Deutsche Malerei der Gotik: Band 3 Norddeutschland in der Zeit von 1400 bis 1450 [Reprint 2020 ed.] 9783112353622, 9783112353615

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Deutsche Malerei der Gotik: Band 3 Norddeutschland in der Zeit von 1400 bis 1450 [Reprint 2020 ed.]
 9783112353622, 9783112353615

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ALFRED

STANGE

Beutídje ¿Malern öcr ottk DRITTER

BAND

N O R D D E U T S C H L A N D IN DER Z E I T V O N 1 4 0 0 B I S 1450

Beuttdjer StunÖtoerlag Berlin 1938

Druck des Textes Walter de Gruyter & Co., Berlin, des Bilderteiles Sinsel A Co., Leipzig

Jtaul Clemen in D a n k b a r k e i t und V e r e h r u n g

3fafmtt IX

VORWORT EINLEITENDE BEMERKUNGEN

I

I. MEISTER FRANCKE

6

II. WESTFALEN 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

21

Konrad von Soest Ein Kanonbild und drei Marienbilder Wandmalereien in Dortmund, in Soest Die Werkstatt des Fröndenberger Altars Die Werkstatt des Altars in der Paulikirche Die Werkstatt des Blankenberchaltars Die Münsterer Werkstatt Die Werkstatt des Bielefelder Altars Der Altar in der Reinoldikirche

21 32 34 35 37 38 40 42 47

III. KÖLN ZUR ZEIT DES VERONIKAMEISTERS



1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

53 53 56 64 67 68 70 75 77 80 82

Eine datierte Miniatur Die jüngeren Teile des Klarenaltars Der Meister der Münchener Veronika Die Gruppe der Tafel aus St. Laurenz Die Gruppe der Leinwandbilder Die Gruppe des Altars aus St. Gereon Die westfälisch beeinflußte Gruppe Der Meister der älteren Sippe Der Meister der kleinen Passion Buchmalereien Wandmalereien

IV. KÖLN ZUR ZEIT DES WASSERFASZSCHEN KALVARIENBERGES . . . .

85

1. Der Meister des Wasserfaflbildes 2. Der Meister des Pallantaltars

85 90

V. KÖLN ZUR ZEIT STEFAN LOCHNERS 1. Das Werk des Meisters 2. Der Umkreis

94 94 109

VI. DER NIEDERRHEIN

113

VII. DER MITTELRHEIN

119

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Eine nördliche Gruppe (Koblenz?) Der Obersteiner Altar und sein Kreis Der Siefersheimer Altar und sein Kreis Der Ortenberger Altar und sein Kreis Fremdes am Mittelrhein Wand- und Buchmalerei in Mainz und am Rhein Wand- und Buchmalerei in Hessen Einige Werke in Frankfurt

120 123 127 131 135 138 143 145 VII

9. Der Meister der Darmstädter Passion 10. Der Meister des Regieraltars

147 155

VIII. NIEDERSACHSEN

l6x

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Der Meister der Goldenen Tafel Werke aus deren Umkreis Die Göttinger Werkstatt von 1402 Die Göttinger Werkstatt von 1424 Werke von Wandermeistern in Hildesheim Buch- und Wandmalerei

162 175 176 186 190 194

IX. DAS WENDISCHE QUARTIER DER HANSA

196

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Bertramsche Überlieferungen, Wismar Konradsche Einflüsse, Lübeck Niedersächsische Einflüsse, Lübeck Franckische Einflüsse, Rostock Werke des Überganges, Rostock und Hamburg Wand- und Buchmalerei

X. THÜRINGEN — MITTELDEUTSCHLAND 1. 2. 3. 4.

Böhmen, Niedersachsen, Westen Die Korallenmadonna und ihr Kreis Die Arnstädter Tafeln und ihr Kreis Der Erfurter Einhornaltar und seine Nachfolge

XI. DEUTSCHORDENSLAND — D I E PREUSSISCHEN STÄDTE 1. Wandmalerei 2. Tafelmalerei REGISTER BILDERNACHWEIS

VIII

197 200 205 207 211 214 216 216 219 221 222 225 225 229 237 248

^ortoort Dieser dritte Band umfaßt die norddeutsche Malerei einschließlich Mittelrhein und Thüringen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Süd-, Südwest- und Südostdeutschland einschließlich der deutschen Kunst in Böhmen, Ungarn und Polen sollen in zwei weiteren Bänden behandelt werden. Diese Teilung erwies sich als notwendig, da es unmöglich war, den großen Stoff dieses halben Jahrhunderts in einem Bande zusammenzufassen, und eine geographische Teilung schien zweckmäßiger als eine zeitliche, die den Zusammenhang in den einzelnen Landschaften zu sehr zerstückelt hätte. Im übrigen aber entspricht die Anlage dieses Bandes den vorangegangenen. Meister Francke, der nicht eine besondere Landschaft, sondern ganz Niederdeutschland zu repräsentieren scheint und an dessen Werken sich entscheidende Probleme aufzeigen lassen, ist vorangestellt. Dann folgen Westfalen, Köln, eine kleine Entdeckung: eine Schule oder richtiger eine Werkgruppe am Niederrhein, weiterhin der Mittelrhein, Niedersachsen, das lübisch-sundische Gebiet, Thüringen und Ostpreußen. Und wieder werden Tafel-, Wand- und Buchmalerei gleichartig in das Blickfeld der Betrachtung einbezogen, wenn auch die Tafelmalerei nunmehr unbedingt voransteht und die anderen beiden Sparten der Malerei gewissermaßen nur episodisch noch große Leistungen aufzuweisen haben. Immerhin bereichert die Buchmalerei in einigen Fällen das Bild ganz wesentlich und läßt uns beim Meister der Goldenen Tafel eine der großen Künstlerpersönlichkeiten dieser Jahrzehnte erst richtig erkennen. Wie in den früheren Bänden hat sich der Verfasser auch in dem vorliegenden Bande um möglichste Vollständigkeit bemüht, wenn er auch weiß, daß er am Ende das Ziel bei weitem nicht erreichen konnte. Für viele Gebiete fehlen noch immer die dringendsten Vorarbeiten, vor allem die Bau- und Kunstdenkmäler. Einem Einzelnen ist es aber in der Tat trotz vieler Reisen und jahrelanger Sammeltätigkeit nicht möglich, das Material restlos zu erfassen, wie es sich der Verfasser gewünscht hätte. Zumal bei der Wandmalerei werden sich viele Lücken aufdecken lassen, und dies um so mehr, als gerade auf diesem Gebiete fast täglich bedeutsame Entdeckungen gemacht werden. In dieser Hinsicht muß der Verfasser also um Nachsicht bitten. Wenn er aber dennoch manches Verborgene und Übersehene behandeln konnte, so dankt er es häufig selbstlosen Helfern, die ihn durch mannigfache Hinweise und Ratschläge unterstützten. Diese zumeist unaufgeforderte Hilfe um der Sache willen, die der Arbeit zuteil wurde, war dem Verfasser zugleich ein beglückender Beweis, daß die vorangegangenen Bände Freunde gefunden und ihm geworben haben. Es sei ihm auch diesmal gestattet, keine Namen zu IX

nennen. Es sind sehr viele, und es sind unter ihnen viele treue Freunde und Arbeitskameraden. Sie mögen, so bittet er, es ihm auch zukünftig sein. Stets wird er ihrer dankbaren Herzens gedenken. Und wiederum dankt der Verfasser seinem Verleger, Herrn Dr. Burkhard Meier, der sich auch dieses Bandes mit größter Liebe und Sorgfalt angenommen hat. April 1938

x

A. Stange

Cinleitenbe

Pemerfeungett

i. Man kann es nicht leugnen, daß die Abgrenzung dieses Bandes in geographischer Hinsicht bis zu einem gewissen Grade zufällig ist 1 . Kein geographisches und kein historisches Band faßt die behandelten Landschaften und ihr künstlerisches Schaffen zusammen. Die eilten übergeordneten Mächte sind endgültig zerbrochen. In der Kunstgeschichte wird diese Tatsache am deutlichsten darin, daß das West und Ost, Nord und Süd überbrückende Wandern der Bauhütten fast völlig aufgehört hat. Die Parier erscheinen wie ein letzter Ausklang. Die Ensinger, ein Stetheimer beschränken ihre Tätigkeit dagegen schon auf verhältnismäßig kleine Gebiete. Die Landschaften, häufig nunmehr in Territorien zersplittert, und die großen Städte, nunmehr zumeist politisch selbständig, sind fast ausschließlich Träger des künstlerischen Schaffens und Formwillens, und es kennzeichnet die neue Lage, daß die Städte sich zumeist äußerst entschlossen gegen zuwandernde fremde Meister wehren und ihnen längeren Aufenthalt zu verbieten suchen. Die Zunft ist an die Stelle der Hütte getreten. Es hätte wohl nahegelegen, sich auf den Raum der Hanse zu beschränken und danach den Mittelrhein und Thüringen, deren Städte nie zum hansischen Bund gehörten, wegzulassen. Aber grundsätzlich hätte das nichts geändert. Denn: „was wir als hansisches Gemeingefühl mit Sicherheit nachweisen können, das erstreckt sich auf wirtschaftliche Dinge, Leistungen und Ziele der Handels- und Verkehrspolitik; sie aber reichten selbstverständlich nicht aus, um über die kaufmännische Betätigung hinaus einer einheitlichen hansischen Kunst Boden zu schaffen und Richtung zu geben." 2 Die folgenden Darstellungen werden zeigen, daß Steinberg richtig gesehen hat, wenn er sagt, „daß von einer künstlerischen Verbundenheit der hansischen Quartiere und Landschaften nur mit größter Zurückhaltung gesprochen werden kann. Denn in den Städten auf altdeutschem Siedlungsgebiet wird die überlieferte, auf eine reiche Vergangenheit zurückblickende Kunstübung durch den Beitritt und die Zugehörigkeit zur Hanse keineswegs in neue Bahnen gelenkt3. Wie die Hanse nicht „als ein staatsrechtliches 'Corpus' angesehen werden kann", so darf man sie auch nicht als eine kulturelle Einheit mit einer bestimmten Kulturpolitik auffassen. Dem widerspricht auch nicht die Tatsache, daß ihre Handelswege wohl öfter die Wanderungen von Künstlern bestimmten, daß ihre Kontore häufig den Import oder Export von Kunstwerken 1 Heise behandelt in seiner Norddeutschen Malerei, 1918, nur Köln, Westfalen, Niedersachsen und Hamburg, läßt aber das diesen Landschaften eng verbundene Lübeck wie auch die ostdeutschen Gebiete außer Betracht. Eine solche Abgrenzung ist gewiß in keiner Weise gerechtfertigt. Lübeck hätte er unbedingt einbeziehen müssen. 2 Steinberg, S. H., Die bildende Kunst im Rahmen der hansischen Geschichte, Hansische Geschichtsblätter 33 (1928) S. 33. 3 A. a. O. S. 32.

I

besorgten. — Ebenso bot die Nadlersche4 Scheidung in Alt- und Neustämme keine geeignete Möglichkeit der Gliederung und Teilung. Immerhin lassen sich doch einige Gründe der Berechtigung für die vorgenommene Abgrenzung anführen. Die norddeutschen Landschaften einschließlich Mittelrhein und Thüringen setzen sich in ihrem künstlerischen Schaffen sehr klar und eindrücklich gegen die ostfränkischen und schwäbischen Siedlungsgebiete ab. Nur wenige Fäden greifen vom Mittelrhein und von Thüringen nach den südlich angrenzenden Gebieten. Unter sich aber stehen die rheinischen, westfälischen, sächsischen, thüringischen und ostdeutschen Schulen in mannigfachem Austausch. Der Einfluß Konrad von Soests umspannt Erfurt wie Lübeck, Mainz wie Köln und Danzig. Meister Franckes Spuren sind in Mecklenburg, Westfalen, Niedersachsen und in Danzig zu verfolgen. Der Mittelrhein steht mit Westfalen wie mit Thüringen im Austausch. Hessen empfängt Anregungen vom Mittelrhein und Werke von Niedersachsen. Sodann schöpfen diese Landschaften und ihre Städte aus den gleichen nordwestlichen Quellen, während Süddeutschland mehr aus Dijon empfängt, und alle behandelten nord- und mitteldeutschen Schulen und Werkstätten verarbeiten auf Grund der Wirkung und Vermittlungstätigkeit einiger großer Meister diese westlichen Anregungen ziemlich gleichartig. So ist die vorgenommene Abgrenzung innerlich, doch in etwa gerechtfertigt. Man darf sie so umschreiben. Ausgeschieden sind das alamannische, das bayrisch-österreichische und jenes ostfränkische Siedlungsgebiet, in dem sich Franken mit Alamannen und Bayern gemischt haben. In dem Raum aber, den wir in diesem Bande behandeln, herrschen fränkisches und sächsisches Blut eindeutig vor 5. Das gilt für die alten Siedlungsgebiete, das gilt für das ostelbische Neuland, und auch Thüringen und Hessen waren ihm in ihrer Geschichte seit Alters eng verbunden. 2.

Anders als in dem vorangegangenen Abschnitt deutscher Geschichte kann man über dieses halbe Jahrhundert nicht mehr den Namen eines Kaisers setzen. Es gibt ihn, aber er bedeutet nichts. Die alten Kulturträger, Kaisertum und Kirche, sind endgültig zurückgetreten und haben dem Bürgertum die Führung des kulturellen Lebens der Nation überlassen. Die schöpferischen Kräfte, die Maler, Bildschnitzer und Baumeister, wie die Empfangenden, die Auftraggeber, gleichgültig welchem Stande sie angehören, waren bürgerliche Menschen. Die meisten Werke entstanden als Aufträge von städtischen, bürgerlichen Persönlichkeiten, Einzelnen oder Zünften, Bruderschaften, Magistraten. Und ebenso lebten die Maler, soweit wir sie mit Namen kennen und von ihrem Leben wissen, als Bürger und Zunftangehörige. Daran ändert auch nichts, wenn Aufträge von Fürsten oder geistlichen Herren erteilt wurden, oder wenn einmal ein Buchmaler noch in der klösterlichen Schreibstube tätig i Nadler, Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften, 3. Aufl. 1931 ff. 5 Paul, Rassen- und Raumgeschichte des deutschen Volkes, 1935.

2

war. In den österreichischen Landen spielten die Herzöge in dieser Zeit noch eine beträchtliche Rolle als Auftraggeber, ebenso in Tirol der Adel, in Mainz die Bischöfe, im ganzen waren schon diese ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts betont bürgerlich. Denn auch Stifter und Besteller •on Kunstwerken, die anderen Schichten, anderen Ständen angehörten, die Geistliche oder Adelige waren, auch sie waren „exemplarisch bürgerlich" 6 . „Der Adel und die Geistlichkeit hatten ihr eigenes Standesbewußtsein und ihre eigenen Sitten, aber keine eigene Kultur mehr 7." Entscheidender Träger war nunmehr in jedem Fall die Stadt, die immer mehr erstarkend in ihrer kraftvollen Bürgerschaft den Künsten eine breite und sichere Grundlage bot. Und nicht nur Köln, Lübeck, Prag, Mainz, Erfurt, Nürnberg, jetzt sind auch viele kleine reich genug, um in ihren Mauern Maler zu halten und laufend mit Aufträgen zu versorgen. Wenn die eine oder andere Stadt früher schon einmal Mittelpunkt von Werkstätten gewesen war, so darf man den Unterschied nicht übersehen. Nicht mehr ein Fürst, ein Bischof, ein Kloster beschäftigte sie, eine neue Schicht ist nun emporgestiegen: der Stadtbürger. Von diesem gehen die treibenden und bestimmenden Kräfte aus. Dennoch will es nicht unbedenklich erscheinen, schon die Werke des frühen 15. Jahrhunderts bürgerlich zu nennen. Die Malerei blieb auch weiterhin in ihren Inhalten wesentlich kirchlich und höfisch. Sie erhielt wie bisher ihre Stoffe noch immer aus jener allen sozialen Schichten übergeordneten Gemeinschaft und daneben aus der höfischen Welt des Epos und des Ritteromans. Wichtiger ist aber noch, daß auch im Formalen, Kostümlichen und Motivischen sich häufig eine Stimmung äußert, die gewiß nicht sehr bürgerlich erscheint. Immer und immer wieder wird man vor den Bildern des frühen 15. Jahrhunderts an jenen vor allem am burgundischen Hofe ausgebildeten Lebensstil erinnert, den Huizinga in seinem Buche „Herbst des Mittelalters"8 uns zuerst geschildert hat. Dieses letzte, schon künstliche und oft romantische, unnatürliche Aufleben alter höfisch-ritterlicher Ideale und Formen hat in Meister Franckes oder Konrad von Soests Bildern, in kölnischen wie lübischen oder erfurtischen Form und Gebärden tiefgehend bestimmt. Die heimliche Stille der Kunst des frühen 15. Jahrhunderts, ihre Freude am Kleinen und Feinen, am Zarten und Zierlichen, die Grazilität der Menschen, die Festlichkeit ihrer Kleidung, die gezierte Vornehmheit ihrer Bewegungen sind zweifelsohne Spiegel und Widerschein jenes ritterlich-höfischen Geistes, der am Hofe der Herzöge von Burgund vor allem, der aber auch anderwärts in ganz Europa eine neue, letzte Blüte erlebte. Nur als Ausstrahlungen von da sind die prunkvollen, modischen Kleidungen und gezierten, empfindungsvollen Gebärden der Figuren in den Bildern dieser ersten Jahrzehnte zu verstehen. Repräsen6

Dehio, Geschichte der deutschen Kunst I, 1921 S. 132. 7 Dehio a. a. O. S. 133. * München 1924; dazu das wichtige Buch von O. Cartellieri, Am Hof der Herzöge von Burgund, Basel 1926.

3

tationen eines bürgerlicher Art sehr fremden Geistes sind in diese deutschen Bilder eingegangen, häufig genug als modischer Aufputz wirkend. Die höfisch verkleideten Herren, die in dem Kreuzigungsbilde des Wildunger Altars von Konrad von Soest sich versammelt haben, bleiben trotzdem Westfalen, Bürger und Ratsherren. Schlosser wies anläßlich der von uns in einem früheren Kapitel behandelten, stilistisch an der Grenze zum 15. Jahrhundert stehenden und vielleicht schon in diesem Jahrhundert ausgeführten Wandmalereien aus Schloß Lichtenberg, deren Reste sich heute im Innsbrucker Ferdinandeum befinden, darauf hin, wie diese Werke — und manches andere Beispiel wäre leicht zu finden — uns lehren können, daß es sich bei diesem Wiederaufleben ritterlichen Geistes und höfischer Formen um eine Fiktion handelt. „ E s sind die Stoffe und die Ideale von einstens: ritterlicher Kampf und ritterliche Minne. Aber ein neues Geschlecht ist heraufgewachsen, das politische und soziale Umwälzungen erlebt hat: das Aufkommen der Städte und des Bürgertums, das Versagen der ritterlichen Heere und des alten Ritterideals gegenüber den Fußtruppen der Volksheere und ihrer neu^n Waffentechnik. Das Leben ist derber, erdennäher geworden, an handfesten, mit bürgerlicher Schlauheit geführten Erwerb gebunden, dem gegenüber die alte, vornehme Art der Lebensführung nur mühsam aufrecht erhalten werden kann. — Erscheinung und Haltung des lebenden Geschlechtes ändern sich fühlbar. Namentlich das ältere Menschenideal macht eine Wandlung durch; die weiche, oft süßliche Gefühlsseligkeit der älteren Zeit, die Euphorie der Lebenshaltung, die man als curialis, courtois, höfisch bezeichnete, macht einer derberen und mehr Spielraum fordernden Auffassung Platz. Das zeigt sich namentlich in dem Frauenideal, das diese Zeit sich geformt hat. An Stelle des älteren in Kunst wie in Dichtung tausendfach geschilderten Frauenbildes, dessen Charakter das graile und delgat — Lieblingsworte der Hochgotik — bildet, gertenschlank und -schwank — Wolfram gebraucht einmal für seine Antikonie das groteske Bild eines Hasen am Bratspieß — in biegsamer Haltung, mit feiner Taille, langen Armen, feinen Gelenken, kleinen, festen Brüsten — tritt ein ganz anderes Gebilde: üppige Körper mit zuweilen überstark und absichtlich betontem Busen, mit reichlichem Fettansatz an Hals und Schultern 9." Das ritterliche Leben war zur Etikette geworden, zu einer Angelegenheit zeremonieller Aufzüge und Schaustellungen, es war Form, aber nicht mehr innerlich gelebtes Leben. In dieser Wandlung eines alten Ideals ins Ästhetisch-Formale darf man wohl einen ersten Grund dafür sehen, daß diese höfischen Formen, Gebärden und Kostüme auch in deutschen Bildern nun eine so auffallende Rolle spielen. Da die Sache zum Augenschmaus geworden war, konnte das eindruckshungrige Auge des Malers mannigfache Anregungen empfangen. Entscheidend war aber wohl ein anderes, auf das Steinberg im gleichen Zusammenhang hingewiesen hat. Wenn die deutsche Malerei 9 Schlosser, Die Wandgemälde aus SchloQ Lichtenberg in Tirol, 1916 S. 26, S. 27.

4

um und nach 1400 sich in das Gewand der burgundischen Feudalität hüllte, so tat sie es und konnte es, weil ihre bürgerlichen Auftraggeber vor allem jene hansische Kaufmannsaristokratie war, „Großkaufleute vom Schlag der Warendorp und Clingenberch waren, deren schrankenloser Drang ins Große und Weite, deren wirtschaftlicher Individualismus und Wagemut sie diese internationale Kunst als geistesverwandt empfinden ließ" 10 . Das ist der letzte Grund, weshalb der höfische Stil Burgunds so tief in die deutsche Kunst um und nach 1400 eindringen konnte. Nicht so sehr der Adel und die Höfe knüpften diese Beziehungen — nur in einem einzigen Falle läßt sich dafür in diesem Band ein Beweis erbringen —, sondern jenes patrizische Kaufmannstum, das in diesen Jahren seinen Gipfel, aber auch sein Ende erreichte. Denn noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert vollzieht sich der Wandel, „als dieses Großbürgertum einer wirtschaftspsychologischen Wandlung bedeutendsten Ausmaßes unterliegt, als die frei-individualistische in die gebundenkollektivistische Stadtwirtschaft übergeht — da ist auch die Zeit erfüllt, wo die höfische von der bürgerlichen Kunst verdrängt wird" 1 1 . Das ist nach 1430 der Fall. In der lübisch-sundischen Kunst, der eigentlich hansischen, wird diese Wandlung gewiß nicht zufällig sehr bald und eindrücklich deutlich, weniger in Köln, mehr wiederum am Mittelrhein, vor allem aber in Oberdeutschland. Witz ist ihr erster und größter Vertreter. 10 Steinberg a. a. O. S. 42. " A. a. O. S. 42.

5

I. Jfteifter Uframfee Es erscheint zweckmäßig, von altem Brauche abzuweichen und nicht mit einer Betrachtung der kölnischen Malerei, sondern mit Meister Francke zu beginnen. In Köln ist kein Maler aus der Frühzeit des 15. Jahrhunderts als Mensch greifbar. Von Meister Francke sind uns einige Arbeiten, zum Teil stattlichen Umfangs, überliefert, ist uns der Name bekannt, wenn auch vorerst sein Leben in tiefes Dunkel gehüllt bleibt. Sein Werk stellt sich uns in vier Arbeiten aus verschiedenen Zeiten dar, die uns, und das ist der entscheidende Grund, weshalb wir ihn an die Spitze dieses Bandes stellen, ausgezeichnet in die Kunst des frühen 15. Jahrhunderts einzuführen vermögen, die uns das Neue des Stiles dieser ersten Jahrzehnte und die Beziehungen zu westlichen Kunstzentren eindrücklich deutlich machen. Franckes Malereien sind die schlagendsten Belege für die höfischen Anregungen, die die deutsche Kunst zu Anfang des 15. Jahrhunderts übernahm. Sie haben bei ihm stärker stilbestimmend gewirkt als bei irgend einem anderen, so stark, daß er kaum noch bodenständig und ortsgebunden erscheint 1 . Ob er vom Rhein, aus Westfalen, Niedersachsen oder aus dem benachbarten Herzogtum Geldern nach Hamburg kam, oder ob er vielleicht doch dort geboren wurde, ist heute, wenn uns zukünftig nicht einmal ein glücklicher Fund hilft, nicht mehr mit Sicherheit zu entscheiden. Aber wenn wir auch seine Geburtsheimat wahrscheinlich machen könnten, seine künstlerische Heimat würde damit kaum bezeichnet werden. Deshalb kann Francke auch nicht im Zusammenhang mit einer Landschaft behandelt werden. Man wird gewiß nicht sagen dürfen, daß keinerlei Fäden zu dem Gebiete, aus dem er kam und in dem er wirkte, bestünden, aber sie sind unsichtbarer, und seine Heimat ist für uns heute nicht mit einem eng begrenzten Territorium zu bestimmen. Wir müssen sie weiter fassen; weder zur kölnischen, noch zur westfälischen, noch zur niedersächsischen Malerei dieser Jahrzehnte sind unmittelbare Fäden nachweisbar, wenn Francke sich auch unverkennbar als niederdeutscher Maler zu erkennen gibt. Am besten umreißt man deshalb seine Heimat mit dem Worte Hansa. Dort, wo diese vor allem zu Hause war, zwischen Rheinmündung und Elbe, da war seine Heimat und da war sein Wirkungskreis. Man hat in Meister Francke einen Kölner 1 und einen Niedersachsen 3 vermutet, man hat ihn mit Lübeck 4 — was immerhin denkbar wäre — und mit Hildesheim in Verbindung gebracht, man hat in ihm den Schüler 1 Lichtwark, Meister Francke, 1899; Bella Martens, Meister Francke, 1929; Heise, Norddeutsche Malerei, 1918 S. 9 1 ; Brockmann, Die Entwicklungslinie in der Kunst Meister Franckes, in Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1927, S. 1 ; Pauli, Meister Francke in der Hamburger Kunsthalle, in Cicerone 17 (1925) S. 433. 2 Für Köln hat sich zuerst Schlie, Tgl. Lichtwark a. a. O. S. 53, und später Habicht in Zeitschrift für christliche Kunst 29 (1916) S. 6 ausgesprochen. 3 Für einen Hildesheimer erklärte Francke auch wieder Habicht in Zeitschrift für bildende Kunst N. F. 26 (1915) S. 234. 4 So R.Struck in Lübeckische Blätter Jahrg. 67 (1925) S. 449.

6

und Nachfolger Meister Bertrams5 gesehen, und endlich hat man — völlig abwegig — einen Schreibfehler in der Abschrift der Urkunde, die seinen Namen überliefert, vermutend, ihn mit dem in Hamburg urkundlich nachweisbaren Henselinus de Stratzeborch6 gleichsetzen wollen. Dieser wird aber schon 1383 erwähnt und stand also wohl noch der Generation Meister Bertrams oder doch wenigstens der des Meisters des Buxtehuder Altars nahe. Außerdem lebte er in den Jahren, in denen Meister Franckes erster erhaltener Altar entstand, in Lübeck, was allerdings kein unbedingter Gegenbeweis zu sein braucht. Sodann aber: wenn dieser Henselin aus Straßburg nach Hamburg und Lübeck kam, so sind im Werke Franckes keinerlei südwestdeutsche Züge zu erkennen, wie man gemeint hat, wohl aber unverkennbare niederdeutsche. Denn das ist entgegen jener letzten Behauptung sicher: Meister Francke war ein Niederdeutscher. Mehr aber läßt sich nicht sagen, und alle Versuche, Francke mit Köln, Hildesheim, Lübeck oder Hamburg 7 enger zu verknüpfen, sind mißglückt. Vielleicht war er Westfale, manche verwandtschaftliche Züge seiner Kunst mit der Konrad von Soests könnten dafür sprechen — ebenso möglich ist, daß er Niedersachse war, denn auch der Maler der Goldenen Tafel steht ihm nicht allzu fern, oder daß er vom Niederrhein kam. Meister Franckes Name wurde uns in einer einzigen Nachricht überliefert, in der aus dem 16. Jahrhundert stammenden Abschrift eines Ver- x—12. träges, den die hamburgische Gesellschaft der Englandfahrer am 4. Dezember 1424 mit dem Maler abschloß und in dem sie einen Altar für ihre Kapelle in der Johanniskirche bei ihm bestellte. Dieser Altar blieb bis zum beginnenden 18. Jahrhundert an seinem Platze, wurde dann aber verschleudert und gelangte erst vor einem Menschenleben nach mannigfachen Schicksalen in seine Heimat zurück, wo er nunmehr, soweit er noch erhalten ist, in der Kunsthalle aufbewahrt wird. Lichtwark fügte zu ihm als Arbeiten von Franckes Hand noch die beiden Schmerzensmannbilder, von denen sich das frühere und kleinere im Leipziger Museum, das größere und spätere ebenfalls in der Hamburger Kunsthalle befindet. Die jüngere Forschung erkannte endlich als eigenhändig einen Barbaraaltar, der aus Nykyrko in Südwestfinnland in das Nationalmuseum zu Helsingfors gelangt ist. Wann und wie dieser Altar nach Nykyrko gelangte, ist nicht zu sagen. Sicher wurde er aber von Francke für eine Kirche Hamburgs oder dessen näherer Umgebung geliefert, anders wäre eine Einwirkung dieses Altars auf den um die Mitte des 15. Jahrhunderts tätigen sogenannten Meister von Heiligenthal, dessen Altar sich heute 5 So Lichtwark a. a. O. Heise a. a. O. S. 97 und 161. Seine Hypothese fand viel Anhang, z. B. Dehio, Geschichte der deutschen Kunst II (1921) S. 193; Bruhns, Von Eyck bis Holbein, 1928 S. 66. Für Südwestdeutschland ganz allgemein als Heimat Franckes sprach sich zuerst H. A. Schmidt in Repertorium für Kunstwissenschaft 32 (1909) S. 366 aus. : C. Walter in Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte 7 (1901) S. 278. 6

7

Geißelung

Auferstehung

Kreuzigung

Kreuztragung

Grablegung

(zweimal geöffnet)

(Verkündigung)

(Gebet des hl. Thomas)

Verehrung

Anbetung

des Kindes

der Könige

Verhöhnung

Ermordung

(Darbringung)

(Verehrung des Heiligen)

(einmal geöffnet) Francke: Englandfahrer-Altar (1424)

8

teilweise im Lüneburger Museum, teilweise eingebaut in den Chorschranken der Nikolaikirche befindet 8 , nicht zu denken. Der Thomasaltar ist ein durchaus gemalter, doppelflügeliger Altar, 5— dessen Feiertagsseite der Passion Christi geweiht ist. Die Mitteltafel zeigte die Kreuzigung Christi. Von ihr ist nur noch das linke untere Viertel erhalten mit der Gruppe der trauernden Frauen. Zwei etwas spätere Altäre, der aus Preetz in Holstein stammende Altar im Kopenhagener Kunstgewerbemuseum 9 und ein Altar in Grove in der Grafschaft Schaumburg 10 , die von Franckes Kunst berührt scheinen, und mancherlei darstellerische Züge mit ihm gemeinsam haben, so auch die Gruppe der Trauernden in ähnlicher Anordnung, können doch nicht zur Rekonstruktion des Kreuzigungsbildes herangezogen werden. Vielmehr folgen sie wohl mehr dem Wildunger Altar. Meister Francke gab anders als alle diese Darstellungen unter dem Kreuze Reiter, wie noch einige Reste erkennen lassen. Sein Bild muß reicher und großartiger als jene gewesen sein. Seltsam, daß keine spätere Nachahmung uns eine Vorstellung von ihm bewahrt hat. Die Innenseiten der inneren Flügel faßten diese Kreuzigungsdarstellung mit vier Passionsszenen ein, je zwei auf jedem Flügel, die sämtlich erhalten sind. Links Geißelung und Kreuztragung, rechts Grablegung und Auferstehung. Die Außenseiten dieser Flügel sind oben mit der Verehrung des Kindes durch Maria und der Anbetung der Könige, unten mit der Verhöhnung des hl. Thomas von Canterbury und seiner Ermordung — der heilige Thomas von Canterbury war der Patron der Englandfahrer — geschmückt. Die äußeren Flügel sind verloren, doch hat uns Nicolaus Staphorst die Bilder auf ihren Innenseiten in seiner hamburgischen Kirchengeschichte in Kupfern überliefert 11 . Sie setzten die beiden Zyklen fort und zwar fanden sich noch Verkündigung und Darbringung im Tempel beiderseits oben, die Messe des hl. Thomas und Ludwig VII. am Grab des Heiligen beiderseits unten. Was auf den Außenseiten dieses Flügelpaares dargestellt war, wissen wir nicht. B. Martens glaubt, daß sie, wie auch beim Barbaraaltar, keinerlei Bilder trugen. Sollten sie bemalt gewesen sein, so können sie nur stehende Heilige gezeigt haben, denn ein vierter Bilderzyklus neben den Thomas-, Marienund Passionsbildern ist gewiß nicht zu erwarten. Die gleichfalls verlorene Predella zeigte die Brustbilder Christi und der zwölf Apostel. Der Barbaraaltar 12 enthält nur zwei Bilderzyklen, von denen der eine 1—4. ' Heise a. a. O. S. 102, Abb. 91 ff. 9 Goldschmidt in Repertorium für Kunstwissenschaft 21 (1898) S. 1 1 6 ; P. Jonas Meier, Werk und Wirkung des Meisters Conrad von Soest, 1921 S. 37; Habicht, Hanseatische Malerei und Plastik in Skandinavien, 1926 S. 18, Taf. 5—6; F. Beckett, Altartavler i Danmark, 1895. 10 Habicht, Die mittelalterliche Malerei Niedersachsens I. 1919 S. 258. 11 Abb. bei Martens a. a. O. S. 37. " K. K. Meinander, Medeltida Altarskäp och Träsniderier i Finlands Kyrkor, 1908; Goldschmidt, Ein Altarschrein Meister Franckes aus Finnland, in Zeitschrift für bildende Kunst N. F. 26 (1914/15) S. 17fr.; Pauli, Der Barabaraaltar des Meisters Francke, in Zeitschrift für bildende Kunst 59 (1925/26) S. 106.

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gemalt, der andere geschnitzt ist. Der Schrein und die Innenseiten der inneren Flügel zeigen fünf Reliefs mit Darstellungen aus dem Marienleben, der Tod selbst im Schrein. Francke dürfte auch an ihnen beteiligt gewesen sein. Ihr Stil ist dem seiner Bilder so verwandt, daß man annehmen darf, er habe für sie Vorzeichnungen geliefert. Sicher von seiner Hand und heute allgemein anerkannt sind die gemalten Bilder des Barbarazyklus, der bei geschlossenen Innenflügeln, in acht Bildern die Legende der Heiligen erzählend, sichtbar ist. Die Außenseiten der äußeren Flügel scheinen niemals bemalt gewesen zu sein. Nachdem alle späteren Übermalungen entfernt wurden, stören wohl noch einige große Fehlstellen, an denen die Farbe völlig abgeblättert ist, doch zeigt der Altar heute unverkennbar die Hand des Meisters wieder, ii, i2. Auf der Rückseite des kleinen Schmerzensmannbildes im Leipziger Museum befinden sich Reste eines vera ikon, die des größeren in Hamburg war wohl nie bemalt. Die beiden Tafeln zeigen den Schmerzensmann in Halbfigur bis zum Lendentuch schmerzvoll, leidend im Ausdruck, mit der Rechten auf die blutende Brustwunde weisend. Im Leipziger Bild hält er in der linken Hand noch eine Geißel, erhebt sich hinter ihm und dem ihn unter den Achseln stützenden Engel das Kreuz. Zwei kleinere Engel, die seine Arme und Hände heben, tragen weitere Leidenswerkzeuge. Im hamburgischen Bilde, in dem Christus nach deutschem Brauche sich selbst aufrecht zu halten vermag, spannen fünf Engel hinter ihm und vor seinem Leib Brokatvorhänge. Dazu hält der linke untere eine Lilie, der rechte ein flammendes Schwert. Die beiden Möglichkeiten, die die beiden Bilder zeigen, einmal Christus gestorben oder doch völlig gebrochen zu geben, so daß ihn Engel stützen müssen, und zum anderen das Bild vorn und rückwärts durch Vorhänge abzuschließen, hat Meister Francke von der französischen Kunst übernommen, die den Schmerzensmann leblos zusammenbrechend schilderte. Aber Francke hat den französischen Typus keineswegs unverändert übernommen, und zumal in dem späteren hamburgischen Bilde hat Francke die französische Form mit der deutschen aktiveren Auffassung verknüpft, indem er die imago pietatis höchst eindrucksvoll zu einem Bilde des extremum iudicium wandelte. Mit diesem Hinweis auf eine französische oder burgundische Wurzel für die Ikonographie der beiden Schmerzensmannbilder ist eine entscheidende Quelle der Kunst Meister Franckes überhaupt angedeutet. Bella Martens hat in ihrem verdienstvollem Buche die Voraussetzungen für den Stil Meister Franckes und das zeitliche Verhältnis der Werke eingehend und im ganzen gewiß richtig dargelegt, wenn man auch manchem ihrer Gedankengänge und Beweise nicht zustimmen kann. Der Barbaraaltar ist das frühere, der Thomasaltar ist das spätere Werk. Dieser ist nach 1424 entstanden, jener mag um 1410 anzusetzen sein. Die beiden Altäre setzen sich in ihrer stilistischen Haltung sehr deutlich voneinander ab. Der Barbaraaltar ist hell, seine Farben sind mitunter kalt. In der Art, wie sie locker, fast malerisch flockig aufgetragen sind, geben sie ihm ein zartes, duftiges Aussehen. Dagegen wirkt der Thomas10

altar zeichnerischer. Seine Farben sind dunkler, wärmer, mitunter schwer. Seine Formgestaltung ist straff und streng. Die Lockerheit der Formfügung, die heftigen Schrägbewegungen, die« Vielschichtigkeit der räumlichen Anlage, die den Barbaraaltar kennzeichnen, haben einer flächigeren, ausgewogeneren, klareren Kompositionsweise Platz gemacht. Die Bilder des Thomasaltars sind einfacher und geschlossener in der Anlage, die des Barbaraaltars erscheinen neben ihnen gleichsam zufälliger. Der Maler ist in ihnen temperamentvoller, er erzählt freier, schmückt aus, sucht formal neuartige Lösungen, im Thomasaltar ist er zurückhaltender und beschränkt sich mehr auf das Wesentliche. So bezeugt der eine Altar den noch jüngeren, weltzugewandten, der andere den reifen, zu letzter Einfachheit und Klarheit gelangten Meister. Denn daß sie von einer Hand sind, ist ebenso unbezweifelbar. Die gleichen zierlichen Menschen, geschmeidig in den Bewegungen, elegantmodisch in der Kleidung, empfindsam im Ausdruck, begegnen in beiden Werken. Weiterhin bezeugen beide grundsätzlich die gleiche Aufgeschlossenheit für die neuen Formprobleme, für die Annäherung des Bildaufbaues im Landschaftlichen und Räumlichen an die Wirklichkeit, für das räumliche Hintereinander, für Überschneidungen von Figuren durch landschaftliche Kulissen, für räumliche Bewegungen und Schrägbeziehungen. Und beide Bildwerke sind wiederum von der gleichen idealisierenden Verklärung getragen. Gewichtlos scheinen die Figuren, bald ist auch im Barbaraaltar der Tiefenzug der Bildanlagen zu Ende, schließt Goldgrund die malerischen Darstellungen ab. So groß der Typenschatz Meister Franckes ist, so bedeutsam sein Wille zur Verdeutlichung von Charakteren und Affekten, so gesteht er seinen Gestalten doch keineswegs eine selbständige Individualität zu. Er verfügt nicht nur vergangenen Zeiten gegenüber über „eine Fülle von physiognomischen und mimischen Erfahrungen und Ausdrucksmitteln", auch innerhalb seiner Zeit geben sie ihm in ihrer Mannigfaltigkeit eine einzigartige Stellung. Aber nie überschreitet er die Grenze, die durch den Inhalt der Darstellung gegeben ist, nie gibt er seinen Figuren den Anschein autonomer Existenzen, nie fordern sie jenseits der geschilderten Szene noch Aufmerksamkeit als porträthafte Individualitäten. Und da das ebenso für seine Landschaften und Bauwerke, für die Bilder in allen ihren Einzelheiten gilt, bewahrt er ihnen eine noch durchaus mittelalterliche idealisierende Verklärung. Ein zarter Lyrismus liegt über allen Bildern Meister Franckes. Empfindsam ist die Führung der Linien, das Zusammenklingen der Formen, die sich mitunter vielteilig verspinnen und durchkreuzen oder spitzig betont hervortreten. Wunderbar ist das Filigrangespinst der Hände und Finger der trauernden Frauen auf dem Kreuzigungsfragment. Still, ja heimlich umhegend sind die Formbewegungen in der Verehrung des Kindes, heftiger in den Passionsbildern. Zumal in der Beweinung und der Auferstehung stoßen die Linien zweispältig, spitzig schneidend, schrill aufeinander. So stehen die Linien und Formbewegungen stets im Dienste des Bildinhaltes, seine Stimmungswerte ausdeutend und zum Klingen Ii

bringend. Christus ist auf den beiden Schmerzensmannbildern wie in den Passionsdarstellungen, zumal der Auferstehung, kindhaft zart, ja zerbrechlich gegeben. Im Schmerz des Abschiednehmens sind alle Beteiligten auf der Grablegung am Sarkophag um Christus versammelt. In dem Verehrungsbilde rahmen und betonen alle Bildteile die Gruppe der Mutter und des Kindes. Die Engel spannen ein Tuch um sie, der Trog ist eine Grenze auf der anderen Seite. Die Geländeschollen führen von oben und unten in Diagonalen auf die Gruppe hin. Die Landschaft ist in den Dienst des Bildinhaltes gestellt, und zwar nicht nur in darstellerischer Hinsicht, indem sie die örtlichkeit, in der die Begebenheit spielen soll, schildert, sondern auch in jenem höheren Sinne, daß sie die Hauptfiguren und mit ihnen den Bildgehalt heraushebt. So sind auch die riesig vergrößerten Hände Mariens zu verstehen. Ihr Umriß, ihre Bewegungen werden von dem Ausdruckswillen des Malers bestimmt. Im Laufe der Linien, im Zusammenklang der Formen liegt es begründet, wenn die Verehrung ein Bild stillen Glückes, wenn die Beweinung dagegen ein Bild schmerzvoller Klage ist. Auf dieser stimmungsmäßigen Forminterpretation beruht vor allem die Bedeutung von Franckes Kunst. Er besitzt eine Musikalität der Formgestaltung, eine Zartheit und einen Stimmungsreichtum wie kein anderer zu seiner Zeit. Das Neue, das die um 1400 oder bald danach beginnende Malergeneration brachte, die kindlich schlanken, zerbrechlichen Gestalten, die weiche Gewänder in vielfach strömenden und schwingenden Falten umhüllen, die Freude am Einzelnen und Kleinen, an verschiedenartigsten Richtungen, Tiefenstößen wie Schrägbewegungen, die aber nie den Reliefcharakter wie auch die stille Empfindsamkeit und Lyrik der Tafeln stören dürfen — denn die Kunst dieser Jahrzehnte ist im ganzen undramatisch und eher passiv, denn aktiv —, das alles sprechen Franckes Werke mit wahrhaft programmatischer Eindringlichkeit aus. „Immer ist der Wille zum Ornament stärker als der Wille zur dramatischen Unmittelbarkeit. Auch in der stärksten Aktion bleibt er metrisch gebunden" 1 ?. Die Figuren sind vollplastisch gerundet, aber wie immer wirken sie auch wieder wie flache Reliefs. Ihre kubische Tiefe ist nicht wirksam gemacht, ihre Vorderfläche dagegen, das ornamentale Spiel ihrer Faltenbewegungen, ist nachdrücklich betont, und wenn sie vor Goldgrund stehen, aber auch sonst, scheinen sie dem Grunde aufgeheftet. Sie sind zu zierlich und zerbrechlich, als daß sie sich durchsetzen könnten, zumal sie von einer weiten Gewandfülle umhüllt sind, die in vielfache, dünne Bewegungsströme zersträhnt ist. Die Gewänder scheinen wie die Figuren hauchdünn. Ihre Falten plätschern pendelnd in der Fläche und vermögen nicht in die Tiefe zu stoßen. Mehr verspinnen sich die Linien zu Gespinsten, schwingen von Figur zu Figur und fassen die Gruppen zu melodischen Ornamentgebilden zusammen. An Märchengestalten im Dornröschenschlaf erinnern mitunter diese Figuren. Eine traumhafte Stimmung erfüllt das Weihnachtsbild, aber auch die Gruppe der Trauernden. „Uber>3 Worringer, Die Anfänge der Tafelmalerei, 1924 S. 269.

