Deutsche Malerei der Gotik: Band 1 Die Zeit von 1250 bis 1350 [Reprint 2020 ed.] 9783112355022, 9783112355015

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German Pages 235 [376] Year 1934

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Table of contents :
Inhalt
VORWORT
I. ANFANGE UND ÜBERGÄNGE
II. KÖLN
III. ELSASS-BREISGAU
IV. BODEN- UND ZÜRICHSEE
V. MITTELRHEIN
VI. HESSEN
VII. WESTFALEN
VIII. NIEDERSACHSEN
IX. THÜRINGEN
X. LÜBISCH-SUNDISCHES GEBIET
XI. DEUTSCHORDENSLAND
XII. ÖSTERREICH
XIII. STEIERMARK UND KÄRNTEN
XIV. BÖHMEN
XV. DER HOHENFURTHER ALTAR UND SEIN KREIS
XVI. FRANKEN
XVII. BAYERN
XVIII. TIROL
XIX. SCHWABEN
SCHLUSSBETRACHTUNGEN
Register
Bildernachweis
DIE BILDER
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Deutsche Malerei der Gotik: Band 1 Die Zeit von 1250 bis 1350 [Reprint 2020 ed.]
 9783112355022, 9783112355015

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ALFRED

STANGE

kutfdje jVlalcm Öer er Eunfttoerlag Berlin 1934

Druck d a Textes Walter de Gruyter & Co., Berlin, de« Bilderteiles Ganymed, Herlin.

HEINRICH

WÖLFFLIN

UND WILHELM ERGEBENST

PINDER

ZUGEEIGNET

3W»lt VORWORT

ix

I. ANFANGE UND ÜBERGÄNGE

i

1. Der Münchner Tristan und anderes 2. Oberrheinische Weltchroniken — St. Florianer Missalien

j 3

II. KÖLN

Ii

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

xi 13 16 21 27 32 34

Wandmalereien in St. Cäcilien Der Kreis des Johann von Valkenburg Die Kamper Bibel und die Dorsalemalereien Tafelbilder des ersten Jahrhundertriertels Das zweite Jahrhundertriertel Übergänge zum späteren 14. Jahrhundert Der Wehrdener Kalvarienberg und eine Kölner Verwandte

III. ELSASS-BREISGAU



1. Elsaß 2. Eine Gruppe breisgauische Handschriften 3. Wand- und Tafelmalereien

38 39 41

IV. BODEN- UND ZÜRICHSEE

44

1. 2. 3. 4. 5. 6.

44 45 49 52 58 59

Nochmals die Wernigeroder u. St. Gallener Weltchroniken Die Manesse-Handschrift Die Weingartner Liederhandschrift Verwandte und Nachfolger Der dritte Nachtragsmaler Das zweite Jahrhundertriertel

V. MITTELRHEIN 1. Balduinsche Handschriften . 2. Die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII 3. Oberwesel, Ilbenstadt, Koblenz, Mühlheim, Hirschhorn, Frau Rombach .

64 .

.

65 68 72

VI. HESSEN

77

1. 2. 3. 4.

77 80 83 86

Marburg, Fritzlar, Wetzlar Das Hofgeismarer Retabel Apokalypsen in Weimar, Nürnberg und Hamburg Der Kasseler Willehalm und der Altenberger Altar

VII. WESTFALEN

91

1. Handschriften aus dem Paradies in Soest 2. Das Nequambuch 3. Das Antependium aus der Wiesenkirche

91 92 94

VIII. NIEDERSACHSEN 1. 2. 3. 4.

Braunschweigische Missalien und Verwandtes Tafelbilder und Wandmalereien Der Gislekodex und Verwandte Arbeiten von Wandermalern VI

96 96 100 104 107

IX. THÜRINGEN

Iii

1. Erfurter Wand- und Tafelmalereien 2. Die mitteldeutschen Täfelchen

m 115

X. LÜBISCH-SUNDISCHES GEBIET

119

1. 2. 3. 4.

119 120 121 125

Ein Hinterglasbild Niedersächsische Wandmalereien Westlich beeinflußte Wand- und Tafelmalereien Die Jahrhundertmitte

XI. DEUTSCHORDENSLAND

128

1. Wandmalerei 2. Zwei Apokalypsehandschriften 3. Zwei südostdeutsche Täfelchen

128 129 130

XII. ÖSTERREICH

131

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

132 136 139 141 149 157 161

St. Florianer Kanonbilder Der Honorius und die Biblia Pauperum Die Klosterneuburger Bibel und ihr Kreis Die Wiener Biblia Pauperum, das Passionale und ihre Nachfolge Der Klosterneuburger Altar Die kleinen Täfelchen Wandmalerei

.

.

.

.

XIII. STEIERMARK UND KÄRNTEN

162

1. Die Gurker Domvorhalle 2. Ein Fragment aus Kloster Rein 3. Handschriften und ein Täfelchen

162 163 164

XIV. BÖHMEN

165

1. 2. 3. 4. 5.

165 166 167 170 172

Übergänge Die Elisabeth-Handschriften Buchmalerei unter Johann von Drazic und Ernst von Pardubitz Die Velislavsche Bibel Wandmalerei

XV. DER HOHENFURTHER ALTAR UND SEIN KREIS

174

1. 2. 3. 4.

174 181 184 187

Der Hohenfurther Altar Seine Nachfolge Gnadenbilder Die Kaufmannsche Kreuzigung und ihr Kreis

XVI. FRANKEN

193

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

193 194 194 196 197 198 201

Oberrheinisches in Nürnberg Ebracher Buchmalerei Kaisheimer Buchmalerei Ein Antependium Heilsbronner Buchmalerei Tafelbilder in Heilsbronn Malereien aus dem Nürnberger Clarenkloster VII

XVII. BAYERN

204

x. 2. 3. 4. 5.

204 205 205 208 208

Regensburger Buchmalerei Salzburger Buchmalerei Die Stuttgarter Weltchronik Bayerische Armenbibeln Wandmalerei

XVIII. TIROL

210

1. Die Malereien in der Brixener Johanniskirche 2. Die Malereien in SchloB Tirol

210 212

XIX. SCHWABEN

214

1. Der Bebenhausener Altaraufsatz 2. Wandmalerei 3. Einige Buchmalereien SCHLUSSBETRACHTUNGEN

VIII

214 . 215 216 217

"ETortoort Die Geschichte der deutschen Malerei der Gotik ist bislang noch nicht geschrieben worden. Für die gleichzeitige Plastik hat Wilhelm Pinder im Handbuch für Kunstwissenschaft die Aufgabe glänzend erfüllt. Die Bearbeiter des Malereibandes wurden durch Krieg und Unglücksfall dahingerafft, so daß Hermann Schmitz ein sehr unausgeglichenes Erbe zu Ende führen mußte. Die anderen Geschichtsschreiber der deutschen gotischen Malerei in den vergangenen Jahrzehnten, Glaser, Heidrich, Worringer, beschränkten sich zeitlich und auch inhaltlich auf Ausschnitte. Sie begannen ihre Darstellungen um 1350 oder 1400 und behandelten nur jene späteren, schon spätgotischen Abschnitte, die man seit langem sich gewöhnt hat, Altdeutsche Malerei zu nennen. Und sie sprachen ausschließlich vom Tafelbild. Beides erschien dem Verfasser heute unwichtig. Seit seiner Beschäftigung mit der deutschen Malerei des frühen und hohen Mittelalters ist es für ihn eine Selbstverständlichkeit, daß alle Vorstellungsformen zusammengefaßt werden müssen. Wie jenen älteren Zeitläuften zur Buchmalerei auch Wand- und Tafel-, ja selbst Glasmalerei hinzutreten müssen, soll das Geschichtsbild hinreichend vollständig sein, so dürfen in den späteren Entwicklungsabschnitten neben dem Tafelbilde die anderen Darstellungsformen ebensowenig beiseitegelassen werden. Erst ihre Zusammenfassung erlaubt wirklich Geschichte zu schreiben. Zumal im 14. Jahrhundert wird ein solcher Versuch nie von der Tafelmalerei aus gelingen — die Bücher von Glaser und Worringer beweisen es —; ihre erhaltenen Reste sind viel zu gering. Erst an der Wende des Jahrhunderts übernimmt sie die Führung: so scheint es wenigstens uns heute. In dieser Tatsache lag der tiefere Grund und die schwache Erlaubnis, mit einer Darstellung der gotischen deutschen Malerei, die man seit den Romantikern stillschweigend mit der Tafelmalerei gleichsetzte, erst so verspätet zu beginnen. Buch- und Wandmalerei blieben abseitige Beschäftigungen spezialistischer Forscher. Unternimmt man aber den Versuch, Wand- und Buchmalerei in das Blickfeld der Betrachtung einzubeziehen, so ergibt sich völlig natürlich der Zwang, bis zu den Anfängen gotischer Malerei in Deutschland zurückzugehen. Sehr rasch erkennt man, daß es schon ein Jahrhundert zuvor gotische Malerei gegeben hat. Gleich den Bildwerken sind die ersten gotischen Malereien gegen 1240 in Deutschland nachweisbar. Der erste Erfolg ist anders als bei der Skulptur nicht sehr groß. Zuerst am Ende des 13. Jahrhunderts setzt sich in der Malerei die neue gotische Darstellungsform allgemein durch, um dann aber allenthalben in den deutschen Gauen vieltönig gesprochen zu werden. In Köln und in Wien, am Mittel- wie am Oberrhein, im lübisch-sundischen Gebiet wie am Boden- und Zürichsee zwischen Konstanz und Zürich, in Westfalen, in Hessen, in Niedersachsen, in Erfurt, im Deutschordensland, in Tirol, in Franken und nicht zuletzt in Böhmen — überall lassen sich seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts Werkstätten und Schulen nachweisen, Schulen verschiedenster Art und IX

in ihnen häufig mehrere Richtungen nebeneinander. Die einzelne Künstlerpersönlichkeit tritt noch hinter den anonymen Verband der Werkstatt zurück. Das ist ein allgemeines Merkmal der Malerei im frühen 14. Jahrhundert. Nur an einer Stelle — im deutschen Südosten, dort, wo im späteren 14. Jahrhundert die entscheidenden Schlachten geschlagen werden sollten — treten einzelne Meister deutlicher faßbar hervor: der Meister des Hohenfurther Altars und einige andere. Ein Bild größter Mannigfaltigkeit, ein bislang kaum geahnter Reichtum wird sichtbar. Und eben deshalb — das sei nochmals betont — , weil Buchund Wandmalerei gleichberechtigt in die Betrachtung einbezogen wurden. Zumal dieser erste, bis ins sechste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts reichende Band — er umfaßt, was man früh- und hochgotische Malerei nennen könnte — wäre von der Tafelmalerei allein nie zu schreiben möglich gewesen. Aber es wäre falsch, und wir möchten uns sogleich hier gegen eine solche Vorstellung wehren, wollte man sagen, daß jene anderen Darstellungsformen die Lücken füllen sollten, vielmehr sind sie das Rückgrat der Darstellung. Das Verhältnis von Buch-, Wand- und Tafelmalerei ist nicht leicht zu bestimmen. Endgültig kann diese Frage nur von einem größeren Überblick der gesamten mittelalterlichen Malerei aus beschieden werden. In der romanischen Malerei glaubt der Verfasser eine enge Verbindung der schaffenden Hände annehmen zu dürfen und möchte auch im 14. Jahrhundert wenigstens in Deutschland diese Gemeinsamkeit noch vermuten. Erst an dessen Ende treten Spezialisten für einzelne Gebiete deutlicher in Erscheinung. Und auch das andere hat das 14. Jahrhundert mit dem hohen Mittelalter gemein, daß die Wandmalerei noch führend war. Die Behauptung, der neue Baustil habe ihr keinen Platz mehr zur Verfügung gestellt und sie sei deshalb hinter die anderen Sparten der Malerei zurückgetreten, ist eine alte, aber darum nicht weniger falsche Fabel. Clemens Gotische Monumentalmalerei der Rheinlande kann eines besseren belehren. Selbst der Kölner Dom bot noch immer genügende Wandflächen. Um so bedauerlicher ist es dann, daß sie dem heutigen Geschichtsschreiber nur selten noch Leitfaden sein kann. Auch das erweist Clemens bedeutsames Werk eindeutig. Zerstörungen verschiedenster Art und Verfälschungen durch die Hände gutmeinender, aber unverständiger Restauratoren haben die meisten Wandbilder um ihr ursprüngliches Aussehen gebracht und ihnen jeden Wert als historische Zeugen geraubt. Dafür wird man die Buchmalerei zumeist als Grundlage heranziehen können. Die Glasmalerei konnte leider nicht mit in den Rahmen der Betrachtung einbezogen werden. Es geschah sehr wider Willen des Verfassers. Aber es standen ihm nicht die Mittel zu Verfügung, neben allem anderen auch noch Gerüste aufrichten und hunderte von Photographien anfertigen zu lassen. Vielleicht ist zukünftig das Schicksal günstiger und hilft diese empfindliche Lücke schließen. Auch anderweitig wird zukünftige Forschung noch manche Lücke ausfüllen können. Trotzdem hat es der Verfasser gewagt, seine bisherigen X

Forschungen über die deutsche Malerei der Gotik der Öffentlichkeit zu übergeben. Er bringt vorerst diesen Band, der im wesentlichen die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts umfaßt. In weiteren Bänden möchte er zukünftig auch das folgende Jahrhundert darstellen und hofft, der Weltgeltung der deutschen Kunst damit einen Dienst zu erweisen. Dem Verfasser ist bei seinem jahrelangen Suchen und Sammeln vielerlei Hilfe durch die Leiter und Beamten der zahlreichen Museen und Bibliotheken die er aufsuchte, zuteilgeworden. Ihnen gebührt sein erster Dank. Sodann vielen Kollegen und Freunden, die aus ihrem reichen Wissen ihm manchen bedeutsamen Hinweis und Rat schenkten. Er kann sie nicht alle nennen, sie seien aber versichert, daß er keinen je vergessen und in steter Dankbarkeit ihrer gedenken wird. Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft stellte für die Drucklegung dieses Bandes einen größeren Geldbetrag zur Verfügung, wofür auch ihr nochmals besonderer Dank gesagt sei. Die Universität München unterstützte zwei Studienreisen durch .Zuschüsse, für die ihr auch an dieser Stelle bestens gedankt sei. Und endlich sei dem Deutschen Kunstverlag gedankt für die Tatkraft und Sorgfalt, mit welchen er Drucklegung und Herausgabe dieses Buches durchgeführt hat. Dem Verfasser wird diese Zeit gemeinsamer Arbeit eine angenehme Erinnerung bleiben. August

1933

A. S t a n g e

I. A n f ä n g e u n t j

3 M e r g ä n g e

i. Anders als die Skulptur setzte die gotische Malerei in Deutschland gehemmt und zögernd ein. Den Bamberger und Straßburger Werken vergleichbare Leistungen kennt sie an ihrem Beginne nicht. Der die deutsche Malerei des 13. Jahrhunderts beherrschende byzantinische Einfluß läßt die zweifelsohne vorhandenen, hie und da sich andeutenden, Ansätze einer gotischen Formfassung nicht zur Entfaltung gelangen. Es bleibt auf lange hier bei Versuchen. Und nach der Jahrhundertmitte werden alle Bemühungen von den oppositionellen Strömungen der zackigen Spätromanik wieder verschüttet. Seit etwa 1220 zeigt die Ornamentik mittelrheinischer, fränkischer und sächsischer Handschriften vom Westen gekommene gotische Formen. Da aber der Figurenstil von diesen gotischen Anregungen nicht berührt wird, braucht von dieser Welle hier nicht die Rede zu sein. Und auch solcherlei gotisierende Versuche dürfen füglich außer Betracht bleiben, wie sie etwa das apokalyptische Weib in dem um 1210—25 entstandenen Liber Matuti- *• nalis der Münchener Staatsbibliothek (cod. lat. 17 401) oder der 1276 von Heinrich von Unisborch zu Hildesheim geschriebene Psalter der Metzer Stadtbibliothek (Sammlung Salis 53) 1 zeigen, da sie den neuen Stil nur in Äußerlichkeiten, wenn man so sagen darf: nur ornamental erfaßt haben. Bedeutsamer sind in dieser Hinsicht schon die Deckfarbenmalereibilder in einem Evangeliar der Wolfenbütteler Bibliothek (Hs. Heimst. 425) 2 , deren vier Evangelistenbilder in der unteren Hälfte den schreibenden Evangelisten, in der oberen eine Szene aus seiner Legende zeigen. Der Faltenstil ist noch spätromanisch zackig, die Faltengeschiebe sind sogar besonders splitterig, aber in einzelnen Figuren der oberen Darstellungen wird doch ein Bemühen um eine neue Erfassung ihrer körperlichen und seelischen Existenz bemerkbar. Der Maler ist bestrebt, die Figuren vom Grunde zu lösen und als in sich ruhende, plastische Körper zu gestalten. Bleibt das wohl auch meistens Absicht, so erinnert die volkstümlich-derbe Charakteristik einzelner Köpfe, erinnern einzelne drastische Gebärden — die Art, wie eine Figur das Schwert hält, wie sie den Kopf wendet — unmittelbar an die Naumburger Lettnerplastik. Gleiches gilt von den PassionsNebenszenen des Quedlinburger Retabels 3 im Deutschen Museum. Zumal die Gruppe der drei Juden auf der Verhördarstellung bezeugt da die innere Verwandtschaft zu jenem plastischen Werke. Man wird kaum engere Beziehungen vermuten dürfen. Vielmehr wird man in diesem urwüchsigen, aus dem Leben schöpfenden Naturalismus ein Merkmal sächsischen Kunstschaffens in einem bestimmten Augenblick um 1250 sehen müssen. Es 1

Abb. in o . J . Taf. 3 Abb. in 3 Abb. in S. 151.

Döring-Voß, Meisterwerke der Kunst aus Sachsen und Thüringen, Magdeburg 118. des Verfassers Aufsatz in Münchner Jahrbuch N. F. VI (1929) S. 337. des Verfassers Aufsatz in Münchner Jahrbuch d. bild. Kunst N. F. VII (1930) I

handelt sich um ein sehr eigenartiges, in Malerei lind Skulptur gleich in Erscheinung tretendes Erlebnis der sächsischen Kunst, das, wenn es nicht schon wie bei den Skulpturen in Naumburg von einem gotischen Grundgefühl getragen wird, zweifelsohne zu gotischer Formfassung hinführen muß. Aber es ist doch auffällig und für die deutschen Verhältnisse höchst bezeichnend, daß es in den Malereien bei einem allerersten Schritt bleibt. So ließen sich noch allerlei ähnliche Versuche nachweisen. Innerhalb der rheinischen Malerei ist auf die Federzeichnungen aus dem mittleren 13. Jahrhundert im Codex Epternacensis der Gothaer Bibliothek (cod. Membr. 1, 71) hinzuweisen 4. Die Figuren sind sehr schlank lind biegsam geworden, ihre Bewegungen sind geschmeidig, ihre Gebärden manchmal wohl kokett. Die stoffreichen Gewänder sind in nicht sehr raumhaltige Tütenfalten gelegt. Zackige Formen, gebrochene Konturen herrschen noch vor, aber schon scheinen die Figuren von der Fläche gelöst zu sein, scheinen sie statuarisch-vollrund vor ihr zu stehen. Stilistisch nahe verwandt sind diesen Federzeichnungen die Wandmalereien im Südchörchen der Pfarrkirche zu Sinzigs. Nur in einem Werke ist schon sehr früh gotische Formfassung in Er2. scheinung getreten, in den Bildern der Tristanhandschrift der Münchner Staatsbibliothek (cod. germ. 51). Völlig einsam stehen sie in der Umgebung der übrigen gleichzeitigen Malweisen, nicht viel später als Skulptur und Architektur die Gotik im Gebiete der Malerei proklamierend. Die Tristanhandschrift ist um 1240 in Straßburg geschrieben und sicherlich auch illustriert worden, und zwar in einer Schreibstube, die von dem notarius burgensium Meister Hesse von Straßburg geleitet wurde 6. Sie enthält 15 Miniaturseiten mit je zwei oder drei Darstellungsstreifen übereinander. Wie auch in anderen oberrheinischen Handschriften — z. B. in dem auch in diesen Zusammenhang gehörigen cgm. 63 — ist die Farbe vielfach abgeblättert, so daß der Erhaltungszustand kein allzu guter ist. Die Illustrationen sind von mindestens zwei Händen ausgeführt worden, doch sind die Unterschiede mehr solche der Qualität als der Stilistik. Die bessere ist auch die führende. Die Nähe der französischen Kunst war nicht bedeutungsvoll, wohl aber die Nähe der frühgotischen Straßburger Skulpturen. Ohne engere Beziehungen zu älteren oberrheinischen Malereien scheinen diese Bilder entstanden. Und es ist gewiß nicht Zufall, daß sich die neue gotische Form zuerst in Malereien weltlichen Inhaltes durchsetzte. Die Bindungen, denen sich liturgische und überhaupt religiöse Malereien auf Grund ihrer jahrhundertealten Traditionen nur schwer zu entziehen vermochten, fehlten ihnen. Nicht in diesen Kreisen darf man suchen, will man Vorstufen finden. Vielleicht kommt man dem geschichtlichen Verhalt am nächsten, wenn man auf Kalenderbilder hinweist, wie sie ein aus St. Peter im Schwarzwald stammender Psalter (Karlsruhe cod. St. Peter perg. 73) zeigt. Die 4 Abb. bei Clemen, Die gotischen Monumentalmalereien der Rheinlande, 1930 Fig. 1 1 . 5 Clemen a. a. O. Taf. 4, S. 80. 6 Ranke in Zeitschrift für deutsches Altertum LV (1914/17) S. 157.

2

kleinen, künstlerisch nicht sehr gewichtigen Bildchen sind in der gleichen Technik — lavierte Federzeichnung, gedeckter Grund, Gold bei Kronen — gearbeitet, eine Technik, die in keiner der hirsauisch-schwäbischen Handschriften sehr verbreitet war. Und sie sind nun auch stilistisch verwandt. Der Boden, der mit diesem Hinweis gefunden wird, ist nicht sehr breit, aber das wird doch wenigstens deutlich: die Art des Tristan ist nicht völlig vereinzelt. Für die stilistische Haltung sind aber die Werke des EcclesiaMeisters, die Figuren an den Portalen des südlichen Querschiffes und am Engelspfeiler, entscheidend geworden. Das Figurenideal, die Bildung zarter, schlanker Figuren mit feinen Gelenken und weichem Lockenhaar, das seidenweiche, dünne Gewand mit den scharfkantigen Faltengraten, das lebhafte Mienenspiel, den unerschöpflichen Bewegungsreichtum, das haben die Bilder des Tristan mit jenen Skulpturen gemein, und so groß ist die Ähnlichkeit, daß eine unmittelbare Beziehung angenommen werden muß. Man braucht nur die Hauptfigur aus dem Tanzbilde mit dem Jüngling an der Konsole im Südquerschiff 7 zu vergleichen, um die innere Verwandtschaft zu erkennen. Nach alledem muß man glauben, daß der Hauptmeister von dieser Seite monumentaler Skulptur die bestimmenden Anregungen zu der gotischen Formgestaltung seiner Bilder empfangen hat. Denn erstmals in einem deutschen Bilde — früher als in den oben aufgezählten Beispielen — sind die Figuren vom Grunde gelöst, sind sie nicht als plastische Reliefschicht vom Grunde aus entwickelt, sondern freiplastisch-rund und in sich zentriert vor eine Hintergrundsfläche gestellt. Ihre Bewegungen sind Entfaltungen eines Lebensmittelpunktes in ihnen, den man sehr wohl „Seele" nennen darf 8. Schon beginnen auch die Körper kurvig schwingend sich zu bewegen. All das, was von den Straßburger oder Bamberger frühgotischen Skulpturen zu sagen ist, gilt auch von ihnen. Die Illustrationen der Münchner Tristanhandschrift sind die erste und wohl auch einzige reine Äußerung der deutschen Frühgotik in der Malerei. Der aus derselben Werkstatt und kaum viel später hervorgegangene Parzival (München cod. germ. 19) — die Hand, die den größeren Teil von cgm. 51 schrieb, hat auch cgm. 19 geschrieben — ist schon wieder ein Rückschlag. Die Formen werden wieder starrer, das romanische Grundgesetz der Fläche dringt wieder durch. 2. Wie sich der Übergang vom romanischen zum gotischen Stil im Laufe des 13. Jahrhunderts vollzog, läßt sich an zwei Beispielen noch heute gut verfolgen: an einigen illustrierten Handschriften von Rudolf von Ems' Weltchronik, die im Gebiete des Bodensees entstanden, und an den im Stift St. Florian in Oberösterreich entstandenen und noch dort aufbewahrten Missalekreuzigungen. " Abb. bei Schmitt, Gotische Skulpturen des Straßburger Münsters, 1924 Taf. 26. v. Reitzenstein, Frühgotik der deutschen Plastik, in Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft XXV (1931) S. 321. 8

3

Die vierzehn ganzseitigen Bilder eines Breviers in St. Gallen, Stiftsbibliothek Hs. 402, lehren, daß die Miniaturenmalerei des Bodenseegebietes um die Mitte des 1 3 Jahrhunderts an Straßburger Vorbilder von der Art des cod. germ. 51, der Tristanhandschrift, anknüpfte. Zumal die Darstellung der klugen und törichten Jungfrauen zeigt in der Gewandbehandlung, daß es sich nicht nur um Stilparallelen handeln kann, daß vielmehr ein schulmäßiger Zusammenhang bestanden haben muß. Schon aber wird die Formsprache knapper und härter. Die Kontur schließt sich, der organische Bewegungsreichtum wird gedämpft und abgelöst von einer eckig-spitzigen Faltenbewegtheit. Dieser spätromanische Zackenstil beherrscht die Formensprache der nicht allzu lange nach der Jahrhundertmitte entstandenen Münchner 3- Weltchronik, cod. germ. 6406. Die Münchner Handschrift ist eine der ältesten erhaltenen und sicher die früheste illustrierte 9. Die philologische Forschung hat festgestellt, daß sie der Rudolf von Emsschen Urschrift noch sehr nahe steht und in der Nachbarschaft seiner Heimat entstanden sein muß. Und auch die kunstgeschichtliche Untersuchung führt zu diesem Ergebnis. Ihre Bilder sind das erste Glied in einer langen Kette von Weltchronikillustrationen, deren nächste Glieder gleichfalls am Oberrhein, in der Nähe des Bodensees entstanden sind. Die Bilder stehen im Texte und nehmen eine halbe oder dreiviertel oder auch in seltenen Fällen eine ganze Seite ein. Vereinzelt stehen dem zweispaltigen Text entsprechend zwei kleine Bildchen nebeneinander. Sie sind stets mit zweiteiligen Rahmenleisten umschlossen, aber diese haben keine abschließende Kraft. Der innere Rahmen ist überhaupt nicht allseitig herumgeführt, aber auch der äußere wird zuweilen von Flügeln, Vögeln, Bäumen und Architekturen überschritten. Die ästhetische Bedeutung des Rahmens als bildabschließendes Mittel ist nicht erkannt, oder wo er beengt, wird er nicht respektiert. Richtiger ist wohl noch zu sagen: Der Rahmen schließt nicht das Bild ab, sondern faßt nur den Grund ein. Die Lebensfülle von cgm. 51 ist verneint. In cgm. 6406 haben die Figuren ein heraldisches Aussehen. Sie sind ohne Bewegung in einfachste Stellungen gebracht. Knapplinig umreißen die Konturen ihre Silhouette, ihr oft etwas von einem geometrischen Bilde gebend. Die stoffarmen Gewänder sind in strafte Falten gelegt. Nur ganz schüchtern lösen sich hie und da einige kleine Schüsselfalten. Auch sie hartkantig, nur durch Linien angedeutet, mehr Kerben als raumkörperliche Gebilde. Die Gesichter zeigen immer dasselbe breite Oval, dieselbe geradrückige Nase, den gleichen Augenschnitt. Die Farbe modelliert nur wenig, und wo sie als dunklere oder komplementäre Abwandlung Falten andeutet, geschieht es nur mit einem Strich. Nie finden sich abgestufte Übergänge vom Dunkleren zum Helleren, vom Rückwärtigen zum Vorderen. Scharf umrissen sitzen die Farbstriche auf dem Grundtone auf. Die Bilder bezeugen eindeutig ihre 9 Petzet in Germanisch-romanische Monatsschrift I (1909) S. 465.

4

Entstehung in jenem Momente stärkster Erstarrung, der in die Jahre um 1260—70 fällt. Da Rudolf von Ems die Weltchronik bei seinem Tode 1254 unvollendet hinterließ, muß der Münchner Band ziemlich bald nach seinem Tode angelegt worden sein. Jegliches individuelle Leben ist abgetötet. Abstrakte geometrisierte Formfigurationen wiederholen sich gleichartig. Der Ausdruck ist bei allen Figuren auf dieselbe lebensferne Monotonie gestimmt. In Massenszenen wird der gleiche Figurentypus ohne Abwechslung und ohne Individualität wiederholt. Die Fülle des Lebens und der Bewegung, die der Tristan zeigt, ist völlig verloren. Weder Freude noch Trauer spiegeln sich auf den Gesichtern. Selbst im Kampf fehlt jeder Affekt. Steif und starr blicken die Figuren geradeaus. Nur die bunte Farbe hebt sie voneinander ab. Freilich wird man fragen müssen, ob und wieweit diese Erstarrung über die in der Generation gegebenen Bindungen ihre letzte Voraussetzung in der Persönlichkeit des Malers oder in örtlichen Verhältnissen besessen hat. Gleichzeitige am Rhein oder in Franken entstehende Werke bleiben reicher und vielfältiger, sind auch in den dekorativen Fragen überlegter. In cgm. 6406 ist in Flächengliederung und Farbenverteilung über gewisse allgemeine Selbstverständlichkeiten hinaus keinerlei strengere, bewußtere Durchgestaltung zu erkennen. Ganz naiv scheint der Maler die Fülle der Figuren in den Bildern gruppiert zu haben nach den Gesichtspunkten der Symmetrie und losen Reihung. Dennoch sind die Bilder anschaulich, und zwar sind sie es infolge ihrer volkstümlichen Sprache. Ihnen eignet derselbe wenig unterschiedene, aber dennoch sprechende volkstümliche Ton, der Rudolf von Hohenems' Dichtung auszeichnet. Deren Natürlichkeit und Einfachheit haben auch die begleitenden Miniaturen. So wenig wie der Dichter hat sich der Maler hohe artistische Ziele gestellt. Die eigenwertige Bildwirkung französischer Miniaturen liegt ihm fern. Seine Illustrationen sollen den Text veranschaulichen, und das gelingt ihnen ausgezeichnet. Fast stets kann man zu den dargestellten Szenen die Verse der Dichtung oder die entsprechende Bibelstelle auf den ersten Blick nennen. Man wird die Münchner Weltchronik um 1260—70 ansetzen dürfen. Die St. Gällener (Stadtbibliothek Nr. 312) 10 mag ihr in einem Abstände 4von etwa zwanzig Jahren um 1290 gefolgt sein. Außer der Dichtung des Rudolf von Ems enthält diese Handschrift noch Strickers Karl den Großen. Die Miniaturen des Weltchronikteiles haben ikonographisch die Münchner zur Voraussetzung. Wenn auch nicht ein ganz unmittelbarer, so muß doch ein sehr enger Zusammenhang angenommen werden, wie er nur bei naher zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft möglich ist. Die Anordnung der Bilder —- sie sind meist zweigeschossig — und 10 Kautzsch in Kunstwissenschaftliche Beiträge A. Schmarsow gewidmet, 1907 S. 73; Kautzsch, Einleitende Erörterungen, 1894 S. 1 7 ; Wienecke, Konstanzer Malerei des 14. Jahrh. Diss. Halle 1912 S. 23; weiterhin Zemp, Die schweizerischen Bilderchroniken, 1897 S. 4 ff.; Stange in Münchner Jahrbuch N. F. IX (1932) S. I 7 f f .

s

die ästhetische Einschätzung des Rahmens sind ähnlich wie in dem Münchner Bande. Die formale Behandlung der einzelnen Figuren aber ist ganz anders. Sie sind breit und untersetzt. Ihr Leib wölbt sich, und die fälligen Falten der dicken Gewänder steigern noch den Eindruck des Voluminösen und Schweren. Als vollrunde, statuarische Gebilde stehen sie im Bilde. Eine kompakt modellierende Malweise betont ihre Rundungen und Wölbungen. Die Farbe bevorzugt dunkle Töne; Auflichtung findet sich nur selten. Eher schwerfällig denn elegant oder grazil sind die Figuren. Ihren Gebärden eignet eine gewisse Schwere, ihr Mienenspiel ist stumpf. Ahnlich wie in cgm. 6406 kehren auch hier die gleichen Gesichter immer wieder. Sollen Erregung oder Trauer angedeutet werden, so werden die Augenbrauen eselsrückenartig bewegt. Der Bart wird manchmal lebhaft zur Seite geweht. Der Blick ist vereinzelt individualisiert. Im ganzen ist die Neigung zu stärkerer Ausdrucksbetonung doch gering. Die Bilder erzählen nicht, sie sind Vorstellungen zeitloser und unbedingter Tatsachen, nicht Geschehen. Jeder Sinn für Bewegung, für zeitlichen Ablauf, für Entwicklung, für Ursache und Wirkung fehlt. Das aber wäre notwendige Voraussetzung, um ein Ereignis als Geschehen erzählen zu können. In der St. Gallener Weltchronik wird — anders als in der Münchner •— vornehme Repräsentation erstrebt. Innerlicher erfaßt ist die Darstellung Simsons, der den Tempel einstürzt (fol. 124"). Auch hier knüpft der Maler an den Bildtypus von cgm. 6406 an, geht aber weit über dieses Vorbild hinaus. Es gibt Verzicht und Leiden in der körperlichen Bewegung. Der Körper ist eine Gebärde des Schmerzes. Der Wert der Mehrzahl der Bilder aber liegt nicht in der Schilderung seelischer Empfindungen, sondern im rein Dekorativen, in der Flächenfüllung, in der Auswägung großer Formkomplexe, in der Einschätzung leerer Fläche zwischen ihnen, in der Gegenüberstellung zweier Figuren, getrennt durch eine leere Mitte, gerahmt durch zwei schmale Tortürme. Diese Flächenrahmung auf französischgotische Einflüsse zurückzuführen, ist nicht nötig. Die deutsche Kunst des mittleren 13. Jahrhunderts bietet genügend Voraussetzungen hierfür. Die Formbehandlung im einzelnen ist mit ihrer kräftigen Modellierung ausschließlich aus der deutschen Überlieferung zu erklären. Die Miniaturen in Strickers Karl und Weltchronik sind von derselben Hand. Der Formenschatz von den Rahmen bis zu den landschaftlichen Motiven, den Gewändern und Rüstungen stimmt überein, die Charakteristik der Figuren ist gleichartig. In allem äußert sich dieselbe geistige Haltung. Wo sich aber Unterschiede zeigen, sind sie möglich in der Spanne einer Individualität und entsprechen der Entwicklung der Malerei in jenen Jahrzehnten um die Wende des 13. zum 14. Jahrhundert. Die raumkörperliche Fülle, das Erbe des 13 Jahrhunderts, wird allmählich ausgeschieden. Fläche und Linie treten an die Stelle räumlich weiter und körperlich voller Formen. Schon in den späteren Bildern der Weltchronik wird diese Wandlung bemerkbar, ziemlich ausgesprochen ist sie sodann im Karl. Sie läßt sich Schritt für Schritt verfolgen. Die Figuren werden 6

schmächtiger, ihre Schultern schmaler. Die Modellierung tritt mehr und mehr zurück, die Falten schrumpfen zu schwarzen Strichen. Hatten in den ersten Bildern die Formen etwas Schwellendes, Saftiges, so wurden sie späterhin schlaffer, wie wenn die sie ausfüllenden Körperwerte aus ihnen gewichen wären, andere werden hartkantig und spitzig. Ein übergeschlagenes Knie: in der Weltchronik eine rundliche Form, ist im Karl eckig und spitzig. Vielleicht sind die Illustrationen des Stricker nicht unmittelbar anschließend auf die der Weltchronik gefolgt, sehr groß war der Abstand gewiß nicht. Man könnte auch hier wiederum an Einwirkungen von seiten der französischen Buchmalerei denken, notwendig ist diese Annahme keinesfalls, ja im Hinblick auf die übrige Gestaltung spricht alles gegen sie. Diese Abflachung ehemals voller Formen, dieses Durchdringen des Zeichnerischen liegt in der Entwicklung dieser Jahrzehnte überhaupt begründet. Nach Ehrismanns 1 1 eingehender Untersuchung muß in der nächsten Nähe des Bodensees auch die dritte frühe illustrierte Weltchronik entstanden sein, die aus der fürstlichen Bibliothek zu Wernigerode in Privat- 5. besitz gekommen ist. In der Schweiz, nicht weit von Rudolf von Ems* Heimat ist sie nach Ehrismann geschrieben worden. Bis fol. 193 ist sie mit zahlreichen Miniaturen geschmückt, aber mit Ausnahme zweier ganzseitiger Bilder in Deckfarbenmalerei am Beginn sind es nur leicht aquarellierte Federzeichnungen am äußeren und unteren Rande. Dies erschwert Vergleich und Einordnung. Daß die Handschrift noch in ihrer ersten Heimat illustriert wurde, dafür spricht ein Eintrag am Schluß, demzufolge sie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Besitz eines Freiburger Patriziergeschlechtes war. Sie scheint bis dahin keine großen Wanderungen hinter sich gehabt zu haben. Und auch die Bilder bestätigen ihre Entstehung am Oberrhein. Die Münchner Weltchronik bietet wenigstens einen Beleg, wie an diesem Teile des Oberrheins mit der Feder gezeichnet wurde. In der Darstellung des Untergangs Sodomas ist Lots Weib als Salzsäule erstarrt, nur ganz leicht grau gefärbt, wesentlich mit der Feder gestaltet. Der Zusammenhang mit den Zeichnungen der Wernigeroder Handschrift ist unverkennbar. Allerdings sprechen deren Illustrationen eine jüngere Sprache, aber der Duktus der Zeichnung ist doch so verwandt, daß man in ihnen Erzeugnisse der gleichen Landschaft sehr wohl erkennen darf. Sodann bezeugt vor allem das erste Deckfarbenbild, das den Dichter einem Schreiber diktierend zeigt, den Zusammenhang. Über die Münchner und St. Gallener Weltchroniken weist dieses Autorenbild wiederum nach Straßburg. Es hat, soweit heute festzustellen ist, sein Vorbild in dem Dichter-Schreiberbild eines Wilhelm von Oranse der Münchner Staatsbibliothek (cod. germ. 63), das wie cgm. 19 und 51 um die Mitte des Jahrhunderts in Straßburg entstanden sein dürfte. Die fünf" Ehrismann, Rudolfs von Ems Weltchronik (Deutsche Texte des Mittelalters XX), 1915. Handschriften und Frühdrucke in deutscher Sprache, Katalog 91 des Antiquariats Jacques Rosenthal, München 1929 Nr. 1.

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undfünfzig Miniaturen, die diese Handschrift schmücken, haben ihre ursprüngliche Schönheit völlig verloren, da Farben und Gold fast restlos abgeblättert sind, so daß meist nur die Vorzeichnung übrigblieb. Das Autorenbild ist nun wiederum ein Hinweis daß die frühe oberrheinische Malerei in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ihre Anregungen aus dem Elsaß bezog. Auch die einzige Miniatur in einer jüngeren Parzivalhandschrift der Münchner Staatsbibliothek (cod. germ. 18), die Darstellung des Todes Gaudins und des Treueides der Fürsten vor Galoes, scheint diese Beziehung zu bezeugen. Aber bei ihr ist es schon fraglich, ob sie eine westliche, elsässische Voraussetzung für den Stil der St. Gallener Weltchronik oder in ihren Kreis selbst gehörend ein älteres Geschwister von ihr ist. Der vordere der Fürsten, der vor Galoes kniet, könnte auch in dieser Handschrift vorkommen, der junge Knappe zu Häupten des toten Gaudin erinnert dagegen noch an die härtere Art von cgm. 6406. Anders sind die Köpfe, anders ist vor allem der Ausdruck der lebhaft blickenden Augen. Auch die Gesten sind, soweit man nach diesen zwei Szenen urteilen kann, freier und individueller. Dadurch erinnert die Miniatur mehr an die Straßburger Arbeiten, aber auch am Bodensee wäre sie nicht vereinzelt. Diese seelische Aufgeschlossenheit kennzeichnet die Illustrationen der Wernigeroder Weltchronik. In dieser wird anders als in den beiden bisherigen Weltchroniken lebhaft und ungezwungen erzählt. Die Figuren sind viel mehr belebt als dort. Sie blicken einander lebhafter an, sie handeln und bewegen sich aus frischen Willensimpulsen. Hier wird eine Szene nicht als zeitloses Faktum dargestellt, sie spielt sich vor unseren Augen als Geschehen ab. Wird der Turmbau von Babel geschildert, so kann man verfolgen, wie es geschieht, wie das Baumaterial herbeigetragen, die Steine behauen und der Bau emporgeführt wird. Die Szene ist nicht reicher ausgestattet als bisher, nur vier Figuren sind in ihr beschäftigt, aber die einzelne ist lebhafter aufgefaßt, und jede ihrer Bewegungen ist lebensvoller. Das ist das entscheidend Neue. Äußerlich ist die Individualisierung noch nicht sehr groß. Kopftypus, Augenschnitt, Mund und Nase sind ziemlich gleichartig — mehr als drei oder vier Typen kennt der Maler nicht —, aber es scheint so, als ob ein sehr verschiedenes Leben und Fühlen die Figuren erfülle. Dieser Eindruck ist letztlich bedingt in den schlagenden Bewegungen, mit denen die Figuren handeln und gerieren. Mit Elan sprengen die Reiter in einer Schlacht gegeneinander. Der Kampf Simsons mit dem Löwen ist ein wirkliches Ringen. Simson hat das Tier rückwärts gepackt, hat ihm den Fuß in den Nacken gesetzt und mit beiden Fäusten seinen Kiefer gefaßt, so ihm den Kopf zurückbiegend, daß er vor Angst die Krallen der Vorderbeine spreizt. Diese Momentanität ist den beiden anderen Weltchroniken fremd. Deutlich äußert sich hier ein neues Gefühl für Zeit und Zeitablauf, das schon einmal in den Tristanillustrationen da war und in dem wir ein hervorragendes Merkmal gotischen Gestaltens sehen dürfen. Die Darstellung wird aus der Ewigkeit der allgültigen Tatsache in Zeit und Raum hereingenommen. Von diesem ist allerdings noch wenig 8

zu erkennen, nur eine schwache Linie deutet Erdboden an, aber er muß die notwendige Folge dieser Darstellungsform sein. Und wie hie und da einige Gräser, wie ein zufällig bewegtes Gelände mit lockeren Strichen gegeben sind, das besagt doch, daß die Bilder in einem Räume gedacht sind, wenn auch dieser noch in keiner Weise definiert ist. Ein bedeutsames Erlebnis liegt zwischen den drei Handschriften, das Erlebnis der Gotik, der Vermenschlichung, der Psychologisierung und Dramatisierung, das in Deutschland zum ersten Male in Bamberg offenbar war, dann aber, wie etwa cgm. 6404 lehrt, wieder verdrängt wurde. Die Münchner Weltchronik war eine Reaktion, und auch die St. Gallener war mehr ablehnend, die Wernigeroder aber ist ein erneuter Vorstoß für die Einordnung der Bilder in die Kausalitäten des Diesseits. Ihrem Stil nach steht die Wernigeroder zwischen den beiden anderen Weltchroniken. Weiche Schlüsselfalten, breit und vereinzelt auch schwellend, finden sich neben zackig eckigen Konturen und Säumen, blitzartig geformten Gewandenden. Näher steht sie der St. Gallener. Was sie von dieser scheidet, ist die Technik, ist mehr das verschiedene Temperament ihrer Meister, und sind die verschiedenen Forderungen, die sie an ihr Werk stellen. Der St. Gallener dämpft um eines harmonisch-schönheitlichen Ausdruckes die Mimik der Figuren. Der Wernigeroder hingegen bejaht das gotische Erlebnis, dessen Ablehnung beim St. Gallener schon als Bemühen, als Problem fühlbar wird, um so mehr, als er sich der gotischen Gestaltung nicht mehr entziehen kann. Dichter sind die Glieder der Entwicklungsreihe, geschlossener ist noch die Kette in St. Florian, dessen Bestand an Missalehandschriften in ihren Kanonbildern eine einzigartige Illustration des Wandels von der zackigen Spätromantik zur Gotik von 1300 darbietet I2 . Die ältesten, hier zu nennenden Beispiele: St. Florian, Stiftsbibliothek cod. XI. 390 und cod. III. 209, 6. stehen vergleichsweise parallel der Münchner Weltchronik. Das Gewand der Figuren ist ein Trümmerfeld zahlreicher spitzeckiger Falten, die wie Kristalle zackig gegeneinander anstehen. Jegliche Einheitlichkeit der Stoffmasse ist negiert. Heftige Bewegtheit erfüllt die Bilder, aber eine Bewegtheit der Oberfläche, nicht eine, die von innen, die von Drehung und Wendung der Figuren bedingt ist. Die Gewandzerknitterung spielt ihre eigne Melodie, am deutlichsten da, wo sich die Stoffmassen stauen, am Boden, an den Füßen. So unruhig aber auch diese Formbewegung ist, man muß hinter ihr doch eine geheime Mathematik sehen. In den ovalen Kurvenlinien der Wangenkonturen ist sie offenbar. Eine Neigung zu heraldischer Stilisierung lenkte Feder und Pinsel, eine Formanschauung, die wohl sehr plastisch, aber doch unorganisch-unkörperlich dachte. Ein erster Schritt zu einer weicheren, geschmeidigeren Formfassung wird getan in dem Missale cod. XI. 394. Schon die Aufnahme des Ast- 7. kreuzes ist ein Hinweis, daß mit einem anderen menschlichen Fühlen " Jerchel in Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien N. F. VI (1932) S. 9.

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hier das Bild gestaltet wurde. In ihm und dem weniger gewaltsam gebogenen Körper Christi, der zarter erfaßt ist, offenbart sich eine neue innigere Stimmung. Sie klingt weiter an in jeder Gewandfalte. Noch ist freilich an der körperlichen Haltung der Figuren wenig geändert, aber die Falten sind weniger eigenwillig, sind als plastische Formen weniger selbständig, ordnen sich der leisen Gebärde und dem stillen Mienenspiel der Figuren unter. Die noch eckig-zackig bewegten Säume erscheinen schon fast als 8. Widerspruch. Folgerichtig sind sie verschwunden in cod. III 205 A , dessen Schreiber der spätere Probst von St. Florian, Heinrich von Marbach, war (1314—21). Am Kreuzesfuß hat er sich kniend dargestellt. Da er sich noch presbyter nennt, muß er das Missale vor 1314 geschrieben haben. Wie es scheint, ergeben aber die Nekrologeinträge eine noch genauere Datierung. Sie reichen nur bis 1306, weshalb man annehmen möchte, daß der Band etwa in diesem Jahre angefertigt wurde. Still hängt Christus in völlig beruhigter Haltung am Kreuz, leise sind die Gefühlsäußerungen der Trauernden. In weichen, schmiegsamen Linien sind die Konturen geführt. Flacher sind alle Formen geworden. Die Falten spielen mehr in der Fläche. Die drängende, stoßende Plastizität der älteren Blätter hat einer weicheren und flächigeren Formbehandlung Platz gemacht. Das 14. Jahrhundert ist da: die Materie wird verneint, hauchdünn werden die Gestalten, als zarte, mehr kalligraphische Formen spielen die Falten. Den Weg hier in Österreich oder am Oberrhein weiterhin zu verfolgen, wird die Aufgabe späterer Abschnitte sein. Vorerst sollten nur die ersten Versuche und Übergänge dargestellt werden bis zu dem Augenblick, da der breite Strom deutscher gotischer Malerei einsetzt.

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n. 3Wln Der Reichtum des heute noch vorhandenen Bestandes und seine Geschlossenheit bei aller Vielfältigkeit machen die kölnische Malerei des 14. Jahrhunderts zu einer einzigartigen Angelegenheit. Sie an die Spitze unserer Darstellung zu stellen, könnte altmodisch erscheinen. Man hat in neuerer Zeit den altüberlieferten Ruhm der kölnischen Malerei zu erschüttern versucht, hat ihn zu einer romantischen Geschichtsfälschung gestempelt. In der Tat beweist sie in der zweiten Jahrhunderthälfte nicht die Stoßkraft, geht sie nicht so tatkräftig auf die Gestaltung eines neuen künstlerischen Seinserlebnisses aus wie die Schulen des deutschen Ostens. Köln ist weniger aufgeschlossen für Neues und Zukünftiges als andere Teile Deutschlands, seine Stärke liegt vielmehr in der Pflege des Altüberkommenen. Selten läßt sich Tradition in ihrer tiefsten Bedeutung so nachprüfen wie in dieser Stadt. Und zumal in der Frühzeit des 14. Jahrhunderts steht es einzig da. Nirgends sonst ist eine so feste, geschlossene und doch vielfältige künstlerische Tradition vorhanden. Köln leistete mehr — um ein Wort Dehios über die kölnische romanische Baukunst auf eine andere Zeit Kölner Schaffens anzuwenden — als anderweitig ganze Provinzen. Seine Kraft, sein Reichtum vermochten auch schon um die Wende des 13. zum 14. Jahrhundert Maler dauernd in seinen Mauern festzuhalten und laufend mit Aufträgen zu versehen, während sie anderweitig — das läßt sich nachweisen etwa am Beispiel des Bodenseegebietes — gezwungen waren, innerhalb gewisser landschaftlicher Grenzen umherwandernd Arbeit und Brot zu suchen. Die Mehrzahl der Meister wohnte in der Schildergasse, hier arbeiteten sie für die Stadt und die umliegenden Lande. Und dann — das wird gern übersehen — war Köln innerlich reich genug, um, in Skulptur wie Malerei, verschiedene Richtungen nebeneinander bestehen zu lassen. Allen aber, mag es nur künstlerische oder Geburtsheimat gewesen sein, prägte es seine Art auf. Von den kölnischen Malereien des 14. Jahrhunderts führt ein Weg zurück zu den Plastiken des späten 12., den Malereien des 13. in der Taufkapelle von St. Gereon, und führt ein Weg vorwärts zu den großen kölnischen Malereien des 15. Jahrhunderts. Sie alle bezeugen sich, so verschieden sie als Individualitäten und Angehörige weit auseinander liegender Zeiten sind, als Kinder einer Mutter. Dieser Reichtum und diese Geschlossenheit sind Grund genug, auch heute noch jede Geschichte der deutschen Malerei des 14. Jahrhunderts mit Köln beginnen zu lassen. Keine andere deutsche Landschaft vermag einen gleich einheitlichen und gleich reichen Bestand zu bieten. Nirgends will es so leicht fallen, den Gang der Entwicklung vom ausgehenden 13. zum mittleren 14. Jahrhundert aufzuzeigen wie in Köln. 1. Am Anfang der hochgotischen Kölner Malerei 1 scheint der vielteilige ' Scheibler-Aldenhoven, Geschichte der Kölner Malerschule, 1902; Reiners, Die Kölner Malerschule, 1925; Förster, Die kölnische Malerei, 1923; Clemen, Die gotische MonumentalII

Bandstreifen oder die windmühlenförmigen Rautenausläufer. Graf Vitzthum wies sonderlich auf den Psautier d'Artois hin, mit dessen Rankenwerk, dessen Drolerien und auch Figurenstil die kölnischen Handschriften in der Tat eine auffallende, nur aus einem sehr nahen Zusammenhang zu erklärende Verwandschaft besitzen. Nur die goldenen Kugeln, die an den Spitzen der Polster sitzen, finden sich da nicht. Aber die rundlichen Köpfe mit den geraden, stumpfen Nasen, den großen, breit-mandelförmigen Augen, dem Mund mit der Erweiterung in der Mitte, die großen Hände mit den lebhaft spielenden Fingern, die schweren, dicken Faltungen der Gewänder, all das entspricht dem Stil des Artois oder den aus dem Kloster Möns stammenden Sermones des hl. Bernhard in Brüssel (Ms. 1787 [1454]) vollkommen. Die Figuren in den beiden Valkenburgischen Handschriften sind ein kräftiges, eher untersetztes, denn schlankes Geschlecht. Breit sitzt Christus auf dem Titelblatt des Kölner Graduale, so daß die Beine ein Quadrat bilden. Auffallend wie die Schultern ausladen. Die Gewänder sind in volle und und weiche Falten gelegt, runde Schüsselfalten schwingen an Leib und Hüften. Freilich ist ihre Fülle keineswegs mehr prall gesättigt. Sie hängen lässig und müde, aber sie verleihen den Gestalten doch eine gewisse sinnliche Fülle. Das nahende 14. Jahrhundert macht sich allenthalben in einer Neigung, die Plastizität der Figuren abzuflachen, bemerkbar, die Fläche verdrängt die raumkörperliche Erscheinung, aber in den Raffungen der Gewänder leben noch vielerlei plastische Werte, ja unter dem Gewand wird noch ein Körper deutlich. Die Figuren sind noch plastisch empfunden, und wo die Linie stärker in Erscheinung tritt, da steht sie im Kampf mit dem Körpervolumen der umgrenzten Gebilde. Der Stil der beiden Graduale ist gewiß nicht derb — ihre Formensprache ist vielleicht zarter und feingliedriger als die der belgischen Verwandten —, aber auch nicht elegant. Eine gewisse Behäbigkeit eignet stets den Figuren und Formen. So kindlich der Ausdruck der breitköpfigen Figuren ist, so naiv scheint auch die Gestaltungsweise gewesen zu sein. Die Bilder sind nicht der Erfolg wohlüberlegter Stilisierung, sie kennzeichnet vielmehr eine frische, jugendliche Natürlichkeit. Locker und leicht ist der Strich, er setzt ab, biegt ab, ist nicht systematisiert, häufig eignet ihm der volle Reiz des Zufällig-Natürlichen. So ist auch die Haltung der Figuren. Ihre Schwingung scheint aus ihrer Gebärde herausentwickelt, nicht Ausdruck einer Stilkonvention zu sein. Eine unmittelbare Vorstufe für die Kunst des Johann von Valkenburg in Köln selbst stellt die Handschrift der Mischna Thora dar, die sich heute im Besitz der Ungarischen Akademie der Wissenschaften befindet (Hs. A. II./77) 7. Sie ist laut Eintrag von Moses Maimonides in Köln in den Jahren 1295 und 1296 geschrieben worden. Die ornamentalen Motive, die Drolerien sind von derselben Art, die die beiden Graduale zeigen, aber sie sind noch nicht so folgerichtig verwendet und sind noch gebundener; die Faltungen der Gewänder sind schwerer, und vereinzelt finden sich noch zackige Formen. 7 Moses in Zeitschrift für bildende Kunst LX (1926/27) S. 71. 14

Eine Aufnahme westlicher, belgischer Formen in kölnischen Schreibstuben darf nicht verwundern. Sie bezeugt nur wieder die stets nachweisbare, enge Verbundenheit dieser Stadt mit dem Maasgebiet, mit Flandern und Artois. Seit 1247 finden sich in Köln Niederlassungen des von Lambert von Beghe in Lüttich gegründeten Beguinenordens. Die kölnische Franziskanerprovinz erstreckte sich bis Herzogenbusch, Löwen, Brüssel und Antwerpen. Solcherlei kirchenpolitische Beziehungen und die Handelsbeziehungen zu den flandrischen Städten mögen den künstlerischen Austausch gleichstark gefördert haben. Er ist in der zeitgenössischen Skulptur ebenso zu verfolgen 8 . Johann von Valkenburg hat eine große Nachfolge gehabt. Eine lange, bis zur Mitte des Jahrhunderts reichende Reihe von Miniaturmalereien läßt sich an seine beiden Graduale anschließen. Am nächsten stehen zwei aus St. Kunibert und St. Severin stammende Missale in der Darmstädter Landesbibliothek (Hs. 837 und 874) mit ziemlich gleichartigen Kanones- 19. bildern, deren Rahmenleisten, deren oberer architektonischer Abschluß, deren Figuren der von dem Minoriten verwendeten Art nachfolgen. Auch die Vitae Sanctorum aus St. Pantaleon, in Brüssel (Ms. 3134 [329 bis 41]), deren reicher Drolerieschmuck durchaus flandrisch ist 9, und Blätter aus einem Missale im Kölner Kupferstichkabinett müssen noch in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts entstanden sein. Valkenburgs Einfluß hat auf sie noch aus nächster Nähe gewirkt. In späteren verblaßt er allmählich. In den Antiphonarfragmenten, die sich heute im SuermondtMuseum zu Aachen , 0 , in der Frankfurter Kunstgewerbebibliothek (Esrg. 4248/16) 11 und im Kestnermuseum in Hannover befinden, weiterhin in der Legenda Sanctorum von 1324 der Frankfurter Stadtbibliothek Bath. 115 " und in dem Psalter der Kölner Diözesanbibliothek Hs. 267, der entweder aus dem Dom oder einem Kloster, das der Regel des hl. Augustinus folgte, stammt, verwildert Valkenburgs Art, in anderen Beispielen werden die Formen entsprechend dem Stilwandel des zweiten Jahrhundertviertels körperloser und flächiger. Sind jene eben aufgezählten Malereien Arbeiten von unselbständigen Nachläufern, so zeugen einige andere von schöpferischeren Meistern, die das Ererbte aus dem Wollen ihrer jüngeren Jahrzehnte neu zu gestalten vermögen. Hierher gehören ein Gebetbuch im Provinzialmuseum zu Hannover J3, fünf Bildinitialen des Kölner Kupfer- 15. stichkabinetts (Inv. 67—71), die beiden Bildseiten in dem Inventarbuch der Gaffel Windeck des Kölner Stadtarchivs (Zunftsachen 75), das 1346 17, 18. begonnen wurde, und endlich ein Antiphonar aus dem Klarissenkloster, das 1350 datiert ist, in der Königl. Bibliothek zu Stockholm cod. A. 172 '4. • Stange in Kritische Berichte 1931/31 S. 122. 9 Vitzthum a. a. O. S. 206. ,0 Weigelt in Wallraf-Richartz-Jahrbuch I (1924) S. 5. i" Swarzenski-Schilling, Illuminierte Hss. . . . in Frankfurter Besitz, 1929 Nr. 7 1 , Taf. 33. >» Swarzenski-Schilling a. a. O. Nr. 70, Taf. 32. '5 Liebreich in Studien des Provinzial-Museums zu Hannover I (1926) S. 2 1 . m Wieseigren in Ord och Bild, Stockholm 1931 S. 407. 15

Die Illustrationen des Gebetbuches in Hannover und die beiden Bildseiten des Gaffelbuches, eine thronende Maria und ein hl. Bischof, beide umgeben von Anbetenden, Mitgliedern der Gaffel, sind aufs nächste verwandt. Diese Arbeiten, die wohl zum größten Teil aus dem Kölner Klarissenkloster stammen, wenigstens weisen eine ziemliche Anzahl der Handschriften dahin, sind um die Mitte des Jahrhunderts längst überlebte Werke, auch Buchmalereien ganz anderer Art standen als eigentlich zukunftweisend seit dem zweiten Jahrzehnt schon neben ihnen. 3Schon im zweiten Jahrzehnt findet sich neben den Buchmalereien aus der Nachfolge des Johannes von Valkenburg eine jüngere völlig andersartige Arbeit, die aus einer die Gestaltung eines Bildwerkes grundsätzlich anders wertenden Gesinnung heraus entstand. Es ist die von einem Rutger von Berke, Mönch in der Zisterzienserabtei Kamp (Kreis Mörs) 1 3 1 2 geschriebene 16. Bibel, die heute in der Berliner Staatsbibliothek (Cod. Diez c. fol. 63) aufbewahrt wird. Nur wenige Initialen sind figürlich geschmückt, dennoch muß dieser Handschrift ein besonderer Platz in der kölnischen Buchmalerei eingeräumt werden. Ihre Figuren sind schmächtiger als die der eben besprochenen Handschriften, die Falten treten härter heraus und öffnen schon tiefe Hohlräume. Die Linie gewinnt eine stärkere Eigenbedeutung, und ihre Bewegungen sind intensiver. Aber das ist es nicht allein. Was den wenigen Miniaturen ihren besonderen Reiz verleiht, ist ihre elegante, ja raffinierte Formgestaltung. Es wäre falsch, die schmalen Schultern der Figuren und ihre Schlankheit einseitig auf die spätere Entstehung zurückzuführen. Sicherlich darf die fortschrittliche Gesinnung des Malers nicht unterschätzt werden. Aber eben er erfüllt die Bestrebungen der Zeit mit einer besonderen Formkultur. Die zerbrechliche Zartheit seiner Gestalten, ihre kleinen Köpfe, die schwingenden Konturen und Säume werden zum Ausdruck eines adeligen Schönheitsideales. Zumal die Säume machen diese Formkultur deutlich. Denn wenn das stärkere Hervortreten ihrer graphischen Eigenwerte auch zuerst durch das Jahrzehnt bestimmt ist, so eignet ihnen darüber hinaus eine auch in Köln nicht häufige Grazie und Melodik. Die Standfestigkeit der Figuren der Valkenburgischen Graduale ist überwunden von einem weichen Schwingen. Alles Harte, Eckige wie alles Massige ist vermieden. Die Figuren sind biegsam, schwingen in flachen S-Kurven. Eine zarte, weiche Melodie klingt in ihren Konturen und Falten. Wie der Sehr eiber eintrag besagt, ist die Handschrift nicht in Köln, sondern in der Zisterzienserabtei Kamp — halbwegs zwischen Krefeld und Wesel — geschrieben worden. Ob sie da auch ihren Bildschmuck empfing, wissen wir nicht. Dennoch darf dieser mit gutem Recht zum Kölner Kreis gezählt werden, denn sein Stil erlebte in dieser Stadt seine Vollendung und vielleicht läßt sich hier auch noch seine Voraussetzung nachweisen: in den Wandbildern von St. Cäcilien. Mehr als Vermutungen zu äußern, ist freilich nicht möglich. Haben die beiden Werke nur die schlanken, 16

hohen Figuren gemeinsam, ist es nur dies, was sie von Valkenburgischen unterscheidet — ist bei ihren Figuren nicht auch die Art sich zu bewegen, mit den Füßen den Boden zu berühren, ist nicht auch die feingeschliffene Sprache der Falten und der lebhafte, zugespitzte Ausdruck der Gesichter so verwandt, daß ein innerer Zusammenhang vorauszusetzen ist? Die Frage muß offen bleiben, da der schlechte Erhaltungszustand der Wandbilder und auch die vor der Restaurierung angefertigten Pausen keinen eindeutigen Schluß erlauben. Aber vielleicht darf darin eine Art Bestätigung gesehen werden, daß die westlichen Vorbilder für die kleinen Buchmalereien wie für die großen Wandbilder anscheinend dieselben waren. Denn wenn Graf Vitzthum für diese auf die Somme le roi im Britischen Museum (Add. 28 162) hinwies, so kann für die Kamper Bibel kein näher liegendes Beispiel angeführt werden. Beider Arbeiten Form stammt aus einer anderen Quelle als die der beiden Graduale von 1299. Zweifelsohne waren für sie englische Vorbilder wesentlich bestimmend '5. Und diesen verdankt auch das dritte, in diesem Zusammenhange zu nennende kölnische Werk, das die Vollendung dieses Stiles, wenigstens des Stils der Kamper Bibel, in Köln bringt, wesentliche Eigentümlichkeiten: die Malereien am Dorsale des Domchorgestühls l6 . Die Befreiung von 24. ihren doppelten Hüllen vor einigen Jahren hat einen der wunderbarsten Schätze deutscher gotischer Malerei den Blicken wieder freigegeben. Entsprechend der Ausdehnung des Chorgestühls nehmen die Malereien die leere Fläche der Dorsalemauern, die das Kölner Domgestühl, eine merkwürdige Ausnahme, freiläßt, zwischen je vier Pfeilern ein, wodurch sich auf jeder Seite je drei Abschnitte ergeben. In der Höhe sind diese gemalten Streifen dreiteilig. In einem niederen Sockel, der durch kleine, gemalte Spitzbogenarkaden gegliedert ist, stehen auf der Nordseite Bischöfe, auf der Südseite Könige. Clemen hat sicherlich recht, wenn er betont, daß diese beiden Reihen zu den darüber dargestellten Hauptthemen wie auch zum Gestühl in Beziehung stehen. An der Nordseite, über den Bischöfen, findet sich die Legende des hl. Petrus, an der Südseite, über den Königen, findet sich die Legende der hl. drei Könige. Und es ist zu bedenken, ehemals stand am Ende des Gestühls auf der Nordseite eine Figur des Papst Sylvester, dessen Geschichte wieder oben erzählt wird, am Ende des Gestühls auf der Südseite stand eine Figur des Kaiser Konstantin — beide Figuren sind verloren — , der erste Sitz auf der Südseite endlich war dem Kaiser, der auf der Nordseite war dem Papste vorbehalten. Ein Zusammenhang ist nicht zu bezweifeln. Über diesem Sockel ist eine prachtvolle, ebenso zierliche wie elegante Arkadenarchitektur aufgebaut, die, die Bilder einschließend, in einer obersten Zone abwechselnd von polygonalen Türmchen oder von mit Walmdächern bedeckten Langbauten bekrönt wird, vor denen Wimperge, zwischen denen Fialen emporwachsen. In den "5 W e n n Lütticher Hs. wie das B r e v i e r in D a r m s t a d t H s . 394 e i n e n ä h n l i c h e n Stil zeigen, so ist diese Verwandtschaft wohl auf dieselbe englische Quelle z u r ü c k z u f ü h r e n . 1 6 Clemen a. a . 0 . S. 182 und s c h o n vorher in W a l l r a f - R i c h a r t z - J a h r b u c h I (1924) S. 29. Olles, Die W a n d m a l e r e i e n a u f den C h o r s c h r a n k e n des K ö l n e r D o m e s , D i s s . B o n n 1929.

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von Türmchen bekrönten Feldern ist der Grund durch Rauten geteilt, in denen Blüten- und Blättersterne mit reizenden, in Blau und Weiß grisailleartig modellierten Droleriefigürchen abwechseln '7. Der Grund der anderen, von Langbauten bekrönten Felder ist mit einem dichten Laubornament gefüllt, in denen Masken und frei bewegte Einzelgestalten spielen. Ahnlich ist der Grund hinter den oben abschließenden Architekturen verziert. Die Figuren dieser Flächen sind gezeichnet, nicht modelliert l 8 . Clemen bespricht ausführlich den Erfindungsreichtum, der in diesen Dekorationen zum Ausdruck kommt. Unerschöpflich scheint die Phantasie dieser Maler gewesen zu sein. Immer neue Stellungen, Wendungen, Gebärden finden sich; wie vielfältig sind die Begegnungen und Beziehungen der Liebespärchen: bald keck, bald gemessen, bald werbend, bald abweisend. Anderweitig offenbart sich eine merkwürdige Freude am Burlesken. „Die Stimmung führt von der zartesten Lyrik bis zur derbsten Burleske," Höfisches steht neben Bäurischem." Was am Gestühl begonnen, ist hier weitergesponnen. Und all das ist mit höchster Grazie gestaltet. Das Gefühl für die feinsten Reize einer Linie, einer zarten plastischen Schwellung ist schier unüberbietbar. Die Bilderfolgen in den einzelnen Abschnitten zwischen den Pfeilern bringen der gemalten Arkadengliederung zufolge je sieben Darstellungen. Auf der Südseite sind im ersten Abschnitt Szenen aus dem Leben der Muttergottes, im zweiten aus der Legende der hl. drei Könige bis zur Überführung ihrer Leiber nach Köln, im dritten aus der Legende der hll. Nabor und Felix und des hl. Gregor von Spoleto, deren Reliquien im oberen Teil des Dreikönigsschreins ruhen; auf der Nordseite sind im ersten Abschnitte Szenen aus der Legende des hl. Petrus und im zweiten und dritten Abschnitte vierzehn Szenen aus dem Leben des Papstes Sylvester dargestellt. Die schmalen Reststreifen zu Seiten der Pfeiler sind zumeist zu der benachbarten Darstellung hinzugezogen. Auf dem Marienabschnitt ist die Verkündigung an die Hirten als Einleitung, ein Engelchor, neben der Marienkrönung, als Ausklang auf den Reststreifen dargestellt 29. Die Zeichnung der Darstellungen auf der Nordseite ist vielleicht etwas herber, auf der Südseite scheint die Formfassung gefälliger zu sein, die Unterschiede sind geringfügig, und im ganzen ist der Stil der Malereien einheitlich. Das Figurenideal entspricht dem der Kamper Bibel. Man darf es so 16. nennen: deren Art vollendet sich in den Dorsalemalereien. Nicht nur in den schlanken Proportionen, in Einzelheiten, wie Köpfen, Haar- und Barttracht, finden sich allerlei Übereinstimmungen; das würde noch nicht viel besagen, vor allem aber liegt ihnen dieselbe Gesinnung zugrunde, spricht aus der Gestaltung der Formen im einzelnen wie der Komposition der Szenen eine gleich hohe Formkultur. Der Duktus der Säume und •7 Clemen in Wallraf-Richartz-Jahrbuch Abb. 4—5. Ebenda Abb. 6—13. '9 Die Malereien an den Außenseiten der Chorschranken, stehende Figuren mit Spruchbändern, sind fast völlig erloschen. 18

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Falten, der Zusammenklang der Formen, das Gewicht der Gesten im Bilde, alle diese Dinge zeugen von derselben Überlegsamkeit, die auch die Formen der Kamper Bibel ordnet und gestaltet. Jeder Anschein des Zufälligen ist vermieden, vielmehr sind die Formen auf Grund genauester Berechnungen angeordnet. Das gibt diesen Malereien gegenüber den Valkenburgischen Arbeiten den Ausdruck strenger Disziplin, die aber keineswegs eine vieltönige, sehr elegante Melodik der Linien und Formen verhindert, vielmehr scheint das vor allem das Ziel dieser straffen Stilisierung zu sein. Völlig anders als in St. Cäcilien ist in den Dorsalemalereien die Anordnung der Szenen: nicht in fortlaufenden Streifen, sondern architektonisch gefaßt, nicht waagrecht, sondern senkrecht sind die Bildfelder ausgerichtet. Solche architektonische Fassung eines Bildes fand sich schon auf dem Titelblatt des Kölner Graduale und den sich bald anschließenden Kanonbildern der heute in Darmstadt aufbewahrten Missale (Hs. 837 und 874). Das unmittelbare Vorbild aber dürften Glasfenster 19. mit ihren vielteiligen architektonischen Gerüsten geliefert haben. Wie weit dann mittelbar die englische Malerei in dieser Frage von Wichtigkeit war, ist schwer zu entscheiden. Bei den Figuren ist eine Einwirkung kaum zu bestreiten. Die Gewandbehandlung sonderlich entspricht der des Arundel-Psalters weitgehend. Man braucht freilich diesen Einfluß nicht so tiefgreifend anzunehmen, wie es Graf Vitzthum tat 2 0 . Spricht man von einer „Erweckung der großen Malerei in Köln durch den Einfluß von England und Belgien", so überschätzt man gewiß die Bedeutung dieser Einwirkungen und unterschätzt die Kölner Leistungen im vergangenen Jahrhundert auf diesem Gebiete. Dieser englische Einschlag bedingt wohl auch gewisse Unterschiede gegenüber den innerlichst sicher verwandten Domchorstatuen. Die für diese charakteristische Auflösimg und Durchklitterung des Blockes kennen die Malereien nicht. Die Gewänder ihrer Figuren sind nicht in langhin von unten nach oben durchlaufende Röhrenfalten zerlegt, ihre Säume überschlagen sich nie derart in vielfachen großen und kleinen Wellenmotiven — um nur auf zwei Verschiedenheiten hinzuweisen. Der Maler ist zurückhaltender, seinen Darstellungen fehlt die Koketterie, fehlt das Preziöse, das den Statuen in hohem Maße eignet. Vielleicht erscheinen die Malereien manchmal als das schwerfälligere Werk, auf alle Fälle ist ihr Grundton auf eine ernstere Würde gestimmt. Dennoch darf man das Gemeinsame nicht übersehen. Wenn auch die aufbauenden Formen häufig verschieden, sehr verwandt ist das Gestaltungserlebnis. Die Statuen sind mehr von Frankreich, die Malereien mehr von England beeinflußt. Und der englische Einfluß mag verhindert haben, daß die Masse gegenüber der Linie derart nur als notwendiges Übel betrachtet wird, wie es bei den Statuen der Fall ist. Die bedingungslose Überordnung der Linie könnte französisches Erbe sein, aber die besondere Vitalität der Säume Vitzthum a. a. O. S. 2 1 1 . 19

und Konturen der Chorstatuen ist nicht von da ableitbar. Das scheint kölnische Leistung zu sein, und da liegt das Gemeinsame mit den Schrankenmalereien. Nicht die größere oder geringere Körperlichkeit ist entscheidend, nicht die verschiedene Behandlung der Faltenfurchen — all das ist sekundär. Was sie und die Kamper Bibel und vielleicht auch die Malereien in St. Cäcilien verbindet, ist der Sinn für klingende Formen, ist das Bemühen um eine geschliffene, ja elegante Gestaltung. Es ist innerlichst begründet, daß die Gewandbehandlung der Figuren in der Krönung Mariens der Art der Statuen am nächsten kommt. Domchorstatuen, Gestühl und Dorsalemalereien gehören untrennbar zusammen. Sie entstanden gleichzeitig und waren bei der Weihe des Chores 1322 vollendet. Da die Zahl der Kölner Erzbischöfe in den verschiedenen Katalogen beträchtlich schwankt, braucht mit dem letzten, dem siebenundfünfzigsten, keineswegs, wie man früher annahm, Wilhelm von Gennep (1349—62) gemeint zu sein. In einem Katalog nimmt er die zweiundfünfzigste, in einem anderen die sechsundsechzigste Stelle ein. Damit wird es zweifelhaft, ob diese Bischofs- und Königsreihen überhaupt historisch zu deuten sind. Wie soll man die Reihe der neunundsechzig Könige auflösen? Und wahrscheinlich war auch der Bischofszyklus ursprünglich bis zum Schluß durchgeführt; dann würden sich auch hier neunundsechzig Bischöfe befunden haben. Diese zuerst von Clemen angestellten Überlegungen befreien von der „Zwangsvorstellung", die Malereien müßten um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sein. Vielmehr muß man annehmen, daß bei der Weihe dieser äußerlich wie innerlich gleich bedeutsame Ausstattungsteil des Chores nicht gefehlt hat. Dann aber erzwingt die 1 3 1 2 datierte Kamper Bibel geradezu die Ansetzung der Malereien gegen 1322. Die Wirkung der dazwischen liegenden Jahre — nimmt man eine Arbeitstätigkeit von mehreren Jahren an, so waren es möglicherweise nur etwa acht oder sieben — ist nicht zu übersehen. Die Figuren der Schrankenmalereien sind körperloser, ihre Gewänder sind unstofflicher. Aber es ist kennzeichnend, daß trotz dieser Wandlung ähnlich wie bei den Chorstatuen auch hier die Form nichts von ihrer Sinnlichkeit eingebüßt hat. Die Chorschrankenmalereien gehören zum Großartigsten, was über Köln hinaus in diesen Jahrzehnten überhaupt in Deutschland erstand. Ein Werk von entscheidender Bedeutung auch insofern, als in ihnen die Darstellung zum ersten Male in einer ganz neuen Weise psychisch erfaßt wird. Zum ersten Male wird in der Kölner Malerei — und wohl deutschen ganz allgemein — erzählt. Das Ereignis wird nicht nur dargestellt; mittels einer Johann von Valkenburg noch völlig unbekannten Individualisierung der Figuren wird die Handlung von innen heraus motiviert. Die tiefe Psychologie der Kunst der dreißiger und vierziger Jahre wird hier vorbereitet. Wahrscheinlich gehörten in den Umkreis der Chorschrankenmalereien die beiden kolossalen Wandmalereien in St. Andreas in Köln, die Krönung 20

Mariens und der Weltenrichter die beide seitlich von niederen Arkaden eingefaßt sind, in denen männliche Heilige stehen. Heute kann man den Zusammenhang nur noch ahnen, da vom ursprünglichen Bestand außer einigen Konturlinien kaum noch etwas erhalten ist. Abwägende Vergleiche mit der Marienkrönung am Dorsale legen gewisse tiefe Beziehungen immer wieder nahe, wenn es auch schwer fällt, all das Verfälschende, das spätere Jahrhunderte hineingetragen haben, auszuschalten. Werke von ganz großer monumentaler Gesinnung sind uns hier verlorengegangen. Und endlich sei wenigstens hingewiesen auf die kümmerlichen, sämtlich bis zur Unkenntlichkeit übermalten Reste in den Kapellen des Domchores, die, soweit man noch erkennt, ¿ille im Banne der Schrankenmalereien standen. Am besten noch das Kreuzigungsbild in der Johanneskapelle. 4Die zwei Richtungen, die wir feststellen konnten, die volkstümliche, behäbigere Art des Johann von Valkenburg und der ihm nachfolgenden Arbeiten, die distinguiertere, vornehmere der Kamper Bibel und der Chorschrankenmalereien, diese beiden Richtungen spiegeln nun auch die in diesen Jahrzehnten in Köln entstandenen Tafelbilder. Die früheste der heute erhaltenen und bekannten Kölner Tafeln dürfte da§ prachtvoll erhaltene Diptychon des Deutschen Museums in Berlin sein, 25, 26, 30. mit den Darstellungen der thronenden Maria und der Kreuzigung Christi auf den Innenseiten, der Verkündigung auf der Außenseite des rechten Flügels. Schon ganz äußerliche Eigentümlichkeiten zwingen, das Altärchen früh anzusetzen. Die Art, wie sein Rahmen geschmückt ist oder war, entspricht noch völlig romanischer Art, wenn auch die einzelnen Motive gotische Form haben. Sodann erinnerte die einfache, breitflächige Stirnarchitektur des Thrones mit den farbigen Inkrustationen bereits Graf Vitzthum" an die Throne italienischer Madonnen um 1300 23. Bald darauf werden sie aus zierlichen gotischen Architekturmotiven bestehende reiche, vielteilige Bauwerke. Diese jüngere Art zeigen in Deutschland die Glatzer Madonna (in Berlin) und zahlreiche in den Hohenfurther Kreis gehörige Malereien, die um die Jahrhundertmitte anzusetzen sind. Sollte der Kölner Maler, der aus dem Nordwesten sich das Modernste aneignete, hier auf eine bereits altertümliche italienische Form zurückgegriffen haben? Aber auch die weichen, voluminösen Falten der Gewänder, die untersetzten Proportionen der Figuren, die Natürlichkeit und 11

Clernen a. a. 0 . S. 1 3 5 . S. 34 meint Clemen, daß die beiden Wandmalereien vielleicht unmittelbar an die Altarweihe von 1 3 1 2 anzureihen seien. Das würde zu der von uns vorgeschlagenen Einordnung wohl passen. " Vitzthum a. a. 0 . S. 214. 13 Italienischen Einfluß zeigen auch einige mit figürlichen Initialen geschmückte Blätter, die aus einem Martyrologium stammen und sich heute im Kupferstich-Kabinett des WallrafRichartz-Museums befinden. Er zeigt sich hier in der Hauptsache in den ornamentalen Motiven, die den Buchstabenkörper schmücken. Die Blätter dürften bereits im zweiten Jahrhundertviertel entstanden sein.

