267 115 171MB
German Pages 563 [572] Year 1987
saur
Teil I: Politik Band 1 - 3 [Namensregister von Teil I in Band 3]
Teil II: Wirtschaft/Landwirtschaft Band 4 - 5 [Namensregister von Teil II in Band 5]
Teil III: Kultur Band 6 - 8 [Namensregister von Teil III in Band 8]
K-G-Saur München-NewYork-London-Paris 1987
Der deutsch-israelische Dialog Dokumentation eines erregenden Kapitels deutscher Außenpolitik Herausgegeben von Rolf Vogel
Teil I: Politik Band 1
K-G-Saur München-NewYork-London-Paris 1987
C I P - T i t e l a u f n a h m e der Deutschen Bibliothek Der deutsch-israelische Dialog : Dokumentation e. e r r e g e n d e n Kap. dt. Aussenpolitik / hrsg. von Rolf Vogel. - München ; New York ; London ; Paris : Saur. ISBN 3-598-21940-7 NE: Vogel, Rolf [Hrsg.] Bd. 1 : Teil 1, Politik. - 1987 ISBN 3-598-21941-5
Alle Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved K.G. Saur Verlag, München 1987 Printed in the Federal Republic of Germany Druck/Binden: Graphische Kunstanstalt Jos. C. H u b e r , Dießen/Ammersee ISBN 3-598-21940-7 (Gesamt) ISBN 3-598-21941-5 (Band 1)
Vorwort Jeder, den die deutsch-israelischen Beziehungen interessieren, sollte dieses Buch aufmerksam lesen. Besonders in den letzten Jahrzehnten haben verschiedene Bücher diese Beziehungen seit der Aufnahme diplomatischer Kontakte zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland behandelt. Ich kenne aber keinen anderen Autor, der sich wie der Herausgeber dieses Buches, Rolf Vogel, während dieser gesamten Zeitspanne fast ausschließlich diesem T h e m a gewidmet hat und auch Zugang zu den Quellen und Material in beiden Ländern hatte. Die ständigen Arbeiten des Autors bei der regelmäßigen Sammlung des Materials f ü r die von ihm herausgegebenen „deutschland-berichte" ermöglichen dem Herausgeber ein regelrechtes Sammeln der Materialien, sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Israel. Interviews und Gespräche mit den politischen Akteuren, sachkundigen Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten, Diplomaten sowie den Bürgern verschiedenster Richtungen in unseren beiden Ländern bilden heute die Grundlage dieser acht Bände. Die hier veröffentlichten Berichte und Texte dokumentieren somit eine jahrzehntelange Forschung. Darüber hinaus werden hier die Besonderheiten des historischen Hintergrunds beleuchtet. Als die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zusammenbrach, dachte niemand daran, daß nach den millionenfachen grausamen Morden an Juden durch Deutsche und auch im deutschen Namen eine derartige Brücke und Zusammenarbeit möglich sein könnte. David Ben-Gurion verstand, daß das neue Deutschland nicht mit dem „Tausendjährigen Reich" identisch ist. In unermüdlicher Anstrengung zusammen mit einem anderen großen alten Mann — Konrad Adenauer — schufen sie gemeinsam die Grundlagen einer Entwicklung, die zu den heute bestehenden vertrauensvollen positiven Beziehungen zwischen unseren Regierungen und Staaten führte. Eine neue Generation wächst heran, f ü r die die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs ein Teil ihres Geschichtsbewußtseins und nicht ihrer persönlichen Erfahrung sind. Rolf Vogel bezeugt, daß sich die Bundesrepublik Deutschland kontinuierlich zu ihrer historischen Verantwortung bekennt, die ihr von ihrer grauenvollen Vergangenheit auferlegt wird. „Die Geschichte soll nicht das Gedächtnis beschweren, sondern den Verstand erleuchten", sagte Lessing. Die wenigen Deutschen, die meinen, daß nach über 40 Jahren nach der Endlösung der J u d e n f r a g e die jüdischen Gräber vergessen werden können, werden dann von Reaktionen der öffentlichen Meinung anders belehrt. Dieser „Deutsche Revisionismus", wie dies ein amerikanischer Historiker nennt, erschwert das künftige Verhältnis zwischen Deutschen und J u d e n . Dieses Werk pflegt das wiedergewonnene Verständnis und macht klar, daß wir nicht müde werden dürfen, diese Entwicklung
V
zu pflegen und dem Haß der Vergangenheit keinen Raum zu geben. Dafür sei dem Autor Dank gesagt. Auch dem Verlag, der dieses umfangreiche Werk herausgebracht hat, muß gleichermaßen unser Dank gelten.
Bonn, im März 1987
VI
/
Jitzhak Ben-Ari Botschafter des Staates Israel
Zum Geleit Diese Dokumentation arbeitet ein besonderes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte auf. Neben d e r Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses und dem Bemühen um eine Verständigung mit Polen ist auch die Geschichte deutsch-israelischer Kontakte ein wesentlicher Bestandteil unserer Nachkriegsentwicklung. Als Konrad Adenauer 1949, im Geburtsjahr der Bundesrepublik Deutschland, die Regierungsverantwortung übernahm, hat er die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk stets als ein besonderes Anliegen betrachtet. Bereits in einem Interview vom 11. November 1949 sagte er: „In der Zeit des Hitler-Regimes ist die Achtung vor der Würde des Menschen gründlich zerstört worden. Die Entwertung des Menschen zu einem Objekt staatlicher Zwecke ist eines der erschreckendsten Symptome jener Zeit gewesen. Wir wollen als Christen die Achtung vor dem Menschen ohne Rücksicht auf seine konfessionelle, rassische und völkische Zugehörigkeit wiederherstellen. Im Geiste dieser Toleranz sehen wir in unseren jüdischen Landsleuten vollberechtigte Mitbürger." Das gilt auch heute noch. Der Bonner Journalist Rolf Vogel, der aus manchen Begegnungen in Israel und der Bundesrepbulik Deutschland ein guter Kenner der Materie ist, hat hier Dokumente zusammengetragen, die ein umfassendes Bild von dem wiedergeben, was seit dem Beginn deutsch-jüdischer und deutsch-israelischer Verständigung von beiden Seiten geleistet worden ist. Dabei mag es für den deutschen Leser besonders eindrucksvoll sein zu erfahren, daß selbst in den ersten Nachkriegsj a h r e n auch auf israelischer Seite der Wille vorhanden war, nicht bei der furchtbaren Vergangenheit stehen zu bleiben, sondern einen neuen Anfang zu machen. Niemand soll und darf vergessen, was geschehen ist; und nur vor diesem Hintergrund ist richtig zu verstehen, was inzwischen geleistet worden ist. Es ist dem Verlag und dem Herausgeber zu verdanken, daß die Öffentlichkeit mit diesem bedeutsamen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte bekanntgemacht wird. Denn diese Dokumentation zeigt, wie es trotz bedrückender Geschehnisse der Vergangenheit möglich war, einen neuen Anfang zu machen. Ohne die Verbrechen, die am jüdischen Volk begangen wurden, jemals vergessen zu können, leistet diese Dokumentation einen Beitrag zur Verständigung und Versöhnung.
Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland VII
Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3
XVIII
Einleitung
XXXV
Abbildungsteil
XL ff.
1
Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog?
1.1 1.2 1.3
Dr. Siegfried Moses: Die Wiedergutmachungsforderungen der Juden . Bevor der offizielle Teil der Geschichte beginnt Ein Gutachten von Hendrik van Dam
3 15 19
2
Die ersten Fühler werden ausgestreckt
26
2.1 2.2
Ereignisreiches J a h r 1950 Zum ersten Mal: Deutsche Abgeordnete bei einem Kongreß der Interparlamentarischen Union Weitere Kontakte im menschlichen Bereich - Friede mit Israel Erich Lüth und Rudolf Küstermeier
26
2.3 2.3.1 3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2
Die bedeutende Note vom 12. März 1951 — Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen Verhandlungen Die Note der israelischen Regierung zum 12. März 1951 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Kurt Schuhmachers Rede vor dem Deutschen Bundestag vom 21. September 1949 Regierungserklärung zur jüdischen Frage und zur Wiedergutmachung Auf dem Wege zu den deutsch-israelischen Verhandlungen Deutsche Verhandlungsvorbereitungen Die Londoner Schuldenkonferenz und die Wiedergutmachungsverhandlungen
3
27 30 31 33 33 39 39 45 50 51 53
4.1.4 4.1.5
Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar Der Verlauf der Verhandlungen Das finanzielle Limit bringt Komplikationen Prof. Böhm schreibt an den Bundeskanzler Im Hinblick auf die Londoner Schuldenverhandlungen werden die Wassenaaer Beratungen unterbrochen Goldmann und Böhm treffen sich in Paris Das Kommunique zum Treffen von Adenauer und Goldmann
64 67 72
4.2
Arabische Proteste
73
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3
55 55 58 61
IX
I nhaltsverzeichnis 4.3
Das Wiedergutmachungsabkommen wird in Luxemburg unterzeichnet
75
4.3.1 4.3.2
Der T e x t des Abkommens Mit dem Vertrag sind alle Forderungen abgegolten
76 91
5
Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg
93
5.1 5.2
Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag Die Erfüllung des Abkommens
93 118
5.2.1
Bericht über die Warenlieferungen
119
5.2.1.1 5.2.1.2 5.2.1.3 5.2.1.4 5.2.1.5 5.2.1.6 5.2.1.7
Die Dienstleistungen Seetransporte Rückerstattungen an die Bundesrepublik Deutschland Administrative Aufwendungen der Israel-Mission Zahlung von Entschädigungen Versicherungsleistungen Die Lieferungen von Öl durch Ölgesellschaften des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland 5.2.1.8 Die Anteile der Länder der Bundesrepublik und Berlin (West) 5.2.1.9 Die Bezüge von Waren außerdeutschen Ursprungs 5.2.1.10 Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Abkommens in der Bundesrepublik 5.2.1.11 Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Abkommens in Israel
125 125 126 126 126 127 127 128 128 129 130
5.3
Würdigung des Abkommens durch Nahum Goldmann
6
Das schwierigste Thema praktischer Zusammenarbeit — Verbindungen zwischen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und seinem israelischen Kollegen Shimon Peres 134
6.1
Franz J o s e f Strauß und Shimon Peres werden dabei Freunde
134
6.1.1 6.1.2
Ein Gespräch mit Franz J o s e f Strauß Auch Shimon Peres äußert sich
136 140
6.2
Vereinbarungen zwischen dem Bundesverteidigungsminister und seinem israelischen Kollegen
142
7
Die weitere Entwicklung der Beziehungen — Das Treffen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion
144
7.1
Der Stand der Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland Der wirtschaftliche Hintergrund 14. März 1960: Konrad Adenauer und David Ben Gurion im Waldorf-Astoria-Hotel in New York Staatspräsident Yitzhak Navon war im Waldorf-Astoria-Hotel dabei . .
149 152
Bundesleistungen und Länderzahlungen — Die Wiedergutmachungsleistungen nach dem BEG, dem BRÜG, dem Israel- Vertrag und den anderen Staatsverträgen
158
7.2 7.3 7.4 8
X
133
144 147
Inhaltsverzeichnis 8.1
Leistungen des B u n d e s u n d d e r L ä n d e r zugunsten d e r deutschen jüdischen G e m e i n d e n u n d des Zentralrats d e r J u d e n in Deutschland
8.2
Leistungen f ü r d e n l a u f e n d e n Unterhalt d e r j ü d i s c h e n Gemeinden u n d d e r e n Einrichtungen
159
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.2.7 8.2.8 8.2.9 8.2.10 8.2.11
Das Land B a d e n - W ü r t t e m b e r g Der Freistaat Bayern Das Land Berlin Die Hansestadt B r e m e n Die Hansestadt H a m b u r g Das Land Hessen Das Land Niedersachsen Das Land Nordrhein-Westfalen Das Land Rheinland-Pfalz Das Saarland Das Land Schleswig-Holstein
159 161 162 164 164 165 166 167 167 169 170
9
Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem
171
9.1 9.2
David Ben-Gurion — „Adolf Eichmann befindet sich in israelischem Gewahrsam" Persönlichkeiten aus allen Teilen Deutschlands ä u ß e r n sich
171 171
9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5 9.2.6 9.2.7 9.2.8 9.2.9 9.2.10
Bundespräsident Heinrich Lübke 172 Bundeskanzler Konrad A d e n a u e r 172 Der Präsident des Deutschen Bundestages, Eugen Gerstenmaier . . . . 1 7 2 Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Carlo Schmid 173 Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy B r a n d t 173 Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, T h o m a s Dehler . . . . 1 7 3 Prof. Franz B ö h m 174 Bundesminister B r u n o Heck 174 Der Erzbischof von München-Freising, Julius Kardinal D ö p f n e r . . . . 175 Propst Heinrich G r ü b e r 175
9.3
Zum Fall Globke
175
9.4
Als Beobachter Konrad A d e n a u e r s beim Eichmann-Prozeß
184
9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5 9.4.6 9.4.7 9.4.8
Kauls Rolle in J e r u s a l e m Die Pressekonferenz in J e r u s a l e m — Kaul entlarvt sich selbst Servatius sagt aus Ein Interview mit Ben Gurion Kaul lehnt W i e d e r g u t m a c h u n g an Israel ab Zur Berichterstattung nach B o n n Ein Gespräch mit T e d d y Kollek zum E n d e des Prozesses Noch zwei kleine Episoden aus d e n Wochen des Prozesses
187 187 190 190 192 195 195 196
9.4.8.1 9.4.8.2
B e g e g n u n g in Wiesbaden Der Soldat in d e r Wüste
197 197
10
Eine bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel
198
158
XI
Inhaltsverzeichnis 10.1 10.2 10.3
Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen Universität Ein Interview in der „Tagesschau" Rolf Schloß im Gespräch mit David Ben Gurion
11
Drei große Themen stehen an: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik — Deutsche Wissenschaftler in Ägypten — Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts 216
11.1
Die Debatten um die A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik u n d Israel 216
11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4
Franz Böhm äußert sich dazu Franz Böhm schreibt an den Bundestagspräsidenten Ein Brief an Bundesaußenminister Gerhard Schröder Franz Böhm schreibt auch an den Fraktionsvorsitzenden d e r CDU-CSU, Heinrich von Brentano
217 220 222
11.2
Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten
228
11.2.1 11.2.2 11.2.3
Ägyptische Raketenversuche, deutsche Beteiligung Stellungnahme des Auswärtigen Amtes Franz Böhm meldet sich noch einmal zur Frage der deutschen Wissenschaftler in Ägypten Eine Rede von Außenminister Golda Meir in der Knesset am 4. Mai 1964 Am gleichen Tage: Eine Resolution d e r Knesset
228 240
11.2.4 11.2.5
200 214 214
226
241 241 242
11.3
Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts — Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz
243
11.3.1
Ein Vermerk nach den Jerusalemer Besprechungen
245
12
Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel
253
12.1 12.2 12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4
Hindernisse auf dem Wege Eine Erklärung der Bundesregierung zur Nahost-Frage — 7. März 1965 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel Die Entscheidung ist gefallen - Die diplomatischen Beziehungen werden a u f g e n o m m e n Die weiteren Verhandlungen Ein Gespräch mit Kurt Birrenbach Rainer Barzel, Fraktions-Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, in Amerika — Ein Interview
253 261 262 264 268 271 282
12.4 12.5
Die Einzelheiten des Botschafteraustausches Wer ist Dr. Rolf Friedemann Pauls — Versuch eines Portraits
285 287
12.5.1 12.5.2 12.5.3 12.5.4
Ein Vorfall aus j e n e n Tagen Studium nach dem Kriege und diplomatische Tätigkeit Der Beginn des deutsch-jüdischen Gesprächs Botschafter in Israel
289 289 289 290
12.6
Stimmen aus der Deutschen Demokratischen Republik
290
XII
Inhaltsverzeichnis 12.7 12.8
Die Schließung der Israel-Mission in Köln Der erste deutsche Botschafter in Israel wird stark beachtet
294 295
13
Konrad Adenauers Reise nach Israel
306
13.1 13.2 13.3 13.4 13.5
Die E h r u n g im Weizmann-Institut Adenauer bei Levi Eschkol Ein Mittagessen bei N a h u m Goldmann Besuch im Kibbuz Afikim Die Reden bei einem Mittagessen im Kibbuz von David Ben Gurion
306 310 312 314 . .315
14
Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe
317
14.1
Das erste Wirtschaftshilfeabkommen mit dem Staat Israel
317
14.1.1 14.1.2
Der Vertragstext Reaktionen und Hintergrundberichte
317 319
14.2 14.3 14.4 14.5
Es gibt nicht nur den deutsch-israelischen Dialog 322 Die Abschlußgeste f ü r die Wiedergutmachung kommt in Gang . . . . 3 2 5 Interview mit Dr. Ernst Feaux de la Croix 330 Eine israelische Reaktion auf die Wiedergutmachungsbemühungen . . 3 3 8
14.5.1 14.5.2
Brief eines Israeli an Botschafter Dr. Pauls Der Botschafter antwortet
15
Der Tod Konrad Adenauers — Ben Gurion kommt mit einer großen Delegation
338 339
zu den Trauerfeierlichkeiten
340
16
Israels europäische Aktivitäten
344
17 17.1
Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik Stellungnahmen d e r Bundestagsfraktionen
349 349
17.1.1 17.1.2 17.1.3
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 349 Der Fraktionsvorsitzende d e r Sozialdemokraten, Helmut Schmidt . . . 3 5 0 Der Fraktionsvorsitzende d e r Freien Demokraten, Freiherr von Kühlmann-Stumm 353 Der Fraktionsvorsitzende d e r CDU/CSU, Rainer Barzel 353 Der Vorsitzende der L a n d e s g r u p p e der Bayerischen CSU, Richard Stücklen 355 Bundesaußenminister Willi Brandt 355
17.1.4 17.1.5 17.1.6 17.2 17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4 17.2.5 17.2.6
Der kommunistische Teil Deutschlands steht zu Nasser und seinen Kumpanen Erklärung des Außenministers der DDR, Otto Winzer Erklärung des Außenministeriums der DDR Neues Deutschland, 25.5.67 T e l e g r a m m des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (Ostberlin) an den Arabischen Gewerkschaftsbund Telegramm des Zentralkomitees der SED an das Hohe Exekutivkomitee d e r Arabischen Sozialistischen Union d e r VAR Telegramm des ZK der SED an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Syriens
356 356 356 357 357 357 357 XIII
Inhaltsverzeichnis 17.2.7
Grußadresse der Deutsch-Arabischen Gesellschaft in der DDR an Vertreter der arabischen Studenten in der DDR 358 17.2.8 Der stellvertretende Außenminister der DDR, Kiesewetter 358 17.2.9 Botschaft des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, an den Präsidenten der Syrischen Arabischen Republik, Nureddin el Atassi 358 17.2.10 Danktelegramm des Präsidenten der VAR-Nationalversammlung, Anwar-El-Sadat, an den Volkskammerpräsidenten der DDR, Johannes Diekermann 359 17.2.11 Der Ministerpräsident der DDR, Willi Stoph, auf der Wählervertreterkonferenz in Dresden 359 17.3 Bewahrung des Friedens im Nahen Osten — Ein Memorandum der Bundesregierung 360 17.4 Sympathiekundgebungen und Spenden f ü r Israel in vielen deutschen Städten 362 17.4.1 Der Dank des israelischen Botschafters Asher Ben Nathan 372 17.5 Ansprache von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger f ü r eine friedliche Entwicklung im Nahen Osten 374 17.6 Bundesaußenminister Willy Brandt: Beitrag zum Frieden im Nahen Osten 376 17.7 Ein Staatssekretär erinnert sich 376 17.8 Abgeordnete des Europäischen Parlaments gründen „Gesellschaft Europa - Nah-Ost" 377 17.9 Bundesaußenminister Willy Brandt: Dauerhafter und gerechter Frieden im Nahen Osten ist für das Wohlergehen der Völker dringend notwendig 380 18 18.1 18.2 18.3 18.4 18.5 18.6
Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard reist nach Israel 382 Levi Eschkols Rede im King David Hotel 383 Prof. Erhard antwortet seinem Gastgeber 386 300 Persönlichkeiten bei der Deutsch-Israelischen Handelskammer . . 3 8 8 Besuch bei Ben Gurion 389 Besuch in der Altstadt 389 Honorary Fellowship im Weizmann-Institut 390
19 19.1
Zwanzig Jahre Israel Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger: Frieden für das tapfere und kluge israelische Volk Botschafter Ben Nathan zu den deutsch-israelischen Beziehungen während der 20jährigen Entwicklung Israels Die Jahresversammlung der deutsch-israelischen Gesellschaft Resolution „Israel" Resolution „Rechtsradikalismus" Juli 1968 — Erinnerung an die Opfer des Widerstandes und Gedanken über den Radikalismus in diesen Jahren. Ein Gespräch mit Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier
19.2 19.3 19.3.1 19.3.2 19.4
XIV
394 394 398 400 402 403
404
Inhaltsverzeichnis 19.5 20 20.1 20.2 20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4 20.3 20.4 20.5 20.6 20.7 20.8 20.9 20.10
Israels Staatspräsident an Botschafter Knoke: „Vertrauen Sie auf eine vielfältige Zusammenarbeit mit Israel" Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn 1969: Walter Scheel wird Außenminister 22. Februar 1970: Der israelische Außenminister Abba Eban kommt in die Bundesrepublik zu einem offiziellen Besuch Die Ansprache des Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aus der Antwort von Außenminister Abba Eban Bundesaußenminister Walter Scheel in einer Tischrede Aus der Antwort Abba Ebans Ende 1970: Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe vor der Gründung Die Außenminister der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nehmen zu den Sorgen Israels im Nahen Osten Stellung Mai 1971: Äußerungen von Bundesaußenminister Walter Scheel vor seiner Nahost-Reise zu den Problemen im Nahen Osten Die Reise Walter Scheels nach Israel Eine Delegation des Deutschen Bundestages besucht die Knesset — Ein Interview Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Gerhard Schröder, in Israel Bundesaußenminister Walter Scheel zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ägypten im Zweiten Deutschen Fernsehen am 8. Juni 1972 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens .
408 411 411 412 .413 414 416 417 419 419 421 423 425 428 432 .433
21
Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft am 5. und 6. September 1972
21.1 21.2
Der Ablauf des abscheulichen Verbrechens 435 Bekundungen der Bestürzung und der Trauer führender Persönlichkeiten 441 Telegramme des Bundespräsidenten an den Präsidenten des Staates Israel 441 Telegramme des Bundeskanzlers an Ministerpräsidentin Golda Meir . 441 Bundesaußenminister Walter Scheel an den israelischen Außenminister Abba Eban und an den israelischen Botschafter . . . . 442 Telegramm des Bundespräsidenten an den IOC-Präsidenten 443 Telegramm des UN-Generalsekretärs an den Bundeskanzler 443 Zahllose Politiker kondolieren 443 Eine Flut von Briefen aus der Bevölkerung 443 Die Verbände drücken ihr Beileid aus 444 Zahlreiche Trauerfeiern, Schweigemärsche und Gottesdienste 446 Bundeskanzler Willy Brandt: Mit mir trauern alle Menschen in unserem Land 447 Die Trauerfeier im Olympia-Stadion von München 448
21.2.1 21.2.2 21.2.3 21.2.4 21.2.5 21.3 21.4 21.5 21.6 21.7 21.8
435
XV
Inhaltsverzeichnis 22
Der fünftägige Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt in Israel
453
22.1 22.2
E h r e n d o k t o r w ü r d e im Weizmann-Institut Interview a u f d e m Rückflug
454 455
23
Der Yom-Kipur-Krieg
458
23.1
Die B o n n e r Politik in diesen T a g e n
460
23.1.1
Bundeskanzler Willy Brandt: N u r ein F r a g m e n t f ü r d e n Frieden — A n e r k e n n u n g des Lebensrechts u n d d e r Sicherheit aller Staaten . . . . Die Botschafter beider Staaten beim Bundesaußenminister Strikte Neutralität der B u n d e s r e g i e r u n g im Nahost-Konflikt Die Sowjetunion hat entscheidende V e r a n t w o r t u n g Die CDU/CSU-Fraktion zum Nahost-Krieg Der Vorsitzende d e r FDP-Bundestagsfraktion: Die Bewährungsp r o b e f ü r die Entspannungspolitik hat b e g o n n e n
23.1.2 23.1.3 23.1.4 23.1.5 23.1.6 23.2 23.3
23.4 23.5 23.6
24
460 465 465 466 467 467
Deutsch-Israelische Gesellschaft: Hilfe f ü r Ü b e r w i n d u n g der Kriegsfolgen in Israel Deutscher Koordinierungsrat d e r Gesellschaften f ü r Christlich-Jüdische Zusammenarbeit: „Dieser Krieg löst keine Probleme" 57 Prozent d e r deutschen Bevölkerung mit ihrer Sympathie f ü r Israel . Botschaft des Zentralrats der J u d e n in Deutschland zum J a h r e 5734 . . B u n d e s a u ß e n m i n i s t e r Walter Scheel: Die Bundesrepublik Deutschland wird aktiv an d e n Entscheidungen d e r Vereinten Nationen teilnehmen Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik
468
469 469 471
472
476
24.1 24.2
Der Nahost-Konflikt vor Bundesrat u n d Bundestag Bundeskanzler Willy Brandt zu d e m EG-Papier in d e r Nahost- Frage
24.2.1 24.2.2
Ein Interview im „Deutschlandfunk" Rede vor d e m europäischen Parlament: H a r t e Probe f ü r die Entspannungspolitik
24.3
Bundesaußenminister Walter Scheel spricht mit Repräsentanten des Zentralrats d e r J u d e n in Deutschland 490 Der Präsident d e r Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Heinz Westphal, zum Nahost-Papier der EG 491 Resolution a u f d e m Parteitag d e r FDP 491 Die Resolution d e r Vereinten Nationen Nr. 242 vom 22.11.1967 . . . . 492 Das Nahost-Papier d e r Außenminister d e r Europäischen Gemeinschaft 493 Kleine A n f r a g e von SPD- und FDP-Abgeordneten an die Bundesregierung 494 Über das Schicksal d e r israelischen Kriegsgefangenen 496 Heinz K ü h n : Mein Herz und Gewissen gehört d e m Selbstverteidigungskampf des israelischen Volkes 497 Die J u g e n d a r b e i t mit Israel geht weiter 499
24.4 24.5 24.6 24.7 24.8 24.9 24.10 24.11 XVI
478 . 487 487 488
Inhaltsverzeichnis 24.12 24.13 24.14
Initiativen d e r d e u t s c h e n B e v ö l k e r u n g f ü r Israel 500 Axel S p r i n g e r : V o r d e r E i n i g u n g ü b e r G r e n z e n steht die V e r p f l i c h t u n g z u r h u m a n i t ä r e n Hilfe 502 E u r o p a s S t a a t s - u n d R e g i e r u n g s c h e f s tagen in K o p e n h a g e n 503
25
Ben Gurion stirbt in Israel
507
25.1 25.2
David Ben G u r i o n s T o d in d e r d e u t s c h e n Publizistik Das letzte G e s p r ä c h mit David B e n G u r i o n
511 516
XVII
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3
26
Im Yom-Kipur-Krieg erweist sich die Freundschaft zwischen der Bundesrepublik und Israel
26.1
Große Kreise der bundesdeutschen Bevölkerung stehen auf der Seite Israels
26.1.1 26.1.2 26.1.3 26.1.4
Heinz Galinski: Die Berliner Bevölkerung war einmalig 2 0 7 . 0 0 0 , — DM für israelische Waisenkinder Hilfsaktion „Skopusberg" hat Erfolg Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Marburg: Wünschet Jerusalem Glück! Umfragen des Instituts für Demoskopie in Allensbach
26.1.5
26.1.5.1 Sollen wir Deutschen den Arabern nachgeben? 26.1.5.2 Sparsamkeit steht im Vordergrund 26.2 26.3 26.4
Deutsche Parlamentarier in Israel Neuer Anlauf im deutsch-israelischen Jugendaustausch Neubeginn des Tourismus nach Israel
27
Der deutsch-israelische Dialog im Anschluß an den Yom-Kipur- Krieg
27.1
27.7
Prof. Carl Carstens, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zu den Nahost-Problemen Interview mit dem neuen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher Bundeskanzler Helmut Schmidt: Fortsetzung der deutschen Nahost- Politik Erklärung des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen zur Palästina-Debatte Israels neuer Botschafter in Bonn,Johanan Meroz, zur Lage im Nahen Osten Gerhard Schröder: Die Zukunft Israels liegt in der Zusammenarbeit der nahöstlichen Region Israels Außenminister Yigal Allon in der Bundesrepublik Deutschland
27.7.1 27.7.2
Aus der Ansprache Yigal Allons Bilanz des Besuches: Der Wortlaut der Pressekonferenz
27.8
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vor Beginn seiner Reise nach Kairo: Auch Anerkennung des Existenzrechts Israels Bundeskanzler Helmut Schmidt zur Lage im Nahen Osten Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher: Europäische Staaten sind bereit, in einem Garantiesystem für eine Nahost-Lösung Funktionen zu übernehmen Meinungsaustausch zwischen Yigal Allon und Außenminister Hans- Dietrich Genscher auf dem Flughafen in Düsseldorf Zum ersten Mal: Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin besucht die Bundesrepublik Deutschland Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher: Verständigungsbereite Kräf te in beiden Lagern fördern
27.2 27.3 27.4 27.5 27.6
27.9 27.10
27.11 27.12 27.13
XVIII
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 27.14
Genscher reist nach Jerusalem
27.14.1 27.14.2 27.14.3 27.14.4 27.14.5 27.14.6 27.14.7 27.14.8 27.14.9
Die Ansprache Yigal Allons Politisches Frühstück mit Handelsminister Bar Lev Die Nahost-Frage und die deutschen Möglichkeiten Ein Shabbat mit politischem und menschlichem Gewicht Besuch der Heiligen Stätten Abschluß-Essen mit Mosel Weine Privater Besuch in der Altstadt Duckwitz-Lehrstuhl f ü r Krebsforschung Abschlußempfang in Tel-Aviv
27.15 27.16
Ein Schritt in Richtung der Verständigung — kein Visum m e h r f ü r Israel W e r n e r N a u m a n n : Die jüdische Gemeinschaft der Bundesrepublik wirkt an der Friedensarbeit der Bundesregierung mit
28
Die Zionismus-Resolution der Vereinten Nationen
28.1
Der Wortlaut d e r Resolution Stellungnahmen zur Resolution
28.2 28.2.1 28.2.2 28.2.3 28.2.4 28.2.5 28.2.6 28.2.7 28.2.8 28.2.9
Helmut Schmidt auf d e m Parteitag d e r SPD Willy Brandt: Israelis u n d Araber an einen Tisch Der Generalsekretär d e r CDU, Professor Kurt Biedenkopf Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, HansGünter Hoppe Resolution einer Versammlung in Berlin Der deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit e. V. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft Das „Zentralkomitee d e r Deutschen Katholiken" Protestresolution des Zentralrats d e r J u d e n in Deutschland
28.3
E m p ö r u n g über die UNO-Resolution in der deutschen Publizistik
28.3.1 28.3.2
Aus R u n d f u n k - und Fernsehkommentaren Aus deutschen Zeitungen
28.4 28.5
So sehen es im Ostblock Presse u n d R u n d f u n k Ansprachen bei Gedenkfeiern zur Reichskristallnacht Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz: „Wenn wir Partei n e h m e n f ü r die Toleranz, so nehmen wir Partei f ü r den Menschen" Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski
28.5.1 28.5.2
29 29.1 29.2 29.3 29.4
Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung im Nahen Osten Yigal Allon besucht erneut die Bundeshauptstadt Der Bürgermeister von Jerusalem, T e d d y Kollek, zu den religiösen Gesellschaften in d e r Hauptstadt Israels Israels Botschafter Yohanan Meroz: „Was Deutschen und Franzosen gelungen ist, sollte auch Arabern und Israelis möglich sein!" Regierungserklärung auch mit Gedanken zur deutschen Nahost-Politik und zum Frieden IXX
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 29.5 29.6 29.7 29.8 29.9
Die deutsche Initiative für eine internationale Konvention gegen Geiselnahme hat Erfolg 16. März 1977: Hans-Dietrich Genscher reist erneut nach Israel Franz J o s e f Strauß in Kairo — Ein wichtiger Dialog auch für den Frieden im Nahen Osten Ein vertraulicher Auftrag von Franz J o s e f Strauß: „Informieren Sie unsere Freunde" Was wollte Anwar el Sadat?
30
Die kritische Lage im Nahen Osten bringt auch Spannungen zwischen der Bundesrepublik und Israel
30.1
30.4 30.5
Solidarität mit den Menschen in Israel - Ein Gespräch mit dem neuen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Eric Blumenfeld Erklärung des Europäischen Rats über den Nahen Osten 29. September 1977: Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher spricht vor den Vereinten Nationen Neuer Botschafter in Israel, Klaus Schütz Der israelische Außenminister Moshe Dayan kommt in die Bundesrepublik
30.5.1 30.5.2
Die Rede Moshe Dayans Bundeswirtschaftsminister Dr. Otto Graf Lambsdorff antwortet
30.6
Anfang Dezember 1977: Besuch des israelischen Finanzministers Simcha Ehrlich in der Bundesrepublik Deutschland
31
Die Friedensbemühungen
31.1 31.2
31.9
Dokument für den Frieden aus Jerusalem Bundeskanzler Helmut Schmidt besucht den ägyptischen Präsidenten Anwar el Sadat Grundsatzerklärung Ägyptens zum Frieden im Nahen Osten Die Haltung der Bundesregierung zum Nahost-Dialog Botschafter Meroz spricht vor dem Rat der Europäischen Bewegung Franz J o s e f Strauß über sein Gespräch mit Anwar el Sadat Der Vorsitzende der israelischen Arbeiterpartei und Oppositionsführer in der Knesset, Shimon Peres, kommt in die Bundesrepublik Der saudi-arabische Kronprinz Fahd bin Aziz al-Saud kommt am 23. J u n i 1978 zu einem offiziellen Besuch nach Bonn Erklärung des Europäischen Rats über den gesamten Nahost-Komplex
32
30Jahre
32.1
Bundestagspräsident Prof. Carl Carstens besucht mit sieben Abgeordneten Israel vom 23. bis 28. Mai 1978 28. Juni 1978: Bundesaußenminister Genscher fliegt zum dritten Mal in die israelische Hauptstadt
30.2 30.3
31.3 31.4 31.5 31.6 31.7 31.8
32.2
konkretisieren sich
Israel
32.2.1
Bilanz der Reise
32.3
Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der parlamentarischen Opposition im Deutschen Bundestag, Helmut Kohl „Auf dem Weg zum Frieden" — Interview mit dem israelischen Außenminister J o s e f Burg
32.4
XX
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 33
Das Treffen von Camp David
33.1
Stellungnahmen zur K o n f e r e n z
33.1.1
33.1.4
14. August 1978: B u n d e s a u ß e n m i n i s t e r G e n s c h e r begrüßt das T r e f f e n von C a m p David Die Mitgliedstaaten d e r Europäischen G e m e i n s c h a f t S t e l l u n g n a h m e des Bundeskanzlers zum Ergebnis von C a m p David und der Lage im Nahen Osten Die Ä u ß e r u n g e n d e r Parteien des Deutschen Bundestages
33.2 33.3
Der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten Zum Abschluß des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten
33.3.1 33.3.2
Erklärung d e r R e g i e r u n g d e r neun EG-Mitgliedstaaten Das E u r o p a - P a r l a m e n t diskutiert Entschließungsantrag zum israelischägyptischen Freidensvertrag Die G e m e i n s c h a f t d e r europäischen politischen Zusammenarbeit erörtert die Lage im N a h e n Osten
33.1.2 33.1.3
33.3.3 33.4
Die ersten Schritte im Frieden - Interview mit Y o h a n a n Meroz
34
Deutsche Nahost-Initiativen
34.1
34.4
Das T r e f f e n von Willy B r a n d t , dem österreichischen Bundeskanzler Kreisky und Arafat Staatssekretär Bölling zu den deutsch-israelischen Nahost-Fragen und den Problemen deutsch-arabischer Kontakte Auszug aus einer Pressekonferenz vom 2 7 . J u l i 1979 mit Staatssekretär Bölling Die Reise des A b g e o r d n e t e n Möllemann in den Nahen Osten
34.4.1 34.4.2
Eine S t e l l u n g n a h m e Hans-Dietrich Genschers J ü r g e n Möllemann ä u ß e r t sich selbst
34.5
Die Reise des Bundesaußenministers Hans-Dietrich G e n s c h e r nach Syrien, den L i b a n o n , J o r d a n i e n und Ägypten
34.5.1
Die T i s c h r e d e Genschers bei einem Abendessen in der Arabischen Republik Syrien Genschers A n s p r a c h e bei einem Abendessen in A m m a n Genschers R e d e bei seiner G e g e n e i n l a d u n g am nächsten T a g Zu den Ereignissen seiner Nahost-Reise: G e n s c h e r gibt ein Telefoninterview aus Damaskus Nach Abschluß d e r Reise: Interview f ü r den Südwestfunk
34.2 34.3
34.5.2 34.5.3 34.5.4 34.5.5 34.6 34.7
34.9
G e n s c h e r zu Fragen d e r deutschen Nahost-Politik Der israelische Außenminister Moshe Dayan e r n e u t in d e r Bundesrepublik Deutschland Besuch d e r B u n d e s r e p u b l i k Deutschland d u r c h Knesset-Präsident Yitzhak B e r m a n und e i n e r Delegation d e r Knesset Der bayerische Ministerpräsident Franz J o s e f Strauß reist nach Isreal
34.9.1
Interview mit Franz J o s e f Strauß über seine J e r u s a l e m - R e i s e
34.8
XXI
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 34.10 34.11
Der Generalsekretär der Liga der Arabischen Staaten, Chedli Klibi, in Bonn und H a m b u r g Israels Außenminister Yitzhak Shamir zu zweitägigen Gesprächen in der Bundeshauptstadt Bonn
35
Die Europäische Gemeinschaft und der Nahost-Konflikt
35.1
Die Konferenz von Venedig
35.1.1 35.1.2
Israels Botschafter Yohanan Meroz zur europäischen Nahost- Initiative Bundeskanzler Helmut Schmidt, Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Helmut Kohl, zur Nahost-Erklärung von Venedig Der Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats d e r J u d e n in Deutschland, Werner Nachmann, zur Nahost-Erklärung der Europäischen Gemeinschaft Erklärung des Europäischen Rats über den Nahen Osten
35.1.3 35.1.4 35.2 35.3 35.4 35.4.1 35.4.2
Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur Nahost-Frage — Erklärung zur gemeinsamen Stimmenthaltung der Neun Der europäische Ministerrat berät über den Nahen Osten Die 35. Nationalversammlung der Vereinten Nationen zur Nahost- Frage Auszug aus der Rede des Präsidenten des Europäischen Ministerrats, Gaston T h o r n , am 23. September 1980 Auszug aus d e r Rede von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher
35.5 35.6
Gaston T h o r n spricht in Bonn über seine Nahost-Mission Die Neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft mit einem neuen Kommunique zu den Einzelheiten des Nahost-Problems
35.6.1 35.6.2
Zur Frage des Libanon Zu Jordanien und Syrien
35.7 35.8 35.9
Das zehnte Mitglied kommt zur Europäischen Gemeinschaft Die Meinung der ägyptischen Regierung zur Nahost-Krise Anwar el Sadats Rede vor dem europäischen Parlament zum Frieden zwischen Ägypten und Israel
36
Empörung in der Bundesrepublik über eine Äußerung von Shimon Peres
36.1
Die Antwort von Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 7. Mai 1981 Aus der Bundestagsdebatte vom 7. Mai 1981
36.2 36.2.1 36.2.2 36.2.3 36.2.4 36.2.5 37
XXII
Dr. Helmut Kohl, Vorsitzender der CDU und Oppositionsführer Hans-Jürgen Wischnewski, Bundesminister a.D. und Mitglied des Präsidiums d e r SPD , Hans-Günter Hoppe, Abgeordneter der FDP Hans-Dietrich Genscher Manfred Wörner, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Bilanzen, Rückblicke, Ausblicke zum Friedensprozeß im Nahen Osten und zum deutsch-israelischen Verhältnis
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 37.1
37.2 37.3 37.4
37.5 37.6
37.7 37.8
Das deutsch-israelische Verhältnis ist gut - Ein Interview mit Asher Ben Nathan, dem ehemaligen israelischen Botschafter in Bonn im Deutschlandfunk am 4.1.1981 Botschafter Klaus Schütz zieht nach dreieinhalb J a h r e n Bilanz „Wir sind mitbetroffen" — Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß zur Lage im Nahen und Mittleren Osten Peres schlägt Zone des Friedens und d e r wirtschaftlichen Zusammenarbeit vor: Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und Israel als Garanten f ü r Freiheit und Gewaltverzicht Interview mit d e m bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß Ein Gespräch mit d e m israelischen Innenminister, Dr. Josef Burg, über die bisherigen Autonomiegespräche Israels mit Ägypten, die israelischarabischen Probleme und den deutsch-israelischen Dialog Israels neuer Botschafter Jitzhak Ben Ari tritt in Bonn sein Amt an Nils Hansen, d e r neue deutsche Botschafter in Israel: Die bestehenden Beziehungen ausbauen
38
Die 36. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York
38.1 38.2
Rede des Präsidenten der Europäischen Gemeinschaft am 22. September 1981 Hans-Dietrich Genscher am 23. September 1981
38.2.1 38.2.2
Politische Grundsätze zur Bewahrung des Weltfriedens Für eine friedliche Regelung des Nahost-Konflikts
39
Der Konflikt im Nahen Osten bringt auch Differenzen zwischen der Bundesrepublik, der EG und Israel
39.1
5. Israelisch-Deutsche Konferenz in Tel-Aviv vom 15. bis 18. November 1981
39.1.1
Botschafter Dr. Nils Hansen überbringt die Grüße d e r Bundesregierung
39.2
Der europäische Ministerrat gegen die Golan-Entscheidung d e r israelischen Regierung Der Camp-David-Prozeß muß weitergeführt werden: Ein Gespräch mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bernd von Staden Der Präsident d e r Arabischen Republik Ägypten, Hosni Mubarak, kommt zu einem zweitägigen Besuch nach Bonn Der europäische Ministerrat zur Lage im Nahen Osten
39.3 39.4 39.5 40
Erklärungen zur Erfüllung des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages am 25. April 1982
40.1 40.2 40.3
Bundeskanzler Helmut Schmidt Der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher Der außenpolitische Sprecher d e r CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alois Mertes, f ü r die parlamentarische Opposition
41
Bundesaußenminister Genscher reist zum vierten Mal nach Israel
41.1 41.2
Ein Interview vor dem Abflug Die Reise XXIII
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 41.2.1 41.2.2 41.2.3 41.2.4
Kranzniederlegung in Yad Vashem Die Gespräche in Jerusalem Aus der Pressekonferenz zum Abschluß der Gespräche Abschluß des Besuches mit einem Abendessen im Hilton-Hotel Jerusalem
41.3
Zu den Ergebnissen
41.3.1 41.3.2
Ein Interview mit Genscher am Morgen des 4. J u n i 1982 Israels Botschafter in Bonn: Ein Stein beim A u f b a u des Friedens
42
Die Libanon-Krise
42.1
Presseerklärung d e r Außenminister der Zehn zum Nahen Osten vom 20. September 1982 Der Regierungssprecher zum Abzug der PLO aus d e m Libanon Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Libanon-Konflikt PLO-Vertreter Frangi in Bonn Hans-Dietrich Genscher und Rainer Barzel in den „Bonner Perspektiven"
42.2 42.3 42.4 42.5 42.5.1 42.5.2 42.6 42.7
Hans-Dietrich Genscher Rainer Barzel Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher informiert sich in A m m a n und Kairo über die Lage im Nahen Osten Erklärung d e r Bundesregierung zur Lage im Libanon und im Nahen Osten
43
Die Entwicklung des Nahost-Dialogs nach dem Wechsel der Bundesregierung
43.1
Der Präsident d e r Arabischen Republik Ägypten, Hosni Mubarak, besucht Bonn
43.1.1 43.1.2
Eine Presseerklärung des Bundeskanzlers Die Tischreden beim Abendessen
43.1.2.1 Bundeskanzler Helmut Kohl 43.1.2.2 Mubarak antwortet 43.2 43.3 43.4 43.5
Die T a g u n g des Europäischen Ministerrates am 3. u n d 4. Dezember 1982 in Kopenhagen Bundeskanzler Helmut Kohl äußert sich zum ersten Mal zu Israel Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage im Nahen Osten Der Besuch des israelischen Außenministers Yitzhak Shamir in Bonn
43.5.1 43.5.2 43.5.3 43.5.4
T h e m e n f o l g e d e r Gespräche der beiden Außenminister Die europäischen Sorgen Israels Die Tischreden Ein Interview mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher
43.6
König Hussein kommt nach Bonn
43.6.1
Verlautbarung des Presse- und Informationsamtes d e r Bundesregierung zum Gespräch König Husseins mit Bundeskanzler Helmut Kohl u n d Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher
43.7
Der Innenminister d e r israelischen Regierung, Josef Burg, bei einem Besuch in d e r Bundeshauptstadt PLO-Sprecher Mahmoud Labadi über die Konferenz des Palästinensischen Nationalrats in Algier
43.8
XXIV
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 43.9
43.10 43.11 43.12 43.13
Erik Blumenfeld: Bundeskanzler Helmut Kohl sollte Premierminister Menachim Begin nahelegen, eine Pause f ü r neue Siedlungen im WestJ o r d a n l a n d einzulegen Abba Eban zum Plan des amerikanischen Präsidenten Reagan f ü r Israel, Libanon und das Westjordanland Interview mit Franz Josef Strauß zum Nahen Osten Der jordanische Kronprinz Hassan von J o r d a n i e n kommt in die Bundesrepublik Der stellvertretende Ministerpräsident u n d Außenminister d e r Republik Irak, Iariq Aziz, besucht die Bundesrepublik
43.13.1 Die Frage der Menschenrechte 43.13.2 Die Tischrede von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher 43.14
Die verschobene Reise des Bundeskanzlers nach Israel
43.14.1 Israels Botschafter Jitzhak Ben Ari: Ich habe die Empfangstorte schon gesehen... 43.14.2 Telegramm des Bedauerns von Ministerpräsident Menachim Begin an den Bundeskanzler 43.14.3 Pressekonferenz mit Staatssekretär Peter Bönisch 43.14.4 „Kohl-Besuch in Israel so f r ü h wie möglich!" 43.15
Nahost-Reise von Bundeskanzler Helmut Kohl nach Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien vom 5. bis 11. Oktober 1983
43.15.1 Die Abschlußerklärung des Bundeskanzlers in Jordanien 43.15.2 Zweite Station der Reise: Kairo 43.15.2.1 Erklärung des Bundeskanzlers vor der Pressekonferenz in Kairo 43.15.3 Besuch im Königreich Saudi-Arabien 43.15.3.1 Helmut Kohl bei einer Pressekonferenz am 11. Oktober 1983 mit dem saudiarabischen Außenminister in Djidda 44
Zur Situation im Mittleren Osten 10 Jahre nach dem Yom-Kipur-Krieg
44.1 44.2
Eine Rede von Botschafter Gideon Rafaël Bundesaußenminister Genscher und d e r stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Prof. Horst Ehmke, zur Lage im Nahen Osten
44.2.1 44.2.2
Hans-Dietrich Genscher Horst Ehmke
44.3
Erklärung des Europäischen Ministerrats zur Lage im Norden des Libanon am 9. November 1983
45
Das Jahr 1984 beginnt mit einer Reise von Bundeskanzler Helmut Kohl nach Israel
45.1 45.2
Vom Flughafen direkt nach Yad Vashem Ministerpräsident Jitzhak Shamir gibt dem Bundeskanzler u n d den aus der Bundesrepublik gekommenen Gästen ein Abendessen
45.2.1 45.2.2
Die Ansprache des israelischen Ministerpräsidenten Die Antwort des Bundeskanzlers
45.3
Das Gastgeschenk Kohls an Israel XXV
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 45.4 45.5 45.6 45.7 45.8
Besuch in d e r Knesset Besuch beim Bürgermeister der Stadt Jerusalem Mittagessen im Weizmann-Institut Besuch im Museum der Diaspora Die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Dr. Helmut Kohl
45.8.1 45.8.2
Die U r k u n d e Die D a n k r e d e des Bundeskanzlers
45.9 45.10 45.11 45.11.1 45.11.2 45.11.3
Der große Empfang f ü r ehemalige deutsche Israelis Ein privater Shabbat Die Debatten im Anschluß an die Reise Die Erklärung Helmut Kohls bei der Pressekonferenz Die Fragen d e r Journalisten Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl zu seiner Israel- Reise und die Debatte im Deutschen Bundestag
45.11.3.1 Die Aussprache über die Regierungserklärung 45.11.4 Israels Botschafter in der Bundesrepublik, Jitzhak Ben Ari, zum IsraelBesuch des Bundeskanzlers 45.11.5 Der Besuch des Bundeskanzlers in Israel aus der Sicht des deutschen Botschafters, Dr. Niels Hansen 45.11.6 Deutsche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien? Die Diskussionen gehen weiter
46
Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident
46.1 46.2 46.3 46.4 46.5 46.6
46.8
Aus d e m Lebenslauf des neuen Bundespräsidenten Die Rede Rainer Barzels Die Vereidigung von Richard von Weizsäcker am 1. Juli 1984 Aus d e r Ansprache des scheidenden Bundespräsidenten Prof. Carl Carstens Aus d e r programmatischen Rede Richard von Weizsäckers Die Schlußansprache des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß Glückwünsche f ü r den neuen Bundespräsidenten aus Israel und aus jüdischen Kreisen Rückblickauf die Amtszeit des scheidenden Präsidenten, Prof. Carl Carstens
47
Gedenken an den „Röhm-Putsch" 1934 und an den 20. Juli 1944
47.1 47.2
Bundeskanzler Helmut Kohl zum 50. Jahrestag des 30. J u n i 1934 Zum vierzigjährigen Gedenken an den 20. Juli 1944
47.2.1
Ein interkonfessioneller Gottesdienst an der Hinrichtungsstätte in BerlinPlötzensee Gedenkstunde im Bendlerblock in der Stauffenbergstraße in Berlin Erster E m p f a n g des neuen Bundespräsidenten im Schloß Bellevue Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in einer Gedenkstunde des Auswärtigen Amtes f ü r O p f e r des Hauses
46.7
47.2.2 47.2.3 47.2.4
XXVI
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 48
Bundesrepublikanische Aktivitäten um den Nahen Osten
48.1
Die deutsch-israelische Parlamentariergruppe - ein wichtiger Faktor d e r deutsch-israelischen Beziehungen Bedeutende Besuche aus dem Nahen Osten in Bonn
48.2 48.2.1 48.2.2
Der jordanische Kronprinz Hassan kommt zu Gesprächen mit der Bundesregierung Wenige Tage danach: d e r stellvertretende Ministerpräsident und Außenminister der Republik Irak, Tarik Aziz, kommt nach Bonn
48.2.2.1 Die Frage der Menschenrechte 48.2.2.2 Die Tischrede von Bundesaußenminister Genscher 48.2.3
Herbst 1984: Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak kommt erneut nach Bonn
48.3
Grundsatzreden von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zur deutschen Politik im nahöstlichen Raum
48.3.1 48.3.2
Zum 50jährigen Jubiläum des Nah- u n d Mittelostvereins Vor d e r Vollversammlung der Vereinten Nationen
48.4
Ministerkonferenz der Europäischen Gemeinschaft in Dublin Schlußfolgerungen Nah- und Mittelost
49
Die achte deutsch-israelische Konferenz in Bonn
49.1 49.2 49.3
49.5 49.6 49.7
Ein Grußwort von Helmut Kohl Ansprache des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Dr. Alois Mertes Bundestagspräsident Philipp Jenninger: Solidarität gegenüber dem jüdischen Volk u n d Israel Reinhard Schlagintweit: „Die deutsch-israelischen Beziehungen als Bestandteil der Nahost-Politik der Bundesregierung" Dr. Hans Stercken, MdB: Die Sicherheit Israels aus europäischer Sicht Die Resolution Das Arbeitspapier des J u g e n d f o r u m s
49.7.1
Resolution des J u g e n d f o r u m s
49.8
Aspekte der Deutsch-Israelischen Konferenz - der Präsident der DeutschIsraelischen Gesellschaft zieht Bilanz
50
Eine Delegation der Grünen reist in den Nahen Osten
50.1 50.2 50.3 50.4
Das Papier der G r ü n e n zu ihrer Nahost-Reise Die Reaktion d e r israelischen Botschaft Das Echo auf die g r ü n e Nahost-Reise Die Botschaft des Staates Israel nach d e r Rückkehr d e r Delegation am 3. J a n u a r 1985
51
Reisen und Staatsbesuche bundesdeutscher Politiker
51.1
Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum Staatsbesuch in Jordanien und Ägypten
51.1.1
Die Ansprache des Bundespräsidenten bei einem Abendessen mit König Hussein
49.4
XXVII
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 51.1.2 51.1.3
Dankbotschaft an König Hussein Der Bundespräsident in Ägypten
51.1.3.1 51.1.3.2 51.1.4 51.1.5
Die Ansprache des Bundespräsidenten bei einem Abendessen in Kairo Dankbotschaft an Präsident Mubarak Äußerungen des Bundespräsidenten zu seiner Reise nach A m m a n u n d Kairo Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zur Reise des Bundespräsidenten
51.2
51.4
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, besucht Israel Das erste Echo auf die bevorstehende Reise des Bundespräsidenten nach Israel Franz Josef Strauß in Israel —26. Februar 1985
51.4.1 51.4.2 51.4.3 51.4.4 51.4.5
Ein Interview mit J ü r g e n Sudhoff Die Reise Ein Interview nach der Rückkehr Die Erklärung von Erik Blumenfeld zur Strauß-Reise Kritik an Strauß aus Moskau
52
40Jahre danach — Gedenken an die Befreiung der Konzentrationslager in A uschwitz, Bergen-Belsen und Flossenbürg
52.1
Erinnerung an Auschwitz — Gedenkstunde im Jüdischen Gemeindehaus Berlin
52.1.1 52.1.2 52.1.3
Die Ansprache Heinz Galinskis Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin, Peter Rebsch
52.2
40. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen- Belsen
52.2.1 52.2.2 52.2.3 52.2.4 52.2.5 52.2.6
Die Begrüßungsansprache Werner Nachmanns Nathan Peter Levison liest Psalmen Bundeskanzler Helmut Kohl hält die H a u p t r e d e „So war es..." — Lola Fischel, eine Überlebende, berichtet Grußbotschaft des US-Präsidenten Ronald Reagan Der Präsident der Organisation der Überlebenden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, Chaim Posluszny, spricht am jüdischen Mahnmal Zum Abschluß das Totengebet Kaddisch Chronologie des Lagers Bergen-Belsen
51.3
52.2.7 52.2.8 52.3
Vor vierzig J a h r e n wurden in Flossenbürg sieben f ü h r e n d e M ä n n e r der deutschen Abwehr gehängt
53
20Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel
53.1
Die T a g u n g der Landeszentrale f ü r Politische Bildung in Nordrhein-Westfalen
53.1.1 53.1.2
Die Ansprache des Kölner Bürgermeisters Heribert Blens Der Nordrhein-Westfälische Ministerpräsident J o h a n n e s Rau
XXVIII
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 53.1.3
Der Botschafter des Staates Israel, Jitzhak Ben Ari, zieht Bilanz
53.2
Grüße und Glückwünsche an Israel
53.2.1 53.2.2
Richard von Weizsäcker schreibt an Chaim Herzog Telegramm von Bundeskanzler Helmut Kohl an Ministerpräsident Simon Peres Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sendet ein Fernschreiben an seinen israelischen Amtskollegen Yitzhak Shamir Die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Hans-Jochen Vogel
53.2.3 53.3
54
Der 8. Mai 1985 — Gedenken an 40 Jahre Kriegsende
54.1
Ein Interview mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Alois Mertes Alois Mertes bei der 79. Jahresversammlung des American Jewish Comittee 54.2 (AJC) in New York „Dank an unsere Befreier" — Die jüdische Gemeinschaft Bonn legt einen 54.3 Kranz nieder Ronald Reagan in der Bundesrepublik 54.4 54.4.1 Besuch des Konzentrationslagers Bergen-Belsen 54.4.1.1 Die Worte des amerikanischen Präsidenten 54.4.1.2 Christliche Gebete 54.4.2 Der amerikanische Präsident auf d e m Soldatenfriedhof in Bitburg 54.4.2.1 Die Zeremonie 54.4.2.2 Der Dank des Bundeskanzlers 54.4.2.3 Nicht alle jüdischen Stimmen sind negativ 54.5
Stunde des Gedenkens am 8. Mai im Deutschen Bundestag
54.5.1 54.5.2
Die E r ö f f n u n g s r e d e von Bundestagspräsident Philipp Jenninger
54.6
Ökumenischer Gottesdienst am 8. Mai 1985 im Kölner Dom
54.6.1 54.6.2
Die Predigt des Landesbischofs Eduard Lohse Die Ansprache des Kölner Kardinals Joseph H ö f f n e r
55
Die Debatte um die Verfolgung von NS-Verbrechen begleitet den deutsch-israelischen Dialog
55.1
Die „Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen" in Ludwigsburg
55.1.1
Verleihung d e r E h r e n d o k t o r w ü r d e an Oberstaatsanwalt a.D. Dr. Rückerl in Stuttgart
Die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker
55.1.1.1 Aus der Laudatio von Prof. Jäckel 55.1.1.2 Der Dank Dr. Rückerls Dr. Rückerl zieht Bilanz 55.1.2 55.1.3 Das grausame Kapitel der NS-Verbrechen in nüchternen Zahlen 55.2 Die Bundestagsdebatte um die „Auschwitz-Lüge" IXXX
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 56
Zwei Reisen bundesdeutscher Politiker nach Israel
56.1 56.2
Delegationsreise von zwei Abgeordneten der Freien Demokraten Bundesminister Jürgen Warnke: Wir können von Israel lernen
57
Initiativen gegen den Terror und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker
57.1
Die „Europäische Konferenz für Menschenrechte und Selbstbestimmung"
57.1.1 57.1.2
Ein Interview mit Rolf Tophoven Ein Gespräch mit Hans Graf Huyn
57.2
„Die politische Bedrohung von Freiheit und Selbstbestimmung durch den Totalitarismus" — eine Fachtagung in Bern
57.2.1 57.2.2 57.2.3
Die Ansprache von Hans Graf Huyn Der Präsident der EKMS, Kurt Müller Der leitende Regierungsdirektor der Bundeswehrschule für psychologische Verteidigung, J . Klein Ein Interview mit dem Leiter des Schweizer Ostinstituts, P. Sager
57.2.4 57.3 57.4 57.5
Über die Zusammenarbeit der PLO mit Moskau Ein Bundestagsabgeordneter setzt sich für die Freiheit der jüdischen Minderheit in der Sowjetunion ein Die Lage der J u d e n in der Sowjetunion vor dem Plenum des Deutschen Bundestages
58
Burulesaußenminister
58.1 58.2
Ein Interview mit der Deutschen Welle Ein Interview für die Hörfunkanstalten der ARD
59
Zum ersten Mal: Ein deutscher Bundespräsident
59.1 59.2 59.3
Das Programm der Reise Begrüßung auf dem Ben-Gurion-Flughafen Politik bei Tisch
59.3.1 59.3.2
Die Tischrede Chaim Herzogs Die Antwortrede des Bundespräsidenten
Hans-Dietrich Genscher in Damaskus, Kuwait und Kairo
beim Staatsbesuch in Israel
59.4
Ehrendoktorwürde des Weizmann-Instituts für Richard von Weizsäcker
59.4.1 59.4.2 59.5
Die Laudatio Die Dankansprache des Bundespräsidenten Im Anschluß an die Reise: Eine aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag zum T h e m a „Rüstungsexport nach Saudi-Arabien"
60
Christlich-jüdische — deutsch-israelische Tagungen und
60.1
Die 9. Deutsch-israelische - Israelisch-deutsche Tagung in TelAviv
60.1.1 60.1.2
Die Resolution Die Resolution des deutsch-israelischen Jugendforums
60.2
„Selbstbehauptung in der Not —die Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933—1939" — Die Internationale Historikertagung des LeoBaeck-Instituts
XXX
Begegnungen
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 60.2.1 60.2.2
Die feierliche E r ö f f n u n g durch Rabbiner Max Gruenewald Die Rede von Bundeskanzler Helmut Kohl
60.3
Bundestagspräsident Philipp Jenninger bei einer Feierstunde d e r Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V., Stuttgart
61
Eine „Pilgerfahrt zu den Stätten des Grauens"
62
Die Bundesrepublik unterhält gute Beziehungen zu Israel und zu den arabischen Ländern
62. 1
Shimon Peres in der Bundesrepublik
62. 1.1
Bundestagspräsident Philipp Jenninger bei einem Mittagessen zu Ehren von Shimon Peres Die Ansprache des Bundeskanzlers beim Abendessen im Palais Schaumburg Ein Besuch in Berlin
62. 1.2 62. 1.3
62. 1.3.1 Die Ansprache Heinz Galinskis in der jüdischen Gemeinde zu Berlin 62. 1.3.2 Der Regierende Bürgermeister bei der Eintragung von Shimon Peres ins Goldene Buch der Stadt 62. 1.3.3 Shimon Peres vor einem Kreis von Journalisten 62. 1.4
„Aktive deutsche Mitwirkung am Friedensprozeß im Nahen Osten" — ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Hans Stercken
62.2
Der Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak
62.2.1 62.2.2
Hans-Dietrich Genscher spricht mit Mubarak Zum Abschluß des Besuches: Pressekonferenz von Bundeskanzler Helmut Kohl und Hosni Mubarak
62.3 62.4
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher besucht Marokko und Tunesien Bundesverteidigungsminister Wörner besucht Israel
62.4.1
„Es war eine spektakuläre Reise" — Ein Gespräch auf dem Rückflug
62.5 62.6
Studienreisen der Bundeswehr nach Israel J o h a n n e s Rau, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, erhält die Ehrendoktorwürde der Universität Haifa Die Reise des Präsidiums des Deutschen Bundestages nach Israel
62.7 62.7.1 62.7.2
Die Begrüßungsworte des Speakers der Knesset f ü r Bundestagspräsident Philipp Jenninger Ein Abendessen f ü r die deutschen Gäste auf Einladung von Shlomo Hillel, dem Vorsitzenden der Knesset, am 19. Mai 1986
62.7.2.1 Die Rede Shlomo Hilleis 62.7.2.2 Die Rede Philipp Jenningers 62.7.3 62.7.4 62.7.5 62.7.6
14 Punkte f ü r die zukünftige Arbeit der israelisch-deutschen Parlamentariergruppe Die Rede Philipp Jenningers anläßlich eines Abendessens am 20. Mai 1986 Brief des Oberbürgermeisters von H o r b an die Gemeinde Shavei Zion Die Rede Philipp Jenningers anläßlich eines Mittagessens auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft am 22. Mai 1986 XXXI
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 63 63.1 63.2 63.3
Eugen Gerstenmaier stirbt in Bonn Die Ansprache des Bundespräsidenten Der Präsident des Deutschen Bundestages Bundeskanzler Helmut Kohl tritt als letzter ans Rednerpult
64 64.1
Antisemitismus und Rassismus
64.1.1 64.1.2 64.1.3
Arbeiten des Untersuchungsausschusses zum Wiederaufleben des Faschismus und Rassismus in Europa Internationale Verbindungen Bilanz Ursachenforschung
64.2
„Die Verantwortung aller demokratischen Parteien gegenüber Anfängen antisemitischer Tendenzen" — Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag
65
Der 42. Jahrestag des Attentats gegen Hitler
65.1
„Wir danken f ü r das Erbe" - Gedenkfeier im Hof des ehemaligen Oberkommandos der Wehrmacht Die Rede Heinz Westphals anläßlich einer Gedenkfeier der Bundesregierung, des Berliner Senats und der Stiftung „Hilfswerk 20. Juli 1944" Die Ausstellung in den Räumen des ehemaligen Oberkommandos der Wehrmacht
65.2 65.3
66
Verständigung und Terror liegen dicht beieinander
66.1 66.2 66.3 66.3.1
Das T r e f f e n von Shimon Peres und Hosni Mubarak Israels Botschafter Yitzhak Ben Ari zum internationalen Terrorismus Empörung über die Terroristen in aller Welt Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaft f ü r Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Erik Blumenfeld „Frieden in Freiheit - Ziel des Westens" - Eine Fachtagung der Europäischen Konferenz f ü r Menschenrechte und Selbstbestimmung Shimon Peres zum internationalen Terrorismus und zu den Beziehungen zwischen Israel und der UdSSR Der Vorsitzende des Innen-Ausschusses des Deutschen Bundestages, Axel Wernitz, zu Antiterrormaßnahmen Ministerpräsident Shamir fordert Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Syrien — Ein Interview mit der „Bild-Zeitung" Die Bundesregierung ergreift Maßnahmen gegen Syrien Auch die israelische Botschaft nimmt zur syrischen Haltung Stellung
66.3.2 66.4 66.5 66.6 66.7 66.8 66.9 67 67.1 67.2 67.3 XXXII
Die 10. Deutsch-Israelische Konferenz E r ö f f n u n g durch Bundestagspräsident Philipp Jenninger Die Ansprache des Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Erik Blumenfeld Gi ußwort von Annemarie Renger
Inhaltsübersicht
67.4
über die Bände 2 und 3
67.7
Yitzhak Artzi — „Wachsender Jugendaustausch zwischen Israel und der Bundesrepublik" Die Rede des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Lutz G. Stavenhagen Asher Ben Nathan zum hundertsten Geburtstag Ben-Gurions —dem Denker, Ideologen, Pionier, Staatsmann und Befehlshaber Resolution zur Pressekonferenz am 12. November 1986
68
Zum 48. Mal: Gedenken an die Zerstörung der Synagogen
69
Die Entschädigung
69.1
Eine Entschließung des Europäischen Parlaments zu Entschädigungsleistungen für ehemalige Sklavenarbeiter der deutschen Industrie Eine Drucksache des Deutschen Bundestages — Überblick über die bisherigen und die noch zu erbringenden Leistungen Der Deutsche Bundestag diskutiert mehrere Anträge und Drucksachen zur Frage der Entschädigungen Neue Verhandlungen über die Wiedergutmachung im Herbst 1987
67.5 67.6
69.2 69.3 69.4
für die Opfer des Nationalsozialismus
70
„Geschichte einer Austreibung" Judenverfolgung
70.1
Die Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen 1987 — ein Gespräch mit Oberstaatsanwalt Streim „Die jüdische Emigration aus Deutschland" - Eine Ausstellung
70.2 70.2.1 70.3 70.4
— Erinnerung
an die
ist noch nicht abgeschlossen
nationalsozialistische
Aus dem Vorwort des Katalogs Von Berlin nach Jerusalem: Der Richter am Obersten Gerichtshof in Israel, Gabriel Bach, berichtet aus seinem Leben Interview mit Heinz Eyrich über die Zukunft der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg
71
Der fünftägige
71.1 71.1.1 71.1.2 71.2 71.3 71.4 71.4.1 71.4.2 71.4.3 71.4.4 71.4.4.1
Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen Die Zeremonie am jüdischen Gedenkstein „Bergen-Belsen - Geschichte des Aufenthaltslagers 1943-1945" Ein Empfang auf Schloß Augustenburg Der zweite Tag des Staatsbesuches Der dritte Tag gilt der deutsch-jüdischen Vergangenheit Zur Eintragung ins Goldene Buch der Stadt Worms Ministerpräsident Bernhard Vogel hält die politische Begrüßungsansprache Die Antwort des israelischen Staatspräsidenten Besuch der jüdischen Stätten Die alte Synagoge zu Worms — Übersicht über die wichtigsten Daten ihrer Geschichte
Staatsbesuch des israelischen Staatspräsidenten
Chaim
Herzog
XXXIII
Inhaltsübersicht über die Bände 2 und 3 71.4.4.2 71.4.4.3 71.4.4.4 71.4.4.5
Die jüdischen A l t e r t ü m e r in W o r m s von 1938 bis 1961 Das jüdische G e m e i n d e - A r c h i v D e r alte J u d e n f r i e d h o f Die alte S y n a g o g e
71.5
D e r T a g in Berlin
71.5.1 71.5.2 71.5.3 71.5.4 71.5.5
In Berlin-Plötzensee I m Reichstagsgebäude I m Verlagshaus A x e l Springer Bei der jüdischen G e m e i n d e zu Berlin Die Ansprache C h a i m H e r z o g s bei d e r Berliner Pressekonferenz
71.6
Frühstück in d e r Villa H a m m e r s c h m i d t Namensregister
XXXIV
Einleitung An den Anfang dieser Dokumentation über den deutsch-israelischen Dialog möchte ich ein Erlebnis stellen, das mich bei der Arbeit mit den vielen Dokumenten, Verlautbarungen, Interviews, Gesprächen und Reiseerlebnissen besonders motiviert hat. Es war 1985 auf der Buchmesse in Frankfurt. Beinahe zufällig kam ich an den Stand des Saur-Verlages. Ich sprach mit dem Verleger, Dr. K. G. Saur, dem ich auch meine Gedanken zum deutsch-israelischen Dialog mitteilte. Kurz nach der Buchmesse besuchte ich ihn in München. Ich zeigte ihm ein Papier, das ich als Aufriß f ü r den deutsch-israelischen Dialog zusammengestellt hatte. Er las dieses Kompendium von Kapiteln und Überschriften langsam durch, so daß ich nervös zu werden begann und davon sprach, daß man eine solche Dokumentation nicht „mit der Schere" schreiben könne, indem man vieles einfach weglasse. H e r r Dr. Saur legte das Papier beiseite und sagte: „Das sollen Sie auch nicht. Man kann mit der Schere nicht dokumentieren." Ich war erleichtert — bisher hatte noch kein Verleger so reagiert. Meine Arbeiten zum „Deutsch-israelischen Dialog" haben 1978 begonnen, Material allerdings habe ich schon viel früher gesammelt. Im J a h r e 1954 betrat ich zum ersten Mal das Land Israel und bin mit vielen verschiedenen Eindrücken zurückgekommen. Es war mir schon damals klar geworden, welche menschlichen Probleme zwischen unseren beiden Völkern und Staaten liegen. J e mehr ich mich allerdings mit dem Thema befaßte, desto deutlicher wurde mir die Notwendigkeit, dies intensiv und umfassend zu tun. So entstand der Plan, eines der wichtigsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte mit Hilfe von Dokumenten und Interviews von Zeitzeugen vorzustellen. Als ich 1967 den ersten Versuch zu einer solchen Arbeit unternahm, die unter dem Titel „Deutschlands Weg nach Israel" erschien, gab mir Konrad Adenauer ein Geleitwort, das auch heute noch Gültigkeit hat, Gültigkeit deshalb, weil die Geschichte sich nicht umdeuten läßt, weil die Gefühle des ersten deutschen Regierungschefs über seinen T o d hinaus von Bedeutung sind. Im zweiten Band seiner Erinnerungen hat Konrad Adenauer das Kapitel über die Anstrengungen um einen Dialog mit Israel und dem jüdischen Volk mit dem Satz umschrieben: „Ordnung unseres Verhältnisses zu den Juden." Das war der Leitsatz f ü r all das, was er tat. Aus dem ersten Geleitwort, das er für mich im J a n u e r 1967 schrieb, möchte ich folgendes zitieren: „Als ich im September 1949 zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, war eine der größten Sorgen, die es politisch zu lösen galt, in ein neues Ordnungsverhältnis zum jüdischen Volk zu kommen. Das Furchtbare, das im deutschen Namen geschehen war, lag als eine schwere Last über allen politischen Problemen, die einer deutschen Regierung aufgegeben waren. Es war f ü r mich eine große Genugtuung, daß es mir vergönnt war, mit eigenen Augen Israel zu sehen, den friedlichen Aufbau dieses Volkes und Staates nach all dem, was das jüdische Volk in der Zerstreuung erlitten hatte. Für uns Deutsche ist es neben allen Aufbauleistungen unseres Staates und den XXXV
Einleitung
freundschaftlichen V e r b i n d u n g e n zu anderen Völkern nach d e r Katastrophe des Nationalsozialismus die wichtigste politische Entwicklung, daß es uns möglich wurde, den Weg nach Israel u n d zum jüdischen Volk zu finden." Diese Gedanken des ersten deutschen Bundeskanzlers waren wegweisend f ü r die große historische Aufgabe d e r Bundesrepublik Deutschland. Man wird hier hinzufügen müssen, was Moshe Sharett mir viel später einmal sagte, daß nämlich in dieser Frage die politisch f ü h r e n d e n Persönlichkeiten aller demokratischen Parteien in gleicher Weise am gleichen Strick gezogen haben. Wenn man sich mit dem deutsch-jüdischen bzw. dem deutsch-israelischen Dialog befaßt, drängt sich die Frage auf, wann dieser Dialog begann. Diese Frage ist keineswegs hypothetisch. Es gäbe viele Einzelheiten zu berichten, die zeigen, daß trotz der wahnsinnigen J u d e n v e r f o l g u n g durch die Nationalsozialisten, in j e n e n J a h r e n , als Millionen Menschen in die Vernichtungslager getrieben wurden, immer noch Kontakte d e r jüdischen Welt zu einem von ihnen gedachten und e r h o f f t e n anderen Deutschland bestanden. Ich denke dabei nicht an direkte Verbindungen — sie bestanden im geistigen Bereich. Maßgebende jüdische Persönlichkeiten, die bereits in der Emigration lebten, glaubten nicht daran, daß die Zeit des Nationalsozialismus mit d e r bis dahin völlig unerklärbaren Judenpolitik einen endgültigen Bruch zwischen d e n Menschen in Deutschland u n d dem jüdischen Volk würd e herbeiführen können. Für j e d e n , der heute die Geschichte des deutsch-jüdischen Dialogs nach d e m Nationalsozialismus zu analysieren versucht, ist es selbstverständlich, daß die Artikel u n d Memoranden sich mit einer künftigen Wiedergutmachung befaßten. Entschädigung wurde g e f o r d e r t f ü r die Enteigneten u n d Gejagten. Es waren aber nicht n u r die Gedanken an eine Entschädigung, es war gleichzeitig ein Dialog mit d e m anderen, die H o f f n u n g auf ein kommendes Deutschland. Während des Krieges gab es eine Reihe jüdischer Persönlichkeiten, die sich mit dem T h e m a „Sicherstellung von Reparationen aus Deutschland" befaßten. Die israelische Historikerin Nana Sagi hat ihr Buch „Wiedergutmachung f ü r Israel" diesen Fragen gewidmet. Sie nennt etliche N a m e n dieser Männer „vor d e r ersten Stunde". Der erste, d e r sich jahrelang mit jüdischer Flüchtlingshilfe befaßte, war Shalom Adler-Rudel. Er war von 1919—1930 Leiter d e r Organisation d e r Ostjuden in Berlin u n d später (von 1930 — 1934) Leiter der Abteilung f ü r produktive Wohlfahrt d e r Jüdischen Gemeinde in Berlin. 1939 befand er sich als Leiter des Central British Fund in London. Diese Organisation war mit d e m Gedanken eingerichtet worden, d e n bedrängten J u d e n in Deutschland beizustehen. Bereits am 10. Oktober 1939, also direkt nach Kriegsausbruch — so berichtet Nana Sagi - , verfaßte er ein M e m o r a n d u m mit konkreten Vorschlägen f ü r die Sammlung genauer I n f o r m a t i o n e n im Hinblick auf künftige jüdische Forderungen nach Entschädigung vom deutschen Staat. Eine Reihe wichtiger Persönlichkeiten in England u n d den USA erhielten dieses Papier. Zum größten Teil lehnten sie Adler- Rudels Gedanken ab. N u r Chaim Weizmann, später der erste Präsident Israels, stimmte d e m M e m o r a n d u m im Prinzip zu und bat Adler-Rudel zu einer Besprechung. Frau Sagi berichtet, Weizmann habe Adler-Rudel versichert, daß XXXVI
Einleitung er diese Idee w ä h r e n d seines Besuches in den USA insbesondere mit den jüdischen Organisationen besprechen werde. Zu d e n vielen Kontakten, die Adler-Rudel k n ü p f t e , gehört auch, d a ß e r am 6. März 1941 ein neues M e m o r a n d u m an Sir H e r b e r t E m m e r s o n , d e n Leiter der Zwischenstaatlichen Flüchtlingskommission, schickte. Diese Kommission hatte bereits vor der Ü b e r n a h m e d e r Leitung d u r c h Sir H e r b e r t E m m e r s o n eine wichtige Rolle gespielt, als Hjilmar Schacht u n d sein Ministerialdirektor Helmut Wohlthat E n d e 1938 versucht hatten, 1,5 Milliarden Reichsmark bei L o n d o n e r Bankiers in Devisen umzutauschen. Mit diesem Geld sollte 150.000 J u d e n der Weg aus d e r nationalsozialistischen G e f a h r e n z o n e in die Freiheit geebnet werd e n . Sir Emmerson war also mit d e m G r u n d t h e m a dieser Monate e n g vertraut. Adler-Rudel hatte sein neues M e m o r a n d u m offensichtlich auf dieses Wissen abgestellt. Er veranschlagte damals die Schäden, die d e n J u d e n in Österreich u n d Deutschland z u g e f ü g t worden waren, auf vier Milliarden Reichsmark. Man kann in einem Buch, das d e n gesamten deutsch-israelischen Dialog bis zum heutigen T a g e darstellen soll, nicht die ganze Vorgeschichte d e r Kontakte und E n t s c h ä d i g u n g s f o r d e r u n g e n schildern. Eine Schrift, die diese G e d a n k e n enthält, möchte ich aber doch besonders vorstellen. Sie stammt von d e m damaligen Berlin e r Rechtsanwalt Dr. Siegfried Moses u n d w u r d e 1943 im Mitteilungsblatt der H i t a c h d u t h Olej G e r m a n i a , Olej Austria (Jahrgang 7, N r . 27) veröffentlicht. Man schrieb, u m es genau zu sagen, den 2. Juli 1943. Die G r u n d g e d a n k e n dieser Schrift tauchten später in verschiedenster Form i m m e r wieder auf. Zu dieser Zeit hatte Siegfried Moses u n t e r d e n aus Deutschland ins damalige Palästina eingewanderten deutschen J u d e n bereits eine Spitzenposition erreicht. Er war Vorsitzender des Councils d e r J u d e n aus Deutschland u n d d e r Organisation d e r Einwanderer aus Mitteleuropa „Olej Merkas E u r o p a " . Nach G r ü n d u n g des jüdischen Staats w u r d e er d e r erste Staatskontrolleur — eine Position, die in d e r Bundesrepublik d e r des Präsidenten des B u n d e s r e c h n u n g s h o f e s entsprechen w ü r d e . Besondere B e d e u t u n g erlangte Siegfried Moses als Pionier auf d e m Gebiet d e r W i e d e r g u t m a c h u n g s f o r d e r u n g e n gegen Deutschland. Hier legte er die Rechtsg r u n d l a g e n f ü r die s p ä t e r e wirtschaftliche Rehabilitierung d e r aus Deutschland eingewanderten J u d e n . Bereits im Mai 1944 hatte er als einer der ersten in der A b h a n d l u n g „Jüdische N a c h k r i e g s f o r d e r u n g e n " , die im R a h m e n einer Broschürenserie des Verbandes d e r Einwanderer aus Mitteleuropa erschien, Einzelheiten f ü r die individuellen E n t s c h ä d i g u n g s f o r d e r u n g e n d e r aus Hitler- Deutschland geflüchteten J u d e n formuliert, die später im Bundesentschädigungsgesetz aufg e g r i f f e n w u r d e n . Felix E. Shinnar, d e r fast 15 J a h r e , von 1951 bis 1966, Leiter d e r israelischen Einkaufsdelegation in Köln war, schreibt dazu in seinem Buch Bericht eines Beauftragten: „In dieser Darstellung sind, neben einer ü b e r z e u g e n d e n B e g r ü n d u n g , die Anspruchskategorien nahezu so vollständig a n g e f ü h r t u n d erläutert, wie sie 10 J a h r e später im Bundesentschädigungsgesetz erschienen." Schon diese wenigen Beispiele f ü r Ü b e r l e g u n g e n zur W i e d e r g u t m a c h u n g XXXVII
Einleitung aus d e r Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands belegen letztlich, d a ß die H o f f n u n g auf ein anderes, ein künftiges demokratisches Deutschland nicht verlorengegangen war. Sie sind d e r Beweis d a f ü r , d a ß d e r deutsch-jüdische Dialog, auch wenn e r sich n u r u m die W i e d e r g u t m a c h u n g d r e h t e , nicht abgerissen war. Im J a h r e 1943, als Siegfried Moses in Palästina diese G e d a n k e n niederschrieb, lief die Mordmaschine d e r Nationalsozialisten in Auschwitz u n d an anderen Stätten des G r a u e n s — u n d das m u ß m a n sich immer vor Augen halten — a u f höchsten T o u r e n . Diese G e d a n k e n sind ein Meilenstein auf d e m Weg, d e r aus d e n dunkelsten Zeiten u n s e r e r deutschen Geschichte h e r a u s f ü h r t . U n d sie weisen voraus auf das E n d e des Tunnels. Aus diesem G r u n d steht die Schrift von Siegfried Moses als erstes D o k u m e n t am A n f a n g des Deutsch-israelischen Dialogs. Damit b e g a n n es. Erst 1950 haben zwei Journalisten, Erich Lüth u n d Rudolf Küstermeier, wieder einen Kontakt mit Israel auf nicht-offizieller Ebene initiiert. Sie riefen zur Ö l b a u m s p e n d e f ü r Israel auf. Der staatliche Dialog zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik Deutschland hatte bereits mit d e r G r ü n d u n g d e r Bundesrepublik b e g o n n e n . Die Ä u ß e r u n g e n des ersten Bundeskanzlers, Konrad A d e n a u e r , im ersten Interview, das er nach seiner Wahl d e r Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung gab, wiesen die Richtung, die die erste B u n d e s r e g i e r u n g einschlagen wollte. Es folgten erste Kontakte zwischen e n g e n Mitarbeitern des Bundeskanzlers u n d jüdischen Abgesandten, die damals aus L o n d o n kamen. Erst nach diesen vorsichtigen Tastversuchen gab es ein erstes Gespräch zwischen dem Bundeskanzler u n d N a h u m G o l d m a n n , d e m ein Briefwechsel folgte. Die ersten jüdischen u n d israelischen Noten schlössen sich an. An ihnen läßt sich das Ringen u m d e n Israel-Vertrag in seinen vielen verschiedenen Phasen u n d Entwicklungsstufen bis zur Unterschrift am 10. S e p t e m b e r 1952 ablesen. In die gleiche Zeit fielen auch die V e r h a n d l u n g e n u m die Schulden-Konferenz in L o n d o n . Welch große B e d e u t u n g dieses A b k o m m e n f ü r d e n sich neu entwickelnden d e u t s c h e n Staat hatte, legte mir d e r damalige Leiter d e r deutschen Delegation in L o n d o n , d e r große Senior d e r Bankiers, in einem Gespräch dar. Das IsraelA b k o m m e n war d e r G r u n d s t e i n f ü r die materielle W i e d e r g u t m a c h u n g u n d ein Rahmen f ü r d e n Neubeginn zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik. Bis zur Abschlußgeste zur W i e d e r g u t m a c h u n g , die 1980 zwischen N a h u m G o l d m a n n u n d d e r B u n d e s r e g i e r u n g vereinbart wurde, begleitet dieses T h e m a die deutschisraelischen Beziehungen. Direkt nach d e m Sinai-Feldzug 1956 hatte ich in Tel Aviv ein Gespräch mit d e m damaligen israelischen Verteidigungsminister Shimon Peres u n d seinem Staatssekretär Asher Ben Nathan, aus d e m sich ein e n g e r Kontakt zwischen Shimon Peres u n d d e m damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß entwickelte. Israel lieferte sowjetische Beutewaffen aus d e m Sinai-Feldzug an die Forschungsabteilung d e r Bundeswehr u n d die Bundesrepublik lieferte W a f f e n u n d A u s r ü s t u n g s g e g e n s t ä n d e f ü r die Verteidigung Israels. Im J a n u a r 1957 besuchte Shimon Peres die Bundeshauptstadt Bonn zu Gesprächen mit Franz Josef Strauß u n d Konrad A d e n a u e r . XXXVIII
Einleitung A m 14. März 1960 trafen sich David Ben G u r i o n u n d Konrad A d e n a u e r , die beiden großen alten M ä n n e r , in New York. Mit dieser historischen B e g e g n u n g trat d e r deutsch-israelische Dialog in eine n e u e Phase. Die F r e u n d s c h a f t d e r beid e n M ä n n e r reichte weit ü b e r Parteigrenzen u n d Vergangenheit hinaus u n d setzte Zeichen auch f ü r einen N e u b e g i n n d e r Beziehungen zwischen u n s e r e n beiden Staaten, d e r 1965 in d e r A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen gipfelte. Der erste Botschafter, d e r die Bundesrepublik in Israel vertrat, hieß Dr. Rolf Pauls. Für Isreal kam Asher Ben N a t h a n nach Bonn. In den J a h r e n zwischen 1965 u n d 1985 sind die beiderseitigen Beziehungen geprägt d u r c h zahlreiche Reisen deutscher Politiker nach Israel u n d Besuche israelischer Politiker in Bonn. Bundeskanzler Willy Brandt, Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher u n d Prof. Carl Carstens, noch in seiner Eigenschaft als Bundestagspräsident, reisten nach Israel. Alt-Bundeskanzler K o n r a d A d e n a u e r kam 1967. Zu d e n großen T h e m e n d e r Gespräche g e h ö r t e n nicht n u r die i m m e r w i e d e r k e h r e n d e n Konflikte Israels mit seinen Nachbarn, s o n d e r n auch wirtschaftliche Fragen. Neben dieser großen politischen Entwicklung — man könnte sagen parallel dazu — entwickelte sich ein n o r m a l e r Wirtschaftsverkehr zwischen d e n beiden Staaten. G e m e i n s a m e T r e f f e n israelischer u n d deutscher Wirtschaftskreise waren die Basis f ü r d e n Abschluß d e r verschiedensten A b k o m m e n . Die deutsch-israelische Wirtschaftsvereinigung, in F r a n k f u r t , Düsseldorf u n d Berlin nach Fachgebieten in zahlreiche Einzelgruppen aufgeteilt, hat d a r a n einen gewichtigen Anteil. I m m e r wieder galt es, f ü r die wachsende israelische Industrie n e u e V e r b i n d u n g e n zu schaffen u n d Wege zu f i n d e n , d e n Wirtschaftsverkehr u n d die Zollfreiheit im H a n d e l s v e r k e h r zwischen beiden Staaten zu erweitern. Auch im landwirtschaftlichen Bereich w u r d e n die bestehenden V e r b i n d u n gen zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik i m m e r wieder an die n e u e Situation angepaßt. Dieses T h e m a hat d e n bilateralen V e r k e h r bis zum heutigen T a g e begleitet, u n d m a n darf in aller Klarheit sagen, d a ß die Hilfe d e r B u n d e s r e g i e r u n g f ü r die Anpassungsversuche d e r israelischen Landwirtschaft an die Möglichkeiten d e r Europäischen Gemeinschaft sehr bedeutsam war. Das wichtigste u n d zugleich das schwierigste T h e m a zwischen den beiden Staaten aber war d e r kulturelle Austausch. Mit d e r G r ü n d u n g einer deutschen Bibliothek zur Zeit des Eichmann- Prozesses, d e m ersten deutschen Film ü b e r Israel (Israel, Staat der Hoffnung) 1956 u n d d e m großen d o k u m e n t a r i s c h e n Farbfilm Paradies und Feuerofen 1958, b e g a n n e n die kulturellen Beziehungen bereits lange vor d e r A u f n a h m e d e r diplomatischen Beziehungen. Schon 1954 erschien in d e r Wochenzeitung Das Parlament eine Sonderausgabe ü b e r Israel. — Of fiziell hat sich Israel j e d o c h i m m e r gegen Beziehungen im kulturellen Bereich ausgesprochen. Bis heute haben wir kein K u l t u r a b k o m m e n mit Israel, aber gut funktionier e n d e kulturelle Beziehungen. Die Arbeit des Goethe-Instituts hat sich ausgezeichnet entwickelt u n d d e r J u g e n d a u s t a u s c h zwischen d e n beiden Völkern f ü h r t h e u t e J a h r f ü r J a h r weit ü b e r 100.000 Menschen aus d e r Bundesrepublik IXL
Einleitung D e u t s c h l a n d u n d Israel z u s a m m e n . Wie diese so wichtigen m e n s c h l i c h e n Begegn u n g e n i h r e n A n f a n g g e n o m m e n h a b e n u n d wie sie h e u t e a u s s e h e n , läßt sich o h n e viel k o m m e n t i e r e n d e W o r t e a n d e n Zahlen u n d an vielen kleinen D o k u m e n ten ablesen. A b e r a u c h die schon sehr f r ü h einsetzende u n d später i m m e r weiter ausgeb a u t e wissenschaftliche Z u s a m m e n a r b e i t zwischen Israel u n d d e r B u n d e s r e p u b lik g e h ö r t z u r kulturellen Entwicklung d e r b e i d e n Staaten. Sie b e g a n n a u f d e u t s c h e r Seite mit d e m s o g e n a n n t e n Minerva-Projekt u n d d e m Genter-Komittee in Heid e l b e r g . Wichtig f ü r die W e i t e r e n t w i c k l u n g u n d I n t e n s i v i e r u n g d i e s e r Beziehung e n w u r d e n vor allem die V e r b i n d u n g e n z u m W e i z m a n n - I n s t i t u t , d e m t h e m a tisch s e h r vielseitig o r i e n t i e r t e n F o r s c h u n g s z e n t r u m in Israel. I n v e r s c h i e d e n e n U n i v e r s i t ä t e n in Israel w u r d e n L e h r s t ü h l e u n d Institute g e g r ü n d e t u n d d u r c h d e n D e u t s c h e n A k a d e m i s c h e n A u s t a u s c h d i e n s t u n d die H u m b o l d t - S t i f t u n g Stip e n d i e n g e s c h a f f e n . Von g r o ß e r B e d e u t u n g ist die Z u s a m m e n a r b e i t des Deutschen G e w e r k s c h a f t s b u n d e s mit d e r israelischen H i s t r a d u t . Die israelischen Gew e r k s c h a f t e n , die beim A u f b a u d e s j ü d i s c h e n Staates in vielerlei H i n s i c h t eine bed e u t e n d e Rolle spielten, w u r d e n z u m selbstverständlichen G e s p r ä c h s p a r t n e r f ü r die d e u t s c h e Seite. G e l d e r u n d Initiativen z u r wissenschaftlichen Z u s a m m e n a r beit k a m e n a b e r a u c h von p r i v a t e n I n d u s t r i e b e t r i e b e n u n d i h r e n S t i f t u n g e n sowie in g r o ß e m U m f a n g von staatlicher Seite. A u c h israelische Künstler k a m e n in w a c h s e n d e r Zahl in die B u n d e s r e p u b l i k zu Gastspielen o d e r Ausstellungen e b e n s o wie d e u t s c h e Künstler v e r m e h r t n a c h Israel reisten. Deutsche O p e r n e n s e m b l e s gastierten mit g r o ß e m E r f o l g in Israel u n d d a s israelische P h i l h a r m o n i s c h e O r c h e s t e r löste bei B e s u c h e n in d e r B u n d e s r e p u b l i k u n d Berlin B e g e i s t e r u n g s s t ü r m e bei d e r B e v ö l k e r u n g aus. Diese Ereignisse, wie sie hier in Kürze d e n Verlauf d e r deutsch-israelischen Geschichte skizzieren, sind d e r R a h m e n , d e n die u n z ä h l i g e n , von m i r in 3 0 j ä h r i g e m deutsch-israelischem E n g a g e m e n t g e s a m m e l t e n D o k u m e n t e beleben sollen. Weil ich nicht „mit d e r Schere" d o k u m e n t i e r e n m u ß t e , sind d a r a u s acht B ä n d e geword e n — im e i n z e l n e n d e n B e r e i c h e n Politik, W i r t s c h a f t / L a n d w i r t s c h a f t u n d K u l t u r g e w i d m e t . So ist e i n e D o k u m e n t a t i o n e n t s t a n d e n , die in d e r Fülle d e s Materials die n u n schon fast vierzig J a h r e d a u e r n d e n B e m ü h u n g e n u m e i n e f r e u n d s c h a f t liche Z u s a m m e n a r b e i t zwischen u n s e r e n b e i d e n Völkern — ü b e r alle A b g r ü n d e d e r V e r g a n g e n h e i t hinweg — sichtbar macht. R.V.
XL
Abb. 1
David Ben Gurion u n d Konrad A d e n a u e r bei ihrer historischen Besprechung im WaldorfAstoria-Hotel am 14. März 1961
Abb. 2
Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier mit seiner Krau bei David Ben Gurion, links Botschafter Dr. Shinnar
A
Abb. 4
Dr. Gerstenmaier bei Prof. Martin Ruber
Abb. 3
Bei einem Vortrag von Dr. Gerstenmaier in der hebräischen Universität Jerusalem. Von links nach rechts: Justizminister Rosen, Frau Moses, Siegfried Moses, Frau Gerstenmaier, Frau Shinnar
.gfflR W
W
ti^,
19
X&
a£
^ ¡¡¡¡|>
tin,
» «•* " r t ' c i a « ! « i n , h , S a ^ ^
,r t.«r F e d e r a l
H .
fi.iliblio
of Seraajiy
7
Das Israel-Abkommen vom 10. September 1952
Abb. 5 und 6 Oben:
Die Delegationen bei der Unterzeichnung des Israel-Abkommens Die deutsche Delegation von links nach rechts: Bundestagsabgeordneter Altmaier, SPD; Ministerialdirektor Dr. Blankenhorn, Staatssekretär Prof. Dr. Walter Hallstein; Bundeskanzler Dr. Konrad A d e n a u e r ; Prof. Franz B ö h m ; Dr. Frohwein, AA. Linien: Die israelische Delegation: 2. v. 1.: Dr. Shinnar, daneben Dr. Josephthal, Außenminister Sharett, Dr. N a h u m Goldmann.
Abb. 8
David Beil G u r i o n mit d e m H e r a u s g e b e r bei e i n e r Filmvorf ü h r u n g in T e l Aviv
Abb. 9
Der H e r a u s g e b e r mit Israels V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r M o s h e D a j a n
Abb. 10
B u n d e s k a n z l e r H e l m u t Kohl e m p f ä n g t d e n B o t s c h a f t e r d e s Staates Israel in B o n n , J i t z h a k B e n - A r i , im B u n d e s k a n z l e r a m t a m 26. O k t o b e r 1982
Der deutsch-israelische Dialog Teil I: Politik Band 1
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog?
1.1 Dr. Siegfried Moses: Die Wiedergutmachungsforderungen Juden in Deutschland
der
Einer der ersten, die öffentlich zu Fragen der Wiedergutmachungsforderungen von J u d e n an Deutschland Stellung nahmen, war der am 3. Mai 1887 in Lautenburg in Deutschland geborene Siegfried Moses. Er hatte an der Berliner Universität J u r a studiert und dort als Rechtsanwalt, Notar und behördlich lizensierter Buchprüfer gewirkt. Bereits in seiner Jugendzeit betätigte sich Siegfried Moses als aktiver Zionist. 1921 heiratete er, und seine Frau assistierte ihm bei den vielen öffentlichen Aktivitäten. Sie war in der Zionistischen Frauenorganisation „Wizo" tätig, hielt Vorträge und arbeitete auch als Schriftstellerin, wobei sie etliche Artikel in verschiedenen zionistischen Zeitschriften Deutschlands veröffentlichte. Später schrieb sie auch Erzählungen. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, Eli und Raphael. Schon im J a h r e 1911, also bereits mit 24 Jahren, wurde Dr. Siegfried Moses Kongreßdelegierter bei den Zionistenkongressen. Auch in den Jahren 1921 bis 1937 und d a n n wieder 1946 nahm er an den Zionistenkongressen teil. Jahrelang war er Vorsitzender der Zionistischen Vereinigung Deutschlands. In den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft war er Vizevorsitzender der Reichsvertretung der deutschen J u d e n . Es war geradezu selbstverständlich, daß er in diesen Jahren viele Bücher und Artikel über Zionismus und entsprechende Wirtschaftsfragen schrieb und sich auch während seiner Palästinabesuche in den Jahren 1927 und 1934 hauptsächlich mit wirtschaftlichen und politischen Fragen befaßte. 1936 wanderte Siegfried Moses nach Palästina aus, ließ sich in Tel Aviv nieder und etablierte sich als Wirtschaftsberater sowie als lizensierter Buchprüfer. Er wurde Berater in Steuerfragen sowie in Angelegenheiten der Entschädigungsforderungen gegen Deutschland. Laufend publizierte er Artikel und Broschüren über Wirtschaftspolitik, über Einkommensteuerfragen, Wiedergutmachungsangelegenheiten u n d Forderungen des jüdischen Volkes an Deutschland. 1944 nahm er im Auftrag des Waad Le'umi an der Notstandskonferenz des jüdischen Weltkongresses in Atlantik City teil. Hier wurde er namens des zionistischen Aktionskomitees Mitglied des beratenden Ausschusses der jüdischen Delegation in Lake Success im Mai 1948, als die Vereinten Nationen den Beschluß zur G r ü n d u n g des jüdischen Staates faßten. Dr. Moses wirkte f ü h r e n d in der Hitach Druth Olej Germania auch dann, als sie sich unter dem Namen Alijah Chadaschah in eine politische Partei verwandelte. Gemeinsam mit dieser Gruppe ging er dann initiativ in die führenden Kreise der progressiven Partei über. Am 30. August 1949, nach der Verabschiedung des Staatskontrollgesetzes ernannte ihn der Staatspräsident zum Staatskontrolleur 3
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog? und folgte so einer Empfehlung der Knesset. Zu diesem Zeitpunkt zog er sich von allen politischen Ämtern zurück. Von 1949 bis 1961 behielt er dieses Amt inne. Als G r ü n d e r bestimmte er die Strukturen und die Basis, die den Rahmen f ü r diese Institution gab. Die Schrift von Dr. Siegfried Moses, die er 1943 in Tel Aviv im „Mitteilungsblatt Nr. 27 — Jahrgang 7" unter dem Titel „Die Wiedergutmachungsforderungen der J u d e n " erscheinen ließ, soll hier im Wortlaut wiedergegeben werden. Sie zeichnet die Gedanken von Siegfried Moses und vielen Gleichgesinnten deutlich nach. I. Um Mißverständnisse auszuschalten, muß man wohl, wenn man sich im gegenwärtigen Zeitpunkt mit dem Programm künftiger Entschädigungsansprüche an Deutschland beschäftigt, eine Vorbemerkung vorausschicken. Sich diesem Fragenkreis zuzuwenden, bedeutet nicht, daß man den Zeitpunkt als gekommen oder auch n u r als nahe bevorstehend ansieht, in dem Ansprüche solcher Art an ein besiegtes Deutschland gestellt werden können. Noch weniger bringt derjenige, der sich mit diesen Fragen beschäftigt, dadurch zum Ausdruck, ob und in welchem Umfange seiner Ansicht nach Deutschland gezwungen werden und imstande sein wird, die Ansprüche, die gestellt werden, zu erfüllen. Auch wenn man den Zeitpunkt der Beendigung des Krieges als noch ungewiß ansieht und es als unvoraussehbar betrachtet, ob von Deutschland Entschädigungen zu erlangen sein werden, ist man berechtigt und verpflichtet, sich Gedanken über diesen Fragenkreis zu machen. Wie groß oder gering auch die Wahrscheinlichkeit sein mag, daß die Geltendmachung von Entschädigungsforderungen praktisch wird, — die Möglichkeit, daß es zur Leistung von Entschädigungen in irgendeiner Form kommt, ist jedenfalls gegeben. II. Wenn man die Probleme, um die es sich handelt oder in Zukunft handeln wird, zunächst einmal in großen Zügen in Kategorien aufteilt, so zeigt sich, daß drei große Aufgaben und Arbeitsgebiete sich ergeben oder ergeben werden: 1. die politische Arbeit, deren Ziel ist, dahin zu wirken, daß die Bestimmungen der nach Kriegsende zu erwartenden Entschädigungs-Regelung — dem Geiste und dem Wortlaut nach — den Wiedergutmachungsforderungen der J u d e n gerecht werden; 2. die Anstrengungen, die die einzelnen Entschädigungsberechtigten werden machen müssen, damit die Wiedergutmachungsforderungen des jüdischen Volkes und der jüdischen Individuen — in dem durch die Entschädigungsregelung gezogenen Rahmen — von den nach der Entschädigungsregelung dazu berufenen Stellen anerkannt werden; 3. die Realisierung der von den zuständigen Instanzen anerkannten Ansprüche. 4
1.1 Dr. Siegfried Moses: Die Wiedergutmachungsforderungen
der Juden
Von den hier skizzierten Aufgaben ist die Aufgabe der Realisierung von Wiedergutmachungsforderungen zeitlich die fernste; sachlich ist sie die Aufgabe, deren Durchführungsformen sich am schwersten voraussehen lassen. Es ist klar, daß der Auslandsbesitz Deutschlands bei der Realisierung von Entschädigungsansprüchen eine wichtige Rolle spielen wird: „practically the only form in which reparations can be made without involving an exchange transfer problem or economic dislocation" — sagt der „Economist" in seinem unten ausführlich erwähnten Aufsatz vom 9. J a n u a r 1943. Es ist anzunehmen, daß daneben im wesentlichen n u r eine Realisierung durch Export in weitestem Sinne — oder, wie wir gewohnt sind zu sagen: durch „Transfer" — in Frage kommen wird. Aber inwieweit und in welcher Form die politischen und wirtschaftlichen Vorbedingungen f ü r ein Beschreiten dieser beiden Realisierungswege nach Beendigung des Krieges gegeben sein werden, kann heute niemand wissen oder ahnen. Gewisse vorbereitende Überlegungen sind vielleicht möglich: es mag richtig sein, wenn wir uns für alle Fälle vergegenwärtigen, daß ein Aufbauland und eine im Aufbau begriffene Wirtschaft eher als andere Länder und andere Wirtschaften bereit und in der Lage sein werden, unter gewissen Kautelen Entschädigungen in der Form von Waren entgegenzunehmen; und sicher sind wir berechtigt, nach den Erfahrungen, über die wir verfügen, von vorneherein ein Monopol der öffentlichen Stellen — in unserem Falle: der öffentlichen jüdischen Instanzen — speziell f ü r die Realisier u n g von Entschädigungs-Ansprüchen zu fordern oder vorauszusetzen, wenn ein trostloses, gefahrvolles Durcheinander vermieden werden soll. Ebensowenig aktuell sind einstweilen Vorbereitungen für die Anerkennung der einzelnen Entschädigungsansprüche - eine Aufgabe übrigens, f ü r die ein Monopol öffentlicher Stellen kaum in Frage kommen dürfte. Wichtig ist es, daß jede Gemeinschaft oder Person, die einen Anspruch zu erheben beabsichtigt, das Material, über das sie verfügt oder das sie beschaffen kann, zusammenstellt und nach Möglichkeit die erforderlichen Beweise sichert. Mehr kann aber im gegenwärtigen Zeitpunkt kaum geschehen, um die künftige Geltendmachung und Anerkennung der einzelnen Ansprüche zu fördern. Es bleibt hiernach insbesondere und vor allem eine Aufgabe, die schon heute aktuell ist, und um deren aktive und umfassende Erfüllungsich unsere jüdischen Instanzen bereits jetzt mit größter Intensität bemühen sollten: die politische Arbeit, die auf die Gestaltung der Entschädigungsregelung Einfluß zu nehmen versucht. III. Es besteht die Überzeugung, daß die Friedensregelung, die auf diesen Krieg folgen wird, von Grund auf anders aussehen wird, als die Friedensverträge, die dem vorigen Weltkrieg folgten. Wer jedoch der Stimme der Weltöffentlichkeit lauscht und ihre Äußerungen analysiert, wird wahrnehmen, daß es im wesentlichen der politische Inhalt der künftigen Friedensverträge und die Neuordnung der Weltwirtschaft ist, mit denen sich neue Ideen befassen und von denen in neuen Tönen 5
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog? die Rede ist. Dagegen gilt das keineswegs von anderen Teilen d e r Friedensregelung — insbesondere nicht von den Fragen, die mit den Wiedergutmachungsansprüchen im Z u s a m m e n h a n g stehen. Wer hierüber vielleicht im Zweifel gewesen ist, hat d u r c h die - spärlichen — Äußerungen, die zu konkreten Fragen aus diesem Gebiet aus d e m Lager d e r Vereinigten Nationen erfolgt sind, sich über den wirklichen Sachverhalt klar werden können. Wenn eine englische B e h ö r d e vor eine Frage gestellt wird, deren Beantwortung davon abhängt, ob Rechtsakte des nationalsozialistischen Deutschland gültig sind oder nicht, so setzt sie — formell wahrscheinlich mit Recht — die Rechtsgültigkeit der Rechtsakte als selbstverständlich voraus. Wenn die Vereinigten Nationen — wie das A n f a n g J a n u a r 1943 in der Deklaration „on the restitution of property stolen by the Axis" geschehen ist — sich entschließen zu erklären, daß sie sich vorbehalten, Rechtsakte des nationalsozialistischen Deutschland nicht als rechtsgültig anzusehen, so beschränkt sich diese Erklärung auf die Fälle, in d e n e n Deutschland sich Eigentum in den während des Krieges von ihm besetzten Ländern angeeignet hat: auf Fälle also, in denen d e r Grundsatz, daß j e d e r Staat innerhalb seiner Grenzen tun kann, was er f ü r Recht erachtet, nicht angetastet zu werden braucht. Und dieses Festhalten an althergebrachten Vorstellungen finden wir auf d e m Gebiet, von d e m hier die Rede ist, sogar in d e r — sonst oft gegenüber gedankenloser Tradition so kritischen — öffentlichen Meinung Englands. Uns liegt ein Aufsatz des „Economist" vom 9. J a n u a r 1943 vor, in dem die erwähnte Erklärung der Vereinten Nationen erörtert wird. Dieser Aufsatz spricht mit keiner Silbe davon, daß das in d e r Deklaration angeschnittene Problem in Wahrheit keineswegs auf die besetzten Länder beschränkt ist. Im übrigen bewegt sich die E r ö r t e r u n g ganz in d e n althergebrachten Gleisen, und die ungünstigen E r f a h r u n g e n nach d e m vorigen Weltkrieg sind f ü r d e n „Economist" zwar ein Anlaß, eine frühzeitige u n d grundsätzliche E r ö r t e r u n g d e r Reparations-Frage zu f o r d e r n , aber nicht etwa ein G r u n d zu verlangen, daß n e u e Wege gegangen werden sollten. U n d wenn in d e m Aufsatz nach E r ö r t e r u n g aller Schwierigkeiten, die einer Entschädigungsregelung entgegenstehen, u n t e r anderem gesagt wird: „It is ... unlikely thatequal treatment will be meted to all despolled countries — whether they fought for or against the Germans", so liegt d e r Gedanke nahe, daß man u n t e r solchen Gesichtspunkten nicht bloß die Länder selbst, sondern auch die Staatsangehörigen dieser Länder wird behandeln wollen. Das würde, in unsere Sprache übersetzt, bedeuten, d a ß Schadensersatzansprüche, die dem holländischen o d e r polnischen J u d e n zugebilligt werden, keineswegs dem rumänischen o d e r gar dem deutschen J u d e n zustehen würden! Hier stehen wir an d e m Punkt, in dem eine A n k n ü p f u n g an den Mechanismus des Versailler Vertrages in bedrohliche Nähe gerückt zu sein scheint, die einen großen Teil jüdischen Ansprüche — vielleicht den größten Teil — von vorneherein zu Fall bringen würde. Der Versailler Vertrag kannte n u r Ansprüche der Siegerstaaten u n d d e r Staatsangehörigen d e r Siegerstaaten; die Staatsangehörigen d e r Siegerstaaten konnten ihre Ansprüche n u r d u r c h den Staat, dessen 6
1.1 Dr. Siegfried Moses: Die Wiedergutmachungsforderungen der Juden Untertanen sie waren, geltend machen. Dazu kommt, daß d e r Versailler Vertrag im R a h m e n d e r Reparationsregelung ü b e r h a u p t n u r Schaden berücksichtigte, die aus K a m p f h a n d l u n g e n o d e r aus M a ß n a h m e n militärischer Stellen im Kriegsgebiet h e r r ü h r t e n ; und im Rahmen d e r privatrechtlichen Ansprüche n u r Ansprüche aus d e r Abwicklung von Vorkriegs-Schuldverhältnissen u n d d e n Anspruch auf Wiedergutmachung von Vermögensschäden, die —durch Kriegsmaßn a h m e n - das in Deutschland belegene Vermögen d e r Schadensersatzberechtigten betroffen haben. Die Gefahr, daß die mit d e r Vorbereitung d e r Friedensregelung befaßten Personen u n d Stellen in m a n c h e r Hinsicht an diesen Mechanismus des Versailler Vertrages a n k n ü p f e n könnten, ist umso eher gegeben, weil sie damit tatsächlich auch diesmal einen sehr erheblichen Teil d e r berechtigten Schadensersatzansprüche erfassen u n d befriedigen würden — n u r eben und n u r gerade mit Ausn a h m e d e r Wiedergutmachungsansprüche d e r J u d e n (und vielleicht derjenigen Nichtjuden, die nach Kriegsende nicht in ihre Heimatländer zurückkehren). So braucht es gar nicht böser Wille zu sein, wenn diejenigen, die an dem Entwurf f ü r die Friedensregelung arbeiten, als „Simile" — wie die Juristen sagen —, das heißt als ein in möglichst weitem U m f a n g e zu ü b e r n e h m e n d e s Muster, die Entschädigungs-Bestimmungen des Versailler Vertrages verwenden. IV. Wiedergutmachungs-Ansprüche werden vom jüdischen Volk in der Form eines Kollektiv-Anspruchs zu stellen sein; f e r n e r h i n von den J u d e n , die individuelle Schadensersatzansprüche geltend machen können. Die Grenzen zwischen diesen beiden Arten von Ansprüchen werden flüssig sein; wo —wie z. B. in Fällen, in denen d e r Nachweis einzelner Schäden nicht erbracht werden kann, oder in denen d e r Geschädigte verstorben ist, o h n e daß seine Erben bekannt sind, - Zweifel in Bezug auf die berechtigten Personen o d e r d e n U m f a n g des Schadens entstehen könnten, wird stets dem Kollektivanspruch des jüdischen Volkes der Vorzug zu geben sein. Unser Wunsch ist, d a ß alleiniger T r ä g e r des Kollektivanspruchs oder zum mindesten d e r H a u p t t r ä g e r dieses Anspruchs die Jewish Agency f o r Palestine werden soll, die im N a m e n des jüdischen Volkes auf G r u n d des unermeßlichen Unrechts, das das nationalsozialistische Deutschland d e r jüdischen Gemeinschaft angetan hat, eine Entschädigung zugunsten des jüdischen Palästina erwirken soll; d a d u r c h würde die Möglichkeit geschaffen werden, wenigstens einen Bruchteil des d e n J u d e n angetanen Unrechts in produktiver Form w a h r h a f t wied e r gutzumachen: durch Ansiedlung von J u d e n in Erez Israel. Was die jüdischen Individual-Ansprüche anbetrifft so können wir hier die Ansprüche derjenigen J u d e n beiseite lassen, die nach Beendigung des Krieges in das Land, aus d e m sie ausgewandert sind, zurückzukehren wünschen: sie werden die ihnen zustehende Entschädigung nach d e n Gesetzen des Landes erhalten, das sie sich erneut zur Heimat wählen. Für das jüdische Volk aber und f ü r die — einzelnen — J u d e n , die in Palästina 7
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog? oder in d e m sonstigen Land, in dem sie Zuflucht g e f u n d e n haben, zu bleiben wünschen, hängt die Verwirklichung d e r W i e d e r g u t m a c h u n g s f o r d e r u n g davon ab, daß gewisse vom Völkerrecht entwickelte Prinzipien, auf denen insbesondere auch die Regelung des Versailler Vertrages beruhte, f ü r die bevorstehende Friedensregelung vollständig ausgeschaltet u n d durch a n d e r e , der gegenwärtigen Situation entsprechende Prinzipien ersetzt werden. Diese bisher vielfach als unvermeidbar angesehenen Prinzipien, u m deren Beseitigung d e r politische Kampf zu f ü h r e n sein wird, sind folgende: 1. das Prinzip, d a ß n u r Kriegsmaßnahmen irgendwelcher Art zum Schadenersatz berechtigen u n d daß, soweit nicht Kriegsmaßnahmen in Frage kommen, die interne Gesetzgebung und Verwaltungjedes souveränen Staates unangetastet bleiben soll; 2. das Prinzip, d a ß n u r Siegerstaaten u n d Personen, die bei Kriegsausbruch Staatsangehörige d e r Siegerstaaten waren, ü b e r h a u p t Entschädigungsansprüche an die im Kriege unterlegenen Staaten stellen können; 3. das Prinzip, d a ß alle Ansprüche irgendwelcher Art n u r durch Vermittlung d e r Siegerstaaten geltend gemacht werden können (deren Staatsangehörige —die einzigen ü b e r h a u p t schadensersatzberechtigten Personen — ihrerseits nach d e m Versailler Vertrage durch diese Staaten u n d nach den inneren Gesetzen dieser Staaten abzufinden waren). V. Bevor wir uns d e r Frage zuwenden, welche Prinzipien an die Stelle d e r vorstehend skizzierten Prinzipien gesetzt werden müssen, damit die Wiedergutmac h u n g s f o r d e r u n g e n d e r J u d e n zu ihrem Recht kommen, müssen wir uns mit einem naheliegenden Einwand auseinandersetzen: dem Einwand, d a ß das Bem ü h e n , althergebrachte und tief eingewurzelte Dogmen des Völkerrechts zu Gunsten d e r J u d e n außer Kraft zu setzen, aussichtslos sei. Illusionäre Vorstellungen über starke Einflußmöglichkeiten d e r J u d e n auf die Gestaltung des Friedens wären sicherlich verhängnisvoll. T r o t z d e m gibt es und m u ß es die Chance geben, die Außerkraftsetzung j e n e r f ü r uns ruinösen Prinzipien — wenn auch wahrscheinlich n u r nach schweren Kämpfen — durchzusetzen. Diese H o f f n u n g u n d Erwartung b e r u h t vor allem darauf, d a ß die Welt durch die Verbrechen des Nationalsozialismus J u d e n außer Kraft zu setzen, aus vorangegangen ist, u n d durch das was sich in ihm ereignet hat, d e n n doch in ganz a n d e r e r Weise aufgerüttelt worden ist, als d u r c h den vorigen Weltkrieg; u n d daß die Erkenntnis Gemeingut weiter Kreise geworden ist, daß n u r eine völlig Abkehr von d e m Hergebrachten und die Beschreitung gänzlich neuer Wege die Ordn u n g d e r Welt wieder herzustellen vermag. Dazu kommt aber noch, d a ß die Prinzipien, d e r e n A n e r k e n n u n g den Wiedergutmachungsforderungen d e r J u d e n zu ihrem Recht verhelfen kann, gar nicht so beispiellos u n d vorbildlos sind, wie man auf d e n ersten Blick glauben möchte. Die Durchsetzung d e r von uns zu f o r d e r n d e n Prinzipien müßte u n t e r den ge8
1.1 Dr. Siegfried Moses: Die Wiedergutmachungsforderungen
der Juden
genwärtigen Verhältnissen möglich sein, selbst wenn das Völkerrecht niemals Prinzipien dieser Art anerkannt hätte. Wir werden aber bei näherem Hinsehen feststellen können, daß es auch f ü r die von uns zu fordernde Gestaltung der Dinge gewisse Analogien in der Geschichte des Völkerrechts gibt. VI. Der Abgrenzung der zum Schadensersatz berechtigten Tatbestände, wie sie der Versailler Vertrag enthält, liegt negativ das Prinzip zu Grunde, daß — abgesehen von Kriegsmaßnahmen, f ü r die der Besiegte dem Sieger einzustehen hat, —jeder Staat in seiner inneren Gesetzgebung frei ist und sich grundsätzlich selbst nach einem verlorenen Kriege nicht in seine inneren Angelegenheiten hineinreden zu lassen braucht. Dieses Prinzip war und ist berechtigt, solange die Gesetzgebung und Verwaltung der Kulturstaaten, wenn sie auch nicht durchweg auf gleich hohem Niveau stand, doch ein gewisses kulturelles und moralisches Mindestniveau nicht unterschritt. Soweit das doch geschah oder zu geschehen drohte, haben die anderen Mächte sich tatsächlich auch schon in f r ü h e r e n Zeiten entgegen jenem Prinzip in die Angelegenheiten des sündigenden Staates hineingemischt. Und diese „Interventionen im Interesse der Humanität" können wir bis zu einem gewissen Grade als Analogien heranziehen, wenn wir jetzt - freilich viel weitergehend — fordern, daß einer gerechten Entschädigungsregelung keine Schranken durch eine Rücksichtnahme auf Deutschlands Recht zur Selbstregierung und Selbstverwaltung gezogen werden dürfen. Es sei hier in erster Reihe an die Maßnahmen zum Schutz von Minderheiten erinnert, die — zum ersten Mal im Osnabrücker Vertrag, 1648, der den Dreißigjährigen Krieg abschloß; dann im Berliner Vertrag von 1878, schließlich und vor allem auch nach dem vorigen Weltkrieg — denjenigen Staaten aufgezwungen wurden, von denen eine Unterschreitung jenes Mindestniveaus f ü r Kulturstaaten befürchtet werden mußte. Es steht außer Zweifel, daß — wie auch immer im einzelnen die Frage d e r Behandlung Deutschlands nach diesem Krieg entschieden werden wird — f ü r die Zukunft eine Regelung gefunden werden wird, die das Recht Deutschlands, seine inneren Angelegenheiten nach eigenem Ermessen zu gestalten, f ü r lange Zeit und in weitem Ausmaße außer Kraft setzen wird. Wenn diese Ansicht sich f ü r die Gestaltung der Zukunft durchsetzt, so darf man nicht mit der Fiktion operieren, daß bei Beurteilung d e r Vergangenheit die Gesetzgebung und Verwaltung Deutschlands als unantastbar gilt, und daß Schadensersatzansprüche, die sich auf von der Kulturwelt einhellig verurteilte Handlungen Deutschlands stützen, durch den Einwand abgewehrt werden können, Deutschland habe im Rahmen seiner Befugnis, die eigenen Angelegenheiten nach eigenem Ermessen zu regeln, gehandelt. Übrigens hat die Rechtsprechung in England bereits in f r ü h e r e r Zeit ausländischen Gesetzen, die nach der Auffassung der englischen Gerichte konfiskatorischen Charakter tragen, die Anerkennung versagt und sie als nicht bestehend behandelt. 9
1 Wann beginnt der netie deutsch-jüdische Dialog? Zu f o r d e r n wird hiernach sein, daß Deutschland in allen Fällen, zum Schadensersatz verpflichtet ist, in d e n e n der Schaden d u r c h Maßnahmen verursacht ist, die die Gemeinschaft der Kulturvölker als unmoralisch u n d rechtswidrig ansieht, auch wenn sie in die Form von Recht gekleidet werden. Schadensersatzansprüche dieser Art müssen auch denjenigen zustehen, die, als sie den Schaden erlitten, deutsche Staatsangehörige waren. Denn d e m Staat, der das moralische Mindestniveau in seiner Gesetzgebung u n d Verwaltung unterschreitet, darf die willkürliche u n d im Sinne d e r Völkergemeinschaft rechtswidrige Behandlung von Menschen nach keiner Richtung u n d gegenüber niemandem zugestanden u n d nachgelassen werden, — eigenen Staatsangehörigen gegenüber ebensowenig, wie gegenüber Angehörigen a n d e r e r Staaten. Es ist hier nicht d e r Ort, die Frage zu untersuchen, welche Rechte auf G r u n d dieses Prinzips denjenigen deutschen J u d e n (und sonstigen deutschen Staatsangehörigen) zuzubilligen sein werden, die Deutschland nicht verlassen haben u n d auch nach Beendigung des Krieges dort bleiben u n d , vor d e m Kriege oder während des Krieges, dort Schäden erlitten haben. Von uns wird g e f o r d e r t werden müssen, d a ß die Friedensregelung die Schadensersatzpflicht Deutschlands feststellt g e g e n ü b e r allen denjenigen J u d e n (und sonstigen Bewohnern Deutschlands), die aus Deutschland ausgewandert sind oder auswandern, sobald ihnen eine A u s w a n d e r u n g möglich ist. Die alliierten Regierungen haben sich in ihrer Deklaration von A n f a n g J a n u ar 1943 vorbehalten, Handlungen, die die Achsenmächte in den besetzten Ländern v o r g e n o m m e n haben, f ü r rechtsungültig zu erklären, auch wenn sie in die Form des Rechts gekleidet sind; in dieser Richtung ist die Deklaration erfreulich klar u n d weitgehend: sie bezieht sich auf alle V e r ä n d e r u n g e n , die h e r b e i g e f ü h r t wurden „by open looting, by apparently legal transactions, or p u r p o r t i n g to be voluntarily effected". Der in dieser Deklaration ausgesprochene Gedanke wird in die Friedensregelung a u f g e n o m m e n werden müssen, aber — in verschärfter Form: nicht bloß in d e r Form eines Vorbehalts, sondern in d e r Form d e r definitiven Ungültigkeitserklärung der von den Achsenmächten vorgenommenen Handlungen: — u n d in erweitertem räumlichen U m f a n g e : nicht auf die besetzten Länder beschränkt, sondern auf Deutschland selbst ausgedehnt. — Sachlich wird zu f o r d e r n sein, daß die Schadensersatzpflicht gegeben ist nicht n u r , wenn schädigende H a n d l u n g e n vorliegen, die nach deutschen Gesetzen rechtswidrig waren, sondern auch, wenn die vorgenommenen H a n d lungen zwar nach deutschen Gesetzen nicht rechtswidrig waren, aber — entweder auf willkürlicher oder ungerechter A n w e n d u n g eines deutschen Gesetzes beruhten, — o d e r das deutsche Gesetz, auf d e m die H a n d l u n g beruhte, in d e r Friedensregelung f ü r aufgehoben erklärt wird, weil es zu denjenigen deutschen Gesetzen gehört, die die Gemeinschaft der Kulturvölker als unmoralisch u n d rechtswidrig erachtet. 10
1.1 Dr. Siegfried Moses: Die Wiedergutmachungsforderungen der Juden Diese F o r d e r u n g e n widersprechen freilich nicht n u r d e m negativen Prinzip, daß eine Einmischung in die innere Gesetzgebung und Verwaltung eines Staates vermieden werden soll; sie stehen vielmehr auch nicht im Einklang mit dem Grundgedanken d e r Schadensregelung des Versailler Vertrages, daß n u r Kriegsmaßn a h m e n zum Schadensersatz berechtigen. Denn das Schwergewicht unserer Ford e r u n g e n liegt darin, das sie im Prinzip alle Schäden erfassen müssen, die J u d e n seit d e r Errichtung des nationalsozialistischen Regimes zugefügt worden sind. Daß diese Abweichung von d e r Schadensregelung des Versailler Vertrages unerläßlich ist, ist bereits dargetan worden. Sie müßte auch d a n n erfolgen, wenn dem Völkerrecht eine Ausweitung d e r Schadensersatzverpflichtungen über Kriegsparteien u n d Kriegsmaßnahmen hinaus völlig f r e m d wäre. Aber das ist gar nicht der Fall. Nach d e r Beendigung des Weltkrieges war im großen u n d ganzen kein Anlaß vorhanden, über d e n Rahmen d e r d u r c h Kriegsmaßnahmen verursachten Schäden hinauszugehen. Wenn sich jedoch ausnahmsweise die Notwendigkeit ergab, einem Volke Schadensersatz zu bewilligen f ü r Schäden, die es, ohne am Krieg beteiligt zu sein, erlitten hat, hat man auch damals schon die Schadensersatzverpflichtung nicht starr auf „Kriegsmaßnahmen" beschränkt. Der Versailler Vertrag enthält — in Paragraph 4 des Anhangs hinter Artikel 208 die sogenannte Lusitania-Klausel, die Deutschland zum Schadensersatz verpflichtet f ü r H a n d l u n g e n , welche zwar nach Beginn des Weltkriegs, aber vor Eintritt d e r beteiligten Macht in d e n Krieg begangen worden sind. Zweck dieser Klausel war, d e n Vereinigten Staaten und ihren Staatsangehörigen Schadensersatz f ü r die Versenkung d e r „Lusitania" zu verschaffen, die zu einer Zeit erfolgte, als die Vereinigten Staaten noch nicht im Krieg mit Deutschland waren. Das ist gewiß eine bescheidene Analogie, wenn man sie mit d e r Ausweitung d e r zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestände vergleicht, die jetzt notwendig ist; aber diejenigen, die über die Traditionen des Völkerrechts wachen, könnten und sollten trotzdem in dieser Klausel eine beachtliche Analogie sehen. VII. Wenn der Versailler Vertrag als T r ä g e r von Schadensersatzansprüchen n u r die Siegerstaaten u n d ihre Staatsangehörigen anerkannte, so b e r u h t e das offenbar in erster Reihe auf d e r Auffassung, daß damals dem Friedensvertrag vor allem die Funktion zugedacht war, gutzumachen, was d e r Krieg den Siegerstaaten u n d ihren Staatsangehörigen zugefügt hatte: dieses Prinzip bringt f ü r die Festlegung des Kreises d e r schadensersatzberechtigten Personen den gleichen Grundgedanken zur Anwendung, d e r bei d e r Abgrenzung d e r zum Schadensersatz berechtigenden Tatbestände zur Beschränkung auf Kriegsmaßnahmen f ü h r t e . Es ist allgemein anerkannt, d a ß die Aufgabe, die nach Beendigung dieses Krieges gestellt sein wird, unendlich viel weiter geht. Gewiß m u ß die Schadensregelung zunächst den Staaten zugute kommen, die sich durch ihren Kriegseinsatz ein erstes Recht auf Wiedergutmachung erworben haben. Aber die unsagbar schweren Schäden, die d e r Nationalsozialismus verursacht hat, sind nicht auf die 11
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog? an d e m Krieg auf d e r Seite d e r Vereinigten Nationen beteiligten Staaten beschränkt; und auch d e r Kriegseinsatz beschränkt sich nicht auf diese Staaten. Den gleichen Anspruch auf Wiedergutmachung haben die Gemeinschaften u n d Individuen, die - vor d e m Kriege u n d während des Krieges — Objekt u n d O p f e r der Verbrechen des Nationalsozialismus gewesen sind. Denn es gibt einen g r u n d l e g e n d e n Unterschied zwischen diesem Kriege und d e m vorigen Weltkrieg, d e r vielleicht am besten d a d u r c h illustriert wird, daß auf d e r Seite d e r Alliierten heute zahlreiche deutsche Staatsangehörige, Staatenlose, rumänische Staatsangehörige, freie Franzosen, polnische Staatsangehörige usw. gegen die Achsenmächte k ä m p f e n . Dieser Krieg ist eben nicht in erster Reihe ein Krieg von Nationen gegen Nationen u n d nicht einmal von Staaten gegen Staaten, sondern ein Krieg d e r Demokratie gegen den Faschismus. Schon aus diesem G r u n d e kann die Zubilligung von Schadensersatzansprüchen nicht an die formale Voraussetzung bestimmter Staatsangehörigkeiten g e k n ü p f t werden. U n t e r denen, die — ü b e r die vom Versailler Vertrag gezogenen Grenzen hinaus — als schadensersatzberechtigt anerkannt werden müssen, stehen in erster Reihe das jüdische Volk u n d die jüdischen Individuen - gleichviel welcher Staatsangehörigkeit sie waren u n d sind — denen ein Schaden zugefügt wurde, zu dessen W i e d e r g u t m a c h u n g Deutschland nach d e n oben skizzierten Grundsätzen verpflichtet ist. Das gilt von d e n J u d e n aus Deutschland u n d Österreich in besonderem Maße u n d in besonderer Art: ihnen, die großenteils zwangsweise Deutschland u n d Österreich verlassen mußten, darf unmöglich entgegengehalten werden, daß sie j a nicht Staatsangehörige eines Siegerstaates seien und daß hieran ihr Anspruch scheitere, das ihnen von d e n Deutschen geraubte Gut zurückzuerhalten u n d f ü r den ihnen zugefügten Schaden Ersatz zu verlangen. So m u ß der Erweiterung d e r zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestände, die zu fordern ist, zwangsläufig auch die Erweiterung des Kreises der zum Schadensersatz berechtigten Personen entsprechen. Die hier in ihren Grundlinien skizzierte Schadensregelung erlangt n u r d a n n vollen Sinn u n d volle Bedeutung, wenn — o h n e Rücksicht auf Staatsangehörigkeit — j e d e r berechtigt ist, Schadensersatz zu f o r d e r n , der von dem nationalsozialistischen Deutschland als Feind behandelt worden ist, und nicht, etwa bloß derjenige, der Staatsangehöriger eines mit Deutschland im Kriege befindlichen Staates ist. All dies bezieht sich auf die Frage, wer als T r ä g e r individueller Schadensersatzansprüche a n z u e r k e n n e n ist. Als T r ä g e r des kollektiven Anspruchs, der dem jüdischen Volke zugebilligt werden muß, müssen die das jüdische Volk repräsentierenden Instanzen u n d in erster Reihe die Jewish Agency for Palestine anerkannt werden. W e n n auf d e m Gebiet der individuellen Ansprüche j e d e r Jude, d e r durch Nazi-Deutschland geschädigt worden ist, die Rechte zugewiesen erhalten muß, die nach d e m Versailler Vertrag n u r die Staatsangehörigen der Siegerstaaten hatten, so m u ß d e r Repräsentanz des jüdischen Volkes auf dem Gebiet d e r kollektiven Ansprüche — im Versailler Vertrag als „Reparations"-Ansprüche behandelt, — eine Rechtsstellung zugewiesen werden, die der der reparationsberechtigten Staaten des Versailler Vertrages ähnlich ist. 12
1.1 Dr. Siegfried Moses: Die Wiedergutmachungsforderungen der Juden VIII. Es bleibt noch die Frage zu p r ü f e n , welche Grundsätze an die Stelle jenes Prinzips werden treten müssen, nach dem alle Ansprüche n u r durch Vermittlung d e r Siegerstaaten geltend gemacht werden können. Dieses Prinzip hatte in d e r Hauptsache zwei Wurzeln: die eine Voraussetzung f ü r seine Aufstellung war d e r Umstand, daß man Staatsangehöriger eines Siegerstaates sein mußte, u m überhaupt Schadensersatzansprüche stellen zu können; die a n d e r e Wurzel war das völkerrechtliche Dogma, nach d e m die Idee d e r Souveränität dazu f ü h r t , daß im Gebiet des Völkerrechts j e d e m Staat das Recht u n d sogar das Monopol zusteht, die Interessen seiner Staatsangehörigen zu schützen. Für die Staatenlosen f ü h r t e dieses Prinzip übrigens zu völliger Entrechtung: sie konnten in keinem Falle Rechte aus d e m Versailler Vertrag herleiten. Der Grundsatz d e r Vertretung j e d e s Schadensersatzberechtigten d u r c h den Staat, dessen Angehöriger er ist, ist in einem gerade f ü r uns wichtigen Punkte noch d u r c h die Auslegung verschärft worden, die die hier in Frage kommenden Bestimmungen des Versailler Vertrages e r f a h r e n haben. Es kommt nämlich darnach auf die Staatsangehörigkeit an, die d e r Schadensersatzberechtigte zur Zeit des Kriegsausbruchs gehabt hat (sofern nicht - wie bei d e r Abwicklung d e r Vorkriegsschäden - die f ü r die Rechtsausübung erforderliche Staatsangehörigkeit sogar schon in einem vor Kriegsbeginn liegenden Zeitpunkt vorhanden gewesen sein muß). Diese Auffassung würde, auf die Wiedergutmachung nach d e m jetzigen Kriege angewandt, dazu f ü h r e n , d a ß es z. B. f r ü h e r e n deutschen Staatsangehörigen o d e r Personen die staatenlos waren nicht einmal helfen würde, wenn sie während des Krieges die Staatsangehörigkeit eines d e r alliierten Staaten erworben hätten. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß wir hier nicht die Ansprüche derjenigen J u d e n vertreten wollen u n d können, die nach Beendigung des Krieges in das Land, aus d e m sie ausgewandert sind, zurückzukehren wünschen; das gleiche gilt f ü r diejenigen, die in ihrem Wohnlande verblieben sind u n d nach d e m Kriege zu verbleiben beabsichtigen. Für diejenigen aber, die ausgewandert sind o d e r auswandern, wurde das Prinzip, daß sie Schadensersatzansprüche nur d u r c h die Vermittlung des Staates geltend machen können, d e m sie bei Kriegsbeginn angehört haben, geradezu ruinös sein: es würde bedeuten, daß die Realisier u n g von Schadensersatzansprüchen, mögen sie ihnen auch theoretisch zugebilligt werden, praktisch aufs höchste g e f ä h r d e t und in manchen Fällen unmöglich gemacht würde. Das braucht hier nicht des näheren dargelegt zu werden. Es ist klar, d a ß man von einem Staat nicht die kraftvolle Vertretung von Interessen solcher Personen erwarten kann, die sich d u r c h ihre A u s w a n d e r u n g m e h r o d e r weniger von dem Staat gelöst haben; diese Überlegung m u ß angestellt werden, soweit es sich um J u d e n handelt, die aus Polen und a n d e r e n zu den alliierten Nationen g e h ö r e n d e n L ä n d e r n ausgewandert sind oder auswandern. Für die Schadensersatzansprüche d e r J u d e n aber, die aus Deutschland o d e r a n d e r e n auf der Seite d e r Achsenmächte am Krieg beteiligten Ländern ausgewandert sind oder 13
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog? auswandern, würde das Prinzip der Vertretung d u r c h d e n Staat, dessen Staatsangehöriger d e r Auswandernde bei Kriegsausbruch gewesen ist, nicht einmal eine scheinbare Lösung d e r Vertretungsfrage schaffen. Welchen Ausweg gibt es aus diesen Schwierigkeiten (deren politische u n d namentlich auch psychologische Problematik nicht verkannt werden soll)? Wichtiger u n d dringlicher als die Klärung der Frage, wer—positiv—die ausgewanderten und a u s w a n d e r n d e n J u d e n vertreten soll, ist es zunächst einen Weg zu finden, der — negativ — das Recht d e r Staaten, deren Staatsangehörige j e n e J u d e n bei Kriegsausbruch waren, zu ihrer Vertretung ausschaltet. N u n haben Friedensverträge vielfach — zuletzt vor allem der Versailler Vertrag — in gewissem U m f a n g e ein Optionsrecht vorgesehen, auf Grund dessen Individuen das Recht hatten, zwischen zwei Staatsangehörigkeiten zu wählen; solche Optionsrechte w u r d e n den von einer Gebietsveränderung betroffenen Personen eingeräumt, die dadurch das Recht erhielten, sich durch Willensakt f ü r Beibehaltung ihrer alten Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Der dieser Regierung zu G r u n d e liegende Gedanke sollte dazu f ü h r e n , daß den J u d e n , die aus ihren Wohnländern seit Beginn des nationalsozialistischen Regimes ausgewandert sind o d e r auswandern, ohne eine neue Staatsangehörigkeit erworben zu haben, ein negatives Optionsrecht einzuräumen ist: das Recht, das sie d u r c h Willensakt ihre f r ü h e r e Staatsangehörigkeit aufgeben k ö n n e n . Wird dieses negative Optionsrecht geschaffen u n d gleichzeitig festgelegt, d a ß die Erlangung einer neuen Staatsangehörigkeit, auch wenn sie erst nach Beginn des Krieges erfolgt ist, das Recht auf Vertretung d u r c h den Staat des neuen Wohnlandes begründet, so ergibt sich f ü r die Vertretung d e r ausgewanderten o d e r auswandernden J u d e n u n g e f ä h r folgendes Bild: 1. J u d e n , die die Staatsangehörigkeit ihres n e u e n Wohnlandes erworben haben oder erwerben, w e r d e n durch den Staat des Wohnlandes vertreten. 2. Die Vertretung derjenigen J u d e n , die die Staatsangehörigkeit ihres Wohnlandes nicht besitzen, aber entweder bereits staatenlos gewesen sind oder d u r c h A u s ü b u n g des negativen Optionsrechts die f r ü h e r e Staatsangehörigkeit aufgegeben haben, wird einem internationalen O r g a n übertragen, das insoweit die gleichen Rechte eingeräumt erhält, wie sie die Staaten bei d e r Vertretung ihrer Staatsangehörigen besitzen. Einzelheiten zu überlegen wäre sicherlich verfrüht. Sicher wird zu f o r d e r n sein, daß die das jüdische Volk repräsentierenden Instanzen — vor allem wieder die Jewish Agency f o r Palestine — in möglichst weitem U m f a n g e bei d e r Vertretung auch d e r individuellen jüdischen Wicdcrgutmachungsansprüche mitwirken können, sowohl bei d e r Konstituierung des vorgeschlagenen internationalen Organs, als auch in d e r Form einer Beratung d e r Staaten, die Schadensersatzansprüche ihrer Staatsangehörigen vertreten. Soweit es sich u m Wiedergutmachungsansprüche des jüdischen Volkes handelt, d e r e n Kollektivträger die Jewish Agency for Palestine - u n d gegebenenfalls andere das jüdische Volk repräsentierende Instanzen — sein soll, kann die Frage, durch wessen Vermittlung diese Ansprüche geltend zu machen sind, von vorne14
1.2 Bevor der offizielle Teil der Geschichte beginnt herein überhaupt nicht entstehen. Diesen jüdischen Instanzen muß nicht nur materiell, sondern auch im Rahmen des Wiedergutmachungs-Wr/aArem das Recht zugestanden werden, ihre Ansprüche ähnlich wie die Staaten unmittelbar geltend zu machen. IX. Der Zweck dieser Ausführungen kann nicht sein, den unendlich umfangreichen und verwickelten Fragenkreis erschöpfend zu behandeln. Es ist schon angedeutet, daß f ü r die Erörterung eines großen Teils dieser Fragen die Zeit noch gar nicht gekommen ist. Aber auch Fragen, zu denen sich vielleicht schon mancherlei Gedanken äußern lassen, werden zweckmäßig zurückgestellt, solange kein zwingender Grund besteht, sie zu erörtern. Unaufschiebbar aber ist eine intensive politische Arbeit. Dies zu zeigen und zugleich darzutun, daß es möglich ist, ein Programm f ü r eine solche Arbeit aufzustellen und zu begründen — wenn auch vorerst naturgemäß nur in großen Umrissen — ist der Zweck dieser Ausführungen.
