEN, Grafen der | Spahnschafft Weissenburg/ des Landes | Siebenbürgen Geheimen Raht/ Cantzler/ und | des Zekelyischen Stuls Uduarhely Obristen/ etc. | Verteutschet | durch | JOHANNEM Tröster/ Sax: Cibinio-|Transsylv. SS. Th. & Philos. Medic. SS. | Nürnberg/ | Jn Verlegung Johann Kramers/ | Gedruckt bey Christoph Gerhard/ 1666. Wills Mitteilung, Tröster stamme aus Kronstadt, steht dessen eigene Behauptung entgegen, er sei in Hermannstadt geboren. Dass Tröster sich seit 1658 in Nürnberg aufgehalten habe, wie Horst Fassel („Lasst an die Pegnitz her erschallen vom Cibin“. Eine Widmung an Johann Tröster, in: Neue Literatur 30 (1979), S. 7174, hier S. 71) behauptet, ist nicht zu belegen. Sicher ist nur, dass er 1667 nach einem Dezennium in die Heimat zurückkehrte. Das wirklich in Trösters Biographie Bekannte und einigermaßen plausibel zu Vermutende ist von Wagner in der Einführung seiner Neuedition (wie Anm. 5) zusammengetragen worden: S. X-XII. Für Biographisches unergiebig sind die beiden kleinen Aufsätze von Horst Fassel, außer dem genannten noch: Sigmund von Birken und Siebenbürgen, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 5 (1978), S. 140-142.

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unten). Dass er seit Mitte Juni 1665 mit Sigmund von Birken in Kontakt stand, lässt sich vielfältig belegen; dass er Mitglied des Pegnesischen Blumenordens war, wie behauptet wird, 8 trifft nicht zu. Kontakte Trösters mit Birken sind in des Letzteren Tagebuch von Mitte Juni 1665 bis Anfang März 1667 nachgewiesen: 15.6.1665: „Herr Cramer und Herr Tröster, wegen des Siebenbürgischen Werkleins, bey mir Leykauf gemacht und getrunken“. 9 Demnach ist der Vertragsabschluss wegen Trösters Siebenbürgen-Buch zwischen Autor und Verleger 10 bei Birken erfolgt, vielleicht durch dessen Vermittlung. Es wird früher Kontakte gegeben haben, doch werden sie für uns nicht kenntlich. 4.7.1665: „herren Kramer, Tröster, Faber, Hagen, Troschel eingesprochen“. 11 Die hier Genannten werden Birken nicht gemeinsam beehrt haben. Den Pegnitzschäfer – seit 1664 – Johann Ludwig Faber 12 und den Heilsbronner Gymnasiasten und später in den Blumenorden aufgenommenen Joachim Heinrich Hagen 13 hatte sicher anderes zu Birken geführt. Tröster und der Verleger könnten gemeinsam erschienen sein, und um Trösters Buch ging es wohl auch. Das gilt kaum für den Besuch des Kupferstechers Peter Troschel; 14 denn die Illustrationen in Trösters Werk sind von Johann Jacob Schollenberger 15 gestochen. 10.7.1665: „Bey Herrn Kramern im Buchladen. Tröster bey mir“. 16 Auch bei diesen Begegnungen könnte Trösters Buch eine Rolle gespielt haben. 19.7.1665: „Mit Herrn Tröstern an der Siebenbürgischen Landkarte“. 17 Die Beziehung zu Trösters Werk ist eindeutig gegeben. Es geht um die im Werktitel erwähnte ‚geschmeidige‘, d.h. ausfaltbare, korrigierte Landkarte. Wagner weist ___________ 8 Die Mitgliedschaft wird behauptet von Wagner (wie Anm. 5), S. XII, und Fassel, „Lasst an die Pegnitz her erschallen vom Cibin“ (wie Anm. 7), S. 71. 9 Tagebücher (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 192; PBlO.B.2.1.4, 28v. 10 Zu dem Verleger Johann Kramer (1615-1672) s. Josef Benzing, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 1078-1322, hier Sp. 1193. 11 Tagebücher (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 193; PBlO.B.2.1.4, 29r. 12 Johann Ludwig Faber (1635-1678) war 1664 als Ferrando in den Pegnesischen Blumenorden aufgenommen worden; zu ihm s. Renate Jürgensen, Melos conspirant singuli in unum. Repertorium bio-biographicum zur Geschichte des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg, Wiesbaden 2006 (= Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 50), S. 262-272. 13 Joachim Heinrich Hagen (1649-1693) trat 1669 als Philadon in den Blumenorden ein. Zu ihm s. Jürgensen (wie Anm. 12), S. 336-345, und neuerdings: Joachim Heinrich Hagen, WeihnachtSchäferey, hrsg. und kommentiert von Matthias Clemens Hänselmann, Passau 2013. 14 Zu Peter Troschel s. Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, begr. von Ulrich Thieme und Felix Becker. Bd. 33, Leipzig 1939, S. 431. 15 Zu Johann Jacob Schollenberger s. ebd. Bd. 30, Leipzig 1936, S. 244. 16 Tagebücher (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 194; PBlO.B.2.1.4, 29v. 17 Ebd., S. 195; ebd.

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nach, welche ältere Karte zur Grundlage gedient hatte. 18 Birken verfügte über einschlägige Erfahrungen mit kartographischer Arbeit. Erst im Jahr zuvor hatte er das große Landkarten-Projekt zu seinem Donau-Strand zum Abschluss gebracht. 19 Da lag beratende Assistenz nahe, zumal im Übergang vom zweiten zum dritten Teil der aus drei Kupfertafeln zusammengefügten Birkenschen Karte auch Siebenbürgen recht detailliert dargestellt ist. Dass Birken an der kartographischen Arbeit beteiligt war, bestätigt die Tagebuchnotiz zum 24.7.1665: „An der Siebenbürgischen Mappe mit Tröstern gemacht“. 20 Gelegentlich scheint der Kontaktbedarf des jungen Mannes Birken auf die Nerven gegangen zu sein. Das anzunehmen, legt die Tagebuchnotiz zum 9.8.1665 nahe: „Tröster und Auer fures temporis eingesprochen“. 21 Bei dem zweiten Zeitdieb handelt es sich um den Nürnberger Kupferstecher Johann Paul Auer. 22 Mit Trösters Siebenbürgen-Publikationen hat er nichts zu tun. Für den 28.1.1666 ist abermals ein Besuch Trösters bei Birken verzeichnet: „Herr Tröster mir den Nachmittag zugesprochen“. 23 Kurz vor oder nach diesem Besuch muss Birken das Gedicht für das Siebenbürgen-Buch geschrieben haben. Danach gab es Ärger. Zum 8.2.1666 hat Birken ins Tagebuch eingetragen: „PraecedenzStritt, wegen Arnolds, mit Tröstern“. 24 Den Grund für den Streit offenbart ein Blick in Trösters Werk. Es enthält nach der „Zuschrifft“ und einem Gratulationsepigramm Johann Michael Dilherrs aus zwei Distichen nicht das für dieses Werk geschriebene Gedicht Birkens, sondern das folgende recht harmlose Poem des noch von Harsdörffer als Lerian in den Pegnesischen Blumenorden aufgenommenen Christoph Arnold: 25

5

DU edle Hermannstadt/ Du Burg der alten Römer/ Du Schloß in Dacien! wer könte Dich bequemer Uns zeigen/ wie Du bist; Als Der/ so bey uns ist? Wie sehr Du warst bedrangt durch Krieg/ weisst du am besten: Jn solchem Ungemach kan Dich dein Tröster trösten:

___________ 18

Wagner (wie Anm. 5), S. VIIIf. Zu dieser Karte s. Stauffer (wie Anm. 3), S. 476-478. 20 Tagebücher (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 195; PBlO.B.2.1.4, 29v. 21 Ebd., S. 197; PBlO.B.2.1.4, 30r. 22 Zu Johann Paul Auer s. Thieme / Becker (wie Anm. 14), Bd. 2 (1908), S. 243f. 23 Tagebücher (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 222; PBlO.B.2.1.4, 37r. 24 Ebd., S. 225; PBlO.B.2.1.4, 37v. 25 Zu Christoph Arnold (1627-1685) s. Jürgensen (wie Anm. 12), S. 105-128. 19

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Denn seiner Jugend Blum ist deiner Tugend Ruhm. Es freut sich Nürenberg des Adels deiner Ahnen/ Die deinen Berg besteckt/ mit ihren Helden-fahnen: Die Pegnitz bringt den Gruß Dem reichen Zibin-fluß. Jhr alten Jeten kommt/ kommt her ihr alten Sachsen! Hört/ mit Verwunderung/ wie eure Thaten wachsen: So weit hat es gebracht Der Teutschen Sprache Macht! Jhr Römer/ trett beyseits/ von der Trajanus-wiesen! Der dapfre Hermannrich wird hoch/ vor euch/ gepriesen: Sieh/ Keyser Adrian/ Was Teutsche hier gethan! Du ringes Blösche-volk/ Du Römischer Schaaf-bauer! Leg deinen Hut stets ab/ denn Du gehst in der Trauer: Küß Teutschen nun die Hand/ in deiner Römer Land. Davon hat uns genug Herr Tröster hier geschrieben/ Das wahrlich jedermann wird lesen/ mit Belieben! Was gibst Du deinem Sohn/ O Hermannstadt/ zu Lohn? Ich weiß/ Du liebest Jhn/ und wirst Jhn auch noch loben/ Wann er dem Vaterland soll zeigen seine Proben: Der Anfang ist gemacht; Und Er auf mehr bedacht! Seinem liebwerthen Herrn und Kunst-gewogenen Freunde/ zu sonderen Ehren C. Arnold/ Prof. und D. an G. W. 26

Da es offenbar nicht zu einer dauerhaften Verstimmung gekommen ist, müssen wir annehmen, dass es Tröster gelungen ist, den Fehler – eigentlich einen schlimmen Affront – dem Verleger oder dem Drucker anzulasten. Dass die Verstimmung nicht von Dauer war, belegt die Tagebuchnotiz zum 4.3.1666: „Tröster eingesprochen“. 27 ___________ 26 27

Tröster (wie Anm. 3), Bl. [**v]r-v; im Nachdruck S. [13]f. Tagebücher (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 228; PBlO.B.2.1.4, 38v.

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Die letzte Tröster betreffende Tagebuchnotiz Birkens vom 4.3.1667 steht in Zusammenhang mit des Jüngeren Heimreise: „In Herrn Trösters Stammbuch geschrieben“. 28 Solche Eintragungen wurden immer vor der Abreise eingesammelt. Birken war diese Stammbucheintragung so wichtig, dass er sie in das eine der beiden Arbeitsbücher eingetragen hat, welche die Sammlung seiner lateinischen Gedichte und Briefe, das „Betuletum“, komplettieren sollten. 29 Jn Album Johannis Trösteri Cibinio-Transsylvani. *

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Siccine abis, in Tuam è Germania nostra? Clarissime Tröstere, Fautor et Amice Honoratissime, Charissime! Imò Post varios casus, post tot discrimina rerum, post Tuum istud Ulysséum Decennium, Nunc redis in patriam, sedes ubi fata quietas ostendunt. Vade ergo, quò fatum revocat! Omnia Tibi precor ex voto cadant! Jn Daciam redis: Daciam nobis relinquis, et in hâc Te Scriptorem, illic Civis, Daciae: ergo simul absens eris et praesens. Jllic` verò, dum animorum simul et corporum medelam susceperis, fac nostri memor vivas, et omnem, non renum modo, sed et Romanum lapidem noveris, ut et tacitam hactenus Daciam loquentem facias. Nec immemor polliciti, Danubio meo fac Ostia sua, Istri cum nomine, reddas. E

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___________ 28

Ebd., S. 279; PBlO.B.2.1.4, 54v. Das ‚Betuletum‘, künftig Bd. 4 der Birken-Ausgabe (wie Anm. 1), trägt die Signatur PBlO.B.3.1.4, das Arbeitsbuch die Signatur PBlO.B.5.0.26. Der Albumtext Birkens steht dort auf dem Blatt 112(8)v. 29

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Vale et vive feliciter! Sic ex animo vovet 30 qui TUUS dum suus erit. 29F

Gedruckt wurde das dem Arnoldschen weit überlegene Gedicht Birkens dann doch noch im Jahr 1666, im dritten der umfangreichen landeskundlichhistoriographischen Werke, die Tröster in diesem Jahr in Nürnberg herausgebracht hat: Polnisches Adler-Nest/ | Das ist | Kurtzgefaßte doch Auß-|führliche GeschichtBeschrei-|bung des Königreichs/ Polen/ | Darinnen dessen Städte/ Schlösser/ | Flüsse/ und Landes Beschaffenheit fleis-|sig beschrieben: Der Polnischen Nation | uraltes Herkommen Historisch erörtert: | und aller Polnischen Fürsten und Könige von | A. C. 550 her/ bis auf diese unsere Lebzeit 1666. | Lebens-läuffe und Geschichten aus allen be-|wehrten Polnischen Feldwappen Abbildungen/ | und etlichen andern Kupffern her-|ausgegeben | von | JOHANNE Tröster/ Cibinio-

___________ 30

Die Übersetzung behält die Zeilenordnung des Originals bei: Ins Album Johann Trösters aus Hermannstadt in Siebenbürgen. * So gehst du also fort in dein aus unserem Deutschland, Berühmter Tröster, Gönner und Freund, Hochgeehrter und Liebster! wahrhaftig nach mancherlei Unglück und so vielen Gefahren und Nöten, nach deinem Odysseischen Jahrzehnt, kehrst du nun in die Heimat zurück, wo das Schicksal ruhige Sitze dir weist. Geh denn, wohin dein Geschick dich zurückruft! Von Herzen bete ich, daß dir alles nach Wunsch gerät. Nach Dacien kehrst du zurück; dein Dacien läßt du uns hier und mit ihm dich als Autor. So wirst Du dort als Bürger Daciens und zugleich hier abwesend zugegen sein. Dort aber, wenn du Heilung der Seelen und zugleich der Leiber vornimmst, erinnere dich auch unser und studiere nicht nur jeden Nieren-, sondern auch jeden Römischen Stein, damit du auch das bis jetzt noch schweigende Dacien reden machst. Und erinnere dich an dein Versprechen, meinem Donaustrand seine Vollendung namens Ister zu geben. Leb wohl und glücklich! Dies wünscht von Herzen der, der Dein sein wird, so lange er lebt.

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Hartmut Laufhütte Transs.: | SS. Th. & Philos. Medicae St. | Nürnberg/ | Zufinden bey Johann 31 Hoffmann/ | Kunsthändlern/ 1666. 30F

Wie in der Manuskriptversion hat das Gedicht auch hier einen Umfang von 66 Versen. III. Birkens Ehrengedicht für Trösters Dacien-Werk ist klar und übersichtlich gegliedert. Eine erste Gruppe von Versen (V. 1-12), als Anrede an das Land gestaltet, preist dessen Erlösung von langer Bedrängnis. Gemeint ist die Situation, die nach der verheerenden Niederlage der Türken in der Schlacht bei St. Gotthard am 1.8.1663 mit dem Frieden von Vasvár / Eisenstadt eingetreten war. Zu den Friedensvereinbarungen gehörte, dass Siebenbürgen von kaiserlichen und osmanischen Truppen geräumt werden musste und unter der Herrschaft des Vasallen der Pforte Michael Apafi verblieb, bei freier Fürstenwahl für die Zukunft. Damit begann für Siebenbürgen nach den schrecklichen Verwüstungen, die es in den Jahren zuvor erlitten hatte, eine kurze Friedenszeit. 32 31F

Die Passage arbeitet mit traditioneller Friedensbildlichkeit: dem Bild der wieder traubenden Rebe (V. 2), der Verwandlung des Weinens in Freudenwein (V. 3), der Umhüllung des Herrschaftszeichens, des Zepters, mit Olivenlaub (V. 6), dem biblischen Motiv des ruhigen Sitzens unter Feigenbaum und Weinstock: 33 Alles in Birkens und anderer Autoren Friedensdichtungen der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre vielfach verwendet und variiert. 34 Der fünfte Vers – „Dein Fürst will, wie er heisst, nun dein Michael seyn:“ – weist Apafi gar die Rolle des Erzengels Michael zu, des Schutzengels des Volkes Gottes und Widersachers Satans. 35 Ihm werden die wichtigsten Herrschertugenden zugesprochen: Güte, Gerechtigkeit, Klugheit (V. 8). Zuletzt wird gar 32F

3F

34F

___________ 31 S. Stauffer (wie Anm. 3), S. 572-574; dort auch Bibliotheksnachweise. Das Gedicht steht dort am Ende der Zuschrift [*VIII]-**iijr. Zu Differenzen zwischen der Manuskript- und der Druckfassung s. Birken, Birken-Wälder (wie Anm. 1), S. 949. 32 S. Ekkehard Eickhoff, Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa. 16451700. Unter Mitwirkung von Rudolf Eickhoff †. Dritte, völlig überarbeitete und erweiterte Aufl., Stuttgart 2008, S. 184-195. 33 Zitatnahe Anspielung auf Kö 5.5 und Mich 4.4. 34 Ich verzichte auf Einzelnachweise. Zahlreiche Belege sind z.B. in diesem Werk zu finden: Die Fried-erfreuete TEUTONIE. Eine Geschichtschrift von dem Teutschen Friedensvergleich/ was bey Abhandlung dessen/ in des H. Röm. Reichs Stadt Nürnberg/ nachdem selbiger von Osnabrügg dahin gereiset/ denkwürdiges vorgelauffen; mit allerhand Staats- und Lebenslehren/ Dichtereyen auch darein gehörigen Kupffern gezieret/ in vier Bücher abgetheilet/ ausgefertiget von SIGISMUNDO BETULIO, J. Cult. Caes. P. Nürnberg. Jn Verlegung Jeremiä Dümlers im 1652. Christjahr. 35 Jud 9; Offb. 12.7; vgl. Hans Schmoldt, Kleines Lexikon der biblischen Eigennamen, Stuttgart 1990 (= Reclams Universal-Bibliothek, Bd. 8632), S. 163.

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Fortuna in Dienst genommen, die das endlich wieder glückliche Land mit Lorbeerlaub und Friedensgold krönt (V. 11f.) Im nächsten zusammenhängenden Textblock (V. 13-30) werden Anredegestus und Adressierung beibehalten; in V. 19 bekundet sich sogar das SprecherIch. Auferstehungs- bzw. Wiederbelebungsbilder stehen am Anfang. Die eröffnende Aufforderung, unter so glücklichen Umständen solle sich das Land aus den Trümmern erheben, unter denen es begraben liege und sich verjüngen wie der Adler der Emblematik (V. 17), 36 wird geschickt verbunden mit einem ersten Hinweis auf die archäologischen Reichtümer des Landes (V. 13). 35F

Dass gerade diese Zeugnisse der Vergangenheit dem Land zur Wiedererstehung und Selbstvergewisserung verhelfen sollen, ist zunächst eine Hommage an den Autor Tröster (V. 18), der den römischen Altertümern in den Kapiteln VIII-XXIII des vierten Buches große Aufmerksamkeit widmet. Vor allem aber nutzt Birken ihn dazu, den Autor in eine Traditionslinie zu stellen, die ihm und seinem Werk höchste Dignität zuweist. Die Verse 19-28 gelten nämlich dem, in dessen Fußstapfen Tröster mit seiner Arbeit tritt: dem 1639 verstorbenen Martin Opitz und seinem berühmten Siebenbürgen-Gedicht ZLATNA, Oder Von Ruhe deß Gemüths. 37 Während der Herrschaft Gabor Bethlens (1580-1629; seit 1613 Fürst von Siebenbürgen), einer Glanzzeit des Landes, hatte Opitz sich 1621 dorthin begeben, um eine Lehrerstelle am Akademischen Gymnasium von Weißenburg anzutreten. 38 Seinem Aufenthalt dort (bis 1623) verdankt das Gedicht seine Entstehung. Birkens Verse 23-28 sind ein fast wörtliches Zitat der Verse 81-86 der Opitzschen Dichtung: 36F

37F

[…] Verleyht mir Gott das Leben/ So bin auch ich geneigt euch künfftig das zu geben Was Reichthumb nicht vermag. Die Namen so anjetzt Auff blossen Steinen stehn/ vnd sind fast abgenützt Durch Rost der stillen Zeit/ die will ich dahin schreiben/ Da sie kein Schnee/ kein Plitz/ kein Regen wird vertreiben.

___________ 36 S. Arthur Henkel /Albrecht Schöne (Hrsg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Taschenausgabe, Stuttgart 1996 [zuerst 1967], Sp. 777. 37 Martin Opitz, Weltliche Poemata 1644. Erster Teil. Unter Mitwirkung von Christine Eisner hrsg. von Erich Trunz, Tübingen 1967 (= Deutsche Neudrucke. Reihe Barock), Bd. 2, S. 196-232, hier S. 201. Der Wortlaut des Zitats lässt erkennen, dass Birken nicht nach der Ausgabe von 1624 zitiert hat. 38 S. Wilhelm Kühlmann, Martin Opitz. Deutsche Literatur und deutsche Nation. 2. Aufl., Heidelberg 2001 (zuerst Herne 1991).

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Diesmal konnte Birken auf nur wenig früher Formuliertes zurückgreifen. In seinem Werk Der Donau-Strand 39 heißt es im Siebenbürgen-Abschnitt des Ungarn-Kapitels nach der Erwähnung Weißenburgs: 38F

Drey Meilen davon/ hinaufwarts gegen Clausenburg zu/ ligt das Städtlein Zlatna: welches unser Teutscher Homerus/ indem er/ sein herrliches Gedichte von der Ruhe des Gemüts/ mit diesem Nahmen betitelt/ auch darinn den Ort und diese ganze Gegend gar schön beschrieben/ in das Erz der Ewigkeit eingeschrieben; und wäre zu wünschen/ daß/ das von diesem theuren Mann uns versprochene 40 Alte Dacien/ nicht mit ihm wäre begraben worden. 39F

Als Höhepunkt der Feier Opitzens und der Würdigung des Trösterschen Werkes erfolgt dessen Inszenierung als Einlösung des von Opitz Versprochenen (V. 29f.): Er wolt: er konte nicht. Deine Tröster, Dacien! Zahlt dir Opitzens Schuld; gibt dich hier uns zu sehn.

Die Sprechinstanz macht sich hier kenntlich als jemand, der außerhalb Siebenbürgens vom Erfüller des Opitzschen Versprechens über das ferne Land belehrt wird; sie adaptiert so die Rolle der künftigen Leser. Der dritte Abschnitt (V. 31-44), auch er als Anrede an das Land Siebenbürgen durchgeführt, bietet in Gestalt eines knappen Referats des Buchinhalts eine Rühmung des Landes Siebenbürgen und seiner Geschichte. Im Zentrum dieser Rühmung steht die damals verbreitete, von Tröster ausführlich dargelegte und dokumentierte Auffassung, die Ausbreitung der Deutschen sei von Siebenbürgen ausgegangen, dieses somit als die Keimzelle der Nation anzusehen (vgl. V. 31f., 35-38, 39f.). 41 Im Sinne dieser Auffassung wird die Siedlung Sarmizegethusa, das römische Ulpia Trajana, als Zeuge bezeichnet, das Land selbst als „du altes Gothenhaus“ angeredet (V. 32f.). Heftigen Widerspruch erfährt die von Ungarn erhobene Behauptung, Siebenbürgen sei von Deutschland aus von Deutschen besiedelt worden; gerade umgekehrt sei die Entwicklung verlaufen (V. 35-40). Als Beginn der ‚Unfreiheit‘ Siebenbürgens wird die Zeit der römischen Herrschaft benannt; erst spät habe sie begonnen und nicht lange gedauert 40F

___________ 39 Der Donau-Strand mit Allen seinen Ein- und Zuflüssen/ angelegenen Königreichen/ Provinzen/ Herrschaften und Städten/ auch dererselben Alten und Neuen Nahmen/ von Ursprung bis zum Ausflusse: in Dreyfacher LandMappe vorgestellet auch samt kurtzer Verfassung einer Hungar- und Türkischen Chronik und Heutigen Türken-Kriegs, beschrieben durch Sigmund von Birken C. Com. Pal. Nebenst XXXIII. Figuren der vornehmsten Hungarischen Städte und Vestungen in Kupfer herausgegeben von Jacob Sandrart/ Kupferstecher und Kunsthändler in Nürnberg. Anno Christi MDCLXIV. 40 Birken, Donau-Strand (wie Anm. 39), S. 87. 41 Zu dieser ‚germanischen Kontinuitätstheorie‘, ihrer Verbreitung und zeitgenössischen Kritik s. Wagner (wie Anm. 5), S. V-VII.

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(V. 34f.). 42 Wirkungsvoll am Ende dieses Abschnitts (V. 43f.) wird der Autor Johann Tröster als derjenige benannt, der die Geschichte des Landes und seine Bedeutung für alle Deutschen zur Geltung gebracht habe. Bei der hier (V. 43) wie schon am Ende des voraufgehenden Abschnitts (V. 29) verwendeten Benennung „dein Tröster“ spielt Birken mit der wörtlichen Bedeutung dieses Namens. 41F

Der Würdigung des Buchinhalts und der Leistung des Autors im dritten Abschnitt folgt im vierten (V. 45f.) die Aufforderung des als „Mutter“ (V. 45) personifizierten Landes, den Sohn zu belohnen, der es in seinem Werk sich selbst zurückgebe. In guter Humanistentradition wird die Leistung des Gelehrten, des Dichters über die des patriotischen Kriegers gestellt (V. 45-51): Dank diesem deinem Sohn, O Mutter den du, dir zum Preise, hast gebohrn. Er ewig deine Zier. Wer stirbt vors Vatterland ihm so nur einmal nützet: Wer vor Vergessenheit, dem Namens Tod es schützet, der nützt ihm immerdar. So liebe diesen Sohn. Setz ihn in deinen Schoß. Gib ihm die Ehren Kron: gib wieder, wie er gab.

Der Abschnitt endet mit einer Lobpreisung der neuen Friedenszeit und Wünschen für die Zukunft (V. 51-54): […] du Edles Siebenbürgen, du Sieben Städte-Land! Kein Türke muß mehr würgen die Bürger deines Staats. Das Band der Einigkeit soll dich, wie dein Gebirg ümfästen alle Zeit.

Der Gedichtschluss ist zweigeteilt: V. 55-62; V. 63-66. Auch er ist in der Anredeform durchgeführt, die das Ganze beherrscht. Adressat ist aber nicht, wie bisher, das Land Siebenbürgen, sondern der Autor, dem zu Ehren das Gedicht geschrieben wurde. Jhr aber, wehrter Freünd! treibt fort diß schöne wesen Gebt eure Steine uns einmal von Haus zulesen. Lasst an die Pegnitz her erschallen von Cibin: was ihr ihm schicket itzt, von unserer Pegnitz hin: (V. 55-58)

Tröster wird aufgefordert, seine historiographisch-literarische Arbeit daheim fortzusetzen und so, wie er seine durch den namengebenden Fluß repräsentierte ___________ 42

Sie begann unter Trajan 105 n. Chr. und dauerte bis zum Ende des 3. Jahrhunderts; s. Der kleine Pauly. Lexikon der Antike. Auf der Grundlage von Pauly’s Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter hrsg. von Konrat Ziegler und Walther Sontheimer. Bd. 1, Stuttgart 1964, Sp. 1355-1357.

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Heimat 43 in seinem Dacien-Buch von Nürnberg aus beschrieben und verherrlicht hat, künftig von dort aus die Deutschen mit neuen Präsentationen der Altertümer Siebenbürgens zu beschenken. 42 F

Aber nicht nur das: Noch etwas anderes wird von Tröster erwartet, wovon der Laudator Birken Kenntnis hatte (V. 59f.): Schreibt fort, und gebet auch die Pforte uns zusehen, wordurch man in das Meer siht unsren Ister gehen.

Offenbar plante Tröster ein Werk über die Landschaft der Donaumündungen. Die Mahnung, es auszuführen, dürfte Birken besonders am Herzen gelegen haben, weil er selbst zu dieser Region in seinem Donau-Strand hatte recht lakonisch bleiben müssen. Für die Donaumündungen beruft er sich auf so aktuelle Gewährsleute wie Herodot, Strabo und Plinius; danach aber heißt es abschließend: Was sonsten/ durch ganz Mösien bis hieher/ für Orte an der Donau ligen/ hat man/ weil die Türkische Barbarey beyde Ufer in dieser Provinz langsthero beherrschet/ nicht so ausführlich/ als in vorhergehenden Provinzen/ andeuten kön44 nen: 43F

Tröster hat dieser Aufforderung wohl nicht mehr entsprechen können. Unter seinem Namen ist kein entsprechender Titel nachgewiesen. Der erste Teil des Gedichtschlusses, ursprünglich das Gedicht Birkens überhaupt, endet mit dem Ausdruck der Hoffnung auf weitere ruhmwürdige Schriften Trösters (V. 61f.): Die Fama ist in Eüch, und ihr in sie verliebt: diß Buhlen uns gewiß noch manches SinnKind gibt.

Die noch folgenden vier Verse hat Birken hinzugefügt, als feststand, dass sein Gedicht nicht im Vorspann desjenigen Werkes veröffentlicht würde, für das es geschrieben worden war, sondern im Polen-Buch; V. 63 nimmt gleich eingangs ausdrücklich Bezug darauf. Die Umfangsdifferenz zwischen der Angabe der Tagebuchnotiz zur Entstehung des Gedichtes – 62 Verse – sowie dem Gedichtmanuskript und dem Druck – 66 Verse – ist so zu erklären: Sigmund von Birken hat seine Gedichte zunächst in Arbeitsbücher eingetragen, in welchen sie bei Bedarf nachbearbeitet wurden. Erst wenn ein solches Arbeitsbuch ganz gefüllt war, nach mehreren

___________ 43 44

Hermannstadt / Cibinium / Sibiu liegt an dem Cibin genannten Nebenfluss der Aluta. Birken, Donau-Strand (wie Anm. 39), S. 110.

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Jahren, wurden die Gedichte in die verschiedenen Sammlungen übertragen. 45 Die Tagebuchnotiz zur Entstehung des Gedichtes ist sicher ganz zeitnah, vor dem „Praecedenz-Stritt“, erfolgt, die Übertragung in die Sammlung danach. 4F

IV. Zuletzt ein kurzer Blick auf das Lapidarium für Trösters Album. Solche Eintragungen wurden stets kurz vor der Abreise der Besitzer erbeten. Birkens beide Alben 46 demonstrieren das ebenso deutlich wie zahlreiche Vorgänge dieser Art, die aus anderen Materialien seines Nachlasses kenntlich werden. Die Tagebuchnotiz zur Eintragung in Trösters Album ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass er wohl im März 1667 in seine Heimat zurückgereist ist. Durch das Lapidarium (Z. 8) erfahren wir, dass er zehn Jahre außerhalb Siebenbürgens verbracht hat, was nicht recht zu den biographischen Hypothesen Wagners 47 passt. Die von Tröster in der Fremde verbrachte Zeit charakterisiert Birken mit diesem Vergil-Zitat (Z. 7-9): 45F

46F

Post varios casus, post tot discrimina rerum, post Tuum istud Ulysséum Decennium, 48 Nunc redis in patriam […]. 47F

Das legt die Vermutung nahe, Tröster habe seine Heimat als Flüchtling verlassen und nicht die gesamte Zeit in oder bei Nürnberg verbracht. Gleich zu Beginn wird auch in diesem Text im Sinne der ‚germanischen Kontinuitätstheorie‘ die Bedeutung Siebenbürgens für Deutschland betont (Z. 1f.): siccine abis, in Tuam è Germania nostra?

