Deutsche Malerei der Gotik: Band 2 Die Zeit von 1350 bis 1400 [Reprint 2020 ed.] 9783112353585, 9783112353578

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Deutsche Malerei der Gotik: Band 2 Die Zeit von 1350 bis 1400 [Reprint 2020 ed.]
 9783112353585, 9783112353578

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ALFRED

S T A N G E

Beutete palerei ber botili ZWEITER DIE

ZEIT

VON

BAND 1 350 BIS

1400

Beutetet aStunfitoerlag Berlin 1936

Druck des Textes Walter de Gruyter & Co., Berlin, des Bilderteiles Ganymed, Berlin.

Jnfjalt VORWORT EINLEITENDE

VII BEMERKUNGEN

i

I. BÖHMEN ZUR ZEIT K A R L S IV 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Handschriften des Johann von Neumarkt Die Katharinen- und Marienkapelle auf Karlstein Karlsdarstellungen und Luxemburger Stammbaum Herleitung und Meisterfrage Der Kreuzgang des Emausklosters Die Malereien der Kreuzkapelle und ihr Kreis. Theoderich von Prag .

7

.

.

9 19 23 27 30 34

.

II. BÖHMEN ZUR ZEIT WENZELS

44

1. 2. 3. 4.

45 53 62 66

Die Wenzelshandschriften Der Meister von Wittingau Tafelbilder vom Ende des Jahrhunderts Die Gnadenbilder

III. ÖSTERREICH

72

IV. BRANDENBURG

74

V.

78

1. 2. 3. 4.

DEUTSCHORDENSLAND Der Altar in St. Marien zu Thorn Der Frauenburger Altar. Der Schrein in Marienwerder Der Graudenzer Altar und sein Kreis Wandmalereien

79 84 86 92

VI. KÖLN

95

1. Der Klarenaltar und sein Kreis 2. Die Malereien aas dem Hansasaal 3. Buchmalereien

95 roí 104

VII.

106

1. 2. 3. 4. 5.

MITTELRHEIN

Die Altäre aus Heiligenstadt und Merxhausen Der Schottener Altar Die Handschriften des Kuno von Falkenstein Der Friedberger Altar Wandmalereien

106 108 112 116 121

VIII. WESTFALEN

123

1. 2. 3. 4.

123 124 128 131

Die Soester Tafel Die Altäre in Netze und aus Osnabrück Verwandte Tafeln Buchmalereien

IX. HAMBURG-LÜBECK

132

1. Der Petrialtar 2. Der Johannisaltar

132 142 V

3. 4. 5. 6. 7. X.

Die Werkstatt des Petrialtarmeisters Der Buxtehuder Altar Lübeck Die Kirchbergsche Chronik Wandmalereien ERFURT

144 145 151 153 154 155

1. Die Augustinertafeln und ihr Kreis 2. Das Triptychon aus der BarfüBerkircbe

155 158

XI. NÜRNBERG

159

1. 2. 3. 4.

160 162 166 170

Allgemein Fränkisches Wandmalereien in Nürnberg Der Jakobsaltar Der Marienaltar

XII. BAYERN

173

1. Weltchroniken 2. Federzeichnungen 3. Der Augustinerflügel und Verwandtes

173 177 178

XIII.

182

1. 2. 3. 4.

TIROL

Das Niederthorsche Votirbild Bozner Wandmalerei Wandmalereien im Brixener und Meraner Umkreis Tafelmalerei

183 184 190 192

XIV. SCHWABEN UND OBERRHEIN

«93

1. 2. 3. 4.

193 194 198 200

Zwei Weltchroniken Basel Der Straßburger Riß Ulm

SCHLUSSBEMERKUNGEN

202

REGISTER

205

VI

T^ortoort Die freundliche Aufnahme, die der erste, vor zwei Jahren erschienene Band gefunden hat, ermutigt den Verfasser, nunmehr den zweiten vorzulegen. Sein Inhalt umspannt einen kürzeren Zeitraum, nur ein halbes Jahrhundert, etwa die Zeit Karls IV. und Wenzels. Wie im ersten ist auch in diesem Bande die Einteilung und Anordnung des Stoffes bedingt durch seine kunstgeschichtliche Bedeutung, seine Lebensfülle, seinen Reichtum und durch die von ihm ausgehenden Wirkungen. So darf die gegenüber dem ersten Bande andere Gruppierung der deutschen Landschaften nicht als Wandel im Standpunkte des Verfassers angesehen werden. Sie muß eine andere sein, weil die Schwergewichte sich verlagert haben, weil nicht im Westen, sondern im Osten der bedeutsamste Mittelpunkt liegt, weil durch Karl IV. Prag die mächtigste und wirksamste Metropole auch in künstlerischer Hinsicht geworden ist. Die auf die beiden böhmischen folgenden drei Kapitel sind dann den Gebieten gewidmet, deren Malerei aufs stärkste von der Böhmens bestimmt ist. Dann folgt der Westen, am Ende der Süden. Der Petrialtar, dessen Kunst man sich gewöhnt hat, mit dem Namen Meister Bertrams zu verknüpfen, wird nach den Kapiteln Mittelrhein und Westfalen behandelt, weil der Verfasser glaubt nachweisen zu können, daB er nicht so sehr von böhmischer als vielmehr von nordwestdeutscher Malerei abzuleiten ist. So ist die Folge der Kapitel nicht ein zufälliger Spaziergang durch Deutschlands künstlerische Gaue, innerliche Verknüpfungen bedingen ihre Gruppierung. Auch sonst ist an der Behandlung des Stoffes, wie sie der erste Band zeigte, grundsätzlich festgehalten. Tafel-, Wand- und Buchmalerei sind wiederum gleichartig in das Blickfeld der Betrachtung einbezogen worden. Die Glasmalerei mußte auch diesmal aus den angegebenen Gründen beiseite gelassen werden. Die größten Lücken werden sich bei den Wandmalereien ergeben. Solange aber die deutschen Bau- und Kunstdenkmäler nicht geschlossen vorliegen, kann gerade bei den zahllosen zerstreuten Resten an Wandmalereien das Ziel größtmöglicher Vollständigkeit nicht erreicht werden. Es zeigt sich immer mehr, daß es für einen einzelnen unmöglich ist, das Material restlos zu sammeln. Was behandelt wird, hat der Verfasser bis auf ganz geringe Ausnahmen selbst im Original studiert und zumeist bei mehrfachen Besuchen geprüft. Freunden und Fachgenossen hat der Verfasser wiederum für mancherlei Rat und Hinweis zu danken. Sie mögen ihm auch diesmal erlauben, daß er auf Namensnennung im einzelnen verzichtet. Er wird ihrer stets mit größter Dankbarkeit gedenken. Ebenso dankt er dem Verleger, der keine Mühe gescheut hat, das Buch in dieser zweckentsprechenden, sorgsamen Ausstattung herauszubringen. S e p t e m b e r 1935

A. S t a n g e VII

einleitende Bemerkungen i. Die deutsche Malerei des späteren 14. Jahrhunderts baut auf anderen Grundlagen auf als die der vorausgegangenen Jahrzehnte. Durch eine tiefeingreifende Wandlung getrennt setzen sich erste und zweite Jahrhunderthälfte als grundverschieden in ihrem Wesen von einander ab. Eine Wendung um 180° ist vollzogen. Die aufwühlende Welle der jenseitig eingestellten Mystik, der die Menschen auf das Krankenbett werfenden Fastenpredigten eines Tauler, der Geißlerfahrten, des schwarzen Todes, der vom Mittelmeer über die Alpen hereinbrechenden Pest, die Zeit der Todesangst und Weltverfluchung ist zu Ende gegangen. Mit neuen, heiteren Augen scheint eine neue Generation, die am Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte zuerst sich zu äußern beginnt, in die Welt hineinzublicken. Der Schreiber der Limburger Chronik sagt an einer immer wieder bedeutsamen Stelle zu Anfang des sechsten Jahrzehntes: „Darnach ober ein jar, da dit sterben, dise romerfart, geiselerfart unde judenslachten als vur geschreben stet, ein ende hatte, da hub di wernt wider an ze leben unde frolich ze sin und machten die menner nuwe kleidunge". Weltflucht und Leid am Leibe erfüllte die Menschen der zwanziger bis vierziger Jahre. Weggewandt von der Erde, asketisch-ausgezehrt, fanatisch-sehnsüchtig zum Himmel emporblickend erscheinen sie im Bilde. Jetzt nun söhnen sie sich mit dieser irdischen Wirklichkeit wieder aus und billigen ihr wenigstens eine bedingte Geltung zu Der Mensch gilt wieder etwas, und wohin man blickt, wird deutlich, wie er sich stärker als Persönlichkeit und Ich durchsetzt und durchzusetzen gewillt ist. Es wird sich zeigen, daß die Maler des späteren 14. Jahrhunderts kräftigere Ellenbogen beweisen. Sie wollen sich in ihrer Art und Eigenart betonen und zur Geltung bringen. Heimat, Grenzpfähle und Werkstattüberlieferung achten sie gering. Waren ihre Väter und Großväter vor allem Bewahrer, die als Pfleger alten Brauches im Schatten der Werkstatt ihre Art zurückstellend arbeiteten, so machen sich die Jüngeren von derlei Bindungen frei. Nicht Bewahrer, sondern Revolutionäre sind sie, die in den Städten für eine neue gesellschaftliche Ordnung und für Anteil am Regiment kämpfen, die als Maler alte Ketten sprengend neue Ausblicke und Aufgaben für die kommenden Jahrhunderte eröffnen. Sie arbeiten mit an der Geburt einer neuen Zeit und auch einer neuen künstlerischen Epoche, die unter einem neuen, nicht unter dem alten kirchlichen Gesetz stehen sollte. Das Mittelalter geht zu Ende. Die Wirklichkeit der universalia und generalia, unter deren Herrschaft auch die Werke der Kunst in den vergangenen Jahrhunderten entstanden, wird fragwürdig. Das Einzelding sucht sich ihnen gegenüber durchzusetzen. Die Nominalisten stehen gegen die Realisten. Eine neue, realistischere Weltanschauung wird 1 Pinder, Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance S. 45 u. ö.

I

eingeleitet, deren Folgen für die bildende Kunst unmittelbar greifbar sind. Das Verhältnis zur Wirklichkeit wird im Kunstwerk zum Maßstab. Das altertümliche Wort exemplum erhält allmählich einen neuen Inhalt. Es bedeutet nicht mehr kanonisches Muster, sondern eine aus der Naturbeobachtung gewonnene Erfahrungstatsache. Das exemplum wird zum Modell. Was immer an geistigen und kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bewegungen die kommenden Jahrhunderte erfüllte und auch erschütterte, es wurde in diesen späten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts vorgebildet. Sie sind keine heroische Zeit wie die Epoche der Hohenstaufen, wie die Epoche der Reformation, diese Jahrzehnte sind in mancherlei sogar eine kleine Zeit, aber man wird bei ihrer Beurteilung nie übersehen dürfen, daß mit ihnen die Welt des hohen Mittelalters überwunden und die Balken für eine neue Epoche gezimmert wurden. 2. Der König dieser neuen Zeit ist in Deutschland Karl IV. 2 . Er ist als König und Kaiser Deutschland zu einem Manne des Schicksals geworden: im Politischen wie im Geistigen und Künstlerischen. Die romantischen Zielsetzungen, die die deutsche Kaiserpolitik des frühen 14. Jahrhunderts noch einmal beherrschten, als mit dem lützelburgischen Kaiser HeinrichVII. die Wege der Reichspolitik wieder in die alte Italienpolitik einlenkten und der Gedanke des römischen Reiches deutscher Nation zu neuem Leben erwachte, womit dem Papst Gelegenheit gegeben war, in den folgenden Jahrzehnten aufs stärkste in die deutschen Machtverhältnisse einzugreifen, diese seit dem Ende Friedrichs II., dem Interregnum und Rudolf von Habsburg überlebten — und darum romantischen — Zielsetzungen sind mit Karl IV. endgültig überwunden. Innenpolitisch gibt er dem Königtum in seinem Verhältnis zu den Fürsten und zumal zu den Kurfürsten ein neues Gesicht, indem er deren Befugnisse in der Goldenen Bulle genau umreißt. Er geht daran, die Macht seines Hauses nach Möglichkeit zu steigern und in ihm das Kaisertum erblich zu machen auf Grund einer starken Hausmacht und legt damit die Grundlagen zu dem späteren habsburgischen Staate. Außenpolitisch bricht er mit der alten Italienpolitik. Romfahrten und Kaiserkrönung geschahen aus sehr realistischen, ja man möchte sagen, kaufmännischen Überlegungen. Die hochfliegenden Gedankengänge, die seinen Großvater Heinrich VII. zu seiner Italienfahrt bewogen hatten, waren Karl vollkommen fremd. Vielleicht war ihm noch nicht einmal der hohe Rang, den er mit der Kaiserwürde unter den europäischen Fürsten gewann, wichtig, mehr war ihm zweifelsohne daran gelegen, daß die Kaiserkrone ihm für die Diplomatie und seine Heiratspolitik Vorteile gewährte, daß sie seiner Dynastie den Thron sichern half, und daß die Romfahrt seiner Kasse große Abgaben der italienischen Städte erbrachte. Die alten Vorstellungen von Weltherrschaft und römischem Regiment waren aus 1

Hampe, Karl, Herrschergestalten des deutschen Mittelalters (1927) S. 3 1 1 ff. Vor allem Burdach, Vom Mittelalter zur Renaissance, sonderlich II. 1 .

2

seinem Gesichtskreis ausgeschieden. Nie wohl hat er daran gedacht, die Politik Heinrichs VII. wieder aufzunehmen. Aber er verzichtete auf Weltherrschaft und römisches Regiment nicht etwa aus einer besonders starken deutschen Gesinnung, nicht aus einer Besinnung zum Deutschen, er verzichtete vielmehr aus sehr unheroischen, wirtschaftlichen Gedanken heraus. Sein Handeln wurde durchaus von sehr kühlen und nüchternen Überlegungen beherrscht. In vieler Hinsicht ist er auch als Kaiser und König ein Vertreter des Frühkapitalismus. Das Geld ist ihm ein Maßstab wie dem eben jetzt aufsteigenden Kaufmannsstande in den Städten. Die Feudalität seines Großvaters ist ihm nicht vererbt. Seit ihm ist es besiegelt, daß im König nicht ritterlicher Geist zu leben braucht. Den römischen Volkstribun Cola di Rienzo, der ihn zur Politik seines Großvaters zurückführen möchte, versteht ein Karl IV. nicht mehr. Der feurige Italiener erscheint neben ihm wie ein phantastischer Schwärmer. Er vertritt darin Karl gegenüber ein Ideal der Vergangenheit. Mehr fesselte ihn ein anderes an Rienzo, das ihm auch einen anderen Vertreter des zeitgenössischen Italien, Francesco Petrarca, nahe brachte. Zwar die Gegensätze waren die gleichen. Auch Petrarca hing noch den alten ghibellinischen Vorstellungen träumerisch nach. Er hat, von Karls politischem Handeln tief enttäuscht, diesem wiederholt die heftigsten Vorwürfe gemacht, zürnend ihm vorgeworfen, daß er vom Wege des Großvaters abgefallen sei. „Fürwahr, eine schöne und ergötzliche Reise war dein Romzug! Zwei Kronen, die eiserne und die goldene, bringst du heim, aber nicht Ruhm, sondern nur den leeren Namen des Kaisers. Hinfort wirst du dich Kaiser heißen lassen, in Wirklichkeit aber nur ein Böhmenkönig sein." Und wie fremd war ein Petrarca in seiner „empfindlichästhetischen Pflege des eigenen Selbst" diesem deutschen König, dessen Leben „der unermüdlichsten Hingabe an das Wohl der anvertrauten Staatenwelt" galt 3. Dennoch verband sie eine gleichgeartete Liebe, die Liebe zu dem neuen von Italien ausgehenden Denken und Erleben, das sich an der Antike bildete und diese zur Grundlage alles geistigen Lebens machen wollte, die Liebe zu der neuen Erscheinung, die wir Humanismus zu nennen uns gewöhnt haben. Karl nahm an ihm gewiß mehr verstandesmäßig Anteil, war ihm nicht so mit dem Herzen verbunden Wie der italienische Dichter, aber um dieser Neigungen willen steckte er die bitterbösen Vorwürfe Petrarcas ein, die er als eine schlimme Verkennung seines Wesens empfinden mußte. Es bleibt immer wieder erstaunlich, mit welcher klugen Aufmerksamkeit Karl diese junge, noch kaum entfaltete Pflanze beachtete und förderte und wie er sie für sein Land zu nutzen strebte. Petrarca, den er zum Pfalzgrafen erhob, war keineswegs der einzige, der seine Gnade darum genoß. Auch Bartolo von Sassoferrato zeichnete er durch zwei Privilegien aus, Johann von Marignola, den Ostasienfahrer, beauftragte er mit der Abfassung einer Geschichte Böhmens, Niccolo Beccari ernannte er zum Waffenmeister und bestimmte ihn zum Lehrer der jüngeren Prinzen. J Hampe a. a. O. S. 350.

3

Er sollte sie zu Cortigiani erziehen 4. In seiner Kanzlei ließ er humanistisch gepflegtes Latein schreiben und stellte an ihre Spitze den hochgebildeten Schlesier Johann von Neumarkt, der mit Hingabe „die Persönlichkeit und Rhetorik Rienzos betrachtete und sich ganz dem Zauber Petrarcas und seines an den Alten gebildeten Stiles hingegeben" hatte 5. Und weiterhin teilte Karl die Achtung vor alten Handschriften, vor der Geschichte und sonderlich der Antike, aber auch den Sinn und Blick für das Natürliche und die Empfindsamkeit für die Schwingungen des individuellen Seelenlebens mit den italienischen Humanisten. Wie wenige andere Menschen des damaligen Deutschlands war Karl im humanistischen Sinne ein moderner Mensch. Petrarca selbst widmete ihm höchstes Lob, wenn er in seine Heimat berichtete: „ich muB gestehen, daß ich nichts gesehen habe, das weniger barbarisch, nichts, das humaner gewesen wäre, als es der Kaiser und einige hohe Würdenträger seiner Umgebung sind". Allein dieser praktische, realistische Sinn, die oft kaufmännische Denkweise, die Achtung vor den Alten und die humanistischen Neigungen sind doch nur die eine Seite von Karl IV. Dieser Tagseite stand eine Nachtseite gegenüber. Jenes dunkle Mittelalter, das es erst seit dem 14. Jahrhundert, seitdem das eigentliche Mittelalter zu Ende ging, gab, mit seinem an Fetischismus grenzenden Reliquienkult und seiner engen mönchischen Gesinnung, diese dumpfe Finsternis fand in Karl auch einen Widerhall. Aufgeschlossen dem italienischen Humanismus bestimmte er Livius und Seneca zu Schulbüchern des jungen Wenzel — und 1369 gab er die Genehmigung zur Wiedereinführung der Inquisition und gewährte ihr alle jene furchtbaren, Fanatismus und Habgier anstachelnden Rechte. Karl war besessen von einem dumpfen Gefühl der Sündhaftigkeit und Unerlöstheit. Der Reliquiendienst artete bei ihm zur Manie und zum Sammelsport aus. Immer wieder suchte er die körperliche Berührung mit dem Heiligen. Von einem Finger des hl. Nikolaus, der ihm einmal im Prager Klarissinnenkloster gezeigt wurde, schnitt er sich ein Stück mit dem Messer heraus, um es dann freilich in frommer Scheu doch wieder zurückzuerstatten 6. Andacht und Verehrung werden bei ihm oft zum materialistisch gefärbten Mystizismus. Während er mit Petrarca korrespondierte, verfaßte er eine neue Redaktion der Wenzelslegende, sammelte er erbauliche Betrachtungen und Auszüge in den Moralitates; in seiner Selbstbiographie finden sich nicht wenige predigthafte Einschiebsel. Er war nicht nur äußerlich Geistlicher, da er die Würde eines Diakons bekleidete, er fühlte sich auch innerlich dazu berufen und verpflichtet. In seiner geistigen Haltung war er dem Neuen doch nur zur Hälfte aufgeschlossen, zur anderen war er Theologe und Geistlicher, und er würde sich vom Humanismus losgelöst haben, wenn dieser es gewagt hätte — was zu seinen Lebzeiten noch nicht der Fall war —, das kirchliche Weltgebäude anzutasten. Karlstein ist bezeichnend für seine 4 Hampe a. a. O. S. 388. 5 Hampe a. a. 0 . S. 387. 6 Hampe a. a. 0 . S. 332.