1.2 Bevor der offizielle Teil der Geschichte beginnt... Am 15. September 1949 hatte der Deutsche Bundestag, der erste der aus den Bundestagswahlen als erstes freigewähltes Parlament unserer Bundesrepublik Deutschland hervorgegangen war, Konrad Adenauer zum Bundeskanzler gewählt. Die ganze Entwicklung hatte etwas Feierliches, denn diese Bundestagswahlen waren der Anfang eines neuen demokratischen deutschen Staates. Schon zur Weimarer Zeit hatte Konrad Adenauer als Oberbürgermeister von Köln viele jüdische Freunde gehabt. Es gehört zu meinen großen Erlebnissen meiner ersten Reise nach Israel, als ich im Jahre 1954 in Jerusalem Kurt Blumenfeld kennenlernen konnte, der zur Zeit, als Konrad Adenauer Oberbürgermeister von Köln war, eine gemeinsame Arbeit im „Pro-Palästina-Komitee" machte. So war es nur allzu selbstverständlich, daß dieser Gedanke, „Die O r d n u n g unseres Verhältnisses zu den Juden", Hauptthema f ü r diesen Bundeskanzler sein würde. Diese Kerngedanken f ü r den Ausgleich mit all unseren Kriegsgegnern, fand bei allen demokratischen Parteien des ersten Deutschen Bundestages volle Zustimmung. In allen Fraktionen gab es Politiker, die das verflossene sogenannte Dritte Reich in Konzentrationslagern oder Verfolgung durchlebt hatten. Man sprach in der Frage Israel und J u d e n die gleiche Sprache. Wenige Wochen nach seiner Amtsübernahme hat der Bundeskanzler den Herausgeber der „Allgemeinen Wochenzeitung der J u d e n in Deutschland", Karl Marx, empfangen. Man schrieb den 11. November 1949. An diesem Tage gab Konrad Adenauer seine erste Erklärung zu dem jüdischen Themenkreis ab, um gleichzeitig auch seine Stellung gegenüber dem am 15. Mai 1948 gegründeten Staat Israel deutlich zu machen. Dieses erste Interview konnte man 15
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog'? nicht n u r als eine persönliche Meinung des neuen deutschen Bundeskanzlers werten. Sie war gleichzeitig die Stellungnahme der von ihm gebildeten Bundesregierung nach dem Grundsatz, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimme. Mit diesem Dokument, diesem Interview begann es: Es gehört an die Spitze des deutsch-israelisch-jüdischen Dialogs. Frage: „Gewisse Kreise vertreten immer wieder die These, daß die Betonung des christlichen Charakters der CDU eine antijüdische Tendenz umschließe. Wollen Sie, Herr Bundeskanzler, zu dieser Frage eine Erklärung abgeben?" Antwort: „In der ersten Regierungserklärung vor dem Bundestag habe ich im Namen der Regierung und der hinter ihr stehenden politischen Kräfte betont, daß unsere Arbeit getragen sein wird von dem Geist christlich-abendländischer Kultur und der Achtung vor dem Recht der Würde des Menschen. In der Zeit des Hitlerregimes ist die Achtung vor der Würde des Menschen gründlich zerstört worden. Die Entwertung des Menschen zu einem Objekt staatlicher Zwecke ist eines der erschreckendsten Symptome jener Zeit gewesen. Wir wollen als Christen die Achtung vor dem Menschen ohne Rücksicht auf seine konfessionelle, rassische oder völkische Zugehörigkeit wiederherstellen. Im Geiste dieser Toleranz sehen wir in unseren jüdischen Landsleuten vollberechtigte Mitbürger. Wir wünschen, daß sie mit gleichen Rechten und Pflichten am geistigen, politischen und sozialen Aufbau unseres Landes teilhaben. Wir können und wollen ihre Mitarbeit nicht entbehren. Darin sehen wir in diesem Zusammenhang den Sinn des Begriffs .christlich'." Frage: „Glauben Sie, Herr Bundeskanzler, daß durch die gegen Deutsche nach dem Kriege getroffenen Maßnahmen, z. B. bei der Austreibung aus den Ostgebieten, das Unrecht, das im Namen des deutschen Volkes bis 1945 geschehen ist, kompensiert werden kann? Diese Auffassung wird vielfach vertreten." Antwort: „Unrecht und Leid, das über Menschen gebracht wurde, kann niemals kompensiert werden durch Unrecht oder Leid, das über andere Menschen gebracht wird. Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht, das in seinem Namen durch ein verbrecherisches Regime an den J u d e n verübt wurde, soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist, nachdem Millionen Menschen unwiederbringlich vernichtet sind. Diese Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht. Für diese Wiedergutmachung ist seit 1945 viel zu wenig geschehen. Die Bundesregierung ist entschlossen, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen." Frage: „Für uns ist die Wiedergutmachung nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine moralische Frage. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Wiedergutmachung zu fördern?" Antwort: „Die moralische Wiedergutmachung ist ein Teil unseres rechtsstaatlichen Wiederaufbaues. Die Bundesregierung wird aufmerksam über die Einhaltung des Grundrechtsartikels wachen, der es verbietet, irgend jemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse oder seines Glaubens zu benachteiligen. Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß die Schändung jüdischer Kultstätten und die Verwü16
1.2 Bevor der offizielle Teil der Geschichte beginnt stung jüdischer Friedhöfe, die leider in d e n vergangenen J a h r e n immer noch vorgekommen sind, o h n e Nachsicht geahndet und bestraft werden. Es ist Pflicht vor allem d e r Gemeinden, die jüdischen Kultstätten nicht n u r in ihren Schutz zu nehmen, sondern soweit nötig, den Wiederaufbau zu unterstützen. Ich habe in d e r ersten Regierungserklärung bereits angekündigt, daß wir gegen radikale T e n d e n z e n nötigenfalls von den Rechten, die die Gesetze uns geben, entschlossen Gebrauch machen. Wir werden dies in aller Schärfe gegen antisemitische T e n d e n z e n in d e r Presse o d e r im öffentlichen Leben tun, wenn sich dies als nötig erweist. Wir werden j e d e n Antisemitismus nicht n u r b e k ä m p f e n , weil er uns innen* u n d außenpolitisch unerwünscht ist, sondern weil wir ihn aus G r ü n d e n d e r Menschlichkeit mit aller Entschiedenheit ablehnen. In A u s f ü h r u n g der G r u n d rechtsartikel des Grundgesetzes sind uns alle gesetzlichen Voraussetzungen gegeben, diesen unseren Willen in die T a t umzusetzen u n d die J u d e n vor j e d e r Diskriminierung zu schützen. Wir werden die J u d e n gegen j e d e Möglichkeit neuer Verfolgungen sichern. Ihre besondere Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung dem Ausgleich d e r den jüdischen Staatsangehörigen zugefügten wirtschaftlichen Schäden widmen. Die bestehende Gesetzgebung bedarf hier mancher Verbesserung u n d Ergänzung. Der Staat Israel ist die nach außen sichtbare Zusammenfassung d e r J u den aller Nationalitäten. Die Bundesregierung beabsichtigt, d e m Staat Israel Waren zum Wiederaufbau im Werte von zehn Millionen DM zur V e r f ü g u n g zu stellen, u n d zwar als erstes unmittelbares Zeichen d a f ü r , daß das d e n J u d e n in aller Welt d u r c h Deutsche zugefügte Unrecht wiedergutgemacht werden muß. Die lange Verfolgung der J u d e n in Deutschland während d e r nationalsozialistischen Zeit hat eine Reihe von Problemen entstehen lassen, über die die Bundesregierung sich laufend unterrichten lassen muß. Es wird deshalb im Bundesminsterium des I n n e r n ein Referat eingerichtet u n d einem deutschen J u d e n übertragen werden, das sich mit diesen Problemen befaßt. Die Einrichtung dieses Referates soll gleichzeitig d e n in Deutschland lebenden J u d e n die Gewißheit geben, daß seitens d e r Bundesregierung alles geschieht, u m ihre staatspolitischen Rechte in vollem U m f a n g e zu wahren." Frage: „Die jüdischen O p f e r d e r nationalsozialistischen Verfolgung, insbesondere die Angehörigen d e r in Konzentrationslagern getöteten J u d e n , verfolgen mit Besorgnis die T e n d e n z , die f ü r die Vernichtung verantwortlichen politischen Elemente zu amnestieren u n d die Verfolgung von Menschlichkeitsverbrechen einzustellen. Beabsichtigt die Bundesregierung, Schritte in dieser Richtung zu tun?" Antwort: „Ich habe vor d e m Bundestag bereits erklärt, daß die Bundesregierung d e r Auffassung ist, daß d u r c h die Denazifizierung viel Unheil u n d Unglück angerichtet worden ist, daß jedoch die wirklichen Schuldigen an den Verbrechen, die in d e r nationalsozialistischen Zeit u n d im Kriege begangen worden sind, mit aller Strenge bestraft werden sollen. Diese Auffassung wird von d e r Bundesregierung u n v e r ä n d e r t vertreten. Verbrecher, die sich d e r Vernichtung von Menschenleben schuldig gemacht haben, sind einer Amnestierung nicht würdig und werden auch in Z u k u n f t der ihnen z u k o m m e n d e n Strafverfolgung ausgesetzt sein." 17
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog? Dieses Interview war das erste Signal, aus dem sich viele neue Impulse und Kontakte ergaben. Der Bundeskanzler hatte in diesem Gespräch mit Karl Marx das entscheidende T h e m a der Wiedergutmachung angesprochen. Es gab bereits zu dieser Zeit Ansätze in den verschiedenen Bundesländern, regionale Gesetze, die in d e r amerikanischen, der britischen und französischen Besatzungszone verschieden aussahen. Hier stand die Rückerstattung geraubten Vermögens im Vordergrund. Es gab auch Entschädigungsgesetze, die mit den alliierten Behörden abgestimmt wurden. Auf die Bundesregierung aber kam dieses Problem in neuer Form zu, denn es wurde sichtbar, daß nicht nur im deutschen Bereich eine einheitliche Gesetzgebung gefunden werden mußte, sondern daß auch Israel seinerseits nicht ausgeklammert werden konnte. Das war in dem Interview mit der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung von Konrad Adenauer bereits ganz deutlich gemacht worden. Als er davon sprach, daß Israel n u n m e h r die nach außen sichtbare Zusammenfassung der J u d e n aller Nationalitäten sei. Damit signalisierte er bereits die Anerkennung des jüdischen Staates, nicht n u r im diplomatischen Sinne, sondern auch im Rahmen einer umfassenden Wiedergutmachungsgesetzgebung. Dieses erste Angebot von 10 Mio. D-Mark kann n u r unter dem Gesichtswinkel gesehen werden, daß es praktisch noch keine Bundesfinanzen gab u n d daß er es als erstes sichtbares Zeichen sah, Gespräche und Überlegungen zu diesem Thema einzuleiten. Parallel mit der Veröffentlichung dieses ersten Interview des Bundeskanzlers zu dem jüdisch-israelischen Problemkreis waren die ersten Gespräche angelaufen. Darüber hatte mir der engste außenpolitische Mitarbeiter der damaligen Zeit, Herbert Blankenborn, berichtet: „Schon in den ersten Wochen des Bestehens der Bundesregierung, das heißt etwa im Oktober und November 1949, haben zwischen dem Bundeskanzler und mir Gespräche darüber stattgefunden, in welcher Weise es möglich sein würde, das Verhältnis des deutschen Volkes zum jüdischen Volk und zum Staat Israel auf eine neue Grundlage zu stellen. In diesen Gesprächen ist von mir — und der Herr Bundeskanzler hat sich diesem Gedankenzug in vollem Umfange angeschlossen — immer wieder vertreten worden, daß der neue deutsche Staat in der Welt Vertrauen, Ansehen und Glaubwürdigkeit n u r wiedergewinnen werde, wenn die Bundesregierung und das Bundesparlament durch einen in freier Entscheidung getroffenen Willensakt sich von der Vergangenheit distanziert und durch eine eindrucksvolle materielle Wiedergutmachungsleistung dazu beiträgt, das unglaubliche Ausmaß an erlittener materieller Not zu erleichtern und denen, die alles verloren hatten, beim Aufbau einer neuen Existenz zu helfen. Wir waren uns klar darüber, daß ein solcher Willensakt die in der Vergangenheit im Namen des deutschen Volkes begangenen unsagbaren Grausamkeiten und das mit ihnen verbundene unendliche Leid nicht ungeschehen machen konnte. Ein solcher Akt echter Wiedergutmachung sollte zur Überwindung der unvorstellbaren Bitternis dienen, die das nationalsozialistische Verbrechen bei den J u d e n in aller Welt und 18
1.3 Ein Gutachten von Hendrik van Dam auch bei allen Gutgesinnten h e r v o r g e r u f e n hat. Er sollte f e r n e r auch d e n Sinn haben, dem deutschen Volk die Furchtbarkeit der Vergangenheit u n d die Notwendigkeit einer radikalen U m k e h r bewußt zu machen. Aus diesen Gesprächen entstand bald d e r Gedanke, zunächst einmal in Kontakten mit den b e r u f e n e n Vertretern zu p r ü f e n , inwieweit das J u d e n t u m u n d der Staat Israel ü b e r h a u p t an einem solchen Akt echter W i e d e r g u t m a c h u n g interessiert seien. So kam es zu einer Reihe von F ü h l u n g n a h m e n in Bonn u n d vor allem auch in London mit Dr. Nahum Goldmann, der f ü h r e n d e n Persönlichkeit des J ü dischen Weltkongresses u n d d e r Jewish Claims Conference, a u ß e r d e m mit anderen jüdischen Persönlichkeiten, u n t e r d e n e n sich d e r Engländer Barou auszeichnete." Die jüdischen Gedanken f ü r einen Neubeginn mit einem demokratischen deutschen Staat hatten schon zu einer Zeit begonnen, d a das I n f e r n o von Auschwitz noch nicht begonnen hatte. Man kann wohl formulieren, d a ß diese Gedanken bereits zur Zeit der Progromnacht vom November 1938 ihren Lauf n a h m e n .
1.3 Ein Gutachten von Hendrik van Dam Hendrik van Dam, d e r erste Generalsekretär des Zentralrats der J u d e n in Deutschland erhielt von d e r israelischen Regierung d e n Auftrag, ein Gutachten zu schreiben, das das ganze T h e m a einer Wiedergutmachung f ü r Israel behandeln sollte. Der Jurist aus Berlin ging mit großer Genauigkeit an das T h e m a . Eing e h e n d e Studien, die e r besonders aus d e n Völkerbundakten nährte, f ü h r t e n zu einem Ergebnis, das er am 1. Juli 1950 d e m israelischen Finanzministerium zusandte. Dieses Gutachten hat folgenden Wortlaut: ,J)as Problem der Reparationen und Wiedergutmachung für Israel Vorbemerkung: .Wiedergutmachung' ist nicht n u r die S u m m e d e r möglichen individuellen Ansprüche, die sich aus d e r Erleidung von Verfolgungshandlungen ergibt. Das Massen verbrechen gegen die J u d e n richtete sich gegen das jüdische Volk in sein e r Gesamtheit, vernichtete praktisch seine Existenz in Mitteleuropa u n d richtete unermeßlichen, aber auch unersetzbaren Schaden an. Wie die Not u n d die Verluste des einzelnen n u r ein Reflex des Gesamtschicksals waren, so können heute die A n s p r ü c h e der geringen Zahl überlebender J u d e n (einschließlich der Erbansprüche) d e n Kollektivanspruch des jüdischen Volkes nicht erschöpfen o d e r gar ersetzen. I. ,Die Wiedergutmachung' — bevor sie zu einem schwierigen Problem des Rechtes wird — ist ein Problem d e r Moral u n d d e r Politik. Das gilt f ü r beide Teile, das deutsche Volk u n d das jüdische Volk. 19
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische
Dialog?
a) Die Erkenntnis der moralischen Pflicht, die besonders in den ersten Jahren nach der Kapitulation e m p f u n d e n wurde, besteht auch heute noch bei einer Anzahl maßgebender Deutscher. Jedoch wird die Neigung, hieraus Konsequenzen zu ziehen — vor allem durch die Schaffung der notwendigen Gesetzgebung, schwächer und schwächer. Die Zeit arbeitet gegen die Wiedergutmachung, wie gegen die Verfolgung der Menschlichkeitsverbrecher und der Denazifizierung. Das in politische Handlung umzusetzende Gefühl der moralischen Verpflichtung erlahmt, wie auch die Besorgnis vor einer Kritik der Besatzungsmächte. Es bleiben im wesentlichen die realistischen Gedankengänge politischer und wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit. Es besteht bei den deutschen Regierungen auch heute noch ein Interesse an einer gewissen Bereinigung des Wiedergutmachungskomplexes, das politisch und ökonomisch motiviert ist. Der von politischen und wirtschaftlichen Motiven diktierte Wunsch, zu einer Bereinigung des Wiedergutmachungskomplexes zu kommen, die unliebsame Nazi-Erbschaft abzuschütteln, wird noch f ü r eine beschränkte Zeitdauer eine Rolle spielen. Die Gesetze, die nicht innerhalb dieser noch verbleibenden Zeitspanne erlassen werden, werden später niemals mehr erlassen werden. Das gleiche gilt von Verträgen, Vergleichen und bis zu einem gewissen Grade sogar f ü r die Bewirkung von Leistungen. b) Der moralischen Pflicht des deutschen Volkes entspricht der moralisch begründete Anspruch des jüdischen Volkes. Das jüdische Volk in Israel hat sich zu entscheiden, ob es seinen Anspruch ausnutzen will. Diese Entscheidung ist keineswegs selbstverständlich und nicht einmal einfach. Die konsequente Durchführung des Gedankens einer absoluten T r e n n u n g von Deutschland und die Unmöglichkeit der völligen oder selbst nur angemessenen Wiedergutmachung würde f ü r einen Verzicht sprechen. Durchführung der Wiedergutmachung bedeutet praktisch die A u f n a h m e eines Kontaktes mit Deutschland. Wir wollen hier davon absehen, die Argumente, die f ü r und gegen diesen sehr vertretbaren Verzicht sprechen, gegenüberzustellen. Wir gehen davon aus, daß das jüdische Volk in Israel sich diesen Verzicht nicht leisten kann und auch nicht leisten will. Gelangt man aber zu diesem Ergebnis, so sind die vorhandenen Möglichkeiten voll und ohne Verzug auszunutzen. Das hat die Notwendigkeit zur Folge, das Problem realistisch anzupacken, d. h. davon abzusehen, es mit moralischen und historischen Imponderabilien zu belasten, insbesondere aber auch, sich in seinen Forderungen auf das Mögliche zu beschränken. II. Die Rechtsansprüche, die ihre Grundlage in dem bereits bestehenden System des geltenden Rechts haben, also in der deutschen Gesetzgebung, in der Gesetzgebung der Besatzungsmächte und im Völkerrecht, sind individueller Natur, soweit es sich um die Entschädigung wegen des persönlich erlittenen Schadens handelt. Die Ansprüche sind kollektiver Natur, soweit es die Ansprüche der Gemeinschaft sind. 20
1.3 Ein Gutachten von Hendrik van Dam Normalerweise werden Kollektivansprüche dieser Art nach einem Kriege durch d e n Staat als Reparationen geltend gemacht. Der Reparationsanspruch ist d e r Anspruch des Staates wegen des ihm als organisierter Gemeinschaft zugefügten Schadens u n d wegen d e r seinen Staatsangehörigen verursachten Verluste, soweit er d a f ü r a u f g e k o m m e n ist o d e r in Z u k u n f t a u f k o m m e n wird. Bisher sind auf jüdischer Seite im wesentlichen individuelle Ansprüche aufg r u n d d e r in Deutschland bestehenden Gesetzgebung geltend gemacht, wenn man von dem Sonderfall d e r Rückerstattung des erbenlosen, unbeanspruchten Vermögens absehen will. (Hier ist eine Surrogatlösung in Form von T r e u h a n d g e sellschaften geschaffen, an d e n e n Israel durch die Jewish Agency eine gewisse Beteiligung erhalten hat. Ein Sonderfall des Kollektivanspruchs, d e r sich indessen ausschließlich auf das Eigentum u m g e k o m m e n e r , ehemals in Deutschland wohnhafter J u d e n bezieht.) III. Der Reparationsanspruch des jüdischen Volkes trägt einen Ausnahmecharakter gegenüber den Reparationsansprüchen a n d e r e r Völker. Im Zeitpunkt der Schädigung gab es noch keinen jüdischen Staat. Die Legitimation d e r israelischen Regierung, einen derartigen A n s p r u c h zu stellen, bedarf einer besonderen Begründung, die hier n u r angedeutet werden soll. Die Aktion von Nazi-Deutschland als De-facto-Rechtsvorgängerin d e r heutigen deutschen Staaten war nicht gegen Polen, Rumänien, Deutsche usw. jüdischer Religion gerichtet, sondern gegen das jüdische Volk in seiner Gesamtheit. Dieses Volk erlitt auch d e n Schaden einer katastrophalen Dezimierung seines Bestandes außerhalb der völkerrechtlich zulässigen Kriegsführung, einer vollständigen Beraubung, die ihresgleichen selbst in a n d e r e n Vorgängen des Zweiten Weltkrieges nicht fand. Die einzige im Sinne des Völkerrechts organisierte jüdische Gemeinschaft ist der Staat Israel. Der Staat als solcher wurde zwar erst nach d e m Kriege geschaffen, bestand aber potentiell bereits a u f g r u n d des zionistischen Anspruches vor d e r G r ü n d u n g . W ä h r e n d es die Staatsdoktrin des Deutschen Reiches in den J a h r e n 1933 bis 1945 war, die kollektive Diskriminierung des jüdischen Volkes d u r c h z u f ü h r e n , besteht die Aufgabe des Staates Israel in der Rehabilitierung des jüdischen Volkes als Nation. Die Regierung von Israel muß als die Instanz angesehen werden, die völkerrechtlich einen Reparationsanspruch mit Erfolg vertreten kann. Hierbei ist zu beachten, d a ß j e d e r Reparationsanspruch politischen Charakter hat u n d seine Anerkenn u n g im wesentlichen auf politischen Faktoren beruht, wobei allerdings die Feststellung des zugefügten Schadens kein politischer, sondern ein rechtlicher Akt ist. Hierin unterscheidet sich d e r israelische Reparationsanspruch in keiner Weise von d e n Ansprüchen a n d e r e r Staaten. W ä h r e n d n u n bei d e n a n d e r e n Staaten notwendige Voraussetzung des Anspruches d e r Sieg über den Kriegsgegner ist — ein Ereignis, das der Schädigung häufig erst nach jahrelanger Zeitspanne folgt — kommen bei d e m israelischen Anspruch die nachträgliche Staatsgründung und die A n e r k e n n u n g hinzu. Ein Präjudiz wird möglicherweise in d e n Reparationslei21
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische Dialog? stungen von Deutschland an Polen, Jugoslawien u n d die Tschechoslowakei nach d e m Ersten Weltkriege zu finden sein, also an Staaten, die erst nach Kriegsausgang g e g r ü n d e t w u r d e n . Bei d e r A n e r k e n n u n g des israelischen Reparationsanspruches, soweit er gegen Westdeutschland gerichtet ist, d ü r f t e es von Belang sein, daß die Nichtanerk e n n u n g des israelischen Anspruches eine entsprechende A n e r k e n n u n g erhöhter Ansprüche von Oststaaten, insbesondere Polen, zur unmittelbaren Folge hätte. Es erscheint als ungerechtfertigt, Reparationsansprüche wegen des Massenverbrechens gegen die J u d e n im Osten den Ländern zu gewähren, in d e n e n heute n u r noch ein verschwindender Bruchteil d e r jüdischen Bevölkerungsgruppe vorhanden ist. Es erscheint unvergleichlich a n n e h m b a r e r , daß die Regierung von Israel d e n Entschädigungsanspruch d e r polnisch-jüdischen G r u p p e geltend macht, als daß dieser Anspruch in dem Reparationsanspruch Polens aufgeht, also d e m jüdischen Volk verlorengeht. Israel hat nach dem Kriege einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Problems d e r A u f n a h m e d e r durch Deutschland verfolgten und vertriebenen J u d e n geliefert, indem es gerade diese G r u p p e ohne praktische Einschränkungen und o h n e Rücksicht auf die damit verbundenen Schwierigkeiten a u f g e n o m m e n hat. Die IRO befindet sich im Stadium der Liquidation. Es besteht heute keine Notwendigkeit m e h r , als T r ä g e r der Ansprüche d e r jüdischen Gemeinschaft ein völkerrechtlich legitimiertes Organ einzuschalten. Die Regierung von Israel ist sehr wohl imstande, diese Funktion auszuführen. Die großen jüdischen Hilfsorganisationen, vor allen Dingen in Amerika, müßten j e d e Leistung aus Reparationsmitteln an d e n Staat Israel begrüßen, da dieses zur Erleichterung ihrer Lasten beiträgt. Subjekt völkerrechtlichen Handelns kann aber n u r die Regierung des Staates Israel sein, die insoweit als Beauftragte des Weltjudentums auftreten könnte. IV. Die israelitische Regierung ist nicht n u r berufen, d e n Reparationsanspruch als Anspruch der Gemeinschaft geltend zu machen. Sie ist auch berechtigt und verpflichtet, nach den Grundsätzen d e r diplomatischen Intervention, die Ansprüche ihrer Staatsangehörigen zu präsentieren u n d durchzusetzen. Es wäre nicht ungewöhnlich, wenn d e r Staat Israel diese Ansprüche in seinen Reparationsanspruch einbeziehen würde, wie a n d e r e Staaten das getan haben. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit f ü r Pauschalregelungen, so d a ß d e r Bürger die Entschädigung von seiner eigenen Regierung erhält. Bei den Ansprüchen gegen Ostdeutschland wird es auch notwendig sein, die individuellen Ansprüche in den Reparationsanspruch zu transformieren. Im übrigen kann sich die Regier u n g aber auch d a r a u f beschränken, die Ansprüche ihrer Bürger zu unterstützen und f ü r einen T r a n s f e r Vereinbarungen zu treffen. Das gilt dann, wenn eine ausreichende deutsche Gesetzgebung die Grundlage f ü r diese individuellen Ansprüche bietet o d e r in naher Zukunft bieten wird. Für Westdeutschland ergibt eine Ü b e r p r ü f u n g d e r Entwicklung f ü r die Frage d e r Notwendigkeit einer Intervention folgendes: 22
1.3 Ein Gutachten von Hendrik van Dam 1. Rückerstattung identifizierbaren Vermögens. Für eine Intervention besteht im allgemeinen kein Anlaß, da eine entsprechende Gesetzgebung in allen Zonen u n d den westlichen Sektoren Berlins vorhanden ist. In d e r Frage des T r a n s f e r bei Verkauf nach Rückerstattung o d e r d e r vergleichsweise eingezahlten Abfindungsgelder gilt das gleiche wie f ü r a n d e r e Wiedergutmachungszahlungen. Es kann sich hier u m recht erhebliche Beträge handeln. An d e n unbeanspruchten, erbenlosen, identifizierbaren Vermögen hat Israel ein Interesse d u r c h die Beteiligung d e r J.A.F.P. an den Treuhandgesellschaften. Aus einer Anzahl von G r ü n d e n , die sich aus d e m unter I. Gesagten ergeben, w ü r d e sich empfehlen, sobald wie möglich zu einer globalen Abwicklung zu gelangen. Es scheint wenig empfehlenswert zu sein, daß in einer Periode des Abbaus der Besatzungsinstitutionen große jüdische Institutionen mit halbamtlichem Charakter zum Zwecke d e r Rückerstattung in Deutschland fungieren. Abgesehen von den Kosten, die d e r administrative Apparat notwendigerweise nach sich ziehen muß. 2. Die Entschädigungsansprüche (Haftentschädigung, Gesundheitsschädigung, Vermögensverlust usw.) d e r in Israel w o h n h a f t e n Berechtigten sind n u r sehr unzureichend geregelt. Die Länder Westdeutschlands haben n u r ein gewisses Interesse an den in ihren Bereich wohnhaften J u d e n . Durch Zahlung an diesen verhältnismäßig kleinen Kreis h o f f e n sie wenigstens formell ihrer Wiedergutmachungspflicht nachzukommen u n d eine gewisse Beruhigung zu schaffen. Weitgehender d e m Wortlaut nach sind die Gesetze der US-Zone, aber die Entschädigungsgesetzgebung, insbesondere die Haftentschädigungsgesetze in d e r britischen Zone, stellen als Bedingung des Anspruchs Wohnsitz an einem bestimmten Stichtage. Sonderhilfsrenten (Pensions for Persecutes) werden n u r an die Einwohner des Landes gezahlt. In Niedersachsen bestehen Zweifel, ob Haftentschädigung an ausgewanderte Personen zu zahlen ist, selbst wenn sie am Stichtag in Niedersachsen anwesend waren. Hiervon wird d e r große Personenkreis, d e r d u r c h das Lager Bergen-Belsen gegangen ist, betroffen. Man kann d a h e r als praktische Regel aufstellen (Rule for practical purposes), daß die im Ausland w o h n h a f t e n J u d e n aus eigener Kraft Entschädigungsansprüche kaum durchsetzen können. Hieraus ergeben sich sehr unerfreuliche Konsequenzen. Es widerspricht dem moralischen Prinzip d e r Wiedergutmachung, daß n u r ein kleiner Kreis privilegiert wird. Die Vorschriften d e r Gesetze verleiten zu falschen Angaben, kompromittieren das jüdische Ansehen, f ü h r e n zu Mißständen bei der Geltendmachung d e r Ansprüche d u r c h Vertreter, kurz, zu einem unerwünschten Zustand. Diese Entwicklung g r ü n d e t sich vor allem auf den Rechtsstandpunkt d e r deutschen Länder, nicht d e r Rechtsnachfolger des Dritten Reiches zu sein. Es ist klar, daß es nicht n u r juristisch unhaltbar, sondern auch praktisch unmöglich wäre, wenn ein einzelnes Land die volle Entschädigungspflicht des Deutschen Reiches zu tragen hätte. Bei den Haftentschädigungsansprüchen d e r DP's k o m m e n noch die Beweisschwierigkeiten hinzu. Es wird d a h e r notwendig 23
1 Wann beginnt der neue deutsch-jüdische
Dialog?
sein, zu Vereinbarungen auf Bundesebene zu kommen. Die Sicherung der Entschädigungsansprüche der aus Westdeutschland ausgewanderten DP's ist ein Feld von großer Bedeutung. Auch zur Vermeidung von Mißbräuchen empfiehlt sich eine Zwischenschaltung der Regierung. 3. Auf d e m Gebiete des Transfer ist ebenfalls eine Intervention wünschenswert. Soweit Israel hiervon betroffen wird, erscheint eine Lösung ohne TransferAbkommen kaum durchführbar zu sein. V. Eine Anzahl von Gründen läßt heute eine unmittelbare Regierungsaktion f ü r angezeigt erscheinen und spricht gegen die Zwischenschaltung anderer Institutionen. 1. Die Zurückhaltung der Regierungsinstanzen war notwendig in Zusammenhang mit der Befürchtung britischer Behörden, daß Wiedergutmachungsgelder gegen britisches Interesse nach Israel versandt und verwendet würden. Diese Stellungnahme gehört der Vergangenheit an, damit auch ein wesentlicher Grund f ü r die Einschaltung anderer jüdischer Organe. 2. Das Auftreten einer Mehrheit von Organisationen und Personen r u f t Verwirrung hervor. Eine Regierungsinstanz hat heute am meisten Aussicht auf Erfolg bei Verhandlungen. 3. Die allgemeine politische Lage (Werben um die Deutschen) schwächt die Verhandlungsposition der Verfolgtenorganisationen, auch der jüdischen Gruppen. Der Abbau des Respekts vor der Uniform, die Tendenz, möglichst viele Funktionen an die Deutschen zu übertragen, die Feinfühligkeit gegen alle Einmischung, die nicht durch das Besatzungsstatut aufgenötigt wird, verringert die Verhandlungsfähigkeit ausländischer Organisationen. Dagegen besteht durchaus eine Neigung, mit Vertretungen ausländischer Regierungen zu verhandeln und zu Ergebnissen zu kommen. 4. Die Organisationen der J u d e n innerhalb Deutschlands werden als legitimiert angesehen, f ü r die in Deutschland wohnhaften Juden aufzutreten. Ihr Eintreten f ü r die außerhalb Deutschlands wohnhaften Juden ist zwar nicht unmöglich, entbehrt aber der Autorität. 5. Es erscheint als unzweckmäßig, wenn ausländische Büros oder Organisationen, die sich mit der technischen Abwicklung von Ansprüchen befassen, auch f e d e r f ü h r e n d bei Verhandlungen von grundsätzlicher Bedeutung sind. Soweit Israel in Frage steht, sollten derartige Verhandlungen einer israelischen Regierungsinstanz vorbehalten sein. 6. Das unter I a) erwähnte Interesse der deutschen Regierungen an einer Regelung setzt eine gewisse wirtschaftliche Wechselbeziehung voraus. Daher kann nur eine israelische Instanz, und zwar eine Regierungsinstanz, Verhandlungskontrahent werden. 7. Es kann nicht verkannt werden, daß eine einigermaßen bedeutsame Wiedergutmachung f ü r Israel nicht ohne Transfer-Abkommen und Aufnahme von 24
1.3 Ein Gutachten von Hendrik van Dam Exporten aus Deutschland denkbar ist. Die Schwäche der Rechtsposition (die durch die moralische Stärke der Ansprüche bei der politischen Situation nicht aufgehoben wird) nötigt zu Aktivität und läßt Warten als gefährlich erscheinen. Auch eine realistische Zurückhaltung in der Bestimmung der Höhe der Ansprüche ist erforderlich. 8. Bei aller Würdigung der Konsequenzen der Politik der Westmächte gegen über Deutschland (siehe 3) besteht dennoch ein I nteresse der Vereinigten Staaten an d e r Durchführung der Wiedergutmachung, wie das auch vom Hohen Kommissar John McCloy wiederholt erwähnt wurde. Ferner ist ein gewisses Alibi der amerikanischen Politik f ü r das Aufgeben der Denazifizierung und die Kollaborierung erwünscht. Ein derartiges Gegengewicht könnte die Wiedergutmachung, insbesondere aber die Reparationsleistung f ü r Israel sein. VI. Vorschlag: Es wird vorgeschlagen, daß die Regierung eine .Reparation- and Indemnification-Mission' entsendet, die Vollmacht hat, mit deutschen Regierungsstellen zu verhandeln und Abkommen über die Entschädigung der in Israel wohnhaften Juden, Transfer, Export von Gütern in Zusammenhang damit zu treffen und auch den allgemeinen Reparationsanspruch vorbereitet. Die Akkreditierung dieser Mission kann sich nicht richten nach unseren Wünschen, sondern nach den Gegebenheiten, die die Mission vorfindet. Wenn man in der Sache mit deutschen Regierungsstellen verhandelt, sollte man auch formell die entsprechende Akkreditierung vornehmen, wenn die Entwicklung dieses erforderlich macht. Als Ausweg wäre immerhin noch die Unterstellung der Mission unter die diplomatische Vertretung des Staates Israel in einem Nachbarlande, wie die Schweiz, denkbar. Die Unterstellung unter die Schweizer Mission ließe sich dann notfalls mit der D u r c h f ü h r u n g internationaler Aufgaben begründen. VII. Ostdeutschland. In der Ostzone dürfte ausschließlich der Reparationsanspruch des jüdischen Volkes Aussicht auf Berücksichtigung haben. Individuelle Ansprüche von Berechtigten, die in Israel wohnhaft sind, sind in diesen Reparationsanspruch zu transformieren. Auch hier besteht ein wirtschaftlicher Hintergrund. Die Erfolgsaussichten erscheinen nicht ungünstig, wenn die Ansprüche durch eine geeignete Mission der Regierung vorgetragen werden. Von dem Auftreten von Organisationen mit internationalem Charakter kann man sich keinen Erfolg versprechen. Die Regierung hat hier sicherlich eine Funktion zu erfüllen. Für die Ansprüche des jüdischen Volkes ist es erheblich, daß nicht ein Teil von Deutschland der ausschließliche Rechtsnachfolger des früheren Reiches sein kann. Daher sollte sich die Präsentierung der Ansprüche nicht auf ein Teilgebiet des f r ü h e r e n Reiches beschränken." 25
2 Die ersten Fühler werden ausgestreckt
2.1 Ereignisreiches Jahr 1950 Das Gutachten von Hendrik van Dam blieb keine einsame Arbeit. Er knüpfte Fäden zu israelischen Stellen, vor allem zu dem ersten Konsul Israels in München, Konsul Livnih. Verschiedene Persönlichkeiten aus dem jüdischen Bereich versuchten zur gleichen Zeit erste Gespräche mit dem Ziel Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Israel und den jüdischen Kreisen zu knüpfen. Hier seien n u r wenige Namen genannt: Kurt G. Großmann wirkte in New York und schrieb verschiedene Bücher die das Ziel hatten, die neue deutsche Entwicklung aufzuzeigen, die Frage der Hilfe Deutscher f ü r jüdische Mitbürger zu zeichnen. Natürlich muß hier ebenfalls Karl Marx genannt werden, der immer wieder mit der „Allgemeinen Wochenzeitung der J u d e n in Deutschland" wirkte. Eine besondere Rolle die hier genannt werden muß, spielte Dr. Robert M. W. Kempner. Er war stellvertretender amerikanischer Generalankläger bei den Nürnberger Prozessen gewesen. Dort hatte ich ihn, den ehemaligen Berliner Rechtsanwalt, kennengelernt der als erster preußischer Beamter bei der Übernahme des Amtes des preußischen Ministerpräsidenten durch Herman Göring aus dem preußischen Innenministerium gesetzt worden war. Kempner hatte zur Weimarer Zeit den Vorschlag unterbreitet, Hitler als lästigen Ausländer aus dem Deutschen Reich auszubürgern. Für Gespräche mit jüdischen Organisationen war er ein unverdächtiger Mittler. Nachdem er seine Arbeiten bei den verschiedenen Nürnberger Prozessen beendet hatte, traf er sich mit alten Freunden aus der Weimarer Zeit, die in der neuen Bundesrepublik als Staatssekretäre oder Ministerialdirektoren tätig waren oder aber als Abgeordnete im Deutschen Bundestag wirkten. Die Schaffung einer individuellen Entschädigung f ü r die Opfer des Nationalsozialismus war das Ziel dieser Gespräche. Er gewann in diesen Erörterungen des Jahres 1950 die Überzeugung, daß die Bundesregierung die Regelung des gesamten Wiedergutmachungsproblems als willkommenen Beginn für eine Aussöhnung mit dem gesamten jüdischen Volk betrachtete. In Washington traf sich Robert M.W. Kempner mit dem damaligen israelischen Botschaftsrat Krämer — der seinen Namen später als Keren hebraisierte —. Dr. Kempner und Krämer kannten sich bereits aus Berlin, wo Krämer einer der führenden Journalisten der im Ullstein-Verlag erscheinenden Vossischen Zeitung war. Ende 1950 war Dr. Kempner von der israelischen Regierung zu politischen Vorträgen eingeladen worden und führte bei dieser Gelegenheit erste Besprechungen über die Probleme der individuellen Entschädigung. Diese Reise nach Jerusalem wurde zu einer „Good will-mission", bei der er vor allen Dingen den 26
2.2 Deutsche Abgeordnete bei einem Kongreß der Interparlamentarischen Union israelischen Regierungsstellen klarmachte, daß n u r direkte Fühlungnahmen Israels mit der Bundesregierung weiterführen würden und in Bonn eine günstige Aufnahme finden dürften. Dieses politische Klima blieb nicht in den amtlichen Kreisen verborgen. Viele Blätter in der Bundesrepublik Deutschland folgten dem Schritt der Allgemeinen Wochenzeitung der J u d e n in Deutschland und um die Jahreswende 1950/51 griff die „New York Times" den gesamten Themenbereich auf. Kempner, so stand es zu lesen, habe seinen Gesprächspartner in Israel, Amerika und in den USA mit Leidenschaft erklärt, daß, wenn die Regierung Israels f ü r die Opfer des Nationalsozialismus eine Entschädigung durchsetzen wolle, sie das nicht über die alliierten Siegermächte oder durch Telepathie tun können. Ein Gläubiger müsse mit seinem Schuldner persönliche Verhandlungen führen. Das bedeutet, daß sich Israel an die durchaus gutwillige Bundesregierung wenden müsse. Diese Gespräche von Dr. Robert M. W. Kempner stärkten sowohl in Israel als auch in den jüdischen Verbänden all jenen den Rücken, die bereit waren, mit der Bundesrepublik Deutschland zu verhandeln. Das war von außerordentlicher Bedeutung, denn es gab stärkste Gegenkräfte, die jeglichen Kontakt mit deutschen Stellen ablehnten.
2.2
Zum ersten Mal: Deutsche Abgeordnete bei einem Kongreß der Interparlamentarischen Union
Man schrieb das J a h r 1950: Zum ersten Mal waren deutsche Parlamentarier aller drei Bundestagsfraktionen zu einem Kongreß der Interparlamentarischen Union nach Istanbul gereist. Zum ersten Mal gab es dort Gespräche im internationalen Bereich auf der hohen politischen Ebene. Darüber berichtete mir Prof. Carlo Schmid, der zu der deutschen Delegation gehörte. Er war während des Parlamentarischen Rates, der verfassungsgebenden Versammlung, Vorsitzender des Hauptausschusses gewesen, er war nun Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Bei diesem Kongreß in Istanbul kam es zum ersten Mal zu einer Begegnung deutscher Parlamentarier mit der dortigen israelischen Delegation. Über diese Begegnung berichtete mir Prof. Carlo Schmid: „Es war 1950 in Istanbul, wo wir Deutschen zum ersten Mal auf einem Kongreß der Interparlamentarischen Union nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zugelassen waren. Führer der deutschen Delegation war Bundestagspräsident Dr. Ehlers. Ich war sein Vertreter. Bei der Festlegung der Tagesordnung meldete sich der Sprecher Israels zu Wort; das war der spätere Staatspräsident Ben Zvi. In einer schrecklichen und fürchterlichen Anklagerede protestierte er dagegen, daß Deutsche überhaupt hier anwesend seien. Es sei eine Beleidigung f ü r jeden ehrlichen und anständigen Menschen, hier mit Deutschen zusammen verhan27
2 Die ersten Fühler werden ausgestreckt dein zu müssen, als wären die Deutschen von alledem frei, was unter ihrem Namen der Menschheit und insbesondere dem jüdischen Volke angetan worden sei. Es war wirklich eine furchtbare Rede. Ich habe selten jemanden mit einer solchen Leidenschaft reden hören, wie diesen Mann in diesem Augenblick. Ich meldete mich sofort zu Wort und sprach nach zwei Seiten hin. Zunächst einmal sagte ich, daß ich es mir verbäte, daß man so zu Leuten spreche, die hier ebenso wie alle anderen Gäste seien. Und dann bäte ich auch die Tatsache nicht zu vergessen, daß die Botschafter verschiedener hier vertretener Staaten noch an den Reichsparteitagen in Nürnberg teilnahmen, als eine Reihe der Deutschen, die hier anwesend seien, schon die Gefängnisse des Dritten Reiches kennengelernt hätten. Es d ü r f e in Deutschland niemals vergessen werden, was dem jüdischen Volk und anderen Völkern angetan worden sei. Wir Deutsche hätten, ganz abgesehen davon, was der einzelne dabei an Gutem oder Bösem sich zuzurechnen habe, insgesamt einzustehen f ü r das, was im deutschen Namen geschehen sei. Nichts könne jemals aufgerechnet werden gegen das, was auf unserem deutschen Schuldkonto stehe. Auch dann, wenn wir f ü r all das Entschädigung leisten würden, soweit es überhaupt denkbar und möglich sei, gäbe uns das noch keinen Anspruch, vom jüdischen Volke zu verlangen, daß es vergäße, ja nicht einmal, daß es uns Deutschen gegenüber in voller Harmlosigkeit gegenübertrete. So habe ich damals gesprochen. Auch andere Delegierte haben das Wort ergriffen, vor allem ein Schweizer, ein Genfer, Herr De Senarclens, der in Breslau studiert und promoviert hatte. Auf dessen Intervention hin wurde dann zur Tagesordnung übergegangen; die deutschen Delegierten nahmen also an der Beratung teil. Die Araber kamen zu mir und sagten, wir sollten doch den J u d e n einmal sagen, was eine ,Harke' sei und sollten die J u d e n als die Feinde der Menschheit von diesem Podium hier denunzieren. Ich sagte ihnen, daß wir nicht auf ihrer Seite ständen und unsere eigene Sache auszutragen hätten, die nicht die gleiche wie die ihre sei. Die Araber reagierten darauf sehr unfreundlich. Ich habe mich dann mit Herrn De Senarclens zusammengesetzt, mit ihm gesprochen, und habe dann die Herren von Brentano und Tillmanns von der CDU hinzugezogen. De Senarclens sagte mir, er traue sich zu, mit den Israelis in ein Gespräch zu kommen, dessen Ziel es sein könnte, eine Zusammenkunft zwischen drei Deutschen und drei Israelis zustande zu bringen, mit denen man sich unterhalten könnte. Ich meinte, wenn er das fertigbrächte, leiste er sicher der guten Sache einen guten Dienst. Nach zwei Tagen — oder schon am nächsten Tag—teilte er mir mit, er könne d a f ü r einstehen, daß die Isrealis drei Leute delegieren würden, aber sie müßten zunächst in Jerusalem bei ihrer Partei in der Knesset die Genehmigung dazu einholen. Es kam die Antwort: dem Gespräch stehe nichts im Wege. Wir trafen uns dann; auf deutscher Seite die Herren v. Brentano, Tillmanns und ich, auf der israelischen Seite Herr Ben Zvi, Herr Cohen und der Führer der Liberalen Partei. Das Gespräch begann zögernd. Man sprach französisch, obwohl jeder wußte, daß unsere Partner viel besser deutsch konnten als französisch. Die Israelis wollten die Sprache des Volkes Hitlers zunächst nicht sprechen. Ich habe das Wort geführt: Wir betrachteten es als eine Sache in unserem deutschen Interesse, um mit 28
2.2 Deutsche Abgeordnete bei einem Kongreß der Interparlamentarischen Union uns selber besser fertig werden zu können, wenn Israel — und ich drückte mich absichtlich so aus — uns das Gute antäte, Entschädigungsleistungen anzunehmen. Wir wüßten, daß dadurch keine Schuld verkleinert werden könne. Aber eine finanzielle Anstrengung, um wenigstens im materiellen Bereich etwas gutzumachen, könnte mithelfen, das Gewissen der Deutschen zu entlasten. Um dieses Problem ging das Gespräch. Auf der jüdischen Seite gab es Stimmen, die sich strikte dagegen wehrten, daß überhaupt mit uns gesprochen wurde. Der Wortführer dieser ablehnenden Gruppe war der Oberrabbiner Nurok, der nicht bereit war, ein Wort mit uns zu wechseln. Er sagte, Blutschuld könne man nicht mit Geld ausgleichen. Man könne nicht mit irgendeiner materiellen Entschädigung etwas von dieser Schuld abtragen, und es wäre f ü r die Juden nicht gut, wenn sie Blutgeld annähmen. Nachdem das Gespräch mit den drei genannten Israelis stundenlang gedauert hatte, sprach der Führer der Liberalen plötzlich deutsch und sagte zu Herrn von Brentano: ,1m übrigen habe ich bei einem Verwandten von Ihnen promoviert, bei Prof. v. Brentano in München. Ich glaube das war 1910 oder 1908.' Dann sprachen wir alle sechs plötzlich deutsch miteinander. Die Vereinbarung ging dahin, daß unsere Gesprächspartner bei der Knesset anfragen würden, ob ein Angebot der deutschen Regierung, in Verhandlungen über Entschädigungsleistungen an Israel einzutreten, angenommen würde. Es herrschte Übereinstimmung, die Entscheidung der Knesset anzunehmen. Weiter wurde dann noch verhandelt, wer gegebenenfalls der Mittelsmann zwischen der Bundesregierung und der Knesset sein könnte — direkt konnte man ja nicht verhandeln —, und man einigte sich auf den Konsul Israels in München bei der amerikanischen Militärregierung, Chaitn Hoffmann. Von deutscher Seite wurde der jetzt verstorbene Jakob Altmaier, der jüdische Bundestagsabgeordnete der SPD, dazu bestimmt. Ich weiß von Jakob Altmaier, daß er dann in ständiger Beziehung zu Chaim Hoffmann stand. So fing die Sache an, und dann kam es zu einem Angebot und zu der Einsetzung einer Kommission, die in Amsterdam verhandelte. Dazu kam ein weiteres entscheidendes Moment im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages. Eine Reihe von deutschen Abgeordneten befürworteten diese Entschädigungsleistungen an Israel nicht. Sie waren der Meinung, man solle die einzelnen Juden einzeln entschädigen. Dem Staate Israel gegenüber bestünde keine rechtliche Veranlassung. Moralische Verpflichtungen hätte man nur dem einzelnen gegenüber. Die Abgeordneten befürchteten auch eine negative Reaktion der Araber. Die Araber selber — Ägypter vor allen Dingen — kamen täglich zu mir und auch zu anderen Abgeordneten und versuchten unter Drohungen, von einer solchen Vereinbarung abzuraten. Ich weiß noch genau, wie der ägyptische Vertreter sagte, das könne zu einer schrecklichen Situation führen, es wären sogar Kriege möglich. Dann kam noch ein weiterer Punkt hinzu. Herrmann Josef Abs von der Deutschen Bank war aus finanziellen Gründen gegen die geplante Regelung, und ich glaube, er hat ziemlich viel Einfluß von außen her in dieser Rich29
2 Die ersten Fühler werden ausgestreckt tung auszuüben versucht. Ich habe als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses diesen Ausschuß einberufen und konnte mit einer Rede eine Entschließung des Ausschusses erreichen, daß moralische Verpflichtungen den Vorrang hätten vor allen rechtlichen Verpflichtungen und rechtlichen Erwägungen, die dagegen erhoben werden könnten. Damit war, glaube ich, der letzte Bann gebrochen, und die Verhandlungen konnten zu dem bekannten Erfolg geführt werden."
2.3
Weitere Kontakte im menschlichen Bereich — Friede mit Israel
Man muß hier in j e n e Tage zurückgreifen, die das Frühjahr 1945 zeigten. Als sich die T o r e der Konzentrations- und Vernichtungslager geöffnet hatten, verschwanden alle Illusionen, daß das, was den J u d e n angetan worden war, doch nicht ganz so schlimm gewesen ist. Man muß diese Atmosphäre zurückrufen, um aufzuzeigen, was es f ü r Männer wie Karl Marx, KurtR. Großmann, Hendrik van Dam und Robert M.W. Kempner bedeutet hat, diesen Schmerz, diese Wut in aller Welt auf das deutsche Volk zu beseitigen. Dennoch zeigte es sich, daß während der Hungersnot der ersten deutschen Nachkriegszeit etwas begann, was praktisch f ü r unmöglich gehalten werden mußte. Niemand konnte verstehen, daß kurz nach dem Erkalten der Krematorien esjüdische Menschen in aller Welt gewesen sind, die die „Kollektivschuld des deutschen Volkes" durch ihre Taten verneinten. Der britische Verleger Victor Gollancz rief zu Hilfsaktionen f ü r das deutsche Volk auf. Der ehemalige Korrespondent der United Press Louis Lochner entließ seine Hausangestellte in New York, um mit d e m ersparten Geld Care-Pakete nach Deutschland zu schicken. Das sind n u r zwei Namen, aus der zahllosen Kette derer, die es ihnen gleichtaten. Diese jüdischen Menschen haben durch ihr persönliches Engagement die ersten Schritte Deutschlands nach Israel und zum jüdischen Volk geebnet. In Deutschland selbst hatten nur wenige jüdische Menschen das Inferno überleben können. In Berlin hatten Familien aus allen Schichten der deutschen Bevölkerung r u n d 5.000 J u d e n versteckt. Jahrelang konnten sie illegal leben, aber oftmals wurden ihre Verstecke durch den Bombenkrieg vernichtet oder die Gestapo deckte die Hilfstätigkeit deutscher Menschen auf. Selbst in der Wehrmacht war es möglich, Hilfe zu leisten, und J u d e n und Halbjuden im Bereich der Armee zu schützen. Von den 5.000 die in Berlin untergetaucht waren, lebten bei Kriegsende noch knapp 1.200. Im ganzen Reichsgebiet gab es viele Hilfsaktionen, bei denen die Pfarrhäuser beider Konfessionen im Vordergrund standen. Ein Hilfswerk innerhalb der katholischen Kirche wirkte bis in die Konzentrationslager hinein, wobei in Berlin Margarete Sommer und in Freiburg Gertrud Luckner ungeahnte Hilfe leisteten, was f ü r Frau Luckner die Inhaftierung in einem Konzentrationslager brachte. Trotz all dessen was geschehen war, war für viele das Heimweh nach Deutschland geblieben. Sie kehrten zurück, um den Aufbau einer kleinen jüdischen Gemeinschaft zu beginnen. 30
2.3 Weitere Kontakte im menschlichen Bereich — Friede mit Israel 2.3.1
Erich Lüth und Rudolf
Küstermeier
Sie begannen mit einer großen Aktion: „Friede mit Israel und Ölbaumspende". Und sie scharten um sich Namen wie Norbert Wollheim und Hans Wallenberg, der zu dieser Zeit in der amerikanischen „Neuen Zeitung" tätig war und später in sein altes Stammhaus, dem Ullstein-Verlag in Berlin, zurückkehrte. Auch Arno Scholz, der Herausgeber der Sozialdemokratischen Zeitung „Telegraph" war dabei, wie der Vorsitzende der Notgemeinschaft, der durch die Nürnberger Prozesse betroffene Konrad Hoffmann in seinem Buch über jene Zeit das den Titel trägt: „Viel Steine lagen am Weg", das 1966 erschien hat Erich Lüth über diese Aktion unter anderem geschrieben: Lassen wir ihn selbst berichten. „Wir verabredeten die Veröffentlichung meiner Friedensbitte für Freitag, den 31. August 1951. Am Abend des gleichen Tages traten wir im Hamburger Funkhaus vor das Mikrophon: Norbert Wollheim, Rudolf Küstermeier, der Student HansGottfried Schadow und ich. Küstermeier.gab mir das Wort, um auch über den Äther zur „Aktion Friede mit Israel" aufzurufen. Er selber hatte bereits ein eigenes Manuskript zum gleichen Thema auf seinem Schreibtisch. Es ging in der gleichen Nacht in Druck und erschien in der Sonnabendausgabe der „Welt" vom 1. September 1951. Doch nun begannen die Ereignisse einander zu überstürzen, Fritz Sänger, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur, verbreitete meinen Friedensappell an alle Abonnenten seines Hauses. Er riet mir aber auch, für die zu erwartenden Zustimmungserklärungen eine Anschrift bekanntzugeben. Da es keine amtliche Initiative war, vermied ich es, die Staatliche Pressestelle Hamburg zu nennen. Dagegen nannte ich meine Privatadresse. Mit der nächsten Postzustellung kam bei mir zu Hause auch schon die Anfrage des Briefträgers: „Kennen Sie hier in Hamburg 24, Blumenau 27, eine,Aktion Friede mit Israel'." Nun trafen Briefe und Telegramme in Bündeln ein. Wollheim, ein Überlebender des KZ Bergen-Belsen, mit dem mich bereits eine enge Freundschaft verband, empfahl mir, Abzüge meines Friedensappells an David Ben Gurion und an Nahum Goldmann, den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, zu schicken. Karl Gerold, Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau", warf mir vor, daß ich meinen Aufruf nicht gleichzeitig in seiner Zeitung veröffentlicht habe. Er bekam eine neue Fassung mit ersten Hinweisen auf die über alles Erwarten starke Resonanz. Daß Karl Marx, der Herausgeber der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland", in fast jeder Ausgabe seiner Zeitung über unsere Aktion berichtete, war selbstverständlich, aber doch von großer Wichtigkeit, denn nun gewannen wir über Karl Marx direkte Kontakte zu zahlreichen Gruppen der jüdischen Emigration. Immer wieder mußte ich vor die Mikrophone auswärtiger und ausländischer Sender. Unter den ersten Sympathieerklärungen waren die von Max Brauer, Edgar Engelhard, Karl Arnold (Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen), Ernst Lemmer, Gottfried von Einem, Heinrich Albertz (damals Sozialminister in Nie31
2. Die ersten Fühler werden ausgestreckt dersachsen), Hermann Hesse, Boris Blacher, Paul Lobe, GrafYorck von Wartenburg, Else Eckersberg, Kurt R. Großmann, Ernst Reuter, Willy Brandt. Doch es schrieben gottlob nicht n u r die Prominenten, es schrieben Tausende von Unbekannten: Schüler, Studenten, Hausfrauen. Täglich gaben wir Auszüge aus diesem bewegenden Briefwechsel bekannt. Unsere Initiative war zu einer moralischen Bewegung geworden. Was war in unserer „Friedensbitte" zu lesen? Zunächst: Wir Deutschen dürfen dem jüdischen Problem nicht ausweichen! Das Wort von der Kollektivscham mag zum psychologischen Verständnis der deutschen Situation dienen. „Es ist aber noch nicht das Wort, das gesprochen werden muß, um der Versöhnung und der notwendigen Wiedergutmachung den Weg zu bereiten." Ich rief zu Beschlüssen und konkreten Taten auf. „Wir müssen sagen: Wir bitten Israel um Frieden!" So endete der Ruf: „Von allen Kanzeln, Kathedern und Regierungsbänken Deutschlands sollte diese Bitte als Anruf an Israel und an die kleinste verlorenste Restgemeinde in Deutschland herausgehen. Im Namen der Menschlichkeit, des Rechtes, zu dem wir zurückkehren wollen, und im Namen einer glücklicheren Zukunft." Daß Rudolf Küstermeier an meiner Seite stand, war f ü r mich von größter Bedeutung. Denn er war wirklich ein Berufener, ein legitimierter Zeuge des anderen Deutschland. Er hatte während der Hitlerzeit fast zwölfJ a h r e in den Kerkern und Lagern des NS-Regimes verbracht und Beispielloses ertragen müssen. Seine Befreiung durch Derrick Sington in Bergen-Belsen ist fast ein Wunder. Schon am 14. September antwortete Dr. Nahum Goldmann auf meinen Brief vom 5. September. Der Wortlaut des aus Genf kommenden Briefes ist ein historisches Dokument, denn er kennzeichnet in wenigen Sätzen die gegebene Situation: „Ich glaube", so schrieb Goldmann, „daß die Aktion, die Sie unternommen haben, von erheblicher Bedeutung sein kann. Sie verstehen gewiß, daß der Mangel an irgendeiner offiziellen oder spontanen Stellungnahme, sei es seitens der offiziellen Stellen, sei es seitens der öffentlichen Meinung in Deutschland, zu den Verbrechen, die das Nazi-Regime an dem jüdischen Volk begangen hat, von der jüdischen Öffentlichkeit...nicht verstanden werden kann. Eine Aktion, wie Sie sie unternehmen, würde, wenn sie das richtige Echo im deutschen Volke finden sollte und besonders wenn sie in offiziellen Erklärungen der kompetenten Instanzen zum Ausdruck kommen würde, sicherlich einen Widerhall sowohl in der Weltöffentlichkeit wie in der jüdischen Öffentlichkeit finden. Aus diesem Grunde wünsche ich Ihrer Aktion Erfolg." Das war f ü r Rudolf Küstermeier und mich eine große Ermutigung. Schon als d e r Brief Goldmanns mich erreichte, war das erhoffte Echo im deutschen Volke eingetreten. Zehn Tage später, am 27. September 1951, folgte das Echo aus Bonn. Dr. Konrad Adenauer gab vor dem Bundestag eine Regierungserklärung ab u n d bot Verhandlungen mit Israel und mit jüdischen Organisationen in der Welt an." 32
3 Die bedeutende Note vom 12. März 1951 — Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen Verhandlungen
Das Gutachten von Hendrik van Dam und andere Darlegungen, u. a. auch von Dr. Robert M.W. Kempner, führten zu einer offiziellen Note der Israelischen Regierung an die vier alliierten Siegermächte, die Amerikaner, die Engländer, die Franzosen und die Russen. Die Forderung dieses Papiers: Wiedergutmachung durch die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetische Besatzungszone. Die Zahlungen sollten, so war es die Vorstellung der Israelischen Regierung, für die Ansiedlung jüdischer Flüchtlinge aus Europa verwandt werden. Diese Note war an alle vier Mächte inhaltlich gleich. Der Text, der hier vollständig wiedergegeben wird, war an die französische Regierung gerichtet. Der israelische Gesandte in Paris hat sie überreicht.
3.1 Die Note der israelischen Regierung zum 12. März 1951 „Der israelische Gesandte in Paris beehrt sich, dem Herrn Außenminister im Auftrage seiner Regierung folgende Mitteilung über Forderungen des Staates Israel an Deutschland zu übermitteln. 1. In der Note, die der israelische Gesandte sich beehrt hatte, am 16. Januar 1951 dem Herrn Außenminister zu übermitteln, war zum Ausdruck gebracht worden, daß die israelische Regierung sich vorbehielt, in einer besonderen Note die Forderungen zu behandeln, die jüdische Verluste betrafen, für die Deutschland verantwortlich gemacht werden muß und auf die in Kraft befindlichen Gesetze über die Wiedergutmachung und persönliche Entschädigung nicht in Anwendung kommen. Der Zweck dieser Note besteht darin, die Art dieser Forderungen und ihre Grundlagen zu spezifizieren und konkrete Vorschläge vorzubringen bezüglich der Art, wie diese Forderungen erfüllt werden können. 2. Der Schaden, den das jüdische Volk durch Deutschland erlitten hat, hat in der Geschichte nicht seinesgleichen. Es gibt kein Beispiel für ein Massaker und eine Ausraubung, wie die, deren Opfer die Juden Europas durch das ganze deutsche Volk waren. Im Verlaufe einiger Jahre wurden ganze Gemeinden, die mehr als 1000Jahre alt waren, systematisch vernichtet. Über 6 Millionen Juden wurden durch Folter, Hunger, Erschöpfung und Massenhinrichtungen ermordet, viele unter ihnen wurden verbrannt oder bei lebendigem Leibe begraben. Das Massaker machte vor niemand halt. Die Kinder wurden den Armen ihrer Mütter entrissen und in die Öfen der Krematorien gestürzt. Greise und Greisinnen wurden gejagt und in die Todeslager verschickt. In Polen und im besetzten Teil Rußlands 33
3 Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen
Verhandlungen
kamen mehr als 4 Millionen J u d e n um. Monat f ü r Monat wurden Transporte mit J u d e n aus Deutschland und aus den von den Deutschen besetzten Ländern Europas—aus Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland, Bulgarien, Jugoslawien, Rumänien, Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und Österreich — in die Vernichtungslager geschickt. Die Vernichtung dieser Juden ist eines der traurigsten Kapitel der Geschichte der Menschheit. 3. Neben den Morden wurde in gleichem Maße geraubt. Nach bescheidenen Schätzungen haben sich die Nazis in Deutschland und in anderen Ländern Europas, die unter ihrer Herrschaft standen, jüdische Vermögen im Werte von etwa 6 Milliarden Dollars angeeignet. Diese Zahl schließt die kollektive Geldstrafe von einer Milliarde Mark ein, die den Juden in Deutschland am Vortag des von der Regierung im November 1938 organisierten Pogroms auferlegt wurde, sowie die anderen Geldstrafen, Beschlagnahmungen und diskriminierenden Steuern, die ihnen auferlegt wurden und aus denen hervorgeht, daß die Regierung der Bundesrepublik damit eine Verpflichtung übernahm, als sie sich vor kurzem zur Nachfolgerin des Dritten Reiches erklärte. 4. Der gewaltige Völkermord und Raub, der hier aufgewiesen wird, bildete lediglich das Schlußstadium der Verfolgungen, die bereits an dem Tage begannen, an dem die nationalsozialistische Regierung zur Macht gelangte. Das in Nürnberg im Hauptkriegsverbrecher-Prozeß ausgesprochene Urteil bezeichnet diese Verfolgungen als .Handlungen, die im großen Umfang mit konstanter und systematischer Unmenschlichkeit begangen wurden.' Die nachfolgenden Auszüge aus dem Urteilsspruch veranschaulichen den Ablauf dieser Verfolgung von dem Anbeginn des Naziregimes bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges: ,Mit der Machtergreifung wurde die Judenverfolgung verschärft. Eine Reihe von Gesetzen schuf Unterschiede und beschränkte die den J u d e n zugänglichen Ämter und Berufe, Einschränkungen wurden ihrem Familienleben und ihren Bürgerrechten auferlegt. Schon im Herbst 1938 hatte die Nazi-Politik den Juden gegenüber eine Stufe erreicht, die auf die gänzliche Ausschließung der Juden aus dem deutschen Leben abzielte. Pogrome, die Verbrennung und Zerstörung von Synagogen, die Plünderung von jüdischen Geschäften und die Verhaftung von hervorragenden jüdischen Geschäftsleuten einbegriffen, wurden organisiert. Eine Kollektivstrafe von 1 Milliarde Mark wurde den J u d e n auferlegt, die Beschlagnahme jüdischen Vermögens wurde genehmigt und die Bewegungsfreiheit der J u d e n wurde durch Bestimmungen auf gewisse Sonderbezirke und Stunden eingeschränkt. Die Errichtung von Ghettos wurde weitgehend durchgeführt, und auf Grund eines Befehls der Sicherheitspolizei wurden Juden zum Tragen eines gelben Sternes auf der Brust und auf dem Rücken gezwungen... Die Beschlagnahme jüdischen Vermögens wurde zu einer Zeit angeordnet, als deutsche Rüstungskosten das deutsche Finanzministerium in Schwierigkeiten versetzt hatten und als die Verringerung der Rüstungsausgaben erwogen wurde. Die Verfolgung der J u d e n im Vorkriegsdeutschland durch die Nazis, so hart und unterdrückend sie auch war, läßt sich jedoch nicht mit der während des Krieges in den besetzten Gebieten verfolgten Politik vergleichen. Ursprünglich ähnel34
3.1 Die Note der israelischen Regierung zum 12. März 1951
te die Politik der bis dahin innerhalb Deutschlands betriebenen. Die Juden mußten sich registrieren lassen und wurden gezwungen, in Ghettos zu leben, den gelben Stern zu tragen und sich als Sklavenarbeiter verwenden zu lassen. Im Sommer 1941 wurden jedoch Pläne entworfen für eine,Endlösung' der Judenfrage in ganz Europa. Diese .Endlösung' bedeutete die Ausrottung der Juden, die, wie Hitler bereits Anfang 1939 angedroht hatte, eine der Folgen eines Kriegsausbruches sein würde. Eine Spezialabteilung der Gestapo unter Adolf Eichmann, Chef der AbteilungBIVder Gestapo, wurde gebildet, umdiese Politikdurchzuführen... Der Plan für die Ausrottung der Juden wurde kurz nach dem Angriff auf die Sowjetunion ausgearbeitet. Den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, die zur Brechung des Widerstandes der Bevölkerung der im Rücken der deutschen Armeen im Osten liegenden Gebiete aufgestellt worden waren, wurde die Aufgabe der Ausrottung der Juden in diesen Gebieten übertragen. Die Wirksamkeit der Tätigkeit der Einsatzgruppen wird durch die Tatsache erwiesen, daß im Februar 1942 Heydrich bereits berichten konnte, daß Estland judenfrei und daß in Riga die Zahl der Juden von 29 500 auf 2 500 herabgedrückt worden sei. Insgesamt haben die in den besetzten baltischen Gebieten operierenden Einsatzgruppen in drei Monaten über 135 000 Juden getötet. Diese Sonderverbände operierten auch nicht völlig unabhängig von den deutschen Streitkräften. Es liegen unzweideutige Beweise vor, daß Führer der Einsatzgruppen die Mitwirkung von Armee-Kommandeuren erlangten... Diese Greueltaten gehörten alle zu der im Jahr 1941 eingeleiteten Politik... Zur ,Endlösung' gehörte die Zusammenfassung von Juden aus allen deutschbesetzten Teilen Europas in Konzentrationslagern. Ihr Gesundheitszustand war der Prüfstein für Leben und Tod. Alle Arbeitsfähigen wurden als Zwangsarbeiter in den Konzentrationslagern verwendet; alle arbeitsunfähigen Personen wurden in Gaskammern vernichtet und ihre Leichen verbrannt. Bestimmte Konzentrationslager wie Treblinka und Auschwitz wurden für diesen Hauptzweck bestimmt. Was Auschwitz anbelangt, so hat der Gerichtshof die Aussagen von Höß gehört, der vom 1. Mai 1940 bis 1. Dezember 1943 dort Lagerkommandant war. Er schätzte, daß allein im Lager Auschwitz in jener Zeitspanne 2 500 000 Menschen vernichtet wurden und daß weitere 500 000 an den Folgen von Krankheit und Hunger starben. Höß beschrieb die Auswahl für die Vernichtung in seinen Aussagen wie folgt: ,Die Arbeitsfähigen wurden ins Lager geschickt. Andere wurden sofort in die Vernichtungslager geschickt...' Den Vorgang der Tötung selbst schilderte er mit folgenden Worten: ,Es dauerte j e nach den klimatischen Verhältnissen drei bis fünfzehn Minuten, um die Menschen in der Todeskammer zu töten. Wir wußten, wann Menschen tot waren, weil ihr Schreien aufhörte. Wir warteten gewöhnlich ungefähr eine halbe Stunde, bevor wir die Türen öffneten und die Leichen entfernten. Nachdem wir die Körper herausgeschleppt hatten, nahmen unsere Sonderkommandos den Leichen die Ringe ab und zogen das Gold aus den Zähnen dieser Leichname.' 35
3 Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen Verhandlungen
Schläge, A u s h u n g e r n , Folterungen u n d T ö t u n g e n waren an der Tagesordnung. Die Insassen des Lagers Dachau w u r d e n im August 1942 grausamen Experimenten unterworfen. Die O p f e r wurden in kaltes Wasser getaucht, bis ihre Körp e r t e m p e r a t u r auf 28 Grad Celsius herabgesunken war, worauf sie eines sofortigen T o d e s starben. A n d e r e Experimente umfaßten Höhenversuche in Druckkammern; Experimente, durch welche ermittelt wurde, wie lange menschliche Wesen in eisigem Wasser am Leben bleiben können; Experimente mit vergifteten Kugeln, Experimente mit Infektionskrankheiten sowie solche, die sich mit der Sterilisierung von M ä n n e r n und Frauen d u r c h Röntgenstrahlen u n d anderen Methoden befaßten. Es sind Zeugenaussagen beigebracht worden über die Behandlung von KZInsassen vor u n d nach ihrer Vernichtung. Es wurde ausgesagt, daß m a n weiblichen O p f e r n vor d e r T ö t u n g das Haar abschnitt, das nach Deutschland geschickt wurde, u m dort bei d e r Herstellung von Matratzen V e r w e n d u n g zu finden. Die Kleidungsstücke, das Geld sowie die Wertgegenstände d e r KZ-Insassen wurden ebenfalls sichergestellt u n d den zuständigen Stellen zur weiteren V e r w e n d u n g übersandt. Nach d e r Vernichtung wurden die Goldkronen und Füllungen aus den Zähnen d e r Leichen entfernt und an die Reichsbank geschickt. Nach d e r V e r b r e n n u n g wurde die Asche als Düngemittel verwendet, u n d in einigen Fällen wurden Versuche unternommen, das Fett d e r Leichen in d e r industriellen Seifenherstellung zu benutzen. S o n d e r g r u p p e n durchreisten Europa, um J u d e n ausfindig zu machen und sie d e r , E n d l ö s u n g ' zu unterziehen. Deutsche Kommissionen w u r d e n in die Vasallenstaaten wie U n g a r n und Bulgarien entsandt, u m d e n T r a n s p o r t von J u d e n in Vernichtungslager d u r c h z u f ü h r e n , und es ist bekannt, d a ß bis Ende 1944 40 000 ungarische J u d e n in Auschwitz ermordet worden waren. Ferner wurde bezeugt, daß aus einem Teil Rumäniens 110 000 J u d e n zwecks .Liquidierung' evakuiert wurden. Adolf Eichmann, der von Hitler mit d e r D u r c h f ü h r u n g dieses Programms beauftragt worden war, hat geschätzt, daß im Zuge dieser Politik 6 Millionen J u d e n getötet wurden, von denen 4 Millionen in Vernichtungslagern ums Leben g e k o m m e n sind. 5. Ein d e r a r t entsetzliches Verbrechen kann nicht d u r c h materielle Reparationen, ganz gleich welcher Art, gesühnt werden. Das jüdische Volk ist u m ein Drittel vermindert worden, von j e 4 europäischen J u d e n sind 3 getötet worden. Keine Schadensersatzzahlung kann die zerstörten menschlichen Leben und kulturellen Werte gutmachen o d e r die Folterungen und Leiden d e r Männer, Frauen und Kinder abzahlen, die d u r c h alle nur erdenklichen Mittel einer viehischen Einbildungskraft getötet worden sind. Frank, einer d e r Hauptangeklagten des N ü r n b e r g e r Prozesses, hat es zugegeben: .Tausend J a h r e werden vergehen, ohne daß diese Schuld Deutschlands ausgelöscht werden kann.' Was getan werden kann, ist dies: die Ersatzzahlung an die Erben d e r O p f e r u n d die Wiedereinglied e r u n g d e r Überlebenden unter normalen Existenzbedingungen sicherzustellen. Die J u d e n sind getötet worden, und das deutsche Volk genießt weiterhin die Früchte d e r durch seine F ü h r e r von gestern begangenen Abschlachtungen u n d Plünderungen. Um das Bibelwort zu zitieren: ,Was, d u bist ein Mörder, und hast 36
3.1 Die Note der israelischen Regierung zum 12. März
1951
dich auch noch am Erbe vergriffen!' Die Toten können nicht wieder zum Leben gebracht werden. Ihre Leiden können nicht ausgelöscht werden. Was man aber verlangen kann, ist, daß das deutsche Volk aufgefordert wird, das gestohlene jüdische Eigentum zurückzuerstatten und die Kosten der Wiedereingliederung der Überlebenden zu tragen. 6. Von Anfang an hat Israel eine f ü h r e n d e Rolle bei der Aufnahme und der Eingliederung dieser Überlebenden gespielt. Als die nazistischen Verfolgungen im Frühjahr 1933 in Deutschland anfingen, haben die Juden des damaligen Palästina sofort Hilfe gewährt. Eine ständig wachsende Flut deutscher Juden, die nach der Besetzung Österreichs und der Tschechoslowakei durch die Juden dieser Länder anschwoll, bahnte sich einen Weg nach Palästina. In der Zeitspanne zwischen der nazistischen Machtergreifung in Deutschland und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges haben sich über 75 000 Flüchtlinge aus den von den Nazis beherrschten Ländern Mitteleuropas in Palästina niedergelassen. Selbst während der Kriegsjahre und trotz der auferlegten Beschränkungen ist die jüdische Einwanderung aus Europa nie zum Stillstand gekommen. Es sind unermüdliche Anstrengungen gemacht worden, um den J u d e n die Flucht aus den von der Naziinvasion überrannten oder bedrohten Ländern zu ermöglichen. Nach Kriegsende haben die J u d e n Palästinas jedes erdenkliche Risiko auf sich genommen, um den Überlebenden dieses unermeßlichen Abschlachtens Heimstätten und Sicherheit zu geben. Als der Staat Israel errichtet wurde, war es seine erste Maßnahme, den jüdischen verschleppten Personen aus den Gegenden der früheren Konzentrationslager seine Pforten weit zu öffnen. So sind zwischen 1939 und 1950 fast 380 000 J u d e n aus den von den Nazis eroberten Gebieten in das Land geholt worden. Wenn man dieser Zahl diejenigen J u d e n hinzufügt, die während der Vorkriegsjahre der Naziverfolgung aus Mitteleuropa eingewandert sind, so ergibt sich eine Gesamtzahl von über 450 000. 7. Die meisten dieser Einwanderer brachten n u r ihre schwachen Kräfte mit ins Land. Seit langem waren sie ihres gesamten Besitzes beraubt worden. Viele unter ihnen waren schwierige soziale Wohlfahrtsfälle, Männer und Frauen, deren Gesundheit unwiederbringlich gefährdet und die kein Staat außer Israel aufzunehmen bereit war. Im Unterschied zu anderen Einwanderungsländern, wo die Neuankömmlinge leicht von einem wirtschaftlich vollentwickelten System absorbiert werden können, hat Israel erhebliche Anstrengungeen machen und bedeutende öffentliche Gelder aufwenden müssen, um die Neuankömmlinge zu versorgen und durch Investitionen Arbeitsmöglichkeiten für sie zu schaffen. Die ganze Wirtschaft des neuen Staates ist von Anfang an auf diese wesentliche Aufgabe ausgerichtet gewesen. Zwar ist ein beträchtlicher finanzieller Beitrag von den J u d e n außerhalb Israels geleistet worden, aber die wesentlichen durch die Aufnahme und die Eingliederung der Einwanderer verursachten Kosten sind von der Bevölkerung Israels getragen worden. Schwere Steuerlasten und ein strenges System wirtschaftlicher Einschränkungen mußten beschlossen werden, um diesen Einwanderern Heime und Existenzmittel zu verschaffen. Die Bevölkerung des Landes nahm diese Lasten tapfer auf sich. Es ist bestimmt nicht übertrie37
3 Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen Verhandlungen ben zu verlangen, daß das deutsche Volk, das f ü r diese Zwangslage verantwortlich ist, u n d das noch immer Nutznießer des d e n J u d e n tot oder lebend weggen o m m e n e n Eigentums ist, dahin gebracht wird, zur Eingliederung d e r Überleb e n d e n beizutragen. 8. Als bei Kriegsende die siegreichen Alliierten die Verteilung der von Deutschland geschuldeten Reparationen v o r n a h m e n , hatte das jüdische Volk noch keinen Locus standi in d e r Gemeinschaft d e r souveränen Nationen. Aus dieser Tatsache erklärt es sich, d a ß seine F o r d e r u n g e n weder vorgebracht noch verteidigt w u r d e n , obgleich sie zweifellos moralisch noch mehr gerechtfertigt waren als diejenigen j e d e r anderen Nation, die unter d e n Nazis gelitten hatten. Der Zeitpunkt ist gekommen, diese Unterlassung wiedergutzumachen. Israel ist d e r einzige Staat, d e r im N a m e n des jüdischen Volkes sprechen kann — des Volkes, d e m anzugehören sechs Millionen Menschen mit ihrer E r m o r d u n g bezahlen mußten. Israel ist zu d e m ausdrücklichen Zweck errichtet worden, allen Verfolgten u n d heimatlosen J u d e n Zuflucht zu bieten. Diese A u f g a b e ist immer in positiver Weise aufgefaßt worden: im Kriege gegen Nazideutschland haben die Söhne u n d Töchter Israels in nationalen Einheiten in d e n Alliierten Streitkräften mitgekämpft. Eine jüdische Brigade hat zur endgültigen Niederlage des Feindes an d e r italienischen Front beigetragen und hat bei d e m Hilfswerk f ü r die überlebenden J u d e n in den verschiedenen Teilen Europas u n d bei ihrer Rettung eine aktive Rolle gespielt. Die A n e r k e n n u n g des Rechts des jüdischen Volkes auf die Wiedererrichtung seines Staates durch die Vereinten Nationen wurde als ein Akt d e r Wiedergutmachung f ü r das von diesem Volke erlittene Unrecht im Laufseiner Geschichte angesehen, dessen schärfster Ausdruck das Vernichtungswerk d e r Nazis war. Und so hat Israel seit seiner S c h a f f u n g die Verantwortung f ü r die A u f n a h m e u n d Wiedereingliederung der Überlebenden dieser Katastrophe auf sich g e n o m m e n . Aus allen diesen G r ü n d e n glaubt d e r Staat Israel das Recht zu haben, von Deutschland Reparationen als W i e d e r g u t m a c h u n g am jüdischen Volke zu f o r d e r n . 9. Der Betrag dieser Reparationen m u ß einerseits den vom jüdischen Volke d u r c h die Deutschen erlittenen Verlusten und andererseits den mit d e r Einglied e r u n g d e r Flüchtlinge oder Überlebenden des Naziregimes in Israel verbundenen finanziellen Lasten Rechnung tragen. Die Regierung von Israel ist nicht in der Lage, die vollständige Aufstellung alles von d e n Deutschen weggenommenen oder g e p l ü n d e r t e n jüdischen Eigentums, das sich angeblich auf über 6 Milliarden Dollar beläuft, zu erhalten und vorzulegen. Sie kann ihre F o r d e r u n g e n n u r auf G r u n d d e r Gesamtausgaben errechnen, die schon erfolgt sind, u n d derjenigen Ausgaben, die f ü r die Eingliederung der jüdischen Einwanderer aus nazibeherrschten L ä n d e r n vorgesehen werden müssen. Die Zahl dieser Einwanderer wird auf etwa 500 000 geschätzt, was Gesamtausgaben von 1 1/2 Milliarden Dollar bedeutet. Diese Zahl entspricht u n g e f ä h r dem Betrag, d e r auf G r u n d der wirtschaftlichen E r h o l u n g Deutschlands f ü r das J a h r 1951 wahrscheinlich bedeutend h ö h e r sein wird. Wenn die Zahlung d e r Reparationen auf G r u n d d e r oben erwähnten Schätzung über m e h r e r e J a h r e verteilt u n d teilweise in d e r Form von 38
3.2 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Güterlieferungen erfolgen würde, so überstiege sie bestimmt nicht die Zahlungsfähigkeit des deutschen Volkes. Keine Regelung der deutschen Reparationen kann als moralisch und rechtlich einwandfrei betrachtet werden, wenn sie nicht diese Mindestforderung erfüllt, die im Namen derer vorgelegt wird, die am meisten unter dem Nazi-Regime gelitten haben. Die Herstellung der Gleichberechtigung Deutschlands in der Gemeinschaft d e r Nationen ist undenkbar, solange diese grundlegende Wiedergutmachungsmaßnahme nicht getroffen worden ist. 10. Die Regierung von Israel ist überzeugt, daß die französische Regierung die Gerechtigkeit ihrer Forderungen anerkennt. Sie fordert dringend, daß die Besatzungsmächte keiner deutschen Regierung, ganz gleich welcher, ihre Vollmachten übertragen, ohne sich die Frage der Reparationszahlungen an Israel ausdrücklich vorzubehalten. Die Regierung von Israel würde es begrüßen, von der französischen Regierung sobald wie möglich über ihre Ansichten hinsichtlich der zu treffenden konkreten Maßnahmen unterrichtet zu werden, um den in dieser Note vorgesehenen Plan einer Regelung in der wirksamsten Weise in die Tat umzusetzen. Paris, den 12. März 1951"
3.2 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung B undesrepublik
3.2.1
Kurt Schumachers Rede vor dem Deutschen Bundestag 21. September 1949
in der
vom
In seiner ersten Regierungserklärung 1949 war Bundeskanzler Konrad Adenauer auf das Problem der Entschädigung f ü r die O p f e r des Nationalsozialismus praktisch noch gar nicht eingegangen. Am 21. September 1949, als diese Regierungserklärung im Deutschen Bundestag diskutiert wurde, antwortete Kurt Schumacher, der Vorsitzende der Deutschen Sozialdemokraten, dem Bundeskanzler mit einer langen Rede, in der er sich auch ausführlich mit dem Thema der Hilfestellung f ü r den deutschen Widerstand und mit Fragen der Wiedergutmachung befaßte. Er sagte dazu u. a.: „1945 ist das als soziale Leistung beachtliche Reichsversorgungsgesetz durch einen Federstrich der Alliierten, die damit wohl praktischen Antimilitarismus zu betreiben vermeinten, außer Kraft gesetzt worden. Es wäre eine gute Sache, wenn die Bundesregierung sich entschließen könnte, ein neues, den geänderten Verhältnissen angepaßtes Reichsversorgungsgesetz f ü r die Schwerbeschädigten des Krieges und f ü r die Kriegshinterbliebenen anzukündigen. (Sehr richtig! bei der SPD.) 39
3 Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen Verhandlungen Denn das Problem bei diesen so schmerzlich Geschlagenen ist doch, diese j u n g e n Menschen heranzuholen an das Leben u n d heranzuholen an den Staat. (Bravo! bei der SPD.) Dazu gehört freilich eine Gesinnung w a r m e r Kameradschaft, die über die finanzund gesetzestechnischen Manipulationen hinausgehen muß. (Beifall bei der SPD.) Dagegen kann eine Unterlassung nicht unwidersprochen bleiben: die deutschen Kräfte des Widerstandes u n d die deutschen O p f e r des Faschismus gehören doch zu d e n wenigen außenpolitischen Aktiven des deutschen Volkes u n d d e r deutschen Außenpolitik. (Sehr richtig! bei der SPD.) Von diesen Menschen ist gestern gar kein Wort gesagt worden. Man k a n n nicht gegen d e n Nazismus sein, o h n e d e r O p f e r des Nazismus zu gedenken. (Sehr gut! links.) Man kann sich nicht f ü r die Hilfeleistung f ü r einzelne Kategorien erwärmen — sie mögen noch so nötig sein —, wenn man die O p f e r des Nazismus in einer selbstgewählten R a n g o r d n u n g hinter die Rechte a n d e r e r zurückstellt. (Sehr gut! links.) Zu matt u n d zu schwach ist gewesen, was gestern die Regierungserklärung über die J u d e n u n d über die f u r c h t b a r e Tragödie der J u d e n im Dritten Reich gesagt hat. Resignierte Feststellungen u n d der T o n des Bedauerns helfen hier nichts. Es ist nicht n u r die Pflicht d e r internationalen Sozialisten, sondern es ist die Pflicht jedes deutschen Patrioten, das Geschick d e r deutschen u n d d e r europäischen J u den in d e n V o r d e r g r u n d zu stellen und die Hilfe zu bieten, die d o r t notwendig ist. (Beifall bei der SPD.) Die Hitlerbarbarei hat das deutsche Volk d u r c h Ausrottung von sechs Millionen jüdischer Menschen entehrt. An den Folgen dieser E n t e h r u n g werden wir unabsehbare Zeiten zu tragen haben. Von 600 000 deutschen J u d e n leben heute im Gebiet aller vier Zonen n u r 30 000, meist ältere und kranke Personen. Auch sie erleben i m m e r wieder beschämende u n d entwürdigende Vorfälle. In Deutschland sollte keine politische Richtung vergessen, daß j e d e r Nationalismus antisemitisch wirkt u n d jeder Antisemitismus nationalistisch wirkt. Das bedeutet nämlich die freiwillige Selbstisolierung Deutschlands in der Welt. (Zustimmung bei der SPD.) Antisemitismus ist das Nichtwissen von den großen Beiträgen d e r deutschen J u den zur deutschen Wirtschaft, zum deutschen Geistesleben u n d zur deutschen Kultur u n d bei der E r k ä m p f u n g der deutschen Freiheit u n d der deutschen Demokratie. Das deutsche Volk stände heute besser da, wenn es diese Kräfte des jüdischen Geistes und d e r jüdischen Wirtschaftspotenz bei d e m A u f b a u eines neuen Deutschlands in seinen Reihen haben würde. 40
3.2 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung in der Bundesrepublik N u n ist durch d e n Vorgang d e r internationalen Abwertung eine neue Erschwer u n g eingetreten. Man hat den Eindruck, als ob m a n in Deutschland und vielleicht auch sonst mancherorts nicht ganz begreift, d a ß sich hier ein Schicksal zu vollenden beginnt, das seit J a h r z e h n t e n vorbereitet ist, hervorgerufen durch eine a n d e r e Verteilung d e r industriellen Produktion, d u r c h die Tatsache, daß die anderen Kontinente, die f r ü h e r Rohstoffe u n d Lebensmittel lieferten, heute selbst industrialisiert sind u n d damit das Ganze in E u r o p a in eine besondere, geschwächte handelspolitische Situation gebracht haben. Diese überholte politische u n d ökonomische Struktur Europas ist d e r G r u n d d e r Wehrlosigkeit, bei der die endgültige Heilung auch durch große Dollartransfusionen nicht gebracht werden kann, so notwendig sie sind, u m das Leben f ü r die nächste Zeit zu erhalten. Wir sind, nachdem wir jetzt m e h r e r e J a h r e im toten Winkel lagen, auch in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft hineingezogen worden, u n d d e r erste Ausdruck war das Hineingezogenwerden — (Zurufe von der CDU: Denken Sie an die sozialistischen Experimente Englands!) — Nein, Sie haben meine drei letzten Sätze nicht verstanden. Lernen Sie sie bitte bis morgen auswendig. (Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe.) Dieses Hineingezogenwerden hat sich jetzt zum erstenmal bei d e r Abwertung geltend gemacht. N u n werden wohl Parallelen notwendig sein, Parallelen über Gebiete, die eben auch d e r Zwischenruf angedeutet hat u n d wo Sachkenntnis durchaus heilend wirken könnte. (Sehr gut! bei der SPD. — Zuruf rechts: Hoffentlich!) Man braucht bloß die besondere Situation Großbritanniens u n d seine Möglichkeit, d e n inneren lohnpolitischen u n d preispolitischen Konsequenzen der Abwertung zu begegnen, mit d e r besonderen Situation Deutschlands zu vergleichen. Über den R a h m e n d e r Anteilnahme am Verlust des Krieges hinaus sind breite Massen des deutschen Volkes heute gegenüber diesem Ereignis wehrloser als die arbeitenden Menschen irgendeines a n d e r e n europäischen Volkes. Und weswegen sind sie wehrloser? Weil ihre soziale Polsterung durch die Geringfügigkeit d e r Reallöhne u n d durch die Einseitigkeit bei d e r W ä h r u n g s r e f o r m und den hintertriebenen Lastenausgleich sehr viel schlechter ist als bei irgendeinem Volk in Europa. Wenn d e r Bundeskanzler erklärt, n u r eine b l ü h e n d e Wirtschaft könne die Belastung aus d e m Lastenausgleich tragen, d a n n werden wir daraus folgern müssen, d a ß man in d e n entsprechenden Kreisen der Regierung d e n radikalen endgültigen Lastenausgleich nicht gerade mit heißem Herzen will. Das bedeutet die Verschiebung des Lastenausgleichs. Der Lastenausgleich, d e r notwendig ist, ist doch ein Lastenausgleich, der weitgehend zu einer V e r ä n d e r u n g d e r Eigentumsverhältnisse u n d vor allem zu einer V e r ä n d e r u n g d e r Einkommensverhältnisse beiträgt. 41
3 Bedeutende Note vom 12. März 1951 —Aufdem Weg zu deutsch-israelischen Verhandlungen Ich glaube nicht, daß man mit der heutigen sozialen Graduierung der Bevölkerung einen neuen lebensfähigen demokratischen Staat aufbauen kann. Wir haben jetzt gesehen, daß wir heute schon Reallöhne haben, die unter den anderen Reallöhnen Europas liegen, was man bei den Realgewinnen der meisten Sachwertbesitzer nicht sagen kann. Wir haben eine weitere Bedrohung der Reallöhne im kommenden Winter durch die Ankündigung der Aufhebung der restlichen Bewirtschaftung, die sich vor allem bei der Bildung der Lebensmittelpreise und der Mieten geltend machen würde. In diese Situation der geschwächten sozialen Position der arbeitenden Menschen in Deutschland tritt nun die Abwertung. Wir sollten soviel Respekt vor den Tatsachen und der Ehrlichkeit haben, um zu sagen, daß eine Reihe von Trostpillen der letzten Tage nicht aus guten Chemikalien gemacht worden ist. Die radikale T r e n n u n g des äußeren valutarischen Wertes der D-Mark von dem inneren Kaufkraftwert ist nicht vollständig, sondern n u r recht beschränkt möglich; und selbst das auch n u r dann, wenn besondere Regierungsmaßnahmen eingeleitet werden. (Sehr wahr! bei der SPD.) Das gilt vor allen Dingen f ü r die Preispolitik. Man kann nicht das Volk auffordern zu sparen bei steigenden Preisen. Spartätigkeit ist n u r bei festen oder möglichst sogar rückläufigen Preisen möglich. Man kann nicht diese Wirtschaftspolitik betreiben und dann mit der anerkennenswert offenen, aber noch nicht die ganze Schwere aufzeigenden Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers weitergehen, die von „geringfügigen Veränderungen im Lohn- und Preisgebäude" spricht. Geringfügig werden die Veränderungen nicht sein, wenn nicht staatliche Hilfe kommt. Aber die Möglichkeiten der staatlichen Hilfe, besonders in der Form einer positiven Preispolitik, sind ja durch die letzten 15 Monate deutscher Wirtschaftspolitik zerschlagen worden. (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf rechts.) — Die bessere Position Großbritanniens besteht jetzt eben darin, daß es ein funktionierendes System der Planwirtschaft (Große Heiterkeit rechts) mit Investitionslenkung hat. (Erneute große Heiterkeit und Zuruf rechts: Deshalb die Abwertung!) — Meine Herren, Sie haben anscheinend von Planwirtschaft und Investitionslenkung nur in den Formen wahlpropagandistischer Formulierungen gelesen. (Unruhe. — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Die haben uns die Nazis vorgemacht!) — Verzeihung, Sie waren doch zum großen Teil Nazis, und nicht Großbritannien, wenn ich mich recht erinnere. (Lebhafter Beif all und Händeklatschen bei der SPD. — Unruhe und erregte Zurufe rechts: Unverschämtheit! Ordnungsruf! — Glocke des Präsidenten.) Präsident Dr. Köhler. Herr Abgeordneter Dr. Schumacher, ich möchte Sie fra42
3.2 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung in der Bundesrepublik gen: habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie eben zu einem Teil des Hauses gesagt haben: Sie waren Nazis, und doch nicht Großbritannien! Ein großer Teil, habe ich gesagt. (Lebhafte Pfuirufe in der Mitte und rechts. — Abg. Renner: Herr Präsident, kennen Sie nicht den Fragebogen verschiedener Abgeordneterl — Unruhe.) Präsident Dr. Köhler: H e r r Abgeordneter Schumacher, ich glaube, es dient dem ruhigen A b l a u f — (Zuruf rechts: Preußische Arroganz ist das! Weitere Zurufe.) — Lassen Sie mich doch bitte ausreden. H e r r Abgeordneter Dr. Schumacher, ich möchte Sie darauf hinweisen — (Zurufe links.) - Meine Damen und Herren, ich spreche jetzt und bitte mich nicht zu unterbrechen und diese Zwischenrufe beizulegen. (Abg. Renner: Von wegen!) Herr Abgeordneter Dr. Schumacher, Sie haben einem Teil des Hauses den Vorwurfgemacht, es seien Nazis. (Abg. Reimann: Mit Recht!) Ich mache darauf aufmerksam, daß diese Frage durch die Entnazifizierungsgesetze — (Große Heiterkeit bei der KPD und der SPD. — Zuruf: Sie waren es doch!) in juristischer Beziehung als erledigt gelten muß. Es wird die Aussprache hier erschweren, wenn derartige Kennzeichnungen erfolgen. Ich darf daher, H e r r Dr. Schumacher, an Sie appellieren, diese Ausdrücke nicht zu wiederholen. Kurt Schumacher: Ich akzeptiere selbstverständlich die Richtlinien des Herrn Präsidenten. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, daß in diesem nicht sehr sinnvollen Zusammenhang die E i n f ü h r u n g des Begriffs Nazis durch Zwischenrufe von jener Seite des Hauses (nach rechts) geschehen ist. Vielleicht können wir uns besser einigen, wenn sich die Herren einmal dahin konzentrieren würden, zu erkennen: erstens, daß wir vor ihnen keine Angst haben. (Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe rechts) Frau Annemarie Renger, die in den ersten Jahren des Aufbaues der deutschen Demokratie engste Mitarbeiterin Kurt Schuhmachers war, hielt als Bundestagsvizepräsidentin am 21. März 1985 vor der Israelitischen Gemeinde Basel, der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft und der Gesellschaft Schweiz-Israel eine Rede, in der sie an die geistigen Strukturen jener J a h r e erinnerte und dabei auch Kurt Schuhmacher zitierte: „Der Einbruch der totalitären Herrschaft in unser J a h r h u n d e r t und ihre unmenschlichste Ausprägung im Holocaust wird immer erneut in unser Bewußtsein gerückt werden müssen, wenn das so oft ausgesprochene ,Nie wieder' kein leeres Wort bleiben soll." 43
3 Bedeutende Note vom 12. März 1951—Auf dem Weg zu deutsch-israelischen Verhandlungen Erlauben Sie mir hier noch einmal einen Hinweis auf die Rede des Bundespräsidenten am 8. Mai, der hierzu sehr klare und beherzigenswerte Worte gefunden hat, indem er sagte: „Der ganz überwiegende Teil unserer heutigen Bevölkerung war zur damaligen Zeit entweder im Kindesalter oder noch gar nicht geboren. Sie können nicht eine eigene Schuld bekennen f ü r Taten, die sie nicht begangen haben. Kein fühlender Mensch erwartet von ihnen, ein Büßerhemd zu tragen, nur weil sie Deutsche sind. Aber die Vorfahren haben ihnen eine schwere Erbschaft hinterlassen. Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind f ü r die Gegenwart. Wer sich d e r Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig f ü r neue Ansteckungsgefahren. Das jüdische Volk erinnert sich und wird sich immer erinnern. Wir suchen Versöhnung. Gerade deshalb müssen wir verstehen, daß es Versöhnung ohne Erinnerung gar nicht geben kann." Lassen Sie mich jetzt aber auf die Entwicklung der deutsch-jüdischen und der deutsch-israelischen Verhältnisse der letzten vier Jahrzehnte eingehen. Wenn man über J u d e n und Deutsche spricht, muß man auch immer über Israel sprechen. Dazu ist es sinnvoll, nicht erst mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel zu beginnen, sondern deren Vorgeschichte einzubeziehen. Aus ihr begreift man, daß der Wille zur Wiedergutmachung, daß die Beurteilung der Deutschen nach 1945 von ihrer Fähigkeit abhing, wenigstens den Überlebenden der Nazi-Massaker eine Lebensgrundlage zu geben. Es war Kurt Schumacher, durch dessen persönlichen Einsatz und Einfluß nicht nur neues Vertrauen im Ausland gewonnen werden konnte, sondern durch den von d e r SPD auch schon frühzeitig eindeutige Beschlüsse zur Anerkennung der moralischen und materiellen Wiedergutmachungspflicht gefaßt worden sind. Schumacher selbst hat darüber folgendes gesagt: „Die Sozialdemokratische Partei ist die erste Partei und bis zum J a h r e 1949 die einzige Partei gewesen, die die jüdische Frage und damit das an den J u d e n begangene Unrecht aufgewiesen und eine Politik der moralischen und materiellen Wiedergutmachung gefordert hat." In der Antwort des sozialdemokratischen Oppositionsführers Kurt Schumacher auf die Regierungserklärung Dr. Adenauers am 1. September 1949 sagte Schumacher: „Zu matt und zu schwach ist gewesen, was gestern in der Regierungserklärung über die J u d e n und über die furchtbare Tragödie der Juden im sog. Dritten Reich gesagt wurde. 44
3.2 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Die Hitlerbarbarei hat das deutsche Volk durch Ausrottung von sechs Millionenjüdischen Menschen entehrt. In Deutschland sollte keine politische Richtung vergessen, daß jeder Nationalismus antisemitisch wirkt und jeder Antisemitismus nationalistisch ist." Auf der Tagung der Interparlamentarischen Union 1950 in Istanbul, der ersten, an der eine deutsche Delegation teilnahm, hat Carlo Schmid die Initiative zu einem ersten Gespräch mit Vertretern Israels über die materielle Wiedergutmachung ergriffen und sich danach auch im Bundestag mit besonderer Energie für deren ausreichende Verwirklichung eingesetzt. In seiner Bundestagsrede vom 22.2.1951 fordert Schmideine Wiedergutmachung mit folgenden Worten: „Darum sollten wir den Juden gegenüber—jenen, die zu uns zurückgekehrt sind, jenen, die ausgewandert sind, und jenen, die sich in Israel eine neue Heimat, einen eigenen Staat bauen - eine besondere moralische Verpflichtung zur Wiedergutmachung anerkennen und ihnen ein besonderes Recht auf das geben, was wir zu leisten vermögen. Denn sie waren neben einigen politischen Parteien und jener ihrer Mitglieder, die verfolgt und gejagt wurden, nicht Opfer ,nebenbei', nicht akzessorische Opfer des Dritten Reiches, sondern sie waren der ausgewählte Gegenstand des Verbrechens, das man blasphemisch das ,Dritte Reich' nennt."
3.2.2
Regierungserklärung zur jüdischen Frage und zur Wiedergutmachung
Erst zwei Jahre nach der Rede Schumachers und ein halbes J a h r nach der Note der israelischen Regierung vom 12. März 1951 waren die vielfältigen Sondierungsgespräche so weit gediehen, daß der Bundeskanzler vor dem Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung zur jüdischen Frage und den Wiedergutmachungsproblemen abgab. Gleich im Anschluß daran sprachen die führenden Abgeordneten der verschiedenen Parteien ihre Zustimmung aus, die hier ebenfalls hergehören. Man schrieb das Datum des 27. September 1951, ein Tag, den man als Meilenstein im deutsch-jüdischen und deutsch-israelischen Verhältnis sehen muß. Konrad Adenauer sagte: „Ich habe die Ehre, gegenüber dem Hohen Hause im Auftrag der Bundesregierung folgende Erklärung abzugeben. In letzter Zeit hat sich die Weltöffentlichkeit verschiedentlich mit der Haltung der Bundesrepublik gegenüber den Juden befaßt. Hier und da sind Zweifel laut geworden, ob das neue Staatswesen in dieser bedeutsamen Frage von Prinzipien geleitet werde, die den furchtbaren Verbrechen einer vergangenen Epoche Rechnung tragen und das Verhältnis der Juden zum deutschen Volke auf eine neue und gesunde Grundlage stellen. Die Einstellung der Bundesrepublik zu ihren jüdischen Staatsbürgern ist durch das Grundgesetz eindeutig festgelegt. Art. 3 des Grundgesetzes bestimmt, 45
3 BedeutendeNotevoml2.Märzl951
—Auf dem Weg zu deutsch-israelischen
Verhandlungen
daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und daß niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Ferner bestimmt Art. 1 [Abs. 1-2] des Grundgesetzes: ,Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das deutsche Volk bekennt sich d a r u m zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage j e d e r menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.' Diese Rechtsnormen sind unmittelbar geltendes Recht und verpflichten jeden deutschen Staatsbürger — und insbesondere jeden Staatsbeamten - j e d e Form rassischer Diskriminierung von sich zu weisen. In demselben Geiste hat die Bundesregierung auch die vom Europarat entworfene Menschenrechtskonvention unterzeichnet und sich zur Verwirklichung der darin festgelegten Rechtsgedanken verpflichtet. Diese Normen können aber nur wirksam werden, wenn die Gesinnung, aus der sie geboren wurden, zum Gemeingut des gesamten Volkes wird. Hier handelt es sich somit in erster Linie um ein Problem der Erziehung. Die Bundesregierung hält f ü r dringend notwendig, daß die Kirchen und die Erziehungsverwaltungen der Länder in ihrem Bereich alles daran setzen, damit der Geist menschlicher und religiöser Toleranz im ganzen deutschen Volk, besonders aber unter der deutschen Jugend, nicht n u r formale Anerkennung findet, sondern in der seelischen Haltung und praktischen Tat Wirklichkeit wird. Hier liegt eine wesenhafte Aufgabe der zur Erziehung berufenen Instanzen vor, die aber freilich der Ergänzung durch das Beispiel der Erwachsenen bedarf. Damit diese erzieherische Arbeit nicht gestört und der innere Friede in der Bundesrepublik gewahrt werde, hat die Bundesregierung sich entschlossen, die Kreise, die noch immer antisemitische Hetze treiben, durch unnachsichtige Strafverfolgung zu bekämpfen. Dem Bundestag liegen Vorschläge zu einer Ergänzung des Strafgesetzes vor, aufgrund deren unter anderem auch rassenhetzerische Propaganda mit schwerer Strafe belegt wird. Die Bundesregierung wird diese Bestimmungen, sobald sie in Kraft getreten sind, mit aller Entschlossenheit anwenden. Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermeßlichen Leidens bewußt, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die J u d e n in Deutschland und in den besetzten Gebieten gebracht wurde. Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den J u d e n begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volke viele gegeben, die mit eigener G e f ä h r d u n g aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die J u d e n er46
3.2 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung in der Bundesrepublik litten haben, als auch des jüdischen Eigentums, f ü r das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind. Auf diesem Gebiet sind erste Schritte getan. Sehr vieles bleibt noch zu tun. Die Bundesregierung wird f ü r den baldigen Abschluß der Wiedergutmachungsgesetzgebung und ihre gerechte Durchführung Sorge tragen. Ein Teil des identifizierbaren jüdischen Eigentums ist zurückerstattet worden; weitere Rückerstattungen werden folgen. Hinsichtlich des Umfangs der Wiedergutmachung — in Anbetracht der ungeheueren Zerstörung jüdischer Werte durch den Nationalsozialismus ein sehr bedeutsames Problem — müssen die Grenzen berücksichtigt werden, die der deutschen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung der zahllosen Kriegsopfer und der Fürsorge f ü r die Flüchtlinge und Vertriebenen gezogen sind. Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern. Sie ist tief davon durchdrungen, daß der Geist wahrer Menschlichkeit wieder lebendig und fruchtbar werden muß. Diesem Geist mit aller Kraft zu dienen, betrachtet die Bundesregierung als die vornehmste Pflicht des deutschen Volkes." Für die Sozialdemokraten sprach der Abgeordnete Paul Lobe: „Deutschland hat nach der Überzeugung der sozialdemokratischen Fraktion des Bundestags die sittliche Verpflichtung, sich mit ganzer Kraft um eine Aussöhnung mit dem Staate Israel und den J u d e n in aller Welt zu bemühen, und zwar kommt es dabei uns Deutschen zu, den ersten Schritt auf diesem Wege zu tun. Wir Sozialdemokraten werden deshalb den eben angekündigten Schritt der Bundesregierung von Herzen unterstützen und hätten es begrüßt, wenn er schon früher und mit noch größerer Entschiedenheit getan worden wäre. Die verbrecherischen Machthaber der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben die jüdischen Deutschen und die J u d e n in Europa unmenschlich verfolgt und sechs Millionen Menschen — Männer, Frauen, Kinder und Greise — nur wegen ihrer jüdischen Abstammung ermordet. Wir wollen dieses unermeßliche Leid nicht vergessen. J e d e r rechtlich denkende Mensch schämt sich dieser Schandtaten, die unter Mißbrauch des deutschen Namens zum Entsetzen der überwiegenden Mehrheit auch des deutschen Volkes verübt worden sind. Wir wissen uns insbesondere mit den J u d e n , die gleich uns als Deutsche geboren sind, unlösbar verbunden, und können ihren Beitrag aus unserer gemeinsamen Geschichte nicht fortdenken. Deutschland und Europa haben in allen Bereichen ihres geistigen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens Männer wie Felix Mendelssohn, Heinrich Heine, Walther Rathenau oder den zahlreichen deutschen Nobelpreisträgern jüdischer Abstammung Außerordentliches zu verdanken. Jeder Deutsche ist deshalb aufgerufen, das den J u d e n in unserer Mitte zugefügte Unrecht wie47
3 Bedeutende Note vom 12. März 1951 —Aufdem Weg zu deutsch-israelischen Verhandlungen dergutzumachen. J e d e r Deutsche ist deshalb auch aufgerufen, die Pest des Rassenhasses zu bekämpfen und durch die Ehrfurcht vor dem Mitmenschen zu überwinden. Unser rücksichtsloser Kampf gilt auch den Nutznießern der offenen und versteckten Verfemung der Juden. Die furchtbare Größe des Unrechts, auf die der Herr Bundeskanzler eben auch hinwies, fordert von uns Opfer. Mehr als bisher ist durch die Tat zu beweisen, daß diese Wiedergutmachung auch das Maß f ü r die Erneuerung des Rechts in Deutschland ist. Aus dieser Gesinnung bemühen wir uns um den Frieden mit Israel." Der spätere Außenminister, Heinrich von Brentano, gab als Vorsitzender der CDU/ CSU-Fraktion folgende Erklärung ab: „Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung ein T h e m a angeschnitten, das uns alle tiefbewegt. Ich möchte mich aus diesem Grunde auch bewußt darauf beschränken, das, was in der Regierungserklärung gesagt und zum Teil von Herrn Kollegen Lobe aufgenommen worden ist, mit Nachdruck zu unterstreichen. Wir müssen uns, jeder für sich, klar werden — und j e d e r muß versuchen, es dem deutschen Volk klarzumachen: Das Maß der Achtung, das wir unseren Mitmenschen und auch unseren jüdischen Mitbürgern entgegenzubringen bereit sind, wird das Maß der Achtung bestimmen, das wir f ü r uns selbst begehren." Der Abgeordnete Hermann Schäfer für die Freien Demokraten: „Mit der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ist wieder einmal eines der dunkelsten Kapitel unserer jüngsten Geschichte aufgeschlagen worden. Ich glaube nicht, daß weitere Worte geeignet sind, die Entschlossenheit und die Klarheit der Absichten zum Ausdruck zu bringen, die hinter dieser Regierungserklärung stehen. Ich möchte mich darauf beschränken, die Billigung auch im Namen meiner Freunde auszusprechen; ich möchte aber hinzufügen, daß es für uns alle eine der entscheidenden Aufgaben sein wird, die Vorstellungswelt auszuräumen und die Reste dieser Vorstellungswelt zu beseitigen, die aus einer ausschließlich materialistischen Betrachtung des Lebens hervorgeht und die zu dieser Raserei eines wahnwitzigen Biologismus geführt hat. Von ihm abzurücken und die Grundlagen zu schaffen und die Grundgedanken einer praktischen Humanität in den Vordergrund zu rücken, das scheint mir dem heutigen Anlaß angemessen zu sein." Hans-Joachim von Merkatz, der spätere Bundesminister, sagte f ü r die Deutsche Partei: „Namens meiner politischen Freunde habe ich zu erklären, daß wir uns angesichts des furchtbaren Ernstes dieser Frage weitere Worte der Beteuerung einer Humanitas ersparen wollen. Wir billigen nicht nur die Erklärung der Regierung, 48
3.2 Erste offizielle Überlegungen zur Wiedergutmachung in der Bundesrepublik wir unterstützen sie von ganzem Herzen, denn es gilt, einen Frevel, der wider göttliches und menschliches Recht begangen worden ist, wiedergutzumachen. Wir wollen uns bei dieser Wiedergutmachung an den Satz halten: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk. Wir sind es der alten Geschichte Deutschlands schuldig, daß wir auf diesem Gebiete zu Taten kommen, die die Erneuerung unseres Staates, unseres Staatsbewußtseins und unserer Würde in der Welt im ganzen und im Tiefsten auch d e r seelischen Bereiche sicherstellen." Für die Abgeordneten des Zentrums meldete sich Bernhard Reismann zu Wort: „Die Zentrumsfraktion begrüßt mit voller Überzeugung und mit Dankbarkeit die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die den ersten Schritt der Bundesrepublik zur Herstellung geordneter, friedlicher und, wie wir hoffen wollen, freundschaftlicher Verhältnisse zu unseren jüdischen Mitbürgern in Deutschland, in der Welt und insbesondere im Staate Israel darstellen soll. Unter den Verbrechen und Greueltaten dieses Jahrhunderts, das daran leider Gottes wahrlich nicht arm ist, nehmen die an unseren jüdischen Mitbürgern in Deutschland und Europa von der Verbrecherbande, die den deutschen Namen ein Jahrzehnt lang geschändet hat, begangenen einen hervorragenden Platz ein. Wir fühlen alle in uns die Verpflichtung, das namenlose Unheil und Leid, das geschehen ist, nach Kräften wiedergutzumachen, aber auch den großen materiellen Schaden nach allen Kräften wieder in O r d n u n g zu bringen. Wichtiger als das aber erscheint uns die auch vom Herrn Bundeskanzler betonte Verpflichtung, die geistige Atmosphäre von Humanität zu schaffen, in der die Wiederholung unmöglich ist, ja der Gedanke an solche Dinge nur Abscheu bei allen deutschen Mitbürgern erwecken kann. Die feierlichen Erklärungen aller Parteien hier im Bundestag und die Erklärung der Bundesregierung vor der gesamten Öffentlichkeit der Welt mögen dazu beitragen, daß das erklärliche Ressentiment bei denen, die so schweres Leid durch eine voraufgegangene Regierung Deutschlands haben ertragen müssen, aus der Welt geschafft wird. In diesem Sinne danken wir der Bundesregierung f ü r die abgegebene Erklärung." Die Bayern-Partei erklärte durch ihren Abgeordneten Hugo Decker. „Meine Fraktion steht auf folgendem Standpunkt. Wer sich zum Rechtsstaat bekennt, muß sich auch zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bekennen, sie begrüßen und unterstützen." Bundestagspräsident Hermann Ehlers schloß diesen Beratungspunkt, indem er sagte: „Es wird Aufgabe des Deutschen Bundestages sein, in Verfolg der Regierungserklärung die erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen zu treffen. Ich schlage Ihnen vor, daß sich der Deutsche Bundestag, bevor diese Aufgaben von ihm in Angriff genommen und erledigt werden, zum Zeichen dessen, daß er in dem Mit49
3 Bedeutende Note vom 12. März 1951 —Aufdem Weg zu deutsch-israelischen Verhandlungen gefühl f ü r die O p f e r einig und gewillt ist, Folgerungen aus dem, was geschehen ist, zu ziehen, von seinen Plätzen erhebt. [Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen] Ich danke Ihnen."
3.3 Auf dem Wege zu den deutsch-israelischen
Verhandlungen
Die Erklärungen des Deutschen Bundestages zur Note Israels, die sowohl vom Bundeskanzler als auch von den Parteisprechern am 27. September 1951 abgegeben worden waren, zeigten noch keine Umarmung von beiden Seiten. Die Probleme, das Morden der Nationalsozialisten war naturgemäß aufjüdischer Seite sehr tief gegangen. Es blieb zunächst bei den Einzelkontakten, die über den Engländer Barou und Botschafter Blankenhorn begonnen haben. In den ersten Dezembertagen 1951 sollte der Durchbruch kommen. Konrad Adenauer war nach London geflogen, wo er seinen Aufenthalt auch zur Fortsetzung des deutsch-jüdischen Dialog benutzte. Dieser Durchbruch geschah als er Dr. Nahum Goldmann im Claridge-Hotel empfing. Es war nicht uninteressant, daß Dr. Goldmann das Hotel über einen Seiteneingang betrat, weil es „noch nicht möglich war, sich offen mit dem Bundeskanzler zu treffen." Das Ergebnis seines ersten Gespräches mit Konrad Adenauer war ein Brief der für die deutsch-israelischen Beziehungen von entscheidender Bedeutung wurde. In diesem Schreiben bat Konrad Adenauer Nahum Goldmann die Verhandlungsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland der israelischen Regierung zur Kenntnis zu bringen. In diesem Brief ging der Bundeskanzler noch einen Schritt weiter: Er bekannte sich zu den in der Note der israelischen Regierung vom 12. März 1951 erhobenen Forderung als Grundlage der kommenden Beratungen. Dieses Angebot Adenauers geschah gegen den Willen der alliierten Siegermächte. Dieser Brief des Bundeskanzlers an Goldmann hatte folgenden Wortlaut: „Herrn Dr. Nahum Goldmann Vorsitzender der Conference of Jewish Claims against Germany z. Z. London
6. Dezember 1951
Unter Bezugnahme auf die Erklärung, die die Bundesregierung am 27. September 1951 im Bundestag abgab und in der sie sich bereit erklärte, mit Vertretern des jüdischen Volkes und Israels Verhandlungen wegen der Wiedergutmachung der unter dem nazistischen Regime entstandenen Schäden aufzunehmen, möchte ich Ihnen mitteilen, daß die Bundesregierung den Zeitpunkt f ü r gekommen erachtet, in dem solche Verhandlungen beginnen sollten. Ich bitte Sie, in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender der Conference of Jewish Claims against Germany 50
3.3 Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen Verhandlungen sowohl dieser Konferenz als auch der Regierung Israels von dieser Bereitschaft Kenntnis zu geben. Ich möchte dazu bemerken, daß die Bundesregierung in dem Problem der Wiedergutmachung vor allem auch eine moralische Verpflichtung sieht und es f ü r eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes hält, das Möglichste zu tun, um das an dem jüdischen Volk begangene Unrecht wiedergutzumachen. Die Bundesregierung wird in diesem Zusammenhang die Möglichkeit begrüßen, durch Warenlieferungen zu dem Aufbau des Staates Israel einen Beitrag zu leisten. Die Bundesregierung ist bereit, bei diesen Verhandlungen die Ansprüche, die die Regierung des Staates Israel in ihrer Note vom 12. März 1951 bestellt hat, zur Grundlage der Besprechungen zu machen. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener [gez.] Adenauer" Mitte Februar 1952 war Konrad Adenauer wiederum in London. Auch bei diesem Besuch traf er mit Nahum Goldmann zusammen, der ihm mitteilte, daß das israelische Parlament, die Knesset, bereits am 9. Januar 1952 beschlossen habe, in Verhandlungen mit der Bundesregierung über ein Wiedergutmachungsabkommen einzutreten. Die beiden Politiker vereinbarten, daß diese Verhandlungen in der zweiten Märzhälfte 1952 beginnen sollten. Auf Wunsch der israelischen Regierung wurde das Städtchen Wassenaar, ein kleiner Ort in Holland, ausgewählt, weil man von rechtsradikalen israelischen Gruppierungen Attentatsversuche auf die israelischen Politiker befürchtete. Auch Konrad Adenauer war gefährdet. Erst lange Jahre später hat der Bundeskanzler einen Attentatsversuch, der durch ein Sprengstoffpaket gegen ihn gerichtet war, bei dem am 27. März 1952 der Sprengstoffachmann Karl Reichert sein Leben verloren hatte, offiziell in einen Zusammenhang mit den Wiedergutmachungsverhandlungen von Wassenaar gebracht. Bis zu diesem Zeitpunkt wußten nur wenige, daß dieser Attentatsversuch von einem rechtsradikalen Israeli auf den Bundeskanzler unternommen worden war. Adenauer hatte strikte Weisung gegeben, diesen Zusammenhang nicht zu veröffentlichen.
3.3.1
Deutsche
Verhandlungsvorbereitungen
Für die Bundesregierung galt es, einen Leiter der deutschen Delegation zu finden. Staatssekretär Prof. Dr. Walter Hallstein, der damals als Staatssekretär im Bundeskanzleramt die auswärtige Politik bearbeitete machte den Vorschlag, den Frankfurter Professor Dr. Franz Böhm mit dieser Aufgabe zu betrauen. Hallstein wußte, wie auch viele andere Menschen, daß er das sittliche und politische Engagement gegenüber Israel und dem jüdischen Volk in gleicher Weise sah, wie Konrad Adenauer und diejenigen Politiker im Deutschen Bundestag, die am 51
3 Bedeutende Note vom 12. März 1951 —Aufdem Weg zu deutsch-israelischen Verhandlungen 27. Sept. 1951 zustimmend f ü r ihre Fraktionen gesprochen. Bereits 10 Tage nach seiner Rückkehr aus London a m 29. Febr. 1952 gab d e r Bundeskanzler an seinen Finanzminister Fritz Schäffer praktische Weisungen über die Art u n d Weise, wie er sich die bevorstehenden Verhandlungen vorstelle. Er informierte den Bundesfinanzminister in diesem Schreiben gleichzeitig über seine Gespräche mit Dr. Goldmann in London. Dieser Brief hatte folgenden Wortlaut: „An den Bundesminister d e r Finanzen H e r r n Staatsrat Fritz Schäffer Bonn
Bonn, 29. Februar 1952
Sehr geehrter H e r r Schäffer, wie Sie wissen, habe ich am 27. September 1951 namens der Bundesregierung vor d e m Deutschen Bundestag eine Erklärung über die Haltung d e r Bundesrepublik gegenüber den J u d e n u n d dem Staat Israel abgegeben. Die Bundesregier u n g hat in dieser Erklärung u. a. die Verpflichtung zur materiellen Wiedergutm a c h u n g des d e n J u d e n angetanen Unrechts anerkannt. Der letzte Absatz der Erklärung beginnt: ,Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des J u d e n t u m s und des Staates Israel, d e r so viele heimatlose Flüchtlinge a u f g e n o m m e n hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, u m damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern.' Den Grundsätzen dieser Erklärung entsprechend habe ich am 6. Dezember 1951 mit d e m Vorsitzenden d e r Conference on Jewish Claims against Germany u n d V e r t r a u e n s m a n n d e r Regierung des Staates Israel, H e r r n Dr. Nahum Goldmann, in London eine U n t e r r e d u n g gehabt. Im Anschluß hieran habe ich H e r r n Dr. Goldmann in einem Schreiben vom 6. Dezember 1951 mitgeteilt, daß die Bundesregierung bereit ist, die Ansprüche, die die israelische Regierung in ihrer an die Regierungen d e r vier Besatzungsmächte gerichteten Note vom 12. März 1951 gestellt hat, zur Grundlage der erstrebten Verhandlungen zu machen. Ich habe d e r Bereitschaft d e r Bundesregierung Ausdruck verliehen, d u r c h Warenlieferungen zu dem Aufbau des Staates Israel beizutragen. Am 9. J a n u a r 1952 hat das Parlament des Staates Israel beschlossen, das Angebot der Bundesregierung zur A u f n a h m e von Verhandlungen a n z u n e h m e n . Dieser Beschluß ist mir am 17. Februar 1952 während einer neuerlichen Unterr e d u n g in London durch H e r r n Dr. Goldmann zur Kenntnis gebracht worden. Ich habe bei dieser Besprechung hervorgehoben, daß die Bundesregierung eine baldige A u f n a h m e d e r Verhandlungen begrüßen würde. Es herrschte dabei Übereinstimmung, daß die Verhandlungen möglichst am 17. März 1952 beginnen sollen. Ich bitte Sie, die erforderlichen Vorbereitungen mit möglichster Beschleunigung zu treffen. Die F e d e r f ü h r u n g f ü r die Verhandlungen wird bei d e m Auswärtigen Amt liegen. Es ist aber selbstverständlich, daß die anderen Ressorts entspre52
3.3 Auf dem Weg zu den deutsch-israelischen Verhandlungen chend ihrer Verantwortung beteiligt werden. Insbesondere bitte ich Sie, in die Verhandlungsdelegation besonders ausgewählte Herren zu entsenden. Ich gebe dem Wunsche Ausdruck, daß die Verhandlungen unter weitgehender Hintanstellung aller Bedenken, die in einem anderen Fall sehr verständlich wären, in einem Geiste vorbereitet und durchgeführt werden, der dem moralischen und politischen Gewicht und der Einmaligkeit unserer Verpflichtungen entspricht. Mit freundlichen Grüßen Ihr ergebener [gez.] Adenauer"
3.3.2
Die Londoner Schuldenkonferenz und die Wiedergutmachungsverhandlungen
Zur gleichen Zeit, da sich Bonn für die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel rüstete, hatte in London am 28. Febr. 1952 eine internationale Schuldenkonferenz begonnen, bei der sich 25 Staaten zur Regelung der deutschen Vorkriegsschuld zusammengefunden hatten. Gleichzeitig mußte bei dieser Konferenz noch der Versuch unternommen werden, die Rückzahlung der Wirtschaftshilfe an die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen, die von verschiedenen Seiten an die Bundesrepublik Deutschland in den Nachkriegsjahren gegangen waren. Von Anfang an hatte die Bundesrepublik Deutschland bereits erklärt, daß sie sich als Nachfolgestaat des gesamten Deutschen Reiches betrachte, was bedeutete, daß die Bundesdeutsche Delegation vor der Schuldenlast für das ganze Deutsche Reich stand. Für Konrad Adenauer bedeutet das nicht nur den Schuldenberg des Deutschen Reiches, sondern den finanziellen Zusammenhang zwischen der Londoner Schuldenkonferenz und den Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel. In mehreren Gesprächen hat mir Konrad Adenauer immer wieder verdeutlicht, daß die führenden Bankiers, vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika ihren starken Einfluß auf den Erfolg oder Mißerfolg der Londoner Schuldenkonferenz geltend machen würden, falls es nicht gelingen würde, mit Israel ins Reine zu kommen. Auf der anderen Seite wäre ein guter Abschluß mit Israel nicht möglich gewesen, wenn es nicht zu einem guten Abschluß der Londoner Schuldenkonferenz gekommen wäre. Die Verhandlungen von London und Wassenaar waren eng miteinander verbunden, eng voneinander abhängig. Der gute Abschluß der Londoner Schuldenkonferenz bedeutete f ü r die Außenwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland die Erlangung von neuer Kreditwürdigkeit in der Welt. Der Bundeskanzler war sich darüber im Klaren, daß er seine Verpflichtungen, die er in den ersten Jahren der Kanzlerschaft sowohl in London als auch in Wassenaar für die Bundesrepublik Deutschland übernommen hatte, nur 53
3 Bedeutende Note vom 12. März 1951 —Aufdem Weg zu deutsch-israelischen Verhandlungen durch eine intakte, sich ständig aufwärtsbewegende Wirtschaft finanzieren konnte. Hier muß man noch einmal von den 10 Mio. D-Mark sprechen, die Konrad Adenauer in seinem ersten Interview zu dem Themenkreis jüdischer Problematik und Wiedergutmachung im Nov. 1949 genannt hatte. Für diesen Augenblick waren diese 10 Mio. D-Mark eine ungeheure Summe. Es gab zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Größenordnungen, die in einem Bundesetat verankert waren. Dazu kam die Tatsache, daß man auf israelischer Seite gegen eine innere Abhängigkeit der Verhandlungen zwischen London und Wassenaar war, was f ü r die deutsche Delegation bedeutete, daß sie sich gegen die Priorität wandte, die Israel für die Verhandlungen in Wassenaar beanspruchte. Leiter der deutschen Delegation bei den Schuldenverhandlungen in London war der Frankfurter Bankier Hermann Josef Abs, damals Vorsitzender des Verwaltungsrates der Kreditanstalt f ü r Wiederaufbau. Sein unwahrscheinliches Verhandlungsgeschick und seine umfangreichen Kenntnisse hatten Konrad Adenauer motiviert, Abs mit dieser wohl schwersten Nachkriegsaufgabe zu betrauen.