Auch in diesem Text spielt der Hinweis auf den in Siebenbürgen endlich wiedergewonnenen Frieden eine Rolle, und auch dafür wird Vergil bemüht (Z. 9f.): Nunc redis in patriam, sedes ubi fata quietas 49 ostendunt. 48F

___________ 45 S. dazu die Einleitung von Bd. 1 der Birken-Ausgabe (wie Anm. 1): Sigmund von Birken, Floridans Amaranten-Garte, hrsg. von Klaus Garber und Hartmut Laufhütte in Zusammenarbeit mit Ralf Schuster, Tübingen 2009, S. CXXXIII-CXL. 46 Sie tragen die Signaturen P.Bl.O.5. Hs 152818 und 152818a. 47 Wagner (wie Anm. 5), S. XIf. 48 In Z. 7 wird V. 204 aus dem ersten Buch der Aeneis zitiert: „per varios casus, per tot discrimina rerum“. 49 Leicht variiert werden Teile der Verse 205f. aus dem ersten Buch der Aeneis zitiert: „tendimus in Latium, sedes ubi fata quietas | ostendunt […]“.

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Hartmut Laufhütte

Der Abschiedssituation gemäß spielt Birken hier mit dem Motiv, der nach Siebenbürgen Heimkehrende lasse in Gestalt seines in Nürnberg entstandenen Buches Siebenbürgen und sich selbst dort zurück (Z. 13-16). Anders als im Gedicht geht Birken im Lapidarium auf Trösters doppelte berufliche Qualifikation als Theologe und Mediziner ein: Für Seele und Leib seiner Patienten sei er künftig zuständig (Z. 17f.). Doch solle er über solchen Tätigkeiten sein drittes Amt nicht vergessen und nicht nur Nierensteine, sondern auch die noch unbekannten steinernen Zeugen der Vergangenheit seiner Heimat erforschen (Z. 2023): et omnem, non renum modo, sed et Romanum lapidem noveris ut et tacitam hactenus Daciam loquentem facias.

Deutlicher noch als im Gedicht und diesmal mit direktem Bezug auf den Donau-Strand wird schließlich Trösters Vorsatz zu einem Werk über die Donaumündungen ausgesprochen: Nec immemor polliciti, Danubio meo fac Ostia sua, Istri cum nomine, reddas.

Der Versuch, das Missverhältnis zweier Auskünfte zu einer Sache aufzuklären, hat sich als bewandtnis- und ergebnisreich erwiesen.

Ars est incentrix artis et ingenii: Valentin Francks Hecatombe Sententiarum Ovidianarum (1679) 1 0F

Von Boris Dunsch

I. Im Juli 1679 erschien in der Hermannstädter Druckerei von Stephan Jüngling 2 eine Schrift, die sicherlich schon beim Blick auf das Titelblatt das Interesse des intendierten Publikums wecken konnte: Hecatombe Sententiarum Ovidianarum Germanice imitatarum. Der Titel weist auf die Intention des Büchleins. Der Verfasser, Valentin Franck der Jüngere (1643-1697), übersetzt ihn sogleich ins Deutsche und bietet damit, bevor auch nur die erste Seite des kleinen Werkes aufgeschlagen ist, ein Beispiel dafür, was er im Folgenden zu tun gedenkt, nämlich lateinischen in deutschen Text zu übertragen: 3 1F

2F

Hecatombe | Sententiarum | Ovidianarum, | Germanicè imitatarum. | Das ist | Nach=Ahmung | Hundert | Außerlesener Sprüche | Deß berühmten | Röhmischen Poeten | Ovidii Nasonis. | Auffgesetzet | von: | Valentino Franck | Patricio. | Typis Cibinianis | Excudebat Stephanus Jüngling | Anno MDCLXXIX.

Die einzelnen Wörter des Titels sind sorgfältig ausgewählt. Hecatombe, das erste, einprägsamste und interessanteste, zielt auf Effekt: Ein „Hundertopfer“ soll dem Publikum geboten werden. Als Titel von Sammlungen 100 dichteri___________ 1

Dieser Aufsatz ist in Dankbarkeit und langjähriger Verbundenheit Konrad Heldmann, meinem latinistischen Lehrer in Kiel, gewidmet. 2 Zu Jünglings Druckerei vgl. Egon Hajek, Die Hecatombe Sententiarum Ovidianarum des Valentin Franck von Franckenstein, Hermannstadt-Sibiu 1923 (= Südosteuropäisches Forschungsinstitut. Sektion Hermannstadt. Deutsche Abteilung, Bd. 1), S. 69, Anm. 1, und Stefan Sienerth, Leseangebot und Buchzirkulation in Siebenbürgen zwischen Humanismus und Aufklärung, in: Detlef Haberland / Tünde Katona (Hrsg.), Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit. Beiträge der Tagung an der Universität Szeged vom 25.-28. April 2006, München 2007 (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Bd. 34), S. 281-309, hier S. 290. 3 Hier und im Folgenden wird der Text zitiert nach Hajek (wie Anm. 2), S. 69-104. Die Übersetzungen der ungarischen und rumänischen Texte stammen aus Hajeks Anmerkungen. Wo es erforderlich schien, wurde dem Text von Hajeks Ausgabe ein kurzer kritischer Apparat beigegeben. Vgl. auch Anm. 60.

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Boris Dunsch

scher Specimina welcher Art auch immer findet sich dieses griechische Wort erst im 17. Jahrhundert häufiger, bleibt aber auch dann vergleichsweise selten und verdrängt das lateinische Centuria nicht. 4 Das Wort Hecatombe ist erlesen und demonstriert schon für sich allein Höhe und Umfang von Francks dichterischem Anspruch. Tatsächlich enthält das vorgelegte Büchlein Ausschnitte aus allen Werken Ovids 5 mit Ausnahme des Fluchgedichts Ibis, aber einschließlich der pseudo-ovidischen Consolatio ad Liviam, 6 die zu Zeiten Francks allgemein als authentisch galt. Franck hat diese Textausschnitte zu 100 thematischen Einheiten zusammengestellt (genau genommen sind es 98, die aber aufgrund zweier Versehen im Druck von 1 bis 100 durchnummeriert sind). 7 3F

4F

5F

6F

Das zweite Wort, Sententiarum, macht deutlich, dass es sich bei dem hier vorgelegten Werk um eine Sentenzensammlung handelt. Franck hat einzelne Textausschnitte aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und, wie im Einzelnen zu zeigen sein wird, nicht selten durch teils sehr subtile Eingriffe in den lateinischen Text verändert. Der Florilegiencharakter der kleinen Schrift wird zusätzlich dadurch betont, dass das Titelblatt im Druck von doppelreihiger floraler Ornamentik umrahmt ist. 8 Franck stellt sich damit bewusst in eine lange 7F

___________ 4 Weiteren Kreisen bekannt ist vielleicht noch heute Jacob Baldes im Jahre 1637 erschienene Hecatombe seu ode nova de vanitate mundi, in deren Vorrede es heißt, die Eitelkeit solle wie ein in hundert Teile gehacktes Rind oder wie hundert Rinder auf hundert Altären geschlachtet werden – wie dann auch im folgenden zweisprachigen Gedicht tatsächlich in hundert lateinisch-deutschen Strophen der Welt ihre vanitas in aller Ausführlichkeit redegewaltig vorgeworfen wird. Vgl. Wilfried Stroh, Poema de vanitate mundi, in: Bianca-Jeanette Schröder / Wilfried Stroh (Hrsg.), Baldeana. Untersuchungen zum Lebenswerk von Bayerns größtem Dichter, München 2004, S. 121131, hier S. 125. Da Balde im 17. Jahrhundert in ganz Europa auch über Konfessionsgrenzen hinweg rezipiert wurde, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Franck diese Hecatombe kannte. Möglicherweise ist auch noch an die Hecatomba Sacra sive Centuria Concionum […] von Ferenc Viszocsány zu denken, die 1690 in Tyrnau (Trnava bzw. Nagyszombat in der heutigen Slowakei) erschien. 5 Zu Ovids Werken liegt eine kaum übersehbare Menge von Publikationen vor. Zur Orientierung sei verwiesen auf: Katharina Volk, Ovid. Dichter des Exils, Darmstadt 2012; Niklas Holzberg, Ovid. Dichter und Werk. 3., durchges. Aufl., München 2005 (1. Aufl. ebd. 1997); Michael von Albrecht, Ovid. Eine Einführung, Stuttgart 2003; Ulrich Schmitzer, Ovid, Hildesheim 2001. 6 Die Consolatio ad Liviam ist leicht zugänglich in der zweisprachigen Ausgabe: Publius Ovidius Naso, Ibis. Fragmente. Ovidiana. Lateinisch-deutsch, hrsg., übersetzt und erläutert von Bruno W. Häuptli, Darmstadt 1996 (= Sammlung Tusculum), S. 156-189. Da auch für alle Werke Ovids mittlerweile gute zweisprachige Ausgaben vorliegen, werden Ovid-Verse im Folgenden nicht eigens übersetzt. 7 Die Sentenzen Hecatombe (im Folgenden mit H. abgekürzt) 54 und 55, die inhaltlich zusammengehören, wurden separat nummeriert, vgl. Hajek (wie Anm. 2) S. 88, Anm. 4; H. 41 wird mit einer ganz leichten Variation in der deutschen Fassung unter H. 89 wiederholt. Da es möglich ist, dass Franck die Druckerei mit der Nummerierung der Sentenzen beauftragt hatte, ohne das Werk später noch einmal insgesamt Korrektur zu lesen, lässt sich nicht abschließend klären, ob es sich hier um Versehen des Druckers oder Fehler Francks handelt. 8 Eine gute Abbildung findet sich z.B. in: Joachim Wittstock / Stefan Sienerth (Hrsg.), Die deutsche Literatur Siebenbürgens. Von den Anfängen bis 1848. Bd. 1: Mittelalter, Humanismus, Barock, München 1997, S. 327. Nicht authentisch ist die Abbildung in Hans Bergel, Literaturgeschichte der

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Valentin Francks Hecatombe

Tradition. Sentenzensammlungen der verschiedensten Art existierten schon seit der Antike, insbesondere solche, die den Zwecken des rhetorischen Unterrichts im Rahmen von imitatio und aemulatio dienstbar gemacht wurden. 9 Die antike Schulpraxis findet ihre Entsprechung in der Frühen Neuzeit, wo im Kontext der poetischen Unterweisung die aneignende Bearbeitung der klassischen Muster eingeübt wurde, 10 wie es etwa Martin Opitz (1597-1639), der 1622/23 in Siebenbürgen tätig war, 11 im achten Kapitel der Deutschen Poeterey formuliert: 8F

9F

10F

Eine guete art der vbung aber ist/ das wir vns zueweilen auß den Griechischen vnd Lateinischen Poeten etwas zue vbersetzen vornemen: dadurch denn die eigenschafft vnd glantz der woerter/ die menge der figuren/ vnd das vermoegen 12 auch dergleichen zue erfinden zue wege gebracht wird. 1F

Die Trias des Schulungssystems von praecepta, exercitatio und imitatio setzt eine intensive Rezeption der als musterhaft empfundenen auctores voraus, die im letzten Schritt eben zur eigenen literarischen Produktion führt, zur imitatio auctorum. 13 Diese imitatio bzw. Nachahmung ist nun nicht unbedingt eine wortwörtliche Umsetzung fremden Gutes, keine reine Übernahme, sondern vielmehr, zumindest im Idealfall, verbunden mit einer eigenen Gestaltung des Materials. 14 Sie ist demnach eine poetische Eigenleistung, eine „Einübung ins ___________ 12F

13F

Deutschen in Siebenbürgen. Ein Überblick. 2. Aufl., Thaur bei Innsbruck 1988 (= Überblicke, Bd. 2), S. 41, der anstelle des Originals von Franck das Titelblatt von Hajeks Ausgabe (wie Anm. 2) abdruckt. 9 Zu dieser Praxis in der römischen Antike vgl. z.B. Johannes Christes, Texte im Elementarunterricht als Träger sittlicher Werte in republikanischer Zeit, in: Andreas Haltenhoff / Andreas Heil / Fritz-Heiner Mutschler (Hrsg.), O tempora, o mores! Römische Werte und römische Literatur in den letzten Jahrzehnten der Republik, Leipzig 2003 (= Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 171), S. 51-68; für die Neuzeit vgl. z.B. Annika Ström, Florilegia and Progymnasmata – Manuals Linking Theory with Practice, in: Outi Merisalo / Raija Sarasti-Wilenius (Hrsg.), Erudition and Eloquence. The Use of Latin in the Countries of the Baltic Sea (1500-1800). Acts of a Colloquium Held in Tartu, 23-26 August, 1999, Helsinki 2003, S. 126-142. 10 Vgl. z.B. Erich Trunz, Deutsche Literatur zwischen Späthumanismus und Barock, München 1995, S. 221. 11 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung von Hans-Christian Maner, Martin Opitz in Siebenbürgen (1622-1623) – Traum und Wirklichkeit fürstlicher Machtpolitik unter Gabriel Bethlen, in: Thomas Borgstedt / Walter Schmitz (Hrsg.), Martin Opitz (1597-1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt, Tübingen 2002 (= Frühe Neuzeit, Bd. 63), S. 154-168. 12 Zitiert nach: Herbert Jaumann (Hrsg.), Martin Opitz. Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe, Stuttgart 2002, S. 71, 14-18. Die Umlaute wurden aus technischen Gründen anders gesetzt als bei Jaumann. 13 Vgl. Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. 2. Aufl., Tübingen 2002, S. 285-291; speziell zum Stellenwert von Übersetzungen und Übertragungen im 17. Jahrhundert vgl. Dirk Niefanger, Barock. Lehrbuch Germanistik. 2., überarb. und erw. Aufl., Stuttgart 2006, S. 108. 14 Zutreffend formulierte schon Karl Otto Conrady, Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, Bonn 1962 (= Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur, Bd. 4), S. 190: „Viele Lyrikübertragungen der deutschen Literaten des 17. Jahrhunderts tendieren auf eine Neuschöpfung in der eigenen Sprache. Das Vorgegebene soll umgesetzt werden in ein Gebilde deutscher Zunge, das jene Kunstform trägt, die man an der vorbildlichen, in unserem Fall lateinischen,

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Boris Dunsch

Erfinden“, und wird auch als solche verstanden und honoriert. 15 Nicht zuletzt leisteten gerade diese imitationes, Adaptionen, Übertragungen und Übersetzungen einen nicht geringen Beitrag zum „Ausbau einer nationalen Identität im Wechselspiel von Anlehnung und Abgrenzung“. 16 Freilich steht hierbei die schulmäßige Übersetzung verbum pro verbo am Anfang, aber nur, um am Ende einer erfolgreichen Ausbildung abgelöst zu werden von der freien Kombination der dem Bildungsinventar eingeformten res et verba – „ein Verfahren künstlerischer Textherstellung, das sich fremde Werke mehr oder weniger vollständig aneignet“. 17 14F

15F

16F

Für die Zusammenstellung von Sentenzen eignen sich allerdings nicht alle antiken Autoren in gleicher Weise. Hat der Autor nicht selbst bereits Sentenzen produziert, so bedeutet das Heraustrennen solcher Sinneinheiten aus dem größeren Werkzusammenhang, dem sich der Imitator gegenübersieht, stets den ersten Schritt in einem Prozess der mehr oder weniger umfangreichen Veränderung seiner Vorlage; Dekontextualisierung ist immer auch Interpretation. Das Absehen vom Kontext 18 ist beim Textproduktionsmodell der imitatio ebenso konstitutives Moment wie die Option der Weiterbearbeitung. 19 17F

18 F

___________ Dichtung beobachtet und gelernt hat. […] So ist es verständlich, wenn nicht selten eine Gegenüberstellung von Vorlage und übersetzender Nachdichtung mehr Verschiedenheiten als Übereinstimmungen ergibt.“ Vgl. auch Volker Riedel, Antikerezeption in der deutschen Literatur vom Renaissance-Humanismus bis zur Gegenwart. Eine Einführung, Stuttgart 2000, S. 80, der in ähnlicher Weise vom „Übergang von der Übersetzung und Bearbeitung zur originären Schöpfung“ spricht, der sich im 17. Jahrhundert ausgeprägter als im 16. verfolgen lasse. 15 Vgl. Jürgen H. Petersen, Mimesis – Imitatio – Nachahmung, München 2000, S. 149. Zum imitatio-Konzept in der Frühen Neuzeit umfassend Jeroen Jansen, Imitatio. Literaire navolging (imitatio auctorum) in de Europese letterkunde van de renaissance (1500-1700), Hilversum 2008, zur Praxis des Übersetzens bzw. Übertragens vgl. bes. S. 139-171. 16 Guillaume van Gemert, Fremdsprachige Literatur (Latinität und Übersetzungen), in: Albert Meier (Hrsg.), Die Literatur des 17. Jahrhunderts, München 1999 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 2), S. 286-299, hier S. 288. Vgl. auch Wilhelm Kühlmann, Nationalliteratur und Latinität: Zum Problem der Zweisprachigkeit in der frühneuzeitlichen Literaturbewegung Deutschlands, in: Klaus Garber (Hrsg.), Nation und Literatur in Europa in der Frühen Neuzeit. Akten des I. Internationalen Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Tübingen 1989 (= Frühe Neuzeit, Bd. 1), S. 164-206. 17 Heinz Entner, Paul Fleming. Ein deutscher Dichter im Dreißigjährigen Krieg, Leipzig 1989, S. 133. 18 Vgl. Gregor Vogt-Spira, Klage nach glücklicher Rettung. Lotichius, Elegie 1, 10, in: Ulrike Auhagen / Eckart Schäfer (Hrsg.), Lotichius und die römische Elegie, Tübingen 2001 (= NeoLatina, Bd. 2), S. 85-96, hier S. 90, Anm. 14. 19 Vgl. Gregor Vogt-Spira, Imitatio als Paradigma der Textproduktion. Problemfelder der Nachahmung in Julius Caesar Scaligers Poetik, in: Ludger Grenzmann [u.a.] (Hrsg.), Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1999 bis 2002, Göttingen 2004 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge, Bd. 263), S. 247-271, bes. S. 250-253.

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Valentin Francks Hecatombe

Ovid nun ist für eine solche Behandlung besonders gut geeignet, da er selbst bereits in seinen Werken „ein Schatzhaus der Lebens- und Weltweisheit“ und „eine stattliche Reihe sententiarum flores“ bietet. 20 Neben den Metamorphoses boten nicht zuletzt die erotischen Dichtungen Ars amatoria, Remedia amoris und Amores in der Praxis des grammatischen und rhetorischen Unterrichts des Mittelalters und der Frühen Neuzeit geeignetes Material zur Produktion allegorisch-moralischer und didaktischer Memorierstoffe ad usum Delphini. 21 Erasmus, Montaigne und Melanchthon, um nur einige wenige Autoren beispielhaft zu nennen, exzerpieren Ovid ausgiebig und verweisen an zahlreichen Stellen auf ihn. Für Melanchthon sind gerade die Metamorphoses nicht nur ein poetisch-rhetorisches Muster, sondern wegen ihres Reichtums an zahlreichen verschiedenen Wissensgütern geradezu ein thesaurus eruditionis. 22 So wundert es nicht, dass gerade Ovid-Verse in der Frühen Neuzeit von Schülern gern und regelmäßig in ihre loci-communes-Hefte eingetragen wurden. 23 Dies scheint, neben großen Sammlungen wie den Adagia des Erasmus, ein möglicher und plausibler Sitz im Leben für die Zusammenstellung(en) von Ovid-Stellen zu sein, die Franck neben seiner eigenen Lektüre, bei der er sicherlich auch auf die eine oder andere Lesefrucht gestoßen ist, für seine Hecatombe verwendet hat. 19F

20F

21F

2F

Germanicè imitatarum heißt es weiter im Titel, also „in deutscher Sprache nachgeahmt“. Dies trifft zwar zu, ist aber eine nur unvollständige Charakterisierung, da den deutschen Gedichten der Hecatombe in unregelmäßiger Abfolge auch solche in ungarischer, rumänischer und siebenbürgisch-sächsischer Sprache beigegeben sind, also in allen Sprachen, die in Francks Heimat gesprochen wurden. Da nun weder ihm selbst noch dem Drucker ein Versehen zu unterstellen ist, bedarf die Nichterwähnung der anderen Sprachen einer Erklärung. Wahrscheinlich werden die weiteren Sprachen im Titel deshalb nicht ___________ 20 So Franco Munari, Ovid im Mittelalter, Zürich 1960, S. 22. Ähnlich urteilte schon ein Zeitgenosse Ovids, Seneca der Ältere, über die Sentenzenfreudigkeit des Autors, die er mit leichtem Tadel hervorhebt; vgl. die Stellen bei Wilfried Stroh, Ovid im Urteil der Nachwelt. Eine Testimoniensammlung, Darmstadt 1969, S. 5-8. Einen hilfreichen Gesamtüberblick über die OvidRezeption bieten jetzt die einschlägigen Beiträge in: John F. Miller / Carole E. Newlands (Hrsg.), A Handbook of the Reception of Ovid, Chichester 2014. 21 Vgl. jüngst Nóra Fodor, Weisheitsliteratur in Übersetzungen vom Westen nach Osten – letztendlich ein Kreis in dem europäischen Kulturkreis, in: Acta Antiqua Hungarica 47 (2007), S. 99115 (mit weiterer Literatur), hier S. 100f. 22 Vgl. Albrecht (wie Anm. 5), S. 287 (dort das Melanchthon-Zitat). 23 Zu dieser Praxis vgl. z.B. die anschauliche Schilderung bei Entner (wie Anm. 17), S. 51, und vgl. Sabine Vogel, Kulturtransfer in der frühen Neuzeit, Tübingen 1999 (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, Bd. 12), S. 184-208. Wichtig ist auch der Überblicksaufsatz von Ann Blair, The Rise of Note-Taking in Early Modern Europe, in: Intellectual History Review 20 (2010), S. 303-316. Vgl. auch Gilbert Heß, Fundamente fürstlicher Tugend. Zum Stellenwert der Sentenz im Rahmen der voruniversitären Ausbildung Herzog Augusts d. J. von Braunschweig-Lüneburg (1579-1666), in: Frank Büttner / Markus Friedrich / Helmut Zedelmaier (Hrsg.), Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit, Münster 2003 (= Pluralisierung und Autorität, Bd. 2), S. 131-173.

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erwähnt, weil sie nicht durchgängig, sondern nur an einigen Stellen und unregelmäßig verwendet werden und weil, wie es scheint, die deutschen Texte (und nicht die lateinischen) jeweils zur Grundlage der Bearbeitung in den weiteren Sprachen gemacht wurden. Die Hecatombe wurde, zumal in der jüngeren Forschung, wenig beachtet und vor allem in ihrer Bedeutung für das Verständnis der literarischen Kultur in Siebenbürgen im ausgehenden 17. Jahrhundert nicht immer ausreichend gewürdigt. Besonders hervorgehoben seien an dieser Stelle die rumänischen und siebenbürgersächsischen Texte in Francks Florilegium. Das Rumänische wurde zu Francks Zeit von den in Siebenbürgen lebenden walachischen Bauern und den südlich des Roten-Turm-Passes, einem bedeutenden Handelsweg durch die Südkarpaten, lebenden Rumänen gesprochen und war vor dem Erscheinen seiner Sentenzensammlung, abgesehen von einzelnen Predigt- und Chroniktexten, noch kaum verschriftlicht oder in Druckform publiziert worden. Wenige Jahre zuvor erst hatte Miron Costin die ersten uns bekannten weltlichen Gedichte in rumänischer Sprache verfasst. 24 Gleiches gilt für das Siebenbürgersächsische, von dem nur dreizehn Jahre vor der Publikation der Hecatombe in Johannes Trösters Alt- und Neu-Teutsches Dacia (Nürnberg 1666) zum ersten Mal Textproben in Form von Wortlisten im Druck publiziert worden waren. 25 23F

24F

___________ 24 Bezeichnenderweise handelt es sich auch hier größtenteils um Ovid-Rezeption, vgl. Alexandru Piru, Istoria literaturii române, Bukarest 2001, S. 18, der Franck nicht erwähnt. Die Hecatombe wird kurz gewürdigt von Nicolae Lascu, Ovidiu în opera lui Miron Costin, in: Transilvania 72 (1941), S. 706-717, bes. S. 707, Anm. 2, und ders., Ovidiu în Romînia, in: Publius Ovidius Naso XLIII î.e.n. - MCMLVII e.n., Bukarest 1957, S. 333-580, bes. S. 335 und 375f.; ebenso finden sich kurze Erwähnungen der Hecatombe in jüngerer Literatur, z.B. Ştefan Cucu, Publius Ovidius Naso şi literatura română, Constanţa 1997, S. 24. Ungenau äußert sich Theodore Ziolkowski, Ovid and the Moderns, Ithaca [u.a.] 2005, S. 113, wenn er von „a few lines by Ovid“ spricht, „apparently the first translation of any Latin text into Romanian“, die „in an anthology published at Sibiu by Valentin von Franckenstein“ erschienen seien. Dies wird der herausragenden kulturhistorischen Bedeutung der Hecatombe nicht gerecht. Eine ausführliche Würdigung erfahren Valentin Francks Werke bei Stefan Sienerth, Beiträge zur rumäniendeutschen Literaturgeschichte, Cluj-Napoca 1989, bes. S. 24, 39, 42f., 83-85, und durch Horst Fassel, Ovid als literarische Gestalt in der rumänischen, der rumäniendeutschen und in den beiden deutschen Literaturen bis 1989, in: Philologica Jassyensia 4 (2008), S. 47-67, bes. S. 53-57. Zu Miron Costin vgl. Mihaela Paraschiv, Ovidius în opera lui Miron Costin. 2000 de ani de la exilarea lui Ovidius la Tomis (8 p.C.), in: Analele Științifice ale Univ. „Al.I.Cuza“ Iași, Secţiunea Literatură, 52/53 (2006/7), S.112-120. 25 Johannes Tröster versuchte, über Sprachähnlichkeiten mit dem Gotischen eine direkte Abstammungslinie von den Siebenbürger Sachsen zu den Goten zu ziehen (die in der Forschung sogenannte „Goten-Geten-Daken-Sachsengleichung“) – eine Ansicht, der übrigens Valentin Franck in seinem Breviculus Originum Nationum, & praecipue Saxonicae in Transilvania (Klausenburg 1697) widersprach. Eine Einordnung des Breviculus und der historiographischen Verdienste Francks bietet Edit Szegedi, Geschichtsbewusstsein und Gruppenidentität. Die Historiographie der Siebenbürger Sachsen zwischen Barock und Aufklärung, Köln 2002 (= Studia Transylvanica, Bd. 28), S. 361-370. Bekannt ist auch ein gedrucktes Kasualcarmen, ein Glückwunschgedicht des Kronstädters Paul Francisci, in siebenbürgisch-sächsischen Versen aus dem Jahre 1668, vgl.

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Valentin Francks Hecatombe

Diese Polyglossie ist an sich nichts Ungewöhnliches. So führt etwa Jacob Cats (1577-1660) in seinem Proteus ofte Minnebeelden verandert in Sinnebeelden (Rotterdam 1627) zu jedem Bild Interpretationen nach drei Gesichtspunkten durch, und zwar mit Bezug auf das Verhalten in der Liebe, in der allgemeinen Lebensführung und in der Religion (amatorium, morale, sacrum), jeweils in Hinsicht auf Jugend, Mannesalter und Greisenalter. Diese drei Aspekte werden jeweils in drei Sprachen behandelt, auf lateinisch, holländisch und französisch. 26 In den Quinti Horatii Flacci Emblemata des Otho Vaenius (1556-1629) werden Horaz-Sentenzen emblematisiert und danach durch Verse in italienischer, holländischer und französischer Sprache variiert. 27 Von Martin Opitz erschien 1644 eine Sammlung von Epigrammen ex vetustis et recentioribus Poetis, wie es im Titel heißt, denen jeweils eine deutsche Übertragung in Versform beigegeben war. 28 Von besonderem Interesse im Zusammenhang mit der Hecatombe ist allerdings der dreisprachige sogenannte „Klausenburger Prosa-Cato“, der 1620 anonym in Klausenburg erschien und in dem ohne vorhergehendes Proömium oder Einleitung die lateinischen Verspaare der Disticha Catonis ins Ungarische und Deutsche übertragen werden. 29 25F

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27F

28F

Ein Werk wie die Hecatombe wirft eine Vielzahl von Fragen auf. So könnte man es z.B. als polyglotte Ovid-imitatio vor dem besonderen kulturellen Hintergrund Siebenbürgens untersuchen oder auch, ausgehend von den lateinischen Ausgangstexten, die Kriterien zu rekonstruieren versuchen, die bei der Auswahl der Sentenzen zugrunde gelegen haben könnten. Auch könnte man überprüfen, inwieweit der von Franck abgedruckte lateinische Text von der modernen OvidVulgate abweicht, und versuchen, mögliche Gründe hierfür zu finden. Weiterhin könnte man die Disposition des Zieltextes, also der Übertragungen, nach thematischen und formalen Gesichtspunkten analysieren. Schließlich könnte man auch versuchen, Hypothesen zur Funktion der Hecatombe zu formulieren – also zu untersuchen, welche Absichten Franck zur Abfassung der Schrift und Zusammenstellung dieser Kollektaneen veranlasst haben mögen. Einige dieser ___________ Oswald Kessler, Umb das Gemeinde Wesen hab ich mich sehr bemuehet. Vor 300 Jahren starb der Sachsencomes Valentin Franck von Franckenstein, in: Siebenbürgische Zeitung, 31.10.1997, S. 5. 26 Zum Proteus vgl. die Kurzbeschreibung in: Arthur Henkel / Albrecht Schöne (Hrsg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1996, S. xl-xli. 27 Vgl. Leonard Forster, Fremdsprache und Muttersprache: Zur Frage der polyglotten Dichtung in Renaissance und Barock, in: Neophilologus 45 (1961), S. 177-195, hier S. 179f. 28 [Martin Opitz.] Florilegium | Variorum | Epigrammatum | Mart. Opitius | Ex vetustis ac recentioribus Poetis | congessit | & versibus Germanicis reddidit. | Francofurti, | Typis excusum Wolffgangi Hoffmanni, | Impendio Thomae Matthiae Götzii, | Anno M.DC.XXXXIV. 29 [Disticha Catonis,] Libellus | Elegantissimus, | qui inscribitur Cato, de prae- | ceptis vitae communis. | Igen szép köny- | vetske, mely Catonak neveztetik, | az közönséges jó életnek | oktatásáról. | Ein schön Büchlein | welches | man Cato nennet | von der unterwei- | sung gemeines lebens. Claudiopoli, | Typis Heltanis | Excudebat Ioannes R. Makaí. 1620. Eine moderne Ausgabe und genauere Untersuchungen dieses Werkes, das im 17. Jahrhundert in Siebenbürgen mehrfach aufgelegt wurde, sind ein Desiderat.