4

zwei Seelen: eine moderne Burg im französischen Stile und zugleich ein Kollegiatstift mit zahlreichen Kapellen. 3Karl IV. wirkt in der Tat wie ein Symbol seiner Zeit, die nüchtern-realistisch und mystizistisch-dunkel zugleich war. Das späte 14. Jahrhundert war die Zeit der Kämpfe, die die Zünfte gegen die alten Stadtherrscher, Bischof oder Patriziat, führten, und zu allermeist siegte der junge Handwerker- und Kaufmannstand. Das Bürgertum stieg als neue Macht empor. Die Stadt bestimmte von nun an das Denken der Menschen. Und es ist kein Zufall, daß sich Karl der Pflege einiger Städte sonderlich annahm. Denn seine Politik ist in wesentlichen Teilen auf städtischen Maßstäben aufgebaut. Was bei den Staufern noch völlig undenkbar war, Karl förderte Bürgertum und Handwerk aus handelspolitischen Überlegungen. Das ausgehende 14. Jahrhundert ist die Zeit des beginnenden Kapitalismus. Und schon greift er ins Politische. Dann aber ist zum ersten Male von ferne das Grollen der nahenden Reformation vernehmbar. Sekten verschiedenster Art bilden sich, Vorläufer der Hussiten treten auf. Die Rechte des einzelnen werden im Religiösen wie im Politischen und Wirtschaftlichen proklamiert. Nicht weniger im Künstlerischen. Um nur einen Beleg zu nennen: Das Figurengrabmal, das im 13. und frühen 14. Jahrhundert noch wenigen Großen vorbehalten war, wird jetzt auch Besitz der Kleinen, der bürgerlichen Menschen. Alle diese Spannungen und Neuerungen, die das späte 14. Jahrhundert bewegen, verkörpert die Person Karls IV. und eben: sie spiegeln sich nicht nur in ihm, vielmehr ist er, wollend oder nicht wollend, eine ihrer treibenden Kräfte. Die Kunstwerke, die er förderte und mit denen er sich umgab, waren ihm religiöse Inhalte, aber auch in einer neuen Weise ästhetische und persönliche Angelegenheiten. Sie dienten auch seiner Person. Nicht nur der Künstler bekennt sich nun nachdrücklich in seinem Werke als Individuum, auch dem Auftraggeber gehört es, ist Spiegel seiner Persönlichkeit, ist ihm Hintergrund und Denkmal. Und noch in einer anderen Hinsicht erscheint Karl IV. bedeutungsvoll. Durch ihn wird das künstlerische Schwergewicht für kurze Zeit in die südöstlichen Gebiete verlagert. Schon im frühen 14. Jahrhundert waren die österreichischen Lande hervorgetreten; ihre großen Stifte und Wien hatten die alten bayerischen Werkstätten abgelöst. Nun stiegen Böhmen und seine Hauptstadt Prag mit höchster Betontheit empor. Die alten staufischen Gebiete im Südwesten des Reiches schweigen fast vollkommen. Schon im ersten Bande hatten wir Anlaß darauf hinzuweisen. Schon da war zu beobachten, wie die alten süddeutschen Gebiete allmählich der Stagnation verfielen und die kolonialen sich zu neuem Aufbruch rüsteten. Gewiß drang diese Verlagerung nicht für immer durch. Schon bald im 15. Jahrhundert kommt ein Gegenstoß, und Böhmen zumal tritt mit dem Hussitenkriege völlig ab. Aber entscheidende Vorstöße und Schläge für eine neue Entwicklung gingen in diesen späten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts von ihm aus. Ohne seine Leistungen ist die kommende Entwicklung bis zu Dürer 5

hin nicht zu denken. Köln dagegen, das in der ersten Jahrhunderthälfte noch eine so gewichtige Stimme sprach, tritt nun zurück. Nur im mittelrheinischen Gebiet bleibt einiges Leben, hier wie in Böhmen durch die überragende Persönlichkeit eines Fürsten bedingt. Denn das ist unbezweifelbar: daß diese großen und zukunftsreichen Leistungen damals in Böhmen vollbracht werden konnten, ist ausschließlich Karl IV. zu danken. Mit allen Mitteln suchte er Prag ^ zur ersten Stadt des Reiches zu machen, indem er Handwerker heranzog und für sie neue Wohnbezirke, die Neustadt und das Strahower Viertel, schaffte, indem er das Bistum 1344 vom Mainzer Stuhle loslöst und es zum Erzbistum erhob, indem er der Stadt eine Universität schenkte und im gleichen Jahre 1347 in ihr die ständige Reichskanzlei einrichtete. Damit wurde Prag gleich bedeutsam für die Einführung des humanistischen Latein wie für die Einbürgerung des kanonischen Rechtes in Deutschland wie auch für die Entstehung der ostmitteldeutschen Schriftsprache, aus der unser Neuhochdeutsch sich entwickelt hat. Und indem er in den deutschen Osten südliches und westliches Kulturgut verpflanzte — Karl war in Frankreich erzogen worden und hatte einige stürmische Jugendjahre in Italien verbracht —, gab er auch einer neuen Malerei gewichtige Nährstoffe, die von Böhmen als erstem Mittelpunkte über weite Strecken deutschen Landes wirkte: nach den Hansastädten und nach dem Deutschordensgebiet, aber auch nach Westen und Süden. 7 Schürer, Oskar, Prag, 1930 S. 57.

6

I. Böhmen ?ur Zeit Hatte IV. Die Blüte der böhmischen Malerei währt kaum länger als ein halbes Jahrhundert. Das ist eine kurze Spanne, gemessen an der Lebensdauer anderer deutscher Schulen, die, wenn auch mit Schwankungen, sich mitunter über Jahrhunderte ausdehnten. Es ist richtig: die böhmische Malerei ist eine Episode. Vielleicht sogar ein künstliches Gewächs. Allein es ist dann auch wieder richtig, daß nicht die äußere Dauer eines geschichtlichen Vorganges für seine Bedeutung und seine Bewertung entscheidend ist, sondern daß es seine Stoßkraft und seine Auswirkungen sind Böhmen, das heißt stets vor allem Prag, war das Becken, in dem alle geistigen, kulturellen, künstlerischen Ereignisse, die Europa in den mittleren Jahren des 14. Jahrhunderts gebar, zusammenströmten und für Deutschland •erarbeitet wurden. Prag war Deutschlands politischer, aber es war auch geistiger und künstlerischer Mittelpunkt. Es war ein internationaler Boden. Menschen verschiedenster Herkunft kamen zusammen. Nicht nur Deutsche aus allen Gauen kamen, auch Franzosen und Italiener begegneten sich hier mit Deutschen. Nach Avignon und nach Paris, nach Mailand und nach Venedig liefen die Fäden. Karls IV. Geist selbst war durch eine Jugend und Erziehung in Paris geweckt worden. In seinem Kopfe vereinte sich das scholastische Weltbild, das ihm dort eingeprägt worden war, mit dem humanistischen Bildungsideal eines neuen Italien. Und so war es auch in der Kunst. Böhmisch-Bodenständiges, Südostdeutsches, Deutsches ganz im allgemeinen, daneben französische und italienische Anregungen verbanden und vermischten sich in den von ihm geförderten und angeregten Werken. Der von Avignon berufene erste Baumeister des Veitsdomes, Matthias von Arras, venezianische Mosaizisten, ein Johannes Gallicus, der Goldschmied gewesen zu sein scheint, ein Maler Meister Rubin, wohl ein Wälscher, daneben die schwäbische Familie der Parier, Nikolaus Wurmser von Straßburg, der wohl sicher einheimische Theoderich und viele andere deutschen Namens begegneten sich in den Regierungsjahren Karls in Prag. Französische Handschriften wurden kopiert, avignonesische Einrichtungen übernommen, französische, italienische und byzantinische Goldschmiedearbeiten erworben. Verschiedenartigstes strömte zusammen und ließ eine höchst 1

Aus dem umfangreichen Schrifttum seien genannt vor allem die Arbeiten von Neuwirth und Ernst, denen das größte Verdienst um die Erforschung der böhmischen Malerei dieser Zeit gebührt. J . Neuwirth, Geschichte der bildenden Kunst in Böhmen, Prag 1893 und seine großen Veröffentlichungen in den Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens: I. Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein (1896), II. Der Luxemburger Stammbaum (1897), III. Die Wandgemälde des Emausklosters in Prag (1898). Richard Ernst, Beiträge zur Kenntnis der Tafelmalerei Böhmens im 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts (Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens VI, 1912). Weiterhin Fritz Burger, Die deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance; C. Glaser, Die altdeutsche Malerei, 1924; Matijfek, Die böhmische Malerei des 14. Jahrh. (Bibl. der Kunstgeschichte Bd. 12); Derselbe in Dijepis VJtvarneho umini v iechach S. 280 ff.; Oettinger, Die altböhmische Malerei, ungedruckte Wiener Diss. 1928. Sehr persönlich die Auffassung von Worringer, Die Anfänge der Tafelmalerei, Leipzig 1924. Vgl.dazu Buchner in Beiträge zur Geschichte der deutschen Kunst I. (1924) S. 282ff.

7

merkwürdige Kunst entstehen: so kosmopolitisch und international bestimmt wie die Figur des Königs selbst. Allein, so entscheidend diese fremden Einflüsse auch waren, die aus ihnen erwachsende böhmische Malerei gewann doch sogleich ihr eigenes Gesicht, war ausgesprochen deutsch und böhmisch im besonderen. Das unterscheidet diese jüngeren Arbeiten von den älteren aus der ersten Jahrhunderthälfte, die, soweit sie nicht von der österreichischen Malerei getragen wurden, fast stets äußerlich kompilierend blieben2. Sowohl die Handschriften der Elisabethgruppe wie alles Nachfolgende lebte wesentlich von fremden Anregungen, ohne daß viel Eigenes deutlich wird. Am ehesten läßt sich etwas eigentlich Böhmisches in der Welislavbibel sehen. Das ist nun anders geworden. Mögen die Anregungen von fern oder nahe gekommen sein, stets wurde das, was jetzt entstand, vom Boden und von den Menschen dieses seltsamen Landes getragen. Hier waren die politischen Vorbedingungen durch Karl IV. gegeben, hier war nun auch der Boden bereit, auf dem diese eigenartige Kunst emporwachsen konnte. Nur in diesem Lande konnte sie sich entfalten. Von Karl IV. darf man sagen, daß Böhmen erst sein Blut geweckt hat. Er war — man muß sich dies immer wieder vergegenwärtigen — in Paris erzogen, Italien, Rienzo und Petrarca, hatten ihm den Geist des Frühhumanismus erschlossen, aber Böhmen wurde ihm Mutterland, das sein Leben bestimmte. Es war der fruchtbringende Boden für ihn und mit ihm für die neuartige, emporwachsende Malerei. Das Allgemeine und das Besondere, das Land, der Boden und die eine Person sind untrennbar. Und endlich noch ein Drittes. Böhmen war deutsches Grenzland und damals wie heute Mischland. Deutsche und Tschechen lebten nebeneinander. Wir dürfen mit ziemlicher Sicherheit es aussprechen, daß dies die Klangfarbe der böhmischen Kunst bedingt hat. Karl IV. war deutsch von Rasse mit einem entfernten slavischen Einschlag. Auch darin kann er uns wieder Verkörperung sein. Die böhmische Malerei des späteren 14. Jahrhunderts ist deutsch, aber ein leiser slawischer Einschlag ist wohl nicht zu verkennen, wenn man auch nicht jedes häßliche Gesicht oder die teigig-malerische Formgestaltung ohne weiteres auf tschechische Mischung zurückführen darf. Beides sind sehr allgemeine Merkmale der deutschen Kunst des späteren 14. Jahrhunderts. Die neue tschechische Forschung spricht, da sie mit Vorliebe französisch schreibt, um bei ihren Freunden verständlich zu sein, von l'art tscheque. Das ist grundfalsch, ist eine Geschichtsfälschung. Sie leugnet jeglichen deutschen Einfluß auf die Kunst im Kreise Karls IV. Wir geben ihr von einem anderen Standpunkt darin vollkommen Recht. Ganz gewiß, von einem deutschen Einfluß, wie es einen italienischen oder französischen gegeben hat, kann man nicht sprechen. Denn das Deutsche war viel mehr, war der tragfähige Kulturboden, war das Schöpferische. Die Kunst Karls IV. war deutsch-böhmisch, aber nie tschechisch. Tschechisch gab es zu dieser als Rassebegriff, aber es war noch längst nicht Kulturbegriff. Der Träger ' Zu vergleichen das Kapitel XIV in Deutsche Malerei der Gotik I, Berlin 1934.

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des geistigen und künstlerischen Lebens in Prag und Böhmen war damals wie noch viele Jahrhunderte später die deutsche Bevölkerungsschicht. Deutsch war die Umgangssprache in den Städten und am Hofe. Deutsch war neben Latein die Sprache der Kanzlei. Ein Hort des Deutschtums war die Universität. Karl selbst hat die Deutschen gefördert, wo immer es möglich war. Er zog sie als Handwerker und Kaufleute nach Prag. Deutsche Dichter und Künstler arbeiteten für ihn. Er ließ deutsche Übersetzungen anfertigen, er ließ von Deutschen sein Schloß Karlstein ausschmücken. Nur als gedämpfte Beigabe schwingt in den Malereien manchmal ein slawischer Ton mit. Er darf uns aber nie irre machen, in den Deutschen die Träger zu erkennen. Daß sie es waren, ist als einwandfreier geschichtlicher Tatbestand zu belegen. Und zwar mit Hilfe des Matrikelbuches der 1348 gegründeten Prager Malerzeche 3, der Zunft der in der Prager Altstadt ansässigen Maler, zu denen später auch Bildschnitzer, Pergamentmacher, Goldschläger und Sattler kamen. Anfangs war sie vor allem eine geistliche Bruderschaft, demzufolge die Satzungen mit der Aufzählung gewisser kirchlicher Feierlichkeiten beginnen, an denen die Meister mit ihren Frauen teilnehmen sollen, weiterhin mit Vorschriften über die Teilnahme der Brüder an Beerdigungen verstorbener Meister und ihrer Familienmitglieder, endlich über die Ordnung der Versammlungen. Dann enthalten die ersten Artikel von 1348 aber auch schon Bestimmungen über Gesellen- und Meisterangelegenheiten, über Streitigkeiten zwischen Gesellen und Meistern und über die Aufnahme von Söhnen und Schwiegersöhnen. Diese Bestimmungen sind in deutscher Sprache — in einer Mischung von Oberdeutsch (Bayerischösterreichisch) und Mitteldeutsch (Meißnisch) — verfaßt. Erst zu Anfang des 15. Jahrhunderts, in der Hussitenzeit, wurde eine tschechische Übersetzung beigefügt. Später folgen lateinische Zusatzartikel, woraus wohl hervorgeht, daß die Nationen auch noch in nachhussistischer Zeit gleichstark vertreten waren. Zur Zeit Karls IV. aber war der bei weitem größte Teil der Zechenmitglieder einwandfrei deutscher Abstammung. Sonst hätte er sich in einem Privileg für die Maler der Prager Neustadt vom 16. Januar 1365 wohl kaum ebenso der deutschen Sprache bedient. Und auch Wenzel — das ist wichtig — stellt seine Urkunden für die Maler der Neustadt 1380 und 1392 deutsch aus. 1. Gegen allen Brauch haben wir den Meister des Hohenfurther Altars, die Werke seines Kreises und einiger Verwandter von der böhmischen Malerei des späteren 14. Jahrhunderts abgetrennt und in den ersten Band verwiesen. Es geschah, weil wir der Ansicht waren, daß diese Werke grundsätzlich noch unter anderen Bedingungen entstanden als die nun zu behandelnden, wenn sich auch, wie in allem geschichtlichen Leben, allenthalben Verbin3 Pangerl-Woltmann, Das Buch der Malerzeche in Prag (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik XIII (1878)). Dazu ergänzend Neuwirth in Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 29 (1891) S. 49 ff.

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düngen und Zusammenhänge ergeben. Der Hohenfurther Altar zumal ist mehr Beschluß als Ausblick. Er ist stilistisch noch ein Vertreter der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, und seine Form muß in ihren wesentlichsten Eigentümlichkeiten von der österreichischen Malerei der vorangegangenen Jahrzehnte abgeleitet werden. Seine Kulturbühne war nicht das Prag Karls IV., sondern war das Österreich der Klosterneuburger Altartafeln. Wahrscheinlich entstand er schon während der ersten Regierungsjahre Karls IV., mit Sicherheit darf man das bei fast allen anderen, mit ihm zusammen behandelten Arbeiten annehmen. Aber mögen diese sich auch im Sinne der späteren Jahrzehnte allmählich wandeln, ihnen allen fehlt, was den eigentlichen von Karls Geist berührten Malereien eignet. Nicht nur, daß sie die zukünftige Entwicklung nur von ferne andeuten, ihre Form ist nicht von den kulturellen Mächten und von der Stimmung, die im Umkreise Karls herrschen, bestimmt. Wohl ist gerade in den Hohenfurther Altar wie in die allermeisten südostdeutschen Werke des 14. Jahrhunderts viel Italienisches eingezogen, aber es ist in ihm anders verarbeitet. Nun steht das Italienische im Kampf mit einer dumpfen mystizistischen Atmosphäre. Man nimmt seine Art nicht mehr naiv auf, sondern es ist eine Bildungsidee geworden, Angelegenheit eines kleinen Kreises. Und bald unterliegt seine lichte Welt jener anderen dumpfen, mystizistischen. Nach einer allerersten gierigen Hingabe und Aufnahme folgt eine schroffe Wegwendung. Die Spannungen, die den Geist Karls quälten, sie lenken auch die von ihm angeregten Werke, wobei es gleichgültig ist, ob sein Name unmittelbar mit ihnen verbunden ist oder ob sie auf Männer seiner Umgebung zurückgehen. Denn wie er deren Leben, so bestimmte er auch deren künstlerisches Wollen. Schritt für Schritt zeigt uns diesen Weg eine Gruppe von reich illuminierten Handschriften, die zum größten und besten Teile ihre Entstehung dem Kanzler Karls IV., Johann von Neumarkt, verdanken 4. Dieser trat 1347 in die Kanzlei ein, nachdem er vorher Pfarrer in Neumarkt gewesen war. 1353 wurde er Kanzler und zum Bischof von Leitomischl erhoben. 1354 begleitete er Karl nach Italien. Erfolg dieser Reise und seiner da genährten humanistischen Begeisterung ist die erste mit seinem Namen verknüpfte Handschrift, der für ihn in den folgenden Jahren geschriebene und illuminierte liber viaticus, sein Reisebrevier. Burdach 5 hat Johanns von Neumarkt Bedeutung für den frühen deutschen Humanismus herausgestellt. Dieser gebürtige Schlesier war ein reicher, der Welt zugewandter und aufgeschlossener Kopf, dem tiefsten geistigen Streben seiner Zeit verbunden. Er bestimmte die geistige Haltung des Kanzleiwesens und darüber hinaus weiter gelehrter Kreise. Er war es, < DvofAk, Die Illuminatoren des Johann yon Neumarkt, Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchst. Kaiserhauses 22 (1901) S. 3 5 f f . ; wieder abgedruckt in Gesammelte Aufsätze zur Kunstgeschichte, 1929 S. 74 ff. Zur Avignonfrage ablehnend Dostal, Cechy a Avignon in Cas. Mat. Moravske 1922. 5 Burdach, Vom Mittelalter zur Renaissance, sonderlich II. 1 , 1928. Knapper Überblick in Deutsche Renaissance, 1918.

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der die alten deutschen Landrechte vertrieb und das Eindringen des fremden kanonischen Rechtes förderte. Er führte das humanistische Latein ein. Freilich rühmt man ihn gern als einen gewandten deutschen Stilisten, der für den König Augustins Soliloquia und für den Markgrafen von Mähren das Leben des Hieronymus ins Deutsche übertrug, aber sein Deutsch war weithin von lateinischer Art gefärbt. Und andererseits übersetzte er ein Lied des Frauenlob ins Lateinische. Italien war ihm Maßstab. Darin liegt seine gefährliche Bedeutung für Deutschland. Er war Vermittler der Lehren des zeitgenössischen Italiens, die er auf sein Land zu übertragen und anzuwenden suchte. Mit einer wahrhaft maßlosen Bewunderung wandte er sich ihnen zu. Als er 1354 mit Karl nach Italien reiste, äußerte er sich in überschwenglichem Entzücken. In einem feierlichen Hexameter spricht er vom goldenen Zeitalter, vom Paradies, die Hesperiden scheinen ihm nahe. Gleich Petrarca und Zanobi da Strada, mit denen er zusammenkam, verehrte er die Schriften der Alten, sammelte er klassische Handschriften, ließ er als Schüler und Nachahmer der Humanisten nach italienischem Vorbilde Prunkhandschriften schreiben. Am Anfang steht der liber viaticus — Prag, Landesmuseum cod. XIII. A. 12 —, die bedeutendste und persönlichste Handschrift der Gruppe. Sie 1—4. ist wie die meisten anderen eine Prachthandschrift und muß zu den glänzendsten Schöpfungen der Miniaturmalerei gezählt werden. Die Aufgabe dieser Handschriften war weniger eine kirchlich-religiöse. Vielmehr sind sie Luxusgegenstände, eine Angelegenheit bibliophiler Neigungen, worin sich die humanistische und zugleich auch romanische Gesinnung ihrer Auftraggeber zu erkennen gibt, während die sonderlich deutscher Art entsprechende Buchmalerei vor allem dem Inhalte, nicht einem ästhetischgenießerischen Zwecke dient. Dementsprechend folgt der Schmuck dieser böhmischen Handschriften französischem und italienischem Brauche. Das Bild besitzt keinen Eigenwert, sondern ist Teil des Gesamtschmuckes einer Seite, ist einer in Schattenmalerei mit Figürchen gezierten Initiale einbeschrieben, von der Rankenwerk ausgeht, das den Schriftblock umzieht und in das allerlei Szenen biblischen Inhaltes oder auch Drachen und Drachentöter, Engel, spielende Kinder, Mohren und Vögel, vor allem aber Prophetenhalbfiguren eingefügt sind. Dargestellt sind unter anderem der mit dem Löwen kämpfende Simson, David im Begriff den Stein nach Goliath zu schleudern und diesem den Kopf abschlagend, die Verkündigung an die Hirten unter dem der Initiale eingefügten Geburtsbilde, die Pferde der hl. drei Könige mit zwei Roßknechten unter der Anbetung in der Initiale. Vereinzelt sind typologische Zusammenhänge zu erkennen, in anderen Fällen wird das Thema ins Genrehafte hinübergespielt. Steht die Initiale in der zweiten Kolumne, so geht von ihr eine gemusterte Stableiste aus, die sich am oberen und unteren Rande in Ranken verzweigt. Die Prophetenhalbfiguren schauen manchmal aus Knospen heraus. Einmal findet sich an einem äußeren Rande ohne Rankenbindung eine auf einer kleinen, von zwei Bäumchen eingefaßten Erdscholle stehende Maria mit dem Kinde. Erinnerungen an die Schaffhausener Handschriften werden bei ihrem 11

Anblick lebendig. Die Malereien sind in einer sehr gepflegten, mit feinsten Übergängen arbeitenden Deckfarbenmalerei ausgeführt; die Schattierung der Gewänder ist in einer strichelnden Weise gegeben. Die Palette ist reich und bevorzugt gebrochene Farben. Hell und lebhaft, aber nie laut sind die Farben. Die Quelle dieser Kunst ist Italien. Die beiden am liber viaticus arbeitentenden Maler, von denen der bedeutendere den größten Teil der Bilder und des Schmuckes schuf, bauten auf dem neuen in Italien ausgebildeten Stil auf, der mit Hilfe einer feinfühligen malerischen Technik plastisch modelliert und mit Hilfe von Thronen und Stufen, Mauern und Türmchen oder Hügeln und Erdwellen für die Figuren kleine Bildbühnen gibt. Diesen Formenschatz übernehmen die beiden böhmischen Maler: gleich ihren italienischen Vorbildern gestalten sie körperhaft und räumlich. Und ebenso folgt die Form der Ranken der schweren, üppigen Art in toskanischen Handschriften, jenen plastisch-räumlich empfundenen Akanthusranken, die als Erbe der Antike sich seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts in den Werkstätten Sienas und Florenz einbürgerten. Und weiterhin: ,,Die Form der Buchstaben, die Behandlung der Hintergründe, die phantastischen Camaieufiguren, die Genreszenen und Droleriefiguren, die hellen und leuchtenden Farben — das Alles kennen wir aus toskanischen Handschriften. Die Technik ist dieselbe, wie sie sich in toskanischen Werkstätten des Trecento entwickelte. Wir finden hier Beziehungen, welche durch eine bloße Nachahmung von italienischen Vorlagen, die nach Böhmen gebracht wurden, nicht zu erklären sind, und sind gezwungen, die Übertragung einer bestimmten italienischen Schultradition nach Böhmen anzunehmen" 6 . Nun sind die Ranken und Blätter etwas spitzer und kantiger. Aber wegen dieser gotischeren Gestaltung des Akanthus und des Auftauchens einzelner nordisch-gotischer Formen (Dornblatt u. a.) halber braucht man nicht Avignon zwischenzuschalten. Dvorak traute Böhmen die Kraft zu einer solchen Stilprägung nicht zu und glaubte, dieser italienische mit wenigen französisch-gotischen Formen gemischte Stil sei in der Papstresidenz Avignon entstanden. Allein die von ihm herangezogenen avignonesischen Handschriften sind in keiner Hinsicht beweiskräftig, widerlegen vielmehr seine Annahme. Sie sind später als der liber viaticus und die ihm zunächststehenden Handschriften entstanden, und sie sind — abgesehen von ihrer geringeren Qualität — auch stilistisch so verschieden, daß ein Zusammenhang, so wie ihn Dvofäk sah, sehr unwahrscheinlich ist. Die von ihm herangezogenen avignonesischen Handschriften nehmen die italienischen Formen nur so äußerlich auf, wie es die älteren böhmischen taten. Vor allem aber: so unvorbereitet, wie Dvofäk meint, tritt der neue Stil in Böhmen nicht auf. Ihm gingen als notwendige Voraussetzungen voran jene älteren, französische und italienische Formen mischenden böhmischen Arbeiten 7 und vor allem die österreichische Malerei der ersten Jahrhunderthälfte, die italienisch beeinflußten Handschriften aus den Schreibstuben von St. Florian 6 Dvofäk a . a . O . S. 64—65 oder S. 1 1 6 . 7 Deutsche Malerei der Gotik I S. 168.