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gäbe, ist nie so gewichtig wie bei den Chorschrankenmalereien oder etwa dem Kanonbilde in dem zweiten aus St. Kunibert stammenden Missale in Darmstadt (Hs. 876), das wie kein anderes kölnisches Kreuzigungs- 20. bild tief einschneidende englische Einflüsse zeigt. Das Buch wurde, wie ein Eintrag auf dem nachträglich eingehefteten ersten Blatt besagt, von dem Dekan Heinrich von Wintersbach, der 1348 gestorben ist, der Kirche geschenkt, es dürfte im dritten Jahrzehnte entstanden sein. Wie bei der Kreuzigung der Berliner Tafel weisen auch alle Teile dieses Kanonbildes auf die Kunst des Johann von Valkenburg hin. Der Hauptmann, die Köpfe der Juden ihm zur Seite aber sind unter dem Einfluß englischer Vorbilder geformt. Nur von da ist ihre kühle, fast profane Haltung zu erklären. Mit dem Berliner Diptychon ist auch die Einordnung der Verkündigung und Darstellung im Tempel, im Wallraf-Richartz-Museum in Köln, ur- 27, 28. sprünglich Flügel oder Flügelteile eines Altars, gegeben. Vielleicht sind sie ein klein wenig jünger. Auf der Verkündigung in Berlin ist die Tracht des Engels altertümlicher, klingt noch an romanische an, und dem entspräche, daß auch die Modellierung noch etwas praller erscheint. Einen festen zeitlichen Anhaltspunkt bieten die ebenfalls in diesen Kreis gehörigen Tafeln aus der Zisterzienserabtei Marienstatt, die 1324 zu datieren sind; sie befinden sich heute im Provinzialmuseum zu Bonn. 29. Etwa zwei Drittel der Fläche der einen Tafel — Pergament auf Holz geklebt — nimmt eine Darstellung Mariens mit dem Kinde, verehrt von Erzbischof Heinrich von Köln (gest. 1332) und dem Abt Wigand von Kloster Marienstatt und betenden Mönchen, ein, etwa ein Drittel der anderen Tafel eine Darstellung des Gekreuzigten und der Leidenswerkzeuge. Am Rande in Halbfigur die Äbte des Klosters, deren Namen bis ins 17. Jahrhundert eingetragen wurden, an den Ecken Medaillons mit Propheten oder den Evangelistensymbolen. Die übrige Fläche der Tafeln füllt die Gründungsgeschichte der Abtei Marienstatt, aufgezeichnet anläßlich der Weihe der Kirche am 27. Dezember 1324. Die Mariendarstellung zeigt wieder das lange Fortleben der Tradition des Johann von Valkenburg. Die Maria ist eine jüngere Schwester derjenigen des Berliner Diptychons — sie ist aber eben auch unverkennbar jünger. Sie hat den gleichen runden, „bürgerlichen" Kopf, Mantel und Gewand sind in sehr ähnlicher Weise angeordnet und gefaltet. Wenn aber die Falten weitgehend in der Fläche spielen, wenn sie spitzig und hartkantig als tiefe, den Block völlig aushöhlende Tüten und Schläuche geformt sind, wenn die Linie sich immer stärker durchsetzt, so ist das keineswegs nur auf den Qualitätsunterschied, der zweifelsohne vorhanden ist, zurückzuführen, hier gibt sich vielmehr — ähnlich wie in der Reihe der Miniaturen im Hannoverschen Gebetbuch — die Nähe des zweiten Jahrhundertviertels mit einem anderen Stilideal zu erkennen. Etwa gleichzeitig oder vielleicht noch etwas später dürfte die letzte zu besprechende Arbeit dieser Richtung entstanden sein, das seit wenigen Jahren erst bekannte, nunmehr im Wallraf-Richartz-Museum bewahrte, 23

3i. allseitig bemalte Diptychon mit einer Darstellung der Marter der Zehntausend 25 auf den Innenseiten, der Kreuzigung auf der einen, Christus als Schmerzensmann im Sarkophage stehend auf der zweiten Außenseite der Flügel. Man mag die Kreuzigimg mit der in dem Darmstädter Missale Hs. 874, man mag den Kopf des Erzbischofs Heinrich auf der einen Marienstatter Tafel mit Köpfen auf der Marterdarstellung vergleichen, die Zugehörigkeit zu diesem mehr volkstümlichen Kreis kölnischer Werke, deren Ton zuerst in den beiden Gradualen des Johann von Valkenburg angeschlagen wurde, ist unverkennbar. Das Martyrium ist sehr lebendig geschildert, und in den vielfachen, höchst seltsamen Stellungen der leidenden Bekenner wie ihrer Häscher ist ein feiner Rhythmus nicht zu verkennen. Das Stück ist eine wertvolle Bereicherung unseres Besitzes an kölnischen Tafeln. Die Richtung der Kamper Bibel und der Chorschrankenmalereien schlägt durch sonderlich in den schmalen, hohen Tafeln mit den Einzelfiguren Johannes' und Paulus' im Wallraf-Richartz-Museum und vor allem den beiden völlig gleichartigen Hausaltärchen im Bayrischen National33- museum in München und ehemals bei v. Auspitz in Wien, heute im Besitz der Kunsthandlung Bachstitz. Die beiden Kölner Tafeln, ursprünglich vielleicht Türen eines Sakramentsschrankes, worauf das Format und die ornamentale Malerei auf den Rückseiten zu weisen scheinen, sind nicht sehr gut erhalten. Zumal der Johannes ist stark erneuert; an seinem Gesicht ist kein alter Pinselstrich. Besser steht es beim Paulus; er läßt ein Urteil noch zu. Und täuschen wir uns nicht, so eignet ihm die bewußtere Haltung, sind die Falten seines Mantels mit jener Überlegung drapiert, die für die Art jener Werke kennzeichnend sind. Man kann auf allerlei stilistische Gemeinsamkeiten hinweisen, etwa auf die schlanken Körperverhältnisse und schmalen Köpfe und anderes. Soweit sich über Modellierung und Licht- und Schattenbehandlung noch etwas sagen läßt, scheinen dieselben dekorativen Absichten: der Oberfläche eine stark differenzierte Lebendigkeit und Beschwingtheit zu geben, ausschlaggebend gewesen zu sein. Und über jene Malereien weist der Paulus auf die Chorstatuen hin. Von allen bisher besprochenen Werken ist er diesen am nächsten verwandt. Er ist ihr gemaltes, nur wenig schwerfälligeres Geschwister. Den Falten seines Mantels eignet die den Statuen charakteristische kultivierte Formgesinnung, die graziöse Sinnlichkeit und spielerische Eleganz. Die beiden kleinen Hausaltärchen sind im Aufbau vollkommen gleich, mehr noch, auch die Malereien auf den Flügeln stimmen thematisch, 35, 36. kompositioneil und stilistisch völlig überein. Auf der Innenseite des linken Flügels jeweils die Verkündigung und darunter die Geburt, auf der des rechten Flügels die Krönung Mariens und die Taufe Christi, auf den Außenseiten, je die ganze Fläche füllend, zwei stehende Figuren, ein hl. Bischof und ein hl. Ritter, vielleicht St. Gereon. Diese Heiligen kommen a 5 Über diese und verwandte Darstellungen des Martyriums der Zehntausend siehe Clemen a. a. O. S. 118.

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wörtlich übereinstimmend in den Königs- und Bischofsfiguren am Sockelstreifen derDorsalemalereien im Dom vor. Ebenso bezeugt den Zusammenhang ein Vergleich der Darstellungen der Krönung Mariens. Freilich gewisse Unterschiede dürfen nicht übersehen werden. Vor allem besitzen die beiden Altärchen nicht die hohe Qualität, die die Chorschrankenmalereien auszeichnet. Ihr Formapparat ist weniger reich und differenziert — oder die Faltung der Gewänder macht einen gekünstelten Eindruck. Der Zusammenklang ist nicht mehr so fein und melodiös. Ein Schritt zur Manie hin ist unverkennbar. Wie die abklingenden Faltengehänge mit den Konturen, Stellungen und Gesten zusammenklingen, darin bezeugt sich das gleiche Bemühen um eine fein geschliffene, elegante Form, aber vielleicht ist diese Kunst hier schon überzüchtet. Die Richtung des Johann von Valkenburg konnte verwildern, diese hier wurde manieriert. Das Bemühen um eine spielerische, kokette Eleganz wird überbetont. Das Münchner, aus der Sammlung Boisser£e stammende Altärchen ist ziemlich erneuert, besser erhalten ist das ehemals Wiener 26. Aus dessen kälterem und hellerem Kolorit irgendwelche Schlüsse ziehen zu wollen ist nicht möglich, da wir über die Farbe des Münchner nicht genau Bescheid wissen. Weiterhin sind in jenem die Proportionen der Figuren schlanker. Muß man deshalb in ihm das jüngere Werk sehen? Es ist möglich, aber die Frage bleibe offen. Die Gleichartigkeit der beiden Werke ist so groß, daß sie innerhalb eines sehr kleinen Zeitraumes in einer Werkstatt entstanden sein müssen — sicher nicht nach 1330 —, ja daß sie sehr wahrscheinlich von einer Hand stammen, von einer Hand, die die Monumentalität der Schrankenmalereien in einen zierlichen, koketten Miniaturstil übersetzte. Erst jüngstens wurde das von der Forschung lange vergessene Diptychon im Pfarrhause von St. Georg in Bocholt J7 diesem Kreise wieder angegliedert. 32. Dargestellt sind auf den Innenseiten, umgeben von einem breiten Rahmen, Kreuzigung Christi und Krönung Mariens, auf den einfach schwarz gebeizten Außenseiten die hll. Franziskus und Klara einerseits, der Gekreuzigte andererseits. Das Werk ist nicht ganz einwandfrei erhalten, die nahe, Form für Form gegebene Verwandtschaft mit den beiden Hausaltärchen dennoch unverkennbar. Die Köpfe sind die gleichen runden mit den kurzen, geradrückigen, unten mehr eckigen als runden Nasen, mit den hohen Stirnen, dem betonten Weiß in den Augen. Die gleichartig überlegte Faltung der Gewänder spielt in denselben schwierigen Saummelodien. Dieses Diptychon entstammt derselben Werkstatt wie die Hausaltärchen. Nur schwer einzuordnen sind die beiden Altaraufsätze in St. Kunibert in Köln, von denen der eine heute am Sockel des Sakramentshäuschens, der andere am Reliquienschrank eingebaut ist Die Retabel waren als Gegenstücke an sich entsprechenden Pfeilern des Langhauses aufgestellt. 16

Kurth in Festschrift für Julius Schlosser zum 60. Geburtstage 1926. 7 Liebreich in Zeitschrift für bildende Kunst L X I V (1930/31) S. 32. 18 Kunstdenkmäler der Rheinprovinz VI, 4: Köln I, 4 S. 284. Clemen a. a. O. S. 174. a

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Wirkungen, sich kreuzende Einflüsse, vorausgesetzt werden müssen, ist wenigstens in diesem Fall nicht zu beweisen. 6. Um die Wende der ersten oder zu Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte muß der Buchschmuck — eine ganzseitige Darstellung der Kreuzigung und eine kleinere des Meßopfers zu Beginn des Kanons — in dem Missale 21. entstanden sein, das aus der Erbschaft des im Jahre 1357 gestorbenen Domdekan Konrad von Rennenberg in den Besitz der Dombibliothek (Hs. 149) gelangte. Der den Tod des Stifters meldende Eintrag 39 dürfte nicht viel später als die Handschrift entstanden sein. Die architektonische Fassung des oberen Bildrahmens, die Anordnung der Evangelistensymbole, die Musterung des Grundes folgen alter kölnischer Tradition. Im Figürlichen aber zeigt sich, daß die alten Ziele nicht mehr gelten. Der Maler ging aus von Werken wie dem Kreuzigungstriptychon, von da übernahm er die Art der Faltenorganisation. Das einzelne Motiv aber hat einen neuen Sinn bekommen. Die Falten haben wieder Gewicht. Sie höhlen nicht mehr aus, treten nicht spitztütig heraus, keilartig breit sind sie und haben Masse und Schwere. Ein neues Massengefühl beginnt sich durchzusetzen. Man darf wieder von Block und Körperlichkeit sprechen. Die Proportionen sind nicht geändert, aber die Figuren haben doch deutlich an Volumen gewonnen. Sie beginnen sich zu runden, Brust und Leib wölben sich. Ein Körper im Sinne einer individuellen, organisch durchgebildeten Gestalt ist es nicht. Es ist eine kompakte, kaum gegliederte Masse, aber sie gibt den Figuren eine gewisse Standfestigkeit, und ihre Wölbung trägt und formt das Gewand. Dessen Falten hängen nicht mehr im Leeren, sondern liegen fest auf einem Grunde auf, und indem sie selbst an Masse zunehmen, erhält ihr Relief einen ganz neuen Sinn. Körpermasse und gefaltetes Gewand sind unlöslich verbunden: sie stehen zueinander wie Schichten eines Reliefs. Das unterscheidet diesen Stil grundsätzlich vom 13. Jahrhundert und auch noch einem Werk wie dem Berliner Diptychon, wo immer Gewand und Körper in einem viel freieren Verhältnis zueinander stehen. Mit dieser Betonung der Körperlichkeit geht eine Wandlung im Ausdrucke der Figuren zusammen. Nicht daß sie irdischer, daß Schmerz und Klage menschlicher geworden wären, sie leben noch immer in einer überirdischen Sphäre, aber ihr Körper ist zu ihrem Erleben und ihren Gefühlsäußerungen in eine neue Beziehung getreten. Beim Gekreuzigten wird es deutlich, wie Schmerz und Leiden jetzt physisch begründet werden. Und auch die Trauernden empfinden und äußern Trauer und Klage ganz anders körperlich. Der Körper wird nicht mehr weltflüchtig verneint, er ist Werkzeug geworden. Ahnliches lehren die vier Blätter aus einem Antiphonar des Kölner Klarissenklosters im Kupferstichkabinett des Wallraf-Richartz-Museums (Inv. 65—67) und im Kestner-Museum in Hannover, die um 1360 ent39 Abgedruckt in Zeitschrift für christl. Kunst VIII (1895) Sp. 135.

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gleichen. Im Berliner Diptychon war das ganz anders. Fest und klar war da die plastische Form. Hier spielt Licht über die Falten, unfaßlich gleitet es bald in breiten Dreiecken, bald in dünnen Strichen dahin. Mit Linien sind diese Formen nicht mehr zu fassen, sie verdanken ihre Gestalt einem weichen, duftig malenden Pinsel. Der Stil des späteren 14. Jahrhunderts deutet sich an. Und schon beginnt auch ein Bildraum sich zu bilden — im Geburtsbilde am deutlichsten —, ein Bildraum, der ebenso unorganischunorganisiert ist wie der Körperblock der Figuren. Ahnlich wie die Körpermasse in die Leere der Gewänder hineinwächst, so wächst der Raum um sie. Die Geburtsdarstellung ist noch in anderer Hinsicht wichtig. Eine Familienszene ist gebildet, in der die Figuren auch innerlich miteinander vereint sind. In den Domchorschrankenmalereien war ein ähnliches Inbeziehungsetzen der Figuren erstrebt: neu ist nun der bürgerliche Ton der Erzählung. Eine innige, fast schon herzliche Gemeinschaft verbindet die Figuren. Mutter und Kind sind räumlich getrennt, dennoch sind sie seelisch ganz fest miteinander verbunden, und ebenso ist es der auf der anderen Seite sitzende Joseph. Noch äußern sich die Gefühle schüchtern, ihre besondere Wärme und Innigkeit sind unverkennbar. Beim Gekreuzigten deutet sich die neue Gefühlsbetontheit in dem klagend geöffneten Munde und den dicken, den Wundmalen entquellenden Blutstrauben an. Wie zurückhaltend war dagegen das Kölner Triptychon, war auch das Berliner Diptychon. Wie jammern jetzt die Engel, und welche anderen Gefüllte äußern sich auf den Gesichtern der Trauernden. Sie stehen in einem viel engeren Verhältnis zum Gekreuzigten, dieses Verhältnis ist aber auch ein anderes. Sie sind nicht nur Zeugen eines Wunders, einer Gottesbotschaft, sondern Leidtragende beim Tode von einem unter ihnen. Der Gegensatz der ruhig dastehenden Klara, Franziskus und Petrus, sie sind nur Zeugen, macht dies besonders deutlich. Die kölnische Malerei kehrt zu einer bedingten Anerkennung der Welt und Natur zurück. Noch ist alles Andeutung, Streben, das nächste Werk, der Klarenaltar, sollte schon eine erste Vollendung bringen. Mit ihm beginnt der zweite Abschnitt kölnischer Malerei des 14. Jahrhunderts, in dem sie gewissermaßen in der Verteidigung steht. 7Eine ganz selbständige Stellung nimmt der große, aus Wehrden an der 42. Weser stammende Kalvarienberg beim Baron von Hirsch in Frankfurt a. M. ein 41. Die kunsthistorische Bestimmung ist schwierig, und jeder Entscheid hat hier ein größeres Gewicht als bei jenen kleinen Malereien am Sockel der Nikolausfigur oder bei dem Verkündigungsaltärchen der Sammlung Schloß Rohoncz. Bei diesem Kalvarienberg geht es nicht um die Entscheidung, ob kölnisch oder hessisch, hier handelt es sich nicht um eine kleine Mittelmäßigkeit, hier geht die Frage um deutsch oder nicht 4' A m ausführlichsten Schaefer in Zeitschrift f ü r bildende Kunst L X I (1927/28) S. 84. Weiterhin Liebreich a. a. O. S. 1 3 7 .

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finden sich in der Verkündigung an die Hirten in den Hours of Joan II of Navarra, ehemals bei Thompson 44. Der römische Hauptmann erinnert an den Jean le Bon in Paris. Führt man aber solche Vergleiche weiter, so erkennt man, daß trotz allem die Verschiedenheiten stärker sind. Die Erregung, die Ausdrucksgewalt Pucelles fehlt dem Meister der Wehrdener Kreuzigung völlig. Er ist stiller, feierlicher, er steht weiterhin in der Raumgestaltung italienischer Art viel näher. Die Wehrdener Tafel ist das Werk eines Meisters, der wahrscheinlich auf langen Wanderungen sich in den verschiedenen Ländern Europas umgesehen und dabei allerlei Fremdes angenommen hat. Italienische Kompositionsweise und französische Stilisierung sind in sein Werk eingegangen. Aus sehr verschiedenen Skizzenbucherinnerungen stammen die einzelnen Teile: die Hintergrundsfiguren mit ihren künstlich verkürzten Gesichtern, die Engel, die im Vordergrund Versammelten. Die Frau links vom Kreuz, die als Mittrauernde neben der Gruppe der ohnmächtig niedersinkenden Maria steht, ist aus einer dreifigurigen Kreuzigungsdarstellung übernommen, in der sie als Einzelmaria an ihrem Platze stand. Aber man darf dann doch auch das Kölnische nicht übersehen. Ist es die klare, feierliche Gruppierung, ist es die stille, allem Lauten und Erregten abholde Gebärdensprache, ist es die leise, feingeschliffene Sprache der Falten, der Säume und Konturen, die an Köln erinnern? Die ruhig-vornehme Art kölnischer Form, die zarte, zum Holden und SüBen neigende Beseelung kölnischer Figuren, die Abgeschiedenheit, die gewisse Minniglichkeit der Charaktere, all die Züge, die die behandelten Werke spiegelten, die als das Gemeinsame, als das Kölnische sich am Ende zusammenfinden, die westliche Note, die von Binnendeutschland aus betrachtet kölnischen Werken eignet, die sind auch in dieser Tafel zu treffen. Die Chorschrankenmalereien wären als eine heimische Voraussetzung für den Meister der Wehrdener Kreuzigung recht gut denkbar. Wir betonten oben als ein Gemeinsames die große, monumentale Gesinnung. Ein anderes ist die europäische Aufgeschlossenheit, die jenem älteren Werke ebenso eignet. Nur daß es mehr nach England neigte, diese Tafel dagegen mehr von südlicher Kunst beeinflußt ist. Aber vielleicht muß auch in ihr manches von englischer Kunst aus erklärt werden: das Kanonbild in dem zweiten aus St. Kunibert stammenden Missale (Darmstadt Hs. 876) zeigt in der Gruppe des Hauptmanns so viel Ähnlichkeiten, daß eine Verbindung der Wehrdener Tafel mit dem Nordwesten nicht unwahrscheinlich ist. Aber was besagen schließlich solche Beziehungen, was besagen einige blaugraue und grauviolette Töne, die ähnlich in anderen kölnischen Tafeln zu finden sind, man müßte im Zweifel bleiben, ob dieses Werk wirklich in Köln zu beheimaten sei — daß seine Geschichte während der vergangenen einhundert Jahre nach Westfalen weist, bedeutet nicht viel —, wenn nicht eine aus ähnlicher historischer Lage heraus entstandene (zweite) 41. Kreuzigung in der Minoritenkirche in Köln 45 bezeugen würde, daß die 4* Hrsg. von H. Yates Thompson, Roxburghe Club 1899. 45 Clemen a. a. O. S. 222 und S. 57.

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m. ClfaQ -

äretsgau

Sehr schwierig liegen die Verhältnisse am Oberrhein, in dem Gebiete des Elsaß und des Breisgau. Der Bauernkrieg, die Verschleuderung des Kirchengutes während der französischen Revolution, endlich die Raubkriege Ludwigs XIV. und die Kämpfe um das Elsaß in den folgenden Jahrhunderten haben den ursprünglichen Bestand so gründlich zerstört, daß buchstäblich nichts auf uns gekommen ist. Und nur wenig besser steht es im Breisgau. Mehr als Vermutungen erlaubt auch da die kleine Zahl erhaltener Werke nicht. Was wir im folgenden aufzählen, sind Bruchstücke. Sie vermögen weder in künstlerischer noch in historischer Hinsicht uns ein Bild des ehemals Gewesenen zu vermitteln. Die Verschiedenheit dieser Bruchstücke, die auf uns so verwirrend wirkt, ist wohl ein Hinweis auf den mannigfachen Reichtum der verlorenen Werke. i. Eine Handschrift in Wien (cod. 1814), die laut Eintrag in Straßburg geschrieben wurde, bezeugt, daß die lothringische Richtung, wie sie etwa das Missale Prumiense in Berlin, Ms. lat. theol. 271 vertritt, auch im Elsaß eine Heimat hatte. Zeichnung, Typen und Ornamentik bestätigen den Zusammenhang gleich deutlich. Ob es sich in Straßburg um einen Einzelfall handelte, diese Frage muß offen bleiben. Von ganz anderer Art ist die Philosophendarstellung eines Pflanzenglossars, das einer Handschrift der Kolmarer Bibliothek (cod. 6) vorgeheftet ist 2 . Die Datierung 1321, die der den Hauptteil des Bandes ausmachende Katechismus dogmatischer Definitionen enthält, darf nicht für das von anderer Hand geschriebene Glossar in Anspruch genommen werden, wenn dieses, dem stilistischen Befund seiner Initialminiatur zufolge, auch kaum viel früher und auch nicht später entstanden sein kann. Mit weichem Pinsel sind die Formen, die Gewandfalten, Bart und Haare, gestaltet. In grazilen, kurvigen Bewegungen schlängeln die Säume und Konturen. Der Ausdruck der beiden diskutierenden Männer ist lebhaft, zugespitzt. Man darf wohl annehmen, daß die Anregung zu dieser Sprache von England gekommen ist. Der Arundel-Psalter bietet nahe verwandte Vorbilder. In Metz und Lothringen ist englischer Einfluß vielfach nachweisbar. Er findet sich, wie dieses Beispiel zeigt, auch im Elsaß und wird uns weiterhin noch in Konstanz begegnen. Aus St. Margarethen in Straßburg stammt einem Eintrag auf dem ersten Blatte zufolge ein Processionale der Karlsruher Landesbibliothek (cod. St. Peter 22), dessen kleine Bildchen einen Stil zeigen, den wir hauptsächlich aus Handschriften des benachbarten Breisgau kennen. Ob er auch im Elsaß zu Hause war, läßt sich unter den heutigen Verhältnissen nicht mehr entscheiden. 1

Beissel in Zeitschrift f. christl. Kunst 19 (1906) Sp. 50. Vitzthum a. a. O. S. 216. > Zeitschrift für deutsche Philologie 9 (1878) S. 197.

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bezeugen. In Kompositionen und Figurentypen zeigen sie allerlei Beziehungen zu dem Fenster der Schuhmacherzunft im südlichen Querschiff des Freiburger Münsters. Die St.-Georgener Handschrift besitzt Illustrationen nur beim Officium S. Agnetis. Auch sie sind keine groBen Leistungen. Kindlich-naiv im Ausdruck sind sie ohne besondere künstlerische Ziele gemacht. Dennoch lebt in ihnen eine reizvolle, zarte Stimmung; ein Hauch der Christusmystik, die die Nonnenklöster in jenen Jahrzehnten erfüllte, beseelt sie. Weiterhin gehören in diesen Kreis einige Handschriften, die aus dem ehemals vor den Mauern Freiburgs gelegenen Kloster Adelhausen stammen: im Freiburger Stadtarchiv ein kleines Antiphonar (H. 122) und im Freiburger Augustinermuseum ein Psalter (Inv. 11738), ein Graduale (Inv. 11722), ein Antiphonar (Inv. 11725) und einige spätere Handschriften, die den Stil auf das Niveau mehr für Stickerei als für Malerei begabter Nonnenhände herabgesunken zeigen (Inv. 1 1 7 2 4 , 28, 30, 31). Aus St. Blasien kam ein Honorius super cantica canticorum in die Stiftsbibliothek von St. Paul im Lavanthal (cod. XXV 3, 5), aus St. Peter eine Handschrift nach Karlsruhe (cod. St. Peter perg. 21). Der größte Teil der St.-Peterer Bücherbestände ist nach wiederholten Bränden erst im 17. und 18. Jahrhundert gesammelt worden. Auch die vorliegende Handschrift ist erst 1781 erworben worden. Ihre ursprüngliche Heimat wurde nicht überliefert 6 , aber man wird nicht zweifeln dürfen, daß sie nicht allzu weit, in einem Breisgauer Kloster entstanden ist. Sie schließt eng an cod. U. H. 1 an. Vielleicht kommt auch sie aus St. Margarethen in Straßburg wie jene andere aus St. Peter nach Karlsruhe gekommene Handschrift (St. Peter 22), der hier noch einmal zu gedenken ist. Endlich sei noch genannt ein Lektionar der Bibliothek Czartoryski in Krakau (Nr. 1552) 7. Einen Terminus ante bieten für diese Gruppe die beiden figürlich geschmückten Initialen, die die linke Hälfte des Titelblattes des Tennenbacher Güterbuches einnehmen, das unter Abt Johannes Zenlin (aus Freiburg) von dem Bruder Johannes Meiger 1341 geschrieben wurde (Karlsruhe, Generallandesarchiv, Berain Nr. 8553) 8. In dem oberen O knien zwei Mönche zu Füßen der Trinität — die Taube mit zwei Schnäbeln gleichgroß zwischen den stehenden, geflügelten Figuren von Gottvater und Sohn —, in dem unteren S kniet der Abt Zenlin, darunter sitzt der Schreiber Meiger, dem sich ein Laienbruder nähert, der auf einen Bauer hinter sich weist, wohl ein Hinweis auf die Aufnahme des klösterlichen Besitzes, dem das Buch dient. Das die beiden Buchstaben umspielende Fleuronn6 ist von derselben Art wie in cod. U. H. 1. Und auch der Figurenstil geht auf diese Handschrift oder eine ihrer Verwandten zurück, nur ist im Tennenbacher Urbar im Sinne des fortgeschrittenen Jahrhunderts 6

Ettlinger in Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 54 (1900) S. 636 führt sie unter der Rubrik Ungewisser Herkunft auf. 7 Muzea Polskie V, Krakau 1929 Nr. 140 mit Abb. 8 Weber in Schauinsland 51—52 (1926) S. 93; und in Zeitschrift f. d. Geschichte d. Oberrheins N . F . 1 1 (1927) S. 34.

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Züge, so daß man glauben könnte, die Tafeln seien näher ihrer heutigen Heimat entstanden. Stärker sind doch wohl die Zusammenhänge mit oberrheinischen Malereien; außerdem kommen die beiden Darstellungen sehr ähnlich nochmals auf einem Täfelchen vor, das am Bodensee entstanden sein muß. Weiterhin bezeugen die Richtigkeit der Lokalisierung dieser Täfelchen an den Oberrhein die Wandmalereien in dem südlichen Turm der Pfarrkirche zu Kenzingen bei Freiburg ,0 , von denen an der einen Wand Szenen aus der Legende einer Heiligen, wahrscheinlich der hl. Cäcilie, in den Gewölbezwickeln Krönung Mariens, Auferstehung und je zwei Evangelistenbilder erhalten sind. Mit den Stolzenfelser Bildern haben sie vor allem die gestreckten Proportionen und den kurvigen Gewandstil gemeinsam. Die Raffungen der Falten sind wohl noch um einen Grad kubischer, was, wie ebenso die Kompositionsweise der Zwickelmalereien und die Ornamentik der einfassenden Rahmen, für eine Entstehung möglicherweise noch vor 1300 zu sprechen scheint. Bei weiteren oberrheinischen Wandmalereien aus dieser Zeit, den in der Pfarrkirche zu Grüningen 1 1 bei Villingen — Weltgericht, Passionsszenen, Darstellungen aus der Genesis, Heilige — und den aus der Kirche zu Peterzell in das Villinger Museum übertragenen — Anbetimg der Könige, Christus in der Vorhölle, Christopherus — erlaubt der ruinenhafte Erhaltungszustand keinerlei nähere Bestimmung mehr. Nur sehr schwache Beziehungen zu den besprochenen breisgauischen Buchmalereien zeigt ein Täfelchen im Karlsruher Landesmuseum, das, ursprünglich der Deckel eines Kästchens, auf der Vorderseite die Grablegung Christi, auf der Rückseite den hl. Christopherus zeigt. Es soll aus Kloster Lichtenthai stammen; nach Karlsruhe kam es aus der Sammlung Gimbel. Vielleicht muß man es in einen Zusammenhang mit Handschriften aus dem Kloster Rheinau bringen. Zumal der Bilderzyklus in dem Psalter der Donaueschinger Bibliothek Hs. 186, aber auch der ältere 1253 datierte Rheinauer in der Züricher Zentralbibliothek cod. Rh. 85 weisen in Formbehandlung und Malweise so vielfach verwandte Züge auf, daß man an einem schulmäßigen Zusammenhang kaum zweifeln kann. Sicherlich darf man in der Tafel einen sehr frühen Zeugen gotischer Formgestaltung sehen. Allerlei altertümliche Formen im Schmuck des Sarkophages, dann auch die Köpfe der Männer machen eine Ansetzung ins 13. Jahrhundert noch durchaus wahrscheinlich. Völlig aus dem Zusammenhange heraus fällt das in den oberen Teilen arg beschädigte Wandbild in der St. Peter- und Paulskapelle des Freiburger Münsters, eine Kreuzigung mit den drei Marien auf der einen, Johannes, dem Hauptmann und einem weisenden Mann auf der rechten Seite. Die feingliedrige Grazie der Figuren, ihr lieblich-eleganter Ausdruck, die Zierlichkeit ihrer Bewegungen sind nicht oberrheinisch. Kölner Tafeln, 10

Schneider in Schauinsland 9 (1882) S. 27. " Roder in Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 45 (1891) S. 636, Tai. V und VI. Vitzthum a. a. O. S. 2 3 1 .

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etwa das Triptychon des Wallraf-Richartz-Museums scheinen noch immer am nächsten verwandt. Kölnische Art scheint hier einmal über den Mittelrhein hinübergegriffen zu haben. Ein wandernder Maler, der voll stärkster Eindrücke aus Köln nach Freiburg kam, mag es geschaffen haben. Es liegt nahe, aus diesem Einbruch einer fremden Kunstrichtung auf ein Erschlaffen der künstlerischen Kräfte am Oberrhein zu schließen, doch ist diese Frage nicht zu beantworten. Sie muß offen bleiben. Daß das Bild schon bald nach Vollendung der Kapelle, die gegen 1340 errichtet wurde, gemalt sein wird, und nicht erst am Ende des Jahrhunderts, wie man meist annimmt, darf als völlig sicher gelten.

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IV. Botoen* tint)

Zürtcjrfee

i. Die Wernigeroder und die St. Gallener Weltchronik sind die entschei4—5- denden Marksteine gotischer Malerei im Gebiete zwischen Boden- und Zürichsee Wir haben sie ausführlich behandelt im ersten Kapitel als bedeutsame Zeugen der Entwicklung vom 13. zum 14. Jahrhundert. Noch bleibt aber die Frage zu beantworten, wie ihr Stil im besonderen abzuleiten ist. Der der Deckfarbenbilder der St. Gallener Handschrift darf als Wirkung des immanenten Stilwandels angesehen werden, der sich im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts vollzieht. Als ihre unmittelbare thematische, ikonographische und stilistische Voraussetzung muß die ältere Münchner Weltchronik (cod. germ. 6406) gelten. Der füllig-satte Stil der frühen St. Gallener Bilder ist aus dem Eckig-Kantigen der Illustrationen dieser älteren Arbeit ebenso herausgewachsen, wie — um nahe Beispiele aus der Skulptur anzuführen — der Zyklus der Freiburger Turmhalle auf die Strebepfeilerfiguren oder wie in Straßburg die frühesten Skulpturen an den Westfassadeportalen auf die älteren Lettnerfiguren folgen. Ohne äußere Einflüsse werden im Laufe der letzten zwanzig Jahre des 13. Jahrhunderts neue plastische Ausdrucksmittel gesucht und ausgebildet. Die schroffe Plastizität der hartkantig-blockigen älteren Werke wandelt sich zu einem ebenso plastischen, aber mit rundlicheren, weicheren und geschmeidigeren Formen arbeitenden Stil. Schwieriger ist die Frage bei der Wernigeroder Chronik zu beantworten. Grundsätzlich wird es sich bei ihr gleichartig verhalten, aber welches waren die lokalen Vorstufen, aus denen sich der Stil ihrer Federzeichnungen 3. entwickelte ? Cgm. 6406 kann nicht Voraussetzung gewesen sein. Gewiß sind gemeinsame Züge vorhanden; sie wurden oben betont, aber diese Erkenntnis versicherte uns doch nur der oberrheinischen Herkunft der Handschrift und ihrer Illustrationen. Vielleicht bieten zukünftig die Rheinauer Handschriften die Möglichkeit zu einer Lösung der Frage, wenn eine genaue Durcharbeitung der in der Züricher Zentralbibliothek liegenden Hs. Rh. 85, Rh. 167 und Rh. 211 ergeben sollte, daß es sich hier um Werke einer fest umrissenen oberrheinischen Schule handelt und daß auch der berühmte Psalter von Bonmont in Besançon, Bibl. munie. 54, zu ihr gehört. Zusammenhänge bestehen zweifellos, und sie sind wohl enger als zu dem Mainzer Evangeliar in Aschaffenburg (Hs. Nr. 13). Wenn diese Vermutung sich bewahrheiten sollte, wäre die Voraussetzung für die Randzeichnungen der Wernigeroder Weltchronik gefunden in den Federzeichnungen, die der Besançoner Psalter neben seinen Deckfarbenbildern enthält. Vielleicht ist durch eine derartige Zusammenstellung auch umgekehrt ein erster Beweis dafür gegeben, daß die heute völlig heimatlose Besançoner Handschrift am Oberrhein entstanden sein dürfte. In der Stilisierung der Fußbodenlinie, also in einem ziemlich neben1

Stange in Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst N. F. IX (1932) S. 17; Wienecke, Konstanzer Malerei des 14. Jahrhunderts. Diss. Halle 1912.

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von der St. Gallener Weltchronik hat zuerst Kautzsch 3 hingewiesen. Es sind Einzelheiten: die Form der Bauwerke, die Musterungen der Steinquader, die Bäume mit langovalen Kronen und weißen Spiralranken am Stamm, weiterhin die Behandlung von Mund, Nase, Füßen, Beinstellungen, die übereinstimmen. In allem ist da die St. Gallener Weltchronik die Voraussetzung. Formmittel, aber auch die hinter ihnen stehende Gesinnung bezeugen eine unmittelbarere Schulgemeinschaft. Was die Arbeiten scheidet, sind individuelle Verschiedenheit, ist die Schwerfälligkeit, die Trägheit des Jüngeren, die seine Bilder monoton, bewegungslos und ausdrucksarm machen. Die Schwere der Sprache war auch schon bei dem St. Gallener zu betonen, aber nie war er plump und träge, wie es der Grundstockmaler oft ist. Bei ihm verlieren die Formen die Haltung, werden schlaff und müde. Und so ist auch der Ausdruck der Figuren. Ohne jede Verschiedenheit, ohne Empfindung, ohne Leben und Temperament blicken sie. Man darf die künstlerischen Werte dieser Bilder, wie es oft geschieht, nicht überschätzen. Höher zu bewerten sind sie sicher als kulturgeschichtliche Dokumente, wenn ihrer naiven, einfachen Erzählungsweise auch ein gewisser Reiz nicht abzusprechen ist. Als der jüngere bezeugt sich der Grundstockmaler durch spätere Kostümformen; er gibt den Überrock mit Halbärmeln, die Kapuze, die der St. Gallener noch nicht kennt. Auch in den Bauformen ist er moderner, gotischer. Dann aber betont er vor allem die Fläche stärker. Vom Erbe des 13. Jahrhunderts ist bei ihm nicht mehr viel zu spüren. Gibt er weitausladende Tütenfalten, so wirken sie fast schon anachronistisch. Ihnen widerspricht die Betonung der Saumlinien, die Körperlosigkeit der Gestalten, die Flächigkeit in allem Übrigen. Das Datum 1314 als Terminus post quem für die Arbeit des Grundstockmalers wird von den neuesten Forschern nicht mehr als verbindlich angesehen. Das Wegtreiben geraubten Viehes wurde als typische Kriegshandlung gern dargestellt, so daß die Darstellung auf dem Bilde des Buwenburg nicht unbedingt auf den Überfall auf das Kloster Einsiedeln durch die Schwyzer am 6. Januar 1314 bezogen zu werden braucht. Der Grundstockmaler kann sehr wohl auch schon im ersten Jahrzehnt tätig gewesen sein und der Annahme Sillibs, daß der Hauptteil der Manessehandschrift noch zu Lebzeiten des alten Rüdiger II. Manesse, der 1304 starb, entstand, steht von kunsthistorischer Seite nichts im Wege. Der Vergleich des Naglerschen Bruchstückes in Berlin (Ms. germ. 8° 125) mit dem entsprechenden Bilde, der Darstellung des Heinrich von Stretelingen, in der Manessehandschrift, die zahlreichen motivischen Übereinstimmungen in den stilistisch sehr verschiedenen Minnesängerhandschriften in Heidelberg und Stuttgart, von der noch zu sprechen ist, hat die kunstgeschichtliche wie die philologische Forschung zu der Annahme geführt, daß es ältere Vorbilder gegeben haben muß, an die die Maler der erhaltenen Handschriften anknüpften. Wie aber haben die Bilder dieser Vorbildersammlung ausgesehen ? Man darf sich da nicht mit dem Hinweis auf die 3 Kautzsch in Kunstwissenschaftliche Beiträge, A. Schmarsow gewidmet, 1907 S. 73.

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richs VII., kann nicht aus einer Vorlage des ausgehenden 13. Jahrhunderts abgeleitet werden. Die für dessen Stil charakteristische Fälligkeit und Häufung der Gewandmassen fehlt ihm völlig. Anders als bei den Figuren aus diesen letzten Jahrzehnten ist das Sitzen, ist die Führung der Konturen und Säume, ist die Anordnung der Falten — vielmehr steckt darin eine 3. Vorlage aus dem dritten Viertel, aus der Zeit der Münchner Weltchronik. Wie deren Figuren sitzt der Kaiser heraldisch in der Bildfläche. Streng symmetrisch sind die Gewandteile und Konturen angeordnet, straff ist das Gewand um den Körper gespannt, nicht Falten, sondern nur knappe, harte Brüche bildend. Hinter dieser Verknappung steht noch die jugendlich frische raumkörperliche Formgestaltung des mittleren 13. Jahrhunderts, so daß hier eine Verblockung entsteht, wo im 14. Jahrhundert, nachdem die körperlichen Werte weitgehend gelöscht sind, ein filigranhaftes Linienspiel tritt. Der Grundstockmaler war von sich aus nicht in der Lage, diese Verblockung herbeizuführen. Wenn sie sich in einem seiner Bilder findet, kann sie nur aus der Verwendung eines altertümlichen Vorbildes erklärt werden. Und es scheint, daß er sich bei diesem ersten Bilde besonders eng an das Muster gehalten hat. Der Maler der Weingartener Liederhandschrift war hingegen von Anfang an selbständiger. Wenn er auf dasselbe altertümliche Vorbild zurückgriff, so hat er viel mehr als der Grundstockmaler etwas Neues, Eigenes geschaffen. Vielleicht hat er aber auf ein anderes, jüngeres Bild der Vorbildersammlung zurückgegriffen. Der Landgraf Hermann von Thüringen auf dem Bilde des Klingsor von Ungarland in der Manessehandschrift zeigt eine ähnliche Beinstellung und Gewandanordnung im Spiegelbilde. Dessen Vorbild könnte das Muster für den Kaiser Heinrich der Weingartener Liederhandschrift gewesen sein. Das eben erwähnte Bild der Manessehandschrift: zweigeteilt, oben der Landgraf und die Landgräfin, unten Klingsor im Kreise der Sänger sitzend, ist nun selbst wieder, wie es scheint, ein Beispiel für die Verwendung verschiedengearteter Vorbilder. Das Landgrafenpaar sitzt breit gelagert da, die stoffreichen Gewänder bilden tiefe Tütenfalten, die schwer einsacken, alles scheint in die Breite zu quellen. In der unteren Reihe sitzen die Figuren dagegen steil wie aufgepflockt, straff sind um ihre schmalbrüstigen Körper die Gewänder, wenige seichte Kerbfalten nur bildend, gespannt. Diese Schmalheit der Figuren in der unteren Reihe ist gewiß nicht nur aus der gedrängten Komposition zu erklären, daraus, daß hier sieben Personen Platz finden mußten, oben nur zwei, die sich infolgedessen breiter entfalten konnten. Eine solche Erklärung ginge von falschen Voraussetzungen aus. Vielmehr dürften verschiedene Vorbilder für die beiden Teile verwendet worden sein: ein Vorbild im Stil von 1290 für die obere Gruppe, ein Vorbild im Stil von 1260—70 für die untere Reihe. Ob dieses dann weniger altertümlich als das für Kaiser Heinrich VI. verwendete war oder ob der Maler hier selbständiger vorging, denn es finden sich einzelne räumlichere Motive, diese Frage ist nicht zu entscheiden. Dagegen darf die gezierte Stellung des tanzenden Heinrich von Stretelingen — sie ist in dem Bilde des Naglerschen Bruchstückes noch aus48

gesprochener als in der Manessehandschrift — nicht aus den geometrisierenden Tendenzen des dritten Viertels des 13. Jahrhunderts erklärt werden. Es ist wohl möglich, daß das Vorbild aus jener Zeit stammt, aber das Liniengefüge, auf das hier die Figur abgestellt ist, ist geboren aus dem Stilwillen der Zeit nach 1300, die, wenn sie nicht nur das Erbe des 13. Jahrhunderts aufzehrt, sondern schöpferisch eingestellt ist, auf eine straff organisierte Linienmusikalität ausgeht; in Köln etwa die Kamper Bibel. Die lange Reihe der Bilder des Grundstockmalers zeigt keinerlei Entwicklung. In dem zweiten Bilde, dem König Konrad dem Jungen, tritt er fertig vor uns hin, und den gleichen Motivenapparat verwendet er noch auf dem letzten, dieselben Faltenmotive, diese Konturführung, dieselbe Zeichnung von Augen und Haaren, derselbe Rhythmus, nur ist alles großformiger und leerer. Das spricht dafür, daß die letzten auch die spätesten Bilder sind. Der Grundstockmaler bildet seine Kunst nicht in einer neuen Richtung weiter, er sucht keine neuen Gestaltungsprinzipien, er wird auch nicht wesentlich flächiger und linearer, aber immer strukturloser. Und da sein Anfang schon auf keinem sonderlich hohen Formniveau stand, so ist seine Kunst am Ende recht unerfreulich. Die Neigung zu primitivistischer Formgestaltung lag ja in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts allenthalben im Bereich der Möglichkeit, selten aber ist sie so platt wie hier ausgesprochen worden. Unschöpferisch wiederholt der Grundstockmaler ein ererbtes Kunstgut. 3In solche Niederungen steigt der Maler der Weingartener Liederhandschrift trotz der Schlichtheit seiner Ausdrucksmittel nie hinab. Zweifellos ist diese Sammlung eine Arbeit geringeren Ehrgeizes. Sie steht an Umfang weit hinter der Manessehandschrift zurück, ihr Format ist beträchtlich kleiner, auch ihre Bilder, von denen nur fünfundzwanzig zur Ausführung gelangt sind, sind bescheidener. Sie schöpfen die Vorlagen häufig nicht in vollem Ausmaße aus. Man wird ihren Meister ebensowenig überschätzen dürfen; aber selbständiger und feinfühliger als der Grundstockmaler ist er. Wie bei der Darstellung Kaiser Heinrichs VI. wandelt er auch sonst das Vorbild weitgehend ab, verkürzt oder bereichert es auch. Allenthalben scheint er eigenwilliger als der Grundstockmaler vorgegangen zu sein. Auch die Schultradition hat für ihn wohl weniger bedeutet als für jenen. Er trägt die Farbe kolorierend auf. Formbestimmendes Element sind die Linien. Unter den Gewändern ist keinerlei Körper angedeutet; die Mäntel aber bilden nicht selten tiefe, weit abstehende Falten, deren Schwere zu der Schlankheit der Figuren und der Flächigkeit der Formgestaltung im Widerspruch steht. Nie greift der Maler sonderlich hoch. Um die Bewältigung besonderer seelischer und formaler Aufgaben ist es auch ihm nicht zu tun. Heiter, liebenswürdig ist seine Kunst; aber nie sinkt er auf die Stufe des Manessemalers herab. Man muß die Darstellungen Friedrichs von Hansen vergleichen. Der Grundstockmaler gestaltet das Bild mit 49

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derben, schweren Formen; die des Malers der Weingartener Handschrift sind an sich gewiß auch nicht viel feiner — um einen Grad sind sie wohl geschliffener —, wichtig aber ist, das er ökonomischer vorgeht und die Teile fester ineinander verfugt. Er geht nicht ganz so naiv ans Werk. Straffer ist die einzelne Linie bei ihm geführt; strenger als der Grundstockmaler verteilt er die Motive im Bilde. Vielleicht darf man sogar sagen, daß er sich um eine gewisse Tektonik bemüht. Das Bild Heinrichs von Veldecke bereichert er um einen Baum. Dieser, wahrscheinlich seine Erfindung, steht in der Mitte; am unteren Teile der Kugelkrone sind zwei Äste gleichartig seitlich gebogen, auf denen wie in der Krone Vögel in ziemlich strenger Entsprechung sitzen. Im Grase unten ruht auf der einen Seite der Dichter, dem auf der anderen ein großes Spruchband entspricht. Dichter und Spruchband stehen in der Flächenrechnung wirklich in einer unmittelbaren Beziehung. Stärker als ihre inhaltliche Bedeutung wird die ornamentale Wirkung der Motive gewertet. Am deutlichsten ist das wohl bei dem Bildchen des Burggrafen von Rietenburg. Figur und Wappen sind völlig gleichgewichtig. Dem schräg liegenden Wappenschild entspricht der in einer ähnlichen Figuration angeordnete Leib des Dichters; der Verzweigung der Helmbekrönung entsprechen Kopf, linker Arm und Schwert. Die Manessehandschrift bietet eine umfangreichere Darstellung: der Dichter übergibt dem Boten ein riesiges Schriftband. Aber es wäre falsch, die Darstellung der Weingartner Liederhandschrift unvollständig zu nennen; der Maler hat seinem Bilde einen ganz eigenen Inhalt verliehen. Inhaltsänderungen kommen auch sonst in der Weingartner Handschrift vor: immer wird weniger erzählt, wird die Komposition ornamentaler aufgefaßt. Um dieses Zieles willen wird aus einer Absage mit ihren verschieden gestimmten Figuren ein Liebesschwur, bei dem beide gleichgestimmt und in gleichartiger Bewegimg sind; um dieses Zieles willen werden Nebenfiguren wie Schreiber oder Boten weggelassen. Ein wichtiges Mittel ist die Farbe, die in einzelnen Bildern nach dem Muster des Schachbrettes angeordnet ist. Die Frage nach der Herkunft des Malers und den Einflüssen, die auf ihn einwirkten, ist nicht so leicht wie beim Grundstockmaler zu beantworten. Vielleicht findet man auch beim Maler der Weingartner Liederhandschrift in Einzelheiten (Kopfform, Augenschicht) Übereinstimmungen mit der St. Gallener Weltchronik, sehr weit führt ein solcher Vergleich nicht. Und auch der Hinweis auf Frankreich 6 will nicht befriedigen. Sicherlich hat der Maler von dieser Seite Anregungen empfangen. Der Verzicht auf jede modellierende Wirkung der Farbe, die vorherrschende Betonung der Linie wären so erklärbar; ob auch die Klarheit und Ökonomie der Kompositionen, steht dahin. Französische Einflüsse waren damals in Konstanz, wo höchstwahrscheinlich die Weingartner Handschrift entstanden ist 7, wohl möglich. Von Bischof Heinrich von Klingenberg, der von 1293 6

Wienecke a. a. O. S. 73. 7 Löffler in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Weingartner Liederhs. S. 14 und in Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N. F. 43 (1931) S. 545.

SO

bis 1306 regierte, also zu einer Zeit, zu der die Handschrift geschrieben sein dürfte — vielleicht ist sie auf seine Anregung entstanden — wissen wir, daB er, der Kunstbegeisterte, der selbst dichtete, als Reichsgesandter mehrfach am Hofe Philipps des Schönen weilte. Sein Nachfolger auf dem Konstanzer Stuhl, Gerhard IV. (1307—18) war sogar ein Franzose. Endlich spielten in Konstanz die Bettelorden eine sehr bedeutende Rolle, und sie waren allenthalben wichtige Vermittler französischer Kunst nach Deutschland. Doch dieser französische Einfluß wäre nur mitbestimmend, Grundlage kann er nicht gewesen sein. Und auch der Werkstatt, die für den Grundstockmaler entscheidend war, kann der Meister der Weingartner Liederhandschrift nicht entstammen. Zu verschieden sind sie. Bleibt noch in der Reihe der älteren Handschriften die Wernigeroder Weltchronik und der Kreis, dem sie entstammt; sie könnten wohl, täuschen wir uns nicht, einen Ausgangspunkt für die Kunst des Meisters der Weingartner Sammlung umreißen. Auch hier kann man auf die Ähnlichkeit von Einzelheiten hinweisen; wichtiger ist, daß in beiden Handschriften die Gesten die gleiche, lebhafte Art haben, daß hier wie da die gleiche frische Auffassung, die gleiche knappe Zeichenweise herrschen. Darin sind sich die Bilder der beiden Handschriften so verwandt, wie nur Werke zweier Generationen es sein können, zwischen denen das völlig andere Formempfinden der St. Gallener Weltchronik als Erlebnis steht. Das diese auf den Meister der Weingartner Liederhandschrift Eindruck gemacht hat, darf man mit Sicherheit annehmen, zumal in ihrer Art wahrscheinlich der größere Teil der Vorlagen gehalten war. Durch sie sind wohl jene spreizigen, weitabstehenden Tütenfalten vor dem Leib bedingt. Für die Malweise darf die Wernigeroder Weltchronik kaum als Ausgangspunkt angesehen werden. Aber vielleicht braucht man sie auch nicht aus französischen Einflüssen zu erklären; näher liegt, Anregungen von Seiten der in Konstanz zu dieser Zeit sehr bedeutenden Glasmalerei anzunehmen. Und sie könnte dann freilich auch Vorbild für die feinen dekorativen Überlegungen des Weingartner Malers gewesen sein. Dann bliebe für französische Einflüsse kaum noch ein Rest. Die Forschung hat die Weingartner Handschrift meist um 1300 angesetzt. Diese Datierung wird richtig sein. Sie läßt sich vielleicht noch von anderer Seite stützen. Vier Einzelblätter biblischen Inhalts der Sammlung Forrer 8, die den Bildern des Weingartner Codex verwandt sind, scheinen ein Datum zu bieten. Auf dem Schild eines Kriegers befindet sich ein Wappen, das dem des Abtes Jordanus von Lützel entspricht 9. Nach der Äbtetafel dieses Klosters, das an der elsässisch-schweizerischen Grenze liegt, war Jordanus nur 1293 Abt in Lützel; 1296 ist er Abt von Bellevaux. Ganz sicher sind solche Datierungen auf Grund eines auf einer beliebigen Miniatur erscheinenden Wappens nicht. Aber daß es sich um reine Phantasie handelte, ist unwahrscheinlich, und in späteren Jahren auf das Wappen dieses nur 8

Forrer, Unedierte Federzeichnungen, Miniaturen und Initialen des Mittelalters I, 1902 Taf. 46—50. 9 Vautrey, Histoire des eveques de Bäle, I 1884 S. 145. 51

kurz im Kloster weilenden Abtes zurückzugreifen, wird kaum Anlaß gewesen sein. 4Die Weingartner Liederhandschrift wird heute ziemlich allgemein nach Konstanz beheimatet. Die Geschichte der Handschrift weist hierhin, und hier finden sich die nächsten künstlerischen Verwandten, Arbeiten, die wohl derselben Werkstatt zugeschrieben werden dürfen: der Zyklus der Leinen- und Seidenweberinnen im ehemaligen Kanonikatshaus des Chorherrnstiftes von St. Johann, dem Haus zur Kunkel, und einige Reste im Münster von Mittelzell auf der Reichenau. Die reizvollen Konstanzer Wandbilder, wohl die frühesten Darstellungen alltäglicher Verrichtungen in Deutschland, können nicht nach 1316 entstanden sein I0. Sie haben mit den Bildern der Weingartner Liederhandschrift die Typen, den Zeichenstil, die sparsame, rein kolorierende Malweise gemeinsam, aber ihre Figuren sind schlanker und sitzen steiler, ihre Bewegungen sind spitzer. Die Köpfe wiederum sind dieselben großen, runden, die Hände dieselben unförmigen, die Silhouetten gleich geschlossen, nur durch lebhafte Armbewegungen unterbrochen, die Faltenzeichnung ist gleich sparsam. Wie dort ist auf Beiwerk so weit wie möglich verzichtet, beschränken sich die Kompositionen auf eine, höchstens zwei Figuren. Dieselbe Beschränkung, dasselbe Bemühen um Klarheit bestimmen das Aussehen der Bilder, dieselbe Stille ist ihnen eigen. Die Darstellungen des Grundstockmalers sind ausführlicher, berichten zumal von der Umgebung mehr, aber sie sind dennoch nicht lebendiger. Die Menschen dieses Zyklus erfüllt bei aller Einfachheit und Sparsamkeit der Formmittel eine größere Vitalität. Der Reichtum der Bewegungen und Gebärden, die Lebhaftigkeit des Blickens, die diese Bilder auszeichnen, mangelt den Arbeiten des Grundstockmalers völlig. Seine Menschen sind dagegen stumpf und dumpf. Die Malereien im Reichenauer Münster sind nur schwer mehr abzuschätzen, da sie größtenteils zerstört sind Im oberen Teil einer Nische, die wahrscheinlich zur Schaustellung des in der Schatzkammer verwahrten Kruges von der Hochzeit zu Kana diente, sind in Halbfiguren Christus und Maria dargestellt; gemeint ist wohl der Augenblick, da Maria spricht: „Sie haben keinen Wein mehr." Der untere Teil der Nischenwand ist mit einem gemalten Vorhang bedeckt. An der linken Seitenwand — die rechte ist vermauert — findet sich eine Frauengestalt, deren Bedeutung nicht klar ist. Über der Nische endlich ein Bild der in der Schatzkammer bewahrten Hydria inmitten von acht, ursprünglich zehn nimbierten Halbfiguren, sicherlich Aposteln. Der Zusammenhang mit den Konstanzer Malereien ist offenbar. Die Augen sind schmäler, das Oberlid nicht so gewellt, im übrigen ist der Formapparat derselbe. Die engen Beziehungen 10

Beyerle in Freiburger Diözesan-Archiv N. F. IV (1903) S. 81. Neben Wienecke auch Gröber, Reichenauer Kunst, 1924 S. 35 und Sauer in Die Kultur der Reichenau, 1925 S. 922.

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dürfen nicht verwundern. Bischof Heinrich von Klingenberg war auch Regent und Pfleger des Reichenauer Klosters. Über diesen lokalen Kreis läßt sich der Einfluß des Meisters der Weingartner Liederhandschrift in heute schweizerisches Gebiet verfolgen bei einer Anzahl späterer Arbeiten, die seinen Stil verwischen und allmählich abwandeln. Die Malereien des Uttwiler Kästchens im Frauenfelder Museum sind leider größtenteils zerstört. Fast restlos verloren ist die Kreuzigung mit Maria und Johannes und zwei stehenden Aposteln unter Arkaden auf der Vorderseite; nicht viel besser steht es mit der Darstellung der Maiestas zwischen den Evangelistensymbolen auf dem Deckel; verhältnismäßig gut erhalten sind zwei Apostel auf den Schmalseiten. Sie lehren, wie im weiteren Fortgang der Stil seine ursprüngliche Präzision verliert. Die Säume und Faltenlinien sind schlaffer, die Formen sind rundlicher und weicher. Noch mehr ist das dann bei dem Kästchen der Schaffhausener Familie im Thum, das sich im Basler Historischen Museum befindet, der Fall«. Es zeigt auf der Innenseite des Deckels zwischen Wappen in einem Halbkreisbogen die Auferstehung Christi. Auch ihr Maler ist von der Weingartner Liederhandschrift abzuleiten; von da stammen die Zeichnung von Gesicht und Händen, die Malweise. Wie aber der Saum des Mantels Christi in müden, lässig schlängelnden Windungen das Bein umspielt, ist neuartig. Die eher harte Klarheit, das RechnerischBewußte der Weingartner Handschrift wird ins Weichlich-Spielerische, ins Naiv-Kindliche gewandelt. Auch hier kann man von Primitivismus sprechen, aber er hat eine andere Färbung als beim Grundstockmaler. Sein Herkommen von der höfisch-geschliffenen Art des Weingartners läßt ihn nicht so plump werden. Näher steht diesem und mehr noch den Leinweberbildern der malerische Schmuck eines Minnekästchens im Budapester Nationalmuseum '3. Anders als in den eben betrachteten Malereien werden in den bedeutsamen Wandmalereien in der alten Kirche in Oberwinterthur J4 — Darstellungen aus der Legende des hl. Arbogast und aus der Passion — Umgebung, Landschaft, Kostüme ausführlich geschildert, sind meist eine größere Anzahl Figuren gegeben. Es geht nicht an, diese Verschiedenheit aus dem Darstellungsthema erklären zu wollen, vielmehr eignete ihrem Maler von Natur aus eine größere Freude am Genremäßigen. Er freut sich mehr am Einzelnen und Vielen und an ausführlicher Erzählung. Nicht nur das berühmte Jagdbild lehrt dies, auch die anderen Darstellungen, jedes einzelne Motiv bekundet es. Vielleicht erinnern deshalb die Bilder an die Art des Grundstockmalers; die Formbehandlung, der Schnitt der Gesichter, die tropfenförmigen Nasen, die schmalgeschnittenen Augen, die wesentlich kolorierende Malweise aber weisen auf die Bilder der Weingartner Liederhandschrift. Wenn die Erzählungsweise des Winterthurer Kohlhausen, Minnekästchen im Mittelalter, 1928 Nr. 30. •3 Kohlhausen Nr. 26. •4 Rahn in Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft Zürich XXI, Heft 4, 1883. Hugelshofer, Die Zürcher Malerei bis zum Ausgang der Spätgotik I, 1928 S. 13. 11

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Meisters der Manessehandschrift ähnelt und vielleicht auch von da angeregt wurde, seine Formsprache ist zweifellos von der Art der anderen Minnesängerhandschrift bestimmt. Von hier ist der Typus der Frauenköpfe herzuleiten; der Kopf des hl. Arbogast ist in Anlage und Schnitt dem des Kaiser Heinrich in der Weingartner Sammlung aufs nächste verwandt. Die Führung der Gewandsäume ist auch hier von einer weichlichen, müden Lässigkeit '5. Ahnlich verquicken sich die beiden Richtungen des Weingartner und 51. des Grundstockmalers in den Arbeiten des ersten Nachtragsmalers (N I) der Manessehandschrift. Sein Gewandstil ist knapper und ärmer. Die Linie spielt eine bedeutsame Rolle. Selbst der modellierende Pinselstrich arbeitet linienhaft. Die Anpassung an die Art des Grundstockmalers und die Bindung durch diesem verwandte Vorbilder wird allenthalben deutlich. N I steht unter dem stärksten Einfluß des Grundstockmalers; wenigstens kann er sich ihm nicht entziehen, solange er als sein Nachfolger an der Manessehandschrift arbeitet. Ursprünglich könnte er aber aus der Richtung des Meisters der Weingartner Liederhandschrift hervorgegangen sein. Die flächigere und zeichnerische Form ließe sich freilich aus dem allgemeinen Stilwandel des frühen 14. Jahrhunderts erklären, nicht aber all die formalen Übereinstimmungen, die eine nahe Beziehung zu jenem Meister voraussetzen. Daß auch der erste Nachtragsmaler an ältere Vorbilder angeknüpft hat, kann nicht bezweifelt werden. Seine Illustration zum jungen Meißner kehrt in den Malereien im Hause zur Zinne in Dießenhofen sehr ähnlich wieder l 6 . Für die Verwendung von Vorlagen ist der Nachweis dieser Übereinstimmung noch kein Beweis, denn es könnte sich hier auch um eine unmittelbare Abhängigkeit des Wandmalers von N I oder umgekehrt handeln. Das Bild des Rost von Sarnen bezeugt aber unbestreitbar, daß auch N I nach Mustern gearbeitet hat. In dieser Illustration ist dem Maler ein Mißverständnis unterlaufen, das nicht anders zu erklären ist als durch falsches Ausdeuten eines Vorbildes. In dem Bilde der Manessehandschrift scheint die Dame dem Rost, der sich ihr zudringlich nähert, mit der linken Hand ein Haarbüschel auszureißen, die von der Garnhaspel und Schere herkommenden Kettenfäden aber verlaufen hinter seinem Kopfe im Ungewissen '7. Im Vorbilde dürfte die Dame deren Enden in der Hand gehalten haben. Vielleicht sollte man nicht von Mißverständnis sprechen, vielleicht muß man eine bewußte Abwandlung erkennen — N I wollte •5 Soweit die Aquarellkopien nach den zerstörten Malereien der Marien-Kapelle am Kreuzgang des Großmünsters in Zürich ein Urteil erlauben, könnten sie dem Oberwinterthurer Zyklus stilistisch nahe verwandt gewesen sein. Kopien in den Zürcher Büchern der Antiquar. Gesellschaft Zürich III S. 104—06. Hugelshofer a. a. O. Taf. I. 16 Dürrer und Wegeli in Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft XXIV Heft 6, 1899 S. 273. '7 Die eine der Spatzschen Miniaturen, die diese Szene darstellt — für einen Fälscher eine höchst bezeichnende Wahl — gibt der Dame die Fäden richtig in die Hände. Haseloff a . a . O. S. 117, Stettiner, Das Webebild in der Manessehandschrift und seine angebliche Vorlage, 1911.

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drastischer sein —, wie immer auch: ein Vorbild wird eindeutig bezeugt. Mit der Kunst des ersten Nachtragsmalers sind die Malereien in der Gallus-Kapelle zu Oberstammheim18 in Verbindung gebracht worden, 57die in drei Reihen die Schöpfungsgeschichte bis zur Austreibung aus dem Paradies, das Leben und die Passion Christi erzählen. In der Tat stimmen alle wichtigen Gestaltungselemente mit den von diesem Maler gebrauchten überein: der Bau der Figuren, die Gesichter, das Kostümliche, etwa die Vorliebe für gestreifte Gewänder. Und wie bei N I ist auch der Ausdruck der Gesichter bei jeglichem Geschehen gleichgültig-teilnahmslos. Bewahren aber bei diesem die Figuren noch eine gewisse Haltung, so ist hier jegliche Straffheit verlorengegangen. Die Gewänder hängen an den Kinderiigürchen mit den meist zu kleinen Armen strukturlos herab, weichliche Falten bildend, in stumpfen Säumen abklingend. Qualitativ höher ist die Darstellung eines Paares beim Schachspiel auf der Innenseite des Deckels eines Minnekästchens, das aus Sigmaringen ins Historische Museum zu Frankfurt gelangt ist '9. Schon die Oberwinterthurer Wandbilder hätten Anlaß sein können, auf den zweiten Nachtragsmaler (N II) einzugehen. Wie jener Wand- 52. maier liebt er ausführliche landschaftliche Ausschmückung der Bilder. Er gibt Wiesen, Hügel und Bäume als Grund für seine schlanken, gertenhaften Figuren. Selbständiger als die beiden ersten Maler der Manessehandschrift ist er neuen Formgestaltungen zugänglich. Er hat sich seine Sprache sicher nicht unbeeinflußt vom Meister der Weingartner Liederhandschrift gebildet, aber anders als alle älteren verwirklicht er in diesem Kreise erstmals die Ziele des zweiten Jahrhundertviertels. Die hohen körperlosen Gestalten im Bilde des Rubin von Rüdeger, der ersten seiner Illustrationen, hüllt er in stoffarme, straff gefaltete Gewänder, deren abstrakt kurvige Faltenlinien und Konturen eine bei seinen Vorgängern völlig unbekannte Stoßkraft besitzen. Heftig schießen sie empor. Lebhaft sind auch die Bewegungen seiner Figuren, reich die Sprache ihrer Gesten, beweglich ihr Blicken. Man wird an die Bilder der Wernigeroder Weltchronik erinnert. Deren ungebundene, lebendige Art scheint bei N II wieder aufzuleben. Und wie in jener älteren Handschrift hat auch die Farbe nur nachträgliche Bedeutung. N II ist in erster Linie Zeichner, und wenn er in diesen Bildern die Farbe doch modellierend verwendet, so scheint dies zu seiner eigentlichen Art in Widerspruch zu stehen, nur zu erklären aus einer Anpassung an den Stil der übrigen Bilder der Manessehandschrift. Daß er nach Vorbildern gearbeitet hat, ist nicht zu erweisen. Sicherlich stand er ihnen vollkommen frei gegenüber. Mehr als eine Anregung können sie für ihn nicht gewesen sein. Seine Kompositionen scheinen neu erfunden und durchgestaltet zu sein. Die Art der Nachtragsmaler führen einige heute in englischen Bibliotheken liegende Handschriften weiter: zwei Psalter in London (Add. 22279 18 Durrer und Wegeli a. a. O. S. 261. Hugelshofer a. a. O. S. 12. *» Kohlhausen a. a. O. Nr. 28.

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und 22280), von denen der erstere im 17. Jahrhundert einer Schwester 55- Scolastica von Wyl gehörte, ein dritter in Manchester (Ms. 95, Crawford 105), der einen Konstanzer Kalender enthält. Add. 22279 ist etwas derber und erinnert noch an den Grundstockmaler; am feinfühligsten sind die Bilder in Add. 22280. Diesem wie dem Psalter in Manchester eignet ein leicht beweglicher Erzählungston, wie ihn vor allem der zweite Nachtragsmaler ausgebildet hat. Der Hinweis auf Konstanz, den Ms. 95 bietet, darf nicht Veranlassung sein, die Frage der Heimat der Manessehandschrift dahin zu entscheiden, daß sie in dieser Stadt entstanden sei. Der Begriff Schule muß anders als in Köln auf ein größeres Gebiet ausgedehnt werden. Köln war im frühen 14. Jahrhundert eine Ausnahme. Am Oberrhein, im Gebiet des Bodensees, war nicht eine Stadt der beherrschende Mittelpunkt. Weder Zürich noch Konstanz hatten wohl die Kraft, dauernd eine größere Anzahl Maler, wie wir sie nachweisen konnten, in ihren Mauern zu beherbergen und zu beschäftigen, so rege auch das künstlerische Leben in ihnen war. Aufträgen nachgehend wanderten die Maler zwischen den beiden großen Plätzen am Boden- und Zürichsee hin und her, bald hier, bald dort arbeitend. Die Durchkreuzungen verschiedener Richtungen sind anders nicht zu verstehen. Zürich und Konstanz waren künstlerisch ein geschlossenes Gebiet. Dann kann es für die Kunstgeschichte keine Fragestellung sein, in welcher der beiden Städte die Manessehandschrift entstanden ist. Und wenn es heute entschieden ist, daß sie Züricher Auftraggebern ihre Entstehung verdankt, so ist ihre künstlerische Heimat nicht mit dem Namen Zürich, sondern nur mit dem Hinweis auf das Gesamtgebiet zwischen Boden- und Zürichsee umrissen. Der Grundstockmaler und der Meister der Weingartner Liederhandschrift sind aus nahe beieinander liegenden Wurzeln herausgewachsen. Mehr ihre Individualität, mehr ihre verschiedene Aufnahmefähigkeit als andersartige Traditionen haben ihren Stil so verschiedenartig werden lassen. In den Illustrationen zweier Handschriften sprechen sie gewissermaßen programmatisch ihre Art aus; der eine wahrscheinlich in Konstanz, der andere in Zürich. Ihre Nachfolger aber, von beiden beeindruckt, vermischen ihre Eigentümlichkeiten. Der Art des Grundstockmalers folgt getreulich ein kleines Täfelchen, das beidseitig bemalt Kreuzigung und Kreuzabnahme zeigt. Aus Bezauer 6 3 — 6 4 . Privatbesitz ist es in den Kunsthandel gelangt. Mit kräftigen Farben sind die Formen zu runden, schweren Gebilden gestaltet. Die Zeichnung der Augenbrauen in hohen runden Bogen, die Zeichnung der Augen als breiter Eiform, des ziemlich großen Mundes, der breit abstehenden Lockenfrisuren bei Männern stimmen völlig überein. Auch die Behandlung des Kostümlichen entspricht den Gewohnheiten des Grundstockmalers. Christus hängt tief herabgesunken, die Arme ziemlich steil nach oben gebogen, am Kreuze, die Füße umeinander geschlungen. Die Hände fügen sich nicht der Horizontalen des Querbalkens — das Kreuz ist sehr dünn —, sondern stoßen über ihn hinaus. Das sind in diesem Gebiete ziemlich regelmäßige Merkmale; das zweite Jahrhundertviertel bietet weitere Bei56

Größe seiner Figuren mit einem regen Ausdrucksleben zu erfüllen. Das unterscheidet ihn sehr deutlich vom Grundstockmaler. In die Nähe dieser Handschrift, der St. Gallener und der Manessehandschrift gehört dann noch ein Einzelblatt, das in einer O-Initiale eine Jesus6*- Johannes-Gruppe zeigt (Slg. Victor Goldschmidt, Heidelberg)Die Falten sind noch räumlich wie in der St. Gallener Handschrift, die Initialen und die sie zierenden Ranken sind in Rahmen auf Goldgrund fest eingebunden. Man darf das Blatt wohl noch in das ausgehende 13. Jahrhundert, in die zeitliche und räumliche Nähe der ältesten plastischen Jesus-Johannes-Gruppen ordnen, deren Heimat das Bodenseegebiet, Konstanz war. 5Der dritte Nachtragsmaler (N III) der Manesse-Handschrift tritt völlig 56. aus der Reihe heraus. Keinerlei Beziehungen führen zu seinen Vorgängern, nicht zum Grundstockmaler und auch nicht zum Meister der Weingartner Liederhandschrift. Der Ausdruck seiner Figuren ist lebhaft und individuell. Prüfend, überlegend blicken sie auf dem Bilde des Herrn Otto von Turne. N III erzählt auch, aber anders als der Grundstockmaler und seine Nachfolger. Er ist sachlicher und beobachtet schärfer, sei es nun ein Gesicht oder die Anlage einer Häusergruppe. Auf dem Schlachtbilde beschäftigt ihn der verzerrte Kopf, der aufgerissene Mund eines Kämpfenden. Wie dieses Blatt deutlich macht, hat auch er sich bemüht, seine Arbeiten dem Ganzen einzufügen, aber das Einzelne wie der Aufbau des Bildes haben doch einen anderen Sinn. Er folgt in dem Schlachtbilde wohl einem herkömmlichen Schema, „aber das Bild der Stadt hebt sich durch die Durchbildung der Türme und sonstigen Bauwerke aus dem schematisch Flächenhaften aller übrigen Bilder des Manesse-Kodex heraus, und wenn sachliche Gründe dafür sprechen, daß ein Vorgang in Italien dargestellt sein soll, so möchte man auch bei diesem Stadtbilde annehmen, daß hier entfernte Beziehungen zur italienischen Kunst und zu italienischen Architekturdarstellungen im besonderen vorliegen" In der Tat, ein fremder Ton ist in der Kunst des dritten Nachtragsmalers nicht zu verkennen. Ob aber italienische Anregungen — wie Haseloff meint — seine Art beeinflußt haben, scheint fraglich zu sein. Vielmehr dürften bei N III wie bei so vielen deutschen Malern des frühen 14. Jahrhunderts und wie bei jenem, der 1348 das Kreuzigungsbild der Konstanzer Domsakristei schuf, englische Anregungen bestimmend gewesen sein. Dafür sprechen die blassen Farben, dafür spricht die Behandlung der Gesichter, in denen das Pergament ausgespart ist und sich nur am untersten Teil der Wange ein kleiner roter Tupfen findet; so könnten auch die vielteiligen, hintereinander geschachtelten Architekturen erklärt werden; so ist sicher die Freude am Genre, die Freude am Weltlichen, die sich in der Formbehandlung wie im Ausdruck der Figuren zu erkennen geben, zu erklären. Der Queen Mary-Psalter bietet vielfach Vergleichbares Schrade in den Neuen Heidelberger Jahrbüchern 1932 S. 59. « Haseloff a. a. O. S. 135. 11

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für die Auffassung der Figuren wie für die Häusergruppen in den Blättern des dritten Nachtragsmalers. Die Figuren haben dort dieselben runden Körper, die ausdrucksvolle Schwingung, den profanen Ausdruck, die bewußten Gesten. Manches ist anders, nur aus der oberrheinischen Tradition abzuleiten; anderes hat N III unterstrichen, so die Rundung der Formen, vielleicht um der schweren Art des Grundstockmalers so nahe zu kommen. Von diesem letzten Nachtragsmaler beeinflußt, wenn auch wieder mit Elementen des Grundstockmalers durchsetzt, ist die Malerei eines Minnekästchens, das auf der Deckelinnenseite zu Seiten des Wappens der Freiherrn zu Rhein unter Kielbögen zwei Darstellungen zeigt: links schießt Frau Minne einen Pfeil auf einen neben ihr mit ergeben gekreuzten Handflächen stehenden Jüngling ab; rechts ergreift der Jüngling die Hand der Schützerin, wobei er ihr sein von drei Pfeilen durchbohrtes Herz entgegen hält 23. Die schweren Körper der Figuren, das bewußte Blicken zwingen diese Malereien in die nächste Nähe der Darstellung des Herrn Otto vom Turne in der Manessehandschrift zu rücken. Der eigenwilligste und selbständigste der Illustratoren dieser Liederhandschrift stand also doch nicht völlig allein, und wenn es schwer hält, die Wurzeln seiner Kunst am Oberrhein nachzuweisen, so hat sie hier doch wenigstens einen kleinen Wiederhall gefunden. Das bestätigt dieses Minnekästchen der Sammlung Figdor. 6. Ahnlich wie in Köln ist die Zahl der Werke aus den dreißiger und vierziger Jahren merkwürdig klein im Vergleich zu dem Reichtum, den das erste Jahrhundertviertel oder -drittel darbietet. Auch in Konstanz hat die aszetische Mystik dämpfend gewirkt. Gefährlicher waren noch allerlei politische Widerwärtigkeiten. Der kaiserliche Thronstreit und Ludwigs Kampf mit dem Papste haben sich im Bodenseegebiet und sonderlich in Konstanz störender als sonst zumeist ausgewirkt. Als 1326 über der alten Seehauptstadt das Interdikt verhängt wurde, in dessen Folge alles kirchliche Leben aufhörte, war auch über alles künstlerische Leben ein vernichtendes Urteil gesprochen worden. Was hatte noch Ausschmücken der Kirchen für einen Sinn, wenn deren Pforten geschlossen waren ? Dazu ist nachweislich manches, was in diesen dürren Jahren noch entstand, verloren gegangen, so die große Kreuzigung im ehemaligen Dominikanerkloster, die nur noch alte Abbildungen dem Gedächtnis bewahren. Die spätesten der besprochenen Werke dürften um 1330 entstanden sein. Auf sie, vielleicht schon gleichzeitig mit ihnen müssen die Wandmalereien in der Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters, dem heutigen Inselhotel, in Konstanz gefolgt sein. Sie müssen vor 1339 entstanden sein. In diesem Jahre verließen die Konstanzer Dominikaner — unter ihnen Seuse — für reichlich zehn Jahre ihr Kloster. Und da ihre stilistische Haltung wie auch die Kreuzigung in der Münstersakristei von 1348 eine Datierung Kohlhausen a. a. 0. Nr. 3 1 .

