Der deutsch-israelische Dialog: Band 3 Teil I, Politik [Reprint 2021 ed.] 9783110734041, 9783598219436

Die achtbändige Edition dokumentiert in thematisch angeordneten Kapiteln die wichtigsten Stationen der deutsch-israelisc

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German Pages 651 [656] Year 1988

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Der deutsch-israelische Dialog: Band 3 Teil I, Politik [Reprint 2021 ed.]
 9783110734041, 9783598219436

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Teil I: Politik Band 1 - 3 [Namensregister von Teil I in Band 3]

Teil II: Wirtschaft/Landwirtschaft Band 4 - 5 [Namensregister von Teil II in Band 5]

Teil III: Kultur Band 6 - 8 [Namensregister von Teil III in Band 8]

K-G-Saur München • NewYork-London • Paris 1988

Der deutsch-israelische Dialog Dokumentation eines erregenden Kapitels deutscher Außenpolitik Herausgegeben von Rolf Vogel Teü I: Politik Band 3

K-C.-Saur München-NewYork-London-Paris 1988

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Der deutsch-israelische Dialog : Dokumentation e. erregenden Kap. dt. Außenpolitik / hrsg. von Rolf Vogel. - München ; New York ; London ; Paris : Saur. ISBN 3-598-21940-7 NE: Vogel, Rolf [Hrsg.] Bd. 3 : Teil I, Politik. - 1988 ISBN 3-598-21943-1

Alle Rechte vorbehalten / All Rights Stricdy Reserved K.G. Saur Verlag, München 1988 Printed in the Federal Republic of Germany Druck/Binden: Graphische Kunstanstalt Jos. C. Huber, Dießen/Ammersee ISBN 3-598-21940-7 (Gesamt) ISBN 3-598-21943-1 (Band 3)

Inhaltsverzeichnis 46 46.1 46.2 46.3 46.4 46.5 46.6 46.7 46.8

47 47.1 47.2 47.2.1 47.2.2 47.2.3 47.2.4

48 48.1 48.2 48.2.1 48.2.2 48.2.3 48.3 48.3.1 48.3.2 48.4

Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident Aus dem Lebenslauf des neuen Bundespräsidenten Die Rede Rainer Barzels Die Vereidigung von Richard von Weizsäcker am I.Juli 1984 . . . . Aus der Ansprache des scheidenden Bundespräsidenten Prof. Karl Carstens Aus der programmatischen Rede Richard von Weizsäckers Die Schlußansprache des bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß Glückwünsche für den neuen Bundespräsidenten aus Israel und aus jüdischen Kreisen Rückblick auf die Amtszeit des scheidenden Präsidenten

1061 1061 1062 1064 1066 1068 1072 1073 1075

Gedenken an den „Röhm-Putsch" 1934 und an den 20. Juli 1944 1080 Bundeskanzler Helmut Kohl zum 50. Jahrestag des 30. Juni 1934 . . 1080 Zum vierzigjährigen Gedenken an den 20. Juli 1944 1081 Ein interkonfessioneller Gottesdienst an der Hinrichtungsstätte in Berlin-Plötzensee 1081 Gedenkstunde im Bendlerblock in der Stauffenbergstraße in Berlin . 1082 Erster Empfang des neuen Bundespräsidenten im Schloß Bellevue . 1095 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in einer Gedenkstunde des Auswärtigen Amtes für Opfer des Hauses 1098

Bundesrepublikanische Aktivitäten um den Nahen Osten Die deutsch-israelische Parlamentariergruppe — ein wichtiger Faktor der deutsch-israelischen Beziehungen Bedeutende Besuche aus dem Nahen Osten in Bonn Der jordanische Kronprinz Hassan führt Gespräche mit Hans-Dietrich Genscher, Jürgen Warnke und Helmut Kohl Im Mittelpunkt der Gespräche beim Besuch von Tarik Aziz steht der Golf-Konflikt Herbst 1984: Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak kommt erneut nach Bonn Grundsatzreden von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zur deutschen Politik im nahöstlichen Raum Zum 50jährigen Jubiläum des Nah- und Mittelostvereins Vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen Ministerkonferenz der Europäischen Gemeinschaft in Dublin Schlußfolgerungen Nah- und Mittelost

1106 1106 1108 1108 1111 1115 1125 1125 1132 1133 V

Inhaltsverzeichnis 49 49.1 49.2 49.3 49.4 49.5 49.6 49.7 49.7.1 49.8

Die achte deutsch-israelische Konferenz in Bonn 1136 Ein Grußwort von Helmut Kohl 1136 Ansprache des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Alois Mertes . . 1137 Bundestagspräsident Philipp Jenninger: Solidarität gegenüber dem jüdischen Volk und Israel 1138 Reinhard Schlagintweit: „Die deutsch-israelischen Beziehungen als Bestandteil der Nahost-Politik der Bundesregierung" 1140 Hans Stercken, MdB: Die Sicherheit Israels aus europäischer Sicht. . 1147 Die Resolution 1149 Das Arbeitspapier des Jugendforums 1151 Resolution des Jugendforums 1152 Aspekte der Deutsch-Israelischen Konferenz - der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zieht Bilanz 1152

50

Eine Delegation der Grünen reist in den Nahen Osten

1154

50.1 50.2 50.3 50.4

Das Papier der Grünen zu ihrer Nahost-Reise Die Reaktion der israelischen Botschaft Das Echo auf die grüne Nahost-Reise Die Botschaft des Staates Israel nach d e r Rückkehr der Delegation am 3. J a n u a r 1985

1154 1158 1159 1160

51 51.1

Reisen und Staatsbesuche bundesdeutscher Politiker 1162 Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum Staatsbesuch in Jordanien u n d Ägypten 1162 51.1.1 Die Ansprache des Bundespräsidenten bei einem Abendessen mit König Hussein 1162 51.1.2 Dankbotschaft an König Hussein 1166 51.1.3 Der Bundespräsident in Ägypten 1167 51.1.3.1 Die Ansprache des Bundespräsidenten bei einem Abendessen in Kairo 1167 51.1.3.2 Dankbotschaft an Präsident Mubarak 1171 51.1.4 Äußerungen des Bundespräsidenten zu seiner Reise nach Amman und Kairo 1172 51.1.5 Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zur Reise des Bundespräsidenten 1175 51.2 51.3 51.4 51.4.1 51.4.2 51.4.3 51.4.4 51.4.5

VI

Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, besucht Israel Das erste Echo auf die bevorstehende Reise des Bundespräsidenten nach Israel Franz-Josef Strauß in Israel Ein Interview mit J ü r g e n Sudhoff Die Reise Ein Interview nach der Rückkehr Die Erklärung von Eric Blumenfeld zur Strauß-Reise Kritik an Strauß aus Moskau

1175 1181 1183 1183 1185 1185 1187 1188

Inhaltsverzeichnis 52 52.1 52.1.1 52.1.2 52.1.3 52.2 52.2.1 52.2.2 52.2.3 52.2.4 52.2.5 52.2.6 52.2.7 52.2.8 52.3

53 53.1 53.1.1 53.1.2 53.1.3 53.2 53.2.1 53.2.2 53.2.3 53.3

54 54.1 54.2 54.3

VierzigJahre danach — Gedenken an die Befreiung der Konzentrationslager in Auschwitz, Bergen-Belsen und Flossenbürg 1190 Erinnerung an Auschwitz - Gedenkstunde im Jüdischen Gemeindehaus Berlin 1190 Die Ansprache Heinz Galinskis 1191 Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen . . . . 1196 Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin, Peter Rebsch . . 1198 Vierzigster Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers BergenBelsen 1201 Die Begrüßungsansprache Werner Nachmanns 1201 Nathan Peter Levinson liest Psalmen 1205 Bundeskanzler Helmut Kohl hält die Hauptrede 1207 „So war es..." — Lola Fischel, eine Überlebende, berichtet 1213 Grußbotschaft des US-Präsidenten Ronald Reagan 1214 Der Präsident der Organisation der Überlebenden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, Chaim Posluszny, spricht am jüdischen Mahnmal 1215 Zum Abschluß das Totengebet Kaddish 1217 Chronologie des Lagers Bergen-Belsen 1218 Vor vierzig Jahren wurden in Flossenbürg sieben führende Männer der deutschen Abwehr gehängt 1221 ZwanzigJahre diplomatische Beziehungen zu Israel Die Tagung der Landeszentrale für Politische Bildung in NordrheinWestfalen Die Ansprache des Kölner Bürgermeisters Heribert Blens Der Nordrhein-Westfälische Ministerpräsident Johannes Rau . . . . Der Botschafter des Staates Israel, Yii/Iiak Ben Ari, zieht Bilanz . . . Grüße und Glückwünsche an Israel Richard von Weizsäcker schreibt an Chaim Herzog Telegramm von Bundeskanzler Helmut Kohl an Ministerpräsident Shimon Peres Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sendet ein Fernschreiben an seinen israelischen Amtskollegen Yitzhak Shamir . . . . Die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Hans-Jochen Vogel Der 8. Mai 1985 — Gedenken an 40 Jahre Kriegsende Ein Interview mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Alois Mertes Alois Mertes bei der 79. Jahresversammlung des American Jewish Comittee (AJC) in New York „Dank an unsere Befreier" — Die jüdische Gemeinschaft Bonn legt einen Kranz nieder

1229 1229 1229 1232 1239 1245 1245 1246 1247 1248 1249 1249 1252 1263 VII

Inhaltsverzeichnis 54.4 54.4.1 54.4.1.1 54.4.1.2 54.4.2 54.4.2.1 54.4.2.2 54.4.2.3 54.5

Ronald Reagan in der Bundesrepublik 1265 Besuch des Konzentrationslagers Bergen-Belsen 1265 Die Worte des amerikanischen Präsidenten 1266 Christliche Gebete 1268 Der amerikanische Präsident auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg . . 1269 Die Zeremonie 1270 Der Dank des Bundeskanzlers 1274 Nicht alle jüdischen Stimmen sind negativ 1276 Stunde des Gedenkens am 8. Mai im Deutschen Bundestag 1277

54.5.1 54.5.2 54.6 54.6.1 54.6.2

Die Eröffnungsrede von Bundestagspräsident Philipp Jenninger Die Rede d^s Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ökumenischer Gottesdienst am 8. Mai 1985 im Kölner Dom Die Predigt des Landesbischofs Eduard Lohse Die Ansprache des Kölner Kardinals Joseph H ö f f n e r

55

Die Debatte um die Verfolgung von NS-Verbrechen begleitet den deutschisraelischen Dialog Die „Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen" in Ludwigsburg

55.1

. . 1278 1281 1291 1292 1294

1298 1298

55.1.1

Verleihung der Ehrendoktorwürde an Oberstaatsanwalt a. D. Dr. Rückerl in Stuttgart 55.1.1.1 Aus der Laudatio von Prof. Jäckel 55.1.1.2 Der Dank Dr. Rückerls 55.1.2 Dr. Rückerl zieht Bilanz 55.1.3 Das grausame Kapitel der NS-Verbrechen in nüchternen Zahlen . . .

1298 1300 1302 1303 1305

55.2

Die Bundestagsdebatte um die „Auschwitz-Lüge"

1306

56 56.1 56.2

Zwei Reisen bundesdeutscher Politiker nach Israel 1330 Delegationsreise von zwei Abgeordneten der Freien Demokraten . . 1330 Bundesminister Jürgen Warnke: Wir können von Israel lernen . . . 1333

57 57.1

Initiativen gegen den Terror und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker . 1336 Die Europäische Konferenz für Menschenrechte und Selbstbestimmung 1336

57.1.1 57.1.2

Ein Interview mit Rolf Tophoven Ein Gespräch mit Hans Graf Huyn

57.2

„Die politische Bedrohung von Freiheit und Selbstbestimmung durch den Totalitarismus" — eine Fachtagung in Bern

57.2.1 57.2.2 57.2.3

Die Ansprache von Hans Graf Huyn Der Präsident der EKMS, Kurt Müller Der leitende Regierungsdirektor der Bundeswehrschule f ü r psychologische Verteidigung, J. Klein Ein Interview mit dem Leiter des Schweizer Ostinstituts, P. Sager

57.2.4 VIII

1336 1339 1341 1342 1343 1344 . . 1345

Inhaltsverzeichnis 57.3 57.4 57.5

58 58.1 58.2 59 59.1 59.2 59.3 59.3.1 59.3.2 59.4 59.4.1 59.4.2 59.5

60 60.1 60.1.1 60.1.2 60.2 60.2.1 60.2.2 60.3

Über die Zusammenarbeit der PLO mit Moskau 1347 Claus Jäger setzt sich für die Freiheit der jüdischen Minderheit in der Sowjetunion ein 1349 Die Lage der Juden in der Sowjetunion vor dem Plenum des Deutschen Bundestages 1350 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in Damaskus, Kuwait und Kairo Ein Interview mit der Deutschen Welle Ein Interview für die Hörfunkanstalten der ARD

Zum ersten Mal: Ein deutscher Bundespräsident beim Staatsbesuch in Israel . 1363 Das Programm der Reise 1363 Begrüßung auf dem Ben Gurion-Flughafen 1365 Politik bei Tisch 1366 Die Tischrede Chaim Herzogs 1366 Die Antwortrede des Bundespräsidenten 1370 Ehrendoktorwürde des Weizmann-Instituts für Richard von Weizsäcker 1375 Die Laudatio 1375 Die Dankansprache des Bundespräsidenten 1377 Im Anschluß an die Reise: Eine aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag zum Thema „Rüstungsexport nach Saudi-Arabien" . . . . 1379 Christlich-jüdische — deutsch-israelische Tagungen und Begegnungen . . . . 1391 Die 9. Deutsch-israelische — Israelisch-deutsche Tagung in Tel Aviv . 1391 Die Resolution 1391 Die Resolution des deutsch-israelischen Jugendforums 1393 „Selbstbehauptung in der Not — die Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933—1939" —Die Internationale Historikertagung des Leo-Baeck-Instituts 1395 Die feierliche Eröffnung durch Rabbiner Max Gruenewald 1395 Die Rede von Bundeskanzler Helmut Kohl 1396 Bundestagspräsident Philipp Jenninger bei einer Feierstunde der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V., Stuttgart . 1400

