215 35 171MB
German Pages 544 [548] Year 1988
Band 1 - 3 [Namensregister von Teil I in Band 3]
Teil II: Wirtschaft/Landwirtschaft Band 4 - 5 [Namensregister von Teil II in Band 5]
Teil III: Kultur Band 6 - 8 [Namensregister von Teil III in Band 8]
K-G-Saur München • NewYork-London • Paris 1988
Der deutsch-israelische Dialog Dokumentation eines erregenden Kapitels deutscher Außenpolitik Herausgegeben von Rolf Vogel Teil I: Politik
Band 2
K-G-Saur München-NewYork-London-Paris 1988
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Der deutsch-israelische Dialog : Dokumentation e. erregenden Kap. dt. Aussenpolitik / hrsg. von Rolf Vogel. - München ; New York ; London ; Paris : Säur. ISBN 3-598-21940-7 NE: Vogel, Rolf [Hrsg.] Bd. 2 : Teil I, Politik. - 1988 ISBN 3-598-21942-3
Alle Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved K.G. Saur Verlag, München 1988 Printed in the Federal Republic of Germany Druck/Binden: Graphische Kunstanstalt Jos. C. Huber, Dießen/Ammersee ISBN 3-598-21940-7 (Gesamt) ISBN 3-598-21942-3 (Band 2)
Inhaltsverzeichnis 26
Im Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel 527
26.1
Große Kreise der bundesdeutschen Bevölkerung stehen auf der Seite Israels 26.1.1 Heinz Galinski: Die Berliner Bevölkerung war einmalig 26.1.2 207.000,— DM f ü r israelische Waisenkinder 26.1.3 Hilfsaktion „Skopusberg" hat Erfolg 26.1.4 Gesellschaft f ü r Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Marburg: Wünschet Jerusalem Glück! 26.1.5 Umfragen des Instituts f ü r Demoskopie in Allensbach 26.1.5.1 Sollen wir Deutschen den Arabern nachgeben? 26.1.5.2 Sparsamkeit steht im Vordergrund 26.2 Deutsche Parlamentarier in Israel 26.3 Neuer Anlauf im deutsch-israelischen Jugendaustausch 26.4 Neubeginn des Tourismus nach Israel 27 27.1 27.2 27.3 27.4 27.5 27.6 27.7 27.7.1 27.7.2 27.8 27.9 27.10 27.11 27.12 27.13
Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg . . . . Prof. Carl Carstens, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zu den Nahost-Problemen Interview mit dem neuen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher Bundeskanzler Helmut Schmidt: Fortsetzung der deutschen Nahost-Politik Erklärung des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen zur Palästina-Debatte Israels neuer Botschafter in Bonn, Johanan Meroz, zur Lage im Nahen Osten Gerhard Schröder: Die Zukunft Israels liegt in der Zusammenarbeit der nahöstlichen Region Israels Außenminister Yigal Allon in der Bundesrepublik Deutschland . Aus der Ansprache Yigal Allons Bilanz des Besuches: Der Wortlaut der Pressekonferenz Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vor Beginn seiner Reise nach Kairo: Auch Anerkennung des Existenzrechts Israels Bundeskanzler Helmut Schmidt zur Lage im Nahen Osten Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher: Europäische Staaten sind bereit, in einem Garantiesystem f ü r eine Nahost-Lösung Funktionen zu übernehmen Meinungsaustausch zwischen Yigal Allon und Außenminister Hans-Dietrich Genscher auf dem Flughafen in Düsseldorf Zum ersten Mal: Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik Deutschland Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher: Verständigungsbereite Kräfte in beiden Lagern fördern
527 527 529 529 530 531 531 534 535 536 537 539 539 540 543 544 545 552 553 554 556 559 562 563 566 567 581 V
Inhaltsverzeichn i.\ 27.14 27.14.1 27.14.2 27.14.3 27.14.4 27.14.5 27.14.6 27.14.7 27.14.8 27.14.9 27.15 27.16
28 28.1 28.2 28.2.1 28.2.2 28.2.3 28.2.4 28.2.5 28.2.6 28.2.7 28.2.8 28.2.9 28.3 28.3.1 28.3.2 28.4 28.5 28.5.1 28.5.2 29 29.1 29.2 29.3 29.4
VI
Genscher reist nach Jerusalem Die Ansprache Yigal Allons Politisches Frühstück mit Handelsminister Bar Lev Die Nahost-Frage u n d die deutschen Möglichkeiten Ein Shabbat mit politischem und menschlichem Gewicht Besuch der Heiligen Stätten Abschlußessen mit Moselwein Privater Besuch in der Altstadt Duckwitz-Lehrstuhl f ü r Krebsforschung Abschlußempfang in Tel-Aviv Ein Schritt in Richtung d e r Verständigung — kein Visum mehr f ü r Israel Werner Nachmann: Die jüdische Gemeinschaft der Bundesrepublik wirkt an der Friedensarbeit der Bundesregierung mit
584 586 589 593 594 594 595 595 595 597 598 598
Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen 601 Der Wortlaut der Resolution 601 Stellungnahmen zur Resolution 602 Helmut Schmidt auf dem Parteitag der SPD 602 Willy Brandt: Israelis und Araber an einen Tisch 603 Der Generalsekretär der CDU, Professor Kurt Biedenkopf 603 Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, HansGünter Hoppe 604 Resolution einer Versammlung in Berlin 604 Der deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften f ü r christlichjüdische Zusammenarbeit e. V 605 Die Deutsch-Israelische Gesellschaft 606 Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken 606 Protestresolution des Zentralrats der J u d e n in Deutschland 606 Empörung über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik . . . 607 Aus R u n d f u n k - u n d Fernsehkommentaren 610 Aus deutschen Zeitungen 611 So sehen es im Ostblock Presse und R u n d f u n k 616 Ansprachen bei Gedenkfeiern zur Reichskristallnacht 618 Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz: „Wenn wir Partei nehmen für die Toleranz, so nehmen wir Partei für den Menschen" . . 6 1 8 Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski . . 6 2 0 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten Yigal Allon besucht erneut die Bundeshauptstadt Der Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Koilek, zu den religiösen Gesellschaften in der Hauptstadt Israels Israels Botschafter Yohanan Meroz: „Was Deutschen und Franzosen gelungen ist, sollte auch Arabern und Israelis möglich sein!" Regierungserklärung auch mit Gedanken zur deutschen Nahost-Politik und zum Frieden
622 622 626 627 635
Inhaltsverzeichnis 29.5
Die deutsche Initiative f ü r eine internationale Konvention gegen Geiselnahme hat Erfolg 16. März 1977: Hans-Dietrich Genscher reist erneut nach Israel Ein Interview vor der Reise Franz Josef Strauß in Kairo — Ein wichtiger Dialog auch f ü r den Frieden im Nahen Osten Ein vertraulicher Auftrag von Franz Josef Strauß: „Informieren Sie unsere Freunde" Was wollte Anwar el Sadat?
645 647
30
Die kritische Lage im Nahen Osten bringt auch Spannungen zwischen der Bundesrepublik und Israel
648
30.1
Solidarität mit den Menschen in Israel - Ein Gespräch mit dem neuen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Eric Blumenfeld . . Erklärung des Europäischen Rats über den Nahen Osten 29. September 1977: Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher spricht vor den Vereinten Nationen Neuer Botschafter in Israel, Klaus Schütz Der israelische Außenminister Moshe Dayan kommt in die Bundesrepublik Die Rede Moshe Dayans Bundeswirtschaftsminister Dr. Otto Graf Lambsdorff antwortet . . . . Anfang Dezember 1977: Besuch des israelischen Finanzministers Simcha Ehrlich in der Bundesrepublik Deutschland
29.6 29.7 29.8 29.9
30.2 30.3 30.4 30.5 30.5.1 30.5.2 30.6 31 31.1 31.2
641 642 645
648 650 651 656 657 658 662 664
31.9
Die Friedensbemühungen konkretisieren sich 667 Dokument f ü r den Frieden aus Jerusalem 667 Bundeskanzler Helmut Schmidt besucht den ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat 669 Grundsatzerklärung Ägyptens zum Frieden im Nahen Osten 671 Die Haltung der Bundesregierung zum Nahost-Dialog 672 Botschafter Meroz spricht vor dem Rat der Europäischen Bewegung . 673 Franz Josef Strauß über sein Gespräch mit Anwar el Sadat 676 Der Vorsitzende der israelischen Arbeiterpartei und Oppositionsf ü h r e r in der Knesset, Shimon Peres, kommt in die Bundesrepublik . . 678 Besuch des saudi-arabischen Kronprinzen Fahd bin Aziz al-Saud am 23. Juni 1978 in Bonn 679 Erklärung des Europäischen Rats über den gesamten Nahost-Komplex . 681
32
DreißigJahre Israel
32.1
Bundestagspräsident Prof. Karl Carstens besucht mit sieben Abgeordneten Israel vom 23. bis 28. Mai 1978 28. Juni 1978: Bundesaußenminister Genscher fliegt zum dritten Mal in die israelische Hauptstadt Bilanz der Reise Ein Gespräch mit d e m Vorsitzenden der parlamentarischen Opposition im Deutschen Bundestag, Helmut Kohl
31.3 31.4 31.5 31.6 31.7 31.8
32.2 32.2.1 32.3
684 684 690 695 697 VII
Inhaltsverzeichnis 32.4 33 33.1 33.1.1 33.1.2 33.1.3 33.1.4 33.2 33.3 33.3.1 33.3.2 33.3.3 33.4 34 34.1 34.2 34.3 34.4 34.4.1 34.4.2 34.5 34.5.1 34.5.2 34.5.3 34.5.4 34.5.5 34.6 34.7 34.8 34.9 34.9.1 VIII
„Auf dem Weg zum Frieden" — Interview mit dem israelischen Außenminister Josef Burg
700
Das Treffen von Camp David 702 Stellungnahmen zur Konferenz 702 14. August 1978: Bundesaußenminister Genscher begrüßt das Treffen von Camp David 702 Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft 703 Stellungnahme des Bundeskanzlers zum Ergebnis von Camp David und der Lage im Nahen Osten 703 Die Äußerungen der Parteien des Deutschen Bundestages 705 Der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten 707 Zum Abschluß des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten . .710 Erklärung der Regierung der neun EG-Mitgliedstaaten 710 Das Europa-Parlament diskutiert Entschließungsantrag zum israelischägyptischen Friedensvertrag 711 Die Gemeinschaft der europäischen politischen Zusammenarbeit erörtert die Lage im Nahen Osten 713 Die ersten Schritte im Frieden - Interview mit Yohanan Meroz 714 Deutsche Nahost-Initiativen Das Treffen von Willy Brandt, dem österreichischen Bundeskanzler Kreisky und Arafat Staatssekretär Bölling zu den deutsch-israelischen Nahost-Fragen und den Problemen deutsch-arabischer Kontakte Auszug aus einer Pressekonferenz vom 27. Juli 1979 mit Staatssekretär Bölling Die Reise des Abgeordneten Möllemann in den Nahen Osten Eine Stellungnahme Hans-Dietrich Genschers Jürgen Möllemann äußert sich selbst Die Reise des Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher nach Syrien, den Libanon, Jordanien und Ägypten Die Tischrede Genschers bei einem Abendessen in der Arabischen Republik Syrien Genschers Ansprache bei einem Abendessen in Amman Genschers Rede bei seiner Gegeneinladung am nächsten Tag Zu den Ereignissen seiner Nahost-Reise: Genscher gibt ein Telefoninterview aus Damaskus Nach Abschluß der Reise: Interview für den Südwestfunk Genscher zu Fragen der deutschen Nahost-Politik Der israelische Außenminister Moshe Dayan erneut in der Bundesrepublik Deutschland Besuch der Bundesrepublik Deutschland durch Knesset-Präsident Yitzhak Berman und einer Delegation der Knesset Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß reist nach Israel . Interview mit Franz-Josef Strauß über seine Jerusalem-Reise
716 716 717 718 720 720 720 721 724 726 728 729 732 734 736 740 742 747
Inhaltsverzeichnis
34.10 34.11 35 35.1 35.1.1 35.1.2 35.1.3 35.1.4 35.2 35.3 35.4 35.4.1 35.4.2 35.5 35.6 35.6.1 35.6.2 35.7 35.8 35.9 36 36.1 36.2 36.2.1 36.2.2 36.2.3 36.2.4 36.2.5 37
Der Generalsekretär der Liga der Arabischen Staaten, Chedli Klibi, in Bonn und Hamburg Israels Außenminister Yitzhak Shamir zu zweitägigen Gesprächen in der Bundeshauptstadt Bonn
750 756
Die Europäische Gemeinschaft und der Nahost-Konflikt 763 Die Konferenz von Venedig 763 Israels Botschafter Yohanan Meroz zur europäischen Nahost-Initiative . 763 Bundeskanzler Helmut Schmidt, Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Helmut Kohl, zur Nahost-Erklärung von Venedig 765 Der Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, Werner Nachmann, zur Nahost-Erklärung der Europäischen Gemeinschaft 768 Erklärung des Europäischen Rats über den Nahen Osten 769 Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur NahostFrage — Erklärung zur gemeinsamen Stimmenthaltung der Neun . . .771 Der europäische Ministerrat berät über den Nahen Osten 771 Die 35. Nationalversammlung der Vereinten Nationen zur NahostFrage 773 Auszug aus der Rede des Präsidenten des Europäischen Ministerrats, Gaston Thorn, am 23. September 1980 773 Auszug aus der Rede von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher 778 Gaston Thorn spricht in Bonn über seine Nahost-Mission 779 Die Neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft mit einem neuen Kommunique zu den Einzelheiten des Nahost-Problems 781 Zur Frage des Libanon 782 Zu Jordanien und Syrien 783 Das zehnte Mitglied kommt zur Europäischen Gemeinschaft 783 Die Meinung der ägyptischen Regierung zur Nahost-Krise 785 Anwar el Sadats Rede vor dem europäischen Parlament zum Frieden zwischen Ägypten und Israel 789 Empörung in der Bundesrepublik über eine Äußerung von Menachim Begin . . 797 Die Antwort von Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 7. Mai 1981 797 Aus der Bundestagsdebatte vom 7. Mai 1981 798 Helmut Kohl, Vorsitzender der CDU und Oppositionsführer 798 Hans-Jürgen Wischnewski, Bundesminister a.D. und Mitglied des Präsidiums der SPD 801 Hans-Günter Hoppe, Abgeordneter der FDP 802 Hans-Dietrich Genscher, Bundesaußenminister 803 Manfred Wörner, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU 803 Bilanzen, Rückblicke, Ausbliche zum Friedensprozeß im Nahen Osten und zum deutsch-israelischen Verhältnis 806 IX
Inhaltsverzeichnis 37.1 37.2 37.3 37.4 37.5 37.6 37.7 37.8 38 38.1 38.2 38.2.1 38.2.2 39 39.1 39.1.1 39.2 39.3 39.4 39.5 40 40.1 40.2 40.3
Das deutsch-israelische Verhältnis ist gut - Ein Interview mit Asher Ben Nathan, dem ehemaligen israelischen Botschafter in Bonn im Deutschlandfunk am 4.1.1981 806 Botschafter Klaus Schütz zieht nach dreieinhalb Jahren Bilanz 812 „Wir sind mitbetroffen" — Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß zur Lage im Nahen und Mittleren Osten 814 Peres schlägt Zone des Friedens und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vor: Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und Israel als Garanten f ü r Freiheit und Gewaltverzicht 819 Interview mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß . 822 Ein Gespräch mit dem israelischen Innenminister, Dr. Josef Burg, über die bisherigen Autonomiegespräche Israels mit Ägypten, die israelisch- arabischen Probleme und den deutsch-israelischen Dialog . . 827 Israels neuer Botschafter Jitzhak Ben Ari tritt in Bonn sein Amt an . . 831 Niels Hansen, der neue deutsche Botschafter in Israel: Die bestehenden Beziehungen ausbauen 834 Die 36. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York Rede des Präsidenten der Europäischen Gemeinschaft am 22. September 1981 Hans-Dietrich Genscher am 23. September 1981 Politische Grundsätze zur Bewahrung des Weltfriedens Für eine friedliche Regelung des Nahost-Konflikts Der Konflikt im Nahen Osten bringt auch Differenzen zwischen der Bundesrepublik, der EG und Israel Fünfte Israelisch-Deutsche Konferenz in Tel-Aviv vom 15. bis 18. November 1981 Botschafter Dr. Niels Hansen überbringt die Grüße der Bundesregierung
837 838 838 839 840 840 844
Der europäische Ministerrat gegen die Golan-Entscheidung der israelischen Regierung 849 Der Camp-David-Prozeß muß weitergeführt werden: Ein Gespräch mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bernd von Staden . . . 850 Der Präsident der Arabischen Republik Ägypten, Hosni Mubarak, kommt zu einem zweitägigen Besuch nach Bonn 851 Der europäische Ministerrat zur Lage im Nahen Osten 855 Erklärungen zur Erfüllung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages am 25. April 1982 857 Bundeskanzler Helmut Schmidt 857 Der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher . . . . 857 Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alois Mertes, f ü r die parlamentarische Opposition 858
41
Bundesaußenminister Genscher reist zum vierten Mal nach Israel
41.1 41.2
Ein Interview vor dem Abflug Die Reise
X
837
860 860 861
Inhaltsverzeichnis 41.2.1 41.2.2 41.2.3 41.2.4 41.3
Kranzniederlegung in Yad Vashem Die Gespräche in Jerusalem Aus der Pressekonferenz zum Abschluß der Gespräche Abschluß des Besuches mit einem Abendessen im Hilton-Hotel Jerusalem Zu den Ergebnissen
41.3.1 41.3.2 42
Ein Interview mit Genscher am Morgen des 4. Juni 1982 Israels Botschafter in Bonn: Ein Stein beim Aufbau des Friedens Die Libanon-Krise
862 863 863 866 872 872 . . .874 876
42.1
Presseerklärung der Außenminister der Zehn zum Nahen Osten vom 20. September 1982 876 42.2 Der Regierungssprecher zum Abzug der PLO aus dem Libanon . . . . 877 42.3 Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Libanon-Konflikt 878 42.4 PLO-Vertreter Frangi in Bonn 879 42.5 Hans-Dietrich Genscher und Rainer Barzel in den „Bonner Perspektiven" 880 42.5.1 Hans-Dietrich Genscher 880 42.5.2 Rainer Barzel 882 42.6 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher informiert sich in Amman und Kairo über die Lage im Nahen Osten 884 42.7 Erklärung der Bundesregierungzur Lage im Libanon und im Nahen Osten 887 43 Die Entwicklung des Nahost-Dialogs nach dem Wechsel der Bundesregierung . 890 43.1 Der Präsident der Arabischen Republik Ägypten, Hosni Mubarak, besucht Bonn 892 43.1.1 Eine Presseerklärung des Bundeskanzlers 894 43.1.2 Die Tischreden beim Abendessen 896 43.1.2.1 Bundeskanzler Helmut Kohl 896 43.1.2.2 Mubarak antwortet 897 43.2 Die Tagung des Europäischen Ministerrates am 3. und 4. Dezember 1982 in Kopenhagen 898 43.3 Bundeskanzler Helmut Kohl äußert sich zum ersten Mal zu Israel . . . 899 43.4 Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage im Nahen Osten . 902 43.5 Der Besuch des israelischen Außenministers Yitzhak Shamir in Bonn . 906 43.5.1 Themenfolge der Gespräche der beiden Außenminister 908 43.5.2 Die europäischen Sorgen Israels 910 911 43.5.3 Die Tischreden 43.5.4 Ein Interview mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher . . . 9 1 5 43.6 König Hussein kommt nach Bonn 917 43.6.1 Verlautbarung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zum Gespräch König Husseins mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher 919 43.7 Der Innenminister der israelischen Regierung, Josef Burg, bei einem Besuch in der Bundeshauptstadt 920 43.8 PLO-Sprecher Mahmoud Labadi über die Konferenz des Palästinensischen Nationalrats in Algier 922 XI
Inhaltsverzeichnis 43.9
43.10 43.11 43.12 43.13
Erik Blumenfeld: Bundeskanzler Helmut Kohl sollte Premierminister Menachim Begin nahelegen, eine Pause f ü r neue Siedlungen im WestJ o r d a n l a n d einzulegen Abba Eban zum Plan des amerikanischen Präsidenten Reagan f ü r Israel, Libanon u n d das Westjordanland Interview mit Franz-Josef Strauß zum N a h e n Osten Der jordanische Kronprinz Hassan von J o r d a n i e n kommt in die Bundesrepublik Der stellvertretende Ministerpräsident u n d Außenminister d e r Republik Irak, Tariq Aziz, besucht die Bundesrepublik
923 924 924 926 930
43.13.1 Die Frage der Menschenrechte 930 43.13.2 Die Tischrede von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher . . . 9 3 1 43.14
Die verschobene Reise des Bundeskanzlers nach Israel
933
43.14.1 Israels Botschafter Jitzhak Ben Ari: Ich habe die Empfangstorte schon gesehen 43.14.2 Telegramm des Bedauerns von Ministerpräsident Menachim Begin an den Bundeskanzler 43.14.3 Pressekonferenz mit Staatssekretär Peter Bönisch 43.14.4 Kohl-Besuch in Israel so f r ü h wie möglich! 43.15
Nahost-Reise von Bundeskanzler Helmut Kohl nach J o r d a n i e n , Ägypten u n d Saudi-Arabien vom 5. bis 11. Oktober 1983
934 937 937 940 941
43.15.1 Die Abschlußerklärung des Bundeskanzlers in J o r d a n i e n 43.15.2 Zweite Station der Reise: Kairo
944 945
43.15.2.1 Erklärung des Bundeskanzlers vor der Pressekonferenz in Kairo . . . . 949 43.15.3 Besuch im Königreich Saudi-Arabien
950
43.15.3.1 Helmut Kohl bei einer Pressekonferenz am 11. Oktober 1983 mit dem saudi-arabischen Außenminister in Djidda
953
44
Zur Situation im Mittleren Osten 10 Jahre nach dem Yom-Kippur-Krieg
44.1 44.2
Eine Rede von Botschafter Gideon Rafael 955 Bundesaußenminister Genscher u n d der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Horst Ehmke, zur Lage im N a h e n Osten . 959
44.2.1 44.2.2
Hans-Dietrich Genscher Horst E h m k e
959 961
44.3
Erklärung des Europäischen Ministerrats zur Lage im Norden des Libanon am 9. November 1983
962
45
Das Jahr 1984 beginnt mit einer Reise von Bundeskanzler Helmut Kohl nach Israel
964
45.1 45.2
Vom Flughafen direkt nach Yad Vashem Ministerpräsident Yitzhak Shamir gibt dem Bundeskanzler u n d d e n aus der Bundesrepublik gekommenen Gästen ein Abendessen
965
45.2.1 45.2.2
Die Ansprache des israelischen Ministerpräsidenten Die Antwort des Bundeskanzlers
967 969
45.3
Das Gastgeschenk Kohls an Israel
974
XII
. . .955
967
Inhaltsverzeichnis 45.4 45.5 45.6 45.7 45.8 45.8.1 45.8.2 45.9 45.10 45.11 45.11.1 45.11.2 45.11.3
Besuch in der Knesset Besuch beim Bürgermeister der Stadt Jerusalem Mittagessen im Weizmann-Institut Besuch im Museum der Diaspora Die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Helmut Kohl Die Urkunde Die Dankrede des Bundeskanzlers Der große Empfang f ü r ehemalige deutsche Israelis Ein privater Shabbat Die Debatten im Anschluß an die Reise Die Erklärung Helmut Kohls bei der Pressekonferenz Die Fragen der Journalisten Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl zu seiner Israel- Reise und die Debatte im Deutschen Bundestag 45.11.3.1 Die Aussprache über die Regierungserklärung 45.11.4 Israels Botschafter in der Bundesrepublik, Yitzhak Ben Ari, zum Israel-Besuch des Bundeskanzlers 45.11.5 Der Besuch des Bundeskanzlers in Israel aus der Sicht des deutschen Botschafters, Niels Hansen 45.11.6 Deutsche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien? Die Diskussionen gehen weiter
976 977 979 982 982 986 986 988 992 992 992 994 998 1006 1050 1052 1054
Der deutsch-israelische Dialog Teil I: Politik Band 2
26 Im Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel
Wenn man den Yom-Kippur-Krieg zu Beginn in Jerusalem und in ganz Israel erlebt hatte, so konnte man die Betroffenheit im jüdischen Volk spüren, mehr noch als in den früheren Kriegen. Gewiß gab es auch damals schon große Erregung und von Beginn an Trauer um die Opfer, die Väter und Söhne, die in großer Zahl fielen. In der Bundesrepublik Deutschland äußerten sich, bereits von.Beginn dieses Krieges an, mehr Menschen mit ihren Gefühlen für Israel und f ü r den jüdischen Staat.
26.1
Große Kreise der bundesdeutschen Bevölkerung stehen auf der Seite Israels
„Weitaus größere Bevölkerungsteile der deutschen Bevölkerung stehen heute auf der israelischen Seite, wenn man die Situation mit 1967 vergleicht", erklärte der Leiter der gesamten Sammelaktionen f ü r Israel in der Bundesrepublik und Westberlin, Henry Ehrenberg, in Knittlingen/Württemberg. Unter den vielen Spenden, die in allen Teilen Deutschlands bei den jüdischen Gemeinden und Büros der jüdischen Organisationen eingingen, seien auch zahlreiche Spenden aus nichtjüdischen Kreisen. Darunter seien auch viele größere Beträge von Einzelpersonen und Firmen. „Viele nichtjüdische Freunde Israels rufen an, bitten um Besuche, wollen, daß man Schecks abhole und fragen, was sie sonst noch tun könnten. Dazu kommen zahlreiche Briefe, in denen herzliche Sympathie mit Israel zum Ausdruck gebracht wird", erklärte Henry Ehrenberg. 26.1.1
Heinz Galinski: Die Berliner Bevölkerung war einmalig
Heinz Galinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, der größten jüdischen Gemeinschaft der im Zentralrat der J u d e n in Deutschland zusammengeschlossenen Gemeinden, hob in einem Gespräch mit den „deutschland-berichten" hervor, daß die Haltung der nichtjüdischen Bevölkerung Berlins nicht genug gewürdigt werden könne. „Wir haben es mit großen Solidaritätskundgebungen zu tun. Aus allen Schichten der Bevölkerung kommen Einzelspenden, auch von DM 5,—und DM 10,—, die die Zusammengehörigkeit mit Israel bekunden sollen. Schulklassen haben gesammelt, genauso wie viele Berliner Betriebe, die entsprechende Aktionen durchführten und die Beträge bei der Jüdischen Gemeinde ablieferten. Außerdem kamen von vielen Berlinern größere Beträge, so daß 527
26 Im Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel ich sagen kann, daß wir es mit einer großen Hilfsbereitschaft und Solidaritätsbekundung der Berliner zu tun haben", erklärte Galinski. Ebenso positiv äußerte sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von Berlin über die Haltung der offiziellen politischen Organe: „Ich glaube, daß der Senat von Berlin einmalig ist. Wenn ich diese Superlative gerade in der heutigen Zeit gebrauche, weiß ich, was ich sage. Unmittelbar nach Ausbruch des Yom-Kippur-Krieges hatten wir hier im Gemeindehaus eine große Solidaritätskundgebung, an der der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, nicht nur teilgenommen hat, sondern ein öffentliches Bekenntnis zu Israel ablegte. Diese Haltung, mit der sich Klaus Schütz persönlich engagiert hat, verdient in jeder Beziehung Anerkennung", erklärte mir Heinz Galinski. „Darüber hinaus ist es besonders erwähnenswert — weil es einfach die Veranstaltung in Deutschland war - daß auch der Präsident des Abgeordnetenhauses, der auch gleichzeitig Vorsitzender des DGB in Berlin ist, bei dieser Veranstaltung gesprochen hat. Das gilt auch f ü r Peter Lorenz, den Vorsitzenden des Landesverbandes Berlin der CDU, der sich ebenfalls durch sein Bekenntnis f ü r Israel hervorgetan hat. Dasselbe kann ich auch von dem Vorsitzenden der Berliner F.D.P., Wolfgang Lüder, sagen. Insofern war diese Kundgebung beispielhaft." Im weiteren Verlauf des Gesprächs kam ich auch auf die Opfer der Jüdischen Gemeinschaft in Berlin zu sprechen. Ich erinnerte Heinz Galinski an eine Sammelaktion im Jüdischen Gemeindehaus während des Sechs-Tage-Krieges 1967, bei der damals Millionenbeträge zusammenkamen. Wie sieht es heute aus, fragte ich Galinski. „Ich glaube, daß es sehr wenig Vergleiche mit der Situation von 1967 gibt. Die Anforderungen, die heute an uns gestellt werden, sind ungleich größer und daher ist auch vieles, was in unserer Gemeindearbeit getan werden muß, auf Israel selbst abgestellt. Ich meine die Veranstaltungen in unserem Gemeindezentrum, die politischer und kultureller Art sind. Die Hilfsbereitschaft ist nach diesen tragischen Ereignissen naturgemäß ungleich größer als 1967, wenn man an die schweren Verluste an Menschenleben denkt. Wir haben es mit großen Spendenaufkommen zu tun, die — wie ich sagen darf — aus allen Schichten u n d Kreisen unserer Gemeindemitglieder kommen." Heinz Galinski fügte gleichsam zur Erläuterung der Bedeutung des großen Spendenaufkommens aus dem Kreis seiner Gemeindemitglieder hinzu: „Die großen Beträge - das ist natürlich alles relativ - sind nur unter persönlichen Opfern aufzubringen." Ich hatte daran erinnert, daß die Jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik weitgehend überaltert seien, die meisten Mitglieder seien doch wohl Rentner oder stünden nicht mehr im Erwerbsleben. „Es ist ganz klar", so fügte Galinski hinzu, „daß es nicht damit getan ist, gewisse Spenden abzugeben, sondern es gilt hier, persönliche Opfer zu bringen. Darunter verstehe ich den 528
26.1 Große Kreise der bundesdeutschen Bevölkerung stehen auf der Seite Israels Verzicht z. B. auf Winterreisen, einen Sommerurlaub oder Anschaffungen, also das Aufbringen persönlicher Opfer."
26.1.2
207.000-
DM für israelische Waisenkinder
In Berlin traf ich den dort ansässigen Maler Reinhold W. Thimm, der sich in seinen Arbeiten besonders der Stadt Berlin angenommen hat und auf einer Israel- Reise viele Bilder und Zeichnungen von diesem Land malte. Gemeinsam mit einer Berliner Galerie machte er eine Ausstellung: „Die Zukunft von Waisenkindern in Israel". Das Ergebnis ließ ihn strahlen, als wir uns begegneten: „Wir haben 207.000,- DM geschafft."
26.1.3
Hilfsaktion „Skopusberg" hat Erfolg
In vielen Zeitungen der Bundesrepublik, vor allen Dingen des Hauses Axel Springer, war in den letzten Wochen ein Aufruf erschienen, den die Axel Springer-Stiftung zugunsten eines Rehabilitationszentrums auf dem Skopusberg in Jerusalem erlassen hatte. Im Zweiten Deutschen Fernsehen hatte in diesen Wochen der Jerusalemer Bürgermeister, Teddy Kollek, über die Geschichte dieses Zentrums berichtet. Hier wird das alte Universitäts-Krankenhaus, das in der Enklave des einstigen Universitätsgeländes auf dem Skopusberg bis 1967 verwaist lag, modernisiert und mit 120 Betten zur Rehabilitation und Versorgung von verwundeten Arabern und Juden hergerichtet. Die „Jerusalemer Foundation" hat sich dieses Projektes angenommen. Der jüdische Frauenhilfsbund „Haddassah" sorgt für die Mittel. Wie es dazu kam, daß sich die Axel Springer-Stiftung dieses Projektes annahm, erzählte mir Ernst Cramer, einer von drei Vorstandsmitgliedern der S/>nngw-Stiftung. Er berichtete, wie er mit dem Verleger — zu einem Zeitpunkt, als es noch keine normalen Flugverbindungen nach Israel gab — nach Jerusalem kam, in das menschenleere King David-Hotel. Der Krieg war noch lange nicht beendet und Teddy Kollek von einer Reise nach Amerika noch nicht ins Land zurückgekehrt. An einem der letzten Besuchstage traf er mit dem Jerusalemer Bürgermeister zusammen, dem er seinen Wunsch darlegte, sich mit der Axel Springer-Stiftung an einem Projekt zu beteiligen, das auch die Haltung der deutschen Bevölkerung zum Ausdruck bringt. Er wollte nicht einfach mit einem großen Geldbetrag helfen. Teddy Kollek dachte nach und schlug daraufhin dieses Projekt auf dem Skopusberg vor. „Axel Springer hat sofort eingewilligt, weil er hier ein versöhnendes Element in dem Aufbau eines derartigen Zentrums sehe." Ernst Cramer berichtete weiter, daß täglich Spenden von vielen Deutschen eingingen, kleine und größere Beträge, die bewiesen, daß viele Menschen in Deutschland sich mit Israel und seiner Sehnsucht nach Frieden identifizierten. 529
26 Im Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel Der Wahl-Berliner Ernst Cramer fügte lächelnd hinzu: „Natürlich sind die meisten Spenden aus Berlin gekommen. Die Berliner sind eben etwas besonderes." Die Spendenaktion ging weiter. Herr Cramer rechnete mit einem guten Ergebnis, das durch eine namhafte Spende der Springer-Stiftung selbst noch aufgerundet werden sollte.
26.1.4
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Marburg: „WünschetJerusalem Glück!"
„Wünschet Jerusalem Glück! Es möge Wohlergehen denen, die dich lieben! Es möge Frieden sein in deinen Mauern und Glück in deinen Palästen!" Mit diesem Psalmspruch sandte der Vorsitzende der Gesellschaft, Willy Sage, an die vielen Freunde in Israel am „30. Marchesschwan 5734" ein Rundschreiben, in dem es u. a. heißt: „Wieder ist dem Staat Israel durch den Angriff einer großen arabischen Übermacht ein Krieg aufgezwungen worden, bei dem es für die Araber allenfalls um eine militärische Niederlage, für Israel aber (wie immer) um Sein oder Nichtsein ging. Unter den Folgen des Yom-Kippur-Krieges leiden nicht nur die Menschen in Israel, sondern alle anständigen Menschen in aller Welt. Die Opfer übersteigen weit die Verluste während des Juni-Krieges 1967 und leider müssen wir auch liebe Freunde unseres eigenen, persönlichen Freundeskreises als Gefallene beklagen. Den Hinterbliebenen gilt unsere besondere Anteilnahme. Was hat unsere Gesellschaft getan? Gleich nach Bekanntwerden des Überfalls am Yom-Kippur haben wir der Botschaft des Staates Israel unsere Solidarität übermittelt und uns für alle möglichen Hilfsaktionen bereit erklärt. Das Telefon unserer Geschäftsstelle stand kaum still, ständig kamen Anrufe, es waren junge und ältere Freunde, die Blut spenden wollten oder sich für einen sofortigen freiwilligen Arbeitseinsatz in Israel meldeten. Anläßlich einer Veranstaltung am 20. Oktober fanden wir uns mit der evangelischen Lukasgemeinde zu einer christlich-jüdischen Gebetsandacht für den Frieden Israels zusammen (es beteiligten sich j e ein katholischer, evangelischer und jüdischer Geistlicher). Unser Spendenaufruf für den ,Magen David Adom' ging nicht nur an alle Mitglieder und Freunde unserer Gesellschaft, sondern wurde zweimal in der Ortspresse, in den kirchlichen Zeitungen und im Rundfunk bekanntgegeben. Das Spendenaufkommen war sehr gut, einzelne Bürger stellten fünfstellige Summen zur Verfügung. Warum zähle ich Ihnen diese Aktionen — es sind leider nur allzu unzulängliche Unterstützungen, die wir leisten konnten — auf? Wir sind nicht .zufrieden' oder gar ,stolz' auf unsere Bemühungen, aber sie sollen Ihnen doch zeigen, daß Israel nicht von allen Freunden verlassen ist. Gerade für einen Deutschen darf und kann es keine .Neutralität' geben, wenn der jüdische Staat in seiner Existenz bedroht ist!" 530
26.1 Große Kreise der bundesdeutschen Bevölkerung stehen auf der Seite Israels
26.1.5
Umfragen des Instituts für Demoskopie in Allensbach
26.1.5.1 „Sollen wir Deutschen den Arabern nachgeben?" Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat in der Zeit vom 14. bis 19. November 1973 im Hinblick auf die Ölkrise unter der Bevölkerung der Bundesrepublik und West-Berlins eine Umfrage mit dem Thema durchgeführt: „Wünscht die Bevölkerung mehr Nachgiebigkeit gegenüber den Arabern, um einem kalten Winter und einer Wirtschaftskrise auszuweichen? Und wie beurteilt sie die bisherige Politik der Länder der Europäischen Gemeinschaft in dieser Sache?" 600 Personen aus allen Alters- und Berufsgruppen wurden von 140 Interviewern befragt. Das Institut schreibt über das Ergebnis: „Zur Frage, ob die Bevölkerung ein Nachgeben gegenüber den Arabern wünscht, wurden drei Ansichten zur Auswahl gestellt. Die erste: ,Ich meine, Westeuropa sollte Israel in diesem Konflikt nicht mehr unterstützen. Nur so bekommen wir wieder ausreichend öl.' Die zweite: ,Ich meine, wir dürfen den Arabern jetzt nicht nachgeben. Die westeuropäischen Länder müssen geschlossen gegen die arabischen Forderungen auftreten, auch wenn die Araber dann weniger ö l liefern.' Die dritte: .Meiner Ansicht nach brauchen wir uns überhaupt nicht so oder so zu entscheiden. Das kommt alles von allein in Ordnung.' Mit klarer Mehrheit, zu 57 Prozent, schloß sich die Bevölkerung der Ansicht an, es dürfte jetzt nicht nachgegeben werden, ,auch wenn die Araber dann weniger ö l liefern'. Nur 16 Prozent wollten sich von Israel distanzieren, um die ölzufuhr zu sichern; 15 Prozent meinten, wir könnten um eine Entscheidung herumkommen, es werde sich alles von allein bald normalisieren; zwölf Prozent erklärten sich als unentschieden. Die meisten glaubten nicht, daß ein Nachgeben gegenüber den Arabern die Schwierigkeiten lösen würde. Die Frage dazu lautet: .Darüber, was die Araber tun werden, wenn wir ihnen nachgeben, gibt es zwei Meinungen. Die einen sagen, wenn wir jetzt den Forderungen der Araber nachgeben, dann werden sie immer mit neuen Forderungen Druck auf uns ausüben. Die anderen sagen: Wenn wir jetzt auf die Wünsche der Araber eingehen, dann wird mit der Zeit das Verhältnis zu den Arabern wieder besser, und sie werden aufhören, mit dem ö l Druck auszuüben. — Was meinen Sie?' Fast drei Fünftel der Bevölkerung (58 Prozent) erwarten immer neue arabische Forderungen, wenn man jetzt nachgäbe; dagegen versprachen sich 19 Prozent einen dauerhaften Erfolg, der arabische Druck werde aufhören, wenn man jetzt einlenke. 23 Prozent blieben unentschieden. Die Bevölkerung tendiert also ganz überwiegend zur Festigkeit gegenüber den Arabern, und zwar, wie weitere Analysen zeigen, in allen Schichten, allen Altersgruppen, unabhängig von der Parteirichtung und auch unabhängig davon, ob jemand ein Auto fährt oder mit Öl oder Kohle heizt. Auf die Frage: ,Hat Westeuropa Ihrem Eindruck nach seit der Ölkrise gegenüber den Arabern alles in allem Stärke oder Schwäche gezeigt?' antwortete jeder 531
26 Im Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel zweite (49 Prozent): .Schwäche'. N u r 17 Prozent sahen in der bisherigen Haltung Stärke, ein Drittel blieb unentschieden." Die Umfrage-Ergebnisse im einzelnen: Frage: „Die arabischen Staaten haben j a jetzt die ö l l i e f e r u n g e n an Westeuropa eingeschränkt. Durch diese Einschränkung wollen sie erreichen, daß sich die westeuropäischen Staaten künftig stärker auf die Seite der Araber stellen. Hier unterhalten sich drei darüber, wie sich die westeuropäischen Länder in dieser Lage verhalten sollen. Welchem w ü r d e n Sie da eher zustimmen?" (Bildblattvorlage)
Bevölkerung insgesamt Männer Frauen
Ich meine, Westeuropa sollte Israel in diesem Konflikt nicht mehr unterstützen. Nur so bekommen wir wieder ausreichend öl.
Ich meine, wir dürfen den Arabern jetzt nicht nachgeben. Die westeuropäischen Länder müssen geschlossen gegen die arabischen Forderungen auftreten, auch wenn die Araber dann weniger ö l liefern.
Meiner Ansicht nach brauchen wir uns überhaupt nicht so oder so zu entscheiden. Das kommt alles von allein in Ordnung.
Unentschieden, kein Urteil
16% 17 % 15 %
57% 63% 52%
15% 14% 15%
12 % 6% 18%
= 100 = 100 = 100
16% 15 % 22 % 12 %
61 % 63 % 54% 49%
12 % 12 % 10 % 26%
11 % 10% 14% 13 %
= = = =
16 % 15 %
52% 69%
16% 10%
16% 6%
= 100 = 100
18% 15 % 14 % 19%
59% 58% 68% 63 %
13 % 17 % 10 % 11 %
10% 10% 8% 7%
= = = =
100 100 100 100
15 % 19% 14% 17 %
60% 48% 50% 64%
16 % 17 % 8% 8%
9% 16% 28% 11 %
= = = =
100 100 100 100
Altersgruppen
16-29Jahre 30-44Jahre 45-59Jahre 60 Jahre und älter
100 100 100 100
Schulbildung
Volksschule Höhere Schule Partei-Präferenz
SPD-Anhänger CDU/CSU-Anhänger F.D.P.-Anhänger Pkw-Fahrer Personen in Haushalten mit
Ölheizung Kohleheizung Elektroheizung Gasheizung 532
26.1 Große Kreise der bundesdeutschen Bevölkerung stehen auf der Seite Israels Frage: „Darüber, was die Araber tun werden, wenn wir ihnen nachgeben, gibt es zwei Meinungen. Die einen sagen: Wenn wir jetzt den Forderungen der Araber nachgeben, dann werden sie immer mit neuen Forderungen Druck auf uns ausüben. Die anderen sagen: Wenn wir jetzt auf die Wünsche der Araber eingehen, dann wird mit der Zeit das Verhältnis zu den Arabern wieder besser, und sie werden aufhören, mit dem Öl Druck auszuüben. — Was meinen Sie?" Das erste: Immer neue Forderungen
Das zweite: Verhältnis wird besser
Unentschieden, kein Urteil
Bevölkerung insgesamt Männer Frauen
58% 63 % 55 %
19% 22% 17%
23 % 15 % 28 %
= 100 = 100 = 100
Altersgruppen 16-29Jahre 30-44Jahre 45-59Jahre 60 Jahre und älter
62% 63 % 57 % 49%
23% 16% 24% 15%
15% 21 % 19% 36%
= = = =
Schulbildung Volksschule Höhere Schule
53% 69%
21 % 17%
26% 14 %
= 100 = 100
Partei-Präferenz SPD-Anhänger CDU/CSU-Anhänger F.D.P.-Anhänger
60% 58% 68%
20% 22% 18%
20% 20% 14%
= 100 = 100 = 100
Pkw-Fahrer
66%
21 %
13%
= 100
Personen in Haushalten mit Ölheizung Kohleheizung Elektroheizung Gasheizung
59% 54 % 54% 65%
20% 15% 16% 17%
21 % 31 % 30% 18%
= = = =
100 100 100 100
100 100 100 100
Frage: „Hat Westeuropa Ihrem Eindruck nach seit der Ölkrise gegenüber den Arabern alles in allem Stärke oder Schwäche gezeigt?" Stärke
Schwäche
Unentschieden
Bevölkerung insgesamt Männer Frauen
17 % 15 % 19 %
49 % 60 % 40%
34 % 25 % 41%
= 100 = 100 =100
Altersgruppen 16-29Jahre 30-44Jahre 45-59Jahre 60 Jahre und älter
16 22 15 13
49 52 53 45
35 26 32 42
= = = =
% % % %
% % % %
% % % %
100 100 100 100
535
26 Im, Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel
Stärke
Schwäche
Unentschieden, kein Urteil
Schulbildung Volksschule Höhere Schule
18% 16%
45% 59%
37 % 25 %
= 100 = 100
Partei-Präferenz SPD-Anhänger CDU/CSU-Anhänger F.D.P.-Anhänger
18% 20% 17 %
48% 52% 62%
34% 28% 21 %
= 100 = 100 = 100
Pkw-Fahrer
15 %
61 %
24 %
= 100
Personen in Haushalten mit Ölheizung Kohleheizung Elektroheizung Gasheizung
16% 21 % 12 % 18 %
51 % 42 % 48% 46%
33% 37 % 40% 36%
= = = =
100 100 100 100
26.1.5.2 Sparsamkeit steht im Vordergrund Auf die Ölkrise hat die Bevölkerung in der Bundesrepublik mit West-Berlin stärker mit Sparmaßnahmen als mit Vorsorgekäufen reagiert. Ein beachtlicher Teil der Bundesbürger hatte aber noch gar keine Spar- oder Vorsorgemaßnahmen ergriffen, als das Institut für Demoskopie Allensbach in der Zeit vom 14. bis 19. November eine Liste mit denkbaren Reaktionsweisen vorlegte und fragte: „Was davon haben Sie seit Beginn der Ölkrise alles gemacht?" Über Einsparungen beim Heizmaterial berichteten 43 Prozent der Befragten, während sich 57 Prozent noch nicht zu einem solchen Schritt durchgerungen hatten. Ein Viertel (24 Prozent) der repräsentativ für die Bevölkerung ab 16 Jahre befragten Personen hatte verschiedene Vorsorgekäufe getätigt. Zu größerer Sparsamkeit im Energieträgerverbrauch sahen sich in erster Linie die Haushalte mit Ölheizung veranlaßt. Nahezu jeder zweite Befragte (45 Prozent) in diesen Haushalten gab an, daß jetzt weniger als sonst üblich geheizt werde. Dagegen wurde nur in 16 Prozent der mit Kohle beheizten Wohnungen und in elf Prozent der mit Strom beheizten Wohnungen sparsamer mit der Heizenergie umgegangen. Vorsorgekäufe während der Krise wurden von Kohle- und Ölheizungsinhabern in gleichem Umfang getätigt. Hier wie dort gab je ein Viertel der Befragten an, zusätzlich Brennstoff gekauft zu haben (25 Prozent der Ölheizungsbesitzer und 26 Prozent der Befragten, die mit Kohle heizen). Ein weiterer Teil der Allensbacher Untersuchung befaßte sich mit den Kraftfahrzeugbesitzern. Es interessierte einerseits die Frage, wie weit der Appell zum Benzinsparen befolgt wurde, und andererseits, ob Hamsterkäufe getätigt wurden. Von den Befragten, zu deren Haushalt ein Pkw gehört, sagte die Hälfte (48 Prozent), man habe versucht, den Benzinverbrauch zu drosseln. Zu solcher Sparmaßnahme entschlossen sich 534
26.2 Deutsche Parlamentarier in Israel
junge Leute unter 30, die als echte Nachkriegsgeneration eine solche Mangellage noch nie bewußt erlebt haben, etwas weniger als die übrige, ältere Bevölkerung. Eine Art Vorratswirtschaft mit Benzin wird nach Allensbacher Ermittlung in 16 Prozent der mit einem Pkw ausgestatteten Haushalte getrieben. Daß man jetzt öfter zum Tanken fahre, gaben acht Prozent an. Gleichfalls acht Prozent ließen erkennen, daß sie sich einen kleinen Benzinvorrat angelegt haben. Es fällt wiederum auf, daß die Unter-30jährigen etwas mehr zu Vorsorgekäufen neigen.
26.2 Deutsche Parlamentarier in Israel Vom 10. bis 14. Dezember 1973 war eine Delegation der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages zu einem Besuch des israelischen Parlaments, der Knesset, nach Israel gereist. Die fünfköpfige Delegation wurde von dem SPD-Abgeordneten Günther Metzger geleitet. Ihr gehörten weiter Jürgen Schmude (SPD), Johannes Gerster (CDU), Hans Roser (CSU) u n d Rolf Boeger
(FDP) an. Metzger erklärte bei der Ankunft auf dem Flughafen Lod: es gibt keine Zweifel daran, daß der Bundestag hinter der israelischen Forderung nach sicheren Grenzen steht. Während des schrecklichen Krieges war nicht nur der Bundestag, sondern das ganze Volk um Israel besorgt. Nach der Rückkehr der Abgeordneten berichtete der CDU-Abgeordnete Johannes Gerster über die Gespräche der Abgeordneten, die sich hauptsächlich um die Friedensaussichten im Nahen Osten drehten: „In Gesprächen mit Ministerpräsidentin GoldaMeir, Ministern, Staatssekretären, dem Parlamentspräsidenten und Ausschußvorsitzenden sei immer wieder versichert worden, daß Israel einer Rückgabe der Sinaihalbinsel, des Gazastreifens, der Westbank (westlich des Jordans) und des größten Teiles der Golanhöhen zustimmen werde, falls sichergestellt werde, daß diese Gebiete nicht wieder zu militärischen Angriffsbasen gegen Israel mißbraucht würden. Ebenso müsse die freie Zufahrt zum Hafen von Elat gesichert werden. Obwohl die große Mehrheit des Volkes Verhandlungen über die Altstadt von Jerusalem ablehne, wachse auch hier die Kompromißbereitschaft der Regierung. Staatssekretär Kidron habe z. B. ausdrücklich die sog. Korridorlösung für möglich gehalten. Allerdings zweifle Israel an einer echten Friedensbereitschaft der arabischen Staaten, aber auch der UdSSR, die sich bei Andauern der Spannungen eine Verstärkung ihres Einflusses in Nahost verspreche. Schon die Tatsache, daß die Araber erstmals bereit seien, sich mit den Israelis an einen Tisch zu setzen, veranlasse jedoch Israel, den Verhandlungen eine reelle Chance einzuräumen. Gerster betonte, daß Europa für eine dauerhafte Friedensregelung in Nahost eine Schlüsselstellung zukomme. Ein zusammenwachsendes Europa müsse in eine institutionalisierte Kooperation mit Arabern und Israelis kommen, um bei der Bewältigung der enormen wirtschaftlichen Probleme diese Staaten sich näher zu bringen. Wegen des geringen technischen Standes in den Bereichen 535
26 Im Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel Hochbau, Metallverarbeitung, Maschinenbau, Textilverarbeitung und Elektronik schlug Gerster als erste Maßnahme die Entsendung von qualifizierten, allerdings praxisbezogenen Ingenieuren vor, die in diesen Ländern während dreier Monate den europäischen Entwicklungsstand weitergeben könnten. In einem persönlichen Gespräch habe der Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium Gurel das besondere Interesse Israels an einer derartigen .Entwicklungshilfe' ausdrücklich unterstrichen." Kurz vor diesem Besuch der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe waren drei CDU-Abgeordnete als Mitglieder der Sozialausschüsse, die vom israelischen Gewerkschaftsbund „Histadrut" eingeladen worden waren, zu einem einwöchigen Besuch nach Israel gereist. Es waren die CDU-Bundestagsabgeordneten Norbert Blüm, Wolf gang Vogt und Fredi Breiibach. Wie der Abgeordnete Vogt nach seiner Rückkehr in Bonn erklärte, stelle sich Israel die Frage nach der moralischen und politischen Kraft Europas. Das Verhalten Europas habe nach Ansicht vieler Israelis die H o f f n u n g auf aussichtsreiche Gespräche mit den Arabern geschwächt, meinte Vogt.
26.3 Neuer Anlauf im deutsch-israelischen Jugendaustausch Ende Januar 1974 wird voraussichtlich der Gemischte Fachausschuß f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch auf seiner Sitzung in Israel über die Durchführung und Förderung der Austausch-Projekte entscheiden. Die gesamten Planungen f ü r 1974 lassen schon jetzt eine beachtliche Aktivität der deutschen Organisationen mit der Tendenz erkennen, so früh und so viel wie möglich gemeinsame Veranstaltungen in Israel und in der Bundesrepubik Deutschland durchzuführen. Bis jetzt liegen von deutscher Seite etwa 25 Projekte der Kategorie A (Programme mit Jugendleitern und anderen Experten der Jugendarbeit) in der Bundesrepublik Deutschland vor, in Israel über 30 von Begegnungen mit Jugendgruppen (Programme der Kategorie B) und von deutschen Organisationen. Bisher geplant: in der BRD gegen 25, in Israel gegen 35 Projekte; gerade die Zahl solcher Begegnungsprogramme dürfte sich im Laufe des Jahres 1974 wesentlich erhöhen. Wie man aus informierten Kreisen erfährt, sollen von israelischer Seite für 1974 f ü r die gemeinsame Sitzung im Januar 115 Projekte zur Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt werden, davon 60 Programme f ü r die Kategorie A. Die im gemeinsamen Fachausschuß f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch f ü r 1973 vorgesehenen Veranstaltungen wurden bis zu den Kriegsereignissen im Oktober, wie geplant und entschieden, mit der entsprechenden Förderung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit durchgeführt. Dann jedoch wurden die Programme eingestellt. Erst im November begannen deutsche Träger mit Begegnungsveranstaltungen in Israel, während um536
26.4 Neubeginn des Tourismus nach Israel gekehrt bis zum Jahresende 1973 in der Bundesrepublik Deutschland keine deutsch-israelischen Jugendbegegnungen stattfanden. Lediglich einige Fachdelegationen israelischer Verbände, so des Israelischen Jugendherbergs-Verbandes, besuchten die Bundesrepublik Deutschland. Insgesamt kann der Rückgang der deutsch-israelischen Begegnungsprogramme, soweit Zahlen bekannt sind, mit etwa 10 bis 20 Prozent veranschlagt werden; entsprechend hat sich auch die Summe der Förderungsmittel aus dem Bundesjugendplan f ü r diese Programme reduziert.
26.4 Neubeginn des Tourismus nach Israel Die große „GoodwiH"-Reisewelle, die von den Vereinigten Staaten bis in den Norden Europas reicht, hat sich auch in den ersten Wochen nach dem Krieg bereits in steigenden Touristenzahlen aus der Bundesrepublik und Österreich niedergeschlagen. Neben Einzelreisenden sind eine Reihe von Gruppen in den jüdischen Staat gereist. Das israelische Touristikministerium hatte über 300 Reisebürofachleute aus elf Ländern ins Land geholt, damit sie selbst sehen, was den Reisenden geboten wird. Die Normalisierung des Linien-Luftverkehrs, die Wiederaufnahme des Charterverkehrs aus Dänemark u n d Schweden, aber auch die reguläre Durchführung der Liniendienste der israelischen Reederei ZIM von Marseille und Genua sowie die normale Durchführung der ausgeschriebenen Programme deutscher Veranstalter zeigen, daß der Touristenverkehr nach Israel keinerlei Beschränkungen unterworfen ist. Israel erlebt in diesen Wochen den Besuch besonders vieler Besuchergruppen aus der Bundesrepublik: Als Gäste des Israelischen Ministeriums f ü r Tourismus sowie der israelischen Luftfahrtgesellschaft EL AL sind 16 Reisebüro-Fachkräfte f ü r eine Woche nach Israel gereist, um sich an Ort und Stelle davon zu überzeugen, daß ungeachtet der Ereignisse f ü r Touristen das Leben im Lande weiter völlig normal verläuft. Ebenfalls 16 Personen umfaßt eine Reisegruppe der Landeszentrale für politische Bildung in Bremen, die sich f ü r 14 Tage nach Israel begeben hat. Zu einer Studienreise hat die IG Bau, Steine, Erden eine Delegation f ü r 14 Tage nach Israel geschickt, wo sie auch Gespräche mit Vertretern der israelischen Gewerkschaften haben wird. Aus Köln schließlich hat sich eine Gruppe von 25 Postbeamten auf den Weg gemacht, die freiwillig ihren israelischen Kollegen drei Wochen lang bei der Arbeit helfen wollen. Auch aus Bonn reiste eine Gruppe unter Leitung des Schuldezernenten, um einen Gegenbesuch f ü r eine israelische Gruppe abzustatten, die Bonn besuchte. Dr. Robert Streck war es ein Herzensanliegen, als Leiter der Gruppe in israelische Krankenhäuser zu gehen, um Verwundeten einen Gruß und Wünsche der Genesung zu bringen. Bereits während der Hitlerzeit war er ein glühender Hasser der Diktatur und dem Schicksal des jüdischen Volkes ungeheuer zugetan. Ich weiß es, denn er war zu dieser Zeit mein Lehrer an einer Schule. 537
26 Im Yom-Kippur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel Die Passagierschiffe der ZIM haben besondere Buchungen f ü r das J a h r 1974 zu verzeichnen. Ein Reisebüro hat f ü r März, August und Oktober ein ganzes Schiff mit jeweils 400 Pilgern nach Israel gebucht, im Mai 1974 reist die Polizeigewerkschaft mit 500 Teilnehmern nach Israel und im Oktober will ein anderes Reisebüro eine viertägige Kreuzfahrt mit einem der ZIM-Schiffe durchführen. Die Gesellschaft f ü r Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Marburg reist mit 37 Teilnehmern Ende Dezember nach Israel. Der Leiter des Staatlichen Israelischen Reisebüros in Frankfurt, Herr Rüben, glaubt, daß der Ausfall an Touristen durch den Yom-Kippur-Krieg die Zahlen der deutschen Touristen nicht unter den Stand von 1972 absinken lassen wird. Das Israelische Tourismusministerium hat f ü r Hotels in Israel Subventionen ausgegeben, um sie über die Durststrecke zu bringen. Die EL AL ist f ü r März und April mit ihren Flügen aus der Bundesrepublik fast ausgebucht und wenn die Kanonen schweigen, wird 1974 ein gutes Touristenjahr werden. Auch internationale Kongresse sind wieder im Gespräch. Herr Ruhen glaubt, daß das J a h r 1973 mit 45.000 deutschen Touristen abgeschlossen hat, was bedeutet, daß 10.000 weniger als erwartet in den Staat reisten. Als Devisenbringer steht f ü r Israel der Tourismus immer noch an erster Stelle. Auch in diesem J a h r rechnet man mit 250 Millionen Dollar Einnahmen aus diesem Wirtschaftszweig.
538
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
27.1 Prof. Carl Carstens, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion Deutschen Bundestag zu den Nahost-Problemen
im
Prof. Carl Carstens gab mir am 15. März 1974 das folgende Interview zu den Nahost-Problemen. Herr Professor Carstens, Sie sind Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und damit Oppositionsführer. Wie sehen Sie, wie sieht Ihre Fraktion die heutige Nahost-Politik der Bundesregierung? Gibt es Gemeinsamkeiten mit der Bundesregierung oder setzt sich die CDU/CSU von der offiziellen Nahost-Politik ab? Antwort: Ich glaube, um diese Frage zu beantworten, muß man etwas zurückblenden, zum Herbst des vergangenen Jahres, konkret zum Yom-Kippur-Krieg, der ja eine sehr gefährliche Entwicklung auslöste. Das geschah nicht nur dort an Ort und Stelle. Es gab auch eine sehr gefährliche Entwicklung für den Weltfrieden, für die gesamte internationale Situation. Ich meine, daß zum damaligen Zeitpunkt die Vereinigten Staaten von Amerika einen hervorragenden und konstruktiven Beitrag geleistet haben. Es war nach meiner Meinung ein ganz schwerer Fehler der Bundesregierung, daß sie diese amerikanische Initiative nicht nur nicht unterstützt hat, sondern sich sogar veranlaßt sah, einen öffentlichen Protest dagegen auszusprechen, daß von deutschem Boden aus amerikanisches Material nach Israel verschifft wurde. Hier ist die Bundesregierung nach meiner Auffassung einer schweren politischen Fehlbeurteilung unterlegen. Auch die weitere Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft habe ich kritisch betrachtet. Ich habe mich auch in diesem Sinne öfter geäußert. Nach meiner Meinung hat Europa damals die Chance versäumt, zusammen mit den Vereinigten Staaten zu einer konstruktiven Lösung der Lage im Nahen Osten zu kommen. Einen eigenen effizienten Beitrag hat Europa auch nicht geleistet. In der Folgezeit hat dann sicherlich unter dem Druck der Kritik, die wir Deutsche erfahren haben, die Bundesregierung ihre Haltung modifiziert. Ich würde sagen, daß die gegenwärtige Haltung der Bundesregierung zur Lage im Nahen Osten sich nicht mehr so stark von unserer Haltung unterscheidet. Frage: Herr Professor Carstens, die Europäische Gemeinschaft hat mit ihrem Ministerrat eine Initiative ergriffen und 22 arabische Staaten zu einer Kooperation mit Europa aufgefordert. Wie stehen Sie zu dieser Frage? Antwort: Auch diese Frage muß in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Ich bin ein alter Anhänger und Befürworter der europäischen Einigung, 539
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg der europäischen Integration. Ich glaube, daß gerade auch der Nahe Osten ein Teil d e r Welt ist, in dem die europäischen Staaten miteinander kooperieren sollten. Allerdings — und damit knüpfe ich an etwas an, was ich eben gesagt habe — ist es nach meiner Auffassung ein Gebot des europäischen Interesses, sich bei den Aktionen, die man im Nahen Osten unternimmt, auch mit den Vereinigten Staaten abzustimmen. Ich finde das Argument von Henry Kissinger, dem amerikanischen Außenminister, überzeugend. Wenn es zu einer Art Wettlauf zwischen den USA u n d Europa kommt, wenn die Amerikaner diesen Wettlauf gewinnen werden, weil sie weniger abhängig sind vom Import arabischen Öls u n d weil sie letzten Endes auch über wesentlich größere Mittel verfügen als Europa. Ich möchte meine Gedanken zusammenfassen und sagen: Ich bin d a f ü r , daß die Europäer gemeinsame Aktionen unternehmen. Ich bin aber außerdem dafür, daß sich die europäischen Staaten bei gemeinsamen Aktionen mit d e n Vereinigten Staaten von Nordamerika abstimmen. Das bedeutet in meiner Vorstellung nicht, daß sich die Europäer von den Vereinigten Staaten abhängig machen sollen — das möchte ich vielleicht zur Klärung hinzufügen. Frage: H e r r Professor Carstens, ausgewogene Nahost-Politik der Bundesregierung. W ü r d e eine solche Aktion, die sich an die arabischen Staaten wendet, nicht gleichzeitig von Israel argwöhnisch beobachtet werden? Antwort: Ich kann durchaus verstehen, wenn die Reaktion in Israel so sein würde, andererseits steht ja wohl fest, daß sich die Europäische Gemeinschaft der neun Staaten auch gegenüber Israel aufgeschlossen und kooperationsbereit gezeigt hat. Diese Haltung sollte die Europäische Gemeinschaft nach meiner Auffassung fortsetzen und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland sich f ü r eine solche Haltung einsetzen. Frage: Israel erwartet von der Bundesrepublik immer wieder eine besondere Haltung gegenüber dem jüdischen Staat, vor allem gegenüber den Menschen, die ja einmal zu einem großen Teil aus Europa dorthin gegangen sind. Sehen Sie eine Möglichkeit f ü r die CDU/CSU, hier besondere Initiativen zu ergreifen? Antwort: Ich möchte zunächst sagen, daß ich uneingeschränkt zu der Politik stehe, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten durch f ü h r e n d e CDU-Politiker entwickelt worden ist. Konrad Adenauer steht d a f ü r genauso wie Ludwig Erhard. Aber ich weiß nicht — mir geht es jedenfalls so —, daß die Resonanz aus Israel während der letzten vier, fünfJ a h r e gegenüber d e r CDU/CSU nicht so gewesen ist, wie ich mir das wohl hätte vorstellen können.
27.2 Interview mit dem neuen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher Wenige Wochen nach der Übernahme seines neuen Amtes als Bundesminister des Auswärtigen beantwortete mir Hans-Dietrich Genscher einige Fragen zur Nahost-Politik u n d dem europäischen Engagement in dieser Region, nicht zuletzt 540
27.2 Interview mit dem neuen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zu den jüngsten Initiativen im Hinblick auf die arabische Welt. Das geschah in einem Augenblick, d a Bundesaußenminister Genscher das deutsche Präsidium in d e r Europäischen Gemeinschaft an den französischen Ministerpräsidenten übergab. Somit zog er gleichsam eine Bilanz: Frage: H e r r Minister, die Rückschläge im europäischen Integrationsprozeß haben zweifellos auch zu Problemen im Hinblick auf das Gespräch mit d e n Staaten des Nahen Ostens g e f ü h r t . Wie sehen Sie dieses Problem? Antwort: Die V o r f r a g e n über d e n europäisch-arabischen Dialog sind auf d e r Außenministerkonferenz d e r n e u n Staaten der Europäischen Gemeinschaft hier in Bonn am 10. J u n i abschließend geklärt worden. Auch die Frage d e r Konsultation mit d e n USA w u r d e zu einem befriedigenden Ergebnis g e f ü h r t . Bereits in der zweiten J u n i h ä l f t e haben d a n n Vorgespräche zwischen Vertretern d e r europäischen u n d arabischen Staaten in Kairo stattgefunden u n d in Kürze d ü r f t e es zu einem ersten T r e f f e n d e r europäischen Präsidentschaft, nämlich des französichen Außenministers, mit arabischen Ministern kommen. Damit stehen wir also nach einer verhältnismäßig kurzen Vorbereitungszeit am Beginn des eigentlichen europäisch-arabischen Dialogs. Das ist doch ein Zeichen d a f ü r , daß die europäische Zusammenarbeit gar nicht so schlecht funktionierte. Hier handelt es sich nämlich u m ein Stück gemeinsamer europäischer Außenpolitik. Frage: Wie soll die Kooperation mit den arabischen Staaten vor sich gehen u n d welche W i r k u n g erwarten Sie sich davon? Antwort: Es ist zu erwarten, daß sich zunächst gemischte Arbeitsgruppen mit bestimmten Sachgebieten befassen werden, u m eine Bestandsaufnahme zu machen u n d die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit herauszuarbeiten. Als Gebiete dieser europäisch-arabischen Zusammenarbeit k o m m e n u. a. Industrie, Technologie, Wissenschaft, Landwirtschaft u n d Berufsausbildung in Frage. Die Ausgangslage f ü r dieses umfangreiche Vorhaben ist günstig, weil sich die Möglichkeiten u n d Bedürfnisse beider Seiten gut ergänzen. Wir sind sicher, d a ß die Wirtschaft Europas u n d d e r arabischen Seite aus d e r Zusammenarbeit Nutzen ziehen können. In den arabischen Staaten werden Entwicklung u n d A u f b a u im Vorderg r u n d stehen. Ich bin überzeugt, d a ß wir d a d u r c h einen Beitrag leisten zur Stabilisierung d e r wirschaftlichen u n d sozialen Verhältnisse in den Partnerländern. Dies wiederum sollte zur B e r u h i g u n g d e r Lage in j e n e m Teil d e r Welt beitragen u n d die B e m ü h u n g e n u m einen d a u e r h a f t e n u n d gerechten Frieden stärken. Frage: Glauben Sie nicht, daß die Ausgewogenheit d e r Nahost-Politik d e r Bundesregierung d u r c h diese Arbeit beeinträchtigt wird? Antwort: Nein, im Gegenteil, d e n n auch die n e u e Bundesregierung hat von Anf a n g an deutlich gemacht, daß sie an d e r ausgewogenen Politik gegenüber den L ä n d e r n des N a h e n Ostens ungeachtet des europäisch-arabischen Dialogs festhalten wird. Diese unsere Nahostpolitik hat sich bewährt, u n d zwar auch während d e r krisenhaften Zuspitzung im vergangenen Herbst; sie hat auch bei den Staaten des Nahen Ostens selbst ein hohes Maß an Verständnis g e f u n d e n . Eine Bestäti541
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg g u n g d a f ü r haben wir noch während des kürzlichen Besuchs von Bundeskanzler Brandt in Algier u n d Kairo erhalten. Dort kam die Bereitschaft deutlich zum Ausdruck, unsere guten Beziehungen zu Israel — die wir d u r c h n i e m a n d e n stören lassen werden — zu respektieren. Im Rahmen dieses T h e m a s e r i n n e r e ich daran, daß sich die Außenminister d e r neun europäischen Staaten am 10. J u n i 1974 positiv zu einer von allen als selbstverständlich e m p f u n d e n e n Fortsetzung unserer Kontakte zu Israel geäußert haben. Wir sehen in einer ausgewogenen Nahostpolitik aber nicht allein d e n Wunsch, zu allen Staaten d e r Region gute u n d f r e u n d schaftliche Beziehungen zu unterhalten; wir h o f f e n vielmehr, daß sie sich zugleich als ein Beitrag zur B e f r i e d u n g im Nahen Osten auswirkt. Frage: Sehen Sie eine Möglichkeit, wenn die Kooperationsgespräche mit den arabischen Staaten zu einem wirtschaftlichen u n d technischen Ausbau heutiger Wüstengebiete f ü h r e n , d e r Friede im Nahen Osten Wirklichkeit wird, d a ß d a n n die israelischen technischen u n d wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Hilfe der europäischen Gemeinschaft nutzbar gemacht werden können? Antwort: Zunächst ist es unsere Aufgabe, d e n Rahmen einer zukünftigen verstärkten Kooperation abzustecken und zu grundsätzlichen Ergebnissen zu kommen. Danach erst wird sich die Frage d e r praktischen D u r c h f ü h r u n g u n d d e r Anw e n d u n g solcher Erkenntnisse stellen, die d e r Kooperation dienlich sind. Vorrangig ist aber im Hinblick auf I h r e Frage die politische Lösung des Konflikts u n d in diesem Punkte bin ich trotz d e r großen noch zu überwindenden Hindernisse eher zuversichtlich. Solche Entwicklungen lassen sich nicht übers Knie brechen, aber wenn sich nach zähem Ringen eine Chance f ü r d e n Frieden bietet, sollte man nicht zögern, sie zu nutzen. Frage: H e r r Minister, versuchen Sie einmal, einen Blick in die Z u k u n f t zu werfen. Könnte es eine Gemeinschaft d e r gesamten Nahost-Region geben, die durch enge A b k o m m e n mit d e r Europäischen Gemeinschaft verbunden wird? Antwort: Bereits jetzt bestehen j a zwischen d e r EG u n d verschiedenen Staaten des Mittelmeerraumes Präferenzabkommen, nämlich mit Ägypten, Israel u n d dem Libanon. Israel ebenso wie Marokko, Algerien, Tunesien, Spanien u n d Malta stehen in Verhandlungen mit d e r Gemeinschaft über neue, u m f a s s e n d e r e Abkommen. Am Inhalt dieser A b k o m m e n sollen sich in Z u k u n f t die vertraglichen Bezieh u n g e n zu allen Mittelmeeranrainern ausrichten, sofern sie eine derartige enge Zusammenarbeit mit d e r Gemeinschaft wünschen. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß die S c h a f f u n g verstärkter gegenseitiger Bindungen zwischen d e r Europäischen Gemeinschaft u n d d e n Mittelmeerstaaten positive Auswirkungen auf das Verhältnis d e r Länder dieser Region zueinander haben wird. Das entspräche auch unseren Vorstellungen von der Rolle, die die Europäische Gemeinschaft im Interesse des Friedens im Mittelmeerraum spielen sollte. Frage: H e r r Minister, die jüdischen Menschen in aller Welt erwarten immer wied e r von uns Deutschen eine besondere Einstellung nach all dem, was passiert ist. Kann sich Israel, können sich die jüdischen Gemeinden in d e r Welt auf uns Deutsche verlassen? Antwort: Alle verantwortlichen Politiker d e r Bundesregierung haben nie darüber 542
27.3 Bundeskanzler Helmut Schmidt: Fortsetzung der.deutschen Nahost-Politik einen Zweifel gelassen, daß wir die Lehren aus der Vergangenheit verstanden haben und nicht beabsichtigen, sie in Vergessenheit geraten zu lassen. Der beste Beweis dafür ist doch, daß in unserem Lande seit nun nahezu 30 Jahren der demokratische Rechtsstaat eine unantastbare Selbstverständlichkeit ist und es uns gelungen ist, ihn trotz schwerster Kriegsfolgen gegen alle Radikalisierungstendenzen zu verteidigen. Daß man sich auf uns verlassen kann, zeigt aber auch das Werk der Wiedergutmachung, das noch heute auf Grund der geltenden Gesetze für die Anspruchsberechtigten seinen Fortgang nimmt. Doch wäre es sicher ein Fehler, wenn wir uns ausschließlich auf die Vergangenheit fixierten. Denn heute erfordern dringende Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben unsere volle Aufmerksamkeit und Verantwortung und zwar von Juden und Deutschen gleichermaßen.