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Fragen sollen in der vorliegenden Studie zumindest ansatzweise behandelt werden. Zunächst wird im Folgenden untersucht, welche Funktion die Hecatombe gehabt haben könnte. Um diese Frage besser beantworten zu können, sei hier zunächst ein Überblick über Valentin Francks Leben und Werke gegeben. II. Der Autor der Hecatombe ist eine angesehene Persönlichkeit seiner Zeit im Karpatenraum: 30 Valentin Franck der Jüngere, seit 1692 als Franck von Franckenstein von Kaiser Leopold I. nobilitiert. Geboren wurde er 1643 als Sohn Valentin Francks des Älteren (1590-1648), des Bürgermeisters von Hermannstadt (Sibiu) im Süden Transsilvaniens, einer Region Europas, die schon lange durch eine große ethnische Vielfalt 31 und ein Mit- und Nebeneinander verschiedener Kulturen, Sprachen und Religionen gekennzeichnet ist. 32 Es kann nicht erstaunen, dass in diesem geographischen Raum eine Vielzahl von ethnischen und religiösen Überschneidungen, 33 ein multilateraler Kulturtransfer von einiger Intensität, 34 mannigfaltige Akkulturationsprozesse, 35 vielfältige soziokulturelle Wechselwirkungen und unzählige Wege und Arten der individuellen wie kollektiven Kontaktnahme und Bildung von regionalen und überregionalen Netzwerken zu beobachten sind. 29F

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3F

34F

Valentin Franck der Ältere stieg weiter auf und wurde 1645 Comes der sächsischen Nation. Als der Vater nur wenige Jahre später starb (1648), war sein Sohn erst viereinhalb Jahre alt. So wuchs der Junge als Halbwaise auf und besuchte zunächst die Schule seiner Heimatstadt. Mit 22 Jahren wurde er 1665 an der Universität Altdorf immatrikuliert, wo er u.a. Beziehungen zum Pegnesi___________ 30 Eine umfassende Biographie Valentin Francks d.J. liegt bisher nicht vor; vgl. einstweilen v.a. Hajek (wie Anm. 2), S. 12-37, an dem sich z. B. auch Kessler (wie Anm. 25) orientiert. Vgl. außerdem Răzvan Stoica, Valentin Franck von Franckenstein, ein Würdenträger, Wissenschaftler und Spruchdichter, in: Wittstock / Sienerth (wie Anm. 8), S. 265-270. 31 Vgl. dazu z.B. Harald Roth, Kleine Geschichte Siebenbürgens. 3., aktualisierte Aufl., Köln 2007, S. 68-78. 32 Vgl. v.a. die grundlegende Studie von Krista Zach, Humanismus und Renaissance in Siebenbürgen. Über ihre Voraussetzungen und Wege der Entfaltung in einer Randzone (15./16. Jahrhundert), in: Ungarn-Jahrbuch 10 (1979), S. 163-224, hier S. 166: „Hier überkreuzten sich die Trennungslinien zwischen abendländisch-katholischer (seit dem 16. Jahrhundert auch protestantischer) und griechisch-orthodoxer (seit dem 15. Jahrhundert in weiterem Sinne auch der orientalischislamischen) Welt.“ 33 Vgl. Volker Leppin / Ulrich A. Wien (Hrsg.), Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2005 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 66). 34 Vgl. Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hrsg.), Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance, Stuttgart 2004 (= Contubernium, Bd. 62). 35 Vgl. Ulrich A. Wien / Krista Zach (Hrsg.), Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert, Köln 2004 (= Siebenbürgisches Archiv, Bd. 37).

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schen Blumenorden pflegte und schon 1666 mit einer Schrift De aequitate („Über die Billigkeit“) promoviert wurde. Er kehrte nach Siebenbürgen zurück und heiratete 1668 eine Stolzenburger Pfarrerstochter. Es sind die ersten Jahre seiner ersten Ehe (1693 wird der Witwer noch einmal heiraten), in denen sowohl seine Karriere als auch seine Publikationstätigkeit Kontur gewinnen. Das erste uns bekannte Werk ist der 1670 publizierte Breviculus pyrotechnicus memoriae artificum in ea re commendatus. Diese Arbeit beschäftigt sich mit artilleristischen Fragen, der Konstruktion von raketenartigen Geschossen und der Herstellung der für diese Zwecke benötigten Treibstoffe. 36 Bedauerlich ist der Verlust des ersten uns bekannten dichterischen Werkes, Hundert sinnreiche Grabschriften, die 1677 in der Jünglingschen Druckerei erschienen und von dem sich nur Bruchstücke erhalten haben. 37 35F

36F

Wenig später, im Jahre 1679, wurde Franck Burgvogt und Mautherr des bereits erwähnten Roten-Turm-Passes und bekleidete damit eine nicht zuletzt auch wirtschaftlich wichtige Stellung innerhalb Hermannstadts. 38 Gerade in dieser Zeit entsteht die Hecatombe. Im selben Jahr publiziert er auch den Favor Aonius, der ehrende Huldigungen seiner Gönner und Freunde an ihn enthält. Das erst weit später, nämlich 1692, erschienene Rosetum Franckianum ist ein ähnliches, aber viel umfangreicheres Werk. 39 Eine gerade auch im Zusammenhang mit der Hecatombe wichtige literarische Arbeit Francks ist die Übertragung des zehnstrophigen Hymnus de Vanitate Mundi des Franziskaners Jacopone da Todi († 1306) aus dem Lateinischen ins Deutsche und Ungarische, ein kleiner Druck, der einem der drei noch erhaltenen Exemplare der Hecatombe beigebunden ist und 1924 von Egon Hajek publiziert wurde. 40 Franck hat sich also nicht nur einmal als Übersetzer betätigt, sondern, was zeittypisch ist, sich offenbar mehrfach und an verschiedenen Autoren versucht. 41 37F

38F

39F

40F

___________ 36 Vgl. Doru Todericiu, Preistoria rechetei moderne. Manuscrisul de la Sibiu (1400-1569). Studiu critic şi prezentare istorică şi tehnică-ştiinţifică, Bukarest 1969, S. 331-333 (mit Abbildungen aus Francks Breviculus pyrotechnicus). Der Breviculus pyrotechnicus, der Hajek (wie Anm. 2), S. 24f. noch als „spurlos verschollen“ galt, ist bisher nur wenig untersucht worden. 37 Vgl. Hajek (wie Anm. 2), S. 25-27. 38 Vgl. Harald Roth, Hermannstadt. Kleine Geschichte einer Stadt in Siebenbürgen, Köln 2006, S. 107. 39 Vgl. hierzu Stefan Sienerth, Gelegenheitsgedichte; das Rosetum Franckianum, in: Wittstock / Sienerth (wie Anm. 8), S. 259-263. 40 Egon Hajek, Jacopone da Todi in Siebenbürgen. Ein Beitrag zur Hymnologie des 17. Jahrhunderts, in: Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde N. F. 42 (1924), S. 200-210. 41 Mit seiner Übertragung Jacopones trat er in einen Wettbewerb mit Martin Opitz, von dem, wie Hajek, Jacopone da Todi (wie Anm. 40), S. 203 referiert, eine deutsche Übertragung in den Geistlichen Poemata (also 1638) erschienen war und den Franck sowohl quantitativ (er übersetzt Jacopone nicht nur ins Deutsche, sondern auch noch ins Ungarische) als auch qualitativ (besonders durch seinen kunstvoll durchdachten Versbau, wie Hajek zeigt) zu überbieten suchte. Vgl. auch Alberto Martino, Die italienische Literatur im deutschen Sprachraum. Ergänzungen und Berichtigungen zu

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Als bedeutende wissenschaftliche Arbeit Francks erwähnt sei die einflussreiche Schrift Breviculus originum Nationum, & praecipue Saxonicae in Transsylvania, die 1697 erschien und von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) im Zusammenhang mit seinen Forschungen zur siebenbürgisch-sächsischen Sprache rezipiert wurde, ohne dass er, der wie Franck in Altdorf promoviert worden war, diesen persönlich gekannt zu haben oder mit ihm in Kontakt getreten zu sein scheint. 42 41F

Zu der Zeit war dieser schon längst, nämlich seit 1684, 43 Königsrichter und Comes der sächsischen Nation; zwei Jahre vorher war er schon Provinzialnotar geworden. In seinen 54 Lebensjahren hat der Stadtpatrizier Valentin Franck mithin alles erreicht, was ein Mann in seiner Position wohl zu erreichen hoffen konnte. Besonders hervorzuheben ist Francks Interesse für Kunst und Literatur, das er neben seiner politischen Arbeit mit Hingabe gepflegt zu haben scheint. Einige sprechen geradezu von einem „Musenhof“, mit dem sich Franck in Hermannstadt umgeben habe. 44 Vielleicht ist der Terminus ein wenig zu enthusiastisch, der Tendenz nach aber durchaus zutreffend. 42F

43F

Gewidmet ist die Hecatombe fünf Hermannstädter Patriziern, deren weitere Gunst sich Franck sichern möchte, wie er selbst in der Zueignung des Werkes schreibt. Im Einzelnen nennt er dann, noch bevor die eigentliche Sentenzensammlung beginnt, die betreffenden lokalen Honoratioren mit ihren in aller Ausführlichkeit aufgelisteten öffentlichen Ämtern, nicht ohne einem jeden noch ein individuelles lateinisches Preisgedicht im Umfang von jeweils zwei elegischen Distichen zu widmen: Jacob Schnitzler, Johann Haupt, Matthias Semriger, Christian Reichert und Georg Armbruster. An diese fünf Ehrungen schließt sich eine aus zwei kurzen Gedichten von zwei bzw. einem Distichon für den Perkolab (Burgvogt) im Roten Turm, also Valentin Franck selbst, an, die Marcus Fronius geschrieben hat. An dieser Stelle soll lediglich die allgemeine Zueignung an die fünf potentiellen Förderer, deren Gesamtheit Franck in zum ersten Wort des Werktitels passender Weise mit einem ebenfalls griechischen Begriff als Pentas, Fünfzahl, bezeichnet, untersucht werden, da sich aus ihr Schlüsse auf eine wichtige Intention, die Franck mit der Sentenzensammlung verfolgte, ziehen lassen, die durch eine genauere Betrachtung der sich anschließenden Einzelehrungen insgesamt bestätigt würden: ___________ Frank-Rutger Hausmanns Bibliographie, Amsterdam 1994 (= Chloe, Bd. 17), S. 418, Anm. 86, der allerdings bezweifelt, dass der Hymnus tatsächlich von Jacopone stammt. 42 Vgl. Helmut Protze, Leipzig und Siebenbürgen. Siebenbürger in Leipzig, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 19 (1996), S. 151-166, hier S. 154f. Zu diesem Breviculus vgl. auch oben Anm. 25. 43 Szegedi (wie Anm. 25), S. 361 Anm. 1121, korrigiert hier Hajek (wie Anm. 2), S. 30. 44 Vgl. z.B. Stoica (wie Anm. 30), S. 266.

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Pentadi | Patronorum ac Patrum | Sacrum esto! | In casto thalamo casta sum matre creatus | Sed mihi quid plures obstat habere patres? | Secundus supra trigesimum | volvitur annus | Patres conscripti, | à quo | piae memoriae | Naturalis meus pater | (cui in summis urbis nostrae functionibus successistis) | me orphanum quatuor annorum | reliquit, | qui | è sepulchro vestram implorat opem, | Ut me jam pro vestro agnoscatis, | quod et spero, | Sicuti hactenus factum est. | unde, | dum Gratiarum aliqua vixerit | et | Musae superstites fuerint | Semper honor vester, nomen laudesque manebunt. | Datum | Ex Castello Verestornyiensi, | Die ... Julij 45 1679. 4F

Der Pentade seiner Patrone und Väter, der Patroni und Patres, soll dieses Werk also gewidmet sein. Hier nun macht sich Franck die Ambiguität des lateinischen Wortes pater zunutze, das sich zum einen auf den leiblichen Vater, zum anderen aber auch auf die ‚Väter‘, Patrizier bzw. Rats- oder Senatsmitglieder (patres conscripti) eines Gemeinwesens beziehen kann, und gibt den Adressaten eine, freilich das decorum nicht verletzende, Probe seiner argutia: Er, Valentin Franck, in reinem Ehebett von reiner Mutter gezeugt, habe dennoch mehrere – nämlich die genannten fünf – Väter. Dies ist natürlich ein Paradoxon, dessen Doppeldeutigkeit Franck in einiger Breite ausführt: Sein natürlicher Vater, dem die Fünf in die höchsten Ämter der Stadt nachgefolgt seien, sei früh gestorben, und mit vier Jahren sei er dadurch zur Waise geworden. Nun erflehe der Vater sozusagen aus dem Grab heraus Hilfe: Die Widmungsträger sollten seinen Sohn gleichsam adoptieren. Das erhoffe er sich, und das sei – beeilt Franck sich zu ergänzen, um bei den Adressaten keinen Anstoß zu erregen – ja auch bisher geschehen. Daher würden, solange es auch nur noch eine der Grazien und Musen gebe, die Namen seiner Gönner stets geehrt und gepriesen werden. Nun befindet sich zu dieser Zeit Valentin Franck als Burgvogt am RotenTurm-Pass, den er am Ende der Zueignung eigens erwähnt, also bereits in einer herausgehobenen und nicht unbedeutenden Stellung. Überdies hat er längst eine eigene Familie. Dass er sich hier in die Rolle des hilflosen Waisenkindes begibt, das bei fünf Patriziern um Adoption nachsucht und um dessen Wohlergehen der verstorbene Vater noch aus dem Grab heraus sich sorgt, ist eine Pose, die er einnimmt, um dem Text sein Ziel, nämlich sich für seinen weiteren Aufstieg der Unterstützung der lokalen Einflussträger zu versichern, in möglichst unaufdringlicher und dennoch äußerst effektiver Weise einzuschreiben. So ___________ 45 Hajek (wie Anm. 2) merkt zu dieser Stelle an, dass in den noch bekannten Drucken der Hecatombe hier jeweils eine Zahl fehlt. Diese wurde wohl bei Übergabe an die Empfänger der Schrift, zuvörderst natürlich die Pentade der potentiellen Gönner, jeweils aktuell nachgetragen. Bei den uns erhaltenen Drucken handelt es sich also um solche, die nicht an den genannten Personenkreis verteilt wurden, sondern um Reserveexemplare.

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zeigt bereits diese Zueignung, wie die Funktion der Sentenzensammlung im sozialen Kontext Francks verortet ist. III. Nach einem Blick auf das soziale Umfeld, in dem und für das die Hecatombe verfasst wurde, soll nun kurz die Disposition des Florilegiums untersucht werden. Bis auf das Schmähgedicht Ibis stellt Franck, wie schon gesagt, in seinem Florilegium Verse aus allen Werken Ovids zusammen. Quantitativ lassen sich bestimmte Schwerpunkte ausmachen: Aus den Heroides exzerpiert Franck 22, aus der Ars amatoria und den Epistulae ex Ponto je 21 und aus den Amores 19 Stellen. Innerhalb dieser Schwerpunkte lässt sich wiederum eine spezielle Gewichtung erkennen, wenn etwa innerhalb der Gruppe der aus den Heroides gewonnenen Sentenzen der Brief der Helena an Paris mit neun Stellen besonders stark vertreten ist. Die Remedia amoris sind in einer Art Sentenzen-Nest (H. 38, 39 und 40 nach der Zählung von Franck; eine weitere Sentenz unter H. 55) mit insgesamt sieben Stellen ebenfalls, zumal im Verhältnis zu ihrem Umfang, auffallend stark vertreten. Erstaunen könnte bei diesem Befund zunächst die Tatsache, dass die Metamorphoses, für die man sowohl nach ihrem großen Versbestand als auch angesichts des hohen Grades ihrer Bekanntheit und Verbreitung eine starke Frequenz von Sentenzen erwartet hätte, mit nur neun (bzw. zehn, wenn man H. 89 [= H. 41] doppelt zählt), also vergleichsweise wenigen, Stellen vertreten sind. Hajek schließt aus dieser Häufigkeitsverteilung, dass Franck eine „offenkundige Abneigung gegen die sonst so beliebten Metamorphosen“ gehabt habe und vermutet, dass die bevorzugte Lektüre der Liebesdichtungen Ovids, die sich in dieser Häufung zeige, vor allem Francks epikureischer Haltung zuzuschreiben sei. 46 Dass dieser Schluss als Erklärung nicht weit trägt, zeigt schon der Umstand, dass Franck auch die Epistulae ex Ponto und die Fasti, das Kalendergedicht Ovids, in der Hecatombe häufiger benutzt als die Metamorphoses. 45F

Eher ist der seltenere Rückgriff auf die Metamorphoses dem Kollektaneencharakter der Hecatombe geschuldet, wie eine genauere Betrachtung der Sentenzen zeigt: Von den neun Stellen, die Franck aus den Metamorphoses herauszieht, sind nur zwei nicht von ihm gekürzt worden und bewahren ihre Gestalt als vollständige Hexameter. In den anderen sieben Fällen hat er die Verse durch Kürzung verändert. Anders verhält sich dies bei den Sentenzen, die Franck aus den elegischen Dichtungen Ovids entnommen hat. Bei den 120 elegischen Ovid-Auszügen hat er nur in 14 Fällen Kürzungen vorgenommen; 69 bestehen aus jeweils vollständigen Distichen. Wenn von ihm Einzelverse ___________ 46

Hajek (wie Anm. 2), S. 48.

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Valentin Francks Hecatombe

aus einem Distichon gelöst werden, dann in der Hauptsache Pentameter. Wo doch einmal gekürzt wird, geschieht dies hauptsächlich im Hexameter, kaum aber im Pentameter. Francks Verfahrensweise resultiert also nicht so sehr aus inhaltlichen Gründen, wie Hajek annahm, als vielmehr aus formalen, namentlich dem unterschiedlichen Charakter des stichisch verwendeten daktylischen Hexameters einerseits und elegischer Distichen andererseits. In der Hexameterdichtung kommt es regelmäßig zu Enjambements, so dass dort eine Aussage über mehr als einen Vers verteilt wird. 47 Entsprechend schwierig ist es für einen Benutzer dieses Versmaterials, einen Gedanken so aus dem fortlaufenden Verskorpus herauszupräparieren, dass einzelne Hexameter vollständig erhalten bleiben. Anders verhält es sich beim elegischen Distichon, in dem in der Regel ein abgeschlossener Gedanke satzförmig entwickelt wird, wobei der Pentameter häufig die Pointe bietet, die im Hexameter vorbereitet wird. 48 Wer für ein Florilegium ganze Verse oder Versgruppen herauspräparieren möchte, wird also für leicht zu bearbeitendes, unproblematisch zu isolierendes Versmaterial in der Tendenz eher zu elegischer Dichtung Rekurs nehmen, die dem pointiert Sentenziösen ohnehin affin ist. 46F

47F

Betrachtet man Francks Vorgehen, dann fällt in der Tat auf, dass er es weitgehend vermeidet, Verse unvollständig anzuführen, ja sogar um der Erhaltung des Versganzen willen bisweilen Wörter in der herauspräparierten Sentenz belässt, die in ihrem ursprünglichen Kontext eine konnektive Funktion hatten, die sie jetzt – im Rahmen der isolierten Lesefrucht – nicht mehr ausüben können. 49 Dennoch besteht zwischen den Sentenzen der Hecatombe ein Zusammenhang. Sie sind nicht einfach auf das Geratewohl zusammengestellt, sondern lassen sich, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen ist, in Gruppen zusammenfassen. 48F

___________ 47 Zu diesem metrischen Aspekt des Gattungsunterschieds vgl. z.B. von Michael von Albrecht, Römische Poesie. Texte und Interpretationen. 2., erg. Aufl., Tübingen [u.a.] 1995 (= UTB, Bd. 1845), S. 78. 48 Dies trifft in besonderem Maße auf die Gestaltung der elegischen Distichen Ovids zu, vgl. John Barsby (Hrsg.), Ovid. Amores I, Bristol 1979, S. 19-23, wo Barsby u.a. feststellt, dass bei Ovid (anders als noch bei Catull) die Sinneinheiten zur Kürze tendieren und man das elegische Distichon grundsätzlich als „a self-contained unit“ ansehen könne. Zu dieser literarästhetischen Thematik unter umgekehrtem Vorzeichen, nämlich im Kontext der Übertragung von Shakespeares Sonetten in neulateinischer Elegien bzw. Epigramme, vgl. auch Boris Dunsch, „The essential likeness under the semblance of diversity“. Alfred Thomas Barton’s Gulielmi Shakespeare Carmina, in: Sonja Fielitz (Hrsg.). Shakespeare’s Sonnets. Loves, Layers, Languages, Heidelberg 2010 (= Anglistische Forschungen, Bd. 411), S. 115-133, hier S. 120f. 49 Z.B. H. 100 (= Ov. Pont. 4, 9, 68): Et Majestatem res data dantis habet. Hier und im Folgenden werden die Werktitel antiker Autoren abgekürzt nach: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hrsg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Altertum Bd. 3, Stuttgart [u.a.] 1997, S. xxxvixliv.

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IV. Die Sentenzen der Hecatombe sind grob nach Themenbereichen gegliedert. 50 Als Klammer zwischen Anfang und Ende der Sammlung stehen die Themen Jugend und Ausbildung (H. 1) sowie Tod (H. 99), 51 wobei die abschließende Sentenz (H. 100) funktionalen Charakter hat und über die Hecatombe hinaus in das soziale Umfeld Francks weist, da sie dem Wert von Geschenk und Schenkendem gewidmet ist und auf den Effekt zielt, den das Büchlein als Gabe an die potentiellen Gönner Francks haben wird bzw. haben soll. Der erste Themenkreis behandelt Bildung, Wissbegier und ingenium (H. 1-7), der zweite soziale Herkunft, Stellung und Ehre (H. 8-11), der dritte Zeitkritik (H. 12-24), der vierte dann innere Motivation und Freude (H. 24-28), darauf der fünfte zunächst die Tugenden (H. 29-37) und dann die Laster (H. 38-41), woran sich weitere Themenblöcke mit moralischen Betrachtungen zu Recht und Unrecht (H. 68-74), Lebensklugheit (H. 75-79), Neid (H. 80-82), Hoffnung, Erfolg und Enttäuschung (H. 83-93), Wert der Ruhe und Bedachtsamkeit (H. 94-95), der Größe königlicher Macht (H. 96), dichterischer Begabung und Dichterfleiß (H. 97-98) anschließen. 52 Die einzelnen Sentenzgruppen enthalten jeweils einen oder mehrere Textausschnitte aus dem Werk Ovids, an die sich eine oder mehrere Sentenzen Francks anschließen, die sich an Inhalt und Aussage der OvidStellen orientieren und zum Teil mit eigenen deutschen oder lateinischen Überschriften versehen sind. 53 Die Grundlage für Francks Verse bildet dabei in aller Regel der bloße Wortlaut des aus Ovid isolierten Textausschnitts und nicht dessen ursprünglicher Kontext. 54 Als Folge dieses Anordnungsprinzips spielt der Kontext der Ovid-Stellen in den jeweiligen Vorlagen keine Rolle, so dass Franck die genaue Herkunft der Verse auch nicht angibt. 49F

50F

51F

52F

53F

Die Ovid-imitationes stehen dem Inhalt der Ausgangstexte unterschiedlich nah. Bisweilen überträgt Franck beinahe wörtlich, oft aber bilden die OvidVerse den Ausgangspunkt mehr oder weniger frei assoziierter Variationen über dasselbe Thema, die einerseits knapper, andererseits aber auch deutlich um___________ 50

Vgl. Hajek (wie Anm. 2), S. 58. Dass diese Zählung unzutreffend ist, da es sich eigentlich um 98 Sentenzen handelt, wurde bereits weiter oben erwähnt; vgl. Anm. 7. 52 Eine etwas andere Gliederung schwebt Hajek (wie Anm. 2), S. 58, vor, dem sich Fassel (wie Anm. 24), S. 55, anschließt, der freilich einige Zweifel anmeldet, ob „der Aufbau dieser hundert zwei- und mehrsprachigen Versensembles tatsächlich nach einem festen Muster und mit einer linear nachvollziehbaren Absicht erfolgt ist oder ob nicht ein Pendeln zwischen Themen, Motiven und Klischees der Barockzeit“ festzustellen ist. 53 Z.B. das zweite deutsche Gedicht Francks unter H. 32, das die Überschrift trägt „Das Vnglück ist gemein“, oder die anonyme lateinische Zueignung des deutschen Gedichts unter H. 92 „Ad Gloriosum N.N.“ 54 Es gibt aber einige Ausnahmen, z.B. die Erwähnung Helenas im zweiten deutschen Gedicht unter H. 52, „Fiat Silogismus“, das zu einem Distichon aus dem Brief der Helena (Ov. epist. 17, 143f.) gesetzt ist, in dem der Name der Schreiberin nicht genannt wird. 51

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fangreicher ausfallen können als der von ihm zugrunde gelegte Text. 55 In die Ovid-Bearbeitungen nimmt Franck nach demselben Bearbeitungsprinzip auch Themen und Motive aus seiner eigenen Zeit mit anachronistischaktualisierendem Effekt hinein, etwa Christliches, 56 aber auch Bezugnahmen auf die verschiedensten weltlichen Dinge wie das Skatspiel, 57 die Karpaten 58 und ein Wirtshaus in Paris. 59 Im Folgenden sollen einige ausgewählte Sentenzen näher untersucht werden, um die oben skizzierten allgemeinen Beobachtungen mit Beispielen zu illustrieren. 54F

5F

56F

57F

58F

V. Die erste Sentenz (H. 1) 60 hat, wie deutlich zu erkennen ist, eröffnende Funktion: 59F

Coetera jam pridem didici juvenilibus annis Non tamen idcirco praetereunda mihi. Was ich auss deiner Brust Thalia hab gesogen Macht dass ich noch zur Zeit den Künsten bin gewogen Denn diese werthe Kost reitzt meinen Muth und Sinn Dass ich der Kindheit Fleiss noch unverdrossen bin. __________ 1 juvenilibus Franck: puerilibus edd. Ovidii 5 Kost Franck2 Hajek: Kunst Franck1

___________ 55

Für Letzteres sind besonders kennzeichnend unter H. 17 (= Ov. trist. 5, 14, 29) die Francksche Kurzfassung von zwei Versen und die in preziös-überbordendem Stil gehaltene Langfassung, die sich über 16 Verse erstreckt. 56 Z.B. H. 65 (der wahre Glaube); 66 (Pflichten eines Christenmenschen); 70 (Adams Kinder); 74 (Adam). 57 Zweites Gedicht zu Sentenz H. 79 (= Ov. rem. 421f.), wo es heißt: „Wie ein geringer trunff sticht manchen König ab | So kan ein kleiner Feind dich bringen in das Grab.“ 58 Z.B. Francks deutsches Gedicht unter H. 77 (= Ov. rem. 121f.), wo davon abgeraten wird, „im Winter auff hiesigen Carpat zu klimmen“. 59 Zweites Gedicht zu Sentenz H. 56, zu der Franck eine erklärende Anmerkung als Fußnote hinzugesetzt hat, aus der hervorgeht, dass es sich um eine (eigene?) Reiseerfahrung handelt. 60 Hier und im Folgenden werden die bei Hajek (wie Anm. 2) aus Franck übernommenen Nummerierungen der einzelnen sententiae nicht eigens noch einmal wiedergegeben, da sie aus dem Verweis auf die jeweilige Nummer (H.) im einleitenden Text hervorgehen. Der Text der Hecatombe folgt in Textgestalt, Orthographie und Kolometrie der Ausgabe von Hajek (wie Anm. 2), abgesehen von den Umlauten e über a und e über u, die als ä und ü wiedergegeben werden. Die Ovid-Zitate Francks wurden mit der heute benutzten Ovid-Vulgate (im Apparat summarisch als edd. Ovidii bezeichnet) abgeglichen, wie sie durch folgende Ausgabe repräsentiert wird: Edward J. Kenney (Hrsg.), P. Ovidi Nasonis Amores, Medicamina faciei femineae, Ars amatoria, Remedia amoris, Oxford 1995. Die von heutigen Gepflogenheiten abweichenden barocktypischen Varianten der Schreibung mancher lateinischen Wörter folgen dem Text bei Hajek und werden nicht eigens kommentiert.

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Hier lässt sich zweierlei beobachten. Zunächst wird deutlich, dass die Übertragung ins Deutsche, die Franck vornimmt, keine wörtliche ist, sondern eine freie und erweiternde Bearbeitung nach dem Prinzip der amplificatio. Immerhin scheint der inhaltliche Kern der ovidischen Sentenz recht genau getroffen zu sein. Freilich scheint dies nur so: Schaut man auf den Kontext der Stelle in Francks Vorlage, Ovids Kalendergedicht, den Fasti, so geht es dort um die Kenntnisse ätiologischer Mythologie im Zusammenhang mit einer bestimmten Kultvorschrift für römische Frauen (fast. 6, 417-460) und nicht wie hier bei Franck um das Erlernen der Dichtkunst, die durch eine der Musen, Thalia, repräsentiert ist. Das Wort „coetera“ („die übrigen Dinge“), das bei Ovid den Übergang zwischen dem vorigen (fast. 6, 395-416) und dem neuen Abschnitt markiert, ist bei Franck völlig funktionslos, ja wirkt am Beginn einer Sentenzensammlung wegen seines hängenden Bezugs geradezu fehl am Platz. 61 Deutlich lässt sich bereits an diesem ersten Beispiel erkennen, bis zu welchem Grad Franck bereit ist, seine Ovid-Auszüge jeweils zu dekontextualisieren, um dadurch eine seinen Absichten besser entsprechende Sentenz zu generieren. 60F

Auch das Metrum wird nicht einfach übertragen, sondern der Vorlage geschickt anverwandelt. Statt elegischer Distichen benutzt Franck hier Alexandriner. 62 Das ist zu einer Zeit, in der Hexameterdichtung in deutscher Sprache noch unüblich war, durchaus nachvollziehbar, zumal er mit dem Metrum in etwa auf der gleichen Stilhöhe bleibt wie seine lateinische Vorlage und nach Martin Opitz’ maßgeblicher und repräsentativer Auffassung der Alexandriner den heroischen Vers der Griechen und Römer ohnehin geradezu ersetzen kann. 63 61F

62F

Auffällig ist überdies, dass Franck auch in den lateinischen Text seiner Vorlage eingegriffen hat. Statt des an dieser Stelle einhellig überlieferten „puerilibus“ findet sich bei Franck „juvenilibus“ mit der Folge, dass das Ausgesagte besser zu seiner eigenen Lebenssituation passt; denn es geht ja nicht um das, was Franck als ABC-Schütze (also ‚puer‘) gelernt, sondern um das, womit er sich als Gymnasiast und Student (also ‚juvenis‘) beschäftigt hat. 64 Zudem ist in 63F

___________ 61

Immerhin erfüllen die beiden Verse, zumindest bezogen auf den durch sie eingeleiteten Unterabschnitt, bei Ovid auch eine Art exordialer Aufgabe. 62 An anderer Stelle in der Hecatombe demonstriert Franck seine Virtuosität durch die Verwendung anderer Metren in kunstvoller Zusammenstellung, z.B. Amphibrachys, Daktylus, Jambus und Trochäus, jeweils teils katalektisch, teils akatalektisch. Die Einzelheiten der metrischen Gestaltung der Franckschen Ovid-imitationes bedürfen einer eigenen Untersuchung. 63 Vgl. Dieter Breuer, Deutsche Metrik und Versgeschichte. 4. Aufl., München 1999 (= UTB, Bd. 745), S. 170f. (dort auch das Opitz-Zitat). 64 Es bedürfte hier und an anderen Stellen, wo Franck einen anderen Text bietet als die OvidÜberlieferung, einer umfassenden Untersuchung der Ovid-Ausgaben, auf die Franck in seiner Zeit hätte zugreifen können, um zweifelsfrei festzustellen, ob diese Abweichungen schon in dem von

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dem von Hajek zugrunde gelegten Exemplar in Vers 5 das gedruckte „Kunst“ von einer zeitgenössischen Hand (Franck selbst?) in „Kost“ verändert worden, welches Wort er unter Berücksichtigung des vorher entwickelten Bildes vom Dichter Franck, der sich an den Brüsten der Muse Thalia nährt, mit Recht gegen die Drucktype in den Text setzt, da es mit dem Bild besser zusammenstimmt als „Kunst“. 65 64F

Die Sentenz H. 25 illustriert ein weiteres nicht selten zu beobachtendes Vorgehen Francks bei der Komposition seiner Hecatombe. Er versammelt häufig unter ein und derselben Nummer mehrere (bis zu vier) einzelne lateinische Sentenzen, die er gern auch, wie hier, aus zwei verschiedenen Werken Ovids herausgezogen hat, wie den Fasti (6, 463) und den Metamorphoses (7, 797): Interdum miscentur tristia laetis. § Gaudia principium nostri sunt saepe doloris. Nicht jauchze schönes Kind am Holder-stock entsprossen/ Denn nach dem Sonnenschein wird manche Flut ergossen Das Glück ist meistentheils des Vnglücks Anbeginn/ Vnd ändert wie der Mond das Antlitz und den Sinn. __________ 1 Scilicet interdum edd. Ovidii 3 saepe Franck: Phoce edd. Ovidii

Durch das Zusammenstellen zweier Verse aus verschiedenen Werken Ovids unter einem thematischen Aspekt – hier dem Umschlagen von Glück in Unglück – demonstriert Franck dem Leser seine umfassende Kenntnis des römischen Autors. 66 65F

Auch hier ist der lateinische Text den Bedürfnissen der Sentenzensammlung entsprechend eingerichtet. In dem aus den Fasti genommenen Vers fehlt der erste Fuß, wo sich bei Ovid ein „scilicet“ findet, das die Worte in den dortigen Kontext einbindet, im neuen Textumfeld aber funktionslos bliebe. Noch auffäl___________ Franck benutzten Ovid-Text vorlagen (und er sie also von dort aus lediglich in sein Florilegium transferiert hat) oder sie aber jeweils auf einen gezielten Eingriff Francks zurückgehen. 65 Vgl. Hajek (wie Anm. 2), S. 73, Anm. 1. Nicht zu klären ist freilich, ob es sich, wie Hajek ebd. vermutet, bei der korrigierenden Hand (die hier im Apparat mit Franck2 wiedergegeben wird) tatsächlich um die des Autors handelt. 66 Es sei hier dahingestellt, ob diese Zusammenstellung sich eigener Lektüre verdankt, was gut möglich ist, oder einer zeitgenössischen Ovid-Anthologie, einem oder mehreren loci-communesHeften aus Francks Schulzeit oder auch sonstigen Quellen zugewiesen werden kann. In dieser Frage zu genaueren Erkenntnissen zu gelangen, bleibt der weiteren Beschäftigung mit der Hecatombe vorbehalten.