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nach 1349 nicht erlauben, so bleiben für ihre Entstehung allein die dreißiger Jahre. Die Kreuzigung war eine mehrfigurige Komposition 24. Aus dem Hügel am Fuße des sehr hohen, schlanken Kreuzes wuchsen zwei rankenartige Aste empor, auf denen Maria und Johannes standen. So herausgehoben über die seitlichen Figuren ragte diese Gruppe in den mittleren Kleeblattbogen hinein, der die Lünette innen einfaßte; von dessen seitlichen Bögen aber werden rechts und links von der Kreuzesgruppe je drei heilige Figuren umrahmt. Noch erhalten sind die Malereien auf der Nordwand der Kirche, 102 teppichartig aneinandergereihte Medaillons mit Märtyrerszenen, die in vielfachen Abwandlungen die Martyrien der christlichen Heiligen schildern. Soweit diese schlecht erhaltenen, stark erneuerten Szenen einerseits, die nur in Photographie und Pause noch studierbare Kreuzigung andererseits ein Urteil zulassen, dürften beide wohl gleichzeitig in engster Werkgemeinschaft entstanden sein. Die Feierlichkeit strenger Komposition hindert in den Märtyrerszenen nicht lebhafte Richtungsdivergenzen. Zarte, schlanke Figuren sind in dünne Gewänder gehüllt, deren Falten sich nur als seichte, lineare Gebilde markieren. Keine Form tritt aus der Fläche heraus; nirgends modellieren hellere und dunklere Töne. Das war wohl auch schon bei mancher der im letzten Abschnitt behandelten Malereien so. Der zweite Nachtragsmaler gab der Vertikalen auch eine ähnliche Betonung, wie ihr in diesen Wandbildern zukommt; neu aber ist die straffe Zusammenfassung der Formen. Falten und Konturen sind in eine strenge Gesetzlichkeit gebannt; in straffen, vorwiegend geradläufigen Linien sind sie geführt, in wenigen Zentren zusammengefaßt. In einfachen Kurven schwingen die Falten vor dem Leibe und treffen sich in einem Punkte an der Hüfte. Alle Linien haben aufsteigende Tendenz. Jegliche Körperlichkeit und Schwere, das Erbe des 13. Jahrhunderts, ist ausgelöscht. Die Figuren sind nichts als eine Summe von Linien, aber ihre Bewegungen sind nicht mehr ornamental, sondern mathematisch bestimmt. Sie scheinen einer Regel, einem Gesetz zu unterstehen. Mehr als diese sehr allgemeine Charakteristik lassen die kümmerlichen Reste nicht mehr zu. Das Herkommen dieses Stiles von der älteren Konstanzer Malerei veranschaulicht ein Kanonbild in einem Missale der St. Gallener Stiftsbibliothek 62. (Nr. 346). Dem Kalender zufolge stammt die Handschrift aus einem Dominikanerinnenkloster. Die Farben sind ungelenk aufgetragen, vielleicht von einer zweiten Hand, die Zeichnung selbst aber ist sehr feinfühlig. Die straffe Durchgestaltung der Dominikanerkreuzigung ist diesem Bilde nicht eigen. Es muß deshalb aber nicht älter, es könnte auch schon wieder 65- jünger sein, Übergang zu der 1348 datierten Kreuzigung in der oberen Sakristei des Konstanzer Münsters, die, ein weiteres Beispiel der Verarbeitung englischer Einflüsse 25, den erdgebundeneren Stil des dritten Jahr»4 Graf roth in »5 Graf stanzer

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Zeppelin in Schriften des Vereins zur Geschichte des Bodensees VI S. 14. WingenZeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 59 (1905) S. 434. Vitzthum a. a. O. S. 237. Gramm, Spätmittelalterliche Wandgemälde im KonMünster, 1906 S. 11 ff.

allseitig bemalt, aber bei der Aufdeckung der Malereien konnte nur noch ein St. Georg im Kampfe mit dem Drachen eindeutig bestimmt werden. Im oberen Stock fanden sich besser erhaltene Reste, und zwar in dreimal achtzehn Medaillons Monatsdarstellungen begleitet von den Tieren des Tierkreises, den Elementen, symbolischen Tieren, Wappen, begrenzt oben durch eine Rankenbordüre, nach unten durch drei Reihen heller Glockenblumen auf abwechselnd rotem und blauem Grunde. Auf der einen Seite schloß sich an dieses Kalendarium die Darstellung der Minneburgerstürmung. Da auf einem Holzfriesstück im Rosgarten-Museum neben dem Wappen des Bistums Konstanz das des Bischofs Heinrich von Brandis steht, werden die Malereien üblich in dessen Regierungszeit (1356—1383) datiert. Doch ist keineswegs bekannt, ob das Balkenstück aus dem Raum jener Malereien stammt. Sollte das der Fall sein, so möchte man eher in den Anfang als in die Spätzeit der Regierung Heinrichs von Brandis gehen. Der tiefe Gürtel findet sich auch; stilistisch ist der Zusammenhang mit den Minnesängerhandschriften vom Anfang des Jahrhunderts unverkennbar. Um die Mitte des Jahrhunderts muß schließlich auch eine reich illustrierte Handschrift entstanden sein, die uns zum Thema der ersten in diesem Kapitel behandelten Malereien zurückleitet, eine Weltchronik, die sich 59—60. heute in der Züricher Zentralbibliothek (cod. Rh. 15) j 8 befindet. Anders als in den früheren Beispielen ist die Bildbühne tiefer geworden. Quer durch die Darstellungen läuft ein flacher Raumstreifen; einzelne kulissenartige Wände belehren uns über seine Tiefe. Aber diese Raumhaltigkeit der Bilder kann doch nicht verbergen, daß der Maler weitgehend und wohl ziemlich wortgetreu einer älteren Vorlage, und zwar zweifellos der St. Gallener Weltchronik, gefolgt ist. Nicht nur die allgemeine Ikonographie der Szenen bezeugt diese Tatsache, auch die Formensprache im Einzelnen, der Faltenstil tun es. Allenthalben wird deutlich, daß die Entkörperlichung des zweiten Jahrhundertviertels noch nicht lange überwunden ist. Nur zögernd strömt Materie wieder in die Gewänder, aber eben eine Materie, die weit entfernt ist von der organisch empfundenen Körperlichkeit des 13. Jahrhunderts, die kaum gegliedert nur als Masse, nicht als gestalteter Körper in die Leere der Gewänder hineinwächst. Das ist es, was die Tütenfalten so anachronistisch erscheinen läßt. Diese Kopie macht es besonders deutlich, wie sie in ihrer besonderen Form Merkmal einer organisch empfindenden und gestaltenden Zeit und wenigstens in ihrem Ursprung im Zusammenhang mit dem menschlichen Körper und seinen Bewegungen entstanden sind. Daneben muß der Maler aber Anregungen von französischen Rosenromanen empfangen haben. Ihnen verdankt er eine Bereicherung seines Wortschatzes und die Möglichkeit zu lebhafterer Erzählung. Eine Datierung der Handschrift ist durch das 1362 geschriebene Heiligenleben der Münchner Staatsbibliothek (cod. germ. 6) gegeben, dessen Bilder eine nahe verwandte Sprache zeigen. So schließt sich der Kreis. Leider wissen wir nicht, wo diese Weltchronik j 8 Escher in Schweizer Archiv für Heraldik 1918 S. 152. in einem Aufsatz den Kreis der Hs. abstecken.

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Ausführlich wird H. Jerchel

gemalt wurde. Sollte sie in Konstanz, in der räumlichen Nähe der Bilder der Rineggschen Kurie — und sicher früher als diese — entstanden sein, oder ist sie Züricher Ursprungs ? Wo auch immer ihre Heimat war: auch jetzt wird man die beiden Hauptstädte dieses Gebietes nicht in irgendeinen künstlerischen Gegensatz bringen dürfen. Aber ein anderes lehrt diese Handschrift. Der ätherische Stil war im Gebiete des Boden- und Zürichsees nur eine rasch überwundene Durchgangsstufe. 1348 bereits stimmte die Stadt Seuses in der erdenschweren Kreuzigung der Münstersakristei gegen dessen mystische Sublimierung. Die grazile, zarte Formgestaltung, wie sie die dreißiger und vierziger Jahre forderten, war dieser Landschaft anscheinend wenig entsprechend. Auch der Meister der Weingartner Liederhandschrift ist kein Gegenbeispiel. Nur dem Grundstockmaler gegenüber, nicht aber niederrheinischen Arbeiten gegenüber wirkt er so. Das Bodenseegebiet neigt mehr zum Schweren, Kompakten, Erdnahen; mehr als anderswo freute man sich an der Illustration weltlicher Dichtungen, mehr als anderswo hatte man Lust an der Betonung irdischer Züge. Gerade die Züricher Weltchronik ist ein treffliches Zeugnis für diese Haltung; nicht minder war es aber schon die Wernigeroder Weltchronik.

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V. iHtttelrijeiti 1

Der Mittelrhein ist ein vielteiliges, wenig einheitliches Gebiet. Zweierlei mag die Ursache dafür sein. Seine Grenzen scheinen Fremden oder Benachbarten offener und zugänglicher zu sein als anderwärts. Von Westen und Süden kommen vielfache befruchtende Anregungen, die sich — für uns heute nur schwer auflösbar — durchkreuzen. Ihm fehlte, so wie sich uns heute die Verhältnisse darstellen, wenigstens im frühen 14. Jahrhundert und in Sachen der Malerei ein beherrschender Mittelpunkt2. Auch Mainz, die alte Erzbischofsstadt, das gegebene, natürliche Zentrum, scheint nicht diese Rolle innegehabt zu haben. Heute ist in seinen Mauern nichts erhalten und auch sonst nichts bekannt, was auf eine Führ er Stellung hindeuten könnte. Nur ein einziger Malername ist uns in Mainz aus dem frühen 14. Jahrhundert überliefert. Das muß wundernehmen, denn gleichzeitig entfaltet es eine höchst bedeutsame architektonische und bildhauerische Tätigkeit 3. In der Malerei hingegen scheint Mainz und das gesamte Mittelrheingebiet vom Neckar bis an die untere Lahn und bis nach Trier überwiegend empfangend gewesen zu sein. Von Köln und dem belgischen Westen einerseits, vom Oberrhein andererseits kommen Anregungen. Der junge Trierische Erzbischof holte sich zur Durchführung seiner Pläne zuerst kölnische, dann im Westen geschulte Maler. Zweifelsohne haben ähnlich wie am Oberrhein auch am Mittelrhein die Raubzüge Ludwigs XIV., die französische Revolution und die aus ihr folgenden langen Kriege schwersten Schaden angerichtet, aber sie haben doch nicht die Bedeutung von Mainz für Baukunst und Skulptur verwischen können. Andere Gründe müssen mitgesprochen haben — anders ist die Unentschlossenheit auf malerischem Gebiete nicht zu verstehen. Gewiß wäre es zu viel gesagt, wollte man von mangelnder Schöpferkraft in Fragen der Malerei reden. Aber vielleicht handelte es sich um eine gewisse Passivität. Und für diese Vermutung spricht, daß Mainz und der Mittelrhein auch in anderen Jahrhunderten nur selten eine führende Rolle in der Malerei gespielt haben. Ob der Besangoner Psalter in Mainz beheimatet werden darf, ist höchst fraglich, aber selbst wenn er und das Aschaffenburger Evangeliar da entstanden, mehr als eine Episode waren sie kaum. Irgendwelche Beziehungen zu Werken des frühen 14. Jahrhunderts sind nicht zu erkennen. Anders als in Köln oder am Bodensee gab es am Mittelrhein in der Malerei keinen Vergangenheit und Zukunft verknüpfenden Willen. Einzelne Leistungen stehen ziemlich unverbunden nebeneinander. Deshalb konnten die umliegenden Gebiete wohl auch so leicht 1 Back, Mittelrheinische Malerei, 1910; Küch in Hessenkunst 1911 S. 4 ; Klingelschmitt in Hessenkunst 1913 S. 15; Stern in Deutsche Monatshefte (Die Rheinlande) 17 ( 1 9 1 7 ) S. 2 8 5 ; Stuttmann, Mittelalterliche Wandmalerei im Gebiet des Mittelrheins, ungedruckte Dissertation Frankfurt 1922. 2 Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts a m Rhein und in Schwaben, 1927 S. 104, äußert sich ähnlich. 3 Klingelschmitt a. a. O. S. isff.

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Einfluß gewinnen. Sie gaben den mittelrheinischen Malern die Form, die nie als eine traditionsgetragene Entfaltung in Erscheinung tritt. Abzugrenzen ist das mittelrheinische Gebiet im frühen 14. Jahrhundert etwa so: im Westen ist Trier der weitest vorgeschobene Posten. Metz und Prüm schon liegen außerhalb. Sie gehören in diesen Jahrzehnten zu einem westlicheren Kunstkreis, wie Graf Vitzthum 4 gezeigt hat. Gegen Süden bildet der Neckar, gegen Osten sind Odenwald und Spessart natürliche Grenzen. Dagegen sind sie gegen Norden schwer zu ziehen. Die Landgrafschaft Hessen, das Gebiet von Marburg und Fritzlar, muß ausgeschieden werden. Sie bilden ein, wenn auch durch allerlei Fäden mit dem Mittelrhein verbundenes, doch selbständiges Kunstgebiet. Die Grenze gegen Hessen verläuft etwa den Unterlauf der Lahn entlang bis Wetzlar, um dann annähernd der heutigen Grenze von Oberhessen zu folgen. 1. In Trier herrschen kölnische und westliche Einflüsse vor. Die Werke, mit Malereien geschmückte Handschriften, die hier zu Anfang des 14. Jahrhunderts entstanden, gingen auf Anregungen des jungen Erzbischofs Balduin, Graf von Luxemburg, zurück, den Bruder Kaiser Heinrichs VII., der 1308 den Stuhl von Trier bestieg. Er entfaltete eine höchst lebhafte Tätigkeit, vergrößerte den weltlichen Besitz des Erzstiftes und legte durch eine kluge Politik die Grundlage für eine vielfältige künstlerische Blüte. Zahlreiche Bauwerke, Burgen und Kirchen, verdanken ihm ihre Entstehung. Daß er auch ein Liebhaber und Förderer der Malerei gewesen ist, bezeugen die Buchmalereien, die auf seinen persönlichsten Willen zurückzuführen sind: ein Brevier und drei Urkundensammlungen, die Initialen und Ranken schmücken. Der einen Urkundensammlung ist der gemeinhin die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. genannte Bilderzyklus vorgeheftet. Dieser ist gesondert zu behandeln. Stilistisch gleichartig ist der Schmuck der Urkundensammlungen und des Breviers. Sämtliche Handschriften liegen heute im Staatsarchiv zu Koblenz: unter Abt. 1. C.Nr. 1—3 die Urkundensammlungen, unter Abt. 701 Nr. 109 das Brevier. Balduin ließ die Urkundensammlungen herstellen, damit seine Nachfolger auf dem Stuhle Triers über die Rechte ihrer Kirche sich Gewißheit verschaffen könnten. Zwei Sammlungen ließ er im Format übereinstimmend anfertigen — an Umfang des Inhaltes weichen sie alle ab — und bestimmte das eine für das Armarium des Trierer Domes, das andere für das Thesaurarium in Trier; das dritte, kleinere sollte als Handexemplar der Erzbischöfe dienen und sie auf ihren Reisen begleiten. Wie der Inhalt zeigt auch der Schmuck Unterschiede. Das Balduineum I ist einfacher, II dagegen ist besonders prachtvoll geschmückt; dabei stimmen die Handschriften in Anlage und Art des Schmuckes überein. Außer kleineren Initialen an der Spitze der einzelnen Urkunden besitzt jede Sammlung jeweils drei größere, figürlich geschmückte Initialen, die ihre Haupt< Graf Vitzthum a. a. O. S. 2i6ff.

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abschnitte: Bullen, Königsurkunden, Privilegien Kaiser Heinrichs VII. einleiten. Von diesen drei größeren Initialen, die in ihren Figuren auf den von ihnen eingeleiteten Inhalt Bezug nehmen — das C der Bulle des Papstes Calixtus, der ersten, umschließt vor blaurot kariertem Grunde die Darstellung des thronenden Papstes, vor dem ein Bischof kniet, das I einer Urkunde Karls des Großen, der ersten des zweiten Abschnittes, der Königsurkunden, und auch das H a n dritter Stelle zeigen die stehenden Figuren eines Königs und eines Bischofs. Im letzten Falle sind wohl Kaiser Heinrich VII. und Balduin gemeint, die ähnlich a n einer Chorgestühlswange in St. Gangolf in Trier dargestellt sind —, gehen Ranken und Streifen aus, die den Schriftsatz einfassen und mit allerlei Drolerien: Jagdszenen, Keulenmännern, Schleuderern, Geigenden, Falknern, Mönchen, Nonnen, Minnepaaren, Kämpfenden, Hasen, Hunden, Drachen, belebt sind 5. Ganz ähnlich ist der Schmuck des Breviers, dessen Initialen eine Anzahl biblischer Szenen einschließen und das außerdem noch ein Kanonbild, eine ganzseitige Kreuzigungsdarstellung mit dem Stifter in einem unteren Sockelstreifen, enthält. Graf V i t z t h u m 6 hat auf den Thomas Brabantinus (Berlin Ham. 114) und die Dresdner Apokalypse (Oc 50) als nächste Verwandte hingewiesen, auf Handschriften lothringischen Ursprunges, und glaubt ihre Art so verständlich machen zu können, f ü r die am Mittelrhein und in Trier keinerlei Voraussetzungen zu finden sind. Ebenso Verwandtes aber wie diese Handschriften bieten kölnische Arbeiten des frühen 14. Jahrhunderts. Die unmittelbare Valkenburg-Nachfolge, etwa die Darmstädter Missale 837 und 874, zeigen in den Ranken den gleichen, etwas derben Naturalismus, die rundlichen, kräftigen Blätter, den reichen Drolerieschatz. Entscheidend, diese Balduinschen Handschriften mit Köln in einen unmittelbaren Z u sammenhang zu bringen, ist dann die durchschlagende Verwandtschaft im Figurenstil. Sie ist viel näher als zu jenen lothringischen Handschriften. Das Vorbild des Kanonbildes in dem Brevier muß in dem Kreis der beiden Darmstädter Missale gesucht werden. Auswahl der Motive und Aufbau, die architektonische Rahmung, die Einfügung des Stifters im mittleren Felde eines Sockelstreifens, die Anordnung des Kreuzes, der Trauernden, von Sonne und Mond — all das entspricht sich so weitgehend, daß ein enger Schulzusammenhang bestanden haben muß, anders ist die Gleichartigkeit nicht zu erklären 7. Sie geht bis in die Faltung des Lendenschurzes. Wo sich Abweichungen zeigen, sind sie bedingt und zu verstehen aus der anderen Individualität des Malers, nie weisen sie auf fremde, nicht-kölnische Beziehungen hin. Die Formbehandlung der Gewänder ist rundlicher, die Falten erscheinen massiger und schwerer: fern der kölnischen Tradition hat der Maler die aller stadtkölnischen Kunst eigene straffe und knappe Gestaltungsweise verloren, ist seine Sprache weicher, runder, massiger geworden. Die Art der Ranken zeigt Gleiches. In anderem, in den Figuren 5 Abb. in Inner, Die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII., 1881 S. 1, 47, 101 a. a. O. S. 227. 7 So auch Clemen S. 14.

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liehe Adler, der auch einzeln als Initial vorkommt, Böhmen, Luxemburg und Trier, sind auf Kaiser Karl IV. und Balduin zu beziehen, woraus sich eine Datierung der Handschrift zwischen 1346, Krönung des Kaisers, und 1354, Tod des Erzbischofs, ergibt. Die architektonische Rahmung ihrer beiden Bilder entspricht ziemlich wortgetreu der von Darmstadt 837; in den Aposteln schlägt dagegen mehr die Art der Chorschrankenmalereien und vor allem der Johannes- und Paulus-Tafeln im Wallraf-RichartzMuseum durch. In Haltung und Faltenstil ist die Verwandtschaft mit dem Paulus so groß, daß eine nahe Beziehung nicht bezweifelt werden darf, wenn auch die flachere und unkörperlichere Formgestaltung auf eine spätere Entstehungszeit hinweist. Für eine solche Ansetzung sprechen auch die mit der Feder gezeichneten, steifschlanken Figürchen der Verkündigungsinitiale. 2. Ganz anders als diese Malereien — sämtlich Deckfarbenmalereien — 70. sind die Bilder des großen Zyklus, der dem Balduineum I vorgeheftet ist I 0 . Er war gewiß nicht für diese Stelle bestimmt. Seine dreiundsiebzig Bilder erzählen auf siebenunddreißig Seiten — durchgehends sind zwei Szenen übereinander gegeben, nur das Schlußbild, die Darstellung der auf dem Sarkophage ruhenden Grabfigur des Kaisers nimmt eine ganze Seite ein — zuerst die Wahl Balduins zum Erzbischof, seine Ankunft in Trier, die feierliche erste Messe im Dom und das Festmahl. Unter dieser Szene sind die sieben Kurfürsten dargestellt, gewissermaßen als Überleitung zur Wahl und Krönung des Grafen Heinrich von Lützelburg, des Bruders Balduins, zum deutschen Kaiser, dessen Italienfahrt den weiteren Inhalt des Bilderzyklus ausmacht. Den großen politischen Ereignissen sind vielfach und zumal am Anfang persönlichere Begebenheiten untermischt. So das Gebet des kaiserlichen Paares vor den Reliquien der heiligen Drei Könige in Köln, so die Verbindung des Sohnes Johann mit Elisabeth von Böhmen, so eine Begegnung des jungen Böhmenkönigs mit seinem Onkel Balduin. Und höchst bezeichnend setzt die breite Schilderung des Romzuges mit einem Bilde ein, das die Ankunft Balduins mit seinen Rittern und einem schwer mit Gold und Silber beladenen Wagen beim Heere des Kaisers beschreibt. Dann folgen der Übergang über den Mont Cenis und die Ankunft in Italien. Städte übergeben dem Kaiser die Schlüssel der Tore. Heinrich VII. empfängt die lombardische Krone. Mailand und Cremona rebellieren und werden unterworfen. Brescia wird belagert, Theobaldo de Brusati wird hingerichtet, und so geht es fort bis zu Heinrichs Ankunft in Rom und Krönung im Lateran. Dann ein Festmahl in Sancta Sabina, die Rückkehr und Belagerung von Florenz — sehr reizvoll ist da eine Ansicht der Stadt — , der Kaiser in Pisa, ein Turnier, die Abreise Balduins zu Schiff nach Genua, um in sein Erzbistum zurückzukehren, des Kaisers Zug nach Neapel, sein Tod, seine Überführung nach Pisa 10

Sämtliche Bilder farbig wiedergegeben bei Irmer, Die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII.,

1881.

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d'Artus in London (Add. 10 292 und Royal 14 E III) und vor allem die Histoire d'Alexandre in Brüssel (Ms. 11040) I2 . Der behende, etwas flüchtige Zeichenstil, die nur leicht tönende Malweise könnten so erklärt werden, ebenso die Vorliebe für architektonische Schildeningen oder einzelne merkwürdig karikaturenhafte Profile bei Menschen und Pferden. Völlig überzeugend ist die Zusammenstellung nicht. Stumpf und ausdruckslos steht die Romfahrt neben der eleganten, sehr geschliffenen Art der Bilder in jenen belgischen Handschriften; leblos sind ihre Menschen neben den nervös-erregten da. Andererseits wird die weitgehende Ubereinstimmung der Gastmahlszenen in Anordnung und Einzelheiten kaum anders zu verstehen sein als durch einen Zusammenhang. Es spricht viel dafür, daß die Kunst des Trierer Malers — so fern sie ihnen zuerst zu stehen scheint — doch vom Kreis jener belgischen Handschriften ausgegangen ist. Eine unmittelbare Beziehung wird man allerdings nirgends nachweisen können. Helfend und den Zusammenhang klärend fügt sich da eine Heilsspiegel71 —72- Handschrift der Karlsruher Landesbibliothek (H. 78) ein r3. Sie überragt künstlerisch die Romfahrt bedeutend. Ihre Bilder lassen den gestaltenden Willen erkennen, den man bei der Balduinschen Handschrift allermeist vermißt. Dabei stimmen beide in den Mitteln weitgehend überein, und wenn man bei dem eben betrachteten Bilderzyklus gewiß noch zweifeln konnte, bei dem Karlsruher Heilsspiegel ist der Ausgang von der umrissenen belgischen Quelle augenscheinlich. Die Beziehungen sind bei ihm zweifelsohne viel nähere, sind vielleicht unmittelbare gewesen. Zeichen- und Malweise sind jenen Handschriften aufs nächste verwandt. Der Figurentyp ist der gleiche; die von Graf Vitzthum als besonders charakteristisch aufgeführten grimassierenden Gesichter finden sich völlig gleichartig. Und was der Maler der Romfahrt gar nicht erstrebt hat, der des Heilsspiegels hat auch etwas von der höfischen Haltung der Vorlagen bewahrt. Stumpf und langweilig erscheinen die Figuren der Romfahrt neben den ausdrucksvollen der Karlsruher Handschrift. Ungleich lebendiger ist jeder Strich ihrer Bilder, ungleich reicher die Charakteristik, die Gebärdensprache, die Schilderung landschaftlicher Situationen. Und doch gehören beide Handschriften zusammen. So viel reicher auch der Heilsspiegel ist, er ist in allem die Voraussetzung für die Romfahrt. Nur hat er unmittelbar aus der belgischen Quelle geschöpft und ist in ihn auch etwas von deren Haltung eingegangen; die Romfahrt aber ist nur durch ihn mit dem Westen verbunden und hat seinen Reichtum auf einige wenige Formeln gebracht und rein zeichnerisch ausgedeutet. Aus dem großen Typenschatz hat sie wenige ausgewählt, vor allem einen jugendlichen, der etwa im Johannes des Heilsspiegels vorgebildet ist. Daneben gibt die Romfahrt noch ältere Charakterköpfe, die dieselben häßlichen Tropfennasen und häßlichen Mundformen haben, aber nun reine Linien" Vitzthum a. a. O. S. 133 und 141. •3 Poppe, Über das Speculum humanae salvationis, Diss. Straßburg 1887 S. 18, 20; LutzPerdrizet, Speculum humanae salrationis, 1907, I S. 104.

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formen geworden sind. Und ebenso ist das Faltenmotiv des Mantels, den der Balduin benedizierende Papst trägt, solchen des Heilsspiegels nachgebildet. Es mag kein Zufall sein, daß auf diesem ersten Bilde der Romfahrt die Ähnlichkeit noch am größten ist. Dabei ist auch die Sprache des Heilsspiegels schon stark eingedeutscht gegenüber den belgischen Vorbildern. Die Figuren sind nicht so sprühend lebendig; sie sind schwerfälliger, so wie die Formensprache allgemein schwerer, weniger feinteilig ist. Aber die Figuren sind auch nie so spielerisch-puppenhaft, besitzen eine höhere Würde und einen größeren Ernst. Unsere Beheimatung des Karlsruher Heilsspiegels an den Mittelrhein und in die Nähe der in Trier entstandenen Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. wird durch den Dialekt bestätigt. Der sehr ausgeglichene, sauber und deutlich geschriebene Text der Handschrift — die Schrift ist ähnlich monumental wie in den Valkenburgischen — ist, wie mir Professor Mausser mitzuteilen die Güte hatte, nicht schlesisch, wie Poppe behauptete, sondern nordwestmitteldeutsch, genauer moselfränkisch. Der Hauptort dieses Dialektgebietes ist Trier. Wort und Bild weisen also übereinstimmend auf die gleiche Stadt. Es liegt nahe, nun auch an Balduin als Anreger dieser Handschrift zu denken. Das Karlsruher Heilsspiel ist unter den heute erhaltenen sicher das früheste illustrierte Beispiel. Text und Bilder stehen weit über dem Durchschnitt, und diese sind anderen sicher auf Balduin zurückgehenden Malereien nahe verwandt — alles scheint dafür zu sprechen, daß man auch diese Handschrift mit seinem Namen verbinden darf. Mit dem Anfang und Ende der Handschrift sind vielleicht auch unmittelbare Hinweise verloren gegangen. Nicht übersehen werden dürfen sechs Wappen, die an einem Turm auf pag. 17 aufgehangen sind: darunter Kurtrier und Kurköln, die übrigen weisen auf moselländische Geschlechter. Bedenklich scheint, daß auf pag. 136 sich ein Lambrecht von Draseczke nennt. Dieser Eintrag darf nicht als ein Hinweis einer Entstehung der Handschrift in Südostdeutschland genommen werden, sondern nur auf ihre Geschichte. Er steht in dem späteren Teil des Zyklus, der, wie die Malweise bezeugt, erst am Ende des 14. Jahrhunderts vollendet wurde. Damals, mit dieser späteren Ausmalung in dicker Deckmalerei zusammen, ist der Name eingesetzt worden. Vielleicht haben die verwandtschaftlichen Beziehungen der Lützelburger die Handschrift nach Böhmen geführt, wo sie vollendet wurde und jenen fremden Eintrag bekam. Fragt man endlich nach der zeitlichen Ansetzung der beiden, hier verbundenen Handschriften, so bieten beide nur lose Anhaltspunkte. Die Entstehung der Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. ist einerseits durch den Tod des Kaisers (1313), andererseits durch den Balduins (1353) begrenzt. Für den Karlsruher Heilsspiegel ist ein ungefährer terminus post gegeben. Soviel wir heute wissen '4, dürfte das Speculum humanae salvationis gegen 1324 in einen elsässischen Dominikanerkloster entstanden sein. Wahrscheinlich war sein Verfasser der Straßburger Dominikaner Ludolph von >4 Lutz-Perdrizet a . a . O . ; L. v. Winterfeld in Beiträge zur Geschichte Dortmunds 26 (1919) S. 96. 71

Sachsen. Sehr weit von diesem Termin wird man nicht wegzugehen brauchen Im Kostümlichen weisen Kopfbedeckungen und mancherlei anderes noch auf das erste Viertel des Jahrhunderts hin; ebenso lebt in den Faltungen der Mäntel noch manche Erinnerung an die Zeit um 1300. Anregungen eines älteren Vorbildes, dessen Stil man sich vielleicht in der Art des Kolmarer Philosophenbildes vorstellen darf, mögen nachwirken. Gegenüber der Lebendigkeit und dem Bewegungsreichtum des Heilsspiegels erscheint die Gleichförmigkeit und stille Verhaltenheit des freilich aus anderen Voraussetzungen erwachsenen, 1334 datierten Kasseler Willehalms als fortgeschrittener im Sinne des 14. Jahrhunderts; übertroffen aber wird dessen Art zweifelsohne noch von der Koblenzer Bilderhandschrift, in der jegliches individuelle Leben, jegliche Körperlichkeit und körperliche Bewegtheit zu Gunsten einer flächigen Linienzeichnung getilgt sind. Sicherlich ist die Karlsruher Handschrift die ältere, die Romfahrt die jüngere, von ihrer Art zehrende. Sie scheidet alle noch in den Bildern des Heilsspiegels erkennbaren älteren Erinnerungen aus und spricht die Sprache der Jahrhundertmitte. Der Heilsspiegel kann schwerlich früher als im vierten Jahrzehnt entstanden sein. Um 1340—50 mag die Romfahrt auf sie gefolgt sein. Vielleicht müssen aus diesem Kreise auch die Federzeichnungen in dem Erlösungs-Fragment der Berliner Staatsbibliothek (Ms. germ. 40 1412) abgeleitet werden. 3In der Stiftskirche Unserer Lieben Frauen zu Oberwesel steht ein großer 67—68. Reliquienflügelaltar *5, dessen Mittelteil und Flügelinnenseiten geschnitzte Figuren einnehmen. Auf den gemalten Außenseiten sind die Figuren ebenso wie die plastischen der Innenseiten in zwei Reihen übereinander in Arkadenstellungen angeordnet. Vor punziertem Goldgrunde stehen unten hl. Frauen, oben Apostel. Die ohne Rücksicht auf Faltung und Lage gemusterten und kaum modellierten Gewänder umhüllen wie feinliniges Filigrangespinst die Figuren, die aller Schwere und Körperlichkeit enthoben zu schweben scheinen. Zart, ätherisch, zeitlos sind die Figuren in den Arkaden aufgereiht, gleichgestimmt im Ausdruck, in lichten, blonden Farben gemalt. Den fünf Jungfrauen des Wallraf-Richartz-Museums verwandt haben sie doch nicht die straffe Diszipliniertheit kölnischer Figuren. Die Malereien am Oberweseler Hochaltar sind qualitativ schwächer, aber sie entstammen auch einem anderen Kunstkreis. Ihre Form ist stumpfer, weniger streng und weniger musikalisch; die Faltenlinien schwingen nicht so federnd wie in kölnischen Werken, die Konturen binden die Figuren unfreier ein. Aus kölnischer Kunst kann man die Malereien des Oberweseler Altars ebensowenig wie seine Skulpturen ableiten. Aber auch der Mittelrhein 'S Fischel, Mittelrheinische Plastik des 14. Jahrhunderts, 1923 S. 117; Külz, Die dekorative Architektur und Plastik des 14. Jh. in der Stiftskirche U. L. Frauen zu Oberwesel, Diss. Bonn 1928; Katalog ,,Alte Kunst am Mittelrhein", Darmstadt 1927 Nr. 42 u. 43.

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bietet nichts, was als Voraussetzung angesprochen werden könnte. Völlig vereinsamt scheinen sie zu sein. Vielleicht durften früher die Wandmalereien in der Prämonstratenserkirche zu Ilbenstadt 16 mit ihnen zusammen genannt werden, die die Marter der Zehntausend am Berge Ararat und Passionszenen: Kreuzigung, Frauen am Grabe, Christus in der Vorhölle, Himmel und Hölle zeigten. Leider sind diese bedeutsamen Malereien fast restlos zerstört; nur die guten Kopien des hessischen Denkmalarchivs erhalten sie noch der Nachwelt. Die Ilbenstadter Malereien vertraten dieselbe Stilstufe wie die Oberweseler, nur waren sie nicht so stockig-steif, war ihre Linienführung feinfühliger und bewegter. Was beide verbindet, macht ein Vergleich der Marien am Grabe mit den Oberweseler Frauen, des Christus aus der Magdalenenszene mit dem Petrus deutlich. Keinesfalls entstanden sie in einem immittelbaren Zusammenhang, vielmehr schöpften sie wohl nur aus verwandten Quellen. Das Thema der Marter der Zehntausend findet sich am Rhein sehr häufig dargestellt: in Köln das Diptychon im Wallraf-Richartz-Museum, am Niederrhein in Boppard, ziemlich häufig am Mittelrhein: in Dausenau (Unterlahnkreis), in Alsheim (Rheinhessen), in Lobenfeld (Kreis Heidelberg) :7. Die Ilbenstadter Malereien bieten keinerlei Hinweis auf einen Zusammenhang mit kölnischer Kunst. Vielmehr stehen hinter ihnen, irren wir nicht, wenn auch gewiß über viele Brücken vermittelt, oberrheinische Anregungen. Die Wandmalereien in Kenzingen, die breisgauischen Handschriften umschreiben vielleicht einen fernen Ausgangspunkt. Ebenso liegt es nahe, die Malereien des Oberweseler Hochaltars vom Oberrhein abzuleiten l 8 . Ein schlüssiger Nachweis will freilich nicht gelingen. Von dem um 1365 anzusetzenden Fassadenriß für das Glockengeschoß des Straßburger Münster ist kein Schluß nach rückwärts erlaubt, denn er ist höchstwahrscheinlich nicht bodenständig, sondern von Prag parlerisch bestimmt. Die hl. Katharina der Katharinenkapelle in Straßburg '9, die Figuren vom hl. Grab in Freiburg 20 stehen den mittelrheinischen Malereien in Oberwesel und Ilbenstadt zeitlich nahe und sind mit einigen Einschränkungen ihnen auch stilistisch verwandt; mehr als die Wegrichtung, aus der diese Malereien abzuleiten sein dürften, geben sie nicht an. Die Frage sei wenigstens gestellt: darf man ihre Wurzeln bei oberrheinischen Werken wie der Kreuzigung in cod. St. Peter perg. 46 und den jüngeren Psalterillustrationen in cod. Lichtenthai perg. 26 sehen? Unmöglich wäre solch ein Ausgangspunkt für die beiden mittelrheinischen Werke nicht; ein Beweis läßt sich auch dann nicht erbringen, wenn man all die anderen am Oberrhein genannten Arbeiten berücksichtigt. Die Malereien des Oberweseler Hochaltars, der durch die in seinem Inneren 16 Dammann in Monatshefte f. Kunstwissenschaft VII (1914) S. 132 mit Abb.; Clemen a. a. O. S. 48, 1 1 7 u. ö.; Stuttmann a . a . O . "7 Abb. Clemen S. 1 1 6 — 1 1 8 . So Fischel, Külz. Dagegen Beenken, Bildhauer des 14. Jahrh. am Rhein und in Schwaben, 1927 S. I24ff. •9 Schmitt, Gotische Skulpturen des StraBburger Münsters, 1924 Taf. 197. J ° Schmitt, Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters, 1926 Taf. 2 1 1 ff.

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gefundene Urkunde für 1331, das Weihedatum des Chores, gesichert zu sein scheint, bleiben weiterhin einsam. Weiterhin müssen sodann vom Oberrhein noch die Wandmalereien in St. Florin in Koblenz 21 und in der Pfarrkirche zu Mühlheim am Eis (Pfalz) 22 abgeleitet werden. Sie enthalten alle für die breisgauischen Malereien aufgewiesenen Stilformen, die gewisse Breite und Schwere, die kurvigen Faltenbahnen. Aber man darf nicht verkennen, daß sich in diesen Werken doch auch etwas Selbständiges schon ausgebildet hat. Man würde ungerecht gegen sie sein, wollte man sie und auch die Malereien in Ilbenstadt und Oberwesel nur als Ableger des Oberrheins betrachten. Freilich eine Bestimmung will nur schwer gelingen. Allenthalben wird deutlich daß es wie in Köln oder am Bodensee eine Schule am Mittelrhein nicht gegeben hat. Nie kann ein unmittelbarer werkstättlicher Zusammenhang erwiesen werden. Aber dann setzen sie sich doch von der schwereren und massigeren oberrheinischen Art gleichartig ab. Und andererseits haben sie nichts mit der vornehm-kultivierten Art kölnischer Werke gemein. Weniger erdgebunden als die oberrheinischen Werke sind sie diesen gegenüber Köln doch durch einen weltlicheren Ausdruck verwandt. Diese gewisse „Lebensfreude" zeigen vor allem deutlich die Darstellungen aus der Legende der heiligen Agathe in St. Florin in Koblenz. Weniger deutlich spricht diese Haltung naturgemäß aus Malereien des zweiten Viertels. Aber auch die heiligen Frauen und Männer des Oberweseler Altars blicken noch mit einer naiven Lebensbejahung, die in Köln zur selben Zeit, etwa im Triptychon des Wallraf-Richartz-Museums völlig unbekannt ist. Der transzendentalen Stimmung dieses Werkes, der gottseligen Verklärung seiner Figuren begegnet man am Mittelrhein nicht. Auf Grund der noch räumlich tiefen Tütenfalten, der noch fülligen Körperlichkeit der Figuren müssen die Koblenzer Malereien früh angesetzt werden. Man darf sie unbedingt auf das Weihedatum des Altars, 1300, beziehen. Über dessen Mensa stellen sie in drei Streifen geordnet die Legende der hl. Agathe (oder Barbara) dar. Der Inhalt ist nicht eindeutig zu bestimmen, da der unterste Streifen zerstört ist. Dagegen sind die beiden oberen gut erhalten und nicht übermalt. Das gibt dem Werke eine besondere Bedeutung. Die Zeichnung ist locker und temperamentvoll, die Gruppierung reich bewegt. Streng überlegt und kühl erscheinen daneben kölnische Malereien, etwa die in St. Cäcilien. Die Malereien in Mühlheim am Eis, Geburt Christi, Anbetung der Könige, Darstellung im Tempel, Christus als Gärtner, Szenen aus der Barbaralegende, heilige Jungfrauen, Apostel, vertreten eine spätere Stilstufe. Die Formen sind flächiger, die Linien laufen einfacher, geradliniger, sie sind straffer geführt und binden sich enger aneinander. Sie mögen in einem Abstand von etwa zwanzig Jahren auf die Koblenzer gefolgt sein. 1318 ist uns ein Kirchenneubau überliefert. Clemen weist auf Kenzingen und " Clemen a. a. O. S. 143 mit Abb. " Weber in Pfälzisches Museum 1925 S. 1 1 3 ; Der Wormsgau, I 1926 S. 9; Clemen a. a. O. S. 30 u. ö.

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Koblenz hin und umreißt damit den historischen Ort der Arbeit völlig in unserem Sinne: mit Koblenz und Ilbenstadt, zwischen denen sie stehen, bilden sie eine Gruppe, die sich vom Oberrhein herleitet. Gleichfalls den Stil der Jahrhundertmitte vertritt die verhältnismäßig gut erhaltene Passionsfolge in der Burgkapelle zu Hirschhorn 23, die durch die Baugeschichte mit Sicherheit in die Jahre um 1350 gesetzt werden darf. In zwei Reihen ist die Leidensgeschichte Christi vom Einzug in Jerusalem und Abendmahl bis zur Auferstehung erzählt. Die Bilder sind kompositioneil in sich geschlossener und selbständiger als es bei den meisten Wandmalereien dieser Zeit der Fall ist. Noch sind die Szenen in fortlaufenden Streifen angeordnet, aber die trennenden Leisten sind breit und betont, und nie greift eine Darstellung über diese Grenzen. Graf Vitzthum J4 glaubt Spuren eines unmittelbaren Einflusses Pariser Kunst in diesen Malereien sehen zu dürfen. Stuttmann weist auf den Kreis um Honoré hin, dagegen Damann 1 5 auf oberrheinische Werke, auf Landschlacht, die Kreuzigung im Inselhotel, den Reichenauer Markusschrein, Oberstammheim, mit welchen die Hirschhorner Malereien in der Tat viele Züge gemeinsam haben. Und daneben ist für sie wohl derselbe belgische Handschriftenkreis wichtig geworden, der auch die Form des Karlsruher Heilsspiegels mitbestimmt hat. Der Erhaltungszustand der Hirschhorner Malereien — die Binnenzeichnung der Gesichter und Gewänder ist fast völlig ausgefallen — erlaubt kein abschließendes Urteil ; aber der Erzählungsstil, SO viel läßt sich noch sagen, die lebhaften Bewegungen, die landschaftlichen Andeutungen sind der Karlsruher Handschrift nahe verwandt. Ob die beiden Arbeiten durch einen unmittelbaren, schulmäßigen Zusammenhang verbunden waren, muß dahingestellt bleiben. Daß sie von gleichen oder verwandten Voraussetzungen ausgingen, ist wahrscheinlich. Nichts mit den bisher behandelten Malereien haben die Wandmalereien in der Dorfkirche zu Frau Rombach 26 bei Schlitz in Oberhessen gemeinsam. Sie erzählen die Herakliusgeschichte nach dem Gedichte Meister Ottos, der wahrscheinlich in Oberhessen beheimatet war. Die schmalen, hochgewachsenen Gestalten mit den kleinen, ovalen Köpfen erinnern an die Malereien in St. Cäcilien; vielleicht knüpfen sie aber an eine noch ältere Stufe rheinischer Malerei an. Die Datierungen Damanns — um 1350 — und Kautzschs — um 1330—40 — sind sicher zu spät gegriffen. Da sind, um nur eines zu betonen, die schweren, auf den Boden niedersackenden, reichgefalteten Gewänder nicht mehr möglich. Vielmehr scheint in diesen noch eine letzte Erinnerung an jene späteste Stufe rheinischer Romanik zu stecken, die die jüngeren Federzeichnungen im Codex Aureus Epter*3 Dammann a. a. O. S. 142; Stuttmann a. a. O.; Clemen a. a. O. S. 48. A. a. O. S. 219 1 ). >5 A. a. O. S. 144. 16 Kautzsch in Festschrift für Friedrich Schneider, Studien aus Kunst und Geschichte, 1906 S. 509; derselbe in den Kunstwissenschaftlichen Beiträgen für A. Schmarsow, 1907 S. 92; Dammann a. a. O. S. 140; Clemen a . a. O. S. 34; Walbe in Jahresberichte der Denkmalspflege I S. 116.

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nacensis, Gotha cod. membr. i, 71 2 7, vertreten. Schon sind die Falten runder und weicher, noch ist aber ein Anklang an die vielfach ausgezackten Konturen und gebrochenen Faltenläufe, wie sie jene Zeichnungen zeigen, deutlich vorhanden. Die Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert. Nicht allzu lange nach ihrer Erbauungszeit, gegen oder um 1300, mag der Frau Rombacher Bilderzyklus entstanden sein. Er ist die mittelrheinische Parallele zu den Malereien in St. Cäcilien. Die Schlankheit seiner Figuren ist nicht die abstrakte des mittleren 14. Jahrhunderts, sondern jene bewegtere, noch vom Körper aus entwickelte der Jahre um 1300. Die Frau Rombacher Malereien dürften das älteste, in diesem Kapitel behandelte mittelrheinische Werk sein, weniger als die späteren Werke von fremden Einflüssen und Anregungen bestimmt, getragen wesentlich von örtlichen Voraussetzungen, wie sie der in seinen jüngeren Teilen wohl auch am Mittelrhein beheimatete Codex Aureus Epternacensis aufweist. Auf sie folgen, um noch einmal knapp zusammenzufassen, am Anfang des 14. Jahrhunderts Koblenz und Mühlheim. In ihnen wird die Wirkimg einer oberrheinischen Welle deutlich, die sich weiterhin auch in den im zweiten Viertel entstandenen Werken in Oberwesel und Ilbenstadt bemerkbar macht. Kölnische Art schlägt dagegen in dem Schmuck der Balduinschen Urkundensammlungen und seines Breviers durch und vielleicht auch in den stark erneuerten Wandmalereien in Bornheim (Oberhessen), die vier unter Wimpergen stehende Apostel zeigen 2 8. Westliche Anregungen endlich sind eingegangen in den Bilderzyklus der Romfahrt Kaiser Heinrichs VII., den Karlsruher Heilsspiegel und wahrscheinlich auch die Hirschhörner Wandmalereien. Verschiedene Einflußströme befruchten die mittelrheinische Malerei und, wenn sich ihre Werke am Ende auch gegen kölnische und oberrheinische absetzen, ihre Art bleibt doch schillernd, schwer zu fassen. Vielleicht trifft man den Kern so am sichersten, wenn man sagt, daß der Mittelrhein die Mitte zwischen kölnischer und oberrheinischer Art wahrt. Er ist irdischer als Köln, aber nicht so schwer und erdgebunden wie der Oberrhein. Er nähert sich der Feinheit kölnischer Formensprache, die aber nie so geschliffen und gesetzlich wie da ist. Seine Menschen blicken offener, die künstlerische Gestaltung ist weniger bewußt. »7 Abb. Clemen a. a. 0 . S. 12. 18 Völlig übermalt sind Wandmalereien in Alsheim (Geburt, Anbetung der Könige, Marter der Zehntausend am Ararat), in Gau-Odernheim (Passionszyklus) und in der Deutschordenskirche in Frankfurt-Sachsenhausen. Sie erlauben keinerlei kunstgeschichtliches Urteil m e h r ; nur um der Vollständigkeit willen seien sie hier genannt. Ihr Inhalt ist beschrieben in der Dissertation Ferd. Stuttmanns Frankfurt 1922.

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VI.

Reffen

Eine Betrachtung für sich, neben dem mittelrheinischen Kreis, fordert die Landgrafschaft Hessen, das Gebiet um Marburg und Fritzlar Es bildet in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine fest umgrenzbare Einheit, wenn auch, wie nur natürlich, nach Süden wie Westen und Norden allerlei Fäden führen. Marburg und Fritzlar, waren seine beiden künstlerischen Mittelpunkte. Der Landgrafenhof muß eine künstlerisch sehr bedeutsame Rolle gespielt haben. Wie hohe Ansprüche er stellte, bezeugen die Grabmäler der Landgrafen in der Elisabethkirche und bestätigt die eine sicher mit ihm zu verknüpfende Malerei, der 1334 für Landgraf Heinrich II. geschriebene und illustrierte Willehalm. Daneben war dann das kirchliche Fritzlar wohl nicht minder wichtig. Und zwischen beiden Städten bestand offensichtlich ein reger Austausch der künstlerischen Kräfte. 1. Das Denkmal, von dem auszugehen ist, befindet sich in der Elisabethkirche in Marburg. Es sind die Malereien am Steinaufbau des Hochaltars, der 1290 geweiht wurde. In den Arkaden der Rückwand sind zwei sitzende Prophetenpaare, auf der linken Seitenwand des Retabels ist die Verkündigung, auf der rechten die Heimsuchung dargestellt. Am besten erhalten ist die Verkündigung. Wenn auch nicht unverletzt zeigt sie den ursprünglichen Formbestand noch recht gut. Die Figuren sind hochgewachsen. Ihre gerade Haltung — leicht nach rückwärts gebogen — wie der Lauf der Konturen und Falten betonen gleichartig die Senkrechte. Dieser ordnen sich alle Teile unter. Straff und streng, mit einer fast architektonisch zu nennenden Gesinnung sind die Figuren gestaltet. Zu der naiven, erdenschweren Sinnenhaftigkeit des plastischen Schmuckes der Vorderseite stehen sie in schroffem Gegensatz. Man möchte glauben, daß sie in einer späteren Zeit, im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts entstanden seien. Doch das weiche, noch völlig vom Körper aus entwickelte Schwingen und die von ihrer Körperbewegung aus vorbereitete Gebärde der Arme sind noch so sehr vom Geiste des 13. Jahrhunderts erfüllt, daß man das Weihedatum des Hochaltars auch auf sie beziehen muß. Sie stehen auf der Stilstufe der Malereien in St. Cäcilien in Köln. Abzuleiten sind sie von da aber gewiß nicht. Vielmehr möchte die Zeichnung der Gesichter mit den lebhaft blickenden halbmandelförmigen Augen und der hochgeschwungenen Brauenlinie eher auf den Oberrhein weisen. Mit dem Kreis der Marburger Hochaltarplastik und der Freiburger Verkündigungsgruppe verbinden sie nur allgemeinste Züge Ihr Figurenideal ist völlig verschieden. Zeichnet jene Skulpturen eine ausladend-lastende Fülle aus, so erstreben die Malereien einen schlanken und straffen Aufbau und nähern sich damit mehr dem jüngeren von Straßburger Art beeindruckten Frei1 Heinrichs, Hessische und Westfälische Malerei des 14. Jahrhunderts, Göttinger Dissertation in Vorbereitung; Religiöse Kunst aus Hessen und Nassau, 1 9 3 2 . 1 Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts S. 42ff.

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burger Vorhallenskulpturen und der Straßburger Westportalplastik selbst. Wie diese oberrheinischen Zusammenhänge im besonderen zu denken sind, bleibt dunkel — ebenso wie die offensichtlicheren, die die Hochaltarskulpturen mit den Freiburger Verkündigungsfiguren verknüpfen. Keinesfalls aber lassen sich die Malereien nur als Erfolge fremder, oberrheinischer Einflüsse verstehen. Es muß in Hessen schon eine ältere Tradition bestanden haben, anders ist die enge äußere und innere Verbundenheit mit anderen Werken in Fritzlar und Marburg nicht zu verstehen. Vorausgegangen sind die Reste alter Wandmalereien in der Fraumünsterkirche von Fritzlar 3. Erhalten sind noch eine unter einem Wimpergbaldachin thronende Maria, der sich von links die drei Könige anbetend nähern, während rechts von ihr unter einer Arkade die hl. Katharina steht, deren Kopf und Oberkörper zerstört sind, weiterhin eine Kreuzigung, in der die Maria größtenteils verwischt ist, und eine Maiestasdarstellung, die links ein fast völlig zerstörter Engel mit den Leidenswerkzeugen, rechts der Engel des Jüngsten Gerichtes mit der Posaune begleiten. Das mit kreuzförmig angeordneten Kreisscheiben an den Balkenenden noch romanisch dekorierte Kreuz, die Zeichnung des Thorax, die abstehenden Falten weisen gleicherweise in das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts. Und schon zeichnet die Figuren eine strackaufrechte Haltung, bei Maria und dem Kinde besonders deutlich, perückenartiges Haar mit einem Lockenkranz an Stirn und Ohren, ein ernster Gesichtsausdruck, aus. Unmittelbar nahe steht sodann den Malereien am Marburger Hochaltar 77. der großartige Christopherus in der Marburger Schloßkapelle. Das Weihedatum der Kapelle 1288 dürfte für den Christopherus ungefähr zutreffen. Vollkommen frontal, vollkommen auf die Senkrechte ausgerichtet ist er ebenso knapp und straff wie die Figuren am Hochaltar gestaltet. Vielleicht erinnert die rein symmetrische Zeichnung seines Kopfes noch an Romanisches, die Zeichnung des Gesichtes des Christuskindes entspricht jenen Figuren vollkommen. Die Falten treten noch etwas stärker plastisch heraus: der Christopherus scheint das verbindende Glied in der Reihe zwischen den Malereien in der Fraumünsterkirche und in der Elisabethkirche zu sein. Und über diese hinaus geht die Reihe weiter in den Malereien eines Steinretabels im Dommuseum zu Fritzlar, von dem sich zwei Bruchstücke mit den Darstellungen der Verkündigung, Geburt, Kreuzigung und Himmelfahrt erhalten haben. Der kräftig vorspringende Rahmen ist mit geometrischen, noch romanischen Rauten- und Kreismuster geschmückt. Die Szenen sind von dünngliedrigen Arkaden gefaßt, in deren Zwickeln vor einem Mauerkranz Prophetenhalbfiguren eingefügt sind — auch diese noch im Anschluß an Gewohnheiten romanischer Malerei. In Hessen muß auch im 13. Jahrhundert Malerei gepflegt worden sein und eine Schultradition bestanden haben. Das Retabel in Wetter bleibt freilich vorerst noch einsam; erst gegen 1300 wird die Schule für uns greifbar. » Über sie bereitete Harald Keller eine ausführliche Untersuchung vor, die leider noch nicht im Druck erschienen ist.

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bedingt? Die Frage muß gestellt werden, auch wenn eine Antwort nicht gefunden werden kann. Vielleicht muß man hier erstmals in der hessischen Malerei auf die englische Kunst als einen möglichen Anreger hinweisen. Die Leichtigkeit der Linienführung in den Gewändern, das lebhafte psychische Leben der Figuren, der vielteilige Turmaufbau könnten an den Queen Mary-Psalter denken lassen. Es wäre wohl möglich, daß gewisse Anregungen von solcher Seite dem Werke gekommen sind. Die Grundlagen aber, das ist unbezweifelbar, bot die hessische Malerei. Das lehrt ein Vergleich mit den älteren Malereien in der Fraumünsterkirche einerseits, die Krönung Mariens im Arundelpsalter andererseits. Köln, etwa die älteren Malereien in St. Andreas, können nicht Vermittler gewesen sein. Die lebhaften, oft hastigen Gebärden, die manchmal fast spielerische Leichtigkeit der Faltenzeichnung kennen seine von englischer Seite berührten Werke nicht. Auch der Turmbau mit den kleinen Holzerkern ist völlig unkölnisch. Vielleicht gehören in diesen Zusammenhang auch die Reste von Wandmalereien im Dom zu Wetzlar 5, Bruchstücke eines Jüngsten Gerichtes, eine Verkündigungsmaria, Lukas und Engel. Alles völlig erneuert; nur im Zustand der Aufdeckung gemachte Photographien und etwas nazarenisch geratene Kopien bieten einigen Anhalt zur Beurteilung. Und danach möchte man glauben, daß sie auch in den Kreis dieser hessischen Wandmalereien einzufügen sind. Zum Steinretabel lassen sich allerlei Beziehungen nachweisen, näher mögen sie aber noch zu dem Marienbilde gewesen sein. Täuschen wir uns nicht, so eignete ihnen ein ähnlicher Reichtum an Formen und Bewegungen. Die üppige plastische Fülle ihrer Falten scheint darauf hinzuweisen, daß sie näher der Jahrhundertwende entstanden sind. Die Deesis ist sodann knapper und hartkantiger. Weist das auf eine noch ältere Entstehung hin, darf man in ihr vielleicht ein Verbindungsglied zu den Fraumünsterer Maria und Christus sehen, eine genaue Bestimmung will nicht mehr gelingen? Ob endlich ganz an das Ende dieser Reihe die Anbetung der Könige in zwei Blendbögen des südlichen Querschiffes und das Antependium mit einer von drei Heiligen eingefaßten, zerstörten Kreuzigung im nördlichen Querschiff gehören, auch diese Frage muß offen bleiben. Spätere Übermalungen haben den ursprünglichen Bestand verwischt.

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2. Es ist gewiß ein großer Schritt, der zum nächsten Werke, einem gemalten Retabel führt, und doch wird man allenthalben gemeinsames erkennen können. Durch vielfache Zusammenhänge ist es mit den besprochenen Wandmalereien verbunden. Ein hessischer Dialekt wird erkennbar, wenn man von der Verkündigung des Marburger Hochaltars zu der Maria in der Grabesszene des Hofgeismarer Retabels blickt. Die Entdeckung dieser Tafel gehört zu den bedeutendsten Bereicherungen, 5 Gemen a. a. O. S. 129.

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die die altdeutsche Malerei in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Die Größe der Formgestaltung, die Tiefe der Gesinnung geben ihr einen Platz in der Reihe der größten Leistungen deutschen künstlerischen Schaffens in gotischer Zeit. Durch sie gewinnt die hessische Malerei der ersten Hälfte des 14. Jahrunderts eine bisher nicht geahnte Bedeutung. Denn daß sie hessisch in den entscheidenden Quellen ihres Ursprunges ist, kann nicht bezweifelt werden. Hier und nur hier hat sie ihre nächsten Verwandten, sind ihre Voraussetzungen zu finden. In einem modernen Rahmen sind vier Passionsszenen, ölberg, Gefangennahme, Auferstehung, Maria am Grabe, unter zierlichen Spitzbogenarkaden zusammengefaßt, in deren Zwickeln Engelhalbfigürchen eingefügt sind. Es fehlt die Kreuzigung. Eine Fuge in der Mitte der Tafel und die merkwürdig sich voneinander abwendenden Engel im mittleren Zwickel weisen vielleicht darauf hin, daß hier ursprünglich noch ein Feld vorhanden war 7. Streng und herb ist die Gesinnung dieser Tafel. Die hochaufgewachsenen, säulenhaften Figuren sind in knappe und hartgefaltete Gewänder gekleidet. Die Formensprache hat etwas Metallisches, so hart und unerschütterlich sind die einzelnen Gestaltungen. Faltungen sehen oft wie gebogenes Blech aus. Wie Stahlspäne sind die großen welligen Haarlocken. Betont ist jeder Kontur. Runde Kurven finden sich nur bei wenigen vor dem Leibe schwingenden Falten, sonst ist die Gerade als die knappeste Grenzform bevorzugt; undulierende Linienbewegungen nirgends. Der Maler der Hofgeismarer Tafel denkt vorzüglich konstruktiv. Ein kleines Beispiel ist die vollkommen symmetrische Anordnung und Lockung der Haare. In den einzelnen Kompositionen betont er die Mitte, und wenn sich in einer Darstellung nur zwei Figuren gegenüber befinden — Maria und der Engel in der letzten Szene —, so hebt er sie durch ein vollkommen gerade emporgeführtes Spruchband als Achse heraus. In der Auferstehung fügen sich die gleichartig zu Seiten Christi stehenden Engel wie die drei in die horizontale Zone des Sarkophages eingebundenen Wächter diesem Gesetze, in dem ölbergbilde beugen sich ihm selbst die beiden Bäume. Einem geheimen Achsensystem scheinen alle Teile, ob Figur oder Baum oder Sarkophag — ganz gleich, unerschütterlich eingebunden. Schräge Bewegungen kommen sehr selten vor, und fast stets werden sie durch entgegengerichtete in der anderen Bildhälfte aufgehoben. Zeitlose Verhaltenheit erfüllt die Bilder. Bei dem Petrus der Gefangennahme, der wohl am heftigsten bewegten Figur des Retabels, hat man den Eindruck, als ob er in einer momentanen Gebärde zu ewiger Ruhe erstarrt sei. Dabei vermag der Maler auch sehr intim und stillebenmäßig zu schildern, das lehren die drei Grabes Wächter. Doch ist auch da eine gewisse, Abstand nehmende Kühle nicht zu verkennen. Genrehaftes gibt es wohl, aber nie 6

Religiöse Kunst aus Hessen-Nassau, Marburg 1932, S. 105 ff. Taf. 1 7 3 — 1 8 4 . Clemen a. a. O. S. 44. ' Die Teile, mit denen die Engel über die Fuge herübergreifen, scheinen von neueren Übermalungen zu stammen.

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berührt es die monumentale Größe seiner Bildgestaltung. Auf eine ernste Strenge ist alles, nicht zuletzt auch die wunderbar leuchtende und höchst differenzierte Farbe abgestellt. Streng und herb ist auch der Ausdruck der Figuren. Ein kölnischen Tafeln völlig fremdes Ethos erfüllt das Hofgeismarer Retabel. Das den Bildgestaltungen überstellte Gesetz wird in seiner Härte deutlicher — vielleicht weil es schon nicht mehr so naturnotwendige Selbstverständlichkeit ist wie im westlichen Köln —, und auch die Menschen sind herber. Unlyrisch ist diese Kunst, und ihren Menschen fehlt der Charme kölnischer. Sie lächeln nicht, sie träumen nicht. Wenn sie Gefühle äußern, und sie tun es in hohem Maße, so sind es Qual, Schmerz und tiefste Melancholie. Aber nie schäumen sie über, stets sind sie gehalten von einer strengen Würde, auf der ihre Größe beruht. Die Augenbrauen sind emporgezogen, der Mund ist verkrampft, die Augen blicken düster, die Arme greifen heftig aus, nie wird die Ruhe und Gesetzlichkeit ihrer statuarischen Erscheinung erschüttert. Der Schöpfer der Hofgeismarer Tafel gehört zu den Großen altdeutscher Malerei. Er übernimmt die strake, aufrecht-feste Formgestaltung der Marburger Werke, des Christopherus und der Hochaltarmalereien. Die Fritzlarer Arbeiten sind weicher, zarter und musikalischer. Man möchte ihn auch noch in die zeitliche Nähe der Marburger Werke stellen. Seine Figuren haben noch die statuarische Festigkeit des 13. Jahrhunderts, sie sind noch körperlich rund, einzelne Tütenfalten treten noch prall vor den Leib. Spätestens im zweiten Jahrzehnt ist die Tafel entstanden. Das Fritzlarer Steinretabel ist fortschrittlicher, es hat viel mehr Körperlichkeit und Gewicht gelöscht. In ihm schwingen die Formen in einer neuen, weniger großen, zarteren Weise. Es ist Ausdruck einer gefühlvolleren Zeit. Im Hofgeismarer Retabel hingegen ist noch die Monumentalität kathedraler Plastik. Sein Meister hat es als bejahrter Mann gemalt — oder war er ein Spätgeborener? Sicherlich stand er der veränderten Zeit nicht teilnahmslos gegenüber, ja er ließ sich von Neuem und Fremdem anregen. Es spricht viel dafür, daß er mit englischen Werken von der Art des Arundelpsalters in Verbindung gekommen ist. Würde man nicht die Marburger Verkündigung als eine nahe Verwandte und wohl auch Voraussetzung kennen, so würde man die aufrechte, leicht zurückgebeugte Haltung der Figuren, die starre Faltung der Gewänder, den ernsten, schmerzlichen Gesichtsausdruck von da herzuleiten geneigt sein. Aber es macht bedenklich, daß man bei den Grabeswächtern an ein so anders geartetes Werk wie den Queen Mary-Psalter denken möchte. Vor allem aber warnen die Marburger Malereien. Denn in ihnen ist das Grundsätzliche schon da zu einer Zeit und in einer Weise, die englische Beeinflussung ziemlich vollkommen ausschließen. Einzelne Ausdrucksmotive mag der Maler der Hofgeismarer Tafel angenommen haben, die Größe seiner Formensprache, ihr besonderer Stil ist sicherlich nicht so zu erklären. Diese Monumentalität steht im zweiten und dritten Jahrzehnt in Deutschland nicht vereinzelt. Die Kölner Chorschranken, die unter völlig anderen 82

Bedingungen entstandenen Klosterneuberger Tafeln, das Passionale der Kunigunde in Prag zeigen ein verwandtes Streben. Einen Hinweis, daB die Werkstatt, der das Hofgeismarer Retabel entstammt, wohl in Fritzlar ansässig war, bietet das Kanonbild eines Missales, das aus dem Petersstift in Fritzlar stammt und heute in der Kasseler Landesbibliothek (Ms. theol. fol. 162) aufbewahrt wird. Neben dem Kreuze sind außer Maria und Johannes auch Ecclesia und Synagoge, in den Ecken der Bildfläche sind Medaillons mit Prophetenhalbfiguren, am Kreuzeshügel ist die Löwin mit ihren Jungen, über dem Kreuze ist der Pelikan dargestellt. Das Kolorit ist ähnlich kräftig und leuchtend, die Formung der Figuren ist straff, der Faltenstil knapp. Man wird mit dem Bilde, da die Figuren körperloser, der Faltenstil raumloser geworden sind, etwas näher an die Jahrhundertmitte herangehen müssen, aber es wäre völlig verfehlt, es etwa um 1360 an den Übergang zu einer neuen körperlichen Formgestaltung zu setzen. Wie von der Hofgeismarer und Marburger Tradition zehrende Werke zu diesem Zeitpunkte aussehen, kann eine Kopie lehren, ein Kanonbild in einem ebenfalls aus Fritzlar stammenden Missale (Kassel Ms. theol. fol. 118).

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3Eine dem Hofgeismarer Retabel verwandte monumentale Sprache sprechen die beiden Apokalypsen in Weimar (Landesbibliothek fol. maz. 4) 8 82 Und Nürnberg (Kupferstichkabinett des Germanischen Nationalmuseums) 9. Das auffallende Folioformat ihrer Pergamentblätter füllen ganz wenige mit der Feder gezeichnete und leicht lavierte Figuren. Und sie füllen nicht nur die Fläche, sondern beherrschen sie dank der Gehaltenheit und knappen Straffheit ihres Formaufbaues auch. Es sind schlanke, aufrechte Figuren mit eindrucksvollen, großen Bewegungen, Figuren, in denen sich Ausdruckskraft und verhaltene Ruhe merkwürdig verbinden. Ihre groß ausgreifenden Gebärden überspannen weite Räume. Aber nie wirken sie heftig. Wie in Hofgeismar bevorzugt der Zeichner gerade Linien. Weiche, kurvige Falten finden sich nur selten, und stets ordnen sie sich der schlichten knappen Konturführung unter. Völlig deckt sich die Art dieser Apokalypsenillustrationen freilich nicht mit der des Hofgeismarer Retabels. Ihre Gestaltungen sind nicht ganz so gesetzlich streng und folgerichtig. Sie haben nicht die herbe Größe Hofgeismarscher Kompositionen, nicht deren unbedingte Endgültigkeit. Es zeigt sich, daß sie der Erfolg eines anderen Arbeitsbetriebes sind, in dem die Bindung stärker. Und sie sind mehr erfüllt von dem zarten Sentiment ihres Jahrhunderts. In den Gesichtern der Figuren lebt nicht der schmerzvolle Ernst, sie sind runder und voller und kindlicher im Ausdruck. Dennoch etwas von der monumentalen Gesinnung des Hofgeismarer Retabels ist auch in ihnen, und ebensoviel, 8 v. d. Gabelentz, Die Biblia Pauperum und Apokalypse der Großherzogl. Bibliothek zu Weimar, 1912. Cornell, Biblia Pauperum, 1925 S. 99 u. ö. 1 Collectio Weigeliana, 1865 Nr. 252, W. II; NieBen, Apokalypsis, Zehn lithographisch vervielfältigte Federzeichnungen, 1886.

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daß man, wenn nicht eine Werkstatt-, so doch eine Schulgemeinschaft annehmen muß. Sie wuchsen auf gleichem Boden, verwandte Haltung und Ziele bestimmten ihre Art, und sie entstanden gewiß auch nicht ohne eine unmittelbare Beziehung. Daß zum mindesten die Weimarer Handschrift — und die Nürnberger ist von ihr nicht zu trennen — in der Nähe des Hofgeismarer Retabels entstanden sein muß, bestätigt der zweisprachige Text der mit ihrer Apokalypse verbundenen Armenbibel. Der Dialekt ihres deutschen Textes ist westmitteldeutsch, hessisch. In die Weimarer Bibliothek kam sie aus dem Peterskloster bei Erfurt, die Herkunft der Nürnberger Blätter ist über die Sammlung Weigel nicht verfolgbar. Die Vermutung v. d. Gabelentz', die Illustrationen der Weimarer Handschrift seien südostdeutschen Ursprungs, ist nicht zu halten. Die Bilder ihrer Armenbibel verbinden, wie nach Lage der Dinge nur selbstverständlich, allerdings mancherlei ikonographische und motivische Ubereinstimmungen mit bayrischen Arbeiten, ihre stilistische Haltung ist grundsätzlich anders. Auch die Figuren der Weimarer Biblia Pauperum, nicht nur die der beiden Apokalypsen, sind schlanker und straffer. Die durch die verschiedenen Vorbilder bedingten Unterschiede werden überbrückt durch eine allen Darstellungen gemeinsame große, architektonisch zu nennende Gestaltungsweise, die sich um strenge Linienführung und großformige Komposition bemüht. Weimarer und Nürnberger Apokalypse müssen in einer Werkstatt entstanden sein. Das historische Verhältnis, in dem sie stehen und entstanden, ist nicht zu bestimmen. Bald ist die eine reicher und feiner, bald die andere, wenn wohl auch die Nürnberger Blätter im ganzen die besseren sind. In der Weimarer scheint manches Motiv nicht richtig verstanden zu sein, und sie ist auch um einen kleinen Grad zeichnerischer, in der Nürnberger dagegen leben in einzelnen verhältnismäßig räumlichen Tütenfalten und überhaupt in der Neigung zu stärkerer Modellierung noch Erinnerungen an das 13. Jahrhundert weiter. Die Nürnberger dürfte die ältere, die Weimarer die jüngere Arbeit sein. Dennoch sind sie wohl mehr neben-, denn nacheinander entstanden, etwa gleichzeitige Arbeiten nach einer gemeinsamen Vorlage. In ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis kann man sie keinesfalls bringen. Um 1330 bis 1340 dürfen sie angesetzt werden. Von einer dritten Arbeit dieser Werkstatt besitzt Dr. Kurzwelly ein Fragment I0 . Und ähnlich schwer ist ihr Zusammenhang mit westlichen, englischen Apokalypsehandschriften zu umreißen. Der in Weimar und Nürnberg vorliegende Typus, in dem die Miniaturen den Hauptinhalt ausmachen und der Text nur eine nebenhin in oder unter das Bild geschriebene Erläuterung ist, dieser Typus ist im 13. Jahrhundert in England, dem klassischen Lande der Apokalypseillustration, geschaffen worden 1 1 . Man wird ganz sicher gehen, wenn man Zusammenhänge annimmt. Und in Einzelheiten geben sie sich auch zu erkennen, so in der Darstellung der 10 11

Zeitschrift f. bild. Kunst X X (1909) S. 22. Cornell a. a. O. S. 90. Saunders, Englische Buchmalerei, 1927 S. 94. Dort weitere Literatur.

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vierundzwanzig Alten. Aber sehr tief können Anregungen von dieser Seite allerdings nicht gegangen sein. In englischen Handschriften wird die Apokalypse mit 60—90 Bildern illustriert, hier nur mit zweiundzwanzig. In England sind die Darstellungen gerahmt und in mehreren Reihen übereinander angeordnet, hier stehen wenige, große Figuren ungerahmt vor der Bildfläche. Nur sehr mittelbar zehren die beiden deutschen Handschriften von vom Westen gekommenen Anregungen. Ihr Stil ist in der hessischen Malerei begründet, ihre Anlage wahrscheinlich in älteren heimischen Vorlagen. Sie waren gewiß nicht die ersten Apokalypseillustrationen dieser hessischen Werkstatt. Eine ältere Arbeit dieser Werkstatt dürfen wir wahrscheinlich in einer Apokalypse der Hamburger Staatsbibliothek (in scrinio 87) erkennen. 85. In ihr sind noch nach westlichem Muster zwei oder drei Szenen auf einer Bildseite übereinander angeordnet, und jede Szene ist gerahmt. Nur der Evangelist füllt schon die ganze Seite: ohne Rahmenfassung steht er mit dem Buche in der vom Mantel verhüllten Rechten vor der Fläche. Das Buchformat ist noch das kleinere im Westen gebräuchliche. Man wird der Annahme, daß ein näherer Zusammenhang mit englischen Handschriften bei dieser Apokalypse noch gegeben ist, kaum ausweichen können. Wie weit er auch in der Ikonographie gegeben ist, muß eine spezielle Untersuchung erweisen. Der Stil aber ist schon völlig deutsch. Wenn irgendwo in Malereien Erinnerungen an die Skulpturen des Marburger Hochaltars wachgerufen werden, so hier beim Anblick des stehenden Apokalyptikers. Die schweren, ungelenk knickenden Falten, die geschlossene Massigkeit der Formgestaltung, das breite Verwachsensein der Figur mit der Standfläche, die runde kugelige Kopfform mit dem vollen Haarkranz, all das ist jenen Statuen aufs engste verwandt. Man könnte auch vermuten, daß die Handschrift am Oberrhein entstanden wäre. In der oberrheinischen Malerei kann nichts Verwandtes nachgewiesen werden, und die den Marburger Statuen nahestehende Verkündigungsgruppe der Freiburger Vorhalle entfernt sich deutlich von der starren Wucht dieser Apokalypseillustrationen. Vielmehr bezeugt dieser Vergleich die enge Verbundenheit mit den Skulpturen des Hochaltars. In deren örtlicher und zeitlicher Nähe muß die Hamburger Handschrift, wohl noch am Ende des 13. Jahrhunderts, entstanden sein: die Grundlage für die Weimarer und Nürnberger Bilder, die für sie notwendige, entscheidende Auseinandersetzung mit westlichen Arbeiten. Ohne ihren Vorausgang ist die Art jener späteren nicht zu verstehen. Würden wir sie nicht besitzen, müßten wir sie vermuten. An das Ende dieser Reihe gehören sodann die beiden Illustrationen in einer Legende des hl. Franziskus, der Tod des Heiligen und die Erscheinung des Heiligen vor Papst Gregor, die sich in der Berliner Staatsbibliothek, Ms. germ. quart. 357, befindet. Die mit kräftigen Strichen gestalteten Bilder stimmen in den Formmitteln und dem großformigen Bildbau mit den beiden Apokalypsen vollkommen überein. Die ausgreifenden Bewegungen haben das gleiche Gewicht wie da: ihre Ausdruckskraft erfüllt 85

und überbrückt große Flächenteile. Die Form ist weniger straff und mehr flächig, das weist auf eine Entstehung im zweiten Viertel hin. Von der monumentalen Gestaltungsweise dieser Werkstatt geben uns auch diese beiden Bilder noch eine gute Vorstellung. 4Eine letzte, späteste Gruppe hessischer Werke umspannen die Miniaturen des Kasseler Willehalms von 1334 auf der einen, der Altenberger Altar im Frankfurter Städel auf der anderen Seite. Das naive, künstlerisch wenig bewußte Altarwerk steht der höfisch-kultivierten Miniaturhandschrift gegenüber — kaum das Gemeinsames, Verbindendes zu erkennen ist. Äußerungen zweier verschiedener Lebenshaltungen. Und doch sind sie Zweige einer gemeinsamen Wurzel, die in Hessen und am Mittelrhein bis ins 13. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist. Der heute in der Kasseler Landesbibliothek aufbewahrte Willehalm 90—91. (Ms. poet. fol. 1) " wurde im Jahre 1334 auf Geheiß des Landgrafen Heinrich II. von Hessen geschrieben. Nahezu fünfhundert Bilder sollten die Handschrift schmücken. Das Unternehmen blieb aber bereits auf fol. 56 stecken. Und auch die 62 Illustrationen dieser Seiten — sie umfassen lediglich die von Ulrich von Türlin zu Wolfram von Eschenbachs Willehalm hinzugefügte Jugendgeschichte — sind nicht alle vollendet. Zum Teil sind sie in der Vorzeichnung stehengeblieben, die der vierten Lage sind am Ende des Jahrhunderts von späterer Hand ausgemalt worden. Während sich für die Hohenemser Weltchronik sehr früh, ja von den ersten Beispielen an, eine Ikonographie der Bildauswahl und Bildform durchsetzte, war das beim Willehalm und — wie es scheint— den übrigen weltlichen Epen nicht der Fall. Ihre Maler waren Einzelgänger, die sich nicht um die Arbeit anderer kümmerten, keinerlei Tradition scheint sie verknüpft zu haben. Die Bilder des Kasseler Willehalm veranschaulichen den Text nicht so sehr, sie sind keine pragmatischen Illustrationen, ihr Wert liegt vielmehr im Dekorativen. Sie wollen Schmuck und Zierde der Buchseite sein. Freilich bleibt oft ein gewisses Mißverhältnis von Text und Bild bestehen. Die Bilder fügten sich nicht reibungslos dem Schriftspiegel und verbinden sich ihm auch nicht mittels Ranken und Leisten. Der Maler führt seine dekorativen Überlegungen nicht so folgerichtig durch wie ein französischer Miniator. Die Bilder stoßen über den Rand vor, wenn es Komposition und Bildinhalt fordern. Dessen Veranschaulichung ist dem Maler dann doch wieder ein wichtiges Ziel. Das Gegenständliche wird am Ende über das Reindekorative gestellt. Darin darf man eine typisch deutsche Eigenart sehen. Die französische Illustrationsweise, nach der das Bild, inhaltlich ziemlich frei, streng gebunden dagegen im Dekorativen, war zweifelsohne nicht ohne Einfluß, sie vermochte aber die deutsche Inhaltsbetonung nicht zu verwischen. 11 Freyhan, Die Illustrationen zum Kasseler Willehalms-Kodex, 1927; Kautzsch in Kunstwissenschaftliche Beiträge, August Schmarsow gewidmet, 1907 S. 73.

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Die Figuren des Willehalm sind sehr schlank, ihre Schultern fallen steil herab. Nichts wirkt dem durchgehenden Linienfluß der Konturen und steigenden Falten entgegen. Nur sehr vereinzelt finden sich tiefer einschneidende Falten, und dann wird sonderlich deutlich, wie völlig die Körper gelöscht sind. Er spricht nicht mehr, ist tot, ausgesogen. Das Gewand allein bestimmt die Form. Und da keinerlei Bewegungsantriebe mehr von einem Körper, d. h. von Innen, ausgehen, so spielen die Falten nur noch an der Oberfläche, gleichen einem Spinngewebe, das den toten Block der Figuren umzieht. Die Faltenbewegung ist flächig geworden, und sie ist wesentlich linear. Sie spielt in dünnen Faltenzügen, Zipfeln, Umschlägen, Formen, die allesamt, unkörperlich und unplastisch, sich zu ornamentalen Linienfigurationen zusammenfügen. Hände, Locken, Goldgrundranken führen sie weiter. Zeichnung und Malerei sind sehr sorgfältig. Eine vornehm-kultivierte Haltung ist erstrebt. Man spürt die Nähe westlicher Formdisziplin. Blättert man die Handschrift durch, ist man über die Gleichförmigkeit der Ausdrucksmittel erstaunt. Immer finden sich dieselben Gewandmotive, die gleichen Saumbewegungen, die gleichen Gesichter wieder. Weder in den Gebärden, noch Blicken ist eine charakterisierende Unterscheidung gesucht. Wie normiert sind die Figuren, mehr Ornament als lebendiges Wesen. Diese dekorative Prägung ist es letztlich allein, die die Miniaturen des Kasseler Willehalms vom Altenberger Altar unterscheidet. Die hinter dieser Oberfläche stehende Welt ist nahe verwandt. Der Altenberger Altar ist ein Schreinaltar mit beidseitig bemalten Flügeln. Die in den Schrein gehörige Maria befindet sich heute in der Sammlung 86Böhler in München, Gehäuse und Flügel sind vor einigen Jahren in das Städel nach Frankfurt gekommen '3. Auf den Außenseiten waren Passionsszenen dargestellt. Sie sind so stark zerstört, daß sie aus der Betrachtung ausscheiden müssen. Nur die seltsame Aufteilungsart dieser Seiten sei bemerkt. Wie auf den Innenseiten ist jeder Flügel in der Senkrechten in ein breiteres und ein schmäleres Feld geteilt, ein Schema, das sich vielleicht von den zweiteiligen, beweglichen Flügeln bei Baldachinaltären herleitet. In der Wagrechten sind drei Streifen übereinander angeordnet, von denen der unterste niedrigere, der innen fehlt, in kleine annähernd quadratische Felder aufgeteilt ist. So ergibt sich ein Wechsel größerer und kleinerer, schmälerer und breiterer Felder, der von ferne an die Rückseite von Duccios Maesta erinnert. Die Darstellungen der Innenseiten: Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, drei Könige, der Maria im Schrein zugewendet, Tod und Krönung Mariens, hl. Elisabeth und Michael, sind in kräftig leuchtenden, aber etwas primitiven Farben gemalt. Fast ohne Abstimmung stehen Zinnober, kaltes Blau, Giftgrün, Gelb nebeneinander. Und ebenso einfach ist die Formensprache. Die Formkultur kölnischer Malereien fehlt den Tafeln völlig. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in Ikonographie und Komposition •3 Graf zu Solms-Laubach in Städel-Jahrbuch V (1926) S. 33.