61

Eine „Pilgerfahrt zu den Stätten des Grauens"

62

Die Bundesrepublik unterhält gute Beziehungen zu Israel und zu den arabischen Ländern Shimon Peres in der Bundesrepublik Bundestagspräsident Philipp Jenninger bei einem Mittagessen zu Ehren von Shimon Peres

62.1 62.1.1

1359 1360 1361

1411

1416 1416 1422 IX

Inhaltsverzeichnis 62.1.2

Die Ansprache des Bundeskanzlers beim Abendessen im Palais Schaumburg 62.1.3 Das Tagesprogramm vom 29. J a n u a r 62.1.3.1 Die Ansprache Heinz Galinskis in der jüdischen Gemeinde zu Berlin . 62.1.3.2 Der Regierende Bürgermeister bei der Eintragung von Shimon Peres ins Goldene Buch der Stadt 62.1.3.3 Shimon Peres vor einem Kreis von Journalisten 62.1.4 „Aktive deutsche Mitwirkung am Friedensprozeß im Nahen Osten" — ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Hans Stercken 62.2 Der Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak 62.2.1 62.2.2 62.3 62.4 62.4.1 62.5 62.6 62.7 62.7.1 62.7.2

1423 1427 1428 1430 1432

1436 1438

Hans-Dietrich Genscher spricht mit Mubarak 1439 Zum Abschluß des Besuches: Pressekonferenz von Bundeskanzler Helmut Kohl und Hosni Mubarak 1439 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher besucht Marokko und Tunesien 1443 Bundesverteidigungsminister Wörner besucht Israel 1444 „Es war eine spektakuläre Reise" — Ein Gespräch auf dem Rückflug . 1447 Studienreisen der Bundeswehr nach Israel 1449 Johannes Rau, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, erhält die Ehrendoktorwürde der Universität Haifa 1450 Die Reise des Präsidiums des Deutschen Bundestages nach Israel . . 1452 Die Begrüßungsworte des Speakers der Knesset f ü r Bundestagspräsident Philipp Jenninger 1455 Ein Abendessen f ü r die deutschen Gäste auf Einladung von Shlomo Hillel, dem Vorsitzenden der Knesset, am 19. Mai 1986 . . . 1456

62.7.2.1 Die Rede Shlomo Hilleis 1456 62.7.2.2 Die Rede Philipp Jenningers 1458 62.7.3 14 Punkte für die zukünftige Arbeit der israelisch-deutschen Parlamentariergruppe 1460 62.7.4 Die Rede Philipp Jenningers anläßlich eines Abendessens am 20. Mai 1986 1461 62.7.5 Brief des Oberbürgermeisters von Horb an die Gemeinde Shavez Sion . 1465 62.7.6 Die Rede Philipp Jenningers anläßlich eines Mittagessens auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft am 22. Mai 1465 63 63.1 63.2 63.3

Eugen Gerstenmaier stirbt in Bonn Die Ansprache des Bundespräsidenten Der Präsident des Deutschen Bundestages Bundeskanzler Helmut Kohl tritt als letzter ans Rednerpult

1467 1467 1469 1472

64 64.1

Antisemitismus und Rassismus Arbeiten des Untersuchungsausschusses zum Wiederaufleben des Faschismus und Rassismus in Europa

1476

X

1476

Inhaltsverzeichnis 64.1.1 64.1.2 64.1.3 64.2

65 65.1 65.2 65.3

66 66.1 66.2 66.3 66.3.1 66.3.2 66.4 66.5 66.6 66.7 66.8 66.9 67 67.1 67.2 67.3 67.4 67.5

Internationale Verbindungen Bilanz Ursachenforschung „Die Verantwortung aller demokratischen Parteien gegenüber Anfängen antisemitischer Tendenzen" — Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag

1479 1480 1482

Der 42. Jahrestag des Attentats gegen Hitler „Wir danken f ü r das Erbe" — Gedenkfeier im Hof des ehemaligen Oberkommandos der Wehrmacht Die Rede Heinz Westphals anläßlich einer Gedenkfeier der Bundesregierung, des Berliner Senats und der Stiftung „Hilfswerk 20. Juli 1944" Die Ausstellung in den Räumen des ehemaligen Oberkommandos der Wehrmacht

1498

Verständigung und Terror liegen dicht beieinander Das T r e f f e n von Shimon Peres u n d Hosni Mubarak Israels Botschafter Yitzhak Ben Ari zum internationalen Terrorismus

1485

1500 1501 1508 1511 1511

1512 Empörung über die Terroristen in aller Welt 1513 Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaft f ü r ChristlichJüdische Zusammenarbeit e.V 1513 Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Eric Blumenfeld 1514 „Frieden in Freiheit — Ziel des Westens" - Eine Fachtagung der Europäischen Konferenz f ü r Menschenrechte und Selbstbestimmung . . . . 1514 Shimon Peres zum internationalen Terrorismus u n d zu den Beziehungen zwischen Israel und der UdSSR 1534 Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, 1535 Axel Wernitz, zu Antiterrormaßnahmen Ministerpräsident Shamir fordert Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Syrien — Ein Interview mit der „Bild-Zeitung" . . . . 1536 Die Bundesregierung ergreift Maßnahmen gegen Syrien 1537 Auch die israelische Botschaft nimmt zur syrischen Haltung Stellung . 1541 Die 10. Deutsch-Israelische Konferenz Eröffnung durch Bundestagspräsident Philipp Jenninger Die Ansprache des Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Eric Blumenfeld Grußwort von Annemarie Renger Yitzhak Artzi — „Wachsender Jugendaustausch zwischen Israel und der Bundesrepublik" Die Rede des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Lutz G. Stavenhagen

1542 1542 1545 1547 1548 1549 XI

Inhaltsverzeichnis 67.6 67.7

Asher Ben Nathan zum hundertsten Geburtstag Ben Gurions — dem Denker, Ideologen, Pionier, Staatsmann u n d Befehlshaber Resolution zur Pressekonferenz am 12. November 1986

68

Zum 48. Mal: Gedenken an die Zerstörung der Synagogen

69

Die Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus ist noch nicht abgeschlossen Eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu Enntschädigungsleistungen f ü r ehemalige Sklavenarbeiter der deutschen Industrie Eine Drucksache des Deutschen Bundestages — Überblick über die bisherigen und die noch zu erbringenden Leistungen Der Deutsche Bundestag diskutiert mehrere Anträge u n d Drucksachen zur Frage d e r Entschädigungen Neue Verhandlungen über die Wiedergutmachung im Herbst 1987 .

69.1 69.2 69.3 69.4 70 70.1 70.2 70.2.1 70.3 70.4

71 71.1 71.1.1 71.1.2 71.2 71.3 71.4 71.4.1 71.4.2

„Geschichte einer Austreibung" — Erinnerung an die nationalsozialistische Judenverfolgung Die Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen 1987 — ein Gespräch mit Oberstaatsanwalt Streim „Die jüdische Emigration aus Deutschland" — Eine Ausstellung . . . . Aus dem Vorwort des Katalogs Von Berlin nach Jerusalem: Der Richter am Obersten Gerichtshof in Israel, Gabriel Bach, berichtet aus seinem Leben Interview mit Heinz Eyrich über die Zukunft der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg

1554 1561 1563

1566

1566 1567 1571 1587

1597 1597 1600 1601 1605 1612

Derfünftägige Staatsbesuch des israelischen Staatspräsidenten Chaim Herzog. 1615 Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen 1615 Die Zeremonie am jüdischen Gedenkstein 1615 „Bergen-Belsen - Geschichte des Aufenthaltslagers 1943-1945" . . . 1617 Ein Empfang auf Schloß Augustenburg 1623 Der zweite T a g des Staatsbesuches 1631 Der dritte T a g gilt der deutsch-jüdischen Vergangenheit 1640 Zur Eintragung ins Goldene Buch der Stadt Worms 1641 Ministerpräsident Bernhard Vogel hält die politische Begrüßungsansprache 1642 71.4.3 Die Antwort des israelischen Staatspräsidenten 1644 71.4.4 Besuch der jüdischen Stätten 1645 71.4.4.1 Die alte Synagoge zu Worms - Übersicht über die wichtigsten Daten ihrer Geschichte 1645 71.4.4.2 Die jüdischen Altertümer in Worms von 1938 bis 1961 1647

XII

Inhaltsverzeichnis 71.4.4.3 71.4.4.4 71.4.4.5 71.5 71.5.1 71.5.2 71.5.3 71.5.4 71.5.5 71.6

Das jüdische Gemeinde-Archiv Der alte Judenfriedhof Die alte Synagoge Der Tag in Berlin In Berlin-Plötzensee Im Reichstagsgebäude Im Verlagshaus Axel Springer Bei der jüdischen Gemeinde zu Berlin Die Ansprache Chaim Herzogs bei der Berliner Pressekonferenz Frühstück in der Villa Hammerschmidt Namensregister

1650 1656 1658 1664 1664 1669 1670 1672 . . 1676 1683 1685

XIII

Der deutsch-israelische Dialog Teil I: Politik Band 3

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident

Am 35. Geburtstag unseres freiheitlichen Rechtsstaates der Bundesrepublik Deutschland, wählte die Bundesversammlung Richard von Weizsäcker mit breiter Mehrheit zum neuen Bundespräsidenten. Richard von Weizsäcker erhielt 832 Stimmen von den 1.028 anwesenden Wahlmännern der Bundesversammlung. Insgesamt wären 1.040 Wahlmänner stimmberechtigt gewesen. Die drei großen Parteien hatten sich bereits vorher darauf verständigt, daß von den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten kein Gegenkandidat aufgestellt wurde. Die CDU hatte die absolute Mehrheit in der Bundesversammlung. Es waren 525 Wahlmänner der CDU. Die SPD entsandte 426 Wahlmänner, die Freien Demokraten 47 und die Grünen, die Alternative Liste, kam mit 39 Mitgliedern zur Präsidentenwahl. Diese Alternativen hatten als ihre Kandidatin die Schriftstellerin Luise Rinser nominiert, die von vornherein wußte, daß sie keine Chance hatte. Frau Rinser erhielt 68 Stimmen. 117 Wahlmänner enthielten sich der Stimme.

46.1 Aus dem Lebenslauf des neuen Bundespräsidenten, der am 1. Juli im Deutschen Bundestag feierlich vereidigt wird und damit sein Amt antritt: Geboren am 15. April 1920 in Stuttgart. Verheiratet, vier Kinder. Grundschule, Gymnasium. 1937 Abitur. Studium der Rechtswissenschaften und der Geschichte an den Universitäten Oxford, Grenoble und Göttingen. 1950 Erste, 1953 Zweite Juristische Staatsprüfung. 1954 Promotion zum Dr. jur. Zunächst Angestellter in der Stahlindustrie, dann Geschäftsführender Gesellschafter der Firma C. H. Boehringer Sohn. Rechtsanwalt. Studienaufenthalte in Großbritannien und Frankreich. Sprachkenntnisse: Englisch, Französisch. Seit 1954 Mitglied der CDU. Seit 1966 Mitglied des Bundesvorstandes. Vorsitzender der Grundsatzkommission der CDU Deutschlands. Seit 1969 Mitglied des Bundestages, vorübergehend Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Vizepräsident des Deutschen Bundestages bis März 1981. Von April 1979 bis Dezember 1979 war er Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Am 11. Juni 1981 wählte das Abgeordnetenhaus von Berlin Richard von Weizsäcker zum Regierenden Bürgermeister der Stadt, was er bis März 1984 blieb, wo sein Nachfolger Eberhard Diepgen, der bis dahin Vorsitzender der CDU-Fraktion war, als sein Nachfolger gewählt wurde. 1061

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident

46.2 Die Rede Rainer Barzels Pünktlich u m 10.00 U h r eröffnete d e r Präsident des Deutschen Bundestages Dr. Rainer Barzel in d e r Bonner Beethovenhalle die 8. Bundesversammlung mit einer bemerkenswerten Rede. Sie hatte folgenden Wortlaut: „Meine Damen u n d H e r r e n ! Sie alle heiße ich herzlich willkommen. Mein besonderer G r u ß gilt I h n e n , meine Kolleginnen u n d Kollegen, den Mitgliedern d e r 8. Bundesversammlung. Wir sind zusammengekommen, um d e n künftigen Bundespräsidenten d e r Bundesrepublik Deutschland zu wählen. G e r n e begrüße ich die Botschafter u n d Vertreter d e r ausländischen Missionen sowie alle Gäste aus dem In- und Ausland, die zu unserer Freude bei dieser Bundesversammlung zugegen sind. Ich g r ü ß e Berlin, die - wenn es nach uns geht — deutsche Hauptstadt. Mein G r u ß gilt allen Deutschen — wo immer sie in Deutschland u n d in aller Welt leben. Ich g r ü ß e mit herzlichen Wünschen alle, die Not umgibt; die krank, gebrechlich o d e r einsam sind; die Sorgen haben; d e n e n Arbeit u n d Chancen fehlen. Ich bitte alle, die politisch zum Verzagen neigen, d e r immer wieder erneue r n d e n Kraft unserer freien Gesellschaft u n d unserer parlamentarischen Demokratie zu vertrauen. Es gibt nichts Besseres als den demokratischen, freiheitlichen, sozialen, parlamentarischen und föderalen Rechtsstaat, d e r Kritik erlaubt und erbittet. Herzlich grüße ich die Deutschen — ich sage es mit den Worten unseres Grundgesetzes —, d e n e n hier mitzuwirken versagt ist. Wir sind uns des Rechtes wie der Pflicht bewußt, a u f g e f o r d e r t zu sein, ,in freier Selbstbestimmung die Einheit u n d Freiheit Deutschlands zu vollenden' und ,als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten E u r o p a dem Frieden d e r Welt zu dienen'. Beides gilt. Auch diese beiden Sätze, die nach d e m Kriege alle als verbindlich a n e r k a n n ten, bleiben f ü r uns verbindlich: Von deutschem Boden darf nie m e h r ein Krieg ausgehen! U n d : Auf deutschem Boden darf nie m e h r aus deutschem Willen eine Diktatur entstehen! Wir haben uns — wie schon die 7. Bundesversammlung an unserem Verfassungstag versammelt. H e u t e vor 35 J a h r e n , am 23. Mai 1949 wurde das G r u n d gesetz d e r Bundesrepublik Deutschland ausgefertigt u n d verkündet. Es hat sich bewährt. Unser Volk hat es angenommen, in sich a u f g e n o m m e n . So erweise ich unseren d a n k b a r e n Respekt den Schöpfern unserer Verfassung wie d e n e n , die unsere Demokratie zuerst u n d erfolgreich d u r c h politische Arbeit zur lebendigen Wirklichkeit werden ließen. Unser Grundgesetz verteilt nicht n u r Zuständigkeiten, regelt nicht n u r Verfahren. Es setzt verbindliche Ziele f ü r die deutsche Politik. Diese ist immer an d e r W e r t o r d n u n g des Grundgesetzes zu messen. Diese Werte f o r d e r n die Politik heraus — wie d e r A n s p r u c h der Kultur an die Politik. 1062