27.3
Bundeskanzler Helmut Schmidt: Fortsetzung der deutschen Nahost-Politik
Nach seiner Rückkehr aus Paris, wo er mit dem französischen Präsidenten Giscard d'Estaing zusammengetroffen war, stellte sich der neuernannte Bundeskanzler zum ersten Mal in Bonn der internationalen Presse. Das Frage- und Antwortspiel mit den Journalisten brachte auch das Thema der deutschen Nahostpolitik ins Gespräch. Hier der Teil dieser Pressekonferenz: Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie mit Giscard auch die Beziehungen der EWG zu dritten Ländern erörtert, z. B. zu den Nahostländern, insbesondere auch zu Israel? Könnten Sie gegebenenfalls darüber etwas Näheres sagen? Bundeskanzler Schmidt: Wir haben die Beziehungen der EG auch zu anderen, zu dritten Staaten erörtert, aber ich möchte im Augenblick darüber nichts sagen. Frage: Herr Bundeskanzler, gedenken Sie die Nahostpolitik Ihres Vorgängers, Bundeskanzler Brandt, fortzusetzen, oder wollen Sie neue Akzente setzen? Bundeskanzler Schmidt: Nein, ich gedenke sie fortzusetzen. Frage: Sie sagten, die bisherige Nahostpolitik der Bundesregierung werde fortgesetzt. In Kairo hört man die Ansicht, der arabisch-europäische Dialog solle noch in diesem J a h r fortgesetzt werden. Sind Sie auch dieser Meinung? Bundeskanzler Schmidt: Das hängt davon ab, ob sich die neun EG-Partner darüber einig werden; auch das Procedere hängt von der Einigkeit unter den neun EGPartnern ab. Ich sehe nicht, daß die Bundesregierung darin einen besonderen, von den übrigen Partnern getrennten Standpunkt einnehmen müßte.
543
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
27.4 Erklärung des ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen zur Palästina-Debatte Botschafter Rüdiger Freiherr von Wechmar, der Ständige Vertreter d e r Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, hat am 19. November 1974 als erster westlicher Sprecher vor dem Plenum der XXIX. Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Palästina-Frage eine Erklärung abgegeben, die folgenden Wortlaut hat: „Mr. Chairman, die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist, wie Bundesminister Genscher hier am 23. September 1973 ausgeführt hat, eine aktive Friedenspolitik. Diesem Ziel der Friedenssicherung diente auch die Erklärung der 9 Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft am 6. November 1973, zu deren Inhalt wir auch heute uneingeschränkt stehen. Die dort aufgezählten, nach unserer Ansicht bei einer friedlichen Regelung des Nahost-Konflikts zu beachtenden Punkte betreffen wesentliche Aspekte des zur Zeit hier behandelten Themas, der Palästinafrage. A u f g r u n d unserer allgemein auf Friedenserhaltung ausgerichteten Politik begrüßen wir die Debatte der Palästinafrage - da diese Frage eines der Kernprobleme einer friedlichen Lösung im Nahen Osten darstellt und da das palästinensische Volk einer der Hauptbetroffenen des Nahost-Konflikts ist. O h n e die Berücksichtigung der Rechte und Interessen des palästinensischen Volkes läßt sich eine bleibende Friedensregelung für das unglücklicherweise so lange von Zwisten und Auseinandersetzungen geschüttelte Nahost-Gebiet, das als Hort der Heiligen Stätten dreier Religionen für den Frieden prädestiniert sein sollte, nicht schaffen. Wir haben im Laufe der letzten Tage viel über die historische Entwicklung des Nahost-Konflikts gehört, eine Entwicklung, deren Einzelzüge natürlich j e nach dem Standpunkt des Betrachters unterschiedlich beurteilt werden und dementsprechend dann auch zu verschiedenen Schlußfolgerungen f ü h r e n . Die wesentliche Schlußfolgerung, die die Regierung der Bundesrepublik Deutschland auch aus ihrer historischen Überschau gezogen hat, ist folgende: Die israelischarabische Auseinandersetzung ist zu lange Zeit in einer unvollständigen Perspektive gesehen worden, eine Perspektive, die die Territorialfrage, d. h. die Frage der Freigabe der besetzten Gebiete, losgelöst vom Schicksal der Menschen betrachtet. Heute haben wir alle erkannt, wie wichtig f ü r eine Konfliktlösung das Schicksal des palästinensischen Volkes ist, und daß dieses Problem zu lange n u r als eine humanitäre Frage der Fürsorge f ü r Flüchtlinge gesehen wurde. Wir können n u n m e h r die H o f f n u n g äußern, daß auf der Grundlage dieser Erkenntnis eine f ü r alle annehmbar erscheinende Regelung getroffen werden kann. Ein Eingehen auf die weitergehende historische Argumentation über die Entwicklung im Nahen Osten kann unseres Erachtens kaum viel Nutzen bringen. Das Unzweckmäßige einer solchen Argumentation wird offenkundig, wenn man sich vor 544
27.5 Israels neuer Botschafter in Bonn, Johanan Meroz, zur Lage im Nahen Osten Augen hält, daß sie zeitlich nicht begrenzt ist und zu den verschiedensten Schlüssen führen kann, je nachdem wie weit man in der Geschichte zurückgeht. Was sollte nun geschehen? Es ist nicht die Sache der Bundesrepublik Deutschland, eine detaillierte Regelung der Palästina-Frage vorzuschlagen. Doch können wir einige Elemente nennen, die u. E. Bestandteil einer in den Verhandlungen der unmittelbar Beteiligten zu findenden Lösung sein sollten. Wir treten ein f ü r das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes. Gerade für uns Deutsche mit unseren leidvollen Erfahrungen ist dies eine Selbstverständlichkeit. Wir betrachten es als unzulässig, Gebiete durch Gewaltanwendung zu erwerben und halten es f ü r notwendig, daß Israel die territoriale Besetzung beendet, die es seit dem Konflikt von 1967 aufrechterhalten hat. Als Konsequenz des Selbstbestimmungsrechts erkennen wir das Recht des palästinensischen Volkes an, selber zu entscheiden, ob es auf dem von Israel zu räumenden Gebiet eine eigene Autorität errichtet, wie es auf der arabischen Gipfelkonferenz in Rabat beschlossen worden ist, oder eine andere Lösung wählen will. Wir sind aber auch der Meinung, daß bei der zu erreichenden Regelung der Palästina-Frage alle wesentlichen, in dem Sicherheitsratsbeschluß Nr. 242 niedergelegten Prinzipien berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört vor allem auch, daß eine solche Regelung ausgehen muß von der Achtung der Souveränität territorialer Integrität und Unabhängigkeit eines jeden Staates im Nahen Osten sowie des Rechts dieser Staaten in Frieden innerhalb ihrer anerkannten Grenzen zu leben. Für alle Staaten der Region müssen das Lebensrecht und die sichere Existenz gewährleistet sein. Das gilt nicht zuletzt auch für Israel. Jede Entschließung der VN zum Nahost-Problem muß nach Auffassung der Bundesregierung hinsichtlich der wesentlichen Elemente einer Friedensordnung im Nahen Osten ausgewogen sein und den von mir schon genannten berechtigten Interessen der verschiedenen Seiten ausreichend Rechnung tragen. Es ist in den letzten Tagen hier viel von Gerechtigkeit die Rede gewesen. Nur wenn Gerechtigkeit gegenüber allen am Nahostkonflikt Beteiligten geübt wird, besteht eine Chance f ü r einen dauernden Frieden in diesem Gebiet."
27.5
Israels neuer Botschafter in Bonn, Johanan Meroz, Nahen Osten
zurLageim
Fast unmittelbar nach der Debatte zur Palästinafrage in den Vereinten Nationen hatte Johanan Meroz sein Botschafteramt in Bonn angetreten. Er gab mir das folgende Interview: Frage: Herr Botschafter, die erste Woche Ihrer Amtszeit in der Bundesrepublik Deutschland ist vorüber. Sie haben am vergangenen Montag dem Herrn Bundespräsidenten Ihr Beglaubigungsschreiben überreicht und in dieser vergangenen Woche bereits viele Besuche gemacht. Der diplomatische Alltag ist eingekehrt. 545
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Die Probleme, die I h r Land mit der Bundesrepublik hat, liegen im bilateralen Bereich. Darf ich sagen, sie sind auf gutem Wege? Antwort: Ja, ich würde dieser Definierung durchaus folgen. Frage: Nun, die bilateralen Fragen sind ja nicht alles. Sie haben in Ihrem Land, in Jerusalem, die Europa-Abteilung geleitet. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein wichtiger Partner im europäischen Bereich, in der Europäischen Gemeinschaft, und Israel ist auf dem Wege, ein verbessertes Abkommen mit der EG zu bekommen. Wie sehen Sie es? Antwort: Das ist richtig. Ich möchte bei dieser Gelegenheit vor allen Dingen folgendes sagen, daß sich die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel durchaus gut und positiv in den letzten J a h r e n angebahnt haben. Auch da, wo die Bundesrepublik eine Rolle spielen kann, im Rahmen unserer multilateralen Bemühungen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet, hat sie es getan u n d wir sind der Bundesregier u n g sehr dankbar f ü r die wichtige Schützenhilfe, die wir in der Vergangenheit bekommen haben. Ich spreche in diesem Zusammenhang von den wirtschaftlichen Problemen u n d nicht von den politischen Problemen. Frage: Warum machen Sie diesen Unterschied? Antwort: Weil das, was heute außenpolitisch zur Diskussion steht, weitgehend nicht — das nehme ich nicht n u r an, ich glaube, ich kann sagen, so weiß ich es — das Ergebnis bundesdeutscher Initiative ist. Wir haben, wie Sie wissen, in den letzten neun bis zehn Monaten gelegentlich Kritik üben müssen an gewissen europäischen Äußerungen, an gewissen europäischen Erklärungen in Bezug auf d e n arabisch-israelischen Konflikt. Wir glauben, wie ich schon sagte, daß die Initiative zu diesen Erklärungen nicht aus Bonn kam. Es bleibt natürlich die Tatsache bestehen, daß die Bundesrepublik als eines der Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft an diesen kollektiven Erklärungen schließlich beteiligt war. Frage: Herr Botschafter, gehen wir noch einmal zurück nach Jerusalem, an Ihre alte Wirkungsstätte als Direktor der Europa-Abteilung in Ihrem israelischen Außenministerium. Der Frieden f ü r Ihr Land, der Frieden f ü r den Nahen Osten ist eines der Probleme, das Sie ja auch mitgebracht haben in Ihrem Gepäck, was Sie von hier aus in der Bundesrepublik als Partner f ü r Europa weiter verfechten wollen. Wir stehen heute am Vorabend eines denkwürdigen Tages im negativen Sinne. Herr Arafat wird morgen in den Vereinten Nationen auftreten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich der Abstimmung enthalten, ihn dort vorzulassen. Das ist jetzt — so glaube ich — im Augenblick das Problem „Nummer eins" f ü r Ihr Land. Antwort: Das ist auf diplomatischer oder auf weltdiplomatisch-multilateraler Basis tatsächlich das Problem, das Israel wahrscheinlich in den nächsten Wochen am meisten beschäftigen wird. Die Frage der palästinensischen Vertretung ist überhaupt eine Frage, die in den letzten Jahren u n d besonders in den letzten Monaten das Opfer einer ganz seltsamen optischen Täuschung geworden ist. Die Tatsache, daß Palästinenser existieren, die Tatsache, daß eine palästinensische Identität vorhanden ist, der Wunsch oder die Absicht, das palästinensische Problem in 546
27.5 Israels neuer Botschafter in Bonn,Johanan Meroz, zur Lage im Nahen Osten einer positiven Form zu regeln, zu lösen, zu fördern, das sind alles Dinge, die Israel durchaus bejaht und begrüßt. Wir müssen uns nur einmal darüber einigen, wer die Palästinenser sind. Von wem sprechen wir, wenn wir sagen, die Palästinenser? Wer sind die, die das Recht haben, palästinensische Interessen, Ansprüche, Rechte usw. zu vertreten? Und da liegt die optische Täuschung, die ich eben erwähnte. Optische Täuschung in gewissem Sinne, es ist vielleicht auch eine politische Täuschung, und seitens der Palästinenser zum Teil eine gewollte optische Täuschung. Wir können nicht akzeptieren, daß eine Organisation wie die PLO, die für uns in ihrem Wirken vor allem erst einmal eine Terror-Organisation ist, die Vertretung, die Alleinvertretung für palästinensische Ansprüche hat. Dies um so mehr, als ganz abgesehen von den Akten des Terrors, diese Organisation in ihrem eigenen Grundabkommen, in ihren eigenen Satzungen von vornherein kategorisch j e d e Existenz des Staates Israel verneint und sich das Verschwinden dieses Staates zum erklärten politischen Ziel macht. Frage: Herr Botschafter, von welchem Papier sprechen Sie? Antwort: Ich spreche von dem Dokument, das im Original bzw. in der Originalübersetzung — das Original war natürlich Arabisch — im Englischen wie „covenant o f the PLO" genannt wurde. Die beste deutsche Übersetzung dafür wäre vielleicht „das palästinensische Nationalabkommen", das aus der Zeit des Juli 1968 stammt, das nach dem Nationalkongreß der palästinensischen Befreiungsorganisation in Kairo abgefaßt wurde, und dessen Inhalt in keiner Weise bis auf den heutigen Tag geändert worden ist. Frage: Was steht darin? Antwort: Darin steht u. a., und ich zitiere hier nur einige Beispiele: „Die Juden sind kein Volk und haben daher kein Anrecht auf Selbstbestimmung und auf einen Staat. Nur die Palästinenser haben das Recht zur Selbstbestimmung und sie sind die Herren des ganzen Landes, das heißt nicht nur der Gebiete, die heute von Israel verwaltet werden, sondern des ganzen Gebietes, auf dem sich der Staat Israel befindet." Frage: Nun haben doch die arabischen Staaten 1947, als die Vereinten Nationen den Teilungsplan für das damalige Mandatsgebiet Palästina vorlegten, diese Teilung abgelehnt. Antwort: Das ist absolut richtig. Alles das, was sich als arabisch-israelischer Konflikt seit dem 29. November 1947 entwickelt hat, ist ausschließlich das Resultat der Tatsache, daß die arabischen Regierungen, die arabischen Länder, nicht nur im politischen Sinne den Teilungsvorschlag der Vereinten Nationen abgelehnt haben, sondern daß sie gegen diesen Vorschlag militärisch aggressiv vorgegangen sind und daß tatsächlich in diesem Krieg, in dem ersten formellen arabischjüdischen Krieg — wie Sie wissen, Israel hatte sehr viele Opfer zu beklagen — darüber hinaus all das, was als Grundlage für eine friedliche Lösung zu der Zeit vorgesehen war, den Boden völlig verloren hat. Frage: Herr Botschafter, aus dieser Zeit rührt die Tatsache, daß die Araber davon sprechen, Israel habe diese Palästinenser aus Palästina vertrieben. Was sagt Israel dazu? 547
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Antwort: Das ist ja eine Legende, die schon seit vielen Jahren nirgendwo mehr ernsthaft geglaubt wird. Die Voraussetzung der arabischen Regierungen 1947 bis 1948 war die, daß der Krieg kurz sein würde, daß er für die Araber siegreich enden würde, daß das Resultat die Nichterrichtung eines jüdischen Staates sein würde und daß daher weitgehend Appell gemacht wurde an die ansässige arabische Bevölkerung in dem damaligen Mandatsgebiet Palästina. Das ist übrigens der Hauptrahmen, in dem man überhaupt dieses Wort, diesen Terminus „Palästina" definieren kann — damit sie nicht den „siegreichen" arabischen Armeen im Wege stünden. Die Araber wurden aufgefordert, auf kurze Zeit ihr Domizil zu verlassen, in der Erwartung, bald wieder in ihre Häuser zurückzukommen als Sieger und als Übernehmer dessen, was in dem jüdischen Teil Palästina in 50 Jahren aufgebaut worden ist. Frage: Nun, genau das hat ja nicht gestimmt. Israel hat diesen Krieg unter schweren Opfern gewonnen und die arabischen Nachbarstaaten haben nun diese Menschen nicht etwa angesiedelt, sondern in Lagern zusammengefaßt. Wenn ich mich richtig erinnere, haben die Vereinten Nationen und die Amerikaner vor allen Dingen immer wieder Geldmittel angeboten, diese Flüchtlinge wieder irgendwo in den Randgebieten Israels anzusiedeln? Antwort: Ich möchte dazu folgendes sagen: Es ist bedauerlich, aber es ist leider eine historische Tatsache, daß diese Flüchtlinge, die zum großen Teil tatsächlich persönlich individuell ein sehr bedauerliches Schicksal erlitten haben, von den arabischen Regierungen, von den arabischen Ländern, von den arabischen Staaten als Bauern auf dem politischen Schachbrett des mittleren Ostens benützt und ausgenützt worden sind. Es besteht gar kein Zweifel, daß die Lösung des Flüchtlingsproblems 1950/51/52 nicht unmöglich war—ich würde weiter gehen —, es war relativ leicht möglich umso mehr, als zu der gleichen Zeit wir eine mindest genauso große Anzahl von jüdischen Flüchtlingen oder Vertriebenen aus den arabischen Ländern in Israel absorbiert, angesiedelt und eingeordnet haben. Grundsätzlich sollte das arabische Flüchtlingsproblem, das palästinensische Flüchtlingsproblem so gelöst werden, oder so gelöst worden sein, wie andere viel größere Flüchtlingsprobleme in der Vergangenheit gelöst worden sind. Denken Sie an Pakistan und Indien, denken Sie an Griechenland und an die Türkei, an Nordund Südkorea. Die Liste ähnlicher Beispiele ist sehr groß. Daß das nicht geschehen ist, ergab sich nur als Resultat einer zynischen Politik seitens der arabischen Regierungen, die an einer Fortsetzung des labilen Zustandes der Flüchdinge interessiert waren, um eine friedliche politische Lösung zu unterbinden. Frage: Hat Israel jemals Anstrengungen unternommen, sei es über die UNO, sei es über andere Organisationen, Hilfe anzubieten für einen Fall, daß die arabischen Staaten geneigt sind, diese Flüchtlingslager aufzulösen und die Menschen in ein menschenwürdiges Dasein zu entlassen? Antwort: Wir haben das nicht nur versucht, sondern wir haben es auch effektiv getan in verschiedenen Rahmen und in verschiedenen Richtungen, erstens auch im Rahmen einer gewissen Repatriierung von arabischen Flüchtlingen in Gebiete, die 1949 und 1950 auf Grund eines Abkommens zwischen Jordanien und Israel 548
27.5 Israels neuer Botschafter in Bonn,Johanan Meroz, zur Lage im Nahen Osten wieder Israel einverleibt worden sind. Zweitens aber, und vielleicht in noch bedeutenderem Umfange, im Rahmen von finanziellen Angeboten an die arabischen Flüchtlingsorganisationen, teils durch die Vereinten Nationen, teils durch befreundete Regierungen, teils durch das Internationale Rote Kreuz. Die Angebote waren vielfältig, sie waren ehrlich und sie hätten im Falle einer politischen Lösung einen sehr großen Beitrag zur Wiedereinordnung der arabischen Flüchtlinge leisten können. Frage: Herr Botschafter, werden diese Dinge nicht auf einmal wieder blitzartig aktuell, wenn die Vereinten Nationen jetzt auf einmal das Klagelied des Palästinenserführers Arafat, des Mannes, der die Terror-Organisation bisher geleitet hat, hören; werden dann nicht die Vereinten Nationen an Israel herantreten und sagen: Ja, wir müssen da jetzt eine Lösung finden. Worin kann sie nach israelischer Meinung bestehen? Antwort: Es ist tatsächlich so, daß für Israel die Auffassung, die heute von einigen normalerweise vernünftigen Regierungen in der Welt in irgendeiner Weise geteilt wird, daß man Israel dazu überreden kann, mit den Leuten zu verhandeln, die ganz offen und formell das Verschwinden des Staates Israel als politisches Ziel angegeben haben. Ich glaube, da verlangt man doch ein wenig viel von Israel. Ich sagte bereits, wir anerkennen das Bestehen eines palästinensischen Problems, wir anerkennen eine palästinensische Identität. Wir sind der Meinung, daß diese Problematik, die sich daraus ergibt, ihre friedliche Lösung finden könnte. Ich will nicht sagen, daß das das Leichteste aller Probleme ist, aber man kann dieses Problem auf folgende Weise lösen: Wir stehen alle seit sieben Jahren—bei allen meine ich Israel, die Regierungen des Westens und auch einen Teil der arabischen Regierungen — unter dem Einfluß, unter dem Impakt dieser sogenannten Zauberformel des Beschlusses 242 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Dieser Beschluß setzte einen Rahmen der Verhandlungen zur Lösung aller anstehenden Probleme zwischen Israel und den Regierungen der Staaten voraus, die an dem Krieg 1967 beteiligt waren. Das bedeutet praktisch Ägypten, Jordanien, Syrien, Israel, möglicherweise auch der Libanon - ich füge den Libanon hinzu, nicht weil er an dem Krieg 1967 aktiv beteiligt war, sondern weil der Libanon ein arabischer Staat ist, der an Israel angrenzt und daher gewisse territoriale Probleme von Bedeutung sein könnten. Was entscheidend ist, ist nicht die Diskussion — wie wichtig sie auch sein mag — über das Ausmaß eines israelischen Rückzuges, sondern darüber, ob die Existenz eines Staates Israel in sicheren Grenzen von der arabischen Welt anerkannt wird. Frage: Nun sagt man immer wieder, daß sichere Grenzen bedeuten, daß Israel sich eben nicht aus den besetzten Gebieten zurückziehen will. Was ist daran? Antwort: Davon ist keine Rede. Wir haben es klar und deutlich gesagt: Der Rückzug, die Räumung eines großen Teils der besetzten Gebiete — ich bin sicher, daß ich recht habe, wenn ich sage des Großteils der besetzten Gebiete—ist durchaus als Resultat einer Friedensregelung vorgesehen, als Resultat einer klar bindenden Zusage seitens der arabischen Welt, daß die Existenz des Staates Israel in sicheren Grenzen anerkannt ist. Der Umfang, das Maß der zu erwartenden Rück549
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg züge, wird das Resultat und die Funktion der Sicherheitsgewähr sein, die die arabischen Staaten willens sind, Israel zu bieten. Zum Beispiel: Im Bezug auf die Sinai-Halbinsel, wo eine allererste Räumung — allerdings in einem technischen Rahmen, im Rahmen des Entflechtungs-Abkommens mit Ägypten bereits stattgefunden hat — besteht gar kein Zweifel f ü r mich, daß in dem Augenblick, wo wir wissen, daß die Ägypter an eine Beendigung des Kriegszustandes denken, f ü r Israel das Gebiet des Sinai in seinem großen Teil von keiner Bedeutung mehr ist. Mit anderen Worten, das Entscheidende ist das: Sind die arabischen Länder willens, mit einem Staat Israel Frieden zu machen? Wenn die Antwort darauf einwandfrei positiv ist, dann ist die territoriale Frage n u r von ganz sekundärer Bedeutung. Frage: Dazu gehört aber der Gazastreifen. Ich möchte das gerade mit der SinaiHalbinsel verbinden, der Gazastreifen, der gleich einem entzündeten Blinddarm immer im israelischen Raum gelegen hat u n d bis heute noch liegt, denn wenn man durchfährt, wird einem gesagt, man soll die Fenster gut zumachen, es könnte einmal eine Handgranate hereinfliegen. Gaza war immer einer der wundesten Punkte an den Grenzen Israels. Was soll damit geschehen? Antwort: Ich glaube, ganz objektiv gesehen, ist es tatsächlich so, daß das Problem des Gazastreifens besonders schwierig ist. Es ist schwierig, weil sich dort tatsächlich auf einem relativ kleinen Raum eine sehr große Bevölkerungsdichte befindet und die Tatsache, daß diese Bevölkerung, solange sie unter ägyptischer Besetzung und Kontrolle lebte, tatsächlich in Bezug auf Terrorakte von ganz besonderer negativer Bedeutung f ü r Israel war. Ich glaube aber, hier noch einmal auf etwas zurückkommen zu müssen, was mit der territorialen Frage eng verbunden ist. Sehen Sie, es wird heute — und ich gebe zu, daß das propagandistisch sehr schön klingt — gelegentlich von seiten der Araber gesagt, ja, wenn die Israelis sich erst einmal auf die Grenzen von 1967 zurückzögen, dann wäre j a alles in Ordnung. Dann kann man auch über Frieden reden usw. Das ist Blödsinn. Ich entschuldige mich f ü r diesen undiplomatischen Ausdruck, aber es ist Blödsinn, denn neunzehn J a h r e lang, von 1948 bis 1967 hat der Staat Israel in kleinen Grenzen gelebt, in den Grenzen, deren Erneuerung heute die arabische Welt sozusagen anstrebt u n d dennoch haben wir niemals Frieden gehabt, dennoch waren die Araber niemals willens, uns anzuerkennen. Mit anderen Worten, das Argument, das heute so schön klingt, als ob sich der arabisch-israelische Konflikt auf die territoriale Frage konzentriert u n d reduziert, entspricht einfach nicht den historischen Tatsachen. Das, was stimmt, ist folgendes: Neunzehn J a h r e hat sich die arabische Welt geweigert, Israel anzuerkennen. 1967 wurde der Versuch gemacht, diese Weiger u n g in den militärischen Akt umzusetzen. Dieser Versuch ist aus arabischer Sicht mißglückt. Es ergab sich eine neue Situation, die tatsächlich temporären Gebietszuwachs f ü r Israel mit sich brachte, aber dieser Gebietszuwachs hat mit der Grundfrage Frieden oder Krieg nicht das geringste zu tun. Frage: Herr Botschafter, lassen Sie mich hier auf den Beginn unseres Gesprächs zurückkommen, auf die Frage, kann hier Europa helfen? Sie beklagten die politi550
27.5 Israels neuer Botschafter in Bonn,Johanan Meroz, zur Lage im Nahen Osten sehe Haltung der Europäischen Gemeinschaft und gerade in der Europäischen Gemeinschaft ist zu Beginn dieses Jahres in den ersten Januar-Tagen etwas geschehen, was vielleicht von Israel aus kritisch betrachtet wird. In Kopenhagen, als die Minister tagten, erschienen plötzlich vier arabische Außenminister u n d kamen in den europäisch-arabischen Dialog hinein, das heißt, die Gemeinschaft griff die vier Minister beim Schopf und sagte: Gut, wenn ihr wollt. Und dieser europäisch-arabische Dialog steht nun noch vor seinem Beginn, das heißt, man wird sich in Paris zum ersten Mal an einen Tisch setzen, diesen Dialog gewissermaßen institutionalisieren. Was kann hieraus werden? Kann dieses Gespräch Hilfe bringen? Antwort: Ich möchte hier einmal einen klaren Unterschied machen zwischen wirtschaftlichen Problemen, die, soweit wir es wissen, weitgehend f ü r diesen europäisch-arabischen Dialog geplant sind, und den wir als völlig legitim und verständlich ansehen, an dem wir nichts auszusetzen u n d zu kritisieren haben, und andererseits den Versuchen, die, wie ich bereits angedeutet habe, nie von der Bundesregierung, von der Bundesrepublik in Zweifel gezogen worden sind, eine politische Rolle in der Lösung des arabisch-israelischen Konflikts spielen zu wollen. Ich glaube, der Wunsch, eine Rolle spielen zu wollen, ist mir klar. Die Frage ist nur die, ist Europa, ist die Europäische Gemeinschaft, die j a in vielen Dingen durchaus nicht mit einer Stimme spricht und vielleicht auch nicht mit einem Hirn denkt, politisch gesehen in d e r Lage, einen Beitrag zur Lösung des Problems zu bieten. Ich glaube, daß die Antwort darauf noch sehr deutlich negativ lauten muß. Wozu ich die Europäische Gemeinschaft als höchst qualifiziert ansehe, das wäre ein Versuch, die arabischen Länder u n d Israel zu dem Verhandlungstisch zu führen. Nicht aber in Bezug auf die speziellen oder spezifischen Probleme des Konfliktes Stellung zu nehmen. Nicht, weil die Stellungnahme als solche inhaltlich in einigen Fällen von Israel kritisiert wird — obwohl vielleicht auch das eine Rolle spielt —, sondern vor allem deswegen, weil grundsätzlich in dem Moment, wo sich Dritte einschalten u n d Vorschläge oder operative Gedanken äußern, die arabische Welt wiederum von der Notwendigkeit befreit wird, der Realität ins Auge zu schauen. Und die arabischen Regierungen können und haben auch in gewissen Fällen durchaus den Entschluß zu ziehen, daß es f ü r sie nicht nötig sei, mit Israel zu verhandeln, d e n n andere — ob es sich u m Großmächte handelt, ob es sich u m die Europäische Gemeinschaft handelt, um die UNO, ob es sich um afrikanische oder asiatische Länder handelt — andere werden ihnen schon die Kastanien aus dem Feuer holen. Frage: H e r r Botschafter, eine Gemeinschaft der Staaten des Nahen Ostens, könnte ich mir vorstellen, wäre eine Fata Morgana des Friedens, das heißt, sichere Grenzen, nicht n u r militärisch, sondern auch wirtschaftspolitisch, das heißt dann offene Grenzen. Sie haben in Ihrem Lande immer die offenen Grenzen gepflegt, sogar in den Tagen des Yom-Kippur-Krieges gingen Gemüse- und Obsttransporte über die Jordan-Brücke nach Jordanien und Kuweit. Ich könnte mir vorstellen, lassen Sie mich diese Zukunftsvision entwickeln, daß man aus den Staaten des Nahen Ostens gewissermaßen eine Gemeinschaft analog der Europäischen 551
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Gemeinschaft schafft, wo es eben gemeinsamen Handel, gemeinsamen Wirtschaftsaufbau geben könnte. Ich könnte mir das Geld d e r Ölländer, die Menschen u n d das Land der arabischen Staaten u n d das große technische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Wissen Israels als drei Komponenten einer solchen Gemeinschaft vorstellen. Das klingt sehr in die Ferne gedacht, ist vielleicht aber nicht unrealistisch? Antwort: Das ist eine Vision, die durchaus das Verdienst nicht n u r des schön klingenden Gedankens, sondern auch der praktischen Aussicht mit sich trägt. Uns hat tatsächlich immer dieser Gedanke vorgeschwebt, daß in absehbarer Zeit der mittlere Osten sich zu einer Gemeinschaft entwickelt. Und vergessen wir doch eines nicht, wenn wir vom mittleren Osten sprechen, d a n n dürfen wir nicht n u r an die arabischen Länder und an Israel denken, da gehören ja auch noch andere Länder hinzu, die weder arabisch noch jüdisch sind, Länder, die Randgebiete des etwas östlicher liegenden mittleren Ostens wie Persien zum Beispiel sind. Man soll sich überhaupt nicht auf die Ansicht versteifen, als sei der mittlere Osten n u r und ausschließlich ein arabisches Gebiet. Aber, um noch einmal auf die visionäre Vorstellung zurückzukommen: Ich glaube, daß mit gutem Willen - das ist eine Banalität, das gehört zu jeder Lösung — Vorstellungen, die der Realität der Potenzen im mittleren Osten gerecht werden, eine Lösung, so, wie Sie sie eben umschrieben haben, durchaus mit sich bringen könnten.
27.6
Gerhard Schröder: Die Zukunft Israels liegt in der Zusammenarbeit der nahöstlichen Region
Am 4. Dezember 1974 gab der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der „Deutschen Welle" f ü r die Sendereihe „Politik aus erster Hand" ein Interview, in dem er auch zu den nahöstlichen Problemen im Zusammenhang mit der europäischen Entwicklung Stellung nahm. Dieser Teil des Gespräches hatte folgenden Wortlaut: Frage: Der eigentliche Beginn des europäisch-arabischen Dialogs in der ersten Sitzung der gemischten Kommission ist vertagt worden. Die Araber fordern einen Beobachterstatus f ü r die palästinensische Befreiungsfront PLO. Würde dies die Bemühungen um einen europäisch-israelischen Dialog stören, der noch parallel verlaufen soll? Dr. Schröder: Ich meine, daß die Haltung der Bundesrepublik Deutschland und der anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft richtig war, der Resolution der Vereinten Nationen nicht zuzustimmen, die sich mit den arabischen Erwartungen und Forderungen befaßt hat, weil nicht gleichzeitig etwas über die Sicherung u n d Anerkennung des Staates Israel gesagt wurde. Sicher wird das Problem der Palästinenser noch viel Schwierigkeiten bereiten. Es läßt sich auch, wie ich glaube, heute noch nicht voraussagen, wie die damit verbundenen Fragen letzt552
27.7 Israels Außenminister Yigal Allon in der Bundesrepublik Deutschland lieh gelöst werden können. Ich sehe aber, daß Lösungen möglich sind, die im Interesse eines konstruktiven, das heißt in die Zukunft weisenden Friedens ergriffen werden müssen. Wir gehören in dieser Frage sicher nicht zu den Hauptakteuren. Das ginge über unsere Möglichkeiten hinaus. Wir wissen aber, daß gerade auch des deutsch-israelischen Verhältnisses wegen ein konstruktiver Weg in die Zukunft gefunden und mit allen Kräften gesichert werden muß. Frage: Die sozialliberale Regierung spricht schon seit einiger Zeit von den „legitimen Rechten der PLO". Ist diese Formel auch für die Opposition akzeptabel? Dr. Schröder: Sicher ist es noch ein weiter Weg, bis die legitimen Rechte der Palästinenser in einer dem Frieden dienenden und in die Friedenssicherung eingebauten Weise Verwirklichung finden. Die PLO, als stärkste Organisation der Palästinenser, wird noch einen weiten Weg zu gehen haben, bevor sie auch ihrerseits das Maß an Einsicht und konstruktiver Selbstbeschränkung aufbringt, das im Interesse des Friedens nötig ist. Ich meine, daß gerade wir die Probleme, die sich hier stellen, mit größter Behutsamkeit behandeln müssen. Frage: Sie haben in den letzten Monaten den Nahen und Mittleren Osten bereist. Gibt es noch Chancen für eine Befriedung, für einen modus vivendi? Dr. Schröder: Sie fragen nach den Chancen für eine Befriedung, für einen modus vivendi im Nahen und Mittleren Osten. Ich möchte die Chancen der Befriedung, oder gebrauche ich lieber wieder den Ausdruck, die Möglichkeit eines konstruktiven Friedens, bejahen. In welcher Weise und in welchen Stufen dieser konstruktive Frieden erreicht werden kann, läßt sich heute noch nicht ganz und gar abschätzen. Ich hoffe jedoch, daß er im Interesse aller Beteiligten schneller kommen wird, als das heute manchmal angenommen oder befürchtet wird. Für mich steht fest, daß die Zukunft Israels und der ganzen Region nur in der Zusammenarbeit liegen kann und wird. Zu dieser Zusammenarbeit können wir ganz gewiß einiges beitragen. Wir sollten das klar und entschlossen tun.
27.7
Israels Außenminister Yigal Allon in der Bundesrepublik Deutschland
Am 16. Februar 1975 kam Israels Außenminister Yigal Allon zu einem ersten Besuch in die Bundesrepublik Deutschland. Er hatte Gespräche sowohl mit Bundeskanzler Helmut Schmidt als vor allem mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Bei der Begrüßung sagte der Bundesaußenminister u. a.: „Weniger ermutigend stellt sich die Lage im Nahen Osten dar. Wir wissen, daß die Spannungen auch Israel und die übrigen am Konflikt beteiligten Staaten mit ernster Sorge erfüllen. Die Bundesregierung teilt diese Besorgnisse. Sie nimmt an der Entwicklung im Nahen Osten starken Anteil, umso mehr, als sie weiß, daß die Geschehnisse in der Region die übrige Welt, insbesondere aber Europa und uns selbst nicht unberührt lassen. Frieden im Nahen Osten ist für Sie, Ihre Nach553
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
barn und uns alle von lebenswichtiger Bedeutung. Deshalb tritt die Bundesregierung in ihrer Nahostpolitik nachdrücklich für einen gerechten und dauerhaften Frieden ein, ohne durch einseitige Parteinahme die Bemühungen um den Frieden zu erschweren. Die Bundesregierung legt großen Wert auf Deutlichkeit in ihrer Haltung zum Nahostkonflikt, um ihre Glaubwürdigkeit gegenüber jedermann zu gewährleisten. Denn diese bildet die wichtigste Grundlage gegenseitigen Vertrauens in den internationalen Beziehungen. Unsere Haltung beruht unverändert auf einer integralen Anwendung der Sicherheitsratsentschließungen Nr. 242 und Nr. 338 und der gemeinsamen Erklärung der neun Außenminister der Europäischen Gemeinschaft vom 6. November 1973. Daß die Gewährleistung des Lebens- und Existenzrechts Israels für uns auch in diesen Beschlüssen ihre unverzichtbare Grundlage hat, wurde und wird in der Zukunft von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vor der Weltöffentlichkeit versichert. Herr Außenminister, wir hoffen, daß das Bewußtsein um die Verantwortung für den Frieden unter allen am Nahostkonflikt Beteiligten bald zu einer dauerhaften und gerechten Friedenslösung führen möge. Mit diesem Wunsch möchte ich mein Glas erheben: auf das Wohl des Präsidenten des Staates Israel, auf Ihr persönliches Wohl, lieber Herr Kollege, und auf das Gedeihen der deutsch-israelischen Beziehungen."
27.7.1
Aus der Ansprache Yigal Allons
„Ich komme mit tiefer Bewegtheit nach Deutschland; die Vergangenheit schneidet mir ins Herz, aber auch die Hoffnung auf die Zukunft steht mir vor Augen. Könnte es denn anders sein, wenn ein jüdischer Mensch, der den jüdischen Staat vertritt, zum ersten Mal den Fuß auf deutschen Boden setzt! Das Gebilde der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ist von besonderer Art in seiner komplizierten psychologischen Struktur wie in seinen stabilen politischen Grundlagen. Da wir uns aber der Zukunft zuwenden — einer Zukunft, in der es jedem Volk, jedem Staat und jedem Menschen möglich sein sollte, geistig, gesellschaftlich und politisch in Frieden und Freiheit zu leben —, so hat das Wesen der besonderen Beziehungen, die sich zwischen Deutschland und Israel entwickeln, eine besondere Bedeutung, und dazu darf ich Ihnen und uns hier meine Wünsche aussprechen. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre große Lebensfähigkeit in ihrem wirtschaftlichen Wiederaufbau, in ihrer gesellschaftlichen Gesundung und in ihrer politischen Stellung in der Europäischen Gemeinschaft, und darüber hinaus in ganz Europa und in der weiten Welt bewiesen. Die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel haben große Fortschritte gemacht seit dem Austausch diplomatischer Vertreter vor 10 Jahren, und ich hege die Hoffnung, daß mein Besuch bei Ihnen diesem Vorgang einen weiteren Beitrag liefern wird. 554
27.7 Israels Außenminister Yigal Allon in der Bundesrepublik Deutschland Vor kurzem haben wir ein bedeutsames Abkommen mit der Europäischen Gemeinschaft ausgearbeitet, dessen endgültige Unterzeichnung bald stattfinden wird. Auch bei diesen Bemühungen haben uns die Bundesrepublik Deutschland als Staat u n d ihr ausgezeichneter Vertreter, Außenminister Genscher, hilfreich zur Seite gestanden, und d a f ü r darf ich unseren Dank sagen. Wir sind an einer weiteren Förderung der Mitarbeit Israels in den verschiedenen Gremien der Europäischen Gemeinschaft interessiert. Die Tatsache, daß eine Anzahl anderer Staaten in unserer Region ein ähnliches Interesse offenbart, stört uns in keiner Weise; im Gegenteil, es ist durchaus denkbar, daß sich daraus nicht n u r ein Vorteil f ü r diese Staaten ergeben wird, sondern auch f ü r die Idee des Friedens und der Stabilität. Die Wirtschaften Europas und Israels konkurrieren nicht miteinander, sondern sie ergänzen sich, und sollte sich dennoch ein Schein des Wettbewerbs ergeben, so braucht die Europäische Gemeinschaft ihm nicht mit Befürchtung entgegenzusehen, sondern eher wäre das Gegenteil der Fall. Schließlich sind Zusammenarbeit und Wettbewerb gemeinsame Quellen des Erfolgs. Zum Abschluß darf ich einige Worte zu den Friedensaussichten in unserem Teil der Welt sagen. Als im November 1967 der Sicherheitsrat die Resolution 242 verabschiedete mit Billigung aller am Konflikt Beteiligten, schien es, als ob die erlösende Formel gefunden worden sei, die Formel nämlich, die Grundsätze niederlegte, die aber zu gleicher Zeit und mit vollem Recht den Parteien ein weites T o r zur Verhandlung öffnete. Diese Resolution ist keineswegs ein juridisches Dokument, das automatisch durchzuführen ist, sondern seine politisch-rechtliche Verwirklichung verpflichtet zur Verhandlung. Wenn verschiedene Parteien diesem Beschluß nicht eine verzerrte Deutung gegeben hätten — eine Deutung, die sich im Gegensatz zu dem ursprünglichen Text und zu der Absicht seiner Verfasser befand —, so wäre es durchaus denkbar, daß der Friede längst sein Heim im Nahen Osten gefunden hätte. Israel bemüht sich und ist jederzeit bereit, über einen dauerhaften Frieden mit jedem d e r arabischen Staaten Verhandlungen zu führen. Ich bin mir keines Problems bewußt in der Auseinandersetzung zwischen uns und unseren Nachbarn — einschließlich der Notwendigkeit, f ü r einen Ausdruck der Identität der Palästinenser eine konstruktive Lösung zu finden — das nicht auf dem Wege der Verhandlungen lösbar ist. Darüber hinaus ist es klar, daß kein einziges dieser Probleme mit militärischen Mitteln einer Lösung nähergebracht werden kann. Als uns zu unserem Bedauern klar wurde, daß vorläufig die Bedingungen noch nicht f ü r einen umfassenden Friedensbeschluß reif sind, haben wir uns mit dem Gedanken des stufenweisen Fortschritts abgefunden. Eine erste Stufe, die der militärischen Entflechtungsabkommen, liegt hinter uns, und um die zweite Stufe gehen unsere Bemühungen in diesen Tagen. Wenn diese oder j e n e internationalen Kräfte diesen Vorgang nicht untergraben — sei es durch Unterstützung extremer Gedankengänge, durch die Förderung von Illusionen jenseits der Grenzen oder durch Eingehen auf Erpressung — so sind die Aussichten gut, politisch weiterzukommen." 555
27 Der deutsch-israelische Dialog im, Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
27.7.2 Bilanz des Besuches: Der Wortlaut der Pressekonferenz „Genscher: Meine Damen und Herren! Am Ende dieses Besuches des israelischen Außenministers können wir feststellen, daß Inhalt unserer Gespräche, daß Geist und Atmosphäre unserer Gespräche das Recht geben, diesen Besuch als einen bedeutungsvollen Schritt der weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel zu bezeichnen. Unsere Unterhaltungen gaben Gelegenheit, sowohl über multilaterale Fragen wie über zweiseitige Fragen zu sprechen. Wir haben, was verständlich ist, die Lage im Nahen Osten erörtert. Das bot f ü r uns den Anlaß und die Möglichkeit, die Grundsätze unserer ausgewogenen Nahostpolitik zu erläutern und auch ihre Grundlagen. Im Rahmen der weiteren Gestaltung und Fortentwicklung unserer zweiseitigen Beziehungen sind wir übereingekommen, daß wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit ausbauen wollen und daß wir gemeinsam prüfen wollen, welche Möglichkeiten dafür bestehen. Allan: Meine Freunde! Ich habe von diesem Besuch nach Bonn viel, sehr viel erwartet, und ich muß jetzt, am Ende dieses Besuches sagen, das Ergebnis ist noch besser, als meine hohen Erwartungen es waren. Das gilt f ü r den strahlenden Himmel, das gilt f ü r das strahlende Antlitz meines Gastgebers, das gilt f ü r die freundliche Umgebung, das gilt für die freundliche Atmosphäre, in der diese Gespräche stattgefunden haben. Ich bin in der Lage, Ihnen zu berichten, daß wir in unseren Gesprächen Gelegenheit hatten, die Haltung Israels zu weltpolitischen Fragen, zu Fragen des Nahen Ostens, zu bilateralen Fragen darzulegen, und ich habe mit großer Aufmerksamkeit dem zugehört, was mein Gastgeber mir zu sagen hatte. Ich hatte darüber hinaus Gelegenheit, mit anderen führenden Persönlichkeiten der Regierung und der Opposition zusammenzutreffen. Und nachdem diese Gespräche nun ihren Abschluß gefunden haben, nachdem der offizielle Meinungsaustausch zu Ende ist, bin ich in der Lage, zu sagen: ich bin mit meinem Besuch in Deutschland sehr zufrieden. Frage: Ist es in diesen Tagen gelungen, einen anscheinenden oder scheinbaren Widerspruch in der deutschen Haltung zu den Grenzen Israels aufzulösen? Einerseits steht die Bundesregierung d a f ü r ein, daß Israel in sicheren und anerkannten Grenzen leben soll, andererseits hat sie im Einklang mit den anderen acht EG-Staaten die Auffassung vertreten, daß die territoriale Okkupation arabischen Gebietes beendet werden soll. Das würde heißen eine Rückkehr zu den Grenzen von 1967. Aber gerade die Grenzen von 1967 waren, wie sich herausgestellt hat, weder anerkannt noch gesichert trotz der Anwesenheit von UN-Soldaten. Genscher: Ich habe, wie Ihnen bekannt ist aus der veröffentlichten Rede von vorgestern abend, die auch eben in meinem Eingangsstatement erwähnten Grundlagen der ausgewogenen Nahostpolitik der Bundesregierung erläutert. Das gründet sich also auch mit auf die Erklärung der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft vom November 1973. Im einzelnen ist die Frage, die Sie jetzt eben angeschnitten haben, zwischen uns nicht erörtert worden, weil Gegenstand unserer 556
27.7 Israels Außenminister Yigal Allon in der Bundesrepublik Deutschland Gespräche nicht etwa d e r Versuch war, anstelle a n d e r e r eine Nahostlösung zu finden. Insgesamt kann man meinem Eingangsstatement hinzufügen, d a ß ich bei d e r Erläuterung unserer Haltung zur Nahostfrage zum Ausdruck gebracht habe, daß die Bundesregierung die B e m ü h u n g e n des amerikanischen Außenministers nicht n u r begrüßt, sondern daß sie die B e m ü h u n g e n des amerikanischen Außenministers im R a h m e n ihrer Möglichkeiten mit Nachdruck unterstützt. Frage: H e r r Allon, in I h r e m Interview mit d e r ,Zeit' haben Sie erklärt, d a ß die palästinensische Identität ihren nationalen Ausdruck finden m u ß als unabhängiger Staat im Rahmen einer Friedensregelung zwischen Israel u n d seinen östlichen Nachbarn. Bedeutet dies, daß Israel n u n bereit ist, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren, d e r von J o r d a n i e n getrennt und unabhängig ist? Allon: In meinen Antworten auf diesbezügliche Fragen, was die palästinensische Identität angeht, habe ich mich i m m e r wieder bemüht, zwei Punkte insbesondere deutlich u n d klar zu machen. Erster Punkt: Die Gemeinschaft d e r Palästinenser kann nicht identifiziert werden, nicht gleichgesetzt werden mit d e r sogenannten PLO, d e n n soweit ich die Lage beurteilen kann, soweit ich Bescheid weiß, sind die arabischen Palästinenser in d e n verwalteten Gebieten vielleicht das gemäßigste Element, das m a n heute in d e r arabischen Welt findet. Diese arabischen Palästinenser suchen ebenfalls eine politische Lösung f ü r ihren Konflikt. Sie suchen den Frieden, der es auch ihnen ermöglicht, ihre Identität zum Ausdruck zu bringen. Der zweite Punkt, auf den ich i m m e r deutlich verwiesen habe, ist folgender: Innerhalb dieses Zusammenhanges d e r B e m ü h u n g u m d e n Frieden zwischen Israel u n d seinen östlichen Nachbarn kann eine gerechte u n d konstruktive Lösung gef u n d e n werden. Selbstverständlich müssen die palästinensischen Araber dabei beteiligt sein. Aus meiner Kenntnis dieses Gebietes, aus meiner Kenntnis unserer Nachbarn möchte ich hier sagen, d a ß j e d e r Versuch, eine Unterscheidung zu t r e f f e n zwischen d e n palästinensischen Arabern Jordaniens u n d d e n palästinensischen Arabern auf dem Westufer künstlich ist u n d zugeschnitten ist auf die Wünsche, auf d e n Bedarf der PLO. Wir gehen davon aus, d a ß in diesem Bereich, d e r abgegrenzt ist d u r c h d e n Bereich Mittelmeer u n d d e n Irak auf d e r anderen Seite, zwei Staaten existieren sollten, ein jüdischer, genannt Israel, ein arabischer — ob d e r n u n palästinensisch heißt, palästinensisch-jordanisch, spielt keine Rolle - u n d daß die Grenze zwischen diesen beiden Staaten ausgehandelt werden sollte. Frage: H e r r Minister Allon, es gibt israelische Zeitungsberichte, wonach Ministerpräsident Rabin im J u n i Bonn besuchen wird. Sind diese Berichte zutreffend? Allon: W ä h r e n d meines Besuches hier in Bonn w u r d e über einen Besuch von Ministerpräsident Rabin nicht gesprochen. Wir wissen aber, daß wir einen Besuch schuldig sind auf d e r Ebene des Regierungschefs als Gegenbesuch auf den Besuch, den Willy Brandt als Bundeskanzler unserem Lande abgestattet hat. Ich bin aber sicher, wenn die Einladung ausgesprochen wird, wird sie seitens d e r israelischen Regierung wohlwollend a u f g e n o m m e n werden. Frage: H e r r Minister Genscher, ist eine nähere Einigung über das Problem der 600 Millionen Mark erzielt worden bei d e n Gesprächen? 557
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Genscher: Die Frage braucht nicht erörtert zu werden, d a es kein Problem ist zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik Deutschland. Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, Sie haben d a r ü b e r ü b e r h a u p t nicht gesprochen? Genscher: Sie haben mich richtig verstanden. Frage: H e r r Minister Allon, warum haben Sie das Problem nicht mit d e m Vertreter d e r Bundesregierung erörtert, sondern mit d e m Vertreter d e r Opposition? Allon: Ich habe dies nicht als ein Verhandlungsthema hier aufgebracht in meinen Gesprächen mit d e n B o n n e r Behörden oder mit der Regierung, auch nicht in meinen Gesprächen mit den Vertretern der Opposition, d e n n das ist j a eine Frage, die in die Zuständigkeit d e r Claims Conference fällt. Aber ich bin nicht n u r Außenminister des Staates Israel, ich bin auch Angehöriger des jüdischen Volkes, u n d so habe ich bei meinen Gesprächen die Gelegenheit benutzt, zumindest dieses T h e m a anzusprechen, aber nicht darüber zu verhandeln. In unseren Gesprächen habe ich d e n S t a n d p u n k t vertreten, daß es wohl nützlich wäre, wenn diese Frage unter d e m Gesichtspunkt einer gemeinsamen H a l t u n g zwischen Regier u n g und Opposition gesehen werden könnte, aber es war nicht Gegenstand irgendwelcher V e r h a n d l u n g e n , es war höchstens in dem Gespräch erwähnt worden. Frage: H e r r Minister Genscher, Sie haben in I h r e r Erklärung gesagt, daß Sie übereingekommen sind, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Israel auszubauen. Welche G e d a n k e n liegen dem zugrunde, gibt es da schon irgendwelche Ideen? Genscher: Ich erlebe zum erstenmal, daß Sie nicht vollständig zitieren, denn ich habe hinzugefügt: wir wollen prüfen, wie das möglich ist. Deshalb kann ich die Antwort noch nicht geben. Frage: H e r r Minister Genscher, uns ist berichtet worden, daß Sie I h r e m israelischen Kollegen zugesichert haben, daß die Bundesrepublik Israel nie im Stich lassen wird. Eine Situation, in d e r diese Frage aktuell würde, wäre zweifellos ein neuer Konflikt, von d e m z. B. UN-Generalsekretär Waldheim gesprochen hat. W ü r d e die Bundesrepublik im Falle eines solchen Konfliktes amerikanische Rüstungslieferungen ü b e r deutsches Gebiet zulassen o d e r verweigern? Genscher: Ich habe gestern am Schluß meiner Ansprache, in d e r ich auf die Ausf ü h r u n g e n von H e r r n Allon erwidert habe, gesagt: Sie, I h r Land u n d Ihr Volk sollen wissen, wir werden sie nicht verlassen. So bitte ich dies zu werten. Diese Frage, die Sie anschneiden, war ü b e r h a u p t nicht einbezogen u n d konnte nicht einbezogen sein u n d konnte auch nicht Gegenstand unserer Gespräche sein. Frage: Ich möchte gerne von H e r r n Minister Allon wissen, ob ihm Erwägungen der Bundesregierung vorgetragen worden sind, u n t e r bestimmten Bedingungen die PLO anzuerkennen, u n d welche Haltung die israelische Regierung gegenüber solchen Erwägungen hat. Allon: Die PLO war kein T h e m a der Verhandlungen oder der Gespräche, die ich mit H e r r n Bundesminister Genscher geführt habe. Aus dem, was ich von meinen Kontakten mit offiziellen Vertretern der Bundesrepublik u n d d e r a n d e r e n euro558
27.8 Vor Genschers Reise nach Kairo: Anerkennung für Israels Existenzrecht päischen Länder erfahren habe, auch in Berlin bei der Sozialistischen Internationale, weiß ich, daß keines der europäischen Länder die PLO anerkennen wird, solange die PLO bei dem sogenannten Palestinian Convent bleibt, d. h. solange sie Israel das Existenzrecht verweigert und solange sie Israel gegenüber terroristische Methoden anwendet. Frage: Sind außer dieser T o u r d'horizon über den Nahen Osten und außer den deutsch-israelischen Wirtschaftsbeziehungen speziell bilaterale Punkte besprochen und eventuell beschlossen worden? Genscher: Es sind alle Aspekte der zweiseitigen Beziehungen erörtert worden und über die zweiseitigen Beziehungen hinaus natürlich auch europäische Fragen, Fragen des Verhältnisses Israels zu der Europäischen Gemeinschaft, Probleme der Mittelmeerpolitik. Es war eben wirklich eine Erörterung der Auffassungen zu aktuellen weltpolitischen Fragen. Aber es wäre nicht richtig zu sagen, daß nun speziell noch Schwerpunkte vorhanden gewesen wären in der Diskussion unserer zweiseitigen Beziehungen. Frage: Gibt es irgendwelche neuen Vereinbarungen über den Jugend- und Kulturaustausch zwischen den beiden Ländern? Genscher: Nein."
27.8
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vor Beginn seiner Reise nach Kairo: Auch Anerkennung des Existenzrechts Israels
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher gab vor Antritt seiner Reise nach Kairo und Riad der Middle East News Agency und dem ägyptischen Rundfunk durch Dr. Ali el Samman ein Interview, in dem er vor allem auch auf die NahostProbleme und den europäisch-arabischen Dialog einging. Das Interview hat folgenden Wortlaut: Frage: Herr Minister, Ihre Reise nach Kairo ist der erste persönliche und politische Kontakt mit der ägyptischen Wirklichkeit. Mit welchen Gedanken und mit welchen Gefühlen reisen Sie nach Ägypten? Antwort: Zunächst freue ich mich aufrichtig, der Einladung meines ägyptischen Kollegen und Freundes Ismail Fahmi Folge leisten zu können und somit auch Ägypten persönlich kennenzulernen. Dieser erste Besuch in Kairo soll die Begegnung fortsetzen, die wir im vergangenen J a h r in Bonn hatten. Obgleich die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern gut und freundschaftlich sind, sollten wir — meiner Ansicht nach — keine Gelegenheit versäumen, diese Beziehungen zu pflegen und weiter zu festigen. Ich möchte deshalb vor allem mit den führenden Männern Ihres Staates die uns alle berührenden aktuellen politischen Probleme diskutieren, aber auch die Bedingungen für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit erkunden. Es
559
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg gibt o h n e Zweifel noch manche Möglichkeit, gerade die Kooperation auf wirtschaftlichem Gebiet zu erweitern. Ich glaube, daß wir diese Möglichkeiten jetzt nutzen sollten, d e n n nach meiner Überzeugung ist j e d e r Beitrag zu einer Stabilisierung auf diesem Gebiet auch ein Beitrag zur H e r b e i f ü h r u n g und Sicherung eines d a u e r h a f t e n Friedens im Nahen Osten. Frage: Die Krise im N a h e n Osten ist mit ihren Auswirkungen weder geographisch noch politisch o d e r wirtschaftlich weit e n t f e r n t von d e n Grenzen Europas o d e r Deutschlands. Wie ist d a h e r , H e r r Minister, die Einschätzung der gegenwärtigen Lage in dieser Region, vor allem nach den beiden Entscheidungen Präsident Sadats über die W i e d e r e r ö f f n u n g des Suez-Kanals u n d die E r n e u e r u n g des Mandats d e r U N E F - T r u p p e n ? Und wie beurteilen Sie, H e r r Minister, die Haltung d e r b e t r o f f e n e n L ä n d e r bezüglich ihrer Verantwortung f ü r eine Rückkehr zum Frieden? Antwort: Es ist richtig, d a ß d e r Nahostkonflikt E u r o p a u n d auch die Bundesrepublik in j e d e r Weise b e r ü h r t . Deshalb sind wir auch an einer baldigen friedlichen Regelung d r i n g e n d interessiert. Zur gegenwärtigen Lage ist zu sagen, daß uns das Ausbleiben von Fortschritten sehr enttäuscht hat. Umso m e h r ist anzuerkennen, daß es keinen Rückfall in Richtung einer Konfrontation gegeben hat. Vielmehr hat Präsident Sadat eine sehr konstruktive u n d verantwortungsbewußte Haltung e i n g e n o m m e n , als er die Verlängerung des VN-Mandats u n d die Ö f f n u n g des Suez-Kanals in Aussicht stellte. Solche Gesten politischer V e r n u n f t u n d des guten Willens sind einer friedlichen Regelung sicherlich förderlich. Frage: Viele Staatschefs u n d politische Persönlichkeiten im Westen sagen o f f e n , daß d e r Frieden im N a h e n Osten unmöglich ist o h n e eine politische Lösung des Palästinaproblems, so zuletzt Senator MacGovern nach seinem T r e f f e n mit Yassir Arafat. Welches ist die Haltung der Bundesregierung zu diesem Punkt? Antwort: Die Bundesregierung hat verschiedentlich erklärt, daß eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes ohne eine Berücksichtigung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes nicht vorstellbar ist. Diese Haltung ist in d e r Erklär u n g d e r n e u n Staaten d e r Europäischen Gemeinschaft vom 6.11.1973 festgelegt. Die Delegation d e r Bundesrepublik Deutschland hat sich deshalb auch in der Palästina-Debatte d e r VN am 19.11.74 f ü r das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes u n d sein Recht ausgesprochen, selbst zu entscheiden, ob es auf d e n von Israel zu r ä u m e n d e n Gebieten eine eigene staatliche Autorität errichten oder eine a n d e r e Lösung wählen will. Die A n e r k e n n u n g des Existenzrechts Israels d u r c h die Palästinenser u n d die A n e r k e n n u n g des Selbstbestimmungsrechts d e r Palästinenser durch Israel sollten nebeneinander stehen. Dabei darf natürlich das eine nicht das andere a u f h e b e n . Denn sonst würde die Resolution 242 des Sicherheitsrates u n d auch die Erklärung d e r n e u n europäischen Staaten vom 6.11.73 ihren Sinn verlieren. Frage: H e r r Minister, viele Beobachter sind d e r Auffassung, daß der europäischarabische Dialog d e n Weg ö f f n e n könnte f ü r eine Zusammenarbeit von ganz außergewöhnlichen A u s m a ß e n zwischen Europa u n d d e r arabischen Welt, die auch in d e r Weltpolitik von Gewicht wäre. Was halten Sie davon, H e r r Minister, u n d 560
27.8 Vor Genschers Reise nach Kairo: Anerkennung für Israels Existenzrecht glauben Sie, daß der europäisch-arabische Dialog ein positives Element ist, um die Unabhängigkeit Europas zu verstärken? Antwort: Mit dem europäisch-arabischen Dialog beschreiten wir einen neuartigen Weg im Verhältnis zweier Staatengruppen zueinander. Wir erwarten eine langfristige Annäherung und Zusammenarbeit der europäischen und der arabischen Welt, die der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Bevölkerung und der wachsenden Bedeutung der beteiligten Staaten dienen soll. Darüber hinaus ist der europäisch-arabische Dialog ein stärkendes Element auf dem Weg zu einer europäischen gemeinsamen Außenpolitik. Wir versprechen uns von diesem konkrete Fortschritte f ü r die Zusammenarbeit Europas mit der arabischen Welt sowie f ü r den Interessenausgleich und die Perspektiven eines gleichmäßigen wirtschaftlichen Fortschritts zweier sich ergänzender Nachbarregionen. Frage: Herr Minister, Gegner der deutsch-arabischen Zusammenarbeit behaupten, daß das Gewicht der Vergangenheit, die mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist, immer ein Hindernis sein wird für die Bonner Regierung auf dem Weg einer sehr weitgehenden Zusammenarbeit mit den arabischen Ländern. Demgegenüber meinen die Befürworter dieser Zusammenarbeit, daß die Bundesregierung in voller Unabhängigkeit über ihre Außenpolitik entscheiden wird. Welches ist Ihr Standpunkt, Herr Minister, in dieser Frage? Antwort: Verpflichtungen aus der Vergangenheit waren nie ein Grund, um gegen eine enge Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten Vorbehalte geltend zu machen. Mir sind auch keine derartigen Bedenken von irgendeiner Seite bekannt. Welchen großen Wert wir der deutsch-arabischen Zusammenarbeit beimessen, können Sie daraus ersehen, daß 1973 bereits ein Außenminister und 1974 der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland vor mir arabische Länder besucht haben. Wir haben unsererseits schon manchen arabischen Besucher in Bonn begrüßen können, ich erinnere hier besonders an die Besuche des ägyptischen Außenministers und des Generalsekretärs der Arabischen Liga. Wir freuen uns, demnächst weitere hochrangige Politiker aus dem arabischen Raum bei uns zu haben. Auch die intensive wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit arabischen Ländern zeigt, ebenso wie unser Interesse am europäisch-arabischen Dialog, daß die Vergangenheit kein Hindernis auf dem Weg der Zusammenarbeit ist. Frage: Nach Ihrer Reise nach Ägypten werden Sie Ihren Besuch im Nahen Osten in Saudi-Arabien fortsetzen. Welchen Stellenwert räumen Sie, Herr Minister, der Zusammenarbeit mit Riad ein? Antwort: Saudi-Arabien nimmt, seinem politischen Gewicht in der arabischen Welt u n d in der Völkergemeinschaft entsprechend, auch in unseren außenpolitischen Beziehungen einen wichtigen Platz ein. Meine Reise nach Riad so kurz nach der des Bundeswirtschaftsministers im November letzten Jahres unterstreicht dies deutlich. Aber auch auf wirtschaftlichem Gebiet liegt eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern im beiderseitigen Interesse. Wir können mit 561
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg unserem technischen Wissen u n d unserer industriellen E r f a h r u n g in vielfältiger Weise zur Entwicklung Saudi-Arabiens beitragen. Saudi-Arabien kann auf der anderen Seite — abgesehen davon, daß es unser größter Erdöllieferant ist — unserer Wirtschaft weitere Absatzmöglichkeiten f ü r ihre Erzeugnisse eröffnen. Sie sehen, daß wir der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit SaudiArabien einen sehr hohen Stellenwert einräumen. Mit großem Interesse sehe ich deshalb d e n Gesprächen mit KönigKhaled von Saudi-Arabien entgegen, von dem ich weiß, daß er die Politik seines großen Vorgängers, KönigFeisals, kontinuierlich fortzusetzen entschlossen ist. Frage: H e r r Minister, die Rolle der Bundesrepublik in der Welt auf Grund ihrer wirtschaftlichen Stärke und ihrer strategischen Lage hat aus Ihrem Land einen entscheidenden Faktor im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft gemacht. Welche Initiativen könnte die Bundesrepublik jetzt als europäische Macht von einigem Gewicht ergreifen, u m die Rolle Frankreichs auf der Genfer Nahostkonferenz zu stärken, nun da man ernsthaft daran denkt, auch Frankreich an dieser Konferenz zu beteiligen? Antwort: Wir müssen zunächst abwarten, ob bestimmte Vorschläge, die europäischen ständigen Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien und Frankreich an den Friedensbemühungen in Genf unmittelbar zu beteiligen, verwirklicht werden. Gleichwohl stehen wir bereits jetzt mit unseren europäischen Partnern in ständiger Verbindung hinsichtlich der Entwicklung im Nahen Osten. Wir sind uns — gerade auch nach der Unterbrechung der Vermittlungsbemühungen Außenminister Kissingers — unserer begrenzten Möglichkeiten bewußt, wir werden aber sicherlich keine Gelegenheit versäumen, einen Beitrag zum Frieden zu leisten. Ich hoffe, daß meine Gespräche in Kairo und Riad dazu beitragen werden, mir Aufschluß darüber zu geben, wo konkrete Ansatzpunkte f ü r einen europäischen Beitrag zu den Friedensbemühungen im Nahen Osten liegen könnten.
27.9 Bundeskanzler Helmut Schmidt zur Lage im Nahen Osten Nach dem Abbruch der Friedensbemühungen des amerikanischen Außenministers Kissinger im Nahen Osten haben viele Politiker in der Bundesrepublik zu dieser jetzt entstandenen Situation Stellung genommen. Am 1. April sprach Bundeskanzler Helmut Schmidt in einem Interview des Norddeutschen Rundfunks zu dem Konflikt in diesem Raum und seinen Lösungsmöglichkeiten ohne weitere „Reisevermittlungen". Der Bundeskanzler formulierte seine Meinung über Friedensmöglichkeiten wie folgt: ,frage: Schlagzeilen in diesen Tagen lauten, daß möglicherweise in Nahost ein neuer Krieg droht. Damit erhebt sich gleichzeitig auch die Frage nach einer möglichen militärischen Intervention der westlichen Industrienationen auf den ö l feldern, sicherlich auch aktualisiert mit dem T o d König Feisals u n d den dortigen jetzt innenpolitischen Schwierigkeiten. Halten Sie so etwas in der nächsten Zukunft f ü r möglich? 562
27.10 Europäische Staaten übernehmen Garantiesystemßlr Nahost-Lösung Antwort: Ich halte das für ganz unwahrscheinlich, und ich will hinzufügen, daß jedenfalls westliche Industriemächte in der Mehrzahl, wie Sie Ihre Frage formuliert haben, f ü r mich als Interventionsmächte im Mittleren Osten undenkbar sind. Frage: Es wird davon gesprochen, daß Henry Kissingers Mission endgültig gescheitert sei. Sie haben dem schon häufiger widersprochen. Würden Sie es befürworten, daß Kissinger bereits in den nächsten Wochen, obwohl er es ja bisher ablehnt, seine Mission wieder aufnimmt? Antwort: Ich bin der Meinung, daß Bemühungen um die Aufrechterhaltung des Waffenstillstandes und um die Vertiefung des Waffenstillstandes in Richtung auf einen dauerhaften Frieden hin nur auf dem Weg der Reisediplomatie zwischen den Hauptstädten des Mittleren Ostens angestellt werden dürfen. Ich denke, daß man sie auf andere Weise, aber mindestens ebenso tiefgreifend von den Hauptstädten der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion aus, von den übrigen Hauptstädten aus anstrengen kann. Es ist nicht unbedingt notwendig, wenngleich es in bestimmten Situationen sehr nützlich sein mag, daß die führenden Staatsmänner an Ort und Stelle in persönlichen Kontakt miteinander treten. Ich bin fest überzeugt, daß die beiden Supermächte je auf ihre Weise großes Interesse nicht nur hegen, sondern das auch sehr bewußt verfolgen, ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung des Waffenstillstandes im Nahen Osten."
27.10 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher: Europäische Staaten sind bereit, in einem Garantiesystem für eine NahostLösung Funktionen zu übernehmen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat in einem großen Fernsehinterview des Zweiten Deutschen Fernsehens, das am 31. März 1975 in der Sonntagssendung „Bonner Perspektiven" ausgestrahlt wurde, sehr eingehend zu den Fragen der Konferenz f ü r Sicherheit und Entspannung Stellung genommen, die im Sommer ihrem Höhepunkt und Abschluß entgegengehen soll. Bei dieser Konferenz, so erklärte Minister Genscher, handele es sich um einen groß angelegten Versuch aller europäischen Staaten, aber auch der Vereinigten Staaten von Amerika und Kanadas, Regeln für das Zusammenleben zu finden. „Es ist ganz selbstverständlich," betonte Minister Genscher, „daß hier ein weiter Weg zurückgelegt werden mußte, bis man die ersten Arbeitsergebnisse registrieren konnte. Das ist jetzt geschehen. Es sind wichtige positive Entscheidungen gefallen, andere Fragen sind noch offen." Im Hinblick auf die Teilnahme der Sowjetunion bei dieser Konferenz bemerkte Genscher: „Die Bundesregierung befindet sich voll in Übereinstimmung mit ihren Partnern in der Auffassung, daß nicht nur unsererseits, sondern auch die andere Seite Anstrengungen unternehmen muß, um zu dem erwünschten 563
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg raschen Abschluß d e r Konferenz zu kommen. Aber wie in allen Fragen geht natürlich auch hier Qualität vor Zeit, und Klarheit auch der Formulierung dient der Sache der Entspannung. Es geht ja hier um Entspannung mehr, als man Unklarheiten in Kauf nehmen wird, und ich bin der Überzeugung, daß die andere Seite das sehr wohl verstehen wird. Die Regierungschefs und Außenminister der neun europäischen Staaten haben in Dublin ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, ihren Beitrag zu einem raschen Abschluß der Konferenz zu leisten; aber sie haben zugleich auch mit Recht die Erwartung ausgesprochen, daß ein solcher Beitrag auch von allen anderen Teilnehmerstaaten geliefert werden muß." Hier der weitere Verlauf des Interviews im Wortlaut: ,.,Frage: Würde die westliche Seite, wenn es nicht bis zum Sommer zu absoluter Klarheit kommen kann, diesen Termin noch hinausschieben? Antwort: Nun, ich glaube, es geht darum, daß wir alle die von mir hier skizzierten Anstrengungen unternehmen, und es kann natürlich keine Rede davon sein, daß das Konferenzergebnis etwa ein Ersatzfriedensvertrag wäre; das wäre ein falscher Ansatz in der Betrachtung. I m Gegenteil, f ü r uns ist ja außerordentlich wichtig, daß in den Grundsätzen, die die Konferenz am Ende feststellen wird, das Selbstbestimmungsrecht ebenso genannt ist wie die Menschenrechte, daß die Möglichkeit der friedlichen Veränderbarkeit der Grenzen formuliert ist, ein Punkt, den wir als Deutsche u n d als Europäer f ü r wichtig halten. Einmal wird darin noch einmal deutlich, d a ß wir die deutsche Frage offenhalten, so wie das im Brief zur deutschen Einheit niedergelegt ist, u n d zum anderen ist das auch notwendig, um dem Prozeß der europäischen Einigung, der ein zentraler Punkt unserer Außenpolitik ist, nicht etwa durch Konferenzergebnisse behindern zu lassen. Und im G r u n d e genommen ist natürlich etwa der Wegfall von Grenzen die schärfste Form der Veränderung. Frage: Nochmal, Herr Minister, würde hier Qualität vor Zeit gestellt werden... Antwort: Eindeutig ja. Frage: ...Auch wenn das zu einer späteren Deklarationsverkündung kommen könnte? Antwort: Ja, ich muß n u r noch einmal sagen, f ü r uns geht es darum, daß wir auch die a n d e r e Seite dazu ermutigen, durch Anstrengungen dazu beizutragen, daß ein möglichst f r ü h e r Abschluß der Konferenz möglich wird. Frage: Wenn wir von Spannungen und Entspannung reden, Herr Minister, die Europäer blicken besorgt wie die ganze Welt nach Nahost, man wird nach Genf gehen, die Sowjetunion hat damit ihr großes Ziel erreicht, nämlich wieder voll mit in d e r Entscheidung über die Nahost-Situation zu sein, welche Rolle wird Europa in Genf spielen? Antwort: Nun, die Teilnehmerstaaten dieser Konferenz sind bestimmt, und es kann sich niemand hineindrängen. Trotzdem kann Europa eine Rolle, auch eine stabilisierende Rolle im Nahen Osten spielen. Das haben wir einmal zum Ausdruck gebracht durch die Aufnahme des europäisch-arabischen Dialogs, zum an-
564
27.10 Europäische Staaten übernehmen GarantiesystemfiirNahost-Lösung deren durch die Erklärung vom November 1973, indem wir die Voraussetzungen einer Friedensregelung im Nahen Osten dargelegt haben, nämlich die Respektierung des Existenzrechtes der Staaten dort, das heißt also auch das Existenzrecht Israels, auf der anderen Seite aber auch die Respektierung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes. Und schließlich sind die europäischen Staaten bereit, in einem Garantiesystem für eine Nahost-Lösung Funktionen zu übernehmen, u n d das wiederum mag dort eine Friedensregelung erleichtern. Ich glaube, man sollte die Rede, die der ägyptische Staatspräsident vor einigen Tagen gehalten hat, außerordentlich positiv bewerten. Es war eine maßvolle Rede, und es war eine Rede, die eine Reihe konstruktiver Elemente enthalten hat. Ich möchte nur auf die Ankündigung der Ö f f n u n g des Suez-Kanals hinweisen, die ja doch zeigt, daß man nicht von einer kriegerischen Regelung in diesem Gebiet ausgeht, und man soll sicher auch erkennen, daß in Israel die positiven Aspekte dieser Erklärung wohl nicht unterschätzt werden. Frage: Europäische Garantien, sagten Sie, Herr Minister, die amerikanischen Garantien haben, wenn wir auf Vietnam blicken, einen erheblichen Verlust an Vertrauen hie und da in Israel womöglich erfahren. Was kann Europa tun, um seinem großen amerikanischen Partner in dieser Situation zu helfen. Ist Europa zu unentschlossen, Verantwortung zu übernehmen, oder ist Europa nicht geschlossen genug in sich, u m Verantwortung tragen zu können? Antwort: Nicht ohne G r u n d geht die Bundesregierung davon aus, daß der Prozeß der europäischen Einigung der Schwerpunkt der europäischen Politik sein muß, damit Europa die Rolle übernehmen kann, die es in der gegenwärtigen Entwicklung zu übernehmen hat. Wir haben uns in den letzten Monaten mit der sehr schwierigen Frage des Verbleibens Großbritanniens in der Europäischen Gemeinschaft befaßt. Ich gehe davon aus, daß durch die Entscheidungen, durch die positiven Entscheidungen von Dublin die Voraussetzungen f ü r ein Verbleiben Großbritanniens in d e r Gemeinschaft geschaffen werden konnten. N u n ist es notwendig, eine große europäische Kraftanstrengung zu machen, um den Prozeß der Einigung Europas voranzutreiben, und das gilt f ü r alle Aspekte, sowohl f ü r die politischen wie für die ökonomischen. Es geht bei den ökonomischen Problemen, über die im Augenblick in Europa diskutiert wird, nicht n u r um rein wirtschaftliche Fragen, sondern es g e h t - w e n n Sie die Inflationsraten in einigen europäischen Staaten sich ansehen — wirklich um die Frage der Festigkeit der demokratischen Strukturen und damit im Grunde u m die Leistungsfähigkeit Europas, um seine Handlungsfähigkeit politisch und wirtschaftlich, u m seine Verteidigungsfähigkeit. Und hier liegt ein so enormer Zwang, der eigentlich von keinem Verantwortlichen in Europa verkannt werden sollte. Frage: Herr Minister, eine kurze Antwort vielleicht auf die Frage: Sind unsere politischen Bündnissysteme, unsere militärischen Sicherheitssysteme, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, noch in der Lage, die Probleme der Zukunft zu meistern? Antwort: Nun, ich glaube, daß der Satz, daß ein funktionsfähiges Bündnis und der 565
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Prozeß d e r europäischen Einigung Voraussetzung d e r Politik d e r E n t s p a n n u n g sind, schon die Antwort gibt, d a ß das Bündnis notwendig ist, d a ß das Bündnis aber auch in d e r politischen Dimension handlungsfähig sein m u ß , u m etwa Streitigkeiten u n t e r P a r t n e r n — ich habe das Beispiel Griechenland/Türkei erwähnt — überwinden zu können."