54
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen Fristgerecht hatten die Verhandlungen in Wassenaar am 20. März 1952 begonnen. Kein Wunder, daß sie zunächst in einer sehr frostigen, formellen Atmosphäre stattfanden. Dazu sagte mir der damalige Leiter der deutschen Delegation Franz Böhm: „Sie können sich vorstellen, was wir in dem Augenblick dieser ersten Begegnung mit Vertretern Israels empfanden. Es versteht sich von selbst, daß die Verhandlungen mit großer Zurückhaltung im Persönlichen begonnen wurden. Es war die außerordentlich große und faire Sachlichkeit, die von den Vertretern der israelischen Delegation vom ersten Tage an beobachtet worden ist, die es ermöglicht hat, daß sich die beiden Delegationen schon in den ersten Tagen zu einer außerordentlich intensiven sachlichen Zusammenarbeit gefunden haben." Doch der tiefe Graben, der durch die Zeit des Nationalsozialismus geschaffen worden war, sollte sehr bald überbrückt werden. Felix E. Shinnar, der stellvertretende Vorsitzende der israelischen Delegation und spätere Leiter der Israelmission in Köln, die gegründet worden war, das Abkommen durchzuführen, schilderte mir einen Ausschnitt aus den ersten Verhandlungstagen, die dadurch in ein neues Licht gerückt wurden, daß auf beiden Seiten Männer saßen, die durch ihre Menschlichkeit versuchten, einen neuen Anfang zu machen. „Im Haag war in den ersten Tagen die Verhandlungssprache Englisch. Auf der Gegenseite war Professor Böhm der Delegationsleiter. Sein Vertreter war Otto Küster aus Stuttgart. Am zweiten T a g schob mir Küster einen Zettel herüber, auf dem etwa stand: ,Aus Ihrem Englisch glaube ich einen schwäbischen Akzent herauszuhören. Habe ich recht?' Kurz, es stellte sich heraus, daß Otto Küster recht hatte. Ich bin in Stuttgart geboren, ging dort zur Schule, aber mehr als das, es ergab sich, daß wir in demselben Realgymnasium von damals, dem heutigen Dillmann-Gymnasium, waren, und Otto Küster, der ein J a h r jünger ist als ich, in dieselben Klassen ging, dieselben Lehrer hatte wie ich, und wenige Tage danach schrieben wir einem damals noch lebenden, von uns sehr geschätzten Lehrer, Professor Holl, eine Karte und teilten ihm diese Begebenheit mit." Am 12. Febr. 1981 hatte ich die Möglichkeit, Dr. Hermann Josef Abs persönlich zu den Fragen .Londoner Schuldenkonferenz' und ,Israelvertrag' zu sprechen. Er gab mir einen Überblick über diese komplizierte Materie. Hier die Darlegung unseres Gesprächs: 55
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar Frage: 1950 trat der H e r r Bundeskanzler an Sie heran mit der Aufgabe, die deutschen Auslandsschulden zu regeln, regeln zu helfen. Wie ging das vor sich? Antwort: Die Verhandlungen wurden ausgelöst durch einen Brief der Oberkommissare an den H e r r n Bundeskanzler mit der Aufforderung, sich dem Problem der Schulden des Deutschen Reiches zuzuwenden. Über sechs Monate haben diese Verhandlungen in der Vorbereitung gedauert, um den Bundeskanzler in Stand zu setzen, im März 1951 einen Brief an die Oberkommissare als Antwort zu schreiben, wonach die Bundesrepublik sich f ü r die Schulden des ganzen Deutschen Reiches verantwortlich fühle. Das war eine lange Diskrepanz. Die Frage, ob die Bundesrepublik rechtsidentisch mit dem Deutschen Reich oder ob sie Nachfolgestaat war, hat eine große völkerrechtliche Bedeutung gespielt. Mit diesem Schreiben vom März 1951 wurden Verhandlungen eingeleitet, und der Bundeskanzlerbeauftragte mich, diese Verhandlungen f ü r die Bundesregierung zu führen. Ich war ihm selbst verantwortlich als dem zuständigen - auch für außenpolitische Fragen — Mitglied und Chef des Kabinetts. Die Frage Israel, die Sie eben anschnitten, die Konferenz in Wassenaar, die ja ursprünglich in Brüssel hätte stattfinden sollen, wurde erst ausgelöst durch einen Brief des Herrn Bundeskanzlers an Nahurn Goldmann vom 6. Dezember 1951, wonach die Bundesrepublik - auf der Grundlage einer Note des Staates Israel an die vier Mächte, Frankreich, England, Amerika und Rußland — aufgefordert wurde, f ü r die Wiedergutmachung bestimmte Beträge aufzubringen. Das führte zu den Verhandlungen, nachdem der Bundeskanzler zugesagt hatte, nach besten Kräften Wiedergutmachung — auf der Basis dieser Note des Staates Israel an die vier Siegermächte, nicht an die Bundesrepublik — zu leisten. Grundlage war der einstimmige Beschluß des Bundestages vom September 1951, der Wiedergutmachung zuzustimmen und darüber zu beraten. Es war ein einstimmig gefaßter Beschluß des Parlaments. Das war die Grundlage. So entstand eine Doppelgleisigkeit der Verhandlungen. Die Verhandlungen mit Israel begannen erst im Frühjahr 1952 in Wassenaar, während die Konferenz für die deutschen Auslandsschulden unter meiner Delegationsführung bereits früher, nämlich im Mai 1951, begonnen hatte, d. h. die Londoner Verhandlungen liefen bereits, als dann ä part von London die Verhandlungen in Wassenaar mit dem Staat Israel eingeschoben wurden. Zum Delegationsleiter f ü r diese Verhandlung wurde Prof. Böhm gewählt — übrigens ein Vorschlag von Herrn Hallstein. Mein Versuch, einheitliche Regelungen f ü r beide Aufträge und Instruktionen vom Bundeskanzler zu erhalten, gelang nicht. Er hatte es vorgezogen, seine Instruktionen j e d e m der Verhandlungsführer getrennt zu erteilen, aber, wenn ich das hinzufügen darf, mit der Maßgabe, daß alle Fragen, die nachher zu Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber Israel führen würden, eingefügt werden müßten in die Verhandlungen über die Regelung der deutschen Auslandsschulden. Dahinter stand die sehr einfache These: es gibt n u r eine Aufbringungsfähigkeit der Bundesrepublik, nur eine Transferfähigkeit der Bundesrepublik. Frage: Herr Abs, das war ja das Kernproblem. Wo sollte das Geld herkommen, 56
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen
wir hatten noch keinen Export, wir hatten noch keine großen Einnahmen, wie es heute vielleicht gesehen werden darf. Was wurde gemacht? Antwort: Für beide Probleme mußte eine genügend lange Fristigkeit erreicht werden, um bestimmte gedachte Sollbeträge nicht zu überschreiten. Im Laufe meiner Verhandlungen erhielt ich d a f ü r ein Limit. Es d u r f t e eine halbe Milliarde D-Mark pro Jahr nicht überschreiten, was die Londonregelung anging, und sollte nach fünf Jahren höchstens die Ziffer von 600 Mio. D-Mark erreichen. Beide Ziffern habe ich bei der Einigung mit den Gläubigern überschritten. A part davon liefen die Verhandlungen in Wassenaar. Damals gab es eine These, die vor allem auch Erhard vertrat, und die nicht gerade unter dem Gesichtspunkt internationaler Währungen konzipiert war: das Israel-Abkommen sollte mit Warenlieferungen erfüllt werden, in dem Gedanken, daß Warenlieferungen nicht einen echten Transfer darstellten, der die Devisen- oder Außenwirtschaftsbilanz der Bundesrepublik belasten würde. Frage: Nun sagten Sie eben, 500 bis 600 Mio. DM für London, 240 Mio. DM wurden es im J a h r f ü r Israel? Antwort: Das ist vollkommen richtig. Der Unterschied zwischen beiden ist, daß der Betrag in der Tat höher war. Es waren in London anfangs 567 Mio. DM, und es wurden nach fünf Jahren, 1958, 765 Mio. DM pro Jahr, also 165 Mio. DM mehr als eigentlich das gestellte Limit war. Israel — im Gegensatz zu den in London zu regelnden Schulden — wurden die Jahresraten ohne Zinslast eingeräumt, d. h. es wurde ein Volumen erstellt, und im Laufe von 12 Jahren sollte die gefundene Summe - das waren 3 Milliarden D-Mark, die Ziffer ist bekannt, plus 450 Mio. DM f ü r die Claimes-Commission — in 12 Jahresraten gedeckt werden. Nachher ergab sich in der Abwicklung eine Verdichtung, weil Israel darauf drang, die Dinge doch in 10 Jahren abgewickelt zu sehen, und danach fanden die Verhandlungen statt, in die ich eingeschaltet wurde, die sozusagen in der Endphase der Einigung eigentlich mehr bei mir lagen als bei dem von mir hochverehrten Prof. Böhm. Prof. Böhm hatte die große Aufgabe, unter dem Eindruck eines einmaligen verbrecherischen Geschehens in der Vergangenheit, im Zuge einer n u r die materielle Seite betreffenden Wiedergutmachung, den Versuch zu wagen, den Grundstein zu einer Versöhnung zwischen Israel und Deutschland zu legen. Frage: Israel war ja damals keine kriegsführende Macht gegen Deutschland gewesen. Es gab Israel zu dieser Zeit noch nicht, und darin bestand ja auch etwas Neues, daß das jüdische Volk im Staat Israel auch nicht komplett in Israel lebte? Antwort: Das war einer der Vorbehalte, die ich in London zu beantworten hatte. Man sagte, hier werden Reparationsforderungen gestellt. Leider steht sogar das Wort „Reparation" in dem von mir eben herangezogenen Brief Israels an die vier Siegermächte. Diese wurden aufgefordert, d a f ü r zu sorgen, daß vorab die Bundesrepublik durch die Machtansprüche der westlichen drei alliierten Siegermächte veranlaßt werden müßte, Reparationen zu zahlen. Damals besaß die Bundesrepublik noch nicht die volle Souveränität, die sie erst mit dem Deutschlandvertrag vom Mai 1952 erlangte. Die Forderung betrug 1 Mrd. Dollar an die Bundesrepublik, eine halbe Milliarde Dollar war die Forderung Israels an den Ostteil 57
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
Deutschlands. Hier gab es den entsprechenden Brief an Sowjetrußland. Reparationen standen freilich in einem Widerspruch zur Konzeption der Schuldenverhandlungen und des Schuldenabkommens in London, weil Reparationen dort ausgeschlossen wurden. Und hier waren es Reparationsforderungen eines Staates, wie Sie mit Recht bemerken, den es unter den kriegführenden Staaten noch gar nicht gab, der sich erst nachher zum Staatswesen entwickelt hat. Es ist also in der Tat eine Wiedergutmachung für das jüdische Volk, f ü r Israel im Lande Israel. Die Leistungen sollten im wesentlichen zum Wiederaufbau Israels in materieller Hinsicht eine Hilfe darstellen. Das sind sie auch geworden. 4.1.1
Das finanzielle
Limit bringt
Komplikationen
Es war der Wunsch Konrad Adenauers Israel eine echte Hilfe f ü r die Eingliederung seiner Neueinwanderer aus Europa zu geben, um damit auch den Willen der Bundesrepublik Deutschland zu bekunden, eine echte Wiedergutmachung unter Beweis zu stellen. Hermann Josef Abs hat bereits geschildert, daß die komplizierte Materie der Londoner Schuldenkonferenz und die Tatsache, daß die drei alliierten Siegermächte parallele Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik neben den Leistungen f ü r das Londoner Schuldenabkommen ablehnten, brachten. Darin bestand das eigentliche Problem. Die Bundsrepublik Deutschland konnte all diese finanziellen Verpflichtungen n u r in einem eng begrenzten Gesamtrahmen erfüllen. Diese waren als Belastungen f ü r den neuen Bundeshaushalt zunächst auf 500 Mio. D-Mark beziffert worden. Sie weiteten sich dann aber, wie es Hermann Josef Abs berichtete, auf 567 Mio. D-Mark aus. Dieses Limit und der von HermannJosefAbs dargelegten anderen Schwierigkeiten machen es verständlich, daß in den ersten Besprechungen, die wohl im März 1952 stattgefunden haben dürften, eine Regelung f ü r Israel von 100 Mio. Dollar gesprochen wurde, ohne daß man damals die Gesamtsumme für Israel auf den Tisch legte. So kam es, daß Hermann Josef Abs mit diesen Vorschlägen sehr rasch zum Exponenten einer Richtung gestempelt wurde, die Israel das nicht zukommen lassen wollte, was im Geiste der Regierungserklärung vom 27. Sept. 1951 von der Bundesregierung ausgesprochen worden war. Der damalige israelische Beobachter bei der Londoner Schuldenkonferenz, Botschaftsrat Keren, versuchte direkt bei der Konferenz das Problem eines Wiedergutmachungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel und die in der israelischen Note vom 12. März 1951 dargelegten Ansprüche in einer Erklärung zu unterstreichen, die er am 29. Febr. 1952, also am zweiten Tag der dortigen Verhandlungen vor der Londoner Schuldenkonferenz abgab: „1. Die Regierung Israels weiß, daß die Hauptaufgabe dieser Konferenz darin besteht, sich mit den deutschen Vorkriegs-Auslandsschulden zu befassen und ein Verfahren f ü r die Regelung auszuarbeiten. Meine Regierung wünscht der Konferenz bei ihren Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen, einen vollen Erfolg. 58
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen
2. Wir haben das vom Dreimächte-Ausschuß abgefaßte Memorandum sorgfältig geprüft und dabei besonders den Inhalt des Kapitels II des Memorandums über den U m f a n g der Schuldenregelung und die Definition des Begriffes .Vorkriegs- Auslandschulden' zur Kenntnis genommen. 3. Meine Regierung wünscht die Aufmerksamkeit der Konferenz auf die Art der von ihr vertretenen Ansprüche zu lenken. Obwohl sie sich darüber im klaren ist, daß diese Ansprüche über den Rahmen dieser Konferenz hinausgehen, hält es die Regierung von Israel dennoch f ü r wesentlich, die Konferenz von dem Bestehen dieser Ansprüche in Kenntnis zu setzen. 4. Die von der Regierung von Israel vertretenen Ansprüche r ü h r e n aus der Judenverfolgung her, die von der Machtübernahme durch die Nazipartei im Jahre 1933 mit immer wachsender Heftigkeit bis zum Zusammenbruch der Naziherrschaft am 8. Mai 1945 andauerte. Die Eigenart dieser Ansprüche erfordert eine Sonderregelung. 5. Diese Ansprüche ließen sich unter folgenden Hauptgesichtspunkten zusammenfassen: a) Der Anspruch der Regierung Israels auf Kollektiventschädigung, die Deutschland auf Grund d e r vom Naziregime am jüdischen Volk begangenen Verbrechen zu leisten hat, wie in ihrer Note vom 12. März 1951 an die Besatzungsmächte dargelegt. b) Ansprüche auf Rückgabe von feststellbaren Vermögen an Personen, denen dieses Vermögen zu Unrecht entzogen worden ist. c) Ansprüche aus der finanziellen H a f t u n g des ehemaligen Deutschen Reiches auf Grund der Wegnahme von beweglichem Eigentum, mit Einschluß von Bargeld, Wertpapieren und Bankeinlagen sowie von Geldbeträgen, die durch diskriminierende oder zwangsweise Besteuerung erpreßt worden sind. d) Ersatzansprüche von O p f e r n der Naziverfolgung, die Schäden oder Verluste an Eigentum oder Personen erlitten haben. 6. Die allgemeinen Grundsätze, die den von der israelischen Regierung unter den drei zuletzt genannten G r u p p e n geltend gemachten Forderungen zugrunde liegen, sind bereits weitgehend in den Gesetzen über innere Wiedergutmachung und in den in der ganzen Bundesrepublik Deutschland oder in Teilen davon in Kraft befindlichen Rechtsvorschriften über allgemeine Forderungen anerkannt. 7. Zu den Forderungen israelischer Staatsangehöriger kommt noch eine Anzahl ähnlicher Forderungen im Besitz einzelner Juden und jüdischer Organisationen außerhalb des Staates Israel hinzu. 8. Die israelische Delegation wünscht die Konferenz auf eine Erklärung vor dem Bundestag der Bundesrepublik Deutschland vom 27. September 1951 hinzuweisen, in welcher der Bundeskanzler Adenauer zugab, daß im Namen des deutschen Volkes unsagbare Verbrechen begangen worden seien, die Deutschland die Pflicht einer moralischen und materiellen Entschädigung auferlegten. In der gleichen Erklärung bestätigte Bundeskanzler Adenauer die Bereitwilligkeit der Deutschen Bundesregierung, gemeinsam mit Vertretern des J u d e n t u m s und des Staates Israel eine Lösung der Finanziellen Seite der genannten Fragen 59
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
herbeizuführen. In einer schriftlichen Mitteilung vom 6. Dezember 1951 bestätigte Bundeskanzler Adenauer diese Erklärung und stellte fest, daß die Bundesregierung als Verhandlungsbasis die von der israelischen Regierung in ihrer Note vom 12. März 1951 geltend gemachten Forderungen annehme. Bei der israelischen Regierung u n d einem Gremium repräsentativer jüdischer Organisationen ist n u n m e h r eine Einladung eingegangen, in unmittelbare Verhandlungen über alle Fragen im Zusammenhang mit der Befriedigung der israelischen und jüdischen Forderungen einzutreten. Es sind Schritte unternommen worden, damit diese Verhandlungen in allernächster Zeit beginnen können. Es wird die Konferenz ferner interessieren, daß die Regierungen des Vereinigten Königreiches und der Vereinigten Staaten der israelischen Regierung gegenüber ihr wohlwollendes Interesse an dem Ergebnis dieser Verhandlungen zum Ausdruck gebracht haben. 9. Wie bereits oben erwähnt, ist sich meine Regierung zwar dessen bewußt, daß die genannten Forderungen über den Rahmen dieser Konferenz hinausgehen, sie ersucht jedoch die Konferenz, von ihrem Bestehen Kenntnis zu nehmen, da keine Gesamtregelung den deutschen Auslandsverpflichtungen gerecht oder realistisch wäre, die diese Ansprüche nicht berücksichtigen würde." Man würde der Situation, in der sich die Bundesrepublik damals befand, nicht gerecht, wenn man nicht darauf verwiese, welche Verhandlungen neben der Londoner Schuldenkonferenz und den deutsch-israelischen Verhandlungen in Wassenaar außerdem noch geführt wurden. Mit den drei westlichen Alliierten liefen Verhandlungen über den Deutschland* Vertrag. Dieser sollte auch rechtlich den Kriegszustand beenden und der Bundesrepublik volle Souveränität geben. Im selben Zuge sollte die Bundesrepublik gleichberechtigter Partner einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft werden. Hinzu kamen die äußerst schwierigen Beratungen über den Lastenausgleich, das heißt über die Zahlungen an die Heimatvertriebenen und Bombengeschädigten des Zweiten Weltkriegs. Konrad Adenauer hat mir einmal auf einem Spaziergang während des Wahlkampfes geschildert, welche Anstrengungen er unternehmen mußte, um auch noch für die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar den Kopf freizuhalten, damit diese nicht in einem Zahlenhandel der Finanzexperten ersticken würden. Gerade in dieser Zeit sei in Israel das Mißtrauen gegenüber Deutschland erneut gewachsen. Dieses Mißtrauen gegenüber Deutschland konnte n u r dadurch überwunden werden, daß man Israel konkrete Zusicherungen gab. Solche Zusicherungen waren ihrerseits davon abhängig, wie die Londoner Schuldenkonferenz ausgehen würde. Konkrete Zusagen mußten unbedingt eingehalten werden. Darauf lag immer wieder die Betonung Konrad Adenauers, wenn er von dieser Zeit sprach, weil er unter allen Umständen — nach den Jahren der politischen Unzuverlässigkeit Deutschlands und der Unehrlichkeit des Nationalsozialismus — bei internationalen Verträgen die sittliche Bindung des demokratischen Deutschlands unter60
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen
streichen wollte. Die sittliche Verpflichtung seines Landes gegenüber Israel hat Konrad Adenauer insbesondere bei der Verwirklichung der materiellen Leistungen an Israel immer wieder hervorgehoben. In einem Zeitabschnitt, da sich alle Verträge - Londoner Schuldenkonferenz, Deutschland-Vertrag, Europäische Verteidigungsgemeinschaft, Lastenausgleich und Israel-Verhandlungen - in der Schwebe befanden, war es für die Bundesregierung besonders schwer, die moralische Integrität Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk zu betonen. 4.1.2
Prof. Böhm schreibt an den
Bundeskanzler
Die schwierige Situation der doppelgleisigen Verhandlungen zwischen London und Wassenaar griff der Leiter der deutschen Delegation bei den Israelverhandlungen in Wassenaar in einem Schreiben vom 23. April 1952 auf. Dieser Brief hatte folgenden Wortlaut: „An den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland H e r r n D r . Konrad
Bonn, den 23. April 1952
Adenauer
Bonn a. Rh. Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Nachdem in den letzten Tagen Besprechungen mit Herrn Abs und mit den Herren Dr. Goldmann und Barou stattgefunden haben, erlaube ich mir, Ihnen eine Darlegung der Lage, wie sie sich mir heute darstellt, vorzulegen. 1. In den bisherigen Verhandlungen konnten unsererseits noch keinerlei Angaben über die Größenordnungen der möglichen Leistungen gemacht werden. Dies kann erst geschehen, wenn ein Überblick über die Gesamttransferfähigkeit der Bundesrepublik gewonnen sein wird. 2. Wenn dieser Überblick vorliegt, dann wird eine Entscheidung darüber getroffen werden müssen, welcher Anteil der möglichen Transferleistung (sowohl der eigentlichen Transferleistungen in Geld als auch der Warentransferleistungen) auf die Vorkriegs- und Nachkriegsgläubiger einerseits, auf die Gläubiger der im Haag zu verhandelnden Wiedergutmachungsleistungen andererseits entfällt. Wenn diese Entscheidung auch heute noch nicht getroffen werden kann, so kommt sie doch unausweichlich binnen kurzem auf uns zu. 3. Diese Entscheidung kann weder in London noch im Haag, sondern allein von der Bundesregierung getroffen werden. Von ihrem Ausfall hängt der Erfolg beider Konferenzen ab. 4. Von der israelischen Delegation ist die Befürchtung ausgesprochen worden, daß deutscherseits möglicherweise so verfahren werden könnte, daß zunächst die übrigen Gläubiger zufriedengestellt würden, und Israel (und die Organisatio61
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar nen) mit d e m vorlieb n e h m e n m ü ß t e n , was übrigbleibt. Diese B e f ü r c h t u n g h a b e n die H e r r e n Goldmann, Shinnar u n d Barou in d e r B e s p r e c h u n g vom 19.4.1952 auch H e r r n Abs g e g e n ü b e r zum Ausdruck gebracht. Wie aus d e m A k t e n v e r m e r k ü b e r diese B e s p r e c h u n g hervorgeht, haben die E r k l ä r u n g e n von H e r r n Abs die j ü d i s c h e n V e r t r e t e r zunächst zufriedengestellt. 5. Sowohl die F o r d e r u n g e n des Staates Israel als auch die A n s p r ü c h e d e r j ü d i schen Organisationen müssen sich, wie alle übrigen G l ä u b i g e r f o r d e r u n g e n auch, eine mögliche E i n s c h r ä n k u n g aus einem d o p p e l t e n Aspekt gefallen lassen: Einmal aus d e m Gesichtspunkt einer Kritik a n d e r materiellen Berechtigung des gelt e n d g e m a c h t e n A n s p r u c h s u n d zweitens u n t e r d e m Gesichtspunkt d e r d e u t schen Leistungsfähigkeit. Die Haager Delegation hat bisher d e n A n s p r u c h des Staates Israel u n t e r d e m ersten Gesichtspunkt g e p r ü f t u n d d e r B u n d e s r e g i e r u n g seine A n e r k e n n u n g im Betrage von 3 Milliarden DM (statt 4,2 Milliarden DM) vorgeschlagen. Die P r ü f u n g d e r A n s p r ü c h e d e r jüdischen Organisationen ist noch nicht abgeschlossen. (Es handelt sich hier — abgesehen von den an d e n Staat Israel zu bewirkenden Leistungen — u m einen Gesamtbetrag von etwa 3—4 Millia r d e n DM.) 6. Bei d e r P r ü f u n g d e r zweiten Frage, nämlich d e r Frage, in welcher H ö h e die israelischen u n d jüdischen F o r d e r u n g e n erfüllt werden k ö n n e n , ist auf zwei Bes o n d e r h e i t e n Bedacht zu n e h m e n , die hinsichtlich d e r übrigen Gläubiger nicht vorliegen. Einmal auf die Tatsache, d a ß wenigstens die Wiedergutmachungsleis t u n g a n d e n Staat Israel zu einem erheblichen Teil in Waren bewirkt wird u n d z u m a n d e r e n , d a ß sämtliche Wiedergutmachungsleistungen, wenn sie i h r e n Zweck e r f ü l l e n sollen, in einem erheblich kürzeren Zeitraum erfüllt w e r d e n müssen als die a n d e r e n Verpflichtungen. 7. Zu beachten ist ferner, d a ß die Wiedergutmachungsleistungen einen ganz and e r e n E n t s t e h u n g s g r u n d haben als die in L o n d o n zu b e h a n d e l n d e n Schuldverpflichtungen. Bei d e n übrigen Schuldverpflichtungen liegen die Dinge so, d a ß auf d e r einen Seite die Gläubiger ein wesentliches Interesse d a r a n h a b e n , auf die Pflege d e r deutschen Leistungsfähigkeit die d e n k b a r größte Rücksicht zu n e h m e n . Aus diesem G r u n d e werden sie bereit sein, in K ü r z u n g e n — sei es n u n in Form eines Kapitalschnittes, sei es in Form einer H e r a b s e t z u n g d e r Zins- u n d Amortisationsbeträge - einzuwilligen. Auf d e r a n d e r e n Seite ist die B u n d e s r e publik in höchstem G r a d e an d e r Wiederherstellung ihrer Kreditwürdigkeit interessiert u n d infolgedessen bereit, j e d e n erdenklichen Beweis ihres e r n s t h a f t e n Erfüllungswillens zu geben. Dise Interessenlage k o m m t d e n Aussichten eines günstigen Abschlusses d e r L o n d o n e r V e r h a n d l u n g e n zugute. A n d e r s verhält es sich bei d e n Wiedergutmachungsleistungen. Zwar sind auch die Gläubiger dieser Leistungen an einer S c h o n u n g d e r wirtschaftlichen d e u t schen Leistungskraft u n d an einem b e f r i e d i g e n d e n Abschluß d e r L o n d o n e r Verh a n d l u n g e n interessiert. Aber bei ihnen steht doch auch die B e f ü r c h t u n g im V o r d e r g r u n d , d a ß es auf deutscher Seite an einem wirklich e r n s t h a f t e n Erfüllungswillen fehle u n d d a ß infolgedessen die deutsche Verhandlungstaktik d a r i n bestehe, die Grenzen d e r deutschen Leistungskraft schwarz in schwarz zu malen.
62
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen
Sie sind geneigt zu mutmaßen, daß auf deutscher Seite bei weitem nicht das gleiche Erfüllungsinteresse vorliege, mit dem die anderen Gläubiger rechnen können. Auf der anderen Seite hat die Bundesrepublik Interesse daran, überzeugende Wiedergutmachungsleistungen zu erbringen. Denn es leuchtet ein, daß die deutsche Kreditwürdigkeit in hohem Grade auch davon abhängt, daß dies geschieht. Aber es ist nicht zu verkennen, daß der Zusammenhang zwischen Kreditwürdigkeit und Wiedergutmachungsleistungen bei weitem nicht so klar zutage liegt und insbesondere von breiten Kreisen der Bevölkerung und der Wirtschaft bei weitem nicht so deutlich e m p f u n d e n wird, wie es bei den anderen Schuldverpflichtungen d e r Fall ist. Es kommt dazu, daß zweifellos bei einer Reihe von Gläubigergruppen die Existenz deutscher Wiedergutmachungsverpflichtungen höchst unliebsam e m p f u n d e n wird, da sie ihre Aussichten auf eine möglichst weitgehende Befriedigung beeinträchtigt. Die Bundesregierung sieht sich infolgedessen auch einem gewissen Druck dieser Gläubigerinteressen gegenüber, der dem Erfüllungsinteresse der Wiedergutmachungsgläubiger Abbruch zu tun droht. 8. Dieser Zusammenhang macht es notwendig, dem politischen und moralischen Gewicht der Wiedergutmachungsfrage eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wenn es nicht gelingt, in Den Haag zu Abschlüssen zu gelangen, die von den Verhandlungspartnern und von d e r seriösen Weltmeinung als Beweis d a f ü r gewertet werden können, daß Deutschland bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gegangen ist und außerdem alle ihm zu Gebote stehenden Verhandlungsmöglichkeiten in London ausgeschöpft hat, um die übrigen Gläubiger von der Notwendigkeit und Berechtigung der Wiedergutmachungsforderungen zu überzeugen, dann wird der politische, moralische und wirtschaftliche Wert dieser Abschlüsse fragwürdig sein. Die Opfer, die in Erfüllung solcher fragwürdigen Abschlüsse der deutschen Bevölkerung (und zum Teil auch Auslandsgläubigerinteressen) zugemutet werden müssen, haben dann keinen rechten Sinn. Es d ü r f t e daher zweckmäßig sein, auf einige Tatsachen hinzuweisen, die f ü r die Beurteilung des außenpolitischen, staatspolitischen, rechtspolitischen und moralischen Gewichts und der geltend gemachten Wiedergutmachungsansprüche von Bedeutung sind. 9. Sowohl die Ansprüche des Staates Israel als auch die Ansprüche der Organisationen sind — gemessen an der Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik — hoch, aber sie sind, gemessen an der Höhe des zugefügten Schadens, ohne Zweifel durchaus gemäßigt. Es wird nichts Unbilliges verlangt. Im Vordergrund der Betrachtung sollte m. E. der konstruktive Zukunftsaspekt stehen. Die Überwindung der unvorstellbaren Bitterkeit, die das nationalsozialistische Verbrechen bei den J u d e n in aller Welt u n d bei allen Gutgesinnten hervorgerufen hat, aber auch die Überwindung des furchtbaren Schlages, den dieses Verbrechen dem deutschen Ansehen zugefügt hat, ist wohl die wichtigste und dringlichste Aufgabe der deutschen Politik. Sie ist zudem im gegenwärtigen Zeitpunkt derjenige deutsche Beitrag zum Wiederaufbau einer freien Welt, der in höherem Grade als jede andere innen- und außenpolitische Entscheidung das 63
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
Ergebnis eines selbständigen, rein deutschen Willensaktes ist, wobei ich freilich nicht verkenne, daß auch sein Vollzug von der Mitwirkung und Entscheidung alliierter Stellen abhängig ist. Aber es kann wohl kein Zweifel sein, daß die Initiative auf deutscher Seite liegen muß, und daß der Ausfall der alliierten Entscheidung in hohem Grade, wenn nicht ausschließlich, von dem Energiegrad dieser deutschen Initiative abhängig ist. Nicht nur die Wirkung auf den Staat Israel und die Juden in aller Welt, nicht nur die außenpolitische Wirkung, sondern auch - und vor allem — die innenpolitische Wirkung, die in hohem Grade eine politisch und moralisch erzieherische Wirkung ist, hängt von der Kraft und Entschiedenheit ab, mit der diese nunmehr unmittelbar bevorstehende Entscheidung getroffen wird. Jedes Schwanken, jede Unsicherheit und Nachgiebigkeit kann nur den oppositionellen und destruktiven Kräften zugute kommen und den Erfolg der Politik gefährden, die von der Bundesregierung mit weitschauendem Ziel verfolgt worden ist und verfolgt wird. 10. Ich möchte diese Betrachtungen nicht abschließen, ohne die wichtige Tatsache gestreift zu haben, daß die Bemessung der deutschen Leistungs- und Transferfähigkeit keineswegs das Ergebnis eines wissenschaftlich exakten Kalküls sein kann. Es verhält sich zweifellos nicht so, daß eine objektiv errechenbare deutsche Leistungsfähigkeit der deutschen Politik unübersteigbare Grenzen setzt. Vielmehr hängt das Ausmaß der deutschen Leistungsfähigkeit wiederum zu einem nicht unerheblichen Grade von den politischen Entscheidungen ab. Das gilt nicht nur für die Wirtschaftspolitik, sondern in gleicher Weise auch für die großen Linien der gesamten inneren und äußeren Politik. Auch die Höhe der Wiedergutmachungsleistungen ist nicht einseitig durch die Grenzen einer gegebenen Leistungskraft bestimmt; vielmehr wirken die Wiedergutmachungsleistungen auch auf die Leistungskraft zurück, und zwar nicht etwa bloß negativ, sondern zweifellos auch positiv, und zwar in einem Grade, den eine rein theoretische Denkweise zweifellos zu unterschätzen geneigt sein dürfte. Mit der Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung verbleibe ich, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, Ihr sehr ergebener [gez.] Böhm" 4.1.3
Im Hinblick auf die Londoner Schuldenverhandlungen Wassenaaer Beratungen unterbrochen
werden die
Wie schwierig die Probleme zwischen beiden Verhandlungen waren, zeigte sich in der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland im April 1952 die Verhandlungen in Wassenaar unterbrechen mußte, um die Schuldenkonferenz in London nicht zu stören, ja vielleicht zu zerstören. Es ist kein Wunder, daß dieses Verhalten der Bundesrepublik Deutschland naturgemäß zu einer Verhärtung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel führte.
64
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen Das wurde auch bei den offiziellen Gesprächen der beiden Delegationen immer wieder deutlich. Diese Besorgnis fand in einem Schreiben Nahum Goldmanns an Konrad Adenauer vom 19. Mai 1952 einen besonderen Ausdruck: „London, den 19. Mai 1952 Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Am 16. Mai sandte ich Ihnen, sofort nach meiner Rückkehr aus Israel, von Paris ein Telegramm, in dem ich meiner tiefen Besorgnis über den Stand der Verhandlungen zwischen Israel und der deutschen Bundesrepublik Ausdruck gab. In diesem Telegramm bat ich Sie, mir mitzuteilen, wann eine Besprechung zwischen uns stattfinden könnte, in der ein Zahlungsvorschlag Israel unterbreitet werden würde, nachdem mir ein solcher Vorschlag von Ihnen f ü r den 3., später für den 13. oder 14. Mai in Aussicht gestellt wurde. Ich habe leider auf mein Telegramm keine Antwort von Ihnen erhalten. Hingegen fand heute eine Besprechung zwischen Herrn Abs und den Herren Dr. Shinnar und Dr. Keren statt, in der Herr Abs zwar betont hat, daß er nicht bevollmächtigt sei, offizielle Vorschläge zu unterbreiten, sodann jedoch von einer anfänglichen jährlichen Warenlieferung in Höhe von h u n d e r t Millionen Mark sprach, die eventuell zu verdoppeln wäre, im Hinblick auf eine zu erwartende amerikanische Hilfeleistung, die unseres Erachtens völlig ungewiß ist. Über den Gesamtbetrag der zu zahlenden Schuld hat sich Herr Abs überhaupt nicht geäußert. Die konkreten Vorschläge, die seitens der Israel-Delegation in den verschiedenen Stadien in allen Einzelheiten unterbreitet wurden, sind in den Eröffnungen des Herrn Abs in allen wesentlichen Punkten unberücksichtigt geblieben. Selbstverständlich haben Dr. Shinnar und Dr. Keren diesen Vorschlag sofort zurückgewiesen. Ich muß Ihnen in aller Offenheit wiederholen, was Dr. Shinnar Herrn Abs sagte, daß seine Gedankengänge f ü r mich u n d f ü r meine Freunde ebenso völlig unerwartet wie enttäuschend sind. Ich hatte aus allen unseren Unterhaltungen den Eindruck gewonnen, daß es Ihnen und der deutschen Bundesregierung ernsthaft daran liege, eine echte, wenn auch teilweise Wiedergutmachung wenigstens der materiellen Auswirkungen der am J u d e n t u m begangenen Verbrechen herbeizuführen. Die Eröffnungen, die H e r r Abs den Vertretern der Israel-Regierung heute gemacht hat, widersprechen ihrem Geiste nach der Erklärung der Bundesregierung vom 27. September 1951: sie widersprechen noch mehr dem Inhalt Ihres an mich gerichteten Schreibens vom 6. Dezember 1951, in welchem Sie die Forderung des Staates Israel in Höhe von einer Milliarde Dollar als Grundlage der Verhandlungen akzeptiert haben. Wenn ich im Lichte dieser vorangegangenen Erklärungen, ohne die es niemals zu den Verhandlungen gekommen wäre, die Vorschläge des Herrn Abs abwäge, bin ich überzeugt, daß die jüdische Öffentlichkeit in ihnen — verzeihen Sie das harte Wort — nichts anderes als eine Beleidigung sehen wird. Dr. Shinnar hat dies auch 65
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
spontan und sofort H e r r n Abs gesagt. In den Auffassungen des Herrn Abs bezüglich der Lösung des Problems kommt keinesfalls die Bereitschaft zum Ausdruck, irgendwelche wirklichen Opfer f ü r Wiedergutmachung zu leisten. Die These des Herrn Abs über die mangelnde Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik wird weder das jüdische Volk noch die Weltöffentlichkeit überzeugen, wenn man die ständig steigende Produktionskraft der deutschen Wirtschaft, den wachsenden, in die Milliarden Dollar gehenden deutschen Außenhandel, u n d die soeben erfolgte Regelung des Lastenausgleiches in Rechnung stellt. Man kann ein Problem von der moralischen Bedeutung der jüdischen Wiedergutmachung nicht mit den üblichen Methoden kommerzieller Verhandlungen - und Abhandeins — lösen. Was mich in den Gesprächen mit Ihnen, H e r r Bundeskanzler, am tiefsten beeindruckt und mich dazu bewogen hat, Israel und dem jüdischen Volk gegenüber die A u f n a h m e von Verhandlungen mit der deutschen Bundesrepublik zu befürworten, war Ihre Auffassung von der moralischen Verpflichtung Deutschlands zu einer wenigstens materiellen ernsthaften Wiedergutmachung. Trotz der tiefen Enttäuschung, die die E r ö f f n u n g des Herrn Abs in uns allen ausgelöst hat, vermag ich noch nicht die Überzeugung aufzugeben, daß Sie, Herr Bundeskanzler, sich solche Vorschläge nicht zu eigen machen können. Der Widerspruch zwischen solchen Vorschlägen und allem was Sie mir in mehreren Unterhaltungen gesagt haben, ist so außerordentlich, daß ich mir nicht denken kann, daß sie irgendwie Ihre Auffassung darstellen. Sollte die Größenordnung, in der Herr Abs die Lösung anscheinend sieht, die offizielle Position der Bundesregierung repräsentieren, so könnte die Israel- Regierung unter keinen Umständen die Verhandlungen fortsetzen, und natürlich würde das ebenso f ü r das Weltjudentum gelten. Die Auswirkungen eines Abbruches der Verhandlungen, der leider nach den Eröffnungen des Herrn Abs eine sehr reale Möglichkeit ist, wären unübersehbar. Das Vertrauen in den ehrlichen Willen des neuen deutschen Staates, Wiedergutmachung zu leisten, müßte bei all jenen zutiefst erschüttert werden, die gerade in Ihnen, H e r r Bundeskanzler, den Wortführer und Vertreter eines solchen neuen Deutschlands sehen wollen. Die heftige Reaktion der gesamten Welt, unterstützt durch weite nichtjüdische Kreise, die mit dem Martyrium des jüdischen Volkes in der nazistischen Zeit tiefe Sympathie gehabt haben, würde unvermeidlich und völlig berechtigt sein. In dieser kritischen Stunde unserer Verhandlungen appelliere ich an Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, als den deutschen Staatsmann, der sich zum Vertreter und Sprecher der Wiedergutmachungsgedanken gemacht hat, und bitte Sie: f ü h r e n Sie die Verhandlungen wieder zurück zu dem hohen moralischen Niveau, von dem Sie sie bisher betrachtet haben. Lassen Sie nicht Methoden, die bei rein kommerziellen Fragen üblich sind, diese Verhandlungen degradieren und gefährden. Der jetzige Zustand der Ungewißheit, das d a u e r n d e Hinausschieben eines konkreten Angebotes, das nicht im Einklang mit Ihrem Brief vom 6. Dezember 1951 steht, kann nicht länger anhalten. Die jüdische Welt und Israel will mit Recht wissen, woran sie ist. Ich bitte Sie daher, mit Ihrer ganzen Autorität dafür zu sorgen, daß schnellstens ein Angebot 66
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen
unterbreitet wird, das es ermöglichen wird, die offiziellen Verhandlungen baldigst wieder aufzunehmen. In Erwartung Ihrer Antwort, von der so vieles abhängig sein wird, zeichne ich in aufrichtiger Hochschätzung und mit den besten Grüßen Ihr ergebener [gez.] Dr. Nahum Goldmann z. Z. London Israel Legation 18, Manchester Square, W. 1" 4.1.4
Goldmann und Böhm treffen sich in Paris
Konrad Adenauer war bestürzt vor allem durch die Tatsache, weil er offensichtlich über den Vorschlag von Hermann Josef Abs nicht informiert war. Der Bundeskanzler bat Franz Böhm sich mit Nahum Goldmann in Verbindung zu setzen, da er ihm einen Vorschlag unterbreiten wolle, um die festgefahrenen Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Am 23. Mai 1952 trafen Goldmann und Böhm in Paris zusammen. Prof. Böhm unterrichtete den Bundeskanzler am nächsten Tage in einem ausführlichen Bericht: „Frankfurt a. M.,den 24. Mai 1952 Launitzstraße 15 Bericht über die Besprechung mit Dr. Goldmann und den israelischen Delegationsmitgliedern vom 23. Mai 1952 in Paris Die erste Besprechung fand um 11 U h r mit Dr. Goldmann allein statt und war um 12 U h r beendet. Daran schloß sich eine zweite Besprechung, an der auf Einladung von Dr. Goldmann die Herren Dr. fosephthal, Dr. Shinnar, Dr. Avner und Dr. Barou von der israelischen Delegation teilnahmen. Sie dauerte bis 15 Uhr. 1. Besprechung mit Dr. Goldmann Ich unterrichtete Dr. Goldmann davon, daß ich zwar im Auftrag des Herrn Bundeskanzlers käme, aber nicht ermächtigt sei, Vorschläge d e r Bundesregier u n g zu überbringen. Vielmehr sei ich lediglich beauftragt, den Inhalt eines Vorschlages mitzuteilen, den ich selbst der Bundesregierung unterbreitet hätte in der Überzeugung, daß er eine geeignete Grundlage f ü r die weiteren Verhandlungen im Haag sein könne. Über diesen Vorschlag habe die Bundesregierung noch keinen Beschluß gefaßt. Der Herr Bundeskanzler wünsche vielmehr, die Stellungnahme des Herrn Goldmann und der israelischen Regierung zu diesem Vorschlag inoffiziell kennenzulernen, bevor die Regierung ein eigenes Angebot der israelischen Regierung zuleite. 67
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
Mein Vorschlag habe folgenden Inhalt: Gesamtsumme: 3 Milliarden DM; Erfüllungszeit: minimal 8, maximal 12 Jahre; Erfüllungsort: vorbehaltlich einer besseren Lösung ausschließlich in Waren; Höhe und Zusammensetzung der Jahreslieferungen solle beweglich gehalten und jeweils von einer gemischten Kommission festgelegt werden; Alternative Erfüllungsmöglichkeiten: Sobald es der Bundesrepublik möglich sei, eine Auslandsanleihe zu erhalten, solle der Anleihebetrag in der betreffenden Auslandswährung zur Verfügung gestellt werden unter Anrechnung auf die Gesamtschuld. Die Bundesregierung halte es f ü r möglich, daß es ihr gelingen würde, binnen weniger Jahre nach dem Abschluß des Haager und des Londoner Vertragswerkes eine solche Anleihe zu erhalten, u n d daß sie dann in der Lage sein werde, ihre Gesamtverpflichtung vor Ablauf der vorgeschlagenen Mindesterfüllungszeit von 8 Jahren abzutragen, im günstigsten Fall sehr viel früher. Anfangsannuitäten: Binnen der ersten 2 J a h r e Warenlieferungen im Betrag von jeweils 200 Millionen DM. Diese niedrigen Anfangsleistungen seien in Rücksicht auf die außergewöhnliche Inanspruchnahme unserer Aufbringungsfähigkeit durch die bekannten Verpflichtungen neuesten Datums vorgesehen. Dabei sei ich mir bewußt, daß im Interesse des Vertragserfolges überdurchschnittliche Anfangsleistungen wünschenswert gewesen seien. Dr. Goldmann nahm diesen Vorschlag ausgesprochen freundlich auf. Es handle sich hier um eine zweifellos sehr ernste Bekundung der Wiedergutmachungsabsicht, die, wie er glaube sagen zu können, bei der israelischen Regierung auf eine positive Aufnahme zählen könne. Jedenfalls werde durch diese heutige Sondierung eine Atmosphäre geschaffen, die der Regierung Israels eine Fortsetzung der Verhandlungen wieder als aussichtsreich erscheinen lassen dürfte, nachdem die Eröffnungen vom vergangenen Montag in London bei der israelischen Regierung Niedergeschlagenheit und Erbitterung hervorgerufen hätten. Es beeindruckt ihn vor allem, daß in meinem Vorschlag eine geschlossene Gesamt- und Endlösung dargeboten werde, die in der Tat erhebliche Wiedergutmachungsleistungen vorsehe. Das sei eine ernsthafte Grundlage. Vom israelischen Standpunkt enthalte mein Vorschlag freilich Schönheitsfehler, deren Korrektur angestrebt werden sollte. Er hoffe, daß es der Bundesregierung möglich sei, diese Korrekturen bereits in ihrem offiziellen Angebot anzubringen; andernfalls könne über sie in Haag verhandelt werden. Die Schönheitsfehler erblicke er im folgenden: 1. in den zu geringen Anlaufsannuitäten, 2. in der Beschränkung auf Warenleistungen vor der Realisierung der Anleihemöglichkeit, 3. in dem zu weit gespannten Zeitrahmen über die Erfüllungszeit (8 bis 12 Jahre). Sodann kam Dr. Goldmann auf die Globalforderung der von ihm repräsentierten jüdischen Verbände zu sprechen. Er nehme an, daß sich diese Forderung einen recht erheblichen Schnitt werde gefallen lassen müssen. Angenommen die 68
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen Bundesregierung gestehe n u r 20 bis 25 Prozent der geforderten Summe zu (also etwa 400 bis 500 Millionen DM im ganzen), dann sei damit zu rechnen, daß bei den Juden, insbesondere bei den amerikanischen J u d e n , eine sehr erhebliche Verstimmung eintreten werde (nicht n u r gegenüber der Bundesregierung, sondern auch gegenüber Israel). Er habe sich deshalb überlegt, ob es nicht zu empfehlen sei, wenn die Bundesrepublik den Betrag, den sie der Conference on Jewish Claims against Germany zuzugestehen gedenke, der Gesamtsumme, die Israel angeboten werde, zuschlage und es Israel anheimstelle, sich über die Verteilung d e r Gesamtentschädigung mit den Weltverbänden zu einigen. Israel sei dann der alleinige Gläubiger der Bundesrepublik und der Empfänger der deutschen Warenleistungen, übernehme aber gleichzeitig durch Vertrag den Verbänden gegenüber eine in Geld zahlbare Schuld in Höhe der vereinbarten Quote der jeweiligen deutschen Jahresleistungen an Israel. So sei dann beiden Teilen geholfen: Israel erhalte die Waren, die es brauche, und die Verbände erhielten Geld f ü r Unterstützungsleistungen an bedürftige Juden. Dr. Goldmann betonte, daß er diesen Vorschlag ohne Fühlungnahme mit Israel und ohne Autorisation mache. Er glaube aber, daß sowohl die israelische als auch die Claims-Delegation auf eine solche Lösung eingehen würden, falls sie von der Bundesregierung angeboten werden sollte. Jedenfalls werde er persönlich sich bemühen, unsere Verhandlungspartner d a f ü r zu gewinnen. Ich erklärte mich bereit, diese Anregung in Bonn zur Sprache zu bringen, hob aber hervor, daß eine Geldleistung an die Verbände n u r in der Form einer Sperrmarkgutschrift angeboten werden könne, während die mit Israel zu vereinbarende Gesamtsumme in Waren, im Anleihefall in Devisen geleistet werden müsse. Bei Annahme des Goldmannscheri Vorschlags bestehe also f ü r uns ein zusätzliches Transferproblem. Dr. Goldmann räumte dies ein. Zum Schluß bat mich Dr. Goldmann, dem Herrn Bundeskanzler zu berichten, daß nach seiner Auffassung sehr viel darauf ankomme, daß die Entscheidung der Bundesregierung sehr bald erfolge. Er würde es ganz außerordentlich begrüßen, wenn der Herr Bundeskanzler schon bei seiner Anwesenheit in Paris zu Beginn der nächsten Woche ihm, Goldmann, gegenüber gewisse bindende Erklärungen über den Gesamtrahmen eines zu schließenden Abkommens abgeben könne. Falls es dem Herrn Bundeskanzler möglich sein sollte, in den erwähnten Punkten entgegenzukommen, so könnte im Anschluß an die Besprechung bereits ein Presse-Kommunique herausgegeben werden, in dem auch schon ein Datum für den Wiederbeginn der Haag-Verhandlungen festgesetzt werden könnte. Dieses Kommunique werde dann die erste außenpolitische Entscheidung der souveränen Bundesrepublik sein und als solche in die Geschichte eingehen. Diese Geste werde auf Israel und die J u d e n einen tiefen Eindruck machen. 2. Besprechung mit Dr. Goldmann, Dr. Josephthal, Dr. Shinnar, Dr. AvnerundDr. Barou Die Herren der Israel-Delegation äußerten sich ebenfalls positiv zu meinem Vorschlag, zeigten sich aber in höherem Grad als Dr. Goldmann darüber beunruhigt, daß, abgesehen von der Anleihemöglichkeit, keine Devisenzahlungen vor69
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar gesehen seien. Die sehr eingehenden Erörterungen befaßten sich vorwiegend mit diesem Punkt. H e r r Avner wies darauf hin, daß Israel seinen lebenswichtigen Bedarf an Öl nur bei englischen Lieferanten decken könne, aber von Sterling-Devisen völlig entblößt sei. Hier sehe sich Israel einem Engpaß gegenüber, der das gesamte Aufbauprogramm gefährden könne. Da die Bundesrepublik über Sterlingguthaben verfüge, liege der israelischen Regierung viel daran, von deutscher Seite gerade in dieser Hinsicht Hilfe zu erhalten. Dr. Shinnar erläuterte noch einmal den bereits f r ü h e r diskutierten israelischen Vorschlag betreffend die Devisenzahlungen. Monatsmhlungen: davon zahlbar:
Betrag: 3 Millionen Dollar 1,4 Millionen Dollar in englischer Währung = 500 000 Pfund Sterling, 1,6 Millionen Dollar in amerikanischer Währung. Dies ergibt eine Jahresleistung von 36 Millionen Dollar= 151,2 Millionen DM, davon zahlbar: 16,8 Millionen Dollar in englischer Währung = 6 Millionen Pfund Sterling, 19,2 Millionen Dollar in amerikanischer Währung.
Auf meine Frage, ob diese Zahlungen auf die Jahres-Warenlieferungen angerechnet werden sollten, sagte Dr. Shinnar, es komme darauf an, wie hoch die Warenleistungen in den ersten 4 Jahren sein sollten. Könne die Bundesrepublik zunächst n u r 200 Millionen DM in Waren anbieten, so sollte nach seiner Ansicht die Jahreszahlung in Höhe von rund 150 Millionen DM hinzutreten. Wenn aber die deutsche Absicht dahingehe, den ganzen Vertrag in 8 Jahren zu erfüllen, also Jahresannuitäten im Durchschnittsbetrag von 375 Millionen DM zu leisten, so würde Israel selbstverständlich damit einverstanden sein, daß der Devisenbetrag voll auf die Annuität angerechnet werde. In diesem Fall seien dann jeweils nur 225 Millionen DM in Waren zu leisten. Dr. Shinnar betonte, daß nach dem Status der EZU Guthaben eines Mitgliedstaates bei einem anderen Mitgliedstaat von dem Gläubigerstaat an einen NichtMitgliedstaat abgetreten werden könnten und daß in diesem Fall nur die Zustimmung des Schuldstaates, nicht etwa die Zustimmung der Union erforderlich sei. Die Bundesrepublik könne also seine Sterling-Guthaben an Israel abtreten und bedürfe hierzu nur der Zustimmung Englands. England werde seine Zustimmung vermutlich davon abhängig machen, daß sich Israel zu Warenbestellungen in England verpflichte. Hierzu sei Israel bereit. Ich erklärte mich zwar bereit, der Bundesregierung zu berichten, daß Israel großen Wert auf Devisenzahlungen lege, betonte aber, daß nach meiner Überzeugung der Bundesrepublik Devisenzahlungen in dieser Höhe nicht möglich seien. Der vorgeschlagene Betrag absorbiere etwa die Hälfte des gesamten f ü r Schuldendienst zur Verfügung stehenden Devisenvorrats f ü r die Dauer von 4 Jahren. Selbst wenn man in Betracht ziehe, daß die deutschen Zahlungen aus 70
4.1 Der Verlauf der Verhandlungen dem Londoner Abkommen erst 18 Monate nach Abschluß einsetzen werden, sei zu befürchten, daß im Fall einer solchen Zusage an Israel das Londoner Abkommen scheitern werde, womit niemandem gedient sei, auch Israel nicht. Wenn mein Vorschlag — abgesehen von der Anleihemöglichkeit — nur Warenleistungen vorsehe, dann deshalb, weil in diesem Falle die Transferkonkurrenz mit den anderen Gläubigern der Bundesrepublik entfalle. Die deutschen Leistungen stellten dann zur Hauptsache eine rein deutsche Anstrengung, ein O p f e r der Bevölkerung dar, während im Falle von Devisenzahlungen andere Nationen und Gläubigergruppen das O p f e r zu bringen haben würden. Dr. Shinnar räumte das ein, machte aber nochmals auf die bedrängte Lage seines Landes aufmerksam. Des ferneren wies ich auf die empfindliche Dollarlücke hin, die insbesondere dem Bundeswirtschaftsminister schwere Sorgen bereite. Dr. Josephthal unterzog sodann meinen Vorschlag einer zusammenfassenden Kritik. Der Vorschlag lasse 4 Punkte offen, die er nach dem Grund ihrer Wichtigkeit ordnen wolle: 1. Die Frage des Devisenanteils. Seine Delegation habe sich durch Sondierungen in London davon überzeugt, daß die Vereinbarungen von Devisenzahlungen keineswegs auf unüberwindlichen Widerstand stoßen werden. Es handle sich für Israel nicht geradezu um eine Lebensfrage, aber doch um eine Frage von großer Wichtigkeit. 2. Die Geringfügigkeit der ersten Jahreszahlungen. Seine Delegation habe bisher immer die Wichtigkeit besonders großer Anfangsleistungen betont. Im Stadium der ersten Aufbauphase sei der Warenhunger und der Investitionsbedarf seines Landes besonders groß. Für Israel handle es sich um einen Start. Auch psychologisch sei es von großer Bedeutung, daß die Bundesrepublik gerade in den ersten Jahren eindrucksvolle Erfüllungsleistungen erbringe. Seit Beginn der Haager Verhandlungen sei der Glaube an einen ernsthaften Erfüllungswillen in Israel immer schwächer geworden. Er bedürfe dringend der Belebung. 3. Die lange Erfüllungsdauer (8 bis 12 Jahre). 8 J a h r e könnten hingenommen werden. 12 J a h r e aber seien zu lang. 4. Die Gesamtsumme. Bisher habe die deutsche Delegation die von ihrer Bundesregierung vorgeschlagene Herabsetzung auf 3 Milliarden DM noch nicht begründet. Aber diese Frage stehe f ü r Israel an letzter Stelle. Er wolle nicht auf sie zurückkommen. Auf meine Frage, ob Israel die Verhandlungen wieder a u f n e h m e n werde, wenn die Bundesregierung den von mir mitgeteilten Vorschlag zum Inhalt eines Angebots an die israelische Regierung mache, antwortete Dr. Josephthal, er befürchte, daß die Beratungen im Haag sehr bald wieder auf einen toten Punkt geraten würden, wenn die Bundesregierung in ihrem Angebot nicht schon zu Beginn wenigstens den beiden zuerst aufgezählten Wünschen Israels entgegenkomme. Dr. Goldmann bat mich, diese letzte Antwort Dr. Josephthals nicht dahin zu verstehen, als ob ein Eingehen auf die hier erörterten israelischen Abänderungs-
71
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar wünsche in irgendeiner Weise zur Bedingung f ü r die Fortsetzung der Verhandlungen gemacht würde oder daß ein deutsches Angebot, das meinem Vorschlag entspreche, bei der israelischen Regierung eine Reaktion des Unwillens hervorufen werde. Wenn ihm der Herr Bundeskanzler in Paris erkläre, daß die Bundesregierung über meinen Vorschlag nicht hinausgehen können, dann werde die israelische Regierung vielleicht zunächst außerhalb der Haager Verhandlungen in inoffizieller Weise versuchen, auf eine Verbesserung des deutschen Angebots hinzuwirken, damit dann die Verhandlungen im Haag ohne Spannungen zu Ende geführt werden könnten. Denn die Besorgnis vor neuerlichen Rückschlägen sei bei der israelischen Regierung groß. Die Verhandlungen würden dann im schlimmsten Fall etwas später beginnen. Aber der Inhalt meines Vorschlags biete keinen Anlaß zu apodiktischen Erklärungen oder Beanstandungen. Dr. Goldmann betonte abschließend noch einmal seine Bitte um möglichste Beschleunigung und wiederholte seinen Vorschlag, der Herr Bundeskanzler möge dem Angebot dadurch, daß er es zu dem ersten außenpolitischen Akt der souveränen Bundesrepublik mache, eine besondere Weihe geben. Nach dem Ende der Besprechung nahm Dr. Goldmann noch eine Gelegenheit wahr, mich allein zu sprechen. Er bat mich, dem Herrn Bundeskanzler seine Grüße zu übermitteln und ihm als seine Überzeugung mitzuteilen, daß die Regierung Israels meine Entsendung nach Paris und den Inhalt meiner Eröffnungen ebenso würdige wie er selbst. Er werde in der ersten Wochenhälfte in Paris sein und stehe jederzeit zur Verfügung, wenn der Herr Bundeskanzler die Absicht habe, ihn zu empfangen. 3. Besprechung mit Dr. Josephthal Bei meiner Abfahrt von Paris erwartete mich Dr.Josephthal auf dem Bahnsteig und machte mir folgende Eröffnung: Er habe das Bedürfnis, mir zu erklären, aus welchem Grund f ü r die israelische Regierung der Wunsch, Devisen zu erhalten, so dringend geworden sei. Israel habe in den letzten Wochen versucht, in London eine Anleihe zu erhalten, und sei mit diesem Versuch gescheitert. Herr Abs habe Kenntnis von diesem Vorgang. Die Verlegenheit, die damit für Israel entstanden sei, veranlasse ihn, mir zu erklären, daß Israel bereit sei, in eine Herabsetzung der Gesamtsumme zu willigen, wenn sich die Bundesrepublik dazu verstehen könne, einen Teil der Jahresleistungen f ü r die nächsten Jahre in Devisen zu erfüllen. Dr. Shinnar sei bereit, diese Frage mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister zu erörtern, falls dies erwünscht sein sollte. Er bitte, ihm gegebenenfalls den Termin an seine Londoner Adresse mitzuteilen."
4.1.5
Das Kommunique zum Treffen von Adenauer und Goldmann
Am 28. Mai 1952, als sich der Bundeskanzler zur Unterzeichnung des Vertrages über die europäische Verteidigungsgemeinschaft erneut in Paris aufhielt, traf er 72
4.2 Arabische Proteste wieder mit Nahum Goldmann zusammen. Goldmann zeigte großes Verständnis für die Sorge der deutschen Außenpolitik und f ü r die Tatsache, daß ihm Adenauer noch keine endgültige Entscheidung über die deutschen Leistungen vorschlagen konnte. Die Besprechungen endeten mit einem Kommunique, das bereits günstige Aspekte f ü r die Zukundt zeigte. Dieses Kommunique hatte folgenden Wortlaut: „Am 28. Mai 1952 empfing Bundeskanzler Dr. Adenauer in Paris den Vorsitzenden der Konferenz für jüdische Ansprüche an Deutschland, Dr. Nahum Goldmann, zu einer Aussprache. Der Bundeskanzler gab in dieser Besprechung erneut seiner und der Bundesregierung Entschlossenheit und Zuversicht Ausdruck, die Verhandlungen mit Israel und den jüdischen Organisationen zu einem positiven Ergebnis zu führen. Der Bundeskanzler und Dr. Goldmann waren sich darüber einig, daß es wünschenswert sei, die offiziellen Verhandlungen baldigst wiederaufzunehmen. Um dies zu erreichen, wurde eine erneute Besprechung f ü r die nahe Zukunft in Aussicht genommen, in der ein konkreter Vorschlag zur Befriedigung der Forderungen Israels und der jüdischen Organisationen unterbreitet werden soll." Bereits am 10. Juni 1952 kam es zum entscheidenden Gespräch in Bonn. Von israelischer Seite nahmen Goldmann und der spätere Botschafter Shinnar teil, auf deutscher Seite Staatssekretär Walter Hallstein und Hermann Josef Abs. Dieses Gespräch war entscheidend, weil hier die endgültigen Beträge f ü r den Vertragsabschluß festgelegt werden konnten, wobei sich die Bundesregierung verpflichtete, die deutschen Vertragsleistungen auf 3,4 bis 3,5 Milliarden DM zu beziffern. Auch die einzelnen Jahresraten wurden festgelegt. Man kam überein, daß bis zum 31. März 1954 Warenlieferungen in Höhe von 400 Millionen DM aus der Bundesrepublik nach Israel gehen und danach in zehn Jahresraten zu je 250 Millionen DM geliefert werden sollten. Eine Woche später gab das Bundeskabinett die Zustimmung zu allen Einzelheiten des Gesprächs vom 10. Juni. So konnte am 28. Juni 1952 in Wassenaar die letzte Runde der Vertragsverhandlungen beginnen, in der auch die technischen und verwaltungstechnischen Fragen festgelegt wurden. Schwierigkeiten, die in diesem Abschnitt der Beratungen auftauchten, konnten rasch beseitigt werden, so daß Anfang September das Vertragswerk zur Unterschrift vorlag.
4.2 Arabische Proteste Wenn man die Zeit der Verhandlungen über den Israel-Vertrag aus dem Jahr 1952 betrachtet, so ist es n u r allzu verständlich, daß man schon damals arabische Proteste gegen jede Wiedergutmachungsleistung der Bundesrepublik Deutschland an Israel zu hören bekam. Nach ihrer Anschauung befanden sie sich mit Israel im Kriegszustand und sahen derartige Leistungen an einen kriegführenden Staat als Verstoß gegen die Neutralität anderer. Die Bundesrepublik Deutsch73
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar land ging von dem Standpunkt aus, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Kriegszustand verneint hatte. Daraufhin wurde von deutscher Seite der Vorwurf einer Neutralitätsverletzung auch deutlich zurückgewiesen. Die mit Israel vereinbarten Warenlieferungen dienten ausschließlich friedlichen Zwecken. Die Bundesregierung machte an die arabischen Staaten Garantieangebote in denen bekräftigt wurde, daß im Rahmen dieses Abkommens keinerlei Kriegsgerät und Munition an Israel geliefert würden. Dennoch: Mißtrauen und Empörung waren in allen arabischen Staaten groß, was nicht zuletzt daraus resultierte, daß man glaubte, Israel könne durch Re-Export der deutschen Warenlieferungen in den Besitz von Devisen zum Waffenkauf gelangen. Der Vertrag mit Israel sah eindeutig vor, daß jeder Re-Export aus dem Wiedergutmachungsabkommen ausgeschlossen war. Ein zweites Argument der Arabischen Liga sprach davon, daß das wirtschaftliche Gleichgewicht im Nahen Osten durch den Aufbau der israelischen Wirtschaft gestört würde. Der damalige Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums Ludger Westrick flog nach Kairo, um den arabischen Staaten eine Unterstützung durch deutsche Ingenieure und Fachkräfte sowie eine Ausweitung des deutsch-arabischen Handels und eine Festschreibung durch entsprechende Handelsverträge anzubieten. Der zunächst von der Arabischen Liga angedrohte Boykott gegen deutsche Waren bei Abschluß des deutsch-israelischen Vertrages unterblieb. Das geschah nicht zuletzt deshalb, weil die deutsche Seite bemüht gewesen war, das Abkommen mit Israel in den arabischen Hauptstädten zu erläutern. Konrad Adenauer hat die deutsch-arabischen Beziehungen immer realistisch gesehen. Vor allem war er sich darüber klar, daß angesichts des geteilten Deutschlands ein Boykott durch die arabischen Staaten auch politische und nicht nur wirtschaftliche Verluste heraufbeschwören würde. Dennoch hat sich Konrad Adenauer durch die Drohungen der arabischen Staaten und des Büros der Arabischen Liga in Bonn nie in seiner Haltung gegenüber Israel beirren lassen. Die Entwicklung eines guten Verhältnisses zum jüdischen Staat und zum jüdischen Volk war für ihn eine sittliche Aufgabe, und er hat sich stets dagegen gewehrt, das Engagement gegenüber Israel mit irgend etwas anderem in der Politik vergleichen zu lassen. Diese Frage stand für ihn über allen politischen und wirtschaftlichen Überlegungen. Das Vertrauen des jüdischen Volkes war nicht allein mit Deklarationen zu erreichen, es bedurfte auch materieller Opfer. Nach allem, was zu dieser Frage in der deutschen Öffentlichkeit gesprochen und geschrieben worden war, wußte er, daß das deutsche Volk, die deutsche Wirtschaft und die Gewerkschaften in dieser Betrachtung der Dinge mit ihm einig waren. Die Bundesrepublik Deutschland konnte und wollte sich nicht von den arabischen Staaten erpressen lassen. Man glaubte im Bundeskanzleramt, daß die Zeit bis zur Ratifizierung des deutsch-israelischen Abkommens ausreichen werde, um in den arabischen Staaten Verständnis für die deutsche Haltung zu wecken.
74
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen wird, in Luxemburg unterzeichnet
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen wird in Luxemburg unterzeichnet Auf den 10. September 1952, morgens 8.00 Uhr, war in aller Heimlichkeit der Termin zur Unterzeichnung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens festgelegt worden. Von israelischer Seite befürchtete man Attentate rechtsextremistischer Kreise des eigenen Volkes. Nur einige Journalisten wohnten d e r historischen Stunde bei; Filmkameras gab es nicht; n u r wenige Fotografen waren anwesend. Als einem Fotografen die Blitzlichtbirne mit lautem Knall platzte, glaubte man bereits, ein Attentat sei im Gange. Die Atmosphäre war äußerst gespannt. Konrad Adenauer hatte Wert darauf gelegt, daß der Vertrag noch am 10. September unterzeichnet wurde. Am selben Tage, n u r wenige Stunden später, traten die Gremien der neugegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zum ersten Mal zusammen. Adenauer wollte von deutscher Seite nicht in die Gemeinschaft der freien europäischen Völker eintreten, ohne einen klaren Beweis der Aussöhnung und der Hilfe für die Opfer derJudenpolitik Hitlers z u m A u s d r u c k
gebracht zu haben. Zur Unterzeichnung des Abkommens war der israelische Außenminister Moshe Sharett nach Luxemburg gekommen. Felix E. Shinnar, der mit dem späteren Minister Josephthal den Hauptteil der Verhandlungslast auf israelischer Seite getragen hatte, sagte über diese Stunde: „Ich erinnere mich sehr gut, wie wir am Morgen des 10. September um acht Uhr in dem Maison de Ville, also im Rathaus der Stadt Luxemburg, uns trafen; die israelische Delegation, um kurz nach acht mit der deutschen Delegation, geführt von Bundeskanzler Dr. Adenauer, zusammenzutreffen. Es schloß sich die Unterzeichnung des Abkommens an, ein Akt, der allen, die daran beteiligt waren, immer in der Erinnerung bleiben wird. Es wurde ein Abkommen vollzogen, von dem ich glaube, daß es, in der historischen Perspektive gesehen, zu den denkwürdigsten der Menschheitsgeschichte gehören wird. Obwohl es sich um die Regelung eines materiellen Schadens handelte, stand hier selbstverständlich zur Diskussion und sozusagen als Überschrift über diesem Zusammenkommen, die Wiederbegegnung zwischen dem deutschen Volk und dem israelischen Volk nach der Zeit des Unrechts und der Gewalt unter Hitler." Moshe Sharett, der dem deutschen Bundeskanzler in Luxemburg bei der Unterzeichnung des Abkommens gegenübergesessen hatte und f ü r sein Volk die Unterschrift unter den Vertrag leistete, sagte dem Herausgeber dazu einmal in Paris: „Die Unterzeichnung des Wiedergutmachungsabkommens zwischen Israel und Deutschland, die mir die erste Gelegenheit gegeben hat, den Bundeskanzler Dr. Adenauer persönlich kennenzulernen, ist f ü r mich ein unvergeßliches Erlebnis 75
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar geblieben. Es war eine politische Tatsache von ungeheuerer internationaler Tragweite, das etwas ganz Präzedenzloses war und das sich in die Geschichte Israels sowie in die Deutschlands ganz bedeutsam eingegliedert hat. Es war dies ein historischer Akt, der dem freien Nachkriegsdeutschland Ehre einbrachte und der sich f ü r Israel zu einer Quelle wichtigster konstruktiver Hilfe ausgewirkt hat. Das moralische Verdienst, das sich die deutsche Bundesrepublik dadurch errang, hat sie in erster Linie Dr. Adenauer zu verdanken, der deutscherseits dieses Abkommen angeregt und zum endgültigen Abschluß geführt hat. Ich möchte auch den Anteil der Sozialdemokratischen Partei erwähnen, und ich persönlich tue es mit einer besonderen Genugtuung. Ihre tatkräftige Unterstützung trug entscheidend zur endgültigen Bestätigung und Inkraftsetzung des Abkommens bei." Wie die beiden großen Probleme, das Näherkommen der beiden Völker und die materielle Entschädigung sich ergänzen, wird aus dem Text des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel deutlich.
4.3.1
Der Text des Abkommens
In der Erwägung, daß während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unsagbare Verbrechen gegen das jüdische Volk verübt worden sind, und daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Erklärung vor dem Bundestag vom 27. September 1951 ihren Willen bekundet hat, in den Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit die materiellen Schadensfolgen dieser Taten wiedergutzumachen und daß der Staat Israel die schwere Last auf sich genommen hat, so viele entwurzelte und mittellose jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und den ehemals unter deutscher Herrschaft stehenden Gebieten in Israel anzusiedeln, und deshalb einen Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland auf globale Erstattung der entstandenen Eingliederungskosten geltend gemacht hat, sind, der Staat Israel und die Bundesrepublik Deutschland zu folgender Vereinbarung gelangt: Artikel 1 (a) Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen zahlt die Bundesrepublik Deutschland an den Staat Israel einen Betrag in Höhe von 3 000 Millionen Deutsche Mark. (b) Darüber hinaus zahlt die Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung 76
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen
wird in Luxemburg
unterzeichnet
mit der Verpflichtung, die in Artikel 1 des heute von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der .Conference on Jewish Material Claims against Germany' unterzeichneten und diesem Abkommen beigelegten Protokolls Nr. 2 übernommen worden ist, an Israel zugunsten der genannten Conference einen Betrag in Höhe von 450 Millionen Deutsche Mark; dieser Betrag von 450 Millionen Deutsche Mark ist für den in Artikel 2 des erwähnten Protokolls festgelegten Zweck zu verwenden. (c) Die folgenden Bestimmungen dieses Abkommens finden auf den sich somit ergebenden Gesamtbetrag von 3 450 Millionen Deutsche Mark Anwendung, vorbehaltlich der Bestimmung der Artikel 3 Absatz (c) und 15. Artikel 2 Die Bundesrepublik Deutschland wird den in Artikel 1 Absatz (c) erwähnten Betrag nach Maßgabe der Artikel 6, 7 und 8 f ü r den Ankauf solcher Waren und Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die der Erweiterung der Ansiedlungsund Wiedereingliederungsmöglichkeiten f ü r jüdische Flüchtlinge in Israel dienen. Um den Ankauf dieser Waren und die Beschaffung dieser Dienstleistungen zu erleichtern, trifft die Bundesrepublik Deutschland Maßnahmen und gewährt Vergünstigungen, soweit sie in den Artikeln 5, 6 und 8 bestimmt sind. Artikel 3 (a) Die in Artikel 1 dieses Abkommens übernommene Verpflichtung wird, unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 4, durch die Zahlung von Jahresleistungen wie folgt getilgt: (i) Vom Inkrafttreten dieses Abkommens bis zum 31. März 1954 in Beträgen von 200 Millionen Deutsche Mark f ü r jedes Haushaltsjahr. Als erstes Haushaltsj a h r gilt die Zeit vom Inkrafttreten dieses Abkommens bis zum 31. März 1953; danach läuft jedes Haushaltsjahr vom 1. April eines Jahres bis zum 31. März des folgenden Jahres. (ii) Vom 1. April 1954 ab in neun Jahresleistungen in Höhe von je 310 Millionen Deutsche Mark und in einer zehnten Jahresleistung in Höhe von 260 Millionen Deutsche Mark, vorbehaltlich der Bestimmungen des nachstehenden Unterabsatzes (iii). (iii) Ist die Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland der Auffassung, den Bestimmungen des obigen Unterabsatzes (ii) nicht nachkommen zu können, so wird sie drei Monate vor Beginn des dritten Haushaltsjahres der in Artikel 12 erwähnten Israelischen Mission schriftlich Mitteilung über eine Herabsetzung der gemäß Unterabsatz (ii) zu zahlenden Jahresleistungen machen, wobei jedoch vorausgesetzt ist, daß unter keinen Umständen eine dieser Jahresleistungen weniger als 250 Millionen deutsche Mark betragen darf. (b) Die oben erwähnten Jahresleistungen sind in gleichen Teilbeträgen am 15. April u n d am 15. August jedes Jahres fällig. Die erste Jahresleistung ist folgendermaßen zu zahlen: 77
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar 60 Millionen Deutsche Mark am Tage des Inkrafttretens dieses Abkommens u n d 140 Millionen Deutsche Mark drei Monate danach o d e r am 31. März 1953, u n d zwar an demjenigen dieser beiden Termine, d e r d e r f r ü h e r e ist. (c) Alle Jahresleistungen, die auf G r u n d der Bestimmungen dieses Artikels gezahlt werden, tilgen, sobald sie gezahlt sind, die von d e r Bundesrepublik Deutschland in Artikel 1 Absatz (b) begründete Verpflichtung, und zwar in dem Verhältnis, in dem diese Verpflichtung zu der geschuldeten Gesamtsumme steht, die in Artikel 1 Absatz (c) g e n a n n t ist. Die Israelische Regierung wird, wenn solche Jahresleistungen eingegangen sind, d e r Conference on Jewish Material Claims against Germany o d e r deren Rechtsnachfolger o d e r Rechtsnachfolgern innerhalb eines Jahres nach Eingang d e r jeweiligen Jahresleistungen einen Betrag zahlen, d e r d e m oben erwähnten Verhältnis entspricht. (d) Die Jahresleistungen sind in Übereinstimmung mit Artikel 9 zahlbar auf das Konto der Israelischen Mission bei d e r Bank deutscher Länder oder einer an d e r e n Stelle tretenden Zentralnotenbank. Artikel 4 (a) Die Bundesrepublik Deutschland wird sich b e m ü h e n , den gemäß Artikel 1 dieses Abkommens zu zahlenden Betrag durch E r h ö h u n g d e r Jahresleistungen in einer kürzeren Zeit abzulösen, als sie sich aus einer o d e r allen Bestimmungen des Artikels 3 Absatz (a) ergeben würde. (b) Erhält die Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland in einer allgemein u n d frei konvertierbaren W ä h r u n g eine Auslandsanleihe o d e r andere auswärtige finanzielle Hilfe, die ausschließlich f ü r den Zweck d e r Finanzierung der Verpflichtung aus Artikel 1 bestimmt ist, so ist der gesamte Erlös dieser Anleihe o d e r dieser Hilfe zu diesem Zweck zu verwenden, u n d zwar zur Ablösung der letzten Jahresleistungen, die auf G r u n d dieses Abkommens fällig werden. (c) Erhält die Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland in einer allgemein u n d frei konvertierbaren W ä h r u n g eine Auslandsanleihe o d e r andere auswärtige finanzielle Hilfe, die nicht f ü r einen besonderen außerhalb dieses Abkommens liegenden Zweck bestimmt ist, so wird die Bundesregierung, sofern u n d soweit sie dies f ü r möglich hält, einen angemessenen Teil des Betrages d e r Anleihe oder Hilfe zur Finanzierung d e r Verpflichtung aus Artikel 1 verwenden, u n d zwar zur Ablösung d e r beiden letzten Jahresleistungen oder eines Teiles derselben, soweit nicht die letzten beiden Jahresleistungen bereits abgelöst sind. (d) Der in den vorstehenden Absätzen (b) und (c) erwähnte Erlös wird Israel in d e r W ä h r u n g u n d in d e r Zeit zur V e r f ü g u n g gestellt, in d e r die Anleihe oder Hilfe gewährt wird. (e) Eine Ablösung, gleichgültig ob vorzeitig oder nicht, kann von der Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland jederzeit in irgendeiner allgemein und frei konvertierbaren W ä h r u n g o d e r in Deutsche Mark, falls die Deutsche Mark allgemein und frei konvertierbar wird, oder in einer a n d e r e n gegenseitig vereinbarten W ä h r u n g v o r g e n o m m e n werden. 78
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen
wird in Luxemburg
unterzeichnet
(f) Sollte eine vorzeitige Ablösung der gesamten noch zu zahlenden Summe oder eines Teiles derselben in nicht allgemein und frei konvertierbarer Deutscher Mark angeboten werden, so ist diese von Israel anzunehmen, vorausgesetzt, daß sie zum Erwerb von Waren und Dienstleistungen innerhalb der jeweils geltenden in Artikel 6 Absatz (a) genannten Warenliste unter Berücksichtigung der Bestimmungen von Artikel 6 Absatz (e) verwendet werden kann; die Ablösung ist auf die alsdann letztfälligen Jahresleistungen anzurechnen. (g) Im Falle einer vorzeitigen Ablösung der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland entscheidet die in Artikel 13 erwähnte Gemischte Kommission, ob und in welcher Höhe unter Berücksichtigung aller in Frage kommender Umstände der Bundesrepublik Deutschland ein Bardiskont mit Rücksicht auf eine solche vorzeitige Ablösung zu gewähren ist. Artikel 5 (a) Die Lieferung von Waren, die in den Gruppen der Warenliste enthalten sind, unterliegt in jeder Hinsicht den jeweils geltenden Bedingungen f ü r den Export von Waren der gleichen Art aus der Bundesrepublik Deutschland. Eine Diskriminierung gegenüber Exporten nach dritten Ländern, insbesondere auch bezüglich von Preisen, die gegenwärtig oder künftig der Einwirkung behördlicher Maßnahmen unterliegen, darf nicht erfolgen. (b) Die Warenlieferungen an Israel unterliegen der folgenden steuerlichen Behandlung: (i) Warenlieferungen, die Firmen in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund eines mit der Israelischen Mission abgeschlossenen Liefervertrages vornehmen, gelten als Ausfuhrlieferungen im Sinne des Umsatzsteuergesetzes in der Fassung vom 1. September 1951 (BGBl. IS. 791) und der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz in der Fassung vom 1. September 1951 (BGBl. I S. 796), wenn nachgewiesen ist, daß die Waren in Erfüllung eines solchen Liefervertrages nach Israel versendet worden sind. Die Vorschriften der Paragraphen 23, 25 und 26 der angeführten Durchführungsbestimmungen sind entsprechend anzuwenden. (ii) Für Warenlieferungen, die am und nach dem 1. April 1953 erfolgen, sind Ausfuhrhändlervergütung und Ausfuhrvergütung zu gewähren; die Paragraphen 70 bis 80 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz in der Fassung vom 1. September 1951 finden entsprechende Anwendung. (iii) Die die Steuern von Einkommen und Ertrag betreffenden Vorschriften des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Ausfuhr vom 28. Juni 1951 (BGBl. I S. 405) und der zu diesem Gesetz ergangenen oder noch ergehenden Durchführungsverordnungen finden auf die gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens erfolgenden Warenlieferungen keine Anwendung. (iv) Werden die in den vorstehenden Unterabsätzen (i) und (ii) angeführten steuerlichen Vorschriften geändert, aufgehoben oder durch steuerliche Vorschriften ähnlicher Art ersetzt, so gelten solche Veränderungen, sofern sie allgemein Anwendung finden, auch f ü r Lieferungen an Israel. 79
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen
in Wassenaar
(c) Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland trifft alle Verwaltungsmaßnahmen, die zur D u r c h f ü h r u n g von Warenlieferungen an Israel erforderlich sind. Dies gilt insbesondere f ü r solche Verwaltungsmaßnahmen, die im Zusammenhang mit etwaigen innerdeutschen Bewirtschaftungsmaßnahmen wie Festsetzung von Exportquoten und ähnlichem erforderlich sein mögen, wenn diese Bewirtschaftungsmaßnahmen gegenwärtig oder in Zukunft a u f W a r e n der Art Anwendung finden, die an Israel geliefert werden sollen. (d) Etwaige innerdeutsche Einschränkungen hinsichtlich des Exports von Waren aus der Bundesrepublik Deutschland gelten f ü r die nach Israel zu exportierenden Waren nur insoweit, als diese Einschränkungen allgemein auf Länder oder Gruppen von Ländern Anwendung finden, die mit der Bundesrepublik Deutschland Außenhandelsbeziehungen unterhalten. (e) Die gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens nach Israel exportierten Waren d ü r f e n nicht nach dritten Ländern reexportiert werden, soweit nicht die Gemischte Kommission anderweitig beschlossen hat. Dieses Verbot gilt nicht f ü r Waren, die in Israel ihre letzte, wirtschaftlich gerechtfertigte und wesentliche Veränderung ihrer Beschaffenheit bewirkende Bearbeitung erfahren haben. (f) Falls solche Waren im Widerspruch zu den im vorstehenden Absatz (e) enthaltenen Bestimmungen reexportiert werden, ist die in Artikel 14 dieses Abkommens genannte Schiedskommission bei Feststellung eines solchen Reexports berechtigt, Israel eine Vertragsstrafe aufzuerlegen, die ihrer Höhe nach dem Wert dieser Waren in dem Zeitpunkt entspricht, in dem sie in der oben geschilderten Art reexportiert wurden. Falls auf eine solche Vertragsstrafe erkannt wird, wird sie von der nächstfälligen Jahresleistung abgezogen. Artikel 6 (a) Die von der Israelischen Mission zu beschaffenden Waren und Dienstleistungen werden in Warenlisten aufgeführt. (b) Bei der Aufstellung dieser Warenlisten sind insbesondere Investitionsgüter zu berücksichtigen. (c) Gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens gelieferte Waren können auch außerdeutschen Ursprungs sein. (d) Für die Waren und Dienstleistungen, die in der Warenliste für die ersten beiden Haushaltsjahre enthalten sind, werden folgende Gruppen gebildet: Gruppe I Stahl und Eisen sowie NE-Metalle Gruppe II Erzeugnisse der stahlverarbeitenden Industrie Gruppe III Erzeugnisse der chemischen und sonstiger Industrien Gruppe IV Landwirtschaftliche und ernährungswirtschaftliche Erzeugnisse Gruppe V Dienstleistungen (e) Die Beträge, um die sich die Jahresleistungen auf Grund dieses Abkommens erhöhen können, werden wie folgt auf die in Absatz (d) erwähnten Gruppen aufgeteilt: 13 Prozent des Mehrbetrags auf Gruppe I 80
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen
wird in Luxemburg
unterzeichnet
30 Prozent des Mehrbetrags auf Gruppe II 45 Prozent des Mehrbetrags auf Gruppen III und IV 12 Prozent des Mehrbetrags auf Gruppe V (f) Die Warenlisten werden vom 1. April 1954 an auf Grund von Listen, welche die Israelische Mission f ü r einen vereinbarten Zeitraum, jedoch mindestens f ü r ein Jahr, vorlegt, durch die Gemischte Kommission gemäß den folgenden Bestimmungen aufgestellt: (i) Die Israelische Mission wird der Gemischten Kommission ihre Lieferliste spätestens sechs Monate vor Ablauf der geltenden Warenliste vorlegen. (ii) Die Gemischte Kommission wird spätestens drei Monate nach Erhalt der in vorstehendem Unterabsatz (i) erwähnten Liste zusammentreten, um nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Artikels die dann folgende Warenliste aufzustellen. (g) Jede Warenliste, die f ü r einen Zeitraum nach dem 31. März 1954 aufgestellt wird, soll grundsätzlich in ihrer Zusammensetzung auf der ihr unmittelbar vorausgehenden Warenliste beruhen. Die Gemischte Kommission ist jedoch berechtigt, Änderungen in der Warenliste vorzunehmen, wenn sie diese gemäß den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes (f) aufstellt. Bei P r ü f u n g von Änderungen in der Zusammensetzung jeder solcher Warenlisten hat die Gemischte Kommission den Bedarf von Israel und die Liefermöglichkeiten der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland angemessen zu berücksichtigen. (h) Falls die Gemischte Kommission keine Einigung über Änderungen erzielt, soll jede solche Warenliste, vorbehaltlich der Bestimmungen des vorstehenden Absatzes (e), in ihrer Zusammensetzung auf der ihr unmittelbar vorausgehenden Warenliste beruhen. Die vorstehende Bestimmung gilt jedoch nicht f ü r solche Änderungen, bei denen ausdrücklich vereinbart war, daß sie n u r für einen bestimmten Zeitraum Geltung haben sollten. Artikel 7 (a) Der Einkauf von Waren u n d die Beschaffung von Dienstleistungen gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens werden allein und ausschließlich durch die Israelische Mission vorgenommen. (b) Verträge f ü r die Lieferung von Waren oder die Beschaffung von Dienstleistungen auf Grund der jeweils geltenden Warenliste werden zwischen der Israelischen Mission einerseits und deutschen Lieferfirmen andererseits abgeschlossen. Das Verfahren f ü r den Ankauf von Waren außerdeutschen Ursprungs wird durch die Gemischte Kommission geregelt. (c) Für die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen der Israelischen Mission im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren und der Beschaffung von Dienstleistungen gilt das deutsche Recht. (d) Das Verfahren f ü r die P r ü f u n g von Aufträgen, die die Israelische Mission deutschen Lieferfirmen erteilt, ist in dem Anhang zu diesem Artikel enthalten. 81
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
Artikel 8 (a) Der f ü r die Bereitstellung von Dienstleistungen in der jeweils geltenden Warenliste vorgesehene Betrag dient f ü r Zahlungen der Israelischen Mission f ü r Versichernngs- u n d Transportkosten, f ü r Verwaltungsausgaben einschließlich Peronal- und sächlicher Kosten sowie f ü r alle anderen Aufwendungen, die der Israelischen Mission im Zusammenhang mit der D u r c h f ü h r u n g dieses Abkommens erwachsen. Wenn irgendwelche derartigen Beträge am Ende irgendeines der Zeiträume, die in Artikel 6 Absätze (d) und (f) erwähnt sind, nicht verbraucht sind, so sind diese nichtverbrauchten Beträge f ü r den Ankauf von Waren während des dann beginnenden Zeitraumes zu verwenden; die Beträge sind unter die in der dann in Kraft tretenden Warenliste enthaltenen Warengruppen aufzuteilen, und zwar in dem in dieser Warenliste festgelegten Verhältnis. (b) Die Israelische Mission wird sich grundsätzlich f ü r die Versicherung der unter dieses Abkommen fallenden Waren deutscher Versicherungsfirmen bedienen. Versicherungsverträge sind in Deutscher Mark abzuschließen. Versicherungsprämien sind in Deutscher Mark zu leisten. Versicherungsansprüche aus solchen Verträgen sind in Deutscher Mark zu erfüllen, und die gezahlten Beträge sind f ü r die Neubeschaffung entsprechender Waren zu verwenden. Derartige Neubeschaffungen unterliegen in jeder Hinsicht den Bestimmungen dieses Abkommens. (c) Für den Fall, daß die Israelische Regierung sich f ü r den Transport von Waren deutscher Schiffahrtslinien bedient, werden die erforderlichen Frachtbeträge in Deutscher Mark aus dem Betrag gezahlt, der in diesem Abkommen f ü r Dienstleistungen vorgesehen ist. Kosten f ü r Seefrachten in einer anderen Währung als Deutscher Mark sind von der Israelischen Regierung aus Mitteln zu bezahlen, die nicht aus diesem Abkommen stammen. (d) Für den Fall, daß eine Verschiffung über einen deutschen Seehafen Ausgaben oder Vorkehrungen in sich schließt, die unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlich nicht zumutbar sind, ist die Israelische Mission berechtigt, Seehäfen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu benutzen; der Beurteilung der Frage, ob solche Ausgaben oder Vorkehrungen wirtschaftlich nicht zumutbar sind, ist als wesentlicher Faktor die in vergleichbaren Einzelfällen allgemein übliche Verkehrsabwicklung zugrunde zu legen. Die Israelische Regierung ist nicht berechtigt, Mittel aus diesem Abkommen für die Bezahlung von Transportkosten oder anderen Dienstleistungen ab deutscher Grenze zu verwenden. Artikel 9 (a) Bei Inkrafttreten dieses Abkommens wird die Israelische Mission die Eröffnung eines DM-Kontos auf ihren Namen bei der Bank deutscher Länder oder bei einer an deren Stelle tretenden Zentralnotenbank beantragen. Unbeschadet ihres Rechtes, die gemäß Artikel 3 Absatz (b) fällig werdenden Jahresleistungen an den Fälligkeitsterminen auf das Konto der Israelischen Mission zu überweisen, 82
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen wird in Luxemburg unterzeichnet wird die Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland auf A n f o r d e r u n g d e r Israelischen Mission Überweisungen fällig gewordener Jahresleistungen auf dieses Konto zur Deckung des entstehenden Zahlungsbedarfs d e r Israelischen Mission vornehmen, u n d zwar in Höhe, wie sie jeweils von d e r Israelischen Mission angezeigt wird. (b) J e d e r bis zum Ende eines Haushaltsjahres nicht von d e r Israelischen Mission zur Überweisung auf das erwähnte Konto a b g e r u f e n e Betrag wird d e m Guthaben d e r Israelischen Mission bei der Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland f ü r das folgende Haushaltsjahr übertragen. (c) Die D u r c h f ü h r u n g s b e s t i m m u n g e n zu diesem Artikel sind in dem A n h a n g zu diesem Artikel enthalten. Artikel 10 (a) Falls die wirtschaftliche oder finanzielle Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland während der Dauer dieses Abkommens tiefgreifend u n d anhaltend beeinträchtigt wird, werden die Vertragschließenden Parteien Verhandlungen a u f n e h m e n , die den Zweck haben, die weitere Erfüllung der von d e r Bundesrepublik Deutschland in diesem Abkommen ü b e r n o m m e n e n Verpflichtungen den veränderten Verhältnissen anzupassen, die sich aus den oben erwähnten Umständen ergeben. (b) Eine solche Anpassung soll nicht eine Herabsetzung des von d e r Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 1 dieses Vertrages geschuldeten Gesamtbetrages bewirken, sondern n u r zu einer v o r ü b e r g e h e n d e n Herabsetzung d e r gemäß Artikel 3 geschuldeten Jahresleistungen f ü h r e n . (c) Kann bei Vorliegen einer tiefgreifenden u n d anhaltenden Beeinträchtigung d e r finanziellen Leistungsfähigkeit d e r Bundesrepublik im Verhandlungswege ein Einvernehmen nicht erzielt werden und wird die in Artikel 14 erwähnte Schiedskommission um einen Spruch angegangen, so hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland bis zum Spruch d e r Schiedskommission das Recht, den Betrag d e r nächstfälligen Jahresleistung herabzusetzen, vorausgesetzt, daß sie innerhalb einer den Umständen entsprechenden Frist ihre Absicht mitteilt, eine solche Jahresleistung in dieser Weise herabzusetzen. Artikel 11 Ä n d e r n sich während d e r Laufzeit dieses Abkommens die Umstände in d e r Weise, d a ß sich daraus eine wesentliche V e r m i n d e r u n g d e r Substanz d e r von der Bundesrepublik Deutschland gemäß diesem A b k o m m e n ü b e r n o m m e n e n Verpflichtung ergibt, so werden die Vertragschließenden Parteien zu d e m Zwecke d e r Anpassung d e r noch ausstehenden Jahresleistungen an die derart veränderten Umstände V e r h a n d l u n g e n a u f n e h m e n .
83
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar Artikel 12 (a) Die Israelische Regierung wird als ihren einzigen u n d ausschließlichen Vertreter in die Bundesrepublik Deutschland eine Mission entsenden, die beauftragt wird, dieses Abkommen f ü r die Israelische Regierung d u r c h z u f ü h r e n . Die Mission wird d e n N a m e n ,Israel Mission' oder einen anderen N a m e n f ü h r e n , auf den sich die beiden Vertragschließenden Parteien einigen. (b) Die Israelische Mission ist berechtigt, alle Tätigkeiten in d e r Bundesrepublik Deutschland auszuüben, die im Zusammenhang mit d e r raschen u n d wirksamen D u r c h f ü h r u n g des vorliegenden Abkommens erforderlich sein können; insbesondere ist sie berechtigt: (i) ü b e r die Lieferung von Waren u n d die Leistung von Diensten gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens A u f t r ä g e zu vergeben u n d Verträge abzuschließen u n d d u r c h z u f ü h r e n sowie die h i e r f ü r notwendigen Zahlungen vorzunehmen. (ii) Beratungen mit amtlichen und nichtamtlichen Stellen u n d Organisationen über alle Fragen zu f ü h r e n , die sich auf die D u r c h f ü h r u n g des vorliegenden Abkommens beziehen, (iii) sich mit allen sonstigen Angelegenheiten zu befassen, die sich in Verbind u n g mit d e n oben a n g e f ü h r t e n Tätigkeiten ergeben. (c) Die Israelische Mission gilt als eine juristische Person im Sinne des deutschen Rechts. Die Israelische Mission bedarf nicht der Eintragung in das Handelsregister. Die Namen d e r f ü r die Israelische Mission vertretungsberechtigten Personen sind von der Israelischen Mission im Bundesanzeiger laufend zu veröffentlichen und außerdem in anderer Weise öffentlich bekannt zu machen. Diese Personen gelten Dritten gegenüber als vertretungsberechtigt f ü r die Israelische Mission, solange d e r Widerruf ihrer Befugnis nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht ist. Die Israelische Mission ist d e r Gerichtsbarkeit der deutschen Gerichte hinsichtlich d e r Rechtsbeziehungen unterworfen, die sich aus oder im Zusammenhang mit ihrer Handelstätigkeit ergeben. Sie ist von der Verpflichtung befreit, wegen d e r Prozeßkosten Sicherheit zu leisten. Das Konto d e r Israelischen Mission bei d e r Bank deutscher Länder oder bei einer an deren Stelle tretenden Zentralnotenbank sowie ihre Konten bei Außenhandelsbanken haften f ü r alle Verbindlichkeiten, die sich aus o d e r im Zusammenhang mit der genannten Tätigkeit ergeben; sie unterliegen auch d e r Beschlagnahme und der Zwangsvollstreckung. (d) Der Leiter d e r Israelischen Mission bedarf f ü r die Zulassung zur A u s ü b u n g seiner Tätigkeit d e r Zustimmung der Bundesregierung. Diese Zustimmung kann von d e r Bundesregierung widerrufen werden. Der Leiter d e r Israelischen Mission wird d e r Bundesregierung die N a m e n des gesamten Personals d e r Israelischen Mission mitteilen, wobei die h ö h e r e n Beamten besonders zu bezeichnen sind. (e) Die Israelische Mission ist berechtigt, innerhalb d e r Bundesrepublik Deutschland Geschäftsstellen zu errichten, soweit es f ü r die wirksame Erfüllung 84
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen
wird in Luxemburg
unterzeichnet
ihrer Tätigkeit erforderlich erscheint, unter d e r Bedingungjedoch, daß die Orte, wo diese Geschäftsstellen errichtet werden, zwischen der Israelischen Mission und den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland zu vereinbaren sind. (0 Für die Israelische Mission, ihr Personal, soweit es israelische Staatsangehörigkeit besitzt, und ihre Geschäftsräume gelten folgende Rechte, Vorrechte, Befreiungen und Courtoisien: (i) Die Unterstützung im Verwaltungswege, die ausländischen Missionen in der Bundesrepublik gewöhnlich gewährt wird, und f ü r die wirksame Erfüllung der Tätigkeit der Israelischen Mission und ihres Personals israelischer Staatsangehörigkeit erforderlich ist. (ii) Befreiung des Einkommens der Israelischen Mission, das aus der Erfüllung aller ihrer im Absatz (b) dieses Artikels genannten Tätigkeiten fließt, sowie des der Erfüllung dieser Aufgaben dienenden Vermögens von allen in der Bundesrepublik erhobenen Steuern vom Einkommen und Ertrag sowie von der Vermögensteuer. (iii) Befreiung derjenigen der Israelischen Mission gehörenden Grundstücke in der Bundesrepublik, die unmittelbar der Erfüllung der Tätigkeit der Israelischen Mission oder der Unterbringung ihrer Mitglieder israelischer Staatsangehörigkeit dienen, von der Grundsteuer. (iv) Befreiung des Gehalts und der Bezüge des Leiters der Israelischen Mission und ihrer ständigen Beamten israelischer Staatsangehörigkeit, soweit das Gehalt und die Bezüge f ü r ihre Tätigkeit als Mitglieder der Israelischen Mission gezahlt werden, von den in der Bundesrepublik erhobenen Steuern vom Einkommen. (v) Befreiung aller Gegenstände, die f ü r die amtlichen Zwecke der Israelischen Mission und f ü r den persönlichen Gebrauch des Leiters und der höheren Beamten israelischer Staatsangehörigkeit der Israelischen Mission bestimmt sind, von Einfuhrzoll, ohne Rücksicht darauf, ob diese Gegenstände bei dem ersten Eintreffen der Beamten in der Bundesrepublik oder zu einer späteren Zeit während ihrer Amtszeit eingeführt werden, jedoch mit der Maßgabe, daß keine Gegenstände in das Gebiet gebracht werden d ü r f e n , deren Einfuhr in das Gebiet der Bundesrepublik gemäß den im Zeitpunkt der Einfuhr geltenden Gesetzen und Verordnungen verboten ist; Befreiung aller auf Gewalt dieses Unterabsatzes in das Bundesgebiet eingeführten Gegenstände von allen wirtschaftlichen Beschränkungen hinsichtlich ihrer Einfuhr in das Bundesgebiet oder Ausfuhr aus dem Bundesgebiet. Die Gewährung der in diesem Unterabsatz genannten Vorrechte kann von einer vom Leiter oder einem von ihm zu diesem Zwecke bevollmächtigten höheren Beamten der Israelischen Mission erteilten Bescheinigung darüber abhängig gemacht werden, daß die nach Menge, Art, Markierung, N u m m e r und Inhalt bezeichneten Sendungen ausschließlich für einen der in diesem Unterabsatz genannten Zwecke bestimmt sind. (vi) Befreiung des Leiters und der höheren Beamten israelischer Staatsange85
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
hörigkeit der Israelischen Mission von der deutschen Straf- und Zivilgerichtsbarkeit hinsichtlich aller von ihnen im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben durchgeführten Handlungen, vorbehaltlich jedoch der Vorschriften des Absatzes (c) dieses Artikels; Befreiung des Leiters und der genannten höheren Beamten der Israelischen Mission von Verhaftungen, ausgenommen f ü r solche Verstöße gegen die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland, die als Verbrechen definiert sind. (vii) Befreiung der Amtsräume der Israelischen Mission von allen Maßnahmen der Behörden der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere Befreiung der Archive von Einsicht, Sicherstellung und Beschlagnahmung, mit Ausnahme jedoch des Rechts, Zustellungen vorzunehmen. (viii) Befreiung des Leiters und der Mitglieder der Israelischen Mission von der Verpflichtung, vor Gericht oder sonstwo Dokumente aus den Archiven der Israelischen Mission vorzulegen oder über ihren Inhalt als Zeuge auszusagen, es sei denn, daß sich diese Dokumente auf die Handelstätigkeit der Israelischen Mission beziehen. (ix) Das Recht der Israelischen Mission, Verschlüsselungsmaterial zu benutzen sowie diplomatische Kuriere zu empfangen und zu entsenden. Artikel 13 (a) Die Vertragschließenden Parteien setzen eine Gemischte Kommission ein, die aus Vertretern der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Staates Israel gebildet wird. (b) Die Gemischte Kommission tritt auf Antrag der Vertreter einer der beiden Parteien zusammen. (c) Die Gemischte Kommission hat folgende Aufgaben: (i) alle Fragen, die sich zwischen den Vertragschließenden Parteien aus oder in Verbindung mit der Durchführung dieses Abkommens ergeben, zu behandeln, insbesondere die Durchführung dieses Abkommens zu überwachen, alle Schwierigkeiten zu prüfen, die dabei entstehen können, sowie Entscheidungen zur Lösung dieser Schwierigkeiten zu treffen, (ii) Warenlisten gemäß den Vorschriften des Artikels 6 festzusetzen. Artikel 14 (a) Alle Streitigkeiten zwischen den Vertragschließenden Parteien, die sich bei der Auslegung oder Anwendung des vorliegenden Abkommens ergeben und die durch Verhandlungen nicht beigelegt werden, werden auf Antrag einer der Parteien einer Schiedskommission unterbreitet, die nach den folgenden Vorschriften gebildet ist: (i) Jede der Vertragschließenden Parteien wird der anderen Partei die Benennung eines Schiedsrichters innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten dieses Abkommens mitteilen. (ii) Innerhalb von zwei Monaten nach Benennung der beiden Schiedsrichter 86
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen wird in Luxemburg unterzeichnet
werden die vertragschließenden Parteien einverständlich den Obmann der Schiedskommission ernennen. (iii) Falls innerhalb der in den Unterabsätzen (i) und (ii) genannten Fristen eine der Vertragschließenden Parteien den Schiedsrichter nicht ernennt oder die Vertragschließenden Parteien sich nicht über die Ernennung des Obmannes einigen, so wird der Schiedsrichter bzw. der Obmann auf Antrag der einen oder der anderen Vertragschließenden Partei von dem Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes ernannt. (iv) Der Obmann darf weder die Staatsangehörigkeit einer der Vertragschließenden Parteien besitzen, noch seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in deren Staatsgebiet haben, noch im Dienste eine der vertragschließenden Parteien stehen. (b) Die Mitglieder der Schiedskommission werden für die Dauer von fünf Jahren bestellt. Die Schiedskommission wird drei Monate vor Ablauf dieser fünf Jahre gemäß den Vorschriften des vorstehenden Absatzes (a) neu gebildet. Die Mitglieder der Schiedskommission können wieder ernannt werden. (c) Ein Mitglied, dessen Amtszeit abgelaufen ist, führt seine Amtstätigkeit bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiter. Nach dessen Ernennung wird das Mitglied, sofern der Obmann nichts anderes bestimmt, seine Amtstätigkeit in solchen anhängigen Fällen, bei denen es mitgewirkt hat, bis zu ihrer endgültigen Entscheidung fortsetzen. (d) Wenn ein Schiedsrichter oder der Obmann während seiner Amtszeit stirbt oder sein Amt niederlegt, so wird die freigewordene Stelle gemäß den Vorschriften des Absatzes (a) dieses Artikels besetzt. (e) Die Schiedskommission tritt an einem vom Obmann zu bestimmenden Orte zusammen. (f) Die Schiedskommission setzt ihre Verfahrensvorschriften fest; insbesondere kann sie Zeugen und Sachverständige laden und schriftliche Gutachten von Sachverständigen einholen. Die Schiedskommission kann von mündlichen Verhandlungen absehen, wenn die vertragschließenden Parteien damit einverstanden sind. (g) Die Vertragschließenden Parteien werden veranlassen, daß ihre Gerichte auf Ersuchen der Schiedskommission in den bei dieser anhängigen Fällen Rechtshilfe durch Vernehmung von Zeugen und durch Bewirkung von Zustellungen gewähren. (h) Die Schiedskommission sowie in Dringlichkeitsfällen und vorbehaltlich der Bestätigung durch die Schiedskommission der Obmann können einstweilige Maßnahmen zur Wahrung der Rechte einer der Parteien anordnen. Von dem Obmann angeordnete Maßnahmen werden nach Ablauf eines Monats ungültig, falls sie nicht von der Schiedskommission bestätigt werden. Die Vertragschließenden Parteien haben diesen Anordnungen Folge zu leisten. (i) J e d e Partei trägt ihre eigenen Kosten einschließlich der Kosten des von ihr ernannten Schiedsrichters. Alle Kosten der Schiedskommission werden von den 87
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen
in Wassenaar
Vertragschließenden Parteien zu gleichen Teilen getragen. Die Bezüge des Obmanns für jeden einzelnen Fall und ihre Aufteilung zwischen den Parteien werden von der Schiedskommission festgesetzt. (k) Der Spruch der Schiedskommission unterliegt keinem Rechtsmittel und ist für die Parteien bindend. Die Schiedskommission kann eine Frist für die Ausführung ihres Spruches festsetzen. (1) Soweit die Vertragschließenden Parteien sich nicht auf eine andere Lösung einigen, kann jeder Streitfall, der zwischen den Parteien über die Auslegung oder die Ausführung eines Spruches der Schiedskommission entsteht, auf Antrag jeder der Parteien der Schiedskommission unterbreitet werden. Nimmt die Schiedskommission aus irgendeinem Grunde den Antrag nicht innerhalb eines Monats an und einigen sich die Parteien nicht auf eine andere Lösung, so soll der Streitfall einer ad-hoc-Schiedskommission vorgelegt werden, die gemäß den Vorschriften des Absatzes (a) zu bilden ist. (m) Die Schiedskommission ist nur zuständig, sich mit Streitigkeiten zwischen den Vertragschließenden Parteien über die in Artikel 12 Absatz (c) angeführten Rechtsbeziehungen zu befassen, nachdem alle örtlich gegebenen Rechtsbehelfe erschöpft sind. Artikel 15 (a) Die in Artikel 14 dieses Abkommens genannte Schiedskommission ist auch für Streitigkeiten zuständig, die sich aus der Auslegung der Anwendung des heute von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der „Conference on J e wish Material Claims against Germany" aufgesetzten Protokolls Nr. 2 ergeben, und zwar in den hier folgenden Fällen nach Maßgabe der nachstehend aufgeführten Bestimmungen: (i) Ist die Regierung der Bundesrepublik Deutschland der Auffassung, daß die Conference den Bestimmungen des Artikels 2 des Protokolls nicht nachgekommen ist, so ist sie innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt, der für die Übersendung der in Artikel 2 des Protokolls erwähnten Mitteilung festgesetzt ist, berechtigt, die Schiedskommission anzurufen. Stellt die Schiedskommission fest, daß die Conference einen Betrag nicht für die in dem Protokoll erwähnten Zwecke oder ohne wichtigen Grund nicht verwendet oder die in Artikel 2 des Protokolls vorgesehene Mitteilung nicht gemacht hat, so ist die Bundesrepublik Deutschland berechtigt, eine Summe zurückzubehalten, die dem Betrag entspricht, auf den sich der Streitfall bezieht. Eine solche Summe kann von den nächstfälligen Jahresleistungen insoweit zurückbehalten werden, als diese Jahresleistungen den Betrag von 250 Millionen Deutsche Mark übersteigen. Falls eine Jahresleistung den Betrag von 250 Millionen Deutsche Mark nicht übersteigt, so kann der zurückbehaltene Betrag von der letzten auf Grund dieses Abkommens zahlbaren Jahresleistung abgezogen werden. (ii) An die Schiedskommission kann der Antrag gestellt werden festzustellen, 88
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen wird in Luxemburg unterzeichnet d a ß die Conference, nachdem ein Spruch d e r Schiedskommission gemäß dem obigen Unterabsatz (i) ergangen ist, später aus anderen Quellen stammende Geld e r f ü r die in Artikel 2 des Protokolls angegebenen Zwecke verwendet oder nachträglich einen nicht verwendeten Betrag f ü r diese Zwecke ausgegeben oder nachträglich die im Protokoll erwähnte Mitteilung gemacht hat. Falls die Schiedskommission diesem Antrag stattgibt, verliert die Bundesrepublik Deutschland ihr Recht, eine solche Summe gemäß d e m f r ü h e r erlassenen Spruch zurückzubehalten oder abzuziehen. Die f r ü h e r zurückbehaltenen Beträge sind von ihr nachzuzahlen. (iii) Bestehen Unklarheiten ü b e r den Fortbestand d e r „Conference on Jewish Material Claims against Germany" oder über ihren Rechtsnachfolger, so ist die Bundesrepublik Deutschland berechtigt, bei der Schiedskommission eine Entscheidung zu beantragen, die diese Unklarheiten beseitigt. (iv) Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist berechtigt, innerhalb von drei Monaten nach Eingang d e r in Artikel 3 des Protokolls erwähnten Benachrichtigung eine Entscheidung der Schiedskommission über die Übertrag u n g oder die vorgesehene Ü b e r t r a g u n g der Rechte und Pflichten der genannten Conference an einen Nachfolger a n z u r u f e n , damit festgestellt wird, ob eine solche Ü b e r t r a g u n g im Hinblick auf die in Artikel 2 des Protokolls getroffenen Bestimmungen als zweckmäßig angesehen werden kann. (b) Die Conference on Jewish Material Claims against Germany ist berechtigt, allen auf G r u n d dieses Artikels eingeleiteten Verfahren beizutreten. Artikel 16 (a) Die folgenden Anhänge u n d Schreiben bilden einen integrierenden Bestandteil diese Abkommens: (i) Warenliste; A n h a n g zu Artikel 7; A n h a n g zu Artikel 9; (ii) Schreiben Nr. 1 a: Schreiben des Ministers f ü r Auswärtige Angelegenheiten des Staates Israel über die Regelung d e r israelischen F o r d e r u n g u n d die Rechte israelischer Staatsangehöriger auf G r u n d d e r Gesetzgebung in d e r Bundesrepublik Deutschland über W i e d e r g u t m a c h u n g nationalsozialistischen Unrechts. Schreiben Nr. 1 b: Antwort des Bundeskanzlers u n d Bundesminister des Auswärtigen d e r Bundesrepublik Deutschland auf Schreiben Nr. 1 a. Schreiben Nr. 2 a: Schreiben des Vorsitzenden der deutschen Delegation zu Artikel 5. Schreiben N r . 2 b: Antwort d e r Vorsitzenden der Israelischen Delegation auf Schreiben Nr. 2 a. Schreiben Nr. 3 a: Schreiben des Bundeskanzlers u n d Bundesministers des Auswärtigen d e r Bundesrepublik Deutschland zu Artikel 6. Schreiben Nr. 3 b: Antwort des Ministers f ü r Auswärtige Angelegenheiten des Staates Israel auf Schreiben Nr. 3 a. 89
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar Schreiben Nr. 4 a: Schreiben des Minister f ü r Auswärtige Angelegenheiten des Staates Israel zu Artikel 6. Schreiben Nr. 4 b: Antwort des Bundeskanzlers und Bundesministers des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland auf Schreiben Nr. 4 a. Schreiben Nr. 5 a: Schreiben der Vorsitzenden der Israelischen Delegation zu Artikel 7. Schreiben Nr. 5 b: Antwort des Vorsitzenden der deutschen Delegation auf Schreiben Nr. 5 a. Schreiben Nr. 6 a: Schreiben des Vorsitzenden der Israelischen Delegation zu Artikel 8. Schreiben Nr. 6 b: Antwort des Vorsitzenden der deutschen Delegation auf Schreiben Nr. 6 a. Schreiben Nr. 7 a: Schreiben des Vorsitzenden der deutschen Delegation zu Artikel 8. Schreiben Nr. 7 b: Antwort der Vorsitzenden der Israelischen Delegation auf Schreiben Nr. 7 a. Schreiben Nr. 8 a: Schreiben des Ministers f ü r Auswärtige Angelegenheiten des Staates Israel zu Artikel 12. Schreiben Nr. 8 b: Antwort des Bundeskanzlers und Bundesministers des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland auf Schreiben Nr. 8 a. Schreiben Nr. 9 a: Schreiben der Vorsitzenden der Israelischen Delegation zu Artikel 12. Schreiben Nr. 9 b: Schreiben des Vorsitzenden der deutschen Delegation auf Schreiben Nr. 9 a. (b) Die von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der „Conference on Jewish Material Claims against Germany" heute aufgesetzten und unterzeichneten Protokolle Nr. 1 und 2 sind nur zu Verweisungszwecken beigelegt.