46.2 Die Rede Rainer Barzels Unser Grundgesetz begründet, ordnet und teilt die staatliche Macht. Auch dabei läßt unsere Verfassung sich leiten von einer grundlegenden, verpflichtenden, d e m Staate vorgegebenen, geistigen Erkenntnis: ,Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten u n d zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt' (Artikel 1). Dieser zentrale Gedanke bestimmte schon 100 J a h r e zuvor die Frankfurter Nationalversammlung, die am 27. März 1849 eine Verfassung f ü r Deutschland verabschiedete. Wie wäre es um unser Vaterland u n d Europa, wie um unsere Familien und Freunde bestellt, wenn schon - seit damals — von deutschem Boden beharrlich u n d verläßlich nichts anderes ausgegangen wären als Recht und Gerechtigkeit, garantiert durch ein kraftvolles Parlament? Schon diese Frage verpflichtet, alles zu tun, damit der hohe und geschichtliche Rang unserer freiheitlichen O r d n u n g erhalten bleibt und sich zum Wohle der Deutschen wie der Nachbarn entfalten kann. Mit dem Grundgesetz haben wir Deutschen uns eindeutig f ü r die parlamentarische Demokratie entschieden. Das wird auch heute durch die 8. Bundesversammlung deutlich. Mehrheit und Minderheit, Meinungsstreit und Widerspruch, Demonstration u n d Kritik, Ringen um politische Richtung und Mitarbeit im Parlament: Das alles kennzeichnet unsere politische Wirklichkeit — wie die Unantastbarkeit der Menschenrechte, die Unabhängigkeit der Gerichte; — auch die Kompetenz der Rechnungshöfe gehört dazu. Alle sind an die verfassungsmäßige O r d n u n g gebunden. Alle. Hier ist Platz f ü r Neues und Besseres. Hier ist kein Platz f ü r Gewalt als Mittel der Politik. Wir alle stehen in der Pflicht, Freiheit durch soziale Gerechtigkeit im Alltag immer mehr f ü r jeden zur erfahrbaren Wirklichkeit zu machen. Wir alle haben die Chance, fröhlich unsere Pflicht zu tun. Nach einem beherzigenswerten Wort aus den USA gehören zur Demokratie Höflichkeit, Kompromißbereitschaft und Vertrauen. So wollen wir nun an unsere Arbeit gehen, und das heißt jetzt: Unseren Bundespräsidenten wählen, — das Staatsoberhaupt unserer, ich spreche es aus, liebenswerten, stets zum Besseren offenen Republik. Für diese konkrete Arbeit werden wir ein wenig Geduld aufbringen und rechtliche Gründlichkeit üben müssen." Nach d e r Auszählung der Stimmen durch die Schriftführer gab Dr. Rainer Barzel das schon erwartete Ergebnis der Präsidentenwahl bekannt. Er fragte Richard von Weizsäcker, ob er bereit sei, das Amt anzunehmen, was dieser bejahte. Dann sprach er einige wenige Sätze: „Herr Präsident, f ü r Ihre Wünsche möchte ich Ihnen herzlich danken und, wenn 1063

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident Sie erlauben, ein paar W o r t e hinzufügen. Das A m t , in das mich die Bundesversammlung heute gewählt hat, geht zunächst aus demokratischer Auseinandersetzung hervor. A b e r das Ergebnis der Wahl führt zu einer A u f g a b e , die in der V e r antwortung f ü r alle wahrzunehmen ist. Den Mitgliedern der Bundesversammlung, die sich an der Wahl beteiligt haben und die durch ihre Abstimmung die A u f g a b e der Verantwortung f ü r alle unterstrichen, die Verpflichtung bekräftigt, aber die Amtsführung dadurch auch erleichtert haben, möchte ich meinen aufrichtigen Dank sagen. U n d ich möchte Ihnen, Frau Luise Rinser, aus Überzeugung und — wenn ich hinzufügen darf — auch aus eigener Erfahrung mit dieser A u f g a b e meinen Respekt f ü r Ihre Kandidatur aussprechen. Für meine Amtsführung fühle ich mich verpflichtet, die Verantwortung auch im Interesse derer zu tragen und auszuführen, die mir ihre Stimme heute nicht gegeben haben. In diesem Sinne möchte ich von hier aus alle unsere deutschen Landsleute grüßen und alle unsere Nachbarn auch." A m 1. Juli 1984 legte der neue Präsident vor d e m Deutschen Bundestag seinen Amtseid ab, der im Grundgesetz, Artikel 56, festgelegt ist.

46.3 Die Vereidigung von Richard von Weizsäcker am 1. Juli 1984 Die Stabilität unserer freiheitlichen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland findet ihren Ausdruck auch in dem turnusmäßigen Wechsel im A m t des Bundespräsidenten. Die Wahl Richard von Weizsäcker wurde notwendig, da Bundespräsident Prof. Karl Carstens nur eine Legislaturperiode im A m t bleiben wollte. Auch f ü r den deutsch-israelischen Dialog, für das T h e m a unserer Dokumentation, ist dieser Amtswechsel in seiner politischen Beständigkeit ein Kapitel, das hierher gehört. Darum sei aus dieser Sitzung vom 1. Juli 1984 ebenfalls berichtet. Bundestagspräsident Dr. Rainer Barzel e r ö f f n e t e die Sitzung mit folgender Ansprache. Er sagte: „Dies ist ein herausragendes Ereignis in der Geschichte unserer Republik. Der Tradition entsprechend und getreu d e m Charakter unseres freiheitlichen Rechtsstaates wird auch dieser T a g schlicht begangen — ohne P o m p und ohne anderen Glanz als den, welchen die Demokratie durch ihre innere Gebundenheit an Freiheit und W ü r d e jedes Menschen ausmacht. Die republikanische T u g e n d der Gleichheit aller vor dem Gesetz findet so auch heute ihren Ausdruck —, einer Republik, die auf der T e i l u n g der Gewalt beruht; die Ä m t e r nur auf Zeit und mit fest umrissenen Zuständigkeiten kennt; die den Staat selbst in den Dienst der Entfaltung der menschlichen Person stellt. Unsere Bundesrepublik Deutschland ist heute innerlich festgefügt, gesund und solide — festgefügt nicht, weil wir hier durch herausragende Vorzüglichkeit uns auszeichneten, sondern weil die überwältigende Mehrheit unseres Volkes 1064

46.2 Die Rede Rainer Barzels

diese parlamentarische Demokratie in ihrem Herzen wie mit ihrer Vernunft bejaht. So besteht heute — anders als früher - auch kein Anlaß mehr, diesen Tag zu nutzen, um für unseren Staat zu werben. Ebenso besteht - anders als früher — kein Anlaß mehr, den herausragenden, einzigartigen Rang des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland wie seine Rolle im Verfassungsgefüge darzulegen. Die gleiche, lebendige Tradition hat ausgefüllt, was da etwa nach geschriebenen Normen noch offen oder zweifelhaft war oder schien. Die Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss, Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel u n d Karl Carstens haben d e n Nutzen des

deutschen Volkes gemehrt und Schaden von ihm gewendet. Wir hatten Glück mit unseren Präsidenten! Dagegen besteht Anlaß, dem höchsten Staatsorgan der Bundesrepublik Deutschland, dem in Wahlen handelnden Staatsvolk, von dem alle Gewalt ausgeht, auch von hier aus zu versichern: Wir alle wissen, wer uns unsere zeitlich befristeten Ämter anvertraut hat. Wir wissen uns, alle, — alle, ob im Bund oder in den Ländern oder in den Kommunen verantwortlich; über Parteien und Kompetenzen hinweg — in der Pflicht des deutschen Volkes, das sich im Kreis seiner Nachbarn europäisch empfindet; in der Pflicht unseres Volkes, dem wir mit Stolz, mit Dank und in Liebe angehören und dienen. Es ist an der Zeit, denen öffentlich und amtlich Respekt zu bezeugen, die unsere Republik gestalten durch freiwillige, von Bonn aus gesehen: namenlose, ehrenamtliche Arbeit, — durch Arbeit nach Feierabend, in der Freizeit, unaufgefordert, auf eigene Kosten, unentgeltlich; die in den Kirchen und vielfältigen sozialen und nachbarlichen Diensten, die in Parteien, kommunalen Körperschaften und in den Ländern, die in Gewerkschaften und Verbänden, die auf unbeschreibbar mannigfache, auf ihre Weise also, dem Gemeinwohl unseres Volkes und Staates dienen, — die so durch freiwillige Arbeit, unsere lebendige, aus dem Volk lebende Demokratie täglich schaffen und bewahren. Was Deutschland in seinem freien Teil geworden ist, verdankt es zunächst seinen Bürgern, seinen Frauen und Männern, die je an ihrem Platz und in ihrem Pflichtenkreis dem Gemeinwohl dienen. Diese breite, tief gegründete Basis des freiheitlichen, sozialen Rechtsstaates allen Deutschen friedlich zu erwirken, sind wir berufen. Der bremische Senatspräsident Wilhelm Kaisen, Ihnen Herr Bundespräsident Carstens, besonders vertraut und verbunden, hat hier—als Präsident des Bundesrates am 15. September 1959 aus Anlaß des Ausscheidens des Bundespräsidenten Theodor Heuss — zu diesem ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gesagt: ,Wir wissen leider aus bitteren Erfahrungen nur zu gut, daß echtes demokratisches Staatsgefühl nicht durch eine demokratische Verfassung allein zur Entwicklung gelangen kann; dieses Staatsgefühl wird nur lebendig durch die Vermittlung von Männern und Frauen, die sich durch ihr Vorbild im Dienste der Demokratie bewähren. 1065

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident Das gilt auch f ü r Sie, Herr Bundespräsident Carstens, der Sie nun als Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland — von allen hoch geachtet — zwar aus Ihrem Amt, nicht aber aus Ihrer vaterländischen Pflicht scheiden. Im Respekt vor Ihrer und Ihrer Frau Veronika Leistung erheben sich Bundestag u n d Bundesrat, um auszusprechen, was in dieser Stunde auch die empfinden, die uns das Mandat gaben: Karl Carstens hat sich um das Vaterland verdient gemacht."

46.4 Aus der Ansprache des scheidenden Bundespräsidenten Prof. Karl Carstens „Unsere freiheitliche demokratische G r u n d o r d n u n g schöpft ihre Kraft daraus, daß letztlich die Bürger selbst über die Gestaltung der Welt, in der sie leben, entscheiden. Sie kann aber nur funktionieren, wenn drei fundamentale Einsichten beachtet werden: — Wer frei ist, trägt Verantwortung. — Wer Rechte hat, hat auch Pflichten, — und wer Ansprüche stellt, vor allem an den Staat, muß auch bereit sein, Leistungen zu erbringen. Zu den unverzichtbaren Werten, auf denen unsere Lebensordnung beruht, gehören Frieden und Freiheit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Brüderlichkeit, gehört aber auch Vertrauen und Wahrhaftigkeit. Vertrauen bedeutet, daß man sich auf das Wort des anderen verlassen kann, sowohl in der Politik wie auch im persönlichen Bereich. Ich habe mich bemüht, das Geschichtsbewußtsein in der jungen Generation zu wecken und an sie appelliert, die Idee der Einheit der Nation nicht preiszugeben. Deutschland ist unser Vaterland, dem wir, wie alle Menschen mit ihrem Vaterland, in Liebe verbunden sein können. Einen großen Teil meiner Zeit habe ich den auswärtigen Beziehungen unseres Landes gewidmet. Ich habe 17 Staatsbesuche absolviert u n d dabei die Freundschaft und die Dankbarkeit e m p f u n d e n , die uns entgegengebracht wird. Die Bundesrepublik Deutschland genießt hohes Ansehen. Unsere beständige Politik des Friedens und des Ausgleichs wird ebenso anerkannt wie unsere Entwicklungshilfe f ü r die Dritte Welt. Bei meinen außenpolitischen Tätigkeiten lag ein Schwerpunkt im europäischen Bereich. Ich bin mehrfach mit den französischen Staatspräsidenten zusammengekommen, und ich möchte ihnen auch an dieser Stelle f ü r die freundschaftliche und noble Haltung unserem Lande gegenüber danken. Es gibt f ü r mich, der ich seit Jahrzehnten an der europäischen Einigung gearbeitet habe, nichts Beglückenderes zu sehen, daß die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich immer enger und fester geworden ist. 1066