27.11 Meinungsaustausch zwischen Yigal Allon und Außenminister Hans-Dietrich Genscher auf dem Flughafen in Düsseldorf Zu einem kurzen Meinungsaustausch trafen sich die beiden Außenminister am 2. Mai 1975 auf d e m Flughafen in Düsseldorf. Im Zweiten Deutschen Fernsehen äußerte sich Allon über dieses Gespräch: „Wir haben bei unserer U n t e r r e d u n g klargemacht, daß Israel bereit ist, j e d e gangbare Möglichkeit f ü r einen Frieden zu besprechen. W e n n Ägypten einverstanden ist, d a n n sprechen wir über ein Gewaltverzichtsabkommen. Das wollen wir aber mit größter Genauigkeit machen, schon deshalb, weil das A n f a n g des J a h r e s angebotene A b k o m m e n nicht zustandegekommen war. Ich habe von neuem unterstrichen, daß Israel bereit ist, ein vernünftiges A b k o m m e n zu schließen, das weitere Gebiete umfassen würde, als ursprünglich beabsichtigt worden war. Eine solche Ü b e r e i n k u n f t w ü r d e auch f ü r eine längere Zeitspanne R u h e garantieren. Israel ist bereit, über einen Nichtangriffspakt zwischen Israel u n d den arabischen L ä n d e r n zu sprechen, sei es in Genf oder anderswo." Im Ersten Deutschen Fernsehen erklärte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. „Ich habe noch einmal die Grundsätze d e r ausgewogenen Nahostpolitik der Bundesrepublik Deutschland dargelegt, u n d wir sind beide zu d e r Übereinstimmung gekommen, d a ß alle Anstrengungen u n t e r n o m m e n werden müssen, u m eine friedliche Lösung d e r Nahostfrage zu ermöglichen. Was den Vertrag Israels mit d e r Europäischen Gemeinschaft angeht, so habe ich die Auffassung der Bundesregierung unterstrichen, daß dieser Vertrag zum 1. Juli 1975 in Kraft treten sollte u n d deshalb eine Unterzeichnung in der ersten Maihälfte erforderlich ist. Ich gehe davon aus, d a ß diese Vorstellung auch die Zustimmung d e r anderen Mitgliedstaaten d e r Europäischen Gemeinschaft finden wird, das ist ein Vertrag über die handelspolitischen Beziehungen im Rahmen unserer vertraglichen Regelungen als Gemeinschaft mit d e n Mittelmeerländern."
566
27.12 Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besticht die Bundesrepublik
27.12 Zum ersten Mal: Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik Deutschland Am 8. Juli 1975 traf zum ersten Mal ein israelischer Ministerpräsident in d e r Bundesrepublik ein. Es war f ü r d e n h o h e n israelischen Gast selbstverständlich, seinen Besuch an einer Stätte zu beginnen, die mit der deutsch-jüdischen Tragödie besonders verb u n d e n ist: In d e r Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers BergenBelsen. Der Satz zu einem israelischen Kollegen, man möchte böse sein d a r ü b e r , d a ß es hier so g r ü n ist, zeigt doch die Situation, die nicht einmal von d e m versöhn e n d e n Rasen ü b e r den Massengräbern dieser Stätte verdeckt wird. Seine Frau Lea, geborene Schlossberg aus Königsberg, war genauso betroffen wie ihr Gatte, mit d e m sie gemeinsam einen Kranz aus Nelken in den weißblauen Farben Israels niederlegte. Es war n u r ein kurzer Besuch an d e m Ehrenmal. Hier sprach Yitzhak Rabin das jüdische Totengebet Kaddish. Dann flogen die H u b s c h r a u b e r zurück zum Flughafen nach Hannover, von wo Yitzhak Rabin nach Berlin weiterflog. Es war sein besonderer Wunsch gewesen, die zweigeteilte Stadt zu sehen. Die Berliner Presse, das Fernsehen u n d die Rundfunkstationen bereiteten ihm bereits T a g e vorher einen wohlmeinenden E m p f a n g . Die größte Zeitung d e r Stadt, die „Berliner Morgenpost", veröffentlichte auf d e r ersten Seite ein Grußwort in deutscher u n d hebräischer Sprache, in d e m es u. a. heißt: „Yitzhak Rabin u n d seine Begleiter werden mit Sicherheit feststellen, daß das Berlin der kommandierten H a k e n k r e u z f a h n e n f ü r immer versunken ist, daß West-Berlin heute ein freiheitliches, weltoffenes, humanes Gemeinwesen ist, eine Stadt dazu, die, politisch selbst bedrängt, vielleicht wie keine a n d e r e in d e r Welt die gegenwärtige Not Israels begreift." Nach einem kurzen politischen Meinungsaustausch im Schöneberger Rathaus gab d e r Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, f ü r sechzig Gäste im Charlottenburger Schloß ein Abendessen, vor d e m sich d e r israelische Gast in das Goldene Buch d e r Stadt Berlin eintrug. Bei dieser Gelegenheit hielt Klaus Schütz, d e r auch von d e m Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Peter Lorenz, begleitet war, eine Ansprache, die folgenden Wortlaut hat: „Wir f r e u e n uns sehr, d a ß Sie, sehr geehrter H e r r Ministerpräsident, während Ihres Besuches der Bundesrepublik Deutschland auch zu uns nach Berlin gek o m m e n sind. Wir verstehen Ihren Besuch als Ausdruck d e r Verbundenheit, vielleicht darf ich sagen: d e r Freundschaft. Ich sage das so, weil ich I h r e n Besuch hier bei uns f ü r nichts in A n s p r u c h n e h m e n möchte, außer als Zeugnis f ü r das allmählich heilende Verhältnis zwischen J u d e n u n d Deutschen u n d die guten Beziehungen zwischen d e r Bundesrepublik Deutschland u n d Israel. 567
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
Der Nahe Osten ist ein Brennpunkt des gegenwärtigen Weltgeschehens. Die Ereignisse sind entscheidend für die Menschen dort und wichtig für den Fortgang unserer Zeit weit über Israel und die arabischen Länder hinaus. Berlin ist heute kein Brennpunkt in diesem Sinne mehr. Wir sind froh, daß unsere Stadt nicht mehr die Schlagzeilen der Weltpresse so füllt, wie es war, als Ost und West sich in schärfster Konfrontation auf Straßenbreite gegenüberstanden und wir manchmal mit dem Schlimmsten rechnen mußten. Aber noch immer ist Berlin in den übergreifenden politischen Zusammenhängen ein zentraler Punkt in Europa, auch unter der Frage, wie weit denn die Bemühungen um Ausgleich und Verständigung in Europa sich bewähren angesichts der Interessenunterschiede und Interessengegensätze, die nach wie vor zwischen Ost und West vorhanden sind. Ihr Land, Herr Ministerpräsident, ist in einer äußerst schwierigen Situation, die Lösung der Probleme zeichnet sich nur zögernd ab. Unsere Lage ist leichter und sicherer geworden; aber auch sie ist vielschichtig und kompliziert und braucht wie die um Israel geschickten und behutsamen Umgang. Die Tatsachen in Berlin haben uns zu keinem Zeitpunkt gehindert, uns mit aller Entschiedenheit für die Belange Israels und des jüdischen Volkes auszusprechen. Im Kampf um seine Existenz haben wir uns stets zu Israel bekannt. Und das tun wir auch heute uneingeschränkt. Und auch angesichts des jüngsten Terroraktes mitten in der Stadt Jerusalem können und wollen wir nicht gleichgültig sein. Wir sind tief erschüttert über das Leid, das dieses Verbrechen so vielen Ihrer Mitbürger gebracht hat. Verbrechen dieser Art sind durch nichts zu rechtfertigen, sie sind durch nichts zu entschuldigen. Wir in Berlin sind angesichts auch dieser Mordtat mit Ihnen in Israel verbunden in Abscheu und im Protest und in Solidarität. Ich war voriges Jahr in Ihrem großartigen Lande. Ich habe bestätigt gefunden, was es bedeutet, daß da Menschen, die meistens ein sehr schweres Schicksal mit sich trugen, das sie wohl nur verstehen konnten als Teil des schweren Schicksals des jüdischen Volkes seit über zwei Jahrtausenden, daß diese Menschen endlich eine Heimat gefunden, genauer: daß sie ihre alte Heimat, die die ganz alte war, wiedergefunden hatten. Das Bewußtsein über ihre einmalige Geschichte, das Bewußtsein, daß sie nach allem, was in der Geschichte und der Gegenwart war, nun den Anfang zum Neuen machten, hat mich tief beeindruckt. Und mich haben beeindruckt die großen kulturellen und zivilisatorischen Leistungen Ihres Volkes und die feste Absicht, Gegenwart und Zukunft für sich und die Nachfolgenden, die Kinder und Enkel zu haben. Wir in Berlin wissen vielleicht ein wenig besser als manche anderen, was es heißt, gesichert und frei zu leben. Aus den jahrelangen Bedrohungen, unter denen wir standen, verstehen wir sehr genau, was Sie, Herr Ministerpräsident, wollen und was Ihr Land und seine Menschen brauchen: garantierte Grenzen, verläßlichen Frieden. Wir hoffen, daß es Ihnen gelingt, sich mit Ihren arabischen Nachbarn zu verständigen und zu erreichen, daß der Nahe Osten die Zeit der Kriege hinter sich weiß und daß alle noch anstehenden oder wieder auftretenden Konflikte mit Gewißheit auf dem Verhandlungswege gelöst oder wenigstens ge568
27.12 Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik mindert werden. Der Frieden ist in der eng gewordenen Welt unteilbar. Verbesserte Verhältnisse in Mitteleuropa helfen Ihnen, verbesserte Verhältnisse im Nahen Osten sind gut für uns. Die Arbeit für den Frieden ist eine gemeinsame Aufgabe. Ich darf Ihnen im Namen der Berliner alle guten Wünsche sagen und Sie bitten, sich in das Goldene Buch unserer Stadt einzutragen." Mit bewegten Worten antwortete Yitzhak Rabin dem Bürgermeister: „Erlauben Sie mir, bei meiner Antwort meine eigene Sprache zu benutzen, was als Symbol gelten soll beim ersten Besuch eines israelischen Premierministers in Berlin. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, erwähnten in Ihren Worten die Tatsache, daß der Befehl, das jüdische Volk und das jüdische Erbe zu zerstören, aus dieser Stadt herausging. Mit tiefer Bewegung bin ich als Gast der Bundesregierung und des Regierenden Bürgermeisters hierher gekommen. Dieser Besuch soll einen geschichtlichen Kreis schließen. All diejenigen, die uns im Laufe der Geschichte zerstören wollten, sind gescheitert. Teilweise ist es ihnen gelungen, aber dadurch stärkten sie den Lebenswillen der Juden, der schließlich zur Gründung eines jüdischen Staates führte. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, erwähnten zu Recht die schwierige Lage im Mittleren Osten. Die Lage dort birgt Gefahren, aber auch Hoffnungen. Auch wir haben das Leben mit Mauern erlebt. Den Frieden haben wir jedoch noch nicht herbeiführen können. Kein anderes Land ersehnt den Frieden mehr als Israel. Es muß jedoch ein wirklicher Frieden sein. Risiken — ja, die würden wir eingehen, aber auch kühl analysieren müssen wir. Mit schönen Worten und Übersetzungen ist es nicht getan. Wir werden unsere Friedensbemühungen fortsetzen. Israel muß jedoch auch weiterhin in der Lage sein, sich zu verteidigen. Unsererseits bewundern wir Ihren Mut, Herr Regierender Bürgermeister, und den Mut der Berliner, in einer geteilten und abgetrennten Stadt zu wohnen und dabei noch den Glauben an Freiheit und Demokratie zu bewahren." Bürgermeister Klaus Schütz überreichte seinem Gast, bevor man sich zu Tische setzte, ein Service der Königlich Preußischen Porzellan-Manufaktur und Rabin revanchierte sich mit einem alten Stich der Stadt Jerusalem. Beim Essen trank Berlins Regierender Bürgermeister Schütz auf das Wohl des israelischen Ministerpräsidenten und seines Landes. Rabin erhob sein Glas auf Klaus Schütz, auf Berlin: „Le Chaim", prostete er den sechzig Gästen zu. Damit endete der erste Tag des Deutschlandbesuches des israelischen Ministerpräsidenten mit seinem offiziellen Programm. Noch bevor sich Rabin mit seiner Frau zurückzog, empfing er in seinem Hotel den Berliner Verleger Axel Springer zu einem mehr als einstündigen Gespräch. Rabin hatte diesen Wunsch geäußert, um in der Stadt, in der Axel Springer besonders auf die Situation Berlins und Jerusalems immer wieder hingewiesen hatte, persönlich zu sprechen. Über das Gespräch selbst wurde Stillschweigen vereinbart. Man geht jedoch nicht fehl, daß gerade die Lage im Nahen Osten und die deutsch-israelischen Beziehungen, die Haltung Israels in dem Konflikt des Nahen Ostens besprochen wurden. 569
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Mittwoch, 9. Juli 1975 Zu einer völlig ungewöhnlichen Zeit hatten sich die Berliner Journalisten im Hotel Rabins versammelt. Um 8.15 Uhr morgens gab er bereits eine ausführliche Pressekonferenz, bei der Israels Ministerpräsident Gelegenheit hatte, seinen Standort zu den Nahost-Gesprächen darzulegen. Unter anderem sagte Rabin mit großem Ernst: „Es wäre gut, wenn die Vereinigten Staaten an beide Seiten appellieren würden, Risiken einzugehen - dann wäre die Situation leichter." Bisher sei es jedoch n u r Israel, das Risiken eingehe, mit der Aufgabe von Territorium, Ölfeldern u n d dem Abzug d e r Truppen. Nach dem gegenwärtigen Stand d e r Gespräche bekomme Israel als Gegenleistung aber bestenfalls Worte. „Nur wenn beide Seiten bereit sind, Risiken einzugehen, kann es zu einer Vereinbarung kommen. Ich sage in aller Bescheidenheit: Wir sehen den nationalen Selbstmord nicht als eine internationale Verpflichtung an." Die Nahost-Konferenz in Genf könne n u r sinnvoll sein, meinte Rabin, wenn sie eine ganz gründliche Vorbereitung erfahre. Eine „Mini-UNO" darf diese Konferenz nicht werden. Voraussetzung f ü r diese Konferenz sei die Einigung der Großmächte sowie der am Konflikt beteiligten Nahost-Parteien über Ziel und Zweck d e r Verhandlungen. „Israel braucht einen sicheren, gerechten und ehrenhaften Frieden, aber keinen Frieden um j e d e n Preis." Vor dem Hotel wartete bereits die Wagenkolonne, die den Ministerpräsidenten und seine Begleitung auf eine Stadtrundfahrt brachte. Am Brandenburger Tor, wo die Straße Unter den Linden abgeschnitten ist vom westlichen Teil der Stadt, verließ Rabin den Bus mit den Ehrengästen, um auf einem Podest einen Blick in d e n anderen Teil der Stadt zu werfen. Die Kolonne f u h r am Reichstagsgebäude vorbei, nach Plötzensee, der Hinrichtungsstätte f ü r viele O p f e r des Nationalsozialismus aus Deutschland. Mit steinernem Gesicht sah Rabin den Hinrichtungsschuppen, in dem viele tausend Deutsche ihr Leben gegen Hitler beenden mußten. Die Kolonne f u h r vorbei an der Kirche Maria Regina-Martyrium, die zum Gedenken an den früheren Ministerialdirektor Dr. Klausner errichtet wurde, d e r am 30. Juni 1934 von den Nationalsozialisten erschossen wurde. Siemensstadt, die große Arbeiterstadt, das Reichssportfeld mit dem Olympia- Stadion von 1936 folgten und über den Kurfürstendamm ging es zur Jüdischen Gemeinde in die Fasanenstraße. Hier wartete viel jüdische Repräsentanz der größten Gemeinde Deutschlands und Vertreter des Zentralrats der J u d e n in Deutschland auf d e n israelischen Gast. Im Hof des Gemeindehauses fand eine kleine Totenzeremonie statt, bei der Yitzhak Rabin aus den Büchern des Propheten Hesekiel die Worte sprach, die besagen, daß die Toten eines Tages sich zusammenfinden und auferstehen werden. Der Kantor sang ein Gebet u n d Rabbiner Lubliner sprach ein paar Worte, bevor der E m p f a n g im Gemeindesaal f ü r die Gäste begann. Rabin trug sich ins Buch der Gemeinde ein. Auf dem Tisch standen die Fahnen Berlins, Israels und der Bundesrepublik. Heinz Galinski, der Vorsitzende der Gemeinde, hielt dabei die folgende Ansprache: 570
27.12 Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik „Der heutige T a g wird als ein H ö h e p u n k t in die Geschichte d e r Jüdischen Gemeinde zu Berlin eingehen. H e u t e weilt der Regierungschef Israels unter uns an einer Stätte, die symbolhaft ist f ü r die j ü n g s t e Geschichte d e r jüdischen Gemeinschaft in diesem Land. An dieser Stelle stand einst eine d e r größten Synagogen Berlins. Sie w u r d e in d e r Zeit des nationalsozialistischen Regimes während d e r November-Pogrome von 1938 vernichtet. Seit 1959 verkörpert an dieser Stelle dieses Gemeindehaus die Neuentfaltung jüdischen Lebens in diesem Land. Ihr Besuch, Exzellenz, d e r in eine Zeit schwerer Belastungsproben f ü r den jüdischen Staat fällt, verdeutlicht vor aller Augen die unauflösliche Verbundenheit unserer Gemeinde mit d e m Staat Israel, eine Verbundenheit, die in m e h r als 27 J a h r e n wiederholt ihre Bewährungsprobe bestanden hat u n d die auf d e r Erkenntnis beruht, daß das Schicksal eines j e d e n J u d e n , wo immer er leben mag, vom Schicksal Israels nicht zu trennen ist. Von dieser Erkenntnis ausgehend, hat die Jüdische Gemeinde zu Berlin, abgesehen von Aktivitäten a n d e r e r Art, vor d e r Öffentlichkeit mit Nachdruck die berechtigten Belange Israels vertreten. Dies geschah u n d geschieht auf verschiedenen Ebenen. Im R a h m e n größerer politischer Veranstaltungen, in d e r Lehrtätigkeit d e r auch von vielen Nichtjuden besuchten Jüdischen Volkshochschule, zu d e r e n ständigen Einrichtungen ein Israel-Seminar gehört, sowie in einer Vielzahl von persönlichen Gesprächen mit n a m h a f t e n Vertretern des Berliner öffentlichen Lebens u n d mit anderen B ü r g e r n dieser Stadt. W e n n das Maß an Verständnis f ü r die Situation u n d die Probleme Israels sowie f ü r d e n besonderen Charakter d e r deutsch-israelischen Beziehungen nirgends in Deutschland so hoch u n d so umfassend ist, wie hier im freien Teil Berlins, d a n n h ä n g t das auch mit d e r Öffentlichkeitsarbeit dieser jüdischen Gemeind e zusammen, deren B e d e u t u n g weit m e h r d u r c h die Vielfalt ihrer Aktivitäten als d u r c h die Zahl ihrer Mitglieder gekennzeichnet wird. Das erfüllt uns mit dem, wie ich meine, berechtigten Stolz d a r a u f , bisher unseren Verpflichtungen gegenüber d e r gesamten jüdischen Gemeinschaft — u n d das heißt insbesondere gegenüber d e m Staat Israel — mit Erfolg nachgekommen zu sein. Zu d e n Voraussetzungen dieses Erfolges gehört unser beharrliches B e m ü h e n u m ein möglichst enges u n d gutes Verhältnis zu allen demokratischen Kräften in dieser Stadt, die, was immer sie sonst t r e n n e n mag, sich einig sind in ihrer positiven Einstellung zu Israel. Sie kam insbesondere d a n n zum Ausdruck, wenn Israel schwere S t u n d e n durchzustehen hatte, wenn die bange Sorge u m sein Überleben all unsere a n d e r e n Probleme überlagerte. Keineswegs das einzige, aber gewiß das eindrucksvollste Beispiel d e r Anteilnahme des jüdischen wie des nichtjüdischen Berlin am Schicksal Israels war die Solidaritätskundgebung, die hier in diesem Haus zwei T a g e nach d e m Yom-Kippur-ÜberiaU stattfand u n d auf d e r d e r Regierende Bürgermeister von Berlin u n d Landesvorsitzende d e r Berliner SPD, Klaus Schütz, d e r damalige Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin u n d Vorsitzende des Landesbezirks Berlin des Deutschen Gewerkschaftsbundes Walter Sickert, d e r Landesvorsitzende d e r Berliner CDU, Peter Lorenz, sowie d e r Landesvorsitzende d e r Berliner FDP, Wolfgang Lüder, ihre vorbehaltlose Sym571
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg pathie f ü r Israel u n d ihr eindeutiges Bekenntnis zum Lebensrecht des jüdischen Staates zum Ausdruck brachten. I n Israel haben solche Manifestationen starke Beachtung g e f u n d e n , u m so m e h r , als sie selten geworden sind in einer Zeit, d a große Teile u n s e r e r Umwelt sich nicht einmal zu wirklich überzeugenden Distanzierungen von solchen Verbrechen wie dem j ü n g s t e n T e r r o r a k t in Jerusalem d u r c h r i n g e n k ö n n e n u n d wenn Sie, Exzellenz, es sich nicht haben n e h m e n lassen, in diese Stadt zu kommen, d a n n verstehen wir das auch als eine W ü r d i g u n g d e r Haltung des jüdischen u n d nichtjüdischen Berlin gegenüber Israel, als eine Geste, f ü r die wir I h n e n zutiefst dankbar sind u n d d e r e n politische B e d e u t u n g man sehr hoch einschätzen muß. Mit besonderer F r e u d e entbieten wir I h n e n d a h e r heute unseren Gruß, in d e n wir selbstverständlich Sie, hochverehrte Frau Rabin, die Sie aus Deutschland stammen, einbeziehen. Es ist f ü r uns eine große G e n u g t u u n g , I h n e n persönlich Dank sagen zu k ö n n e n f ü r das, was Sie, hochverehrte Frau Rabin, während so vieler J a h r e in der jüdischen J u g e n d - u n d Sozialarbeit geleistet haben. Nicht minder beeindruckt hat u n s I h r kürzliches Eintreten f ü r die internationale Zusammenarbeit u n d f ü r die Verständigung von Mensch zu Mensch auf dem internationalen Frauenkongreß in Mexico City. Voller Anteilnahme verfolgen wir, H e r r Ministerpräsident, I h r e B e m ü h u n gen u m das Zustandekommen einer Friedensregelung im Nahen Osten, die das Lebensrecht Israels sichert u n d die legitimen Interessen aller Staaten j e n e r Region berücksichtigt. Sie haben schon in Ihren f r ü h e r e n Ämtern als Generalstabschef u n d d a n n als Botschafter in d e n USA I h r hervorragendes Verständnis f ü r die engen Wechselbeziehungen zwischen außen- u n d sicherheitspolitischen Notwendigkeiten bewiesen u n d I h r Wirken als israelischer Regierungschef wird d u r c h die bewundernswerte Kombination von Standhaftigkeit u n d Konzilianz charakterisiert. Wie fest Sie, Exzellenz, in d e n besten jüdischen Traditionen verwurzelt sind, hat die unvergeßliche Rede gezeigt, die Sie am 5. Juli 1967 gehalten haben, an dem T a g e , da Sie Ehrendoktor d e r Hebräischen Universität Jerusalems wurden. Damals sagten Sie: ,Die Männer an d e r Front wurden Zeugen nicht n u r des Erfolges u n d des Sieges; sie kennen auch d e n Preis des Siegers: die Kamer a d e n , die neben ihnen verbluteten. Auch die schrecklichen Verluste, mit d e n e n unsere Feinde d e n Krieg bezahlten, b e r ü h r t e n viele Herzen. Das jüdische Volk hat nicht gelernt, u n d mochte sich niemals daran gewöhnen, T r i u m p h ü b e r Sieg u n d E r o b e r u n g zu e m p f i n d e n . D a r u m sind seine G e f ü h l e gemischt.' Diese I h r e Worte sind ein Zeugnis d e r H u m a n i t ä t inmitten einer Welt des Hasses u n d der Gewalt, d e r Willkür u n d des Terrors. Sie dokumentieren, was damals galt u n d was h e u t e gilt: Israels höchstes Ziel ist d e r Frieden mit seinen Nachbarn, ein Frieden, d e r das Lebensrecht auch des jüdischen Staates gewährleistet. Was wir hier tun k ö n n e n , u m Israel so stark zu machen, daß ein solcher Frieden, in d e m niemandes Leben m e h r von Terroristen b e d r o h t wird, die Realität von morgen werden kann, wird geschehen; d e n n wir k ö n n e n nicht zufrieden sein, solange Israel nicht in Frieden lebt. N e h m e n Sie, Exzellenz, die Gewißheit mit, daß 572
27.12 Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik auch in dieser Gemeinde ein Stück Israel lebt. Wenn dieser Jischuw auch klein ist, so weiß e r dennoch u m die B e d e u t u n g seiner Identifizierung mit Israel. Sie u n d die Erhaltung u n d Pflege jüdischer W e r t e werden i m m e r die Leitmotive unseres Handelns bilden." Yitzhak Rabin trat d a r a u f h i n ans Rednerpult u n d dankte f ü r diesen E m p f a n g : „Es ist f ü r mich ein besonderes Erlebnis, hier mit Mitgliedern d e r Jüdischen Gem e i n d e zusammenzukommen. Symbolisch f ü r unser T r e f f e n hier sind zwei große Ereignisse, die in den vergangenen fünfzig J a h r e n d e m jüdischen Volk wid e r f a h r e n sind: Die größte aller T r a g ö d i e n u n d die Erfüllung eines ü b e r 2000 J a h r e alten T r a u m e s : Die Vereinigung d e r J u d e n in einem jüdischen Staat. Vielleicht besteht eine historische V e r b i n d u n g zwischen diesen beiden aufeinanderfolgenden Ereignissen, das eine f u r c h t b a r , das andere wundervoll. Das jüdische Schicksal ist stets vom K a m p f , von d e m Glauben, d e n jüdischen Werten u n d d e r Tradition gekennzeichnet worden, ein Kampf, d e r manches Mal auch bis zur letzten Konsequenz g e f ü h r t werden mußte. Auch d e m jüdischen Staat, d e r ständig wächst und sich entwickelt, bleibt d e r ständige Kampf nicht erspart. Ich kann I h n e n keinen Frieden u n d keine R u h e versprechen. Vielleicht liegt es an unserem Schicksal, d a ß dieser Kampf langwierig sein muß. Wir werden stets auf d e r Suche nach dem Frieden sein. Im Unterschied zur Vergangenheit liegt jedoch das Schicksal des jüdischen Volkes heute in d e n eigenen H ä n d e n . Ich überbringe I h n e n hiermit die G r ü ß e Israels u n d seiner Einwohner. Vielen Dank." U n b e r ü h r t blieb das kalte Büffet zurück. Das Minuten-Programm jagte d e n israelischen Ministerpräsidenten u n d die Ehrengäste im T a g e s p r o g r a m m weiter. Verabschiedung auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof U m 12 U h r erhob sich die Sondermaschine in Richtung Bonn. W ä h r e n d des Fluges ließ es sich Rabin nicht nehmen, d e n begleitenden israelischen u n d deutschen Journalisten noch einmal ausführlich, zwischen d e n Sitzen des Flugzeuges steh e n d , seine politische Ansicht ü b e r die Nahost-Situation zu interpretieren. Man w e r d e in Jerusalem nicht bereit sein, hinter einen Punkt des Nicht-Zurück-Könnens zu gehen, also in kein Risiko zu laufen. Man werde erst einmal p r ü f e n , ob Sadat es ehrlich meint mit seinen Zugeständnissen. 13 U h r L a n d u n g auf d e m militärischen Teil des Köln-Bonner Flughafens: Ein E h r e n z u g d e r Bundeswehr salutierte im Spalier, als d e r Ministerpräsident die Maschine verließ u n d mit seiner Begleitung in den wartenden Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes stieg. Er flog direkt nach Schloß Gymnich, das ihm w ä h r e n d seine» B o n n e r Aufenthaltes als Residenz diente. 15 U h r : Auf d e m Rasen des nachbarlichen Bundespräsidialamtes landeten die H u b s c h r a u b e r zur offiziellen B e g r ü ß u n g d e r israelischen Gäste. Der Baumbestand im Palais Schaumburg war zu dicht f ü r diesen großen Hubschrauber vom 573
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Typ Puma. Bundeskanzler Helmut Schmidt begleitete seinen israelischen Gast in den Park des Palais Schaumburg, das mit einem dicken Fahnenwald deutscher und israelischer Fahnen geschmückt war. Eine Ehrenkompanie des Wachbataillons der Bundeswehr war aufmarschiert. Die Hatikwa, Israels Hymne, u n d das Deutschlandlied erklangen. Unter den Klängen des Präsentiermarsches schritt der israelische Ministerpräsident mit Bundeskanzler Helmut Schmidt die Ehrenkompanie ab. Dann folgte die Begrüßung der Ehrengäste, mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher an der Spitze. Daraufhin zogen sich Ministerpräsident Rabin u n d Bundeskanzler Schmidt zu einem ersten politischen dreistündigen Meinungsaustausch zurück. Im Anschluß an dieses Gespräch wurde folgendes Kommunique herausgegeben: „Bundeskanzler Helmut Schmidt führte heute ein mehrstündiges Gespräch mit dem israelischen Premierminister Yitzhak Rabin, das teilweise in engstem Kreise, teilweise unter Teilnahme von Staatssekretär Gehlhoff vom Auswärtigen Amt sowie des israelischen Botschafters in Bonn u n d des deutschen Botschafters in Tel Aviv stattfand. Der Bundeskanzler legte die Sorge dar, mit der die Bundesregierung die Entwicklung der Lage im Mittleren Osten verfolgt und äußerte die Hoffnung, daß auf dem Wege zu einer Verhandlungslösung baldige Fortschritte gemacht werden. Der israelische Premierminister erläuterte die Politik seiner Regierung, die den Abschluß eines Interim-Abkommens als weiteren Schritt auf dem Wege zu einer allgemeinen Friedenslösung anstrebt. Beide Gesprächspartner äußerten ihre Genugtuung über den guten Stand der deutsch-israelischen Beziehungen." Um 18.30 U h r kam der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Egon Bahr, zu einem Gespräch zu Rabin nach Schloß Gymnich. Was Israel von der Bundesrepublik erwartet, ist mehr „Know-How" f ü r die israelischen Wirtschaftsinvestitionen für die Industrie, f ü r die Egon Bahr aus seinen Mitteln etliches tun kann, sowie möglicherweise gemeinsame Entwicklungsprojekte in Drittländern. Israel besitzt viele Experten, die in Afrika und Asien lange J a h r e eine hervorragende Arbeit in den Entwicklungsländern tun konnten, bis sie aus politischen Gründen außer Landes verwiesen wurden. Um 20 U h r traf Rabin zu dem festlichen Abend ein, den der Bundeskanzler und seine Frau f ü r die israelischen Gäste im Kanzler-Bungalow gaben, wieder im Palais Schaumburg ein. In seiner Begrüßungsrede bei diesem Abendessen sagte Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Herr Ministerpräsident, lieber Herr Kollege, meine Damen u n d Herren, es ist mir eine sehr große Freude, Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin sowie die Herren Ihrer Begleitung bei diesem ersten offiziellen Besuch eines israelischen Regierungschefs in der Bundesrepublik Deutschland herzlich willkommen zu heißen, und ich bin ganz sicher, daß ich damit ausspreche, was alle hier anwesenden deutschen Gäste empfinden. 574
27.12 Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik Ihr Besuch ist der Beweis d a f ü r , daß uns gelungen ist, was wir uns vor 10 Jahren bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen erhofften: ein Verhältnis gegenseitigen guten Willens und Vertrauens herzustellen. Der Anfang unserer Bemühungen war hart und schwer. Es galt und es gilt auch heute noch mit der Erinnerung an die furchtbaren Untaten zu leben, die der Nazismus im deutschen Namen an Millionen jüdischer Menschen verübt hat. Ihr Besuch in der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen hat Ihnen gezeigt, daß wir die deutsche Vergangenheit weder verbergen noch vergessen wollen. In meiner Neujahrsansprache habe ich darauf hingewiesen, daß n u r ein kleiner Teil des heutigen deutschen Volkes im J a h r e 1933 alt genug war, um das Verbrecherische des Nationalsozialismus selbst erkennen zu können. Mir scheint, daß die neuen Generationen in unseren beiden Ländern ihre Aufgabe darin sehen, die Gegenwart zugunsten einer besseren Zukunft zu gestalten. Mein Amtsvorgänger Willy Brandt hat vor etwas über zwei J a h r e n Ihr Land besucht. Vor knapp fünf Monaten haben wir Ihren Außenminister hier in Bonn zu Gesprächen empfangen. Dies waren, so meine ich, wichtige Etappen f ü r die Entwicklung der Beziehungen u n d des Verständnisses zwischen unseren beiden Ländern. Das Verhältnis zueinander ist jetzt durch gute und enge Zusammenarbeit in allen Bereichen zwischenstaatlicher Beziehungen gekennzeichnet. Wir hatten heute nachmittag ein sehr langes und sehr freimütiges Gespräch, bei dem wir Meinungen, Erkenntnisse u n d Wertungen ausgetauscht haben; darin kam, so glaube ich, die Art der Zusammenarbeit zum Ausdruck, die wir — sei es im wirtschaftlichen, politischen, technischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Bereich — zu vertiefen bestrebt sind. Erfreulich ist auch, daß eine wachsende Zahl von Menschen beider Länder — vor allem j u n g e Menschen — die Chance der Begegnung wahrnimmt. Wie bei j e d e m Besuch aus Ihrem Teil d e r Welt, mit dem Europa in Vergangenheit und Gegenwart immer eng verbunden war und ist, kann ich meine Worte nicht auf das bilaterale Verhältnis beschränken. Ich weiß, daß die fortbestehenden Spannungen im Nahen Osten in Ihrem Lande ebenso wie bei Ihren Nachbarn Anlaß steter und tiefer Besorgnis sind. Sie werden schon am ersten Tage Ihres Besuches gespürt haben, daß wir diese Sorgen teilen: Dies gilt, so meine ich, f ü r ganz Europa, insbesondere aber f ü r das Europa der Neun, in dem die Bundesrepublik Deutschland fest verankert ist. Gemeinsam mit unseren Partnern streben wir ausgewogene Beziehungen zu allen Staaten dieser Region an. Auf dieser Linie liegt der Abschluß des Freihandelsabkommens zwischen der EG und Israel ebenso wie die parallele Bereitschaft zu Abkommen mit den arabischen Staaten des östlichen Mittelmeerraumes. Was im Nahen Osten vor sich geht, ist auch f ü r uns von vitaler Bedeutung, doch nicht n u r f ü r uns, sondern auch f ü r Europa und die übrige Welt. Deshalb sehen wir die Aufrechterhaltung eines Schwebezustandes zwischen Nicht-Krieg und Nicht-Frieden als explosiv u n d als gefährlich auch f ü r uns selber an. Wir sind infolgedessen an der Überwindung dieses Zustandes unmittelbar interessiert. Ein gerechter und dauerhafter Frieden im Nahen Osten gehört ebenso zu den 575
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Hauptanliegen unserer Außenpolitik wie die Stärkung des westlichen Bündnisses und der Ausgleich mit unseren östlichen Nachbarn. Die Politik der Neun, und damit unsere eigene Position, ist klar umrissen. Wir sind der Überzeugung, daß ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten nur durch vollständige Anwendung der Sicherheitsratsresolutionen Nr. 242 und 338 gesichert werden kann. Wir halten an dieser Politik ohne Einschränkung fest. Wie Sie wissen, Herr Ministerpräsident, ist es unverzichtbarer Bestandteil unserer Haltung, daß das Lebens- und Existenzrecht Ihres Staates — ebenso wie dasjenige aller anderen Staaten und Völker — innerhalb sicherer u n d anerkannter Grenzen gewährleistet sein muß. Wir werden dies unverändert fordern und fördern. Wir begrüßen alle Bemühungen der am Konflikt beteiligten Staaten um eine dauerhafte und gerechte Friedenslösung. Es wäre gut, wenn eine solche, alle Beteilig* ten befriedigende Lösung bald gefunden werden könnte. Es wäre gut, wenn in der Zwischenzeit ein Interimsabkommen zustande käme. Ich hoffe in diesem Zusammenhang, daß Ihre bevorstehende erneute Begegnung mit dem amerikanischen Außenminister, die dieses Mal auf deutschem Boden stattfindet, dazu einen Beitrag leisten wird. Ihr Außenminister hat im Februar dieses Jahres bei seinem Besuch gesagt, er fühle sich in Bonn unter Freunden. Diese Worte haben mich sehr stolz gemacht, und ich würde mich freuen, wenn auch Sie mit diesem Gefühl Ihre Heimreise nach Jerusalem antreten. Mit diesem Wunsch möchte ich Sie bitten, meine Damen und Herren, mit mir das Glas zu erheben auf das Wohl des Präsidenten des Staates Israel, auf Ihr persönliches Wohl, Herr Ministerpräsident, auf die glückliche Zukunft Ihres Volkes." Ministerpräsident Yitzhak Rabin dankte dem Bundeskanzler mit folgenden Worten: „Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, sehr verehrte Frau Schmidt, sehr verehrte Frau Bundestagspräsidentin, meine Herren Minister, meine sehr verehrten Damen und Herren, zuerst möchte ich diesen Anlaß wahrnehmen, um Ihnen — auch im Namen meiner Gattin — unseren herzlichen Dank f ü r Ihre liebenswürdige Gastfreundschaft auszudrücken. Ich weiß auch Ihre freundschaftlichen Worte f ü r den Staat Israel, das Wohlergehen und den Frieden seines Volkes sehr zu schätzen. Wenn Sie von Frieden sprechen, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, so bringen Sie die Aspiration zum Ausdruck, nach der wir Juden unser Leben lang trachten und die unsere Gedanken hauptsächlich bewegt. Jude sein, heißt an den Frieden zu glauben. Dies ist das Erbgut Israels. .Suche den Frieden und fördere seine Ausübung', sagte der Psalmist. Shalom — Friede — heißt unser täglicher Gruß. Seit dem Tage der Wiederentstehung des Staates Israel, vor 27 Jahren, haben wir uns stets bemüht, den Konflikt mit unseren Nachbarn zu beenden und ein neues Kapitel der Verständigung und der Kooperation zu eröffnen. Glauben Sie mir — läge es allein nur an Israel, so wäre der Friede in unserer Region bereits seit langem erreicht. 576
27.12 Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik
Die jüdische Geschichte ist so alt wie die Geschichtsschreibung überhaupt. Zwei Themen widerspiegeln sich in ihr: die Größe, die ein kleines Volk erreichen kann, wenn es seine traditionellen Werte begreift und erhält, und welchen Grausamkeiten — sogar bis zur physischen Vernichtung — es unterworfen werden kann. Unsere Generation war Zeuge der Massenvernichtung und der Wiedergeburt Israels, die unmittelbar aufeinanderfolgten. Die Überlebenden eines so sehr gefolterten und fast verbluteten Volkes hätten sich der Verzweiflung hingeben können. Es hätte auch unser Schicksal sein können, als Volk ausgelöscht zu werden. Dies geschah nicht, weil wir es nicht geschehen lassen wollten. Nichts konnte die uns seit jeher treibende Lebenskraft vernichten, deren Schwerpunkt sich auf nur einen winzigen Fleck des Erdballs konzentriert, nämlich auf das Land Israel. Das jüdische Volk hat nur deshalb zwanzig Jahrhunderte des Exils und der Verfolgung überlebt, weil wir uns weigerten, Jerusalem und Israel zu vergessen. Wenn Sie in unseren Geschichts- und Gebetbüchern nachlesen, wird Ihnen Seite für Seite der diesbezügliche Beweis erbracht. Ich bin der Meinung, daß niemand das moderne Israel verstehen kann, ohne die Geschichte des jüdischen Volkes zu kennen. Hier möchte ich noch hinzufügen, daß der Antrag eines Delegierten, der vor einem internationalen Forum forderte, den Zionismus für illegal zu erklären, einer Ächtung des Judentums und des jüdischen Volkes gleichkommt. Denn die Geschichte bestätigt, daß die Sehnsucht nach Zion untrennbar vom Judentum und seinem Volke ist. Sie werden sicherlich dafür Verständnis haben, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, daß ich gestern, da ich als Premierminister Israels erstmals deutschen Boden betrat, nicht umhin konnte, der Geschehnisse der Vergangenheit zu gedenken. Gleichzeitig dachte ich aber auch an die vielen Jahre der Verbundenheit unserer beiden Länder, seit der Aufnahme unserer diplomatischen Beziehungen. Es ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die einer tragischen Vergangenheit folgt. Diese Hoffnung nährt unsere Ethik, deren Sinn bereits die Propheten Israels in der Verankerung der menschlichen Freiheiten und Gerechtigkeit sahen. Ihre Botschaft erreichte auch die große europäische Zivilisation, der Ihr Land einen so beachtlichen Beitrag leistete. Heutzutage geraten freiheitsliebende Menschen überall in den Strudel des Kampfes um die Erhaltung ihrer freiheitlichen Rechte. Die Wogen des internationalen Klimas bewegen sich jedoch nicht in gleicher Richtung. In Staatsangelegenheiten werden Prinzipien und Ehrgefühl verworfen und viel zu häufig durch Zweckmäßigkeit und Beschwichtigung ersetzt. Nicht nur Israel, sondern alle Demokratien sind von diesem Unheil bedroht. Ölflecke kann man reinigen — was mich jedoch bedrückt ist die Verschmutzung der internationalen sozialen und politischen Umwelt, der die ölpolitik zugrundeliegt. Für die Menschheit ist es nicht gerade ermutigend, wenn Erpressung höher bewertet wird als Redlichkeit. Ich bin überzeugt, daß die Menschen in der Bundesrepublik dies nicht unterstützen werden. Es ist unvorstellbar, daß dieses Volk und, fürwahr, die europäischen Nationen irgendein Land oder irgendeine Organisation unterstützen würden, deren erklärtes Ziel die Vernichtung des jüdischen Staates ist. 577
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
Ich komme zu einer Zeit in Ihr Land, Herr Bundeskanzler, da Israel schicksalhafte Entscheidungen treffen muß, die uns dem Frieden näherbringen sollen. Ich weiß, wie wichtig der Friede in unserer Region für Ihr Land und Europa im allgemeinen ist. Und da Frieden unser erklärtes Ziel ist, sind wir fest entschlossen, unsere Sicherheit zu schützen, denn nur hierin beruht die Hoffnung auf Frieden. Schwäche fordert Aggression heraus - sie ist keine Grundlage für Verhandlungen. Ich glaube, daß auch Sie diese Erfahrung in Ihrer eigenen jüngsten Geschichte gemacht haben. Vom Tage unserer Unabhängigkeit an mußten wir uns unter schweren Opfern verteidigen. Wir müssen fortfahren, uns selbst zu verteidigen, und darum haben nur wir das elementare Recht zu entscheiden, was wir riskieren können und was wir nicht wagen dürfen bei unseren Bemühungen um einen Frieden mit unseren Nachbarn. Die westeuropäischen Länder können keinen besseren Beitrag zum Frieden leisten als uns — die betroffenen Parteien — zu ermutigen, über die Lösung unserer Meinungsverschiedenheiten zu verhandeln, ohne die Einmischung Außenstehender, da kein anderer stellvertretend entscheiden kann. Daher muß jeder Plan von dritter Seite und jede öffentliche Position, die das Verhandlungsinteresse der beteiligten Parteien beeinträchtigen, die Aussichten auf Verständigung zwischen uns und damit auf Frieden schädigen. Andererseits sehe ich im kürzlich abgeschlossenen Präferenzabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Israel viel Konstruktives und Gutes. Dies ist, wenn auch indirekt, ein bedeutender Beitrag zu einer möglichen Verwirklichung des Friedens. Die Regierung Israels schätzt die Hilfe, die die Bundesrepublik Deutschland bei dem Zustandekommen dieses Abkommens leistete, außerordentlich, und ich möchte besonders Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, für Ihre persönlichen Bemühungen danken. Dieses Abkommen ist nicht nur wegen seines multilateralen und bilateralen Umfangs, in dem der Handel zwischen meinem Land und der Europäischen Gemeinschaft gefördert wird, bedeutend; es ist auch wegen seines möglichen zukünftigen Potentials als Instrument für eine regionale Zusammenarbeit im Nahen Osten wichtig, wenn der geeignete Zeitpunkt gekommen sein wird. Der Friede beruht letzten Endes auf den Beziehungen zwischen Völkern und nicht nur zwischen ihren diplomatischen Vertretern, und diesen wird niemals besser gedient als durch wirtschaftliche Entwicklung, Handel und gegenseitigen Austausch. Ich freue mich, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, auf meine weiteren Zusammenkünfte mit Ihnen, den Ministern Ihrer Regierung und anderen geschätzten Repräsentanten Ihres Landes. Ich vertraue darauf, daß dieser Meinungsaustausch zur weiteren Vertiefung unserer bilateralen Beziehungen sowie auch zur Förderung des Friedens beiträgt. In diesem Sinne darf ich Sie, meine Damen und Herren, bitten, mit mir Ihr Glas auf das Wohl des Herrn Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, auf Ihr Wohl, Herr Bundeskanzler, sowie auf eine dauerhafte Freundschaft zwischen unseren Ländern zu erheben."
578
27.12 Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik Donnerstag, 10. Juli 1975 Der zweite Tag des Staatsbesuches in Bonn begann mit einem gemeinsamen Frühstück Rabins mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher auf Schloß Gymnich bereits um 9 Uhr. Genscher hatte am Tage vorher in einem Interview erklärt, was alle in Bonn von ihm oft gehört hatten, daß zu einer Friedensordnung im Nahen Osten „die Anerkennung des Existenzrechts Israels ebenso wie die Beachtung der Rechte des palästinensischen Volkes gehören". Zwei Stunden sprach der israelische Premierminister mit Hans-Dietrich Genscher. Dabei wurde von beiden Seiten die Situation im Nahen Osten ausführlich umrissen. Premierminister Rabin gab eine ausführliche Schilderung der israelisch-arabischen Kontakte — auch der Nicht-Kontakte — in den vergangenen zehn Jahren. Geduld, so habe Rabin ausgeführt, sei ein wichtiger Faktor auf dem Wege zu einem echten Frieden. Rabin dankte dem Minister für die Hilfe beim Zustandekommen des Präferenzabkommens Israels mit der Europäischen Gemeinschaft. Hans-Dietrich Genscher erläuterte dem israelischen Ministerpräsidenten seinerseits das Interesse der Bundesregierung an der Lösung des Nahost-Konflikts und unterstrich die Bedeutung der Tatsache des Berlin-Besuches von Rabin. Bei der Erörterung des Nahost-Konfliktes erläuterte der deutsche Außenminister sowohl die deutsche als auch die europäische Haltung zum Nahost-Konflikt, wobei er auf die gemeinsame Erklärung der neun Staaten vom 6. November 1973 hingewiesen hat. Man konnte hören, daß dieses ein offenes Gespräch war und in einer freundschaftlichen Atmosphäre stattfand. Es gibt naturgemäß eine unterschiedliche Auffassung über die Nahost-Resolution, wohl auch über die Frage des richtigen Zeitpunktes, wie es Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seinem Gespräch gegenüber dem israelischen Regierungschef betont hat, für eine Lösung im Nahen Osten. Ministerpräsident Rabin sieht in ausreichender Geduld einen bedeutsamen Faktor, um nicht durch Eile die eigene Sicherheitsposition zu gefährden. Um 11.20 Uhr besuchte Yitzhak Rabin das Rathaus der Stadt Bonn. Oberbürgermeister Dr. Hans Daniels begrüßte seinen israelischen Gast, bevor sich dieser in das Goldene Buch der Stadt Bonn eintrug. Oberbürgermeister Dr. Daniels hielt die folgende Ansprache: „Herr Premierminister, sehr verehrte gnädige Frau, sehr verehrte Damen, meine Herren! Es ist mir eine besondere Freude, Sie heute im Namen der Bonner Bürgerschaft sehr herzlich willkommen zu heißen. Ihr Besuch in der Bundesrepublik stellt einen neuen Höhepunkt in den Beziehungen unserer beiden Völker dar, nachdem wir erst im vergangenen Monat den Präsidenten und eine Delegation der Knesset Israels an dieser Stelle begrüßen durften. Das fesüiche Bild unseres Zusammentreffens in diesem schönen alten Raum könnte glauben machen, daß das freundschafdiche Zusammenleben der Menschen und Völker ein für alle erstrebenswertes Ziel sei. Und doch sieht die Wirklichkeit anders aus. Dieses Rathaus war erst vor zwei Jahren Stätte des Terrors und der Verwüstung durch anarchistische Kräfte und wer die Sicherheitsvorkeh579
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg rangen erlebt, die Ihren Besuch begleiten, erkennt erneut in erschreckender Klarheit, wie friedlos und gewalttätig diese Welt sein kann. Um so mehr werten wir Ihren Besuch in Deutschland als Zeichen der Friedensbereitschaft, als ein mutiges Trotzen gegenüber aller persönlicher Gefahr und gegenüber allen Widersachern Ihrer Mission. Kein geringerer als der große Dichter Johann Wolfgang von Goethe hat gesagt: ,Nur ein Übel ist unheilbar: wenn ein Volk sich aufgibt.' So ist Ihr Kommen auch uns Ansporn zu immer neuen Anstrengungen, unsere Welt im kleinen und im großen menschlicher und friedvoller zu gestalten. Die Rede des Präsidenten der Knesset ist allen Zuhörern in eindringlicher und mahnender Erinnerung geblieben. Voller Hoffnung nannte er uns die Generation, auf die Israel schon lange gewartet habe. Seine Worte haben wir mit großer Dankbarkeit aufgenommen, darin aber zugleich auch die schwere Verantwortung gespürt, die Ihr Volk uns zuweist. Wir sind bereit, diese anzunehmen und zu tragen, zusammen mit all denen, die wie wir guten Willens sind. Die Zeichen der Versöhnung und der Freundschaft, die Sie mit Ihrem Besuch setzen, sind uns dabei dankbar empfundene Unterstützung. Exzellenzen, die Bürger dieses Landes und dieser Stadt wissen um den schweren Kampf Ihrer leidgeprüften Landsleute. Sie selbst haben als Repräsentant Ihres Staates die Not und die Sehnsucht Ihres Volkes nach Freiheit und Frieden auf sich genommen und tragen sie in die Welt, um uns alle immer wieder auf die ungelösten drängenden Probleme Israels hinzuweisen. Ich wünsche Ihren Gesprächen und Begegnungen in diesen Tagen einen erfolgreichen und glücklichen Verlauf. Als Erinnerung an die heutige Stunde möchten wir Ihnen wie allen hohen Staatsgästen Werke des Komponisten Ludwig van Beethoven überreichen, der in unmittelbarer Nähe dieses Rathauses geboren wurde. Seine Musik gilt als Grenzen und Sprachen überwindende Botschaft der Harmonie und des Gleichklangs. Unsere Gabe möchte unsere Wünsche für Sie und Ihr Volk auch über diese Stunde hinaus weiterleben lassen." In seiner Dankesrede bemerkte der israelische Ministerpräsident unter anderem, daß sein Besuch dazu beitragen solle, die Vergangenheit zu überwinden und Verbindungslinien zwischen den Völkern aufzubauen. Der Frieden sei unteilbar. Rabin schenkte dem Oberbürgermeister einen Stich von Jerusalem aus dem 17. Jahrhundert, nachdem ihm der Bonner Oberbürgermeister eine Schallplatten-Sammlung von Beethoven überreicht hatte. Ein Polizeimusikkorps aus Köln hatte nicht nur den Tausenden auf dem Rathausplatz die Zeit verkürzt, sondern beim Eintreffen Rabins und seiner Gattin die Hatikwa und das Deutschlandlied intoniert. Um 12 Uhr begannen bereits Gespräche im Gästehaus der Bundesregierung mit Willy Brandt, dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, dem ein Mittagessen in diesem Kreise folgte. Um 15 Uhr gingen die Gespräche für Ministerpräsident Rabin weiter. Die deutsche Industrie spielt f ü r die israelische Wirtschaft eine beachtliche Rolle. Dr. 580
27.13 Verständigungsbereite Kräfte in beiden Lagern fördern Kurt Birrenbach, der vor zehn Jahren im Auftrage von Bundeskanzler Professor Erhard die Gespräche für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen geleitet hatte, war erschienen, Professor Dr. Kurt Hansen, der heutige Aufsichtsratsvorsitzende der Bayer-Werke, die er lange Jahre als Vorstandsvorsteher geleitet hatte, und der Vorstands-Vorsteher der Siemens AG, Dr. Plettner, waren zu diesem Gespräch erschienen. Eine Stunde später folgte ein Gespräch mit Vertretern der CDU/CSU-Opposition. Der Generalsekretär Professor Kurt Biedenkopfund der bayerische Minister Franz Heubl waren nach Schloß Gymnich gekommen. Um 17 Uhr traf eine Abordnung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bei Ministerpräsident Rabin ein, um mit ihm über die Deutsch-Israelische Gesellschaft und deren Arbeit zu sprechen. Um 18.30 Uhr kam Bundesfinanzminister Dr. Hans Apel. Die Frage weiterer Kapitalhilfe zu den jährlichen 140 Millionen D-Mark, die Israel jedes Jahr erhielt, stand auf dem Programm. Auch die Frage einer Abschlußzahlung für die Wiedergutmachung wurde sicherlich bei dem Gespräch gestreift, aber diese Probleme sah die Bundesregierung noch in den Händen des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Dr. Nahum Goldmann. Um 20.15 Uhr gaben der israelische Ministerpräsident und seine Frau für die Ehrengäste, die geladen waren, ein Essen zum Dank f ü r die Aufnahme in der Bundesrepublik auf Schloß Gymnich. Es wurden keine Tischreden gehalten, wie am Tage zuvor. Die wenigen Worte, die Ministerpräsident Rabin sprach, waren von großer Herzlichkeit und drückten noch einmal all das aus, was sich bei den Gesprächen gezeigt hatte: daß trotz unterschiedlicher Meinungen im Detail in manchen Fällen doch ein Zusammenwachsen beider Völker spürbar wurde.
27.13 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher: Verständigungsbereite Kräfte in beiden Lagern fördern Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher gab dem Deutschlandfunk am 9. Juli 1975 ein Interview, das sich mit dem Thema der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel und den Problemen im Nahen Osten befaßte. Wir geben es im Wortlaut wieder, da es die Haltung des Ministers auch zu den Gesprächen mit Ministerpräsident Rabin verdeudicht. Frage: Trotz der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor zehn Jahren wurden die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Republik Israel durch zwei Faktoren in besonderer Weise beeinflußt. Zum einen durch den besonderen moralischen Charakter des Verhältnisses zwischen Juden und Deutschen, der sich aus der Vernichtung von nahezu 6 Millionen Juden ergibt, zum anderen durch die permanente Konfliktsituation im Nahen Osten, die eine gleichartige Polidk der guten Beziehungen zu allen Staaten dieses Spannungsfeldes unmöglich erscheinen läßt. Ist es unter diesen Umständen nicht zumindest unrichtig, von normalen Beziehungen zu sprechen? 581
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Antwort: Ich glaube, man muß zunächst sagen, daß es von der Aufnahme der Beziehungen bis zu dem heutigen Stand, den die Beziehungen jetzt schon haben, ein weiter Weg war, das ist verständlich im Blick auf die Vergangenheit, dieja auch von beiden Seiten in keiner Weise unterdrückt oder vergessen gemacht werden soll. Jetzt geht es darum, gemeinsam die Zukunft zu gestalten, und es geht darum, daß auch wir als Deutsche ein Interesse daran haben, daß im Nahen Osten eine Friedensordnung möglich wird, in der das Existenzrecht Israels in anerkannten und gesicherten Grenzen möglich ist. Ich glaube, hier ist der entscheidende Punkt auch für die Unterhaltung zu sehen, die hier in Bonn geführt werden soll. Frage: Betrachten Sie die moralische Phase der Politik gegenüber Israel, also der Wiedergutmachung, als abgeschlossen? Antwort: Ich glaube, daß eine Politik ohne Moral gegenüber keinem Staat möglich ist, also auch nicht gegenüber Israel. In der Wiedergutmachungsgesetzgebung und mit der Gutmachungsleistung sind ja Übereinstimmungen in der Vergangenheit erzielt worden, und die Bundesregierung hat das geleistet, wozu sie sich verpflichtet hat. Jetzt geht es darum - ich wiederhole es noch einmal - gemeinsam die Zukunft zu gestalten, und zwar mit Israel ebenso wie mit den anderen Staaten der Region. Frage .Die Bundesregierung will ihrem Gast die Politik der Ausgewogenheit deutlich machen, was versteht man nun konkret unter dieser Ausgewogenheit? Antwort: Nun, ich glaube, daß es nicht darum geht, dem Ministerpräsidenten diese Politik deutlich zu machen. Er kennt sie. Es hat ja eine Reihe von Begegnungen schon gegeben, nicht zuletzt bin ich in diesem Jahr zweimal mit dem israelischen Außenminister zusammengetroffen. Uns geht es, wenn wir von einer ausgewogenen Politik im Nahen Osten sprechen, in der Tat darum — wie ich schon erwähnte —, daß eine dauerhafte Friedensordnung im Nahen Osten geschaffen werden kann. Dazu gehört das Recht Israels, in anerkannten und sicheren Grenzen zu leben, dazu gehört aber genauso auch die Beachtung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes und die Notwendigkeit, daß besetzte Gebiete geräumt werden, so wie das in der Entschließung der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft vom November 1973 zum Ausdruck gebracht worden ist. Und diese Entschließung gründet sich ja auch auf die entsprechenden Beschlußfassungen der Vereinten Nationen. Man erkennt zunehmend auf beiden Seiten, ich meine sowohl auf der israelischen Seite wie auf der arabischen Seite, daß diese Auffassung der neun europäischen Staaten doch eine sehr konstruktive Auffassung ist, die weiterführen kann. Das schließt nicht aus, daß wir im Vorfeld endgültiger und dauerhafter Regelungen jede Bemühung um die Lösung von Teilfragen nachhaltig unterstützen. So hat die Bundesregierung nie einen Zweifel daran gehabt, daß sie den Wert der Bemühungen des amerikanischen Außenministers besonders hoch einschätzt. Wir haben alles getan — und werden in Zukunft alles tun —, um diese Bemühungen des amerikanischen Außenministers bei beiden Seiten zu fördern. Frage: Bleiben wir noch beim Nahostkonflikt. Beabsichtigt die Bundesregierung, hierbei eine besondere Funktion, vielleicht gar eine Vermittlerrolle zu spielen? 582
27.13 Verständigungsbereite Kräfte in beiden Lagern fördern Antwort: Eine Vermittlerrolle wäre falsch. Aber wir sind als E u r o p ä e r Nachbarn d e r Region im Nahen Osten. Wir sind also ganz unmittelbar d a r a n interessiert, d a ß d o r t ein Konfliktherd ü b e r w u n d e n werden kann. Der Frieden im Nahen Osten ist auch unser Frieden u n d umgekehrt. U n d das allein macht schon deutlich, d a ß wir — wie die a n d e r e n europäischen Staaten — in d e r T a t gehalten sind, uns im Interesse einer Friedenssicherung im N a h e n Osten zu engagieren u n d jed e Verständigungsbereitschaft, j e d e verantwortungsvolle H a l t u n g zu f ö r d e r n . U n d wir sehen z. B. eine solche verantwortungsvolle Haltung in d e r Bereitschaft Israels auf d e r einen Seite, Ägyptens auf d e r a n d e r e n Seite, in Teilfragen zu Lösungen zu kommen. Deshalb auch unsere nachhaltige Unterstützung f ü r die amerikanischen B e m ü h u n g e n . Frage: In Bonn sprach man von flankierenden Maßnahmen d e r EG. Welche Vorstellungen hat d a r ü b e r d e r Bundesaußenminister? Antwort: Es sind hier zwei verschiedene Dinge zu sehen. Einmal haben wir als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, wie Sie wissen, eine vertragliche Regelung im wirtschaftlichen Bereich mit Israel eben abgeschlossen - f ü r Israel außerordentlich bedeutungsvoll —, wir streben dasselbe f ü r Nachbarstaaten Israels im Nahen Osten an, was auch im wirtschaftlichen Bereich die Ausgewogenheit unserer Politik deutlich macht. Im Rahmen d e r europäischen politischen Zusammenarbeit b e m ü h e n wir uns um die Verwirklichung d e r von mir schon genannten G r u n d sätze d e r Entschließung vom 6.11.1973. Frage: Könnten flankierende Maßnahmen auch bedeuten, sich im Rahmen d e r EG an d e r Aufstellung einer Friedenssicherungstruppe aus europäischen Länd e r n zu beteiligen? Antwort: Das werden die europäischen Staaten ganz sicher nicht ausschließen, aber ich glaube, d a ß das noch eine Frage ist, die v e r f r ü h t ist. Im Augenblick geht es u m a n d e r e Probleme. Frage: Problematisch ist j a auch d e r Status Israels in der U N O . Ist die Bundesrepublik bereit, Israel Unterstützung gegen arabische Überlegungen zu gewähren,. Israel aus d e r U N O zu jagen? Antwort: Wir sind unbedingte A n h ä n g e r d e r Universalität d e r Vereinten Nationen, d. h. Zugehörigkeit aller Staaten. Und das allein gebietet es schon, daß wir uns d e m Ausschluß eines Staates - wer immer es sein mag - , allzu natürlich u n d ganz selbstverständlich Israels, widersetzen. Frage: Problematisch ist das Verhältnis Frankreich-Israel. Wird die Bundesregier u n g versuchen, hier zu vermitteln, u m das israelisch-französische Verhältnis auf eine n e u e G r u n d l a g e zu stellen? Antwort: Ich glaube nicht, daß es hier einer Vermittlung d e r Bundesregierung bedarf. Die französische H a l t u n g gliedert sich ein in die Haltung d e r N e u n , aber auf d e r a n d e r e n Seite ist keinem Beobachter entgangen, daß hier gelegentlich auch kritische Stimmen deutlich geworden sind. Ich glaube, die Tatsache, d a ß die Bundesregierung h e u t e absolut spannungsfreie Beziehungen zu Israel auf d e r einen Seite u n d zu Israels arabischen Nachbarn auf d e r anderen Seite unterhält, zeigt, d a ß unsere ausgewogene Politik von beiden Seiten verstanden wird, von beiden 583
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Seiten gewürdigt wird. Und diese ausgewogene Politik ist j a nicht ein Beiseitestehen, auch nicht eine Neutralität, sondern im Gegenteil ein konstruktiver Beitrag zu einer vernünftigen Lösung, auch mit dem Ziel, die verständigungsbereiten Kräfte in beiden Lagern zu fördern.