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und Klosterneuburg s , der von der Kunst Giottos tiefbeeindruckte Verduner Altar 9 und die mehr sienesisch gefärbten Hohenfurther Tafeln I0 . Diese Verarbeitungen italienischer Kunst müssen herangezogen werden, wenn man den Stil des liber viaticus verstehen will. Sein großer Maler beschritt nicht, wie es bei Dvofäk scheint, völlig neue Wege, sondern ging vielmehr einen schon längst vorbereiteten zu Ende, wobei ihm die humanistischen Neigungen Karls IV. nur eine letzte Möglichkeit der Hingabe an italienische Art verschafften. Dvofäks Darstellung bedeutet einen nicht tragfähigen, aber auch nicht notwendigen Umweg. Johann von Neumarkt und andere Männer des damaligen Prag pflegten allerdings Beziehungen zu Avignon und hielten sich dort auch auf, die Liebe zum jungen Humanismus wog aber wohl schwerer. In Avignon konnten sie schwerlich viel für ihre Buchmalereien lernen. Aber 1350 kam Cola di Rienzo nach Prag, 1352 schreibt Johann von Neumarkt seinen ersten Brief an Petrarca, dem er auf der Italienreise mit dem Kaiser 1354 in Mantua gegenübertritt. Diese biographischen Tatsachen sprechen doch wohl dafür, daß auch die Maler unmittelbaren Austausch mit Italien gepflegt haben. Sucht man dann nach den Grundlagen und Voraussetzungen, auf denen der Hauptmaler des liber viaticus aufbaute, so müssen die Bilder im Brevier der Kreuzherren in Prag von 1356 1 1 und vor allem der Hohenfurther Altar genannt werden. Die Verkündigung im liber viaticus möchte man fast als eine bereicherte Kopie nach der des Hohenfurther Altars bezeichnen. Anordnung der Bildteile, Stellung von Thron und Figuren stimmen völlig überein, nur ist die Architektur im Hintergrunde weitergeführt, wo eine am linken Bildrande turmartig vorspringende Mauer die Aufgabe des Goldgrundes übernommen hat, so daß die Bildbühne geschlossener ist. Außerdem ist sie tiefer, dementsprechend der Thron etwas vom vorderen Bildrande zurückgenommen. Und dann wurde die Körperlichkeit der Figuren gesteigert. Diesen Weg ging ja nun der Hohenfurther Meister selbst im Laufe seiner Arbeit am Altar und die späteren Teile, etwa das Geburtsbild, stehen in dieser Hinsicht auch dem liber viaticus näher. Andererseits: die üppige Körperlichkeit des Pfingstbildes findet sich im liber viaticus nie. Sein Stil entspricht am ehesten der mittleren Stufe des Hohenfurther Malers, dem Geburts- oder dem Anbetungsbilde. Ein unmittelbarer Zusammenhang muß bestanden haben, und es hindert nichts, an einen schulmäßigen zu denken. Beide Maler dürften im gleichen Jahrzehnte gearbeitet haben, der Tafelmaler an der Wende des fünften zum sechsten Jahrzehnt, der Buchmaler am Ende des letzteren. Dann freilich muß bei diesem noch eine erneute Auseinandersetzung mit italienisch-toskanischer Kunst vorausgesetzt werden. Wenn er gegenüber den ersten Werken des Hohenfurther Meisters die Plastizität steigert, wenn er, was bei diesem nie der Fall ist, die Linie als Eigenwert völlig aus8 Ebenda 9 Ebenda 10 Ebenda " Ebenda

S. S. S. S.

132, 150, 174, 169,

Abb. Abb. Abb. Abb.

1 3 1 ff. 146—147. 176—180. 168.

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schaltet, wenn er die Bildbühne erweitert, wenn er Modellierung und Schattierung nochmals verfeinert und in einem plastisch außerordentlich feinfühligen, malerischen Sinne entwickelt, so hat ihm zur Erreichung dieser Ziele Italien zweifelsohne geholfen. Dvofäk hat schon darauf hingewiesen, daß man einzelne Bilder wie die Frauen am Grabe oder den auferstehenden Christus in italienischen Handschriften kaum anders treffen würde. Diese Bilder machen deutlich, worin er den Hohenfurther übertrifft: Italien gibt ihm nicht nur die Formgestaltung, sondern auch die Musik. Er erst hat Italien wirklich erlebt, erfaßt als Humanist. Aber eben, dem Maler des liber viaticus war das Eindringen in die italienische Kunst nur möglich auf Grund der Vorarbeiten, die die südostdeutsche Malerei im vergangenen halben Jahrhundert geleistet hatte. Eine bestimmte italienische Quelle läßt sich nun freilich nicht aufzeigen. Wegen dieser Schwierigkeit glaubte Dvofäk den Umweg über Avignon gehen zu müssen. Doch auch aus diesem Grunde braucht Avignon nicht herangezogen zu werden. Auch beim Hohenfurther Meister lassen sich die italienischen Wurzeln nur ungefähr umreißen. Und so ist es zu allermeist. Der Maler des liber viaticus war ebensowenig Schüler einer italienischen Werkstatt wie seine älteren Vorgänger. Vielmehr übernahm er gleich diesen als schon fertiger Maler italienische Art. Zweifelsohne stammte sein Italienisch aus toskanischen Werkstätten. Vielleicht darf man im besonderen auf das sogenannte Missale von St. Georg hinweisen, das im Kapitelarchiv von St. Peter in Rom liegt und in der nächsten Nähe von Simone Martini entstanden i s t D i e den Stil des liber viaticus auszeichnende Grazie, seine vornehme Schönheitlichkeit sind hier vorgebildet. Und ebenso sind es alle Formmittel. Sicherlich wirkte vielerlei zusammen. Französische Anregungen, die seit langem, seit den Handschriften für die Königin Elisabeth in Böhmen zu belegen sind, haben gewiß auch mitgesprochen. Aus ihnen sind wohl die Schattenfigürchen in den Buchstabenkörpern zu erklären. Das geschichtliche Bild darf nicht schematisch vereinfacht werden. Entscheidend waren der Hohenfurther Altar und eine erneute Auseinandersetzung mit italienischer Kunst. Wenn aber der Faltenreichtum größer, die Geschlossenheit der Gewänder gelockert und ihnen eine freiere Beweglichkeit gegeben ist, wenn die Zierblätter spitzer und kantiger sind, so ist das ganz allgemein aus der nordisch-gotischen Tradition abzuleiten, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Böhmen ebenso wie in Frankreich zu Hause war. Avignon braucht man dazu nicht als Umschlageplatz nordisch-gotischer und italienischer Art vorauszusetzen. Diese Durchdringung war in Böhmen lim die Jahrhundertmitte ebenso möglich. Beim Hohenfurther Meister war das Italienische durch nordisches Erbgut ähnlich abgedämpft und umgebildet. Wichtiger ist ein anderes, das den Meister des liber viaticus vom Hohenfurther unterscheidet. Seine Malweise ist weicher, toniger. Er gibt den Ge11

Ancona, La miniature italienne du X e au XVP siecle, 1925 Taf. 37. >3 Deutsche Malerei der Gotik I. S. 166, Abb. 165. 14

wändern und Falten nie die metallische Präzision, die sie im Hohenfurther Altar so oft besitzen. Die Übergänge sind zarter, vielleicht schwimmender, und die starke Verwendung von Weiß in den belichteten Teilen verhüllt die Körperlichkeit und Schwere der Figuren wie mit einem Schleier. Damit weist der liber viaticus-Meister stärker auf eine zukünftige Entwicklung hin, j a ist ihr Begründer, so ferne er auch deren letzten Zielen steht, so sehr er von seiner italienisierenden Haltung aus sie auch ablehnen muß. Diesen Weg zeigen fünf vom liber viaticus ausgehende Handschriften: das Laus Mariae des Konrad von Heimburg und das Orationale Arnesti, beide im Prager Landesmuseum (cod. XVI. D. 13 und cod. X I I I . C. 12) und vor 1364 entstanden, das Missale des Abtes Nikolaus von Kremsier (1357—67) in St. Jakob in Brünn (Nr. 10), das 1368 datierte Evangeliar des Johann von Troppau in der Wiener Nationalbibliothek (cod. 1182) und das Missale des Johann von Neumarkt in der Bibliothek des Prager Domkapitels. Nächst dem liber viaticus ist das Wiener Evangeliar die reichst aus- 11—12. gestattete Handschrift. Es enthält neben vielen figürlich geschmückten Initialen eine ganzseitige Darstellung Christi in der Glorie, umgeben von den unten knieenden Fürbittern Maria und Johannes und kleinen Engeln mit den Leidenswerkzeugen und der Himmelsposaune, zu Beginn jedes Evangeliums zwölf in einem Rahmen zusammengefaßte Darstellungen aus dem Leben der Evangelisten und ein Vollblattinitiale. Johann von Troppau nennt sich am Schluß: „Et ego Johannes de Oppavia, presbiter canonicus Brunnensis, plebanus de Lantskrona, hunc librum cum auro purissimo de penna scripsi, illuminavi atque deo cooperante complevi in anno domini 1368." Johann von Troppau wollte in dieser Handschrift, die, wie die Wappen Österreichs, Tirols, Steiermarks und Kärntens bezeugen, für einen österreichischen Herzog, entweder für Albrecht III. oder Leopold III., angefertigt wurde, Außergewöhnliches leisten. Die Initialseiten, die er wie in karolingischen und ottonischen Handschriften den einzelnen Evangelien voransetzt, zeigen, welche ungebräuchlichen Wege er zu gehen versuchte. Vorbilder irgendwelcher Art gab es für sie in der gotischen Malerei nicht. Mit Fleuronne (so nennt man die Fläche spielerisch überziehende gotische Linienornamente), saftigen Akanthusblättern und malerischen Schattenfigürchen füllt er wechselnd Grund und Buchstabenkörper und beweist einen sicheren Geschmack. Das laus Mariae enthält zwei ganz- 9— 10 • seitige Darstellungen: Verkündigung und Darbringung im Tempel, das Orationale nur Initialschmuck, das Brünner Missale eine ganzseitige 7Kreuzigung. Im oberen Felde der Initiale auf fol. 1 dieser Handschrift ist Christus, im unteren ein knieender Priester dargestellt. Auf dem Querbalken des A steht die Inschrift: Dominus Nicolaus prepositus Brunnensis. Seit 1357 war Propst von Brünn Nicolaus von Kremsier, der 1366 oder 1367 starb und 1354—63 Protonotar in der Kaiserlichen Kanzlei war, wo er natürlich in engen Beziehungen zu Johann von Neumarkt gestanden haben muß. Dies ist auch bei Johann von Troppau nachzuweisen, der Kanonikus in Brünn und Pfarrer von Landskron war. „Nun wurde jedoch Landskron im Jahre 1358 von Johann von Neumarkt erworben, dem Kanzler gehörte

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für die nächsten Jahre das Präsentationsrecht für die dortige Pfarre, und wenn sich ein Brünner Kanonikus im Jahre 1368 im Besitze dieser Präbende befindet, ist anzunehmen, daß er in irgendwelchen Beziehungen zu Johann von Neumarkt gestanden haben muß" '4. Und da uns weiterhin überliefert ist, daß Johann von Neumarkt für die österreichischen Herzöge Handschriften schreiben und illuminieren ließ, so scheint sich auch hier der Ring zu schließen. Immer wieder laufen die Fäden beim kaiserlichen Kanzler zusammen. Johann von Troppau ist jenen Weg zu Ende gegangen, den zuerst das Pfingstbild des Hohenfurther Altars und einige noch folgende Arbeiten, zumal das Retabel in St. Lambrecht *5, wiesen. Die italienische Kunst bestimmt nur noch von ferne die stilistische Haltung des Troppauer Evangeliars. Bild, Ranke und Text sind nicht mehr eine feste dekorative Einheit, die Miniatur löst sich aus der Bindung, in der sie sich nach italienischem Vorbilde im liber viaticus befindet, verselbständigt sich. Die Ranken scheinen mit den Bildern und Buchstabenkörpern nicht mehr fest verwachsen, zweigen sich von ihm nicht mehr ab wie der Ast vom Baumstamm, sondern erscheinen wie eine nachträgliche Zutat. Das Bild tritt inhaltlich wieder betonter auf, und die Evangelistenszenen werden nun auch in einem mehr erzählenden, ja fast volkstümlichen Tone geschildert. Zurückhaltend vornehm stehen daneben die Darstellungen des liber viaticus. Jetzt bewegen sich die Figuren unbekümmerter und lebhafter, sind derber in ihrer Erscheinung. Die in den Winkeln stehenden Pupillen blitzen. Die Drehungen und Gebärden haben oft etwas Zappeliges. Schon da kann man ein erneutes Durchdringen der Gotik erkennen. Nicht minder in der Formgestaltung. Die plastische und räumliche Klarheit ist verloren. Die Bildräume sind wieder flach, zu schmalen Streifen geworden. Die architektonischen Motive verbauen mehr, als daß sie Tiefe und Einheitlichkeit des Bildraumes bewirken. Die Figuren schieben sich zu unlöslichen Massen zusammen. Eine weichliche Mal weise modelliert die Gewänder, unter denen die Körper kaum noch spürbar werden. Gewänder und Körper erscheinen nur noch wie teigige Ballen, weichlich, rundlich, kaum noch gegliedert, nur schwach gefaltet. Dabei sind die Figuren nicht unbedingt untersetzt und massig, sie können sogar sehr schlank und dünngliedrig sein. Aber wie immer ihre Maßverhältnisse sind, stets fehlt ihnen die plastische Klarheit und organische Gliederung, die die Figuren des liber viaticus auszeichnet. Aus dunklen Schatten scheinen die Formen ans Licht vorzuquellen. Das viele Deckweiß treibt die belichteten Stellen hervor, drängt die dunkleren zurück, aber es macht die Figuren auch — was schon beim über viaticus gegenüber dem Hohenfurther Altar festzustellen war — unwirklich, löscht ihre körperliche Festigkeit und Schwere, läßt sie teigig-weich, unfest und unstatisch erscheinen. Die Konturen und Saumlinien gewinnen gleichzeitig neues Leben, da sie kaum noch Grenzen plastischer Gebilde sind. Zwischen dieses 1368 vollendete Evangeliar und den liber viaticus >4 Dvorak a . a . O . S. 82 oder S. 145. 'S Deutsche Malerei der Gotik I. S. 189, Abb. 194. 16

ordnen sich das Laus Mariae, das Orationale, das Brünner Missale; das Prager Missale dürfte gleichzeitig mit ihm entstanden sein. Dem liber viaticus am nächsten steht das Missale des Nikolaus von Kremsier in Brünn. 7. Die Modellierung der Gesichter und Falten, die Rankenformen sind so gleichartig, der italienische Einschlag ist so übereinstimmend lind so unterscheidend, daß man kaum zögern kann, sie einer Hand zu geben. Sollte die Inschrift in der erwähnten A-Initiale, wie Dvofäk meint, wirklich den Maler nennen, so wäre auch der bedeutendere und größere Teil der Bilder im liber viaticus von Nikolaus von Kremsier. Wenn die Formen dann vielleicht doch etwas massiger, die Falten weniger artikuliert sind, so besagt das nur, daß das Brünner Missale etwas später entstanden ist und daß sich die neuen zukünftigen Ziele auch in der Entwicklung des Buchmalers — ebenso wie wir sie beim Hohenfurther Meister in seinen Spätwerken beobachten konnten — durchzusetzen beginnen. Dagegen heben sich die beiden Vollbilder des Laus Mariae stärker ab. Auch sie stehen dem Stil des liber viaticus noch vergleichsweise nahe. Die Maria der Verkündigung ist eine nahe Verwandte der stehenden im liber 9—10. viaticus. Zweifelsohne schloß der Maler dieser Bilder sich als Schüler seinem Lehrer eng an. Aber seine Sprache ist kräftiger, mitunter wie beim Verkündigungsengel geradezu derb. Die Gewänder sind weniger fein durchgearbeitet, und schon umschließen die der Maria auf der Darbringung einen massigen, kaum gegliederten Körper. Die vielteiligen Architekturen treten zu den Figuren nicht mehr in eine räumliche Beziehung, sondern nur noch in eine reliefhaft-plastische: Architekturen und Figuren ergeben ein Geschiebe massiger, drängender Formen. Dem Evangeliar des Johann von Troppau unmittelbar nahe steht das Orationale Arnesti, in dessen Initialfiguren uns wiederum jenes schon be- 5—6. kannte derbere, gewöhnlichere Geschlecht begegnet. Die Schattierung der Gewänder ist außerordentlich fein, in zarten, grenzlosen Übergängen wachsen die Formen aus dem Schatten ans Licht. Was die Gewänder ausfüllt, ist nicht ein gerüsthafter Körper, sondern etwas Teigig-Weiches. Ausgesprochen malerisch ist die Formgestaltung. Ein unentschiedenes Helldunkelspiel formt die Figuren. Ihre körperliche Gestalt ist unbestimmt, und ebenso unbestimmt ist der Raum um sie. Die klaren Festsetzungen, die der Meister des liber viaticus gab, haben sich verflüchtigt. Eine dämmerige Stimmung umfängt die Bilder des Orationale. Von einem ganz anderen Temperament beseelt sind dagegen die Malereien in dem nun anzuschließenden Missale des Johann von Neumarkt, das im Prager Domkapitel aufbewahrt wird. Die Formgestaltung entspricht dem Orationale und dem Evangeliar des Johann von Troppau, und noch über dieses hinausgehend sind die Figuren beweglich, ja zappelig. Sie drehen und wenden sich lebhaft. Preziöse Bewegungen werden gesucht. Die Säume und Konturen sind schnörkelig geführt. Die Ranken sind ärmer an Blättern, mehr als langhinlaufende Linien oder Bänder aufgefaßt. Reiher mit verknoteten Hälsen, lebhaft bewegte Drachen, deren lange, dünne Schwänze sich mit den Ranken verflechten, die vielfach verästelten Buch17

staben, in sie verschlungene wilde Männer — alles bezeugt eine lebhafte Freude an unruhiger Beweglichkeit und Linienspiel. In die weitere Nachfolge dieser auf Johann von Neumarkt zurückgehenden Handschriftengruppe gehören die vitae sanctorum in der Prager Universitätsbibliothek (cod. XIV. A. 7) und die 1376 datierte Belehrung der christlichen Weisheit (ebenda cod. XVII. A. 6), ein Brevier im 01mützer Domkapitel (Nr. 140), das sich eng an das Evangeliar des Johann von Troppau anschließt, das ebenfalls von 1376 stammende Missale des Leitomischler Bischofs Adalbert von Sternberg in der Bibliothek des Stiftes Strahow in Prag (Nr. 116), ein Missale in St. Florian (III. 205) >6, eine Bibel aus Sadska im Prager Landesmuseum (cod. XIII. A. 8), ein um 1363 in Prag geschriebenes Antiphonar in der Stiftsbibliothek zu Vorau Nr. 259 (L. A.), an dessen Schmuck neben einer älteren, dem Raigerner Brevier von 1342 ähnelnden Hand eine vom liber viaticus beeindruckte arbeitete '7, ein Missale mit einem dem Prager Missale sehr nahe stehen8. den Kanonbilde im Stift Klosterneuberg (cod. 74), endlich eine zwischen 1371 und 1378 für Adalbert von Sternberg geschriebene zweibändige Bibel in der Jaggelonischen Bibliothek zu Krakau (Ms. 284). Als weitere Nachahmungen seien genannt ein Missale in St. Jakob zu Brünn (Nr. 3) und ein Breviarium Pragense ebenda (Nr. 34), eine Bibel im Olmützer Domschatz (Nr. 4), ein Brevier und eine Bibel in der Wiener Nationalbibliothek (cod. 1842 und 1189), eine Expositio super Apocalypsim aus dem Wiener Augustinerkloster ebenda (cod. 1390). Diese Handschriften müssen mit den Brünner in einer Werkstatt entstanden sein, die bis ins späte 15. Jahrhundert lebt l 8 , wie die Handschriften Nr. 2, 8, 9, 12, 15, 21 in St. Jakob beweisen. Wichtig ist endlich noch der Bildschmuck eines Breslauer Missales von 1362, dort Universitätsbibliothek I. F. 423 '9, dessen Maler zweifelsohne vom liber viaticus mit angeregt wurde, wenn auch kein unmittelbarer Zusammenhang angenommen zu werden braucht. Er ist ein ausgesprochener Gotiker, arbeitet mit spitzig-eckigen Formen, aber seine Modellierung, seine Gesichter sind doch unverkennbar von der Art des liber viaticus berührt. Diese Handschrift ist für die Datierung wichtig. Der über viaticus muß entstanden sein, nachdem Johann von Neumarkt Kanzler und Bischof von Leitomischl geworden war (1353), denn bis fol. 304 findet sich auf allen Seiten am unteren Rande die Inschrift: Liber viaticus Johannis Luthomuslensis episcopi, imperialis cancellari, und gewiß auch erst nach der italienischen Reise, aber vor 1364, als Johann von Neumarkt Bischof von Olmütz wurde. Weiterhin ist er aber wohl auch vor 1362 verfertigt worden, denn sonst hätte das Breslauer Missale nicht von ihm beeinflußt werden können. Das Evangeliar des Johann von Troppau, das innerhalb 16 Kletzl in Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 7 (1933) S. 1 ff. •7 Beschreibendes Verzeichnis der Illuminierten Handschriften in Steiermark IV. 1 Nr. 265; Lampel in Kirchenschmuck 31 (1900) S. 1 1 4 und 32 (1901) S. 15. 18 Dostal, Illuminovane Rukopisy Svato Jokubske Knihovny v Brni, 1926. •9 Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Heinrich Jerchel.