46.4 Aus der Ansprache des scheidenden Bundespräsidenten Prof. Karl Carstens

Auf ihrer Grundlage ist es zu unserer großen Freude nach unendlichen Mühen in Stuttgart und Fontainebleau gelungen, sich unter allen Partnern in den strittigen Fragen der Europapolitik zu einigen. Zur Europäischen Gemeinschaft gehört auch Großbritannien. Es gehört notwendigerweise zu ihr, und es leistet, das sollten wir nicht vergessen, einen wesentlichen Beitrag zu unserer gemeinsamen Verteidigung und zur Sicherheit Berlins. Auch mit allen anderen Partnern der Gemeinschaft, mit Italien und den Beneluxstaaten, mit Irland, Dänemark und Griechenland habe ich Kontakte gleichfalls nach Kräften gepflegt, ebenso wie mit Spanien und Portugal, mit Österreich und der Schweiz, mit Jugoslawien und Rumänien. Ich habe die Vereinigten Staaten von Amerika besucht und habe dort wie hier die Notwendigkeit des Atlantischen Bündnisses unterstrichen. Die USA sind nicht immer ein einfacher Partner, aber sie und wir sind aufeinander angewiesen. Im amerikanischen Volk gibt es uns gegenüber Empfindungen wirklicher Freundschaft und Übereinstimmung in grundlegenden Wertvorstellungen. Mehrfach bin ich mit den sowjetischen Führern zusammengetroffen, und ich habe das mir Mögliche getan, um ihnen die Friedenspolitik unseres Landes zu erläutern. Auch von dieser Stelle aus sage ich: Die Bundesrepublik Deutschland ist von tiefer Sehnsucht und dem festen Willen zur Erhaltung des Friedens erfüllt! Sie wird darin von keinem anderen Land der Welt übertroffen. Ich bitte meinerseits die sowjetischen Führer, aus dem Wortschatz ihrer Medien die Vokabeln des Hasses zu verbannen. Sie passen nicht mehr in eine Welt, die sich nach Frieden und Verständigung sehnt. Zweimal bin ich dem Staatsratsvorsitzenden der DDR begegnet. Bei aller Unterschiedlichkeit politischer Grundpositionen zeigte sich auch Gemeinsames, zum Beispiel in dem Bestreben, die großen Denkmäler deutscher Kultur zu bewahren und das Bewußtsein deutscher Geschichte, wenn auch gewiß mit unterschiedlichen Akzentuierungen, zu erhalten. Gemeinsam ist beiden Staaten in Deutschland die Aufgabe, den Frieden zu sichern und den Menschen das Leben zu erleichtern. Die bedrückenden Szenen, die sich in diesen Tagen in unserer Ostberliner Vertretung abspielen, zeigen einmal mehr, wie schwer die Teilung unseres Landes auf den Menschen lastet. 64 mal habe ich Berlin besucht, diese tapfere und lebendige Stadt, ein Symbol der Teilung, aber auch unseres Willens, die Trennung zu überwinden. Ich möchte abschließend ein persönliches Wort sagen. Die Präambel unseres Grundgesetzes, das sich das deutsche Volk vor 35 Jahren gegeben hat, hebt mit einer Anrufung Gottes an. Sie erscheint mir heute noch genauso aktuell wie damals, vier Jahre nach dem Ende eines schrecklichen Krieges. Denn wenn wir heute angesichts der Fülle der schier unlösbar erscheinenden Weltprobleme, dem Hunger, an dem Millionen von Menschen zugrunde gehen, der Bevölkerungsexplosion, den Flüchtlingsströmen mit ihrem Elend, der Unterdrückung der Freiheit in vielen Ländern, dem Rüstungswettlauf, dem Blut1067

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident

vergießen im Nahen und im Mittleren Osten, in Afghanistan und anderen Weltgegenden in Gefahr sind zu verzagen, so hilft uns, so hilft wenigstens mir, der Glaube an Gott. Glaube und Erfahrung haben mich gelehrt, daß Erfolg oder Mißerfolg unseres menschlichen Bemühens nicht allein von uns abhängt, sondern letztlich in der Hand eines Höheren liegt, aber daß wir das Vertrauen, ja die Gewißheit haben dürfen, von ihm bewahrt und getragen zu werden. In diesem Sinne, Herr Bundespräsident, spreche ich Ihnen meine herzlichen Wünsche für Ihre Amtszeit aus. Sie haben in Ihrem Leben immer wieder die Fähigkeit zum Ausgleich bewiesen und Ihren Mitbürgern die Ziele und Werte gezeigt, die uns bei unseren Bemühungen um die Lösung der uns gestellten Aufgaben leiten müssen. Sie genießen das Vertrauen der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes. Ich wünsche Ihnen für Ihre Amtsführung Gottes Hilfe und Gottes Segen. Möge er unser Vaterland schützen und ihm Frieden schenken!"

46.5 Aus der programmatischen Rede Richard von Weizsäckers In seiner großen programmatischen Rede ging der neue Bundespräsident auch besonders auf seine Herkunft aus Berlin ein. Dazu sagte er: „Ich komme aus Berlin in mein neues Amt. Die Geschichte dieser Stadt war immer geprägt von Weltoffenheit, Toleranz und Liberalität. Berlin wurde zum Zentrum des Deutschen Reichs. Es war nicht die Geburtsstätte, aber Machtmittelpunkt der nationalsozialistischen Herrschaft. So wurde Berlin auch Ausgangspunkt für Weltkrieg und schließlich für den Holocaust. Wir alle haften für unsägliches Leid, das im deutschen Namen geschehen ist. Aber nicht nur Schrecken und Verbrechen verbreiteten sich von Berlin, sondern auch immer wieder und bis zuletzt tapfere und selbstlose Taten der Menschenhllfe und des Widerstandes. Wir werden ihrer am 20. Juli in Berlin gedenken. Trotz Zerstörung, Teilung und isolierter Lage ist Berlin der Platz geblieben, der uns — wie kein anderer — Maßstäbe für unser Denken und Handeln gibt. Bald nach dem Krieg wurde die Stadt unter notvollem Druck von außen zum Symbol der Freiheitsliebe der Menschen. Unter gegenseitigem Respekt wurden dort aus ehemaligen Kriegsgegnern Freunde. Von Berlin aus sind wir einander berechenbare und zuverlässige Partner geworden, und wir werden es bleiben. In Berlin leben die wichtigsten Impulse der Zusammengehörigkeit aller Deutschen. Nirgends erklärt sich der notwendige Zusammenhang vom Schutz der Freiheit im Bündnis und von friedlicher Entspannung nach Osten so selbstverständlich wie in Berlin. In Berlin hat sich gezeigt, daß Ost und West sich auch dort über praktische Regelungen verständigen können, wo prinzipielle Meinungsverschiedenheiten zur Zeit nicht überbrückbar sind. 1068

46.5 Aus der programmatischen Rede Richard von Weizsäckers

In Berlin hat sich im vollen Bewußtsein der furchtbaren Vergangenheit wieder eine jüdische Gemeinde zusammengefunden, um einen neuen Anfang mit uns zu machen. Nicht verdrängen, sich erinnern hilft weiter. Daran hat sie sich gehalten. Inzwischen ist weit über Berlin hinaus im Judentum wieder Vertrauen gewachsen. Eine neue menschliche Brücke ist entstanden. Sie ist noch zart und anfällig. Aber sie trägt wieder. Sie darf nie wieder einstürzen. So erfüllt Berlin entscheidende nationale Aufgaben für alle Deutschen. Ich bin froh, auch im neuen Amt mit Herz und Verstand Berliner bleiben zu können." Zum Schluß führte der Bundespräsident weiter aus: „Entscheidend ist die Freiheit. Sie allein macht es möglich, gemeinsam die Wahrheit, das richtige Ziel und die richtgen Mittel und Wege zu suchen. Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die den stets notwendigen Weg zur Reform und zum Wandel in Frieden finden läßt. Damit dies möglich bleibt, darf die Radikalität des Streitens niemals die Regeln des Rechts verletzen, denn diese sind die Bedingungen für die Freiheit. Damit wir in dieser Freiheit zu Entscheidungen kommen können, muß es nach dem Mehrheitsprinzip gehen. Dabei wissen wir alle, daß die Mehrheit genauso wenig über die Wahrheit verfügt wie die Minderheit. Keiner darf für sich den Besitz der Wahrheit beanspruchen, sonst wird er unfähig zum Kompromiß und überhaupt zum Zusammenleben. Er wird kein Mitbürger, sondern ein Tyrann. Wer das Mehrheitsprinzip auflösen und durch die Herrschaft der absoluten Wahrheit ersetzen will, der löst die freiheitliche Demokratie auf. Deshalb können wir die Stimmen nur zählen, wir können sie nicht wägen. Aber das genügt nicht. Von Mehrheiten und Minderheiten wird mehr verlangt, als zählen zu können. Die Minderheit muß der Mehrheit das Recht zur Entscheidung zugestehen. Die Mehrheit hat beim Umgang mit diesem Recht die besondere Pflicht, sich in der gemeinsamen offenen Suche nach Wahrheit zu engagieren. Sie muß ihre Entscheidung auf Grundsätze stützen, die von allen eingesehen und als legitim empfunden werden können. Die Entscheidungen müssen zumutbar sein. Keiner soll sich durch sie in seiner Existenz bedroht oder ausgebürgert fühlen. Nur so ist ein demokratischer Grundkonsens möglich, den die Verfassung zwar nicht vorschreibt, ohne den aber die Demokratie auf die Dauer nicht leben kann. Nur so ist auch die Zustimmung der freien Bürger zu ihrem freien Staat zu gewinnen. Nur so wachsen Mitarbeit und Gemeinsinn. Es gibt bei uns eine große Aktivität der Bürger. Man kann ein gestärktes Bürgerbewußtsein verbunden mit einem geschwächten Staatsbewußtsein beobachten. Aber heißt dies, daß sie sich damit ganz grundsätzlich gegen den Staat wenden? Das glaube ich durchaus nicht. 1069

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident Gewiß, die Einzelnen und die Gruppen nehmen in erster Linie ihre eigenen Interessen wahr. Aber sie empfinden sehr deutlich, daß nichtj e d e r frei ist, durchzusetzen, was er will, sondern daß zur Vielfalt der Einzelinteressen die Einheit einer Gemeinwohlentscheidung treten muß. Das ist es, was sie vom Staat erwarten. Wenn er sie darin enttäuscht, wenn er n u r eine Dienstleistungsmaschine ist, wenn er seine ganz eigenständige Gemeinwohlaufgabe in der Gesellschaft nicht überzeugend durchzusetzen weiß, wenn er also am Ende bestenfalls ein ,bald beklatschter, bald ausgepfiffener Schiedsrichter' (L. Raiser) ist, wie will er d a n n seine Bürger binden und gewinnen? Wie kann er damit etwas anderes erzeugen als Verdrossenheit gegen sich selbst? Und gibt es bei den Bürgern wirklich so wenig Gemeinsinn, wie man oft hören kann? Ist es wahr, was in Magazinen steht, Gemeinsinn und Selbstlosigkeit lösten hierzulande n u r hämische Mitbürgerglossen aus? Ich deute die Zeichen ganz anders. Es gibt viele, zumeist im Stillen erbrachte soziale Dienste in der Nachbarschaft. J u n g e und Alte sind daran beteiligt. Und wenn j u n g e Menschen eine Alternativkultur aufbauen, dann folgen sie damit zunächst einmal dem Wunsch jeder neuen Generation: Sie wollen ihre Welt selbst in die Hand nehmen und nicht Museumswärter einer Welt ihrer Vorfahren sein. Darüber hinaus aber suchen sie Aufgaben, die ihnen das Leben lohnend machen, ihnen Gemeinschaft bringen und sie spüren lassen, daß sie menschlich gebraucht werden. Mit unserem Staat werden sie sich um so eher identifizieren, wenn er ihnen nicht n u r das willkommene soziale Netz bietet, sondern auch ein soziales Band, das sie vermissen. Der Bürger — so sagte mir einer von ihnen — wird versorgt u n d entsorgt; er kann unbesorgt sein. Aber kann er auch genügend mitsorgen, miterleben, mitarbeiten? Manche Bürgerbewegung nimmt, vielleicht unbewußt, für einen Staat Stellung, der persönliche Verantwortung und mitmenschliche Verbindung nicht überflüssig macht, sondern ermutigt. Auch das gehört zu seiner Gemeinwohlaufgabe. Unsere Verfassung beginnt f ü r das Deutsche Volk mit den Worten ,1m Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen'. Es gab f ü r die Berufung auf Gott keine feste Tradition in der deutschen Verfassungsgeschichte. Der Parlamentarische Rat hat den Mut zu diesen Worten im Hinblick auf das Unheil des Nationalsozialismus und auf den Wahn gefunden, daß ein Volk oder der Mensch selbstmächtig, selbstherrlich, Herrenvolk, Herrenmensch sei. Die Verantwortung vor Gott ist nicht dazu da, nachgeprüft zu werden. Vielen mag sie nichts bedeuten. Wer weiß, ob sie heute überhaupt Eingang fände, falls wir eine neue Verfassung zu schreiben hätten. Die Verweltlichung aller Lebensverhältnisse ist fortgeschritten. Eindeutig klar bleibt n u r das Bekenntnis des Grundgesetzes zur Pluralität weltanschaulicher Auffassungen, zur Neutralität gegenüber der Vielfalt religiöser oder areligiöser Leitlinien. 1070