27.14
Genscher reist nach Jerusalem
Vom 27. November bis zum 30. November 1975 reiste Bundesaußenminister Genscher auf Einladung seines israelischen Kollegen Yigal Allon nach Israel. In den politischen Gesprächen kamen folgende Gedanken zum Ausdruck. Bei den Tischansprachen, die anläßlich eines Abendessens gehalten wurden, tauschten die Minister die folgenden Gedanken aus: „Sehr geehrter Herr Kollege und lieber Freund Yigal, sehr verehrte Frau Allon, im Namen meiner Frau und der Mitglieder meiner Begleitung möchte ich Ihnen herzlich für den so schönen Auftakt unseres Besuches danken. Der Empfang, den Sie uns heute bereitet haben, hat uns sehr bewegt. Die verschiedenen Begegnungen, die wir in diesem Jahr schon gehabt haben, Ihr eigener Besuch in Deutschland im Februar, der viel beachtete Besuch von Premierminister Rabin im Juli und mein Besuch hier heute sind ein sprechender Beweis dafür, wie eng und intensiv unsere Beziehungen inzwischen geworden sind. Dies ist keinesfalls selbstverständlich. Wir stellen mit Dankbarkeit fest, daß es gelungen ist, aus einer Vergangenheit voller Schrecken und Leid den Weg in die Zukunft zu öffnen. Keiner von uns kann und will die Geschehnisse der Vergangenheit vergessen machen. Jeder von uns ist — gerade im Andenken an die Opfer — verpflichtet, sein Bestes zu geben, um sicherzustellen, daß Derartiges nie mehr geschehen wird. Meine Regierung weiß sich dem Ziel verpflichtet, eine konsequente Politik des Friedens und der Verständigung zu betreiben. Dazu gehört auch Klarheit und Eindeutigkeit in den grundsätzlichen Positionen. Das hat uns bestimmt, der Gleichsetzung von Rassismus und Zionismus mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten. Hier geht es für uns nicht nur um eine politische Entscheidung, hier ist unser Gewissen herausgefordert, und wo immer uns diese Herausforderung wieder entgegentreten wird, werden wir an Ihrer Seite stehen! Das bestimmt uns auch, wenn wir uns dem Terrorismus in allen seinen Formen entgegenstellen, auch in seinen geistigen Anfängen. Wenn wir die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen getrost ins Auge fassen können, so lassen Sie mich auch einen Blick zurückwerfen in die langen Jahrhunderte deutsch-jüdischen Zusammenlebens in meiner Heimat. Wir sollten nicht vergessen, wie befruchtend dieses Zusammenleben gewesen ist und wieviel Gutes es auch unserer Generation noch hinterlassen hat. Mit dieser Reise möchte ich auch unsere Anteilnahme am Geschehen in dieser uns
584
27.14 Genscher reist nach Jerusalem benachbarten Region zum Ausdruck bringen. Die Bundesrepublik Deutschland ist zutiefst überzeugt, daß der Nahost-Konflikt nur durch eine dauerhafte Friedensregelung für alle Staaten und Völker dieser Region gelöst werden kann. Wir hoffen, daß eine allseitig annehmbare Regelung gefunden wird, die den Prinzipien Rechnung trägt, wie sie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bereits Vorjahren aufgestellt hat und wie sie sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft zu eigen gemacht haben. Zu den unverzichtbaren Prinzipien gehört das Lebens- und Existenzrecht Israels, ebenso wie aller anderen Staaten der Region. Für die Bundesrepublik Deutschland kann es an diesem Grundsatz keinen Zweifel geben. Die Existenz zu gewährleisten heißt auch, jedem Staat das Recht zu geben, in sicheren und anerkannten Grenzen zu leben. Dies gilt gerade auch f ü r Israel, nach so langer Zeit der Bedrängnis und Ungewißheit. Wir sind überzeugt, daß dem internationalen Grundsatz Rechnung getragen werden muß, der jeden Gebietserwerb durch Gewalt als unzulässig bezeichnet. Ohne daß das Existenzrecht Israels geschmälert werden darf, muß auch dem palästinensischen Volk das Recht zuerkannt werden, seiner nationalen Identität Ausdruck zu verleihen, damit eine Friedensregelung von Bestand gefunden werden kann. In dem Interimabkommen, das dank der anerkennenswerten Bemühungen aller Beteiligten am 4. September abgeschlossen wurde, sehen wir einen ersten Schritt in die gute Richtung. Wir hoffen, daß es gelingt, zielstrebig weitere Schritte in dieser Richtung zu tun, um allmählich den Wall von Mißtrauen und Feindschaft niederzureißen und an seine Stelle ein Gefühl der regionalen Verbundenheit, der Zusammengehörigkeit und des Koexistenzwillens zu setzen. Nur auf dieser Grundlage wird die Welt und werden die Völker dieser Region einer Katastrophe entgehen. Lassen Sie mich noch einmal unterstreichen: Israels Existenz muß nach bald 30jährigem Bestehen dieses Staates endgültig und unwiderruflich verankert werden. Dies kann nur in der Form einer Friedensregelung geschehen, die von allen Völkern dieser Region akzeptiert und von der internationalen Gemeinschaft mitgetragen wird. Keine andere Sicherheitsleistung, auch die militärische nicht, wiegt den Konsens der Beteiligten auf. Das haben wir in Europa aus bitteren Erfahrungen gelernt. Unsere Solidarität ist dem israelischen Volk bei der Stabilisierung seiner Existenz gewiß. Ich wiederhole, was ich in Bonn gesagt habe: Sie können sich auf uns verlassen. Sie wissen, daß die ausgewogene Nahostpolitik der Bundesregierung keine Politik undifferenzierter Gleichmacherei ist, sondern ein ständiges Bemühen, die zu beiden Konfliktparteien bestehenden Beziehungen zu nutzen, um zum Frieden beizutragen. Unter dieser Devise stehen auch die Gespräche dieser Tage. Mit besonderer 585
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg G e n u g t u u n g k ö n n e n wir beide anläßlich dieses Besuches eine positive Bilanz unserer bilateralen Beziehungen ziehen. Der Handelsaustausch steigt u n d wird dies im Zuge des n e u e n Abkommens mit d e r Europäischen Gemeinschaft auch weiterhin tun. Unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit erstreckt sich zur Zeit auf 29 Projekte — eine stolze Zahl. Das Israelische Philharmonische Orchester hat in Deutschland Beifallsstürme geerntet. Wie ich höre, haben Sie hier eine ganze Reihe deutscher musikalischer Darbietungen mit großer Herzlichkeit a u f g e n o m men. Der Jugendaustausch f ü r das nächste J a h r ist erst vor wenigen T a g e n in einer Sitzung d e r deutsch-israelischen Kommission mit d e m Ziel besprochen worden, die W i r k u n g d e r Austauschprogramme weiter zu steigern. Wir alle wissen: Im Austausch zwischen d e r J u g e n d unserer beiden Völker, im gegenseitigen Kennenlernen und Verstehenlernen liegt die beste Gewähr daf ü r , d a ß die vertrauensvollen Beziehungen, die wir a u f z u b a u e n im Begriffe sind, in die f e r n e Z u k u n f t reichen. In dieser Gewißheit lassen Sie mich mein Glas erheben u n d alle Anwesenden bitten, mit mir auf I h r persönliches Wohlergehen u n d das Wohlergehen von Frau Alton, auf das Wohl des israelischen Volkes u n d auf unsere weitere, immer enger w e r d e n d e Zusammenarbeit zu trinken." 27.14.1
Die Ansprache
Yigal Allons
Auf diese Rede Genschers antwortete d e r israelische Außenminister: „Meine Damen u n d H e r r e n , dies ist n u n unsere f ü n f t e Zusammenkunft. Das erste Mal war es vor ü b e r einem J a h r , als wir beide in New York d e r UNO-Generalversammlung beiwohnten. Es f r e u t mich sehr, Sie diesmal in Israel willkommen zu heißen u n d Sie als F r e u n d u n d treuen Kollegen im Rahmen unseres gemeinsamen U n t e r n e h m e n s , die bilateralen Beziehungen unserer beiden L ä n d e r noch e n g e r zu gestalten, u n d zur F ö r d e r u n g d e r vielfältigen Beziehungen Israels mit d e n Europäischen Gemeinschaften, in d e n e n I h r Land eine so f ü h r e n d e u n d konstruktive Rolle spielt, in Jerusalem begrüßen zu können. H e r r Außenminister! Sie, Ihre werte Frau Gemahlin u n d die H e r r e n u n d Damen, die Sie begleiten, sind in unserem Lande geehrte u n d willkommene Gäste. Sie befinden sich hier u n t e r Freunden, genau wie ich es e m p f i n d e — wenn ich mit I h n e n u n d I h r e n Kollegen zusammenkomme. Selbstverständlich ist unsere Generation vom T r a u m a d e r allergrößten T r a gödie, die das jüdische Volk j e getroffen hat, ganz erfaßt. Wir u n d auch k o m m e n d e Generationen werden unsere u m g e k o m m e n e n B r ü d e r nicht vergessen u n d den M ö r d e r n nicht vergeben. Die düstere Vergangenheit wird uns jedoch nicht davon abhalten, eine bessere, m e h r aufgeklärte u n d sichere Z u k u n f t anzustreben. 586
27.14 Genscher reist nach Jerusalem Gerade die Moral, die von der schrecklichen Tragödie zu ziehen ist, verpflichtet uns eine solche Welt aufzubauen, in der von Rassenvorrang keine Rede sein kann, in der kein Staat Unterdrückung ausübt, mit Angriffslust den Frieden anderer Völker stört und gegen alles Erhabene in der Demokratie wütet. Das aufrichtige Wort, das Sie in Bonn zu mir sprachen, als ich von Dachau zurückkehrte, ist in meinem Gedächtnis tief eingeprägt. Jawohl, viele Deutsche, viele namhafte Söhne des deutschen Volkes, und dazu gehören auch Sie, lieber Amtskollege, sind sich nicht n u r der geschichtlichen Verantwortung ihres Volkes bewußt, vielmehr auch unermüdlich bemüht, die Grundsteine der Demokratie zu befestigen u n d die Ideale des Humanismus Ihrer Gesellschaft einzuprägen. In der Schaffung des unabhängigen, demokratischen u n d wahrhaften Staates Israel überwindet die Lebenskraft des jüdischen Volkes die Vernichtung und das Verderben. In der Tatsache, daß im größten Teile Deutschlands auf den T r ü m m e r n des verruchten Nazismus eine demokratische, solide und aufgeklärte Staatsform herrscht, kann man die ideologisch-politische Antwort auf jenes dunkle Zeitalter der Menschheit erkennen. Enge und konsequente Zusammenarbeit unserer beiden Länder kann ganz besonders dazu beitragen, diese neue von uns allen so ersehnte Welt zu befestigen. Eine Welt, in der Frieden, Freiheit und Gleichheit herrscht, eine Welt, in der es keinen Hunger, kein Siechtum u n d keine Unkenntnis gibt. H e r r Minister! Kann man anders als tief besorgt sein, wenn man sich fragt, wie die Welt morgen aussehen wird? Kaum ein Drittel der Mitglieder der UNO sind wirklich parlamentarisch-demokratische Staaten. Viele Länder, bei denen es daheim keine parlamentarische Demokratie gibt, nützen den Parlamentarismus der U N O dazu aus, anti-demokratische Beschlüsse, deren Inhalt die raison d'être d e r U N O ist, durchzusetzen. Von jeder Ansicht aus gesehen, ist dies höchst gefährlich. Selbstredend möchte ich keinesfalls unsere Auffassung der Demokratie anderen aufzwingen! Leider scheint es jedoch so zu sein, daß die der Demokratie wirklich Treuen, die Arme schlapp fallen lassen und sich ganz und gar nicht darum bemühen, daß der Rest der Menschheit dieser erhabenen Ideale teilhaft werde. Ist nicht die Zeit dazu reif, daß wir wenigstens entschlossen und wie ein Mann uns f ü r unsere geistigen Werte und Lebensweise einsetzen u n d der trüben Flut widerstehen? Falls dies nicht geschieht, könnte des Menschen Kultur erneut von der Flut gefährdet werden. Von uns hängt es doch ab. Meines Erachtens errichten unsere beiden Länder u n d Völker nach u n d nach solche Beziehungen, die das Andenken an die Vergangenheit richtig in Betracht ziehen und auch unserem gemeinsamen Streben nach einer verheißungsvolleren Zukunft gerecht werden. Wir schätzen die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere ihren Außenminister Genscher dafür, daß sie eindeutig zu uns gehalten haben, ob es sich n u n u m Wirtschaftsfragen bei der Europäischen Gemeinschaft oder um die unverschämte Offensive gegen Zionismus und Israel bei der UNO-Generalversammlung handelt. Genau wie wir die Bundesrepublik Deutschland f ü r das, was 587
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg sie zur Stärkung der bilateralen Beziehungen mit Israel beigetragen hat, schätzen. Ich bin überzeugt, daß j e mehr Freunde Israel haben wird, die der Erpressung nicht nachgeben und der kurzfristigen materiellen Bequemlichkeit nicht frönen, die Chancen des Friedens im Mittleren Osten um so größer sein können. Deutschland hat bewiesen, daß dies möglich ist. Ich darf meine Überzeugung aussprechen, daß Deutschland auch weiterhin und womöglich noch entschlossener auf diesem Wege verharren wird. Als ich vor weniger als einem Jahr in Bonn weilte, drückte ich meine Genugtuung über das militärische Truppenentflechtungs-Abkommen mit Ägypten und Syrien aus. Ich hegte damals die Hoffnung, daß in absehbarer Zukunft weitere Abkommen mit den Nachbarstaaten unterzeichnet würden. Mit Ägypten ist ein solches Abkommen bereits im Ausführungsstadium. Um mit Syrien und Jordanien Verhandlungen anzuknüpfen, bedarf es nur der Bereitschaft dieser zwei Staaten, mit Israel auf Grundlage des Sicherheitsrats-Beschlusses 338 ohne Vorbedingungen zu verhandeln. Ich glaube, daß im Rahmen so einer Unterhandlung auch eine konstruktive Lösung der Frage der Selbst-Erkenntnis der Palästinenser gefunden werden wird. Nicht das Palästinenser-Problem ist es, das den Kriegszustand weiter bestehen läßt, vielmehr ist es der andauernde, durch arabischen Extremismus aufrecht erhaltene Kriegszustand, der eine Lösung des Palästinenser-Problems verhindert. J e größer das Verlangen der weit von hier gelegenen Staaten ist, den Frieden im Mittleren Osten zu fördern, desto zweckmäßiger wäre es, von Ausdrücken Abstand zu nehmen, die nur die Kampflust der arabischen Völker anfachen können und deshalb das Gegenteil des Erwünschten erzielen. Ja, man sollte gerade im Gegenteil eindeutig, prinzipiell und auch in der Praxis, gegen den Terror und gegen den Krieg Stellung nehmen und konsequent den Weg der Verhandlung als den einzigen Weg zur Lösung des verderblichen Zwistes befürworten. Frieden im Mittleren Osten ist das Bedürfnis aller hier lebenden Völker. Eigentlich bedarf dessen die ganze Welt. Und wir streben ihn mit unserem ganzen Herzen an. Mehr noch. Wir glauben, daß dieser Frieden erreichbar ist. Israel erwartet Verständnis und moralischen Beistand seitens der Bundesrepublik Deutschland und aller ihrer Verbündeten in der Europäischen Gemeinschaft und in ganz Europa. In diesem Sinne hebe ich mein Glas zu Ehren des Bundespräsidenten Walter Scheel und trinke auf das Wohl aller hier Anwesenden." Mit diesem feierlichen Abend endete der erste Tag von Genschers Aufenthalt in Jerusalem.
588
27.14 Genscher reist nach Jerusalem 27.14.2
Politisches Frühstück mit Handelsminister Bar Lev
Schon vor 8 Uhr traf Handels- und Industrieminister Bar Lev mit Außenminister Genscher zusammen. Ihn drückten die ernstlichsten Sorgen. Das Handelsdefizit von rund 500 Millionen Dollar im Wirtschaftsverkehr mit der Bundesrepublik Deutschland war ein belastender Faktor. Die Bundesrepublik ist der zweitgrößte Handelspartner Israels. Bar Lev suchte mit Genscher nach Wegen, wie man nicht nur dieses Handelsdefizit schließen, sondern wie vor allem Israel aus den Kontakten zur deutschen Wirtschaft auf den verschiedensten Sektoren Fortschritte würde erzielen können. In früheren Jahren hatte Israel versucht, durch Übernahme von Teilaufträgen für die deutsche Industrie Zubringerdienste zu leisten. Nun war man dort selbst knapp an Arbeitskräften, da ja die schwierige militärische Situation immer noch viele Kräfte erforderte, die im Wirtschaftsprozeß fehlten. Andererseits müßten weite Bereiche der israelischen Wirtschaft rationalisiert werden. Im Bereich der Chemie sollten die Phosphat-Lager im Negev erweitert werden, mußte man versuchen, durch modernste Methoden neue Produkte auf den Markt zu bringen. Hier glaubte man an deutsches „know how" ebenso wie bei der Modernisierung und Ausweitung der israelischen Metallindustrie oder bei der Entwicklung der Ölschiefergewinnung und dem entsprechenden Abbau. Auch die Elektronik-Industrien sind für Israel von größter Bedeutung, da die wissenschaftliche Arbeit in diesem Land großgeschrieben wird . Auch hier waren Entwicklungswünsche vorhanden. Die Übernahme von deutschen Aufträgen für Teilproduktionen in Israel waren angesichts von einer Million Arbeitsloser in der Bundesrepublik sicherlich nicht ganz leicht. Außerdem hoffte man in Jerusalem auf verstärkte deutsche Investitionen. Dieses Paket von Wünschen legte nicht erst Bar Lev bei den Besprechungen auf den Tisch. Aber dieses Papier würde von offiziellen Stellen der Bundesregierung wohl ohne viel Kommentar an die deutsche Industrie weitergereicht werden müssen, nach dem internationalen Motto „To whom it may concern". Die Bundesrepublik ist kein Staatshandelsland. Sie kann also keinem Industriebetrieb vorschreiben, wo und in welchen Bereichen er sich mit Investitionen beteiligt oder allein engagiert. Darauf verwies Bundesaußenminister Genscher bereits bei Gesprächen mit Journalisten in Israel und auf dem Rückflug, wobei er das Papier als solches nicht erwähnte. Man hörte damals nur von einzelnen Schwerpunkten, die aber nicht so umfassend wirkten, wie das, was auf BarLevs Wunschzettel abzulesen war. Im März sollte eine Präsidialdelegation des Bundesverbandes der Deutschen Industrie nach Israel reisen, um letzüich die Wünsche Bar Levs zu diskutieren und soweit als möglich realisieren zu helfen. Mit Präsident Sohl würde der Aufsichtsratsvorsitzende der Bayerwerke, Dr. Hansen, sowie Dr. Kurt Birrenbach nach Israel reisen. Ob es gelingen würde, Plettner aus dem Vorstand der Siemens AG mit nach Israel zu bekommen, war aus Termingründen fraglich. Hansen, Birrenbach und Plettner waren seinerzeit die Gesprächspartner von Ministerpräsident Rabin auf Schloß Gymnich bei Bonn gewesen, als dieser die Wirt589
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg schaftsvorstellungen d e r israelischen Regierung entwickelte. Daraus wurde dann offensichtlich der Wunschzettel von Bar Lev. Die Wünsche im einzelnen Es gibt mehrere Schwerpunkte. Da ist zunächst einmal die Entwicklung chemischer Rohstoffe u n d deren Weiterverarbeitung zu Endprodukten. Das Papier geht immerhin so weit, f ü r die einzelnen chemischen Rohmaterialien und Erzeugnisse Kapazitätswünsche anzugeben. So soll zum Beispiel Phenol mit 35 000 Jahres-Tonnen und weiteren 30 000 t Rohmaterial produziert werden können. Für Soda-Asche sind 15 000 t vorgesehen. Zink (nach elektrolytischer Methode gewonnen) 100 000 Jahres-Tonnen, j e 200 000 t Ammonium und Harnsäure. Ein pharmakologisches Institut soll Silikonsubstanzen entwickeln, u n d manche andere chemische Begriffe sind in diesem Papier genannt. Ein Kunstdünger-Kombinat, das im Negev errichtet werden müßte, hätte Pottasche vom Toten Meer und Phosphate aus den Lagern des Negev zur Verfügung, u m mit Nitrogenen Kunstdünger in verschiedenen Mischungsverhältnissen zu produzieren. Für die Magnesiumförderung aus dem Toten Meer wird von der chemischen Industrie überall deutsche Finanzierung erwartet. Es gibt den Gedanken einer petrochemischen Industrieentwicklung f ü r die Gewinnung von Rohmaterial (Gewinnung von Petro-Proteinen auf der Basis von Methanol soll 100 000JahresT o n n e n betragen). Zu den chemischen Produkten der organischen Chemie gehört dann wohl auch die Entwicklung einer Bitumenindustrie, von der Israel sich viel verspricht. Neben diesem Kalender der chemischen Produkte hat Israel viele Wünsche im Bereich der Metallindustrie. Man erwartet von deutschen Firmen eine Beteiligung bei einer langfristigen Finanzierung und bei d e r Entwicklung modernen „know how's". Die Entwicklung von Leasingfirmen mit deutschem Kapital auf dem Gebiet der Werkzeugmaschinenindustrie gehört zu diesem Bereich. In den verschiedensten Bereichen will man deutsch-israelische Komitees, die über diese speziellen Großprojekte hinaus in verschiedenen Industriebereichen zusammenarbeiten sollen, gründen. Hier spielt die Entwicklung vom technischen „know how" eine große Rolle. Ein gemeinsamer Investmentfonds soll gemeinsame Investitionen in Industrieunternehmen fördern helfen. Diese Kredite sollen dann mit Bankzinsen von 5 % ausgestattet werden. Welchen Umfang dieser Fonds haben soll, wird nicht gesagt. Des weiteren schlägt Israel die Finanzierung von Rohmaterial vor, deren Lagerung in Israel von der Bundesrepublik finanziert werden soll. Dieser Satz steht jedenfalls lapidar im Papier des israelischen Industrieministers. Ebenso ist die Tatsache, daß man in Drittländern im wirtschaftlichen und industriellen Bereich zusammenarbeiten könnte, nicht näher erläutert. Sehr interessant f ü r gewisse Forschungen in der Bundesrepublik ist die Frage der Gewinnung von Ersatzenergien. Dabei nennt Israel die Ausbeutung von Torflagern f ü r diese Zwecke und die Entwicklung der Elektrizitätsgewinnung 590
27.14 Genscher reist nach Jerusalem unter Ausnutzung bestimmter Bodengefälle im Jordantal, wobei es zunächst einmal darum gehen wird, die Arbeit einer Studienkommission für derartige Vorhaben zu finanzieren. Läßt sich das alles realisieren? Bis zum März werden die Industriekreise damit beschäftigt sein, sich zunächst einmal darüber Gedanken zu machen, was allein die Investitionsseite dieser genannten Projekte kosten könnte. Die bisherigen deutschen Investitionen in Israel liegen bei 450 Millionen DM, von denen rund 200 Millionen DM über die Hermes-Wirtschaft abgesichert sind. Ein Vielfaches an Kapitalbedarf dürfte für die nur oberflächlich skizzierten Projekte notwendig werden. Das allein wird dem Höhenflug der Wünsche Bar Levs wesentlich engere Grenzen setzen. Die Bundesrepublik Deutschland ist, wie schon erwähnt, kein Staatshandelsland. Das bedeutet auch, daß sie nicht willkürlich Zinssätze bestimmen kann, sondern gezwungen ist, Industriebetriebe, die sich für derartige Projekte interessieren, auf den freien Kapitalmarkt zu verweisen. Fachleute halten es nicht für ausgeschlossen, daß das Gesamtpaket der Wünsche den Betrag von 1 Milliarde DM übersteigen wird. Auch der Investitionsförderungsvertrag, der bis März 1976 unterzeichnet werden soll, ist nach israelischer Anschauung eine Möglichkeit der Absicherung deutscher Investitionen in Israel. Daneben wird man die neuen Exportförderungsmaßnahmen sehen müssen, die das israelische Wirtschaftskabinett soeben beschlossen hat und die zu Beginn des neuen Finanzjahres 1976/77 im April 1976 wirksam werden sollen. Ein außerordentlicher Zuschuß von knapp 10 Millionen DM soll gewährleisten, daß die für 1976 geplanten Exporte erreicht werden. Stärkere Werbung bei ausländischen Messen und Fachausstellungen gehören hierher, wobei der eigene Aufwand israelischer Firmen hinter eine staatliche Beteiligung Israels zurücktreten soll. Außerdem will der Staat Israel bis zu 50 % der bei der Schaffung von Vermarktungsmöglichkeiten im Ausland durch Darlehen und verlorene Zuschüsse anfallenden Kosten übernehmen. Das sind nur einige der anlaufenden Maßnahmen, die aber deshalb von großem Interesse sind, weil das Bar Leu-Papier für die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik auch im Bereich der Ernährungswirtschaft, vor allem bei der Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie Investitionen und „know how"-Verträge vorsieht. Die Bereiche, in denen Israel besonders ausbauen möchte, sind ö l e und Fette sowie Stärke (Baumwollsamen und Sojabohnen). Für die Zitrusindustrie und Vermarktung möchte Israel die Zusammenarbeit im Bereich tiefgekühlter Säfte dem Aufbau von Kühlketten nach Europa und entsprechende Bevorratung auf dem europäischen Festland sowie Marketingentwicklung und moderne Verpackungsanlagen erreichen. Hierhin gehört wohl auch der israelische Wunsch, in Hamburg eine Art Freihafen aufzubauen, der vom Container bis zur Kühlhausanlage alles umfassen soll, was die moderne Wirtschaft benötigt, um durch Lagerhaltung im Herzen der Europäischen Gemeinschaft auf Marktentwicklung rasch reagieren zu können. 591
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
Die Nahrungsmittelwünsche sind mit am interessantesten, da die Bundesrepublik schon heute an zweiter Stelle des gesamten Agrarexports Israels liegt, wenn man die europäischen Staaten ansieht. Die Sorge nach der Realisierung ist von der Frage abhängig, wie weit zum Beispiel im Bereich der Chemie neue Kapazitäten f ü r die deutschen Betriebe überhaupt interessant sind. Die deutschen chemischen Fabriken fahren ihre Kapazitäten heute im allgemeinen nur zu 70 % aus. Man wird in diesen wie in anderen Zusammenhängen fragen müssen, ob die Investitionen bei den Wünschen Bar Levs nicht manchmal mit Mäzenatentum verwechselt werden. Das eine ist das eine und das andere sind harte Wirtschaftsfragen. Kapazitäten einer petrochemischen Industrie auf der Basis von rund 2 Millionen Tonnen ö l aufzubauen, wird die Wirtschaftler dieser Zweige der Bundesrepublik nicht reizen können. Auch die Entwicklung neuer Kunstdüngerfabriken wird sicherlich von den deutschen Fachleuten unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität betrachtet werden. Ein Freihafen f ü r Israel in Hamburg ist ja auch nicht unbedingt auf die grüne Wiese zu stellen. Denn die Hamburger Hafenanlagen würden sicherlich in ihrem Bestand das aufnehmen können, was die israelische Wirtschaft einlagern möchte. Bei all diesen Problemen aber wird es darauf ankommen, das BarLev-Papier mit seinen vielen skizzenhaft angedeuteten Themen aus dem Bereich der Fragezeichen in echte Erläuterungen, was mit den Begriffen wirklich gemeint ist, zu überführen. Das alles soll nicht entmutigen, sondern aufzeigen, wie komplex diese Gedanken sind, und wieviel Mühe es bedarf, auch nur Teile daraus zu realisieren. Wenige Tage vor der Reise von Minister Genscher paraphierten Israel und die Bundesrepublik ein sogenanntes „Industrieförderungsabkommen", das der Absicherung weiterer Investitionen dienen wird, die man sich besonders nach einem Besuch einer Präsidial-Delegation des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, unter Führung ihres Präsidenten Sohl, erhofft. Sie soll im März 1976 nach Israel reisen, um diese Fragen zu behandeln. Diese wirtschaftlichen Themen fanden ihren abschließenden Ausdruck in einer gemeinsamen Erklärung, die am Ende des Besuches, am Sonntagnachmittag beim Abflug Genschers aus Israel, sowohl in Bonn als auch in Jerusalem veröffentlicht wurde. Diese Erklärung hat folgenden Wortlaut: „Die Minister haben sich sehr befriedigt über die Intensität und Vielseitigkeit der Beziehungen zwischen beiden Regierungen und Staaten geäußert. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind eng, könnten aber noch vertieft werden. Die beiden Minister sind daher zu dem Entschluß gekommen, die Möglichkeiten einer Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen im beiderseitigen Interesse auszuschöpfen. Zu diesem Zweck haben sie die Bildung einer gemischten Kommission beschlossen, die von den Außenministern oder von ihnen zu benennenden Vertretern geleitet wird und die zum ersten Mal im kommenden J a h r in Bonn zusammentreten soll. Ein vorbereitendes Treffen wird Anfang des nächsten Jahres stattfinden. Diese Kommission, die sich aus Vertretern der Bundesregierung zusammensetzen soll, und die auch die Teilnahme von Vertretern der Wirtschaft 592
27.14 Genscher reist nach Jerusalem ermöglicht, wird sich mit der gegenseitigen Förderung des Handels, der industriellen Zusammenarbeit und von Investitionen sowie anderen Wirtschaftsfragen befassen. Die neu zu bildende Kommission soll in diesen Bereichen, die einen erheblichen Teil der fachlichen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern umfassen, die bestehenden und zukünftigen Beziehungen koordinieren und ausbauen."
27.14.3
Die Nahost-Frage und die deutschen Möglichkeiten
Der Besuch von Außenminister Hans-Dietrich Genscher vollzog sich in diesem guten Klima nicht zuletzt durch die Tatsache, der eindeutigen deutschen Haltung bei den Vereinten Nationen in New York, wo die bereits erwähnte Hilfestellung für Israel, als das Präferenz-Abkommen in Brüssel abgeschlossen wurde, sowie die hilfreichen Versuche bei den anderen europäischen Partnern ebenfalls eine klare Linie zu unterstützen und die Möglichkeiten im augenblicklichen Versuch auch mit Syrien zu einem Interims-Abkommen zu gelangen, haben den deutschen Außenminister in Jerusalem in eine besondere Position gebracht. Bei diesen Beratungen stand die Frage nach einer vernünftigen Regelung des Palästina* Abkommens im Vordergrund. Ja, man möchte sagen, daß die Palästina-Frage das eigentliche Schlüsselproblem geworden ist. Genscher hat in Jerusalem noch einmal verdeutlicht, daß die PLO als Verhandlungspartner für die Bundesregierung nicht in Frage komme. In einem Interview mit den „deutschland-berichten" hatte er vor seiner Reise betont, daß es seiner Politik des Ausgleichs entspreche, „daß wir uns stets für das Existenzrecht Israels und für die legitimen Rechte der Palästinenser — so wie wir sie verstehen — eingesetzt haben". In Jerusalem hat Genscher deutlich werden lassen, was er mit dem Halbsatz, „so wie wir es verstehen", meint. Keinesfalls eine Lösung zu Ungunsten Israels, keine Lösung, die mit jenen Kräften der Gewalt herbeigeführt werden könne. Das sei nicht akzeptabel. Im Räume Jordaniens könne eine Lösung gefunden werden. Hierzu will die deutsche Außenpolitik auch durch vermittelnde und klärende Gespräche mit den EG-Partnern beitragen, so wie das bereits bei der einheitlichen Meinungsflndung bei den Vereinten Nationen unter den Partnern von Genscher mit Erfolg gesucht worden war. Die deutsche Haltung in den für Israel so schweren Tagen der Abstimmung in New York, als sich zeigte, daß, wie es der israelische Außenminister in seiner politischen Tischrede betont hatte, nur noch etwa ein Drittel der UN-Staaten noch auf einem demokratischen Boden stehen, wurde in den Tagen des GmscAer-Besuches entsprechend dankbar anerkannt. Die politischen Beratungen Genschers, die am Donnerstag, dem 27. November, mit Yigal Alton begonnen hatten, wurden nach Genschers Gespräch mit Minister Bar Lev im Amtssitz von Ministerpräsident Rabin fortgesetzt.
593
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg 27.14.4
Ein Shabbat mit politischem und menschlichem Gewicht
Nach diesem Gespräch auf höchster Ebene trug sich Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Rathaus von Jerusalem bei Bürgermeister Teddy Kollek in das Goldene Buch der Stadt ein, bevor er auf Einladung Allons in dessen Kibbuz Ginossar zu einem privaten Aufenthalt flog. Genscher war mit seiner Begleitung außerordentlich berührt von der Herzlichkeit und Intimität dieses Besuches am See Genezareth. Genscher sah einen Lichtbildervortrag über das Leben im Kibbuz und erlebte eine Hanukah-Feier am Freitagabend mit, als die ersten beiden Lichter entzündet wurden. Die Politik aber ruhte nicht an diesem Shabbat. Hier ergab sich die Gelegenheit für Genscher und Allon noch einmal unter vier Augen die gesamte Nahost-Situation zu beraten, wobei ja wohl nicht nur der deutsche und israelische Standpunkt zur Debatte standen, sondern auch Begegnungen, die von beiden Ministern am Rande der Vereinten Nationen zustande gekommen waren. Das Gespräch, das Allon vor längerer Zeit mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko geführt hatte, wurde man wohl in diesen Gedankenaustausch einbezogen. 27.14.5
Besuch der Heiligen Stätten
Ein Besuch am See Genezareth kann wohl nicht absolviert werden, ohne die christlichen Stätten zu besuchen. Der deutsche Abt des Benediktinerklosters auf dem Zionsberg in Jerusalem, dessen Mönche am See eine größere Landwirtschaft mit Weinbau betreiben, begrüßte Minister Genscher an der Pforte der Brotvermehrungskirche. Der Direktor des internationalen Bibelinstituts der Franziskaner in der Altstadt von Jerusalem, Pater Pax, der bereits Bundeskanzler Konrad Adenauer, Bundespräsident Walter Scheel und Willy Brandt durch die Altstadt von Jerusalem geführt hatte, erläuterte Minister Genscher die Ausgrabungen um die Synagoge von Kapharnaum. Von der Kirche der Seligpreisungen genossen Genscher und seine Begleitung den Blick auf den biblischen See. Das geschah am Samstag, dem 29. November, bevor der deutsche Minister an das Tote Meer flog, um den geschichtsträchtigen Berg Massada mit seinen ausgegrabenen Festungsresten zu sehen, bevor er sich am Toten Meer mit Minister Hausner und Vertretern beider liberaler Parteien traf. Mit Hubschrauber ging der Flug direkt zurück nach Jerusalem. Agenturmeldungen hatten berichtet, daß der Minister hierbei über besetztes arabisches Gebiet geflogen sei, was ihn deshalb besonders empörte, da er mit der israelischen Regierung deutlich vereinbart hatte, daß hier ein Umweg geflogen werde, der auch eingehalten worden ist.
594
27.14 Genscher reist nach Jerusalem 27.14.6
Abschlußessen mit Moselwein
Am Samstagabend versammelte sich eine große Gästeschar im Hotel King David zu einem Essen, das Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher als Dank und Abschluß seines politischen Besuches für Yigal Alton ebenfalls im King David Hotel gab. In launigen Worten ging der Minister auf einen protokollarischen Fehler ein, der in Bonn entstanden war. Auf der Speisekarte stand als Ortsangabe für das Essen und das Datum „Tel Aviv, den 29.11.1975". Yigal Allon griff dieses Thema auf, indem er darauf verwies, daß ja auch die Deutsche Botschaft leider noch in Tel Aviv angesiedelt sei, wie alle großen Botschaften. In herzlichen Worten bedankte sich der Minister für die Offenheit der Gespräche. Zu dem Essen hatte der Minister deutsche Moselweine mitgebracht, die bei den Gästen guten Anklang fanden.
27.14.7
Privater Besuch in der Altstadt
Zu einem privaten Besuch in die Altstadt von Jerusalem f u h r Bundesaußenminister Genscher am Sonntagmorgen, wo er von Pater Pax erneut durch die Stätten der Christenheit, der Juden und Moslems geführt wurde. In der deutschen Lutherkirche begrüßte ihn Probst Klatte. Nach diesem Besuch reiste der Minister weiter nach Rehovot ins Weizmann-Institut, wo er im Gebäude des Präsidenten dieser wohl einmaligen Forschungsstätte moderner Wissenschaft einen knappen Besuch abstattete.
27.14.8
Duckwitz-Lehrstuhl für Krebsforschung
Am Gebäude des Präsidenten dieses Instituts, das bereits auf eine zwölQährige Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zurückblicken kann, dankte der Präsident im Namen seines Instituts dem deutschen Außenminister für diese Zusammenarbeit. Genscher hielt bei diesem kurzen Aufenthalt die folgende Ansprache: „Herr Präsident, in wenigen Stunden fliege ich nach Deutschland zurück. Ich habe fast vier ausgefüllte Tage in Israel hinter mir. Ich bedauere, nicht länger hier sein zu können, was insbesondere für das Weizmann-Institut gilt. Einer meiner liberalen Parteifreunde fragte mich, warum ich nur vier Tage hierbleiben könne. Ich antwortete, als Außenminister sei ich bisher in keinem Land so lange geblieben. Er erwiderte hierauf, dies sei nichts besonderes, denn schließlich sei Israel 4 000 Jahre alt. Ich sagte, ich könnte bei der Bemessung meiner Aufenthalte im Ausland nicht nur die Geschichte berücksichtigen, denn sonst dürfte ich in den Vereinigten Staaten jeweils nur ein paar Stunden bleiben. Mit Bewegung bin ich hierher gekommen. Mit Respekt verlasse ich dieses Land. Ich war beeindruckt 595
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg
von der Aufbauleistung, die überall sichtbar ist, und nirgendwo anders könnte der Erfolg besser abgelesen werden, als an dem Ort, wo wir uns hier versammelt haben. Der Besuch im Weizmann-Institut ist einer der Höhepunkte meines Besuches. Die Bundesregierung hat in den vergangenen 12 Jahren die Arbeiten des Weizmann-Instituts unterstützt. Hier, wo der erste Präsident des Staates begraben liegt, hat sich in kürzester Zeit ein wissenschaftliches Institut aus dem Nichts entwickelt, das jetzt Weltruf genießt. Israelische Staatsbürger, wie diejenigen, die dieses Institut aufgebaut und großgemacht haben, haben auch das Ansehen des israelischen Staates vermehrt. Die Forscher dieses Instituts haben aber nicht nur dem Weizmann-Institut zu Weltruhm verholfen, sondern sie haben damit auch der Menschheit geholfen, indem sie mit Hilfe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse unser aller Leben verbesserten und sicherer gegen Krankheiten machten. Unter den modernen Zivilisationskrankheiten zeichnet sich der Krebs durch besondere Hartnäckigkeit aus. Im Kampf gegen den Krebs gehört das Weizmann-Institut zu den führenden Forschungsstätten der Welt. Ich weiß, daß die beiden Staaten - der Staat Israel und die Bundesrepublik Deutschland - im Gebiet der wissenschaftlichen Forschung seit Jahrzehnten bereits vorbildlich zusammenarbeiten. Seit kurzem ist auch das Gebiet der Krebsforschung einbezogen worden. Ich bin heute hierher gekommen, Ihren Kampf gegen den Krebs, der dem Wohle der gesamten Menschheit dient, zu unterstützen. Es ist mir eine große Freude, Herr Präsident, Ihnen heute im Namen der Bundesregierung offiziell einen Beitrag in Höhe von 700 000 DM anzukündigen, mit dessen Hilfe ein Georg-Ferdinand-Duckwitz-Lehrstuhl für Krebsforschung errichtet und getragen werden soll. Mit diesem Lehrstuhl wird nicht nur Ihre Arbeit bereichert, sondern gleichzeitig ein Mann geehrt, der während des Krieges in Dänemark durch seine Haltung unzähligen Juden das Leben gerettet hat. Vor drei Tagen, kurz nach meiner Ankunft, sah ich den Baum, der zu seinen Ehren gepflanzt wurde. Georg-Ferdinand Duckwitz war ein Mann, der von der Idee der Rettung von Menschenleben beseelt war. Es ist schön, wenn nun ein Lehrstuhl, der das gleiche Ziel hat, seinen Namen trägt. Wir wünschen dem Weizmann-Institut, das vor kaum zwei Wochen den Grundstein für sein neues Krebsforschungszentrum legte, zu dieser Arbeit viel Glück und Erfolg. Erlauben Sie mir, mit dem Wunsch von Ihnen Abschied zu nehmen, daß die hier geleistete Arbeit, die hier errungenen Erfolge und der konzentrierte wissenschaftliche Vorsprung einem immer größeren Kreis von Menschen zugute kommen möge."
596
27.14 Genscher reist nach Jerusalem 27.14.9
Abschlußempfang in Tel Aviv
Im PAL-Hotel in Tel Aviv waren rund achthundert Gäste, meist ehemalige deutsch-jüdische Mitbürger versammelt, u m dem Bundesaußenminister ihre Aufwartung zu machen. Genscher drückte jedem einzelnen der Besucher die Hand. Auch Moshe Dayan war der Einladung Genschers gefolgt und unterhielt sich lebhaft mit den deutschen Gästen aus der Bundesrepublik. Nach zweistündigen Begegnungen in dem großen Ballsaal dieses Hotels war der Abschied gekommen. Bevor Außenminister Genscher in die Bundeswehrmaschine stieg, die ihn nach Bonn zurückbrachte, sagte er vor den Mikrofonen: „Am Ende meines Besuchs in Israel möchte ich die Gelegenheit benutzen, f ü r die Gastfreundschaft und die herzliche Aufnahme anläßlich meines ersten Besuches hier der Regierung und all denen, mit denen ich zusammentraf, meinen Dank auszusprechen. Der Besuch hat gezeigt, daß beide Regierungen entschlossen sind, die positive Entwicklung ihrer Beziehungen fortzusetzen, politisch, wirtschaftlich und kulturell. Ich halte es f ü r ein wichtiges Erlebnis dieses Besuches, daß wir die Errichtung einer gemeinsamen Kommission vereinbart haben, in der Möglichkeiten zur weiteren Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen erörtert werden sollen. Überdies hat der Besuch dazu beigetragen, die Möglichkeiten konstruktiver Entwicklungen im Nahen Osten zu untersuchen. Israel ist bereit und entschlossen, auf dem konstruktiven Weg zur Lösung der Probleme dieser Region, den es mit dem Abschluß des Interims-Abkommens mit Ägypten beschritten hat, weiterzugehen. Die Bundesrepublik Deutschland ihrerseits ist interessiert, daß in dieser benachbarten Region ein dauerhafter Frieden möglich wird. Ich habe meinen israelischen Kollegen f ü r das nächste J a h r zu einem Besuch in die Bundesrepublik Deutschland eingeladen. Er hat diese Einladung angenommen, und ich hoffe, daß er ihr bald Folge leisten kann. In diesem Sinne sage ich Auf Wiedersehen." Israels Außenminister Allon erklärte seinerseits, es gebe Besuche, die nur der Erörterung beiderseitiger Beziehungen dienten, und es gebe auch Besuche, die keinen konkreten Zweck verfolgten, aber der Vertiefung persönlicher Beziehungen dienten. In dem vorliegenden Fall des Besuchs von Außenminister Genscher sei beides miteinander verbunden worden. Die freundschaftlichen Beziehungen der beiden Länder zueinander bestünden ja bereits seit langem; jedoch habe neben der Erörterung der politischen Probleme von beiderseitigem Interesse der Besuch auch zur Vertiefung der persönlichen Beziehungen geführt. Die Errichtung der gemeinsamen Kommission, der die Minister oder von ihnen benannte Personen vorstehen sollten, sei von großer Bedeutung. Dieser Besuch Hans-Dietrich Genschers, über den er sich auch noch einmal im Flugzeug gegenüber den ihn begleitenden Journalisten sehr befriedigt äußer-
597
27 Der deutsch-israelische Dialog im, Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg te, wird auf dem Wege dieser beiden Völker zueinander sicherlich einen besonderen Platz erhalten. Die Herzlichkeit der Gespräche der beiden Außenpolitiker fand vielleicht darin ihren Höhepunkt, daß sich beide im vertrauten T o n mit ihren Vornamen ansprachen. Hans-Dietrich Genscher nannte seinen israelischen Kollegen „Yigal", während sich Allon mit dem vertrauten ,J)ieter" revanchierte.
27.15 Ein Schritt in Richtung der Verständigung—kein Visum mehr für Israel Am Tage nach der Rückkehr von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher veröffentlichte das israelische Außenministerium in Jerusalem die Tatsache, daß Deutsche künftig kein Visum mehr für eine Israel-Reise benötigen, wenn sie nach dem 1. Januar 1928 geboren sind. Das gleiche gilt f ü r Deutsche, die älter sind, wenn sie schon einmal ein israelisches Visum in ihrem Paß hatten und damit durch die Kontrollen Israels im Hinblick auf nationalsozialistische Vergangenheit gegangen sind. In letzter Zeit hat das israelische Generalkonsulat in Bonn nur noch Dauervisa ausgestellt, die die gesamte Laufzeit eines Reisepasses abdeckten. Generalkonsul Ayaion erklärte in Bonn, daß die jährliche Ziffer von Visa nunmehr von 26 000 auf wenige Tausend zusammenschrumpfen werde. In politischen Kreisen der Bundeshauptstadt hat man diese Anordnung Israels mit Genugtuung begrüßt, da sie ein Teil des neugewonnenen Vertrauens zwischen beiden Staaten darstellt. Die Zahl derjenigen, die bei den Überprüfungen durch das israelische Außenministerium als ehemalige nationalsozialistische Kräfte abgewiesen wurden, wenn sie Visaanträge stellten, hat sich bereits seit Jahrzehnten als äußerst gering erwiesen. Viele von denen, die eine Belastung aus jener Zeit mit sich trugen, hatten begriffen, daß der jüdische Staat f ü r sie ausgespart werden mußte.
27.16
Werner Nachmann: Die jüdische Gemeinschaft der Bundesrepublik wirkt an der Friedensarbeit der Bundesregierung mit
Der Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, Werner Nachmann, flog als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher nach Israel. Auf dem Rückflug gab er mir das folgende Interview: Frage: Herr Nachmann, die Tatsache, daß der Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, Mitglied der Delegation von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in Jerusalem war, hat vielleicht manchen Israeli und manchen Deutschen verwundert oder aufhorchen lassen. Wie kam es dazu? 598
27.14 Genscher reist nach Jerusalem Antwort: Ich glaube, daß die Arbeit, die die jüdische Gemeinschaft in Deutschland zum Wiederaufbau, das heißt zur Rückkehr der Bundesrepublik Deutschland in die Familie der freien Völker mitgeleistet hat, einer der Hauptgründe ist—warum schon der damalige Bundeskanzler Willy Brandt mich ebenfalls als Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland in seiner Delegation mitgenommen hat, als er nach Israel kam —, und es war für Bundesaußenminister Genscher eine Selbstverständlichkeit, mich wieder zu dieser Reise einzuladen. Ich glaube, hierin spiegelt sich am besten wider, daß die jüdische Gemeinschaft in Deutschland sehr viel Aktivität zeigt, sowohl als Bürger der Bundesrepublik mit ihrer Regierung, mit der Bundesregierung, in Verbindung mit den Bemühungen für Israel zu wirken. Durch die Tätigkeit des Zentralrats der J uden in Deutschland wird doch immerhin bewiesen, daß die Bundesrepublik heute eines der demokratischsten Länder dieser Welt ist und heute auch ihren gerechten Platz nicht nur inmitten der EG-Länder hat, sondern auch inmitten aller freiheitlichen Länder der Welt, in Vollziehung des Friedens auch für diese Region und der Welt ganz allgemein. Frage: Herr Nachmann, die Frage einer ausgewogenen Nahost-Politik der Bundesregierung wurde in Israel lange beargwöhnt und man hat jetzt auch wieder diese Fragen in der Presse und im Rundfunk, vielleicht auch innerhalb der Delegationsgespräche aufgegriffen. Sie stehen gewissermaßen dazwischen, zwischen der offiziellen deutschen Politik und den Israelis. Als Brücke? Antwort: Ich glaube, daß die Handlung der Bundesregierung, ganz besonders des Bundesaußenministers, hier doch sehr klar ist. Er tritt für eine Anerkennung der sicheren Grenzen des Staates Israel ein. Er tritt — und das ist eine Selbstverständlichkeit — dafür ein, daß der Staat Israel endlich einmal in Frieden und damit auch in Ruhe leben kann. Dieser Friede wird benötigt, um einen wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu gewährleisten. Dies ist ein Punkt. Dafür sind wir ihm sehr dankbar, weil es ganz selbstverständlich ist, daß die jüdische Gemeinschaft in Deutschland der Bundesregierung diesen Wunsch ganz besonders immer wieder vorträgt. Wir glauben auch, daß wir in dieser Richtung mitgestaltet haben. Frage: Außenminister Genscher hat in einem Interview erklärt, „Wir sind auch für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser — so wie wir es verstehen und wie wir es sehen". Für ihn ist auch das Selbstbestimmungsrecht Israels klar. Wie soll sich in diese Politik dieses Palästinenser-Problem einfügen? Antwort: Ich glaube, daß ein guter Freund Israels nur eine positive und erfolgreiche Arbeit für den Frieden in dieser Region leisten kann, wenn er seinen Freunden ganz deutlich, so wie es Außenminister Genscher tut, erklärt, daß es eine Vorbedingung f ü r den Gesamtkomplex dieser Region so ist, daß man sich gegenseitig akzeptiert, daß man die Rechte des anderen respektiert und daß die guten Beziehungen, die die Bundesrepublik mit den arabischen Ländern pflegt, nur ein Beitrag sein kann zu der Lösung dieses Konfliktes um Israel. Ich hoffe auch, daß die Israelis dies verstehen, daß nur durch ein gutes Verhältnis zu den Nachbarländern Israels es der Bundesrepublik, der Bundesregierung, gemeinsam mit ihren amerikanischen Freunden gelingen kann, hier zu einer wirklich endgültigen Friedenslösung ihren Beitrag zu leisten. 599
27 Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kippur-Krieg Frage: Gespräch mit den Palästinensern, das würde ja nötig. Herr Nachmann, soll das mit der PLO, ohne die PLO oder mit anderen Gruppierungen geschehen? Antwort: Ich glaube, daß ist gar keine Frage, daß das Palästinenser-Problem in diesem Lösungskomplex seinen Bestand hat wie alle anderen Fragen der Sicherheit, der Anerkennung usw. Etwas ganz anderes ist es, mit wem man dieses Problem ernsthaft verhandeln kann. Ich glaube kaum, daß es als Partner f ü r derartige Gespräche Verhandlungspartner geben kann, die sich zum Terrorismus bekennen. Hier bestehen zwischen Israel und der Bundesregierung keinerlei Meinungsverschiedenheiten. Menschen, die Terror — und das nicht nur in dieser Region, sondern auf der ganzen W e l t - als ihr politisches und kämpferisches Ziel ansehen und Menschen, die den Staat Israel heute immer noch nicht als eine Gegebenheit akzeptieren wollen, als einen Staat anerkennen, der in dieser Region seine Lebensberechtigung hat, sind f ü r derartige Verhandlungen nicht akzeptabel.
600
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen Am 11. November 1975 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution, die den Zionismus als rassistische Bewegung brandmarkte. Auf israelischer, aber auch auf bundesrepublikanischer Seite löste diese Entschließung heftige Reaktionen aus.
28.1
Der Wortlaut der Resolution
3379 (XXX) — Beseitigung aller Formen von rassischer Diskriminierung Die Generalversammlung, unter Hinweis auf ihre Resolution 1904 (XVIII) vom 20. November 1963 mit der Erklärung der Vereinten Nationen über die Beseitigung aller Formen von rassischer Diskriminierung und insbesondere auf die darin enthaltene Feststellung, daß „jede Lehre von rassischer Differenzierung oder Überlegenheit wissenschaftlich falsch, moralisch verwerflich, sozial ungerecht und gefährlich ist", sowie unter Bezugnahme auf ihre Besorgnis angesichts „der in einigen Gebieten der Erde noch anzutreffenden Erscheinungen der rassischen Diskriminierung, von denen einige von bestimmten Regierungen durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder andere Maßnahmen erzwungen werden", weiterhin unter Hinweis darauf, daß die Generalversammlung in ihrer Resolution 3151 G (XXVIII) vom 14. Dezember 1973 u. a. die unheilige Allianz zwischen südafrikanischem Rassismus und Zionismus verurteilt hat, in Kenntnisnahme der von der Weltkonferenz zum Internationalen J a h r der Frau in Mexiko-Stadt (19. Juni bis 2. Juli 1975) proklamierten Erklärung von Mexiko über die Gleichberechtigung der Frau und ihren Beitrag zu Entwicklung und Frieden sowie des darin verkündeten Prinzips, daß „internationale Zusammenarbeit und Frieden die nationale Befreiung und Unabhängigkeit, die Beseitigung von Kolonialismus und Neokolonialismus, fremder Besetzung, Zionismus, Apartheid und rassischer Diskriminierung in allen ihren Formen sowie die Anerkennung der Würde der Völker und ihres Rechts auf Selbstbestimmung erfordern", ferner in Kenntnisnahme der Resolution 77 (XII) der Versammlung der Staatsu n d Regierungschefs der Organisation der Afrikanischen Einheit anläßlich ihrer zwölften ordentlichen Tagung in Kampala vom 28. Juli bis 1. August 1975, in der die Auffassung vertreten wird, „daß das rassistische Regime im besetzten Palästina und die rassistischen Regime in Simbabwe und Südafrika einen gemeinsamen imperialistischen Ursprung haben, ein Ganzes bilden, die gleiche rassistische Struktur aufweisen und in ihrer auf die Unterdrückung der Würde und Integrität des Menschen gerichteten Politik organisch miteinander verbunden sind", 601
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen weiterhin in Kenntnisnahme der Politischen Erklärung und Strategie zur Festigung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie zur Stärkung der Solidarität und des gegenseitigen Beistands zwischen den nichtgebundenen Staaten, die auf der Außenminister-Konferenz der nichtgebundenen Staaten in Lima (25. bis 30 August 1975) verabschiedet wurde und die den Zionismus als eine Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Welt aufs schärfste verurteilt sowie alle Länder dazu aufruft, gegen diese rassistische und imperialistische Ideologie anzugehen, stellt fest; daß der Zionismus eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung ist. 2400. Plenarsitzung 10. November 1975
28.2 Stellungnahmen zur Resolution 28.2.1
Helmut Schmidt auf dem Parteitag der SPD
Auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschland, zu dem auch Israels Außenminister Yigal Allon gekommen war, wo er eine Plakette trug „Ich bin ein Zionist", sprach der Bundeskanzler auch zur europäischen Situation im Nahen Osten und nahm auch zu der Zionismus-Resolution der UNO Stellung. Helmut Schmidt sagte in seiner Rede am 12. November 1975 zu diesen Fragen: „Wenn Europa gedeihen soll, gehört dazu z. B. auch finanzielle Sorgfalt und von Zeit zu Zeit auch ein Minimum an Fähigkeit zur Selbstkritik. Wir Deutschen, wir deutschen Sozialdemokraten haben auch in den letzten 24 Monaten zur europäischen Integration sehr konkrete Beiträge geleistet — ob gegenüber Italien, Großbritannien oder Portugal, ob in Sachen Regionalpolitik oder in Sachen Währungsverbund, ob in Sachen Beibehaltung der Mitgliedschaft Englands oder in Sachen Finanzsystematik gegenüber England. Ich habe daran als Finanzminister und später als Bundeskanzler meinen Anteil gehabt. Man kann in all den europäischen Hauptstädten und in Brüssel darauf vertrauen, daß dies so bleibt. Auf ein aktuelles Wort zu den Vereinten Nationen darf ich heute ebenfalls nicht verzichten. Wir betrachten die gestrige Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen mit tiefer Sorge um den Bestand dieser Weltinstitution. Ich füge hinzu: Diese Entschließung kann auf unsere Israel-Politik keinen Einfluß haben."
602
28.2 Stellungnahmen zur Resolution 28.2.2
Willy Brandt: Israelis und Araber an einen Tisch
Am Rande des SPD-Parteitages in Mannheim vom 11. bis 15.11.1975 fand eine internationale Konferenz von sozialdemokratischen Vertretern aus 38 Parteien statt, an der auch der israelische Außenminister Yigal Allon teilnahm. In einem Gespräch mit der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung" in Düsseldorf erklärte Willy Brandt: Frage: Sie, Herr Brandt, haben auf der heutigen Pressekonferenz erwähnt, daß die antizionistische Entschließung der U N O bei den Mannheimer Gesprächen keine Rolle gespielt hätte. Kann man davon ausgehen, daß diese positiv zu werten ist? Antwort: Das kann man sicher. Sie wissen, daß der Sozialdemokratische Parteitag sehr deutlich seine Meinung gesagt hat. Der Bundeskanzler hat sie gesagt, der Parteitag hat sie gesagt. Die Tatsache, daß dieses Thema bei den internationalen Treffen nicht aufgegriffen wurde, d. h., daß man das Thema sozusagen hat liegen lassen, habe ich eher als hilfreich empfunden. Frage: Die antizionistische UNO-Resolution ist ja nicht nur gegen den Staat Israel, sondern gegen jüdische Bürger auf der ganzen Welt gerichtet. Wie betrachten Sie in diesem Zusammenhang die Tätigkeit des Zentralrats der J u d e n in Deutschland? Antwort: Ich würde es begrüßen, wenn der Zentralrat sich nicht über Gebühr einschalten müßte. Müßte er sich stark einschalten, wäre es f ü r mich eher ein Zeichen, daß andere ihre Pflicht versäumt hätten. Ich möchte gerne, daß der Zentralrat sich nicht in die Lage versetzt fühlt, sich äußern zu müssen, wo wir anderen uns f ü r alle, einschließlich unsere jüdischen Mitbürger, zu äußern haben. Und dies haben wir versucht in Mannheim zum Ausdruck zu bringen. 28.2.3
Der Generalsekretär der CDU, Professor Kurt Biedenkopf
„Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, nach der der Zionismus als eine spezifische Art von Rassismus und rassischer Diskriminierung verurteilt wird. Der Resolution hatten insbesondere die Vereinigten Staaten und die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft widersprochen. Die Befürworter der Resolution — überwiegend arabische Staaten - argumentierten dagegen, diese Entschließung sei nicht antisemitisch, sondern ausschließlich gegen den Zionismus gerichtet. Es ist unverkennbar, daß diese Entschließung geeignet ist, die Weltorganisation in eine tiefe Krise zu stürzen. Angesichts der Tatsache, daß Israel als Staat der Juden seit über 25 Jahren besteht, ist die Zionismus-Resolution ein Anachronismus. Sie mißachtet die Notwendigkeit eines friedlichen Zusammenlebens der Völkerfamilie, frei von Verhetzung und Verketzerung des politischen Gegners. Sie stellt die Existenz Israels in Frage und ist deshalb unvereinbar mit der Charta der UN. 603
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen
Noch mehr aber sind wir mit der westlichen Welt betroffen darüber, daß durch derart einseitige und zugleich kurzsichtige Beschlüsse die Organisation der Vereinten Nationen die Lösung internationaler Konflikte auf dem Wege friedlicher Übereinkommen nachhaltig erschwert. Wir bedauern, daß es nicht möglich war, in der Frage der Zulassung der PLO zu den Nahostberatungen der Vereinten Nationen zu einer einheitlichen europäischen Haltung zu gelangen. Die Idee der politischen Einigung Europas ist gefährdet, wenn es nicht gelingt, in so entscheidenden Fragen der Vereinten Nationen eine gemeinsame außenpolitische Haltung zu finden."
28.2.4
Der stellvertretende Vorsitzende der Hans-Günter Hoppe
FDP-Bundestagsfraktion,
„Mit Bestürzung hat die F.D.P.-Fraktion von der Entschließung der UNO-Vollversammlung in der letzten Nacht Kenntnis genommen. In dieser Resolution wird versucht, durch unterschiedslose Gleichsetzung von Zionismus mit Rassismus den Staat Israel in der Weltorganisation und in der Weltöffentlichkeit zu ächten. Diese Entschließung dient weder einer ausgewogenen Lösung der Nahost-Krise noch fördert sie die Ansätze für eine positive Zusammenarbeit in der UNO-Vollversammlung. Die F.D.P.-Fraktion unterstützt deshalb nachdrücklich die Position der Bundesregierung, die zusammen mit ihren EG-Partnern gegen die Diffamierung Israels gestimmt hat. Dies steht in Übereinstimmung zur Nahost-Erklärung der Europäischen Gemeinschaft vom November 1973, in der eine ausgewogene Lösung des Konflikts gefordert wird. Zu bedauern ist allerdings, daß die EG-Staaten bei den nachfolgenden Abstimmungen zur Palästinenserfrage nicht ebenso geschlossen aufgetreten sind. Wir hoffen, daß dies ein einmaliger Vorgang bleibt. Denn eine überzeugende Nahost-Politik der Europäischen Gemeinschaft ist nur möglich, wenn die Geschlossenheit gewahrt bleibt."
28.2.5
Resolution einer Versammlung in Berlin
Am 19. November 1975 fand im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin, an der Stätte, an der vor 37 Jahren eine der größten Synagogen dieser Stadt stand und bei den November-Pogromen 1938 zerstört wurde, eine Versammlung statt, bei der Juden und Nichtjuden aus allen Schichten der Bevölkerung eine Resolution billigten, in der es u. a. heißt: „Wir erheben unseren schärfsten Protest dagegen, daß 37 Jahre nach den November-Pogromen von 1938 eine nichtdemokratische Mehrheit in den Vereinten Nationen die Annahme einer Entschließung durchgesetzt hat, die den Zionismus, die nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes, als rassistisch verleumdet. In dieser ungeheuerlichen Verunglimpfung der zionistischen Bewe604
28.2 Stellungnahmen zur Resolution gung, des Staates Israel, der die einzige Demokratie im Nahen Osten darstellt, und der gesamten jüdischen Gemeinschaft sehen wir den Versuch einer nachträglichen Rechtfertigung der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen sowie eine Schmähung des Andenkens derer, die dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fielen. Als besonders heuchlerische Diffamierung betrachten wir die Gleichsetzung des Zionismus mit dem Rassismus des nationalsozialistischen Regimes durch Staaten, deren innere Ordnung zum ständigen Vergleich mit den Zuständen im Machtbereich der Nationalsozialisten herausfordert. Die Antizionismus-Resolution der UN-Vollversammlung, die die nationale Befreiungsbewegung mit den ältesten historischen Wurzeln und das Volk, das der Menschheit mit den Zehn Geboten ein ewiggültiges Sittengesetz überliefert hat, mit verlogenen Behauptungen zu brandmarken versucht, ist ein Bestandteil der auf die Auslöschung des Staates Israel zielenden Bestrebungen, ein Aufruf zum Haß und ein Freibrief zu neuer Gewaltanwendung. Sie gefährdet die Waffenruhe im Nahen Osten und die Sicherheit jüdischer Menschen in vielen Ländern sowie überhaupt die Grundlagen friedlichen menschlichen Zusammenlebens. Wir appellieren an die Völker, deren Regierungen f ü r die Antizionismus-Resolution gestimmt haben, insbesondere an die, die selbst unter nationalsozialistischer Verfolgung zu leiden hatten, sich dessen zu erinnern, was in den Jahren 1933—1945 geschah und sich ihrer besonderen menschlichen Verantwortung bewußt zu sein. An alle Menschen, die Freiheit und Gerechtigkeit lieben, geht in dieser Stunde unser Aufruf zur Solidarität mit uns und mit der gesamten jüdischen Gemeinschaft. Erneut stehen wir an einem Wendepunkt der menschlichen Geschichte. Uns allen gebietet die Verantwortung vor denen, die nach uns kommen, das Unsere zu tun, damit sich nicht neue Abgründe der Barbarei öffnen. Möge es niemals heißen, daß wir in der Stunde der Bewährung versagt haben."
28.2.6
Der deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlichjüdische Zusammenarbeit e. V.
Der Vorstand des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit e. V., der sich in einem Schreiben an die Bundesregierung wegen der Annahme der Zionismus-Resolution gewandt hat, sagte in einer Erklärung: „Mit tiefer Erschütterung nimmt der Deutsche Koordinierungsrat die Nachricht zur Kenntnis, daß die Mehrheit der UNO, jener Versammlung der Nationen, die 1947 das Entstehen des Staates Israel völkerrechtlich ermöglicht hat, nunmehr an dem Tag, der in das Gedächtnis der Völker als Kristallnacht eingegangen ist, jene Bewegung als nazistisch verurteilt, die die Heimkehr der Juden in das Land 605
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen
ihrer Väter zum Ziel hat. Die Verurteilung des Zionismus wird umso unbegreiflicher, als diejenigen, die darauf gedrungen haben, nie deutlich gemacht haben, was sie unter Zionismus verstehen. Weder der heutige Rassismus in der Welt, noch Wesen und Vielfalt des Zionismus werden durch die Behauptung ,der Zionismus sei eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung', gerecht dargestellt. In einer bemerkenswerten Rede hat der Vertreter der Bundesrepublik bei der U N O gegen diese Resolution vor der Vollversammlung Stellung bezogen. Es muß jedoch befürchtet werden, daß zugleich mit der Verurteilung des Zionismus einem neuen Antisemitismus in der Welt das Wort geredet wird. In solcher Situation rufen wir die Bundesregierung auf, weiterhin nicht zu schweigen, sondern in einem eindeutigen Protest zu dokumentieren, daß die besondere Verantwortung f ü r das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel uns allen bewußt ist."
28.2.7
Die Deutsch-Israelische
Gesellschaft
„Es gibt in der Weltgeschichte kein schlimmeres Beispiel f ü r rassistische Verfolgung als die Vernichtung der Juden in ganz Europa durch Hitler und seine Schergen", erklärte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Heinz Westphal, in einer Stellungnahme zur Anti-Zionismus-Resolution der UN-Vollversammlung vom 10. November 1975. Es sei eine Infamie, dem jüdischen Volk, das in Israel auf der Grundlage eines UN-Beschlusses von 1947 eine neue nationale Heimat aufgebaut hätten, Rassismus vorzuwerfen. Westphal rief die deutsche Öffentlichkeit zu einer Spendenaktion f ü r Israel als Zeichen der Verbundenheit mit der israelischen Bevölkerung auf.
28.2.8
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat mit Erschütterung die Resolution zur Kenntnis genommen. Sein Präsident, Bernhard Vogel, erklärte in Bonn, eine derart unsinnige Gleichsetzung von Zionismus mit Rassismus leiste in unverantwortlicher Weise dem Antisemitismus Vorschub und liefere den Gegnern Israels eine formale Legitimation zur Fortsetzung einer Politik, die die Auslöschung Israels zum Ziel hat.
28.2.9
Protestresolution des Zentralrats der Juden in Deutschland
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich der weltweiten Protestaktion gegen die Resolution der UNO angeschlossen. Sofortige Kontakte mit den politi606
28.3 Empörung über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik sehen Parteien und der Bundesregierung ergaben ein eindeutiges Bild: Die UNResolution gegen den Zionismus ist auch in der Bundesrepublik, wie in den anderen Ländern der westlichen Welt, auf Empörung und Ablehnung gestoßen. Inzwischen haben auch die Kirchen und viele Organisationen gegen die Einstufung des Zionismus als eine „Form des Rassismus und rassischer Diskriminierung" scharf protestiert. Die Antizionismus-Resolution, die sicherlich das Wohlgefallen Hitlers und Stalins gefunden hätte, sollte die freiheitsliebenden Staaten veranlassen, ihre Haltung gegenüber der UNO zu überprüfen. Für alle, Juden und Nichtjuden, die unter Zionismus Renaissance der Sprache und Kultur, Freizügigkeit, Selbstbestimmung sowie das Recht der Juden auf einen eigenen Staat verstehen, sind die Auswirkungen des „Schwarzen Tages der UNO" nicht allein durch Distanzierung und Proteste auszuräumen. Neben Aufklärung und Solidarität gilt es, durch konkrete Maßnahmen den Antizionismus zu bekämpfen und das Aufbauwerk des um seine Existenz und Freiheit ringenden Staates Israel mit allen Mitteln zu fördern.
28.3 Empörung über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie deutsche Zeitungen haben in einer einhelligen Empörung die Resolutionen der Vereinten Nationen kritisiert; diese Weltorganisation in klarer Weise mit ihrer Haltung verurteilt. Am 11. November 1975 brachten die Fernsehsendungen und die Rundfunkstationen Interviews und Erklärungen des deutschen Botschafters bei den Vereinten Nationen, Freiherr Rüdiger von Wechmar, und ein Interview mit Israels Außenminister, Yigal Allon. Dem „Deutschlandfunk" gab Rüdiger von Wechmar das folgende Interview am 11.11.1975: Frage: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat heute f r ü h in New York eine Entschließung verabschiedet, in der der Zionismus als eine Form des Rassismus bezeichnet wird. Welche Konsequenzen hat die Annahme der Antizionismus-Resolution f ü r die weitere Arbeit der UNO-Vollversammlung? Antwort: Wenn Sie zunächst einmal eine kleine Berichtigung erlauben, die aber wichtig ist: nicht die Vollversammlung hat etwas angenommen, sondern eine Mehrheit in der Vollversammlung. Es hat ja auch eine ganze Reihe Nein-Stimmen dazu gegeben, eine davon von der Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie nach den Konsequenzen fragen, die das f ü r die Vereinten Nationen hat, so würde ich zunächst einmal, jetzt noch sehr unter dem frischen Eindruck dieser Abstimmung, sagen, daß das, was wir in den vergangenen Wochen, Monaten, ja bis in die letzten Tage hinein als den Geist der Kooperation und der Zusammenarbeit gewürdigt und auch freudig begrüßt und unterstützt haben, durch diese Entscheidung sicherlich einen ernsten Rückschlag erlitten hat. Einen Rückschlag zurück in eine Konfrontation zwischen zwei Lagern, da besteht gar kein Zweifel darüber. 607
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen Frage: Mit überwältigender Mehrheit nahm die Vollversammlung der Vereinten Nationen an, die PLO zu allen Beratungen, Überlegungen und Konferenzen über den Nahen Osten einzuladen. Lediglich die Bundesrepublik, Großbritannien und die Niederlande stimmten mit Nein, die anderen sechs EG-Länder enthielten sich der Stimme. Damit hat seit langer Zeit zum ersten Mal Europa nicht mit einer Stimme gesprochen. Bedauern Sie dies? Antwort: Natürlich bedauere ich diesen Vorgang, ich muß allerdings gleich zwei Dinge hinzufügen: erstens, trotz dieser, wie es offenkundig ist, nicht einheitlichen Abstimmung gibt es insoweit doch eine gemeinsame Haltung der Neun in dieser eben von Ihnen angeschnittenen Frage, nämlich die Neun haben gemeinsam nicht für die angebotene Resolution gestimmt und haben ihr Stimmverhalten auch durch eine gemeinsame, durch den italienischen Präsidenten der EG vorgetragenen Erklärung begründet. Das heißt, es gibt eine gemeinsame Erklärung und insoweit ein gemeinsames Stimmverhalten, als wir nicht dafür gestimmt haben. Daß die Ablehnung zweierlei Formen angenommen hat, nämlich einmal durch drei, wie Sie richtig sagen, Großbritannien, Niederlande und uns mit Nein und die anderen Sechs mit einer Enthaltung, steht auf einem anderen Blatt, und ich bin sicher, daß mit mir auch Großbritannien und die Niederlande diese Entwicklung bedauern. Frage: Während des Wochenendes hatten Sie und Ihre europäischen Kollegen versucht, ein Kompromißpaket auszuarbeiten. Bei der Palästina-Resolution sollten sich alle Neun der EG der Stimme enthalten und dafür bei der Rassismusfrage geschlossen mit Nein stimmen. Allerdings scheiterte auch dieser Versuch an der starren Haltung Frankreichs nach vorliegenden Meldungen. Würden Sie diese Vorgänge auch für die europäische Einigungspolitik als belastend ansehen? Antwort: Sicher ist es kein Erfolg der europäischen Einigungsbemühungen, und wir selber hatten uns für ein solches Paket, will ich es einmal nennen, hier auch ausgesprochen im Kreise der Neun. In der Berichterstattung, die Ihnen offenbar vorliegt, ist da möglicherweise ein kleiner Irrtum unterlaufen. Das Paket entstand aus einer Enthaltung bei der eben von Ihnen zitierten PLO-Resolution und einer Nein-Stimme zu einer ebenfalls von den Arabern eingebrachten Resolution, die ich eben schon angesprochen hatte, die die Schaffung eines Ausschusses der Vereinten Nationen zur Prüfung der Palästinafrage zum Inhalt hatte. Bei der Rassismus- oder Zionismus-Resolution, das ist die, von der wir zu Anfang gesprochen haben — es gab im ganzen vier nämlich —, bei der Resolution, in der es heißt: Zionismus ist eine Form des Rassismus, haben alle neun Staaten geschlossen mit Nein gestimmt. Frage: In einer ersten Stellungnahme meinte Generalsekretär Waldheim, die Weltorganisation befinde sich wieder einmal in einer kritischen Lage ihrer Geschichte. Sehen Sie dies auch so? Antwort: Ja, ich würde das so sehen, wie es Herr Waldheim sieht, und ich möchte noch hinzufügen, daß eine kleine, aber wichtige Gruppe von Delegationen, dazu zähle ich auch die unsere, sicher die Auffassung teilt, die von anderer Seite gestern Abend geäußert worden ist, daß der 10. November ein schwarzer Tag in 608
28.3 Empörung über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik der Geschichte der Vereinten Nationen ist... Ich glaube, daß alle, die diesen Tag hier erlebt haben, eine Lehre daraus ziehen, daß der Völkerfamilie in den Vereinten Nationen mit Konfrontationen nicht gedient ist und daß sich, so hoffe ich jedenfalls, die Gemäßigten und die Vernünftigen auf beiden Seiten durchsetzen werden, so daß wir spätestens in der 31. Generalversammlung im kommenden Jahr ein solches Beispiel nicht noch einmal erleben müssen. Im Zweiten Deutschen Fernsehen erklärte der Botschafter zur Zionismus-Resolution am gleichen Tag: „Der 10. November 1975 wird für viele Delegationen, die hier in den Vereinten Nationen vertreten sind, als ein schwarzer Tag in die Geschichte der VN eingehen. Sicher ist, daß es ein Rückschritt von dem Geist der Kooperation war, der uns alle noch bis vor wenigen Tagen hier beseelt hat, ein Rückschritt in Richtung auf Konfrontation, wie wir sie im vergangenen Jahr leider erlebt haben. Nach den Abstimmungen des 10. Novembers ist die Versammlung, das Forum der Vereinten Nationen, wieder in zwei Lager gespalten. Die Entscheidung dieser Mehrheit, wie sie jetzt vorliegt, ist beklagenswert. Bedauernswert ist aber auch, daß die Mitgliederstaaten der Europäischen Gemeinschaft sich nicht in der Lage sahen, nicht fähig waren, zu einer gemeinsamen Haltung zu gelangen. Auch deswegen wird man sich den 10. November 1975 gut merken müssen." Das Zweite Deutsche Fernsehen übertrug aus New York am 11.11.1975 die folgende Erklärung des israelischen Außenministers Yigal Allon: Allon: Ein schwarzer Tag in der Geschichte der Vereinten Nationen. Die UNO wurde als eine internationale Organisation mit dem Ziel gegründet, für den Frieden und die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten zu arbeiten. Sie ist nun aber zu einem Platz geworden, wo kriegerische Reden geschwungen und haßerfüllte Resolutionen verabschiedet werden. Das steht im krassen Gegensatz zu den Zielen, die vor dreißig Jahren den UNO-Gründern vorschwebten. Frage: Befürchten Sie nicht, daß Ihr Land immer mehr in die Isolation gerät, und daß es für Ihre Regierung immer schwerer sein wird, in der Welt Sympathien und Unterstützung für Ihre Politik zu gewinnen? Antwort: Das sehe ich nicht so. Israels Außenpolitik findet immer mehr Verständnis. Wenn man aufmerksam die Abstimmungsliste der Vollversammlung durchgeht, stellt man fest, daß gegen die arabische Antizionismus-Entschließung alle Demokratien in der Welt gemeinsam mit Israel gestimmt haben. Ich glaube, daß sich alle parlamentarischen Demokratien zusammenschließen sollten, um die Vereinten Nationen von der Tyrannei einer unwissenden Mehrheit zu befreien. Diese Mehrheit benutzt die UNO und vor allem die Vollversammlung, um gegen den Geist der UNO-Charta ihre selbstsüchtigen Ziele durchzusetzen.
609
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen 28.3.1
Aus Rundfunk- und Fernsehkommentaren
Südwestfunk aus Brüssel am 11.11.1975: „... Export ist eine Lebensfrage für über 200 000 Arbeitnehmer und für die französischen Streitkräfte, denn sie müssen ihre Waffensysteme möglichst preiswert bekommen. Je größer also die Stückzahl, die von einer Waffe hergestellt wird, desto geringer wird der Preis pro Stück. Womit klar ist, daß hohe Rüstungsverkäufe etwa nach Nahost dazu dienen, für Frankreichs Streitkräfte die modernste Ausrüstung zu verbilligen, was im Ernstfall sogar ein Interesse aller Westeuropäer werden könnte. Das ist eine scheußliche und deprimierende Rechnung, der die Franzosen noch ihrem Weichmacher zufügen: Indem sie sich bei der Abstimmung über die Teilnahme der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in allen Nahost-Verhandlungen der Stimme enthielten, stimmten sie die Araber milde und ließen die EG-Front endgültig zerbröckeln. Auch andere Europäer enthielten sich daraufhin. Mit der gallischen Logik brach alsbald die europäische Zuverlässigkeit, falls davon jetzt noch jemand reden mag." Westdeutscher Rundfunk, 11.11.1975: Auch wenn allmählich manche Leidenschaften abklingen, bleibt nach der letzten Nacht in der UNO ein Scherbenhaufen zurück. Schaden erlitt die Idee einer Kooperation statt Konfrontation in diesem Forum der Welt. Am Widerstand Frankreichs scheiterte die Absicht der Europäer, auch hier mit einer einzigen Stimme zu sprechen. Paris gab andere Weisungen. Die Suche nach Frieden für den Nahen Osten, an der sich gemäßigte Araber längst beteiligen, wird erschwert... Vor allem aber wurde die Glaubwürdigkeit der UNO-Vollversammlung zum Schaden der ganzen Organisation ruiniert. Vielleicht war sogar, wie Botschafter Herzog aus Israel ausrief, die vergangene Nacht ein Wendepunkt im Schicksal der UNO." Bayerischer Rundfunk, 11.11.1975: „Zionismus und Rassismus auf einen Nenner zu bringen, in einem Atemzug zu nennen, das hat die Vereinten Nationen gespalten, nach den Worten ihres Generalsekretärs Kurt Waldheim in eine Krise gebracht. Die Spaltung war so klar und deutlich wie selten zuvor. Dritte Welt und Ostblock sprachen das Urteil. Das Abendland, die politische und Kulturgemeinschaft des Westens — mit gezählten Ausnahmen — blieb im Widerspruch als Minderheit auf der Strecke..." Deutschland-Funk, 11.11.1975: „... Israel ist eine Demokratie, doch im Grunde nur für die Juden in Israel. Wenn die UNO gestern Israel und den Zionismus der Benachteiligung oder der Diskriminierung der Palästinenser beschuldigt hätte, es wäre die traurige Wahrheit gewesen. Den Zionismus jedoch auf die gleiche Stufe zu stellen wie etwa den Nationalsozialismus, kann nur ein weiterer Beweis für die Unfähigkeit der Vereinten Nationen sein, vernünftige Beschlüsse zu fassen."