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schneidungen sind da, aber sie sprechen nicht, entwickeln keine räumliche Offenbarungskraft. Man verzichtet darauf, dem räumlichen Verbleib des Körpers nachzugehen, der etwa zu dem Johanneskopf gehört. Zu stark fühlt man, daß hier nur die Fläche recht hat und von jeder Gebärde verlangt, daß sie sich vornehmlich ihr als Arabeske einfügt. Man sehe sich daraufhin die Frau am rechten Rande der Gruppe an. In ihrer Haltung ist der flächenornamentale Gedanke geradezu ad absurdum geführt^." Trotz aller Freude am Modischen, an elegantem Putz und Tand, an architektonischen und landschaftlichen Motiven, auch an räumlicher Vertiefung, und obgleich Naturbeobachtungen in nicht geringem Maße die Bilder füllen — es bleibt bei einem Stimmungsrealismus, der vielleicht so am besten zu bestimmen ist, daß man seine Innerlichkeit betont, die zwischen Himmel und Erde eingespannt zu sein scheint. Weltzugewandt und weitabgewandt, beides sind diese Tafeln zugleich, und Realismus wie Idealismus dienen einer neuen Subjektivität — das ist entscheidend —, die den Bildinhalt in bislang unbekannter Weise persönlich ausdeutet. Die Bilder sind lyrisch zart und musikalisch wie keine vorher, und zugleich stehen Schönheitlichkeit und Geschmack in ihnen wiederum ganz neuartig im Vordergrund. Eine bewußte ästhetische Wertung deutet sich an, und andererseits wird das Seelische in einer neuen Weise ausgedeutet. Mit unerhörter Geschmackssicherheit gestaltete Francke seine Bilder. Alle vier Werke, die uns von Meister Francke überliefert sind, zeigen diese Eigentümlichkeiten seiner Kunst, aber sie zeigen sie mit Unterschieden, und deutlicher sind sie in dem späteren Altar, dem zeitlich nahestehend die beiden Schmerzensmannbilder sich anfügen, während im Barbaraaltar manches Fremdartige seiner Kunst beigemischt ist. Dieses Fremde, das das Frühwerk Franckes kennzeichnet, ist aus dessen künstlerischer Herkunft zu erklären, die Bella Martens — darin liegt das Verdienst ihrer Arbeit — so weit wie möglich geklärt hat. Freilich müssen wir noch immer eingestehen, daß wir die ersten, ursprünglichen Voraussetzungen von Franckes Kunst, die doch wohl mit seiner Geburtsheimat gegeben waren, nicht mehr kennen. Diese zu vermutenden ersten künstlerischen Eindrücke und Erfahrungen werden heute fast völlig überdeckt von anderen, die Francke in Frankreich empfing, wo er um 1405 und kurz danach geweilt haben muß. Denn soweit wir heute noch erkennen können, wächst Franckes Kunst aus der Malerei der Ile de France. In Pariser Miniaturhandschriften, die zu Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden, im Térence des Ducs (Paris, Arsenal Ms. 664), im Boccace de Jean sans Peur (Arsenal Ms. 5193), in den Heures du Maréchal de Boucicaut (Musée Jacquemart-André) und zumal in den Merveilles du Monde (Paris, Bibl. Nationale Ms. fr. 2819), die eine wahre Fundgrube für von Francke verwendete Motive sind, hat Bella Martens unbezweifelbare Übereinstimmungen mit mannigfachen Formmotiven Franckes in Bauwerken, Bergund Baumformen, Figuren, Tieren und Ornamentformen nachgewiesen, •4 Worringer a. a. O. S. 261. 13

aber auch seine Aufmerksamkeit für räumliche Fragen ist da begründet, so daß es nicht zu bezweifeln ist, daB Francke selbst an der Quelle dieser Kunst geweilt hat. Aus zweiter Hand kann er diese Eigentümlichkeiten seiner Kunst nicht empfangen haben. Man braucht nicht jedem Hinweis Bella Martens zuzustimmen; sie schießt oft weit über das Ziel hinaus und verfällt einem methodisch höchst angreifbaren Konstruktivismus, um Beweis zu Beweis zu fügen '5, aber darin hat sie doch richtig gesehen: Francke hat in seiner Jugend stärkste Eindrücke von der neuesten französischen Kunst empfangen, und diese sind so tief in die seine eingegangen, daß eine unmittelbare Berührung stattgefunden haben muß. Neben mancherlei Einzelheiten modischer und dekorativer Art, neben mancherlei landschaftlichen und architektonischen Formen hat Francke von diesem westlichen Kreise vor allem die Folgerichtigkeit und Betontheit seiner räumlichen und perspektivischen Bildgestaltungen, Größenstufung, Schichtung, Überschneidung, Farbabstufung in der dort geübten Weise, übernommen. Er unterscheidet sich in dieser Hinsicht in der Tat von jedem seiner deutschen Zeitgenossen und steht französischer Art und Logik sehr nahe. So ist die schräg ins Bild hineingestellte Mauer des zweiten Bildes, die nach der Legende in wunderbarer Weise emporwachsend den königlichen Vater an der weiteren Verfolgung der Tochter hindern soll, sicher aus einer Miniatur der Merveilles du Monde entliehen, wobei aber Francke das Motiv keineswegs sklavisch kopierte, sondern es umformte, so daß es am Ende einen völlig anderen Sinn bekam. Ebenso lassen sich die seltsamen, von Landschaftskulissen in ihrer unteren Hälfte verdeckten Figuren, bei denen das Bemühen um Tiefenschichtung besonders deutlich ist, auf diese Quelle zurückführen. Diese raumschaffenden Formen hat Francke fast sämtlich entliehen, und es ist wichtig, daß wir noch heute mit größter Sicherheit die Quelle in ihrem Umkreis angeben können. Weit über Äußerliches und Dekoratives hinausgehend hat sich Francke mit der neuen in der französischen Kunst dieser Jahre gewonnenen Gestaltungsform auseinandergesetzt und die Tiefenillusion, die französische Miniaturen des frühen 15. Jahrhunderts zum ersten Male zeigten, für das Tafelbild und den Altar nutzbar zu machen sich bemüht. Darin beruht seine geschichtliche Bedeutung für die deutsche Kunst. Er war der Erste, der höchst grundsätzlich diese in der Raumgestaltung gegebene Autonomie des künstlerischen Formproblems in Deutschland betonte. Die Bildtafel ist illusionär ein dreidimensionaler Lebensraum geworden, der den in ihm gegebenen und sich in ihm bewegenden Figuren neue Bewegungsmöglichkeiten schenkt, der ihnen dann aber auch neue Bindungen auferlegt, Bindungen, die durch das Gesetz der Verkleinerung bei zunehmendem Abstand gegeben sind. Freilich hält sich Francke gerade an dieses Gesetz, wie das dritte Bild der oberen Reihe, der Verrat des Hirten, zeigt, noch nicht sehr streng. Der alte Bedeutungsmaßstab 'S Zu vergleichen hierzu die Rezensionen von Graf Vitzthum im Repertorium für Kunstwissenschaft 51 (1930) S. 247 und von dem Verfasser im Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1929 S. 196. 14

bestimmt das Verhältnis des Königs zu den Hirten, nicht die neue raumperspektivische Gesetzlichkeit. Die Barbara im Hintergrund ist aber dann doch deutlich kleiner, weil weiter weg im Raum gemeint, gegeben. Auch die Bauten des ersten Bildes oder Baumgruppen werden der Tiefe zu kleiner. Francke zog gewiß noch nicht alle Folgen, wie wäre das zu dieser Zeit möglich, aber daß er Raumgestaltung und Tiefenillusion als Aufgaben und Ziele der Malerei anerkannte, ist ebensowenig zu bezweifeln. Sie scheinen ihm wenigstens in diesem Frühwerk Aufgabe und Ziel. Denn im Thomasaltar ist das anders. Dieser zeigt französische Art weniger und erscheint deshalb neben dem Barbaraaltar altertümlicher. Bella Martens ist geneigt, daraus zu schließen, daß Francke bei diesem unbezweifelbar späteren Werke an ältere französische Quellen, an Handschriften aus der Zeit um 1400, angeknüpft habe. Graf Vitzthum 16 hat sie einwandfrei widerlegt. Und ebensowenig darf man diese Wandlung als ein Zurückfallen in provinzielle Rückständigkeit, als ein Vertrocknen infolge der räumlichen Entfernung von der Quelle, die in der Jugend ihm jene anregenden Eindrücke spendete, erklären, wozu Bella Martens gleichfalls neigt. Vielmehr handelt es sich umgekehrt um ein inneres Freiwerden, um „Verzicht auf Teilmodernitäten zugunsten einer Stileinheitlichkeit, die Meister Francke . . . zu einer ganz persönlichen künstlerischen Form ausprägen konnte" '7. Das allein ist der Sinn dieser Wandlung. Man darf nie vergessen, daß am Ende der deutschen Malerei des 14. Jahrhunderts sehr anders als im Westen ein Meister von Wittingau mit vielen kleineren Geistesverwandten stand, Maler standen, die nicht so sehr Wirklichkeitsnachahmung, sondern Ausdruck, Verklärung, Vision erstrebten. Von hier aus ist die bei Francke zu beobachtende Wandlung allein zu verstehen. Sie bedeutet eine sehr schöpferische Entwicklung, wenn sie auch zuerst wie eine Rückwendung erscheint. Es ist so, „daß Francke sich bei der inneren Wandlung, die seine Kunst im Aufstieg vom Barbarazum Thomasaltar erfahren hat, dem Darstellungsprinzip des Mittelalters wieder angenähert, ihm den auflösenden Tendenzen der Zeit gegenüber noch einmal zum Sieg verholfen hat und daß sich hieraus, aus innerer Logik und schöpferischer Kraft, nicht in einem äußeren „WiederaufnahmeProzeß" und aus unüberwindlichem Anlehnungsbedürfnis Formen ergeben haben, die den Formen einer dem Mittelalter näherliegenden Entwicklungsphase der nordeuropäischen Malerei ähnlich, keineswegs aber unmittelbar durch sie bestimmt sind 1 8 ." Was Meister Francke in seiner Jugend tat, hat mancher andere deutsche Künstler gleichzeitig und nach ihm auch getan. Den Schritt zum Realismus, der ja zugleich ein Schritt zur Befreiung des Formproblems vom Bedeutungsvollen des Inhalts war, fanden die deutschen Meister selten nur von selbst, zumeist wurde er ihnen von westlichen oder südlichen Kunstzentren nahegebracht. Deshalb ging Francke gleich manchem >* A . a. O. S. 248. >7 Martens a. a. O. S. 129. Graf Vitzthum a. a. O. S. 248.

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anderen nach Westen, nur ist sein Bemühen verglichen mit dem anderer um einige Grade intensiver gewesen. In früheren Jahren hat ihn die Imitation wie selten einen beschäftigt, am Ende aber wandelte er wie alle jene Deutschen, die gleich ihm nach dem Westen gingen, diese Erfahrungen in einem ganz bestimmten Sinne ab, indem er wieder anzuknüpfen scheint an die in seinem Jugendwerk überholte Stufe. So kehrte er zurück zu einer „zeichnerisch-bestimmten", „tektonisch gebändigten" Form, und zwar deshalb, weil die erzählerische Behandlung heiliger und wunderbarer Geschichten und die optische Glaubhaftmachung durch möglichst engen Anschluß an die Natur ihm nicht genügten, weil er „herangereift war, die Geschehnisse in ihrem Kern oder in ihrer bleibenden Bedeutung zu erfassen und dies in einem Gestaltungsprozeß von viel höherer schöpferischer Kraft anschaulich werden zu lassen" 1 ?. Deshalb verzichtete Francke auf die vielteiligen Raumschichtungen seines Jugendwerkes und verwendete er den einfachen Streifenraum. Deshalb entkleidete er die Schräglinien an Bauwerken und in den Landschaften weithin ihrer räumlichen Funktionen. Deshalb unterschied er vordere und rückwärtige Figuren kaum noch durch Größenabnahme. Er fügte die Dinge im Bilde im realistischen Sinne unlogischer zusammen, er ließ an Bauteilen funktionell wichtige Glieder weg oder stellte sie schräg, so daß ein klarer Raumeindruck sich nicht mehr ergeben kann. Die Farbe wird unillusionistisch. Das Bild ist nicht mehr Schilderung, sondern Veranschaulichung. „So stellt er die ,Kreuztragung* nicht, wie es eben damals in den Niederlanden (Budapester Bild, Albertinazeichnung) geschah, so dar, wie sie sich wirklich vollzogen, wie man sie von einem entfernten Standpunkt aus gesehen haben könnte , er sieht die Situation von innen her in dem, worin sie sich von allen anderen irgendwie denkbaren Lebenslagen unterscheidet; er sieht den auf dem Gang nach Golgatha unter äußerer Last zusammensinkenden, von äußerer Gewalt mit Ziehen und Schieben trotzdem weitergetriebenen Christus, und er läßt das für diesen Vorgang entscheidende Kräftespiel in den die Bildfläche beherrschenden Diagonalen, den scharf silhouettierten Extremitäten der Knechte, läßt in Christus selbst bis in die letzte Gewandzelle hinein das Erlöschen aller aktiven Kraft, das „Nichtmehrgehen" und trotzdem Vorwärtskommen augenfällig werden." — „So erhebt er „die Ermordung des heiligen Thomas" aus dem Bereich einmaligen, an Ort und Zeit gebundenen Geschehens, das er nur zu erzählen hätte, und läßt sie zu einem Bilde des Märtyrers schlechthin werden 30 ." Die Figuren herrschen, Raum, Architektur, Landschaften fügen sich um sie, sind nicht ihre Grundlage, heben sie mehr heraus. Und wo die Hauptfiguren nicht tatsächlich größer sind, da hat es den Anschein, als ob sie es wären. Der hl. Thomas auf der Ermordungsszene ist ein gutes Beispiel, wie Mantel, Konturbetonung und Nimbus dazu helfen, ihn vor den anderen, den Mördern und Begleitern, herauszuheben. Wie in der '•) A. a. O. S. 248. « A. a. O. S. 248/249.

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Verehrung des Kindes die Landschaft in den Dienst der Hauptgruppe gestellt ist, wurde schon gesagt. Im Barbaraaltar werden Landschaft und Figur wesentlich im Sinne des Wirklichkeitsmaßstabes zusammengestimmt, im Thomasaltar sind sie es in einer viel tieferen, bedeutungsvolleren Weise. Die Schrägbewegungen, die im Barbaraaltar raumschaffend heftig in die Tiefe des Bildes hineinstoßen, sind nun gedämpft und nur bedingt noch räumlich gemeint. Richtung und Gegenrichtung halten sich weitgehend im Gleichgewicht. Die Raumbewegungen sind zu Flächenbewegungen geworden und damit zu Ausdrucksmitteln. Die Art ihres konsonanten Zusammenklingens oder dissonanten Gegeneinanders deuten, wie Verehrung, Kreuztragung, Grablegung und Auferstehung lehren, unmittelbar die Stimmung des Bildes aus. Und das gilt auch von Drehung und Stellung der Figuren, deren Bewegungen nicht von statischen Überlegungen, sondern von expressiven Wünschen bestimmt werden. Allein, dies ist nicht nur beim Thomasaltar so, im Grunde unterscheiden diese Merkmale auch schon den Barbaraaltar als Werk Franckes und als Leistung eines deutschen Meisters von seinen französischen Vorbildern. Auch in ihm stehen die Linien, obgleich sie Raumwerte sind, zugleich im Dienste des Bildinhaltes. Die Architekturen trennen wie im ersten Bilde die Figuren, oder sie betonen wie im Einkerkerungsbilde, wo die Schräge des Vordaches die gebeugte Haltung der Heiligen unterstreicht. So ist es dann auch im Mauerwunder: Francke macht hier die Mauer völlig anders, als sie in der Miniatur in den Merveilles du Monde gemeint ist, zum mimischen Widerpart des Dioskurus, dramatisiert mit ihr den Bildinhalt und macht sie zu einem sprechenden Sinnbild jener Worte der Legende: O böse Mauer, verflucht sei'n deine Steine. Und endlich, wie wunderbar sind in der Hinrichtungsdarstellung alle Bewegungen und Linien der Heiligen in den Dienst des Bildgehaltes gestellt. So erweist sich der Thomasaltar als eine letzte, feinste Folgerung jener Neigungen und Bemühungen, denen Francke auch schon im Barbaraaltar nachging, und die hier nur verhüllt waren infolge eben jener fremdartigen Einflüsse. Zwischen den beiden Werken liegt kein Bruch, es handelt sich auch nicht um einen Rückschritt, sondern einfach um Freiwerden und letzte Verdichtung. Das Eigene siegt über das Fremde, und das heißt: weniger die Außenwelt, das Sichtbare, mehr das Innerliche, Bedeutungsvolle bestimmt die Bildform und ihre Einzelheiten. Zugleich sieht Francke die Dinge größer. Die Sprache des Thomasaltars ist monumentaler oder doch wenigstens eindrucksamer und ernster. Ein anderer Würdebegriff hat sich in Franckes Kunst durchgesetzt, und damit vor allem beweist sich dieses Werk von 1424 als die Arbeit des erfahrenen, gereiften Mannes. Keine Falte, keine Hügelkontur ist in ihm um seiner selbst gegeben, durchseelt ist jede Form in ihm. Diese Entwicklung zeigen auch die beiden Schmerzensmannbilder. Das kleinere in Leipzig ist ganz gewiß früher als der Thomasaltar entstanden, 11,12. das größere sicherlich aber später, das letzte Werk, das wir von Francke heute kennen. Wir erwähnten oben, welche Selbständigkeit und schöpfe17

rische Leistung Francke in dieser Tafel in inhaltlicher Hinsicht bewiesen hat. Nicht geringer ist die Leistung im Formalen. Trotz aller Zartheit des Körperlichen, trotz aller heimlich-leidvollen Stille eignet dem Hamburger Bilde eine Größe und eine gehaltene Würde, die die letzte Zielsetzung seiner Kunst gegenüber dem Barbaraaltar und auch gegenüber dem Leipziger Schmerzensmann, der eben deshalb nicht völlig gleichzeitig mit dem Thomasaltar, sondern etwas früher, wenn auch gewiß nicht in der Zeit des Barbaraaltars entstanden sein kann, mit höchster Eindrücklichkeit deutlich machen. Noch strenger gebaut als die Bilder des Thomasaltars, tektonisch gebändigt und zeichnerisch bestimmt wie kein Werk zuvor, so hat Francke dem alten Bildthema einen tieferen und bedeutungsvolleren Gehalt zu geben vermocht, indem er Christus nicht nur als Leidenden, als Opfer, sondern als Richter zugleich darstellte. Hier wird man dann auch bezweifeln, ob Francke wie üblich mit dem Begriff lyrisch völlig zu fassen ist. Die Spanne seiner Kunst ist weiter. In diesem letzten Werke steigt er zu einer Größe des Tragischen empor, die nur noch das Münchener Veronikabild ähnlich zu damaliger Zeit erreichte. Aber wie auch immer man den Gefühlsgehalt seiner Kunst bestimmen mag, immer und von Anfang an steht seine Art als eine höchst empfindungsbetonte der begriffsbetonteren westlichen gegenüber. Damit sind wir wieder bei der Frage nach Meister Franckes Herkunft angelangt. Graf Vitzthum hat schon gegen Bella Martens die mancherlei verwandtschaftlichen Züge betont, die Francke mit Konrad von Soest verknüpfen. Gewiß hat er seinen Stil nicht von diesem entliehen, gewiß dürften beide kaum in einem engeren schulmäßigen Zusammenhange gestanden haben. Sie arbeiteten selbständig und im wesentlichen wohl auch unabhängig nebeneinander. Aber sie waren in der Landschaft, im heimatlichen Raum, verbunden. Die Typen ihrer Figuren, zumal die der jüngeren Frauen, Form und Gebärdensprache der Hände, die fließenden Faltenbewegungen ihrer Gewänder ähneln einander unverkennbar, und weder können gemeinsame Vorbilder als bestimmend dafür angesehen werden, noch ist ein Hinweis auf die verbindende Note des Zeitstils eine hinreichende Erklärung. Die Gruppen der Trauernden auf dem Bruchstücke der Mitteltafel des Thomasaltars und auf Konrads Wildunger lehren, daß bei mancherlei Verschiedenheiten, und wenn auch Francke der Darstellung in den Heures du Maréchal de Boucicaut zweifelsohne nähersteht, doch wieder zahlreiche gemeinsame Züge die beiden Werke verknüpfen. Francke gegen Konrad in die Antithese „Höhenstaffelung — Tiefenstaffelung" zu bringen, geht keinesfalls. Vielmehr schließen sich beide gegenüber Französischem zusammen „in dem Bestreben, die durch Modellierung und Überschneidung gegebenen Tiefenanweisungen für das Auge wieder aufzuheben durch lineare Bezüge mannigfacher Art in Falten, Umrissen und in der Lagerung der Hände" 21 . Danach und den mannigfachen Einwirkungen zufolge, die Francke auf die niederdeutsche Malerei ausübte, möchte man in ihm wohl gern einen = < Graf Vitzthum a . a . O . S. 252.

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Niedersachsen oder Westfalen sehen. Bella Martens aber möchte ihn aus Zütphen nach Hamburg kommen lassen. Das Netz ihrer Gedankengänge ist außerordentlich geschickt gesponnen und gewiß verführerisch. Ihrer Meinung nach ist Francke personengleich mit einem Frater Franco aus Zütphen, der für den Dom in Münster, wie die Kerssenbroichsche Geschichte der Wiedertäufer in Münster berichtet, zwei Bilder gemalt hat. So wäre Franckes Einfluß auf Westfalen erklärt. In Hamburg erhält weiterhin ein Meister Nikolaus 1412 Lohn für dreizehn Tafeln, eine Zahl, die der Zahl der Tafeln des Barbaraaltars entspricht. Endlich wohnte in Heimburg ein Nikolaus Vranke bei einem Schuhmacher namens Lubbertes, der aus Zütphen gebürtig ist. Zugegeben, daß die beiden letzten Nachrichten den gleichen Mann meinen könnten, die Nachricht Kerssenbroichs, der im späten 16. Jahrhundert schrieb und keine Angaben über das Alter der Bilder macht, mit ihnen zu verknüpfen, ist vollkommen unzulässig. Vor allem sind die Einwirkungen Franckes auf die westfälische Malerei keineswegs so stark, daß man unbedingt einen Aufenthalt Franckes in Westfalen vermuten darf, und wie sollte jener Mönch Franco, der von Münster nach Hamburg gegangen sein soll, schon 1407 hier eine hereditas, worunter wohl allgemein ein Besitz zu verstehen ist, in novo castro gehabt haben. Immerhin, würde man diese Gleichung streichen, so bliebe noch die Möglichkeit, daß jener in Hamburg genannte Nikolaus Vrancke unser Meister Francke wäre. Die Möglichkeit, daß er aus Zütphen stammte, was für den hamburgischen Vranke nur aus seinem Vermieter zu vermuten wäre, kann man als wahrscheinlich gelten lassen. Ebenso aber kann man in Francke den Sohn jenes Kölner Stadtbaumeisters Arnold Francken sehen, der 1373—1399 erwähnt wird, ebenso kann er ein Sohn oder Verwandter jenes Hamburger Vrancke sein, der als Tuchmacher seit 1370 nachweisbar ist. Mag Francke aus Westfalen, Niedersachsen oder vom Niederrhein gekommen sein, sicher war er ein Niederdeutscher, denn wenn Zütphen heute auch in Holland liegt, damals gehörte es zur Grafschaft Geldern, gehörte es zu dem Kulturräume des Niederrheins und der mittleren Hansagebiete. Das darf man nie übersehen. Gegen die Annahme, daß Francke aus Hamburg stamme, spricht neben anderem dies, daß seine Kunst keinerlei lokale Tradition mit der seines großen Vorgängers Meister Bertram verknüpft. Wir werden im Kapitel Niederrhein die Frage nochmals kurz streifen, denn da wird deutlich werden, daß in diesen Territorien mit ihren starken politischen, dynastischen wie auch kulturellen Beziehungen zu Burgund ganz zweifelsohne sehr einleuchtende Voraussetzungen für Franckes Kunst und die starke Auseinandersetzung mit den neuen Entdeckungen des Westens gegeben waren. Wie auch immer man zu Bella Martens Konstruktion stehen mag, es spricht künstlerisch und kulturgeschichtlich sehr viel dafür, daß Geldern, Kleve, eine der niederrheinischen Grafschaften, Franckes Geburtsheimat war. Einen Werkstattkreis, eine Nachfolge, wie sie bei Konrad von Soest oder dem Veronikameister nachweisbar sind, scheint Francke nicht gehabt zu haben. Einzelne Anregungen sind in mancherlei niedersächsische, 19

westfälische und lübische Werke eingegangen, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihm scheint aber kaum einer dieser Maler gestanden zu haben. Für einen Maler des 15. Jahrhunderts steht Francke seltsam einsam. Vielleicht gehört auch dies zu den Merkmalen seiner Kunst. Sie war zu sehr aus dem Erlebnis einer bedeutenden Persönlichkeit geboren, eines Menschen, der viele Züge einer neuen Zeit in sich trug. Denn mochte er auch in seiner Kunst dem religiösen Erleben allein dienen wollen, wie er es tat, wie er seine Figuren in Ausdruck und Gebärde charakterisierte, wie er es vermochte, „den jeweiligen Ausdruck mit neuen und nicht mehr mit nur-mittelalterlichen Gebärdenvokabeln, Freuden- und Leidensformeln zu bestreiten" -- und alt überlieferte Themen inhaltlich und psychologisch zu vertiefen, wie er etwa den tragischen Zwiespalt in der Seele des Pilatus schildert, darin steht er allein und unerreicht als ein höchst selbständig empfindender Mensch in seiner Zeit da. Dies aus dem Erlebnis eines starken Menschen geborene Neue in seiner Kunst scheint ihn einsam gemacht zu haben, da es nicht nachahmbar und lernbar war. Lichtwark gibt Francke außer den genannten Werken noch einen prachtvollen Beischlagpfosten mit Georg als Drachentöter im Museum für Hamburgische Geschichte. Daß Francke den Entwurf für dieses Steinrelief geliefert hat, darf als durchaus wahrscheinlich gelten. Zu den Thomasszenen lassen sich viele Ähnlichkeiten und Beziehungen zeigen. Dazu ist das Stück so einzigartig und so vereinsamt, daß Franckes Autorschaft, wie man es auch betrachtet, immer wieder sich aufdrängt. Die Idealbildnisse Adolfs von Schauenburg im Museum für Hamburgische Geschichte und im Magdalenenkloster sind dagegen so vielfach übermalt, daß eine sichere Beurteilung unmöglich ist. « Martens a.a.O. S. 150.

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II. ^eftfalen Meister Francke steht für sich. Wenigstens für uns nicht mehr gebunden an ein enger zu umgrenzendes Gebiet erscheint er uns als ein einsamer Vertreter der gesamten niederdeutschen Landschaft. Mit Konrad von Soest wenden wir uns zugleich der Betrachtung der Kunst einer bestimmten Landschaft zu. Konrad von Soest und Westfalen, dieser eine hervorragende Künstler und der Raum einer Landschaft, der Raum und die Kunst Westfalens 1 , sind eine Einheit. Und deshalb steht nun über diesem Kapitel der Name einer Landschaft, der sich dieser Maler völlig einordnet, mag er auch nehmend und gebend weit über ihre Grenzen hinausgegriffen haben, mag er einerseits von westlich-französischer Kunst beeindruckt worden sein und andererseits bis Lübeck und Erfurt gewirkt, mag er selbst bedeutende Werke für das linksrheinische Gebiet geschaffen haben. Westfalen ist seine Heimat durch Geburt und ist auch die Heimat seiner Kunst. Im Lande der roten Erde liegen die entscheidenden Wurzeln seiner Kunst, hier ging der Same seiner Kunst am dichtesten auf. Konrad von Soest erreichte nicht die einsame Größe Franckes, seine Kunst nahm nicht den freien, hohen Flug, den der Thomasaltar und die beiden Schmerzensmänner lehren. Er erscheint neben Francke bodengebundener. Bei gleicher Blickrichtung in seiner Jugend nach Westen hat er doch Art und Eigenart seiner engeren Heimat nie so abgestreift. Was die heimatliche Landschaft, was alte künstlerische Überlieferung durch Geburt und bei erstem Beginnen ihm mitgegeben, wirkt in seinem Schaffen auch für uns noch deutlich erkennbar weiter. Das setzt ihn von Francke ab, mögen sie auch in vielem einander verwandt gewesen sein. Vielleicht darf man es so wenden: Konrad ist nicht so genial, und er ist — man darf wohl sagen: deshalb — bodenständiger, weil zu dieser Zeit Genialität schon Betonung des Individuellen bedeutete. Und weil er bodenständiger war, war er auch von größerer Wirkung. Er konnte Schüler und einen weiten Kreis von Nachfolgern haben, er konnte zum beherrschenden Maler werden und große Gebiete Nieder- und Mitteldeutschlands befruchten, wenn er auch gewiß nicht, wie man gemeint hat, in allen Städten dieses Gebietes gearbeitet hat. So nahe Francke und Konrad von Soest in ihrer Kunst beieinander stehen, nahe wie keine zwei anderen des niederdeutschen Gebietes — darin unterscheiden sie sich in ihrer Veranlagung und Haltung grundsätzlich: Francke hat die ihm durch Geburt und Heimat mitgegebenen Eigenschaften abgestreift oder doch verallgemeinert, Konrad von Soest ist dem westfälischen Erbe dagegen treu geblieben von Anfang bis zu Ende. i. 2 Konrads Ruhm wurde zuerst durch den Wildunger Altar, der 1404 13—29datiert ist, begründet. Dann konnten ihm die Reste eines Altars in der ' Schmitz, Die mittelalterliche Malerei in Soest (Beiträge zur westfälischen Kunstgeschichte 3), 1906; Briele, Westfälische Malerei, 1926. i Nordhoff in Bonner Jahrbücher 67 (1879) S. 100 und 68 (1880) S. 65; Hölker, Meister

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Dortmunder Marienkirche 3 und zwei kleine Täfelchen mit den Darstellungen der hl. Ottilie und der hl. Dorothea aus der abgebrochenen Walpurgiskirche in Soest, im Landesmuseum zu Münster, zugeschrieben werden. Und endlich erweiterte die jüngste Forschung schlagartig sein Werk durch vier Arbeiten: einen kleinen beidseitig bemalten Flügel in der Münchener Alten Pinakothek 4, der außen den heiligen Reinold, den Stadtheiligen von Dortmund, innen den hl. Paulus mit dem Wappen der Dortmunder Familie Berswordt, die auch im Leben Konrads eine Rolle spielt, zeigt, einen stark übermalten Marienaltar in der Michaelskapelle des Aachener Münsters, die ebenfalls stark erneuerten Engelbilder in der Aachener Schatzkammer 5 und endlich durch die Nikolaustafel in der Nikolauskapelle in Soest6, die, von üblen Übermalungen befreit, sich heute als ein sicheres Werk Konrads darbietet. So ist mit dem Namen Konrads ein Werk verbunden, das umfangreicher als das jedes anderen deutschen Malers zu dieser Zeit ist. Und ebenso sind wir über sein Leben besser als sonst unterrichtet, wenn das Uberlieferte zuerst auch nur einige dürre Jahreszahlen zu umfassen scheint. Es sind Nachrichten, die höchst zufällig erscheinen und doch mit Sicherheit auf ihn zu beziehen sind. Konrad bezeugt sich selbst in der ausführlichen Inschrift des Wildunger Altars: Temporibus rectoris divinorum Conradi Stollen plebani Hoc opus completum per Conradum pictorem de Susato sub anno Domini mcccc quarto ipso die beati Egidii confessoris. Nun begegnet uns ein Maler Konrad nicht in Soest oder einer anderen westfälischen Stadt, wohl aber in Dortmund/. Hier wird ein Meister Konrad, Maler, zwischen 1413 und 1422 mehrfach in dem Bruderschaftsbuche der St. Nikolaikirche erwähnt. Weiterhin schließt am 14. Februar 1394 ein Konrad von Soest einen Ehevertrag (eine Morgensprache) mit einer Gertrud, der Tochter des verstorbenen Lambert von Münster, über bedeutende Vermögen ab, bei dem mehrere angesehene Bürger der Stadt, darunter der Ratsherr und Bürgermeister Lambert Berswordt anwesend waren. Man könnte an ein Spiel des Zufalls glauben und zweifeln, ob diese Nachrichten, von denen die eine einen Konrad von Soest, die anderen einen Maler Konrad nennen, aufeinander bezogen werden dürfen. Bei der einen ist die Abstammung, bei den anderen der Beruf und nichts weiter genannt. Müssen sie die gleichen Menschen betreffen? Man muß aber bedenken, Conrad von Soest (Beiträge zur westfälischen Kunstgeschichte 7), 1 9 2 1 ; P. I. Meier, Werk und Wirkung des Meisters Konrad von Soest (1. Sonderheft der Zeitschrift Westfalen), 1 9 2 1 ; Geisberg, Meister Konrad von Soest (Westfälische Kunsthefte 2), 2. Aufl. 1934; Nissen in Westfälische Lebensbilder II Heft 3, 1 9 3 1 ; derselbe in Westfalen 18 (1933) S. 107; Zimmermann ebenda 14(1928) S. 228 und 16 (1931) S. 50; P. I. Meier ebenda 1 6 ( 1 9 3 1 ) 8 . 3 7 . 3 Schäfer in Zeitschrift für bildende Kunst 57 (1928/29) S. 1 2 ; Geisberg, Der Dortmunder Altar (Westfälische Kunsthefte 2) i . A u f l . 1931. 4 Stange in Wallraf-Richartz-Museum N. F. 2/3 (1933/34) s - l 6 S5 Richter in Der Mittag, Düsseldorf, 23. Juli 1934. 6 Nissen in Westfalen 18 (1933) S. 228. 7 Luise v. Winterfeld in Beiträge zur Geschichte Dortmunds 37 (1925) S. 1 4 1 ; auch Stange a. a. O. S. 173/4.

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in welchem Zusammenhang diese Erwähnungen stehen. In Bruderschaftsbüchern wird, wie vielfach festzustellen ist, üblich nur Beruf und Vorname genannt. Herkunft und Vergangenheit waren in diesem Falle unwichtig. Anders in den amtlichen Eintragungen der Morgensprache. Der betreffende Bürger konnte wegziehen oder den Beruf wechseln, da waren jene Angaben wichtig. Die Einträge von 1394 und 1413—1422 dürfen sehr wohl aufeinander bezogen werden. Und dann dürfen wir annehmen, daß sowohl die Zusatzbezeichnung de Susato auf dem Wildunger Altar wie in jener Morgensprache nicht die unmittelbare Herkunft Konrads angibt 8 . Es spricht vielmehr alles dafür, daß er trotz dieses Beinamens Dortmunder Kind war: von Soest war bei ihm schon Familienname. Wahrscheinlich war er ein Sohn oder Enkel des seit 1348 in Dortmund lebenden Wernerus pictor de Susato, also auch eines Malers, was zu bemerken nicht unwichtig ist. 1394 war Konrad bestimmt „nicht neu eingebürgert, muß aber Bürger gewesen sein, da seine Morgensprache mit Gertrud von Münster" — wir haben hier denselben Fall eines Beinamens, der nur mittelbar die Herkunft meint — „nach Dortmunder Stadtrecht geschah" 9. Und auch dies, daß Mitglieder alter Ratsgeschlechter ihm die Ehre der Brautmannen erwiesen, bestätigt unsere Annahme, er sei einer angesehenen Dortmunder Familie entstammt10. Der Wildunger Altar steht heute noch auf dem Platze, für den er gey

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Luise v. Winterfeld a. a. O. S. 1 4 1 . 10 Schröders Versuch Cicerone 1 5 ( 1 9 2 3 ) S. 1 1 4 9 , ihn mit einem bis 1 4 5 1 in Lüneburg nachweisbaren Cord von Soest gleichzusetzen, ist vollkommen abwegig.

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13—*7- schaffen wurde. Er ist ein zweiflügeliger, durchaus gemalter Flügelaltar, der geöffnet 7,60 m mißt. Seine Feiertagsseite schildert in dreizehn Bildern das Leben Christi von der Verkündigung bis zu der Ausgießung des heiligen Geistes und dem Christus in der Glorie. Die Seltsamkeit, daß die vier Bilder des linken Flügels in Zusammenhang abgelesen werden müssen, während sonst die Folge der Bilder über Mitteltafel und rechten Flügel in zwei Reihen hinwegläuft, zwischen die, wiederum unregelmäßig springend, die große mittlere Darstellung der Kreuzigung eingeschaltet ist, darf nicht so erklärt werden, daß die Flügel erst nachträglich angefügt wurden 11 . Vielmehr ist der Zyklus der Jugend Christi — wie im Kirchsahrer Altar — so als in sich beschlossene Einheit gegeben worden, während es sonst mit den Passionsbildern unangenehme Überkreuzungen gegeben hätte. Ornamentierte Streifen trennen die einzelnen Szenen. In den Zwickeln des oben im Halbrund geschlossenen Kreuzigungsbildes sind zwei Propheten gegeben. Die Außenseiten der Flügel zeigen je zwei auf einer Art Attika stehende, gemalte Heiligenfiguren: links Katharina und Johannes den Täufer, rechts Elisabeth und Nikolaus. Die Erhaltung ist verhältnismäßig gut. Die früher verschiedentlich bezweifelte Datierung, man wollte, da die letzten Zeichen weitgehend zerstört sind, sie in 1414 umdeuten, hat sich bei neuerlichen Untersuchungen einwandfrei als qrto, also quarto erwiesen, womit der Altar auf das Jahr 1404 gesichert ist 12 . Zumal auf dem rechten Flügel gibt es schwächere Teile, und hier mögen für einzelne leere Köpfe und Stellen Gesellenhände verantwortlich sein, nennenswert war ihre Mitarbeit nicht. Vielmehr zeigt sich des Meisters Hand an jedem Bilde in Entwurf und auch Ausführung unverkennbar. Sicher ganz von des Meisters Hand sind die in der Dort19—22. munder Marienkirche erhaltenen Reste, die grausam zurechtgeschnitten im frühen 18. Jahrhundert in einen Barockaltar eingebaut wurden. „In barbarischer Verständnislosigkeit hat man damals von jedem Bilde an der einen oder anderen Seite ein erhebliches Stück abgesägt"'3 und damit eines der großartigsten und edelsten Werke altdeutscher Malerei zerstört. Nur ein, wohl im dritten Jahrzehnt entstandener westfälischer Altar kann uns noch eine ungefähre Vorstellung vom Aufbau des Ganzen und der Anlage der einzelnen Bilder vermitteln. Es ist der von einem Propst der Walpurgiskirche in Soest, Johannes von Blankenberch, zwischen 1422 und 1443 gestiftete Altar, der sich heute im Landesmuseum zu Münster befindet. Bei der Nachfolge Konrad von Soests wird von ihm noch des weiteren zu handeln sein. Ihm zufolge war Konrads Dortmunder Marienaltar zweiflügelig, anders aber als der Wildunger Altar trug er auf jeder Tafel nur eine Darstellung. Im Mittelfeld war der Tod Mariens, auf dem linken Flügel die Geburt, auf dem rechten die Anbetung der Könige dargestellt; auf den Außenseiten Verkündigung und Krönung. Da der aus der Barfüßerkirche in Göttingen stammende, heute " Bella Martens a. a. O. S. 166. 13 Zimmermann in Westfalen 16 ( 1 9 3 1 ) S. 50 Anm. 1 ; auch P.I.Meier ebenda S. 4 1 . >3 Geisberg 1931 S. 12.