46.5 Aus der programmatischen Rede Richard von Weizsäckers Dennoch ist es nicht müßig, an das Verfassungsbekenntnis z u r Verantwort u n g vor Gott zu erinnern. Der Verweltlichung u n d Säkularisierung stehen neue, teilweise heftige religiöse Zuwendungen u n d Ausschläge gegenüber. Aufklär u n g , Rationalität u n d naturwissenschaftliche Forschung schaffen nicht n u r tiefere Einsichten in die Komplexität, sondern von n e u e m die Erkenntnis, daß nicht alles erklärbar ist. Wir begegnen d e r E r f a h r u n g , daß d e r Mensch nicht das Maß aller Dinge ist, d a ß er nicht alles deuten, nicht allem u n d nicht sich selbst d e n letzten Sinn geben kann. W e n n er aber in einer Welt leben soll, die ihm diese E r f a h r u n g bestreiten u n d alles weltlich erklären will, d a n n reagiert er darauf oft mit einer Flucht in Sekten, in d e n Fanatismus. Dies ist nicht auf d e n christlich geprägten Teil d e r Welt beschränkt. Wir finden es im Abendland u n d im Morgenland. Was folgt f ü r uns daraus? Ganz gewiß kein politischer A u f t r a g zu religiöser Verkündigung. Aber es geht uns alle etwas an, was die Wirklichkeit der Religion in d e r Gesellschaft bedeutet. Jacob Burckhardt hat d a r a u f hingewiesen, d a ß die Religion im neutralen Staat d e n Unterschied zwischen heilig und p r o f a n verdeutliche: Das Heilige, so sagt er, ist die E h r f u r c h t vor Gott, die in die Welt vordringt, in die E h r f u r c h t vor d e n Menschen, vor seiner Einmaligkeit u n d W ü r d e . J e d e r hat seine eigenen Auffassungen. Schaden bringt es niemandem, sich immer wieder von n e u e m d e n Unterschied zwischen d e m letzten u n d dem vorletzten klarzumachen, zwischen unseren Grenzen und unserer Verantwortung. W e d e r Naturwissenschaftler noch Sozialwissenschaftler können alles erklären, erst recht nicht d e r Politiker. Die Verfassung erinnert an die Verantwortung vor Gott. Sie überläßt j e d e m sein Gottesbild u n d sein Weltbild. Sie legt uns allen aber ein Menschenbild ans Herz, das uns weiterhelfen kann. Dort, wo wir die S p a n n u n g e n im Leben u n d in d e r Welt als unerträglich u n d verzweiflungsvoll e m p f i n d e n , kann es uns Zuversicht vermitteln. Es geht nicht u m große W o r t e oder Taten, die wir uns v o r n e h m e n , sondern u m die Pflichten u n d F r e u d e n eines j e d e n Tages. Der große Berliner J u d e Moses Mendelssohn schrieb:,Auf d e m dunklen Pfad, auf d e m d e r Mensch hier auf Erden gehen muß, gibt es gerade soviel Licht, wie er braucht, u m d e n nächsten Schritt zu tun'. Dieses Licht sucht d e r Mensch, u n d er kann es finden. Davon wollen wir uns leiten lassen im täglichen Leben u n d seiner Arbeit. Was ich mit meinen Kräften beitragen kann, soll geschehen. J e d e r d e r mithilft, ist willkommen."

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46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident

46.6 Die Schlußansprache des bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß „Die Einsicht wächst, daß mehr denn je auch Antworten grundsätzlicher Natur gefordert sind — Antworten, die die ethischen Grundlagen menschlicher Existenz gebührend berücksichtigen. Unsere Gesellschaft steht vor grundlegenden politischen Weichenstellungen, die — sind die Entscheidungen erst einmal getroffen - entweder gar nicht mehr oder nur noch unter größten Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden können. Mögliche Folgewirkungen neuer Techniken müssen erkannt und bei politischen Entscheidungen bedacht werden. Nur so können die Fortschritte der Technik für den Menschen verantwortungsvoll nutzbar gemacht werden. Verantwortung ist damit einer der Schlüsselbegriffe für die Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen. Wir sollten deshalb lernen, vor Entscheidungen, die wir heute für die Generationen nach uns treffen, wieder mehr aufeinander zuzugehen. Nur wenn wir uns dieser gemeinsamen Verantwortung stellen und ihr nicht aus falsch verstandener Furcht ausweichen, können wir hoffen, daß unsere Entscheidungen von den Bürgen mitgetragen werden. Nur so wird es uns gelingen, verlorengegangenes politisches Kapital zurückzugewinnen, Politikverdrossenheit abzubauen und das Vertrauen in unsere staatliche Ordnung zu festigen. Die föderative Grundstruktur unseres Staatswesens kann hierzu einen wesendichen Beitrag leisten. Selbstverwaltung, Subsidiarität und Eigenverantwortung der Länder sind daher als Grundlagen politischer Konsensbildung zu stärken. Konsens und Vielfalt bedingen und ermöglichen sich gegenseitig, denn nur aus Vielfalt kann Konsens entstehen, nur im Konsens kann Vielfalt bestehen. Wir müssen der Kraft der Vielfalt durch die Stärkung unterer und mittlerer politischer Ebenen wieder mehr Raum geben. Es muß uns gelingen, den zuweilen bei jungen Leuten aus enttäuschtem Mitwirkungsverlangen begonnenen .Rückzug in die Privatsphäre' zu stoppen. Gerade diese jungen Menschen müssen wieder die Gewißheit erlangen können, daß ihre gestalterische Kreativität und ihr Engagement auch im gesellschaftlichen und politischen Bereich gefragt sind und gefördert werden. Hier liegt eine der wichtigsten Funktionen des Föderalismus. Anstöße und Anregungen der Bürger, der Kommunen, der Landesparlamente aufnehmen und in die politische Entscheidungsfindung einbinden, das ist die Aufgabe, der wir uns verstärkt widmen müssen. Auch der Bundesrat ist hier gefordert. Er kann durch die Erfahrungen, die die Länder vor Ort sammeln, vermittelnd und anregend auf die bundesstaatliche Politik einwirken und damit einen positiven Beitrag zur Konsensbildung leisten. Demokratie und Föderalismus, verkörpert durch Bundestag und Bundesrat, brauchen die gegenseitige Verzahnung bei der Bewältigung der großen Aufgaben, die wir gemeinsam zu lösen haben. 1072

46.7 Glückwünsche für den neuen Bundespräsidenten aus Israel und jüdischen Kreisen Der von möglichst vielen getragene Konsens als staatspolitische Grundhalt u n g ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des inneren Friedens. Daraus erwächst die Kraft, mit d e r wir uns d e n n e u e n Aufgaben zuversichtlich stellen können. Sie, H e r r Bundespräsident von Weizsäcker, bestärken auf G r u n d Ihres bisherigen politischen Wirkens in besonderer Weise diese H o f f n u n g . Sie haben d u r c h I h r e n persönlichen Einsatz viel f ü r gesellschaftlichen Ausgleich u n d politischen Konsens — in Berlin u n d weit d a r ü b e r hinaus — bewirkt. Sie haben das Bewahren von Bewährtem, dessen friedliche Weiterentwicklung u n d die Liberalität gegenüber d e m a n d e r e n als Richtpunkte Ihres Handelns bezeichnet. Im N a m e n des Bundesrates, d e m Sie noch vor kurzem angehörten, wünsche ich Ihnen u n d I h r e r Frau f ü r die neue Aufgabe Glück u n d Gottes Segen. Wir alle wünschen Ihnen, H e r r Bundespräsident, die Kraft f ü r eine erfolgreiche Präsidentschaft zum Wohle Deutschlands."

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Glückwünsche für den neuen Bundespräsidenten aus Israel und aus jüdischen Kreisen

Bei d e n zahllosen Glückwünschen, die d e r neue Bundespräsident zu seiner Wahl u n d A m t s ü b e r n a h m e erhielt, sollen hier die Stimmen herausgehoben werden, die in d e n deutsch-israelischen Dialog gehören. Der Präsident des Staates Israel Chaim Herzog telegraphierte: „for myself and f o r the people of israel i a m happy to congratulate your excellency on assuming the office of the presidency to which you bring your gifts of mind and spirit stop to you whose sensitive and friendly u n d e r s t a n d i n g we profoundly appreciate we send cordial wishes f o r all good and to the people of the federal republic o u r hopes f o r peace and well being." Der Präsident des Israelischen Städtetages P. Eylon u n d d e r Generaldirektor der Organisation M. Almog telegraphierten: „on behalf of the union of local authorities in israel, we take great pleasure to convey to you our heartiest congratulations o n our election as president of the federal republic of germany. o u r best wishes f o r your success and the continuation of close ties between your and o u r people, countries and local authorities." Der Präsident des World Jewish Congress Edgar M. Bronfman, d e r Executivdirektor Israel Singer u n d d e r Co-Präsident des Governing Board Gerhart M. Riegner telegraphierten: „cognizant of the past and always hopefulfor the future, we extend to you o u r sincere congratulations u p o n your election as president of the federal republic of germa1073

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident ny, and o u r best wishes f o r full success in your high office, we look forward to the f u r t h e r e n h a n c e m e n t of o u r relations d u r i n g your term, relations which we have helped to establish with the new germany u n d e r difficult circumstances, we are sure that you share these hopes. edgar in. bronfman, president gerhart m. riegner, co-chairman of the governing board" Der stellvertretende Bürgermeister von Tel Aviv Dov B. Ben Meir sandte an Bundespräsident Richard von Weizsäcker das folgende Schreiben: „Sehr geehrter H e r r Bundespräsident, es bereitet mir Freude, I h n e n meine Glückwünsche anläßlich Ihrer Wahl zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland auszudrücken, u n d zwar sowohl in meiner Funktion als Vorsitzender der israelisch-deutschen Parlamentariergruppe auch als stellvertretender Bürgermeister der Stadt Tel Aviv — Yafo. Ich habe noch I h r e n letzten Besuch in Tel-Aviv in Erinnerung, als wir uns in TelAviv trafen u n d mir Gelegenheit gegeben wurde, Sie anläßlich Ihres Besuches zu begrüßen. Bei diesem Besuch, wie auch bei den vorhergehenden, sind Sie sicherlich dessen gewahr geworden, daß eine ständig wachsende Anzahl von Israelis sich f ü r die Pflege d e r freundschaftlichen Beziehungen zwischen d e r Bundesrepublik u n d Israel engagiert haben. Besonders hervorzuheben ist dabei die j u n g e Generation: z u n e h m e n d tritt sie an die Stelle der aus Deutschland stammenden Israelis d e n e n die Pflege d e r Freundschaft zwischen beiden L ä n d e r n in erster Linie oblag. Ich h o f f e , diese Beziehungen werden in Z u k u n f t noch eine größere Vertiefung e r f a h r e n . Die Tatsache, d a ß heute an d e r Spitze d e r Bundesrepublik Deutschland ein großer F r e u n d Israels, wie Sie es sind, steht, ist Gewähr d a f ü r , daß diese Freundschaft tatsächlich weiterhin gestärkt wird. Vor einigen T a g e n verlieh mir der deutsche Botschafter, in Israel, H e r r Dr. Niels Hansen, das Verdienstkreuz des Verdienstordens d e r Bundesrepublik Deutschland in A n e r k e n n u n g meines langjährigen Wirkens f ü r die Förderung d e r Beziehungen zwischen unseren beiden L ä n d e r n . Diese Auszeichnung erhielt ich zwar im Namen Ihres Vorgängers, doch möchte ich trotzdem die Gelegenheit wahrnehmen, I h n e n f ü r die mir zuteil gewordene große Ehre zu danken und I h n e n zu versichern, d a ß ich auch in Zuk u n f t nach Kräften alles f ü r die Pflege d e r Freundschaft zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik t u n werde." Der Präsident des Internationalen B'Nai B'Rith sandte aus Washington d e m Bundespräsidenten das folgende Schreiben: „Dear President Von Weizsaecker: B'nai B'rith International, the world's oldest a n d largest Jewish service organization with 500,000 members worldwide, wishes to congratulate you on your election to the presidency of the Federal Republic of Germany. In your distinguished career in public service, you have demonstrated a t r u e un1074

46.8 Rückblick auf die Amtszeit des scheidenden Präsidenten derstanding of the Jewish people a n d a genuine friendliness towards Israel. We are confident that you will continue to d o so d u r i n g your term of office, and are pleased with your election. Once again, we o f f e r o u r sincere congratulations. Sincerely, Gerald Kraft" Der Vorsitzende d e r Vereinigung ehem. Kölner u n d Rheinländer Henry Reyersbach in Tel Aviv sandte dem Bundespräsidenten das folgende Schreiben: „Sehr verehrter H e r r von Weizsäcker Als Vorsitzender d e r Vereinigung ehem. Kölner u n d Rheinländer in Tel Aviv erlaube ich mir I h n e n zur A m t s ü b e r n a h m e der Bundespräsidentschaft meine herzlichsten u n d aufrichten Glückwünsche auszusprechen. In A n e r k e n n u n g meiner unermüdlichen Arbeit, bei d e r mir meine Frau sehr behilflich ist, am Brückenbau zwischen unseren beiden Völkern, w u r d e ich im September vergangenen J a h r e s mit d e m Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Gerne erinnern wir uns an I h r e ausgezeichnete Rede, die Sie vor ca. 2 J a h r e n im Rahmen d e r ehem. Berliner im Hotel Hilton gehalten hatten. Wir f r e u e n uns I h n e n sagen zu können, daß die Bundesrepublik Deutschland in Dr. Niels Hansen u n d seiner reizenden Gattin h e r v o r r a g e n d vertreten ist. I n d e m wir I h n e n u n d Ihrer Familie nochmals sehr herzlich gratulieren, wünschen wir I h n e n eine segensreiche, erfolgreiche Tätigkeit. Mit d e n besten G r ü ß e n verbleiben wir die Vereinigung ehem. Kölner u n d Rheinländer in Tel Aviv"

46.8

Rückblick auf die Amtszeit des scheidenden

Präsidenten

Prof. Karl Carstens hatte seine Amtszeit beendet. W e n n man sie würdigen will, u m die Arbeitsleistung in diesem Amt darzustellen, läßt es sich nicht zuletzt d a d u r c h tun, daß man die Zahlen sprechen läßt. Für ihn war das Wichtigste, was er mir auch in einem Abschiedsinterview sagte, daß ihm d a r a n gelegen war, mit B ü r g e r n aller Schichten Kontakt zu bekommen. Bei E m p f ä n g e n u n d besonderen Essen, zu d e n e n Bundespräsident Prof. Carstens eingeladen hatte, waren während seiner Amtszeit 25.000 B ü r g e r in die Villa Hammerschmidt, seinem Amtssitz, gekommen. U n d hier die weiteren Zahlen, die ich aus seinen f ü n f Dienstjahren ableiten konnte. 14 Auslandsreisen, bei d e n e n er 17 verschiedene Staaten mit offiziellen Staatsbesuchen in 60 bis 70 T a g e n ansteuerte, brachten neue Freundschaften f ü r die Bundesrepublik Deutschland. Aber nicht n u r das Ausland war Partner von Besuchen des Bundespräsiden1075