610
28.3 Empörung über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik Südwestfunk, 12.11.1975: „... Die UNO ist einmal entstanden, als eine Allianz gegen den Nazismus hitlerischer Prägung. Sie hat sich geschworen, nie mehr eine Rassenvernichtung zuzulassen, wie sie während des Dritten Reiches auf himmelschreiende Weise praktiziert worden war, u n d nun trägt die Mehrheit der UNO mit verleumderischer Arroganz mit dazu bei, den Samen eines neuen Rassismus ins Bewußtsein vieler Völker einzupflügen... Es gilt, was der amerikanische Botschafter voller Abscheu sagt, die Vollversammlung gewähre heute den Mördern von sechs Millionen europäischen Juden eine symbolische Amnestie..." Westdeutscher Rundfunk, 12.11.1975: „... Die Resolution kann Schule machen und einen nächsten Staat zum Austritt aus den Vereinten Nationen veranlassen. Wenn aber das Prinzip der Universalität erst einmal durchlöchert ist, wäre der Anfang vom Ende der UN erreicht..." Zweites Deutsches Fernsehen, 12.11.1975: „... Gerade dieser Gesellschaft hier Rassenfeindlichkeit vorzuwerfen, das ist f ü r viele Israelis ein Angriff gegen die jüdische Existenz überhaupt. Die Vereinten Nationen, die hier in den vergangenen Jahren ohnehin nicht mehr in sehr hohem Ansehen standen, haben mit dieser letzten Kampfabstimmung den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verspielt. Und selbst wer seit langem meint, daß der Nahostkonflikt ohnehin nicht in der UNO zu lösen ist, sondern allenfalls im Kräftespiel der Großmächte, der muß nun fürchten, daß sich die Fronten weiter verhärten..."
28.3.2
Aus deutschen
Zeitungen
Hans Habe in „Kölnische Rundschau", 15.11.1975: „Angesichts der bodenlosen Niedertracht der Antizionismus-Resolution in der UN-Vollversammlung ist es schwer, sachlich zu bleiben. Der Versuch muß unternommen werden. Die folgenden Punkte sind unberührt von allen Sympathien f ü r Israel: die totale Gleichschaltung der zum größten Teil rassistischen .Entwicklungsländer' mit dem Ostblock stellt die ohnedies zweifelhafte Entwicklungshilfe neuerlich in Frage. Da die UN-Resolution die vollkommene Abhängigkeit der Vereinten Nationen von Moskau bewiesen hat, hat auch die UN-Resolution von 1967, die Israel zur Abtretung der eroberten Gebiete aufforderte, ihre Berechtigung verloren. Mit der kriegerischen Resolution vom 11. November haben sich die UN als Friedensorganisation ad absurdum geführt. Nur ein dramatischer Schritt der westlichen Demokratien kann noch den ursprünglichen Zielen der Vereinten Nationen gerecht werden." Axel Springer in ,J)ie Welt, 15.11.1975: „Auf dem Boden Amerikas, dort also, wo Abraham Lincoln die Sklaverei abschaffte und seine Nachfolger in unserer Zeit die Gleichheit der Rassen mit Gesetzeskraft vollenden, dort, wo Hunderttausen611
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen de verfolgter Juden eine Zuflucht und ein Leben in Freiheit fanden, dort ereignete sich Entsetzliches: Im Hochhaus am East River beschloß eine Mehrheit der UNO-Vollversammlung, den Zionismus als Rassismus zu erklären und zu verurteilen. Wo immer in der Welt heute den Juden, ihrem Glauben oder ihrem Land das Lebensrecht bestritten wird, kann die Frage nach der Haltung der Deutschen nicht unerörtert bleiben. Die Delegation der Bundesrepublik Deutschland hat gegen die Resolution des Ungeistes gestimmt, die der amerikanische UNO-Chefdelegierte PatMoynihan einen .infamen Akt' nannte, der ,den Mördern von sechs Millionen europäischer Juden eine symbolische Amnestie* gewähre. Der deutsche UNO- Botschafter Rüdiger von Wechmar sprach von einem .schwarzen Tag der Vereinten Nationen'. Die Verdammung geht einhellig durch alle im Bundestag vertretenen Parteien. Der Bundeskanzler, der Außenminister und der Chef der Opposition haben keinen Zweifel daran gelassen, daß es in dieser Frage keine Uneinigkeit gibt. Ganz anders war die Reaktion aus Ost-Berlin. Schon am 9. November hatte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, im Rahmen einer Gedenkstunde für die Opfer der »Kristallnacht' des Jahres 19S8 ,mit Abscheu und Empörung' daraufhingewiesen, daß zu den Agitatoren, die sich in den Gremien der Vereinten Nationen mit besonderem Nachdruck für die RassismusResolution einsetzten, ,auch die DDR gehört'. Die Repräsentanten des anderen Deutschland, die, wie in Hitlers Tagen, in die Tschechoslowakei einmarschiert waren, die in Ost-Berlin arabische Terroristen ausbilden, die sich weigern, Juden in Israel oder anderswo Wiedergutmachung für nationalsozialistisches Unrecht zu leisten, haben nun auch vor den Augen der Welt auf offener Bühne in der schrecklichen Pantomime des neuen Antisemitismus ihre Hände erhoben. Ich spreche mit Absicht von den .Repräsentanten des anderen Deutschland'. Denn man weiß aus unzähligen Briefen und durch die Berichte vieler Besucher, daß unsere Landsleute im unfreien Teil unseres Vaterlandes mehrheitlich über die Juden und über Israel ebenso denken, wie es die überwältigende Mehrheit in der Bundesrepublik tut. Wenn man in tiefer Scham Deutsche, Diplomaten der ,DDR', als Antisemiten vor dem Forum der Vereinten Nationen agieren sieht, dann fragt man sich erneut, weshalb Bonn in der Euphorie der Ostpolitik dem SED-Staat den Weg in die UNO geebnet, ja geöffnet hat. Unter dem Titel ,Kann man sich den Weg in die UNO freischießen?' mahnte ich im August 1972 in der WELT, sich der Mitgliedschaft Ost-Berlins bei den Vereinten Nationen entgegenzustellen, und zwar ,im Namen der Menschenrechte, um die es geht. Oder geht es darum nicht mehr? Worum geht es dann? Die DDR hinein in die UNO — die Menschenrechte hinaus — das kann nicht der Auftrag des freien Teils unseres Vaterlandes sein.' Als es vor einem Jahr darum ging, den Führer der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation, Arafat, auf das Podium der Vereinten Nationen zu rufen, stimmten die Delegierten des ,SED'-Staates selbstverständlich dafür. Die 612
28.3 Empörung über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik Bundesrepublik enthielt sich damals der Stimme, wohl mit einem scheuen Seitenblick auf den großen Protektor des arabischen Terrorismus, die Sowjetunion." Fuldaer Zeitung, 10.11.1975: „...Der zionistische Staat soll verschwinden, diejenigen Juden, die bereits zur Zeit der Balfour-Deklaration von 1917 in Palästina wohnten, sollen dort als Bürger eines arabischen Staates bleiben dürfen. Hier spielen unhaltbare historische Vorstellungen mit hinein, die für die Juden mit Recht völlig unannehmbar sind. Wenn man die Sache auch dreht und wendet, der springende Punkt ist die Anerkennung der Existenz eines jüdischen Staates auf einem Boden, der von den Juden nie gänzlich verlassen wurde und bis zum Jahre 70 n. Ch. ihr Staat war. Ringt sich die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO, die seit den arabischen Gipfelkonferenzen von Algier und Rabat im vorigen Jahr und seit der islamischen Konferenz von Lahore als alleinige legitime Vertretung des palästinensischen Volkes gilt, zu dieser Anerkennung durch, so besteht die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Nahost-Konfliktes..." General-Anzeiger, Reutlingen, 11.11.1975: ...„Es hat in der letzten Zeit mitunter so ausgesehen, als sei der PLO-Chef Arafat willens, die entscheidende Wendung zu vollziehen, aber noch gilt das Zehn-Punkte-Programm vom Juni 1974, in dem ein Frieden mit Israel nicht vorgesehen ist. Die Kampforganisationen der Palästinenser, besonders natürlich die Extremisten, möchten den Preis einer politischen Lösung nicht zahlen, die lehnen es ab, Israel als einen Staat mit dem Recht, innerhalb gesicherter Grenzen zu leben, anzuerkennen. Solange hier nicht in positivem Sinne Klarheit geschaffen ist, worauf ein Staatsmann wie Sadat hofft, solange kann Israel der Frage, ob es die PLO als Gesprächspartner akzeptieren soll, überhaupt nicht nähertreten." Berliner Morgenpost, 12.11.1975: „Als nach dem Untergang des Naziregimes die Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurden, waren sie die Antwort einer heimgesuchten Welt auf die Schrecken des Krieges und auf die ruchlose Ermordung von sechs Millionen Juden durch eine entfesselte Kanaille. Nie mehr, so der Schwur der UN-Väter, sollten die Apokalyptischen Reiter des Rassismus auf die Menschheit losgelassen werden. Heute, drei Jahrzehnte danach, amnestiert eine moralisch verwahrloste Mehrheit der UN-Vollversammlung mit ihrer ZionismusResolution posthum die Untaten der Hitler, Himmler, Heydrich und Eichmann. Ein ungeheuerlicher Vorgang!..." Die Rheinpfalz, Ludwigshafen, 12.11.1975: ...„Seit dem Auftritt des PLO-Anführers Arafat vor der UNO-Vollversammlung wird in diesem Gremium mehr oder minder offen die Zerstörung Israels gepredigt. Die Konsequenzen sind noch gar nicht abzusehen. Die Perversion, die sich die UNO mit ihrem eigentlichen Gründungsauftrag der Wahrung des Völkerfriedens leistet, ist selbstmörderisch. Der Zionismus, entstanden aus der Abwehr gegen die grausamen Judenverfolgun615
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen gen, hat dem jüdischen Volk eine Heimstatt geschaffen. Der Anti-Zionismus will diese Heimstatt wieder zerstören. Der UNO droht Selbstzerstörung, wenn esjetzt lediglich bei Abscheu und Empörung über den Zionismus-Beschluß bleiben sollte." Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg, 12.11.1975: „...Washington hat mehrfach vor der Verabschiedung der Resolution gewarnt und Reaktionen angekündigt, falls die Vollversammlung sie bejahen sollte. Die Palette der Möglichkeiten ist groß: Vom langsamen Zudrehen des Geldhahns bis zum Auszug. Daß Reaktionen erfolgen werden, scheint nach der Stimmung im Kongreß sicher; jedoch sollten die USA vermeiden, den Fanatikern und Ideologen allein die Propagandatribüne der Vollversammlung zu überlassen. In Kooperation mit der—durch Frankreichs Ausscheren bei der Abstimmung allerdings abgeschwächten — EG sowie allen Staaten, die gegen die Resolution gestimmt haben, gilt es jetzt, durch gezielten Gegendruck dieses schizophrene Papier vom Tisch zu schaffen. Auch um den UN den Rest an Ansehen zu erhalten, den sie nach diesem Beschluß bitter benötigen." Leverkusener Anzeiger, 12.11.1975: „...In Jerusalem gilt der Triumph der IsraelGegner in den UN als der schwerste Schlag seit 1939, als sich das Judentum ebenso verfolgt fühlte: einerseits vom deutschen Nationalsozialismus, andererseits von Großbritannien. Ein Londoner Weißbuch hatte die Einwanderung nach Palästina stark eingeschränkt, um die Araber zu beschwichtigen, und dadurch mit verursacht, daß die europäischen Juden der Vernichtung ausgeliefert wurden." Frankfurter Allgemeine, 12.11.1975: „...Mit dem Rassismusvorwurf an den Zionismus ist der Aufgabe, im Nahen Osten Frieden zu schaffen, kein Dienst geleistet worden. .Zionismus' ist als ein politisches Problem — mit einer Vorderseite, der israelischen Staatsgründung, und einer Rückseite, den Kosten f ü r die arabische Bevölkerung Palästinas — mit Rassismus nicht zu beschreiben. So brachte die UNMehrheit n u r Schmähung zustande, eine Deklaration des Hasses — und eine Spaltung d e r Vollversammlung. In den westlichen Staaten wird die Öffentlichkeit mehr und mehr gegen die weitere Mitarbeit in dieser Versammlung eingenommen." Frankfurter Rundschau, 12.11.1975: „...Dennoch war der Sieg der militanten UNMitglieder unvermeidlich. Seit der UN-Sozialausschuß im Oktober mit großer Mehrheit den Resolutionsentwurf an die Generalversammlung weitergab, hatten vor allem arabische Delegierte eifrig Stimmen in den Reihen der Kollegen aus der Dritten Welt gesammelt. Informierte Kreise wollen sogar wissen, daß Stimmen gekauft wurden. ,An welchen Türen wir auch immer anklopfen, wir mußten stets feststellen, daß die Araber zuvor dagewesen waren. Uns wurde gesagt, daß sie eine höhere Summe angeboten hätten, und was wir dagegen bieten würden', soll ein europäischer Botschafter berichtet haben." 614
28.3 Empörung über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik
Frankfurter Rundschau, 12.11.1975: „Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat mit der Annahme der Antizionismus-Resolution der eigenen Organisation schweren Schaden zugefügt. Jene arabischen Staaten, die diesen Entwurf zur Abstimmung vorgelegt haben, wissen sehr gut, daß es unredliche Heuchelei ist, Zionismus und Rassismus gleichzusetzen. Würde man dieser seltsamen und gefährlichen Logik folgen, so ließen sich durchaus auch Resolutionen vorstellen, die ihrerseits gegen jene diskriminierenden Konsequenzen aufbegehren, welche die Beachtung orthodoxer islamischer Vorschriften in einigen arabischen Staaten haben..." Neue Rhein-Zeitung, Düsseldorf, 12.11.1975: „Die vom arabischen Haß diktierte und jetzt von der Mehrheit der Vereinten Nationen angenommene Resolution, die den Zionismus als eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung verteufelt, zielt offensichtlich auf das Lebensrecht Israels. Aber mögen so auch die Friedensbemühungen in Nahost erneut einen Rückschlag erfahren, getroffen wird durch diesen infamen Anschlag letztlich nicht der jüdische Staat und nicht das Judentum, sondern nur die Vereinten Nationen selbst. Die Weltorganisation hat hier einen moralischen Schaden erlitten, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind..." Tageblatt, Heidelbergs lebendige Zeitung, 12.11.1975: „...Die Erwartung, daß schwarz-afrikanische Länder gemeinsam mit der Europäischen Gemeinschaft und Amerika die Resolution verhindern könnten, war trügerisch. Daß auch Ägypten zu den Initiatoren der Entschließung gehört, zeigt an, wie unsicher und schwach nach dem Abschluß des Sinai-Vertrages Präsident Sadats Position im arabischen Lager geworden zu sein scheint. Es ist schizophren, Israel als Realität anzuerkennen, wozu Sadat sich bekanntlich entschlossen hat, und gleichzeitig den Zionismus — also die Basis des Staates Israel — zu verurteilen." Stuttgarter Zeitung, 12.11.1975: „...Die freien europäischen Staaten haben zusammen mit den USA eine klare Front gebildet, der sich nach einigem Zögern auch Frankreich angeschlossen hat. Daß die DDR und die Bundesrepublik — samt Österreich - auf zwei verschiedenen Seiten dieser moralischen Weltgrenze stehen, gehört zu den tragischen Aspekten der Gegenwart. Die erste .Kristallnacht' —fast auf den Tag genau siebenunddreißig J a h r e vor dem UN-Beschluß—hatte ja bis auf eine kleine Minderheit alle Deutschsprachigen noch in trautem Verein der zumindest achselzuckend Zuschauenden gesehen, von der Maas bis an die Memel, von München bis Dresden, von Wien bis Reichenberg. Noch splittern die Fensterscheiben im Glashaus am East River nicht. Aber es ist mehr gefährdet als Fensterglas."
615
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen
28.4
So sehen es im Ostblock Presse und Rundfunk
Aus Moskau und Ost-Berlin nur wenige bezeichnende Stimmen: Aus einem Artikel der „ISWESTIJA", der über TASS in englischer Sprache verbreitet wurde am 12.11.1975: „...Die Wege, die zum Ziele führen, das heißt zu einer friedlichen Regelung in Nahost, sind Gegenstand des Appells der Sowjetregierung an die US-Regierung im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Genfer-NahostKonferenz. Um den Nahost-Konflikt zu bereinigen, müssen radikale Maßnahmen durchgeführt werden: Völliger Abzug aller israelischen Truppen aus den besetzten arabischen Gebieten und Zuerkennung der Rechte des palästinensisch-arabischen Volkes, einschließlich des Rechts, einen eigenen Staat zu bilden..." Und die „PRAWDA" am 13.11.1975: „...Die notwendigen Voraussetzungen für den Frieden in diesem Gebiet sind der vollständige Rückzug der israelischen Truppen von allen 1967 besetzten arabischen Gebieten und die Wiederherstellung der legitimen nationalen Rechte des arabischen Volkes von Palästina bis hin zu seiner Eigenstaatlichkeit. Nur die Lösung dieser Kernprobleme wird wirklich zuverlässig die Sicherheit und Entwicklung aller Staaten in diesem Gebiet — einschließlich Israels gewährleisten..." Radio MOSKAU in deutsch, 12.11.1975: „...In UNO-Kreisen wird die Resolution der Vollversammlung, die den Zionismus mit Entschiedenheit verurteilte, als ein Beweis für das Fiasko der Versuche der Zionisten und ihrer Gönner bewertet, die Annahme eines wichtigen Dokuments auf dem Weltforum zu torpedieren, des Dokuments, in dem der Zionismus als rassenhetzerische Ideologie entlarvt wird, die auf die Unterdrückung der Menschenrechte gerichtet ist. Die Resolution der Vollversammlung bringt den Willen der Völker zum Ausdruck. Sich gegen diese Resolution zu wenden, bedeutet objektiv als Gegner der Festigung der internationalen Sicherheit und der Entspannung aufzutreten." Die amtliche Nachrichten-Agentur aus Ost-Berlin ADN von ihrem Korrespondenten in New York, 11.11.1975: „Wie vor einem Jahr, als die UNO-Vollversammlung die PLO als den einzigen legitimen Repräsentanten des arabischen Volkes von Palästina anerkannte, hat die Propagandamaschine der imperialistischen Staaten wiederum eine geifernde Hetzkampagne gegen eine Mehrheitsentscheidung in den Vereinten Nationen in Gang gesetzt. Als Vorwand für den neuen Wutausbruch über das veränderte Kräfteverhältnis in der Weltorganisation dient diesmal die von der Vollversammlung angenommene Resolution, die den Zionismus verurteilt. Wie vor einem Jahr spricht man von einem .infamen Akt', wie der USA-Botschafter Moynihan, von einem .gefährlichen Weg', den BRD-Botschafter von 616
28.4 So sehen es im Ostblock Presse und Rundfunk Wechmar zu sehen glaubt, von einem Untergang der Vereinten Nationen - Worte des israelischen Botschafters Herzog — den vor zwölf Monaten sein Vorgänger schon prophezeite. Man zieht dabei alle Register der imperialistischen Verleumdungsorgel und bezichtigt jene Staaten, die den Zionismus ebenso wie jede andere Ideologie des .Auserkorenseins', des Chauvinismus und des Nationalismus verurteilen, gar des Antisemitismus. Der Vorwurf des Antisemitismus gegen jene, die den Zionismus anprangern, ist schon deshalb haltlos, weil selbst eine Vielzahl Menschen jüdischen Glaubens diese chauvinistische Ideologie ablehnt. Man braucht nur an Professor Albert Einstein zu erinnern, der sich vom Zionismus ebenso distanzierte wie er den Antisemitismus der Nazis verdammte, und es wurde auch in der UNO-Debatte wiederholt unterstrichen, daß der Kampf gegen den Zionismus mit Antisemitismus zu tun hat. Denjenigen, die jetzt so wortgewaltig für den Zionismus in die Bresche springen und die UNO verunglimpfen, geht es in Wirklichkeit aber auch gar nicht darum, vor Antisemitismus zu warnen. Ihr Anliegen ist vielmehr, den Aggressor Israel zu verteidigen, der den aggressiv-chauvinistischen Zionismus zur Staatsdoktrin erhoben hat. BRD-Bundesaußenminister Genscher hat es sehr klar ausgesprochen, als er feststellte, mit ihrer Entscheidung gegen die Zionismus-Resolution der UN-Vollversammlung würden sich die westeuropäischen Staaten .eindeutig an die Seite Israels stellen'. Nicht Sorge um Antisemitismus diktierte die Gegenstimmen der USA, der Bundesrepublik und der anderen imperialistischen Staaten und diktiert ihre Verleumdungskampagne gegen die Weltorganisation, sondern die Absicht zu verhindern, daß die Vereinten Nationen nach den aggressiven Taten Israels auch seine aggressive Staatsdoktrin als Ursache für Kriege und Leiden im Nahen Osten verurteilen. Da es ihnen aber trotz Verfahrenstricks und ultimativer Drohungen nicht gelang, schäumen nun die Beschützer des Aggressors Israel." Die „Stimme der DDR" (Rundfunksendung) in ihrem Tageskommentar vom 11.11.1975: „...Wenn der amerikanische UNO-Delegierte davon spricht, die UNO-Resolution gegen den Zionismus sei eine internationale Sanktionierung des Antisemitismus, so ist das eine infame Verdrehung. Nebenbei gesagt, könnten sich da einige ägyptische Zeitungen ruhig über diese neuernannten und frischgebackenen amerikanischen Freunde der arabischen Völker Gedanken machen, die bei allen Abstimmungen in der UNO für die Zionisten gestimmt haben. Antizionismus ist nicht Antisemitismus. Wenn ich die amerikanische Aggression gegen das vietnamesische Volk abgelehnt und bekämpft habe, so bin ich nicht antiamerikanisch. Wenn ich die Rassendikriminierungen in den USA verurteile, bin ich auch nicht antiamerikanisch. Die Millionen, die gegen den //¿iferfaschismus gekämpft haben, darunter die deutschen Antifaschisten, waren auch nicht antideutsch. Und wer die Aggressionspolitik der israelischen Machthaber ein imperialistisches Verbrechen nennt, ist nicht Antisemit, sondern ein Verfechter der Gerechtigkeit. Es geht nicht um den Staat Israel, es geht nicht um die Juden, aber es geht um die 617
28 Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen Gewaltpolitik der israelischen Regierung. Israel hat ein Recht auf staatliche Existenz, es hat aber kein Recht auf Aggression. Es hat überhaupt keine Sonderrechte." NEUES DEUTSCHLAND, 13.11.1975: Die Entschließung der UNO, in der sich erneut das veränderte Kräfteverhältnis in der Weltorganisation widerspiegelt, trägt einem Tatbestand Rechnung, der seit Jahr und Tag offenkundig ist. Der Zionismus ist in seinem Charakter und seinem Anspruch auf das .Auserkorensein' eine Ideologie, die prinzipiell ein Volk über andere stellt und damit dessen Herrschaftspolitik legitimieren soll... Seinem Wesen nach ist er reaktionär und aggressiv — nach außen und nach innen..." Im Zentralorgan der CDU, NEUE ZEITUNG, Ost-Berlin, 13.11.1975: „Die maßlos beleidigenden Worte des israelischen UNO-Sprechers aufgreifend, versucht die imperialistische Presse damit zu unterstellen, die Resolution gegen den Zionismus sei gegen die Existenz des Staates Israel gerichtet, und bezichtigt die Staaten, die der Resolution zustimmen, des Antisemitismus. Nicht zuletzt die arabischen Länder haben seit langem deutlich gemacht, welche Infamie dazu gehört, ihnen Antisemitismus anzulasten, denn schließlich sind Araber auch Semiten..." BERLINER RUNDFUNK, 13.11.1975: Daß es auch eine andere israelische Politik geben kann, beweisen die israelischen Kommunisten, die mutig wie einst Karl Liebknecht gegen den chauvinistischen Strom schwimmen und in der Kommunistischen Partei Israels beweisen, daß Juden und Araber sehr wohl brüderlich vereint, gemeinsam für gemeinsame Anliegen kämpfen können..."
28.5 Ansprachen bei Gedenkfeiern zur Reichskristallnacht 28.5.1
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz: „ Wenn wir Partei nehmen für die Toleranz, so nehmen wir Partei für den Menschen"
Bei einer Feierstunde mit einer Kranzniederlassung an der Gedenkstätte im Jüdischen Gemeindehaus zu Berlin im Gedenken an die Zerstörung der Synagogen Deutschlands und die damit verbundenen Pogrome am 9. November 1938 hielt der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, die folgende Ansprache: „Wir gedenken, wie in jedem Jahr, jener Ereignisse, die als Kristallnacht in die Geschichte eingegangen sind und die nicht das erste, aber doch das sichtbarste Zeichen f ü r den Beginn einer katastrophalen Entwicklung setzten. Wir ehren die jüdischen Mitbürger, die in Berlin, die in ganz Deutschland und schließlich in vie618
28.5 Ansprachen bei Gedenkfeiern zur Reichskristallnacht len Ländern dieser Welt der nationalsozialistischen Barbarei zum Opfer gefallen sind. Dies ist für uns alle trotz der alljährlichen Wiederholung kein Routinevorgang. Wäre es das, so hätte sich die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit nicht gelohnt. Das Gedenken heute im Jüdischen Gemeindehaus zu Berlin, ebenso wie das Gedenken der Opfer an anderer Stelle und an anderen Tagen, ist Teil unserer politischen Gegenwart, die weder in ihren äußeren Zeichen noch in ihrer inneren Substanz verständlich werden kann ohne die Vergangenheit. Wir müssen dies auch denen sagen, die 1938 noch nicht auf der Welt waren oder in einem Alter, in dem sie nicht verstehen konnten, was geschah. Das hat nichts zu tun mit Weitergabe von Schuld. Es hat aber zu tun mit dem Annehmen der Vergangenheit, aus der man nicht einfach aussteigen kann. Und es hat zu tun mit dem Begreifen dessen, was uns für die Zukunft Verpflichtung ist. Nach allem, was geschehen ist, mutet es fast wie ein Wunder an, daß dieses Land in einem Zustand ist, auf den damals kaum jemand zu hoffen wagte. Wir leben in Frieden, nach außen und nach innen, wir haben eine offene, tolerante Gesellschaft, wir haben materielle Sicherheit, ja Wohlstand, und wir genießen überall Ansehen und vielerorts sogar Freundschaft. Das ist alles nicht unbedroht, und die stärkste Bedrohung liegt in uns selbst. Es kommt darauf an, wie wir bereit und in der Lage sind, Belastungen zu ertragen und zu überwinden. Niemand soll in selbstgerechter Weise nach draußen sehen. Ein Blick in die Vergangenheit rückt die Maßstäbe zurecht, und er macht zugleich deutlich, was möglich ist und doch nicht geschehen, nicht wieder geschehen darf. So helfen uns Gedenktage wie dieser auch, uns vor allzu großer Selbstsicherheit zu hüten. Unser Blick nach draußen soll von Trauer und Zorn und Solidarität begleitet sein. Noch immer wird im Namen von Ideologie oder Religion verfolgt, diskriminiert, getötet. Wir haben wenig Grund, eine solche Feststellung in Selbstgerechtigkeit zu treffen. Mitten unter uns wurde vor einem Jahr Günter von Drenkmann ermordet, der Präsident unseres Kammergerichts, ein vorbildlicher Demokrat. Heute wäre er 65 Jahre alt geworden. Wir vergessen Günter von Drenkmann nicht, und wir vergessen seinen Tod nicht. Noch immer ist nicht selbstverständlich, was doch selbstverständlich sein sollte, daß nämlich die Menschen Brüder sind. Wenn wir Partei nehmen für die Toleranz, so nehmen wir Partei für den Menschen. An diesem Tag des Gedenkens der jüdischen Opfer der Verfolgung sagen wir es unseren jüdischen Mitbürgern hier in Berlin und anderswo, daß wir uns mit ihnen verbunden wissen. Wir respektieren und unterstützen ihren Wunsch, überall in der Welt ohne Verfolgung zu leben und ihren Staat zu haben in Israel. Wir hoffen mit ihnen, daß im Nahen Osten die Vernunft sich durchsetzt und damit auch der Frieden.
619
28 Die Zionismtis-Resolution der Vereinten Nationen Der persönliche Beitrag eines jeden Bürgers zur Lösung weltweiter Fragen kann und muß zuerst darin bestehen, daß er sich Rechenschaft ablegt über sein Zusammenleben mit dem Mitbürger anderen Glaubens und anderer Nationalität. Es gibt keine dauerhaften großen Lösungen ohne die sichere Basis dessen, daß jeder seine eigene Verantwortung erklärt. Dies soll Teil dessen sein, woran wir heute denken."
28.5.2
Der Vorsitzende derJüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, erklärte in der gleichen Feierstunde in seiner Ansprache: „Wenn wir an einem Gedenktag wie diesem unsere Sorge wegen bestimmter politischer Entwicklungen zum Ausdruck bringen, so bezieht sich dies nicht allein auf Vorgänge in der Bundesrepublik. Was sich im Rahmen der Vereinten Nationen 30 Jahre nach der Gründung dieser Organisation ereignet, die der Sicherheit und dem Frieden der Welt dienen sollte und aus dem weltumspannenden Bündnis gegen das nationalsozialistische Deutschland, das faschistische Italien und das militaristische Japan hervorgegangen ist, berechtigt zu der Feststellung, daß die UN die ursprünglichen Grundlagen ihres Wirkens verlassen hat. Daß mittlerweile die Vereinten Nationen zu einem Forum geworden sind, vor dem Haßgefühle geäußert werden können, vor dem der Zionismus, d. h. die nationale Befreiungsbewegung mit den ältesten historischen Wurzeln, als rassistisch diffamiert und sogar mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe gestellt wird, kennzeichnet den fortschreitenden moralischen Niedergang dieser Organisation; denn niemand möge sich darüber hinwegtäuschen, daß eine Resolution, wie sie gegen den Zionismus, gegen Israel und damit letztlich gegen die gesamte jüdische Gemeinschaft kürzlich vom UN-Ausschuß für Menschenrechtsfragen verabschiedet wurde, als ein Appell zu neuem Haß dienen kann. Mit Recht wird in einer Gegenresolution des Senats der Vereinigten Staaten ausgeführt, daß die Entschließung des UN-Ausschusses für Menschenrechtsfragen eine Bedrohung für die Verwirklichung der Menschenrechte und die Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Völkern darstellt. Senator Hubert Humphrey erklärte treffend dazu: „Israel ist kein rassistischer Staat. Wer den Zionismus verurteilt, verurteilt das philosophische Fundament des modernenjüdischen Denkens." Anläßlich des Jahrestages der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann und der Kristallnacht von 1938 hielt der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, eine Rundfunkansprache unter dem Motto „Wo uns der Schuh drückt". Er forderte darin alle Demokraten auf, gegen kriminelle Gewaltakte und Terror jeder Art zusammenzustehen. Er stellte einen Zusammenhang zwischen der Ermordung von Drenkmanns und der Kristall620
28.5 Ansprachen bei Gedenkfeiern zur Reichskristallnacht
nacht mit den Worten her, der Kammergerichtspräsident sei Opfer eines Terrorismus geworden, „den wir in Deutschland bis zur bitteren Neige haben auskosten müssen und dessen unmenschliche, ja antimenschliche Gestalt sich noch allemal das Deckmäntelchen des Politischen umzuhängen verstand".
621
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten 29.1 Yigal Allon besucht erneut die Bundeshauptstadt Am 23. Juni 1976 traf Yigal Allon zu einem erneuten Besuch in der Bundesrepublik Deutschland ein. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher ging auf das Kernproblem seines Besuches, auf die wirtschaftlichen Fragen ein, die Allon bereits vor seiner Ankunft in Bonn mit dem Vorsitzenden der Bank für Gemeinwirtschaft, Dr. Walter Hesselbach, in Frankfurt besprochen hatte. Genschers warmherzige Ansprache begann mit den Worten: „Sehr geehrter Herr Kollege, lieber Freund Yigall" Später meinte ein Gast dieses Abends zu mir: „Sie verstehen sich wirklich gut!" Die Rede Genschers hatte folgenden Wordaut: „Sehr geehrter Herr Kollege und lieber Freund Yigal, sehr geehrte Gäste aus Israel, meine Damen und Herren, mit aufrichtiger Freude darf ich Sie, lieber Herr Kollege, und die Herren Ihrer Begleitung wieder hier in Bonn willkommen heißen. Wenn ich .wieder' sage, so denke ich an Ihren ersten Besuch im Februar vergangenen Jahres und an Ihre zwei weiteren Aufenthalte hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Zusammen mit dem stark beachteten Besuch von Premierminister Rabin vor nicht ganz einem Jahr und den für mich unvergeßlichen Tagen, die ich im November in Ihrem Lande verbringen durfte, gibt dies ein Bild der engen, vielfältigen und intensiven Beziehungen zwischen unseren beiden Regierungen. Ich weiß sehr wohl, daß dies keine Selbstverständlichkeit ist. Entscheidend scheint mir, daß wir gemeinsam den Weg in die bessere Zukunft angetreten haben, ohne dabei je zu vergessen, welche Leiden am Anfang dieses Weges ihre Schatten warfen. Wenn sich heutzutage zwei Außenminister treffen, dann kann es nicht bei der Diskussion bilateraler Themen — wie wichtig sie auch sein mögen — bleiben. Zu drängend sind die Fragen, die sich uns heute weltweit stellen. In besonderem Maße gilt dies bei allen Gesprächen mit Vertretern der Staaten des Nahen Ostens, deren Probleme in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas liegen. Viel zu viel Zeit ist schon vergangen, ohne daß dieser uns alle direkt berührende und belastende Konflikt gelöst oder zumindest einer Lösung nähergebracht wurde. Diese Besorgnis hat sich noch durch die von uns mit größter Anteilnahme verfolgte Libanonkrise verstärkt. Ich glaube, alle verantwortungsvollen Politiker der Welt sind sich der Dringlichkeit einer dauerhaften und gerechten Friedensregelung im Nahen Osten bewußt. 622
29.1 Erneuter Besuch von Yigal Alton in der Bundeshauptstadt
Es muß darum gehen, im Bewußtsein dieser Dringlichkeit — denn vergessen wir nicht: Stagnation bedeutet wachsende Konfliktgefahr— auf beiden Seiten Zugeständnisse zu machen, damit eine allseitig annehmbare Regelung gefunden werden kann. Die internationale Gemeinschaft kann dazu beitragen, daß Mißtrauen und Feindschaft abgetragen werden und stattdessen Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit sich zu den tragenden Gefühlen entwickeln. Es verschafft mir eine besondere Genugtuung, daß es gerade hier in der Bundesrepublik Deutschland war, wo maßgebliche arabische Staatsmänner zu erkennen gaben, daß sie die Existenz Israels nicht mehr in Frage stellen wollten. Insofern scheint doch eine wichtige Entwicklung in die Wege geleitet zu sein, die es Israel erleichtern sollte, die Schritte zu tun, die von seiner Seite für eine Friedensregelung erforderlich sind. Die Bundesregierung hat dazu ihre Auffassung ebenso oft dargelegt, wie zu der notwendigen Anerkennung des Existenzrechts Israels. Es kommt nun darauf an, Zeichen des guten Willens zu setzen und zielstrebig eine umfassende Friedensregelung anzusteuern. Die Bundesregierung stellt ihre ausgewogene Nahostpolitik, die beileibe keine Haltung des Allen-Recht-Machen-Wollens ist, in den Dienst aller Beteiligten. Sie wird nicht in ihrem Bemühen nachlassen, ihren Beitrag zum Frieden zu leisten. Dies gilt auch für ihr Stimmverhalten in den Vereinten Nationen. Unsere Gespräche werden morgen besonders im Zeichen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen stehen. Ich freue mich, daß es uns gelungen ist, ein halbes Jahr nach unserem Beschluß eine Deutsch-Israelische Regierungskommission für Wirtschaftsfragen ins Leben zu rufen, die erste Sitzung hier in Bonn am morgigen Tag zu eröffnen. Ich will unseren Gesprächen morgen Vormittag nicht vorgreifen. Ich hoffe jedoch, daß wir ungeachtet aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen wir uns gegenübersehen und die für Ihr Land besonders gravierend sind, doch feststellen können, daß sich der Handelsaustausch und die Investitionsbereitschaft der deutschen Wirtschaft günstig entwickeln. Mit besonderer Freude werde ich morgen meine Unterschrift unter den deutsch-israelischen Investitionsförderungsvertrag setzen, weil mir dieser Vertrag den Weg aufzuzeigen scheint, auf dem wir am besten vorankommen werden: indem wir, die Regierungen, der Privatinitiative die bestmöglichen Voraussetzungen schaffen! Zu dem engen Geflecht unserer Beziehungen gehören aber neben der Wirtschaft auch die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, deren Intensität beispielhaft ist, der nunmehr in beiden Richtungen sich erfreulich entwickelnde Kulturaustausch und der deutsch-israelische Jugendaustausch, der uns die Gewähr dafür gibt, daß die Zukunft unserer Beziehungen auf einem tragenden Fundament ruht. In diesem Bewußtsein lassen Sie mich mein Glas erheben und alle Anwesenden bitten, mit mir auf Ihr persönliches Wohlergehen, auf das Wohl des israelischen Volkes, auf unsere Freundschaft und auf den Frieden in der Welt zu trinken." 623
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten Mit der gleichen Herzlichkeit antwortete Yigal Allan seinem deutschen Kollegen: „Sehr geehrter Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers und Außenminister, lieber Hans-Dietrich Genscher, sehr verehrte Frau Bundestagspräsidentin, meine Damen und Herren, ich bin dieses Mal zu einem kurzen Arbeitsbesuch gekommen und befinde mich noch keine zehn Stunden in der Bundesrepublik. Dennoch haben mir diese wenigen Stunden erneut Ihre Herzlichkeit und Gastfreundschaft bewiesen. Ich bin davon überzeugt, daß diese Haltung nicht nur auf die zwischen uns bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zurückzuführen ist, sondern daß sie auch die fortschreitende Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Israel widerspiegelt. Im eigenen Namen und im Namen meiner Kollegen danke ich Ihnen hierfür und spreche Ihnen gleichzeitig meine Anerkennung für die offenen und freundlichen Worte aus, die Sie soeben gesprochen haben. In unserem alltäglichen Arbeitsbereich befassen wir uns mit den auswärtigen Beziehungen unserer jeweiligen Länder. Wenn Sie und Ihre verehrten Gäste es mir gestatten, möchte ich jedoch einige Sätze einem grundlegenden Thema widmen, das über unseren laufenden Überlegungen liegt und diese leiten sollte. Dabei werde ich mich nicht mit der Jahrtausende alten jüdischen Geschichte befassen. Sie ist den hier Anwesenden bekannt, samt ihren Errungenschaften und großen Leiden. In dieser Geschichte nimmt Europa einen vorrangigen Platz ein. Generationen über Generationen, viele Jahrhunderte lang, war das Leben des jüdischen Volkes in der Diaspora mit dem Leben Europas verflochten. Hier erreichten Angehörige des jüdischen Volkes Höhepunkte des Schaffens, die einen integralen Bestandteil der europäischen Zivilisation und Kultur darstellten. Hier war es aber auch, wo sie die schlimmsten Verfolgungen erlitten, die je ein Volk getroffen haben. In Europa traf sie das schrecklichste Unheil — das Unheil, das das //¿ifer-Regime über uns brachte. Aber ohne die Vergangenheit aus unserem Bewußtsein auslöschen zu wollen, ist es unser Wunsch, die vor uns liegende Zukunft so aufzubauen, daß Tragödien wie die, die hinter uns liegen, vermieden werden können. Die Bewegung f ü r die nationale und gesellschaftliche Befreiung des jüdischen Volkes — die zionistische Bewegung — verkörpert diesen Wunsch, genauso wie sie die ewigen Werte verkörpert, die unser Volk geschaffen hat. Sie stellt das Beste am Judentum in seiner modernen Verwirklichung dar. Dies ist der Zionismus — und dies ist seine Wahrheit. Keine bösartige Verfälschung und keine niederträchtige Lüge können an dieser Wahrheit etwas ändern, selbst wenn das Gegenteil dreimal wöchentlich auf relevanten und irrelevanten Sitzungen beschlossen wird, einschließlich der Institution, die sich die Vereinten Nationen nennt. Ich bin überzeugt, daß auch die Bürger der Bundesrepublik diese These teilen, daß, ohne die Vergangenheit aus dem Gedächtnis verdrängen zu wollen, sie auf eine Sicherung ihrer Zukunft hinarbeiten. Und wer in der Tat in einem völlig demokratischen Leben die wirksamste Garantie f ü r die Zukunft und den Frieden der Welt sieht, der kann nur mit Hochachtung den Prozeß der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland verfolgen. 624
29.1 Erneuter Besuch von Yigal Allon in der Bundeshauptstadt Lieber Freund und Kollege Genscher, verehrte Gäste, in den israelisch-arabischen Beziehungen sind Ansätze von Vereinbarungen und Frieden sowie von Feindseligkeiten und Krieg miteinander verquickt. Auch die extremen Kräfte im arabischen Lager heben die letzteren Ansätze bedauerlicherweise in den Vordergrund, dennoch sollten wir auch die Ersteren nicht geringschätzen. Man darf mit Genugtuung auf die Tatsache hinweisen, daß die zwei zwischen Israel und Ägypten unterzeichneten Abkommen sowie das Abkommen zwischen uns und Syrien trotz einiger Verletzungen im wesentlichen eingehalten worden sind und fortbestehen. Darüber hinaus ist das im vergangenen Sommer unterzeichnete Interimsabkommen von nicht unbeträchtlicher politischer Bedeutung. Seinem Charakter nach könnte es — wie ich hoffe — einen Wegweiser in Richtung auf den ersehnten Frieden darstellen. Israel'wird alles tun, was in seiner Macht steht, um dieses zu erreichen. Für Israel—wie auch f ü r seine Nachbarn — gibt es theoretisch drei Optionen: — Stillstand — was gleichbedeutend mit einer Fortsetzung der Feindseligkeiten und des Krieges wäre; — Verhandlungen über einen Friedensvertrag, einschließlich voller Normalisierung der Beziehungen; oder — Verhandlungen über ein weitreichendes politisches Abkommen, basierend auf der Beendigung des Kriegszustandes, eine Vereinbarung, die die Schwelle zu einem Frieden darstellen würde. Israel weist die erste theoretische Option, die des Stillstands, voll und ganz zurück. Wir sind f ü r einen ständigen Fortschritt zur Erreichung einer Regelung und des Friedens. Israel gibt der zweiten Option den Vorzug — sofortige Verhandlungen über einen Friedensvertrag. Wenn aber die Vorbedingungen hierf ü r noch nicht gegeben sein sollten, sind wir auch bereit, eine weitgehende politische Vereinbarung zu treffen, die den Schrecken vor einem neuen Krieg und die Feindseligkeit aus den Beziehungen zu unseren Nachbarn beseitigt. Hierzu sind wir bereit und hoffen, daß unsere ausgestreckte Hand endlich von unseren Nachbarn ergriffen wird. Ich bin mir selbstverständlich dessen bewußt, daß Zyniker behaupten werden, daß ein Abkommen ein wertloses Papier ist. Aufgabe konstruktiver Politiker ist esjedoch, ein solches Papier in eine Friedensurkunde - also ein Dokument ohne Inhalt - in ein inhaltsvolles Dokument zu verwandeln. Wiederholt wurde ich bei Gesprächen mit Politikern aus Westeuropa gefragt, ob und was die Staaten Europas zu einer Verstärkung der Friedensbemühungen zwischen Israel und den arabischen Ländern beitragen könnten. Mehr als einmal sprachen auch wir darüber, lieber Freund Genscher. Meine Antwort darauf ist, daß Europa hierbei eine wichtige Rolle übernehmen kann. Dies jedoch unter der klaren und ausdrücklichen Bedingung, die f ü r jeden, der wirkungsvoll zu einer Herbeiführung des Friedens im Nahen Osten beitragen will, gilt. Eine grundsätzliche, einfache und offenbar auch selbstverständliche Bedingung: Wer eine solche positive Rolle übernehmen möchte, muß voll und ganz davon Abstand neh625
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten men, zu dem Inhalt des Abkommens eine vorzeitige Stellung zu beziehen. Die Vereinbarung, die zu einer Beilegung des Konflikts führen wird, kann auf einem einzigen Wege erreicht werden, nämlich dem der freien Verhandlung zwischen den betroffenen Parteien, und zwar ohne Vorbedingungen. So - und nur so - bestehen Aussichten auf eine echte Lösung des arabisch-israelischen Konflikts. Das Beziehen vorzeitiger Stellungen seitens Dritter hingegen ist für diese Aussichten nicht nur wenig hilfreich, sondern wirkt sich sogar störend aus." Anläßlich dieses Besuches des israelischen Außenministers wurde die Unterzeichnung eines Vertrages über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vorgenommen, ein Vertrag, der die wirtschaftlichen Investitionen in Israel besonders schützen soll. Wir geben dies an anderer Stelle des Buches wieder.
29.2 Der Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, zu den religiösen Gesellschaften in der Hauptstadt Israels Frage: Herr Kollek, das Jahr 1977 wird Bewegung in die großen Probleme des Nahen Ostens bringen, wenn die Vereinten Nationen sich wiederum mit den Fragen einer Friedensregelung befassen werden, Jerusalem ist in diesem Rahmen ein wichtiger Punkt. Wie sehen Sie es? Antwort: Die UN-Besprechungen, so glaube ich, haben nichts mit Realitäten zu tun. Dort gibt es bei allen Beschlüssen eine automatische Mehrheit. Die Araber, der russisch-kommunistische Block, die Dritte Welt zusammen können immer 100 Stimmen oder mehr aufbringen. Es lohnt dann gar nicht, dagegen kämpfen zu wollen, denn dagegen bleibt man immer in der Minderheit. Wenn die UN morgen beschließen würden, daß der Mond viereckig ist, könnten sie das genauso beschließen, und es wäre dann die Wahrheit. Aber es hat natürlich nichts mit den Tatsachen zu tun. Die besten Beweise sind zwei Berichte, die Experten, die gar nicht freundlich zu Israel stehen über die Gesundheitssituation in den besetzten Gebieten und die Archäologie, archäologischen Ausgrabungen, in Jerusalem schreiben. Sie haben das den UN-Arbeitsgruppen unterbreitet. Hier gab es drei Doktoren, einer aus Jugoslawien, einer aus Cylon und einer aus noch einem Land, das Israel nicht anerkennt. Diese Spezialisten der UNESCO haben gesagt, daß die Gesundheitszustände, die Gesundheitspflege ausgezeichnet ist, ebenso gut wie in Israel, besser als in allen anderen arabischen Ländern. Dennoch hat das nicht dazu beigetragen, eine gute Resolution zu ermöglichen. Genauso ging es mit den archäologischen Ausgrabungen. Hier kam eines Tages ein sehr bedeutender Professor von der Kath. Universität in New York. Er hat nachher einen Report geschrieben, in dem er gesagt hat, daß man noch nie Archäologie mit so großer Feinfühligkeit angepackt hat wie in Israel. Er berichtete, was wir alles tun, um auch islamische Ausgrabun626
29.3 Israels Botschafter Yohanan Meroi hält vielbeachteten Vortrag gen zu schützen usw. Aber der Beschluß der UNESCO war genauso wie vorher. Das ist sehr enttäuschend, das kann man nicht ändern, aber darin muß man sehen, die Zeichen wohin die UN überhaupt geht. Und dazu muß man sich dann richtig beziehen. Frage: Die Stellung der Kirchen, Herr Bürgermeister, ist ja ein ganz wichtiges Problem für die Heilige Stadt Jerusalem, diej a nun wirklich von Israel f ü r alle Religionen aufgeschlossen wurde. Antwort: Die Kirchen sind heute in einer besseren Situation als sie esjemals waren. Sie sagen es auch, vor allen Dingen, zu unserer angenehmen Überraschung, gab es entsprechende Artikel über die moslemische Religion. Auch die gute Situation der Christen in Jerusalem steht außer Zweifel. Wir sind froh, daß das so anerkannt wird. Frage: Auf dem Berg Zion gibt es einen deutschen Abt, Laurentius Klein, sie haben sicherlich guten Kontakt mit ihm, was haben Sie f ü r einen Eindruck: Würden die christlichen Geisüichen einen Einfluß haben auf die Haltung des Vatikan zu Jerusalem? Antwort: Ich war vor zwei Wochen einen Abend bei Laurentius Klein. Er hat auf dem Zionsberg etwa 50 Studenten, Katholiken und Protestanten, die f ü r ein Jahr nach Jerusalem kommen und dort studieren. Sie machen einen ausgezeichneten Eindruck. Das sind ernste junge Leute. Sie fragen gute scharfe Fragen und unsere Beziehungen mit Laurentius Klein selbst sowie allen anderen hohen kirchlichen Würdenträgern sind gut. Aber ich glaube nicht, daß sie einen Einfluß auf den Vatikan haben werden. Tatsache ist, daß es Christen im Libanon gibt, die in Gefahr sind, sowie Christen in den arabischen Staaten, die dem Islam gegenüber sitzen. Außerdem gibt es Katholiken in Ägypten, Christen im Sudan und im Irak und der Papst möchte sie gern irgendwie beschützen. Ich glaube, daß die Linie, die der Vatikan annimmt nicht sehr gut f ü r diese isolierten christlichen Gruppen ist, aber ich kann verstehen, daß er versucht, daß er diese Wege beschreitet. Frage: Was erwarten Sie von den Regierungen der Europäischen Gemeinschaft bei künftigen Verhandlungen? Antwort: Ein bißchen mehr Realität als heute!
29.3
Israels Botschafter Yohanan Meroz: „Was Deutschen und Franzosen gelungen ist, sollte auch Arabern und Israelis möglich sein!"
Israels Botschafter Yohanan Meroz hielt vor der Deutschen Gesellschaft f ü r Auswärtige Politik einen vielbeachteten Vortrag, zu dem zahlreiche deutsche und ausländische Diplomaten sowie zahlreiche Parlamentarier und Politiker aus der Bundeshauptstadt, am 23. November zusammengekommen waren. Die Gedanken, die der Botschafter bei diesem Vortrag äußerte, sind ein Überblick über den israelischen Standpunkt zur Situation im gesamten Bereich 627
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten
des Nahen Ostens. Es ist wegen der Ausführlichkeit seiner Rede nicht möglich, das ganze Manuskript abzudrucken. Wir nehmen daher den zweiten Teil seiner ausführlichen Darlegung, um einen Einblick in die Gedanken der israelischen Regierung zu geben. Diese Ausführungen zeigen, daß innerhalb der israelischen Politik eine größere Flexibilität sichtbar wird, als das vielleicht noch vor einigen Jahren der Fall war. Unter anderem sagte der Botschafter in seinem Vortrag: „Wer das Existenzrecht Israels verleugnet und den Terror als Mittel zum Zweck seiner Vernichtung einsetzt, kann für uns kein Verhandlungspartner sein. Nationaler Selbstmord gehört nicht zu den Pflichten einer Regierung, auch nicht der Israels. Wenn die PLO im Sinne einer .Lösung' des arabisch-israelischen Konfliktes vorschlägt, auf dem früheren Mandatsgebiet von Palästina, einschließlich natürlich des Staates Israel, einen Staat zu errichten, der laut ihrer Definition ,sekulär, demokratisch, vielrassig und multi-konfessionell' sein sollte, so mag das für naive Ohren irgendwie .interessant' klingen; in der Tat bedeutet diese Vorstellung nichts anderes als ein Verschwinden, eine Auflösung des Staates Israel. Wie immer man die arabisch-israelische Problematik in ihrer Gesamtheit beurteilen mag, eines muß wohl als über jeden Zweifel erhaben angesehen werden: Als die Vereinten Nationen sich 1947 für die Errichtung eines jüdischen Staates ausgesprochen hatten, und als 1948 in der Tat der Staat Israel gegründet wurde, stand von vornherein fest, daß es der Zweck und das Ziel dieses Staates war, den Juden, dem jüdischen Volk, in seiner geschichtlichen und geistigen Heimat die Erfüllung seiner nationalen Selbstbestimmung und Emanzipation zu bieten, nach jahrtausendelanger Unterdrückung und Verfolgung. Jede andere Deutung ist eine Verzerrung sowohl der historischen Tatsachen wie auch dessen, was politisch und praktisch denkbar und möglich ist. Es ist selbstverständlich, daß in dem Staat Israel, wie schon in der Vergangenheit, auch nach der endgültigen Grenzziehung im Rahmen eines Friedensvertrages viele nichtjüdische Mitbürger leben werden bei völliger Gleichberechtigung in jeder Hinsicht. Nicht aber kann und wird sich ändern, daß dieser Staat so grundsätzlich ein jüdischer ist, wie Frankreich ein französischer, Deutschland ein deutscher und so wie 18 arabische Staaten arabisch sind. Dies zu dem Hauptthema der Auseinandersetzung mit der PLO. Daß diese Mord- und Terrororganisation durch die UN eine gewisse Aufwertung erhalten hat — gegen die Mehrheit der Stimmen des Westens — ist nicht nur moralisch bedauerlich, sondern auch im Sinne der Friedensbemühungen kontraproduktiv. Angesichts der Ereignisse im Libanon mag noch eine weitere Bemerkung am Platze sein. Ganz abgesehen von der erschütternden Tragik der Verblutung, liefert dieses fehdezerrissene Land auch den praktischen Beweis, wie es um eine vielrassige, multi-konfessionelle Gesellschaft im Nahen Osten bestellt ist, so wie sie von der PLO propagiert wird. Der Anteil der PLO an diesem Bürgerkrieg, an seinen Ursachen wie an seiner Verschärfung, bedarf wohl keiner Unterstreichung. Diese zersetzende und zerstörende Rolle ist auch an einigen der arabischen Regierungen nicht verlorengegangen, und es erübrigt sich, hier auf Einzel628
29.3 Israels Botschafter Yohanan Meroz hält vielbeachteten Vortrag heiten einzugehen. Es ist nicht meine Aufgabe, mich mit innerarabischen Auseinandersetzungen zu befassen. 1970 versuchte die PLO, die Existenz J o r d a niens zu untergraben; diesmal geht es u m einen a n d e r e n unabhängigen Staat. Das Ziel bleibt das gleiche, was immer das unmittelbar betroffene Objekt sein mag. Es geht nicht u m B e f r e i u n g u n d Befriedung, sondern u m Usurpation u n d Mord. Wenn aus d e r Tragik des Libanon eine Lehre zu ziehen ist, so ist es die, daß eine Libanisierung d e r arabisch-israelischen Thematik das letzte wäre, das den B e m ü h u n g e n u m eine Lösung dienlich sein könnte. Meine Damen u n d H e r r e n , ich sagte bereits, u n d ich kann es nicht oft g e n u g betonen, daß eine palästinensische Identität u n d Problematik von Israel anerkannt wird. O b diese Identität n u n in ihrer Mehrheit die Palästinenser umfaßt, die heute weitgehend friedlich in den von Israel verwalteten Gebieten leben, u m die, die in J o r d a n i e n o d e r in a n d e r e n arabischen Staaten integriert sind, ob u m jene, die zum Teil noch bedauerlicherweise in Lagern leben, oder u m andere — das sind Fragen, die pragmatisch in der Z u k u n f t gelöst werden können u n d müssen. O b eine solche Lösung in erster Linie auf wirtschaftlicher u n d sozialer Ebene zu suchen u n d zu finden ist, o d e r auf separater u n d territorialer — u n d wenn das letztere, in welcher Form (d. h. integrativ, föderativ, autonom usw.) — auch dies sind wichtige Fragen. Wie i m m e r aber auch die Gedankenrichtungen laufen mögen, u n d m a n kann natürlich auch Kombinationsmöglichkeiten nicht ausschließen, so erscheint mir eines als praktische, v e r n u n f t b e d i n g t e Voraussetzung: Der Lösungsversuch kann im Sinne d e r Chronologie u n d d e r Logik erst d a n n in Angriff g e n o m m e n werden, wenn einmal die Grenzen des Staates Israel vertraglich festgelegt sind. Man k a n n die Karre nicht vor das Pferd spannen. Erst m u ß einmal das d u r c h g e f ü h r t werden, was in d e r Entschließung des Sicherheitsrates, mit d e r wir uns bereits befaßt haben, vorliegt. Es m u ß verpflichtend festgelegt werden, d a ß alle Staaten im N a h e n Osten in einem Zustand gegenseitiger Anerkenn u n g u n d Sicherheit existieren. Diese Verpflichtung obliegt d e n Regierungen d e r Staaten im Zuge d e r Verhandlung, richtiger noch als ihr Ausgangspunkt. Was sich d a n n später jenseits d e r vereinbarten u n d a n e r k a n n t e n Grenzen Israels im Sinne einer eventuellen Umdisposition abspielt, wird dann Israel grundsätzlich n u r bedingt angehen, d. h. insofern als funktionelle Aspekte eines Friedensvertrages, wie z. B. eine übereingekommene Entmilitarisierung, dadurch betroffen wären. Ich möchte hier keine Mißverständnisse a u f k o m m e n lassen: Wir stehen in d e r T a t auf dem Standpunkt, d a ß ein zusätzlicher Staat zwischen Israel u n d J o r d a nien, wie i m m e r er auch heißen mag, nicht lebensfähig sein würde. Er würde sich in einer geopolitischen Zwangsjacke befinden o h n e Mindestmöglichkeiten einer wirtschaftlichen Entfaltung, u n d er würde eine Quelle ständiger Gärung u n d Irredenta sein, mit d e n sich d a r a u s ergebenden Konsequenzen f ü r ihn selbst u n d seine Nachbarn. Er w ü r d e eine weitereauf d e m Schachbrett d e r weltpolitischen Auseinandersetzung sein. Aus dieser Sicht allein wäre es nicht n u r in d e r Optik Israels logischer u n d zweckentsprechender, w e n n die Thematik in einem einzigen staatlichen R a h m e n gelöst würde. Dies ist keine theoretische u n d keine 629
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten hypothetische Vorstellung. Als das ursprüngliche Mandatsgebiet Palästina nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Ottomanischen Reich herausgeschält wurde, enthielt es das heutige Jordanien, d. h. Transjordanien, und umfaßte das Gebiet westlich und östlich des Flusses. Es ist eine Bevölkerung, deren Unterschiedlichkeiten sozialer und soziologischer und nicht ethnischer oder nationaler Natur sind. Die Integration der Palästinenser in Jordanien, d. h. derer, die zu späteren Mandatszeiten westlich des Flusses lebten, ist weitgehend vollzogen. Sie sind am Leben Jordaniens, an Regierung und Verwaltung, an Wirtschaft und Kultur, wesentlich — wenn nicht sogar majoritär - beteiligt. Wenn es aber den Palästinensern, d. h. denen, die sich als solche bezeichnen, als notwendig oder wünschenswert erscheint, sich im Rahmen eines palästinensisch-jordanischen Staates einen Sonderstatus zu geben, der auch eine territoriale Definition berücksichtigt, so ist das eine innerarabische Frage, die zeitlich erst nach dem Abschluß eines Friedensvertrages zwischen Israel und den arabischen Staaten, insbesondere zwischen Israel und Jordanien, entschieden werden kann. 19 Jahre lang lebten die Bewohner des Westufers, d. h. die .Palästinenser', unter jordanischer Herrschaft und Verwaltung, ohne daß die Frage des Sonderstatus bedeutungsvoll gewesen war. Diese Feststellung ist nicht ohne Belang für den politischen Rahmen des palästinensischen Komplexes. Daß es heute noch ein menschlich-tragisches Flüchtlingsproblem gibt, hat hiermit nichts zu tun. Ohne auf seine Genese und Geschichte im Detail einzugehen — seine einzige Ursache liegt in dem Krieg der arabischen Staaten gegen den Teilungsentschluß der UNO von 1947 und gegen die Juden Palästinas—, darf ich dazu nur zwei Dinge sagen: Erstens, das andauernde Bestehen der Flüchtlingstragik im Nahen Osten ist allein daraus zu erklären, daß die arabischen Regierungen jahrzehntelang versuchten, menschliche Not in ein politisches Faustpfand umzusetzen und die Einordnung der Flüchtlinge in dem riesigen, unterbevölkerten, arabischen Raum verhinderten. Zweitens, in denselben Jahren hat Israel über eine halbe Million mittelloser jüdischer Flüchtlinge aus arabischen Ländern aufgenommen und voll in das Leben der Gemeinschaft integriert. Der daraus angeregte und auf israelischer Seite durchgeführte Bevölkerungsaustausch sollte ein Wegweiser für eine praktische Lösung sein. Flüchtlingssituationen sind bei aller individueller Tragik kein Novum in der Geschichte, auch nicht in jüngster Zeit. Alle derartigen Situationen sind auf dem Weg des Austauschs gelöst oder zumindest sehr gelindert worden. So geschah es zwischen Indien und Pakistan, der Türkei und Griechenland, im Fernen Osten und in Mitteleuropa. Nur im Nahen Osten ist ein gleiches nicht eingetreten, bzw. von arabischer Seite verhindert worden, aus Gründen, die ich erwähnte. Meine Damen und Herren, ich habe bis jetzt vor allem von den Elementen gesprochen, die in der heutigen Aktualität im Sinne der Friedensaussichten als bedeutungsvoll auftreten, und ich habe dabei Ägypten besonders unterstrichen. Dies erscheint mir berechtigt, nicht nur aufgrund der praktischen Erfahrung der 630
29.3 Israels Botschafter Yohanan Meroz hält vielbeachteten Vortrag
jungen Vergangenheit, sondern auch angesichts des spezifischen Gewichts, das Ägypten in der arabischen Welt von vielen Gesichtspunkten her aufweisen kann. Daß aber die anderen arabischen Staaten und Regierungen in Friedensvorstellungen und -bemühungen einbezogen werden müssen, bedarf wohl keiner Betonung. Dies gilt natürlich besonders für die an Israel grenzenden Länder, wie Syrien und Jordanien, aber auch für andere, wie Saudi-Arabien. Es ist nicht leicht, die zum Teil sehr unterschiedlichen Stellungen dieser Staaten im Sinne der Friedensvorstellungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen; wie Sie alle wissen, beziehen sich diese Unterschiedlichkeiten nicht nur auf die arabisch-israelische Thematik. Kein Ereignis der letzten Zeit hat diese Realität so verdeutlicht wie der Krieg im Libanon, und dies umso mehr, als sich in ihm in kurzen Zeitspannen die strategischen und taktischen Positionen Außenstehender ständig zu verschieben scheinen. Ein Wort zu Syrien. Im Rahmen des arabisch-israelischen Konfliktes kam und kommt Syrien eine besondere Rolle zu. Nirgendwo hat die Infragestellung der gesicherten Existenz des Staates Israel einen bedrohlicheren Ausdruck gefunden als an der alten Waffenstillstandslinie mit Syrien. Die Dörfer und Ortschaften im Nordosten unseres Landes waren zwei Jahrzehnte lang ununterbrochenen Angriffen und Überfällen von den Golanhöhen ausgesetzt. Der Golan war ein militärisches Aufmarschgebiet, und man braucht kein Stratege zu sein, um hier den Zusammenhang zwischen Topographie und Verunsicherung voll zu erkennen. An keiner Stelle hat die in der Resolution 242 enthaltene Formel .sichere Grenzen' eine größere Bedeutung. Darüber hinaus hatte Syrien den Terror der PLO jahrelang physisch gefördert und politisch unterstützt und vertreten. Es hatte das ägyptisch-israelische Sinai-Abkommen scharf verurteilt. Andererseits sprechen heute politische Beobachter von einer Verschiebung der Gedankengänge in Damaskus in realistischerer und konstruktiverer Richtung. Wenn dem so ist, würde es in Israel uneingeschränkt begrüßt werden. Es ist selbstverständlich, daß wir Frieden und friedliches Zusammenleben mit Syrien nicht weniger als mit allen arabischen Gemeinschaften anstreben mit der gleichen Bereitschaft zu Verhandlung und Vergleich. Meine Damen und Herren, ich habe mich bis jetzt mit den Faktoren befaßt, die geographisch gesehen dem nahöstlichen Raum selbst angehören, wobei ich not-, d. h. zeitgedrungen diese keineswegs erschöpfen konnte. Ich bin auch bewußt nicht auf einige, zum Teil schwierige Sonderfragen eingegangen. Eines muß ich jedoch zur Vervollständigung des Bildes hinzufügen. Der Nahe Osten ist Betätigungsfeld Außenstehender. Diese Betätigung umfaßt politische, strategische und wirtschaftliche Themen, und es wäre wenig sinnvoll, darüber zu diskutieren, inwiefern sie legitime, unverzichtbare Interessen berühren. Die Betätigung ist einmal vorhanden — gewiß nicht immer von den Völkern des Nahen Ostens gewollt, aber zugleich doch von ihnen genützt —, und das sich daraus ergebene Spiel und Gegenspiel von machtpolitischen Zügen überträgt sich natürlicherweise auch auf die unmittelbaren Kontrahenten im arabisch-israelischen Konflikt. Darüber hinaus — und dies ist in der Praxis von nicht zu unter631
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten
schätzender Bedeutung - glauben diese Außenstehenden, eine Vermittlerrolle zu haben, angesichts der Weigerung der arabischen Regierungen, mit Israel direkt ins Gespräch zu treten und zu verhandeln. Ich denke da in erster Linie an die Großmächte, an die USA und die UdSSR, aber auch an andere, wie die Europäische Gemeinschaft, kollektiv oder individuell, oder die Vereinten Nationen. In der jungen Vergangenheit, besonders in bezug auf das ägyptisch-israelische Teilabkommen und die vorausgegangenen Entflechtungsabkommen mit Ägypten und Syrien, hat sich eine logische Voraussetzung bestätigt. Die Vereinigten Staaten allein waren in der Lage, eine Rolle zu spielen, weil sie als einzige unter den Mächten normale, anerkannte Beziehungen mit allen Beteiligten unterhielten und bereit waren, das Ergebnis der Verhandlungen mit ihrer internationalen Autorität zu sichern. Ein gleiches galt und gilt heute nicht für die Sowjetunion, die seit neun Jahren keine Beziehungen zu Israel unterhält und deswegen von dem Vorgang der Vermittlung praktisch ausgeschlossen war und ist. Die Rolle der UdSSR ist bedauerlich einseitig. Sie unterstützt extreme Elemente in der traurigen Annahme, daß nur ein schwelender Nahost ihrem Einfluß ein Betätigungsfeld bietet. Dem zukünftigen Frieden ist damit nicht gedient. Europa, d. h. die Europäische Gemeinschaft, hat in der nahöstlichen Friedensstiftung eine Aufgabe. Sie ist unserer Auffassung nach primär wirtschaftlich und weniger politisch. Dies vor allem, weil das Großmachtprädikat der Gemeinschaft in der Tat auf ihrer wirtschaftlichen Stärke beruht; aber auch, weil die politischen Haltungen der neun Regierungen allen Erklärungen zum Trotz unterschiedlich sind, und schließlich, weil das kollektive Verhalten der Gemeinschaft angesichts der arabischen Ölerpressung im Herbst 1973, nach dem Yom-KippurKrieg, eine ausgeglichene Rolle in der Praxis als zweifelhaft erscheinen läßt. Andererseits sind die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten einer konstruktiven Beteiligung groß. Ein wirtschaftlich vernunftgelenkter Nahost ist auch politisch vernunftnäher. Die Gemeinschaft könnte und sollte zu dieser Vernunftsteuerung beitragen. Auch auf anderen Ebenen sind europäische Beiträge zu begrüßen. Eine klare Kampfansage an den Terrorismus, der in dem nahöstlichen Geschehen eine besonders üble Rolle spielt, gehört dazu. Die Befreiungsaktion von Entebbe, die in der freien Welt mit Erleichterung und Zustimmung quittiert wurde, hat ein verstärktes Bewußtsein für die notwendige Gemeinsamkeit der Haltung erweckt und die sich daraus ergebende Handelsbereitschaft vergrößert. Die Vereinten Nationen selbst haben in der Vergangenheit keine konstruktive Rolle in der politischen Befriedung gespielt bzw. spielen können. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse und ihren automatisch-mechanischen Abstimmungsfolgen ist eine solche auch in der Zukunft nicht zu erwarten. Eine Organisation, die in der infamen ,Anti-Zionismus-Resolution' den Lebensanspruch des jüdischen Volkes dem Rassismus gleichgesetzt hat, hat ihre moralische Potenz verwirkt. Es gereicht zu gewissem Trost, daß diese Entschließung in vielen Teilen der Welt Entrüstung und Abscheu hervorgerufen hat. Man darf sich - und nicht nur 632
29.3 Israels Botschafter Yohanan Meroz hält vielbeachteten Vortrag
ironisch — fragen, was wohl das Abstimmungsergebnis sein würde, wenn heute eine Bestätigung der Zehn Gebote der Entscheidung der Vollversammlung überlassen wäre. Schließlich noch ein Wort zur Methode und zu den Modalitäten der Friedensförderung. Unsere eigene Auffassung ist pragmatisch und nicht dogmatisch. Wir halten direkte Verhandlungen für normal und psychologisch richtiger, aber wir haben schon in der Vergangenheit gezeigt, daß wir auch der indirekten Methode zugänglich sind, wenn sie zu einem gemeinsamen, verbindlichen Vertragsdokument führt; wir würden bilaterale Kontakte mit jeder arabischen Regierung begrüßen, aber wir sind auch zu multilateralen Rahmen bereit, einschließlich einer Wiedereinberufung der Genfer Konferenz in ihrer ursprünglichen Zusammensetzung; wir würden umfassende Friedensgespräche vorziehen, aber wir schließen auch Teilabkommen nicht aus. Was immer die geringste Aussicht auf einen Fortschritt in Richtung eines friedlichen Zusammenlebens bietet, findet bei uns Gehör. Mit diesem letzten Ziel im Auge haben wir unseren arabischen Nachbarn Verträge zur Aufhebung des Kriegszustandes angeboten, um vor allem erst die Gefahr weiterer Waffengänge zu bannen und damit die politischen Optionen zu festigen. Dieses Angebot ist bis heute ohne Antwort geblieben. Wir sehen ihr mit Erwartung entgegen. Meine Damen und Herren, ich bin am Ende meiner Ausführungen. Wie ich schon sagte, habe ich aus Zeitmangel eine Anzahl von Sonderfragen ausklammern müssen; ich glaube jedoch nicht, Wesentliches übergangen zu haben. Darf ich unsere Grundvorstellungen wie folgt zusammenfassen: 1. Der Friede im Nahen Osten kann nur mit der aktiven Beteiligung des in sicheren Grenzen lebenden Staates Israel zustande kommen. 2. Die Anerkennung des Lebensrechtes und der Existenz Israels ist dafür eine unumgängliche Voraussetzung, an der kein Weg vorbeiführt. 3. Auf dieser Grundlage kann und muß der Konflikt auf dem Verhandlungswege gelöst werden — vorzugsweise, aus politischen wie auch aus psychologischen Gründen, direkt; wenn dies aus arabischer Sicht vorläufig unmöglich erscheint, dann indirekt durch den Anforderungen entsprechende Dritte. 4. Diese Verhandlung wird sich mit allen offenen Fragen des Konfliktes im Sinne der Resolution 242 befassen. Israel ist sich im klaren, daß der Frieden territoriale Änderungen mit sich bringen wird. 5. Die palästinensische Thematik muß in den Dispositionen des Friedens berücksichtigt werden. Es darf mit Recht gefragt werden, ob angesichts der Voraussetzungen und Vorstellungen, die ich geschildert habe, nun auch ein reales Maß von Aussichten besteht. Bei aller gebührenden Vorsicht möchte ich die Frage bejahend beantworten. Neben nicht zu leugnenden Rückschlägen sind eine Reihe von positiven Entwicklungen zu verzeichnen, die in diese Richtung deuten. Als bedeutend erscheinen mir folgende: 633
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten — Trotz unveränderter offizieller Starrheit ist das Realitätsbekenntnis zu der Existenz Israels im Wachsen. — Das ägyptisch-israelische Teilabkommen besteht seit mehr als einem Jahr; es hat sich militärisch und psychologisch bewährt und damit auch einen politischen Stabilisierungsbeitrag geliefert. — In zumindest einigen der ölproduzierenden Länder der arabischen Welt hat eine nüchternere Bewertung Fuß gefaßt bezüglich der Nutzung des Öls als politisches Druckmittel in dem Konflikt; daß diese Entwicklung vor allem weltwirtschaftlichen u n d weltpolitischen Trends beigeordnet ist, ändert nichts an ihrer Bedeutung. — Aus der Tragik des libanesischen Bürgerkrieges entstand eine neue, rationalere Bewertung der PLO auch in einigen arabischen Ländern; dies ganz abgesehen von der objektiven Schwächung dieser Organisation, durch die eine konstruktive Lösung der palästinensischen Thematik nur erleichtert werden kann. — Die wachsende Erkenntnis der Notwendigkeit, dem Terrorismus Halt zu gebieten, auch in Teilen der arabischen Welt. Ich habe mit dieser Aufzählung sicher nicht alle zur Hoffnung berechtigenden Zeichen erschöpft. Die wesentlichen scheinen mir darin enthalten zu sein. Wie ich sagte, gibt es auch weniger ermutigende Zeichen. Aus Kairo kamen in jüngster Zeit neben interessanten Äußerungen - .interessant' im potentiell konstruktiven Sinne — auch besorgniserregende Klänge und Schritte, wie zum Beispiel die letzte, unnötige und zynische Belästigung des Weltsicherheitsrates. Ob dieses und anderes Vorgehen dem Zweck dienen soll, das innerarabische Verhältnis nach dem Zerwürfnis im Libanon zu übertünchen, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Frieden im Nahen Osten wird dadurch nicht gefördert. Ein weiteres darf nicht unerwähnt bleiben. Die Thematik des Konflikts wird von arabischer Seite weitläufig und weitmaschig auch auf das Unpolitische übertragen. Die ständig wachsende Einbeziehung der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen u n d anderer internationaler Gremien, deren Berechtigung und Zweck nur auf fachbezogener, menschlicher Ebene beruht, ist dafür ein bedrohliches Symptom. Die politisch-propagandistische Offensive gegen Israel in Fragen der Bekämpfung von Hunger und Seuchen, von Analphabetentum und sozialem Elend kann dem zukünftigen Zusammenleben nicht dienen. Die Politisierung von UNESCO und WHO, von Olympischen Ausschüssen und Welthandelsgremien, usw., wird die arabisch-israelische Auseinandersetzung um keinen Zoll einem Ausgleich näher bringen; dagegen wird sie das Menschliche weiter beeinträchtigen und abbauen. Meine Damen und Herren, der arabisch-israelische Konflikt ist viel jüngeren Datums als die jahrhundertelange Tradition des Hasses und der Feindschaft auf dem europäischen Kontinent. Was Deutschen und Franzosen gelungen ist, sollte auch Arabern und Israelis möglich sein. Niemand sollte erwarten, daß der Prozeß über Nacht vollziehbar ist. Es wird 634
29.4 Regierungserklärung zur deutschen Nahost-Politik und zum Frieden in ihm nicht an Schwierigkeiten mangeln. Aber wenn der Wille da ist, diese nicht als unüberwindbar anzusehen, dann sind sie in der Tat bei gegenseitiger Vergleichsbereitschaft überwindbar. Ich darf Ihnen versichern, daß diese Bereitschaft bei uns besteht. Das reiche Geistesgut des nahöstlichen Raumes - mit Recht als Wiege der Menschheit bezeichnet — bedarf um seiner Waltung und Förderung des friedlichen Miteinanderlebens aller seiner Völker."