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liger ist die Änderung des Vokativs „Phoce“, mit dem bei Ovid eine bestimmte Person angesprochen wird, in das metrisch gleichwertige, inhaltlich aber den Vers in eine allgemeingültige Sentenz verwandelnde Temporaladverb „saepe“, das in der Ovid-Überlieferung nicht vorkommt. Hier hat, so scheint es, Franck in den Text eingegriffen, um etwas, das bei Ovid nicht als Sentenz intendiert war, eben als eine solche einzurichten. Das nächste Beispiel (H. 47) zeigt, dass ein solcher Eingriff bisweilen auch Spuren im Druckbild hinterlassen kann, und zwar in Form waagerechter Auslassungsstriche: Faelix – – – – – – cui sua non feci dicere amica potest. Glückselig ist derselbe Mann Auff diesem Erden Plan Zu dem die Liebste sagen kann: Ich hab es nicht getan. Ungaricè. Boldogh ember bizonnyal Kit az Társa meg nem csal, Kinek az ő Agyassa, 67 Nem probáltam, mondhassa. 6F

Valach: Ferecsituj csel barbat Kara are pat kurat, Kuj nyevaszta poete zicse: 68 Nu am fakut, O voinicse! 67F

__________ 1 Felix qui quod amat defendere fortiter audet edd. Ovidii

Entsprechend dem weniger ernsten, etwas anzüglichen Inhalt der Sentenz (Ov. am. 2, 5, 9f.) wählt Franck hier in der deutschen Übertragung als Metrum einen vier- bzw. dreihebigen Jambus. Wieder ist der lateinische Text im Deutschen nicht einfach nur übersetzt, sondern erweiternd und assoziierend wieder___________ 67

Übersetzung Hajek (wie Anm. 2): „Ein glücklicher Mensch ist wahrlich der, den seine Liebste nicht betrügt, dem seine Bettgenossin sagen kann, ich hab es noch nicht probiert.“ 68 Übersetzung ebd.: „Glücklich ist der Mann, der ein reines Bett hat, dem die Gattin sagen kann, ich habe es nicht gemacht, o mein Held (Sieger?).“

Valentin Francks Hecatombe

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gegeben. Dies gilt auch für die ungarische und rumänische Übersetzung, die Franck folgen lässt. Auch hier hat Franck den lateinischen Text verändert, diesmal durch Weglassung des größten Teils des Hexameters, der vollständig lautet: „Glücklich, wer das, was er liebt, tapfer zu verteidigen wagt“. Das war dem Burgvogt als Respektsperson der Hermannstädter Gesellschaft wohl doch eine Spur zu gewagt, und so hat er diesen Verstoß gegen das decorum mit dem einfachsten Mittel überhaupt beseitigt: durch Ignorieren. So wird aus Ovid, dem Liebesdichter, der durchaus für handfesten Einsatz gegenüber Rivalen in der Liebe plädiert, ein Moralist, der zu weiblichem Sexualverhalten kritisch-belehrend Stellung nimmt. In der folgenden Sentenz (H. 75) geht es um die Tugend des Schweigenkönnens, die Franck seinem Publikum empfiehlt: Eximia est virtus praestare silentia rebus, Et contra gravis est culpa tacenda loqui. Der selb’ ist billich lobenswert der was verschweigen kann/ Hingegen steht ein Plaudermaul dem Menschen schändlich an. Hungar. Igen jeles dologh titkot el halgatni, 69 Ellenben nagy vétek mindent ki fecsegni. 68F

Saxon. E Klager moss werlich net allezegt rieden/ Noch allerloj Pedlen de ugen ausstrieden. Valach: Csinye are minte aore sze take 70 Si kend nu se kade nu tot greaszke. 69F

__________ 1 Eximia est Franck: Exiguast edd. Ovidii

Hier überträgt Franck seine Vorlage (Ov. ars 2, 603f.) zunächst recht textnah ins Deutsche, und auch die ungarische und rumänische Fassung folgen dem Sinn des lateinischen Textes ziemlich eng. Die vorliegende siebenbürgisch___________ 69

Übersetzung ebd.: „Eine vorzügliche Sache ist, ein Geheimnis zu verschweigen, / Dagegen ist es eine große Sünde, alles auszuplaudern.“ 70 Übersetzung ebd.: „Wer Verstand hat, hat zu schweigen, / Und wenn es sich nicht schickt, soll er nicht immer sprechen.“

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sächsische Version freilich entfernt sich etwas weiter von der Vorlage und verwendet im zweiten Vers ein recht eigenwilliges Bild, das auf eine andere Pointe hinausläuft als das Schweigegebot in den anderen Fassungen. 71 70F

Bemerkenswert ist an dieser Sentenz allerdings die Veränderung des lateinischen Textes: Das ovidische „exiguast virtus“ („es ist ein geringes Verdienst“) ist zu „eximia est virtus“ („es ist ein sehr großes Verdienst“) umformuliert und so im Sinn geradezu verkehrt worden. Damit wird die Aussage zugespitzt und moralisiert; sie erhält auf diesem Weg genau die Art von Sentenziösität, die im Rahmen der Hecatombe funktional ist. Es spricht viel dafür, dass eine Änderung wie diese nicht etwa auf ein Verschreiben oder Verhören oder auch eine fehlerhafte Erinnerung Francks oder einen Druckfehler Jünglings zurückzuführen ist, sondern in der Tat einen bewussten Eingriff Francks in den Vorlagentext darstellt. In H. 14 findet sich ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Stilhöhe von deutscher Ovid-imitatio und anderen Übertragungen, hier einer siebenbürgischsächsischen: Der in der Ovid-Sentenz (ars 2, 279f.) figurierende Homer taucht zwar in der hochdeutschen Fassung auf, aus der mundartlichen Version ist er jedoch verschwunden; zugleich ist der Ton der mundartlichen Verse insgesamt deutlich rauer: Ipse licet Musis venias comitatus Homere Si nihil attuleris ibis Homere foras. Wenn gleich Homerus selbst mit seiner Singereyen Zu mir gegangen kompt und wolte mich erfreuen Bringt er mir etwas, mit soll er willkommen seyn/ Wo nicht/ so bleib’ er dort und gehe nicht herein. Siebenb: Teütsch Et ess en wohres Wiürt dat ener dier do schmiert/ Et moch seiny wenn et well/ och diesto biesser fiert/ Weltau mir net met Gielt de lange Well verdreiwen Kostau met denyer Leokt fiür menyer Dir verbleiwen.

H. 23 ist ein gutes Beispiel für eine echte Ovid-Sentenz (trist. 5, 8, 15f.), also einen Sinnspruch, den schon Ovid als solchen intendiert und formuliert hat und ___________ 71 Das nicht leicht erschließbare Bild „allerlei Pfützen die Augen austreten“ bezieht sich auf die Schwierigkeit eines Marsches durch regennasses und schlecht oder nicht befestigtes Gelände und damit allgemein auf das Verrichten mühsamer und anstrengender Tätigkeiten. So verwendet es z.B. Francks Zeitgenosse Johannes Riemer (1648-1714) in einem unter dem Pseudonym Clemens Ephorus Albilithanus veröffentlichten Werk Der Politische Maul-Affe (Leipzig 1679), s. Helmut Krause (Hrsg.), Johannes Riemer. Werke. Bd. 1: Romane, Berlin 1979, S. 95, Z. 8-11.

Valentin Francks Hecatombe

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der nicht erst durch Veränderungen am Text zum Sinnspruch gemacht werden muss: Passibus ambiguis fortuna volubilis errat; Et manet in nullo certa tenaxque loco. Mit ungewissem Lauff weicht unser Glück von hinnen/ Vnd hemmet kein Bestand sein flüchtiges Beginnen/ Behalte die Fortun, sie hat nur vornen Haar/ Ob du sie wieder siehst/ stehts nacher in Gefahr. Item. Das Glück das rolt dahin gleich wie ein runder Ballē/ Vnd bleibt an keinem Ort dem Menschen zu gefallen/

Hier bietet Franck gleich zwei deutsche Fassungen und demonstriert dem Publikum auf diese Weise einmal mehr seine Virtuosität, zumal er sich in beiden gänzlich verschiedener Bilder bedient, um die von Ovid geäußerte Idee sinnfällig zu machen. H. 32 ist ein Beispiel für die bei Franck ebenfalls nicht selten vorkommende, ganz in der moralisierenden Ovid-Deutung seit dem Mittelalter stehende interpretatio Christiana Ovids: Scilicet adversis probitas exercita rebus Tristi materiam tempore laudis habet. Dess Creutzes stränge Zucht so manche Christen übet Giebt ursach dass man sie hernachmahls lobt und liebet. Vel. Durch so schmahl und raue Weg müssen wir in Himmel steigen/ Vnd der Frommigkeit Bestand durch dess Creutzes Last bezeugen/ Wer das alles überwindet der hat reiche Beut hiervon: Weltlich Ehr/ Gewissens-Freude/ und dess Himmels Ehren-Kron.

Geht es bei Ovid (trist. 5, 5, 49f.) mit einem sehr persönlich gefärbten Bezug auf seine in Rom gebliebene Gattin, die auf seine Rückkehr aus dem Exil in Tomi wartet, um die Standhaftigkeit Penelopes, die auf ihren Gatten Odysseus wartet, so behandelt Franck die Duldsamkeit des Christen, der durch standhafte Frömmigkeit „dess Himmels-Ehren-Krohn“ erlangen kann. Im letzten Beispiel (H. 3) sieht man, dass Franck bei seinen Adaptionen nicht nur, wie bei der soeben behandelten Sentenz zu beobachten war, dem Prinzip

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Boris Dunsch

der amplificatio folgt, sondern auch einmal aus sieben lateinischen Versen vier deutsche destillieren kann: Ingenium nobis molle Thalia fecit. § Scilicet ingenium placidâ mollitur ab arte Et studio mores convenienter eunt. § Artibus ingenuis – – – – – Pectora mollescunt asperitasque fugit. § Adde quod ingenuas didicisse fideliter artes Emollit mores nec sinit esse feros. Es zahmt die Edle Kunst der zarten Pierinnen Die grobe Bauren art und Tölpelhaffte Sinnen/ Wer nur den süssen Saft aus Claros möge kosten Dem wird der Muth poliert und kan nicht leichtlich rosten. __________ 8 Artibus ingenuis, quarum tibi maxima cura est edd. Ovidii

Diese Kondensation wird vor allem dadurch möglich, dass alle zitierten OvidStellen (epist. 15, 84; ars 3, 545f.; Pont. 1, 6, 7f.; Pont. 2, 9, 47f.) sich mit einem ähnlichen Thema beschäftigen: Der Umgang mit Dichtung und Dichten macht Menschen sanft und weich. Es ist an einer Stelle wie dieser, dass man sich fragt, ob eine derartige Zusammenstellung, die augenscheinlich durch die Schlüsselwörter ingenium und mollis ausgelöst ist, die in verschiedener Form in allen vier Sentenzen auftauchen, sich nun tatsächlich ausschließlich Francks eigener Lektüre verdankt oder zumindest teilweise einem loci-communes-Heft aus seinen Schul- oder Studienzeiten oder einer Ovid- oder allgemeinen Dichteranthologie entnommen ist. Zum Abschluss sei kurz nach dem Stellenwert der Hecatombe gefragt. VI. In einzelnen Aspekten der Hecatombe verfährt Franck durchaus nicht originell: Florilegien gab es lange vorher, zumal solche aus Ovid; auch gab es nicht wenige Sentenzensammlungen, denen Nachahmungen der exzerpierten Sprüche in Form eigener Anverwandlungen der zitierten Verse beigegeben waren, sogar solche in mehreren Sprachen. Originell ist Franck vielmehr zum einen in der bewussten Verschriftlichung und sich daraus ergebenden Aufwertung des Ungarischen, Rumänischen und Siebenbürgersächsischen zu Sprachen, in denen –

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wie Franck ja deutlich zeigt – gedichtet und publiziert werden konnte, und dies immerhin mit einem Anspruch, der es erlaubt, die so entstandenen Gedichte dem lateinischen Ausgangstext und seiner deutschen Übertragung an die Seite zu stellen. 72 In gewisser Weise kehrt er damit das Vorgehen seines großen Modells Ovid um, der ja von sich behauptete, im Exil Getisch und Sarmatisch gelernt und eine Apotheose des Augustus, verbunden mit einem Lobpreis des Tiberius und seiner Familie in getischer Sprache gedichtet zu haben (Ov. trist. 5, 12, 57f.; Pont. 13, 19-32): Franck als inverser Ovid. Zum anderen liegt die Bedeutung der Hecatombe in der Kombination der geläufigen Techniken der imitatio zum Zwecke der Komposition einer interessanten und außergewöhnlichen kleinen Schrift, die sowohl in ihrer Eigenwilligkeit, besonders hinsichtlich ihrer Technik von Dekontextualisierung und Rekombination, als auch in ihrer Polyglossie in der frühneuzeitlichen europäischen Ovid-Rezeption ihresgleichen sucht und zumal in der Barockliteratur Siebenbürgens einzigartig bleibt. 73 Damit ist Francks Leistung eine ausgezeichnete Illustration des ästhetischen imitatio-Prinzips, das er selbst im ersten Distichon der Widmung an den fünften Adressaten der Hecatombe formuliert hat: 71F

72F

Concipit haud dubiè flammas de lumine lumen 74 Ars est incentrix artis et ingenii. 73F

___________ 72 Dies impliziert eine Aufwertung der Nationalsprachen – ein Prozess, der zur selben Zeit in vergleichbarer Form auch in anderen Regionen Europas greifbar wird, z.B. in Schweden, vgl. Arne Jönsson, The Battle of the Muses. Language Policies and Literary Polemics in 17th-Century Sweden, in: Pär Sandin / Marianne Wifstrand Schiebe (Hrsg.), Dais Philēstephanos. Studies in Honour of Professor Staffan Fogelmark. Presented on the Occasion of his 65th Birthday. 12 April 2004, Uppsala 2004, S. 332-351. 73 Heinz Stanescu, Deutsches Barockschrifttum in Siebenbürgen, in: Leonard Forster (Hrsg.). Studien zur europäischen Rezeption deutscher Barockliteratur, Wiesbaden 1983 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Bd. 11), S. 81-104, hier S. 89, nennt die Hecatombe zu Recht „ein Opus, wie es nur das transylvanische Milieu hat hervorbringen können“. 74 Catharina Frehoff (Husum) danke ich für ihr Engagement bei zahlreichen Literaturrecherchen, Ulrich Rose (Greifswald) für bibliographische und andere Hinweise, guten Kaffee und viele anregende Diskussionen, nicht nur über die Hecatombe.

Reisebeschreibung und Landeskunde aus der Perspektive eines Diplomaten des 16. Jahrhunderts, übersetzt für den Leser des 19. Jahrhunderts Georg von Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen in der Taschen-Bibliothek der wichtigsten und interessantesten Reisen von Heinrich Joachim Jäck Von Axel E. Walter

I. Kurzbiographie Reichersdorffs und konfessionspolitische Rahmenbedingungen seines Werks Ungarn war seit 1526, seit der vernichtenden Niederlage des ungarischen Heeres gegen die Osmanen in der Schlacht bei Mohács, ein dreigeteiltes Land. Nach dem Tod des jungen Ludwig II. (1506-1526), König von Böhmen, Ungarn und Kroatien, auf der Flucht fiel die Stephanskrone an den Erzherzog von Österreich, Ferdinand, den Bruder der Königinwitwe Maria und späteren deutschen König und Kaiser. Allerdings wählte der ungarische Adel parallel den siebenbürgischen Woiwoden Johann Zápolya zum König von Ungarn und Kroatien. Dieses Doppelkönigtum führte in einen zwölfjährigen Bürgerkrieg, den erst 1538 der Vertrag von Großwardein beendete, mit dem bestimmt wurde, dass nach dem Tode von Johann Zápolya sein Königreich an Ferdinand fallen sollte. Dieser Vertrag freilich wurde niemals vollzogen, da das osmanische Heer unter Sultan Süleyman II., unter dessen Schutz sich Johann Zápolya 1528 gestellt hatte, nach dem Tod des Königs ins mittlere Ungarn vordrang und 1543 die Hauptstadt Buda einnahm. Dem habsburgischen königlichen Ungarn standen seitdem eine Provinz des Osmanischen Reiches mit den Zentren Buda und Temesvár sowie das Fürstentum Siebenbürgen als osmanischer Vasallenstaat gegenüber. 1 0F

___________ 1 Einführend Franz Brendle, Habsburg, Ungarn und das Reich im 16. Jahrhundert, in: Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hrsg.). Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Unter Mitarbeit von Wolfram Hauser, Stuttgart 2004 (= Contubernium, Bd. 62), S. 1-25. Vgl. auch, mit der grundlegenden Literatur im Anhang, den Beitrag von Márta Fata in diesem Band. – Die Standardeinführung in die Landesgeschichte stammt

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Die staatliche Teilung der Stephanskrone ging mit einer konfessionellen Auseinanderentwicklung einher. Seit den 1520er Jahren hatte zunächst die Lutherische Reformation in Ungarn Fuß gefasst, der sich große Teile des ungarischen Adels öffneten und die bald auch in den großen Städten im habsburgisch-ungarischen Königreich durchgesetzt wurde. Da Ferdinand, seit 1531 auch deutscher König, für den Kampf gegen die Türken auf die freigiebige Unterstützung der Reichsstände angewiesen war, duldete er die Lutheraner in seinem ungarischen Herrschaftsgebiet, machte ihnen über die Jahrzehnte sogar weitere Zugeständnisse und bestätigte 1558 als nunmehriger deutscher Kaiser ihre Bekenntnisschriften. 2 Im osmanischen Teil Ungarns und im Fürstentum Siebenbürgen dagegen gewann der Calvinismus seit den 1550er Jahren wachsenden Einfluss; in Siebenbürgen existierten daneben starke antitrinitarische Strömungen. 1568 erkannte das Edikt von Torda (dt. Thorenburg) unter König Johann Sigismund Zápolya die katholische, lutherische, reformierte und unitarische Kirche an und gewährte Religionsfreiheit. 3 Obwohl das Fürstentum Siebenbürgen damit in der Frage der konfessionellen Toleranz sehr viel weiter fortgeschritten war als das Heilige Römische Reich mit dem Augsburger Religionsfrieden, blieb es für die Reichsstände ein problematischer politischer 1F

2F

___________ von Harald Roth, Kleine Geschichte Siebenbürgens. 4., durchges. und aktualisierte Aufl., Köln [u.a.] 2012. 2 Einschlägig zur Geschichte der Reformation(en) in Ungarn und zum Entstehen sowie zu den Konflikten der Konfessionskirchen: Márta Fata, Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700, Münster 2000 (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 60). Dazu außerdem die jeweils gewichtigen Einzelstudien zur Konfessions- und Reformationsgeschichte Siebenbürgens im 16. und 17. Jahrhundert von Krista Zach, Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte, hrsg. von Joachim Bahlcke und Konrad Gündisch, Münster 2004 (= Religionsund Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa, Bd. 6). Als Überblick (und Einblick in die katholische Entwicklung) die beiden Aufsätze von János Karácsonyi, Geschichte des Bistums Siebenbürgen bis 1526, in: Joachim Bahlcke / Krista Zach (Hrsg.), Kirche, Staat, Nation. Eine Geschichte der katholischen Kirche Siebenbürgens vom Mittelalter bis zum frühen 20. Jahrhundert. Aus dem Ungarischen von Juliane Brandt [u.a.], München 2007 (= Veröffentlichungen des Instituts für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Bd. 98), S. 29-40; Ders., Die konfessionellen Verhältnisse in Siebenbürgen und den angeschlossenen Gebieten (1526-1571), in: Ebd., S. 41-52. Zum Vordringen und Einfluss des Calvinismus vgl. Márta Fata / Anton Schindling (Hrsg.), Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918. 2., unveränd. Aufl., Münster 2011 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Bd. 155). 3 Zum Edikt und seiner Bedeutung für die Erinnerungskultur dieser Region vgl. Julia Dücker, Das Religionsedikt von Thorenburg (1568), in: Joachim Bahlcke / Stefan Rohdewald / Thomas Wünsch (Hrsg.), Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, Berlin 2013, S. 874-882. – Grundsätzlich zu den konfessionspolitischen Entwicklungen in unserem Untersuchungszeitraum: Zoltán Csepregi, Konfessionsbildung und Einheitsbestrebungen im Königreich Ungarn zur Regierungszeit Ferdinands I., in: Archiv für Reformationsgeschichte 94 (2003), S. 243-275. Zur Einführung in die facettenreiche Gestalt des Bruders Karls V. Alfred Kohler, Ferdinand I. 1503-1564. Fürst, König und Kaiser, München 2003.

Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

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Bündnispartner: Zwar passte die strikte antihabsburgische Haltung der siebenbürgischen Fürsten den protestantischen Reichsständen bestens ins konfessionspolitische Kalkül, doch die enge Verbindung des Fürstentums mit dem Osmanischen Reich machte es angesichts der überkonfessionellen Einigkeit der Reichsstände in der Frage der Türkenabwehr schwierig, offene Bündnisse zu schmieden. 4 3F

Die politische Dreiteilung Ungarns, die konfessionelle Entwicklung, die angesichts der verbreiteten Angst vor einem weiteren Vormarsch der Türken selbst dem katholischen deutschen König bzw. Kaiser immer weitere Zugeständnisse an die Protestanten in seinem ungarischen Königreich abtrotzte, und schließlich die geopolitische Lage Ungarns als direkte Kontaktzone mit dem Osmanischen Reich bildeten die konfessionspolitischen Rahmenbedingungen für die 1550 erstmals publizierte Beschreibung von Siebenbürgen des aus Hermannstadt (heute rum. Sibiu) stammenden Georg (von) Reichersdorff (auch Reicherstorff, Reicherstorffer). 5 4F

Reichersdorff Lebensdaten sind unsicher, geboren wurde er wohl um 1495; Mitte des Jahres 1554 lebte er in wirtschaftlicher Not und Krankheit bei einer Tochter in Proßnitz in Mähren (heute tschech. Prostĕjov), bald darauf dürfte er verstorben sein. Über seine Jugend- und Studienjahre gibt es keine konkreten Informationen, wahrscheinlich hat er Jurisprudenz studiert. Denn 1522 wurde er Ratsschreiber in Hermannstadt, was allerdings nichts über einen Studienabschluss ableiten lässt. Doch von jetzt an hinterließ Reichersdorff datier- und lokalisierbare Spuren. 1525 ernannte ihn die ungarische Königin Maria zu ihrem Sekretär, zwei Jahre später empfahl sie ihn in die Dienste ihres Bruders Ferdinand. Im Juni 1527 wurde er zum königlichen Sekretär und Rat bestallt, kurz darauf trat Reichersdorff eine diplomatische Reise an den Hof des Woiwoden von Moldau, Petru IV. Rareş, und nach Siebenbürgen an. Ziel dieser Mission war es, zum einen die Unterstützung des Woiwoden für König Ferdinand zu gewinnen, zum anderen in Siebenbürgen die Stände und ___________ 4

Grundlegend: Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978. Zum Gesamtkontext: Klaus-Peter Matschke, Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege, Darmstadt 2004, für unseren Zeitraum insbes. das Kapitel „Der Türkenkrieg im 16. Jahrhundert: Dimensionen eines Weltkonflikts, S. 258-291. Vgl. auch unten Anm. 21. 5 Der erste biographisch-bibliographische Abriss stammt aus dem 18. Jahrhundert von: Johann Seivert, Nachrichten von Siebenbürgischen Gelehrten und ihren Schriften, Pressburg 1785, S. 343348. Dieser Artikel ging in erweiterter Form ein in: Josef Trautsch, Schriftsteller-Lexikon oder biographisch-literärische Denk-Blätter der Siebenbürger Deutschen. Bd. 3, Kronstadt 1871 (ND Köln u.a. 1983), S. 86-102. Ergänzungen bzw. Korrekturen zum Lebenslauf sind dann dem Aufsatz von Bernhard Capesius, Der Hermannstädter Humanist Georg Reicherstorffer, in: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 10 (1967), S. 35-62, zu verdanken, auch in: Ders. (Hrsg.), Sie förderten den Lauf der Dinge. Deutsche Humanisten auf dem Boden Siebenbürgens, Bukarest 1967, S. 109150. Die einzige monographische Abhandlung ist in der folgenden Anm. aufgeführt.

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Städte im Gebiet der Szekler und insbesondere der Siebenbürger Sachsen zur Treue auf den Erzherzog zu verpflichten. 6 Beides diente der Schwächung des (Gegen-)Königs Johann Zápolya. Reichersdorff gelang es zunächst, Kronstadt zur Anerkennung Ferdinands zu bewegen, in Hermannstadt jedoch musste er sich mit Hilfe von ihm angeworbener Söldner Eintritt verschaffen; im April 1528 verließ er die Stadt wieder. Seiner Mission blieb der Erfolg am Ende verwehrt, manche Zeitgenossen gaben seinem gewaltsamen Vorgehen sogar die Schuld an der Unterwerfung Siebenbürgens unter den Sultan. 7 5F

6F

Allerdings verblieb Reichersdorff nicht nur in königlichen Diensten, sondern behielt offenbar auch das Vertrauen der Habsburger. Seit 1529 wirkte er als Rat an der königlichen Kammer, der 1528 von Ferdinand für seine ungarischen Gebiete eingerichteten Zentralbehörde in Ofen. In den kommenden Jahren erfüllte er mehrfach Missionen für den König: So vertrat er 1530 dessen finanzielle Angelegenheiten in Olmütz und brach Ende 1634 noch einmal zu Verhandlungen mit dem Woiwoden von Moldau auf, um ein neues Bündnis gegen Johann Zápolya abzuschließen. Hatte ihn Kaiser Karl V. 1532 noch nobilitiert, erhielt Reichersdorff 1543 – für ihn offenbar völlig überraschend – seine Entlassung aus der Kammer, die nach der Eroberung des gesamten mittleren Ungarn durch das Osmanische Reich und nach dem Fall von Buda und Ofen nach Pressburg verlegt worden war. Wo er sich in den kommenden Jahren aufhielt, lässt sich nicht feststellen; inwieweit die Klagen über seine wirtschaftlichen und gesundheitlichen Zustände, die er in dem als Reaktion auf seine Entlassung an den König gesandten Bittbrief anstimmte, zutreffen, muss ebenfalls offen bleiben. 8 Erst 1550 gibt es wieder eine sichere Nachricht von ihm: In seiner in diesem Jahr gedruckten Chorographiae Transylvaniae datiert er den zweiten Widmungsbrief an Miklós Oláh (Nicolaus Olahus), seit 1543 Bischof von Agram und königlicher Kanzler in Ungarn, auf „Viennae Pannoniae, die vltima Aprilis, Anno M. D. L.“ 9 Die nächsten Lebensjahre verlieren sich wieder, bis er in Proßnitz verstirbt. 7F

8F

___________ 6 Dazu: Johann Karl Schuller, Georg Reicherstorffer und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte von Siebenbürgen in den Jahren 1527-1536, Wien 1859. 7 Ebd., S. 37f. 8 Zu seinen finanziellen Klagen vgl. ebd., S. 57. 9 Georg von Reichersdorff, CHOROGRAPHIA TRANSYLVANIÆ, QVÆ DACIA olim appellata, aliarumque prouinciarum & regionum succincta descriptio & explicatio. Georgio à Reychersdorff, Transyluano, autore. Cum gratia & priuilegio Rom. Regiæ Maiestatis, ad quinquennium, Wien: Egidius Adler 1550, Bl. Bijr. Benutzt wurde das von der Bayerischen Staatsbibliothek München digitalisierte Exemplar (http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10860284.html).

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Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

II. Reichspolitische Intentionen und machtpolitische Instrumentalisierungen der Chorographia Transylvaniae Nachruhm hat Reichersdorff nicht durch seine diplomatische Tätigkeit erworben, verdient hat er sich diesen durch zwei geographische Werke: die erstmals 1541 erschienene Moldaviae, quae olim Daciae pars, Chorographia, 10 die 1550 eine zweite Auflage erlebte, und eben die im gleichen Jahr gemeinsam mit dieser veröffentlichte Chorographiae Transylvaniae. 11 Um dieses Werk soll es nunmehr gehen. 9F

10F

CHOROGRAPHIA TRANSYLVANIÆ, QVÆ DACIA olim appellata, aliarumque prouinciarum & regionum succincta descriptio & explicatio. Georgio à Reychersdorff, Transyluano, autore. Cum gratia & priuilegio Rom. Regiæ Maiestatis, ad quinquennium. VIENNÆ AVSTRIÆ excudebat Egidius Aquila in Curia diuæ Annæ. Anno M. D. L.

So lautet das Titelblatt der schmucklosen und schmalen Schrift. Sie umfasst im Quartformat gerade einmal 27 Blatt. Mit fortlaufender Bogensignatur ist dieser ersten Ausgabe die Zweitauflage der Moldaviae […] Chorographia angefügt. Bis 1600 folgten zwei weitere Editionen, beide Male in Sammelschriften mit Reisebeschreibungen und -berichten über den ‚europäischtürkischen‘ Grenzbereich. In die 1595 in Köln veranstaltete Ausgabe der Tartariae Descriptio des königlich-polnischen Sekretärs und Diplomaten Marcin Broniowski († 1593) fand Reichersdorffs Chorographia Transylvaniae ebenso Eingang 12 wie fünf Jahre später in die vom französischen Diplomaten und Gelehrten Jacques Bongars (1554-1612) herausgegebene monumentale Sammlung Rervm Hvngaricarvm Scriptores Varii. 13 1F

12F

Die Rezeption setzte sich im 17. Jahrhundert fort, wenngleich unter anderen Maximen als in den beiden genannten Sammelbänden (darauf wird gleich noch ___________ 10 Moldaviae Qvae Olim Daciae Pars, Chorographia, Georgio A Reicherstorf, Transsylvano &c. Avtore, Wien: Johann Singrenius 1541. Ebenfalls digitalisiert von der BSB München, http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00021698/images/. 11 Zur Bedeutung von Reichersdorff in der Geschichte der Landesgeographie der Aufsatz von Fr[iedrich] Teutsch, Drei sächsische Geographen des 16. Jahrhunderts, in: Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde N.F. 15 (1879/80), S. 586-652. 12 Martini Broniovii, De Biezdzfedea, Bis In Tartariam Nomine Stephani Primi Poloniae Regis Legati, Tartariae Descriptio, Ante Hac In Lvcem Nvmqvam edita, cum tabula geographica eiusdem Chersonesus Tauricae. Jtem Transsylvaniae, Ac Moldaviae, Aliarvmqve Vicinarvm Regionvm succincta descriptio Georgii A Reichersdorff, Transsyluani, cum tabulis geographici tam Moldauiae, quam Transsyluaniae. Praeterea, Georgii Werneri De Admirandis Hungariae aequis hypomnemation, addita tabella lacus mirabilis ad Cirknitz, Köln: Arnold Mylius 1595, S. 25-45. 13 [Jacques Bongars,] Rervm Hvngaricarvm Scriptores Varii. Historici, Geographici. Ex veteribus plerique, sed iam fugientibus editionibus reuocati: Quidam nunc primum editi. Auctores exhibet pagina a praefatione proxima. Indices additi auctorum quos illi citant, vocum minus frequentium, & rerum memorabilium, Frankfurt am Main: Andreas Wechel 1600, S. 565-581.