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vereinzelte Anregungen von Köln herübergekommen sind, der Formgehalt ist von ihm nicht beeinflußt worden. Ein kölnischer Kunst völlig fremdes Wollen bestimmt Form und Ausdruck. Nennt man es naiv, so umschreibt man es nur höchst unvollkommen. Die Gesinnung, die der Altenberger Altar offenbart, darf man charakteristisch innerdeutsch nennen: sie ist weniger formalistisch, sie ist mehr gemütsbetont. Höhere artistische Probleme werden nicht gestellt. Keiner Linie, keinem Motiv wird formaler Eigenwert zugebilligt. Vielmehr wollen sie — und das ist ihre ausschließliche Aufgabe — zarte, gefühlvolle Stimmungen zum Klingen bringen. Nicht Augenfreude, sondern Erbauung sollen die Bilder des Altenberger Altars vermitteln. Diese Einstellung bezeugen ebenso die Skulpturen der Landgrafengräber, die Figuren der Trauernden, die ihre Sarkophagwände umstehen, und die Lettnerfiguren der Elisabethkirche, mit denen Graf Solms die Malereien des Altenberger Altars — gewiß mit bestem Rechte — in engen Zusammenhang gebracht hat '4. Die Trauernden des Doppelgrabes und die in den dreißiger Jahren entstandenen sitzenden Lettnerfiguren '5 sind aus einer völlig übereinstimmenden Haltung geschaffen und sie tragen auch die gleiche äußere Erscheinung. Den Malereien wie den Plastiken gemeinsam sind die kindlichen Proportionen, die zerbrechlich dünnen Gliedmassen, die ängstlichen Stellungen, der unausgesprochene Bewegungsschwung der Körper, der Gefühlsreichtum, die gewinnende Zartheit der Sprache, deren reiner und tiefer Stimmung sich niemand wird entziehen können. Mit den Lettnerfiguren wird man den Altar um 1340 ansetzen dürfen. Und weiterhin wird man diese engen Beziehungen so verstehen müssen, daß der Altenberger Altar in einer Marburger Werkstatt entstanden ist. Die Marienfigur seines Schreines bestätigt diese Tatsache; sie ist eine unbedingt sichere Marburger Arbeit l6 . Ähnlich den Figuren des Willehalms ist die Masse der Figuren auf ein Mindestmaß zurückgesetzt, umspielen die Falten der Gewänder gewissermaßen leeren Raum. Der knappe Stoff ist in wenige harte, kantige Falten gelegt. In langen Bahnen steigen sie vom Boden empor, gewichtslos, unbeschwert. Und ebenso unbeschwert sind die wegweiserhaften Gebärden. Wie immer Werke des zweiten Jahrhundertviertels sind auch die Figuren des Altenberger Altars körperlose, abstrakte Liniengebilde, die durch dünne zerbrechliche Gewandflächen verbunden einen hohlen Kern umhüllen. Aber Falten und Konturen sind nicht in einer strengen Gesetzlichkeit zusammengefaßt. Ihr Maler hat sich nicht zu der durch die fast ausschließlich linienhaften Mittel geforderten straffen zusammenfassenden Gestaltung Dagegen irrt Graf Solms a. a. O., wenn er den Altenberger und den Oberweseler in eine Verbindung zu bringen glaubt. Sie erwuchsen in verschiedenen Zusammenhängen, ihre Voraussetzungen sind sehr verschieden. Wahrscheinlich ist der Oberweseler Altar (1331) das ältere Werk, der Altenberger das jüngere, aber jener ist fortschrittlicher, dieser spricht den Stil des zweiten Jahrhundertviertels weniger entschieden aus. •5 Hamann-Kästner, Die Elisabethkirche zu Marburg II, 1929 S. 146fr. I( Hamann-Kästner a. a. O. S. 196 Abb. 287; Hessenkunst 1926.

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der dreißiger und vierziger Jahre durchringen können. Und ebenso lassen die Malereien des Willehalms und die Marburger Skulpturen dieser Jahrzehnte die neue Organisation vermissen. Über diese grundsätzlichen Eigentümlichkeiten hinaus verbinden Altenberger Altar und Kasseler Willehalm noch allerlei formale Ubereinstimmungen — die Zeichnung ist viel enger verwandt als es beim ersten Anblick und Vergleich scheinen mag —, die sich aus gemeinsamen Voraussetzungen erklären. Für beide gleich wichtig war ein 1320 datierter Willehalm in Wien (cod. 2670), dessen westmitteldeutscher Dialekt auf mittel- 89. rheinischen oder hessischen Ursprung weist In Farbe und Zeichnung stellt er sich als die unmittelbare Vorstufe zu dem Altenberger Altar dar. Und weiterhin läßt sich diese mittelrheinische Wurzel verfolgen in einem Brevier der Frankfurter Stadtbibliothek (Ms. IV. 3) l8 , das um die Jahrhundertwende vielleicht für die Deutschordenskirche zu Sachsenhausen geschrieben wurde. Es enthält neunzehn Miniaturen und eine Zierleiste. Die Farben sind vorwiegend kolorierend verwendet, die Falten mit Federstrichen eingetragen. Der unbekümmerte Erzählungston erinnert an die Bilder in den Valkenburgischen Gradualien, es fehlt aber der westliche Einschlag. Am Anfang der Reihe steht endlich eine zweibändige Bibel des Koblenzer Staatsarchivs (Abt. 701 Nr. 111/2), die, 1281 datiert, aus dem Mainzer Domkapitel stammt, die einzige Arbeit dieser Zeit, die einen Hinweis auf Mainz bietet r9. Die meisten Miniaturen sind herausgeschnitten oder verdorben, die noch erhaltenen zeigen den Formkanon, Ausdruck und Bewegung der Figur schon genau so wie die späteren Malereien. Von ihnen führt ein Weg zum Altenberger Altar, und auch zum Willehalm. Denn täuschen wir uns nicht, so darf in dieser Reihe auch die Wurzel des Kasseler Willehalm gesehen werden. Freilich läßt sich ein unmittelbarer Zusammenhang der beiden Willehalmhandschriften nicht erweisen. Bildauswahl — der Wiener enthält nur etwa ein Drittel der Bilder des Kasseler — und Komposition zeigen keinerlei greifbare Beziehungen. Nur die Anordnung der Bilder ist die gleiche. Auch in der Wiener Handschrift sind die Bilder gerahmt und in den Text eingelassen. Und sie gehen ebenso wenig eine innere Verbindung mit ihm ein. Mehr noch als die des Kasseler sind sie vorwiegend Inhaltsdeutung. Was dann die Kasseler von den Wiener Illustrationen unterscheidet, das unterscheidet jene auch vom Altenberger Altar. Es ist die betontere dekorative Haltung seiner Bilder, der gewisse westliche Einschlag. Freyhan hält sehr weitgehende englische Einwirkungen für entscheidend und weist auf den Psalter des Robert de Lisle (London, Arundel 83, 2) hin, von dem nach seiner Meinung die steife Zeichnung, die schwerflüssige •7 Katalog der Miniaturen-Ausstellung 1901 Nr. 72: mittelrheinisch bezeichnet; Sickel, Monumenta graphica X , 1 5 ; Palaestra 1913 S. 1 2 1 . 18 Swarzenski-Schilling a. a. O. Nr. 66, Taf. 31. '9 Aus dem Zisterzienserinnenkloster Dalheim bei Mainz ist ein Brevier in die Mainzer Stadtbibl., Cod. 436, gekommen. Seine Malereien, es mag um 1290 entstanden sein, sind so schwach, daß es nicht einbezogen werden kann.

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Linienführung, die matte Bewegung, die Präzision der Form, die doppelte Konturierung, das Rankenornament der Goldgründe herzuleiten sind. Daß ein Abglanz westlicher Art über dem Willehalm liegt, darf nicht bezweifelt werden. Die dekorative Haltung seiner Bilder darf von da hergeleitet werden; vielleicht auch das Rankenornament und der doppelte Kontur des Goldgrundes. Die Präzision der Form entspricht grundsätzlich der Weimarer und Nürnberger Apokalypse und der Hofgeismarer Tafel, sie ist eine Möglichkeit hessischer Formgestaltung. Für die Mattigkeit der Bewegungen und Linienführung mag das Temperament des Malers verantwortlich zu machen sein; der Altenberger Altar zeigt, daß sie auch eine Möglichkeit hessischer Kunst waren. Wenn man es so ausdrücken darf: ein gewisser Schliff, eine gewisse dekorative Note, sind vom Westen bedingt. Vielleicht noch einige Schmuckformen, mehr ist es gewiß nicht. Aber diese mehr die Oberfläche betreffende Beeinflussung genügt, um den Willehalm vom Altenberger Altar deutlich abzusetzen. In engem Zusammenhang mit dem Willehalm steht ein Hausaltärchen 88. der Sammlung Henkell in Wiesbaden 20 , das im Schrein eine heilige Familie zeigt; auf den Innenseiten seiner Flügel sind Verkündigung, Heimsuchung und Darbringimg im Tempel, auf den Außenseiten Anbetung der Könige und Krönimg Mariens dargestellt. Die Figuren sind schmächtiger und dünner als im Willehalm, die stilistische Verwandtschaft der Malereien auf den Außenseiten ist unverkennbar. Zumal die Könige scheinen unmittelbar übernommen. Der mittlere ist im verlorenen Profil gegeben; diese seltene Merkwürdigkeit findet sich auch im Willehalm. Ein naher werkstättlicher Zusammenhang muß die Werke verbunden haben. Das Altärchen ist sicher die jüngere Arbeit. Das verlangt die Plastik des Inneren, das verlangt die Faltung der Gewänder auf den Außenseiten, das verlangen vor allem die Malereien auf den Innenseiten, die von einer anderen Hand geschaffen sind. In ihnen wird der Umbruch zur Malerei der zweiten Jahrhunderthälfte im hessischen Gebiet erstmals sichtbar. Schwerer, kompakter sind die Figuren, eine unförmige, kaum gegliederte Masse füllt die Gewänder. Dumpfer und verschlossener ist der Ausdruck der Gesichter. Ein weniger elegantes, weniger zierliches Geschlecht figuriert in den Bildern. Matronenhaft schwer ist die Begegnung der Frauen in der Heimsuchung. Der Maler dieser Innenseiten mag im sechsten Jahrzehnt gearbeitet haben. Er besitzt die Zukunft, der andere, der die Außenseiten malte, war ein verspäteter Nachläufer. 10

Schmitt-Swarzenski, Meisterwerke der Bildhauerkunst I, 1921 Nr. 24.

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VH. wmnitxi Westfälische Malerei ist in unserem Zeiträume vielleicht noch ausschließlicher als im 13. Jahrhundert eine Angelegenheit der Stadt Soest. Aber den vorangegangenen Werke folgte an Größe und Reichtum kaum ebenbürtiges nach. Fast möchte man das frühe 14. Jahrhundert eine Zeit der Erschöpfung nennen. Wenig neues wird gefunden, jahrhundertealte, längst tot geglaubte Schemata werden wieder aufgenommen. So im Antependium aus der Wiesenkirche. Der Bau dieser Kirche scheint alle Kräfte in seine architektonische Aufgabe zu zwingen. Malerei und Plastik treten sichtbar zurück. Aber vielleicht entstanden für weltliche, für städtische und bürgerliche Zwecke Malereien, die heute verloren, unserem Gedächtnisse entzogen sind. Die Vermutung wird nahe gelegt durch das eine uns erhaltene Werk, das Nequambuch, das, auch künstlerisch hervorragend, Zeugnis von dem selbstherrlichen Stadtregiment der reichen Hansastadt ablegt. In Köln herrscht die kirchliche Kunst mit vollendeter Ausschließlichkeit. In Hessen finden sich zwei weltliche Handschriften, von denen die eine sicher von einem kunstbegeisterten Fürsten in Auftrag gegeben wurde. Sie sind Ausnahmen in einer langen Reihe bedeutsamer kirchlicher Malereien. Ahnlich ist das Verhältnis im oberrheinischen Gebiet. In Soest fordert — heute wenigstens — der Zeuge weltlichen Kunstschaffens, das Nequambuch, allein noch Aufmerksamkeit. Das im Dienste der städtischen Herrschaft entstandene Werk trägt den hervorragendsten künstlerischen Wert. Man ist geneigt, auf die geistige Haltung dieser Stadt einen Schluß zu ziehen. Zum Patroklusturm, der auch mehr im Dienste der Bürger als der Kirche stand — er war die Rüstkammer der Stadt — , Zeuge ihres Stolzes und Selbstbewußtseins, tritt d u Nequambuch, nicht minder Zeuge soestischer Selbstherrlichkeit. 1. Aus dem Dominikanerinnenkloster zum Paradies vor Soest stammen, wie Herr Bibliotheksdirektor Professor Reuter jüngst feststellen konnte drei mit Minaturen geschmückte Antiphonarien und Gradualien, die sich heute in der Düsseldorfer Landesbibliothek befinden (cod. D 7, D 9, D 11). Der hl. Dominikus erscheint in den Handschriften regelmäßig als Pater noster oder Pater almus, häufig sind Dominikanerinnen, manchmal mit Dominikanern zusammen, als Nebenfiguren dargestellt. Außerdem stimmt bei einer der Handschriften, bei D 9, eine äußere Eigentümlichkeit, eingeschlagene Eisenschutznägel, zu der Beschreibung, die von einer der Handschriften in dem Verzeichnis der vom Paradieskloster an die Landesbibliothek gekommenen Manuskripte gegeben ist. So ist an ihrer Herkunft aus dem Dominikanerinnenkloster Zum Paradies in Soest nicht zu zweifeln. Ihr künstlerischer Wert ist gering. Sie schöpfen aus etwa der gleichen Für die liebenswürdige Mitteilung dieser wichtigen Feststellung mächte ich Professor Reuter auch an dieser Stelle meinen vorzüglichsten Dank aussprechen.

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westlichen Quelle wie Johann von Valkenburg, vielleicht waren auch kölnische Arbeiten von dessen Art für sie Vorbild. Ungelenk und schwerfällig ist die Formensprache. Am besten die Hand, die den Hauptteil der Bilder in D 7 gearbeitet hat. Bei ihr könnte man noch Schulung in einer westlichen Werkstatt vermuten. Diese und eine weitere hauptsächlich in D 9 vertretene Hand dürften im frühesten 14. Jahrhundert gearbeitet haben. In den Konturen ihrer Figuren lebt hie und da noch eine Erinnerung ein den zackigen Stil der Spätromanik. Die Ranken sind fast durchgehend rechteckig eingefaßt. Wie weit dann auch die Schwere und Fülle der Gewandzeichnung auf eine frühe Entstehung weisen, bleibe unentschieden. Mehr schlägt in ihnen wohl die Art des Vorbildes als individuelles Stilgefühl durch. Mehr kunsterfreute als kunstvermögende Nonnenhände haben die Handschriften gearbeitet. Cod. D. 9 und 1 1 sind erst im späteren 14. Jahrhundert vollendet worden, zum Teil sind die Bilder in der Vorzeichnung stehen geblieben. Ein später Nachläufer dieser Reihe, D. 12, ist von zwei Schwestern, darunter einer Hadewygis von Lüdenscheid gestiftet, eine dritte Schwester wird als Schreiberin genannt. Es entstammt erst dem frühen 15. Jahrhundert. 2. 93—94Das Soester Nequambuch gehört zu der großen Gruppe von Stadtbüchern, und zwar Justizbüchern, die die Urfehde zum Inhalt haben. Auf seinen Seiten wurden die Namen der Geächteten und aus der Stadt Verwiesenen eingetragen. Der erste Proscriptus wurde 1309 eingetragen; man darf annehmen, daß etwa um diese Zeit das Nequambuch — dieser Name, Nequam = Nichtsnutz, Missetäter, taucht erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf — angelegt wurde. Zuerst waren es vielleicht Aufzeichnungen auf losen Blättern, die aber offensichtlich sehr bald, um 1315, zum Buch zusammengefaßt wurden. Aus diesen Jahren müssen auch die Miniaturen stammen. Es sind dreizehn ganzseitige Bilder, von denen zwei auf etwas kleinere Pergamentblätter anscheinend erst nachträglich eingenäht sind. Unbezweifelbar sind aber alle von einer Hand und in einem kurzen Zeiträume entstanden. Dargestellt sind: Huldigung vor dem Erzbischof, Huldigung vor dem Herzog, Anklagesszene, adelige Viehräuber, Enthauptung, falsche Zeugen, Brandstiftung, Räderung, Gerichtsverhandlung, Einlieferung in das Gefängnis, Falschspieler, Ausweisung aus der Stadt, Strafe des Wippens. 2

Die schlanken, von steilen, kurvig strömenden Feilten umfangenen Gestalten erinnern von ferne an die Maria und den Gabriel der Verkündigung am Hochaltar in St. Elisabeth in Marburg. Ein ähnliches Figurenideal liegt beiden Werken zugrunde: schlank und aufrecht, leise nach rückwärts schwingend, elastisch in der Haltung. Anders ist der lebhafte, reich bewegte Ausdruck der Soester Figuren, ihre momentane, oft bis zu heftig stoßender Wucht zugespitzte Gebärdensprache, ihre ausdrucksvolle Mimik. Für die > Hrsg. von der Historischen Kommission für die Provinz Westfalen, 1924.

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Gesichter ist fast durchweg ein weichformiger, jugendlicher Idealtypus •erwendet, dennoch ist das Drehen und Wenden der Köpfe und ihr Blicken durchaus persönlich. Stark unterschiedene Charaktere treten sich gegenüber. Prachtvoll das zu einem höhnischen Grüßen verzogene Gesicht des Henkers im Bilde der Räderung, prachtvoll die Schürzung des geistigen Gehaltes im Bilde der Falschspieler. Mit einer im frühen 14. Jahrhundert selten begegnenden unmittelbaren Frische und ausdrucksvollen Charakteristik werden die Geschehnisse geschildert. Die stilistische Verwandtschaft mit den Marburger Verkündigungsfiguren, der hochgewachsene Körperbau, die aufrechte und doch noch federnde Haltung, aber auch die knappe, verhältnismäßig schlichte Faltung der Gewänder bezeugen gleichartig die Entstehung der Bilder des Nequambuches im frühen 14. Jahrhundert. Ein Zusammenhang mit um die Wende des 13. Jahrhunderts entstandenen hessischen Malereien wäre wohl möglich, es würde den von Marburg nach Westfalen übergreifenden Bildhauerwanderungen entsprechen, die Hamann nachgewiesen hat 3. Nach Köln — man könnte an die Malereien in St. Cäcilien denken — weisen keinerlei Merkmale. Anders als da, anders auch als in Hessen, ist die lebendige, profan und bürgerlich zu nennende Erzählungsweise, die Freude an heftigen, ja gewaltsamen Bewegungen, ein Erzählungston, der mehr Freude am Ausdrucksvollen, Bewegten, Gewaltsamen hat, wenn auch zartere und leisere Stimmungen keineswegs fehlen. Die Zeichnung der Bilder des Nequambuches ist weniger zuchtvoll als bei hessischen Werken, die Strichführung ist freier und unmittelbarer ausdrucksbetont. Selbst die Farbe ist so angewandt: die Beine des rüden Henkers zum Beispiel sind braun. Einwandfrei ist die Herkunft des Stils der Bilder nicht deutlich zu machen. Auch die dem Nequambuche verwandten Reste von Wandmalereien aus der Frühzeit des 14. Jahrhunderts in der Petrikirche 4 helfen nicht, die Frage zu beantworten. Erhalten sind eine mehrfach erneuerte Verkündigung, ein Christopherus und arg zerstört eine Kreuzigung (am 92. zweiten Pfeiler auf der nördlichen Empore) und ein Martyrium der hl. Agatha. Die Henkersknechte dieses Bildes sind von derselben ausdrucksvollen, wilden Art wie die im Nequambuch. Ein unmittelbarer Schulzusammenhang verband die Arbeiten und ihre Schöpfer. Die stark ornamentale Führung der Gewandsäume, die völlige Körperlosigkeit der Figuren der Verkündigung machen wahrscheinlich, daß sie später, schon an den Beginn des zweiten Jahrhundertviertels zu setzen ist. Sie läßt keinerlei Beziehungen zu hessischen Werken mehr erkennen. Vielleicht darf man sie und die anderen Reste mit einer Indulgenz von vierzig Tagen in Verbindung bringen, die 1336 für alle, die zur Ausschmückung der Kirche beitragen, gewährt wird 5. Wenn je eine Verbindung mit Hessen und Marburg bestanden hat, so 3 Hamann-Kästner, Die Elisabethkirche zu Marburg II, 1929 S. 139, 163 u. ö. < Abb. der Verkündigung in den Bau- und Kunstdenkmalern Westfalens, Soest, Tafel 75; Clemen a. a. O. S. 47 u. 49. s Zeitschrift für Soest, 1893—94 S. I i i

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kann es sich nicht um mehr als einen ersten Anstoß gehandelt haben. Immerhin eine lose Verbindung muß man doch wohl annehmen. Auch einige Einzelblätter im Museum zu Hamm und in der Sammlung Thom6e in Altena 6 dürften sie bestätigen. Ob und wie weit die Bilder des Nequambuches von einer örtlichen Tradition getragen werden, diese Frage ist nicht zu beantworten. Die großartige Folge spätromanischer Monumentalmalereien, Wand- und Tafelmalereien, geht bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts zu Ende. Danach klafft bis zum Nequambuch und den Malereien in der Petrikirche eine Lücke, die nicht zu überbrücken ist. Die neue Art, die sie zeigen, dürfte kaum ohne von außen, und dann doch wohl von Hessen, gekommene Anregungen zu verstehen sein. Vielleicht darf auch eine in Vorzeichnung stehengebliebene Miniatur am Beginn eines Privileges der Stadt Dortmund vom Jahre 1332 — es ist ihre Magna Charta bis 1803 gewesen — in diesem Zusammenhange eingeordnet werden 7. Dargestellt ist, wie zwei Abgesandte der Stadt, der Ratsherr Hermann Gepping und der Kleriker Bertram Sudermann, vor dem auf einem Thron sitzenden Kaiser kniend um die Verleihung des Privilegs bitten. Vor allem die beiden Abgesandten erinnern in Mimik und Gestik an Figuren des Nequambandes. 3Ohne jeden Zusammenhang nach rückwärts steht einsam in der Jahrhundertmitte das Antependium aus der Wiesenkirche im Deutschen Museum in Berlin. Merkwürdig altertümlich ist die Tafel in ein etwa quadratisches mittleres und zwei breitere seitliche Felder gegliedert. Im mittleren thront Christus in einem Vierpaß auf einem Regenbogen; die Zwickel füllen die Evangelistensymbole. Seitlich stehen unter feingliedrigen Arkaden Maria und Johannes und Heilige, auch der Soester Stadtheilige, der hl. Patroklus. Ein sehr altes, bis auf das Antependium aus St. Walpurgis, heute Münster, Provinzialmuseum 9, zurückverfolgbares Schema ist verwendet. Selbst solche Nebensächlichkeiten wie die eingetieften Medaillons im Rahmen sind übernommen. Solch zähes Festhalten am Altüberkommenen muß in Erstaunen setzen. Die deutsche Malerei des mittleren 14. Jahrhunderts kennt kein zweites Beispiel, das diesem gewiß nicht zufällig aus einer westfälischen Stadt stammenden vergleichbar wäre. Mag sein, daß die ätherische Form dieser Jahrzehnte westfälischer Art nicht gelegen war. Steif, ja hölzern und irgendwie dürftig ist die Gestaltung der Tafel, fern der eleganten Straffheit kölnischer Werke. Die Figuren sind schmächtig, die hartkantigen Falten der Gewänder steigen in steilen Bewegungen empor. Wie in ein Netz eingespannt erscheinen Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Kreis Soest (1905) mehrere Abbildungen. 7 Rübel, Geschichte der Grafschaft und der freien Reichsstadt Dortmund I, 1917 S. 432. 8 Schmitz, Die mittelalterliche Malerei in Soest, 1906 S. 127. 9 Schmitz a. a. O. S. 32; Stange in Münchner Jahrbuch d. bild. Kunst N. F. VII (1930) S. 136.

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die zartgliedrigen Figuren und vermögen eine gewisse Ungelenkheit nicht zu verbergen. Diese Straffheit ist ihnen nicht natürlich. Spannt man den Bogen sehr weit, so kann man wohl Gemeinsamkeiten mit älteren Soester Malereien feststellen, eine unmittelbare Erklärung bieten die Malereien aus dem ersten Jahrhundertviertel nicht. Zwischenglieder müßten gefunden werden. Eines wenigstens bietet ein Indulgenzbrief für das Kloster Fröndenberg vom Jahre 1342 I0. Im Münsterer Staatsarchiv liegen acht zwischen 1329 und 1342 für westfälische Klöster in Avignon ausgestellte Indulgenzbriefe. Ihre Malereien sind unbezweifelbar Arbeiten avignonesischer Briefmaler, allein der jüngste, der Fröndenberger von 1342, dürfte seinen Schmuck erst nachträglich in Westfalen erhalten haben. Am oberen und den seitlichen Rändern sind vor gemustertem Grunde in aneinander gereihten Vierpässen Heilige in Dreiviertelfigur und außerdem zwei ganzfigurige unter Arkadenstellungen angeordnet; in der Initiale thront Christus als Weltenrichter, begleitet von zwei seitlich knienden, Rauchfässer schwingenden Engeln. Diese Anlage und das Motiv der knienden Engel sind gewiß nicht auf deutschem Boden gewachsen, die Ausführung aber muß aus einer westfälischen, wahrscheinlich Soester Werkstatt stammen " . Nur so ist der Stil der Figuren verständlich. Weder aus französischen, noch italienischen Vorbildern kann man ihn ableiten, sondern in deutschen Arbeiten und eben besonders in dem Antependium aus der Wiesenkirche hat er seine nächsten Verwandten. Die Faltenorganisation, die Führung der Konturen und Säume ist gleichartig. Der Engel des Matthäussymbols hat denselben Typus wie die knienden Engel. Andererseits scheinen von dem Heiligen auf dem Fröndenberger Briefe auch Fäden zu den Einzelblättern der Sammlung Thomee und des Hammer Museums zu führen. Festgefügt ist die Kette gewiß nicht, aber sie vermag das Antependium doch aus seiner bisherigen Vereinsamung zu erlösen. Die Wandmalereien aus dieser Zeit, eine Kreuzigung in der Soester Minoritenkirche und die Bilder im Dortmunder Rathaus sind so schlecht erhalten, daß sie nicht mehr als Zeugen taugen. So muß man sich mit diesen Buchmalereien als Vermittlern begnügen. 10

Genau beschrieben von Nordhoff in den Bonner Jahrbüchern Bd. 68 S. 125. Der Fröndenberger abgeb. in Bau- und Kunstdenkmäler, Kreis Hamm S. 142. " Das bestätigt mir auch Herr Universitätsbibliotheksdirektor Dr. J . Rest, Freiburg. Siehe dessen Aufsatz in Festgabe für Heinrich Finke, 1925 S. 147, bes. 166.

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VIII. Jfttefcerfacfiien Sprechen wir in diesem Kapitel von der Malerei Niedersachsens, so meinen wir nicht das groBe niedersächsische Volkstumsgebiet Norddeutschlands, das von Westfalen bis Mecklenburg und Schleswig-Holstein reicht, sondern jenes von Peßler 1 klar umrissene Kleinniedersachsen, das sich aus dem heutigen Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Bremen und Schaumburg zusammensetzt. Und zwar wird uns in dieser frühen Zeit noch vorwiegend der oberheidische Kreis, das um Braunschweig, Hildesheim und Halberstadt gelagerte Land, beschäftigen. In diesen Städten sammelte sich zu dieser Zeit noch wesentlich die künstlerische Tätigkeit Niedersachsens und strahlte hinunter bis Lüneburg und Hamburg. Bremen schweigt heute völlig. Fanatischer Kircheneifer hat, als die Stadt sich am Ende des 16. Jahrhunderts der strengen calvinistischen Glaubensform zuwandte, fast die gesamte mittelalterliche Bildkunst vernichtet. Nur kümmerliche Reste sind auf uns gekommen. Nicht viel besser steht es im frühen 14. Jahrhundert in Hamburg. Immerhin zeugen auch heute noch zwei illuminierte Handschriften für seinen künstlerischen Willen. Dagegen ist uns aus dem oberheidischen Gebiet ziemlich viel erhalten. Ein reges, wenn auch nicht allzuhoch stehendes künstlerisches Leben muß hier gewaltet haben 2 . 1. Der Weg der niedersächsischen Malerei im oberheidischen Kreise läßt sich gut verfolgen an einigen Kanonbildern in Missalien, die aus dem Blasiusdome in Braunschweig stammen. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie nicht eine Versoseite, wie sonst üblich, füllen, sondern nur einen Teil, meist das untere äußere Viertel einer Rektoseite, einnehmen. Am Anfang der Reihe steht ein Beispiel, das sich heute in der Beverinschen Bibliothek in Hildesheim befindet (Hs. Nr. 681). Die Rahmenleisten sind mit einem palmettenartigen Muster geschmückt. Maria und Johannes, breite, untersetzte Gestalten, stehen schwerfällig auf dem Boden. Ihre Bewegungen und Gebärden sind lastend mühselig. Stoffreiche, dicke und ungelenk sich faltende Gewänder umschließen sie. Breitschultrig ist der Gekreuzigte, dessen Leib und Oberschenkel ein umfängliches, vielfach gefaltetes Lendentuch verhüllen. Eher vor, denn nach 1300 muß das Bild entstanden sein. Die körperliche Fülle entspricht etwa der der Marburger Hochaltarskulpturen, aber deren gespannte Elastizität fehlt den Figuren dieses Kanonbildes völlig. Sie zieht die schwere Last von Körper und Gewand sackend herab. Die sächsische Überlieferung des 13. Jahrhunderts ist in jeder Einzelheit zu erkennen: in der Behandlung des Rahmens und der Art, wie das Kreuz ihn überschneidet, in dem sonoren Kolorit, • Peßler, Der niedersächsische Kulturkreis, 1925 und Deutsche Volkskunst in Niedersachsen, 1923. 1 Habicht, Die mittelalterliche Malerei Niedersachsns I, 1919 und Der niedersächsische Kunstkreis, 1930.

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in der Haltung Christi, seinem großen, stoffreichen Lendentuch, seinem gelblichbraunen Inkarnat; selbst die in Sachsen so beliebte byzantinische Fußbodenschwelle ist da. Über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg läßt sich eine Brücke schlagen zu dem Kanonbilde im spätromanisch zackigen Stil im Kestnermuseum zu Hannover, das ursprünglich für St. Godehard in Hildesheim gemalt, sich später im Dom zu Braunschweig befand 3. Alle wesentlichen Formelemente stimmen überein, und wenn in dem jüngeren Bilde die Formen nicht eckig-zackig, sondern weicher und runder sind, so spricht sich darin nur die andere Zeit, das endende 13. Jahrhundert aus. Es hat den alten Formapparat in seine Sprache übergesetzt. Mehr ist nicht geschehen. Und zur Erklärung dieser Umformung bedarf es kaum der Heranziehung westlicher Anregungen. Ein zwischen den beiden Kanonbildern entstandenes Werk, das Antependium aus Kloster Wennigsen 4, zeigt den Übergang. An dieses Missale in der Beverina schließen sich weitere aus dem Braunschweiger Dom stammende an: Wolfenbüttel, Hauptlandesarchiv Hs. VII. B. 188, VII. B. 2 i r , VII. B. 177. Die Formen bleiben gedrungen, die Farben schwer, das Lendentuch Christi stoffreich, aber die Plastizität schwindet, die Farbe gewinnt mehr kolorierenden Charakter. Diese dem 14. Jahrhundert entsprechende Malweise zeigen sodann die Kreuzigungsbilder in VII. B. 178, VII. B. 179 — dieses Missale enthält drei ganz gleichartige Kreuzigungsbilder — und ganz rein in VII. B. 192. Das Kolorit ist hell, das Inkarnat statt braun rosa, von Modellierung ist kaum eine Andeutung zu erkennen. Die Zeichnung spricht entscheidend. Diese Bilder stehen zu den zuerst genannten in einem ähnlichen Verhältnis wie die Weingartner zur Manessehandschrift, und wie da braucht auch diese Missalien kein größerer zeitlicher Abstand getrennt zu haben. Vielmehr sind beide Arten noch und schon um 1300 möglich. Den Stil des zweiten Jahrhundertviertels zeigt VII. B. 175, dessen Kanonbild auf fol. 142 (das Kreuzigungsbild auf fol. 139* ist von einer altertümlichen Hand) eine hartlinige, konstruktive Zeichnung formt, während eben die Kreuzigung in VII. B. 178 trotz ihrer Flächigkeit noch die weichere Linienrhythmik des frühen 14. Jahrhunderts besitzt. Ihr fehlt noch die Sprödigkeit, die metallische Schärfe und straffe Zusammenfassung, die erst B. VII. 175 auszeichnet. An die Gruppe VII. B. 178, 179 und 192 lassen sich ein bilderreiches Missale aus Wöltingerode in der Landesbibliothek zu Wolfenbüttel, Hs. Heimst. 522, die Malereien eines Bucheinbandes des Berliner Kupferstichkabinettes, Ms. 78. A. 8, und endlich ein Breviarium der Provinzialbibliothek zu Hannover, Hs. I. 91, anschließen, während die erste plastisch modellierende Gruppe in den beiden Bildern — Kreuzigung und Christus in der Vorhölle — einer aus dem Kloster Marienberg bei Helmstedt stammenden Handschrift einen Verwandten besitzt. Die etwas derbe Malweise ist fast 3 Haseloff in Döring-Vofl, Meisterwerke der Kunst in Sachsen und Thüringen Taf. 1 1 8 Abb. 2. « Stange in Münchner Jahrbuch d. bild. Kunst. N. F. VII (1930) S. 156.

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pastos aufgetragen, die Gewänder sacken schwer herab und stauen sich auf dem Boden. Dies und die nun freilich teigig weiche Erdbodenschwelle, die Anordnung der Schacher, die kuppelige, nicht sehr geschickte Arkadenrahmung der mittleren Szene weisen deutlich noch in das 13 Jahrhundert. Alte sächsische Traditionen sind hier noch lebendig, die erst die zweite Gruppe allmählich abstreift. Sie erst spricht die abstrakte Sprache des 14. Jahrhunderts, in der ersten Gruppe, in der Marienberger Handschrift dagegen klingt ein Jahrhundert aus. Eine mit zahlreichen Initialbildern ausgestattete zweibändige Vulgata der Bibliothek des Halberstädter Domgymnasiums, Hs. 4 und 5, ist datiert. Ihre Bände wurden 1306 und 1309 vollendet 5. Die künstlerische Leistung ist nicht sehr bedeutend. Der Stil ist kleinteiliger als in den aus Braunschweig stammenden Handschriften und ihren Verwandten. Gewiß sind die Halberstädter Bilder — die Bibel stammt aus der Liebfrauenkirche — einer anderen Werkstatt entwachsen, aber sie zeigen ein ähnliches Mischungsverhältnis von Altem und Neuem. Die Ornamentik verbindet romanische Akanthus- und Palmettenformen mit gotischen Ranken. Die Figuren sind in ihrem Bau meist noch durchaus romanisch fest, die Zeichnung der Feilten aber gotisch. Zu einer folgerichtigen Stilbildung hat die Kraft des Malers nicht gereicht. Er hat nicht die Fülle und Wucht der ersten Braunschweiger Gruppe, kommt aber auch nicht zu der flächigzeichnerischen Form der anderen. Man könnte geneigt sein, diese Bibelillustrationen zwischen die beiden Gruppen zu setzen. Vor solchem Schluß warnen die Bilder einer Sachsenchronik der Bremer Staatsbibliothek, Nr. 33 6 . Ihre 147 Malereien zeigen, daß beide Richtungen mehr nebeneinander als nacheinander gearbeitet haben. Denn beide haben an ihrer Ausstattung Anteil, und es ist nicht zu sagen, daß die eine die andere abgelöst habe. Die Bilder, auf Goldgrund, sind mit grünen und roten Leisten gerahmt, jedoch nach romanischer Weise zumeist nicht an der unteren Seite. Auch sonst prägt das Formgefühl des 13. Jahrhunderts noch weitgehend ihr Aussehen. Neben Äußerlichkeit wie Gewandmustern, Architekturen, dem Erdbodenstreifen sind es Kolorit und Malweise, ein breiter, pastoser Farbauftrag, sind es endlich die ausdrucksvollen, großförmigen Köpfe, die an die der Evangelisten in dem aus dem Braunschweiger Dome stammenden und um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Perikopenbuch des Braunschweiger Museums, Nr. 56, unmittelbar anzuknüpfen scheinen. Die Kaiserköpfe in den Medaillons, die Köpfe des Paulus und Petrus in der Darstellung ihres Martyriums halten noch fast unverändert an den byzantinisierenden Typen der vergangenen Epoche fest. Das Bild der Kreuzigung ist verwandt dem in den aus Kloster Marienberg stammenden Sermones der 5 Osterprogramm des Königl. Dom-Gymnasiums zu Halberstadt 1878 S. 9. Haseloff in Döring-VoB S. 108. 6 Programm der Hauptschule zu Bremen 1863; Lappenberg in Pertz, Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde VI. (1831) S. 373; Lauffer, Hamburg (Stätten der Kultur 29) S. 25; Habicht 1919 S. 68.

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gestaltung, in der Faltenzeichnung doch nicht ihre Entstehung am Anfang des 14. Jahrhunderts verleugnen. Neben diesen niedersächsischen Buchmalereien steht fremdartig ein Missale der Hildesheimer Beverina (Hs. 682), das angeblich auch aus dem Braunschweiger Dom stammt 9. Es enthält außer einem ganzseitigen Kanonbilde noch einige kleine Initialminiaturen, die zumal in der Zeichnung der Gesichter einen Zusammenhang mit der zweiten Gruppe, etwa der Wöltingeroder Handschrift, nicht verleugnen. Anders aber als in Sachsen üblich ist, daß das Kanonbild architektonisch gefaßt ist, anders ist die schlanke Proportionierung der Figuren und ihre stracke, aufrechte Haltung, anders ist die knappe, straffe Gewandorganisation. Allein vom Stil der Jahrhundertmitte aus ist diese Straffheit gewiß nicht zu erklären. Hier wird ein anderer Dialekt gesprochen, und zwar muß der Maler dieses Kanonbildes aus Hessen, aus der Werkstatt des Fritzlarer Missales (Kassel, Ms. theol. fol. 162) gekommen sein. Mit diesem hat das Hildesheimer Bild Form und ikonographisches Programm gemeinsam. Schon völlig in die niedersächsische Art übersetzt zeigt die fremde Einwirkung sodann ein Einzelblatt in Hildesheim, das den Gekreuzigten an den Lebensbaum geheftet zeigt. Dessen Aste umschließen zu seiten Christi Ecclesia und Maria, Synagoge und Johannes, darunter Moses und die eherne Schlange, Christus in der Kelter, darüber Prophetenhalbfiguren und zu oberst in der Mitte den Pelikan, der seine Jungen tränkt. 2. Mit dieser bis auf das eine von Fritzlar abzuleitende Blatt festgeschlossenen Gruppe niedersächsischer Buchmalereien lassen sich einige Tafelbilder und die Wandmalereien in der Kirche von Wienhausen mehr oder weniger eng zusammenfassen. An erster Stelle ist das Antependium im Kloster Lüne vor Lüneburg 10 zu nennen. Die Tafel ist ähnlich dem Antependium aus der Soester Wiesenkirche dreigeteilt und zeigt im mittleren Feld die Trinität nebst den Evangelistensymbolen, auf den zweigeschossigen Seitenfeldern je vier Szenen aus dem Leben Christi unter Baldachinfriesen: Verkündigung, Anbetung der Könige, Darbringung im Tempel und Taufe links, Geißelung, Kreuzigung, Christus in der Vorhölle und Auferstehung rechts. Ob die Tafel ursprünglich das Mittelteil eines Flügelaltars gewesen ist, muß dahingestellt bleiben. Hat sie Flügel gehabt, so wäre sie allerdings das erste Beispiel jenes Altarschemas, das vom späten 14. Jahrhundert an in Sachsen und Westfalen herrscht. Jedoch was soll auf den Flügel dargestellt gewesen sein ? Die beiden Zyklen, links Jugend und Vorbereitung, rechts Passion, sind geschlossen. Wahrscheinlicher ist, daß die Tafel ursprünglich als Retabel gedient hat. Die Ikonographie der Bilder weist auf die späteren Handschriften der von Haseloff zusammengestellten P s a l t e r i e n g r u p p e d e r e n Entstehung » Habicht 1919 S. 67 Anm. I. 10 Alterthümer der Stadt Lüneburg, 4. Lieferung S. 5; Deutsches Kunstblatt I (1850) S. 148; Habicht 1919 S. 47. 11 Haseloff, Eine thüringisch-sachsische Malerschule des 13. Jahrhunderts, 1897.

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Stils der Jahrhundertwende deutlich. Die Figuren des Goslarer Antependiums sind körperlos, völlig plan auf die Ebene der Tafel bezogen. Ihre Gewänder umkleiden ein Nichts und sind wesentlich flächig ausgebreitet, nur wenige spitzige Falten teilen sie. Die schwere, zu Boden sackende Stoffmasse der Gewänder in den Bildern der Marienberger Handschrift ist in dieser Tafel vollkommen vergessen. Und nun ist auch der Gekreuzigte kindlich zart, dürftig und hager geworden. Hartlinig treten Rippen und Sehnen hervor, der Leib ist eingefallen. Ein kümmerliches Bild des Leidens hängt am Kreuz. Deutlicher auch als in den spätesten der Braunschweiger Kanonsbilder äußert sich in diesem Bilde der neue geistige Gehalt, die zartere Empfindungswelt des 14. Jahrhunderts, die Klage und Schmerz betont. Die Form ist nicht mehr sinnlich, nicht mehr naturbezogen, die Falten nicht mehr Ausdruck von innen wirkender plastischer Kräfte. Mit spitzen, kalligraphisch scharfen Strichen sind sie auf die Fläche eingetragen, so daß ein leises filigranhaftes Liniengespinst entsteht, das kaum noch Vorsprünge und Einbuchtungen kennt. Die Zeichnung dient nicht mehr dem Erlebnis sinnlicher Werte, sondern nur noch dem Ausdruck eines zarten, empfindsamen Gefühlsgehaltes. Lebhafter, bewegter ist die Zeichnung der Altarstaffel aus Isenhagen im Provinzialmuseum zu Hannover, eine schmalrechteckige Tafel, die zu Seiten Christi die klugen und törichten Jungfrauen zeigt. In temperamentvollen Kurven und Widerhaken sind die Faltenbahnen eingetragen, in spitzen Winkeln sind die Augenbrauen der törichten Jungfrauen an der Nasenwurzel abgeknickt, fast heftig ist ihre Gebärdensprache. Wie verschiedenartig halten sie die Lampen, bewegen sie die freien Hände. Freude und Enttäuschung werden mit naiver Offenheit geäußert. In Köln wäre der Ausdruck um vieles zurückhaltender, die Unbefangenheit dieser Figuren lehrt die östlichere Lage Niedersachens. Stilistisch muß man die Staffel zu dem Wöltingeroder Missale und dem Berliner Buchdeckel fügen, weiterhin weist sie aber auf einige andere niedersächsische Handschriften hin, die sich durch eine kultiviertere und bewegtere Zeichnung, durch ein höheres künstlerisches Wollen von den braunschweigischen, oben zusammengestellten Handschriftengruppen unterscheiden. Was der Isenhagener Staffel ihren besonderen Charakter gibt, ihre momentane Mimik, ihre zugespitzte Charakteristik, das hat sie mit den Bildern der Berliner Weltchronik und des Osnabrücker Gislekodex gemeinsam. Man wird nun nicht glauben dürfen, in der Isenhagener Staffel oder gar auch im Gislekodex spätere Glieder zu der im Lüner Antependium zuerst angeschlagenen Kunst des Heidegebietes erkennen zu können. Dessen Kunst — das sei nochmals betont — ist in dieser Zeit noch nicht zu fassen. Erst im 15. Jahrhundert setzen sich Heide und oberheidisches Gebiet deutlicher voneinander ab. Im 14. Jahrhundert dagegen war, soweit wir sehen, die Kunst Braunschweigs und Hildesheims auch für Lüneburg und Hamburg bestimmend, sei es, daß sie Künstler in diese Städte abgaben, sei es, daß sie fertige Ware lieferten. Für Hamburg bezeugt diese Tatsache eindeutig die Sachsenchronik. Nur die Lüner Tafel scheint eine Ausnahme darzustellen, wenig -

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stens können wir ihr stilistisches Verhältnis zu anderen niedersächsischen Werken vorerst noch nicht genauer bestimmen. Daß ihre Art auch der sächsischen Kunst des 13. Jahrhunderts entwuchs, ist sicher. Bei dieser Verbundenheit der niedersächsischen Lande ist es dann nur natürlich, wenn der Stil der Isenhagener Staffel sehr ähnlich in den Brustbildern von Christus und sechs Aposteln auf einem hölzernen Ziborium aus Linde im Braunschweiger Landesmuseum M wiederkehrt. Gleichartig sind die flotte, wenn auch etwas derbere, Zeichnung und die ungebundene Lebhaftigkeit des Ausdrucks. Jede weitere Aussage verbietet der schlechte Erhaltungszustand. Und weiterhin leitet die Isenhagener Staffel zu dem bedeutendsten Denk- 104—106. male monumentaler Malerei in Niedersachsen in dieser Zeit über, zu den Wandmalereien im Nonnenchor der Kirche des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters Wienhausen '5. Gewölbe und Wände sind mit einem vielteiligen Bilderzyklus vollkommen einheitlich überzogen. Trotz wiederholter Erneuerungen bieten sie noch immer ein ausgezeichnetes Bild von der Ausschmückung einer Kirche im 14. Jahrhunderts. Die Wandflächen sind mittels reich ornamentierter Friese in kleinere Felder aufgeteilt, die alttestamentarische Darstellungen von der Genesis bis zu Moses, den Tod Mariens, den Tanz der Salome, die große Sünderin und Märtyrergeschichten enthalten. In den Blendnischen der vermauerten Fenster der gegen den Kreuzgang gelegenen Nordwand stehen überlebensgroß die hl. Michael, Christopherus, Alexander und Wenzel. Die drei westlichen Gewölbe umschließen sechsunddreißig Medaillons — je drei in einer Kappe — mit Szenen aus der Jugend und Passion Christi; im östlichsten Joch über dem Altar ist das himmlische Jerusalem: die Maiestas, die Krönung Mariens, Apostel und Engelchöre dargestellt. Den großen, ehemals offenen Bogen zur Gemeindekirche schmücken zwölf Monatsbildermedaillons. Die Wienhauser Wandmalereien sind wiederholt, zuerst u m 1500 ausgebessert worden. Vieles ist verfälscht, versüßlicht. Dennoch ist das ursprüngliche Bild nicht völlig verwischt. Die innere Verbundenheit mit den besprochenen niedersächsischen Werken, vor allem mit den zeichnerischen von der Art des Wöltingeroder Missales wird noch immer deutlich. Die Reste der zweifelsohne gleichzeitig entstandenen Malereien in der Allerheiligenkapelle am Kreuzgang — es sind nur noch Bruchstücke vorhanden, die aber den Vorzug haben, daß sie nicht erneuert sind — bestätigen diesen Zusammenhang. Erzählungsstil und Formgestaltung sind von der gleichen Art wie in jener Handschrift. Die Form wird mehr durch die Zeichnung, kaum durch die Malerei bestimmt, die Linienführung ist von derselben Simplizität. Die Verbundenheit mit der älteren sächsischen Malerei ist im Ikonographischen mehrfach nachzuweisen. Und wieder weisen die Beziehungen in das oberheidische Gebiet, nach Braunschweig, dessen großer Bilder'« Abb. in Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig III. 2 Taf. 1. "5 Habicht, Celle und Wienhausen, 1930 S. 45; Neukirchen, Kloster Wienhausen (Norddeutsche Kunstbücher 4).

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zyklns im Dom für das himmlische Jerusalem und für den Tanz der Salome — um zwei auffallende Beispiele zu nennen — das Vorbild geliefert hat. Uber das einzelne ist heute schwer zu sprechen, da der Ausdruck der Falten und Konturen großenteils verwischt, da die Gesichter versüßlicht sind, so daß die zarte und ursprünglich gewiß nicht weiche Stimmung nur noch undeutlich sichtbar wird. Sie hat ehemals vielleicht etwas von der Herbheit und Lebhaftigkeit der Isenhagener Staffel gehabt haben. Heute liegt der entscheidende Reiz im Ganzen, in der Ausschmückung eines mehrteiligen Raumes mit Bildern verschiedenen Inhaltes, verschiedenen Ausmaßes, mit verschiedenen füllenden Ornamentformen, Ranken, Streifen und Leisten dazwischen zu einem völlig einheitlichen Ganzen. Es sind in Deutschland wenige ausgemalte Räume des Mittelalters erhalten, die mit Wienhausen verglichen werden können. Propst Conrad von Herre errichtete zwischen 1305 und 1309 den Nonnenchor. Die Malereien sind nicht viel später anzusetzen, kaum das wir mit ihnen in das zweite Jahrzehnt zu gehen brauchen. In die kindlich-ungelenke Sprache der Nonnenmalereien findet sich die Art der Wienhausener Wandmalereien umgesetzt auf dem Sockel einer bemalten Spanschachtel mit der Darstellung des Abendmahls und Sprüchen aus der „Vogelsprache" im Landesmuseum zu Braunschweig. 3Neben diesen in ihrer Form wesentlich von der heimischen Überlieferung bestimmten Werken stehen einige Handschriften, die die im Westen geprägte internationale Sprache der französischen Gotik sich zu eigen gemacht haben. Es ist in erster Linie das Graduale der Gisela von Kerssenbrock in 101—102. der Bibliothek des Domgymnasiums zu Osnabrück. Die edle Osnabrücker Handschrift 16 — Schrift, Schmuck und die siebenundvierzig Initialbilder sind gleich kultiviert — setzt sich beträchtlich von den bisher behandelten niedersächsischen Buchmalereien ab. Vielfache stilistische Merkmale trennen sie von dem landesüblichen Schaffen. Ein anderes künstlerisches Wollen steht hinter ihren Bildern. Näher verwandt als alle bisher betrachteten niedersächsischen sind kölnische Handschriften. Was sie von jenen trennt, was sie mit diesen gemeinsam hat, ist das Westliche. Anders als in den niedersächsischen Arbeiten ist die dekorative Anschauung von der Schmückung einer Buchseite, in der Schrift und Ornament und Bild zu einer höchst reizvollen dekorativen Einheit zusammengefaßt sind, einer Einheit, in der das Figürliche kaum einen stärkeren Ton hat als das umspielende, Schrift und Bild verbindende Rankenwerk. Anders ist die Wertung der einzelnen Linie, die über ihrer darstellerischen Aufgabe wiederum einen höchst dekorativen Akzent besitzt. Zart, zum Eleganten hinneigend ist die Linienführung. Körperlos-schlank sind die Figürchen, bewegliche, lebhaft gerierende, lebhaft blickende Gestalten. 16

Hrsg. von Dolfen und Wackernagel, 1926; Habicht 1919 S. 54; Habicht X930 S. 252; Climen a. a. O. S. 1 5 ; Jäger in Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück XXVII (1902) S. 300.

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Empfindsam und gefühlsbetont ist der Ausdruck ihrer großen Augen, sind die Gebärden ihrer Hände. Kölnische Werke sind kühler im Ausdruck, rechnerischer in der Formgestaltung — vernünftiger. Das Preziöse, Stilisierte, das kölnische meist haben, fehlt den Figuren des Gisle-Kodex. Sie sind — und es gilt für die Bildgestaltung im ganzen wie für den einzelnen Strich — sie sind schlichter und wärmer, und damit doch innerdeutsch. Ihr Maler — oder wohl ihre Malerin — muß aus etwa der gleichen Quelle geschöpft haben wie Johann von Valkenburg. Die belgischen Werke, die Graf Vitzthum für dessen Kunst als Voraussetzung nachgewiesen hat, dürften auch für die Malereien des Gisle-Kodex entscheidend gewesen sein. Ornamentik wie Zeichnung machen das deutlich. In die Ecken der den Schriftspiegel ziemlich rektangulär einfassenden Leistenstäbe sind seesternartige weiche Blätter gefügt, oder die Ränder sind mit Ranken übersponnen, an denen ebenfalls weiche, wenn auch spitzig zulaufende Blätter ansitzen. Vereinzelt kommen sodann noch deutlich an Romanisches anklingende Formen vor, so der das S bildende Drache im Pfingstbilde. Dies und manches andere Motiv führt dazu, die Bedeutung der sächsischen Tradition des 13. Jahrhunderts auch bei dieser zuerst so fremdartig anmutenden Handschrift nicht zu unterschätzen. Sehr überzeugend läßt sich dieser Zusammenhang in der Ikonographie einiger Bilder (Anbetung der Könige, Taufe, Trinität, Marientod) nachweisen, er ist erkennbar in der Musterung der Gewänder, in den schwarzweißpunktierten Nimbenrändern, er ist aber auch in der Formensprache spürbar. Schon die Kreuzigungsfiguren, noch untersetzt, in schwere, füllige Gewänder gekleidet, weisen auf Braunschweiger Kanonbilder hin. Greifbarer sind in allerlei Einzelheiten die Ähnlichkeiten zu den zeichnerischen Werken von der Art des Wöltingeroder Missales und der Isenhagener Staffel. Ob es nur das niedersächsische Lokalkolorit ist, das sich hier wie da äußert, oder ob unmittelbare Zusammenhänge die Werke verbanden, ist heute kaum noch zu entscheiden. Vielleicht beides. Gewiß ist die Artverwandtschaft der Gebärde des Auferstehenden im Gisle-Kodex mit der des Christus der Isenhagener Staffel nicht zufällig oder nur Zeitstilparallele. Das westliche Erlebnis hat die heimischen Wurzeln nicht völlig überdecken können. Auf der ersten Seite der Handschrift findet sich ein alter, sicher noch aus dem 14. Jahrhundert stammender Eintrag: Istum egregium librum scripsit, illuminavit, notavit, aureis litteris et pulchris imaginibus decoravit venerabilis ac devota virgo Gysela de Kerzenbroeck in sui Memoriam Anno MCCC. Dieser Eintrag, der zweimal auf Miniaturen vorkommende Name der Nonne und ein Vermerk im Nekrologium des Klosters Rulle, nördlich von Osnabrück — von da stammt die Handschrift —, der besagt, daß 1300 die ehrwürdige und fromme Gisela de Kerssenbroik ein schönes Graduale für den Chor schenkte, wurde von der älteren Forschung nie bezweifelt. Dagegen haben Dolfen und Wackernagel in ihrer großen Veröffentlichung neuerdings versucht, die Entstehung der Handschrift in die Mitte des 14. Jahrhunderts hinunterzurücken. Doch ihre Gründe sind kaum durchschlagend. Die paläographischen Beobachtungen bieten, wie 105

sie selbst zugeben, keine sichere Auskunft. Der Stil der Bilder spricht gegen ihre Datierung. Und zwar sind nicht nur die westlichen Voraussetzungen um die Mitte des Jahrhundert kaum noch so zu denken, ebenso weisen die heimischen, sächsischen Beziehungen die Handschrift viel mehr in die Zeit um 1300. Das Hauptargument ist nun, daß sich Hinweise auf die Revelationen der hl. Birgitta ñnden, die erst nach 1344 veröffentlicht wurden, und daß die Tracht der Nonnen die des Birgittenordens ist. Es wäre aber zum ersten Punkt zu fragen, ob die Vision, die dem Weihnachtsbilde zugrunde liegt, nicht auch bei anderen Mystikerinnen vorkommt — was die Tracht der Nonnen angeht, so ñndet sich eine gleiche kronenartige Einbindung der Haube auch bei der Stifterin des Altenberger Altars, sie dürfte demzufolge im 14. Jahrhundert allgemeiner verbreitet gewesen sein. Die urkundliche Kraft der beiden Gisela von Kerssenbrock als Schreiberin und Malerin nennenden Zeugnisse ist nicht erschüttert. Man wird auch künftig an der Entstehung der Handschrift im Jahre 1300 festhalten dürfen '7. Unsere Einordnung des Gisle-Codex in die niedersächsische Malerei bestätigen über die bisher angedeuteten Zusammenhänge hinaus noch einige weitere Miniaturhandschriften, eine sächsische Weltchronik der Berliner Staatsbibliothek (Ms. germ. fol. 129), eine zweibändige Bibel der Stadtbibliothek zu Braunschweig (cod. 13—14) und eine Handschrift der Bod103. leina in Oxford (Ms. Douce 185). Die Berliner Weltchronik setzt die Bremer in Ikonographie und Anordnung der Bilder unmittelbar voraus und auch in der Formgestaltung sind mancherlei Fäden zwischen den beiden Handschriften zu erkennen. Gegenüber dem Gisle-Codex, entsprechend dem Vorbilde des Bremer Exemplares hat der Maler der jüngeren Berliner weniger hohe Anforderungen an seine Arbeit gestellt. Auf Rankenschmuck ist verzichtet. Die Bilder stehen unverbunden im Schriftspiegel. Aber in der Stilisierung der Gewänder äußert sich doch ein dem Gisla-Codex verwandtes Wollen; auch dieser Maler hat westliche Anregungen empfangen. Einzelne modische Figuren mit perückenhaft gewelltem Lockenhaar und weich modellierten Gewändern erinnern an den Kasseler Willehalm und lassen eine Verbindung dahin nicht ausgeschlossen erscheinen. Gleich jenem entstand auch diese sächsische Weltchronik zweifelsohne im Auftrage eines vornehmen Herrn: diese mögen wie mannigfach auch ihre Buchmaler ausgetauscht haben. Und gewiß gab es auch in Deutschland unter den Illuminatoren Spezialisten für Epen und Weltchroniken, wie es welche für Armenbibeln gegeben hat. Stärker verschmolzen im Sinne des Gisle-Codex ist die heimische sächsische Art mit den westlichen Anregungen in dem Bilderschmuck der beiden übrigen Arbeiten dieser Gruppe. Die Braunschweiger Bibel enthält nur einige wenige, figürlich geschmückte Initialen. Eine sechsbildrige Leiste, die die Erschaffung Evas, die Arche Noahs, das Opfer Isaaks, Moses vor dem feurigen Busche, David und Goliath und die Geburt des Kindes •7 So auch Ciernen a. a. O. S. 15. Weiterhin für frühe Datierung ist Habicht.

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vier Szenen aus der Jugend Christi (Verordnung der Schätzung durch den Kaiser, Wanderung Josephs und Marias nach Bethlehem, Geburt des Kindes, Verkündigung an die Hirten) zum Inhalt haben. Aber ihr Maler kam von anderen Voraussetzungen her. Mit den betrachteten niedersächsischen Werken zeigen sie keinerlei Berührungspunkte. Ihre Ausdrucksweise ist eine völlig andere. Die Schildeningen der Wanderung nach Bethlehem, der Verkündigung an die Hirten besitzen eine Erdennähe, zeugen für eine Freude am Volkstümlichen, jede Gebärde hat eine Schwere, jede Falte ist so dicht und stofflich, wie wir es nie in niedersächsischen Arbeiten fanden. Die zuerst betrachteten Braunschweiger Buchmalereien sind wohl auch kompakt und massig, und ihnen gegenüber sind die Bilder im Plenar Ottos des Milden vielmehr 14. Jahrhundert, aber sie besitzen eine Anschaulichkeit, einen Reichtum, der den niedersächsischen Arbeiten fehlt. Aus diesem Zusammenhang sind sie nicht zu verstehen. Vielmehr — irren wir nicht — kam ihr Meister in seinem Ursprung vom Oberrhein her. Die St. Gallener Weltchronik und die Manesse-Handschrift waren wohl Ausgangspunkte seiner Kunst. Dort hat er die Grundlagen empfangen, die Art zu komponieren und zu modellieren, die Art Menschen zu bewegen und zu erzählen. Für die Darstellung der Hirten auf dem Felde bietet der vermutlich aus Konstanz stammende Psalter in Manchester (cod. 95) ein im Erzählungston verwandtes Beispiel. Für die Formensprache im besonderen mag sodann auch eine Handschrift wie die Weltchronik Ms. germ. fol. 623 in Berlin wichtig gewesen sein. Aber dennoch: allein vom Bodenseegebiet erklärt sich die Art dieses Malers nicht. Wie der Maler dieser Weltchronik war auch der des Plenars ein Wandermaler, der gewiß erst nach mannigfachen Fahrten nach Braunschweig an den Hof Ottos des Milden gelangte. Vielerlei Eindrücke mag er zuvor empfangen haben. Sie im einzelnen noch zu bestimmen, ist unmöglich. Aber da er in diesem Falle in höfischen Diensten arbeitete, so liegt es nahe, an die große, am Marburger Hofe entstandene Handschrift zu denken. Gewisse elegante Faltenformulierungen könnte er sich dort abgesehen haben. Nur wird er nie so flächig, wird seine Falten- und Konturführung nie so Linienornament wie im Kasseler Willehalm. Er bewahrt seinen Gestalten eine gewisse Körperlichkeit und er verleiht ihnen ein unvergleichlich lebhafteres Temperament. Für die Datierung der beiden Bildseiten braucht naturgemäß das Datum des Rücken-Einbandes nicht unbedingt verbindlich zu sein. Sehr weit von ihm — er ist 1339 datiert — wird man sie nicht absetzen dürfen. Denn die angedeuteten Beziehungen machen eine Entstehung vor dem vierten Jahrzehnt durchaus unwahrscheinlich. In nahem zeitlichen Zusammenhang dürften Einband und Inhalt fertig gestellt und verbunden worden sein. Nicht viel später arbeitet ein Maler dieser Richtung — daß es derselbe wie der des Plenars gewesen wäre, ist zu kühn zu behaupten — in Ostpreußen, am Übergang zum nächsten Entwicklungsabschnitt ein anderer in Mecklenburg. Die Weltgerichtsdarstellung im Hamburger Roten Stadtbuch '9 stammt '9 Reincke, Die Bilderhandschrift des Hamburgischen Stadtrechtes von 1497, 1917 S. 6.

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von einem Maler, der seine Lehrzeit in den oberheidischen Städten durchgemacht hat. Von da, etwa vom Wöltingeroder Missale, muß sein Stil hergeleitet werden. Wie Reincke nachgewiesen hat, ist die Handschrift nicht 1292 — man nannte sie früher Hamburger Stadtrecht von 1292 — , sondern erst 1301 entstanden. Immerhin ein sehr frühes Datum und wiederum ein Beweis, daß jene zeichnerisch-flächig gestaltenden Buchmalereien nicht erst im zweiten Jahrhundertviertel, sondern schon um 1300 anzusetzen sind. Zweifelsohne etwas jünger, aber unverkennbar derselben Richtung gehört eine ausgeschnittene Initiale mit der Darstellung Christi als Weltenrichter, einigen Auferstehenden und den Engeln des Gerichtes an, die sich früher in der Albertina befand z0. In diesem Zusammenhange seien dann auch die Sachsenspiegel genannt, in erster Linie der Oldenburger, der auf Veranlassung des Grafen Johann von Oldenburg im Kloster Rastede von Hinrik Gloyesten geschrieben und 1336 vollendet wurde. Heute im Besitz Seiner K. H. des Erbgroßherzog von Oldenburg. Die Bilder sind nur zum kleinsten Teil koloriert, später sind sie in Umrißzeichnung stehen geblieben. Amira 21 hat nachgewiesen, daß die Umrißzeichnungen nach einer älteren niedersächsischen Sachsenspiegelhandschrift kopiert sind, die ihrerseits wieder auf die meißenische Urredaktion zurückgeht, ebenso wie die hochdeutschen Handschriften in Heidelberg (Cod. Pal. germ. 164) und Dresden (Ms. 32) Kopie und Umformung dieser meißenischen Urquelle sind. Der Stammbaum dieser Sachsenspiegelhandschriften sieht so aus: x (meißenische Urredaktion, um 1291—95) y / (Heidelberg)

H

I

/|

N (niedersächsische Redaktion, um 1313—23)

II

D(resden) 0(ldenburg, 1336) W(olfenbüttel)

Die künstlerische Bedeutung der Sachsenspiegelhandschriften steht weit hinter ihrer rechtsgeschichtlichen und kulturgeschichtlichen zurück. Sie bieten eine außerordentlich große Anzahl von Tatsachen des täglichen Lebens und sie bieten nicht nur Einzelheiten, die wir auch anderweitig hie und da verstreut erfahren könnten, sondern entwickeln ein geschlossenes Bild von Brauch und Gewohnheit im Leben des späten 13. und des 14. Jahrhunderts, das einzig dasteht. Gleichzeitig mit dem Oldenburger muß der Heidelberger Sachsenspiegel (cod. pal. germ. 164) entstanden sein, der Dresdner (Ms. 32; Bruck 58) wurde um 1360—70 in meißenischen Landen ausgeführt. Er ist die 10

Katalog X X von Gillhofer und Ranschburg, Luzern, Nr. 7. v. Amira, Die Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, 1902—03 und 1 9 2 1 ; Lübben u. v. Alten, Der Oldenburger Sachsenspiegel, 1879. 21

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bedeutendste der erhaltenen Sachsenspiegelhandschriften. Der Wolfenbütteler (Hs. Aug. 3. 1. fol.) ist eine Kopie nach dem Dresdner. Auch die wenigen Illustrationen des 1348 datierten Statutenbuchs im Ratsarchiv zu Zwickau " ) — die meisten Bildplätze sind leer geblieben — gehören in diesen Zusammenhang. Kostümgeschichtlich bedeutsam, daß der Krüseler schon vorkommt. Daraus könnte man schließen, daß die Malereien etwas später sind. Stilkritisch ist die Frage nicht zu entscheiden. Die Entstehungszeit der Sachsenspiegel äußert sich fast ausschließlich in solchen Äußerlichen — in den späteren tragen die Figuren die um die Mitte des 14. Jahrhunderts aufkommende bürgerliche Tracht — , kaum im Stilistischen. Höchstens daß man beim Dresdner Sachsenspiegel von einer gewissen Vergegenwärtigung sprechen könnte. Die formale Durchgestaltung aber ist in gewisser Hinsicht geringer als bei der Oldenburger Handschrift. Bei den jüngeren spürt man die Arbeit des Spezialisten, der die Bilder durch Hereinnahme von Äußerlichkeiten bereichert, künstlerisch aber völlig unschöpferisch ist. Mit der niedersächsischen Malerei sind die Illustrationen der Sachsenspiegel sehr lose verbunden. Am nächsten scheinen ihnen stilistisch die Bilder der älteren Handschriften des Wälschen Gastes — die Heidelberger (cod. pal. germ. 389) noch aus dem späten 13. Jahrhundert, die Gothaer (membr. I. 20) datiert 1340 und die etwa gleichzeitige Stuttgarter (cod. poet. u. philol. 1) — zu stehen, die ebenfalls Leistungen wandernder Spezialisten waren J3. " Abb. bei Bruck, Die Malereien in den Handschriften des Königreichs Sachsen, 1906 S. 169. '3 T. Oechelhäuser, Der Bilderkreis zum Wälschen Gast des Thomasin von Zerklaere, 1890.

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IX.

Cimrtngeti

Die Stellung Erfurts in Thüringen ist der Soests in Westfalen zu vergleichen. Nur ein einziges der hier zu behandelnden Werke stammt zuverlässig aus einer anderen thüringischen Stadt. Bedeutsamer Handelsplatz, Hauptstapelplatz für den gesamten innerdeutschen Handel, konnte sich Erfurt an Reichtum und Volkszahl, wenn auch nicht mit Köln, so doch mit Straßburg, Frankfurt, Nürnberg und Danzig messen. Es war zum Teil der politische, vollkommen aber der kulturelle Mittelpunkt Thüringens. Alle Kräfte des Landes versammelte es in seinen Mauern. Keine andere Stadt gab ihr Widerpart, wie es Zürich gegenüber Konstanz, Fritzlar gegenüber Marburg taten, ganz zu schweigen von den vielteilig-zersplitterten Verhältnissen am Mittelrhein und in Niedersachsen. Es herrschte in der Baukunst und Plastik souverän über Thüringen, es herrschte auch in der Malerei. Aber hier wie da stehen die Werke unverbunden, kaum verbunden nebeneinander. Was heute sich uns darbietet, sind mehr einzelne Vorstöße, sind Leistungen einzelner bedeutender Meister, von einer geschlossenen, traditionsgetragenen Werkreihe zu sprechen, ist nicht möglich i. Von dem in alten Nachrichten bezeugten großen Reichtum an Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert — um 1304 werden in einem Zyklus von fünfunddreißig größeren und kleineren, übereinander angeordneten Figuren die Wohltäter des Petersklosters verherrlicht, 1345 wird der Kreuzgang dieses Klosters mit Bildern aus der Genesis geschmückt, in diesen Jahrzehnten erhielt auch die Marienkapelle eine Ausmalung 2 : das sind einige Beispiele aus einem Kloster — sind nur ganz kümmerliche Reste auf uns gekommen. Das eine in diesem Abschnitt zu nennende Beispiel, gewiß eine reizvolle und Aufmerksamkeit fordernde Arbeit, kann keinesfalls eine Vorstellung von dem Verlorenen bieten: es ist die Darstellung des Marientodes in der Sediliennische der Predigerkirche, die nicht allzufern 109. der Jahrhundertmitte entstanden sein dürfte. Entsprechend einer alten, noch in den sächsischen Buch- und Wandmalereien des 13. Jahrhunderts vielgeübten Ikonographie steht hinter dem Lager Mariens Christus mit der Seele im Arm, zu Seiten des Lagers hocken und sitzen auf dem Boden die Jünger. Einige Figuren auf der linken Seite sind verloren gegangen. Gesunde, kräftige Menschen sind um Mariens Sterbebett versammelt. Sie haben rundbäckige Gesichter, und ihre blitzenden Augen sind selbst in diesem ernsten, traurigen Augenblick leuchtend und wie zum Lachen bereit. Rustikale Derbheit kennzeichnet sie. Auch Christus ist eine derbe Erscheinung. Der segnenden Gebärde seiner rechten Hand eignet keine besondere Würde. Man möchte an Anregungen vom Oberrhein denken. Dort fanden wir eine ähnliche, weltzugewandte Bodenständigkeit. 1 Overmann, Die älteren Kunstdenkmäler der Stadt Erfurt, 1911 S. 311 ff.; Hirsch, Erfurter Malerei, Diss. Jena 1922. 1 Die Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen I (1929) S. 639.

III

Die wenigen älteren Handschriften, die auf Erfurt zu beziehen sind — nie ist ihre Entstehung dort gesichert —, die zwei bemalten, schlecht erhaltenen Taschenreliquiare des städtischen Museums, die gegen 1300 entstanden sein mögen, bezeugen keine örtliche Schultradition. Offensichtlich: vor 1300 hatte Erfurt an der gesamtsächsischen Malerei Anteil, und nichts spricht für eine besonders aktive Teilnahme. Erst im 14. Jahrhundert scheint es zu einer beträchtlicheren Tätigkeit und Aufnahmefähigkeit gekommen zu sein. Aber auch da war man noch immer auf die Einführung fremder Werke und fremder Kräfte angewiesen. Die aus dem Peterskloster stammende Apokalypse und Biblia Pauperum der Weimarer Bibliothek entstammt einer hessischen Werkstatt. Das Herauswachsen der Kunst des 14. Jahrhunderts aus festen älteren Grundlagen, das wir in Braunschweig und Hildesheim beobachten konnten, fehlt völlig, und Zusammenhänge nach dieser Seite sind in Erfurt nicht zu erkennen. Aber auch andere, auf andere Schulen hinweisende Beziehungen lassen sich nicht weiter verfolgen. Selbst die durch weiße Begleitlinien ausdrücklich betonten Säume, die ganz ornamental aufgefaßt in vielfachen Windungen geführt sind, bieten keinen Anhaltspunkt. Mit Niedersachsen, man könnte an das Wennigsener Antependium denken, hat der Marientod der Predigerkirche nichts zu tun. Vielmehr scheint sich in ihm westliches Formgefühl zu äußern. Wenn der Maler nicht vom Rheine stammte, muß er da doch beeindruckt worden sein. Aus einer oberrheinischen Quelle schöpfte der Maler, der das am Ende des 18. Jahrhunderts nach St. Peter verschlagene Graduale des Erfurter Neuwerkklosters ausstattete (Karlsruhe, Cod. St. Peter 44) 3. Dagegen stammt die Form des Kanonbildes eines Missales aus Erfurt, das 1351 datiert ist — heute in London, Add. 10925 — wohl aus einer anderen Richtung. Um die Kruzifixusdarstellung, die links vom Kreuz Maria und Johannes den Jünger, rechts den Täufer zeigt, sind noch die vier Evangelisten und unter Arkaden in den vier Bildecken Heiligenfigürchen angeordnet. Diese Ausweitung des Bildes zu einer Rahmenkomposition läßt sich in den sächsischen Buchmalereien des 12. und 13. Jahrhunderts häufig nachweisen, könnte also auf eine lokale Überlieferung zurückgehen. Einige der Nebenfigürchen kann man sodann mit dem Graduale aus dem Neuwerkkloster zusammenbringen, der Stil des Ganzen, zumal der Hauptgruppe aber ist wohl aus Hessen, aus der Werkstatt des Fritzlarer Missale übernommen — kam also aus der gleichen Richtung nach Erfurt, aus der auch die Weimarer Apokalypse und Armenbibel kam. Die für diese Fritzlarer Arbeiten bezeichnende präzise, metallische Formgestaltung hebt dieses Bild aus allem sonst in Erfurt Erhaltenen heraus. Freilich ist seine Haltung weniger monumental, ist seine Form räumlich und körperlich weniger weit — das besagt nur, daß der Zusammenhang nicht allzu nahe angenommen werden muß. Vielleicht sind eine gewisse Bodenständigkeit und eine gewisse Welt3 Ettlinger in Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 54 (1900) S. 634.