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im Landesmuseum zu Hannover aufbewahrte große Altar, der 1424 datiert ist, sich vom Dortmunder abhängig zeigt '4, muß dieser früher entstanden sein. Man darf ihn um 1420 oder kurz danach ansetzen. So stehen diese beiden Altäre Konrad von Soests in einem ähnlichen zeitlichen Abstand wie die beiden uns von Meister Francke überkommenen, und sie zeigen auch ähnliche Unterschiede. Schon das ist kennzeichnend, daß das Format der Bilder bei dem späteren Dortmunder Altar größer ist. Es entspricht einer monumentaleren Formgesinnung. Geisbergs Rekonstruktionsskizze lehrt, daß die Bilder ziemlich streng symmetrisch gebaut waren, sei es, daß im Geburtsbilde Joseph, in der Anbetung Maria die Mitte beherrschten und über diesen Figuren halbkreisförmige Engelglorien nochmals betonend angeordnet waren, sei es, daß im Marientod die Gruppen rechts und links gleichgewichtig waren und nur die Engelglorie die Mitte betont. Eine sehr strenge Ökonomie waltete in diesem späten Werke. Ausgewogen, klar und straff waren die Teile zum Ganzen gefügt. Dagegen sind die Bilder des Wildunger Altars vergleichsweise locker gebaut. „Das Wort Komposition ist fast zu schwer: man möchte Arrangement sagen. Wie die drei Kreuze in die Bogenlinie hineinkomponiert sind, wie die beiden Schacherkreuze bedenkenlos in eine schwierige Schrägstellung gerückt sind, um mit dem abfallenden Bogen nicht in harter Horizontale zusammenzustoßen, wie mit derselben ungezwungenen Selbstverständlichkeit die Zwischenräume zwischen den Kreuzen und den seitlichen Bogenendungen mit fliegenden Engeln, flatternden Spruchbändern oder Baum- und Menschengruppen ausgefüllt sind, wie jenes reiche Bogenrund des Rahmens in allen Kurven wiederschwingt, sei es in der großen Schmerzenskurve des Kruzifixus (mit der die harte Rechteckigkeit des Kreuzesstammes übertönt wird), oder sei es in dem sanft bewegten Wellengewoge der Frauengruppe: das alles zeigt die leichte Hand eines Künstlers, der im Dekorativ-Gefälligen, nicht im MonumentalStrengen zu Hause ist '5." Die Formensprache ist kleinteilig, ja minutiös. „Die liebenswürdige Geschicklichkeit eines Miniaturisten ist es, die hinter dieser raffiniert ungezwungenen Bildregie steht. Alles ist aufs Momentane und Zufällige gestellt, und doch steht hinter dieser scheinbaren Zufälligkeit eine dekorativ sichere Berechnung. Probleme scheint es für diesen Künstler nicht zu geben, alles ist dem instinktiv sicheren Einfall überlassen 16 ." Die Formen sind lebhaft bewegt, die Konturen schwingen in lockeren Kurven, reich ist das Geschiebe von Figuren und architektonischen Motiven. Die Nuance herrscht in Form und Farbe. Die Palette ist mannigfaltig reich und arbeitet mit zartesten Übergängen. Gleich hochgezüchtet, elegant geschmeidig ist die Zeichnung. Leicht, mitunter wirklich zufällig scheinen die Stellungen und Bewegungen der Figuren und sind doch stets höchst überlegt so geordnet. Preziös ist der Ausdruck der Gesichter, geziert sind die Bewegungen der Hände und Finger. Freude an anmutigen J

4 Graf Vitzthum in Göttinger Beiträge zur deutschen Kulturgeschichte, 1927 S. 74. *5 Worringer a. a. O. S. 206 ff. »6 Worringer a. a. O. S. 208. 25

Linienbewegungen, an schwingenden und klingenden Faltenläufen, an modischen, schmuckreichen Kostümen, an sittenbildlichen und stilllebenhaften Zügen, an allem, was den Bildern eine lebhafte, gleißende Oberfläche zu geben vermag, prägte ihnen ihr Aussehen. Die Sicherheit des Geschmackes ist unübertrefflich. „Nie hat man geahnt, daß ein Westfale eine so leichte und gewandte Hand haben könnte. Von einer geradezu spielerischen Anmut und spielerischen Sicherheit ist der Vortrag." 1 ? Sehr charakteristisch sind die dieser Haltung entgegenkommenden Szenen wie Verkündigung und Anbetung der Könige, aber auch in der Kreuzigung hat sich diese weltlich-modische Neigung, diese Freude am Spielerischen und Anmutigen höchst nachdrücklich zur Geltung gebracht. Gegenüber der Gruppe der Frauen, die ähnlich der auf Franckes Kreuzigungsfragment ist, steht eine Gruppe von Männern. Es sind nach der alten Ikonographie die Juden und der Hauptmann, der auch an dem von seinem weisenden Finger ausgehendem Schriftbande erkennbar ist. In Wahrheit aber hat Konrad eine Gruppe höchst eleganter, modisch gekleideter Ratsherren geschildert, die d u Ereignis, dem sie beiwohnen, besprechen. Ausführlich und mit sichtlicher Freude malte er die pelzverbrämten Brokate ihrer Mäntel, die Damastgewänder, die dicken Schmuckketten und Gehänge, die seltsamen Hüte und Mäntel mit Federputz und Agraffen, die spitzigen Schuhe, das dünne, kokette Stöckchen des vordersten, kurz all die Modetorheiten, die aus Frankreich und Burgund ihm bekannt geworden waren. Ähnlich sind die Könige in der Anbetung, ist Pilatus in der Geißelung, ist Longinus, der Christus die Lanze in die Seite bohrt, dargestellt. Und zu ihnen fügen sich, vom gleichen Geiste geschaffen, die verschiedenen Bauten, die sechs der Bilder, die Büsche und Hügel, die andere füllen. Sie zeigen eine gleiche Freude an kleinteiliger Mannigfaltigkeit. Ihre raumschaffende Wirkung ist gering. Sie rahmen mehr und gliedern die Gruppen, als daß sie Tiefe bewirken. Anders als Francke geht Konrad Tiefenstößen, dem Raumproblem überhaupt, aus dem Wege. Die schmalen Raumstreifen seiner Bilder sind stets unselbständig, den Figuren untertänig und gewinnen erst mit ihnen Sinn und Bedeutung. Und die Figuren selbst sind noch zarter und unkörperlicher als die in Franckes Barbaraaltar, wirklich körperlos, unschwer, unhaptisch scheinen sie. So wirken dann die schwingenden und spielerisch sich verschleifenden Falten und Konturen, wirken die Finger der Frauen unter dem Kreuze noch filigranartiger als bei Francke. Die Fläche herrscht stärker als bei diesem. Dem Formillen ist nicht jene bedingte Autonomie gewährt, die Francke im Räumlichen ihm zubilligt. Man darf daraus keinen grundsätzlichen Unterschied konstruieren, es handelt sich nur um einen gradweisen. Aber mehr als Francke fesseln Konrads Blick die dekorativen Reize des Oberflächenlebens, und sie schildert er allerdings mit einer Augenfreudigkeit wie kein anderer zur Worringer a. a. O. S. 206

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gleichen Stunde. Es ist erlaubt, vor den Bildern des Wildunger Altars von Genrerealismus oder Oberflächenrealismus zu sprechen. Bei den Hütten und Bauwerken ist das ganz klar, aber auch der Joseph auf dem Geburtsbilde, der knieend das Feuer anbläst, damit die Suppe zum Kochen komme, ist nur als eine reliefplastisch und farbig mannigfaltig bewegte, reizvolle Oberflächenschilderung, als eine genrehafte Erscheinung gegeben. Konrads Realismus beschließt keine grundlegenden Probleme der Formgestaltung in sich. Eher mutet er wie ein heiteres Spiel an, nie berührt er die lyrisch gestimmte Idealität der Kompositionen. Denn mag Konrad im Kostümlichen noch so weltlich und irdisch erscheinen, diese Bekleidungen sind doch mehr eine Verkleidung und rücken wie der Goldgrund, wie die unkörperliche Schwerelosigkeit der Figuren, wie die versonnene, zarte Stille ihrer Mimik und Gestik die Bilder in eine durchaus überirdische Sphäre. Dabei ist Konrad nicht ausdrucksarm — man nehme etwa den Johannes auf der Kreuzigung oder den schmerzvoll verkrampft gebogenen Gekreuzigten selbst oder auch die drei Könige —, aber mehr noch als bei Francke gilt bei ihm, daß die Charakteristik seiner Figuren nie ins Eigenwertig-Individuelle vorstößt. Wir wissen durch Meister Franckes Frühwerk, wie Konrad zu dieser elegant-modischen Sprache kam. Die dekorative Sicherheit seiner Bildgestaltungen war ihm sicherlich wie auch Francke von Natur aus eigen. Sie gehört in diesen Jahrzehnten überhaupt zu den entscheidenden Eigenschaften deutscher künstlerischer Gestaltung und findet sich auch, wo keinerlei westliche Einflüsse erkennbar werden. Aber die Freude am Stillebenhaften, an kostbaren Stoffen und Kleidern, am Augenreiz ganz allgemein und auch einzelne Typen unter den Männern, wie sie etwa die drei Könige zeigen, sie sind zweifelsohne vom Westen übernommen. Die Quellen müssen etwa die gleichen wie bei Francke gewesen sein: die französische Buchmalerei um 1400. Am nächsten steht wohl das Livre de la Chasse in der Bibliothèque Nationale (Ms. fr. 616). Da die Raumtiefe in diesen Handschriften noch nicht so nachdrücklich zur Geltung gebracht ist wie in den späteren, die Francke erlebte, so konnte sie auch Konrad noch nicht übernehmen. Sein Wildunger Altar ist mindestens fünf Jahre älter als der Barbaraaltar, und ihre Unterschiede sind gewiß zum Teil auch in diesem zeitlichen Abstände, nicht nur in der verschiedeneil Veranlagung der Meister begründet. Freilich hat formales Denken wohl überhaupt Konrad weniger entsprochen. Für den Genrerealismus aber hatte die deutsche Malerei des späten 14. Jahrhunderts — man denke an den Schottener oder den Buxtehuder Altar, die beide von nahe verwandten Landsleuten Konrads geschaffen worden waren — so vorgearbeitet, daß er sich vom Westen nur zu einer ausführlicheren Ausbreitung und zu einer höfischen Sprechweise anregen zu lassen brauchte. Die Windspiele vor der Männergruppe der Kreuzigung sind neben verschiedenen Kleidungsstücken eindeutige Beweise für diese westlichen Anregungen. Ob dagegen auch die Gruppe der Trauernden von da abgeleitet werden muß, diese Frage bleibe offen. 27

Anders als auf Meister Francke hat auf Konrad von Soest die französische Buchmalerei weniger tief eingewirkt, und es ist deshalb nicht unbedingt notwendig, auch für ihn eine Wanderfahrt nach dem Westen vorauszusetzen. Aber auch wenn er wirklich dort gewesen sein sollte, was vorerst nur schwer zu beweisen sein dürfte, so hat er sich mit dessen Kunst, ihren Problemen und Zielen, nicht eigentlich auseinandergesetzt, sondern nur mancherlei Dekoratives übernommen. Dafür melden sich die heimischen Voraussetzungen im Wildunger Altar mit nachdrücklicher Deutlichkeit. Der Aufbau des Altars entspricht altgeübtem deutschen Brauche, und es ist nicht zu gewagt, wenn man auf die älteren westfälischen Altäre in Netze und heute in Köln als Vorstufen hinweist, von denen Konrad wohl auch die seltsame verbogene und verkrampfte Darstellung des Gekreuzigten übernommen hat. Denn hier kann es sich nicht um zufällige Parallelen handeln, ein unmittelbarer Zusammenhang muß angenommen werden. Diese Vermutung wird bestätigt, wenn man sodann auch zu zeitlich näheren Beispielen wie dem Schottener und dem Buxtehuder Altar Beziehungen findet. Die Verkündigung etwa dürfte auf eine Wurzel zurückgehen, die der Darstellung des Buxtehuder Altars nicht allzu fern stand, wobei man natürlich stets den eingetretenen und von Konrad selbst schöpferisch geförderten Stilwandel mit in Betracht ziehen muß, um die Unterschiede zu verstehen. So lehrt uns der Wildunger Altar ziemlich klar die Herkunft und die ersten Quellen, aus der Konrads Kunst erwuchs. Sie erscheint uns heute bodenständiger als die Franckes. Das Einheimische steht gewichtig neben dem fremd Übernommenen. Konrads Entwicklung und die großartige Entfaltung seines Schaffens zeigen uns sodann die unglücklichen und doch noch immer so eindrucks19—22. vollen Reste des Dortmunder Marienaltars. Daß sie von seiner Hand sind, kann nicht bezweifelt werden, wenn auch die Wandlung sehr beträchtlich ist. Versteht man diese Unterschiede richtig, so bezeugen sie die Größe der Spanne und den Reichtum des Erlebens, die Konrad wie Meister Francke auszeichneten. Und wenn wie dieser auch Konrad auf manchen äußerlichen Reichtum, den sein Frühwerk, der Wildunger Altar, besitzt, verzichtet, so bedeutet das wiederum nicht Eintrocknen und Verarmen, sondern vielmehr Emporsteigen zu letzter Größe und Dichte. Wir betonten oben, daß sich das Streben nach Größe schon im Aufbau des Altars zeigt, da die Szenen nicht mehr bilderbogenhaft neben- und übereinander gefügt sind, sondern nur drei große Darstellungen die beträchtlichen Flächen füllen: der Altar maß bei geöffneten Flügeln 5.64 m in der Breite zu 1.41 m in der Höhe, so daß der Marientod 2.82 m zu 1.41 m, die Flügelbilder je 1.41 m im Geviert groß waren. Gleichzeitig vereinfacht Konrad das Beiwerk, verzichtet er größtenteils auf architektonische wie landschaftliche Motive, klärt er die räumliche Anlage, steigert er den Maßstab der Figuren und macht er sie formal bedeutsamer. Wenige, große Formen stellt er klar und nachdrücklich ins Bild. Alles 28

Äußerliche ist von ihnen abgefallen, was seinem früheren Altar eine so spielerische Heiterkeit gab. Joseph bläst nicht mehr das Feuer an, um den Brei zu bereiten, sondern sitzt gehalten ruhig, nur leicht zur Gruppe der Mutter und des Kindes gewandt da als Mittelachse des Bildes. Jetzt ist er nicht mehr Genremotiv, sondern formal bedeutsamer Mittelpunkt der Bildanlage. Ebenso saß die Maria der Anbetung ursprünglich in der Mittelachse, und die Könige, Joseph und der Diener waren symmetrisch um sie angeordnet. Diese Symmetrie der Bildanlagen ist kennzeichnend für die baumeisterliche Gesinnung, mit der Konrad nunmehr seine Bilder aufbaut. Es geht ihm um Klarheit, Strenge und Ruhe. Eine hohe Würde will er jeder seiner Figuren, jeder seiner Kompositionen geben. Von da aus muß man sein neues formales Gestalten, die Tektonik seiner Bilder, das Ausscheiden von allem Kleinen, das Bemühen, jeder Figur eine gewichtige, bedeutsame Größe zu geben, verstehen. Was er im Wildunger Altar gar nicht war, Baumeister, das ist er in sehr hohem Maße geworden. Großflächig sind nun auch die Farben verteilt, und geben durch ihre strahlende Leuchtkraft den Bildern einen fast überirdischen Glanz. Im Dortmunder Altar sucht Konrad nicht mehr reizvoll, „interessant" zu sein, ein tieferes Ethos erfüllt nun seine Kunst, beseelt seine Menschen, die nicht mehr modisch wie Schauspieler sich darstellen, die ernst und abgeklärt das Heilige erleben, dem Heiligen dienen. Und wie zart kann Konrad nun sein: etwa in der Gebärde des jüngsten Königs, der von der Seite herantretend leise mit der Hand Marias Mantel berührt. Keine lebhaftere Bewegung stört diese Bilder. Feierliche Stille und tiefe Ergriffenheit geht von ihnen aus zum Beschauer. Wie Francke in seinem Thomasaltar rührt Konrad im Dortmunder Marienaltar an Letztes. Vielleicht, daß Francke mehr und tiefer suchte: man denke an seinen späten Schmerzensmann, Konrad blieb auch in diesem seinem Spätwerk einfacher — aber man unterschätze nicht die Tiefe und Größe seines künstlerischen Wollens. Der Nikolausaltar 18 , der 1933 von alten Übermalungen befreit wurde 18. und nun, wenn auch nicht zum besten erhalten, als gesichertes Werk Konrads gelten darf, und das Münchner Flügelchen gehören in die nächste 25—26. Nähe des Wildunger Altars. Ein Vergleich des hl. Nikolaus auf der Soester Tafel mit seiner Darstellung auf der Außenseite des Wildunger Altars, der Mädchenköpfe mit dem Verkündigungsengel, des hl. Reinold mit dem jüngsten König der Anbetung bezeugen eindeutig eine zeitlich nahe Entstehung der Werke. Vielleicht darf man sie sogar noch etwas früher ansetzen. Der gewisse französische Einschuß, den der Wildunger Altar zeigt, ist auch beim hl. Reinold deutlich, ja keine andere Figur Konrads trägt sich so spielerisch elegant, besitzt einen solch überlegenen, distanzierenden Ausdruck, hat ein solch modisch gepflegtes Aussehen wie diese ritterliche Figur. Zu den Gestalten des Livre de la Chasse ist von ihr nur ein kleiner Schritt, vielleicht übertrifft dieser Reinold sie noch 18

Nissen, Zeitschrift des Vereins f. d. Geschichte von Soest und der Börde 48 S. 103.

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in der Selbstverständlichkeit der Haltung. Andererseits scheint in den Tafeln noch viel ältere heimische Tradition zu stecken. Wenn wir nicht irren, weist die Gewandbehandlung beim Paulus und bei den seitlich stehenden Heiligen der Nikolaustafel zurück auf die Stilstufe, die in dieser Gegend etwa der Schottener Altar vertritt. Anders als bei den stehenden Heiligen des Wildunger Altars, anders auch als bei den beiden weiblichen Heiligen im Landesmuseum zu Münster liegen bei jenen die Gewänder zum Teil dem Leib noch straff an, der sich unter ihnen säulenhaft rundet. Wie im späten 14. Jahrhundert zirkeln die Konturen noch in spiraligen oder ohrmuschelförmigen Schnörkeln. Das musikalische, schwingende Kurvenspiel, das die Falten und Konturen des Wildunger Altars zeigen, fehlt diesen beiden Werken weithin. Altertümliches und westlich Beeinflußtes stehen unverbunden nebeneinander. Konrads Art, die ihm eigene dekorative Sicherheit ist auch schon an diesen Werken unverkennbar, aber es gibt auch noch Formelhaftes. Das darf man nicht übersehen. Der Kopf des Paulus in der Münchner Tafel darf noch mit dem Joseph im Schottener Anbetungsbilde in Beziehung gebracht werden. In Konrads Figur spricht jede Linie in reicheren Rhythmen. Die heftigen Helldunkelgegensätze sind gedämpft. Die Formen sind grazil. Wuchtig und heftig erscheint daneben die Ausdrucksweise des Schottener Altars. Dennoch wird man den Zusammenhang nicht verkennen dürfen. Konrad baute auf Grundlagen von der Art des Schottener Altars auf, wenn er nicht von diesem selbst ausging, was nicht mehr zu entscheiden ist, und führte dessen Art in die lyrisch-zarte Weise der Jahre nach 1400 über. 27. Die außerordentlich feinen und sorgfältig gemalten Münsterer Täfeichen — ihre Rückseiten zeigen eine Gregorsmesse — müssen ebenfalls noch nahe dem Wildunger Altar entstanden sein. Die Belege für eine zeitlich nahe Ansetzung sind mannigfache und bis in letzte Einzelheiten und Kleinigkeiten zu erbringen, aber diese beiden Flügel dürften nun später als der Wildunger Altar geschaffen worden sein. Denn mehr als in diesem scheint Konrad um Einfachheit und formale Größe bemüht gewesen zu sein. Mit Sicherheit können sodann zwischen die beiden großen Altäre die Aachener Malereien gesetzt werden, die freilich so schlecht erhalten sind, daß über ihre ursprüngliche Form und Schönheit nur noch wenig ausgesagt werden kann. Aber trotz der den alten Bestand völlig verfälschenden Übermalungen dürfen sie doch mit Sicherheit für Konrad von Soest in Anspruch genommen werden. Darin haben Erwin Richter 28. und Max Geisberg ganz richtig gesehen. Die zwölf in der heutigen Schatzkammer befindlichen Tafeln zeigen einzeln oder paarweise zusammengerückte, lang gewandete Engel mit Musikinstrumenten, Weihrauchfässern und Leuchtern. Je zwei entsprechen sich gegenseitig. Einer von ihnen trägt einen kleinen goldenen Schrein, den der auf einer anderen Tafel dargestellte Kaiser Karl entgegennimmt. Offenbar soll damit auf die heiligen Reliquien hingewiesen werden, die das Aachener Münster besitzt. Bis auf zwei sind alle Figuren in die obere Hälfte der Tafeln 30

gerückt, so daß unter ihnen eine große leere Fläche bleibt. Der Grund für diese seltsame Anordnung wird darin zu sehen sein, daß sie ursprünglich den Schmuck der Innenwand des großen Reliquienschrankes der ehemaligen Schatzkammer in der Matthiaskapelle, die gleichzeitig mit dem 1414 vollendeten Chor erbaut wurde, gebildet haben. So erklärt sich zwanglos, warum die unteren Teile der Tafeln, vor denen die Reliquiaren und Ostensorien des Domschatzes standen, von der Darstellung freigelassen sind. „Man mag sich vorstellen, welch wundervolles Bild der geöffnete Schrank in dieser einzigartigen Verbindung der sakralen Heiligtümer, der Meisterwerke der Goldschmiedekunst, des Kunstgewerbes und der Malereien eines Konrad von Soest ehedem botl" '9 Die Mitteltafel des Marienaltars auf dem Michaelschore im Aachener Münster zeigt auf einem mit Brokatstoff überdeckten Sitze die thronende Maria mit dem Jesuskinde, umgeben von Erasmus und Matthias zur Rechten, Benedikt und der ägyptischen Maria zur Linken. Auf den Flügeln sind innen die Apostelfürsten, zu deren Füßen je ein Stifter kniet, außen sind Kaiser Karl mit Krone und Reichsapfel und Johannes der Täufer dargestellt. Die Wappen auf diesen Bildern bezeugen, daß es sich bei den beiden Stiftern um zwei Neffen Kunos von Falkenstein handelt, die ihm in seinen beiden Ämtern als Erzbischof von Trier (1362—88) und Administrator von Köln (1366—71) nachfolgten. Der eine ist der trierische Erzbischof Werner von Falkenstein, der 1418 starb, der andere der kölnische Friedrich III., Graf von Saarwerden, der 1414 starb. Demnach dürfte der Altar gegen oder bald nach 1414 entstanden sein. Früher ist er kaum anzusetzen. Soweit man bei der starken Übermalung noch urteilen kann, steht er dem Dortmunder Altar näher als dem Wildunger. Seine Form ist größer, die Komposition des Hauptbildes strenger und klarer als bei diesem Frühwerk. Versuchsweise wenigstens sei in das Werk Konrad von Soests jenes kleine Täfelchen des Münsterer Landesmuseums — seit längerem als Leihgabe im Wallraf-Richartz-Museum — eingefügt, das auf der Vorderseite die Trinität, rückseits das vera ikon zeigt. Das Bildchen wird gemeinhin in die kölnische Malerei eingeordnet, aber weder zu den Werken des Veronikameisters, noch zu anderen kölnischen Arbeiten dieser Zeit bestehen wirklich überzeugende Zusammenhänge. Die Flächigkeit seiner Komposition, die Einfachheit seiner formalen Anlage, die es sehr deutlich von Franckes Lösungen absetzen, genügen nicht, um das Bild in die kölnische Malerei einzuordnen. Weder der Typus Gottvaters, noch die naiven, kindlichen Engelchen begegnen da. Wohl aber bei Konrad von Soest. Die Engel, die im Wildunger Altar den Gekreuzigten umflattern, sind alle so naiv lebendig, haben alle solch lockeres Haar, sind alle so flott angelegt. Gottvater kann man mit dem linken stehenden König oder dem hl. Reinold vergleichen — wie wörtlich übereinstimmend ist die Behandlung der Bärte —, und Christus wiederum mit dem Gekreuzigten •9 Geisberg 1934 S. 10.

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des Wildunger Altars. Seitdem das Münchner Flügelchen bekannt und in das Werk Konrads aufgenommen wurde, darf man es wohl wagen, auch diese Trinität dem westfälischen Meister zu geben. Der Münchner Flügel und die beiden weiblichen Heiligen in Münster lehren, daß Konrad im kleinen Format so delikat wie nur ganz wenige neben ihm sein kann, und nimmt man noch die mannigfachen Übereinstimmungen, von denen wir nur einige besonders auffallende nannten, hinzu, so ist es wohl nicht zu gewagt, ihm auch dieses reizvolle, edle Täfelchen zuzuschreiben. Überdies steht das vera ikon auch der noch zu besprechenden Tafel in Berlin nahe, die wir dem Meister des Fröndenberger Altars geben. Außer dem Wildunger muß Konrad von Soest noch einen großen Kreuzigungsaltar und ein zu seiner Zeit berühmtes Marienbild gemalt haben. Die zahlreichen vielfigurigen Kreuzigungsdarstellungen Westfalens und Niedersachsens, Soests und Hildesheims, setzen eine Komposition Konrads unbedingt voraus. Und ebenso verlangen die Marienbilder in den Budapester und Berliner Museen und weiterhin die sogenannte Madonna mit der Wickenblüte im Wallraf-Richartz-Museum die Annahme eines Vorbildes von Konrads Hand. Wahrscheinlich hat er dann auch noch einen Marienaltar gemalt, für dessen Gestalt der Altar aus der Walpurgiskirche in Soest, heute im Landesmuseum zu Münster, einen Anhalt bieten dürfte. Es ist richtig, was P. I. Meier-0 sagt: „Die Wirkung, die Konrad ausgeübt hat, kann lediglich mit der eines Schongauer, Dürer, Flötner verglichen werden." Seine Kunst ist von einem kaum zu überschätzenden Einfluß gewesen. Er war nicht einsam, wie uns Meister Francke heute erscheint, sondern ein weithin Herrschender in den verschiedensten Teilen Niederdeutschlands, er war bestimmend für mannigfache Werke, die in nahen und fernen Werkstätten entstanden, an ihm konnte selbst die große und so fruchtbare Malerei Kölns nicht vorbeigehen. Seine Kunst muß so recht nach dem Herzen seiner Zeit gewesen sein. Ein glücklicher, heiterer Mensch müßte er nach unserer Vorstellung gewesen sein, der weniger problembeladen als Francke sich mit seiner beschwingten Künstlerhand rasch die Liebe seiner Zeitgenossen gewann. 2. Ehe zu den, um Konrad sich fügenden, zahlreichen Werken westfälischer Malerei übergegangen und in ihre Mannigfaltigkeit Ordnung zu bringen versucht wird, müssen drei Marienbilder und ein Kanonbild besprochen werden, die in einem besonders engen Verhältnis zu Konrad von Soest stehen, wenn sie auch keine Originale von seiner Hand sind. Aber sie erfassen und wiederholen Bilder von ihm äußerlich und innerlich unmittelbarer, als es irgendeines der späterhin zu besprechenden Werke tut. Sie sind nicht schlechthin nur Arbeiten von Nachfolgern und Nachahmern, die mit einem ererbten, übernommenen Gute handeln, so gut sie es können, ihren Malern war es vielmehr darum zu tun, ein bestimmtes »® P. I. Meier, 1921 S. 61. 32

Werk und dazu gewiß ein besonders berühmtes Vorbild so wörtlich und genau wie möglich zu wiederholen. Die Kreuzigungsdarstellung mit einem Geistlichen als Stifter, ein aus 31. einem anscheinend verlorenen Missale gelöstes, auf Pergament gemaltes Kanonbild, das sich als Besitz des westfälischen Kunstvereins heute im Landesmuseum zu Münster 21 befindet, ist ziemlich stark abgerieben, aber noch immer sind die feinfühlige Farbgebung und die zarte Formgestaltung deutlich erkennbar. Die Figur des Gekreuzigten stimmt mit der des Wildunger Altars fast völlig überein. „Der Kopf des Johannes entspricht gegenseitig dem der Maria auf der Himmelfahrt. Vielleicht sind auf der Zeichnung die Linien des spitzen Gesichtswinkels noch mehr betont. Das Kinn ist in derselben Weise zur abgewendeten Seite hin verschoben wie bei der Salome des Kalvarienberges und namentlich dem Engel der Verkündigung, dessen Locken flockig durch helle und dunkle Linien modelliert sind" 2 2 . Der engste Zusammenhang mit Konrad von Soests Kunst ist unbezweifelbar. Keine andere westfälische Kreuzigungsdarstellung steht ihm so nahe, spiegelt seine Art so rein und klar wieder wie diese. Darf man zögern, das Bild Konrad selbst zu geben? Wenn'wir zögern, so einmal aus dem Grunde, weil der Schluß von Buchmalerei auf Tafelmalerei stets sehr schwierig ist, dann aber scheinen einige Merkmale des Blattes auf einen anderen Maler hinzuweisen, auf den Maler des Isselhorster Altars, der seinerseits wieder Konrad besonders nahesteht. Auf der Kreuzigungsdarstellung des Altars, nach dem er genannt wird, ist der Eisennagel über den Daumen auch so sichtbar und sind die Haupthaare ebenso auffallend kurz gegeben. Sodann stimmen die Punzen überein, die in der Rahmung des Kanonbildes verwendet werden. Sicher aber folgt das Bild einem Vorbild von der Hand Konrads weitgehend genau nach, mag es nun vom Meister des Isselhorster Altars sein oder nicht. Ebenso eindeutig ist das unmittelbare Verhältnis der beiden Marien- 3 2 ~ bilder in Berlin und Budapest zu Konrad von Soest. Sie sind untereinander in entscheidenden Teilen so verwandt, so übereinstimmend, daß man ohne weiteres annehmen möchte, daß sie ein und dasselbe Vorbild wiederholen. Das Berliner Bild hat nicht den Kranz musizierender Engel, Maria trägt statt der reichen, edelsteinbesetzten Krone ein Tuch, auch ihr Gewand ist nicht ganz gleich. Aber dann sind Haltung und Gebärde der beiden Figuren völlig dieselben. Auf beiden Bildern halten sie ganz gleichartig ein Tintenfaß, greift das pausbäckige Kind nach dem Mantel der Mutter, stimmen das Kind wie die Traggebärde bis in kleinste Einzelheiten überein, und hat dieses in der Linken ein Spruchband, auf dem in Berlin steht: Ich bin der Wech die Warheit und Leven. In Budapest ist nur mehr der letzte Teil erhalten, da die Tafel beschnitten ist. Unterschieden sind die Tafeln sodann im Stil ihrer Maler. Die Berliner Tafel ist großformiger und wuchtiger, die Budapester ist kleinteiliger, ängstlicher. Man könnte deshalb auch vermuten, daß die Bilder auf zwei verschiedene Vor:I

Geisberg in Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 53 ( 1 9 3 2 ) S. 65. ™ ebenda S. 66.

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bilder zurückgingen. Beide müßten von Konrad von Soest und beide müßten aus der Zeit des Dortmunder Altars stammen. Dann aber wäre diese völlige Gleichartigkeit der inhaltlich bedeutungsvollen Teile unwahrscheinlich. So gehen beide doch wohl auf dasselbe Bild zurück, das Berliner aber ist die getreuere Wiederholung, während das Budapester nicht nur von einem schwächeren Maler, sondern auch freier in der Wiedergabe ist. Wer aber war der Maler der Berliner Tafel ? Wir scheinen ihn heute nicht mehr zu kennen, wenigstens scheint das Bild in keine der vielen anderen Gruppen sich zu fügen. Endlich gehört in diesen Zusammenhang auch das Marienbild, das, durch die Düsseldorfer Ausstellung zuerst bekannt geworden, aus der Sammlung Wittich kürzlich in den holländischen Kunsthandel gelangte. 3Wenden wir uns nun den übrigen, neben und nach Konrad von Soest arbeitenden westfälischen Malern und ihren Werken zu, so sind sie alle von ihm berührt, wenn sie auch an Kraft und Veranlagung sehr verschiedenartig sind, und wenn auch der Grad der Beeinflussung sehr verschieden beim einen oder anderen ist. Wenige nur setzen sich dem großen Meister gegenüber als schöpferische und selbständige, eigene Wege gehende Persönlichkeiten durch. Viele schwache und kleine sind unter ihnen, die sich nur eben durch den Grad des Einflusses und die verschiedene Zeit, in der sie mit Konrad in eine für sie bestimmende Berührung kamen, voneinander unterscheiden. J e nachdem sprechen sie dann die Sprache des Wildunger oder die des Dortmunder Altars. Einen eigentlichen Schul- und Werkstattkreis zu umreißen, ist uns nicht möglich. In Soest, aber auch in Dortmund und in der Umgebung von Münster, wo gleichfalls eine betriebsame Werkstatt vermutet werden darf, finden sich Werke, die von unmittelbaren Schülern und Gehilfen zu stammen scheinen. Den Nachrichten über das Leben Konrads und unserer Deutung dieser Nachrichten widersprechend sind uns in Soest eine beträchtliche Zahl von Werken erhalten, die unverkennbar von Nachfolgern Konrads stammen. In dieser Stadt, nicht in Dortmund scheinen die seiner Kunst am treuesten anhängenden Werkstätten bestanden zu haben. Altäre und Wandmalereien zeugen für ihn in Soest. So ist in diesem Zusammenhange die Frage nach Konrads Heimat nochmals zu stellen. In Dortmund befinden sich noch heute die Reste eines großen Altars von seiner Hand, und auch der Reinold des Münchner Flügels weist nach Dortmund. Alle Nachrichten, die wir auf Konrad beziehen dürfen, finden sich ebenfalls in Dortmunder Urkunden. In Soest ist uns kein einziger auf Konrad beziehbarer Hinweis überliefert. Aber immerhin, Beziehungen muß er auch zu Soest gehabt haben, denn in der Nikolauskapelle steht die nunmehr für ihn gesicherte Altartafel, und aus St. Walpurg stammen die beiden Täfelchen mit Ottilie und Dorothea, die sich heute im Landesmuseum zu Münster befinden. In Dortmund sind uns Reste von Wand34

maiereien aus dem Kaisersaal des Rathauses erhalten, deren Entstehung möglicherweise in Zusammenhang mit dem Eintritt der Gilden in das Stadtregiment im Jahre 1406 gebracht werden darf=3, und die sämtlich, soweit sie noch erkennbar sind, stark an Konrad von Soest erinnern. Sonderlich die elegante Gewandzeichnung mit den spitzen Ecken bei der Maria der Verkündigung steht ihm sehr nahe. In Soest aber zeigen Wandmalereien in der Petrikirche: Abendmahl, ölberg, hl. Jungfrauen, Gregorsmesse, Schmerzensmann und vor allem eine Kreuzigung am nördlichen 30. Mittelpfeiler, weiterhin eine etwas schwächere, spätere am südlichen, so enge Beziehungen zu Konrads Stil in der Typik der Figuren wie in der Gewandbehandlung — einzelne Figuren scheinen unmittelbar dem Wildunger Altar entliehen zu sein —, daß man vor ihnen seinen Namen selbst als Schöpfer nennen konnte :4. Das ist freilich nicht angängig. Selbst die gewiß sehr gute Kreuzigung am nördlichen Pfeiler kann nicht völlig überzeugen. Aber zweifelsohne stehen sie ihm sehr nahe, müssen sie von der Hand eines aus seiner Werkstatt hervorgegangenen Malers stammen. Ferner spiegeln Konrads Art Reste in der Krypta des Patroklusdomes, eine Verkündigung in St. Maria zur Wiese und einige Reste in der Kirche des nahegelegenen Balve. Und dazu kommen in Soest einige Konrads Kunst nahestehende Altäre, die es unbezweifelbar machen, daß sich hier Werkstätten befunden haben müssen, die von ihm ihren Ausgang genommen haben. War es vielleicht so, daß Dortmund und Soest in jener Zeit in einem engen und steten Austausch gestanden haben und ihre Maler zwischen ihnen hin und her gewandert sind, daß die beiden Städte in künstlerischer Hinsicht eine Einheit bildeten? Das erscheint als eine gute, mögliche Lösung. Konrads Familie kam aus Soest nach Dortmund, und hier ist er für uns allein nachweisbar. Aber Dortmund war für Soest nicht Fremde. Wie verschiedene Patrizierfamilien in beiden Städten Zweige hatten, so scheint auch die künstlerische Arbeit der beiden Städte im 15. Jahrhundert eng miteinander verbunden gewesen zu sein. 4Eine erste Soester Gruppe oder Werkstatt läßt sich am besten nach dem Fröndenberger Altar2? benennen, der unvollständig erhalten heute zu 34—36Seiten einer mittleren Nische je vier Darstellungen aus der Jugendgeschichte Christi zeigt. Vom rechten Flügel sind zwei Teile, eine Pfingstdarstellung im Münsterer Landesmuseum und eine Krönung Mariens in Cleveland, erhalten. Deren Außenseiten zeigen zusammen das Bild einer Cäcilie, und da der Münsterer Teil Kopf und Oberkörper zeigt, so muß dieser das rechte obere Viertel, der Clevelander das rechte untere Viertel des Flügels gewesen sein. Der Altar wurde von Segele von Hamme gestiftet, die 1410 bis 1421 Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters Fröndenberg war. Die Stifterin kniet auf der Darstellung der Geburt in der Ordensn Zentralblatt der Bauverwaltung 21 (1901) S. 30. ^ Schwartz in Westfalen 19 (1934) S. 307. Nissen in Westfalen 16 ( 1 9 3 1 ) S. 61.

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tracht neben ihrem Wappen. „Über der Nische sind zwei Wappen angebracht, die der 1383—1437 als Nonne in Fröndenberg eine sehr bedeutende Rolle spielenden Catharina von der Mark angehören. Diese Doppeldaten geben Rätsel auf, hindern aber nicht, die Entstehung des Altars in die Regierungszeit der Äbtissin Segele, etwa um 1410—20 zu verlegen, da eine spätere Datierung, etwa um 1430, aus stilistischen Gründen auszufallen hat* 6 ." Der Maler des Fröndenberger Altars folgt dem Stil des Wildunger Altars, dem er vielerlei Einzelheiten, Figuren, Architekturen und Muster entliehen, von dem er aber vor allem die lockere, malerische Formgestaltung übernommen hat. Anders aber ist er ängstlicher und verniedlicht er die Sprache seines Vorbildes, wie etwa die Könige der Anbetung zeigen können, die püppchenhaft scheinen. Und seine Linienführung wirkt mitunter steif und starr. Das Leben, das jeden Strich Konrads erfüllt, fehlt seinen Formen völlig. Steif und bewegungslos stehen die Figuren in den Szenen, ungelenk fügen sich die Architekturen um sie. Gleichförmig sind Gesichter und Gebärden seiner Figuren. Wenn dieser Maler nach Größe und Würde strebt, so muß er sie durch Verzicht und eine gewisse Nüchternheit erkaufen. Das machen vor allem auch die beiden Flügelbilder deutlich. Die Krönung ist zumal sehr kennzeichnend für den Maler, der in diesem Bilde aus dem Kleinen seiner üblichen Art herausstrebt und damit sein Bestes opfert, um Leere und Nüchternheit einzutauschen, während der Reiz seiner Kunst in der lockeren, weichen Malerei, in Engelköpfchen und allerlei anderen spielerischen Kleinigkeiten liegt. Die hl. Cäcilie auf der Außenseite der Teile vom rechten Flügel erlaubt, die zwei Tafeln mit Barbara und Katharina im Besitz von Herrn Pieper in Soest, der Fröndenberger Altar selbst erlaubt die schlecht erhaltene 37> 38. Ruhe auf der Flucht im Besitz von Hern Kaplan Wiehof in Soest und das Fragment einer Maria mit Kind in architektonischer Rahmung, gleichfalls in westfälischem Privatbesitz3?, dem Maler zuzuschreiben. Alle drei Bilder zeigen jenes für den Maler des Fröndenberger Altars kennzeichnende Schwanken zwischen einer gewissen Nüchternheit und reizvoller Malerei. Vielleicht darf man weiterhin auch das vera ikon des Deutschen Museums in Berlin in sein Werk einreihen. Die Engelgruppen in den Ecken zwischen Nimbus und Rahmen gleichen völlig denen auf der Clevelander Marienkrönung, der Rahmen ist von derselben Art wie der des Fröndenberger Altars und auch für die Punzierung des Nimbus, für die Haarbehandlung, die Art wie die Lichter auf Christi Gesicht gesetzt sind, überhaupt für die Malweise lassen sich viele Übereinstimmungen nachweisen. Zu dem Werke keines anderen Meisters sind die Beziehungen so eng, wie zu diesem Nachfolger Konrads, wenn auch gewiß ein vera ikon keine guten Vergleichsmöglichkeiten bietet und jeder Zuschreibungsversuch deshalb besondere Zurückhaltung erfordert. Mit etwas größerer Sicherheit darf man wenigstens in den Kreis dieser 26 ebenda S. 62. »7 Nissen in Festschrift für A . Goldschmidt 1935 S. 55.

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Arbeiten die Breittafel des Deutschen Museums in Berlin stellen, die die Trinität begleitet von Cherubinen, den Evangelistensymbolen und je sechs Heiligen, Männern links, Frauen rechts, zeigt. Zu dieser Tafel gehört entweder als Fortsetzung an der linken Seite oder als Teil eines linken Flügels ein Bruchstück mit den Oberkörpern von fünf heiligen Männern, das die Alte Pinakothek in München besitzt. Auch diese Tafeln knüpfen an den Stil des Wildunger Altars an und zeichnen sich durch eine lockere, flockige Malweise aus. Endlich sei in diesen Kreis ein Diptychon gestellt, das sehr seltsame, auf Maria und auf Christus bezügliche allegorische Darstellungen zeigt. Es befindet sich heute in der Sammlung Thyssen. Auf dem linken Flügel 39—40. sind um die auf einer Wiese im hortus conclusus sitzende Maria ausgebreitet das Vlies Gideons, der Paradiesbrunnen, Gottvater im brennenden Busch, die Bundeslade, ein Altar mit zwölf Stäben, von denen einer blüht, das Tor des Ezechiel, also Hinweise auf die jungfräuliche Mutterschaft Mariens, auf dem anderen Flügel sind um den Gekreuzigten gegeben die Ecclesia mit Kelch und Kreuzesfahne, das Lamm und das Buch mit den Siegeln, ein Totenkopf und der Hammer der Gerechtigkeit, ein blinder Jude mit einer zerbrochenen Fahnenstange, das Schwein auf dem Altar und endlich in Ranken, die vom Kreuz ausgehen, Adam und Eva und gegenüber das Meßopfer, eine segnende Hand, eine Hand mit dem Schlüssel und schließlich eine mit dem Schwert, Kirche und Totenkopf, also Hinweise auf das Erlösungswerk, auf den alten und den neuen Bund, auf den strafenden und den gnädigen Gott. Die Formgestaltung der beiden Bilder wirkt breiter und weicher als die des Fröndenberger Altars. Immerhin scheint dieser doch am nächsten zu stehen. Die lockere, duftige Malweise, die lichten Farben, die großzügige Zeichnung der Falten entsprechen auffallend jenem Altar. Die kurvigen Konturen von Mariens Mantel lassen sich sehr gut mit ähnlichen weit ausladenden Gewandmotiven auf der Verkündigung und der Krönung Mariens vergleichen. 5Tief steigen wir herab, wenn wir einen zweiten Nachfolger des jungen Konrad von Soest betrachten, den Maler des großen Kreuzigungsaltars in 41. der Soester Paulikirche. Seine Tafel zeigt in einem breiten Mittelfeld die Kreuzigung, die seitlich je zwei Darstellungen einrahmen, links Anbetung der Könige und Gefangennahme, rechts Christus vor Pilatus und Auferstehung. In allen vergleichbaren Bildern schreibt der Maler Konrad ab. Er folgt in der Wiedergabe ganzer Kompositionen Konrad mehr als irgendein anderer westfälischer Maler, so daß man auch für die Bilder, für die kein Vorbild im Wildunger Altar vorhanden ist, ein uns verlorenes von Konrads Hand voraussetzen darf 28 . Dieser Maler ist zu unselbständig, als daß man ihm die Erfindung solch guter Kompositionen wie die Gefangennahme zutrauen dürfte. Wenn man Abweichungen von Konrad 18

Meier in Westfalen, Sonderheft I ( 1 9 2 1 ) S. 47, 80,; Westfalen 1 9 3 1 S. 47.