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der Hauptwerke der Gruppe sich stilistisch am stärksten vom Uber viaticus abhebt, ist 1368 vollendet worden. In den Jahren dazwischen dürften das Laus Mariae, das Missale des Nikolaus von Kremsier und das Orationale Arnesti entstanden sein. Diese auf Ernst von Pardubitz zu beziehende Handschrift — das Laus Mariae trägt fälschlich seinen Namen — muß vor 1364, seinem Todesjahr ausgeführt worden sein. Nun ist das Orationale die Arbeit, die dem Evangeliar des Johann von Troppau zweifelsohne am nächsten steht. Das gibt Veranlassung, mit dem liber viaticus, dem Brünner Missale und dem Laus Mariae möglichst an den Anfang der zur Verfügung stehenden Zeit zu gehen, also den liber viaticus um 1355 und die beiden anderen Handschriften gegen 1360 anzusetzen. Das dem Orationale Arnesti und dem Evangeliar des Johann von Troppau verwandte Missale in Prag, kann erst, wie es auch sein Stil erfordert, nach 1364 ausgeführt worden sein, als Johann von Neumarkt Bischof von Olmütz war. Schwieriger ist die Lokalisierung. Sehr viel spricht für Brünn. Dort haben späte Nachläufer gearbeitet. Dorthin weisen aber auch die bedeutendsten Handschriften der Gruppe. Man kann Dvorak nur zustimmen, wenn er in Nikolaus von Kremsier auch den Hauptmeister des liber viaticus sieht. Nun war, wie wir schon betonten, Nikolaus von Kremsier Kanonikus und Propst von St. Peter in Brünn. Johann von Troppau war ebenfalls Kanonikus in Brünn. Endlich erwähnten wir schon, daß Johann von Neumarkt für die österreichischen Herzöge in dieser Stadt, wie berichtet wird, illuminierte Handschriften herstellen ließ. Ein Ast verzweigte sich mit dem nach 1364 entstandenen Missale des Johann von Neumarkt in den späteren sechziger Jahren nach Prag. Denn an dieses schließen sich die wahrscheinlich in Prag entstandenen beiden Handschriften der Universitätsbibliothek an, die vitae sanctorum und die Belehrung der christlichen Weisheit von 1376. 2. Hinter den eben besprochenen Handschriften stand Karl IV. nur mittelbar als Lenker der Geschicke seines Kanzlers Johann von Neumarkt. Die nun zu behandelnden Wandmalereien auf Karlstein zeigen ihn uns als Auftraggeber. Die oberhalb des Berauntales gelegene Burg Karlstein hatte Karl zur Aufnahme der Kroninsignien und der wertvollsten der von ihm gesammelten Reliquien bestimmt20. Der Bau war seit 1348 unter der Leitung des von Avignon berufenen Matthias von Arras, der auch den Veitsdom auf der Prager Burg, dem Hradschin, begonnen hatte, im Gange, und wahrscheinlich war in Karlstein wie am Dom Peter Parier sein Nachfolger. Aber wird hier dessen anderer Wille sichtbar, so zeigt Karlstein den des französischen Baumeisters. Peter Parier kann an ihm nicht mehr viel verändert haben. Der Karlstein ist nicht nach der Art deutscher Kaiserpfalzen errichtet, sondern ein vielteiliger Bau mit mannigfachen Erinnerungen an französische Donjonanlagen. Diese Herkunft ist allenthalben -o Neuwirth, Joseph, Mittelalterliche Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein in Böhmen, Prag 1896. 19

zu spüren 11 . Im älteren Schrifttum wird der Karlstein wegen seiner vielen Kapellen, die der Privatandacht des Burgherren und dem Gottesdienst des mit ihm die Burg bewohnenden Kollegiatskapitels dienten, gern als eine Nachbildung der Gralsburg angesehen. Näher liegt es, auf das Vorbild des päpstlichen Palastes in Avignon hinzuweisen, zumal diesen Zusammenhang schon die Herkunft des Matthias von Arras nahelegt. Dann aber spiegelt die Mannigfaltigkeit der Bestimmungen die schillernde Haltung und Denkweise des Bauherren, der den neuen Gedankengängen und weltlichen Strömungen seiner Zeit aufgeschlossen gegenüberstand und wiederum von tiefer Gewissensangst erfüllt einsam, düster und weltflüchtig war. So ließ er einen modernen Bau nach dem Vorbilde französischer Schlösser aufführen, die Kapellen in den oberen Stockwerken aber deuten auf seine einsamen Stunden, da er der Welt Sünden auf sich lasten spürte und in einem materialistischen Reliquienkult Erlösung ersehnte. Die Wände der Katharinenkapelle bedecken weit über eintausend schwere Halbedelsteine, die in einen vergoldeten Gipsgrund eingelassen sind. Gold und dumpfleuchtende Farben überziehen die Wände und Gewölbe. Phantastisch-prunkvoll, aber auch ungegliedert-massig erscheinen sie. Durch die Malereien geht der gleiche Bruch. Die am Altartisch dieser Kapelle sind tief vom neuen Italien berührt, ein Hauch humanistischer Stimmung liegt über ihnen. Andere wiederum, zumal die in der Kreuzkapelle, sind dumpf und schwer wie der Steinschmuck der Wände. Immer dieselben Spannungen, und am Ende siegt der Mystizismus. Die Katharinenkapelle hat nur wenige Malereien. In einem Bogenfelde über der Tür die Halbfiguren Karls und seiner dritten Gemahlin Anna von Schweidnitz, die gemeinsam ein Reliquienkreuz halten. An der den Fenstern gegenübergelegenen Längswand ein schmaler Gesimsstreifen mit '3—14- Heiligen-Halbfiguren. In der Nische über dem Altartisch auf goldgesterntem, blauem Grunde eine sitzende Maria mit dem Jesuskinde im Schöße, das dem auf der rechten Seite knienden Kaiser sein Händchen reicht, während Maria selbstj ihre Rechte der auf der anderen Seite knienden Kaiserin darbietet. In den Nischenlaibungen Petrus und Paulus. An der Vorderseite des Altartisches auf gepreßtem Goldgrunde die Kreuzigung mit Maria und drei Begleiterinnen auf der linken, Johannes, dem Hauptmann und einigen Juden auf der rechten Seite. An den Seitenwänden des Tisches ehemals je eine weibliche Heilige, von denen nur die hl. Katharina auf uns gekommen ist. In dem Gang zu dieser Kapelle hat sich von der Ausmalung nur ein rauchfaßschwingender Engel erhalten. Am bedeutendsten sind die Malereien am Altartisch, deren italienischsienesische Art stets betont wurde, so daß man sie selbst italienischen Händen zugeschrieben hat. Das ist freilich unmöglich, aber andererseits ist die f eingliedrige Gestalt der Maria, die musikalische Art ihrer Bewegungen, die zarte Rundung der Formen, der klare Schnitt ihres Gesichtes mit der hohen Stirn, der schlanken Nase, den mandelförmigen, schmalen Augen, Schürer, Prag, 1930 S. 66.

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ist diese Formgestaltung ohne ein tiefes Wissen um sienesische Kunst in Böhmen nicht verständlich. Hinter der Maria steht als Erlebnis die vornehme, feierliche Gestaltung Simone Martinis. Ein Figurideal, wie es die hl. Clara im rechten Querschiff von S. Francesco in Assissi z e i g t m u B dem Maler vorgeschwebt haben. Auch die Kreuzigung, die zarte Linienführung von Christi Körper, die Form des Lendentuches, sind in diesem Kreise vorgebildet. Aber dann sind das Kaiserpaar und auch die Figuren unterm Kreuz doch häßlicher und derber charakterisiert, als dies in Siena der Fall wäre. Gewiß kann man den Kopf des Johannes auch auf Sienesches, etwa den am Kruziflxusquerbalken in San Casciano J3, zurückzuführen versuchen und es ist gewiß möglich, daß auch hier ein gewisser, freilich sehr schwer zu bestimmender Zusammenhang in dieser Richtung vorhanden war, gerade ein solcher Vergleich macht dann aber auch die Andersartigkeit des böhmischen Werkes deutlich. Diese Schmerzschilderung und die züngelnde Beweglichkeit des Ausdruckes, die das Gesicht des Hauptmannes erzittern läßt, finden sich auch da, aber nie so betont, nie so derbrealistisch, nie so häßlich. Es liegt deshalb nahe zu fragen, ob Oberitalien die unmittelbare Voraussetzung gewesen und ob das Sienesische nur durch dessen Vermittlung in diese Malereien gelangt sei. Die derbe Realistik könnte man wohl so erklären, alles andere kaum. Siena als Quelle für die Maria anzunehmen, liegt näher. Dann aber ist mit einer sehr starken Umformung zu rechnen, die im Laufe der Arbeit immer deutlicher sich durchgesetzt zu haben scheint. Die Realistik und Häßlichkeit der Gesichtstypen brauchen nicht aus jenseits der Alpen gelegenen Voraussetzungen abgeleitet zu werden. Sie sind in Böhmen selbst nachzuweisen: in der Welislavbibel. Und wahrscheinlich darf man in diesem besonderen Vermögen zu realistischer Charakteristik und psychologischer Beobachtung sogar das entscheidend Böhmische in diesen Wandmalereien sehen. Wie sie in dieser Hinsicht von der Welislavbibel verständlich sind, so darf man in ihnen andererseits einen Hinweis auf die Büsten im Triforium des Prager Veitsdomes erkennen. Und ebenso ist die rundliche, zum Massigen neigende Formgestaltung, die sonderlich bei den Figuren unterm Kreuz auffällt, aus der allgemeinen Entwicklungsrichtung dieser Jahrzehnte zu verstehen. Ebensowenig wie für den besonderen Stil des Orationale Arnesti oberitalienische Einflüsse angenommen werden müssen, ebensowenig ist es hier nötig. Die Maria, der Typ ihres Kopfes, die musikalische und doch gehaltene Zeichnung sind ohne Italien und Siena im besonderen nicht möglich. Mehr kann man nicht sagen, und es wäre wie beim Meister des liber viaticus grundfalsch, eine ganz bestimmte Quelle angeben zu wollen. Falsch und unmöglich, weil es sie nicht gegeben hat. Keiner dieser Maler hat in einer italienischen Werkstatt gelernt, sondern nur aus mannigfachen italienischen Werken — in diesem Falle waren es sonderlich sienesische — seinen Stil gebildet. Italien war ihnen nicht Lehre, es lieferte ihnen nur „exempla". Marie, The italian schools of painting II, 1924 Fig. 152. -i Marie a. a. O. Fig. 135.

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Mit diesen Bildern der Katharinenkapelle ist zusammenzunehmen ein Teil der Malereien in der Marienkapelle. Von diesen sind freilich nur noch kümmerliche Reste auf uns gekommen. Die besterhaltenen, von denen erst im kommenden Abschnitt zu handeln ist, wurden unter Kaiser Rudolf II. gegen 1600 tiefgehend übermalt. Der andere Zyklus, von dem hier zu sprechen ist, verlor einen großen Teil durch das Ausbrechen einer Wand — diese wurde, um den Raum wenigstens in seiner ursprünglichen Ausdehnung wieder herzustellen, im 19. Jahrhundert wieder eingezogen —, aber auch die noch erhaltenen Darstellungen sind im Laufe der Jahrhunderte so arg zerstört worden, daß man sich nur noch schwer ein Urteil bilden kann. Das ist um so bedauerlicher, als dieser hier zu behandelnde Apokalypsenzyklus zu den umfangreichsten und eigenartigsten seiner Art gehört 15- haben muß. Neuwirth J4 hat, so weit wie möglich, seinen Inhalt und die Abfolge seiner Darstellungen mit eingehender Sorgfalt zu rekonstruieren versucht. Er umzog drei Wände der Kapelle. Die Szenen der Nordwand sind, als diese ausgebrochen wurde, verloren gegangen, nur an Ost- und Westwand haben sich größere Teile erhalten. Sie zeigen, daß über einem Sockel, auf dem perspektivisch verkürzte Pfeilerhallen dargestellt sind, zwei, durch Schriftstreifen getrennte und eingefaßte Bilderstreifen stehen, auf denen die Szenen abrollen. Die unterhalb der unteren Bilderreihe von der Nordostecke bis zur Südostecke hinlaufende Inschrift enthält einen allgemeinen Hinweis auf die Apokalypse, aus deren Anfangskapitel einige Stellen übernommen sind. Die übrigen Inschriften, die auch senkrecht herablaufend die Bilder von einander trennen, dienen dagegen zur Erklärung der einzelnen Darstellungen. Die schlechte Erhaltung hindert eine sichere Einordnung des Zyklus. Immerhin scheint doch so viel deutlich zu sein, daß man ihn wenigstens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in die Nähe der Altarmalereien der Katharinenkapelle ordnen darf. Es ist gewiß nicht möglich, die Maria der Kreuzigung da und das apokalyptische Weib hier unmittelbar nebeneinander zu stellen. Dann drängt sich mehr Verschiedenes als Gemeinsames auf. Aber vielleicht muß man sie in eine Entwicklungslinie bringen. Die Neigung zu einer derbhäßlichen Charakteristik ist hier noch gesteigert. Ein häßlicher Menschentyp mit kugeligem Kopfe, mit vorspringender spitzer Nase, kleinen, von schweren Augenlidern überdeckten Augen, verkniffenem Munde prägt sich aus. Die Figuren sind ungegliedert, säulenhaft rund, und das Gewand umspannt sie straff, kaum daß sich eine Falte zu lockern vermag. Andererseits darf man das Italienische, das auch im Hintergrunde dieser Malereien noch steht und das zumal in den Architekturen der Sockelmalereien offen zutage tritt, nicht übersehen. Vielleicht darf man den geschichtlichen Ort des Apokalypsezyklus so bestimmen, daß man sagt, auch hinter ihm steht Italien, aber die von da übernommenen Anregungen sind noch mehr verschliffen, sind noch mehr eingedeutscht, als es schon bei der Kreuzigung gegenüber dem Marienbilde geschehen Neuwirth a. a. 0. S. 22.

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war. Es ist sehr wohl möglich, daß ein Werkstattzusammenhang diese Malereien verband, aber indem der Apokalypsenzyklus eine kurze Zeit später entstanden sein mag, trat der Stil dieser Jahrzehnte in ihm stärker betont in Erscheinung. Und der zeitliche Abstand braucht keineswegs irgendwie beträchtlich gewesen sein. Eine kleine Spanne kann genügt haben, denn auch der Inhalt wird bei dieser Abwandlung das seine beigetragen haben. Es ist etwas anderes, einen Zyklus mit zahlreichen Figürchen zu malen oder ein Marienbild. In einer einzelnen Figur, für die der Maler vielleicht oder vielmehr wahrscheinlich eine besondere Skizze, ein „exemplum" nach einem italienischen Bilde bereit hatte, war die südliche Klangfarbe leichter zu wahren als da. In einer am 27. März 1357 ausgestellten Urkunde 25 dotiert Karl fünf Kanonikate in den Kapellen der Burg Karlstein und sonderlich in der Marienkapelle. Damals müssen diese Räume und wiederum im besonderen die Marienkapelle also soweit vollendet gewesen sein, daß sie ihrer kirchlichen Zweckaufgabe zugeführt werden konnten. Man darf glauben, daß zu diesem Zeitpunkte auch der malerische Schmuck dieser und der ihr unmittelbar benachbarten und nur von ihr aus zugänglichen Katharinenkapelle, die der Privatandacht Karls dienen sollte, vollendet war. Oder er war doch wenigstens so weit vorgeschritten, daß seine baldige Vollendung abzusehen war. 3Außer dem Apokalypsenzyklus schmücken die Marienkapelle, und zwar ihre Südwand, noch einige weitere Malereien. Sie zeigen drei Darstellungen aus dem Leben Karls IV.: Karl überreicht seiner ersten Gemahlin Bianca 16—17. ein Reliquienkreuz, Karl empfängt vom Dauphin zwei in ein Kristall eingeschlossene Dornen von der Krone Christi, Karl beim Reliquiendienst;6. Die zweite Szene knüpft an ein Ereignis im Jahre 1356 an. Ob ehemals — auch an dieser Wand sind Veränderungen vorgenommen worden — noch weitere Darstellungen die Reihe fortführten, muß dahingestellt bleiben. Aber auch die drei vorhandenen sind nicht im ursprünglichen Zustande auf uns gekommen. Ihre Architekturrahmen wurden zur Zeit Rudolfs II. so völlig erneuert, daß die heutigen Renaissanceformen ihr altes Aussehen auch nicht mehr ahnen lassen. Die Figuren scheinen von späteren Händen weniger berührt worden zu sein. Sie stehen noch in ihrer ursprünglichen Erscheinung etwa vor uns. Ihre Gesichter sind auffallend häßlich, ihr Mienenspiel lebhaft. Mit einer für diese Zeit ganz erstaunlichen, realistischen Bildnisauffassung sind die Figuren des Königs, der Königin, des Dauphin geschildert. Es wäre gewiß zu viel gesagt, wenn man von Persönlichkeitsschilderung sprechen wollte, zu vieles bleibt noch schematisch, aber der Weg führt dahin. Der Mensch ist in seinem leiblichen und geistigen Dasein als darstellungswürdig aner=< Neuwirth a. a. O. S . 1 0 5 . Neuwirth, Mittelalterliche Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein, 1896 S. 37 ff. Taf. 1 0 — 1 2 . 1(1