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freudigkeit doch Merkmale der Kunst der reichen Handelsstadt. Der Bischof auf dem einen der beiden bemalten Türflügel, die von einem Sakristeischranke der Liebfrauenkirche in Arnstadt stammen, heute im ProvinzialMuseum zu Hannover, besitzt ein dem Johannes des Marientodes sehr ähnliches volles Gesicht. Seine Augen wie auch die von Christus und Thomas auf dem anderen Türflügel blitzen ebenso, und die Gebärde des Jüngers hat etwas Drängendes, eine Vulgarität fällt auf, die dann auch das Gesicht eines sogleich zu besprechenden Tafelbildes in großen Teilen bestimmt. Die Malerei der schlechterhaltenen Tür ist ganz flächig, die Farbe koloriert, die Zeichnung beschränkt sich auf wenige knapp geführte, kantig-eckige Striche. Sehr deutlich macht die Erfurter künstlerischen Verhältnisse der große vielfigurige Kalvarienberg in der Predigerkirche. Das von einem spitzbogigen Holzrahmen eingefaßte Tafelbild ist in eine Nische des Chor- 112. schrankenbaues eingefügt, für die es zweifelsohne von vornherein bestimmt war. Eine niedrige, wenig vorspringende, mit sehr zerstörten Halbfiguren männlicher und weiblicher Heiligen bemalte Predella schließt es unten ab. Die Kalvarienbergdarstellung selbst ist bemerkenswert gut erhalten. Die Verteilung der Massen — das Bild beherbergt, abgesehen von der Predella, nicht weniger als einundsechzig Figuren und achtundzwanzig Pferde — ist ziemlich weitgehend symmetrisch. Die Mittelachse nimmt im untersten Teil der kniende Stifter ein, zu dem an den Ecken in nischenartigen Architekturen zwei Frauen sich fügen; über ihm steigt ein hoher Felsblock empor, auf dem das Kreuz Christi steht und vor dem ein kleiner, mit einer Lanze den Essigschwamm zu Christus hinaufreichender Reiter, Stephaton, sich bewegt, während zu Seiten, in Christus etwa entsprechendem Maßstabe, Maria und Johannes stehen. Um diese Mittelachse fügt sich auf steil ansteigenden Felsschwellen die große Zahl des fast ausschließlich aus berittenen Kriegern, Schriftgelehrten und Juden bestehenden Volkes. Nur links unten stehen einige Leidtragende, unter ihnen eine die Hände ringende Frau (Magdalena ?). Aus dieser Horizontalschichtung ragen die Kreuze der Schächer heraus, am Rande wird die Versammlung durch torartige Bauwerke eingefangen. Die auf der obersten Felsschwelle dem Kreuze Christi sich nahenden Reiter sind besonders herausgehoben. Einer trägt eine Standarte mit der Aufschrift S P Q R, ihm gegenüber hält ein anderer die Reichsstandarte mit dem schwarzen Adler. Sie begleiten den guten Hauptmann einerseits, andererseits den sehr kostbar bekleideten Longinus, der die Lanze in Christi Brust stößt. Die zahlreichen Figuren sind mit einer merkwürdigen Lebendigkeit und Realistik geschildert. Dabei ist die Auffassung des Ganzen nicht aus einem Guß. Der Gekreuzigte, Maria und Johannes sind nicht nur viel größer als das Volk, sie erfüllt auch eine feierliche Monumentalität, die an scharfem Widerspruch zu dem kleinteiligen und aus einer völlig anderen Erfahrungswelt geborenen Figurengewimmel um sie steht, das in lebhaft bewegtem Hinundher an dem Ereignis teilnimmt. Derb und roh ist dies Volk charakterisiert, mit großen Köpfen, mächtigen, häßlichen " 3

Nasen, langen, wilden Barten. Wild bewegen sich die Pferde, wenden heftig ihre Hälse. Rüstungen und Prachtgewänder sind ausführlich beschrieben. Eine in Deutschland sonst unbekannte Welt ist offenbart. Wie kommt sie nach Erfurt? Daß sie hier nicht bodenständig ist, steht außer Zweifel. Aber von wo ist sie überhaupt abzuleiten? Der Maler muß in Europa weit umher gewandert sein. Sicher hat er die Alpen überschritten — nur aus Italien ist diese volkreiche Kreuzigungsdarstellung, so wie die des Klosterneuburger Altars oder die aus der Sammlung Kaufmann im Deutschen Museum zu Berlin, die der Sammlung Böhler in München, die in der rechten Hälfte erhaltene in Heilsbronn, zu erklären. In der Nachfolge Duccios ist die Kreuzigung zuerst so weitschweifig geschildert worden. Man darf an Lorenzettis Fresko in S. Francesco in Assisi erinnern, näher steht wohl noch das des Barna in der Chiesa della Collegiata in San Gimignano, das aber jünger ist als die Erfurter Darstellung. Diese setzt sich grundsätzlich von allen italienischen durch ihre flächig-unräumliche Formgestaltung ab. Raumlos steigen die Streifen der Figurenschichtung übereinander empor. Auch Überschneidungen und Rückansichten helfen nicht zu einer Vertiefung des Bildes. Der Maler hat von Italien nur das Thema und den Reichtum der Motive, nicht das Gestaltungsproblem übernommen, oder anders ausgedrückt: er hat die italienische Komposition in den kalligraphisch-flächigen Stil des mittleren 14. Jahrhunderts übersetzt. Mit harten, schwarzen Linien umreißt er die Formen. Nur Christus, die Schächer, Maria und Johannes sind plastisch durchmodelliert und wirken dreidimensional. Gewiß war hier nicht eine zweite Hand am Werke — auch sie müßte ihre Ausdrucksmittel in Italien erlernt haben; das macht die mittlere Gruppe ganz deutlich —, vielmehr hat der Maler hier seine Quelle anders ausgewertet oder hat an ein anderes exemplum angeknüpft. Verschiedene und verschiedenartige Vorbilder sind verarbeitet. So allein und nicht anders ist diese Verschiedenartigkeit zu deuten. Die Datierung der Tafel ist durch den Stifter gegeben. Das Wappen zu seinen Füßen ist das der Erfurter Patrizierfamilie Longus (Lange). Die Tracht — tiefe Gürtelung und Krüseler finden sich — weisen auf die Zeit um oder bald nach Mitte des Jahrhunderts. Damals waren nur mehr zwei Mitglieder der Familie am Leben. Der eine, Gottschalk, wird I345> der andere, Hugo, wird 1360 zuletzt erwähnt. Vielleicht hat die Kirche — es ist ein ansprechender Gedanke — zum Andenken an den Letzten dieser Familie, der sie viel zu danken hatte — die Longus gehörten zu den besonderen Wohltätern der Predigerkirche — dieses Epitaph malen lassen. Für uns ist die Tafel wichtig als zweites Beispiel einer italienischen Welle, der wir zuerst in Köln — Kreuzigungen in der Minoritenkirche und bei Baron v. Hirsch in Frankfurt — begegneten und die große Strecken der südostdeutschen Kunst bestimmte. Am deutlichsten veranschaulichen die bürgerliche Haltung Erfurts wohl 110—in. die runden, bemalten Holzschilde, die ursprünglich den Saal des alten, 114

Drei Tafeln kennen wir von der Hand dieses Malers: die Darstellung, 113—115. wie Joseph in Maria die Mutter des Heilands erkennt im Deutschen Museum zu Berlin, die Krönung Mariens, die aus der Sigmaringer Galerie in die des Staedel nach Frankfurt 5 gelangt ist, und eine Darstellung der beiden Johannes in der Sammlung Fuld 6 . Keines der Bilder bietet einen Hinweis auf ihren ursprünglichen Standort. Daß die drei Tafeln von einer Hand sind, kann nicht bezweifelt werden, und wahrscheinlich gehörten sie ursprünglich zu einem Altar. Ihre Maße sind annähernd gleich, nur die Fuldsche ist schmäler. Wir müssen das Altärchen nach Art des Altenberger Altars mit verschieden großen Feldern und verschiedener Einteilung der Außen- und Innenseiten rekonstruieren. Die Berliner Tafel zeigt rückwärts die obere Hälfte eines Schmerzensmannes unter gotischem Maßwerk, das Fuldsche die obere Hälfte einer Kreuzigung und den untersten Streifen einer weiteren Darstellung, wohl einer Darbringung im Tempel. Daß die Tafeln zusammengehören, bezeugen auch die Schrift der Spruchbänder und gewisse Schreibfehler (logidur, vide == vitae). Gegenüber den soeben betrachteten Erfurter Malereien heben sich diese Täfeichen sehr deutlich ab. Mit einem nachdrücklichen Bemühen um Eleganz und zierliche Formbewegung sind die Linien, die reizvollen, spielerischen Saumwindungen, die langen, dünnen Finger, die schmalen, edlen Nasenrücken, gezeichnet. Und wie duftig ist die Malerei der Bärte und des Haares. Die grünen und roten, mit Gold brokatierten Gewänder liegen in feinfühligen, zarten Falten dem Körper an, die mehr als sonst zu dieser Zeit in Deutschland betont sind. Lebhaft, aber nie heftig, eher tänzelnd ist die Bewegung der Falten und Säume. Heiter und mehr spielerisch als sonst ist die künstlerische Gesinnung. Die Tafeln sind, wenn man einmal einen für spätere Erscheinungen geprägten Ausdruck verwenden darf, typische Arbeiten eines Kabinettmalers, der kleinformig denkend eine weltliche, höfische Eleganz erstrebt. Seine zarten, grazilen Figürchen haben dünne, zerbrechliche Glieder, feine Gelenke, kleine, sehr lebendig blickende Augen. Höchst persönlich ist der Ausdruck Josephs etwa, der Blick seiner Augen, die Gebärde seiner Rechten. Das Menschliche ist zu fassen gesucht. Oder wie ist der Anachoret dem jugendlichen Lieblingsjünger gegenüber charakterisiert. Ist diese Art von Individualisierung der Figuren schon ungewöhnlich, so ist es nicht minder die räumliche Ausgestaltung. Der vielteilige mit Lehne und höchst merkwürdigen Aufbauten versehene Thron schafft im Berliner Bilde einen symmetrisch orientierten, völlig klaren und einheitlichen Bildraum. In dem Frankfurter sind Bank und Aufbau verschiedenseitig schräg in die Tiefe gestellt. Oben und unten klingen nicht zusammen, aber daß die räumliche Gestaltung als künstlerisches Problem erkannt ist, das wird dort auch deutlich. In der Johannestafel endlich ist eine Art Kastenraum um die Figuren gebaut, ein aus dünnen, vielfach aus5 Rieffei im Staedel-Jahrbuch 3—4 (1924) S. 59. Katalog der Frankfurter Ausstellung aus Privatbesitz 1925: Zweite Veröffentlichung des Staedelschen Kunstinstituts, 1926 S. 54.

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weist nach Italien. Die betonte Körperlichkeit wäre durch eine Einwirkung von da am besten zu verstehen, die Raumgestaltung ist überhaupt nur so zu erklären. Bei den Thronbauten könnte man an die Architekturen des Cäcilienmeisters 8 denken, nur daß sie der deutsche Maler gotisiert hat. Die Formen sind dünngliedriger, sperriger geworden, die Wände sind durch ein Gestänge ersetzt, der Steinbau ist in Holzformen umgedeutet. Das große Spitzbogenfenster ist eine deutliche Lizenz an den Norden. Der Kopf Christi erinnert auffallend an den des Christus in der Marienkrönung des Maestro Paolo, ehemals in Sigmaringen 9. Auch die Vorliebe für brokatierte Gewänder darf wohl so erklärt werden. Freilich — die Gewänder lehren es vor allem — hat nordisches Formgefühl das italienische Erlebnis stark umgedeutet. Die Falten, der Duktus der Säume sind nur aus der deutschen Kunst zu verstehen. Die Architekturen setzen sich deutlich gegen italienische ab. Aber dennoch: wo wird damals in Deutschland das Sinnliche noch so hoch gewertet, wie es hier der Fall ist? Es ist noch immer von italienischer Art erstaunlich viel geblieben I0. Wie wenig bewahrte dagegen der Maler des Longusschen Kalvarien4°> 176. berges. Man muß die Täfelchen in Parallele zu der Kreuzigung beim Baron v. Hirsch in Frankfurt und zu dem Hohenfurther Passionszyklus stellen. Italienische Anregungen haben ihre Form bestimmt. Zumal bei diesen mitteldeutschen ist sie kaum im Ortlich-Bodenständigen bedingt gewesen, wenn sie sich dann auch so ausgewirkt hat. Entscheidend war die Art, wie ihr Meister italienische Kunst erlebt und was er von ihr gesehen hatte. Wie jene anderen Parallelen in Köln und in Südostdeutschland müssen diese Täfelchen um die Mitte des 14. Jahrhunderts angesetzt werden. Sie sind nicht so westlich in ihrer Haltung wie das Kölnische Kreuzigungsbild, aber auch nicht so östlich wie das Hohenfurther Werk. Dagegen darf man sie mit jenen späteren Werken aus Erfurt, Merxhausen und Heiligenstadt und auch mit dem Marientod der Erfurter Predigerkirche, zu dem vor allem von ihren schwächeren Außetfseitenmalereien Beziehungen führen, zusammen nennen. In die Nähe dieser drei ursprünglich wahrscheinlich zu einem Altar gehörenden Tafeln muß ein kleines Bildchen mit der thronenden Maria zwischen zwei stehenden Heiligen im Wallraf-Richartz-Museum geordnet werden. Wenn auch nur die Arbeit eines schwachen Nachfolgers, ist die Verwandtschaft doch unverkennbar. Anders ist, daß im Sinne der Entwicklung des späteren 14. Jahrhunderts die Körpermasse stärker in Erscheinung tritt und die Gewandbehandlung malerisch-weicher ist. Man wird es gegen 1360—70 ansetzen müssen, womit ein indirekter Beweis für die Richtigkeit der Datierung um Mitte des 14. Jahrhunderts für die Tafeln in Berlin, Frankfurt und bei Fuld gegeben ist. * Marie, The Development of the italian schools of painting III, 1924 Fig. 160. » Marie IV 1924 Fig. 6. 10 Ein sehr ähnliches italienisches Erlebnis hat das französische Verkündigungsbild der Sammlung A . Sachs in New York geformt. Il8

Die Ikonographie erinnert an das Fritzlarer Kanonbild, der Stil weist nach Wienhausen; und zwar darf man es sowohl mit den Wandmalereien wie mit den Glasfenstern dort in Verbindung bringen. Die Faltung der Gewänder ist etwas reicher, im ganzen sind die Unterschiede nicht sehr groB. 2. Am Anfang der stadtlübischen Malerei — und zwar handelt es sich ausschließlich um Wand- und Tafelmalereien; Buchmalerei 5 scheint ebenso wie Glasmalerei in den Hansastädten nur sehr selten gepflegt worden i i 6. sein — stehen die Malereien an der Lettnerrückwand in der Kirche des Heiliggeistspitals. Uber dem Hauptaltar ist die Kreuzigung und darunter als predellenartiger Streifen der Tod Mariens, eingefaßt von zwei stehenden Engeln mit Spruchbändern, dargestellt. Über dem ehemaligen südlichen Nebenaltar die Krönung Mariens und die Trinität. Die erstere Szene begleiten zwei große, kerzenhaltende Engel, die zweite, in der der ersten entsprechend Gottvater und Christus auf einer Bank sitzen, begleiten Maria und Johannes in der Haltung der Fürbitter. Am Lettner selbst finden sich Reste einer Verkündigung, einer Maiestas, eines auferstehenden Christus, eines Posaune blasenden Engels. Die Malereien an Süd- und Nordwand sind so völlig neugemalt, daß jeglicher Anklang an den alten Bestand verwischt ist. Auch die am Lettner sind erneuert, immerhin haben sie noch einigen Zeugenwert. Sie bieten kein günstiges Bild von der lübischen Malerei um 1300. Daß der Lettner (ohne die Brüstung) um 1300 errichtet wurde und nicht erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert, wie häufig behauptet wird, bestätigen die Basen der Säulen mit Eckblättern. Für diese frühe Ansetzung sprechen aber auch die romanische Blockhaftigkeit der Figuren, die weitabstehenden Falten, noch vereinzelt vorkommenden Zackenmotive und die Besätze und Mantelschließen der Engel. Eine genauere Einordnung erlaubt der stark veränderte Bestand nicht, doch wird man sie wohl mit niedersächsischen Arbeiten in Verbindung bringen dürfen. Vielleicht darf man sie von sächsischen Werken wie etwa dem Wennigsener Antependium herleiten. An diese Lübecker Malereien lassen sich eine ziemlich beträchtliche Anzahl Wandmalereien in Mecklenburg anschließen, die, wie es scheint, gleichfalls als Abzweigungen niedersächsischer Malerei aufgefaßt werden müssen. Sie sind sämtlich so stark erneuert, daß eine eingehendere Untersuchung unmöglich ist. Genannt seien die Wandmalereien in der Kirche zu Mölln, in der nördlichen Marienkapelle des Domes zu Schwerin, die in Büchen, in Berkenthin, in Lauenburg, Boitin und Toitenwinkel 6 , in der Marienkirche zu Wismar. 5 Die einzige Ausnahme ist die von niedersächsischer Art abhängige Weltgerichtsdarstellung in der Initiale der aus dem Jahre 1348 stammenden Handschrift des Lübischen Rechts. Abb. bei Hasse, Miniaturen des Staatsarchivs in Lübeck, 1897. 6 Abb. in den Bau- und Kunstdenkmälern Mecklenburgs; weiterhin bei Beyer, Norddeutsche gotische Malerei, 1924.

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vielleicht mehr nach Hessen. Auf der Mitteltafel des Fronleichnamsaltars ist die allegorische Kreuzigung Christi durch sieben Frauengestalten, die Kardinaltugenden, dargestellt. Auf angelehnten Leitern stehen humilitas und veritas und schlagen die Nägel durch Christi Hände. Die obedientia, auf dem Querbalken hockend, drückt Christus die Dornenkrone auf das Haupt. Justitia und pax schlagen kniend den Nagel in Christi Füße. Caritas stößt ihm die Lanze in die Brust, perseverantia hält Kelch und Nägel. Die literarische Quelle dieser Darstellung ist nicht bekannt. Doch sprechen verwandte Darstellungen in Zisterzienserklöstern, — so ein Glasfenster in Wienhausen, das ebenfalls Caritas den Lanzenstich ausführend zeigt, während iustitia und pax in Halbfiguren über dem Querbalken, misericordia und veritas unter dem Kreuze erscheinen — dafür, daß diese Bilder in Zisterzienserkreisen gepflegte Gedankengänge veranschaulichen. Auf den Flügelinnenseiten thronen je zwei Propheten unter rundbogigen Arkaden, links Jesaias und Ezechiel, rechts Jeremias und Daniel. Die Außenseiten endlich zeigen vier Szenen aus der Jugend Christi: Verkündigung, Geburt, Anbetung der Könige und Darbringung im Tempel. Leider ist die Erhaltung der Festtagsseite sehr schlecht. Große Teile der Farbschicht sind abgeblättert. Der Zusammenhang mit den Pfeilermalereien in der Jakobikirche ist noch immer faßbar. Der Faltenstil, die Typik der Figuren, die mit starken Dunkelheiten modellierten Gesichter und Gewänder, der Ausdrucksreichtum sind so nahe verwandt, daß man eine enge Verbindung annehmen muß. Der Gekreuzigte entspricht dem des Lübecker Gnadenstuhles wörtlich. Freilich sind die Pfeiler figuren, das ist nicht zu verkennen, feuriger und bewegter. Die Formensprache des Fronleichnamsaltars ist stumpfer, die Gewänder sind massiger und schwerer, die Faltungen trockener, bewegungsarmer. Dies und weiterhin die Pracht der leuchtenden Farbe und die stracke, leicht nach rückwärts gebogene Haltung der Figuren weisen 79—81. auf die Hofgeismarer Tafel und mehr noch auf das Fritzlarer Missale (Kassel Ms. theol. fol. 162) hin. Die Figuren der Ecclesia und Synagoge des Kanonbildes darf man wirklich Geschwister der Kardinaltugenden nennen. Vor allem nachdrücklich betont diesen Zusammenhang die Abendmahltafel. Einzelne Köpfe scheinen unmittelbar aus der Hofgeismarer Tafel übernommen zu sein. Ein etwas ungelenker und derber Geselle hat den Meister ausgeschrieben, indem er seine Art von Hessen nach Lübeck und Doberan übertrug. Unter seinen Händen wurde die krampiig gespannte Oberlippe zu einem schematischen M, die Falten an der Nasenwurzel zu zwei parallelen Strichen. Die Gewänder sind rundlicher, weichlicher, eine ungeordnete Beweglichkeit eignet ihnen. Die Gebärden der Figuren sind drängender, ihre Gesichter verzerren sich zur Grimasse. Etwas von dem erregten Leben der Pfeilerfiguren in der Jakobikirche ist doch in ihnen. Verschiedene Einflüsse kreuzen sich, die Herkunft bleibt aber deutlich. Vielleicht sind auch gewisse englische Anregungen nicht bedeutungslos gewesen. Die skandinavischen Lande gehörten damals unmittelbar zum englischen Kunstbereich. Englische Werke wurden nach Norwegen eingeführt, englische Maler arbeiteten da. In Schwerin und Danzig und vielen 122

anderen Orten zeugen Alabasterreliefs und Nadelstickereien — opus anglicum genannt — für die Begehrtheit englischen Kunstgewerbes in diesen Gebieten. Vor allem sind aber die Wandmalereien im Kreuzgang des Schleswiger Doms 9, im Schwahl, ohne die stärksten englischen Einflüsse nicht zu denken. In einundzwanzig Feldern, im Schildbogen von einem Weinlaubstreifen gerahmt, unten durch einen Tierfries abgeschlossen, ist die heilige Geschichte von der Geburt Christi bis zum Tode Mariens erzählt. Die gewiß feinfühligen Erneuerungen sind so beträchtlich, daß das ursprüngliche Aussehen dieser großzügigen Kompositionen kaum noch geahnt werden kann. Ehemals mögen sie zu den bedeutendsten Leistungen norddeutscher Kunst gezählt haben. Die Größe der Formensprache, die Rhythmik der Flächenbesetzung ist auch heute noch eindrucksvoll. Zwei oder drei Hände haben sich in die Arbeit geteilt: eine, deren Figuren noch an romanische Art erinnern, und eine oder auch zwei jüngere Hände, die beweglichere Formen gestalten. Ihre Figuren lassen an die der Lübecker Jakobikirche denken. Aber ohne tiefgreifende englische Einflüsse sind die Schleswiger Malereien kaum zu verstehen. Clemen 10 weist auf die Wandmalereien in Croughton und Chalgrove hin die um 1300 entstanden sind. Nach Haupt 1 1 ist der Schwahl um 1309, wenn nicht früher, errichtet worden, sicherlich noch in den ersten Jahrzehnten sind auch die Malereien ausgeführt worden. Man wird schon in Schleswig die Beziehungen nicht zu eng annehmen dürfen. Clemen betont mit Recht, daß „die Malereien von Schleswig so viel Persönliches, Starkes haben, das nirgendwo in der englischen Malerei nachzuweisen ist". Paul J3 sieht nahe stilistische Beziehungen zum Soester Nequambuch. Mehr noch ist die Bedeutung englischen Einflusses für die Bilder der Jakobikirche und die Tafeln in Doberan einzuschränken. Mehr als allgemeine Anregungen, die in dem mit England wirtschaftlich, politisch und auch kulturell vielfach verbundenen Norddeutschland nur zu erwarten sind, sind in diese Werke nicht eingegangen. Und letztlich ist es wohl die Ähnlichkeit der inneren und äußeren Voraussetzungen, die die Verwandtschaft einzelner norddeutscher und englischer Werke erklärt '4. Stellt man englische Werke wie das Marienleben im Cluny *5 oder die Altartafel in Bergen 16 neben die Doberaner, so zeigen sich so beträchtliche, grundsätzliche Ünterschiede, daß ein engerer Zusammenhang abgelehnt werden muß. Dagegen bietet die westfälische und hessische Malerei so 9 Holzen in Zeitschrift für bildende Kunst N. F. XI (1900) S. 11; Clemen a. a. O. S. 28. 10 A. a. O. S. 29. 11 Borenius und Tristram, Englische Malerei des Mittelalters, 1927 Taf. 50—54. 11 Bau- und Kunstdenkmäler in Schleswig-Holstein II S. 313. *3 A. a. O. S. 23. m Clemen a. a. O. S. 28: auch S. 25: „Unter den in den norddeutschen Städten und Sammlungen erhaltenen Tafeln ist keine, die man als englischen Ursprungs bezeichnen könnte, auch keine, die man in demselben Sinne wie die zweite Gruppe der skandinavischen als englisch aus zweiter Hand ansprechen darf." 'S Borenius und Tristram a. a. O. Taf. 45. 16 Borenius und Tristram a. a. O. Taf. 48/49. 123

weitgehend verwandte, ja gleichartige Werke, Werke die mit den Doberaner Tafeln innerlich und in der äußeren Erscheinung so eng verbunden sind, daß an einer Verbindung nach dieser Richtung nicht gezweifelt werden kann. Von diesen Kunstkreisen sind die Malereien in Lübeck und Doberan — ob auch die des Schwahl in Schleswig bleibe dahingestellt — abzuleiten. Es ist nicht zu gewagt, anzunehmen, daß ein in Fritzlar oder Soest ausgebildeter Maler nach Lübeck wanderte und dort die Tafeln für Doberan schuf. Für diesen Zusammenhang sprechen auch die Daten. Das Nequambuch stammt aus dem zweiten Jahrzehnt. Im gleichen sind auch die Wandmalereien in der Soester Petrikirche und der Hofgeismarer Altar entstanden. Nicht sehr viel später muß das Fritzlarer Missale angesetzt werden. Andererseits wird für die Pfeilerfiguren in der Lübecker Jakobikirche das Weihedatum 1334 annähernd verbindlich sein, der Fronleichnamsaltar muß zwischen 1338 und 1341 ausgeführt worden sein. Eine Urkunde vom Jahre 1341 meldet, daß die Mönche Johann und Heinrich Wise drei Altäre gestiftet haben, darunter auch einen Fronleichnamsaltar. Man darf darin — es ist keine allzu kühne Vermutung — den erhaltenen wiedererkennen, will man nicht anders die Stiftung zweier Fronleichnamsaltäre innerhalb weniger Jahre annehmen. Demnach wäre dieser vor 1341 entstanden. 1338 aber starb ein Bruder der beiden Mönche, Peter Wise, ein wohlhabender Lübecker Bürger, der dem Kloster oft „als ein hülfreicher Retter erschienen". Sein Grabstein und eine sein Bild zeigende Gedächtnistafel sind noch heute in der Kirche erhalten. Da die beiden Mönche ihren Bruder beerbten, darf man darin wohl den Anlaß zur Stiftung der Altäre, also auch des Fronleichnamsaltars, sehen. Aus dieser Lübecker Werkstatt sind sodann auch die Figuren des Abel 124—125. und Melchisedek hervorgegangen, die auf den Schranktürinnenseiten des Kelchschrankes in Doberan '7 gemalt sind. Man möchte vor ihnen von einem Wiedererwachen romanischer Kunst sprechen. Bordüren und Mantelschließen, die Art, wie die Figuren in die Fläche gestellt sind, selbst der Faltenstil scheint am Ende des 13. Jahrhunderts am ehesten denkbar. Doch ist nicht zu zweifeln, daß sie mit dem Schrank und seinen Skulpturen gleichzeitig gegen Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden sind. Und am Ende verleugnen sie den Zusammenhang mit dem Fronleichnamsaltar auch nicht, nur sind sie außerordentlich viel massiger und blockiger als dessen Figuren, ohne jedoch wieder den Weg in das spätere 14. Jahrhundert anzudeuten. Vielleicht sind sie von einem Maler gemalt, der ursprünglich aus der Werkstatt der Malereien des Heiliggeistspitals kam und erst später seine grobe und schwere Formensprache mit der herberen und bewegteren des Fronleichnamsaltars verband. Um diese Beziehungen richtig zu erfassen, muß man den Abel mit dem Kerzenträger auf dem Darbringungsbilde dieses Altars einerseits, dem kerzentragenden Engel in der Marienkrönung über dem Nebenaltar des Heiliggeistspitals andererseits vergleichen. Die Reliefs sind stark westlich, rheinisch bestimmt, •7 Habicht a. a. O. S. 77; Burmeister, Mecklenburg, 1927 S. 3 1 .

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für die Herleitung der Malereien wird man nicht weit ausblicken brauchen. Ihr Stil ist eine provinzielle Verbindung verschiedener wohl auch aus der Fremde stammender, nun aber schon in Lübeck Heimatrecht erworbener Richtungen. Die Gedenktafel für Peter Wise 18 in Doberan, der 1338 starb, ist vollständig übermalt. Damit ist ein schon wegen der Seltenheit wichtiges, frühes gemaltes Bildnis unserer Betrachtung entzogen. Über einer ungefähr quadratischen, in späteren Jahrhunderten wiederholt erneuerten Inschrifttafel, die besagt, daß die Tafel von den Mönchen aus Dankbarkeit für die verschiedenen Stiftungen dem Verstorbenen errichtet worden sei, steht in einem rechteckigen Felde Peter Wise, leicht nach links gewendet, in der bürgerlichen Kleidung seiner Zeit und hält neben sich sein Wappen. 4Um die Mitte des Jahrhunderts sehen wir eine neue Richtung am Werke. Anscheinend ohne jede innere Beziehung folgt sie auf die ältere. Ein Vorstoß löst den anderen ab, keinerlei Kontinuität verbindet sie. Der koloniale Charakter der lübisch-sundischen Kunst wird deutlich. An der Spitze dieser um die Mitte des Jahrhunderts arbeitenden Richtung steht die Kreuzigung mit Maria und Johannes, Petrus und Paulus und dem 120. hl. Nikolaus in der Nikolaikirche zu Stralsund: höchst monumental und höchst eindrucksvoll. Auch bei ihr ist Vorsicht am Platz. Sie ist sehr stark erneuert, große Teile sind vollkommen neu '9. Christus hängt wieder zwischen Maria und Johannes, und der breit ausladende Querbalken faßt nicht nur sie, sondern auch die Apostelfürsten mit ein. Nur der hl. Nikolaus steht außerhalb. In dünnen Faltengehängen sind die Gewänder um die zartgliedrigen, dünnen Körper der Figuren gelegt. Mit weichfließenden Linien sind die Formen gefaßt. In zeitloser Verhaltenheit steht Maria still unterm Kreuz neben dem riesigen Leib des Gekreuzigten, in dem wahrhaft noch etwas von der Wucht und Monumentalität des 13. Jahrhundert ist, in edler Würde lebhaft blickend stehen zu seiten Petrus und Paulus, in Johannes aber bricht schrill schmerzvolle Klage hervor. Er hat die Arme schräg über die Brust und den einen zur Stirn an das gesenkte Haupt erhoben. Zweifelsohne gehören zu dieser Kreuzigung die Darstellungen des Auferstandenen 20 und des Christophorus 21 in der gleichen Kirche, nahe verwandt ist ihnen eine kleinere Kreuzigung mit Maria und Johannes und zwei weiblichen Heiligen im Unterchor der Lübecker Katharinenkirche die den Vorzug besitzt, nicht so weitgehend restauriert worden zu sein, wie es bei den Stralsunder Malereien der Fall ist. Freilich hat sie auch nicht die hohe Qualität. Die Formen sind dürftiger, Christus ist klein und hager. Dennoch ist ein werkstättlicher Zusammenhang nicht zu verkennen. 18

Habicht a. a. O. S. 74, Taf. XIII. •» Paul a. a. O. S. 6. 10 Paul a. a. O. Taf. 2. 11 Paul a. a. O. Taf. 3. " Paul a. a. O. Taf. 1. 125

Eine Ableitung ist schwer zu geben. Gewiß stammt die Form dieser Bilder aus einer anderen Quelle. Man wird weiter nach dem Westen gehen müssen. Die Ausdrucksmittel sind geschliffener. Klar und rein ist die Zeichnung. Kühle Überlegung scheint die Formen zu lenken, und nie geschieht es auf Kosten des Sinnlichen. Die Gebärden, die Mimik der Gesichter, aber auch die Faltung der Gewänder ist durchaus sinnenhaft. Mit weltmännischer Haltung blickt Petrus zur Mittelgruppe. Und wie eminent genossen ist die Kühnheit der kurvigen Durchbiegung des Johannes. Köln hat hier einen Vertreter seiner Art gesandt. Allerlei Erinnerungen an die Domchorstatuen, die Chorschrankenmalereien und vor allem die Buchmalereien des Johannes von Valkenburg werden lebendig. Der Bildtypus der Kreuzigung mit Maria und Johannes und anderen Heiligen zu ihren Seiten ist durchaus kölnisch: etwa St. Andreas, St. Kunibert, Minoritenkirche. Aber auch die Formensprache muß von da hergeleitet werden, wenn es auch nicht gelingt, einen unmittelbaren Ausgangspunkt nachzuweisen — vielleicht deshalb, weil andere Anregungen sich mit den kölnischen in den vorliegenden Werken schon verbunden haben. Die stärkere Erregung darf vielleicht aus einer Durchkreuzung mit jenen von hessischen Voraussetzungen abzuleitenden Werken erklärt werden. Der übrige Westen bietet nichts Näherliegendes. Und so muß wohl auch das prachtvolle Wandbild im oberen Chor der 119. Katharinenkirche 23 verankert werden. Dargestellt sind unter gotischen Baldachinen nebeneinander stehend drei in Lübeck verstorbene und in der Kirche begrabene Bischöfe: Bischof Johannes von Reval f 1320, — als episcopus electus hat er die Mitra im Arme — , Bischof Helembert Visbeke von Schleswig f 1343, Bischof Jakob von Oesel "J" 1337. Das Bild war nicht übertüncht und ist sehr behutsam ausgebessert. Die schlanken, aufrechten Gestalten, prachtvoll ausgeglichen in ihrer äußeren Erscheinung und dem vornehmen, stillen Ausdruck ihrer Gesichter, haben ihren nächsten Verwandten noch immer in dem hl. Bischof, der die eine Bildseite des Eidbuchs der Gaffel Windeck einnimmt. Die Gewandbehandlung, die Sprache der Hände, die Bewegung des Körpers ist völlig gleichartig. Ihre ersten Ahnen zeigt in Köln die Erzbischofreihe der Dorsalemalereien. Durch diesen Hinweis wird die Formbehandlung bis in die letzten Einzelheiten verständlich, wenn das Lübecker Bild auch einige Jahrzehnte später anzusetzen ist. Die Baugeschichte der Kirche erlaubt nicht, seine Entstehung vor der Mitte des Jahrhunderts anzunehmen. Und vielleicht deutet sich die spätere Entstehung auch in der weicheren Modellierung und der rundlicheren Körperlichkeit an, soweit der immerhin verriebene Erhaltungszustand eine solche Beurteilung noch gestattet. Nachdrücklicher ist dieses Bild zweifelsohne mit dem früheren 14. Jahrhundert verbunden. Die Stralsunder Kreuzigung kann schon in den ersten Jahrzehnten entstanden sein, die im unteren Chore der Katharinenkirche — bei diesem Teil erlaubt es die Baugeschichte — wird in das vierte oder fünfte Jahrzehnt anzusetzen sein. a3 Paul a. a. O. S. 18 Anm. 2. 126

Für unsere Ableitung dieser Wandmalereien in Lübeck und Stralsund aus westlichen Quellen sind verschiedene Hinweise in Lübecker Urkunden wichtig, die uns aus dem Westen gekommene Meister nennen: 1338—51 Petrus de Cortraco (Kortryk), 1353—55 ein Soester Maler Albertus ranne Graue, 1356 Johann von Brusle. Endlich sei noch ganz kurz auf die vor einigen Jahren beim Abbruch des Hauses Johannisstraße 18 in Lübeck zum Vorschein gekommenen Wandmalereien hingewiesen. Sie konnten leider nicht erhalten werden; nur Photographien und Aquarelle bewahren uns eine kleine Anschauung von ihnen. Die friesartig angeordneten Malereien boten in Medaillons Illustrationen zum Parzival und einem nicht mehr zu deutenden Inhalte. Derlei Illustrationen weltlicher Stoffe waren in Norddeutschland wie auch in dem vorwiegend bürgerlichen Südwestdeutschland sehr beliebt. Es sei nur an die Wienhausener Tristanteppiche und den Parzivalteppich aus dem Kreuzkloster im Braunschweiger Museum erinnert. Burmeister glaubte, die Malereien der Hand eines Franzosen zuschreiben zu müssen. Dagegen hat schon Lauffer Einspruch erhoben. Soweit ein Urteil nach Photographien möglich ist, möchte ich glauben, daß auch sie von innerdeutschen Quellen herzuleiten sind, vielleicht darf man wiederum auf das Nequambuch hinweisen. >4 Burmeister in Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 26 (1930) S. 1 1 3 und Lauffer in Niedersachsen 37 (1932) S. 1 1 2 .

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XI.

BeutfcijortornslanT)

Je weiter wir östlich gehen, um so deutlicher wird der koloniale Charakter. In Preußen, im Deutschordensland stammen aus der Zeit um 1300 die ersten Malereien. Schon in der ältesten Schloßkirche der Marienburg — nach 1280 — waren Apostelfiguren in Tabernakeln auf den rohen Putz gemalt. In einer Wandnische der Schloßkirche zu Rehden findet sich eine völlig übermalte Kreuzigung, und im Remter war vor einhundert Jahren noch eine Darstellung des Sängerstreites erkennbar. Was auf der Marienburg an Wandmalereien erhalten, ist noch offensichtlicher als in Lübeck Ableger westdeutscher Werkstätten. 1. Von Köln kamen die Maler, die in der Schloßkirche der Marienburg die Wandarkaden mit Dreiviertelfiguren, Vertretern des Alten und des 129. Neuen Bundes, Propheten und Aposteln, Patriarchen und Heiligen schmückten. Verschiedene Hände arbeiteten an ihnen, Maler, die verschiedenen Entwicklungsstufen angehörten. Die Schloßkirche wurde nach einem Umbau am 1. Mai 1344 neu geweiht. In den darauffolgenden Jahren dürften die Malereien entstanden sein. Die über den Blendarkaden aufsteigenden gemalten Wimpergarchitekturen lassen an die Kölner Domchorschranken denken. Aber Unterschiede sind nicht zu verkennen. Nicht nur wiederholen sich dieselben Motive gleichartig über allen Arkaden, die einzelnen Krabben sind auch saftiger. Ihre volleren Formen erinnern schon an den Kölner Klarenaltar und bezeugen eine Entstehung um die Mitte des Jahrhunderts. Das lehren auch die Figuren. Die Malereien sind sehr erneuert, aber soviel wird doch noch deutlich, daß einzelne Köpfe sich den Propheten aus dem Hansasaal des Kölner Rathauses nähern, während andere noch dem Johannes und Paulus von etwa 1330 nahezustehen scheinen 2 . Die Marienkrönung im Großremter und die Apostelfiguren in des Meisters Kapelle sind vielleicht etwas älter, sie sind aber so völlig übergangen, daß eine genauere Bestimmung nicht mehr möglich ist Es ist nur eine Vermutung, wenn man mit ihnen die ältere Marienkrönung in St. Andreas in Köln zusammen nennt. Größtenteils zerstört ist der bedeutsame Heilsspiegelzyklus im Chor des Königsberger Domes 3. Nur wenige Bilder sind erhalten, aber es war doch noch möglich, seinen Umfang zu rekonstruieren. Mit wenigen, vermutlich vier Auslassungen war die gesamte Bilderreihe des Heilsspiegels 1 Schmidt in Siebenhundert-Jahrfeier des Deutschordenslandes PreuBen, 1930 S. 132; Ehrenberg, Deutsche Malerei und Plastik von 1350—1450, 1920 S. 39ff. 1 Die altertümlicheren abgebildet bei Ehrenberg S. 40 und 41, ein älterer und ein jüngerer bei Schmidt Taf. 54. Ehrenbergs Meinung (S. 42), es handele sich um Jugendarbeiten Meister Wilhelms ist schon deshalb unhaltbar, weil wir keine sicheren Arbeiten von diesem kölnischen Maler kennen. 3 Seydel, Mittelalterliche Malereien im Chor des Domes zu Königsberg, Sonderschrift der Altertumsgesellschaft Prussia, 1930.

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dargestellt, und zwar wohl in Anlehnung an eine frühe süddeutsche Handschrift. Diese Frage ist nicht mehr schlüssig zu beantworten. Eindeutig aber läßt sich die Herkunft des Malers bestimmen: er kam aus Böhmen, aus dem Umkreis der Welislavschen Bibel. Alle stilistischen Merkmale, vor allem die häßlich-ausdrucksvollen Gesichter weisen unbezweifelbar in diese Richtung. So käme man zu einer Ansetzung der Königsberger Malereien um 1340. Dazu stimmt die Baugeschichte ausgezeichnet. Der Chor wurde um 1335 vollendet. Angeblich ist auch das große Wandbild in der Johanneskirche zu Thorn 4, das den schlafenden Jesse, darüber den Gekreuzigten mit Ecclesia und Synagoge vor den Leidtragenden einerseits, dem Hauptmann und einem Priester andererseits, endlich Weltgericht und Hölle, die sieben Todsünden und sieben Kardinaltugenden und Maria mit dem Schutzmantel vereinigt, aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Auch hier verbietet der brüchige Erhaltungszustand ein abschließendes Urteil. 2. Gleichfalls in einen bekannten Kreis führen zwei illustrierte Handschriften, die beide die dichterische Übersetzung der Apokalypsen des 126—128. Heinrich von Hesler enthalten. Die eine, die die apokalyptischen Darstellungen in vier ganzseitigen Bildern zusammenfaßt und daneben noch einige Initialbilder (Verfasser, Schreiber) enthält, liegt heute in der Landesbibliothek zu Stuttgart (cod. H. B. XIII, poet. germ. 11), wohin sie aus Mergentheim kam, die andere, mit einer größeren Anzahl Einzelbilder geschmückte Handschrift wird in der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg (Hs. Nr. 891b) bewahrt 5. Daß sie in einer Schreibstube entstanden sind, vielleicht sogar von einer Hand stammen, bezeugen die Ausdrucksmittel Strich für Strich. Die Gesichter mit den weit auseinandergestellten, erstaunt blickenden Augen und den zeichnerisch behandelten Haaren stimmen vollkommen überein. In beiden Handschriften kehren die häßlichen Kriegsknechte mit den rüsselförmig vorgekehrten Nasen wieder. Die Gewandsäume bewegen sich kraftlos und müde in kleinteiligen Kurven. Das Kolorit ist leuchtend, die Modellierung der schlaffen Gewandfalten ist schillernd-unentschieden. Demgegenüber treten bemerkbare Unterschiede zurück. Tiefgreifende sind nirgends zu erkennen. Vielmehr sind selbst solche nebensächliche Motive wie die Bildrahmen gleich: zweistreifige Rahmen, die eine Leiste vortäuschen, deren innere Fläche abgeschrägt ist; an den Ecken kleine Sporen. Verschieden ist vor allem die Einfügung der Bilder in den Text. Die Königsberger Handschrift entspricht darin etwa dem Kasseler Willehalm: sie stellt die Bilder in den Schriftspiegel, gibt ihnen aber eine größere Selbständigkeit, als es in französischen Handschriften der Fall ist. Die Stuttgarter Handschrift folgt dagegen mehr dem Plenar Ottos des Milden: sie gibt vier ganz< Heuer in Mitteilungen des Coppernikus-Vereins für Wissenschaft und Kunst zu Thorn, 24. Heft (1916) S. 53 mit Abb. 5 Schmidt a. a. 0 . S. 138.

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seitige, mehrere Szenen umschließende Bilder. Mit diesen Hinweisen ist eine wichtige Erkenntnis gewonnen. Der Kreis ist umschrieben, aus dem der oder die ausführenden Maler kamen. Sie kamen aus der Nähe des Plenars Ottos des Milden. Auffallend ähnlich ist die Zeichnung der grobformigen, weitgespannten Gesichter. Ebenso bestätigen Baum- und Blattformen enge Verbundenheit der Arbeiten. Und war bei jener in Braunschweig entstandenen Handschrift von der Möglichkeit englischer Anregungen zu reden, so muß man es bei der Stuttgarter nicht minder. Wie in allen Handschriften dieser Gruppe ist die Gestaltungsweise nicht sonderlich feinfühlig und hat allenthalben einen merkwürdig profanen Ausdruck. Sie neigt mehr zum Derben als zum Zarten, mehr zum Kompakten als zum Grazilen. Diese Haltung ließ uns beim Plenar an Zusammenhänge mit der Bodenseekunst denken. Da es sich in diesen Fällen um Arbeiten von Wanderkünstlern handelt, ist es wohl erlaubt, Zusammenhänge in den verschiedensten Richtungen zu suchen. Der Verfasser des Textes lebte zur Zeit des Deutschordenshochmeisters Luther von Braunschweig (1331—35), auf den ein Wappen in einer Initiale der Stuttgarter Handschrift hinweist. In den folgenden Jahrzehnten, um die Mitte des Jahrhunderts, dürften die beiden Handschriften ausgestattet worden sein. 3Endlich stammt aus dem mittleren 14. Jahrhundert ein Diptychon 158- des Königsberger Museums, das die thronende Maria und ihren Tod innen, die Kreuzigung Christi außen zeigt. Ehedem befand es sich im Löbenichtschen Hospital, das 1531 aus dem 1349 gestifteten Zisterzienserinnenkloster im Löbenicht hervorging. Es bleibt die Möglichkeit, daß es dahin erst später gelangt ist. Gehört es zum alten Besitz dieses Klosters, dessen Kirche 1350 geweiht wurde, so wäre ein terminus post gegeben. Aber auch er würde nicht viel besagen, denn das Diptychon kam von weit her. Nicht nur seine künstlerische Heimat, auch seine Geburtsstätte liegt weit weg: es ist Import. Es kam nicht den Weg, den die Maler der beiden Handschriften und der Malereien in der Schloßkirche gezogen waren. Es entstammt nicht den westdeutschen Provinzen, sondern dem deutschen Südosten. Mit dessen Kunst muß es an späterer Stelle gemeinsam behandelt werden. In dem in diesem Bande zu behandelnden Zeitraum vollziehen sich die Wanderungen im Kolonialgebiet gemeinhin vom Westen nach Osten. Wir besitzen hierfür wenigstens ein gutes urkundliches Zeugnis. Ein lapicida Jacobus reist 1360 von Xanten nach Preußen. 1361 ist er zurück, da neue Zahlungen an ihn geleistet werden 6 . Nach der Mitte des Jahrhunderts, da der Südosten immer mehr die Führung übernimmt und Köln auf lange zurücktritt, wird die Westostbewegung von einer Südnordbewegung abgelöst. Die künstlerisch entscheidenden Vorstöße gehen nicht mehr von Köln und dem Westen, sondern von Böhmen aus. Die Malereien im Dom und das Diptychon im Museum zu Königsberg sind erste frühe Anzeichen für diese Verschiebung des Schwergewichtes. 6

Ehrenberg a. a. O. S. 24—25. 130

xn. ^eftermc!) Indem wir uns den südostdeutschen Gebieten zuwenden, betreten wir eine neue Kulturbühne. Es ist falsch, ihre Bedeutung, wie es oft geschieht, zu unterschätzen oder sie nur auf Böhmen zu beschränken. Gerade dieses Gebiet beginnt in unserem Zeitraum allmählich erst zu erwachen und Kräfte zu sammeln für den grandiosen Vorstoß, der es in der zweiten Jahrhunderthälfte zu einer entscheidenden Macht werden läßt. Vorerst aber sind die Lande zwischen Linz und Wien Träger der Entwicklung. Dieses Osterreich hat das Erbe der alten Kirchenmetropolen Salzburg und Regensburg übernommen. Seine künstlerischen Mittelpunkte, voran St. Florian, Wien und Klosterneuburg, strahlen ihre Kräfte weithin nach Norden, Süden und Westen. Voraussetzungen und Bedingungen sind andere als im Westen. Hier im Osten treibt nicht ein alter, seit Jahrhunderten bewährter, fruchtbarer Boden neue Blüten. Neuland spricht erste Worte, Land, dessen künstlerische Leistungen bisher provinzielle Ableger westlicher Kulturgebiete waren, gewinnt Selbständigkeit und betonte Eigenart. Mit dem Eintritt in die Gotik regiert die österreichischen Arbeiten eine klar umreißbare dekorative Gesinnung, italienische Einflüsse treten, vielfach tief in die künstlerische Substanz eingreifend, hinzu —, so entstehen Werke, die sich sehr deutlich von allen westlichen und mitteldeutschen absetzen. Selbst der Gang der künstlerischen Entwicklung ist nicht völlig der gleiche. Die Gesetze und Stilstufen, die wir im Westen ablesen können, haben nur beschränkte Gültigkeit. Eigenes, gegenüber dem Westen andersgeartetes Wollen, fremde, italienische Anregungen, die der österreichischen Malerei dem Westen zu dieser Zeit unbekannte Probleme stellen, bedingen im einzelnen Bilde wie im historischen Ablauf der österreichischen Kunst nicht zu übersehende Wesensverschiedenheiten. Altüberkommenes Erbe lastet weniger auf der künstlerischen Phantasie, der Blick kann freier in die Zukunft schauen, die Ziele und Aufgaben einer neuen Zeit werden ungehemmter in Angriff genommen. Im Westen, in Köln, ist die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts vielfach nur Ausklang. Die neuen Aufgaben werden nur zögernd aufgegriffen. Im Osten ist das frühe 14. Jahrhundert Vorbereitung, Anlauf für die großen künstlerischen Schlachten, die in Böhmen unter der Ägide Karls IV. geschlagen werden sollten. Freilich gehört auch das zu der besonderen Lage des Ostens, daß das historische Bild vielteiliger, zerrissener, zusammenhangloser ist. Und zwar eben deshalb, weil die Worte Tradition und Erbe da nicht die Geltung, die Bedeutung haben, die sie im Westen seit alters besitzen. Der einheitliche Stilwille, der Kölns künstlerische Leistungen charakterisiert, fehlt vollkommen. Mannigfaltigkeit herrscht im Osten, wo man dort fast von Einseitigkeit sprechen kann. Die Stärke der künstlerischen Kräfte war in Köln zu dieser Zeit gewiß außerordentlich, aber hier im Osten leben sie sich anders aus. Sie sind unruhiger, wenn auch das einzelne Werk 131

höchst geschliffen und elegant sein kann, sie sind drängender, während man in Köln von den gesetzten Überlegsamkeiten des reifen Mannes sprechen möchte. Sie gehen gern in fremde Gärten, nehmen fremde Blüten auf und stoßen unruhig vorwärts, Verlust und Gewinn nicht ängstlich abwägend. Dabei — und das ist sehr bezeichnend für die habsburgischen Lande — wird im einzelnen Bild gern vornehme Repräsentation und edle Würde erstrebt. Die der Gesamtbewegung innewohnende Stoßkraft vergewaltigt nie die einzelne Leistung. i. Für die ersten, der Buchmalerei gewidmeten Teile unserer Betrachtung können wir den gründlichen Untersuchungen Heinrich Jerchels folgen Anknüpfend an die im Kapitel Anfänge und Ubergänge genannten Kanonbilder St. Florianer Missalien sind zuerst die Leistungen dieses Klosters zu behandeln. Sie überragen an Zahl und Einheitlichkeit die Schöpfungen aller anderer österreichischer Schreibstuben und bieten einen vollkommenen Uberblick über die künstlerische Entwicklung Österreichs in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 6. Die Wurzeln der dem späten 13. Jahrhundert entstammenden St. Florianer Kanonbilder in Codd. XI. 390 und III. 209 dürfen wahrscheinlich in Salzburg gesucht werden, wenn Buberl 1 recht hat, daß das Vorauer Missale Nr. 244 und das Admonter Vokabularium Nr. 77 in Salzburg entstanden sind. Zweifelsohne verband diese Arbeiten mit jenen St. Florianer Missalien ein enger Zusammenhang. Und diese Verbindung ergibt eine Datierung auf ungefähr 1266—82. Etwa in diesen Jahren müssen auch die St. Florianer entstanden sein. Weiterhin sind für diese aber auch westdeutsche, sonderlich mittelrheinische Einflüsse wichtig geworden. Das aus Hohenwart stammende Evangeliar in München (cod. lat. 7384) zeigt eine Gewandbehandlung, die möglicherweise Vorbild für cod. XI. 390 gewesen ist. Greifbarer äußern sich die westlichen Bezüge in einer vierbändigen, mit Bildinitialen reich geschmückten Bibel, die unter Abt Friedrich von 130. Aich (1275—1325/6) für das Stift Kremsmünster geschaffen wurde, in dessen Stiftsbibliothek sie sich heute noch befindet (Codd. 351—54) 3. Der Stil ihrer kleinen Figürchen hat mit den St. Florianer Handschriften nichts gemein und entstammt unbezweifelbar anderen Quellen. Ein lebhafteres Temperament beseelt die Figuren. Unruhig, ja tänzerisch mitunter bewegen sie sich. Die Formgesinnung geht auf kleinteiligere, minutiösere Gestaltungen aus. Nervöser, zuckender im Verlauf ist der Gewandstil. Die Falten sind mit fein abgestuften Farben tonig weich in zartesten Ubergängen modelliert. Nicht aus Salzburg, vielmehr aus 1 J e r c h e l i n J a h r b u c h der K u n s t h i s t o r i s c h e n S a m m l u n g e n W e i t e r h i n W a l l i s e r , Die Geschichte der s p ä t r o m a n i s c h e n Österreich, Diss. W i e n 1921. 1 I l l u m i n i e r t e Hss. i n Osterreichischen Bibliotheken IV. 3 L u t z e , Studien z u r f r ä n k i s c h e n B u c h m a l e r e i i m X I I . u n d 1 9 3 1 S. 83.

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in W i e n N. F . VII (1932) S. 9. u n d f r ü h g o t i s c h e n Malerei i n x. Nr. 244—246 und Nr. 7 7 . X I I I . J a h r h u n d e r t , Diss. Halle

dem fränkischen Kreis muß der Stil dieser Bilder hergeleitet werden. Einen Vorgänger auf österreichischem Boden hat die Kremsmünsterer Bibel in einem noch spätromanischen Psalterium der Melker Stiftsbibliothek (Nr. 1833). Ist dieses aber noch Import, so wird die Kremsmünsterer Bibel schon im österreichischen gearbeitet worden sein. Und ebenso muß man die altertümlicheren Bilder eines Psalteriums der Wiener Nationalbibliothek (Cod. 1982) als eine provinzielle Abzweigung fränkischer Kunst betrachten. Diese fremden Einflüsse werden in den St. Florianer Handschriften sehr schnell aufgesogen. Nachdrücklich ist diese Verarbeitung in cod. XI. 394 7. zu beobachten, dessen Kanonbild ein frühes Beispiel für die Aufnahme des Astkreuzes bietet, und dann vor allem in cod. III. 205A. An jene Handschrift schließen sich Wien cod. 13682 und St. Pölten, Alumnatsbibliothek cod. XIX3/b (325 1 ) an. Das Missale cod. III. 205A ist von dem späteren Propst des Stiftes, 8. Heinrich von Marbach geschrieben worden, und da die Nekrolognotizen ab 1307 schon von späterer Hand stammen, dürfte es um 1306 entstanden sein. Wie alle St. Florianer Kanonbilder ist es in Deckfarben auf Goldgrund ausgeführt. Die Farben sind dunkel und schwer. Der Körper Christi ist bräunlich. Nur in einige wenige Falten sind noch plastische Werte eingetragen. Mehr flächenhaft als körperlich rund sind die Formen der überschlanken, leicht geschwungenen Figuren. Ihr Körper ist kaum noch empfunden. In die Gesichter sind die Augen, Mund und Nase mit einfachen, keinerlei Plastizität einschließenden Linien eingezeichnet, mit Linien, die nicht die wilde Stoßkraft der eckig-spitzig geführten der älteren Bilder besitzen. Still und ruhig klingen sie ab. Und so beruhigt ist nun auch die Stimmung der Figuren. Leise äußern sie Schmerz und Trauer. Man darf an kölnische Arbeiten, vielleicht auch an das Goslarer Antependium denken. In diesen zeitlich nahen Werken werden wahlverwandte Gefühle spürbar. Dabei unterscheiden sie sich tiefgehend wiederum. Anders ist die Formgestaltung, anders ist der Figuren Blicken und Haltung. So sehr man auch bei ihnen von plastischem Verzicht sprechen kann, so gering die Körperlichkeit der einzelnen Figur sein mag, wie sie noch angedeutet wird, erscheint sie weniger tot. Rundung und Wölbung, so blaß sie auch sind, erscheinen nicht nur als Abgesang eines vergangenen, nicht mehr wahren Stilempfindens, sie sind lebensvoller, und in ihrer in die Fläche eingeebneten Angedeutetheit scheinen sie noch immer Kräfte für kommendes Leben und Erwachen zu bergen 4. Wie andersartig in der Tat dieses südostdeutsche Stilwollen in diesen Jahrzehnten ist, bezeugt das folgende St. Florianer Kreuzigungsbild (cod. III. 922 i A ), in dem Christus wieder an einem Astkreuz hängend dargestellt ist. Dem Kalender zufolge muß das Missale vor 1325 entstanden sein. Am Kreuzesfuß, den Stamm umarmend, kniet der Stifter, ein Chorherr, 4 In die Nähe des Marbach-Missales gehören einige Glasfensterfragmente (zwei törichte Jungfrauen und ein Apostel, die thronende Maria mit Kind) in St. Florian. Kieslinger, Gotische Glasmalerei in Österreich, 1928 Taf. 10.

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dessen Name am unteren Rande eingetragen ist: Hainricus de . .ihlinge. Der verstümmelte Beiname ist nicht zu entziffern. Nicht flächiger sind die Formen, wie man im Westen erwarten würde, sondern plastisch belebter. Viel weniger als in dem von Heinrich von Marbach gestifteten Missale sind hier die Formen gleichwertig nebeneinander ausgebreitet, mehr als da sind sie kontrastiert, weniger als da scheinen sie in ein Liniengerüst eingespannt, mehr noch erscheinen sie als freibewegte, sich gegeneinander drängende plastische Massen. Freilich das Wort „Masse" ist schon zu gewichtig. Nur um verhältnismäßig kleine Unterschiede handelt es sich. Die Wölbungen bleiben gedämpft, und der Flächenzwang bindet auch sie noch. Aber doch gegenüber cod. III. 205A oder gleichzeitigen westdeutschen Arbeiten ist eine gewisse plastische Formung unverkennbar. Auch die ziemlich großen Gesichter sind mittels bräunlicher Schatten und hellerer Lichter wieder stärker modelliert. Nahe verwandt, vielleicht von derselben Hand ist der Christus in der Te-igitur-Initiale eines Missales (XI. 392), dem das Kanonbild fehlt. Man frägt, wie solch seltsame gegen den Strom aneilende Entwicklung zu erklären sein möge. Die Antwort bietet das 1320 datierte Meßbuch des Andreasaltars im Zisterzienserkloster Wilhering (Cod. 8), das zugleich mit dem Altar ein Mychael sacerdos de newerburga gestiftet hat. Ob diese Ortsangabe auf Klosterneuburg zu beziehen ist, bleibe dahingestellt 5. Das Kanonbild dieses Missales darf als das hervorragendste Beispiel in der Reihe gleichartiger Arbeiten des Donaugebietes angesehen werden. Noch einmal ist die Formbewegung gesteigert. Christus hängt tief nach vornüber gesunken am Kreuz, die Beine steil angezogen. Johannes greift mit der Rechten lebhaft zur Seite. Diesen Kontrastierungen entspricht der starke Wellenschlag der Gewandfalten. Tiefe Schüsselfalten schwingen vor dem Leib, spitzere treten unter den Armen hervor, vielfach schwingend zipfeln die Mantelenden an den Beinen abwärts. Allenthalben bauschige, tief gefurchte Bewegung. Gestaltungen des weichen Stils von 1400 scheinen vorgeahnt. Und so laut tönend ist auch die Farbe: der breite rote Rahmen, das sonore Blau des übergroßen Nimbus, das Grünlichblau, Hellrot und Gelblichbraun der Gewänder. Der Maler des Wilheringer Missales — man darf ihn ohne Bedenken auch in St. Florian arbeitend vermuten — fußt auf dem Bilde des von Heinrich von Marbach gestifteten. Aber die plastische Wucht seiner Formgestaltung muß wie die des zweiten Hainricus-Missale (III. 22i A ) gewiß anders erklärt werden. Das lösende Stichwort lautet Italien. Von hier sind — wie schon einmal im 13. Jahrhundert — die Anregungen für die intensive plastische Durchgestaltung der Formen in die österreichischen Buchmalerwerkstätten gekommen. Die Initialen einer zweiten in Wilhering liegenden Handschrift (Nr. 27), einer Legenda Sanctorum, und weiterhin zweier von einer Hand geschmückter St. Florianer Arbeiten, cod. III. 204 und cod. XI. 396, bezeugen diesen Zusammenhang ein5 So Neuwirth in Sitzungsberichte der Kgl. Akademie der Wissenschaften Band CIX, 1 S. 581 ff. und Walliser a . a . O .

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Ein Kreuzigungsbild in dem Wilheringer Pontifikale Nr. 13, ein Kanon133- bild in einem Missale der Vorauer Stiftsbibliothek (Nr. 260 (292)), ein weiteres in einem Missale in Kremsmünster (cod. 132), endlich die in den St. Florianer Missalen codd. XI. 389, XI. 391 und III. 204, dessen übriger italienisch beeinflußter Bildschmuck schon besprochen wurde, zeichnen diesen auferlegten, unfreiwilligen Weg. In einigen der Kreuzigungsbilder ist das Kreuz als dreidimensionales Gebilde gegeben, das Blut rinnt in dicken Tropfen aus den Wunden Christi, aber es fehlt die Kraft, neue Aufgaben zu lösen. In einem letzten St. Florianer Missalebild (cod. XI. 388), das aus dem dritten Jahrhundertviertel stammt, hat die junge böhmische Kunst die Führung übernommen. Neben Maria steht eine zweite Frau, neben Johannes ein alter Jude: diese Bereicherungen, aber auch die derbhäßlichen Typen, die schwammige Formbehandlung weisen auf den Theoderichkreis als fremde gebende Quelle. Hervorgehoben sei nur das Bild in cod. III. 204. Wie in cod. XI. 391 steht die Darstellung auf blauem Grunde, den aber, sehr merkwürdig, großformige goldene Akanthusranken zieren. Gewiß ist diese Dekorationsweise nicht der Vorstellung eines Buchmalers entsprungen. Die Figuren sind schwache Leistungen wie alle Arbeiten dieser Spätzeit. Das Wilheringer Kanonbild war auch für sie noch Vorlage, aber anders als da und auch den übrigen gleichzeitigen Malereien, sind die Köpfe hier klein und rund, sind Mund und Nase auffallend kleinformig, blicken die Augen mit bübischer Lebhaftigkeit. Bei einigen Tafeln werden wir ähnliches wieder treffen. 2. In dem St. Florianer Missale cod. III. 22i A findet sich außer dem üblichen 136. Kanonbilde noch eine wahrhaft monumentale Daxstellung des „Annus", der aufrecht stehend die ganze Bildfläche einnimmt, umgeben von dies und nox und den vier Jahreszeiten. Das Kanonbild und diese symbolische Darstellung sind Arbeiten der gleichen Hand, daran wird man trotz der verschiedenen Technik nicht zweifeln dürfen. Das Annusbild ist anders als alle bisher besprochenen oberösterreichischen Buchmalereien eine aquarellierte Federzeichnung. Helles Blau ist lavierend in die Faltenschatten und Haare eingesetzt. Die Zeichnung trägt die entscheidende Betonung. Zum ersten Male wird die kultivierte Strichführung in österreichischen Arbeiten unbeengt sichtbar. Mit klaren, großzügigen Linien sind die Formen gestaltet. Langhin laufende Gerade werden bei der Hauptfigur bevorzugt. Wo sie umbiegen, kurvige Bewegungen eingehen, stets bleiben die Linien maßvoll, ohne doch stumpf und träge zu sein. Ein reiches, aber sehr beherrschtes Leben erfüllt sie. So wie das Blicken der Figuren klaräugig, ihre Wendungen und Gesten frei und lebensvoll sind und stets etwas Vornehm-Beherrschtes in ihren Äußerungen bewahren, so steht es auch um das Temperament der einzelnen Linien und um ihren Zusammenklang. Tief gefühlt und edel gestaltet, zart und doch sehnig, kräftig und doch geschmeidig und stets musikalisch sind die besten der österreichischen Werke. Diese Grazie 136

und edle Stimmung macht die verhüllt hockende Figur der noz unvergeßlich. Dieses Annusbild ist die Brücke zu einigen weiteren, in St. Florian entstandenen Werken gleicher Technik: zu der berühmten Biblia Pauperum und einer Expositio super cantica canticorum des Honorius, die 1301 datiert ist. Diese letztere Handschrift (cod. XI. 80) schmücken nur zwei Bilder, die den Aufzug der beiden Bräute Sunamitis und Mandragora illustrieren. Sie gehen auf alte Vorbilder aus dem 12. Jahrhundert zurück Ihre stilistische Haltung ist aber völlig neuartig. Mit zarten Farben sind Gewänder, Haare und Gesichter ausgezeichnet, eigentlich formgestaltendes Element ist aber wie bei allen diesen Handschriften die Feder, die mit straffen, aber nie harten, vielmehr stets einen gewissen Charme bewahrenden Zügen die Figuren faßt. Es sind große, zarte Gestalten, im Grunde körperlos, mit dünnen, feinen Gliedern. Zügiger und geschliffener ist die Form als in den Missalien. Das Stilideal kann sich in diesen lavierten Federzeichnungen offensichtlich reiner äußern als in jenen traditionsgebundenen Kanonbildern. Die Deckfarbenmalerei wirkte gleich einem Hemmschuh. Hier aber, wo die Farbe zart steigernd und betonend hinzutritt, ohne den Reiz der Zeichnung zu beeinträchtigen, da überrascht eine feinfühlige, klare Gestaltungsweise, die trotz der Zartheit ihrer Sprache nie weich ist, im Gegenteil etwas Strenges, Architektonisches besitzt. Beherrscht, ja gespannt, nie aber gezwungen, stets noch einer liebenswürdigen Grazie verbunden — das ist der Charakter dieser österreichischen Zeichnungen. Wie lässig erscheinen daneben die Valkenburgischen Buchmalereien. Die Voraussetzungen für diese Form und Technik sind vermutlich im südostdeutschen Gebiet selbst zu suchen und zu finden. Hinweise auf ähnliche englische Arbeiten, etwa den Queen-Mary-Psalter, können keinerlei Erklärung bieten. Schon chronologische Schwierigkeiten machen eine Verknüpfung unmöglich. Die österreichischen Handschriften sind die älteren. Sodann lassen sich weder formale, noch irgendwelche ikonographische und motivische Zusammenhänge belegen. Über die Technik hinaus ergeben sich kaum Verwandtschaften. Und diese von so fern herzuleiten, wäre übel angebracht. Denn lavierte Federzeichnungen waren in Südostdeutschland mit den großen Leistungen der Salzburger und Regensburger Buchmalerei im 12. Jahrhundert heimisch und verbreitet. Der Maler des Honorius kann sie mit übernommen haben von den alten Vorbildern, denen er im Ikonographischen gefolgt ist. Dazu gibt es in St. Florian selbst nähergelegene Zwischenstufen. In den beiden spätromanischen Missalien codd. III. 209 und XI. 390, deren in Deckfarbenmalerei ausgeführte Kanonbilder am Beginn unserer Darstellung angeführt worden, finden sich am Rande einzelne nur mit der Feder gezeichnete und leicht lavierte Figürchen, die gewiß nicht Nachträge einer späteren Zeit sind, sondern gleichzeitig mit der übrigen Ausstattung der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstammen. Sie bezeugen, daß Form und Technik der 6

Herrmann in Illuminierte Hss. in Österreich VIII. 2 (1920) S. 137.

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beiden Bilder im Honorius Erfolg alter österreichischer und St. Florianer Traditionen sind. Vielleicht ist die prachtvolle Biblia Pauperum der St. Florianer Stifts135- bibliothek (cod. III. 207) 7 ein etwas späteres Werk der gleichen Hand. Sie dürfte um die Wende des ersten zum zweiten Jahrzehnt ausgeführt worden sein. Auf die Farbe ist völlig verzichtet. Nur an zwei Stellen wurde ein schüchterner Versuch mit ihr unternommen. Klar und eindeutig umreißt der Federstrich die Formen in einfachen Liniengebilden, die sich gern der Geraden annähern. An den Schultern, in den Falten und Gehängen sind es fast geometrisch genaue Kurvenbahnen. Daneben finden sich an Säumen eckig gebrochene Züge. Sie lehren, daß älteres Erbe nicht restlos ausgeschieden ist. Die St. Florianer Biblia Pauperum ist eine Kopie — alle bekannt gewordenen Armenbibeln sind es —, aber nicht, wie man gesagt h a t n a c h der bekannteren Wiener, sondern gleich dieser nach einer älteren verlorenen Vorlage des 13. Jahrhunderts. Die eben erwähnten Federzeichnungen in codd. XI. 390 und III. 209, zumal ein hl. Florian auf fol. I56 v in diesem Missale, können uns eine ungefähre Vorstellung von deren stilistischem Aussehen vermitteln. Gegenüber den Bildern in der Honoriushandschrift erscheinen die der Biblia Pauperum weniger fein, ja sogar schematisch. Dennoch darf man in beiden wohl dieselbe Hand vermuten; die Verschiedenheit der Haltung ist nur so zu erklären, daß der Zeichner in der Biblia Pauperum gezwungen war, in enger Anlehnung einer nicht allzu alten Vorlage zu folgen, einem Vorbilde, das noch nicht so alt war, daß es eine völlige Neuschöpfung verlangte oder auch nur erlaubt hätte, während er in cod. XI. 80 formal aus den Gegebenheiten seiner Zeit heraus ganz selbständig arbeiten konnte, indem er im Motiv einer Jahrhunderte zurückliegenden Vorlage folgte, deren individuelle Sprache ihm völlig fremd, unzugänglich und unverbindlich war. Dennoch wäre es falsch, die künstlerischen Qualitäten der Biblia Pauperum zu unterschätzen. Die Kompositionen waren gegeben. An ihnen vermochte der Zeichner wenig zu ändern. Wie wenig er es tat, lehrt die Geschwisterhandschrift, die Wiener Biblia Pauperum, von der in einem folgenden Abschnitt zu handeln sein wird. Aber im einzelnen, in der Charakteristik der Köpfe wird man viel Persönliches erkennen dürfen und da gilt all das, was von der Annus-Zeichnung und den Bildern im Honorius gesagt wurde. Vor allem: man übersehe über der gepflegten Sprache der Zeichnung nicht die Feinheit des seelischen Ausdrucks. Wörtlich ist der St. Florianer Biblia Pauperum der Zeichner einer anderen gefolgt, von der sich in der Sammlung des Baron Rothschild in Paris sechs Bilder erhalten haben 9. 7 Camesina u . Heider, Die Darstellungen der Biblia P a u p e r u m in einer Handschrift des 14. J a h r h . im Stifte St. Florian, 1863; Cornell, Biblia P a u p e r u m , 1925 S. 73. « Tietee in Graphische Künste 51. Bd. (1928) S. 8ff. 9 Blum, Monuments et Mémoires de la Fondation E . Piot XXVIII (1925/26) S. 95. Die Bruchstücke sind höchstwahrscheinlich identisch mit sechs verschollenen Blättern der Sammlung Weigel, von denen Heider Mitteilung m a c h t in Mitteilungen der Z e n t r a l - K o m mission V (1861) S. 15.

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Schon im zweiten Jahrhundertviertel sind sodann wohl die fünf kleinen Bildchen in einer Vita der hl. Jungfrau Maria — Wien, Nationalbibliothek cod. 874 — entstanden, das angeblich aus dem Kloster Waldhausen bei Grein in Oberösterreich stammt. Ihr Zeichner ging aus von Werken in der Art der St. Florianer Biblia Pauperum: das lehren die Kompositionen von Verkündigung und Geburt, das lehren nicht weniger die stoffreichen, in sperrigen Falten abstehenden Gewänder. Reizvoller ist ein Einzelblatt im Besitz von Jacques Rosenthal in München, das auf der Vorderseite die Geburt Christi, auf der Rückseite die Muttergottes zeigt, die zwischen hohen Leuchtern auf einem Altar steht, vor dem ein Mann (Johannes ?) kniet, während in der oberen linken Ecke ein Kopf aus Wolken herausschaut. Der Ausgangspunkt ist der gleiche, aber der Zeichner dieses Blattes vermochte neue formale Werte in seine Arbeit hineinzutragen. Seine Sprache ist weicher, weniger streng, mehr behaglich, die Haltung im ganzen intimer. In der Geburtsdarstellung wird erstmals eine Stimmung lebendig, die wir später in einer heute in Schaffhausen liegenden niederösterreichischen Handschrift noch betonter kennen lernen werden. Mehr in der Art der Bilder des Wiener Marienbüchleins vollendet sich endlich in dem Speculum Humanae Salvationis des Wiener kunsthistorischen Museums (Hs. Nr. 5008), wohin es aus der Ambraser Sammlung kam, um die Mitte des Jahrhunderts der Ablauf dieser Entwicklung. 3Wesentlich verwickelter liegen die Verhältnisse in Niederösterreich. Der Leitfaden, den in Oberösterreich die Kanonbilder der St. Florianer Missalien bieten, fehlt hier. Kein Kloster tritt als hervorragende künstlerische Produktionsstätte hervor. Nur ganz wenige Handschriften lassen sich lokalisieren. Heiligkreuz und Zwettl, die im vorangegangenen Jahrhundert Buchmalerstuben hatten, scheinen im 14. Jahrhundert keinerlei Bedeutung mehr besessen zu haben. Vielleicht hat sie Klosterneuburg abgelöst. Einige gewichtige Arbeiten scheinen dafür zu sprechen. Vielleicht ist auch die Wiener Biblia Pauperum dort entstanden. Vielleicht war aber auch das bürgerliche Wien der entscheidende Mittelpunkt. Wir wissen, daß die Wiener Goldschmiede höchsten Ruf genossen. Sie lieferten die neuen Emailtafeln zum Altar des Nikolaus von Verdun — sehr wahrscheinlich wurden auch die Malereien auf den Rückseiten von Schrein und Flügeln in Wien ausgeführt. Zwischen 131 x und 1315 wurde das Stiftungenbuch des Klosters Zwettl I0 , die nach ihrem Einbände genannte Bärenhaut, zusammengestellt. Die meisten der zahlreichen Stammbäume und Initialen sind in der Vorzeichnung stehen geblieben, ausgemalt sind nur zwei und auch da nur der eine noch in der Entstehungszeit. Die vollendete Titelminiatur zeigt den Sammtbaum der Kuenringer mit den Stiftern des Klosters. Knapp, wie gespannt ist die Formensprache. Vereinzelt kommen noch eckige Motive vor, aber 10

Tangl in Archiv für österreichische Geschichte Bd. 77 (1890) S. 261.

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auch den weicheren, schon im Sinne des 14. Jahrhunderts geführten Säumen und Faltenbahnen wohnt noch eine vom späten 13. Jahrhundert stammende Lebhaftigkeit inne, so daß jene zackigen Vorstöße und heftigen Richtungswechsel keineswegs überraschen. Auch die Farbenwahl ist dieser spätromanischen Tradition noch verbunden. Das Leben der Figuren jedoch wird vom Geist des neuen Jahrhunderts getragen. Ihre Bewegungen unterstehen nicht mehr dem gewaltigen Pathos des endenden 13. Jahrhunderts, ihr Fühlen ist leiser und heimlicher geworden. Die Stammbaumfigürchen der Zwettler Bärenhaut lassen den Verlust an Kraft und Größe eindrücklich deutlich werden. Sie sind kennzeichnende Beispiele der kindlichen, zum Puppenhaften neigenden Welt des frühen 14. Jahrhunderts. Aber, wir wissen, dieses zarte, heimliche Gefühlsleben konnte zur visionären Verklärung der dreißiger und vierziger Jahre aufsteigen und beschloß weiterhin keimhaft zukünftige, in der zweiten Jahrhunderthälfte reifende Entwicklungen in sich. Der wiederum von Italien abzuleitende Initialschmuck der Bärenhaut, Blätter, Stäbe und Drechseleien, die ineinander gesteckt oder miteinander verknotet sind, findet sich ähnlich in einem Rationale Durandi der Göttweiger Stiftsbibliothek (Hs. 139 (132)), das einem Eintrag zufolge im Jahre 1 3 1 3 entweder auf Veranlassung oder selbst vom Magister Jacobus Chotwicensis notarij geschrieben wurde, und in einer höchst bedeutenden Bibel in Klosterneuburg (Nr. 2 und 3). Sie ist nicht datiert, muß aber noch im zweiten Jahrzehnt entstanden sein. In Parallele zu dem Wilheringer Andreasaltarmissale von 1320 zeigen ihre Bilder jenes österreichische Zwischenspiel, das im Westen keinerlei Vergleich besitzt. Noch einmal weiten sich die Formen aus, gewinnen die Figuren Volumen, lockert sich der Stoff der Gewänder, die in räumlich weite Falten und Bäusche ausladen. Am stärksten gewinnt dieses Bemühen Ausdruck in den einfigurigen Initialen, die die verschiedenen Bücher einleiten. Untersetzte, in füllige, raumhaltig weite gefaltete Gewänder gekleidete Figuren stehen in den bauchigen Buchstabenkörpern, diesen völlig gleichartig in ihrer körperlichen Wucht. Besonders großartig ist der Jesaias. Er steht in ein grünes Gewand und einen dunkelvioletten Mantel gekleidet vor Goldgrund. Breitflächige helle Lichter und tiefe Schatten modellieren seinen Mantel, dessen Falten sämtlich in die Breite streben, so wie die Gebärden seitlich ausgreifen, so wie der Kopf durch Haupt- und Barthaare noch umfangreicher wird. Massigkeit und Fülle und Wucht sind erstrebt. Wieder denkt man an Erscheinungen von um 1400 — vielleicht an Sluter —, wieder scheinen Gestaltungen des ausklingenden 13. Jahrhundert noch einmal aufzuleben und die Ziele des Jahrhunderts vergessen. Immerhin: die jugendlichen Figuren gleichen in Gesichtstyp, Gewandschnitt und Bewegungen doch den Familienmitgliedern der Kuenringer. Ein naher Schulzusammenhang mit dem Zwettler Stiftungenbuch ist nicht zu bezweifeln. Weiterhin weist Jerchel 1 1 auf die Klosterneuburger Sitz» A. a. O. S.. . 140

madonna hin. Ein verwandtes Formgefühl dokumentiert sich in der Klosterneuburger Bibel und dieser großen Freifigur. Das Einlenken in die gesamtdeutsche Entwicklung, die in Oberösterreich im dritten Jahrzehnt nachzuweisen war, bezeugt das Kanonbild im Missale des Klosterneuburger Abtes Stephan von Sirndorf, der von 1317 bis 1335 dem Stift vorstand (Klosterneuburg, Stiftsbibliothek Nr. 71). In diesen Jahren muß die Handschrift entstanden sein, denn daß der Stifter ohne die besonderen Zeichen seiner Würde dargestellt ist, darf nicht als Gegenbeweis angesehen werden, da er auch auf den bestimmt während seiner Abtszeit ausgeführten Fenstern im Kreuzgang es liebte, sich als einfacher Chorherr wiedergeben zu lassen. Die Verwandtschaft mit den vorangegangenen Handschriften ist allenthalben sichtbar, aber nun liegen die Gewänder den schmächtig gewordenen Körpern straff an, sind die kaum noch modellierten Falten schon mehr Linienwerk als plastische, dreidimensionale Formen. Aber auch bei dieser Einbindung in die Fläche bewahren sich die Gewänder noch immer eine gewisse Freiheit. Der Mantel des Johannes läuft in einer lebhaften Schräge über Beine und Leib, der Mantel Mariens ist in steile, zueinander versetzte Dreiecke aufgeteilt. Der Aufbau ist verwickelter und bewegter als bei den entsprechenden oberösterreichischen Kanonbildern (St. Florian cod. XI. 396 und XI. 395). Eine lebhaftere Formfiguration wird erstrebt. Von diesem Kanonbilde spielen enge Fäden zu den Glasfenstern im Kreuzgang von Klosterneuburg die Probst Stephan von Sirndorf nach dem Brande von 1322 bestellen ließ. Die stilistische Verwandtschaft ist so groß, daß man für beide Arbeiten den gleichen Meister annehmen möchte. Weiter führt der Weg zu zwei kleinen Psalterien in der Klosterneuburger Stiftsbibliothek (codd. 1185 und 1199), die, nur mit kleinen Bildinitialen geschmückt, nicht sehr wichtig hier wenigstens genannt sein sollen. Und endlich gehört in diesen Zusammenhang ein Reliquiar im Klosterneuburger Stiftsmuseum, dessen Wand- und Dachflächen mit kleinen, auf Pergament gemalten Bildchen verziert sind: Evangelistensymbole, Verkündigung, Geburt, thronende Maria, Kreuzigung, zwei weibliche Heilige. Die Entwicklung ist weitergegangen. Die Zeichnung gestaltet allein noch, die Farbe, nur noch kolorierend verwendet, ist zur nachträglichen Zutat geworden. Die krause Faltendrapierung bei der liegenden Maria des Geburtsbildes oder dem Lendentuch des Gekreuzigten erinnert von ferne noch an spätromanische Art, auch sonst ist in dieser gewiß nicht sehr qualitätsvollen Arbeit manches anders als in den übrigen Klosterneuburger Arbeiten dieser Jahrzehnte, dennoch ist es angesichts der Kreuzigung, die an das Kanonbild des Sirndorf-Missales anzuknüpfen scheint, doch wohl erlaubt, sie in diesen Zusammenhang einzuordnen. 4Wie in Oberösterreich treten auch im Wien-Klosterneuburger Gebiet zu den Deckfarbenmalereien Arbeiten in lavierter Federzeichnung. Wahr"

Kieslinger, Gotische Glasmalerei in Österreich, 1928 S. 5 1 , Taf. 1 4 — 1 9 .