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feststellen kann, so handelt es sich stets um Abkürzungen, indem er etwa auf alles Landschaftliche verzichtet. Der Maler des Paulialtars denkt völlig unräumlich, und seine Figuren sind auch ziemlich unkörperlich. Sie sind gestaltet aus harten Linien und leblosen Flächen, die grellbunt nebeneinander stehen. Trocken und dürftig ist dieser Maler, und nur das große Vorbild hält ihn noch eben auf einem gewissen Niveau. Sicher von der Hand dieses schwächlichen Nachfolgers ist sodann der Flügel, der sich ehemals in der Sammlung Löb-Caldenhof befand und auf der Außenseite eine Kreuzigung mit Maria und Johannes, auf der Innenseite Vermählung Mariens, Verkündigung, Flucht und Christus im Tempel zeigt. Weiterhin darf man auch die Darstellung der Unterweisung Mariens aus derselben Sammlung — heute sämtlich im Landesmuseum zu Münster — und das gemalte Bild des Gekreuzigten mit den Evangelistensymbolen auf der Rückseite eines Triumphkreuzes in St. Patroklus in Soest, das vorn einen geschnitzten Kruzifixus zeigt, ihm zuschreiben. Ein Vergleich der drei Christusfiguren, der Zeichnung der Gesichter mit den auffallend schräggestellten Augen, der hart linearen Haarzeichnung, der ungelenken und mitunter unklar gehäuften Gewandfalten macht die Zusammengehörigkeit unbezweifelbar. 6.

Gingen die Maler dieser Bilder vom Wildunger Altar aus, und zwar nicht nur in der Wahl des inhaltlichen Vorbildes, sondern auch in ihren Stilmitteln, so hat der nun zu besprechende Maler seinen Stil an dem späteren Konrad von Soest gebildet. Dem Dortmunder Altar ist er einmal im Inhaltlichen so genau gefolgt, daß Geisberg dessen ehemalige Gestalt nach dieser Kopie — man darf wirklich von Kopie sprechen — rekonstruieren konnte. Und auch als der Maler ein anderes Mal den Wildunger oder einen anderen verlorenen und gewiß früheren Kreuzigungsaltar Konrads sich zum Vorbilde nahm, sprach er doch in seinen Formmitteln die Sprache von dessen Spätwerken. Sie haben seinen Stil bestimmt, zur Zeit ihrer Entstehung muß er bei Konrad von Soest gelernt oder doch gearbeitet haben 29. Daß dieser Maler ebenfalls in Soest seine Werkstatt hatte, beweisen seine Werke. Zwei von ihnen, der sogenannte Blankenberchaltar und eine Marienkrönung stammen aus dem abgebrochenen Walpurgiskloster — sie befinden sich beide heute im Landesmuseum zu Münster —, eine dritte Arbeit, der Jakobialtar, steht in der Wiesenkirche. 42. Der Blankenberchaltar zeigt in dem breiteren Mittelfeld den Tod Märiens, in den schmäleren Seitenfeldern Verkündigung und Anbetung der Könige. Die drei Darstellungen folgen weitgehend genau Konrads Dortmunder Altar, nur daß an Stelle der Geburt die Verkündigung, die sich dort auf der Außenseite eines Flügels befindet, getreten ist. Ob die Seitenfelder des Blankenberchaltars ursprünglich bewegliche Flügel waren und zu Seiten des Mittelfeldes noch stehende Heilige angenommen werden Nissen ebenda S. 64.

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müssen, wie P. J. Meier 3° meint, ist keineswegs sicher. Einer Inschrift am unteren Rahmen zufolge wurde der Altar 7on Johannes Blankenberch gestiftet, der von 1422 bis 1443 Propst der Walpurgiskirche war. Der andere aus dem Walpurgiskloster nach Münster gekommene Altar zeigt 43. eine Marienkrönung zwischen Walpurgis und Augustinus, den Patronen des Klosters3'. Der Jakobialtar, der in der Mitteltafel die Kreuzigung 44Christi, auf den Flügeln die Anbetung der Könige und den Marientod zeigt, hat durch unglückliche Ubermalungen stark gelitten. Weiterhin darf man diesem Maler die Tafel mit den zwölf Aposteln unter kuppeligen Baldachinen, die von dünnen Säulchen getragen werden, geben. Sie befindet sich in der Paulikirche. Wenn der Blankenberchaltar eine ziemlich wortgetreue Wiederholung des Dortmunder Marienaltars ist, so ist auch bei der Marienkrönung und dem Jakobialtar nicht zu bezweifeln, daß sie Vorbildern Konrads folgen. Für alle Teile lassen sich -Hinweise für Zusammenhänge mit Werken Konrads erbringen. Der Thron mit den Eckpfeilern, die Arkaden in der Rückwand, sein unterer Abschluß, das Muster des Vorhangs, die Engelchen, die ihn halten, haben im Dortmunder Altar ihr Vorbild. Vor allem aber hat der Maler den Stil der Figuren, ihre große, geschlossene Plastizität, die Klarheit und Einfachheit der Zeichnung, die ausgewogene Symmetrie der Kompositionen vom Dortmunder Altar entliehen. Nicht im ersten Jahrzehnt, wie der Maler des Fröndenberger Altars, sondern gegen 1420 hat dieser seine Stilmittel an Konrads Kunst gebildet. Es ist schwierig zu entscheiden, ob man in diesen beiden Malern Schüler Konrads sehen oder ob man sie nur mit dem allgemeinen Wort Nachfolger bezeichnen darf. Das eine ist sicher: sie sind zu verschiedenen Zeiten zu Konrads Kunst in Beziehung getreten, und das ist es, was den Stil ihrer Arbeiten voneinander unterscheidet. Beide haben nur das Äußerliche von ihren Vorbildern übernommen. Keiner hat Konrads Farben, das leuchtende Rot, das helle Blau. Keiner hat die feinnervige Bewegung der Konradschen Pinselführung. Keinem ist dessen edle, vornehme Sprache gegeben gewesen 3-, Mögen sie Schüler Konrads gewesen sein, mögen sie in seiner Werkstatt gearbeitet und gelernt haben — sie waren doch nur Nachahmer. Oder waren die beiden am Ende personengleich, war es nur einer, der sich mit Konrad von Soest, abhängig von ihm wie ein Mond von seinem Planeten, in seinen Formmitteln wandelte. Mancherlei Übereinstimmungen ließen sich für eine solche Vermutung anführen. Aber solcher Meinung ist entgegenzuhalten, daß diese Ubereinstimmungen nur in der Einheit von Konrads Kunst ihre Voraussetzung haben und über ihnen wichtige Verschiedenheiten stehen, die die von uns vorgetragene Annahme rechtfertigen, daß es sich in der Tat um zwei Meister handelt. 3° ebenda S. 70. 31 Nissen, Westfalen 1931 S. 64 und Goldschmidt-Festschrift S. 56, möchte diesen Altar auch dem Meister des Fröndenberger Altars zuschreiben. Das ist aber nicht angängig. 3= Nissen, Westfalen 1931 S. 60.

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Dem Meister des Blankenberchaltars stehen wenigstens sehr nahe die Tafeln vom Osthofentor, die sich heute im Burghof-Museum in Soest befinden. Sie zeigen drei Szenen aus der Legende Petri, die Anbetung der Könige und nochmals den hl. Petrus. Auffallend sind die vielteiligen Architekturen und eine lebhafte Erzählung in den Legendenbildern. Ein Hinweis auf den Jakobialtar erklärt beides. Und die großformigen Gesichter, zumal das Mariens, stimmen auch mit diesem Altar gut überein. Mag es auch zuerst anders scheinen, so kennzeichnet diese Tafeln doch dieselbe Formensprache, die allen Werken jenes Malers eignet. Wie der Jakobialtar und die Zwölfaposteltafel stehen diese Tafeln vom Osthofentor an der Wende zu einer eckigeren Formgestaltung. Sicher sind die beiden heute in Münster befindlichen Altäre früher entstanden. In dem Jahrzehnt nach 1420 mag man sie ansetzen, den Jakobialtar und die Osthofentortafeln aber gewiß erst gegen 1440.

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7Eine dritte Gruppe von Bildern führt nach Münster und zwingt zu der Annahme, daß hier eine große, viel beschäftigte Werkstatt sich befunden hat. Ihr entstammen drei Altäre mit großen Kalvarienbergdarstellungen und Passionsszenen zu Seiten. Ein Altar aus Isselhorst (bei Bielefeld) wird heute im Landesmuseum zu Münster aufbewahrt, einer steht in der Kirche zu Darup bei Coesfeld, der dritte steht in Warendorf (leihweise im Landesmuseum). Darup und Warendorf liegen je etwa 25 km von Münster entfernt, Isselhorst noch etwa dieselbe Strecke östlich über Warendorf hinaus: der natürliche Mittelpunkt dieser Orte ist Münster, und es ist keine zu kühne Vermutung, hier die Werkstatt vorauszusetzen. Das Oberhaupt dieser Werkstatt war ebenfalls von Konrads Kunst tief beeindruckt. Aber es ist doch nicht zu verkennen, daß dieser Maler ihm selbständiger gegenüberstand als jene Soester. Und anscheinend hat nicht nur Konrad, sondern auch Meister Francke ihn beeindruckt. Die drei Altäre zeigen auf der Haupttafel im Mittelfeld die Kreuzigung und rechts und links von ihr je zwei Passionsszenen. Geißelung, Verspottung, Christus vor Pilatus, Kreuztragung, Kreuzanheftung, Grablegung, Christus im Sarg mit den drei Marien — eine sehr seltsame Darstellung —, Auferstehung wechseln. Im Isselhorster Altar ist die Kreuzigung auf einem verhältnismäßig schmalen, hohen Felde mit wenigen Begleitfiguren geschildert, auf den Altären in Darup und Warendorf aber sind weitschweifige Kalvarienbergdarstellungen mit Reiterzügen, mit Maria Magdalena, die den Kreuzesstamm umfaßt, mit dem Hauptmann inmitten eines zahlreichen Gefolges, mit Longinus, den Juden und kleinen Figürchen Auferstehender geschildert. Das große Figurenaufgebot, das weit über die Darstellung des Wildunger Altars hinausgeht, läßt so viel kompositorische Sicherheit und Überlegung erkennen, daß auch in diesem Falle P. J . Meier 33 gewiß recht hat, wenn er von diesen Darstellungen auf einen uns 33 Westfalen Sonderheft 1 ( 1 9 2 1 ) S. 49; Westfalen 1 9 3 1 S. 42.

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(Himmel-

fahrt)

Jüngstes

Gericht

(Auf-

erstehung)

Pfingst-

wunder

verlorenen Kreuzigungsaltar von Konrad von Soest schließt. Ein weiteres Beispiel für diese große Kreuzigung Konrads ist das seltsame Bild im Wallraf-Richartz-Museum, das bald kölnisch, bald westfälisch, bald niedersächsisch genannt wird. Die Figurengruppen sind in diesen Bildern locker auf den Bildflächen verteilt, und der Reichtum dieser mannigfachen Erscheinungen ist es, der den ersten Eindruck bea> stimmt. Dann aber wird allmählich M c eine feinfühlige Gewichtsverteilung 3 I - ffä o deutlich, die voller Überkreuzungen W 4I und feiner Gegensätze freilich nicht ohne weiteres erkennbar ist. Sie aber bestätigt zumal den Zusammenhang mit Konrads Kunst. 34) Außer dieser Abhängigkeit von W X Konrad von Soest verbinden diese 6 drei Altäre noch eine Menge EinzelO l züge, die uns zwingen, sie in einer Werkstatt entstanden zu denken. Ein J3 U Meister hat für sie gezeichnet, aber seine Hand war freilich nicht in gleicher Weise an ihnen tätig. Der Daruper Altar ist zum Teil recht tu schlecht gemalt. Am besten scheint 134 c3 js 11 vw UIi der Warendorfer zu sein. Der Issel£ < J3 U horster ist wegen seines schlechten Erhaltungszustandes sehr schwer zu beurteilen. Der Daruper Altar ist Jt N wohl auch der späteste. Die Falten c M C c > o sind in ihm ziemlich ungeordnet und U t _3 0> ea beginnen eckig zu knicken. Aber 5 'S jenseits dieser Unterschiede in der o c :3 Ausführung und auch abgesehen von S dem, was die Altäre durch das Medium 1 1 Konrad von Soests verbindet, sind V ¡E S M E •o e ja ihnen doch noch viele Gemeinsam•O cV ¿5 « cV .O keiten eigen. Die gleichen Gesichter, o < •w V sonderlich jene Frauengesichter mit £ den immer wiederkehrenden, preziös zusammengezogenen und gern leicht seitlich verschobenen Mündchen kehren allenthalben wieder. Gerade diese Frauengesichter sind in einer 41

sehr einheitlichen Weise stilisiert. Die verhältnismäßig dünnen und linienhaften Falten laufen weich fließend und zumeist in mehrfachen parallelen Bögen dahin. Vor allem aber sind die hellen Farben durchweg in einem auffallend lebhaften Wechsel gegeben. Zitronengelb mit Orange, helles Blau und Moosgrün sind bevorzugt. Der Altar in Darup hat seine beiden Flügel verloren, der aus Isselhorst hat nur auf seinem linken Flügel alte Malerei bewahrt: oben die Begegnung Joachims und Annas an der goldenen Pforte, unten die Geburt Mariens, und auch der Warendorfer ist heute ohne Flügel. Aber von ihnen haben sich verschiedene Teile erhalten. Freilich sind die Meinungen nicht einig, ob alle in Frage kommenden Stücke zum Warendorfer Altar gehören, oder ob die heute im Freckenhorster Pfarrhause bewahrten nicht von einem vierten Altarwerk dieser Münsterer Werkstatt stammen 34. In der alten Kirche zu Warendorf werden die Verurteilung des hl. Lorenz und das Jüngste Gericht, Vorder- und Rückseiten eines Flügelteils, aufbewahrt. In das Landesmuseum ist die Marter des hl. Lorenz, in die Sammlung zur Mühlen sind Verkündigung und ölberg, gleichfalls Vorder- und Rückseiten eines Flügelteils, gekommen. Im Freckenhorster Pfarrhaus befinden sich Gefangennahme, Geißelung, Pfingstfest, Marientod. Rekonstruiert man den Warendorfer Altar unter Einbeziehung der Freckenhorster Tafeln, so würden die Bilder in der merkwürdigen, wechselnden Reihenfolge aufeinanderfolgen, die sich auch bei dem älteren westfälischen Altar, dem fälschlich Laurenzaltar genannten, findet, der in das Kölner WallrafRichartz-Museum gekommen ist 34 \ Weitere Werke dieser Werkstatt sind bis heute nicht bekannt geworden. 8.

Selbständiger gegenüber Konrad von Soest als alle bisher behandelten Maler, die zumeist recht schlechte Schüler, vielleicht nur Nachahmer seiner Kunst waren, steht ein charaktervoller Künstler, dessen Werk nunmehr zu besprechen ist. Er war gewiß auch nicht von der Kunst des großen Meisters unberührt, ja er drang vielleicht tiefer in ihr Wesen ein als alle die anderen, aber stets blieb er sich selbst treu. Wenn wir nicht irren, wurde er von Konrads Kunst berührt, als er schon die ersten Anfänge, Lehr- und Meisterjahre hinter sich hatte. Vielleicht dürfen wir in ihm einen etwa gleichaltrigen Maler sehen, der mehr noch als Konrad von Soest ältere heimische Überlieferungen pflegte und in seinen Werken bewahrte. Jedoch das sind alles sehr schwierige Fragen, die anzuschneiden gefährlich ist. Ebenso muß die Frage nach dem Ort seiner Werkstatt vorerst offen bleiben. Eines seiner Werke steht in Dortmund und ist, kaum zu bezweifeln, für die Kirche, in der es sich noch heute befindet, 34 Meier in Westfalen-Sonderheft i (1921) S. 81; K . Zuhorn in Westfalen 13 (1937) S. 106; M.Lippe ebenda S. 1 1 5 ; I. Goeken in Warendorfer Blätter f. Heimatkunde u. Kultur, Beilage des Neuen Emsboten vom 6. 3. 30; Meier in Westfalen 16 (1931) S. 42. 34a Deutsche Malerei der Gotik II S. 126.

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der Jahre um und bald nach 1400, war im Grunde nur eine kurze, bald überwundene Etappe. Und in all diesen Wandlungen sind gewisse Grundtatsachen seiner künstlerischen Art stets dieselben geblieben, wie schon die Gesichter des Gekreuzigten auf den drei Kreuzigungsdarstellungen und viele andere Einzelheiten versichern. Das Äußere ist dem Maler dieser Bilder im ersten wie im letzten wichtig nur als Spiegel innerer Erlebnisse. Er kann derb und brutal, er kann groB und feierlich sein, stets erfüllt seine Figuren ein heißes Leben, stets ist ihre Oberfläche membranenhaft dünn, dienend und spiegelnd die Glut ihres Inneren. 3Neben dem Meister des Obersteiner Altars stehen andere, von ihm grundverschiedene Maler, Künstler, die jenem in der mittelrheinischen Tonplastik veranschaulichten Ideale huldigen, und man möchte deshalb glauben, daß seine Art in diesen Jahren des frühen 15. Jahrhunderts im Rheingau gar nicht sonderlich geschätzt war. Nicht Erregung und malerische Bewegtheit, sondern gleichmäßige Heiterkeit und ungetrübte Ruhe, sanfte Innigkeit und stille Versenkung 16 spiegeln diese anderen Werke, eine Kunst vornehmer Schönheit, eine Kunst, die bedeutsam und freundlich zugleich sein kann. Im späten 14. Jahrhundert stand der Schottener neben dem Friedberger Altar, und schon deren Verschiedenheit war nicht nur als ein Gegensatz von zwei Entwicklungsstufen zu verstehen. Ebenso arbeiten nun neben dem Meister des Obersteiner Altars andere, die die Altäre aus Siefersheim und Ortenberg — um zwei Beispiele zu nennen — schufen. Sie hatten ihre Werkstätten wohl sogar in derselben Stadt, in Mainz, wie jener andere stürmische, pathetische. Solch Gegensatz ist seltsam und schwer zu erklären. Die offene Lage des Landes mag eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben. Zuletzt ist dieser Gegensatz zweier grundsätzlich verschiedener Richtungen in einer Landschaft, und zwar ein Gegensatz, der durch Jahrhunderte sich verfolgen läßt, wohl nur von tiefsten Schichten des Volkstums, seiner Zusammensetzung und seinem Schicksal, aus zu verstehen. Aus eben diesen Gründen fehlte dem Mittelrhein wohl auch der prägende Mittelpunkt, wie es Köln für den Niederrhein war. Die Gegensätze blieben unausgeglichen. Der Siefersheimer Altar und die ihm verwandten Werke seien zuerst 168. besprochen. Seine Flügel sind verloren. Das breite Mittelbild zeigt zu Seiten einer dreifigurigen Kreuzigungsdarstellung in reichgeschnitzten Arkadenstellungen je drei Apostelpaare. Das Schema des Friedberger Altars ist aufwändiger wiederholt. Denn wie die Rahmung jetzt reicher ist, so sind nun die Apostel, leise Gespräche über das Credo führend, paarweise gegeben. Aber diese Bereicherungen treffen doch nur das Äußerliche. Im Innersten ist die Haltung die gleiche. Der Meister des 16 G. Tiemann, Frankfurter Zeitung 1927 anläßlich der Darmstädter Ausstellung ,,Alte Kunst am Mittelrhein".

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169—171.

Siefersheimer Altars hat den allgemeinen Aufbau, und er hat auch die dekorative Feinfühligkeit und stille Linienrhythmik übernommen. Der jüngere muß zu dem älteren in einem sehr nahen Verhältnis gestanden haben, muß sein Schüler gewesen sein. Denn was er ändert, ist wohl weniger Äußerung seiner persönlichen Art, als vielmehr der geistigen Lage von 1400, die der Maler des Friedberger Altars schon vorbereiten half. Die „durch Intimität gemilderte Feierlichkeit", „der vornehme Ernst, der liebenswürdig bleibt" '7, die fast raffinierte Einarbeitung feinster Wirklichkeitsbeobachtungen in eine sicher geschulte Stilistik, die schon der ältere Altar besaß, sie eignen auch dem Siefersheimer. Und wenn die Figuren zartgliedriger geworden sind, wenn die Falten lockerer zu fließen vermögen, wenn die Gesichter schmaler, spitzer, die Formbewegungen leichter, spielerischer sind, so wird damit der Formwille jener Jahre, aber auch dieser rheingauischen Landschaft nur unterstrichen. Die Farben sind sehr stark ausgeblichen und lassen kein sicheres Urteil mehr zu, müssen aber eine emailhafte Glätte und Klarheit besessen haben. In die nächste Nachbarschaft von diesem Altar darf man die vielteiligen Altarflügel ordnen, die sich heute im Museum zu Utrecht befinden 18 . Sie stammen aus einer mittelrheinischen Kirche zwischen Mainz und Oberwesel. Der Mittelteil, ein Schrein wahrscheinlich, ist verloren. Er muß in der Mitte überhöht gewesen sein. Denn von den Marienszenen der Festtagsseite sind die Verkündigung und die Himmelfahrt zur Hälfte beträchtlich höher als die übrigen Bilder. Die der Außenseiten zeigen Passionsdarstellungen, von denen einige verloren, andere sehr schwer beschädigt auf uns gekommen sind. Erhalten sind: ölberg, Christus vor Pilatus, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Grablegung. Eine ältere Nachricht nennt noch einen Judaskuß. Auf der achten Tafel war wohl die Kreuzabnahme dargestellt. Außerdem ist für die mittlere Überhöhung eine schmale Tafel mit der Darstellung Mariens und Johannes erhalten. Ein Gegenstück mit dem römischen Hauptmann und Longinus wird in jener Nachricht erwähnt. Vielleicht war der Gekreuzigte als geschnitztes Bildwerk über dem Altar und dessen mittlerer Überhöhung aufgerichtet. Im Mittelschrein waren dann wohl Heiligenreihen oder die Marienkrönung, vielleicht beides, gegeben. Soweit wir sehen, bringt die Überhöhung des mittleren Schreinteiles dieser Altar zuerst; etwas später der der Dortmunder Reinoldikirche. Die Malereien stammen von verschiedenen Händen. Die Außenseiten, wohl sicher Gesellenarbeiten, schwächer und weniger frei, knüpfen an die Art des Meisters des Obersteiner Altars an. Wohl übernehmen sie gelegentlich vom Meister der Mariendarstellungen, in dem wir den verantwortlichen Meister des gesamten Werkes sehen dürfen, einzelne Typen, allein die lebhaften Bewegungsmotive, die ausdrucksvollen Gebärden, die lockere räumliche Gruppierung, die derbe Charakteristik und die breite Malweise setzen den Maler der Passionsbilder stets sehr 1

7 Worringer a. a. O. S. 300. Liebreich, Wallraf-Richartz-Jahrbuch 3—4 (1926/27) S. 130.

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Verkün-

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(verloren) Geburt

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3 C 'S» c o J Christus vor Pilatus (Kreuzabnahme)

Geißelung

Grablegung

(geschlossen) Utrecht, Museum; Mittelrheinischer Altar

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deutlich von der stillen, vornehm-gepflegten Art des anderen ab. Geißelung und Dornenkrönung, diese beiden Marterszenen, lassen bezeichnend seine Art am sichtbarsten werden, sonst lieB die Bindung an vorgeschriebene Kompositionen ihn wohl nicht ganz sich entfalten. Auch die MariaJohannes-Gruppe, verwandt der Tafel in St. Stephan i n Mainz, weist auf diesen Zusammenhang mit jenem stürmischen und so außerordentlich ausdrucksvollen, packenden Meister hin, zugleich wird aber deutlich, wie tief der Maler der Passionsdarstellungen unter jenem Großen stand. Der Hauptmeister ist still und gibt bei aller Stilisierung seinen Darstellungen eine anmutvolle Natürlichkeit. Zart und feingliedrig sind seine Figuren, gehüllt in vornehme, reiche, aber nie prunkende Gewänder, die in schlichte, kaum plastisch-runde Falten gelegt sind. Und auch in der Bildkomposition liebt der Maler die Fläche. Mehr neben, denn hintereinander stehen die Figuren. Seine Bildräume sind klar, aber stets flach und besitzen nur wenig Eigenwert. Zumeist haben sie nur attributive Bedeutung als Stube, Hütte, Feld der Hirten. Das Pfingstbild, in dem der Maler das alte trecentistische Tempiettomotiv verwendet, zeigt, wie unräumlich er denkt, und die Auferstehung lehrt, wie er um einer ausgewogenen, wahrhaft stillen Bilderscheinung willen alle Schrägen zu dämpfen bestrebt ist. Die Kunst dieses Meisters haben dieselben westlichen Quellen genährt wie die Konrad von Soests, und die Übereinstimmungen gehen häufig soweit, daß man den Altar nach Westfalen lokalisieren und in ihm eine Vorstufe oder Parallele zum Wildunger Altar sehen wollte. Eine Parallele ist er, aber eine mittelrheinische: feinnerviger und gefühlter in seinen Rhythmen, zierlicher, ja zerbrechlicher in den Figuren, von einer gepflegten, höfischen Haltung, die Konrad von Soests Werke nur sehr selten besitzen. Dazu gehört auch das lichte Kolorit, die Vorliebe für Rosa, Hellblau und Gold in den elfenbeinern schimmernden, weißen Gewändern und die Neigung, die Farben in größeren Flächen sprechen zu lassen. Auferstehung, Himmelfahrt und Marientod sind schlecht erhalten und übermalt, wunderbar zeigen seine Art Verkündigung und Anbetung der Könige. Schmuck und Besätze gibt der Maler nicht sonderlich viele, aber wie entzückend schildert er dann wieder das Zimmer, in dem Maria die Botschaft empfängt: die Bücherlade mit den Beschlägen und dem über den aufgeschlagenen Deckel gehängten Rosenkranz, das Buch, die Blumenschüsseln am Boden, die Bank mit dem Teppich im Hintergrund, das Fenster mit der Vase, die holzgetäfelte Wand, die geöffnete Tür rechts am Rande. Mit einer nie dagewesenen Ausführlichkeit ist um einer freundlichen Stimmung willen das Zimmer geschildert. Gleiches gilt für das Geburtsbild. Beide, dieser mittelrheinische Meister wie Konrad von Soest, haben offene Augen für die mannigfaltigen Reize ihrer Umgebung, für Stilleben und Genre, aber sie achten auf verschiedenes. Wie in Verkündigung, Geburt oder Heimsuchung Figur und Umgebung gleichberechtigt sind, das kennt Konrad von Soest nicht. Er wahrt vielmehr das Vorrecht der Figur und baut damit zusammenhängend seine Kom130

Positionen fester oder doch dichter, während in diesem mittelrheinischen Altar die Fügung der Teile sehr locker und in der Fläche wenigstens weiträumig ist. Näher als Konrad von Soest steht formal und gesinnungsmäßig eine andere Kunstform, die gerade in diesen Jahrzehnten am Mittelrhein eine höchste Blüte erlebte, die Tonplastik. Die Maria der Anbetung ist eine Schwester der aus Dromersheim in Berlin, die Könige sind etwas frühere Vorstufen für die in Karden. Mit diesen Tonplastiken hat der Altar in Utrecht die zarte, feinfühlige Linienrhythmik, die stille Verhaltenheit, das Moderato des Ausdrucks, die Schönheitlichkeit und Vornehmheit der Stilisierungen gemeinsam. Die Gleichartigkeit des Wollens ist bei mancherlei individuellen und entwicklungsmäßigen Unterschieden unverkennbar. Im Kreise der mittelrheinischen Malerei steht in der geschmeidigen Zeichnung und in der zurückhaltenden Modellierung wie auch in dem lichten Kolorit — ist nicht auch dieses ein Hinweis auf jene Tonplastiken? — der Siefersheimer Altar am nächsten. Ob man die beiden Werke einem Meister geben darf, bleibe dahingestellt. Die Typen sind zweifelsohne nahe verwandt. Der Utrechter Altar dürfte das spätere Werk sein. Wenn man den Siefersheimer in die ersten Jahre des Jahrhunderts setzen darf, so steht er wohl am Beginn des zweiten Jahrzehntes. In einen Schul- oder Werkstattzusammenhang mit diesen beiden großen Werken kann man noch einige kleinere Arbeiten stellen. So das reizende, spitzbogige Täfelchen mit der von musizierenden Engeln umgebenen Maria im Städel zu Frankfurt, sodann die Malereien auf den Flügeln des 174 sogenannten kleinen Friedberger Altars im Darmstädter Museum und die 172 aus dem Prämonstratenserinnenkloster Altenberg stammenden Altarflügel auf Schloß Braunfels. Diese sind recht schlecht erhalten auf uns gekommen, dennoch ist es kaum zu verkennen, daß die beiden Werke aus Friedberg und Altenberg von der gleichen Hand stammen. Einzelne Darstellungen wie Verkündigung, Geburt, Darbringung im Tempel stimmen in der Anlage und mannigfachen Einzelheiten wörtlich überein. Gleich ist auch das Brokatmuster des Goldgrundes. Der Zusammenhang mit dem älteren, großen Friedberger Altar ist auch bei diesen Werken noch deutlich, zwischen ihnen müssen aber als unmittelbare Voraussetzungen für die jüngeren Tafeln Werke wie der Utrechter Altar angenommen werden. Eigene Erfahrungen hat der Maler darüber hinaus nicht hinzugefügt. Dazu fehlt seiner Ausdrucksweise auch die edle Zartheit jener anderen Werke, neben denen seine Malereien stumpf und monoton erscheinen. 4Eine Erfüllung mittelrheinischen, vielleicht rheingauischen Kunstwillens — wiederum gleichgeartet jenen Tonplastiken, gleichgeartet auch dem Ideal des Martinusmeisters von der Memorienpforte im Mainzer Dom — bietet der aus dem oberhessischen Städtchen Ortenberg stammende Altar im Darmstädter Landesmuseum. Alle anderen Werke über- 175trifft er in der weichen, schmiegsamen Musikalität seiner Zeichnung, 131

in der Anmut der Empfindung. Märchenhaft und unbefangen liebenswürdig zugleich, wie so viele Bildwerke dieser Landschaft, sind seine Malereien. „Ein frischer Wirklichkeitssinn verbindet sich in spielerischer Selbstverständlichkeit mit dem höchsten Virtuosentum gotischrhythmischer Formkultur I 9." Im Mittelfeld des Altars ist die hl. Sippe, auf den Flügeln die Verehrung des Kindes durch Maria und Joseph und die Anbetung der Könige dargestellt. Die Verkündigung auf der Außenseite ist sehr flüchtig von einer anderen, sehr viel schwächeren Hand. „Das Thema, die heilige Sippe, in der bezeichnenderweise hier am Mittelrhein die Männer fast ganz zurücktreten, gibt mit seinem Nebeneinander fraulicher Gewänder die schönste Gelegenheit, den ganzen Reichtum jener undulierenden Linienrhythmik auszusprechen, in der sich das mittelrheinische Temperament am liebsten zu ergehen scheint. In einer weichgedehnten, schmiegsamen Labilität strömt sich das ganze Bildleben aus, und nur ganz leicht eingebaut ist in diese flutende Bewegung eine heimliche Tektonik, die die Madonna zum gleichzeitigen Mittelpunkt einerseits einer streng isokephalen Horizontalreihung von Gestalten und andererseits einer ihre Strenge und Eintönigkeit lösenden Pyramidalkomposition macht. Wie von diesem Mittelpunkt aus auch die seelischen Beziehungslinien ihr Verschleifungsspiel treiben und ein leises Fluten von Aktionszusammenhang durch die heilige Versammlung hindurchrieseln lassen, also, daß es bis in die äußersten Bildwinkel hinein nicht zur Erstarrung des Beziehungsspieles kommt, das ist mit der ganzen Ungezwungenheit und Natürlichkeit gemacht, die der mittelrheinischen Begabung eigen ist. Auf Monumentalität geht kein Ehrgeiz: das lyrisch-feminine Element ist in dieser Begabung zu stark ausgeprägt, um solchen Ehrgeiz aufkommen zu lassen. Es bleibt bei einem mit Bedeutung Gefälligsein."—Es gibt nicht gelöste Stellen. „Solche unzulänglichen Versuche, verkürzte Bewegungen in die Bildrechnung einzubeziehen, verraten erst, wie sehr diese Rechnung auf einen ganz anderen Ton gestimmt ist, und es wirkt wie eine Befreiung, wenn der Blick von diesen Krisenstellen weg in die freie und einheitliche Bewegungsflut der Gewandmassen untertauchen kann, die keinem anderen Willen gehorchen als dem nach rhythmischer Selbstherrlichkeit. Wie sich im Gewand der Maria die Bewegungen stauen, um den Zusammenhang mit beiden Bildhälften zu bewahren, wie sie dann aber in den Seitenfiguren, gelöst von dieser Unentschiedenheit, um so freier und beglückter in reiner ungebrochener Kurvenseligkeit schwingen, das gehört mit zur sicheren Gleichgewichtsrechnung des Bildes. Lebhafte Einzelbewegung und doch Bindung in einem beruhigenden Zusammenspiel, das ist für die seelische wie die formale Ausdruckswelt dieser Bildkonzeption die entscheidende Formel. Auch das Individuelle der einzelnen Physiognomik spielt nur im Rahmen einer übergeordneten Typik" 20 . Zu dieser Gesinnung fügt sich die Farbgebung, die auf dem Mittelteil außer in den Gesichtern und Händen, den weißen Kopftüchern und den '9 Worringer a. a. O. S. 298. Ebenda S. 306—308.

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rötlichgelben Haaren, den bunten Blumen in den Körben und den farbigen Edelsteinen an den Kronen ausschließlich Gold und Silber verwendet. Gewänder, Umrisse und Falten sind mit schwarzbraunen oder auch rotbraunen Strichen ziemlich kräftig angegeben, und auch die Schatten sind durch solche Striche, die mitunter zu Kreuzschraffuren gefügt sind, betont. Die Gewänder sind silbern, mit Hilfe eines Firnis ist ihnen aber ein goldener Schimmer gegeben. Die Flügelbilder sind etwas farbiger gehalten. Dennoch sollte das Ganze und zumal die Mitteltafel in ihrem Glanz aus Gold und Silber und den wenigen, zurückhaltend leuchtenden Farben an eine nieliierte und emaillierte Metallarbeit erinnern, und Back 2 1 meint deshalb, daß der Meister dieses Werkes ebensosehr Goldschmied wie Maler gewesen sei wie jener Johannes de Colonia, von dem in der Jugendgeschichte Johann Wessels erzählt wird. Die Flügelbilder, insbesondere der stehende König und seine beiden Knappen, lehren, daß der Maler von westlicher Kunst nicht unberührt gewesen ist. Die Anregungen beschränken sich aber auf Einzelheiten, auf Kostüme, die Form des Turmes hinter jenem Könige, dessen Gesicht. Der Stil der Bilder ist nicht vom Westen abzuleiten und zu erklären, — ebensowenig wie die besondere Art der mittelrheinischen Tonplastik. Vielmehr müssen der Ortenberger Altar wie diese von einem in Deutschland gewiß nicht allzu häufigen Schönheitssinn getragenen Terrakotten als Geschöpfe der südlich milden, rheingauischen Landschaft verstanden werden, deren Bewohner, ihr verbunden und verwandt, erfüllt von Lebenslust — man denke an die Wandgemälde im Hause des Mainzer Domherrn Grafen Johannes von Eberstein 22 —, von Freude an Ebenmaß und Schönheit des Leiblichen formale Geschmackskultur höher stellten als sonst zumeist in Deutschland. Nur so, nicht durch von außen kommende Einflüsse sind diese Werke zu verstehen, die formsicherer und in ihrer Schönheit unproblematischer sind, wie sonst allerdings nur romanische Werke. Dennoch sind sie ganz selbständig. Als Stifter vermutete Back 2 3 Graf Gottfried VIII. von Eppstein-Münzenberg. Seine Mutter, eine Gräfin Agnes von Nassau und seine Schwiegertochter Agnes von Wied waren nach seiner Meinung die Veranlassung, daß die hl. Agnes im Mittelbilde einen auffallenden Vorrang erhalten hat. Der hl. Servatius erscheint nicht als Kind wie in kölnischen Sippenbildern, sondern als ehrwürdiger Bischof: er war ein Patron des Weinbaues. Der Ortenberger Altar wird von der Forschung gemeinhin um 1420 angesetzt. Später darf man mit ihm keinesfalls gehen. Vergleicht man ihn mit den Werken der mittelrheinischen Tonplastik, so wird man ihn gern noch etwas früher datieren. Die Figuren des Kardener Altars zeigen eine fortgeschrittenere Entwicklungsstufe. Näher steht in den weichen, geschmeidigen Faltenkurven die Dernbacher Beweinung des Limburger DiöBack 1910 S. 58. - Back a. a. O. S. 55. -3 Back 1932 S. 98.

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zesanmuseums. Immerhin lebt die Art des Ortenberger Altars noch in einer eine thronende Maria mit Kind darstellenden Zeichnung die sich in einem Psalterium befindet, das der Diakon Wilhelm Kecheller in den Jahren 1444 und 1445 im Zisterzienserkloster Herrenalb geschrieben hat. Nur wenige zarte Sepiatöne gestalten den Mantel, nur wenig Farbe findet sich sonst. Der Zusammenhang mit dem Ortenberger Altar ist unverkennbar, zugleich wird aber auch das manieristische Ende des weichen Stils deutlich, dessen klare Bahnen nun barock bewegt, mit allerlei unkontrollierbaren Tiefenwerten durchsetzt und in gewisser Hinsicht verunklärt werden. Einzelne Formen sind eckig geworden, gehen in die Breite, werden massiger und schwerer. Näher steht dem Ortenberger Altar ein Bruchstück in der Alten Pinakothek zu München, das in enger Anlehnung an dessen Darstellung die Anbetung der Könige zeigt 25. Die Formen haben ihre Grazie verloren, sie sind plastischer, aber auch derber geworden. Die rundlich vollen Gesichter, die als Neigung wenigstens schon das Sippenbild zeigt, sind bei der Maria dieser Tafel nun ins Bürgerlich-Behäbige abgewandelt. Weiterhin knüpfte an den Ortenberger Altar der Meister eines kleinen Sippenbildchens im Darmstädter Museum an. Seine harte Zeichnung hat nichts von der Art jenes anderen bewahrt, um so mehr sind Einzelheiten übernommen. Die Gruppe der Maria Salome mit ihren zwei Knaben ist sogleich zweimal, jeweils leicht abgewandelt, benutzt. Leider haben wir keine Vorstellung, wie der Meister des Ortenberger Altars gearbeitet hat, wenn er mit voller Palette tätig war. Sicher darf man aber in seinen nächsten Umkreis die Barbaratafel stellen, die 1930 mit der Sammlung Han Coray in Berlin versteigert wurde26. Dargestellt ist die Szene, wie Barbara das Ansinnen, die Götzen zu verehren, ablehnt. Das Ereignis spielt in einer hallenartigen Architektur, die links ein Turm abschließt. Dieser kommt ähnlich auch in Franckes Barbaraaltar vor und weist wie da auf westliche Vorbilder hin, so wie auch die Figur des Königs sicherlich einer französischen Quelle entlehnt ist. Vielleicht war auch Francke selbst der Vermittler. Manche Übereinstimmung mit seinem Barbaraaltar wäre wohl so am verständlichsten. Dennoch ist andererseits der schulmäßige Zusammenhang mit dem Ortenberger Altar unverkennbar, wenn auch die Formen realistischer, körperlicher, plastischer und großformiger geworden sind. Diese Wandlungen entsprechen der allgemeinen Entwicklung. Die Köpfe der Männer, die Modellierung, die einzeln hingesetzten Blumen im Vordergrund bezeugen den Zusammenhang einwandfrei. Und weiterhin führt vom Meister des Ortenberger Altars der Weg zu einem Sippenbild in Berlin27 und einer Ursula als Schutzmantelheilige, die sich vor einigen Jahren im deutschen Kunsthandel befand. Die Gesichter sind in beiden Bildern wie verquollen rund und dick gegeben. Stange, Belvedere 8 (1929) S. 1 . Mayer, Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst N. F. 4 (1927) S. 326. 26 Buchner, Beiträge z. Geschichte der deutschen Kunst 1 (1924) S. 14. -7 Creutz, Zeitschrift f. christliche Kunst 34 (1921) Sp. 15. 25

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Die Gewänder sind brokatiert und haben ebenfalls etwas massig Breites, und nur in einzelnen Faltenbahnen lebt noch eine schwache Erinnerung an die zarten, weichen Linienrhythmen des Ortenberger Altars. Um die Mitte des Jahrhunderts und alle Merkmale dieser Zeit tragend ist endlich ein Altar entstanden, der sich in der Liebfrauenkirche in Oberwesel befindet und auf der Mitteltafel die thronende Maria im Kreise von Heiligen, auf dem linken Flügel Ursula als Schutzmantelheilige, auf dem 181. rechten das Martyrium der Zehntausend zeigt. So hart und kantig, gleichsam metallisch nun die Formen geworden sind, so zeigen sie doch in allerlei Einzelheiten und nicht zuletzt in den Köpfen, daß ihr Meister ebenfalls dieser vom Ortenberger Altar ausgehenden Gruppe zuzuzählen ist. Wichtig ist der Altar auch deshalb, weil er nochmals bezeugt, daß die Barbaratafel aus der Sammlung Han Coray in der Tat diesem Zusammenhang eingegliedert werden muß. Und endlich gehört in diesen Kreis wohl auch ein Täfelchen mit vier Szenen aus der Legende einer Heiligen im Darmstädter Landesmuseum. 5Spiegelten die bisher betrachteten Werke mancherlei Einflüsse schon, die einen westliche, die anderen kölnische oder westfälische, wobei sie aber dennoch sehr kennzeichnende Vertreter mittelrheinischer Art blieben, so ist nun eine kleine Gruppe von Werken zu behandeln, die überhaupt in andere Zusammenhänge übergreift und dem Mittelrhein nur äußerlich verbunden ist: Hinweis auf die offene und in sich wenig gefestigte Lage der mittelrheinischen Landschaft. Das bekannteste Beispiel sind die aus Bornhofen und Seligenstadt stammenden Altartafeln in Bonn und D u m - 182—184. stadt, die trotz aller Unterschiede doch wohl einen Altar bildeten-8. Denn keine der seltenen Heiligen wiederholt sich, und erst zusammengenommen bilden die Passionsbilder einen sinnvollen, geschlossenen Zyklus, der anders, als der andere Teil ermöglicht, nicht zu ergänzen ist. Die Innenseiten zeigten demnach in architektonischen Rahmungen, die in Bonn heute fehlen, in Darmstadt zum Teil erneuert sind, auf jedem Flügel in zwei Reihen übereinander je acht weibliche Heilige, im ganzen also sechzehn. Die Außenseiten zeigten folgende Passionsdarstellungen: ölberg und Gefangennahme, Verhör und Geißelung — diese heute in Darmstadt — , Dornenkrönung und Kreuztragung, Kreuzigung und ein kniendes Stifterpaar — diese in Bonn. So die Szenen jeweils auf die beiden Flügel verteilt, befanden sich die Tafeln des Darmstädter Museums in der oberen, die im Bonner Landesmuseum in der unteren Reihe, wofür auch der Wappenfries spricht, der sich unter diesen Bildern hinzieht. Das Hauptwappen neben dem Stifterpaar gehört entweder einem Ritter Konrad Beier von Boppard (f 1421) oder einem Grafen von Katzenellenbogen. Von den Wappen des Frieses sind mit Sicherheit nur die drei Rautenwappen unter 38 Hierauf machte mich Herr Dr. K . Reißmann-Bonn aufmerksam. Der Altar hätte nach seiner Rekonstruktion die für einen großen Hochaltar dieser Zeit durchaus normalen Maße von etwa 3 m Höhe und 7.40 m Breite bei geöffneten Flügeln.