29.4 Regierungserklärung auch mit Gedanken zur deutschen Nahost-Politik und zum Frieden Am 16. Dezember 1976 gab Bundeskanzler Helmut Schmidt seine Regierungserklärung nach den Bundestagswahlen und der Neubildung des Kabinetts vor dem Deutschen Bundestag ab. In zweieinhalb Stunden stellte der Bundeskanzler seine Politik in 6 Kapiteln vor. Der Punkt 5 enthielt die Darlegungen zur deutschen Außenpolitik. Sie haben folgenden Wordaut: Politik für den Frieden: Ich komme zur Außenpolitik. Die Bundesregierung hat die seit der Entstehung unseres Staates maßgebliche Politik der dauerhaften Einordnung in den Kreis der freiheidichen Demokratien seit 1969 konsequent weitergeführt. Wir haben sie durch eine Politik der Entspannung mit dem Ziele guter Nachbarschaft nach Osten ergänzt. Zugleich verfolgen wir gemeinsam mit unseren Freunden eine Politik gleichberechtigter Partnerschaft mit den Ländern der Dritten Welt. Die Bundesregierung bekennt sich zur Kontinuität dieser Außenpolitik. Deshalb tritt sie im Interesse von Frieden und Sicherheit in der Welt für die Fortsetzung der Entspannungspolitik ein. Auch bei Fortsetzung der Entspannungspolitik wird die Auseinandersetzung der Ideologien weitergehen, aber sie sollte im friedlichen Wettbewerb ausgetragen werden. Noch hält der stetige Ausbau der militärischen Stärke des Warschauer Paktes an, obwohl das militärische Potential dieser Staatengruppe bereits weitaus größer ist, als es für reine Verteidigungszwecke notwendig wäre. Die Bundesregierung wird wie bisher alle Bemühungen für eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Ost und West unterstützen. Wir wirken auf der Grundlage der gemeinsam im Bündnis entwickelten Zielsetzungen aktiv mit an konstruktiven und weiterführenden Schritten zum Abbau der militärischen Konfrontation in Europa, insbesondere im Rahmen der Wiener Verhandlungen über beiderseitige ausgewogene Verminderung der Streitkräfte. Darüber hinaus setzen wir uns für verstärkte Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle im weltweiten Rahmen, besonders im Rahmen der für 1978 vorgesehenen Son635
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten dergeneralversammlung d e r Vereinten Nationen ein. Den Vorschlag d e r blockfreien Staaten in diesem Punkte haben wir von A n f a n g an unterstützt. Die H o f f n u n g d e r Völker auf eine substantielle Eingrenzung des Rüstungswettlaufs darf nicht enttäuscht werden. Das Atlantische Bündnis bleibt Grundlage unserer Sicherheit, u n d die Bundeswehr bleibt unser militärischer Beitrag zur Allianz. Sie soll nicht aus d e m Bündnis herausgelöst u n d nicht aus d e n gemeinsamen Verpflichtungen d e r B ü n d n i s p a r t n e r herausgelöst werden. Die Bundeswehr bleibt eine Armee zur Verteidigung im Rahmen des B ü n d nisses. Sie kann, soll und will nicht eine Angriffsarmee sein. In d e r Bundeswehr — wird die vorbereitete n e u e Wehrstruktur n u n m e h r verwirklicht, — Bildung u n d Ausbildung werden verbessert, — die kontinuierliche E r n e u e r u n g u n d Modernisierung d e r Ausrüstung wird fortgesetzt. Die Bundesregierung wird sich u m eine weitgehende Vereinheitlichung mit d e n Partnern des Bündnisses weiterhin b e m ü h e n . Unsere Soldaten tragen inmitten einer von Krisen gekennzeichneten Welt zur Erhaltung des Friedens bei. Sie waren insoweit schon 20 J a h r e erfolgreich. Man kann sagen: in d e r Erfüllung ihrer friedensbewahrenden Aufgabe hat die Bundeswehr gute Ansätze zu einer eigenen Tradition g e f u n d e n ; sie ist nicht m e h r darauf angewiesen, Leitbilder n u r aus vorangegangenen Generationen zu entnehmen. Wir sehen nicht o h n e Sorge, daß es einigen N A T O - P a r t n e r n z u n e h m e n d schwerfällt, ausreichend konventionelle Kräfte präsent zu halten. Konventionelle Abwehrkraft bleibt jedoch Voraussetzung f ü r die Strategie der abgestuften Abschreckung, auf die das Bündnis verabredet ist. Niemand kann ein Interesse daran haben, daß ein Zustand einträte, in d e m atomare W a f f e n an die Stelle fehlender konventioneller Kräfte gesetzt w ü r d e n u n d damit die Gefahr eines atomaren Krieges vergrößert würde. Wir wissen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika auch in Z u k u n f t ihrer besonderen Verantwortung f ü r die Sicherheit d e r westlichen Welt gerecht werden. Wir b e g r ü ß e n die Botschaft des gewählten Präsidenten Carter an die N o r d atlantische Allianz vom 9. Dezember dieses Jahres. Die Präsenz d e r Amerikaner in E u r o p a ist weder politisch noch militärisch ersetzbar. Auf der Grundlage unserer ausgezeichneten zweiseitigen Beziehungen hat sich inzwischen ein nie zuvor gekanntes Vertrauensverhältnis zwischen d e n USA u n d der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Es bestimmt unsere Zusammenarbeit auch im Bereich einer koordinierten Wirtschafts- und Währungspolitik. Was die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit f ü r das Ganze bedeutet, das gilt — ich betone das ganz genau so — in gleicher Weise f ü r die deutsch-französische Freundschaft, f ü r die Zusammenarbeit in Europa. Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion u n d der Bundesrepublik Deutschland haben sich seit Beginn dieses J a h r z e h n t s positiv entwickelt. Das Vo636
29.4 Regierungserklärung zur deutschen Nahost-Politik und zum. Frieden
lumen des Handelsverkehrs hat sich seit 1970 vervierfacht. Dank wesentlich stärkerer sowjetischer Lieferungen hat es in diesem Jahr einen Abbau unserer Lieferüberschüsse um etwa 40 Prozent gegeben. Wir begrüßen das, weil es sich für die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten unseres Handels mit der Sowjetunion positiv auswirken wird. Wie die sowjetische Seite sind auch wir dafür, den Weg der Zusammenarbeit konsequent weiterzugehen. Wir erwarten von dem bevorstehenden Besuch des sowjetischen Generalsekretärs Breschnew im nächsten Jahr neue Impulse für eine Ausweitung und Vertiefung dieser Zusammenarbeit. Im Verhältnis zur Volksrepublik Polen werden wir alle Anstrengungen unternehmen, um dem beiderseitigen Wunsch nach einer Vertiefung der Beziehungen zu entsprechen. Es ist in Polen wie bei uns viel, viel guter Wille festzustellen, die Vergangenheit zu überwinden, und wir sind dankbar dafür. Unsere Politik der guten Nachbarschaft gegenüber allen osteuropäischen Staaten bleibt unverändert. Es gibt kein Nachlassen in unserem Streben, soviel Entspannung und Zusammenarbeit wie möglich zwischen West- und Osteuropa zu verwirklichen. Deshalb ist auch unser Interesse zu den Staaten unvermindert groß, die keiner politischen oder militärischen Gruppierung angehören; denn die neutralen und bündnisfreien Staaten haben wichtige Funktionen im Prozeß der Überwindung der Spaltung Europas. Auch deshalb ist die Unabhängigkeit Jugoslawiens so wichtig. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat mit ihrer Schlußakte eine wichtige Grundlage für die Fortführung der multilateralen Entspannungspolitik gegeben. Wir messen allen Teilen der Schlußakte die gleiche Bedeutung zu und werden uns intensiv an der Vorbereitung des Belgrader Treffens beteiligen, von dem neue Anstöße für die Verwirklichung der in Helsinki gemeinsam beschlossenen Grundsätze und Absichten erwartet werden. Wir sind bereit, einen eigenen Beitrag dazu zu leisten. Die Europäische Gemeinschaft bleibt für uns lebenswichtige Voraussetzung für die Sicherung von Frieden und Freiheit. Wir halten am Ziel der Europäischen Union fest. Die zunehmende wirtschaftliche und soziale Auseinanderentwicklung gibt uns Anlaß zur Sorge. Es kommt darauf an, alle wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Bestand der Gemeinschaft zu erhalten und sie weiterzuentwickeln. Angesichts unserer Stabilität und unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richten sich an uns besonders hohe Erwartungen mancher unserer Partner. Natürlich zahlen wir an die Gemeinschaft nicht nur, sondern wir erhalten auch Geld von ihr. Aber im Ergebnis haben wir z. B. 1975 3,2 Milliarden DM mehr gezahlt, als wir erhalten haben. Mit diesem sogenannten Nettotransfer haben wir vier Fünfte^ des gesamten Nettotransfers innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erbracht. Dies müssen wir uns auch einmal selbst zum Bewußtsein führen. Unser Volk muß wissen, daß der weitere Ausbau der Gemeinschaft in der Tat 637
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten zusätzliche Mittel erfordert, Mittel, die dann f ü r Aufgaben im eigenen Land nicht zur Verfügung stehen können. Aber wenn wir Europa wollen, dann müssen wir uns auch unserer Verantwortung stellen. Letztlich verbürgt eine lebensfähige Gemeinschaft auch unsere eigene Sicherheit, unsere eigene Stabilität und wirtschaftliche Stärke. Wir werden deshalb auch künftig die europäische Integration in dem Maße fördern, das unserer eigenen Leistungsfähigkeit entspricht. Allerdings setzen wir voraus, daß die eigenen wirtschaftlichen Anstrengungen der Partner dabei fortgesetzt werden. Wir erwarten, daß angesichts der begrenzten Mittel der Gemeinschaft deutliche Prioritäten f ü r strukturwirksame Maßnahmen bei der Verwendung des Geldes gesetzt werden. Nur eine Gemeinschaft, die wirtschaftlich gesund und leistungsfähig ist, kann ihrer weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Bedeutung gerecht werden. Wir leisten Beiträge bei der Entwicklung einer immer weitere Bereiche umfassenden gemeinsamen Außenpolitik der neun Mitgliedstaaten. Dabei bleibt die enge deutsch-französische Zusammenarbeit eine wichtige Stütze. Wir wollen direkte Wahlen, d. h. Volkswahlen zum Europäischen Parlament im J a h r e 1978. Die Bundesregierung wird d a f ü r einen Gesetzentwurf, ausgehend vom Prinzip der Bundesliste, im Bundestag einbringen. Diese Wahlen werden mithelfen, das politische Europa dem Bewußtsein unseres Volkes, unserer öffentlichen Meinung näherzubringen. Auch in anderen Ländern Europas setzt man große Hoffnungen auf die Gemeinschaft. Die Verhandlungen über den Beitritt Griechenlands haben begonnen. Portugal und Spanien haben ihr Interesse bekundet. Die Türkei ist assoziiert. Wir haben Interesse daran, diese Staaten an die Gemeinschaft heranzuführen und damit ihre wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und ihre demokratische Ordnung zu entwickeln oder zu stabilisieren. Ein Wort zu den Vereinten Nationen, die das wichtigste Forum der Debatte über die Probleme der Welt sind. In den drei Jahren seit unserem Beitritt haben wir so gehandelt, wie es dem Gewicht unseres Landes und unserer Verpflichtung entspricht, in Übereinstimmung mit der Charta f ü r die allgemeine Geltung der Menschenrechte, f ü r Gewaltverzicht, weltweiten Frieden und wirtschaftlich-soziale Entwicklung einzutreten. Wir werden in den nächsten beiden Jahren dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angehören. Wir wollen dort im Bewußtsein unserer besonderen Verantwortung dazu beitragen, daß die Vereinten Nationen ihre großen Aufgaben verwirklichen können. Wir werden alles tun, um unser Verhältnis zu den Staaten Afrikas enger zu gestalten. Wir lehnen auch künftig j e d e Art von Rassismus und Kolonialismus ab. Auch das südliche Afrika muß sein Schicksal selbst bestimmen, und die Herrschaft der Mehrheit muß bald verwirklicht, gleichzeitig aber der Schutz der Minderheit gesichert werden. Wir setzen uns ein f ü r eine gerechte und dauerhafte Friedensregelung im 638
29.4 Regierungserklärung zur deutschen Nahost-Politik und zum Frieden
Nahen Osten, die mit den Entschließungen des Sicherheitsrats und den Erklärungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft übereinstimmt. Wir haben gute Beziehungen zu Israel wie zu den arabischen Staaten. Wir wollen sie durch eine Politik der Ausgewogenheit erhalten, die man nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln darf. Die Zusammenarbeit mit den Staaten Lateinamerikas, die meist auf traditionell freundschaftlichen Beziehungen beruht, werden wir in Zukunft weiter ausbauen. Der Ausbau der Beziehungen mit den Staaten des asiatischen Kontinents bleibt unser Anliegen. Mit der Volksrepublik China haben wir nach einer langen Pause wieder Beziehungen, deren Ausbau wir begrüßen. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß zur Verringerung des Nord-SüdGefälles große Anstrengungen gemacht werden müssen. Wir stellen uns der Mitverantwortung für die Lösung einer der zentralen internationalen Aufgaben dieser Zeit, insbesondere gegenüber den am wenigsten entwickelten und gegenüber den vom Ölschock am meisten betroffenen Ländern. Wir haben gemeinsam mit den übrigen EG-Partnern vor einigen Tagen in Den Haag festgestellt: Im Bewußtsein der wachsenden wirtschaftlichen Interdependenzen ... ist die Gemeinschaft bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ... einen positiven Beitrag zu leisten. Der Europäische Rat hat in diesem Geist dem Erfolg des Nord-Süd-Dialogs eine große Bedeutung beigemessen. Aber ich füge hinzu: Kooperation und verstärkte Hilfe sind nur auf der Grundlage einer tatsächlich funktionierenden Weltwirtschaft möglich, an der Industrieländer, OPEC-Länder, Entwicklungsländer, aber auch die kommunistischen Staatshandelsländer teilhaben. Aus dieser gemeinsamen Verantwortung kann kein Staat und kann keine Staatengruppe entlassen werden. Wir treten ein: erstens für weltweite Arbeitsteilung bei weitgehend freiem Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Technologie; zweitens für den Schutz vor entschädigungsloser Enteignung, damit zugunsten der Entwicklungsländer eine Intensivierung der Investitionen und des Kapitalverkehrs erreicht wird, wodurch gleichzeitig auch ein Technologietransfer erfolgt; drittens für eine weitere Öffnung der Märkte für Industrieländer, zu denen wir gehören, für eine Liberalisierung des Welthandels in der gegenwärtigen GATTRunde; viertens für eine Anerkennung des Souveränitätsanspruchs der Entwicklungsländer über ihre Rohstoffe; fünftens für Verzicht auf Mißbrauch der Verfügungsgewalt über wirtschaftliche und Marktmächte durch Kartelle und Monopole. 639
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten
Auf solchen Grundlagen wollen wir an einer gerechteren Verteilung des Wohlstands, an einer Verbesserung der Lebensbedingungen und an einer Verstärkung der Ressourcenübertragung zugunsten der Entwicklungsländer mitwirken. Wir beteiligen uns an der internationalen Diskussion der Rohstoffproblematik auf der Pariser Konferenz genauso wie auf der Welthandelskonferenz. Allerdings halten wir weltweiten Rohstoffdirigismus f ü r unzweckmäßig. Vielmehr sind wir nach wie vor der Ansicht, daß eine Stabilisierung der Rohstoffexporterlöse für Entwicklungsländer besser geeignet ist, deren Lage zu verbessern, als etwa eine weltweite Manipulation der Rohstoffpreise, die dann im Ergebnis weit überwiegend eine kleine Gruppe rohstoffreicher Industrieländer begünstigen und die große Mehrzahl der Entwicklungsländer benachteiligen würde. Die kommunistischen Länder insgesamt partizipieren in zunehmender Weise an den Vorzügen der freien Weltmärkte, des Gesamtsystems der Weltwirtschaft und seiner Arbeitsteilung. Sie sollten deshalb auch die Lasten mittragen, die von den Industrieländern übernommen werden. Das gilt auch für die öffentliche Entwicklungshilfe. 1975 war die deutsche öffentliche Entwicklungshilfe mit rund 1,7 Milliarden Dollar doppelt so hoch wie die Entwicklungshilfe aller kommunistischen Staaten zusammengenommen, und ein Teil der letzteren hat sich leider auf die Lieferung von Waffen und militärischem Gerät an die Entwicklungsländer konzentriert. Unser Land ist zur Erhöhung seiner öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen bereit, vor allem zugunsten der am meisten zurückgebliebenen Länder. Dies kommt in unseren haushaltsrechtlichen Verpflichtungsermächtigungen f ü r die kommenden Jahre deutlich zum Ausdruck. Es gilt auch für Schuldenregelungen in solchen Fällen, in denen Entwicklungsländer in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sind. Nun wissen wir, daß nicht alle Bürger diese Unterstützung für die Dritte Welt verstehen und billigen. Aber diese Bürger sollten zweierlei bedenken: Erstens: Der Frieden kann auf die Dauer nur dann gesichert werden, wenn es in gemeinsamer Anstrengung aller Industriestaaten und aller ölstaaten gelingt, das Wohlergehen der Menschen in den Entwicklungsländern zu fördern. Zweitens: Verstärkte Kooperation und Arbeitsteilung mit der Dritten Welt nützt auch uns selber, denn es sichert bei uns zu Hause Arbeitsplätze und Volkseinkommen. Sie sollten auch bedenken, daß wir selbst als Volk einmal in einer Lage gewesen sind, in der wir dringend Hilfe von draußen gebraucht haben, um wieder aufbauen zu können, und sie sollten bedenken, daß wir diese Hilfe in der Tat von Völkern erhalten haben, gegen die Deutschland noch kurz zuvor einen zerstörerischen Krieg geführt hatte. Schon deshalb dürfen wir heute keine engstirnige und egoistische Politik verfolgen. Vielmehr müssen wir dazu beitragen, daß Vorurteile, Haß und Not ge640
29.5 Deutsche Initiative für Konvention gegen Geiselnahme hat Erfolg mindert werden und daß die Völker ihre Konflikte nicht mit Gewalt, sondern vielmehr friedlich austragen. Allerdings müssen wir diesen Abschnitt auch mit dem Ausdruck der Erwartung einer Gegenleistung abschließen, nämlich dieser: alle an der Weltwirtschaft Beteiligten und die beteiligten Staatengruppen sollten für mehr Stetigkeit der Entwicklung und für mehr Stabilität eintreten. Denn die in den letzten sieben Jahren erfolgten Erschütterungen haben alle gefährdet. In den letzten sieben Jahren z. B. sind die deutschen Ausfuhrpreise auf das Anderthalbfache gestiegen, die Rohölpreise aber auf mehr als das Vierfache. Wir hoffen, daß auch die OPEC-Staaten zu einem Erfolg der Pariser Konferenz aktiv beitragen können. Wir hatten und wir haben nicht den Ehrgeiz, in den Fragen des Nord-SüdDialogs eine Sonderrolle zu spielen. Aber wir erkennen durchaus unsere Aufgabe, in diesem Dialog für mehr Stabilität der Weltwirtschaft einzutreten. Sie liegt im gemeinsamen Interesse aller Staaten der Welt. Sie müßte sich ihnen daher auch als eine gemeinsame Aufgabe stellen. Dies gilt besonders für die Industriestaaten Europas und Nordamerikas und f ü r Japan, dessen Bedeutung f ü r die Weltwirtschaft wir hoch veranschlagen." Vor den Weihnachtsferien konnte der Deutsche Bundestag nur noch in eine mehrstündige Generaldebatte über diese Regierungserklärung eintreten. Die Sachdiskussion der einzelnen Fragen würde erst in der zweiten Hälfte Januar 1977 vor sich gehen. Am 19. Januar 1977 sollte mit dieser mehrtägigen Diskussion begonnen werden.
29.5 Die deutsche Initiative für eine internationale Konvention gegen Geiselnahme hat Erfolg Zu Beginn der 31. Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte Bundesaußenminister Hans-Dietrich, Genscher am 28. September 1976 eine Resolution gegen die Geiselnahme vorgelegt. Nachdem der Rechtsausschuß diese Resolution endgültig ausgearbeitet hatte, wurde sie von der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 15. Dezember 1976 endgültig verabschiedet. Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, Rüdiger von Wechmar, gab nach der Abstimmung vor dem Plenum der Generalversammlung die folgende Erklärung ab: „Herr Präsident! Die Delegation der Bundesrepublik Deutschland hat di^soeben getroffene Entscheidung der 51. Generalversammlung mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Wir begrüßen es, daß die Initiative zur Ausarbeitung einer Internationalen 641
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten Konvention gegen die Geiselnahme, die d e r Bundesminister des Auswärtigen d e r Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich, Genscher, am 28. September von dieser Stelle aus angekündigt hatte, durch die jetzt verabschiedete Resolution zu einem konkreten Ergebnis g e f ü h r t hat. Ich möchte die schwierigen Verhandlungen hier nicht im einzelnen nachzeichnen, in d e n e n dieser T e x t ausgearbeitet w u r d e . Eines k ö n n e n wir aber wohl alle heute gemeinsam feststellen: Es ist uns gelungen, in den Vereinten Nationen d u r c h geduldige V e r h a n d l u n g e n auch auf einem schwierigen Gebiet ein Ergebnis zu erzielen, das die Zustimmung aller Mitgliedstaaten unserer Organisation finden konnte. Mit d e m gerade vollzogenen Beschluß haben die Vereinten Nation e n auch bei dieser Gelegenheit unter Beweis gestellt, daß sie als lebendige Gemeinschaft zum Wohl aller nützliche Arbeit zu leisten vermögen. Wir haben die H o f f n u n g , d a ß sich der Geist d e r Zusammenarbeit und d e r Verständigungsbereitschaft, d e r schon die A t m o s p h ä r e im 6. Ausschuß und im Plenum d e r 31. Generalversammlung bestimmt hatte, innerhalb des ad hoc-Ausschusses fortsetzen wird, d e n Sie alle mit I h r e r Entscheidung soeben ins Leben g e r u f e n haben. Wir verkennen keineswegs die Probleme, die sich im ad hoc-Ausschuß stellen werden. Bei ihrer Bewältigung werden die Vertreter d e r 35 Mitgliedstaaten in diesem Ausschuß im August nächsten J a h r e s hier in New York von Vorbildern ausgehen können, die u. a. in internationalen Konventionen vorgezeichnet sind, welche in unserer Resolution a u f g e f ü h r t w u r d e n . Darin sind Grundlagen f ü r die künftige Arbeit des Sonderausschusses gegeben. Ein wesentliches Element wirksamer Zusammenarbeit d e r Staatengemeinschaft bei der Bek ä m p f u n g d e r Geiselnahme bleibt nach unseren Vorstellungen d e r Grundsatz »Strafverfolgung o d e r Auslieferung', d. h. Geiselnehmer sollten o h n e Verzug strafrechtlich verfolgt oder zum Zwecke der Strafverfolgung an die zuständigen B e h ö r d e n eines a n d e r e n Staates ausgeliefert werden. Der ad hoc-Ausschuß kann d e r tätigen Mitwirkung seitens d e r Bundesrepublik Deutschland sicher sein. Lassen Sie mich I h n e n allen noch einmal d a n k e n f ü r die Unterstützung unserer h u m a n i t ä r e n Initiative, die jetzt nicht m e h r n u r unsere eigene, sondern eine Initiative d e r ganzen Vereinten Nationen ist."
29.6
16. März 1977: Hans-Dietrich Genscher reist erneut nach Israel — Ein Interview vor der Reise
R u n d 40 S t u n d e n d a u e r t e die Reise von Hans-Dietrich Genscher, die am 16. März 1977 aus d e r Kabinettsitzung heraus begann. Es war eine reine Arbeitsb e g e g n u n g mit d e r israelischen Regierung. Sie begann mit einem Meinungsaustausch d e r beiden Außenminister im kleinen Kreise. Danach gab der israelische Außenminister seinem deutschen Gast ein Essen, an d e m auch Ministerpräsident Rabin u n d Verteidigungsminister Shimon Peres teilnahmen, neben anderen f ü h 642
Ein Interview mit Genscher über seine Reise nach Israel renden Politikern aus Regierungs- und Oppositionskreisen. Am 17. März 1977 traf Bundesaußenminister Genscher mit Ministerpräsident Rabin zusammen, um über die Nahost-Fragen und Friedensaussichten zu sprechen. Diesem Dialog folgte ein Meinungsaustausch mit Shimon Peres. Außenminister Genscher hatte „seinen Freund" Allon bereits am 8. Februar 1977 in Brüssel getroffen. Danach war er nach Damaskus, Amman und Kairo geflogen. Über all diese Nahost-Initiativen gab er mir das folgende Interview: Frage: Sie haben am 8. Februar 1977 den israelischen Außenminister Yigal Allon in Brüssel getroffen und sind anschließend nach Damaskus, Amman und Kairo geflogen, um direkt mit drei arabischen Regierungen Gespräche über die Probleme des Nahen Ostens zu führen. Was ist das Ergebnis dieser Reise? Antwort: Mit meinem Freund Yigal Allon stehe ich in einem regelmäßigen und vertrauensvollen Meinungsaustausch. Wie Sie wissen, fahre ich nicht zum ersten Mal nach Israel und auch Herr Allon war noch im vergangenen Sommer in Bonn. Für meine Gespräche in den arabischen Hauptstädten kam es mir darauf an, mit ihm noch einmal ausführlich über die Problematik des Nahen Ostens zu sprechen und dabei die israelische Haltung zum gegenwärtigen Stand des Konfliktes aus erster Hand kennenzulernen. Deshalb habe ich es besonders begrüßt, Herrn Allon noch wenige Stunden vor meinem Abflug nach Damaskus sprechen zu können. Das entspricht dem ausgezeichneten Stand der deutsch-israelischen Beziehungen, die von gegenseitigem Vertrauen bestimmt sind. Jede Seite weiß, daß sie sich auf die andere verlassen kann. Auf meiner Nahost-Reise hatte ich Gelegenheit, mit den führenden Politikern Syriens und Ägyptens, und am Rande der Beisetzungsfeierlichkeiten für Königin Alia auch in Jordanien, ausführliche Gespräche führen zu können. Bei all diesen Begegnungen stand die Erörterung des Nahostkonflikts an erster Stelle. Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, daß im Nahen Osten eine positive Bewegung in Gang gekommen ist, die nach Möglichkeit genutzt werden sollte. Ich bin fest überzeugt, daß die Staatsmänner aller drei Nachbarländer Israels ernsthaft bemüht sind, die Voraussetzungen für einen dauerhaften und gerechten Frieden zu schaffen. Dies darf in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden. Deshalb werde ich diese Erfahrungen und Beobachtungen meinen israelischen Freunden übermitteln. Frage: Ist bei diesen Gesprächen sichtbar geworden, daß die arabischen Staaten gewillt sind, mit einer Stimme zu sprechen, wenn die Genfer Nahost-Konferenz zustande kommen sollte? Antwort: Meines Erachtens ist die gegenwärtige günstige Konstellation wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Regierungen der unmittelbar am Konflikt beteiligten arabischen Staaten einschließlich Saudi-Arabiens, das eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt, eine gemeinsame und konstruktive Haltung einnehmen. Dies ist nicht erst für die Wiederaufnahme der Genfer Konferenz von Bedeutung, sondern stellt in meinen Augen eine Voraussetzung dafür dar, daß die Frie643
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten densbemühungen überhaupt wieder in Gang kommen. In einem gewissen Sinne befinden wir uns ja bereits im Vorfeld solcher Bemühungen um Frieden im Nahen Osten. Als solche Beiträge sind auch die Reisen zu verstehen, die in diesen Wochen durchgeführt werden. Frage: Die arabischen Staaten und Israel sind durch eine globale Mittelmeerpolitik enger an die Europäische Gemeinschaft gebunden. Glauben Sie, daß diese wirtschaftliche Hilfestellung nun auch dazu führen kann, daß die politische Arbeit leichter wird, daß sich dieser Raum einer Friedensregelung nähert? Antwort: Ich halte die von Ihnen angesprochene Mittelmeerpolitik der Neun für einen besonders wichtigen Beitrag auf dem Wege zu einer Friedensregelung im Nahen Osten. So sind auch die Präferenzabkommen und Zusatzprotokolle mit Israel, Ägypten, Syrien und Jordanien zu sehen, denen hoffentlich bald entsprechende Vereinbarungen mit dem Libanon folgen werden. Damit haben die Neun unter Beweis gestellt, daß es ihnen mit ihrer Bereitschaft zur Hilfeleistung ernst ist. Man kann heute zwischen Politik und Wirtschaft keine scharfen Trennungslinien mehr ziehen. Deshalb führe ich die günstige Entwicklung der jüngsten Zeit im Nahen Osten ganz wesentlich darauf zurück, daß die Staatsmänner dieser Region das dringende Bedürfnis ihrer Völker nach Verbesserung ihrer wirtschafdichen und sozialen Bedingungen, Beseitigung der Rückständigkeit und innerer Stabilität erkannt haben und deshalb den Weg zum Frieden gehen wollen. Der europäische Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilität im Nahen Osten, der ja auch bilateral und gemeinschaftlich auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe geleistet wird, wird dabei helfen — wie Sie es formuliert haben —, die politische Arbeit leichter zu machen. Damit wollen wir Außenpolitik nicht durch Wirtschaftspolitik ersetzen. Denn Europa hat ein unmittelbares eigenes Interesse, zu den Vorgängen in seiner Nachbar-Region auch in politischen Dingen seine Meinung zu sagen. Krieg oder Frieden im Nahen Osten kann uns nicht gleichgültig sein. Diese Frage geht uns Europäer unmittelbar an. Frage: Sie werden am 16. März Israel besuchen und mit dem israelischen Außenminister Allon erneut Beratungen über dieses schwierige Problem haben. Glauben Sie, daß die israelische Seite bereit ist, ihre Bedenken gegen eine gemischte, aber doch mit einer Stimme sprechende arabische Delegation bei kommenden Verhandlungen fallen zu lassen? Auch dann, wenn Palästinenser oder PLO-Vertreter in einer gemeinsamen arabischen Delegation sein sollten? Antwort: Wie die Palästinenser an den Bemühungen um Beendigung des arabisch-israelischen Konflikts beteiligt werden können, ist angesichts der bestehenden unterschiedlichen Ausgangspositionen eine bisher ungelöste Frage. In erster Linie ist es Sache der Konfliktparteien, dafür einen Weg zu finden. Aber der freundschaftliche Rat derer, die mit beiden Seiten gute Beziehungen unterhalten, kann hilfreich sein. Frage: Wird die Bundesrepublik bei all diesen Problemen und kommenden Gedanken ihre eigenen Vorstellungen entwickeln oder dieses nur im Rahmen der Europäischen Staaten tun? 644
29.8 Ein vertraulicher Auftrag von Franz-JosefStrauß Antwort: Die Staaten der EG haben im Rahmen ihrer politischen Zusammenarbeit eine gemeinsame Position auch in der Nahostpolitik entwickelt. Wir haben hierzu unseren Beitrag geleistet und stehen voll hinter dieser Politik. Die Bundesregierung legt diese gemeinsame Position ihrer eigenen Nahostpolitik zugrunde.
29.7 Franz-Josef Strauß in Kairo - Ein wichtiger Dialog auch für den Frieden im Nahen Osten Der Vorsitzende der CSU Franz-Josef Strauß, reiste am 15. Mai nach Kairo zu einem Informationsbesuch. Am 16. Mai veröffendichte „Die Welt" ein Interview mit Strauß, in dem er auch zu den Problemen einer Friedenspolitik in diesem Raum Stellung nahm. Hier Auszüge aus dem Gespräch: Welt: Sie haben aus Ihrer Freundschaft zu Israel nie einen Hehl gemacht. Steht Ihre Reise nach Ägypten dazu nicht im Widerspruch? Strauß: Ich bin immer gewohnt und auch dafür bekannt, mit offenen Karten zu spielen. Das, was ich Präsident Sadat sage, werde ich auch Herrn Peres sagen und umgekehrt. Ich freue mich, ein vertrauenswürdiger Gesprächspartner von Präsident Sadat und seit vielen Jahren ein guter Bekannter von Herrn Peres zu sein. Wenn ich zum gegenseitigen Verständnis und Vertrauen beitragen kann, dann leiste ich nicht nur den Menschen in den betroffenen Ländern, sondern auch der Sicherheit Europas einen guten Dienst. Welt: Sie haben das Stichwort Nahost-Konflikt selbst genannt. Unter welchen Voraussetzungen kann nach Ihrer Einschätzung eine Lösung erreicht werden? Strauß: Soweit ich die Verhältnisse kenne, kann eine Lösung nur im Rahmen einer Fortsetzung der Nahost-Konferenz gefunden werden. Allerdings sollte sie gut vorbereitet sein, damit sie nicht ergebnislos abgebrochen wird, sonst werden die letzten Dinge schlimmer sein als die ersten. Diese Konferenz wird wohl nur zum Erfolg führen, wenn alle Partner bereit sind, im Dienst eines stabilen Friedens sich gegenseitig entgegenzukommen. Ich sage ausdrücklich, daß das für beide Seiten gilt. Ich bin überzeugt, daß Präsident Sadat ein Mann des Friedens ist, daß er um die Durchsetzung einer friedlichen Lösung auch im eigenen Lager bemüht ist und daß ein Mißerfolg sehr gefährliche Folgen haben könnte. Ich glaube ferner, daß die Frage der Grenzen heute nicht mehr genauso gesehen werden kann wie noch vor einer Reihe von Jahren. Darum wäre eine Regelung, bei der Ägypten als das Führungsland der arabischen Welt nicht nur einen Friedensvertrag unterzeichnet, sondern auch eine Garantie gibt, eine Voraussetzung für die Rückkehr friedlicher und stabiler Verhältnisse im Mittelmeerraum. Welt: Herr Strauß, sollten die Palästinenser mit am Verhandlungstisch sitzen? Strauß: Ich glaube, daß die arabischen Staaten ohne eine wie auch immer geartete Beteiligung der Palästinenser im Rahmen der arabischen Delegation nicht zur Fortsetzung der Genfer Nahost-Konferenz zu bewegen sind. 645
29 Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten
29.8 Ein vertraulicher Auftrag von Franz-Josef Strauß: „Informieren Sie unsere Freunde" Franz-Josef Strauß war gerade aus Ägypten zurückgekehrt, wo er lange Gespräche mit Anwar el Sadat geführt hatte, da telefonierte ich mit seinem Büro und bat um einen Termin, um mich über diese Reise zu informieren. Herr Strauß kam selbst an den Apparat und bat mich, rasch zu ihm zu kommen. Ich hatte auch der Sekretärin erklärt, daß ich kurz vor einer Israelreise stünde. Als wir in seinem Büro zusammensaßen, erläuterte er mir den Tenor des Gespräches mit Sadat, das darin gegipfelt hatte, daß dieser ägyptische Staatspräsident im November des gleichen Jahres nach Israel, nach Jerusalem, reisen würde, um eine Geste für den Frieden zu unternehmen. Strauß bat mich, bei meiner bevorstehenden Reise doch die „Freunde" wie er sagte, zu informieren. Moshe Dajan,Joseph Burg, E. Weizmann, Senator Ehrlich, sie waren alle im Begriff Minister des neuen KabinettsBegin zu werden, der die Wahlen gerade gewonnen hatte. Ich tat, wie es mir Herr Strauß aufgetragen hatte. Es war nicht ganz einfach, die Anschriften zu erhalten, die privaten Telefonnummern, aber es gelang. Grund meiner Reise war ein Public-Relations-Kongreß, der offensichtlich gedacht war, um die öffentliche Meinung für Israel einzunehmen. Ich fuhr zu Moshe Dajan in seine Siedlung, wo er ein sehr schönes Haus hatte, in dem viele archäologische Ausstellungsstücke, die einem Museum alle Ehre gemacht hätten, zu sehen waren. Dajan empfing mich pünktlich wie verabredet. Die Wachen ließen mich durch, es war alles vorbereitet. Wir setzten uns zusammen. Ich berichtete ihm von meinem Gespräch mit Franz-JosefStrauß, überbrachte ihm die Grüße. Er hörte zu, was ich zu sagen hatte. Ich war offensichtlich der erste, der ihm diese Nachricht überbrachte. Am Tage darauf traf ich Dr.JosephBurg, der seit der Gründung des Staates Israel in allen Kabinetten Minister gewesen war. Er hatte mich auch 1954 als erster Minister einer israelischen Regierung in Israel begrüßt. Damals war Burg Postminister. Er empfing mich in seinem Dienstzimmer, stand auf, und sagte: „Sie wissen nicht, warum ich Sie hier begrüße?" Ich verneinte, denn ich hatte wirklich keine Ahnung was dahinterstecken könnte. Burg begann, indem er sagte: „Einmal stehen Sie bei Konrad Adenauer und diesen Mann verehren wir wegen seiner Haltung dem jüdischen Volk gegenüber. Zum anderen sind sie Katholik. Die Katholiken haben sich uns Juden gegenüber in jener Zeit am besten benommen. Und das dritte werden Sie nicht ahnen. Ihre und meine Mutter waren zusammen in Theresienstadt. Und das verbindet viel mehr als alles andere! Nur haben Sie einen Vorteil, Ihre Mutter ist wiedergekommen." Dr. Burg kam zu mir ins Hilton in Tel Aviv. Er war vielen Gästen bekannt, wurde gesehen und bestaunt. Viele wunderten sich, mit wem er wohl dort in der Halle zusammensitze. Das Gespräch war viel leichter mit ihm als mit Moshe Dajan. Dr. Burg stammt aus Dresden. Somit ist die deutsche Sprache unsere gemeinsame Muttersprache. Unser Gespräch dauerte über eineinhalb Stunden. Er stellte viele Fragen über meine Ansicht zu verschiedenen Problemen. Auch Dr. Burg hatte 646
29.9 Was wollte Anwar el Sodati ich Grüße von Franz-JosefStrauß gebracht. Es war wie immer, wenn wir uns trafen, ein sehr gutes, ein menschlich herzliches Gespräch. Ethar Weizmann, der kommende Verteidigungsminister und Luftwaffengeneral, den ich schon von meinem ersten Besuch mit Strauß gut kannte, als er damals Chef der israelischen Luftwaffe war, begrüßte mich ebenfalls in seinem Hauptquartier, das er noch von den Wahlen her hatte. „Wann kommt Strauß? Wird er die nächsten Wahlen gewinnen?" Alles Fragen, die ich ihm nicht so einfach beantworten konnte. Weizmann war burschikos und fröhlich wie immer und nahm die Nachricht vom Kommen Sadats mit sehr großer Zustimmung auf. Das Gespräch dauerte nicht sehr lange, aber es war sehr inhaltsreich. Es zeigte, daß dieser Mann, der in wenigen Tagen Minister sein würde, doch seine klare Meinung zu diesen Dingen hatte. Das Treffen mit Simcha Ehrlich war ebenfalls recht eindrucksvoll. Wir trafen uns im Büro der Liberalen Partei und saßen dort auch fast zwei Stunden zusammen. Ich hatte Herrn Ehrlich noch nie gesehen. Er war ein interessanter Mann, obwohl ich den Eindruck hatte, daß er in dem Bereich der Finanzen, für den er vorgesehen war, noch nicht sehr starke Antworten zu geben wußte. Ich fragte ihn nach der Inflation in Israel und nach all den wirtschaftlichen Problemen Israels. Ich bekam wenig Antworten, die in die Zukunft wiesen. Später hat sich herausgestellt, daß Herr Ehrlich es auch schwer hatte, auf diesem Sektor zu wirken, und daß er schließlich als Minister ohne Portefeuille wieder vom Amt des Finanzministers zurücktrat.
29.9
Was wollte Anwar el Sadat?
Erst sehr viel später ließ sich ermessen, welche Vision Anwar el Sadat damals vom Frieden hatte. In dem Gespräch mit Franz-Josef Strauß, im Mai 1977, legte er dar, wie notwendig es für das ägyptische Volk sei, Frieden mit Israel zu schließen. Er sah bereits vor seinem geistigen Auge die israelischen Ingenieure und Techniker, die in der Landwirtschaft und in der Industrie würden helfen können, dem ägyptischen Volk den Weg in die wirtschaftliche Zukunft zu bahnen. Moderne Landwirtschaft, das war auch Sadat klar, mußte mit moderner Technik geschaffen werden. Sadat setzte sich bei diesen Gesprächen über alle politischen Vorurteile der Vergangenheit hinweg. Seine Rede in Jerusalem sollte denn auch dieses Bild in edichen Einzelheiten bestätigen. Als mir Franz-Josef Strauß von dieser Begegnung berichtete, war er tief ergriffen von der Haltung des ägyptischen Präsidenten. Bis heute sind die Einzelheiten nur langsam vorangekommen. Aber immerhin: Es gibt einen Austausch von Botschaften zwischen Kairo und Tel Aviv, man fliegt mehrmals wöchentlich mit israelischen und ägyptischen Maschinen zwischen Tel Aviv und Kairo und was es an wirtschaftlichem und fachlichem Austausch gibt, läßt sich im einzelnen gar nicht sagen. 647
30 Die kritische Lage im Nahen Osten bringt auch Spannungen zwischen der Bundesrepublik und Israel
30.1
Solidarität mit den Menschen in Israel—Ein Gespräch mit dem neuen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Eric Blumenfeld
Am 13. März 1977 wählte die Mitgliederversammlung der DIG ein neues Präsidium. Eric Blumenfeld, Abgeordneter im Deutschen Bundestag, wurde der neue Präsident. In der Satzung der Gesellschaft gab es einige Änderungen, die einem neuen Programm gleichkamen. Ich fragte Herrn Blumenfeld in einem Interview nach dem neuen Arbeitsprogramm der Gesellschaft. Antwort: Für das neue Programm ist zunächst vordergründig, daß wir uns auf die eigentliche Ziele der DIG, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, wieder besinnen. Die DIG ist gegründet worden, um Solidarität mit dem israelischen Volk und dem Staat Israel auf all den der Gesellschaft zugänglichen Ebenen zu vollziehen, zu ermöglichen, zu vertiefen und täglich auszuüben. Wir haben das Wort „kritische Solidarität", das ein Teil von Mitgliedern der DIG unbedingt einführen wollte, gestrichen, weil es zu Mißdeutungen nicht n u r Anlaß geben kann, sondern Anlaß gegeben hat. Wir haben ausdrücklich bekräftigt und herausgestellt, daß es nicht Aufgabe der DIG sein kann, zur offiziellen Politik der israelischen Regier u n g öffentlich Stellung zu nehmen, was nicht bedeuten soll, daß die DIG sich nicht darüber im klaren ist, daß die deutsch-israelischen Beziehungen ebenso wie die israelisch-deutschen Beziehungen und die Gesamtlage im Nahen Osten eine politische Gesamtbewertung, eine politische Überwölbung, hat und immer haben wird. Mit anderen Worten: Ich möchte dazu beitragen, mit dem neugewählten Präsidium die Arbeit der DIG, die sachliche Arbeit, die Jugendarbeit, die wir fortsetzen wollen — allerdings unter weniger Politisierung — d a f ü r stärkerem persönlichen menschlichen Sich-Kennenlernen. Es ist wichtig, daß die junge Generation das auf beiden Seiten tut. Ich möchte hinzufügen, daß insgesamt gesehen eine stärkere Konzentration auf die kulturelle und auf die Begegnung in den verschiedensten Schichten, auch der Erwachsenen und der Älteren mit Hilfe und durch Initiative der DIG und ihrer Partnerorganisationen in Israel erfolgt. Das, was ich jetzt einleiten will, ist eine neue Zusammenarbeit mit der Israelisch-Deutschen Gesellschaft, d e r IDG. Das setzt auch voraus, daß bei der IDG Mitglieder der Knesset aus d e n verschiedenen politischen Gruppierungen tätig werden, aber ich möchte, daß in Zukunft zwischen DIG und IDG ein lebendiger und kontinuierlicher Informations- und Kooperationsfluß herrscht u n d daß politische Gespräche nicht außerhalb, sondern zunächst innerhalb dieser beiden Organisa648
30.1 Solidarität mit den Menschen in Israel — Ein Gespräch mit Eric Blumenfeld tionen geführt werden. Politische Gespräche, die sowohl die innenpolitische und außenpolitische Lage Israels angehen, wie auch die innenpolitischen und außenpolitischen Vorstellungen, die in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt werden. Das interessiert ja auch die Israelis. Das heißt, ich möchte d a f ü r Sorge tragen, daß nun endlich der leider in der Vergangenheit aus vielen Gründen nicht funktionierende Kontakt zwischen den beiden Organisationen wieder sehr stark aktiviert wird und daß nicht an unseren Organisationen vorbei die eine oder die andere Organisation ihre Aktivitäten im jeweiligen Lande durchführt. Ich möchte auch - und das ist eine Sache, die mit Einvernehmen der israelischen Botschaft und der israelischen Regierung geschieht — die überhandgenommenen und zum Teil spannungsgeladenen Beziehungen mit der israelischen Botschaft seitens der DIG auf ein Normalmaß zurückführen, so wie es sich für eine Freundschaftsgesellschaft versteht und eigentlich für sie auch nur zukommt. Wir wollen unsere Fragen mit unseren Partnern besprechen aber nicht mit den Regierungen. Frage: Herr Blumenfeld, Sie sind seit Jahrzehnten im europäischen Bereich politisch tätig, Mitglied des Europäischen Parlaments, Sie haben als Vorkämpfer f ü r eine Vereinigung Europas gewirkt. Heute ist Israel auf dem Wege nach Europa. Es gibt in den Nachbarländern Deutschlands gleiche Freundschaftsgesellschaften. Sehen Sie hier eine Möglichkeit, das israelische Wollen besonders zu unterstützen? Antwort: Ja, ich kann Ihnen sagen, daß einer unserer nächsten Schritte sein wird, mit den israelischen Freundschaftsgesellschaften in der Schweiz, in Frankreich und in anderen benachbarten europäischen Ländern, darunter auch in Österreich, Zusammenkünfte zu haben. Wir haben schon eine Einladung seitens unserer Schweizer Partner. Wir wollen uns dann über gemeinsame und vielleicht auch konzentrierte Schritte unterhalten, wie wir Israel auch stärker bei seinem Weg nach Europa in vielen Richtungen stützen können. Aber ich muß immer wieder sagen, daß es unsere Aufgabe ist, vorbehaltlos und solidarisch für die Israelis, d. h. f ü r die Menschen einzustehen und die menschlichen Beziehungen zu beiden Ländern enger zu knüpfen. Wir sind kein politischer Planungsstab, der f ü r die israelische Regierung oder für die Bundesregierung arbeitet. Jeder von uns hat als Mitglied der DIG seine eigene politische Heimat oder seine eigenen politischen Vorstellungen. Diese sind dem Ziel unterzuordnen, wie es satzungsgemäß festgelegt ist, und ich lasse an diesen satzungsgemäßen Zielen, die die große Mehrheit der Mitglieder der DIG im übrigen voll unterstützt, nicht durch Minderheiten rütteln. Ich bin froh darüber, daß auf Grund meiner Wahl zum Präsidenten und meinen Ausführungen, die ich in der Mitgliederversammlung zu diesem bestimmten Punkt gemacht habe, dort eine Reihe von Austritten erfolgt sind. Ich glaube, das hat die Luft gereinigt. Das werte ich als einen Erfolg, denn Leute, die die DIG zu einer Organisation, die sich im Palästinenserkonflikt einmischt, umfunktionieren wollen, die sollen in einer anderen Organisation tätig werden oder eine andere gründen. Das steht ihnen ja ohne weiteres frei, aber die DIG gibt ihnen hierfür weder Raum noch Platz. Im übrigen will ich sehr bald eine 649
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland und Israel
erste Sitzung und Zusammenarbeit mit dem Präsidenten der IDG in Israel durchführen lassen. Ich nehme an, daß eine Delegation unseres Präsidiums sich in Tel Aviv oder in Jerusalem noch vor der Sommerpause zu Gesprächen aufhalten wird. Voraussetzung ist dafür allerdings, daß sich in Israel die Nachwehen der Wahl soweit gelegt haben, der Staub sich soweit gesetzt hat, daß wir nützliche Gespräche mit den Mitgliedern des Präsidiums der IDG führen können, die ja zum Teil auch Politiker sind.
30.2 Erklärung des Europäischen Rats über den Nahen Osten Am 29. Juni 1977 beschloß der Europäische Ministerrat in Brüssel die folgende Erklärung: 1. Im gegenwärtigen kritischen Stadium der Lage im Nahen Osten begrüßen die Neun alle Bemühungen um die Lösung dieses tragischen Konfliktes. Sie unterstreichen nachdrücklich das grundlegende Interesse an frühestmöglichen und erfolgreichen Verhandlungen mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens. Sie fordern mit Nachdruck alle betroffenen Parteien auf, an solchen Verhandlungen in einem konstruktiven und realistischen Geiste teilzunehmen, zugleich sollten insbesondere alle Parteien von Erklärungen und politischen Maßnahmen Abstand nehmen, die ein Hindernis bei der Suche nach Frieden darstellen könnten. 2. Die Neun haben in der Vergangenheit mehrfach, z. B. in ihren Erklärungen vom 6. November 197S, vom 28. September 1976 und 7. Dezember 1976, ihre Überzeugung dargelegt, daß eine Friedensregelung auf den Resolutionen 242 und 338 des Sicherheitsrates sowie auf folgendem beruhen sollte: I. Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Gewalt, II. Notwendigkeit, daß Israel die territoriale Besetzung beendet, die es seit dem Konflikt von 1967 aufrecht erhält, III. Achtung der Souveränität, der territorialen Integrität und der Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region sowie seines Rechts, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben, IV. Anerkennung, daß bei der Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens die legitimen Rechte der Palästinenser berücksichtigt werden müssen. Es bleibt ihre feste Überzeugung, daß alle diese Aspekte als ein Ganzes betrachtet werden müssen. 3. Die Neun haben ihre Überzeugung bekräftigt, daß der Konflikt im Nahen Osten nur gelöst werden kann, wenn das legitime Recht des palästinensischen Volkes auf effektiven Ausdruck seiner nationalen Identität in die Wirklichkeit umgesetzt wird, wobei der Notwendigkeit eines Heimatlandes für das palästi650
30.3 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher spricht vor den Vereinten Nationen nensische Volk Rechnung getragen wird. Sie sind der Auffassung, daß die Vertreter der Konfliktparteien, einschließlich des palästinensischen Volkes in angemessener Weise, welche in Konsultation zwischen allen betroffenen Parteien festzulegen ist, an den Verhandlungen teilnehmen müssen. Im Rahmen einer Gesamtlösung muß Israel bereit sein, die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes anzuerkennen, ebenso muß die arabische Seite bereit sein, das Recht Israels anzuerkennen, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben. Durch gewaltsamen Gebietserwerb kann die Sicherheit der Staaten der Region nicht gewährleistet werden, sie muß vielmehr auf Friedensverpflichtungen gegründet sein, die alle betroffenen Parteien untereinander in d e r Absicht eingehen, wahrhaft friedliche Beziehungen herzustellen. 4. Die Neun sind der Ansicht, daß die Friedensverhandlungen mit dem Ziel der Vereinbarung und D u r c h f ü h r u n g einer umfassenden, gerechten und dauerhaften Lösung des Konflikts baldmöglichst aufgenommen werden müssen. Sie sind nach wie vor bereit, in dem von d e n Parteien gewünschten Maße dazu beizutragen, daß eine Lösung gefunden u n d verwirklicht wird. Sie sind ebenso bereit, eine Beteiligung an Garantien im Rahmen der Vereinten Nationen ins Auge zu fassen.
30.3 29. September 1977: Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher spricht vor den Vereinten Nationen Bei der Generaldebatte der 32. Vollversammlung der Vereinten Nationen ergriff Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in New York das Wort. In seiner Rede legte er die Grundzüge der deutschen Außenpolitik dar. Dabei analysierte er u. a. auch die Themenkreise einer deutschen Nahost-Politik. Von der israelischen Regierung wurde seine Rede eine Woche danach kritisiert. Es hieß, daß seine Äußerungen mit Bedauern aufgenommen wurden, da sie „den Friedensbemühungen im Nahen Osten nicht dienen, und den freundschaftlichen deutsch-israelischen Beziehungen widersprechen". Darum gehört der erste Teil der Rede Genschers in diese Dokumentation, worin die deutsche Auffassung einer Nahost-Politik deutlich wird. Bundesaußenminister Genscher sagte: „Herr Präsident, wir sind zusammengekommen, um eine Welt, die geteilt ist durch ideologische Gegensätze, getrennt durch eine Kluft zwischen armen und reichen Nationen, zerrissen durch eine Vielfalt von Konflikten — um diese Welt ein Stück voranzubringen auf dem langen Weg zu unserem Ziel: Einer Welt des Friedens, des wirtschaftlichen u n d sozialen Fortschritts und d e r Achtung vor d e r Würde des Menschen. Den Vereinten Nationen als der einzigen weltumspannenden Organisation kommt bei dieser Aufgabe eine zentrale Bedeutung zu. 651
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland und Israel
Unsere Zeit ist eine Zeit tiefgreifender Veränderung. Neues Denken und Handeln sind gefordert. Noch vor einer Generation wurde der Gang der Welt bestimmt von einigen wenigen Großmächten. Seitdem sind hundert neue Staaten entstanden und mit eigenen Vorstellungen und Ansprüchen in die Weltpolitik eingetreten. Zum erstenmal in der Geschichte sind sich die Staaten der Erde bewußt, daß sie weltweit aufeinander angewiesen sind. Immer klarer wird gesehen: Wir müssen unsere Zeit des Übergangs durch Kooperation zu einer Ära gemeinsamen Fortschritts machen, wenn sie nicht durch Konfrontation zu einer Ära gemeinsamen Niedergangs werden soll. Die Welt ist auf der Suche nach einer gerechten Ordnung der Zusammenarbeit. In der Vergangenheit wurde Ordnung zwischen Staaten oft verstanden als Über- und Unterordnung — politisch, militärisch und wirtschaftlich. Diese Politik der Vorherrschaft hat keine Zukunft mehr. Zwar ist die Idee, die eigenen Interessen durch Machtpolitik zu sichern, noch keineswegs tot. Aber gegen sie steht die stärkste Kraft unserer Epoche: Der Wille der Nationen zu Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Dieser Wille ist stark gerade auch bei den Nationen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Er hat die großen Kolonialreiche aufgelöst. An ihm wird jeder Versuch scheitern, neue Abhängigkeiten zu begründen. Dies gilt auch für den Versuch, Vorherrschaft durch Ideologie zu errichten - durch ideologischen Kolonialismus. Unter den Bedingungen der modernen Welt lassen sich die eigenen Interessen dauerhaft nur durch eine Politik der Zusammenarbeit und des gerechten Interessenausgleichs sichern. Die Weltordnung der Zukunft kann nur eine Ordnung der Gleichberechtigung sein. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Achtung vor der Selbstbestimmung und der Gleichberechtigung der Nationen von Anfang an zur Grundlage ihrer Außenpolitik gemacht: Wir wollen die Selbstbestimmung für die unteilbare deutsche Nation. Wir bauen mit an der Europäischen Gemeinschaft, in der jedes Mitglied gleichen Rang und gleiches Recht hat. Wir gestalten das Nordatlantische Bündnis mit als einen Zusammenschluß gleichberechtigter Staaten. Wir streben mit unserer Entspannungspolitik gleichberechtigte und beiderseits vorteilhafte Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarländern an. Wir wollen gleichberechtigte und ausgewogene Partnerschaft mit den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Wir stellen uns voll hinter ihren Anspruch auf Unabhängigkeit eigenständiger Entwicklung. Wir wollen, mit einem Wort, eine Welt ohne Vorherrschaft. Wir streben nicht nach Einflußsphären, wir wollen keine Ideologien exportieren — wir wollen vielmehr eine Welt, in der alle Nationen ihre politische, wirtschaftliche und kulturelle Lebensform selbst bestimmen und in der sie partnerschaftlich zusammenarbeiten. Zu einer großen Kraft für eine solche Welt der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der Nationen ist die Bewegung der Ungebundenen geworden. Einen wichtigen Beitrag können auch regionale Zusammenschlüsse leisten, die auf der Basis der Gleichberechtigung beruhen—in Asien, in Afrika, in Lateinamerika. Unser Ziel ist eine Welt der Partnerschaft. Das bedeutet: 1. Wir müssen, um den Frieden zu sichern, zwischen westlichen und östlichen Industrieländern über die ideologischen Gegensätze hinweg konstruktiv zusammenarbeiten. 652
30.3 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher spricht vor den Vereinten Nationen 2. Wir müssen den friedensgefährdenden und kräftevergeudenden Rüstungswettlauf beenden. 3. Wir müssen die in vielen Regionen der Welt schwelenden Konflikte auf friedlichem Wege lösen. 4. Wir müssen die Kluft zwischen armen und reichen Nationen stetig verringern. Wir müssen Hunger und Not in der Welt überwinden. 5. Wir müssen die Achtung vor den Rechten und der Würde des Menschen zum Fundament der Gerechtigkeit und der Stabilität in der Welt machen. Die Politik der Friedenssicherung entscheidet in einer Welt nuklearer Waffen über das Schicksal der Menschheit. Friedenssicherung ist das gemeinsame Ziel aller demokratischen Kräfte in meinem Land. Friedenssicherung ist mehr als die Vermeidung von Krieg. Durch den Verzicht auf Gewalt und die friedliche Lösung der Konflikte müssen wir zu einer Welt der Partnerschaft kommen. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben diesen Weg beschritten. Noch in diesem Jahrhundert standen sie sich zweimal in Kriegen gegenüber; heute ist das Europa der Neun zu einer Kraft des Friedens in der Welt geworden. Im Nordatlantischen Bündnis haben sich demokratische Staaten Europas und Nordamerikas zusammengeschlossen, um den Frieden zu sichern. Europäische Gemeinschaft und Nordatlantisches Bündnis wiederum sind die festen Fundamente, von denen aus der Prozeß der Ost-West-Entspannung eingeleitet werden konnte. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen erheblichen Beitrag geleistet, um Entspannung in Europa zu ermöglichen. Sie hat durch die Verträge von Moskau, Warschau und Prag den Weg zu normalen Beziehungen mit ihren östlichen Nachbarstaaten geöffnet. Wie bei dieser Entwicklung werden auch in Zukunft die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion für die Entspannung in Europa von grundlegender Bedeutung sein. Wir wollen diese Beziehungen auch weiterhin ausbauen. Durch den Grundlagenvertrag mit der DDR wurde eine Basis für das Zusammenleben der beiden deutschen Staaten geschaffen. Bestandteil dieser Politik der Bundesrepublik Deutschland ist das erklärte Ziel, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Wir sind gewiß: Die Geschichte wird auch hier zeigen, daß der Wille einer Nation zur Einheit sich behauptet. Niemand kann sich der Logik der Geschichte mit ideologischen Ausflüchten entziehen. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat den bilateral eingeleiteten Entspannungsprozeß unter den 35 Teilnehmerstaaten weitergeführt und ausgebaut. Die Schlußakte von Helsinki ist eine klare Absage an den Gedanken der Vorherrschaft. Die Beziehungen in Gesamteuropa sollen auf das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten gegründet sein. Auf dem bevorstehenden KSZE-Folgetreffen ist nüchtern Bilanz zu ziehen, ob und wieweit die allgemeinen Prinzipien und die konkreten wirtschaftlichen und humanitären Absichtserklärungen der Schlußakte bisher verwirklicht wurden, und was noch weiter zu tun ist. Die Bundesregierung wird sich dafür ein653
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland und Israel setzen, daß das Folgetreffen der Entspannung neue Impulse gibt. Belgrad darf nicht Endstation werden; es muß Zwischenstation in einem langfristig angelegten Entspannungsprozeß sein. Es darf nicht zu einem Rückfall in den kalten Krieg kommen, der weitere Fortschritte unmöglich machen u n d das Erreichte gefährden würde. Die Entspannung in Europa geht von den bestehenden Realitäten aus. Zu diesen Realitäten gehören die Bindungen West-Berlins zur Bundesrepublik Deutschland. Wir werden alles tun, um die Lebensfähigkeit West-Berlins zu sichern. West-Berlin m u ß am Prozeß der Entspannung und seinen Fortschritt voll teilhaben. Dafür ist das Viermächte-Abkommen über Berlin von entscheidender Bedeutung. Es muß strikt eingehalten und voll angewendet werden. Berlin ist Symbol und Gradmesser der Bereitschaft zu Entspannung und Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Wir wissen, die Gegensätze d e r Ideologien zwischen Ost und West werden weiter bestehen. Wir sind bereit zum Wettstreit der Ideen und der Leistung. Entspannung schließt jedoch aus, daß eine Seite der anderen ihr System aufzuzwingen versucht. Ost und West haben, jenseits aller ideologischen Rivalität, ein gemeinsames Interesse an der Sicherung des Weltfriedens, an dem Ausbau beiderseits vorteilhafter Zusammenarbeit und an der Lösung der Probleme d e r Entwicklungsländer. Diese brauchen den Beitrag der westlichen und der östlichen Industrieländer zur Bewältigung ihrer Aufgaben. Sie können nichts weniger brauchen als eine Übertragung des Ost-West-Gegensatzes in ihre Regionen. Präsident Carter hat das Ziel unlängst in seiner Rede in Charleston formuliert:,Unser Ziel', so sagte er, ,ist nicht, Uneinigkeit zu fördern und die Welt erneut in zwei gegeneinander stehende ideologische Lager zu teilen. Unser Ziel ist vielmehr, den Bereich unabhängiger, wirtschaftlich eigenständiger Nationen auszudehnen*. Eine Welt der Partnerschaft kann sich n u r in einem Klima internationalen Vertrauens entwickeln. Dieses Vertrauen setzt voraus, daß die Völker und Menschen frei von Furcht leben. Sie haben ein Recht darauf, vor der A n d r o h u n g oder Anwendung von Gewalt sicher zu sein, sei es Gewalt in Form politischer oder wirtschaftlicher Knebelung, sei es Gewalt von Waffen gleichgültig, welcher Art diese Waffen sein mögen. Das westliche Verteidigungsbündnis hat 1976 die Forderung erhoben, daß kein Land mehr Rüstung aufbauen soll, als es zu seiner Verteidigung benötigt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich von Anfang an dazu bekannt, daß Gewalt kein Mittel zur Lösung von Problemen sein kann. Sie tritt deshalb auch aktiv f ü r eine weltweite ausgewogene und kontrollierte Abrüstung ein. Dem Rüstungswettlauf muß ein Ende gemacht werden. Wir nehmen die Aufgabe ernst, die wir mit der Mitgliedschaft in dem Genfer Abrüstungsausschuß d e r Vereinten Nationen übernommen haben. Wir haben von Anfang an die Initiative f ü r eine VN-Sonder-Generalversammlung f ü r Abrüstung mitgetragen. Wir haben, bevor es den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen gab, auf solche Waffen verzichtet. Wir sehen in der Nichtverbreitung von Kernwaffen eine wesentliche Voraussetzung f ü r die Sicherung des Friedens. Als Mitglied des Nichtverbreitungsvertrags appellieren wir erneut an alle Staaten, die noch abseits stehen, diesem Vertrag beizutreten. Der Rüstungswettlauf vergeudet enorme Ressourcen in einer Welt, die ihre Kräfte auf die 654
30.3 Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher spricht vor den Vereinten Nationen
Überwindung von Hunger und Not konzentrieren müßte. Rüstungsausgaben von ca. 330 Milliarden Dollar im Jahre 1976 sind eine Herausforderung an die Vernunft und die moralische Kraft aller Staaten. Die bevorstehende Sonder-Generalversammlung über Abrüstung muß klar die Wege weisen, wie wir dieser Herausforderung gerecht werden. Sie darf nicht in Unverbindlichkeiten stecken bleiben. Neben den weltweiten Bemühungen um die Abrüstung sind regionale Anstrengungen vor allem dort notwendig, wo der Umfang des vorhandenen militärischen Potentials dies besonders dringlich macht. Deshalb wirkt die Bundesrepublik Deutschland aktiv an den Wiener MBFR-Verhandlungen mit. Unsere Ziele sind einfach und klar: 1. Wir wollen Parität der Streitkräfte in Mitteleuropa; keine Seite soll mehr Streitkräfte haben als die andere. 2. Wir wollen diese Parität auf einem niedrigeren Niveau. Die Verwirklichung dieser Ziele wäre eine Schritt zu größerer Stabilität. Er könnte dem Entspannungsprozeß neue starke Impulse geben. Bei allen Bestrebungen für Abrüstung und Rüstungskontrolle — weltweit und regional — sind wir uns der Bedeutung bewußt, die die SALT-Verhandlungen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion haben. Wir begrüßen die Anstrengungen, die hier unternommen werden. Fortschritte in diesen Verhandlungen werden sich vorteilhaft auf die Entspannung im allgemeinen und auf andere Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle auswirken. Die Entwicklung einer Welt der Partnerschaft setzt voraus, daß wir Konflikte auf friedlichem Wege lösen. Drei Konfliktherde stehen seit Jahren auf der Tagesordnung der Generalversammlung: der Nahe Osten, Zypern und das südliche Afrika. Im Nahen Osten, einer mit den Staaten der Europäischen Gemeinschaft eng verbundenen Nachbarregion, haben wir mit Erleichterung das Ende des Bürgerkrieges im größten Teil des Libanon gesehen. Aber noch herrscht nicht Frieden. Wir appellieren deshalb an alle, die an den immer wieder aufflackernden Kämpfen im Süden Libanons beteiligt sind, endlich die Waffen schweigen zu lassen. Dies ist notwendig nicht nur für den Libanon selbst, sondern für die Stabilität und den Frieden der ganzen Region. Von vitaler Bedeutung auch für Europa und die Welt ist eine Lösung des Nah-Ost-Konflikts. Die Bundesrepublik Deutschland hat zusammen mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft in der Erklärung des Europäischen Rats vom 29. Juni 1977 noch einmal die Grundsätze für eine Lösung bekräftigt: Eine gerechte und dauerhafte Friedensregelung muß, von den Sicherheitsrats-Resolutionen 242 und 338 ausgehend, folgende Grundsätze verwirklichen: — Sie muß das Recht aller Staaten der Region, und das heißt auch das Recht Israels, achten innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen in Frieden zu leben. — Sie muß die territoriale Besetzung beenden, die Israel seit 1967 aufrechterhält. — Sie muß die legitimen Rechte der Palästinenser berücksichtigen. 655
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland, und Israel Im Verständnis der Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Rechten des palästinensischen Volkes das Recht auf Selbstbestimmung und auf effektiven Ausdruck seiner nationalen Identität. Eine Lösung muß deshalb der Notwendigkeit eines Heimatlandes für das palästinensische Volk Rechnung tragen. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben alle Parteien mit Nachdruck aufgefordert, die Friedensverhandlungen möglichst bald aufzunehmen. An diesen Verhandlungen müssen die Palästinenser beteiligt werden. Der Weg zu Verhandlungen darf nicht durch einseitige Schaffung von Tatsachen behindert werden. Die Bundesregierung spricht sich deshalb auch von dieser Stelle gegen die Gründung israelischer Siedlungen in den besetzten arabischen Gebieten aus. Die Bundesrepublik Deutschland hat freundschaftliche Beziehungen zu allen Staaten der Region und nützt diese Beziehungen, um auf einen friedlichen Ausgleich hinzuwirken. Die zu Beginn des Jahres sichtbar gewordenen günstigen Ansätze müssen genutzt werden. Dazu ist notwendig, daß alle Beteiligten Respekt vor den unverzichtbaren Rechten des anderen zeigen. Ich appelliere eindringlich an alle Konfliktparteien, sich ihrer Verantwortung für die Erhaltung des Weltfriedens bewußt zu sein und durch Realismus und Kompromißbereitschaft eine Friedensregelung zu ermöglichen."