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scheinlich kamen für diese Art die ersten Anregungen aus Oberösterreich, aus St. Florian. Der St. Florianer Honorius (cod. XI. 80) ist älter als alle niederösterreichischen Arbeiten in dieser Technik. Sodann muß die 141. Wiener Biblia Pauperum, Nationalbibliothek cod. 1198 '3, in einem nahen Zusammenhang mit der St. Florianer entstanden sein. Es wurde, als von dieser zu handeln war, schon betont, daß beide wahrscheinlich auf ein gemeinsames Vorbild, eine Arbeit des späten 13. Jahrhunderts, zurückgehen. Anders sind allerlei Übereinstimmungen, anders sind vor allem mannigfache Verschiedenheiten, die einen immittelbaren Zusammenhang anzunehmen verbieten, nicht zu erklären. Daß die beiden Armenbibeln Kopien sind, versichert etwa die Art, wie bei Dreiviertelprofilen der Wangenkontur in den Hals übergeht, daß sie nach einem Vorbild spätromanischen Stils gearbeitet, daraufhin weisen allerlei eckig-zackige Saumlinien. Auch gewisse bauschige Faltenmotive könnte man so abzuleiten geneigt sein, und eine solche Überlegung würde in Westdeutschland — man denke an das über das Verhältnis der Bilder der Manessehandschrift zu ihren Vorlagen Ausgeführte — unbedingt zu Recht bestehen, in Österreich aber sind solche raumweite Formen, wie das Wilheringer Andreasaltarmissale und die Klosterneuburger Bibel lehren, um 1320 noch oder schon wieder, wenn auch nur als kurze Episode, möglich. Und um 1320 dürfte die Wiener Biblia Pauperum entstanden sein. Was die St. Florianer nur an einigen Gewändern höchst schüchtern und bald wieder verzichtend versucht — wohl weil es dem Vorbild nicht entsprach —, wird in der Wiener Armenbibel weiter durchgeführt. Wenigstens auf fünf Seiten ist zur Zeichnung in der vom Honorius bekannten Weise die Farbe hinzugetreten. Die drei folgenden sind noch teilweise angelegt, dann ließ man auch hier die Ausmalung liegen. Immerhin wird deutlich, wie die lavierende Malweise auch da eindringt, wo altehrwürdige Vorbilder reine Federzeichnung zeigten. Und die Wiener gewinnt erst mit der Farbe künstlerischen Eigenwert. Ohne sie, in den späteren, nur gezeichneten Blättern ist sie kaum viel mehr als Kopie. Gewiß, auch da wird eine bestimmte künstlerische Gesinnung nicht zu verkennen sein, aber erst wo die Farbe hinzutritt, gewinnt die Arbeit persönliches Leben. Da zeugt sie von einem höchst eigenwilligen Meiler, der äußerste Präzision von der Zeichnung wie von der Farbgebung erstrebt. Bis zur Leblosigkeit hart sind seine Linien, kalt und hart ist auch sein Kolorit. Mit genauester Überlegung ordnet er die lang durchlaufenden Schrägfalten eines Mantels, rafft er drei oder vier Tütenfalten zu einem System, als ob es sich um mathematische Rechnungen handelt. Und ebenso bewußt sind die kalten graublauen und roten, karminrosa, gelbgrünen Töne eingetragen, die den Gewändern und zumal den Gesichtern einen starren, höchst preziösen Charakter geben. Über diesem Bemühem um eine geschliffene Formkultur kommt der innere Gehalt zu kurz. Der Ausdruck der Figuren wird nichtssagend. Wir werden dieser vorwiegend formalen »3 Cornell a. a. O. S. 74ff. Tal. 1—13a. 142

von der entführten und wieder befreiten Braut erzählt, dann folgt die Geschichte Adams und Evas als Überleitung zum eigentlichen Thema, dem Passionale, das in der Darstellung Christi als Wegführer zum Paradies, der Krönung Mariens und den himmlischen Hierarchien gipfelt. Die ersten Blätter lehren, daß ihr Meister ausging von Werken in der Art des Honorius. Eine klare, große, langhin laufende Strichbahnen bevorzugende Zeichnung bestimmt die Formen. Die hinzutretende Farbe bereichert, betont Faltentäler und -höhen, bleibt aber stets Zutat. Die entscheidenden Definitionen gibt die Zeichnung. Allmählich und zumal im zweiten Teile gewinnen sodann die kräftig leuchtenden Farben Bedeutung. Sie drängen die Zeichnung zurück lind werden an deren Stelle formbestimmendes Element. Damit werden die Falten plastisch reicher, die Figuren verlieren ihre ursprüngliche Grazilität, sie werden schwerer und füllen die Gewänder anders, die nun selbst stoffreicher und raumhaltiger erscheinen. Die Gefühle werden wärmer. Die höfische Kühle, die die Figuren der ersten Blätter bestimmt, macht einer derberen, aber außerordentlich ausdrucksvollen Charakteristik Platz. Der Abschied Christi von seiner Mutter ist allgemein bekannt. Großartiger ist dieser schmerzvollste Augenblick im Leben Mariens, da sie ihren Sohn endgültig verliert, nie wieder geschildert worden. Noch hängt sie an ihm, noch schmiegt sich ihr Gesicht an das seine, noch schaut er sie an, streichelt er sie, zum letzten Male faßt sie den Sohn, zukünftig darf sie ihm nicht mehr Mutter sein. Zu höchster Leidenschaft sind die Figuren des Passionalemalers fähig. Wahrhaft packend die schmerzvolle Klage der trauernden Maria, wahrhaft monumental die Darstellung des kreuztragenden Christus, die Befreiung Josephs von Arimathia aus dem Gefängnis. Aber die obersten Überlegungen waren auch für diesen Maler stets dekorative. Einzelne Figuren sind stets feinfühlig in die Fläche gesetzt, große Versammlungen geschickt verteilt. Symmetrie und Richtungskontraste verwendet er gleichmäßig. Diese sind seiner dramatischen Veranlagung vor allem gemäß. Nach vorwärts ist das Passionale die Brücke zu einer sehr merkwürdigen 143. Handschrift, die heute in der Stadtbibliothek zu Schaffhausen (Nr. 8) 16 liegt und 1330 datiert ist. Sie ist ein in deutscher Sprache abgefaßtes und durch zahlreiche Legenden und Apokryphe erweitertes Lektionar, nicht eine gelehrte Arbeit nach Art der Concordanz, eher möchte man sie mit den Weltchroniken vergleichen. Behäbig weit ausgreifend wird das Leben Christi und Johannes bis zum Beginn der Apostelgeschichte erzählt, weit über vierhundert Bilder illustrieren diese Erzählung. Ein neues Geöffnetsein für menschliches Erleben, eine Freude am Schildern des Kleinen und Unbedeutenden, an dem stimmungsmäßig Wertvollen wird deutlich. Ein apokryphes Jugendwunder des Jesuskindes ist um seines Empfindungswertes ebenso wichtig, berichtet und anschaulich gemacht zu werden wie etwa Kreuzigung und Auferstehung. Weniger als bisher werden die Ereignisse als Glieder eines grandiosen Systemes aufgefaßt — die Schaff16

Stange in Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien N. F. VI (1932) S. 55 mit vielen Abbildungen.

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die Bilder allein durch die Ausmaße des Randes in ihrer Ausdehnung festgelegt, im übrigen aber völlig unbeengt. Der Text bestimmt ihre Zahl und Dichtigkeit. Ist genügend Platz vorhanden, bringt der Maler die Darstellungen so an, wie es ihrem Format und ihrer Komposition am besten entspricht. In der Mehrzahl der Fälle stehen die Bilder doch verhältnismäßig zufällig neben- und übereinander. Die französische Miniaturhandschriften auszeichnende straffe dekorative Gesinnung wird nie spürbar. Innerlich sind die Bilder dem Text aufs engste verbunden, äußerlich verknüpft sie kein Gesetz, keine Ranke. In dieser Hinsicht ist es auch bezeichnend, daß sie nur in wenigen Ausnahmen gerahmt und grundiert sind. Im allgemeinen stehen die Figuren und die sie begleitenden landschaftlichen oder architektonischen Motive auf dem neutralen Pergamentgrunde. Was die Figuren zusammenschließt, sind neben formalen überwiegend geistige Bezüge, wie ebenso Bild und Text nur geistige, nicht dekorative Bezüge verbinden. Die Farbe wird im Verlauf der Arbeit immer mehr zum bestimmenden Formelement. Ahnlich wie der Meister des Passionales beginnt auch dieser mit einem vorwiegend zeichnerischen Stil — der Kreis des Honorius muß auch sein Ausgangspunkt gewesen sein — , aber bald geht die kristallische Klarheit der Zeichnung verloren, und eine freie, malerische Formgestaltung bricht durch. Gleichzeitig werden die Formen flächiger und körperloser. Wogegen sich der im zweiten Jahrzehnt arbeitende Passionale-Meister noch sperrte, dem kann sich der Lektionar-Meister nicht mehr entziehen. Aber auch bei ihm ist die Verflächigung längst nicht so vollkommen wie etwa in kölnischen Werken. Hie und da erhalten sich selbst in den spätesten Bildern räumliche und körperliche Werte. Die Menschen blicken nicht so entwest ins Jenseits. Die Faltengespinste sind nicht so filigranhaft zart. Das Erlebnis dieser Jahrzehnte treibt verschiedene Blüten. In Köln führt es zu völligem Verzicht, hier bleibt die Wirklichkeit bedingt anerkannt, ja werden ihr neue Erfahrungen abgewonnen. Es ist nicht so, daß verschiedenartige Strömungen sich hier und dort durchgesetzt hätten. Mögen sich in den beiden Werken die Figuren auch verschieden gegenüber Himmel und Erde verhalten, beide zeugen sie von dem gleichen, tiefen seelischen Erlebnis, das diese Jahrzehnte bewegte und erschütterte, beide offenbaren sie neue Tiefen des Gemütes, der menschlichen Seele, beide arbeiten sie an einer individuellen Psychologisierung. Die Verklärtheit oder Sehnsucht der Figuren des kölnischen Altärchens ist aus demselben Erlebnis geboren, aus dem die volkstümlich-gemütstiefe Darstellungs- und Erzählungsweise dieses österreichischen Malers erwuchs. Die individuelle Begabung dieses wie auch die des Passionale-Malers wäre zu der Zeit im Westen nicht möglich gewesen. Diese volkstümliche Erzählungsweise und auch die dramatische Gestaltung, die monumentale Formgestaltung, zu der beide temperamentsmäßig neigen, wäre da nicht zu denken. Mit dem Hauptmeister arbeitete eine Gehilfenhand; die siebente Lage ist von einem Dritten, der puppenhafte, süß lächelnde Figürchen schafft und möglicherweise von der Wiener Biblia Pauperum herkommt. Der Ausgangspunkt dieser Gruppe war die 1301 datierte Honoriushand146

schrift, die über die Armenbibeln, das 1312—21 ausgeführte Passionale der Äbtissin Kunigunde, die Schaffhausener Handschrift von 1330 zu der zwischen 1351 und 1358 angelegten Concordantia Caritatis des Abtes Ulrich von Lilienfeld hinführt '7. Sie befindet sich noch am Orte ihrer Entstehung, in der Bibliothek des Stifters Lilienfeld (Nr. 151). Ihr Verfasser, Abt Ulrich, resignierte 1351, um sich ungestört seiner Arbeit widmen zu können. Spätestens 1358 ist er gestorben, nachdem er sein Werk noch vollendet hatte. Die Concordanz ist eine stark persönliche Erweiterung der Enzyklopädien von der Art der Biblia Pauperum und des Speculum Humanae Salvationis, viel weniger als diese getragen von dem Gedanken des Systems, mehr die Auflösung des mittelalterlichen dogmatischen Denkens unter dem Druck einer ungebundenen, freien Phantasie zeigend. Die Hand, von der die große Mehrzahl der Bilder ist — wir unterscheiden mit H. Tietze drei Hände —, der Zeichner I, dürfte dem Hauptmeister der Schaffhausener Handschrift als Lernender eng verbunden gewesen sein. Aber er ist kein ebenbürtiger Nachfolger. Alle seine Figuren schlägt er über einen Leisten. Gesichter, Hände, Gewandbehandlung sind allenthalben nach einem Schema gearbeitet. Die gleiche Nase, derselbe durch Strich und Punkt gebildete Mund, derselbe rote Wangenfleck, dieselben schematischen Locken kehren bei allen Figuren gleich wieder. Der Reichtum individueller Charakteristik, die Fülle eigener Beobachtungen, die die Bilder des Schaffhausener Hauptmalers auszeichnen, fehlen ihm völlig. Maskenhaft starr ist der Ausdruck seiner Figuren, kindlich puppenhaft wirken sie und erinnern damit, so verschieden auch die formale Behandlung im einzelnen ist, an den Maler der siebenten Lage der Schaffhausener Handschrift. Der dritte, am Schluß arbeitende Illuminator ist ein derber Geselle; von ihm ist nicht weiter zu sprechen. Dagegen muß um seiner außerordentlichen Feinheit willen der zweite hervorgehoben werden, von dessen Hand nur drei Seiten stammen. Wie der erste arbeitet auch er mit den schwerelosen, filigranen Ausdrucksmitteln der Jahrhundertmitte. Aber ist es bei jenem nur Verzicht, Verlust, so gewinnt die zarte Linienkunst dieser Jahrzehnte unter seinen Händen einen eminent positiven Gehalt. Ideale der Wiener Biblia Pauperum scheinen wieder aufzuerstehen. Wunderbar feinfühlig ist jeder Strich, zart wie bei keinem zuvor ist das Kolorit. Dabei ist der Maler keineswegs weich gestimmt. Im Gegenteil, wie er seine Prophetenhalbfiguren bewegt, wie er sie vom Rücken im verlorenen Profil erscheinen, wie er sie mit wild erregten Gebärden in dem Rund des Medaillons sich heftig drehen läßt, wie er im Bilde der Gefangennahme die Häscher schildert, wie sie wilden Tieren gleich charakterisiert Christus anfallen, da ist er ausgesprochen dramatisch. Er liebt gewaltige Bewegungen und starken Ausdruck, aber die Komposition darf nie darunter leiden. Darin bewährt er sich als Österreicher, steht er neben dem Maler der Armenbibel und des Honorius. Freilich formalistisch wie der der Wiener Biblia Pauperum ist er nie. Ein Bild wird ihm stets zugleich zu einem seelischen Problem. >7 Tietze in Jahrbuch der Zentral-Kommission N. F. II, 1. S. 67ff.; Heider in Jahrbuch V. S. 26 ff.; Lutz-Perdrizet, Speculum Humanae Salvationis, 1907 S. 282.

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Ob dieser Maler seinen Ausgang von der Wiener Armenbibel genommen hat? Manches spricht dafür, sicher ist es nicht. Man darf aber annehmen, daß er aus diesem Kreise österreichischer Handschriften hervorging. Wie er weiterhin seine Formensprache gefunden hat, ob er fremde Einflüsse empfing — all diese Fragen sind nur andeutungsweise zu beantworten. Man könnte wieder einmal englische Arbeiten, den Queen-Mary-Psalter, als Erklärung anführen. Auch bei der Schaffhausener Handschrift hätte auf eine Bilderbibel beim Earl of Leicester (Holkham Hall Ms. 666) '8 hingewiesen werden können. In beiden Fällen scheinen Beziehungen gegeben, und wiederum hätte die englische Kunst in zwei benachbarten Beispielen sehr verschieden eingewirkt. Dennoch wird man sehr vorsichtig sein müssen. Uber die Technik hinaus ergeben sich kaum Berührungspunkte, und diese ist in der Kette der Werke seit 1301 auf österreichischem Boden so natürlich gewachsen, daß es kaum notwendig sein dürfte, fremde Anregungen zu bemühen. Aus verwandter Gesinnung haben sich in England und Deutschland — das ist immer wieder zu betonen — unter ähnlichen Voraussetzungen lind Bedingungen im Äußeren ähnliche Formen entwickelt — aber auch nur im Äußeren sind sie ähnlich, innerlich sind die österreichischen von den englischen grundverschieden. Die drei Bilder dieses Malers sind ein erster Hinweis auf eine andere, benachbarte Richtung der südostdeutschen Malerei. Strenge, zeichnerische Klarheit wurde wieder gewonnen. Um sie aber richtig zu verstehen, muß man ihren inneisten, gegenüber den Armenbibeln neuartigen Sinn erfassen. Trotz der vorwiegend zeichnerischen Formgestaltung vermag sie bedeutende plastische und räumliche Werte zu umschließen. Das lehrt der nach rückwärts gewendete Prophet, das lehrt die Gefangennahme, man muß nur die Stellung der Arme daraufhin betrachten. Ferner macht dieser Maler die Tat des Hohenfurter Meisters verständlich und führt zu einer Miniatur, die dessen Art im Gebiet der Buchmalerei zeigt. »45In einem Missale des St. Pöltener Diözesan-Museums (Hs. A. 15) '9 findet sich ein Kanonbild, das in Deckfarbenmalerei ausgeführt einen völlig neuen Typ zeigt. Auf der linken Seite des Blattes stehen die von Johannes gestützte Maria und einige Frauen, auf der rechten der Hauptmann mit mehreren Begleitern. Zu seiten des Kruzifixus schweben klagende Engelfigürchen. Mit dem punzierten Goldgrund macht das Bildchen mehr den Eindruck eines Tafelbildes denn einer Buchmalerei. Die Farben sind sehr gewählt. Das Inkarnat ist bräunlich, der Kreuzstamm grün, die Gewänder sind ziegelrot, hellblau, grauweiß, tabakbraun, die Rüstung silbern, das Leder weiß. Die Zeichnung ist entsprechend zierlich, aber stets um plastische Rundung bemüht. Die Figuren stehen als zarte körperliche Gebilde auf einem flachen Felsenstreifen. Wieder hat Italien unbezweifelbar eingewirkt. Allein der linke Engel mit der kennzeichnenden Klagegebärde kann das bestätigen. 18 Dorez, Les manuscrits à peintures de la bibliothèque de Lord Leicester à Holkham Hall, 1908 p. 34. '» Die St. Pöltener Miniatur vermittelte mir Frau Dr. Schweighofer : ihr auch an dieser Stelle zu danken, ist mir ein Bedürfnis.

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Dennoch, jene innige Verbundenheit, die das gesamte Kölner Schaffen auszeichnet, gibt sich nirgends zu erkennen. Die gleichen Gegebenheiten werden von den Tafelbildern im südostdeutschen Gebiet anders als von den Miniaturen gedeutet. Nicht individuelle Unterschiede, nicht nur die Andersartigkeit der schaffenden Hände, tiefere generellere Unterschiede trennen sie. Nie, scheint es, hat Buch- und Tafelmalereien Werkstattgemeinschaft verbunden. Und vielleicht liegt in der Verschiedenartigkeit der Werkstätten die tiefere Ursache ihrer Verschiedenheiten. Vielleicht spiegelt sich in der Produktion nur die soziologische Verschiedenartigkeit der Produktionsstätten. Die einen mögen vorwiegend Erzeugnisse klösterlichen Fleißes, die anderen, die Tafelbilder, vorwiegend Leistungen bürgerlicher Werkstätten gewesen sein. Der Gedanke, vor sich die Arbeit einer bürgerlichen Werkstätte zu haben, 146—147. liegt besonders nahe bei den vier Tafeln auf den FlügelauBenseiten und der Rückseite des großen Emailaltars in der Leopoldskapelle zu Klosterneuburg lI . Bei einem Brande 1322 wurden die von Nikolaus von Verdun stammenden Emaileplatten einer Amboverkleidung beschädigt. Der damalige Abt des Stiftes, Stephan von Sirndorf, den wir als Stifter eines Missales (Klosterneuburger Stiftsbibliothek Nr. 71) und der gleichfalls nach jenem Brande hergestellten Glasfenster im Kreuzgange kennen lernten, ließ daraufhin die Emailplatten, durch einige vermehrt, zwischen 1324 und 1329 — wie aus Chronik und Inschrift hervorgeht — zu einem Flügelaltar zusammenfügen. Die neuen Emailplatten wurden in einer Wiener Goldschmiedewerkstatt gearbeitet, nicht unwahrscheinlich, daß auch die vier Temperabilder einer Wiener Werkstatt entstammen. Die vier je über einen Meter im Geviert großen Bilder — man darf sie zu den Dorsalemalereien des Kölner Domes in Vergleich bringen — stellen die Kreuzigung, die Frauen am Grabe und Christus mit Maria Madgalena, den Tod Mariens, die Krönung Mariens dar. Der Erhaltungszustand ist leidlich günstig. Der Johannes auf der Krönung und die zwei Apostel neben dem mit dem Weihwasserbecken auf dem Marientod sind neu. Dazu sind zahlreiche kleine Schäden ausgebessert worden, so daß man bei einer Untersuchung vorsichtig sein muß. Aber im ganzen ist das ehemalige Aussehen doch bewahrt. Daß diese aus dem dritten Jahrzehnt stammenden Tafeln starke italienische Einflüsse zeigen, kann nach dem, was wir von der österreichischen Buchmalerei wissen, nicht verwundern. Aber das Verhältnis zu Italien ist ein anderes. Denn hier sind nicht nur einzelne dekorative Formen übernommen, hier ist nicht nur eine allgemeine Anregung zu plastischer Formgestaltung verarbeitet worden, hier nun wurden italienische Gestaltungsideen und Kompositionsformen in die Bilder eingebaut. Die " Mitteilungen des Alterthums-Vereins Wien X (1869) S. 53; Drexler-List, Tafelbilder aus dem Museum des Stiftes Klosterneuburg S. 1 ; Kieslinger in Mitteilungen d. Vereins für Geschichte von Wien (1925) S. 103; Reichmann, Gotische Wandmalerei in Niederösterreich, Wien 1925 S. 10; Kurth in Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien N. F. III (1929) S. 25.

ISO

einzelne Figur ist nicht gewichtiger als in den gleichzeitigen österreichischen Handschriften. Große stattliche Figuren mit körperlich nachdrücklichen Gebärden finden sich ebenso da. Und auch der Gewandstil ist nicht fülliger. Gemeinhin ist er sogar ziemlich flächig-linienhaft, und nur einzelne Motive wie die Mantelfalten zwischen Christi Beinen auf der Krönung entsprechen der räumlich ausgreifenden Wucht, die die Gewanddrapierung des Wilheringer Andreasaltarmissales und der Klosterneuburger Bibel auszeichnet. Wichtiger als für die Formung der einzelnen Figur ist der italienische Einfluß für die Gesamterscheinung der Bilder, für ihre Komposition geworden. Man kann Darstellung für Darstellung durchgehen, sie erweisen sich in Gruppierung und Aufbau aufs tiefste durchtränkt von italienischen Anregungen. Die Krönung Mariens, die Versammlung unterm Kreuz, die Frauen am Grabe, das Noli me tangere, die Engel, die das Kreuz umflattern, die Engel, die den Krönungsthron stützen, — bis in letzte Einzelheiten ist die Anlage der Bilder italienischen Vorbildern verpflichtet. Und mit diesen Übernahmen hat der Maler ein Grundelement italienischer Bildgestaltung übernommen, die räumliche Gruppierung der Teile. Er versucht der Szene eine Bildbühne unterzuschieben: dem dienen die Thronarchitektur, die Nischen, die Felsstufen, er versucht die Figurengruppen aufzulockern und zu schichten: dem dienen das Bett und der Sarkophag. Der Höhe und Breite sucht er die Tiefe als dritte Gestaltungskomponente zuzugesellen. Das Bild soll Raumausschnitt sein. Der italienische Einfluß tritt so betont auf, daß man sogar die Quelle umschreiben kann. Wenn auch nicht die ausschließliche, so sind die Fresken der Arenakapelle doch sicherlich eine sehr gewichtige Voraussetzung gewesen. Die Kreuzigung und die Gruppe Christi mit Magdalena bezeugen eindeutig die Verbundenheit des Malers der Klosterneuburger Tafeln mit der Kunst des großen Florentiners. Höchst merkwürdig: noch zu Lebzeiten Giottos ist eine Spur seiner Kunst im Norden zu verfolgen. Das Noli me tangere stimmt bis in die Einfügung eines Baumes zwischen den beiden Figuren mit Giottos Darstellung überein. Auf der Kreuzigung haben die Engel, die das aus Christi Wunden herabtropfende Blut auffangen, die gleichen scharfgeschnittenen Profile, und sie erfüllen ihre Aufgabe in der gleichen Weise, mit denselben Klagegebärden. Andere Vorbilder haben das Aussehen der Architekturen, des inkrustierten Thrones mit den tiefen, Raum einfangenden Seitenwänden und dem vorspringenden Fußbrett, das zwei kniende Engel stützen, bestimmt. Dieses Bild macht den Raumwillen höchst eindrücklich deutlich. Ebenso müssen aber auch Bett und Sarkophag verstanden werden. Die Nischen und Konsolen an diesem, die starken Auflichtungen und dunklen Schattenlagen verleihen ihm eine außerordentlich starke Raumwirkung. Und in dem Bilde der Frauen am Grabe sind auch die Figuren sehr locker im Raum verteilt. Maria vor, Christus neben, der Engel auf, die Frauen hinter dem Sarkophag. Die räumliche Gruppierung, das Hintereinander der Teile verleiht dem Bilde einen besonderen Charakter, wenn auch die Rechnung zumal bei den Frauen und dem Engel nicht restlos aufgeht. Man wird nicht zweifeln 15i

können: der Maler muß selbst in Italien gewesen sein. Skizzenbücher, Vorbildersammlungen konnten ihm dieses tiefe Wissen um so wichtige Gestaltungsprinzipien der italienischen Kunst kaum vermitteln. Wir sagten es schon, diese enge Anlehnung an italienische Vorbilder kann in diesen Jahren um 1320—30 in der österreichischen Kunst nicht überraschen. Die Berührung mit italienischer Art war in der Buchmalerei zu belegen, wir werden ihr noch in einigen Tafelbildern begegnen, auch andere Kunstzweige bestätigen sie. So die sechs neuen, gleichzeitig dem Altar hinzugefügten Emailplatten, die das Thema der Depositio zur Darstellung bringen, so das Tympanon des rechten Seitenportals der Wiener Minoritenkirche in der Landschaft auf der Stigmatisation des hl. Franziskus. Aber man hüte sich zu glauben, daß mit diesen Hinweisen auf einen fremden Kunstkreis schon das Letzte über die vier Tafeln gesagt sei. Im Gegenteil: man bleibt in einer oberen Schicht und dringt zu der persönlichen Leistung des Meisters erst, wenn man sieht, was er nicht übernahm und was er umformte oder überhaupt anders machte. Einmal kann er sich dem Zwang der Fläche trotz allem doch nie entziehen. Die Kreuzigung ist ein vorzügliches Beispiel. Einzelne Figuren, die Fassung im ganzen sind ohne Giotto nicht zu denken, aber die lockere Tiefenschichtung ist zu einer flächigen Reihenkomposition umgebogen und selbst diesem Prinzip widerstrebende Figuren wie der im verlorenen Profil gestellte Mann mit dem Essigschwamm vermögen nicht dagegen an. Ebenso bezeichnend, daß der Maler den kühnen Verkürzungen der Engel aus dem Wege gegangen ist. Sie fliegen in der Fläche von rechts nach links oder umgekehrt, nie aber von rückwärts nach vorn. Der Maler vermag nur dort räumlich zu gestalten und räumlich zu denken, wo Architekturen oder Möbel ihn dazu veranlassen, wo Tiefenlinien ihm zu Hilfe kommen. Die Figuren haben allein nicht die Kraft, raumschaffend zu wirken, dazu sind sie zu zart und zu wenig statuarisch. Wo sie in einer offenen räumlichen Situation stehen, wird der Widerspruch deutlich. Ihre mehr flächige als körperlich-dreidimensionale Gestalt bietet dem Raum um sie keine Resonanz. Die Apostel des Marientodes, die Nischenfiguren der Krönung zeigen dieses Mißverhältnis sehr nachdrücklich. Dagegen sind die Architekturteile, der Stufenunterbau des Bettes, der vielteilig gegliederte Sarkophag körperlich viel extensiver. Verschiedene Vorstellungswelten stoßen aufeinander. Die Figuren sind dem Norden stärker verpflichtet. Nur selten sind sie Teile einer räumlichen Aufgabe, vor allem sind sie Interpreten des Bildinhaltes. Sie werden weniger statuarisch, mehr seelisch-ausdrucksmäßig ausgedeutet. Und da wird die Verschiedenheit der Auffassung völlig deutlich. Die Figuren leben ein anderes Leben. Sie sind nicht schönheitlich gelassen und ruhig gleich Giottos Figuren, vielmehr äußern sie ihre Gefühle den Gehalt des Bildes verdeutlichend möglichst intensiv; dieser Aufgabe fügen sich ihr Leib, ihr Gewand, ihre Gebärden, wie der Hauptmann und vor allem die Gruppe Christi mit Magdalena lehren können. Es wäre falsch zu sagen, die Anatomie giottoscher Figuren sei mißverstanden. Das Ziel wäre verkannt. Dieses ist ein höchst positives, aber ein anderes. Der 152

eruptiv emporgerissene Arm gibt dem Hinweis auf Christus, den Sohn Gottes, stärkste Durchschlagskraft. Im Noli me tangere sind die Figuren gestreckter und bewegter. Christus ist emporgeschoben, die Führung der Faltenlinien, seines rechten Armes ist steil, gewaltsam. Der Sprache der Blicke, der Gesten, jeder Faltenlinie wohnt ein bei Giotto vollkommen unbekannter Impuls inne. Der Erfolg ist: das Begehren Magdalenens erscheint leidenschaftlicher, die Zurückweisimg von Christi Seiten schroffer. Der Inhalt ist aufs stärkste intensiviert. Selbst die Landschaftskulisse, der Baum wird zu diesem Ziele mimisch ausgedeutet. Zwei Seelen ringen in diesem Meister. Eine nordische, mehr expressiv veranlagte, auf dynamische Forminterpretation ausgehende und eine zu südlicher Klassizität hinneigende. Man muß beide Veranlagungen erkannt haben. Nicht immer haben sie sich durchdrungen, häufig stehen sie nebeneinander, nicht selten streben sie gegeneinander. Wenn aber italienische Art hier so stark einzudringen vermochte, so war — das sei nochmals betont — die in der österreichischen Malerei dieser Jahre oft zu findende formbetonende Haltung Voraussetzung. Etwas überspitzt darf man sagen: ohne den Vorangang der Wiener Biblia Pauperum wären diese Tafeln nicht möglich gewesen. Sie war das Signal für die innere Bereitschaft zur Aufnahme italienischer Kunst. Von dieser Überlegung aus verbietet es sich, die monumentale Sprache dieser Tafeln, die Größe der Gesinnung, die sich in der Bewältigung der Flächen, in der Verteilung der Figuren, in der kraftvollen Führung der Linien äußert, auf Italien zurückführen zu wollen. Mögen die Kompositionsschemata von Italien übernommen sein, dessen Art Monumentalität, die mit Raum- und Körperwerten arbeitet, besitzen diese Bilder nicht. Die Art ihrer Flächenfüllung, ihre Art in Linien- und Flächebezügen zu denken, ist nordisch und in ihrer besonderen Form aus der deutschen Gotik des frühen 14. Jahrhunderts zu verstehen. Und dann überlege man, was gleichzeitig in Deutschland entstand: die Kölner Chorschranken, die Hofgeismarer Tafel, Werke, die bei anderen Formmitteln ein ähnliches Bemühen um monumentale Gestaltung zeigen, ein Streben, die kleinteilige, zum Matten neigende Formwelt von 1300 zu überwinden und zu einer großformigeren und intensiveren Gestaltung durchzudringen. Im Verlauf der dreißiger Jahre muß auf dieses gewichtige Werk ein Passionsaltar " gefolgt sein, von dem sich das Mittelstück in der Klosterneuburger Stiftsgalerie erhalten hat. Dieses ist in drei annähernd gleich breite, senkrechte Streifen geteilt. Im mittleren ist die Kreuzigung, in den seitlichen sind je zwei Szenen übereinander angeordnet: links ölberg und Kreuztragung, rechts Judaskuß und Depositio. Man darf in dieser Tafel die Arbeit eines Schülers und Nachfolgers sehen. Und man wird ihrer Eigenart wohl am raschesten nahe kommen, wenn man ihr Verhältnis zu den Tafeln in der Leopoldskapelle als vergleichbar dem von Schaffhausener Handschrift und Wiener Biblia Pauperum bestimmt. Ihre Form" Drexler-List a. a. 0. S. 2, Taf. II; Kurth a. a. O. S. 35; Ernst, Beiträge zur Kenntnis der Tafelmalerei Böhmens im 14. u. 15. Jahrh., 1912 S. 14.

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fassung ist weniger monumental, ihre Erzählungsweise neigt zum Volkstümlichen. Die Tafeln des Verduner Altars erzählen im Grunde überhaupt nicht, sondern stellen dar. Hier werden mehr Worte gemacht. Man ist in ihrer Wahl nicht sonderlich feinfühlig, man steigert und unterstreicht und schildert die Szenen in jenem Weltchronik-Ton, den wir zuerst bei der Schaffhausener Handschrift fanden. Man erstrebt beim Beschauer ein persönliches Miterleben der Gefühlswerte des Inhaltes. Die Figuren bewegen sich lebhaft, die Gruppierung ist locker. Die straffe architektonische Fassung, die den einzelnen Figuren wie den Kompositionen in dem älteren Werke eignet, dessen hoher Ethos, ist hier wohl bewußt vermieden. Dabei hat die italienische Kunst keineswegs an Einfluß verloren. Er wird vor allem deutlich in der Aufnahme der Depositio-Darstellung. Auch die Ikonographie von Kreuztragung und Judaskuß sind von italienischen Anregungen getragen. Und im Formalen ist es nicht anders. In allen Szenen hat sich der Meister um einen gewissen räumlichen Eindruck bemüht. Er legt unter die Szenen einen Felsstreifen, der eine Bühne von bestimmter Tiefe anschaulich macht. Im Kreuzigungsbilde sind Kreuz und Trauernde ziemlich beträchtlich in die Tiefe gerückt. Die Stellung Christi im ölbergbilde ist der auf dem Noli me tangere zu vergleichen. Dazu hat die plastische Durchgestaltung eher noch zugenommen. Die Formen sind kleinteiliger geworden. Die Falten sind gehäufter, die Geschiebe unruhiger. Vielteilig gezahnt springen die oben stark aufgehellten, an der Vorderseite dunkel beschatteten Felskanten vor und zurück. In zahllosen Verästelungen dringen Sprünge und Spalten in sie ein. Aber ihre Form ist nicht nur Zeuge für eine Neigung zu kleinteiliger Bewegung, sie ist zugleich auch Zeuge für ein ganz bestimmtes, sehr lebendiges plastisches Gestalten, das sich etwa auch in den dreidimensional klar betonten, röhrigen Falten am Mantel Mariens äußert. Die Tafel ist sehr stark übermalt. Die Bäume, die Wolken und mancher Eingriff in die Figuren sind Willkürlichkeiten eines Malers des 19. Jahrhunderts. Das mindert ihren Wert beträchtlich. Und sie ist uns umso wichtiger als sich mit ihrer Hilfe und Hinzunahme eines Bildes im Bayrischen 149. Nationalmuseum zu München ein früher Flügelaltar rekonstruieren läßt. Die stilistische Zugehörigkeit der sehr gut erhaltenen Münchner Tafel, Christus vor Pilatus zeigend, kann nicht bezweifelt werden 33. Die Punzierung des Goldgrundes, die um die Figuren eine Parallellinie herumlegt, Zeichnung und Malereien sind vollkommen gleichartig. Die Münchner Tafel macht die lockere, bewegliche Ausdrucksweise dieses Malers erst deutlich. Behenden Schrittes, lebhaft gestikulierend nähert sich die Gruppe der Kriegsknechte und Ankläger mit Christus in der Mitte Pilatus. Wie Christus charakterisiert ist, zeugt nicht von einem tiefen Gefühl für Würde. Die Erbärmlichkeit zu schildern, lag dem Maler näher. Die Tafel muß den oberen Teil der Innenseite des rechten Flügels eingenommen haben. Die Bilderzyklen in späteren ]

3 Kieslinger a. a. O. S. 103; Katalog der Ausstellung Gotik in Österreich, Wien 1926 Nr. 1 ; Kurth a. a. O. S. 37. 154

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Werken legen nahe, den Ablauf der Szenen so zu vermuten. Abendmahl (linker Flügel oben), ölberg, Gefangennahme, Christus vor Pilatus (rechter Flügel oben), Geißelung (linker Flügel unten), Kreuztragimg, Kreuzigung, Depositio, Himmelfahrt oder Pfingsten (rechter Flügel unten). Bei 1,30 m Tafelhöhe hat der Altar mit geöffneten Flügeln eine Spannweite von etwa 3,10 m gehabt. Irren wir nicht, so dürfen wir seinem Meister oder doch seiner Werkstatt 15°- auch die aus Raudnitz stammende Tafel in der Prager Staatsgalerie *4 zuschreiben. Sie ist wohl der Rest, die Altarstaffel (?), eines verlorenen Altars. Unter stark plastischen Paßbögen sind die hll. Andreas, Johannes und Petrus dargestellt. Die Köpfe mit den weitgestellten Augen, dem mimisch lebhaft betonten Mund, den tief sitzenden Ohren, um die die sehr feinsträhnigen Haare in einem großen Lockenbogen gelegt sind, stimmen völlig mit den Typen der Münchner Tafel überein. Ebenso die sehr reizvollen Farben. Der grauhaarige Petrus hat ein zinnoberrotes Kleid und violetten, olivgrün gefütterten Mantel, der weißhaarige Andreas ein blaues Gewand und zinnoberroten Mantel, Johannes mit braunen Locken ein goldnes Gewand und blauen, rot ausgeschlagenen Mantel. J59-

Und dann ist es wohl richtig, auch die Malereien des kleinen Tabernakelaltars im Stift St. Florian 25 in diesen Zusammenhang einzufügen. Zu seiten des Tabernakels, das wohl ein Marienfigürchen umschloß, finden sich auf den breiteren inneren Flügelseiten Johannes und Magdalena, auf den schmäleren äußeren je ein leuchtertragender Engel. Die Figuren stehen in Arkaden, die mit einem Wimperg abschließen, hinter dem eine Galerie durchläuft. Diese Arkadenrahmung hat in rheinischen Altären zahlreiche Verwandte, und man wird sie mit ziemlicher Sicherheit auf westliche Anregungen zurückführen dürfen. Die leuchtertragenden Engel könnten weiterhin an die auf dem Sarkophag stehenden Engel der Auferstehungsdarstellung in Hofgeismar erinnern. Es ist schwer zu unterscheiden, ob es sich nur um eine Zeitstilparallele oder mehr handelt. Die österreichischen Handschriften bieten nicht minder gute Vergleichsmöglichkeiten. Und der Duktus der Säume, die Plastizität der Gewanddrapierung haben in dem Klosterneuburger Passionsaltar wohl ihre nächste Voraussetzung. Immerhin ganz reibungslos fügt sich das Tabernakelaltärchen nicht ein. Schon Ernst 26 hat darauf hingewiesen, daß vom großen Klosterneuburger Altar der Weg zum Hohenfurther Heilsaltar führt. Zusammen mit dem Meister des Passionsaltars, der wahrscheinlich sein Mitschüler war, muß der Hohenfurther in jener Klosterneuburger oder Wiener Werkstatt seine Lehrzeit durchgemacht haben. Jedoch, bevor wir uns seinem Werke widmen, ist noch eine nicht unbeträchtliche Gruppe österreichischer Tafelbilder — sämtlich kleinen Formats — zu betrachten. J

4 Ernst a. a. O. S. 1 2 ; Chytill in Pamatky X X X (1920/21) S. 16. »5 Kurth a. a. O. S. 37. 16 Ernst a. a. O. S. 13/14.

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verständlich. Die Neigung, die schon bei dem Meister des Passionsaltars erkennbar war, die Verwandtschaft zur Schaffhausener Handschrift, hat sich hier, so verschieden auch die äußere Erscheinung ist, gegen erste aus Italien stammende Einflüsse nachdrücklich durchgesetzt. Italien hat doch nur -— so sehr die Beziehungen zu der Darstellung der Arenakapelle betont werden müssen, so eng und unmittelbar sie auch waren — eine äußerliche Anregung gegeben. Die Formfassung arbeitet mehr zeichnerisch als plastisch und hat an langhinlaufenden Saumlinien, an vorwiegend kalligraphischen Reizen ihre Freude. Die räumliche Vertiefung war nie eine primäre, entscheidende Aufgabe. Vielmehr gilt von dieser Tafel in vieler Hinsicht das, was wir oben von der Schaffhausener Handschrift sagten. Sie bezeugt ein neues Geöffnetsein für menschliches Erleben. Sie stellt kein ewiges Faktum dar, sondern will mehr erzählen und persönliche Gefühle auslösen. Das Bild wendet sich in einer vollkommen neuen Weise an das betrachtende Subjekt. 152. Die Kreuzigung der Sammlung Böhler ist vorzüglich erhalten. Ihre Farben, vor dem alten, einwandfreien Goldgrund, leuchten edelsteinhaft. Zinnoberrot und helles Karmoisin, Grauviolett und Hellblau, Moosgrün und Tabakbraun stehen wunderbar abgestuft nebeneinander. Wiederum, wie bei dem Klosterneuburger Passionsaltar und dem Berliner Täfelchen, dessen Punzierung allerdings nur in ganz wenigen Resten erhalten, sind um die Figuren schmale neutrale Zonen gelegt. Die Punzierung schließt ihnen gegenüber mit einer Konturlinie und läßt einen schmalen Streifen frei. Ahnliches zeigt auch der Kasseler Willehalm. Die Darstellungsweise ist dieselbe wie bei dem Berliner Geburtsbilde, wenn auch der Ton dem anderen Inhalt entsprechend notwendig ein anderer sein muß. Unmittelbare Ubernahmen aus einem italienischen Vorbilde sind vor allem in der rechten Gruppe zu finden: am auffallendsten der Mann in dem roten Mantel, der die Hand vors Gesicht hält. Vielleicht sind die Figuren hier etwas voluminöser — es scheint wohl nur so, da der Raum völlig gelöscht ist und die Gruppen in die Fläche eingebunden sind. Die Sprache der Mantelsäume ist lauter. In der Berliner Tafel sind alle Konturen auf eine heimliche Traulichkeit gestimmt, hier klingt schmerzvolle Klage und erregte Dramatik aus den wilden Strömen ihrer Bahnen. Ihre langen Kurven sind konsonant dem herkulischen Leibe Christi, der in sich zusammengesunken schwer lastend am Kreuze hängt und der schmerzdurchschütterten Gruppe der trauernden Frauen. Unvergeßlich der Ausdruck wühlender Verzweiflung bei jener als Randfigur in der zweiten Reihe stehenden, sich nach außen wendenden Frau. An diese Tafeln schließen sich, nicht weniger reizvoll, die beiden Bilder —154- im Bayerischen Nationalmuseum in München an, ursprünglich gewiß Flügel eines Diptychons: eine Kreuzigung mit Maria und Johannes und eine stehende Maria mit Kind und zwei musizierenden Engeln. Die nahe Verwandtschaft gibt sich schon im Physiognomischen zu erkennen. In den Kopfformen und den Gesichtern kehren dieselben Prägungen wieder. Die Köpfe sind klein, an den Stirnen aber breit. Die Gesichtsformen sind 158

in München). Sucht man nun diese, nach Farbe und Formgestaltung und auch Punzierung zusammengehörigen Arbeiten in eine Entwicklungslinie mit jenen zu bringen, so ist eine Antwort nur sehr schwer zu geben. Welches sind die älteren? Man möchte auf Grund der schwereren und weicheren Formgestaltung zuerst Wiege und Casparische Kreuzigung für später halten, allein es ist wohl umgekehrt, sie sind wahrscheinlich die älteren. Ihre schwere, massigere Form bezeugt wohl noch die größere zeitliche Nähe des späten 13. Jahrhunderts. Und dafür scheinen auch der Rahmen und die breitblättrige Punzierung des Goldgrundes zu sprechen. Zuletzt kommt man dazu, die Casparische Kreuzigung neben den St. Florianer Kanonbild in cod. XI. 396, die des Bayerischen Nationalmuseums neben das in cod. XI. 391 zu stellen. Dort hängt Christus schwer am Kreuz, dort schwingen die Figuren in weichen Kurven, dort noch tütig abstehende Falten, hier stehen die Figuren stockig steif, hier hängt Christus hager und lang gestreckt am Kreuze, hier sind die Falten hartkantig-linienhaft. Vielleicht war der Maler der Casparischen Kreuzigung ein Altersgenosse des der Böhlerschen Tafel, nur daß dieser mehr nach Italien neigte, jener sich mehr an die heimische Tradition hielt. Früh muß auch eine verkürzte, heute breitformatige Kreuzigung in unbekanntem Privatbesitz (um 1910 bei A. S. Drey, München) sein. >55—156. Den Stil des mittleren Jahrhunderts vertreten weiterhin ein Diptychon in Wiener Privatbesitz 3°, eine Maria mit Kind und ein Schmerzensmann in Halbfigur, und jenes oben im Kapitel Deutschordensland schon erwähnte 'S8- Diptychon in Königsberg, das die thronende Maria mit dem einen Buchfinken haltenden Christkind und auf der zweiten Tafel den Tod Mariens, auf der Außenseite in Resten eine Kreuzigung zeigt 31. Auch der Marientod ist stark beschädigt. Wenn diese Tafeln zum alten Besitz des Löbnichtschen Hospital gehörten, aus dem sie stammen, und für dieses gemalt sein sollten, so wäre ein terminus für ihre Entstehung gegeben. 1349 wurde das ehemalige Kloster gegründet. Dieses Datum würde zu unserer Chronologie gut stimmen. Mehr noch als in den Münchner Täfelchen, denen die Punzierung sehr ähnelt, sind die Formen erhärtet, sind die körperlichen Werte ausgezehrt. Bezeichnend für Österreich ist aber den Bildern eine gewisse Räumlichkeit erhalten geblieben. Dieses italienische Erbe wurde nicht mehr vergessen. Die Wiener und Königsberger Bilder sind in ihrer Formensprache so verwandt, daß man sie wohl einer Hand geben darf. In den beiden Marienbildern kommen zwei für den südostdeutschen Kunstkreis höchst bedeutsame Formen zum ersten Male zur Darstellung. In dem einen die auf kastenförmig umschließendem Throne sitzende, in dem anderen die das Kind zärtlich an sich ziehende Maria, so daß sich die Gesichter von Mutter und Kind begegnen. Beide Typen haben in der böhmischen Malerei eine 3» Ernst a. a. O. S. 12. 3' Drexel-Brauckmann in Abhandlungen zur Landeskunde der Provinz Westpreußen 15. Heft (1919) S. 3.

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XIII. S t e i e r m a r k

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K ä r n t e n

i. Diese beiden Kronländer stehen hinter den großen Leistungen, die Oberund Niederösterreich hervorbringen, weit zurück. Nur wenige bedeutende Werke sind zu nennen. Voran die Malereien in der Vorhalle im Dom zu 161. Gurk, die zwischen 1329 und 1343 ausgeführt sein müssen In je vier Reihen übereinander angeordnet stehen neunzehn Darstellungen des Alten Testamentes sechsundzwanzig des Neuen Testamentes gegenüber; an der Portalwand in Medaillons Christus und die zwölf Apostel. Was über die geistige Haltung der Schaffhausener Handschrift gesagt wurde, kann hier wiederholt werden. Grimschitz 1 hat auf die neue Bedeutung der literarisch-geistigen Grundlagen und das dadurch bedingte neue Verhältnis zur Architektur hingewiesen. Ein Vergleich mit den Malereien auf der Westempore macht die Andersartigkeit besonders deutlich. Nicht mehr ein strenges, von gelehrten Konstruktionen bestimmtes Bildsystem, sondern eine fortlaufende Erzählung der Begebenheiten im Alten und Neuen Testament. Dort verknüpfen bedeutungsvolle gedankliche Beziehungen die Bilder miteinander, hier verbindet sie nichts anderes als der geschichtliche Ablauf der biblischen Erzählungen. Noch werden freilich alt- und neutestamentliche Ereignisse einander gegenübergestellt. Wenig besagt es nur mehr. Stärker als der gedankliche, der symbolische Bezug von Wand zu Wand ist die Reihung, der Ablauf der Erzählung auf einer Seite. Dieses neue epische Prinzip gibt der Bildfolge eine größere Freiheit gegenüber der Architektur. Dem konstruktiven Bildsystem wurde seine Gliederung, wurde die Anordnung der Teile vom Raum, letztlich von der Gewölbeform diktiert. Jetzt reiht sich gleich den Gliedern einer Kette Bild an Bild, je zwei oder drei Szenen umfassend, in vier Reihen übereinander. Die Bilder verdeutlichen in ihrer Gesamtheit das Erlösungswerk, aber nun geschieht es in der Form der bildlichen Veranschaulichung historischer Begebenheiten. Damit hat die Reihe der Bilder wie auch jedes einzelne eine ganz neue Freiheit gewonnen. Es erhält nicht erst Sinn durch ein Gegenüber, als Teil eines Systems, sondern hat die Selbständigkeit des geschichtlichen Ereignisses. Man könnte zur Erklärung des Gurker Zyklus auf italienische Freskenwände, etwa der Arenakapelle, hinweisen. Ein überzeugender Grund, der diese Erklärung notwendig erscheinen ließe, wird kaum zu finden sein. Diese in früheren Jahrhunderten viel geübte, im späten 12. und im 13. Jahrhundert ziemlich vergessene Darstellungsform war in Köln in St. Cäcilien um die Jahrhundertwende zuerst aufgenommen worden. Die Reihen an den Domchordorsalien waren nachgefolgt. Dagegen wurden in Wienhausen die Bilder noch wie ehemals im Braunschweiger Dom zu Systemen zusammengeschlossen. 1

Schnerich, Die beiden biblischen Gemälde-Cyklen des Domes zu Gurk, 1894; Grimschitz in Karinthia 107 (1917) S. 150; Grimschitz, Die monumentalen Gemäldefolgen des Domes zu Gurk (österreichische Kunstblätter 15), 1921 S. 1 1 ; Reichmann a. a. O. S. 20ff. 3 Die monumentalen Gemäldefolgen des Domes zu Gurk S. I I ff.

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3Mit allen Merkmalen provinzieller Herkunft gezeichnet sind sodann einige Miniaturen in Handschriften der Grazer Universitätsbibliothek und in Vorau. Die zwei heiligen Äbte in cod. I. 1289, den Heinrich von Judenburg 1315 schrieb, sind noch der romanischen Kunst verpflichtet. Den neuen Stil zeigen zuerst die Kanonbilder dreier Missalien, von denen das eine, cod. II. 469 in Seckau von Nycolaus dictus de Prukka 1320 ge164. schrieben wurde. Das andere in Graz liegende, cod. II. 456, ist nicht datiert. Und ebenso nicht ein drittes in der Stiftsbibliothek zu Vorau (cod. 292 (XXXI)) 4. Am nächsten stehen diesen Kanonbildern wohl die Malereien auf dem kleinen Kästchen im Klosterneuburger Schatz. Möglicherweise stammen aus dieser Richtung — ganz allgemein — die entscheidenden Anregungen zu ihrer Formgestaltung. Die Bilder bedeuten nicht allzuviel, aber vielleicht dürfen wir ihnen rein kunsthistorisch dankbar sein, insofern sie, täuschen wir uns nicht, helfen, die Heimat eines heute völlig vereinsamten kleinen Tafelbildes, 162. einer Kreuzigung, in der Sammlung Clemens im Kölner KunstgewerbeMuseum, zu bestimmen. Das kleine Bild, das zu Clemens aus der Sammlung Kuppelmeyer kam, umschließt ein relifierter Rahmen. Der Grund ist mittels Diagonalstreifen und Punktrosetten gemustert. Zweifellos ist es später als jene Miniaturen, etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden. Die Konturen sind geradlinig und verleihen den Figuren eine röhrige Silhouette. Die Falten sind knapp und hartkantig. Aber über diese entwicklungsbedingten Abwandlungen ist doch eine bestimmte Verwandtschaft mit jenen Kanonbildern nicht zu übersehen. Zumal mit den Figuren in cod. II. 456 verbinden sie mannigfache Gemeinsamkeiten. Die Köpfe der beiden Johannisfiguren, die weisende Gebärde der rechten Hand des Johannes auf der Tafel und die aus dem Bilde weisende Rechte Mariens in der Miniatur, die Fußhaltung des Gekreuzigten, die Zeichnung seines Körpers, schließlich auch die Musterung der Nimben — die der Tafel sind plastisch — , all das scheint für einen örtlich-nachbarlichen, vielleicht werkstättlichen Zusammenhang zu sprechen. Sehr auffällig ist die Mischung verschiedenster Anregungen und Vorbilder in einem weiteren Kanonbild, in cod. III. 395 der Grazer Universitätsbibliothek, der aus St. Lambrecht stammt und 1336 geschrieben wurde. Die österreichische Buchmalerei hat ganz allgemein die Gestalt der Figuren bestimmt. In der plastischen Gewandbehandlung wird von ferne das italienische Erlebnis der österreichischen Kunst deutlich. Daneben bestimmten den Stil aber wohl noch Einflüsse von Seiten der Glasmalerei, auf die vor allem der gemusterte Hintergrund hinweist. Die lang durchlaufenden Falten im Gewände Mariens zeigen auch lose stilistische Verwandtschaft zu der Kreuzigungsdarstellung in St. Ruprecht ob Murau 5. Endlich gehören in diesen Kreis auch die Evangelistenbilder eines Evan163- geliars im Museum zu Wiener-Neustadt, das 1325 datiert ist. 1 Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich IV, x (1911) S.216. 1 Kieslinger, Gotische Glasmalerei in Österreich bis 1450, 1928 Tai. 43.

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Diese italienischen wie jene sächsischen Anregungen werden zumeist ziemlich schwerfällig und ohne persönliches Stilgefühl verarbeitet. Sie gehen nicht auf in einem selbständigen, bodenständigen Wollen, sondern bleiben äußerlich angenommene Formmittel, deren besonderer Ausdrucksgehalt nur selten erfaßt wird. Daß Böhmen einmal eine beherrschende Rolle innerhalb des deutschen Kunstschaffens spielen und weite Teile — bis nach Köln, Königsberg, Hamburg lind Konstanz — beherrschen sollte, lassen diese Arbeiten des späten 13. Jahrhunderts kaum erwarten. Ihnen fehlt alles, was für ein künstlerisches Königtum notwendig ist. 2. Und doch besitzt schon die nächste, zu unserem eigentlichen Aufgabenkreis gehörige Handschriftengruppe einen festumrissenen Schulcharakter. Noch zehrt auch sie von fremdem Kunstgut, noch erscheint sie mehr als Episode denn als notwendige Stufe in einem Entwicklungsablauf, noch bleiben ihre Leistungen ohne Nachwirkung, dennoch darf die Bedeutung der acht Handschriften, die im Auftrage der Königin Elisabeth, der sogenannten Rejcka, der Witwe König Wenzels II. (f 1305) und König Rudolfs I. von Habsburg {f 1307), entstanden, nicht unterschätzt werden 7. Zum ersten Male wird ein einheitlicher Stilwille erkennbar. Freilich bodenständig gefestigt war er nicht. Die höchst eigenartige, etwas abenteuerliche Königin, die in der Geschichte Böhmens eine nicht geringe Rolle gespielt hat, zog sich im Jahre 1323 in das von ihr begründete Zisterzienserkloster Mariasaal in Altbrünn zurück, wo sie 1333 starb. Nach Kvet ließ sie zwischen 1315 und 1320, vielleicht 1317, fünf Handschriften, in der Zeit unmittelbar vor Gründung von Mariasaal weitere drei Handschriften anfertigen. Die erste Gruppe umfaßt: ein zweibändiges Lektionar von 1315 und 13x6, Wien cod. 1773 und 1772, ein 1317 datiertes Antiphonar in der Stiftsbibliothek zu Raigern (bei Brünn) cod. 600, ein Antiphonar im Museum zu Brünn cod. F. M. 7 und ein Graduale in Wien cod. 1774. Die spätere Gruppe: ein liber choralis ordinis cisterciensis in 165. Wien cod. 1813, ein Capitulare et orationale ordinis cisterciensis ebenda cod. 1835 u n d ein Antiphonar in Raigern cod. 385. Diese drei sind im Hinblick auf die Gründung von Mariasaal angefertigt worden. Dort sind sie aber nicht entstanden. Wo die Werkstatt gesucht werden muß, bleibt auch weiterhin eine offene Frage. Kv£t vermutet sie im Benediktinerkloster zu Opatovic. Sicherlich gingen sämtliche Handschriften aus einer Schreibstube hervor, in der wohl verschiedene Hände neben- und nacheinander tätig waren, die aber der Wille eines einzelnen lenkte. Der reiche Schmuck der Handschriften besteht aus figürlich geschmückten Initialen, Randleisten und Zierbändern, die sich um die Schriftränder herumlegen, in Ranken, Blättern und Blüten auslaufen und mit allerlei Drölerien, Hirten, Priestern, Scholaren, Frauen, die Glocken anschlagen oder schwingen, Füchsen, Bären, Affen, Fledermäusen belebt sind. Immer 7 Drofäk a. a. O. S. 83; Kvet, Iluminovan£ rukopisy Krälovny Rejcky, 1931. 166

kehrt die kniende Gestalt der betenden Königin wieder. Die Schmuckformen der Elisabethhandschriften sind dieselben, die wir von den kölnischen kennen, und sie stammen zweifellos aus derselben oder doch nahe verwandten Quellen. Metz und Prüm, von denen, wie Kvet betont, nach Böhmen in dieser Zeit zahlreiche Fäden führen, sind vor allem bedeutsam gewesen. Handschriften von der Art des Prümer Missales, Berlin Ms. lat. theol. 271, verdanken die Elisabethhandschriften wesentlich Formbestand und auch stilistische Fassung. Vielleicht waren die Zisterzienser Vermittler. Sie wurden damals in Böhmen geradezu die rheinischen Mönche genannt. Möglicherweise kam durch sie auch der von Kvet mit Recht betonte englische Einschlag, der sich in der naturalistischen Ausgestaltung der Ranken und Drölerien zeigt. Daneben spielen vereinzelte italienische Motive, die durch die österreichischen Schreibstuben, St. Florian oder Klosterneuburg, vermittelt worden sein mögen, eine geringere Rolle. Wichtig aber ist, daß alle diese Anregungen von einem einheitlichen Stilwillen dirigiert werden, einem Stilwillen, der seinen Charakter entscheidend im Westen geformt hatte, es aber versteht, auch andere Anregungen aufzunehmen und zu einem Ganzen zu verarbeiten. Spätere Nachahmungen sind ein Missale des Domkapitels zu Olmütz (Nr. 138) und ein Brevier in St. Jakob in Brünn (Nr. 32). Einen größeren Einfluß, eine weitere Entwicklung haben die Elisabethhandschriften nicht gehabt. Sie waren eine Episode. Mit dem augenblicklichen Bedürfnis und ihrem Meister erlosch ihre Art. 3Die gelehrten Interessen der beiden Prager Bischöfe Johannes von Drazic und Ernst von Pardubitz haben in den folgenden Jahrzehnten die böhmischen Klosterbibliotheken mit französischen und italienischen Handschriften kanonistischen und scholastischen Inhaltes angefüllt 8 . Dagegen stehen die heimischen Arbeiten an Bedeutung weit zurück. Ihr Schmuck beschränkt sich langehin auf jene kalligraphische Ornamentik, die man Fleuronn6 nennt 9. Kvet hat die Entwicklung dieser Ornamentik an älteren Wurzeln nachgewiesen. Sie läßt sich sonderlich an den Beständen des ehemaligen Augustinerchorherrenklosters in Raudnitz verfolgen, die sich heute im Prager Landesmuseum befinden. Wir nennen cod. XII. A. 15, der 1296 datiert ist, cod. XV. B. 6, 1303 geschrieben, XII. A. 7, XII. C. 3 und XIV. A. 7, XIII. A. 4, XII. C. 5, endlich XIII. 166. B. 9, XIV. A. 2 und XVI. B. 12, die das Fleuronni besonders kostbar, in Gold ausgeführt zeigen. Das Kanonbild in dem Missale XIII. B. 9, ist nachträglich eingeklebt, aber zweifellos im Hinblick auf Johann von Drazic und seine Stiftung Raudnitz entstanden, wie das Bild des zwischen seinen Wappen knienden Bischofs bestätigt. Man mußte wohl die Gelegenheit eines geeigneten Malers abwarten. Wie dieses Beispiel lehrt, dienten österreichische Kreuzigungsdarstellungen als Vorbild. s Dvoräk a. a. O. S. 87 ff. 9 Kvet in Pamätky archeologicke 34 (1924/25) S. 92 ff.

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Den rein kalligraphischen Linienspielen der Fleuronnl-Ornamentik werden allmählich naturalistische Blattformen untermischt. Schüchtern und ungelenk beginnen grüne und rote Blätter die Buchstabenkörper zu füllen und die Endschnörkel zu bereichern. Diese unter dem Druck der eingeführten französischen Handschriften einsetzende Abwandlung — sie zerstörte den ursprünglichen Sinn der Fleuronne-Ornamentik — zeigen vor allem eine Handschrift des Prager Landesmuseums, cod. XIV. A. 12, eine in der Bibliothek des Olmützer Domkapitels, Nr. 151, und die zweibändige Bibel der Münchner Staatsbibliothek, cod. lat. 18001 und 18002, die in den J¿ihren 1338—1341 von einem Karlshofer Augustinermönch namens Wenzel geschrieben wurde. Die goldenen und silbernen FleuronneOrnamente sind mit Dornblattranken und Bordüren, vereinzelt auch Drölerien angefüllt. In cod. XII. A. 14 des Landesmuseums folgt der Maler getreulich einer lothringischen Vorlage. Unter Ernst von Pardubitz, dem ersten Prager Erzbischof (1344—64), dringt der westliche Einfluß vollends durch. Noch mehr als seinen Vorgänger Johann von Drazic veranlaßten ihn seine juristischen und organisatorischen Interessen, französische Handschriften zu beziehen. Ihre Schmuckform wurde für die böhmischen Arbeiten fast ohne Einschränkung Vorbild. Zu nennen sind vor allem die im Landesmuseum liegenden Handschriften codd. XIII. A. 13, XIII. B. 6, XVI. C. 13, XV. A. 9, XIII. B. 13, XII. A. 14, XII. A. 16, XII. B. 4, ein Missale der Kapitelbibliothek zu Olmütz, Nr. 134, und das Graduale des Erzbischofs selbst in der Prager Domkapitelbibliothek, cod. P. 7, das 1363 datiert ist, dem sich ein dreibändiges Antiphonar, codd. P. 6/1 bis 6/3 und zwei Cancionale, cod. P. 8 und cod. P. 9, anschließen. Selbständige Bilder sind vermieden. Figürliche Darstellungen sind in den Initialen nur ein Teil des Schmuckes. Inhaltlich sind sie nicht betonter als eine Dornblattranke. Diese Feststellung gibt einen Maßstab für den Grad der Hingabe an französische Art. Nur die kölnische Malerei zeigt in Deutschland noch ähnliches. Die besonderen Quellen lassen sich nicht bestimmen, da die Werkstatt außerordentlich kompilierend gearbeitet hat. Die Ranken, die zumeist die Buchstabenkörper bilden, sind aus der deutschen, insbesondere wohl sächsischen Tradition des vergangenen Jahrhunderts übernommen. Die Streifen und Bänder, die von ihnen ausgehen, die verschiedenen Blattformen, die Lanzettblätter mit den goldenen Knöpfen an den Enden sind dem Westen entliehen. Auch die Gestaltung der Figuren beruht wesentlich auf Anregungen aus westlichen Vorbildern. Aber auch Italien hat wiederum mancherlei Ornamentformen beigetragen. Das Missale cod. XVI. B. 8 des Prager Landesmuseums ist nach einer Neapeler Handschrift gearbeitet. Das sogenannte zweite Brünner Rechtsbuch ist eine getreue Kopie nach einer italienischen Rechtshandschrift. 167. Ein drittes Beispiel ist ein Brevier, das 1342 im Auftrage des Propstes Vitko von Raigern von einem Frater Petrus geschrieben wurde (daselbst Stiftsbibliothek). Zu einer persönlichen Haltung ist es in keinem Falle gekommen. Eines darf aber nicht übersehen werden, das höchst cha168

rakteristisch ist und den Schmuck dieser Handschriften grundsätzlich gegen westliche Art absetzt: die Ornamentik und auch der figürliche Initialschmuck werden weitgehend aller naturalistischen und illusionistischen Erinnerungen entkleidet. Die stilistische Haltung des Fleuronn6 ist nicht tot, sie äußert sich nur in anderen Formen. Das bedeutendste Werk dieser kompilierenden Richtung ist das in der Bibliothek des Kreuzherrenklosters zu Prag aufbewahrte Brevier des 168. Großmeisters Leo vom Jahre 1356. Mit großen Absichten wurde ans Werk gegangen. Reicher als irgendeine bisherige böhmische Handschrift ist das Brevier ausgestattet. Ein Veraikon leitet es ein. Dann folgt ein Dedikationsbild: die Äbtissin Agnes übergibt dem Großmeister der Kreuzherren die Kirche. In der B-Initiale zu Beginn des Psalters hat sich der Maler vor König David kniend und zu Christus emporblickend dargestellt. Italienische und westliche Anregungen gehen wiederum nebeneinander her. Auf diese gehen die Kalenderbilder und die ganzseitigen Miniaturen zurück, für den Psalter aber hat wahrscheinlich ein sienesisches Vorbild vorgelegen. Die Farben sind nicht so schmutzig wie zumeist in diesen Handschriften. Der Maler versucht sogar in den verschiedenen Teilen die dunkle Färbung der französischen und die helle der italienischen Vorlagen nachzuahmen. Gleiches gilt für die 1353 datierte Bibel in der Gymnasialbibliothek 174. zu Neiße, cod. A. I. 1 I0 , und ein Brevier des Klosters St. Georg, in der Prager Universitätsbibliothek XIII E. 14. c, das zwischen 1355 und 1358 entstand. Späte Nachfolger sind eine Handschrift der Olmützer Dombibliothek (Nr. 67), die 1367 von Erzbischof Ocko von Vlasim dem Kapitel geschenkt wurde, die Bibel cod. XV. B. 9 des Landesmuseums, die aus den siebziger Jahren stammen dürfte, und die noch etwas spätere Ambrosiushandschrift cod. XV. A. 7 derselben Bibliothek. Selbst der Kodex des Erzbischofs Johann von Jenstein, der 1396 geschrieben ist (cod. vat. lat.1122), zehrt noch von dieser Richtung, die also anders als die Elisabethgruppe ein sehr zähes Leben hatte. Soweit diese Handschriften Missalien sind und Kanonbilder enthalten, folgen sie dem zuerst in dem Missale des Johann von Drazic (Landesmuseum cod. XIII. B. 9) ausgebildeten Typ. Wenigstens aufgezählt 166. seien folgende Handschriften mit Kanonbildern: Prager Landesmuseum codd. XVI. B. 12, XIII. B. 14, XVI. D. 16, XVI. D. 14, XVI. B. 8, Universitätsbibliothek cod. XIV. C. 1. Die stilistischen Wandlungen zum mittleren 14. Jahrhundert lassen diese Handschriften kaum erkennen. Dazu leben sie von zu verschiedenen Quellen, dazu sind sie zu wenig von einem bodenständigen, selbständigen Stilwillen getragen. Selbst eine so bedeutsame Handschrift wie das Brevier des Großmeisters Leo zeigt nichts von der Verknappung und Verblockung der Form entsprechend ihrer Entstehung in der Mitte des Jahrhunderts. Sie könnte ebenso um 1320—30 entstanden sein. Nur in einem kleinen Psalter mit Einträgen in tschechischer Sprache, Wien, Nationalbibliothek 10

Pamätky archeologick* 33 (1922/23) S. 97 und 34 (1924/25) S. 2 1 .

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cod. 1939, der am Schluß zwei Bilder, eine Äbtissin vor der stehenden Maria und einen Chorherren vor dem hl. Georg kniend, enthält, zeigt die stilistischen Merkmale, die gemeinhin für fortschrittliche Werke des mittleren 14. Jahrhunderts kennzeichnend sind. Die dem Standbild auf dem Hradschin verwandte Georgsdarstellung ist möglicherweise älter, braucht es aber, nach den bisherigen Erfahrungen, nicht zu sein. 4Ein vollkommen anderes und nun höchst bedeutsames Böhmen lehrt 171. die Velislavsche Bibel, die vor einigen Jahren aus der fürstlich Lobkowitzschen Bibliothek in den Besitz der Prager Universitätsbibliothek übergegangen ist Zum ersten Male wird der böhmischen Kunst von einem wahrhaft großen Meister eine eigene, persönliche Sprache geschenkt. Sie erscheint nicht mehr als eine provinzielle Verknüpfung verschiedenster fremder Einflüsse. Denn selbst wenn auch in diesem Falle entscheidende Anregungen, wie sich erweisen läßt, einem benachbarten Kunstgebiete verdankt werden, entscheidend ist, daß der Meister dieses umfangreichen Zyklus seinen Bildern eine eigene Klangfarbe zu verleihen vermochte. Die Zeichnungen besitzen ein eigentümliches Gesicht, das man als typisch böhmisch erkennen darf. Die Figuren sind in ihrem Lebensgefühl, ihren Physiognomien, ihren Gebärden Abkömmlinge böhmischen Bodens. Mehr noch als in dem Passionale der Äbtissin Kunigunde tritt in der Velislavschen Bibel das Wort zurück. Die zweireihig übereinander angeordneten Bilder füllen die Seiten völlig. Schrift tritt zu ihnen nur noch als Über- oder Unterschrift, gewissermaßen als Titulus. An der Arbeit waren mehrere Hände beteiligt, die aber ein Wille, ein Werkstattoberhaupt beherrschte. Weniger noch als in den österreichischen Federzeichnungen ist die Farbe gestaltendes Mittel. Nie ist sie modellierend verwendet. Sie dient mehr der Verdeutlichung, indem die Stämme der Bäume braun, die Blätter grün, Wangen und Lippen rot hervorgehoben sind. Vereinzelt sind auch Gewänder, Bauwerke und Geräte koloriert. Der künstlerische Gehalt ist restlos mit der Feder erschöpft, die mit langen, kräftigen, nicht sehr feinfühligen Strichen die Formen umreißt. Die Figuren sind untersetzt und haben große, sehr ausgeprägte Köpfe. Die Zeichnung der Gewänder ist monoton. Die Mäntel Christi und der weiblichen Figuren fallen fast ohne Unterschied in immer den gleichen dünnen Falten. Die Säume schlängeln sich in immer den gleichen Wellenbahnen. Die kurzen Röcke der Männer, die langen gürtellosen Gewänder der jungen Mädchen — immer kehren die gleichen Motive, dieselben geradlinigen Konturen, weichen Saumlinien und unausgesprochenen Falten wieder. Auf diese Dinge ist keinerlei Phantasie und Kraft verwendet. Nicht formalen, sondern physiognomischen Reichtum erstrebte der Maler, und diesen faßte er ausschließlich in den Gesichtern und Gebärden zusammen. So ausdrucksarm die Gewänder, so gesättigt mit Ausdrucksenergien sind Gesichter 11

Herausgegeben von Matejcek 1926; Wocel 1871.

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und Hände. Die Figuren sind grobschlächtig wie mittelalterliches Bauernvolk, aber ihren Gebärden wohnt eine gewaltige Ausdruckskraft inne. Was sie äußern, ist nicht feinfühlig, sondern drastisch derb, aber es hat stets eine drängende, unverfälschte Urtümlichkeit. Manchmal mag die Drastik zur Karikatur werden, um so deutlicher wird es, wie hier ein junges Volk zu sprechen anfängt. Es sucht noch nach Ausdrucksmitteln, was es besitzt, ist plump, aber allenthalben wird eine gewaltige Seele offenbar. Noch einige Jahrzehnte, noch eine Zeit der Schule, die nun, da Selbständigkeit und Bodenständigkeit gewonnen, einen anderen Sinn haben muß, als es jene verschiedenartigen und nur unselbständig nachahmend aufgenommenen Anregungen haben konnten — dann kann wahrhaft Großes entstehen. Von hier aus wird die Prager Kunst des dritten Jahrhundertviertels am besten verständlich. Die Velislavsche Bibel muß um 1340 entstanden sein. Das verlangt der Stil ihrer Bilder, das verlangen die nahe verwandten, 1338 datierten Wandmalereien in Neuhaus, über die sogleich zu sprechen sein wird, und 170. das verlangen auch die Voraussetzungen dieses Werkes. Man darf sie im Kreise der beiden österreichischen Armenbibeln suchen. Der Abstand scheint nicht überbrückbar. Dennoch hat ein Zusammenhang mit der Kunst des Donaugebietes bestanden. Nur von da können die Mittel der Velislavschen Bibel abgeleitet werden. Freilich unmittelbar hat der Hauptmeister sein Wissen nicht bezogen. Zwischenglieder müssen vorausgesetzt werden. Dazu war die umfassende und neues schaffende Kraft des Meisters außerordentlich groß. Das darf aber nicht dazu verführen, die Zusammenhänge zu verkennen. Der Beweis für unsere Behauptung läßt sich mit Hilfe des sogenannten Uber pictus der Wiener Nationalbibliothek (cod. 370) führen, der Darstellungen der biblischen Geschichte und verschiedene Legendenzyklen zum Inhalt h a t D a böhmische Heilige 169. (Wenzel, Ludmilla usw.) vorherrschen, ist die Entstehung der Handschrift in Böhmen gesichert. Die Anlage des Ganzen läßt darauf schließen, daß wir es mit einem Musterbuch zu tun haben. Die Mehrzahl der Zeichnungen geben sich als Kopien zu erkennen, Umrißwiedergaben berühmter Vorbilder. Und diese müssen in der österreichischen Malerei des frühen 14. Jahrhunderts gesucht werden. Auf Vorlagen aus dieser Zeit weisen die stoffreichen Gewänder, die fülligen, raumweiten Falten, die organische Gefülltheit der Bewegungen. Am nächsten stehen als mögliche Vorlagen oder als Werke, die den Kreis der Vorlagen umreißen, die Armenbibeln in St. Florian und Wien. Das beidseitig geschmückte Blatt bei Rosenthal stellt eine ähnliche Verarbeitung dieser Werke wie der über pictus dar. Auch vielfache ikonographische Ubereinstimmungen mit österreichischen Handschriften sind nachweisbar. Von einer Werkstatt, die die etwas blasse, ausdruckslose Sprache des über pictus sprach, könnte der Meister der Velislavschen Bibel ausgegangen sein. Anders ist das Aussehen seiner Bilder, da er die Formmittel im Sinne 11

Matejcek a . a . O . ; Stange in Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien N. F. VI (1932) S. 74.

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der fortgeschrittenen Entwicklung abgewandelt hat. Jegliche körperliche Bewegung ist erloschen, stockig-steif stehen die Figuren da, zum kleinteiligen Linienspiel sind die Falten geworden, Bewegungen in der Fläche. Der Zeitraum zwischen den beiden Handschriften darf nicht zu klein angenommen werden. Er kann mehrere Jahrzehnte betragen haben. Dazu kommt die höchst merkwürdige Begabung des Meisters. So gewann die Velislavsche Bibel gewiß ein sehr anderes Gesicht, dennoch muß sie in eine Reihe mit dem liber pictus und dessen österreichischen Voraussetzungen gestellt werden. Der liber pictus war der Vermittler zwischen der österreichischen Buchmalerei des frühen 14. Jahrhunderts als der entscheidenden Voraussetzung und dieser ersten eigentlich böhmischen Handschrift. Der Velislavschen Bibel folgt in einigem Abstand die Hedwigshandschrift —173- bei Baron Guttmann in Wien '3. Diese prachtvolle, 1353 datierte Miniaturhandschrift stammt aus dem Piaristenkloster von Schlackenwerth (bei Karlsbad) und wurde im Auftrage des Herzogs Ludwig von Brieg geschrieben per manus nycolai pruzic foris civitatem lubyn. An den Bildern haben mehrere Hände gearbeitet, doch ist ihr Stil vollkommen einheitlich. Text und Abbildungen stehen sich durchweg gegenüber, und zwar sind die Bilder wiederum zweireihig angeordnet. Nur das Bild der hl. Hedwig, der zu Füßen der Besteller mit seiner Gemahlin kniet, füllt eine ganze Seite. Die lavierten, zum Teil auch mit Deckfarben kolorierten Federzeichnungen schließen sich eng an die Velislavbibel an. Den Figuren eignet dieselbe lebhafte Gestik und Mimik; ebenso eindrucksvoll wird erzählt. Daneben erinnern einzelne Darstellungen wie sogleich das erste Bild, die Eltern und Verwandten der Heiligen, vielleicht an die Romfahrt Kaiser Heinrichs und den Karlsruher Heilsspiegel. Dieser könnte um diese Zeit schon in böhmischem Besitz gewesen sein, ein Einfluß wäre also von dieser Seite möglich. Der flüssigere Gewandstil, die feinere Durcharbeitung der Faltenbahnen ließe sich so auf westliche Einflüsse zurückführen. Sehr bedeutsam sind sie keinesfalls geworden. Die entscheidenden Voraussetzungen boten die Velislavsche Bibel oder auch Wandmalereien wie die in Neuhaus, deren flächig-zeichnerische Form in den filigranen Stil der Jahrhundertmitte abgewandelt ist.

170.

5Die vielszenige Darstellung der Georgslegende in Schloß Neuhaus, 1338 datiert "t, zeigt den Stil der Velislavschen Bibel auf die Wand übertragen. Und hier offenbaren sich Sinn und Ziel dieser Formensprache erst recht deutlich. Sie ist nicht für das Format des Buches bestimmt. Ihre derblinige Zeichnung, ihre wenig sorgfältige, mehr allgemeine Behandlung im ein•3 Herausgegeben von Ritter von Wolfskron, 1846; Hora in Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 49 ( 1 9 1 1 ) S. 540; Die Kunst in Schlesien, dargestellt von Grisebach u . a . , 1929 S. 207 mit Abb.; Matejcek a . a . O . S. 103. M Wocel in Denkschriften der K. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Cl. X. Bd. Wien 1860. 172

zelnen scheint vielmehr umgekehrt von Wandmalereien übernommen zu sein. Die Zeichnung arbeitet mit denselben lang hinlaufenden Konturen. Die Farbe ist in den Wandmalereien ausgiebiger verwendet. Sie dient aber auch da mehr der Klärung und Erklärung, weniger der eigentlichen Gestaltung. Sollte die Velislavsche Bibel vielleicht nach dem Vorbilde bedeutender Wandmalereien gearbeitet sein? Mancherlei könnte dafür angeführt werden, nicht zuletzt die Tatsache, daß die Anordnung der Bilder auf der Seite im ganzen der Anlage monumentaler Zyklen entspricht und dieselbe wie in Neuhaus ist. In zwei Reihen übereinander laufen die Szenen ab. Architekturen oder Bäume trennen sie. Schrift (in deutscher Sprache) tritt wiederum nur in schmalen Bändern zu Häupten der Figuren hinzu. In einem unteren Sockelstreifen sind in Neuhaus Wappen angeordnet; in zwei Nischen kniet das Stifterpaar. Die Malereien in Hosin und die zwischen 1365 und 1375 entstandenen i75in Slawietin — Darstellungen aus dem Leben Christi — übersetzen den Stil der Neuhauser in ein kindlich-harmloses Geplauder. Man wird vor ihnen an Bilderbogen erinnert. Die Reste in Daudeby '5 und Hory Kasperske erinnern an den Stil des Breviers des Großmeisters Leo. '5 P a m ä t k y archeologicke 33 (1922/23) S. 142 mit Abb.