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der Kreuztragung zu bestimmen: sie gehören dem auf einer Burg über Bornhofen ansässigen Geschlecht der Schenk von Liebenstein, das 1423 ausgestorben ist. Die von Back29 betonten Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen bestehen zu Recht. Man darf allerdings nicht übersehen, daß der Erhaltungszustand sehr verschieden und auch der Grad und die Art der Restaurierungen und Übermalungen völlig ungleich ist. Dennoch lassen sich gewisse Unterschiede der Formgestaltung nicht verkennen. Die Modellierung der Gewänder der Frauen ist in Darmstadt um etwas plastischer, und auch der Bildraum ist da in den Passionsdarstellungen nachdrücklicher betont. Andererseits war es schon Back unbezweifelbar, daß „ein und derselbe Maler die Heiligen des Bonner und des Darmstädter Werkes gemalt hat, und ein zweiter die Passionsszenen hier wie dort3°." Es ist schwer verständlich, wie diese Unterschiede, die man freilich nicht überschätzen darf, an einem Werke zu erklären sind. Äußere Anregungen, innere Wandlungen — beides mag bei dem bedeutsamen Werke mitgesprochen haben. Am Mittelrhein ist der Stil dieser Tafeln gewiß nicht zu Hause gewesen, und es ist begreiflich, daß der Name und Hinweis, den ein loses Blatt unter Urkunden aus dem Kloster Bornhofen enthielt: „Dysz Tafel hayt gemacht Meister Bertholdt Maler zu Nördlingen in der guthen Stadt Anno Domini millesimo 400 quinto decimo in festo nativitatis beati Johannis Baptiste — Haec scriptura habetur in pede summi Altaris Bornhovii" — von Back gern aufgegriffen wurden. In Nördlingen ist in dieser Zeit von 1406 bis 1430 mehrfach ein Maler Berthold bezeugt. Es ist unwahrscheinlich, daß die kleine Wallfahrtskirche in Bornhofen etwa zur selben Zeit noch ein anderes, so umfangreiches Altarwerk erhalten habe und zwar gleichfalls von einem fränkischen Maler, denn der stilistische Befund weist in der Tat nach Franken. Immerhin als völlig gesichert darf man die Zuschreibung des Werkes an Berthold von Nördlingen nicht ansehen, und es ist gewiß zu weit gegangen, wenn Back meint, die Passionsbilder stammten von dessen Sohn Thomas, von dem es heißt: „war mehr Anstreicher als Maler". Daß aber der oder die Maler ihre Schule in Franken durchgemacht haben, ist gewiß. Der Hinweis auf das Epitaph der Anna Imhoff, geb. Rothflasch (f 1413) in St. Sebald in Nürnberg?1 und auf dem Altar aus der Allerheiligenkapelle unweit Kleinschwarzenlohe bei Kornburg3s (gegen 1420), die beide von dem großen um 1400 anzusetzenden Marienaltar ausgehen, erklären völlig den schweren, vielteilig kompakten Gewandstil und die runde Prallheit der Köpfe. Ein Vergleich des Gekreuzigten mit dem in dem großen Wandbilde in der Moritzkapelle, aber auch mit dem des späteren 1429 datierten Bamberger Altars im Bayerischen Nationalmuseum 33 und der Vierzehnnothelferaltar in der HeiligBack 1910 S. 72.

3» A. a. O. S. 72.

3' Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1930—31 (1932) S. 134. 3» Ebenda S. 131 ff. 33 Ebenda S. 149 ff. 136

kreuzkapelle34 bezeugen für die Passionsbilder den Zusammenhang eindeutig. In die gleiche Richtung weisen auch die heute über den Gewölben liegenden und deshalb schwer zugänglichen und schlecht erhaltenen Malereien in der Pfarrkirche zu Rüdesheim, die gleichfalls Passionsszenen darstellen, sowie eine neuerdings entdeckte Kreuzigung neben dem Choreingang 35. Als Stifter werden immer Johann Brömser aus Rüdesheim und seine Ehefrau Erlindis von der Spoor genannt. Johann Brömser war von 1415—1417 Vizedom des Rheingaus. Diese Jahre würden gut zu dem Stil der Malereien passen, die in ihren Raumgestaltungen sehr fortschrittlich sind. Leider erlaubt ihr Erhaltungszustand keine eingehenderen Beobachtungen. Dafür bezeugt aber die Kreuzigung die fränkische Herkunft des Malers einwandfrei. Die Gesichter der unterm Kreuz stehenden Männer sind wörtliche Wiederholungen aus Nürnbergischen Bildern dieser Jahre. Sodann gehört in diesen Kreis wohl auch der Bartholomäusfries über dem Chorgestühl des Frankfurter Domes, der aber im 19. Jahrhundert 185. derart stark restauriert worden ist, daß ein Urteil nicht mehr möglich ist. In zwanzig Bildern ist die Legende des Titelheiligen der Kirche dargestellt. Außerdem finden sich in der Chornische die Himmelfahrt Mariens und Christus mit Magdalena. Jenes Bild ist laut der erneuerten Inschrift 1407, dieses 1427 von dem Domscholaster Frank von Ingelheim gestiftet worden, doch geht die erste Zahl wohl auf den Lesefehler eines Restaurators zurück 36. Aus dieser Zeit um 1427 muß auch der Bartholomäusfries stammen. Dessen einzelne Bilder sind durch Säulchen getrennt, die auch zur räumlichen Vertiefung benutzt werden, wie überhaupt dieses Problem dem Maler sehr wichtig gewesen ist. Seine Figuren sind untersetzt, lebhaft und ausdrucksvoll in ihren Bewegungen. Etwas Verwandtes scheint sonst am Mittelrhein nicht zu finden zu sein. Vielleicht müssen diese Malereien ähnlich wie die besprochenen von fränkischen Quellen abgeleitet werden. Die Raumgestaltungen und die Art der Bildkompositionen scheinen unbedingt dafür zu sprechen. Endlich weist über die Grenzen auch die bedeutsame, um 1420 anzusetzende Ausmalung der Schloßkapelle in Zwingenberg 3", die mit den 1428 datierten Malereien der Veitskapelle in Mühlhausen am Neckar zusammen behandelt werden muß. Und da Zwingenberg an der Grenze des schwäbischen Siedlungsgebietes liegt, ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Schwäbischen also auch in geographischer Hinsicht gegeben ist, so darf man wohl üblichem Brauch entgegen, diese Malereien aus dem Kreis der Betrachtung mittelrheinischer Kunst ausscheiden und sie im Zusammenhange der schwäbischen behandeln. 34 Ebenda S. 186 ff. 35 Clemen a. a. O. Taf. 70, Fig. 3 1 3 . 3* Gewinner, Kunst und Künstler in Frankfurt a. M., 1862 S. 474. 37 Lentz, Die Wandgewälde in der Bergkapelle Zwingenberg a. N., 1893 (A. v. Oechelhausen Die mittelalterlichen Wandgemälde im GroBherzogtum Baden I.).

137

6.

In gesicherte mittelrheinische Tradition treten wir wiederum ein, wenn wir einige Zeugnisse mainzischer Wand- und Buchmalerei betrachten. Mehrere Gruppen alter Malereien sind uns in der Karmeliterkirche erhalten 38. Eine ältere Schicht mit Darstellungen der Katharinenlegende im südlichen Seitenschiff stammt noch aus dem späten 14. Jahrhundert. Von den recht weltlichen, Lanzenspiel, Schlachten und das Wiesbadener Badleben schildernden Wandmalereien im Hause des Domherrn Grafen Johann von Eberstein aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts war schon bei der Behandlung jener Zeit die Rede. Sodann ist uns überliefert, daß in dem alten, abgebrochenen Kaufhaus sich Schilderungen von bürgerlichen Beschäftigungen befanden 39. Nur von einem Bilde ist in einer alten Federzeichnung eine schwache Andeutung auf uns gekommen. Sie zeigt zwei Lastträger, die an einem Tragbaum einen Warenballen schleppen. Darnach ist anzunehmen, daß es sich um einen größeren Zyklus gehandelt hat. In der Reichklarakirche waren große Einzelfiguren dargestellt. In der Krypta der Christophkirche findet sich eine Beweinung mit einem Stifter auf der einen und einem Christopherus auf der anderen Seite 4« und weiterhin ein kreuztragender Christus. Die Bilder dürften an der Wende des 14. zum 15. Jahrhundert entstanden sein. Die jüngeren Malereien in der Karmeliterkirche verdienen eine ausführlichere Würdigung. An der Ostwand des südlichen Seitenschiffes finden oder fanden sich Malereien aus dieser Zeit, die im untersten Streifen 186, 191. die älteren zum Teil überdecken. Links der Tod Mariens, rechts drei Szenen aus der Katharinenlegende und das Martyrium der hl. Ursula. Sodann in der Sakristei die Himmelfahrt, das Pfingstwunder, die Himmelfahrt des Elias und eine große Christophorusfigur. Reste von weiteren Malereien, einer Muttergottes, einem Christus an der Geißelsäule und anderen waren in der Kirche verstreut. Endlich ist das Gewölbe des Chores in einzigartiger Weise bemalt auf uns gekommen. ,,Es handelt sich um eine der ausgeführtesten hochgotischen Dekorationen eines ganzen Gewölbefeldes. Im Gegensatz zu den üblichen leicht konventionell werdenden und leblosen gotischen Rankenmustern sind im Chorabschluß mächtige Engelgestalten, in den mittleren Gewölbefeldern Propheten mit Spruchbändern, im äußersten westlichen Gewölbefeld wiederum Engelgestalten und Sonne und Mond abgebildet. Durch die weit ausgebreiteten Flügel und die Spruchbänder, die in ihrem Rhythmus diesen Flügeln in etwa entsprechen, werden die Gewölbefelder ungezwungen gleichmäßig gefüllt und belebt. In der Mitte des östlichen Gewölbes ist hinter dem Schlußstein ein mächtiger Christuskopf en face dargestellt vor dem kreuzförmigen Nimbus in einem Rund von 1 m Durchmesser auf blauem Grund. 33 Neeb, Mainzer Zeitschrift 20/21 (1925/26) S. 45; Clemen a . a . O . S. 277, Taf. 64, 65. 39 Schneider, Correspondenz-Blatt des Gesamtvereins d. deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 27 (1879) S. 49; Clemen a . a . O . S. 283/4, Fig. 287; Rieffei, Kunstchronik 22 ( 1 9 « ) Sp. 522, 534ff. 4° Mainzer Zeitschrift 20/21 (1925/26) S. 92; Clemen a. a. 0. Fig. 288. 138

Mainz, Karmeliterkirche : Chorgewölbebemalung nach P. T. Keller

Um dieses Christushaupt und in die übrigen Felder verteilt zwölf große Engelgestalten, den zwölf Aposteln entsprechend, die die Leidenswerkzeuge, Kreuz, Dornenkrone, Martersäule, Schwammstab, Lanze, Leiter, Geißel, Rute, Hammer, Zange usw. tragen. Die Gestalten knien auf stilisierten Wolken, die in bewegten Umrissen wie ein großes vielfach gezahntes Blatt auf der Fläche schweben. Mächtige Flügel, unregelmäßig und unsymmetrisch, in große flaumige Hahnenfedern auslaufend, wachsen aus ihren Schultern heraus. Das nächste Gewölbefeld, das mittlere des Chores, zeigt in jedem Feld paarweise zueinander gestellt acht Gestalten, als Halbfiguren aus ähnlich gebildeten Wolkenmassen herauswachsend, denen andere freie Wolkengebilde in der Mitte des Schildbogens oder des Gurtes entsprechen. Die männlichen Figuren tragen die Ordenstracht der Karmeliter. Die bärtigen oder bartlosen Köpfe sind zum Teil durch die Kapuze halb verhüllt, in der Darstellungsart, in der sonst die Propheten gegeben werden, die hier wie dem Karmeliterorden angehörig erscheinen, wie denn die Karmeliter sich als die Nachfolger der Schüler des Elias, der Söhne des Propheten, betrachten durften, da ihr weißes Gewand dem Mantel des Elias entspricht. — Im letzten Chorj och endlich um den Schlußstein vereinigt sechs Engel mit Weihrauchfässern und in dem abschließenden westlichen Feld von einem Flammenkranz umgeben zur Linken die Sonne, zur Rechten der Mond. Hier wird dann der freibleibende Platz der Gewölbefelder durch unregelmäßiges grünes Rankenwerk ausgefüllt, das aus dem Schlußstein oder aus den äußeren Zwickeln herauswächst." 41 Die am besten erhaltenen Malereien, dieser Schmuck der Chorgewölbe, der Marientod, die Szenen in der Sakristei lassen sich mit Sicherheit in den Beginn des 15. Jahrhunderts datieren. Im Jahre 1404 sind laut einer alten Inschrift die Gewölbe des Langhauses vollendet gewesen, und obgleich der Chor gewiß älter ist und auch die Sakristei mit diesem Datum nicht in Zusammenhang gebracht werden darf, so möchte man, vom Stil der Malereien aus urteilend, doch glauben, daß sie nach Vollendung der Kirche um das Jahr 1404 ausgeführt worden sind. Die Engelchen in den Chorgewölben erinnern an die zahlreichen in kölnischen und westfälischen Altären des frühen 15. Jahrhunderts und sind, wie auch die Propheten, die man etwa mit denen des Wildunger Altars vergleichen kann, nicht vor 1400, aber auch kaum noch im dritten Jahrzehnt zu denken. Der Marientod wie auch die Szenen in der Sakristei, die gewiß von einer anderen Hand sind, erinnern ganz allgemein an die mittelrheinische Tafelmalerei dieser Jahre, und zwar scheint die völlig einwandfreie Zuordnung zu einer der besprochenen Gruppen möglich. Denn für die sehr ausgewogenen, klar und großformig gebauten Bilder der Sakristei darf man wohl auf den Altar im Utrechter Museum hinweisen. „Hier finden wir sowohl den Marientod aus dem großen Wandbilde der Kirche wie die Himmelfahrt und das Pfingstfest wieder. Es sind nicht nur äußerliche Übereinstimmungen des ikonographischen Schemas, die auf das gleiche Vorlagenbuch schließen lassen, die Bildung der Köpfe (man vergleiche Clemen a. a. O. S. 281—8z. 140

bei der Himmelfahrt die beiden vorn rechts knienden Jünger), die Gewandmotive sind vielfach ganz die gleichen, in einzelnen Punkten so stark, daß man an dieselbe Hand zu glauben versucht ist4V Dabei sind die Wandmalereien wohl um etwas reifer, und es darf und soll nicht behauptet werden, daß sie von der gleichen Hand, wie die Festtagsseite jenes Altars, seien. Der Kreis, die Schule, vielleicht die Werkstatt, dem der Marientod und die Bilder in der Sakristei entstammen, ist aber wohl mit diesem Hinweis ziemlich sicher umrissen. Das Ursulamartyrium ist sodann wohl etwas später entstanden, wenn auch ein enger werkstättlicher Zusammenhang zu den Malereien der Sakristei bestanden haben muß. Ausführlich wird in diesem Bilde die landschaftliche Szene geschildert, und wenn auch die Komposition wesentlich in der Fläche entwickelt ist, so ist der Raum doch allenthalben in dem Doppeltor wie in der Felskulisse, die das Boot überschneidet, und in der Figurengruppe in diesem deutlich gemacht. Zugleich sind die Formen kompakter. Damit dürfte für das Ursulamartyrium eine Entstehung gegen 1430 gegeben sein. Diese Freude an landschaftlicher Szenerie wie auch die Typen der Figuren rücken dieses Wandbild in die Nähe der sehr feinen Initialmalereien des fünfbändigen Graduales im Mainzer Dommuseum, das laut Eintrag 1432 von dem Karmeliterbruder Nikolaus vollendet wurde. Einzelne Prophetenhalbfigürchen in den Initialranken scheinen noch an die Gewölbemalereien der Karmeliterkirche anzuknüpfen, und auch die da vorkommenden Ranken- und Maßwerkformen finden sich in der Handschrift übereinstimmend wieder. Das bezeugt, daß im Karmeliterkloster Werkstatt und Tradition bestanden. Und weiterhin erinnern wie die Figuren des Ursulamartyriums auch die dieser Handschrift in ihrer zarten Zeichnung und kühlen Farbstimmung noch an die Altäre des frühen 15. Jahrhunderts, etwa an den Utrechter und den Siefersheimer, wenn dann auch diese Initialbildchen in der Erfassung der Wirklichkeit einen bedeutenden Schritt weiter getan haben und damit in andere, spätere Zusammenhänge weisen und den Meister der Darmstädter Passion vorbereiten. Um die Art dieser Miniaturen zu verstehen, ist es wohl nur ganz im allgemeinen nötig, auf westliche Vorbilder und Einflüsse hinzuweisen. Wichtiger waren gewiß die in jenen genannten Werken gegebenen heimischen Voraussetzungen. Auf diesen bauten sie entscheidend auf, deren Gedanken und Formen weiterführend. Zu diesen Bildern gehört unmittelbar hinzu ein Einzelblatt mit einer Verkündigung, das in die Münchener Staatsbibliothek (cod. lat. 29164, 13) gelangt ist und 1430 von einem Bruder Johannes geschrieben wurde4 3. Nebenbei erwähnt sei ein Missale aus dem Mainzer Karthäuserkloster, das 1401 datiert im Koblenzer Gymnasium aufbewahrt wird. Es zeigt eine kleine Kreuzigungsdarstellung, die dem späten ^ . J a h r hundert noch durchaus verbunden ist. Weiterhin eine Vita des hl. Werner von Bacharach aus dem Anfang des Jahrhunderts in der Stadtbibliothek 4» Clemen a . a . O . S. 283. 43 Leidinger, Münchener Jahrbuch 7 ( 1 9 1 2 ) S. 256.

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zu Trier (cod. 1139/65) und ein Zwiegespräch Christi mit der Seele im Mainzer Priesterseminar aus der Mitte des Jahrhunderts. Außer diesen bedeutsamen mainzischen Malereien sind am Mittelrhein noch eine ziemliche Anzahl Wandmalereien erhalten, die meisten freilich nur noch in Kopien oder so trümmerhaft, daß eine Einordnung nicht mehr möglich ist. Vielleicht standen den besprochenen Werken in Mainz die ziemlich zahlreichen Malereien in der evangelischen Pfarrkirche zu Steeg nahe 44. Wir nennen heilige Sippe und Abrahams Schoß, Martyrium der Zehntausend, Legende des hl. Martin, Kreuzigung, Opferung Isaaks, weibliche Heilige, Hieronymus. Die Bilder wurden 1901 freigelegt und haben seitdem ziemlich gelitten. Wie es scheint, entstanden sie nicht auf Grund eines festumrissenen Auftrages. Einige Jahrzehnte trennte wohl die ersten von den letzten, dennoch sind sie trotz kleiner Unterschiede ziemlich einheitlich, und alle zeigen Beziehungen zu den verschiedenen mainzischen Malereien. In der Karmeliterkirche zu Boppard 45 war in fünfzehn Bildern die Alexiuslegende und darüber Maria mit einem Ritter, einem Herrn von Schöneck, dargestellt, neben den „dis ward gemacht anno domini MCCCC V I I " stand. Die farbigen Aufnahmen zeigen schlanke, zierliche Figuren, sonst aber erinnern die Bilder noch an die Miniaturen in den Handschriften des Kuno von Falkenstein 4&. Und man darf wohl auch einen näheren Zusammenhang annehmen, da Boppard seit Balduin zu Kurtrier gehörte. Die übrigen Malereien der Karmeliterkirche, einige Heilige und vor allem eine große Darstellung des Ecce Homo mit reicher architektonischer Szenerie, stammen erst aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Nur noch in wenigen Resten sind eine Kreuzigung und eine Anbetung der Könige im Deutschordenshaus zu Koblenz erhalten47. Wenn der heutige Zustand nicht täuscht, so war ihre ausdrucksvolle Formgestaltung etwa dem Stil des Obersteiner Altars verwandt. Endlich ist in der Friedhofskapelle zu Kobern 4« an der Mosel noch eine ziemlich geschlossene und sicher planmäßig ausgeführte Ausmalung erhalten. Neben einer Dreieinigkeit, einer Verkündigung und einem ölberg ist vor allem eine Anbetung der Könige mit einer vielteiligen Landschaft als Hintergrund zu nennen. Soweit ihr Zustand noch ein Urteil erlaubt, ähneln sie dem Stil des Utrechter Altars. Den Engeln an den Chorgewölben der Mainzer Karmeliterkirche sind aufs nächste verwandt die kürzlich freigelegten achtzehn musizierenden Engel am Chorhauptgewölbe der Frankfurter Karmeliterkirche 48*. Ihre knittrigen Gewandenden weisen sie in das vierte Jahrzehnt, der Zusammenhang ist dennoch unverkennbar. Er war wohl durch die Ordensbeziehungen gegeben. 44 Clemen a . a . O . S. 308; Taf. 71—73. 45 Ebenda S. 285, Fig. 66. 46 Malerei der Gotik II. 47 Clemen a . a . O . S. 291. 48 Ebenda S. 3 1 7 . 4Sa Zimmermann, in Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1938 S. 8, Abb. 7 und 9.

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Südlich des Mains bewahren neben den schon erwähnten in Zwingenberg noch Hirschhorn und Michelstadt Miliereien aus dieser Zeit auf. In der Hirschhorner Karmeliterkirche sind nur geringe Reste einer hl. Sippe und einer Anbetung der Könige 49 auf uns gekommen. Bedeutsamer sind das Jüngste Gericht, eine Anna Selbdritt und ein hl. Georg im Kampf mit dem Drachen in der unzugänglichen Gruftkapelle der Stadtkirche zu Michelstadt im Odenwalds0. Die Kapelle dürfte um 1416 erbaut worden sein, da am Schlußstein das Wappen Konrads IX. zu Erbach und der Anna von Bickenbach (f 1451) sich findet, die in einer Urkunde von 1416 als Ehegatten genannt werden. Soweit ein Urteil nach den guten Kartons im Darmstädter Denkmalamt erlaubt ist, scheinen die Malereien wiederum mit mainzischen eng zusammenzugehen. Die Kostüme wie auch die Charakteristik der Figuren und die geschmeidige Zeichnung lassen an den Ortenberger Altar denken. Bald nach 1400 müssen die Krönung Mariens und der Engelchor an der Südwand, sowie die übrigen Reste im Obergeschoß der Lorcher Halle entstanden sein, höchst reizvolle Malereien, deren Freilegung das Bild der mittelrheinischen Malereien sehr bereichert 5'. 7Einen zweiten Kreis umschreiben eine Anzahl in Hessen überlieferter und jüngst wieder bekannt gewordener Wandmalereien. Sie machen zugleich deutlich, daß diese Landschaft nicht mehr so schöpferisch wie im vorangegangenen Jahrhundert ist. Die wenigen Tafelmalereien sind sämtlich mit niedersächsischen Werkstätten verknüpft. Die Wandmalereien lassen noch am ehesten die alte Tradition erkennen. Deshalb sei es erlaubt, sie hier zu behandeln. Sehr kennzeichnend für die Stellung Hessens gegenüber den künstlerisch kräftigeren, umliegenden Landschaften ist eine Miniatur, die aus Fritzlar stammt, ein Kanonbild in einem 1421 datierten Missale der Kasseler Landesbibliothek, Ms. theol. 2° 1145=, das in der Komposition noch 188. den beiden älteren Kanonbildern aus dem frühen und späten 14. Jahrhundert nachfolgt (Kassel, Landesbibliothek Ms. theol. 2° 162 53 und Ms. theol. 2° 118), stilistisch aber von der niedersächsisch-göttingischen Richtung bestimmt ist. In Fritzlar findet sich in der Schatzkammer der Stiftsbibliothek noch ein mit Figürchen bemaltes Kästchen, vor allem ist aber eine in einer reichen Tabernakelarchitektur stehende Maria mit Kind in der evangelischen Pfarrkirche 54 zu nennen. Ein Jahrhundert nach dem großen Wandbild in der Stiftskirche 55 entstanden, hat es etwas 49 Brentano, Die Karmeliterkirche zu Hirschhorn S. 1 3 ; Walbe, Nachbildungen mittelalterlicher Wandgemälde aus dem Großherzogtum Hessen, 1 9 1 7 S. 3. 5» Walbe a. a. O. S. 4 mit Abb. ;> Walbe und Behn, Kirche und Torhalle des Klosters Lorch und der Stand der Ausgrabungen, 1936 Abb. 1 0 — 1 2 . Religiöse Kunst aus Hessen und Nassau, 1932 S. 103, Taf. 172. 53 Deutsche Malerei der Gotik I. Abb. 81. 54 Keller, Jahrbuch der Denkmalspflege im Regierungsbezirk Kassel II, 1936 S. 65, Taf. 1 7 . ;; Deutsche Malerei der Gotik I. Abb. 78.

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von dessen Schönheit und Linienmusikalität bewahrt, ein später Nachklang. Neu ist nur das Motiv des Vorhangs, den Engel hinter Maria halten. Ähnlich sieht es in Marburg aus. Die beiden flachbogigen Altarnischen im nördlichen Querschiff der Elisabethkirche 56 besitzen noch die alte, aus verschiedenen Zeiten stammende Ausmalung. Sie zeigen zwischen seitlichen Bildern Kreuzigungsdarstellungen, die auf Grund älterer, aus dem frühen 14. Jahrhundert stammender und zum Teil noch gut erkennbarer Bestände in der ersten Hälfte des 15. neugemalt wurden. Völlig erneuert wurden zu Beginn des Jahrhunderts die beiden seitlichen Bilder des Elisabethaltars, das Wunder mit dem Kreuz im Bett und die Erhebung der Gebeine der Heiligen. Aus diesen Jahrzehnten stammen auch die Propheten über den Nischenbogen. Die Malereien des zuerst 1302 urkundlich genannten Katharinenaltars, eine Kreuzigung, Christus mit Magdalena und das Martyrium der hl. Katharina zu Seiten, sowie weitere Szenen aus der Legende dieser Heiligen über dem Nischenbogen sind etwas später anzusetzen. Die sich neben weichen Formen findenden härteren, eckigen Faltenmotive weisen wohl schon in das zweite Jahrhundertviertel. Ikonographisch sind die Darstellungen aus der Katharinenlegende über dem Nischenbogen den Federzeichnungen auf dem Bruderschaftsbrief der Kölner Fischerzunft von 1402 verwandt. Weiterhin gehören in diesen Zusammenhang die Malereien an den beiden gegenüberliegenden mittleren Pfeilern des Langhauses, ein mit erhobenen Händen im Sarkophag stehender Schmerzensmann, gegenüber zu Seiten einer plastischen Marienfigur Elisabeth und Katharina. Aus der Mitte 189. des Jahrhunderts stammen endlich Maria, Johannes und die beiden Schacher über dem Elisabethaltar zu Seiten eines plastischen Kruzifixus. Die außerordentlich wuchtigen Gestalten der Trauernden sind in schwere, sich brüchig faltende Gewänder gekleidet, die Gebärden und Bewegungen sind ernst und eindrucksvoll. Man möchte an Witz'sche Figuren denken, vor allem scheinen aber zum Meister der Darmstädter Passion Verbindungen zu führen. Mancher Zug verknüpft diese Figuren mit seinen Werken. Seitlich vom Sakramentshaus im Chor finden sich endlich aus derselben Zeit vier sitzende Apostel und darunter zwei kerzenhaltende Deutschordensherren, die schwächer als die vorgenannten Malereien und stark erneuert wohl zur gleichen Zeit entstanden sind. Kurz erwähnt seien noch folgende Werke: Im Chor der Kirche zu Liebenau 57 findet sich eine Apostelfolge, im Gewölbe Christus als Weltenrichter, im Langhaus noch ein Johannes Evangelista. Die Figuren sind uneinheitlich und ungleichartig, aber wohl alle von einer Hand. In Hungen und Ostheim 58 sind bemerkenswert vollständige Wand- und Gewölbeausmalungen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts erhalten. Alle Teile 56 Meyer-Barkhausen, Jahrbuch d. Denkmalspflege im Reg.-Bez. Kassel II, 1936 S. 73ff., Taf. 21—24; Küch, Hessenkunst 1908 S. 9. 57 Kramm, ebenda S. 104, Taf. 28, 29, 34. 5 S Walbe a. a. O. S. i 2 f f . ; Stern, Deutsche Monatshefte 17 (1917) S. 286 mit Abb.

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überzieht ziemlich gleichmäßig Rankenwerk, in das die Evangelistensymbole, das Lamm, Maria in der Glorie und verschiedene biblische Darstellungen eingefügt sind. Die Qualität ist ziemlich gering. Neuerdings wurden in Vaake und Oberkaufungen noch Malereien aufgedeckt. 8. Die behandelten Wandmalereien oder auch das Missale aus dem Karmeliterkloster in Mainz wiesen schon öfters auf die Entwicklung der mittelrheinischen Malerei im zweiten Jahrhundertviertel hin. Deutlicher wird der Weg im Bereich der Tafelmalerei. Am Übergang, sich deutlich von den Gruppen aus dem Anfang des Jahrhunderts, wenn auch vielfach mit ihnen verbunden, absetzend, steht der Altar aus der Peterskirche 192,193in Frankfurt, dessen Teile, soweit sie auf uns gekommen, im Städel aufbewahrt werden. Erhalten sind das Mittelbild mit einer großen, figurenreichen Kreuzigung, von den Flügelinnenseiten sechs Passionsdarstellungen : ölberg, Gefangennahme, Christus vor Pilatus, Kreuztragung, Kreuzabnahme, Grablegung, und von den Außenseiten eine sehr zerstörte Heimsuchung. Ikonographie und Komposition der Bilder sind durchweg altertümlich. Die Kalvarienbergdarstellung knüpft noch an das Schema des Wildunger Altars an und bereichert jenes Vorbild durch eine Veronika, die das Schweißtuch ausgebreitet hält, und durch allerlei genrehafte Züge. Der Raum ist noch immer flach und die Landschaft mit der Burg nur eine Kulisse. Noch völlig im Sinne der Frühzeit ist Wichtiges und Unwichtiges naiv nebeneinander gegeben, ist die Freude am Drolligen wie Drastischen, ist die unruhige, mit vielerlei Geschehen überladene Komposition. Wie entscheidend dem Maler dieses Erzählen war, zeigt die Darstellung des einen Schächers, der mit einem Knecht auf der Leiter steht, um von diesem angebunden zu werden. Aber gerade diese Figur zeigt dann auch, wie alle Formen größer und plastischer genommen werden, und macht wie etwa auch die Christusdarstellungen der Flügel deutlich, wie eine neue Schaubarkeit erstrebt wird. Die Figuren sind, so sehr sie im ganzen zu versinken scheinen, doch statuarischer. Und damit rückt der Altar in die zeitliche Nähe des Dortmunder Marienaltars, so viele Züge ihn auch mit Werken vom Anfange des Jahrhunderts verknüpfen. Zumal der Obersteiner Altar scheint eine wichtige Voraussetzung für diesen Meister gewesen zu sein, wenn man auch glauben möchte, daß er ursprünglich aus Westfalen oder Niedersachsen kam. Da der Altar „aus der i4i7bis 1419 durch die Patrizier Johann Ockstadt und Jacob Hombrecht neugebauten und mit Altären ausgestatteten Peterskirche" 59 stammt, glaubte Back ihn in diese Jahre datieren zu können. Gewiß spricht viel dafür, daß der Altar um 1420 entstanden ist, aber es ist unbeweisbar, wenn er die beiden vornehmen Herren, die links unter dem Kreuz halten, für jene Patrizier ansieht, von denen der letztere bereits 1420 starb. Nicht nur diese beiden Köpfe könnten Bildnisse sein, 59 Back 1910 S. 50. 145

noch andere kämen in gleicher Weise in Frage. Und alle sind sie möglicherweise doch nur ganz im allgemeinen Abbilder. Untersucht man ihre Porträthaftigkeit, so stellt sich heraus, daß die acht unter den Kreuzen versammelten Männer sich gruppenweise sehr ähneln. Schließlich käme auch der vor dem Veronikatuche betend kniende Greis als Stifter in Frage. Immerhin jene Nachricht darf ein Hinweis sein; um 1420 kann der Altar sehr wohl gemalt worden sein. Zwischen dem Obersteiner Altar und diesem aus der Frankfurter Peterskirche steht eine Tafel mit der Darstellung der Fußwaschung, 190. die aus dem Mainzer Handel ins Germanische Museum in Nürnberg gelangt ist. Die bewegte Versammlung der Apostel, die temperamentvolle Sprache ihrer Gebärden, der lebhafte Licht-Schattenwechsel, die beschwingten Kurven der Gewänder weisen unverkennbar zu jenem älteren Werke zurück. Letztlich kann man jedes Faltenmotiv, jeden Kopf von da ableiten. Der Ortenberger Altar ist daneben kaum sehr wichtig gewesen. Dann aber sind wiederum die Formen größer gegriffen und ist ihre Gestaltung plastisch fester, womit sich das Bild dem Frankfurter Altar nähert. Wie in diesem ist auch in dem Nürnberger Fußwaschungsbilde der Wille, die zierlichen Miniaturformen der Zeit um 1400 zu überwinden, sichtbar. Völlig einsam steht daneben der zweite große Kalvarienberg des Städel, der einer alten Mitteilung zufolge aus der Barfüßerkirche stammt und den Gebhardt60 einem Hans von Metz zuschreiben wollte, der für jene Kirche 1445 Malereien geliefert hat, wobei es aber völlig unklar ist, welcher Art und welcher Technik diese waren. In jener Nachricht ist nur die Rede von einem Kruzifixus mit Maria und als vil da bij gesten. Wir lassen diese Frage beiseite und können uns an dieser Stelle mit der Feststellung begnügen, daß diese Tafel überhaupt aus der mittelrheinischen Malerei auszuscheiden ist. Die dichtgedrängte Komposition mag vielleicht zuerst an den Altar aus der Peterskirche erinnern, sonst ist aber alles völlig verschieden. Der Realismus der Gewandschilderung hat ganz gewiß sehr andere Wurzeln. Die Charakterisierung der Gesichter weicht ebenso vollkommen von mittelrheinischer Art ab. Viele Anregungen und Vorbilder hat der Maler dieses seltsamen und gewiß auch künstlerisch reizvollen Kalvarienberges verwendet. Aus Italien, aus der Richtung Pisanellos, vielleicht auch aus der Altichieros, wie aus dem Westen hat er empfangen. Die Gruppe der Trauernden, die in dem unruhigen Vielerlei groß und ruhig, wahrhaft statuarisch dasteht, zeigt, wie Verschiedenartiges, Widersprechendes aufgenommen wurde. Und am Ende führt die Analyse immer wieder zum Oberrhein. Hier, im Elsaß und im Kreise Lucas Mosers, findet sich am nächsten Verwandtes. Wenn also auch die Zuschreibung an Hans von Metz unbeweisbar und schon wegen des späten Datums unwahrscheinlich ist, so hat dieser Hinweis doch wohl 4o

Monatshefte für Kunstwissenschaft 5 ( 1 9 1 2 ) S. 497; Einzelforschungen über Kunstund Altertumsgegenstände zu Frankfurt a. M. (1908) S. 77.

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die Richtung, aus der der Maler des Bildes kam, etwa richtig angedeutet. Wir kommen später auf das Bild zurück. Und so ähnlich scheint es sich auch bei einem dritten aus Frankfurt stammenden Bilde, einer dreifigurigen, gegen Mitte des Jahrhunderts anzusetzenden Kreuzigung, zu verhalten, die aus der Kapelle des Waisen- 194. hauses in das Städel gekommen ist. Außerordentlich kraftvoll modelliert stehen die Figuren groß und wuchtig vor dem mit einem Granatapfelornament gemusterten Goldgrund. Völlig im Geiste des Meisters von Flimalle ist es, wie der Körper des Gekreuzigten großartig geschlossen gestaltet ist. Die fast sensitive Zeichnung der Finger, die zarte Beseelung, die Engelchen, die die Blutstropfen auffangen, der klare dekorative Aufbau, all das scheint für eine Entstehung des Bildes am Mittelrhein zu sprechen. Die eindringliche plastische Gestaltung, die gedrungene Statuarik, das ftemallesche, ist aber da ohne Vergleich, während der Salemer Altar in Karlsruhe gewisse Vergleichsmöglichkeiten bietet. So scheint auch dieses Bild dem Oberrhein verbunden zu sein. An den Meister des Obersteiner Altars erinnert wiederum der Gekreuzigte einer Tafel im Frankfurter Dom, die zu Seiten des Kruzifixus die Kirchenväter Gregor und Hieronymus in Schreibpulten sitzend zeigt. Der knappe, hartbrüchige Faltenstil wie die kantigen Gesichtszüge der beiden heiligen Männer weisen das Bild schon in den Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte. Es ist die Arbeit eines Spätlings, der aus weitzurückliegenden Quellen schöpfte. Es ist gewiß kein Zufall, daß diese seit alters her in Frankfurt beheimateten Bilder so unverbunden nebeneinander stehen. Der heutige Bestand dürfte nicht täuschen. Wir erinnern auch noch an den Bartholomäusfries im Dom. Frankfurt hat im Gegensatz zu Mainz in diesen Jahrhunderten nie eine bodenständige Malerei besessen. Andererseits mag Frankfurts Stellung im Reich — es war seit 1356 der Ort der deutschen Königswahl — dazu beigetragen haben, daß in seinen Mauern Meister verschiedenster Richtungen zusammenströmten. Vielleicht siedelten auch aus Mainz Künstler damals nach Frankfurt über. „Nach dem Tode Konrads von Dhaun (f 1434) tobte der Kampf der Zünfte gegen die alten Geschlechter fort, bis die Demokratie ganz die Oberhand gewann. Der wirtschaftliche Rückgang war nicht aufzuhalten. Um die Mitte des Jahrhunderts sind die Zünfte fast um die Hälfte vermindert: einige, wie die Woll- und Leinwandhändler und die Schiffszimmerleute, ganz verschwunden, andere wegen zu schwacher Mitgliederzahl miteinander verschmolzen; von drei Weberinnungen ist nur mehr eine da 6 1 ." So mag es bei den Malern ähnlich ausgesehen haben. 9Die mittleren Jahrzehnte waren keine gute Zeit für Mainz. Der Erzbischof Diether Schenk von Erbach residierte zumeist in Aschaffenburg, das Äneas Sylvius einmal das Refugium der Mainzer Bischöfe nennt. Back 1932 S. 86. 147

Es ist ein naheliegender Gedanke, in der Nähe dieses Erzbischofs den großen Meister der Darmstädter Passion61«, der eines seiner Werke, dessen Teile heute in Orb und Berlin sich befinden, anscheinend für eine Kirche Aschaffenburgs schuf, zu vermuten. Allem Unglück zum Trotz gewinnt in ihm der Mittelrhein am Ende dieser Epoche noch einen überragenden Künstler — oder, wenn wir uns nicht irren, er gewinnt sogar zwei. Denn neben dem adeligen Maler der Darmstädter Passion steht ein anderer, ein stürmischer Draufgänger, den man wohl aus diesem Grunde zumeist sich scheute, in dieser Landschaft beheimatet sein zu lassen. Allein dieser Gegensatz darf nicht überraschen. Wie zu Beginn des Jahrhunderts dem Meister des Utrechter Altars der des Obersteiners gegenübersteht, so hat um die Jahrhundertmitte der Meister der Darmstädter Passion in dem Maler des Erfurter Regleraltars seinen Gegenspieler. Die Spannung ist dieselbe jetzt wie ehemals. Man darf in ihr wirklich ein Merkmal dieser Landschaft sehen. Denn auch in anderen Zeiten ist sie belegbar. Vielleicht sind diese Maler nicht mehr so innig mit dem Mittelrhein verbunden wie jene älteren am Jahrhundertanfang arbeitenden Meister. Das kann nach dem, was wir vorausgehend sagten, nicht verwundern. Und ebenso ist daraus verständlich, wieso es kommt, daß des einen Hauptwerk fern dem Mittelrhein steht. •202. Wir kennen vom Meister der Darmstädter Passion drei Werke. Eines ist, wie es scheint, in allen wesentlichen Teilen erhalten auf uns gekommen, von den beiden anderen nur Flügel oder Flügelteile. Die großartige Kreuzigungstafel in der Kirche zu Orb bei Aschaffenburg hatte ursprünglich als Flügel die heute in Berlin befindlichen Tafeln, die auf den Innenseiten die Anbetung der Könige und die Kreuzlegende, Kaiser Konstantin und seine Mutter Helena knien vor dem Bischof, der das Kreuz hält, auf den Außenseiten die thronende Maria mit dem Kinde und den Gnadenstuhl zeigen62. Im Darmstädter Museum werden weiterhin zwei große Flügel, vermutlich eines Schreinaltars, mit Kreuztragung und Kreuzigung bewahrt, auf deren Außenseiten die Verkündigung und die Verehrung des Kindes arg zerstört sind. Und endlich sind dem Meister noch einige kleine Tafeln zuzuschreiben, eine Kommunion des hl. Onophrius und eine Begegnung an der Goldenen Pforte im Züricher Kunsthaus, eine Tafel mit den hl. Dorothea und Katharina in Dijon, eine Erweckung des Jünglings zu Nain in der Münchner Alten Pinakothek, eine Tafel mit Sebastian und Fabian in der Coli. Reder in Brüssel63. Die beiden letzteren Bilder sind heute oben verkürzt, haben aber ursprünglich gewiß die gleiche Höhe wie die Züricher Bilder besessen. Diese drei Werke des Meisters zeichnen seinen Weg. Am Anfang 202. stehen die kleinen Tafeln in München, Zürich und Dijon. Die einzigThode, Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 21 (1900) S. 59 ff.; Back, Beiträge zur Geschichte der deutschen Kunst 1 (1924) S. 42. 6» Stange, Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 54 (1933) S. 137. 63 Hugelshofer, Städel-Jahrbuch 7 — 8 ( 1 9 3 2 ) 8 . 7 4 . Held, Zeitschrift für Kunstgeschichte 3 (1934) S. 53.