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zurückzukommen sein). In dem Reichersdorff sehr wohlgesinnten Eintrag in der Allgemeinen Deutschen Biographie würdigt der Verfasser Friedrich Teutsch die Chorographia Transylvaniae wie folgt: Auf eigner Kenntniß beruhend, ist die letztere insbesondere ein außerordentlich werthvolles Werk, welches sowohl die humanistische Gedankenwelt des Schreibers wie die politische Lage des Landes und die Ziele Ferdinand’s erkennen läßt. […] Die Chorographie Siebenbürgens von R. hat Jahrhunderte lang spätern Geographen als Quelle gedient: Ortelius kennt sie, Mercator ist in Bezug auf Sie14 benbürgen zum Theil auf R. aufgebaut. 13F

Aber nicht nur die beiden genannten Geographen und Kartographen Abraham Ortelius (1527-1598) und Gerhard Mercator (1512-1594), sämtliche Herausgeber von Reise- und Länderbeschreibungen mit dem Itinerarium Germaniae Nov-Antiquae des Polyhistors Martin Zeiller (1589-1661) an der Spitze nutzen Reichersdorffs Chorographia als Quelle für Siebenbürgen. 15 1634 wurden große Teile des Textes außerdem in den Ungarn-Band der von Elsevier mit beachtlichem buchhändlerischen Erfolg gedruckten Reihe Respublica, Sive [auch: Et] Status […] aufgenommen, die Beschreibungen von ‚Staaten‘ aus Auszügen aus historischen und landeskundlichen Werken zusammenstellte. 16 14F

15 F

Reichersdorffs ‚eigene Kenntnisse‘ Siebenbürgens beginnen zweifellos in seiner Kindheit und Jugend sowie in den Jahren als Ratsschreiber in Hermannstadt, beschränken sich danach aber wohl weitgehend auf die Erfahrungen seiner einzigen – nachweisbaren – diplomatischen Mission von 1527 bis 1528. Diese Reise dauerte fast zehn Monate. Reichersdorff hat sie in seinem handschriftlichen Nachlass, der später über die Klosterbibliothek zu Ettal in die königliche, heutige Bayerische Staatsbibliothek in München gelangte, gut dokumentiert. Johann Christoph Freiherr von Aretin, seit 1802 in ebendieser Bibliothek tätig, edierte Teile der Gesandtschaftsakten, die vornehmlich aus von Reichersdorff selbst verfertigten Abschriften von Briefen und Mandaten bestehen, in zwei Teilen 1806 und 1807. Dabei ließ er andere Aufzeichnungen heraus – neben „einer Apologia Uladislai regis verschiedene von Reicherstorfer

___________ 14 Friedrich Teutsch, Reicherstorffer, Georg, in: ADB. Bd. 27, Leipzig 1888, S. 678. Der Verfasser dieses Artikels war übrigens ein gebürtiger Siebenbürger Sachse und wurde später Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Siebenbürgen. 15 Martin Zeiller, Itinerarium Germaniae Nov-Antiquae. Teutsches Reyßbuch durch Hoch vnd Nider Teutschland auch angräntzende/ vnnd benachbarte Königreich/ Fürstenthumb vnd Lande/ als Vngarn/ Siebenbürgen/ Polen/ Schweden/ Dennemarck/ [et]c. […], Straßburg: Lazarus Zetzner / Erben 1632. 16 Respvblica et Statvs Regni Hvngariae. Ex officina Elzeviriana. Cum Privilegio. M.D.C.XXXIV, S. 7-55

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gesammelte literarische Merkwürdigkeiten, ferner seinen Adelsbrief, und andre seine Person betreffende Aufsätze“. 17 16F

Seinen Reiseweg 1527/28 hat Reichersdorff in seinen Aufzeichnungen genau festgehalten, wobei die von ihm gemachten Angaben zu jeder Wegstrecke wohl Entfernungen spezifizieren, ohne dass das zugrundeliegende Maß eindeutig zu verifizieren ist. Der Weg des Trosses führte von Wien über Pressburg, Olmütz und Lemberg an den Hof des Woiwoden von Moldau in Hârlău (das Reichersdorff mit dem damals auch in Akten alternierend benutzen Namen Bachlovia bezeichnet). Das ist eine Strecke von etwa 1.200 Kilometern. Von dort ging es über Beretzk (heute Breţcu in Rumänien) zunächst nach Kronstadt, eine Gesamtstrecke von nochmals knapp 300 Kilometern, und schließlich nach Hermannstadt, die beiden Städte, in denen sich Reichersdorff zwischen Ende August 1527 und seiner nicht freiwilligen Abreise aus Siebenbürgen am 16. April 1528 hauptsächlich aufhielt. Zurück gelangte er in wenigen Tagen über Großwardein und Buda bzw. Pest nach Wien, von wo Reichersdorff direkt weiter nach Prag reiste, um sich wohl auch am kaiserlichen Hof zu verantworten. Dass seine Mission keineswegs uneingeschränkt positiv gesehen wurde, scheint die Formulierung anzudeuten, mit der er seine letzte Reisestation festgehalten hat: „Ex Vienna Pragam usque, ubi R. offendi“. 18 17F

Es ist nicht einzuschätzen, zumal angesichts der für ihn nicht ungefährlichen Lage nach seinem Einrücken in Hermannstadt, wie viel Zeit ihm seine politischen Geschäfte für die Vermehrung seiner bisherigen Erfahrungen in und die Aktualisierung seiner Erinnerungen an Siebenbürgen durch eigene Beobachtung ließen. Diplomatische Reisen in seiner Funktion als Kammerrat in Ofen und ebenso persönliche Besuche auf seinen Besitzungen, von deren Verlust er in seinem Bittbrief an König Ferdinand I. schrieb, sind bis 1541/43 nicht auszuschließen, sogar vorauszusetzen. Seine Chorographia Transylvaniae gehört zu dem weit gefächerten Genre der Reisebeschreibungen, das in diesem Fall in die Form einer Landeskunde überführt worden ist. Und so wie Reiseberichte stets vor, während und nach einer Reise entstehen, also keineswegs das Kriterium eigener Erfahrung bzw. persönlichen Augenscheins als ausschlaggebendes Merkmal auf sie angewandet werden kann, so hat auch Reichersdorff, zumal als gediegener Humanist, der seit Schulzeiten ad fontes zu gehen gelernt hatte, natürlich auf Quellen zurückgegriffen, die er in seinen Bericht einarbeitet. Er benutzt römische Geschichtsschreiber, antike Geographen und Poeten, die er mit seinen Notizen und Erinnerungen zusammenführt und in seinem Text ___________ 17 Acta legationis Georgii Reicherstorffer, Transylvani, Secretarii et oratoris regii etc. in praesens diarium congesta sub anno salutis MDXXVII, in: Joh. Chr. Freyherrn von Aretin (Hrsg.), Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek zu München. Bd. 6, München 1806, S. 629-668, hier S. 630. 18 Ebd., S. 652.

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nachweist. Was Reichersdorff 1550, also mehr als zwei Jahrzehnte nach seiner großen Siebenbürgen-Reise, in den Druck überführt, gibt aber nicht nur den gelehrten, stets um Quellentreue und präzises Wissen bemühten Humanisten zu erkennen, dem es darum geht, so exakt und objektiv wie es ihm möglich ist, den Zustand des Landes und seiner Städte zu beschreiben. Vielmehr befindet sich sein Bericht auf dem aktuellen zeitgeschichtlichen Stand. Nachrichten von den Feldzügen des türkischen Statthalters Lodovico Gritti und des moldauischen Woiwoden Stefan Mailat Mitte der 1530er Jahre oder über den Ausbau von Alba Iulia zur Residenz der Königinwitwe Isabella Jagiellonica seit 1541 und der Verweis auf den Neubau der Stadt- und Gymnasialbibliothek Kronstadt 1547 19 – dem spätesten in der Chorographia genannten Ereignis – müssen keineswegs auf eigener Erfahrung beruhen, ebenso gut (und wahrscheinlicher) hat Reichersdorff sie anderen Quellen entnommen, beispielsweise diplomatischen Berichten, persönlichen Korrespondenzen, etc. 18F

Die Forschung hat schon früher betont, dass Reichersdorff, der stets dem ‚alten‘ Glauben treu blieb, seine geographisch-landeshistorischen Interessen mit politischen Zwecken verband. 20 Dabei spielt in seine Schreibmotivation sichtbar die Sorge um die eigene Reputation mit hinein; sie war aber nur ein persönlicher Nebeneffekt. Als sein Werk erschien, hatte sich, nicht zuletzt durch die konfessionellen Entwicklungen, die ‚staatliche‘ Dreiteilung der Stephanskrone realpolitisch manifestiert, auch König Ferdinand schien sich damit arrangiert zu haben. Zumal er die Unterstützung der Reichsstände für den Türkenkampf immer wieder neu motivieren musste, was insbesondere die protestantischen Reichsstände betraf, deren wichtigster Verbündeter, der französische König, außerdem die Annäherung an die Hohe Pforte suchte. 21 Es ist gerade die zeitliche Distanz zwischen ‚eigener‘ Erfahrung des Ende der 1520er Jahre Reisen___________ 19F

20F

19 Zum Neubau der Bibliothek vgl. Ulrich A. Wien, Die Humanisten Johannes Hunterus und Valentin Wagner als Vertreter einer konservativen Stadtreform in Kronstadt, in: Volker Leppin / Ulrich A. Wien (Hrsg.). Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2005, S. 89-103, hier S. 94; zuvor unter dem Titel: „Sis bonus atque humilis, sic te virtusque Deusque/ Tollet in excelsum, constituetque locum“. Die humanistische Reformation im siebenbürgischen Kronstadt: Johannes Honterus und Valentin Wagner, in: Kühlmann / Schindling (wie Anm. 1), S. 135-150, die Passage hier S. 140. S. auch unten Anm. 39. 20 Ute Monika Schwob, Siebenbürgische Humanisten am Ofener Jagiellonenhof, in: Paul Philippi (Hrsg.), Siebenbürgen als Beispiel europäischen Kulturaustausches, Köln [u.a.] 1975 (= Siebenbürgisches Archiv, Bd. 12), S. 81-90, hier S. 89. Ebenso Norbert Kersken, Hofhistoriographen im frühneuzeitlichen Ungarn. Höfe – Historiker – Texte, in: Markus Völkel / Arno Strohmeyer (Hrsg.). Historiographie an europäischen Höfen (16.-18. Jahrhundert). Studien zum Hof als Produktionsort von Geschichtsschreibung und historischer Repräsentation, Berlin 2009 (= Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft, Bd. 43), S. 155-176, hier S. 163. 21 Dazu jetzt: Christine Isom-Verhaaren, Allies with the infidel. The Ottoman and French alliance in the sixteenth century, London [u.a.] 2011 (= The library of Ottoman studies, Bd. 30). Vgl. auch: Klaus Malettke, Die Vorstöße der Osmanen im 16. Jahrhundert aus französischer Sicht, in: Bodo Guthmüller / Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Europa und die Türken in der Renaissance, Tübingen 2000 (= Frühe Neuzeit, Bd. 54), S. 373-394.

Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

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den und der weiteren Entwicklung in Siebenbürgen vor dem Hintergrund der konfessionspolitischen Gemengelage in Europa im Druckjahr 1550, die Reichersdorffs Chorographia Transylvaniae, zumal mit dem Qualitätssigel humanistischer Genauigkeit versehen, zu einer politischen Schrift werden lässt, indem er für Siebenbürgen unbestreitbare Fakten und damit gültige Argumente liefert, die diesen ehemaligen Teil Ungarns als Teil des deutschen Kulturraums und deshalb als ein vor den Türken zu verteidigendes Territorium beweisen. Es ging ihm um den Schutz eines räumlich wie administrativ als eigenständig wahrgenommenen Siebenbürgen. Dafür setzt Reichersdorff auf die argumentative Funktion von Geschichte für die Politik, was er am Ende auch ganz gezielt zum Ausdruck bringt, indem er seine Schrift mit einer „Exhortatio Ad Sacram Regiam Maiestatem“ beschließt. Reichersdorff gab seinem gedruckten Werk also eine reichspolitische Dimension, die dann um 1600 leicht in eine konfessionsparteiische Perspektive europäischer Machtpolitik im Reich überführt werden konnte. In den beiden Sammlungen von Broniowski und Bongars spiegelt sich die konfessionspolitische Interessenkonstellation wider, die zwischen den europäischen Mächten in Ungarn und Siebenbürgen bestand und in deren Kontext Reichersdorffs Beschreibung (Wieder-)Verwendung fand: Nicht mehr nur der katholische habsburgisch-deutsche Kaiser, ebenso der katholische anti-habsburgische polnische König und insbesondere das unter Henry IV. zur Schutzmacht der europäischen Calvinisten aufsteigende, gleichfalls anti-habsburgische Frankreich schlossen in ihre politischen Planspiele das Osmanische Reich und dessen Grenzgebiete, allen voran Siebenbürgen, ein. 22 Broniowski hatte im Auftrag des polnischlitauischen Königs Stephan Bárthory, der dem siebenbürgischen Adel entstammte, erstmals 1578 sogar zwei diplomatische Reisen zu den Krimtartaren unternommen, um mit türkischer Billigung deren Unterstützung im bevorstehenden Krieg mit dem russischen Zarenreich auszuhandeln, und er hatte auf diesen Missionen die Voraussetzungen für die erste ausführliche Darstellung über die Krim erworben. 23 Bongars hatte 1585 eine (nicht abgeschlossene) 21F

2F

___________ 22 Einführend z.B. das Kapitel „Der mitteleuropäische Mächtekreis – konfessionelle Polarisierung, mächtepolitische Internationalisierung und langer Türkenkrieg“ in: Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1660, Paderborn [u.a.] 2007 (= Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, Bd. 2), S. 477-497. – Zu den konfessionspolitischen (Hintergrund-)Formationen dieser Machtpolitik um Ungarn vgl. die bekannte Studie von Graeme Murdock. Calvinism on the frontier. 1600-1660. International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania, Oxford [u.a.] 2000 (= Oxford historical monographs). 23 Zu ihm der Eintrag von Kazimierz Chodynicki, (sub verbo), in: Polski Słownik Biograficzny. Bd. 2, Kraków 1936 (ND Krákow 1989), S. 461f. Jetzt die neue polnische Edition seines Werks: Marcin Broniewski, Tartariae descriptio. Opis Tatarii. Przekład [Übersetzung] Ewa Śnieżewska. Red. Magdalena Mączyńska, Łódź 2011, dort v.a. die Einleitung in Leben und Werk von Stefan Albrecht, Życie i dzieło Martinusa Bronoviusa alias Marcina Broniewskiego.

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Mission nach Konstantinopel dazu genutzt, mehrere Monate durch Ungarn und Siebenbürgen zu reisen und dort römische Inschriften abzuschreiben, die er seiner Sammlung historischer und geographischer Beschreibungen hinzufügte. 24 Reichersdorffs Beschreibung Siebenbürgens vermittelte Beiden noch ein halbes Jahrhundert nach ihrer Erstveröffentlichung vermeintlich zuverlässige historische und geographische Kenntnisse, die nicht zuletzt für die diplomatische Praxis von Wert waren, eine Praxis, in der Geschichte und Landeskunde nunmehr eine konfessionspolitische Instrumentalisierung erfuhren. Das konfessionelle Element verschmilzt dabei mit einem kulturpolitischen Hintergrund, stammen doch beide Editionen exakt aus der Zeit des sog. Langen Türkenkrieges (1595-1606), in dem Kaiser Rudolf II. ein Bündnis mit dem Fürstentum Siebenbürgen einging. 23F

III. Kurze Vorstellung des Werks Reichersdorffs Chorographiae Transylvaniae besteht aus einer mehrteiligen Beschreibung Siebensbürgens, die von mehreren Paratexten umrahmt wird. Dem auf eine Illustration und jede Verzierung verzichtendem Titelblatt folgt zunächst eine „Elegia Ad Lectorem“ (Bl. Aijr) von Reichersdorff selbst; darauf ein königliches Wappen mit der Jahreszahl 1550 (Bl. Aijv); ein Widmungsbrief an Ferdinand von Österreich, den Reichersdorff mit der Amtsbezeichnung „Secretarius“ unterschreibt und der also vor 1543 entstanden sein sollte (Bl. Aiijr-A[4]r); danach als zweites Widmungsschreiben das bereits genannte an den Kanzler und Bischof Miklós Oláh, datiert auf den 30. April 1550, (Bl. A[4]v-Bijr); schließlich folgen ein zweites Gedicht, wohl ebenso vom Autor verfasst, mit dem Titel „Descriptio Transyluaniae“ (Bl. Bijv-Biijr); sowie ein von einem königlichen und einem kaiserlichen Wappen in der rechten und linken oberen Ecke der Seite quasi ‚gehaltenes‘ großes Medaillon mit einem äußeren Ring, der die Namen und Wappen der sieben siebenbürgischsächsischen Städte Hermannstadt, Kronstadt, Nösenstadt (Bistritz), Schäßburg (mit dem ungarischen Namen Segesvár), Mediasch oder Midwisch (hier Megies nach dem Namen der früheren Szekler-Siedlung genannt), Mühlbach und Klausenburg, und einem inneren Ring mit der Inschrift „Insignia Transsilvaniae Provinciae“ um das siebenbürgisch-sächsische Nationalwappen (Bl. Biijv). 25 Im Anschluss an die Beschreibung Siebenbürgens folgt am Ende der Schrift die ___________ 24F

24 Vgl. Ruth Kohlndorfer-Fries, Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554-1612), Tübingen 2009 (= Frühe Neuzeit, Bd. 137), insbes. S. 96f. Zu den Umständen seiner damaligen Reise nunmehr Walther Ludwig, Die abgebrochene Orientreise von Jacques Bongars im Licht neuer Forschungen, in: Gerlinde Huber-Rebenich (Hrsg.), Jacques Bongars (1554-1612). Gelehrter und Diplomat im Zeitalter des Konfessionalismus, Tübingen 2015 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, Bd. 87), S. 89-96. 25 Als solches – Seivert damit korrigierend – identifiziert von Trautsch (wie Anm. 5), S. 98, Anm. 1).

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eben erwähnte Ermahnung an den König, weder in seinem Bemühen um sein Königreich noch in seinem Wohlwollen für den Autoren nachzulassen (Bl. GivGiijr). Die Beschreibung selbst gliedert sich in vier Teile: 1.

Sie beginnt mit einem kurzen Abriss über die Geschichte Siebenbürgens seit der römischen Kaiserzeit, wobei Reichersdorff wiederholt erhaltene Inschriften aus dieser Zeit in den Text übernimmt; bewiesen wird damit zugleich die Zugehörigkeit zum europäischen weströmischen und nicht zum oströmisch-osmanischen Kulturkreis, die sich durch eindeutige Zeugnisse, wie sie eben Inschriften für die Humanisten darstellten, belegen lässt (Bl. B[4]r-Cijr).

2.

Unter der Überschrift „De Differentia Atqve ritu & moribus trium nationum praedictarum“ schließt sich eine kurze Vorstellung der Sitten und Bräuche der nicht-sächsischen ‚Nationen‘ der Szekler, der Ungarn (genauer des ungarischen Adels) und der Walachen an; eingeleitet wird dieser Abschnitt von der Bemerkung, dass in diesem Land allerdings vor allem Sachsen, die aus Germanien stammen, leben (Bl. Cijv-Dijr).

3.

Dementsprechend widmet sich der dritte Teil den Städten Siebenbürgens mit den sieben sächsischen Städten – die in dem Medaillon aufgeführt sind – an der Spitze. Ab Blatt E4v behandelt Reichersdorff andere Städte, in denen ebenfalls deutschsprachige Bevölkerungsgruppen wohnen, die aber nicht zum Gebiet der Sachsen gehören. Es sind dies Alba Julia (Weißenburg), damals das kulturelle und politische Zentrum Siebenbürgens; Broos / Brosz (rum. Orăştie, ung. Szászváros); Burgort (rum. Sarmizegetusa, ung. Várhely), ehemals unter Kaiser Trajan die Hauptstadt der römischen Provinz Dakien; die Bergbaustädte Großschlatten (rum. Abrud, ung. Abrudbánya), Kleinschlatten (rum. Zlatna, ung. Zalatna) und Altenburg (rum. Baia de Cris, ung. Körösbánya). Beendet wird dieser Teil mit der Beschreibung einiger wichtiger Flüsse Siebenbürgens – Marosch, Samosch und der kleinere Aranyosch –, die wegen ihrer Bedeutung für den Handel genannt sind, vor allem aber deshalb, weil sie die genannten und andere Städte des Landes miteinander verbinden, also eine Einheit herstellen und verbürgen, die keineswegs nur geographisch gedacht sein dürfte (Bl. Dijv- F[4]v).

4.

Abgeschlossen wird der Text von einer patriotischen „Conclusio“, die den Reichtum und die Lieblichkeit Siebenbürgens, den Edelmut der Bewohner dieser Provinz, die Berühmtheit ihrer Städte noch einmal betont, von der (und somit von der Wahrheit seiner, Reichersdorffs, Darstellung) sich jeder überzeugen könne, der selbst durch das Land reise.

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Broniowski 1595 und Bongars 1600 weichen in der Anordnung der einleitenden Paratexte von Reichersdorff ab, wobei beide die gleiche Abfolge herstellen: Sie eröffnen mit den zwei Widmungsbriefen an König Ferdinand und Miklós Oláh, daran schließen sie die „Elegia Ad Lectorem“ und die „Descriptio Transyluaniae“ an; die Wappen bzw. Illustrationen werden hier wie dort weggelassen. Die „Exhortatio Ad Sacram Regiam Maiestatem“ beendet bei Beiden den Abdruck. Die Umordnung der einleitenden Paratexte mit dem Widmungsbrief an Ferdinand am Anfang verstärkt die Intention, die Reichersdorff mit der „Exhortatio“ verfolgt hatte und betont noch mehr die besondere politische Verantwortung des Kaisers als Schutzherr Siebenbürgens – was für Broniowski wie Bongars, obgleich mit jeweils anderer Blickrichtung, auch die Sorge für die Konfessionskirchen, also die Unterstützung der katholischen bzw. Garantien für die calvinistische Partei, eingeschlossen haben dürfte. Den Hauptteil lassen beide unverändert. Eingriffe in Reichersdorffs Text beschränken sich auf Schreibweisen einzelner Worte (v/u, Ligaturen, Abkürzungen wie „q;“ statt „que“, vereinzelt auch Betonungsapostrophe), ansonsten folgen beide Herausgeber textgetreu der Vorlage. Eine Überprüfung der von Reichersdorff gebotenen ‚Fakten‘ fand also nicht statt, sein Text wird inhaltlich nicht überarbeitet. Allerdings, das sei im Blick auf das folgende Kapitel nur kurz bemerkt, weil es in Einzelfällen in den Anmerkungen zu unserer Edition nachzuweisen sein wird, finden sich doch einige geographische und andere sachliche Fehler in Reichersdorffs Text, deren berichtigende Kommentierung man sich von den beiden späthumanistischen Gelehrten gewünscht hätte. Dass sie Beide nicht in die philologische Detailarbeit verfallen sind, verdeutlicht umso mehr, wie sehr eine konfessions- und machtpolitische Adaption die frühe Rezeption seines Textes bestimmte. IV. Die Edition von Jäck und Fiedler aus dem Jahre 1828 – Kontext, Motivation und Versäumnisse Eine in irgendeiner Weise vergleichbare Intention konnte man bei der ersten deutschen Übersetzung von Reichersdorffs Chorographia Transylvaniae längst nicht mehr vermuten. Seit dem 17. Jahrhundert, bereits mit der genannten Elsevier-Edition, war sein Text zu einem historischen Dokument geworden, hatte den Zusammenhang zu den konfessionspolitischen und ‚staatlichen‘ Realitäten Ungarns verloren. Die Chorographia diente als historische Quelle, aus der spätere Reisehandbücher oder Landesbeschreibungen schöpften oder auf die sie zumindest verweisen konnten. 26 Doch, wie zu sehen sein wird, ließ sich das 25F

___________ 26 Als ein frühes Beispiel aus der ungarischen Landeshistoriographie vgl. Georg Krekwitz, Totius Regni Hungariae superioris & inferioris accurata Descriptio. Das ist Richtige Beschreibung Deß gantzen Königreichs Hungarn/ So wol was das Obere als Untere oder Niedere anbelanget/ Dabey

Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

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kleine Werk auch drei Jahrhunderte nach der großen Siebenbürgen-Reise seines Autors kulturpolitisch instrumentalisieren. Die erste deutsche Übersetzung von Reichersdorffs Beschreibung Siebenbürgens, die wir im Anschluss zum Abdruck bringen, findet sich im 23. Band der von Joachim Heinrich Jäck (1777-1847) seit 1827 in schneller Folge herausgegebenen Reihe Taschen-Bibliothek der wichtigsten und interessantesten Seeund Landreisen, die bis 1835 auf 85 Bände wuchs. 27 Jäck, ein geweihter Bernhardiner-Pater, kurzzeitig Lehrer der englischen Sprache am Bamberger Lyzeum, war von 1803 bis zu seinem Tod königlicher Bibliothekar in Bamberg. Er verfasste lokalgeschichtliche Werke, Schulbücher für die englische Sprache und Kulturgeschichte, theologische, meist kirchengeschichtliche und kirchenkritische Schriften sowie Berichte über eigene Reisen. 28 Die von ihm begründete, zu etwa zwei Fünfteln von anderen Herausgebern bestückte Taschenbibliothek war – nach seinen eigenen Worten – ein großer buchhändlerischer Erfolg: „Die ersten 11 Bändchen wurden dreimal aufgelegt, von den folgenden immer 4000 Exemplare gedruckt, und in ganz Deutschland vertheilt“. 29 Die Bände versammeln nach Ländern geordnet deutschsprachige bzw. ins Deutsche übersetzte Reiseberichte von – wie der Untertitel ausweist – „der Erfindung der Buchdruckerkunst bis auf unsere Zeiten“. Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen fand in den ersten von insgesamt drei Teilen der Taschen= Bibliothek der wichtigsten und interessantesten Reisen durch Sieben26F

27F

28F

___________ dann die Beschaffenheit desselben/ Städte/ Vestungen/ Schlösser/ Städtlein/ Marcktflecken und angräntzende Oerter; Sampt allem dem jenigen was am Donau=Strom lieget und befindlich ist: Auf das deutlichste und ausführlichste/ so wol derselben Ursprung/ Lager/ Fruchtbarkeit/ als Herrschafft und Ordnung betreffende. Sambt einer accuraten Land=Charten/ und in dieser andern Auflag mit mehrern Städten in Kupfer/ auch hierzu dienlichem Register vorstellten wird/ […], Frankfurt am Main, Nürnberg: Leonhard Loschge 1686. 27 Heinrich Joachim Jäck, Taschen-Bibliothek der wichtigsten und interessantesten See- und Land-Reisen, von der Erfindung der Buchdruckerkunst bis auf unsere Zeiten. Mit Landkarten, Planen, Portraits und anderen Abbildungen. Verfaßt von mehren Gelehrten. 23. Bändchen. Taschen-Bibliothek der wichtigsten und interessantesten Reisen durch Siebenbürgen, Moldau, Wallachei, Bessarabien, Bulgarien, Servien, Bosnien und Romanien. I. Theil. 1. Bändchen, Nürnberg 1828. 28 Zu ihm: Ferdinand Geldner, (sub verbo), in: NDB. Bd. 10, Berlin 1974, S. 261. Am ausführlichsten Hans Fischer, (sub verbo), in: Anton Chroust (Hrsg.), Lebensläufe aus Franken. Im Auftrag der Gesellschaft für Fränkische Geschichte. Bd. 1, München [u.a.] 1919 (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, Bd. 7), S. 214-234. Karl Klaus Walther, Joachim Heinrich Jaeck. Kulturstifter, Wissenschaftler, Bewahrer von Bambergs literarischem Erbe, in: Philobiblon 40 (1996), S. 325-337. 29 Heinrich Joachim Jäck, (sub verbo), in: Ders., Zweites Pantheon der Literaten und Künstler Bambergs vom XI. Jahrhunderte bis 1844. Zweiter im nämlichen Jahre sehr vermehrter und verbesserter Abdruck, Bamberg 1844, S. 65-68, hier S. 67. Die ersten 40 Bände der Taschen-Bibliothek erlebten eine zweite Aufl. Berlin 1841.

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bürgen, Moldau, Wallachei, Bessarabien, Bulgarien, Servien, Bosnien und Romanien Aufnahme. 30 29F

Jäcks Buchreihe fiel in eine Zeit, in der sich das Reisen und damit auch das weit gefächerte Genre der Reiseliteratur entscheidend veränderten. Zum einen hatte seit dem 18. Jahrhundert eine allmähliche Abkehr vom Eurozentrismus eingesetzt, was mit einem Anwachsen naturwissenschaftlicher und anthropologischer Forschungsreisen rund um die Welt einher ging (ohne unbedingt die europäisch-zivilisatorische Beurteilung des Fremden zu verändern). 31 Bücher über diese Reisen gerieten spätestens seit Johann Adam Georg Forster immer häufiger zu wissenschaftlicher Fachprosa, die freilich die subjektive Perspektive des Reisenden nicht aufgab. Zum anderen setzte um 1800 die Entwicklung zu modernen Reiseführern ein, die eine neue Funktion erfüllten, indem sie einen auf Reisepraxis orientierten Handbuchcharakter annahmen und damit einem veränderten Reiseverhalten des Bürgertums entsprachen. 32 Waren Berichte der erstgenannten Reisen quasi für ‚professionelle‘ Reisende, also Forscher, konzipiert, richteten sich die Handbücher bzw. Führer an die wachsende Zahl der Reiselustigen, die das (und die) Fremde gezielt kennen lernen und dabei gleichsam Vergnügen, Bildungsanspruch und Selbstfindung befriedigen wollten. 30F

31F

Joachim Heinrich Jäcks Unternehmen besaß einen Vorläufer in der Aufklärung, nämlich die von Johann Joachim Schwabe und Abraham Gotthelf Kästner herausgegebene Allgemeine Historie aller merckwürdigen Reisen, zu Wasser und zu Lande, Oder Neue Sammlung Aller Reise-Beschreibungen, Welche bis jetzo in verschiedenen Sprachen von allen bekannten Völckeren heraus gegeben worden (21 Bde., Leipzig 1747-1774). Dieses Werk wiederum war eine um einige Texte ergänzte Übersetzung aus dem Englischen und Französischen. Die von Jäck begründete und überwiegend von ihm mit Bänden belieferte TaschenBibliothek der wichtigsten und interessantesten See- und Landreisen ließe sich am ehesten als ein historiographischer Reiseführer beschreiben, der über Länder auf der ganzen Welt informieren wollte und dafür aus älteren und neueren Reisebeschreibungen zusammentrug, was wissens- und damit auch besuchens___________ 30

Georg von Reichersdorff, Beschreibung von Siebenbürgen. Aus dem Lateinischen frei bearbeitet von Michael Fiedler, in: Jäck, Taschen-Bibliothek Bd. 23, I, 1 (wie Anm. 27), S. 22-37. 31 Dazu etwa Yomb May, Georg Forsters literarische Weltreise. Dialektik der Kulturbegegnung in der Aufklärung, Berlin 2011 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 127). 32 Aus der kaum noch übersehbaren Vielzahl der vorliegenden Forschungsarbeiten seien nur erwähnt: Sabine Gorsemann, Bildungsgut und touristische Gebrauchsanweisung. Produktion, Aufbau und Funktion von Reiseführern, Münster [u.a.] 1995 (= Internationale Hochschulschriften, Bd. 151), insbes. wegen ihrer einleitenden Teile zur Geschichte und Definition der Gattung, S. 44-110; sowie als fundierte Fallstudie zu ‚dem‘ Reiseführer schlechthin die Dissertation von Susanne Müller, Die Welt des Baedeker. Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830-1945, Frankfurt am Main 2012.