30.4 Neuer Botschafter in Israel, Klaus Schütz Am 29. August 1977 hat der neue deutsche Botschafter Klaus Schütz den Israelischen Staatspräsidenten Katzier sein Beglaubigungsschreiben überreicht. Kurz danach schilderte er mir seine ersten Eindrücke nach Beginn seiner Arbeit: „Wir haben ganz normal begonnen; ich muß jetzt erst einmal meine Botschaft richtig kennenlernen. Ich muß auch mit den anderen Botschaftern sprechen, besonders mit den Botschaftern des Gemeinsamen Marktes arbeiten wir hier in Israel sehr eng zusammen. Ich habe jetzt die notwendigen Kontakte mit der israelischen Regierung aufgenommen. Trotzdem darf man nicht vergessen, daß dies ein Land ist, in dem viele frühere Deutsche wohnen, die sich mit unserem Lande sehr verbunden fühlen. Sie haben auch Kontakte gesucht, d. h. ich bin in diesen Tagen eigentlich ziemlich eingedeckt gewesen mit Terminen und mit vielen Gesprächswünschen, aber ich habe den Eindruck, daß die Arbeit, so wie sie mir jetzt Spaß macht, mir auch weiterhin Freude machen wird." Frage: Haben Sie Briefe bekommen aus der Bevölkerung. Damals, als Dr. Pauls am ersten Abend im Sheraton-Hotel ankam, lagen Berge von Post vor, wie war es bei Ihnen? Antwort: Ich habe, sicherlich nicht so viel, wie zu der damaligen Zeit, Briefe bekommen, denn das war ja ein besonderes Ereignis. Viele Menschen wollten wohl deutlich machen, daß sie angesichts der Demonstrationen, die damals gegen die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen durchgeführt wurden, auch eine 656
30.5 Der israelische Außenminister Moshe Dayan kommt in die Bundesrepublik andere Auffassung hier zeigen wollten. Ich habe viele Grüße bekommen, Blumen, Briefe aus vielen Teilen der israelischen Bevölkerung. Ich bin der Meinung, daß der deutsche Botschafterjetzt—darf ich sagen, losgelöst von der Person—hier ein Faktor ist, den viele, auch im Blick auf die Vergangenheit, mit Befriedigung sehen. Wir sind hier als Bundesrepublik Deutschland ein Faktor, auf den man achtet. Frage: Vor einigen Tagen hat man als Datum — nicht als Feiertag — die Tatsache begangen, daß in Luxemburg am 10. September 1952 das deutsch-israelische Abkommen unterzeichnet wurde. Die Entwicklung durch 25 Jahre hat sich ja gut angelassen, spüren Sie das heute? Antwort: Die Entscheidung von damals ist natürlich weiterhin eigentlich bestimmend f ü r uns, und deshalb war es wohl richtig, daß wir dieses Datum nicht in Vergessenheit haben geraten lassen. Das was damals ein wichtiges Ereignis war, das wirkt bis heute nach, es ist ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung dieses Landes. In Israel ist trotz der Probleme und Schwierigkeiten, die nach innen und nach außen zu bewältigen sind, eine große Leistung erbracht worden. Wir können darauf hinweisen, daß auch die damalige Entscheidung, das Verhältnis zwischen den beiden Staaten deshalb wieder zu regulieren, daß man sich verständigt hat über die materielle Seite der Bewältigung der Vergangenheit. Dieses Ereignis von Luxemburg hat auch an dieser großen Leistung seinen Anteil. Frage: Zwei Probleme stehen vor uns, Herr Botschafter: Einmal die Frage, EG Israel, das sind verschiedene Themen, die die Israelis bedrücken und zum anderen der Besuch des israelischen Finanzministers scheint Bonn ins Haus zu stehen? Antwort: Über den Besuch des Finanzministers gibt es eine Verständigung zwischen dem Bundesminister Apel und dem hiesigen Finanzminister Ehrlich. Dieser wird im Dezember stattfinden. Wir freuen uns auf das erste Gespräch, wenn ich so sagen darf, das es dann mit einem Mitglied der israelischen Regierung auf deutschem Boden gibt. Die Fragen, die Israel mit der Europäischen Gemeinschaft haben wird, sind vielfältig. Dabei darf man nicht vergessen, daß die Tatsache, daß man heute auf einer gesicherten vertraglichen Basis mit der Europäischen Gemeinschaft seine Dinge regelt, hier in Israel von zentraler Bedeutung ist. Das andere sind zusätzliche Dinge, sind eine wichtige Abrundung. Dabei sollte man - wo es möglich ist - , den Israelis helfen. Wir tun das, aber dabei wird man auch sehen, daß die Europäische Gemeinschaft viele Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat und die Partner werden, wie ich hoffe, dabei eine für dieses Land wichtige Entscheidung treffen können!
30.5
Der israelische Außenminister Moshe Dayan kommt in die Bundesrepublik
Es war eine Woche nach dem historischen Treffen zwischen Menachim Begin und dem ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat in Jerusalem, am 27. Novem657
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland und Israel ber 1977, als der israelische Außenminister Moshe Dayan mit seiner Gattin nach Deutschland kam. Er flog zunächst mit einer deutschen Bundeswehrmaschine von Frankfurt nach Celle, um seinen Besuch in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Rundgang durch das ehemalige Konzentrationslagergelände und einer Besichtigung des Dokumentationszentrums sowie einer Kranzniederlegung am Internationalen und am Jüdischen Ehrenmal zu beginnen. Von dort flog Dayan nach Hamburg weiter, wo er sich in das Goldene Buch der Stadt eintrug und der Senat ihm im Rathaus der Stadt einen Empfang gab. Am nächsten Morgen flog der israelische Außenminister nach Bonn. Bundeskanzler Helmut Schmidt gab ihm zu Ehren ein Mittagessen, bei dem die Sachprobleme erörtert wurden. Am Abend war Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff der Gastgeber bei einem Essen, an dem rund 80 Personen aus dem öffentlichen Leben der Bundeshauptstadt teilnahmen. Am zweiten Tag seines Besuches hatte Moshe Dayan Gespräche mit dem damaligen Oppositionsführer Helmut Kohl und dem CSUVorsitzenden Franz-Josef Strauß. Außerdem besuchte er den erkrankten Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, um auch mit ihm zu sprechen. Danach kam er mit dem Vorsitzenden der SPD, Willy Brandt, zusammen, und am Abend dieses zweiten Tages gab Moshe Dayan im Hotel Königshof einen großen Empfang, an dem einige hundert Gäste aus der ganzen Bundesrepublik Deutschland teilnahmen. Die Tischreden, die bei dem Essen mit Graf Lambsdorff ausgetauscht wurden, zeigten eine deutliche Kritik des israelischen Außenministers an der Haltung der Europäischen Gemeinschaft zur Nahost-Frage, wobei er in der Hauptsache auch die Haltung der Bundesrepublik Deutschland betonte.
30.5.1
Die Rede Moshe Dayans
„Sehr geehrter Herr Gastgeber, Gräfin Lambsdorff, meine Damen und Herren, ich danke Ihnen Herr Bundesminister, für Ihre liebenswürdigen Worte und die freundliche Einladung, die Bundesrepublik Deutschland zu besuchen, um den in New York zwischen dem Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Genscher, und mir begonnenen Dialog fortzusetzen. Gestatten Sie mir, namens meiner Gattin und im eigenen Namen, Bundesminister Genscher eine baldige Genesung zu wünschen. Seit jenem Treffen zwischen mir und dem Vizekanzler, Herrn Genscher, ist in unserer Region eine interessante Entwicklung eingetreten, als der ägyptische Präsident Jerusalem besuchte, von dem Podium der Knesset aus seine Ansprache hielt und mit der Regierung und den Ministern Israels politische Gespräche führte. Damit leitete der führende arabische Staat eine neue Politik ein, die wir seit der Gründung unseres Staates ersehnten. Wir hoffen, daß sich dieses politische Momentum fortsetzt und einen wahren Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn herbeiführen wird. 658
30.5 Der israelische Außenminister Moshe Dayan kommt in die Bundesrepublik Während des Besuchs von Präsident Sadat erklärte der israelische Premierminister erneut, daß, obwohl die ägyptische Haltung im Gegensatz zu der israelischen steht —insbesondere hinsichtlich einer Rückkehr zu den Grenzen von 1967 und der Gründung eines palästinensischen Staates auf dem Westufer und im Gaza-Streifen — über alles verhandelt werden könne und zwar ohne Vorbedingungen. Dies bedeutet, daß jede der Seiten auf der Grundlage der eigenen Positionen in die Verhandlungen eintritt, und wir hoffen, daß in den Verhandlungen ein Weg zu Kompromissen und zur Überbrückung der bestehenden unterschiedlichen Haltungen bei Arabern und Israelis gefunden werden kann. Die Vernichtungsgefahr, die 4.000 Jahre lang über dem Volke Israels schwebte, und insbesondere die Schrecken der Massenvernichtung, der unser Volk vor über 30 Jahren ausgesetzt war, haben sich tief in unser Gedächtnis eingeprägt. Wir sind nicht gewillt, eine Lage hinzunehmen, in der wir erneut der Gefahr einer Vernichtung ausgesetzt wären. Seit Gründung des Staates Israel wurden wir in vier Kriege verwickelt, die uns die Araber erklärt hatten. Um des Friedens willen sind wir bereit, zahlreiche Risiken einzugehen; diese Risiken wollen jedoch kalkuliert sein, da wir es uns nicht leisten können, die eigentliche Existenz unseres Staates aufs Spiel zu setzen. Mit seiner Reise nach Jerusalem lieferte Präsident Sadat den Beweis f ü r das, was wir seit 30 J a h r e n ersehnten, nämlich, daß der Frieden durch unmittelbaren Kontakt herbeigeführt werden wird. In der arabischen Welt sind noch nicht alle davon überzeugt, daß dies der Weg ist, und es sind Kräfte am Werk, die bemüht sind, jeden aufrichtigen Versuch einer Regelung zu vereiteln, und ihre ablehnende Haltung mittels Gewalt und Terror durchzusetzen. Die internationale Gemeinschaft kann einen weitgehenden Beitrag zur Befriedung der Region leisten, indem sie den positiven Elementen ihre volle Unterstützung zuteil werden läßt und denjenigen, die dem Frieden im Wege stehen, ihren Widerstand entgegensetzt, und dies, ohne sich in den Inhalt der zwischen den Parteien auszuhandelnden Regelung einzumischen. Ägypten und seine Alliierten bedürfen jetzt Ihrer moralischen u n d politischen Unterstützung, und wir hoffen, daß Sie sie nicht enttäuschen werden, daß Sie die ägyptische Politik unterstützen, welche direkte und rasche Verhandlungen zwischen den Parteien anstrebt. Meine Anwesenheit hier ist mehr als nur ein Höflichkeitsbesuch. Wir haben wichtige Themen zu besprechen, sowohl im bilateralen Bereich als auch bezüglich der internationalen politischen Entwicklungen. Unsere Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland und ihren Partnern im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft messen wir eine große Bedeutung bei. Die Bedeutung dieser Bindungen ist nicht allein auf politische und wirtschaftliche Notwendigkeiten zurückzuführen; sie basiert vielmehr auf einer gemeinsamen politischen Weltanschauung und gemeinsamen menschlichen Werten. Es sei mir an dieser Stelle erlaubt, die Sorge des Volkes in Israel vorzutragen angesichts der jüngsten antisemitischen Vorfälle unter Jugendlichen, der Versuche, die Geschichte umzuschreiben, und der Nostalgie f ü r die Hitler-Kra, wobei eine Nachgiebigkeit gegenüber den Naziverbrechern und deren Vollziehern er659
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland und Israel
kennbar wird. Es liegt nahe, daß ich meinen Aufenthalt hier gestern mit dem Besuch des Massengrabes von Angehörigen meines Volkes und anderer Nationen in Bergen-Belsen begann. Dieser Besuch hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen und mich in der Erkenntnis bestärkt, daß man die Massenvernichtung weder vergessen noch vergessen machen darf, und dies nicht, um Haß zu schüren, sondern um der Jugend in aller Welt vor Augen zu halten, was in unserer Generation auf diesem Kontinent geschehen ist. Wir wissen, daß die hiesige Regierung und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens diese Gefahren erkannt haben und hoffen, daß sie alle erforderlichen Maßnahmen gegen gefährliche Erscheinungen dieser Art ergreifen werden. Die heutigen Gefahren für die menschliche Gesellschaft drohen auch aus der Richtung einer relativ neuen Ideologie, welche den Terror als politisches Mittel heiligt und Massentötungen von Frauen, Kindern und friedlichen Zivilisten nicht scheut, um ihre Ziele zu erreichen. Uns, als erstes Opfer dieser Plage, hatdie Erfahrung gelehrt, daß es sich hierbei nicht um kleine Gruppen handelt, die getrennt voneinander und selbständig innerhalb verschiedener Staaten operieren, sondern daß ein weitverzweigtes internationales Netz von Verbindungen zwischen Terroristengruppen besteht, die sich gegenseitig mit Ausbildungslager, Waffen, Sprengstoff, nachrichtendienstlicher Information, Ausweispapieren, Unterschlupf, Geld und selbst mit Personen bei der Durchführung von Terrorakten helfen. In der Tat sind wir heutzutage Zeugen einer terroristischen Internationale, bei deren Organisatoren und Drahtziehern es sich um Terroristen der PLO handelt, die ungestört von Stützpunkten in arabischen Ländern aus operieren, die ihnen nicht nur die Stützpunkte, sondern auch Zuflucht und politischen Rückhalt zuteil werden lassen. Unsere Erfahrung hat uns gelehrt, daß diese Seuche mit Entschiedenheit bekämpft werden muß und daß eine Kapitulation vor terroristischer Erpressung einer Ermutigung des Terrors gleichkommt und nachträglich menschliches Leben gefährdet. Uns ist bekannt, Herr Bundesminister, daß die Bundesrepublik Deutschland in den internationalen Organisationen Vorstöße auf diesem Gebiet unternommen hat. Auch wir haben auf internationalen Foren Initiativen ergriffen, und ich hoffe auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Ziel, den Terror und seine Helfershelfer international wirksam und mit Entschiedenheit bekämpfen zu können. Es freut mich, feststellen zu können, daß in den bilateralen Beziehungen zwischen unseren Ländern ein ständiger Fortschritt zu verzeichnen ist, und wir werden um seine Pflege und seinen Ausbau bemüht sein. Dieser Bereich wurde bereits bei meinen Gesprächen mit dem Bundeskanzler und mit Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister, teilweise angeschnitten. Ich bin sicher, daß es uns in gemeinsamer Anstrengung gelingen wird, die Schwierigkeiten zu überwinden und die Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel zu stärken. Wir begrüßen die Tendenz zu einer zunehmenden politischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft und sehen darin eien positiven Schritt, der es Europa ermöglichen wird, in der internationalen Gemeinschaft eine zentrale Rolle zu spielen. 660
30.5 Der israelische Außenminister Moshe Dayan kommt in die Bundesrepublik
In diesem Zusammenhang lassen Sie mich sagen, daß wir von Deutschland erwarten, daß es sich nicht in eine irrige Politik verstricken läßt, allein um der Solidarität mit der Europäischen Gemeinschaft gerecht zu werden. Im Gegenteil! Wir erhoffen von Ihnen eine wahrheitsgetreue Analyse der Lage und eine kühne Führung. Inwieweit eine Solidarität um der Solidarität willen zum Bezug absurder Positionen führen kann, zeigte sich in diesem Monat auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen, als Sie dafür stimmten, daß Flüchtlinge, die mit unserer Hilfe rehabilitiert wurden, aus ihren Häusern im Gaza-Streifen, wo sie unter menschenwürdigen Bedingungen leben, herausgeholt und in die Flüchtlingslager mit ihren demoralisierenden Lebens- und unmenschlichen Wohnbedingungen zurückgeführt werden sollten. Wir erwarten von Europa, daß es uns konsultiert und einen intimen Dialog mit Israel führt, ehe es Erklärungen veröffentlicht, die unsere lebenswichtigen Interessen berühren. Ich bezweifle nicht, daß Europa an einem Fortschritt in Richtung auf einen wahren Frieden im Nahen Osten interessiert ist; Ihre Erklärungen jedoch, bringen öftermals den Frieden nicht näher, sondern entfernen ihn noch, da sie lediglich die arabischen Extremisten in ihrem Glauben bestärken, Sie als Hebel für die Ausübung politischen Drucks auf Israel benutzen zu können. Sowohl auf Ihrer als auch auf unserer Seite wird heutzutage die Frage des Friedens im Nahen Osten als zentrales Thema der internationalen Politik betrachtet. Wir tun das allermöglichste, um die Einberufung der Genfer NahostKonferenz herbeizuführen, und das Arbeitspapier, auf das wir uns mit den Vereinigten Staaten geeinigt haben, ist Zeuge hierfür. Wie bereits erwähnt, sind wir zu jedem weiteren konstruktiven Schritt bereit, wie zum Beispiel das von Ägypten in Kairo geplante Zusammentreffen. Wir sind davon überzeugt, daß es bei gutem Willen auf allen Seiten schon bald zu einer Beilegung des Konflikts und zur Unterzeichnung eines Friedensvertrags zwischen uns und unseren arabischen Nachbarn kommen kann. Wir benötigen diesen Frieden - unsere Nachbarn nicht minder - , und wir glauben an die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit dem Ziel, den Nahen Osten und alle seine Völker zu fördern und diese Region in ein produktives und kulturell ergiebiges Gebiet zu verwandeln, zum Wohle seiner Bewohner und der anderen Nationen dieser Welt. Ich danke Ihnen erneut, Herr Bundesminister, für Ihre freundliche Einladung und bitte Sie alle, gemeinsam mit mir das Glas auf das Wohl des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland und auf eine Förderung der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zu erheben."
661
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland und Israel 30.5.2
Bundeswirtschaftsminister
Dr. Otto Graf Lambsdorff
antwortet
„Herr Minister, sehr verehrte Frau Dayan, meine Damen und Herren, ich heiße Sie in diesem Rahmen noch einmal herzlich willkommen und freue mich, daß Sie der Einladung zu einem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland, die Außenminister Genscher unmittelbar nach Ihrem Amtsantritt ausgesprochen hat, schon jetzt gefolgt sind. Mein Kollege Genscher bedauert zutiefst, Sie wegen seiner Erkrankung hier nicht selbst begrüßen und die persönlichen Kontakte mit Ihnen enger knüpfen zu können. Ich übermittle Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Delegation seine besten Grüße und guten Wünsche für einen angenehmen Aufenthalt in Bonn. Die Bundesregierung und die deutsche Öffentlichkeit nehmen am Schicksal und an der Zukunft des israelischen Staates großen Anteil. Wie in der Vergangenheit, so bekennen wir uns auch für die Zukunft zu unserer Verantwortung gegenüber Israel. Dies gilt f ü r unsere bilateralen Beziehungen ebenso wie für die Entwicklung der Nahostfrage. Unsere bilateralen Beziehungen sind gut. Die Bundesregierung wünscht die Kontinuität des vertrauensvollen Verhältnisses zwischen unseren beiden Ländern, um das Werk der Versöhnung, das wir vor 25 Jahren begonnen haben, fortzuführen und den Brückenschlag in die Zukunft zu vollenden. Die zahlreichen gegenseitigen Besuche politischer Persönlichkeiten zeigen ebenso wie der rege deutsch-israelische Jugendaustausch, der in seinem Umfang nur noch von dem deutsch-französischen übertroffen wird, wie eng verflochten unsere beiden Völker inzwischen sind. Die deutsch-israelische Gesellschaft hat mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag hierzu geleistet. Auch unsere Wirtschaftsbeziehungen haben sich positiv entwickelt. In den ersten neun Monaten dieses Jahres stiegen unsere Einfuhren aus Israel um über 14 %; im gleichen Zeitraum hat sich das israelische Handelsbilanzdefizit um fast die Hälfte verringert. Wir werden uns auch weiterhin f ü r die Intensivierung der deutsch-israelischen Wirtschaftsbeziehungen einsetzen. Unser Interesse gilt natürlich in besonderem Maße den außenpolitischen Entscheidungen Ihrer Regierung, die für uns alle von größter Bedeutung sind. Außenminister Genscher hat vor kurzem vor den Delegierten der F.D.P. zur Nahostfrage Stellung genommen und erklärt, daß wir nur dann glaubwürdig das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen fordern können, wenn wir für die Verwirklichung dieses Rechts überall auf der Welt eintreten. Dieses Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht veranlaßt uns, mit allem Nachdruck für das Recht Israels auf Existenz in anerkannten und sicheren Grenzen einzutreten. Es veranlaßt uns aber auch, die Verwirklichung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes—und dazu gehört auch sein Selbstbestimmungsrecht - zu fordern. H e r r Minister, Europa hat ein vitales Interesse am Zustandekommen einer Friedensregelung in der uns benachbarten Nahostregion. Wir vertrauen auf Ihr
662
30.5 Der israelische Außenminister Moshe Dayan kommt in die Bundesrepublik
Verständnis dafür, daß Europa nur mit einer Politik der Ausgewogenheit einen Beitrag zu den Friedensbemühungen im Nahen Osten leisten kann, wie sie in der Nahosterklärung der neun Staats- und Regierungschefs vom 29. Juni 1977 formuliert wurde. Wir sind überzeugt, daß gerade diese europäische Politik eine wesentliche Ursache dafür ist, daß arabische Staatsmänner heute das Existenzrecht Israels akzeptieren und sich für Friedensverhandlungen mit Israel auf dieser Grundlage aussprechen. Sie wissen, Herr Minister, daß die Bundesregierung sich immer wieder für frühestmögliche direkte Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien im Nahen Osten ausgesprochen hat. Der amerikanische Außenminister Vance sagte noch im August dieses Jahres bei seinem Besuch in Israel, daß es nach so langen Jahren des Konflikts oft leichter scheine, den gewohnten Weg mit bekannten und kalkulierbaren Risiken weiterzugehen, als neue Wege mit größeren Risiken, aber auch ungleich größeren Erfolgschancen einzuschlagen. Wenn es in den vergangenen Jahren die kriegerischen Auseinandersetzungen waren, die in unserem Lande mit angehaltenem Atem verfolgt wurden, so nehmen die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland mit großer innerer Bewegung Anteil an den jüngsten Ereignissen, dem Besuch des ägyptischen Präsidenten Sadat in Israel und den daraus sich ergebenen Friedenserwartungen. Die Bundesregierung hat die mutige Initiative Präsidents Sadats, die zu seinem Treffen mit der politischen Führung Ihres Landes führte, als einen historischen Schritt begrüßt und gewürdigt. Aus unseren eigenen geschichtlichen Erfahrungen wissen wir, wie schwierig es ist, Mauern des Hasses und des Mißtrauens zu überwinden, die über lange Zeit hinweg aufgebaut wurden. Und wir wissen, daß diese Mauern und psychologischen Barrieren in Ihrer Region, wo der letzte Krieg erst vier Jahre zurückliegt, höher und schwieriger zu überwinden sind als sie es in Europa je sein konnten. Wir Deutsche können deshalb, wie ich meine, gut ermessen, welchen politischen Mut Ägypten und Israel aufbringen mußten, um diesen beeindruckenden Beweis ihres Willens zum Frieden zu erbringen. Herr Minister, Ihr persönlicher Einsatz um die Wiedereinberufung der Genfer Konferenz seit Ihrem Amtsantritt hat uns beeindruckt. Wir hoffen gemeinsam, daß der beispiellose Dialog, der in Jerusalem begonnen wurde, den Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten neue Impulse gegeben und die Tür nach Genf weit aufgestoßen hat. Allerdings: es wird weiterer mutiger Schritte bedürfen, um diese Tür offenzuhalten. Es hat uns tief beeindruckt, und unsere Hoffnungen bestärkt, daß die Bevölkerung Israels und Ägyptens sich die bedeutsame Friedensinitiative ihrer Führer offenbar aus ganzem Herzen zu eigen gemacht haben. Wir hoffen, daß die am Konflikt beteiligten Parteien des arabischen Lagers sich der Notwendigkeit bewußt sind, ihre Einheit zu wahren, ohne die die Einberufung der Genfer Konferenz wieder in die Ferne rücken könnte. Ich appelliere deshalb an alle Konfliktparteien, sich ihrer Verantwortung 663
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland, und Israel bewußt zu sein und die historische Chance, die das Treffen von Jerusalem ermöglicht hat, rasch zu nutzen. Ich appelliere besonders an Sie, Herr Minister, und an Ihre Regierung, den arabischen Nachbarstaaten durch eine Politik der Flexibilität den Weg nach Genf und den Weg zu einem ehrenvollen Frieden zu ebnen. Wir wissen aus Gesprächen mit arabischen Politikern, daß man dabei an Sie, Herr Minister, besondere Erwartungen setzt. Ich erhebe mein Glas auf den Erfolg bei dieser großen Aufgabe, auf die deutsch-israelischen Beziehungen, auf Ihr persönliches Wohl und das Wohl Ihrer Frau Gemahlin sowie vor allem auf die Einkehr eines gerechten und dauerhaften Friedens im gesamten Nahen Osten."
30.6 Anfang Dezember 1977: Besuch des israelischen Finanzministers Simcha Ehrlich in der Bundesrepublik Deutschland Am 5. und 6. Dezember 1977 kam der israelische Finanzminister Simcha Ehrlich in die Bundesrepublik, um mit Bundesfinanzminister HansApel gemeinsam Fragen der finanzwirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu besprechen. In einem gemeinsamen Pressekommunique heißt es über diesen Besuch: „Im Mittelpunkt der Gespräche stand ein Gedankenaustausch über den bisherigen Stand der wirtschaftlichen Beziehungen und Möglichkeiten ihres weiteren Ausbaus. Es bestand Übereinstimmung, daß die bisherige Finanzielle Zusammenarbeit der beiden Länder einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Israels geleistet habe. Dies gelte insbesondere f ü r die Förderung privater Investitionen. Die deutschen Kapitalleistungen f ü r Investitionen in Israel seien von rd. 180 Mio. DM im Jahre 1972 verdreifacht worden. Die deutsche Seite hat ihre Anerkennung der neuen Wirtschaftspolitik der israelischen Regierung vom Oktober 1977 ausgesprochen, eine Politik, die u. a. die Freigabe der Währung u n d den Fortfall von Beschränkungen und Kontrollen beinhalte. Diese Schritte erforderten ein hohes Maß von Entschlußkraft. Bundesminister Dr. Apel hat seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß diese Schritte Israels Integration in die Weltwirtschaft und insbesondere in die europäische Wirtschaft weiter fördern würden. Insbesondere würden zusätzliche Anstöße f ü r einen weiteren Anstieg ausländischer Investitionen gegeben sein. Minister Apel versicherte, daß die Bundesregierung den israelischen Wunsch unterstützt, den Einfuhrzoll f ü r Zitrusfrüchte um 80 % herabzusetzen. Zusätzlich erklärte Dr. Apel, die Bundesregierung werde sich dafür einsetzen, daß bei einer Erweiterung d e ^ G nach Süden die Drittlandsinteressen gewahrt werden, insbesondere diejenigen der übrigen Mittelmeerländer. 664
30.6 Besuch des israelischen Finanzministers Simcha Ehrlich in der Bundesrepublik Die Einladung des israelischen Finanzministers Ehrlich zu einem Besuch in Israel hat Bundesminister Dr. Apel mit Freude angenommen." Mit Simcha Ehrlich hatte ich kurz vor seinem Rückflug ein Interview, in dem er seinen knapp zweitägigen Besuch noch einmal Revue passieren ließ: Frage: Herr Minister, Sie haben Ihre politischen Gespräche in Bonn beendet. Es ging um viele Sorgen, die der Staat Israel hat und die Sie als Finanzminister besonders haben. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse? Antwort: Ich kann meine Zufriedenheit über meinen Besuch und meine Gespräche zum Ausdruck bringen, besonders mit meinem Kollegen, Bundesfinanzminister Hans Apel. Frage: Ein Problem der Gespräche war die Erhöhung der jährlichen Kredite der Wirtschaftshilfe. Sind Sie in dieser Frage vorangekommen? Antwort: Wir haben über diese Frage keine besondere Debatte geführt. Wir haben diese Frage berührt, aber wir hatten keine unterschiedliche Meinung in dieser Frage. Alles bleibt wie es war. Frage: Die Frage der Abschlußgeste bei der Wiedergutmachung fürjene, die nach 1965 aus dem Ostblock gekommen sind, wurde angesprochen? Antwort: Wir haben Vereinbarungen getroffen. Wir haben die Versicherung bekommen, daß alle führenden Persönlichkeiten der Parteien dieses Problem unterstützen werden. Schließlich und endlich werden wir mit diesem langjährigen Problem fertig werden. Frage: Und die Frage eines Moratoriums für die Zinsen und Rückzahlungen des Kapitals für die bisherige Wirtschaftshilfe? Antwort: Wir haben darüber nicht debattiert, wir haben diese Frage überhaupt nicht angesprochen. Frage: Herr Minister, der Besuch des ägyptischen Präsidenten Anwar El Sadat in Jerusalem hat uns hier in Deutschland sehr berührt. Wie sehen Sie den Fortgang der israelisch-ägyptischen Verhandlungen, jetzt, nachdem in Kairo die Zwischenkonferenz beginnt? Antwort: Ich bin sehr optimistisch. Ich hoffe, daß wir gute Abkommen mit Kairo abschließen werden. Ich wünsche mir, daß es möglich wird, daß die Bundesregierung, daß das deutsche Volk Sadat stützen möge. Es ist natürlich eine Besonderheit, daß ich als Israeli die Deutschen bitte, Herrn Sadat zu stützen. Ich bin überzeugt, die Stütze für Sadat ist die Stütze für den Frieden im Nahen Osten. Frage: Sie haben auch ein sehr ausführliches Gespräch mit dem Oppositionsführer Helmut Kohl gehabt. Was war dort der Hauptinhalt des Gesprächs? Antwort: Wir haben über die politische Entwicklung im Nahen Osten gesprochen. Wir haben über die neue Wirtschaftspolitik in Israel gesprochen, und wir haben über eine gewisse Kooperation der Likud und der CDU/CSU gesprochen. Frage: Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt vorwärts, denn die SPD hat bereits seit langem enge Kontakte durch die internationale sozialistische Zusammenarbeit. 665
30 Kritische Nahost-Lage bringt Spannungen zwischen Deutschland und Israel Antwort: Ja, die SPD hat durch ihre Parteigenossen in Israel enge Kontakte genauso, wie wir Liberalen mit den Parteigenossen in Israel viele Kontakte haben. Frage: Herr Minister, eine abschließende Frage: Wenn Sie an den Fortschritt mit Sadat denken, an eine Konföderation möchte ich sagen, würden Sie mir zustimmen, daß es das Ergebnis im Nahen Osten sein könnte, eine Vereinigung wie die Europäische Gemeinschaft in Europa zu schaffen? Antwort: Ich hoffe so. Frage: Und Sie hoffen auch auf eine wirtschaftliche Entlastung f ü r Israel? Antwort: Ich hoffe, daß, wenn wir ein Abkommen mit Ägypten erreichen, als nächster Staat dann Jordanien hinzukommen wird und ein wenig später auch die Syrier kommen werden. So werden wir eine neue Epoche im Nahen Osten beginnen. Ich kann mir vorstellen, daß wir dann eine Situation bekommen, wie es die Gemeinschaft in Europa ist.
666
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich
31.1 Dokument für den Frieden aus Jerusalem Der israelische MinisterpräsidentMenachimBegin hatam 28. Dezember 1977 dem israelischen Parlament einen detaillierten Plan für eine Friedenslösung im Nahen Osten vorgelegt. Er gehört in eine solche Dokumentation über die deutsch-israelischen Gespräche hinein, um das zu verdeutlichen, was sich in den Äußerungen deutscher Politiker widerspiegelt. Auch die ägyptische Erklärungen zum Frieden im Nahen Osten, die am 20. Januar 1978 in fünf Punkten festgelegt wurden, geben dieses Bild wider. Die Außenminister beider Staaten hatten diese Punkte mit denen von Menachim Begin beraten. Am 20. Januar 1978 war die ägyptische Delegation nach Kairo zurückgeflogen, nachdem man bei den Gesprächen auseinandergegangen war, weil die israelische Seite die Grundsatzerklärung abgelehnt hatte. Die israelische Friedenslösung sah folgendes vor: Selbstverwaltung für die palästinensischen Araber, die Einwohner von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts, die mit Herstellung des Friedens in Kraft tritt. 1. Die israelische Militärverwaltung in Judäa, Samaria und im Gaza- Distrikt wird aufgelöst. 2. In Judäa, Samaria und im Gaza-Distrikt wird die Selbstverwaltung der Einwohner, durch und für sie, errichtet. 3. Die Einwohner von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts wählen einen aus elf Mitgliedern bestehenden Verwaltungsrat. Der Verwaltungsrat wird in Übereinstimmung mit den in diesem Bericht niedergelegten Grundsätzen tätig4. Jeder Einwohner, dessen Name auf der Liste der Kandidaten für den Verwaltungsrat eingetragen ist und der am Tage der Eintragung in diese Liste 25 Jahre oder älter ist, kann als Mitglied des Rates gewählt werden. 5. Jeder Einwohner, der 18 Jahre oder älter ist, ist — ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit und auch wenn er staatenlos ist-berechtigt an den Wahlen zum Verwaltungsrat teilzunehmen. 6. Der Verwaltungsrat geht aus allgemeinen, direkten persönlichen, gleichen und geheimen Wahlen hervor. 7. Die Amtszeit des Verwaltungsrates wird auf vier Jahre vom Tag seiner Wahl an festgesetzt. 8. Der Sitz des Verwaltungsrates ist Bethlehem. 9. Unter die Leitung und die Verantwortung des Verwaltungsrates fallen alle Verwaltungsangelegenheiten, die die arabischen Einwohner der Gebiete von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts betreffen. 667
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich
10. Der Verwaltungsrat wird folgende Abteilungen umfassen: Erziehung, religiöse Angelegenheiten, Finanzen, Verkehr, Bau- und Wohnungsangelegenheiten, Industrie, Handel und Tourismus, Landwirtschaft, Gesundheit, Arbeit und soziale Angelegenheiten, Wiedereingliederung der Flüchtlinge, Justizverwaltung und Aufsicht über die örtlichen Polizeikräfte. Er erläßt die notwendigen Verordnungen, die die Arbeiten dieser Abteilungen regeln. 11. Für die Sicherheit und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den Gebieten von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts sind die israelischen Behörden verantwortlich. 12. Der Verwaltunsrat wählt einen Vorsitzenden. 13. Die erste Sitzung des Verwaltungsrats findet 30 Tage nach Veröffendichung der Wahlergebnisse statt. 14. Die Einwohner von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts — ohne Rücksicht auf ihre (jetzige) Staatsbürgerschaft oder Staatenlosigkeit —erhalten die freie Wahl (Option), ob sie die israelische oder die jordanische Staatsbürgerschaft annehmen wollen. 15. Ein Einwohner der Gebiete von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts, der die israelische Staatsbürgerschaft beantragt, erhält diese Staatsbürgerschaft entsprechend den Vorschriften des Gesetzes über die israelische Staatsbürgerschaft. 16. Einwohner von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts, die von ihrem Recht auf eine freie Option Gebrauch machen und die israelische Staatsbürgerschaft wählen, erhalten das aktive und passive Wahlrecht zur Knesset (Parlament) gemäß dem Wahlgesetz. 17. Einwohner von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts, die Staatsbürger von Jordanien sind oder unter dem Recht der freien Option Staatsbürger von Jordanien werden, erhalten das aktive und passive Wahlrecht zum Parlament des haschemitischen Königreiches Jordanien entsprechend dem Wahlgesetz dieses Landes. 18. Fragen, die sich aus dem Wahlrecht von Einwohnern von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts für das jordanische Parlament ergeben, werden in Verhandlung zwischen Israel und Jordanien geklärt. 19. Aus Vertretern Israels, Jordaniens und des Verwaltungsrates wird ein Ausschuß gebildet, der die bestehende Gesetzgebung in Judäa, Samaria und im Gaza-Distrikt prüft und entscheidet, welche dieser Gesetze in Kraft bleiben, welche aufgehoben werden und welche Vollmachten der Verwaltungsrat für den Erlaß gesetzlicher Bestimmungen erhält. Beschlüsse des Ausschusses bedürfen der Einstimmigkeit. 20. Einwohner Israels sind berechtigt, Grund und Boden in den Gebieten von Judäa und Samaria und im Gaza-Distrikt zu erwerben und sich dort anzusiedeln. Araber, die Einwohner von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts sind, und die unter der ihnen gewährten freien Option israelische Staatsbürger geworden sind, sind berechtigt, Grund und Boden in Israel zu erwerben und sich dort anzusiedeln. 668
31.2 Bundeskanzler Schmidt besucht ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat 21. Aus Vertretern Israels, Jordaniens und des Verwaltungsrats wird ein Ausschuß gebildet, der Normen f ü r die Ansiedlung in den Gebieten von Judäa, Samaria und im Gaza-Distrikt festsetzt. Der Ausschuß wird Bestimmungen festlegen, unter denen eine angemessene Anzahl von arabischen Flüchtlingen, die außerhalb von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts leben, die Ansiedlung in diesen Gebieten erlaubt wird. Beschlüsse dieses Ausschusses müssen einstimmig erfolgen. 22. Den Eiwohnern von Israel und den Einwohnern von Judäa, Samaria und des Gaza-Distrikts wird Bewegungsfreiheit und freie wirtschaftliche Betätigung in Israel, Judäa, Samaria und dem Gaza-Distrikt zugesichert. 23. Der Verwaltungsrat wird eines seiner Mitglieder als Vertreter des Rates f ü r Verhandlungen mit der Regierung Israels über Fragen von gemeinsamem Interesse ernennen. Er wird ein weiteres Mitglied als Vertreter des Rates für Verhandlungen mit der Regierung von Jordanien über Fragen von gemeinsamem Interesse bestimmen. 24. Israel beharrt auf seinem Recht und seinem Souveränitätsanspruch über Judäa, Samaria und den Gaza-Distrikt. In dem Wissen, daß (auch) andere Ansprüche bestehen, schlägt es um der Sache der Verständigung und des Friedens willen vor, daß die Frage der Souveränität über diese Gebiete offengelassen wird. 25. Hinsichtlich der Verwaltung der heiligen Stätten der drei Religionen in Jerusalem wird ein besonderer Vorschlag ausgearbeitet und vorgelegt werden, der eine Garantie des freien Zugangs f ü r Mitglieder aller Glaubensgemeinschaften zu den ihnen heiligen Stätten einschließt. 26. Diese Grundsätze können nach fünf Jahren überprüft werden.
31.2 Bundeskanzler Helmut Schmidt besucht den ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat Einen Tag nach dem Treffen des ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Begin in Ismela, traf Bundeskanzler Helmut Schmidt zu einem dreitägigen offiziellen Besuch in der ägyptischen Hauptstadt ein. So hörte er die Inhalte der ägyptisch-israelischen Gespräche direkt aus erster Hand. Am Abend dieses ersten Tages seines Besuches gab der ägyptische Staatspräsident dem deutschen Bundeskanzler ein Essen. Dabei wurden Ansprachen ausgetauscht, wobei der Bundeskanzler in seiner Antwort auf die Ansprache Sadats auch auf das nahöstliche Thema einging. Dabei führte er aus: „Unser Besuch fällt in eine Zeit intensiver Bemühungen um einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten, an denen Sie, Herr Präsident, einen initiativen und entscheidenden Anteil haben. Sie hatten bereits in der Vergangenheit bewiesen, daß Sie keine Mühe scheuen, um den Frieden in dieser Region wieder669
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich
herzustellen, und Sie zeigen jetzt, daß Sie dieses Ziel mit eigenen geistigen Anstößen, aber auch großem persönlichem Mut verfolgen. Gestern und vorgestern sind Sie in kurzer Zeit zum zweitenmal mit dem israelischen Regierungschef zusammengekommen, der sich, so wie Sie selber, Herr Präsident, Brücken zu schlagen bemüht. Weitere Verhandlungen werden folgen, um die schwierigen Probleme zu bewältigen, die seit 30 Jahren den Frieden im Nahen Osten verhindern. Es liegt auf der Hand, daß dies alles nur in intensiven Verhandlungen möglich sein wird. Diese Verhandlungen werden sehr viel Geduld, aber auch schöpferische Phantasie verlangen, und sie werden schließlich auch die Vertreter der übrigen vom Konflikt betroffenen Völker einschließen. Sie haben, Herr Präsident, mit staatsmännischem Weitblick einen Weg beschritten, der eine endgültige Lösung des auf allen Völkern dieser Region schwer lastenden, langjährigen Konflikts herbeiführen kann. Ihre historische Entscheidung, die arabische Sache unmittelbar vor Parlament und Regierung Israels zu bringen und darüber hinaus vor der gesamten Weltöffentlichkeit zu vertreten, hat uns alle tief beeindruckt. Ihr Besuch in Israel hat neue Hoffnung gegeben, daß es jetzt doch gelingen könnte, die Bemühungen um die Lösungen des 30jährigen Nahost-Konflikts aus ihrer Erstarrung zu lösen und der Welt einen weiteren Krieg zu ersparen. Mit Ihnen teile ich die Hoffnung, daß der starke Impuls, der von Ihrer beispiellosen Initiative ausgegangen ist, den notwendigen Widerhall findet und zu einer umfassenden Friedensregelung führt. Wir Deutschen sind gemeinsam mit unseren europäischen Partnern der Meinung, daß eine auf dem Verhandlungswege herbeizuführende Lösung in erster Linie Sache der am Konflikt Beteiligten sein muß. Aber auch wir Deutschen und Europäer haben ein unmittelbares eigenes Interesse daran, daß die Friedenslösung von der Zustimmung aller Beteiligten getragen und damit dauerhaft wird. Dieses unmittelbare eigene Interesse berechtigt uns, grundsätzliche Vorstellungen hierzu darzulegen. Sie wissen, Herr Präsident, daß sich die neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft wiederholt zum Nahost-Konflikt geäußert haben — Sie haben es soeben in Ihrer Tischrede erwähnt—, zuletzt am 29. Juni und 22. November dieses Jahres. Ich möchte heute noch einmal die Grundsätze zitieren, die nach unserer Auffassung einer Friedensregelung zugrunde liegen sollten. Diese Grundsätze besagen: — Kein Gebietserwerb durch Gewalt. — Israel muß die territoriale Besetzung beenden, die es seit dem Konflikt von 1967 aufrechterhält. — Die Souveränität, die territoriale Integrität und die Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region, einschließlich Israels, sowie sein Recht, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben, sind zu achten. — Bei der Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens müssen die legitimen Rechte der Palästinenser berücksichtigt werden.
670
31.3 Grundsatzerklärung Ägyptens zum Frieden im Nahen Osten
Die deutsche Bundesregierung hat sich gerade auch für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes bewußt immer wieder eingesetzt, ein Recht, das uns Deutschen viel bedeutet und das wir für uns selbst in Anspruch nehmen. Meine Regierung unterstützt alle Schritte, die den Frieden näher bringen. Sie ist bereit, gemeinsam mit ihren europäischen Partnern an der Schaffung günstiger Voraussetzungen für die Herbeiführung und an der Garantierung einer Friedensregelung mitzuwirken. Dieser Frieden ist noch nicht errungen. Ihre Initiative, Herr Präsident, hat in der arabischen Welt nicht nur Zustimmung gefunden. Es ist nur allzu verständlich, daß neue Ideen bei der Inangriffnahme einer Friedenslösung, das Denken des bis dahin Undenkbaren und das Durchbrechen von Tabus, Widerstände und Spannungen hervorrufen. Gleichwohl bin ich jedoch der festen Hoffnung, daß diese Gegensätze im Interesse des Friedens letztlich ausgeräumt werden können. Denn nach unserer Einschätzung stimmen die wichtigsten am Nahost-Konflikt beteiligten Parteien aus der arabischen Welt in der sachlichen Substanz mit dem überein, was Sie in Jerusalem ausgesprochen haben."
31.3
Grundsatzerklärung Ägyptens zum Frieden im Nahen Osten
Am 20. Januar 1978 wurde von der ägyptischen Presse der Wortlaut einer Grundsatzerklärung veröffentlicht, die bei den Jerusalemer Verhandlungen der Außenminister von der israelischen Regierung abgelehnt worden war. Nach der Ablehnung dieser Erklärung war das politische Kommitee auseinandergegangen, die ägyptische Delegation nach Kairo zurückgeflogen. Diese Erklärung hat folgenden Wortlaut: „Die Regierung der Arabischen Republik Ägypten und die Regierung Israels sind gewillt, ihre Bemühungen für eine umfassende Regelung in der Region fortzusetzen. Im Rahmen dieser Regelung bringen sie ihre Absicht zum Ausdruck, mit dem Ziel eines Friedensschlusses auf der Grundlage der vollen Anwendung der Sicherheitsratsbeschlüsse Nr. 242 und 338 zu verhandeln. Beide Parteien stimmen darin überein, daß die Schaffung dauerhaften und gerechten Friedens folgendes voraussetzt: 1. Abzug der israelischen Truppen von Sinai, Golan, dem Westufer und Gaza in Übereinstimmung mit Resolution Nr. 242 des Sicherheitsrates und dem Grundsatz der Unzulässigkeit von Gebietserwerb durch Krieg. 2. Die Notwendigkeit, die territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit einesjeden Staates der Region durch von den Parteien auf reziproker Basis zu vereinbarende Regelung zu sichern. 3. Respekt für das Recht aller Staaten des Gebiets auf Souveränität, territorialer Integrität und politische Unabhängigkeit. 671
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich 4. Eine gerechte Regelung des palästinensischen Problems in allen seinen Aspekten auf der Grundlage der Selbstbestimmung durch Gespräche, an denen Ägypten, Jordanien, Israel und Vertreter des palästinensischen Volkes teilnehmen sollten. 5. Beendigung des Kriegszustandes und die Schaffung normaler Beziehungen zwischen allen Staaten des Gebietes durch Friedensverträge, die in Übereinstimmung der UNO-Charta abgeschlossen werden sollten."
31.4 Die Haltung der Bundesregierung zum Nahost-Dialog Bundeskanzler Helmut Schmidt gab am 19. Januar 1978 vor dem Deutschen Bundestag eine Erklärung ab, bei der er verhältnismäßig kurz auf den NahostDialog zwischen Israel und Ägypten einging. Dabei sagte er: „Bei meinem Besuch in Ägypten habe ich festgestellt, wie sehr beides - die Hoffnung auf Frieden und der Wunsch nach wirtschaftlichem Fortschritt — die Menschen beschäftigt. Vor kurzem haben sich in diesem jahrzehntelangen Krisengebiet der Weltpolitik hoffnungsvolle Entwicklungen angebahnt. Während meines Besuches in Kairo und schon in den vorangegangenen Gesprächen mit dem israelischen Außenminister Dayan in Bonn habe ich den Eindruck gewonnen, daß nach Jahren der uns alle bedrückenden und friedensbedrohenden Ausweglosigkeit nun die Lage in Nahost sich durch die mutige Initiative Präsident Sadats durchaus auch im Bewußtsein der Menschen tiefgreifend verändert hat. Diesem Mut entspricht auf der anderen Seite die sichtbar gewordene Bereitschaft der Israelis und Ministerpräsident Begins, ihre bisherigen Positionen zu überdenken; dem entspricht die wachsende Bereitschaft ihrer Völker, aufeinander zuzugehen, aus der gefährlichen 30-jährigen Konfrontation herauszukommen, die Lebensrechte des anderen zu respektieren und Frieden miteinander zu machen. Niemand soll sich dabei Illusionen hingeben: Nach Jahren des Schießens und des Nicht-miteinander-Redens brauchen die Völker Geduld und die Staatsmänner Beharrlichkeit. Präsident Carter — das hat nicht nur sein Gespräch mit Präsident Sadat in Assuan gezeigt—kümmert sich mit Engagement um die nahöstliche Friedenslösung. Ich könnte mir denken, daß er am heutigen Tage, an dem er seine ,State-of-theUnion-Message' abgibt, auch darüber spricht. Ich habe in Ägypten bekräftigt, daß die Bundesregierung fest zu der gemeinsamen Nahost-Politik der EGStaaten steht, wie sie zum Beispiel in der Erklärung des Europäischen Rates vom 29. Juli 1977 zum Ausdruck kam. Nach unserer Auffassung liegt in der Palästinenserfrage, das betrifft also die Zukunft des West-Jordanlandes, des Gaza-Streifens und das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser — der Schlüssel für eine umfassende Friedenslösung. 672
31.5 Botschafter Meroz spricht vor dem Rat der Europäischen Bewegung Im Rahmen dieser Lösung muß das Recht Israels, in gesicherten Grenzen zu leben, gewährleistet werden. Die gegenwärtigen zweiseitigen Bemühungen müssen letztlich in die Genfer Konferenz einmünden. In ihrem Rahmen fällt den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion eine besondere Verantwortung für die konstruktive Lösung dieses 30-jährigen Konflikts zu. Wir in Europa haben daran ein vitales Interesse. Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Ägypten sind gut. Der deutsche Beitrag zum Aufbau der ägyptischen Wirtschaft war schon in der Vergangenheit beträchtlich; er wird in diesem Jahr noch höher sein. Wir werden unsere traditionell freundschaftlichen Beziehungen zu Ägypten pflegen und ausbauen."
31.5 Botschafter Meroz spricht vor dem Rat der Europäischen Bewegung Wer die Tischrede des israelischen Außenministers Moshe Dayan bei seinem Besuch in Bonn gehört hatte, und nun Israels Botschafter Johanan Meroz hörte, der konnte feststellen, wie tief das Mißtrauen Israels gegen eine gemeinsame Außenpolitik der Neun europäischen Staaten in Israel war, seit in der Ölkrise die moralische Probe nicht nur für Europa bestanden wurde. Nach Meinung der Israelis war man damals zu leicht mit der Moral umgegangen und die Europäer hatten sich zu leicht erpressen lassen. Botschafter Meroz, der ohne jedes Manuskript sprach, begann mit einem geschichtlichen Rückblick auf die jüdische Gemeinschaft in Israel und Europa. Der geistige und politische Ursprung des Zionismus komme aus Europa, das bei allen anerkannten Unterschiedlichkeiten, bei allen Analogien nur bis zu einem gewissen Punkt gelten kann, daß es die nationalen Befreiungsbewegungen, die nationale Emanzipation gewesen seien, die den europäischen Staaten und Geistesrichtungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchaus entsprochen hätten. Vieles von dem, zumindest auch die persönlichen Belastungen mit dem Erbe Europas, auf kultureller und wissenschaftlicher Ebene, zum Teil auch auf gefühlsmäßiger Ebene seien nicht unbedingt mit dem identifizierbar, was man heute „par definition" das westliche Europa nenne. Es gelte im Prinzip auch für die Teile Europas, für die sozialistischen Staaten des Ostens. Wenn aus israelischer Sicht eine klare Trennung eingetreten sei, eine Trennung, die auch von den sozialistischen Staaten mitgetragen werde, so ergebe sich dies aus der politischen Entzweiung, die aber nicht nur mit den geistigen Quellen zusammenhänge. Aus dieser Grundsituation der „inneren Nähe" zu Europa habe sich Israel schon sehr früh nach dem Zweiten Weltkrieg an Europa genähert, um eine Vertiefung seiner Beziehungen zu Europa bemüht. Meroz erinnerte daran, daß 673
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich diese Beziehungen auf den verschiedensten Wegen liefen. Sie seien auch in der Methode verschieden, liefen in ihrer Mannigfaltigkeit auf diesen verschiedenen Wegen. Meroz nannte die handelspolitischen, die politischen, die sozialen und auch die kulturellen Verbindungen, all das, was später in den Verträgen zwischen Israel und der EG eingebracht wurde, was auch in den Beziehungen mit den anderen europäischen Gremien verbunden worden sei. Auch die kulturellen, die wissenschaftlichen Verbindungen gehörten hierher. Diese Bindungen würden auch jenseits aller fachlichen T h e m e n sowohl auf bilateraler, als auch auf kollektiver Basis übernommen. Israel sei der erste nicht-europäische Staat gewesen, der einen Beobachterstatus beim Europarat erzielt habe. Das sei aus der Erkenntnis heraus geschehen, daß die Qualifikation des Parlamentarismus f ü r Israel - nicht n u r f ü r Israel - gegenüber Europa, sondern auch Europas gegenüber Israel so bedeutsam gewesen sei, daß d e m Prozeß der Annäherung zwischen Israel und Europa nichts mehr im Wege gestanden habe. Im Laufe der Zeit sei dieser Verbindung zum Europarat die Verbindung zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dann zur Europäischen Gemeinschaft gefolgt. Israel, so betonte der Botschafter, sehe in Europa seinen zweiten zentralen Partner, die USA seien der erste. Die Verbindungen in Europa seien unterschiedlich von Land zu Land. Sie seien auch Schwankungen unterworfen. Es habe Schwankungen und Veränderungen gegeben. Meroz erinnerte daran, daß die Beziehungen zu Großbritannien durch die Tatsache einer siebenundzwanzigjährigen Mandatszeit über Palästina geprägt gewesen seien, die israelisch-französischen Beziehungen unterschiedlich verlaufen wären und die Verbindungen zur Bundesrepublik Deutschland durch die Schwere der jüngsten Vergangenheit auf beiden Seiten Probleme mit sich trügen. Die zentralste Frage bei all diesen Zusammenhängen: Welche Aufgabe habe die Europäische Gemeinschaft zu erfülllen, besonders bei den jetzigen Friedensbemühungen? Es seien eine große Anzahl von Äußerungen zu den Friedensbemühungen erfolgt, einschließlich derer in Israel, die aber nicht alle klar gewesen seien und nicht alle miteinander identisch. Er gebe als Antwort: Friedensbemühungen Europas ja, Israel will diesen Frieden. Auch die EG wolle ihn. Zu den Möglichkeiten, wie die EG mitwirken könne, meinte der Botschafter, daß die EG ein Großmachtprädikat habe, das nicht aus der politischen Einheitlichkeit der Mitgliedsstaaten komme, sondern aus der wirtschaftlichen Stärke heraus geboren sei. Daraus ergebe sich die Aufgabe Europas. Sie sollte genutzt werden. Eine glatte T r e n n u n g von Politik und Wirtschaft sei aber nicht denkbar. Meroz betonte, daß die Ablehnung einer aktiven politischen Detailbeschäftigung Europas sich nicht aus der Tatsache f ü r Israel ergebe, daß die Europäer die Bewertung des Nahost-Problems unterschiedlich in vielen Einzelheiten in verschiedenen Hauptstädten bewerten. Aus israelischer Sicht entstehe aus dem Ziel „mit einer Stimme" zu sprechen — was einen einheitlichen N e n n e r ergeben müsse — in der Praxis ein sehr niedriger gemeinsamer Nenner, was in d e r individuellen Anschauung differenziert sei, bei den Staaten, die alle Mitglieder der EG seien.
674
31.5 Botschafter Meroz spricht vor dem Rat der Europäischen Bewegung Die Europäer u n d gelegentlich auch die USA hätten die Gepflogenheit, die Lage im Nahen Osten von ihrem S t a n d p u n k t aus zu beurteilen, d e r auf die Sicht d e r Staaten im Nahen Osten übertragen wurde. Man k ö n n e E u r o p a diesen Vorwurf nicht ersparen: Als 1973 die arabischen Staaten d e n Öldruck auf Europa ausgeübt hätten, habe sich die Anfälligkeit d e r Gemeinschaft gezeigt. Der Druck sei so groß gewesen, daß es nicht möglich gewesen sei, daß E u r o p a eine ausgeglichene Rolle gespielt hätte, was eben nicht d u r c h f ü h r b a r war, wohl aber d e n k b a r gewesen sei. Er wollte nicht fragen, ob diese Haltung f ü r die Europäer legitim gewesen sei, aber vom israelischen Standpunkt aus sei das nicht d e r Fall gewesen. Die Haltung Europas sei aus israelischer politischer Sicht sehr belastet worden. Seit drei Monaten gebe es jetzt zu unserer großen Freude einen Friedensprozeß. Es sei nicht gut, wenn sich die E u r o p ä e r als Gemeinschaft oder einzelnen zu diesen T h e m e n äußern. Es gelte prinzipiell, daß j e d e derartige Ä u ß e r u n g die Verhandlungsbereitschaft belaste, d e n Spielraum d e r a n d e r e n Seite einenge. Hier gebe es einen Unterschied zwischen d e r Rolle Europas u n d d e n USA. Die Einschaltung der Amerikaner sei a n d e r e r Art, als die d e r Europäer. Die USA hätten eine Vermittlerrolle u n d w ü r d e n auch als Vermittler betrachtet. Das ergebe sich aus der Einheitlichkeit d e r Vereinigten Staaten auf d e r einen, d e r Unterschiedlichkeit der europäischen Staaten auf d e r anderen Seite. Als Beispiel nannte d e r israelische Botschafter, d a ß die europäischen Staaten sich zwar oftmals zu d e n israelisch-arabischen Grenzen u n d den Siedlungen im Sinai geäußert hätten, aber in d e n vergangenen 25 J a h r e n noch nicht einmal zum arabischen Boykott d e r israelischen Wirtschaft zu einer gemeinsamen Sprache g e f u n d e n haben. Er wolle die Rolle Europas nicht ablehnen. Die Europäische Gemeinschaft habe bereits d u r c h die Verträge mit den arabischen Staaten u n d Israel einen wichtigen Beitrag geleistet. Ü b e r diese Verträge, auch mit j e n e n Staaten, die h e u t e noch im Kriegszustand stünden, werde sich ein gemeinsames handelspolitisches Interesse ergeben, ein K n o t e n p u n k t geschaffen werden. Meroz ließ durchblicken, daß sich daraus eines Tages eine Gemeinschaft d e r Staaten im Nah e n Osten ähnlich d e r EG entwickeln könne. W e n n d e r Frieden geschaffen werde, so könne sich daraus sehr rasch ein wichtiger Beitrag Europas entwickeln. Israel sehe es als äußerst positiv an, d a ß die Europäische Gemeinschaft hier Verbindungen suche u n d bereit sei, wirtschaftlich zu helfen. Auch die politischen Verbindungen werden so gesehen. Meroz ließ aber i m m e r wieder durchblicken, d a ß Ä u ß e r u n g e n d e r EG-Staaten zu d e n Einzelfragen d e r Nahost-Entwicklung schädlich seien. In d e r anschließenden Diskussion w u r d e Botschafter Meroz gefragt, warum Israel die äthiopische A r m e e mit W a f f e n beliefere. Meroz berief sich auf die alte Freundschaft zu Äthiopien u n d erinnerte daran, daß Somalia d e m Kreis d e r arabischen Staaten, also d e r Gemeinschaft von Feindstaaten Israels angehöre. Äthiopien a b e r nicht.
675
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich
31.6 Franz-Josef Strauß über sein Gespräch mit Anwar el Sadat Am 12. Februar 1978, einen Tag nach seinem Gespräch mit dem ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat, berichtete mir Franz-Josef Strauß über sein Gespräch in Kairo. In scharfer Form wies Strauß die Unterstellungen israelischer Zeitungsberichte über indirekte deutsche Waffenlieferungen an Syrien zurück. Präsident Sadat habe sehr bewegt über die „Unbeweglichkeit" des israelischen Ministerpräsidenten Begin bei den bisherigen Verhandlungen geklagt. Er aber werde bei seiner Politik des „nie mehr Krieg gegen Israel" bleiben. Sadat habe die Frage gestellt, ob Israel die Siedlungen im Sinai unter der Bewachung seiner Truppen auf fremdem Staatsgebiet für wichtiger halte, als einen umfassenden Frieden. So die Frage. Er, Sadat, könne mit seinem Angebot nur bis zu einem gewissen Punkt gehen, sonst würde er die Unterstützung der gemäßigten arabischen Staaten verlieren und natürlich auch die seiner Bevölkerung. Seit seinem ersten Gespräch mit Franz-Josef Strauß, betonte der Vorsitzende der CSU, sei Sadat auf der gleichen politischen Linie geblieben. Sadat habe noch einmal dargelegt, was er Ministerpräsident Begin zur Sicherheit Israels angeboten habe: 1. Zunächst solle eine entmilitarisierte Zone eingerichtet werden, da ja das israelische Staatsgebiet durch den Rückzug der israelischen Truppen kleiner werde. 2. Anschließend solle eine Zone folgen, die von UN-Truppen besetzt werde. 3. Als dritter Bereich soll eine verdünnte Zone mit israelischen Truppen folgen. 4. Auf dem Westufer des Jordans, der sogenannten Westbank, sollen überhaupt keine arabischen Truppen stationiert werden. 5. Sadat habe betont, daß kein selbständiger palästinensischer Staat errichtet werden solle. 6. Auf dem Gebiet der Westbank sollte vielmehr eine autonome Provinz unter jordanischer Hoheit, der jordanischen Regierung, errichtet werden. Sadat habe ihm gegenüber betont, daß er über dieses Angebot nicht hinausgehen könne. Er bliebe bei dieser seiner Linie, trotz seiner großen und tiefen Enttäuschung nach der israelischen Haltung. Er habe jedoch die Hoffnung, daß er diese Linie werde schließlich durchsetzen können. Wie Franz-JosefStrauß betonte, habe Sadat dargelegt, daß 60 % der arabischen Staaten hinter seiner Friedenspolitik stünden. Das seien der Sudan, Marokko, Tunesien, Saudiarabien, Jordanien und natürlich Ägypten. Dazu kämen weitere 20 % der arabischen Staaten, die man bedingt zu den Befürwortern seiner Politik zählen könne. Gegen ihn stünden Syrien, der Irak, Gadafi in Lybien, Algerien, das seine eigenen Sorgen habe und die PLO. Sadat habe betont, daß es eine einmalige Chance sei, bei dieser Konstellation einen dauerhaften Frieden für Israel zu bekommen. Dann würde aus dem ganzen Raum durch die einsetzende Zusammenarbeit in der ganzen Region ein „Paradies auf Erden" erwachsen. 676
31.6 Franz-Josef Strauß über sein Gespräch mit Anwar el Sadat Herr Strauß betonte weiter, daß Sadat über die israelischen Waffenlieferungen an Äthiopien empört sei. Er halte das für denkbar unerfreulich. Strauß ergänzte seinen Bericht: Seit Monaten ergieße sich ein endloser Strom sowjetischer Waffen nach Äthiopien. Schiffer der DDR übernähmen die Flugtransporte in Athen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs ging der CSU-Vorsitzende auch auf die Vorwürfe der israelischen Presse gegen die Bundesrepublik Deutschland und gegen ihn zu den Themen ein, daß die Bundesrepublik über Frankreich Waffen an Syrien liefere. Das sei schlicht eine Unverschämtheit. Er habe von den vor einigen Monaten abgeschlossenen Verträgen mit Frankreich bei seinem Besuch in Damaskus aus deutschen diplomatischen Kreisen erfahren. Wenn er z. B. deutsche Lastwagen der syrischen Armee in den Straßen von Damaskus sehe, so habe er sie noch lange nicht geliefert. In letzter Zeit seien bei seinen Reisen immer Vertreter deutscher Firmen der Luft- und Raumfahrtindustrie dabei gewesen. Das, was die Firma Bölkow und andere an die französische Rüstungsfirma AEROMISSILE liefere, sei ein lächerlicher Bruchteil dessen, was dort in den Werkhallen erarbeitet werde. Gewiß sei MBB daran interessiert, was wir Deutschen auch fördern sollen - aber das andere ist der Absatz der Hubschrauber. Außerdem baue MBB UBahnen, Schnellbahnen und andere derartige Entwicklungen. Man dürfe nicht vergessen, daß er, Strauß, Vorsitzender der beiden AIRBUS-Gesellschaften sei. Angesichts der harten amerikanischen Konkurrenz und den ungeheueren Zuschüssen, die aus den Steuerkassen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs geleistet werden müssen, habe er „für diese Industrie gearbeitet". „Es spielt dabei keine Rolle, ob ich in einem Jahr 50 AIRBUS-Maschinen absetze oder gar keine. Das bringt mir keine Mark mehr oder weniger ein. Mit der kommerziellen Seite dieser Frage habe ich nichts zu tun. Aber in dieser Position bin ich verpflichtet, dem AIRBUS Zutritt in möglichst vielen Ländern zu verschaffen. Das geschah bereits in Südafrika, in Lateinamerika, das hoffe ich auch noch in Saudi-Arabien zu erreichen." Das sei der Grund, so betonte Herr Strauß, daß man immer Herren der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie „bei seinen Reisen mitnehme". „Aber deshalb zu behaupten, ich liefere Atombomber, ist natürlich eine Unverschämtheit." Herr Strauß war bei diesem Gespräch sehr erregt über die Beschuldigungen, die er aus der israelischen Presse erfahren hatte. In einer großen Kundgebung in München habe er seine Position gegenüber Israel noch einmal deutlich gemacht: I. Solange es das erklärte Ziel der arabischen Staaten gewesen sei, Israel zu vernichten und die Israelis ins KZ oder ins Meer zu schicken, hatten wir Deutschen die sittliche Pflicht und die Aufgabe, den Israelis zu helfen und eine derartige Tat zu verhindern. 2. Ich habe mich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch mit Rat und Tat für die Israelis eingesetzt. 3. In dem Augenblick, wo die Araber bereit sind, das zu tun, was die Israelis als Preis für die Räumung der Gebiete nach dem Sechs-Tage-Krieg verlangt ha677
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich ben, nämlich die völkerrechtliche Anerkennung und paktmäßige Absicherung ihrer Grenzen — u n d hier hat Sadat den Vorreiter gemacht — können wir nicht mehr allein die israelische Seite unterstützen und uns gegen die Araber einstellen, sondern wir müssen helfen, daß beide Seiten zueinanderfinden. Was nützt den Israelis wieder eine gewonnene Schlacht, wenn die Hälfte ihrer jungen Generation auf den Schlachtfeldern liegen bleibt u n d dann zum Schluß in Krüppelhausheimen zu finden ist."
31.7
Der Vorsitzende der israelischen Arbeiterpartei und Oppositionsführer in der Knesset, Shimon Peres, kommt in die Bundesrepublik
Shimon Peres kam nach Hamburg und Bonn, wo er mit einer Reihe führender Politiker der SPD sprach. U. a. konferierte er mit dem SPD-Vorsitzenden und Präsidenten der Sozialistischen Internationalen Willy Brandt, dem damaligen Geschäftsführer der SPD, Egon Bahr, und auch mit Bundeskanzler Helmut Schmidt. Zur Frage der israelischen Nahost-Politik gab er am 7. Februar 1978 dem Deutschen Fernsehen das folgende Interview: Frage: Wären Sie bereit, Präsident Sadat hier in Deutschland zu treffen? Antwort: Ich meine, jeder Israeli würde jederzeit jeden Ägypter treffen, und ganz gewiß den Präsidenten von Ägypten. Ich wäre erfreut, ihm bei jeder nur möglichen Gelegenheit zu begegnen. Frage: Präsident Sadat hat gesagt, daß die israelisch-ägyptischen Gespräche in eine falsche Richtung gelaufen seien. Hätten Sie als Führer der Opposition eine andere Politik als Ministerpräsident Begin eingeschlagen im Blick auf die besetzten Gebiete und im Blick auf die Palästinenserfrage? Antwort: Ich meine, daß es einige Unterschiede zwischen der Politik der Arbeiterpartei und der der Regierung gibt, besonders wegen des Westjordanufers. Frage: Und worin bestehen die Unterschiede? Antwort: Grundsätzlich würden wir einen territorialen Kompromiß anstreben, nicht nur eine Autonomie f ü r bestimmte Gebiete. Dies wird die Regierung auf lange Sicht auch tun müssen. Und zweitens würden wir alles unternehmen, um König Hussein von Jordanien in Verhandlungen einzubeziehen, weil wir im Westjordangebiet zwei Probleme haben. Das eine ist das eigene Ziel, und das andere ist der Partner. Vielleicht ist der Partner ebenso wichtig oder sogar wichtiger als die eigenen Pläne. Frage: Ihr territorialer Kompromiß würde einen unabhängigen palästinensischen Staat bedeuten? Antwort: Nein, wir würden eine palästinensische Lösung innerhalb des Rahmens eines jordanisch-palästinensischen Staates vorziehen, weil die Hälfte der Jorda678
31.8 Besuch des saudi-arabischen Kronprinzen Fahd bin Aziz al-Saud in Bonn nier sowieso Palästinenser sind. Ich sehe keinerlei Schwierigkeiten, daß alle Palästinenser und Jordanier unter derselben Krone zusammenleben. Frage: Sehen Sie einen Hinderungsgrund f ü r einen Frieden im Nahen Osten in der harten Politik von Premierminister Begin? Antwort: Man muß diese Frage sehr offen beantworten. M. Begin überraschte viele durch seine Flexibilität und seine Bereitschaft. Ich meine, daß sein Konzept falsch ist. Aber ich bin überzeugt, daß Begin ernsthaft den Frieden will. Frage: Israel liefert Äthiopien Waffen f ü r den Kampf gegen Somalia. Das bedeutet, daß Israel in einer Reihe steht mit der Sowjetunion und mit Kuba. Ist das für Israel eine gute Position? Antwort: Wir standen in einer Reihe mit den Äthiopiern, bevor die Kubaner und die Russen kamen. Tatsächlich sind unsere Beziehungen zu Äthiopien 3.500Jahre alt, als die Königin von Saba König Solomon traf. Wir hatten gute Beziehungen mit Äthiopien während der letzten 20 Jahre. Die Tatsache, daß die Russen sich einmischten, ist für uns kein Anlaß, das Land zu verlassen. Die Äthiopier wünschen auch nicht, daß wir uns zurückziehen. Frage: So werden Sie also weiter Waffen liefern, selbst in der augenblicklichen Situation? Antwort: Man beachte die Proportionen. Israel kann nicht mit der Sowjetunion verglichen werden. Wir spielen im Grunde genommen keine besonders wichtige Rolle. Wir hoffen, daß der Krieg zwischen Äthiopien und Somalia bald zu Ende geht. Ich sehe keinen Sinn in diesem Krieg, aber im Augenblick sollten wir unsere sehr kleine Rolle weiterhin spielen.
31.8 Besuch des saudi-arabischen Kronprinzen Fahd bin Aziz alSaud am 23. Juni 1978 in Bonn Bundeskanzler Helmut Schmidt: Wir stehen am Abschluß des Besuches SKH Kronprinz Fahd, des Außenministers, des Wirtschafts- und Finanzministers, des Planungsministers und einer großen saudi-Arabischen Delegation, die von hier aus noch Berlin besuchen wird. Ich möchte, bevor ich Kronprinz Fahd das Wort gebe, noch einmal unterstreichen, daß wir diesem Besuch mit großen Erwartungen entgegengesehen hatten. Diese Erwartungen sind nicht nur erfüllt, sondern übertroffen worden. Kronprinz Fahd: Herr Bundeskanzler, ich habe mir immer sehr gewünscht, diesen Besuch machen zu können. Der Aufenthalt hier gab mir Gelegenheit, mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, und mit den wichtigsten Persönlichkeiten Ihres Landes Gespräche zu führen. Ich hatte auch Gelegenheit, unsere Meinungen über alle internationalen Fragen, die uns interessieren, auszutauschen, insbesondere gilt das f ü r die Lage in Nahost. Alle Themen wurden von uns sehr sorgfaltig und eingehend besprochen. Wir hoffen, daß diese Begegnung sowohl bilateral als auch international positive Er679
31 Die Friedensbemühungen konkretisieren sich gebnisse zeitigen wird. In vielen Fragen der Wirtschafts-, der Sozial- und der internationalen Politik haben wir Übereinstimmung erzielen können. Meine Delegation und ich sind zuversichtlich, daß wir bald die positiven Ergebnisse dieses Besuches erleben werden. Ich glaube, es ist nicht der Zeitpunkt und es wäre auch nicht sinnvoll, jetzt die Detailaspekte dieser Gespräche im voraus bekanntzugeben. Ich bin Ihnen, Herr Bundeskanzler, sehr dankbar, denn Sie haben immer mit großer Aufmerksamkeit die Ereignisse im Zusammenhang mit der Palästinafrage verfolgt, aber auch die Anliegen der arabischen Nation. Ich freue mich sehr darüber, daß wir sehr eingehend gerade die Probleme erörtern konnten, die die arabische Nation insgesamt angehen, die aber auch den Weltfrieden betreffen. Wir wünschen unserer Region einen Frieden, der in erster Linie ein gerechter Frieden sein muß. Herr Bundeskanzler, vielleicht wollen Sie meinen Ausführungen etwas hinzufügen. Bundeskanzler Schmidt: Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, sagen, daß SKH Kronprinz Fahd und ich, wenn ich die beiden Abendunterhaltungen während der Essen hinzuzähle, beinahe 9 Stunden miteinander reden konnten. Außerdem hat es sehr ausführliche Unterhaltungen zwischen dem Außenminister Prinz Saud und Bundesminister Genscher, zwischen dem Finanzminister und dem Wirtschaftsminister und den entsprechenden saudischen Ministern gegeben. Ich kann nur bestätigen, was der Kronprinz über die weitreichenden Übereinstimmungen gesagt hat, die wir erzielt haben. Wir sind mit diesem Besuch außerordentlich zufrieden. Wir haben natürlich auch ausführlich, wie schon eben angedeutet, über die Probleme des Mittleren Ostens gesprochen. Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, daß sich nicht nur im großen, sondern auch im Detail für uns der Eindruck bestätigt und vertieft hat, daß Saudi-Arabien und seine Regierung einen ganz wesentlichen Faktor der Stabilisierung in jener Region darstellen. Dies gilt aber auch für die Politik auf dem afrikanischen Kontinent, es gilt für die Weltpolitik und es gilt insbesondere auch für die Probleme der Weltwirtschaft. Wir haben für die Zukunft sehr enge Kontakte miteinander verabredet. Die Außenminister werden sich in Zukunft regelmäßig konsultieren. Wir sehen dem nächsten Besuch des saudischen Außenministers bereits in diesem Sommer mit Freude entgegen. Bei jener Gelegenheit werden außenpolitische Fragen, aber auch Fragen der Weltwirtschaft erneut zwischen beiden Regierungen behandelt werden. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, dem Kronprinzen die ausgesprochene Dankbarkeit der Bundesregierung für seinen Besuch und den Besuch seiner Begleitung auszusprechen. Ich halte die Begegnung in den letzten drei Tagen für einen ganz wesendichen Fortschritt in den Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten. Kronprinz Fahd: Ich wollte noch hinzufügen: Im Vordergrund der Gespräche, die wir mit dem Bundeskanzler geführt haben, stand das Schicksal und die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes, denn das ist ein ganz normales und legiti680
31.9 Erklärung des Europäischen Rats über den gesamten Nahost-Komplex
mes Recht. Wir haben Übereinstimmung im Hinblick auf die Frage der Rückkehr des palästinensischen Volkes in seine Heimat und im Hinblick auf das Recht des palästinensischen Volkes auf seine Selbstbestimmung erzielt. Ich habe mit Freude registriert, daß der Bundeskanzler diese Aspekte verstanden und wohlwollend aufgenommen hat. Denn das ist für uns in Saudi-Arabien die allerwichtigste Frage sowohl für SM KönigKhaled und für die Regierung seiner Majestät wie auch für das saudische Volk. Wir hoffen, daß sich die Gerechtigkeit in allen Teilen der Welt wird durchsetzen können. Ich möchte zum Schluß, Herr Bundeskanzler, Ihnen und den führenden Persönlichkeiten Ihrer Regierung und dem deutschen Volk vielen herzlichen Dank sagen f ü r die freundliche Aufnahme, die mir hier zuteil geworden ist. Frage: Herr Bundeskanzler, was müßte angesichts der starrsinnigen Haltung, die Israel einnimmt, die internationale Völkergemeinschaft dagegen unternehmen? Bundeskanzler Schmidt: Sie wissen, daß wir in der Bundesregierung den sehr mutigen Schritt Präsident Sadats gegen Ende des letzten Jahres sehr bewundert haben. Wir halten die bisherige israelische Antwort auf diesen Schritt für unzureichend. Wir sind im Gespräch mit unseren Verbündeten. Sie wissen, daß die USRegierung eine Reihe von Fragen an die Regierung Begin gerichtet hat. Wir werden demnächst, wenn Präsident Carter hier ist, Gelegenheit haben, die Lage im Lichte dieses Meinungsaustausches zwischen den Vereinigten Staaten und Israel gemeinsam zu prüfen und zu bewerten. Die Haltung der Bundesregierung ist prinzipiell festgelegt durch die Entschließung 242 der Vereinten Nationen und durch die mehreren, in sich übereinstimmenden Erklärungen der Europäischen Gemeinschaft, zuletzt am 29. Juni 1977. Wir betonen das Recht auf die Existenz Israels in gesicherten Grenzen. Wir betonen ebenso das legitime Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes, das Recht der Palästinenser, sich staatlich zu organisieren. Ich darf eine Bemerkung wiederholen, die ich vorgestern in einer Tischrede gemacht habe, daß in unserer Zeit und in jener Region die Besetzung von Territorien keine Sicherheitsgarantie darstellt. Kronprinz Fahd ergänzte: Wir unterstützen das Recht des palästinensischen Volkes auf Rückkehr in seine Heimat, d. h. auf die Gründung eines eigenen selbständigen palästinensischen Staates. Ich glaube, daß man gegen diese legitimen Rechte keinerlei Einwände erheben könnte. Bundeskanzler Schmidt: Ich darf am Schluß noch bekanntgeben, daß der Bundespräsident SM König Khaled nach Deutschland eingeladen hat.