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artige malerische Begabung des Meisters wird schon in ihnen vollkommen sichtbar. Zart abgestuft in den Farben oder richtiger: Farbwerten und Nuancen sind die Bilder tonig, farbig völlig einheitlich. „Der Onophrius ist umgeben von einer warmbraunen Felslandschaft, deren Nuancen von gelb bis zu olivgrün gehen. Und ebenso geschlossen ist trotz der zahlreichen Figuren d u Münchner Bild in seiner farbig gedämpften Haltung von diskreten lila, braunen, grünen Tönen vor tiefblauem Grund. Auf den Tafeln in Zürich und Dijon äußert sich das Suchen nach farbigen Reizen in changierenden Abschattierungen 64." Trotz dieser feinfühligen Farbgebung wird man die Bilder früh ansetzen dürfen. Das Können und Wollen des Meisters ist in ihnen unverkennbar weniger entfaltet, ihnen eignet „eine scheue Zurückhaltung", die man kaum anders wird deuten können, als daß man sie an den Beginn seines Weges stellt. Die Kompositionen sind locker, erscheinen wie zufällig, und diese Unentschiedenheit bezeugen auch zahlreiche sehr auffällige Pentimente. Die Figuren sind einfach in ihren Lebensäußerungen, mitunter haben sie fast etwas Kindliches, wenn auch infolge des malerischen Reichtums die Bilder nirgends einen ärmlichen Eindruck machen. Und auch ein äußerlicher Grund spricht für eine frühe Ansetzung. Die kleinen Täfelchen sind Bruchstücke eines Altars von wohl ziemlich beträchtlichen Ausmaßen. Wahrscheinlich waren sie in zwei Reihen übereinander angeordnet, wie es gern bei Altären aus den ersten Jahrzehnten der Fall ist, während das mittlere Jahrhundert aus einer neuen monumentalen Gesinnung heraus Mitteltafel und Flügel je mit nur einer Darstellung füllt, wie es zuerst Konrad von Soest im Dortmunder Altar tat und wie es der Meister der Darmstädter Passion in seinen anderen Werken getan hat. Das Verhältnis der beiden anderen Werke hat Back65 klargestellt. Der Orber Altar beschließt und bekrönt des Meisters Arbeit, so wie sie sich uns heute darstellt. Alles was er zu sagen hatte, hat er in diesem großartigen Flügelaltar ausgesprochen, den man ohne Übertreibung das malerisch vollendetste und kultivierteste Werk dieser mittleren Jahrzehnte nennen darf. Anders als in den kleinen Täfelchen ist in den Darmstädter Flügeln die Formbehandlung plastisch fest und großformig. Eindrücklicher als bei Stephan Lochner wird beim Meister der Darmstädter Passion das Ereignis der von Pinder so genannten „Dunklen Zeit" sichtbar, wenn dieser mittelrheinische Maler seinen Figuren auch nicht die Unerschütterlichkeit und gewaltige Größe eines Witz gibt. Darin unterscheidet er sich stets von oberdeutschen Meistern, von Witz wie von Multscher oder dem Meister des Tucheraltars. Aber immerhin besitzen die Gewänder seiner Figuren eine kristalline Härte, brechen die Falten in spitzen Winkeln, stehen die Flächen kantig gegeneinander und sind auch die Bewegungen seiner Figuren winkelig und eckig geworden. Ihr Volumen ist im allgemeinen gering, aber zugleich ist ihre Körperlichkeit doch fester, trockener, vielleicht starrer geworden. Die 6

4 Ebenda S. 76. 5 Beiträge zur Geschichte der deutschen Kunst 1 (1924) S. 42.

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195,196.

Säume und Konturen haben keinerlei Eigenlebendigkeit mehr. Die ununterbrochen fließenden und schwingenden Faltenrhythmen sind erstarrt. Die Falten sind steif und verfestigt und in ihrem Lauf immer wieder angehalten, unterbrochen, abgewinkelt. Und diese Verfestigung, Erstarrung ist auch im Seelischen sichtbar. Gefühl, Empfindung fluten nicht mehr so reich und frei durch die Gruppen, haben sich zurückgezogen und brechen nur mehr mühsam durch die harte, plastisch feste Schale der Figuren, die darum einsamer oder auch geistig ärmer erscheinen können. Gleichzeitig sind die Kompositionen fester, tektonischer geworden, wenn auch der Meister der Darmstädter Passion stets eine gewisse Lockerheit seinen Bildern bewahrt. In den beiden Flügeln ist bemerkbar, wie die Figuren einerseits einer Diagonalen, andererseits mehreren Senkrechten verbunden sind. Da aber in der Kreuztragung mehr die Diagonale, in der Kreuzigung einige Senkrechte herrschen —, so sind die Bilder in ihrem Aufbau sehr ungleichgewichtig, wenn auch mittels einer Landschaftskulisse die geringere Höhe der Figurengruppe in der Kreuzigung gegenüber der der Kreuztragung ausgeglichen ist. Wichtig ist auch, daß die Lichtbahnen, daß Hell und Dunkel ganz verschieden verteilt sind. 197—201. Im Orber Kreuzaltar sind die Flügel und das Mittelbild in einer wunderbaren Weise zusammengestimmt, aber eben sehr bezeichnend durch verhältnismäßig weiche Kurven. Die Diagonalstellung der Hauptgruppen auf den Flügelbildern ist nur mit dem Kreuzigungsbilde und der Fügung seiner Figurengruppen verständlich. Die seitlichen Stufen des landschaftlichen Hintergrundes im Mittelbilde binden sich mit den Architekturen der Flügel. Den diagonalen Richtlinien, die die Trauernden und die würfelnden Knechte umschließen, sind auch die Hauptfiguren auf den Flügeln verpflichtet. Die wundervolle Rhythmisierung der Volksmenge unterm Kreuz findet da eine notwendige Fortsetzung. In leichter Schwingung zum Kreuz hin ansteigend stehen die breiteren und schmaleren Gruppen als senkrechte Säulen, als Gerüst hinter den bewegteren Hauptfiguren. Durch diese aber, die bald sitzen, kauern oder knien läuft eine weitausholende Kurvenbewegung. Zweimal steigt die Bewegung gleichförmig an: einmal in der Rückenlinie des eilten knienden Königs und der Gruppe von Mutter und Kind, zum zweiten Male in dem breitgelagerten Dreieck der Trauernden. Unbetont senkt sie sich in der rechten Bildhälfte, in der Gruppe der würfelnden Knechte, herab, um in der steilen Haltung des kaiserlichen Paares endlich einen Abschluß zu gewinnen. Erst wenn man die heute zerstreuten Teile des Altars zum Ganzen zusammenfügt, wird das großartige, kompositionelle Können dieses mittelrheinischen Meisters völlig deutlich, und es ist wohl möglich, daß auch die Darmstädter Flügel anders sich darstellen würden, wenn wir das Mittelstück zwischen sie fügen könnten. Mit Stephan Lochners Dreikönigsaltar muß der Orber Kreuzaltar zusammen genannt werden: nahe verwandte Zeugen des monumentalen Gestaltens der vierziger Jahre. Nahe verwandt, weil beide eine musikalische Rhythmisierung und harmonische 150

Verbindung der Teile zum Ganzen erstreben. Die Mittelgrundfiguren haben in beiden Werken die gleiche tektonische Aufgabe, die Hauptfiguren sind durch großwellige Kurvenbewegungen verbunden. Und auch darin sind die beiden Altäre verwandt, daß auf den Flügeln die herausragenden vertikalen Akzente auf die der Mitteltafel benachbarten Hälften gelegt sind. Der Kreuzaltar ist das reife Werk, die Darmstädter Flügel sind früher, vielleicht noch in den dreißiger Jahren entstanden. Sie sind in ihrer kleinteiligeren Flächenfüllung, ihrer unruhigeren Lichtführung noch dem weichen Stil, auch dem Obersteiner Altar im besonderen, verpflichtet. Im Kreuzaltar ist das Licht zerstreuter, liegt es einheitlicher und gleichmäßiger ausgebreitet über der Komposition und dient es restlos der möglichst klaren Herausarbeitung der Dinge in ihrem körperlichen und räumlichen Dasein. Man kann sagen: in den Darmstädter Flügeln dient das Licht der Handlung, im Kreuzaltar dem ruhenden Sein. Räumlich ist der Gewinn nicht beträchtlich. Auch in diesem Spätwerk gestaltet der Meister seine Bilder noch vorwiegend von der Fläche her. Stets beschränkt sich der Bildraum auf einen seichten Streifen, aber eben dieser und das Verhältnis der Figurengruppen zu ihm sind nun auch klarer. Der Raum beschäftigt den Maler nicht als Gestaltungsproblem, sondern als ein Mittel zur Durchklärung der Komposition. Er bezieht ihn sogleich in seine Flächenrechnung ein. Wie stark dieses Streben nach Durchklärung ist, zeigen besonders eindrucksvoll die Außenseiten der Berliner Flügel. Fast rational ist das Verhältnis der Figuren zu den Thronsesseln, den dahinter gespannten Vorhängen und den Baldachinen darüber zu nennen. Bei Maria hat es den Anschein, als ob das Gewand schon zur Verdeutlichung der Stellung des Körpers angeordnet wäre. Die Wirklichkeit ist dem Meister bis in letzte Einzelheiten ein sehr ernst zu nehmender Maßstab. Wie lebendig und natürlich sind die Bewegungen der prachtvollen Würflergruppe, wie kühn die Verkürzung des vordersten. Wie feinfühlig ist das Nackte behandelt, wie lebenswahr ist der Blick der Augen, das öffnen eines Mundes. Vielleicht war dieser Gewinn nicht ohne jede Einbuße möglich. Mehr noch als in den Darmstädter Tafeln sind im Orber Kreuzaltar Empfindung und Gefühl gedämpft, erscheinen die Figuren geistig isoliert. „Die gefühlsmäßige Einheit des Bildes und die seelische Stoßkraft der Farbe, die das starke Helldunkel der Darmstädter Kreuzigung gab, ist verloren oder gemindert, der zunehmende Realismus hat die Erzählung trockener, nüchterner werden lassen, die Wärme der Empfindung gekühlt. Übrigens wollen wir nicht übersehen, daß die starke Erregung der Darmstädter Kreuzigung doch recht formelhaft, mit vielen Wiederholungen vorgetragen war 6 6 ." Geblieben oder vielmehr noch gesteigert sind die rein malerischen Qualitäten. Die Farbe hat an Stoßkraft eingebüßt, die Fähigkeit zu toniger Abstufung, zu zarter Schattierung, zu feinsten Zwischentönen geht weit über die Darmstädter Flügel hinaus. Keiner kannte zu dieser Zeit den betörenden Reiz des Lichtmalerischen 66

Ebenda S. 53.

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und der Nuance so, keiner erlebte die seelischen Werte der Farbe so wie er. Und darin, in diesem koloristischen Feingefühl und in dieser Freude am Artistischen ist der Meister der Darmstädter Passion durchaus ein Vertreter seiner mittelrheinischen Landschaft. Freilich sucht man dann die Wurzeln seiner Kunst zu ergründen, so stellt sich die Frage als sehr schwer nur zu lösen dar. Daß er am Mittelrhein geboren ist und hier entscheidende Grundlagen seiner Kunst empfangen hat, kann man nicht bezweifeln. Das ungewöhnliche Flächengefühl, das zumal seine Frühwerke, die dekorative Sicherheit, die höchst ausgeprägt der Orber Kreuzaltar zeigen, sind sehr gut vom Ortenberger Altar, aber nicht nur von diesem, sind ganz allgemein von mittelrheinischen Werken des Jahrhundertanfangs zu verstehen. Nicht anders steht es mit der außerordentlichen malerischen Begabung des Meisters. Auch diese war stets ein auszeichnendes Merkmal mittelrheinischer Bilder. Es ist nicht richtig, wenn man gesagt hat, der Meister der Darmstädter Passion stände völlig isoliert inmitten der mittelrheinischen Kunst. Allenthalben ist der starke Einschnitt zwischen der ersten und zweiten Künstlergeneration des 15. Jahrhunderts sichtbar, aber gerade am Mittelrhein und in diesem Falle sind mancherlei verbindende Überlieferungen besonders deutlich. Mehr Fäden, als sie nach anderweitigen Erfahrungen zu vermuten sind, verknüpfen den Meister der Darmstädter Passion mit der am Jahrhundertbeginn am Mittelrhein tätigen Generation. Was ihn von Witz, Multscher, dem Tuchermeister, aber auch von Lochner unterscheidet, das verdankt er seiner Herkunft, seiner Heimat. Nur vom Ortenberger und vom Utrechter und vom Obersteiner Altar ist er völlig zu verstehen. Was ihn von deren Malern trennt, ist der in vielem andere Wille seiner Generation und sind weiterhin Einflüsse, die im vierten und fünften Jahrzehnt nicht verwundern können. Das „Westliche", von dem Hugelshofer so nachdrücklich gesprochen hat, ist bei ihm wie bei vielen mittelrheinischen vor ihm und bei so vielen kölnischen typisches Westdeutsch, Rheinisch und darf nicht mit Französisch verwechselt werden. Das Kultivierte seiner Kunst kann neben jenen genannten Altären und neben den Werken der mittelrheinischen Tonplastik wirklich nicht überraschen. Man vergleiche nur die Anbetung der Könige mit der des Kardener Altars 67, das Hausaltärchen mit einer Verkündigung im Kölner Diözesanmuseum68 mit den Resten auf den Darmstädter Außenseiten, das ölbergrelief im Mainzer Dom69 mit der Kreuztragung, um die formale wie vor allem die geistige Verbundenheit des Meisters mit der mittelrheinischen Kunst zu erkennen. Hier war wirklich sein Mutterboden. Auch Köln und Stephan Lochner waren ihm keine entscheidenden Anreger. Weder sein Farbensinn, noch seine Freude an Helldunkelwirkungen brauchen von Lochner abgeleitet zu werden. Der Mittelrhein Wilm, Gotische Tonplastik in Deutschland, 1929 Abb. 100—104. Ebenda Abb. 109. *9 Ebenda Abb. 177. 68

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bietet viel bessere Voraussetzungen, denn die Lichtbehandlung Lochners ist von der Art des Meisters der Darmstädter Passion sehr verschieden. Lochner arbeitet mit Kontrastwirkungen und bindet tonig höchst selten. Dagegen ist die niederländische Malerei auf den Meister der Darmstädter Passion unverkennbar von nachhaltiger Wirkimg gewesen. Die beiden Darstellungen auf den Außenseiten der Berliner Tafeln gehen nachweisbar auf Bilder Rogers und des Meisters von Fldmalle zurück. Die Mariendarstellung fußt auf einem in Kopien erhaltenen Werke Rogers 7°, die Trinität auf einer in der Eremitage erhaltenen Komposition des Meisters von Flemalle? 1 . „Hier ist das Vorbild in einer für unseren Meister bezeichnenden Weise freier verwertet. Die Art, wie Gott den Sohn gefaßt hat, ist ähnlich, noch mehr die Linien des toten Körpers. Doch die strenge Majestät des Vaters, die der Fl£maller im Antlitz und in der senkrechten Haltung ausdrückt, ist ins Liebenswürdige, Menschliche gemildert, und in den Zügen des Heilands gesellt sich zum Schmerz der Ausdruck freiwilliger Hingabe, erbarmensreicher Güte. Aber nicht nur die Gesinnung, auch die Kunst ist in einem wesentlichen Punkte verschieden: unser Maler meidet die außerordentliche Raumwirkung, die der Fl£malleMeister durch das weit gewölbte Thronzelt geschaffen hat, er beschränkt sich darin auf das Nötigste, und man darf sagen, daß diese Wahrung der Fläche im Hintergrund die monumentale und seelische Wirkung der Gruppe gesteigert hat 7»." Noch manches andere Motiv wird man aus Anregungen von Seiten der niederländischen Malerei verstehen können, nicht zuletzt mag auch die knappe, trockene Plastizität seiner Formen von diesen niederländischen Vorbildern zu erklären sein. Daneben scheint der Oberrhein nicht allzuviel bedeutet zu haben. Was den Meister mit Witz verbindet, ist mehr in den diese Zeit beschäftigenden Problemen als in unmittelbaren Beziehungen gegeben. Einen engeren schulmäßigen Zusammenhang zwischen beiden annehmen zu wollen, ist unnötig, ja unmöglich. Die Feststellung Thodes73, daß in des Meisters der Darmstädter Passion Werken nichts an Schwäbisches, Oberrheinisches und Kölnisches erinnert, besteht grundsätzlich auch heute noch zu Recht. Er blieb gewiß nicht unberührt von dem, was in benachbarten Gauen geschah, aber zumeist blieb die Wirkung an der Oberfläche. Das Besondere seiner Kunst kann man nie von derlei Einflüssen — man mag sie annehmen, wie man will — erfassen oder ableiten. Das holte er sich nicht aus der Fremde, das hatte er ererbt. Bisher ist es nicht gelungen, eine schulmäßige Auswirkung seiner Kunst festzustellen. Vielleicht darf man aber in einen solchen Zusammenhang 7° Back a. a. O. S. 56; Abb. bei Friedländer, Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 30 (1909) S. 18. 7' Abb. bei Tschudi, Jahrbuch der prcuQ. Kunstsammlungen 19 (1898) S. 98; Troescher, Wallraf-Richartz-Jahrbuch 9 (1936) S. 160. 7> Back a. a. O. S. 57. 73 Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 21 (1900) S. 67.

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mit dem Meister der Darmstädter Passion das reizvolle, kleine Bildchen 3- des Bonner Landesmuseums, das Maria, begleitet von Katharina und Agnes vor einer Mauer sitzend, über die eine weite, liebliche Landschaft sichtbar wird, zeigt, und weiterhin eine in einer sehr ähnlichen Landschaft stehende Agnes der Sammlung Thyssen stellen. Beide Bildchen sind um 1450—60 entstanden und sicher nicht kölnisch. An den Meister der Darmstädter Passion erinnert einmal das ausnehmend feine und zarte Kolorit, sodann erinnern an ihn auch die runden, kindlichen Gesichter mit den fast etwas müde blickenden Augen, aber auch die Zartheit der Zeichnung, die Neigung zu einer gewissen Eleganz und artistischen Schönheitlichkeit scheinen beide Täfelchen in die Nähe dieses Meisters zu rücken. Die Bonner Tafel zeichnet noch eine Merkwürdigkeit aus. Denn nicht die Katharina, sondern die ihr gegenüberkniende, prunkvoll gekleidete Agnes empfängt vom Christuskind den Ring. Man möchte zuerst glauben, daß sich in dieser Seltsamkeit der besondere Wille einer eitlen Stifterin äußere. So könnte auch die ganz auffallend reiche burgundische Tracht der Agnes verstanden werden, und es ist in der Tat nicht unmöglich, daß derlei mitspielte. Die letzte Wurzel war aber eine andere. Diese merkwürdige Abwandlung ist tiefer begründet in einer alten deutschen Legende der hl. Agnes, in der es heißt: „Einen andern Bräutigam habe ich mir erwählt, der ist reicher und edler und würdiger denn du. Ihm dienen die Engel, und Sonne und Mond und alle Dinge müssen ihm gehorsam sein. Ein Ringlein hat er an meinen Finger gesteckt, mit Geschmeide und köstlichen Gewändern mich gezieret" 74. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß diese Abwandlung der üblichen Ikonographie aus dieser dichterischen Wurzel zu erklären ist. Wer aber der Meister der Darmstädter Passion war, wie er hieß, wann er geboren wurde und wie sein Leben verlief, liegt noch immer völlig im Dunkel. Die geäußerten Vermutungen — er wurde mit einem Friedrich Carbon gleichgesetzt 75 — sind zu vage, als daß man ihnen nachgehen darf. Sicher und unbezweifelbar scheint uns nur das eine, daß der Meister hier am Mittelrhein, wo er seine Tätigkeit fand, auch gelernt hatte und geboren war. All das, was dem Mittelrhein in so besonderer Weise zu eigen ist, die feinfühlige dekorative Gesinnung und der frische Wirklichkeitssinn, eine gewisse Ungezwungenheit und wiederum die Neigung zu Eleganz, die Freude am Artistischen, jene Art, die man so gut in die Worte ,,mit Bedeutung gefällig" fassen kann, all das faßt der Meister der Darmstädter Passion in wahrhaft einzigartiger Weise zusammen. Der Meister der Darmstädter Passion erscheint am Mittelrhein völlig legitim — legitimer auch als jener andere, der, wohl ein Altersgenosse von ihm, sein größtes Werk für Erfurt schuf. Von ihm soll nun gesprochen werden. T4 Alte deutsche Legenden, gesammelt von R. Benz, 1920 S. 20. 75 Buchheit, Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst 1 1 (i92i)S. 116; Back a.a.O. S. 53 Anm. 1.

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10.

Es darf nicht wundern, wenn ein in Erfurt stehender Altar in diesem Kapitel seine Behandlung findet. Wir wiesen oben darauf hin, wie diese Jahrzehnte voller Kämpfe in Mainz waren, so daß wohl mancher Künstler, da er kein Brot mehr fand, anderweitig Arbeit suchen mußte. Was konnte dann aber näher liegen, als nach Erfurt, dieser blühenden Stadt im Herzen Thüringens, zu gehen, denn Erfurt gehörte zur Mainzer Diözese, und der Mainzer Erzbischof übte entscheidende landesherrliche Rechte in der Stadt aus, wenn sie auch eine Quasi-Unabhängigkeit gegenüber Kurmainz zu behaupten bemüht war. Und auch der Handel bot manche Beziehung zwischen Mainz und Erfurt. Das sind gewiß genügend Gründe, um zu verstehen, wieso es kam, daß der großartige Hochaltar in der ehemaligen Kirche der regulierten Chorherren, der heute evangelischen Reglerkirche, von einem vom Mittelrhein stammenden Meister gearbeitet wurde 7®. Der Altar zeigt völlig geöffnet in der Festtagsseite ein aufwändiges Schnitzwerk. Sind die inneren Flügel geschlossen, so werden auf den Flügelflächen vier Passionsszenen sichtbar: Dornenkrönung, Geißelung, Ausgießung des hl. Geistes, Himmelfahrt. Geschlossen erscheinen auf jedem Flügel männliche und weibliche Heilige, in zwei Reihen übereinander in einer raumvollen Nischenarchitektur stehend. Diese Außenseiten können vorerst beiseite gelassen werden. Sie wurden atisgeführt von einem Gehilfen, der uns noch in einem anderen Erfurter Werke, dem Hochaltar der Barfüßerkirche von 1445, begegnen wird. Sicherlich war ein Meister für Plan und Durchführung des Ganzen verantwortlich, seine persönliche Art wird aber nur in den Passionsbildern völlig deutlich, wenn er auch in ihnen manche erfurtische Tradition übernahm, auftragsgemäß wohl übernehmen mußte. Es ist gewiß in den Themen begründet, daß die ersten beiden Bilder erregter, die beiden anderen feierlicher und repräsentativer sind. Aber man hat dann doch auch den Eindruck, als ob der Maler in jenen dramatischen Darstellungen seine besondere Art mehr entfalten konnte. Nie vorher und nie danach sind diese Marterszenen so gewaltig, so eindringlich in ihrer Brutalität geschildert worden. In alle nur denkbaren Schrägstellungen sind die vier die Dornenkrone mit großen Stangen in Christi Haupt pressenden Knechte und der kleine höhnende Zwerg gebracht. Die Beine spreizend oder gegen Christi Körper stemmend, sich zurückwerfend oder nach vorn gebeugt, so umkreisen sie mit wilden Gebärden Christus, der einsam und armselig zwischen ihnen niedergedrückt hockt. „Nicht mehr Menschen schildert der Meister, die ihn peinigen, sondern Halbtiere, ja fast Wesen aus düsteren, spukhaften Bereichen scheinen sich hinzuzudrängen". — „Aus den verzerrten Mündern dringt Getobe eines fanatischen Eifers, doch an der Gestalt dieses Dulders prallt jede Untat ab. Zwar wird Christus unter dem Druck zusammengebeugt, fast sinkt die Figur in die Knie, müde neigt sich der Kopf vor dieser Stunde, aber T6 Nonne, Der Erfurter Regleraltar, Diss. Jena 1922; Kloos, Die Erfurter Tafelmalerei ron 1350 bis 1470, 1935 S. 51 ff.

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das zuckende Leben drängt in die Gespanntheit dieser Hände. Häßlich und plump selbst der Kopf des Heilands, doch adelt Ruhe und Ergebenheit sein Antlitz. "77 Noch mehr gesteigert ist die Erregung in der Geißelungstafel. „Der Körper Christi, nackt bis auf ein kleines, durchsichtiges Lendentuch, ist .an der Säule festgebunden, die Arme auf dem Rücken. So steht der Heiland zwar noch auf dem Boden, ein Fuß hinter der Säulenbasis verborgen, doch halb ist sein Körper zusammengesunken und scheint fast in den Fesseln zu hängen. Der Kopf ist sehr stark nach rechts gebeugt, wie hinuntergezerrt unter den Fäusten der Henker, die von zwei Seiten an den Haaren reißen. So entsteht eine aufstrebende Kurve von den Füßen bis zu dem schweren Haupte, die das mittlere Feld allein beansprucht. Hinter Christus kauert, halb von der Martersäule verdeckt, ein Knecht und ist damit beschäftigt, die Stricke festzubinden, die den Heiland unterhalb der Knie an die Säule fesseln. Die vier aufrechtstehenden Gestalten der Schergen sind alle im gleichen Augenblick eines wuchtigen Zuschlagens geschildert; sie schwingen mehrschwänzige Knuten; einer, der allein beide Hände frei hat, holt gar mit beiden Händen zum Schlage aus. Der Körper dieses linken Schergen krümmt sich, weit ausholend, wie eine Feder zusammen, auch alle anderen lehnen sich zurück, während die Peitsche geschwungen wird. Das Heftige aller dieser Bewegungen wird nicht durch die Enge des Raumes eingeschränkt, es wird auf keine notwendige Geste verzichtet, um sie leichter dem Raum einzubeschreiben; so werden Überschneidungen und Verdeckungen häufig in Kauf genommen 78." Zu dieser höchsten Erregung in den eigentlichen Darstellungen fügt sich die vielteilige, reiche Architektur, die wie eine spätgotische Lettnerschranke aufgebaut und oben abgeschlossen ist, eine Architektur, die mannigfaltig in ihren Einzelformen und reich an Schmuck vielerlei Maßwerke, Baldachine, Bögen, Fialen und Säulchen zu einer außerordentlich reich bewegten Einheit verspinnt und mit zwei Galerien oben abschließt, über deren Brüstungen Prophetenfigürchen und zu oberst Engelchen herabblicken. In diesen Architekturen darf man eine wohl durch den Auftrag bedingte erfurtische Anregung sehen. Von den Augustinerflügeln 79 über den älteren, aus der Barfüßerkirche stammenden Kreuzigungsaltar im städtischen Museum80 zu dem 1445 datierten Hochaltar der Barfüßerkirche 8 ', dessen Architekturen auch schon eine obere Galerie mit Propheten- und Engelhalbfigürchen und über den Kapitellen der Stützen kleine Figürchen in Nischen zeigen, läßt sich in Erfurt dieses Motiv verfolgen. Der Meister des Regleraltars hat es seiner Art entsprechend bereichert und verlebendigt — die in diesem Motiv gegebenen Möglichkeiten entsprachen zweifelsohne seinem Wollen —, und er hat weiterhin mit ihm eine Bildbühne zu T7 Kloos a. a. O. S. 54. 78 Kloos a. a. O. S. 56/57. ~9 Deutsche Malerei der Gotik II. Abb. 199—200. £o Ebenda Abb. 202. *» Kloos a. a. O. Abb. 25—27. 156

bauen sich bemüht. Zumal im Pfingstbilde, wo er ähnlich wie Multscher das zuerst bei Lorenzetti begegnende Kompositionsschema verwendet, wird deutlich, wie er die Säulen als Repoussoir für die Versammlung und die dahinter abschließende Pfeilerwand verwendet. Armlich wirken alle älteren Erfurter Bildarchitekturen neben seinen Aufbauten, der Zusammenhang ist dennoch gegeben und nicht zu verkennen. Aber man darf den Raumwillen des Reglermeisters nicht überschätzen. Mehr noch sind ihm die Säulen und Bogen zur Flächengliederung wichtig. Mit ihrer Hilfe scheidet er in den Marterszenen die Figur Christi von den Knechten und hebt er sie aus deren Gewühl heraus; im Himmelfahrtsbilde isoliert er so den emporschwebenden Christus, im Pfingstbilde die Maria. So dienen ihm diese komplizierten Architekturen zu vielteiliger Verschachtelung und Unruhe, und dienen sie ihm andererseits Haupt- und Nebenfiguren zu scheiden und die Figuralkomposition zu gliedern. Diese Art, die Fläche zu beherrschen und wildeste Bewegung zu disziplinieren, ist so souverän und überlegen, daß sie schon allein Veranlassung geben könnte, an westdeutsche Schulung des Meisters zu denken. Erfurtische Werke haben weder von dem Pathos, noch von der völlig natürlich erscheinenden Straffheit des Bildaufbaues, die seine Tafeln auszeichnen, etwas. Wirklich meteorhaft muß das Auftreten dieses Meisters in Erfurt gewirkt haben. Und auch seine draufgängerische Realistik und seine wundervolle, nuancenreiche Malerei sind in dieser Stadt völlig fremd. Wie die Zeichnung und die Kompositionen ist auch die Malweise temperamentvoll, fast wild. Tonige Bindung und lebhafte Lokaltöne wechseln, heftige Helldunkelgegensätze stehen nebeneinander. Will man den ganzen Reichtum der Möglichkeiten, die dieser Meister auch als Maler zur Verfügung hat, erfassen, so muß man Einzelheiten herausnehmen. Dieser leidenschaftliche Künstler ist stets, auch in Einzelheiten äußerst sorgfältig, und in ihnen bewährt er sich als ein Maler feinster Nuancierung und tiefster Beseelung. Bald gibt er die Farben vertrieben großflächig, bald zeichnet er mit dem Pinsel. Am schönsten sind wohl die Köpfe Christi in Geißelung und Dornenkrönung, wo jeder Pinselstrich eine Leidenslinie ist. Der Pinsel ist ihm vertrautestes Werkzeug, ein Mittel, mit dem er tiefste Erlebnisse und Gefühle zu äußern vermag. Es ist keineswegs Zufall, ob er breiter, geschlossener oder spitzpinseliger, zeichnerischer malt. Er tut es, je nachdem er Ruhe und Feierlichkeit oder Erregung und Klage verdeutlichen will. Beweist er sich damit nun nicht völlig als Sohn des Mittelrheins, jenes anderen Mittelrheins, dem wir zuerst beim Meister des Obersteiner Altars begegneten. In diesem darf man seinen unmittelbaren Vorgänger und Lehrer sehen. Zieht man ab, was grundsätzlich die beiden Generationen trennt, die festere Formgestaltung, die größere Härte und Widerstandskraft aller plastischen Werte, den kräftigeren und folgerichtigeren Realismus, so bleiben die stürmische, temperamentvolle Bildgestaltung, die erregten Gebärden der Figuren, die feinfühlige Flächenfüllung und die hohe malerische Formbehandlung als beiden gemeinsam, gewiß genug, um sie in einen nahen schulmäßigen Zusammenhang zu bringen. Mit allen Merk157

malen seiner Zeit erscheint der Maler des Regleraltars dennoch als der selbstverständliche Nachfolger des Meisters des Obersteiner Altars. Und wie dieser jenem anderen, der den heute in Utrecht befindlichen und den Siefersheimer Altar malte, gegenüberstand, so verhält sich der Meister des Regleraltars zu dem der Darmstädter Passion. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang, wenn wir zwei schmale, 208,209. hohe Tafeln in der Karlsruher Galerie 81 heranziehen, eine Kreuzigung und eine Himmelfahrt, Flügel eines Schnitzaltars, dessen ins Germanische Museum zu Nürnberg gekommener Schrein einer erfurtischen Werkstatt entstammt. Die Erfurter Herkunft dieser gewiß älteren Arbeit ist damit gesichert. Daß die gemalten Flügel weiterhin von der Hand des Meisters des Regleraltars stammen, bezeugt jede kleinste Einzelheit. Verschieden sind die Werke allein in der geistigen Reife. Im Regleraltar arbeitet der Meister sparsamer und durchgeistigter. In den Karlsruher Flügeln findet sich noch manches Äußerliche, Überflüssige, Kleinliche. Die Falten sind knittriger, vielteiliger. Der Ausdruck der Köpfe ist dumpfer, maskenhafter. Die beiden Himmelfahrtdarstellungen machen den Abstand sehr klar deutlich. Wie in der äußeren Form, so ist der Meister im Regleraltar auch innerlich gewachsen. Ein Vergleich der beiden Christusfiguren kennzeichnet die Entwicklung als eine Wandlung zum Einfacheren und Größeren. Stellt man die Karlsruher Tafeln dann andererseits neben ältere mittelrheinische Werke, so scheint der Abstand zuerst unüberbrückbar. Diese hartkantige, eckige Formgestaltung wie dieser grob zupackende Realismus, diese derbe, ja brutale Art der Charakteristik möchte man in jeder anderen Landschaft eher als am Mittelrhein erwarten. Es ist deshalb durchaus verständlich, wenn man immer wieder auf Nürnberg als wenigstens künstlerische Heimat des Reglermeisters hinwies. Seine knorrige Art scheint dort am ehesten ihre Voraussetzungen zu haben. Und wahrscheinlich kommt eine „umständliche" Darlegung, die der Mannigfaltigkeit und den Möglichkeiten des Lebens gerecht zu werden versucht, dem wahren Sachverhalt am nächsten: wenn wir uns nicht täuschen, waren in der Tat nicht nur Erfurt und der Mittelrhein am Werke des Reglermeisters formend beteiligt. Sein Weg ging nicht einfach von dem einen zum anderen, vielmehr muß Nürnberg wohl zwischen beide eingeschaltet werden. Der Tuchermeister, vielleicht auch der Meister des Hiltpoltsteiner Altars scheinen den Reglermeister in Einzelformen wie auch in der festen, eckig-kantigen Plastizität nachdrücklich beeinflußt zu haben. Mehr war es nicht. Man mißversteht den Reglermeister vollkommen, wenn man seine Art mit nürnbergischem Wesen gleichsetzen will. Er hatte der Kunst dieser Stadt gewiß viel zu verdanken, aber über diesen nürnbergischen Zügen in seiner Kunst darf man die mittelrheinische Grundlage nicht übersehen. Und nichts ist kennzeichnender für seine mittelrheinische Abstammung, als die Erregung, das Pathos seiner Figuren. Man verkennt den Mittelrhein, wenn man ihm 81

Hugelshofer, Beiträge zur Geschichte der deutschen Kunst 1 (1924) S. 58; Fischel, Oberrheinische Kunst 6 (1934) S. 14.

158

nur freundliche Getragenheit zubilligt. Das ist die eine seiner Stimmungslagen. Die andere zeigen der Meister des Obersteiner Altars, der Meister des Regieraltars, der Hausbuchmeister. Man braucht die Ubereinstimmungen der Karlsruher Kreuzigung in Format und mancherlei Motiven mit der älteren im Darmstädter Landesmuseum, die vom Meister des Obersteiner Altars stammt, nicht zu überschätzen. Es wiegt gewiß nicht viel, wenn beide Tafeln das gleiche steile Format haben und etwa auch die gleiche Anordnung der Figuren, wer tiefer zu schauen vermag, dem wird aber deutlich, daß darüber hinaus sie eben eine sehr enge, unmittelbare Tradition verknüpft, die nicht in Äußerlichkeiten und Einzelheiten, sondern im Gesamtgehalt sich zu erkennen gibt. Und da ist der frisch zupackende Realismus, der auch schon den Meister des Obersteiner Altars auszeichnet, die Drastik und Lebendigkeit seiner Charakteristik freilich von entscheidender Bedeutung. Und wie nach rückwärts die Darmstädter Kreuzigung den Meister des Regleraltars an den Mittelrhein bindet, so tut es nach vorwärts der große, aus Speyer stammende Kalvarienberg des Hausbuchmeisters im Freiburger Museum 83. Zwischen dieser wie jener Kreuzigung aus dem Anfang des Jahrhunderts steht die Karlsruher als ein notwendiges Bindeglied. Der Reglermeister ist der Nachfolger des einen, der Vorläufer des anderen. Damit ist auch ein Hinweis auf die Datierung des Regleraltars gegeben. Die bisher gemachten Vorschläge gingen über ein halbes Jahrhundert auseinander. Um 1450, um 1470, aber auch gegen 1490 lauteten sie. Nach unserer Einordnung wird eine verhältnismäßig frühe Ansetzung am wahrscheinlichsten sein. Gegen 1450 möchten wir für die Karlsruher Tafeln, zwischen 1450 und 1460 für den Regleraltar als Entstehungszeiten vermuten. Der Reglermeister gehörte wohl nicht mehr völlig zur Generation Multschers, Witz, des Tuchermeisters, war aber gewiß auch nicht ein Altersgenosse von Schongauer, Herlin, Pleydenwurff oder dem Meister des Marienlebens. Der Barbaraaltar in Breslau von 1447 beweist die Möglichkeit zu solch erregter Sprache auch in diesen mittleren Jahren, und in vielen Gestaltungsformen, nicht zuletzt in seinen Raumlösungen, ist der Regleraltar eher altertümlicher denn fortschrittlich. Der Werkstatt oder wohl richtiger: der schwächeren Hand eines Nachfolgers gehören zwei Altarflügel aus Hersfeld an, die in das Hessische Landesmuseum in Kassel gekommen sind. Sie zeigen je vier Passionsszenen; die zum Zyklus gehörende Kreuzigungsdarstellung dürfte die verlorene Mitteltafel enthalten haben. Der Maler „übernimmt mit sklavischer Genauigkeit nicht nur ganze Kompositionen (Dornenkrönung, Geißelung und Pfingstfest), sondern er verwendet auch Bewegungsmotive und Köpfe aus dem Reglerwerke sehr getreu. Die Tafeln sind in ihrer Qualität vom Reglerwerk sehr verschieden, nicht nur unselbständig, sondern auch trotz aller äußeren Dramatik der Gesten und Grimassen weit entfernt von der inneren Beseelung des Er*3 Hugelshofer a. a. O. S. 66.

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furter Altars. Die nicht vom Reglermeister übernommenen Kompositionen sind ohne Schongauer nicht zu denken. Dadurch erfährt der Hersfelder Altar eine spätere zeitliche Ansetzung8+." Der Regleraltar aber setzt sich deutlich ab von ihm als die Arbeit eines einer älteren Generation angehörenden Meisters, wodurch wiederum eine Datierung in die Nähe der Jahrhundertmitte gerechtfertigt erscheint. 8

« Kloos a. a. 0. S. 77, Abb. 56, 57.

160

VIII. Bieberfadrfen Im späten 14. Jahrhundert war es in Niedersachsen sehr still geworden. Kein Werk von Bedeutung entstand, sieht man von Meister Bertram und seinem Kreis ab. Bertram stammte aus Minden, das diesseits der Gebirge liegt und deshalb ebenso Niedersachsen wie Westfalen verbunden ist, was auch die Volkskunde vielfach belegen kann; seine künstlerische Heimat wie auch die des Meisters, der den Buxtehuder Altar schuf, war aber doch Westfalen und Hessen. Außer diesen hamburgischen Werkstätten, die, wie wir wissen, auch für das weitere niedersächsische Gebiet, so für Wienhausen, arbeiteten, sind uns in Lüneburg oder Braunschweig, Hildesheim oder Halberstadt Werkstätten durch erhaltene Malereien nicht bekannt geworden. Sollte der heutige Bestand täuschen ? Es spricht mehr dafür, daß wie auch anderwärts diese Jahrzehnte für Niedersachsen eine tote Zeit gewesen sind. Nun aber entfaltet sich mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts ein neuer Reichtum». Viel ist auf uns gekommen, Werke, die alle in einer bestimmten Grundnote miteinander verbunden sind. Sie unterscheidet die aus Göttingen, Lüneburg oder Hildesheim stammenden Malereien deutlich von westfälischen Arbeiten, und wir dürfen in ihr niedersächsische Art erkennen, denn all die Tafeln besitzen jene Festigkeit und Ruhe, jene Sachlichkeit und Sparsamkeit, die auch den Menschen dieser Landschaft eigen ist. Nur in einer obersten Schicht führen Beziehungen nach Westfalen und zur Kunst Konrad von Soests. Es ist deshalb vollkommen unverständlich, wie man diesem die Malereien der Goldenen Tafel aus Lüneburg zuschreiben konnte. Denn wenn deren uns noch immer mit Namen unbekannter Maler, der wohl einige Jahre jünger als der Dortmunder war, von diesem auch manche wertvolle Anregung empfangen hat, so sind die beiden in ihrem Innersten doch grundverschieden. Westfalen und Niedersachsen sind — für den Kunsthistoriker wenigstens — keine Einheit. Vielmehr setzen sie sich gerade in dieser Zeit nachdrücklich voneinander ab. Die dekorative Kultur, die mitunter preziöse Leichtigkeit der Gestaltungen, die Konrad von Soests Werke vor allem so liebenswert machen, fehlt den in ihrer Art gewiß großartigen Bildern der Goldenen Tafel völlig. Nicht Entdeckerfreudigkeit, ein strenger, oft fast schwermütig wirkender Entdeckerernst ist ihnen eigen. Und was für sie gilt, trifft ebenso für alle anderen niedersächsischen Arbeiten zu. Alle sind sie ernster, sachlicher, herber als die westfälischen. Dabei ist das niedersächsische Schaffen in keiner Weise einförmig. Mehrere Richtungen und Gruppen stehen nebeneinander, die sich freilich häufig berühren und wohl auch ausgetauscht haben. Wenn wir also im folgenden das Gebiet der Heide von dem oberheidischen getrennt behandeln, so muß man sich stets bewußt bleiben, daß die Beziehungen dauernd hin und her gegangen sein mögen. Aber die Situation muß doch 1 Habicht, Die mittelalterliche Malerei Niedersachsens I., 1919; Heise, Norddeutsche Malerei, 1918 S. 49.