Artikel 17 (a) Dieses Abkommen ist so schnell wie möglich in Übereinstimmung mit den verfassungsmäßigen Verfahren der Vertragschließenden Parteien zu ratifizieren. (b) Die Ratifikationsurkunden sind sobald wie möglich zwischen beglaubigten Vertretern der Vertragschließenden Parteien im Sekretariat der Vereinten Nationen in New York auszutauschen. Hierüber wird vom Generalsekretariat der Vereinten Nationen ein Protokoll aufgenommen werden. Der Generalsekretär wird hiermit gebeten, jeder der Vertragschließenden Parteien beglaubigte Abschriften auszuhändigen. (c) Dieses Abkommen tritt mit Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft. Zu Urkund dessen haben die unterzeichneten hierzu gehörig bevollmächtigten Vertreter das vorliegende Abkommen unterschrieben. Geschehen in Luxembourg am zehnten Tag des Monats September 1952 in 90
4.3 Das Wiedergutmachungsabkommen
wird in Luxemburg
unterzeichnet
zwei Urschriften in englischer Sprache, von denen je eine Ausfertigung f ü r jede der Regierungen der Vertragschließenden Parteien bestimmt ist. Für die Bundesrepublik Deutschland [gez.] Adenauer 4.3.2
Für den Staat Israel [gez.] M. Sharett"
Mit dem Vertrag sind alle Forderungen
abgegolten
Zu dem Abkommen gehörten einige Briefe, die Einzelheiten interpretierten. Das politisch wichtigste Schreiben war ein Brief des israelischen Außenministers Sharett, der durch einen fast gleichlautenden Brief des Bundeskanzlers noch einmal bestätigt wurde. Hier das Schreiben des israelischen Außenministers: „Seiner Exzellenz dem Herrn Bundeskanzler und Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland
Luxemburg, den 10. September 1952
Herr Bundeskanzler, im Auftrage der Israelischen Regierung habe ich die Ehre, Eurer Exzellenz folgendes mitzuteilen: 1. In Anbetracht der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland in dem heute unterzeichneten Abkommen die Verpflichtung übernommen hat, eine Entschädigung für die Aufwendungen zu leisten, die dem Staate Israel durch die Ansiedlung jüdischer Flüchtlinge erwachsen sind oder noch erwachsen werden, wird die von dem Staate Israel geltend gemachte Forderung auf eine derartige Entschädigung, soweit sie gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, von der Israelischen Regierung mit dem Inkrafttreten des heute unterzeichneten Abkommens als geregelt angesehen. Der Staat Israel wird keine weiteren Forderungen gegen die Bundesregierung erheben auf Grund von oder in Verbindung mit Schäden, die durch die nationalsozialistische Verfolgung verursacht worden sind. 2. Die Israelische Regierung geht dabei von der Voraussetzung aus, daß der Abschluß des Vertrages die Ansprüche israelischer Staatsangehöriger auf Grund der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsvorschriften über innere Rückerstattung, Entschädigung und sonstige Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts nicht beeinträchtigt, und daß alle aus einer zukünftigen Wiedergutmachungsgesetzgebung sich ergebenden Rechte ohne weiteres auf israelische Staatsangehörige Anwendung finden sollen, mit der Maßgabe, daß die Bestimmungen der Ziffer 14 des heute zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der „Conference on Jewish Material Claims against Germany" aufgesetzten Protokolls Nr. 1 nur insoweit auf israelische Staatsangehörige Anwendung finden, als die genannten Bestimmungen Entschädigungszahlen 91
4 Die Wiedergutmachungsverhandlungen in Wassenaar
für Freiheitsentziehung und Zahlungen für Renten an Hinterbliebene von Verfolgten betreffen. Ich wäre Ihnen zu Dank verpflichtet, wenn Sie den Inhalt des Schreibens bestätigen und gleichzeitig bestätigen würden, daß die in Absatz 2 des Schreibens wiedergegebene Voraussetzung, von der die Israelische Regierung ausgeht, zutreffend ist. Ich benutze diese Gelegenheit, Eure Exzellenz meiner vorzüglichen Hochachtung& zu versichern. , „. r [gez.] M. Sharett
92
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg
5.1 Die Ratifizierung
im Deutschen
Bundestag
Bereits am 4. März 1953 brachte Bundeskanzler Konrad Adenauer das Wiedergutmachungsabkommen, das am 10. Sept. 1952 feierlich in Luxemburg unterzeichnet worden war, zur ersten Lesung im Deutschen Parlament persönlich ein. Er gab aus diesem Anlaß noch einmal eine umfassende Erklärung ab, in der er das Entstehen dieses Vertrages und seinen Inhalt erläuterte. Der Wortlaut dieser Erklärung war der folgende: „Das Abkommen mit dem Staate Israel, das der Bundestag heute behandelt, hat seit dem Beginn der Haager Verhandlungen im März vorigen Jahres, besonders aber seit seiner Unterzeichnung am 10. September 1952 in Luxemburg durch mich und den israelischen Außenminister, Herrn Sharett, in ungewöhnlich starkem Maße die deutsche und die Weltöffentlichkeit beschäftigt. Durchaus mit Recht, denn mit diesem Vertrage, zusammen mit dem in Kürze dem Bundestag zugehenden Entschädigungsgesetz, bestätigt die Bundesregierung nunmehr durch die Tat den feierlich versprochenen Abschluß eines f ü r jeden Deutschen traurigsten Kapitels unserer Geschichte. Eine solche Tat ist schon aus moralischen Gründen eine Notwendigkeit. Sicher: bei weitem nicht alle Deutschen waren Nationalsozialisten, und es hat auch manche Nationalsozialisten gegeben, die mit den begangenen Greueln nicht einverstanden waren. Trotzdem ist dieser Akt der Wiedergutmachung durch das deutsche Volk notwendig. Denn unter Mißbrauch des Namens des deutschen Volkes sind die Untaten begangen worden. Soweit überhaupt durch unsere Kraft etwas f ü r die Beseitigung der Folgen geschehen kann — ich denke hier an die entstandenen materiellen Schäden, die der Nationalsozialismus den von ihm Verfolgten zugefügt hat—, hat das deutsche Volk die ernste und heilige Pflicht zu helfen, auch wenn dabei von uns, die wir uns persönlich nicht schuldig fühlen, Opfer verlangt werden, vielleicht schwere Opfer. Die Bundesregierung hat seit ihrem Bestehen diese Pflicht immer anerkannt. Durch ihre Erfüllung wollen wir die Schäden wiedergutmachen, soweit das möglich ist, soweit das in unserer Kraft steht. Der Name unseres Vaterlandes muß wieder die Geltung bekommen, die der geschichtlichen Leistung des deutschen Volkes in Kultur und Wirtschaft entspricht. Wir haben es bei dem Ihnen heute vorliegenden Vertragswerk, das die Wiedergutmachung zugunsten der Juden behandelt, mit einem Teilabschnitt des Gebietes der Wiedergutmachung zu tun, allerdings vielleicht mit dem wichtigsten. Die Juden, nicht n u r in Deutschland, sondern überall, wohin der Arm des Nationalsozialismus reichte - und das war lange Zeit während des Krieges der größte Teil von Europa - , haben die grausamste Verfolgung über sich ergehen lassen müssen. Das Ausmaß dieser 93
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg
Verfolgung, die O p f e r an Menschen und materiellen Werten, die sie zur Folge hatte, rechtfertigt nicht nur, sondern verlangt eine Sonderbehandlung der Wiedergutmachung an den jüdischen Verfolgten. Ich habe namens der Bundesregierung vor diesem Hohen Hause am 27. September 1951 Ausführungen zur Frage der jüdischen Wiedergutmachung gemacht, von denen ich einige Sätze heute hier wiederholen möchte: ,Im Namen des deutschen Volkes sind ... unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die J u d e n erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind. Auf diesem Gebiet sind erste Schritte getan. Sehr vieles bleibt aber noch zu tun... Hinsichtlich des Umfangsder Wiedergutmachung—in Anbetracht d e r ungeheuren Zerstörung jüdischer Werte durch den Nationalsozialismus ein sehr bedeutsames Problem — müssen die Grenzen berücksichtigt werden, die der deutschen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung d e r zahllosen Kriegsopfer und d e r Fürsorge für die Flüchtlinge und Vertriebenen gezogen sind. Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des J u d e n t u m s und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern.' Das Hohe Haus hat diese Ausführungen damals einmütig gebilligt. Somit hat die Bundesregierung von Ihnen, meine Damen und Herren, das Mandat zur A u f n a h m e der Verhandlungen mit dem Staate Israel und den jüdischen Weltverbänden erhalten, deren Ergebnis das Ihnen vorliegende Abkommen ist. Lassen Sie mich auf seine Grundlagen und wichtigsten Bestimmungen kurz eingehen. Bei den Leistungen der Bundesrepublik an den Staat Israel handelt es sich nicht um Reparationen. Das Deutsche Reich hat gegen diesen Staat, der bekanntlich erst im J a h r e 1948 entstanden ist, keine Kriegshandlungen begangen, die die Bundesrepublik zu Reparationen verpflichten könnten. Die in dem Abkommen zugesagten Zahlungen sollen vielmehr den Staat Israel im Rahmen unserer Leistungsfähigkeit für die Lasten entschädigen, die ihm durch die Eingliederung von Hunderttausenden von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und den ehemals unter deutscher Herrschaft stehenden Gebieten erwachsen sind oder noch erwachsen werden. Die Lasten sind eine unmittelbare oder mittelbare Folge der von d e r nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durchgeführten Ausrottungsmaßnahmen gegen das Judentum. Die Verfolgung der J u d e n begann in Deutschland mit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933. Sie steigerte sich ständig und erreichte während des Krieges, ohne daß sie dadurch zu einer Kriegshandlung im völkerrechtlichen Sinne wurde, jenes grauenerregende Ausmaß, das uns allen in seinem vollen Umfang erst nachträglich bekanntgeworden ist. Während sich die Verfolgungsmaßnahmen bis 1939 grundsätzlich n u r gegen J u d e n deutscher Staatsangehörigkeit richten konnten, erfaßten sie — was mitun94
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag ter bei uns vergessen wird - während des Krieges auch fast alle J u d e n f r e m d e r Staatsangehörigkeit, die in den Machtbereich Hitlers gelangten. I h r e Folgen f ü h r t e n f ü r die Überlebenden zu einer Entwurzelung, die auch durch das Kriegsende nicht beseitigt wurde. Vielmehr zwang diese Entwurzelung insbesondere die aus osteuropäischen Gebieten stammenden J u d e n zur Auswanderung. H u n derttausende von ihnen sind, wie ich schon sagte, in Israel a u f g e n o m m e n worden. Damit gliedert sich das Israel-Abkommen in das große Gebiet d e r Wiederg u t m a c h u n g nationalsozialistischen Unrechts ein. Es ergänzt in einem wesentlichen Punkte die bereits erlassenen o d e r geplanten gesetzlichen Wiedergutmac h u n g s m a ß n a h m e n zugunsten derjenigen, die d u r c h die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wegen ihrer politischen Überzeugung, aus G r ü n d e n d e r Rasse, des Glaubens oder d e r Weltanschauung verfolgt worden sind. Wie Sie wissen, gibt es auf diesem Gebiet d e r individuellen Wiedergutmac h u n g bereits jetzt eine große Anzahl von Gesetzen u n d V e r o r d n u n g e n . Um nur die wichtigsten herauszugreifen: Schon vor Entstehen d e r Bundesrepublik haben die drei westlichen Besatzungsmächte jeweils f ü r ihre Zone das Gebiet der Rückerstattung feststellbaren Vermögens geregelt. Dieses Gebiet der individuellen Wiedergutmachung ist das Kernstück d e r Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ü b e r h a u p t . Die Leistungen der individuellen Wiedergutmachung, die nicht etwa n u r J u d e n , sondern allen vom Nationalsozialismus Verfolgten zugute kommen, werden — was häufig übersehen wird — auch wertmäßig die Globalleistungen an Israel und an die jüdischen Verbände erheblich übersteigen. Der Ausbau der individuellen Wiedergutmachungsgesetzgebung ist im Haag sehr eingehend mit d e n in d e r Claims Conference zusammengeschlossenen jüdischen Weltverbänden besprochen worden. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist im Protokoll Nr. 1 niedergelegt; Sie haben es in d e r Drucksache vor sich, da es zu Verweisungszwecken d e m Israel-Abkommen beigelegt werden mußte. Das in diesem Protokoll vorgesehene Gesetzgebungsprogramm kommt aber nicht etwa n u r jüdischen Verfolgten, sondern allen Verfolgten in gleicher Weise zugute. Wie ich schon eingangs erwähnte, ist ein Gesetzentwurf d e r Bundesregierung, d e r sowohl den Verpflichtungen aus Teil 4 des Überleitungsvertrages wie den Vereinbarungen des Protokolls Nr. 1 Rechnung trägt, in Vorbereitung und wird noch in dieser Sitzungsperiode dem Hohen Hause vorgelegt werden. Als ich in Verfolg meiner bereits a n g e f ü h r t e n Erklärung vor diesem Hohen Hause vom Dezember 1951 mit dem Vertrauensmann des Staates Israel und dem F ü h r e r d e r jüdischen Weltverbände, Dr. Nahum Goldmann, in London zusammentraf, habe ich ihm namens der Bundesregierung erklärt, daß n u n m e h r der Zeitpunkt gekommen sei, Verhandlungen mit Vertretern des jüdischen Volkes u n d Israels über Wiedergutmachung d e r d u r c h die nationalsozialistische Verfolgung zugefügten Schäden a u f z u n e h m e n . Bei den V e r h a n d l u n g e n mit Dr. Goldmann habe ich damals schon auf die wichtigsten Gesichtspunkte hingewiesen, die auch das Ihnen vorliegende Abkommen beherrschen. Die Bundesregierung hat das A b k o m m e n abgeschlossen, um einer zwingen 95
5. Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg den moralischen Verpflichtung des von der Bundesrepublik vertretenen deutschen Volkes nachzukommen, nicht jedoch zur Befriedigung eines völkerrechtlichen Anspruchs des Staates Israel. Dies ist durch den Wortlaut von Präambel und Art. 1 des Abkommens sichergestellt. Der Staatsvertrag macht die moralische Verpflichtung zu einer Rechtsverpflichtung. Auf dem Gebiete der individuellen Wiedergutmachung entstehen Rechtsansprüche erst durch die innerdeutschen Gesetze. Die Berechnung der Leistungen an Israel hat die israelische Note vom 12. März 1951 an die vier Besatzungsmächte zur Grundlage. Die israelische Delegation hat bei den Verhandlungen im Haag dargelegt, daß Palästina und später der Staat Israel über 500 000 meist mittellose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, die ihre alte Heimat durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen verloren haben. Unter Berücksichtigung des von Sachverständigen der Bundesregierung f ü r angemessen gehaltenen Betrages der Eingliederungskosten von Flüchtlingen in Israel sowie unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik ist eine Leistung an Israel in Höhe von insgesamt drei Milliarden DM vereinbart worden. Die Höhe der Jahresraten ist in Würdigung des Interesses Israels an einer möglichst kurzen Laufzeit des Abkommens der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik bei Berücksichtigung ihrer übrigen Verpflichtungen angepaßt. Nach der Auffassung der Bundesregierung erscheinen f ü r die beiden ersten Haushaltsjahre je 200 Millionen DM und — eine normale Wirtschaftsentwicklung vorausgesetzt — f ü r die späteren Haushaltsjahre j e 250 Millionen DM tragbar. Die auf Wunsch Israels ab 1. April 1954 als Jahresleistung vorläufig vorgesehenen 310 Millionen DM werden allerdings nur bei einer unerwartet günstigen wirtschaftlichen Entwicklung aufgebracht werden können. Andererseits kann einer Verminderung der Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik infolge einer unvorhergesehenen ungünstigen wirtschaftlichen oder finanziellen Entwicklung durch A n r u f u n g des Art. 10 Rechnung getragen werden. Ein T r a n s f e r der Leistungen an Israel durch Devisenzahlungen ist aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchführbar. Schon bei meinen Verhandlungen mit Dr. Goldmann in London wurden daher Warenlieferungen vorgesehen. Gemäß dem Abkommen ist der Staat Israel berechtigt, aus den ihm im Inland zur Verfügung gestellten DM-Beträgen Waren zu kaufen und nach Israel einzuführen. Es würde zu weit gehen, hier die Einzelheiten dieser Regelung zu schildern. Sie sind aus dem Ihnen vorliegenden Text des Abkommens zu entnehmen und in der B e g r ü n d u n g ausführlich erläutert. Nur eines möchte ich hervorheben: Auf zweierlei Weise ist Vorsorge getroffen gegen einen Mißbrauch des Abkommens etwa zur Lieferung von Waffen, Munition oder sonstigem Kriegsgerät. Israel ist beim Einkauf der Waren nicht frei in der Wahl, es ist vielmehr an die Kategorien der vertraglich vereinbarten Warenliste gebunden. Aber auch im Rahmen der Warenliste dürfen gemäß Art. 2 des Abkommens n u r solche Waren gekauft werden, die der Erweiterung der Ansiedlungs- und Wiedereingliederungsmöglichkeiten f ü r jüdische Flüchtlinge in Israel dienen. Die Einhaltung dieser Bestimmungen, die wegen des Kon96
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag flikts Israels mit den Staaten der Arabischen Liga eine besondere Bedeutung haben, wird von einer Bundesstelle überwacht. Außer mit dem Staat Israel sind, wie ich schon anläßlich meines Zusammentreffens mit Dr. Goldmann in London vorgesehen hatte, auch Verhandlungen mit Vertretern der jüdischen Weltverbände geführt worden; denn diese haben die Sorge f ü r diejenigen jüdischen Flüchtlinge übernommen, die auf Grund der nationalsozialistischen Verfolgung nicht nach Israel, sondern in andere Teile der Welt ausgewandert sind. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß sich ein wesentlicher Teil dieser Verhandlungen mit den Vertretern des Judentums auf die individuelle Wiedergutmachung bezog und daß das Verhandlungsergebnis im Protokoll Nr. 1 niedergelegt ist. Die jüdischen Weltverbände forderten außerdem eine Globalsumme f ü r erbenlose Rückerstattungs- und Entschädigungansprüche, soweit sie nicht von den sogenannten Nachfolgeorganisationen geltend gemacht werden. Sie wiesen d a r a u f h i n , daß sie jahrzehntelang die jüdischen O p f e r der nationalsozialistischen Verfolgung unterstützen mußten. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, zur Linderung der unbestreitbar heute noch bestehenden Not vom Nationalsozialismus verfolgter jüdischer Flüchtlinge in aller Welt außerhalb Israels 500 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, wobei ich, um Wiederholungen zu vermeiden, bezüglich der im einzelnen bestimmenden Erwägungen auf die Ihnen vorliegende Begründung zum Israel-Abkommen verweisen darf. Da die Claims- Konferenz n u r die Interessen von Glaubensjuden vertritt, die nationalsozialistischen Verfolgungen sich aber gleichermaßen gegen die im Sinne der Nürnberger Gesetze als Volljuden geltenden Nichtglaubensjuden richteten, wird die Bundesregierung aus diesem Betrag von 500 Millionen DM einen Teil von 50 Millionen DM als einen von ihr selbst zu verwaltenden Fonds zur Unterstützung von Nichtglaubensjuden bereitstellen. Wie Sie in der Drucksache lesen können, werden die zugunsten der ClaimsKonferenz zu zahlenden 450 Millionen DM aus Transfergründen ebenfalls Israel zu Warenkäufen in der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt. Israel wird d a f ü r entsprechende Beträge an die Claims-Konferenz abführen. In eingehenden Bestimmungen ist sichergestellt, daß die von Israel an die Claims-Konferenz weiterzuleitenden Beträge von dieser dann auch unparteiisch für die Unterstützung, Eingliederung und Ansiedlung jüdischer O p f e r der nationalsozialistischen Verfolgung verwandt werden. Gegen die Leistungen an den Staat Israel haben, wie Sie wissen, die Arabische Liga und deren Mitgliedstaaten Protest erhoben. Sogar Boykottdrohungen sind ausgesprochen worden. Die Einwendungen der arabischen Staaten kann man in zwei Hauptgruppen zusammenfassen. Einmal: die Araber weisen auf die arabischen Palästina-Flüchtlinge hin; der Staat Israel sei nicht berechtigt, f ü r von ihm aufgenommenejüdische Flüchtlinge eine Entschädigung zu fordern, solange er nicht seinerseits seinen Verpflichtungen bezüglich dieser arabischen Palästina-Flüchtlinge nachgekommen sei. Dazu ist folgendes zu sagen. Es handelt sich um zwei verschiedene und getrennt zu haltende Probleme. Die Frage der Entschädigung der jüdischen Flüchtlinge, die 97
5. Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg d e r nationalsozialistischen Verfolgung e n t r o n n e n sind, ist zwischen d e r Bundesrepublik u n d d e m jüdischen Volk zu lösen. Zu d e r Frage der arabischen Palästina-Flüchtlinge im einzelnen Stellung zu n e h m e n , hat die Bundesrepublik weder ein Recht noch eine Möglichkeit. Ich möchte hierzu noch eines sagen: Wir haben g e n u g E r f a h r u n g e n mit den Nöten und Sorgen von Flüchtlingen, u m nicht von ganzem Herzen eine schnelle u n d alle Betroffenen zufriedenstellende Regelung auch dieses Flüchtlingsproblems zu wünschen. Die zweite G r u p p e der Einwendungen der arabischen Staaten läßt sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen: sie haben d a r a u f h i n g e w i e s e n , d a ß sie sich noch im Kriegszustand mit Israel befänden u n d daß d a h e r eine Leistung der Bundesrepublik an einen der Kriegführenden eine Verletzung d e r Neutralität darstellen würde. Die Frage, ob man wirklich von einem noch bestehenden Kriegszustand sprechen kann, will ich hier nicht erörtern. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in einer Entscheidung die entgegengesetzte Ansicht vertreten. Aber wie d e m auch sei, — eine Verletzung d e r Neutralitätspflicht liegt unter keinen U m s t ä n d e n vor. Außerdem ist, wie ich schon ausgeführt habe, Vorsorge d a f ü r g e t r o f f e n , daß das Abkommen nicht zur Lieferung von W a f f e n , Munition oder sonstigem Kriegsgerät an Israel benutzt werden kann. Die B u n d e s r e g i e r u n g hat sich im übrigen b e m ü h t , die arabischen Länder über G r ü n d e u n d Grenzen des Israel-Vertrages aufzuklären u n d d a d u r c h die entstandenen Besorgnisse zu zerstreuen. Sie hat überdies ihren Willen bekundet, die traditionellen freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu d e r arabischen Welt zu pflegen u n d weiter auszubauen. Sie hat ihre Bereitschaft erklärt, im R a h m e n des Möglichen zum Aufbau der Wirtschaft der arabischen Staaten beizutragen. Wie I h n e n bekannt ist, hat hierüber eine repräsentative Wirtschaftsdelegation u n t e r F ü h r u n g von Staatssekretär Westrick in Kairo Verhandlungen g e f ü h r t . Die Delegation ist nach Bonn zurückgekehrt, u m zunächst d e r Bundesregierung Gelegenheit zu geben, die ägyptischen Wünsche im einzelnen zu prüfen. Wir sind d a r ü b e r hinaus bereit, auch in die a n d e r e n arabischen Hauptstädte Handelsdelegationen zu entsenden, um, wenn d e r Wunsch bestehen sollte, über die wirtschaftlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Landes und die Möglichkeiten einer Verstärkung d e r Beziehungen mit d e r deutschen Wirtschaft zu beraten. Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß solche Verhandlungen n u r d a n n zu einem günstigen Abschluß gebracht werden können, wenn sie in freundschaftlichem Geist g e f ü h r t u n d nicht von vornherein mit D r o h u n g e n belastet werden. Die Weltöffentlichkeit hat die Unterzeichnung d e r L u x e m b u r g e r Abkommen zwischen d e r Bundesrepublik u n d Israel mit lebhafter Zustimmung begrüßt. Das jüdische Volk innerhalb u n d außerhalb Israels hat diese Verträge als erschöpfende Regelung der Wiedergutmachungsfrage unter Berücksichtigung d e r Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik anerkannt, soweit es sich u m die Wied e r g u t m a c h u n g d e r materiellen Schäden handelt, zu deren Wiedergutmachung die Bundesrepublik sich aus d e n genannten G r ü n d e n f ü r moralisch verpflichtet hält. Wir haben d a h e r die berechtigte H o f f n u n g , daß d e r Abschluß dieser Verträge schließlich auch zu einem ganz neuen Verhältnis zwischen dem deutschen und 98
5.1 Die Ratifizierung
im Deutschen
Bundestag
dem jüdischen Volke wie auch zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel führen wird. Wir werden hierbei nach allem was vorgefallen ist, Geduld zeigen und auf die Auswirkung unserer Wiedergutmachungsbereitschaft und schließlich auf die heilende Kraft der Zeit vertrauen müssen. Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich schon jetzt infolge des Abschlusses des Abkommens eine deutliche Entspannung des Verhältnisses der Bundesrepublik zum Staate Israel bemerkbar macht. Wie Sie wissen, befinden sich im Gebiet des Staates Israel nicht unerhebliche Vermögenswerte deutscher Staatsangehöriger. Ich darf hier besonders auf die Gruppe von rund 2000 deutschen Staatsangehörigen hinweisen, die der Tempel-Gesellschaft angehören und in Israel wertvolle Gebäude und Ländereien besitzen. Durch ein Gesetz aus dem Jahre 1950 hatte der Staat Israel das gesamte deutsche Vermögen zur Sicherung von Ansprüchen israelischer Staatsbürger gegen das Deutsche Reich und seine Nachfolgestaaten sowie gegen deutsche Staatsangehörige beschlagnahmt. Es ist der deutschen Delegation im Haag möglich gewesen, ein Abkommen mit der israelischen Delegation vorzubereiten, das gleichzeitig mit den anderen Vereinbarungen als Regierungsabkommen am 10. September 1952 in Luxemburg unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen sieht vor, daß in bestimmten Fristen nach Inkrafttreten des Israel-Abkommens Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel über die Feststellung dieses deutschen Vermögens geführt werden sollen. Israel hat sich in dem Regierungsabkommen — und das halte ich f ü r außerordentlich bedeutsam — bindend verpflichtet, Entschädigung f ü r das beschlagnahmte Vermögen zu zahlen. Für den Fall, daß in den Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Israel keine Einigung über den Wert dieses zu entschädigenden Vermögens zu erzielen sein sollte, haben sich die beiden Vertragspartner schon jetzt verpflichtet, den Spruch eines neutralen Vermittlers als bindend anzunehmen. Ich glaube, daß mit dieser Behandlung des deutschen Eigentums in Israel das Beste erreicht worden ist, was überhaupt zu erreichen war. Auch in der Frage des Zeigens der deutschen Flagge ist eine merkliche Entspannung eingetreten. Schon der in Haag vereinbarte Vertragstext ging davon aus, daß das bisher noch in Israel bestehende Verbot, die deutsche Flagge zu zeigen, nicht f ü r unabsehbare Zeit aufrechterhalten wird, ohne daß allerdings damals, vor Unterzeichnung des Abkommens, eine verbindliche Zusage Israels für Aufhebung des Verbots in einer bestimmten Frist zu erreichen war. Inzwischen hat sich die israelische Regierung auf Grund neuerlicher Vorstellung der Bundesregierung zur Aufhebung dieses Verbots mit Wirkung zum Zeitpunkt der Ratifizierung des Abkommens verpflichtet. Das Eintreffen der ersten Warenlieferungen in Israel wird diese sich bereits jetzt anbahnende Entwicklung zu einer grundlegenden Änderung des deutsch-israelischen Verhältnisses erheblich beschleunigen. Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die Bedeutung des Abkommens in den allgemeineren Zusammenhängen der Entwicklung des menschlichen Zusammenlebens der Völker hinweisen. In den letzten Wochen sind im Machtbe99
5. Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg
reich der kommunistischen Gewaltherrschaft Rassenhaß und Rassenverfolgung erneut zu politischen Kampfmitteln gemacht worden. Ihnen allen sind die Vorgänge im Prager Slansky-Prozeß bekannt. Im Anschluß an diesen Prozeß hat auch in anderen Satellitenstaaten eine Bedrohung und Verfolgung der J u d e n eingesetzt. Eine weltbekannte jüdische Wohlfahrtsorganisation, deren große Verdienste um die Behebung menschlicher Not unbestreitbar sind, ist als Sabotage- und Spionagezentrum angeprangert worden. Auch deutsche Staatsangehörigejüdischen Glaubens haben aus der sowjetischen Besatzungszone und aus OstBerlin die Flucht über die Sektorengrenze antreten müssen. Die freie Welt hat von diesen Vorgängen mit Abscheu und Schrecken Kenntnis genommen. In diesem Zeitpunkt wollen wir mit der Verabschiedung des Ihnen vorliegenden Abkommens einen klaren und ganz unmißverständlichen Standpunkt beziehen. Gewiß haben wir selbst schwere Lasten zur Linderung der Not unserer eigenen Flüchtlinge zu tragen. Trotzdem wollen wir zu unserer moralischen Verpflichtung stehen, in den Grenzen unserer Leistungsfähigkeit dem Elend und der Not von Flüchtlingen zu steuern, die durch die Schuld einer früheren Regierung verursacht worden sind. Die Bundesregierung hofft, daß die Annahme dieses Abkommens gerade in diesem Zeitpunkt als ein deutscher Beitrag zur Stärkung des Geistes menschlicher und religiöser Toleranz in der Welt wirken wird." Diese Erklärung des Bundeskanzlers wurde mit lebhaftem Beifall von den Regierungsparteien und der sozialdemokratischen Opposition begrüßt. Zur weiteren Beratung wurde der Vertragsentwurf an den Ausschuß f ü r das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten des Deutschen Bundestages überwiesen. Bereits am 18. März wurde die Beratung im Plenum des Deutschen Bundestages zur endgültigen Verabschiedung des Vertrages wiederaufgenommen. Als Berichterstatter des Ausschusses für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten gab der CSU-Abgeordnete Graf von Spreti einen Überblick über die Beratungen in diesem Ausschuß. „Vom Ausschuß f ü r das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten bin ich als Berichterstatter f ü r die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel bestimmt worden. Ich möchte vorausschicken, daß die Aufgabe, die mir hier gestellt worden ist, wohl eine der schwierigsten darstellt angesichts des Charakteristikums dieses Gesetzes, da es eine rückwirkende Schau verlangt. Ich kann nicht umhin, etwas in die Vergangenheit zu blicken, um auf das hinzuweisen, was sich in den J a h r e 1933 bis 1945 ereignet und dem deutschen Namen Unehre gebracht hat. Sie gestatten mir, daß ich Sie kurz, beinahe stenographisch, an den Ausbruch des Antisemitismus 1933 erinnere, an die Herausforderung am 1. April, als die SA-Posten vor den jüdischen Geschäftshäusern standen, daß ich Sie an die Judengesetzgebung von Nürnberg erinnere und an all das, was damit zusammenhing, bis zuletzt zu den Verhaftungen, Ausweisungen und Enteignungen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere, wie in mancher Nacht 100
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag das eine oder andere Familienpaar einen Selbstmord begangen hat oder andere in der späten Nacht von der Gestapo verhaftet und verschleppt wurden. Ich muß weiter darauf hinweisen, daß in dieser Zeit KZs, Ghettos und Vernichtungslager bestanden haben, die mit Tausenden von Menschen vollgepfropft wurden und dem systematischen Versuch der Vernichtung dienten. Bei diesem Rückblick auf die Vergangenheit habe ich einen Satz zu zitieren, der neulich in einer Zeitung bei einer Kritik über ein Buch zu finden war: ,Wenn ich heute die Augen schließe, dann höre ich wieder die Schreie der Gefährten, die gefoltert wurden, die Schüsse, unter denen sie zusammensanken, das Klicken des Fallbeils, unter dem sie ihr Heldentum besiegelten.' Ich fühlte mich darum veranlaßt, nach d e r Erklärung der Bundesregierung einmal die Presse durchzugehen, und ich konnte n u r feststellen, daß nach dieser Erklärung und nach der Unterzeichnung in Luxemburg die ganze in- und ausländische Presse ein einmütiges Verständnis f ü r diesen Akt der Wiedergutmachung gefunden hat. Als einziger hat der .Manchester Guardian' einen Satz geprägt: ,Die Summe ist nicht groß im Vergleich zu den Verbrechen', und die Zeitung sagt weiter: ,50 Pfund pro toter Jude'. Ich glaube, hier muß der Mensch doch versuchen, einen Halt zu machen, und ich möchte daher ein Wort von Guardini zitieren, in dem er davon spricht, daß dieses Unrecht, das auf Deutschland liegt, in irgendeiner Form verarbeitet werden muß. Er sagt weiter, er müsse darauf aufmerksam machen, daß ,in der Geschichte unserer letzten 20 J a h r e ein Ungeheuerliches steht, das noch vollkommen unaufgearbeitet ist'. Er erläutert diese Aufarbeitung und meint: ,1m übrigen muß es sittlich geschehen.' Dieser Versuch wird von der Deutschen Bundesregierung unternommen und hat dazu geführt, daß die Regierung hier am 27. September 1951 eine Erklärung abgegeben hat. Vielleicht darf ich daran erinnern auch f ü r die, die es nicht wissen, möchte ich es sagen —, daß ein Mitglied dieses Hauses, das wohl im Kreise seiner Angehörigen das Fürchterlichste erlebt hat, bereit war, als erster mit dem Herrn Bundeskanzler ein Gespräch hierüber zu beginnen, da er es als seine Aufgabe empfand, als Mitglied dieses Hohen Hauses zu versuchen, das deutsche Volk mit dem jüdischen Volk auf eine friedliche Ebene zu bringen. Diese Versuche begannen, und es hat eine Zeit gedauert, bis die Vertreter des Staates Israel sich einverstanden erklärten, ein Zeichen zu geben, daß sie zu einem Gespräch bereit wären. Vielleicht darf ich auch einige Kollegen dieses Hauses an die Tagung in Istanbul erinnern, wo gerade die Vertreter des israelischen Volkes sich weigerten, sich mit den deutschen Abgeordneten an einen Tisch zu setzen. Nach der Heimkehr der Delegierten dieses Hauses hat ein Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler stattgefunden, u n d vielleicht, das möchte ich hier sagen, hat gerade diese Erfahrung die Bundesregierung damals veranlaßt, diese Erklärung noch schneller abzugeben, als es vielleicht vorgesehen war. Der Herr Bundeskanzler sagte in seiner Erklärung: ,Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volke viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des 101
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben.' Das ist wahr. Aber es hat sich in jener Zeit zuviel ereignet, als daß man es mit diesen Taten des Mutes und des inneren Anstandes verdecken könnte. Der Herr Bundeskanzler hat deshalb hier erklärt, es müßten .Grenzen berücksichtigt werden, die der deutschen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung der zahllosen Kriegsopfer und der Fürsorge f ü r die Flüchtlinge und Vertriebenen gezogen' seien, aber er hat weiter erklärt: ,Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern.' Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vielleicht einige Sätze zitieren, die die Vertreter der verschiedenen Parteien im Anschluß an die Regierungserklärung gesprochen haben. Der Herr Alterspräsident Lobe sagte im Namen der Sozialdemokratischen Partei u. a.: J e d e r rechtlich denkende Mensch schämt sich dieser Schandtaten, die unter Mißbrauch des deutschen Namens zum Entsetzen der überwiegenden Mehrheit auch des deutschen Volkes verübt worden sind' und erklärt weiter: ,Die furchtbare Größe des Unrechts, auf die der Bundeskanzler eben auch hinwies, fordert von uns Opfer.' Herr Dr. von Brentano sprach f ü r die CDU: ,Das Maß der Achtung, das wir unseren Mitmenschen und auch unseren jüdischen Mitbürgern entgegenzubringen bereit sind, wird das Maß der Achtung bestimmen, das wir f ü r uns selbst begehren.' Für die FDP sagte Herr Dr. Schäfer: ,Ich glaube nicht, daß weitere Worte geeignet sind, die Entschlossenheit und die Klarheit der Absichten zum Ausdruck zu bringen, die hinter dieser Regierungserklärung stehen', und f u h r fort: ,Ich möchte mich darauf beschränken, die Billigung auch im Namen meiner Freunde auszusprechen.' Herr Dr. von Merkatz erklärte f ü r die DP: ,Wir billigen nicht n u r die Erklärung der Regierung, wir unterstützen sie von ganzem Herzen, denn es gilt, einen Frevel, der wider göttliches und menschliches Recht begangen worden ist, wiedergutzumachen.' Für das Zentrum sprach Dr. Reismann: ,Die feierlichen Erklärungen aller Parteien hier im Bundestag und die Erklärung der Bundesregierung vor d e r gesamten Öffentlichkeit der Welt mögen dazu beitragen, daß das erklärliche Ressentiment bei denen, die so schweres Leid durch eine voraufgegangene Regierung Deutschlands haben ertragen müssen, aus der Welt geschafft wird. In diesem Sinne danken wir d e r Bundesregierung f ü r die abgegebene Erklärung.' Zuletzt sprach H e r r Dr. Decker f ü r die Bayernpartei; er kennzeichnete den Standpunkt seiner Fraktion mit dem Satz: ,Wer sich zum Rechtsstaat bekennt, muß sich auch zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bekennen, sie begrüßen und unterstützen.' Es ist in der letzten Zeit vielleicht manches gesprochen und kritisiert worden, 102
5.1 Die Ratifizierung
im Deutschen
Bundestag
und es ist daher notwendig, daß man, wenn man über dieses Problem spricht, den Versuch macht, auch zu verstehen, welche Gefühlsmomente in einer Gruppe, die einer Konfession, und zwar der jüdischen Konfession angehört, spürbar, vielleicht sogar lebendig werden bei dem Gedanken, mit denen in ein Gespräch zu kommen, die an diesem Unheil — zum mindesten einmal unter dem Begriff .Deutsche' - irgendwie mit teilgenommen haben oder schuldig sind. Es hat keinen Sinn, das Wort .schuldig' klein zu schreiben. Wir müssen zu verstehen versuchen, daß Europäer und Israelis, d. h. die Bewohner des Staates Israel, völlig verschieden denken. Auf der einen Seite, bei uns, herrscht ein säkulares Denken, auf der anderen Seite ein völlig theokratisches und auch gemischt theokratisch-säkulares Denken. Das ist das große Problem in Palästina. Hier stehen sich zwei gegenüber, die vielleicht leicht aneinander vorbeireden könnten. Daß sich dieses Säkulare und Theokratische in Palästina selbst stößt, ist f ü r den, der die Geschicke und auch die psychologischen Momente zu studieren versucht, auf Schritt und Tritt zu finden. So haben in Palästina große Fragenkomplexe ihren Einzug gehalten, die vielleicht sogar dazu geführt haben, daß man von Palästina als einem Notstandsgebiet sprechen kann. Es ist falsch zu glauben, es gebe in Palästina keinen Widerstand gegen den von uns gemachten Versuch, einen sogenannten moralischen Wiedergutmachungsbeitrag zu leisten. Im Gegenteil, gerade die Abstimmung im israelischen Parlament hat gezeigt, daß die Möglichkeit, im Namen der dortigen Regierung Delegierten den Auftrag zu geben, mit Bonn in irgendeinen Kontakt zu kommen, n u r mit einer sehr schwachen Mehrheit geschaffen worden ist. Daher haben die d a f ü r bestimmten hiesigen Kreise die Aufgabe gehabt, ein feines O h r f ü r dieses theokratisch-biblische Denken zu zeigen und dieses Denken auch zu respektieren. Sie wissen, daß zur gleichen Zeit, als die Verhandlungen begannen, sowohl hier in Deutschland als auch in Haag Attentatsversuche eine Rolle gespielt haben. In München kam es zur Explosion, die ganze Öffentlichkeit war in Besorgnis versetzt, und es grenzt fast an ein Wunder, daß das Attentat auf den Delegationsleiter in Haag keinen tödlichen Ausgang nahm. Nun zu der Frage, ob die Angabe einer Zahl von 500 000 Emigranten, d. h. eingewanderten Flüchtlingen jüdischer Konfession, mit den Tatsachen übereinstimmt oder ob das eine Zahl ist, die aus einer Phantasiestatistik stammt. Hier muß ich Sie bitten, Verständnis aufzubringen und einen Rückblick zu tun in eine Zeit, deren Schuld wir nicht leugnen können. Ein Teil dieser Menschen wanderte nämlich seit 1933 systematisch aus. Wir erinnern uns vielleicht der großen Kisten, auf denen die Orte verzeichnet waren, an denen diese Verfolgten oder Flüchtlinge Unterschlupf zu finden suchten. Manch einer erinnert sich vielleicht, damals neben den Aufschriften ,London' oder .Südamerika' oder .Nordamerika' häufig auch den Namen .Tel Aviv' gefunden zu haben. Die weitere Frage, ob diese 500 000 wirklich alle aus Deutschland sind, ist zu verneinen. Man muß sich, um das zu verstehen, daran erinnern, daß ja eigentlich der Nationalsozialismus es war, der mit dem Vorrücken der Kriegsereignisse die Welle des Antisemitismus vor sich her trieb, als man diese Leute entweder verhaf103
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg tete u n d vernichtete, o d e r sie d u r c h einen psychologischen Druck zwang, wieder auszuwandern. In d e r Tschechoslowakei, in Rumänien, in Ungarn waren die fürchterlichsten Dinge festzustellen. Nach 1945 aber machten wir die Feststellung, daß diese jüdischen Emigrantenkreise, die aus d e n KZs o d e r aus d e n Ghettos zurückwandern wollten, d e n Versuch u n t e r n a h m e n , irgendwie wieder in d e r alten Heimat seßhaft zu werden, aber d u r c h die Auflösung ihrer Kommunität nicht m e h r die Möglichkeit f a n d e n zu verbleiben, da sich auch dort ein gewisser Antisemitismus breitgemacht hatte. Sie sind d a n n nach Israel weitergewandert. Diese G r u p p e ist d e r Streitpunkt, und wir müssen a n e r k e n n e n — das hat auch die Delegation in ihrem Bericht an den Außenpolitischen Ausschuß anerkannt—, daß wir von diesem Faktum nicht abkommen konnten. Die weitere Frage ist die Deckungsfrage, u n d die macht natürlich vielen, die den Haushalt d e r Bundesregierung mit großer Sorge verfolgen, Kopfschmerzen. Wir d ü r f e n diese Deckung nicht bagatellisieren. Die Frage ist n u r — u n d da möchte ich wieder auf d e n Satz des H e r r n Alterspräsidenten Lobe zurückkommen —, ob nicht hier das W o r t , O p f e r ' am Platze ist. Wir müssen der Öffentlichkeit, u n d zwar d e r ganzen Welt, zeigen, daß das deutsche Volk bereit ist, die Friedenshand zu bieten u n d auch die Friedenshand a n z u n e h m e n . Mit etwas B e f r e m d e n hat es der Außenpolitische Ausschuß bei d e r Besprechung dieses Vertragskomplexes e m p f u n d e n , daß, während wir uns in einer seelischen Not befinden u n d aus dieser seelischen Not herauszukommen versuchen, gerade in diesem Moment in den arabischen L ä n d e r n eine gewisse Gegenbewegung auftrat, die geeignet sein könnte, diesen unseren Wiedergutmachungsversuch zu stören. Ich glaube sagen zu können... daß gerade die arabischen Länder, u n d zwar insbesondere das islamische Volk, in ihrer Geschichte d e n Beweis geliefert haben, daß gerade d e r Islam ein sehr starkes Rechtsgefühl hat. Ich n e h m e an, daß die arabischen Länder aus diesem Gefühl heraus auch f ü r den Wiedergutmachungsversuch d e r deutschen Bundesregierung Verständnis aufbringen werden. Daß aber zur gleichen Zeit als die deutsche Delegation in Kairo war, eine Ostzonendelegation e m p f a n g e n wurde, kann nicht anders als mit einer gewissen V e r w u n d e r u n g vermerkt werden. Gestatten Sie mir, d a ß ich nach dieser Einleitung auf d e n Vertrag selbst zu sprechen komme. Ich m u ß Sie aber bitten, sich d a r ü b e r klarzuwerden, d a ß in der Erklärung d e r C o n f e r e n c e on Jewish Material Claims against Germany der Satz geprägt worden ist: Wir sind bereit, über gewisse A n p r ü c h e materieller N a t u r zu verhandeln. Wir haben j e d o c h die Pflicht, von vornherein klarzustellen, daß eine Verhandlung ü b e r moralische Ansprüche nicht stattfinden kann. Es wird weiter gesagt, das sei n u r d u r c h eine seelische Bereinigung möglich. Dies war d e r Ausgangspunkt d e r Bundesregierung, und zwar hat man d e n Versuch gemacht, die verschiedenen Interessen in diesem Abkommen auf einen N e n n e r zu bringen. Art. 1 besagt, daß es kein völkerrechtlicher Akt ist, u n d setzt die S u m m e von 3 Milliarden fest. Diese S u m m e ist errechnet auf G r u n d d e r E r f a h r u n g e n , die uns auch das Flüchtlingsministerium zur V e r f ü g u n g gestellt hat, wobei wir gerade aus dem Sonne-Plan feststellen können, daß die Kosten f ü r die Eingliederung 104
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag eines Flüchtlings sich zwischen 7 000 u n d 10 000 Mark bewegen u n d m a n sich auf 7 000 Mark geeinigt hat. Dabei verringert sich die S u m m e f ü r die Eingliederung des Flüchtlings in Palästina noch u m 1 000 Mark. Ein zweiter Posten sind die 450 Millionen Mark, die von d e r C o n f e r e n c e on Jewish Material Claims against Germany b e a n s p r u c h t werden. Diese S u m m e ist vorgesehen f ü r die Wiedergutmac h u n g an d e n J u d e n , die nicht in Palästina ansässig sind. Art. 2 setzt die W a r e n fest, die zu liefern sind. W e n n ich das Wort ,Ware' ausspreche, so m u ß ich hier e r w ä h n e n , d a ß ü b e r d e n B e g r i f f , Ware' eine Diskussion stattfand, d a ß m a n zwischen Devisen u n d W a r e n abwog. Hier hat g e r a d e H e r r Direktor Abs die M e i n u n g vertreten, m a n müsse die Gleichsetzung von Waren mit Devisen v o r n e h m e n u n d m a n müsse, wenn man schon von einer Ware als Entgelts- bzw. Zahlungsmethode spreche, dies tatsächlich mit vollem Bewußtsein u n d nicht auf versteckte Weise tun. Art. 3 spricht von d e r Jahresleistung. Art. 4 ist auf Wunsch Israels eingefügt w o r d e n ; danach soll eine eventuelle wirtschaftliche Blüte in Deutschland berücksichtigt werden. In dieser Bestimm u n g wird aber auch von einer Anleihe gesprochen, die Deutschland a u f n e h m e n könnte. Es liegt vielleicht auch im Interesse des ganzen Deutschen Bundestages, wenn ich die Bitte ausspreche, d a ß uns von ausländischen Mächten in dieser Hinsicht Verständnis entgegengebracht werde. Art. 5 regelt die L i e f e r u n g u n d steht im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Schreiben N r . 2. Hiermit soll ein Anreiz f ü r die Wirtschaft gegeben werden. Es ist festgelegt, d a ß keine Diskriminierung g e g e n ü b e r Exporten nach dritten L ä n d e r n erfolgen d a r f , was insbesondere auch f ü r Preise gilt, die gegenwärtig o d e r k ü n f t i g d e r Einw i r k u n g behördlicher M a ß n a h m e n unterliegen. Auch ist in dieser Bestimmung die steuerliche B e h a n d l u n g vorgesehen. Art. 6 enthält die Warenliste, u n d Art. 7 trifft die Feststellung, d a ß es keine deutsche Zentrale gibt u n d d a ß die Israelische Mission hier selbständig einkaufen kann. J e d o c h ist eine Bundesstelle vorgesehen, u n d zwar soll die,Bundesstelle f ü r d e n W a r e n v e r k e h r d e r gewerblichen Wirtschaft' diese A u f g a b e n ü b e r t r a g e n bekommen. Art. 9 regelt das bankmäßige V e r f a h r e n u n d hat dazu einen A n h a n g . Ich darf hier einen S p r u n g m a c h e n u n d I h r A u g e n m e r k auf die beiden Protokolle lenken. Das Protokoll Nr. 1 stellt den R a h m e n f ü r die individuelle Wied e r g u t m a c h u n g mit Bezug auf das k o m m e n d e Wiedergutmachungsgesetz fest. Das Protokoll Nr. 2 betrifft die Jewish Claims C o n f e r e n c e u n d regelt die Verwend u n g dieser Gelder u n d statuiert auch eine Meldepflicht. Ich bin am E n d e meiner A u s f ü h r u n g e n u n d möchte Sie abschließend um eines bitten. Tatsächlich müssen wir in J e r u s a l e m einen Schnittpunkt zwischen altem u n d n e u e m T e s t a m e n t feststellen. Möge es gelingen, d a ß mit diesem Schnittp u n k t d e r Friede von einem zum a n d e r e n geschaffen wird, vom alten zum n e u e n Testament, u n d d a ß d e r gute Wille auch dazu beiträgt, d e n a n d e r e n zu zeigen, d a ß mit diesem guten Willen große Mißstände u n d große psychologische Differenzen ü b e r b r ü c k t w e r d e n k ö n n e n . " 105
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg An diesen Bericht schloß sich die Aussprache mit den Sprechern der einzelnnen Parteien an. Für die Christlichen Demokraten sprach der spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier: „Ich habe die Ehre, namens meiner politischen Freunde folgendes vorzutragen: Zu den unbegreiflichsten Erscheinungen d e r neueren Geschichte wird immer jener Ausbruch von Wahnsinn gehören, dem schätzungsweise sechs Millionen deutsche, französische, belgische, polnische, russische, ungarische, dänische und andere europäische Bürger zum Opfer gefallen sind. Mit systematischer Methode und einer nahezu perfekten Technik wurden sie, vom Säugling bis zum Greis, erschossen, vergast, vernichtet aus keinem anderen Grund als dem, weil sie angeblich oder wirklich Menschen .anderen Blutes', Menschen jüdischer Rasse seien. Der Befehl war ergangen, Deutschland, .Großdeutschland', j a Europa j u d e n f r e i ' zu machen. Wer nicht entrann, verfiel dem Henker. Der den Befehl gab und die ihn ausführten, waren ruchlose Mörder. Aber sie hatten die Macht in Deutschland und sie sprachen im Namen, jedenfalls aber zu Lasten Deutschlands. Es gab Hunderttausende in Deutschland, denen darüber das Grausen ankam. Es gab Tausende, die gequält Hilfe zu bringen versuchten. Und es gab nicht wenige, die ihren Hals an diese Hilfe gewagt und ihn dabei verloren haben. Diesen Blutzeugen d e r Menschlichkeit, Vertretern des deutschen Volkes, hat es Deutschland in erster Linie zu danken, wenn es den Satz von Kollektivschuld aller Deutschen ablehnen darf. Aber ihre Schar ist bei weitem nicht groß genug, um den anderen Satz von der Kollektivunschuld aufstellen zu können. Wie Schuld und Unschuld sich hier auch immer mischen mögen, das eine steht fest: im Namen und zu Lasten Deutschlands wurden die Bürger jüdischer Rasse im Machtgebiet des Dritten Reichs in die Ghettos und von dort in die Verbannung oder in die Gasöfen geschickt. Das Ergebnis war der Gegenschlag der Geschichte, dessen Zeugen wir geworden sind. Das Ergebhis war: Deutschland, ganz Deutschland wurde in ein großes Ghetto verwandelt. Unüberwindlicher als die Mauern eines orientalischen Ghettos waren f ü r uns Deutsche die Mauern von Haß, Verachtung und Ablehnung, die schon vor dem Kriege um uns gezogen wurden und die nach dem Kriege uns gefangen hielten. Es ist wahr, in diese Mauern um Deutschland sind Breschen geschlagen, breite Breschen sogar. Wir halten es für eine der größten Leistungen der deutschen Politik nach dem Krieg, insbesondere der Außenpolitik der Bundesregierung, daß sie mit Beharrlichkeit und Vertrauen schaffender Geradlinigkeit Deutschland aus diesem Ghetto weithin herauszuführen vermochte. Aber n u r rührende Weltfremdheit oder dreiste Vergeßlichkeit kann so tun, als ob wir in diesem Stück über den Berg wären, als ob die Ablehnung Deutschlands, als ob seine moralische und politische Verurteilung endgültig überwunden oder in dieser Welt vergessen wäre. Dazu bedarf es mehr als eines naiven Gemüts oder unbekümmerter Vergeßlichkeit. Hier kommt es auch nicht n u r auf gutgemeinte Worte an, hier kommt es auf die Respekt gewinnende Dokumentation einer neuen Gesinnung an. Wir glauben, daß hier der allgemeine geistige und der besondere politische 106
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag O r t ist, von d e m aus dieser erste Vertrag d e r Bundesrepublik Deutschland mit d e m Staate Israel verstanden u n d beurteilt w e r d e n m u ß . Dieser Vertrag entspringt, was Deutschland a n b e t r i f f t , d e m festen Willen, einer klar u n d genau e m p f u n d e n e n sittlichen V e r p f l i c h t u n g nach d e m Maße unserer nationalen Kraft einen materiellen Ausdruck zu geben. U n d dieser Vertrag hat das Ziel, Deutschland aus d e m Ghetto ganz u n d f ü r i m m e r herauszubringen. Ich sehe nicht ein, w a r u m nicht beides frei ausgesprochen werden sollte. Deutschland hat in dieser Sache eine unabweisbare d o p p e l t e Pflicht, erstens geg e n ü b e r d e n O p f e r n d e r T y r a n n e i , zweitens g e g e n ü b e r sich selbst, seinem Namen u n d seiner geschändeten Ehre. Wir sind nicht bereit, d a r ü b e r erst noch in Diskussionen einzutreten. Aber es ist uns bewußt, d a ß im Z u s a m m e n h a n g mit diesem Vertrag noch einige Fragen klargestellt w e r d e n müssen: 1. Die Frage d e r individuellen W i e d e r g u t m a c h u n g . E h e dieser Vertrag - erlauben Sie mir, d a ß ich d a r a u f a u f m e r k s a m mache — verhandelt u n d unterzeichnet w u r d e , hat sich dieses H a u s mit einem Wiedergutmachungsgesetz befaßt u n d am 3. Juli 1952 den A n t r a g des Ausschusses f ü r Rechtswesen u n d Verfassungsrecht a n g e n o m m e n . Danach ist die B u n d e s r e g i e r u n g ersucht worden, ,den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das die Entschädigung d e r O p f e r des Nationalsozialismus d u r c h ein Bundesergänzungs- u n d -rahmengesetz regelt'. Wir bestehen d a r a u f , daß dieses Gesetz nach d e n Grundsätzen, ü b e r die bereits hier Beschluß gefaßt ist, so schnell wie möglich vorgelegt wird; d e n n wir bestehen auf einer individuellen W i e d e r g u t m a c h u n g f ü r alle O p f e r des Nationalsozialismus o h n e Rücksicht auf Rasse u n d Konfession. 2. Wir wissen, d a ß auch ü b e r alle individuelle W i e d e r g u t m a c h u n g hinaus ein Rest bleiben wird, d e r nicht a u f g e h t . Wir wissen, daß auch die materiellen O p f e r des europäischen J u d e n t u m s d u r c h die Massenmordaktionen so u n ü b e r s e h b a r groß sind, d a ß die individuelle W i e d e r g u t m a c h u n g sie gar nicht zu erfassen vermag. W e r soll d e n n f ü r vollständig a u s g e m o r d e t e Familien, f ü r a u s g e m o r d e t e Sippen u n d D ö r f e r a u f t r e t e n ? Wir wissen auch, d a ß das Ü b e r m a ß d e r Leiden u n d d e r Erschlagenen nicht mit dreieinhalb Milliarden DM zu bezahlen ist. Wir halten es deshalb f ü r richtig, diesen Betrag f ü r eine halbe Million in Israel L e b e n d e r zu geben, in Israel Lebender, d e n e n das ,Dritte Reich' einst die Existenzgrundlage g e r a u b t hat. Wir wissen, d a ß auch dabei noch i m m e r ein von uns nicht tilgbarer immaterieller Rest bleibt, d e r n u r d e r H o f f n u n g auf k ü n f t i g e V e r s ö h n u n g überlassen bleiben kann. 3. Wir b e d a u e r n , d a ß dieser Vertrag zu einer zeitweiligen T r ü b u n g des deutsch-arabischen Verhältnisses g e f ü h r t hat. Wir legen Wert auf die alte F r e u n d s c h a f t Deutschlands zu d e n arabischen Staaten, u n d was von u n s e r e r Seite f ü r die moralische u n d politische U n t e r s t ü t z u n g d e r arabischen Flüchtlingsaktionen getan w e r d e n kann, das sollte getan w e r d e n . Aber die Brücke, die wir Deutschen in dieser Sache n u n einmal zu b e t r e t e n haben, f ü h r t von d e n im N a m e n Deutschlands verjagten u n d e r m o r d e t e n J u d e n nicht zu d e n Arabern, s o n d e r n zu Israel. Wir b e g r ü ß e n die B e m ü h u n g e n d e r B u n d e s r e g i e r u n g , mit d e n arabischen Staaten in e n g e r F r e u n d s c h a f t u n d in f r u c h t b a r e n wirtschaftlichen Beziehungen 107
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg zu leben. Aber wir können und werden uns auch von den arabischen Freunden Deutschlands nicht hindern lassen, das zu tun, was Gewissen und Ehre uns gebieten. Die Araber mögen auch daran erkennen, wie verläßlich die Freundschaft eines solchen Deutschlands in kritischen Situationen sein mag. Ein in Ehren ergrauter Diener des preußischen Staates, ein alter Berliner Sanitätsrat, wurde in jenen ruchlosen Jahren mit seiner Familie abgeholt und in die Krematorien von Theresienstadt geschickt. Der Sohn entrann nach Schweden. Er kam zurück im Winter 1945/46. Er arbeitete hingebungsvoll und ohne Vorbehalt am Wiederaufbau Deutschlands. Wohl als einziger Deutscher hielt e r im letzten J a h r e an einer bayerischen Universität eine Gedenkrede auf Preußen als einen teuren Toten. Die Rede ist seinem ermordeten Vater gewidmet und heißt ,Die Ehre Preußens'. Es scheint mir: es ist Zeit, es ist hohe Zeit, daß wir uns nicht länger beschämen lassen. Das gebietet die Ehre Deutschlands! Darum sagen wir ja zu diesem Vertrag." Für die Sozialdemokraten ergriff Carlo Schmid das Wort: „Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben: Durch die Schreckensherrschaft, die von den Gewalthabern des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland und den von ihnen besetzten Ländern aufgerichtet worden ist, sind Verbrechen ohne Zahl begangen worden. Millionen unschuldiger Menschen wurden in die Konzentrationslager gesperrt, ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben. Am fürchterlichsten hat diese Barbarei die Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung getroffen. Millionen von ihnen sind ermordet worden, Hunderttausende wurden aus ihrer Heimat verschleppt und verjagt, Hunderttausende mußten nachträglich ihr durch die Folgen des nationalsozialistischen Terrors unwirtlich gewordenes Land verlassen. Die Sozialdemokratische Partei hat seit j e die Wiedergutmachung dieses Millionen von Deutschen und Ausländern angetanen Unrechts verlangt. Es ist insbesondere der verstorbene Dr. Kurt Schumacher gewesen, der unermüdlich auf die besonders dem jüdischen Volk gegenüber erwachsene vorrangige Verpflichtung zur Wiedergutmachung hingewiesen hat. Gemäß dieser Überzeugung hat die sozialdemokratische Fraktion am 22. Februar 1951 durch ihren Sprecher erklären lassen, daß das deutsche Volk den Juden gegenüber eine besondere moralische Verpflichtung zur Wiedergutmachung anzuerkennen habe und daß den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus d a r u m ein besonderes Anrecht auf die dem deutschen Volke möglichen Wiedergutmachungsleistungen zu gewähren sei. Moralische Verpflichtungen verlangen aber stärkere Bemühungen als die Einlösung einer nur durch die Normen des geschriebenen Rechtes begründeten Schuld. Darum muß um der Gerechtigkeit willen bis an die äußerste Grenze des deutschen Leistungsvermögens gegangen werden. Die sozialdemokratische 108
5.1 Die Ratifizierung
im Deutschen
Bundestag
Fraktion lehnt die These von der Kollektivschuld des deutschen Volkes ab wie auch j e n e andere, ebenso falsche, von der Kollektivunschuld. Doch hat auch ohne Kollektivschuld die Gesamtheit der Deutschen innerhalb der Grenzen der Leistungsfähigkeit unseres Volkes f ü r die Wiedergutmachung des Unrechts einzustehen, das unter Schändung seines Namens begangen worden ist. Die sozialdemokratische Fraktion hat am 22. Februar 1951 durch ihren Sprecher weiter erklären lassen, daß sie den Staat Israel f ü r berechtigt halte, Kollektivansprüche des jüdischen Volkes zu vertreten, weil der Staat Israel auch von der großen Masse j e n e r J u d e n , die Bürger anderer Staaten bleiben wollen, über eine bloße moralische Autorität hinaus als legitimiert angesehen wird, f ü r alle Juden zu handeln, die sich nicht anderswo gebunden fühlen. Die Fraktion wird dieser Haltung treu bleiben. Der mit dem Staat Israel abgeschlossene Vertrag darf in nichts die Erfüllung der Verpflichtungen einschränken, die allen O p f e r n der nationalsozialistischen Verfolgung gegenüber individuell erwachsen sind. Die sozialdemokratische Fraktion erwartet, daß durch das Wiedergutmachungsgesetz allen denen, die aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen an Hab und Gut, Leib und Freiheit Schaden gelitten haben, ausreichend und rasch Entschädigung gewährt werden wird, ohne Rücksicht darauf, ob sie in der Fremde oder in Deutschland leben. Sie findet es im höchsten Maße bedauerlich, daß so viele Ansprüche bisher noch nicht oder nicht genügend erfüllt worden sind. Die Fraktion gibt weiter ihrem Bedauern Ausdruck, daß die Verhandlungen mit dem Staate Israel ohne ausreichende gleichzeitige Unterrichtung der arabischen Staaten geführt worden sind. Wäre eine solche Unterrichtung in geeigneter Weise erfolgt, hätten sich die Schwierigkeiten leichter vermeiden lassen, die im Verhältnis zu den arabischen Staaten aufgetreten sind. Die sozialdemokratische Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung alles Zumutbare tut, um durch wirtschaftliche Vereinbarungen die Beziehungen zu den arabischen Staaten im Sinne der traditionellen Freundschaft unserer Völker zu normalisieren. Sie verurteilt auf das schärfste die Beteiligung deutscher Kreise an den Versuchen, das Zustandekommen u n d die Ratifizierung des Israel-Vertrages zu verhindern. Die sozialdemokratische Fraktion hofft, daß der Abschluß und die Ausführung des Vertrages mit dem Staate Israel von der gesamten Welt als ein Zeichen des ernsten Willens des deutschen Volkes begriffen werden möge, wenigstens etwas von dem entsetzlichen Unheil wiedergutzumachen, das die nationalsozialistische Gewaltherrschaft über das deutsche Volk und die anderen von ihr heimgesuchten Völker gebracht hat. Sie ist sich bewußt, daß auch mit diesem Vertrage nichts von dem Leid weggenommen oder gar ungeschehen gemacht werden kann, das Millionen von Menschen angetan wurde, von denen so viele treueste Bürger des deutschen Staates und wertvollste Glieder unseres Volkes gewesen sind, deren Namen f ü r alle Zeiten auf den schönsten Blättern des Ehrenbuchs unserer Nation verzeichnet stehen werden, dieser deutschen Nation, die durch die Ermordung oder Verjagung unserer jüdischen Mitbürger aufj e d e r Ebene ihrer Existenz im Kern getroffen worden ist. 109
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg Wir möchten nicht, daß d e r Abschluß dieses Vertrages dahin mißverstanden wird, das deutsche Volk glaube damit diese Verbrechen vergessen gemacht zu haben. Wir fordern das deutsche Volk auf, alles zu tun, was der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zu dienen vermag, und in Geduld und ohne zu fordern abzuwarten, ob ihm eines Tages von den Nachfahren u n d Gefährten der O p f e r der Barbarei, die seinen Namen geschändet hat, die Versöhnungshand gereicht werden wird. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wird dem Vertrag zustimmen und beantragt namentliche Abstimmung." Der Abgeordnete Hasemann erklärte f ü r die Freien Demokraten: „Das vorliegende Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel soll dazu dienen, einen Schlußpunkt zu setzen hinter eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, eines Kapitels, das den deutschen Namen mit Schmach und Schande bedeckt hat. Dieses Abkommen basiert auf der Erklärung d e r Bundesregierung vom 27. September 1951 über das Wiedergutmachungsproblem im Verhältnis zum Staate Israel, das der Bundestag seinerzeit einmütig gebilligt hat. Die Bundesregierung hat sich seit Jahren konsequent und intensiv bemüht, das moralische Ansehen der Bundesrepublik in der Welt wiederherzustellen und überzeugende Beweise d a f ü r zu liefern, daß das deutsche Volk selbst unter Zurückweisung einer Kollektivschuld in seiner Gesamtheit dazu aufgerufen u n d auch willens ist, erduldetes Unrecht und erduldeten Schaden wiedergutzumachen. Für meine Fraktion darf ich feststellen, daß sie die Bundesregierung bei diesem Bemühen in jeder Beziehung voll unterstützt hat, und zwar sowohl aus menschlichen wie auch aus politischen Gründen. Wir wissen, daß es sehr schwer ist, allein die dem J u d e n t u m und allen anderen O p f e r n des Nazismus zugefügten materiellen Schäden in gerechter Weise zu ersetzen. Wir wissen auch, daß es noch schwerer ist, f ü r die erlittene seelische Marter Entschädigung zu leisten, und wir wissen schließlich, daß es für den erlittenen Tod keine Abgeltung gibt. Wir werden immer bereit sein, den gerechten Anspruch eines jeden Opfers anzuerkennen und in den Grenzen der gegebenen Möglichkeiten zu befriedigen, und an diesem Rechtsanspruch der Opfer des Naziregimes ist nicht zu deuteln. Das Abkommen mit dem Staat Israel ist nun keine materielle Wiedergutmachung, die durch einen Rechtsanspruch begründet wäre, sondern dieses Abkommen ist ein Akt, der moralisch gewertet sein will und das deutsche Ansehen und den deutschen Namen in der Welt von bislang immer noch anhaftenden Schlakken reinigen soll. Auch in diesem Bemühen findet die Bundesregierung die prinzipielle Unterstützung der Fraktion. Ob das vorliegende Abkommen geeignet ist, auch den notwendigen und gewünschten Effekt zu erzielen, ist eine umstrittene Frage, nicht n u r umstritten in der öffentlichen Meinung, sondern auch umstritten in meiner Fraktion. Ein Teil meiner Freunde ist der Auffassung, daß dieser Vertrag kein besonders gelungenes Werk ist. Es ist müßig, diesen Vertrag gewissermaßen zu sezieren, seine Unzulänglichkeiten und Unklarheiten herauszupräparieren und Prognosen über seine Konsequenzen anzustellen. Es scheint mir nicht sinnvoll, hier im Plenum 110
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag d a r ü b e r zu diskutieren, ob u n d wie d u r c h diesen V e r t r a g etwa die individuelle W i e d e r g u t m a c h u n g zeitlich u n d finanziell beeinträchtigt wird, ob etwa die f ü r die Wiedereingliederungskosten des Staates Israel z u g r u n d e gelegte Zahl von insgesamt 500 000 vertriebenen J u d e n zutrifft, o d e r wie es etwa möglich war, d a ß d e r V e r t r a g trotz d e r s o g e n a n n t e n Flaggenklausel unterschrieben w u r d e , die erst d u r c h die Reaktion d e r Öffentlichkeit u n d d u r c h die Intervention des Bundesrates gestrichen wurde. Ü b e r diesen V e r t r a g k a n n u n d d a r f es kein Feilschen in d e r Öffentlichkeit geben, wenn d e r moralische E f f e k t nicht v e r p u f f e n soll. Aber dennoch m u ß vielleicht gesagt werden, d a ß alle diese Fragen zweckmäßig vor d e r U n t e r z e i c h n u n g mit d e m zuständigen Ausschuß des Bundestags hätten e r ö r t e r t w e r d e n müssen, wie es etwa H e r r Abs bei d e r Regelung d e r deutschen Auslandsschulden getan hat. W e n n ich auch sagte, d a ß es mir nicht sinnvoll erscheint, d e n Vertrag hier gewissermaßen zu sezieren, so m u ß in diesem Z u s a m m e n h a n g doch ein Problem erwähnt werden, das auch meine V o r r e d n e r schon angeschnitten haben: das ist die W i r k u n g dieses A b k o m m e n s auf die arabischen Staaten u n d d a r ü b e r hinaus vielleicht auch auf die ganze m o h a m m e d a n i s c h e Welt. Meine Fraktion teilt nicht die Sorglosigkeit d e r B u n d e s r e g i e r u n g in dieser Beziehung. Wir sind d e r A u f f a s s u n g , d a ß die diplomatische A b s c h i r m u n g gegen die Staaten d e r Arabischen Liga nicht ausreichend war. Es sind nicht n u r Erwägungen materieller Art, die sich von Export- o d e r Importzahlen mit d e m arabischen Raum herleiten; es sind vielmehr auch E r w ä g u n g e n politischer Natur, die uns Sorge bereiten. Wir möchten nicht, d a ß das g r o ß e Maß von V e r t r a u e n u n d F r e u n d s c h a f t , das Deutschland seit langer Zeit in d e r m o h a m m e d a n i s c h e n Welt genießt, unüberlegt verspielt wird; d e n n unsere aufrichtigen F r e u n d e in dieser Welt sind d ü n n gesät. Wir meinen, d a ß die B u n d e s r e g i e r u n g die berechtigten Belange u n d A u f f a s s u n g e n sowohl des Staates Israel als auch d e r Arabischen Liga schon im F r ü h s t a d i u m d e r V e r h a n d l u n g e n hätte in R e c h n u n g stellen u n d berücksichtigen müssen, die sich n u n einmal aus d e r Situation ergeben, d a sich d e r Staat Israel noch im latenten Kriegszustand mit d e n arabischen Staaten befindet. Ich möchte an dieser Stelle die H o f f n u n g aussprechen, d a ß die arabischen Staaten Verständnis f i n d e n möchten f ü r u n s e r e Verpflichtung, das d e m J u d e n t u m z u g e f ü g t e U n r e c h t d u r c h diesen Akt d e r Wied e r g u t m a c h u n g abzugelten. Die B u n d e s r e g i e r u n g bitten wir dabei, d u r c h weitere, u n d , wie wir h o f f e n , sehr intensive V e r h a n d l u n g e n mit d e n arabischen Staaten die aufrichtigen G e f ü h l e d e r F r e u n d s c h a f t dieser Staaten f ü r unser Volk u n d Land zu erhalten. Auf d e r a n d e r e n Seite ist zu h o f f e n , d a ß d e r Akt guten Willens, d e r sich in diesem Vertrag zeigt, beim Staat u n d Volk Israel u n d d a r ü b e r hinaus in d e r ganzen Welt die Resonanz findet, die wir von ihm e r w a r t e n . Dieser V e r t r a g ist ein einheitliches Ganzes, u n d e r ist von d e r Bundesrepublik unterschrieben. Es gibt n u r ein J a oder ein Nein. Das J a wird bei m a n c h e m nicht f r e u d i g sein. Ein Nein wird f ü r m a n c h e n nicht möglich sein, weil trotz gewisser B e d e n k e n d e r diesem Abk o m m e n i n n e w o h n e n d e moralische E f f e k t a n e r k a n n t wird u n d nicht g e f ä h r d e t werden d a r f . Die Stellung meiner Fraktion zu diesem Vertrag ist d a h e r nicht einheitlich. Die Entscheidung bleibt j e d e m nach seinem Gewissen frei.
111
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg In diesem Zusammenhang habe ich namens meiner Fraktion dem Hohen Hause eine Entschließung vorzulegen, die mit Umdruck Nr. 795 verteilt wurde. Diese Entschließung k n ü p f t an die Drucksache Nr. 3583 an. In der 229. Sitzung vom 11. September 1952 hat der Bundestag bei n u r wenigen Enthaltungen einen Antrag des Ausschusses f ü r Rechtswesen und Verfassungsrecht angenommen, der unter Ziffer 2 die Bundesregierung auffordert, alsbald einen Gesetzentwurf vorzulegen ,über die rückerstattungsrechtlichen Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches und die Behebung der durch die von der Besatzungsmacht vorgenommene Regelung der Rückerstattung entstandenen offenkundigen Härten'. Durch die von meiner Fraktion vorgelegte Entschließung soll die Bundesregierung aufgefordert werden, diesen Gesetzentwurf bis zum 1. Mai dieses Jahres vorzulegen. Das von den Besatzungsmächten erlassene Rückerstattungsrecht hat in vielen Fällen ganz zweifellos eine unbillige Härte gegen gutgläubige, ja sogar gutwillige Erwerber jüdischen Vermögens geschaffen. Jeder von Ihnen wird Fälle kennen — denn es sind ihrer nicht wenige —, in denen der Erwerber in vollem Einverständnis, j a oft auf Wunsch des jüdischen Emigranten dessen Eigentum erworben hat. Die in solchen Fällen entstandenen Härten sollen nach dem damals fast einmütig bekundeten Willen des Bundestages beseitigt werden. Es ist daher nur folgerichtig, wenn Sie unserer Entschließung zustimmen, worum ich Sie im Namen meiner Fraktion zu bitten habe." Im Namen der Deutschen Partei sagte der Abgeordnete Hans-Joachim von Merkatz: „Namens der Fraktion der Deutschen Partei habe ich folgende Erklärung abzugeben: Mit wacher Verantwortung hat die Fraktion der Deutschen Partei den vorgelegten Vertrag geprüft. Den Maßstäben ehrenvoller deutscher Tradition verpflichtet, bejahen wir das Bemühen, das aus dem Vertrage spricht, ein sichtbares Zeichen zu geben, um eine unheilvolle Vergangenheit in voller Einsicht in die Größe des geschehenen Unrechts zu überwinden, damit das Vertrauen zu unserem Volke wiederhergestellt, die Zukunft entgiftet und ein ähnliches Geschehen von allen anständigen Deutschen verhindert wird. Wir lehnen eine Kollektivschuld ab, stehen aber in solidarischer Haftung für die Wiederherstellung der Ehre unseres Volkes. Das heißt Wiedergutmachung, soweit das in unserer Kraft und Möglichkeit liegt. Angesichts schwerer Sorge und begründeter Zweifel, ob der durch den Vertrag beschrittene Weg in seinen Grundlagen und in seiner Auswirkung richtig gewählt ist, hat sich ein Teil der Fraktion in berechtigter Gewissensnot nicht in der Lage gesehen, ein Ja auszusprechen. Die Mitglieder der Fraktion, die sich so entschieden haben, haben ihren Entschluß nicht gefaßt, weil sie um die Leistung markten wollen, sondern weil ihr Gerechtigkeitsgefühl sie zu diesem Entschluß geführt hat. Sie sehen die individuelle Wiedergutmachung gegenüber den Deutschen jüdischen Glaubens und gegenüber den europäischen Juden durch eine 112
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag Zustimmung zu diesem Vertrag als gefährdet an. Dieser Entschluß ist auch davon beeinflußt worden, daß bei der D u r c h f ü h r u n g von Restitutionen leider erneutes Unrecht geschieht. Wir vermissen noch jedes echte Zeichen f ü r die Bereitschaft, das in Deutschland, in Europa und in der Welt vor allen an den Vertriebenen begangene Unrecht, das auf die gleiche totalitäre Entartung staatlicher Macht zurückzuführen ist, mit gleicher Einsicht, Verantwortung, internationaler Ehrenhaftigkeit und solidarischer H a f t u n g wiedergutzumachen, denn Recht und Gerechtigkeit sind unteilbar und haben absolute Geltung." Der heutige Vorsitzende der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, der damals durch das Verbot der Deutschen Reichspartei fraktionslos gewordene Abgeordnete von Thadden, erklärte: „Die Tatsache, daß wir uns heute mit dem Vertrag der Bundesregierung mit dem Staate Israel befassen, lenkt unser aller Aufmerksamkeit noch einmal auf eines der düstersten Kapitel der letzten Zeit. Daß durch die Verfolgungsmaßnahmen deutscher Stellen von den etwa 5,6 Millionen Juden, die vor dem Kriege in Europa lebten, über eine Million getötet wurden, kann von niemandem beschönigt und von keinem Menschen wiedergutgemacht werden. Mord ist Mord, ob er an einem oder an Millionen Menschen begangen wird. Wenn wir uns mit aller Schärfe gegen das nach 1945 an Deutschen entstandene Unrecht wenden und den Rechtsstaat bejahen, ist es selbstverständlich, daß wir die volle Rückgabe all der Vermögenswerte bejahen und fordern, die Juden fortgenommen wurden oder die sie unter Druck veräußern mußten. Hierfür ist eine einschlägige Gesetzgebung vorhanden bzw. im Entstehen. Der Staat sollte aber auch rechtzeitig sein Augenmerk auf die Tatsache lenken, daß hierbei schon wieder viel neues Unrecht an Unschuldigen begangen wurde. Bei diesem Vertrag geht es aber nicht um die Rückgabe von Vermögen. Hier handelt es sich um ein Abkommen mit dem am 15. Mai 1948 gegründeten Staat Israel. Nach der Vertragsbegründung sollen wir neben den Zahlungen an die jüdische Weltorganisation 3 Milliarden DM zur Eingliederung von 540 000 von Europa nach Israel emigrierten J u d e n zahlen. Hiervon stammt aber n u r ein Teil — nach den Unterlagen, die ich gesehen habe, sind es 125 000 - aus Deutschland. Zur direkten Hilfeleistung bei der Eingliederung dieser Menschen hätte es unseres Erachtens eines anderen Vertrags bedurft. Was die Einwanderung aus Osteuropa anlangt, f ü r die wir nach diesem Vertrag auch zahlen sollen, stellt sich die Frage: Sollte d e n n 1945 dort etwa keine Befreiung stattgefunden haben? Wir bejahen also die Zahlungen an deutsche Juden im Rahmen der Rückerstattung auch nach Israel, nicht aber f ü r solche aus den, befreiten' Gebieten in Ost und West. Die Unterzeichnung des Vertrags mit dem Staat Israel, der sich mit den Staaten der Arabischen Liga nach wie vor im Kriegszustand befindet, hat den massiven Protest der arabischen Länder hervorgerufen, mit denen uns eine jahrhundertealte Freundschaft verbindet, die weit über den Rahmen geschäftlicher Beziehungen hinausreicht. Die Araber wenden sich nicht gegen eine gutmachende 113
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg Hilfe unsererseits, sie wenden sich dagegen, daß Deutschland bei ihrem Streit mit Israel einseitig dessen Partei ergreift. Wir meinen, daß es falsch war, mit dem Staat Israel direkt zu verhandeln, der sich mit Ländern im Krieg befindet, mit denen wir befreundet sind. Der Weg über die Vereinten Nationen wäre besser gewesen. Die arabischen Länder können weder verstehen noch billigen oder entschuldigen, daß wir hier einseitig Partei ergreifen. Sie befürchten nach der von uns gelieferten wirtschaftlichen Aufrüstung Israels eine neue Expansion und Aggression. Wir sollten doch nicht vergessen, daß mehr als eine Million Araber den jüdischen Einwanderern keine Wüste, sondern die Werte eines blühenden Landes ohne jede Entschädigung überlassen mußten. Seitens der Bundesregierung wurde in der Art verfahren, die eben das Ergebnis,einsamer' Beschlüsse ist. Durch die SPD und CDU scheint die Annahme des vorliegenden Vertrags gesichert. Trotzdem, die Franzosen wollen den EVG-Vertrag auch durch Zusätze ändern, ja sogar umwerfen. Daher meinen wir, daß durch ein einfaches Zusatzprotokoll die U N O als Treuhandstelle eingeschaltet werden sollte, über die alle Zahlungen zu laufen haben. Dadurch könnte manches geändert werden, was unseren Beziehungen zum Nahen Osten heute schwer zu schaden droht. Angesichts der auch einmal von einem Bundesminister zugegebenen Tatsache, daß dieser Vertrag unter dem massiven Druck der Amerikaner zustande kam, könnte durch die Einschaltung der U N O hier ein alle befriedigender Ausweg gefunden werden. Solange hier nichts geschieht, werden wir von der DRP den Vertrag ablehnen."
Zu diesem Zeitpunkt war im Deutschen Bundestag auch noch die Kommunistische Partei Deutschlands vertreten. Ihr Abgeordneter Müller trat mit folgender Erklärung vor das Plenum: „Der T o d und die Ermordung von sechs Millionen J u d e n sind eine einzige Anklage gegen ein furchtbares System der Menschenverachtung und der Barbarei. Darüber sind hier bisher gefühlvolle Worte gesprochen worden. Aber wir verwahren uns dagegen, daß Leute hier auftreten, die damals, als es galt, diese Verbrechen zu verhindern, entweder beiseite gestanden [sind] oder sie unterstützt haben. Ich sage heute aber auch mit derselben Deutlichkeit, daß dieses Abkommen zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel der Wiedergutmachung der grenzenlosen und bestialischen Verbrechen der Hitler-Barbarei an den verfolgten J u d e n nicht dient. Ich lasse zunächst die Tatsachen aus dem Abkommen selbst sprechen: 1. Die Bundesregierung verpflichtet sich zur Zahlung von drei Milliarden DM an den Staat Israel. 2. Zu dieser Summe kommt ein Betrag von 450 Millionen DM an eine Dachorganisation der zionistischen Vereinigungen. Die Begleichung der gesamten Summe erfolgt in Form von Warenlieferungen an den Staat Israel. Nach der dem Abkommen beigefügten Warenliste sollen 114
5.1 Die Ratifizierung
im Deutschen
Bundestag
die Lieferungen bestehen in Roheisen, Walzwerkerzeugnissen, Gießereierzeugnissen, Eisen- und Stahlerzeugnissen, Erzerzeugnissen der stahlverarbeitenden, der chemischen Industrie und einiger anderer. Bezahlt werden soll außerdem jährlich die englische Öllieferung an Israel in Höhe von 75 Millionen DM. Bemerkenswert ist, daß die Lieferung an landwirtschaftlichen Erzeugnissen nur 1,5 Prozent der jährlichen Gesamtsumme ausmacht. Unter dem Namen der Wiedergutmachung erhalten also die Industriellen Israels aus Westdeutschland alles, was sie zum Ausbau ihrer Grundindustrien benötigen. Die Tatsachen beweisen, daß dieses Abkommen mit einer Wiedergutmachung auch nicht das geringste zu tun hat. Das wird noch durch die Erklärung in diesem Abkommen bestätigt, wonach durch diese Zahlungen an Israel die Zahlungen an die einzelnen geschädigten J u d e n auf Grund der innerdeutschen Wiedergutmachungsgesetze grundsätzlich nicht berührt werden. Auf deutsch heißt das also, daß die einzelnen Verfolgten in Israel von den drei Milliarden DM auch nicht einen einzigen Pfennig erhalten, die Industriellen dagegen ein glänzendes Geschäft machen. Aber nicht n u r diese sind die Nutznießer aus diesem Abkommen, sondern vor allen Dingen die Herren aus der amerikanischen Rüstungsindustrie und Hochfinanz. Denn diese sind es, die hinter dem Abkommen stehen und es veranlaßt haben; nicht aus Gründen der Humanität und d e r Menschenfreundlichkeit. Es sind sehr reale G r ü n d e f ü r diese Politik maßgebend. Es sind die amerikanischen Imperialisten, die sich im Vorderen Orient einen starken strategischen und militärischen Stützpunkt schaffen, einmal gegen die Engländer, zum andern aber auch gegen die Völker Vorderasiens und Nordafrikas. Mit Hilfe der Industrieausrüstungen aus Westdeutschland wollen die Amerikaner also den in ihren Händen befindlichen Staat Israel zur rüstungsmäßigen und operativen Basis f ü r ihre aggressive Politik ausbauen. Die Gewinner aus diesem Abkommen sind nicht nur die Herren der Industrie in Israel und die Amerikaner, es sind ebenso die Industrieherren in Westdeutschland, denen es auf mehrere J a h r e hinaus Absatz und Riesengewinne sichert. Ist es nicht eine geradezu widerliche Verhöhnung der rassisch Verfolgten, daß diejenigen, die an dem Massenmord mitverantwortlich sind, die unter Hitler und an seinen Massakern an den J u d e n Riesenprofite machten, heute unter dem Deckmantel einer solchen .Wiedergutmachung' wiederum Riesenprofite einstekken wollen, während die rassisch Verfolgten wie auch alle anderen im Bundesgebietjahrelang auf eine ausreichende Wiedergutmachung und Rentenversorgung warten müssen? Ist es nicht ein blutiger H o h n , daß sich hier im Bundestag Leute f ü r eine solche .Wiedergutmachung' einsetzen, die, wie z. B. Herr Pferdmenges, einst die SS finanzieren halfen, auf deren Sonderkonto der Mord an Millionen Juden zu buchen ist, oder ein Wehrwirtschaftsführer, Dr. Frowein, über den in einem Dokument vom 31. Mai 1940 folgendes geschrieben ist: ,Herr Frowein hat erfahren, daß uns J ü d i n n e n in jeder gewünschten Anzahl zur V e r f ü g u n g gestellt werden können. Sie müßten garantiert in der Nachtschicht beschäftigt oder wenn möglich in Baracken oder möglichst schlechten Wohnungen untergebracht werden. H e r r Frowein schlägt 500 Jüdinnen vor.' 115
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg Oder ein gewisser Dr. Lehr, der als Oberbürgermeister 1933 Anweisung gab, jüdische Geschäfte, Anwälte und Ärzte auszuschalten. Schon diese Namen allein sind Beweis genug, daß es sich bei diesem Abkommen niemals um eine Wiedergutmachung handeln kann. Ich weiß, daß die meisten der im Bundesgebiet wohnenden rassisch Verfolgten dieses Abkommen ablehnen. Wir Kommunisten lehnen es ab. Wir fordern, daß hier im Bundesgebiet endlich die Mittel bereitgestellt werden, damit f ü r alle Verfolgten des Naziregimes die Ansprüche befriedigt werden, die ihnen als Wiedergutmachung zustehen." Für die Föderalistische Union, einem Vorläufer der späteren Bayernpartei, sprach der Abgeordnete Decker. „Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung zur Haltung der Bundesrepublik gegenüber den J u d e n folgende Worte gesprochen: ,1m Namen des deutschen Volkes sind unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die J u d e n erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind.' Im Auftrage meiner Fraktion habe ich hierzu folgende Stellung genommen: , Wer sich zum Rechtsstaat bekennt, muß sich auch zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bekennen, sie begrüßen und unterstützen.' Ich freue mich, daß dieser Satz heute schon zitiert worden ist; denn an der Haltung meiner Fraktion zu dieser Frage hat sich nichts geändert. Sie bekennt sich nach wie vor zur Pflicht der Wiedergutmachung des Unrechts und, soweit überhaupt möglich, der Unmenschlichkeiten, die an den J u d e n von den Machthabern des Dritten Reiches und ihren gewissenlosen Werkzeugen begangen worden sind. Meine Fraktion begrüßt es auch, daß Maßnahmen hierzu im Wege eines Abkommens ergriffen werden, hat aber Bedenken gegen dieses Abkommen und von Anfang an davor gewarnt. Wir sind der Ansicht, daß dieses Abkommen nicht den günstigsten und besten Weg einschlägt, der möglich gewesen wäre, die noch klaffenden Wunden zu schließen, zum Vernarben zu bringen und eine Versöhnung zwischen den J u d e n und dem deutschen Volk anzubahnen. Wir haben den Eindruck, daß das Auswärtige Amt die Frage der Wiedergutmachung viel zu sehr isoliert und im luftleeren Raum — unabhängig von den weltpolitischen Zusammenhängen — bearbeitet hat. Mit Recht lehnt das deutsche Volk auch in dieser Frage eine Kollektivschuld ab. Andererseits ist das deutsche Volk aber willens, kollektiv, also in seiner Gesamtheit, eine Wiedergutmachung zu leisten. Daraus ergibt sich aber nicht, daß die Wiedergutmachung als solche in erster Linie auch an die Geschädigten als Kollektiv erfolgen muß. Erstes Erfordernis, das sich aus einfachen Gründen der Menschlichkeit ergibt, ist die individuelle Wiedergutmachung und Hilfe. Zuerst muß den unmittelbar Verfolgten und Geschädigten des jüdischen Volkes geholfen werden. Viele von ihnen sind so bejahrt und in schwierigsten wirtschaftlichen Verhältnissen, 116
5.1 Die Ratifizierung im Deutschen Bundestag daß jede Verzögerung der individuellen Hilfe sie nicht mehr in den Genuß derselben kommen lassen wird. Das vorliegende Gesetz wird aber zur Folge haben, daß die individuelle Hilfe zugunsten einer Kollektivmaßnahme, nämlich einer Maßnahme zugunsten des Staates Israel, um J a h r e verzögert wird, einfach weil die Mittel der Bundesrepublik gleichzeitig f ü r beides nicht vorhanden sind. Eine Lösung, welche die individuelle Hilfe vor jeder anderen bevorzugt und die das gesamte J u d e n t u m ohne Rücksicht auf seine internen Schichtungen und Spaltungen berücksichtigt, hätte sofort unsere Zustimmung gefunden. Dieses Abkommen aber, das keine Auswirkung auf alle geschädigten J u d e n hat, d a f ü r aber völlig zwecklos Schädigungen in den außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik nach sich ziehen wird, halten wir nicht für geeignet, die anstehende Frage zu lösen. Ich möchte zusammenfassen. Wiedergutmachung? Aus ganzem Herzen: Ja! Dieses Abkommen aber müssen wir ablehnen und nein dazu sagen. Wir werden uns der Stimme enthalten, nicht weil wir unentschlossen oder indifferent dieser Frage gegenüberstehen, sondern weil wir damit zum Ausdruck bringen wollen, daß wir zu dem Abkommen leider nein sagen müssen, die Wiedergutmachung aber aus innerster Gewissenspflicht bejahen." Nach der zweiten Lesung des Vertragsentwurfs wurde von den Sozialdemokraten namentliche Abstimmung beantragt. Bundestagspräsident Hermann Ehlers gab nach dem Auszählen der Stimmzettel das Ergebnis mit folgenden Worten bekannt: „Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich beteiligt 358 stimmberechtigte Abgeordnete und 19 Berliner Abgeordnete. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 238, mit Nein 34 bei 86 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben 16 mit Ja gestimmt bei 3 Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf über das Abkommen vom 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel in dritter Beratung angenommen. Ich glaube der Empfindung Ausdruck geben zu sollen, daß uns die Abstimmung über diesen Vertrag unabhängig von der Entscheidung im einzelnen aufs tiefste bewegt. Ich habe keinen Zweifel, daß diese Entscheidung nicht n u r in Deutschland und im Staate Israel, sondern in der ganzen Welt ein bedeutsames Echo haben wird. Das gilt nicht nur f ü r die unmittelbaren Leistungen, die dieser Vertrag erfordert. Allen, die in der Welt verfolgt sind, soll auch durch diese Entscheidung gesagt werden, daß die Gewalt und das Verbrechen nicht das letzte in der Welt sein dürfen. Ich verstehe die Entscheidung des Bundestages so, daß er in diesem Augenblick hat bezeugen wollen, daß im eigenen Volk und in den Beziehungen der Menschen und Völker untereinander die Politik nicht nur von Fragen der Taktik und der Zweckmäßigkeit bestimmt sein darf. Wir wollen uns und anderen damit vor Augen halten, daß es Prinzipien des Rechts und der Sittlichkeit gibt, die die eigentlichen Fundamente des Zusammenlebens auf der Erde sind. Zur Verwirklichung dieses Grundsatzes beizutragen, darf uns kein O p f e r zu groß sein." 117
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg D a m i t h a t t e d e r D e u t s c h e B u n d e s t a g d a s A b k o m m e n ratifiziert. Es w a r n u n a u f d e u t s c h e r Seite r e c h t s k r ä f t i g . In Israel war d i e A n n a h m e d e s A b k o m m e n s nicht einfach. D a r ü b e r sagte Felix E. Shinnar d e m H e r a u s g e b e r : „Ich glaube, m a n k a n n s a g e n , d a ß die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g u n d die ü b e r w i e g e n d e M e i n u n g im P a r l a m e n t diesen V e r t r a g u n d d i e mit i h m e r f o l g e n d e R e g e l u n g beg r ü ß t h a b e n als e i n e n e r n s t e n Beitrag z u r W i e d e r g u t m a c h u n g des g e s c h e h e n e n materiellen U n r e c h t s u n d d e s d a r a u s r e s u l t i e r e n d e n S c h a d e n s ; j e d e n f a l l s war ein d e u t l i c h e r U n t e r s c h i e d festzustellen zwischen d e r A u f n a h m e in d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g bei B e g i n n d e r V e r h a n d l u n g . Sie wissen, d a ß es s e h r u m s t r i t t e n war in d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g , o b d e r Staat Israel mit d e r B u n d e s r e p u b l i k diese Verh a n d l u n g e n f ü h r e n sollte o d e r nicht. Dieser U n t e r s c h i e d w a r deutlich bei d e r F r a g e , ob das v e r h a n d e l t e A b k o m m e n akzeptiert w e r d e n sollte u n d ratifiziert w e r d e n sollte. H i e r h a t t e sich die E r k e n n t n i s d u r c h g e s e t z t , d a ß es a u f b e i d e n Seiten eine V e r p f l i c h t u n g war, dies zu t u n . Auf Seiten des Staates Israel deshalb, weil Israel als d e r Staat, in d e m die O p f e r des nationalsozialistischen Regimes i h r e H e i m a t f a n d e n , die Pflicht h a t t e , sich d e n S c h a d e n ersetzen zu lassen, d e r d u r c h dieses Regime a n g e r i c h t e t w u r d e , u m so die u n g e h e u r e A u f g a b e d e s A u f b a u e s dieser H e i m a t u n d S c h a f f u n g e i n e r E x i s t e n z g r u n d l a g e f ü r diese O p f e r zu bewältigen. A u f d e r a n d e r e n Seite w a r es e i n e V e r p f l i c h t u n g d e r B u n d e s r e p u b l i k , die diese in e i n e r freiwilligen, von V e r a n t w o r t u n g s b e w u ß t s e i n g e t r a g e n e n Bereitschaft e i n g i n g u n d die d a d u r c h b e k u n d e t e , d a ß die B u n d e s r e p u b l i k als rechtsstaatliche G e m e i n s c h a f t w i e d e r als gleichwertiges Mitglied in die Familie d e r Völker z u r ü c k z u k e h r e n g e s i n n t war."
5.2 Die Erfüllung des Abkommens Viereinhalb M o n a t e n a c h d e r Ratifizierung des L u x e m b u r g e r A b k o m m e n s d u r c h d e n D e u t s c h e n B u n d e s t a g w u r d e a m 30. J u l i 1953 die erste L i e f e r u n g —es h a n d e l t e sich u m Eisenteile — d u r c h d a s israelische Frachtschiff „ H a i f a " in Brem e n an B o r d g e n o m m e n . Die A u s f ü h r u n g des A b k o m m e n s h a t t e b e g o n n e n . Dieses Ereignis w a r f ü r die weitere Geschichte d e r b e i d e n Völker von e r h e b l i c h e r Bedeutung. Felix E. Shinnar v e r s u c h t e diesem ersten Schritt n a c h d e n schwierigen V e r h a n d l u n g e n u n d Diskussionen ü b e r d a s A b k o m m e n eine feierliche N o t e zu geb e n u n d h a t t e Persönlichkeiten des ö f f e n t l i c h e n L e b e n s d e r H a n s e s t a d t zu e i n e m Essen a u f die „ H a i f a " g e l a d e n . D a r ü b e r erzählte e r d e m H e r a u s g e b e r f o l g e n d e Geschichte: „Wir f a n d e n u n s a u f d e r , H a i f a ' zu e i n e m Mittagessen z u s a m m e n , a n d e m d e r B ü r g e r m e i s t e r Kaisen, d e r H a f e n s e n a t o r , d e r S e n a t o r f ü r W i r t s c h a f t u n d Finanzen u n d noch einige Persönlichkeiten des ö f f e n t l i c h e n Lebens d e r Stadt B r e m e n t e i l n a h m e n , etwa 25 P e r s o n e n insgesamt. Bei Tisch k a m u n t e r a n d e r e m die R e d e 118
5.2 Die Erfüllung des Abkommens darauf, daß Bürgermeister Kaisen nicht aus Bremen stammt, und es ergab sich gesprächsweise die Frage, wer denn von den Anwesenden aus Bremen stamme. Um es kurz zu machen, weder der Bürgermeister noch der Hafensenator noch die anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Stadt Bremen waren in Bremen geboren, der einzige dieser 25köpfigen Gesellschaft, der in Bremen geboren war, so stellte es sich heraus, war der israelische Kapitän unseres israelischen Frachters, der .Haifa'." Die Israel-Mission in Köln wurde unter der Leitung von Felix E. Shinnar zu einer dynamischen Institution f ü r den Wirtschaftsaufbau Israels ausgebaut. In einem Rückblick auf die Arbeit, die von seiner Behörde geleistet worden war, und die Bedeutung des Abkommens f ü r den israelischen Aufbau fand Shinnar die folgenden Worte: „Für Israel war die Notwendigkeit, Güter zu beziehen, deshalb von Wichtigkeit, weil es damit die Möglichkeit hatte, unter Zurückstellung der dringenden Bedürfnisse f ü r den täglichen Verbrauch im wesentlichen nur solche Güter zu beziehen, die dem industriellen oder landwirtschaftlichen friedlichen Aufbau Israels dienten. Etwa 80 Prozent des Abkommens wurden in Lieferungen von Investitionsgütern aller Art abgenommen und dadurch bilden die Lieferungen unter dem Abkommen, und ich glaube, daß das dem Sinne, dem inneren Sinne dieses Abkommens gerecht wird, einen sichtbaren, bleibenden Bestandteil des Aufbaus der Industrie in Israel in diesen ersten, f ü r die wirtschaftliche Konsolidierung Israels so entscheidenden Jahren. 12 Prozent des gesamt-israelischen Jahresimportes stellten die Lieferungen im Rahmen des Abkommens dar. Ein wichtiger, überaus konstruktiver Beitrag, zu dem in dem ersten, aber doch einigermaßen fortgeschrittenen Stadium befindlichen Prozeß der Industrialisierung Israels. Es sind im Rahmen des Abkommens etwa 50 Schiffe, ganz überwiegend Frachter, bezogen worden; die Kupferhütte in den salomonischen Kupferminen im Süden unseres Landes, die Eisenhütte im Norden sind ausschließlich aus deutschen Lieferungen errichtet worden; dazu haben etwa 2000 Einzelunternehmungen, von einem großen Handwerksbetrieb bis zum mittelgroßen Fabrikbetrieb reichend, Maschinen und Ausstattungen aus den Lieferungen des Abkommens bekommen, die es ihnen ermöglichten, ihren Betrieb zu rationalisieren und zu modernisieren. Diese Andeutungen machen klar, daß in ganz Israel und sicher in allen industriell wichtigen Gebieten Lieferungen aus dem Abkommen sich befinden und deutlich machen den Beitrag, von dem ich vorher gesprochen habe, der sich gerade in dieser Zeit besonders konstruktiv und über die zahlenmäßige Größe hinaus auswirkte." 5.2.1
Bericht über die
Warenlieferungen
Bis zum Ende des Jahres 1965 wurde das Abkommen vollständig erfüllt. Die im Vertrag vorgesehene Gemischte Kommission von Vertretern Israels und der 119
5 Der Vollzug des Abkommens von
Luxemburg
Bundesrepublik ging unverzüglich nach der Ratifizierung an die Arbeit. Zwischen dem 16. Juni 1953 und dem 16. März 1965 wurden in 18 Protokollen die Warenlisten zusammengestellt und Anweisungen f ü r die D u r c h f ü h r u n g der Warenlieferungen gegeben. In einem abschließenden Bericht vom März 1966, der vom leitenden Regierungsdirektor a. D.Joachim Ebeling im Auftrag des Vorsitzenden der deutschen Delegation in der deutsch-israelischen Gemischten Kommission über die Durchf ü h r u n g des Abkommens erstattet wurde, ist ein genauer Überblick über die D u r c h f ü h r u n g des Vertragstextes mit allen Einzelheiten enthalten. In diesem Bericht heißt es unter anderem über die Warenlieferungen und Dienstleistungen im Rahmen des Abkommens: „Für den Bezug von Waren und Dienstleistungen wurden insgesamt 2 400 Mio. DM und f ü r die Öllieferungen aus dem Vereinigten Königreich 1 050 Mio. DM insgesamt 3 450 Mio. DM verausgabt. Die Warenlieferungen und Dienstleistungen verteilen sich auf die einzelnen Warengruppen und Warenpositionen wie folgt: Gruppe I
Position I 2 3 4
Warenart Erzeugnisse d e r Eisenschaffenden Industrie Erzeugnisse der Gießerei-Industrie Erzeugnisse d e r Kaltwalzwerke und Ziehereien Erzeugnisse der NE-Metall-Industrie Gruppe I
II
1 2 3 4 5 6 7
Maschinenbau Kraftfahrzeugindustrie Stahlbau Schiffbau Elektroindustrie Feinmechanik/Optik Eisen-Stahl-Blechwaren G r u p p e II
III
1 2 3 4 5 6 7 8
Kautschuk-Asbest Chemisch-pharmazeutische Erzeugnisse Textilien Holzverarbeitung Leder Steine u n d Erden Keramik und Glaserzeugnisse Mineralölwirtschaft und Bergbau G r u p p e III
IV
120
Landwirtschaftliche Erzeugnisse
Betrag in 1000 DM
Prozent
274 292 20 814
11,5 0,8
28 866 66 815 390 787
1,2 2,8 16,3
315 24 129 585 223 20 27 1 326
894 582 949 572 125 321 501 944
13,2 1,0 5,4 24,4 9,3 0,9 1,1 55,3
18 159 74 35 12 13 14 8 336
106 629 766 766 583 877 000 198 925
0,7 6,7 3,1 1,5 0,5 0,6 0,6 0,3 14,0
91 217
3,8
5.2 Die Erfüllung des Abkommens
V
Dienstleistungen Gruppe I bis V
254 127
10,6
2 400 000
100,0
Bei Betrachtung der Belastung bzw. der Inanspruchnahme der einzelnen Gruppen und Positionen zeigt es sich, daß innerhalb der Gruppe I die umfangreichsten Käufe bei der Position 1 (Erzeugnisse der Eisenschaffenden Industrie) getätigt worden sind. Hier handelte es sich in der Hauptsache um die Beschaffung von Baueisen für die großen Anlagen, die später die Fertigungsstätten vielseitiger Industrien aufnehmen sollten. Aber auch Roheisen (Knüppel) für die Eisenschaffende Industrie in Israel wurde als Rohmaterial unter dieser Position geliefert. Der Anfall von Lieferungen an Baueisen umfaßte besonders die ersten neun Jahre der Gesamtlieferzeit und ging, da im Jahre 1962 die wesentlichsten Projekte fertiggestellt waren, in den letzten vier Jahren sehr stark zurück. Der Bedarf an Erzeugnissen der Gießerei-Industrie, die unter Position 2 geführt wurden, war ohne besondere Bedeutung. Er trat während der Laufzeit des Abkommens in höherem Umfang nur in den Jahren 1957 und 1958 in Erscheinung, zu dem Zeitpunkt, als in Israel für das Bewässerungsprojekt der Wüste Negev Erzeugnisse diese Industriezweiges in größerem Umfang benötigt wurden. Die Bezüge an Erzeugnissen der Kaltwalzwerke und Ziehereien, Position 3, wurden in den ersten 6 Jahren bis 1958 in der Hauptsache getätigt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die entsprechenden eigenen Anlagen in Israel so weit aufgebaut, daß der Bezug aus dritten Ländern wesentlich gesenkt werden konnte. Höher lagen dagegen die Lieferungen an Halbmaterial aus NE-Metallen und deren Legierungen, Position 4. Es handelte sich hierbei um Lieferungen von Halbmaterial, das in Israel für die Erstellung von Industrieanlagen weiterverarbeitet wurde. Die umfangreichsten Bestellungen im Verhältnis zu den anderen Warengruppen nahmen die Bestellungen in der Gruppe II, der Gruppe der Investitionsgüter-Industrien, mit rund 1 327 Millionen DM ein. Bereits bei der Abfassung des Abkommens waren sich die vertragschließenden Parteien darüber einig, daß der Bedarf an Investitionsgütern vorrangig zu berücksichtigen sei, um in Israel eine leistungsfähige Wirtschaft zu erstellen. Die Gemischte Kommission hat, wie bereits erwähnt, bei Aufstellung der jährlichen Warenlisten dieser Tatsache Rechnung getragen. Auch für die Wirtschaft der Bundesrepublik und die entsprechenden Herstellerfirmen war die Lieferung von Investitionsgütern von besonderer Bedeutung; handelte es sich bei derartigen Lieferungen doch um Waren, deren Herstellung anders als bei den Waren der Gruppe I und III als besonders arbeits- bzw. lohnintensiv zu bezeichnen ist. Die Erzeugnisse der Maschinenbau- Industrie in ihrer großen Vielfältigkeit wurden insbesondere vom Jahre 1957 an geliefert, also von dem Zeitpunkt an, da die geplanten Fertigungsstätten in Israel so weit erstellt waren, daß sie mit Maschinen versehen werden konnten. Geliefert wurden Maschinen aller Art, und alle Zweige dieser Industrie wurden bei den Bestellungen berücksichtigt, Textilmaschinen, Maschinen für die chemi121
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg sehe Industrie, Metall- u n d Holzbearbeitungsmaschinen, Motoren, Werkzeugmaschinen, Bau- u n d Straßenbaumaschinen, Kräne, Lokomotiven, Transportmaschinen, P u m p e n , landwirtschaftliche Maschinen, Maschinen f ü r Zuckerfabriken, auch Büromaschinen u n d anderes mehr. Die Lieferungen d e r westdeutschen Kraftfahrzeugindustrie waren dagegen von m i n d e r e r Bedeutung. Personenkraftwagen wurden im Rahmen des Abkommens nicht geliefert, weil Israel selbst Personenkraftwagen montierte und d e r Bedarf an diesen Fahrzeugen durch Bezüge außerhalb des Abkommens — in beachtlichem Maße aber auch aus d e r Bundesrepublik — gedeckt wurde. Der Bezug von Lastkraftwagen im Rahmen des Abkommens spielte eine unbedeutende Rolle. Es wurden im Rahmen dieser Position lediglich Spezial-Fahrzeuge, wie Feuerwehrfahrzeuge, f ü r Flüssigkeitstransporte geeignete Fahrzeuge, sowie F a h r r ä d e r u n d Ersatzteile bestellt. Größeren U m f a n g n a h m e n wiederum die Bestellungen auf d e m Sektor Stahlbau, Position 3, ein. U n t e r diese Position fielen umfangreiche Lieferungen f ü r d e n Ausbau des israelischen Eisenbahnnetzes, wie Eisenbahnwaggons, Signaleinrichtungen f ü r das Eisenbahnnetz, Stahlkonstruktionen f ü r die zu erstellenden Industrieanlagen, Rohrleitungen f ü r die Bewässerungsanlagen, Ölleitungen, Behälter usw. Mit r u n d ein Viertel der aufgewandten Beträge f ü r Warenlieferungen u n d Dienstleistungen stand der Schiffbau, Position 4, an der Spitze d e r verschiedenen Warenpositionen. Über 585 Millionen DM wurden aus Abkommensmitteln in Schiffslieferungen investiert. Dieser h o h e Betrag ist um so verständlicher, wenn man bedenkt, d a ß Israel n u r ü b e r eine einzige o f f e n e Grenze, die zum Mittelmeer und zum Roten Meer, verfügt und seinen ganzen Güterverkehr ausschließlich über See abwickeln muß. Dazu kam noch, daß Israel im J a h r e 1953, also zu Beginn des Abkommens, über eine unbedeutende Handelsflotte mit n u r wenigen und überalterten Schiffen verfügte. Insgesamt wurden 60 schwimmende Einheiten mit einer T o n n a g e von r u n d 450 000 T o n n e n geliefert, an d e r e n Bau 13 W e r f t e n der Bundesrepublik beteiligt waren. Diese 60 Einheiten setzten sich zusammen aus: 2 kombinierten Fahrgast-Frachtschiffen f ü r den Amerika-Dienst, 2 Fahrgastschiffen f ü r den Mittelmeer-Dienst, 4 Tankern, 41 Frachtern, davon 2 Kühlschiffen, 2 Fruchtschiffen, 1 Gastanker, 8 Fischkuttern, 2 Zollkreuzern, 1 Schwimmdock. An diesen Schiffslieferungen war durch Unterlieferungen eine Vielzahl von Industriezweigen beteiligt. Neben den Werften als Hauptlieferanten kamen Firmen d e r Maschinenbau-, Stahlbau-, feinmechanischen u n d optischen Industrie, der Elektro-Industrie, d e r Eisen-, Stahl-, Blech- und Metallwaren-Industrie, d e r Kautschuk-, Lack- u n d Farbenindustrie, der Textilindustrie, d e r holzverarbeitenden Industrie u n d schließlich auch der Industrie f ü r Keramik u n d Glaser122
5.2 Die Erfüllung des Abkommens Zeugnisse als Unter- bzw. Zulieferanten zum Zuge. Von d e r Antriebsmaschine bis zur Kaffeetasse waren einschlägige Lieferfirmen an diesen Bestellungen beteiligt. Es würde ein falsches Bild ergeben, wenn d e r a u s n e h m e n d h o h e Wert der Schiffsbestellungen ausschließlich den beteiligten W e r f t e n angerechnet würde. Die Vielzahl der an diesen Lieferungen beteiligten Industriezweige war entscheid e n d d a f ü r , daß in d e r Gemischten Kommission eine Einigung über Schiffsbestellungen in einem solchen U m f a n g erzielt wurde. Es wäre d a h e r verfehlt, den Schluß zu ziehen, daß auf G r u n d der Schiffsbestellungen a n d e r e Industriezweige benachteiligt worden seien. Der fortschreitende Aufbau d e r Industrie und die ständige Z u n a h m e d e r Bevölkerung e r f o r d e r t e n einen erheblichen Ausbau d e r Energie-Erzeugungsanlagen sowie die Beschaffung von Maschinen u n d Geräten d e r Elektroindustrie, die unter Position 5 d e r G r u p p e II fielen; insgesamt wurden in den J a h r e n 1953 bis 1966 f ü r r u n d 223 Millionen DM Beschaffungen auf diesem Sektor getätigt und aus Abkommensmitteln bezahlt. Durch die Lieferung von f ü n f Kraftwerken im Rahmen des Abkommens konnte die Leistung d e r Energieversorgungsanlagen in Israel, die ursprünglich 175 000 kW betrug, u m 460 000 kW gesteigert werden. Die umfangreiche Industrialisierung des Landes u n d die landwirtschaftliche Kultivierung großer Wüstenflächen machte die Ausweitung d e r Energieerzeugung zur Vorbedingung. Neben diesen Großanlagen wurden Zähler, Schaltgeräte, Meßgeräte, Kabel und Leitungen, Einrichtungen f ü r die israelische Post, Elektromotoren u n d eine große Zahl wertvoller elektro-medizinischer Geräte f ü r Krankenhaus-Einrichtungen in Israel geliefert. Die Lieferungen d e r feinmechanischen u n d optischen Industrie, a u f g e f ü h r t unter Position 6 d e r G r u p p e II, hatten einen U m f a n g von r u n d 20 Millionen DM. Unter dieser Position wurden in der Hauptsache optische u n d medizinische Geräte f ü r Krankenhaus-Einrichtungen sowie Präzisionsgeräte f ü r Laboratorien und hochwertige Kameras geliefert. Gleichfalls fielen unter diese Position Liefer u n g e n von V o r f ü h r a p p a r a t e n f ü r Lichtspieltheater. Auf d e m Sektor d e r Position 7 (Eisen-Stahl-Blechwaren) betrug d e r Wert der Lieferungen r u n d 28 Millionen DM. Er ging in den letzten J a h r e n stark zurück, da auf G r u n d der inzwischen einsetzenden Eigenproduktion in Israel die Bezüge derartiger Waren aus dritten Ländern eingeschränkt werden konnten. Landwirtschaftliche Geräte, Werkzeuge, Behälter u n d sonstige Fertigwaren w u r d e n unter dieser Position geliefert sowie in ziemlichem U m f a n g Münzstempel u n d Münzplättchen. Innerhalb d e r W a r e n g r u p p e III — Erzeugnisse d e r chemischen u n d sonstiger Industrien — betrugen die Lieferungen insgesamt r u n d 337 Millionen DM. In dieser G r u p p e ist das Absinken d e r Bezüge im Laufe d e r J a h r e besonders bemerkenswert. Auch hier konnte durch d e n A u f b a u d e r Eigenproduktion d e r Bezug aus dritten Ländern m e h r und m e h r eingeschränkt werden. Am auffälligsten zeigte sich dies bei d e n Artikeln d e r Position 1 (Kautschuk- u n d Asbesterzeugnisse). W ä h r e n d in dieser Position in d e n ersten J a h r e n neben den Bezügen von 123
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg Rohkautschuk erhebliche Mengen von Kraftfahrzeugreifen geliefert w u r d e n , u n d zwar aller gängigen Sorten u n d Größen, sind in den letzten J a h r e n Lieferungen auf diesem Gebiet außer einigen ausgefallenen Größen f ü r Spezialfahrzeuge nicht m e h r erfolgt. Die israelische Reifenindustrie deckte d e n Bedarf weitgehendst aus eigener Erzeugung. I n n e r h a l b d e r G r u p p e III wiesen die Bestellungen d e r Position 2 (chemische u n d pharmazeutische Erzeugnisse) den größten Wert auf. Es belief sich auf r u n d 161 Millionen DM und war in den einzelnen J a h r e n bis 1962 a n n ä h e r n d gleichmäßig. U n t e r diese Position fielen Bestellungen f ü r Düngemittel, anorganische u n d organische Chemikalien, Farben, Lacke, Fotochemikalien, Filme, synthetische Gerbstoffe, Pflanzenschutzmittel, Konservierungsmittel u n d in beachtenswertem U m f a n g pharmazeutische Mittel. Auf d e m Sektor d e r Position 3 (Textilien) mit insgesamt r u n d 75 Millionen DM war ebenfalls in d e n letzten J a h r e n ein Rückgang d e r Bestellungen zu beobachten. Auch hier ist die Ursache darin zu suchen, daß d u r c h die in der Zwischenzeit in Israel aufgebaute Textilindustrie die Importe auf diesem Gebiet eingeschränkt werden konnten. Während in den ersten J a h r e n insbesondere Kordgewebe f ü r die Reifenherstellung in erheblichem U m f a n g geliefert wurden, sind diese Lieferungen später gänzlich eingestellt worden, da diese Materialien inzwischen in Israel selbst hergestellt werden konnten. An Textilien wurden in den letzten J a h r e n überwiegend Garne zur Weiterverarbeitung in israelischen Betrieben geliefert. An Erzeugnissen d e r Position 4 (Holzverarbeitung u n d verwandte Gebiete) betrug d e r U m f a n g d e r Lieferungen r u n d 36 Millionen DM. Geliefert wurden unter dieser Position in d e r Hauptsache Schwellen f ü r den Ausbau des Eisenbahnnetzes, Telegrafenstangen, Sperrholz- und Hartfaserplatten, Erzeugnisse der Papier- u n d Pappenindustrie, Zeichengeräte und in beachtlichem U m f a n g fachwissenschaftliche Bücher. Von m i n d e r e r Bedeutung waren die Lieferungen in d e r Position 5 (Leder) mit r u n d 13 Millionen DM, wobei im wesentlichen H ä u t e u n d Felle außerdeutscher H e r k u n f t geliefert wurden, Position 6 (Steine u n d Erden) mit r u n d 14 Millionen DM — hier wurden feuerfeste Steine als Ausmauerungsmaterial f ü r Ö f e n sowie Weißzement geliefert—, Position 7 (keramische u n d Glaserzeugnisse) mit 14 Millionen DM, d a r u n t e r fielen Isolatoren, Industriekeramik u n d T h e r m o m e t e r , und in Position 8 (Erzeugnisse d e r Mineralölwirtschaft und des Bergbaues). Das Absinken der Bestellungen in d e r G r u p p e III war, wie oben schon erwähnt, jedoch nicht n u r auf das Anwachsen d e r Eigenproduktion in Israel zur ü c k z u f ü h r e n . Die Ursache lag auch darin, daß gerade bei d e n Verbrauchsgütern d e r G r u p p e III in z u n e h m e n d e m Maße E i n f u h r e n aus d e r Bundesrepublik Deutschland außerhalb des Abkommens stattfanden, die im Laufe d e r J a h r e einen beachtlichen U m f a n g annahmen. Den deutschen U n t e r n e h m e n , die Waren der G r u p p e III herstellten und lieferten, w u r d e durch das Anwachsen d e r Ausf u h r nach Israel außerhalb des Abkommens ein Äquivalent gegeben, das das Absinken d e r A u s f u h r im Rahmen des Abkommens um ein Mehrfaches überstieg. 124
5.2 Die Erfüllung des Abkommens
Bezüge landwirtschaftlicher und ernährungswirtschaftlicher Erzeugnisse, die in Gruppe IV der Warenliste zusammengefaßt waren, erfolgten in Höhe von rund 91 Millionen DM. Hierunter fielen Lieferungen von Getreide und Rohzukker, teilweise außerdeutscher Herkunft, umfangreiche Anlieferungen von Fischen, Heringen und Fischfilets, von Rindern und Schafen f ü r Zuchtzwecke, von Rohstoffen zur Herstellung von Margarine, wie rohe und raffinierte Öle. Während in den ersten Jahren nach Anlauf der Abkommenslieferungen der Bedarf Israels an Gütern der Ernährungswirtschaft relativ hoch lag und neben umfangreichen Getreide- und Fleischlieferungen auch Lieferungen von Fischen sowie Zuckerlieferungen erfolgten, gingen die Anforderungen in den letzten Jahren stark zurück, ein Zeichen dafür, daß die Eigenversorgung Israels auch an landwirtschaftlichen Produkten mehr und mehr Bezüge im Rahmen des Abkommens erübrigte. 5.2.1.1 Die Dienstleistungen Einen besonderen Raum innerhalb des Abkommens nahmen die Aufwendungen f ü r die Gruppe V — Dienstleistungen — ein. Insgesamt wurden hierfür rund 254 Millionen DM beansprucht. Die Aufwendungen lagen in den einzelnen Jahren annähernd gleichmäßig bei 15 Millionen DM und sind erst in den letzten sechs Jahren angestiegen. Dieses Ansteigen war auf das Anwachsen von Verpflichtungen zurückzuführen, die in einem Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Staates Israel, gleichfalls geschlossen am 10. September 1952, ihre Grundlage fanden. Es handelte sich dabei um Rückerstattung von Vermögen deutscher oder f r ü h e r e r deutscher Staatsangehöriger in Israel, die dieses Vermögen verloren hatten und deren Entschädigung aus dem Israel-Abkommen zu zahlen war. Auf diese Leistungen im Rahmen der Rückerstattung wird noch eingegangen werden. Gemäß Artikel 8 des Abkommens sind aus der Gruppe V der Warenliste die Dienstleistungen, die im Rahmen des Abkommens entstanden waren, gezahlt worden. Es handelte sich hierbei um Transportkosten, insbesondere um die Frachtkosten, die bei der Verschiffung von Waren, soweit diese nicht auf israelischen Schiffen erfolgte, anfielen, ferner um Versicherungskosten, um Verwaltungsausgaben der Israel-Mission und um Finanzierungskosten, soweit diese bei Bankinstituten durch A u f n a h m e von Krediten zur Zwischenfinanzierung der Vorbestellungen von Waren und deren Bezahlung ohne vorzeitige Inanspruchnahme von Abkommensmitteln entstanden waren. 5.2.1.2 Seetransporte Insgesamt wurden ca. 1 450 000 T o n n e n Waren als Abkommenslieferungen verschifft, davon rund 700 000 T o n n e n durch deutsche und rund 750 000 Tonnen durch israelische Reeder. An deutsche Reeder wurden hierfür insgesamt 282 Seetransportaufträge mit einem Gesamtbetrag von rund 40 Millionen DM erteilt. 125
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg W ä h r e n d in d e n ersten beiden J a h r e n 1953 u n d 1954 zum T r a n s p o r t d e r Waren noch Schiffe u n t e r f r e m d e r Flagge von deutschen Reedern gechartert wurden, lief im J a n u a r 1955 das erste Schiff unter deutscher Flagge mit im Rahmen des Abkommens gelieferten Waren in Haifa ein. In d e r Folgezeit wurden Charterschiffe unter f r e m d e r Flagge immer weniger eingesetzt u n d schließlich n u r noch f ü r Spezialtransporte, wenn deutsche Schiffe h i e r f ü r nicht zur V e r f ü g u n g standen, verwendet. 5.2.1.3 R ü c k e r s t a t t u n g e n a n d i e B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d In d e n Rahmen d e r Dienstleistungen fielen auch die Rückerstattungen von Zinsen a n die Bundesrepublik Deutschland durch die Israel-Mission. Diese Verpflichtungen waren d a d u r c h entstanden, daß d e r B u n d Zahlungen, zum Beispiel f ü r Lieferungen von Öl durch Ölgesellschaften des Vereinigten Königreichs, zu den Zahlungsterminen 15. April und 15. August j e d e n J a h r e s leistete, statt diese Zahlungen erst gegen Vorlage d e r Rechnungen nach erfolgter Lieferung vorzunehmen. Ferner hatte die Gemischte Kommission bei Abfassung des .Fünften Protokolls' vom 22. Juli 1955, das die Vorbestellungen im Rahmen des Investment-Programms behandelte, beschlossen, daß die unter diesem P r o g r a m m fälligen Zahlungen j e nach Anfall d e r Fälligkeiten vierteljährlich über das Abkommensjahr verteilt zu erfolgen hätten. Sollten dagegen die Fälligkeiten u n d somit die Zahlungen vorgezogen werden, wobei der f ü r das Abkommensjahr fällige Betrag nicht überschritten werden d u r f t e , so hatte die Israel-Mission f ü r die Zeit d e r Vorziehung Zinsen an den Bund zu zahlen. 5.2.1.4 A d m i n i s t r a t i v e A u f w e n d u n g e n d e r Israel-Mission Neben diesen Finanzierungsverpflichtungen d e r Bundesrepublik gegenüber entstanden der Israel-Mission erhebliche Verpflichtungen durch die A u f n a h m e von Bankkrediten, u m im Rahmen d e r f ü r Vorbestellungen von Investitionsgütern gegebenen Möglichkeiten die deutschen Lieferfirmen termingerecht bezahlen zu können. Der Betrag, d e r h i e r f ü r aufgewendet wurde, ist vom Bundesamt im einzelnen nicht erfaßt worden. Er wurde unter den A n f o r d e r u n g e n f ü r administrative Zwecke, über die ein Nachweis von d e r Israel-Mission nicht zu f o r d e r n war, verbucht. 5.2.1.5 Z a h l u n g von E n t s c h ä d i g u n g e n Ein weiterer Komplex von Zahlungsverpflichtungen der Israel-Mission war auf das Abkommen zwischen d e r Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Staates Israel vom 10. September 1952 zurückzuführen. Es handelte sich hierbei u m die Rückerstattung von Vermögenswerten an folgende Institutionen: 126
5.2 Die Erfüllung des Abkommens an den Lutherischen Weltbund, Genf, in Höhe von an den Erzbischöflichen Stuhl, Köln, in Höhe von an die Order der Bundesrepublik für Zwecke der Entschädigung für das in Israel verbliebene deutsche Vermögen in Höhe von an jüdische Organisationen in der Bundesrepublik und in WestBerlin auf Antrag der Conference on Jewish Material Claims against Germany in Höhe von
3 585 0 0 0 , - DM 500 0 0 0 , - DM 54 000 0 0 0 , - DM
Sa.
4 200 0 0 0 , - DM 62 285 0 0 0 , - DM
Dieser Betrag von über 62 Millionen DM, der rund ein Viertel des Betrages von 254 Millionen DM ausmacht, der während der Laufzeit des Abkommens für Dienstleistungen verausgabt wurde, erklärt auch die verhältnismäßig hohen Ausgaben f ü r Dienstleistungen, mit denen der Gesamtbetrag des Abkommens belastet worden ist.
5.2.1.6 Versicherungsleistungen Im J a h r e 1953 schloß die Israel-Mission einen Vertrag mit der Hanseatischen Assekuranz* Vermittlungs-AG (Havag) über die Versicherung des Transports von Waren ab, die im Rahmen des Abkommens nach Israel transportiert werden sollten. Durch diesen Vertrag war eine Vielzahl deutscher Versicherungs-Unternehmen an der Durchführung der Versicherung beteiligt. Die Versicherungskosten gehörten als Aufwendungen f ü r administrative Zwecke zu den Ausgaben, f ü r die kein Einzelnachweis durch die Israel-Mission zu erbringen war. Während der Laufzeit des Abkommens sind Schadensfälle in Höhe von ca. 6 Millionen DM aufgetreten. Die von Versicherungsgesellschaften gezahlten Versicherungsbeträge wurden von der Israel-Mission f ü r Ersatzbeschaffungen verwendet.
5.2.1.7 Die L i e f e r u n g e n von Öl d u r c h Ölgesellschaften des Vereinigten Königreichs von G r o ß b r i t a n n i e n u n d N o r d i r l a n d Auf Grund der dem Abkommen beigefügten Schreiben Nr. 4 a und 4 b war zwischen den Vertragspartnern vereinbart worden, daß in den Jahren 1952 und 1953 ein Betrag von je 75 Millionen DM zum Ankauf von Öl bei Ölgesellschaften des Vereinigten Königreichs aus den Mitteln des Abkommens bereitgestellt werden sollte. Der Gegenwert in Pfund-Sterling war seitens der Regierung der Bundesrepublik an diese Ölgesellschaften zu zahlen. Auf Antrag der Israel-Mission einigte sich die Gemischte Kommission, diese Zahlungen auch in der folgenden Zeit fortzusetzen, so daß insgesamt der Gegenwert von 1050 Millionen DM in Pfund-Sterling an eine Londoner Bank gezahlt wurde. Den Nachweis über die Verwendung der Mittel erbrachte die Israel-Mission dem Bundesamt gegenüber durch Vorlage beglaubigter Rechnungen der verschiedenen Ölgesellschaften. 127
5 Der Vollzug des Abkommens von
Luxemburg
5.2.1.8 Die Anteile d e r L ä n d e r der Bundesrepublik u n d Berlin (West) Von einer Aufstellung über den Anteil der Länder und Berlin (West) an den Lieferungen muß Abstand genommen werden, da sie ein falsches Bild ergeben würde. Die Ausfuhren nach Israel wurden vom Statistischen Bundesamt nach dem Sitz der Firmen erfaßt, während die Fertigungsstätten vielfach in anderen Bundesländern lagen. Es war aber nicht möglich, jeweils die tatsächlichen Fertigungsstätten und ihre Zugehörigkeit zu einem Land festzustellen. Ferner konnte der Sitz der Zu- und Unterlieferanten auf Grund der zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht erfaßt werden. Die Israel-Mission war jedoch bemüht, soweit möglich, die Aufträge in die Zonenrandgebiete und ganz besonders nach Berlin (West) zu vergeben. Gemäß der dem Abkommen beigefügten Schreiben Nr. 3 a und 3 b vom 10. September 1952 war zwischen der Bundesrepublik und Israel vereinbart worden, daß Firmen in Berlin (West) bei den Lieferungen besondere Berücksichtigung finden sollten. Der Auftragsvergabe nach Berlin waren jedoch gewisse Grenzen gesetzt, da eine große Anzahl von Industriezweigen, deren Auftragsvolumen im Rahmen des Abkommens besonders groß gewesen ist, wie z. B. bei der Eisenschaffenden Industrie oder beim Schiffbau, in Berlin nicht vertreten waren. 5.2.1.9 Die Bezüge von W a r e n a u ß e r d e u t s c h e n U r s p r u n g s In Artikel 7 des Abkommens war vorgesehen, daß Waren außerdeutschen Ursprungs geliefert werden konnten und daß das Verfahren hierzu durch die Gemischte Kommission geregelt wurde. Dabei sollten derartige Bezüge die Ausnahme bilden und auf solche Waren beschränkt bleiben, die in der Bundesrepublik nicht zu beschaffen waren. Auf Beschluß der Gemischten Kommission wurden im Ausland folgende Käufe getätigt: Abkommensjahr
Gruppe/ Position
1953 1954
III/l II 1/5 III/l HI/5 IV
1955
III/l
1956 1957
128
IV keine Bezüge keine Bezüge
Ware/Herkunftsland
Betrag DM
Rohkautsdiuk/Iiidonesien, Malaya 1 796 240,50 Rohhäute/Indonesien 1 569 980,35 Rohkautschuk/Indonesien 4 499 578,35 Rohhäute/Argentinien 538 464,15 Zucker/Polen 4 965 231,64 14 171 570,61 Weizen/Türkei Schnittholz/Österreich 3 000 000,00 Malabarpfeffer/England 75 330,25 Rohkautschuk/Indonesien 4 324 174,06 Asbest/Afrika 269 457,95 Zucker/Polen 5 003 365,00
3 366 220,85
27 250 175,00
9 596 997,00
5.2
1958 1959
II 1/5 IV III/5 IV
Schaffelle/Iran Zucker/Kuba Schaffelle/Iran Zucker/Kuba
Die Erfüllung
81 3 543 178 7 386
900,00 270,70 959,00 021,24 DM
des
Abkommens
3 6 2 5 170,70 7 564 980,24 51 4 0 3 5 4 3 , 8 0
Danach wurden Waren außerdeutscher Herkunft im Werte von 51 403 543,80 DM im Rahmen des Abkommens geliefert. Der Anteil der Lieferungen an Waren außerdeutscher Herkunft betrug somit 2,4 Prozent. 5.2.1.10 Die wirtschaftlichen Auswirkungen des A b k o m m e n s in d e r Bundesrepublik Warenlieferungen
außerhalb
des
Abkommens
Der vorliegende Bericht soll nicht abgeschlossen werden, ohne auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Abkommens bei beiden Vertragspartnern hinzuweisen. Es d ü r f t e kein Zweifel darüber bestehen, daß sich als Folge des Abkommens die Handelsbeziehungen zwischen beiden Staaten gefestigt haben und weiter ausbauen werden. Die nachstehende Aufstellung gibt einen Überblick über die Einfuhr und die Ausfuhr der Bundesrepublik Deutschland aus bzw. nach Israel als Herstellungsbzw. Verbraucherland in den J a h r e n 1953 bis 1965.
1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1953-1965
Einfuhr aus Israel Millionen D M 0,4 7,6 8,3 23,8 34,9 46,5 59,2 101,3 115,7 126,1 223,3 157,2 206,0 1 110,3
A u s f u h r nach Israel außerhalb des A b k o m m e n s Millionen DM 20,6 7,7 4,5 35,5 36,7 26,8 50,2 77,8 113,3 154,0 212,8 243,3 276,0 1 259,2
Die Ausfuhren nach Israel, die auf Grund d e r unmittelbaren geschäftlichen Beziehungen der Handelspartner beider Staaten im gleichen Zeitabschnitt durchgeführt wurden, beliefen sich auf über ein Drittel der Abkommenslieferungen und waren in den letzten beiden Jahren annähernd gleich groß wie die Jahresraten des Abkommens einschließlich der Dienstleistungen und Öllieferungen. Setzt man die beiden letztgenannten Posten ab und vergleicht man die Beträge, die für 129
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg reine Warenlieferungen verausgabt wurden, so überstiegen bereits ab 1962 die echten A u s f u h r e n die Abkommenslieferungen. Die Bezüge Israels aus d e r Bundesrepublik im freien Handel beschränken sich nicht auf einige wenige Investitionsgüter, sondern umfassen in d e r Hauptsache eine u m f a n g r e i c h e Liste von Verbrauchsgütern, bzw. solchen Gütern, die in Israel weiterverarbeitet u n d veredelt werden. O h n e Zweifel ist die Ausweitung des Handelsverkehrs u. a. darauf zurückzuführen, daß durch die Abkommenslieferungen d e r Verbraucher in Israel die Waren, die die Bundesrepublik zu lief e r n in d e r Lage ist, n u n m e h r bevorzugt. Aber auch die im Laufe d e r J a h r e eingetretene Stärkung der Wirtschaftskraft Israels, das stete Anwachsen d e r Bevölker u n g und die Steigerung der Ansprüche d e r Verbraucherschaft f ü h r t e n zu einer erheblichen Steigerung des Warenverkehrs mit dritten Ländern. Auch die deutsche A u s f u h r aus Israel ist im Laufe d e r J a h r e erheblich gestiegen. Im Durchschnitt der Zeitspanne von 1953 bis 1965 ist die Handelsbilanz gegenüber Israel a n n ä h e r n d ausgeglichen gewesen, in einigen J a h r e n überstieg sogar die E i n f u h r aus Israel die A u s f u h r im freien Handelsverkehr. Die Steigerung d e r E i n f u h r ist zurückzuführen auf die erhebliche Leistungssteigerung der israelischen Wirtschaft in den letzten 13 J a h r e n , in d e n e n es trotz des erheblichen Zuwachses an Eigenbedarf möglich gewesen ist, eine beachtenswerte Ausweitung d e r Exporte zu erzielen. Israelische Importwaren sind aber auch, insbesondere ihrer Qualität wegen, bei dem Verbraucher in d e r Bundesrepublik sehr gefragt. Es sei in diesem Zusammenhang n u r auf die Zitrusfrüchte und die Textilwaren hingewiesen. Ein bisher wenig beachteter, in Z u k u n f t aber sicherlich an B e d e u t u n g gewinnender Wirtschaftszweig, der sich auf die Devisenwirtschaft Israels vorteilhaft auswirken wird, d ü r f t e d e r m e h r u n d m e h r an Bed e u t u n g gewinnende Reiseverkehr, auch aus d e r Bundesrepublik, nach Israel sein. 5.2.1.11 Die wirtschaftlichen A u s w i r k u n g e n d e s A b k o m m e n s in Israel Der Tourist, d e r sich genügend Zeit nimmt, der sich aber auch bereits a u f der Anreise in das ,Heilige Land' erholen und auf die mannigfachen Eindrücke, die ihn in Israel erwarten, ausreichend vorbereiten will, wird zweckmäßig nicht das Flugzeug, das ihn in kurzer Frist an das Ziel bringt, sondern, sei es von New York, Marseille oder Genua aus, das Schiff benutzen. Schon beim Betreten der Schiffsplanken lernt er mit dem Schiff eine Abkommenslieferung kennen und verbringt einige T a g e auf einem angenehmen u n d sicheren Verkehrsmittel. In Haifa, seinem A n k u n f t s h a f e n , steigt er in einen m o d e r n e n und bequemen Eisenbahnzug um, wiederum eine Lieferung aus der Bundesrepublik, u m sein Ziel Tel Aviv o d e r Jerusalem zu erreichen. Dem Taxi, mit dem er vom Bahnhof zu seinem Hotel fährt, wird der Weg freigegeben, o d e r es wird gestoppt durch Verkehrsampeln, die im R a h m e n des Abkommens geliefert wurden. Das Hartgeld, das er dem Fahrer als Trinkgeld zukommen läßt, ist mit Münzstempeln und aus Münzplättchen geprägt, die aus der Bundesrepublik geliefert wurden. Auch der Lift, 130
5.2 Die Erfüllung des Abkommens
den der Reisende in seinem Hotel benutzt, trägt unter Umständen ein deutsches Firmenschild. Die Wäsche in seinem Hotelzimmer ist auf von der Bundesrepublik gelieferten Webstühlen hergestellt. Diese Schilderung möge andeuten, wie vielfältig die Bezüge Israels im Rahmen des Abkommens waren. Es würde zu weit f ü h r e n und den Rahmen des vorliegenden Berichtes überschreiten, über die Auswirkungen des Abkommens auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Israel ein umfassendes Bild zu geben. Es sollen daher nachstehend nur einige wenige prägnante Beispiele angeführt werden, die andeutungsweise zeigen, zu welchen Entwicklungen die Abkommenslieferungen der Bundesrepublik in Israel geführt haben. Zunächst sei auf das an Umfang und Wert größte Projekt, den Aufbau der israelischen Handelsflotte, näher eingegangen. Diese Flotte aus Fahrgastschiffen, Tankern und Frachtern hat es erst ermöglicht, daß Israel, ausschließlich auf den Seeverkehr mit dem Ausland angewiesen, sich neue Einfuhr- und Absatzgebiete insbesondere im afrikanischen Raum erschließen konnte. Durch die Übernahme der Frachten auf eigene Schiffe und den teilweisen Verzicht auf die Inanspruchnahme fremden Frachtraumes, kann Israel in erheblichem Maße nicht nur Devisen einsparen, sondern sogar Devisen erlösen. Israel wäre kaum in der Lage gewesen, seine eigene Industrie in einem derartigen T e m p o auszubauen und mit Rohstoffen zu versorgen sowie seine Produkte in die Abnehmerländer zu versenden, wenn es nicht seine Handelsflotte gehabt hätte. In Verbindung mit der israelischen Schiffahrt steht der Ausbau des Hafens Haifa, aber vor allen Dingen der Neubau des Seehafens Ashdod. Dieser Hafen dient der Versorgung des nördlichen Negev-Gebietes. Mit seinem Bau ist in den letzten Jahren begonnen worden. In Ashdod wurde eines der großen Kraftwerke mit Hilfe deutscher Abkommenslieferungen gebaut. Dieses Kraftwerk beliefert nicht nur den Hafen, sondern auch die in seiner Umgebung neuerstandenen Industrien und das Negev-Gebiet mit Strom. O h n e dieses Kraftwerk wäre die fortschreitende Besiedlung des Negev-Gebietes und damit die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche Israels nicht möglich. Ashdod selbst, f r ü h e r ein unscheinbares Dorf, ist durch sein Kraftwerk, seine Industrieanlagen und seinen Hafen zu einer modernen Stadt mit großem Einkäufszentrum und nach neuesten Erfahrungen gebauten Wohnhäusern geworden, die ihren Einwohnern den Lebensunterhalt sichert. Kein Element ist so lebensnotwendig f ü r Israel wie das Wasser. Die Ableitung des Yarkon-Flusses erfolgte mit Hilfe der umfangreichen Lieferungen von Röhren und von Blechen, die in Israel zu Röhren geformt wurden, und den aus der Bundesrepublik gelieferten Pumpwerken. Um die Ernährung aus dem eigenen Lande zu sichern, war die Eroberung der Wüste nicht durch Waffengewalt, sondern durch das Wasser unbedingt erforderlich. Beispielhaft für den Erfolg dieser Maßnahmen ist das Entwicklungsgebiet von Lakhish mit seinem städtischen Zentrum Kirjat Gat. Hier ist eine andere Form der Ansiedlung der Einwanderer gefunden worden, die nicht mehr auf verschiedene Kibbuzim, sondern auf Dör131
5 Der Vollzug des Abkommens von Luxemburg
fer verteilt werden, die u m ein städtisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum gruppiert sind. Diese Art der Ansiedlung hat den Vorteil, daß Einwanderergruppen aus gleichen Herkunftsländern nach ihrer Ankunft in Israel nach Möglichkeit zusammen bleiben, jedoch in ihrem städtischen Zentrum viele Berührungspunkte finden, um sich gegenseitig kennenzulernen und zusammenzufinden. Im Stadtzentrum dieses Siedlungsgebietes liegen die im Rahmen des Abkommens gelieferten Verarbeitungsbetriebe für die landwirtschaftlichen Produkte, wie Zuckerfabriken, Molkereien und Mühlen. Die Wüste ist in Kulturland umgewandelt, die Zuckerfabrik ist voll ausgelastet, da Klima und Boden bis zu drei Ernten im J a h r erlauben u n d die Zuckerrübenkampagne nicht wie in Europa sich auf wenige Herbstmonate beschränkt, sondern über das ganze J a h r hinzieht. In diesem Zentrum bietet aber auch eine Textilfabrik, eine Lieferung aus dem Abkommen, den Männern u n d Frauen, die nicht in der Landwirtschaft beschäftigt werden, Arbeitsplätze. In der Textilfabrik wird die Wolle von Schafen, die herdenweise sogar mit den zugehörigen Hütehunden aus der Bundesrepublik geliefert wurden, verarbeitet. Mit fortschreitender Bewässerung der Wüste ziehen diese Schafherden als erste Nutznießer der Kultivierung mehr und mehr nach Süden. Später werden diese Gebiete unter Einsatz der aus der Bundesrepublik gelieferten landwirtschaftlichen Maschinen intensiv bearbeitet, um Ernten zu erstellen und einzubringen. Die Erschließung der Kupferminen in Timna, ca. 15 km von dem Hafen Elath am Roten Meer entfernt, erfolgte mit Hilfe von Anlagen, die im Rahmen des Abkommens geliefert wurden. Diese Kupferminen brachten auch der Hafenstadt Elath einen schnellen Aufschwung. Neben dem Ausbau des Hafens bildete sich hier, begünstigt durch das warme Klima und die Schönheit der Landschaft, ein Touristenzentrum, das mehr und mehr besucht wird. So bringen die Minen von Timna dem Staat Israel nicht nur Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Produkte, sondern als weitere Folge die Ansiedlungsmöglichkeit von Einwanderern in Elath und den Aufbau eines Touristenortes mit modernen Hotels. Die fortschreitende Industrialisierung des Landes erfordert eine stetige Heranbildung der entsprechenden Fachkräfte. In Natanya, am Mittelmeer zwischen Tel Aviv und Haifa gelegen, wurde eine Gewerbefachschule, etwa vergleichbar mit unseren technischen höheren Lehranstalten, aufgebaut, die teilweise mit Werkzeugmaschinen aus Abkommenslieferungen ausgerüstet ist. Hier werden aber nicht nur junge Israelis zu Ingenieuren und Technikern herangebildet, sondern auch Studenten aus den afrikanischen Staaten zu Entwicklungshelfern ausgebildet. Israel ist dasjenige Land, das mit am besten in der Lage sein dürfte, auf dem Gebiet der Ausbildung von Entwicklungshelfern Hervorragendes zu leisten, weil es selbst in den 18 J a h r e n seit Gründung des Staates eine Entwicklung durchgemacht hat, die als einzig dastehend bezeichnet werden muß. Unter den schwierigsten Verhältnissen — am Tage nach der Staatsgründung im J a h r e 1948 begann bereits der arabische Krieg — mit der Außenwelt n u r über das Meer verbunden, wurde ein Staatswesen aufgebaut, dessen Neubürger aus 132
5.3 Würdigung des Abkommens durch Nahum Goldmann den verschiedensten Teilen der Welt einwanderten. Diese Neubürger kamen einmal aus kultivierten Industriestaaten und brachten ihre Erfahrungen mit, sie kamen aber auch, und zwar in großer Zahl, aus Gegenden, in denen die wirtschaftliche Entwicklung zum Teil noch weit zurücklag. In kurzer Frist war es der Staatsf ü h r u n g und ihren Helfern gelungen, diese Neubürger zu leistungsfähigen Mitarbeitern zu erziehen, die mit modernsten Maschinen umgehen und ihren Arbeitsplatz voll ausfüllen konnten. Wenn man die Lieferungen im Rahmen des Abkommens mit den Entwicklungshilfen vergleicht, die den anderen Ländern gegeben worden sind, kann gesagt werden, daß in Israel ein besonders großer Erfolg erzielt worden ist. Der in Artikel 2 des Abkommens vom 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel genannte Zweck, durch Lieferung von Waren und Dienstleistungen die Erweiterung der Ansiedlungs- und Wiedereingliederungsmöglichkeiten der jüdischen Flüchtlinge in Israel zu fördern, ist somit in vollem Umfange erreicht worden.'
5.3 Würdigung des Abkommens durch Nahum Goldmann Den wohl größten Anteil an den Vorbereitungen zu einer Verhandlung zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland in den Anfangsstadien hatte Nahum. Goldmann. Er griff auch bei den Verhandlungen über das Abkommen in verständnisvoller Weise immer wieder ein, wenn die Beratungen in eine ausweglose Situation zu geraten schienen. Goldmann erklärte dem Herausgeber in einem Gespräch: „Für Israel war besonders in jenen schwierigen Zeiten das Abkommen geradezu eine Rettung. Wenn man bedenkt, daß in den letzten Jahren der größere Teil des Defizits an auswärtiger ausländischer Valuta f ü r Israel aus dem Abkommen durch Deutschland gedeckt wird, versteht man, welche unübersehbare Bedeutung es für Israel hatte. Für Hunderttausende J u d e n o p f e r des Nazismus hat dieser Vertrag die Möglichkeit gegeben, ein neues Leben anzufangen, in jedem Fall aber eine bedeutende Verbesserung ihrer Lage herbeizuführen. Historisch gesehen, und darin liegt vielleicht die größte Bedeutung, hat dieser Vertrag ein einmaliges Präzedens geschaffen. Dadurch, daß Deutschland diesen Vertrag unterschrieben hat, hat es auf einer höheren moralischen Ebene neues internationales Recht geschaffen, was f ü r die Zukunft von der größte Bedeutung f ü r andere Minoritäten- und Verfolgtengruppen sein könnte."
133
6 Das schwierigste Thema praktischer Zusammenarbeit — Verbindungen zwischen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß und seinem israelischen Kollegen Shimon Peres
6.1 Franz-Josef Strauß und Shimon Peres werden dabei Freunde Der allgemeine Nahost-Konflikt erbrachte dieses Kapitel deutsch-israelischer Zusammenarbeit: Auf der Sinai-Halbinsel hatte es im Oktober 1956 zum ersten Mal eine große Schlacht gegeben. Die ägyptische Armee, die seinerzeit vollkommen mit russischem und östlichem Gerät ausgerüstet war, war nicht n u r durch die israelischen Bodentruppen, sondern auch durch eine überlegene Lufttechnik der Israelis überrollt und vernichtet worden. Direkt nach diesem kurzen aber intensiven militärischen Schlagabtausch lud mich der damalige Leiter der Israel- Mission in Köln, Botschafter Felix E. Shinnar ein, die am Gaza-Streifen zusammengefahrenen sowjetischen Panzer, Mannschaftspanzerwagen, Artillerieausrüstungen und Munitionslager zu besichtigen. Ein Oberstleutnant der israelischen Armee, der später als Spion der sowjetischen Streitkräfte enttarnte Israel Baer, begleitete mich. Es war ein imponierendes Bild, diese weiten Flächen mit sowjetischen Waffen und Geräten zu sehen. Auch wenige Einzelteile aus der Produktion der ostdeutschen Rüstungswerke waren darunter. Interessant waren die Kanonen. Es gab die gleichen Modelle aus der sowjetischen Produktion und den tschechischen Skoda-Werken. Ich bat Oberstleutnant Baer, mir doch einen israelischen Kameramann zu beschaffen, damit man diese Beute auf einen Filmstreifen bannen könne, Informationsmaterial, das vielfältige Verwendung ermöglichen würde. Baer lehnte ab. Israel wolle nicht, daß es zu Konflikten mit den Sowjets käme. Ich war erstaunt, denn diese Bemerkung paßte nicht in das Bild, das ich bisher von den israelischen Meinungen des großen Ost-West-Konfliktes hatte. Heute weiß ich, warum dieser Historiker, der seinen Platz auf dem gleichen Flur wie Ben Gurion hatte, diese Möglichkeit des Filmens ablehnte. Immerhin d u r f t e ich mit meiner Rolleiflex einzelne Fotos aufnehmen, so daß ich Typen-Bezeichnungen und Einzelheiten im Bilde festhielt, was f ü r spätere Artikel doch von Bedeutung war. Nach meiner Rückfahrt nach Tel Aviv kam es zu einem Gespräch mit dem israelischen Verteidigungsminister, dem heutigen Oppositionsführer und Chef der Israelischen Arbeiterpartei, Shimon Peres. Mit ihm war sein damaliger Staatssekretär, der spätere Botschafter Israels in der Bundesrepublik, Asher Ben Nathan, zu dem Gespräch erschienen. Ich berichtete den Herren über meinen 134
6.1 Franz-Josef Strauß und Shimon Peres werden dabei Freunde tiefen Eindruck, den ich von den sowjetischen Lagern im Sinai erhalten hatte, und stellte sofort die Frage, ob Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß Muster aus diesem Arsenal erhalten könne, wenn er diese f ü r das Bundeswehrprüfungsamt in Koblenz benötigte. Wenige Monate vorher hatte der Aufbau unserer deutschen Streitkräfte begonnen. Zu wissen, was der mutmaßliche Gegner an Ausrüstungen, Flugzeugen, Kanonen und Panzern zur Verfügung hat, erschien mir von großer Bedeutung. Sofort sagte Shimon Peres zu. „Was Herr Strauß will, kann er gerne bekommen". Ich betonte noch, daß ich keinen Auftrag hätte und fügte eine zweite Bitte hinzu: Ich hätte bei den israelischen Soldaten eine Maschinenpistole gesehen, mit der ich im Sinai auch einige Probeschüsse abgegeben hätte. Diese wäre ebenfalls f ü r Minister Strauß von Bedeutung. Was ich damit wolle, wollte AsherBen Nathan wissen. „Die UZI in der Hand deutscher Soldaten ist sicher besser, als alle Broschüren über den Antisemitismus." Peres und Ben Nathan lächelten. Meinen Wunsch, ein solches Instrument in meinem Kof fer nach Bonn mitzunehmen, besprachen sie hebräisch. Dann kam die Antwort, daß man Herrn Strauß die UZI über den Kurierweg schicken werde. Nach meiner Rückkehr habe ich sowohl Bundeskanzler Dr. Adenauer als auch Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß über diese Gespräche berichtet, die beide gleichermaßen die im ersten Sinai-Feldzug sichtbar gewordene Entwicklung im Bereich des ganzen Nahen Ostens mit großer Sorge betrachteten. Strauß erhielt wenige Wochen nach meinem Besuch in Israel auf seine Bitte die ersten Muster sowjetischer Waffen und Geräte zu Versuchszwecken. Nachdem er eine UZI in sehr vornehmer Verpackung —offensichtlich f ü r Minister—in einem Olivenholzetui erhalten hatte, bestellte er einige hundert Exemplare dieser modernen Waffe f ü r den sogenannten Truppenversuch. Dieser fiel positiv aus und bis zum heutigen Tage gehört die UZI zu den Standardausrüstungen in den verschiedenen Truppengattungen der deutschen Soldaten. Diese hier geschilderten Erlebnisse waren nicht ganz der Beginn deutsch-israelischer Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen der Militärs. Bereits im Sommer 1955 war eine erste Einkaufsdelegation des israelischen Verteidigungsministeriums aus Paris, wo diese Beamten stationiert waren, in die Bundesrepublik gekommen, um mit einer Firma, die Fahrketten f ü r die sogenannten „Half Trucks" produzierte, über die Lieferung von Ersatzteilen und ganzen Ketten zu verhandeln. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die israelischen Stellen diese Ketten nur über einen der deutschen Nachbarstaaten kaufen können, obwohl sie in der Bundesrepublik Deutschland f ü r die Armeen verschiedener Nachbarländer und die amerikanischen und britischen T r u p p e n hergestellt wurden. Man muß hinzufügen, daß es sich bei derartigen Käufen nicht um Waffen handelte, die mit dem Bundesverteidigungsministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen entsprechender Gesetze ausgehandelt werden mußten.
135
6 Das schwierigste Thema praktischer Zusammenarbeit 6.1.1
Ein Gespräch mit Franz-Josef Strauß
Das also war der offizielle Beginn einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die dann 1957 zwischen dem israelischen Verteidigungsministerium und dem damaligen Verteidigungsminister Shimon Peres, der David Ben Gurion auf diesem Posten zur Seite stand, ausgehandelt wurden. Der damalige Generaldirektor des Verteidigungsministeriums — bei uns nennt man ihn Staatssekretär—, AsherBen Nathan, hatte die praktische Arbeit dieser Begegnungen übernommen. Mehrfach war er teils bei starkem Glatteis und in halsbrecherischen Nachtfahrten von Paris in das Haus von Franz-Josef Strauß nach Rott am Inn gekommen. Über diese Begegnungen, über diese Hintergründe einer engen deutsch-israelischen Zusammenarbeit im militärischen Bereich gab es zwischen mir und dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister, der im Januar 1967 längst Bundesfinanzminister im Kabinett von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geworden war, das folgende Gespräch: „Es war geraume Zeit nach dem Sinai-Feldzug im Dezember 1957, daß ich von dem Wunsch unterrichtet wurde, der amtierende israelische Verteidigungsminister Shimon Peres, der Stellvertreter Ben Gurions in diesem Amt und ein hoher israelischer Offizier, wahrscheinlich Moshe Dajan, wollten mit mir ein Gespräch führen. Dieses Gespräch hat Ende Dezember 1957 in meinem Privathaus in Rott am Inn stattgefunden. Neben Shimon Peres und an Stelle von Moshe Dajan war General Laskow Mitglied der kleinen Delegation. Das Gespräch bewegte sich weniger um organisatorische oder militärsche Fragen, sondern um das ganze Verhältnis des deutschen Volkes, der Bundesrepublik Deutschland zum Staat und Volk Israel. Selbstverständlich wurden bei diesem Gespräch auch meine Fragen im Zusammenhang mit dem Sinai-Feldzug beantwortet. Ich erhielt auch eine Bilddokumentation über diese Ereignisse. Das Bundesministerium für Verteidigung war natürlich an allgemeinen operativen Fragen grundsätzlicher Art, z. B. Zusammenarbeit von Panzern und Luftwaffe, interessiert, zum anderen aber besonders an dem erbeuteten Material, das aus sowjetischen Quellen stammte. Dieses Gespräch hat die persönliche Verbindung und — wie ich wohl sagen darf — auf längere Sicht die persönliche Freundschaft zwischen Herrn Peres und mir begründet. Ich erinnere mich, daß aufgrund einer Indiskretion auf israelischer Seite der Besuch dieser Delegation vorher in einem israelischen Presseorgan veröffentlicht wurde, dessen politische Zielsetzung offensichtlich gegen die Aussöhnung Deutschland-Israel gerichtet war. Vielleicht war das auch der Grund, warum an Stelle von Moshe Dajan General Laskow mitgefahren war. Er war in der Presseveröffentlichung, nicht genannt worden. Es gab auch in der Bundesrepublik beträchtliches Aufsehen, daß eine solche Delegation in Bonn Dienststellen besuchen wolle. Das Bundespresseamt hat damals wahrheitsgemäß die Auskunft gegeben, daß von dem Besuch einer solchen Delegation bei einer Bonner Dienststelle nichts bekannt sei. Ich habe damals den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Professor 136
6.1 Franz-Josef Strauß und Shimon Peres werden dabei Freunde Hallstein, informiert, mit der Bitte, Herrn Minister von Brentano zu unterrichten, und habe später über dieses Gespräch auch Bundeskanzler Adenauer eingehend unterrichtet. Wir stimmten darin überein, unbeschadet unseres beiderseitigen Wunsches normale und freundschaftliche Beziehungen zu den arabischen Staaten zu unterhalten, daß das Verhältnis Deutschland-Israel von besonderer Art und besonderer Bedeutung sei — eine Sache sui generes. Ich habe meine Meinung dahingehend zusammengefaßt, daß eine gute Zusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik. Deutschland ein wesentlicher Beitrag zur Überwindung der Vergangenheit sei. Das sei nicht nur im Sinne einer Aussöhnung, sondern auch im Sinne einer Wiederanerkennung Deutschlands im Kreise der Völker im Sinne auch einer Achtung und Respektierung der Bundesrepublik als eines in den Zusammenhängen der heutigen Weltpolitik gleichberechtigten Staates zu sehen. Ich erblickte darin nicht nur einen Teil moralischer oder finanzieller Wiedergutmachung. Man ist allzuleicht geneigt, die Tragweite und Unentbehrlichkeit dieser Überlegung über den Tagesfragen zu rasch zu vergessen." Frage:,, Aus diesen Gesprächen hat sich eine sehr konkrete und praktische Zusammenarbeit zwischen den Verteidigungsministerien der beiden Länder entwickelt, die nur auf dem von Ihnen geschaffenen Vertrauen mögliche wurde." Antwort: „Einige Zeit später kam Shimon Peres wieder zu mir und unterrichtete mich im einzelnen über die Sicherheitsprobleme des Staates Israel. Es war dabei von vornherein klar, daß es der Regierung Ben Gurion nicht um Expansion, d. h. um Aggression und Eroberung gegenüber den arabischen Staaten ginge, sondern um die Selbsterhaltung Israels. Ich habe bei diesen Gesprächen mein militärisches Urteil dahingehend zusammengefaßt, daß Israel in einem Kriege gegen die arabische Welt jede Schlacht gewinnen und trotzdem innerhalb kurzer Zeit den Krieg verlieren würde. Diese Meinung ist n u r scheinbar paradox, sie wird aber durch alle geostrategischen und geomilitärischen Tatsachen bestätigt. Im Hinblick auf eine rein defensive Zielsetzung d e r nackten Selbsterhaltung habe ich mich bereiterklärt, Herrn Peres bei Bundeskanzler Dr. Adenauer einzuführen. Ich hatte nicht die Absicht, hinter dem Rücken des Kanzlers irgendwelche Absprachen vorzunehmen oder irgendwelche Maßnahmen zu treffen. Ich war mir bewußt, daß dies ein Stück Gesamtpolitik der Bundesregierung sein müsse, und daß hier die grundsätzliche Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers angesprochen war. O h n e hier in Einzelheiten gehen zu wollen, darf ich sagen, daß mich Dr. Adenauer ermächtigt hat, auf gewisse von Herrn Peres angesprochenen Gebieten mit der israelischen Regierung zusammenzuarbeiten. Es handelte sich hier nicht um eine riesige Rüstungshilfe, etwa von dem Umfange, wie sie die Sowjetunion gegenüber der Vereinigten Arabischen Republik über J a h r e hinweg vorgenommen hat und auch heute noch vornimmt, sondern es handelte sich hier um Fragen der Ausbildung, der technischen Zusammenarbeit und der Lieferung kleiner Mengen militärischen Materials. Adenauer und ich stimmten in der Auffassung überein, daß es nicht nur eine Pflicht der Wiedergutmachung sei, sondern daß eine Unterstützung Israels gerade auf dem Gebiet, wo es um Blut geht, moralisch und politisch von besonderer Tragweite sein müsse. Ich habe meine 137
6 Das schwierigste Thema praktischer Zusammenarbeit Meinung damals dahingehend zusammengefaßt, daß Millionen J u d e n als Konsequenz einer verbrecherischen deutschen Politik und durch deutsche Waffen umgebracht worden sind. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Frage der Errichtung des Staates Israel, den Beschluß der Vereinten Nationen, die richtige Anwendung dieses Beschlusses etwa nach deutschem Ermessen zu beurteilen. Er besteht nun einmal und in ihm hat ein Teil der J u d e n der Welt eine neue Heimstatt gefunden und eine bewundernswerte Aufbauarbeit geleistet. Gegen diesen Staat und seine Bewohner sind vielfach Drohungen laut geworden, Drohungen aus einer feindlichen Umwelt, eines Tages diesen Staat zu erobern und seine Einwohner zu vernichten. Wenn also die Bundesrepublik Deutschland einen bescheidenen Beitrag dazu leistet, daß im Nahen Osten der Friede erhalten bleibt, was auch f ü r uns ein entscheidender Punkt war, dann ist das ein Stück Wiedergutmachung auf dem ureigentlichen Gebiet, auf dem im deutschen Namen besonders gesündigt worden ist. Eine weitere Überlegung war dabei, daß die Großmächte im Falle eines arabisch-israelischen Konfliktes nicht rechtzeitig eingreifen würden und könnten. Vor allem bestünde in einem solchen Falle die Gefahr, daß Amerika u n d Rußland miteinander konfrontiert würden. Das wäre die unmittelbare Auswirkung auch auf dem Gebiet, wo Amerika und Rußland ebenfalls konfrontiert sind, nämlich in der Bundesrepublik Deutschland. Ich gehe nicht so weit, daß etwa die Bundesrepublik Deutschland eine unmittelbare Verantwortung für die Sicherheit des Nahen Ostens hätte. Wir haben keine Weltmachtpolitik, die den ganzen Erdball überspannt, wie die Amerikaner sie haben müssen. Aber wir müssen bei allen Erschütterungen und bei allen Störungsmöglichkeiten und Krisenanfälligkeiten sehr sorgsam mit den Rückwirkungen rechnen, die es in unserem Bereich geben wird. Auch unter diesem Gesichtspunkt erschien es angebracht, einen gewissen Beitrag d a f ü r zu leisten, militärische Aktionen — abgesehen von den unvermeidlichen Grenzstörungen - zu verhindern. Es ging mir darum, daß militärische Aktionen weder von den Israelis unternommen werden konnten — die gar keine Politik dieser Art treiben können, ohne ihre Selbstvernichtung zu riskieren — noch von arabischer Seite. So schien uns — Adenauer und mir — diese Politik als ein Beitrag zur Wiedergutmachung und ein Stück Friedenssicherung." Frage: „Herr Minister, aus diesem Vertrauen, das Sie gesät haben, das Sie auch von Ben Gurion und Shimon Peres empfangen haben, entwickelte sich das politische Gespräch. Ich denke an die Zeit des Eichmann-Prozesses zurück, in der die Situation f ü r uns Deutsche viel günstiger war als oftmals heute in jüdischen Kreisen in der Welt. Der heutige deutsche Staat wurde von dem getrennt, was im Dritten Reich passiert war. Dazu haben die vielen Gespräche zwischen Ihnen und Shimon Peres beigetragen." Antwort: „Ich e r f r e u e mich seit jener Zeit einer persönlichen Freundschaft von Herrn Peres, aber auch von Ben Gurion. Ich darf vielleicht bei dieser Gelegenheit sagen, daß ich einmal ein dreistündiges Gespräch mit Ben Gurion in Paris hatte, das bisher in der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden ist. Hier sind keine finsteren Pläne geschmiedet worden, sondern hier ist das deutsch-israelische 138
6.1 Franz Josef-Strauß und Shimon Peres werden dabei Freunde Verhältnis eingehend—und zwar unter den bereits vorher geschilderten Gesichtspunkten — besprochen worden. Mit diesem Gespräch begann auch der persönliche Kontakt zwischen Ben Gurion und mir, der später bei meinem Besuch in Israel, als ich nicht mehr Minister war, sich in sehr erfreulicher Weise ausgewirkt hat. Es war eine sehr herzliche Begegnung. Diese Freundschaft hat sich auch in den folgenden Jahren erhalten und durch Übermittlung von Grußbotschaften und den Austausch von Briefen vertieft. Ich habe es gegenüber meinen Gesprächspartnern als selbstverständlich e m p f u n d e n , daß nicht die Bundesrepublik, wenn sie sich f ü r eine Sicherung Israels einsetzt, auf einem Gebiet, auf dem sie sehr leicht der internationalen Kritik unterliegt — wie es ja auch geschehen ist — und dann, im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozeß, als kollektiv-schuldig f ü r die Verbrechen einer vergangenen Generation moralisch, politisch, publizistisch haftbar gemacht wird. Ich habe d a f ü r auch bei meinen Gesprächspartnern Verständnis und Entgegenkommen gefunden. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es eine sehr eindeutige Erklärung Ben Gurions aus jener Zeit. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die damalige Bundesregierung, an der Spitze ihr Bundeskanzler Dr. Adenauer, doch sehr besorgt war über mögliche Auswirkungen, die Enthüllungen des Eichmann-Prozesses auf die Weltmeinung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland haben würden, und inwieweit die Außenpolitik der Bundesregierung dann davon betroffen werden könnte." Ich wandte ein: „Vor allen Dingen durch die Tatsache der Ostpropaganda." „Der Multiplikator Ostpropaganda spielt ja hierbei immer eine besondere Rolle. Die Erklärung Ben Gurions hat von vornherein denen, die den Eichmann-Prozeß und seine Enthüllungen nicht aus moralischen, sondern aus politischen und taktischen Gründen, hintergründigen Erwägungen und Motiven gegen die Bundesrepublik Deutschland als politischen Sprengstoff benutzen wollten, eigentlich die Waffe aus d e r Hand genommen. Ich war damals oft erstaunt, daß man in absolut pro-israelischen Kreisen in der Bundesrepublik und im Ausland f ü r diese Form der Zusammenarbeit, die uns bei den Israelis den größten politischen Erfolg eingebracht hat, so wenig Verständnis hatte, u n d daß man die Bundesregierung im allgemeinen und Adenauer und mich im besonderen deswegen auf heftigste Weise angegriffen hat. Ich glaube, daß wir, in unserem glaubhaften und ehrlichen Bemühen, eine friedliche Politik zu treiben und eine friedensichernde Politik zu verfolgen, auch das Instrument der militärischen Zusammenarbeit als einen Teil dieser Politik betrachten müssen, wie wir es damals auch betrachtet haben." Frage: „Herr Minister, Sie haben in diesen Bereichen ja nicht n u r mit Shimon Peres zusammengearbeitet. Sie haben sehr f r ü h die israelische Maschinenpistole in die Bundeswehr eingeführt, und ich glaube, es war nicht n u r eine technische Überlegung, daß Sie diese Entscheidung trafen." Antwort: „Wir haben über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg alle Modelle geprüft und alle Überlegungen angestellt mit dem Ziel, auch in den Truppenverbänden eine Maschinenpistole für die Bundeswehr einzuführen. Es gab ein schwedisches Modell, ein deutsch-finnisches, ein französisches, ein englisches, 139
6 Das schwierigste Thema praktischer Zusammenarbeit ein italienisches, ein rein deutsches Modell und schließlich die israelische Waffe, die UZI. Bei den angestellten Vergleichserprobungen hat sich die UZI gegenüber der schwedischen als beinahe gleichwertig im Preis und hinsichtlich der Lizenzbedingungen für einen Nachbau in Deutschland als günstiger erwiesen. Außerdem hatte sie sich im Sinai-Feldzug unter allen Bedingungen des Wüstenkrieges bestens bewährt. Ich habe deshalb entschieden, die UZI in der Bundeswehr einzuführen. Bis jetzt gab es keinen G r u n d , diesen Entschluß zu bereuen oder wieder rückgängig zu machen. Die UZI hat sich als Standard-Maschinenpistole in der Bundeswehr ebenfalls bestens bewährt. Darüber hinaus sind auch gewisse Rüstungsaufträge an Israel erteilt worden. Hauptsächlich wurde Mörser- und Infanteriemunition gekauft. Wir waren mit der Qualität und dem Preis d e r israelischen Lieferungen immer sehr zufrieden. Auch dieses Kapitel — Beschaffungen aus Israel — gehört in den Gesamtbereich d e r oben angestellten politischen Überlegungen." 6.1.2
Auch Shimon Peres äußert sich
Wenige Wochen nach meinem Gespräch mit Franz-Josef Strauß zu diesem schwierigen Komplex deutsch-israelischer militärischer Zusammenarbeit empfing mich auch Shimon Peres zu einem erneuten Gespräch. Ich fragte Peres nach seiner ersten Begegnung mit Franz-Josef Strauß, die im Rahmen dieser neu gegründeten Zusammenarbeit begonnen hatte. Auch dieses Gespräch mit Peres war von großer Bedeutung, als er zu dem ersten Zusammentreffen mit Strauß das folgende sagte: „Ich glaube, es muß 1957 oder Anfang 1958 gewesen sein, als wir uns zum ersten Mal begegneten." Frage .„Sprachen Sie bei Ihrem ersten T r e f f e n über eine direkte Hilfe f ü r Ihre Armee oder über den Verkauf Ihrer UZI und anderen Waffenmaterials an die deutsche Bundeswehr?" Antwort: „Unsere erste Unterredung dauerte fünf Stunden und berührte jedes nur mögliche Thema. Zu Beginn analysierten wir wohl die grundlegenden Probleme der israelisch-deutschen Beziehungen. Danach versuchte ich darzulegen, daß nach meiner Ansicht Deutschland in jeder n u r möglichen Weise zur Sicherheit Israels beitragen sollte. Wir diskutierten daher anfänglich beide Fragen: die Lieferungen deutscher Waffen an uns und den Verkauf unserer Waffen an die deutschen Streitkräfte." Frage: „Besuchten Sie Dr. Adenauer unmittelbar nach diesem T r e f f e n oder zu einem späteren Zeitpunkt?" Antwort:„lch begegneteDr. Adenauer sehr viel später. Ich glaube, ich besuchte ihn, bevor er mit Ben Gurion zusammentraf." Frage: „Und worin bestand das Abkommen zwischen Ihnen und Herrn Strauß?" Antwort: „Da immer so viel über Abkommen geredet wird, legten wir nichts fest, was sich als formelles Abkommen bezeichnen ließe. Wir erzielten jedoch eine sehr 140
6.1 Franz-Josef Strauß und Shimon Peres werden dabei Freunde weitgehende Verständigung. Wir hielten uns nicht lange damit auf, die Dinge schriftlich zu fixieren. In Deutschland wiederholte sich eine E r f a h r u n g , die ich schon in Frankreich gemacht hatte: gegenseitiges Vertrauen entstand während dieses ersten T r e f f e n s u n d beherrschte es von A n f a n g bis Ende. Die meisten unserer Vereinbarungen waren mündlicher Art und wurden getreu d e m Wortlaut u n d Geist unserer Gespräche verwirklicht." Frage: „Und über welche Art von Waffen verhandelten Sie mit H e r r n Strauß? Können Sie mir d a r ü b e r etwas sagen. Handelte es sich um Angriffs- o d e r Verteidigungswaffen?" Antwort: „Zunächst sprachen wir über Material, d u r c h das die Beweglichkeit unserer Armee e r h ö h t werden konnte, u n d d a n n ü b e r Waffen zu unserer eigenen Verteidigung wie z. B. Fliegerabwehrkanonen u n d ähnliche Ausrüstungen." Frage: „Welche B e d e u t u n g hatte I h r e r Meinung nach dieses T r e f f e n mit H e r r n Strauß f ü r die Zusammenarbeit mit Deutschland?" Antwort: „Meiner Ansicht nach lag hierin d e r U r s p r u n g f ü r die politischen Kontakte zwischen uns u n d Deutschland, d e n n es handelte sich nicht vorwiegend um finanzielle Probleme, noch ausschließlich u m die Vergangenheit. Deutschland u n t e r n a h m in weiterem, umfassenderem Sinn eine Wiedergutmachung an Israel, das heißt, es versuchte dazu beizutragen, Israel gegen die Gefahren der Zuk u n f t zu schützen." Frage: „Würden Sie sagen, daß H e r r Strauß diese Hilfe leistete, weil d e r Mittlere Osten über zahlreiche russische W a f f e n verfügte und d e r kommunistische Einfluß stark ist?" Antwort: „Ich beurteile H e r r n Strauß anders als die meisten Menschen. Ich bin der Meinung, daß H e r r Strauß die B e d e u t u n g eines Brückenschlags zwischen Israel u n d Deutschland voll u n d ganz erfaßt hat. Gerade u n d vorwiegend in diesem Bereich erzielten wir volle Übereinstimmung unserer Absichten. Es ging nicht einfach n u r um mathematische Überlegungen, wie ich schon vorher sagte, handelte es sich u m eine g r u n d l e g e n d e politische Auseinandersetzung mit Problemen, die zu j e n e r Zeit und auch heute noch zwischen dem deutschen u n d israelischen Volk bestehen." Frage: „Dann besuchten Sie Dr. Adenauer und sprachen mit ihm über die Probleme d e r israelisch-deutschen Beziehungen?" Antwort: „Ja, ich begegnete Dr. Adenauer später, ich glaube, wir trafen uns auf E m p f e h l u n g von H e r r n Strauß, u m unsere Vereinbarungen auf eine breitere Unterstützung seitens d e r deutschen Regierung zu g r ü n d e n . Ich unterhielt mich mit Dr. Adenauer über Probleme allgemeiner Art im Nahen Osten, über die Möglichkeiten eines Friedens zwischen den Arabern und uns, über das Rüstungsgleichgewicht zwischen Israelis u n d Arabern; zweifellos sprachen wir auch allgemein über die Lage, die damals zwischen Deutschland u n d Israel herrschte." Frage: „Und d a n n kam d e r Eichmann-Prozeß. Die im Laufe des Prozesses an die Öffentlichkeit gelangenden Nachrichten über begangene Verbrechen erschütterten die jüdische Welt. Ich habe mir sagen lassen, daß Sie sich f ü r die Verbreit u n g d e r Ideen Ben Gurions in d e n jüdischen Gemeinden Amerikas — daß das 141
6 Das schwierigste Thema praktischer Zusammenarbeit neue Deutschland nicht mit dem Deutschland Hitlers und Eichmanns gleichzusetzen sei — sehr eingesetzt haben und daß vor Ihrer Reise in die USA Gespräche zwischen Ihnen und Herrn Strauß stattfanden." Antwort: „Wir trafen uns häufig und diskutierten viele Stunden lang. Soweit ich mich erinnere, gab es auch in diesem Zusammenhang keine Vereinbarungen; ich war aber tatsächlich einer von denen, die sich darum bemühten, den Israelis und den J u d e n in den Vereinigten Staaten die Bedeutung der neuen Beziehungen zwischen uns und Deutschland klarzumachen; natürlich habe ich dabei auch erwähnt, welche Initiativen H e r r Strauß ergriff, um Israel zu helfen." Frage: „Wenn Sie heute auf diese Periode zurückschauen, erscheint sie Ihnen dann als der große Zeitabschnitt der deutsch-israelischen Beziehungen, als eine Zeit, in der die Fundamente gelegt wurden, auf denen wir heute im Rahmen diplomatischer Beziehungen neue Kontakte aufbauen?" Antwort: „Ja, es war wirklich der Beginn der diplomatischen Beziehungen zwischen uns und der Bundesrepublik. Ich glaube nicht, daß es sonst zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen gekommen wäre; im übrigen verfügten wir nicht nur über die Unterstützung der Parteien Adenauers und Strauß. Auch die Sozialdemokratische Partei stimmte der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu. Hierin drückte sich die allgemeine deutsche Politik aus, wie sie von Strauß in die Wege geleitet worden war; persönlich glaube ich, daß diplomatischen Beziehungen, die eine reine Formsache sind, am besten gedient wird, wenn man Tatsachen anerkennt — Tatsachen, die lange vor ihrer Aufnahme bestanden." Frage: „Stimmt es, daß der sozialdemokratische Politiker Fritz Erler in seiner eigenen Partei zu den stärksten Verfechtern dieser Zusammenarbeit mit Strauß und der Bundeswehr gehörte?" Antwort: „Ich war in dieser Angelegenheit mit Herrn Erler in ständigem Kontakt und fand bei vielen Gelegenheiten Verständnis und Unterstützung bei ihm." Frage: „Herr Peres, zu j e n e r Zeit kamen viele israelische Soldaten und Offiziere in unsere Ausbildungslager. Was empfanden diese jungen Leute, die sich in unserem Land aufhielten und mit unseren jungen Soldaten zusammenkamen?" Antwort: „Es ist natürlich schwer, etwas Allgemeingültiges zu sagen. Zweifellos war es anfänglich f ü r sie eine seltsame Erfahrung. Mir scheint aber, daß sie sehr freundlich aufgenommen wurden. Sie gewannen alle den Eindruck, daß sie ein neues Deutschland und eine neue deutsche Armee erlebten."