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kannt, und wenn er auch noch bei religiösen Beschäftigungen geschildert wird, ein ad maiorem dei gloriam ist nicht das Ziel dieser Bilder. In einer ganz neuen Weise sind ihre Darstellungen, ist hier ganz allgemein das künstlerische Schaffen auf den Menschen bezogen. Die Malerei tritt in seinen Dienst, dient seinem Ruhm und seinem Gedächtnis. Diese Charakteristik der Gesichter deutete sich schon in den vorher besprochenen Malereien an, und ebenso die schlanke Dünngliedrigkeit ihrer Körper, die von straff anliegenden Gewändern eng umspannt werden. Ein Zusammenhang mit dem Apokalypsezyklus ist in vielem nachweisbar. Der Kopf des Dauphin erinnert an den des Johannes und jenes so seltsam blickenden Jünglings am linken Bildrande der Kreuzigung. Bianca läßt sich mit den Begleiterinnen der Maria vergleichen. Immerhin wird die Verbindung immer schwieriger. Die Frage, ob diese Malereien aus derselben Werkstatt hervorgegangen sein können, ist nicht eindeutig zu beantworten. Die Neigung zu derb realistischer Schilderung ist, wie wir sahen, ein sehr allgemeines Merkmal böhmischer Kunst in dieser Zeit. Dann aber sind die Malereien am Altar der Katharinenkapelle aufs stärkste von italienischer Art berührt, in den Karlsbildern ist kaum ein Hauch davon zu spüren. Kann man den Apokalypsezyklus noch mit jenen Malereien verknüpfen, hier ist es kaum noch möglich. Die Karlsbilder scheinen auf anderen Voraussetzungen aufzubauen, wenn ihr Meister sich auch den Böhmen damals erfüllenden Strömungen nicht völlig entziehen konnte. Sie stehen nicht in einer Entwicklungslinie, wie sie oben darlegt wurde, mit jenen anderen Malereien dieser Räume, vielmehr handelt es sich hier wohl um ein Nebeneinander zweier verschiedener Richtungen. Daß die Halbfiguren des Kaisers und Annas von Schweidnitz im Bogenfeld der Tür der Katharinenkapelle wahrscheinlich — der verschiedene Erhaltungszustand der Malereien erschwert immer wieder das Urteil — zu diesen Karlsbildern gehören, spricht nicht gegen unseren Versuch, einen Trennungsstrich zu ziehen. Es ist sehr wohl möglich, daß zwei Werkstätten, Meister mit Gesellen, über Kreuz in zwei benachbarten Räumen gearbeitet haben. Ist unsere Betrachtung richtig, so käme man zu dem Ergebnis, daß die eine die religiösen, die andere die mehr weltlichen Darstellungen gemalt hat. So wäre auch vom Inhalt eine Trennung gefunden. Unter den heutigen ungünstigen Verhältnissen, auf die jedes Urteil über diese Malereien stößt, ist sie wohl die einfachste. Gehen wir diesen Weg weiter, so ist nun ein Zyklus zu betrachten, der 18. außer bei Neuwirth J7 bislang keine Beachtung gefunden hat: der Luxemburger Stammbaum. Er ist wie ein anderer Karlsteiner Zyklus, den Karl zum Andenken an das Doppelwunder mit der Reliquie des hl. Nikolaus in seinem Zimmer malen ließ, zu Grunde gegangen. Aber ist von diesem gar nichts Sicheres bekannt, so sind uns vom Luxemburger Stammbaum wenigstens Kopien erhalten in einer aus dem späten 16. Jahrhundert stammenden Handschrift, die in der Wiener Nationalbibliothek (cod. 8330) >: Neuwirth, Der Bilderzyklus des Luxemburger Stammbaumes aus Karlstein, 1897. 24

bewahrt wird. Sein Sinn war, die Person des Königs und seine ganze Familie durch den Hinweis auf eine lange, bis in die graue Vorzeit zurückreichende Ahnenreihe hervorzuheben. Über König Johann und Kaiser Heinrich VII. führte die Reihe durch dessen Gemahlin auf die Herzöge von Brabant und über Karl den Großen auf sagenverklärte trojanische Könige zurück: so sollte das besondere Anrecht der Luxemburger auf die deutsche Kaiserwürde dargetan werden. Karl ließ diese Genealogie nicht als König von Böhmen, sondern als deutscher Kaiser malen. Die Kopien zeichnet eine für die Zeit des späten 16. Jahrhunderts geradezu überraschende Treue aus. Die alten Trachten sind mit einer wahrhaft peinlichen Genauigkeit festgehalten. Freilich vermochte der manieristische Maler seine stilistische Haltung nicht völlig zurückzudämmen, aber es ist doch immer wieder erstaunlich, wie sehr er sich bemühte und wie weithin es ihm gelang, sich von diesem Zwang freizumachen und die Art einer ihm innerlich fremden Kunst zu erfassen. Den hohen Grad der Treue, den die Bilder erreichen, bezeugen die Bildnisse Karls und Annas in den Medaillons der Titelrahmung a8, die Kopien nach den noch erhaltenen und erwähnten Bildnissen im Türbogenfeld der Katharinenkapelle sind, und bezeugen weiterhin die Kopien nach zwei der Karlsdarstellungen 29. Die Figuren sind aus dem Zusammenhang herausgenommen und auf antikische Sockel gestellt oder gesetzt. Sodann sind wohl die Standmotive im Sinne des 16. Jahrhunderts ponderierend umgedeutet, sind die Drehungen räumlicher, ist manches Faltenmotiv plastischer und lockerer, sind die Gewänder stofflicher charakterisiert — im Ganzen geben die Kopien doch eine gute Vorstellung vom Aussehen der Stammbaumfiguren. Die Abänderungen des Kopisten lassen sich leicht ausscheiden. Dann bleibt als ursprünglich ein schlankes, unstabiles Figurengeschlecht, das ohne Festigkeit in den Beinen an Marionettenfiguren erinnert. Sie müssen den drei Königen auf der Zeichnung im Braunschweigischen Museum 3° etwa geglichen haben. Es 19. läßt sich nicht beweisen, daß dieses Blatt eine Nachzeichnung nach Figuren des Stammbaumes ist, aber daß dessen stilistische Haltung ihm nahe verwandt war, das dürfte nicht zu bezweifeln sein. Die lockere Anordnung der Gewänder, die abwehenden Zipfel, das zappelige Stehen der Figuren, Maßverhältnisse, Gesichtstypen stimmen selbst bei den Kopien noch höchst auffallend überein. Und weiterhin ist auf das ganzseitige Widmungsbild am Eingang der Kirchbergschen Chronik im Landesarchiv zu Schwerin 192. zu verweisen, das die Herzöge Albrecht II. und Albrecht III. nebeneinander auf einer Thronbank sitzend zeigt. Es muß später noch von dieser Handschrift in anderem Zusammenhange ausführlich gehandelt werden. Hier ist sie zu erwähnen, weil die Darstellung der beiden Herzöge uns Sitzfiguren wie Karl den Großen oder Ludwig den Frommen rekonstruieren helfen kann. Der Gewandstil ist in dieser niedersächsischen Arbeit fülliger und schwerer als in der Braunschweiger Zeichnung. Doch solche Unter-3 Bei Neuwirth a. a. O. als Titelumrahmung verwendet. »9 Neuwirth a . a . O . T a f . X V I , 3 — 4 . 3° Zeichnungen alter Meister im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig I, 1922.

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schiede lassen — irren wir nicht — auch die Kopien erkennen, unter denen dann weiterhin Figuren vorkommen, die die Mäntel faltenlos straff umgewickelt haben, so wie es die drei Karlsdarstellungen zeigen. Der Dauphin kann mit dem Grafen Lambert 3> des Stammbaumes verglichen werden, wobei zu bedenken ist, daß diese Wandbilder in ihrem schlechten Erhaltungszustande heute wohl flächiger und faltenloser wirken, als es ursprünglich der Fall war. Sowohl beim Dauphin wie bei Bianca sind noch Spuren von Falten zu bemerken. Die Schweriner Handschrift wird nur in eine lose Verbindung mit den Karlsteiner Malereien zu bringen sein. Wenn auch ein Strahl böhmischer Kunst mitwirkend auf sie gefallen sein dürfte, so müssen ihre besonderen Quellen doch anderweitig gesucht werden. Die Braunschweiger Zeichnung hingegen entstammt wohl dem unmittelbaren Umkreis des Luxemburger Stammbaumes, und auch die drei Karlsdarstellungen und die Halbfiguren Karls und Annas über der Tür der Katharinenkapelle sind mit großer Wahrscheinlichkeit in seine Nähe zu rücken. Ist das richtig, so würde unsere Vermutung, daß zwei Werkstätten mit verschiedenen künstlerischen Aufgaben etwa gleichzeitig auf Karlstein gearbeitet haben, zur Gewißheit. Keinesfalls wird man den Luxemburger Stammbaum erst in die siebziger Jahre setzen dürfen 32. Mit demVotivbilde desOcko von Vlasim hat er nichts zu tun. Vielmehr hat unbedingt Neuwirth 33 recht, der nachwies, daß der Stammbaum höchstwahrscheinlich um 1356—57 ausgeführt wurde, also gleichzeitig mit der Apokalypse und den Malereien am Altar der Katharinenkapelle, aber auch gleichzeitig mit dem über viaticus, von dessen Art diese weltlichen Malereien sich unüberbrückbar absetzen. Die Geschlossenheit und Sicherheit der Haltung, die das frühe 14. Jahrhundert besaß, ist verloren. Verschiedene Richtungen und Bewegungen laufen nun nebeneinander her. Und sie sind in einem Menschen möglich. Karl IV. muß der einen wie der anderen nahegestanden haben. Die Uneinheitlichkeit seines Denkens und Fühlens wird schlagend deutlich. Die Maria in der Altarnische ist ein Bekenntnis zur Schönheit des Leibes, die Gesichter der Trauernden sind dann wohl schon derb und in ihrem Schmerze häßlich geschildert, aber es ist doch noch eine gewaltiger Schritt bis zu den Karlsszenen und der Braunschweigischen Zeichnung: Figuren, die physiognomisch aufs eindringlichste, ja fast grausam gepackt, die aber als leibliche Existenzen verneint sind. Dort Statik, hier Labilität — und zwar im Körperlichen wie im Geistigen. Dort Ruhe, hier Spannung. Deuten sich hier im Künstlerischen schon jene Spannungen an, an denen Böhmen ein halbes Jahrhundert später zerbrechen sollte? Wo aber sind nun die besonderen künstlerischen Wurzeln dieser zweiten Werkstatt zu suchen? Die Wurzeln der ersten, der wir in Karlstein begegneten, lagen für entscheidende Züge in Italien. Die Art der drei Karlsi' Neuwirth a. a. O. Taf. III. 3> So öttinger in der ungedruckten Dissertation über Altböhmische Malerei. 33 Neuwirth a . a . O . S. 25ff.

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darstellungen und des Luxemburger Stammbaumes aber muß gewiß aus anderen Quellen abgeleitet werden. 4Drei Maler sind mit den Karlsteiner Wandmalereien in Verbindung gebracht worden. Jedoch konnte nur in einem Falle eine eindeutige Zuschreibung gefunden werden. Über den Anteil der anderen aber gingen die Meinungen weit auseinander. Nach dem Wenigen, das uns die Urkunden melden, darf man mit Sicherheit annehmen, daß zwei uns bekannte Maler auf Karlstein gearbeitet haben: Nicolaus Wurmser aus Straßburg und Meister Theoderich von Prag. Zu ihnen wurde schon bald der Italiener Tommaso da Modena gefügt, von dem zwei Altartafeln in Karlstein stehen 34. Über Nicolaus Wurmser, der civis in Strasburgk genannt wird, wissen wir, daß er am 5. Juli 1357 mit der Tochter eines Saazer Bürgers verheiratet war, was gewiß darauf hindeutet, daß er schon einige Zeit in Böhmen ansässig war. In einer Urkunde von 1359 empfängt er das Recht zu testieren und frei über Grundbesitz und Habe zu verfügen. In einer anderen Urkunde von 1360 wird ihm Freiheit von allen Abgaben für seinen Hof in Mofin bei Karlstein gewährt. Da in der ersten Urkunde gesagt wird, daß er in loca et castra gemalt habe und sein Hof in der Nähe von Karlstein lag, darf man annehmen, daß er bei dessen Ausschmückung mitgewirkt hat, und zweifelsohne in hervorragender Stellung. Theoderich von Prag, der im Mitgliederverzeichnis der Malerzeche als primus magister angeführt wird, begegnet zuerst 1359 in einer Urkunde, in der er Maler des Kaisers genannt wird. 1367 ist er im Besitze des ehemals dem Nicolaus Wurmser gehörigen Hofes in Mofin. Dieser dürfte damals gestorben sein, und wenn Theoderich ihm in der Dotation nachfolgte, so möchte man annehmen, das er der jüngere gewesen ist. Ein solcher Schluß scheint nicht ganz ungefährlich und ein Vergleich der verschiedenen Daten legt nahe, daß Nicolaus Wurmser und Theoderich wenigstens einige Zeit — von den späten fünfziger bis in die Mitte der sechziger Jahre — nebeneinander gearbeitet haben. Sehr verschieden im Alter waren sie kaum. Immerhin wird Wurmser spätestens 1359 — mit einer Schenkung ausgezeichnet, Theoderich erst 1367. Neuwirth hat ihm, von dem es in der Übereignungsurkunde von 1367 heißt, daß er artificiosam picturam et solomnem regalis nostrae capellae in Karlstein ausgeführt habe, mit den besten Gründen die späteren, erst aus den sechziger Jahren stammenden Malereien in der Kreuzkapelle, von denen in einem späteren Abschnitte zu handeln sein wird, zugewiesen. An der Richtigkeit dieser Zuschreibung ist nicht zu zweifeln. Der Stil dieser Malereien setzt sich aber so nachdrücklich von der Art etiler bisher in Karlstein betrachteten ab, daß Theoderich für sie ausscheidet. Da er 1359 seinen Wohnsitz auf dem Prager Burgberg hat, könnte er dort in 34 Die Urkunden hat vor allem Neuwirth zusammengetragen. Vgl. dessen Mittelalterl. Wandgemälde der Burg Karlstein S. 87 ff., und dessen Luxemburger Stammbaum S. 28; weiterhin in Mitteilungen des Vereins zur Geschichte der Deutschen in Böhmen 29 (1891) S. 58 ff. 27

kaiserlichen Diensten gearbeitet haben. So bleibt von den beiden deutschen Malern, die genannt werden, Nicolaus Wurmser, von dem gesagt wird, daß er in loca et castra gemalt habe. Es ist verführerisch, in ihm den Maler der weltlichen Darstellungen zu vermuten und ihm den Luxemburger Stammbaum zuzuschreiben, denn dieser befand sich in dem 1357 vollendeten Saal des Palas, also in der Tat: in loca et castra. Den Apokalypsenzyklus hat Neuwirth dem Tommaso da Modena zugeschrieben. Die Frage ist: darf man einen Aufenthalt des Italieners in Böhmen annehmen ? Die italienischen Forscher 35 haben sie zumeist bejaht, von deutschen vor allem Woninger 3 6, der Tommaso in seiner übertreibenden Weise zum praeceptor Bohemiae machen möchte. Marie 37 hält sich vorsichtig zurück. Schlosser 38 hat mit gewichtigen Gründen gegen einen Aufenthalt Tommasos Stellung genommen; ihm schloß sich Burger 39 an. Sie dürften Recht haben. Die beiden vollsignierten Tafelbilder — ein stark erneuertes Triptychon mit den Halbfiguren Marias, Wenzels und Palmatius und zwei arg zerstörte, Maria und den Schmerzensmann darstellende, Fragmente eines Poliptychons —- 4°, die sich heute noch in Böhmen von ihm erhalten haben, können keinerlei Beweis für einen Aufenthalt Tommasos in Prag und auf Karlstein sein. Schlosser hat darauf hingewiesen, daß die Mütze des hl. Wenzel nicht die in Böhmen übliche, sondern die Form einer venezianischen Dogenmütze hat. Das wäre merkwürdig, wenn Tommaso das Bild in Böhmen gemalt hätte. Ebenso sprechen Schlossers weitere Gründe dagegen und die Tatsache, daß Tommaso in keiner Urkunde erwähnt wird. Und endlich: von den Wandmalereien läßt sich keine auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ihn beziehen. Will man die Apokalypse ihm geben, wie Neuwirth tut, so muß man sagen, daß er dann seine Art, die uns aus seinen Fresken im Kapitelsaal des Dominikanerklosters S. Niccolo in Treviso, die 1352 vollendet wurden, und aus den kaum viel späteren an den Rundpfeilern der Kirche dieses Klosters gut bekannt ist, völlig verleugnet hätte. Der Luxemburger Stammbaum scheidet von vornherein aus. Solche Figuren, wie die Braunschweiger Zeichnung sie zeigt, konnte ein Italiener, auch ein Oberitaliener unmöglich schaffen. Das Marienbild in der Altarnische der Katharinenkapelle hinwiederum ist zu sienesisch. Das edle Gesicht der Maria hat nichts mit den rundlichweichen Madonnengesichtern auf den beiden Altarwerken Tommasos gemein. Näher steht seinem Stil das apokalyptische Weib, aber auch deren Gesicht, so rundlich und füllig es ist, hat doch einen anderen Ausdruck. Die kleinen schlitzigen Augen, der runde Mund sind dem Ausdruck be3s Venturi, Storia dell' arte italiana V, 1907 S. 956 ff.; Coletti in Rivista del R. Istituto d'Archeologia e Storia dell' Arte III ( 1 9 3 1 ) S. 95; auch Bolletino d'arte N. S. IV (1924/25) S. 290; Dedalo VIII (1927/28) S. 267. 3' Worringer, Die Anfänge der Tafelmalerei, 1924 S. 66ff. 37 Marie, The italian painting IV, S. 356 ff. J6 Schlosser im Jahrbuch der Kunstsammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 19, 1898 S. 265 fr. 39 Bürger a. a. O. S. 155. Abb. bei Neuwirth, Karlstein Taf. I—III.

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häbiger Ruhe, den die Tommasoschen Madonnen zur Schau tragen, sehr fern. Böhmische und oberitalienische Auffassung treten über alles in der Zeit Gemeinsame sehr deutlich auseinander. Die massig-malerische Formgestaltung haben wir bei der Betrachtung der Buchmalereien aus dem Kreise des Johann von Neumarkt als Ausdrucksweise des späteren 14. Jahrhunderts sehr deutlich und ohne jeden äußeren Anstoß sich entwickeln sehen. Sie aus oberitalienischen Einflüssen abzuleiten, wie Worringer will, ist schon deshalb unmöglich, weil sich in ihr eine sehr allgemeine stilgeschichtliche Zielsetzung äußert, eine Zielsetzung, die keineswegs auf Böhmen und Oberitalien beschränkt ist und die sich ebenso in der Plastik durchsetzt. Aber auch die realistische Charakteristik darf man nicht auf Tommasos Kunst zurückführen. Wiederum zeigen sie die Parierfiguren — und gewiß ohne jede Anregung von Oberitalien her. Dann aber ist die Art der Charakteristik bei Tommaso eine völlig andere. Er faßt einen Schädel mit Augen, Mund und Nase, mit Haut und Falten anders im Zusammenhang der Teile und macht jeden, auch den kleinsten unmittelbar lebendig, während auf Karlstein — und das gilt für das apokalyptische Weib wie für die Karlsdarstellungen — sehr viele Teile unverwirklicht, unbetont bleiben. Die Betonungen sind anders gesetzt. Tommaso erfaßt einen Kopf mehr als ein Stück Natur, sieht mehr Einzelheiten, die Maler in Karlstein aber unterscheiden zwischen wichtigen und unwichtigen Teilen, beschränken sich auf die mimisch entscheidenden und individualisieren unbezweifelbar feiner. Wir müssen mit einem abschließenden Urteil über Tommaso da Modenas Bedeutung für die böhmische Malerei noch zurückhalten, anläßlich der Malereien Theoderichs in der Kreuzkapelle wird es nötig sein, nochmals auf ihn zurückzukommen. Für diese in den fünfziger Jahren auf Karlstein entstandenen Malereien scheidet er aus. Man darf die Karlsteiner nicht so herabsetzen wie es Dvofäk 4> tut, aber für einen Italiener und Tommaso da Modena kommen sie unmöglich in Betracht. Wenn man sogar die Miniaturen im liber viaticus keinem Italiener zuschreiben kann, um wieviel weniger die Apokalypse. Die bilderbogenartige Aneinanderreihung der Szenen, die trotz einzelner räumlicher Vertiefungen doch flächige Kompositionsweise der Bilder sind undenkbar für einen Italiener und dessen Anschauungen von Monumentalität und Schaubarkeit. Bleibt Nicolaus Wurmser. Aber auch von ihm aus läßt sich keine Lösung finden. Die Vermutung, daß er den Luxemburger Stammbaum und die Karlsdarstellungen gemalt hat, läßt sich nicht mit hinreichenden Gründen wahrscheinlich machen und führt zu keinerlei Aufhellung der Wurzeln ihres Stiles. Oettinger 4* hat im Hinblick auf Wurmsers Herkunft auf den in den fünfziger oder frühen sechziger Jahren entstandenen Riß für das nie zur Ausführung gekommene Glockengeschoß des Straßburger M ü n s t e r s 43 251—252 4" Dvofäk a. a. O. S. 9 9 « . 4! Vgl. dessen ungedruckte Wiener Diss. über Altböhmische Malerei. Schmitt, Otto, Gotische Skulpturen des Straßburger Münsters, 1924 Tai. 204 ff. und S. X X I I I f f .

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hingewiesen. Verwandtschaften sind nicht zu verkennen. Die hageren Figuren, die straffen, in wenige Falten sich legenden Gewänder, die großen und auffallend häßlichen Gesichter mit den vorspringenden Nasen erinnern zweifelsohne an die Genealogie; die Maria mit der blasigen Kopfform an das apokalyptische Weib. Man möchte in der Tat einen Zusammenhang annehmen. Allein, ist damit ausgemacht, daß der Straßburger Riß die Voraussetzungen für diese böhmischen Malereien enthielt? Kann der Weg nicht auch in umgekehrter Richtung geführt haben? Der Riß ist undatiert, kann vor, aber ebenso auch nach 1360 entstanden sein. Und vor allem steht er in Straßburg ohne Voraussetzungen. Das macht bedenklich, in ihm die Grundlage für die Art des Luxemburger Stammbaumes zu sehen. Eher ist er von Prag abzuleiten. Denn seine Bauformen tragen ausgesprochen parlerisches Gepräge, und die Parier sind in dieser Zeit in Straßburg nachweisbar. Wahrscheinlich muß man den Stil dieser Malereien doch aus böhmischen Voraussetzungen ableiten. Die realistisch-häßlichen Gesichter sind in der Welislavbibel vorbereitet, ebenso die Labilität der Figuren, ihre schlenkrigen Beine und Bewegungen, die an Marionetten erinnern. Man darf dann auch an Malereien wie die in Hosin erinnern. Was sie gegenüber diesen jüngeren Malereien absetzt, ist ein gewisser italienischer Einfluß oder wohl richtiger: ein Einfluß, der von den italienisierenden böhmischen Werken, angefangen mit dem Hohenfurther Altar und Miniaturen aus dem Kreise des über viaticus, ausging und der eine stärkere raumkörperliche Gestaltung veranlaßte. So möchten sie ungefähr zu verstehen sein. Ob aber dann noch Nicolaus Wurmser aus Straßburg mit ihnen in Verbindung gebracht werden darf, scheint äußerst fragwürdig, denn mehr möchte dafür sprechen, daß sie von einem aus der böhmischen Tradition der vorangegangenen Jahrzehnte herausgewachsenen Maler geschaffen wurden. Sollte, so erhebt sich erneut die Frage, Nicolaus Wurmser vielmehr mit den italienisierenden Malereien am Altar der Katharinenkapelle zu verbinden sein ? Der Versuch, die überlieferten Meisternamen mit bestimmten Werken zu verknüpfen, endet mit einem Fragezeichen. In welchen Zusammenhang endlich die Darstellungen aus der Wenzelund Ludmillalegende im Treppenhaus gehörten, ist überhaupt nicht mehr zu sagen. Nach Neuwirth 44 müssen sie gegen 1360 entstanden sein. Ihr schlechter Zustand, zerstört und übergangen — läßt keinerlei sicheres Urteil mehr zu. Einzelne Figuren scheinen denen der Apokalypse verwandt zu sein, die vielteiligen Räume setzen italienische Anregungen voraus. Aber auch Beziehungen zur Welislavbibel scheinen vorhanden. Am nächsten verwandt waren ihnen vielleicht Malereien in Prag, die im Kreuzgang des Emausklosters. 5Die vier Kreuzgangflügel des Emausklosters sind in ungefähr gleichmäßiger Anordnung mit einem der umfangreichsten und zweifelsohne auch Neuwirth, Karlstein S. 49 ff. 30