I6l

wohl im unteren und oberen Teil Niedersachsens verschieden gewesen sein. Im Gebiet der Heide war Lüneburg ohne Konkurrenz beherrschender Mittelpunkt. Hier hatte der bedeutendste Maler Niedersachsens, der Meister der Goldenen Tafel seine Werkstatt, aus der neben den Malereien für diesen bedeutsamen Altar und neben anderen erst jüngst bekannt gewordenen Tafeln auch Miniaturmalereien für verschiedene in der Stadt beheimatete Handschriften hervorgingen. Und über die Mauern Lüneburgs hinaus entstanden hier Malereien für das benachbarte Kloster Lüne wie für das fernere, in der Nähe von Celle gelegene Wienhausen. In dem dichter bevölkerten südlichen Teile Niedersachsens zwischen Weser, Aller, Elbe und Harz, im oberheidischen Gebiete, scheint sich keine Stadt durchgesetzt zu haben: Vielmehr macht der erhaltene Bestand deutlich, daß Maler und Werkstätten zwischen Göttingen, Braunschweig, Hildesheim und Halberstadt hin und her gewandert sind. Von diesem Niedersachsen zwischen Elbe, Weser, Harz und Eichsfeld, das dem sächsischen Quartier der Hansa ziemlich genau entspricht, setzt sich das hansisch-wendische Gebiet deutlich ab. In Hamburg ist zur gleichen Zeit Meister Francke tätig, von dessen Kunst nur sehr wenige Spuren in der niedersächsischen Malerei zu erkennen sind. Aber vielfache Fäden laufen wie zu Zeiten Bertrams auch jetzt von Hamburg nach Lübeck, das noch immer ein Sammelbecken verschiedenster niedersächsicher, westfälischer und kölnischer Einflüsse ist, die es aber umformt, heimisch macht und vor allem schon umgeformt weitergibt nach Wismar, Rostock und Stralsund, nach Ostpreußen und Schweden und eben auch nach Hamburg. i. Wir beginnen unsere Betrachtung nicht ganz in der richtigen zeitlichen 211—218. Reihenfolge mit dem Meister der Goldenen Tafel. Älter und traditionsgebundener ist der Maler des Göttinger Jakobialtars von 1402, aus dessen Werkstatt ein Gehilfe an der Goldenen Tafel mitgearbeitet hat. Aber einmal ist diese ältere Göttinger Gruppe von den späteren im oberheidischen Gebiet entstehenden Arbeiten nicht zu trennen, und zum anderen führt uns der Meister der Goldenen Tafel am besten in alle Fragen der niedersächsischen Malerei des frühen 15. Jahrhunderts ein. Mit ihm zusammen seien die übrigen heidischen Werke behandelt. Da sein Name noch immer uns verborgen ist, hat man sich gewöhnt, ihn nach dem bedeutendsten und bis vor kurzem auch allein bekannten 211—214. Werke zu nennen, nach den Malereien auf den Flügeln der Goldenen Tafel, die früher den Hochaltar der Benediktinerkirche St. Michael in Lüneburg zierte. Ihr kostbarer Schrein barg in der Mitte ein altes romanisches Antependium, eine Goldschmiedearbeit, um die in gotischer Zeit ein Schnitzwerk zur Aufnahme zahlreicher Reliquien gefügt wurde 2 . Von alledem sind nur wenige, kümmerliche Reste auf uns gekommen. Man darf aber mit Sicherheit annehmen, daß diese Einfügung des romanischen :

Stuttmann, Der Reliquienschatz der Goldenen Tafel, 1937.

162

Geburt Christi

Abendmahl

Kreuzigung

VerkünBegegdigung nung von an Maria und Maria Elisabeth

Einzug in Jerusalem

Streit um Christi Rock

Auferweckung des Lazarus

Kreuztragung

Gefangennahme

Auferstehung

Christus findet die Jünger schlafend

Christus im Limbus

Gebet in Gethsemane

Grablegung

Fußwaschung

Kreuzabnahme

Darstellung im Tempel

Anbetung der hl. drei Könige

Beschneidung

Verkündigung an die Hirten

Christus vor Herodes

Himmelfahrt

Drei Marien am Grabe

Flucht nach Ägypten

Christus vor Pilatus

Bethleh. Kindermord

Ausgießung des hl. Geistes

Krönung Mariae

Verspottung

Ecce homo

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Tod Mariae

Taufe Christi

Hochzeit fu Kana

Zwölfjähriger Jesus im Tempel

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163

Antependiums in den Schrein eines Flügelaltars um 1418 geschah. Denn in diesem Jahre wurde die neue Klosterkirche am FuBe des Kall^berges — nach der Zerstörung der alten im Jahre 1371 anläßlich der Eroberung der fürstlichen Burg durch die Bürgerschaft der Stadt Lüneburg — geweiht, nachdem der Bau im wesentlichen vollendet war. In diese Jahre werden von v. Einem 3 die Skulpturen auf den Innenseiten der Innenflügel einwandfrei datiert, und so müssen auch die Malereien auf den anderen Teilen angesetzt werden, wie nunmehr H. Reinecke 4 schlüssig erwiesen hat. Diese Flügel befinden sich heute im Landesmuseum zu Hannover. Geschlossen zeigt der Altar die Darstellungen der ehernen Schlange und der Kreuzigung in typologisch-symbolischer Gegenüberstellung. Diese Bilder füllen je eine ganze Flügelfläche. Einmal geöffnet finden sich dagegen 36 kleine Darstellungen, neun auf jeder Flügelfläche, die das Leben Christi und Mariens von der Verkündigung bis zur Krönung Mariens schildern. Die Erzählung durchläuft jeweils sämtliche vier Tafeln, so daß die erste Reihe die Jugend Christi bis zur Taufe, die zweite das Wirken von der Auferweckung bis zur Verspottung, die dritte die Passion von der Kreuztragung an bis zur Marienkrönung an uns vorüberziehen läßt. Wie die Datierung ist auch die kunstgeschichtliche Einordnung der Malereien bis in die jüngste Zeit seltsam widerspruchsvoll geblieben. Ihr niedersächsischer Ursprung ist nicht nur einmal verneint worden. Sie sind als kölnisch5, als westfälisch 6 , als eigenhändiges Werk Konrad von Soests7, als lübische Arbeit 8 und als Werk eines franco-vlämischen Meisters 9 angesehen worden. In jüngerer Zeit hat vor allem Heise in dem Msiler der Goldenen Tafel einen einheimischen niedersächsischen Maler erkannt 10 . Reinecke hat auch hierin den endgültigen Beweis erbracht. 3 T. Einem, Die Plastik der Lüneburger Goldenen Tafel, Hildesheim 1929. 4 Reinecke, H., Lüneburger Buchmalereien um 1400 und der Maler der Goldenen Tafel. Damit ist die frühe Datierung in die neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts erledigt, die zuerst V. C. Habicht a . a . O . S. 151, derselbe, Die Goldene Tafel der St. Michaeliskirche zu Lüneburg (Niedersachsische Kunst 2.), 1922 aussprach und der E. Borchers, Die gemalten Flügel der L. G. T., ungedruckte Bonner Diss. 1923 folgte. Zuletzt suchte sie noch Fr. A . Martens, Meister Bertram, Teildruck einer Rostocker Diss. 1936 über die Tafelmalerei des nordostdeutschen Küstengebietes von ihren Anfängen bis 1450 S. 23, beweislos und ohne v. Einem zu beachten, zu retten. 5 So vor allem die ältere Forschung, z. B. Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, Band 6, 2. Aufl. 1874 S. 478. 6 Schmitz, Die mittelalterliche Malerei in Soest, 1906 S. 137; im Handbuch der Kunstwissenschaft S. 407 nennt sie Schmitz dann niedersächsisch. 7 Hölker, Meister Konrad von Soest, 1921 S. 29; Schröder in Cicerone 15 (1923) S. 1149; weiterhin Witte, Zeitschrift f. christl. Kunst 34 (1921) S. 75. Zuletzt Martens, Zeitschrift d. d. Vereins f. Kunstwissenschaft 1934 S. 182. 8 Conrades, Niedersächsische und hanseatische Plastik um 1400, Leipziger Diss. 1930 S. 50ff.; Paul, Sundische und lübische Kunst, 1914 S. 51. 9 Habicht, Monatshefte für Kunstwissenschaft 7 (1914) S. 359» derselbe a. a. O. (1919) S. 150; während er 1922 unentschieden ist. Konrad von Soest soll als Gehilfe mitgearbeitet habenI >° A. a. O. S. 60, zuvor auch schon Schmitz in Handbuch der Kunstwissenschaft S. 407. Weniger entschieden P. J. Meier a. a. O. S. 24.

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Gewiß hat der Meister der Goldenen Tafel bedeutende Einflüsse vom Westen empfangen, aber diese waren doch für ihn längst nicht so entscheidend wie für Konrad von Soest oder gar für Meister Francke. Einem franco-vlämischen Künstler — was er darunter versteht, hat Habicht nie genau umrissen — als Schöpfer der Goldenen Tafel anzunehmen, ist völlig abwegig. Ihr Meister hat die Kunst jenes französischen Kreises, der allenthalben für die norddeutsche Malerei damals bedeutsam war, in sich aufgenommen und verarbeitet, er ging denselben Weg wie Konrad, Francke und viele andere — und zwar wird das, wenn wir einige frühere Werke des Meisters kennen gelernt haben, noch deutlicher werden —, wenn wir also beim Meister der Goldenen Tafel auf mancherlei westliche Motive stoßen, so darf das in keiner Weise überraschen und zu voreiligen Schlüssen führen, ist vielmehr durchaus selbstverständlich. Vom Westen stammen Architekturformen, Kostüme, Stoffe, einige Kompositionen wie die Kreuzabnahme und die Grablegung und einzelne Faltenmotive und Figurendarstellungen. Reinecke hat es sehr wahrscheinlich gemacht, daß der Meister der Goldenen Tafel selbst im Westen gewesen ist und die Kunst Jacquemarts von Hesdin und des sogenannten Meisters von 1402 1 1 dort kennen gelernt hat. Mit dem ersteren verbindet den Meister der Goldenen Tafel auch eine gewisse Formbeschränkung, die diesem französischen Künstler bei allem Reichtum der Faltengebung eignet. So mag sich der Lüneburger Maler aus innerster Veranlagung gerade wegen dieser Neigung zu knapper Straffung zu Jacquemart hingezogen gefühlt haben, ihm, dem Niedersachsen, mag diese Art im besonderen entsprochen haben. Unmittelbare Vorbilder lassen sich in keinem Falle für ein Bild nachweisen, die Beziehungen sind aber nicht zu übersehen, wenn sie auch in der Goldenen Tafel schon ziemlich gedämpft sind. Vielleicht haben sich schon auf dieser Wanderung mancherlei Verbindungen zu Konrad von Soest ergeben. Man wird sie — das sei nochmals betont — keinesfalls so eng nehmen dürfen, wie sie häufig dargestellt werden. Immerhin manche Form, manche Figur, der Typus des Gekreuzigten, der Simeon der Darbringung und vor allem die symbolische Kreuzigung auf der Außenseite, die in auffälliger Weise mit der Kreuzigungsdarstellung des Altars in der Soester Paulikirche übereinstimmt, weisen auf Konrad von Soest hin und bezeugen eine Einwirkung von dessen Seite. Die letztgenannte Kreuzigungsdarstellung wie die der Soester Paulikirche gehen auf ein verlorenes Werk Konrad von Soests zurück. „Die engste Beziehung erweist der vorn, am nächsten der Bildebene aufgebaute Mann im Profil. Mag man im einzelnen, im Kostüm, im Alter des Dargestellten, in seiner Kopfbedeckung usw. weitgehende Abweichungen konstatieren, so ist doch der künstlerische Gedanke dieser Figur als eines abrundenden, im letzten Grunde schließenden Bestandteils der Gruppe eine Erfindung Konrads. Der Lüneburger Meister und der Soester Nachahmer lehnen sich, der eine frei und selbstbewußt, der andere sklavisch beengt, "

Bella Martens a. a. 0. S. 24, Anm. 221.

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an ein gleiches Werk des großen Westfalen an, das heute verschollen, einst vermutlich in Soest gestanden hat." — „Der Lüneburger ließ sich anregen, doch er wahrte seinen eigenkünstlerischen, freien Gestaltungswillen. Nirgends kopiert er gedankenlos; indem er fremde Elemente verwendet, ordnet er sie schon im Augenblick der Übernahme seinem speziellen Formgedanken unter 1 2 ." Diesem verlorenen Altar gegenüber war der zeitlich weiter zurückliegende Wildunger für den Meister der Goldenen Tafel offenbar weniger wichtig, und der Dortmunder Altar dürfte noch nicht entstanden gewesen sein. Zu ihm lassen sich nirgends Beziehungen erweisen. Sodann hat aber auch die kölnische Malerei auf den Meister der Goldenen Tafel eingewirkt. Das mag zuerst vielleicht überraschen, ist aber am Ende gar nicht so sonderbar, wenn man Temperament und Eigenart des Lüneburgers richtig erkannt hat. Zumal zu den Tafeln der sogenannten „Großen Passion" finden sich mancherlei motivliche und kompositionelle Beziehungen, und es ist ganz offensichtlich, daß der Lüneburger Maler von diesem Kreis Anregungen empfangen hat. Sie sind gewiß für ihn und seine Kunst nicht so gewichtig gewesen wie die von Seiten Konrads. Wichtiger ist, daß wir richtig sehen, was ihn zur kölnischen Kunst hingeführt hat. Es mögen zuerst zufällige Eindrücke, die er auf der Wanderung in Köln empfing, gewesen sein. Dann aber bestehen — und das ist entscheidend — sehr auffallende stimmungsmäßige Gleichheiten, und hier ist die treibende Kraft wohl zu erkennen, die den Lüneburger Meister zur kölnischen Malerei hinführten. Etwas Ähnliches mag ihn zu ihr geführt haben, was ihn auch bei Jacquemart de Hesdin fesselte: er empfand einen innerlich verwandten Grundton. Der Meister der Goldenen Tafel war nicht Kölner, war auch nicht in der kölnischen Kunst groß geworden, aber ihre stille, feierliche Idealität mag ihn verwandt berührt haben — vielleicht gerade im Gegensatz zu der temperamentvolleren und lebendigeren Art Konrad von Soests. Vielleicht brauchte er die kölnische Kunst um des Gleichgewichtes willen. Denn soviele Fäden auch von der Kunst dieses Meisters sich zu ihm gesponnen haben, der tieferen Unterschiede sind mehr als des Gemeinsamen. Aber auch gegenüber kölnischer Kunst —• das darf man nicht übersehen —• bestanden vom Lüneburger Meister aus grundlegende Grenzen. Vielleicht liebte er das kleine Format, das Andachtbildhafte der kölnischen Malereien, vielleicht liebte er im besonderen ihre Farbe, nie hat er so minutiös, so goldschmiedehaft gedacht und gestaltet wie sie. Das Kleine war ihm stets sogar recht gleichgültig, während es mitunter gerade die Schönheit der kölnischen Bilder ausmacht. Und wir werden noch sehen, wie die Linie als Gestaltungsmittel, wie die Leere der Bildfläche, die Pause zwischen zwei Figuren in der Goldenen Tafel eine entscheidende Rolle spielen. So waren es am Ende doch nur Stimmungswerte, war es die Stille, die Ruhe, die feierliche Idealität, die den Lüneburger zur kölnischen Kunst hinzogen, die ihn mit ihr verbanden. 11

Reinecke a. a. O. S. 75 und S. 76.

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Indem man sich so über die Unterschiede und Gegensätze zwischen Köln, Konrad und dem Lüneburger klar zu werden versucht, erfaßt man zugleich ein wesentliches Stück von seiner Kunst. Die Verschiedenheit der weiblichen Gesichtstypen ist kennzeichnend für die Verschiedenheit der Kunst dieser beiden Meister überhaupt. Konrads Gesichter schwingen an den Wangen rundlich aus, um am Kinn spitz zuzulaufen, die des Lüneburger Meisters sind dagegen ziemlich einfach, einheitlich eiförmig geschlossen. Und so wie Konrad von Soest hier aktiver, bewegter gestaltet, so ist seine Kunst überhaupt aktiver und dramatischer im Vergleich mit der der Goldenen Tafel. Seine Menschen blicken teilnehmender, handeln lebhafter, die der Goldenen Tafel sind versonnener, verhaltener. Ein schönes Beispiel hierfür ist der Simeon der Darbringung im Tempel, „der bei Konrad sprunghaft jäh in Erwartung steht, auf der Goldenen Tafel gelöst von jeder Spannung, in fast zuständlicher Gebärde die Arme ausgestreckt bereit hält '3." In der Auferstehung steigt Christus nicht aus dem Sarkophag, sondern schwebt über ihm. An Stelle des reellen Bewegungsvorganges gibt der Lüneburger den ideellen Wesensgehalt, wendet er „das Geschehen in das symbolhaft Irreale ab 1 ')." Und ebenso zeigt ein Vergleich der Kreuzigungsdarstellungen, auch der historischen im Zyklus des Christuslebens, mit der des Wildunger Altars, wie Konrad dramatische Spannung, der Niedersachse eine fast symbolhaft wirkende Verhaltenheit sucht. Dem Geschehen dort steht betonte Zuständlichkeit hier gegenüber. Konrad freut sich an einer möglichst reichen Oberflächenbewegung, der Lüneburger ist im Vergleich zu Konrads Formenreichtum fast arm zu nennen. Soviele Fäden von Konrad zum Meister der Goldenen Tafel gegangen sind, innerlichst stand diesem des Dortmunders Kunst fern. Die unruhevolle, oft kleinteilige Beweglichkeit und auch die vielfache Einbeziehung räumlicher Tiefenstöße müssen dem Lüneburger im Grunde widerstrebt haben. Wieviele Überschneidungen gibt Konrad in seinem ölbergbilde, wie flächig, fast gereiht ist die Komposition der Goldenen Tafel. Am deutlichsten wird dieser Abstand zu Konrad, wenn man die völlig verschiedene Art ihrer. Flächenfüllung beachtet. Konrad ordnet stets ziemlich dicht, gibt die Figuren eng neben- und hintereinander und füllt alle Zwischenräume mit architektonischen, landschaftlichen oder irgendwelchen genrehaften Motiven. Für den Lüneburger sind dagegen gerade die Zwischenräume von großer Bedeutung. Er isoliert die Figuren, und der Reiz einer Komposition liegt mitunter im Gegenüber zweier Figuren, die durch einen ziemlich weiten Raum, gleichsam eine Pause, getrennt sind. Damit geht die Schlankheit der Figuren, die Flächigkeit ihrer Gewänder, die nur wenige Falten gliedern, zusammen. Und diesem stillen, unbestimmten, unbestimmbaren Eindruck der Bilder der Goldenen Tafel entspricht endlich auch ihr lichtes Kolorit. „Manches scheint gewagt; Farben stehen zusammen, die nach dem Geschmack unserer Tage einander feindlich sein müßten. Fast ist die Grenze des Erlaubten '3 A. a. O. S. 58. '4 A. a. O. S. 60.

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hier und dort schon überschritten. Die Gegensätzlichkeit der Farben spielt sich in durchsichtigster Zartheit, in kaum wahrnehmbaren A b tönungen ab und wird hier zu feinstem Reiz des Auges. Der Künstler ist ebenso naiv wie instinktsicher 1 5." Die Flucht nach Ägypten macht den Stilwillen des Lüneburger Meisters besonders eindrucksvoll deutlich. Die landschaftlichen Formen hinter den Figuren bedeuten keineswegs Raum, Tiefe, kaum Umgebung. Wie fern steht das Bild darin Broederlams Darstellung in Dijon, wie fern steht sie aber auch Konrad von Soest oder Francke. Wo sich Überschneidungen finden, sind sie nur sehr bedingt im Sinne einer räumlichen Tiefenstaffelung, eines Hintereinander zu verstehen. Die Landschaft ist abschließende Kulisse und begleitendes Motiv der vor ihr groß stehenden Figuren, die groß sind im Verhältnis zur Bildfläche wie auch durch ihre Isolierung. Sie haben viel mehr die Priorität als bei einem der anderen, durch die Kunst des Westens hindurchgegangenen Maler. Nur die Kölner werten ähnlich wie der Meister der Goldenen Tafel. Nicht als Landschaft hat solch eine Felskulisse Bedeutung, sondern als eine ganz flächige, durch den Kontur besonders wichtige, mimische Begleitung muß man sie auffassen. Sie hat keinerlei Eigenwert, ist nicht Grundlage, aber ihre zackigen Konturen sind auf die Bewegungen der Figuren und deren Silhouette abgestimmt, und dazu gehört auch das zwischen den beiden Landschaftskulissen stehengebliebene Stück Goldgrund. Es trennt und verbindet zugleich die Figuren. Die Linie hat bei diesem Maler eine entscheidende Bedeutung. Die dünnen Faltenzüge, die langhin ohne Unterbrechung gleitenden Säume und Umrisse geben den Bildern ihre verhaltene, ja mitunter wie verwunschen scheinende Stimmung. Wie wenig erzählt dieser Künstler, wie versonnen sind Maria und Joseph. Konrad von Soest hätte eine entzückende Genreszene geschildert. Der Meister der Goldenen Tafel begnügt sich mit dem Notwendigsten. Schwerblütig, ernst sind seine Menschen, nie sind sie festlich, nie repräsentativ, nie elegant. Eher liegt ein schmerzlich-melancholischer Zug auf ihren Gesichtern. Aber stets sind sie packend eindrucksvoll, und wie wunderbar sind Mann und Frau gerade in diesem Bilde in ihrer Empfindung, ihrem sorgenden Ausdruck, miteinander verbunden. Es ist richtig: „Das Ethos dieser Lüneburger Tafel hat mit dem Ethos der Wildunger Bildwelt nichts zu tun 1 6 ." Und gleiches gilt für die Verkündigung an die Hirten, Beschneidung, Darbringung, Taufe, Auferstehung, Frauen am Grabe, um nur die bedeutendsten Bilder zu nennen. Sie alle zeigen den Stil des Meisters in seiner höchsten Erfüllung. Ganz flächig stehen Christus, Johannes und die Engel im Taufbilde nebeneinander. Machtvoll beherrschen sie, jede Figur oder Gruppe von der anderen getrennt, die Bildfläche. Weder Wasser noch Felsstufen, weder Blumen noch Gebüsch machen ihnen den Vorrang streitig. Und dann muß man auf die Bewegungszüge achten, >5 A. a. o. s. 70. 16

Worringer a. a. O. S. 273. 168

die von Johannes, den Falten seines Gewandes und seinem Arm über Christus zu den Engeln hinübergehen. Eine verwandte Bewegung geht von Gottvater über das Spruchband, das sich in einem großen Schwung einrollt, zu den Köpfen und Flügeln der Engel. Diesen Bewegungen antwortet die Schrägbewegung des Körpers Christi, die über die Taube zu Gottvater empor weitergeht. So werden die Teile durch Bewegungszüge, die weite Zwischenräume überbrücken und ausschließlich von Linienwerten, nie von körperlichen Aktionen getragen werden, miteinander verbunden. Man kann in diesem Sinne von einer Kalligraphie der künstlerischen Gestaltung beim Meister der Goldenen Tafel sprechen. Unruhigkleinteilig rollen sich bei Konrad von Soest die Spruchbänder, dagegen in weichen, langen Kurven, „in mit Bedeutung getränkter Rhythmik" schwingen sie in der Goldenen Tafel über weite leere Flächen. Ihr „Duktus gibt gleichsam die Temperamentskurve dieser ganzen Kunst an. Das was in ihnen liegt an weicher, großgesinnter und zu malerischer Breite neigender Schwere, charakterisiert den ganzen Stil. Ein Stil von weicher Massigkeit, der von einer milden und in aller Mildheit ernsten Schönheitsgesinnung überprägt ist. Gerade dieses Zusammentreffen von einer malerischen Weichheit, mit jener in geschlossenen Formkomplexen denkenden flächendekorativen Großzügigkeit gibt dem Stil seine charakteristische Eigenheit 1 ?." In dieser zarten Weichheit der Modellierung wie des Kolorits, in dieser Hagerkeit und Knappheit der Formen, in der kühlen, stillen Verhaltenheit des Ausdrucks der Menschen darf man etwas kennzeichnend Niedersächsisches sehen. Schlank und frei wachsen die Figuren in weichen und zugleich gebändigten Rhythmen empor. Würdevoll ist stets ihre Haltung, ist der Ausdruck ihres Gesichtes. Von den Frauen der Goldenen Tafel gilt vollkommen, was Pinder von der Darssow-Madonna in St. Marien zu Lübeck ausführt. Sie sind deren nächste Verwandte. „Der Kopf Marias selbst aber ist so königlich, eine solche „Würde der Frau", so wundervolle Selbstdarstellung des blonden Nordens, daß jeder Deutsche, der seine geschichtliche Nationalpersönlichkeit verstehen und lieben will, diese Form auswendig lernen sollte. Ganz leise senken sich die Lider herab, nordisch verhaltend; umso tiefer und lebensvoller nur blickt das Auge unter dem Vorhange heraus. Die Nase groß und frei, der kleine Mund von lieblich herber Energie, das Profil von bedeutendem Ernst 18 ." Wörtlich gilt das von der Maria der Anbetung, der Flucht, den drei Frauen am Grabe. Bestes deutsches, niedersächsisches Blut spricht aus ihnen: schwer und doch eindringlich, beherrscht und doch weich in den Bewegungen. Dazu gehört dann auch, daß die dynamisch gesättigte Linie wichtiger ist als die körperliche Masse, dazu gehört die weichßächige Kompositionsweise, die Betonung und positive Bewertung großer Zwischenräume zwischen den Figuren. Auch das ist niedersächsisch. '7 Worringer a. a. O. S. 234 ff. Pinder, Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Handbuch der Kunstwissenschaft) S. 234. 18

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Wir sprachen bislang fast nur von Bildern auf den Außenseiten der Innenflügel. Sie sind wie die Außenseiten der Außenflügel, die die symbolischen Darstellungen der ehernen Schlange und der Kreuzigung zeigen, sichere eigenhändige Werke des Hauptmeisters, wenn dieser auch bei den letzteren, großflächigen Bildern die Kompositionen nicht völlig bewältigt hat. Auf den Innenseiten der Außenflügel sind vom Hauptmeister nur die leider sehr zerstörte Krönung Mariens und im wesentlichen wohl auch die Taufe Christi. Alle übrigen Bilder sind von Gesellenhänden ausgeführt. Eine erste läßt sich leicht ausscheiden. Sie malte sämtliche neun Bilder des linken und die zwei obersten des rechten Außenflügels (Christus im Tempel und Hochzeit zu Kana). Die Art dieses Gehilfen ist bestimmt durch die ältere Göttinger Werkstatt, in der er gelernt haben muß. Alle Einzelformen bezeugen eindeutig diese Herkunft. An den restlichen fünf Bildern des rechten Flügels war auch ein Gehilfe beteiligt, aber dessen Art wird nicht so deutlich; wahrscheinlich war an diesen Bildern der Hauptmeister ausführend stärker beteiligt. Daß er für den Entwurf aller Bilder und in gewisser Hinsicht auch für deren Ausführung verantwortlich war, ist gewiß. Auch die Bilder des linken Außenflügels zeigen in ihrer Anlage und, wenn nicht im einzelnen, so in der Stilisierung der Figuren eindeutig seine Art. Diesem Hauptwerk, das wohl nicht ein Spätwerk, aber doch ein reifes Werk des Lüneburger Meisters gewesen ist, gingen einige andere Arbeiten voran, die ihn fest in Lüneburg verankern. Es sind dies in erster Linie Miniaturen in zwei Handschriften, in einem Missale, das der Lüneburger 216 Bürger Gerhard Wevelkoven stiftete, und in einem Sachsenspiegel. Beide Handschriften liegen heute auf der Lüneburger Ratsbücherei. Der Sachsenspiegel enthält nur eine Miniatur, eine ganzseitige Darstellung der Verleihung des neuen Rechtes der Sachsen durch Karl den Großen an Herzog Widukind. Die außerordentlich reizvolle Komposition ist in eine zierliche, vielgliedrige Architektur, eine nach vorn offene Gerichtslaube hineingestellt. Links steht der Thron des Kaisers, vor dem etwa in der Mitte der Bildfläche der Sachsenherzog das Rechtsbuch kniend empfängt. Hinter diesen beiden Hauptfiguren und vor allem nach rechts hin Fürsten und Edle, unter ihnen mit Namen benannt ,,Eyke" von Repgow. Alle tragen modische, burgundische Gewänder, haben schmale, markante Gesichter, sind straff und ernst in ihrer Erscheinung — ebenso niedersächsisch im Kern wie französisch-burgundisch im Äußeren, in Haarschnitt und Kleidung. Unten am Bildrande finden sich zwei Wappen, das dreitürmige Tor der Salzstadt und der steigende Löwe des Fürstentums Lüneburg. Das Missale, das der reiche Gerhard Wevelkoven für einen Altar in St. Johannis in Lüneburg stiftete — es ist von ihm nur ein Band erhalten und zudem ist noch das Kanonblatt herausgeschnitten —• enthält heute noch acht Initialminiaturen. Sie zeigen Verkündigung, Geburt, Darbringung, Einzug in Jerusalem, Christus beruft Petrus und Andreas, König David, Traum Jakobs von der Himmelsleiter und eine Darstellung der Messehandlung. Drei Initialen haben nur Rankenschmuck. 170

Die Bezeichnung Initialminiatur trifft nicht eigentlich zu bei der Messedarstellung, die dem Te igitur clementissime pater beigefügt ist. Dieses Bildchen ist keinem Buchstaben eingefügt, sondern der Architektur einer kleinen Kapelle, die ganz blockhaft in die obere Ecke des Schriftsatzes eingestellt ist. Ranken umgreifen sie wohl, sind ihr aber nicht verbunden. Sonst sind die Miniaturen in Buchstabenkörper einbeschrieben, die golden und punziert oder in Schattenmalerei aus allerlei Tieren und Figürchen gebildet sind und von denen zierliche Ranken und breitlappige Blätter ausgehen, die die Initiale mit dem Schriftblock verbinden und die leere Fläche der Ränder überspielen. In zwei Fällen tragen die Ranken auch noch kleine Genreszenen. In den Figureninitialen entwickelt der Meister eine heitere Phantasie, die trockenen Buchstabenkörper zu einem grotesken Spiel machend. Fast ohne Vorbild scheint er hier schöpferisch gewesen zu sein, einzigartig sind sie wie diese Miniaturen überhaupt. Mit Ausnahme der Darbringung im Tempel, die von einer schwächeren, altertümlicheren Hand stammt — vielleicht ist es die des Lehrmeisters, bei dem der Maler der Goldenen Tafel die Grundlagen seiner Kunst empfing — sind alle Bilder, wie auch das im Sachsenspiegel von einem Meister, und zwar eben von dem Maler der Goldenen Tafel. Seine Art ist unverkennbar; das macht jeder Vergleich deutlich. Die schlanken und hageren Figuren sind vom gleichen Schlag, die von verhältnismäßig wenig Falten durchgegliederten Gewänder breiten sich flächigeinheitlich aus. Der Typ Mariens, wie er uns in der Verkündigung oder Geburt der Miniaturen begegnet, entspricht dem des Anbetungsbildes der Goldenen Tafel, der Christustyp in den die Berufung des Petrus und Andreas oder den Einzug in Jerusalem zeigenden Miniaturen gleicht dem des ölbergs oder der Gefangennahme in der Goldenen Tafel. Die Köpfe der Sachsenspiegelminiatur begegnen da bei der Anbetung der Könige, dem Verhör Christi vor Herodes oder der Grablegung. Und ebenso beherrschen die Figuren in gleicher Weise die Szenen, ist auf genrehafte Ausschmückung verzichtet, liegt bei aller Zartheit und Weichheit der Formgestaltung doch auch über diesen Miniaturbildchen schon ein herber Ernst. Und nicht zuletzt bestätigt das Kolorit die Miniaturen als Arbeiten des Meisters der Goldenen Tafel. Sie zeichnen die gleiche Kultur, die gleichen lichten Farben, die gleichen raffinierten Zusammenstellungen, derselbe dünne, durchsichtige Auftrag aus. Neben diesen Miniaturen vermag sich nur wenig aus dem reichen Schaffen jener Jahrzehnte zu halten. Sie sind nicht nur die schönsten Zeugnisse der Buchmalerei aus dem frühen 15. Jahrhundert, sie gehören überhaupt zum Besten in der deutschen Malerei. Man nehme die Geburtsdarstellung. Mit wie einfachen Mitteln ist das Bildchen aufgebaut und gegliedert. Wie bedeutsam sitzen die Figuren bei aller Zierlichkeit in der Bildfläche. Wie groß ist bei aller Weichheit doch die Formgestaltung der Gewänder, die nur durch wenige, einfache Faltenkurven gegliedert in großen zusammenhängenden Flächen sich ausbreiten. Und endlich, wie tief ist bei aller äußeren Schönheit der Ausdruck, das sorgende Nach171

sinnen der Figuren. Die Maria der Geburtsdarstellung ist gewiß zierlicher, jugendlicher, mädchenhafter als die der Anbetung oder der Flucht nach Ägypten in der Goldenen Tafel, aber es trennt sie eben nur ein Altersunterschied. Ihre Art ist dieselbe und die Anlage ist die gleiche, eines Tages mußte die Maria der Miniaturen zu der der Goldenen Tafel werden. GewiB sind diese Unterschiede zuletzt in der Entwicklung des Lüneburger Meisters selbst begründet, zum Teil, an der Oberfläche, sind sie aber auch durch jene westlichen Einflüsse bedingt, von denen oben die Rede war. In den Miniaturen als den früheren Werken des noch jugendlichen Meisters sind sie naturgemäß stärker spürbar, und sie bezeugen, was auch die Goldene Tafel lehrt, daß der Maler der Goldenen Tafel tiefe Eindrücke von Jacquemart de Hesdin, dem Meister von 1402 und dem Adelphimeister empfing. Älteres steht neben jüngeren Vorbildern. Während bei Meister Francke sich die jüngere Generation durchgesetzt hat, knüpfen die Lüneburger Miniaturen auch noch an Jacquemart de Hesdin an, ein Hinweis, daß ihr Meister, wie auch Konrad von Soest, wohl etwas früher als jener im Westen gewesen ist. Francke muß um 1405, der Dortmunder und der Lüneburger müssen dagegen vor 1400 schon in Paris gewesen sein, und bald danach sind die Miniaturen entstanden. Frische Eindrücke hat er in ihnen verarbeitet. Nur so sind der Feinstil und die gewisse Kleinteiligkeit der Gestaltung, wie auch die westlich höfische Stilisierung, die größere Freude am Modischen oder an räumlicher Vertiefung, die folgerichtiger und ausführlicher behandelt ist, zu erklären. Demnach ging auch der Lüneburger Meister in seinem Leben jenen Weg, den alle anderen, deren Entwicklung wir verfolgen können, gingen. Wie Francke, Konrad von Soest, der Veronikameister war er in seiner Jugend auf der Wanderschaft im Westen, und wie seine Zeit, das frühe 15. Jahrhundert, überhaupt jugendlich, aufnahmebereit und augenfreudig gewesen ist, so sammelte auch er, was ihm die westliche Buchmalerei an Anregungen modischer und künstlerischer Art gab. Das neue Sehen, die neuen Darstellungsprobleme, der da ausgebildete höfische Stil fesselten ihn und färbten seine Kunst. Allmählich aber streifte er dieses fremde Gewand wieder ab. Das heißt nicht, daß er vergessen hätte, was er erfahren und gelernt hatte, aber er wußte Wesentliches und Unwesentliches zu unterscheiden. Zugleich wuchs die Form seiner Kunst, vertiefte sich ihr Ausdruck. Zu einer solchen Anordnung der Werke stimmen die zu erschließenden Daten'9. Der Sachsenspiegel muß um 1405 entstanden sein. Gerhard Wevelkoven, der 1392 einen Altar in der Johanniskirche zu Lüneburg mit allem Zubehör, also wohl auch jenem Missale stiftete, starb spätestens Anfang 1393, aber damals war die Ausstattung der Handschrift nicht vollendet, wofür auch das eine aus der Reihe herausfallende Bild der Darbringung im Tempel spricht, das von einer schwächeren und sicher älteren Hand ausgeführt wurde. Vielleicht war es zu Lebzeiten Wevel>9 Ausführlich Reinecke a. a. O. S.

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95fr.

kovens der einzige farbige Schmuck des Missales und blieb dessen Vollendung, wenigstens vorläufig, infolge des Todes des Stifters liegen. Die übrigen Bilder sind dann im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts ausgeführt worden. Sie so anzusetzen verlangen die französischen Voraussetzungen, an die sie anknüpfen und zu Anfang der neunziger Jahre noch nicht vorhanden waren, verlangt weiterhin ihre stilistische Übereinstimmung mit dem Bilde im Sachsenspiegel. Die Goldene Tafel steht dagegen französischer Art ferner, was nach unseren Erfahrungen stets darauf hinweist, daß sie später entstanden ist. Aber es lassen sich auch genug andere Gründe anführen. An Stelle unmittelbarer westlicher Einflüsse ist eine Einwirkung von Seiten Konrad von Soests zu erkennen, von dessen Art wiederum in den Miniaturen nichts zu spüren ist. So hat es den Anschein, als ob der Lüneburger Maler bei diesem monumentalen Auftrag, vielleicht dem ersten großformatigen, sich der Erfahrungen des Dortmunders bedient habe, um der für ihn neuartigen Aufgabe gerecht zu werden. Wir wissen heute, daß er auch vorher Tafelbilder gemalt hat, aber gerade das eine sicher frühe Täfelchen, das wir von ihm kennen, wie auch noch die Bilder der Goldenen Tafel bezeugen deutlich, daß er ursprünglich Miniaturist gewesen ist. Seine Kunst bleibt bei aller inneren Größe bis zuletzt die Kunst eines verhältnismäßig kleinen Formates. Über eine bestimmte Größe hinausgehende Tafeln vermag er nicht zu bewältigen, wie die Außenseiten lehren. Die Buchmalereien, die seine Kunst am Beginn bestimmten, standen wohl in einem engeren Verhältnis zu seinem Schaffen als sonst. Auch Konrad, auch Francke empfingen von Seiten der Buchmalerei tiefe Anregungen, aber sie waren deshalb doch nie so Miniaturisten, wie es der Lüneburger wohl in einem ersten Teil seines Lebensweges vorwiegend gewesen ist. Er war es aus Veranlagung und kam erst allmählich zu einer eigenen Form im Tafelbild. Da hat dann wohl der Einfluß Konrads eingesetzt. Dieser war für ihn kein Jugenderlebnis, sondern Hinweis und Stütze bei einer entscheidenden Wendung seiner künstlerischen Aufgabe. Vielleicht verhielt es sich dann mit Köln ganz ähnlich. Auch von dessen Art ist in den Miniaturen nichts zu verspüren. Vielmehr scheint es, daß es ihm in Kompositionen und Bildideen Anregungen zuerst für diese große Arbeit geliefert hat. So ist nunmehr auch von Konrad von Soest und den Einflüssen von Seiten der kölnischen Malerei aus die späte Entstehung der Goldenen Tafel sichergestellt. Denn die „Große Passion" darf gewiß nicht mehr in das erste Jahrzehnt datiert werden, und jener verlorene Altar Konrads, dessen Wirkung die Goldene Tafel besonders erkennen läßt, muß um 141 o entstanden sein. Die Goldene Tafel ist nicht vor den Miniaturen, sondern nach ihnen, um 1418, ausgeführt worden. Was v. Einem für die Plastik nachwies, dahin führt eine saubere Untersuchung der Malereien ebenso. Die öfter zitierte Altarweihe von 1390 kann nur eine Mensaweihe betroffen haben. Vielmehr muß das Vollendungsdatum der Kirche und das Datum ihrer Hauptweihe, das Jahr 1418, auch das Vollendungsdatum der Goldenen Tafel gewesen sein. Daran ist nicht mehr zu zweifeln. 173

Die Entwicklungsspanne des Lüneburger Meisters war nicht klein. Die etwa fünfzehn Jahre, die wir von den Miniaturen bis zu den Außenseiten der Goldenen Tafel überschauen, umschließen eine bedeutsame Entwicklung. Die Miniaturen führen uns gewiß so ziemlich an den Anfang seiner Meistertätigkeit, man darf in ihnen eine jugendliche, empfangsbereite Stufe sehen. Anders steht es mit der Goldenen Tafel. Sie darf man nicht als letzte Prägung eines reifen Altersstils erkennen. Sie war nur ein Schritt dahin, aber keine letzte Lösung. Der Meister der Goldenen Tafel war, als er sie schuf, in seiner Entwicklung noch keineswegs abgeschlossen. Umso bedauerlicher ist es, daß wir vorerst noch kein Werk von ihm kennen, das seine Kunst uns in letzter Steigerung und Vollendung zeigt — oder war ihm dieser letzte Schritt nicht vergönnt gewesen? Immerhin zeigen Bilder wie die Taufe, Flucht, Auferstehung, Frauen am Grabe, Himmelfahrt, welche innere Größe er zu erreichen und wie er zu einem Sprecher tiefster Stimmungen zu werden vermochte, wenn vielleicht auch äußerlich seiner Kunst Grenzen gesetzt waren. Die Miniaturen sind delikat, aber man muß sich hüten, wegen dieser äußeren Reize sie zu überschätzen oder gar über die Goldene Tafel zu stellen. Der größere Künstler und der größere Mensch steht hinter deren Bildern. Diesen Unterschied machen nochmals auch zwei jüngst aufgetauchte Tafelbilder deutlich, die beide Herr Ludwig Roselius in Bremen erwarb. Das 218 eine zeigt, wie die Sibylle von Tibur dem Kaiser Augustus die Erscheinung der Maria mit dem Christkinde — dieser Teil ist leider ziemlich zerstört — weist. Der schräg im Bilde stehende zierliche Thron des Kaisers, er selbst wie die Schar seiner Begleiter scheinen unmittelbar dem Bilde im Sachsenspiegel entliehen zu sein, so völlig stimmen sie bis in letzte Züge überein. Und gleich ist die lockere Modellierung, das Kolorit, die Art, wie die Lichter gesetzt sind. Das Bild kennzeichnet die malerisch überaus reizvolle, frühe Art des Meisters um 1405. Es gehört in die nächste Nähe der Sachsenspiegelminiatur, gleichzeitig mit dieser muß es entstanden sein. Das andere Täfelchen, ein Marienbild, das ursprünglich größer gewesen sein muß, fügt sich dagegen mit der Goldenen Tafel zusammen. Ein Vergleich mit den Frauen am Grabe, ein Vergleich des Kindes mit dem auf der Flucht nach Ägypten, Zeichnung und Ausdruck machen den Zusammenhang einwandfrei gewiß. Es hebt sich von Marienbildern Konrads ebenso ab, wie die Kunst des Lüneburger Meisters im ganzen von der des Dortmunders. Und wiederum ist in diesem Mariengesicht die hohe bürgerliche Würde, jene Verhaltenheit und Stille, die stets seine Frauen als bestes niedersächsisches Erbe besitzen. Wir übersehen heute das Werk des Lüneburger Meisters besser, da seinen Malereien für die Goldene Tafel einige Miniaturen und zwei kleine Täfelchen zugefügt werden konnten. Sein Name, seine Lebensumstände sind uns leider noch immer unbekannt, dennoch brauchen wir wohl nicht daran zu zweifeln, daß er, wenn nicht Lüneburger, so doch gebürtiger Niedersachse war. Denn all die anderen Werke aas Göttingen, 174

Hildesheim und auch aus Lüneburg, die wir noch kennen lernen werden, sie zeigen alle grundsätzlich die gleiche Art, sie alle scheinen uns in verwandter Weise Spiegel der niedersächsischen Landschaft, wenn sie auch qualitativ zumeist tief unter der Goldenen Tafel stehen.