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Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

wert wäre. Die Schwerpunkte lagen auf Landeskunde und Landesgeschichte. Die Bände waren für ein breiteres Publikum bestimmt, sie besaßen anders als die Allgemeine Historie aller merckwürdigen Reisen von Kästner und Schwabe einen handlichen Umfang 33 und sie erhoben Anspruch auf informative Faktizität, nicht aber auf ein gelehrtes Publikum. 32F

Deutlich wird diese publikumsorientierte Konzeption sofort an Reichersdorffs Siebenbürgen-Beschreibung. Dass Jäck, wie am Anfang dieses Kapitels angedeutet, die Edition der drei Bände über Reisen durch Siebenbürgen, Moldau, Wallachei, Bulgarien und Rumänien in einen aktuellen politischen Kontext einstellt – den erneuten russisch-türkischen Krieg 1828/1829 34 –, diente zuvorderst den Verkaufsinteressen; dass er den Band dann mit Martin Luthers Sendbrief wider den Türken (1528) eröffnet, zeigt indes deutlich, wie sehr noch dreihundert Jahre nach König Ferdinand von Ungarn die ‚Türkengefahr‘ das Bild von diesem Teil Europas beim deutschen Leser prägte. Reichersdorffs Siebenbürgen-Beschreibung folgt unmittelbar auf Luthers Sendbrief; das trägt zuvorderst ihrer Stellung als älteste zuvor im Druck erschienene geographischlandeskundliche Schrift über diese Region Rechnung, impliziert aber auch, da Luthers Sendbrief ein ganz anderes Genre bedient und in eine Sammlung von Reisebeschreibungen nicht hineingehört, beim Leser einen über die Jahrhunderte bestehenden Konflikt des westlich-christlichen Abendlandes mit dem Osmanischen Reich, der so als unüberwindlich markiert ist – und bis heute lassen sich diese tief im kulturellen Identitätsentwurf Westeuropas verwurzelten Ängste ja leicht aktualisieren und instrumentalisieren. 35 3F

34F

Allerdings wird schon bei der Vorstellung des Autors deutlich, dass Jäck keine tiefere Kenntnis über seinen Gegenstand besessen hat: Er geht von der Ausgabe 1595 aus und verlegt die Reise Reichersdorffs in das Jahr 1550, was aus einer völligen Desinformation über jenen resultiert: Der edle Verfasser war geh. Staats=Sekretär des römischen Königs Ferdinand I.[,] wurde 1550 zu dem Woywoden von Moldau ernannt, in welcher Eigenschaft er das Land sogleich bereiste, und das Resultat seiner Beobachtungen

___________ 33 Allerdings erschien zwischen 1747 bis 1749 von diesem Werk eine ‚kleine‘ Ausgabe, ohne Kupferstiche und deutlich schmaler, in insgesamt 12 Teilen in Basel. 34 Der sich bei Drucklegung schon abzeichnete, nachdem Russland in der Schlacht von Navarino 1827 den griechischen Unabhängigkeitskampf unterstützt und gegen die türkische Flotte gekämpft hatte. 35 Ein sehr schöner Diskussionsbeitrag gelang anlässlich der großen EU-Erweiterung mit dem Band: Claus Leggewie, Die Türkei und Europa. Die Positionen, Frankfurt am Main 2004 (= Edition Suhrkamp, Bd. 2354). Seither haben sich die Fronten auf beiden Seiten weit mehr verhärtet als damals zu glauben stand.

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Axel E. Walter und offiziellen Erkundigungen noch im nämlichen Jahre zu Wien in 4 erscheinen ließ. 36 35F

Die Auswahl Reichersdorffs mag dennoch schon damals den Einen oder Anderen, der sich mit der historiographischen und geographischen Literatur über Siebenbürgen näher befasst hat, überraschen, denn Jäck übergeht den wohl bekanntesten frühneuzeitlichen Reisebericht über Ungarn und Siebenbürgen, der 1632 in Martin Zeillers Itinerarium Germaniae nov-antiquae erschienen war, ohne ein einziges Wort darüber zu verlieren. 37 Zu erklären ist das wohl am ehesten dadurch, dem Herausgeber den Willen zu unterstellen, eine bis dahin weitgehend unbekannte (bzw. längst dem kollektiven Gedächtnis entschwundene) Quelle dem Leser seiner Zeit zugänglich zu machen. 36F

Dass dieser Leser keineswegs nur ein Akademiker sein sollte, wird durch die Art und Weise der Übersetzung von Reichersdorffs Text ins Deutsche kenntlich. Die Überschrift in der Taschen-Bibliothek weist die Übersetzung ausdrücklich als ‚freie Bearbeitung‘ aus. 38 Wie frei diese Bearbeitung in der Tat geraten ist, mögen einige Bemerkungen veranschaulichen. Der deutsche Text ist stark gekürzt. Jeder ‚gelehrte Tand‘, die Zitate aus alten Schriftstellern oder die wiedergegebenen Inschriften, wurde getilgt, die Darstellungen der ‚Nationen‘ und Städte wurden weitgehend auf Zahlen, Daten und Fakten gekürzt. Von der Einleitung in die Geschichte Siebenbürgens seit der römischen Kaiserzeit blieb lediglich ein um etwa zwei Drittel reduziertes Gerüst über, das ohne jede Quellenangabe und ohne die von Reichersdorff zitierten Inschriften und Gedichte darauf verknappt wird, den Status des Landes als ehemalige römische Provinz unter dem römischen Kaiser Trajan (98-117), die von ihm errichtete erste dauerhafte Brücke über die Donau sowie den zweiten Dakerkrieg, an dessen Ende sich der letzte Dakerkönig Decebalus das Leben nahm, zu erwähnen. Die Kürzungen gehen so weit, dass die historische Abfolge der Ereignisse nicht mehr eindeutig sichtbar bleibt: Hadrian bestieg erst 117 den römischen Thron, Decebalus ging 106 in den Freitod. Nur der abschließende Absatz dieser historischen Einleitung, der die verschiedenen Nationen der Provinz – die Sachsen, Szekler und Ungarn – vorstellt und die Wallachen von diesen als rohes Volk abtrennt, ist fast vollständig ins Deutsche übernommen worden. Er leitet auf den zweiten Teil von Reichersdorffs Bericht hin, der die Sitten und 37F

___________ 36 Reichersdorff, Beschreibung von Siebenbürgen (wie Anm. 30), S. 22. Die Anmerkung ist von Jäck; diese Erstauflage hat er keinesfalls eingesehen, dann wäre ihm die Diskrepanz seiner Aussage zu den Paratexten aufgefallen. 37 Zeiller (wie Anm. 15) griff vor allem auf den unpublizierten Reisebericht von Veit Marchthaler zurück, einen Ulmer (wo Zeiller seit 1629 lebte), der 1588 das Land der alten Stephanskrone bereist hatte. Vgl. S. Katalin Németh, Eine wiederentdeckte Reisebeschreibung. Veit Marchthaler, Ungarische Sachen, 1588, in: Kühlmann / Schindling (wie Anm. 1), S. 207-218. 38 Der dafür verantwortlich zeichnende Michael Fiedler war biographisch bislang nicht eindeutig zu ermitteln.

Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

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Bräuche der nicht-sächsischen Nationen einschließlich der Wallachen behandelt. Hier hat der ‚Übersetzer‘ weit weniger gekürzt. Das gilt ebenso für den dritten Teil über die Städte Siebenbürgens. Dabei verfolgte Fiedler bei seinen Kürzungen ein durchaus konsistentes System: Weggelassen wurden von ihm 1) alle Quellenangaben sowie sämtliche Inschriften und Gedichte, die Reichersdorff aus bzw. zu den einzelnen Orten zitiert. Das nimmt dem Text seinen humanistisch-gelehrten Charakter, war aber für den bürgerlichen Lustreisenden durchaus verzichtbar. Er kürzte 2) die Details in der Schilderung historischer Ereignisse, die im unmittelbaren zeitlichen Kontext zu Reichersdorffs Beschreibung stehen, so über die Türkeneinfälle zur Zeit von König Matthias Corvinus (1443-1490; Bl. D[4]v-E[1]r), die Belagerung von Kronstadt durch den moldauischen Woiwoden Stefan Mailat (1502-1550; Bl. E[1]v-Eijr), den von Lodovico Gritti (1480-1534), türkischer Regent in Buda, 1534 ausgelösten Aufstand in Siebenbürgen, der im Zusammenhang mit dem Feldzug des eben genannten Woiwoden stand (Bl. Eijv-Eiijr), oder über das Schicksal und den Aufenthalt der ungarischen Königin Isabella (1519-1559), der Witwe von Johann Zápolya, die in Alba Iulia die Rekonstruktion des alten Bischofpalastes zu ihrer Residenz veranlasste (Bl. F[1]v-Fijr). In den seltenen Fällen, in denen Fiedler zeitgenössische Ereignisse aus Reichersdorffs Text überführte, bemühte er sich um Herauslösung aus dem historischen Kontext bzw. um eine Aktualisierung der Information, wie beispielsweise im Falle der um 1530 in Kronstadt begründeten Stadtbibliothek, die von den Zeitgenossen – wie auch von Reichersdorff – sehr bald mit der 1541 endgültig zerstreuten Bibliotheca Corviniana in Buda verglichen wurde; der Übersetzer reduzierte die Information auf das knappes Urteil: „berühmt ist die Bibliothek“. 39 38F

Neben diesen beiden wiederholten Eingriffen in die Vorlage nahm Fiedler (oder Jäck) außerdem Streichungen singulärer Inhalte vor, deren Informationsgehalt offenbar nicht aktuell genug war. So lässt er Reichersdorffs gelehrten Exkurs über die Herkunft und den Namen der Walachen (Bl. [C4]r-v) ebenso aus wie die Liste der acht siebenbürgischen Kirchspiele (Bl. [D4]r) und den abschließenden Absatz, in dem noch einmal auf die Zeit Trajans und die Ankunft der Sachsen aus Deutschland eingegangen wird (Bl. [F4]v). Da Reichersdorff mit diesem Absatz seinen Text sinnvoll abschließt, indem er den Bogen zurück zur historischen Einleitung schlägt, Fiedler diese jedoch weitestgehend ___________ 39 Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. E[1]r: „estque ibi nuper constructa Bibliotheca, qua nulla in Pannonia post dißipatam Budensem Mathiae Coruini Bibliothecam, cultior usquam fuit.“ In deutscher Übersetzung zitiert bei Harald Roth, Kronstadt in Siebenbürgen. Eine kleine Stadtgeschichte, Köln [u.a.] 2010, S. 112. Roth wiederum zitiert aus Gernot Nussbächer, Johannes Honterus. Sein Leben und Werk im Bild. 3., verb. und erweiterte Aufl., Bukarest 1978, S. 101.

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zusammengekürzt hatte, folgt diese Auslassung immerhin einer inneren Logik des veränderten Textes, der dem deutschen Leser übergeben wurde. Diesem Leser blieb auch die abschließende „Conclusio“ vorenthalten, was wiederum dem Zweck einer Enthistorisierung des Berichts entsprach. Was Fiedler und Jäck dagegen akribisch übernahmen, waren die von Reichersdorff gemachten Entfernungsangaben zwischen den Orten. Gerade daran zeigt sich, wie dieser in seiner lateinischen Fassung reichspolitisch motivierte Bericht über Siebenbürgen für den deutschen Leser der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem durchaus für praktische Reiseplanungen handhabbaren Werk umkonzipiert werden sollte, das konkrete Information ohne intellektuellen Zierrat und politischen Ballast anbieten wollte (aber eingedenk der ‚Türkengefahr‘). Dass der Bedarf an praktischen Informationen damals bestand, macht ein fast zeitgleich erschienenes Handbuch für Reisende in dem österreichischen Kaiserstaate mit mehreren Hauptrouten der angränzenden Länder deutlich, das natürlich auch Siebenbürgen behandelt. 40 Jäcks kleines Bändchen bot einem Reisenden eine willkommene Ergänzung dazu. 39F

Die Übersetzung von Reichersdorffs Chorographia Transylvaniae, im zuletzt zitierten Handbuch verschiedentlich als Quelle konsultiert, erfüllt diese Rolle indes nur bedingt. Jäck und Fiedler erweisen sich letztendlich als wenig vertraut mit dem Gegenstand. Man mag ihnen nachsehen, dass sie die angesprochenen Irrtümer Reichersdorffs nicht korrigiert haben, wenngleich Manches leicht zu berichtigen gewesen wäre. Doch die Orientierung des Lesers (des 19. Jahrhunderts wie auch dieses Aufsatzes) in Reichersdorffs Text und damit auch eine Umsetzung der Informationen auf seiner jeweiligen mental map ist durch eine andere Unterlassung von Herausgeber und Übersetzer äußerst schwierig: Reichersdorffs Ortsbezeichnungen sind häufig eine Mischung lateinischer und ungarischer, mitunter auch deutscher Formen (lediglich rumänische Namensvarianten finden sich nicht), die unbedingt – wie es in unserer Edition geschehen ist – identifiziert und standardisiert werden müssen, um die Chorographia Transylvania in deutscher Sprache wirklich brauchbar zu machen. Nicht weniger schwer wiegt die Qualität der Übersetzung, die an manchen Stellen ungenau ist und dadurch Informationen verfälscht. Zu diesen inhaltlichen Punkten kommt schließlich noch eine schlechte Redigierung des Textes hinzu. Mit den notwendigen Korrekturen, Sachkommentaren und Ergänzungen einiger unentbehrlicher Teile des lateinischen Textes bietet die bis heute einzige ___________ 40 Rudolph E. von Jenny, Handbuch für Reisende in dem österreichischen Kaiserstaate mit mehreren Hauptrouten der angränzenden Länder. Nach den neuesten Länder= , Orts= und Reisebeschreibungen, vielen handschriftlichen Quellen und eigenen Reisebemerkungen. Zewyte Abtheilung, die am linken Donau=Ufer gelegenen deutschen Provinzen, das Königreich Galizien nebst der Bukowina, und die ungarischen Erblande (nebst einigen Hauptrouten durch Sachsen, Preußisch=Schlesien und Pohlen,) enthaltend, Wien 1823.

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deutsche Version der Chorographia Transylvaniae von Georg von Reichersdorff indes einen ebenso konzisen wie (weitgehend) präzisen Überblick über den Raum, der noch heute, wo dieser Teil Europa trotz aller vermeintlichen Integrationsprozesse innerhalb der Europäischen Staatengemeinschaft nach wie vor ferner als andere liegt und zumal nach 1945 in seinen historischen Formationen auch dem kollektiven Gedächtnis in Deutschland so weit entrückt ist, einen nachhaltigen Eindruck dieser historischen Kulturregion im Südosten des alten deutschen Sprachraums ermöglicht.

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Karte von Transylvanien, aus: Broniovii […] Tartariae Descriptio, 1595 (wie Anm. 12), nach Bl. H[1]v

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V. Edition Georg von Reichersdorff Beschreibung von Siebenbürgen. Aus dem Lateinischen frei bearbeitet von Michael Fiedler *. 40F

Siebenbürgen, das alte Dazien, eine zu den Zeiten der Römischen Kaiser berühmte Provinz gegen Ost gelegen, wurde unter Nerva 41 Trajan 42 von seinem Könige Dezebal 43 auf das hartnäckigste vertheidigt. In diesem Feldzuge ließ Trajan eine steinerne Brücke über die Donau schlagen, ein bewunderungswürdiges Werk. Bei dieser standen 20 aus Quaderstein erbaute Thore, deren Höhe, den Grund abgerechnet, 150. und deren Breite 60 Schuhe betrug; sie waren 180 Schritte von einander entfernt, und durch Schwibbogen verbunden. 44 41F

42F

43F

4F

Hadrian 45, der Nachfolger Trajans, einen Einfall der Bewohner dieser Provinz befürchtend, ließ diese Gebäude, welche über das Wasser hervorragten, schleifen. Dezebal entleibte sich nach der Einnahme seiner Residenz= Stadt, 45F

___________ * Anm. des Hrsg. in: Reichersdorff, Beschreibung von Siebenbürgen (wie Anm. 30), S. 22f.: „Transsylvaniae, ac Moldaviae aliarumque vicinarum regionum succincta descriptio Georgii a Reichersdorf. Transilvani, cum tabulis geographicis tam Moldaviae, quam Transylvaniae. Editio nova. Colonia Agrippinae 1595. Fol. Der edle Verfasser war geh. Staats= Sekretär des römischen Königs Ferdinand I. wurde 1550 zu dem Woywoden von Moldau er=nannt, in welcher Eigenschaft er das Land sogleich bereiste, und das Resultat seiner Beobachtungen und offiziellen Erkundigungen noch im nämlichen Jahre zu Wien in 4 erscheinen ließ. (Jaeck.)“ 41 Nerva, der erste der sog. Adoptivkaiser nach dem Ende der flavischen Dynastie, regierte von 96 bis Anfang 98. – Im Folgenden werden die Ortsnamen immer zuerst mit dem heutigen Namen genannt, sofern nicht inhaltliche Gründe eine andere Namensform deutlicher erscheinen lassen; dabei werden die folgenden Abkürzungen benutzt: ‚rum.‘ für rumänisch, ‚ung.‘ für ungarisch, ‚dt.‘ für deutsch und ‚lat.‘ für lateinisch. 42 Nachfolger (und Adoptivsohn) Nervas, von 98 bis 117 römischer Kaiser. Er führte 101-102 und 104-107 erfolgreiche Kriege gegen die Daker unter König Decebalus, an deren Ende Dakien römische Provinz wurde. – Einen Kaiser Nerva Trajan gab es nicht, die Formulierung ergibt sich aus einem translatorischen Unverständnis der Formulierung Reichersdorffs „Marte multi nominis fuit te[m]poribus Nervae Traiani“: Nerva hatte 97 die von Kaiser Domitian begonnenen Pannonienkriege erfolgreich beendet, Trajan fungierte damals bereits als Statthalter in Germania superior. Reichersdorff schildert die von Fiedler sehr stark komprimierten Ereignisse unter Bezug auf historische Quellen. 43 Dezebal, seit 86 König von ganz Dakien, seit 89 von Rom anerkannter Vasallenkönig; mit seinem Freitod 106 endete das dakische Königtum, das Land wurde bis 271 zur römischen Provinz. 44 Die sog. Trajansbrücke, erbaut zwischen 103 und 105 während des Feldzugs gegen die Daker, führte nahe des heutigen serbischen Kladovo über die Donau zum Militärlager im heutigen rumänischen Drobeta Turnu Severin (dt. Severin). Obwohl die hölzernen Schwibbogen schon im 3. Jahrhundert zerstört wurden, blieb sie bis ins Hochmittelalter die längste dauerhafte Brücke Europas. Die steinernen Pfeiler sind heute noch zum Teil erhalten. 45 Publius Aelius Hadrianus, 107-138 römischer Kaiser, zog sich zwecks Konsolidierung der römischen Außengrenzen aus Teilen Dakiens zurück.

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und Siebenbürgen wurde in eine römische Provinz verwandelt. Die Residenz=Stadt Dezebal’s hieß Zarmis, jetzt Weissenburg. 46 46F

An Siebenbürgen gränzt gegen Nord die Provinz Moldau; auf der andern Seite liegt gegen Ost die Wallachei, welche auch Trans= Alpina (die jenseits der Alpen liegende) genannt, 47 und durch die sehr hohen Alpen (Berge) getrennt wird. 47F

Die Einwohner der Provinz werden in 3 Nationen getheilt, welche sich durch Gebräuche, Sitten und Gesetze wenig von einander unterscheiden, und das Land von einander getrennt, bewohnen. Es sind Sachsen, Ciculer (Zeckler) und Ungarn. 48 Die Wallachen, einige öde Besitzungen und Villen bewohnend, sind ein sehr rohes Volk, leben von der Viehzucht und vom Raube. Ihre Kleider aus grober Ziegenwolle verfertigen sie sich selbst, und gehorchen gar keinem Gesetze. 49 48F

49F

[Über den Unterschied der Sitten und Gebräuche der drei vorgenannten Nationen 50] 50F

Die Sachsen, aus Deutschland eingewandert, treiben Ackerbau, und bedienen sich der sächsischen Sprache. Die sächsische Sprache nähert sich mehr dem gemeinen Kölner Dialeckte, als andern Sprachen. Die Siebenbürger haben, wie alle übrigen Bewohner Europa’s, eine eigne Mundart. 51 51F

___________ 46 Reichersdorff liegt mit dieser Identifizierung falsch. Das religiöse und politische Zentrum des Dakerreichs war seit Mitte des 1. Jahrhunderts die Ansiedlung Sarmizegetusa, die in der Nähe der rumänischen Stadt Orăstie (s. unten Anm. 126) lag. Trajan eroberte die Stadt 106 und zerstörte ihre Befestigungsanlagen. Als neues administratives Zentrum wurde die Stadt Ulpia Traiana Sarmizegetusa gegründet (s. unten Anm. 129). Seit dem 18. Jahrhundert fanden auf dem Gebiet der alten dakischen Siedlung Ausgrabungen statt, Jäck und Fiedler hätten also leicht Gelegenheit gehabt, Reichersdorffs Irrtum einer Gleichsetzung mit Alba Iulia zu korrigieren. Vgl. Konrad Gündisch, „Hauptstädte“ in Siebenbürgen, in: Harald Heppner (Hrsg.), Hauptstädte zwischen Save, Bosporus und Dnjepr, Wien [u.a.] 1998, S. 51-83, hier S. 51-54. 47 Terra Transalpina war seit dem Mittelalter eine im Königreich Ungarn gebräuchliche Bezeichnung für die Walachei. 48 Die Siebenbürger Sachsen, die Szekler und der – ganz überwiegend – ungarische Adel hatten 1438 die Union der drei Nationen (Unio Trium Nationum) vertraglich besiegelt. Alle drei Nationen besaßen im frühneuzeitlichen Siebenbürgen bzw. Königreich Ungarn eine weitgehende Autonomie als Stände. 49 Die Walachen werden von Reichersdorff mit den Rumänen gleichgesetzt. Obwohl wie die Sachsen, Szekler und Ungarn ein eigenständiges Volk mit eigener Sprache und eigenem Brauchtum, hatten sie keine königliche Anerkennung als privilegierter Stand in Siebenbürgen gefunden. Reichersdorffs negatives Bild von den Walachen, die er als raue und primitive Hirten und Räuber bezeichnet, teilten nicht nur seine Zeitgenossen, sondern bis in die Gegenwart weite Teile der Bevölkerung, für die ‚Walachei‘ sprichwörtlich für ein unzivilisiertes Land geworden ist. 50 „De Differentia Atqve ritu & moribus trium nationum praedictarum“. Zwischenüberschrift bei Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. Cijv. 51 In der Tat überwiegen beim Siebenbürgisch-Sächsischen die westmitteldeutschen Elemente, wobei insbesondere das Moselfränkische, das beispielsweise in der Eifel, im Westerwald, im

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Ciculien, ein Winkel Daziens, an die Moldau gränzend, wird von den Ciculern, angeblichen Abkömmlingen der Scythen bewohnt; sie haben eigene Gesetze und Sitten und vertheilen ihre Aemter durch das Loos. Sie halten jeden für adelich sei er Landmann oder Ziegenhirt. Dieser rauhe und wilde Menschenstamm, zum Kriege geboren unterscheidet sich hinsichtlich der Sitten, Sprache und Kleidung wenig von den Ungarn. 52 52F

Ciculien wird in 7 Gespannschaften oder Stühle getheilt, deren Namen Sepsi, Orbai, Kysdi, Czyk, Girgio, Markus Zeeck, und Aranyas Zeeck in Ungarischer Sprache heissen. 53 53F

Die Stadt Czyk, an der Nordseite links von Kosda 54, liegt an dem Fuße der Karpathen; an sie gränzt gegen West Gyrgio, gleichfalls an den Karpathen gelegen, das Land ist gebirgig und rauh, an der äußersten Nordseite Siebenbürgens. An die Gespannschaft Gyrgis gränzt gegen Mittag in dem Innern Siebenbürgen’s, Markus Zeeck am Fluße Marosch 55, dessen sehr geräu___________ 54F

5F

Siegerland gesprochen wird, und das Ripuarische, zu dem u.a. Kölsch zählt, nahe verwandte Dialekte sind. Das Siebenbürgisch-Sächsische ist im Mittelalter als Ausgleichdialekt verschiedener Siedlergruppen in der Region entstanden und wird heute noch von Angehörigen der Volksgruppe in Deutschland und Rumänien gepflegt. Seit 1924 erscheint ein Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch, das vor dem Zweiten Weltkrieg in zwei Bänden nur bis zum Buchstaben ‚F‘ gelangte und seit 1971 wieder fortgesetzt wird; es ist inzwischen bei zehn Bänden bis ‚Sche‘. Einschlägig die gesammelten Aufsätze von Bernhard Carpesius. Linguistische Studien. 1933-1973. Auswahl und Bibliographie von Helmut Kelp, München 1990 (= Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks. Reihe B: Wissenschaftliche Arbeiten, Bd. 51), insbes. zu den hier angedeuteten Kontexten die Aufsätze „Wesen und Werden des Siebenbürgisch-Sächsischen“, S. 122-141 (erstmals 1965) und „Das Siebenbürgisch-sächsische Wörterbuch“, S. 98-104 (erstmals 1961). 52 Die Szekler verdankten ihre Sonderrechte ihrer ursprünglichen Funktion als Grenzwächter, die dafür von der ungarischen Krone mit zahlreichen Privilegien ausgestattet worden waren. Sie sprechen einen ungarischen Dialekt, heute leben noch etwa 1 Millionen Ungarn, Rumänen sowie Minderheiten von Deutschstämmigen, Armeniern und Roma im historischen Szeklerland im Zentrum Rumäniens. 53 Der Name Szekler leitet sich vom ung. Wort szék für Stuhl her, was Bezug auf ihre innere Organisation nimmt, die aus sieben Stühlen, d.h. Verwaltungsbezirken, bestand, die Reichersdorff nicht ganz korrekt nennt (im Folgenden wird der rum. Name stets zuerst genannt): Sepsi (Sepsiszék) mit dem Hauptort Sfântu Gheorghe (dt. Sankt Georgen, ung. Sepsiszentgyörgy), Orbai (Orbaiszék) mit dem Hauptort Târgu Secuiesc (dt. Szekler Neumarkt, ung. Kézdivásárhely) und Kysdi (Kézdiszék) mit dem Hauptort Covasna (dt. Kovasna, ung. Kovászna) wurden um 1600 zusammengefasst als die Drei Stühle (Háromszék), waren aber autonom zu Reichersdorffs Zeit; Czik (Csíkszék) mit dem Hauptort Miercurea Ciuc (dt. Szeklerburg, ung. Csíkszereda) hatte Gyergyó mit dem Hauptort Gheorgheni (dt. Niklasmarkt, ung. Gyergyószentmiklós) als Teilstuhl, dieser Name gehört also nicht in die Liste; Markus Zeeck meint wohl Marosszék mit dem Hauptort Târgu Mures (dt. Neumarkt am Mieresch, ung. Marosvásárhely); Aranyas Zeeck ist Aranyosszék mit dem Hauptort Unirea (dt. Oberwinz, ung. Felvinc) und lag als Exklave außerhalb des Szeklerlandes. Ungenannt bleibt Udvarhelyszék mit dem Hauptort Odorheiu Secuiesc (dt. Oderhellen, ung. Székelyudvarhely). Vgl. Harald Roth (Hrsg.), Die Szekler in Siebenbürgen. Von der privilegierten Sondergemeinschaft zur ethnischen Gruppe. Unter Mitarbeit von Paul Niedermaier und Gabriella Olasz, Köln [u.a.] 2009 (= Siebenbürgisches Archiv, Bd. 40). 54 Der Stuhl Kysdi. 55 S. unten Anm. 102.