6.2
Vereinbarungen zwischen dem Bundesverteidigungsminister seinem israelischen Kollegen
und
Nach den beiden Interviews von FranzJosef-Strauß und Shimon Peres ist im Grunde genommen nicht mehr viel mitzuteilen. Strauß hat in seinen Darlegungen deutlich gemacht, daß es intensive Verbindungen zwischen beiden Staaten gab, Verbindungen die nicht n u r zur Einbahnstraße aus Israel nach Deutschland 142
6.2 Vereinbarungen zwischen Franz-Josef Strauß und Shimon Peres wurde, in d e m f ü r die B u n d e s w e h r eine Reihe von Ausrüstungsteilen, Munition u n d die Maschinenpistole „UZI" g e k a u f t w u r d e n , sondern wo auch Material aus d e r B u n d e s w e h r nach Israel ging. Wichtigster Faktor war wohl die Tatsache, d a ß j u n g e israelische Offiziere in d e n ersten J a h r e n um 1960 nach Deutschland kamen, u n d bei d e r Bundeswehr an Ausbildungskursen teilnahmen. Fallschirmjäger w u r d e n in d e r Fallschirmschule in Schongau ausgebildet, Artillerieoffiziere sowie Offiziere d e r Panzert r u p p e in Munster, in d e r N ä h e des ehemaligen Konzentrationslagers BergenBelsen. Man wird o h n e Ü b e r t r e i b u n g sagen d ü r f e n , d a ß mit diesen Vorgängen d e r deutsch-israelischen J u g e n d a u s t a u s c h b e g a n n . Zu so f r ü h e r Zeit war es eine ganz besonders wichtige B e g e g n u n g , d a ß die j u n g e n israelischen Offiziere j u n g e Deutsche k e n n e n l e r n t e n , die von d e n Klischees d e r Zeit des Nationalsozialismus nicht m e h r eingefangen waren, die ihnen o f f e n , freundschaftlich entgegentraten. Fast zur gleichen Zeit 1959 hat d e r damalige Stadtrat von Köln, Dr. Giesberts, mit deutschen J u g e n d l i c h e n eine erste Reise nach Israel gemacht. Das geschah als zum gleichen Zeitpunkt in übler nationalistischer Manier H a k e n k r e u z e in Köln an die Synagoge gemalt w o r d e n waren. So geriet d e r deutsche Wille nach Aussöhn u n g u n d F r e u n d s c h a f t direkt in das Zwielicht d e r Vergangenheit. Aber es blieb eine Episode, die d u r c h die j u n g e n Deutschen a b g e f a n g e n w u r d e .
143
7 Die weitere Entwicklung der Beziehungen — das Treffen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion
7.1 Der Stand der Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland Mit der Unterzeichnung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens am 10. September 1952 hatten die ersten offiziellen staatsrechtlich zum Ausdruck gebrachten Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland begonnen. Wie weit beide Staaten jedoch von einer Normalisierung der Beziehungen entfernt waren, zeigt der lange Weg, der allein bis zum ersten T r e f f e n zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion im März 1960 zurückgelegt werden mußte. Konrad Adenauer hatte stets die Ansicht vertreten, daß aus dem Wiedergutmachungsabkommen eine echte und dauerhafte Beziehung erwachsen müsse. Wirtschaftliche Verbindungen allein waren f ü r ihn nicht denkbar. Sorgsam pflegte er in Bonn und auf seinen zahlreichen Auslandsreisen die Gespräche mit jüdischen Persönlichkeiten. Nahum Goldmann war dabei der große Brückenbauer. Mochte er auch zu David Ben Gurion nicht die allerengsten Beziehungen haben, so ergänzten sich beide Persönlichkeiten doch trefflich; beide erstrebten - wenn auch von verschiedenen Standorten aus — die Versöhnung mit dem neuen deutschen Staat. Die Männer um Ben Gurion hatten frühzeitig erkannt, daß die Bundesrepublik Deutschland bei den Arabern als angesehener Gesprächspartner galt. Sie bejahte den israelischen Staat und machte aus ihrer Haltung keinen Hehl. Da Israel dringend die diplomatische Unterstützung größerer Staaten in den arabischen Hauptstädten brauchte, um dem Ziel eines direkten israelisch-arabischen Gesprächs näherzukommen, wurde die Bundesrepublik auch f ü r die israelische Außenpolitik ein wichtiger Faktor. Ihre Bedeutung stieg noch durch das im Herbst 1955 abgeschlossene Waffenhilfeabkommen Ägyptens und Syriens mit der Sowjetunion. Durch dieses Abkommen, an dem über Moskau auch die Tschechoslowakei beteiligt war, erhielten Ägypten und Syrien später der Irak und schließlich auch Algerien eine in die Milliarden gehende Unterstützung f ü r ihre Aufrüstung. Dieser Vorstoß der Sowjetunion nach dem Mittelmeerraum, insbesondere nach dem östlichen Mittelmeer und dem Suezkanal, war eine Folge des Zögerns der westlichen Großmächte, den Bau des Assuanstaudammes über die Weltbank zu finanzieren. O f f e n b a r forderte die Sowjetunion von Ägypten das Junktim: Finanzierung des Staudamms durch die Sowjets bei gleichzeitiger Umorientierung 144
7.2 Der wirtschaftliche Hintergrund der Waffensysteme auf russische bzw. östliche Modelle. Den Ägyptern brachte diese „Rechnung" keinen Gewinn. Sie mußten ihre Baumwollernten verpfänden und in den folgenden Jahren erleben, daß ihr eigener Verkauf auf dem Weltmarkt auf die Konkurrenz jener Baumwolle stieß, die die Sowjetunion zu Dumpingpreisen verschleudert hatte. Jahrelang wurde dadurch ein wirtschaftlicher Aufstieg Ägyptens verhindert. In jenen Jahren hatte ich mehrfach Gelegenheit, mit Bundesaußenminister von Brentano über diese politische „Marneschlacht" des Westens im Nahen Osten zu sprechen. Der Bundesaußenminister erzählte mir, er habe bei den Zusammenkünften mit seinen westlichen Kollegen immer wieder versucht, das Projekt d e r Assuanstaudamm-Finanzierung durch die Weltbank durchzusetzen. Seine Bemühungen seien jedoch ohne Erfolg geblieben. Im Frühjahr 1956 fand in Istanbul eine deutsche Botschafterkonferenz statt. Auf dieser Konferenz, die Staatssekretär Walter Hallstein leitete, waren alle Botschafter des Nahen Ostens versammelt. Aus ihren Berichten ging hervor, daß die arabischen Staaten unbedingt von der Regierung der Sowjetzone ferngehalten werden müßten. Die „HallsteindoVxrm" wurde von den Botschaftern gerade auch im Hinblick auf diese Staaten als wirksames Instrument empfohlen. Mit jedem Staat solle gebrochen werden, der zu Pankow diplomatische Beziehungen aufnehme. Als Hallstein von der sowjetischen Infiltration im Nahen Osten sprach und von den Gefahren, die durch die Ausrichtung der arabischen Staaten nach Kairo f ü r den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik entstünden, stimmten die Botschafter dieser Sicht ohne weiteres zu. Ein peinlicher Schritt wurde notwendig. Hallstein mußte gegenüber dem Leiter der Israel-Mission in der Bundesrepublik, Felix E. Shinnar, den Inhalt des Briefes widerrufen, den Heinrich von Brentano Mitte März, kurz vor der Istanbuler Konferenz, an Shinnar geschrieben hatte. In dem Brief hatte der Außenminister die Errichtung einer deutschen Dienststelle in Israel angekündigt. Diese Stelle werde entsprechend der israelischen Vertretung in der Bundesrepublik ausgerüstet und könne als Vorläufer einer echten diplomatischen Vertretung angesehen werden. Auch könne sie die Ausstellung von Sichtvermerken f ü r israelische Staatsbürger vornehmen. Diese Amtshandlung war bisher vom britischen Konsulat in Haifa besorgt worden. Zu j e n e r Zeit war noch in jedem israelischen Paß ein Stempel, der eine Einreise nach Deutschland untersagte. In jedem einzelnen Fall behielt sich die israelische Regierung die Löschung dieses Verbots vor. Gleichzeitig hatte die IsraelMission in Köln mit dem Auswärtigen Amt die Vereinbarung getroffen, daß außerhalb des britischen Konsulats keinerlei Einreisevisa erteilt werden dürften. Kein israelischer Staatsbürger konnte in Zürich oder Paris zu einem deutschen Konsulat gehen und sich ein Visum f ü r die Bundesrepublik beschaffen. Die deutschen Beamten hatten Weisung, keine Genehmigungen zu erteilen. In der israelischen Bevölkerung f ü h r t e dieses Verfahren zu großem Mißmut gegen die Bundesrepublik, weil nicht bekannt war, daß diese restriktiven Maßnahmen auf israelischen Wunsch vorgenommen worden waren. 145
7 Entwicklung der Beziehungen — Treffen zwischen Adenauer und Ben Gurion Als Konrad Adenauer von diesen Reaktionen durch einen Israelreisenden e r f u h r , holte er sofort, im Beisein des Herausgebers, die Bestätigung f ü r die Richtigkeit des Berichtes ein und verfügte die Aufhebung dieser Regelung. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ein Israeli oftmals mehrere Wochen auf sein Visum warten müssen. Die Papiere wurden mit den Anträgen zunächst nach Zypern geschickt und dort im Zusammenwirken mit der deutschen Botschaft erteilt. Diese Handhabung war vielleicht auch einer der Gründe, weshalb viele Israelis, die einst aus Deutschland ausgewandert waren, ihre verlorengegangene deutsche Staatsangehörigkeit wieder beantragten. Mit einem zusätzlichen deutschen Paß brauchten sie keinerlei Formalitäten mehr zu erfüllen, wenn sie mit ihrem israelischen Paß zunächst in ein anderes europäisches Land reisten. Bei meinen zahlreichen Besuchen in Israel haben mir etliche Freunde ihren erworbenen deutschen Paß voller Freude und mit einem gewissen Stolz gezeigt. Man kann sich schwer in die Seele dieser Menschen versetzen. Für sie war es auch ein Stück Wiedergutmachung, die verlorengegangene Heimat ihrer Eltern, ihrer Familien durch diesen deutschen Paß zurückzuerhalten, mochten sie auch nicht daran denken, jemals wieder in ihr einstiges Heimatland zurückzukehren. Staatssekretär Walter Hallstein mußte schweren Herzens diese eben eingeleitete Entwicklung zur A u f n a h m e von Beziehungen wieder bremsen. In Israel war man enttäuscht. Man hatte in jener Zeit des wachsenden sowjetischen Einflusses in den arabischen Staaten trotz aller ablehnenden Haltung gegenüber der Bundesrepublik vermerkt, daß Bonn ein nützlicher Vermittler im Konflikt mit den Arabern sein könnte. Die korrekte Abwicklung des Luxemburger Abkommens hatte bereits zu jenem Zeitpunkt eine auflockernde Wirkung in der Stimmung gegenüber Deutschland hervorgebracht. Diese Ereignisse müssen gestreift werden, will man den Weg zu dem Gespräch David Ben Gurions mit Konrad Adenauer skizzieren, und man muß vor allem sehen, wie schwierig, wie verwoben mit Erinnerungen und Mißtrauen diese J a h r e der Annäherung waren. Letztlich konnte dieser Weg n u r geebnet werden durch das Vertrauen der beiden Staatsmänner zueinander und durch die vielen einzelnen Verbindungen, die seit dem ersten offiziellen Besuch eines Deutschen, Franz Böhm, im Jahre 1954 zustande gekommen waren. Ein Mann muß hier genannt werden, der — zu jener Zeit stellvertretender Chef der Israel-Mission, dann Botschafter Israels in Kopenhagen und schließlich Generaldirektor (Staatssekretär) des israelischen Außenministeriums - gerade f ü r die Überwindung der Erinnerungen und Gefühle viel, sehr viel getan hat: Chaim Yah.il. Der Sinai-Feldzug hob den Vorhang vor einem gigantischen Aufmarsch. Wer die Waffenmengen richtig beurteilen konnte, mußte feststellen, daß sie nicht nur für die Vernichtung Israels aufgebaut worden waren. Hier ging es der Vereinigten Arabischen Republik — einschließlich ihrer Lieferanten, der UdSSR und der CSSR — um eine generelle politische und militärische Umstrukturierung des gesamten Nahen Ostens. Bis zum heutigen Tage ist es das noch nicht aufgegebene Ziel der sowjetischen Politik, die arabischen Staaten in ihre geistige und, wenn möglich, auch politische 146
7.2 Der wirtschaftliche Hintergrund Gewalt zu bringen. Das Eindringen der sowjetischen Flottenverbände durch die Dardanellen ins Mittelmeer wurde nach dem ersten Scheitern der sowjetischen Bemühungen im J a h r e 1956, 1967 ein einzigartiger Erfolg. Die UdSSR mußte nicht einen einzigen Soldaten opfern. Die zweimal durch Israel erbeuteten Waffenmengen, die Zerstörung der ägyptischen Luftwaffe, sind für die Sowjetunion nicht n u r als Verlust zu buchen; sie sind der Preis f ü r die Festigung des sowjetischen Einflusses im Mittelmeerraum. Diese These wurde 1958 erhärtet, als bei dem Aufstand im Libanon wieder die sowjetische Hand im Hintergrund zu spüren war. Das Eingreifen der 6. USFlotte hat sicherlich vieles verhindert, was nicht allein Israel auf lange Sicht bedroht hätte. Außerdem wäre bei einem Gelingen des Putsches die Sowjetunion ihrem konstanten Ziel, im Mittelmeer Fuß zu fassen, um manchen Schritt nähergekommen. In bezug auf die deutsch-israelische Frage d ü r f e n diese Betrachtungen nicht außer acht gelassen werden. Als 1956 während des Sinai-Feldzuges der Bundeskanzler von den Vereinten Nationen und besonders von amerikanischer Seite gedrängt wurde, die Leistungen und Lieferungen aus dem Luxemburger Abkommen einzustellen, gab er zur Antwort, daß es sich dabei um eine moralische Verpflichtung handele, die er nicht einschränken werde. Außerdem seien es Warenlieferungen f ü r den friedlichen Aufbau. Diese Haltung des Bundeskanzlers bestätigte noch einmal, was in den Äußerungen deutscher Politiker, d e r CDU wie der Sozialdemokratie, in all den Jahren zum Ausdruck gekommen war: Die Bundesrepublik Deutschland stand fest und treu zu ihrer sittlichen Verpflichtung auf Wiedergutmachung dessen, was in deutschem Namen dem jüdischen Volke angetan worden war.
7.2 Der wirtschaftliche
Hintergrund
Die israelischen Planungen f ü r die Käufe aus dem Wiedergutmachungsabkommen führten bereits im Jahre 1958 durch Vorwegnahme der letzten Jahresraten zur Verwirklichung größerer Projekte. Vor allem der Ausbau der israelischen Handelsflotte auf deutschen Werften benötigte weit größere Beträge als sie aufgrund der einzelnen Jahresraten entgegengenommen werden konnten. Die Nationalisierung des Suezkanals und damit die Sperrung für israelische Schiffe und Transporte nach israelischen Häfen verstärkte die Bemühungen der Israel-Mission, diese Schiffsbauten rasch zu verwirklichen. Ende Oktober 1958 gewährte die Deutsche Bank, vertreten durch ihren Vorstandsvorsitzenden Hermann Josef Abs, in einem Abkommen Israel ein Darlehen von 450 Millionen DM, das durch die letzten beiden Jahresraten aus dem Luxemburger Abkommen, also in etwa sechs Jahren abgedeckt werden sollte. Die Möglichkeit zur Verwirklichung eines solchen Schrittes war durch den Artikel 4 des Abkommens gegeben. Er lautet: 147
7 Entwicklung der Beziehungen — Treffen zwischen Adenauer und Ben Gurion „(a) Die B u n d e s r e p u b l i k Deutschland wird sich b e m ü h e n , d e n g e m ä ß Artikel 1 dieses A b k o m m e n s zu zahlenden Betrag d u r c h E r h ö h u n g d e r Jahresleistungen in einer kürzeren Zeit abzulösen, als sie sich aus einer o d e r allen Bestimmungen des Artikels 3 Absatz (a) e r g e b e n würde. (b) Erhält die R e g i e r u n g d e r Bundesrepublik Deutschland in einer allgemein u n d frei konvertierbaren W ä h r u n g eine Auslandsanleihe o d e r a n d e r e auswärtige finanzielle Hilfe, die ausschließlich f ü r d e n Zweck d e r Finanzierung d e r Verpflichtung aus Artikel 1 bestimmt ist, so ist d e r gesamte Erlös dieser Anleihe o d e r dieser Hilfe zu diesem Zweck zu verwenden, u n d zwar zur Ablösung d e r letzten Jahresleistungen, die a u f g r u n d dieses A b k o m m e n s fällig w e r d e n . (c) Erhält die R e g i e r u n g d e r Bundesrepublik Deutschland in einer allgemein u n d frei konvertierbaren W ä h r u n g eine Auslandsanleihe oder a n d e r e auswärtige finanzielle Hilfe, die nicht f ü r einen besonderen a u ß e r h a l b dieses A b k o m m e n s liegenden Zweck bestimmt ist, so wird die B u n d e s r e g i e r u n g , sofern u n d soweit sie dies f ü r möglich hält, einen angemessenen Teil des Betrages d e r Anleihe o d e r Hilfe zur Finanzierung d e r Verpflichtung aus Artikel 1 verwenden, u n d zwar zur Ablösung d e r beiden letzten Jahresleistungen o d e r eines Teiles derselben, soweit nicht die letzten beiden Jahresleistungen bereits abgelöst sind. (d) Der in d e n v o r s t e h e n d e n Absätzen (b) u n d (c) e r w ä h n t e Erlös wird Israel in d e r W ä h r u n g u n d in d e r Zeit zur V e r f ü g u n g gestellt, in d e r die Anleihe o d e r Hilfe gewährt wird. (e) Eine Ablösung, gleichgültig ob vorzeitig o d e r nicht, k a n n von d e r Regier u n g der Bundesrepublik Deutschland jederzeit in irgendeiner allgemein u n d frei konvertierbaren W ä h r u n g o d e r in Deutscher Mark, falls die Deutsche Mark allgemein u n d frei konvertierbar wird, o d e r in einer a n d e r e n gegenseitig vereinbarten W ä h r u n g v o r g e n o m m e n werden. (f) Sollte eine vorzeitige Ablösung d e r gesamten noch zu zahlenden S u m m e o d e r eines Teiles derselben in nicht allgemein u n d frei konvertierbarer Deutscher Mark angeboten w e r d e n , so ist diese von Israel a n z u n e h m e n , vorausgesetzt, daß sie zum E r w e r b von W a r e n u n d Dienstleistungen innerhalb d e r jeweils geltenden, in Artikel 6 Absatz (a) g e n a n n t e n Warenliste u n t e r Berücksichtigung d e r Bestimmungen von Artikel 6 Absatz (e) verwendet w e r d e n k a n n ; die Ablösung ist auf die alsdann letztfällige Jahresleistung a n z u r e c h n e n . (g) Im Falle einer vorzeitigen Ablösung d e r V e r p f l i c h t u n g d e r B u n d e s r e p u b lik Deutschland entscheidet die in Artikel 13 e r w ä h n t e Gemischte Kommission, ob u n d in welcher H ö h e u n t e r Berücksichtigung aller in Frage k o m m e n d e r U m stände d e r Bundesrepublik Deutschland ein Bardiskont mit Rücksicht auf eine solche vorzeitige Ablösung zu gewähren ist." Die B u n d e s r e g i e r u n g gab einer e n t s p r e c h e n d e n Bürgschaft ihre Zustimmung, u n d die B u n d e s b a n k g e n e h m i g t e d e r Deutschen Bank ihrerseits ein derartiges Vorgehen. Es war bisher im deutschen Kreditwesen niemals üblich gewesen, einem einzelnen K r e d i t n e h m e r ein Darlehen in H ö h e von 450 Millionen DM einzuräumen. 148
7.3 Adenauer und Ben Gurion treffen sich im Waldorf-Astoria-Hotel Die Sorge Israels, seine notwendigen Investitionen auch nach Ablauf der deutsch-israelischen Vertragsvereinbarungen fortführen zu können, wurde um so dringender, da der Vorgriff auf die letzten Jahresraten des Abkommens einen Ausgleich durch neue Mittel, diesmal in Form von echten Krediten, notwendig machte. Rund 55 Prozent des israelischen Territoriums gehören zur Negev-Wüste. Die Erschließung dieses Gebietes bedeutet f ü r Israel nicht n u r die Schaffung neuer landwirtschaftlicher Siedlungen, sondern vor allem auch die Gewinnung von existenznotwendigen Mineralschätzen. Damit verbunden ist die Errichtung neuer Städte, Straßen und Eisenbahnwege, Versorgungseinrichtungen und all dessen, was zu einem modernen Leben gehört. Die industrielle Erschließung des Negev wurde von vielen Entwicklungsplanern in ihrer Bedeutung sehr f r ü h erkannt, weil die Wasservorräte Israels ein unbegrenztes Wachstum landwirtschaftlicher Siedlungen nicht erlauben. Auch diese Fragen wurden zwischen Ben Gurion und Konrad Adenauer besprochen.
7.3 14. März 1960: Konrad Adenauer und David Ben Gurion im Waldorf-Astoria-Hotel in New York Seit 1955 wurde von einzelnen Israelreisenden, Politikern und Journalisten immer wieder die Frage einer Begegnung Ben Gurions mit Konrad Adenauer ventiliert. Nahum Goldmann hat in zahlreichen Begegnungen enge politische Verbindungen geschaffen. Zwischen 1957 und 1959, dem Zeitraum der Gespräche des stellvertretenden israelischen Verteidigungsministers Shimon Peres mit FranzJosef Strauß, wurde der Gedanke einer Begegnung der beiden Staatsmänner ebenfalls vorangetragen. Die Zusammenkunft selbst wurde jedoch weitgehend von dem früheren US-General Julius Klein vorbereitet, der durch Vermittlung Heinrich von Brentanos eine enge Verbindung zu Konrad Adenauer hatte. Es mußte ein Termin gefunden werden, an dem beide Staatsmänner in New York waren. Denn weder in Israel noch in der Bundesrepublik war damals ein solches T r e f f e n möglich. Als Ben Gurion dann Mitte März in Washington mit John F. Kennedy zusammentraf und Konrad Adenauer sich ebenfalls auf dem Wege nach Washington befand, trafen sich die beiden am 14. März 1960 im New Yorker Waldorf-Astoria-Hotel. Für diejenigen, welche in den vorangegangenen Jahren den deutsch-israelischen Dialog verfolgt hatten, war es bereits ein Meilenstein, an dem New Yorker Hotel die Fahnen beider Staaten zu sehen, die weiß-blaue Fahne Israels und das Schwarz-Rot-Gold der Bundesrepublik. Als die Stunde des Gesprächs im 35. Stock in den von Konrad Adenauer bewohnten Räumen näherrückte, war der Fahrstuhl auf dem Flur nicht mehr zu erreichen. Journalisten, Bildreporter, Fernsehteams und Kriminalbeamte standen dicht gedrängt. Der sehr elastische israelische Regierungschef benutzte unter diesen Umständen die Feuertreppe, 149
7 Entwicklung der Beziehungen — Treffen zwischen Adenauer und Ben Gurion nachdem er mit dem Fahrstuhl eine Etage höher gefahren war. Die Begegnung dauerte etwa zwei Stunden. Als sich die T ü r e n öffneten, um den Bildreportern und Fernsehteams den „Schuß" freizugeben, erschienen beide Staatsmänner sehr gelöst und zufrieden über ihr Gespräch. Vor der Presse gaben sie getrennte Erklärungen ab, die keinerlei Gegensätze enthielten und gerade als getrennte Erklärungen die gefundene Vertrauensbasis nur noch verstärkten. Konrad Adenauer sagte: „Mein T r e f f e n mit Premierminister David Ben Gurion hat mich tiefbewegt. Ich bin seit langem ein Bewunderer seiner staatsmännischen Leistung und seines Zielbewußtseins beim Aufbau eines modernen Israel und dessen sehr bemerkenswerter Entwicklung. Das deutsche Volk empfindet tiefe Genugtuung, daß durch die Wiedergutmachung für O p f e r des Nazismus ein Beitrag f ü r den Aufbauprozeß Israels geleistet wird. Ich bin sicher, daß das deutsche Volk, ebenso wie meine Regierung, der Überzeugung ist, daß die gemeinsame Zusammenarbeit und Hilfe f ü r Israel auch in Zukunft Früchte tragen werden." Ben Gurion fügte hinzu: „Ich habe mich gefreut, Kanzler Adenauer kennenzulernen. Ich gehöre einem Volk an, das seine Vergangenheit nicht vergessen kann. Aber wir denken an die Vergangenheit nicht, um darüber zu brüten, sondern um sicherzugehen, daß sie sich nicht wiederholt. Ich habe im vergangen Sommer vor der Knesset, dem Parlament von Israel, gesagt, das Deutschland von heute sei nicht das Deutschland von gestern. Nach meinem heutigen Zusammentreffen mit dem Bundeskanzler bin ich davon überzeugt, daß diese damalige Bewertung richtig war. Ich wünsche dem Bundeskanzler allen Erfolg in seinen Bemühungen, Deutschland auf den Weg der Demokratie und der internationalen Zusammenarbeit zu lenken." Was aber war der eigentliche Inhalt des Gesprächs? Ben Gurion hatte dem Bundeskanzler in bewegenden Worten noch einmal das Schicksal des jüdischen Volkes vor Augen geführt, seine Vertreibung, die Zeit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten, durch welche die Besten und Tatkräftigsten hinweggerafft wurden. Heute fehlen sie beim Aufbau Israels. Wenn diese Millionen von Menschen bei den Verfolgungen nicht getötet worden wären, hätte Israel die notwendigen Kräfte auf allen Gebieten, um den Staat aufzubauen. Dann wären alle Probleme leichter zu lösen. Israel habe nach dem Kriege vor allem aus europäischen Flüchtlingslagern allein 300 000 Überlebende der Katastrophe des jüdischen Volkes aufnehmen müssen, abgesehen von den jüdischen Menschen, die aus den arabischen Nachbarländern fliehen mußten. Die israelische Einwanderung, setzte Ben Gurion auseinander, sei in drei Gruppen aufzuteilen: die europäischen Juden, die aus den USA eingewanderten und jene aus den afrikanischen, vor allem nordafrikanischen, und aus den asiatischen Ländern. Daraus ein einheitliches Volk zu schaffen, sei schwierig. A u f g r u n d der historischen Verantwortung, die das deutsche Volk durch die 150
7.3 Adenauer und Ben Gurion treffen sich im Waldorf-Astoria-Hotel in seinem Namen erfolgten Verbrechen f ü r den Aufbau des jüdischen Staates habe, solle es den Überlebenden beim Aufbau eines neuen friedlichen Lebens helfen. Das Deutschland nach jener Zeit der Verbrechen am jüdischen Volk könne seiner jungen Generation vor Augen führen, wie durch konstruktive Hilfe ein Weg zu echter Wiedergutmachung beschritten werde. Diese Hilfe, schlug Ben Gurion vor, sollte sich f ü r die Bundesrepublik auf zwei Wegen verwirklichen lassen. Entweder die Bundesregierung solle sich an den Projekten des großen Entwicklungsplanes f ü r den Negev beteiligen oder sie möge — und das wurde f ü r zukünftige Debatten so außerordentlich bedeutsam — Israel auf 10 bis 20 J a h r e jährliche Anleihen in einer Höhe von 40 bis 50 Millionen Dollar gewähren. Kurz und knapp sagte Adenauer darauf: „Wir werden Ihnen helfen!" Mehr konnte er nicht sagen, denn er war in seinen Zusagen an die Haushaltsgesetzgebung gebunden. Diese läßt nur eine jährliche Bindung zu. Ben Gurion untermauerte seinen Vorschlag noch durch die Schilderung eines Gesprächs, das er vor knapp einem J a h r mit Hermann Josef Abs anläßlich dessen Israelbesuchs gehabt hatte. Abs hielt als Präsident der Bank für Wiederaufbau in Frankfurt eine derartige Kreditgewährung f ü r Aufbauprojekte im Negev für durchaus möglich, zumal die Bank bereits der israelischen Wassergesellschaft einen Millionenkredit eingeräumt hatte. Ein weiteres T h e m a waren die Probleme der israelischen Verteidigung. In den Besprechungen zwischen Bundesverteidigungsminister Strauß und seinem israelischen Kollegen Shimon Peres hatte es zwei Fragen gegeben, die Strauß nicht ohne die Zustimmung Adenauers erledigen wollte. Strauß hatte bereits seine genauen Vorstellungen geäußert. Es handelte sich um die Lieferung von Verteidigungswaffen. Adenauer stimmte sofort in dem Sinne zu, wie es sein Verteidigungsminister der israelischen Seite vorgeschlagen hatte. Ein Waffenabkommen hat es zwischen Ben Gurion und Adenauer nicht gegeben. Das blieb den Verteidigungsministern vorbehalten. Der Rest des Gespräches behandelte allgemeine Fragen der Weltpolitik. Adenauer äußerte seine großen Sorgen über die bevorstehende Genfer Konferenz der Großmächte und über die Haltung, die sich besonders in den USA gegenüber der Sowjetunion abzeichnete. Ben Gurion stimmte in der Beurteilung der US-Politik weitgehend mit Adenauer überein. Die Infiltration des Kommunismus in den jungen afrikanischen Staaten war ein weiterer Fragenkomplex, der Adenauer im Zusammenhang mit der Weltlage zwischen Ost und West stark beschäftigte. Ben Gurion war etwas anderer Meinung. Er sah hier keine direkten Gefahren; er glaubte, der Kommunismus könne in diese Gebiete nicht so erfolgreich eindringen. Das Gespräch schloß mit einem besonderen Dank Konrad Adenauers f ü r die Änderung des Gebetes f ü r diejüdischen Opfer der Hitlerzeit. Durch die Initiative Ben Gurions war in dem Gebet „Deutschland" durch „Nazis" ersetzt worden. In d e r Presseerklärung des israelischen Premierministers nach seiner Unterhaltung mit dem Bundeskanzler war das folgendermaßen zum Ausdruck gekommen: „Das Deutschland von heute ist nicht das Deutschland von gestern". 151
7 Entwicklung der Beziehungen — Treffen zwischen Adenauer und Ben Gurion Das Gespräch der beiden Staatsmänner erregte die Weltöffentlichkeit. In der New Yorker Presse gab es wenige Stunden nach Abschluß der Unterhaltung Schlagzeilen, welche die Bedeutung der Begegnung angemessen würdigten. Als der große Mann Israels das Appartement Adenauers verließ, begleitete ihn Adenauer zum Fahrstuhl. Sichtlich bewegt kam er zurück und sagte zu mir: „Ein großer Mann! Es war ein gutes Gespräch." Als Adenauer mit Außenminister von Brentano und seiner übrigen Reisebegleitung einen Tag später in Washington die Presseberichte hörte, daß israelische Zeitungen und jüdische Nachrichtenagenturen die Nachricht verbreiteten, die Bundesrepublik habe Israel einen Kredit in Höhe von 500 Millionen Dollar in zehn Raten zu fünfzig Millionen Dollar jährlich zugesagt, ließ er schon von Washington aus die Nachricht erstmals dementieren. Aber die Zahl wurde in unregelmäßigen Abständen immer wieder genannt. Selbst bei der Israelreise Adenauers im Mai 1966 wurde der ehemalige Bundeskanzler noch mehrfach nach dieser angeblichen Zusage gefragt, zumal in den zur selben Zeit in Bonn beendeten Wirtschaftshilfeverhandlungen der Bundesrepublik mit Israel diese Frage immer wieder in die Debatte geworfen worden war.
7.4 Staatspräsident dabei
Yitzhak Navon war im
Waldorf-Astoria-Hotel
Zu den konkreten wirtschaftlichen Bitten David Ben Gurions an Konrad Adenauer hatte ich 1981 ein Gespräch mit Israels Staatspräsident Yitzhak Navon. Als er mich in seinem Arbeitszimmer begrüßte, fiel ihm sofort ein, daß er mich 1960 im Waldorf-Astoria-Hotel New York gesehen hatte. Es wurde ein sehr menschliches, lebhaftes Gespräch. Navon erinnerte sich vor allem an die Hintergründe, die bei diesem Gespräch zwischen Adenauer und Ben Gurion von und mit ihm behandelt wurden. Navon sagte: „Vor dem Treffen mit Konrad Adenauer in New York hatte Ben Gurion in Washington mit Felix L. Shinnar, Girora Josephthal, Lewi Eshkol, Josef Sapir, also mit den Wirtschaftsfachleuten der Israelischen Regierung Gespräche geführt, bei denen auch Golda Meir anwesend war. Das waren damals die wichtigen Leute, vor allem für Wirtschaftsfragen. Sie sagten Ben Gurion, daß die Summe, die er nach Möglichkeit von Adenauer erhalten solle, 250 Mio. Dollar betragen sollte. Das wären über 10 J a h r e je 25 Mio. Dollar pro Jahr. Ich war nicht in alle Einzelheiten eingeweiht. So kamen wir nach New York, wir hatten Eisenhower getroffen. Abends f u h r der Zug aus Washington in New York ein. Einer der Presseleute stellte die Frage, warum Ben Gurion zu Adenauer ginge und Adenauer nicht zu Ben Gurion kommen würde. Ben Gurion erwiderte: ,Adenauer ist älter als ich'. Es gab vielleicht auch noch andere Gründe, warum er das tat. Jedenfalls war das die Frage, .warum geht Ben Gurion zu Adenauer und nicht Adenauer zu Ben Gurion?' 152
7.4 Staatspräsident Navon war im Waldorf-Astoria-Hotel dabei Ben Gurion war schließlich der Auffassung, daß Adenauer als Älterer eher von ihm besucht werden sollte. Ben Gurion kam ins Waldorf-Astoria-Hotel, ging zu Bett und ich setzte mich mit General Herzog zusammen, der damals unser Gesandter in Washington war, Abraham Harman war damals unser Botschafter in Washington. Wir trafen uns mit dem ehemaligen General Julius Klein, der ein Berater Konrad Adenauers war. Er wollte herausfinden, was wir von Adenauer wollten, was Ben Gurion von Adenauer zu verlangen gedachte. Wir sagten ihm nichts von dem, was Ben Gurion vorhatte. Wir sagten ihm nur allgemein: Wir wollten um Wirtschaftshilfe bitten, aber wir waren nicht bereit, irgendwelche Zahlen zu nennen. Wir hatten den Eindruck, daß General Klein irgendetwas von uns erwartete, vielleicht ein größeres Projekt. Nachdem wir dieses T r e f f e n mit Julius Klein verließen, konnte ich nicht schlafen. Ich ging in New York herum, — es war bereits nach Mitternacht — ich lief durch die Straßen und dachte nach. Ich sagte mir, ich glaube, wir machen einen riesigen Fehler. Was sind denn schließlich und endlich 250 Mio. Dollar! Das ist ja eigentlich nur eine kleine Ziffer. Schließlich waren f ü r dieses Treffen alle Bedingungen zu Gunsten Ben Gurions gestellt. Erstens: Es war das erste Mal, daß der Ministerpräsident Israels mit dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zusammentrifft. Das bedeutet f ü r Deutschland eine große Auszeichnung, eine Auszeichnung f ü r Deutschland, daß Ben Gurion mit Bundeskanzler Adenauer zusammentrifft. Zweitens: War diese Zusammenkunft nach dem T r e f f e n Ben Gurions mit Eisenhower, und drittens: war das T r e f f e n nachdem eine Welle antisemitischer Ausschreitungen in Deutschland vorgefallen war. Friedhöfe waren verschandelt, man fand antisemitische Schriften und Äußerungen und ähnliches. New York war eine Stadt mit sehr vielen J u d e n , die hohe Erwartungen in dieses Treffen setzten. Nach alledem sollten dann n u r 250 Mio. Dollar über 10 J a h r e gestreckt herauskommen? Schließlich und endlich: Was bedeuten denn schon 250 Mio. Dollar f ü r Deutschland und diese noch als Anleihe, nicht etwa als Geschenk? Also 25 Mio. Dollar pro J a h r , so schlimm war das nun auch wieder nicht. Meines Erachtens — so dachte ich —, sollte Ben Gurion 1 Milliarde Dollar fordern. 1 000 Mio. Dollar nicht 250 Mio. Dollar. Ich konnte in dieser Nacht einfach kein Auge zumachen. Am nächsten Morgen — es gibt viele Drugstores um das Waldorf-Astoria —, ich ging herum und aß Brötchen und Hamburger. Ich aß Eis und wartete bis die Sonne aufgehen möge. Dann ging ich in Ben Gurions Zimmer. Er schlief noch. Seine Frau sagte mir: ,Was willst Du hier so f r ü h am Morgen? Was willst Du von mir,' das sagte sie auf jiddisch, ,Was will'ste?' Ich antwortete: ,Ich habe ihm was sehr wichtiges zu sagen.' ,Laß ihn jetzt in Ruhe, er schläft'. Endlich wachte er auf, ging ins Bad, um sich zu rasieren. Ich folgte ihm ins Badezimmer. Er war in seinem Pyjama und rasierte sich. Ich sagte ihm: ,Herr Ben Gurion, Sie sind im Begriff einen sehr schwerwiegenden Fehler zu machen.' Ben Gurion fragte:,Warum denn?' So sagte ich und erklärte ihm, ich glaube, daß es bei diesem T r e f f e n ein Verschwen153
7 Entwicklung der Beziehungen — Treffen zwischen Adenauer und Ben Gurion den dieser Begegnung ist, indem sie n u r eine solch kleine Summe verlangen. Sie kommen schließlich mit Adenauer unter den bestmöglichen Umständen zusammen, politisch, psychologisch, strategisch. Und alles n u r um 250 Mio. Dollar herauszuholen? Da sagte Ben Gurion: ,Was wollen Sie denn?' Ich sagte: ,1 Milliarde Dollar'. Er sagte: ,Geh, ich bitte Sie, lassen Sie mich doch in Ruhe. Ich verstehe nichts von diesen Dingen. Eshhol und Shinnar sagten mir, daß das die Summe sei, die wir verlangen könnten, die wir erwarten könnten. Ich verstehe nichts vom Geld, ich verstehe nichts von Wirtschaftsfragen.' Da sagte ich: ,Sie vergeuden eine glänzende Gelegenheit. Es ist geradezu sträflich, wenn Sie diese Gelegenheit nicht nutzen.' Er wiederholte, er könne das nicht tun, es sei auch gar keine Zeit, um noch einmal mit den anderen Rücksprache zu halten. Da sagte ich: .Fragen Sie niemanden, befragen Sie überhaupt keinen. Ich bin kein Volkswirtschaftler, aber ich sage Ihnen, die ganze Atmosphäre ist zu Ihren Gunsten. Sie geben Deutschland bei weitem mehr, als 1 Milliarde Dollar bedeuten würde, mit dem, was Sie durch dieses T r e f f e n Adenauer geben. Die Bundesregierung sollte Ihnen d a f ü r zahlen, daß Sie überhaupt mit d e m Bundeskanzler zusammenkommen. Der Preis, der Wert d a f ü r ist so hoch, daß das mit Geld überhaupt nicht auszudrücken ist.' Ben Gurion rasierte sich — er hatte sich dabei sogar etwas geschnitten und seine Frau kam und sagte, ,Geh weg, geh weg!' Da habe ich mich noch mit ihr herumgeschlagen, herumgekabbelt. Dann sagte Ben Gurion: ,Nein, es ist viel zu viel. Ich kann das nicht'. Also zum Schluß sagte ich, daß die Wiedergutmachung ungefähr 750 Mio. Dollar ausmache. Das entspricht der Summe der Wiedergutmachung insgesamt. Das ist nicht etwa ein Geschenk. Jetzt geht es, wie gesagt, um eine Anleihe, noch einmal um die gleiche Summe. ,Sie verlangen eine Anleihe, ich glaube, es sollte gar keine Anleihe sein. Sie wollen keine Milliarde Dollar, dann gut, eben weniger. Sagen wir 750 Mio. Dollar.' Dann trat Israels Botschafter in Washington Abraham Harman ins Zimmer und sagte, die Zeit laufe uns davon, wir müßten uns aufmachen, auf den Weg zu Konrad Adenauer. Ich war wütend. Ging im Zimmer auf und ab, und Ben Gurion sagte mir: ,Warum regst Du Dich so auf.' Ich sagte: ,Ich verstehe Sie nicht, ich verstehe nicht das israelische Kabinett, ich verstehe nicht Lewi Eshkol, ich verstehe Sie nicht. Sie haben nicht das Recht das zu tun.' Und ich erklärte Harman und auch Jakob Herzog um was es ging. Sie hatten sich natürlich aus dieser ganzen Diskussion herausgehalten. Auf dem Weg zum Aufzug sah mich Ben Gurion an und sagte: ,Also f ü r Sie, f ü r Sie tue ich es, f ü r Sie werde ich um 500 Mio. Dollar bitten.' Ich erwiderte ihm: ,Schauen Sie, Sie tun mir keinen Gefallen, es ist nicht f ü r mich.' Aber er wiederholte: ,Gut, ich werde statt 250 Mio. Dollar 500 Mio. Dollar erfragen.' Ich antwortete: ,Ich glaube, Sie machen immer noch einen Fehler.' Ben Gurion sagte: ,Nein, gut, dann nein. Er wird nein sagen.' Ich sagte Ben Gurion: ,Sie können immer noch auf 500 Mio. Dollar kommen, wenn Sie 750 Mio. Dollar fordern. Auf 500 Mio. Dollar von dort auch auf 250 Mio. Dollar, aber versuchen Sie es doch wenigstens.' Also im Aufzug, als wir herunter fuhren, sagte er: ,Yitzhak, ich werde um 154
7.4 Staatspräsident Navon war im Waldorf-Astoria-Hotel dabei 500 Mio. Dollar bitten.' Zugegen war auch der Wirtschaftsreferent unserer Botschaft in Washington. Er sprach Deutsch und ich sagte zu ihm: ,Hör zu, wenn Ben Gurion, der nicht Deutsch spricht, 250 Mio. Dollar sagt, dann werden Sie auf Deutsch sagen, 500 Mio. Dollar. Sie werden übersetzen 500 Mio. Dollar.' Er stimmte zu und Ben Gurion bestätigte. Also gingen wir herab. Er ging zu Adenauer und verlangte 500 Mio. Dollar. Nach dem Treffen fanden wir uns wieder im Aufzug zusammen und er sagte: .Wissen Sie, ich habe um 500 Mio. Dollar gebeten und Adenauer sagte sofort J a ' . ' Ich sagte zu Ben Gurion: ,Ich habe es Ihnen doch gesagt, Sie hätten sogar 1 Milliarde Dollar verlangen können.' Das ist nun die Geschichte wie das Ganze zustande kam. Ich hatte natürlich nicht die Absicht, irgendein Wort darüber verlauten zu lassen, wie wir zu diesen 500 Mio. Dollar gelangt waren. Ich brauche nicht zu betonen, daß sie alle wütend auf mich waren, Shinnar, Eshkol, Sapir und Josephthal. Sie waren sich einig: Jetzt hat er alles verdorben'. Ich wollte das natürlich alles nicht an die große Glocke hängen. Wir wollten das natürlich auch nicht veröffentlichen. Von New York flog ich mit Ben Gurion nach London. Ich rief von dort Felix L. Shinnar in Deutschland an. Wir trafen uns in Paris. Ich erzählte ihm die Einzelheiten des Gespräches, die ich ganz einfach nicht veröffentlicht haben wollte, um darzutun, wie das Ganze zustande kam. Aber als Ben Gurion in Jerusalem ins Kabinett kam, nachdem er nach Israel zurückgekehrt war, war ich noch in Paris, um mit Shinnar zusammenzukommen. Im Kabinett erzählte Ben Gurion die ganze Geschichte.,Nicht ich,' so erzählte er,,wollte mehr.' Er sagte, ,Ich wollte 250 Mio. Dollar, aber mein Sekretär bestand darauf, daß ich um 500 Mio. Dollar bitte, und das habe ich getan.' Dann kam Ben Gurion mit der Presse zusammen. Darauf ging er in die Knesset, in den Ausschuß für Außen- und Sicherheitsfragen. Auch dort erzählte er wiederum: ,Ich wollte 250 Mio. Dollar, aber YitzhakNavon habe darauf bestanden 500 Mio. Dollar zu verlangen.' Er hätte j a sagen können: ,Ich verlangte 250 Mio. Dollar,' aber er sagte: ,er verlangte 500 Mio. Dollar'. Es war j a schließlich keine Angelegenheit irgendjemanden die echten Umstände zu erzählen. Wir hatten natürlich auch nicht die besondere Art von Beziehungen zueinander, nach denen ich nun herumgelaufen wäre und mich aufgespielt hätte. Daß ich derjenige war, der diese Summe erstmals genannt hatte. Wann immer ich in den nächsten Wochen mit einem Minister zusammentraf, sagte man mir, sie hätten von Ben Gurion gehört, was ich alles getan hätte. Ben Gurion hatte den Umfang des Erfolges mir überlassen. In New York hatten wir uns noch darüber unterhalten, ob man diese Sache nicht veröffentlichen sollte, um Adenauer festzunageln. Der Botschafter in Washington lehnte ab, auch die anderen Beteiligten sagten nein. Ich sagte: ,Was ist denn da so geheimnisvoll an dieser ganzen Geschichte. Schließlich hatte er doch die 500 Mio. Dollar zugesagt. Er muß zwar noch vor das Bundeskabinett, das Ganze vor den Bundestag bringen, aber es ist schließlich eine Verpflichtung Adenauers, die er auf sich genommen hat. Noch während er in New York ist, möchten wir, daß das in der Presse erwähnt wird, daß wir es veröffentlicht sehen. Wenn er das tun würde, dann wüßten sie woran sie sind. Sonst wüßten wir eben, daß man auf sein Wort nichts geben 155
7 Entwicklung der Beziehungen — Treffen zwischen Adenauer und Ben Gurion kann.' Aber alle waren dagegen. Wann immer ich mit Presseleuten zusammenkam und sie mich danach fragten, habe ich keine Antwort gegeben. Wir flogen dann nach London und f u h r e n weiter nach Oxford. Dort verbrachten wir einige Tage. Ich sagte Ben Gurion wiederum: .Wissen Sie, wenn uns diese Dinge über den Kopf wachsen, wird man nach zwei Monaten an Deutschland herantreten. Dann wird Druck ausgeübt werden und Adenauer wird dann nicht im Stande sein, zu sagen, er könne sich nicht an diese Verpflichtungen halten. Diese Zusage ist zu vage und die Banken werden sie ihm nicht zugestehen, und was immer auch. Ich glaube, sie sollten es doch veröffentlichen.' Adenauer war in Japan und so dementierte er das Ganze von Japan aus. Irgendjemand von seinem Stab tat das. Der Beamte sagte, daß das nicht abgesprochen sei, es sei n u r diskutiert, aber es war nicht fest verabredet. Ich sagte: ,Wäre das in New York gewesen, hätte er nicht gewagt, das zu tun. Aber man hat gesagt, das ist nur ein kleines Streiflicht. Ja, es ist eine ganz herrliche Story'." Die Zusagen Konrad Adenauers an David Ben Gurion gipfelten eigentlich n u r in den wenigen Worten: „Wir werden Ihnen helfen!" Dieser kurze Satz beinhaltete aber wesentlich mehr, als eine globale Zusage. Zunächst einmal war dadurch f ü r Israel die Frage gelöst, wie die beiden vorweggenommen Teilbeträge aus dem Luxemburger Abkommen ausgeglichen werden können, und wie bei den weiteren großen Entwicklungsaufgaben, vor allem im Negev an die Stelle der verausgabten Wiedergutmachungsgelder n u n m e h r die Hilfe von billigen Krediten die weiteren Pläne verwirklicht werden könnten. Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard und der israelische Finanzminister Levi Eshkol führten zu dieser Zeit in Brüssel mehrere Verhandlungen. Hauptinhalt war die Verwirklichung der generellen Zusage Konrad Adenauers an David Ben Gurion. Während Levi Eshkol sich um ein Kreditabkommen mit einer Laufzeit von 10 Jahren, bei Jahresraten von ca. 200 Mio. D-Mark bemühte, schlug Prof. Erhard eine Projekthilfe f ü r den Negev ohne feste Jahresraten vor. Diese Jahresraten sollten nach seiner Meinung ungefähr bei 150 Mio. D-Mark liegen. Es ergab sich dann, daß in den Jahren 1963 bis 1965 von der Bundesrepublik Deutschland an Israel rund 560 Mio. D-Mark f ü r ganz klar fixierte Entwicklungsvorhaben gezahlt wurden. Die Verzinsung ging nicht über 3 %, die Kredite hatten eine Laufzeit von 12 bis 20 Jahren. Die Bundesregierung hatte die Möglichkeit gewählt, Kredite zu geben, die an feste Projekte gebunden waren. Es handelte sich in diesem Falle um infrastrukturelle und industrielle Vorhaben, die später in Rechenschaftsberichten genau dargelegt werden mußten, um der Bundesregierung die zweckgebundene Verwendung nachzuweisen. Ein Staatssekretärsausschuß der beteiligten Ressorts, des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums f ü r wirtschaftliche Zusammenarbeit, des Bundeswirtschaftsministeriums u n d des Bundesfinanzministeriums, arbeiteten in dieser Frage mit dem Bundeskanzleramt zusammen. Das Stichwort f ü r die Akten war: .Aktion Geschäftsfreund'. 156
7.4 Staatspräsident Navon war im Waldorf-Astoria-Hotel
dabei
Ein wichtiger Gedanke, der nicht vergessen werden darf: Die arabischen Staaten hatten wissen lassen, daß sie gegen diese Unterstützung nicht protestieren würden, wenn diese Kredite nicht veröffentlicht würden. Dieses war die erste Phase einer Jahrzehnte dauernden wirtschaftlichen Unterstützung Israels, die sich aus der Zwischenperiode zwischen dem Luxemburger Abkommen vom 1. Sept. 1952 und dem T r e f f e n der beiden Staatsmänner am 14. März 1960, sowie der A u f n a h m e der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland im August 1965 entwickelt hatte. Es dauerte dann noch bis zum 12. Mai 1966, bis das erste Abkommen über die Wirtschaftshilfe der Bundesregierung an den Staat Israel unterzeichnet wurde.
157
8 Bundesleistungen und Länderzahlungen — Die Wiedergutmachungsleistungen
8 Bundesleistungen und Länderzahlungen — Die Wiedergutmachungsleistungen nach dem BEG, dem BRüG, dem Israel-Vertrag und den anderen Staatsverträgen
8.1 Leistungen des Bundes und der Länder zu Gunsten der deutschen jüdischen Gemeinden und des Zentralrats der Juden in Deutschland Seit den 50er Jahren, vor und neben dem Bundesentschädigungsgesetz haben Bund und Länder erhebliche Leistungen auf Grund von rückerstattungsrechtlichen Vorschriften der Alliierten geleistet bzw. zurückgeleistet. Geld und Schadensersatzansprüche gegen das Deutsche Reich und die ihm gleichgestellten Rechtsträger wurden vor dem Inkrafttreten des BRüG durch die Vergleiche vom 16. März 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland einerseits und den Nachfolgeorganisationen und den Ländern der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone andererseits abgegolten. Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen und Hessen hatten die IRSO bereits vorher abgefunden. Der Bund zahlte auf Grund dieser Vergleiche 75 Mio. D-Mark an die jüdischen Nachfolgeorganisationen und insgesamt 25 Mio. D-Mark an die vier Länder. Außerdem zahlte der Bund 5,85 Mio. D-Mark an die hier nicht weiter interessierende nichtjüdische Allgemeine Treuhandorganisation (ATO). Auf Grund eines Schiedsvergleichs, der am 15. Juni 1966 im Hinblick auf die A u f h e b u n g des Höchstbetrages von 1,5 Mrd. DM f ü r rückerstattungsrechtliche Leistungen durch das 3. Änderungsgesetz zum BRüG geschlossen wurde, zahlte die Bundesrepublik Deutschland weitere 46,37 Mio. DM an die jüdischen Nachfolgeorganisationen, die von diesem Betrag 3,25 Mio. DM dem Zentralrat der J u d e n in Deutschland zur Verfügung stellten. Mit diesen Zahlungen wurden nicht n u r die Ansprüche der jüdischen Gemeinden, sondern sämtliche auf die Nachfolgeorganisationen übergegangenen Ansprüche abgegolten. Grundstücke u n d sonstige Vermögensgegenstände, die in Natur zurückgegeben werden konnten, wurden auf Grund der Rückerstattungsgesetze der Alliierten Mächte rückerstattet. Die Nachfolgeorganisationen haben einen Teil dieser Vermögenswerte den jüdischen Gemeinden überlassen. Zur Abgeltung von Ansprüchen nach dem BEG haben diejüdischen Nachfolgeorganisationen von den Ländern Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen insgesamt 61,1 Mio. D-Mark erhalten. Da die seit 1945 bestehenden jüdischen Gemeinden nach den rückerstattungsrechtlichen Vorschriften nicht Rechtsnachfolger der während der Verfol158
8.2 Leistungen für den laufenden Unterhalt der jüdischen
Gemeinden
gungszeit aufgelösten jüdischen Gemeinden sind, stehen ihnen Rückerstattungsansprüche grundsätzlich nicht zu. Soweit sie entzogene Grundstücke und sonstiges Vermögen erhalten haben, geschah dies mit Zustimmung der Nachfolgeorganisationen. Ersatzleistungen wurden ihnen unmittelbar nur in besonderen, vom Regelfall abweichenden Ausnahmefällen zuerkannt. Die gesamten Aufwendungen der Oberfinanzdirektionen d a f ü r lagen unter 100 000 DM. Im Hinblick auf die durch Entziehungsmaßnahmen während der Verfolgungszeit bedingte besondere Notlage wurde der jüdischen Gemeinde zu Berlin im Jahre 1970 von der OFD Frankfurt a. M. ein Härteausgleich nach § 44 Abs. 2 BRüG in Höhe von 3 Mio. DM gewährt. Alle Bundesländer, ausgenommen Hessen, haben den jüdischen Gemeinden in ihren Gebieten auf Grund von Vergleichen Entschädigung nach dem BEG in Höhe von insgesamt rund 102 Mio. DM geleistet. Auf Grund von Vergleichen, an denen die jüdischen Gemeinden und die Nachfolgeorganisationen gemeinsam beteiligt waren, hat Baden-Württemberg weitere 4,1 Mio. DM und Hessen 62,15 Mio. DM gezahlt.
8.2 Leistungen für den laufenden Unterhalt der jüdischen Gemeinden und deren Einrichtungen Alle Bundesländer haben den Jüdischen Gemeinden und deren Einrichtungen in ihrem Bereich Zuschüsse zur Beseitigung von Schäden und laufenden Kosten gewährt. Danach ergibt sich ein Gesamtbetrag von etwa 50 Mio. D-Mark, zu denen noch Leistungen der politischen Gemeinden hinzukommen. Die Kultusbehörden erhielten im Rahmen der f ü r sämtliche Religionsgemeinschaften geltenden Bestimmungen regelmäßig Zuschüsse.
8.2.1
Das Land
Baden-Württemberg
Zahlungen im Rahmen der Rückerstattung der Jüdischen Gemeindevermögen der Bundesrepublik Deutschland; finanzielle Leistungen des Bundes und der Länder zum Aufbau und zur laufenden Unterhaltung der Jüdischen Gemeinden. I. I n d e n Vergleichen vom 16.3.1956 mit denjüdischen Nachfolgeorganisationen über 105,85 Mio. DM ist ein Betrag in Höhe von 1,5 Mio. DM enthalten, den das damalige Land Württemberg-Baden aufgrund eines Vergleichs mit der IRSO vom 25.11.1951/21.3.1952 für den Bereich der heutigen Regierungsbezirke Nordwürttemberg und Nordbaden (einschließlich Zerstörung der Synagoge Mannheim) gezahlt hat. 159
8 Bundesleistungen und Länderzahlungen — Die Wiedergutmachungsleistungen II. A u ß e r d e m wurden folgende Leistungen erbracht: 1. Durch Globalvergleich vom 10.12. 1958 mit d e m O b e r r a t d e r Israeliten Badens u n d d e r Nachfolgeorganisation (Branche Française) — einschließlich d e r Entschädigung f ü r d e n an d e r Synagoge Freiburg/Br. entstandenen Schaden an Eigentum u n d Vermögen 2. Durch Globalvergleich vom 22.12.1967 mit d e m O b e r r a t d e r Israeliten Badens und d e n israelitischen bzw. jüdischen Gemeinden Baden-Baden, Freiburg/Br., Heidelberg, Karlsruhe u n d Mannheim gemäß § 148 a u n d § 148 Abs. 3 BEG f ü r den Bereich d e r Regierungsbezirke Nordbaden u n d Südbaden In diesem Vergleich wurden folgende Leistungen nicht angerechnet: Entschädigung f ü r die jüdische Gemeinde Heidelberg Zuschuß f ü r Errichtung eines Betsaals in Karlsruhe Zuschuß zur Errichtung d e r Synagoge in Mannheim Zuschuß f ü r Betsaal in Freiburg/Br. Zuschuß f ü r Filme von jüdischen Personenstandsregistern 3. Durch Globalvergleich vom 9.6.1959 mit d e r Israelitischen Kultusvereinigung Württemberg u n d Hohenzollern und d e r Nachfolgeorganisation (Branche Française) f ü r den Bereich des heutigen Regierungsbezirks Südwürttemberg-Hohenzollern f ü r Schaden an Eigentum u n d Vermögen
2 400 000,— DM
4 500 000,— DM
12 693,98 DM 57 0 0 0 , - DM 52 1 6 8 , - D M 5 000,— DM 1 783,10 DM
1 250 000,— DM
4. Durch Globalvergleich vom 29.11.1963 mit d e r Israelitischen Kultusvereinigung W ü r t t e m b e r g u n d Hohenzollern f ü r die Gebiete der jetzigen Regierungsbezirke Nordwürttemberg u n d Südwürttemberg Hohenzollern nach § 148 Abs. 3 BEG 3 000 0 0 0 , In diesem Vergleich wurden folgende Vorleistungen nicht angerechnet: Zuschuß f ü r Synagoge Stuttgart ( 1950 bis 1951 ) 670 0 0 0 , Vorschüsse 1945 bis 1949 125 0 0 0 , Zuschuß f ü r Filme von jüdischen Personenstandsregistern 22 300,— zusammen 12 095 945,08 160
DM
DM DM DM DM
8.2 Leistungen für den laufenden Unterhalt der jüdischen Gemeinden III. Für die Erhaltung d e r ehemaligen Synagogen in Hechingen u n d Sulzburg ist ein Zuschuß des Landes vorgesehen. Die genaue H ö h e kann jedoch nicht mitgeteilt werden, d a zum Teil die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind. IV. Folgende jährliche Zahlungen werden geleistet (außerhalb BEG): 1. Beiträge zu d e n religiösen Bedürfnissen d e r jüdischen Gemeinden: f ü r 1980 an d e n Oberrat d e r Israeliten Badens 348 f ü r die Israelitische Kultusvereinigung Württemberg-Hohenzollern 148 zusammen 496 2. Zur Sicherung und B e t r e u u n g d e r Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden: f ü r 1980 770 davon wird vom Bund die Hälfte = 385 000,-- DM erstattet. 3. Für das jüdisch-theologische Institut Heidelberg: f ü r 1980 Gesamtbetrag 1 558 davon entfällt auf das Land Baden-Württemberg etwa ein Drittel = rd. 500 0 0 0 , - DM.
8.2.2
Der Freistaat
700,-- DM 000,-- DM 700,-- DM
000,--DM
800,-- DM
Bayern I.
1. Der Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayer. Landesentschädigungsamt, hat am 24. Oktober 1960 mit d e r Jewish Restitution Successor Organization (IRSO) als Nachfolgeorganisation im Sinne von § 142 Abs. 2 Satz 2 BEG, dem Zentralrat d e r J u d e n in Deutschland, dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern u n d den Israelitischen Kultusgemeinden in Augsburg, Amberg, Bamberg, Bayreuth, Fürth, Hof, Regensburg, Straubing, München, Nürnberg, Weiden und W ü r z b u r g zur Entschädigung nach dem Dritten Abschnitt des Bundesentschädigungsgesetzes (§§ 142 ff BEG) einen Vergleich über 38 Millionen DM geschlossen. Hiervon erhielt die IRSO einen Betrag von 25 Millionen. Der Restbetrag von 12 Millionen ging zur Erfüllung ihrer Aufgaben an die genannten Kultusgemeinden (§ 148 Abs. 3 BEG). 2. Auf G r u n d eines weiteren Vergleichs vom 11. August 1971 nach den Vorschriften des BEG-Schlußgesetzes erhielten die Kultusgemeinden, eine zusätzliche S u m m e in H ö h e von 750 000 DM. 3. a) In einem V e r f a h r e n wegen Entziehung d e r Synagogensteine zahlte die Stadt N ü r n b e r g an die IRSO einen Betrag von 35 000 DM. b) In einem a n d e r e n Falle hat die politische Gemeinde Trabeldorf ein entzogenes Synagogengrundstück in Natur an die IRSO zurückerstattet. 161
8 Bundesleistungen
und Länderzahlungen
— Die
Wiedergutmachungsleistungen
c) Rückerstattungsansprüche jüdischer Kultusgemeinden waren in erster Linie Gegenstand sogenannter Individualverfahren, vor allem gegen politische Gemeinden als Rückerstattungspflichtige. Ich habe deshalb die Wiedergutmachungsbehörde Bayern in Fürth um Ermittlungen in dieser Richtung gebeten und werde - falls dies gewünscht wird — zu gegebener Zeit die ermittelten Angaben nachreichen. II. 1. Der Freistaat Bayern hat bis einschließlich 31. Dezember 1958 1 566 180 DM Zuschüsse an den Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinde geleistet. 2. a) Der Freistaat Bayern hat ferner bis etwa 1958 f ü r die Instandsetzung israelitischer Friedhöfe Zuschüsse von 262 911,— DM gezahlt. b) Ab diesem Zeitpunkt werden Zuschüsse in unterschiedlicher Höhe aus dem Etat des Bayer. Staatsministeriums des Innern gezahlt. 1980 beträgt der Zuschuß Bayerns 300 000,-- DM. 3. Seit Jahren erhält der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern ebenso wie die Katholische und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern einen jährlichen Staatszuschuß in ansteigender Höhe f ü r jeden Bekenntnisangehörigen. Dieser Zuschuß hat 1979 6,03 DM und wird 1980 6,30 DM pro Bekenntnisangehörigen betragen. Dies ergab 1979 eine Summe von 33 600 DM und wird 1980 eine Summe von 35 100 DM ergeben. 4. Bund, Freistaat Bayern und vermutlich auch die Stadt München haben etwa im Jahre 1970 einen Zuschuß zum Wiederaufbau des abgebrannten jüdischen Gemeindezentrums im München geleistet. Außerdem wurden auf Grund dieses Vergleiches im Jahre 1955 = 6 000 000,— DM an die IRSO gezahlt.
8.2.3
Das Land Berlin
Vom Land Berlin wurden an die „Jüdische Gemeinde zu Berlin" Entschädigungsleistungen des Entschädigungsamtes Berlin aus Ansprüchen wegen Schadens an Eigentum und Vermögen gezahlt: 1. Teilvergleich vom 3.3.1953 = (Az.: Reg. Nr. 40 358) Der Betrag setzt sich zusammen aus 5 Vorschußzahlungen in den Jahren 1952 und 1953 von insgesamt 850 000,-- DM und einer Schlußzahlung 1955 in Höhe von 3 000 000,-- DM 162
3 050 0 0 0 , - D M
8.2 Leistungen für den laufenden Unterhalt der jüdischen Gemeinden 2. Schlußvergleich vom 24.6.1965 = 16 500 000,-- DM (Az. wie vor) Der Betrag setzt sich zusammen aus Vorschußzahlungen in den J a h r e n 1961 u n d 1964 von insgesamt 4 000 0 0 0 , - DM u n d einer Schlußzahlung 1965 in H ö h e von 12 500 0 0 0 , - DM 3. Bescheid vom 14.7.1956 = 100 0 0 0 , - DM (Az.: Reg. Nr. 40 369) — als Härteausgleichsleistung f ü r das Jüdische Krankenhaus — 4. Bescheid vom 14.1.1957 — wie zu 3 - = 100 0 0 0 , - DM zusammen: 20 550 0 0 0 , - DM Zahlungen anderer Berliner Verwaltungen (insbes. Senator f ü r Finanzen): 1. Baudarlehen, hauptsächlich f ü r Befehlsbauten d e r französischen Militärregierung in d e r Zeit vor d e r W ä h r u n g s r e f o r m (Juni 1948) = 1 792 174,31 Reichsmark 2. Baudarlehen f ü r das Jüdische 517 0 0 0 , - DM Krankenhaus = 3. Wäschedarlehen — wie 2 — = 85 0 0 0 , - DM Zu 1—3: Auf die Rückzahlung dieser Beträge hat das Land Berlin in d e m oben zu I 1. bezeichneten Vergleich verzichtet. 300 0 0 0 , 4. Betriebszuschuß f ü r das Jüdische Krankenhaus = 5. Zahlung vom 31.12.1962 anläßlich d e r Übereignung des Jüdischen Krankenhauses an die gleichnamige Stiftung 5 000 0 0 0 , 6. Zahlung vom Mai 1963 — wie zu 5 — zur A b d e c k u n g der G r u nderwerbssteuer 343 896,70 7. Zuschuß f ü r den Bau des Jüdischen Gemeindehauses 2 363 477,63 8. Das Land Berlin hatte f e r n e r d u r c h Globalvertrag vom Dezember 1955 Rückerstattungsansprüche u n d bereits zurückerstattete Grundstücke f ü r 13 300 000,-- DM erworben; davon w u r d e n an die Jüdische Gemeinde zu Berlin gezahlt = 1 000 0 0 0 , (Der Rest wurde an Berliner Wirtschaftsu n t e r n e h m e n f ü r Lieferungsaufträge des Staates Israel gezahlt). S u m m e Ziffer - 1 1 - 9 609 373,33
DM
DM
DM DM
DM
DM 163
8 Bundesleistungen und Länderzahlungen — Die Wiedergutmachungsleistungen
8.2.4
Die Hansestadt
Bremen
Der israelitischen Gemeinde Bremen wurde mit Vergleich vom 1.10.1959 insgesamt DM 1 325 000,-- an Entschädigung nach dem BEG zuerkannt. Von diesem Betrag wurden für den Bau der Synagoge DM 811 000,— bereitgestellt. Das Land Bremen hat zu den Baukosten der Synagoge einen Zuschuß von insgesamt DM 781 000,-geleistet. Darüberhinaus wurden der israelitischen Gemeinde 1979 DM 50 000,— zur Generalüberholung der Synagoge als Zuschuß zur Verfügung gestellt und ferner DM 90 000,— als Zuschuß für laufende Kosten der Gemeinde.
8.2.5
Die Hansestadt
Hamburg
Die Jüdische Gemeinde Hamburg erhielt als Leistung des Bundes und der Länder zum Aufbau und zur laufenden Unterhaltung folgende Beträge: 1. Als Zuschuß für Gemeindeaufgaben (Kultzuschuß) von 1948—1958 insgesamt 265 000 DM. Im einzelnen 1948: 15 000 DM; 1949: 10 000 DM; 1950: 20 000 DM; 1951:20 000 DM; 1952:20 000 DM; 1953-1958 je 30 000 DM. Diese jährlichen Zuschüsse wurden 1960 durch eine umfassende Entschädigungsregelung mit einem Betrag von 800 000 DM abgelöst. 2. Der mit jüdischen Einrichtungen, insbesondere der Jüdischen Gemeinde in Hamburg 1960 geschlossene Vergleich ist dort bekannt. Nach Aktenlage wurden 1,8 Mio. DM zur Finanzierung des Neubaues der Synagoge in der Heimatstraße als Entschädigung für Eigentumsschäden gezahlt. Außerdem erhielt die Gemeinde 22 000 DM als Abfindung für Vermögensschäden. 3. Seit dem Beschluß der Bundesregierung vom 31.8.1956 tragen Bund und Länder die Kosten f ü r die Instandsetzung und Instandhaltung der jüdischen Friedhöfe je zur Hälfte. Die Kosten werden nach einem jeweils zu vereinbarenden Pauschsatz festgelegt, der sich aus einem DM-Betragje qm Friedhofsfläche berechnet. In Hamburg betrug dieser Pauschsatz 1956 -,20 DM/qm und 1980 beträgt er 1,- DM/qm Friedhofsfläche. Der Hamburger Anteil betrug bis 1979 insgesamt 788 627,29 DM. 4. Schließlich sind folgende Einzelleistungen erbracht worden: - 1955: 100 000 DM Einfriedung des jüdischen Friedhofs Altona - 1960: 6 000 DM Thorarolle als Geschenk des Senats zur Einweihung der Synagoge - 1969: 1 000 DM Gedenktafel f ü r die zerstörte Synagoge Harburg - 1973: 40 000 DM Sicherheitseinrichtungen für das Gemeindezentrum - 1974: 58 000 DM Renovierung der Friedhofskapelle in Ohlsdorf - 1976: 50 000 DM Renovierung der Synagoge - 1978: 20 000 DM Malerarbeiten in der Synagoge. 164
8.2 Leistungen für den laufenden Unterhalt der jüdischen
Gemeinden
Diese Zusammenfassung kann naturgemäß keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, da auch andere Behörden Zuschüsse geleistet haben. So ist z. B. bekannt, daß die Gesundheitsbehörde nicht unerhebliche Aufwendungen für den Betrieb des Israelitischen Krankenhauses gewährt hat und wohl auch noch trägt. Dieses Krankenhaus ist allerdings keine Einrichtung der Gemeinde, sondern eine selbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts. Inwieweit die Gemeinde von anderen staatlichen Einrichtungen noch Zuschüsse für spezielle Aktivitäten erhält (Altenfürsorge, Jugendbetreuung usw.) kann von hier nicht beurteilt werden. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz hat das Land Hamburg die folgenden Entschädigungsleistungen erbracht: a) Vergleich vom 10.11.1958 mit der Jewish Tri Mülheim/Ruhr b) Vergleich vom 10.11.1958 mit der Jüdischen Gemeinde Hamburg für Vermögensschäden Eigentumsschäden Neubau und Einrichtung der Synagoge in Hamburg c) Vergleich vom 12.12.1966 mit der Jüdischen Gemeinde Hamburg zusätzliche Entschädigung f ü r Schaden an Eigentum und Vermögen
Corp., 2,4 Mio DM
21 760,-- DM 800 000,-- DM
1 800 000,-- DM
207 715,-- DM 8.2.6
Das Land Hessen
hat folgende Rückerstattungen des Jüdischen Gemeindevermögens durchgeführt und an finanziellen Leistungen des Bundes und der Länder zum Aufbau und zur laufenden Unterhaltung der Jüdischen Gemeinden geleistet. Es hat auf Grund des mit 1) der Jewish Restitution Successor Organization (IRSO) Frankfurt am Main, als Nachfolgeorganisation der jüdischen Kultusgemeinden in Hessen, 2) dem Zentralrat der Juden in Deutschland, Düsseldorf, 3) der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V., Frankfurt am Main, 4) dem Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen, Frankfurt am Main, 5) der Jüdischen Kultusgemeinde in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main, zu 2) bis 5) als Zwecknachfolger der jüdischen Kultusgemeinde in Hessen, zu 4) zugleich als Vertreter der wiedererrichteten jüdischen Kultusgemeinden in Hessen, 165
8 Bundesleistungen und Länderzahlungen — Die Wiedergutmachungsleistungen als Antragstellern am 29.11.1961 geschlossenen Vergleichs „zur Abgeltung aller Ansprüche nach d e m 3. Abschnitt des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) f ü r Schäden, die d e n ehemaligen jüdischen Kultusgemeinden u n d d e n ihnen angeschlossenen Einrichtungen sowie allen sonstigen Organisationen u n d Einrichtungen, f ü r welche die Antragstellerin zu 1) als Nachfolgeorganisation auftritt, entstanden sind, einen Entschädigungsbetrag von 62 153 378,01 DM gezahlt. Darüber hinaus sind vom Land Hessen in d e r Zeit vom 1.10.1953 bis 31.12.1979 f ü r Einrichtungen d e r jüdischen Gemeinden (Friedhöfe u n d Bauten) über 10 227 0 0 0 , - DM (davon 736 793,-- DM f ü r Friedhöfe) ausgezahlt worden.
8.2.7
Das Land
Niedersachsen
Das Land Niedersachsen hat als Rückerstattung des Jüdischen Gemeindevermögens d e r Bundesrepublik Deutschland an finanziellen Leistungen des Bundes u n d d e r L ä n d e r zum A u f b a u u n d zur laufenden Unterhaltung d e r Jüdischen Gemeinden folgende Leistungen erbracht: 1. Zur Abgeltung d e r Entschädigungsansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz sind auf G r u n d des Vergleichs am 5.1.1959 gezahlt worden. 1.1 An die Jewish T r u s t Corporation for Germany = 5 700 000 DM 1.2 An die jüdischen Gemeinden u n d den Landesverband d e r jüdischen Gemeinden von Niedersachsen = 3 750 000 DM 2. Für die Bestreitung von Kultusbedürfnissen u n d Verwaltungsaufgaben d e r jüdischen Gemeinden sind in der Zeit vom 1.10.1953 bis 31.12.1979 Zuwend u n g e n in H ö h e von 2 650 000 DM gezahlt worden (vgl. Statistik „übergesetzliche Entschädigungsleistungen der Länder"). Seit 1972 beträgt die Zuwend u n g j ä h r l i c h 140 000 DM. Für die Zeit vor dem 1.10.1953 sind f ü r den vorgenannten Zweck folgende Zahlungen geleistet worden: 1946 = 12 000 Reichsmark 1950 = 50 000 DM 1948 = 29 500 DM 1951 = 6 5 000 DM 1949 = 50 000 DM 1952 = 60 000 DM 1.1. bis 30.9.1953 - 42 000 DM (3/4 der J a h r e s z u w e n d u n g von 56 000 DM). 3. Für die Instandsetzung u n d Pflege der jüdischen Friedhöfe sind f ü r die Zeit vom 1.10.1953bis31.12.1979 = 4 931 630DM zuzüglich 150 000 DM = 5 081 630DM geleistet worden. In diesem Betrag sind die Erstattungen des Bundes an das Land f ü r diesen Zweck enthalten. 166
8.2 Leistungen für den laufenden Unterhalt der jüdischen Gemeinden Die A u f w e n d u n g e n in d e r Zeit vor d e m 1.10.1953 konnten nicht m e h r ermittelt weden. 4. Ihm Rahmen des Gesetzes Nr. 59 vom 12. Mai 1949 d e r Militärregierung Deutschland - britisches Kontrollgebiet — Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an O p f e r der nationalsozialistischen Unterdrückungsm a ß n a h m e n — sind nach d e n Feststellungen des Niedersächsischen Ministers der Finanzen keine Entschädigungen f ü r jüdisches Gemeindevermögen gezahlt worden, die zu Lasten des Haushalts des Landes Niedersachsen gegangen sind.
8.2.8
Das Land
Nordrhein-Westfalen
hat die folgenden Leistungen an die Jüdischen Gemeinden des Landes erbracht: Danach sind die folgenden Entschädigungsansprüche ü b e r den U m f a n g d e r im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes erbrachte Leistungen zu verzeichnen: 1. Der Jewish-Trust Corporation for Germany - J T C - durch Vergleich vom 17.11.1959 mit 21 000 000 DM 2. d e r in d e n Landesverbänden d e r Jüdischen Kultusgemeinden von Nordrhein u n d von Westfalen zusammengeschlossenen Jüdischen Kultusgemeinden des Landes NordrheinWestfalen durch Vergleich vom 23.12.1959 mit 20 000 000 DM 3. der Synagogengemeinde Köln durch Vergleich vom 17.11.1959 mit 7 000 000 DM abgegolten worden. 8.2.9
Das Land
Rheinland-Pfalz
hat zur Rückerstattung des jüdischen Gemeindevermögens d e r Bundesrepublik Deutschland zum A u f b a u u n d zur laufenden Unterhaltung d e r Jüdischen Gemeinden gemeinsam mit den Bundesbehörden an die Jüdischen Kultusgemeinden des Landes folgende Entschädigungsleistungen entrichtet: 1. Jüdische Kultusgemeinde T r i e r Vergleich vom 15.7.1958 über 2. Jüdische Kultusgemeinde Bad Kreuznach Vergleich vom 20.4.1959 über 3. Jüdische Kultusgemeinde Koblenz Vergleich vom 18.2.1960 über 4. Jüdische Kultusgemeinde Rheinhessen Vergleich vom 18.8.1961 über 5. Jüdische Kultusgemeinde d e r Rheinpfalz in Neustadt a. d. W. Vergleich vom 14.8.1962 über
1 080 0 0 0 , - DM 750 0 0 0 , - DM 3 350 0 0 0 , - DM 6 500 0 0 0 , - DM
9 500 0 0 0 , - DM 167
8 Bundesleistungen
und Länderzahlungen
— Die
Wiedergulmachungsleistungen
Der Landesverband jüdischer Kultusgemeinden Rheinland-Pfalz hat jährliche Zuschüsse in folgender Höhe erhalten: 1949 1950-1966 1967-1973 1974-1977 1978-1979
10 20 22 24 25
000,--DM 000,--DM 000,--DM 0 0 0 , - DM 0 0 0 , - DM. Ausgaben für die Instandsetzung und Pflege jüdischer Friedhöfe
Jahr
1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969
Kapitel
Insgesamt
Titel DM
Titel DM
3/304 1/894 01/854 0301/950 326 30 953,50 322 61 940,305 57 057,50 81 632,55 77 954,88 604 110 524,15 160 719,27 137 725,74 162 552,10 146 167,75 175 442,79 166 680,04 604 168 791,13 134 180,06
10 9 105 71 322 35 331
0302
306 122 78 77 605 107 127 111 141 122 153 155 605 139 178
DM
000,984,861,46 720,-
10 9 105 71
000,984,861,46 720,-
992,-
66 945,50
126,10
62 066,10
396,15 233,80 956,02
179 453,65 159 866,35 155910,90
880,38 127,90 123,45 379,70 245,80 785,280,54
218 287 248 303 268 329 321
165,03 079,13
307 956,16 312 259,19
404,53 847,17 849,19 931,80 413,55 227,79 960,58
0302 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979
168
65302 287 208,21 315 719,63 307 336,65 265 424,66 297 455,40 344 411,47 291 414,84 278 719,64 343 291,70 300 236,08
685 01 100 374,45 75 506,15 71 306,15 155 316,30 123 280,98 103 637,98 158 076,71 17 080,36 161 708,30 204 763,92
387 391 378 420 420 448 449 448 505 505
582,66 225,78 642,80 740,96 736,38 049,45 491,55 800,00 000,00 000,00
8.2 Leistungen für den laufenden Unterhalt der jüdischen Gemeinden 8.2.10 Das Saarland Vom Saarland liegen Zahlen über die Rückerstattung des Jüdischen Gemeindevermögens in getrennter Form vor. Die Zeit, da das Saarland zum französischen Währungs- und Wirtschaftsgebiet gehörte, ist extra ausgewiesen. Danach ergeben sich folgende Angaben: 1. Zur Frage der Rückerstattung Ob Rückerstattungsfälle nach der Verordnung 120 über die Rückerstattung geraubter Vermögensobjekte (Spoliationsverordnung f ü r die französische Besatzungszone und das Saarland) vom 10.11.1947 vorlagen, ließ sich nicht feststellen. 2. Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz Durch Vergleich vom 4.6.1964 zahlte das Landesentschädigungsamt des Saarlandes an die Synagogengemeinde Saar als Rechtsnachfolger aller früheren Synagogengemeinden zur Abgeltung der nach dem Bundesentschädigungsgesetz zu entschädigenden Eigentums- und Vermögensschäden einen Gesamtbetrag von 4 Mio. DM. 3. Personalkostenzuschüsse Das saarländische Kultusministerium teilte auf entsprechende Anfrage mit, die Veranschlagung von Mitteln und die Gewährung von Zuwendungen hätten nur noch bis zum Jahre 1948 zurückverfolgt werden können. Aus dem dort vorhandenen Schriftverkehr ergebe sich aber, daß auch schon vorher Zahlungen geleistet worden seien. Das Kultusministerium machte nach Durchsicht der noch vorhandenen Unterlagen die folgenden Angaben: Zuwendungen für die Zeit von 1948 bis 1959 5 260 000 Frs. Zuwendungen für die Zeit von 1960 bis 1980 463 618 DM. Zuschüsse für die Zeit von 1948 bis 1959 2 200 000 Frs. Zuschüsse für die Zeit von 1960 bis 1967 6 000 DM. Für die Pflege und Erhaltung der jüdischen Friedhöfe im Saarland wurden vom Innenminister der Saarregierung Zuschüsse gewährt, die im einzelnen aber nicht festgestellt werden konnten. Auch die Stadt Saarbrücken und die übrigen Gemeinden des Saarlandes dürften derartige Zuschüsse gewährt haben. Auch diese Beträge sind nicht vorhanden.
169
8 Bundesleistungen und Länderzahlungen — Die Wiedergutmachungsleistungen
8.2.11 Das Land
Schleswig-Holstein
Das Land Schleswig-Holstein hat zur Abgeltung der Entschädigungsansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz an jüdische Institutionen insgesamt 1 169
047,-DM
gezahlt. Darüber hinaus sind bis Ende 1970 (geschätzt!) rd. 1 Mio. DM und ab 1971 bis Ende 1980 nachweislich rd. 305 000,-- DM = insgesamt 1 305 000,-
DM
Finanzierungsleistungen aus Mitteln a) des schleswig-holsteinischen Kultusministers als „Zuschuß f ü r Zwecke der jüdischen Gemeinden innerhalb Schleswig-Holsteins", b) des schleswig-holsteinischen Sozialministers als „Zuschuß f ü r jüdische Wohlfahrtspflege in Schleswig-Holstein", c) des schleswig-holsteinischen Innenministers „für die Instandhaltung und Pflege d e r jüdischen Friedhöfe und Gräber" sowie d) der schleswig-holsteinischen Entschädigungsbehörde als „Zuschuß an die Jüdische Gemeinde Schleswig-Holstein als Verfolgtenorganisation" erbracht worden. Diese Zahlenangaben aus den verschiedenen Bundesländern konnten nach der langen Zeit nicht vollständiger ermittelt werden. Darum entfällt auch jede Addition. Es ging mir darum, dennoch ein möglichst vollständiges Bild der Leistungen des Bundes und der Länder in diesen Bereichen zu zeichnen, das letztlich auch in seiner Unvollkommenheit zeigt, daß die Bundesrepublik Deutschland und die Länder gemeinsam versucht haben, f ü r die Jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland, ihre Friedhöfe und die neuen Synagogen sowie für den laufenden Unterhalt der Gemeinden Beträge zur Verfügung zu stellen, die man nicht als gering ansehen kann.
170
9.2 Persönlichkeiten aus allen Teilen Deutschlands äußern sich
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem 9.1 David Ben Gurion — „Adolf Eichmann befindet sich in israelischem Gewahrsam" 23. Mai 1960 — Eine Sitzung d e r Knesset, des israelischen Parlaments. Ministerpräsident Ben Gurion erhält das Wort durch d e n Präsidenten: „Ich habe d e m Knesset mitzuteilen, daß einer d e r größten nazistischen Kriegsverbrecher — Adolf Eichmann —, d e r zusammen mit den Naziführern f ü r die sogenannte Endlösung d e r jüdischen Frage, das bedeutet: f ü r die Vernichtung von sechs Millionen europäischer J u d e n , verantwortlich war, sich in isreaelischem Gewahrsam befindet u n d seinem Prozeß in Israel entgegensieht". Diese Nachricht ging als Blitzmeldung d u r c h die Agenturen u n d löste nicht n u r im Sitzungssaal, sondern in d e r ganzen Welt eine echte Sensation aus. Eichmann, der S S - O b e r s t u r m b a n n f ü h r e r im Reichssicherheitshauptamt, d e r von seinen Büros in d e r Kurfürstenstraße 112 in Berlin die Endlösung d e r J u d e n f r a g e durchg e f ü h r t hatte, war am 11.5.1960 in d e r Nähe von Buenos Aires von israelischen Geheimdienstangehörigen auf der Straße festgenommen u n d nach Israel verbracht worden. Kein Zweifel, mit dem Eichmann-Prozeß stand noch einmal die ganze furchtbare Verfolgung der J u d e n vor d e r Weltöffentlichkeit. Ein Vorgang, der bei allen Demokraten d e r Bundesrepublik Deutschland noch einmal die Scham über das Geschehene a u f k o m m e n ließ. Der Sprecher d e r Bundesregierung, Günther Diehl, sagte auf Befragen, ob man die Auslieferung Eichmanns durch Israel beantragen werde, n u r den lakonischen Satz: „Meine H e r r e n , wir haben die Todesstrafe abgeschafft. W a r u m sollten wir einen derartigen Antrag stellen?" Die kommunistische Seite Deutschlands erfaßte sofort, welch aufgewühlte Atmosphäre sich in den Seelen d e r jüdischen Welt auftat. Noch einmal zog an diesen Menschen das ganze Grauen vorüber u n d es wäre unnatürlich, wenn sich mit diesem Schmerz nicht wiederum die Gefahr einer Deutschfeindlichkeit verbunden hätte. Für die J u d e n , die in Deutschland gelebt hatten, mußte sich einfach dieser Schmerz noch einmal gegen ihre alte Heimat, gegen das deutsche Volk richten.
9.2 Persönlichkeiten aus allen Teilen Deutschlands äußern sich Diese aufgewühlte Weltmeinung hatte vor allem auch in d e r Bevölkerung in d e r Bundesrepublik Deutschlands ein tiefes Echo. Die Spitzen des Staates, d e r Opposition u n d d e r Kirchen gaben dieser Erschütterung beredten Ausdruck. Hier sollen einige Erklärungen deutscher Persönlichkeiten wiedergegeben werden, die damals veröffentlicht w u r d e n . 171
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem 9.2.1
Bundespräsident
Heinrich Lübke
„Vor wenigen Tagen hat in Jerusalem ein Prozeß begonnen, dessen Name Symbol und Schandmal zugleich geworden ist f ü r die entsetzlichen Verbrechen, die Hitler und seine Gefolgsleute in deutschem Namen verübten. Die Deutschen, auch die damaligen Gegner und Widerstandskämpfer, sind auch heute noch erfüllt von tiefer Scham, daß Mitglieder unseres Volkes sich an solchen Verbrechen beteiligten. Trotzdem müssen wir um der gleichen Gerechtigkeit willen, deretwegen Eichmann heute vor Gericht steht, gerade in diesen Tagen darauf hinweisen, daß es grundfalsch ist, Nationalsozialisten und Deutsche gleichzusetzen."
9.2.2
Bundeskanzler Konrad
Adenauer
„Wir wünschen, daß in diesem Prozeß die volle Wahrheit ans Licht kommt und daß Gerechtigkeit geübt wird. Nach dem Zusammenbruch Deutschlands waren alle, die an die Arbeit gingen, Deutschland wieder aufzubauen, erfüllt von Scham und von Sorge. Wir waren erfüllt von Scham, weil nunmehr zum ersten Mal uns, dem deutschen Volk, der furchtbare Abgrund des Nationalsozialismus zum Bewußtsein kam. Wir waren erfüllt von Sorge, weil wir uns fragten, wie es möglich sein würde, dieses Gift aus dem seelischen Empfinden, aus dem seelischen Leben weiter Kreise des deutschen Volkes wieder zu entfernen... Unsere Sorge war nicht so begründet, wie wir es befürchtet hatten. Im deutschen Volkskörper, im moralischen Leben des deutschen Volkes, gibt es heute keinen Nationalismus mehr, kein nationalsozialistisches Empfinden. Wir sind ein Rechtsstaat geworden. Ministerpräsident Ben Gurion hat vor wenigen Tagen gesagt, daß die jungen Deutschen nicht f ü r Untaten vieler Angehöriger der älteren Generation Deutschlands verantwortlich gemacht werden können. Er hat ausdrücklich das Interesse seines Landes an einem freundschaftlichen Verhältnis zu dem neuen Deutschland betont. Für diese Worte vor Beginn der Verhandlungen gegen Eichmann sind wir ihm aufrichtig dankbar."
9.2.3
Der Präsident des Deutschen Bundestages, Eugen
Gerstenmaier
„...Ich rechne damit, daß der Eichmann-Prozeß eine schwere Belastung für das Ansehen Deutschlands im Ausland sein wird und daß er auch in Deutschland die alte Frage brennend in das Bewußtsein von jedermann bringen wird: Wie konnte das geschehen? Ich glaube, daß, wer die schreckliche Gewalt und Verführung eines totalitären Polizeistaates nicht an sich selbst erfahren hat, darauf keine Antwort zu geben vermag. Aber auch f ü r uns bleiben die Untaten, die sich mit dem Namen Eichmann verbinden, eine schreckliche Qual und Last bis an unser Lebensende..." 172
9.2 Persönlichkeiten aus allen Teilen Deutschlands äußern sich 9.2.4
Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Carlo Schmid
„...Was ist zu tun? Gibt es etwas zu tun, was wiederbringen könnte, was wir verloren? Können wir die Juden ersetzen? ...Zu tun gibt es nicht viel, denn die in den Gaskammern Ermordeten kann niemand mehr lebendig machen, und die Ausgetriebenen werden, bis auf einzelne wenige, nicht wiederkommen. Wer könnte es ihnen verdenken! Etwas können und müssen wir tun: wiedergutmachen, was wiedergutgemacht werden kann... Was wir tun, kann niemals Loskaufen von einer Schuld sein, und in dieser Schuld stehen wir alle, die sich in jenen Zeiten als Deutsche bekannten, ohne das Unheil zu wenden oder wenden zu können. Auch die im Sinne des Strafrechts Unschuldigen in unserer Nation haften solidarisch für alles, was in ihrem Namen geschehen ist..."
9.2.5
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt
„...Der Beginn des Eichmann-Prozesses hat in der ganzen Welt starke Reaktionen ausgelöst... So unbequem auch dieser Prozeß vielfach empfunden werden mag, wir sollten das Urteil der Welt nicht fürchten. Wir sollten uns auch an den aufgeworfenen Fragen nicht vorbeidrücken, sondern uns offen und ehrlich mit ihnen auseinandersetzen. Verbrecher müssen der Gerechtigkeit überantwortet werden, und Eichmann war ein Verbrecher. Uns Heutige beurteilt die Welt nach unseren heutigen Taten und nach unserer Haltung in der Gegenwart, natürlich auch nach unserer Haltung gegenüber der Vergangenheit. Jeder verantwortungsbewußte Deutsche muß sich dessen schämen, was im geschändeten Namen Deutschlands damals geschehen ist..."
9.2.6
Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Thomas Dehler
„...Mir geht es um unsere politische Schuld: Weil es uns nach dem Ersten Weltkrieg nicht gelungen ist, den Deutschen die richtige politische Verfassung zu geben, ihnen die Aufgaben ihrer geschichtlichen Lage bewußt zu machen, ihnen die Werte des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates nahezubringen, kam das Verworfenste nach oben und fand hörige Vollzieher. Der Prozeß in Jerusalem richtet sich gegen einen von ihnen, der ein besonderes hohes Maß krimineller Schuld auf sich geladen hat, er richtet sich nicht gegen das deutsche Volk. Aber es muß f ü r uns Deutsche peinigender Anlaß sein, die Ursachen der deutschen politischen Katastrophe mit ihren Folgen f ü r uns und die Welt zu bedenken und uns zu fragen, ob wir aus diesen Erfahrungen gelernt haben, ob wir politisch klüger, weiser geworden sind, ob wir heute wissen, wie leicht Freiheit und Recht vertan sind, daß jeder autoritäre Staat die Gefahr der Mißachtung der Menschenrechte und damit des ungehemmten Unrechts in sich schließt..." 173
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem 9.2.7
Prof. Franz Böhm
„Die dem totalitären Denken abholden Menschen und Gruppen haben zu ihrem Unheil viel zu spät begonnen, von diesem Denken Notiz zu nehmen und nicht nur die Doktrin, sondern auch die totalitäre Praxis zu studieren. Eben dies ist einer der Gründe, aus denen die ganze gesittete Welt, vor allem unser eigenes Volk, in so hohem Grade daran interessiert sein müssen, daß das furchtbare Phänomen der nationalsozialistischen Judenvernichtung bis ins letzte aufgeklärt und durchleuchtet wird. Daß bei dieser schrecklichen Beschäftigung Wunden aufgerissen und Leidenschaften aufgewühlt werden, daß unser Ruf aufs neue in Mitleidenschaft gezogen wird und unser eigenes Gefühl sich sträubt, den Blick auf einen Schandfleck unserer Geschichte zu richten, darf uns nicht beirren... Ich möchte glauben, daß eine solche Haltung auch völlig mit dem schlichten Empfinden des gütigen mitfühlenden Menschen übereinstimmt, der gar keine politischen Erkenntnisse aus der Vergangenheit gewinnen will, sondern dem einfach das Herz blutet, wenn er an diese Greuel, an all das angerichtete unermeßliche Menschenleid denkt, der es f ü r selbstverständlich hält, daß jeder gute Deutsche Scham empfindet, f ü r den die Sache der Wiedergutmachung Herzenssache und das tatbereite Mitgefühl mit den Opfern dieser Untat eine Selbstverständlichkeit ist. Einfache Rechtschaffenheit ist der kürzeste Weg zu politischer Einsicht in den großen Menschheitsfragen."
9.2.8
Bundesminister Bruno Heck
„Ich habe schon gesagt, man könne es sich leicht machen mit diesem Prozeß, draußen, aber auch bei uns. Ich möchte wiederholen, daß es unrecht wäre, in Eichmann unser Volk vor Gericht stellen zu wollen. Unrecht aber wäre es auch, wollten wir der Frage nach dem Bruder Abel mit der fragenden Ausrede ,Bin ich denn der Hüter meines Bruders' ausweichen. Daß wir den .Stürmer' geduldet haben und den Judenstern, die öffentliche Verachtung und Verleumdung unschuldiger Menschen, das sollten wir uns selbst nicht nachsehen ohne Bedauern und ohne Reue, nicht ohne den festen Willen, dies nicht noch einmal zu dulden und uns nicht noch einmal dazu verführen zu lassen... Es mag uns unangenehm sein, die kommenden Wochen an vieles erinnert zu werden, was wir nur vage oder überhaupt nicht gewußt haben. Es gehört auch zu unserer Vergangenheit. Und wir wollen der Wahrheit nicht ausweichen. Daß der Nachwelt ein wahres Bild überliefert werde, dem muß der Prozeß Adolf Eichmann dienen. Wir alle und die Generationen nach uns mögen davon lernen."
174
9.3 Zum Fall Globke 9.2.9
Der Erzbischof von München-Freising, Julius Kardinal
Döpfner
„...Darin liegt die furchtbare Schuld, die Menschen unseres Volkes auf sich luden! Sie wollten die Schöpfungsordnung Gottes umstoßen, der jeden Menschen liebend erschaffen und zum ewigen Heil berufen hat. Sie unternahmen es, die Menschen abzuwerten oder auch aufzuwerten nach dem willkürlichen Maßstab ihrer Partei, ihrer Rassenideologie. So wurde jene einzigartige menschliche Grausamkeit gegen Mitmenschen möglich, die nun vor einem Gericht in Jerusalem von neuem in unser Bewußtsein tritt... In Jerusalem wird ein Prozeß geführt gegen einen, der das jüdische Volk vernichten wollte... Der Plan, das Volk Israel auszulöschen — ,Endlösung der Judenfrage' wurde das in zynischer Sachlichkeit genannt — ist voll widergöttlicher Vermessenheit. Und es beschämt uns, daß solche, die aus christlicher Umwelt hervorgingen, aber nicht aus Christi Geist lebten und handelten, solch gottfeindliche Untat ausdachten. In Ehrfurcht grüßen wir jene, die — ich zitiere wieder den heiligen Paulus — in ihrer Erwählung ,um ihrer Erwählung willen geliebt sind'."
9.2.10
Propst Heinrich Grüber
„...Mein Wunsch ist, daß diese Verhandlungen auch dazu beitragen, daß nicht bloß das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland geklärt wird, sondern, daß der Menschheit - der Menschlichkeit — geholfen wird. Ich darf vielen Freunden aus Israel sagen, an dem Tage, als ich bei den Leichen lag, da stand f ü r mich als Fanal in der Schrift das Wort des Ephraim ,Gott hat mich wachsen lassen im Lande meines Elendes' — und das ist meine herzliche Bitte für all die, die in dieser Zeit wieder ein neues Leid erlebt haben, und bei denen all das Leid wieder lebendig geworden ist, daß sie auch das bekennen können..., daß Gott auch wachsen läßt im Lande des Elends... Meine Bitte, mein Bestreben ist, daß Liebe kommen soll und Schuld-Vergeben. Liebe, die vergibt hier, und Schuld, die vergeben wird drüben, daß sie sich vor Gottes Thron treffen... Das ist meine Bitte und bleibt mein Bestreben...an alle. Auch an den Angeklagten..."
9.3 Zum Fall Globke Der damalige Chef der Auslandsabteilung im Bundespresseamt Günther Diehl rief mich an: „Was machen Sie im Urlaub?" „Ich fahre in die Eifel". Nein, kommen Sie mich doch besuchen, Sie sollten Ihren Urlaub in Israel verbringen." Kurz gesagt, Herr Diehl bat mich, nach Israel zu reisen, um dort die Lage für Deutschland einmal zu erkunden. Diplomatische Beziehungen gab es nicht, wir hatten keine Vertretung im Lande. Der Pressechef der Regierung von David Ben Gurion war mir wohl bekannt. David Landor hatte die Bundesrepublik Deutschland auf 175
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem Einladung des Bundespresse- und Informationsamtes bereits besucht. Auch dieser Besuch war ein bedeutendes Erlebnis. Ich hatte ihn am Flughafen in München abgeholt und nachdem er sein Gepäck im Hotel abgelegt hatte, f u h r ich mit ihm direkt in die KZ-Gedenkstätte Dachau. „Special Service?" war seine etwas ironische Frage. „Nein," sagte ich, „es ist notwendig, daß Sie einmal sehen, daß diese Gedenkstätte nicht unbedingt n u r für Gäste, wie Sie es sind, errichtet wurde." Die Gedenkstätte machte auf Landor einen großen Eindruck. Vor allem deswegen, weil auf dem Parkplatz eine Reihe von Bussen stand, aus denen j u n g e Menschen und Schüler herauskamen. Die Reise durch Deutschland endete in Bonn. Als ich jetzt nach Israel kam, machte David Landor Urlaub im Gästehaus eines Kibbuz. Wir saßen am Swimming-pool und unsere Gedanken gingen zu dem Prozeß, der uns Monate später alle tief aufwühlen sollte. „Wie soll der Prozeß ablaufen?" fragte er mich. „Natürlich nach Nürnberger Muster. Wichtig ist dabei, daß die deutschen Journalisten, die sicherlich zahlreich kommen werden, nicht nur ordentlich, sondern gut behandelt werden. Sie haben mit diesen Untaten nichts zu tun." Das war der Kern der Unterhaltung. Als ich nach Bonn zurückkehrte, konnte ich Günther Diehl von dem großen Verständnis der Israelis berichten, die zu trennen wußten, zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Zeit Eichmanns. Sehr bald zeigte sich jedoch, daß die deutsch-israelische Atmosphäre nicht ohne die alte Methode Ostberlins gesehen werden konnte, ohne daß die Ostberliner Regierung ihre Versuche fortsetzte, den Mann anzugreifen, der als engster Vertrauter Konrad Adenauers galt, und der 1935 den Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen geschrieben hatte. Was f ü r den Normalbürger nicht sichtbar war, und von den Kommunisten teuflisch ausgenutzt wurde, war die Tatsache, daß dieser Kommentar so hingestellt wurde, als sei er die Voraussetzung f ü r Hitler und seine Schergen gewesen, Millionen J u d e n umzubringen. Wenn man aber als jüdischer Mischling ersten Grades dicht an der Schwelle des Todes durch diese Gesetze stand, so wird man bei den Erinnerungen der eigenen Familie an diese furchtbare Zeit dennoch eine deutliche Dankbarkeit nicht beiseite lassen, dafür, daß man heute noch unter den Lebenden sein darf, daß dieser Kelch an unserer Familie vorüberging. Wie gesagt, es gilt heute noch als nicht fein, diesen Namen im Munde zu führen. Ich tat es in all den Jahren seit 1949 in Bonn und Jerusalem beim Eichmann-Prozeß, auch wenn viele journalistische Kollegen glaubten, sich „absetzen zu müssen", was oftmals daher rührte, daß sie selbst eine Vergangenheit hatten, sei es als Kriegsschreiber der SS oder erst nach dem Krieg eingegangener journalistischer Verträge, die sie oftmals in Gesprächen auf eine Zeit vorverlegten, in der die gleiche Zeitschrift von den Nationalsozialisten verfolgt worden war. Ich hörte den Namen Dr. Globke zum ersten Mal von meinem Vater, als 1936 der Kommentar zu den Rassegesetzen erschienen war. Diese Gesetze wurden auf dem Reichsparteitag 1935 in Nürnberg verkündet. Kein Wunder, daß Dr. Globke nach dem Krieg mit ihrer Entstehung in Verbindung gebracht wurde. Tatsache war allerdings, daß Globke bei diesem und bei den anderen Parteitagen der 176
93 Zum Fall Globke NSDAP niemals im Nürnberger Gefolge Hitlers zu finden war. Globke war altes Mitglied der Zentrumspartei und haßte die Nationalsozialisten. Er war aus der Weimarer Zeit Beamter im Preußischen Innenministerium. Es war daher klar, daß nach den jahrelangen, jahrzehntelangen Angriffen Ostberlins gegen Dr. Globke die Ostberliner Regierung auch die jetzige Gelegenheit dazu benutzen würde, um alle Schuld, all die schmerzlichen Erinnerungen der Ermordung von Millionen Menschen gegen die Bundesrepublik Deutschland zu wenden. Nichts erschien einfacher als diese Angriffe auf den Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Hans Globke zu konzentrieren, ihn erneut zur Zielscheibe zu machen und damit im Prinzip von dem in Jerusalem einsitzenden Adolf Eichmann abzuwenden. Gleichsam als Medium diente der Berliner Rechtsanwalt Dr. Max Merten, der einstmals Wehrmachtsbeauftragter bei der griechischen Regierung war und in einer, man möchte sagen, naßforschen Art nach Griechenland in Urlaub fuhr. Dort wurde er wegen seiner Taten in dieser Zeit verhaftet, vor Gericht gestellt und zu einer über 20jährigen Freiheitsstrafe verurteilt, und dann nach Berlin abgeschoben. Die Art von Merten wird dadurch deutlich, daß er seinen Antrag auf Wiederzulassung als Rechtsanwalt beim zuständigen Landgericht Charlottenburg damit begründete, er müsse wieder zugelassen werden, denn er mache Interzonenhandel. Sein Zeuge und Gesprächspartner: Der Ostberliner Rechtsanwalt Dr. Friedrich Karl Kaul. Am 1. Juni 1960 erschein beim Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Dr. Fritz Bauer, der Essener Rechtsanwalt Dr. Diether Posser und teilte mit, daß sein Mandant, der Rechtsanwalt Dr. Max Merten aus Berlin, in der Lage sei, Angaben zum Fall Beckerle und Eichmann zu machen. Über diese Vorsprache des Essener Rechtsanwalts wurde in Frankfurt eine Aktennotiz angefertigt (1), die wie folgt lautet: „RA Posser/Essen erscheint und erklärt, sein Mandant Dr. Max Merten, RA, BerlinFriedenau, Ceciliengarten 33, Telefon 835164, sei in der Lage, Angaben zum Fall Beckerle und Eichmann zu machen. Eichmann würde freilich dadurch entlastet; er halte es aber f ü r notwendig, auch den zu Gunsten Eichmanns sprechenden Tatsachen Beachtung zu schenken. Merten sei nach seiner Meinung zu Unrecht in Athen verurteilt worden. Zu Beckerle: Merten halte Beckerle f ü r schuldig; er sei mehrfach u. a. in Saloniki mit ihm zusammengetroffen. Zu Eichmann: Wegen der Behandlung der griechischen J u d e n sei es seinerzeit zu schweren Auseinandersetzungen mit Wisliceny und Alois Brunner gekommen. Merten habe zusammen mit dem Präsidenten des Roten Kreuzes in Genf, Burckhardt, (Vetter des Danzig-Vertreters des Völkerbundes?) einen Plan zur Rettung von 10.000 j ü d . Frauen und Kindern entworfen, die nach Palästina gebracht werden sollten. Merten habe, um Wisliceny zu überspielen, in Berlin Eichmann anfangs 1943 177
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem aufgesucht. Eichmann habe die Absicht gehabt, zu helfen. Er habe erklärt, es könnten nicht n u r 10.000, sondern 20.000jüd. Frauen und Kinder gerettet werden. Dem sei Eichmanns Gegenspieler im Reichsinnenministerium G. (gemeint ist Dr. Globke) entgegengetreten. G. habe dabei mehrfach erklärt: „Es ist der Wunsch des Führers". Eichmann habe deswegen G. einen Bürokraten genannt. Vertreter von G. im J u d e n r e f e r a t sei Dr. Eckelberg, jetzt Frankfurt/Main, gewesen. Lt. Telefonbuch Oberregierungsrat z. Wv. Willy Eckelberg, Frankfurt/M., Fahrgasse 15. Ffm., den l . J u n i 1960." Mit dieser Aussage begann eine neue Kampagne. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelte gegen Eckelberg und der Generalstaatsanwalt in Bonn ließ mit Billigung des Bundeskanzlers u n d Dr. Globke ein Großermittlungsverfahren in Gang setzen, um diese ungeheuerlichen Vorwürfe gegen Globke zu prüfen. Es würde zu weit führen, wenn man an dieser Stelle alle Aussagen veröffentlichen wollte. Kein Wunder, daß der „Spiegel" am 28.9.1960 in seiner Nr. 40 unter der Überschrift „Ihr Onkel Constantin" ausführlich über die Taten des damaligen Kriegsverwaltungsrates Dr. Merten in Griechenland und seiner Rolle bei der Deponierung der J u d e n und sein angebliches Telefongespräch mit Dr. Globke berichtete, nachdem die Hamburger Tageszeitung das „Hamburger Echo" erklärt hatte, Dr. Globke habe sich in einem Telefongespräch mit dem früheren Judenreferenten des Reichssicherheitshauptamtes Eichmann gegen einen Transport von 10.000 jüdischen Frauen und Kindern aus Nord-Griechenland nach Palästina ausgesprochen. Bundeskanzler Dr. Adenauer und Staatssekretär Globke leiteten ein Beleidigungsverfahren am 21.10.1960 bzw. am 25.10.1960 ein, das in den Ermittlungen u. a. auch die von Dr. Merten in der Presse gegen Dr. Globke erhobenen Vorwürfe wegen Beteiligung an der Judenverfolgung in Griechenland umschloß. Am 28. und 29.12.1960 wurde Dr. Merten über den in Rede stehenden Vorgang und seine Vorgeschichte vernommen. Die Vernehmung klingt wie ein Schemen, der Held im Mittelpunkt: Dr. Max Merten. Darin spielt der angebliche Anruf Eichmanns bei Dr. Globke eine große Rolle. Auch zu dem genannten „Spiegel"-Artikel nimmt Dr. Merten Stellung. Er sagt u. a. in diesem Vernehmungsprotokoll: „Der genannte Artikel sei ihm bekannt, beruhe indessen nicht auf seinen Informationen. Das Gespräch mit Dr. Globke sei aber richtig wiedergegeben worden. Er könne bestätigen, daß Eichmann deshalb Dr. Globke angerufen habe, um sich dessen .Einverständnisses' zu versichern. Er habe sich nämlich an die .Zustimmung' Dr. Globkes gebunden gefühlt, weil die .einschlägigen Staatsangehörigkeitsfragen' f ü r derartige jüdische Auswanderer gesetzlich geregelt gewesen seien. Eichmann habe Dr. Globke den Plan des Internationalen Roten Kreuzes, 10.000 jüdische Frauen und Kinder nach Palästina zur Auswanderung zu bringen, vorgetragen, aber eine ,schroff ablehnende Antwort' erhalten, wie er aus den Gegenfragen Eichmanns habe schließen müssen. Er erinnere sich noch d e u t lich' daran, daß Eichmann nach Abschluß des Gesprächs — was trotz des Ernstes 178
9.3 Zum Fall Globke der Situation irgendwie lächerlich gewirkt habe - in seinem bescheidenen Dienstzimmer wie ein angestochener Stier hin und hergelaufen sei, fürchterlich auf .diese blöden Bürokratenhengste' geschimpft und sich wie ,toll gebärdet habe'." Im weiteren Verlauf der Vernehmung am 28.12.1960 machte Dr. Merten über den Gesprächsverlauf folgende Angaben: „Aus dem lebhaften Gesprächsablauf bei dem anschließenden Telefonat habe er entnommen, daß sich Eichmann, wie dieser während des Gesprächs selbst mehrfach erklärt habe, an irgendeine .Zustimmung' des Reichsinnenministeriums .gebunden' gefühlt habe. Welche Bewandtnis es mit dieser .Zustimmung' gehabt habe, könne er nicht sagen, da ihm das Problem der Unterhaltung nicht erkennbar geworden sei. Offenbar habe aber Eichmann auch kein entscheidendes Gewicht auf die Mitteilung Dr. Globkes gelegt, denn sonst hätte er hinterher nicht dem Plan Dr. Burckhardts zugestimmt." In der Vernehmung vom 29.12.1960 sagte Dr. Merten zu demselben T h e m a auf einen entsprechenden Vorhalt folgendes aus: „Eichmann sei, als er Dr. Globke angerufen habe, bereits entschlossen gewesen, den Auswanderungsplan zu genehmigen. Wenn er bei diesem Gespräch in eine .empörte Stimmung' gekommen sei, könnten hierfür durchaus Äußerungen Dr. Globkes ursächlich gewesen sein, die sachlich mit der Auswanderung als solcher in keinem Zusammenhang gestanden hätten. Da er nur Zeuge der Reaktion Eichmanns gewesen sei, könne er nicht im einzelnen sagen, worauf die Wut Eichmanns zurückzuführen sei. Wenn er in seiner Vernehmung am 28.12.1960 von einem .Einverständnis' Dr. Globkes gesprochen habe, so könne er das jetzt dahin erläutern, daß sich Eichmann im Hinblick auf die von ihm — Dr. Merten — angeschnittenen Fragen zur 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz bei Dr. Globke eine Rückendeckung habe verschaffen wollen. Der Begriff .Einverständnis' sei daher .insoweit eindeutig mißverständlich'. Er — Dr. Merten — habe, wie er heute einräumen müsse, dieses Telefongespräch höchst unvorsichtigerweise selbst heraufbeschworen. Eichmann als Nichtjurist sei dadurch .unsicher' geworden und habe in irgendeiner Weise .Hilfestellung' gesucht. Nach Lage der Dinge könne es sich hierbei nur um eine .Auskunft' Dr. Globkes gehandelt haben. Möglicherweise habe es Dr. Globke abgelehnt, am Telefon zu einem nicht ganz unbedeutenden Problem Stellung zu nehmen und hierdurch die Erregung Eichmanns ausgelöst." Bei diesem Ermittlungsverfahren gegen Dr. Globke wurde ich von dem ermittelnden Staatsanwalt Pfromm, der später Generalstaatsanwalt in Köln wurde, und inzwischen pensioniert ist, zu einem Gespräch gebeten. Er wollte von mir vor allem wissen, wie sich der Kommentar von Dr. Globke bei uns, in einer Mischlingsfamilie, ausgewirkt habe. Wahrheitsgemäß berichtete ich ihm, daß mein 179
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem Vater, als der Kommentar erschienen war, in gewissem Sinne aufatmete. Er sah Chancen f ü r das Überleben der Familie, was zum Teil dadurch bedingt war, daß ein Hochschulstudium f ü r die Mischlinge in Aussicht gestellt wurde — natürlich mit der Genehmigung des Führers — und die Einberufung zur Wehrmacht. Weder Globke noch er konnten in den 30er Jahren wissen, daß der oberste Befehlshaber der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, 1940 dem Führer als Geburtstagsgeschenk einen Befehl zur wehrunwürdigen Entlassung nicht nur der jüdischen Mischlinge, sondern auch der ehemaligen Angehörigen regierender deutscher Fürstenhäuser und der Jesuitenpatres erlassen hatte. Als das Gespräch, das Staatsanwalt Pfromm in Stenogramm aufnehmen ließ, beendet war, fragte ich ihn warum er denn das Verfahren nicht abschließe, er wisse doch offensichtlich, daß Globke keine Schuld treffe. „Ja, aber ich weiß immer noch nicht, ob Globke Eichmann gekannt hat." „Warum sagen Sie das nicht gleich?" „Wieso, wissen Sie es?" „Nein", sagte ich, „aber ich werde es Ihnen besorgen." Meine Hand griff zum Telefonhörer, ich wählte das Bundeskanzleramt, das Vorzimmer des Bundeskanzlers. „Fräulein Siegel, ich muß sofort den Bundeskanzler sprechen, sagen Sie ihm bitte, es ginge um Staatssekretär Globke." Als ich bei ihr eintraf, bat ich sie, einen Briefbogen einzuspannen: „Der Bundeskanzler." Dann diktierte ich ihr einen kurzen Brief: „Herrn Ministerpräsident David Ben Gurion, Jerusalem. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Herr Rolf Vogel, Journalist in Bonn, fliegt heute zum 10. Mal in ihr Land. Ich habe nur den einen Wunsch, daß es ihm gelingt, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Mit herzlichen Grüßen, Ihr Konrad Adenauer." Als der Brief geschrieben war, tat ihn Hannelore Siegel in eine Unterschriftenmappe und betätigte die Sprechanlage. „Herr Bundeskanzler, H e r r Vogel ist jetzt da." „Dann soll er einmal hereinkommen", kam es aus dem kleinen Lautsprecher. Ich nahm die Mappe unter den Arm und betrat das Zimmer des Bundeskanzlers. Ich legte ihm den Brief in der Mappe auf den Tisch und sagte: „Herr Bundeskanzler, ich brauche nur eine Unterschrift." Er überflog das Schreiben und sagte: „Was soll das? Da steht ja gar nichts drin." „Das darf es auch nicht. Mir könnte ja mit dem Brief etwas passieren." Er nahm den Füllfederhalter und zeichnete den Brief ab. „Da haben Sie offensichtlich nachgedacht", schmunzelte er. „Und was wollen Sie wirklich wissen?" „Herr Staatsanwalt Pfromm muß wissen, ob Eichmann Herrn Staatssekretär Globke jemals gekannt hat." „Wann fliegen Sie denn?" „Heute nachmittag nach München." „Was wollen Sie in München, es ist doch kein Oktoberfest." Ich lächelte zurück, „nein, aber die Flugkarte nach Tel Aviv kaufe ich auch nicht in Bonn." Er wünschte mir Glück f ü r meine Aktion und verabschiedete sich. Auf den Straßen spielten bereits kostümierte Kinder, es war Weiberfastnacht. Am nächsten Abend kam ich ins Dan-Hotel in Tel Aviv. Ich ging zu der Dame an der Telefonvermittlung: „Bitte verbinden Sie mich doch mit der N u m m e r von Herrn Staatssekretär Dr. Chaim Yahil." „Das brauche ich nicht, er ist hier im Hotel." Fünf Minuten später saßen wir in der Hotelhalle zusammen. Ich zog die Kopie des Briefes an David Ben Gurion aus der Tasche. Dr. Yahil: 180
9.3 Zum Fall Globke „Globke?" Ich bejahte und schilderte ihm das Problem. „Bleiben Sie morgen f r ü h im Hotel, ich lasse Sie abholen." Um halb zehn vormittags wurde ich ans Telefon gerufen. Dr. Yahil war am Apparat und sagte mir, daß mich der Adjudant des Ministerpräsidenten in Kürze abholen werde. Kurze Zeit später sah ich durch die Glastür den Wagen vorfahren, der sich durch die Funkantenne als Fahrzeug des Ministerpräsidenten auswies. Ein Oberst stieg aus und kam auf mich zu, als hätte er mich schon oft gesehen. Das war nicht der Fall, es mußte also einen „file" von mir geben. „Chaim Ben David", er reichte mir die Hand und wir gingen zum Wagen. Es war n u r eine kurze Fahrt, denn David Ben Gurion machte Urlaub im Sharon-Hotel in Herzelia. Chaim Ben David, geborener Wiener sprach sehr freundschaftlich und war auch bei dem Gespräch mit David Ben Gurion dabei. Dieser begrüßte mich strahlend und entschuldigte sich, um diese Zeit noch im Bademantel zu sein. „Wissen Sie, wir hatten Koalitionsgespräche, das ist immer sehr anstrengend." „Das kenne ich aus Bonn, da ist es ähnlich." „Wie geht es Konrad Adenauer} Wann kommt er?" Wie es dem Bundeskanzler ging, „Ausgezeichnet", aber wann er kommen werde, das konnte ich nicht sagen. Wie es oftmals bei Gesprächen mit Juden üblich ist, stellte ich eine Gegenfrage: „Wann kommen Sie zu Konrad Adenauer}" „Ach", meinte er, „das ist f ü r mich schwierig. Ich war 1946 in Deutschland und habe DP-Camps besucht." „Aber Herr Ministerpräsident, das ist doch alles vorbei. Wenn Sie kommen, wird Sie ein Hubschrauber direkt zum Bundeskanzler fliegen." Ben Gurion lächelte und wechselte das Thema. „Sie sind hier um etwas über Dr. Globke zu erfahren. Über Dr. Globke brauchen wir beide nicht zu sprechen. Wen Konrad Adenauer bei sich hat, so hat er ihn mehr geprüft als wir das jemals könnten." Das also war der Kern der Freundschaft dieser beiden Männer. Ich war tief davon beeindruckt. Ich schilderte Ben Gurion meine eigentliche Bitte, daß ich wissen wollte, ob Eichmann Globke überhaupt gekannt hat. „Globke} Wir haben ihn natürlich sofort befragt. Wir haben ihm eine Liste mit 100 Namen gegeben. Als er an Globke kam, sagte er: ,Globke, wer ist das? Den Namen habe ich nie gehört'. „Das kann Ihnen auch noch Generalstaatsanwalt Hausner bestätigen." Es war eine denkwürdige Stunde, die ich bei Ben Gurion erlebte. Seine Frau Paula, eine einzigartige Frau, hatte Tee und selbstgebackene Plätzchen gebracht. Sie fragte mich, ob ich verheiratet sei und Kinder hätte. Als ich ihr das beides bejahte und ihr damals die Zahl fünf nannte, klopfte sie mir auf die Schulter, das gefiel ihr. Ich verabschiedete mich von diesem großen Mann des Staates Israel, nachdem er mich auch noch über die deutsche J u g e n d ausgefragt hatte, die ihn besonders zu interessieren schien. Oberst Chaim Ben David begleitete mich wieder zum Wagen und versprach mir noch f ü r Montag den Brief f ü r Generalstaatsanwalt Pfromm. Das Wochenende über besuchte ich Freunde in Tel Aviv, die natürlich den Grund meines Hierseins erfahren wollten. Ich mußte also darum herumreden. Der Brief kam und ich flog am Dienstag wieder zurück nach Bonn. Noch am Abend telefonierte ich mit dem Bundeskanzler in seinem Rhöndorfer Heim. „Herr Bundeskanzler, ich wollte mich zurückmelden und Ihnen sagen, daß alles in O r d n u n g ist." „Da 181
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem bin ich aber sehr froh, berichten Sie mir doch bitte morgen die Einzelheiten." Nachdem ich am Morgen dann Staatsanwalt Pfromm ins Protokoll diktieren konnte, f u h r ich ins Palais Schaumburg. Staatsanwalt Pfromm konnte sein Verfahren abschließen: Er wußte nun nur allzu deutlich, daß Merten bewußt und gezielt gelogen hatte. Am 3. Mai 1961 veröffentlichte der damalige Generalstaatsanwalt Dr. Driigh die Einstellungsverfügung die 80 Seiten umfaßte und in der — natürlich ohne Namensnennung — auch meine Aussage enthalten war. In diesem Einstellungsbeschluß wird d a n n ausdrücklich bestätigt, daß Eichmann Globke nie gekannt hat und daß all die Anschuldigungen zu diesem Verfahren, das Dr. Globke selbst angestrengt hatte, haltlos waren. Der ermittelnde Staatsanwalt Pfromm hatte sehr gründlich gearbeitet. In München traf er sich mit dem österreichischen Diplom-Ingenieur und Leiter des Dokumentationszentrums des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes, Simon Wiesenthal. Über das Gespräch mit ihm heißt es in der Einstellungsverfügung: „Dieser Zeuge, der während des Nazi-Regimes in einem Konzentrationslager inhaftiert gewesen ist, ist 1961 als Verfasser des Buches „Ich jagte Eichmann" bekanntgeworden. Der Zeuge hat die Familie Eichmann in Linz bis zuletzt überwacht u n d durch Gewährsleute in Erfahrung gebracht, daß Eichmann den Beschuldigten Dr. Globke nicht kennt. Der Zeuge hat zwar in seinem Brief vom 27.3.1961 nicht erwähnt, auf wen seine Information zurückgeht. Er hat aber die vorerwähnte Tatsache dem Staatsanwalt bei der mündlichen Rücksprache am 27.3.1961 verbindlich berichtet. Bei der Persönlichkeit dieses Zeugen und seiner reservierten Haltung gegenüber dem Beschuldigten Dr. Globke, die andere Ursachen hat, bestehen gegen seine Glaubwürdigkeit nicht die geringsten Zweifel." Diese Tatsache, daß Eichmann Dr. Globke nie gekannt hatte, wurde noch durch den Rechtsanwalt Eichmanns, Dr. Servatius aus Köln, bestätigt, der in einem Schreiben am 3.3.1961 deutlich gemacht hatte, daß das Telefonat, das Merten zur Grundlage seiner Anschuldigungen gegen Globke gemacht hatte, niemals stattgefunden habe. In einem Schreiben vom 5. Febr. 1961 an das Auswärtige Amt, das der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme überreicht worden war, hatten Eichmann und Servatius es abgelehnt, zur Sache selbst etwas zu berichten. In dem Schreiben von Servatius heißt es: „Meinem Klienten ist n u n m e h r in einer Ermittlungssache des Bundeskanzlers Dr. Adenauer und des Staatssekretärs Dr. Globke ./. unbekannt, Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Bonn — 8 Js 425/60 — unterzeichnet von dem leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Drügh, ein Vernehmungsersuchen vom 7.1.1961 bekanntgegeben worden, wonach er zu bestimmten, Judenverfolgungen betreffenden Fragen, die sein angebliches Zusammenarbeiten mit dem f r ü h e r e n Oberregierungsrat Dr. Globke im J a h r e 1943 betreffen, vernommen werden soll. Mein 182
9.3 Zum Fall Globke Klient hat aus grundsätzlichen Überlegungen abgelehnt, sich durch den Amtsrichter des Bezirskgerichts Haifa in dieser Angelegenheit vernehmen zu lassen: Mit der Absendung des Vernehmungsersuchens wird von der Staatsanwaltschaft Bonn, als einer Dienststelle der Bundesrepublik, die Rechtsmäßigkeit der gegen das Völkerrecht verstoßenden Inhaftierung meines Klienten anerkannt. Ein solches Anerkenntnis durch eine deutsche Behörde verstößt gegen das Grundgesetz, da nach diesem die deutschen Behörden unmittelbar an das Völkerrecht gebunden sind, das durch die Entführung und Inhaftierung meines Klienten verletzt worden ist. Falls mein Klient sich auf das Vernehmungsverfahren einlassen würde, so würde er damit den begründeten Einwand der Unrechtmäßigkeit seiner Inhaftierung und der Unzuständigkeit des israelischen Gerichts verlieren können. Mein Klient ist bereit, vor einem zuständigen Gericht der Bundesrepublik seiner Zeugenpflicht zu genügen. Ich bemerke noch, daß das Ersuchen um Vernehmung meines Klienten auch der formellen Grundlage entbehrt, als diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel nicht bestehen. Eine unmittelbare Inanspruchnahme der Rechtshilfe eines Amtsgerichts in Israel widerspricht im vorliegenden Falle den internationalen Gepflogenheiten." Dazu dann die oben erwähnte Ergänzung von Rechtsanwalt Dr. Servatius, Köln, vom 3.3.1961: „... Im Hinblick auf die in d e r Presse erschienenen irreführenden Betrachtungen zu der Vernehmungsverweigerung meines Klienten möchte ich nochmals betonen, daß diese Weigerung lediglich aus prozessualen Gründen erfolgt ist, da in der Zustimmung zur Vernehmung durch ein israelisches Gericht ein Verzicht auf den Einwand der Unzuständigkeit der israelischen Gerichte in dem Strafverfahren meines Klienten gesehen werden könnte. Mein Klient hat mich jedoch ausdrücklich ermächtigt zu erklären, daß ihm der heutige Staatssekretär Dr. Globke unbekannt sei und daß er sich nicht erinnern könne, mit ihm jemals gesprochen zu haben. Mein Klient weist d a r a u f h i n , daß nach der dienstlichen Organisation keinerlei Verbindung zu Herrn Globke bestanden habe. Er habe lediglich seinem Abteilungsleiter Müller unterstanden, und dieser Heydrich (später Kaltenbrunner) über dem Himmler gestanden habe. Mit den Abteilungsreferenten oder Abteilungsleitern des Ministeriums des Innern habe er niemals zusammengearbeitet. An den von Rechtsanwalt Dr. Merten erwähnten Vorfall betreffend Aktion zur Rettung der J u d e n aus dem Bereich Saloniki-Ägäis kann sich mein Klient nicht erinnern. Er hält es f ü r möglich, daß Herr Dr. Merten einmal bei ihm vorgesprochen habe, erklärt aber mit Bestimmtheit, daß er dann in einer solchen Angelegenheit niemals ein Telefongespräch mit Herrn Dr. Globke im Ministerium des Innern geführt haben könne. Ein solcher Vorgang, wie ihn Dr. Merten schildert, ist nach d e r Ansicht meines Klienten undenkbar; er sagt, wenn er sich mit der Angelegenheit im Sinne der Angaben von Dr. Merten befaßt hätte, so könne 183
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem nur eine telefonische Rückfrage bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten, Abteilungsleiter Müller, erfolgt sein." Und in den Ausführungen des Oberstaatsanwaltes heißt es dann in dem Einstellungsbeschluß anschließend: „Die über Rechtsanwalt Dr. Servatius bekanntgewordenen Erklärungen Eichmann werden durch die Aussage Eichmanns vom 27.7.1960 vor dem israelischen Untersuchungsbeamten, Hauptmann Less, in dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren bestätigt. Er betont ausdrücklich, ihn weder gesehen noch jemals gesprochen zu haben. Aus der bezeichneten Vernehmung geht weiterhin hervor, daß Eichmann nie in Saloniki gewesen sein will. Er behauptet, verwundert und ärgerlich gewesen zu sein, als er seinerzeit in Argentinien durch Zufall in einer Illustrierten von seinem angeblichen Auftritt in Saloniki und der im einzelnen wiedergegebenen Ansprache gelesen habe. In dem Zeitpunkt dieser Vernehmung durch Hauptmann Less nämlich am 27.7.1960, hat der Zeuge noch keinen Kontakt mit seinem Verteidiger gehabt. Es ist daher nicht anzunehmen, daß seine Aussage insoweit bereits schon von prozeßtaktischen Erwägungen bestimmt war. Da ihm das Vorbringen Dr. Mertens nicht bekannt sein konnte, vermochte er nicht zu übersehen, welche Aussage für ihn günstiger war, Dr. Merten und damit Dr. Globke zu kennen oder nicht." Ich habe diesen Vorgang so minutiös dokumentiert, weil er zeigt, mit welchen Methoden Ostberlin gegen die Bundesrepublik Deutschland vorging u n d wie gefährlich diese Dinge waren. Kaul spielte in Jerusalem natürlich diese Rolle weiter.
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim
Eichmann-Prozeß
Das Ermittlungsverfahren gegen Staatssekretär Dr. Globke war beendet. Eines Tages rief mich das Vorzimmer des Bundeskanzlers an, er wolle mich sehen. Als ich das Zimmer betrat, meinte er: „Kommen Sie Herr Vogel, setzen Sie sich, ich habe etwas sehr Ernstes mit Ihnen zu besprechen." Und er f u h r fort: „Sie müssen f ü r mich zum Eichmann-Prozeß gehen." „Aber Herr Bundeskanzler, ich bin doch europäischer Beamter." Zu dieser Zeit war ich stellvertretender Leiter des EGBüros in Bonn. „Ach, Herr Vogel, Sie werden nie ein Beamter, das ist das Gute an Ihnen." Ich war verblüfft über diese kurze Charakterisierung. „Ich habe Herrn Hallstein schon geschrieben, er muß Sie freigeben." „Da habe ich noch einige Bedingungen, Herr Bundeskanzler." Und ich erläuterte ihm, daß ich vor allem die vielen Dokumente bräuchte, die Dr. Globke in seinem Panzerschrank hatte. Es waren Papiere, die echte Zeugnisse seiner klaren Linie gegen den Nationalsozialismus waren, Zeugnisse, die letztlich auch darin gipfelten, daß er nach dem 20. Juli von der Gestapo gesucht wurde. Der Kanzler bat Dr. Globke zu dieser Besprechung hinzu, ich erläuterte ihm 184
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim Eichmann-Prozeß
noch einmal die Notwendigkeit und der Kanzler forderte Dr. Globke auf, mir die Papiere zu geben. Ich erhielt sie. Alles andere, technische Fragen, waren sofort gelöst. Es blieben mir noch etliche Monate, um mich auf diese Aufgabe vorzubereiten, die sicherlich nicht leicht werden würde, denn es gab außerdem noch die offizielle Delegation d e r Bundesregierung, mit der mich n u r die Möglichkeit verband, den Chiffrierfernschreiber f ü r meine Berichterstattung nach Bonn benutzen zu dürfen. All diese Einzelheiten besprach ich mit Herrn Baden, der als persönlicher Referent von Staatssekretär Globke im Bundeskanzleramt wirkte. Diese Verbindung war menschlich und fachlich außerordentlich hilfreich. Er gehört zu den seltenen Menschen, die bei aller Gradheit der Entscheidungen auch noch Herz haben. Heute ist er Staatssekretär im Bundesministerium f ü r Arbeit. Wenige Tage vor Beginn des Prozesses flog ich nach Israel. Im Jerusalemer Hotel King David begegnete mir Simon Wiesenthal. Nach herzlicher Begrüßung sagte er: „Weiß't, der ganze Prozeß geht baden. Die haben hier einen Spionageprozeß, der alles überschattet." Ich war überrascht. Spionageprozeß in Israel? Das erschien mir ungeheuer. „Und wann wird man das erfahren", fragte ich zurück. „In zehn Tagen wird man das bekanntgeben." Ich dachte nach: Zehn Tage? Hatte nicht die Sekretärin von Oberstleutnant Bear davon gesprochen, daß Bear in 10 Tagen aus dem Urlaub zurück sein werde? Mein altes Mißtrauen, trotz der engen Verbindung die ich ihm zur Bundeswehr geschaffen hatte, wurde wieder wach. An meinem geistigen Auge zogen einige Erinnerungen vorbei, die ihren Ausgang bei der Besichtigung der sowjetischen Waffen in der Sinai-Wüste nach dem ersten Sinai-Feldzug genommen hatten, als Bear mir einen Kameramann verweigerte, weil, wie er damals sagte, Israel keine Komplikationen mit den Sowjets haben wolle. Es gab noch einige andere Faktoren dieser Art. Dazu kam die Tatsache, daß Bear die Einladung, die ich ihm durch das Bundesverteidigungsministerium übermittelt hatte, bis zur Stunde noch nicht realisiert hatte. Ich hatte die Flugkarte im Namen des Bundesverteidigungsministeriums persönlich an das Reisebüro geordert, von dem ich wußte, daß es dem Verteidigungsministerium Israels gehörte. Somit war ich sicher, daß man dort über diesen neuen Kontakt zur Deutschen Bundeswehr genau informiert war. Der Hintergrund der Reise von Oberstleutnant Bear: Er bat mich darum, weil er noch vor dem EichmannProzeß einige positive Artikel, wie er sagte, über die neue Deutsche Bundeswehr schreiben wolle. Das leuchtete den Herren im Ministerium sehr ein, denn gerade im politischen Feld war doch die Bundeswehr eine schwierige Stelle f ü r die Bundesrepublik Deutschland. Das eben geführte Gespräch mit Simon Wiesenthal, der sein Wissen nicht preisgeben wollte, veranlaßte mich, Asher Ben Nathan, den Staatssekretär von Shimon Peres anzurufen. Ich ging mit einer offenen Frage auf ihn zu: „Warum haben Sie Israel Behr verhaftet?" „Wie können Sie eine solche Frage am Telefon stellen", war seine Antwort. „Haben Sie Sorge, daß Ihr Apparat überwacht wird." Gegenfrage von Ben Nathan: „Wann können Sie hier sein?" „Mein Volkswagen steht noch im Zoll von Haifa." „Ich schicke Ihnen meinen Wagen." Es war keine Stunde vergangen, als ein höherer, j u n g e r Offizier die Hotelhalle betrat und di185
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem rekt auf mich zusteuerte. Fünfzig Minuten später betrat ich das Zimmer von Asher Ben Nathan. Nach kurzer Begrüßung fragte er mich, wie ich daraufgekommen sei. Ich erzählte ihm von meinen Bedenken, bei meiner Begegnung mit Behr nach dem Israel Feldzug 1956 und Ben Nathan berichtete mir von dem, was vorgefallen war, weshalb Behr unter dem Verdacht stand, f ü r die Sowjets Spionage getrieben zu haben. Nach etwa 1 l/2stündigem Gespräch bat mich Ben Nathan, dem Vernehmungsoffizier noch einmal die wichtigsten Punkte zu berichten, die ich ihm eben erzählt hatte. Es war selbstverständlich, daß ich das tat, denn all diese Fragen berührten doch letztlich den Bereich der Nato. Behr war bei seinen ersten Deutschlandbesuchen auch in die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes nach Pullach gekommen und hatte dort auch mit General Gehlen gesprochen. Kein Wunder, sein Arbeitszimmer lag im israelischen Verteidigungsministerium wenige T ü r e n von dem Arbeitsraum Dairid Ben Gurions entfernt, seine enge Verbindung zu dem großen alten Mann Israels war überall deutlich. Als ich mit meinem Bericht vor den Vernehmungsbeamten geendet hatte, ging ich zu Asher Ben Nathan. Ich trug ihm meine Bitte vor, ein Fernschreiben an Bundesverteidigungsminister Strauß zu senden. Inhalt: Bin übermorgen f r ü h in Bonn, schlage vor, bis zu diesem Zeitpunkt keine Äußerungen über Israel Behr an die Öffentlichkeit zu geben. Ben Nathan ließ das Fernschreiben sofort an seinen Beauftragten in der Kölner Israel-Mission gehen. Mit seinem Wagen f u h r ich beim Reisebüro Ophir vorbei, wo ich meinen alten Freund Martin Hauser traf. „Martin, bei Euch liegt doch noch die Flugkarte f ü r Israel Behr nach Bonn? Buche sie doch bitte auf meinen Namen." „Du weißt?" „Ja, ich komme gerade von Asher Ben Nathan." Mit der Flugkarte nach Deutschland und mit der Buchung f ü r mich nach Jerusalem zurück. Am übernächsten Morgen war ich im Bundesverteidigungsministerium. Etwa 30 höhere Beamte und Offiziere hörten, was ich ihnen zu berichten hatte. Als ich endete, stand einer der Herren auf: „Ich bin der Vertreter des Bundesnachrichtendienstes in Bonn und wollte Ihnen n u r sagen, daß Sie vollkommen richtig gehandelt haben, daß kein Schatten auf Sie fällt. Können wir noch etwas f ü r Sie tun?" „Was meinen Sie damit?" „Nun, Sie brauchen ja sicherlich eine neue Flugkarte nach Israel." „Nein, danke, ich bin auf der Flugkarte von Israel Behr hier." Schallendes Gelächter in der Runde. So begann f ü r mich der Eichmann-Prozeß mit einer Episode, die man nicht vergißt, wenn man an jene Tage zurückdenkt. Der Vollständigkeit halber: Der Prozeß, den man Israel Behr machte, fand nicht in der Öffentlichkeit statt. Spionage-Prozesse in Israel haben ihre eigene Form. Er wurde zu 12 J a h r e n Gefängnis verurteilt, die Revision brachte weitere 3 Jahre. Der Grund f ü r die Erhöhung des Urteils: Man konnte im zweiten Prozeß noch mehr Belege d a f ü r beibringen, daß er bereits vor dem Sinai-Feldzug 1955/ 56 die Sowjets mit Informationen beliefert hatte. Meine Vermutungen hatten sich auf eine grausame Weise bestätigt.