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XV. JBer |^of)enfurtj)er Elitär unij fein Itreiö i. Eine tiefe, unüberbrückbare Kluft trennt diese böhmischen Malereien von den neun Darstellungen aus der Heilslegende, die aus der Klosterkirche 1 176—180. stammend heute in der Stiftsgalerie zu Hohenfurth aufbewahrt werden . Man pflegt mit ihnen die neuere böhmische Malerei, die von der Regierung Karls IV. getragen zu europäischer Bedeutung emporsteigt, beginnen zu lassen. Diese Meinung verkennt freilich die kunstgeschichtliche Stellung dieses Werkes. Selbst die Tatsache ist fraglich, ob seine Entstehung schon dem geistigen Auftrieb der Zeit Karls IV. zu danken ist. Das künstlerische Wollen Karls offenbart sich sicherlich in sehr andersartigen Werken. Dann aber gehören diese Tafeln der südostdeutschen Kunst in einem weiteren Sinne an. Ihre Wurzeln liegen außerhalb Böhmens. Und so, mit den ihnen innerlich nah verwandten Werken verknüpft, muß man in ihnen viel eher das Ende einer großartigen Entwicklung als einen Beginn erkennen. Die neun Tafeln — Verkündigung, Geburt, Anbetung der Könige, ölberg, Kreuzigung, Beweinung, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten — sind heute zu je dreien in modernen Rahmen zusammengefaßt. Diese Anordnung ist inhaltlich gerechtfertigt, doch entspricht sie kaum der ursprünglichen. Denn dann müßte man annehmen, daß es sich um drei Retabel gehandelt habe. Aber wie ist der Altar zu rekonstruieren ? Einen Flügelaltar können die Tafeln nicht gebildet haben. Mehr Tafeln scheinen nicht vorhanden gewesen zu sein: so wie der Zyklus erhalten, ist er vollständig. Eine andere Möglichkeit wäre, daß die Tafeln im Kreuzgang oder im Refektorium einzeln aufgehangen gewesen waren. Diesen Vermutungen steht eine Chroniknachricht des 17. Jahrhunderts entgegen, der zufolge man die Tafeln als Aufbau auf dem Hochaltar annehmen muß. Und dann bleibt der Rekonstruktion nur noch eine Möglichkeit. Sie müssen so angeordnet gewesen sein, wie sie es heute sind, nur daß ein Rahmen sie umschloß. Das sich aus dieser Rekonstruktion ergebende Breitenmaß dürfte auch der alte Altartisch besessen haben. Da er heute in einer barocken Erweiterung steht, sind seine Ausmaße nicht mehr genau feststellbar. Aber noch ein anderer überzeugender Beweis läßt sich erbringen. In einer böhmischen, dem Kreis der Illuminatoren des Johann von Neumarkt angehörigen Handschrift, dem Evangeliar des Johann von Troppau in Wien (cod. 1182), das 1368 datiert ist, finden sich ganzseitige Bilder, die eine Anzahl Einzelbilder so in einem Rahmen umschließen, wie wir es für die Hohenfurther Tafeln voraussetzen möchten. Die Rahmung der Bildchen geschieht durch abgeschrägte Leisten und einen äußeren mit Beschlägen geschmückten, das Ganze umfassenden Rahmen. Es liegt 1

Ernst, Beiträge zur Kenntnis der Tafelmalerei Böhmens im XIV. und am Anfang des XV. Jahrhunderts, 1912 S. 5; Matejcek in Dejepis vytvarn6ho umeni v cech&ch III, 1929 S. 275; Oettinger, Die altböhmische Malerei, ungedruckte Wiener Diss. 1928; Bürger a. a. O. S. 1 2 1 u. ö.

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einzigen wahrhaft bedeutenden Malers ? Oettingers Deutung hat zweifelsohne den Reiz der Originalität, aber auch den Nachteil, daß sie durch andere Beispiele schwerlich zu belegen ist. Soweit wir sehen, hatte stets ein Meister, er mag für eine groBe Arbeit Gesellen und vereinzelt auch befreundete Meister in größerer Zahl angenommen haben, die Oberleitung und war für das Ganze und die Ausführung jeder Einzelheit verantwortlich. Auch am Ulmer Chorgestühl hatten die Mitarbeiter schwerlich jene Freiheit, die Oettinger für seine Meister annimmt. In Hohenfurth handelte es sich um neun Tafeln, von denen jede noch nicht einen Quadratmeter groß ist. War es, rein äußerlich genommen, notwendig, da drei Meister und einen Gehilfen zu beschäftigen? Wie man auch die Sache bedenkt, nach unserem heutigen Wissen um mittelalterliche Kunst und mittelalterlichen Werkstattbrauch spricht mehr dafür, einen Meister mit Gesellen am Werke zu vermuten, ölberg, Beweinung und Himmelfahrt sind sicherlich von einem Mitarbeiter ausgeführt, auch an Anbetung und Kreuzigung mögen Gesellenhände beteiligt gewesen sein. Freilich sind das die Tafeln, die im 19. Jahrhundert mehr oder weniger durchgreifend unter den Händen eines unverständigen Restaurators gelitten haben. Wie aber steht es mit Verkündigung, Auferstehung und Pfingsten? Dort schlanke, körperlose Formen, eng und knapp gefaßt, auf Senkrechte und Wagrechte gebracht, hier runde, fast üppige Körper, breit, in vollen Kurven ausladend, dort leuchtend helle kalte, hier dunkle sonore Farben, dort stille Feierlichkeit, Repräsentation, hier Bewegung und Erregung. Zwei sehr verschiedene künstlerische Willensäußerungen stehen vor uns. Und doch, vergleicht man die Gesichter, die Hände, die Haare, prüft man Einzelheiten, so ergeben sich allenthalben Übereinstimmungen. Brüder, im Innersten Verwandte, Gleichgestimmte wären am Werke nebeneinander tätig gewesen, wenn Oettinger recht hätte. Wahrscheinlicher ist es, daß die Tafeln von einem Meister stammen, der in der Auseinandersetzung mit seiner großen Aufgabe, der im Ringen mit ihr vor unseren Augen eine rasche zukunftweisende, Neues vorbereitende Entwicklung durchläuft. Am Anfang stehen Verkündigung und Auferstehung, die zeichnerischsten und flächigsten Bilder des Zyklus, in denen der Maler noch vorwiegend additiv komponiert, in denen er jede Form wesentlich mit Linien erfaßt, in denen Modellierung und Raumgestaltung zurücktreten. Wenn in der Verkündigung der Thron einen Raum absteckt, ist die Figur zu körperlos, um in ihm zu leben. Es ergibt sich derselbe Widerspruch wie in den 1 4 6 — 1 4 7 . Bildern auf den Rückseiten des Klosterneuburger Emailaltars. In dessen Werkstatt muß der Hohenfurther Meister gelernt haben. Ihr verdankt er seine Maltechnik und auch entscheidende stilistische Elemente in diesen frühesten Bildern. Die strenge gesetzmäßige Kompositionsweise, die dünne grätige Faltenbehandlung, die hieratische Existenz des Auferstehenden müssen so erklärt werden. Wenn aber dann doch Unterschiede sich finden, wenn etwa die Stimmung dieser beiden Bilder zarter, lyrischer, wenn der Rhythmus der Konturen und Säume zierlicher ist, wenn die Bewegungen 178

der Figuren preziöser erscheinen, wenn alles eine Wendung ins ModischElegante und Höfisch-Gezierte genommen hat, wenn der feierlichen Haltung des Auferstehenden eine gewisse Vornehmheit verbunden ist, wenn dem Ausdruck der drei Marien eine gewisse Süße eignet, wenn sich allenthalben eine Freude an kostbarem Schmuck verrät, so liegt das sicherlich an einer persönlichen Veranlagung, ist aber auch bedingt durch fremde Einflüsse, die dem Maler in der Zwischenzeit begegneten. Die monumentale, von Giottos Kunst berührte Haltung der älteren Werke ist umgefärbt durch die lyrischere, zartere, preziösere Kunst Sienas. Auf welchen Wegen dem Hohenfurther Meister sich diese neue Welt eröffnete, entzieht sich unserem Wissen. Tommaso da Modena war bestimmt nicht der Vermittler. Wichtig aber ist dies, daß das Erlebnis weiterwirkte und allmählich einen tieferen Sinn erhält. Von der allgemeinen Haltung, von der äußeren Erscheinung dringt der Maler vor zum eigentlichen Formproblem. In den Darstellungen der Geburt und der Anbetung der Könige hat er wichtige Erkenntnisse italienischer Gestaltungsweise verarbeitet. Der Raum ist zur entscheidenden Grundlage des Bildbaues gemacht, und nun haben auch die Figuren ein größeres leibliches Gewicht, so daß jener leidige Widerspruch vermieden ist. Die Plastizität eines Körpers entspricht der räumlichen Weite, in die er gestellt ist. Die die Figuren umreißenden Linien begrenzen nicht mehr nur vorwiegend flächige Formen, sondern sind Grenzwerte plastischer Bildungen geworden. Alles ist sinnlicher aufgefaßt. Nach allem, was wir wissen, mag diese Gestaltungsweise einem südostdeutschen Maler wohl am ehesten zugänglich gewesen sein. Nach dem Klosterneuburger Altar, dem kleinen Geburtstäfelchen in Berlin tat der Hohenfurther nur einen folgerichtigen weiteren Schritt. Die Berliner Geburt später ansetzen, heißt, die Voraussetzungen der Hohenfurther Tafeln verkennen. Wunderbar und völlig neuartig, wie die Rundung des Körpers bei Maria im Geburtsbilde unter dem Mantel angedeutet ist. Freilich die gewisse Behäbigkeit, die die Maria in der Anbetung auszeichnet, darf nicht zum Maßstabe genommen werden. Es ist ein häufig zu beobachtender Brauch, Maria im Anbetungsbilde mütterlich zu charakterisieren gegenüber der Verkündigung, in der sie mädchenhaft gegeben wird. Aber allenthalben gewinnt doch das Stoffliche eine größere Realität. Gleichzeitig werden die Kompositionen gedrängter und doch auch wieder bewegter. In Überschneidungen, im Hintereinander der Teile, in der genrehaften Schilderung der Hirten mit der Herde wird der Anschein des Zufälligen erstrebt. Selbst bis in die Behandlung der Haare, die weniger stilisiert sind, läßt sich dieser Wandel zu einer gewissen Natürlichkeit verfolgen. Ebenso lassen ihn die Gruppen unterm Kreuz erkennen, wenn auch hier offensichtlich Vorbilder und Tradition die Phantasie des Meisters banden. Aber diese Wendung war nur eine Stufe. Das Ziel der in diesem Altar verfolgbaren Entwicklung bringt das Pfingstbild. Die Sinnlichkeit der Formerscheinung ist nochmals gesteigert. Breitschultrig, massig, schwer sind die Figuren. Eng liegen die Gewänder ihren Körpern an, die ihnen 179

jetzt wenig Spielraum lassen. Die üppige Fülle der Versammlung sprengt fast den Bildrahmen. In grenzlosen Ubergängen runden sich die Figuren, geht die plastische Bewegung von Vorderem zu Rückwärtigem. Der Kontur tritt als selbständiger Linienwert kaum noch in Erscheinung. Licht und Schatten sind jetzt die hauptsächlichsten Elemente der Formgestaltung. Tonig spielen sie ineinander und schaffen eine teigig-weiche Körperlichkeit, die nicht eigentlich plastisch fest, sondern ausgesprochen malerisch den Anschein des Schwerflüssigen besitzt. Der körperlichen Schwere der Figuren entspricht das Pathos ihres seelischen Ausdrucks. Leidenschaftlich drängend äußern sich ihre Gefühle. Lebhaft bewegen sich die Figuren, eine bislang unbekannte Erregung spricht aus ihren Blicken und Gebärden. Aber man wird nicht übersehen dürfen, daß das Ganze doch einer geheimen Gesetzlichkeit unterstellt ist. Die abschließende Nischenwand gliedert und bindet, und sie steht in einer festeren Beziehung zu den Figuren, als auf den früheren Tafeln. Mit kräftiger Faust sind die Teile zur Einheit verbunden; nur tritt diese Bindung weniger als ehemals in Erscheinung. Sie ist nicht mehr Ziel und Ideal, sondern nur Mittel. Sie dient Form und Gehalt eine höchste Dichtigkeit zu geben. Man wird diese letzte Wendung nicht aus fremden Anregungen zu erklären brauchen. Sie ist die notwendige Erfüllung eines Weges, der sich vor uns in sechs Bildern abrollt. Seinen Ausgang nimmt der Hohenfurther Meister von der Wien-Klosterneuburger Werkstatt; fremde Anregungen berühren seine Art und werden allmählich in ihrem Kern erfaßt. Endlich das Ziel, die reife Ernte mehrjähriger Erfahrungen und Erlebnisse, ist zugleich Ausblick. Der Weg des späteren 14. Jahrhunderts wird sichtbar, den wir, wenn nicht beim Meister selbst, so doch in seinem Umkreis noch einige Schritte weit verfolgen können. So ist die Entwicklung, die wir an diesem Werke zu erkennen glauben, nicht zufällig und willkürlich, vielmehr spiegeln sich in ihr die Absichten und Zielsetzungen des gesamten Jahrhunderts. Das gibt unserer Deutung eine innere Notwendigkeit. Doch bleibt der Hohenfurther Altar, wenn auch die späteste von des Meisters Hand ausgeführte Tafel einen Blick in die Zukunft öffnet, vor allem ein Abschluß. Mit ihm geht eine Epoche italienischer Einflußnahme zu Ende, die mit den Bildern am Klosterneuburger Emailaltar einsetzt. Die Prager Malerei der sechziger und siebziger Jahre sieht andere Aufgaben, und, wo sie noch an Italien anknüpft, versteht sie es anders. Die aufgezeichnete Entwicklung erklärt nun aber auch die stilistischen Unsicherheiten der drei von Gehilfenhand ausgeführten Tafeln. Die Entwürfe, die ihm der Meister überließ, mögen, aus verschiedenen Zeiten stammend, nicht einheitlich gewesen sein; dann mag den Gesellen dessen rasche Entwicklung mehr verwirrt als geführt haben. So mag es zu erklären sein, daß die Formen rein zeichnerisch erfaßt sind, Depositio und Himmelfahrt aber schon jene freiere Beweglichkeit zeigen, die dem Meister etwa seit der Anbetung zu eigen ist, und einzelne Typen gar schon an das Pfingstbild erinnern. 180

2.

Um den Hohenfurther Altar ordnen sich einige nahe verwandte Werke. Wieweit sie eigenhändige Arbeiten des Meisters selbst, wieweit sie aus seiner Werkstatt stammen, wieweit sie Leistungen selbständiger Schüler sind, ist in keinem Falle einwandfrei zu entscheiden. Um epochale Merkmale und individuelle Eigentümlichkeiten zu scheiden, ist das erhaltene Material noch immer zu gering. Vielleicht aber liegt es nicht nur an dem. Der Wille dieser Jahrzehnte stand wohl überhaupt der freien Entfaltung des Individuums entgegen. Gemeinhin ging es auf in einem größeren Werkstatt- oder Schreibstubenbetrieb. Nur selten sind die Fälle, da uns einmal eine bedeutende und eigenartige Persönlichkeit entgegentritt. Beim Hohenfurther Altar scheint der in diesem Halbjahrhundert einzigartige Fall vorzuliegen, daß wir die Entwicklung eines Menschen an einigen Tafeln verfolgen können. Wie die nun zu behandelnden Tafeln zu ihm stehen, wieweit er an ihnen beteiligt ist, wieweit sie Arbeiten seiner Werkstatt sind, muß eine offene Frage bleiben. Das aus Glatz stammende Marienbild im Deutschen Museum zu Berlin zeigt Maria mit Zepter und Reichsapfel auf einem Throne als Himmels- x8i. königin sitzend 2. Die Tafel ist gut erhalten, nur das Gesicht ist übergangen. Nach einer alten Nachricht soll die Tafel ursprünglich von kleinen Darstellungen umgeben gewesen zu sein. Die Maria ist eine Schwester der auf dem Verkündigungsbilde in Hohenfurth. Die Engel, die sich auf verschiedenen Gelegenheiten des Thronaufbaues niedergelassen haben, sind Verwandte des Engels auf dem Auferstehungsbilde. Vielleicht ist die Formbehandlung gefälliger und zierlicher als selbst in jenen beiden frühen Tafeln, die Farben sind lebhafter; im ganzen ist die Gestaltungsweise gleichartig. Bis in letzte Einzelheiten lassen sich Ubereinstimmungen nachweisen, aber auch die Bindung von Figur und Architektur scheint einer völlig gleichen Gesetzlichkeit zu unterstehen. Und wenn die Faltengrate metallisch härter erscheinen, so zeigt das Hohenfurther Anbetungsbild doch eine ähnlich plastisch volle Gewandbehandlung; wenn die Engel in Form und Ausdruck preziöser sind, so könnte ein sienesisches Vorbild, durch das auch die Rahmenbilder angeregt gewesen sein dürften, diese kleine Andersartigkeit bedingt haben. Sehr groß sind die Unterschiede nicht. Wir wagen nicht zu behaupten, daß das Glatzer Marienbild am Anfang des Meisters selbst steht, aber daß es mit den frühen Darstellungen des Hohenfurther Altars verknüpft werden muß, ist unbezweifelbar. In deren unmittelbarer zeitlicher und werkstattlicher Nähe ist sein historischer Ort. Wenn man noch weitergehen will, kann man es zwischen die beiden ersten Gruppen stellen. Soviel es mit der Verkündigung gemein hat, die größere räumliche Weite, die stärkere plastische Durchgestaltung des Gewandes, die Neigung, die einzelnen Teile stofflich und plastisch zu individualisieren, weisen in die Richtung von Anbetung und Geburt. Aber noch bleiben die Formen vereinzelt wie in der Geburt. > Ernst a. a. O. S. 10; Chytill im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 28 (1907) S. 131; Heidrich, Rez. von Ernst, in Monatshefte für Kunstwissenschaft 6 (1913) S. 334. 181

Der zu Füßen der Maria kniende Stifter ist der erste Prager Erzbischof, Ernst von Pardubitz. Demnach muß die Tafel zwischen 1344 und 1364 ausgeführt worden sein. Und man wird eher an den Anfang, um 1350, denn an das Ende dieses Zeitraumes gehen dürfen. Dafür sprechen äußere Gründe, die Stiftung des Klosters, in das Ernst von Pardubitz das Bild geschenkt hat, dafür spricht seine und des Hohenfurther Altars stilistische Haltung. Denn für diesen ist damit auch eine Zeitbestimmung gegeben. Der beiden Werken verwandte, aber doch schon eine neue Entwicklung einleitende liber viaticus muß um oder bald nach 1355 entstanden sein. Weiterhin nötigen die Beziehungen zu den in den zwanziger Jahren gemalten Tafeln des Klosterneuburger Altars, nicht zu spät zu gehen. Mehr als zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre dürften kaum zwischen den beiden Altären gelegen haben. Der auf dem Geburtsbilde des Hohenfurther Altars kniende Stifter, ein Herr von Rosenberg, bietet keinerlei Anhaltspunkte zur Datierung. Man darf, da er das Kirchenmodell in den Händen trägt, in ihm mit ebenso gutem Rechte den Stifter des Klosters, Wok von Rosenberg, der 1259 das Kloster gründete, wie den Stifter des Altars sehen. «83Eine thronende Maria im Kaiser-Friedrich-Museum zu Görlitz 3 zeigt, wie der Typus des Glatzer Bildes in die Provinz getragen und handwerklich umgeschaffen wird. Auf der Rückseite der Tafel ist ein Schmerzensmann in Halbfigur dargestellt, mit geöffneten Augen, die Hände vor den Leib gelegt, eine derbe Umrißzeichnung, fast ohne Modellierung. Eng der Art des Hohenfurther Meisters verbunden ist das Dreifaltigkeits182. bild aus dem Pfarrhause zu Schönau im Breslauer Diözesanmuseum 4. Scharnierlöcher am rechten Rahmen weisen darauf hin, daß das Bild ursprünglich der Flügel eines Diptychons war. Einige schadhafte Stellen sind ausgebessert, am stärksten erneuert die Engel, die ursprünglich wohl die schnittige Eleganz der des Glatzer Bildes besessen haben. Auch die strenge Stilisierung der Haare und Säume und die vielteilige Dekoration des Thrones rücken das Bild in die Nähe der früheren Hohenfurther Tafeln. Anders aber als beim Hohenfurther Meister ist die merkwürdig geringe plastische Durchgestaltung des Mantels Gottvaters, anders ist das Verhältnis von Architektur und Figur. Gottvater sitzt großmächtig auf dem Thron, ihn beherrschend, während im Hohenfurther Altar umgekehrt der architektonische Rahmen der Figur das Gesetz gibt. Wiederum anders verarbeitet das Werk des Hohenfurther Meisters 185. jener Maler, der die Tafel der thronenden Maria zwischen der hl. Katharina und der hl. Margarethe im städtischen Museum zu Budweis geschaffen h a t D i e massige Gewandbehandlung bei Maria, die kreisenden Schnörkel der Säume, die weichteigige Plastizität, die runden Köpfe und vollen Gesichter deuten darauf hin, daß dieser Maler sich erst spät vom Hohenfurther gelöst hat. Die malerische Formbehandlung, die dunklen Farben 3 Kunst in Schlesien, 1927 S. 206. 4 Emst a. a. O. S. 1 2 ; Jungnitz in Schlesiens Vorzeit N. F. 5 (1909) S. 75; Kunst in Schlesien S. 206; Braune-Wiese, Schlesische Malerei und Plastik des Mittelalters Nr. 167. ; Ernst a. a. O. S. 15.

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weisen auf das Pfingstbild. Wie anders aber, wie schlank und körperlos stehen die beiden weiblichen Heiligen neben Maria, wie dünnfaltig sind ihre Gewänder, wie linienhaft und unkörperlich ist die Formgestaltung bei ihnen. Hat der Maler für sie eine ältere Vorlage benutzt, oder aber hat er die Kunst des Hohenfurthers regotisiert? Die Malweise spricht, wie Ernst betont, für eine ziemlich späte Entstehung. Er stellt es in die Nähe des Wittingauer Altars. Da wäre ein solches Streben wohl möglich. Aber der Kreis des Hohenfurther Meisters scheint sich ganz allgemein ablehnend gegenüber den Bestrebungen der folgenden Jahrzehnte und auch dem, was der Meister selbst in dieser Richtung in seiner letzten Tafel ausgesprochen hat, verhalten zu haben. Keiner seiner Schüler ist weitergegangen. Einfluß haben nur seine früheren Werke gewonnen. Die einzige Ausnahme, die sogenannte Regenmadonna in St. Peter und Paul auf dem Wyschehrad in Prag 6 , die den Stil des Pfingstbildes weiterführt, darf vielleicht noch als ein eigenhändiges Werk des alten Meisters selbst angesehen werden. Sie hat mancherlei Veränderungen durchmachen müssen. Erst jüngst wurde sie wiederhergestellt, nachdem im 17. Jahrhundert der Grund mit Goldplättchen belegt worden war und die Figuren plastische Nimben und Kronen erhalten hatten. Die Brust Mariens ist durch den Mantel verhüllt worden, so daß die Gebärde des Kindes heute sinnlos erscheint. Glaser 7 hat nachgewiesen, daß die im Norden völlig ungewöhnliche Darstellung der madonna dell' umilitä in enger Anlehnung an eine italienische Vorlage entstanden ist. Vielleicht war Tommaso da Modena der Vermittler. Es ist ein naheliegender Gedanke, daß mit seiner Kunst dieser Typus nach Böhmen übertragen wurde. Nötig ist die Annahme aber nicht. Denn einmal wissen wir, daß zu jener Zeit auch andere italienische Marienbilder nach dem deutschen Südosten gekommen sind — 1377 stiftete Ludwig von Ungarn ein sienesisches Gnadenbild im Stile des Vanni in die Kirche zu Mariazell (heute in der Schatzkammer) —, und dann sind stilistische Beziehungen zu Tommasos Arbeiten, von deren Bedeutung für die Präger Malerei in einem späteren Kapitel böhmischer Malerei zu handeln sein wird, über sehr allgemeine Züge hinaus kaum nachzuweisen. Das Motiv der auf dem Erdboden hockenden, das Kind stillenden Maria ist Zug um Zug einem italienischen Vorbilde entnommen; seine Form aber ist geschöpft aus der Kunst des Hohenfurther Meisters. Schwer und satt ist die Formgestaltung. Die Gesichter scheinen gleichsam übermodelliert zu sein. Wie aus einem zähen teigigen Stoff scheinen die Gewänder. Sonor sind die Farben, aber doch selbst in den dunkleren Teilen noch wunderbar leuchtend. Die Regenmadonna geht noch über das Pfingstbild hinaus. Noch kompakter ist ihre Erscheinung, noch breiter und massiger aufgequollen sind Körper und Gewand. Weich unplastisch und doch schwer körperlich, dumpf drängend sind die Formen, und dumpf drängend ist auch der seelische Ausdruck. Innerhalb der 6 Ernst a. a. O. S. 9; Matejcek in Kunstreichtum Böhmens I. ? Zeitschrift für bildende Kunst N. F. 25 (1914) S. 148.

Nr. 103.

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formalen Möglichkeiten des Hohenfurther Meisters — und ihre Spanne ist sehr weit — ist ein Letztes erreicht, dicht und unbedingt wie Letztes stets. Einem alten Berichte zufolge soll Ocko von Vlasim, als er noch Bischof von Olmütz war, also vor 1364, am Fuße des Wyschehrad ein Hospital und Kirche S. Maria dell' umilitä begründet haben. Wohl möglich, daß die Regenmadonna im Zusammenhang mit dieser Gründung steht. Keinerlei äußere und innere Gründe scheinen dagegen zu sprechen. In die aufgezeigte Entwicklung fügt sich diese Möglichkeit gut ein. Um 1600 ist das Bild sodann an seinen heutigen Platz gelangt. Endlich gehört in diesen Zusammenhang die Federzeichnung im Einband von cod. 29 der Wilheringer Stiftsbibliothek, eine Darstellung Christi am ölberg mit den schlafenden Jüngern. Stix 8 , der sie veröffentlichte, glaubte, sie dem Meister des Hohenfurther Altars selbst geben zu dürfen. Jerchel 9 möchte sie dagegen mit den anläßlich der Wiederherstellung des Verduner Altars hinzugefügten Emailplatten in Zusammenhang bringen. Es hat zweifelsohne vieles für sich, ihren Urheber im Kreise einer Wiener Goldschmiedewerkstatt zu suchen. Die feinstrichelnde Zeichenweise, die feinteilige Faltenbehandlung scheint für einen Goldschmied zu sprechen. Aber der Stil ist fortgeschrittener als der jener Arbeiten aus dem dritten Jahrzehnt und steht dem Hohenfurther Altar nahe. Man wird die Zeichnung um die Mitte des Jahrhunderts ansetzen dürfen. 3Mit dem Wyschehrader Marienbild haben wir schon das höchst merkwürdige Gebiet der böhmischen Gnadenbilder betreten. Man kann nach der Stellung des Kindes, seiner wechselnden Bekleidung, der Kennzeichnung der Mutter mit Mantel oder mit Krone oder Diadem und ähnlichen Merkmalen verschiedene Typen aufstellen. Für die kunstgeschichtliche Betrachtung ist damit noch wenig gewonnen, zumal ein Teil der Bilder nur in Kopien aus späteren Jahrzehnten, ja aus ziemlich späten Jahrhunderten erhalten ist. Eine endgültige Klärung ist von E. Wiegand 10 zu erwarten. Zwei Hauptgruppen lassen sich, stilistisch und zeitlich ziemlich fest umreißbar, voneinander absetzen. Die spätere, den Goldenkroner und den Hohenfurther Typus umfassende braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Ihr ging um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine erste, weniger einheitliche Gruppe voran, von deren verschiedenen Bildern nur eines eine größere, allerdings sehr rätselhafte Nachfolge erlebt hat. Für die einzigartige Verbreitung der Gnadenbilder in Böhmen und sonderlich die erste Welle war zweifelsohne Karl IV. von entscheidender Bedeutung. Das 14. Jahrhundert war das Jahrhundert der Marienverehrung. Johann von Drazic hatte ihm vorgearbeitet. Johann von Pardubitz 8

Graphische Künste, Beilage Mitteilungen, 37. Band (1914) S. 29. 9 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien N. F. VI (1932) S. 36. 10 Göttinger Dissertation; voraussichtlich 1934 abgeschlossen. 184

und andere hohe geistliche Herren wirkten im gleichen Sinne. Doch ohne die merkwürdige Persönlichkeit Karls IV. hätte die Marienvererhrung kaum jene riesige Verbreitung und Tiefe im Volksbewußtsein gefunden. Er, der Humanist und Mystiker, der Rationalist und Frömmler, der eine geheimnisvolle Reliquienreligion pflegte, war ihr größter Förderer. Um zwei Pole scheint seine Phantasie gekreist zu haben: um seinen großen Ahnen auf dem deutschen Kaiserthron, um Karl den Großen, und um die Muttergottes, die ihn durch eine Vision früh zu sich gerufen hatte. Ihr zu Ehren spendete er vielerlei Stiftungen. Kein anderer Heiliger, auch nicht die böhmischen Landespatrone genossen in seinem Herzen und bald auch in ganz Böhmen eine solche Verehrung wie sie. Die Wyschehrader Maria ist nicht das älteste erhaltene Gnadenbild. Vorangegangen, wenigstens stilistisch älter, ist das Marienbild in der 186. Kapuzinerkirche zu Brüx 11 . Es wurde mehrmals tief in den Bestand eingreifend erneuert, dennoch hat es sich „eine ungewöhnliche Vornehmheit und juwelenartige Brillanz bewahrt". Mutter und Kind sind in kostbare Gewänder gekleidet. Das Kind drückt ein Vögelchen an seine Brust; die linke Hand spielt mit dem Daumen der Mutter. Die Anordnung des Mantels, die ihn schmückenden Sterne und Borten zwingen, nahe Beziehungen zu einem byzantinischen Marienbilde anzunehmen. Allein über ein sienesisches Bild wären die Motive .kaum so ausführlich aufgenommen worden. Vielmehr darf man in dem Brüxer wohl die Wiederholung eines altberühmten byzantinischen Gnadenbildes sehen. Die italienische Kunst hat nur mittelbar beigetragen: sie kam mit der Handschrift des Malers in das Bild, denn soweit sich die Form der Hände, Augen, Ohren noch beurteilen läßt, wäre es möglich, daß es aus dem Kreis des Hohenfurther Malers hervorgegangen ist. Der sienesische Einschlag ist ein ähnlicher wie im Geburtsbilde. Gleichfalls auf ein byzantinisches Vorbild geht das Gnadenbild in der Galerie des Stiftes Strahow in Prag zurück Gewand, Besätze, Stern- 187. muster weisen wiederum eindeutig in diese Richtung. Aber stärker und vollkommen anders als in Brüx ist die Umformung. Prallrund sind die Gesichter der Figuren und der Körper des Kindes modelliert. Massig schwer ist die Komposition. Fast sprengt sie den Rahmen. Das Strahower Bild muß etwa zur gleichen Zeit wie das Wyschehrader entstanden sein. Die Neigung, die Formen über zumodellieren, die Neigung zu schweren, wuchtigen Formen verbindet sie. Aber völlig anders ist das Kolorit, das in dem Strahower auf kräftiges Blau, Weiß und Gold abgestimmt ist, völlig anders ist die Komposition. Das schräg auf dem rechten Arme Mariens sitzende Kind spreizt Arme und Beine radial ab und wendet den Kopf seitlich. Falten und Säume schießen von verschiedenen Punkten vielfach ausstrahlend wild durcheinander. Im Wyschehrader Bilde ruht die Form als träge Masse dumpf drängend in sich, hier ist sie in lebhaftester Bewegung; im Wyschehrader ziehen sich die Figuren in sich zusammen, hier verursachen sie schrille, aus dem Bild stoßende Bewegungen. Wie 11

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Opitz in Sudetendeutsches Jahrbuch 1925 S. 52 und Witiko I (1928) S. 266. Ernst a. a. 0 . S. I I .

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diese zentrifugale Formgestaltung zu erklären ist, bleibt ein Rätsel. Auch die Feststellung, daß das Bild eine Kopie aus etwas späterer Zeit wäre, würde nicht helfen. Denn so wie das Bild heute vor uns steht, geht es in allen wesentlichen Teilen auf eine Erfindung der fünfziger oder sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts zurück. Also kann die Erklärung nur bei dem Maler selbst oder seinem Vorbilde, dem er folgte, gesucht werden. In dieser Zeit, um die Mitte des 14. Jahrhunderts, muß schließlich auch 189. das Urbild des Königsaaler Gnadenbildes entstanden sein. Sein Fall liegt besonders schwierig, denn, soweit wir sehen, ist unter den zahlreichen erhaltenen keines, das aus dem 14. Jahrhundert stammt. Die meisten gehen wohl nicht über das 17. Jahrhundert zurück. Für eine so späte Ansetzung sprechen die regelmäßige, ungotische Punzierung, die kalkige Malweise und mancherlei Formales, so der im Mittelalter unmögliche Typus des Kindes. Vielleicht dienten die Bilder bei der Rekatholisierung Böhmens nach der Schlacht am Weißen Berge. Außer dem Bilde in der Kirche des ehemaligen Zisterzienserklosters Königsaal finden sich noch weitere Beispiele dieses Typus in der Stadtkirche zu Iglau '3, im Stift zu Kremsmünster, im Nationalmuseum zu Krakau, in der Sammlung Czartoryski, in Veveri und in Tremessen "t. Alle scheinen sich ziemlich getreu an das Urbild zu halten. Das mit einem Hemdchen bekleidete Kind sitzt aufrecht auf dem rechten Arme Mariens und hält wiederum ein Vögelchen in der freien Hand; mit der linken ergreift es die Hand der Mutter. Gegenüber dem in der Gruppierung verwandten Brüxer Bild sitzt das Kind repräsentativer; Maria trägt Krone und Diadem. Auch dem Königsaaler Typus liegt zweifellos ein byzantinisches Vorbild zugrunde. Es ist aber anders verarbeitet, und mehr Zwischenstufen müssen angenommen werden. Die heute vorliegende Form muß um die Mitte des 14. Jahrhunderts, vielleicht mit Hilfe eines sienesischen Madonnenbildes, gefunden worden sein. Wenn wir aber nicht irren, muß man weiter zurückgehend noch eine in der österreichischen Malerei des letzten Jahrhundertviertels geprägte Fassung voraussetzen, die stilistisch dem kleinen Marienbild des Diptychons in Wiener Privatbesitz entsprach. Auf einen derartigen Vorläufer weisen vor allem das Kopftuch Mariens mit dem betonten Perlenrandmuster, das dünne Hemdchen des Kindes und auch der kindlich erstaunte Gesichtsausdruck Märiens bei einigen der erhaltenen Bilder, vor allem dem kleinen Täfelchen in Kremsmünster. Diese Vermutung bestätigt ein kürzlich von der staatlichen Galerie in 188. Prag erworbenes kleines Marienbildchen, das zweifelsohne dem 14. Jahrhundert noch angehörend eine Miniaturausgabe des verlorenen alten Königsaaler Bildes darstellt. Es stimmt in allem Wesentlichen mit den späteren Bildern dieses Typus überein, nur der Mantel ist vor der Brust weit geöffnet, so daß ein breiter Streifen des goldenen, reich ornamentierten Gewandes sichtbar ist. Das Kind sitzt etwas mehr zurückgelehnt auf dem Arm der Mutter. >3 Opitz a. a. O. S. 52. '4 Kopera, Sredniowieczne Malarstowno w Polsce, 1925 S. 143ff. mit Abbildungen. Nach Wiegand stammt das Bild in Veveri noch aus dem 14. Jahrhundert.

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Gesichter durchgezeichnet. Jede, auch die kleinste plastische Form ist eingetragen, letztlich sind sie doch alle mimisch, expressiv gemeint. Läßt die Hohenfurther Kreuzigung die Bindung der Tradition allenthalben spüren, scheint hier originalste Erfindimg vorzuliegen. Doch wird man vorsichtig sein müssen. Auch das Herkommen dieses Meilers läßt sich verfolgen, und es zeigt sich, daß vieles in älteren Werken, auf denen er aufbaute, schon vorbereitet war. Der Gekreuzigte ist eine 146, 148. Weiterbildung des am Verduner Altar und mehr noch des auf dem Passionsaltar in der Klosterneuburger Stiftssammlung. Der Gewappnete mit der Lanze am rechten Rande der Kreuzigung des Verduner Altars findet sich wieder in dem hinter dem Kreuz des linken Schächers stehenden Mann. Vom Passionsaltar ist die eingeknickte Haltung des vornüberhängenden Christus übernommen; von diesem leitet sich das vielteilig zipfelnde Lendentuch Christi, die Freude an lebhaften Bewegungen, am Kostümlichen, an Hüstungen und auch am gesteigerten Ausdruck her. Aber auch das Kreuz und die Gruppe der Trauernden sind in dieser Tafel schon von der Vordergrundsfläche weg in den Raum hereingenommen. Der Maler der Kaufmannschen Kreuzigung muß ein Mitschüler des Hohenfurther Meisters in jener Wien-Klosterneuburger Werkstatt gewesen sein. Beide bauen auf den Tafelmalereien des Emailaltars auf. Beide haben um die Mitte des 14. Jahrhunderts nebeneinander und anscheinend unabhängig voneinander gewirkt als Inhaber größerer Werkstätten, denn auch der Kaufmannschen Kreuzigung lassen sich noch einige weitere Bilder zuordnen. Für ihren Meister ist weiterhin der Passionsaltar eine entscheidende Voraussetzung gewesen. Man könnte geneigt sein, diesen für ein Jugendwerk seiner Hand zu halten. Der Gedanke ist verführerisch, aber völlig unbeweisbar. Vor allem gehört in die Nähe der Kaufmannschen Kreuzigung der Ma191. rientod aus Kosatky in der Prager Galerie '7. Das sehr merkwürdige, leider beschnittene Bild zeigt die Versammlung der Apostel mit Christus in der Mitte, der von einer Wolkenglorie umgeben die Seele Mariens im Arme hält, am Bette der Verstorbenen, vor dem gerade noch die Köpfe einiger lesender Frauen und eines Mönches sichtbar werden, in einem dreischiffigen Kirchenraum, dessen rückwärtige, chorartige Teile gewölbt sind, während den vorderen über streichholzdünnen Pfeiler eine flache Kassettendecke abschließt. Diese Architektur ist zweifelsohne durch Anregungen von seiten sienesischer Kunst bestimmt worden. Simone Martinis Darstellungen der Geschichte des hl. Martin in S. Francesco in Assissi, aber auch Bilder Pietro Lorenzettis könnten Vorbilder geliefert haben. Es liegt dann nahe, auch Köpfe wie den des Johannes aus Siena abzuleiten, und in der Tat wird bei diesem schwerlich eine andere Erklärung zu finden sein. Sein Typus weicht völlig von dem Johannes der Kaufmannschen Kreuzigung und der älteren Bilder ab. Die meisten übrigen Figuren hingegen, auch Maria, und die plastische Gestaltung sind von der altösterreichischen >7 Pamätky archaeologiki 33 (1923/23) S. 148.

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Überlieferung zu verstehen. Immerhin bleibt der Kosatkyer Marientod das bedeutsamste Beispiel für den sienesischen Einfluß, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts auf die südostdeutsche Kunst wirkte. Er macht ihn deutlicher als irgendeine Tafel des Hohenfurther Altars. Mit der Kaufmannschen Kreuzigung hat der Marientod aus Kosatky die packende Dramatik, die lebhafte, ja wilde Erregtheit der Figuren, den tiefen, hier nun wahrhaft realistischen Ausdruck ihrer Köpfe gemeinsam. Die Schönheitlichkeit, die über der Kaufmannschen Kreuzigung noch als österreichisches Erbe lag, ist von einem merkwürdig expressiven Realismus völlig verdrängt, und damit nähert sich die Tafel der Art der Velislavschen Bibel. Fäden einer geheimen Gesinnungsverwandtschaft 171scheinen nach dieser Seite zu führen. Anders auch als auf der Kaufmannschen Kreuzigung steht der Raum zu den Figuren in keinerlei Verhältnis. Die gedrängte Komposition zeigt, zumal in dem heute erhaltenen Ausschnitt, fast nur Köpfe. Um so deutlicher wird die Absicht des Malers, dem es vor allem um eine Verdeutlichung seelischer Energien zu tun war. Das unterscheidet das Bild grundsätzlich von dem italienischen Kreis, dem es zweifelsohne wichtige Anregungen verdankt. Mögen sienesische Bilder für die räumliche Anlage, vielleicht auch für einzelne Figuren bestimmend gewesen sein, nirgends hat die formale Gestaltung in dem Kosatkyer Bild einen solchen Eigenwert wie in ihnen. Vielmehr legitimiert sich, diesen Anregungen gleichsam zum Trotz, jede Form erst durch ihre Bedeutung, durch die seelischen Energien, die sie aussendet. Die kleinteilig zerrissene, schmutzig trübe Farbgebung erinnert an das Kolorit der Kopien des Königsaaler Gnadenbildes. Die gegebenen Verhältnisse erlauben nicht, hieraus einen Schluß zu ziehen. Sowohl die Kaufmannsche Kreuzigung wie der Kosatkyer Marientod dürften noch im letzten Jahrzehnt vor der Jahrhundertmitte entstanden sein. Zu der Formgestaltung des späteren 14. Jahrhunderts leiten zwei an sie sich anschließende Werke über, ein Retabel in der Stiftgalerie zu St. Lambrecht in Steiermark, auf dem in drei etwa quadratischen Abschnitten Kreuztragung, Kreuzigung und Beweinung dargestellt sind, und zwei zusammengehörige Täfelchen aus der Sammlung Lippmann, heute in der Morgan Library in New York l8 , die die Anbetung der Könige 192—194. und den Tod Mariens zeigen. Diese beiden vielfach beschädigten Bilder gehen zumeist als französische Arbeiten; sie sind aber unbezweifelbar Angehörige dieser südostdeutschen Gruppe. Die Beziehungen zu dem Marientod aus Kosatky sind so eng, daß man mit Hilfe der gleichen Darstellung bei Morgan dessen ursprünglichen Bestand rekonstruieren kann. Vor dem Bett Mariens, zu dem eine Stufe führt, sitzen auch in der Morganschen Darstellung zwei lesende Frauen am Boden. Demnach müssen diese in jenem Bilde ganzfigurig ergänzt werden. An den Seitenrändern des Kosatkyer Bildes dürfte dagegen nur wenig verloren gegangen sein. In der kleineren Tafel drängen sich die Köpfe ebenso zwischenraumlos 18

Burlington Magazine Juni 1903 S. 89; Pariser Ausstellung 1 9 0 4 N r . s u . 6; Pamütky 35 S. 2 3 1 .

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bis an die Ränder und ohne Andeutung der Körper. Christus schwebt in einer Mandorla als Halbfigur über den Aposteln. Wichtiger ist eine andere Veränderung: indem die Architektur weggelassen ist, entfiel das einzige in Kosatky noch raumschaffende Motiv. Jetzt herrschen die schweren, vollplastischen Köpfe der Apostel bedingungslos. Die Anbetung der Könige ist sehr schlecht erhalten, aber das wird doch noch deutlich, daß für die dünngliedrige Hütte die Figuren wiederum viel zu massig sind. Ihre dichtgedrängte Front schließt jede Tiefenbewegung zu der über ihren Köpfen aufsteigenden Landschaft völlig ab. Die Maria könnte nochmals einen Hinweis auf das Königssaaler Gnadenbild bieten. i94Das St. Lambrechter Retabel gehört in die unmittelbare Nachfolge der Kaufmannschen Kreuzigung, deren Vorbild seine Kreuzigungsdarstellung in allen wesentlichen Motiven nachfolgt. Nur sind die räumlichen Werte vollkommen ausgeschieden. Das Kreuz ist an den vorderen Bildrand gerückt, der Durchblick in die Tiefe ist verbaut, in enger Reihung sind die Figuren in eine flache Vordergrundschicht gestellt. Kreuztragung und Beweinung müssen von italienischen Darstellungen abgeleitet werden, aber wahrscheinlich haben sie die italienischen Gedanken aus einem älteren österreichischen Werke geschöpft. Ferne Erinnerungen an den Klosterneuburger Passionsaltar scheinen auch bei ihnen noch verarbeitet zu sein. Formbestimmend waren sie nicht mehr. Die Wendung zu der dumpferen, malerisch verschwommenen Sprache des späteren 14. Jahrhunderts zeigt sich an. Wiederum haben wir einen Grenzfall erreicht. Massig unartikuliert, teigig weich ist die Form. Von eintönigen Konturen begrenzt, säulenrund abgeschlossen sind die Figuren. Alle Oberflächenbewegung ist zurückgedämmt, kaum daß noch Falten als selbständige, wenn auch noch so linienhaf te Form — was gerade in diesem Kreise nicht der Fall war; da bewahrten sich die Falten stets eine gewisse Körperlichkeit — vor die Oberfläche zu treten vermögen: mehr Einbeulung als Erhebung. Die sich nach vorn beugende Figur zu Häupten Christi auf der Depositio — einem aufgeblähten Ballon vergleichbar — ist bezeichnend für das neue Formempfinden. Alte bekannte, aus der Kaufmannschen Kreuzigung herübergenommene Figuren haben eine neue Klangfarbe bekommen. Ihre Erregung ist gedämpft, dumpf geworden. Gequält ist der Ausdruck der um den Mantel Christi streitenden Knechte. Sie vermögen nicht mehr wild zu schreien. Die Frau links am Rande scheint mehr in ein dumpfes Brüten versunken, als daß sie jammernd weint wie ihr Vorbild auf der älteren Tafel. Eine neue Zeit bricht an. Denn diese Merkmale haben über diesen Einzelfall hinaus allgemeine Geltung. Wenn die Nachricht, daß 1358—59 ein Gottesleichnamaltar in der Stiftskirche geweiht worden ist, auf dieses Retabel bezogen werden darf, so würde es sich um ein sehr frühes Beispiel für den Aufbruch des neuen Stiles handeln. Ausgeschlossen ist es nicht. Der etwa zur selben Zeit entstandene liber viaticus des Johann von Neumarkt zeigt ein verwandtes Wollen. Umso berechtigter sind wir dann aber, die Kaufmannsche Kreuzigung, den Marientod aus Kosatky und auch den Hohenfurther Altar noch an das Ende der ersten Jahrhunderthälfte zu stellen. 190

Nun wäre es ebenso wenig statthaft, aus diesen Hinweisen den Schluß zu ziehen, die Werkstätten müßten also in Südböhmen oder gar an der Donau ihre Sitze gehabt haben. Vielmehr sollte nur gezeigt werden, daß mit derlei Überlegungen wenig ausgemacht werden kann. (Wohin würde man die Reichenauer Miniatorenstube lokalisieren, wenn man sie von den Heimatplätzen ihrer Handschriften aus bestimmen wollte?) Nein, der Schluß dieser Überlegungen kann nur lauten, daß wir nichts Sicheres auszusagen vermögen. Nach der Jahrhundertmitte können Werkstätten unserer Gruppen wohl in Prag bestanden haben. Keinesfalls dürfen wir aber solche Vermutungen verallgemeinern. Nicht alle brauchen am gleichen Orte zu Hause gewesen sein. Daß wir mehrere sich deutlich voneinander absetzende, wenn auch in der Grundrichtung verwandte Werkstätten voraussetzen müssen, haben die Ausführungen wohl gezeigt. Selbst die dem Hohenfurther Altar nahestehenden Tafeln sind gewiß nicht alle in derselben Werkstatt entstanden. Gehilfen, Schüler des Meisters, mögen sich selbständig gemacht haben und Aufträgen folgend in Böhmen, Mähren und Schlesien, vielleicht auch im Donaugebiet gewandert sein. Es spricht nichts dafür, daß alle Werke in Prag entstanden sind. Wahrscheinlich ist eine vielteilige Verästelung der Werkstätten über das Land ohne Seßhaftigkeit. Neben der Hohenfurther steht die zweite Gruppe, bei der es ebenso fraglich ist, ob alle ihre Arbeiten einer Werkstatt entstammen. Das St. Lambrechter Retabel kann am Ort ausgeführt worden sein. Das einzige Werk, das zu anderen böhmischen Arbeiten eine innere Verwandtschaft erkennen läßt, ist der Marientod aus Kosatky, dessen derb realistische Charakteristik an die Art der Velislavschen Bibel erinnert. Hier können Zusammenhänge bestanden haben. Aber bei dieser Handschrift und ihren Verwandten wissen wir ja auch nicht, an welchem Platze sie ausgeführt worden sind.

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XVI.

^Tranken

Im 15. Jahrhundert ist, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, fränkische Malerei gleich nürnbergischer. Umgekehrt in dem hier zu behandelnden Zeitraum; da bedeutet Nürnberg noch nichts, da ist es noch keinerlei künstlerischer Mittelpunkt, da nährt es sich von Anregungen und Meistern, die von auswärts kommen, da sind die Zisterzienserklöster Ebrach, Kaisheim und Heilsbronn, daneben vielleicht noch die Bischofstadt Eichstätt, von alten Traditionen zehrend, die Träger der malerischen Kultur in Franken. Allerdings mag in Nürnberg schon in alter Zeit vieles verloren gegangen sein. Bei einer Revision 1418 in dem Schottenkloster St. Aegidien wurden nur zwei Bücher noch vorgefunden. Doch wird man sich vor übertriebenen Vermutungen hüten müssen, daß auf solche Weise sehr viele Denkmale Nürnberger Malerei uns entzogen wurden. Die Bibliotheken der Dominikaner- und Franziskanerklöster, die wir noch einigermaßen überschauen, besaßen keinerlei Handschriften aus dieser Zeit, die eine bodenständige nürnbergische Buchmalerei bezeugen. Erst um die Jahrhundertmitte läßt sich eine Werkstatt mit Sicherheit nachweisen. Bis dahin aber gilt, daß Nürnberg von aus der Fremde kommenden Meistern zehrte oder das Nötige von auswärts bezog. Wie in der Plastik — auch da lebt Nürnberg lange von fremder Kunst — so war es auch in der Malerei. 1. Ein Rhabanus Maurus in Gotha, cod. membr. I. 80, ist laut Inschrift von dem Frater Berthold vom Predigerorden zu Nürnberg in den Jahren 1292 und 1294 geschrieben worden Er enthält einige lavierte Zeichnungen, in denen die Arbeit des Pinsels teilweise so vorherrscht, daß die Federstriche der Konturen sich auf Gesichter, Hände und Füße beschränken. Die lockere, lebendige Ausdrucksweise ist gewiß nicht in Nürnberg gefunden worden. Sie hat dort und in der fränkischen Malerei des 13. Jahrhunderts keinerlei Voraussetzungen. Vielmehr dürfte ihre Art vom Oberrhein herzuleiten sein, und zwar darf man wohl an Straßburg denken. Die früheren Bildchen lassen noch allerlei Erinnerungen an dessen Kunst um die Mitte des 13. Jahrhunderts spüren. Die späteren, in dem 1294 datierten Teil, sind schwerfälliger; die Erinnerungen sind verflüchtigt 2 . Nach dem westlichen Oberrhein weisen auch die ältesten Reste monumentaler Malerei, die sich in Nürnberg in der ehemaligen Katharinenkirche erhalten haben 3: ein auferstehender Christus auf der Nonnenempore und Fischer, Die Buchmalerei in den beiden Dominikanerklöstern Nürnbergs, Diss. Erlangen 1928 S. 14. 1 Der oberrheinischen Kunst, nun aber dem Gebiet des Bodensees, entstammt eine ausgeschnittene Kreuzigung im Kupferstichkabinett des Germanischen Nationalmuseums. Sollte sie alter fränkischer Besitz sein, so war sie Import. Inv. Mm. 250 kl. F. Bredt, Katalog der mittelalterlichen Miniaturen Nr. 68; Katalog der Ausstellung 1931: Nürnberger Malerei 1350—1450 Nr. 1. 3 Fries in Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, 25. Heft (1924) S. 85 und 95, Abb. 6 und 7. 1

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ein Christopherus im nördlichen Seitenschiff. Ihre Quelle umschreiben ganz allgemein die im Breisgau erhaltenen Wandmalereien in Villingen, Kenzingen, Eppingen und Grüningen. Um oder bald nach Mitte des Jahrhunderts sind zwei Heiligenfriese, der eine in der Nordostecke des nördlichen Seitenschiffes, der andere auf der Nonnenempore, entstanden. Auf sie wird noch an anderer Stelle zurückzukommen sein. 2. Das Erbe der glanzvollen spätromanischen Malerei Frankens übernahmen die Zisterzienserklöster Ebrach und Kaisheim. Und sie bewahrten es wenigstens noch für einige Jahrzehnte. Aber mehr als ein Ausklang sind die u m 1300 und in den darauffolgenden Jahrzehnten aus ihren Schreibstuben hervorgegangenen Malereien nicht. In Ebrach war in den beiden ersten Jahrzehnten der führende Schreiber ein Sifridus Vitulus 4. In Anspielung auf seinen Namen ist er in der spätesten, 195. I 3 I 5 datierten Handschrift (Wolfenbüttel cod. 1. 3. 1. Aug. fol.) als Kalb in Mönchskutte unter einer von Turmaufbauten bekrönten Säulenarchitektur am Schreibpult sitzend dargestellt. In Mp. fol. theol. 94 der Würzburger Universitätsbibliothek kniet er vor dem hl. Andreas. Er war, wie es scheint, nur Schreiber. Nicht alle seine Arbeiten tragen figürlichen Schmuck, so Mp. fol. max. 6. In Mp. fol. theol. 94, einem Graduale von 1303, und in Mp. fol. theol. 96, einem zweibändigen Missale, stammt er von verschiedenen Händen. In jener Handschrift sind die außerordentlich flotte, bewegte Zeichenweise, die mit gemischter Technik, mit breit aufgetragenen, leuchtenden Farben und Aussparung des Pergamentes arbeitende Ausmalung zweifelsohne aus der älteren fränkischen und Ebracher Tradition zu verstehen. Sie leiten sich von Mp. fol. theol. 95 her; dessen kraftvolle saftige Gestaltungsweise war die Voraussetzung für die neue geschmeidige, flüssig weiche, aber gleich temperamentvolle Sprache in Mp. fol. theol. 94. Eine innere Entwicklung verbindet die jüngere mit der älteren Handschrift. Die Stilisierung ist eine andere geworden; der Formwille ist der gleiche geblieben. 196. Dagegen ist der Maler, der das Missale Mp. fol. theol. 96 schmückte, von westlicher Buchmalerei beeindruckt. Ihren dekorativen Formenschatz hat er sich zu eigen gemacht. Aber er hat kaum aus französischen oder belgischen Handschriften selbst geschöpft. Ober- oder mittelrheinische haben ihm deren Art vermittelt. Die Kreuzigung im Brevier des Erzbischofs Balduin (Koblenz, Staatsarchiv Abh. 701 Nr. 109) oder ähnliche Werke sind vorbildlich für seine beiden Kreuzigungen gewesen. 3Löst sich also Ebrach von der fränkischen Überlieferung, so wächst umgekehrt Kaisheim 5 erst um 1300 in sie hinein. In dem zum Bistum 4 Weigand, Geschichte der fränkischen Zisterzienser Abtei Ebrach, 1834 S. 126; Endres in Frankenwarte, Beilage des Würzburger Generalanzeigers 1925. 23. Juli, Nr. 10; Lutze, Studien zur fränkischen Buchmalerei im 12. und 13. Jahrhundert, Diss. Halle 1931 S. 72. 5 Stange in Leidinger-Festschrift 1930 S. 280; Lutze a. a. O. S. 75.

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Augsburg gehörigen Kloster blieben einige geringwertige fränkische Handschriften in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Episode. Den Hauptteil seines Bücherbedarfes deckten Handschriften französischer und italienischer Herkunft 6 . Französischer Art verpflichtet ist auch der Schmuck in einer dreibändigen Bibel — München cod. lat. 28169 —> deren erster Bernd 1263 datiert ist. Eine rot gerahmte Bordüre, der einzige Schmuck der Handschrift, enthält von Bandwerk und wenigen Blättern gefaßt Medaillons mit den Darstellungen der sieben Schöpfungstage. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstanden in Kaisheim sodann einige Handschriften, deren Schmuck nur noch in einzelnen Bruchstücken erhalten ist. Sie befinden sich heute zum größeren Teile in der Graphischen Sammlung in München, einzelne im Kupferstichkabinett des Germanischen Museums in Nürnberg und in dem des Staedelschen Instituts zu Frankfurt. Eins dieser Bruchstücke mit einer Steinigung des Stephanus (München, Inv. 40229) ist laut Schreibervermerk in Kaisheim a. d. 1300 geschrieben worden. Ihm fügt sich als stilistisch nahe verwandt an ein aus einem zweiten Antiphonar stammendes Blatt mit einer Gefangennahme Christi (München, Inv. 40230), zu dem sich jüngst im Frankfurter Kunsthandel 197(H. J . Mela) ein zugehöriges mit der Darbringung im Tempel gefunden hat. Zu einer dritten Handschrift gehören eine Liste mit zwei — von ursprünglich wohl vier — Evangelisten (München, Inv. 40250), jeder in einem von einem Rund eingefaßten Vierpaß am Schreibpult sitzend, eine Gefangennahme Christi in Nürnberg (Mm. 34 kl. F.) und eine Kreuztragung in Frankfurt (Inv. 14312). Diese Bildchen sind sehr behende gezeichnet; die Gewänder liegen den Figuren in weiten runden Falten an, an den Hüften einzelne raumvolle Tüten bildend. Die Charakteristik der Gesichter ist sehr frisch, oft keck. Der Gefangennahme steht ein prachtvolles, reich mit Initialbildern ausgestattetes Missale in der Bibliothek des Germanischen Museums, Hs. 21897, nahe, das Hauptwerk der Gruppe 7. Wunderbar zart 198. und feinfühlig sind die Figuren gestaltet. Derb ist daneben der Maler der Gefangennahme. Dennoch ist die stilistische Verwandtschaft so groß, daß man die Handschrift ebenfalls nach Kaisheim lokalisieren darf. Und zwar steht sie wohl am Anfang der aufgezählten Reihe. Im Ornament und in zahlreichen Kompositionen knüpft sie unmittelbar an die Würzburger Handschriften des mittleren 13. Jahrhunderts an und mehr noch: ihr Maler hat auch die edle Formgesinnung der spätromanischen fränkischen Arbeiten bewahrt. Mehr der Ebracher Art stehen einige figürlich geschmückte Initialen (München, Inv. 40205—28) nahe, zu denen sich ein Antiphonar in der Münchner Staatsbibliothek, cod. lat. 23046, gesellt. Da dieses von einer Adelheid geschrieben ist, entstammen diese wohl der Schreibstube eines Nonnenklosters. Auf der Rückseite der Frankfurter Kreuztragung steht von der Hand 6

Leidinger im Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst V ( 1 9 1 0 ) S. 285. 7 Ausführliche Beschreibung im Anzeiger für Kunde d. deutschen Vorzeit 1867 Sp. 97 und 129; Bredt a. a. O. Nr. 27.

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eines früheren Besitzers geschrieben „Eichstätt". Wir wissen von steten Beziehungen zwischen der alten Bischofstadt und dem nahen Reichsstift. Künstlerisch sind sie greifbar in einigen im ersten Viertel des 14. Jahr199—20i.hunderts ausgeführten Bildern im Pontificale des Bischofs Gundecar II. in den Bildern Konrads II. von Piesenhausen f 1305, Gebhards f 1305, Johannes I. von Dirbheim resig. 1305, Fr. Philipps, O. Cist., von Ratsamhausen res. 1322 und Marquards I. von Hageln f 1324. Es bestehen zwischen den verschiedenen Bildern kleine Unterschiede, im ganzen sind sie doch einheitlich, Zeugnisse einer Werkstatt. Und eben das Gemeinsame, die weiche Faltung der Gewänder, die lebhafte Art des Blickens, der Gesten, der Duktus der Konturen, die Zeichnung der Haare gleicht aufs engste jenen Miniaturen. Wie sich der Austausch der Kräfte zwischen Kaisheim und Eichstätt vollzog, ist nur schwer zu sagen. Man könnte an Bischof Philipp als Verbindungsglied denken, der als Zisterzienser sich in der Kutte seines Ordens darstellen ließ; auch die Darstellungen seiner drei Vorgänger von 1305 sind wohl unter seiner Regierung geschaffen worden. Die Eichstätter Malerei hat in diesen Jahrhunderten anscheinend völlig vom Zuzug fremder Kräfte gelebt. Für Kaisheim ist durch das eine Münchner Blatt eine Schreib- und Malstube gesichert. So ist doch wohl das Kloster der gebende Teil gewesen. Mit diesen Buchmalereien waren die Wandmalereireste aus dem Eichstätt benachbarten Kloster Rebdorf 9, die heute im Bayerischen Nationalmuseum zu München aufbewahrt wurden, ursprünglich wohl durch enge Beziehungen verbunden. Die schlanken Proportionen, die lebhaften Bewegungen der Figuren lassen vor allem an die Bilder in dem Missale des Germanischen Museums denken. Leider kann man nur Vermutungen äußern. Die Reste sind zu stark übergangen und dazu bei der Ablösung von der Wand im Gegensinn auf die Holzplatten übertragen worden, als daß es noch möglich wäre, eine einwandfreie Antwort zu geben. 4In diesen Kreis muß auch eine höchst bedeutsame Tafel gestellt werden, 202—203. die vor einigen Jahren aus Weißenburg am Sand in das Bayerische Nationalmuseum gelangte. Sie, wahrscheinlich ein Antependium, zeigt acht Heilige unter Arkadenbögen, deren je zwei von spiralig ausgebohrten Säulen getragen werden. Rein äußerlich bezeugt die Darstellung des hl. Willibald die Zugehörigkeit der Tafel in das Eichstätter Gebiet. Zeichnung und Farbe sind außerordentlich temperamentvoll. Die Gewandsäume verlaufen schnörkelnd kreisend; die Figuren sind stark durchgebogen, erregt wenden sie sich zur Seite, weisen sie mit den Armen. Die weich aufgetragenen, stark aufgelichteten Farben spielen lebhaft. Diese Vitalität besitzen freilich jene Buchmalereien nicht. Sie ist persönlichstes Eigentum dieses Tafelmalers. Die Gestaltungsmittel, die er verwendet, sind die in diesem Kreise ' Abb. aller Miniaturen des Gundecarianums in Eichstätts Kunst, hrsg. von Schlecht, 1903. 9 Eine Umrißzeichnung im richtigen Sinn bei Sighart, Geschichte der bildenden Künste in Bayern, 1863 S. 340.

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gebräuchlichen. Die Figuren des Willibald und des Bischofs Johann von Dirbheim sind auf demselben Boden erwachsen. Das Weißenburger Antependium ist stilistisch noch um einen kleinen Grad entwickelter. Seine Figuren sind Gewandphantome. Die Modellierung schafft keine Körperwerte, sondern ist zum flächigen Schattenspiel geworden, nicht anders als die weiß hervorgehobenen Saumlinien. Um 1330—40 ist es anzusetzen. Ahnliche Heiligenreihen finden sich in Franken noch öfter: in Nürnberg die beiden schon erwähnten Friese in der Katharinenkirche I0 , ein dreiteiliger, Maria zwischen Katharina und Willibald, in der ehemaligen Abteikirche zu Kastl über dieses Gebiet hinaus in der Dominikanerkirche zu Regensburg die vierzehn Nothelfer, datiert 1 3 3 1 . Diese Heiligenfriese gehen, wie ein weiteres Beispiel in Kottingwörth (bei Beilngries) lehrt, auf alte romanische Überlieferungen, etwa die Heiligenreihen in Prüfening, zurück. 5Die Malereien des dritten zum fränkischen Kunstkreis gehörenden Zisterzienserklosters, Heilsbronn, führen uns wieder in die Nähe der oben zuerst behandelten Nürnberger Handschrift des Predigers Berthold. Die fränkischen Überlieferungen, die überwiegend die Leistungen von Ebrach und Kaisheim trugen, waren hier nicht wirksam. Andere, fernere Kräfte bestimmten die Heilsbronner Malereien, Kräfte, die uns schon in jener Nürnberger Handschrift begegneten. Das erste Blatt der Sermones des Heilsbronner Abtes Konrad von Brundelsheim (f 1321) schmückt am unteren Rande ein kleines Bildchen: eine Nonne kniet vor dem hl. Bernhard (Erlangen, Universitätsbibliothek Nr. 308) 12 . An diese kleine, unscheinbare Darstellung schließt sich der in gleicher Weise angebrachte Schmuck — sitzende Figuren — in der dreibändigen Bibel des Schreibers Hainricus in der Nürnberger Stadtbibliothek (Cent. I. 2—4) an. Die Gewänder sind mit blassen Farben laviert, die Zeichnung ist locker, zart impressionistisch, ohne besondere Feinheit. Weiterhin gehört hierher eine Vita des hl. Franziskus in der Bamberger Staatsbibliothek (Msc. hist. 149 [E VII. 75]), deren Maler mit Deckfarben arbeitet, was aber nicht hindert, daß er vielleicht noch spritziger, aber auch flüchtiger ist. Der Stil dieser um 1330 etwa anzusetzenden Malereien muß wie schon der der älteren des Frater Berthold von westlichen Vorlagen hergeleitet werden. Späte derbe Ausläufer dieser Richtung sind die 1389 datierte Bibel aus Neunkirchen am Brand in der Bamberger Staatsbibliothek, Ms. Bibl. 9 [A. I. 2], und das Würzburger Schriftmusterbuch ' Fries a. a. O. S. 84 Abb. 8 und 9. Röttger, Malerei in der Oberpfalz (Alte Kunst in Bayern), 1927 S. 25. ' • Lutze in Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1930—31 S. 8. • Kurth in Jahrbuch d. Zentralkommission für Denkmalspflege IX (1915) S. 173 ff. 1

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6. Aus Heilsbronn stammen nun auch einige Tafelbilder, die man mit einem gewissen Recht an den Anfang fränkisch-nürnbergischer Malerei stellen darf '4. Der selbst heute noch wahrhaft monumentale Schmerzens208. mann des Epitaphs für den 1350 verstorbenen Heilsbronner Abt Friedrich von Hirzelach, den wie auch die folgenden Reste die Heilsbronner Klosterkirche noch bewahrt, darf vorausgenommen werden, obgleich seine Farben im 19. Jahrhundert vollkommen heruntergeputzt und neu gemalt worden sind. Uberlebensgroß steht Christus, nur leicht nach der Seite des vorgestellten Beines geneigt, hoch aufragend. Die Arme sind vor der Brust gekreuzt, die der von den Schultern rückwärts lang herabhängende und an den Beinen in vielen Röhren und Gehängen sich schließende Mantel freiläßt. Wie tief die Eingriffe des Malers im 19. Jahrhundert gingen, ist sehr schwer abzuschätzen. Der farbige Eindruck muß ein völlig anderer gewesen sein. Dennoch, daß das Hirzelach-Epitaph in die nächste Nähe der Reste eines Passionsaltars in Heilsbronn gehört, das wird auch heute noch, trotz der falschen Farben, deutlich. 204—205. Erhalten haben sich ein Flügel und die rechte Hälfte des Mittelbildes: die Versammlung der Soldaten und Juden unterm Kreuz, das durch den neuen schwarzen Grund zugedeckt ist. Sein Platz am linken Rande wird durch den dort aufsteigenden Hügel, die Spannweite des Kreuzbalkens durch den Engel mit dem Kelch angegeben. Der farbige Charakter ist durch einen unangenehmen braunen Ton, der über dem Ganzen liegt, stark beeinträchtigt. Zahlreiche Köpfe sind ausgebessert oder völlig neu. Dagegen ist die Innenseite des rechten Flügels ausgezeichnet erhalten. Sie zeigt noch den reich ornamentierten Goldgrund und das alte lebhafte, leuchtende Kolorit. Dargestellt sind Gefangennahme, Christus vor Herodes oder Pilatus, Auferstehung und Himmelfahrt. Da Christi Gegenüber auf der zweiten Szene eine Königskrone trägt und mit fragend heischender Armgebärde Christus begegnet, wird Herodes gemeint sein, von dem es heißt, daß er Christus mancherlei Fragen vorlegte. Auf dem linken Flügel dürften dann Abendmahl, ölberg, Geißelung, Kreuztragung dargestellt gewesen sein, so daß zuerst die obere Bildzeile der Flügel, dann die untere mit Einschaltung der Mitteltafel abzulesen war. Die Auswahl und Anordnung der Darstellungen entspricht also dem Klosterneuburger Passionsaltar, nur daß auf den Flügeln je zwei Bilder nebeneinander angeordnet sind und auf der Mitteltafel die Kreuzigung keine Nebenszenen begleiten. Die Formensprache des Flügels ist kleinteilig, mitunter erscheint sie leer; die des Kreuzigungsfragmentes dagegen ist größer und ausdrucksvoller. Eine monumentalere Gesinnung dokumentiert sich in ihm. Die Figuren sind würdevoller, ihre Erscheinung ist gewichtiger. Die Formgestaltung ist straffer, architektonischer. Man kann aber auch sagen, daß '4 Zimmermann in der ausgezeichneten Zusammenfassung der Ergebnisse der Ausstellung 1931 Nürnberger Malerei 1350—1450 im Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1930—31 S. 23 ff.; Thnde, Die Malerschule von Nürnberg, 1891 S. 13 ff.; Kurth a . a . O . S. 41 ff.

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der Flügel gotischer ist als das Mittelbild. Die Körperlichkeit, die dessen Figuren noch besitzen, die Raumweite seiner Komposition ist in den Bildern des Flügels restlos zugunsten von Linie und Fläche gelöscht. Wenn man bei den Flügeln noch zweifeln kann, die Mitteltafel macht es gewiß: hinter diesem Werke steht das italienische Erlebnis des deutschen Südostens. Und man wird seine Art wohl unmittelbar von der österreichischen Malerei des Klosterneuburger Altars und näher noch der Böhlerschen Kreuzigimg herleiten müssen. Anders wäre sie kaum zu verstehen, wäre sie völlig vereinzelt. Aber mit der Wanderung ist freilich ein großer Teil des dort Gewonnenen verlorengegangen. Der Heilsbronner Maler, der ein Zeitgenosse des Hohenfurther Meisters gewesen sein muß, hat nicht wie dieser nochmals in Italien Anregung und Belehrung gesucht, sondern ist umgekehrt in die deutsche Entwicklung eingebogen. Das Italienische, nur mittelbar empfangen, wirkt nur mehr in der allgemeinsten Bildanlage, nicht mehr in seiner Gestaltung, wirkt mehr im Motiv als in der Form. Die Figuren des Flügels unterstehen gänzlich den Gesetzen des gotischen Formgefühls der vierziger Jahre. Unkörperlich, sind sie nur mehr Kompositionen von Linien und Flächenwerten. Die Konturen der lebhaft seitlich ausschwingenden Figuren schießen empor. Ein erregter Bewegungsimpetus erfüllt sie, lebt in ihren Bücken, in ihren hastigen, dissonanten Gebärden, lebt in jeder der dünnen, kantigen Falten, die befreit von jeglicher Körperlast emporzusteigen scheinen. Die Gestalt Christi erinnert von ferne an die Grabfiguren des Otto von Wolfskehl in Würzburg und des Friedrich von Hohenlohe in Bamberg '5. In derselben Werkstatt entstanden auch die Malereien auf den Flügeln 206—207. und der Rückseite eines Reliquienaltärchens, das sich heute im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg befindet. Auf der Rückseite Christus als Schmerzensmann mit den Leidenswerkzeugen, auf den Flügelinnenseiten Geißelung und Beweinung, auf den Außenseiten ölberg und Kreuztragung. Die Darstellungen sind meist mit wenigen Figuren bestritten. In dem ölbergbilde sind die Jünger winzig klein in einen Hügel eingebettet. Christus begleitet von einem Ölbaum beherrscht die Szene. Ebenso in der Kreuztragung, wo nur ein junger Mann Christus das Kreuz tragen hilft. Höchst ausdrucksvoll auch das Gegenüber von Christus und Knecht auf der Geißelung. Vielfigurig und kleinteilig ist nur die Beweinung. Sonst eignet den Bildern die monumentale, großformig einfache Sprache des Malers der Heilsbronner Mitteltafel. Das Votivbild des Bischofs Berthold von Eichstätt, Burggrafen zu Nürnberg, der 1365 starb, ist, wie eine Inschrift am unteren Rande meldet, 1497 erneuert worden. Das geschah so gründlich, daß für das ursprüngliche Aussehen des Bildes kaum noch Anhaltspunkte gegeben sind. Völlig neu ist die Szene mit dem Stifter, die so, wie sie heute erscheint, im 14. Jahrhundert undenkbar ist. Die Umrisse der Maria mögen dem ersten Zustande entsprechen, möglich wäre auch der ungewöhnliche Ausschnitt. '5 Pinder, Die deutsche Plastik des 14. Jahrhunderts, 1925 Taf. 44 u. 47.

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Er kehrt in einem Gnadenbild von der Art der Araceli-Madonna in der Prager Galerie wieder. Die Vermutung, daß das Bild ursprünglich dem Hirzelach-Epitaph ähnlich aufgebaut gewesen wäre, scheitert wohl daran, daß die Darstellung der ganzfigurigen stehenden Maria im 14. Jahrhundert in Deutschland nicht vorkommt. Bei diesen Tafeln kann man noch zweifeln, ob sie in Nürnberg entstanden sind. Keinerlei Hinweise sind gegeben. Im Grunde ist es auch gleichgültig, wo ihre Werkstatt in Franken beheimatet war. Ihre Art war nicht bodenständig und blieb Episode. Eine Wirkung ist von ihnen nicht ausgegangen. Die mit dem Meister arbeitenden Gehilfen haben seine Art nicht weitergeführt. 7Anders steht es bei einer Anzahl Altarfragmenten, die nun unbezweifelbar aus einer Nürnberger Werkstatt stammen l6 . Vielleicht war deren Sitz 209—212. im Claren-Kloster selbst, wofür eine miniaturgeschmückte Urkunde und der Inhalt der verschiedenen Tafeln sprechen. Die heute noch erhaltenen Tafeln weisen auf verschiedene Altäre, deren Gestalt sich aber bislang nicht rekonstruieren läßt. Sicher ist, daß die Altäre Tafeln verschiedener Größe umschlossen haben müssen. Man darf sich ihre Anlage wohl ähnlich dem Altenberger Altar im Staedel vorstellen. Zu einem ersten Clarenaltar gehören die folgenden Tafeln: Tod und Krönung der Heiligen, Papst Innocenz IV. bestätigt die Ordensregel der Ciarissen, Christus erscheint der hl. Clara im Ziborium im Germanischen Nationalmuseum, die heilige Hortolana betet vor dem Kruzifixus und die hl. Clara erweckt Tote auf in der Städtischen Galerie zu Bamberg, der hl. Franziskus und der Bischof von Assissi nehmen die hl. Clara in den Orden auf in der Sammlung des Herrn v. Hirsch in Frankfurt, ein Verkündigungsengel, der später verderbt in einen Bartholomäus umgewandelt wurde, in Regensburger Privatbesitz. Aus einem zweiten Clarenaltar stammt die Vision der hl. Clara in Begleitung des hl. Franz im Germanischen Nationalmuseum. Teile eines Martha-Magdalenenaltars sind das Noli me tangere im Bayerischen Nationalmuseum, die Auferweckung des Lazarus, das Gastmahl im Hause des Simon und der Tod der hl. Martha im Germanischen Museum. Die Rückseite dieser letzten Tafel zeigt einen goldenen punzierten Weinstock auf blauem Grunde mit goldenen und silbernen Vögeln. Die Verehrung der hl. Maria Magdalena, der Patronin der Büßerinnen, ist in der Geschichte des Nürnberger Clarenklosters begründet, das aus einer Reuerinnenniederlassung hervorgegangen war. Die Tafeln haben sämtlich punzierten Goldgrund. Die verschiedenen Muster sind ein Mittel, die Tafel zu ordnen. Die naive Formgestaltung erinnert an den Altenberger Altar. Irgendwelche Beziehungen dahin 86—87. anzunehmen, wäre völlig abwegig. Vielmehr ließ sie eine ähnliche klösterliche Gesinnung von ferne verwandt werden, die sich in dem mittelrheinisch1

" Zimmermann und Lutze a. a. 0. S. 10 und 23 ff.; Kurth a. a. O. S. 45 ff.

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hessischen Altar wie in diesen nürnbergischen Tafeln in einem puppenhaften Figurenideal, in einem kindlichen Gebaren, in einer Schema tischeinfachen Gestaltung gleichartig äußert. Den Verfertigern dieser Tafeln war es nicht um gewichtige künstlerische Aufgaben und Lösungen zu tun. Die Form war ihnen wie dem Schöpfer des Altenberger Altars nur Mittel. Ihr Ziel war ausschließlich ein inhaltliches: sie wollten nichts anderes als das Leben ihrer Ordensgründerin und anderer ihnen nahestehender Heiligen anschaulich darstellen. Das ist ihnen gewiß in einer sehr liebenswürdig-gefälligen Weise gelungen. Eine weitere zeitliche und örtliche Festlegung bietet eine Urkunde des Nürnberger Ciarenklosters aus dem Jahre 1362 im Münchner Hauptstaatsarchiv, die am rechten und linken Rande unter Baldachinen und auf Sockeln die hl. Clara und den hl. Franziskus in Deckfarbenmalerei ausgeführt zeigt. Diese Figuren entstammen derselben Vorstellungswelt. Bis in allerletzte Einzelheiten stimmen sie überein. Dieselben Hände müssen an ihnen gearbeitet haben. Nun ist aus demselben Jahre 1362 eine ebenfalls mit Konrad Waldstromer zusammenhängende Urkunde des Nürnberger Katharinenklosters datiert, die in der Anlage gleichartig Maria mit dem Kinde und die hl. Katharina zeigt. Diese Figuren sind in lavierter Federzeichnung ausgeführt, völlig anders ist ihr Stil. Massig wölben sich ihre Leiber und weiten sich an den Hüften. Die Gewänder umspannen sie mit wenigen Falten. Zu den Ciarenaltären bestehen keinerlei Beziehungen, vielmehr führt von den Malereien dieser Urkunde der Weg zu neuen Zielen, letztlich zum Jakobsaltar. Damit ist ein weiterer Beweis gefunden, daß jene Tafeln in der Tat aufs engste mit dem Nürnberger Ciarenkloster verbunden entstanden. Im Katharinenkloster aber wurde im selben Jahre eine völlig andere und modernere Sprache gepflegt. Man darf daraus schließen, daß die Ciarenurkunde einen ziemlich späten Termin für die in diesem Kloster gepflegte Kunst bietet. Die Täfelchen können schon früher, um die Mitte des Jahrhunderts, entstanden sein. Zu dieser Annahme zwingt auch die Herleitung des Stils der Clarentafeln. Der Altenberger Altar ist gewiß kein denkbarer Ausgangspunkt. Am ehesten darf man die späteren Bilder des Eichstätter Gundecarianums heranziehen. Das 201. Bild der Bischöfe Johann von Dirbheim und Philipp von Ratsamhausen (f 1322) ist in den Köpfen seiner Figuren und in der Zeichnung der Gewänder so nahe verwandt, daß eine Ableitung von dieser Seite sehr wahrscheinlich ist. Eine Legende der hll. Maria Magdalena, Martha und Lazarus, Bamberg, Staatsbibliothek Ms. lit. 159 (E. VII. 53), bestätigt diese Vermutung. Ihre Bilder sind noch ganz im Stile der Eichstätter Miniaturen ausgeführt; den genannten Nonnen zufolge muß aber die Handschrift um die Mitte des Jahrhunderts im Nürnberger Clarenkloster geschrieben worden sein. Der Ciarenwerkstatt entstammt sodann weiterhin eine Legende der hl. 213. Clara in der Dresdner Landesbibliothek, Ms. 281, deren zahlreiche Bilder zum Teil wörtlich mit den Tafeln übereinstimmen. Als letzte, sicherlich schon sehr späte Ausläufer müssen dann einige Einzelblätter aus einer 202

Franziskuslegende in der Graphischen Sammlung in München (Inv. 38510, 39837—44) angesprochen werden. Weiterhin ist den Ciarentafeln stilistisch nahe verwandt ein kleines Täfelchen im Bayrischen Nationalmuseum, das eine thronende Frau mit einem Hündchen im Schofie zeigt, der sich von rechts ein Ritter nähert, dessen RoB ein Knappe hält. Links steht ein Dominikaner mit einem Geldbeutel. Was bedeutet die Darstellung ? Die Tafel stammt aus dem ehemaligen Zisterzienserkloster Langheim bei Lichtenfels.