bedeutendsten Zyklen der nordischen Monumentalmalerei geschmückt 45. Seine 79 Bilder veranschaulichen die Gesetzlichkeit der Heilgeschichte, indem sie den typologischen Gedankengängen der Biblia Pauperum, des Speculum humanae salvationis und der Concordantia veteris et novi testamenti folgen. Entsprechend dem Darstellungskreis jener Bilderhandschriften sind jeweils zu einer Darstellung aus dem neuen Testament zwei aus dem alten Testament gefügt. Nur ganz vereinzelt finden sich neuartige, selbständige Zusammenstellungen. Einmal ist das Verhältnis ausgetauscht, indem einem alttestamentlichen Bilde in der oberen Bildreihe zwei neutestamentliche darunter gegenübergestellt sind. Im östlichen, südlichen und westlichen Flügel ist in jeden Schildbogen eine Szene eingefügt — und zwar abgesehen von jener einen Ausnahme immer die neutestamentliche —, nur die drei mittleren weitergespannten Schildbogen des Nordflügels enthalten je zwei Szenen und entsprechend vier alttestamentliche Darstellungen darunter. Streifen mit Inschriften trennen die Bilder. Im Südflügel ist die Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn, im westlichen seine Kindheit, Taufe und Versuchung, im nördlichen sein öffentliches Wirken, im östlichen sein Leiden und seine Verherrlichung dargelegt. Arg verblaßt und oft übergangen zeigen die Malereien kaum noch viel mehr als einen Schimmer ihres ursprünglichen Bestandes. Mindestens viermal wurden sie übermalt, zuerst bereits 1412 und wiederholt im 16. und 17. Jahrhundert. Diese Tatsache, daB die Flügel und Bilder zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Händen und verschieden oft aufgefrischt wurden und weiterhin die andere, daß sie auch schon von verschiedenen Händen gemalt wurden und ein sehr verschiedenes Aussehen auch nach Abzug der späteren Zutaten und Veränderungen haben, dies beides erschwert die Beurteilung sehr. Die Malereien im Ostflügel sind fast völlig zugrunde gegangen. Auch die im Westflügel sind mit wenigen Ausnahmen zu Beginn der Reihe schlecht erhalten und anscheinend schon im 15. Jahrhundert tiefgreifend erneuert worden, woher sich wohl die eckig verhärteten Falten erklären. Dagegen sind verhältnismäßig gut auf uns gekommen die des Nord- und des Südflügels. Nur dessen erstes Joch erscheint völlig im Gewände des 17. Jahrhunderts. Dennoch führt eine eingehende Beschäftigung mit den Malereien zu dem Ergebnis, daß doch mehr erhalten blieb, als man nach alledem erwarten sollte und vielleicht beim ersten Anblick sichtbar wird. Einen guten Beleg dafür bildet die Tracht, die noch fast durchwegs die des 14. Jahrhunderts ist. Zu den am besten erhaltenen Bildern, an die sich eine Untersuchung vor allem halten muß, gehören die Verkündigung, die Beschneidung, die Flucht nach Ägypten, der Mannaregen, die Steinigung Christi, Christus und die Samariterin, die hl. Jungfrau mit dem Kinde und das seltsame Bild, das die Vertreibung aus demParadies, Christus im Limbus, die drei Kreuze auf Golgatha und den begnadigten Schächer an der Himmelspforte zeigt. Daß die Bilder nicht von Italienern ausgeführt wurden, wie Neuwirth 45 Neuwirth, Die Wandgemälde des Emausklosters in Prag, 1898. 31

meinte, hat Dvofäk46 schon nachgewiesen. „Wo malte man inItalien gleichzeitig oder früher in dieser Weise? Außerdem weisen die Gemälde auffallende und unübersehbare Beziehungen zu gleichzeitigen Werken der böhmischen Schule auf. Neuwirth erklärt diese Übereinstimmung dadurch, daß die Italiener einheimische Gesellen beigezogen haben. Dann hätten jedoch die Gesellen mehr gemalt als die Meister. Es ist in der Tat an den Wandmalereien nichts italienisch als einzelne Kompositionen und Typen, und deren Ursprung läßt sich wenigstens in einem Falle feststellen. Die ausführliche und immerhin seltene Darstellung der wunderbaren Vermehrung der Brote kehrt in einer fast ganz gleichzeitigen Komposition in der Handschrift Msr. ital. 1 1 5 der Pariser Nationalbibliothek wieder, welche Meditationes de vita Christi mit florentinischen Illustrationen aus der ersten Hälfte des Trecento enthält. — Doch das eine Beispiel genügt als Beweis dafür, daß ähnliche Kompositionen, wie sie in dem Emauser Zyklus verwendet wurden, in italienischen Handschriften kursierten und aus solchen wohl auch entnommen wurden." Der Einfluß Italiens läßt sich nicht auf eine Formel bringen. Die an den Malereien des Emauser Kreuzganges arbeitenden Maler hatte er sehr verschieden durchdrungen. Sehr tief berührt war der Maler jenes Bildes mit der Vertreibung aus dem Paradies und Christus in der Vorhölle. Diese Christusfigur zeugt von derselben humanistischen Gesinnung wie der Auferstandene im liber viaticus. Und auch die Verkündigung ist mit der in dieser Handschrift oder der in dem laus Mariae wohl vergleichbar. Man braucht keine engere Verbindung oder gar Gemeinschaft der Hände anzunehmen — wenn auch solchen Schluß zu ziehen bei dem Miniaturcharakter gerade dieser Emauser Wandmalereien naheliegt —, aber das wird man sagen dürfen: das italienische Erlebnis ihrer Maler war ein verwandtes. Auf Karlstein kommt nur die Maria in der Altarnische der Katharinenkapelle nahe. Aber hinter dieser stehen Tafelmalereien, während aus jenen Wandbildern eine ausgesprochene Miniaturgesinnung spricht. Die Bilder, deren Figuren auch in Bewegung und Ausdruck an italienische erinnern, sind an italienischen Wänden völlig unmöglich, vielmehr verbinden diesen Wandmaler — man möchte glauben, daß das Paradiesbild und die Verkündigung mit den beiden dazugehörigen Moses- und Gedeondarstellungen von einer Hand gemalt wurden —mit dem liber viaticus und den ihm am nächsten stehenden Handschriften allerlei Züge, andererseits ist nicht zu übersehen, daß der Wandmaler die italienischen Vorbilder stärker umsetzt. Das wird zumal in dem Verhältnis der Architekturen zu den Figuren deutlich. Die vielteiligen Thron- und Nischenarchitekturen auf der Verkündigung sind doch nicht so räumlich und nicht so Bühne für Maria und den Engel, als vielmehr schon flächiges Kompositionsmittel. In dieser Hinsicht unterschieden sich schon der Thron in der Verkündigung des laus Mariae gegenüber dem liber viaticus. Der Maler in Emaus ist darüber hinaus noch ein beträchtliches Stück weitergegangen. Er hat, indem er den baulichen Motiven 4" Dvofik a. a. 0. S. 100 oder S. 169. 32

ihren betonten Eigenwert, den sie im über viaticus besitzen, nahm, die italienische Bildkomposition sehr entschieden gotisiert, er hat also in der Richtung umgeformt, in der die Entwicklung von den fünfziger zu den sechziger Jahren allgemein verlief. Schon aus dieser Beobachtung läßt sich ein Schluß auf die Entstehungszeit dieser Emauser Bilder ziehen. Die derben Gesichter und Gestalten der meisten anderen Bilder, ihre gotische Figurenauffassung, ihre flächig abrollende Erzählungs- und Darstellungsweise weisen ebenso auf eine spätere Ansetzung. Sie setzen sich sehr deutlich von den kleinteiligen, mit vielen Tiefenbezügen durchsetzten Kompositionen der Apokalypse oder der Wenzel- und Ludmillalegende ab. Die Emauser Malereien, die Flucht, auch die Geburt oder, ganz groß, die Steinigung Christi sind flächiger und damit monumentaler. Es ist so: erst da, wo sich diese Kunst vom italienischen Einfluß befreit, vermag sie eine große Sprache zu sprechen. Und es heißt die geschichtlichen Zusammenhänge völlig mißverstehen, wenn man die Steinigung Christi aus der Kunst Giottos 47 erklärt. Vielmehr wird dieses Bild gerade von der nordischen Gotik getragen: sie gab ihm seine große Form. Wie der Christus in der Magdalenenszene des Klosterneuburger Altars 48 seine ausdrucksvolle Größe gerade im Gegensatz zu seinem italienischen Vorbilde durch dessen Gotisierung gewann, so ist es auch hier. Denn was dieses Bild so groß macht, ist die ausgesprochen gotische Flächenfüllung, ist das Rechnen mit der leeren Fläche zwischen den Figuren als Spannungsraum, während die realistische Raumrechnung die beiden anderen Bilder — Paradiesbild und Verkündigung — gerade miniaturhaft werden ließ. Vielleicht geht die Figur Christi noch auf eine ferne Erinnerung an italienische Formgestaltung zurück, aber südländische Statuarik hat in ihr doch den ursprünglichen Sinn verloren, denn diese Figur steht nicht mehr durch ihre eigene Statik. Gewiß, von der älteren böhmischen Malerei sind diese Arbeiten nur schwer zu verstehen, selbst wenn man bei einzelnen Gesichtern an die Welislavbibel erinnert werden sollte. Diese große gotische Form wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in der eigentlich böhmischen Kunst nie gesprochen. Weltenferne stehen Slawietin und Hosin, aber auch Neuhaus, dagegen scheinen der Marientod aus Kosatky 49 und die in seinen Kreis gehörenden Bilder von verwandten Stimmungen und ähnlichen großen Energien erfüllt zu sein. Die Mittel sind andere, aber die Forderungen, die an dies Werk gestellt wurden, sind verwandte. Das Paradiesbild und die Verkündigung stehen für sich. Sie kann man in eine Richtung mit der Kunst des über viaticus bringen. Geburt, Flucht, Steinigung usw. wird man nur schwer mit anderen Werken verbinden können. Nichts aus Karlstein will sich zu ihnen fügen, aber auch keine der späteren Handschriften aus dem Kreis des Johann von Neumarkt. Die Modellierung, der malerische Stil der Emauser Wandbilder ist nur schwer noch zu beurteilen, aber puppenstubenhaft stehen die Heiligenlegenden im Missale des Johann von 17 Burger a. a. O. S. 158. Deutsche Malerei der Gotik I. Deutsche Malerei der Gotik I S. 83, Abb. 81. 3 Bode in Amtliche Berichte aus den Königl. Kunstsammlungen 38 (1916/7) S. 7 5 ; Schmitz in Berliner Museen 48 (1927), S. 64.

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so daß keinerlei Schluß auf den ursprünglichen Bestand mehr möglich ist. In der Kreuzigungsszene ist Golgatha durch schroffe Felsstufen angedeutet, die übrigen Figuren stehen auf gemalten Steinsockeln, von denen dünne Säulchen emporsteigen, die schwerformige Baldachine tragen. Auch über das Kreuz ist ein Baldachin gespannt. Diese Architekturteile sind in kräftigen Farben (rotbraun, die Decken abwechselnd blau und zinnoberrot) gemalt, die Gewänder der Figuren dagegen in auffallend matten, lichten: blaßrot, blaßgrün, blaßblau. Die Fleischteile sind merkwürdig rot, wie geschminkt. Die Borden und Muster der Gewänder sind golden. Es ist notwendig, diese gegensätzliche Farbgebung zu beachten, denn ihr entspricht eine ähnlich gegensätzliche Formgestaltung, die sich in den großformigen Architekturen und der geschlossenen Plastizität der Figuren einerseits, ihren preziösen Stellungen, der zarten Zeichnung und überlegten Anordnung der Falten andererseits zeigt. Monumental und doch geschmäcklerisch, groß und doch zierlich erscheint das Werk. Die schweren Architekturteile sind wohl ein sehr bewußt berechneter Hintergrund, um die Figuren um so zierlicher wirken zu lassen. Eine bewußt höfische Haltung zeichnet nun ebenso den Flügel aus Merxhausen aus, wenn dieser auch im einzelnen anders ist. Sechs Figuren 135stehen in zwei Reihen übereinander in zierlichen gotischen Nischen: oben Maria mit dem Kinde begleitet von Katharina und Johannes dem Täufer, unten in der Mitte der Prophet Joel und zu seinen Seiten die Apostel Philippus und Petrus. Der Flügel ist durch große Fehlstellen, die etwa den Johannes zu mehr als der Hälfte auslöschen, in seiner Wirkung stark beeinträchtigt, die geschliffene Eleganz — hier ist das Wort am Platze — seiner Formgebung wie seiner farbigen Erscheinung wird trotzdem noch immer deutlich. Die Architekturteile sind grau, die Baldachindecken sind rot und schwarz. Diese Farben tragen auch die Gewänder; die Gesichter sind wiederum lebhaft rosafarben. Die gezierte Zeichnung äußert sich einmal in den auffallenden Drehungen der Figuren, aber auch in den Undulationen der Faltengehänge, in den vor dem Leib schwingenden Falten, in den Bewegungen der Schriftbänder und der Art, wie diese hinter den Wimpergen der Architekturen sich durchschlingen. Die Figuren des Merxhausener Flügels sind weniger rundplastisch als die des Heiligenstädter Altars. Sie sind noch mehr im Sinne der ersten Jahrhunderthälfte durchgebogen, und auch die Gehänge und Faltentüten weisen mit ihrer flächigen, körperlosen Zeichnung noch unmittelbar dahin. Der Merxhausener Flügel ist das ältere Werk. Seine Figuren besitzen noch etwas von der Schwungkraft der Werke der dreißiger und vierziger Jahre. Philippus ist ins Profil gestellt. Joel hebt, mit der rechten Hand über die Brust weisend, den Ellenbogen scharf über die Schulter, so wie es später ähnlich der Daniel im Petrialtar Meister Bertrams tut. Die Bewegung ist höchst neuartig, aber die Spannung dieser Bewegung und die Haltung der gesamten Figur setzen ihn doch nachdrücklich ab und bezeugen die Entstehung des Flügels in der Nähe der Jahrhundertmitte. Die beiden Tafeln können nicht in einem Werkstattverband entstanden sein. Dazu ist ihre 107

Sprache zu •erschieden. Aber die ihnen zu Grunde liegende Gesinnung, der Wille, mit dem sie beide gemalt wurden, die sind verwandt. Ihre Maler haben sich um eine geschliffene, preziöse Formensprache bemüht. Die Gesichter haben oft etwas gleichsam Überzüchtetes. Der Merxhausener Maler kommt seinem Ziel näher, weil er dem früheren 14. Jahrhundert noch näher steht, als der des Heiligenstädter Altars, der als der jüngere sich der körperlichen Schwere und Dumpfheit des Stiles des späteren Jahrhunderts weniger entziehen kann. Zudem war der Maler des älteren Werkes wohl der größere Könner. Die Malweise des Heiligenstädter Altars macht dagegen manchmal einen gradezu ungelenken Eindruck. Hier haben Streben und Vermögen nicht völlig Schritt gehalten. Der Mittelrhein und Hessen bieten kein Werk, das man als unmittelbare Schulvoraussetzung ansprechen könnte. Oft, in den Malereien am Marburger Hochaltar, den Wandmalereien in Ilbenstadt, ist wohl eine ähnliche Haltung erstrebt, darüber hinaus sind nirgends Beziehungen nachweisbar. Näher scheinen schon die Figuren auf den Flügeln des Oberweseler Altars zu stehen, aber auch sie können kaum ein Ausgangspunkt gewesen sein. Viel eher lassen sich diese beiden Werke an die kleinen Täfelchen in Berlin und Frankfurt (Joseph erkennt in Maria die Mutter des Heilands; die Krönung Mariens; die beiden Johannes in der Sammlung Fuld) anknüpfen 4, die im Zusammenhang mit der Erfurter Malerei der ersten Jahrhunderthälfte behandelt wurden, wobei es aber offen blieb, ob sie in Thüringen oder Hessen entstanden waren. Mit ihnen haben der Heiligenstädter Altar und der Merxhausener Flügel die gezierte Sprache, die Freude «in reizvollen Linienbewegungen, Überschneidungen und Durchkreuzungen, die überlegte Farbgebung, die Verwendung raumschaffender Architekturen gemeinsam, aber auch manche Einzelheit: die kleinen, blinzelnden Augen, die weichen, seidigen Haare, die scharfgeschnittenen Nasen, die hochgezogenen Augenbrauen, wodurch die Figuren oft den Ausdruck erstaunten Blickens erhalten. Bei den Gesichtern der musizierenden Engel auf den kleinen Täfelchen und der weiblichen Heiligen auf den Flügeln des Heiligenstädter Altars ist die Ähnlichkeit und Verwandtschaft nicht zu übersehen. Was anders ist, ist wesentlich in dem zeitlichen Abstand, der die Werke trennt, begründet. Im Heiligenstädter Altar ist alles fester und schwerer, aber noch die Finger der Figuren auf dem Merxhausener Flügel sind dünngliedrig und spitzig wie auf jenen älteren Tafeln. Gewiß hat sodann noch mancherlei anderes den Stil der jüngeren Maler geformt; was es war, bleibt ungewiß. So will auch eine eindeutige Ableitung der Baldachine noch immer nicht gelingen. Weder Frankreich, noch Böhmen kommen in Frage. 2.

Eine völlig andere Richtung vertritt der Altar in der Kirche des nicht 137—141. weit von Friedberg gelegenen oberhessischen Städtchens Schotten 5. Seine

4 Deutsche Malerei der Gotik I S. 116, Abb. 113—115. 5 Feigel in Zeitschrift für christl. Kunst 24 (1911) Sp. 69; Religiöse Kunst in Hessen und Nassau 1932 S. 113.

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Malereien sind noch vollkommen und auch in recht gutem Zustande erhalten. Nur der sie fassende Schrein ist neu, nachdem der alte samt dem Gesprenge im 19. Jahrhundert zerstört worden ist. In der Mitte des Altars thront in einer Nische eine Marienfigur, der zu Seiten zwei feststehende Tafeln stehen. Beide Teile, auch die Nische, können von dem Flügelpaar verdeckt werden. Geöffnet zeigen Mitteltafel und Flügel in zwei Reihen 16 Szenen aus dem Leben Mariens, wobei auffällt, daB die geschichtliche Reihenfolge am Anfange nicht eingehalten ist, was sich aus einem Programmwechsel erklärt. An Stelle des ersten Bildes, der Abweisung des Joachim, sollte das Wunder des blühenden Stabes, wie noch einzelne sichtbare Vorzeichnungen im Goldgrunde erkennen lassen, dargestellt werden. Heute folgen Abweisung des Joachim, Verlobung Josephs und Marias, Verkündigung an Joachim, Begegnung an der Goldenen Pforte etwas uneben aufeinander. Dann aber läuft die Geschichte über Verkündigung und Heimsuchung bis zum Tod und der Krönung Mariens ohne Störung durch. Bei geschlossenen Flügeln sind acht Passionsszenen vom ölberg bis zur Auferstehung zu sehen. Außen- und Innenseiten sind stilistisch ziemlich gleich, nur sind die ersteren etwas flüchtiger gemalt, und dazu leicht beschädigt und ausgeblichen, während die Innenseiten vortrefflich erhalten sind. In den Passionsbildern hat der Maler auf Vorzeichnung verzichtet und die Modellierung weniger durchgearbeitet. Die Innenseiten überraschen durch eine ganz unerhörte Farbenpracht. Tief aufleuchtende Farben strahlen dem Beschauer entgegen, die flockig aufgetragen in ziemlich gleichem Wechsel, sonderlich bei Blaugrün und Rot ist das der Fall, in den Bildern wiederkehren. Die Figuren sind gedrungen, betont körperlich und auffallend häßlich. Die Gewänder umspannen die runden Körper, deren Schultern und Bäuche sich kugelig herauswölben, fast faltenlos. Nur die Gewandsäume haben noch einige Freiheit, um schlängelnd zu spielen. Sonst ist den Mänteln jegliche Bewegungsfreiheit genommen. Formenarm liegen sie wie angepreßt um die stumpfe Körpermasse der Figuren. Die Männer sind zumeist ausgesprochen semitisch charakterisiert. Diese Tatsache muß aus einem Willen zu naturalistischer Formerfassung verstanden werden. Die zeitlose Idealität der ersten Jahrhunderthälfte wird von dem Maler des Schottener Altars abgelehnt und an ihre Stelle eine Darstellungsform gestellt, die aus der Wirklichkeit geschöpft ist. Er gibt Menschen mit festen Körpern, mit wirklichkeitsderben Gesichtern, mit plumpen und gerade deshalb überaus eindrucksvollen Bewegungen. Er holt die Figuren seiner Bilder auf die Erde herab, läßt sie nicht in einer räum- und zeitlosen Sphäre spielen, sondern stellt sie als Menschen aus Fleisch und Blut fest auf den Boden, auf den Raumstreifen einer Wiese oder eines Innenraumes. Die Schwere ihrer Leiber, die Derbheit ihrer Gebärden, die Häßlichkeit ihrer Gesichtszüge, die Charakteristik als Juden — all das sind ihm Mittel, um die Figuren möglichst wirklichkeitsnahe und irdisch-lebendig erscheinen zu lassen. Als einer der ersten deutet der Schottener Meister in der Heimsuchungsdarstellung die Frucht im Leibe der beiden Frauen an. Die Felsstufen, das an der Vorder109