46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident

ten. Verfassungsorgane, auch Gespräche mit den Länderchefs der Bundesrepublik, der Parteivorsitzenden und der Präsidenten der obersten Gerichte und Bundesbehörden fallen hierher. Insgesamt sind hier 218 zu verzeichnen. Eine besondere Rubrik sind die Antrittsbesuche des Bundespräsidenten in den Bundesländern, Kontakte mit dem Bundesrat und besonderen Einrichtungen des Bundes. Das waren bis Ende März 1984 121 Begegnungen. Dazu kommen noch 323 Kontakte des Bundespräsidenten zu Organisationen und Verbänden. Ein besonderer Besuchspunkt waren offizielle Städtebesuche, wo der Bundespräsident gebeten wurde, sich jeweils in das Goldene Buch der Stadt einzutragen (67). Begegnungen mit der Jugend. Auch hier lag ein Schwerpunkt des Interesses des Bundespräsidenten. Es waren 100 Kontakte. Von Prof. Carstens wurden im Laufe seiner Amtszeit 299 Reden und Ansprachen veröffentlicht; 95 Reden sind nicht veröffentlicht worden. Im kulturellen Bereich hat der Bundespräsident auch vielfältige Kontakte zu Dichtern, Schriftstellern, Malern, Bildhauern, Musikern und Schauspielern gesucht. Teilnahme an Konzerten, Besichtigung des GoeiÄe-Hauses in Frankfurt, Besuch der Buchmesse und viele Einzelgespräche mit Persönlichkeiten dieser genannten Wirkungskreise zählen dazu. Es waren 291. Rund 200 Interviews gab der Bundespräsident im Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen. 446 Grußworte zu den verschiedensten Anlässen hat der Bundespräsident versandt. Dazu kommen 1.146 Glückwünsche an Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens. 332 Gesetze hat Prof. Carstens in seiner Amtszeit ausgefertigt und verkündet. Hohe Beamte und Offiziere hat er in 1.102 Fällen ernannt und 1.052 Entlassungen vorgenommen. Den Kontakt zu Berlin hat Prof. Carstens besonders gepflegt. Er reiste 64 mal in die geteilte Stadt, jeden Monat einmal. Zu den besonderen Tätigkeiten des Bundespräsidenten gehörte es in den fünf Jahren, Orden und Auszeichnungen zu verleihen. Das Bundesverdienstkreuz in all seinen Stufen hat er 3.424 mal verliehen. Das waren auf fünf Jahre Amtszeit verteilt rund 6.000 Bundesverdienstkreuze pro Jahr. Davon gingen 5.000 Auszeichnungen an Bundesbürger und etwa 1.000 ins Ausland. Wenn man diese Zahlen mit anderen Ländern vergleicht, so sollte man sagen, daß Finnland mit seinen 3 1/2 Mio. Einwohnern mit zwei Auszeichnungen fast die gleiche Zahl erreicht wie die Bundesrepublik Deutschland. Ein Vergleich mit mehreren Staaten erbrachte die Tatsache, daß die deutschen Verleihungen von Orden im Mittelfeld liegt. Das Grubenwehrehrenzeichen an Bergleute hat er 1.393 mal vergeben. Auch der Sport erhielt Auszeichnungen. Das silberne Lorbeerblatt für verdiente Sportler vergab der Bundespräsident 338 mal. Eine besondere Silbermedaille für Behinderte, die bei besonderen Wettkämpfen ausgezeichnet wurden, wurde 159 mal durch den Bundespräsidenten vergeben. Das sind nur wenige Zahlen, die ein Bild der Aktivitäten des Bundespräsidenten aufzeigen. 1076

46.8 Rückblick auf die Amtszeit des scheidenden Präsidenten Die f ü n f J a h r e d e r Legislaturperiode seiner Amtszeit waren zu Ende. Prof. Carstens e m p f i n g mich noch einmal in d e r Villa Hammerschmidt, um ihn nach den hervorragensten Ereignissen in seiner Amtszeit zu befragen: Ich möchte es nicht als Ereignisse bezeichnen, aber am wichtigsten war f ü r mich d e r Kontakt mit d e n B ü r g e r n unseres Landes. Ich habe gleich zu Beginn meiner Amtszeit gesagt, ich möchte mich b e m ü h e n , möglichst d e r Repräsentant aller B ü r g e r zu sein. Das wird einem im wörtlichen Sinne nie gelingen, aber immerhin fühlten sich jetzt doch ein großer Teil, d e r weitaus größte Teil unserer Mitbürger durch mich repräsentiert. Dazu habe ich d e n Kontakt zu d e n e n gesucht, z. B. auf meinen W a n d e r u n g e n in unzähligen Gesprächen, die ich g e f ü h r t habe, mit j u n gen Leuten, mit Behinderten, mit Sportlern, mit d e r Bundeswehr, mit Arbeitgebern, mit Gewerkschaften, mit Vertretern d e r Wissenschaft, d e r Kultur, mit Dichtern usw. Die meisten meiner Gesprächspartner waren solche Bürger, die niemals Schlagzeilen in d e n Medien machen. Die meisten kommen ü b e r h a u p t nicht vor in den Medien. Die Medien n e h m e n j a n u r Kenntnis von einem verhältnismäßig kleinen Teil unserer Bevölkerung, während d e r weitaus größere Teil es nach meiner Auffassung verdient, daß wir alle u n d der Bundespräsident sich um sie k ü m m e r t . Frage: Sie haben eben die J u g e n d erwähnt, die Sie auch reichlich gesehen haben. Sind Sie d e r Meinung, daß diese J u g e n d d e m Staat fernsteht? Antwort: Nein, generell bin ich ü b e r h a u p t nicht dieser Meinung, sondern generell bin ich d e r Meinung, d a ß die J u g e n d es sehr wohl zu schätzen weiß, d a ß sie in einem freiheitlichen Staat lebt, in einem Staat, d e r sich f ü r d e n Frieden engagiert, einem Staat, d e r sich u m soziale Gerechtigkeit bemüht. Natürlich kann an diesem Staat Kritik geübt werden. Es soll ja auch Kritik geübt werden. Aber derjenige Prozentsatz d e r j u n g e n Generation, d e r sozusagen mit dieser Kritik d e n ganzen Staat ü b e r d e n H a u f e n werfen will, ist sehr klein u n d es ist ein großer Fehler, wenn man von diesem sehr kleinen Prozentsatz auf die j u n g e Generation insgesamt schließt. Frage: In weiten Kreisen d e r jüdischen F r e u n d e von Deutschland wird j a die J u gend i m m e r im Z u s a m m e n h a n g gebracht o d e r sehr häufig im Zusammenhang mit d e m Neonazismus. Sehen Sie das als eine große Gefahr? Antwort: Sicher nicht als eine große Gefahr. Aber doch als eine Erscheinung, auf die man achten muß. Ich habe übrigens mit neonazistischen G r u p p e n keinen unmittelbaren Kontakt gehabt. Ich stütze mich auf die Berichte, die ich lese. Was ich lese, e m p f i n d e ich zum Teil als grotesk u n d als etwas, d e m m a n mit großer Entschiedenheit entgegentreten muß. Ich glaube, das ist unser aller Pflicht, die Pflicht d e r älteren Generation, aber auch die Pflicht d e r j u n g e n Generation, daß sie diesen Erscheinungen entgegentritt. Ich möchte in d e m Zusammenhang gern erwähnen, d a ß ich in d e n letzten drei J a h r e n meiner Amtszeit jedes J a h r jüdische Bürger aus Bonn e m p f a n g e n habe, die nicht m e h r in Bonn, sondern im Ausland leben, aber die auf Einladung der Stadt Bonn hierher gekommen waren, u n d mit d e n e n ich mich hier im Park d e r Villa H a m m e r s c h m i d t eine dreiviertel Stunde

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46 Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident unterhalten habe. Das waren sehr beglückende Eindrücke, die ich gewonnen habe u n d es hat mich tief bewegt, daß diese jüdischen Mitbürger die Anhänglichkeit, ja, man kann fast sagen, die Liebe zu ihrer Heimat, in diesem Fall zu ihrer Heimatstadt Bonn bewahrt haben. Frage: Diese Besuche finden ja in vielen Städten statt, Frankfurt, Berlin, sind n u r als Beispiele zu nennen, und diese Liebe von der Sie sprechen, kam ja in Tel Aviv zum Ausdruck, als Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl dort war. Über 3.000 Gäste kamen zu einem großen Empfang. Aber H e r r Bundespräsident, das ist ja nicht Ihr Alltag in den fünfJ a h r e n gewesen. Sie haben Diplomaten empfangen, Sie haben Botschafter beglaubigt, Orden verliehen und vieles vieles andere. Wieviel hat das von Ihrer Zeit absorbiert? Antwort: Weit weniger als die Hälfte. Der Aufwand f ü r Repräsentation u n d dazu gehört das alles, was Sie eben gesagt haben, ist doch nur der kleinere Teil der Arbeitszeit des Bundespräsidenten, insbesondere meiner eigenen Arbeitszeit gewesen. Natürlich haben die Auslandsreisen eine große Rolle gespielt. Ich habe 17 Auslandsreisen gemacht, bin ungefähr 60 oder 70 Tage auf Staatsbesuchen im Ausland gewesen. Das ist natürlich ein erheblicher Zeitaufwand, aber, wie ich glaube, einer der sich lohnt. Frage: Sie sagen, der sich lohnt, Sie haben viel Freunde gewonnen, in Amerika und in anderen Staaten? Antwort: Ich glaube, es lohnt sich deswegen, weil der Staatsbesuch des Bundespräsidenten, — das hat jetzt mit meiner Person überhaupt nichts zu tun, — in befreundeten Ländern Anlaß f ü r diese Länder ist, ihre Freundschaft f ü r uns zum Ausdruck zu bringen; auch übrigens ihre Dankbarkeit uns gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ich denke jetzt insbesondere an die Entwicklungsländer in Asien und Afrika, die ich besucht habe und die tief dankbar sind f ü r das, was wir an Entwicklungshilfe leisten. Natürlich ist ein solcher Besuch, wie in Amerika, wo ich 12 Tage war u n d an die 40 Reden gehalten habe, zugleich ein Anlaß f ü r beide Seiten, für die Deutschen und die Amerikaner, die Freundschaft zum Ausdruck zu bringen, zu bekunden, die die beiden Völker füreinander empfinden. Frage: Ihre Gattin hat Sie ja nicht nur auf Ihren Auslandsreisen begleitet. Ich darf sagen, auch in den f ü n fJahren hat sie Sie begleitet. War das eine besondere Freude f ü r Sie? Antwort: Das war eine große Freude. Ich wüßte nicht, was ich gemacht hätte, wenn meine Frau nicht dabei gewesen wäre. Es ist eben doch so, daß erstens Frauen viele Dinge sehen und anders sehen als Männer sie sehen. Aber vor allen Dingen hatte meine Frau bei vielen Anlässen ein eigenes Programm, welches einging auf die besonderen sozialen Probleme, sowohl im Ausland wie hier im Inland. Sie hat sich ja des Müttergenesungswerks angenommen, sie hat sich sehr f ü r die Multiplesklerose-Kranken engagiert und so hat sie, glaube ich, auch ganz unabhängig davon, daß sie mich begleitet hat bei vielen Reisen, aus Eigenem heraus viel Nützliches getan. Frage: Nebenbei hat sie ihre Praxis als Ärztin weiter geführt? Antwort: Ja, aber in einem sehr verkleinerten Umfang. Sie hat, seitdem ich Bun1078

46.8 Rückblick auf die Amtszeit des scheidenden Präsidenten despräsident bin, keine neuen Patienten angenommen und dadurch wurde natürlich die Praxis im Laufe der J a h r e kleiner, aber sie hat das getan, weil sie der Meinung war, sie konnte sich von ihren Patienten, die sie zum Teil über 10 Jahre betreut hatte, nicht einfach trennen. Sie hat gesagt, es wäre so, als wenn ihr von mir verlangen würdet, ich soll mich von meiner Familie trennen und das wird ja niemand verlangen. Frage: Herr Bundespräsident, wenn die Amtszeit am 1. Juli 1984 zu Ende ist, was werden Sie dann tun? Antwort: Ich werde wissenschaftlich arbeiten und Dinge, insbesondere schreiben, ein oder zwei Bücher schreiben über Themen, die mich seit Jahren interessieren, die ich aber nie vertieft habe, studieren können, weil mich die anderen Aufgaben zu sehr in Anspruch nahmen. Darauf freue ich mich sehr. Frage: Zu dieser Arbeit, die Sie hier in Bonn geleistet haben, — in verschiedenen Positionen als Staatssekretär, als Fraktionsvorsitzender der CDU - gehörte ja immer Europa. Werden Sie d a f ü r weiter engagiert sein? Antwort: Das werde ich mit Sicherheit. In welcher Form ich mich da engagieren werde, weiß ich jetzt noch nicht, aber ich werde immer zur Verfügung stehen, wenn es sich d a r u m handelt, den europäischen Gedanken voranzubringen.