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mige Hauptstadt Zeckelwassarhel, die Sachsen Neumarck 56 nennen, in ihr werden häufig Versammlungen der Ciculer gehalten. 56F

Die Ungarn und Edlen dieser Provinz, überall mit den Sachsen vermischt, kommen hinsichtlich der Sprache, Kleidung und Waffen den Ciculern gleich, und werden von keinem an Tapferkeit übertroffen. Diese 3 Nationen vereint können bei 90,000 Mann und noch mehr in das Feld stellen. So oft sie sich mit den Feinden in ein Treffen einließen, waren sie immer Sieger. Die Wallachen wohnen zerstreut, und ohne einem bestimmten Sitz in diesem Lande. Die Sachsen haben wohl befestigte Städte. Das Land bringt Gold und Silber, Wein und Getreid hervor, und hat Ueberfluß an Weiden, Viehe, Quellen und Flüssen, so zwar, daß unsere Ahnen Siebenbirgen die Schatzkammer des ungarischen Reichs nannten. Die Wallachei in den untern Gränzen Siebenbürgens breitet sich längs der Donau bis an den Pontus aus, und berührt gegen Nord die Rorauer, heut zu Tage Ruthener genannt. 57 57F

Die Wallachen scheinen aus Italien gekommen zu seyn, und von den benachbarten Sarmaten ihren Namen erhalten zu haben. Ihre Provinz soll Flakkia von den Römischen Bürger Flakkus, welcher eine Kolonie zum Schutze Mösiens gegen die Einfälle der Dazier hinführte, genannt worden seyn. Nach der allgemeinen Annahme sollen die heutigen Wallachen aus Mösien abstammen. 58 Nach der Darstellung des Charackters und der Sitten der Bewohner 58 F

___________ 56

Neumarkt am Mieresch. Reichersdorff markiert hier die Grenzen des Fürstentums Walachei, das seit dem frühen 15. Jahrhundert immer stärker unter osmanische Vorherrschaft geraten war. Es reichte bis ans schwarze Meer (= „Pontus“). Die Ruthenen bzw. Russinnen sind eine ostslawische Bevölkerungsgruppe, die im Karpartengebiet siedelt. Zur Zeit von Reichersdorff bezeichnete man als Ruthenen alle im Königsreich Ungarn lebenden slawischen Bevölkerungsgruppen. Ein eigenes Bewusstsein als ‚Nation‘ in multiethnischen Ungarn entwickelten sie erst seit dem späten 18. Jahrhundert, vgl. Michal Danilák, Der Einfluss der griechisch-katholischen Kirche auf die Formierung des Nationalbewusstseins der Ruthenen (Ukrainer) in Ungarn im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts, in: Peter Švorc / Karl Schwarz (Hrsg.), Cirkvi a národy strednej Európy. (1800-1950). Die Kirchen und Völker Mitteleuropas. (1800-1950), Prešov 2008, S. 134-148; Daniel Ursprung, Die Walachei als historische Region — Schnittstelle europäischer Verflechtungen an der Peripherie, in: Thede Kahl / Michael Metzeltin / Mihai-Razvan Ungureanu (Hrsg.), Rumänien. Raum und Bevölkerung. Geschichte und Geschichtsbilder. Kultur. Gesellschaft und Politik heute. Wirtschaft. Recht und Verfassung. Historische Regionen, Wien [u.a.] 2006, S. 806-824. 58 Trajan hatte von der südlich der Donau gelegenen römischen Provinz Moesia aus den Feldzug gegen Dakien vorbereitet. Reichersdorffs ‚Quelle‘ wird vom Übersetzer wiederum ausgelassen: „Et citant hi de Flacco Nasonis versiculos ex pistolis Ponticis redactos, lib. iiij.“ Ovids Verse sind im Original zitiert. Die Erklärung einer ‚römischen‘ Herkunft folgt der Selbstbezeichnung der Walachen als „Romani“; inzwischen wissen wir, dass ‚Walache‘ dagegen eine Fremdbezeichnung aus dem Germanischen mit der Bedeutung „Fremder“ ist, womit sie die romanisierten keltischen Völ57

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wollen wir nun der Ordnung gemäß zur geographischen Beschreibung des Landes selbst übergehen. Von Großwardein 59 kommt man bei dem ersten Eintritte in Siebenbürgen über den Fluß Crysus 60, welcher es mit Unter= Panonien verbindet, zu dem Dorfe Feketetho, d.i. der schwarze Sumpf, welches rings von Bergen und Felsen umgeben die Wallachen bewohnen. Es liegt in einer wilden, unfruchtbaren Gegend, man sieht keine Ebene, keine Saaten, sondern große Bäume in weiter Entfernung von einander. 61 Der Fluß Crysus hat in jeder Jahres=Zeit die ausgesuchtesten Fische. Z.B. Gründel, Meer=Aschen, Fornen, [et]c. Bei einer Ueberschwemmung ist er so reissend, daß er einen schwer beladenen Wagen umwirft. 59F

60 F

61F

Die Stadt Großwardein, auf einer Ebene gelegen, ist sehr groß und ohne Mauern. Hier residirt der Bruder Georg der Schatzmeister des Königsreichs Siebenbürgen, der Bischof der Stadt, 62 in einem schönen und wohlbefestigtem Schloße, in welchem der König Ladislaus von Ungarn ein prächtiges Be= gräbniß aus Marmor hat. 63 Die Ungarn sind hier mit den Sachsen vermischt, und treiben Handel mit türkischen und andern eingeführten Waaren. 62F

63F

___________ ker bezeichneten. Die Diskussion um die angebliche Abstammung der Walachen von den Römern wurde zur Zeit der Edition von Jäck und Fiedler nach wie vor geführt, wobei die wissenschaftlichen Gegenstimmen zunehmend prononcierter wurden. Vgl. etwa die zeitgleiche Schrift: Erweis, Daß die Walachen nicht römischer Abkunft sind, und dies nicht aus ihrer italienisch=slavischen Sprache folgt. Mit mehreren Gründen vermehrt, und in die walachische Sprache übersetzt durch S.T. […], Ofen 1827. 59 Heute rum. Oradea an der Nordwestgrenze Rumäniens. 60 Der lateinische Name für den Fluss ung. Körösök bzw. rum. Criş (dt. Kreisch). Siehe jedoch unten Fußnote 66. 61 Das Dorf scheint nicht mehr zu existieren; außer es ist damit das in diesem Sumpfgebiet gelegene ung. Dorf Orfalu (dt. Andelsdorf) gemeint. Zitiert sei deshalb die ausführlichere Beschreibung in: Johann Beza, Neue Beschreibung Des Königreichs Ungarn/ und darzu gehöriger Landen/ Städte/ und vornehmster Oerter; […] Weiland von dem berühmten sel. Herrn Martino Zeilero beschrieben. Anietzo aber/ nach der neuesten und vermehrtesten Edition, sampt der vornehmsten Städte Abrisse/ und was sonsten biß in dieses 1664ste Jahr passiret/ heraußgegeben und verleget […], Leipzig: Christian Kirchner 1664, S. 303f.: „Feketetho/ ein berühmtes/ nach Siebenbürgen gehöriges/ und zwischen Waradein und Clausenburg/ auff der Landstrassen/ gelegenes Dorff/ so von armen Walachen bewohnet wird/ die sich zwischen lauter kalten Gebürgen/ neben der Keres/ oder Kreisch/ auffhalten/ und weder Wein/ noch Ackerbau/ haben/sondern sich allein vom Häu/ Eyern/ Fischen/ Krebsen/ und dergleichen/ so sie den Reisenden verkaufen/ und dan[n] vom Taufgelt nehren/ so sie von den Frembden bekommen.“ 62 Georg Martinuzzi (1482-1551), Statthalter von Siebenbürgen, Bischof von Großwardein. 63 Die Kathedrale St. Mariä Himmelfahrt in Oradea wird heute von den Einheimischen ‚Ladislauskirche‘ genannt, weil sie das Brustreliquiar von König Ladislaus I. von Ungarn (1048-1095, ungarischer König seit 1077) besitzt; da die Kathedrale erst 1752-80 erbaut wurde, könnte die Reliquie erst zu dieser Zeit überführt worden sein. Die Kirche wurde anstelle der aus dem 14. Jahrhundert stammenden gotischen Kathedrale errichtet, die nach dem calvinistischen Bekenntniswechsel der Stadt im 16. und 17. Jahrhundert zerfallen ist.

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Von Feketetho sind geraden Wegs bis zur Stadt Thelegd 64 2 Meilen; bis Rief 65 3. Hier entspringt der Fluß Crysus; geht im Sanften Laufe durch die Mitte der Stadt Reef bis Sebeswar 66, wo er endigt. Von dan sind bis Coloswar 67 5 Meilen, und bis zu der gegen Süd gelegenen Stadt Thorda 68 führen über einen hohen und felsigen Berg 2000 Schritte. Die Stadt ist ohne Mauern, und zeichnet sich durch Größe, Reichthum und Handel aus. Die Einwohner erwerben 69 sich durch Viehzucht und Ackerbau großen Reichthum. Hier wächst vortrefflicher Wein. Die Salinen sind berühmt; sie versehen ganz Siebenbirgen mit Salz, welches auch nach Ofen und anderen Plätzen zum großem Vortheile des Königs ausgeführt wird. 64F

65 F

6F

67F

68F

69F

Von Thorda bis Hermannstadt, zwischen welchen die Städte Gochard 70 und Monera 71 liegen, zählt man 12 Meilen. Hermannstadt, die Hauptstadt des Königreiches, ist sehr befestigt, und hat Ueberfluß an Gold, Silber und anderen Gegenständen. 72 70F

71F

72F

Die vorzüglichen Städte Siebenbürgen’s sind: Hermannstadt, Kronstadt, Nösenstadt, Schäsburg, Mydwisch, Millenbach, Clausenburg. 73 73F

___________ 64

Rum. Tileagd (ung. Mezőtelegd). Dorf und Gemeindesitz in Rumänien, Kreis Bihor. Bei Reeff, das ich nicht näher geographisch bestimmen konnte, entspringt die Schnelle Kreisch (ung. Sebes-Körös, rum. Crişul Repede). Vgl. den Eintrag bei Beza/Zeiller (wie Anm. 61), S. 416: „Telegd, ein Flecken/ auff der Raise/ von Groß-Wardein auß/ nach Sibenbürgen/ allda ein Schloß/ an welchem zunächst die Keres/ oder Kreusch/ hinfleust. Georgius von Reychersdorff nennts Oppidum, so man für einen Marcktflecken/ oder Städtlein/ nehmen mag/ und sagt/ lige zwischen Feketetho/ und Reeff/ von jenem zwey/ und von diesem/ da die besagte Kreusch entspinget/ 3. grosse Meilwegs.“ Ein eigener Eintrag zu Reeff fehlt. 66 Rum. Bologa (ung. Sebesvár, dt. Schäßburg). Allerdings endet die Kreisch nicht an diesem Schloss, vielmehr fließt hier die Schnelle Kreisch mit dem rum. Râul Săcuieu (auch Râul Henţu) zusammen. Reichersdorff benutzt den lat. Namen ‚Crysus‘ also fälschlich nur für einen Quellfluss; Jäck und Fiedler fällt das nicht auf. 67 Reichersdorff verwendet erneut den ung. Namen: Kolozsvár, heute rum. Cluj-Napoca, dt. Klausenburg. 68 Torda ist der ung. Name für die rum. Stadt Turda, dt. Thorenburg. 69 Emendiert aus „erwerden“. 70 Nicht identifiziert, auf der Karte im Anhang nicht eingetragen. Vgl. den Eintrag bei Beza (wie Anm. 61), S. 369: „Gochard. Georg von Reychersdorff in Chorographia Transilvaniae sagt/ dz zwischen Thorda, od’ Dorenburg/ un[d] Hermanstatt in Siebenbürgen/ so 12. Meilen von einander lige[n]/ 2. Oppida, Stättlein od’ Marckt/ nemblich Gochard, und Monera, seyen.“ 71 Fälschlich für ung. Monora, heute rum. Mănărade, dt. Donnersmarkt. 72 Heute rum. Sibiu (ung. Nagyszeben). Im siebenbürgischen Sächsisch Hermestadt. Die Stadt war über Jahrhunderte das urbane Zentrum der Siebenbürger Sachsen, bis zum Ende des Ceauşescu-Regimes lebte hier eine deutsche Minderheit von ca. 15 Prozent Bevölkerungsanteil, inzwischen machen die Deutschen nur noch wenig mehr als 1 Prozent aus. Die Zahlen entnehme ich: https://ro.wikipedia.org/wiki/Sibiu. 73 Dieser Satz eröffnet bei Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. Dijv, in der Funktion einer Überschrift den dritten Teil, im Original: „Svnt Igitvr Hae Septem vrbes in Transyluania celebriores, à se per locorum interuallum suo modo & ordine distantes, vt sequitur.“ Reichersdorff führt direkt anschließend von jeder Stadt zunächst den lat. Namen, dahinter abgesetzt, 65

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Cibinium 74, die sehr berühmte Hauptstadt, erhielt ihren Namen von dem Fluße Cibin 75; andere nennen sie Hermannstadt nach dem Namen ihres ersten Erbauers. Sie liegt auf einer Ebene, und breitet sich sehr weit aus; sie wird umgeben von einer doppelten Mauer, sehr tiefen Gräben und großen Fischteiche. Die Stadt wird durch Paläste, Thürme, Vorwerke und die Kathedral=Kirche 76 geziert. 74F

75F

76F

Hier wird alle Jahre Getreide in Gruben zur Steuerung einer allgemeinen Hungers= Noth aufbewahrt. Durch die Stadt, welche von einer sehr weisen Obrigkeit verwaltet wird, fließt ein kleiner Fluß. 77 Sie hat 10 königliche Dörfer, 8 zahlen Tribut. Bis hierher erstrecken sich die 7 Gespannschaften der Sachsen, deren Namen folgende sind: 7F

Die Gespannschaft Zasuvar mit 11 königlichen Dörfern, die Gespannschaft Zabes mit der Stadt Zabes und 5 königl. Dörfern; die Gespannschaft Reusmark hat 8 Dörfer; die Stadt und Gespannschaft Segesburg 16; die Gespannschaft Olezna 12; die Gespannschaft Schenker 22, und die Gespannschaft Rapen 15. 78 78F

Nebst diesen 7 Gespannschaften der Sachsen giebt es noch 2 getrennte, deren Hauptstadt Medwisch 79 ist, und zu denen 25 Dörfer gehören. Zwischen diesen 79F

___________ aber in der selben Zeile den dt. Namen auf: „Cibinivm, Hermanstat. │ Brassovia siue Corona, Cronstat. │ Bistricia. Nösenstat. │ Segeswaria, Scheßpurg. │ Megies, Mydwisch. │ Zabesvs, siue Zaazsebes, Millenbach. │ Coloswaria, Clausenburg.“ 74 Lat. Name von Sibiu. 75 Rum. Cibin (ung. Szeben, dt. Zibin). 76 Gemeint ist wohl die Mitte des 14. Jahrhunderts errichtete, Mitte des 15. Jahrhunderts ausgebaute (evangelische) Stadtpfarrkirche, die noch heute eine herausragende Sehenswürdigkeit in Sibiu ist. 77 Nicht zu identifizieren, da mehrere Bäche in der Stadt fließen. 78 Reichersdorff mischt hier bei den Namen der sieben Gespanschaften (Stühle) der Siebenbürger Sachsen ungarische, deutsche, siebenbürgisch-sächsische und rumänische bzw. lateinische Formen durcheinander. „Zasuvar“ ist ung. Szászváros, dt. Broos oder Brosz, heute rum. Orăştie; „Zabes“ (Stadt und Stuhl) ist ung. Szászsebes, heute rum. Sebes, dt. Mühlbach; das dt. Reusmarkt (nicht „Reusmark“!) heißt heute rum. Miercurea Sibiului, der ung. Name lautet Szerdahely; „Segesburg“ leitet sich vom ung. Segesvár her, der dt. Name lautet Schäßburg, der heutige ung. Sighişoara; „Schenker“ meint dt. Groß-Schenk, ung. Nagysink, heute rum. Cincu; „Rapen“ – bei Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9) mit der lat. Form „Rupensis sedes“ genannt – trug den dt. Namen Reps, hieß ung. Kőhalom und heißt heute rum. Rupea. Mit „Olezna“, einem in Reisebeschreibungen, geographischen Handbüchern in dt. Sprache bis ins 18. Jahrhundert auftauchenden Namen für einen Stuhl der Siebenbürger Sachsen kann dann nur das dt. Leschkirch, ung. Újegyház, heute rum. Nocrich, gemeint sein. Es ist wohl das beste Beispiel dafür, wie gut (auch für den Leser des 19. Jahrhunderts) es dem deutschen Text getan hätte, wenn Jäck und Fiedler die Namensformen Reichersdorffs vereinheitlicht hätten. – Zur Organisation und Verwaltung der Siebenbürger Sachsen vgl. Georg Eduard Müller, Stühle und Distrikte als Unterteilungen der SiebenbürgischDeutschen Nationsuniversität 1141-1876. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe […] Hermannstadt 1941, mit einer Einführung und einem Ortsnamenregister von Konrad G. Gündisch, Köln [u.a.] 1985 (= Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, Bd. 10). 79 Medwisch, später deutsch auch Mediasch, hatte Anfang des 14. Jahrhunderts zusammen mit dem hier nicht genannten Marktschelken (ung. Nagyselyk, rum. Şeica Mare) das Stuhl-Privileg

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Gespannschaften liegen noch viele Dörfer und Besitzungen der Adelichen, welche nicht zu den Sachsen gerechnet werden. In Siebenbürgen zählt man 8 vorzügliche Pfarrspiele (Kapitel). 80 80F

Von Hermannstadt sind eine Meile entfernt in der Stadt Wyzagna 81, (welche die Sachsen Salzburg nennen), die Salzwerke, die durch ihren Ertrag eine bedeutende Summe in den Schatz des Königs liefern. 82 Nicht weit von Hermannstadt wohnen in verschiedenen Städten die Sachsen; vorzüglich in Helta 83, einer Stadt von mittlerer Größe mit einem Kastelle; sie liegt eine Meile entfernt gegen Süd. 81F

82F

83 F

___________ erhalten; die sog. Zwei Stühle wurden später auch als Mediascher Stuhl bezeichnet. Die Stadt heißt heute rum. Mediaş (ung. Medgyes). 80 Unverständlicherweise lassen Jäck und Fiedler die Namen der Kirchspiele weg – sie seien hier aus Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. [D4]r zitiert: „Bistriciense Capitulum habet Bistriciam cum viginti tribus pagis regijs. Regense Capitulum habet pagos plusquàm triginta. Barcense Capitulum habet Coronam ciuitatem cum tredecim pagis regijs. Kisdense Capitulum habet Segesburgam & pagos quadraginta octo. Duarum sedium Capitulum complectitur ciuitatem Megiensem cum pagis triginta sex. Cibiniensium Capitula duo, quorum vnum habet Cibinium & pagos viginti tres. Alterum Capitulum Cibiniense, quod vocant Surrogatiua, continet pagos circiter viginti duos. Sabesiense Capitulum habet Sabesum cum pagis decem & septem.“ „Das Kapitel von [dt.] Bistritz [rum. Bistrita, ung. Beszterce] umfasst Bistritz mit 23 königlichen Dörfern. Das Kapitel von [dt.] Sächsisch-Regen [dt. auch Sächsisch-Reen, rum. Reghin, ung. Szászrégen] umfasst mehr als 30 Dörfer. Das Kapitel vom [dt.] Burzenland [rum. Ţara Bârsei, ung. Barcaság] hat [dt.] Kronstadt [rum. Braşov, ung. Brassó] mit 13 königlichen Dörfern. Das Kapitel von [dt.] Keisd [rum. Saschiz, ung. Szászkézd] umfasst [dt.] Schäßburg [rum. Sighişoara, ung. Segesvár] und 48 Dörfer. Das Kapitel der Zwei Stühle [s. Anm. 79] vereinigt die Stadt [dt.] Medwisch [lat. Megies, rum. Medias, ung. Medgyes] mit 36 Dörfern. Die beiden Kapitel von Hermannstadt [rum. Sibiu, ung. Nagyszeben], dessen eines Hermannstadt und 23 Dörfer umfasst. Das andere Kapitel von Hermannstadt, welches sie Surrogativa nennen, enthält etwa 22 Dörfer. Das Kapitel von [dt.] Mühlbach [rum. Sebeş, ung. Szászsebes] hat Mühlbach mit 17 Dörfern.“ 81 Reichersdorff geht wohl wieder vom ung. Namen Vízakna aus, allerdings lautete der alte rum. Name Vizocna. Heute heißt die Stadt rum. Ocna Sibiului, die dt. Namen sind Salzburg oder auch Salzbrich. 82 Der Salzbergbau besaß seit dem frühen Mittelalter eine große wirtschaftliche Bedeutung in Siebenbürgen. Er ging in der Zeit der türkischen Angriffe zurück, war aber zu Zeiten Reichersdorffs weiterhin ein wichtiger ökonomischer Faktor. Dazu einleitend das Kapitel „Bergbau und Bergwerksorte“ in: Peter Niedermaier, Städte, Dörfer, Baudenkmäler. Studien zur Siedlungs- und Baugeschichte Siebenbürgens. Als Festgabe zum 70. Geburtstag hrsg. vom Vorstand des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, Köln [u.a.] 2008 (= Studia Transylvanica, Bd. 36), S. 319-374. Umfassend die insgesamt zehnbändige Reihe Silber und Salz in Siebenbürgen, daraus vor allem die Bde. 1: Rainer Slotta / Volker Wollmann / Ion Dordea (Hrsg.), Silber und Salz in Siebenbürgen. Katalog zur Ausstellung im Deutschen Bergbau-Museum vom 27. August bis zum 31. Dezember 2000. Einleitende Aufsätze, Gutachten, Reiseberichte und Katalog der Exponate, Bochum 1999 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Bd. 85), dazu als Bde. 2 und 3 der Reihe: Quellen aus dem Montan-Thesaurariats-Archiv von Cluj-Napoca/Klausenburg, ebd.; vgl. auch unten Anm. 101. 83 Heltau, heute rum. Cisnădie (ung. Nagydisznód).

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Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

In gleicher Entfernung liegt unter Helta der Berg des H. Michael mit einem sehr schönen aus Quaderstein erbautem Schloße auf seinem Gipfel. 84 Es dient den Einwohnern in Kriegszeiten zum Zufluchts=Ort; die Gegend ist fruchtbar. 84F

Der nicht unbekannte Fluß Alt, (Alutus) 85 entspringt an dem Fusse der Ciculischen Berge, bespühlt Siebenbürgen, trennt das Barcenses Gebiet 86 von Cicalien 87, und fließt gegen Hermannstadt nahe bei Rothethurm 88 durch enge und steile Thäler in die Wallachei, und nicht weit über Nekopolis 89, einem 2 Meilen von Hermannstadt entferntem Thurme in die Donau. Die Türken können hier nur auf sehr engen Wegen Siebenbürgen betreten. 85F

86F

87F

8F

89F

Kronstadt 90, berühmt durch seine türkischen Waaren, zwischen sehr schönen Bergen gelegen, ist mit Mauern, Gruben und Vorwerken umgeben. Ihre 3 Vorstädte in getrennten Thälern bewohnen die Bulgaren, Ungarn und die Ackerbautreibenden Sachsen. Die einzelnen Districkte werden reichlich bewässert; die sehr großen Ebenen werden rings von Bergen umgeben, welche die Stadt von der Wallachei trennen. Der Boden bringt Getreid und Flachs im Ueberfluße hervor. In der Stadt blühen die freien Künste, berühmt ist die Bibliothek. 91 Diese Stadt an den nächsten Gränzen der Ciculer 92; (in griechischer Sprache Stephanopolis, in halb barbarischer Cronopolis, und von den Ungarn Brasovia genannt,) liegt in dem innersten Theile Siebenbürgens, welchen die 90F

91 F

92F

___________ 84 Gemeint ist das Dorf Michelsberg (rum. Cisnădioara, ung. Kisdisznód), inzwischen ein Ortsteil von Cisnădie. Mitten im Dorf erhebt sich der namengebende Bergkegel, auf dem kein Schloss, sondern eine Kirchenburg steht. Vgl. Arne Franke, Das wehrhafte Sachsenland. Kirchenburgen im südlichen Siebenbürgen. Mit einer historischen Einführung von Harald Roth, Potsdam 2007 (= Potsdamer Bibliothek östliches Europa – Kulturreisen), S. 113-117. 85 Der (ung./rum.) Olt (dt. Alt) ist ein rumänischer Nebenfluss der Donau und der längste nur Rumänien durchfließende Fluss. Seine Quelle liegt im ostkarpatischen Hăşmaş-Massiv nahe rum. Bălan (ung. Balánbánya, dt. Kupferbergwerk). 86 Das Burzenland (rum. Ţara Bârsei, ung. Barcaság). 87 Fälschlich für Ciculien, das Szeklerland (nach dem lat. Terra Siculorum). 88 Eine (heute noch rudimentär erhaltene) rot bemalte Festung an der Stelle der einstigen römischen Castra Traiana, die den strategisch wichtigen Rote-Turm-Pass (rum. Pasul Turnu Roşu, ung. Vöröstoronyi-szoros), einen Talpass im zentralen Teil der Südkarparten, kontrollierte. 89 Nikopol ist eine nordbulgarische Stadt an der unteren Donau; ihr gegenüber liegt rum. Turnu Măgurele (dt. Großnikopel). 90 Heute rum. Braşov (ung. Brassó). 91 Fr[iedrich] Schuler von Libloy, Nachrichten über Bibliotheken in Siebenbürgen, in: Neuer Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekswissenschaft 6 (1857), S. 9-12, nennt die von Johannes Honterus, dem Reformator Siebenbürgen als „Schulliberie“ eingerichtete Bibliothek in seinem Überblick an erster Stelle, wohl auch, wie sie „früher die grösste im Lande gewesen“ sei (S. 9). Zum Wirken (und der Wirkung) von Honterus nach wie vor in deutscher Sprache maßgeblich: Oskar Wittstock, Johannes Honterus. Der Siebenbürger Humanist und Reformator. Der Mann, das Werk, die Zeit, Göttingen 1970 (= Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde, 10). 92 Szekler.

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Panonnier 93 Burcza, wir aber Bureia, entweder von dem Flusse, welcher hier durchfließt, oder von Wurzel (Kadir) in unserer Sprache Wurzia, so nennen, weil eine Wurzel in eine Krone verflochten, das Zeichen der Burtianer ist. 94 93F

94F

Dieser Theil von Burcia ist sehr schön, und so durch seine Lage getrennt, daß man es für ein zweites Siebenbürgen ansehen kann. Es wird rings von Bergen eingeschlossen, und von den Ciculern durch den Fluß Alt (Alutus) getrennt. Es ist ganz bekannt. Genannte Stadt ist von sehr vielen Bergen umgeben; von denen zwei wie Mauern ihre Seiten einschließen, auf welchen oben Festungswerke sind. Ein doppelter Graben von außerordentlicher Tiefe umgibt rings die mit Thürmen versehenen Mauern. In den Vorstädten wohnen Sachsen und Ciculer gemischt. Den übrigen Theil bis an die Gebirgs=Engen bewohnen die Wallachen, welche hier eine Kirche und einen Priester haben. In sehr langen Strassen wohnen wieder Sachsen mit Ciculern. In die Stadt werden nur Deutsche aufgenommen. Unter den großen Gebäuden der Stadt nimmt den ersten Platz die Kirche ein, die der Jungfrau Maria aus Quaderstein erbaut ist. 95 Diese Stadt ist von der Feste Togoras 96, welche auf einer sumpfigen Ebene wohl befestigt ist, 4 Meilen entfernt. Sie wurde einst vergebens von dem Woywoden der Moldau, Stephan Maylat beschossen. 97 95F

96F

97F

Keine Stadt Siebenbürgen’s ist mehr bevölkert, als diese. Der wöchentliche Markt wird häufig von den Landleuten besucht: sie ist der Handelsplatz der Ciculer, Wallachen, Armenier und Griechen; auch werden aus der Moldau und Wallachei meistens türkische Waaren eingeführt. Die obrigkeitlichen Personen der Stadt sind gesetzte, alte gelehrte Männer, die Einwohner kriegerisch und tapfer. ___________ 93 Pannonier meint hier die (West-)Ungarn, Reichersdorff benutzt den aus der römischen Zeit stammenden Provinzbegriff, der dann bis zur Ankunft der Magyaren als Landschaftsbegriff weiterverwendet wurde. 94 Die ‚Burzen‘ gibt es nicht. Das Burzenland wird vom Fluss dt. Burzen bzw. Burzenbach (rum. Bârsa), der in den Olt mündet, durchflossen. Man vermutet, dass der Name des ganzen Gebietes davon abzuleiten ist. Die Beschreibung des Wappens trifft nicht auf das Burzenländer Wappen, sondern auf das der burzenländischen Gemeinde von Kronstadt zu. 95 Die heutige Schwarze Kirche (rum. Biserica Neagră), deren Bau um 1480 abgeschlossen wurde, war ursprünglich der Heiligen Jungfrau Maria geweiht; ihren Namen verdankt sie einem Brand 1689, der nur noch die Grundmauern stehen ließ, auf denen sie bis zum Ende des 18. Jahrhundert wieder aufgebaut wurde. Bis heute ist sie eine der Sehenswürdigkeiten Kronstadts. Vgl. dazu Albert Weber, Die „Schwarze Kirche“ in Kronstadt, in: Bahlcke / Rohdewald / Wünsch (wie Anm. 3), S. 302-313. 96 Fälschlich für Fogaras (so auch nach dem Ungarischen richtig bei Reichersdorff), rum. Făgăras, eine im 12. Jahrhundert errichtete Burg. 97 Stefan Mailat (ung. István Majláth), 1534-1541 Woiwode von Moldau, Heerführer unter Johann Zápolya im Krieg gegen Erzherzog Ferdinand von Habsburg, nach dem Tod des Gegenkönigs um eine Annäherung mit Ferdinand bemüht und deswegen bis zu seinem Tod in türkische Festungshaft genommen. Zu ihm Béla Majláth. Maylád István. 1502-1550, Budapest 1889.

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Nösen 98, auf einer sehr geräumigen Ebene hat auf beiden Seiten mit Weinreben bepflanzte Hügel. Die Mitte der Stadt durchfließt der Fluß gleichen Namens, welcher bei der südlichen Seite der untern Vorstadt seinen Lauf ändert, und nach 2 Meilen sich mit dem Flusse Zamos vereinigt. 99 Vier Meilen von Nosen sind die Rodnenischen Gold= Bergwerke; und von da an den äußersten Gränzen Siebenbürgens die Frauenströme, durch ihre Goldgruben nicht unberühmt. 100 Schäsburg, theils auf einem Berge, theils an dem Fuße desselben gelegen, hat Mauern, bei welchen, wie auch bei Medwisch, ein Fluß vorbei lauft, welcher sich oberhalb Weissenburg in die Marosch ergießt. 101 98F

9F

10F

10F

Medwisch in der Mitte Siebenbürgen’s hat Ueberfluß an Wein und andern nothwendigen Bedürfnissen. 102 Bei der Stadt, welche 4 Meilen von Hermannstadt entfernt ist, lauft der Fluß Groß=Kykellew, welcher auf den Bergen Schyk entspringt 103[!], vorbei, nimmt den Fluß Klein= Kykellew auf, 104 und ergießt 102F

103 F

104F

___________ 98 Der alte deutsche Name für die Stadt rum. Bistriţa (auch dt. Bistritz, ung. Beszterce), von Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9) in der lat. Form ‚Bistricia‘ benutzt. Dass Jäck und Fiedler innerhalb eines Absatzes „Nösen“ wie „Nosen“ schreiben, gibt ein weiteres Zeugnis der schlampigen Redaktion des Textes. 99 Der Fluss rum. Someş (ung. Szamos, dt. Somesch), der im Rodnaer Gebirge entspringt. 100 Hier lagen seit dem Mittelalter die einträglichsten Minen für Gold, Silber und Eisen in Siebenbürgen, vgl. dazu: Rainer Slotta / Volker Wollmann / Ion Dordea (Hrsg.), Rodenau’s Silber – Bistritz’ Glanz. Zur Geschichte und Entwicklung eines Bergorts in den Karparten. Katalog zur Ausstellung des Kreismuseums Bistriţa-Năsăud mit dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum und der Kreisdirektion Cluj-Napoca des Rumänischen Nationalarchivs vom 21. Oktober 2004 bis März 2005, Bochum 2004 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Bd. 127; Silber und Salz in Siebenbürgen, Bd. 7). Zum Goldbergbau in Siebenbürgen liegt nunmehr vor in deutscher Übersetzung die erste große Abhandlung von Samuel Köleséri de Keres-eer, Auraria Romano-Dacia, übersetzt und bearb. von Horst Schneider, Bochum 2009 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Bd. 168; Silber und Salz in Siebenbürgen, Bd. 9). 101 Der Marosch oder Mieresch (rum. Mureş, ungar. Maros; lat. Marisius) ist einer der Hauptflüsse Siebenbürgens. – Die beiden genannten Städte rum. Sighişoara (ung. Segesvár) und Mediaş (wie Anm. 79) liegen an der Großen Kokel (rum. Târnava Mare, ung. Nagy-Küküllő), die beim Städtchen rum. Blaj (ung. Balázsfalva, dt. Blasendorf) mit der Kleinen Kokel zusammenfließt. Zur Mündung vgl. Anm. 104. 102 Die Bedeutung des Weinbaus für und um Mediaş zeigt sich schon im Wappen, das eine fruchttragende Weinrebe abbildet. – Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9) schließt an dieser Stelle die o.g. Erzählung über den Aufstand Grittis an, die Fiedler vollständig auslässt. Lodovico Gritti, in Istanbul geborener Sohn des dortigen Venezianischen Botschafters bei der Hohen Pforte, entschiedener Gegner König Ferdinands in allen Auseinandersetzungen um das Königreich Ungarn, von 1530 bis 1534 ungarischer Regent des Sultans mit Sitz in Buda, gefallen in der Schlacht bei Mediaş. Vgl. Ferenc Szakály, Lodovico Gritti in Hungary. 1529-1534. A historical insight into the beginnings of Turco-Habsburgian rivalry, Budapest 1995 (= Studia historica Academiae Scientiarum Hungaricae, Bd. 197). 103 Emendiert aus „eutspringt“. 104 Groß=Kykellew bzw. Klein=Kykellew sind in dt. wie lat. Quellen synonym verwendete Namen für die Große bzw. Kleine Kokel. Beide Flüsse entspringen im ostkarpartischen GurghiuGebirge im heutigen Kreis Harghita in Rumänien, dessen Hauptstadt Miercurea Ciuc (ung. Csíkszereda, dt. Szeklerburg) ist; die Benennung des Gebirges bei Reichersdorff leitet sich offenkundig vom Namen des Szeklerstuhls Czik (s. oben Anm. 53) her.