186
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim Eichmann-Prozeß 9.4.1
Kauls Rolle in Jerusalem
Beim israelischen Generalkonsulat in Prag beantragte Kaul ein Visum, um zum Eichmann-Prozeß nach Israel zu fliegen. Er wollte dort beim Eichmann-Prozeß als Nebenkläger f ü r jüdische Verfolgte aus seinem Staatsbereich auftreten. Die israelische Justiz machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Das was er vorhatte, war nur allzu deutlich. Er wollte versuchen, den Eichmann-Prozeß in einen „Globke-Prozeß" umzufunktionieren. Die israelische Gesetzgebung sieht aber Nebenkläger bei derartigen Verfahren nicht vor. So mußte sich Kaul mit der bescheidenen Rolle eines schlichten Beobachters begnügen, eines Mannes, der in den Pressebänken saß wie Hunderte von Journalisten aus aller Welt. Offizieller Beobachter, wie die Bundesrepublik Deutschland einige entsandt hatte, war er nicht. Am 21. Februar 1961, also lange vor Beginn des Prozesses war er nach Jerusalem gereist, um seine Rolle mit dem israelischen Generalstaatsanwalt Gideon Hausner zu besprechen. Hausner schreibt in seinem Buch „Gerechtigkeit in Jerusalem" über die Rolle von Kaul: „Die kommunistische Welt wollte natürlich den Eichmann-Prozeß als eine Plattform verwenden, von der aus Globke angeprangert werden konnte; ein Ostberliner Rechtsanwalt, Dr. Friedrich Kaul, traf sogar in Jerusalem ein und verlangte, als Nebenkläger zugelassen zu werden, obwohl das israelische Gesetz vorsieht, daß bei Vergehen, auf welche die Todesstrafe steht, Nebenkläger ein getrenntes Verfahren anstrengen müssen."
9.4.2
Die Pressekonferenz in Jerusalem Kaul entlarvt sich selbst
-
Kauls Wirken kam während des Prozesses in zahlreichen Gesprächen mit Journalisten zum Ausdruck und nicht zuletzt in seiner Pressekonferenz, die er am 2. Mai 1961 in den Räumen des israelischen Presseverbandes abhielt. Er hatte in dieser Pressekonferenz erklärt, daß er dem Generalstaatsanwalt Hausner Dokumente vorgelegt habe, von denen dieser einige akzeptiert hätte. Er wollte den Eindruck erwecken, daß es sich um G/oMe-Dokumente handelte, wie seine ganze Pressekonferenz praktisch nichts mit Eichmann, sondern nur mit Globke zu tun hatte. Aber die Fragen der Journalisten kamen präzise. Der Korrespondent von Radio Bremen, Dambmann, nahm das Wort: „Ich möchte von Herrn Kaul wissen, ob die Dokumente, die er bis jetzt der Staatsanwaltschaft überreicht hat u n d die die Staatsanwaltschaft akzeptiert hat, den Namen Globke enthalten oder konkrete Vorwürfe von Herrn Globke enthalten. Wenn das nicht der Fall ist, möchte ich von ihm wissen, warum er heute sagt, er will solche Dokumente nicht überreichen, während wir noch nicht wissen können, ob die Staatsanwaltschaft solche Dokumente akzeptieren wird." 187
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem Und Kauls Antwort: „Ich persönlich habe von mir aus nie Dokumente überreicht. Die Dokumente, die jetzt Gegenstand des Prozesses werden und sich in Händen d e r Staatsanwaltschaft befinden, sind von der Staatsanwaltschaft von mir ersucht worden. Sie behandeln bis jetzt ausschließlich den Eichmann-Komplex und enthalten den Namen Globke nicht. Sie beziehen sich in erster Linie—das werden Sie wahrscheinlich morgen, oder ich weiß nicht, wann die Staatsanwaltschaft sie vorlegt — erfahren. Ich habe das Legitimations-Statement heute unterschrieben — sie behandeln in erster Linie den Komplex der norwegischen J u d e n . Das sind Dokumente, die in Stettin beschlagnahmt worden waren. Dort kamen die Transporte von Oslo an. Das ist dieser Punkt. Im Zusammenhang mit der Anforderung dieser Dokumente wurden andere Dokumente, die sich gleichfalls auf Eichmann allein bezogen, aussortiert u n d dort in einer gegenseitigen Unterredung zwischen mir und den Staatsanwälten aussortiert." Daraufhin fragte Dambmann noch einmal, ob bei diesen Dokumenten d e r Name Globke nicht vorkomme. Und die Antwort von Kaul: „Ich habe gesagt, es handelt sich um Dokumente, die sich nur auf den EichmannKomplex beziehen, in dem der Name Globke nicht vorkommt. Im Rahmen dieser Unterredung mit Hausner — das ist Ihre dritte Frage — erklärte ich den Vertretern der Staatsanwaltschaft, daß ich unabhängig von den direkten Eichmann-Dokumenten hinsichtlich der Person des Herrn Globke, zu denen diese Dokumente gehören, auch noch andere vorlegen kann. Ich erklärte der Staatsanwaltschaft, daß diese Dokumente ihnen zur Verfügung stehen, wenn sie sie genauso abrufen, wie sie jetzt die Eichmann- Dokumente abberufen haben. Die Staatsanwaltschaft erklärte, daß dazu keine Notwendigkeit bestehe. Ich erklärte und machte darauf aufmerksam, daß nicht nur f ü r den Fall des Nachweises der Schuld Eichmanns diese Dokumente unter Umständen erforderlich sind, sondern auch für die Tatsache, wenn Herr Servatius Herrn Globke als Zeugen benennt. Daraufhin hat mir heute die Staatsanwaltschaft erklärt, daß H e r r Servatius Herrn Globke bislang auch nicht als Zeugen benannt hat." Damit war diese Seifenblase praktisch geplatzt. Aber Kaul hatte ja noch immer nicht seinen Coup ausgespielt. Er hatte ein kleines blaues Tonbandgerät mitgebracht, das er offensichtlich in einem westdeutschen Versandhaus gekauft hatte. Und da kam das Stichwort durch die Frage eines Journalisten, der wissen wollte, wie denn die Zusammenhänge zwischen Eichmann und Globke bei der Deportation der J u d e n in Saloniki zu sehen seien. Ich habe bereits dargestellt, wie sich diese Frage aus den Akten der Staatsanwaltschaft herausliest. Aber Kaul schien über diese Ermittlungen und ihre Ergebnisse entweder nicht informiert zu sein oder er glaubte, daß die internationalen Journalisten, die zu dieser Pressekonferenz gekommen waren, über diese Ergebnisse so gut wie nichts wüßten. Nur so ist es zu erklären, daß er auf diese Frage folgendes ausführte: 188
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim Eichmann-Prozeß „Verwaltungsgerichtsrat Dr. Merten, der heute als Rechtsanwalt in Westberlin amtiert, hat eine Erklärung abgegeben, die Sie später, wenn wir noch dazu kommen, auf Band und im Bild von ihm persönlich gesprochen hören und sehen werden. Er hat erklärt, als er in Saloniki war, da hatte er die jüdische Bevölkerung aus irgendwelchen Gründen zu irgendwelchen Arbeiten einsetzen wollen. Ich kann Ihnen das n u r allgemein sagen. Daraufhin erschien Eichmann und verlangte die Deportation dieser 10 000 Menschen, jüdischen Menschen von Saloniki nun also ins Reich, wie man sagte, also nach Auschwitz zur Endlösung. Dagegen widersetzte sich Merten, und Eichmann war bereit, nachzugeben, erklärte aber, ohne die Zustimmung Globkes das nicht zu können. N u n erklärte Merten, das hat er schon vor Monaten erklärt, und wohnt in Westberlin, ist also zu jeder Minute (Zwischenruf: ein Kriegsverbrecher) dem Zugriff des Herrn Globke greifbar. Nun schön, ich habe gegen ihn genau die gleichen Antipathien wie Sie. Ich habe auch nichts weiterhin mit ihm zu tun. Nur steht fest, daß H e r r Globke nichts unternommen hat gegen die Erklärung." Weiter kam er nicht. Journalisten aus der Bundesrepublik Deutschland riefen ihm zu, daß gegen Merten doch ein Verfahren laufe und daß Merten doch ein Kriegsverbrecher sei. Kauls Antwort: „Es läuft kein Beleidigungsverfahren von Globke gegen Merten", worauf der Korrespondent der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung" Alfred Wolfmann rief: „Aber sicher!" Kaul war konsterniert. „Lassen Sie mich bitte zu Ende reden!" Und er wiederholte die Lüge von Merten: ,Merten erklärt, daß Eichmann in seiner Gegenwart mit Globke telefoniert hat, daß Eichmann die notwendige Genehmigung nicht erhalte. Das ist das, was Merten sagte." Kaul hatte vor den Journalisten so getan, als wenn ihn nichts mit Max Merten verband. Das war eine Spiegelfechterei. Max Merten selbst wurde bereits 1955 zum Zeugen f ü r die engen Kontakte, die er zu Kaul pflegte. Es gibt ein Schreiben von ihm an den Präsidenten des Kammergerichts in Berlin-Charlottenburg vom 14. September 1955, das er als Einlassung gegen einen Erlaß vom 20.8.1955 Az.: 3 M. 192 D.KG - verfaßte. Dieser Brief kam aus Kirchdorf-Maxhofen, wo Merten sich zur Zeit des Schreibens dieses Briefes aufhielt. Er beginnt mit folgenden Sätzen: „Meine Anwaltstätigkeit in Berlin ist nach wie vor die gleiche, wie in meinem Schreiben vom 18. März 1954 angegeben. Ich habe insbesondere meinen Beruf f ü r Firmen im Rahmen des Interzonenhandelsverkehrs ausgebaut; hinter dieser rechtlich und wirtschaftlich beratenden Praxis steht mein Auftreten vor den Ber189
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem liner Gerichten völlig zurück. Dazu, daß ich im Rahmen des Interzonenhandelsverkehrs laufend in Berlin tätig bin, bitte ich zu hören Herrn Rechtsanwalt und Notar Dr. F.K. Kaul, Berlin N 54, Wilhelm-PieckStraße 11. Der genannte Kollege steht im Rahmen meiner Berufsausübung f ü r den Interzonenhandel laufend mit mir in Verbindung und weiß daher am besten darüber Bescheid, daß meine Tätigkeit in Berlin eine intensive ist. Dem stehen im Zeitalter des Autos und des Flugzeugs meine durchaus zahlreichen Reisen nicht entgegen." Ein merkwürdiger Zusammenhang, besonders wenn man daran denkt, daß Merten zur Gesamtdeutschen Volkspartei gehörte und sein Anwalt, Dr. Diether Posser aus Essen, Angehöriger des Vorstandes dieser Partei war.
9.4.3
Servatius sagt aus
Darum noch einmal zurück zu dem Prozeß gegen Max Merten, der durch dessen Tod nicht mehr zu Ende geführt wurde. Man schrieb den 5. Oktober 1965. Die 4. Große Strafkammer unter Landgerichtsdirektor Loose verhandelte in Bonn. Als Zeuge erschien Dr. Robert Servatius, der ehemalige Eichmann- Verteidiger. Als er vom Vorsitzenden gefragt wurde, woher er Dr. Merten kenne, antwortete er, er habe ihn in Salzburg kennengelernt, als er sich dort mit dem Bruder Eichmanns traf, um über die Verteidigung von Adolf Eichmann zu sprechen. Auf die erstaunte Frage des Vorsitzenden, was denn Dr. Merten dort gewollt habe, antwortete Servatius, Merten habe sich um die Verteidigung Eichmanns beworben. Eine merkwürdige Angelegenheit! Warum dieser wegen seiner Beteiligung an der Deportation der griechischen Juden zu 25 Jahre Kerker in Griechenland verurteilte Max Merten, sich danach gedrängt haben mag, als Verteidiger Eichmanns nach Jerusalem zu gehen? Merten wurde am 29.5.1961 und am 31.5.1961 in Berlin im Amtsgericht Tiergarten zum Eichmann-Prozeß vernommen. Zu den angeblichen Vorgängen Globke — Eichmann — Saloniki hat er damals nicht ausgesagt, weil, wie er betonte, ein Verfahren gegen ihn selbst in dieser Angelegenheit anhängig sei. Merkwürdige Zusammenhänge.
9.4.4
Ein Interview mit Ben Gurion
Man kann über die Versuche Kauls, den Eichmann-Prozeß in dieser Weise gegen die Bundesrepublik Deutschland zu mißbrauchen, nicht sprechen, ohne nicht auf die klare Haltung der israelischen Regierung hinzuweisen. Ich selbst hatte mit David Ben Gurion, dem israelischen Ministerpräsidenten, während des Prozesses gesprochen und von ihm ein Interview f ü r die „Deutsche Zeitung" in Köln er190
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim
Eichmann-Prozeß
halten, in dem er eindeutig und klar das Verhältnis zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland umrissen hat. In diesem Interview sagte er: „Frage: Hat dieser Prozeß, der zweifellos im jüdischen Volk die furchtbaren Erinnerungen an die erlebten und erlittenen Greuel erneut geweckt hat, nach Ihrer Meinung, Herr Ministerpräsident, die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland und zum deutschen Volk beeinflußt? Ben Gurion: Meine Ansichten über das heutige Deutschland haben sich nicht geändert. Es gibt kein Nazi-Deutschland mehr. Unsere Schriften lehrten uns: ,Die Väter sollen nicht f ü r die Kinder, noch die Kinder f ü r die Väter sterben, sondern ein jeglicher soll f ü r seine Sünde sterben' (5. Buch Moses, Kapitel 24, Vers 16), der Prophet Hesekiel widmete diesem humanen Prinzip ein ganzes Kapitel (Kapitel 18). Die Entwicklung unserer Beziehungen zum heutigen Deutschland hängt auch von den Absichten und der Politik der deutschen Regierung ab. Auf unserer Seite besteht die Bereitschaft zu engen und normalen Beziehungen und einer vollen Zusammenarbeit. Frage: H e r r Ministerpräsident, seit einiger Zeit hat Ihre Regierung ihre Bemühungen verstärkt, Israel mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzuschließen. Werden durch solche Bemühungen f ü r die israelische Wirtschaft nicht neue Fragen auftauchen, und welche Vorteile versprechen Sie sich aus einem derartigen Zusammenschluß f ü r Ihr Land? Ben Gurion: Obgleich unsere Integration in den europäischen Gemeinsamen Markt möglicherweise Härten f ü r einige Zweige unserer Wirtschaft mit sich bringen wird, wiegen doch die gemeinsamen Vorteile einer solchen Zusammenarbeit die Härten auf. Ich messe dem Niederreißen aller Grenzen zwischen den Staaten — sowohl der Zollgrenzen, als auch der anderen Grenzen — großen Wert bei. Es ist lebenswichtig, die Zusammenarbeit zwischen den Nationen auf den Gebieten der Wirtschaft, der Kultur und Politik zu verstärken, wobei die volle Unabhängigkeit jedes freien Volkes gewahrt bleiben muß. Frage: Das Wiedergutmachungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel läuft in seinen Leistungen in Kürze aus. Sehen Sie, H e r r Ministerpräsident, Möglichkeiten einer Fortsetzung und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen der israelischen und der deutschen Wirtschaft? Ben Gurion: Weitreichende Möglichkeiten der Zusammenarbeit bestehen meiner Ansicht nach auf dem Gebiet deutscher Investitionen zur Entwicklung der Industrie, des Wohnungsbaues und des Verkehrswesens in Israel, besonders im Negev. Ich bin überzeugt, daß Dr. Adenauers Erklärung keine Formsache war und daß er sie ohne Zweifel ausführen wird. Ich habe Vertrauen zu den moralischen Verpflichtungen, die von Dr. Adenauer und anderen führenden Persönlichkeiten des heutigen Deutschland übernommen wurden. Frage: Seit einigen Jahren kann man in Israel laufend Abordnungen der jungen afrikanischen und asiatischen Staaten sehen. Worin besteht nach Ihrer Meinung die große Möglichkeit f ü r Ihren Staat, diesen jungen Staaten bei ihrem Aufbau zu helfen? 191
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem Ben Gurion: Israel ist ein junges Land mit einer alten Tradition. Seine Wiedererrichtung macht den Aufbau einer Wirtschaft und einer Gesellschaftsordnung von Grund her erforderlich. Israel ist nicht gebunden an die starren wirtschaftlichen und sozialen Traditionen jener Völker, die seit Jahrhunderten ein normales Leben geführt haben. Aus diesem Grund haben wir Erfahrungen mit Neuanfängen auf den Gebieten der Erziehung, des Armeeaufbaues, der Landwirtschaft, der Entwicklung des Genossenschaftswesens und der Arbeiterbewegung — Erfahrungen, die den jungen Nationen in Asien und Afrika von Nutzen sein können. Da wir ein kleines Land sind, brauchen diese Völker außerdem keine Furcht vor unserer Herrschaft zu haben oder vor einem Neokolonialismus, wie die Kommunisten und ihre Gefolgsleute es nennen. Israel heißt junge Männer und Frauen aus diesen Ländern willkommen, die unsere neuen Methoden auf jenen Gebieten studieren wollen, und wir schicken ihnen auch auf ihren Wunsch hin Fachleute." Deutlicher konnte dieser Staatsmann nicht sprechen. Es war nicht das einzige Interview, was er während der Zeit des Eichmann-Prozesses in dieser Frage gegeben hat. Immer wieder hat Ben Gurion diese Haltung gezeigt und damit deutlich gemacht, wie stark sein Vertrauen in Konrad Adenauer war und daß er fest an die Freundschaft mit diesem Mann glaubte und Vertrauen in dieses neue Deutschland hatte. Es war immer wieder bei ihm herauszuhören, daß er Adenauer auch im Falle Globke vertraute.
9.4.5
Kaul lehnt Wiedergutmachung
an Israel ab
Aber noch einmal zurück zur Pressekonferenz von Kaul vom 2. Mai 1961 in Jerusalem. Die Journalisten waren über Kaul empört. Er erlitt eine Niederlage, die gerade für das deutsch-jüdische Verhältnis von entscheidender Bedeutung war. Ein Kollege, Danny Lindner von der „Bild Zeitung", der seine Mutter in Auschwitz verloren hatte und nach England ausgewandert war, wollte von Kaul wissen, warum die DDR keine Wiedergutmachung gezahlt habe, obwohl Israel sich 1950 an beide Teile Deutschlands gewandt hatte, um Wiedergutmachungszahlungen zu erhalten. Und hier kam der Zynismus zutage, den die DDR durch Mißachtung dieser Forderung stets zum Ausdruck gebracht hat. Hier wurde die Haltung sichtbar, die die kommunistische Welt dem Staate Israel seit langen Jahren gegenüber einnahm. Kaul gab zur Antwort: „Ich betrachte diese Frage als überaus ernst und wenn ich gelächelt habe, dann nur, weil sie ausgerechnet von einem Vertreter einer westdeutschen Zeitung gekommen ist, weil für mich diese Fragestellung nicht darin zu sehen ist, daß er eine echte Information haben will, sondern daß er bewußt versucht, das Thema abzulehnen." (Tumult bei den Journalisten. Rufe: Antwort zur Frage!) 192
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim Eichmann-Prozeß Und Kaul fährt fort: „Ich habe jetzt erst erklärt, warum ich gelächelt habe und jetzt antworte ich: Die Deutsche Demokratische Republik hat die erste und wesentlichste Notwendigkeit der Wiedergutmachung darin gesehen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich derartige Vorgänge auf deutschem Boden unter keinerlei Umständen wiederholen. Dazu war erforderlich, eine völlige Umstellung der gesamten gesellschaftlichen Ordnung. Ich glaube dadurch, daß wir heute, daß die Deutsche Demokratische Republik, wenn sie heute erklärt, (Zwischenbemerkungen der Journalisten). Ja, meine Herren, entweder lassen Sie mich antworten, oder... Dadurch, daß die Deutsche Demokratische Republik die Voraussetzung d a f ü r geschaffen hat, daß keiner der Verbrecher ungestraft und ungesühnt weiterhin in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit tätig sein kann, Verbrecher, die die Träger des NaziT e r r o r s gewesen sind, haben sich zunächst einmal die wesentlichste Form der Wiedergutmachung geschaffen. Danach werden wir weitersehen. Lassen Sie mich bitte ergänzen, was ich darunter verstehe „die Voraussetzungen zu schaffen, daß sich diese Verbrechen nicht wiederholen können" und ich bitte Sie in tiefstem Ernst, genau den gleichen Ernst diesen Problemen entgegenzubringen, wie ich ihn dieser Frage entgegenbringe. In unserer Justiz, in der Justiz der DDR, gibt es keinen einzigen Richter oder Staatsanwalt, der vor 1945 überhaupt im Justizdienst tätig gewesen ist, geschweige denn, daß er etwa Mitglied der Nazipartei gewesen war oder sogar an einem Terrorurteil teilgenommen hat." Diesen Äußerungen Kauls ist nichts hinzuzufügen. Sie sind Hohn und Spott für die Opfer. Was nützt es einem jüdischen Wiedergutmachungsberechtigten, wenn er aus dem Munde von Kaul erfahren muß, daß in der DDR die „Voraussetzungen geschaffen wurden, daß sich diese Verbrechen nicht wiederholen können"? Das Vermögen hat man diesen Menschen nicht wiedergegeben. Jeden Versuch d e r Wiedergutmachung hat man vereitelt. Die Archive in Ostberlin und Potsdam sind f ü r eine freie Ermittlungsarbeit nicht zugänglich, während in der Bundesrepublik einige hundert Staatsanwälte sich auch heute noch bemühen, mit der b r a u n e n Vergangenheit fertig zu werden. Die Justiz in der Bundesrepublik in einer Weise anzugreifen, wie es Kaul in Jerusalem tat, richtet sich angesichts dieser Tatsachen selbst. Die Haltung Israels gegenüber der Bundesrepublik Deutschland war von einer außerordentlichen, man möchte sagen freundschaftlichen Haltung geprägt. Das Presseamt d e r Regierung sorgte dafür, daß die rund 50 Journalisten, die aus der Bundesrepublik und Westberlin über den Prozeß berichteten, mehr als einmal eingeladen wurden, sich das Land anzusehen, Einrichtungen in Israel zu besichtigen. So wurden die vier Monate des Prozesses f ü r diese Journalisten gleichzeitig zum Anschauungsunterricht über das Land. Die Bewachung Eichmanns und des Gerichtsgebäudes Bet Haam wurde von einer Gruppe ehemaliger Deutscher israelischer Polizeioffiziere durchgeführt. 193
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem Chef dieser 500 Polizisten umfassenden T r u p p e war der Polizeioberst, mein jetziger Freund Leo Koppel, der in Krefeld geboren war. Kein Wunder, daß er zu den deutsch-israelischen Problemen einen besonderen Zugang hatte. Sehr verärgert reagierte er, wenn man einen Gegensatz aus „Israel und den Deutschen" machte. Er wolle ja auch nicht, daß man von „den J u d e n " spreche. Ich habe mit Leo Koppel ein Gespräch über dieses T h e m a aufgezeichnet, das ich hier wiedergeben möchte. Frage: H e r r Koppel, Sie waren der Leiter der gesamten Bewachung im Bet Haam wie das Gerichtsgebäude hieß. Es war eine eigentümliche Situation f ü r die deutschen Journalisten, die deutschen Beobachter, die deutschen Zeugen, die nach Israel kamen, die an diesem Prozeß teilnahmen und nicht n u r im Gerichtsgebäude, sondern außerhalb des Gerichtsgebäudes sich mit dem israelischen Volk konfrontiert sahen, mit den Menschen, die unter Eichmann nicht nur gelitten hatten, sondern Millionen ihrer Angehörigen verloren hatten. Dennoch hielt das deutsch-israelische Verhältnis. Es gab Menschen, zu denen ich mich zählte, die sagten, so innig war es bis zu diesem Zeitpunkt noch nie zwischen dem neuen deutschen Staat, der Bundesrepublik Deutschland, und Israel gewesen. Sind Sie auch der Meinung? Antwort: Ich glaube, die Überschrift über das ganze Verhältnis damals hatte j a Ben Gurion gesetzt, als er gesagt hat, es gibt heute andere Deutsche. Ich glaube, die zweite Überschrift ist die, daß es uns nicht gefallen hat, wenn die Nazis gesagt haben,,die Juden'. Dann sind wir die letzten, die sich erlauben dürfen zu sagen, ,die Deutschen'. Und wir hatten da nicht die Deutschen, einschlössen Herrn Eichmann und Genossen und Sie, Herr Vogel und Ihre Kollegen. Sondern wir hatten eben einen Verbrecher, der hieß Eichmann und wir hatten Gäste, die hießen, Vogel usw. Und dieser Akzent wurde eben gesetzt von Ben Gurion und danach hatten wir uns zu richten und wollten uns richten. Wie das Publikum reagiert hat, wie es reagieren würde, wußten wir nicht, bevor der Prozeß anfing. Aber vielleicht kann ich das illustrieren an der kleinen Geschichte oder vielleicht großen Geschichte. An der Geschichte von dem Erscheinen des ersten deutschen Zeugen unter den immerhin mehr als 100 Zeugen, die in diesem Prozeß aufgetreten sind, den Probst Grüber. Wir sahen uns vor das technische Problem gestellt, daß in diesem Saal, voll von Naziopfern und deren Angehörigen, oder leider nicht der Opfer, denn die waren ja nicht mehr da, plötzlich ein Deutscher, ich sage das mit oder ohne Anführungszeichen, als Zeuge auftrat. Und wir hatten Bedenken. Infolgedessen haben wir den Herrn Probst Grüber unter kräftiger Bewachung durch den Hintereingang in das Justizgebäude geführt. Und haben ihn vor das Publikum treten lassen eben zur Vernehmung. Der zweite Teil der Geschichte ist, daß nach seiner Zeugenaussage Herr Grüber ohne Bewachung durch die Zuhörer stolz aus dem Haus herausgehen konnte. Ich glaube, das illustriert alles, was ich zu sagen habe. Frage: Ich glaube, es gibt noch eine zweite Geschichte, die Ankunft des Verteidigers von Eichmann, Rechtsanwalt Servatius. 194
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim Eichmann-Prozeß Antwort: Ja, die Geschichte ist in einer etwas leichteren Ader, aber vielleicht auch illustrierend. Ich hatte damals den Auftrag, Rechtsanwalt Servatius am Flugplatz abzuholen. Auch hier wußten wir nicht, wie das Publikum hier reagieren würde, auf d e n Verteidiger des Verbrechers Eichmann. Auch hier waren V o r k e h r u n g e n getroffen u n d die, wie sich nachher herausstellte, überflüssig oder übervorsichtig waren. U n d nachdem H e r r Servatius n u n in seinem Hotel war u n d alles gut verlaufen war, w u r d e ich von einem Kollegen, ich weiß nicht mehr, o d e r Bekannten gefragt: „Ja, sag mal, in welcher Sprache hast Du d e n n mit dem gesprochen?" Meine Antwort war: kirgisisch natürlich, weil wir das beide nicht verstehen. Ich glaube, ich habe die Frage beantwortet. Frage: H e r r Koppel, wie erklären Sie sich, d a ß man zu diesen Zeiten, vier Monate d a u e r t e d e r Gesamtprozeß, in Israel als Deutscher mit einem deutschen Wagen u n d einer deutschen A u t o n u m m e r , mit d e m D-Schild am Wagen, d u r c h ganz Israel f a h r e n konnte, u n d eigentlich n u r in b e d a u e r n d e Gespräche gezogen wurde, daß m a n sich dieser Aufgabe gestellt hat, über diesen Prozeß zu berichten. Und damit das ganze Leiden als Deutscher noch einmal auf sich g e n o m m e n hat? Das ist mir nicht n u r einmal, das ist mir h u n d e r t m a l passiert in den Wochen u n d Monaten, wo ich hier war? Antwort: Das beweist j a eigentlich nur, was ich anfangs schon sagte, daß man hier im Lande gelernt hat, am eigenen Leibe gespürt hat, was diese widerliche Art von Generalisierungen, die J u d e n , die Deutschen, bedeutet. U n d daß wir eben nicht in diesen selben greulichen Fehler verfallen wollten u n d verfallen sind, die von Goebbels u n d seinen Weggefährten zu solchen furchtbaren Sachen ausgenutzt worden sind.
9.4.6
Zur Berichterstattung
nach Bonn
Viermal war ich in d e n Monaten in Bonn, u m dem Kanzler, d e m Bundespräsid e n t e n u n d d e m Bundesaußenminister von meinen Erlebnissen zu berichten. Einmal, ich hatte gerade ü b e r die Furchtbarkeiten f ü r die Kinder in Auschwitz berichtet, schaute mich Dr. Adenauer sehr intensiv an. „Wie halten Sie das eigentlich aus?" Meine Antwort war: „Nachts, wenn ich oftmals nicht schlafen kann, d a n n d e n k e ich an meine eigenen Kinder." Ich glaube, m a n darf es heute sagen. Dem Alten liefen die T r ä n e n h e r u n t e r , u n d er bat mich, aufzuhören, er könne nicht m e h r . Dieses Erlebnis mit Adenauer gehört wohl zu den intensivsten Gesprächen, die ich jemals mit ihm haben d u r f t e . Er stand auf und begleitete mich zur T ü r .
9.4.7
Ein Gespräch mit Teddy Kollek zum Ende des Prozesses
Das Revisionsurteil im Eichmann-Prozeß war gesprochen. Es bestätigte den Spruch d e r Richter aus d e r ersten Instanz: Tod durch d e n Strang. Die israeli195
9 Der Eichmann-Prozeß in Jerusalem. sehen Behörden hatten Frau Eichmann die Möglichkeit gegeben, ihren Mann noch einmal zu besuchen. Noch vor diesem letzten Akt bat mich Teddy Kollek zu sich. „Ich dachte, es wäre f ü r Sie vielleicht interessant, den Zeitpunkt der Hinrichtung Eichmanns zu erfahren, vielleicht wollen die Herren in Bonn Sicherheitsvorkehrungen f ü r jüdische Einrichtungen treffen." Ich bejahte. Und Teddy Kollek diktierte mir alle Daten mit Uhrzeit f ü r diese Ereignisse, die dieses schwere Kapitel der Zeitgeschichte aber auch der deutsch-israelischen Beziehungen abschließen sollte. Ich konnte diesen Bericht nicht mehr auf unserem Chiffre-Fernschreiber nach Bonn geben. Das war alles bereits abgebaut. Ich erläuterte Herrn Kollek, daß ich zu unserer Botschaft nach Zypern fliegen würde, damit niemand etwas von diesem Bericht erfahre. Ich rief vom Hotel King David die Deutsche Botschaft in Zypern an und bat darum, daß ich, wenn ich mit der EL AL-Maschine lande, einen Beamten der Botschaft am Flugplatz finden könne, um sogleich wenige Minuten nachher mit der gleichen Maschine nach Israel zurückfliegen zu können. Den Bericht von drei Schreibmaschinenseiten trug ich bei mir. Als wir landeten und dem Ausgang zustrebten, sah ich einen Herrn stehen, der offensichtlich auf jemanden wartete. Ich ging auf ihn zu und fragte ihn, ob er von der Deutschen Botschaft sei. Er bejahte. Ich ging mit ihm in das kleine Restaurant und zeigte ihm den Bericht. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dieses Fernschreiben direkt nach Bonn geben würden. Und zwar chiffriert." „Das soll ich alles verschlüsseln?" Ich sagte: „Ja, man wartet darauf." „Wer wartet darauf?" Ich sagte kurz und knapp: „Der Herr Bundeskanzler, er weiß bereits, daß dieses Schreiben unterwegs ist." Der Beamte schien offensichtlich betroffen. Drei Schreibmaschinenseiten ohne Maschine zu verschlüsseln, schien ihm eine unendlich schwere Arbeit. Aber ich konnte ihn davon nun wirklich nicht entbinden, er sah es j a selbst am Inhalt. Ich konnte mit der gleichen Maschine der EL AL wieder zurückfliegen, mit der ich gekommen war. Die Stewardeß war anscheinend etwas erstaunt, den gleichen Fluggast wieder in der Maschine zu sehen. Aber ich hatte wirklich eine wichtige Aufgabe erfüllen können. Am nächsten Tag erhielt ich von Herrn Baden ein Telegramm mit dem Dank dafür, der Bericht sei angekommen, und es sei alles in die Wege geleitet. Später e r f u h r ich dann, daß man entsprechende Sicherheitsmaßnahmen an Synagogen und jüdischen Gemeinden getroffen hatte, so daß wirklich alles getan worden war, um irgendwelche Störungen und Probleme, Demonstrationen oder demonstrative Handlungen zu unterbinden.
9.4.8
Noch zwei kleine Episoden aus den Wochen des Prozesses
Man könnte die Zahl der Erlebnisse während des Eichmann-Prozesses noch weiter fortsetzen. Die persönlichen Begegnungen mit Israelis in jenen Tagen zeigten 196
9.4 Als Beobachter Konrad Adenauers beim
Eichmann-Prozeß
die große menschliche Haltung, besonders derjenigen, die einmal Deutschland ihre Heimat genannt hatten. Ich möchte nur zwei kleine Begegnungen schildern, die hierher gehören. 9.4.8.1 Begegnung in Wiesbaden Einmal fuhr ich während der Tage des Prozesses durch die Küstenstreifen von Cäsarea. Als ich anhielt, um mir einige Ruinen der römischen Zeit anzusehen, trat ein Mann auf mich zu und sagte: „Sie kommen aus Wiesbaden." „Nein", sagte ich, „aus Bonn, aber der Wagen ist aus Wiesbaden." „Ich habe in Bonn studiert. Ich erinnere mich noch gut an jene Tage. Wie ist es heute?" Dann mußte ich erzählen und der Mann war gerührt über viele Einzelheiten, die ich ihm aus Bonn berichten konnte, über die Zerstörung und den Wiederaufbau, die heutige Situation als Bundeshauptstadt. Erlebnisse, die man nicht so rasch vergißt, die zeigten, wie freundschaftlich uns die Menschen gegenüberstanden. 9.4.8.2 Der Soldat in der Wüste An einem Tage, es war sehr heiß, hatte ich Jerusalem verlassen, um abzuschalten, um nicht den ganzen Tag die Zeugenaussagen hören zu müssen, die Dinge, die einen am meisten belasteten. Ich fuhr die Wüstenstraße Richtung Eylat herunter und kam in die Nähe von Afdat, jene byzantinische Ruine, die mir immer einen großen Eindruck gemacht hatte. Auf der heißen Wüstenstraße lief ein einzelner Soldat. Ich hielt an. Ich öffnete die Tür und bat ihn, einzusteigen.Er ging hinter meinen Wagen, sah das D-Schild und die deutsche Nummer und sprach in bestem Deutsch: „Ich darf nicht mit Ihnen fahren, Sie sind Tourist". Ich lächelte und sagte: „Und ich darf keinen israelischen Soldaten in der Sonne verschmelzen lassen. Ich bin ein guter Freund Ihres Verteidigungsministers, Sie brauchen keine Sorgen zu haben, wir werden nicht über Ihre Verteidigung sprechen, von der ich vieles selbst weiß." Nach einigem Zögern stieg er ein. „Sie sind beim EickmannProzeß hier?" „Ja", sagte ich. „Dann sind Sie sicher Journalist aus Deutschland?" „Ja. Und Sie haben sicher deutsche Eltern?" „Ja, mein Vater stammt aus Karlsruhe, meine Mutter: ,ich habe es vergessen'." Dieses Gespräch mit dem jungen Soldaten zeigte die Unvoreingenommenheit der jungen Menschen in Israel. Wir fuhren ein ganzes Stück miteinander, dann kam eine Bodenwelle, er bat mich zu halten. Hinter dieser Welle wäre sein Camp. Er bedankte sich höflich, stieg aus und wünschte mir noch eine gute Zeit in Israel.
197
10 Eine bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel
Aus dem Reiseprogramm u n d f ü r den Mitreisenden war kaum zu ersehen, welch schwierige Probleme Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier mit im Gepäck führte. Es waren deren drei: Die Frage nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten und die zweite Aufgabe, die ihm Bundesfinanzminister Dahlgrün mit ins Gepäck gegeben hatte, die Schlußgesetzgebung f ü r die Wiedergutmachung. Das dritte Thema sollte erst im Anfang stecken: Die Arbeit deutscher Wissenschaftler am Raketenprogramm von Nasser. Dieses Thema wurde erst mehr als ein J a h r nach der Reise Gerstenmaiers virulent. Im Mittelpunkt seines Besuches stand offiziell ein Vortrag in der Hebräischen Universitätjerusalem mit dem f ü r jene Tage besonders bedeutsamen T h e m a „Wandlung der Deutschen". Dieser Vortrag fand im Kanada-Saal der Universität statt, das Auditorium maximum stand nicht zur Verfügung. Offiziell wurden Bauarbeiten genannt, die diesen Saal nicht freigegeben hatten, aber es hatte doch den Anschein, daß die Veranstalter Sorge hatten, es könne wieder zu Demonstrationen kommen, zur Ablehnung gegen diesen ersten offiziellen Besuch eines so hochrangigen Politikers wie es Gerstenmaier als Präsident des Deutschen Bundestages war. Man muß davon ausgehen, daß diese Reise in dieser Form einige Jahre f r ü h e r vermutlich unmöglich gewesen wäre. Der Eichmannprozeß lag doch sehr kurz hinter uns allen, und natürlich auch f ü r die Politiker in Israel, wo die Wogen immer noch nicht ganz geglättet waren. Man wird aber auch sagen müssen, daß ein großer Teil der israelischen Bevölkerung und der israelischen Politiker sich dem Standpunkt genähert hatten, daß gute Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland notwendig waren, notwendig wurden. Der damalige Korrespondent in Israel f ü r die „Süddeutsche Zeitung" schrieb am 4. Dezember 1962 über den Besuch des Bundestagspräsidenten die folgenden Sätze: „Die Zahl der deutschen Besucher Israels ist im Verhältnis zu der aus anderen Ländern sehr klein, aber sie läßt trotzdem im Verhältnis Israels zu Deutschland — nicht umgekehrt erkennen, die symptomatisch ist für eine Änderung der Einstellung des Durchschnittsbürgers in Israel. Alle diese Besuche, private, halboffiziöse und offiziöse (offizielle gibt es ja noch nicht), haben einen gemeinsamen Nenner, sie sind Besuche guten Willens". So kam es, daß der Bundestagspräsident den Präsidenten der Knesset Kadisch Luz nur im Kibbuz, in seinem Kibbuz Degania treffen konnte. Die Opposition der Hirut-Partei, der ja auch der heutige israelische Ministerpräsident Menachim Begin angehört, deren Abgeordnete heute den Hauptkern der Regierungspartei stellen, hatte schwerste Demonstrationen angedroht, wenn Kadisch Luz Eugen Gerstenmaier im Parlament empfangen würde. So besuchte er Kadisch 198
10.1 Die Rede Dr. Gerstenmaiers in der Hebräischen Universität Luz eben im Kibbuz. Was bedeutsam war, Staatspräsident Ben Zwi empfing Eugen Gerstenmaier in seiner Residenz. Der Besuch bei David Ben Gurion in seinem Amtszimmer, der dem Treffen mit dem Staatspräsidenten unmittelbar folgte, war gelöst und herzlich. Die Hauptsache dieses Gesprächs war wohl die Frage nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. In den letzten Jahren war von beiden Seiten der Wunsch mehr leise als laut diskutiert worden, wie dieses Thema zu lösen sei. Die deutsche Außenpolitik war davon bestimmt, daß die sogenannte „Hallstein-Doktrin" maßgebend war, die letztlich besagte, daß mit j e d e m Lande, das sich mit Ost-Berlin verbindet, die Beziehungen abgebrochen werden müßten. In offiziösen Gesprächen bei deutschen Besuchern in Jerusalem kam auch immer wieder der Wunsch Israels zum Ausdruck, besonders jetzt nach dem Ablauf des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens, Beziehungen aufzunehmen. Das konnte vielfältig geschehen: In Form einer Handelsmission, ähnlich der Israel-Mission in Köln, oder eines deutschen Generalkonsulats, in dem die Abteilungen einer Botschaft versteckt werden konnten oder in einer ähnlichen Form. So waren die Gespräche, die Eugen Gerstenmaier in Jerusalem führte, zur Klärung der Bonner Situation von besonderer Bedeutung. Ben Gurion lehnte beim Gespräch mit Dr. Gerstenmaier jede deutsche Zwischenregelung ab. Auch er war sich über die deutsche Situation im klaren und mußte auch daran denken, daß f ü r diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik für ihn die Schwierigkeit bestand, im israelischen Parlament keine Mehrheit zu finden. „Die See war noch zu rauh." Einen herzlichen Besuch erlebte Dr. Gerstenmaier im Hause von Martin Buber. Es war ein großes Erlebnis, diesen bedeutsamen Philosophen, dessen Werke in Deutschland, in deutscher Sprache, weite Kreise der christlichen Bevölkerung beider Konfessionen beeinflußten, einmal persönlich zu sehen. Dr. Eugen Gerstenmaier kannte ihn von Frankfurt. Aber f ü r mich hatte dieses Zusammentreffen etwas Einmaliges. Ich hatte ihn schon einmal erlebt, als ich 1954 zum ersten Mal in Israel, mit Karl Marx, bei ihm war. Jetzt, mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestages bekam das Gespräch durch die Tiefe des evangelischen Theologen eine besondere Note. Gerstenmaier erzählte Buber, daß er gerade von Ben Gurion käme und mit ihm die Frage erörtert habe, ob Gott das jüdische Volk auserwählt habe. Listig fragte Buber zurück: „Was hat er gesagt?" Gerstenmaier, der sich der Brisanz dieses Augenblicks bewußt war: „Er hat gemeint, daß das jüdische Volk sich Gott erwählt habe." Buber f u h r geradezu hoch. „Welch eine Anmaßung, es ist doch genau umgekehrt." Der zweite Tag des Jerusalem-Besuches war etwas besonderes. Er begann mit einem Besuch der Synagoge des Hadassa-Krankenhauses und damit einer Besichtigung der berühmten Chagall-Fenster, ein Erlebnis besonderer Art. Anschließend folgte der Besuch der Gedenkstätte für die O p f e r der NS-Verfolgung „Yad Vashem". Ich weiß heute nicht mehr, was bei diesem f ü r mich ersten Besuch der Gedenkstätte einen tieferen Eindruck hinterließ. Die Gebete in der Gedenkhalle, in der die Namen der Konzentrations- und Vernichtungslager auf dem Bo199
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident Dr. D. Eugen Gerstenmaier nach Israel den standen, wo das Ewige Licht brannte oder die sehr nüchterne und faire Darstellung der grausamen Geschichte im Museum. Ich werde nie vergessen, wie Frau Gerstenmaier tränenüberströmt die Gedenkstätte verließ.
10.1
Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen
Universität
Wandlung der Deutschen „Ich bin mir gleichermaßen der Ehre wie des Wagnisses bewußt, nach allem, was hinter und zwischen uns liegt, in der f ü r mich ehrwürdigsten Stadt der Welt sprechen zu dürfen. Vielleicht wäre es für Sie, gewiß aber f ü r mich einfacher, wenn ich über die Deutschen und ihre Wandlungen hier etwa so sprechen könnte, wie wir das in Deutschlands dunkelsten Jahren im Kreis derer taten, die den Unmenschen umzubringen gedachten, oder so, wie wir es danach im Kreis der Leidensund Schicksalsgefährten in den Gestapogefängnissen und Zuchthäusern getan haben. Die Geschichte hat uns jedoch inzwischen auf einen anderen Platz gestellt. Was das heißt, ist mir in den Apriltagen 1945 zum Bewußtsein gekommen, als amerikanische T r u p p e n in das rauchende Bayreuth einrückten. Sie ließen die vier- oder fünftausend politischen Gefangenen frei, die in der Nachbarschaft von Richard Wagners Musentempel zusammengetrieben worden waren. Zuvor hatte es so etwas wie eine Solidarität der Leidenden zwischen uns gegeben ohne Ansehen der Nation und Herkunft. Aber als wir frei wurden, war es damit zu Ende. Wir hatten n u r die Wahl, uns von Deutschland zu trennen oder auch f ü r unsere Personja zu sagen zu der kollektiven Haftung des deutschen Volkes f ü r das, was hinter ihm lag. Die meisten von uns sagten ja. Damit war unser Platz gewählt. Es ist der Platz, von dem aus ich spreche. Der Bankrott der Weimarer Republik und die sogenannte Machtergreifung Hitlers, sein Rassenwahn und der von ihm entfesselte Krieg haben insgesamt 50 Millionen Menschen, davon 6 Millionen Juden und 7 Millionen Deutschen das Leben gekostet, sie haben Deutschland gedreiteilt und den Herrschaftsbereich des Kommunismus von der alten Ostgrenze Polens bis in die Mitte Deutschlands erweitert. Deutschland hat aufgehört, eine Großmacht, geschweige gar eine Weltmacht zu sein. Es ist nicht in der Lage, aus eigener Kraft sich selbst oder auch n u r seine Hauptstadt zu sichern. Es konnte zwar 12 bis 13 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen eine neue Existenz ermöglichen, aber es kann 17 Millionen seiner Bürger in Mitteldeutschland keine erträglichen Lebensbedingungen verschaffen, geschweige gar das gesellschaftliche und staatliche Zusammenleben mit ihnen ermöglichen. Daß Hitler den Krieg schließlich verlieren mußte, ist, wie ich glaube, im größten Teil des deutschen Volkes heute mindestens eine intellektuelle, wenn nicht eine moralische Erkenntnis. Aber daß danach die freie Welt den Frieden verlieren mußte, das geht über das hinaus, was den meisten Deutschen bis heute faßbar ist. Darin lag eine der großen unterschwelligen Schwierigkeiten bei der Verwirk200
10.1 Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen Universität lichung der Adenauerschen Außen- u n d Sicherheitspolitik. Die Errichtung der Bundeswehr, die Wehrpflicht, der NATO-Eintritt stießen auf heftigen Widerstand, denn sie verlangten ein Engagement im Kreise von Mächten, denen viele Deutsche nicht deshalb gram waren, weil sie unsere Kriegsgegner waren, sondern weil sie sich von Sowjetrußland hinters Licht hatten f ü h r e n lassen. Mit Ressentiments solcher Art verband sich eine vielfach hemmungslose Resignation .Kleiner Mann, was nun?', das war schon im Vorkriegstamtam des Nazismus die geheime Frage vieler Deutscher angesichts der brutalen Gewalt des totalitären Staates gewesen. Im Krieg potenzierte sich dieses Gefühl des bloßen Objektseins zur völligen Ohnmacht auch bei solchen Leuten, die anfangs voll Hingabe mitgemacht hatten. Die bedingungslose Kapitulation wirkte schließlich weithin n u r wie die Besiegelung dieses Zustands durch andere absolute Gewalten. Die von den Amerikanern in Deutschland betriebene ,reeducation' kam dagegen nicht auf. Und die weltpolitische Entwicklung mit ihrer Ausbildung zweier riesiger Weltblöcke, die sich auf deutschem Boden Gewehr bei Fuß gegenübertraten, war auch nicht dazu angetan, im Bewußtsein der Deutschen die Anschauung zu widerlegen, daß sie eben nur ein Objekt der Weltpolitik seien. Objekt unter Hitler, Objekt danach — dieses Gefühl wurde und ist auch eine heute noch nicht ganz überwundene innere Gefahr. Es hat zwar auch einen Beitrag geleistet f ü r den Abbau vieler Illusionen. Denn in dem Gefühl, daß Deutschland nur noch ein Objekt jeweils überlegener Mächte sei, hat sich bei den Deutschen der Ruin des Nationalsozialismus und der Ruin des aus dem 19. J a h r h u n d e r t überkommenen Nationalismus zugleich vollendet. So hoch man das jedoch auch werten mag: Einsichten und Gefühle dieser Art sind nicht genug. So sehr die Wirklichkeit für sie zu sprechen scheint, sie werden ihr nicht gerecht mit ihrer faktischen Bestreitung jeder nennenswerten Handlungsmöglichkeiten. Ja, die damit verbundene praktische Freistellung vom Widerstand, vom persönlichen und nationalen Engagement f ü r das, was Recht und Pflicht gebieten, ist amoralisch. Gewiß: die schreckliche Übermacht bedenkenloser Gewalten wirkt lähmend, aber es ist schuldhaft, sich dadurch in eine Vorabkapitulation der eigenen Verantwortung fallenzulassen. Ihre Folgen sind jenes Vakuum, das einen einzelnen wie ein Volk unfähig macht, seine Taten und Untaten, und damit sich selbst und seine Bestimmung ernst und verpflichtend ins Auge zu fassen. Die Kernfrage, der ich mich mit meinem Thema zu stellen habe, geht also nicht d a r u m ob es in Deutschland überhaupt eine Wandlung gegeben habe — natürlich gab es sie —, sondern sie geht darum, ob jene Wandlung bewirkt ist von einer solchen ernsten und kritischen Einkehr der Deutschen, von welchen Kräften sie gesteuert wird und worauf sie hinaus will. Die politische Wandlung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg beruht auf der programmatischen Absage der deutschen Politik an die nationalstaatliche Souveränitätspolitik. Ich habe keinen Zweifel daran, daß diese Absage auch von der großen Mehrheit d e r Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang gebilligt wird. Sie hat weittragende Bedeutung schon deshalb, weil sich darin die Absage Deutschlands an eine eigene Großmachtpolitik zwischen West und Ost vollendet. 201
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel Es ist zugleich das Nein zu einem deutschen Alleingang gegenüber dem Osten. Diese Absage ist auch heute noch nicht ganz unumstritten in Deutschland, aber nicht deshalb, weil alte Denkmodelle der Bismarckzeit noch sehr lebendig wären, sondern deshalb, weil noch nicht allen Leuten die Illusion vergangen ist, daß ein neutrales Deutschland seine Einheit zu erlangen und seine freiheitliche Existenz zu behaupten vermöge. Seit dem Eintreten der sozialdemokratischen Opposition auf die Linie der Adenauerschen Außenpolitik fehlt diesem Neutralismus in Deutschland aber jede ernsthafte politische Möglichkeit. Ein wesentlicher Grund d a f ü r ist die als Bedrohung e m p f u n d e n e Machtentfaltung Sowjetrußlands und seiner Satelliten. Aber man kann es riskieren zu sagen, daß auch ohne diese Bedrohung ein grundlegender Wandel des deutschen außenpolitischen Denkens eingetreten wäre und praktische Konsequenzen gefordert hätte. Der kürzliche Besuch des französischen Staatschefs in der Bundesrepublik hat d a f ü r ein höchst eindruckvolles Beispiel geliefert. General de Gaulle wurde in Deutschland eine so herzliche, ja stürmische Aufnahme zuteil, daß alle Voraussagen weit übertroffen wurden. Es fehlte nicht an Stimmen, die darin eben die Neigung der Deutschen zum Führerkult sahen. Aber diese Deutung geht mit Sicherheit am Entscheidenden vorbei. Wer einmal über den blutgetränkten Boden der deutsch-französischen Schlachtfelder zweier oder dreier Kriege ging, und wer seine Augen aufgemacht hat f ü r das Friedensbedürfnis beider Völker, der allein hat eine Ahnung davon, aus welcher Tiefe Frankreichs Staatschef in Deutschland willkommen geheißen wurde. Schluß mit dem Krieg zwischen Deutschland und Frankreich! Schluß mit der langen Geschichte des Unheils zwischen uns und unseren Nachbarvölkern! Dieser Wille schlug Frankreichs Staatschef in Deutschland mit eruptiver Gewalt entgegen. Dieser Wille hat die Deutschen in breiter Front hinter den Gedanken der europäischen Einigung gebracht. Im Kreisauer Kreis hatten wir schon seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges die Zukunft Deutschlands nur in einer dauernden staatlichen Gemeinschaft mit unseren europäischen Nachbarn gesehen. Andere sahen es ebenso. Aber es bedurfte offensichtlich erst noch der Schlachten des Zweiten Weltkrieges und des Aufkommens übermächtiger weltpolitischer Realitäten wie d e r USA und Sowjetrußlands, um die keineswegs n u r in Deutschland dagegen bestehenden Widerstände wegzureißen. Die Einigung Europas und darüber hinaus der Zusammenschluß der atlantischen Gemeinschaften wurde von den Deutschen jedenfalls nicht nur als eine Möglichkeit empfunden, aus der Not der Niederlage eine politische Tugend zu machen, sondern wir sahen in ihr den positiven, weltgeschichtlichen Sinn eines grauenhaften Geschehens. Diesem Sinn, nämlich einer neuen dauerhaften Freiheits- und Friedensordnung in Europa, mußte die deutsche Politik dienstbar gemacht werden. Darin vereinten sich politischer Verstand und umkehrwillige sittliche Einsicht. Die deutsche Außenpolitik war nur eine Probe darauf. Sie ließ davon auch nicht ab, als sie im Namen der nationalen Einigung in Frage gestellt wurde. Die Wiederherstellung der nationalen Einheit ist in Deutschland als Verpflichtung anerkannt. Aber dies ändert nichts daran, daß die deutsche Außenpolitik der 202
10.1 Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen Universität Nachkriegszeit bestimmt wird von einer klar verantworteten Rangordnung, in der die Freiheit — und damit die Solidarität mit der freien Welt — den ersten, der Friede und damit der Verzicht auf jeden Angriffs- und Revisionskrieg den zweiten, und die nationale Einheit damit logischerweise den dritten Platz einnehmen. Es ist keine problemlose Orientierung der Politik, die sich dergestalt orientiert und sittlich begründet. Aber es ist eine von der großen Mehrheit der Deutschen immerhin frei bestätigte Orientierung. Ich glaube, man darf in ihr ebenso wie in ihrem Motivzusammenhang einen Ausdruck tatsächlicher deutscher Wandlung sehen. Es versteht sich, daß in einer Wandlung solcher Art sich nicht nur die Struktur der Außen- und Militärpolitik wandeln muß, sondern daß von ihr auch das überlieferte Nationalgefühl und Staatsbewußtsein in Mitleidenschaft gezogen wird. Noch besser kann man sagen, daß die Wandlung beider die Voraussetzung einer so durchgreifenden politischen Neuorientierung ist. Nun ist freilich sehr umstritten, von welcher Art denn heute das deutsche Nationalgefühl sei. Schon ob es ein solches überhaupt noch gibt, ob von ihm geredet werden kann, ist umstritten. Mir ist zwar sicher, daß dieses Nationalgefühl schon unablässig durch das Verlangen nach der Wiedervereinigung Deutschlands angesprochen und auch durch den Kampf um Berlin sehr wachgehalten wird. Aber es kann kein Zweifel sein, daß auch dieses Nationalgefühl u n d Staatsbewußtsein durch und durch gewandelt ist. Das gilt nicht n u r von seinen Ausdrucksformen. Wer sich heute etwa im Stil der traditionellen patriotischen Rede oder mit dem überlieferten nationalen Liedgut in Deutschland an das Gefühl seiner Hörer wenden würde, machte sich einfach lächerlich. Das ist nicht nur eine Folge des allgemeinen Stilwandels in der Sprache und im nationalen Emblem, sondern es tritt darin so etwas wie die Ablehnung ganzer Epochen der deutschen Geschichte und ihrer Wertordnung in Erscheinung. Man kann freilich nicht sagen, daß alles klar und überzeugend wäre, was in dieser Wandlung bis jetzt zutage trat. Oft ist es auch hier bloß die Verneinung des Gewesenen, seine ersatzlose Streichung, die dann ein Vakuum schafft. Der vom Nationalsozialismus in der Gleichschaltung erzwungene Konformismus ist weithin von einem habituellen Nonkonformismus abgelöst worden, dem es oft weniger um das Was geht, zu dem er sich verhält, als um eine nonkonformistische Demonstration. Sie befriedigt vielleicht das Selbstbewußtsein einiger ihrer Vertreter, aber sie wird selten produktiv. Sie wird oft als Nihilismus denunziert, aber nicht selten ist dieser Vorwurf durchaus begründet. Wahrscheinlich finden sich in allen Völkern der Weltzivilisation ähnliche Symptome; aber ich bezweifle, daß sie ähnlich konformistisch nonkonform sind wie bei uns in Deutschland. Das Positivste, was sich vielleicht sagen läßt, ist, daß es sich auch dabei noch immer um Symptome einer heftigen Instinktreaktion gegen die Verseuchung des deutschen Volkes durch den Nationalsozialismus handelt. Man muß im heutigen Deutschland zum Beispiel einmal die spontane Reaktion von Studenten und höheren Schülern auf Schallplatten von Hitler-Reden beobachten, um diese Instinktreaktionen zu verstehen. Mir ist unvergeßlich das ungläubig fassungslose Erstaunen junger Leute darüber, daß auch n u r halbwegs vernünftige Leute auf 203
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel jenes hysterische Geschrei hereinfallen konnten. Die Diskussionen, die sich daran anschließen, leiden alle an der faktischen Unmöglichkeit, den jungen Leuten von heute auch n u r eine A h n u n g von der äußeren und inneren Situation und Atmosphäre zu vermitteln, in der Hitler und seine Leute ihre Schreie ausstießen. Mit einiger Vorsicht kann man sagen, daß bei derartigen Gesprächen eben nicht nur Hitler und seine Bande auf der Anklagebank sitzen, sondern so ziemlich die ganze mittlere und ältere Generation Deutschlands. Daß Hitler und seine Leute Großverbrecher aller Art waren, das weiß ohnehin jeder. Unerledigt aber ist die Frage an die ältere Generation: Wie konnte es geschehen, daß ihr ihm gefolgt seid, daß ihr ihm gehorchtet? Die Frage ist in sich ein so unüberhörbarer Vorwurf, daß sie gar nicht erst als solcher formuliert zu werden braucht. Alles, was daraufgesagt werden kann, reicht nicht hin, um diesen Vorwurf auszulöschen. Folge: Man weicht diesem Gespräch oft lieber aus in der H o f f n u n g , die Zeit mit ihren Sorgen des neuen Tages werde die Frager ihre Frage vergessen lassen. Denn daß sie selten anders als mit einer offenen Selbstdemütigung zu beantworten ist, das wissen die meisten auch dann, wenn sie das Wort von der Kollektivschuld als unzutreffend ablehnen. Man hat f ü r dieses zwar nicht generelle, aber weitverbreitete Verhalten das Wort von der unbewältigten Vergangenheit geprägt. Es ist nicht falsch, aber nutzlos. Denn wer soll, wer kann eigentlich die Vergangenheit, die hier gemeint ist, überhaupt .bewältigen'? Wäre sie denn bewältigt, wenn die noch lebenden Mitverantwortlichen vor Gott und der Welt ,mea culpa, mea maxima culpa' sagten? Gewiß, viele haben es getan und die anderen sollten es tun. Aber ich wäre damit weder in meinem Denken noch in meinem Gewissen über die unauslöschlichen Brand- und Schandmale hinweg, die in jener Epoche dem deutschen Volk eingebrannt wurden. Wir Deutschen haben seit dem Ende des Krieges eine große E r f a h r u n g gemacht mit der verwandelnden Kraft der Versöhnung. Aber sie ist ein Wunder, das wir nicht bewirkt haben. Es hat uns tiefer bestimmt, als es nach außen kund wird, aber dieses Wunder kann uns erst recht nicht freimachen von der Scham über das, was eben doch im deutschen Namen wenn auch ohne, ja gegen den Willen vieler Deutscher— zu unserer Zeit geschah. Ich brauche nur Dokumentationen wie die von Poliakov-Wulf und anderen durchzublättern, um mir sicher darin zu sein, daß es f ü r uns, d. h. f ü r meine eigene Generation in Deutschland zeitlebens keine Möglichkeit gibt, diese Vergangenheit, zu bewältigen'. Dieses Wort verlangt mehr als gewissenhafte Leute leisten können. Aber vielleicht könnte das schwer gestörte deutsche Geschichtsbewußtsein wieder in O r d n u n g gebracht werden. Es ist durch die Ereignisse der letzten dreißig J a h r e so aus den Fugen geraten, so unsicher und diffus geworden, daß es mir noch problematischer erscheint als unser derzeitiges Staatsbewußtsein. Man kann dazu zwar auf manche ehrenwerte Bemühung hinweisen, von der gründlichen Überholung unserer Schulbücher über die gewissenhaften Arbeiten des Instituts f ü r Zeitgeschichte in München bis zu wissenschaftlichen Gesamtdarstellungen von Niveau und Rang. Aber was es mit unserer Geschichte auf sich hat — minde204
10.1 Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen Universität stens vom Siebenjährigen Krieg bis zum Rapallo-Vertrag—, das liegt dennoch f ü r viele, vielleicht f ü r die meisten Deutschen, noch immer im Nebel. Der Deutsche lebe zwischen d e n T r ü m m e r n seiner Geschichte, so hat es ein deutscher Politiker kürzlich formuliert, u n d so e m p f i n d e n es nicht wenige. Sicher gibt es auch andere, die sich über diesen Tatbestand wenig o d e r ü b e r h a u p t keine Rechenschaft geben. Aber auch die positivste Beurteilung d e r Lage kann nicht daran vorübergehen, d a ß sich in V e r b i n d u n g damit viele vor j e n e m V a k u u m sehen, an d e m sich Nationalbewußtsein u n d Nationalgefühl eben gar nicht orientieren u n d klären lassen. Das deutsche Nationalbewußtsein ist nicht erst d u r c h den Nationalsozialismus ü b e r d r e h t u n d übersteigert worden, sondern es ist, ähnlich wie das Nationalbewußtsein a n d e r e r Völker, schon im 19. J a h r h u n d e r t , mindestens zeitweilig, einem überhitzten Nationalismus verfallen. Der deutsche Konservativismus und erst recht d e r deutsche Liberalismus waren im ganzen nicht kräftig genug, um diese Überhitzung u n d K o r r u m p i e r u n g zu verhindern. Der Verlust des Ersten Weltkrieges u n d die uns im Versailler Friedensvertrag aufgezwungene Behaupt u n g von d e r Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg haben die Gesund u n g d e r Normalisierung des deutschen Nationalbewußtseins nach 1918 nicht gefördert, sondern behindert. Aber erst der Nationalsozialismus hat mit seinem Rassenwahn u n d mit der Hemmungslosigkeit seiner Ansprüche das fiebrige deutsche Nationalbewußtsein d e r Weimarer Zeit d u r c h und durch vergiftet. Nationalismus, hysterischen Nationalismus, gab es zuvor u n d danach auch in anderen Völkern. Der Rassenwahn des Nationalsozialismus aber hat d e n deutschen Nationalismus so vergiftet, daß in seinem N a m e n die Massenverbrechen begangen u n d technisch d u r c h g e f ü h r t werden konnten, f ü r die es in d e r neueren Geschichte n u r wenige Beispiele gibt. Es ist nach meiner Überzeugung nicht wahr, daß es allein d e r Befehlszwang des totalitären Staates war, was diese Ausrottung von Millionen Menschen ermöglichte. Dazu b e d u r f t e es des p u r e n tödlichen Giftes einer Ideologie, d e r e n Wahn die f ü r eine solche Aktion erforderliche große Henker- u n d Helfersschicht auf die Beine bringt. Ich glaube, daß es nicht zweifelhaft ist, d a ß das deutsche Nationalbewußtsein von diesem Rassenwahn des Nationalsozialismus, von seiner pervertiert nationalistischen Zielstellung u n d dem Zynismus seiner Methoden gründlich befreit ist. Aber was übrigblieb, war ein tief gestörtes, wenn nicht ü b e r h a u p t zerstörtes deutsches Nationalbewußtsein. An seiner Stelle steht im Bewußtsein vieler Deutscher jenes Vakuum. Eine d e r großen inneren Existenzfragen d e r Deutschen besteht d a r u m heute darin, ob u n d wie sie zu einem geklärten Nationalbewußtsein und zu einem geordneten Verhältnis zur deutschen Geschichte kommen. Denn in ihnen m u ß schließlich j e n e z u s a m m e n h ä n g e n d e — nicht n u r auf Hitler u n d seine Epoche beschränkte — Rechenschaft gelegt werden über das Vergangene u n d zugleich die innere Voraussetzung geschaffen werden f ü r den Weg in die Zukunft. Ebenso wichtig wie die entschiedene L ä u t e r u n g des traditionellen Nationalismus ist die Klarstellung d e r sich daraus e r g e b e n d e n Loyalitätsverhältnisse im Volksbewußtsein. 205
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel Als ich ein J u n g e war, erinnerte der aufkommende Nationalismus in meiner rechtschaffenen württembergischen Heimat oft daran, daß man Denken und Handeln lernen müsse wie es die Engländer täten: right or wrong — my country! Das war im Ersten Weltkrieg. Bei den Nazis hieß es dann:,Recht ist, was dem Volke nutzt'. Heute kann im freien Teil Deutschlands die Geisteshaltung keinesfalls mehr öffentlich verkauft oder angepriesen werden, und zwar nicht deshalb, weil dann der Kadi käme, sondern deshalb, weil die Öffentlichkeit allergisch geworden ist gegen alles, was auch n u r von der Ferne an den Nationalsozialismus wie an den alten Nationalismus und sein Staatsverhältnis erinnert. Die jüngste Auseinandersetzung, die wir in Deutschland zu bestehen haben — die ,SpiegeP-Affäre - ist mindestens d a f ü r ein interessantes Beispiel. Die in dieser Sache gemachten tatsächlichen oder vermuteten Fehler der Behörden haben einen solchen Sturm in Deutschland hervorgerufen gegen alles, was nach opportunistischem Machtmißbrauch und Freiheitsbeschränkung auch n u r von der Ferne riecht, daß darüber der des Landesverrates verdächtige .Spiegel' nicht n u r in den Windschatten geriet, sondern sich heute des öffentlichen Wohlwollens auch vieler seiner Kritiker und Gegner erfreut. Ich will mit diesem Beispiel lediglich andeuten, eine wie tiefe Bewußtseinsund Gefühlswandlung der Deutschen sich spätestens seit dem Ende Hitlers vollzogen hat. Denn viele nervöse und überproportionierte Reaktionen in Deutschland auf mögliche Formalverstöße der Behörden oder gegen manche politischen Entscheidungen sind nur verständlich, wenn man sich klarmacht, daß wir es dabei mit dem überhöhten Positiv zu einem abgrundtiefen Negativ der Hitlerzeh zu tun haben. Hitler und seine Leute haben nicht n u r das materielle Recht brutal mißachtet, sondern sie haben auch mit einem Zynismus sondergleichen das formale Recht hemmungslos in den Dienst dessen gestellt, was sie f ü r zweckmäßig hielten. Es ist entweder eine grobe Verleumdung der Bundesrepublik oder eine zynische Verniedlichung der Hitlerzeit, wenn von Gestapo-Methoden im heutigen Deutschland gesprochen wird. Aber das ganze, von Krampf leider gar nicht freie Bild der öffentlichen Auseinandersetzung in Deutschland ist nicht verständlich, wenn man sich nicht vergegenwärtigt, daß diese überhitzten und verkrampften Reaktionen eben in einem Lande stattfinden, in dem heute noch eine schreckliche Erinnerung an die Gestapo und von Mitteldeutschland her auch an die politische Polizei des kommunistischen Ostens lebendig ist und die Angst vor allem was dazu gehört. Die Reaktion eines großen Teiles der deutschen Öffentlichkeit in der ,Spiegel'- Affäre ist auch für das, was ich hier über die Loyalitäten sagen möchte, interessant. Ein national, jedenfalls nationalistisch gestimmter Staat wird immer dazu neigen, den Landesverrat f ü r das todeswürdigste aller Verbrechen zu halten. Daß sich Deutschland heute in der Gegenbewegung, sozusagen in der bloßen Antithese zum Nationalismus befindet, zeigt sich, wie mir scheint, auch in der Tatsache, daß z. B. im Falle .Spiegel' viele sonst urteilsfähige Leute dazu neigen, den Landesverrat zwar nicht gerade f ü r ein Kavaliersdelikt zu halten, aber doch etwaige Verfahrensfehler der Behörden als Infragestellung des Rechtsstaates unver-
206
10.1
Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen
Universität
gleichlich viel schwerer zu nehmen. Man kann die politische Seite der .Spiegel'Affäre so oder anders beurteilen. Sicher aber scheint mir die bis jetzt analysierbare Reaktion der Öffentlichkeit dafür zu sprechen, daß jenes ,right or wrong' oder .recht ist, was dem Volke nützt' im deutschen öffentlichen Bewußtsein keinerlei Chancen mehr hat. Die Brandmale der Vergangenheit sind so sehr im deutschen Bewußtsein, daß, wenn nicht die Staatsautorität überhaupt und von vornherein suspekt ist, so doch nur ihre sittlich verantwortete Autorität eine effektive Chance hat, sich durchzusetzen. Aber auch diese legitime Autorität hat es heute in Deutschland schwer, vor allem deshalb, weil der sittliche Wert staatlicher Entscheidungen oft von vornherein in Frage gestellt wird. Die deutsche Bundesregierung hat sich z. B. bei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vor einigen Jahren gegen große, zum Teil auch sittlich begründete Widerstände eines Teils ihrer Bürger durchsetzen müssen. Auch die Widerstände gegen ein Notstandsgesetz zeigen, daß es bitter schwer, ja unmöglich ist, jedermann in Deutschland zu der Einsicht zu bringen, daß der Anspruch auf die Rechte, die das Grundgesetz verbürgt, hin und wieder zurückzutreten hat hinter die Notwendigkeiten des Bestandes und der Sicherheit des Staates. Diese Grenzgebiete der Verantwortung, in denen nicht einfach Wert gegen Unwert, sondern ein Wert gegen einen anderen steht, werden vom deutschen Volk denkbar schwer und mühsam durchwandert. Man begreift diese Tatsache nur, wenn man sie als Ausdruck unserer Erfahrung mit dem Nationalsozialismus und als einen bewußten Korrekturwillen vor diesem Hintergrund erfaßt. Dazu gehören nun freilich auch kritische, ja negative Erscheinungen, die sich im Zweifelsfall zu einer echten Gefahr verdichten können. Der totalitäre Staat des Nationalsozialismus hat den Opfermut und die Hingabebereitschaft für die Nation so hemmungslos ausgebeutet, er hat die Leidensfähigkeit des Volkes so überfordert und den Staatsbegriff selbst so ins Zwielicht gerückt, daß dem Ruf zu Opfer und Hingabe für das Vaterland auch heute noch in Deutschland oft ein nahezu unüberwindliches Mißtrauen entgegensteht. Nicht nur das alte Pathos des nationalen Stils ist heute unmöglich, nein, auch das Ethos ist nicht mehr selbstverständlich und wird nicht mehr von vornherein respektiert. Wie verwirrend die Lage ist, ergibt sich daraus, daß sich mit den Symptomen einer gar nicht gerechtfertigten Staatsverdrossenheit auf der anderen Seite zugleich ein immer ungehemmter werdender Schrei nach dem Staat, nach steigenden Staatsleistungen auf allen Gebieten verbindet. Tatsächlich weiten sich denn auch im freien Teil Deutschlands die Staatsleistungen zusammen mit den staatlichen Kompetenzen immer mehr aus, und das, obwohl die Bundesregierung dieser Erweiterung eher bremsend als fordernd gegenübersteht. Sicher sind das Erscheinungen, die es auch in anderen Ländern gibt. In Deutschland aber werfen sie tiefe Schatten und gewinnen vielleicht auch den Charakter ernster Krisensymptome, weil sie sich eben vor der Kulisse eines beispiellosen, von uns selber erlebten Staatsruins vollziehen. Im Vergleich zu den Schwierigkeiten und Gefahren, die in diesem Bereich 207
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel liegen, schätze ich die Gefahren, die der deutschen Demokratie als solcher drohen, gering ein. Sehr besorgte Gemüter sehen diese Gefahren übernervös schon in einer starken Regierung. Die Erinnerung an die Weimarer Republik zeigt jedoch, daß ein Regierungschef mit Autorität nicht a priori eine Gefahr f ü r die Demokratie zu sein braucht, daß im Gegenteil solche Gefahren bei schwachen Regierungen weit größer sind. Die Weimarer Republik ist jedenfalls nicht an starken Reichskanzlern zugrunde gegangen, sondern daran, weil keiner ihrer demokratischen Kanzler Hitler so entgegentrat, wie es notwendig gewesen wäre. Nein: Die deutsche Demokratie braucht starke Regierungen; aber sie braucht allerdings ebenso notwendig Parlamente, die ihnen gewachsen sind. Das konstruktive Mißtrauensvotum gegen den Bundeskanzler, das in bewußter Korrektur d e r Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz der Bundesrepublik aufgenommen wurde, hat sich als richtig erwiesen. Zur inneren Stabilisierung der Demokratie in Deutschland hat auch beigetragen die durch ein besonnenes Wahlgesetz geförderte Reduktion der Zahl der politischen Parteien. 1949 zogen zehn Parteien in den Bundestag ein. 1961 waren es noch drei. Es ist kein Zweifel, daß diese Entwicklung die Parteien vor große Aufgaben stellt. Sie müssen in ihrer geistigen Orientierung, in ihrer politischen Programmatik und in ihrer sozialen Schichtung wesentlich weiträumiger sein als sie es in Deutschland je gewesen sind. Aber sie müssen bei aller Weiträumigkeit dennoch ein sie klar charakterisierendes Gesicht behalten. Praktisch hat das zur Folge, daß die großen Parteien Deutschlands sich zwar vor ihrem geschichtlichen und ideologischen Hintergrund noch immer mit unterschiedlicher Betonung ihrer Unterschiede zur Darstellung zu bringen suchen, daß sie aber gleichzeitig darauf bedacht sind, allen nennenswerten Schichten und Gruppen in unserer pluralistischen Gesellschaft mehr oder weniger attraktiv zu erscheinen. Das hat zur Folge, daß sie sich in ihrer Programmatik und weithin auch in ihrer politischen Praxis erheblich weniger unterscheiden als früher. Insbesondere das Mitte des Jahres 1960 vor dem Bundestag vollzogene Eintreten der sozialdemokratischen Opposition auf die Adenauersche Außenpolitik hat diese allgemeine Tendenz gefördert. Das Kernproblem der heutigen politischen Parteien ist es, so reibungslos wie möglich die Integration möglichst vieler Gruppen und Bewußtseinslagen in sich selber zu vollziehen und dabei ein Optimum an Aktionskraft zu behalten. Das Verhältnis der deutschen Öffentlichkeit zu den Parteien ist trotz der außerordentlichen Anstrengungen, die die Parteien schon in Anbetracht d e r fortgesetzten Wahlkämpfe in Deutschland machen müssen, ein distanziert kühles. Mit anderen Worten: Die Parteien sind noch immer nicht wirklich populär. Man kann daraus nicht auf Restbestände des Nationalsozialismus in Deutschland schließen, sondern man muß Tatbestände und Verhaltensweisen ins Auge fassen, die in Deutschland schon immer weit verbreitet waren. Es gibt z. B. einen Objektivitätsdusel bei vielen Intellektuellen, die ihrem geistigen Rang und ihrem Anspruch auf Objektivität den Abstieg in die Niederungen der politischen Praxis und damit auch der politischen Partei glauben nicht zumuten zu dürfen. Selbst208
10.1 Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen Universität verständlich kommen darin auch gewisse Vorbehalte gegen die parlamentarische Demokratie als der uns gegebenen Organisationsform des freiheitlichen Rechtsstaates zum Ausdruck. Ich mache diese Unterschiede bewußt, weil ich weiß, daß es viele Kritiker unserer Parteien als unfair empfinden, wenn man ihre Vorbehalte gegen die Parteien als eine Distanzierung vom freiheitlichen Rechtsstaat begreifen oder beschreiben würde. Immerhin stecken in diesen Vorbehalten gegen die Parteien auch Vorbehalte gegen die parlamentarische Demokratie. Sie nähren sich erstens aus einer noch immer weitverbreiteten Abneigung gegenüber manchen wenig schönen Formen des politischen Kampfes und aus einer instinkthaften Ablehn u n g dieses Kampfes als solchem, in dem j a auch nicht selten eine Überfremdung sachlicher Notwendigkeiten stattfindet. Zweitens nähren sich diese Vorbehalte aber auch aus alten Ressentiments, die sich mit der Erinnerung an die Weimarer Republik verbinden. Ich erinnere mich lebhaft an eine leidenschaftliche Debatte, die zwischen uns halbverhungerten politischen Gefangenen ausbrach, als wir im Februar 1945 in einem Kohlenkahn auf die Brandenburger Seenplatte gefahren wurden, um von dort aus, j e nach Zweckmäßigkeit, weiterbefördert oder versenkt zu werden. Die Flüche, die damals und zuvor schon unter uns ausgestoßen wurden, galten eben nicht nur der Herrschaft der Nazis, sondern auch der Weimarer Demokratie, weil sie einen Hitler nicht rechtzeitig vernichtet habe. Ressentiments gibt es aber nicht nur bei dem Häuflein unbelehrbarer Nazis, sondern auch bei vielen, die mit dem Nationalsozialismus wenig oder gar nichts im Sinne gehabt haben. Damit sind wir drittens bei der Frage nach dem Rest des Nationalsozialismus in Deutschland. Ich bin mir bewußt, daß das Wesentliche daran nicht das ist, was sich organisatorisch oder polizeilich nachweisen läßt, sondern das, was sich im öffentlichen Bewußtsein der Deutschen allenfalls davon aufzeigen läßt. Aber das Bild wäre nicht vollständig, wenn man nicht auch sorgfältig das organisatorisch und politisch Feststellbare des nationalsozialistischen Restes ins Auge fassen würde. Vor kurzem hat das Bundesministerium des Innern dazu eine Dokumentation vorgelegt. Das Ergebnis dieser von den Verfassungsschutzämtern (also einer Art politischer Geheimpolizei) durchgeführten Untersuchung zeigt, daß es nicht weniger als 90 rechtsextremistische, und das heißt mit dem Nationalsozialismus mehr oder weniger offen sympathisierende Organisationen und Verbände im Bereich der Bundesrepublik Deutschland gibt. Der Bericht des Bundesministeriums des Innern weist nach, daß diese Organisationen im Lauf der vergangenen zwei J a h r e etwa 35 v. H. ihrer Anhänger verloren haben. Am31. Dezember 1961 haben diese 90 Organisationen insgesamt 12 300 Mitglieder besessen. Die rechtsextremistischen Jugendorganisationen seien sogar auf 2100 Mitglieder abgesunken. Ihnen stehen 4,5 Millionen in demokratischen Jugendorganisationen erfaßte Deutsche gegenüber. Interessant und gefährlich zugleich ist die auf einwandfreies Beweismaterial gestellte Mitteilung des Bundesministeriums des Innern, daß, je mehr der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik zurückgehe, er um so stärker von außen her 209
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel gefördert werde. So habe z. B. das Ministerium f ü r Staatsicherheit in Ulbrichts Ost-Berlin im Mai 1961, während hier in Jerusalem der Eichmann-Prozeß lief, antisemitische Flugblätter gedruckt und nach Westdeutschland geschmuggelt, um damit den Anschein zu erwecken, als sei in der Bundesrepublik eine SS-Untergrundorganisation am Werke. Dem Bundesministerium des Innern in Bonn seien annähernd 450 ausländische Parteien und Organisationen bekannt, die sich um die Wiederbelebung des Faschismus in der Bundesrepublik bemühten. Ich glaube nicht, daß diese Brandstifter in den kommenden Jahren mehr Erfolg haben werden als in den vergangenen. Das gilt erst recht vom Antisemitismus. In diesem Stück hat die Erinnerung an die Untaten des Nationalsozialismus auch zu gesetzlichen Maßnahmen und Strafverschärfungen geführt, die es selbst dem Unbelehrbarsten geraten erscheinen läßt, vorsichtig zu sein. Antisemitische Reaktionen sind jedenfalls selten geworden in Deutschland. Man könnte sogar etwas generalisierend sagen, daß an die Stelle des ehemaligen Antisemitismus ein ernst bemühter Philosemitismus getreten ist. Er ist deshalb nicht problemlos, weil es wahrscheinlich wünschenswert wäre, wenn es zu jenem ganz selbstverständlichen und unbefangenen Verhältnis käme, in dem rassische Gefühle, Ressentiments und Tabus spontan als Verrücktheit abgelehnt werden. Die j u n g e Generation wird es so empfinden, aber ob die Älteren es noch einmal zu der Unbefangenheit bringen, die dazu gehört, ist mir fraglich. Solange wir uns noch in relativ großer zeitlicher Nähe zum Reiche Hitlers befinden und solange die Abrechnung mit seinen Untaten noch nicht beendet ist, kann an diesem Punkt jedoch nicht mehr erwartet werden. Die Qual der Last und Schuld, die wir tragen müssen, ist zu groß, als daß sie in unserer Generation Unbefangenheit zulassen würde. Es ist eben immer wieder die alte quälende Frage: Wie war es möglich? Wie haben wir es zulassen können? Haben wir wirklich nichts davon gewußt? Diese Fragen werden mit jedem Kriegsverbrecher prozeß immer neu gestellt und fordern immer erneut die Gewissensprüfung einer ganzen deutschen Generation. Ich kann nicht in Abrede stellen, daß sich dabei allmählich auch eine gewisse Müdigkeit der eigenen Gewissensanstrengung einzustellen scheint. Über dieser Anstrengung liegt eben nicht nur das Licht der Erkenntnis, sondern auch der Schatten der Einsicht, daß selbst die strengste Sühne nicht imstande ist, jenes Gebirge von Schuld abzutragen. Daraus folgern allerdings auch nicht wenige, daß es an der Zeit sei, einen Strich unter die Sache zu ziehen und auf weitere Strafverfolgung zu verzichten. Ich glaube jedoch nicht, daß sich in den deutschen Parlamenten diese Ansichten durchsetzen werden. Darum wird es auch bei Strafverfolgung und Sühne bleiben. Macht man den Versuch, dergestalt einen Blick auf die Landschaft der deutschen Seelen zu werfen, so sieht man, daß weite Teile im Schatten, andere im wogenden Nebel liegen. Daß es auch solche gibt, die klar einsichtig sind, weiß j e d e r Beobachter Deutschlands, auch wenn er dabei n u r an die rationalen Bereiche der wirtschaftlichen, technischen und politischen Entwicklung denkt. Vielleicht läßt sich das aber auch von einigen darüber hinaus liegenden Bereichen sagen wie dem religiös-kirchlichen und dem geistig-kulturellen. In ihnen verbinden sich 210
10.1 Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen Universität Glaube und Vernunft in mehr oder weniger überzeugenden Gestaltungen und Dokumentationen des Geistes. Nietzsche hat dem zwanzigsten J a h r h u n d e r t vorausgesagt, daß es die Zeit des Nihilismus werden würde. Ich erlaube mir kein Urteil über den geistigen Zustand der Welt in unserer Zeit. Aber ich glaube, daß es falsch wäre, wenn das Vakuum im derzeitigen Dasein vieler Deutscher kurzweg f ü r Nihilismus gehalten würde. Es ist kein Zweifel zwar, daß es auch heute in Deutschland Nihilismus, ruinösen Nihilismus gibt. Aber das Vakuum, von dem ich spreche, ist etwas anderes. Es entsteht aus innerer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, die als Unverbindlichkeit und Unentschiedenheit zutage treten. Es fehlt ihnen die Kraft zu wirklichem persönlichem Engagement über sich selbst hinaus. Dieser Unverbindlichkeit und inneren Kraftlosigkeit fehlt indessen fast immer jener brutale Egoismus und überhebliche Zynismus, der dem Nihilismus eigen ist. Soweit jene Kraftlosigkeit vor den Härten der Zeit resigniert, neigt sie der ,Lust am Untergang' zu, von der ein kritischer deutscher Schriftsteller gesprochen hat. Im ganzen aber scheint mir jenes Vakuum in der derzeitigen nationalen Existenz der Deutschen mehr ein unentschiedenes Offensein f ü r alles mögliche zu sein als ein zynischer Nihilismus. Dafür spricht z. B. die Geschichte, die kürzlich ein bekannter deutscher Universitätsprofessor erzählte. Er berichtete, daß ihm seine Studenten in Tübingen eines Tages sagten, wie gern sie auch einmal einen jener Fackelzüge machen würden, die in früheren Zeiten an den deutschen Universitäten gang und gäbe waren. Sie wüßten aber nicht, wem sie eine solche Huldigung darbringen sollten, welcher Sache, welcher Idee, welchen Werten. Der Professor wollte mit der Geschichte — wie ich meine — zu Recht dokumentieren, daß Deutschlands Jugend eben nicht n u r von rationalen Einsichten leben möchte, sondern daß sie in der Tiefe ihrer Seele nach etwas verlange, f ü r das es sich über die eigene Person hinaus zu leben lohne. Er beschrieb damit etwas von dem Vakuum, von dem hier die Rede ist. Auf diese Geschichte antwortete eine der größten Tageszeitungen unter der Schlagzeile: ,Wir brauchen keinen Fackelzug für Werte'. Denn — so meinte der Verfasser dieser Antwort — ,die einzige, allerdings fundamentale Differenz', die uns vom kommunistischen Osten unterscheide, sei ,die Offenheit, die Mehrstimmigkeit und undirigierbare Vielfalt unseres Bewußtseins'. An dieser Antwort ist nicht alles falsch. Sicher aber weigert sich ein großer Teil der Deutschen, ein großer Teil insbesondere der deutschen Jugend, darin den einzigen Unterschied zwischen dem kommunistischen Zwangsstaat und der Welt der Freiheit zu sehen. Sie suchen, ja, sie drängen nach sittlich vertretbaren, großen Konkretionen, nach Gehalten und Gestalten, f ü r die man sich engagieren kann und darf, ohne Gefahr zu laufen, damit noch einmal, wie unter Hitler, mißbraucht zu werden. Die Last der Vergangenheit und nicht n u r das leichte Getändel des Alltags um Geld und Spiel stehen ihnen dabei im Wege. Immerhin wird auch bei diesem Stand der Dinge von der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes gewußt, daß der Kampf zwischen Ost und West eben nicht ein herkömmlicher nationaler Machtkampf ist, sondern eine Auseinandersetzung zwi211
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel sehen Ideen und Wertordnungen. In ihm steht auch im öffentlichen Bewußtsein Deutschlands noch nicht einmal die physische, sondern die zukünftige geistige Existenz der Menschheit in erster Linie in Frage. Daß diesem Aspekt des heutigen weltgeschichtlichen Ringens der Vorrang zukomme auch vor ganz berechtigten nationalen Ansprüchen — wie dem auf staatliches Zusammenleben das ist eine der politischen sittlichen Einsichten, die dem deutschen Volk heute abverlangt werden. In Einsichten dieser Art vollzieht sich wiederum jener Wandel der Loyalitäten, von dem ich in anderem Zusammenhang schon gesprochen habe. Das Recht steht über dem Zweck. Die Sache der Freiheit geht auch anderen nationalen Ansprüchen vor. Dies ist übrigens die Grunderkenntnis, von der der deutsche Widerstand gegen Hitler lebte, jedenfalls soweit er im Staatsstreich vom 20. Juli 1944 Ausdruck fand. Ich kann und will nicht sagen, daß der deutsche Widerstand das politische und staatliche Leben im heutigen Deutschland bestimme. Dazu vollzog er sich unter zu außergewöhnlichen Umständen und dazu erlitt er zu hohe Opfer an Kraft und Blut. Dazu griffen auch die westlichen Besatzungsmächte bei der ersten staatlichen Reorganisation nach 1945 zu unbekümmert auf Kräfte und Ideen d e r Weimarer Zeit zurück. Aber es gibt auch heute in Deutschland eine breite Zustimmung zu jener Grunderkenntnis des deutschen Widerstandes auf vielen Stufen. Aber es gibt eben auch heute noch vielgestaltige Vorbehalte gegen das eigene Engagement. Sie sind charakteristisch f ü r jenes Vakuum, das positiv beurteilt Offensein ist. Offensein freilich auch f ü r das Unmögliche, ausgenommen wahrscheinlich Kommunismus und Faschismus. Dieses Bild wäre jedoch nicht vollständig, wenn nicht auch noch ein Wort von jenem Teil der deutschen Seelenlandschaft gesprochen würde, der von den religiösen Energien, von den Kräften des Glaubens, großer geistiger Traditionen und neuer Ideale gestaltet wird. Die Hinwendung zu den Kirchen und Glaubensgemeinschaften schon in der Zeit des Nationalsozialismus, erst recht aber gleich danach, war ein Ereignis, das Millionen ergriff. Es erklärt sich nicht n u r aus den seelischen Belastungen durch den Nationalsozialismus, durch den Krieg und die Katastrophe. Es erklärt sich auch nicht nur aus dem Bedürfnis, nach dem Zusammenbruch des Staates in der Kirche aufgehoben zu sein. Das alles hat dazu beigetragen. Aber in der Bewegung der Zeit und in ihrem Gericht erfuhren eben Ungezählte an sich selber etwas von der Wahrheit Hiobs: ,Ich hatte von Dir mit den Ohren gehört, aber nun hat mein Auge Dich gesehen, darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche'. Die Intensität dieser Erkenntnis ist von dem sich normalisierenden Alltag abgeschliffen worden. Ich glaube aber nicht, daß sie sich überhaupt wieder aufgelöst hat. Darauf läßt auch schließen die öffentliche Einwirkung religiöser Energien auf den deutschen Alltag und die deutsche geistige Auseinandersetzung. Dem klerikalen Mißbrauch dieser Energien steht die Verfassung entgegen. Sie garantiert gleichermaßen die Rechtsgleichheit wie die Glaubensfreiheit. Sie schließt damit nicht n u r die Verwirklichung eines .christlichen Staates' aus, sondern sie verhindert auch, daß der säkulare Staat seiner Struktur wie seinem tat212
10.1 Die Rede Gerstenmaiers in der Hebräischen
Universität
sächlichen Gehalte nach klerikal oder glaubensfeindlich mißbraucht werden kann. Wandlung der Deutschen? Worin besteht sie? Lassen Sie mich zusammenfassend darauf wie folgt antworten: 1. Sie besteht in der Tatsache einer grundlegenden Wandlung der deutschen Politik. Die Abkehr d e r deutschen Politik unserer Zeit von der nationalstaatlichen Souveränitätspolitik und die Einfügung des freien Teiles Deutschlands in die Integrationsgebilde der europäischen und der atlantischen Welt ist ebenso geschichtlich erwiesene Wahrheit wie die geistig-religiöse Wandlung in Deutschland. Sie hat nicht nur den Staatsbegriff verändert, sondern sie ist in die Tiefe des nationalen Bewußtseins gedrungen und hat es verwandelt. Sie hat nicht nur eine kritische Distanz vom Nationalsozialismus bewirkt, sondern sie hat zu seiner gewissensmäßigen Verwerfung geführt. Sie hat nicht n u r das deutsche Geschichtsbild in Frage gestellt, sondern sie hat auch das geschichtliche Denken der Deutschen verändert. 2. Die Ziele der deutschen Wandlung sollen nach dem Willen aller heute im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, Kräfte und Gruppen keine anderen sein als die Festigung unseres teuer erworbenen freiheitlichen Rechtsstaates. Er ist bereit, nach dem Maße seiner Kraft einzustehen f ü r das, was er an geschichtlicher Last und Verpflichtung zu tragen hat. Die Verwirklichung der nationalen Einheit Deutschlands empfindet er auch als eine menschliche Verpflichtung gegenüber 17 Millionen Schicksalsgenossen, denen das Menschenrecht der Selbstbestimmung verweigert wird. Es ist unser Ziel, zusammen mit ihnen im dauernden Verband der freien Welt zu leben und jedem rechtlich Gesinnten ein verläßlicher Partner zu sein. 3. Die Gefahr der Deutschen ist weder die Wiederkehr des Nationalsozialismus in irgendeiner Gestalt noch die Hinwendung zu Kommunismus oder Revanchismus. Die innere Gefahr Deutschlands ist vielmehr ein noch weithin unbezwungenes geistig-seelisches Vakuum und die verbreitete Illusion, es durch die maximale Befriedigung materieller Bedürfnisse überwinden zu können. Die äußere Gefahr Deutschlands ist die Verweigerung eines sittlich vertretbaren Ausgleichs von Seiten Sowjetrußlands. Diese Betrachtung Deutschlands ist mit großen Bedenken unternommen und in dem Bewußtsein durchgeführt worden, daß dabei überhaupt nur einzelne Aspekte ins Bild gebracht und angesprochen werden können. Fast in allem mußten Aussagen gewagt werden, die es sich gefallen lassen müssen, in Frage gestellt oder auch abgelehnt zu werden. Vielleicht ist es dennoch erlaubt zu zeigen, wie ein dem Irrtum unterworfener, aber um Redlichkeit bemühter Deutscher heute Deutschland sieht oder sehen kann. Ich weiß dabei ganz gut, daß sich fast alles, was ich gesagt habe, auch in das Licht des Zweifels stellen läßt. Niemand braucht sich mir gegenüber erst um Beispiele zu bemühen f ü r Borniertheit, Gedankenlosigkeit, ja selbst f ü r bösartiges Beharren auf all dem, was in dieser Rede verworfen wurde. Das alles gibt es auch heute. Aber es ist nicht typisch, sondern es ist weit eher atypisch. Immerhin, es ist 213
10 Bedeutungsvolle Reise von Bundestagspräsident D. Eugen Gerstenmaier nach Israel
auch da. Es bestätigt sich darin, daß das deutsche Volk weder im Bösen noch im Guten jemals eine in sich identische Einheit war und ist. Das Bild, das ich hier auf dem Boden Israels entworfen habe, stammt aus dem Umgang eines Deutschen mit seinem Volk in sehr verschiedenen Bereichen des äußeren und inneren Daseins. Es mag sein, daß das Licht, in dem es vorgestellt wird, mehr, als ich es selber weiß, aus der H o f f n u n g u n d aus dem Glauben kommt. Sobald ich mir freilich vergegenwärtige, wo und vor wem ich diesen Versuch gemacht habe, fallen mir mit schrecklicher Gewalt wieder einige der Bilder und Dokumente ein, die nicht n u r zwischen Ihnen und den Deutschen stehen, sondern zwischen einem großen Teil der Welt und meinem Volk. Diese Bilder der Vergangenheit genügen, um uns Deutsche zum Schweigen zu bringen. Es ist das Schweigen der Scham u n d des Herzeleids ungezählter Menschen meines Volkes vor dem Volke Israel."
10.2
Ein Interview in der „Tagesschau"
Unmittelbar nach dem Besuch Eugen Gerstenmaiers gab es ein Interview des Bundestagspräsidenten in der Tagesschau des Deutschen Fernsehens am 2. Dezember 1962 bei seiner Ankunft auf dem Frankfurter Flughafen. Dieses Interview hatte den folgenden Wortlaut: „Dr. Gerstenmaier: Ich glaube, daß wir uns Mühe geben müssen, von unserer Seite aus etwas energischer zu werden in der Herstellung normaler Beziehungen. Es gibt Mißverständnisse, die müssen beseitigt werden. Die können nicht beseitigt werden, wenn wir nicht wie in jedem anderen Land eine ordentliche Vertretung haben und wir nicht zu ganz normalen diplomatischen Vertretungen kommen. Ich bin deshalb der Meinung, wir sollten das allmählich anstreben. Man braucht es nicht über die Knie zu brechen, aber man muß darauf zugehen. Sprecher: Herr Präsident, die Initiative zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen müßte also von uns ausgehen? Dr. Gerstenmaier: Nun, ich will es nicht so hart sagen, es kommt auf das gegenseitige Einvernehmen an. Aber ich habe den Eindruck, daß es breite Gruppen gibt in Israel, die betrachten das Nichtbestehen diplomatischer Beziehungen allmählich als eine Israel diskriminierende Angelegenheit, als eine von deutscher Seite die Israelis diskriminierende Sache. Das ist ein Mißverständnis sicher, aber man muß diese Mißverständnisse beheben und wir müssen im gegenseitigen Einvernehmen hier Schritt um Schritt tun."
10.3
Rolf Schloß im, Gespräch mit David Ben Gurion
Drei Tage später strahlte der Hessische R u n d f u n k ein Interview seines Israelkorr e s p o n d e n t e n Rolf Schloß mit M i n i s t e r p r ä s i d e n t David Ben Gurion a u s . A u c h
214
10.3 Rolf Schloß im Gespräch mit David Ben Gurion diese Äußerungen sind im Zusammenhang mit dem Besuch des Bundestagspräsidenten noch heute von Bedeutung: „Rolf Schloß: Ministerpräsident Ben Gurion wurde gefragt, was er zu der bisherigen Weigerung Bonns, Israel anzuerkennen, zu sagen habe, und was er über die Mitwirkung deutscher Spezialisten am Bau der Fernraketen in Ägypten denke. Daraufhin erklärte Ministerpräsident Ben Gurion: Ben Gurion: Moralisch ist dieses Verhalten in beiden Fällen zu verurteilen. Aber ich spüre zu meinem tiefsten Bedauern, wie sehr sich manche Teilnehmer an dieser Konferenz von der von Israel geführten Debatte über das gesamte Problem des Rassismus, um nicht zu sagen von den Wahnideen der Nazis, beeinflussen lassen. Darf man mit einem anständigen Deutschen, wie Dr. Gerstenmaier, nicht zusammentreffen? Wir sind als einziger Staat dieser Erde, dem seine Nachbarn den Garaus machen wollen, derart angewiesen auf normale außenpolitische Beziehungen mit wem auch immer, schon weil sich Waffenkäufe n u r bei solchen Beziehungen tätigen lassen, daß ich ohne Verständnis f ü r die sogenannten Ideale unserer grundsätzlichen Neinsager zum Kontakt mit den Deutschen bin. Auf diese Art von Idealen bin ich zu verzichten bereit, wenn die Sicherheit Israels auf dem Spiel steht. Rolf Schloß: Hier schlug Ben Gurion in höchster Erregung mit der Faust auf den Tisch. Ben Gurion. lch bestreite auch, daß die verwerfliche Tätigkeit deutscher Raketenkonstrukteure in Kairo der gesamten deutschen Nation zur Last gelegt werden kann. Von uns wird keine Initiative zur Herstellung diplomatischer Beziehungen mit Deutschland ausgehen. Sie muß von der Regierung Dr. Adenauers kommen, den ich seinerzeit in New York denn auch nicht deswegen angesprochen habe. Rolf Schloß: Und nun kam wohl der entscheidenste Satz der Stellungnahme Ben Gurions: Ben Gurion: Sollte von der Deutschen Bundesrepublik aus der Vorschlag kommen, diplomatische Beziehungen anzubahnen, so würde ich diesen Vorschlag von meiner Person aus akzeptieren. Jedenfalls bestehen Chancen. Ich könnte mich konkreter ausdrücken, vermeide es aber. Es bestehen Chancen, mit den Deutschen zu einer Regelung zu gelangen. Rolf Schloß: Nach den so unmißverständlichen Erklärungen des israelischen Premiers und des westdeutschen Bundestagspräsidenten dürfte nun wohl in absehbarer Zeit mit einer Anbahnung normaler diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Jerusalem zu rechnen sein."
215
11 Drei große Themen stehen an: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik — Deutsche Wissenschaftler in Ägypten — Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts In den Jahren 1963 und 1964 gingen die Diskussionen um diese drei bedeutsamen T h e m e n weiter, ja sie kamen erst richtig in Gang. Sie basierten auf den Erkenntnissen die Eugen Gerstenmaier in Jerusalem gewonnen hatte. Das Problem der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Israel stand weitgehend im Mittelpunkt der Gespräche, da es Rückwirkungen auch auf die anderen Themen hatte.
11.1 Die Debatten um die Aufnahme diplomatischer zwischen der Bundesrepublik und Israel
Beziehungen
Am 21. Dezember 1962, also direkt bei der Rückkehr Eugen Gerstenmaiers nach Deutschland haben arabische Staaten auf seine Äußerungen im Hinblick auf die deutschen Beziehungen zu Israel reagiert. Die Botschafter Jordaniens und Saudi Arabiens kamen zu Gesprächen ins Auswärtige Amt. Darüber gibt es einen Vermerk: „Die Botschafter Jordaniens u n d Saudi-Arabiens haben am 18. bzw. 19.12. den Direktor der Abt. 7, Herrn Ministerialdirektor Krapf aufgesucht und ihm gleichlautende Noten übergeben, in denen die Besorgnis der beiden Staaten über die Haltung .gewisser Kreise in d e r Bundesrepublik zum sogenannten Staate Israel' zum Ausdruck kommt. Die Noten sind in relativ gemäßigtem Ton abgefaßt. Israel bedrohe die arabischen Staaten unmittelbar, die Äußerungen des Herrn Bundestagspräsidenten, er sei entschlossen, auf die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit Israel zu drängen, hätten daher in Jordanien bzw. Saudi-Arabien und in der übrigen arabischen Welt Sorge und bittere Gefühle gegenüber der Bundesrepublik hervorgerufen. Bei aller Zurückhaltung versäumten die Noten es nicht, zu erwähnen, sie seien der Ansicht, daß die Bundesregierung die Probleme der arabischen Staaten kenne, ebenso wie sich Jordanien bzw. Saudi-Arabien über die ,vitalen Probleme Deutschlands' bewußt seien. Nach Auffassung des Referats bestätigen die Noten, daß die arabischen Staaten ihre Drohung, die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen 216
11.1 Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Deutschland u n d Israel mit d e r völkerrechtlichen A n e r k e n n u n g der SBZ zu beantworten, aufrechterhalten, wenn auch nur, u m ihre eigene Stellung im arabischen Raum abzusichern. Es ist beabsichtigt, d e n E m p f a n g d e r Noten zu bestätigen, o h n e auf ihren Inhalt einzugehen."
11.1.1
Franz Böhm äußert sich dazu
Am 21. J a n u a r 1963 richtete Prof. Dr. Franz Böhm, MdB., an verschiedene, in d e r Israelfrage engagierte H e r r e n der Regierung u n d des Bundestages d e r CDU-/ CSU-Fraktion ein ausführliches Schreiben zur Frage d e r A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen zu Israel. Es waren dies Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier, Bundesaußenminister Dr. Gerhard Schröder, Bundesminister Dr. h. c. Franz-Josef Strauß, Erik Blumenfeld, MdB., Dr. Kurt Birrenbach, MdB., Dr. Heinrich von Brentano, MdB., (Bundesminister a. D.), A. Deringer, MdB., Prof. Dr. h. c. F. Friedensburg, MdB „J.B. Gradl, MdB., Dr. H. Kopf, MdB., Ernst Majonica, MdB., R. Werner, MdB. Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut: Meine verehrten H e r r e n ! Ich n e h m e Bezug auf unsere Aussprache am 16. J a n u a r 1963, die zu dem Ergebnis g e f ü h r t hat, daß es ratsam sei, eine Zwischenlösung zwischen den vollen diplomatischen Beziehungen u n d dem derzeitigen de facto-Zustand ins Auge zu fassen. Nach d e m Bericht des H e r r n Bundestagspräsidenten steht einer solchen Lösung jedoch die Auffassung d e r israelischen Regierung entgegen, sich auf keine Alternative zu der völligen Herstellung d e r Beziehungen einlassen zu wollen. Ich habe inzwischen die Entstehungsgeschichte d e r gegenwärtigen Situation noch einmal überdacht u n d bin zu dem Ergebnis gekommen, daß wir die Situation nicht ganz zutreffend beurteilt haben. Die Alternative zwischen vollen Bezieh u n g e n u n d irgendeiner Zwischenlösung besteht schon seit m e h r als sechs J a h r e n nicht mehr. Damals hat man sich über eine a n d e r e Alternative geeinigt, nämlich über die Alternative: Volle diplomatische Beziehungen oder reiner de facto-Zustand. An dieser Alternative haben beide Staaten seit 1956 festgehalten. Als sich im Jahre 1956 die Bundesregierung unter d e m Eindruck d e r Botschafter-Konferenz in Istanbul dazu entschloß, d e n mit H e r r n Dr. Shinnar vorbesprochenen Austausch von Vertretungen doch nicht zu realisieren, d a waren sich beide Teile d a r ü b e r einig, daß die einzige Ursache dieses Scheiterns die deutscherseits befürchtete Reaktion arabischer Staaten war. Angesichts dieser Tatsache kam man zu einer Verständigung d a r ü b e r , welche Konsequenzen aus d e r Tatsache u n d dem Fortbestehen des arabischen Druckes gezogen werden sollten. Diese Übereinstimmung erstreckte sich auf drei Punkte: 217
11 Drei große Themen stehen an 1. Angesichts der arabischen Haltung konnte in Zukunft n u r noch die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen infrage kommen. Denn es läßt sich zwar hinnehmen, daß der Wunsch zweier Staaten, miteinander in Beziehung zu treten, durch das Verhalten eines dritten Staates vereitelt wird. Aber es ist unerträglich, die Reaktionen einer dritten Macht auf Grad, Form und Inhalt offizieller Beziehungen zwischen zwei anderen Staaten Einfluß gewinnen zu lassen. Das völlige Fehlen von diplomatischen Beziehungen braucht das Prestige und die Selbstachtung der beiden Staaten, die in der Anbahnung solcher Beziehungen behindert werden, nicht zu beeinträchtigen. Wenn sie sich aber darauf einlassen, Art und Inhalt der Beziehungen von den Pressionen einer dritten Macht abhängig zu machen, dann bringen sie die prekäre Tatsache ihrer Unfreiheit auch noch sozusagen protokollarisch zum Ausdruck. 2. In der Zeit vor der Herstellung voller diplomatischer Beziehungen sollte es beim völligen Fehlen offizieller Beziehungen sein Bewenden haben. Dieses Fehlen sollte eher pointiert, als schamhaft verhüllt werden. 3. Die Situation während des Fehlens offizieller Beziehungen sollte durch den Ausbau bestmöglicher de facto Beziehungen genutzt werden Ich selbst habe mich erst nach der Sitzung am 16. J a n u a r der Tatsache erinnert, daß nach dem Scheitern des Projektes von 1956 über diese drei Punkte zwischen Professor Hallstein (damals noch Staatssekretär) und Dr. Shinnar, ich glaube auch zwischen dem Bundesaußenminister Dr. von Brentano und Dr. Shinnar ausdrücklich gesprochen worden ist. Insbesondere Professor Hallstein hat damals betont, daß f ü r beide Staaten aus Gründen der Selbstachtung künftig n u r noch die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen ins Auge gefaßt werden sollte und daß bis zu diesem Zeitpunkt versucht werden sollte, aus dem rein faktischen Zustand das Beste zu machen. Tatsächlich sind denn auch m. W. in der Zwischenzeit niemals mehr irgendwelche Zwischenlösungen erörtert worden. Wohl aber hat Israel — nicht offiziell, aber inoffiziell - wiederholt durchblicken lassen, daß es die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen begrüßen würde. Das ist z. B. mir gegenüber bei meinem Besuch in Israel im Herbst 1958 seitens des Ministerpräsidenten Ben Gurion und seitens des israelischen Arbeitsministers Dr. Josephthal (ehem. Leiter der israelischen Verhandlungs-Delegation in Den Haag) geschehen. Ben Gurion zeigte damals lebhaftes Interesse f ü r die Resonanz, die die Übernahme der Regierung in Frankreich seitens de Gaulle bei der Bundesregierung und in der deutschen Öffentlichkeit gefunden habe, äußerte selbst große H o f f n u n g e n bezüglich des deutsch-französischen Verhältnisses und deutete an, daß eine solche Entwicklung dem beiderseitigen Wunsch nach Herstellung offizieller Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern förderlich sein werde. Dr. Josephthal wied e r u m erinnerte an unsere Verhandlungen im Jahre 1952 und meinte, wir beide hätten uns damals wohl nicht genügend klar gemacht, wie schnell es gehe, daß eine neue Generation heranwachse. In Israel mache sich das schon sehr fühlbar. Die j u n g e Generation in Israel sei durchaus abgeneigt, sich wegen einer Vergangenheit, die sie nicht miterlebt habe, in eine Dauerfeindschaft gegen Deutsche 218
11.1 Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen versetzen zu lassen. „Selbst wenn wir das wollten", meinte Dr. Josephthal, „würde uns das nicht gelingen." Eben deshalb aber solle alles vermieden werden, was der j u n g e n Generation einen n e u e n u n d aktuellen G r u n d zur Verstimmung gegen Deutschland geben könne. Die j u n g e Generation sei stolz auf ihren Staat; sie werd e wahrscheinlich mit Unwillen u n d verletzten E m p f i n d u n g e n reagieren, wenn sich die Bundesregierung auf die Dauer nicht dazu entschließen könne, die Beziehungen herzustellen. So war die Situation bis heute. Die Alternative seit 1956 war immer n u r : entweder volle Beziehungen o d e r reiner d e facto-Zustand. Erst im Zusammenhang mit d e r Reise des Bundestagspräsidenten habe ich zum ersten Mal seit über sechs J a h r e n davon gehört, daß wieder Zwischenlösungen ventiliert wurden. Da in d e r Aussprache vom 16. J a n u a r in d e r Wahl dieser Möglichkeit ein Weg gesehen wurde, die festgefahrene Situation wieder flott zu machen, habe ich selbst vergessen, d a ß diese Frage j a bereits seit sechs J a h r e n ausdiskutiert ist. Dr. Gerstenmaier hat o f f e n b a r aus d e r unnachgiebigen Festigkeit, mit d e r ein mir nicht persönlich bekannter Ministerialdirektor im israelischen Außenministerium auf d e r Alternative: volle Beziehungen oder gar keine Bezieh u n g e n bestand, d e n Eindruck gewonnen, d a ß sich in d e r israelischen Außenpolitik neuerdings eine f ü r die Bundesrepublik weniger günstige Richtung abzeichne. In Wirklichkeit aber handelt es sich um die gleiche Alternative, über die sich beide Regierungen seit d e m Scheitern des Versuchs von 1956 einig waren. Im beiderseitigen Interesse! Da ich selbst vor vier Monaten in Israel war, halte ich es f ü r ausgeschlossen, daß sich in d e r Richtung d e r israelischen Politik gegenüber d e r Bundesrepublik etwas geändert haben soll, wenn man davon absieht, daß die Enttäuschung über die lange Dauer des anormalen Zustandes mit der Zeit natürlich zunimmt. Das ist ebenso natürlich wie das Vorhandensein eines höchst realistischen Interesses d e r israelischen Regierung an den Ausstrahlungen d e r Tatsache voller diplomatischer Beziehungen im Vorderen Orient. Vor allem hat sich nicht das mindeste daran geändert, daß Israel nach wie vor d e m reinen d e facto-Zustand bei weitem den Vorzug vor j e d e r Zwischenlösung gibt. Einmal deshalb, weil j e d e Zwischenlösung Israel diplomatisch auf den Lieferanteneingang verweist. Zum a n d e r e n , weil die tatsächlichen u n d recht nachhaltigen Kontaktmöglichkeiten, wie sie sich in günstiger u n d intelligenter Fortentwicklung des d e facto-Zustandes bisher gestaltet haben, alles bieten, was günstigstenfalls von einer Zwischenlösung — rein technisch — erwartet werden könnte. Abgesehen davon, daß Israel das Nichtbestehen normaler, offizieller Beziehungen bedauert, wird d e r derzeitige Zustand als keineswegs unbefriedigend, ja d u r c h a u s als ausbaufähig e m p f u n d e n . Die Wahl einer Zwischenlösung jedoch erachtet man einmal — beim Gedanken an die schad e n f r o h e G e n u g t u u n g , die eine solche Lösung in d e n arabischen Staaten hervorr u f e n würde — nach wie vor als einen schweren politischen Fehler (denn tatsächlich hat sich seit d e m Hallstein-Gespräch nichts geändert), u n d — zweitens, - was d e n technischen Nutzwert betrifft, als unnötig. Ich bin auf diese Vorgeschichte deshalb noch einmal n ä h e r eingegangen, weil ich 219
11 Drei große Themen stehen an den Eindruck hatte, als habe die Kundgabe dieses alten, wie gesagt, beiderseitigen Standpunktes durch den israelischen Ministerialdirektor einen verstimmenden Eindruck gemacht. Beim Überdenken der ganzen Frage bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß das Ergebnis, zu dem die Herren von Brentano, Hallstein und Shinnar 1956 gelangt sind, noch heute standhält. Die Zwischenlösungen waren Scheinlösungen. Sie würden den gordischen Knoten nicht auflösen, sondern würden nur bei ihm enden. Wir werden immer wieder an den gleichen Entschluß herangeführt, und dieser Entschluß wird um nichts leichter, wenn wir eine Zwischenlösung versuchen. Mit dieser Zwischenlösung streuen wir nur uns selbst Sand in die Augen und täuschen uns über die harte Notwendigkeit hinweg, daß wir uns eines schönen Tages werden entscheiden müssen. Der reine de facto-Zustand läßt den wahren Sachverhalt sehr viel klarer und redlicher in Erscheinung treten. Auch aus diesem Grunde verdient er den Vorzug. Ein eigenes, bundesdeutsches Interesse an einer Zwischenlösung möchte ich rundweg und entschieden in Abrede stellen. Wer soll eigentlich durch eine Zwischenlösung beeindruckt werden? Wer wird sich durch eine Zwischenlösung beeindrucken lassen? Insofern kann ich also meinen eigenen, dem Ergebnis unserer Aussprache beistimmenden Standpunkt nicht aufrechterhalten. Auch mir war die Vorgeschichte in diesem Punkt bei den Aussprachen nicht mehr gegenwärtig. Mit verbindlicher Begrüßung Ihr Franz Böhm
11.1.2
Franz Böhm schreibt an den
Bundestagspräsidenten
Der Vater des Luxemburger Abkommens Prof. Dr. Franz Böhm richtete am 6. Februar 1963 ein Schreiben an Dr. Gerstenmaier, in dem er die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel behandelt. Darin heißt es: „Ich stimme ganz mit Ihnen überein, daß es sich bei unserer Frage um eine Charakterfrage handelt, in der man nicht kneifen sollte. Was mich betrifft, so würde ich die vollen Beziehungen herstellen, wenn ich die Verantwortung f ü r unsere Regierungspolitik zu tragen hätte. Ich würde allerdings in diesem Falle die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß einige arabische Staaten, besonders Ägypten, auf diesen Schritt mit der offiziellen Anerkennung der DDR reagieren. Ich würde mir darüber im klaren sein, daß das dann die ersten nicht-kommunistischen Staaten der Neutralisten-Gruppe sein würden, die Chrutschow offiziell helfen würden, die normative Kraft des Faktischen zu einem auch völkerrechtlich anzuerkennenden völkergewohnheitsrechtlichen Besitzstand auszubauen. Ich würde mir also überlegen, was sich tun läßt, um diese Wirkung zu paralysieren. Ich bin der Meinung, daß man diese Frage ventilieren muß, wenn man das Bedürfnis 220
11.1
Die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen
hat, seine politischen Entscheidungen zureichend zu begründen und sich über die weiteren Maßnahmen schlüssig zu werden. Bei diesen unangenehmen möglichen Reaktionen arabischer Staaten würde es aber nicht bleiben. Wenn sie eintreten, dann werden auch Bundestag, öffentliche Meinung und Presse in Bewegung geraten. Es wird sich dann zeigen, ob Sie mit Ihrer Annahme Recht haben, daß es bei uns keinen nennenswerten Antisemitismus mehr gibt, daß sogar eher die Gefahr eines übertriebenen Philo-Semitismus besteht. Diese Zuversicht, die Sie in Ihrer sehr schönen, bewundernswerten Rede vor der Universität Jerusalems bekundet haben, teile ich nicht ganz; sie steht nicht im Einklang mit meinen Beobachtungen, die ich auf dem Gefechtsfeld der Wiedergutmachung beinahe täglich machen muß. Man muß vielmehr damit rechnen, daß nicht nur die Presse, sondern auch hier im Hause sehr ungute Stimmen laut werden, wenn wir die Beziehungen mit Israel herstellen und dafür die Quittung in Gestalt arabischer Anerkennung der DDR einheimsen. Auch aus dem Bereich der Industrie werden wir beklagenswerte Töne vernehmen müssen, ähnlich wie es bei der Ratifizierung des Israel-Vertrages im Frühjahr 53 der Fall war. Den Eindruck, den solche Stimmen im Ausland und besonders in Israel machen werden, kann man sich ja ausmalen. Ich würde aber noch weiter gehen. Ich würde mir vorstellen, wie unsere Regierung und unsere Fraktionen auf solche Kundgebungen höchst unguten öffentlichen Unmutes reagieren würden. Ich weiß leider aus Erfahrung, wie hoch man bei uns „im politischen Raum" das Gewicht der soziologischen Schicht der „unsicheren Kantonisten" (etwa der 131er) veranschlagt. Diese Leute gelten bei allen drei Parteien als ein beachtliches Wähler-Reservoir. Wenn also der Unmut breiter Kreise über die etwaigen Folgen der Herstellung der Beziehungen mit Israel peinlich lautstark werden sollte, dann wird man, wie ich fürchte, von Regierungsund Fraktions-Seite vor diesem Unmut zu Kreuze kriechen und seinen Wortführern Brei ums Maul schmieren. Ich habe leider wenig Vertrauen darauf, daß unsere Regierung und hauptsächlichen Sprecher in dieser Situation Charakter und Festigkeit zeigen werden. Dann aber wird vor der Welt ein Bild entstehen, das uns sehr viel schneller und gründlicher um den politischen Effekt des Israel-Abkommens und der ganzen Wiedergutmachung bringen wird als die Verweigerung der diplomatischen Beziehungen. Wenn ich wüßte, daß man sich in einem solchen Falle auf den Regierungschef, einige wichtige Bundesminister und die maßgeblichen Exponenten der politischen Parteien verlassen könnte, dann würde ich mich mit aller Macht für die sofortige Herstellung der Beziehungen einsetzen. Da ich aber leider davon überzeugt bin, daß wir in den Belastungsproben, die nach Herstellung der Beziehungen außen- und innenpolitisch bei uns eintreten können, Angst vor der eigenen Courage bekommen und eine wenig rühmliche Figur spielen werden, so halte ich es für richtiger, daß ich der Versuchung widerstehe, in der Rolle des charakterfesten Rufers im Streit um die Israel-Beziehungen zu brillieren und die Regierung aufzufordern, sich in ein Unternehmen zu verstrikken, dessen konsequente, honorige und politisch segensreiche Durchführung ich ihr nicht zutraue. 221
11 Drei große Themen stehen an Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mich in meinem Pessimismus irren sollte. Und selbstverständlich beteilige ich mich an jedem Schritt, der zugunsten einer sofortigen Aufnahme der vollen Beziehungen unternommen wird. Aber ich möchte darauf bestehen, daß, bevor ein solcher Schritt unternommen wird, alle Konsequenzen, die sich aus ihm ergeben können, ernsthaft durchgesprochen werden und daß man sich im Kreise derjenigen, die einen solchen Schritt unternehmen, über die Grundlinien einer weitschauenden Strategie einig wird. Insoweit möchte ich einem Grundsatz huldigen, der von einem Landsmann von Ihnen in der Zeit, in der ich noch Pennäler war, ausgesprochen worden ist, nämlich von dem Vorkriegsflieger Helmut Hirth aus Cannstadt, und der da lautet: „Einfach draufloszufliegen, ist das sicherste Mittel, nicht anzukommen." Über die Frage, ob eine deutsche Einrichtung für Wiedergutmachungsfragen im Zusammenhang mit dem Wiedergutmachungs-Schlußgesetz auf israelischem Boden vorgesehen werden sollte, will ich mich lieber einmal im persönlichen Gespräch äußern. Für diesen Brief wäre dieses Problem zu speziell. Mit herzlichem Gruß" Bereits am 14. Januar 1963 hatte Dr. Johann Baptist Gradl, der sich im Deutschen Bundestag von Anfang an sehr stark f ü r die Belange der Ost-West-Beziehungen zwischen Ost-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland engagierte, an Bundestagspräsident Gerstenmaier in der Frage der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Israel geschrieben und seine Bedenken dargelegt: „Mir liegt daran, daß Sie meine Auffassung kennen: Ich habe stärkste Bedenken gegen die Herstellung normaler diplomatischer Beziehungen. Natürlich nicht, weil ich nicht gute Beziehungen zu Staat und Volk Israel möchte, sondern mit Rücksicht auf die Konsequenzen, die die arabischen Staaten möglicherweise hinsichtlich des Zonenregimes ziehen. Soweit das irgend möglich ist, müssen wir vermeiden, daß wir einem fremden Staat Anlaß oder Vorwand f ü r die Anerkennung Pankows geben. Bisher ist es gelungen, die Anerkennung Pankows auf den kommunistischen Satellitenbereich beschränkt zu halten. Das muß auch weiterhin unser Bestreben sein."
11.1.3
Ein Brief an Bundesaußenminister
Gerhard Schröder
Am 21. März 1963 richtete Prof. Böhm ein Schreiben an den damaligen Bundes— außenminister Gerhard Schröder in dem es u. a. heißt: „Es trifft durchaus zu, daß ich die Beibehaltung der bisherigen Linie jeder Zwischenlösung vorziehe, solange sich die Bundesregierung nicht dazu entschließen kann, die vollen diplomatischen Beziehungen mit Israel herzustellen. Ich bin ferner der Meinung, daß die Frage der Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen sorgfältig und unter Abwägung aller möglichen Folgen erwogen werden 222
11.1 Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen muß. Aber ich habe den etwas beunruhigenden Eindruck, daß man sich bei uns im Laufe der letzten acht J a h r e vielleicht etwas zu sehr an das Nicht-Bestehen dieser Beziehungen und an den Gedanken gewöhnt hat, daß die Beseitigung der Schwierigkeiten und Risiken, die einer Herstellung der Beziehungen im Wege stehen, nicht in unserer Macht liege. Eine solche Gewöhnung würde ich aber für verhängnisvoll halten. Sie droht, das Bewußtsein d a f ü r abzustumpfen, daß ein auf deutsche Initiative zurückzuführendes Nicht-Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen uns und Israel doch ein alarmierendes Faktum ist. Einmal deshalb, weil der Staat Israel der Bundesrepublik nicht den geringsten Anlaß daf ü r gegeben hat, mit der Herstellung der vollen diplomatischen Beziehungen zu zögern; im Gegenteil, kein Staat der Welt hat dringendere Gründe, die engsten völkerrechtlichen Beziehungen mit Israel zu wünschen, als der unsrige. Zum anderen ist es f ü r unser Selbstgefühl schwer erträglich, in Bezug auf die Frage, mit welchen Staaten wir diplomatische Beziehungen unterhalten wollen und mit welchen nicht, jetzt schon seit acht J a h r e n unter Pression zu stehen, ohne daß irgendein Bürger oder irgendein Bundestagsabgeordneterden Eindruck hat, daß unser Auswärtiges Amt irgendetwas unternimmt, ja auch nur darüber nachdenkt, wie wir aus dieser unwürdigen Lage wieder herauskommen können. Auch die Zusammenstellung aus Ihrem Hause über die „Politik der Bundesregierung gegenüber dem Nahen Osten", die Sie so freundlich waren, mir in Beantwortung meiner Ausführunge zur Raketenfrage zukommen zu lassen, hat meine Befürchtungen in dieser Hinsicht nicht beschwichtigt, sondern vermehrt. Die Haltung der arabischen Staaten könnte man noch verstehen, wenn der Staat Israel bisher n u r von wenigen Staaten anerkannt worden wäre. Stattdessen liegen die Dinge so, daß alle ins Gewicht fallenden Staaten der westlichen Welt, aber auch die Sowjetunion Israel schon seit langem anerkannt haben und es n u r wenige Staaten gibt, wie z. B. Indien oder der Iran, die das bisher noch unterlassen haben. Auch das neu errichtete Zypern hat trotz erheblicher arabischer Einschüchterungsversuche die Beziehungen zu Israel hergestellt; die Erregung hierüber in den arabischen Staaten ist sehr schnell abgeklungen. Neuerdings scheint der Iran im Begriff zu stehen, ebenfalls die Beziehungen herzustellen. Der Fall d e r Bundesrepublik stellt also eine geradezu auffallende Anormalität dar. Der einzige Grund f ü r diesen anormalen Zustand ist, daß die arabischen Staaten uns gegenüber im Besitze eines wirksamen Drohmittels sind, nämlich der Möglichkeit, uns durch die Anerkennung Pankows einen sehr empfindlichen Schaden zuzufügen. Die arabischen Staaten wissen, daß wir dann nur die Wahl haben, entweder diesen offen feindseligen Akt zu ignorieren, also die Hallstein-Doktrin preiszugeben, oder aber die diplomatischen Beziehungen zu den arabischen Staaten abzubrechen und damit die Tendenz dieser Staaten, beim Osten Anlehn u n g zu suchen, zu aktivieren. So sehr es unserem Interesse widerspricht, uns einem solchen Risiko auszusetzen, so sehr widerspricht ihm aber auch ein untätiges Verharren in dieser unwürdigen Lage. Kein Wort in der Ausarbeitung Ihres Hauses deutet darauf hin, daß auch nur Überlegungen im Gange sind, welche Schritte unternommen werden könnten, um dieser mißlichen Situation ein Ende 223
11 Drei große Themen stehen an zu bereiten u n d d e n arabischen Staaten gegenüber die Freiheit unserer außenpolitischen Entschließungen wiederzugewinnen. Im übrigen steht f ü r mich seit meiner letzten Israel-Reise im September 1962 nicht so sehr die Frage der Beziehungen, als vielmehr die Frage d e r deutschen Raketenberater in Ägypten im Vordergrund. Ich habe Ihnen hierüber j a A n f a n g Oktober in Wiesbaden persönlich berichtet u n d sodann auf Ihren Rat d e m H e r r n Bundeskanzler in einem Brief Mitteilung von d e r d r i n g e n d e n Bitte d e r israelischen Außenministerin, Frau Golda Meir, u n d d e r Bestürzung im Lande Mitteilung gemacht. Ich hatte angenommen, d e r H e r r Bundeskanzler werde diese Frage zum Gegenstand einer Besprechung mit I h n e n machen. Stattdessen antwortete mir der H e r r Bundeskanzler, ohne Ihre Rückkehr aus den Vereinigten Staaten abzuwarten, am 16.10.1962 mit zwei lakonischen Sätzen, daß die Regierung in dieser Frage nichts u n t e r n e h m e n könne. Ich habe d a r a u f h i n meine Ausarbeitung vom 16.11.1962 über „ägyptische Raketenversuche, deutsche Beteiligung und Israel" bei d e n CDU-Mitgliedern des außenpolitischen Ausschusses u n d des Verteidigungsausschusses in Umlauf gesetzt u n d auch I h n e n persönlich sowie dem Bundesverteidigungsminister, damals noch H e r r n Kollegen Strauß, ein Exemplar zugeleitet. Ich habe f e r n e r —ich kann beinahe sagen, wie ein Verzweifelter - versucht, d e n Bundestagspräsidenten vor seiner Abreise nach Israel noch persönlich zu sprechen u n d ihn über die Situation im Lande zu unterrichten. Vor allem wäre es mir darauf angekommen, ihn darauf vorzubereiten, welche Bedeutung die Raketenfrage f ü r die öffentliche Meinung und f ü r die Regierung in Israel besitzt. Als es mir trotz aller B e m ü h u n gen nicht gelang, ihn noch persönlich zu sehen, habe ich ihm wenigstens einen stark gekürzten Vorentwurf meiner Raketen-Ausarbeitung zugeleitet. Merkwürdigerweise scheint Dr. Gerstenmaier dieser Frage keine sonderliche B e d e u t u n g beigemessen zu haben; o f f e n b a r hat er im Lande d e n Eindruck gewonnen, d a ß dort die Frage d e r Beziehungen im V o r d e r g r u n d des Interesses steht. Das hat mich deshalb überrascht, weil in den zahlreichen Gesprächen mit verschiedenen Ministern u n d f ü h r e n d e n Politikern, die ich w ä h r e n d d e r beinahe vier Wochen meines letzten Aufenthaltes g e f ü h r t habe, die Frage d e r Beziehungen ü b e r h a u p t nicht m e h r b e r ü h r t worden ist, sehr im Gegensatz zum J a h r e 1958, als diese Frage noch im V o r d e r g r u n d des Interesses stand. Damals hat auch d e r Ministerpräsident Ben Gurion diese Frage mir gegenüber zur Sprache gebracht. Im Herbst 1962 dagegen stand die Raketenfrage durchaus beherrschend im V o r d e r g r u n d . Sehr verständlicherweise; d e n n f ü r Israel bedeutet diese ägyptische Rüstung eine Daseinsbedrohung, während es sich bei d e r Frage d e r diplomatischen Beziehungen im Vergleich damit doch m e h r nur u m eine protokollarische Frage handelt. Das Imstichlassen Israels in dieser Raketenangelegenheit würde deshalb von d e r israelischen Regierung u n d Öffentlichkeit mit ganz a n d e r e r Schwere e m p f u n d e n werden als eine sich hinschleppende Behandlung d e r Beziehungsfrage. Völlig unverständlich ist es mir, daß der H e r r Bundeskanzler sich mir gegenüber und später auch in d e r Öffentlichkeit auf die Feststellung beschränkt hat, es bestehe f ü r uns keine rechtliche Möglichkeit einer Gegenwirkung. Auch die H e r r e n 224
11.1
Die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen
Ihres Hauses haben diese Feststellung wiederholt, obwohl ich in meiner Ausarbeitung (Seite 12 ff) ausführlich zu der Rechtsfrage Stellung genommen habe. Daß in der Ausarbeitung Ihres Hauses auf meine Argumente mit keinem einzigen Wort eingegangen ist, hat mich nicht angenehm berührt; der wenig besagende Inhalt war auch im übrigen nur geeignet, meine Besorgnisse zu verstärken. Im übrigen trifft die Feststellung, daß es an Rechtsgrundlagen fehle, nicht zu. (§ 7 Abs. 1 a) des Gesetzes über das Paßwesen schreibt in einem solchen Falle die Versagung des Passes (und § 8 die Entziehung des Passes) vor. Daß das Bundesverfassungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht eine solche Paßentziehung aufheben würde, halte ich für höchst unwahrscheinlich, besonders dann, wenn die Maßnahme mit dem gehörigen Ernst begründet und im Verwaltungsstreitverfahren verteidigt wird. Aber selbst auf eine Aufhebung sollte man es ankommen lassen, da in diesem Falle in erster Linie eine Reaktion und politische Entscheidung der Bundesregierung gefordert ist und zwar ein entschiedenes und eindeutiges Handeln. Außerdem möchte ich noch auf Artikel 26 GG hinweisen. Ob man an eine fremde Regierung, deren Staat nicht zur freien Welt gehört, Kriegswaffen liefert oder ob man es zuläßt, daß bundesdeutsche Waffenproduzenten in einem solchen Lande ein Tochterunternehmen aufbauen oder daß bundesdeutsche Wissenschaftler und Spezialisten als Aufrüstungsberater in die Dienste dieser Regierung treten, läuft ungefähr auf dasselbe hinaus. Ich habe in dieser Angelegenheit mein persönliches Vorgehen so gewählt, daß ich der Bundesregierung und unserer Fraktion die Initiative in dieser Frage sichern wollte. Ich bin also weder in die Öffentlichkeit gegangen, noch habe ich mit einem Abgeordneten der SPD oder der FDP über die Sache gesprochen. Ich bin aufs Tiefste enttäuscht und entmutigt über den Mangel an amtlicher Resonanz während der letzten vier Monate. Es bedurfte keiner großen Voraussicht, um zu vermuten, daß ein Land wie Israel schwerlich die Hände in den Schoß legen wird, ohne zu versuchen, den bedrohenden Griff nach seiner Gurgel zu lockern. Schließlich hätte mich doch die Bundesregierung in die Lage versetzen müssen, dem israelischen Außenminister eine etwas mitfühlendere Resonanz zukommen zu lassen als die kühle Ablehnung irgendwelchen Tätigwerdens. Dabei liegen die Dinge nicht einmal so, daß wir unsererseits untätig geblieben wären. So hat der Bundeswirtschaftsminister im Jahre 1962 die INTRA-Handelsgesellschaft insgesamt dreimal vom Bundesamt für Gewerbliche Wirtschaft überprüfen lassen und festgestellt, daß von dieser Gesellschaft weder Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, noch Umgehungen der Genehmigungspflicht nach den Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes begangen worden sind. Der Bundeswirtschaftsminister hat auch festgestellt, daß elf deutsche Wissenschaftler und Techniker an der Herstellung von Raketen in Ägypten beteiligt sind. Ferner hat der Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg im Sommer 1962 die Vertragsbedingungen für die Angestellten des Stuttgarter Institutes für Strahlantriebe wesentlich verschärft und eine strenge Geheimhaltungspflicht eingeführt, so daß es jetzt nicht mehr vorkommen kann, daß leitende Wissenschaftler dieses Instituts während ihres Anstellungsverhältnisses oder auch nachher einfach in 225
11 Drei große Themen stehen an den Dienst einer fremden Regierung treten können. Diese Dinge hätte man also sehr gut der israelischen Regierung mitteilen können, wenn es unserer Regierung daran gelegen gewesen wäre, auf die berechtigten Besorgnisse und Bestürzung in Israel wenigstens mit einem bescheidenen Maß von Höflichkeit und Verständnis zu reagieren. Jedenfalls wäre es nicht nötig gewesen, daß wir uns in die höchst peinliche Lage gebracht haben, in der wir uns jetzt befinden. Ich bedaure es außerordentlich, daß die Bitte der israelischen Regierung, die durch mich übermittelt worden ist, ohne jede Wirkung geblieben ist. Inzwischen habe ich mich mit einigen Fraktionsfreunden in Verbindung gesetzt, um einen Initiativgesetzentwurf vorzubereiten. Ich persönlich würde es allerdings mehr gewünscht haben, daß die Initiative von der Bundesregierung ausgegangen wäre. Aber es scheint mir unerläßlich zu sein, daß überhaupt gehandelt wird und zwar bald. Mit den verbindlichsten Grüßen Ihr sehr ergebener Franz Böhm 11.1.4
Franz Böhm schreibt auch an den Fraktionsvorsitzenden CDU-CSU, Heinrich von Brentano
der
In diesem Schreiben vom 14. Sept. 1963 schreibt Prof. Böhm u. a.: „Die Presse hat dieser Tage über Äußerungen berichtet, die unsere Fraktionskollegen Majonika und Dr. Martin während ihres Besuchs in Ägypten öffentlich über die Frage unserer Beziehungen zu Israel gemacht haben sollen. So soll Herr Majonika vor seinem Abflug aus Kairo erklärt haben, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel liege ,nicht im Interesse Deutschlands', er glaube, daß ,eine solche Maßnahme unsere Beziehungen zu den Ländern des Nahen Ostens ungünstig beeinflussen werde.' Nach einer anderen Nachricht soll er erklärt haben, die Mehrheit der CDU/CSU sei gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel. Sehr viel weiter scheinen die Erklärungen des Herrn Kollegen Martin gegangen zu sein. Er soll in einem Zeitungsinterview .versichert' (!) haben, die Bundesregierung ,werde Israel nicht anerkennen (!) — trotz der Versuche innerhalb des Parlaments und von einigen Zeitungen, einen Druck auf die Regierung auszuüben.' Er soll hinzugefügt haben: ,Dies wird niemals (!) geschehen, weil die Anerkennung (!) Israels durch Deutschland nicht im Interesse des Friedens wäre. Wir werden unser Bestes tun, daß diese Anerkennung niemals verwirklicht wird.' Man mag seine Zweifel daran haben, ob es richtig ist, wenn sich Bundestagsabgeordnete im Ausland damit beliebt machen, daß sie Leistungen aus der Tasche ihres Landes ankündigen. Aber es ist ein starkes Stück, wenn Bundestagsabgeordnete das Wohlwollen einer fremden Regierung damit zu erschmeicheln suchen, daß sie als deutsches Geschenk Unfreundlichkeiten ihrer Regierung gegen ein drittes Land anbieten. 226
11.1 Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Anstatt im Ausland begreiflich zu machen, daß die Bundesregierung Anspruch auf Respekt vor ihrem Recht hat, ihre Beziehungen zu anderen Staaten, mit denen sie im Frieden lebt, selbst und ohne ausländische Einmischung zu regeln, haben die Herren Majonika und Dr. Martin mit ihren Interviews die Staaten des Nahen Ostens geradezu in ihrer unhöflichen Auffassung bestärkt, ein Recht darauf zu haben, die A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen zu Israel seitens der Bundesrepublik als einen unfreundlichen Akt behandeln zu dürfen, aus keinem anderen Grund, als weil diese Staaten ihrerseits mit Israel in Unfrieden leben. Die beiden Herren haben Ägypten und andere arabische Staaten geradezu ermuntert, sich schockiert zu fühlen und Repressalien anzuwenden, wenn die Bundesregierung von ihrem Recht Gebrauch machen sollte, eine Anomalie zu beenden, zu der sie sich in der Vergangenheit bloß unter Druck hat verstehen müssen. Israel hat der Bundesrepublik niemals den mindesten Anlaß gegeben, die diplomatischen Beziehungen nicht aufzunehmen; es gibt im Gegenteil keinen Staat der Welt, mit dem in denkbar guten Beziehungen zu stehen, Deutschland mehr zu wünschen Anlaß hätte. Mag diese Überlegung gewissen Politikern auch gleichgültig sein, unsere Fraktion darf eine solche Gleichgültigkeit nicht teilen. Wenn unsere Regierung seit 1956 gezögert hat, die Beziehungen aufzunehmen, so lag der Grund nicht bei Israel oder in Verstimmungen zwischen beiden Ländern, sondern ausschließlich darin, daß dritte Länder, die uns gegenüber nicht den geringsten Anlaß zu Unfreundlichkeiten hatten, diese Beziehungen nicht wünschten und — wie wenigstens unsere Botschafter in Nah-Ost annahmen — entschlossen waren, die Herstellung deutscher Beziehungen zu Israel mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetzone u n d mit der Annäherung an den Ostblock zu beantworten. Bevor die Herren Majonika und Dr. Martin ihre Erklärungen abgegeben haben, waren sich die Staaten des Nahen Ostens nicht im Zweifel darüber, daß sie völlig kaltherzig und planmäßig eine tragische Notlage des geteilten Deutschland ausbeuteten. Seit diesen Erklärungen ist ihnen aber von deutschen Politikern attestiert worden, daß sie sich damit auch noch in ihrem guten Recht befinden und daß es in der größten deutschen Regierungspartei Abgeordnete gibt, die ,ihr Bestes tun wollen', damit ihr Land niemals aus dieser Pression entlassen wird. Besonders alarmierend ist die Nachricht, daß Herr Dr. Martin die .Anerkennung' Israels durch Deutschland als .nicht im Interesse des Friedens' liegend bezeichnet haben soll. Sollte diese Äußerung wirklich gefallen sein, so würde es sich der arabischen Öffentlichkeit gegenüber um eine Würdelosigkeit und dem Staat Israel gegenüber um eine Beleidigung gehandelt haben. Der Vorgang ist so beunruhigend, daß ich Sie bitte, ihn unverzüglich vor dem Fraktionsvorstand zur Sprache zu bringen. Es muß sofort festgestellt werden, was die beiden Herren wirklich gesagt haben. Sollte es sich herausstellen, daß die Pressenachrichten ganz oder zum Teil zutreffen, so halte ich es f ü r unerläßlich, daß unsere Fraktion von diesen Entgleisungen abrückt und den beiden Fraktionskollegen ihre Mißbilligung ausdrückt. Mit den verbindlichsten Grüßen" 227
11 Drei große Themen stehen an
11.2
Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten
Kaum etwas hat die jüdische Welt so erregt, wie die Tatsache, daß deutsche Wissenschaftler und Techniker d e m damaligen ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser bei der Produktion von militärischen Raketen halfen. Dieses T h e m a wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland lebhaft diskutiert. Es war n u r allzu selbstverständlich, daß in den demokratischen Parteien eine einhellige Meinung, eine einhellige Ablehnung dieser Tätigkeiten vorhanden war. Einige Dokumente, die diese deutsche Beteiligung an den Raketenversuchen belegen zeigen deutlich, mit welchem Ernst versucht wurde, diese Tätigkeiten zu verhindern.