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47 Gedenken an den „Röhm-Putsch" 1934 und an den 20. Juli 1944

Man kann über d e n deutsch-israelischen Dialog nicht schreiben u n d historisch berichten, o h n e die Daten zu beachten, u m die es dabei geht. Am 30. J u n i 1934 gab es die ersten großen Mordaktionen d e r Nationalsozialisten, die sich hinter d e m Schlagwort des „ÄöAwi-Putsches" verbargen. Dazu kam d a n n das Gedenken an d e n 40. Jahrestag des Putsches gegen Hitler, d e m in d e r Folge d e r T a g e einige tausend a u f r e c h t e r Deutscher aus Militär, politischer Opposition u n d Gewerkschaften zum O p f e r fielen. Der Volksgerichtshof in Berlin unter d e m Vorsitz von Blutrichter Freister w u r d e zum Symbol f ü r die mörderischen Todesurteile, die meist wenige S t u n d e n nach ihrer Verhängung in Plötzensee a u s g e f ü h r t wurden.

47.1 Bundeskanzler Helmut Kohl zum 50. Jahrestag des 3 O.Juni 1934 „Vor fünfzig J a h r e n , am 30. J u n i 1934 und an den folgenden T a g e n , ließ Adolf Hitler den Chef d e r SA, Ernst Röhm, und a n d e r e seiner Gefolgsleute e r m o r d e n . Gleichzeitig rechnete Hitler mit vielen Gegnern außerhalb seiner .Bewegung' ab. Zu den O p f e r n zählten neben dem f r ü h e r e n Reichskanzler General Schleicher prominente Regimegegner wie die Konservativen Edgar J.Jung u n d Herbert von Bose sowie der Leiter d e r Katholischen Aktion in Berlin, Ministerialdirektor Erich Klansener, die sich d e m totalitären Anspruch des Diktators öffentlich entgegengestellt hatten. Der raffinierten V e r d r e h u n g der Tatsachen durch Goebbels ist es zuzuschreiben, daß diese Entfesselung terroristischer Gewaltaktionen u n t e r d e m irreführ e n d e n Schlagwort vom ,Röhm-Putsch' auch noch heute etikettiert wird. Mit den M o r d e n des 30. J u n i 1934 ließ Hitler die Scheinlegalität seines Regimes endgültig fallen. Er ersetzte das Recht d u r c h terroristische Gewalt und vervollkommnete so d e n Totalitarismus seines Regimes, das bis 1945, bis zum bitteren Ende eines totalen Krieges mit ebensolcher totaler Zerstörung auf Deutschland lastete. Mit der Vereidigung d e r Reichswehr auf seine Person u n d mit d e r Vereinig u n g d e r Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers besorgte sich Hitler kurze Zeit später auch noch eine weitere Scheinlegitimation f ü r sein T e r r o r r e gime. So wurde d e r 30. J u n i 1934 ein düsterer W e n d e p u n k t unserer deutschen Geschichte. Die politische u n d militärische Opposition gegen das Hitlerregime hat sich 1080

47.2 Zum vierzig-jährigen Gedenken an den 20. Juli 1944 nach d e m Schlag im Sommer 1934 erst später wieder zu einer Aktion zusammenfinden können, die im Attentat vom 20. Juli 1944 ihren H ö h e p u n k t fand u n d tragisch scheiterte. Der 50. Jahrestag des 30. J u n i 1934 erinnert uns an die O p f e r dieser ersten großen Mordaktion Hitlers wie an alle a n d e r e n O p f e r des Regimes. Er r u f t uns jene M ä n n e r wieder in das Gedächtnis, die sich frühzeitig d e m H e r a u f d ä m m e r n des nationalsozialistischen Totalitarismus entgegengestemmt und f ü r ihre rechtsstaatliche Überzeugung öffentlich Zeugnis abgelegt haben. Die E r m o r d u n g von Klausener,Jung u n d a n d e r e n durch Hitler zeigte d e r Welt, daß mit der Machterschleichung Hitlers nicht jegliche Opposition u n d jeglicher Widerstand gegen die Diktatur erloschen waren. Die blutigen Ereignisse des 30. J u n i 1934 m a h n e n uns, mit Entschlossenheit und von Beginn an j e d e r Verletzung rechtsstaatlicher Demokratien zu wehren. Es bleibt eine bedrückende Lehre aus j e n e n J a h r e n deutscher Geschichte, daß ein totalitäres Regime, das seine Gewaltherrschaft gefestigt hat, von innen heraus kaum noch beseitigt werden kann.

47.2 Zum vierzig-jährigen Gedenken an den 20. Juni 1944 Zum vierzigsten Male j ä h r t e sich d e r T a g , d a Deutsche im Widerstand gegen Hitler das Äußerste wagten. Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, seine Mitverschworenen aus allen Teilen d e r Bevölkerung, dem Offizierscorps, den Diplomaten, d e n Gewerkschaften, d e n Intellektuellen, den Kirchen beider Konfessionen hatten d e n Aufstand geplant. Er mißglückte. H u n d e r t e wurden in den Wochen u n d Monaten hingerichtet, ü b e r 5.000, die vorher bereits in den J a h r e n d e r Gewaltherrschaft gegen die Verbrecher Hitler und seine Helfer gearbeitet hatten, gingen den Weg des Todes, weitere T a u s e n d e verbrachten lange J a h r e in d e n Konzentrationslagern. I h n e n allen galt d e r T a g des Gedenkens, sowohl an d e n historischen Orten in Berlin als auch in d e r ganzen Bundesrepublik. Die Fernsehstationen strahlten zahlreiche S e n d u n g e n aus, bei d e n e n auch etliche aus d e n G r u p p e n mitwirkten, die ein gütiges Schicksal vor d e m Galgen bewahrt hatte. Man m u ß vorsichtig sein mit großen Worten, aber man darf hier wohl sagen, daß das ganze deutsche Volk, vor allem seine J u g e n d diese T a t in diesen T a g e n bedachte, auch und gerade weil sie so tragisch geendet hat. An diesem Gedenktag wurden etliche Ansprachen u n d Reden gehalten, die das Bild dieses 20. Juli 1944 beleuchteten, noch einmal auf die Motive eingingen, die die Attentäter bewogen diese äußerste T a t zu wagen. 47.2.1

Ein interkonfessioneller Berlin-Plötzensee

Gottesdienst an der Hinrichtungsstätte

in

Bundespräsident Richard von Weizsäcker u n d Bundeskanzler Helmut Kohl waren mit vielen Ehrengästen erschienen, als d e r evangelische Bischof von Berlin 1081

47 Gedenken an den „Röhm-Putsch" 1934 und an den 20. Juli 1944 Kruse an der Gedenkstätte in Plötzensee sprach. Die Menschen, deren Namen mit dem 20. Juli verbunden bleiben, haben „den Abgrund gesehen, die innere Verwüstung, die Verkehrung allen Rechts", aber weil sie auch etwas von der Wahrheit Gottes gesehen hätten, seien sie gegen die Tyrannei aufgestanden. Der Berliner Bischof hob hervor, daß die Menschen um den 20. Juli die Tyrannei gesehen hätten, als „die meisten anderen sie nicht sahen", oder es nicht gewagt hätten. Jene, die „mit ihrem Leben f ü r Menschlichkeit und die Güte Gottes unter den Menschen" eingestanden seien, „kamen in Elend und Unehre und viele erlitten einen schmachvollen Tod". „Und doch glauben wir, daß sie es waren, in deren Leben und Sterben Gottes Menschenfreundlichkeit eine Spur hinterlassen hat." Für die Katholische Kirche sprach der Dominikanerprovinzial Karl Meyer aus Köln. Er forderte in seiner Predigt, angesichts zunehmender Unkenntnis über die Tatsachen des deutschen Widerstandes gegen Hitler, den Reichtum im Leben und Sterben jener Männer und Frauen des Widerstandes für die Kirche in Deutschland und die deutsche Nation bewußt zu erhalten. Ihr Leben sei gezeichnet gewesen von der „Ehrfurcht vor der Würde des Menschen, jedes Menschen". Aus diesem Grund seien sie den „Mächten des Bösen entgegengetreten". An dieser Gedenkstunde hatten zahlreiche Angehörige aus den Familien, vor allem auch Kinder und Kindeskinder der Widerstandskämpfer teilgenommen, die zu den Gedenkfeiern nach Berlin gekommen waren.

47.2.2

Gedenkstunde im Bendlerblock in der Stauffenbergstraße in Berlin

Im Ehrenhof der heutigen Gedenk- und Bildungsstätte, dort wo vor 40 Jahren am Abend des 20. Juli 1944 nach dem gescheiterten Attentat Oberst Graf Schenk von Stauffenberg und drei seiner Mitverschwörer erschossen wurden, legte Bundespräsident von Weizsäcker einen Kranz nieder. In eindrucksvollen Gedenkreden nahmen Politiker zu diesem tragischen Geschehen Stellung. Berlins regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen sagte in seiner Eröffnungsrede, um den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu ehren und um uns in Bewunderung vor ihm zu verneigen. Diepgen f u h r fort: „Wir tun dies gemeinsam an einem Ort, an dem vor 40 Jahren letzte verzweifelte Hoffnungen grausam scheiterten und an dem dennoch zugleich bleibende Hoffnung gestiftet wurde. Ich begrüße mit besonderer Achtung die Überlebenden des Widerstandes und der Verfolgung sowie die Angehörigen der Opfer, die Schlimmes und Bitteres erfahren haben. Die Teilnahme unserer ausländischen Gäste an dieser Gedenkstunde — ich nenne stellvertretend den Präsidenten des amerikanischen Jewish Committee empfinde ich dankbar als eine Geste der Ermutigung. Unser Erinnern ist dem ganzen deutschen Widerstand gewidmet. Deutsche 1082

47.2 Zum vierüg-jährigen Gedenken an den 20. Juli 1944 aus allen Parteien, aus allen Glaubensgemeinschaften und aus allen Bevölkerungsschichten kämpften gegen den Terrorstaat. Wir wären unredlich, wollten wir verschweigen, daß es in allen Schichten, Konfessionen, Parteien Minderheiten waren, wenige einzelne oft nur, die diesen Weg gingen und j e d e n Kompromiß verschmähten. Ihr Beispiel ist unendlich wichtig f ü r den schweren Neubeginn. Sie sind Zeugen f ü r die Freiheit u n d das Recht gegen den totalen Gehorsam, den das System einforderte. Dietrich Bonhoeffer sagte: .Gehorsam ohne Freiheit ist Sklaverei, Freiheit ohne Gehorsam ist Willkür. Der Gehorsam bindet die Freiheit, die Freiheit adelt den Gehorsam.' Von allen Widerstandsgruppen im sogenannten .Dritten Reich' standen die Verschworenen des 20. Juli 1944, dem letzten Attentat auf Adolf Hitler, der Macht am nächsten. Deshalb standen sie auch am dichtesten vor dem Gelingen einer Befreiung von innen. Hinter ihnen hatte sich die breiteste politische Basis des Widerstandes in Deutschland zusammengefunden. Es ist kein Zufall, daß die Träger dieses militärischen Widerstandes aus alten preußischen Traditionen erwuchsen. Viele von ihnen stießen erst spät vor bis zum entschlossenen ,Nein', das ihnen ihr Gewissen gebot. U m so mehr war dann ihr Widerstand geprägt von elementarer Moralität, einem tiefgehenden Ehrgefühl u n d einem tapferen Patriotismus. Wer sie herauslöst aus den Bedingungen ihrer Zeit, kann ihnen nicht gerecht werden. Erfolg oder Scheitern des Attentats, das war bei ihrer Tat zweitrangig. Entscheidend war der Mut zum Handeln aus Freiheit und Gewissen. Ihr Andenken gehört zu den großen Vermächtnissen unserer deutschen Geschichte. Als Hauptstadt des Deutschen Reiches wurde Berlin der f ü r 12 J a h r e zentrale Ort eines verbrecherischen Regimes, von dem Krieg, Mord und unmenschliche Verfolgung ausgingen. Berlin war aber auch der zentrale O r t des Widerstandes, von Otto Wels' großer Reichstagsrede im März 1933 bis zum Scheitern des Umsturzes im Juli 1944. Die Folgen dieses Kapitels deutscher Geschichte bündeln sich im Schicksal dieser Stadt. Kein O r t ist darum geeigneter, die Deutschen an ihre geschichtliche Verantwortung zu erinnern, einzutreten f ü r den Frieden, f ü r die W ü r d e und die Freiheit des Menschen. J e d e Zeit hat ihre Bedingungen. J e d e Generation hat ihre Fragen, ihre Chancen u n d ihr Versagen. Ich warne vor glatten Parallelen u n d einem Anspruch, den wir heute — ungefährdet - erheben. Aber der Mut zum Handeln aus Freiheit und Gewissen, f ü r den dieser Bendlerblock steht, das ist etwas, was uns immer aufgegeben ist, wofür uns die Frauen u n d Männer des Widerstandes auch heute Vorbild sind. 1083