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sich nicht weit von Balasfalwa 105, ein wenig unterhalb Ezombar und bei der Stadt Enyedin, in den Fluß Marosch. 106 105F

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Kykellewar ist eine Meile von Medwisch gegen West entfernt. Nicht weit von der Feste lauft Klein= Kykellew. Die Feste mit einigen herumliegenden Dörfern besaß als Geschenk der ungarischen Könige der Woywode der Moldau, Namens Peter. 108 Sie hat trefflichen Wein und andere Dinge im Ueberfluße. Die Stadt Millenbach 109, nicht weit von Weisenburg, liegt auf einer Ebene, ist rings mit fischreichen Wässern und nicht gar guten Vorwerken umgeben. Sie, angeblich der erste Sitz der Sachsen 110, hat schöne Gebäude. Nicht weit von dieser Stadt liegen die Städte Woucz und Berboreck, welche den Ungarischen Königen gehören. 111 Auf dem Marosch 112 wird das Salz nach Ungarn 107F

108F

109F

10F

1F

12F

___________ 105 Balasfalwa lehnt sich an den ung. Namen Balásfalva (heute rum. Blaj, dt. Blasendorf) an. Ist diese Angabe korrekt, bleibt Reichersdorff an der Stelle dennoch äußerst ungenau – was höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass er nicht aus eigener Erfahrung berichtet. So ‚umkreist‘ er die Mündung der (rum.) Târnava (ung. Küküllő, dt. Kokel) mit seinen Ortsangaben: Hat er sie im Absatz über Segesvár kurz zuvor so beschrieben, dass sie „paulo supra Albam Iuliam influit in Marusium“ (Bl. Eijv), bleibt er in diesem Absatz ebenso vage, indem er nunmehr einen nördlichen Orientierungspunkt wählt, fließe sie doch „non longè à Balasfalwa paulò infra Ezombor & sub Enijedino oppido in Marusium“ (Bl. Eiijr). Beide Orte liegen jeweils etwa 20 Kilometer von der Mündung entfernt, die bei rum. Mihalţ (ung. Mihálcfalva, auch Mihálc, dt. Michelsdorf) liegt. 106 Enjedin(um) ist der lat. Name für rum. Aiud (ung. Nagyenyed, dt. Straßburg am Mieresch); Ezombor, auf manchen Karten des 16. Jahrhunderts auch Ezomvar, ist „vermutlich identisch mit [ung.] Csombord, rum. Ciumbrud am linken Miereschufer gegenüber“ von Aiud, vgl. Hans Meschendörfer / Otto Mittelstrass (Bearb.), Historisch-landeskundlicher Atlas von Siebenbürgen, hrsg. vom Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde. Beiheft. Siebenbürgen auf alten Karten. Lazarus/Tannstetter 1528, Johannes Honterus 1532, Wolfgang Lazius 1552/56, Gundelsheim 1996, das Zitat dort S. 122. 107 Rum. Cetatea de Baltă (ung. Küküllővár, dt. Kokelburg). 108 Bezieht sich wohl auf den zu Lebzeiten von Reichersdorff regierenden moldauischen Woiwoden Petru IV. Rareş (1483-1546); die Festung samt umliegenden Dörfern hatte der ungarische König Matthias Corvinus allerdings schon 1467 nach einer vernichtenden Niederlage gegen die moldauischen Truppen an den Woiwoden Ştefan III. cel Mare (Stefan der Große, um 1433-1504) abtreten müssen. Vgl. Maria Magdalena Székely, Sfetnicii lui lui Petru Rare. Studiu prosopografic, Iai 2002 (= Historica, Bd. 25), S. 81f. 109 Anderer, von Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9) verwendeter Name für dt. Mühlbach, heute rum. Sebeş (ung. Szászsebes). 110 Fiedler übersetzt das von Reichersdorff ebd., Bl. Eiijv, immer richtig als administrativjuristische Bezeichnung für ‚Stuhl‘ benutzte ‚sedes‘ an dieser Stelle verfälschend als ‚Sitz‘. Zur Frage des ältesten Stuhl der Siebenbürger Sachsen vgl. Friedrich Müller, Zur Rechts- und Siedlungsgeschichte der Siebenbürger Sachsen, Köln [u.a.] 1971 (= Siebenbürgisches Archiv, Bd. 8). 111 Die Übersetzung ist ungenau: ‚oppidum‘ bezeichnet im Lateinischen eine kleine Landstadt, in diesem Falle zwei Marktflecken. Woher der Übersetzer Fiedler die Namensform ‚Woucz‘ nimmt, kann ich nicht nachvollziehen; Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), schreibt Bl. Eiijv „Wijncz“, was er aus dem dt. Namen Winz (auch Wintz oder Alwinz, ung. Alvinc, heute rum. Vinţu de Jos) ableitet, der in mittelalterlichen Urkunden auch Alwijncz geschrieben wurde. ‚Berboreck‘ ist verschrieben aus Borberek, ein ung. Name für den Ort Weinberg (heute rum. Vurpăr), der Winz gegenüber und damals wie heute durch eine Brücke miteinander verbunden auf der anderen Seite der Marosch liegt. Vgl. auch den Eintrag in: Theodor Link, Kleine Geographie des Großfürstenthums Siebenbürgen, aus den sichersten Quellen zusammen getragen, und zunächst für

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gefahren. Auf dem Gipfel eines kleinen Berges wurde das Franziskanerkloster vor einigen Jahren durch innere Feinde zerstört. 113 Die Stadt hat 17 Königliche Dörfer. 13F

Klausenburg auf einer sehr schönen Ebene, hat Mauern und prächtige Gebäude. Sachsen, gemischt mit Ungarn, bewohnen sie. Jährlich erwählen beide durch Stimmen=Mehrheit ihren Richter und ihre Räthe. 114 14F

Nicht weit von hier lauft der Chrysus, welcher Ungarn von Siebenbürgen scheidet, aus den Dazischen Gebirgen, welche an Ungarn gränzen, zwischen rauhen und steilen Bergen in beständigen Krümmungen und eilenden Laufes. Hier wohnen die Wallachen in verlassenen Gebäuden, von ihren Herden und von Fischen lebend. Dieser fischreiche Fluß scheint von dem griechischen Worte Xrobo’s, weil er viel Gold mit sich führt, seinen Namen erhalten zu haben. 115 15F

Nicht weit von dieser Stadt ragen gegen West 2 sehr hohe, gegen einander stehende Felsen hervor, durch welche dieser kleine Fluß eilenden Laufes stürzt. 116 16F

Weissenburg, eine sehr alte Stadt, der Sitz eines Bischoffes, ehemals Zarmyz, ist mit den 7 sächsischen Gespannschaften verbunden. 117 Sie liegt auf einem 17F

___________ den Gebrauch beym Unterrichte bestimmt, Wien 1817, S. 34: „Borborek (Vininsula, oder Weinberg), ein Marktflecken der nur durch die Marosch von Alwinz getrennt ist, mit einer katholischen, nichtunirt=griechischen und reformirten Kirche.“ 112 [siehe S. 204] Emendiert aus „Morasch“. 113 Noch Karl Gottlieb von Windisch, Geographie des Großfürstenthums Siebenbürgen, oder: der Geographie von Ungarn Dritter Theil, Preßburg 1790, S. 83, erwähnt, dass „auch die Römischkatholischen eine Administration [haben], die von einem Franziskaner versehen wird.“ 114 Rum. Cluj-Napoca (ung. Kolozsvár). Bis heute eine der rumänischen Städte mit der größten ungarischen Minderheit. Nach wie vor auch ein Zentrum der Siebenbürger Sachsen, deren Gemeinde allerdings nur noch wenige hundert Personen zählt. – Durch die Stadt fließt, das sei im Blick auf die kommende Anm. vorausgeschickt, der Fluss rum. Someşul Mic (ung. Kis-Szamos, dt. Kleiner Somesch). 115 Chrysius ist der lateinische Name für den rum. Fluss Criş (ung. Körös, dt. Kreisch), der aus drei längeren Quellflüssen im ung. Städtchen Gyomaendrőd (rum. Jomendrod) zusammenfließt: rum. Crişul Alb (ung. Fehér-Körös, dt. Weiße Kreisch), rum. Crişul Negru (ung. Fekete Körös, dt. Schwarze Kreisch) und rum. Crişul Repede (ung. Sebes-Körös, dt. Schnelle Kreisch). Windisch (wie Anm. 114), S. 14, bestätigt das Goldsandvorkommen in der Kreisch. – Für die Herleitung entsprechender Ortsnamen vom grch. Wort ‚Chrysos‘ gibt Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. [E4]r, Strabon, Geographie, Buch 13, als Beleg an. Jäck und Fielder verwandeln bei grch. „Χρυσός“ den Akzent in ein Apostroph. 116 Ein nachfolgendes neulateinisches Epigramm (wohl von Reichersdorff stammend, ebd., Bl. [E4]v) beschreibt diese beiden Felsen, zu einer Identifizierung der Lokalität trägt es aber auch nicht bei. 117 Weißenburg (ab 1711 dt. Karlsburg), ung. Gyulafehérvár, heute rum. Alba Iulia. Seit 1009 Sitz des Erzbischofs von Weißenburg, administratives und kulturelles Zentrum des Fürstentums Siebenbürgen. Am 1622 gegründeten Akademischen Gymnasium, das die fehlende Landesuniversi-

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abhängigen Hügel, rings von einer 2000 Schritte langen Ebene umgeben. Oestlich fließt der Marosch, auf der andern Seite der von den Ungarn genannte Fluß Ompay. 118 Auf der Westseite umgibt sie bis zu dem Berge des h. Michael, auf welchem ein Kastell des h. Michael ist, welches noch aus den Zeiten der Römer stammt, wie die Alterthümer beweisen, welche man in Menge sehen kann, eine schöne Ebene. 119 Gegen Norden breitet sich noch dieselbe Ebene aus. Der Fluß Marosch ist 2 Meilen von der Stadt entfernt; ehemals soll er durch die Mitten derselben geflossen seyn, wie die Ruinen und zerstörten alten Grabmäler beweisen. Die Länge und Breite der Stadt soll ehemals 5000 Fuß betragen haben. Innschriften und Grabmäler zeugen dafür, daß sie ehemals die Gothen bewohnt hatten. 120 18F

19 F

120F

Von Weissenburg liegen gegen Westen sehr hohe und schwer zu besteigende Berge mit gold= und silberreichen Gebirgs= Städten; deren vorzüglichste Abrugbanija 121 mit einem von Johann Huniades 122 gestifteten Priester=Kollegium ist. Sie liefert viel Gold in die Münze nach Hermannstadt. 12F

12F

___________ tät ersetzen sollte, lehrte kurzzeitig bis 1623 Martin Opitz. Vgl. dazu den Beitrag von Klaus Garber in diesem Band. 118 Rum. Ampoi (ung. Ompoly), ein Nebenfluss der Mureş. 119 Heute rum. Sânnicolau Mare (ung. Nagyszent miklós, dt. Großsanktnikolaus), eine Kleinstadt im Banat mit nach wie vor mehr als fünf Prozent deutscher Minderheit. Die Römer hatten hier im 2. Jahrhundert im Rahmen ihres dakischen Limes ein Kastell eingerichtet. Der von Reichersdorff benutzte Name „S[anc]t[us] Michael[is]“ findet sich erstmals in königlich-ungarischen Urkunden aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Vgl. Hans Dama, Die Mundart von Groß-Sankt-Nikolaus im rumänischen Banat, Marburg 1991 (= Deutsche Dialektgeographie. Untersuchungen zum deutschen Sprachatlas, Bd. 89), S. 4. 120 Nach dem Rückzug der Römer im Jahre 271 besiedelten zunächst die Ostgoten die Stadt, später die Magyaren. Einführend in die Stadtgeschichte: Arne Franke, Städte im südlichen Siebenbürgen. Zehn kunsthistorische Rundgänge. Mit historischen Einführungen von Harald Roth, Potsdam 2010 (= Potsdamer Bibliothek östliches Europa – Kulturreisen). 121 Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. F[1]r, schreibt den Namen, den er erneut aus dem Ungarischen entnimmt, falsch: Richtig muss es ung. Abrudbánya heißen; heute rum. Abrud (dt. Großschlatten). Schon zur Römerzeit stand hier ein Kastell zur Verteidigung der Minen. Abrud war der zentrale Ort der an Gold- und Silberminen reichen Gemeinde rum. Roşia Montană (ung. Verespatak, dt. Goldbach). Vgl. Rainer Slotta / Volker Wollmann / Ion Dordea (Hrsg.), Das Gold der Karparten – Bergbau in Rosia Montană. Katalog zur Ausstellung im Deutschen Bergbau-Museum Bochum vom 27. Oktober 2002 bis zum 5. August 2003. Einleitende Aufsätze, Reiseberichte sowie geologische und mineralogische Literatur, Bochum 2002 (= Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Bd. 112; Silber und Salz in Siebenbürgen, Bd. 4), dazu als Bd. 5 der Reihe: Quellen aus dem Montan-Thesaurariats-Archiv von ClujNapoca/Klausenburg. Ebd. 122 János Hunyadi (1407-1456), aus Siebenbürgen stammender Heeresführer und Diplomat des ungarischen Königs, Vater des späteren Königs Matthias Corvinus. Zu ihm vgl. Joseph Held, Hunyadi. Legend and reality, New York [u.a.] 1985 (= East European monographs, Bd. 178).

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Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

Abrugbanija ist von Weissenburg 5 Meilen entfernt. Auf demselben Wege liegt auch die Stadt Zalathna, welche die Wallachen bewohnen. 123 Für ihre frühere Größe sprechen ihre alten Denkmäler. 123F

Zazwaras, von den Sachsen Bros genannt, 124 gegen Süd eine Meile von Kenyer 125, liegt an dem Fluße Marosch in einer sehr wein= und getreidereichen Gegend. Die Einwohner sind sehr gebildet, nä=hern sich in Gebräuchen, Kleidung und Nahrung den Wallachen, welche auf dem Lande in einigen verlassenen Wohnungen sich aufhalten, das Klima ist sehr angenehm. Die sehr dichten Wälder ernähren Hasen, Damhirsche und gemein Hirsche in großer Menge; die Wässer haben die besten Fische. 124F

125F

Von Zazwaras kommt man über waldige Bergrücken nach 2 Meilen in ein kleines Land an dem äussersten Winkel Siebenbürgens, in welchem die Stadt Haczak liegt. 126 Diese Provinz ist von dem übrigen Reiche getrennt und rings von sehr hohen Bergen umgeben, vorzüglich gegen Ost und Süd, wo ein sehr geräumiger Eingang zur Wallachei führt. Sie breitet sich 8 Meilen aus, und führt den Namen Haczas; die Stadt gleiches Namens bewohnen die Wallachen mit Pannoniern vermischt. 126F

Im Süden dieser Provinz sieht man noch den Grund einer sehr großen Stadt, und die eingefallenen Wände der Häuser. Der Ort heißt Varheli. 127 Aus den ___________ 127F

123 Rum. Zlatna (ung. Zalatna, dt. Kleinschlatten). Der Ort wurde schon in der Römerzeit begründet und ist ebenfalls wegen seiner Minen von Bedeutung. Der Ortsname stammt vom slawischen Wort ‚zoloto‘ für Gold ab. Um 1620 siedelte der Fürst von Siebenbürgen Gabriel Bethlen (1580-1629) hier mehrere Hundert Deutsche an, die in den Minen arbeiten sollten. Martin Opitz widmete sein Landgedicht Zlatna (1623) einem der deutschen Verwalter der Goldminen. 124 Rum. Orăştie (ung. Szászváros, dt. Broos oder Brosz), Hauptort eines der sieben Stühle der Siebenbürgener Sachsen. 125 Emendiert aus „Keuyer“. Heute rum. Şibot (ung. Alkenyér, dt. Unterbrodsdorf). Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. F[1]r, schreibt „Kenijer“ und benutzt damit eine Namensform, die in mittelalterlichen Urkunden auftaucht; auch ‚Kener‘ und ‚Kuner/Kunertu‘ kommen vor – nicht aber die bei Jäck und Fiedler gedruckte Form „Keuyer“. 126 Die Stadt heißt heute rum. Haţeg (ung. Hátszeg, dt. Hötzing oder Hatzeg). In deutscher Sprache war auch der Name Wallenthal gebräuchlich, vgl. Windisch (wie Anm. 114), S. 130; dieser wurde parallel mit Hatzeger Land für dieses Tal benutzt (rum. Ţara Haţegului). 127 „[…] man heist ihn [= diesen Landstrich] das Thal Haczak, von dem darinn liegenden Flecken dieses Nahmens/ so von Ungarn und Wallachen bewohnet wird. Allhier muß man die Uberbleibungen der alten Römischen Coloniae Ulpiae Trajanae suchen/ welche an dem Orte der Königlichen Dacischen Residentz Decebali, Zarmizaegethusa, vom Kayser Trajano angeleget worden/ wie Dio Cassius deutlich genung berichtet. Die Einwohner nennen die Gegend wo sie gestanden/ heutiges Tages Varheli, d.i. den Ort einer Stadt/ und ist nichts von derselben mehr übrig/ als die ungeheuren Rudera, woraus man noch einiger massen von ihrem alten Pracht und Grösse urtheilen kan; massen sie damalen 6000. Schritte im Umfange soll gehabt haben. Die Wallachen sind noch täglich bemüht/ aus diesen Ruderibus allerhand kostbahre Steine/ Müntzen und andere Römische Antiquitäten/ hervor zu suchen.“ [Heinrich Ludwig Gude,] Staat Von Siebenbürgen[,] Wallachey Und Moldau, [Halle an der Saale 1710], S. (34). In der Nähe der versunkenen Hauptstadt Trajans, Colonia Ulpia Traiana Augusta Dacica Sarmizegetusa, liegt heute der kleine Ort rum. Sarmizegetusa, dessen ung. Name Várhely lautet, dt. Burgort. Vgl. auch oben Anm. 46.

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Axel E. Walter

Trümmern graben die Wallachen kostbare Steine, und goldene und silberne Münzen. 128 128F

Sargetia 129, ein Fluß Siebenbürgen’s, welcher zur Residenzstadt Zarmyz des Königs Dezedal fließt, bespühlt jetzt das Schloß der Hunraden. 130 Die Schätze, welche Dezebal an den seichten Stellen dieses Flußes verborgen hatte, soll nach dessen Besiegung der Kaiser Trajan gefunden haben. 131 129F

130F

13F

Die große Stadt Zarmis, der Sitz Dezebal’s erhielt nach dessen Besiegung den Namen Ulpia Trajana. 132 In dieser Provinz sind sehr reiche Gold= und Silber=Berge, wie Abrugbania, Zalathnia und Keresbania. 133 132F

13F

___________ 128 Hierauf folgen in Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. F[1]v-Fijr, der lange Absatz über den Ausbau von Alba Iulia, das Reichersdorff falsch als alte Residenz von Dezebal identifiziert, durch die Witwe von Johann Zápolya, Isabella Sforza, sowie eine angeblich aus Zeiten von Marcus Aurelius stammende Inschrift an der St. Michaelis-Kathedrale in Weissenburg. Zu Isabella und ihrer politischen Rolle im türkischen Einflussgebiet Ungarns vgl. Alicia M. Forsey, Queen Isabella Sforza Szapolyai of Transylvania and Sultan Süleyman of the Ottoman empire. A case of sixteenth-century Muslim-Christian colloboration. With an introduction by Mustafa Hakki Ertan, Lewiston/NY [u.a.] 2009. 129 Lat. Name des Flusses rum. Strei (ung. Sztrigy, dt. Strell oder Strey), in dem der Sage nach der Schatz des Dakerkönigs Dezebal versenkt worden sein soll, von dem Trajan nicht alles gefunden habe. Diese Sage geht zurück auf Cassius Dio 68,14. 130 Gemeint sind natürlich (wie auch bei Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. Fijv, geschrieben) die Hunyaden, das Geschlecht des oben Anm. 123 erwähnten Johann Hunyadi. Deren Stammburg Schloss Hunedoara (rum. Castelul Huniazilor oder Corvinilor), eine der bedeutendsten und besterhaltendsten Anlagen Rumäniens, befindet sich in der gleichnamigen Stadt, deren dt. Name Eisenmarkt lautete (ung. Vajdahunyad). 131 Dafür nennt Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9) in guter humanistischer Manier auf Bl. Fijv ausdrücklich seine Quelle: „Lege Traiani vitam, per Georgium Merul. ex Dione Graeco traductam.“ Gemeint ist die Ausgabe des italienischen Philologen und Editors Giogrio Merula (um 1430-1494), der eine lateinische Übersetzung der – u.a. Trajan betreffenden – Fragmente der Römischen Geschichte des römischen Geschichtsschreibers Lucius Cassius Dio (um 163 nach 229) vorgenommen hatte, wobei Reichersdorff der folgende postume Druck vorgelegen haben könnte: [De die natali liber aureus.] Index operum quae in hoc uolumine continentur. Censorini de die natali liber aure[us] olim mutilat[us] nunc adiectis quatuor integris capitibus & innumeris pene clausulis antique lectioni restitutus. Neruae Traianiq[ue] & Adriani Caesaris uitae ex Dione in latinum uersae[,] a Georgio Merula. Item Vesaeui montis conflagratio ex eodem Merula interprete […], [Mailand:] Giovanni Giacorno da Legnano [um 1503]. 132 Als Beleg zitiert Reichersdorff eine Inschrift: „DIVO SEVERO PIO. | COLONIA VLPIA TRAIANA | AVG. DACIAE | ZARMIS.“ Ob er sie selber notiert oder einer (handschriftlichen oder gedruckten) Quelle entnommen hat, ist nicht ersichtlich. Vgl. die Nachweise in: Theodor Mommsen (Hrsg.), Corpvs Inscriptionvm Latinarvm. Consilio Et Avctoritate Academiae Litterarvm Regiae Borvssicae Editvm. Bd. 3, Teil 1: Inscriptiones Asiae Provinciarvm Evropae Graecarvm Illyrici Latinae […], Berlin 1873, S. 234, Nr. 1452. 133 Keresbania ist wieder dem ung. Namen Körösbánya entlehnt, heute heißt das Dorf, das wie Abrud und Zlatna bis in die Frühe Neuzeit ertragreiche Gold- und Silberminen besaß, rum. Baia de Criş, der dt. Name lautet Altenburg. – Jäck und Fiedler fassen im Folgenden fast zwei Seiten von Reichersdorffs Beschreibung zusammen, in der die genannten Orte nicht nur kurz vorgestellt werden, sondern jeweils wieder Inschriften zu ihrer Geschichte zitiert sind.

Reichersdorffs Beschreibung von Siebenbürgen (1550/1828)

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Abrugbania, eine goldreiche Stadt, ist rings mit sehr fruchtbaren Bergen umgeben. Sie war, wie eine römische Provinz. 134 134F

Zalathnya ward zu den Zeiten des Kaisers Trajan gegründet, und hatte berühmte Goldgruben. Keresbania eine schön gelegene Stadt an einem Bergabhange bewohnen Sachsen und Wallachen untereinander gemischt, von welchen jene Länder häufig geplündert werden. Von der Beschreibung der Städte wenden wir uns zu den Flüssen. Der Marosch, der goldführende Fluß Siebenbürgens, 135 entspringt aus den Bergen Siebenbürgen’s, welche an die Moldau gränzen, fließt von Ciculien nach Dazien, und von da nach Tyssia, und ergießt sich in die Donau. 136 Hier wird das Königliche Salz nach Ungarn geführt. 135F

136F

Der Zamos entspringt nicht weit von dem Fluße Chrysus auf den an die Moldau gränzenden Bergen Daziens, strömt gegen Ost, bei dem Bischöfflichen Schloße Gywla 137 vorbei, gegen Süd, bewässert die Stadt Klausenburg, und wendet sich in einem engen Busen ähnlichen Bette gegen Ost. Gemeiniglich 137F

___________ 134 Die Übersetzung ist an dieser Stelle unsinnig, bei Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9) heißt es Bl. Fiijr, Abrud (s. Anm. 122) sei eine römische Siedlung („colonia“) gewesen. 135 Rum. Mureş, s. oben Anm. 101. – Zum Goldvorkommen in den von Reichersdorff genannten Flüssen vgl. z.B. den Eintrag „Fejér-Vármegye (albenser Gespanschaft)“ in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearb. und hrsg. von J[ohann] S[amuel] Ersch und J[ohann] G[ottfried] Gruber. Erste Section. A-G. Zweiundvierzigster Theil, Leipzig 1845, S. 340: „Unter den Gewässern ist das ansehnlichste und wichtigste die Marosch […]. Die große Aranyosch entspringt im biharer Gebirge an der ungarischen Grenze, nimmt bei Topánsalva die ebenfalls weiter südlich in dem nämlichen Gebirge entspringende kleine Aranyosch auf, tritt in die thordaer, aus dieser wieder in die aldenser und dann neuerdings in die thordaer Gespanschaft, in welcher sie sich bei Soós Szent Márton in die Marosch ergießt. Schon der Name dieses Flusses (Aranyos, von arany, Gold) deutet auf jene Eigenschaft, welche ihn vorzüglich merkwürdig macht; er führt häufigen Goldsand mit sich und an seinen Ufern befinden sich mehre Goldeisenwerke. Auch in dem Amroj, welcher ober Zolathna in der Nähe des Berges Bulkuj entspringt und bei Karlburg in die Marosch fällt, wird Gold gefunden.“ 136 Die Übersetzung von Fiedler ist erneut ungenau – und verrät wenig Sachkenntnis, behandelt er ‚Tyssia‘ doch als Ort und nicht als den Fluss Theiß (lat. Tisia, rum. Tisa, ung. Tisza), die in der römischen Provinz Dacien den Grenzfluss bildete. Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9), Bl. [F4]r, schreibt „inde in Tyßiam descendit (Vide Strab. lib. x.) mox Danubium influit“, also ‚er ergießt sich daraufhin in die Theiß [und] mündet bald in die Donau‘. Wiederum bezieht sich Reichersdorff auf Strabons Geographie (s. Anm. 116), berichtet also nicht aus eigener Anschauung. Marosch und Theiß fließen bei Szeged zusammen. 137 Ung. Gyula (dt. Deutsch-Jula, rum. Giula), Stadt an der rumänischen Grenze. Die in der Stadt gelegene Burganlage gehörte dem unehelichen Sohn des ungarischen Königs, Johann Corvinus (1473-1504), gelangte danach, durch Verheiratung der Witwe Beatrice de Frangepan (1480-1510), in den Besitz von Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach (1484-1543). – Dass Reichersdorff es zu bischöflichem Besitz macht, beruht wohl auf einer Verwechselung mit Alba Iulia, dessen ungarischer Name ja den Zusatz Gyula (Gyluafehérvár) trägt. Bischofssitz ist Gyula erst in der neueren Zeit, und zwar des orthodoxen rumänischen Bischofs für Ungarn.

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Axel E. Walter

nennt man den Fluß Zamos. Nicht weit von Nö=sen 138 fließt er über eine Ebene, und stürzt sich mit dem Flusse Thybiscus 139 nach Ungarn. 138F

139F

Auf den Bergen Abrug entspringt der Fluß Auratus 140, fließt bei Torda 141 vorbei, und ergießt sich oberhalb Nadyhlak 142 in den Marosch an einem engen Bette; nachdem er mehre Wässer aufgenommen, durchschneidet er Siebenbürgen, fließt bei den Städten Zeckelwassarhel 143, Enyedum 144, Weissenburg, Dewan 145 und Lyppia 146 vorbei, und vereinigt sich nicht weit von Zegedin 147 in Ungarn mit dem Thybiscus. Der Fluß ist schiffbar. Alles, welches aus Siebenbürgen geführt wird, wird in Zegedin niedergelegt, und durch ganz Ungarn und über den Thybisc nach Belgrad und Servien geführt. 148 140F

14F

142F

143 F

145F

14F

146F

147F

148F

___________ 138

Siehe oben Anm. 139. Ein weiterer lat. Name für die Theiß (s. Anm. 137). 140 Auratus (von lat. aureus – golden) lautet der lat. Name des rum. Arieş (ung. Aranyos, ebenfalls mit der Bedeutung von ‚golden‘). Mitunter in deutscher Sprache auch als ‚Goldfluss‘ bezeichnet, ansonsten aber Aranyosch genannt. Zum Goldgehalt dieses und anderer Flüsse vgl. J[ohann] L[eopold] Stotz, Neueste Statistisch-geographische Darstellung des Grossfürtsenthums[sic!] Siebenbürgen, in Hinsicht seiner Grösse, Bevölkerung, Kulturverhältniss, Handlung, Staats- und Militärverfassung, mit einer topographischen Ubersicht, Eisenstadt 1818, S. 10: „Alle siebenbürgischen Flüsse, alle Bäche, selbst diejenigen Wässer, welche durch Regengüsse entstehen, führen Gold mit sich; unter diesen aber ist der Aranyoschfluss der edelste, und wird von den Geschichtsschreibern des Landes mit dem Tagus verglichen.“ Der Fluss entspringt im Bihor-Gebirge. 141 Rum. Turda (ung. Torda, dt. Thorenburg). Seit dem Mittelalter Versammlungsort der siebenbürgischen Landtage. 1568 wurde hier das Edikt von Torda verabschiedet. 142 Rum. Nădlac (ung. Nagylak, dt.Nadlak), geriet 1551 in türkische Hände. 143 Neumarkt am Mieresch. 144 Straßburg am Mieresch. 145 Rum. Deva (ung. Déva, dt. Diemrich), Verwaltungssitz des Komitats Hunyad anstelle von Eisenmarkt (s. Anm. 131). 146 Rum. Lipova (ung. Lippa, dt. Lippa), seit 1552 unter türkischer Herrschaft, zuvor im Besitz von König Johann Zápolya. 147 Ung. Szeged (dt. Szegedin, rum. Seghedin). 148 Bei Reichersdorff, Chorographia Transylvaniae (wie Anm. 9) folgt Bl. [F4]v ein abschließender Absatz über andere zur Zeit Trajans gegründete Kolonien, die nicht mehr existieren, von denen jedoch Inschriften zeugen, und er erwähnt außerdem die Ankunft der Sachsen im Lande. 139

Die Autorinnen und Autoren des Bandes

Boris Dunsch, Dr. habil., Akademischer Oberrat am Seminar für Klassische Philologie der Philipps-Universität Marburg Márta Fata, apl. Prof. Dr. habil., Leiterin des Forschungsbereichs „Neuere Geschichte“ am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen, lehrt am Seminar für Neuere Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen Klaus Garber, Prof. Dr. Drs. h.c., emeritierter Professor für Literaturtheorie und Geschichte der Neueren Literatur an der Universität Osnabrück, Gründungsdirektor des dortigen Interdisziplinären Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit Hartmut Laufhütte, Prof. Dr., emeritierter Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Leiter der Forschungsstelle Frühe Neuzeit an der Universität Passau, Mitherausgeber der Sigmund von Birken-Werkausgabe András Szabó, Prof. Dr., lehrt alte ungarische Literatur an der Gáspár-Károli-Universität Budapest und an der János-Selye-Universität in Komárno Axel E. Walter, Prof. Dr., Leiter der Forschungsstelle für Historische Reisekultur an der Eutiner Landesbibliothek, lehrt an der Fakultät für Kommunikation an der Universität Vilnius Peter Wörster, Dr., bis zu seiner Pensionierung 2016 Leiter der Dokumentensammlung im Herder-Institut Marburg

Stefan Rohdewald

Mehr als Feind oder Freund: Überregionale Kommunikation im (süd)östlichen Europa von den Osmanen bis zum Kalten Krieg Gesellschaftsgeschichte verstanden als (trans)regionale Kommunikationsgeschichte verspricht neue Zugänge zu West und Ost übergreifenden Zusammenhängen des Kalten Kriegs zu ermöglichen, wie in einem ersten Schritt gezeigt wird. Aber auch das Verständnis von Konfliktgeschichten der Frühneuzeit kann von Konstruktionen von Freund und Feind überschreitenden kommunikationstheoretischen Überlegungen gewinnen: Versteht man Polen-Litauen sowie das Osmanische Reich bzw. das »Osmanische Europa« als jeweils in sich überaus heterogene Kommunikationsregionen, so erscheinen Aspekte der Kommunikation zwischen diesen beiden Großregionen in einem anderen Licht. Zwischenregionen wie Siebenbürgen oder das Khanat der Krim können so überdies als Scharniere der Kommunikation ins Zentrum gerückt werden. Differenzkonstruktionen etwa auf diplomatischer Ebene erscheinen im ausgehenden 18. Jahrhundert als nur noch spielerische, beide Seiten übergreifende kulturelle Praxis. Eine »gemeinsame Welt« (Faroqhi) wurde gerade in Imperien überschreitenden Logiken der Kommunikation hergestellt.

Lectiones Inaugurales, Band 15 teilw. farbige Abb., 67 Seiten, 2016 ISBN 978-3-428-15026-7, € 19,90 Titel auch als E-Book erhältlich.

www.duncker-humblot.de