11.2.1
Ägyptische Raketenversuche,
deutsche
Beteiligung
Wieder war es Professor Dr. Franz Böhm, der wenige Tage vor der Reise von Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier diesen mit einem großen Memorandum versah, bevor er am 19. November 1962 nach Israel flog. Diese Denkschrift hat das Datum des 16. November 1962. Es gehört zu den Dokumenten dieser Tage. „Anläßlich meines letzten Besuches in Israel (23.8.-10.9.62) fand ich Regierungskreise und Öffentlichkeit sehr beunruhigt über ägyptische Raketenversuche. Anläßlich der 10-Jahresfeier der ägypt. Revolution waren in Gegenwart des Staatspräsidenten Nasser vier Ein-Stufen-Raketen mittlerer Reichweite gestartet worden. Staatspräsident Nasser hatte offiziell bekannt gegeben, daß die Geschosse eine Reichweite von 560 und 280 km haben. Bei seiner Ansprache hatte der Staatspräsident keinen Zweifel daran gelassen, daß sich diese Raketenrüstung Ägyptens in erster Linie gegen den Staat Israel richtet, mit dem sich die ägyptische Regierung noch immer im Kriegszustande zu befinden behauptet. In Israel glaubt man allgemein, daß sich an der ägyptischen Raketenrüstung deutsche Raketenexperten u n d deutsche Hilfskräfte in recht erheblicher Zahl beteiligten. Drei besonders hervorragende deutsche Raketenexperten, nämlich die Professoren Sänger und Goercke sowie der Dipl.-Ing. Pilz, dazu auch noch ein deutscher Verwaltungsjurist namens Krug seien sogar in einem deutschen Raketenforschungsinstitut angestellt gewesen und hätten während ihrer Anstellungszeit ein bis zwei J a h r e lang die ägyptische Regierung in Fragen der Raketenentwicklung beraten und einen großen Teil ihrer Zeit in Ägypten verbracht. Seit ihrer Entlassung aus deutschen Diensten seien zwei dieser Herren, nämlich der Prof Goercke und der Dipl.-Ing. Pilz, sowie der Verwaltungsjurist Krug ausschließlich f ü r die ägyptische Regierung tätig, während Prof. Sänger seine Verpflichtungen gegenüber Ägypten wieder gelöst habe. Daneben aber befinde sich noch ein sehr starker Stab von ausländischen Mitarbeitern in Ägypten. Es handle sich um etwa 120 Personen, darunter achtzig aus Deutschland, ein Teil davon freilich aus der Sowjetzone. 228
11.2 Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten Der Umstand deutscher Beteiligung hat in Israel geradezu Bestürzung und Entsetzen hervorgerufen. Am 30. August hat mich der israelische Außenminister, Frau Golda Meir gebeten, die Bundesregierung davon zu verständigen, daß die israelische Regierung und Öffentlichkeit aufs tiefste besorgt sei. Es sei ein furchtbarer Gedanke, daß sich sobald nach der Katastrophe der nationalsozialistischen Judenverfolgung schon wieder Deutsche danach drängten, an einem Plan der Tötung von J u den und der Zerstörung jüdischer Städte und jüdischen Landes teilzunehmen. Die israelische Regierung wisse nicht, ob die Bundesregierung Möglichkeiten habe, deutsche Privatpersonen daran zu verhindern, sich für das Raketenbauprogramm der ägyptischen Regierung zur Verfügung zu stellen. Es sei der israelischen Regierung aber viel daran gelegen, wenn sich die Bundesregierung in der Lage sehen würde, von diesem Verhalten einer Anzahl von Staatsangehörigen öffentlich abzurücken und, wenn möglich, durch Entziehung von Pässen weiteren Zustrom von Hilfskräften aus der Bundesrepublik zu unterbinden. Ich habe nach meiner Rückkehr dem Herrn Bundesaußenminister Dr. Schröder in einer persönlichen Besprechung Mitteilung gemacht und mit Brief vom 10. Oktober den Herrn Bundeskanzler informiert. Der Herr Bundeskanzler hat mir am 16.10.1962 mitgeteilt, daß unsere Gesetzgebung nicht die Möglichkeit biete, etwas zu tun, daß die Bundesregierung die Betreffenden beobachten lasse und daß sofort vorgegangen werde, wenn sie etwas tun, wogegen wir einschreiten könnten. Diese Antwort hat mich beunruhigt. Ich habe den Eindruck, als werde die Bedeutung der Frage in ihrem wirklichen Gewicht nicht ganz erfaßt und als stünden wir in der Gefahr, durch eine unrichtige und lässige Behandlung der Angelegenheit einen bösen Anschein zu erwecken. I. Nach meiner Rückkehr aus Israel habe ich versucht, mir die Unterlagen zu verschaffen, die über die Beteiligung deutscher Spezialisten am Raketenbau der ägyptischen Regierung Auskunft geben. Dabei bin ich auf zwei Komplexe gestoßen, von denen ich nicht weiß, ob und wie sie miteinander zusammenhängen. Der eine Komplex betrifft die vier Mitglieder des Stuttgarter Instituts der Physik der Strahlantriebe: Prof. Sänger (Institutsleiter), Prof. Goercke, Dipl.- Ing. Pilz und Verwaltungsjurist Krug (Geschäftsführer des Instituts). Von diesen vier Personen hat Prof. Sänger Ende des Jahres 1961 zum 31.12.1962 gekündigt, während gegenüber den drei anderen Angestellten zum 31.12.61 die fristlose Kündigung ausgesprochen worden ist. Alle diese Kündigungen hatten den gleichen Anlaß, nämlich die Tatsache, daß die vier Herren während ihrer Zugehörigkeit zum Institut einen Auftrag der ägyptischen Regierung über Fertigung von Raketen und Ausfuhr der Bauelemente von Deutschland nach Ägypten angenommen hatten. Keiner dieser Herren hat dem Rechtsträger des genannten In-
229
11 Drei große Themen stehen an stituts, einem eingetragenen Verein, o d e r dem Kuratorium oder einem der das Institut finanzierenden Bundes- und Landesministerien Mitteilung vom Abschluß d e r Verträge gemacht. Die H e r r e n haben sich monatelang in Ägypten aufgehalten, dort Entwicklungsarbeiten d u r c h g e f ü h r t u n d an d e r Universität Kairo Vorlesungen gehalten, sowie außerdem eine G m b H gegründet, die den Staat Ägypten mit Raketenbauelementen belieferte. Die Sache kam d a d u r c h heraus, daß d e r Vorsitzende des erwähnten Vereins eines Tages das Institut besichtigte und dabei feststellte, d a ß die vier Herren nicht anwesend waren, sondern in Ägypten. Bei den drei Raketenspezialisten Sänger, Goercke u n d Pilz handelt es sich um international bekannte Autoritäten auf diesem Gebiet. Der Verwaltungsjurist Krug versteht zwar nichts von Raketenbau, war aber die Seele des ägyptischen Projekts. Er war es, d e r die Fühlung mit den ägyptischen Regierungsstellen aufnahm u n d die Vertragsverhandlungen führte. Er war u n d ist auch noch der Geschäftsführer der erwähnten G m b H . Als Entgelt f ü r ihre „ Nebentätigkeit" war den vier H e r r e n von d e r ägyptischen Regierung eine V e r g ü t u n g von insgesamt DM 2 Mio. zugesagt worden, davon 600.000,- DM allein f ü r Prof. Sänger. Bevor es zu d e n Kündigungen kam, war den vier Herren bereits die Hälfte der Vergütung ausgezahlt worden. Beteiligt an d e r Finanzierung des Stuttgarter Instituts sind das Bundesverkehrsministerium, das Bundesverteidigungsministerium u n d das württembergbadische Wirtschaftsministerium. Der Vorfall war Gegenstand einer Aussprache im Landtag von Württbg. Baden, in d e r 45. Sitzung des Plenums v. 1.12.1961, s. Protokolls. 2809 ff. und S. 2835 ff. Es steht fest, d a ß d e n Mitarbeitern des Instituts in ihrem Anstellungsvertrag das Recht einer b e r a t e n d e n Nebentätigkeit in dem gleichen U m f a n g eingeräumt war, in dem es Hochschulprofessoren zuzustehen pflegt. D. h. die H e r r e n waren nicht einmal verpflichtet, irgendjemandem Kenntnis zu geben. Selbstverständlich war dabei nicht an Nebenbetätigungen im Dienste einer f r e m d e n Regierung solchen Inhalts, solcher Bedeutung und solchen U m f a n g s gedacht. Deshalb hat der badisch-württbg. Wirtschaftminister in d e r Ü b e r n a h m e dieses Auftrags auch mit Recht eine Vertragsverletzung erblickt. Bei der Frage, wie dieser Fall behandelt werden sollte, hat sich d e r Minister einer schwierigen Situation gegenübergesehen: W e n n er den H e r r e n kündigte, mußte er damit rechnen, daß sie hauptamtlich in ägyptische Dienste traten. Wenn er das verhindern u n d sogar erreichen wollte, daß die H e r r e n ihre ägyptischen Verpflichtunge wieder lösten, d a n n mußte er G n a d e vor Recht ergehen lassen. Im Falle Sänger hat d e r Minister diesen letzteren Weg beschritten u n d damit erreicht, daß Prof. Sänger seine ägyptische Verpflichtung löste u n d sich mit den bereits gezahlten 300.000,- DM zufriedengab. Die drei a n d e r e n H e r r e n aber wurden entlassen u n d widmen sich seither ausschließlich dem ägyptischen Raketenbau. Die beiden Spezialisten, Prof. Goercke und Dipl.-Ing. Pilz haben Aufenthalt in Ägypten g e n o m m e n ; der Verwaltungsjurist Krug hat d e n Sitz seiner G m b H nach München verlegt. 230
11.2 Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten Als im Sommer 1962 Staatspräsident Nasser den Start von vier Raketen veranstaltete, hat die deutsche Presse Prof. Sänger interviewt. Prof. S. erklärte, er glaube kaum, daß er f ü r die Entwicklung der vier Raketen verantwortlich gemacht werden könne, da sich der ihm erteilte Forschungsauftrag n u r auf eine sogenannte „Höhensonde" zu meteorologischen Zwecken bezogen habe. Diese verharmlosende Legende hat Prof. Sängerauch schon im J a h r 1961 aufgetischt; sie ist damals von vereinzelten Politikern wie z. B. von dem Abgeordneten Dr. Veit, der zur Zeit der Anstellung Sängers württembergisch-badischer Wirtschaftsminister war, sogar vorübergehend geglaubt worden. Der amtierende Wirtschaftsminister Dr. Leuze hat sie jedoch in seiner erwähnten Landtagsrede vom 1.12.1961 richtig gestellt. Der Laie wird hier durch den Sprachgebrauch der Fachleute irregeführt. Höhensonde ist eine Höhenrakete; Raketen, die zu meteorologischen Zwecken gebraucht werden können, können auch zum Transport von Sprengstützen gebraucht werden. Selbst der bornierteste Raketenspezialist kann unmöglich geglaubt haben, der ägyptische Staatspräsident werde 2 Millionen Schweizer Franken in deutsche Professorentaschen fließen lassen, um die meteorologischen Kenntnisse seiner Untertanen zu bereichern. Professor Sänger hat ferner bezweifelt, daß die anläßlich der Zehnjahresfeier der ägyptischen Revolution gestarteten Raketen eine Reichweite von 280 bzw. 560 km haben, sondern hat angenommen, daß der ägyptische Staatschef hier übertrieben habe. Man kann es auf sich beruhen lassen, wie es sich damit verhält. Selbst wenn die bisher angefertigten Raketen noch keine Reichweite von 560 km haben sollten, so wird man sich darauf verlassen dürfen, daß die nächste Serie diese Reichweite besitzen wird. Professor Sänger hat natürlich ein Interesse daran, seine Verantwortung an dieser Entwicklung zu verwischen. Da er aber Wert auf seinen internationalen Ruf legt, wird er schwerlich behaupten wollen, daß er für 600.000,- Schweizer Franken schlechte Arbeit geliefert hat oder Arbeit, die für seinen Auftraggeber kein Interesse hat. Prof. Sänger hat ferner öffentlich geäußert, er glaube nicht, daß Ägypten heute schon imstande sei, eine serienmäßige Raketenproduktion anlaufen zu lassen, oder daß die gestarteten Raketen ferngelenkt werden könnten. Diese Annahmen Prof. Sängers dürften wahrscheinlich zutreffen. Der Raketenbau in Ägypten d ü r f t e sich noch in einem f r ü h e n Stadium befinden. Aber solche Stadien pflegen erfahrungsgemäß schnell überwunden zu werden. Sicherlich verfügt Ägypten heute noch nicht über atomare Sprengköpfe. Er könnte sie heute wohl n u r von den Amerikanern, den Engländern, den Franzosen oder den Russen erhalten. Es ist indessen nicht anzunehmen, daß diese vier Mächte mit der Ausstattung Ägyptens mit modernen Vernichtungswaffen oder den Entwicklungsarbeiten d a f ü r so leichtfertig und unvorsichtig verfahren werden wie die Bundesrepublik in der Raketenfrage, die bisher nicht das mindeste unternommen hat, u m die Abwanderung deutscher Raketenspezialisten nach Ägypten zu unterbinden, sich vielmehr mit dem Gedanken abgefunden zu haben scheint, daß unser geltendes Recht keine Handhabe dazu bietet. Obwohl die Stuttgarter Gruppe bereits im Frühsommer 1960 in ägyptische Dienste getreten 231
11 Drei große Themen stehen an
ist, ist bis heute nichts darüber bekannt geworden, daß die Bundesregierung irgendwelche Anstrengungen unternommen hat, dem Mangel an gesetzlichen Grundlagen abzuhelfen. Der andere Komplex betrifft einen sehr umfangreichen ausländischen Mitarbeiterstab, der seit J a h r e n in Ägypten im Dienst der Regierung f ü r die Raketenaufrüstung des Landes tätig ist. Es ist mir bisher nicht gelungen, in Presseveröffentlichungen exakte Mitteilungen über diese zweite Gruppe zu erhalten. In den Zeitungsnachrichten wird bald die Zahl von zweihundert, bald die Zahl von einhundertzwanzig Personen genannt. In der einen Zeitung wird berichtet, es handle sich um zweihundert Deutsche und Österreicher, in der anderen wird von achtzig Deutschen und vierzig Mitgliedern anderer Nationalitäten berichtet. Einige Zeitungen melden, bei den deutschen Mitgliedern handle es sich zu einem sehr erheblichen Teil um Bewohner der Sowjetzone. Soweit es sich um Bundesdeutsche handle, setze sich die Gruppe vorwiegend aus sehr jungen Leuten zusammen, die gerade ihr Studium in der Bundesrepublik abgeschlossen hätten. Einige von diesen jungen Leuten seien inzwischen wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt, weil ihre Fähigkeiten nicht ausreichend in Anspruch genommen würden. Ihnen scheint die ägyptische Raketenentwicklung einen zu provinziellen Zuschnitt zu haben. Aus diesen dürftigen Nachrichten läßt sich nicht übersehen, ob das Abströmen solcher deutscher Raketenphysiker zweiter Garnitur nach Ägypten irgendwelchen Bundesstellen überhaupt zur Kenntnis gelangt ist. Da die Reisepässe nicht vom Bund, sondern von den Landespolizeibehörden ausgestellt werden, da die Antragsteller nicht danach gefragt werden, aus welchen Gründen sie einen Paß genötigen, und da die Beamten der Paßkontrollstellen an der Grenze niemanden fragen, zu welchem Zwecke er ausreist, kann man sich schwer vorstellen, wie sich der Bund hier Kontrollmöglichkeiten sollte verschaffen können. Es müßten schon zentrale Anweisungen an die Landespolizei-Instanzen erteilt werden, sich eine Übersicht über die im Lande vorhandenen Raketenspezialisten und Raketenaspiranten zu verschaffen und bei der Ausstellung von Pässen an Personen dieses Kreises zusätzliche Fragen zu stellen. Immerhin sind aber inzwischen doch schon ein oder zwei Jahre vergangen, seitdem die Öffentlichkeit und damit auch die zuständigen Bundesstellen Kenntnis vom Vorhandensein eines sehr stark mit Deutschen durchsetzten Berater- u. Ingenieurstabes erlangt haben. Es würde von Interesse sein, zu erfahren, welche Maßnahmen bisher erwogen worden sind, diesem höchst unerwünschten Reisläufertum in auswärtigen Raketen-Fremdenlegionen Einhalt zu gebieten, und ob solche Möglichkeiten überhaupt erwogen worden sind. Bisher haben sowohl die drei Stuttgarter Spitzenspezialisten als auch einige der zurückgekehrten jüngeren Fachleute ihr Interesse f ü r die ägyptische Raketenaufrüstung mit dem Hinweis darauf begründet, daß sich die Bundesrepublik für die in ihrem Lande lebenden Fachkräfte nicht interessiere und ihnen keinerlei berufliche Entfaltungsmöglichkeiten darböte. Einige Zeitungen haben sich diese Argumente zu eigen gemacht und behauptet, in Amerika, England u n d 232
11.2 Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten Frankreich würden einheimische Raketenspezialisten in Gold gefaßt, in der Bundesrepublik könnten sie stempeln gehen. Auch in Ägypten erweise man in- und ausländischen Raketenleuten die größte Ehre. Soweit der Drang in die Ferne bei unseren Raketenfachleuten diesen Beweggrund haben sollte, ließe sich die Abwanderung nach Ägypten leicht unterbinden. Nämlich dadurch, daß man diese Leute angemessen bei uns beschäftigt. Sollte hierfür verteidigungspolitisch kein Bedürfnis bestehen, dann könnte man trotzdem das Geld f ü r entsprechende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten aufwenden und diese Kosten auf Verlustkonto abbuchen, wenn man wirklich ernsthaft erreichen will, daß die deutschen Raketenbauer nicht auf die Walze gehen müssen wie in früheren Zeiten die Graubündener mit ihren Murmeltieren. II. Weshalb baut Ägypten Raketen? Das hängt offenbar davon ab, was Ägypten oder die Vereinigte Arabische Republik mit Raketen von 560 km Reichweite anfangen kann. Das läßt sich auf der Karte leicht abmessen. Mit Raketen von dieser Reichweite kann von Ägypten aus jeder Punkt in ganz Israel erreicht werden. Ferner jeder Punkt in Transjordanien, in Libanon, auf Zypern und auf Kreta. Libyen kann bis Tobruk bestrichen werden, ferner etwa das nördliche Viertel des Sudan und kleinere Ecken von Tschad und von Saudi-Arabien. Von Syrien aus wird ebenfalls ganz Israel und ganz Transjordanien erreicht, ferner ein Teil des Irak ungefähr bis Bagdad, West-Iran bis Täbris, aber auch fast ganz Ost-Anatolien bis Trapezunt am Schwarzen Meer, freilich ohne Ankara, sowie ein Zipfel von Sowjet-Armenien, allerdings nicht bis Baku. Interessanter ist, was sich von Ägypten oder von Syrien aus mit einer Rakete von 280 km Reichweite erreichen läßt. Das wäre von El-Arisch aus (Ägypten) fast ganz Israel von den Jordanquellen bis nach Elath am Roten Meer, und von Damaskus (Syrien) aus ganz Nord- und Mittel-Israel bis nach Jerusalem und Tel Aviv. Das bedeutet, daß als militärisches Ziel f ü r die projektierten Kurzstreckenraketen im Grunde ausschließlich Israel in Betracht kommt. Transjordanien, Libanon und dem Irak gegenüber würden die Raketen als ein sehr ins Gewicht fallendes Druck- und Drohmittel in Betracht kommen. Alle übrigen erreichbaren geographischen Punkte dürften f ü r Ägypten und Syrien uninteressant sein mit Ausnahme des sehr erheblichen türkischen Gebietsteils. Ich weiß nicht, wo sich in der Türkei die amerikanischen Raketenbasen befinden; nehme aber an, daß sie innerhalb des syrischen 560 km-Radius liegen dürften. Die unmittelbare Folge einer fortschreitenden ägyptischen Raketenrüstung wird also sein, daß sich im Verhältnis zwischen Ägypten (Syrien) und Israel die Kriegsgefahr erheblich vergrößert. Diese Entwicklung ist f ü r die NATO, für den ganzen Westen und f ü r die Bundesrepublik insbesondere eindeutig nachteilig. Jeder Brandherd im vorderen Orient kommt der Kalten Kriegs- und Drohpolitik der Sowjets zugute. Die Wahrscheinlichkeit, daß Ägypten und Syrien ihre Raketen jemals zur 233
11 Drei große Themen stehen an Verteidigung des Westens gegen den Sowjetblock einsetzen werden, darf man getrost mit Null veranschlagen. An einer rüstungsmäßigen Einschüchterung arabischer Nachbarstaaten (Libanon, Transjordanien, Irak) durch die Vereinigte Arabische Republik, die der ägyptische Staatschef zur Zeit mit allem Nachdruck wieder zu leimen versucht, ist weder der Westen, noch die Bundesrepublik interessiert. Gefährlich könnte die Bedrohung der Türkei von syrischen Raketenbasen aus im Falle einer Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes werden, sobald sich die Vereinigte Arabische Politik dem Sowjetblock wieder annähern sollte. In diesem Falle könnte sogar Gefahr bestehen, daß Sowjetrußland für die in Syrien stationierten Raketen Atomsprengköpfe zur Verfügung stellt. Mag diese unmittelbare Bedrohung der NATO-Front zur Zeit auch nicht aktuell sein, so liegt sie doch auch ganz gewiß nicht außerhalb aller Möglichkeit und würde dann ganz unmittelbar unser eigenes Lebensinteresse berühren. III. Welche Möglichkeiten haben wir, die Tätigkeit deutscher Spezialisten in Ägypten zu verhindern oder zu erschweren? Es soll hier nicht die Rede sein von Möglichkeiten, für die wir eine gesetzliche Grundlage erst noch schaffen müssen. Vielmehr soll hier nur danach gefragt werden, welche Möglichkeiten uns heute bereits zu Gebote stehen. Diese Prüfung soll sich auf vier Punkte beziehen: 1. Paßgesetz. 2. Vertragsklauseln in Anstellungsverträgen. 3. Strafrecht. 4. Aktivierung der Beschäftigungsmöglichkeiten im eigenen Lande. Zu 1). (Paßgesetz). Die Annahme, daß keine gesetzliche Möglichkeit bestehe, etwas zu tun, trifft mindestens auf dem Gebiet des Paßwesens nicht zu. § 7 des Gesetzes über das Paßwesen v. 4.3.52 (BGBl. I, S. 290) schreibt vor: ,(1) Der Paß ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß a) der Antragsteller als Inhaber eines Passes die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland ... gefährdet.' § 8 schreibt vor, daß aus den gleichen Gründen, aus denen ein Paß zu versagen ist, der Paß auch entzogen werden kann. Diese Bestimmungen stellen also eine klare Rechtsgrundlage zur Verfügung, um Personen Pässe zu entziehen, die sich ohne ausdrückliche Genehmigung der Bundesregierung oder des Bundesverteidigungsministeriums einer fremden Regierung für die Zwecke der Raketenrüstung zur Verfügung stellen wollen, vorausgesetzt, daß man in einem solchen Verhalten oder einer solchen Absicht des Paßinhabers eine Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik erblickt. Wenn deshalb die Bundesrepublik von dieser Vorschrift keinen Gebrauch macht, so gibt sie damit kund, daß sie in der Teilnahme bundesdeutscher Spezia234
11.2 Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten listen an der ägyptischen Raketenaufrüstung keine Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik erblickt. Vielleicht könnte die Bundesregierung einwenden, daß sie im Falle einer Paßentziehung aus diesem Grunde mit Verwaltungsklagen der Betroffenen rechnen müsse und sich nicht der Gefahr aussetzen wolle, daß die Verwaltungsgerichte oder gar das Bundesverwaltungsgericht in einer solchen Paßentziehung eine Ermessensüberschreitung oder gar einen Ermessensmißbrauch erblicke. Hierzu wäre zu sagen, daß ein Verzicht auf den Paßentzug aus Scheu vor dem Prozeßrisiko eine politische Entscheidung darstellt, die von der Bundesrepublik politisch verantwortet werden müßte. Israel wird aus dieser Untätigkeit u n d ihrer Begründung Rückschlüsse darauf ziehen, welchen Wert die Bundesrepublik auf die Interessen des durch die ägyptische Raketenrüstung bedrohten israelischen Staates legt. Und die ägyptische Regierung würde aus der gleichen Untätigkeit und ihrer Begründung folgern, daß die Bundesregierung die ägyptische Bedrohung Israels durch Aufbau einer Raketenwaffe zu begünstigen wünscht. Soviel zum Paßgesetz. Zu 2). (Vertragsklauseln in Anstellungsverträgen). Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß es im Falle des Stuttgarter Instituts ein bodenloser Leichtsinn war, Raketenspezialisten im Anstellungsvertrag eine beinahe schrankenlose Generalerlaubnis f ü r Nebentätigkeiten einzuräumen, anstatt in den Vertragsbedingungen ausdrücklich vorzuschreiben, daß j e d e Beratertätigkeit f ü r eine fremde Regierung ohne ausdrückliche Erlaubnis des Bundesverteidigungsministeriums strikt verboten sei und daß die Verletzung dieses Verbotes ein Strafverfahren wegen Landesverrates nach sich ziehen könne. Es hätte sogar ein Verbot, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ohne Genehmigung des Bundesverteidigungsministeriums in den Dienst einer fremden Regierung zu treten, rechtswirksam vereinbart werden können, wenn sich das Institut f ü r diesen Fall zur Bezahlung eines aus Nichtbeschäftigung oder NichtVollbeschäftigung oder nicht angemessener Beschäftigung herrührenden Verdienstausfalles verpflichtet hätte. Nichts von alledem ist geschehen. Man hat von den Möglichkeiten des Vertragsrechtes keinen Gebrauch gemacht. Es ist zu fragen, ob nach dem skandalösen Fall der vier Herren irgendetwas geschehen ist, um die Vertragsbedingungen des Instituts zu ändern. Da, Zeitungsnachrichten zufolge, das Stuttgarter Institut demnächst mit einem ähnlichen Göttinger Institut fusioniert werden soll, ist zu fragen, ob seitens der interessierten Bundes- und Landesministerien irgendetwas veranlaßt worden ist, um sicherzustellen, daß bei der Formulierung der Vertragsbedingungen f ü r dieses neue Institut die notwendigen Lehren aus den Stuttgarter Erfahrungen gezogen werden. Leider besteht einiger Grund zu der Vermutung, daß in Wahrheit nichts dergleichen geschehen ist und bis zum heutigen Tage beabsichtigt wird. Wenn sich das bewahrheiten sollte, so kann man aber nicht behaupten, daß ,unsere Gesetzgebung leider nicht die Möglichkeit biete, etwas zu tun'. Weder im Inland noch im Ausland kann uns eine solche Erklärung abgenommen werden. 235
11 Drei große Themen stehen an Zu 3). (Strafgesetz). Unser Strafgesetz stellt den Verrat von Staatsgeheimnissen als Landesverrat unter schwere Strafe. N u n sind freilich wissenschaftliche Forschungsergebnisse auch auf dem Gebiete der Raketenforschung und der Physik der Strahlantriebe jedenfalls dann keine Staatsgeheimnisse, wenn sie von freien Wissenschaftlern in eigenen Instituten auf eigene Kosten erarbeitet worden sind. Noch besteht kein Gesetz bei uns, das die Mitteilung solcher Forschungsergebnisse an eine fremde Regierung verbietet. Anders verhält es sich aber, wenn sich ein Wissenschaftler zum Behuf der Erarbeitung seiner Forschungsergebnisse der Einrichtung eines staatseigenen oder aus öffentlichen Mitteln finanzierten Institutes bedient. In diesem Fall können dem Wissenschaftler durch Anstellungsvertrag die gleichen Geheimhaltungspflichten und Verzichte am Erfinderrecht auferlegt werden, die von industrie-eigenen Forschungslaboratorien auferlegt zu werden pflegen. Der vertragsgebundene Wissenschaftler kann im Vertragstext darauf aufmerksam gemacht werden u n d sich rechtswirksam damit einverstanden erklären, daß alle Forschungsergebnisse, die er mit den Mitteln des Instituts erzielt, als Staatsgeheimnisse zu gelten haben. Wird diese Vorsichtsmaßnahme gebraucht, so kann in der vertragswidrigen Beratung einer fremden Regierung strafbarer Landesverrat liegen. Von diesen Möglichkeiten sollte umsomehr Gebrauch gemacht werden, als wohl niemand daran zweifelt, daß ein erheblicher Unterschied zwischen Raketen und Zahnputzmitteln oder Fahrrädern, zwischen Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Physik der Strahlantriebe und Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Reblausbekämpfung oder zwischen der Beratung einer fremden Regierung über den Bau eines Staudammes oder über die Herstellung von Raketen besteht. Zu 4). (Aktivierung der Beschäftigungsmöglichkeiten im eigenen Lande). Zu diesem Punkte ist das Nötige bereits gesagt. Es bleibt nur festzustellen, daß bei uns offenbar auch von dieser Möglichkeit bisher nicht der mindeste Gebrauch gemacht worden ist, wenn man von dem Fall Sänger absieht. Da in diesem einen Ausnahmefall tatsächlich ein Erfolg erzielt worden ist, sollte man denken, daß von dieser Möglichkeit n u n m e h r energischer Gebrauch gemacht wird. Es scheint aber nicht der Fall zu sein. Jedenfalls haben bisher alle gelernten Raketenfachleute einschließlich der Raketenlehrlinge, die sich nach Ägypten hingezogen fühlen, erklärt, sie strebten nur deshalb ins Ausland, weil ihre Fähigkeiten in der Bundesrepublik nicht in Anspruch genommen würden. Ob diese Behauptungen zutreffen, kann ich nicht beurteilen. Ich sage mir aber, daß ein industriell schwach entwickeltes Land wie Ägypten einem anspruchsvollen Raketenfachmann anerkannten Rufes außer Schweizer Franken und dem Reiz des Landes in fachlicher Hinsicht kaum etwas Nennenwertes zu bieten vermögen dürfte. Wie trostlos müssen also die Betätigungsmöglichkeiten in unserem eigenen Lande sein, wenn die fähigsten Leute um Ägyptens willen sogar vertragsbrüchig werden! 236
11.2 Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten Es bleibt hervorzuheben, daß der Bundesrepublik dieses letzte Mittel auf alle Fälle zur Verfügung steht, selbst wenn Paßrecht, Vertragsrecht und Strafrecht gar keine Möglichkeiten darbieten sollten. Ob wir uns dieses Mittels bedienen wollen oder nicht, ist von der technischen Seite her zunächst einmal eine reine Kostenfrage. Die Frage lautet also; Sind uns unsere elementaren verteidigungspolitischen und unsere elementaren außenpolitischen Interessen diese Kosten wert oder nicht? IV. Haben wir eine Raketenpolitik? Ich weiß es nicht. Der äußere Anschein spricht dagegen. Es sieht so aus, als ließen wir unsere eigenen Kapazitäten im Lande versauern, bis sie in ihrer Berufsleidenschaft Gott weiß wohin gehen. Und es sieht ferner so aus, als sei es uns völlig gleichgültig, wo in der Welt und zu welchen Zwecken mit Hilfe bundesdeutscher Forschungspotenzen Raketen gebaut werden. Weder die eigene Rüstung, noch diejenige anderer, gar nicht besonders weit entfernt liegender Staaten scheint uns, soweit Raketen in Frage kommen, wesentlich zu interessieren. ,Uns', d. h. in diesem Zusammenhang die Bundesregierung, das Bundesverteidigungsministerium. Selbst wenn in Israel, in Ägypten und anderswo der Eindruck entsteht, als werde die Tätigkeit deutscher Raketenspezialisten in Ägypten von der Bundesregierung gern gesehen und aus diesem Grunde nicht behindert, ändert sich an der bundesdeutschen Lethargie nichts. Nun, wenn sich unsere Landesverteidiger nicht rühren, vielleicht rührt sich dann wenigstens das Auswärtige Amt! V. Haben wir eine Ägypten-Politik und eine Israel-Politik? Die ägyptische Raketenpolitik richtet sich erkennbar gegen Israel und nur gegen Israel. Für Israel ist die Errichtung israelischer Abschußrampen f ü r Kurzstreckenraketen von 580 km Reichweite nicht weniger lebensbedrohend wie f ü r die USA die Errichtung sowjetischer Abschußrampen f ü r Mittelstreckenraketen in Cuba. Wie der amerikanische Präsident auf diese Bedrohung reagiert hat, wissen wir. Die israelische Regierung, die natürlich nicht über die Möglichkeiten Kennedys verfügt, hat bisher nur in der Weise reagiert, daß sie bei der Bundesregierung zuerst unmittelbar mit der bescheidenen Bitte um Bemühungen zur Verhinderung bundesdeutscher Schützenhilfe vorstellig geworden ist und sodann, nachdem sie vom Auswärtigen Amt mit nichtssagenden Ausreden abgespeist worden ist, durch ihren Außenminister, Frau Golda Meir, an mich, der ich mich ohne jeden amtlichen Auftrag in Israel befunden habe, die Bitte herangetragen hat, in meiner Eigenschaft als Bundestagsabgeordneter die Bundesregierung von der großen Bestürzung zu unterrichten, die im Lande angesichts der Teilnahme so vieler Deutscher am ägyptischen Raketenbau entstanden ist, und den Wunsch der israelischen Regierung zu übermitteln, die Bundesregierung möge zu der Teilnahme Deutscher öffentlich mißbilligend Stellung nehmen und die fernere Betätigung bundesdeut237
11 Drei große Themen stehen an scher Staatsangehöriger, wenn möglich, durch eine Entziehung des Passes erschweren. Als ich, dieser Bitte entsprechend, am 10. Oktober den Bundeskanzler unterrichtete, erhielt ich am 16. Oktober 1962 folgende Antwort: .Dankend bestätige ich den Empfang Ihres Briefes vom 10. Oktober d. Js. Leider bietet uns unsere Gesetzgebung nicht die Möglichkeit, etwas zu tun. Wir lassen die Betreffenden beobachten. Wenn sie etwas tun, wogegen wir einschreiten können, wird das sofort geschehen.' Soll ich diesen Brief etwa an die Frau Außenminister des Staates Israel weiterleiten oder ihr vom Inhalt Mitteilung machen? Ist hier die Wirkung bedacht worden, die eine solche Behandlung eines so lebenswichtigen Anliegens bei der Regierung und bei der öffentlichen Meinung in Israel notwendig zur Folge haben muß? Mir persönlich hat sich im Laufe der letzten J a h r e der peinliche Eindruck aufgedrängt, als erstreckten sich die vom Bundeskanzler bestimmten Richtlinien unserer Außenpolitik weder auf Israel noch auf Ägypten, mit der Folge, daß diese Politik im wesentlichen von den f ü r diese Länder zuständigen Ressorts im Auswärtigen Amt mehr oder weniger selbständig ohne irgendeine Idee gemacht wird in der Hoffnung, daß sich in diesem Winkel der Welt nichts Peinliches ereignen möge. Bei einem solchen Verfahren wäre Israel natürlich insofern sehr im Nachteil, als die Bundesrepublik mit diesem Lande leider noch immer keine diplomatischen Beziehungen unterhält und infolgedessen weder durch einen Botschafter noch durch einen Konsul irgendwelche Berichte aus Israel erhält. Bis vor kurzem war die Bundesregierung freilich in der Lage, sich an den Leiter d e r Israel-Mission in Köln, den Botschafter Dr. F.E. Shinnar zu wenden, dem die Bundesrepublik in seiner Eigenschaft als Leiter der Einkaufsmission im Israel-Vertrag vom 10.9.52 diplomatischen Rang eingeräumt hatte. Nachdem aber Dr. Shinnar infolge arabischer Proteste bei den Neujahrsempfängen beim H e r r n Bundespräsidenten eine protokollarische Behandlung hatte hinnehmen müssen, die ihn veranlaßt hat, an diesen Empfängen nicht mehr teilzunehmen, nachdem ferner die Anbahnung diplomatischer Beziehungen immer wieder hinausgeschoben worden ist, hat Dr. Shinnar neuerdings seinen Aufenthalt in Israel genommen, weil die israelische Regierung zwar die Haltung der Bundesregierung in der Beziehungsfrage respektiert (ohne sie freilich zu verstehen), sich aber nicht damit einverstanden erklären kann, daß bei der Pflege der gewiß durchaus freundschaftlichen de facto-Beziehungen deutscherseits ein israelisches Verhalten erwartet wird, als ob sich die Bundesregierung zu diplomatischen Beziehungen hätte entschließen können und als ob solche offiziellen Beziehungen in der Tat bestünden, obwohl es nicht der Fall ist. Dieser Sachlage sind sich zwar der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und sein Staatssekretär bewußt, nicht aber offenbar die unteren Ebenen im Auswärtigen Amt, in denen sich das Fehlen routinemäßiger Kontakte bemerkbar macht. Es muß insoweit bezweifelt werden, daß im Auswärtigen Amt überhaupt eine Israel-Politik gemacht wird. 238
11.2 Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten Bleibt also die Ägypten-Politik. In Ägypten u n d Syrien haben wir Botschafter und Generalkonsuln; mit diesen Ländern unterhalten wir diplomatische Beziehungen. Es liegt mir fern, zu argwöhnen, d a ß unser Interesse an möglichst guten Beziehungen zu diesen Staaten im Auswärtigen Amt vernachlässigt wird. Ich zweifle auch nicht daran, d a ß m a n im Auswärtigen Amt genau davon unterrichtet ist, worin die ägyptische Regierung das eigentliche Interesse ihres Landes erblickt und was sie von anderen Staaten erwartet, die d e n Wunsch haben, mit Ägypten a n g e n e h m e Beziehungen zu unterhalten. Dieses nach außen bekundete ägyptische Interesse ist keineswegs in erster Linie auf die Finanzierung von Staudämmen u n d auf eine reichlich fließende Entwicklungshilfe gerichtet, sondern fast ausschließlich auf die A n e r k e n n u n g der von der ägyptischen Regierung behaupteten Tatsache, daß sich Ägypten mit Israel im Kriegszustande befinde (seit Mai 1948), auf Verständnis das ägyptischen Wunsches, d a ß d e r Staat Israel wieder verschwindet, und auf mindestens stillschweigende D u l d u n g ägyptischer Rüstungsversuche. Letzten Endes laufen alle ägyptischen Wünsche darauf hinaus, daß die Westmächte oder mindestens einige von ihnen grünes Licht geben, wenn Ägypten zu gegebener S t u n d e zu einem militärischen Schlag gegen Israel ausholt. Um den Preis einer Preisgabe Israels ist die ägyptische Freundschaft wohl jeder Zeit zu haben, wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, in dem Israel zu existieren a u f h ö r t . Nach diesem Zeitpunkt werden diejenigen Staaten, die diesen Preis bezahlt haben, freilich damit rechnen müssen, von Ägypten behandelt zu werden wie d e r Mohr, d e r seine Schuldigkeit getan hat. Selbstverständlich d e n k t die Bundesregierung nicht daran, sich die ägyptische Freundschaft d u r c h eine Preisgabe Israels zu sichern. Auch die zuständige Abteilung im Auswärtigen Amt kann an etwas derartiges nicht denken, zumal das ihre Befugnisse weit überschreiten würde. Aber ich könnte mir denken, daß es die zuständige Abteilung f ü r nützlich hält, in Ägypten d e n Glauben daran lebendig zu halten, daß die Bundesrepublik vielleicht mit den antiisraelischen Zielsetzungen d e r ägyptischen Politik insgeheim sympathisieren könnte, wenngleich sie natürlich in d e r Öffentlichkeit diesen Zielsetzungen widersprechen müßte. Jedenfalls wird diese Abteilung Unbehagen bei dem Gedanken e m p f i n d e n , daß deutscherseits dadurch, d a ß d e r Betätigung deutscher Raketenspezialisten in Ägypten Schwierigkeiten in d e n Weg gelegt werden, in Ägypten eine Verstimm u n g hervorgerufen werden könnte. Es gibt zweifellos .Realpolitiker' bei uns, die es f ü r angebracht halten, aus G r ü n d e n d e r Staatsraison Nutzen aus d e r Beliebtheit Deutschlands in arabischen L ä n d e r n zu ziehen, die ihre Ursache in der J u d e n v e r f o l g u n g Hitlers hat. Das wäre aber eine sittenlose Außenpolitik, die gerade unser Land nicht treiben d ü r f t e . Eine kurzsichtige, f ü r die Bundesrepublik schädliche Außenpolitik dazu. Wenn man sich aber schon einmal zu machiavellistischer perfekter Amoralität entschließen will, so müßte wenigstens eine sittenlose Entscheidung getroffen werden, eine Intrige großen Stils, strategisch durchdacht u n d in ihren Risiken kalkuliert. Niemand bei uns will etwas derartiges; niemand, d e r bei uns jemals das Amt des Außenministers bekleiden wird, kann erwarten, daß er f ü r eine solche Politik die Zustimmung des Bundestags erhalten 239
11 Drei große Themen stehen an wird. Aber die vollendete Bösartigkeit würde wenigstens Hand und Fuß haben. Das kann man von dem listig verschmitzten Gewährenlassen solcher niveaulosen Vorgänge, wie das Treiben geldgieriger Raketendivas am Hofe der Kalifen einer ist, und von dem Verschanzen unserer Diplomaten hinter dem Vorhang mystischer Staatsgeheimnisse nicht sagen. Hier wird wohl ein Vertrauen verscherzt, aber keines gewonnen. Eine in solchen mediokren Formen nur ganz leise, wahrscheinlich nicht einmal bewußt angedeutete Bereitschaft zur Preisgabe Israels wird unserem Ansehen teuer zu stehen kommen. Und es wird keines jener Ziele damit erreicht werden, die sich vielleicht schändlicherweise erreichen ließen, wenn man sich wirklich zu einer von keiner moralischen H e m m u n g beirrten gewollten Preisgabe Israels entschlösse. Es wird erwartet werden müssen, daß sich Bundeskanzler und Bundesaußenminister persönlich der Israel- und Ägyptenpolitik des Auswärtigen Amts annehmen u n d klare Richtlinien setzen. Das Schleifenlassen der Zügel hat hier, wie mir scheint, das trübe Brakwasser entstehen lassen, in dessen Schutz eine zweitrangige Orientpolitik zelebriert wird, die uns f r ü h e r oder später um einen guten Teil unserer außenpolitichen Reputation bringen wird."
11.2.2
Stellungnahme
des Auswärtigen
Amtes
Am gleichen 16. November 1962 sandte der Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, Dr. Jansen, d e m Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier zu dieser Raketenfrage eine Stellungnahme folgenden Inhalts: „Sehr verehrter H e r r Bundestagspräsident! Über die Herstellung von Raketen in Ägypten und die angebliche Beteiligung deutscher Firmen u n d Wissenschaftler an diesen Vorhaben hat das Bundesministerium f ü r Wirtschaft kürzlich für Herrn Minister Erhard eine Aufzeichnung gefertigt, die den gegenwärtigen Sachstand der Angelegenheit wiedergibt. Diese Aufzeichnung wird dieser Tage den deutschen Vertretungen im Ausland zur Kenntnis gebracht. Indem ich die Aufzeichnung anliegend als Informationsmaterial f ü r Ihre Reise nach Israel vorlege, möchte ich zwei Punkte besonders unterstreichen: 1) Es gibt keine Beweise dafür, daß Teile der in Ägypten hergestellten militärischen Raketen in d e r Bundesrepublik gefertigt und von hierin die VAR geliefert wurden. 2) Die in Ägypten tätigen deutschen Wissenschaftler — hierbei handelt es sich insbesondere um Prof. Goerke und Dipl.-Ing. Pils — sind seit geraumer Zeit aus deutschen Diensten ausgeschieden und haben in Ägypten neue Wohnsitze begründet. Sie sind dort auch wissenschaftlich an der Universität Kairo tätig. Mit den besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener" 240
11.2 Viel Wirbel um deutsche Wissenschaftler in Ägypten 11.2.3
Franz Böhm meldet sich noch einmal zur Frage der deutschen Wissenschaftler in Ägypten
Prof. Böhm schrieb am 3. Juni 1964 erneut an Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier. In dem Schreiben heißt es u. a.: „Der Herr Abgeordnete Jahn hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, d e r es Deutschen verbietet, im Ausland zur Kriegführung bestimmte Waffen zu entwickeln, herzustellen, an ihrer Herstellung mitzuwirken oder in den Verkehr zu bringen. Im Einzelfall können Ausnahmegenehmigungen erteilt werden, aber n u r für Länder, die mit der Bundesrepublik einem gemeinsamen Verteidigungsbündnis angehören. Auch die übrigen Bestimmungen sind einfach und klar gehalten. Ich möchte mich sehr d a f ü r einsetzen, daß unsere Fraktion sich an der Einbringung des Entwurfs beteiligt. Herr Jahn möchte, um den anderen Fraktionen eine Beteiligung zu ermöglichen, seinen Entwurf um einige Tage zurückstellen. Herr Jahn hat seinen Entwurf auch den Kollegen Dr. Weber (Koblenz), Dr. Kopf, Dr. Otto Schmidt und Bausch zugeleitet. Ich nehme an, daß er auch Herrn Dr. Dehler verständigt hat. Natürlich werde ich f ü r meine Person noch nichts unternehmen, da wir ja in der Besprechung vom 30. April d. J. bei Ihnen vereinbart haben, nichts vor Ihrer Rückkehr und vor einer nochmaligen Verständigung mit Ihnen zu unternehmen. Ich bin aber der Meinung, daß wir jetzt etwas machen sollten und daß sich eine nochmalige Verzögerung schlechterdings nicht mehr verantworten läßt."
11.2.4
Eine Rede von Außenminister 1964
Golda Meir in der Knesset am 4. Mai
„Die Tätigkeit der deutschen Wissenschaftler in Ägypten war der Gegenstand umfassender Beratungen im Plenum der Knesset und in Sitzungen des Auswärtigen* und Verteidigungsausschusses. In diesen Beratungen wurde die einmütige Forderung erhoben, daß die deutsche Regierung jede Anstrengung unternehmen sollte, um der Tätigkeit der deutschen Wissenschaftler in Ägypten ein Ende zu setzen. Im Laufe der Zeit gaben wir wiederholt unserer Enttäuschung darüber Ausdruck, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, Maßnahmen zu diesem Zwecke zu ergreifen. In der letzten Sitzung des Auswärtigen- und Verteidigungsausschusses, der sich mit diesem T h e m a befaßte, bestand Einmütigkeit in der Beurteilung dieser Frage. Es wurde im Hinblick auf die Versprechungen, daß in diesen Tagen endlich ein entsprechender Gesetzesvorschlag dem Bundestag zugeleitet werden wird, beschlossen, eine weitere Sitzung anzuberaumen, in der die bisherigen Beratungen zusammengefaßt werden sollten; mittlerweile wurde bekannt, daß die Einbringung eines Gesetzes erneut verschoben worden ist. Wie ich bereits in der Knesset und in einer Pressekonferenz vom 24. April 241
11 Drei große Themen stehen an sagte, sind wir der Ansicht, daß die deutsche Regierung der Tatsache gegenüber nicht gleichgültig bleiben kann, daß 19 J a h r e nach dem Zusammenbruch des Hit/er-Regimes, das f ü r die Vernichtung von Millionen J u d e n verantwortlich ist, erneut Angehörige des deutschen Volkes sich an den Vorbereitungen zum Angriff Nassers auf den Staat Israel beteiligen, der eine Zuflucht f ü r die Überlebenden der furchtbaren Katastrophe ist. Nasser erklärt immer wieder, daß sein Ziel der Krieg gegen Israel ist und daß er selber Zeitpunkt und Schauplatz dieses Krieges bestimmen wird. Unter anderem bedroht er uns mit Raketen, die er mit Hilfe deutscher Wissenschaftler entwickelt u n d über deren mögliche Auswirkung in diesen Tagen Nachrichten durch die Weltpresse gingen. Wir haben nicht erklärt, daß die Wissenschaftler durch die Bundesregierung geschickt worden sind. Es ist indes klar, daß die Bundesregierung allein in der Lage und verpflichtet ist, alles zu tun, was in ihrer Hand liegt, um die Wissenschaftler zur Rückkehr zu bewegen - entweder auf dem Wege der Gesetzgebung oder auf jedem anderen Wege, der es Bürgern der Bundesrepublik unmöglich macht, den Feinden Israels Kenntnisse zu vermitteln, die ihren verwerflichen Zielen dienen. Die Bundesregierung kann nicht überrascht sein, daß wir, und mit uns viele in der Welt, keine Erklärung f ü r die dauernden Verzögerungen haben. Israel bezeugt jeder Regierung und j e d e m Parlament in der Welt Sympathie, die ihre Verfassung und demokratischen Grundsätze hüten, und es hat f ü r eine solche Haltung volles Verständnis. Wir vermögen jedoch nicht einzusehen, daß die Bundesregierung gleichsam vor der Alternative steht und zu wählen hat zwischen der im Grundgesetz verankerten Wahrung der Freiheit des Individuums und der Notwendigkeit, tatenlos zuzusehen, daß mit Hilfe deutscher Bürger in Ägypten an den Vorbereitungen zur Vernichtung Israels gearbeitet wird. Auch in einem demokratischen Regime schließt der Begriff der individuellen Freiheit keineswegs die Freiheit der einzelnen ein, Verbrechen zu begehen oder sich an den Vorbereitungen von Verbrechen zu beteiligen. Jedes demokratische Regime ist verpflichtet, seine Bürger an der Verübung von Verbrechen zu hindern, und es kann Mittel und Wege dazu finden. Wir waren zur Annahme berechtigt, daß die Bundesregierung einen solchen Weg beschreiten wird, zu dem sie auch ihre demokratischen Grundsätze verpflichten. Wir erwarten nun, daß die deutsche Regierung alsbald Schritte ergreift, die notwendig sind, um die Arbeit der deutschen Wissenschaftler in Ägypten zu unterbinden. Jedes andere Verhalten wird weder in Israel noch in der Welt verstanden werden." (Übersetzung aus dem Hebräischen)
11.2.5
Am gleichen Tage: Eine Resolution der Knesset
1. Die Knesset bekräftigt ihre Entschließung vom 20. März 1963, in der die Tätigkeit der in Ägypten mit der Herstellung gegen Israel gerichteter Vernich242
11.3 Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts
2. 3.
4.
5.
tungswaffen beschäftigten deutschen Wissenschaftler und Fachleute kritisiert wurde. Die Herstellung dieser Waffen stellt eine ernste Gefahr für die Sicherheit Israels und seiner Bewohner dar. Seit dieser Entschließung sind vierzehn Monate vergangen, ohne daß der Tätigkeit dieser Wissenschaftler und Fachleute ein Ende gesetzt wurde. Die Knesset drückt ihre tiefe Besorgnis darüber aus, daß die Behörden der Bundesrepublik Deutschland bisher keinerlei wirksame Schritte unternommen haben, um diese Tätigkeit zu unterbinden, die voll ernster und unheilvoller Gefahren für die Sicherheit Israels und für den Frieden im Nahen Osten ist. Die Knesset gibt erneut der eindringlichen Aufforderung Ausdruck, daß durch die zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland dringende Maßnahmen ergriffen werden, die dieser verwerflichen Tätigkeit alsbald ein Ende setzen. Die Behörden der Bundesrepublik Deutschland und die Angehörigen des deutschen Volkes müßten eine schwere Verantwortung für diese Tätigkeit ihrer Mitbürger in Ägypten empfinden. Die Knesset wendet sich an die wache Öffentlichkeit der Welt mit der Aufforderung, ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß dieser Tätigkeit der deutschen Wissenschaftler ein Ende gesetzt wird.
(Diese Entschließung wurde einstimmig angenommen.)
11.3
Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts — Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz
Als Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier am 19. November 1962 nach Israel reiste, hatte er noch ein drittes Thema im Gepäck. Bundesfinanzminister Dr. Dahlgrün hatte ihn darum gebeten, mit der Israelischen Regierung über eine Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz und zum Bundesrückerstattungsgesetz zu verhandeln. Der Finanzminister schien persönliche Gründe zu haben, warum er diese seinem Ressort zugestandene Aufgabe an den Bundestagspräsidenten weitergab. In der Reisegruppe um Dr. Gerstenmaier befand sich auch der Assistent des Bundestagsausschusses des Deutschen Bundestages der damalige Oberregierungsrat Dr. Mattern. Hendrik van Dam hatte bereits im Januar 1962 in einem Artikel über die Wiedergutmachungsfragen Dr. Mattern herausgehoben. „Eine vorzügliche Vorarbeit wurde geleistet, und es ist zu bedauern, daß der ausgezeichnete wissenschaftliche Assistent des Ausschusses Dr. Mattern, der sich in den vergangenen Jahren eingehend mit dem Problem befassen konnte, nunmehr einen neuen Aufgabenkreis erhält." Dennoch: Dr. Mattern fertigte dem Bundestagspräsidenten ein kurzes Papier über die Fragen der beiden Novellen. Sie war Hilfestellung und Grundlage für seine Besprechungen in Jerusalem. Dieses Papier vom 19. November 1962 hat folgenden Wortlaut: 243
11 Drei große Themen stehen an I Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz 1. Die Novelle kann nach Auffassung des BMF frühestens im Februar 1963 beim Bundestag eingebracht werden. 2. Die Claims-Conference hat Wünsche vorgetragen, die nach deutscher Schätzung einen Mehraufwand von 10 bis 12 Milliarden DM zur Folge hätten. H e r r Dr. Goldmann hat vorgeschlagen, den U m f a n g d e r Novelle nach dem vierfachen Haushaltsansatz f ü r das BEG des laufenden J a h r e s zu berechnen. Der jetzige Haushaltsansatz beträgt je 2,3 Milliarden DM f ü r Bund u n d Länder. Nach Angabe von H e r r n Dr. Goldmann haben die H e r r e n Dr. von Brentano u n d Dr. Mende diesen Vorschlag durchaus zustimmend zur Kenntnis genommen. 3. Die Vorschläge d e r deutschen Verfolgten verbände (also einschließlich des Zentralrates d e r J u d e n ) liegen bei etwa 4 Milliarden DM. 4. Das BMF hat m e h r e r e Lösungen ausgearbeitet. Nach d e r bevorzugten sogen. Version C w ü r d e n f ü r die Novelle 2,1 Milliarden DM benötigt, u n d zwar 700 Mio DM 800 Mio DM 600 Mio DM
technische Novelle (vor allem gewisse Dynamisierung d e r Renten) substantielle Verbesserungen Angleichung
2,1 Mia DM 5. Von H e r r n Bundesminister Dr. Starke sind im Gespräch mit H e r r n Dr. Goldmann Vorbehalte dahingehend gemacht worden, daß an eine Novelle n u r gedacht werden könne, wenn d e r Rahmen von 20 Milliarden DM f ü r das BEG in d e r jetzigen Fassung eingehalten und die vom BMF gefürchtete E r h ö h u n g um 4 Milliarden DM durch eine ü b e r den Willen des Gesetzgebers hinausgehende Rechtsprechung ausgeschlossen würde. 6. Gegen die Absteckung des finanziellen Rahmens d u r c h die ClaimsConference, d e r vom Haushaltsansatz ausgeht, werden vom BMF finanzpolitische Bedenken geltend gemacht. Das Volumen d e r Novelle k ö n n e außerdem ganz erheblich werden, wenn die Zahlungen nach dem BEG o h n e Novelle 1963 bis 1966 gegenüber 1962 erheblich absinken w ü r d e n . II Novelle zum Bundesrückerstattungsgesetz 1. Die Befriedigung d e r rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reiches ist durch d e n Überleitungsvertrag auf einen Gesamtbetrag von 1,5 Milliarden DM beschränkt worden. Unter Berücksichtigung dieses Gesamtbetrages ist d u r c h das Bundesrückerstattungsgesetz eine Erfüllung der Ansprüche bis 20 000 DM in voller Höhe und bei weitergehenden Ansprüchen zu 50 % garantiert worden. Durch Richtlinien des BMF von 1961 sind f ü r Berechtigte über 65 J a h r e hiervon weitere 25 % freigegeben worden, jedoch auf einen 244
11.3 Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts Höchstbetrag von 100 000 DM beschränkt. Bereits nach dieser bestehenden Rechtslage werden Leistungen in Höhe von rd. 1 Milliarde DM über die im Überleitungsvertrag übernommenen Verpflichtungen hinaus erforderlich sein. 2. Die Verfolgtenverbände wünschen a) eine volle Erfüllung der Verbindlichkeiten. Hierbei wird daraufhingewiesen, daß der Kreis der Berechtigten durch die Schaffung des § 5 (Entziehung im Ausland, Verbringung in das Bundesgebiet oder nach Berlin) erheblich erweitert worden sei, nach der alten Rechtslage aber eine volle Erfüllung möglich gewesen sei; b) eine Wiedereröffnung der am 1. April 1959 abgelaufenen Anmeldefrist. 3. Das BMF schätzt f ü r die 100 %ige Erfüllung gegenüber der jetzigen Rechtslage einen Mehraufwand von rd. 850 Millionen DM. Die Wiedereröffnung der Anmeldefrist wird abgelehnt. Vertraulich wird gegen die Schaffung eines Härtefonds kein Einwand erhoben.
11.3.1
Ein Vermerk nach den Jerusalemer
Besprechungen
Am 21. November 1962 hatte Dr. Gerstenmaier über die Schlußgesetzgebung der Wiedergutmachung Besprechungen mit dem israelischen Finanzminister Lewi Eshkol und dem Leiter der Israel-Mission in Köln, Dr. E.F. Shinnar. An diesen Besprechungen hatte auch Dr. Mattern teilgenommen. Er verfaßte am 16. Januar 1963 über diese Gespräche einen Vermerk. Es ergab sich zu diesem Zeitpunkt, nachdem Dr. Mattern auch noch mit Fachreferenten des Israelischen Finanzministeriums gesprochen hatte, daß man von dort eine Denkschrift zu diesen Fragen erwarte. Außerdem wartete man noch auf neueste Berichte aus dem Bundesfinanzministerium. Auch dieser Vermerk von Dr. Mattern zeichnet sich durch Prägnanz und Kürze aus. Es heißt darin: „( 1) Bei der Besprechung wies der Herr Bundestagspräsident darauf hin, daß gegenwärtig im Bundesfinanzministerium Vorarbeiten über ein Schlußgesetz zur Wiedergutmachung durchgeführt würden. Nach Mitteilung des Ministeriums würde die Novelle etwa 2,1 Milliarden DM erfordern. Der Herr Bundestagspräsident hielt diese Zahlen für realistisch und war der Meinung, daß weitergehende Forderungen, die insbesondere von Herrn Dr. Nahurn Goldmann bei seinem letzten Besuch in Bonn vorgebracht worden waren und die bis zu einer Größenordnung von 9,2 Milliarden DM gingen, nicht realisiert werden könnten. Es sei geplant, die vorgesehene Novelle spätestens im Februar in den Bundestag einzubringen. Der Herr Bundestagspräsident unterstrich, daß er sich dafür einsetzen würde, daß dieser Termin eingehalten wird. Herr Dr. Moses wandte ein, daß nach Auffassung israelischer Stellen kein zusätzlicher Betrag von 9,2 Milliarden DM erforderlich sei. Der Vorschlag von Herrn Dr. Goldmann ziele darauf ab, für die nächsten vier Jahre lediglich den 245
11 Drei große Themen stehen an bisherigen Haushaltsansatz von insgesamt 2,3 Milliarden zu verwenden, einschließlich der bereits laufenden Verpflichtungen. Der H e r r Bundestagspräsident zweifelte an der rechtlichen Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit eines solchen Verfahrens, nach dem dann j e nach d e r Haushaltslage die einen Ansprüche f r ü h e r als die anderen befriedigt werden könnten. (2) Der H e r r Bundestagspräsident wies außerdem darauf hin, daß die Abwicklung des Bundesrückerstattungsgesetzes dann große Schwierigkeiten machen würde, wenn die Anmeldefristen wieder eröffnet würden, wie dies auch die Claims-Conference fordere. Dann würden auch die Ansprüche nach § 5 neu angemeldet werden können, der die Entschädigung f ü r im Ausland entzogene feststellbare Vermögensgegenstände vorsehe. Das würde aber die Anmeldung von unübersehbaren und nicht abschätzbaren Forderungen bedeuten. Denkbar wäre für die Fälle des § 5 höchstens die Einführung eines Härtefonds. Über die Bildung eines solchen Härtefonds bestand bei den Beteiligten weitgehend Übereinstimmung; eine Wiedereröffnung der Fristen wurde nicht f ü r opportun angesehen. Der Herr Bundestagspräsident ergänzte, daß auch ohne eine Fristeröffnung und ohne einen Fonds die 100 %ige Erfüllung nach dem Bundesrückerstattungsgesetz gegenüber der jetzigen Rechtslage nach Schätzung des Bundesfinanzministeriums ein Mehraufwand von rd. 850 Millionen DM erforderlich sei. (3) Ein weiterer Gegenstand der Erörterung war die Forderung der israelischen Regierung, die Bundesregierung möge zu den bisherigen Leistungen zum Israelvertrag zusätzlich den Betrag von 500 Millionen DM f ü r Gesundheitsschäden zahlen. Diese Forderung sei gerechtfertigt, da sich die seinerzeit dem Vertrag zugrundeliegenden Berechnungen der israelischen Regierung als zu gering erwiesen hätten. Es wurde von Herrn Dr. Shinnar der Vorschlag gemacht, dieser Betrag könnte in Raten von 40 Millionen DM im J a h r gezahlt werden. Der H e r r Bundestagspräsident entgegnete, es sei nicht zweckmäßig eine solche Leistung noch auf weitere 10 oder mehrere J a h r e zu verteilen. Er sei im Prinzip f ü r eine solche Leistung, die aber nur dann gezahlt werden könnte, wenn ihre Befriedigung in kürzester Zeit möglich sei. Man sollte hier auch nicht eine Ergänzung zum Israel-Vertrag vornehmen oder mit einem Wegfall der Geschäftsgrundlage operieren, sondern andere Wege d a f ü r suchen. (4) Ganz allgemein wies der Herr Bundestagspräsident zur Wiedergutmachung darauf hin, daß es nicht angebracht sei, hier noch übermäßige Forderungen zu stellen und damit die Wiedergutmachung in der Bundesrepublik unpopulär zu machen. Er halte daran fest, daß die Wiedergutmachung eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes sei. Die Abwicklung der Zahlungen müßte aber überschaubar sein. Zum Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel war der H e r r Bundestagspräsident der Meinung, daß hier keine neuen Wiedergutmachungsvereinbarungen erfolgen sollten, man könne viel eher an eine Unterstützung des 246
11.3 Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts Staates Israel nach Art der Entwicklungshilfe denken. Das würde auf die Dauer auch f ü r den Staat Israel vorteilhafter sein." Dieses große Kapitel mit den drei Hauptthemen, d e r Herstellung voller diplomatischer Beziehungen, der Mitarbeit deutscher Spezialisten an ägyptischen Rüstungsvorhaben und die Klärung d e r noch offenen Fragen der Wiedergutmachung nationalsozialistisches Unrecht sowie als viertes die israelische Sorge über den Ablauf der Verjährungsfristen f ü r NS-Verbrechen, läßt sich ebenfalls aus einem Papier herauslesen, das Dr. Mattern am 1. Dez. 1964 verfaßt hat. Er hat dieses Papier mit der allgemeinen Überschrift versehen: „Erwägungen zur Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Israel". Es ist ein bedeutsames Papier, weil es noch einmal zu all den Einzelfragen Stellung nimmt, die ich hier dargelegt habe und die durch einige Dokumente aus diesen Themenkreisen immer wieder belegt sind. Dieses Papier von Dr. Mattern, hat folgenden Wortlaut: „Erwägungen zur Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Israel rufen zwangsläufig düstere Bilder aus der jüngsten deutschen Vergangenheit hervor. Auch derjenige, f ü r den Politik immer n u r an teleologischen Maßstäben ausgerichtet ist, wird sich dem nicht entziehen können. Gewiß ist der Staat Israel, der erst am 15. Mai 1948 gegründet wurde, nicht identisch mit dem europäischen Judentum; man wird seiner Regierung aber nicht die Pflicht bestreiten können, einmal die Interessen der jetzt in Israel lebenden, der Vernichtung entgangenen Juden zu vertreten, und zum anderen darüber hinaus die Sicherung des j u n g e n Staates u n d seines Staatsvolkes zu besorgen. Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel, die sich seit dem Abschluß des Wiedergutmachungsabkommens vom 10. September 1952 zunächst sehr hoffnungsvoll entwickelten, sind in letzter Zeit erheblich abgekühlt, wenn nicht sogar schlecht geworden. Die Gründe hierfür entspringen den nachfolgenden Problemkreisen: I. II. III. IV.
Der Herstellung voller diplomatischer Beziehungen, der Mitarbeit deutscher Spezialisten an ägyptischen Rüstungsvorhaben, gewissen noch offenen Fragen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, dem Ablauf der Verjährungsfrist f ü r NS-Verbrechen.
Die Rangfolge dieser Fragen schwankt j e nach dem Standort des Betrachters. I. Die verantwortlichen Stellen der Bundesrepublik haben wiederholt erklärt, es sei ihr Ziel, volle diplomatische Beziehungen zu Israel herzustellen. Das wird von der deutschen Bevölkerung und von allen tragenden politischen Kräften begrüßt. Bei Überlegungen zur Realisierung dieses Zieles muß wohl davon ausgegangen werden, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Aufnahme voller diplomati247
11 Drei große Themen stehen an
scher Beziehungen heftige Reaktionen der mit uns traditionell befreundeten arabischen Staaten und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die sofortige Anerkennung der sogenannten DDR zur Folge haben würde und sogar zum Abbruch der Beziehungen zur Bundesrepublik führen könnte. Es kann weiter damit gerechnet werden, daß dem arabischen Beispiel noch andere Staaten des .neutralen Blocks' folgen würden. Damit würde eines der grundlegenden Bemühen der deutschen Außenpolitik seit 1949, eine Anerkennung der Sowjetischen Besatzungszone außerhalb des Ostblocks und damit eine völkerrechtliche Sanktionierung der deutschen Teilung zu verhindern, zu scheitern drohen. In jedem Falle würde nach der bisherigen Konsequenz der deutschen Politik eine Anerkennung der sogenannten DDR durch einen Staat außerhalb des Ostblocks den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu diesem Staat zur Folge haben. Selbst eine Modifizierung des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesregierung (//«/¿stem-Doktrin) auf Grund solcher Einwirkungen von außen würde eine schwere Schädigung der deutschen Position mit sich bringen. So sind einsichtsvolle israelische Kreise auch aufgeschlossen gegenüber dem Argument, daß eine Modifizierung des Alleinvertretungsanspruchs wenn überhaupt, dann höchstens auf Grund eigener deutscher Schritte in der deutschen Frage erfolgen d ü r f t e und nicht wegen Israel. Eine andere Auffassung würde auch der Aussöhnung mit dem J u d e n t u m in Deutschland nicht dienen. Es sollte aber eine Lösung gefunden werden, die sowohl eine Besserung der Beziehungen zu Israel ermöglicht als auch die Aufrechterhaltung der freundschaftlichen Beziehungen zu den arabischen Staaten: a) Es läge auf der Hand, zunächst an eine Zwischenlösung in Form einer Handelsmission zu denken, wie sie gegenwärtig in den osteuropäischen Staaten errichtet werden. Nachdem ein in diese Richtung zielendes israelisches Angebot 1956 aber von deutscher Seite nicht akzeptiert worden ist, sollte ein solches Ansinnen jetzt auch nicht mehr vorgebracht werden. Sicherem Vernehmen nach würde es zudem von Israel nunmehr abgelehnt werden. Es ist auch nicht zu sehen, wie eine Handelsmission zur Verbesserung der Beziehungen beitragen könnte; man kann Israel nicht mit den osteuropäischen Satellitenstaaten vergleichen. b) Bei der Errichtung eines (General-)Konsulats bestünde die Gefahr, daß damit diplomatische Beziehungen als konsumiert erscheinen könnten, und außerdem würde die Entsendung eines (General-)Konsuls mit vollem Exequatur die gleichen Bedenken wegen einer Reaktion der arabischen Staaten hervorrufen wie die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen. c) Nun ist die SBZ in den arabischen Staaten nicht nur mit (General-)Konsuln mit differenziertem Status vertreten, nämlich im I rak, dem Jemen und der Vereinigten Arabischen Republik (Generalkonsuln) und in Syrien (Konsul), vielmehr hat in Kairo seit 1958 auch ein .Bevollmächtigter der DDR f ü r die arabischen Staaten' seinen Sitz. Seine Dienststelle nannte sich bis zum Frühjahr 1962 .Bureau du Délégué du Gouvernement de la République Démocratique Allemande dans les Pays Arabes' und nach dem Auseinanderbrechen der Vereinigten Arabischen 248
11.3 Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts Republik .Bureau du Délégué du Gouvernement de la République Allemande en République Arabe Unie'. Die Namensänderung hat an der Aufgabenstellung und der unmittelbaren Weisungsbefugnis des Bevollmächtigten gegenüber sämtlichen Vertretungen der ,DDR' in den Staaten der Arabischen Liga nichts geändert. (Anmerkung: Die ,DDR' ist nicht in Jordanien, Saudi-Arabien, Kuweit, Libyen und dem nominellen Mitglied der Liga Palästina vertreten.) Auch der Generalkonsul in Kairo unterliegt den Weisungen des Bevollmächtigten, der ad personam den Titel eines Botschafters trägt. Dieser untersteht ohne normalen Instanzenweg unmittelbar dem ,DDR'-Minister f ü r Auswärtige Angelegenheiten. Der jetzige Beauftragte, Botschafter Dr. Ernst Scholz, war noch im Herbst 1963 Minister; sein Vorgänger Wolfgang Kiesewetter ist heute Stellvertreter des Ministers f ü r Auswärtige Angelegenheiten. Wenn auch der Bevollmächtigte seine Kontakte mit den arabischen Staaten über das Generalsekretariat der Arabischen Liga wahrnimmt, so zeigt doch seine Weisungsbefugnis über alle ,DDR'-Vertretungen, daß er auch in gewissen rechtlichen Beziehungen zu den arabischen Staaten steht. Die Entsendung eines bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland' nach Israel wäre daher nur ein entsprechender Schritt der Bundesregierung. Es wäre Aufgabe unserer diplomatischen Vertretungen oder auch von Sondermissionen, die arabischen Staaten auf dieses Simile hinzuweisen und gleichzeitig darzulegen, daß eine harte Reaktion auf einen solchen Schritt unverständlich wäre und die Gefahr eines Stufenplans von Gegenmaßnahmen hervorrufen könnte. Dem Deutschen Bevollmächtigten in Israel wäre außerdem aufzugeben, zu gegebener Zeit mit der israelischen Regierung in Verhandlungen über die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen einzutreten. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob die israelische Regierung mit einer Lösung dieser Art einverstanden wäre. Hier wäre zu erwägen, ob der Dienststelle des Bevollmächtigten nicht auch noch andere von israelischer Seite sicher zu begrüßende Stellen angegliedert werden könnten: a) eine deutsche Paßstelle; bisher müssen sich die Israelis bei der deutschen Botschaft in Nikosia oder beim britischen Konsulat in Haifa Visa besorgen; b) ein deutscher medizinischer Dienst; die in Israel lebenden Verfolgten d e r NS-Gewaltherrschaft beklagen sich immer wieder darüber, daß über verfolgungsbedingte Leiden von deutschen Ärzten „nach Aktenlage" entschieden werde. Ein medizinischer Dienst an Ort und Stelle würde wesentlich zur Beruhigung dieser Kreise beitragen; c) die Verwaltung eines deutschen Wiedergutmachungsfonds — siehe hierzu die Ausführungen unter III —. Es könnte erwartet werden, daß die israelische Regierung einem solchen deutschen Angebot zustimmt.
249
11 Drei große Themen stehen an II. Die Frage der Mitwirkung von deutschen Spezialisten an ägyptischen Rüstungsvorhaben wird gegenwärtig vom Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit dem Antrag d e r Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Zweiten Ausführungsgesetzes zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Gesetz über die Beteiligung Deutscher an der Herstellung und dem Vertrieb von Waffen außerhalb des Bundesgebietes) — Drucksache IV/2355 — geprüft. Die Beratungen sollten vom Grundsatz der Nichtbeteiligung der Bundesrepublik an Waffenlieferungen außerhalb der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft und an der Vorbereitung von bewaffneten Konflikten überall in der Welt ausgehen. III. 1. Von der Conference on Jewish Claims against Germany sind weitere Wünsche zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts vorgetragen worden. Dem Bundestag liegt gegenwärtig eine Zweite Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz (Drucksache I V/1550) vor, die inoffiziell als Schlußgesetz bezeichnet wird. Es sollte in der Tat darauf hingewirkt werden, daß n u n m e h r der Schlußstrich unter die Wiedergutmachungsgesetzgebung gezogen wird. Und zwar sollte das durch einen großzügigen Akt erfolgen, würdig dem Gedanken der Wiedergutmachung. Ein wirkliches Schlußgesetz hätte zudem den Vorteil, daß die Verfolgten selbst u n d nicht ihre Erben die Leistungen erhielten. Von deutscher Seite wiederum würde die Wiedergutmachungsgesetzgebung dann von der Generation abgeschlossen werden, welche die Jahre 1933—1945 miterlebt hat, und nicht der nächsten Generation als „Erbe" hinterlassen. 2. Von der israelischen Regierung ist der Bundesregierung ein Memorandum überreicht worden, in welchem Verhandlungen über eine zusätzliche Leistung zum Israel-Vertrag in Höhe von 500 Millionen DM angeregt werden, welche die Bundesregierung in etwa 10 Jahren zahlen solle. Grund hierfür sei der Umstand, daß die israelische Delegation bei den Verhandlungen über das IsraelAbkommen seinerzeit insofern einem Irrtum unterlegen wäre, als sie den f ü r die Entschädigung von Gesundheitsschaden der in Israel lebenden ehemaligen Staatenlosen und politischen Flüchtlingen erforderlichen Aufwand auf etwa 25 bis 30 Millionen DM geschätzt hätte. Daher habe sie auch in die Vereinbarung gewilligt, daß Staatenlose und politische Flüchtlinge, die am 1. Oktober 1952 israelische Staatsangehörige waren, keine Entschädigung f ü r Gesundheitsschaden nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhielten (§ 164 BEG). Inzwischen habe sich aber gezeigt, daß der tatsächliche Aufwand etwa 560 Millionen DM betrage, wovon Israel bereits jetzt 60 Millionen DM gezahlt habe. Vom Staate Israel wird unter Hinweis auf die Veränderung der Vertragsbedingungen gebeten, die Bundesregierung möge dieser veränderten Situation Rechnung tragen. Zu diesem Vorbringen ist anzumerken, daß mit rechtlichen Gründen eine Ergänzung zum Israel-Vertrag nicht motiviert zu werden vermag. Hier ist weder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben noch die clausula rebus sie stanti250
11.3
Die Wiedergutmachung
nationalsozialistischen
Unrechts
bus. Politisch bestünde dazu noch das Bedenken, daß eine Ergänzung des Vertrages ein Präjudiz für andere Staaten sein könnte, mit denen die Bundesrepublik in der Zwischenzeit Wiedergutmachungsverträge abgeschlossen hat. Nun ist es allerdings richtig, daß der in Rede stehende Personenkreis durch das Wiedergutmachungsabkommen gegenüber anderen Verfolgtengruppen erheblich benachteiligt worden ist. Es handelt sich nach Mitteilung des Verbandes der Gruppe um rund 20 000 Personen. Man sollte daher erwägen, ob man nicht einen Fonds in Höhe von insgesamt 200 Millionen DM schaffen, denselben von einem deutschen Land verwalten und durch eine Außenstelle in Israel in mehreren Jahresbeträgen abwickeln sollte. Diese Außenstelle könnte dann der Dienststelle des Bevollmächtigten der Bundesrepublik in Israel angegliedert werden. 3. Mit der zweiten Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz und der Errichtung des 200-Millionen-Fonds wäre die Wiedergutmachungsgesetzgebung abzuschließen. Die künftigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel könnten damit von der überpolitischen Ebene der Wiedergutmachung auf die politische, das heißt normale zwischenstaatliche Ebene überführt werden. Hilfen an Israel würden hinfort in den allgemeinen Rahmen der deutschen Beziehungen zum Nahen Osten einzuordnen sein. IV. Die Frage einer Verlängerung der Verjährungsfristen von NS-Verbrechen ist eine innerdeutsche Angelegenheit. Sie sollte auch bei Würdigung aller psychologischen und politischen Gesichtspunkte nur so geregelt werden, wie es den Prinzipien des Rechtsstaates entspricht. Es ist nicht Aufgabe dieser Betrachtung, hierüber eine eingehende rechtliche Untersuchungg vorzulegen. Es soll aber auf einen Vorschlag hingewiesen werden, den der Zentralrat der Juden in Deutschland am 19. November 1964 unterbreitet hat: Der § 69 des geltenden Strafgesetzbuches sei dahin zu ergänzen, daß die Verjährung auch dann ruhe, wenn eine Person, die ein Verbrechen begangen habe, gerichtlich für tot erklärt worden sei. Diese Bestimmung entspreche dem Geist des Strafgesetzbuches, das nämlich nicht mit der Möglichkeit rechne, daß sich im großen Umfange Verbrecher für tot erklären ließen, um nach Ablauf der Verjährungsfrist zurückzukehren und in ihre alten Rechte wiedereinzutreten. Den Strafverfolgungsbehörden könne nicht zugemutet werden, in diesen Fällen durch richterliche Maßnahmen die Verjährung zu unterbrechen, wenn dies auch in vielen Fällen geschehen sei. Die neue Gesetzesvorschrift solle nur für Straftaten gelten, die bisher nicht verjährt seien. V. Im Zusammenhang mit der Normalisierung der Beziehungen zu Israel sollte die Bundesrepublik den arabischen Staaten eine nachdrückliche Hilfe jeder Art für die Palästina-Flüchtlinge anbieten, um deren Not lindern zu helfen. Gerade wir 251
11 Drei große Themen stehen an Deutschen kennen das traurige Los von Flüchtlingen. Menschliches Leid ist in der ganzen Welt gleich, unabhängig von den jeweiligen politischen Ursachen. Mit einem großzügigen Angebot deutscher Hilfe könnte ein Beitrag zur Befriedung im Nahen Osten geleistet werden. Eine endgültige Befriedung ist wohl n u r in einer großräumigen Regelung innerhalb der gesamten Region zu sehen, wie das ursprünglich auch die von Emir Feisal und von Professor Weizmann nach dem Ersten Weltkrieg vertretene Konzeption gewesen ist. Auf eine solche großräumige Lösung könnte ein weiteres Angebot der Bundesrepublik hinweisen, durch deutsche Wissenschaftler und Techniker einen Allgemeinen Wasserplan f ü r den Nahen Osten zu entwerfen und an dessen Verwirklichung mitzuarbeiten."
252
12.1 Hindernisse auf dem Wege
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel 12.1 Hindernisse auf dem Wege Noch im letzten Jahr seiner Kanzlerschaft hatte Konrad Adenauer sich mit dem Gedanken getragen, volle diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Er wollte damit nicht nur sein Versöhnungswerk mit dem jüdischen Volk krönen, sondern noch vor seiner Amtsniederlegung die Verantwortung dafür übernehmen. Am 10. September 1963 teilte der amerikanische Botschafter in Bonn, McGhee, einem hohen Beamten des Bundeskanzleramtes die Meinung der amerikanischen Regierung zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel mit. McGhee sagte, daß die amerikanische Regierung sich nicht anmaße, sich in ureigenste deutsche Dinge einzumischen, daß man aber als Verbündeter und Freund auf besonderen Wunsch des Bundeskanzlers offen seine Meinung äußern wolle. McGhee legte dem Beamten dar, daß die Westmächte, vor allem die USA, nur einen geringen Einfluß in den arabischen Staaten hätten. Jordanien sei trotz der westlichen Waffenlieferungen praktisch an die Sowjetunion gebunden und Ägypten trotz der Lebensmittellieferungen aus den USA proöstlich eingestellt. Die Lage im Irak sei undurchsichtig und Syrien ein Teil der arabischen Republik. McGhee erläuterte, die Bundesrepublik müsse aufgrund eines solchen Schrittes die Anerkennung der Zone durch die arabischen Staaten befürchten, zumindest aber den Abbruch der Beziehungen zu Bonn. Die USA würden Wert darauflegen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Einfluß in den arabischen Staaten behalte, um das westliche Lager nicht noch mehr in den arabischen Gebieten zu schwächen. Aus diesem Grunde möchten die Vereinigten Staaten, die volles Verständnis und volle Sympathie für die Haltung Deutschlands gegenüber Israel hätten, ihre Bedenken äußern, jedoch der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel weder zu- noch abraten. Konrad Adenauer war von dieser Äußerung des amerikanischen Botschafters, die im Auftrag des State Department abgegeben worden war, tief beeindruckt. In einem Gespräch mit dem Leiter der Israel-Mission, Felix Shinnar, gab Adenauer die Meinung der amerikanischen Regierung wieder. Shinnar konnte sie nicht glauben. Der Bundeskanzler bat ihn, sich bei Staatssekretär Hans Globke über die Einzelheiten der Aufzeichnungen informieren zu lassen, die dann Shinnar sehr bestürzt haben. In der Pressekonferenz vom 3. Dezember 1963 hat Ludwig Erhard, der inzwischen das Amt des Bundeskanzlers übernommen hatte, zum ersten Mal seine Gedanken als neuer Regierungschef zum Thema Israel und Naher Osten zum Ausdruck gebracht. Auf die Fragen des Korrespondenten der „Yedioth Achro253
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel noth", Alfred Wolfmann: „Beabsichtigen Sie, H e r r Bundeskanzler, die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel in absehbarer Zeit auf die Tagesordnung des Kabinetts zu setzen? Befürworten Sie persönlich die Herstellung normaler diplomatischer Beziehungen mit Israel, so wie es Ihr Vorgänger Dr. Adenauer und namhafte Politiker aller drei im Bundestag vertretenen Parteien in letzter Zeit öffentlich f ü r wünschenswert erklärten?", antwortete er: „Unser Verhältnis zu Israel findet nicht so sehr seinen Ausdruck in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, als vielmehr in der Verpflichtung des deutschen Volkes und in der auch praktisch geübten Hilfeleistung f ü r all das, was aus deutscher Schuld dem jüdischen Volke erwachsen ist. Ich glaube, die ganze Welt erkennt an, daß wir völlig aufgeschlossen und in großer Verantwortung und in großer Selbstbesinnung hier ein Maximum an Leistungen erbracht haben. Das scheint mit obenan zu stehen, und das ist das Entscheidende, das ist der Geist, der Israel und Deutschland miteinander verbindet und wirklich ein freundschaftliches Verhältnis geschaffen hat. Die Frage diplomatischer Beziehungen scheint mir demgegenüber von etwas untergeordnetem Rang zu sein. Es ist nicht die Frage, ob wir sie aufnehmen, sondern es ist die Frage, wann wir sie aufnehmen. Wenn Sie bedenken, daß Israel im Jahre 1952 Bedenken hatte, diplomatische Beziehungen zu Deutschland aufzunehmen, was wir wohl zu würdigen wußten, dann sind wir heute natürlich in einer Situation, in der wir die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel nicht zu einer Wiederbelebung des Themas der Anerkennung der DDR, vor allem im arabischen Raum, werden lassen wollen. Ich glaube, auch d a f ü r wird Israel Verständnis haben. Wir werden mit Israel in freundschaftlichem Gespräch bleiben, das von gegenseitigem Verständnis getragen ist, aber wenn Sie mich direkt fragen, ob ich die Absicht habe j e t z t einen Antrag im Kabinett dieser Art zu stellen, dann muß ich Ihnen sagen: zunächst nicht." Zur gleichen Zeit hatten die Gesellschaften f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland und d e r Deutsche Gewerkschaftsbund die deutsche Bevölkerung zu Unterschriftenaktionen aufgerufen, Stimmen f ü r die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel abzugeben. Diese Aktionen im vorparlamentarischen Raum brachten die vielen Stimmen der deutschen Öffentlichkeit zum Ausdruck, die auch in verschiedenen Zeitungsartikeln und Rundfunkkommentaren immer wieder die Frage stellten: Warum nimmt die Bundesrepublik Deutschland keine Beziehungen zu Israel auf? Das Klima f ü r derartige Verhandlungen wurde 1964 durch die Diskussion um die Verjährung und die Tätigkeit der deutschen Wissenschaftler in Ägypten nicht besser. Israel fühlte sich durch die ständig wachsende Rüstung in den arabischen Staaten bedrängt, vor allem auch durch die arabischen Drohungen, das Jordanwasser abzuleiten. Levi Eshkol nahm am 12. Oktober 1964 vor der Knesset zu der Frage der deutschen Wissenschaftler in Ägypten Stellung. Das Problem beschäftigte auch den Deutschen Bundestag bereits lebhaft. Am besten ist es 254
12.1 Hindernisse auf dem Wege
durch die Erklärung gekennzeichnet, die Ludwig Erhard am 3. Dezember 1963 abgegeben hatte und die nun der israelische Ministerpräsident seinerseits vor dem israelischen Parlament zitierte. Levi Eshkol sagte in seiner Rede: „...Dies ist auch der Hintergrund der Entwicklung, die den unmittelbaren Anlaß meiner Erklärung darstellt: Ich beziehe mich auf die Antwort, die durch Herrn Bundeskanzler Erhard auf die Frage eines Journalisten über die Möglichkeiten des Rückrufs deutscher Wissenschaftler, die mit an der Herstellung von Kriegswaffen in Ägypten beteiligt sind, abgegeben wurde. Da die groß aufgemachten Veröffentlichungen die Erklärungen Prof. Erhards nicht genau wiedergaben, scheint es mir angezeigt, daß ich vor dem Hohen Hause zunächst den genauen Wortlaut seiner Erklärung zitiere: .Wenn ich die praktischen und wirksamen Möglichkeiten sehen würde, dann wäre die Frage leicht zu beantworten. Aber hier haben sich wirklich die Rechtsgelehrten den Kopf zerbrochen, ja sie haben auch in anderen Ländern gefragt, wie es dort stünde und welche Möglichkeiten dort gegeben wären. Eine wirksame Möglichkeit gibt es nicht, und nur ein Gesetz zur Schau zu veranstalten, ist meiner Ansicht nach eine mißliche Sache. Daß wir die Tätigkeit bedauern, soweit sie sich auf einem Felde vollzieht, wo sie den Frieden der Welt zu stören geeignet wäre, ist selbstverständlich und soll von mir ganz klar ausgedrückt werden. Aber, das ist die andere Seite der Medaille, die unmittelbare Möglichkeit wird immer noch geprüft. Es liegt ein Antrag der SPD vor. Aber die Rechtsverhältnisse sind nicht so geartet, daß wir eine Sicherheit geben könnten, mit irgendeinem Gesetz haben wir auch schon die Leute sozusagen heraus oder zurück.' Das waren die Worte des deutschen Regierungschefs. Man kann daraus schließen, daß in der ablehnenden Einstellung Ludwig Erhards zur Tätigkeit der Wissenschaftler keine Änderung eingetreten war. Indes äußerte Erhard Zweifel an der Wirksamkeit der vorgeschlagenen legislativen Maßnahmen. Auch die Erklärungen, die Erhard selbst und sein Vorgänger im Kanzleramt, Adenauer, abgegeben hatten, als sie die Arbeit der Wissenschaftler mißbilligten und zusagten, in der Angelegenheit tätig zu werden, lassen keine andere Interpretation zu. Es ist vielleicht angebracht, noch auf einige Tatsachen bezüglich der Haltung der Bundesregierung in dieser Frage hinzuweisen. Die ersten Informationen über die deutschen Wissenschaftler, die in Ägypten mit der Herstellung von Kriegsmaterial beschäftigt sind, haben sich vor etwa zwei Jahren verdichtet. Einige Monate danach machte Frau Außenminister Golda Meir der Knesset Mitteilung. Der Sprecher der Bundesregierung erklärte, die Regierung mißbillige die Tätigkeit der Wissenschaftler, sie habe ihren Einfluß geltend gemacht, um diese zur Rückkehr zu bewegen, und sie werde ihre Bemühungen in der gleichen Richtung fortsetzen. Eine in ähnlichem Sinne gehaltene Erklärung aller Fraktionen des Bundestages wurde einige Tage nachher veröffentlicht. Sie enthielt den Zusatz, die drei Fraktionen würden alles aufbieten, um die notwendigen legislativen Maßnahmen 255
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu verwirklichen. Eine weitere, ebenfalls im gleichen Sinne abgefaßte Erklärung des Sprechers der Bundesregierung wurde Ende 1963 abgegeben. Damals sah die Bundesregierung den besten Weg in einer Erweiterung des Paßgesetzes. Das Gesetz kam jedoch nicht zustande. Das deutsche Fernsehen, der deutsche Rundf u n k und die Mehrzahl der deutschen Zeitungen ließen und lassen sich im Sinne einer Mißbilligung und Distanzierung von der Tätigkeit der deutschen Wissenschaftler vernehmen. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, f ü h r e n d e Männer der Parteien u n d der Gewerkschaften gaben wiederholt ihrer ablehnenden Haltung Ausdruck. In der Sache selbst trat jedoch zu unserem Bedauern keine Änderung ein. Ich darf hier hinzufügen, daß ich vor einigen Wochen einen persönlichen Brief an den Herrn Bundeskanzler gerichtet habe. Als kürzlich die ersten Stimmen zu der Antwort Ludwig Erhards in der erwähnten Pressekonferenz laut wurden, gab auch der Sprecher unseres Außenministeriums eine Erklärung ab. Die Erbitterung, die uns im Hinblick auf die Arbeit deutscher Wissenschaftler im Dienste des ägyptischen Kriegsapparates erfaßt hat, fließt aus zwei Quellen: Zunächst einmal ist es die durch unauslöschliche historische Erinnerungen bedingte Erschütterung, die wir bei der Wortverbindung .Deutsche' und,gegen uns gerichtete Gewaltmaßnahmen' verspüren. Die Zerstörung des europäischen Judentums durch Deutschland, in der Zeit, in der im deutschen Volke die Lichter erloschen, wird auf immer ein Teil unseres kollektiven und persönlichen Bewußtseins bleiben. Von dieser Stelle aus will ich der H o f f n u n g Ausdruck geben, daß die Besten des deutschen Volkes und seine Regierung Verständnis für diese unsere Gefühle haben. Wir sind zur Forderung und zur H o f f n u n g berechtigt, daß die Erkenntnis, Deutsche d ü r f e n sich nicht mehr am jüdischen Volk vergreifen — weder unmittelbar noch mittelbar —, in die Tiefe des Bewußtseins und der Empfindungen des ganzen deutschen Volkes eindringt. Man möge unsere moralische Abscheu über die Arbeit der deutschen Wissenschaftler nicht als eine lediglich irrationale Einstellung abtun. Ein Volk, das erleiden mußte, was unser Volk erlitten hat, darf in diesem Punkte ein Verständnis besonderer Art verlangen. Wenn man uns trösten möchte, daß wir die Größe der Gefahr übertreiben, so wollen wir darauf erwidern, daß, hätte in den dreißiger Jahren j e m a n d auch nur vor einem nichtigen Bruchteil der Katastrophe gewarnt, die das europäische Judentum während des Weltkrieges heimsuchte, die Besten unserer Freunde gewiß nicht nur gesagt hätten, wir übertrieben, sondern, wir hätten den Verstand verloren. Einem Volk mit solcher geschichtlichen Erfahrung darf man weder mit dem Einwand, es übertreibe, noch mit dem Argument mangelnden Rationalismus kommen. Man sagt uns, daß die Anzahl der deutschen Wissenschaftler im Dienste der ägyptischen Kriegsmaschine heute gering ist. Nehmen wir an, dem sei so. Aber sie kann größer werden. Man sagt uns auch, daß die Deutschen, die in Ägypten tätig sind, keine Leuchten der deutschen Wissenschaft seien. Wer jedoch ist bereit, uns und denen, die dies ,in bester Absicht' sagen, d a f ü r zu bürgen, daß ihnen nicht vielleicht Wichtigere folgen werden? Es gab auch die Neunmalklugen, die uns
256
12.1 Hindernisse auf dem Wege einreden wollten, die Arbeit d e r deutschen Wissenschaftler sei zu unserem Vorteil — und Weise dieser Sorte fanden sich auch außerhalb Deutschlands. Es genügt auf die Paarung des blinden arabischen Hasses mit den mörderischen Vollzugstalenten aus der Zeit Hitlers hinzuweisen, um ein richtiges Bild zu erhalten. Das gilt für Wissenschaftler und Fachleute dieser Art aus allen Ländern, und um so mehr f ü r solche aus Deutschland. Hier komme ich zum zweiten Grund unserer Besorgnis und unserer Erschütterung: Die eigentliche Gefahr, die in ihrer Arbeit liegt, zumal wenn wir uns die Betonung der langfristigen Planung der gegen uns gerichteten arabischen Kriegsmaschine vor Augen halten. Ich habe bereits in der Knesset sowohl vor Abschluß der vorigen Sitzungsperiode als auch bei anderen Gelegenheiten gesagt, daß wir Meinungsverschiedenheiten mit vielen unserer Freunde im Ausland über die Bedeutung der Arbeit der Wissenschaftler haben. Man erklärte uns, daß keine große unmittelbare Gefahr vorliegt. Wir können auf keinen Fall unsere Augen vor einer Stärkung und einer Ermutigung der wachsenden Kriegsmaschine Nassers verschließen. Sie dient dem erklärten Ziel, Israel anzugreifen. Es ist richtig: unsere eigene Kraft ist nicht gering, und es fehlt uns nicht an Freunden in der Welt. Wer von Angriffsplänen gegen Israel und von Rache träumt, macht die Rechnung ohne den Wirt. Wir sehnen uns nicht nach einer Kraftprobe, obwohl wir wissen, daß wir uns in ihr bewähren würden. Es muß gesagt sein, daß es in der politischen Realität unserer Tage nicht leicht und sogar gefährlich ist, von lokalen Konflikten zu sprechen. Ein Krieg, der durch eine arabische Aggression gegen Israel eröffnet wird, kann über unsere Region hinauswachsen und zu einem Riesenbrand werden. Diese Erwägung gibt sowohl unserer besonderen Forderung, die Tätigkeit der deutschen Wissenschaftler im Dienste der ägyptischen Kriegsmaschine zu unterbinden, als auch unserer allgemeinen Forderung besonderes Gewicht, das Wettrüsten abzubrechen und dem Grundsatz, alle internationalen Meinungsverschiedenheiten auf friedlichem Wege zu lösen, universelle Geltung zu verschaffen. Ich wiederhole: universelle Geltung, ohne Israel auszunehmen, wie es sich der Präsident Ägyptens zu tun gestattet. Israel unterstützt mit ganzer Kraft das Streben, die Spannung des Kalten Krieges in d e r ganzen Welt und besonders in unserem Gebiet zu verringern. Die großen Mächte müssen aufhören, Angriffswaffen an einen Staat in unserem Gebiet zu liefern, der einem anderen Staat mit Aggressionen droht und der sich weigert, friedliche Beziehungen mit allen seinen Nachbarn zu unterhalten. Dem Wettrüsten muß, in gegenseitigem Einverständnis, ein Ende gesetzt werden. Das gilt gleichermaßen f ü r j e d e Förderung eines Angreifers und natürlich ganz besonders f ü r die Hilfe, die von deutschen Wissenschaftlern einem Angreifer geleistet wird, von Wissenschaftlern, die die blutige Rechnung fortsetzen, von der sich die Besten ihres Volkes zu reinigen suchen. Es scheint, daß in d e r Frage der Einschätzung der Arbeit d e r deutschen Wissenschaftler in Ägypten und in der Forderung, diese Arbeit zu unterbrechen, eine weitgehende Übereinstimmung in der Knesset vorhanden ist. Dennoch bin ich nicht der Pflicht enthoben, die Auseinandersetzung in dieser schmerzlichen 257
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
Angelegenheit zwischen uns und Deutschland in das richtige Licht, das heißt, sie in den allgemeinen sicherheitspolitischen Zusammenhang der Lage unseres Volkes zu setzen. Vor allem sind wir verpflichtet, uns das Gefühl f ü r Richtung zu bewahren. Der Ursprung der feindseligen Absichten ist Kairo. Bei dem Versuch, sich die Hegemonie über die arabischen Staaten zu sichern, hat Kairo die Fahne des Krieges entfaltet, seine Sendboten bereisen die arabischen Hauptstädte und versuchen, sie durch Lockungen und Drohungen in die Kriegsplanung gegen Israel einzuschalten. Wie ich bereits sagte, predigen die Ägypter sozusagen .Mäßigung', nicht um einer friedlichen Lösung willen, sondern um unter besseren Bedingungen Krieg f ü h r e n zu können. Die moralische und praktische Förderung, die dem Präsidenten Ägyptens durch Großmächte zuteil wird, stärkt ihn in seinem Herrschaftsstreben und seiner H o f f n u n g auf Erfüllung seiner Gelüste. Wir sollten wieder einmal daran erinnern, daß die zivilisierte Welt, die ihren organisatorischen Ausdruck in den Vereinten Nationen besitzt, noch nicht in klarer Form zu verstehen gegeben hat, daß sie derart bösartige Anschläge nicht in ihrer Mitte zu dulden bereit ist. Wir können uns nicht mit vielen schönen Reden über die Stärkung des Friedens in der Welt abfinden, die nicht von der unmißverständlichen Anprangerung der offenen und erklärten Aggression, der kriegerischen Absichten und der Zerstörungslust begleitet sind. Es ist nicht möglich, den in der Charta der UN verankerten Prinzipien zu huldigen und gleichzeitig Mitgliedsstaaten d e r UN zu erlauben, in aller Öffentlichkeit und ungestört Ränke zu schmieden. Es ist nicht zu vereinbaren, daß ein Staat Mitglied der Vollversammlung und des Weltsicherheitsrates ist und zugleich die Sicherheit durch Angriffshandlungen aller Art gefährdet. Wir fordern alle, die die ägyptische Kriegsmaschine, sei es durch Taten oder durch Worte, unterstützen, mit letztem Nachdruck auf, dieser Unterstützung unverzüglich ein Ende zu setzen. Wir verkennen nicht, daß viele der Staaten, die an rein demonstrativen Erklärungen teilhaben, wie z. B. an der Neutralisten-Konferenz in Kairo und ähnlichen vorangegangenen, innerlich mit ihnen nicht einverstanden waren. Obschon sie n u r mit halbem Herzen, unwillig und mit innerem Abscheu unter dem Druck der ägyptischen Erpressung beipflichteten, so muß von ihnen gefordert werden, daß sie dem Angreifer keinen weiteren Lippendienst erweisen. Ich möchte noch etwas erwähnen, das mit dem besonderen Komplex der Beziehungen zwischen uns und Deutschland zusammenhängt. In der öffentlichen Meinung soll nicht der Eindruck entstehen, daß sich dieses Kapitel in der Erbitterung erschöpft, die bei uns auf Grund der Tätigkeit einer Handvoll gewissenloser und skrupelloser Wissenschaftler entstanden ist. In unseren Bestrebungen um eine Annäherung u n d eine Freundschaft mit dem neuen Europa, seinen gemeinschaftlichen Institutionen und den Einrichtungen seines wirtschaftlichen Zusammenschlusses, die bereits bestehen oder noch entstehen werden, darf man den Faktor Deutschland als einen der entscheidenden nicht unerwähnt lassen. Die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland ist im Wachsen begriffen. Wir sind an der Stärkung unserer Beziehungen zu allen eu258
12.1 Hindernisse auf dem Wege
ropäischen Staaten interessiert. Wir würden keinen Vorteil aus Spannungen ziehen, die zwischen uns und Westeuropa, zu dem auch die sich erneuernde Bundesrepublik Deutschland gehört, entstünden. Diese Beziehungen sind von schwerwiegender Bedeutung für unsere Eigenentwicklung auf allen Gebieten. Die Aufgabe, die unter diesem Gesichtspunkt der Bundesrepublik Deutschland in der westlichen Welt und in Europa zufällt, verpflichtet uns zu einer sachlichen und umfassenden Einschätzung und Rücksichtnahme. Vor allem: wir müssen verstehen, daß es sich um ein Millionenvolk handelt, aus dem Kräfte der Erneuerung und der Abschüttelung der jüngsten Vergangenheit hervorbrechen, ein Volk, das in seiner Vergangenheit auch andere Kapitel in seinen Verflechtungen mit unserem Volk aufzuweisen hat, und von dem man hoffen darf, daß in ihm große verborgene Kräfte schlummern, und das an einer erhöhten Spannung zwischen ihm und dem jüdischen Volk in aller Welt "nicht interessiert sein kann." Die Antwort auf diese Erklärung gab Ludwig Erhard bereits drei Tage später in der Haushaltsdebatte vordem Deutschen Bundestag am 15. Oktober 1964. „Die Spannungen im Nahen Osten stellen nach wie vor einen Gefahrenherd für den Weltfrieden dar. Unsere Nahost-Politik bedarf daher ganz besonderer Sorgfalt und Behutsamkeit. Wir haben in diesem Gebiet keine politischen Sonderinteressen, sondern wünschen nur, daß seine Völker, mit denen wir gleichmäßig gute Beziehungen pflegen wollen, in einer friedlichen Ordnung wirtschaftliche und soziale Fortschritte erzielen können. Unser Verhältnis zum Staate Israel ist nicht nur von politischen Erwägungen bestimmt. Es läßt sich nicht von der Bürde trennen, die der Nationalsozialismus dem deutschen Volke auferlegt hat. Wir haben versucht zu heilen, was mit Menschenkraft geheilt werden kann. Aber wir wissen, daß kein noch so guter Wille das Geschehene vergessen läßt. Die Bundesregierung bedauert es aufrichtig, daß gewisse Vorgänge die fortschreitende Verbesserung des deutsch-israelischen Verhältnisses gestört und in Israel Gefühle der Besorgnis ausgelöst haben. Um so mehr begrüße ich die jüngste Erklärung des israelischen Ministerpräsidenten vor der Knesset. Ich verzeichne mit Dankbarkeit, daß sich Ministerpräsident Eshkol um Verständnis für die Lage Deutschlands bemüht. Wir verstehen sehr wohl, daß die Tätigkeit gerade deutscher Wissenschaftler in Ländern, deren Verhältnis zu Israel außerordentlich gespannt ist, dort Bitterkeit und Erregung wachruft. Ministerpräsident Eshkol hat anerkannt, daß eine solche Tätigkeit von weiten Kreisen des deutschen Volkes verurteilt wird. In diesem Zusammenhang bedauert und mißbilligt die Bundesregierung jede Tätigkeit von Deutschen im Ausland, die zu einer Gefahr für den Frieden werden könnte. Ich füge dem hinzu, daß wir alle Möglichkeiten ausschöpfen werden, die dazu beitragen, dem israelischen Volke das Gefühl der Bedrohung durch Deutsche zu nehmen." Mit der Frage der deutschen Wissenschaftler in Ägypten drang auch das Thema „deutsche Waffenlieferungen an Israel" immer stärker an die Öffentlichkeit. Am 259
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel 15. Dezember 1964 wurde Bundeskanzler Erhard in einer Pressekonferenz ausführlich zu diesem Thema befragt. Das Problem der Palästina-Flüchdinge war durch den kurz vorher erfolgten Besuch König Husseins in Bonn erneut in den Vordergrund gerückt, so daß die deutsch-israelische Frage in immer stärkerem Maße in die Diskussion der deutschen und israelischen Öffentlichkeit geriet. Bundesaußenminister Gerhard Schröder war in der 149. Sitzung des Bundestages am 3. Dezember 1964 von dem SPD-Abgeordneten KarlMommer zum Thema der Aufnahme diplomatischer Beziehungen angesprochen worden. Frage und Antwort hatten folgenden Wortlaut: Frage Mommers: „Herr Minister, machen Sie sich Gedanken, wie es weitergehen soll in den Beziehungen zu Israel, wenn der Wiedergutmachungsvertrag ausläuft und die einseitigen Beziehungen, die durch diesen Vertrag geschaffen wurden, zum Ende kommen?" Antwort Schröders: „Ich meine, es liegt auf der Hand, daß wir uns darüber Gedanken machen. Ich will nicht ungebührlich der Zukunft vorgreifen. Aber ich bin der festen Überzeugung, daß sich beiderseits befriedigende Lösungen finden lassen. Lösungen müssen nicht immer hundertprozentige Lösungen sein. Es gibt auch Lösungen, die unter hundert Prozent sind und trotzdem befriedigend sein können. Ich halte es für ganz sicher, daß man zu befriedigenden Lösungen kommt." Bis zum Frühjahr 1965 verstärkten sich die Diskussionen immer mehr, die Fronten versteiften sich. Der sowjetzonale Regierungschef Walter Ulbricht war am 24. Februar auf Einladung des ägyptischen Staatschefs Nasser nach Kairo geflogen. Bonn sah in diesem Besuch eine Provokation gegenüber seiner Politik im Nahen Osten. Dieser Besuch Ulbrichts in Kairo muß im Zusammenhang mit dem Besuch des stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Scheljepin gesehen werden, der mit seinem Besuch in Kairo im Herbst 1964 zweifellos eine neue Phase des Ostblockeinflusses in den arabischen Staaten eingeleitet hatte. Moskau hatte Präsident Nasser weit über eine Milliarde DM an Krediten zugesagt und d a f ü r nicht n u r das Satellitendasein Nassers gegenüber dem Ostblock begründet, sondern in diesem Einzelfall offensichtlich auch versucht, die Zonenregierung diplomatisch hoffähig zu machen. Zur gleichen Zeit begannen wieder erneute umfangreiche russische Waffenlieferungen an die arabischen Staaten, und man geht wohl nicht fehl, wenn man in dem Besuch Scheljepins auch die Ursache für den Besuch Ulbrichts in Kairo sieht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Ägypter die deutschen Waffenlieferungen an Israel nicht weiter zur Kenntnis genommen. Bundestagspräsident Gerstenmaier war im Zuge der Überlegungen der Bundesregierung, eine „Nahost-Politik aus einem Guß" zu konzipieren, in Kairo gewesen. Wenn dieser Besuch auch „rein privaten Charakter" hatte, so muß hier doch festgestellt werden, daß Eugen Gerstenmaier in seinen Besprechungen alles versucht hat, um die Ägypter von der guten Gesinnung der Bundesregierung gegenüber den arabischen Staaten zu überzeugen. 260
12.2 Eine Erklärung der Bundesregierung zur Nahost-Frage — 7. März 1965 Sicher hat Eugen Gerstenmaierbei seinem Besuch in Kairo auch die Einstellung der Waffenhilfe an Israel erwähnt. Die Bundesregierung hat also schon zu diesem Zeitpunkt, noch vor dem Besuch Ulbrichts am 24. Februar 1965, alles unternommen, die arabischen Staaten aus der Einflußsphäre Moskaus und vor allem der sowjetzonalen Regierung herauszuhalten. Am 26. Februar, zwei Tage nach dem Ulbricht-Besuch in Kairo, hat dann die Bundesregierung an Ägypten jede weitere Wirtschaftshilfe eingestellt. Wie Staatssekretär Karl-Günther von Hase vor der Presse erklärte, werde sich die Bundesrepublik weitere politische Schritte vorbehalten. Es müsse damit gerechnet werden, daß diese Schritte sehr sorgsam abgewogen und nicht sofort als emotionelle Reaktionen auf den Ulbricht-Besuch erfolgen würden.
12.2 Eine Erklärung der Bundesregierung zur Nahost-Frage — 7. März 1965 Wenige Tage nach dem für die Bundesrepublik Deutschland recht dramatischen Schritt in Kairo, dem Ulbricht-Besuch und dem Umschwenken Ägyptens in die russische Einflußsphäre, hat die Bundesregierung all diese Gedanken noch einmal in einer ausführlichen Erklärung zusammengefaßt, die folgenden Wortlaut hat: Die Bundesregierung hat in mehreren Sitzungen eingehend die Nahost-Lage geprüft. Die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien des Deutschen Bundestages wurden unterrichtet. Die USA, Großbritannien und Frankreich wurden wegen ihrer besonderen Verantwortung f ü r Gesamtdeutschland konsultiert. Die Bundesregierung stellt fest, daß durch die Einladung Ulbrichts in die VAR und die jeden Deutschen provozierende Aufnahme, die er dort gefunden hat, die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der VAR auf das schwerste belastet wurde. Nach dem Besuch Ulbrichts müssen alle arabischen Staaten wissen, daß die Politik von Präsident Nasser die immer bewährte traditionelle Freundschaft zwischen der gesamten arabischen Welt und Deutschland zu stören oder sogar zu zerstören geeignet ist. Die Bundesregierung bedauert diese von Präsident Nasser eingeleitete Entwicklung, die dem kommunistischen Einfluß im arabischen Raum zunehmend freie Bahn gibt. Das deutsche Volk diesseits und jenseits der Zonengrenze erwartet, daß seine Lebensinteressen respektiert werden. Ulbricht ist der Repräsentant einer kommunistischen Minderheit, die hinter Mauer u n d Stacheldraht n u r mit Hilfe einer ausländischen Macht 17 Millionen unserer Landsleute unterdrückt. Dies ist der Regierung der VAR nicht unbekannt und sie hat vor allen Völkern, die durch das Selbstbestimmungsrecht zur Unabhängigkeit gelangt sind, dieses Unrecht gebilHgt. Es gibt n u r ein deutsches Volk. Nach seinem Willen ist die Regierung der Bun261
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
desrepublik Deutschland die alleinige Sachwalterin aller Deutschen. Alle unsere Verbündeten unterstützen nachdrücklich diesen Anspruch. Unsere diplomatischen Beziehungen zu 97 souveränen Ländern, die ihrerseits keine diplomatischen Beziehungen zur SBZ unterhalten, sind überzeugender Ausdruck dieses Tatbestandes. Nach sehr sorgfältiger P r ü f u n g der Gesamtlage und eingehender Erwägung aller möglichen Entwicklungen auch außerhalb der unmittelbaren deutschen Nahost-Interessen hat der Bundeskanzler entschieden: 1. Die Einladung und die A u f n a h m e Ulbrichts durch die Regierung d e r VAR ist von der Bundesregierung mit der Einstellung der Wirtschaftshilfe beantwortet worden. Das bedeutet, daß die Bundesrepublik sich nicht an dem zweiten ägyptischen Fünf-Jahres-Plan beteiligt. Sie nimmt auch nicht an den vorbereitenden Verhandlungen teil. Die Bundesrepublik gewährt der VAR keine weitere Kapitalhilfe und lehnt es ab, Ägypten einen neuen Plafond f ü r längerfristige staatlich verbürgte Kredite einzuräumen. Die laufenden Vorhaben werd e n zur Zeit — selbstverständlich unter Anwendung der Grundsätze des internationalen Rechts — einer Ü b e r p r ü f u n g unterzogen. 2. Dem in der sowjetischen Besatzungszone lebenden Teil des deutschen Volkes ist das selbstverständliche Recht jedes Volkes auf Selbstbestimmung durch ein Gewaltregime genommen. Eine Aufwertung dieser Zwangsherrschaft wird von der Bundesrepublik Deutschland als unfreundlicher Akt betrachtet und durch jeweils dem Einzelfall angemessene Maßnahmen beantwortet werden. 3. Die Bundesregierung strebt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel an. Dieser Schritt ist geeignet, zu einer Normalisierung der Verhältnisse beizutragen. Er richtet sich gegen keinen arabischen Staat. 4. Die Bundesregierung hat durch ihre Entscheidung, in Spannungsgebiete künftig keine Waffen mehr zu liefern, und eine Restlieferung im Einvernehmen mit Israel umzuwandeln, zu einer klaren Nahost-Politik einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Bundesregierung legt Wert darauf, in diesem Zusamm e n h a n g zu erklären, daß j e d e Einflußnahme auf ihre Politik in diesem Raum, insbesondere auch auf die Gestaltung ihres Verhältnisses zu Israel — von welchem Konfliktpartner der Nahost-Situation auch immer — zurückgewiesen wird. 5. Gemeinsam mit ihren Verbündeten, die wiederholt an die Mitverantwortung d e r Bundesrepublik Deutschland f ü r Ruhe und Frieden im Nahen Osten appelliert haben, wird die Bundesregierung durch ihre Anwesenheit um den Abbau von Spannungen bemüht bleiben.
12.3
Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel
In den ersten Märztagen des Jahres 1965 wurde Kurt Birrenbach von einer Informationsreise nach den USA vorzeitig zurückgerufen. Bundeskanzler Ludwig 262
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel Erhard sandte ihn nach verschiedenen Gesprächen, an denen Außenminister Gerhard Schröder, Verteidigungsminister von Hassel, Minister Heinrich Krone und die Staatssekretäre Carstens und von Hase sowie am Vorabend der Abfahrt auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel, teilgenommen hatten, am 7. März nach Israel, um dort das T h e m a der Ablösung der Waffenhilfe und die Frage der Einleitung diplomatischer Beziehungen zu beraten. In den Vereinigten Staaten hatte Kurt Birrenbach bereits mit politischen Persönlichkeiten im State Department, im Weißen Haus, im Kongreß sowie mit Vertretern amerikanischer jüdischer Organisationen über die Nahost-Frage und das deutsch-israelische Verhältnis Informationsgespräche geführt. Am Morgen nach seiner Ankunft wurde er von Israels stellvertretendem Verteidigungsminister Shimon Peres und dem früheren Leiter der Israel-Mission, Felix E. Shinnar, aufgesucht, die von ihm hören wollten, wie sein Auftrag laute, was er verhandeln wolle. Es kam zu keinem ergiebigen Gespräch, da der Auftrag Kurt Birrenbachs direkt an den israelischen Ministerpräsidenten LeviEshkol ging. Die beiden Herren begleiteten ihn nach Jerusalem zum israelischen Ministerpräsidenten. Dort fand eine kurze interne Besprechung dieser israelischen Politiker statt. Dann wurde Birrenbach hereingebeten und übergab sein Schreiben, das ihm der Bundeskanzler mit auf den Weg gegeben hatte. Es enthielt lediglich das Agrément f ü r seine Mission. An der Verhandlung nahmen von israelischer Seite der israelische Ministerpräsident Levi Eshkol, die Außenministerin Frau Golda Meir, Shimon Peres, der Generalsekretär Levavi, der Leiter der Westeuropa-Abteilung im israelischen Außenministerium, Zeev Sheck, und Botschafter Shinnar teil. Birrenbach entwickelte die Grundlinien seiner Mission: Liquidierung des Waffenabkommens u n d Einleitung diplomatischer Beziehungen mit Israel, zunächst durch Errichtung eines Generalkonsulats. Birrenbach erläuterte die Entwicklung der Nahost-Politik der Bundesregierung im Verlaufe der letzten Wochen und Monate, da sie in Israel vielfach mißdeutet wurde. Er verwies auf den Beschluß des Bundestages, außerhalb der N A T O keine Waffen in militärische Spannungsgebiete zu schicken und bemühte sich, seinen Gesprächspartnern klarzumachen, daß bei einer Weiterführung der Waffenhilfe die Bundesrepublik Gefahr laufe, daß eine Reihe der arabischen Staaten, möglicherweise zusammen mit anderen Staaten der dritten Welt, die SBZ anerkennen würden. Auf diese Weise drohe ein „Dammbruch", welcher jeder weiteren Deutschland-Politik den Boden entziehen könne. Die innen- wie außenpolitischen Konsequenzen einer solchen Entwicklung könnten nicht im wohlverstandenen Interesse Israels liegen. Auch die drei westlichen Großmächte legten entscheidenden Wert darauf, daß die Bundesrepublik diplomatisch aus dem Nahen Osten nicht eliminiert würde. Die Darstellung stieß auf eindeutigen Widerstand. Die israelische Seite wies daraufhin, daß diese Politik einseitig die arabischen Staaten auf Kosten Israels begünstige. Es kam zu harten Verhandlungen, in deren Verlauf eine Ablösung des 263
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
Waffenabkommens von israelischer Seite abgelehnt wurde, zumal sich die israelische Regierung auf diese Entscheidung schon gegenüber der Knesset festgelegt habe. Im Verlaufe der Verhandlungen über die Einleitung diplomatischer Beziehungen erklärte Kurt Birrenbach, die Bundesregierung hoffe, daß man nach Errichtung eines Generalkonsulats in Israel eine vorher festzulegende Zeit dazu benutzen werde, um bis zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen so weit mit den Arabern ins Gespräch zu kommen, daß sie Verständnis zeigen würden und nicht in das Lager der Ostblockstaaten und der sowjetischen Besatzungszone abschwenkten. Während der Verhandlung übergab einer der israelischen Verhandlungspartner dem deutschen Unterhändler plötzlich ein Telegramm, das das Auswärtige Amt ihm nachgesandt hatte. Es enthielt die Erklärung, die im Namen der Bundesregierung noch am Sonntag, dem 7. März 1965, dokumentiert worden war (Text s. S. 262). Nach der Abreise Kurt Birrenbachs hatte der Bundeskanzler mit dem Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel, konferiert, der von der amerikanischen Haltung zu dieser Frage und vor allem der Vertreter jüdischer Organisationen in den Vereinigten Staaten ein anderes Bild entwarf, als es Kurt Birrenbach aus den USA mitgebracht hatte. Entscheidend war der Punkt 3: „Die Bundesregierung strebt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel an. Dieser Schritt ist geeignet, zu einer Normalisierung der Verhältnisse beizutragen. Er richtet sich gegen keinen arabischen Staat." Kurt Birrenbach bat um eine Unterbrechung der Beratungen und telefonierte direkt mit Staatssekretär Carstens, der ihm das Telegramm bestätigte. Der Weg war frei, volle diplomatische Beziehungen anzubieten. Die Verhandlungen erstreckten sich dann über den Gegenstand der ursprünglichen Mission hinaus auf Fragen, die generell die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel berührten. Das gilt insbesondere f ü r die Frage der Verlängerung der Verjährung für Kriegsverbrechen und die Arbeit deutscher Wissenschaftler an der Raketenentwicklung in Ägypten. Nach zwei Tagen flog Kurt Birrenbach am 10. März zur Berichterstattung nach Bonn zurück.
12.3.1
Die Entscheidung ist gefallen — Die diplomatischen Beziehungen werden
aufgenommen
Während Birrenbach nach seiner ersten Verhandlungsrunde in Bonn weilte, gab Israels Ministerpräsident Levi Eshkol zur Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland eine Erklärung ab, die die Empfehlung enthielt, diese Beziehungen zu billigen. Für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik stimmten 66, dagegen 29 israelische Abgeordnete. Vorher war ein Antrag der rechtsoppositionellen Heruth be264
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel handelt worden, das T h e m a der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik zu einer Volksbefragung zu machen. 83 Abgeordnete stimmten gegen diesen Antrag, 16 dafür. Die Erklärung Eshkols vor dem israelischen Parlament hatte folgenden Wortlaut: „Am 7. März gab die Bundesregierung Deutschland ihren Beschluß bekannt, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen. Am gleichen Tage übersandte Bundeskanzler Erhard einen Sonderbeauftragten nach Jerusalem, um mit uns einige zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland noch offenstehende Probleme zu beraten. Am 14. März beschloß die Regierung, das Angebot der Bundesrepublik Deutschland, alsbaldige diplomatische Beziehungen mit Israel herzustellen, anzunehmen. Ich habe die Ehre, diesen Beschluß der Knesset zur Kenntnis zu bringen. Der Entschließung der Bundesregierung Deutschland gingen schwerwiegende Entwicklungen voraus, die das Problem der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in aller Schärfe an uns herantrugen. Zu einer Zeit, da wir uns noch in der tiefgreifenden Auseinandersetzung über die Frage der Wissenschaftler befinden und alles tun, um die Vergebung deutschen militärtechnischen Wissens an die Feinde Israels zu verhindern, und zu einer Zeit, da zwischen dem jüdischen Volk und Deutschland eine Auseinandersetzung in bezug auf die Verjährung von Nazi-Verbrechen geführt wurde, erschütterte uns die Entschließung der deutschen Regierung, Verpflichtungen ein Ende zu setzen, die sie in verschiedenen Sicherheitsangelegenheiten auf sich genommen hatte. Die Katastrophe, die das jüdische Volk in der Nazizeit getroffen hat, versieht jede Handlung oder Unterlassung von deutscher Seite, die geeignet ist, die Stellung des Staates Israel oder die Gefühle des jüdischen Volkes zu verletzen, mit einer ganz besonderen Bedeutung. Wir haben mit unserer Kritik nicht zurückgehalten, wann immer wir mit einer solchen Beurteilung konfrontiert waren. Andererseits haben wir nie die H o f f n u n g aufgegeben, daß Deutschland sich vor der gesamten Welt von dem schrecklichen Erbe der Vergangenheit befreit und ein neues Fundament für seine Beziehungen zu Israel und demjüdischen Volk legen wird. Unsere Gesamtbeziehungen mit Deutschland während der letzten Jahre enthalten auch die historische Rechnung, die uns sowohl zu einer besonderen Strenge als auch zur Erwartung einer Zukunft verpflichtet, die von der schrecklichen Vergangenheit von Grund auf verschieden ist. Diese abgewogenen Politik war das Gebot d e r Zeit. Es ist klar, daß der tiefgehende Dialog zwischen dem israelischen Volk und dem deutschen nicht in einem Vakuum, losgelöst von anderen Faktoren, geführt wird. Der Dialog wird in besonderem Maße beeinflußt durch Erwägungen und Verhältnisse, deren Ursprung der Nahe Osten ist. Zu einer Zeit, da in Deutschland einflußreiche Kräfte erkennbar wurden, die einen Weg der Sühne f ü r die blutige Tragödie, die sich zwischen die beiden Völker gelegt hat, suchten und die unter anderem forderten, daß eine Verständigung und eine Annäherung an Israel im Gefühl der historischen Verantwortung 265
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel geschaffen werden möge, verstärkten die arabischen Regierungen ihren Druck auf Deutschland, um die Erfüllung dieser Pflicht gegenüber Israel und dem jüdischen Volk zu verhindern. Nicht immer fand Deutschland die politische und moralische Kraft, sich diesem Druck zu widersetzen. Noch bevor es sich der arabischen Erpressung in der Frage der Sicherheitszusagen unterwarf, gestattete es dem arabischen Druck, auf seine Haltung in der Frage der diplomatischen Beziehungen mit Israel einzuwirken. Das geschah auf Grund eines erklärten Nachgebens gegenüber den Erpressungen und den Drohungen des ägyptischen Staatspräsidenten gegenüber der Bundesrepublik. Die Regierung, die Knesset und das israelische Volk brachten die Ablehnung und ihren Protest in nachdrücklicher, würdevoller und abgewogener Form gegenüber dem deutschen Volk und den Völkern der Welt zum Ausdruck. Wir weigerten uns, den Vorschlag anzunehmen, eine Entschädigung zu empfangen, die nicht der grundsätzlichen Fragestellung Rechnung trägt, die sich zwingend aus der Gesamtsituation ergibt. In unseren Augen fand sich Deutschland vor eine historische Prüfung gestellt, in der es die moralische Verpflichtung zu tragen hat, seinen Willen zu demonstrieren und zu beweisen, sich von den dunklen Schatten des Naziregimes zu befreien. Unter diesen Umständen sagte ich in der Knesset am 15. Februar: ,Die gesamte aufgeklärte Menschheit neigt mit Recht dazu, Deutschland nach dem Maße zu beurteilen, in dem es durch seine Taten im Bereich seiner Beziehungen zu Israel und zum jüdischen Volk die schwere Bürde der Vergangenheit von sich abschüttelt. So ist es natürlich, daß man die Politik Deutschlands Israel gegenüber als einen Prüfstein f ü r das Bestreben Deutschlands ansieht, sich in der Familie der Nationen als Element der Stabilität, der Sicherheit und des Weltfriedens einzugliedern.' Hohes Haus, die Regierung hatte einige Male Gelegenheit, von dieser Stelle aus die Politik zu erläutern, die sie gegenüber Deutschland führte. Diese Politik steht unter dem Einfluß bitterer und schwerer Erinnerungen der Vergangenheit. Am 21. Dezember 1964 sagte ich in einem Interview, das im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde: ,Ich nehme an, die Deutschen werden verstehen, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel angesichts des tiefen Abgrundes, den der Völkermord zwischen uns gelegt hat, eine Angelegenheit ist, in der die Einmischung der Araber nicht geduldet werden kann. Es besteht kein Zweifel, daß eine übertriebene Rücksicht auf die bösartige Einstellung der Araber die deutsche Regierung in den letzten Jahren davon abgehalten hat, Israel die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorzuschlagen. Während des letzten Jahrzehnts hat die Bonner Regierung sich bei nicht wenigen Anlässen mit der Frage solcher Beziehungen befaßt und ist auf Grund dieser Erwägungen zurückgewichen. Was die Haltung der israelischen Regierung anlangt, so war sie klar und offen. Wir erklärten: Es obliegt Deutschland, die Initiative zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel zu ergreifen. Es ist die Sache Israels, dieses Anliegen sorgfältig zu prüfen, sobald es vorgebracht wird.' Den Vorschlag, den uns der Beauftragte des Bundeskanzlers Erhard überbracht hat, hat einen doppelten Wert. Es ist ein wichtiger politischer Vorschlag 266
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel von großem Gewicht. Unter den Bedingungen von Zeit und Ort ist er ein bedeutungsvolles Beispiel f ü r den Widerstand gegen den erpresserischen Druck unserer Nachbarn, die sich vermessen, andere Staaten mit den Gefühlen böswilliger Feindschaft gegen Israel anstiften zu wollen. Wenn wir uns nun anschicken, den deutschen Vorschlag zu würdigen und unsere Haltung ihm gegenüber festzulegen, so können wir nichts von regionalen u n d internationalen Gegebenheiten abstrahieren, unter denen er zustande gekommen ist. Der Zeitpunkt ist durch eine einzigartige Konstellation von Umständen gekennzeichnet. Wir dürfen ihn weder versäumen noch aufschieben. Hier möchte ich sagen, daß in dem Maße, in dem wir uns darum bemüht haben, unsere Verbindungen mit dem neuen Europa zu vertiefen, wir durch das große Gewicht beeindruckt worden sind, das Deutschland innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einnimmt. Wir sind bestrebt, die Position Israels in dem Geflecht des neuen Europas zu stärken. Zugleich erfordert die Notwendigkeit, zum Widerstand gegen den erpresserischen Druck unserer Nachbarn aufzurufen, von uns eine positive und klare Entscheidung. Morgen wird Dr. Birrenbach, der Sonderbeauftragte Bundeskanzler Erhards, nach Israel zurückkehren, um die Verhandlugnen abzuschließen, die vor zehn Tagen begonnen wurden. Parallel zur Regelung der Frage der diplomatischen Beziehungen wird der Beauftragte mit uns über den Komplex der Probleme beraten, über die beide Regierungen ihren Willen, zu einem gegenseitigen Einverständnis zu gelangen, kundgetan haben. Es besteht Anlaß zu der Hoffnung, daß es uns gelingen wird, zu einer vereinbarten Lösung zu gelangen. Ich bin mir bewußt, daß die Entscheidung, die wir heute zu fällen haben, keine gewöhnliche ist. Sie ist anders geartet als eine Entscheidung über die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit j e d e m anderen Staate. Wir alle befinden uns in einem Zwiespalt zwischen Gefühl und Gedanken. Die Rechnung des Gewissens u n d der Geschichte, die in der Judenkatastrophe wurzelt, sich außerhalb des Rahmens der politischen Handlung befindet, sogar diese Rechnung, die in der Tiefe des Gefühls nichj ihresgleichen hat, kann uns nicht davon befreien, die zentrale und entscheidende Bestimmung zu erfüllen, die uns in dieser Generation auferlegt ist — den Staat Israel zu festigen. Die Vergangenheit des Volkes, seine Gegenwart und seine Zukunft, erheischen von uns, den Staat materiell und geistig zu stärken, damit er die Prüfungen bestehen kann, die vor ihm liegen. Uns obliegt auch die heilige Pflicht, dem Staat einen sicheren Platz im Schöße der Völkerfamilie zu sichern. Gerade die Erinnerungen an die Schwäche und die Ohnmacht, die aus den Zeiten der Zerstörung und der Leiden unserer Geschichte hervorsteigen, verpflichten uns, jede Gelegenheit zu ergreifen, unsere Feinde zu schwächen und ein starkes Fundament f ü r den Fortbestand des jüdischen Volkes in seiner Heimat zu sichern. Ich bin sicher, daß auf der Waage des Gedankens und des Gefühls der Wunsch nach Stärkung des Staates und seiner Festigung den Ausschlag geben wird."