2. Daß der Meister der Goldenen Tafel in der Tat in Lüneburg beheimatet war und hier seine Werkstatt hatte, versichern auch einige Werke, die in unmittelbarer Abhängigkeit von seiner Kunst, zum Teil wohl in seiner Werkstatt selbst, entstanden. Voran ist zu nennen die Miniatur in einem Schwabenspiegel, der im Zusammenhang mit dem Sachsenspiegel vom Rat der Stadt in Auftrag gegeben wurde. Die Miniatur schließt sich eng an die im Sachsenspiegel an, aber sie ist härter und nüchterner, die Arbeit eines schwächeren Gesellen, der den Entwurf des Hauptmeisters mit unvollkommenen Kräften auszuführen suchte. In die Werkstatt darf man weiterhin ein Reliquienkästchen setzen, das aus der Johanniskirche ins 219. Lüneburger Museum gekommen ist. Die Kreuzigungsdarstellung auf dem Deckel ist bis auf geringe Spuren zerstört; gut erhalten sind dagegen auf den Seitenwänden Maria mit dem Kinde und Johannes, der Schutzpatron der Stadt. Die Malereien sind wohl nicht ganz so fein, daß man sie dem Hauptmeister selbst geben darf, aber man darf sie auch nicht unterschätzen und muß sie mindestens in seine allernächste Nähe stellen. Ganz gewiß geht der Entwurf auf ihn zurück und auch die Ausführung muß ihm unterstanden haben. Diese ist viel besser als die der meisten Bilder auf dem von Gesellenhand ausgeführten linken Flügel der Goldenen Tafel. Von einem schwächlichen Nachahmer ist dagegen die Malerei auf der Innenseite eines Kästchendeckels im Lüneburger Rathaus, die Petrus und Paulus zeigt. Sodann entstanden in des Meisters Werkstatt sicher auch die gewaltsam 220. beschädigten Prozessionsfahnen im Kloster Lüne, das vor den Toren der Stadt liegt. Die beidseitig bemalten Fahnen zeigen Anbetung und Auferstehung, Verkündigung und Vorhölle. Jede Szene ist — oder wie man infolge der Beschädigungen richtiger sagen muß: war — von Heiligen begleitet und einer reichen Baldachinarchitektur eingefügt. Die etwas gröbere Malweise ist wohl wesentlich durch den Stoff und auch den Zweck bedingt, die Herkunft aus der Werkstatt der Goldenen Tafel ist aber unverkennbar. Der ausführende Geselle muß von Konrad von Soest sehr stark beeinflußt worden sein, wie die Maria der Verkündigung und die reichen Faltenkurvaturen bezeugen. Fragwürdiger ist das Verhältnis zum Meister der Goldenen Tafel bei den folgenden Arbeiten. Die gemalten Flügel eines Altars aus Bröckel (Landkreis Celle), dessen Bruchstücke in das Landesmuseum in Hannover gelangt sind — der linke Flügel zeigt auf der Innenseite drei Heilige, auf der Außenseite die Verkündigung; vom rechten Flügel ist nur ein Drittel mit einer Heiligen mit einem Turm (?) erhalten —, darf man vielleicht dem Gesellen zuschreiben, der die Bilder auf dem linken Außen-

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flügel der Goldenen Tafel ausführte. Die Figuren zeigen dieselbe Kreuzung von Einflüssen des Lüneburger Meisters und der Göttinger Werkstatt, daß diese Vermutung wohl nahe liegt. Von einem selbständigeren Meister stammen zwei Flügel im Landes22i. museum zu Hannover, die wahrscheinlich aus Celle stammen und auf den Innenseiten Christus vor Pilatus und Christus in der Vorhölle, auf den Außenseiten die Geburt Christi (sehr zerstört) und die Anbetung der Könige zeigen. „Die Celler Figuren sind breit und schwer, die Köpfe klobig, die architektonischen Bestandteile solide Tischlerarbeit. Dennoch lassen sich auch hier Brücken zur Goldenen Tafel schlagen. Die Szene der Geburt Christi ist in der Komposition nicht unähnlich der des Wevelkoven-Missales; die Anbetung der Könige, die Vorführung Christi vor Pilatus und die Vorhölle sind gut zu vergleichen mit den entsprechenden Bildern der Goldenen Tafel 1 0 ." Vergröbert, verderbt tritt uns der Stil der Goldenen Tafel entgegen, zugleich besitzen die Tafeln aber bei aller massigen Schwere eine Größe, zu der ihr Meister kaum allein gelangt ist. Denn man darf nicht verkennen, daß die Bilder in einer sehr ungewöhnlichen Weise groß gebaut und auf eindrucksvolle Bezüge abgestellt sind. So liegt der Gedanke nahe, daß sie, die sicher im dritten Jahrzehnt entstanden sind, anknüpften an eine spätere, verlorene, uns unbekannt gebliebene Arbeit des Lüneburger Meisters und uns eine schwache Vorstellung von seinem Altersstil vermitteln. Schwierig ist die Einordnung der Malereien am Heiligen Grab und an den Osterleuchtern in Wienhausen bei Celle. Die Wächter an den Außenseiten der Grabkiste — einer führt das Wappen der Äbtissin Katharina von Hoya, die zum ersten Male 1420 gewählt wurde und mit einer Unterbrechung in den späten dreißiger Jahren bis gegen die Mitte des Jahrhunderts ihre Würde inne hatte — sind so stark erneuert, daß sie nicht mehr zu beurteilen sind. Auch die bilderbogenhafte Schilderung des Lebens Christi auf den Deckelinnenseiten ist übergangen, hier ist aber die ursprüngliche Art noch gut zu erkennen. Es handelt sich um ziemlich anspruchslose Arbeiten, die in volkstümlichem Tonfall gleich einer Armenbibel das Leben und Sterben Christi, dazu die Weihe der Osterkerze am Karsamstag und das himmlische Jerusalem schildern. Besser scheinen von Anfang an die Malereien der Osterleuchter gewesen zu sein, wenigstens sind einige unberührte Teile, eine Maria und ein Christkind, von außerordentlichem Reiz. Und bei ihnen ist nun der Zusammenhang mit der Goldenen Tafel wieder ganz deutlich, wenn auch das Verhältnis nicht allzu eng gesehen werden darf und bei all diesen Wienhausener Malereien ebenso Beziehungen zu den oberheidischen Werkstätten angenommen werden müssen. 3So wenig es bezweifelt werden sollte, daß der Meister der Goldenen Tafel ein Niedersachse war — das Flächengefühl seiner Kunst wie die 10

Reinecke a.a.O. S. m . 176

Typik seiner Menschen sprechen eindeutig dafür —, so muß es doch verwundern, daß ältere niedersächsische oder westfälische Überlieferungen bei ihm kaum sichtbar werden. Freilich ist Meister Bertram wohl nicht ganz unsichtbar in seiner Kunst, denn sollten die einfachen, großen, eiförmigen Köpfe und Gesichter seiner Figuren nicht doch von diesem abzuleiten sein? Und ist die eindrucksvolle Betonung der Figur in der Flächenfüllung nur eine stammesbedingte Verwandtschaft, oder sollte sie auch aus einer schulmäßigen Beziehung zu erklären sein? Es mag dahingestellt bleiben. Aber die Frage war berechtigt, da wir nun bei

Anbetung

Darbringung

Gefangen-

Christus

nahme

vor Pilatus

Flucht

GeiSelung

Heimkehr

Christus im Tempel

Taufe

Dornen-

Kreuz-

Kreuz-

krönung

tragung

abnahme

Braunschweig, Brüdernkirche: Altar.

einem ersten zu besprechenden Altar der sogenannten Göttinger Werkstatt die Einwirkung Meister Bertrams sehr nachdrücklich beobachten können. Damit beweist diese Werkstatt ihre größere Bodenständigkeit. Der Westen war für ihren Meister unbekannt oder doch bedeutungslos. Aus heimischen Voraussetzungen erwuchs sein Schaffen, und zu diesen gehört noch ein anderes Werk. Denn neben Meister Bertram waren für diese mit dem neuen Jahrhundert einsetzenden Arbeiten eine wichtige Voraussetzung die gemalten Außenseiten des Hochaltars in der Brüdernkirche zu Braunschweig, der, wie neuerdings wahrscheinlich gemacht wurde, 1383 geweiht worden ist : l . Schrein und Innenseiten tragen wie häufig in Niedersachsen Skulpturen, die Außenseiten zeigen zwölf Bilder aus der Geschichte Christi: die obere Reihe Darstellungen aus der Jugend von der Anbetung bis zur Taufe, darunter die Flucht wie auch die Rückkehr aus Ägypten, die untere Reihe die Passion von der Gefangennahme bis zur Kreuzabnahme, wobei " Conrades, Niedersächsische und hanseatische Plastik um 1400, Leipziger Diss. 1930 S. 1 2 ; Conrades, Alt-Hildesheim 1929 S. 33.

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die Kreuzigung, die im Schrein sich findet, weggelassen ist. Ursprünglich besaß der Altar noch ein äußeres Flügelpaar, aber auch die erhaltenen Malereien sind nicht im ursprünglichen Zustande. Zweifelsohne stehen sie noch in enger Verbindung mit der hessisch-westfälischen Malerei des späten 14. Jahrhunderts, einzelne Figuren scheinen dem Netzer Altar und seinem heute in Köln befindlichen Geschwister unmittelbar entliehen. Aber auch von den diesen beiden Altären gegenüber sicher wesentlich jüngeren Altarflügeln aus der Ägidienkirche in Münden — heute im Landesmuseum zu Hannover —, und zwar sonderlich dem linken Flügel, ist sehr viel in dem Brüdernaltar. Damit wird eine so frühe Ansetzung in die achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts zweifelhaft, und auch die außerordentlich klare Raumgestaltung des Arkadenganges, in den die einzelnen Szenen hineingestellt sind, scheint zu warnen. Sodann sind die im folgenden zu behandelnden Göttinger Werke keineswegs so viel fortgeschrittener, daß sie einen Abstand von zwanzig oder auch nur fünfzehn Jahren fordern. Im Gegenteil ist es von ihnen aus wahrscheinlicher, daß der Brüdernaltar am Ende des Jahrhunderts entstanden ist, so wie auch die Plastik auf die Zeit um 1400 weist 22 . Vielleicht wird man auch in diesem Falle das Datum 1383 nur auf eine Mensaweihe beziehen dürfen. Das Langhaus der Brüdernkirche ist nachweislich erst nach diesem Jahre ausgeführt worden; 1388 wird inschriftlich als Baudatum genannt. Die Frage muß offen bleiben, zumal die Malereien sich infolge der starken Übermalung des 19. Jahrhunderts und vielleicht auch schon älterer Zeiten einer eingehenden Untersuchung entziehen. Wichtig ist der Altar der Brüdernkirche durch das Motiv des Arkadenganges, das in der von ihm gefundenen Ausprägung der Hochaltar in der Göttinger Jakobikirche 2 3 übernahm, der, 1402 inschriftlich datiert, 223. die wichtigste Arbeit einer großen Werkstatt ist, die das südliche Niedersachsen weithin beherrschte. Der Jakobialtar zeigt wiederum den in Niederdeutschland zu dieser Zeit sehr verbreiteten Typ des doppelflügeligen Altars, und wie üblich nehmen Malereien nur die äußeren Flügel und die Außenseiten der inneren ein. Geschlossen sind acht Bilder aus der Legende des Titelheiligen der Kirche, des Jakobus major, sichtbar, einmal geöffnet sechzehn Darstellungen aus dem Leben Christi von der Verkündigung bis zur Auferstehung. Ähnlich den Malereien des Brüdernaltars steht auch der Meister dieses Altars „irgendwie zwischen den Zeiten, und Altes und Neues mischt sich in seiner Kunst in unvergleichlicher Weise" J4. Mit dem Braunschweiger hat dieser Göttinger Altar manches Kompositionsmotiv, vor allem aber — wie betont — die architektonische Rahmung der Szenen gemeinsam. Es ist dies ein altes Motiv, das sich schließlich bis zu den Chorschranken des Kölner Domes zurückverfolgen 21

v. Einem a. a. O. S. 25, 67 u. ö. >3 Graf Vitzthum, Der Hochaltar der Jakobikirche in Göttingen, Göttinger Beiträge zur deutschen Kulturgeschichte, 1927, S. 53; auch als Sonderdruck erschienen. 34 A. a. O. S. 60.

178

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Taufe

läßt. Für unser engeres Gebiet scheinen der Merxhauser Flügel und der Altar aus Heiligenstadt16 besonders wichtige Voraussetzungen gewesen zu sein. Wie aber der Maler des Jakobialtars zu den massigen Pfeilerbündeln, den höchst altertümlichen Profilen, flachen Decken kam, was ihn veranlaßte, auf landschaftliche Formen fast völlig zu verzichten und alle Szenen auf Fliesenböden zu stellen, entzieht sich noch immer unserer Kenntnis. „Selbst in den beiden Fällen, in denen das Verständnis des Bildes ohi^e Wiedergabe der Landschaft ganz unmöglich ist, entzieht sich der Maler soweit er nur kann, seiner Verpflichtung: auf der Taufe Christi reduziert er das Flußbild auf einen grauen, wellig umrissenen Streifen über dem darunter sichtbaren Gewand Christi und ¿in paar lose geschichtete Steine, und bei der Landung der Leiche des Jakobus an der spanischen Küste begnügt er sich damit, zwischen das schräg in die Fläche gestellte Boot und den unteren Fliesenboden einige graugrüne Wellenlinien ^u malen*7." Der Brüdernaltar in Braunschweig mag ihm auch hierin Vorbild gewesen sein, erklärt ist damit die Seltsamkeit aber nicht. Denn keiner der beiden Meister kommt als Erfinder in Frage, und von fremd her scheint sie auch nicht übernommen zu sein, wenigstens ist es bisher nicht gelungen, ein Vorbild nachzuweisen, wohl aber findet diese Darstellüngsform sich ähnlich, wenn auch weniger ausschließlich, noch ini einigen anderen niedersächsischen und westfälischen Altären. Für die Bildkompositionen sind die gewichtigen Rahmenarchitekturen völlig bedeutungslos. Jene „entfalten sich, als wären sie nicht vorhanden" 18 . Sie sind keinerlei ästhetische Grenze, und sie bestimmen auch nicht die räumliche Disposition der feildkompositionen. Dieselben Gegenstände überschneiden, obgleich sie völlig flächenparallel gegeben scheinen, auf der einen Seite und werden auf der anderen verdeckt. Die Weiterführung eines Motives vor oder hinter einem Pfeiler scheint völlig dem Zufall überlassen. Überschneidungen sind nicht im Sinne eines räumlichen Hintereinanders, sondern nur als plastisches Geschiebe gemeint. „Das Negieren des Raumes erweist sich ajs Wesensmerkmal dieser Kunst ebenso deutlich, wenn wir von den Rahmen absehen und den inneren Aufbau der Bilder prüfen. Die Raumangaben beschränken sich auf ein Mindestmaß. Geschlossene Innenräume fehlen ganz, Außenansichten von Gebäuden werden nur selten und in .scharfer Abbreviatur gegeben, am empfindlichsten ist die Ablehnung der Landschaft. Auf der ölbergszene wird sie auf eine spärliche Felskulisse und vier dürftige Bäumchen reduziert, die in keinen Raumzusammenhang mit den Figuren tretend." Ebenso altertümlich ist dann auch die Modellierung, die im ganzen noch völlig im Sinne des späten 14. Jahrhunderts arbeitet. Wenn eine gewisse Linearität und Her»J »6 >7 >' *»

Deutsche Mallrei der Gotik II. Abb. 135. Ebenda Abb. 136. Graf Vitzthum a. a. O. S. 63. A. a. O. S. 62. A. a. O. S. 62.

180

Heim« suchung

Abendmahl

Kreuz, anheftung

Ver-

kündigung

Taufe

Kreuz,

tragung

Geburt

be

O

J abnahme

Grablegung

Flucht

im Limbus

Christus

3)

A. a. O. S. 69. Deutsche Malerei der Gotik II. Abb. 1 3 7 — 1 4 1 , 159—165. Graf Vitzthum a. a. O. S. 58. Deutsche Malerei der Gotik II. Abb. 163.

182

Verkündigung

(An-

Geburt

betung)

(Darbringung)

(Kreuzigung)

(ölberg)

(Ge-

Christus

fangen-

•or

nahme)

Pilatus

Kreuztragung

(geöffnet)

Christus in der Vorhölle

(Himmelfahrt)

(Auferstehung)

Pfingsten

(geschlossen) Hannover, Altar aus der Göttinger Marienkirche (Rekonstruktion).

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burt, die Handwaschung des Pilatus und Kreuztragung, auf den Rückseiten Christus in der Vorhölle und das Pfingstfest. Die Vorderseiten stellen die Szenen ebenfalls auf Steinboden zwischen Rahmenarchitekturen, die Rückseiten wie auch die Nikolausberger Bilder verzichten auf sie und geben, wo es der Sinn der Darstellungen erfordert, Gras oder Erdschollen. Dadurch ist der Gesamteindruck stark verändert und der oben betonte Widerspruch weggefallen. Aber auch im einzelnen finden sich mancherlei kleine Unterschiede. Die Gewandbehandlung der Nikolausberger Bilder ist fülliger, die Gesichter sind rundlicher. „Im ganzen wird man die Herbheit der Formbildung vermissen, im einzelnen ergeben sich aber doch so viele Übereinstimmungen, daß der Nikolausberger Altar als eigenhändige Arbeit des Jakobimeisters, vielleicht in einem etwas früheren Stadium seiner Entwicklung, sehr wohl möglich erscheint34." Zu einer früheren Ansetzung des Altars paßt, daß die Legendendarstellungen auf den Türen des Cosmas und Damian-Schreins, der aus dem 225. Bremer Dom in die St. Michaelskirche in München gelangt ist — geschildert sind in je zwei Bildern d u Schlangen- und das Beinwunder —, mit den Köpfen der Apostel im Nikolausberger Abendmahlsbilde in ganz auffallender Weise zusammenstimmen. Nach der zeitgenössischen bremischen Chronik von Rynesberch und Schene ist der Schrein im Jahre 1400 gestiftet worden 35. Die Flügelbruchstücke aus der Göttinger Marienkirche setzen im Schrein die Kreuzigung voraus, denn zu Verkündigung und Geburt auf dem linken Flügel oben gehören Anbetung und Darbringung auf dem rechten oben; Christus vor Pilatus und Kreuztragung auf dem rechten unten fordern ölberg und Gefangennahme auf dem linken Flügel unten. Und außen wären zu Christus im Limbus und der Ausgießung des heiligen Geistes noch Auferstehung und Himmelfahrt zu ergänzet 6 . Dieser Altar ist ganz sicher später als der Altar der Jakobikirche entstanden; man möchte sagen: nach 1404. Denn der Kopf Mariens auf der Verkündigung, ganz allgemein die bewegteren Gesichtszüge der Frauen und die weicheren und reicheren Gewänder setzen Konrad von Soest und dessen Wildunger Altar voraus. Dieses leise Eindringen westlicher und westfälischer Anregungen zeigen auch zwei weitere, in den Kreis der Göttinger Werkstatt gehörige Arbeiten: 224. die Zehngebotetafel im Landesmuseum zu Hannover und eine Tafel aus St. Nikolai in Hannover, die ehemals zum Hauptaltar der Ägidienkirche gehörte. Die Zehngebotetafel stand ehemals höchstwahrscheinlich in der Göttinger Fronleichnamskapelle, die 1319 an einer Stelle erbaut worden war, wo eine aus der Johanneskirche geraubte Hostie wiedergefunden 34 A. a. o. S. 65. 35 Focke, Bremisches Jahrbuch 17 (1895) S. 146ff. 36 Wir folgen damit der Rekonstruktion von Graf Vitzthum S. 66 für die Flügelinnenseiten •ollkommen; für die Außenseiten scheinen uns dagegen nicht Grablegung und Auferstehung, sondern diese und die Himmelfahrt zu ergänzen zu sein, da sonst die historische Reihenfolge nicht gegeben ist.

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worden war. Dieser Raub und die Bedeutung der Hostie als Sinnbild des Opfertodes Christi geben die Erklärung für die seltene Darstellung alttestamentlicher Ereignisse, die Halten und Übertreten der zehn Gebote veranschaulichen? 7. Da auf der erhaltenen Tafel nur sechs Gebote dargestellt sind, müssen auf den fehlenden Flügeln die übrigen vier untergebracht gewesen sein. Der Stil der Zehngebotetafel ist nicht leicht zu bestimmen, wenn auch die Beziehungen zum Jakobialtar und zumal zu den Bruchstücken aus der Marienkirche einwandfrei und gewiß sind. ,,Es ist eine Gelöstheit in ihren Bildern, eine Leichtigkeit in der Ordnung, aber auch in der Gebärdung der Figuren, ein Fluß in den Umrissen, eine Weichheit in der Modellierung, die die herbe Strenge jener Werke hinter sich lassen — hinter sich, nicht nur im Sinne der Qualität, sondern auch der Entwicklung. Die Zehngebotetafel scheint mir jünger als der Jakobialtar, in ihr durchsetzt sich, ganz leise freilich, dessen Art mit dem neuen, vom Westen andringenden, mit dem ,malerischen' Stil. Über alle Einzelanzeichen hinaus ist dafür beweisend, daß nun auf einmal der Raum in den Bildern fühlbar wird, den der Jakobimeister so entschieden negiert38". Weiterhin sind Kostüme, Gürtel, Kopfbedeckungen ein Hinweis, daß der Stil dieser, wohl von einem jüngeren Mitarbeiter stammenden Arbeit von westlichen Einflüssen bestimmt wurde. Nur sind sie sehr anders, weniger modisch, weniger geschmeidig als etwa bei Konrad von Soest und seinem Kreise verarbeitet, sind sie vielmehr in einer merkwürdigen Weise mit den aus dem 14. Jahrhundert überkommenen Formen und mit den vorangegangenen Werken der Göttinger Werkstatt verschmolzen. Diese Verbindung oder Einschmelzung hat sie schwerfälliger und derber gemacht und ihre ursprüngliche Art so verwandelt, daß ihr Ursprung nur undeutlich noch zu erkennen ist. Lockerer und weicher sind aber Malweise wie Zeichnung durch diese, wohl durch Westfalen vermittelten Einflüsse noch immer, wenn man sie, wie es oben geschah, dem Jakobialtar gegenüberstellt. Daß diese Einflüsse in der Tat bestanden haben und daß Westfalen der Vermittler war, das bezeugt einwandfrei die Tafel aus der Nikolaikapelle39, die in neun Feldern Darstellungen aus dem Leben Christi zeigt. Auch ihr Maler kommt noch aus der Tradition der Göttinger Werkstatt, entscheidend hat aber Konrad von Soest seine Art bestimmt. Auf die ursprüngliche künstlerische Herkunft weisen vor allem die Typen der Männer, die architektonischen Motive wie auch die flächige Kompositionsweise und Raumgestaltung hin. Die Gesichter Mariens aber in Verkündigung und Anbetung, die weichen schwingenden Faltensysteme stammen von Konrad von Soest. Verwandt ist eine kleine Tafel mit der Darstellung der Austreibung der Wechsler aus dem Tempel im Landesmuseum in Hannover. Versuchsweise sei endlich diesem Kreise die große Altartafel des Ger37 Fink, Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1924—25 S. 103; Wollens, Alte Altarbilder Göttingens, 1926. 38 Graf Vitzthum a. a. O. S. 67. 39 Habicht, Hannoversche Geschichtsblätter 16 (1913) S. 274.

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manischen Nationalmuseums in Nürnberg eingefügt, die dicht gedrängt fünf Passionsszenen mit der Kreuzigung in der Mitte zeigt. Die Tafel ist ziemlich stark erneuert, und ursprünglich trennten wohl Säulchen die einzelnen Darstellungen, die heute grenzlos und zum Teil sich überschneidend nebeneinander stehen. Die Geißelung hat Plättchenboden, die anderen Szenen haben landschaftlichen. Die Typen wie auch die Kompositionen erinnern an den Jakobialtar, im ganzen zeigt aber der Stil eine größere Ausgeglichenheit. Vielleicht ist diese durch mittelrheinische Einflüsse — man kann an den Friedberger Altar denken — zu erklären. 4Die Zehngebotetafel und der Altarteil aus der Nikolaikapelle sind sicher 228—230. schon im zweiten Jahrzehnt entstanden. Auf sie folgte der Hochaltar der ehemaligen Barfüßerkirche in Göttingen, heute im Landesmuseum zu Hannover, der 1424 datiert das Hauptwerk einer jüngeren niedersächsischen Werkstatt ist. Ob man dabei von einer jüngeren Göttinger Werkstatt sprechen darf, ist sehr fraglich. Vielleicht handelte es sich auch um einen Wandermeister, der mit einigen Gehilfen zwischen den Städten dieses Gebietes, Aufträgen nachgehend, wanderte. Für diese Vermutung spricht; daß eine in die nächste Nähe des Barfüßeraltars gehörende Tafel Godehard und Bernward zeigt, also doch wohl für und in Hildesheim gearbeitet wurde. Der Barfüßeraltar ist ein außerordentlich aufwändiges Werk, ein doppelflügeliger, durchaus gemalter Altar, der geöffnet fast acht Meter in der Breite mißt4°. Künstlerisch ist er ziemlich durchschnittlich, inhaltlich ist er dagegen recht bedeutsam, da zumal der erste und zweite Zustand einige seltene und merkwürdige Darstellungen zeigen. Geschlossen zeigt der Altar vier allegorische Bilder, auf deren wagrechter Trennungsleiste die Stiftungsinschrift mit der Jahreszahl 1424 steht. Auf dem linken 230. Flügel ist unten die Allegorie auf die Menschwerdung Christi, die Hostienmühle, dargestellt, darüber der Zwölfjährige im Tempel inmitten der Schriftgelehrten. Auf dem rechten Flügel findet sich unten eine sehr seltsame Darstellung, der das Vesperbild zugrunde liegt, aber Maria trägt nicht Christus, sondern einen Sarkophag mit dem eingehüllten Leichnam auf dem Schoß, während sie in der rechten Hand das Kruzifix, in der Linken den Auferstehenden hält. Seitlich von ihr knien die Vertreter geistlicher und weltlicher Obrigkeit. Über diesem Bilde ist endlich Christus dargestellt, wie er Pestpfeile aussendet, von denen eine Anzahl auf dem Boden liegender Menschen getroffen sind, während Maria andere auffängt und Franziskus mit Antonius und Klara fürbittend sich zu ihm wenden. Zusammen versinnbildlichen diese vier Darstellungen Menschwerdung, Lehramt, Erlösungswerk und Richteramt Christi. Maria erscheint dabei als Ursprung, Zeugin, Mittlerin und Fürbitterin. Mit dem Inhalt dieses ersten Zyklus geht unmittelbar der zweite zusammen, der die 4° Behrens, Der Göttinger Barfüßer-Altar, Göttinger Diss. 1937, die ich im Manuskript einsehen durfte.

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Mariens Vermählung

Begegnung Joachims mit Anna

Verkündigung an Verkündigung Joachim

Mariens Tempelgang

Mariens Geburt

Christi Geburt

Heimsuchung

Dornenkrönung

Christus vor Pilatus

Christus am Kreuze

Christus vor Herodes

Die hl. drei Könige

Der hl. Georg

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Mariens Krönung

Mariens Tod

Darstellung im Tempel

Träger zeigt, die Christi Lehre, getragen vom Alten Testament, in der Welt verbreiteten. Er schildert das Credo: auf Fliesenboden stehen auf jeder Tafel drei Apostel, und über ihnen läuft ein Baldachinfries entlang, in dessen Öffnungen Propheten und Kirchenväter erscheinen. Die Festtagsseite endlich zeigt in der Mitteltafel die Kreuzigung, die seitlich in der von westfälischen Altären bekannten Art je drei Bilder begleiten, und zwar ölberg, Christus vor Herodes, Christus vor Pilatus, Verspottung. Dazu zu oberst links die Stigmatisation des Franziskus und St. Georg den Drachen tötend. Die Bilder auf den Flügeln schildern in zwölf Bildern das Marienleben von der Verkündigung an Joachim bis zur Krönung. So veranschaulicht diese Wandlung das Leben und Wirken von Christus und Maria, auf das allegorisch die beiden ersten hinweisen. Die Darstellung der Stigmatisation darf bei einem Barfüßeraltar nicht verwundern; der Drachentöter ist wohl ein Hinweis auf die ritterlichen Stifter. Am Fuß des Kreuzes knien zwei kleine Figürchen mit Spruchbändern. Links ist dargestellt der auch in der Inschrift als Leiter des Konvents genannte frater luthelmus. Er war nicht der Stifter; von den Stiftern geben vielmehr die Wappen unter den Aposteln Kunde: es waren Grafen und Herren aus der Göttinger Umgebung. Viel Verwirrung hat der zweite kniende Franziskaner angerichtet, der frater henricus duderstadt genannt wird. Man hat in ihm den Maler erkennen wollen, doch hat Behrens überzeugend nachgewiesen, daß es sich vielmehr um den Obersten der Kustodie handeln dürfte, der vielleicht auch das vielteilige Darstellungsprogramm aufstellte. Raumlos und flächig sind auch die Bilder dieses Altars komponiert. Dicht gedrängt sind die Köpfe der Figuren in der Kreuzigung übereinandergestaffelt. Landschaftliche und architektonische Motive werden nur soweit gegeben, als sie für den Bildinhalt bedeutsam sind. Raumschaffend sind sie nicht, und ebensowenig stehen sie zu den Figuren in einer formalen Beziehung. Nur die Möglichkeit, mannigfache Blumen und Blüten zu schildern, scheint dem Maler ein Anreiz zu landschaftlichen Schilderungen gewesen zu sein. Und unplastisch, körperlos sind folgerichtig dann auch die Figuren. Schlaff und schlauchartig, linienhaft sind die Falten — mehr gezeichnet denn modelliert. Das ist überhaupt ein Merkmal dieses Künstlers. Nur in den Gesichtern gibt er vielleicht den Nasen eine derbknollige Rundung, sonst zeichnet er mit harten, starren oder schlaffen Linien. Ausdruckslos, maskenhaft sind die Gesichter seiner Figuren. Er war kein großer Maler und Künstler. Aber man darf nicht verkennen, daß bei aller provinziellen Derbheit, die ihn vom Meister der Goldenen Tafel scheidet, doch mancherlei Gemeinsames vorhanden ist. Auch bei diesem war die Flächigkeit der Bildgestaltung, die Betonung der Linie auffallend. Und nimmt man hinzu, wie der hölzernen Starrheit der Göttinger Figuren ein tiefer Ernst innewohnt, wie auch diese Bilder Festigkeit, Ruhe und eine mitunter gewiß nüchterne Sachlichkeit auszeichnet, so darf man diese Gemeinsamkeit gewiß als niedersächsische Eigenart anerkennen. Es ist eine Kunst der Prosa, wie es auch die Bertrams oder des Lüneburger Meisters war. 188

Der Maler des Barfüßeraltars war Erbe und Nachfolger des Malers des Jakobialtars von 1402. Von diesem hat er die entscheidenden Grundlagen, ja den Charakter seiner Kunst: die Raumlosigkeit, die Betonung der Figuren in den Bildkompositionen, die derben Typen, überhaupt die Trockenheit und Nüchternheit. Und über diesen älteren Maler ist er noch immer mit der Kunst Bertrams verbunden, wie das Heimsuchungsbild oder die Verkündigung an Joachim zeigen, die deutlich noch an Darstellungen des Buxtehuders Altars anknüpfen. So erklärt sich die auffallend altertümliche Haltung seines Werkes. Unschöpferisch lebte und zehrte er von überliefertem Gut, vor allem von dem, was ihm seine heimatliche Werkstatt und Lehre gegeben hatte. Daneben war sodann Konrad von Soest von ausschlaggebender Bedeutung. Sowohl die Kreuzigung des Wildunger Altars, wie die des verlorenen, im Soester Paulialtar nachgeahmten, wie auch der Dortmunder Altar — man vergleiche den Marientod — haben auf den Maler des Barfüßeraltars gewirkt, haben ihm Kompositionsformen wie einzelne Gesichtstypen und Faltenmotive übermittelt. Aber wenn er dann gar nichts von der Lebendigkeit Konrads, kaum landschaftliche oder modische Formen verwendet, wenn er seine Kreuzigungsdarstellung ausschließlich mit Figuren aufbaut, wenn er in der Anbetung und anderen Bildern auf die bei Konrad so beliebten Säulchen, Dächer und Baldachine verzichtet, so eben weil er dessen Kunst innerlichst nicht verstand und nicht verstehen konnte auf Grund seiner Art, die darin gewiß sehr niedersächsisch war, und auf Grund der Voraussetzungen, die er aus seiner Lehrzeit in der älteren Werkstatt mitbrachte. Diese Bindung war für seine Kunst entscheidender als alles andere, was um ihn vorging, was im Westen geschah, was Konrad oder der Meister der Goldenen Tafel neben ihm taten. Von der Hand des Barfüßeraltar-Meisters stammen zweifellos auch die beiden Täfelchen des Landesmuseums in Hannover, die zwei weibliche Heilige in Halbfiguren zeigen. Wahrscheinlich gehörten sie zu der Predella des Barfüßeraltars. Weiterhin gehören in die Nähe eine kleine Tafel in der Stuttgarter Galerie, die Christus als Gärtner mit der neben ihm 231knienden Maria Magdalena zeigt, und ein Flügel mit sechs Heiligen in der Hamburger Kunsthalle. Beide sind wohl nicht im engsten Sinne eigenhändig, stehen aber im ganzen der Art des Meisters so unmittelbar nahe, daß man in ihnen Werkstattarbeiten sehen darf. Die Proportionen der Figuren sind gedrungener, die Gesichter plastischer modelliert. Die auf der Hamburger Tafel dargestellten Heiligen — es sind neben Petrus, 233Paulus, Johannes Ev. und Hermagoras die beiden Hildesheimer Heiligen Godehard und Bernward — machen es wahrscheinlich, daß diese Tafel für eine Hildesheimer Kirche und wohl auch in dieser Stadt gemalt worden ist. Daß Hildesheim ein wichtiger Platz für das künstlerische Schaffen dieser Landschaft war, beweist die Plastik, wenn man auch seine Stellung nicht zu ausschließlich nehmen darf-*1, sondern eine gewisse Fluktuenz zwischen den Städten anerkennen muß4>. 4" Habicht, Die mittelalterliche Plastik Hildesheims, 1 9 1 7 . 4» 7. Einem a. a. O. S. 22 u. ö.

189

Für diese Tatsache spricht auch, daß wir die Art des Barfüßeraltars in einem weiteren Sinne noch in zwei am Harz gelegenen Städten beobachten können. Es handelt sich hier nicht mehr um Werkstattarbeiten, aber daß ihre Maler von jenem großen Altar ausgegangen sind, ist unverkennbar. Noch recht nahe stehen die Malereien auf den Flügeln des Altars in der Quedlinburger Ägidienkirche, der aus der Benedikti-(Markt-) Kirche stammt. Sie zeigen — die Gliederung des Schreines weiterführend — Apostel unter Baldachinen und darunter Propheten in kleinen Nischen. Einzelne Figuren scheinen ziemlich wörtlich entliehen. Derber und härter 227. ist ein niedriger Altar im Goslarer Museum, der unter einem Baldachinfries die Dreieinigkeit, begleitet von Maria und Johannes, und auf den Flügeln je zwei Heilige zeigt. Da die Apostel Judas Thaddäus und Simon dargestellt sind, muß der Altar aus dem ehemaligen Dom stammen, da weiterhin auf dem linken Flügel neben Katharina Johannes Ev., mit dem Täufer auf dem Mittelteil, also beide Johannes dargestellt sind, so hat diese Tafel sicherlich auf einem uns überlieferten Johannesaltar gestanden. Wenn man den Quedlinburger noch in das dritte Jahrzehnt setzen darf, so ist dieser gewiß schon im vierten entstanden. 5Von anderen Hildesheimer Arbeiten sind vor allem der große Altar aus der Lambertikirche zu nennen, von dem die Mitteltafel mit der Kreuzigung 23a. und vier Nebenszenen aus der Passion, sowie zwei Flügelteile im Römer museum aufbewahrt werden, während sechs nach Schloß Langenstein bei Halberstadt und vier andere ins Braunschweiger Museum gekommen sind. Der Altar läßt sich aber noch rekonstruieren; nur eine Tafel ist verlorengegangen. Die Flügelinnenseiten brachten, den Zyklus der Mitteltafel fortführend, acht weitere Szenen aus der Passion; die Außenseiten Darstellungen aus dem Leben der Apostelfürsten, die sämtlich, soweit erhalten, sich auf Schloß Langenstein befinden43. Aus einer Stiftung des Jahres 1433 geht hervor, daß der Altar als Hochaltar der Kirche damals vorhanden gewesen sein muß. Zum Barfüßeraltar bestehen keine unmittelbaren Beziehungen, nur knüpft der Lambertialtar ebenso an jenen verlorenen Kreuzigungsaltar Konrads und dazu an Werke aus dessen Nachfolge, wie den Warendorfer Altar, ann. Wie die Kreuzigungsdarstellungen dieser Altäre gibt auch der Lambertialtar Berittene und vielerlei Genremotive unterm Kreuz. Und auch bei den übrigen Szenen ist der Zusammenhang so eng, daß man annehmen muß, der Maler habe in der Münsterer Werkstatt, aus der der Warendorfer Altar hervorging, gelernt. Und wiederum setzt der Maler den Stil der westfälischen Arbeiten in eine trockene, hartlinige Manie um. Die Figuren sind untersetzt und gedrungen, ihr Ausdruck ist aber lebendiger als im Barfüßeraltar, und man darf darin wohl einen Maßstab für die Stärke des westfälischen Einflusses erkennen. Dieser hat viel tiefer als bei jenem Göttinger Altar gewirkt, ja er hat, ver43 Meier, Werk und Wirkung des Meisters Conrad von Soest, 1921 S. 73ff. So Behrens a. a. 0. 190

glichen mit diesem, dem Lambertialtar (4 manchmal sogar etwas wie eine gewisse £•a £u Leichtigkeit und Flüssigkeit gegeben. i -g«C u« .§ „Bei aller Verschiedenheit des Stiles sind ••3 O X Verhaltenheit der Bewegung und Stille des Ausdrucks beiden Altären gleicherM C maßen charakteristisch 45." Dieses nieder3 I I) b W •C sächsische Temperament verbindet ihre c § Meister am Ende doch, die nur durch £ i die verschiedenen Voraussetzungen sich 3 in ihrer Sprache unterscheiden. hCO Ebenfalls aus Hildesheim, aus der 3C Godehardikirche, stammt der heute in 5 2 S. der evangelischen Pfarrkirche zu Gronau 'S c stehende Schnitzaltar, dessen Flügel•foa» m • M außenseiten Kreuzigung und Christus als H Weltenrichter zeigen. Für die Kreuzigung ts co war der Wildunger Altar Vorbild. Der •M v X Zusammenhang mit dem Lambertialtar ist nicht eindeutig festzulegen, werkstättv •G liche Beziehungen müssen aber bestanden Ji haben. Diesem Altar fügen sich sodann '•5 die Malereien auf den Flügelaußenseiten ü B des Altars der St. Sixtikirche in Northeim a 43 •J O an, die Geißelung und Kreuztragung darstellen. Endlich sind von Hildesheimer Arbeiten noch zu nennen in der Sakristei der Magdalenenkirche kleine Bildchen der Frauen am Grabe, Mariens • s? N C 31 mit dem Kinde und der Magdalena am 3 3 o bfi •3 2 Fuß eines Holzkruzifixes, vor allem aber a 5 5 * die eindrucksvollen Malereien auf den e ä Außenseiten der Flügel des Trinitatis-1 altars, heute ebenfalls im Römermuseum. bfl C „ C V Be 3 Sie zeigen eine über beide Flügel greiM •C ? fende Darstellung der Kreuztragung, eine "S e X u ¡6 großfigurige, großzügige Komposition. 8 Zum Lambertialtar bestehen gar keine 3 n Beziehungen. Verschiedene Einflüsse, nicht zuletzt wohl von der Goldenen ja Tafel, haben den Stil bestimmt. Malereien 5 •S •Q 4> < wie die Altarflügel aus Celle in Hannover g X kann man sich gut als Voraussetzung denken. Damit ist eine Entstehung vor dem dritten Jahrzehnt unmöglich, und früher ist wohl die Großformigkeit der Gestalten auch nicht K S M I \ S I-. U M

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