Seite von Säulchen getragene polygonale Gehäuse auf der Geburt Mariens und manches andere sind alte Überlieferung oder auch aus fremden Quellen übernommen, das aber, was den Bildeindruck entscheidend bestimmt, ist das in Figuren wie Tieren, im Erzählungston wie in der Raumschilderung sich beweisende neue Verhältnis zur Wirklichkeit. Aus dieser neuen Blickeinstellung hat die Flucht nach Ägypten mit allen kleinen Nebenzügen, wie Maria das Kind an der Brust hält, wie Joseph das Tier am Zügel führt, wie dieses schreitet und den Kopf neigt, wie der Mann das Fäßchen über der Schulter trägt, ihr Aussehen und ihre Stimmung gewonnen. Und wenn man die Gebärden des Kindes und der Mutter auf alte Marienbilder zurückführen kann, so bedeutet das nichts, denn jedes Fingerchen ist nun von einem neuartigen Naturerlebnis durchpulst. Oder wenn man die Kastenarchitektur der Anbetung der Könige von älteren italienischen Voraussetzungen ableiten will, so darf man nicht übersehen, daß ihr Aussehen durch anderweitige, eigene Beobachtungen so gewandelt ist, daß sie zu etwas ganz Neuem wurden: Ausdruck eines höchst bodenverwurzelten Lebensgefühles. Vielleicht ist diese realistische, alltägliche Stimmung der Bilder ausgesprochen mitteldeutsch. Das Ereignis der Anbetung der Könige wäre kaum anderswo so wie hier als Vetternbesuch gemalt worden. Andererseits darf man diese volkstümliche Sprache auch wieder als höchst kennzeichnend für diese Jahrzehnte auffassen, und es ist gewiß nicht zufällig, daß diese Entwicklungsstufe gerade in dieser Landschaft einen so merkwürdig bezeichnenden Höhepunkt gefunden hat. Die Passionsbilder der Außenseiten sind um einen Grad unruhiger. Die sie auszeichnenden lebhaft-ausgreifenden Bewegungen — Christus am ölberg —, die heftigen Schrägrichtungen scheinen dafür zu sprechen, daß diese Malereien eine etwas spätere Entwicklungsstufe darstellen. Dabei ist es schwer zu sagen, ob sie von einer jüngeren Hand geschaffen wurden. Sicher hat der Hauptmeister auch das Aussehen der Außenseiten bestimmt, sicher haben an ihnen wie auch an den Innenseitenmalereien Gesellenhände mitgearbeitet. Ob der Stil der Passionsbilder nun deshalb anders ist, weil hier Gesellen freizügiger arbeiteten oder deshalb, weil der Meister selbst ein anderer geworden war — diese Frage muß offen bleiben. Immerhin sei betont, daß auch die Entwicklung Meister Bertrams eine Steigerung der Bewegung zeigt und daß diese Wandlung ebenso im Wege von Theoderich zum Wittingauer Meister deutlich wird. Sie ist ein Merkmal der Entwicklung dieser Jahrzehnte und sehr wohl bei einem Meister, der zwischen 1370 und 1390 tätig war, anzunehmen. Nicht um oder nach 1400, wie man bislang zumeist den Schottener Altar angesetzt hat, sondern gegen 1380, und nicht danach, sondern eher zuvor gegen 1370 hin, ist er entstanden. Man kann einzelne Szenen und Motive mit Broederlam vergleichen, irgend eine Verbindung nach Westen besteht nicht, und auch von Böhmen darf man den Stil des Schottener Altars nicht ableiten. Das hieße Zeitstil und individuelle Zusammenhänge verwechseln, und man müßte dann auch die Art der für den Trierer Erzbischof Kuno von Falkenstein geschriebenen Handschriften von böhmischen Voraus110

wie noch zu zeigen sein wird, haben diese B u c h malereien mit dem Schottener Altar mancherlei gemeinsam. Ein gewisser böhmischer Einschlag ist wohl möglich und braucht nicht geleugnet zu werden. Die Vorbedingungen waren gegeben. Karl IV. hat öfters am Mittelrhein geweilt. Das Augustinerstift Niederingelheim wurde von ihm gegründet und mit vielen Gnadenbeweisen bedacht. Mit diesen kamen auch böhmische Kunstwerke an den Mittelrhein, wie aus einer Nachricht hervorgeht, daß im Jahre 1633 in der Dominikanerkirche zu Mainz noch ein imago beatae virginis sculpta de Praga — also wohl eine Schöne Madonna — zu sehen war 6. Auch des kaiserlichen Geheimschreibers Rudolf von Friedberg mag man sich erinnern. Zusammenhänge bestanden. Dennoch dürfen die künstlerischen Beziehungen beim Schottener Altar keinesfalls zu eng angenommen werden. Sein Meister hat um böhmische Kunst gewußt, aber die entscheidenden Voraussetzungen dürfen da, im Osten, nicht gesucht werden. Geht man den Formbestand des Altars im einzelnen durch, so ergibt sich, daß eigentlich nichts übrig bleibt, was man als einwandfrei aus der böhmischen Malerei stammend nachweisen kann. Vielmehr müssen die Quellen der Kunst des Schottener Meisters in Mitteldeutschland gesucht werden. Es mag schwerlich glaubhaft klingen, vielleicht ist es aber doch richtig, daß man sie im Umkreis und der Nachfolge des Altenberger Altars suchen muß. Bei aller Verschiedenheit verbindet die beiden durch ein halbes Jahrhundert getrennten Altäre doch eine unverkennbare Gleichheit der Stimmung. Die in der Nachfolge des Altenberger Altars entstandenen Malereien auf den Flügelinnenseiten des Henkelischen Hausaltärchens in Wiesbaden (Verkündigung, Heimsuchung, Darbringung im Tempel) 7, die im Gegensatz zu allem Vorausgegangenen durch die Kompaktheit und Schwere der körperlichen Formen oder auch die matronenhafte Charakteristik der Frauen bei der Begegnung zuerst in diesem Gebiete die Wandlung zur Sprache des späteren 14. Jahrhunderts andeuteten, dürfen als ein Ansatzpunkt angesehen werden, von dem der Schottener Altar mittelbar oder unmittelbar abgeleitet werden kann. Sodann hat vielleicht auch Köln, hat der Klarenaltar, haben die beiden westfälischen Altäre in Netze und aus Osnabrück in Köln den Schottener Meister beeindruckt. Ein Vergleich der Verkündigungs- oder auch Heimsuchungsdarstellungen legt eine solche Vermutung nahe. Sicher stehen diese Werke näher als Böhmen. Setzungen ableiten, denn,

An den Schottener Altar sind anzuschließen eine sehr unscheinbar gewordene, auf zwei Tafeln gemalte Verkündigung in der Karlsruher Galerie8 und eine Anbetung der Könige in Frankfurter Privatbesitz 9. Die Verkündigung dürfte ungefähr gleichzeitig mit dem Schottener Altar entstanden sein, die Anbetung, die nicht einwandfrei erhalten und zumal Hessisches Archiv XV S. 341. 7 Deutsche Malerei der Gotik I S. 90, Abb. 88. 8 Dort zuerst sienesisch, dann böhmisch genannt. 9 Ausstellung von Meisterwerken alter Malerei aus Privatbesitz, 2. Veröffentlichung des Staedelschen Kunstinstituts, 1926 Nr. 233, Taf. 42. 6

III

in den Gesichtern gründlich erneuert ist, in einem gewissen Abstand gegen Ende des Jahrhunderts. Die landschaftliche und kostümliche Schilderung ist jünger, die modischen Kostüme weisen auf 1400, und französische Einflüsse sind bei ihnen unverkennbar, die Zusammenhänge nach rückwärts zum Schottener Altar sind dennoch nicht zu übersehen. Schwieriger ist die Einordnung des aus Sigmaringen kommenden Kreuzi142. gungstäfelchens im Landesmuseum zu Bonn. Links vom Gekreuzigten stehen Maria und Johannes, rechts steht der hl. Erasmus, der einen knienden Stifter empfiehlt. Diese Gruppe legt nahe, das Bild nach Böhmen in den weiteren und späteren Kreis der Theoderichschen Werke zu ordnen. Der Stifter läßt zumal an die des Mühlhausener Altars denken, die Maria ist der in der Emauser Kreuzigung nicht allzu unähnlich. Man wird nicht umhin können, die böhmische Malerei als eine entscheidende Quelle der Kunst dieses Malers anzusehen. Aber im Südosten ist das Bild nicht entstanden. Dem widersprechen vor allem die Farben, und auch die Formgestaltung erweist sich bei genauerer Betrachtung als westlich. Man könnte an Köln denken, näher steht wohl noch der Schottener Altar. Die Köpfe der Männer und manche Einzelheiten sind dort verwandt. Sodann findet sich in einem bedeutsamen, jüngeren Werke des Mittelrheins, in der Kreuzigung in St. Stephan zu Mainz, ein Abglanz seiner Art. Rheinisches und Böhmisches vereinigen sich in der Sigmaringer Kreuzigung, die um 1370 entstanden, ein Zeuge böhmischer Einwirkung auf den Mittelrhein ist und vielleicht getragen wurde von jenen Beziehungen, die wir einleitend andeuteten. 3Ein den Figuren des Schottener Altars ähnliches, irdisch-derb charakterisiertes Geschlecht begegnet in den Miniaturen der für den Trierer Erz10 143—150. bischof Kuno von Falkenstein angefertigten Handschriften . Durch Wappen und Inschriften sind auf den Erzbischof selbst zu beziehen ein Evangelistar im Trierer Domschatz, dessen ganzseitiges Titelbild den thronenden Kirchenfürsten zeigt und das die Jahreszahl 1380 trägt, sodann eine 1383 datierte Weltchronik in der Stuttgarter Landesbibliothek (Bibl. fol. 5) 1 1 und drittens ein Wälscher Gast, der sich bis vor einigen Jahren im fürstlich Erbachschen Gesamthausarchiv befand. Zu diesen Handschriften lassen sich noch einige Einzelblätter fügen, eines aus einem Missale in der Trierer Stadtbibliothek, eines aus einem Antiphonar in der Kupferstichsammlung des Wallraf-Richartz-Museums zu Köln (Inv. Nr. 105) und endlich eines aus einem anderen Antiphonar in der Dortmunder Stadtbibliothek (Hs. 5). Ähnlich wie Balduin von Lützelburg war Kuno von Falkenstein Geistlicher, Politiker, Soldat und Mäzen zugleich. Als Mainzer Domherr hatte er ein weltfrohes Leben geführt, das folgender Bericht kennzeichnet. Als Karl IV. ™ Remy, Die Buchmalerwerkstatt des Trierer Erzbischofs Cuno von Falkenstein; Beissel in Zeitschrift für christliche Kunst 20 (1907) Sp. 163ff. " Löftier in Zeitschrift für Bücherfreunde 19 (1929) S. 4.

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im Jahre 1359 in Mainz einen Reichstag abhielt, „da — so erzählt die Limburger Chronik — hatt des Keysers Zorn sehr ergrimmet als er gesehen uff dem Reichs-Tag, gehalten zu Maintz, das die Geistliche so kostlig mit iren Harlocken, Kleider, Schugen etc. dahergingen und sprach erstlig zu Herrn Cunen von Falkenstein, der Zeit noch Domher, reichet mir her Eurer Caputzum: so habt ihr da die meine ". Gleich den französischen und burgundischen Herren sammelte Kuno von Falkenstein Kunstschätze — Münzen galt seine Leidenschaft vor allem — , ließ er Handschriften herstellen, Prunkhandschriften, die mehr zur Augenfreude denn zum Lesen und Studium bestimmt waren. Zu diesem Zwecke ist das Trierer Evangelistar sehr sorgfältig mit großen, klaren Buchstaben geschrieben und mit Bildchen und allerlei Schmuckwerk reich geziert. Den Schriftblock umziehen zumeist zweifarbige Ranken, die mitunter in Drachen auslaufen, kleine Efeu- oder Dornblättchen tragen und vereinzelt Drölerien — Bogenschützen oder dergleichen — umschließen. Die fast jede Seite schmückenden 160 Miniaturbildchen sind — gleich dem Schottener Altar — mit wunderbar leuchtenden Farben gemalt, sehr feinfühlig in der Zeichnung wie in der Modellierung. Sie sind entweder mit den die Seite umrahmenden Leisten und Ranken fest verbunden oder, wenn sie größer sind und einen Teil der Seite füllend für sich stehen, werden sie doch wenigstens von kleinen an dünnen, langen Stielen sitzenden Blättchen umspielt. Dennoch sind die Bildchen nicht nur Schmuckteil, sondern heben sich inhaltlich betont heraus, indem sie die Ereignisse der Evangelien sehr ausführlich und mit möglichster Eindringlichkeit schildern. Das unterscheidet den Schmuck dieser Handschriften von französischen, so sehr die dekorativen Mittel: die Ranken und Blätter, die Tapetenmuster der Bildgründe und die Rahmenformen, auch von da bestimmt und übernommen sind. Die dekorativen Mittel sind flächig wie die französischgotischen des vorangegangenen Jahrhunderts und stehen damit im größten Gegensatz zu der plastischen Art der böhmischen Handschriften aus dem Kreise des Johannes von Neumarkt. Der Meister derFalkensteinhandschriften ist im Dekorativen durchaus altertümlich: er bedient sich noch derselben Mittel, die schon Johann von Valkenburg in seinen beiden Gradualen von 1299 12 verwendet hat. Zu diesem flächigen Dekor steht der Bildstil in einem gewissen Widerspruch. Die Anordnung der Figuren im Bilde folgt zwar noch zumeist dem Gesetz der Fläche, das die Tapetenmuster des Bildgrundes betonen, aber andererseits wird durch landschaftliche und bauliche Mittel und Zurückschieben einzelner Figuren dann doch Tiefe und Räumlichkeit angedeutet, und die Figuren selbst sind rundlich-dreidimensional. Schlanke, lineare Formgestaltungen stehen neben anderen, die zu einer massigen Breite neigen. Diese Unterschiede sind wohl weniger auf die Mitarbeit mehrerer Hände zurückzuführen, als vielmehr auf eine Entwicklung, die die Werkstatt und ihr Haupt durchmachten. Dort wo die Figuren i:

Deutsche Malerei der Gotik I S. 13, Abb. 1 2 — 1 4 .

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und Falten noch an ältere Arbeiten aus der Jahrhundertmitte erinnern, sind die französischen Zusammenhänge am greifbarsten, wo hingegen die Figuren untersetzter, die Gewänder malerischer und massiger gegeben sind, wo drastischer erzählt wird, da arbeitet die Werkstatt unabhängiger und nähert sich in Charakteristik und Formgestaltung dem Schottener Altar. Margot Remy '3 hat den Umkreis der französischen Arbeiten, von denen der Hauptmeister herkam, genau umrissen. Es war etwa der Kreis um den Maitre aux boqueteaux. Daneben muß man aber wohl von vornherein eine bodenständige, mittelrheinische Wurzel annehmen. Die französischen Anregungen waren nur eine Voraussetzung. Zu ihnen kamen andere, die sich im Laufe der Arbeit immer stärker durchsetzten, und zwar wird man sie mit dem Hinweis auf den Schottener Altar umschreiben können. Es soll nicht behauptet werden, daB dieser selbst etwa eine Voraussetzung war, aber die Richtung, der er entstammte, muß auch für den Buchmaler dieser Handschriften bedeutungsvoll gewesen sein. Man möchte demzufolge geneigt sein, die Werkstatt nach Hessen zu lokalisieren. Dem widerspricht aber, daß einige Bilder des Trierer Evangelistars eine seit alters in Trier liegende Handschrift kopierten, den Egbert—Kodex. Der Maler muß diese ottonische Arbeit mit eigenen Augen gesehen haben, anders wären die Übereinstimmungen nicht zu verstehen, die das Sturmwunder, die Heilung des Kranken am Teich Bethesda, die Blindenheilung und mit gewissen Einschränkungen die Himmelfahrt, die Jünger in Emaus, das Pfingstbild mit den Darstellungen in jener altehrwürdigen Handschrift zeigen "4. Dieser seltene Fall des Zurückgreifens auf eine längstvergessene Kunst erklärt sich wohl durch die Person des Bestellers und seine Bücherliebhaberei. '44. i47. Die Weltchronik von 1383 verwendet auch französische Schmuckformen, aber Ranken und Leisten finden sich kaum noch, das Bild hat sich verselbständigt, und der Stil der Figuren zeigt keinerlei Zusammenhang mit westlicher Art mehr. Die Figuren sind nun betont untersetzt und derb in ihrer Erscheinung. Die Linie ist als gestaltendes Mittel fast völlig ausgeschaltet; mit breiten Pinselstrichen werden die Formen modelliert. Die Konturen sind stumpf und eintönig und schließen kaum gegliederte Massen ein, deren Plastizität mittels einer malerischen Schattierung, die während der Arbeit an der Handschrift immer pastoser wird, herausgearbeitet ist. Zuerst sind die Farben noch verhältnismäßig fein vertrieben, später stehen sie ziemlich unverbunden nebeneinander. Dieser derberen Formgestaltung entspricht die schlichte, ungezwungene Charakteristik der Figuren, die riesige Hände haben und mit ihnen drastisch sprechen. Man darf diese Wandlung nicht als Verderbung und Verschlechterung deuten. Vielmehr ist sie wiederum Ausdruck jenes neuen Stilwillens, der das Rustikale um seiner Wirklichkeitsnähe willen bevorzugt, da er die Menschen und Bildinhalte so irdisch wie möglich geben möchte. Was vom Schottener Altar gesagtwerden konnte, gilt auch hier. Und es gehört zu diesem Wandel, daß die Zeit'J A. a. O. S. 69. 1 1 Abbildung bei Remy a. a. 0. Taf. IV.

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tracht immer allgemeiner verwendet wird, daß die landschaftlichen Schilderungen ausführlicher, die Bilder räumlich weiter und tiefer und die Sprache der Figuren immer lebhafter werden. Die Darstellung Rottweils ist zu einer weiten, vielteiligen Weltlandschaft ausgesponnen, die die Fläche in ihrer gesamten Ausdehnung ausfüllt und auch eine kleine Tiefenwirkung hat. Höchst anschaulich ist der Durchzug durch das Rote Meer geschildert: wie Moses vorangeht und mit dem Stabe das Wasser teilt, wie die Juden dicht zusammengeschlossen ihm folgen mit Kindern auf dem Arme oder an der Hand oder auch den Arm um sie gelegt, wie eine Frau einen Brotkorb auf dem Kopfe trägt, und daneben einige Schafe und ein Kalb, und wie hinter ihnen die Ägypter daherreiten, deren Führer das Schwert gegen sie erhebt. Am Turmbau zu Babel sind fünfzehn Leute beschäftigt bei verschiedensten Verrichtungen. Im Durchzug durch das Rote Meer ist die französische Hintergrundtapete folgerichtig weggelassen; wo sie sich bei derlei weiträumigen und lebhaft erzählenden Bildern noch findet, steht sie im Widerspruch zur Bildanlage. Die in rheinhessischem Dialekt geschriebene Erbachsche Handschrift, 148—149 die vorher dem Kloster Amorbach gehörte, übertrifft alle anderen Handschriften des Wälschen Gastes. Um so bedauerlicher, daß sie uns nur in sehr verstümmeltem Zustande erhalten ist. Heute enthält sie noch 69 Miniaturen, ehemals müssen es annähernd doppelt so viele gewesen sein. Sie schließt sich den beiden vorher behandelten datierten Handschriften als unmittelbar zu ihnen gehörig an. Dieselben Hände haben an ihr gearbeitet. Ihre Stellung genauer zu bestimmen, will nicht gelingen. Französisches findet sich in ihr in demselben Maße wie in der Weltchronik. Die Figuren sind derb und rustikal wie da, aber eben wie auch schon in einer Reihe Bilder des Evangelistars. Dagegen haben die Einzelblätter in Trier und Köln noch viel Französisches bewahrt und müssen deshalb früh, um 1380, angesetzt werden. Das Bildchen des Dortmunder Blattes — eine Darbringung im Tempel — ist arg verrieben. Sein Dekor entspricht dem Kölner Fragment; soweit der Figurenstil noch zu beurteilen ist, möchte man ihn später, in die Nähe der Stuttgarter Weltchronik setzen. In den weiteren Umkreis der Falkensteinschen Miniaturen gehört ein Brevier mit Bibel aus dem Mainzer Karthäuserkloster in der Bibliothek des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums zu Koblenz und die in einen Baldachin eingestellte Kreuzigungsdarstellung eines Missales in der Darmstädter Landesbibliothek (Hs. 889). Der Eselsrücken des Baldachins, die Lockerung der Falten — schon findet sich eine Schleifenform —, der zarte Kruzifixus mit dem hauchdünnen Lendentuch weisen auf das ausgehende Jahrhundert, die Nähe des Schottener Altars und dieser Handschriften ist in den Figuren, zumal ihren Gesichtern, aber unverkennbar. Was es sonst noch an mittelrheinischen Handschriften aus diesen Jahrzehnten gibt Berlin Ms. germ. fol. 631, Berlin Ms. germ. fol. 1343 (Heilsspiegel), Mainz, Stadtbibliothek Cod. 378 (Bibel) —, ist nicht erwähnenswert.