31.9 Erklärung des Europäischen Rats über den gesamten Nahost-Komplex Zu diesen Diskussionen sowohl von Bundesaußenminister Genscher in Jerusalem als auch zum Besuch von Kronprinz Fahd gehört auch eine Erklärung des Euro681
31 Die Friedensbemühungen
konkretisieren sich
päischen Rats über den gesamten Nahost-Komplex, die bereits am 29. Juni 1977 in London abgegeben war: 1. Im gegenwärtigen kritischen Stadium der Lage im Nahen Osten begrüßen die Neun alle Bemühungen um die Lösung dieses tragischen Konflikts. Sie unterstreichen nachdrücklich das grundlegende Interesse an frühestmöglichen und erfolgreichen Verhandlungen mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens. Sie fordern mit Nachdruck alle betroffenen Parteien auf, an solchen Verhandlungen in einem konstruktiven und realistischen Geiste teilzunehmen. Zugleich sollten insbesondere alle Parteien von Erklärungen und politischen Maßnahmen Abstand nehmen, die ein Hindernis bei der Suche nach Frieden darstellen könnten. 2. Die Neun haben in der Vergangenheit mehrfach, z. B. in ihren Erklärungen vom 6. November 1973, vom 28. September 1976 und vom 7. Dezember 1976, ihre Überzeugung dargelegt, daß eine Friedensregelung auf den Resolutionen 242 und 338 des Sicherheitsrates sowie auf folgendem beruhen sollte: - Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Gewalt, - Notwendigkeit, daß Israel die territoriale Besetzung beendet, die es seit dem Konflikt von 1967 aufrechterhält, - Achtung der Souveränität, der territorialen Integrität und der Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region sowie seines Rechts, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben, - Anerkennung, daß bei der Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens die legitimen Rechte der Palästinenser berücksichtigt werden müssen. Es bleibt ihre feste Überzeugung, daß alle diese Aspekte als ein Ganzes betrachtet werden müssen. 3. Die Neun haben ihre Überzeugung bekräftigt, daß der Konflikt im Nahen Osten nur gelöst werden kann, wenn das legitime Recht des palästinensischen Volkes auf effektiven Ausdruck seiner nationalen Identität in die Wirklichkeit umgesetzt wird, wobei der Notwendigkeit eines Heimatlandes für das palästinensische Volk Rechnung getragen wird. Sie sind der Auffassung, daß die Vertreter der Konfliktparteien, einschließlich des palästinensischen Volkes, in angemessener Weise, welche in Konsultationen zwischen allen betroffenen Parteien festzulegen ist, an den Verhandlungen teilnehmen müssen. Im Rahmen einer Gesamtlösung muß Israel bereit sein, die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes anzuerkennen, ebenso muß die arabische Seite bereit sein, das Recht Israels anzuerkennen, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben. Durch gewaltsamen Gebietserwerb kann die Sicherheit der Staaten der Region nicht gewährleistet werden, sie muß vielmehr auf Friedensverpflichtungen gegründet sein, die alle betroffenen Parteien untereinander in der Absicht eingehen, wahrhaft friedliche Beziehungen herzustellen. 682
31.9 Erklärung des Europäischen Rats über den gesamten Nahost-Komplex
4. Die Neun sind der Ansicht, daß die Friedensverhandlungen mit dem Ziel der Vereinbarung und Durchführung einer umfassenden, gerechten und dauerhaften Lösung des Konflikts baldmöglichst aufgenommen werden müssen. Sie sind nach wie vor bereit, in dem von den Parteien gewünschten Maße dazu beizutragen, daß eine Lösung gefunden und verwirklicht wird. Sie sind ebenso bereit, eine Beteiligung an Garantien im Rahmen der Vereinten Nationen ins Auge zu fassen.
683
32 Dreißig Jahre Israel
32.1 Bundestagspräsident Prof. Karl Carstens besucht mit sieben Abgeordneten Israel vom 23. bis 28. Mai 1978 Mit Bundestagspräsident Prof. Dr. Carstens reisten jeweils drei Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD sowie ein Mitglied der FDP-Fraktion nach Israel. Es waren dies die Abgeordneten der CDU/CSU: Dr. Werner Marx Paul Röhner (CSU) Dr. Gerd Langguth der SPD: Heinz Westphal Helmut Sieglerschmidt Karl Arnold Eickmeyer der FDP: Hans Paintner Außerdem begleiteten der Direktor des Deutschen Bundestages, Dr. Helmut Schellknecht und der Protokollchef des Deutschen Parlaments, Ministerialrat Dr. Hans Schwuppe sowie der Direktor des Präsidialbüros Herr Hans Neusei, und der Pressechef des Deutschen Bundestages Herr Harald 0. Hermann, den Präsidenten. Yitzhak Shamir, der Speaker der Knesset, begrüßte den Bundestagspräsidenten und die Gäste aus Deutschland. Knapp zwei Stunden nach der Landung war der Besuch beim Speaker im Gebäude der Knesset vorgesehen. Als die deutschen Parlamentarier auf den Platz vor der Knesset waren, dort, wo einst die Trauerfeier für David Ben Gurion stattgefunden hatte, salutierte eine Abteilung der Knessetwache unter den Klängen eines Trompeters und der Trommeln. Bundestagspräsident Prof. Dr. Carstens legte an der Flamme und dem Ehrenmal für die Toten der israelischen Befreiungskriege einen Kranz mit einer schwarz-rot-goldenen Schleife nieder, ein bisher einmaliger Akt. Vor dem Plenum der Knesset wurde Prof. Carstens mit seiner Frau und dem Bundestagsabgeordneten vom Speaker des Hauses Yitzhak Shamir empfangen, der die folgende Ansprache hielt: „Mitglieder der Knesset, Ich habe die Ehre, heute die Abordnung des Deutschen Bundestages, unter Vorsitz von Prof. Karl Carstens, dem Präsidenten des Bundestages, und in Ihren Reihen wichtige Vertreter der drei Parteien bei uns begrüßen zu können. Viel und verschiedenartig sind die Themen, die uns alle berühren, und die uns während der nächsten Tage Ihres Besuches beschäftigen werden. Hier bietet sich eine Gelegenheit zu gegenseitigem Kennenlernen und zur Zusammenarbeit, 684
32.1 Bundestagspräsident Carstens besucht mit sieben Abgeordneten Israel
zur Erörterung von Problemen der parlamentarischen Demokratie, die unseren Völkern gemeinsam ist, zur Bilanzziehung über das, was in den Beziehungen zwischen beiden Völkern in der Vergangenheit vorgefallen ist, sowie zum Meinungsaustausch über gemeinsame Zukunftsprobleme. Deutschland ist sich seiner Verantwortlichkeit und dem Gewicht seiner Überlegungen bewußt, die zu seiner Stellungnahme zu Themen der internationalen Tagesordnung führen, die unsere Region in schicksalsschwerer Stunde betreffen: hinsichtlich der Friedensinitiative, die es zu bewahren gilt, damit sie nicht erlöscht, und für die man höchste Anstrengungen machen muß, um sie in richtige Verhandlungen zu verwandeln; in Sachen des Terrors, der ein internationales Problem geworden ist, großenteils wegen der Nachlässigkeit, die man walten ließ, solange er hauptsächlich ein israelisches Problem darstellte; in Sachen des arabischen Boykotts und seiner Auswirkungen auf die im Vertrag von Rom und in den Verträgen den Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unterschriebenen Prinzipien der Nichtbenachteiligung. Diese und andere Probleme in freundlichem Geiste zu erörtern - ergibt sich während Ihres Besuches. Aber vor allem hoffe ich, daß Präsident Carstens und seine Begleiter die Gelegenheit haben werden mit eigenen Augen, und wenn auch nur kurz, etwas von dem zu sehen, was in unserem Land gebaut wird und seinen Puls und Schaffensdrang zu spüren. Ich wünsche dem Präsidenten des Bundestages, Prof. Carstens, seiner Gemahlin und den Mitgliedern der Abordnung einen fruchtbaren und angenehmen Aufenthalt bei uns, und möchte durch Sie die Grüße der Knesset dem Bundestag und seinen Mitgliedern, dem Volk und der Regierung Deutschlands übermitteln." Am Abend des ersten Besuchstages gab Yitzhak Shamir ein offizielles Diner im Gebäude der Knesset, unter den Gemälden von Marc Chagall. Hier hielt der spätere Außenminister Israels noch einmal eine ausführliche Rede: „Ich freue mich, Sie hier in der Knesset empfangen zu können, und bin mir voll bewußt, daß wir und Sie die Wichtigkeit dieses Besuches empfinden, und auch habe ich volle Anerkennung für Ihr Interesse für unseren Staat und unsere Region. Ich freue mich doppelt über Ihren Besuch, da er ja stattfindet zu der Zeit, da wir den 30ten Geburtstag unseres Staates feiern, und da ist es ja selbstverständlich, daß die Grundsätze unseres Daseins klar und hell sich darstellen und auch die Grundrisse dieser Erscheinung, dessen Name „Der Judenstaat" ist. Wenn wir über dreißig Jahre zurückblicken, erscheinen vor unseren Augen zwei wunderbare Ereignisse, die sich hier, in dem Lande der Wunder, ereigneten, und die uns die Tore zu der neuen Epoche unserer Geschichte öffneten, die Epoche der Renaissance des jüdischen Volkes, das in seine Heimat zurückkehrt. Das erste Wunder: Dieser Staat erstand vor 30 Jahren aus der Asche von Millionen Juden, die hingerichtet und verbrannt wurden durch die Nazi-Bestien, die zu jener Zeit das deutsche Volk und den deutschen Staat vergewaltigten. 685
32 DreißigJahre Israel Als wir, die Wenigen, ein kleiner Teil des jüdischen Volkes, das Glück hatten, hier in unserer Heimat uns zu vereinigen, u n d nach dem Kriege erfaßten, welches Unheil einen großen Teil unseres Volkes überkommen hatte, wie von unserem Körper die wichtigsten u n d wirksamsten Glieder vernichtet wurden, von welchen die hauptsächliche Kraft des Zionismus u n d der Rückkehr nach Israel stammten, gerieten wir nicht in totale Verzweiflung, aber es erfaßte uns eine heilige Wut: jeder einzelne von uns fing an, anstatt von Tausend, die umgekommen waren, fieberhaft zu arbeiten, zu einem kolossalen Aufbringen der schwachen Kräfte, die übrig geblieben war, und so erzwangen wir unsere Selbständigkeit, und erlangten wir die G r ü n d u n g unseres Staates gegen alle Gesetze der Vernunft und der Natur, gegen tausende Hindernisse und Störungen, die einfach unüberzwinglich erschienen. Dies ist das erste Wunder, die Erstehung aus der Zerstörung. Und das zweite Wunder: Zu dieser Zeit, in 1948, waren wir hier im Lande 650.000 J u d e n u n d doppelt soviel Araber und um uns h e r u m viele Millionen Araber von den Nachbarländern, welche sich alle wehrten, nicht nur gegen einen jüdischen Staat, sondern gegen die Tatsache unseres Lebens und Bestehens an diesem Platz; diese kleine Zahl, dieser J)avid' bezwang ,Goliath' - jene Mehrzahl von Feinden, und errang die Tatsache eines Staates. — Das ist das zweite Wunder. W u n d e r sind aber etwas Einmaliges, möglicherweise kann man mit ihrer Hilfe einen Staat gründen, aber einen Staat bestehen lassen, durch Wunder weiter wirken zu lassen, ist etwas Unmögliches, in einem normalen, in der Entwicklung sich befindenden Lebens. Und was kam nun auf der Spur dieser Wunder, von denen ich soeben erzählte? Sechs Millionen J u d e n fehlen uns bis zu diesem Tage, sie und ihre Kinder. Sie waren unser wirksamster Teil, das am meisten jüdisch und lebenskräftig sich in unserer Mitte bewährte. Für sie haben wir keinen Ersatz gefunden, und keiner wird uns wachsen, nach diesem Verlust. Sie sind uns eine mächtige Lücke. Ich kann n u r eines sagen: Wären sie heute am Leben, gäbe es heute in Israel nicht drei Millionen J u d e n , sondern mindestens f ü n f oder sechs, und unsere ganze Situation würde verschieden sein. Damit wir uns weiter entwickeln können, ohne sie brauchen wir Zeit, noch m e h r Zeit zum Wachstum und zum Fortschritt, bis uns die vernichteten Zweige erneut geboren werden. U n d sie alle, als erfahrene Staatsmänner, verstehen den Wert der Zeit in der Geschichte und in dem Staatsleben... Zwar besteht immer noch der Haß der Araber, obwohl wir ihn überwältigt haben, dieser Haß schließt uns ein und verhindert das Kommen des Friedens, dieser Frieden, der eigentlich der normale Zustand jedes Volkes der Welt ist, so daß die meisten Völker sich gar nicht bewußt sind, daß sie etwas Einzigartiges besitzen. Und wir leben schon 30 J a h r e im Kriegszustand. Vor einem halben J a h r kam etwas Erfreuliches aus dem Meere des Hasses, Präsident Sadat erschien hier in der Knesset, wie allgemein bekannt ist.
686
32.1 Bundestagspräsident Carstens besucht mit sieben Abgeordneten Israel
Es ist sehr schwer, einen so tiefen Konflikt mit einer einzigen dramatischen Geste zu lösen. Wir verstehen sehr wohl die Ungeduld von Europa, welches so interessiert ist am Frieden im Mittel-Osten, und nicht verstehen kann, wie wir uns einsetzen f ü r Grundbedingungen des Friedens. Man wirft uns zu: .Grenzen? Palästinenser? Der Frieden ist wichtiger'. Sehr geehrter Herr Vorsitzender, ich weiß ja, daß Sie und Ihre Kollegen das Gewicht der Probleme der Sicherheit und der Grenzen verstehen. Wir diskutieren nicht mit den Arabern über historische oderjuridische Rechte. Wir sind überzeugt von unserer Gerechtigkeit, und wir wissen genau, daß unser Nachgeben absolut keinen historischen oder gerechtlichen Grund hätte, auch nicht eines einzigen Teilchens von Israel, aber wir können sie nicht davon überzeugen, und deswegen bleibt die Diskussion offen nur über die Frage der Grenzen des Landes, in dem wir mit Sicherheit leben können, und über die Frage des Terrors, den wir wie eine Seuche uns weigern in unser Haus hereinzubringen. Herr Präsident, das Problem der Grenzen werden Sie mit eigenen Augen sehen können. In dem Programm Ihres Besuches in den Grenzen von 1967 (zu meinem Leid) werden Sie die Breite der Grenzen erkennen, in welche man uns drängen will, eine Breite von 14 km, und in vielen Stellen noch weniger. Wie kann ein Volk wie wir, die so erfahren sind an Unsicherheit, wie können wir je einverstanden sein mit absurden Grenzen, die unser Leben gefährden und unseren Staat zwingen würde, Selbstmord zu begehen? Und die Seuche des Terrors, Sie kennen ja dieses Problem in Ihrem Lande. Ich möchte nur hinzufügen, daß es uns gelungen ist, mit dem Terror zu leben, und ihn zu verhindern, unser Leben zu stören, weil wir eben die Stellen seines Ursprungs kontrollieren, und wenn wir sie übergeben würden, hätten wir keine Ruhe und keine Herrschung nicht bei Tag und nicht bei Nacht. Um weiterleben und wachsen zu können, brauchen wir heute anstelle der zwei Wunder, das Verständnis der zivilisierten Welt, vor allem von Europa. Damit wir genug Zeit haben zu wachsen und gedeihen, und unsere Zukunft zu erbauen, brauchen wir guten Willen, Kooperation in dem Felde der Wirtschaft und der Staatsprobleme, eine freundschaftliche Hand, bereit zu helfen. Damit wir den Frieden erreichen, den wir so notwendig brauchen wie die Luft zum atmen, brauchen wir die politische Hilfe von Europa, damit sie uns hilft, diejenigen Elemente der arabischen Seite, welche an Frieden denken, unserer Stellung zu nähern. Die Erklärungen der Neun, die uns als Angeklagte darstellen, haben leider keinen positiven und gerechten Einfluß. Europa hat das Recht, seine Meinungen zu manifestieren, und sollte es sich dazu entschließen, wäre es sehr erwünscht, daß dies weise und objektiv ausgeführt wird, und das Gewicht des Einflusses auf beiden Seiten sich wirkbar macht. Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der wichtigsten Elemente Europas und des Westens. Wir glauben, daß wir das Recht haben, Sie zu bitten, Ihren Einfluß in diesem Sinne auszuüben. Dieses wird nicht nur uns behilflich sein, sondern wird auch für Sie wertvoll sein, f ü r Europa und für den Frieden der Welt." 687
32 DreißigJahre Israel Bis zum 27. Mai 1978 hatte Bundestagspräsident Prof. Carstens zahlreiche Gespräche mit Politikern, Wissenschaftlern und Militärs des Landes. Er besichtigte viele wichtige Stätten der Geschichte des jungen Israels, dessen 30. Jahrestag gerade vorüber war. Er war in Metula, der Stadt an der libanesischen Grenze, wo von Israel der „Gute Zaun" eingerichtet worden war, eine der Stellen, wo bis zu 6.000 Libanesen täglich nach Israel kommen, um Verwundungen zugefügt durch die arabischen Freischärler ärztlich versorgen zu lassen, soziale Unterstützung zu erhalten oder Arbeitsplätze in Metula zu erbitten. Ein Stück guter Nachbarschaft erkennt man an diesem Zaun. Im Anschluß an diese Besichtigung traf die deutsche Delegation mit dem Leiter der Christen im Libanon zusammen, der von diesen als Sprecher gewählt worden war. In bewegenden Worten schilderte er die Angriffe der Freischärler gegen die christliche Bevölkerung im Bereich der libanesischen Grenzgebiete, die vielen Überfälle, die vor allem unter Frauen und Kindern zahllose Tote gefordert hatten. Die Aktion der israelischen Armee, die bis zum Titani-Fluß das ganze Gebiet von diesen Fatach-Guerillas gesäubert hätten, sei eine Rettung f ü r die Christen dieses Bereichs geworden. Die großsyrischen Gedanken dieser „Verbrecher", wie er sie nannte, sei praktisch ein Versuch der Sowjetisierung dieses ganzen arabischen Raumes. Ein Oberleutnant der Israelis, der den „Guten Zaun" erläuterte, sagte, daß nach der Übernahme der Kontrolle durch die Vereinten Nationen bereits wieder etwa 500 arabische Guerillas in das gesäuberte Gebiet eingesickert seien. Nach einem Besuch der Heiligen Stätten am See Genezareth ging es zu einem kurzen Badeausflug im Kibbuz Ginossar, wo viele deutsche Gruppen Prof. Dr. Carstens erkannten und ihn herzlich begrüßten, wie bereits vorher in Jerusalem. Der Bundestagspräsident und die deutschen Abgeordneten staunten über die große Zahl an deutschen Reisegruppen. Die große Zahl der deutschen Reisenden ist gegenüber 1976, wo 63.000 Touristen aus der Bundesrepublik verzeichnet wurden, auf 110.000 im Jahre 1977 angewachsen, was einem Prozentsatz von 74 % gegenüber 1976 entspricht. Das bedeutet für Israel auch eine große Deviseneinnahme. In den ersten drei Monaten 1978, so betonte das Staatliche Israelische Reisebüro in Frankfurt, liege die Zahl bei 30.000 deutschen Touristen in Israel. Eine Begegnung soll hier besonders erwähnt werden. Moshe Meron, der Vizepräsident der Knesset, Leiter der Israelisch-Deutschen Parlamentariergruppe des Israelischen Parlaments, empfing die deutschen Gäste. Diese Parlamentariergruppe ist die einzige bilaterale Arbeitsgruppe der Knesset, die einst gebildet wurde. Moshe Meron gab eine stolze Bilanz: Von 15 war diese Gruppierung auf 19 Mitglieder angestiegen, ein besonderer Vertrauensbeweis f ü r die deutsch-israelische Freundschaft. Prof. Karl Carstens gab mir vor seinem Abflug noch ein Interview, eine Bilanz seines Besuches. Frage: Es war das erste Mal, daß ein Bundestagspräsident mit einer Delegation von sieben Parlamentariern nach Israel kam. Herr Shuval, der Beauftragte für 688
32.1 Bundestagspräsident Carstens besucht mit sieben Abgeordneten Israel die Information des Außenministers Israels, hat heute erklärt, es war wohl der zweitwichtigste Besuch zwischen Deutschland und Israel, nach dem Treffen Adenauer/Ben Gurion. Wie bewerten Sie den Besuch? Antwort: Ich möchte sagen, daß ich mit dem Ablauf des Besuchs sehr zufrieden bin. Ich habe vieles gesehen, was ich auch vorher schon wußte auf Grund von Zeitungsberichten und diplomatischen Berichten, die ich gelesen hatte, aber es ist eben doch ein sehr großer Unterschied, ob man das mit eigenen Augen sieht und aus dem Munde derer hört, die von den Gefahren unmittelbar betroffen sind. Die Gespräche, die wir hier geführt haben, waren ernst, und das konnte ja gar nicht anders sein, aber es waren ausnahmslos gute Gespräche. Frage: Man hat Sie mit der Frage Israel/Europa konfrontiert, mit den Sorgen, wie die Israelis sagen, und den Problemen, die die Europäische Gemeinschaft ihnen aufgibt. Antwort: Ich habe, als ich hier hergekommen bin, und in mehreren Reden gesagt, wir sind gekommen, um uns zu informieren, um unsere Sympathie f ü r Israel auszudrücken, und um Israel in dem Rahmen, in dem dies möglich ist, auch zu unterstützen. Dabei habe ich in erster Linie an die Unterstützung gedacht, die die Bundesrepublik Deutschland Israel schon in der Vergangenheit gewährt hat, bei den Verhandlungen über die Herstellung einer Freihandelszone zwischen der EG und Israel sowie an eine ähnliche Unterstützung bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der EG. Frage: Herr Prof. Dr. Carstens, Friedensvertrag zwischen den arabischen Staaten und Israel. Sie haben einige Grenzfahrten unternommen, Sie haben den Guten Zaun bei Metula gesehen, wo die Libanesen sich hilfesuchend an Israel wenden. Gibt es Möglichkeiten zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, spezifisch hier zu helfen oder zu unterstützen? Antwort: Es ist naturgemäß außerordentlich schwer, in diese Verhandlungen einzugreifen, sei es auch nur, mit guten Ratschlägen einzugreifen. Ich möchte allerdings sagen, daß der Eindruck, den man bekommt, wenn man in den Norden des Landes fährt, der ist, daß ein einfacher bloßer Rückzug auf die Grenzen des Jahres 1967 ohne irgendwelche zusätzlichen Sicherheitsgarantien für Israel unlösbare Sicherheitsprobleme mit sich bringen würde. Das ist ein Eindruck, den nicht nur ich, sondern auch noch die übrigen Mitglieder der Delegation gewonnen haben. Frage: Der Höhepunkt aller Gespräche, Sie haben den israelischen Verteidigungsminister gesehen, Sie haben die Spezialisten des Außenministeriums gesehen, die für Europa zuständig sind, war ja wohl das Treffen mit Ministerpräsident Begin. Sie waren der dritte Deutsche, Botschafter Klaus Schütz, Axel Springer und nun Sie. Was war Ihr Eindruck von diesem Gespräch? Antwort: Von diesem Gespräch gilt im besonderen, was ich eingangs schon sagte, es war ein ernstes Gespräch. Aber es war auch zugleich ein gutes Gespräch. Wir haben einen sehr nachhaltigen Eindruck von der Position bekommen, die Herr Begin einnimmt, und wir haben Herrn Begin das gesagt, was wir für das Deutsche Parlament unsererseits sagen konnten. Ich denke, daß dies doch ein wichtiger Augenblick in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern gewesen ist. 689
32 Dreißig Jahre Israel Frage: Ein Problem, das uns Deutsche insofern nicht betrifft, als wir nichts geliefert haben, ist das Problem der „Milan"-Raketen an Syrien, die aus Frankreich geliefert worden waren, wo wir aber mit der französischen Firma einen Koproduktionsvertrag besitzen. Antwort: Dies ist eine Frage, die die Israelis sehr beunruhigt und wegen der wir mehrfach angesprochen worden sind. Wir haben ganz deutlich gemacht, daß nicht wir diese Lieferung an Syrien vornehmen, sondern daß dies eine Entscheidung ist, die die französische Regierung allein zu vertreten hat, und daß die französische Regierung nach dem Kooperationsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich dazu auch berechtigt ist. Da aber die Rakete zu einem nicht unerheblichen Teil aus deutschen Zulieferungen besteht, haben wir erklärt, wir würden die Bundesregierung bitten, mit der französischen Regierung Konsultationen aufzunehmen, im Rahmen des deutsch-französischen Konsultationsvertrages mit dem Ziel, daß diese Waffenlieferungen an Syrien eingestellt werden. Frage: Israelisch-deutsche Parlamentarierarbeit, H e r r Bundestagspräsident, es ist die einzige Gruppe, die es bei der Knesset gibt, eine deutsch-israelische oder eine israelisch-deutsche Parlamentariergruppe, die während Ihres Besuches von 15 auf 19 Mitglieder angewachsen ist. Wie sehen Sie diese Dinge? Antwort.-Ich f r e u e mich sehr darüber, daß diese G r u p p e hier konstituiert worden ist. Auf unserer Seite in Bonn gibt es die deutsch-israelische Parlamentariergruppe, die zu einer d e r stärksten Parlamentariergruppen gehört die wir überhaupt haben. Wir haben ja ungefähr 20 oder 22 solcher Gruppen. Ich sehe darin den Ausdruck eines lebhaften Interesses beider Seiten zu einem engeren und regelmäßigen Kontakt zu kommen. Übrigens sollte ich gleich in diesem Zusammenhang erwähnen, daß es außerordentlich beeindruckend war zu sehen, wie viele deutsche Touristen in diesem Lande sind. Überall wo wir hinkamen, trafen wir Gruppen deutscher Touristen an. Besonders an den Stätten im Heiligen Lande, wohin viele, viele Deutsche in diesen Tagen reisen.
32.2 28. Juni 1978: Bundesaußenminister Genscher fliegt zum dritten Mal in die israelische Hauptstadt Im März 1977 war Bundesaußenminister Genscher zum zweiten Mal nach Jerusalem gestartet. Jetzt, am 28. Juni 1978 flog er zu dritten Mal in die israelische Hauptstadt. Viel war in dieser Zwischenzeit geschehen, vor allem durch den Regierungswechsel nach den Wahlen in Israel. Zum ersten Mal würde er den neuen Premierminister Menachim Begin sehen. Direkt nach dem deutschen Besuch erwartete man in d e r israelischen Regierung den amerikanischen Vizepräsidenten Mondale. Nachdem die Boeing aus Bonn mit Bundesaußenminister Genscher an Bord gelandet war, begrüßte Israels Außenminister Moshe Dayan ihn als „alten Freund Israels", bevor sich die Wagenkolonne nach Jerusalem vom Ben Gurion690
32.2 Bundesaußenminister Genscherfliegtzum dritten Mal nach Tel Aviv Flughafen entfernte. Yad Washem, die Gedenkstätte f ü r die jüdischen Opfer war das Ziel. Hier wurde Außenminister Genscher und die deutsche Delegation in die neue große Halle geführt, in der die Millionen Namen verewigt sind, jene Bogen mit Bildern der Opfer. Im Anschluß daran legte der Minister in der großen Gedenkhalle einen Kranz nieder. Bereits um 16 Uhr Jerusalemer Zeit stattete Genscher dem Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek einen halbstündigen Besuch ab. Um 16.30 Uhr traf er mit dem Sprecher der Knesset, Yitzhak Shamir in der Knesset zusammen, gleich anschließend empfing ihn der Leiter der Israelisch-deutschen Parlamentariergruppe, Moshe Meron, dessen Gruppe jetzt bereits 21 Mitglieder aus allen Fraktionen des israelischen Parlaments zählt. Hier kamen einige wichtige Themen, Sorgen der israelischen Parlamentarier auf den Tisch, die Genscher freimütig beantwortete. Natürlich standen die Äußerungen des Bundeskanzlers anläßlich der Pressekonferenz zum Abschluß des Bonner Besuchs des saudi-arabischen Kronprinzen Fahd als erstes auf dem Programm, ein Thema, das auch als erste Frage der Besprechung mit Außenminister Moshe Dayan sofort zur Sprache kam. Das Stenogramm der Äußerungen des Bundeskanzlers zur Palästinenserfrage und in meinem Interview die Erläuterungen des Bundesaußenministers mit den von ihm zitierten Dokumenten der EG sollen hier wiedergegeben werden. Auch hier, vor den Abgeordneten der Knesset sagte Genscher, daß keine der Aussagen der Bundesregierung eine andere Richtung hätte. Sie stünden in vollem Kontext mit der Erklärung der Außenminister und der europäischen Regierungschefs vom 29. Juni 1977. Es gäbe keine Änderung der deutschen Haltung. Dann kam die Frage der Lieferung der Milan-Raketen. Es sei ein altes Ziel der europäischen Verteidigung, die Waffenkraft der NATO zu stärken. Darum gäbe es bilaterale Waffenverträge, bei denen beide Partner frei seien, Verkaufsverträge abzuschließen. Wenn ein Partner nicht liefern könne, so kann der andere Partner, der zur eigenen Produktion nur Teile liefere, diese Teile selbst herstellen. „Wir Deutschen halten an unsere Linie fest, Waffen nicht in Spannungsgebiete zu liefern". Genscher betonte, daß er zu wissen glaube, daß die Franzosen die gleiche Rakete auch an Israel habe liefern wollen. Die Frage der Abschlußgeste in der Wiedergutmachungsfrage von 600 Millionen D-Mark, so erwiderte Genscher, werde seit einigen Jahren von Dr. Goldmann mit den verschiedenen Finanzministern besprochen, außerdem mit den Fraktionsspitzen im Deutschen Bundestag. Die Prüfung der Ergebnisse dieser Gespräche ist noch nicht abgeschlossen, er könne daher zu diesem Problem nichts sagen. Ein weiterer Gesprächspunkt mit den Parlamentariern war die Verjährung von NS-Verbrechen und die Länge der Prozesse, wie der von Maidanek. Genscher betonte die bisherigen Argumente, wie z. B. die schwierige Beweisführung und die Tatsache, daß aus den Ländern der furchtbaren Taten die Dokumente erst nach sehr langen Jahren übergeben worden seien. „Es besteht kein Zweifel", so sagte der Minister, „daß die deutsche Justiz diese Prozesse so rasch wie möglich abschließen werde". 691
32 DreißigJahre Israel Zum Problem eines Antiboykottgesetzes betonte Genscher, daß ein derartiges Gesetz unzulässig sei. Durch die „ausgewogene Nahost-Politik" werde von deutscher Seite sehr dazu beigetragen, den Boykott gegen Israel abzubauen. Die Bundesregierung könne mit dieser Politik sehr dazu beitragen, eine freie Handelspolitik wirksam werden zu lassen. Zur Frage der Terroristenbekämpfung meinte Außenminister Genscher, daß es bei der deutschen Bevölkerung besonders aufgefallen sei, daß deutsche Terroristen aus einem östlichen Land an die deutschen Behörden zurückgestellt wurden. Sie hatten sich dort sehr lange in Sicherheit gewiegt. Natürlich fragten die israelischen Parlamentarier den deutschen Minister auch nach der Wahlniederlage in Niedersachsen und Hamburg, über die Frage der 5 %-Klausel. Genscher betonte, wenn dieses Problem heute vor dem Bundestag stünde, würde er wiederum dafür plädieren. Genscher betonte, daß die radikalen Parteien nicht einmal 1 % bei diesen Wahlen erreicht hatten. Nach einer lebhaften Diskussion stattete der Außenminister dem neuen israelischen Staatspräsidenten Yitzhak Navon einen Besuch ab. Der erste Tag des Besuches endete mit einem festlichen Dinner, das Moshe Dayan f ü r die deutschen Gäste im Hotel Plaza gab. Bei dieser Gelegenheit wurden Tischreden ausgetauscht. Bundesaußenminister Genscher sagte in seiner Erwiderung: „Lassen Sie mich zunächst —auch im Namen meiner Frau und der Mitglieder unserer Delegation — herzlich f ü r Ihre gastfreundliche Aufnahme und Ihre Worte des Willkommens danken. Dieser Besuch ermöglicht es uns, den Gedankenaustausch zwischen unseren Regierungen fortzusetzen mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen unseren Ländern auszubauen und zu vertiefen. Das ist der aufrichtige Wunsch der Bundesregierung, aller Parteien des Deutschen Bundestages und der Bürger unseres Landes. Seit meinem letzten Besuch hier im März vergangenen Jahres haben wichtige israelische Persönlichkeiten die Bundesrepublik Deutschland besucht. Mein Kollege Dayan hat in Bonn Ende November eingehende Gespräche geführt. Danach waren Finanzminister Ehrlich, Minister Sharon und der Vorsitzende des Knessetausschusses f ü r Auswärtiges und Verteidigung, Herr Professor Arens, bei uns. Auch in umgekehrter Richtung war ein reger Besucherstrom zu verzeichnen. Ich erwähne besonders den Besuch einer Delegation des Deutschen Bundestages unter der Leitung von Bundestagspräsident Professor Carstens Ende Mai. Von ihm und den Mitgliedern seiner Delegation, in der alle Bundestagsparteien vertreten waren, übermittle ich Ihnen noch einmal Dank und besondere Grüße. Mit der Gründung der israelisch-deutschen Parlamentariergruppe innerhalb der Knesset gibt es in der israelischen Volksvertretungjetzt eine Parallel-Institution zu der bei uns seit Jahren bestehenden deutsch-israelischen Freundschaftsgruppe im Bundestag. Wir haben diese Gründung der israelisch-deutschen Parlamentariergruppe dankbar begrüßt. 692
32.2 Bundesaußenminister Genscher fliegt zum dritten Mal nach Tel Aviv
Mit Freude verzeichne ich die regen kulturellen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Am wichtigsten bleibt dabei der Jugendaustausch. Reisen von jährlich 8 000 Jugendlichen werden von unseren beiden Ländern offiziell gefördert. Daneben stellen deutsche Jugendliche mit rund 20 000 im Jahr die wohl größte Gruppe jugendlicher Besucher in Israel überhaupt. Was die Zusammenarbeit und den Austausch im Sport betrifft, so bleibt die Bundesrepublik Ihr wichtigstes Partnerland. 40 deutsch-israelische Forschungsprojekte laufen zur Zeit in Israel, und jährlich nehmen etwa 110 Wissenschaftler am Austausch teil. Neben diesen vielfältigen geistigen Berührungspunkten bietet auch der wirtschaftliche Bereich und dabei besonders der deutsch-israelische Warenverkehr Anlaß zur Genugtuung. Die Handelsentwicklung der letzten Jahre war für Israel außerordentlich günstig. 1977 gab es nochmals einen kräftigen Rückgang des israelischen Handelsbilanzdefizits. Die israelischen Ausfuhren steigen bei rückläufiger Einfuhr aus der Bundesrepublik weiterhin an. Wenn diese Entwicklung anhält, wird es 1979 zum ersten Mal einen Handelsbilanzüberschuß Israels gegenüber der Bundesrepublik geben. Wir sehen darin eine beachtliche Leistung der israelischen Exportwirtschaft. Viele positive Faktoren lassen auch für die kommenden Jahre eine Intensivierung der deutsch-israelischen Wirtschaftsbeziehungen erwarten. Die wirtschaftliche Verflechtung unserer beiden Länder ist eingebettet in den größeren Rahmen der Kooperation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Israel. Wir haben seit jeher tatkräftig daran mitgewirkt, daß für diese Kooperation solide und dauerhafte vertragliche Bedingungen geschaffen wurden. Das bestehende Abkommen bildet ein festes Fundament. Darauf gilt es, gemeinsam weiterzubauen. Die Bundesregierung wird ihren Teil dazu beitragen. Meine Damen und Herren, die Situation im Nahen Osten bereitet der Bundesrepublik Deutschland und ihren westeuropäischen Partnern große Sorge. Europa ist mit dem Nahen Osten auf das engste nachbarlich verbunden. Es hat deshalb ein unmittelbares und vitales Interesse daran, daß der israelischarabische Konflikt auf eine Weise beigelegt wird, die zu einem gerechten, dauerhaften und umfassenden Frieden führt. Nur so kann sich allen Völkern des Nahen Ostens die Möglichkeit eröffnen, ihre Kräfte auf ihr Wohlergehen und ihre Entwicklung in Frieden und Sicherheit zu konzentrieren. Unsere Auffassung von einer Friedenslösung haben wir vor den Vereinten Nationen und wiederholt bei anderen Gelegenheiten dargelegt, und ich schließe hier ein die Erklärung des Bundeskanzlers, die Sie eben erwähnt haben, die ich selbst in der gleichen Weise bei anderen Gelegenheiten abgegeben habe. 693
32 DreißigJahre Israel
Sie — nämlich unsere Auffassung — findet in der Erklärung des Europäischen Rats vom 29. Juni 1977 ihren Ausdruck. Wir hoffen unverändert, daß mit der historischen Begegnung zwischen Ministerpräsident Begin und Präsident Sadat in Jerusalem der Grundstein für erfolgreiche Verhandlungen gelegt worden ist, die zu einer umfassenden Friedenslösung mit allen Beteiligten führen. Wir wollen alles unterstützen, was einer baldigen Lösung des Nahost-Konflikts und damit dem Frieden dienen kann. Wir hoffen von ganzem Herzen, daß die trotz aller Schwierigkeiten noch gegebene historische Chance genutzt werden kann, um zur friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts zu kommen. Der Staat Israel ist jetzt in das vierte Jahrzehnt seines Bestehens eingetreten. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland aus Anlaß des 30. Jahrestages der Gründung des Staates Israel ausführlich des Aufbauwerkes gedacht, das auch für die bilateralen Beziehungen von beiden Seiten geleistet wurde. Unsere aufrichtigen Wünsche gelten einer friedlichen und sicheren Zukunft Israels. Ich erhebe mein Glas und trinke auf Ihr Wohl, Herr Minister, auf das Wohl Ihrer Frau Gemahlin, auf die gute Fortentwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen und auf den Frieden im Nahen Osten und zwischen allen Völkern!" Der zweite Tag des Besuches von Bundesaußenminister Genscher war f ü r einzelne Gespräche vorgesehen. Gleichzeitig tagte die Gesamtdelegation mit den israelischen Beamten des Außen- und Wirtschaftsministeriums sowie mit den EGFachleuten. Der Tag begann mit einem Frühstück des Bundesaußenministers, mit dem ehemaligen israelischen Außenminister Yigal Alton, der später zur Oppositionsfraktion der Knesset gehörte. 70 Minuten waren für diese Begegnung der beiden alten Freunde vorgesehen. Danach fuhr Außenminister Genscher ins israelische Finanzministerium zu seinem Parteifreund Simcha Ehrlich. Eine Stunde und zwanzig Minuten, dann begann im israelischen Außenministerium eine Arbeitssitzung. Um 12 Uhr ging der Minister zu Menachim Begin zu einer fast eineinhalbstündigen Begegnung. Das Mittagessen verbrachte Minister Genscher mit den deutschen Journalisten und den Korrespondenten deutscher Blätter in Israel. Bei dieser Gelegenheit überreichte Minister Genscher dem Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Moshe Tavor, zum 75. Geburtstag sein gerahmtes Bild mit Widmung. 15.30 Uhr, Shimon Peres, der Führer der Arbeiterpartei, kam zu einem Gespräch mit Minister Genscher, um die Meinung der Nahost-Politik aus der Sicht der parlamentarischen Opposition zu besprechen. 17 Uhr, Israels Innenminister Josef Burg, der Vorsitzende der National-Religiösen Partei kommt zum Gespräch ins King David-Hotel. Eine Stunde später gab der Minister eine Pressekonferenz, bei der er noch einmal die bis dahin vorliegenden Ergebnisse zusammenfaßte. Minister Genscher dankte seinem Gastgeber für die gastfreundliche und herzliche Aufnahme, für die Offenheit der Gespräche. Genscher betonte dabei, daß er Gelegenheit hatte, ein Gespräch mit dem Herrn Staatspräsidenten zu führen und ein tiefes Gespräch mit dem Ministerpräsiden694
32.2 Bundesaußenminister Genscherfliegtzum dritten Mal nach Tel Aviv
ten Begin, dem Sprecher der Knesset, seinem Freund Allon, und Shimon Peres, dem Führer der Opposition. „Was die Gespräche auszeichnete, war der Ausdruck des Vertrauens und des gegenseitigen Verständnisses. Die Gespräche boten die Möglichkeit, die deutsche Haltung zur Nahost-Frage zu erläutern, die sich auf die Erklärung des Europäischen Rates vom 29. Juni 1977 gründet und dabei auch deutlich zu machen, daß die Erklärungen, die ich in der Vergangenheit abgegeben habe sowie auch die jüngste Erklärung des Bundeskanzlers in voller Übereinstimmung mit der Haltung der Bundesregierung stehen." Genscher fügte hinzu: „Ich bin überzeugt, daß meine Gesprächspartner, wie es unter Freunden üblich ist, davon überzeugt sind, daß diese deutsche Haltung, die erklärte Absicht der Bundesregierung, die erklärte Stellung der Bundesregierung ist."
32.2.1
Bilanz der Reise
Über die Probleme der deutsch-israelischen Beziehungen, über die Beziehungen Israels zur Europäischen Gemeinschaft, aber ganz besonders zur Frage der Möglichkeit einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts hatte ich mit Bundesaußenminister Genscher das folgende Interview: Frage: Sehen Sie im Problembereich der deutsch-israelischen Beziehungen Fortschritte? Antwort: Ich glaube, daß auch dieses Gespräch mit der neuen israelischen Regierung wiederum unter Beweis gestellt hat, daß die deutsch-israelischen Beziehungen auf einer festen Grundlage stehen, daß wir zu einem vertrauensvollen und freundschaftlichen Verhältnis gefunden haben. Das war der Geist des Meinungsaustausches, den wir über alle uns interessierenden Fragen hatten. Frage: Das Problem des Friedens im Nahen Osten war ein wenig vorher durch die Äußerungen des Bundeskanzlers angesprochen worden, der aber letztlich das wiederholt hatte, was schon immer von deutscher Seite formuliert worden war, wenn es um die Nahost-Frage ging. Antwort: Sie haben absolut richtig festgestellt, daß die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers, die in der israelischen Presse eine gewisse Beachtung gefunden hatten, in der Folge der Kontinuität der deutschen Nahost-Politik liegen — ich habe mich selbst in gleicher und ähnlicher Weise bei verschiedenen Gelegenheiten auch vor den Vereinten Nationen geäußert. Sie liegt auch im Rahmen der gemeinsamen Deklaration vom 29. Juni 1977, mit der die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, die Nahost-Politik der Gemeinschaft definiert haben. Frage: „Staatlich organisieren" war die Formel f ü r die Lösung der Palästinenserfrage, wie sie vom Bundeskanzler gebracht worden war. Sehen Sie darin eine Möglichkeit eine besondere Provinz innerhalb Jordaniens zu organisieren? 695
32 DreißigJahre Israel Antwort: Bewußt ist die Frage, wie die Lösung des Palästinenserproblems vorzunehmen ist, in der Erklärung des Europäischen Rats der Außenminister und Regierungschefs nicht definiert worden. Das ist Angelegenheit aller Konfliktbeteiligten. Frage: Ein weiteres Thema war die Frage Israel und die Europäische Gemeinschaft. Israel hat berechtigte oder unberechtigte Sorgen, daß, wenn Griechenland, Portugal und Spanien in die EG eintreten, auf dem Gebiet der Citruszölle sowie bei den Textileinfuhren in die EG Probleme auftreten werden. Wie sehen Sie es? Antwort: Es gibt eine Mittelmeerpolitik in der EG mit den Anrainerstaaten des Mittelmeeres, also auch mit Israel. Im Rahmen dieser Mittelmeerpolitik sind Handelsabkommen geschlossen worden. Der Beitritt der südosteuropäischen Staaten in die EG kann Einflüsse auf die vertraglichen Abmachungen und ihre Ausführungen haben. Aus diesem Grunde bestehen in Israel gewisse Besorgnisse. Es wird jetzt darum gehen, zu prüfen, inwieweit diese Besorgnisse begründet sind, und wie sie für alle Partnerstaaten unserer Mittelmeerpolitik beseitigt werden können. Frage: Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft spielt auch die Frage der Auswertung der israelischen Industrie eine besondere Rolle. Vor Ihrem Besuch in Jerusalem hatte Israel die Absicht verkündet, ein Forschungsinstitut für industrielle Forschung zu errichten, bei dem die Mittel zur Hälfte aus der Bundesrepublik Deutschland, zur anderen Hälfte aus Israel beigetragen werden sollen? Antwort: In den Gesprächen mit mir ist dieses Thema nicht angesprochen worden. Frage: Hat Finanzminister Simcha Ehrlich von seinen Sorgen gesprochen oder war es nur ein neues Parteigespräch? Antwort: Mit Herrn Ehrlich war es das Gespräch zweier Parteivorsitzender liberaler Parteien, d. h., er hat nicht in seiner Eigenschaft als Finanzminister mit mir gesprochen, so daß auch finanzielle Fragen in diesem Gespräch mit mir überhaupt nicht erwähnt worden sind. Frage: Im Gespräch mit den Abgeordneten der Knesset wurde die Frage einer weiteren Verlängerung der Verjährung angeschnitten? Antwort: Ich habe vor den Abgeordneten die Rechtslage erläutert. Frage: Gab es bei diesen Gesprächen noch andere Punkte, die von Wert waren, vor allem solche, die von deutscher Seite anders gesehen wurden, als sie die Israelis sahen? Antwort: Wenn Sie Ihre Frage darauf beschränkt hätten, ob es Gespräche gab, die für mich von Wert waren, wo würde ich Ihnen sagen können, es waren alle Themen. Gespräche haben für mich immer einen großen Wert. Wir finden nach diesen Gesprächen ein umfassendes Bild aus der Sicht der führenden israelischen Persönlichkeiten, sowohl derjenigen, die die Regierung tragen, wie derjenigen der Opposition zum Nahost-Konflikt, zum Verhältnis der EG, als auch zur Bundesrepublik Deutschland. Ich glaube, daß es charakteristisch für das deutschisraelische Verhältnis ist, daß man offen, vertrauensvoll und aufrichtig miteinander 696
32.3 Ein Gespräch mit Helmut Kohl spricht, seine Meinung austauscht und auch Gegensätze nicht verschweigt, sondern versucht für den jeweils anderen Standpunkt Verständnis zu erzielen.
32.2 Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der parlamentarischen Opposition im Deutschen Bundestag, Dr. Helmut Kohl Die Verständigung mit Israel ist auf moralischen Prinzipien gegründet. Im Juni 1978 hatte ich ein Gespräch mit Dr. Helmut Kohl über die grundsätzlichen Fragen der Bundesrepublik Deutschland und Israel. Frage: Herr Dr. Kohl, es ist das erste Mal, daß wir uns in den „deutschland-berichten" über die Frage der Grundsatzhaltung der Christlich Demokratischen Union zu Israel unterhalten. Wie sehen Sie diese? Antwort: Man kann diese Frage nicht beantworten, ohne einen Rückblick auf die Geschichte zu nehmen. Die CDU ist jetzt also 30 Jahre alt und unsere Position ist in diesen 30 Jahren — was den Staat Israel betrifft — immer die gleiche gewesen. Konrad Adenauer hat schon sehr bald nach seiner Wahl zum Bundeskanzler erklärt, daß im Blick auf die schlimmen Erfahrungen und die Taten, die im deutschen Namen zur Zeit der Nazis geschehen sind, wir eine besondere Beziehung zu Frankreich, zu Polen und zu Israel haben, daß es darum geht, eine neue, eine auf moralischen Prinzipien gegründete Verständigung mit diesen Völkern zu finden — wenn möglich auf Dauer, auch zu freundschaftlichen Beziehungen zu kommen: Alle führenden Persönlichkeiten der CDU haben in diesen 30 Jahren in diesem Sinne gewirkt. Ich erinnere an die Abmachungen, die Konrad Adenauer selbst mit dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion über die Wiedergutmachungszahlungen noch getroffen hat. Ich erinnere an die Aufnahme diplomatischer Beziehungen unter Ludwig Erhard. Es war immer unsere Politik, wenn irgendmöglich, auch wenn wir wissen, daß schreckliche Taten nicht ungeschehen gemacht werden können, uns zur Verantwortung unserer Geschichte zu stellen und das Menschenmögliche zu versuchen, um für die nachrükkende, nachwachsende Generation eine neue Beziehung zu eröffnen. Ich stelle heute mit großer Befriedigung als Vorsitzender der CDU fest, daß gerade die Junge Union der CDU besondere Beziehungen zu Israel pflegt. Daß jedes Jahr viele Gruppen der Jungen Union dorthin fahren, daß sie sehr persönliche freundschaftliche Beziehungen in großer Zahl entwickelt haben. Wir haben diese Position immer beibehalten, gleich ob wir Regierungspartei waren oder ob wir Opposition sind. Wir haben auch nicht sehr danach geschaut, ob die jeweilige israelische Regierung diese grundsätzliche Position immer so als selbstverständlich anerkannte. Israel ist einen sehr schweren Weg in diesen Jahrzehnten gegangen, und wir haben immer erklärt, und ich will es heute noch einmal tun, daß aus unserer Sicht Israel ein selbstverständliches Lebensrecht als selbständiger unabhängiger Staat hat, daß wir volle Sympathie für die Bestrebungen Israels haben, seine Existenz auch für die Zukunft zu sichern. 697
32 DreißigJahre Israel Frage: Herr Dr. Kohl, von israelischer offizieller politischer Seite ist immer wieder das Thema aufgekommen, besondere Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu erhalten. Antwort: Ich habe gelegentlich den Eindruck, hier wird eine Frage, die sich aus der Geschichte als eine natürliche Frage entwickelt hat, mit einem Inhalt versehen, der für die Beziehungen der beiden Länder sich nicht besonders glücklich entwickelt. Natürlich sind die Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland, vor allem zwischen den Menschen, gut, und ich verweise hier wiederum auf diejunge Generation, „besondere Beziehungen", weil hier in einer besonderen Weise moralische Kategorien eine Rolle spielen. Wer aber nun den Versuch macht, etwa besondere Beziehungen so zu definieren, daß diese Beziehungen nicht normale Beziehungen sind unter befreundeten Staaten, der schadet auf die Dauer den deutsch-israelischen Beziehungen. Denn das Wichtigste ist ja, daß wir versuchen — ich sage das in einer Demut vor der Geschichte —, aus der Geschichte zu lernen, für die Zukunft eine gemeinsame Perspektive zu gewinnen. Wer immer das Besondere betont unterstreicht, muß wissen, daß er damit eine psychologische Barriere aufbaut, die auf die Dauer unseren Völkern nicht hilft. Frage: Seit November vorigen Jahres bestehen Kontakte, Verbindungen zwischen Ägypten und Jerusalem. Präsident Sadat war dort. Es gibt Intervalle der weiteren Gespräche. Hier in Bonn, Herr Dr. Kohl, sind viele Politiker gewesen, einmal aus Israel, aber zum anderen auch aus den arabischen Staaten. Sie haben sie alle gesehen. Wie beurteilen Sie die Dinge? Antwort: Ja, das ist wiederum eine Anfrage an unsere gemeinsame Geschichte. Ich will es offen ansprechen. Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland stehen in der Kontinuität unserer Geschichte unseres Vaterlandes. Und in Deutschland gibt es traditionell freundschaftliche Beziehungen zur arabischen Welt. Das hat viele Gründe. Geistesgeschichtliche, kulturgeschichtliche Gründe, Geschichte, die bis in den Bereich der Romantik des vergangenen Jahrhunderts in einer besonderen Weise zurückgeht, die sich aber tief eingegraben haben im Bewußtsein unseres Volkes. Wenn Sie meine Mitbürger befragen, ist dort eben niemand, der eine Politik befürwortet, ich tue es auch nicht, die eine Position des „entwederoder" beinhaltet. Wir wollen eine Politik, die dem Frieden dient. Wir wollen eine Politik, die es möglich macht, daß das Lebensrecht des Staates Israel garantiert ist, daß in dieser wichtigen Region der Welt Frieden herrscht, daß die Völker in einer vernünftigen Weise miteinanderleben und sich aufeinander zubewegen. Wir haben auch einen ganz, wenn Sie so wollen, einen speziellen deutschen Grund. Die Welt ist viel enger geworden, wenn Kriegsgefahr im Nahen Osten droht, bedeutet das eine Gefährdung des Friedens überall in der Welt. Aber der Seismograph der Unruhe, der Beunruhigung, der Furcht, die Kriegsgefahr schlägt in kaum einem anderen Land so hart aus, wie im geteilten Deutschland. Mitten durch unser Land geht das Kraftlinienfeld der Weltpolitik. Wenn wir also beobachten, daß die Sowjetunion im Rahmen ihrer hegemonialen Politik im Nahen Osten aus ihrer Interessenlage heraus operiert, wird das im Regelfall immer auch immer unsere Interessen beeinträchtigen. Wir sind elementar an einer friedlichen Ent698
32.3 Ein Gespräch mit Helmut Kohl
wicklung im Nahen Osten interessiert. Nur wenn der Krisenherd des Nahen Ostens ausgeräumt werden kann, wenn dort statt einer Zone der Beunruhigung eine Zone des dauerhaften wirklichen Friedens entsteht, haben die Völker dort wie auch wir hier bei uns den Vorteil und deswegen hat der Besuch Sadats eine große Hoffnung geweckt. Deswegen haben die Menschen in unserem Lande diese historische Bewegung in der Knesset mit einem nicht nur ungewöhnlichen wachen Bewußtsein, sondern mit einer großen inneren Anteilnahme, ich glaube, dieses Wort ist richtig gewählt, verfolgt, deswegen hoffen so viele darauf, daß es gelingt, der Vernunft zum Ziel zu verhelfen. Frage: Hoffen auf einen Frieden im Nahen Osten, Herr Dr. Kohl, was sagen Ihre arabischen Gesprächspartner? Antwort: Es ist nicht meine Aufgabe, hier öffentlich über Gespräche zu berichten. Ich kann nur sagen, daß meine politischen Freunde und ich gemeinsam mit vielen anderen und auch in anderen politischen Lagern der Bundesrepublik Deutschland unsere Aufgabe darin sehen, zum Ausgleich beizutragen, unseren Gesprächspartnern, ob sie nun aus Israel kommen oder aus einem der arabischen Länder, immer wieder den Gesamtzusammenhang von dem ich gerade sprach, deutlich vor Augen zu führen, unser elementares Interesse immer wieder zu betonen, daß eine Politik des Ausgleichs und des Friedens die einzige wirkliche Chance ist, in dieser Region für kommende Generationen ein glückliches Leben garantieren zu können, und ich muß ausdrücklich sagen, ich finde auch unter arabischen Gesprächspartnern immer wieder gerade für diesen Gedanken nicht nur sofortige Zustimmung, sondern auch sehr viele konstruktive Ansätze. Ich weiß, daß historische Vergleiche doch sehr schwierig sind, aber ich will ein Beispiel aus unserer Geschichte und aus Zentraleuropa bringen. Ich war noch ein Kind zur Nazizeit. Aber ich habe damals noch als Kind in der Schule erlebt, daß gelegentlich die These von der Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich gelehrt wurde. Es gab ja nicht wenige, die diese Parolen verbreitet haben. Diese Gesinnung hat zu großem Elend zwischen unseren beiden Völkern beigetragen. Sie war nicht nur in Deutschland vorhanden, sondern auch in Frankreich. Drei Generationen standen in drei Kriegen gegeneinander. Für mich ist eine der größten Taten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland darin zu sehen, daß, wenn ich jetzt auf dem Wege nach Paris bin, und ich einen Abstecher mache hinauf nach Verdun an das große Beinhaus in Douaumont, das Denkmal an die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, auch des Zweiten Weltkrieges. Wenn man dort vor den kilometerlangen Gräberfeldern der Gefallenen zweier Kriege steht und beobachtet die junge Generation, die Schülergeneration Europas, die jetzt im Sommer auf einer Frankreichtour dort vorbeikommen, dann finde ich, es ist ein großartiger Beweis der Staatskunst, daß dort junge Leute aus Europa stehen, deren Großväter dort begraben sind, und die gar kein Verständnis mehr dafür haben und empfinden können, daß die Jugend zweier Völker in zwei schrecklichen Kriegen Millionenopfer gegeneinander zog. Vor 30 Jahren hätten das viele Menschen für völlig unmöglich gehalten. Vor 30 Jahren hätten die wenigsten geglaubt, daß es ein deutsch-französisches Jugendwerk, einen deutsch699
32 DreißigJahre Israel französischen Freundschaftsvertrag geben kann. Bei gutem Willen, beim klugen Verständnis der Realitäten, bei Respekt auch vor den wohlverstandenen Interessen des anderen kann man sehr viel bewegen. Ich behaupte nicht, daß die Deutschen und die Franzosen nun für Araber und Israelis ein Beispiel sein müßten. Mir liegt es völlig fern, hier Ratschläge in dieser Frage zu geben. Aber ich finde doch, es war hier bei allem Trennenden möglich, einen Weg zu finden, indem ja die Völker sich aufeinander zubewegen. Es wäre eine Großtat, eine Friedenstat von Jahrhundertbedeutung, und zwar für die ganze Welt, wenn es gelingen würde, aus diesem Geiste auch zwischen den arabischen Nachbarn und Israel sich ein Stück aufeinander zuzubewegen. So etwas, was an Auseinandersetzungen in Jahren geschehen ist, ist über Nacht nicht zu bannen, aber man muß es beginnen, und deswegen haben wir so große Hoffnungen in diesen Versuch, den Ausgleich der Interessen gesetzt. Wir hoffen vor allem deswegen, wenn dieser Versuch erfolgreich ist, ein wichtiger Störfaktor auch für kommunistische Hilfssituationen in einem wichtigen Teil der Welt beseitigt werden kann.
32.4
„Auf dem Weg zum Frieden" — Interview mit dem israelischen Außenminister Josef Burg
Immer noch hat Israel keinen Frieden in der ganzen Region. Und dennoch die Möglichkeit, daß es mit Israel von ägyptischer Seite einen Frieden geben wird, ist seit November 1977 konkret gewachsen. Das würde auch für die Bundesrepublik Deutschland und Israel, für die bilateralen Fragen einen großen Fortschritt bringen. Es war nicht von ungefähr, daß der RIAS zu diesem Zeitpunkt des 30. Geburtstags eine einstündige Sendung mit dem Titel versah „30 Jahre Israel — auf dem Weg zum Frieden". Auch die Schweiz hat diese Sendung ausgestrahlt. Ich konnte sie damals gestalten. Darin brachte ich ein Interview mit dem israelischen Innenminister Dr. Josef Burg, das hier wiedergegeben werden soll: Frage: Herr Minister, 30 Jahre Israel, Sie sind 30 Jahre als Politiker in diesem Land. Wie sehen Sie die Situation nach diesem Zeitraum? Antwort: Wir haben im Aufbau Großes geleistet. Wir haben in der Erziehung Großes geleistet. Wir haben heute vom Kindergarten bis zu den Universitäten zweimal so viel Schüler als wir jüdische Einwohner am Tag der Proklamierung des Staates hatten. Wir haben die Industrie entwickelt. Wir haben den Typ des akkerbauenden Juden geschaffen. Wir haben eine mutige Armee, aber wir haben noch keinen Frieden. Das Hauptanliegen für die nächsten Jahre muß es sein, zu einem Friedenszustand und hoffentlich zu einem Friedensvertrag zu kommen, mit einem unserer Nachbarn, am besten mit allen unseren Nachbarn, damit wir unsere Energie weiter für den Aufbau und den Ausbau widmen können. Frage: Die geistige Basis, Herr Minister, ist einmal die große Religion Israels, des jüdischen Volkes, zum anderen des Zionismus. Wie hängt beides zusammen? 700
32.4 Interview mit dem israelischen AußenministerJosef Burg
Antwort: Das Judentum als Religion und in seinen Gebeten hat nie den geographischen Mittelpunkt, den geistigen Mittelpunkt, Jerusalem, verlassen oder vergessen. In jedem Gebet, dreimal am Tag, auch im Tischgebet, kommt die Bitte um die Wiederauferstehung Jerusalems zum Ausdruck. Für mich besteht kein Gegensatz zwischen den neonationalen Elementen ,in unserem Jude-Sein'. Für mich ist das auch wichtig, weil der Staat als solcher nicht der höchste Inbegriff des Lebens sein kann, sondern jeder Staat als Form, der von seinem Inhalt her seine Seele beziehen muß. Frage: Herr Minister, wenn Sie auf diese 30 Jahre zurückblicken, Sie haben es eben mit diesen wenigen Worten getan, der Friede muß kommen, er wird kommen. Noch ein Wort: Israel und Deutschland? Antwort: Ich habe seinerzeit dem Bundeskanzler Adenauer, als er mir diese Frage vorlegte, gesagt, die Brücken der Vergangenheit brannten ab, wir müssen neue Brücken in die Zukunft schlagen. Das sagte ich damals, heute kann ich auch grammatikalisiert die Gegenwart und nicht nur die Form der Zukunft benützen. Wir haben bereits Brücken, wir bauen darauf. Wunden sind verheilt, vernarbt. Die Narben sind natürlich noch manchmal fühlbar.
701
33 Das Treffen von Camp David Es kam, wie man nach dem Besuch von Präsident Sadat allgemein gehofft hatte: der amerikanische Präsident Carter hatte sowohl Präsident Sadat als auch den israelischen Premierminister Menachim Begin zu Gesprächen nach Camp David eingeladen, um als ehrlicher Makler zwischen den beiden Kontrahenten zu vermitteln. Es begann ein neuer Schritt nach vorn, der der Welt zeigte wie richtig es war, was auch immer wieder von deutscher Seite gesagt wurde: der Friede im Nahen Osten ist nur möglich, wenn von beiden Seiten ein echter Wille besteht. Ich erinnerte mich immer wieder an das Gespräch mit Franz-Josef Strauß im Frühjahr 1977. Damals, als er mir den Inhalt seines Gespräches mit dem ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat mitteilte, wurde deutlich, daß man in Kairo echte Versuche unternahm, um aus der Sackgasse des Hasses herauszukommen. Israelische Experten in Landwirtschaft und Industrie sollten in diesen Bereichen den Fortschritt bringen und die friedliche Verbindung auf den verschiedensten Wegen sollten die Grenzen niederlegen. Diese Gedanken durchzogen die politischen Gedanken in den Wochen und Monaten, da man sich in den USA, in Camp David, an den Tisch setzte. Dazu einige Äußerungen, nicht nur aus Bonn, sondern auch von Seiten der Europäischen Gemeinschaft.
33.1 33.1.1
Stellungnahmen zur Konferenz 14. August 1978: Bundesaußenminister Genscher begrüßt das Treffen von Camp David
Bundesminister Hans-Dietrich Genscher äußerte sich am 14.8.78 positiv zu der aktiven und konstruktiven Rolle der Vereinigten Staaten im Nahen Osten. Die Einladung Präsident Carters an Präsident Sadat und Premierminister Begin nach Camp David, über die die Bundesregierung von der amerikanischen Seite vor ihrer Bekanntgabe unterrichtet worden war, wird von der Bundesregierung als erneuter Beweis für die Entschlossenheit der USA gewertet, ihrer Verantwortung für den Frieden im Nahen Osten gerecht zu werden. Der Bundesminister des Auswärtigen gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß mit der Wiederaufnahme der Gespräche auf höchster Ebene wesentliche Fortschritte in Richtung auf eine umfassende Regelung des Nahost-Konflikts erzielt werden könnten, indem sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung bewußt seien. In der Einladung Präsident Carters nach Camp David sieht Minister Genscher auch eine Bestätigung der verantwortungsvollen Rolle, die von der Regierung der Vereinigten Staaten bei der friedlichen Lösung von Konflikten in ande702
33.1 Stellungnahmen zur Konferenz ren Teilen der Welt, insbesondere durch Teilnahme an der Namibia-Initiative der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder und an dem anglo-amerikanischen Rhodesien-Plan, übernommen wurde. Der Bundesminister des Auswärtigen führte am Rande der Trauerfeierlichkeiten für seine Heiligkeit Papst Paul VI. am Wochenende in Rom ein Gespräch mit US-Senator Edward Kennedy, in dem es u. a. ebenfalls um die Situation im Nahen Osten ging. Daneben besprachen die beiden Politiker Fragen der Energieversorgung sowie der bilateralen Beziehungen.
33.1.2
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft
Die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft haben am Dienstag, dem 19. September 1978, in einer gemeinsamen Stellungnahme unter Vorsitz des Bundesaußenministers der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, zum Ergebnis der Konferenz von Camp David die folgende Presseverlautbarung herausgegeben: „Die neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft beglückwünschen Präsident Carter zu dem großen Mut, mit dem er das Treffen von Camp David in die Wege geleitet und zu einem erfolgreichen Ende gebracht hat. Sie geben ebenfalls ihrer Anerkennung für die von Präsident Sadat und Ministerpräsident Begin gemachten großen Anstrengungen Ausdruck. Die Neun haben sich seit Jahren für eine gerechte, umfassende und dauerhafte Friedensregelung auf der Grundlage der Resolutionen 242 und 338 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen eingesetzt. Die Haltung der Neun wurde in der Erklärung des Europäischen Rates vom 29.6.1977 mit aller Klarheit dargelegt. Dies ist ihre unveränderte Position. Auf dieser Grundlage begrüßten die Neun die Initiative Präsident Sadats im November 1977. Die neun Regierungen hoffen, daß das Ergebnis der Konferenz von Camp David ein weiterer bedeutender Schritt auf dem Weg zu einem gerechten, umfassenden und dauerhaften Frieden sein wird und daß alle Betroffenen in der Lage sein werden, sich an dieser Entwicklung ebenfalls zu beteiligen, um zu diesem Ziel beizutragen. Die Neun werden ihrerseits allen Bemühungen um einen solchen Frieden starke Unterstützung geben."
33.1.3
Stellungnahme des Bundeskanzlers zum Ergebnis von Camp David und der Lage im Nahen Osten
„Ich möchte eine Bemerkung zur Außenpolitik machen. Die Bundesregierung und die ganze Bundesrepublik Deutschland haben ebenso wie ihre europäischen Partner ein vitales eigenes Interesse an einer gerechten und dauerhaften Lösung 703
33 Das Treffen von Camp David des Nahost-Konflikts. Wir haben daher gemeinsam mit den übrigen Regierungen der Europäischen Gemeinschaft den Prozeß der Friedenssuche im Nahen Osten begrüßt, der mit der in die Geschichte eingehenden Reise Sadats nach Jerusalem und seiner Begegnung mit Begin vor einem Jahr eingeleitet worden ist. Das entscheidende Ergebnis der fast zweiwöchigen Verhandlungen in Camp David liegt darin, daß dieser Prozeß, der damals in Jerusalem eingeleitet wurde, weitergehen kann. Die neun Außenminister der Europäischen Gemeinschaft haben vorgestern Präsident Carter zu dem Mut, mit dem er dieses Treffen in die Wege geleitet hat, und dazu beglückwünscht, daß er es zu einem erfolgreichen Ende gebracht hat. Wir haben Präsident Sadat und Premierminister Begin unsere Anerkennung für ihre großen Anstrengungen zum Ausdruck gebracht. Ich möchte diese Glückwünsche und diese Anerkennung, für die Bundesregierung sprechend, hier ausdrücklich öffentlich wiederholen. Wir hoffen, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, daß auch die übrigen Konfliktparteien in der Region dort imstande sein werden, sich an dem Verhandlungsprozeß zu beteiligen, damit eine umfassende Friedensregelung erreicht werden kann. Wir unterstützen die gegenwärtigen Bemühungen der amerikanischen Regierung, in direkten Gesprächen zu erreichen, daß sich auch jene arabischen Regierungen, die in Camp David nicht vertreten waren, an den Verhandlungen beteiligen können. Wir stellen auf der Grundlage der Erklärung des Europäischen Rats vom Juni des vorigen Sommers unsere guten Beziehungen zu allen Parteien des Nahost-Konfliktes in den Dienst der Friedensbemühungen. Dazu gehört offenkundig die Wiederherstellung der Einheit des arabischen Lagers, dazu gehört die Verpflichtung der Konfliktparteien, auch für das Westjordanland und für Gaza eine den Entschließungen 242 und 338 entsprechende Lösung zu vereinbaren. Wir werden uns ebenso wie unsere europäischen Partner an den jetzt notwendigen internationalen Erörterungen beteiligen und unsere guten Beziehungen zu allen Parteien des Konflikts und zu anderen Staaten der nahöstlichen Region in den Dienst der Suche nach einer Friedensregelung stellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang die intensiven Konsultationen mit der Regierung Saudi-Arabiens hervorheben. Wir hatten in diesem Sommer Gelegenheit, mit Kronprinz Fahd und seitdem noch zweimal mit dem saudi-arabischen Außenminister zu sprechen. Diese Gespräche haben den Eindruck bestätigt, daß Saudi-Arabien nicht nur eine wichtige, sondern auch eine überaus verantwortungsbewußte Rolle im Nahen Osten spielt. Wir sehen in diesem Rahmen auch den Staatsbesuch des syrischen Präsidenten Hafes el Assad, der vom 11. bis 15. dieses Monats unser Gast gewesen ist. Die Gelegenheit, in ausführlichen Gesprächen mit Assad, seinem Außenminister Chaddam und anderen begleitenden Ministern gegenseitige Positionen besser kennenzulernen und auch einige wichtige Klarstellungen zur syrischen Politik zu erhalten, war uns um so wichtiger, als eine dauerhafte und umfassende Lösung des Nahost-Konflikts ohne syrische Beteiligung nicht vorstellbar erscheint. 704
33.1 Stellungnahmen zur Konferenz Bedeutsam war die öffentliche Bestätigung, daß auch Syrien — wie schon bisher - eine auf den Sicherheitsratsresolutionen 338 und 242 aufbauende Verhandlungslösung anstrebt. Wichtig ist auch die positive Würdigung der gemeinsamen europäischen Nahostpolitik durch Präsident Assad, die ja auch das Recht Israels anerkennt, im Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben. Ich hoffe, daß unsere positive Einschätzung der S