4 7 Gedenken an den „Röhm-Putsch" 1934 und an den 20. Juli 1944 Viele, insbesondere viele j u n g e Menschen, sehen sich 40 J a h r e nach dem gescheiterten Attentat a n d e r e n Bedrohungen ausgesetzt. Umwelt, Frieden, H u n g e r , Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit o d e r auch Demokratie seien dazu n u r als Stichworte genannt. O f t wird die Gegenwart als eine Welt erlebt, die von Angst und Ausweglosigkeit umstellt ist, eingemauert in Sachzwänge u n d o h n e das Licht der H o f f n u n g . T r o t z d e m d e n Mut zu bewahren, trotzdem verantwortungsbereit u n d letztlich eben auch erfolgreich handeln zu können, trotzdem in Zuversicht und vom Glauben getragen entschlossen f ü r ein Leben in Freiheit eintreten zu können, das ist die tröstende M a h n u n g des Widerstandes gegen d e n Nationalsozialismus, die gültig bleibt bis zum heutigen Tag. Wir b r a u c h e n die moralische Kraft u n d das Maß von Verantwortungsbereitschaft derer, die im Widerstand ihr Leben wagten, wenn wir vor d e r Geschichte bestehen wollen." Nach ihm n a h m d e r Erste Bürgermeister von H a m b u r g , Klaus von Dohnanyi das Wort. Auch seine Familie gehörte zu den N a m e n des Widerstands. Von Dohnanyi sagte in seiner Rede: „Wir sind z u s a m m e n g e k o m m e n , u m der M ä n n e r und Frauen zu gedenken, die heute vor vierzig J a h r e n einen letzten, vergeblichen Versuch machten, u m ihr Vaterland aus eigener Kraft von der nationalsozialistischen Diktatur zu befreien. Der Krieg war verloren; ein Verhandlungsfriede nicht m e h r erreichbar. Die Verschwörer wußten, daß sie zu spät kamen. Sie u n t e r n a h m e n d e n Versuch d e r Befreiung dennoch, wie Henning Treskow seinem Kameraden Stauffenberg geschrieben hatte, weil es n u n darauf ankam, ,daß die deutsche Widerstandsbewegung vor d e r Welt u n d vor d e r Geschichte d e n entscheidenden Wurf gewagt' hatte. Denn allzulange hatte m a n gezögert; zu viele Gelegenheiten wurden verpaßt. In der ersten Stunde ließ die gespaltene Arbeiterbewegung die Chance des Generalstreiks ungenutzt. Der Reichstag — die kommunistische Partei war bereits verboten — beschloß im F r ü h j a h r 1933 gegen die Sozialdemokraten seine eigene Entmachtung. Dann zerschlugen die Nazis —ganz wie es zu erwarten war—alle Instrumente einer organisierten politischen Opposition: Parlament, demokratische Parteien, freie Gewerkschaften und freie Presse. Sie beseitigten brutal ihre härtesten politischen Gegner aus d e n J a h r e n d e r Republik. Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, mißliebige Politiker a n d e r e r Parteien, Mitglieder d e r Kirchen u n d republikanische Intellektuelle w u r d e n verhaftet, gefoltert, ermordet. Durch d e n Abbau der Arbeitslosigkeit u n d durch außenpolitische Erfolge erwarb Hitler immer breiteres Vertrauen. T r o t z d e r Rechtsbrüche, trotz d e r J u denverfolgung, trotz der Aufrüstung. N u n stand die große Mehrheit des deutschen Volkes hinter Hitler. Kritische Stimmen wurden in d e r Nachbarschaft n u r noch u n g e r n gehört. U n d wo sie die Meinungen nicht beherrschten, d o r t herrschten die Nazis mit d e r Gestapo. N u r noch die bewaffneten Streitkräfte konnten Hitler die Macht entreißen. 1084

47.2 Zum vierzig-jährigen Gedenken an den 20. Juli 1944 Und sie hätten es tun müssen angesichts des politischen Terrors und der offenen Vorbereitung eines Angriffskrieges. Aber Offizierskorps und Führungsspitze standen mehrheitlich rechts. Sie stimmten folglich mit Hitlers revanchistischen Zielen grundsätzlich überein. Aufrüstung und militärische Erfolge verstärkten diese Zustimmung. Die wenigen weitsichtigen und mutigen Offiziere, die zum Teil seit 1933, spätestens aber seit 1937, die Katastrophe kommen sahen, blieben einsam. Es ist diese Einsamkeit, die wir bedenken müssen, wenn wir vom Widerstand sprechen. Denn Widerstand in Deutschland forderte eine andere Haltung als Widerstand in den danach von uns besetzten Ländern. Dort kämpfte man gegen den äußeren Feind, hier gegen die eigene Regierung; dort wurde man getragen von der Zustimmung des Volkes, hier aber war der Widerstandskämpfer unendlich einsam. Ich war dreizehn J a h r e alt, als Paris im Juni 1940 fiel. Unvergeßlich bleibt mir aus jenen Tagen das abgehärmte, enttäuschte, j a verzweifelte Gesicht meines Vaters inmitten der fahnenbunten Jubelstimmung. Das Gebet für die Niederlage des eigenen Volkes, der notwendigen Niederlage aus moralischen, politischen und aus historischen Gründen, dieses Gebet muß wohl das schwerste sein, das einem Patrioten zu sprechen abverlangt werden kann. Denn sie waren Patrioten, die Frauen und Männer des Widerstandes. Wo immer sie für Menschlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit eintraten, sind sie zugleich für ein besseres Deutschland eingetreten. Die Nazizeit hat uns gelehrt —oder sollte uns mindestens gelehrt haben — Vaterlandsliebe kritischer aber auch tiefer zu verstehen. Heute wissen wir — und sollten niemals vergessen: Nicht die Mahner und Kritiker haben das ,Nest beschmutzt', sondern die fahnenschwingenden Spießer. Nicht die Attentäter haben den Eid gebrochen, sondern Hitlers Gefolgschaft. Es hat in Deutschland keine umfassende Widerstandsbewegung gegeben, konnte sie wohl auch nicht geben. Aber es hat vielfältigen Widerstand gegeben. Aus politischen, aus ethischen, aus religiösen Gründen. Wenn wir des 20. Juli gedenken, dann gedenken wir deshalb zugleich all der ungezählten tapferen Frauen und Männer, die gegen den Nationalsozialismus und für eine freie und gerechte Gesellschaft gekämpft und gelitten haben; vom Anfang der Nazibewegung während der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. In Deutschland, in der Emigration, aber auch zum Beispiel im Kampf für die Spanische Republik. Zu diesem Widerstand gehörten auch diejenigen, die oft unter Gefahr für ihr eigenes Leben und das ihrer Familien den Verfolgten zu Hilfe kamen. Es war im Winter 1942/43. Die Verhaftung meiner Eltern stand unmittelbar bevor. Meine Mutter und ich warteten von Einkäufen kommend auf den Autobus. Ein älterer Jude, den gelben Stern auf seinem abgerissenen Mantel, kehrte vor uns die Straße. Mehrere Male hatte er angestrengt versucht, den Schubkarren über die Bordschwelle zu schieben. Er war zu schwach. Teilnahmslos sahen die vielen Menschen zu. Ich werde es nie vergessen, wie meine Mutter, aschfahl ge1085

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1934 und an den 20. Juli

1944

worden, ihre Hände öffnete, die schweren Einkaufsnetze achtlos fallen ließ, den Schubkarren zur Hand nahm und ihn auf den Bürgersteig schob. Es war dies, so glaube ich heute, die nachdrücklichste moralische Ermahnung zur Menschlichkeit, die ich in meinem Leben erfahren habe. Der deutsche Widerstand hat das Vaterland nicht bewahren, die Freiheit nicht zurückgewinnen können. Leiden und Sterben hinterließen uns politischen Auftrag und moralisches Vermächtnis. Der politische Auftrag lautet: Für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde politisch zu arbeiten. Denn der Held des Widerstandes, bereit für die Freiheit zu sterben, kann uns, die wir heute in Freiheit leben, nicht konkretes Vorbild sein. Aber der Tod der deutschen Widerstandskämpfer weist auch auf diejenigen, die zuvor in den Jahren der Republik den mühevollen — und vergeblichen — Versuch gemacht hatten, die erste deutsche Demokratie zu schaffen und zu bewahren. Sie sind tragische Geschwister: die mutigen Männer und Frauen des verspäteten 20. Juli und die frühen, vergeblichen deutschen Demokraten. Sie ermahnen uns, nicht zu vergessen wie die Weimarer Demokratie verspielt wurde. Wie das deutsche Bürgertum gegenüber der ersten Republik versagte. Daß es keine Alternative zur mühevollen und immer auch von menschlichen Fehlern gekennzeichneten politischen Tagesarbeit gibt. Mir scheint, es sind auch heute zu viele, die sich bequem fernhalten und kritisieren, anstatt selbst politisch Hand anzulegen. Sich über Parteipolitik naserümpfend zu erheben, ist wenig demokratisch. Parteien immer wieder von innen zu erneuern, ist die demokratische Aufgabe. Auch Demokratie ist der Veränderung unterworfen. Während man aber bei unseren westlichen Nachbarn den Wechsel politischer Strömungen gelassen als Anzeichen wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Veränderungen hinnimmt, hören wir bei uns schon wieder Stimmen, die mit dem Wort .Weimar' Krisen Untergangsstimmung verbreiten. Demokratie braucht nicht nur die Mitarbeit der Bürger, sondern auch Selbstvertrauen. Die Krise der Industriegesellschaft hat j a erst begonnen. Niemand kann doch übersehen, wie die Armut der Dritten Welt wächst, mit großen Risiken auch für uns. Niemand kann übersehen, daß Massenarbeitslosigkeit in den Industriestaaten droht und daß eine neue Armut beginnt, sich auch bei uns breitzumachen. Niemand kann übersehen, daß der ungezügelte, kommerzielle Wettbewerb der Unternehmen und Nationen die Natur, von der der Mensch lebt, immer tiefer zerstört. Und niemand kann die Risiken des ungebrochenen Wettrüstens übersehen. Die Bewährung der Demokratie in der kommenden Krise, das ist der politische Auftrag des deutschen Widerstandes an uns heute. Unser Land, Europa, diese Erde in Frieden und Freiheit bewohnbar zu erhalten. Hierfür die notwendigen Entschlüsse mutig und wirkungsvoll zu fassen. Und nicht wieder zu warten, bis jemand kommt, der uns zeigt, um ein Beispiel von damals zu wählen, daß man Autobahnen nicht nur planen, sondern auch bauen kann! 1086

4 7.2 Zum vierzig-jährigen Gedenken an den 20. Juli 1944 Wir haben aber auch ein moralisches Vermächtnis zu erfüllen. Tragisch hatten sich nach 1848 unsere wissenschaftlichen Fähigkeiten mit unserem Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung verschmolzen. Hieraus erwuchs unsere große Begabung für das industrielle Zeitalter: die Verbindung von technischer Phantasie mit der Befähigung zu effektiver betrieblicher Organisation. Diese Fähigkeit entwickelte ihre schrecklichste Perversion in Auschwitz. Und auch die Ideologie vom .Herrenmenschen' war Ausdruck eines zur Absurdität gesteigerten Leistungsstrebens. Wir sind mit unseren geistigen Anlagen und psychischen Strukturen offenbar ein gefährdetes Volk. Es ist das moralische Vermächtnis des Widerstandes an uns, dieser deutschen Gefährdung endgültig Herr zu werden. Durch Erziehung, durch Besinnung auf die wahren menschlichen Werte. Durch mehr Liberalität, mehr Toleranz, mehr Geduld. Und durch weniger Angst. Für mich bedeutet dieses Vermächtnis politisch, daß unsere deutsche Stimme heute und zukünftig auf der Seite der Verfolgten und Entrechteten immer deutlich zu hören sein muß; auf der Seite der Befreiungsbewegungen in einer unterdrückten Welt; auf der Seite der verfolgten Rassen und der Minderheiten; und auf der Seite derjenigen, die bei uns und anderswo politisches Asyl suchen. Denn der Aufstand der Männer und Frauen des 20. Juli war im Kern ein Aufstand des menschlichen, des sozialen, des christlichen Gewissens. Die Täter des 20. Juli 1944, in denen wir den ganzen deutschen Widerstand ehren, haben sich um die Demokratie unseres heutigen Staates verdient gemacht. Wir selbst müssen uns die Männer und Frauen des Widerstandes als Vorbilder erst noch verdienen." Als letzter Redner trat Bundeskanzler Helmut Kohl ans Rednerpult: „Justitia Fundamentum regnorum. Niemals in der deutschen Geschichte ist der Satz, daß die Gerechtigkeit das Fundament der Staaten ist, schlimmer verletzt worden und mit schwereren Folgen, als durch die Nazi-Diktatur der Jahre 1933 bis 1945. Aber niemals in unserer Geschichte ist auch mit mehr Tapferkeit und Opfermut für die Gerechtigkeit gekämpft und gelitten worden als am 20. Juli 1944. Heute, 40 Jahre danach, gedenken wir der Deutschen, die ihr mutiges Eintreten für Menschenwürde und Freiheit, f ü r Recht und Wahrheit mit ihrem Leben bezahlt haben: Parlamentarier der Weimarer Republik wie Eugen Bolz oder Julius Leber, Männer und Frauen aus Gewerkschaften und Parteien, Beamte und Gelehrte, Geistliche und Laien beider christlicher Konfessionen wie Pfarrer Paul Schneider, Domprobst Bernhard Lichtenberg und Erich Klausener, junge Menschen wie die Geschwister Scholl, einzelne Widerstandskämpfer wie der erfolglose Attentäter Georg Eisner. Und wir gedenken an diesem Tag vor allem derer, die die Tat des 20. Juli vorbereitet und gewagt haben: Ich möchte hier besonders erinnern an Claus Graf Stauffenberg, Generaloberst Ludwig Beck, Helmuth Graf Moltke, Dietrich Bon1087

47 Gedenken an den „Röhm-Putsch" 1934 und an den 20. Juli 1944 hoeffer, Pater Alfred Delp, Carl Goerdeler, Bernhard Letterhaus, Wilhelm Leuschner, Adolf Reichwein. Wir tun es an dem Ort, wo f ü r die Dauer weniger S t u n d e n das andere, das bessere Deutschland sein Hauptquartier hatte. Hier im Bendlerblock in Berlin, dazu in Kassel, in Paris und an wenigen anderen O r t e n gab es f ü r eine kurze Spanne Zeit am 20. Juli die H o f f n u n g d e r rettenden Tat: die Diktatur zu stürzen, ihre Führer u n d verbrecherischen Helfer vor deutsche Gerichte zu stellen. das deutsche Ansehen vor der Welt wieder herzustellen, u n d die Deutschen u n d ihre Nachbarn vor d e r letzten u n d äußersten Katastrophe des totalen Krieges zu bewahren. Letzten Endes lief die Verschwörung des 20. Juli d a r a u f hinaus, die deutsche Geschichte u n d das deutsche Schicksal abzutrennen vom absehbaren Zusammenbruch des Nationalsozialismus, aber auch Deutschland zu bewahren vor den Teilungs- und Unterwerfungsplänen d e r Anti-//i