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XVII.

Bayern

Sehr unübersichtlich ist vorläufig noch Bayern. Es sind wohl eine ziemlich beträchtliche Anzahl Werke, Wand- und Buchmalereien, erhalten, aber sie fügen sich nicht zusammen zu einem Bilde oder zu verschiedenen Gruppen Einige nach Regensburg und Salzburg lokalisierbare Handschriften bestätigen, daß diese alten Mittelpunkte künstlerischen Lebens auch um 1300 in der Malerei noch eine gewisse Rolle gespielt haben, und neben ihnen haben, wie es scheint, Tegernsee und Benediktsbeuren Buchmaler beschäftigt. Schulen mit einheitlichem Gesicht und mit einer längeren, überschaubaren Geschichte sind nirgends faßbar. In allen Fällen, so hat man heute den Eindruck, war es wie in den fränkischen Klöstern mehr ein Abgesang als ein Neubeginnen, und schlimmer noch: ein Versanden in hilfloser Kopistenarbeit. Die auf bayerischem Boden in der ersten Jahrhunderthälfte entstandenen Armenbibeln sind erschütternde Zeugen für dieses Erlöschen jeglicher künstlerischen Kraft in den alten klösterlichen Pflegstätten. Daneben müssen wandernde Kräfte tätig gewesen sein, die die Illustration von Weltchroniken pflegten. Ihr Wirkungskreis hat sich, zumal im späteren 14. Jahrhundert, über das gesamte bayrisch-österreichische Gebiet erstreckt. 1. Die reizvollsten Leistungen gotischer Malerei in Regensburg sind die 2I S- Miniaturen auf einem Reliquienkästchen im Domschatz. Die beiden großen Bilder auf der Schauseite zeigen Maria auf dem Thron sitzend, begleitet von der hl. Katharina und hl. Clara, und die Kreuzigung mit dem hl. Franziskus. Demnach stammt das Kästchen wohl aus einem Clarissenkloster. Ahnlich wie auf dem Doberaner Fronleichnamsaltar und einem Glasfenster in Wienhausen wird Christus von drei Kardinalstugenden ans Kreuz geheftet. Der Maler dieser Miniaturen baut auf spätromanischen Regensburger Handschriften wie dem um 1260 anzusetzenden Legendär der Dominikanerinnen in London, Add. 16950, und dem Hohenwarter Evangeliar in München, cod. lat. 7384, auf. Der in den älteren Miniaturen deutliche rheinische Einschlag ist in den Reliquiarminiaturen wieder stark verblaßt. Die Formgestaltung ist dem Weg dieser Jahre entsprechend geschmeidiger geworden, ist nicht mehr eckig-zackig wie in cod. lat. 7384, im Bildaufbau hat der einzelne Faltenstrich, ob weicher und schmiegsamer oder nicht, doch denselben Sinn. Er ist großzügig geblieben und hat auch die Kraft, die er in den spätromanischen Handschriften besaß, sich bewahrt. In den beiden folgenden aus St. Emmeran stammenden Arbeiten, einer Miniatur im Vorderdeckel der Handschrift cod. lat. 14034 in München mit den Darstellungen der Verkündigung, Geburt, Darbringung im Tempel 214- und des Todes Mariens und einem Zyklus in dem Psalter cod. lat. 14528 wird der Stil der Reliquiarminiaturen vereinfacht und ausgeweitet. Beides 1 Weitgehende Belehrungen verdanke ich für dieses Kapitel Dr. Heinrich Jerchel, der eine ausführliche Untersuchung der bayrischen Buchmalerei im 14. Jahrhundert vorbereitet.

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lag stets im Streben der Regensburger Malerei. Sie vereinfachte im 12. Jahrhundert die Salzburger Vorlagen, betonte die Zeichnung, den einzelnen Strich und weitete die Form bis zum Eindruck der Leere aus. So ist es auch hier. Die Farben sind licht und nur kolorierend aufgetragen. Cod. lat. 14034 ist 1295 datiert. Da aber die Miniatur, die uns hier beschäftigt, in den Deckel eingeklebt ist, brauchte sie nicht gleichzeitig zu sein. In cod. lat. 14528 sind die Falten zwar mit dunkleren Farbstrichen eingetragen, aber diese modellieren nicht. Sie bleiben Zeichnung. Sehr reizvoll ist in dieser Handschrift eine Darstellung Christi im Tempel. Diese Malereien sind das Ende. Wie es scheint, haben sie Nachfolger nicht mehr gehabt. 2. Für das Stift Nonnberg in Salzburg ist um 1300 ein Gebetbuch, München 216. cod. germ. 101, gesichert. Die Gestaltung ist plastischer als in den Regensburger Werken, die Deckfarbenmalerei folgerichtig durchgeführt, wenn auch die Falten immer mehr als Kerben erscheinen. Aber sie vermögen den Figuren doch noch ein gewisses Volumen zu verleihen. An cod. germ. 101 schließen sich an die Evangelistenbilder eines Evangeliars im Stifte St. Peter in Salzburg, cod. a. XIII. 36 2 , und die großartige Kreuzigung in einem Rituale romanum der Salzburger Studienbibliothek, cod. V. 2. F. 61 3. In diesem Bilde ist die Körperlichkeit der Figuren zu 2 1 7 . wuchtiger Massigkeit gesteigert. Es wäre aber falsch, diese Arbeiten deshalb vor cgm. 101 anzusetzen. Umgekehrt dürften sie später entstanden sein. Man muß die Gewichtigkeit ihrer Form als Erfolg der in Osterreich um 1320 angetroffenen italienischen Welle und vielleicht unmittelbarer St. Florianer Einwirkungen verstehen. Auch in dem Missale cod. V. 1. E. 59 der Studienbibliothek treten sie einwandfrei in Erscheinung. Sie fanden in Salzburg gut vorbereiteten Boden. Schon bei cgm. 101 konnte die Neigung zu körperlicher Gestaltung betont werden. Sie war Regensburg gegenüber von je ein Merkmal Salzburger Malerei. Und ebenso gilt das für die seelische Aufgeschlossenheit, die die Figuren dieser Salzburger vor den gleichzeitigen Regensburgern auszeichnet. Als Ausläufer dieser kleinen Gruppe dürfen die Bilder in der Admonter Handschrift Nr. 27 4 und in einer Altaicher Bibel in München, cod. lat. 9501, angesprochen werden. Etwa gleichzeitig mit cod. germ. 101 ist der jüngere, salzburgische Schmuck in einem Missale entstanden, das sich 1929 bei Jacques Rosenthal in München befand 5. 3Zukunft besaß allein eine von wandernden Malern vertretene Richtung, der wir zuerst in einer auf Veranlassung des Abtes Hugo von Aldersbach Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften Österreichs II. Nr. 20. a. a . O. Nr. 93. < Beschreibendes Verzeichnis IV. I Nr. 80. s Bei Jacques Rosenthal: Katalog 90, Bibliotheca medii aevi Manuscripta, pars altera Nr. 165. 1

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2i8. (1295—1308) gefertigten Abschrift des Liber de naturis rerum von Thomas Cantipratensis, Münchener Staatsbibliothek cod. lat. 2655, begegnen. Die ausdrucksvollen, mit kräftigen, ja temperamentvollen Pinselstrichen gemalten Bilder zum Bestiar, Saturn und Erdkreis stehen völlig beziehungslos neben den Regensburger und Salzburger Malereien. Nirgends finden sich Berührungspunkte zu der eigenwilligen Art dieses Malers, der weit ausgreifende Bewegungen und lebhafte Farben und starke Auflichtung liebt, der in kleinen Bildchen dekorativ sehr ausgewogen sein kann, der ein Bild seines Abtes Hugo von Straubing gibt 6 und im Bilde des Salamanders hinwiederum eine großartige monumentale Komposition schafft. Vielleicht wirken hier beste bayrische Uberlieferungen. Nahe verwandt dem Stile dieses Meisters erscheinen die Apokalypsebilder im Scheyerner Liber matutinalis, cod. lat. 17401, oder die Carmina burana, cod. lat. 4660. Freilich fehlt die Brücke über die Lücke der zweiten Jahrhunderthälfte. Die Miniaturen in cod. lat. 11308, einem Psalter aus Polling, und in cod. lat. 8713, einem Psalter aus dem Münchener Franziskanerkloster, lassen zwar eine verwandte Gesinnung erkennen, sind aber in den Mitteln so verschieden, daß sie keinesfalls Vermittler gewesen sein können. Die ähnlichen österreichischen Handschriften liegen erst nach 1300 und sind trotz aller Verwandtschaft doch stilistisch anders. Mancherlei dekorative Motive wie die Musterung einiger Bildgründe weisen nach Frankreich; aber auch da sind Werke, die als Vorlagen gedient haben könnten, nicht nachweisbar. Nur Einzelheiten hat der Maler aus dem westlichen Formenschatz übernommen, im übrigen scheint er in der Tat auf altbayrische Traditionen zurückgegriffen zu haben, auf Malereien, in denen zuerst gotische Art lebendig war. aao—221. An diese Arbeit schließt sich die hochbedeutsame Weltchronik der Stuttgarter Landesbibliothek, cod. H. B. XIII. poet. germ. 6, an, die erste in der langen Reihe der späteren bayrischen 7. Die reich illustrierte Handschrift — auf die Weltchronik folgt noch das Marienleben des Bruders Philipp des Karthäusers — kam aus der Deutschordenskommende Mergentheim nach Stuttgart. Wo sie sich vorher befand, ist nicht mehr feststellbar. Ihre Bilder sind nicht völlig gleich. Die späteren wurden von einer flüchtiger arbeitenden Hand ausgeführt, die mehr mit der Feder als dem Pinsel gestaltete. In den Bildern der ersten Lagen sind die Formen wie in der vorhergehenden Handschrift mit kräftigen Pinselstrichen gestaltet. Der Federstrich tritt nur bei Augen, Nasen, Fingern in Erscheinung. Wo die Feder Falten einträgt, wirken ihre Striche mehr wie Schattenlagen und unterscheiden sich grundsätzlich nicht von den modellierenden Pinselstrichen, den dunklen in den Tiefen, den lichten auf den Höhen. Die Malerei ist eher grob und derb denn feinfühlig zu nennen, aber sie schafft stets sehr ausdrucksvolle Formen und modelliert anfangs wirklich körperlichraumvolle Gebilde. Die Falten des Gewandes Gottvaters im Schöpfungs6

Stollreither, Bildnisse des 1 1 . bis 18. Jahrhunderts I., in Miniaturen aus Handschriften aus der Bayerischen Staatsbibliothek, 1928 S. 20 u. Taf. 29. 1 Löffler in Zeitschrift für Bücherfreunde 19 (1929) S. 4.

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bilde, die Tütenfalten der Mäntel treten vor den Block der Figuren und steigern ihr Volumen. Bauwerke, Felsstreifen und einzelne Bäume verleihen den Bildern eine geringe Raumweite. Bei dieser Ausweitung des Bildplanes war wie in Österreich die italienische Kunst nicht ohne Einfluß. Deren Eingreifen läßt sich in den ornamentalen Schmuckformen der Randleisten, in der Verwendung bestimmter Farben — schmerzlicher Ausdruck wird in den Gesichtern durch grüne Tönung unterstrichen — und in der Ikonographie der Passionsdarstellungen unmittelbar belegen. Die Kreuzigung ist zur Kalvarienbergszene erweitert, die Vorführung Christi vor Pilatus folgt dem gleichen italienischen Schema wie die Darstellung auf dem Münchner Flügelteil des Klosterneuburger Passionsaltars, die Beweinung ist als Depositio gegeben. Die Bilder des Weltchronikteiles folgen der am Oberrhein ausgebildeten Tradition. Hier wirkt der italienische Einschlag mehr in der formalen Gestaltung, während umgekehrt im Marienleben die Formbehandlung nur wenig von der Körperlichkeit und räumlichen Weite italienischer Form erkennen läßt. Diese Verklammerung bestätigt wohl die Annahme, daß sämtliche Bilder von einer Hand geschaffen wurden. Gehilfen mögen den Meister unterstützt haben; im wesentlichen stammen auch die schwachen, flüchtigen Illustrationen am Ende, so unmöglich diese Tatsache zuerst scheinen mag, von der Hand, die von Anfang an tätig war. Diese schreibt sich allmählich aus, wird flüchtiger, vergißt das italienische Formerlebnis, das die Bilder der ersten zweihundert Seiten bestimmt, und behält nur noch einzelne motivliche Anregung im Gedächtnis. Wie der Meister seine italienischen Weisen bezogen hat, ist nicht zu entscheiden. Vielleicht vermittelte die österreichische Malerei, aus deren Kreis der Maler der Schaffhausener Handschrift ihm wohl zeitlich und auch künstlerisch am nächsten stand. Die bayerische Malerei stand an Streben zweifellos weiter hinter der österreichischen zurück. Aber ein bestimmter Wille ist wenigstens in dieser Gruppe nicht zu verkennen. Die Zusammenstellung der Aldersbacher Handschrift mit dieser Weltchronik umreißt ihn deutlich. Das Ziel ist nicht eine edle, feingeschliffene Form, ist vielmehr eine ausdrucksvolle, lebhaft-temperamentvolle Bildwirkung. Das nächste Glied dieser Reihe stellt eine fragmentarisch erhaltene Weltchronik in München, cod. germ. n , dar, die kleine, etwa quadratische Bildchen den Spalten der Schrift entsprechend enthält und damit die Illustrationsform für die bayerischen Weltchroniken der zweiten Jahrhunderthälfte vorbildet. Ihre Bilder folgen der Art der Stuttgarter Weltchronik, und es ist sehr bezeichnend, daß auch sie nicht völlig auf Modellierung und Betonung einer gewissen Körperlichkeit verzichten. Die Handschrift wird tun 1350 anzusetzen sein. Das Initialbild der Handschrift cod. germ. 15, des Bayerischen Landrechtes von 1346, das Kaiser Ludwig auf einem von Löwen getragenen Thron zeigt, folgt verwandten Darstellungen italienischer Rechtshandschriften. Der italienische Einfluß ist in diesem Falle anders zu werten. Er erklärt sich aus dem juristischen Inhalt der Handschrift, für dessen 207

Ausstattung das Vorbild Bologneser Rechtshandschriften naheliegen mußte. Ein Einzelblatt der Sammlung Sohn-Rethel in Düsseldorf, das die hl. Margarethe mit einem vor ihr knienden Mönch zeigt, stammt laut Inschrift aus einer 1356 im Kloster Osterhofen geschriebenen Handschrift. Rahmenornamentik und Figurenstil weisen nach Böhmen in die Nähe der Bibel von 1354 im Gymnasium zu Neiße und des Prager Kreuzherrenbreviers von 1356. 4-

Die bayerischen Armenbibeln sind nicht mit den österreichischen zu •ergleichen. Sie sind zum Teil höchst primitive Zeugnisse eines klöster219. liehen Handwerkergeistes 8. Die älteste ist der Münchner cod. lat. 23425, die der St. Florianer in der Ikonographie ziemlich nahesteht und auf ein dieser nahes, wohl Regensburger Urbild zurückgehen muß. Um so deutlicher wird, wie die Zeichnung in cod. lat. 23425 von völlig anderen Überlegungen bestimmt wird, oder, wenn diese bei der St. Florianer auch wichtig waren, wie die bayerische Arbeit von ihnen allein bestimmt wird. Ihr Zeichner hat keinerlei künstlerische Absichten gehabt. Ihre Bilder sollten nur inhaltlicher Hinweis sein und die typologischen Zusammenhänge veranschaulichen. Daß die Bilder darüber noch von einem künstlerischen Formerlebnis getragen werden könnten, lag völlig außerhalb des Vorstellungsvermögens ihres Schöpfers. Noch ausgeprägter ist diese Beschränkung bei den folgenden, sich an sie anschließenden. Die nächste Handschrift, cod. lat. 4523, hat sich stärker von dem Vorbild des 13. Jahrhunderts gelöst. Sie verwendet Spitzbogen, wo jene noch Rundbogen gibt; eine eigentliche stilistische Entwicklung lassen sie und die weiteren: codd. lat. 5683, 19414, 23426, Wolfenbüttel Hs. 35" Heimst, und cod. germ. mon. 20 nicht erkennen. Kunstgeschichtliche Aufmerksamkeit können sie nicht erfordern. Sie sind handwerkliche Klostererzeugnisse, die jenseits aller künstlerischen Zielsetzungen stehen. Das kunstvolle Zirkelsystem wird verdrängt von einem nüchternen Rechteckschema: vielleicht ist diese Abänderung der beste Maßstab für den Verlust an Formgesinnung und Gestaltungsreichtum. Eine besondere Werkstatt braucht man für sie keinesfalls anzunehmen. Für sie fanden sich in jedem Kloster befähigte Hände. Cod. lat. 4523 stammt aus Benediktbeuren, 19414 aus Tegernsee, 5683 aus dem Stifte Chiemsee, cod. germ. 20 steht der Tegernseer nahe, von der Wolfenbütteler Biblia pauperum führen Beziehungen zu der Kremsmünsterer, cod. 328, und jüngeren Salzburger Handschriften in St. Peter. 5-

Etwa dem Stil des Evangeliars aus Hohenwart, München cod. lat. 7384, und des Psalteriums aus Aldersbach, cod. lat. 2641, entsprechen die 8 Zusammengestellt und z . T . abgebildet bei Cornel, Biblia Pauperum, 1925; Abb. auch bei Jacobi, Studien zur Geschichte der Barerischen Miniatur des 14. Jahrh., 1908.

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XVIII.

Ctroi

Tirol ist das Land der Wandmalereien. In ihnen allein scheint es seinen künstlerischen Willen ausgesprochen zu haben. Die Buchmalerei trat jederzeit völlig zurück, die Tafelmalerei wenigstens für lange, bis tief in das 15. Jahrhundert hinein. Was an Buchmalereien sich aus dem frühen 14. Jahrhundert in Tiroler Besitz findet, ist fast ausnahmslos Importware, meist aus dem Westen bezogen. Tirolische Arbeiten sind allein das bescheidene Kanonbild in dem um 1340 entstandenen Missale aus dem Schlosse Tirol, heute in Schloß Ambras cod. 61 1 und die jüngeren Bilder des Psalters cod. 370 der Innsbrucker Universitätsbibliothek Wir haben uns ausschließlich mit Wandmalereien zu beschäftigen 3. Es sind nicht sehr viele. Tirol ist im 14. Jahrhundert still, als ob es nach den großen Leistungen des 13. Jahrhunderts ausruhen müsse. Die in den letzten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts entstandenen Werke stehen weit unter den großen romanischen Zyklen aus dem Anfang. Dann aber, im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts, steigt die Kurve wieder an: die Malereien in der Johanniskapelle zu Brixen gehören zum Besten deutscher Malerei aus dem frühen 14. Jahrhundert. Einsam stehen neben ihnen die gleichfalls bedeutenden im Schloß Tirol. Vielleicht kennzeichnet diese Tatsache die künstlerische Lage am schlagendsten. Der feste Boden, auf dem die Leistungen des 13. Jahrhunderts erwuchsen, ist verloren und damit die Geschlossenheit des stilistischen Bildes. Fremde Einflüsse vermögen wechselnd in jedem Falle einzugreifen. Der Stil des einzelnen Werkes wird mehr durch von außen wirkende als bodenständige Kräfte bestimmt. 1. Nach dem Höhepunkt des byzantinischen Einflusses um 1200 wird das byzantinische Formgut im Laufe des Jahrhunderts allmählich von der weiteren Entwicklung ausgeschieden. In den Malereien in Schloß Rodeneck, in St. Johann in Taufers und in St. Jakob am Ritten 4 tritt an Stelle der plastischen Modellierung, die die Figuren der älteren Werke, etwa in der Frauenkirche zu Brixen 5, auszeichnet, immer stärker die flächig zeichnende Linie als gestaltendes Mittel. Die Farbe wird nur mehr dünn lasierend aufgetragen. Sie hat nicht mehr die Kraft, die Formen dreidimensional rund erscheinen zu lassen, sie schafft nur mehr zarte, farbige Flächen zwischen den allein noch formbestimmenden Konturlinien. Selten ist der Wandel der malerischen Mittel im Ubergang von der byzantinisierenden Romanik zur Gotik so greifbar zu beobachten wie in diesen Tiroler Male1

Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften Österreichs I. Nr. 2. Ebenda Nr. 201. Die älteren entstammen dem 13. Jahrhundert, s Weingartner im Jahrbuch der K. K. Zentralkommission X (1916) S. 1. Dort auch Abb. einiger importierter Handschriften, die Weingartner S. 61 ff. für tirolische Arbeiten hält. 4 Garber, Die Romanischen Wandgemälde Tirols, 1928 S. 109 ff.; Abb. 83 ff. s Garber a. a. O. Abb. 62 ff. 1

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sprünglichen Zustand noch einigermaßen gut erkennen, aber auch bei ihnen ist, wie die Konturen der Gewandfalten warnend lehren, Vorsicht geboten. Das Jesuskind ist neu. Soviel ist aber noch mit Sicherheit zu sagen, daß sie das Werk eines sehr eigenwilligen, temperamentvollen Malers sind, der um der ausdrucksvollen Lebendigkeit mehr zum Häßlichen und Bösartigen neigte. Dramatische Erregung suchte er in der Zeichnung. Am besten ist er, wo sein Wollen sich mit dem Darstellungsgehalt deckt, wo er frei von idealistischen Bindungen ist wie bei dem Kameltreiber, der mit sperriger Gebärde die Tiere vorwärtsdrängt, ist er bei den Kamelen selbst, die er als merkwürdig hagere Monstra schildert. In der dissonanten Verklammerung ihrer Beine, ihren stacheligen Mähnen, in dem mißbildeten Gesicht des bärtigen Mannes hinter ihnen mit der Buckelstirn, der Knollennase und dem fletschenden Munde wird des Malers am Grotesken und Verzerrten sich freuende Art deutlich. In den Kompositionen ist er alten Überlieferungen verpflichtet. Das Anbetungsbild folgt dem romanisch-byzantinischen Schema. Wie er aber den Stephaton in eine Schräge verspannt, da wird doch wieder ein höchst persönlicher Ton bemerkbar. Und es ändert nichts an unserem Lobe, wenn man nachträglich feststellt, daß die Mittel ihm kaum bezweifelbar von England kamen. Die Kamelszene, der Stephaton in solcher grätschigen Stellung sind da häufig zu belegen. Wir haben in früheren Kapiteln gesehen, wie englischer Einfluß in Köln, am Mittelrhein und auch am Oberrhein gewirkt hat. Der dritte Nachtragsmaler der Manessehandschrift und der Maler der Kreuzigung von 1348 in der oberen Sakristei des Konstanz Münsters standen unter seiner Wirkung. Auf diesem Wege, den Rhein aufwärts, mag er auch zu dem Maler dieser Bilder in der Brixener Johanniskirche gekommen sein. Die geringen Reste in der Schloßkapelle Karneid bei Bozen 7 — man erkennt noch eine Räderung und Enthauptung der hl. Katharina, einen hl. Georg zu Pferde mit dem Drachen, das Opfer Kains und Abels, einen Johannes von einer Kreuzigung und einige andere Figuren — schließen sich dem Brixener aufs nächste an. Trotz des schlechten Erhaltungszustandes lassen sich noch heute ähnlich weit ausgreifende Gebärden, ähnlich häßliche Gesichter, eine ähnlich ausdrucksvolle Zeichnung erkennen. Und weiterhin gehört in diesen Kreis die bewegte Kreuzigungsdarstellung im Bogenfelde der alten südlichen Seitentüre der Bozener Pfarrkirche. 2. Völlig vereinzelt steht neben diesen sich ziemlich eng zusammenschließenden Malereien die noch fast völlig erhaltene Ausmalung der Kapelle 223. des Schlosses Tirol 8 . Vollständig sind die Zyklen der beiden Apsiden: stehende Heilige in gemalten Rundbogennischen, die von vielerlei Ornamenten umsponnen sind, in der unteren, Anbetung der Könige, Kreuzigung, 7 Weingartner a. a. O. S. 20. ' Weingartner a. a. O. S. 23.

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Elisabeth und Pankratius unter von Wimpergen bekrönten Bögen in der oberen Apside. In der Laibung des Triumphbogens das Sechstagewerk, im Langhaus einige Heilige und Christopherus. Der Maler — die sämtlichen Teile sind stilistisch einheitlich — hat anders als der Brixener die Bilder und Figuren nicht nur durch Farbstreifen getiennt nebeneinander gestellt, sondern sich bemüht, sie in eine architektonische Gliederung einzufügen, ein Gerüst, das freilich zum größten Teil aus ornamentalen Formen besteht. Flechtwerk, Vierpässe und Kreisverschlingungen umziehen in der unteren Apside die Bildflächen, aber wie die Säulen der oberen schaffen auch sie Nischen und eine Ordnung für die Figuren. Ein strengeres dekoratives Denken als in Brixen hat hier gewaltet. Was dort nicht erstrebt, ist hier erreicht: die Teile sind zur Einheit zusammengefaßt und unter ein Gesetz gestellt. Dem entspricht die disziplinierte Zeichnung im einzelnen, der edle Fluß der Konturen und Faltenlinien, die distinguierte Haltung und vornehme Gebärde der Figuren. Auf Tiroler Boden ist diese Kunst gewiß nicht gewachsen. Mag der ornamentale Schmuck bodenständig sein, der Stil der Figuren ist es nicht. Dieser stammt aus dem Westen. Nicht aus England und nicht nur als Einschlag wie in Brixen, vielmehr möchte man glauben, daß der Maler in westlichen Gebieten, in Köln oder Frankreich, seine Form empfangen hat. Wo im besonderen er gelernt hat, ist nicht zu sagen. Die Kreuzigung scheint nach Köln zu weisen, bei der Anbetung dagegen könnte man an die Malereien in St. Dié 9 denken. Die Brixener und die Schloß Tiroler Wandmalereien sind wahrscheinlich annähernd zur gleichen Zeit entstanden — archivalische Notizen weisen auf eine Entstehung der Schloß Tiroler um 1340 —, was sie trennt, sind vielmehr die verschiedenen einwirkenden Einflüsse. Zu dem aus Schloß Tirol stammenden Missale, in Schloß Ambras cod. 61, führen keinerlei Fäden. Dessen Kanonbild ist eine bodenständige Tiroler Arbeit. Es ist eine schwache Leistung, aber soviel macht es deutlich, daß auch in den Brixener Bildern viel Bodenständiges steckt. Die Malereien in Schloß Tirol aber gehören einem fremden Kunstkreis zu. Sie stehen — um ihre Beziehungen zum Westen nochmals durch einen Vergleich zu bestimmen — in einem ähnlichen Verhältnis zu westlicher Kunst wie etwa das Bild der drei Bischöfe in der Katharinenkirche zu Lübeck. 1 Revue de l'art chrétien 1900 S. 39.

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XIX.

ferfrtoaben

Mit der Betrachtung der schwäbischen Malerei beenden wir unseren Rundgang durch die Mittelpunkte und Werkstätten der Malerei in Deutschland während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Nur weniges ist in diesem letzten, kurzen Kapitel noch zu besprechen, nur zu nennen. Kriege und andere Verwüstungen haben ähnlich wie im Elsaß auch in Schwaben schlimm gewaltet. Man denke nur an Hirsau, dessen gesamte reiche Bibliothek fast ausnahmslos untergegangen ist. Aber es sind doch nicht nur diese äußeren Gründe schuld an der Kürze dieses Kapitels. Betrachten wir das Erhaltene, so gewinnt man den Eindruck, daß Schwaben im 14. Jahrhundert überhaupt nicht sehr schöpferisch war. Die Buchmalereien sind kaum noch künstlerisch zu werten. Die entscheidende Ursache ist, worauf schon Pinder hingewiesen hat, daß die Stoßkraft im 14. Jahrhundert ganz allgemein in die deutschen Randgebiete abgewandert ist. Der deutsche Südosten steht auf, und seine Stifte und Städte treten das Erbe der alten süddeutschen Abteien und Metropolen an. Gleichzeitig rüsten sich die ostelbischen Gebiete, Lübeck, die Städte in Mecklenburg, Stralsund, das Deutschordensgebiet, zum Aufbruch. Die Gewichte verlagern sich, wenn nicht für immer, so doch für einige Generationen. Im 15. Jahrhundert kehrt der Süden und Westen zur Macht zurück, im 14. aber schweigt er. Und dann veranlassen die wenigen erhaltenen schwäbischen Denkmale nochmals die Erkenntnis, daß mit dem Verlust der Wandmalereien überall der beste Führer uns verlorengegangen ist. Man darf diese Feststellung, soweit wir heute sehen, für alle deutschen Landschaften anerkennen. Sowohl für die, in denen — wie in Österreich — sie heute weit hinter Buch- und Tafelmalerei zurücktritt, als auch für die, die — wie Schwaben •— heute überhaupt kaum noch über einiges Material verfügen. Das beste scheint in Schwaben in den Wandmalereien ausgesprochen worden zu sein. Ein besonderes Unglück, daß gerade hier die wenigen erhaltenen Reste bis zur Unkenntlichkeit erneuert worden sind, so daß sie der kunstgeschichtlichen Forschung fast ebenso entzogen sind, wie wenn sie durch Zerstörung uns verloren wären. 1. Der beste Schatz der schwäbischen Malerei dieser Jahrzehnte ist ein 225. Tafelbild: die Maria auf dem Throne Salomos, umgeben von Propheten und den Personifikationen ihrer Tugenden, aus der Zisterzienserabtei Bebenhausen in der Stuttgarter Gemäldegalerie. Große Teile der Tafel sind leider zerstört, so der Oberkörper Mariens, alle Propheten mit Ausnahme eines einzigen Das Sommerrefektorium, in dem das Retabel stand, wurde 1335 vom Abt Konrad von Lustnau errichtet. Zu diesem 1 Die A b b . bei Paulus, Die Zisterzienserabtei Bebenhausen, 1886 Taf. X I I I nach einem u m die Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellten Aquarell gibt noch mehr v o m alten Bestand, als heute erhalten ist.

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Datum paßt der Stil der Tafel recht gut. Man darf in ihr die Parallele zu den Figuren des Rottweiler Kapellenturmes sehen. Das Sitzmotiv Mariens und Davids entspricht dem der Maria aus einer Krönung 2 . Und wenn einzelne Figuren wie die zweite Tugend links breit ausladen, so kommt diese Stilnuance auch in Rottweil vor 3, falsch wäre es aber, in ihnen einen Hinweis auf eine spätere Entstehung zu sehen. Im Gegenteil leben in ihnen wohl noch ältere Erinnerungen. Schmitt * hat darauf hingewiesen, daß die Komposition des Bebenhausener Retabels den Thron Salomos am Wimperg des mittleren Westportals in Straßburg wiederholt, und zwar ist die Übereinstimmung so groß — nur geringe, den Verhältnissen des Tafelbildes gemäße Veränderungen sind vorgenommen —, daß ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden muß. Dann möchte man glauben, daß sich auch der Stil vom Oberrhein herleitet — innerhalb des heute vorhandenen schwäbischen Materials steht die Tafel völlig einsam —, und jene voluminösen Figuren aus einem älteren, dem Stile des 13. Jahrhunderts näheren Vorbilde zu verstehen sind. Bei dem fast völligen Verlust elsässischer Malereien aus dieser Zeit ist der Beweis freilich nicht zu führen, immerhin dürfen wohl die breisgauischen Handschriften als Ersatz herangezogen werden. Die Malereien im Karlsruher cod. U. H. 1 und cod. St. Georgen 5 stehen nicht allzu ferne. 442. Vom Oberrhein müssen wohl auch die Wandmalereien in der südlichen Sakristei der Reutlinger Marienkirche 5 abgeleitet werden: eine Kreuzigung, drei Darstellungen aus der Legende der hl. Katharina (Disputation mit den heidnischen Gelehrten, Martyrium der bekehrten Philosophen und Zerstörung des Rades, Enthauptung der Heiligen), stehende Heilige in Arkaden (Martin, Nikolaus, Konrad, Augustin, Cosmas und Damian, Maria Magdalena, Katharina, Margarethe). Die sehr schlanken Figuren, ihre kleinen Köpfe und drahtigen Haare, ihre stoffreichen, straffaltigen Gewänder gemahnen noch an den Stil des späten 13. Jahrhunderts und an oberrheinische Werke von der Art der Malereien in Kenzingen bei Freiburg. Graf Vitzthum 6 bringt sie mit Metzer Handschriften in Zusammenhang. Eine Inschrift nennt als Stifter den Leutpriester Werner, der bis 1 3 1 2 lebte und schon 1279, 1289 und 1291 erwähnt wird. Die übrigen schwäbischen Wandmalereien — wit nennen die Malereien in der Kirche zu Kentheim bei Calw im Schwarzwaldkreis, in der zu Bermaringen bei Ulm, in der zu Bronnen bei Ellwangen, in der Afrakapelle zu Schelklingen — entziehen gutgemeinte, aber höchst willkürliche Wieder1

3 4 5 •

Beenken, Bildhauer des 14. Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben, 1927 Abb. 88. Die Tugend zu äußerst rechts ist dem Prophet bei Beenken a. a. O. Abb. 90 zu vergleichen. Städeljahrbuch II (1922) S. 129, Taf. 34. Gradmann, Merz, Dolmetsch, Die Marienkirche zu Reutlingen, 1903. A. a. O. S. 3 1 2 . 215

Herstellungen des 19. Jahrhunderts unserem Urteile 7. Völlig allein steht die auf einem gotischen Baldachinthron sitzende Maria in der Sakristei der Ulmer Spitalkirche (ehemaligen Barfüßerkirche) 8. Sie muß wohl von einem westlichen Vorbilde hergeleitet werden. Vielleicht darf man sie dem Bebenhausener Retabel gegenüber als Vertreterin des Gmünder Stiles bezeichnen. 3Von den wenigen mit Bildern geschmückten schwäbischen Handschriften zeigt cod. Brev. 89 der Stuttgarter Landesbibliothek eine Kreuzigung und eine Darstellung Christi als Gärtner mit Maria Magdalena, die wohl auf der Konstanzer Malerei von 1340, sonderlich an die zerstörte Kreuzigimg in der Dominikanerkirche, dem heutigen Inselhotel, ist zu denken, aufbauen. Genannt seien noch eine Biblia Pauperum in Stuttgart, Bibl. fol. 279, aus der Mitte des Jahrhunderts und ein Speculum humanae salvationis aus St. Mang in Füssen, heute in Maihingen, Hs. I. 2. fol. 23. 7 Umrißzeichnungen der genannten Denkmale in den Kunst- und Altertumsdenkmalen in Württemberg. Zu Kentheim außerdem Hochstetter im Württembergischen Verein f. Landeskunde V! (1883) S. 47. * Fischer, Ulm (Berühmte Kunststätten 56) S. 127.

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^cfjlutybetracfjtungen i. Nach dem grandiosen Vorstoß der schöpferischen Persönlichkeit als sich in ihrer Eigenart manifestierender Individualität, den die Werke der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zeigen, tritt im späteren Verlauf dieses Jahrhunderts der schöpferische Mensch wiederum in den Schatten der anonymen Werkstattleistung zurück. Freilich, indem dieser Satz dasteht, verlangt er sogleich einschränkende Berichtigung. Wenn nur einzelne Malernamen in Werken — es sind stets Handschriften, und meist ist nur der Schreiber genannt — überliefert sind, so besagt diese Tatsache allerdings nichts. Mit ihnen ersteht nirgends das Bild einer schöpferischen Persönlichkeit und eines individuellen Schicksals. Aber wenigstens in einem Falle konnte versucht werden, die Entwicklung eines Malers, des Hohenfurther Meisters, zu zeichnen. An einem vieltafeligen Werke konnte der Versuch gewagt werden. Und auch vor der Kreuzigung aus der Sammlung Kaufmann in Berlin, vor dem Hofgeismarer Retabel, vor den Bildern des dritten Nachtragsmalers der Manessehandschrift glaubt man selbständige, eigenwillige Persönlichkeiten als Schöpfer dieser Malereien zu erkennen. Jedoch stets mußten wir uns eingestehen, daß unsere vermeintlichen Erkenntnisse doch nur Vermutungen waren. Sie standen auf schwachen Füßen. In den allerallermeisten Fällen war es vollkommen unmöglich, einen Maler als individuelle Persönlichkeit zu fassen. Es ist bezeichnend, daß man häufig bei der Betrachtung eines Werkes überhaupt nicht daran dachte, daß es die Leistung einer bestimmten, einzelnen Hand war. Was sich in ihm äußerte, war nur die Gesinnung einer Werkstatt, nicht die eines einzelnen, in seinem Streben eigenwilligen Menschen. Die wenigen Werke, hinter denen man eine selbständige Persönlichkeit als Schöpfer spürt, sind wirklich Ausnahmen, zum Teil getragen von Bewegungen, die in die Zukunft des späteren 14. Jahrhunderts weisen, wo gerade ihre Landschaften eine Reihe höchst eigenwilliger merkwürdiger Meister herausstellen sollten. Das gilt für den deutschen Südosten und ebenso für das hessisch-westfälische Gebiet. Will man die künstlerische Struktur dieser Jahrzehnte kennzeichnen, so wäre auf die lange Reihe von Kanonbildern in St. Florianer Meßbüchern, auf die zahlreichen, der Tradition des von Johann von Valkenburg für Köln geprägten und eingebürgerten Illustrationsstils verpflichteten Arbeiten, die ein halbes Jahrhundert füllen, auf das bis zur Verwechslung ähnliche Aussehen der Apokalypsen in Weimar und Nürnberg, auf die unpersönliche Gestaltungsweise des Grundstockmalers der Manessehandschrift zu verweisen. Angesichts dieser Werke könnte man fast von einem Willen zur künstlerischen Anonymität sprechen. Nicht seine Eigenart herauszustellen, sondern im Sinne der Werkstattüberlieferung zu arbeiten, scheint allein das Ziel gewesen zu sein. Auch im mittleren 13. Jahrhundert kennen wir die Namen der großen Bildhauer, Baumeister und Maler nicht, dennoch

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spürt jeder aufmerksame Beobachter hinter ihren Werken den Menschen. Jetzt umgekehrt spürt man ihn nur ganz selten. Noch einmal umfangen die klösterliche Schreibstube und die nun neben ihr stehende bürgerliche Werkstätte die schöpferischen Kräfte. Diese Tatsache gilt freilich ganz allgemein für das Mittelalter bis ins 15. Jahrhundert hinein, aber sie gilt nicht zu jeder Zeit im gleichen MaSe. Und es war nicht so, daß das Individuum sich in allmählich fortschreitendem Aufstiege von den kollektiven Mächten freimachte. Zwischen 1200 und 1250 setzte es sich schon einmal vordrängend und vorhandene Bindungen überwindend durch, und in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts stieß es wiederum vor. In dem dazwischen liegenden Zeitraum, den Jahrzehnten, von denen dieser Band zu handeln hatte, aber tritt es zurück hinter die bindenden, übergeordneten Organisationen der Schreibstube und Werkstatt und hinter die in diesen bewahrten Überlieferungen. Es war mehr Verwalter als Schöpfer. 2. Der Weg, den die Malerei in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ging, war, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, geregelt, war langwellig. Nirgends gab es Sturzwellen, wie sie das spätere 14. Jahrhundert so häufig zeigt. Durchbrechen da die Maler mit einem kämpferischen Freiheitswillen die Bande der Überlieferung, aus höchster Eigenwilligkeit Alt und Eigenart betonend, so waren in dem hier behandelten Zeitraum die von der allgemeinen Entwicklung vorhandenen Abweichungen stets Angelegenheiten größerer Schulverbände und häufig durch von außen wirkende Einflüsse bedingt, nie schienen sie im autonomen Willen eines einzelnen begründet. Wenn die österreichische Malerei einen eigenen Weg ging und um 1320 zu einem merkwürdig volumenbetonenden Stil kam, so standen greifbare italienische Einflüsse dahinter. Wenn der Nordwesten in einigen Werken eine Sondersprache redete, so waren vereinzelte, schwerer faßbare englische Anregungen verantwortlich. Und so noch verschiedentlich; stärker war aber allenthalben das Gemeinsame. Der Hohenfurther Altar ist trotz allem doch ein höchst charakteristisches Werk der vierziger Jahre. Die Monumentalität, die die im dritten Jahrzehnt entstandenen Tafeln am Klosterneuburger Emailaltar auszeichnet, besitzen auch die Dorsalemalereien des Kölner Domchores und der Hofgeismarer Altar. Die langgestreckten Proportionen, die die Figuren der Wandmalereien in St. Cäcilien in Köln zeigen, sind gegen 1300 auch anderweitig: am Marburger Hochaltar, im St. Florianer Honorius, im Gisle-Kodex, in den Rebdorfer Fragmenten, nachweisbar. Die Entwicklung ist reicher, als sie Weigert in seinen Stilstufen 1 dargestellt hat. Zumal wenn man den Südosten einbezieht, den er völlig außer Beachtung gelassen hat, wird das Bild sehr vielteilig. Aber auch im Westen 1

Weigert, Die Stilstufen der deutschen Plastik von 1250 bis 1350, Marburger Jahrbuch III (1927) S. 147.

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und in Mitteldeutschland dürfen mancherlei kleine Variationen nicht übersehen werden. Endlich ist der mannigfaltigen Lokalfärbungen zu gedenken. Alle diese Abweichungen und Neigungen machen den Entwicklungsablauf der deutschen Malerei in dem Jahrhundert 1250—1350 sehr reich, reicher als er nach Weigerts Darlegungen erscheint. Die Hauptrichtung aber hat er zweifellos richtig gezeichnet. Was er für den Wandel der Plastik in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachgewiesen hat, gilt ebenso für die Malerei. Wir haben ihn am Beispiel der kölnischen Malerei ausführlich, aber auch anderweitig dargelegt. 3Sehr viel schwieriger ist es, im 13. Jahrhundert die Brücke von der Entwicklung der Plastik zu der der Malerei zu schlagen. Da scheinen Weigerts Ausführungen nur für den von ihm gewählten Stoff gültig. Zur Entwicklung der Malerei aber scheinen keinerlei Entsprechungen zu bestehen. Wie Alexander v. Reitzenstein 2 nachgewiesen hat, wird um 1230 in Bamberg und Straßburg für Deutschland die gotische Figur gefunden und damit eine Entwicklung eingeleitet, die in den Kölner Domchorstatuen oder dem Grabmal des Hohenlohe in Bamberg ihren höchsten Gipfel erreicht. Noch ist das Gotische, die Ausdrucksbewegung der Faltenlinien gedämpft. Den vertikalen Strömen der Dienste und Wandpfeiler setzen die Figuren Widerstand entgegen, ein leises, elastisches Schwingen nur geht durch sie hindurch. In Köln dagegen geben sie sich dem Strömen der architektonischen Glieder völlig hin, da leben die Figuren von dem Aufstieg der Pfeilerdienste. Dennoch muß man Bamberg als Anfang und Ausgang zu diesem Höhepunkt anerkennen. In Bamberg oder Straßburg werden um 1230 die strukturellen Voraussetzungen aller gotischen Ausdrucksbewegung geschaffen. Die Figur ist von der Flächenbindung erlöst, ist zum rundplastischen Organismus geworden, dessen plastischer Oberflächenreichtum von einer zentralen Achse gleichsam, durch von innen wirkende Kräfte bewegt erscheint. Es ist richtig, daß diese so gestalteten und in ihrer Ausdrucksbewegung gedämpften Figuren antiken Statuen verhältnismäßig nahe stehen. Aber nie ist ihre gotische Bewegung — man denke an die Bamberger Elisabeth — zu verkennen, und sie ist erstmals möglich geworden, da die Figuren als rundplastische, in sich existente Gebilde aufgefaßt wurden. Die gleichzeitigen Werke der Malerei aber verharren in der romanischen Flächenbindung. Ihre Formen mögen plastisch noch so reich und vielteilig sein, stets bleiben sie auf eine Grundfläche bezogen. J a selbst wenn Landschaft und Architektur gegeben werden, auch sie, alles ist auf den Goldgrund des Bildes bezogen. Es gibt Ausnahmen; wir haben sie im Kapitel Anfänge und Übergänge genannt. Die wichtigste ist die Straßburger Tristanhandschrift, die einzige Malerei aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die gotisch genannt werden darf. Und sie zeigt gewiß nicht zufällig deutliche Einflüsse von der Kunst des Ecclesiameisters. Neben ihr kann man noch ' A . Freiherr v. Reitzenstein, Frühgotik der deutschen Plastik, Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft XXV (193z) S. 321.

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auf einige andere Arbeiten hinweisen, die wenigstens in Ansätzen zu gotischer Art hinneigen. Der einzigartigen Phalanx gotischer Werke, die die Plastik im zweiten Viertel schafft, antwortet die Malerei nicht. Während die Plastik sich der neuen gotischen Form zuwendet, kulminiert in der Malerei gleichzeitig der Einfluß der byzantinischen Kunst. Vielleicht darf man in der verschiedenen Verbundenheit von Malerei und Plastik die entscheidende Ursache für ihre tiefe stilistische Verschiedenheit erkennen. Möhle 3 hat darauf aufmerksam gemacht, daß in der Malerei des späten 12. Jahrhunderts, wie in der Plastik, mancherlei Strebungen zur Gotik hin zu spüren sind. Wenn sie hier dann rasch emporblühten, dort aber versandeten, so war eben die Ursache, daß die Plastik durch den frischen von Frankreich wehenden Wind befreit mit einem entschlossenen Schritt zu dem neuen Stil kommen konnte, wogegen die Malerei unter dem Patronat der byzantinischen Kunst an der Fläche als Bezug aller plastischen Gestaltung festzuhalten gezwungen war. Im Verlauf des späteren 12. Jahrhunderts hat auch die Plastik unter diesem Patronat gestanden, und auch im frühen 13. waren in den am stärksten vom byzantinischen Einfluß erfüllten Gebieten einzelne Werke noch außerordentlich tief von ihm bestimmt: so die Triumphkreuzgruppe im Halberstädter Dom. Aber im allgemeinen war die byzantinische Kunst doch für die Plastik nie so bedeutsam wie für die Malerei. Und umgekehrt konnte diese wiederum nicht ein solch befreiender Wind aus dem Westen treffen, weil die französische Malerei selbst nur sehr zögernd den Weg zur Gotik fand. Allein über die Plastik war, wie die Tristanhandschrift lehrt, die Anknüpfung möglich. Und man darf nie übersehen, daß auf dem Weg zu einer bedingten Naturannäherung das altüberlieferte byzantinische Vorbild selbst noch allerlei den abendländischen Maler zu lehren hatte. Für mancherlei der Zielsetzungen des frühen 13. Jahrhunderts konnte sehr wohl auch die byzantinische Kunst Hilfe sein, aber für den neuen strukturellen Aufbau war sie zweifellos ein Hemmnis. Freilich, eine gewisse Gleichgestimmtheit verbindet auch in diesem Augenblick Malerei und Plastik. Völlig unvergleichbar sind sie nicht. Obwohl die Malerei seit dem Anfang des Jahrhunderts immer mehr eckige und zackige Formen betonte — dabei ist zu bemerken, daß diese Neigung auch in der spätromanischen Plastik vorhanden: Halberstädter Triumph kreuzgruppe, Goldene Pforte in Freiburg —, so wird doch in den dreißiger und vierziger Jahren eine geschmeidigere Stofflichkeit und weichere Linienführung angestrebt. Der strudelnde Bewegungsreichtum und die seidige Weichheit der Gewänder des Braunschweiger Doppelgrabmals haben in der Gewandbehandlung des Goslarer Evangeliars oder — um noch ein ferner liegendes Beispiel zu nennen — des Liedes von der Maget in Berlin (Ms. germ. 8° 109) ihre Entsprechung. In der dekorativen Ausdeutung der Gewandoberfläche zeigt sich gleiches Formempfinden. Und auch in der Haltung der Figuren wird man mancherlei stilistische Verwandtschaft 3 Möhle, Die romanische Bildhauerschule des Bamberger Domes und ihre Beziehungen zur Malerei, Straßburg 1927.

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nachweisen können. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre strukturelle Gestaltung, ihr Bau grundsätzlich verschieden sind. Auch nach der Jahrhundertmitte ändert sich daran nichts. Die Plastik bleibt der gotischen, die Malerei der romanischen Formgestaltung verbunden. Dennoch ist eine Annäherung festzustellen. Schon in Naumburg, mehr noch bei Werken der sechziger und siebziger Jahre wird deutlich, wie die um 1230—40 „fast antik erstarkte Körperlichkeit" zu „einem neutralen, blockhaften Substrat" erstarrt und die Linien der Falten und Konturen nun einen völlig neuen Ausdruck bekommen. Der Gewinn von Bamberg und Straßburg, die rundplastische Gestaltung, wird keineswegs aufgegeben, aber sie verliert ihre individuelle Körperfülle. An deren Stelle treten als Ausdruck eines abstrakten Ordnungswillens blockige, prismatische, in ein heraldisches Schema gebundene Formen. Der rauschende Bewegungsreichtum ist erstarrt, jegliche Sinnlichkeit, jegliche Blutwärme erloschen. Bewegungsarm, leblos sind die Figuren, steif und starr blicken sie ausdruckslos geradeaus. Blechern, hart und scharfkantig sind die Gewänder. Und wo die Figurenachse sich kurvig biegt, ist es eine lebensferne, abstrakte, von außen gleichsam diktierte Bewegung. Noch haben nun wohl die Konturlinien kaum Leben, aber doch ist ihnen unverkennbar eine geheime Stoßkraft eingeboren, die um 1260—70 noch gebunden von einem geometrischen, objektiven Gesetz, später aber einmal Selbständigkeit und Leben gewinnen kann. Die Voraussetzungen zu dieser zukünftigen Entwicklung werden hier gelegt, indem das Lineament das Primäre geworden ist, dem die Körperlichkeit der Figuren unterstellt, demgegenüber sie nur noch Träger, Substrat ist. Um 1230 dagegen waren die Ausdruckslinien, dieser Gegensatz sei nochmals betont, vor allem Grenzformen plastischer Werke, waren sie der individuellen Körperlichkeit der Figur verbunden, worin sich eben der bedingt klassische Anspruch dieser Jahrzehnte äußerte. In dieser heimlichen, noch von einem geometrischen Schema gehaltenen Stoßkraft der Konturlinien begegnet sich nun die Plastik aufs nächste mit der gleichzeitigen Malerei. Den Naumburger Skulpturen, sonderlich den Lettnerreliefs darf man die Wolfenbüttler Handschrift Heimst. 425 oder das Quedlinburger Retabel in Berlin, den Wimpfener Portalfiguren und den Freiburger Strebepfeileraposteln darf man die Soester Trinitätstafel oder auch den fränkischen Psalter in Melk (cod. 1833) vergleichen. Vielleicht sind in den Malereien die Linien schon bewegungskräftiger, spätromanische Neigungen erfüllen sie, im Ganzen sind die Figuren — wie etwa cgm. 6406, der frühe Münchner Rudolf von Ems, lehren kann — doch von demselben abstrakten Schema bestimmt, und deutlicher noch ist in den Malereien der Körper nur Substrat einer heraldischen Linienfiguration. Es wäre nun gewiß unrichtig, um dieser Verblockung willen in der Plastik von einer Reromanisierung zu sprechen, im Gegenteil läßt die Malerei eine allmähliche Gotisierung erkennen. In der Soester Trinitätstafel, deutlicher vielleicht noch in dem Kreuzigungsbilde in der Taufkapelle in St. Kunibert zu Köln strecken sich die Körpermasse der Figuren und werden einer gewiß 221

gotisch zu nennenden Bewegungskurve unterstellt. Und gleichzeitig macht sich eine leise Neigung zur Loslösung von der Grundfläche bemerkbar. Die rundplastische Gestaltung wird von den Malern nicht mit der Kühnheit und Folgerichtigkeit aufgenommen wie von den Bildhauern beinahe ein halbes Jahrhundert zuvor. Alte Bindungen lassen sie zögernder handeln, ja das Gotische mag sich ungewollt in ihre Art eingeschlichen haben. Am Ende konnten sie sich ihm nicht mehr entziehen. So war es bei dem Zeichner der Wernigeroder Weltchronik, dessen Figürchen nur Umrißzeichnungen, doch plastisch völlig frei und losgelöst von dem Grunde auf dem Pergamente stehen, so daß sie nun auch Raum um sich erzeugen. Im Goslarer Evangeliar sind die Landschaftsschilderungen viel ausführlicher, aber sie stehen zu den Figuren in keinerlei räumlicher Beziehung, sind nur Kulisse. In der Weltchronik beschränkt sich die Bodenandeutung auf wenige Wellenlinien, aber nun machen die Figuren sie sinnvoll, indem sie als rundplastisch aufgefaßte Existenzen Raum um sich verlangen und schaffen. 4Von hier aus kann man den Weg zum 14. Jahrhundert — von wenigen lokalen Abweichungen abgesehen — ebenso an Hand der Malerei wie an Hand der Plastik schreiben. Die St. Gallener Weltchronik entspricht nun auch im strukturellen Aufbau der Figuren wie in der dekorativen Ausdeutung der Gewandfaltung den klugen und törichten Jungfrauen der Freiburger Vorhalle oder auch den Marburger Hochaltarfiguren. Die Formen wölben sich wieder runder und fülliger. Der Körper bleibt Block, aber das Gewand hat sich verselbständigt. Denn wenn jetzt die Falten schwellend satt in großen Bögen um die neutrale Stütze des Körpers schwingen, so vermögen sie das, weil die Gewänder ein sinnliches Eigenleben führen. Die Bewegung ihrer Falten und Konturen wird nicht mehr gebändigt durch ein geometrisches Schema. Prall erfüllt von Energie wölben sich die Falten, kreisen vor dem Leib der Figuren, streben empor und verleihen den Figuren einen ganz neuen Schwung. Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte geht diese plastische Fülle und Kraft wieder verloren. Die Formen erschlaffen, die Falten werden zu schmalrückigen Linien. Der Stoff der Gewänder verknappt. Die Figuren versteifen zu stockartigen Gebilden, die Falten vertrocknen zu einem filigranen Liniengeschlängel. Das Bewegungsleben aber bleibt, ja es wird nun erst endgültig frei. Jeglicher materiellen Last entbunden scheinen die Faltenlinien, jetzt nur noch abstrakte Kurven, losgelöst von aller Schwerkraft emporzuschießen. Ströme gehen durch die Figuren an den Falten so wie an den Diensten der Pfeiler entlang, Ströme, die nicht mit der Figur zu Ende gehen, die über Baldachin und Pfeiler und Gewölbsrippen im Unendlichen verströmen. Die Figuren sind Teil der Unendlichkeit, und damit stehen sie im vollendeten Gegenstand zu den ein Jahrhundert zuvor entstandenen Statuen in Straßburg und Bamberg. Alle Zwischenstufen aber stellen sich uns heute als notwendige Lösungen auf diesem Wege, zu diesem Ziele dar. 222

Die zwischen Anfang und Ende liegenden Stilstufen stellen sich auch insofern als Ubergänge dar, als sie nicht so einheitliche Gesichter haben. Um 1230 trug die Skulpturen bei allem individuellen Reichtum doch ein ganz bestimmter in Proportion und Anlage sich äußernder Stilwille, und um 1330 darf man noch weitergehend sogar von einem Kanon der Figurenbildung sprechen. Dagegen stehen gegen 1300 untersetzte neben sehr schlanken Figuren. Am Marburger Hochaltar begegnen sich beide Möglichkeiten: die Skulpturen im Steinretabel sind gedrungen rundlich, die gemalten, zweifelsohne gleichzeitigen Figuren an den Seiten- und der Rückwand aber sind schlank, ähnlich denen in St. Cäcilien in Köln. Und wiederum die Figuren der wohl sicher in einer hessischen Werkstatt ausgeführten Apokalypsehandschrift der Hamburger Staatsbibliothek, die zur selben Zeit wie der Hochaltar entstand, zeigen die gedrungenen Proportionen der Skulpturen. Um 1330 aber formt ein sehr bestimmter Wille die Figuren: er schafft ein schlankes, in einer leichten S-Kurve gebogenes Faltengerüst, dessen Glieder sich zum Teil in der einen Hüfte begegnen. Hinter ihm wird kein Körper mehr fühlbar. Da nun alles Leibliche völlig aufgezehrt ist, muß auch das Gesicht der Figuren notwendig einen weitabgewandten, asketischen Ausdruck zur Schau tragen. Von allem Diesseitigen befreit, von allem Irdisch-Sinnlichen abgewendet schauen die Figuren sehnsüchtig oder visionär oder auch stechend kalt zu einem fernen jenseitigen Ziel. In dieser Beseelung äußert sich ein tiefes psychisches Erlebnis. Das subjektive Gefühlsleben des Menschen ist entdeckt und in die Figuren eingegangen. Die Figuren um 1330 sind in einer ganz neuen Weise Ausdruck höchst subjektiven Erlebens. Das könnte wie ein Widerspruch zu dem oben betonten Willen zur Anonymität ausehen, ist es aber nicht. Noch entbehrt die Beseelung der Figuren — zuerst zeigen sie die Straßburger Propheten — eigentlicher menschlicher Wärme. Ihre subjektive Auffassung sollte, wie die zukünftige Entwicklung lehrt, Grundlage für einen realistischen Individualismus sein; das Gefühlsleben von 1330 aber ist — die Wendung sei erlaubt — noch transzendent. Die Zeit um 1300, deren Figuren zumeist einen merkwürdig kindlich-naiven, vielleicht auch süßen Ausdruck haben, erscheint auch in dieser Hinsicht wiederum als Übergang. Wie immer um 1300 ist Körperliches wie Seelisches latent. Wie die neue Beseelung kann man auch die strenge Tektonik des Faltengerüstes der Figuren von 1330—40 als Grundlage für die Formensprache des späteren 14. Jahrhunderts ansehen. Dann aber ist dieses vor etilem Reaktion: die irdischen Maßstäbe gewinnen wiederum eine bedingte Geltung. Eine Wendung um 180 Grad wird vollzogen. Von dieser Neueinstellung, dem Weg zur Spätgotik, hat der nächste Band zu handeln.

223

&eg(fter Seit«

A a c h e n , Suermondt-Museum, Antiphonarfragmente A d m o n t , Stiftsbibliothek, cod. 27 Stiftsbibliothek, cod. 77 (Vokabularium) A l s h e i m , Kirche, Wandmalereien A l t e n a , Thomeé, Einzelblatt A m b r a s , Schloß, cod. 61 (Missale) A s c h a f f e n b u r g , Bibliothek, cod. 13 (Evangeliar) A u g s b u r g , Maximilianmuseum, Minnekästchen

B a l d u i n , Erzbischof von Trier 65ff. B a m b e r g , Galerie, Die hl. Hortolana betend 201 Galerie, Die hl. Klara erweckt Tote 201 Staatsbibliothek, cod. bibl. 9 (Bibel) 197 Staatsbibliothek, cod. hist. 149 (Leben des hl. Franz) 197 Staatsbibliothek, cod. lit. 159 (Legendär) 202 B a s e l , Historisches Museum, Kästchen der Familie im Thum 53 Bayern 159, 204fr. Benediktbeuren 204, 208 B e n e s s i u s , Mönch in Prag 143 B e r g e n , Museum, Altartafel 123 B e r k e n t h i n , Kirche, Wandmalereien 120 B e r l i n , Deutsches Museum, Antependium aus Soest 94 ffDeutsches Museum, Diptychon 21 ff., 34 Deutsches Museum, Geburt Christi 157ff., 179 Deutsches Museum, Glatzer Madonna 21, 181 ff. Deutsches Museum, Heiligenstädter Altar 117 Deutsches Museum, Joseph und Maria 116ff. Deutsches Museum, Kreuzigung (ehem. Slg. Kaufmann) 37,i87ff. Deutsches Museum, Quedlinburger Retabel 1, 101 Fuld, Die beiden Johannes 116 ff. Kupferstichkabinett, cod. 78 A. 8 (Bucheinband) 97, 102 Staatsbibliothek, cod. germ. 8° 125 (Naglersches Bruchstück) 46ff. Staatsbibliothek, cod. germ. 4 0 357 (Franz-Legende) 85 0 Staatsbibliothek, cod. lat. 4 718 (Missale) 67 Staatsbibliothek, cod. germ. 4 0 1412 (Erlösung) 72 Staatsbibliothek, cod. germ. fol. 129 (Sachsenchronik) 102, 106 Staatsbibliothek, cod. lat. theol. 271 (Missale) 38, 167 Staatsbibliothek, cod. Diez C. fol. 63 (Bibel) i6ff., 18, 20, 26 Staatsbibliothek, cod. Ham. 114 (Thomas Brabantinus) 66 B e r m a r i n g e n , Kirche, Wandmalereien 215 B e r n , Museum, Königsfeldener Antependium 191 B e r t h o l d , Bischof von Eichstätt 200 Predigerorden in Nürnberg 193 B e s a n ç o n , Bibliothek, Ms. 54 (Psalter) 44ff-> 64 B e z a u , Privatbesitz (ehemals), Kreuzigung u. Kreuzabnahme Söff., 61 B o c h o l t , St. Georg, Diptychon 25 Bodensee 3, 44 Böhmen 131, i6sff., 174, 1 9 1 « . B o i t i n , Kirche, Wandmalereien 120 B o n n , Prov. Museum, Steinretabel aus Küdinghoven 31 Prov.-Museum, Tafeln aus Marienstatt 23 Universitätsbibl., cod. 384 (Graduale d. Joh. v. Valkenburg) 13fr. B o p p a r d , Kirche, Wandmalereien 73 B o r n h e i m (Oberhessen), Kirche, Wandmalereien 76 B o z e n , Pfarrkirche, Kreuzigung in einem Türbogenfeld 212 Braunschweig 96ff., I 0 8 Landesmuseum, Ziborium 103 Landesmuseum, Spanschachtel 104 Stadtbibliothek, cod. 13—14 (Bibel) 106

224

Nr. 33 I48&., 191 Difi7.esanfnmenin, cod. A. 15 (Missale) Prag 143,165.1»» Domkapitel, cod. P. 6, x—3 (Antiphonar) 168 Domkapital, cod. P. 7 (Graduale) 168 Domkapital, cod. P. 8 (Cancionale) 168 Domkapitel, cod. P. 9 (Cancionale) 168 Galerie, Araceli-Madonna 201 Galerie, Marienbild I86 Galerie, Marientod aus Kosatky I88 ff. Galerie, Tafel aus Raudnitz 156 Galerie, Votiv des Ocko von Vlasim »59 Kreuzherrenkloster, Brevier des Großmeisters Leo l69ff., 173, 208 Landesmuseum, cod. XII, A. 7 167 Landesmuseum, cod. XII, A. 14 I68 Landesmuseum, cod. XII, A. 15 167 Landesmuseum, cod. XII, A. 16, cod. XII, B. 4 I68 Landesmuseum, cod. XII, B. 13 (Bibel) 165 Landesmuseum, cod. XII, C. 3, cod. XII, C. 5, cod. 2 , A. 4 167 Landesmuseum, cod. XIII, A. 13, cod. XIII, B. 6 168 Landesmuseum, cod. XIII, B. 9 167 Landesmuseum, cod. XIII, B. 13 168 Landesmuseum, cod. XIII, B. 14 169 Landesmuseum, cod. XIV, A. 2, cod. XIV, A. 7 167 Landesmuseum, cod. XIV, A. 12 168 Landesmuseum, cod. XV, A. 7 169 Landesmuseum, cod. XV, A. 9 168 Landesmuseum, cod. XV, B. 6 167 Landesmuseum, cod. XV, B. 9 169 Landesmuseum, cod. XVI, B. 8 168 Landesmuseum, cod. XVI, B. 12 167 Landesmuseum, cod. XVI, C. 13 168 Landesmuseum, cod. XVI. D. 13 (Mariale Arnesti) 161 Landesmuseum, cod. XVI, D. 14, cod. XVI, D. 16 169 St. Peter und Paul, Wyschehrad-Madonna 183«. Stift Strahow, Gnadenbild 185 ff. Universitätsbibl., XIII, A. 6 (Antiphonar) 165 Universitätsbibl., cod. XIII, E. 14 c. (Brevier) 169 Universitätsbibl., cod. XIV, A. 17 (Passionale) 143ft., 146, 165, 170 Universitätsbibl., cod. XIV, C. 1 169 Universitätsbibl., Velislav-Bibel 129,170 ff. Pucelle, Jean 35 R a i g e r n , Stiftsbibl., cod. 385 (Antiphonar) Stiftsbib., cod. 394 (Brevier) Stiftsbib., cod. 600 (Antiphonar) Regensburg Dominikanerkirche, Wandmalereien Domschatz, Reliquienkästchen Privatbesitz, Verkündigungsengel Reichenau, Mittelzell, Wandmalereien Reutlingen, Marienkirche, Wandmalereien in der Sakristei Rodeneck, Schloß, Wandmalereien Rohoncz, Schloß, Verkündigungsaltärchen Rom, Vaticana, cod. lat. 1122 Rüdiger II. Manesse Rutger von Berke, Mönch Salzburg St. Peter, cod. a. XIII. 36 (Evangeliar) Studienbibl., cod. V. 1. E. 59 (Missale) Studienbibl., cod. V. 2. F. 61 (Rituale)

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166 168 ff. 166 ff. 131,204fr. 197, 209 204 201 52 215 210 31 169 46 16

131, 204, 205 205 205 205

Nr. d. AbbUl M5

191 150 168

166

184 187 142 171

167

215

217

Seite

S c h a f f h a u s e n , Stadtbibl., cod. 8 (Lektion&r) i44ff., 147, 153. »S«. »59. S c h e l k l i n g e n , Afrakapelle, Wandmalereien 215 191 Schlesien S c h l e s w i g , Dom, Wandmalereien im Kreuzgang 123 ff. 214 ff. Schwaben S c h w e r i n , Dom, Wandmalereien der Marienkapelle 120 Museum, Hinterglasbild X19 Seuse 59,, 63 Sifridus V i t u l u s , Schreiber in Ebrach »94 Simone M a r t i n i »77. 188 Soest 91 ff. Minoritenkirche, Kreuzigung 95 Petrikirche, Wandmalereien 93«-. 121 92 ff., I 2 X Stadtarchiv, Nequambuch S t a m m h e i m , Fürstl. Bibl., cod. XV, 62 (Psalter) 67 Steiermark l6a ff. S t e i n f e l d e n , Abteikirche, Kreuzigungsbild 3* S t e p h a n von S i r n d o r f , Abt von Klosterneuburg »4» S t e s s e n , Hildeger von 26 S t o c k h o l m , Bibl., cod. A. 172 (Antiphonar) »5 S t o l z e n f e l s , Schloß, Kreuzigung und Kreuzabnahme 40 Stralsund 1x9 ff. Nikolaikirche, Wandmalereien 125 ff. S t r a S b u r g , Frauenhaus, Fassadenriß 73 S t u t t g a r t , Landesbibl., cod. Bibl. fol. 279 (Biblia Pauperuni) 216 Landesbibl., cod. Brev. 89 216 Landesbibl., cod. H. B. XIII, 11 (Apokalypse) 129 ff. cod. poet. germ, z (Weingartner Lieder-Hs.) 47, 48, 49«-. 6*. 63 Landesbibl., cod. H. B. XIII, poet. germ. 6 (Weltchronik) 206 ff. Landesbibl. cod. poet. u. philos. 1 (Wälscher Gast) xzo Galerie, Bebenhausener Altaraufsatz 214 ff. S l a w i e t i n , Wandmalereien X73 S u d e r m a n n , Bertram 94 T a u f e r s , St. Johann, Wandmalereien Tegernsee T h o m p s o n , Hours of Joan II von Navarra T h o r n , Johanniterkirche, Wandmalereien Thüringen T i n o di Camaino Tirol Schloß, Wandmalereien in der Kapelle T o i t e n w i n k e l , Kirche, Wandmalereien T o m m a s o da Modena T r e m e s s e n , Kirche, Marienbild Trier Ulm, Spitalkirche, thronende Maria Veveri, Kirche, Marienbild V i l l i n g e n , Museum, Wandmalereien aus Peterszell V o r a u , Stiftsbibl., cod. 244 (Missale) Stiftsbibl., cod. 260 (Missale) Stiftsbibl., cod. 292 (Missale)

210 204, 208 36 129 i n ff. 69 210 ff. 2 1 2 ff. 120 »79. *»3 186 65 ff.

Kr. d. Abbild.

»43

117

92 93. 94

47. 48 120

126, 127 33. 34

220, 221

22 5

223

2l6 186 42. »94 132 »3« 164

W a l r a m , Erzbischof von Köln 3» W e i m a r , Landesbibl., cod. fol. max. 4 (Biblia Pauperum und Apokalypse) 83 ff., 90 W e i f e n s c h a t z , Plenar Ottos des Milden I07ff., 130 W e r n e r , Leutpriester in Reutlingen 215 W e r n i g e r o d e , Fürstl. Bibl. (ehemals), Weltchronik 7, 44ff., 67

82 X07

233

Seite

Westfalen 91 f f . W e t z l a r , Dom, Wandmalereien 80 Wien 131 139. 150. '77. 180, 188 Albertina, Inv. 25 109 (Fragment aus Rein) 163 24 fr. •.Auspitz (ehemals), Hausaltärchen Figdor (ehemals), Minnekästchen 59 • . Guttmann, Hedwigslegende 172 Kunsthistorisches Museum, cod. 5008 (Spec. Hum. Salv.) 139 Nationalbibl., cod. 364 (Klosterneuburger Chronik) 143. 149 Nationalbibl., cod. 370 (über pictus) 171 Nationalbibl., cod. 874 (Marienleben) 139 Nationalbibl., cod. 1182 (Evangeliar) 174 Nationalbibl., cod. 1198 (Biblia Pauperum) 138, 142 f f . , 147, 148, 149, i53> 159. 163, 171 Nationalbibl., cod. 1203 (Bibel) 149 Nationalbbil., cod. 1772—73 (Lektionar) 16« f f . Nationalbibl., cod. 1774 (Graduale) 166 Nationalbibl., cod. 1813 (Chorbuch) 166 Nationalbibl., cod. 1814 38 Nationalbibl., cod. 1835 (Capitulare) 166 Nationalbibl., cod. 1939 (Psalter) 169 f f . Nationalbibl., cod. 1982 133 Nationalbibl., cod. 2670 (Willehalm) 89 Nationalbibl., cod. 13 682 133 Privatbesitz, Maria mit Kind—Schmerzensmann 160, 186 W i e n e r - N e u s t a d t , Museum, Evangeliar 164 W i e n h a u s e n , Klosterkirche, Wandmalereien 130 f f . , 1Ö2 W i e s b a d e n , Henkell, Hausaltärchen 90 Wismar 119 f f . Marienkirche, Wandmalereien 120 W i l h e l m v o n G e n n e p , Erzbischof von Köln 20 W i l h e l m V., Graf von Jülich 31 W i l h e r i n g , Stiftsbibl., cod. 8 (Missale) 134«., 140, 151, 191 Stiftsbibl., cod. 13 (Pontificale) 136 Stiftsbibl., cod. 27 (Legenda sanctorum) 134 Stiftsbibl., cod. 29 (Federzeichnung) 184, 191 W o l f e n b ü t t e l , Bibl., cod. 1, 3, 1, Aug. fol. 194 Bibl., cod. Aug. 3. 1. fol. (Sachsenspiegel) 109 ff. Bibl., cod. Heimst. 35a (Biblia Pauperum) 208 Bibl., cod. Heimst. 425 (Evangeliar) 1 Bibl., cod. Heimst. 522 (Missale) 97 f f . , 102, 107 Hauptlandesarchiv, cod. VII. B. 175 97 ff. VII. B. 177 Hauptlandesarchiv, 97«. VII. B, 178 Hauptlandesarchiv, 97 VII. B, 179 Hauptlandesarchiv, 97 ffVII. B. 188 Hauptlandesarchiv, 97 « VII. B. 192 Hauptlandesarchiv, 97«-, 107 VII. B, 211 97 Hauptlandesarchiv, 194 W ü r z b u r g , Universitätsbibl., Mp. fol. max. 6 194 Universitätsbibl., Mp. fol. theol. 94 (Graduale) 194 95 (Missale) 194 96 (Missale) Zürich Großmünster, Wandmalereien Zentralbibl., cod. Rh. 15 (Weltchronik) Zentralbibl., cod. Rh. 85 (Psalter) Zentralbibl., cod. Rh. 167 Zentralbibl., cod. Rh. 211 Z w e t t l , Stift, Stiftungenbuch Z w i c k a u , Ratsarchiv, Statutenbuch

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44 54 Anra. 15 62 4*- 44 44 44 »39 « 110

Nr. d. Abbili.

160

172. 173 169

141 139 165

89 155, 156 163 104—106 88

132

195

196

59. 60

SiitjernacfAttete Rhein. Museum, Köln: u , 12, 13, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 24, 25, 26, 27, 28, 30, 31. 32. 33. 34. 37. 38, 39. 40, 42. «3. 84, 101, 102, 113, 162. Kunsthist. Sem., Marb. a. L.: 29, 67, 68, 73, 75. 76, 77, 79, 80, 81, 86, 87, 90, 91, 212. Deutsches Museum, Berlin: 96, 151, 181, 190 Germ.Nationalmuseum,Nürnberg: 204, 205, 206, 207, 209, 210, 213. Bayer. Nationalmus., München: 149,202,203. Österr. Lichtbildstelle, Wien: 146, 147, 148, 161, 172, 173, 194. Nationalbibl., Wien: 89, 139, 141, 165, 169. Kunstsammlungen Königsberg: 158. Verw. d. Preuß. Schlösser u. Gärten, Berlin: 47, 48. Kaiser-Friedrich-Museum, Görlitz: 183. Württ. Bildstelle, Stuttgart: 53, 54. Kunsthist. Seminar, Rostock: 121, 122. Staatl. Bildstelle, Berlin: 98, 124, 125. Provinz ialmuse um, Hannover: 15, 97. Staatsbibliothek Hamburg: 85. Staedelsches Kunstinst., Frankfurt a.M.: 114. Universitätsbibliothek Königsberg: 128. Schles. Museum, Breslau: 182. Boldein Library, Oxford: 103. Studienbibliothek, Salzburg: 217. Museum, Wiener Neustadt: 163. Städtisches Museum, Brüx: 186. Universitätsbibliothek Graz: 164. Schweizerisches Landesmuseum, Zürich: 4. Museum f. Kunst- u. Kulturgesch., Lübeck: 116, 118, 119. Gemäldegalerie Stuttgart: 225. Provinzialkonservator von Westfalen, Münster: 92, 93, 94. Konservator d. Regierungsbez. Cassel: 78. Provinzialkonservator von WestpreuBen, Marienburg: 129.

Bayer. Landesamt für Denkmalspflege, München: 74. Dr. Franz Stoedtner, Berlin: 155, 156, 185, 187, 224. E. Bissinger, Erfurt: 109, 110, I i i , 112. Fritz Henschkel, Schwerin i. M.: 117. Wilhelm Kratt, Karlsruhe: 46. Dr. G. Guggenbauer, Linz: 159. Denkmalsarchiv Dr. Nagel, Nürnberg: 208. Christof Müller, Nürnberg: 211. A. Beckmann, Doberan: 123. F. Bruckmann, A. G., München: 99. Paul Frankenstein, Wien: 160. Dr. B. Filser (Riehn und Reusch): 1, 2, 219. Osthaus-Archiv: 120. Jan Stenc, Prag: 142, 150, 168, 170, 171, 175, 177. 178, 179, 180, 184, 188, 189, 191. Freundlichst zur Verfügung gestellt von : Dr. Zaun, Hamburg: 104, 105, 106. Frau Henkell, Wiesbaden: 88. Professor Schrade, Heidelberg: 61. Dr. Franz Jansen, Godesberg: 14. Dr. Hanns Swarzenski, Berlin: 55. Dr. Jan Kvet, Prag: 166. Dr. Jan Krofta, Prag: 167. Julius Böhler, München: 152. Galerie Caspari, München: 157. Dr. Heinrich Jerchel, Seiferdau: 6, 7, 8, 9, 59, 60, 131, 132, 133, 134, 135, 136, *37, 138, 140, 153, 154, 174, 214, 215, 216, 218. Dr. Eberhard Lutze, Nürnberg: 130. Aufnahmen des Verfassers: 3, 5, 35, 36, 43, 44, 45, 62, 63, 64, 66, 69, 70, 71, 72, 8a, 95, 100, 107, 108, 126, 127, 143, »44, 145» >76, >95, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 220, 221.

»35

D I E

B I L D E R

11. K Ö L N , ST. A N D R E A S

12. KÖLN, D I Ö Z E S A N M U S E U M

15. H A N N O V E R , P R O V . - M U S .

16. B E R L I N , D I E Z . C. F O L . 63

40. F R A N K F U R T , H E R R V O N H I R S C H

41. K Ö L N ,

MINO.RITENKIRCHE

42. ( A U S S C H N I T T AUS 40)

45. K A R L S R U H E . L I C H T E N T H A L P E R G . 26

57. O B E R S T A M M H E I M , GALLUSKAPELLE

58. K O N S T A N Z , HAUS Z U R K U N K E L

61. H E I D E L B E R G , P R I V A T

62. ST. G A L L E N , S T 1 K T S B 1 B L . C O D . 346

74. M Ü H L H E I M AM E I S

75. H I R S C H H O R N

78. F R I T Z L A R , D O M

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90.-91. KASSEL, MS. P O E T . F O L . 1

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O Z Z < X

109. E R F U R T , P R E D I G E R K I R C H E

110.-111. E R F U R T , M U S E U M

112. E R F U R T , P R E D I G E R K I R C H E

113. B E R L I N , D E U T S C H E S MUSEUM

116. L Ü B E C K , H E I L I G G E I S T S P I T A L

117. S C H W E R I N ,

LANDESMUSEUM

129. M A R I E N B U R G , S C H L O S S - K I R C H E

135. ST. F L O R I A N COD. III. 207

136. ST. F L O R I A N C O D . III. 221*

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174. N E I S S E . GYMNASIUM COD. A.1,1

175. H O S I N

176. H O H E N F U R T H ,

STIFTSGALERIE

181. BERLIN, D E U T S C H E S M U S E U M

182. B R E S L A U , D I O Z E S A N M U S E U M

19a B E R L I N , D E U T S C H E S M U S E U M

191. P R A G , G A L E R I E

202.-203. M Ü N C H E N , B A Y E R . NAT.-MUS.

204. H E I L S B R O N N , K I R C H E

205. H E I L S B R O N N , K I R C H E

222. ST. K A T H R E I N B E I M A T R E I

223. S C H L O S S T I R O L

224, B R I X E N , J O H A N N E S K I R C H E