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Der folgende Meister faßt die beiden betrachteten Richtungen zusammen. Von dem Schottener Altar sowohl wie von den Heiligenstädter und Merxhausener Altären sind entscheidende Züge in seine Kunst eingegangen. Mit ihm erklingt zum ersten Male das Mittelrheinische, wie wir es uns vorzustellen gewöhnt haben, wie es die Altäre des frühen 15. Jahrhunderts aus Siefersheim und Ortenberg, wie es das Memorienportal in Mainz aussprechen, in einem großen Werke ganz rein. Es ist der große Flügelaltar aus i56 ; 5 5 ' Stadtkirche in Friedberg, der sich heute im Darmstädter Museum "5 befindet. Er setzte sich ursprünglich aus einer Mitteltafel mit zwei dreieckigen, giebelförmigen Aufsätzen und Flügeln mit je einem solchen Aufsatze zusammen und maß geöffnet 7,10 m in der Breite und 3,48 m in der Höhe. Erhalten sind mehr oder weniger gut das Mittelstück mit seinen Giebeln und der linke Flügel mit dem Giebel. Die Haupttafel ist aus Eichenholz, der Flügel aus Nadelholz; der Wechsel ist am Mittelrhein häufig. Der Goldgrund der Mitteltafel ist durch ein im oberen Viertel durchlaufendes waagerechtes und sechs senkrechte plastische Gipsbänder unterteilt. In dem breiteren mittleren Felde ist die Kreuzigung mit Maria und Johannes dargestellt, zu deren Seiten je drei Apostel stehen. Auf den Flügeln waren je vier Heilige angeordnet, von denen noch drei auf dem linken Flügel erhalten sind. Die Heiligen und die Kreuzigung stehen auf einem schmalen Felsstreifen. In den durch das waagerechte Band oben entstehenden Vierecken sind Propheten- und Engelhalbfigürchen mit Schriftbändern gegeben. Auf der Außenseite des linken Flügels sind vier Szenen aus der Jugendgeschichte Christi: Verkündigung, Heimsuchung, Darbringung im Tempel, Flucht nach Ägypten dargestellt, denen auf dem verlorenen rechten Flügel, dessen Innenseite entsprechend der des linken vier Heiligenfiguren gezeigt haben muß, wohl vier Szenen aus der Passion gegenüberstanden. In den Giebeln endlich Ereignisse nach dem Tode Christi: Himmelfahrt Christi, Pfingsten, Krönung Mariens; als vierte Darstellung war wohl Christus als Weltenrichter dargestellt. Auf der Außenseite der Himmelfahrt findet sich die Geburt Märiens. Statuarisch gereiht und doch durch ein feines rhythmisches und seelisches Bewegungsspiel verbunden stehen die Figuren vor dem Goldgrunde. Die Feierlichkeit ist gemildert durch intime Züge, die doch wieder so zurückhaltend gegeben sind, daß die Gehaltenheit der Komposition nirgends berührt wird. Nur im Schwingen und Rieseln der Säume wird eine lebhaftere Bewegung, in mancher stillen Gebärde oder Kopfwendung wird eine persönlichere Stimmung deutlich. Vornehm und doch liebenswürdig, gehalten und doch mit Leben erfüllt; die Farben leuchten festlich. Zinnober und Karmin, Hellgrün und Bräunlich beherrschen vor Blau, Weiß, Grau und Graulila die Erscheinung. Die Säume ringeln spielerisch, die Falten lockern sich und schwingen in weichen Kurven, und am Boden schleifen die Gewänder langhin. Diese feinfühlige Musikalität, diese selbstverständliche >1 Back, Mittelrheinische Kunst S. 38, Taf. 33—43; Feigel a . a . O . Sp. 80. Il6

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Darmstadt, Museum: Friedberger Altar

Klarheit und Festigkeit bei aller Geschmeidigkeit der Zeichnung: das ist Mittelrhein und das ist zugleich der Weg zu der neuen Idealität von 1400. Man hat die Entwicklungsrichtung verkannt, wenn man den Schottener Altar nach dem Friedberger angesetzt hat, weil jener in seiner kräftigen Ausdrucksweise, in der rustikalen Charakteristik der Figuren, in dem derblebendigen Erzählungston wirklichkeitsnäher ist. Er vertritt die Stufe von 1370—80, die wie in der Kunst Meister Bertrams wie in den Büsten und Grabmälern Peter Parlers und seiner Werkstatt in einer lebhaften, eindringlich-realistischen Form zum Ausdruck kommt und im Schottener Altar wie bei Meister Bertram zu einer wahrhaft schlagkräftig-derben Volkssprache wird. Die darauffolgende Generation neigt dagegen zu einer vornehmeren, ja oft höfischen Ausdrucksweise, die eben gerade deshalb wieder um einen Grad naturferner ist. Zwischen beiden steht als ein großer Vermittler der Meister des Friedberger Altars. Die Silhouette seiner Figuren ist eintönig, ihre körperliche Erscheinung trotz der gestreckten Verhältnisse stumpf. Mehr Masse denn einen gegliederten Körper scheinen die Gewänder zu verhüllen, die ziemlich straff noch anliegen und deren Falten stoffarm und flach sind, daß sie kaum je zu einem Eigenleben kommen. Die Figuren sind fest und beinahe blockhaft geschlossen. In dieser breiten, wenig artikulierten Körperlichkeit stehen die Figuren dem Schottener noch nahe, und es handelt sich wohl nicht nur um eine Verwandtschaft des Wollens auf Grund naher zeitlicher und räum118

licher Nachbarschaft, sondern es müssen unmittelbare Zusammenhänge vermutet werden. Die Mitteltafel läßt sie freilich nicht so ohne weiteres erkennen, obgleich die pastose Malweise und die kräftige Plastizität der Gesichter immerhin schon an die Art des Schottener Altars erinnern. Deutlicher sind die Beziehungen in den Darstellungen der Giebelaufbauten. Ob man mit B a c k 1 6 für sie wirklich drei verschiedene Gehilfenhände bemühen muß ? Zweifelsohne sind sie schwächer, in der Gesamtanlage stammen aber auch sie von dem Hauptmeister. Bedeutsamer wurde für ihr heutiges Aussehen dann wohl, daß an ihnen Restauratorenhände mit anscheinend recht geringer Begabung gearbeitet haben. Wenn diese Teile schon anfänglich nicht die Höhe der Mitteltafel erreichten, so sind jenen späteren Malern wohl noch manche Verderbung und die verschiedene Farbigkeit der Teile zuzuschreiben. Im Entwurf gehen Mitteltafel, Flügel und Aufsätze sicher auf den Hauptmeister zurück. Alle ihre Figuren zeigen die gleiche säulenhafte Geschlossenheit, dieselben Gesichtstypen, die gleichen lebhaft sprechenden Gebärden, die wir vom Schottener Altar her kennen. Es soll nicht behauptet werden, daß der Friedberger Meister in der Werkstatt des Schottener Altars gelernt hat, aber daß er von der durch diesen vertretenen Richtung befruchtet wurde, kann nicht bezweifelt werden. Und dann wird man auch in der Stimmung der Trauernden unterm Kreuz die Verwandtschaft nicht übersehen dürfen. Der Johannes des Schottener Altars äußert seinen Schmerz lebhafter, der des Friedberger Altars ist — entsprechend und infolge der größeren Nähe von 1400— stiller, aber auch seine Trauer ist so warmherzig-gemütbetont wie die des Johannes auf dem älteren Werke. Nach Köln weisen keinerlei Merkmale. Anders als da ist die kühle Farbstimmung, anders als da ist die feinfühlige Individualisierung. Gegenüber jedem kölnischen Altar ist der frische Wirklichkeitssinn, der aus den Köpfen der Apostel und Heiligen des Friedberger Altars spricht, höchst auffällig, wenn er sich auch nicht so volkstümlich und sinnfällig äußert wie vorher beim Schottener Altar. Die einzelnen Gesichtsteile, der Blick der Augen sind individueller als in kölnischen Tafeln erfaßt. Nicht nur einzelne äußerliche Kennzeichen charakterisieren die Figuren, im Petrus, im Paulus und auch in den anderen sind wahrhaftige Persönlichkeiten gestaltet. Mit kölnischen Malereien dieser Jahrzehnte hat solche unmittelbare Auffassung nichts zu tun. In Hessen, im Schottener Altar, liegen die Voraussetzungen, und dazu wohl noch in den Werken jener eleganteren, geschliffeneren Richtung, in dem Heiligenstädter Altar und dem Flügel aus Merxhausen. Der Gekreuzigte des Heiligenstädter Altars ist vergleichbar, und 135, ebenso sind es die weiblichen Heiligen. Auch hier haben sich Fäden gesponnen, und vielleicht ist die stille Gehaltenheit, die der Friedberger Meister seinen Standfiguren zu geben vermag, ebenso wie durch sein Geburtsdatum auch durch Beziehungen zu jenen älteren, noch mancherlei von der ersten Jahrhunderthälfte bewahrenden Arbeiten bedingt. Der Friedberger Altar ist nicht datiert. Gemeinhin wird er in den Ausgang des 14. Jahrhunderts gesetzt. Auch die eine dem Friedberger Meister seit >' A. a. 0. S. 41/42. 119

Back '7 mit Sicherheit zuzuschreibende Arbeit, die von Petrus und Castor 154. eingefaßte Kreuzigung mit dem Verstorbenen zu Füßen in der Nische über dem Sarkophag des Erzbischofs Kuno von Falkenstein, der 1388 starb, in St. Castor in Koblenz, bietet keinen weiteren Anhaltspunkt, da es nicht mit Sicherheit ausgemacht werden kann, ob der Friedberger Altar früher oder später entstanden ist. Ein Vergleich mit den mittelrheinischen Grabsteinen dieser Jahrzehnte läßt zumal den des Mainzer Erzbischofs Adolf I., 1390 verstorben, im Mainzer Dom, dem Bischof auf dem linken Flügel nahe verwandt erscheinen. Irgendeinen Schluß auf eine Entstehung des Altars in den Jahren um 1390 darf man jedoch daraus nicht ziehen. Er könnte trotz dieser gewiß auffälligen Gleichartigkeit dennoch auch um 1380 gearbeitet worden sein. Back vermutet einen Hinweis auf eine Datierung, und zwar eine frühe, in den zu Füßen des Gekreuzigten im Altar knienden Stifterfigürchen. Er meint, daß der Geistliche der Pleban der Friedberger Kirche, die beiden Klosterfrauen die Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen mit einer Nonne sein könnten und daß der Altar im Jahre 1379 vom Kloster gestiftet worden sei, als die Kurie nach langen Streitigkeiten dem Kloster das von König Ludwig dem Bayern verliehene Patronatsrecht über die Kirche bestätigt habe. Andererseits scheint das Koblenzer Wandbild dem Schottener Altar näher zu stehen als der Friedberger Altar und darum das ältere zu sein. Freilich ist seine Malerei ziemlich übel erneuert, aber die Gleichartigkeit mit dem Friedberger Altar wird doch noch deutlich. Der Typus der Figuren, zumal auch des Gekreuzigten, die Behandlung der Gewänder, die rieselnde Beweglichkeit der Säume stimmen weitgehend überein. Wägt man das Verhältnis der beiden Werke zum Schottener Altar einerseits, zu 1400 andererseits ab, so scheint das Koblenzer Bild jenem um etwas näher verwandt zu sein als der Friedberger Altar, der wiederum in seiner stillen Gehaltenheit dem Stil des frühen 15. Jahrhunderts näher zu stehen scheint. Die ungestüme Gebärde der Arme des Johannes, die schräge Neigung seines Körpers erinnern an den Johannes des älteren Altars. Man möchte den Altar für das reifere Werk halten. Allein, beweiskräftig ist solch ein Schluß nicht. 151—152.

Vom Friedberger Altar aus darf auf einige Zeichnungen im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg hingewiesen werden. Sie zeigen die auf einem Throne sitzende hl. Anna, vor der die jugendliche Maria, gefolgt von vier Cherubinen, steht, also die Unterweisung der Jungfrau, weiterhin eine stehende Maria mit Kind und daneben eine merkwürdige Darstellung, die Maria mit dem Schmerzensmanne vor dem Leibe zeigt, endlich Christus als Auferstandenen. Die Heiligen auf dem linken Flügel des Friedberger Altars sind nahe verwandt. Man könnte auch an Böhmisches, etwa die Maria im Karlsteiner Apokalyptischen Zyklus denken, näher stehen doch diese mittelrheinischen Malereien, an die wohl auch Schilling gedacht h a t l 8 . '7 Back, Mittelrheiniiche Kunst S. 43ff., Taf. 44; Ciernen, Die gotischen Monumentalmalereien der Rheinlande, 1930 S. 259, Taf. 61. 18 Schilling, Altdeutsche Meisterzeichnungen, 1934 S. VII; Wiegand in Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1934/35 S. 49 hält sie für böhmisch.

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5Wie schon in der ersten Hälfte und auch späterhin muß die Wandmalerei im mittelrheinisch-hessischen Gebiet auch in diesen Jahrzehnten eine bedeutende Rolle gespielt haben. Das geht aus vielerlei Nachrichten hervor. Nur kümmerliche Reste sind uns erhalten. Daß nicht nur kirchlich-religiöse Inhalte, sondern auch weltliche dargestellt wurden, bestätigt ein Bericht, der zugleich ein reizvolles Licht auf das Leben der geistlichen Herren im damaligen Mainz wirft: „Im Hause des Domherrn Grafen Johann von Eberstein, der mit dem Erzbischof von Nassau verwandt und von 1380 bis 1387 Stadtkämmerer in Mainz war, gab es Wandmalereien mit Darstellungen von Lanzenspielen und Schlachten, aber auch mit Szenen aus dem Wiesbadener Badeleben, die den Orgien des Bacchus nicht unähnlich gewesen sein sollen. Der welterfahrene, auch in Frankreich herumgekommene Henricus de Hassia sah sie mit Staunen und entnahm ihnen die Anregung zu seinem Tractatus mundi" '9. Über die Wandmalereien in der St. Gangolfskapelle in Neudenau, über die aus der Stadtkirche von Tauberbischofsheim nach Karlsruhe überführten und die aus der Weinheimer Karmeliten-(Stadt-)kirche in das Städtische Museum gekommenen ist ein sicheres Urteil nicht mehr zu geben 20. Sie sind zu schlecht erhalten und entziehen sich jeder genaueren Einordnung. Besser ist das Marienbild in der Kirche zu St. Johann in Rheinhessen 21 , wenn es auch in einem wesentlichen Teile nicht mehr entzifferbar ist. In einem mehrstöckigen architektonischen Gerüst, das die gesamte Nordwand des Chores überzieht, sind unten der Thron Mariens, oben eine Figur, die nicht mehr zu benennen ist, eingefügt, denen zu Seiten Grafen und Gräfinnen zu Spanheim knien. Das Motiv des Fritzlarer Wandbildes 22 aus dem Anfange des Jahrhunderts ist abgewandelt, vereinfacht und in die schweren Mauer- und Kastenformen der ausgehenden Jahrzehnte umgesetzt. Wappen, Stifter, Kostüme, der Stil der Bilder im allgemeinen verlangen eine ebensolche Datierung. Mehr läßt sich nicht sagen. Clemen 2 3 sieht in ihm die Vorstufe für die sehr eindrucksvolle stehende Maria in der 158. evangelischen Pfarrkirche zu Wimpfen, die von kleinen Engeln verehrt in einem schweren gemalten Tabernakel steht, auf dem rechts ein Stifter kniet. Das Wimpfener Bild ist auffallend gut erhalten und zeichnet sich durch eine sehr feine, musikalische Sprache aus. In dem gegensätzlichen Verhältnis von Architektur und Figur läßt es an den Heiligenstädter Altar denken. Anders aber als in diesem ummantelt die breitflächige Tabernakelarchitektur des Wimpfener Bildes die Figur allseitig eindeutig, als Kastenraum für sie einen klaren Bühnenraum schaffend. Die Herkunft dieser Tabernakelarchitekturen von solchen, wie sie die kleinen Täfelchen in '9 Back a. a. O. S. 55. Stuttmann, Mittelalterliche Wandmalereien im Gebiet des Mittelrheins, ungedruckte Dissertation Frankfurt 1922. 11 Stuttmann a . a . O . ; Hessenkunst 1921 S. 3 3 ; Clemen a . a . O . S. 301, Taf. 69. » Deutsche Malerei der Gotik I S. 79, Taf. 78. >3 Clemen a. a. O. S. 301.

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Berlin und Frankfurt zeigen, dürfte unbezweifelbar sein. Alle diese Architekturformen des späten 14. Jahrhunderts gehen letzten Endes auf italienische Vorstufen zurück, und man braucht nicht in Böhmen, wie es zumeist geschieht, den einzigen Vermittler zu sehen. Es gab, wie jene Täfelchen lehren, auch anderweitig Ansatzpunkte in Deutschland. Endlich entstand in diesen Jahrzehnten das volto santo in Cronberg im Taunus das nach seinem Stifter Ulrich I. von Cronberg — um einen anderen kann es sich nicht handeln — zwischen 1348 und 1386 entstanden sein muß, und der Tracht nach zu urteilen eher am Ende dieses Zeitraumes. a 4 Clemen a. a. 0 . S. 253; Schnürer in Zeitschrift für christliche Kunst (26 1 9 1 3 ) Sp. 77; Schnürer u. Ritz, Sankt Kümmernis und Volto Santo, 1934 S. 220 u. ö.

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Vffl. ^ e i t f a l c n Die westfälische Malerei des späteren 14. Jahrhunderts formt sich uns erst heute allmählich zum Bilde. Ihre Werke sind schon seit längerem durch Aufsätze und Kataloge bekannt, aber sie wurden zu allermeist nicht als westfälisch erkannt. Manches wurde nach Köln gesetzt, anderes als niedersächsisch erklärt. Die Grenzen gegen Niedersachsen und Hessen sind nicht eindeutig zu ziehen. Nach hier wie da haben offenkundig westfälische Malereien die Grenzen überschritten. Wie späterhin und auf anderen Gebieten waren auch zu dieser Zeit diese Gaue ein verhältnismäßig geschlossener Raum, dessen kulturelles Leben vielfach verflochten ineinanderspielte. Ein Mittelpunkt ist nicht festlegbar. Daß es ehemals einen gegeben haben muß, legt die Ähnlichkeit der Tafeln nahe. Erhalten sind uns Werke in Soest und Netze, andere stammen aus Osnabrück, Hannoversch-Münden und Wormeln bei Paderborn. Das älteste findet sich in Soest. Es wäre gewiß voreilig, diese Stadt als Mittelpunkt und Entstehungsplatz der erhaltenen westfälischen Malereien anzusprechen. Die Möglichkeit besteht, die Frage muß aber offen bleiben. 1. Die Tafel in der Soester Wiesenkirche von breiter, niederer Form, 162. wird zumeist als Staffel angesprochen, was keineswegs sicher ist. Dargestellt sind drei Ereignisse aus dem Leben Christi: in der Mitte und etwa die Hälfte der Fläche einnehmend die Anbetung der Könige, auf den äußeren Vierteln links Christus als Gärtner und Magdalena, rechts Christus und Thomas. Die dünngliedrigen Figuren sind in nicht sehr faltige Gewänder gekleidet und stehen auf der unteren Rahmenleiste vor einem roten, mit goldenen Sternen besetzten Grunde. Nur der Thron Mariens schließt eine gewisse Räumlichkeit ein, sonst ist die Darstellung völlig flächig, und entsprechend besitzen die Figuren auch nur eine geringe Körperlichkeit. Die Falten haben noch viel vom früheren 14. Jahrhundert bewahrt. Nur in Einzelheiten wird eine gewisse Schwere und Massigkeit spürbar. Stets bleibt es bei Andeutungen, so daß man das Werk nicht allzu fern von der Jahrhundertmitte ansetzen möchte. Aber vielleicht ist es in seiner Zeit eine altertümliche, späte Leistung gewesen. 1376 wurde in der Wiesenkirche ein Altar zu Ehren der hl. drei Könige, des Apostels Thomas und der hl. Magdalena geweiht. So ist vielleicht auch die einsame Stellung dieses Werkes zu erklären. Es entstand zu spät, als daß die Zusammenhänge nach rückwärts noch deutlich greifbar geblieben wären. Die Verwandtschaft mit der Dreikönigsdarstellung auf dem Henkellschen Altärchen 1 geht über Allgemeinheiten nicht hinaus. Aber völlig vereinsamt steht die Tafel doch nicht. Gewisse Züge hat sie mit den im folgenden zu behandelnden Werken gemeinsam. 1 3

Schmitz, Die mittelalterliche Malerei in Soest, 1906 S. 1 2 7 . Deutsche Malerei der Gotik I, S. 90, Abb. 88. 123

2. Deutlicher tritt uns die westfälische Malerei in einigen Werken gegenüber, die bei mancherlei stilistischen Verschiedenheiten im Einzelnen, Verschiedenheiten, die aber doch nur durch die wechselnden Hände bedingt sind, sich zu einer klar faßbaren Gruppe zusammenschließen. Das eine steht 1 5 9 — 1 6 1 . noch an seinem mutmaßlich ursprünglichen Platze in der Kirche zu Netze bei Wildungen, das andere wird heute im Wallraf-Richartz-Museum in Köln aufbewahrt 3 und stammt, wie jüngste glückliche Untersuchungen ergeben haben, aus Osnabrück oder dessen nächster Umgebung 4. Die Annahme, daß dieser Altar aus der Kölner Laurenzkirche stamme, hat sich als falsch erwiesen. Beide Altäre sind dem Leben und der Passion Christi gewidmet. Die Anordnung der Darstellungen ist gleich, aber innerhalb des Programms der Bilder finden sich Abweichungen. Im Mittelpunkt der Altäre ist je als größtes Bild die Kreuzigung dargestellt, der gleich wie bei dem frühen Passionsaltar in der Stiftsgalerie zu Klosterneuburg 5 oder bei den späteren westfälischen Altären, dem Wildunger Altar des Konrad von Soest und seinen zahlreichen Nachfolgern, in der Haupttafel seitlich je zwei weitere Passionsszenen beigegeben sind. Auf den Flügeln je vier weitere Darstellungen, insgesamt schmücken also jeden Altar dreizehn. Die Reihenfolge der Bilder durchläuft zuerst den linken Flügel, und zwar ist in beiden Altären die Wahl dieselbe: Verkündigung und Geburt oben, Anbetung der Könige und Darbringung im Tempel darunter. Dann folgen die Bilder der Mitteltafel: in Köln die beiden links übereinander geordneten, in Netze dagegen die beiden oberen rechts und links von der Kreuzigung, dann die Kreuztragung links unten, die Kreuzigung und das Bild rechts unten. In Netze ist in der Mitteltafel zuerst das Abendmahl, in Köln der Einzug in Jerusalem, links unten bei beiden die Kreuztragung, rechts oben in Netze das Verhör vor Pilatus, in Köln schon die Kreuzabnahme, also ein Ereignis nach der Kreuzigung, rechts unten in Netze die Beweinung, in Köln die Grablegung angeordnet. Auf dem rechten Flügel folgen in Netze Grablegung und Auferstehung in der unteren, Himmelfahrt und Pfingsten in der oberen Reihe, in Köln Christus im Limbus und Auferstehung unten und Himmelfahrt und Pfingsten oben. Die Kreuzigung ist etwa quadratisch, wodurch die Altäre eine ausladende Breite bekommen. Geöffnet umspannt der Netzer etwa 4,75 m; der Kölner ist noch etwas breiter. Auf den Flügelaußenseiten sind in Netze Heilige gegeben, je drei in zwei Reihen übereinander. In Köln fanden sich, wie kümmerliche Reste lehren, die gesamten Flächen einnehmende Darstellungen, anscheinend Marientod und Marienkrönung. In den Goldgrund ist ein Eichblattmuster punziert und um die Figuren eine ihre Silhouette begleitende Grenzlinie gelegt. Der Netzer Altar ist fast unberührt auf uns gekommen. Im Kölner ist mancherlei ausgebessert. 3 Meyer-Barkhausen, Der Netzer Altar in Jahrbuch der preuS. Kunstsammlungen 50 (1929) S. 234ff. 4 Klein in Wallraf-Richartz-J ahrbuch N. F. 23 (1933/34) s - I SS5 Deutsche Malerei der Gotik I Abb. 148.

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