267
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel 12.3.2
Die weiteren
Verhandlungen
Am 17. März kehrte Birrenbach nach Jerusalem zurück, diesmal in Begleitung einer Sekretärin und eines Chiffrierbeamten. Im Vordergrund der zweiten Verhandlungsrunde stand die Frage der Ablösung des Waffenabkommens und die Aushandlung der einzelnen Bedingungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Bei dieser Frage ging es wesentlich darum, ob der Sitz der künftigen deutschen Botschaft Jerusalem oder Tel Aviv sein sollte. Auch um die Fragen der Arbeit deutscher Wissenschaftler in Ägypten und der Verlängerung der Verjährung von Kriegsverbrechen wurde gerungen. Im Laufe der Verhandlungen warf die israelische Seite überraschend ein neues Problem auf: die Wirtschaftshilfe der Bundesrepublik für Israel. Diese Frage wollte die Bundesregierung nicht in Jerusalem verhandeln, sondern im zeitlichen Abstand nach Beendigung der jetzigen Verhandlungen in Bonn. Dennoch bestand die israelische Delegation, die diesmal von dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und heutigen israelischen Außenminister Abba Eban geführt wurde, auf der Verhandlung über gewisse Rahmenbedingungen f ü r eine solche Hilfe. Auch diese zweite Gesprächsrunde wurde von israelischer Seite mit großer Zähigkeit geführt, so daß die am 23. März endende Verhandlungswoche keine endgültigen Fortschritte brachte. Vor allem wurden die wirtschaftlichen Forderungen der israelischen Regierung mit großem Nachdruck vorgetragen. Am Ende dieser zweiten Verhandlungsrunde legte die israelische Regierungsdelegation dem deutschen Gesprächspartner ein Papier zur Unterzeichnung vor, in dem alle Besprechungspunkte in Form eines Aide-mémoire festgelegt waren. Nach langwierigen Verhandlungen über dieses Dokument sah Birrenbach keine Möglichkeit, dem Wunsch der israelischen Regierung nachzukommen. Aus dem Gespräch über die endgültige Ablösung der Waffenhilfe war ein Paket mit vielen Verhandlungsthemen geworden. Kurt Birrenbach flog zum zweiten Mal nach Bonn zurück, um in der immer schwieriger gewordenen Verhandlungssituation noch einmal der Bundesregierung einen Zwischenbericht abzugeben. Nach den Beratungen mit der Bundesregierung fand eine Besprechung zwischen Kurt Birrenbach, unterstützt durch den Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Ministerialdirektor Meyer-Lindenberg, und dem Beamten der Israel-Mission, Arbel, im Auswärtigen Amt in Bonn statt, in deren Verlauf der deutsche Standpunkt zu allen einschlägigen Fragen schriftlich festgelegt wurde. Arbel legte dieses Dokument seiner Regierung in Jerusalem vor. Am 6. April flog Kurt Birrenbach zum dritten und letzten Mal im Rahmen seines Auftrages nach Israel. Diesmal gab ihm Staatssekretär Karl Carstens den Leiter der Unterabteilung Entwicklungshilfe im Auswärtigen Amt, Ministerialdirigent Rolf Pauls, zur Unterstützung mit. Bei seiner Rückkehr nach Israel fand Kurt Birrenbach zunächst eine veränderte Verhandlungsatmosphäre vor. Die israelische Regierung zeigte ihre Enttäuschung über das Ergebnis der inzwischen im Deutschen Bundestag abgelaufe268
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel nen Verjährungsdebatte, die nach ihrer Meinung nur eine Aufschiebung von vier bis fünf Jahren, nicht aber eine endgültige Aufhebung der Verjährungsfristen gebracht hatte. Darüber hinaus gab die israelische Regierung ihrem Unwillen Ausdruck über das Dokument, das Arbel in Bonn übergeben worden war. Auch die Frage eines direkten Eingreifens der Bundesregierung gegenüber den deutschen Wissenschaftlern in Ägypten mußte aus rechtsstaatlichen Erwägungen als unmöglich angesehen werden. Das stieß ebenfalls in Israel nicht gerade auf eine positive Reaktion. Dennoch gelang es, in der Frage der Ablösung der Waffenhilfe schließlich nach schwerem Ringen in langwierigen Verhandlungen eine prinzipielle Einigung zu erreichen. Bei den Verhandlungen über die Wirtschaftshilfe einigte man sich über einige Grundfragen, die künftig anzuwendende Verhandlungsprozedur und den Zeitpunkt des Beginns solcher Verhandlungen in Bonn. Birrenbach konnte Israel am 14. April mit dem Gefühl verlassen, daß alle Probleme, die in einer Verhandlung in Israel lösbar waren, eine Regelung gefunden hatten. Im Sinne der Bundesregierung hatte er damals auch bereits Israel eine Erweiterung des Handelsaustausches mit den EWG-Staaten zugesagt. Auch bei d e r dritten Gesprächsrunde wurde die Frage einer schriftlichen Fixierung der Verhandlungsergebnisse immer wieder von israelischer Seite vorgebracht. Von deutscher Seite wurde das abgelehnt. Das schriftliche Ergebnis der schwierigen, dennoch aber sehr positiven Verhandlungen, die viel Mißtrauen beseitigen halfen, sind zwei Briefe, die am 12. Mai 1965 zwischen dem Chef der Israel-Mission in Köln, FelixE. Shinnar, und dem damaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard im Palais Schaumburg ausgetauscht wurden. Sie besiegelten den neuen Status. An der Unterredung nahmen Staatssekretär Lahr und Kurt Birrenbach teil. Shinnar übergab dem Bundeskanzler das Schreiben des israelischen Ministerpräsidenten. Die Öffentlichkeit e r f u h r den Inhalt am 13. Mai, als um 16.00 Uhr in Jerusalem und Bonn in einem gemeinsamen Kommunique die Schreiben veröffentlicht wurden. Das Kommunique hat folgenden Wortlaut: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer ihr von dem Bundespräsidenten erteilten Ermächtigung und die israelische Regierung sind übereingekommen, zwischen ihren beiden Ländern diplomatische Beziehungen aufzunehmen." Das Schreiben von Bundeskanzler Ludwig Erhard an den israelischen Ministerpräsidenten Lew Eshkol lautet: „Bonn, den 12. Mai 1965 Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Die Haltung der Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit beweist, daß sie sich'der besonderen Lage d e r Deutschen gegenüber den J u d e n in aller Welt einschließlich Israel bewußt ist. Es erfüllt mich mit Genugtuung, daß eine Eini269
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gung über den Austausch voller diplomatischer Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern erzielt worden ist. Mit Befriedigung stelle ich ferner fest, daß es gelungen ist, die aus früheren Vereinbarungen mit Israel über Waffenlieferungen noch ausstehenden Restlieferungen in gegenseitigem Einvernehmen umzuwandeln. Die Bundesregierung ist bereit, in naher Zukunft, das heißt in etwa zwei bis drei Monaten, in Gespräche mit der israelischen Regierung über künftige wirtschaftliche Hilfe einzutreten. Was die Frage der Tätigkeit deutscher Fachleute im Ausland angeht, so ist ein großer Teil der deutschen Wissenschaftler, Techniker und Experten, die im militärischen Bereich in Ländern außerhalb der N A T O tätig waren, während der letzten Monate nach Deutschland zurückgekehrt. Die Bundesregierung hat Grund zu der Annahme, daß ein weiterer Teil der noch verbliebenen Experten, vor allem derer, die im Raketenbau beschäftigt sind, gleichfalls die Absicht hat, in nächster Zeit nach Deutschland zurückzukehren. Die deutschen Behörden gehen mit den gesetzlich d a f ü r vorgesehenen Mitteln gegen solche Personen vor, die deutsche Staatsangehörige ohne Erlaubnis zur Aufnahme einer wissenschaftlichen, technischen oder Sachverständigentätigkeit im militärischen Bereich ins Ausland abzuwerben suchen. Ich hoffe, daß die von unseren beiden Regierungen getroffene Entscheidung über die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen den Weg in eine glücklichere Zukunft d e r Beziehungen unserer beiden Völker ebnen wird. Mit dem Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung Ludwig Erhard" Das Schreiben des israelischen Ministerpräsidenten LeviEshkol an Bundeskanzler Ludwig Erhard: „Jerusalem, den 12. Mai 1965 Sehr geehrter H e r r Bundeskanzler! Ich danke Ihnen f ü r Ihren Brief vom 12. Mai 1965, in dem Sie die in den letzten Wochen geführten Verhandlungen rückschauend würdigen. Von der Entscheidung der israelischen Regierung, Ihr durch Ihren Sonderbeauftragten Dr. Kurt Birrenbach übermitteltes Angebot vom 8. März 1965, volle diplomatische Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu eröffnen, anzunehmen, sind Sie bereits unterrichtet worden. Unsere beiden Regierungen haben ihre Entscheidung vor einem düsteren geschichtlichen und einem stürmischen politischen Hintergrund getroffen. Ich teile Ihre H o f f n u n g , daß sich unsere gemeinsame Entscheidung als ein wesentlicher Schritt in eine bessere Zukunft erweisen wird. Ich teile auch Ihre Auffassung, wie bedeutsam es ist, daß wir f ü r die in Ihrem Brief als ausstehend erwähnten Angelegenheiten eine Lösung gefunden haben. Die Ausführungen Ihres Briefes zur Frage der Wissenschaftler nehme ich zur Kenntnis und gebe meiner H o f f n u n g Ausdruck, daß die Einstellung und die Absichten, die Sie in Ihrem Brief in Einklang mit f r ü h e r von Ihnen abgegebenen 270
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel Erklärungen zum Ausdruck bringen, die rasche Erledigung dieser Angelegenheit bewirken werden. Aus u n s e r e m f r ü h e r e n Briefwechsel ist I h n e n gewiß klar, welche B e d e u t u n g ich immer d e r Frage der A u f h e b u n g der Verjährungsfrist, die verständlicherweise f ü r u n s ein Gegenstand tiefer Sorge bleiben wird, beigemessen habe. Ich bin mir d e r Tatsache bewußt, sehr g e e h r t e r H e r r Bundeskanzler, d a ß es Ihrer persönlichen Initiative u n d Entschlossenheit zuzuschreiben ist, daß wir an dieser bedeutsamen Wegmarke in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern eine befriedigende Lösung g e f u n d e n haben. Mit d e m Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung Levi Eshkol"
12.3.3
Ein Gespräch mit Kurt
Birrenbach
Zu diesem wichtigen Kapitel haben zwei beteiligte Persönlichkeiten d e r Bundesrepublik Deutschland Stellung g e n o m m e n : Zunächst hatte ich mit Dr. h. c. Kurt Birrenbach am 13. Nov. 1980 ein umfangreiches Gespräch über all die Probleme seiner Mission u n d die d a r a n angrenzenden Fragen. Es bestätigt die Einzelheiten dessen, was ich in diesem Kapitel bereits geschrieben hatte, aber gerade diese Einzelheiten sind es, die h i e r h e r gehören. Deshalb soll hier d e r Wortlaut dieses Gespräches widergegeben werden: Frage: H e r r Dr. Birrenbach, es ist jetzt 15 J a h r e her, seit die diplomatischen Bezieh u n g e n mit Israel a u f g e n o m m e n wurden. Damals erhielten Sie den A u f t r a g von H e r r n Bundeskanzler Prof. Dr. Erhard, nach Jerusalem zu gehen, u m diese Fragen zu besprechen, war ja das H a u p t t h e m a , die Ablösung d e r deutschen Waffenlieferungen des Abkommens, das damals zwischen Shimon Peres u n d Verteidigungsminister Strauß geschlossen war. Darin gab es eine Klausel, daß bei Bekanntwerden dieser Waffenlieferungen d a n n das Ding zu Ende ist, dieser Vertrag annulliert ist, u n d zwar automatisch. Mit diesem Auftrag, diese Dinge zu klären, sind Sie nach Israel entsandt worden. Aber was passierte während I h r e r Reise? Antwort: Angesichts des komplexen Charakters dieser Situation, die mir bekannt war, habe ich H e r r n Erhard erklärt, bevor ich nach Israel f ü h r e , müßte ich zunächst in die Vereinigten Staaten fliegen, u m mich bei d e n dort entscheidenden Persönlichkeiten über die Lage im Mittleren Osten zu informieren. Ich habe das getan u n d habe von Seiten p r o m i n e n t e r Persönlichkeiten in einer Weise eine Unterstützung erhalten, wie ich sie kaum erwarten d u r f t e . Gegenstand der Besprechungen war einmal die Frage, daß wir diplomatische Beziehungen mit Jerusalem a u f n e h m e n würden, u n d zweitens, wie wir es mit d e r Ablösung des Waffengeschäfts machen könnten. Selbstverständlich war mir klar, daß es f ü r Israel eine außergewöhnlich schwere Belastung wäre, wenn die deutschen Waffenlieferungen praktisch von einem T a g e zum a n d e r e n sistiert würden. Es gab einen Kabi271
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel nettsbeschluß vom 14.2.1964, wonach die Regierung beschlossen hatte, keine Waffen mehr in Spannungsgebiete zu liefern. Als Spannungsgebiet sah man auch den Mittleren Osten an. Dazu trat die Sorge, daß eine Reihe der arabischen Staaten diplomatische Beziehungen mit der DDR aufnehmen würden, wenn wir die Waffenlieferungen fortsetzen würden. Die Verhandlungen, die ich in den Vereinigten Staaten g e f ü h r t habe, erwiesen sich als erfolgreich. Man hatte Verständnis f ü r den Doppelcharakter meiner Mission und hat mir dann Wege an Hand gegeben, die es mir ermöglichten, meine Verhandlungen später in Israel mit Erfolg zu führen. Ich bin dann nach Bonn auf einen Anruf von H e r r n Ministerialdirektor Holtmann vorzeitig zurückgekehrt. Glücklicherweise hatte ich aber die wichtigsten meiner Besprechungen abgeschlossen, insbesondere aber hatte ich — darauflegte ich besonderen Wert—, auch mit einer Reihe führender jüdischer Persönlichkeiten in den Vereinigten Staaten gesprochen. Ich hatte diesen das Problem dargelegt und sie gefragt, ob sie Verständnis d a f ü r hätten, wenn wir die Frage der A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen nicht isoliert behandelten. Bis auf eine einzige Persönlichkeit hatten alle meine jüdischen Gesprächspartner in den Vereinigten Staaten hierfür Verständnis. Ich hatte ihnen erklärt, wenn wir diplomatische Beziehungen mit Israel aufnähmen und die Waffenlieferungen fortsetzten, gleichzeitig aber zehn oder mehr arabische Staaten diplomatische Beziehungen mit der DDR aufnähmen, dann sei die Lösung der gesamtdeutschen Frage in Gefahr. Da ich aber Weimar erlebt hätte, möchte ich nicht, daß mit der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit Israel gleichzeitig der Zusammenbruch der Deutschland-Politik verbunden sei. Diese Gefahr würde die Verhandlungen, insbesondere unsere künftigen Beziehungen mit Israel, belasten. Das wäre dann eine unvermeidliche Tatsache, aber diese Konsequenz möchte ich auf alle Fälle vermeiden. Ich hielte die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen f ü r eine essentielle und unter allen Umständen durchzuführende Sache. Wir müßten das nur mit einem gewissen Geschick machen, um praktisch die katastrophalen anderen Konsequenzen zu vermeiden. Frage: Herr Dr. Birrenbach, das war ja nicht ganz der Beginn des Problems, Sie waren ja schon f r ü h e r in den Vereinigten Staaten gewesen, Sie hatten schon früher Gespräche mit Herrn von Brentano und anderen hier in Bonn geführt. Dr. von Brentano wollte ja auch einen step-by-step-Beginn machen mit einem Generalkonsulat undsoweiter. Haben Sie damals schon mit den Herren zusammengewirkt? Antwort: Ich habe mit den von Ihnen genannten Herren zusammengewirkt, aber dieses spezielle Problem mit ihnen nicht besprochen. Der Auftrag, nach Israel zu gehen, der mir von Herrn Bundeskanzler Erhard gegeben worden ist, war für mich überraschend. Ich betrat also insoweit bisher zu einem gewissen Grade Neuland. Natürlich waren mir die politischen Verhältnisse im Mittleren Osten bekannt. Ich hatte aber keinerlei persönliche Kontakte zu Israel. Frage: Als Sie nun ankamen in Israel, was geschah dann? Antwort: Als ich in Israel ankam, erwartete mich eine riesige Volksmenge. Alle er272
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurl Birrenbach in Israel klärten begeistert, sie gratulierten mir zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe ihnen erklärt, zunächst einmal sei ich nicht bereit, wie es gewünscht würde, eine Pressekonferenz abzuhalten. Mein Auftrag ging dahin, mit dem Ministerpräsidenten Eshkol zu sprechen. Mit diesem würde ich über den Gesamtkomplex meines Mandates verhandeln. Dieses wäre aber weitergespannt und nicht auf das Problem der diplomatischen Beziehungen beschränkt. Inwiefern es weiter gespannt sei, habe ich nicht erklärt. Ich kam in das Gästehaus der israelischen Regierung und wurde am nächsten Morgen, 8.00 Uhr, von Herrn Peres und H e r r n Shinnar abgeholt. Beide Herren versuchten, von mir zu erfahren, warum ich nicht bereit sei, eine Äußerung über die Frage der diplomatischen Beziehungen abzugeben. Ich habe es deswegen nicht getan, um nicht den Zusammenhang der Einleitung diplomatischer Beziehungen und der Ablösung von Waffenlieferungen vor dem Vortrag des mir von Bundeskanzler Erhard gegebenen Auftrages dritten Persönlichkeiten zur Kenntnis zu geben. Ich war der Meinung, daß f ü r meine Unterredung mit Herrn Ministerpräsidenten Eshkol dies selbst gelte f ü r eine Persönlichkeit, wie die des damaligen Verteidigungsministers Peres. Es ist mir also gelungen, bis zur Ankunft in Jerusalem über die Thematik meines Auftrages zu schweigen. Als wir im Ministerpräsidium in Jerusalem ankamen, baten Herr Peres und Herr Shinnar, sie möchten zunächst Herrn Eshkol allein aufsuchen. Nachdem ich 10 Minuten gewartet hatte, wurde ich hereingerufen. Ich wurde empfangen von Herrn Eshkol, der Außenministerin Frau Meir, Herrn Peres, Herrn Staatssekretär Shek und einigen anderen Persönlichkeiten. Die Frage, die mir gestellt wurde, war die: Was sind nun die Absichten der deutschen Regierung? Niemand sprach zunächst darüber, daß offenbar vorher, nach meiner Abreise, etwas geschehen war, was mir nicht bekannt war, worauf ich gleich zu sprechen komme. Ich erklärte dann, was die Absicht der Bundesregierung sei, ohne zu erwähnen, daß ich mir vorher in den Vereinigten Staaten eine Rückenstütze geholt hatte. Ich erklärte, die Bundesregierung sei bereit, diplomatische Beziehungen zu Israel in zwei Etappen zu akzeptieren. In der ersten Etappe würden wir versuchen, mit den arabischen Nationen zu einer Regelung zu kommen. Nach der Mitteilung, die uns vorlag, bestände die Gefahr, daß a u f g r u n d der Waffenlieferungen an Israel, die inzwischen bekannt geworden seien, eine Reihe arabischer Staaten diplomatische Beziehungen zu der DDR a u f n e h m e n würden. Gleichzeitig würde ich ein Datum angeben, zu dem diplomatische Beziehungen definitiv eröffnet würden. In der Zwischenzeit würden wir uns bemühen, mit den arabischen Staaten zu einer Einigung zu kommen. Die Frist, die ich für die Einleitung voller diplomatischer Beziehungen nannte, betrug 6 Monate. Wir wären sofort bereit, ein Generalkonsulat in Israel zu eröffnen. Falls innerhalb der 6 Monate nach der E r ö f f n u n g des Generalkonsulats eine Einigung mit den anderen Staaten nicht möglich sein sollte, würde automatisch anstelle des Generalkonsulats eine Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Israel eröffnet. Darauf erklärte mir Frau Meir, die Außenministerin Israels, eine biblische Persönlichkeit, die auf mich großen Eindruck gemacht hatte, die arabischen Nationen seien über 273
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
diese Frage bereits orientiert. Sie rechneten damit, daß die Waffenlieferungen eingestellt würden. Ich erklärte darauf, die arabischen Staaten könnten damit nicht gerechnet haben, d e n n das sei ihnen vom Außenministerium noch nicht erklärt worden. Frau Meir erwiderte, das sei geschehen. Sie hätten genaue Nachrichten darüber. Darauf erklärte ich meinen Verhandlungspartnern, wenn das der Fall sei, d a n n würde das bedeuten, daß meine Mission, die auf einem Doppelmandat bestände, praktisch nicht dem entspräche, was ich akzeptiert hätte. Ich sei ein unabhängiger Mann. Ich hätte Deutschland 1939, bedingt d u r c h die damalige Devisengesetzgebung, nicht mit 10 Reichsmark freiwillig verlassen, um mich 20 J a h r e später f ü r eine Mission zur V e r f ü g u n g zu stellen, die mir d a n n nicht fair erschiene. Frau Meir äußerte sich dann noch schärfer über angebliche deutsche Erklärungen gegenüber den arabischen Staaten, die ich erneut bestritt, weil in der Ministerrunde, an der ich im Bundeskanzleramt teilgenommen hatte, d e r Bundeskanzler niemals diese Tatsache bestätigt hatte. Ich habe daraufhin einfach erklärt, unter diesen Umständen lehnte ich persönlich eine Verhandlung ab. Ich bäte u m Unterbrechung der Verhandlungen. Ich würde sofort Bonn anrufen. Diesem Vorschlag wurde stattgegeben, wobei ich mein Erstaunen äußerte, daß nach d e r Erklärung von Frau Meir ein an mich gerichtetes Telegramm des Bundeskanzleramtes mir erst nach 17 Stunden überreicht worden sei. In diesem Telegramm war von der A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen ohne Einschränkung mit Israel die Rede. Ich habe das Telefongespräch geführt. Im Bundeskanzleramt wurde mir geantwortet, die in dem Telegramm enthaltene Erklär u n g sei allerdings abgegeben worden. H e r r Barzel sei am letzten Sonntag bei H e r r n Bundeskanzler Erhard vorstellig geworden und habe erklärt, die Fraktion stände voll hinter der eindeutigen Anerkennung Israels, unabhängig von der Frage der Waffenlieferungen. Von dieser angeblichen Entscheidung war mir nichts bekannt. Mein Mandat, so hieß es, bliebe aber unverändert. Frage: Wie ist es möglich gewesen, daß dieses Telegramm 17 Stunden schon in Jerusalem war u n d Sie es nicht bekamen? Antwort: Das habe ich mich auch gefragt. Ich kann aber darauf keine schlüssige Antwort geben. Frage: Aber da gab es kein Telegramm, da gab es auch keine Nachricht? Antwort: Nichts! Ich hatte nichts. Ich kam also, wie gesagt, ich wiederhole es noch einmal, in Israel an, u n d j e d e r m a n n wußte, daß ein Telegramm vorlag, der einzige, d e r es nicht wußte, war ich. Frage:Wie ging es dann weiter? Denn die Frage der Waffenlieferungen war ja sehr hart? Antwort: Als die Sitzung wieder begann, habe ich erklärt, nach d e r Auskunft, die ich aus dem Bundeskanzleramt bekommen hätte, sei mein Verhandlungsangebot ein Paket, d. h. es handele sich um einen Auftrag mit zwei parallelen Aspekten. Die Bundesregierung sei an ihren einmütigen Beschluß vom 14.2.1964 des Verbots von Waffenlieferungen in Spannungsgebiete gebunden. Wenn das der Fall sei, könnten wir also die diplomatischen Beziehungen nicht a u f n e h m e n , wenn 274
12.3 Die Semdermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel wir nicht gleichzeitig das Problem der Waffenlieferungen regelten. Darauf bestand ich. Frage: Und wie hieß dieses Paket, diese Waffenlieferungen, wie sind die geregelt worden? Antwort: Die Frage der Waffenlieferungen wurde erst am Ende geregelt, weil die Israelis nicht bereit waren, auf diese Frage einzugehen. Man begann mit der Frage der diplomatischen Beziehungen. Als ich über mein telefonisches Gespräch mit Bonn die anwesenden Persönlichkeiten informiert hatte, erklärte mir Herr Ministerpräsident Eshkol, Israel habe schon seit geraumer Zeit angeregt, diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Auf dieses Angebot sei man aber bisher von deutscher Seite nicht eingegangen. Wenn jetzt dieses Angebot von mir unter den von mir erwähnten Bedingungen (zunächst Generalkonsulat und dann nach sechs Monaten endgültige Beziehungen, verbunden mit der Ablösung der Waffenlieferungen) gemacht würde, dann sei dieses Angebot, gemessen an den ursprünglichen Wünschen von Israel, nicht akzeptabel. Das Telegramm des Bundeskanzleramtes, das man mir vorgelegt hätte, spreche also von vollen diplomatischen Beziehungen, aber nicht von der zeitlichen Einschränkung, die ich erwähnt hätte. Er könne also das von mir ursprünglich vorgetragene Angebot nicht akzeptieren. Das Telegramm habe insoweit meine Vollmacht erweitert und substantiell verändert. Alle meine Bemühungen, auf die ursprüngliche Basis der Besprechung in der Beraterrunde im Bundeskanzleramt zurückzukommen, scheiterten. Die Gründe sind klar. Nach drei Tagen hat dann die Knesset die Zustimmung zu der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen gegeben, ohne daß mir dies allerdings angekündigt war. Es fiel aber in den kommenden Verhandlungen kein Wort über die Frage der Ablösung der Waffenlieferungen. Ich habe aber dann in Besprechungen mit Herrn Peres, aber auch mit Abba Eban, mit einer Gruppe von Politikern, Staatssekretären und anderen, sowie auch mit Herrn Ministerpräsidenten Eshkol, der offenbar Verständnis f ü r die Art meiner Verhandlungsführung hatte, gesprochen. Ich war allein. Es gab keinen Botschafter, der mir hätte zur Seite stehen können, ich hatte keine Möglichkeit, irgendwie zurückzufragen. Ich habe insbesondere mit Herrn Peres viele Stunden verhandelt, am vierten Tag bis nachts um 12.00 oder 1.00 Uhr. Herr Peres erklärte mir, wenn Frankreich lieferte, warum dann die Bundesrepublik es nicht täte. Ich habe ihm dann geantwortet, die Bundesrepublik habe nach all dem, was in der schrecklichen Hitlerzeil geschehen sei, ein Interesse daran, sich in ausländischen Spannungsgebieten nicht zu engagieren, sondern zunächst zuzusehen, die Bundesrepublik wieder aufzubauen und ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Das wurde nicht verstanden. Als ich schließlich zu keiner Einigung mit Herrn Peres kam, der in der Form seiner Verhandlungen überaus liebenswürdig war, habe ich Herrn Peres erklärt, ich bäte ihn, H e r r n Ministerpräsidenten Eshkol zu fragen, ob ich ihn morgen sehen könne. Ich möchte nach Bonn zurückfahren, um die Frage zu klären, wie dieses Telegramm überhaupt zustandegekommen sei. Herr Peres erklärte mir, am nächsten T a g sei Sabbat, da könnte ich Herrn 275
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel Eshkol nicht sprechen. Außerdem fühle sich Herr Ministerpräsident Eshkol nicht wohl. Ich habe Herrn Peres erklärt, ich bedauere dies, dann würde ich meine Reise um einen Tag verschieben. Am nächsten Morgen rief mich Herr Shinnar an und erklärte mir, zu seinem großen Erstaunen habe er gehört, ich wolle Israel verlassen, denn ich sei nicht bereit, über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu verhandeln, ohne daß gleichzeitig die Waffenfrage geklärt sei. Ich antwortete, Sie haben recht, das ist meine Auffassung, die meinem Auftrag entspricht, und ich hielte mich an meinen Auftrag. Ich möchte diesen aber und seine Einzelheiten Herrn Ministerpräsidenten Eshkol im einzelnen noch einmal persönlich erklären. Darauf sagte H e r r Shinnar, das sei sehr schwierig. Er sei bereit, diese Botschaft an Herrn Eshkol weiterzuleiten. Herr Eshkol hat mich dann am nächsten Morgen dennoch empfangen und ich habe ihm den Tatbestand erklärt. Ich habe ihm gesagt, es habe keinen Zweck, daß ich als alleinstehende Persönlichkeit hier eine Verhandlung führe, über deren Substanz ich offenbar unausreichend in Bonn unterrichtet worden sei. Ob ich unausreichend in Bonn unterrichtet worden sei, wüßte ich zwar nicht, aber immerhin spreche das Telegramm dafür, daß eventuell eine andere Lage eingetreten sei, die ich nicht gekannt hätte. H e r r Eshkol hatte Verständnis f ü r meine Schwierigkeiten und wünschte mir eine gute Reise und eine schnelle Klärung des Sachverhalts. Er nehme an, ich wäre in wenigen Tagen wieder zurück. Ich bin dann nach Bonn zurückgeflogen und habe die in Israel angetroffene Lage dargelegt. Zunächst wurde mir das Zustandekommen des mir verspätet in Israel übergebenen Telegramms erklärt. Darauf hat man meine Auffassung bezüglich der Waffenfrage in vollem Umfang bestätigt, selbstverständlich handele es sich hier um ein Paket, nämlich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen unter der Voraussetzung der Anerkennung der Ablösung der Waffenlieferungen. Über die Frage, wie die Ablösung der Waffenlieferungen erfolgen könne, müßte ich natürlich verhandeln. Das sei meine Aufgabe. Wie ich das machte, darüber habe man sich noch keine konkreten Gedanken gemacht. Nach eingehender Erörterung dieser Frage bin ich dann nach Israel zurückgeflogen. Als ich zurückflog, begannen erneut die Verhandlungen über die diplomatischen Beziehungen. Plötzlich tauchte wieder die Waffenfrage auf. Ich habe dann gesagt, ich hätte mich in Bonn informiert. In Bonn habe man in vollem Umfange meinen Standpunkt bestätigt. Man habe erklärt, die telegraphische Äußerung Bundeskanzler Erhards sei lediglich die Ankündigung diplomatischer Beziehungen gewesen. Vorausgesetzt sei aber gleichzeitig die Ablösung der Waffenlieferungen. Aber über diese Frage hätte ich im einzelnen zu verhandeln in einer Form, die Israel befriedigt. Ich habe dann erklärt, ich wäre also bereit, mit meinen israelischen Gesprächspartnern über diesen besonders schwierigen Punkt zu sprechen. Er wurde d a n n neben einer Reihe von anderen Problemen erörtert, z. B. die Frage nach der Beschäftigung deutscher Ingenieure in ägyptischen Waffenfabriken, die Frage der Verjährung der Kriegsverbrechen, die Boykottfrage und eine Reihe anderer Fragen. Aber man blieb dabei, die Waffenlieferungen müßten bestehenbleiben. Ich habe dann ganz kategorisch in höflichster Form erklärt, das Angebot, das ich zu machen hätte, f ü r das das Auftragschreiben 276
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel f ü r mich seitens des Bundeskanzlers vorläge, sähe eine eindeutige Verbindung beider Komplexe vor. Meine israelischen Gesprächspartner wurden sich darüber klar, daß ich es ernst meinte und nicht bereit sei, ein T h e m a abzuhandeln u n d das andere auf die Zukunft zu verschieben. Wir fingen dann an, über diese Fragen zu verhandeln. Ich muß sagen, als ich von Bonn abfuhr, war ich im Verteidigungsministerium gewesen und hatte mir die Akten angesehen, die nicht klar übersehbar waren. Jedenfalls hatte ich keine klaren Abmachungen vorgefunden. Ich könnte aber n u r verhandeln auf Grund von Tatsachen, die mir bekannt seien, und ich würde auch n u r das tun. Auf diesen Punkt ging man dann nicht ein, sondern fragte, wie könnte man sich z. B. eine Ablösung von Waffenlieferungen vorstellen. Ich erklärte meinen Verhandlungspartnern, Israel hätte sicherlich auch noch andere Interessen, als nur Waffen geliefert zu bekommen. Es gäbe immerhin Möglichkeiten, andere Wege zu suchen. Ich dächte z. B. an die Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik. Darauf erklärte man mir, daran sei Israel interessiert, sogar evtl. der EWG beizutreten. Das sei Israel von einem Mitglied des Bundeskabinetts als möglich in Aussicht gestellt worden. Ich erwiderte darauf, ich sei mit den europäischen Problemen als Mitglied des Monnet-Komitees seit vielen Jahren auf das Engste vertraut. Mir schiene es, daß der betreffende Kabinettsminister zu Brüssel die Situation vielleicht falsch eingeschätzt hätte. Europa sollte ein Europa der rein europäischen Staaten, insbesondere des europäischen Kontinents werden, aber nicht über diesen Bereich hinausgehen. Der betreffende Minister möge etwas anderes gesagt haben, ich hielte es aber f ü r ausgeschlossen, daß der Europäische Ministerrat eine solche Regelung akzeptieren würde. Anders sei die Frage eines präferentiellen Handelsabkommens zu beurteilen. Vielleicht habe das Mitglied des Bundeskabinetts an eine Assoziation gedacht. Das wäre ein anderer Fall. Darauf fragte man mich, welche anderen Lösungen möglich seien. Ich sagte, in wirtschaftlicher Hinsicht seien sicherlich viele Möglichkeiten denkbar. Ich fragte aber, welcher Alternativvorschlag Israel zum vorgenannten Bereich interessant erschiene. Darauf verwies man auf die Besprechungen, die seinerzeit Bundeskanzler Adenauer in New York geführt hatte. Offenbar dachte man an eine Erneuerung einer Wiedergutmachungsverhandlung. Es wurden Gedanken in dieser Richtung geäußert. Ich habe sofort erklärt, das Wiedergutmachungsabkommen sei ein Abkommen besonderer Art gewesen, das man damals zeitlich limitiert hätte. Das sei die Basis der Einigung zwischen Ministerpräsident Ben Gurion und Adenauer in New York gewesen und Gegenstand des Abkommens von Wassenaar. Ich sagte aber, ich könnte mir auch vorstellen, daß es andere Arten von Wirtschaftsabkommen gäbe, z. B. ein Entwicklungshilfeabkommen. Darauf war die Entgegnung, in welcher Höhe und in welcher Form denn die Wirtschaftshilfe an Israel geleistet werden könnte. Darüber müßte man natürlich verhandeln. Über diese Frage waren in Bonn noch keine konkreten Vorstellungen entwickelt worden. Ich fragte dann, ob man in Israel in dieser Frage konkrete Vorstellungen hätte, nachdem die Frage jetzt aufgeworfen sei. Diese Frage wurde verneint. Es wurde dann allerdings eine Ablösesumme genannt, die mir überhöht zu sein schien. 277
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel Frage: Ging diese Summe über das hinaus, was Konrad Adenauer mit David Ben Gurion im Waldorf-Astoria-Hotel besprochen hatte, diese 2 Mrd. DM im Rahmen einer Hilfe f ü r den Negev? Antwort: Da muß ich Ihnen antworten, es wurde n u r eine Jahresziffer genannt. Aber nicht die Zahl der Jahre. Darum ist eine Addierung natürlich schwierig. Das hat man vermieden. Aber ich würde sagen, daß, wenn man sich eine Anzahl von Jahren vorstellte, dann ein Betrag zusammenkommen könnte, der sich sicherlich nicht mit dem Betrag von Wassenaar deckte, aber immerhin doch eine beträchtliche Unterstützung Israels bedeuten würde, zumal Israel die Möglichkeit gegeben würde, über diese Beträge f ü r wirtschaftliche Zwecke frei zu verfügen. Diese Fragen waren dann Gegenstand von längeren Verhandlungen, über die eine Einigung nicht zustande kam. Da von israelischer Seite ein bestimmter Betrag genannt wurde, der nicht den Vorstellungen entsprach, die in der Beraterrunde unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers vor meiner Abreise nach Israel zur Sprache kamen, erklärte ich es f ü r richtig, daß ich nach Bonn zurückflöge, um mich im Bundeskanzleramt selbst zu informieren. Ich habe dann tatsächlich 48 Stunden später Israel erneut verlassen, bin nach Bonn zurückgeflogen und habe diese Frage gestellt. Diese Frage war dann in Bonn Gegenstand eingehender Beratungen im Bundeskanzleramt, die noch nicht zu einer endgültigen Festlegung des Betrages führten, immerhin mir aber deutlich machten, wo die Grenzen der Kompromißbereitschaft der Bundesregierung in dieser wichtigen Frage liegen würden. Es wurde beschlossen, diese Frage definitiv erst in den Verhandlungen zu klären, die nach Abschluß meiner Mission im Auswärtigen Amt mit dem Vertreter Israels geführt werden sollten. Mit dieser Antwort kehrte ich nach Jerusalem zurück. Daß der von der israelischen Seite vorher genannte Betrag nicht in Frage kam, enttäuschte sichtbar manche meiner Verhandlungspartner. Herr Peres, der in den Besprechungen den Vorsitz führte, zeigte aber Verständnis f ü r meine Ausführungen. Immerhin blieb die Frage noch Gegenstand längerer Verhandlungen, ohne daß ich in der Lage war, einen endgültigen Betrag f ü r diejährlichen Beiträge zu nennen. Gewisse einschränkende Vorstellungen konnte ich aber meinen Gesprächspartnern geben, einschließlich der Art und Form, wie die Ablösung der Waffenlieferungen in Gestalt einer Wirtschaftshilfe erfolgen sollte. Mit diesen Ausführungen begnügte sich schließlich die israelische Regierung. Ich bin dabei verblieben, daß die endgültige Verhandlung über die Höhe dieses Abkommens in Bonn zu erfolgen habe, und nicht hier. Denn erst in Bonn könnte man auch an Hand des Etats und an Hand der Zielvorstellungen, die in Israel entwickelt worden wären, sich eine Vorstellung machen, zu welchen Beträgen man kommen würde. Dieses Gegenangebot wurde schließlich am vorletzten T a g akzeptiert. Frage: Herr Dr. Birrenbach, bei all diesen Einzelfragen spielte der geistige Hintergrund eine Rolle, so daß unsere Wiedergutmachungsleistungen bereits durch ein Finanzierungsabkommen mit der Deutschen Bank vorgezogen wurden, um Schiffsbauten und Großprojekte entsprechend zu finanzieren. Dadurch waren die letzten Jahre, die noch eigentlich ausstanden f ü r das Wiedergutmachungsab278
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel kommen bereits beendet und man mußte einen Weg finden, wie man nun eine Art Überbrückungsfinanzierung schuf, das hatte man geschaffen, im WaldorfAstoria-Abkommen, mit der „Aktion Geschäftsfreund", wie sie damals sinnigerweise hieß, u n d nun mußten Anschlußzahlungen formuliert werden? Antwort: Von dieser Vorfinanzierung und ihrer Größe war mir nichts bekannt. Die Vorverhandlungen, die mit mir im Bundeskanzleramt geführt wurden, nahmen nicht mehr als 10 oder 12 Stunden in Anspruch. Sie liefen über 2 oder 3 Tage, aber sind nicht in solche Details gegangen, so daß mir die Antwort dieser Frage gar nicht bekannt war. Aber ich stellte mir natürlich vor, daß auf israelischer Seite Gedanken zur Entwicklung gekommen seien, auf Grund meines sogenannten Doppelmandates, die dem entsprechen, was sie während meines Besuches andeuten. Ich habe dann natürlich mit keinem Wort eine Verbindung mit diesem Abkommen diskutiert. Frage: Und wie ging es dann zum Schluß? Antwort: Der Abschluß der Verhandlungen war deswegen besonders schwierig, weil in der Bundesrepublik Deutschland die Verhandlungen im Bundestag über die Verjährung beendet waren. Ich habe versucht, da ich Jurist bin, meinen Gesprächspartnern zu erklären, daß eine Verjährung keineswegs ein Definitivum zu sein brauchte, sondern, wenn in der Zwischenzeit irgendwelche Nachforschungen oder juristischen Schritte eingeleitet würden, welche die Verfolgung eines Verbrechens zum Gegenstand hätten, so würde die Verjährungsfrist unterbrochen und beginne von neuem. Das Alter der betroffenen Personen wäre hoch, so daß eine neue 30-Jahresperiode sicherlich niemanden mehr lebend antreffen würde. Diese Bestimmung des deutschen Strafgesetzes war allen Beteiligten unbekannt und blieb nicht ohne Eindruck. Man kam auf diese Frage nach einigen Stunden längerer Verhandlungen nicht mehr zurück, nachdem ich meinen Gesprächspartnern erklärt hatte, daß selbstverständlich die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik einmütig der Auffassung sei, daß die Verbrechen, die damals am jüdischen Volk vorgenommen worden seien, unverzeihlich seien. In der moralischen Sicht also sei die deutsche Haltung eindeutig, und ich könnte mich nicht entsinnen, daß nach meiner Rückkehr aus der Emigration, — ich sei selbst ja freiwillig ausgewandert —, in meiner Gegenwart Äußerungen gefallen seien, die in Richtung auf eine positive Bewertung des Nationalsozialismus gingen. Darum hätte man es heute mit einem neuen Deutschland zu tun, das nach der schweren Niederlage des Ersten Weltkrieges, nach der grauenvollen Inflationszeit, der Krise der Weimarer Republik und der Weltwirtschaftskrise in einer Weise demoralisiert gewesen sei, daß radikale Bewegungen möglich geworden seien, die dann zu den schrecklichen Dingen geführt hätten, die mich auf das tiefste erschüttert und mitveranlaßt hätten, meine Auswanderung zu betreiben. Frage: Herr Dr. Birrenbach, die letzte Phase der Besprechungen in Israel geschah ja schon im Beisein von Herrn Dr. Pauls? Antwort: Als die Frage der Ablösung akut wurde und die ersten Gespräche angeknüpft worden waren, von denen, die ich eben erwähnt habe, war ich ja, wie Sie wissen, nach Bonn zurückgefahren, um mich zu erkundigen, was nun verspro279
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel chen sei. Ich habe dann die ganze Situation mit Bundeskanzler Erhard, dem Bundesaußenminister, dem Bundesverteidigungsminister, Staatssekretär Carstens und anderen offiziellen Persönlichkeiten besprochen. Ferner habe ich mit Botschafter Meier-Lindenberg verhandelt, welche Antwort wir Israel geben können. Die Besprechungen gingen über mehrere Tage. Das Ergebnis der Besprechungen haben wir d a n n schriftlich niedergelegt. Oberst Arbel, der mit mir zurückgefahren war, ist d a n n nach Israel geflogen und hat dieses Protokoll mitgenommen. Als ich nach Israel kam, wurde f ü r mich deutlich, daß der Inhalt des Protokolls bis zu einem gewissen Grade enttäuschend f ü r manche der Teilnehmer der Verhandlungen war, aber keineswegs für alle. Eine negative Einstellung zu mir in dieser Frage wurde nicht erkennbar. Allerdings muß ich zugeben, daß mehrere Teilnehmer an der Verhandlung eine starke Zurückhaltung zeigten, als sie sahen, daß ihre Vorstellungen praktisch nicht zu verwirklichen waren. Aber in persönlicher Hinsicht habe ich keinerlei Schwierigkeiten gehabt, trotz der Enttäuschung, die ich meinen israelischen Gesprächspartnern bereiten mußte. Jeder verstand, daß ich mich mit vollem Einsatz f ü r das Mandat einsetzte, das mir Herr Bundeskanzler Erhard übertragen hatte. In der dritten Phase war Herr Dr. Pauls zugegen, der mich unterstützt hatte in meinen Besprechungen mit d e r israelischen Regierung, dem ich f ü r seine Unterstützung dankbar bin. Endlich hatte ich einen klugen deutschen Gesprächspartner, mit dem ich mich über die Probleme der Verhandlungen im einzelnen besprechen konnte. Frage: Herr Dr. Birrenbach, diese Abkommen wurde dann in Bonn abgeschlossen oder haben Sie das in Israel bereits abgeschlossen? Antwort: In Israel wurden die Einzelheiten besprochen, aber nicht das Abkommen als solches abgeschlossen. In der Schlußphase der Verhandlungen ging es dann um den Brief, den Bundeskanzler Erhard Ministerpräsident Eshhol schreiben sollte. Ich hatte von Bonn direkte Instruktionen bekommen, die ich mit Überzeugung zu vertreten versuchte. Jedenfalls wurde eine weitgehende Annäherung erreicht. Die Verhandlung wurde mit einer Presseerklärung beendet, über die wir eine Zeitlang verhandeln mußten. Die Presseerklärung wurde von Herrn Eshkol und mir unterzeichnet. Mit dieser Presseerklärung bin ich nach Bonn zurückgekehrt. Der Bundeskanzler lud dann seine Mitarbeiter und mich ein. Wir haben dann über diese Fragen gesprochen, und dann ist die Verhandlung über die Einzelheiten des Abkommens, dessen Höhe ungefähr andeutungsweise klargeworden war, ohne daß ich eine eindeutige Verpflichtung übernommen hätte im Namen der Bundesregierung, von Staatssekretär Lahr und Herrn Pauls bis zum Ende weitergeführt worden. Ich habe erklärt, an dieser Verhandlung nicht mehr weiter teilnehmen zu wollen, da es ja hier praktisch um Einzelheiten ging, die das Bundeskanzleramt, das Außenministerium und das Wirtschaftsministerium beträfen, f ü r die ich ja im Rahmen meiner Mission gar nicht zuständig war. Am 12. Mai 1965 kam es dann im Bundeskanzleramt zum Austausch des Briefwechsels zwischen Bundeskanzler Erhard und Ministerpräsident Eshkol. Außer dem Bundeskanzler nahmen an diesem feierlichen Akt von deutscher Seite Bundes280
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel minister Westrick, die Staatssekretäre Lahr und von Hase und ich teil. Professor Erhard fand bewegende Worte, die zeigten, wie sehr ihm die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel und eine Normalisierung der Beziehungen unseres Landes zu Israel am Herzen gelegen hatten. Auf ihn antwortete Botschafter Shinnar in sehr würdiger Form. Die Einleitung diplomatischer Beziehungen mit Israel konnte jetzt vollzogen werden. Der erste deutsche Botschafter in Israel wurde Rolf Pauk, der erste israelische Botschafter in Bonn nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen Asher Ben-Natan. Frage: Herr Dr. Birrenbach, wenn man jetzt Ihre Worte gehört hat, dann weiß man, daß es mehrere Beträge gab, einmal die Ablösung der Waffen, zum zweiten eine neue Wirtschaftshilfe? Antwort: Nein, da irren Sie! Die Ablösung der Waffen sollte in einer Art Wirtschaftshilfe bestehen. Das war ja der Vorschlag, den ich vorsichtig ventiliert hatte. Frage: Sollte diese Wirtschaftshilfe mehrere J a h r e laufen, oder sollte es ein Betrag sein? Antwort: Es sollte nicht ein Betrag sein, es sollte über mehrere Jahre geleistet werden. Aber über die Zahl der Jahre ist nicht ein einziges Wort gefallen. Frage: Aber über die Gesamthöhe der Ablösung? Antwort:Auch die Gesamthöhe der Ablösungssumme ist nicht genannt worden. Und ich bin auch nicht gefragt worden, wie hoch diese sein würde, weil ich erklärte, diese Frage sei in Bonn zu regeln mit d e m zuständigen Ministerium. Frage: Und dann sind die Herren gekommen und dann wurde das besprochen? Antwort: Welche? Frage: Die Israelis sind nach Bonn gekommen und dann haben hier Verhandlungen stattgefunden? Antwort: Dann haben hier Verhandlungen stattgefunden! Frage: Und das ging dann, als die diplomatischen Beziehungen eröffnet worden waren? Antwort: Als sie schon eröffnet worden waren. Aber im Prinzip war man sich klar darüber, daß ein Angebot, welches die Bundesrepublik Deutschland machen würde, fair sein würde. Frage: Gab es dann nicht einen Einwand einer israelischen Persönlichkeit, daß man das Abkommen vom Waldorf-Astoria-Hotel neben dem Betrag weiterzahlen sollte und dann neue Beträge noch einmal in der Ablösungssumme zu bekommen? Antwort: Das ist mit keiner Silbe erwähnt worden! Frage: Und das wurde dann abgeschlossen u n d dann gab es zunächst einmal 160 und nachher 140 Mio. D-Mark?
281
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel 12.3.4
Rainer Barzel, Fraktions-Vorsitzender Amerika — ein Interview
der CDU/CSU-Fraktion,
in
Frage: H e r r Dr. Barzel, als die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen aufkam, ging das in mehreren Etappen. Die Probleme drehten sich vor allem zunächst einmal darum, daß die Bundesregierung die Waffenlieferungen an Israel stoppte, daß wir sie ablösen wollten und daß sich darauf neue Überlegungen entwickelten, Beziehungen zu Israel zu schaffen. Sie haben damals als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion eine Reise nach Amerika unternommen — ungefähr zur gleichen Zeit, als die Bundesregierung den damaligen Bundestagsabgeordneten Dr. Birrenbach nach Israel entsandte, um Verhandlungen über die Ablösung der Waffenlieferungen zu führen. Wie war das? Antwort: Nun, Herr Vogel, es war natürlich, wie meistens im Leben, alles ganz anders als es uns heute erscheint. Um zunächst einmal mit dem Letzten anzufangen: Die Reise des Kollegen Birrenbach nach Israel war eine Folge meines Besuches und ist auf Grund eines Telefonats aus Washington und aus New York mit Bonn zustandegekommen. Was die wichtige Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen betraf, so war diese damals überhaupt nicht im Gespräch. Ich landete in einem völlig aufgeregten New York. Es gab Demonstrationen vor dem deutschen Generalkonsulat und es gab auch den einen oder anderen unfreundlichen Akt vor d e m Hotel in dem ich wohnte. Die Lufthansa berichtete über einen beginnenden Boykott ihrer Linie. Es sei so, so sagte man mir, daß Flüge gebucht würden, Flüge nach Europa, also nach Deutschland, die dann im letzten Augenblick storniert werden. Es gab Zeitungsanzeigen von jüdischen Organisationen, auch von Frontkämpferorganisationen Amerikas, gegen die deutsche Politik. Und hier gab es drei Punkte, die zeitlich zusammenkamen und eine ungeheure Emotionalität entfesselten: Das eine war, die Bundesrepublik Deutschland hatte aufgehört, dem Staate Israel die versprochenen Waffen zu liefern, weil sich der Nahe Osten zum Spannungsgebiet entwickelt hatte. Das andere war, in Ägypten arbeiteten deutsche Professoren als Privatleute und bastelten, so hieß es in der Presse, an Raketen f ü r das damals Israel gegenüber feindliche Ägypten. Das Dritte war, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland eine Debatte über die Frage führten, ob das Unrecht, also die Verbrechen die die Nazis vollzogen hatten, verjähren sollten oder nicht. Diese drei Dinge brachten eine sehr unfreundliche Stimmung gegenüber uns Deutschen. Erschwerend f ü r die Bonner Szene kam hinzu, daß der Präsident Ägyptens Herrn Ulbricht, damals Staatsoberhaupt der DDR, die wir nicht anerkannt hatten, die wir bekämpften, in Kairo empfangen wurde mit allen Ehren eines Staatsoberhauptes mit „rotem Teppich", was man als eine Verletzung von Hallstein-Doktrin und Alleinvertretungsrecht betrachtete. Wenn man sich das heute anhört, so ist es etwas schwer, sich die Situation wieder vorzustellen. Aber das waren die Punkte, die damals eine Rolle spielten. In dieser Lage habe ich damals mein Programm geändert, habe in New York zwei T a g e lang mit verantwortlichen Führern jüdischer Organisationen verhandelt und habe immer wieder mit Bonn telefoniert und habe dann auf Vermitt282
12.3 Die Sondermission von Dr. Kurt Birrenbach in Israel lung des General Julius Klein und von anderen ein Gespräch an einem dritten Ort geführt mit dem damaligen Botschafter Israels bei den Vereinten Nationen und den USA, von Harman. Dies war ein Gespräch von dem wir beide sagten, es sei privat, ich hatte ja auch gar keinen Auftrag, ich war Fraktonsvorsitzender und ein gewisser gebundener und sonst auftragsfreier Abgeordneter und er sagte, er rede mit mir mit Wissen seiner Regierung, aber ohne irgendeinen Auftrag. Wir sagten beide, daß wir noch am gleichen Abend in unsere Heimatländer fliegen würden. Der Botschafter hielt mir dann einen sehr eindrucksvollen, leidenschaftlichen, sehr sachlichen Vortrag über die Tatsache, daß die Bonner Politik aus der Sicht Israels die Gewichte im Nahen Osten verändere, weil sie aussehe wie ein Sieg des ägyptischen Präsidenten über Bonn, die Einladung von Herrn Ulbricht nach Kairo, die Tatsache, daß wir keine Waffen mehr an Israel liefern, das sehe aus wie ein Sieg. Das würde dann in der arabischen Welt den Eindruck erwecken, Nasser sei eigentlich ein strahlender unbesiegbarer Held, was die Kriegsgefahr im Nahen Osten erhöhen würde. Dies sind einige der Gedanken, die damals eine Rolle spielten. Herr Harman ist ja heute Rektor d e r Universität in Jerusalem. Ich habe ihm damals gesagt, ich würde diesen Standpunkt verstehen und es könnte überhaupt nur eine neue Tatsache das Gleichgewicht wieder herstellen. Ich bin dann in Bonn mit dem Bundeskanzler zusammengetroffen und habe den Bundespräsidenten Lübke damals orientiert und den Bundesaußenminister und habe von mir aus gesagt, eine neue Tatsache, die das Gleichgewicht wieder herstelle, könne nur die Aufnahme diplomatischer Beziehungen sein. Dr. Barzel nahm sein Taschenbuch heraus: „Auf dem Drahtseil". Er hatte in diesem Buch ausführlich all die Dinge erzählt und berichtet, die er mir heute im Interview sagen sollte. Er schlug die Seite 46 dieses Buches auf und sagte: „Hier steht all das, was ich Ihnen sagen soll, es wäre besser, Sie würden es zitieren, denn so genau wie hier, könnte ich es Ihnen kaum heute sagen." Und ich begann zu lesen, dort stand: „Nach meinem Bericht über die Gespräche und Erlebnisse in den USA schlug ich dem Bundeskanzler vor, auf Nasser und dessen Politik nicht zu reagieren, sondern durch eigenes Handeln eine neue Lage zu schaffen und die Initiative zurückzugewinnen. Selbst das Richtige zu tun, sei immer besser, als einer Drohung nachzugeben oder n u r auf sie zu reagieren. Falls es im Nahen Osten zur weiteren Zuspitzung, gar zum Kriege komme, und man uns vorwerfen könne, wir hätten zuvor — das Gleichgewicht gestört, so könnten wir das kaum ertragen, ohne dauerhaften Schaden zu nehmen. Wenn wir jetzt wegen des Ulbricht-Besuches mit rotem Teppich in Kairo die diplomatischen Beziehungen zu Ägypten abbrächen, schüfen wir ein folgenschweres Präjudiz, das unsere Deutschlandpolitik einengen und andere zur Erpressung einladen würde. Dies sei der Zeitpunkt, nicht auf einen unfreundlichen Akt unfreundlich zu antworten, sondern uns und unserer Souveränität einen guten Dienst zu erweisen. Deshalb schlüge ich vor, unverzüglich mit Israel diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Er (Erhard) habe dies 283
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ohnehin immer gewollt. Wir sollten diesen Schritt auch tun mit dem Blick auf unsere Partner im Bündnis. Ein späterer Nahostkrieg sei nicht auszuschließen. Wir gehörten in dasselbe Boot wie unsere Freunde, die alle zu Israel — einem von den Vereinten Nationen anerkannten Staat — Beziehungen unterhielten. Diese Aktion würde die Lage im Nahen Osten wieder stabilisieren, die (problematisch gewordenen) Waffenlieferungen an Israel zugunsten von Wirtschaftshilfe erübrigen, den weltweiten Druck auf Koalition und Parlament in Sachen .Verjährungsfristen' mildern und seine Regierung, falls er noch zum Wochenende entscheide, auch innenpolitisch wieder in Führung bringen. Sollten Ägypten und andere dann ihrerseits die Beziehungen unterbrechen oder beenden, so wäre das zu ertragen. Nasser habe in der arabischen Welt wenig Freunde. Und viele dort würden - f r ü h e r oder später — den maßvollen Charakter unserer Antwort auf Nassers unfreundliche Aktion erkennen. Ludwig Erhard stellte einige Fragen und bat mich, falls es mir möglich sei, am Nachmittag zu einer weiteren Besprechung zu kommen. Ich sagte zu. Zur gleichen Zeit studierte Kurt Birrenbach die amtlichen und vertraulichen Akten. Er sollte am Abend nach Israel fliegen. Da wir in Israel ohne Behörde waren, mußte er das Wichtigste seinem Gedächtnis einprägen. Wir waren da bei ihm ohne Sorge. Er war vielfach bewährt, glänzend in den Argumenten und f ü r hervorragende Leistungen bekannt. Nachmittags waren Außenminister Gerhard Schröder und Karl Carstens, dessen Staatssekretär, dabei: Wir diskutierten lange, kontrovers und heftig. Ich verlor: Der Kanzler bat Kurt Birrenbach hinzu u n d verabschiedete ihn mit der Weisung, Israel zunächst den Austausch von Generalkonsulaten (mit der Verabredung, diese nach einem halben J a h r aufjeden Fall in Botschaften umzuwandeln) sowie eine dem Waffengeschäft entsprechende Wirtschaftshilfe und ein T r e f f e n Erhard-Eshkol an einem dritten Ort vorzuschlagen. Der arme BirrenbachV Dr. Barzel f u h r in unserem Gespräch fort: Es gab dann Diskussionen. Und nun in diesem kritischen Augenblick wurde eben doch nach Überlegungen von einem Tag entschieden, Herrn Birrenbach zu entsenden. Er f u h r am Samstag, ich war Samstag f r ü h aus New York zurückgekommen, Samstagnachmittag f u h r Birrenbach nach Tel Aviv und am Sonntag darauf entschied der Bundeskanzler Beziehungen aufzunehmen. Dies war ein Akt, der — glaube ich — dort im Nahen Osten das Gleichgewicht wieder hergestellt hat, soweit wir Deutschen das konnten. Es war ein Akt, der in der arabischen Welt unfreundliche Reaktionen hervorrief. Sie waren eigentlich nicht von langer Dauer. Ich bin noch im selben Jahr, am Ende des Jahres, auf Einladung der Israelischen Regierung nach Jerusalem gefahren und wir haben dann, nachdem unser Botschafter Dr. Pauls dort seine Arbeit aufgenommen hatte, in langen Gesprächen mit d e r Frau GoldaMeir— sie war Außenminister — mit Abba Ebban, — er war stellvertretender Minister —, und mit Herrn Eshkol — er war Ministerpräsident — besprochen, was man machen könne, um die Beziehungen zu beleben: Wir kamen schnell überein, daß wir eine Politik der Zusammenarbeit begründen müßten, mit dem Blick nach vorne. Wir kamen zu dem Ergebnis Jugendaustausch, eine wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit 284
12.4 Die Einzelheiten des Botschafteraustausches zu entwickeln, alles das... Ich finde, und deshalb gebe ich Ihnen gerne diesen Bericht, Herr Vogel, daß, wenn ich auf mein über 30jähriges politisches Leben zurückblicke, dann ist man als Bundespolitiker selten im Stande zu sagen, „das wars", denn das alles sieht man ja nicht. Wenn ich Bürgermeister wäre, könnte ich sagen „Frau Schuh, gucken Sie einmal, was haben wir den Park schön gemacht, und die Brücke dort". Das alles ist etwas zum anfassen. Ich habe in dieser Entwicklung mit Israel ja auch das Gefühl, mitgewirkt zu haben, etwas geschaffen zu haben, was zum anfassen ist. Ich will meine Rolle nicht überschätzen. Die erste Rolle spielte natürlich der Bundeskanzler, Ludwig Erhard, und eine herausragende Rolle spielte Dr. Birrenbach. Ich d u r f t e eben zufällig an dem Teil mitwirken, den ich hier geschildert habe. Frage: Wenn Sie heute nach so langer Zeit auf all das noch einmal zurückblicken, hat sich das wirklich so gradlinig positiv entwickelt oder haben nicht gerade die Ereignisse des Jahres 1981 wieder Rückschläge gebracht, die uns, ich möchte nicht sagen, ganz von vorne anfangen lassen, aber doch sehr weit zurück noch einmal neu beginnen lassen? Antwort: Sehen Sie, wenn das stimmt, was ich hier in den Zeitungen lesen muß, daß der gegenwärtige israelische Ministerpräsident Herr Begin erklärt hat, er wolle nie mehr einem f r ü h e r e n deutschen Soldaten die Hand geben, dann würde das doch bedeuten, daß ich da gar nicht hinfahren kann, denn ich kann doch nur fahren, wenn der Ministerpräsident mich empfängt und ich kann nur mit ihm sprechen, wenn er mir die Hand gibt. Und auf Grund dieses Satzes habe ich manchmal das Gefühl, Herr Vogel, als hätte ich das Meer gepflügt. Aber ich werde deshalb nicht aufgeben, denn die Welt von heute — und das ist nicht ein Satz von mir —, sondern ein Satz von Prinz dem f r ü h e r e n Berliner Rabbiner, den ich als Präsidenten der Jüdischen Organisationen in New York wiedergetroffen habe. Er hat mir gesagt: „Die Welt von heute ist zu klein und zu gefährdet, als daß sie sich Elend und Haß leisten könnte". Deshalb werde ich nicht m ü d e werden, an dieser Versöhnung zu arbeiten, die im beiderseitigen Interesse liegt.
12.4
Die Einzelheiten des
Botschafteraustausches
Mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen hatte die Bundesregierung f ü r „ihren Mann" Rolf Pauls, um das Agrément gebeten. Die israelische Regierung entsandte Asher Ben Nathan, den bisherigen Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums, der schon oftmals mit Franz-Josef Strauß und anderen deutschen Politikern vor allem im Bereich der militärischen Zusammenarbeit g e f ü h r t hatte. Am 11. August 1965 landete Rolf Pauls in Israel. Am 19. August übergab er unter schweren Protesten radikaler Gruppen dem israelischen Staatspräsidenten Salman Schasar in dessen Amtssitz in Jerusalem sein Beglaubigungsschreiben. Rolf Pauls hielt aus diesem Anlaß folgende Ansprache: 285
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel „Es ist f ü r mich eine hohe Ehre, Eurer Exzellenz heute das Schreiben zu überreichen, mit dem mich der Präsident der Bundesrepublik Deutschland als außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter bei Ihnen beglaubigt. Der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern wird vom ganzen deutschen Volk große Bedeutung beigemessen. Das neue Deutschland sieht mit T r a u e r und Abscheu auf die grauenvollen Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes zurück, die vor allem den jüdischen Menschen so schwere Leiden auferlegt haben. Seitdem haben viele Menschen guten Willens auf beiden Seiten geduldig daran gearbeitet, den Weg zu diesem neuen Anfang der Beziehungen unserer beiden Völker zu bereiten. Wir hoffen, daß der Austausch von Botschaftern dazu beitragen wird, auf diesem Wege erfolgreich weiterzugehen. Ich bin mir darüber im klaren, daß ich als erster Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ihrem Land vor einer schwierigen und wichtigen Aufgabe stehe. Wenn ich bei meinen Bemühungen um die Gestaltung unserer beiderseitigen Beziehungen auf die wohlwollende Unterstützung Eurer Exzellenz und Ihrer Mitarbeiter rechnen darf, so würde dies eine sehr große Ermutigung f ü r mich sein. Gestatten Sie mir, Exzellenz, daß ich zum Schluß im Namen des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland Eurer Exzellenz und dem israelischen Volk die besten Wünsche f ü r eine glückliche und erfolgreiche Zukunft übermittle, u n d mich selbst diesen Wünschen von Herzen anschließe." Präsident Salman Schasar erwiderte: „Wir alle sind uns der besonderen Bedeutung dieses politischen Aktes tief bewußt. In dem Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland, volle diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen, und in der israelischen Annahme dieses Vorschlags ist der schlagende Beweis f ü r die tiefgreifenden Veränderungen zu sehen, die seit der Zeit, die Eure Exzellenz gerechterweise als ,Zeit entsetzlichen Verbrechens' bezeichneten, Platz gegriffen haben. Es sind nur 20 J a h r e vergangen, seit die Reste meines Volkes, die überlebt hatten, aus den Konzentrationslagern u n d den Feueröfen gerettet wurden, die das Nazi-Regime zur Ausrottung der J u d e n in allen von ihm unterjochten Ländern e r f u n d e n hatte. Die Erinnerung an diese Greuel und ihre O p f e r ist in den Gedanken unserer Generation lebendig und wird so lange weder von uns vergessen noch jemals aus den Gewissen anständiger Menschen gelöscht werden können, solange die Unverletzlichkeit des Lebens und das Prinzip der Gerechtigkeit von der Menschheit anerkannt werden. Selbst in den bösesten Tagen der Vernichtung haben die Gepeinigten und Gequälten meines Volkes nie ihren Geist der menschlichen Würde und ihren unerschütterlichen Glauben an die Zukunft verloren. Aus dieser Wurzel erwuchs das Heldentum, das sich in den Todeslagern, den Ghetto-Revolten und im Kampf um die jüdische Unabhängigkeit in unserem alten Vaterland manifestierte. Das Wort, das ein Dichter J a h r e zuvor geschrieben hatte, bestätigte sich: ,Ich habe meinen Gott gerettet und mein Gott rettet mich...'. Die Überreichung dieses Beglaubigungsschreibens heute in Jerusalem, der 286
12.5 Wer ist Dr. Rolf Friedemann Pauls — Versuch eines Portraits Hauptstadt des Staates Israel, beweist, daß das Chaos nicht f ü r immer anhält und daß selbst die dunkelste d e r Nächte mit d e m Anbruch d e r D ä m m e r u n g enden muß. U n d gerade wegen d e r Lehren d e r bitteren Vergangenheit sind wir verpflichtet, unsere Energien auf die Z u k u n f t zu konzentrieren, damit die Verbreiter des Hasses zum Schweigen gebracht werden können u n d der Geist j e n e r entsetzlichen Periode nie wieder zum Leben erweckt werden kann. Ich möchte über Sie, H e r r Botschafter, die mir von I h r e m Präsidenten übermittelten Grüße erwidern u n d ihm versichern, daß Sie bei I h r e r Aufgabe die Unterstützung finden werden, die Sie benötigen. Möge es d e n Vertretern unserer beiden Länder vergönnt sein, einen bedeutsamen Beitrag beim Legen jener Grundlagen zu leisten, auf denen allein Beziehungen d e r Verständigung u n d der Zusammenarbeit zwischen unseren L ä n d e r n errichtet werden können." Als d e r deutsche Botschafter in Begleitung des Protokollchefs u n d des persönlichen Adjutanten des israelischen Staatspräsidenten das Amtsgebäude verließ, spielte eine israelische Armeekapelle nach dortigem Protokoll das Deutschlandlied. Wenige T a g e nach diesem Ereignis überreichte in Bonn Asher Ben Natan als erster Botschafter des Staates Israel in d e r Villa Hammerschmidt Bundesratspräsident Georg August Zinn, d e r Bundespräsident Heinrich Lübke während dieser Zeit vertrat, sein Beglaubigungsschreiben. Damit war die A u f n a h m e d e r diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten erfolgt.
12.5
Wer ist Dr. Rolf Friedemann Pauls — Versuch eines Porträts
Im Juli 1965 wurde ich zu Konrad Adenauer gerufen, der damals, nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler ein Büro im Bundesratsflügel des Bundeshauses hatte. Es war f ü r mich klar, was er wollte. Er erwartete meine o f f e n e Meinung zu der Frage, warum d e r damalige Bundesaußenminister Dr. Gerhard Schröder ausgerechnet Dr. Pauls zum Botschafter in Israel machen wollte. Auf meine erstaunte Antwort: „Der kommt doch aus I h r e m Arbeitsbereich", „Verstehen Sie mich d e n n nicht? Der hat doch ne' a p p e Arm." „Wollen Sie ihn d a f ü r bestrafen, daß er im Kriege zusammengeschossen wurde?" „ H e r r Vogel, d a n n denken doch die Israelis sofort an d e n Krieg. Und a u ß e r d e m hatte er doch auch das Ritterkreuz." „Wenn Ihnen ein halbjüdischer Ritterkreuzträger lieber ist, d a n n kann ich Ihnen den auch besorgen." „Das gibt es nicht." „Doch, Sie kennen ihn sogar." „Wer ist das?" „Unser Presseattache in Washington, H e r r Borchert." „ H e r r Vogel, Sie haben immer das letzte Wort." I m Anschluß an dieses Gespräch zeigte ich d e m Bundeskanzler mein „Porträt", das ich in den „deutschland-berichten" veröffentlicht hatte. Wegen des historischen Reflexes auf diese fast 20 J a h r e , möchte ich hier diese Zeilen widergeben. 287
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel Wenn man an das Jahr 1948 zurückdenkt, wo der soeben ernannte Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, Dr. Rolf Friedemann Pauls, zum ersten Mal auf dem neugelegten, frisch gebohnerten politischen Parkett in Bonn auftauchte, hat man das Gefühl, er hat sich in diesen 17 J a h r e n nicht verändert. Er ist sich gleich geblieben: gleich freundlich, gleich zurückhaltend und dennoch gleich offen. Als Sohn des evangelischen Oberpfarrers und Superintendenten von Ekkartsberga in Thüringen wurde er 1915 geboren. Die neunjährige Schulzeit auf dem Dom-Gymnasium in Naumburg an der Saale, einem der ältesten deutschen humanistischen Gymnasien, paßte so ganz in die Linie des evangelischen Pfarrhauses. Nach dem Abitur trat Rolf Pauls als aktiver Offizier in die damalige Reichswehr ein. Er tat beim Reichswehrregiment 14 in Konstanz Dienst und blieb bis zum Ende des Krieges Soldat. Der junge Leutnant hatte bereits 1938 begriffen, wohin die Reise ging, als am 4. Februar 1938 die unglaubliche Aktion gegen den damaligen Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Fritsch, begann. Aus dieser Zeit rühren seine Kontakte zu vielen der Männer, die am 20. Juli den Aufstand gegen Hitler wagten. Etliche seiner Freunde wurden umgebracht, andere sind gefallen und nur wenige haben überlebt. General Speidel, der Generalstabschef von Rommel, holte Pauls an die Westfront, um ihn f ü r den Tag X, den Aufstand gegen Hitler, der dann am 20. Juli stattfand, in der Nähe zu haben. Unter denen, die damals den späteren Major Pauls kannten, haben einige die Zeit des Widerstandes überlebt. Es gibt sie noch. Oft ist in der Zeit bis zur Erteilung des Agreements die Frage des Ritterkreuzes von Rolf Pauk diskutiert worden. Aber wenn man diese Geschichte rekonstruiert, wird man sagen müssen, daß er nicht aus purer Begeisterung f ü r Angriffstaten zugunsten Hitlers dieses Ritterkreuz erhielt. Seit Mai 1944 war Rolf Pauls 2. Generalstabsoffizier f ü r Versorgung der 363. Infanteriedivision im Westen. Ende August stand die durch die schweren Abwehrkämpfe der Invasionsschlacht in der Normandie halb zerschlagene Division im Raum ostwärts von Lisieux im Kampf mit sich hervorragend schlagenden englischen und amerikanischen Verbänden vor der Vernichtung. Der Divisionskommandeur war verwundet, der 1. Generalstabsoffizier geriet in Gefangenschaft. Pauls übernahm die F ü h r u n g des Restes der Division, um die sich der Einkesselungsring schloß. Auch andere Verbände der 7. Armee gerieten in den Kessel. Es war die Hauptsorge f ü r Pauls, den T a g zu überstehen und keinen Befehl von den außerhalb des Kessels befindlichen Führungsstellen zu erhalten, daß die Division zu halten habe. In jener Zeit wurde ein x-beliebiges Dorf ohne weiteres zum festen Platz ernannt und Pauls wäre Kampfkommandant geworden. Jeder weitere Tag der Verteidigung hätte zur vollkommenen Vernichtung der T r u p p e geführt. Rolf Pauls ließ die Funkverbindung nach außen unterbrechen und bereitete den Ausbruch aus dem Kessel durch einen Machtangriff vor. Dieser Angriff gelang. Die eingeschlossenen Verbände brachen in den noch von deutschen T r u p p e n gehaltenen Brückenkopf von Elbau durch. Durch die damit entstandene Lücke im Einschließungsring gelangten im Laufe des folgenden Tages weitere zahlenmäßig beträchtliche 288
12.5 Wer ist Dr. Rolf Friedemann Pauls — Versuch eines Portraits Reste der 7. Armee in den Brückenkopf. Wochen später erhielt Pauls auf Antrag seines Divisionskommandeurs, Generalleutnant Dettling, das Ritterkreuz. 12.5.1
Ein Vorfall aus jenen
Tagen
Oberstudiendirektor Dr. Schröder vom Beethoven-Gymnasium in Bonn meldete sich bei Dr. Pauls wenige Tage vor Erteilung des Agréments. Als er die vielen Geschichten von dem einarmigen ehemaligen Major Pauls in den Zeitungen las, das Für und Wider seiner Berufung zum Botschafter nach Israel, war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen: Dieser Dr. Pauls war der Mann, der ihn in letzter Minute, am 9. April 1945, vor dem Erschießen gerettet hatte. Dr. Schröder war Hauptmann in der gleichen Division wie Dr. Pauls, und ein Nachbarkommandeur im Ruhrkessel wollte ihm unsinnige Angriffsbefehle geben, die Schröder verweigerte. Noch in der Nacht sollte ein Kriegsgerichtsverfahren mit klarem tödlichen Ausgang stattfinden. Pauls hatte davon erfahren. Er rief den Oberst an und erreichte, daß die Verhandlung gegen Schröder ausgesetzt wurde. Wenig später erschien Pauls selbst, um Schröder aus seiner peinlichen Lage herauszuholen. 12.5.2
Studium nach dem Kriege und diplomatische
Tätigkeit
Im Winter 1945/46 begann Rolf Pauls in Hamburg mit dem juristischen Studium. Einige Monate verbrachte er 1947 studienhalber in England und kam im Herbst 1948, als in Bonn die verfassungsgebende Versammlung, der Parlamentarische Rat, seine Arbeit aufnahm, in das Sekretariat des damaligen Generalsekretärs des Rates, des jetzigen deutschen Botschafters in London, Herbert Blankenborn. Als dann nach Gründung der Bundesrepublik im Bundeskanzleramt die Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission, die eigentliche Keimzelle des heutigen deutschen auswärtigen Dienstes, aufgebaut wurde, ging er mit Blankenborn in diese neue Arbeit. Von März 1951 bis Mai 1952 wurde er Vertreter des Gesandten in Luxemburg und anschließend bis 1955 engster Mitarbeiter von Professor Hallstein, der damals Staatssekretär des Auswärtigen Amtes war. Anschließend war Dr. Pauls 4 1/2 Jahre Botschaftsrat und Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Washington. Danach kam er als Gesandter und Vertreter des Botschafters nach Athen. Als er aus Athen nach Bonn zurückkehrte, wurde er Ministerialdirigent und stellvertretender Leiter der Abteilung f ü r Handels- und Entwicklungspolitik im Auswärtigen Amt. 12.5.3
Der Beginn des deutsch-jüdischen
Gesprächs
Botschafter Dr. Pauls hat nicht erst durch die Begleitung des Sonderbeauftragten des Herrn Bundeskanzlers, des Abgeordneten Dr. Birrenbach, die israelische 289
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel Frage kennengelernt. Er war Zeuge der ersten offiziellen Schritte, die zu einer Zeit begannen, da unsere Bundesrepublik Deutschland selbst die ersten politischen Schritte wagte. Er hat sie alle miterlebt, einmal die Verhandlung selbst, die in Haag noch im Gange war, und dann nachher die Durchsetzung der Ratifizierung und die Auseinandersetzung schon damals mit den arabischen Staaten um die Durchsetzung des Vertrages. Den ersten Kontakt hatte er viel f r ü h e r mit einer Entwicklung, die vielleicht beigetragen hat zum Zustandekommen dieser Verhandlung. Das war im Herbst 1949, kurz nach G r ü n d u n g der Bundesrepublik, als die Gespräche mit Karl Marx und mit Herrn Seelig stattfanden und mit Ernst Georg Löwenthal, der jetzt in Frankfurt lebt. Damals gab Bundeskanzler Dr. Adenauer das erste offizielle Interview f ü r die „Allgemeine Wochenzeitung der J u d e n in Deutschland", in dem er sich f ü r eine direkte deutsch-israelische Wiedergutmachung aussprach und zum ersten Mal diesen Vertrag vorschlug. 12.5.4
Botschafter in Israel
Zum ersten Mal geht Dr. Rolf Pauls als Botschafter f ü r die Bundesrepublik Deutschland ins Ausland — nach Israel. Und das ist etwas anderes, als nach Luxemburg, Washington oder Athen zu gehen. An Washington denken er und seine Familie immer besonders gern zurück. Vielleicht mag das charakteristisch sein f ü r Dr. Pauls, daß er in Athen Heimweh nach Washington bekam und sich selber fragte, was ihn denn zu diesem Heimweh bewog. Es sei der menschliche Kontakt gewesen, den er in Washington gefunden habe, die Aufgeschlossenheit, die Bereitschaft zur Freundschaft, die menschliche Wärme, die Fairneß in der Zusammenarbeit. Das alles sind Faktoren, die er sich f ü r seine neue Arbeit in Tel Aviv erhoffen muß. Dr. Pauls hat sich in den Dienst der deutschen Außenpolitik gestellt. So ist das, was jetzt auf ihn zukommt, eine ganz ungewöhnliche Aufgabe, die in ihrer Art etwas ganz einmaliges darstellt. Sie wird diesen Mann faszinieren, menschlich, politisch und professionell. Kann man es Freude nennen, was Botschafter Dr. Pauls bewegen muß, der jetzt nach Tel Aviv geht auf den schwersten Posten, den die j u n g e deutsche Bundesrepublik zu vergeben hat? Eine Vokabel bringt er mit aus der hebräischen Sprache: Schalom, Frieden. Vielleicht gerade, weil er den Krieg und seine Grauen so intensiv miterleben mußte. Man möchte ihm auf diesen Weg den Wunsch mitgeben, daß er das „Schalom" oft hören kann in Israel, daß er diesen Gruß oft entbieten kann, kurz, daß sich die H o f f n u n g erfüllt, daß aus d e r Normalisierung der diplomatischen Beziehungen Schalom zwischen Deutschen und J u d e n wachsen möge.
12.6
Stimmen aus der Deutschen Demokratischen
Republik
Seit Anfang 1965 f ü h r t e die Regierung der DDR in Ost-Berlin eine intensive Propaganda* Kampagne gegen die Israel-Politik der Bundesregierung. Ziel dieser 290
12.6 Stimmen aus der Deutschen Demokratischen Republik Kampagne ist es, den Einfluß der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) (und damit des Ostblocks) im arabischen Raum zu vertiefen — auf Kosten der Bundesrepublik und mit den Mitteln der Diskriminierung Westdeutschlands und Israels. Der Einsatz propagandistischer Medien reicht dabei von einer Flut täglicher Nachrichten, die n u r bei aufmerksamer Betrachtung in ihren Akzenten als tendenziös erkennbar sind, bis hin zu einer Vielzahl israel-feindlicher, araberfreundlicher Berichte, Kommentare und Erklärungen in Presse, Funk und Fernsehen. Ihren ersten Höhepunkt erreichte diese anti-israelische Propagandawelle anläßlich der Einladung des VAR-Präsidenten Nasser an den Zonen-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht im J a n u a r dieses Jahres; und seit dem 7. März vollends, als in Bonn und Tel Aviv die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel angekündigt wurde, nutzten die ZonenPropagandisten jede Gelegenheit, um der Weltöffentlichkeit gegenüber zu dokumentieren, daß sie den Staat Israel f ü r ein Übel, die arabische Israel-Haltung für rechtens, und also das Regime der DDR selbst f ü r den besten Freund und natürlichen Verbündeten der Araber und somit die DDR dortselbst f ü r den einzig vertretungsberechtigten deutschen Staat halten. Dieser von keinerlei moralischen Skrupeln getrübte Standpunkt wurde erneut massiv demonstriert, seitdem am 13. Mai die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv offiziell verkündet wurde und als Folge dessen die Mehrzahl der arabischen Staaten ihre Beziehungen zu Bonn abbrach. In einer umfangreichen Erklärung der Regierung der DDR vom 14. Mai heißt es unter anderem dazu: „Die Regierung der DDR ist der Auffassung, daß die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen d e r westdeutschen Bundesrepublik und Israel die Fortsetzung einer langjährigen offenen und geheimen Zusammenarbeit zwischen den herrschenden Kreisen Israels und den imperialistischen und neokolonialistischen Kräften in Westdeutschland auf militärischem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet darstellt. Dieser Schritt kann nicht anders als eine demonstrative Unterstützung der aggressiven Politik d e r israelischen Regierung, die als imperialistisches Werkzeug gegen die arabische Befreiungsbewegung ausgenutzt wird, gewertet werden. Die Herstellung diplomatischer Beziehungen der Bonner Regierung zur Regierung Israels ist nichts anderes als ein Komplott der Vorwärtsstrategen Europas mit den Vorwärtsstrategen des Nahen Ostens. Sie entspricht der Militärpolitik der NATO, in der die USA und Westdeutschland die aggressivsten Staaten sind... Die A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv ist eine Herausforderung der arabischen Staaten und aller anti-imperialistischen, antikolonialistischen Kräfte. Es ist deshalb ein Hohn, wenn die Bundesregierung erklärt, daß mit der A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen zu Israel ein wichtiger .Schritt auf dem Wege zu einer Normalisierung der Verhältnisse im Nahen Osten getan' worden sei... 291
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
Im Namen Deutschlands kann im Nahen Osten n u r der deutsche Staat sprechen, der f ü r die nationale Freiheit und Unabhängigkeit und f ü r die Einheit der arabischen Völker eintritt und sich gegen den Neokolonialismus der imperialistischen Mächte wendet. Das ist allein die DDR. Die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Israel seitens der westdeutschen Regierung dient allein der imperialistischen Politik des Drucks u n d d e r Erpressung, die sich gegen die nationalen Ziele der arabischen Staaten, gegen die Festigung ihrer nationalen Freiheit und Unabhängigkeit und gegen die Verwirklichung der arabischen Einheit richtet..." Entsprechend, d. h. mit gleichem Vokabular, sind die Kommentare in DDRPresse und -Funk abgefaßt. Übereinstimmend wird „die prompte Reaktion der Mehrzahl der arabischen Staaten, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen" als „die einzig richtige Antwort" begrüßt und erklärt, daß die Regierung der DDR „volles Verständnis für den Schritt unserer arabischen Freunde" haben (Radio DDR). — (Ähnlich übrigens Radio MOSKAU: „Die provokatorische Politik der imperialistischen Kreise Westdeutschlands im arabischen Osten (!) stößt auf einen entschlossenen kollektiven Widerstand.") — Denn: „Wir haben es mit nichts anderem als dem seit zehn Jahren durch Geheimverhandlungen vorbereiteten Versuch zu tun, eine Art Südflanke der aggressiven N A T O in Palästina zu etablieren und die israelische Speerspitze gegen die arabische Welt weiter auszubauen als Zentrum der imperialistischen Störpolitik im Nahen Osten." (Ostberliner „Morgen", 15.5.) „Die Beziehungen Bonns zu Israel haben anderen Charaker (als sonstige international übliche diplomatische Kontakte). Denn man darf nicht vergessen, daß der Staat Israel der Vorposten einer imperialistischen Eroberungspolitik gegenüber den arabischen Ländern ist." („Deutscher Freiheits-Sender 904", 14.5.) „Der Staat Israel hat durch seine aggressive Politik gegenüber den Arabern einen gefährlichen Spannungsherd geschaffen. Bonn hat diese Politik mit enormen finanziellen Mitteln und umfangreichen Waffenlieferungen verwirklichen helfen. Der Botschafteraustausch zwischen Bonn und Tel Aviv bildet sozusagen das Tüpfelchen aufs I." (Radio Berlin International, 15.5.) „Die Regierung der DDR befindet sich daher mit Nasser und allen antiimperialistischen Kräften der arabischen Staaten in völliger Übereinstimmung, wenn sie erklärt, daß die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv nichts anderes ist als ein Komplott der Vorwärtsstrategen Europas mit denen des Nahen Ostens. Hier wie dort bedrohen die heimtückischen Verschwörer die Unabhängigkeit u n d Freiheit der Völker... Alles trennt daher die arabischen Staaten von solchen Mächten wie Israel und Westdeutschland, die sich an beiden Brennpunkten auf eine Änderung des Status quo zugunsten der Herrschaft der Imperialisten konzentrieren. Und alles verbindet sie gleichartig mit dem deutschen Staat, der gemeinsam mit ihnen den Kampf um Entspannung und Frieden 292
12.6
Stimmen aus der Deutschen Demokratischen
Republik
führt." (Ostberliner „Deutschlandsender" und ADN zitieren aus „Neues Deutschland", 18.5.) Es braucht dabei nicht eigens hervorgehoben werden, daß sich die DDR — im Chor mit anderen kommunistischen sowie natürlich arabischen Stimmen insbesondere gegen die Waffenlieferungen der Bundesrepublik nach Israel wendet — selbstverständlich ohne daß jemals auch die Rede ist von den sowjetischen Waffenlieferungen an die Vereinigte Arabische Republik (im Werte von bisher 6,6 Milliarden DM). Daß der Regierung der DDR auch künftigjeder Anlaß hochwillkommen sein dürfte, sein „bei den arabischen Ländern wachsendes moralisches Prestige" (Radio DDR, 30.5.) durch propagandistische Ausfälle gegen die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik und Israels weiter zu festigen, zeigte erst jüngst wieder die Reaktion der DDR-Presse auf die israelische Vergeltungsaktion gegen arabische Überfälle. Beispielhaft hierfür heißt es in einem ADN-Kommentar am 30.5. im DDR-Organ „Neues Deutschland": „Die Machthaber in Tel Aviv haben...die gespannte Lage im Nahen Osten wissentlich weiter verschärft. Der provokatorische Überfall auf das benachbarte Jordanien...hat überall in der arabischen Welt einen Sturm der Empörung ausgelöst. N u r Tage trennen diese folgenschwere Forcierung der antiarabischen Politik Tel Avivs von der vorangegangenen Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Westdeutschland und Israel. Noch schneller als erwartet wird damit bewiesen, wie wenig dieser Akt mit der Herstellung normaler Kontakte zwischen Staaten zu tun hat, daß es sich vielmehr um ein äußerst gefährliches Komplott der Vorwärtsstrategen Europas und des Nahen Ostens handelt. Politisch, ökonomisch, finanziell, militärisch und moralisch steht hinter den Aggressoren...der Staat der deutschen Imperialisten... Niemals könnte die israelische Regierung ohne ihre Verschwörung mit den westdeutschen Imperialisten derart aggressiv auftreten. Wied e r u m erweist sich, daß die DDR und die arabischen Staaten, eng miteinander befreundet, dem gleichen Gegner gegenüberstehen." Es kommt der DDR-Regierung (und damit der UdSSR) wie gesagt im Grunde einzig und allein darauf an, ihren (und den kommunistischen) Einflußbereich im Nahen Osten auszudehnen und die Chancen f ü r eine internationale staatliche Anerkennung der DDR zu vermehren. Kaum ein Mittel der Diskriminierung und Diffamierung, der Verfälschung und Unterstellung ist den kommunistischen Machthabern hierfür zu anrüchig, zu einfältig. Das Schlagwort vom westdeutsch/israelischen „Imperialismus" wäre hier beispielsweise ebenso zu nennen wie die monoton wiederholte Behauptung aus Ostberlin, die Bonner Regierung habe „kein Recht, von Wiedergutmachung zu reden", sondern „dieses Recht habe allein die DDR" (u. a. Radio Berlin International, 15.5., 18.5.). Die Wiedergutmachungsleistungen, die Übernahme moralischer Verpflichtungen seitens der Bundesrepublik passen der Regierung der DDR schon seit langem nicht 293
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel recht ins Konzept. So kehrt man also - vermeintlich — den Spieß um und argumentiert (anläßlich der A u f n a h m e von Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv): „Eine echte Wiedergutmachung kann doch n u r darin liegen, daß man die Wurzeln ausrottet, die Rassismus hervorbringen. Wir sind der Auffassung, daß diese Wurzeln Imperialismus, Militarismus sind. Und gerade das haben wir in unserer Republik seit 1945 mit Stumpf und Stiel ausgerottet und damit auch die Wurzeln einer Rassenpolitik. — Wir verurteilen die Zusammenarbeit einer neokolonialistischen Regierung mit der israelischen Regierung, die sich aggressive Ziele im Nahen Osten stellt." (Stellv. Zonen-Außenminister Dr. Wolfgang Kiesewetter am 14.5. im Ostberliner Fernsehen.) „Die moralische und mit den Jahren immer offensichtlicher werdende materielle Unterstützung der Bundesrepbulik für den Aggressor Israel wurde unter der heuchlerischen Maske der Wiedergutmachung geleistet... In Wirklichkeit steckte von Anfang an hinter der Hilfe f ü r Israel das Bestreben, unter Ausnutzung dieser imperialistischen Speerspitze gegen die arabischen Völker die eigenen Machtträume im arabischen Raum ihrer Erfüllung näher zu bringen." Wollte man der Regierung der DDR auf Grund ihrer israel-feindlichen Einstellung Antisemitismus (im Sinne von Antijudaismus) vorwerfen, wie das wohl in der westdeutschen Presse geschehen ist („Die Welt", 2.6.), so wäre die Antwort darauf aus Ostberlin sicherlich ein entrüsteter Protest. Und es ist gewiß auch so, daß es in der DDR ebensowenig ein Wiederaufleben eines antisemitischen Rassismus geben kann und geben wird wie in der Bundesrepublik. Es wäre auch für den freien Teil Deutschlands schlimm, wenn es im kommunistischen Teil Deutschlands anders wäre. Aber es ist auch so schon schlimm und moralisch skrupellos genug, daß die DDR sich aus reinem „imperialistisch"-machtpolitischen Eigennutz nicht scheut, anti-zionistische Politik zu treiben gegen die Existenz jenes Staates, der nicht nur zum Refugium auch f ü r jene wurde, die der Verfolgung durch Deutsche entrinnen konnten, sondern der auch durch seine Leistungen entscheidend dazu beigetragen hat, daß sich die antisemitischen Vorurteile in der Welt mehr und mehr verminderten.
12.7 Die Schließung der Israel-Mission in Köln Die E r n e n n u n g von Dr. Rolf Pauls zum deutschen Botschafter in Israel führte dazu, daß der Botschafter Dr. F.E. Shinnar, der Leiter der Israel-Mission in Köln, sein Amt niederlegte. Shinnar hatte das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen vom 10. September 1952 gemeinsam mit dem verstorbenen israelischen Minister Dr. Josephthal erarbeitet und dann die Leitung der Einkaufsmission des Staates Israel in Köln übernommen. Mit dem Ablauf des Abkommens hat294
12.8 Der erste deutsche Botschafter in Israel wird stark beachtet te sich seine Arbeit vollendet. Zahlreiche Abschiedsgespräche und Dankbekundungen gab es für Dr. Shinnar in Bonn. Bundespräsident Dr. Heinrich Lübke, Bundeskanzler Prof. Erhard, Außenminister Dr. Gerhard Schröder und der f r ü h e r e Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, mit dem er das Abkommen über die Wiedergutmachung an Israel abgeschlossen hatte, bestätigten seine vielseitige aktive Tätigkeit in Bonn. In einem Gespräch mit ihm sagte er mir folgende Sätze über diese Arbeit: „Mit dem Abschluß des Abkommens vom 10. September 1952 und der in allen Teilen korrekten D u r c h f ü h r u n g hat ein Abschnitt sein Ende gefunden, der in manchen Stadien mühsam und beschwerlich war. Das Ergebnis des Abkommens hat zu dem Aufbau Israels in der wichtigen Anfangsperiode einen fühlbaren und sichtbaren Beitrag geleistet. Mit der Vereinbarung vom 12. Mai 1965 über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Israel hat ein neuer Abschnitt begonnen, von dem alle, die guten Willens sind und die bereit sind, in der rechten Gesinnung daran mitzuarbeiten, hoffen, daß es der Weg in eine glücklichere Zukunft sein wird, wie es in dem Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Erhard und Ministerpräsident Eshkol ausgedrückt ist. Den Verlauf dieses neuen Abschnittes wird man, so glaube ich, in der Distanz, die wir noch nicht haben, beurteilen müssen, und nach den Ergebnissen, von denen wir alle hoffen, daß sie gute sein werden. Es scheint mir dieser neue Abschnitt auch der Ausgangspunkt d a f ü r zu sein, daß alles, was bisher Anomalie im deutsch-israelischen Verhältnis war, der Vergangenheit angehören wird und daß n u n m e h r alle Voraussetzungen d a f ü r gegeben sind, daß sowohl auf politischem wie insbesondere auch auf wirtschaftlichem Gebiete die bestehenden, durch die Abwicklung des Abkommens eingeleiteten Beziehungen erweitert werden, was auch f ü r die Wirtschaft Israel von großer Bedeutung sein wird. Die Zahlen, die den Handelsumfang klarmachen, sind im Jahre 1964 so, daß wir, Israel, in der Bundesrepublik f ü r etwa 240 Millionen DM außerhalb des Abkommens gekauft, also mit freien Devisen bezahlt haben, und daß wir in die Bundesrepublik f ü r etwa 160 Millionen DM exportiert haben. Ich möchte der H o f f n u n g Ausdruck geben, daß diese f ü r ein Nahostland unserer Größe bedeutsamen Ziffern im Laufe der jetzt beginnenden Periode weiter sich vergrößern und damit die Handelsbeziehungen sich vertiefen."
12.8
Der erste deutsche Botschafter in Israel wird stark beachtet
Alle Befürchtungen, die sich an die Ernennung von Dr. Pauk zum ersten Botschafter der Bundesrepublik Deutschland geknüpft hatten, verwehten schon in den ersten Wochen nach seiner Ankunft. Wo immer man mit Israelis sprach, überall war die Freude und das Glück über die Aufnahme d e r diplomatischen Beziehungen unserer beiden Staaten so stark, daß die Befürchtungen nicht mehr zur Realität wurden. David Ben Gurion hatte Dr. Pauls in sein Herz geschlossen, 295
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
nicht zuletzt darum, weil er wußte, daß dieser Diplomat und ehemalige deutsche Offizier kein Nationalsozialist gewesen ist. Er fragte mich wenige Wochen nach der Ankunft von Dr. Pauls „Wie geht es ihm?" Und als ich ihm antwortete, daß es ihm gut gehe, daß er mit großer Energie seine Arbeit aufgenommen habe, nickte er befriedigt. Aus der gemeinsamen Grundauffassung, aus der sich viele Gespräche dieser beiden Männer ergeben hatten, entwickelte sich eine echte Freundschaft. Als Paula Ben Gurion, die Gattin des Ministerpräsidenten verstarb, war ein einziger Diplomat aus dem weiten diplomatischen Corps in Israel bei der Beerdigungsfeier in Stade Bocare anwesend, Dr. Rolf Pauls. Als der erste deutsche Botschafter zu seinem Abschiedsempfang nach Herzlia geladen hatte, gab es ein riesiges Polizeiaufgebot um seine Residenz: Es galt f ü r die Polizei, nicht mehr wie zu Anfang, den deutschen Botschafter zu schützen, sondern ihn vor den vielen enthusiastischen Beifallbekundungen in Schutz zu nehmen, die ihm bei diesem Ereignis entgegenschlugen. Eine Besonderheit: David Ben Gurion, der sonst niemals zu solchen Ereignissen ging, war persönlich gekommen, um sich von Dr. Pauls zu verabschieden. Von Israel war er als Botschafter nach Washington berufen worden. Das war ebenfalls eine Auszeichnung besonderer Art. Ein Ereignis kann man hier nicht verschweigen. Es war die erste Rede, die Botschafter Dr. Pauls in Israel hielt. Fast ein J a h r nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland im Juli 1966 wenige Wochen nach dem Besuch von Konrad Adenauer in Israel zum ersten Mal mit einem eigenen Pavillon an der israelischen Industrie-Messe. Es gab einen „deutschen Tag" bei dieser Messe. Bei dieser Veranstaltung geschah es: Dr. Pauls sprach erstmals in der Öffentlichkeit und das zum deutsch-israelischen Verhältnis. Seine Ansprache wurde festgehalten: „Bei dieser ersten öffentlichen Ansprache nach fast einjährigem Aufenthalt in Israel liegt mir daran, zunächst zwei Empfindungen auszudrücken: all den Israelis zu danken, die mich mit Beweisen des Verständnisses, der Freundlichkeit und, ich bin glücklich zu sagen, der Freundschaft in diesen Monaten ermutigt haben. Die Wertschätzung dieses vielfachen ermutigenden Zuspruchs ist sehr tief empfunden. Wenn ich aus Sorge um die deutsch-israelischen Beziehungen ein paar Worte sage, so kann ich zum anderen nicht beginnen, ohne meinem großen Respekt für das friedliche Aufbauwerk, das ich in diesem J a h r hier kennengelernt habe, Ausdruck zu geben. Ich bin tief beeindruckt. Wenn Sie sich heute mit aktuellen wirtschaftlichen Sorgen beschäftigten und an der Überwindung einer teils konjunkturellen, teils strukturellen Wirtschaftskrise arbeiten, so bin ich d e r festen Überzeugung, daß es sich dabei um Wachstumsschwierigkeiten und nicht mehr handelt, und daß der Genius, die Willenskraft und das sichere Gefühl f ü r das Wesentliche Sie diese Schwierigkeiten erfolgreich überwinden lassen. Wir Deutschen befinden uns Ihnen gegenüber in einer besonderen Lage. Wir sehen das so. Wir haben es wiederholt ausgesprochen und sind praktisch bemüht, 296
12.8 Der erste deutsche Botschafter in Israel wird stark beachtet dieser besonderen Lage zu entsprechen. Zwischen Deutschland u n d Israel geschlossene Verträge u n d die D u r c h f ü h r u n g deutscher Gesetze, die sich mittelbar auf I h r Land auswirken, legen davon Zeugnis ab. Was wir getan haben u n d tun, trägt zu unserer G e n u g t u u n g wirkungsvoll dazu bei, I h r friedliches Aufbauwerk zu f ö r d e r n . Wir verstehen, daß Sie nicht vergessen können, was geschehen ist. Wir sind überzeugt, daß wir es nicht vergessen d ü r f e n . Wir haben seit 1952 Beziehungen gehabt. Es waren Reparationsbeziehungen. Dem Wesen d e r Reparation folgend mußte Ihr Blick nach rückwärts gerichtet sein auf das Furchtbare, das hinter uns lag, u n d dem, soweit Menschenkraft dazu noch ausreichte, Reparationen geleistet werden sollten. Ein jüdischer Staatsmann hat dieses Werk am 5. Mai in Jerusalem mit Worten gewürdigt, die verdienen, erinnert zu werden. Nahum Goldmann sagte: ,Die Wiedergutmachung u n d Rückerstattungs-Gesetzgebung ist eine einzigartige Erscheinung. Es gibt praktisch keinen Präzedenzfall, bei d e m eine Regierung Indemnitäten gezahlt hat an die O p f e r eines f r ü h e r e n Regimes, die noch nicht einmal Bürger des Landes sind, u n d diese einzigartige Gesetzgebung hat n e u e internationale Rechtsbegriffe geschaffen u n d einen wichtigen Präzedenzfall gebildet.' Seit einem J a h r b e m ü h e n wir uns, Beziehungen zwischen unseren Regierungen u n d Staaten aufzubauen, wie sie zwischen anderen Regierungen und Staaten auch bestehen. Es sind außenpolitische Beziehungen. Außenpolitik richtet notwendig den Blick nach vorn. Ihre Aufgabe ist, der Gegenwart Werte abzugewinnen, die den Weg in die Z u k u n f t sichern. U n d das ist sehr vornehmlich auch die A u f g a b e von Deutschen und J u d e n in unserer Zeit. Ich habe dem am Tage mein e r A n k u n f t Ausdruck gegeben u n d unterstreiche es auf G r u n d d e r einjährigen E r f a h r u n g . Auf d e m düstersten H i n t e r g r u n d und trotz allem, was geschehen ist, haben wir zusammenzuarbeiten u n d werden wieder Gemeinsames schaffen können. Wir brauchen unendliche Geduld. Es gilt, nichts zu übereilen. Es ist ganz unwichtig, ob wir schnelle Erfolge erringen. Wichtig ist allein, daß wir solide Erfolge a u f b a u e n , die keinen Rückschlägen ausgesetzt sind. Wir haben vollkommenes Verständnis f ü r echte G e f ü h l e d e r Abneigung, f ü r tiefe wahrhaftige Ressentiments. Wir respektieren sie u n d können nicht anders. Wir würdigen erschüttert und dankbar die B e m ü h u n g e n u m Aussöhnung derer, die selber furchtbar gelitten haben, u n d aus d e r Überzeugung, daß, um weiteres Unheil zu verhüten, d e r Haß ü b e r w u n d e n werden muß, sich auf ihr Leid stellen u n d d e r Versöhnung dienen. In d e n deutsch-israelischen Beziehungen ist f ü r J a h r z e h n t e unendlich viel zu tun. W e n n trotz allem, was sie belastet, in den vergangenen J a h r e n viel erreicht werden konnte, so gebührt ein besonderes Verdienst d a f ü r den Israelis guten Willens und guter Tat, die trotz vieler Anfechtungen Bedeutendes f ü r die Wied e r a n b a h n u n g d e r Beziehungen vollbracht haben. Es kann nicht a n d e r s sein, als daß in unseren Beziehungen die Vergangenheit die Gegenwart stärker überschattet, als das sonst irgendwo der Fall ist. Aber wir wollen uns davon die Zuversicht in die Z u k u n f t nicht rauben lassen. Ich denke 297
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel a n das Wort, das I h r Präsident am 18. August 1965 in J e r u s a l e m gesagt hat: ,Die L e h r e aber, die wir aus d e r bitteren Vergangenheit ziehen sollten, lautet folgend e r m a ß e n : Wir müssen u n s e r e K r ä f t e f ü r die Z u k u n f t einsetzen, damit die Prediger des Hasses v e r s t u m m e n u n d d e r Geist j e n e r f u r c h t b a r e n Epoche nie wieder zum Leben erwacht.' N u r mit g r o ß e r Sorge k a n n m a n verfolgen, wie aus politischen u n d Zweckg r ü n d e n u n d egoistischen Motiven das Leid d e r Vergangenheit i m m e r neu u n d f u r c h t b a r a u f g e r e g t wird, u m die Gegenwart zu stören, daß sie d e r Z u k u n f t nicht zu dienen vermag. Diese aus politischen G r ü n d e n d e m heutigen Deutschland feindlich g e s o n n e n e n K r ä f t e leisten auch ihrem eigenen L a n d mit d e r Agitation, die sie betreiben, einen schlechten Dienst. Ich e r i n n e r e an das Wort, das Konrad Adenauer in g r o ß e m Ernst a m 3. Mai in J e r u s a l e m gesagt hat: ,Wenn guter Wille nicht a n e r k a n n t wird, kann d a r a u s nichts Gutes entstehen.' Das gilt auch f ü r die Berichterstattung ü b e r Deutschland. Es ist ein untauglicher Versuch, Deutschland im J a h r e 1966 nazistisch darstellen zu wollen. Das gibt es nicht u n d wird es nie wieder geben. Mit Fiktionen aber ist n i e m a n d gedient. R a n d e r s c h e i n u n g e n zu S y m p t o m e n machen zu wollen u n d so zu berichten, ist schlechte u n d gefährliche Berichterstattung. Allein die Wirklichkeit klar zu erkennen, hilft weiter. Nicht, d a ß in H a m b u r g eine radikale Splitterpartei ein Prozent m e h r Stimmen gewonnen hat, ist bezeichnende Wirklichkeit, sondern d a ß ein j ü d i s c h e r Mitbürger mit d e r größten Mehrheit, die seine Partei j e in H a m b u r g erzielte, z u m Bürgermeister dieser Stadt gewählt wurde. Aus Karl Orff 1966 noch einen Nazi m a c h e n zu wollen, ist lächerlich. Von m a ß g e b e n d e r Seite ist in den letzten Wochen wiederholt geäußert worden, das j ü d i s c h e Volk e r w a r t e T a t e n von Deutschland, damit es in die Völkerfamilie wieder a u f g e n o m m e n werde. Ich möchte dazu feststellen: Deutschland n i m m t wieder einen geachteten Platz in d e r Völkerfamilie ein. Es bedarf dazu keiner G e n e h m i g u n g m e h r . Seit d e m Entstehen d e r Bundesrepublik leistet Deutschland beständig seinen konstruktiven Beitrag f ü r die Völkergemeinschaft, d e r allgemein gewürdigt wird. Das ist auch hier zur G e n ü g e bekannt. Wenn d e m nicht so wäre, hätte Israel zweifellos nicht die offizielle A n e r k e n n u n g d u r c h dieses Deutschland gewünscht. Ä u ß e r u n g e n , die in ihrer diskriminierenden Absicht erkannt, eine K r ä n k u n g , a b e r sonst nichts bewirken, haben nie eine glückliche Rolle in zwischenstaatlichen Beziehungen gespielt. Es scheint mir angebracht, in diesem Z u s a m m e n h a n g d a r a n zu e r i n n e r n , d a ß Deutschland, u m Israel a n z u e r k e n n e n , sehend u n d wissend d e n Abbruch seiner teils normalen, teils guten Beziehungen mit 10 Staaten in Kauf g e n o m m e n hat. Was T a t e n anbetrifft, ist das ein Entschluß, d e r in d e r Geschichte d e r Diplomatie u n d Außenpolitik o h n e Beispiel u n d Vorgang dasteht. Die deutsche Außenpolitik hat im N a h e n Osten keine spezifischen eigenen Interessen zu verfolgen. I h r liegt daran, an d e r Konsolidierung u n d friedlichen Entwicklung dieses Raumes mitwirken zu k ö n n e n , weil sie darin den notwendigen Beitrag zum Frieden, d e n sie hier leisten kann, erblickt. Eine solche Bemüh u n g dient d e m wohlverstandenen Interesse aller Mächte im N a h e n Osten, u n d 298
12.8 Der erste deutsche Botschafter in Israel wird, stark beachtet
sie dient unserem eigenen Interesse. Denn eine Störung des Friedens im Nahen Osten müßte sich unmittelbar verheerend auf die Lage im Mittelmeer und in Europa auswirken. Nichts in unserer Aktivität richtet sich gegen irgendjemand. Die arabischen Mächte, die vor einem Jahr die Beziehungen zu uns abbrachen, weil wir die Beziehungen zu Israel eröffneten, hatten dazu keinen Grund. Ebenso wenig hat man in Israel Grund, unwillig zu reagieren, wenn wir unserem Wunsch Ausdruck geben, daß die Araberstaaten ihre Beziehungen zu uns renormalisieren. Eine solche Renormalisierung liegt im Interesse der betreffenden Staaten. Sie liegt im deutschen Interesse, und sie liegt im Interesse Israels. Es muß Israel daran liegen, daß wir im ganzen Nahen Osten die deutsche Stimme führen, und niemand sonst. Alle unsere Beziehungen zu den Mächten des Nahen Ostens entsprechen legitimen Interessen und stehen in keiner Konkurrenz untereinander. In den vergangenen Wochen hat ein Problem unserer Außenpolitik, das diesem Raum fernliegt, ohne unser Zutun eine Rolle in den deutsch-israelischen Beziehungen gespielt. Es ist in letzter Zeit von israelischer Seite noch einmal der Öffentlichkeit gegenüber angesprochen worden. Deshalb kann ich nicht umhin, dazu ein Wort zu sagen. Denn der Behandlung deutscher Interessen durch Israel kommt grundsätzliche Bedeutung für die Qualität der deutsch-israelischen Beziehungen zu. Die Frage der deutschen Ostgrenze ist ein politisches und völkerrechtliches Problem, zu dem unsere Stellungnahme auf dem Potsdamer Abkommen fundiert ist. Die beteiligten Mächte werden d a f ü r bei der Regelung eines deutschen Friedensvertrages eine Lösung finden müssen. Bis dahin divergieren die Auffassungen. Die unsere kann nur in Verbindung mit dem unbedingten und endgültigen deutschen Gewaltverzicht gewertet werden, den wir unwiderruflich erklärt haben. Ich unterstreiche daher erneut, daß die deutsche Auffassung der Grenzfrage niemals eine Gefahr f ü r den Frieden bedeuten kann, und daß niemand, der ihr widerspricht, sich darauf berufen kann, er müsse durch diesen Widerspruch dem Frieden dienen. Bis zu einer friedensvertraglichen Regelung sind wir an unserer Position so interessiert, wie j e d e Regierung, die ihr Land durch außenpolitische Fährnisse zu steuern hat, es zu sein pflegt. Wir reagieren auf Beeinträchtigungen unserer Position mit der empfindlichen Aufmerksamkeit, die jede Regierung in vergleichbarer Lage zeigt. Ich kann mir nicht denken, daß man gerade hier d a f ü r kein ausreichendes Verständnis aufzubringen vermag. Behutsames Umgehen mit den Interessen des anderen wird der zukünftigen Qualität unserer Beziehungen dienlich sein. Der deutsch-israelische Handel hat sich erfreulich entwickelt. Schwierigkeiten, die vorhanden sind, bedürfen einer einvernehmlichen Regelung zwischen der Organisation des Gemeinsamen Europäischen Marktes und Israel. Sie sind nicht ausschließlich bilateral deutsch-israelischer Natur. Wir sehen Ihre Wünsche und Notwendigkeiten und haben Ihnen in der Vergangenheit ein überaus großes Maß von Verständnis und praktischer Unterstützung entgegengebracht. Auch das jüngste in Bonn abgeschlossene Finanzhilfe-Abkommen gibt diesem unserem Verhalten wirkungsvoll Ausdruck. Wir wünschen Ihnen bei Ihren wirtschaftlichen Anstrengungen auch in Zukunft 299
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel
vollen Erfolg u n d sind gewillt, dabei zu helfen, soweit uns das möglich sein wird. Eines Ihrer wichtigsten Ziele liegt darin, durch den Ausbau Ihrer industriellen Produktion den israelischen Export so zu steigern, daß er die Import-ExportBilanzlücke, die nach wie vor eine Ihrer großen wirtschaftlichen Sorgen bildet, zu schließen vermag. Wir möchten Sie auch bei diesem industriellen Aufbau unterstützen. Uns liegt dabei nicht an der Erringung von Positionen. Wegen des Umfangs des Marktes sind die Schwierigkeiten des Engagements größer als seine Vorteile. Aber wir glauben, daß wir technisch und wirtschaftlich nützlich sein können, u n d wir glauben, daß das Wichtigste und Nützlichste, was Deutsche und Israelis heute zu tun vermögen, darin liegt, praktisch zusammenzuarbeiten. Zusammenzuarbeiten vor allem da, wo Emotionen am wenigsten involviert sind, zum Beispiel im wirtschaftlichen Bereich. Wenn wir da zu Fortschritten gelangen, werden wir der Gesamtqualität unserer Beziehungen einen wichtigen Dienst erweisen und in Zukunft auch auf Gebieten einander wieder näherkommen können, die schwieriger und schmerzlicher wieder zu erschließen sind, die Bereiche des Geistes und der Kunst. Die Beziehungen zu Deutschland werden sich in dem Maße bessern, wie Politik nicht n u r aus der Vergangenheit heraus, sondern in die Zukunft hinein konzipiert wird. Nichts soll unsere feste Zuversicht erschüttern, daß wir unsere Beziehungen auf einen guten Weg in die Zukunft bringen." Von Washington f ü h r t e Dr. Pauls Weg als erster Botschafter in die Volksrepublik China nach Peking. Von dort rückte er näher an Bonn heran. Er kam nach Brüssel, um die Deutsche Botschaft bei der N A T O zu leiten. Es waren 15 harte, arbeitsreiche Jahre seit 1965, als ich Dr. Pauls, wenige Wochen bevor er in sein Haus nach Bonn zurückkehrte, zu einem Gespräch in Brüssel sah. Ich zeichnete diese Unterhaltung auf: „Herr Botschafter, es ist 32 Jahre her, seit Sie und noch andere in Bonn begannen. Sie stehen jetzt am Ende Ihrer Laufbahn. Sie haben einen ungewöhnlichen Weg als Botschafter durchlaufen. Wir können alle Stationen auswählen, sie waren immer bedeutsam für das Nachkriegsdeutschland. Sie begannen im persönlichen Büro Konrad Adenauers als er Präsident des Parlamentarischen Rates in Bonn war. 1965 gab es eine Zäsur. Sie wurden von Außenminister Schröder, der damals das Amt leitete, berufen nach Israel zu gehen. Was f ü r Gedanken und Gefühle haben Sie damals bewegt? Antwort: Die Beschäftigung mit dem deutsch-jüdischen Problem war etwas, was mich seit 1948, den Anfangsjahren der Bundesrepublik, ausgefüllt hat und in den J a h r e n bis 1965, in der Zeit, in der ich Mitarbeiter von Blankenhorn war, dann als nächster Mitarbeiter von Walter Hallstein, den Jahren in denen das deutsch-israelische Abkommen verhandelt und beschlossen wurde, dann als Leiter d e r politischen Abteilung als Botschaftsrat in Washington, in unserer Botschaft mit Kontakten zu den jüdischen Organisationen in Amerika, mit Nahum 300
12.8 Der erste deutsche Botschafter in Israel wird stark beachtet Goldmann, mit der israelischen Botschaft in Washington. Dann habe ich in den Jahren in denen ich die Unterabteilung f ü r Überseeische Wirtschaftsbeziehungen im Auswärtigen Amt leitete (von 1963 bis 1965), natürlich auch mit den deutsch-israelischen Beziehungen im Wirtschaftsbereich zu tun gehabt. Im Frühjahr 1965 war ich mit Kurt Birrenbach in Israel und an den Verhandlungen beteiligt, die zur A u f n a h m e der diplomatischen Beziehungen führten. Es war merkwürdigerweise damals ein Israeli, der später ein neuer Freund geworden ist, der in einem Gespräch so am Rande der Verhandlung plötzlich sagte, es wäre doch eigentlich ein guter Gedanke, wenn Sie als Botschafter hierher kämen. Mir erschien das ziemlich abseitig. Ich hatte mich noch nicht mit der Personalauswahl befaßt, die mich auch gar nichts anging, aber ich war dabei eigentlich nicht auf mich selbst gekommen. Das war Seev Sheh der vor zwei Jahren all zu f r ü h als israelischer Botschafter in Rom gestorben ist. Dann stand ich selbst vor dieser Frage, denn es ist natürlich eine Entscheidung des Außenministers, der das dem Kabinett vorschlägt. Das Kabinett muß es billigen, aber es ist vor allen Dingen auch eine Entscheidung des Betroffenen, der dazu ja-sagen muß und nicht n u r formell ja- sagen muß, sondern gerade bei einer Aufgabe, die so völlig ungewöhnlich war, von ganzem Herzen ja-sagen muß. Ich habe das mit meiner Frau besprochen und dann haben wir beide dazu „ja" gesagt. Dabei ist es dann auch geblieben. Frage: Ich habe erlebt, als Sie damals Ihren Posten antraten und vor dem Sheraton-Hotel in Tel Aviv es kleine Demonstrationen gab, die sich aber sehr bald verflüchtigten. Das war der Anfang. Wie hat sich die Entwicklung in den drei Jahren gezeigt, in denen Sie als Botschafter in Israel waren? Antwort: Der Anfang war sehr stürmisch und es gab Demonstrationen vor dem Sheraton-Hotel in Tel Aviv und auch andere. An eine erinnere ich mich sehr gut. Es war keine kleine, es war eine ziemlich große. Da sprach einer der besten Redner, die es in Israel gab, das war der heutige Ministerpräsident. Ich habe das sehr gut in Erinnerung. Ich habe diese vielen Proteste einschließlich derer, die dann einen Höhepunkt bei d e r Überreichung des Beglaubigungsschreibens führten, sehr wohl verstanden, u n d ich habe damals nur im Kreise meiner Mitarbeiter gesagt, ich bin mir nicht sicher — wenn ich Israeli wäre —, ob ich mich nicht unter den Demonstranten gefunden hätte. Wir mußten das überstehen und wir haben es überstanden. Vor allen Dingen auch wieder mit der Hilfe von Israelis, die uns Mut zugesprochen haben. Ich weiß noch, als ich von der Überreichung des Beglaubigungsschreibens aus Jerusalem zurückkam, wie mir ein kleiner Blumentopf gebracht wurde mit einer Karte auf der stand, ,von Nachbarn des SheratonHotels mit den besten Wünschen f ü r Sie'. Und so haben eigentlich von den ersten Tagen und Wochen an immer mehr Israelis volles Verständnis gezeigt und dann mit unserer Arbeit und der Art, wie wir sie aufnahmen, Sympathie bekundet. Daraus haben sich im Laufe der J a h r e persönliche Bindungen entwickelt, die zu Freundschaften f ü r unser Leben, f ü r das meiner Frau und mein eigenes, wurden. Und ich weiß auch von Freundschaften aus dieser Zeit von vielen meiner Mitarbeiter. Und das ist eine unglaubliche Ermutigung f ü r uns gewesen. Es waren nicht nur Freunde aus dem politischen Spektrum Israels — diese auch - , 301
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sondern aus allen Schichten d e r Bevölkerung, Anwälte, Ärzte, Geschäftsleute, Farmer aus Q u a r Shmajahu u n d aus Herzlija, wo wir nachher wohnten, aus Tel Aviv selbst u n d in Jerusalem. Frage: H e r r Botschafter, d e r Unterschied d e r Atmosphäre als Sie kamen u n d als Sie nach drei J a h r e n gingen? Antwort: Das kann ich vielleicht am besten mit dem beschreiben was mir ein Polizeikommandeur, als ich wegging, sagte, e r sagte: ,Herr Botschafter, wir haben f ü r Ihre Abreise u n g e f ä h r so viel Polizei gebraucht wie f ü r I h r e Ankunft.' Frage: Was wollte er damit sagen? Antwort: Diesmal auf dem umgekehrten Wege, nämlich z. B. zu unserem Abschiedsempfang in unserem Garten in Herzlija-Pituach, kam, was ganz ungewöhnlich war u n d was er sonst nie tat, David Ben Gurion, was natürlich zur Folge hatte, d a ß d e r ganze Ort, die ganze Bevölkerung d e r umliegenden Straßen sich auch vor d e m Haus versammelte. Er wollte wohl damit sagen, daß in diesem Fall nicht die Sicherheits-, sondern m e h r die Verkehrsprobleme die Polizei beschäftigten. Frage: Nach Israel kam auf Sie eine neue gewaltige Aufgabe zu, die von d e r Karriere her, von d e r normalen Karriere eines Beamten im Auswärtigen Amt etwas besonderes war. Sie wurden nach Washington versetzt? Antwort: Es war das zweite Mal, daß ich in Washington war, ich war vorher j a als Botschaftsrat fast f ü n f J a h r e dort. Das war an sich eine große u n d eine sehr schwierige Aufgabe wie f ü r j e d e n Botschafter in Washington. Es war insofern eine besonders interessante Aufgabe als sie in die Zeit in der, wie soll ich sagen, Erweiterung unserer Außenpolitik fiel, nämlich die Zeit d e r H e r e i n n a h m e d e r Dimension d e r Politik nach Osten. In einem Zusammenspiel mit d e r Außenpolitik Nixons u n d Kissingers u n d natürlich auch mit durchaus eigenen Zügen. Das war f ü r d e n Botschafter in Washington - so habe ich das gesehen —, war d e r richtige Ansatz d e r Arbeit. Vor allen Dingen war es wichtig darauf zu sehen, d a ß unsere und die Außenpolitik d e r Vereinigten Staaten gerade auch gegenüber d e r Sowjetunion auftraten, die hätten riskant werden können. Frage: Sie meinten eben d e r Bundesrepublik u n d in Washington? Antwort: Der Bundesrepublik u n d Washingtons, aber es handelte sich natürlich auch u m eine Politik im Bündnis. Wenn ich an die Washingtoner J a h r e bis 1973 zurückdenke, so sind es eigentlich zwei Komplexe gewesen, die mich besonders beschäftigt haben. Das war einmal dieser Bereich d e r Ost-Politik im Rahmen d e r Bündnis-Politik u n d man kann sagen, d a ß 80 Prozent all dessen, was wir politisch getan haben, in diesen Bezug gehörte. Dann gab es die in d e n J a h r e n immer d r ä n gender w e r d e n d e n Fragen des handelspolitischen Konfliktes zwischen d e r EWG und d e n Vereinigten Staaten. Damals u n d auch in einer natürlichen V e r b i n d u n g mit d e n währungspolitischen Problemen, d e m Beginn der Abwertung des Dollars, d e r A u f w e r t u n g d e r D-Mark, der Ablösung des Systems von Briten Woods, durch zunächst gar kein System, sondern d u r c h Hilfskonstruktion bis hin zum freien Floaten. Das sind eigentlich die Bereiche gewesen, um die die Arbeit sich ganz kristallisiert hat. Ich war damals d e r Auffassung u n d bin es heute und habe 302
12.8 Der erste deutsche Botschafter in Israel wird stark beachtet mich damals sehr dafür eingesetzt, daß die Verträge, wie immer sie aussahen, nachdem sie unterschrieben waren, ratifiziert werden mußten, weil sonst gedroht hätte, daß die Bundesrepublik außenpolitisch handlungsunfähig geworden wäre. Ich habe damals auch die Auffassung vertreten — ich glaube, das hat sich inzwischen so herausgestellt - , daß die Verträge weder so segensreich sind wie ihre gelegentlichsten Befürworter das erwarteten, noch waren sie so katastrophal wie die stärksten Opponenten es befürchteten. Frage: Herr Botschafter, nach dieser Periode in Washington, die Sie eben umrissen haben, kam für Sie ein ganz anderes Feld, nämlich die Ausweitung der OstPolitik auf die Volksrepublik China. Sie wurden Botschafter in Peking. Antwort: J a , ich wollte das eigentlich gar nicht, ich mochte da auch gar nicht hin, und ich wäre sehr viel lieber in der Washingtoner Arbeit geblieben, aber das ist eben so. Im Rückblick muß ich sagen, daß ich sehr froh und dankbar bin, daß man mich gegen meinen Willen nach Peking geschickt hat. Denn dies ist ein ungewöhnlich interessanter und zeitweise faszinierender Abschnitt unseres Lebens geworden. Einmal die Entdeckung Chinas, zweitens die politische Arbeit, gerade auch im Anschluß an Washington. Ich habe in Washington immer die Auffassung vertreten, daß die Europäer die amerikanische Außenpolitik nicht nur als eine atlantisch-europäische begreifen dürfen, sondern daß 50 Prozent und zu Zeiten mehr, der amerikanischen Außenpolitik pazifisch und gegen Asien hingewandt ist, daß das eine auch für die Existenz und das Überleben Europas ganz entscheidende Komponente ist, dieses nun von der anderen Seite des Pazifik aus zu sehen und die Entwicklung vor allem auch der amerikanisch-chinesischen Beziehungen zu verfolgen. Ich habe darüber auch bei den verschiedenen Besuchen Kissingers in Peking mit ihm immer wieder sprechen können und die Entwicklung der Beziehung Chinas mit Europa. Das ist etwas geworden, das mir auch für die Arbeit heute von großem Nutzen ist. Ich bin nie ein Fern-Ost-Experte geworden und kein China-Experte, aber man kann nicht drei Jahre dort arbeiten und leben ohne mit einer hinreichend klaren Vorstellung zurückzukommen, wer die Chinesen sind — und ich schätze sie ganz außerordentlich, sie sind uns auch sehr freundlich und sympathisch begegnet—und sind ein ganz besonders intelligentes und tüchtiges Volk. Man gewinnt auch eine sehr klare Vorstellung was sie wollen, was ihre Möglichkeiten sind und was vor allem auch die Grenzen ihrer Möglichkeiten und noch auf sehr lange Zeit unabhängig vom Rhythmus der chinesischen Entwicklung sein werden, selbst wenn, was ich sehr hoffe und für die Chinesen sehr wünsche, diese Entwicklung ohne jeden Unterbruch kontinuierlich weiter verläuft. Es war zum zweiten Mal ein Anfang, nach Israel, Beziehungen aufzunehmen. Allerdings psychisch unter ganz anderen Voraussetzungen. Während nichts in meinem Leben mir so unter die Haut gegangen ist wie das Arbeiten in Israel, das Zusammenleben, das Zusammenarbeiten und mich eigentlich nichts auch so erschüttert hat wie die Entwicklung von Freundschaften, da wo ein Deutscher eigentlich gar keinen Anspruch auf Freundschaft hat, war das in China insofern ganz anders als die Chinesen zu den relativ wenigen Leuten gehörten, denen wir in diesem Jahrhundert kaum etwas Böses zugefügt haben. 303
12 Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel Frage: H e r r Botschafter, u n d d a n n ging es nach drei J a h r e n wieder z u r ü c k in d e n Westen, in die N ä h e von Bonn, nach Brüssel als Botschafter bei d e r N A T O , d e r Bundesrepublik bei d e r N A T O ? Antwort: Ja, das war eine V e r w e n d u n g die ich mir n u n als letzte sehr gewünscht habe, die j a rein äußerlich meine beiden B e r u f e , d e n militärischen u n d d e n diplomatischen, in der Stellung d e r Aufgabe, eigentlich in einer Symbiose zusammenfaßt. Es ist etwas, was so wie die Dinge in d e r Welt sind, eben als G r u n d l a g e unser e r Außenpolitik von entscheidender B e d e u t u n g u n d unverzichtbar ist: Die Mitarbeit im atlantischen Bündnis. Es liegt j a eine gewisse Ironie darin, d a ß wir als letzte in die N A T O eingetreten sind u n d heute einen Beitrag zu leisten haben u n d Gott sei Dank in d e r Lage sind zu leisten, wie er ist. Denn wenn Sie sich d e n d e u t s c h e n Beitrag aus d e m Bündnis einmal wegzudenken versuchen, d a n n wird klar, d a ß es in E u r o p a o h n e die Bundesrepublik Deutschland nicht ginge, die kollektive Sicherheit des freien Teils Europas mit d e n A m e r i k a n e r n z u s a m m e n zu gewährleisten. Ich h a b e hier in Brüssel aus dieser Ü b e r z e u g u n g heraus gearbeitet, d a ß dies die G r u n d l a g e u n s e r e r Außenpolitik ü b e r h a u p t ist. Daß wir eine Politik, S p a n n u n g e n zu mildern, n u r f ü h r e n k ö n n e n mit Aussicht auf Ergebnisse, auf Erfolg, wenn wir in diesem Bündnis verankert sind u n d wenn dieses Bündnis ein Gleichgewicht d e r Kräfte, o h n e das m a n eine Politik, S p a n n u n g e n zu senken, g a r nicht f ü h r e n k a n n , garantiert. Da wo dies Gleichgewicht gestört ist, m u ß es wiederhergestellt w e r d e n . In einer solchen Phase b e f i n d e n wir uns jetzt u n d diese Wiederherstellung des Gleichgewichtes ist etwas was nicht n u r d e n Bündnisbereich angeht, s o n d e r n d a r ü b e r hinausgreift. Wo das Bündnis nicht als solches zu erscheinen hat, wo a b e r V e r b ü n d e t e miteinander arbeiten müssen, u m westliche Interessen zu w a h r e n . Zweitens müssen wir d a r a u f h i n w i r k e n , daß alle im Bündnis voll beteiligt sind, sich voll verantwortlich u n d mitwirkend f ü h l e n u n d wir müssen allen Entwicklungen w e h r e n die in die Richtung laufen, aus d e m Bündnis gewissermaßen eine Tripelallianz d e r Amerikaner, E n g l ä n d e r u n d Deutschen zu m a c h e n , die a n d e r e n etwas am R a n d e placiert w e r d e n . Das wäre verderblich f ü r die Kohäsion des Bündnisses u n d wir müssen auch die Rolle Frankreichs richtig sehen u n d nicht n u r uns gewissermaßen d a r a n stoßen, daß es nicht in d e r militärischen Integration ist. Frankreichs Mitglied des Bündnisses, die Z u s a m m e n a r beit, funktioniert auf d e r Basis wie Frankreich sie sich definiert hat. Es hat in all d e n v e r g a n g e n e n J a h r e n viel f ü r d e n Westen als Gesamtheit getan. Es ist eine atlantische u n d m e d i t e r r a n e Seemacht. Es ist nicht n u r eine westeuropäische Landmacht. Es ist d u r c h seine Bündnisse mit west-afrikanischen Staaten auch d o r t von g r o ß e r B e d e u t u n g u n d hat das in Westafrika in d e n 70er J a h r e n i m m e r wieder u n t e r Beweis gestellt. Es ist die einzige Macht, die bis vor kurzem eine ständige maritime Präsenz im Indischen Ozean unterhalten hat, was sie auch jetzt in d e r Krise tut. Es spielt eine Reihe von Rollen, die n u r Frankreich spielen k a n n u n d f ü r die es auch unser rechtes Verständnis braucht. Wir unterschätzen Frankreich, wenn wir es n u r in seiner kontinentalen westeuropäischen Rolle bewerten. Frage: H e r r Botschafter, die Reise d u r c h die deutsche Diplomatie geht zu Ende, was w e r d e n Sie t u n , wenn Sie nach Bonn in I h r H a u s zurückgekehrt sein werden?
304
12.8 Der erste deutsche Botschafter in Israel wird stark beachtet Antwort: Ich betrachte das nicht so sehr als einen Ruhestand, sondern als die erste Lebensphase meiner völligen Unabhängigkeit. Wissen Sie, wir gehen in die Schule, wir gehen alle in die Schule, da sind wir nicht unabhängig, natürlich nicht. Dann wurde ich 1934 Soldat, im Heer, dann kam der Krieg, dann habe ich studiert. Universitätsjahre sind in normalen Zeiten solche der relativen Unabhängigkeit, aber unter den Zwängen dieser Nachkriegszeit war das natürlich auch nicht sehr sonnig. Dann bin ich in den Dienst des Bundes getreten. Gerne. Ich habe dem Bund gerne gedient. Ich habe mich nie als in diesem schrecklichen Superlativ verstanden, ein Bundesbediensteter zu sein, was ich eine gräßliche Sprachverirrung finde. Ich war ein Diener des Bundes. Aber man ist da natürlich auch nicht unabhängig. Merkwürdigerweise, j e mehr Verantwortung man trägt und je wesentlichere Aufgaben man übertragen bekommt, ist man eigentlich umso weniger unabhängig, weil die Verantwortung, die bis in alles persönliche Verhalten hineingeht, natürlich einem doch vieles auferlegt. Nun werde ich ganz unabhängig sein und ich habe gesagt, ich werde Instruktionen nur noch von meiner Frau empfangen, mit der kann ich mich dann leicht einigen, ob ich sie befolge oder nicht. Ich werde erst einmal meine Bücher ordnen, die bei jedem Umzug einfach aus den Kisten in die Regale gestellt worden sind. Das dauert schon eine Weile. Dann werde ich vieles lesen, was ich noch nicht gelesen habe und was darauf wartet, gelesen zu werden. Ich werde auch sicher etwas schreiben, vielleicht ist das nicht zur Veröffentlichung gedacht, sondern f ü r meine Familie, f ü r meine Freunde, Kinder und Enkel und vielleicht kann man später einmal einen Verleger d a f ü r interessieren, aber das ist nicht so wichtig, sondern es ist auch eine Reflexion für mich selber. Dann werde ich mich um mein Pferd und den Garten kümmern. Ich will nicht sagen, daß tausend Blumen sprießen, vielleicht fällt einem dann, wenn man unabhängig ist, noch das eine oder andere, was zu tun bleibt, ein, auf das man gar nicht kommt solange man im Dienst ist." Das war das Leben eines Diplomaten, der eine steile Karriere auf seinem Engagement f ü r den deutsch-israelischen Dialog aufbaute. Eine große Anzahl deutscher Botschafter ist ihm seither nachgefolgt. Dr. Knoke, Piere Fischer, Klaus Schütz, vorher Jesko von Puttkammer, Dr. Niels Hansen. Hinter all diesen Namen verbergen sich eine Reihe von Taten, die uns weitergebracht haben im deutsch-israelischen Dialog, in der Politik, der Wirtschaft, im Zusammenhang mit der Europäischen Gemeinschaft und dem kulturellen Bereich.
305
13 Konrad Adenauers Reise nach Israel
Am 2. Mai 1966 traf Bundeskanzler a. D. Konrad Adenauer auf Einladung der israelischen Regierung zu einem Besuch in Israel ein. In dem Zeitpunkt seiner Reise lag eine gewisse Tragik. Der Mann, der die größte Strecke des deutschen Weges nach Israel f ü r sein Volk geebnet hatte, konnte die Ehrung, die ihm bei diesem Besuch im Weizmann-Institut zuteil wurde, erst nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler, nach Auslaufen des Luxemburger Abkommens und nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern entgegennehmen. Die Einladung Israels bestand jedoch schon während seiner Amtszeit. Die persönliche Ehrung, die man Konrad Adenauer in Israel zuteil werden ließ, würdigte seine Verdienste um die deutsch-israelische Verständigung.
13.1 Die Ehrung im
Weizmann-Institut
Am ersten T a g seines Aufenthaltes in Israel verlieh ihm das Weizmann-Institut den „Honorary Fellowship". Rund 25 Millionen DM hat dieses Institut über die VW-Stiftung und aus Mitteln des Bundes zur Unterstützung seiner Forschungsarbeit erhalten. Im Innenhof des neuen Ullmann-Instituts stand Konrad Adenauer vor einem Gedenkstein, der in hebräischen und englischen Lettern die Inschrift trägt: „Dieses Institut ist ein lebendes Monument f ü r FritzHaber (1868-1934) Richard Willstaetter (1872-1942) Carl Neuberg (1877-1956) Otto Meyerhof (1884-1951) Max Bergmann (1886-1944) RudolfSchoenheimer (1898-1941) und die deutschen jüdischen Forscher, die O p f e r der Nazi-Tyrannei wurden. Seine Errichtung wurde ermutigt und unterstützt von Kanzler Konrad Adenauer und der Max-Planck-Gesellschaft." Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde war auch der bereits früher ausgezeichnete Haushaltsexperte des Deutschen Bundestages, der Bundestagsabgeordnete Heinrich Georg Ritzel, zugegen, der im Haushaltsausschuß des Parlaments die Politik Adenauers zur Unterstützung des Weizmann-Instituts entscheidend mitgetragen hatte. Nahum Goldmann, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, ebenfalls einer der Ehrendoktoren des Weizmann-Instituts, begrüßte den deutschen Staatsmann mit folgenden Worten: 306
13.1 Die Ehrung im Weizmann-Institut „...Wir ehren einen der größten Staatsmänner u n d Persönlichkeiten unserer Generation. Es gibt niemanden u n t e r den F ü h r e r n Nachkriegsdeutschlands, d e r so viel Verständnis gezeigt hat f ü r die Schwierigkeiten und die B e d e u t u n g des Versuches, die Beziehungen zwischen dem jüdischen Volk und d e m neuen Deutschland nach d e r Hitlerzeit zu normalisieren wie Dr. Adenauer. I m m e r war er sich der tiefen moralischen B e d e u t u n g bewußt, die in Deutschlands Versuch liegt, normale Beziehungen herzustellen sowohl mit d e m jüdischen Volks als auch mit Israel, u n d die einzigartige Gesetzesregelung zur Entschädigung d e r Naziopfer wäre o h n e seine mutige Stellungnahme in dieser Angelegenheit, in d e r er viele int e r n e Schwierigkeiten zu überwinden hatte, niemals zustande gekommen. Dr. Adenauer hat während vieler J a h r e sein tiefes Interesse f ü r das Weizmann-Institut gezeigt als eine d e r K u n d g e b u n g e n von Israels Beitrag zur Weltzivilisation und Wissenschaft. Er hat dem Institut in vieler Beziehung geholfen. Er verdient j e d e A n e r k e n n u n g , die Israel ihm in diesen T a g e n zeigt, und es ist ein wohlverdientes Vorrecht f ü r das Weizmann-Institut, daß es ihn als erstes offiziell begrüßen darf." Israels Außenminister Abba Eban, d e r Präsident des Weizmann-Instituts, sagte in seiner in englischer Sprache gehaltenen Rede u. a. folgendes: „Wir begrüßen Dr. Konrad Adenauer als eine der hervorragendsten politischen Persönlichkeiten in Europa u n d d e r ganzen Welt. Wir gedenken heute seiner Philosophie u n d seiner T a t e n d e m jüdischen Volk gegenüber. Er hat immer eine klare und konsequente Stellung in dieser Frage eingenommen. Er erkannte die Notwendigkeit d e r Verantwortung f ü r dieses Volk. Der wirksamste Weg, dieser Verantwortung gerecht zu werden, der Weg d e r Logik und d e r Moral, ist die Kräftigung des Staates Israel. N u r ein starkes Israel, festverwurzelt in der Familie d e r Nationen, kann die Rettung des jüdischen Volkes aus der Hilflosigkeit bedeuten, die sein Los durch die Geschichte hindurch gewesen war. Dr. Adenauer hat diese Einstellung während d e r J a h r e seiner Regierungszeit vertreten und vertritt sie noch... Sie, Dr. Adenauer, gehören zu unseren Freunden, die unsere Gedanken, Erinnerungen und Bestrebungen verstehen." Meier W. Weisgal, d e r Vorsitzende des Exekutivkomitees des Weizmann-Instituts, n a h m die eigentliche Verleihung d e r „Honorary Fellowship" an Konrad Adenauer vor. Er sagte dabei: „Wir sind dankbar, daß H e r r Dr. Adenauer unsere Einladung a n g e n o m m e n hat, die Honorary Fellowship — die höchste E h r u n g , die wir zu vergeben haben — persönlich entgegenzunehmen. Diese wurde ihm einstimmig vom Wissenschaftlichen Ausschuß u n d d e r Exekutive des Weizmann-Instituts verliehen. Wir bew u n d e r n ihn u m sein treues Festhalten an d e n demokratischen Idealen, die er konsequent a u f r e c h t erhielt u n d f ü r die er während d e r J a h r e des Hitlerregimes litt. Die J u d e n d e r Welt werden es nicht vergessen. Wir heißen ihn willkommen als d e n Initiator u n d Schutzherrn d e r Zusammenarbeit d e r Wissenschaftler sei307
13 Konrad Adenauers Reise nach Israel
nes Landes und des Weizmann-Instituts. Während der Jahre seiner Kanzlerschaft war Konrad Adenauer der Förderer von bedeutungsvollen Beziehungen zwischen dem Max-Planck-Institut und unserem Forschungsinstitut in Rehovot. Er persönlich war es, der alle bürokratischen Schwierigkeiten überwand und nutzbringende akademische Beziehungen ermöglichte. Dr. Adenauers unerschütterlich wohlwollende Haltung gegenüber dem Weizmann-Institut war immer von dem Wunsch beseelt, das Wohlergehen der Menschheit durch Wissen zu fördern. Wir begrüßen ihn als einen wahren Freund Israels und des jüdischen Volkes, f ü r dessen Unterstützung wir zutiefst dankbar sind." Nachdem man Konrad Adenauer den Talar umgelegt hatte, wurde die Urkunde verlesen, die diese Ehrendoktorwürde begründet: „Auf Ansuchen des Wissenschaftlichen Ausschusses des Weizmann-Instituts ernennt die Exekutive des genannten Instituts hiermit Konrad Adenauer zum Honorary Fellow des Weizmann-Instituts in Anerkennung seines mutigen Einsatzes für die Förderung demokratischer Ideale in Deutschland, seiner Unterstützung der Entwicklung des Weizmann-Instituts und seiner Initiative zur Herstellung fruchtbarer wechselseitiger Beziehungen zwischen Forschern seines Landes und des Instituts. Rehovot, Israel, den 3. Mai 1966." Dann trat Konrad Adenauer unter großem Beifall der Anwesenden vor die zahlreichen Mikrofone zu seiner Dankrede: „Verehrter Herr Vorsitzender, und wie ich jetzt wohl sagen darf, meine lieben Kollegen und Freunde. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, ich bin im Innersten ergriffen durch diese Reise nach Israel und durch die Aufnahme in Ihrem Kreis, die Sie eben in so hervorragend würdiger und schöner Weise vollzogen haben. Ich bin deswegen im Innersten gerührt, weil naturgemäß auch an meinem geistigen Auge nun vorüberziehen Bilder vergangener Jahre, die ich damals mit Entsetzen erlebt habe. Und ich bin so tief gerührt, weil es mir beschieden ist, beizutragen zur Versöhnung. Das war das Ziel meiner Tätigkeit vom ersten Tage an, da ich Bundeskanzler der Bundesrepublik wurde: Die Versöhnung herbeizuführen, mit Israel und mit dem gesamten J u d e n t u m der Welt. Das war mein vornehmstes Anliegen aus dem Gefühl einer tiefen inneren Verpflichtung heraus, auch aus dem Gefühl heraus, daß die Menschheit gerade doch dem J u d e n t u m so viel verdankt auf allen Gebieten des menschlichen Geistes und auf dem Gebiete der Religion. Es war mir ein Eindruck, den ich nie vergessen werde, als wir damals in Luxemburg den Vertrag unterzeichneten. Ich darf, meine verehrten Anwesenden, hinzufügen, daß es zu dem Ergebnis nicht gekommen wäre, wenn nicht zwei Männer hervorragend von Ihrer Seite mit daran gearbeitet hätten. Ich nenne einen Herrn, Nahum Goldmann, der sich der Aufgabe, zwischen Deutschen und dem Staate Israel und dem J u d e n t u m wieder eine gute Atmosphäre zu schaffen, in hervorragender Weise von Anfang an gewidmet hat. Und lassen Sie mich sagen, Sie hätten sich keinen besseren Vertreter und Interpreten dessen, was Sie 308
13.1 Die Ehrung im Weizmann-lnstitut wünschten, wählen können als Herrn Shinnar. Der Zusammenarbeit mit ihm gedenke ich und werde ich immer dankbar gedenken. Und nun, meine verehrten Damen und Herren, bin ich endlich in Israel. Wenn Sie diese ganzen Perioden, die schreckliche Periode erst des Krieges, dann der Nachkriegszeit, alles das erlebt hätten, ich glaube, Sie würden mit mir fühlen können, was es f ü r mich bedeutet, daß ich auf dem Boden Israels stehe als willkommener Gast, wie ich eben gehört habe, und daß mir diese Ehrung im Weizmann-Institut zuteil wird. Ich bin, wie Sie wissen, gestern abend angekommen und sah aus der Luft das große Bild der Stadt Tel Aviv. Und heute morgen habe ich unter der Führung Ihres Herrn Vorsitzenden nun auch das Weizmann-Institut gesehen. Ich habe gesehen und gehört, was hier auf Wüstenboden geschaffen worden ist mit einer fast überwältigenden Kraft und einem seherischen Blick in die Zukunft. Wenn ich das sage, dann meine ich Weizmann. Es war ein ungeheures Wagnis auch f ü r ihn, wie f ü r jeden Mann hier, anzufangen. Und er konnte das n u r tun, weil er mit großem seherischen Blick in die Zukunft sah. Ich glaube, ihm und seinem Andenken heute zu huldigen, steht mir wohl zu und ich tue es von ganzem Herzen. Ich habe ihn f r ü h e r schon getroffen, und ich war auch f r ü h e r in der zionistischen Bewegung tätig. Aber ich hätte niemals gedacht, daß diese Schöpfung, wie sie der Staat Israel ist, hervorgerufen werden könnte auf diesem dürren Boden, der nun durch den Fleiß der Menschen und durch den Glauben der Menschen an die Zukunft sich in einem solchen Grün und in einer solchen Pracht entfalten konnte, wie er das getan hat. Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte auch in ganz besonders herzlicher Weise in dieser Stunde gedenken meines langjährigen Freundes Dannie Heinemann. Wir waren durch eine sehr enge Freundschaft schon viele Jahrzehnte verbunden. Und ich glaube, ich habe ihn, seine Großzügigkeit, seinen Weitblick und seine Güte, seine Güte, meine Damen und Herren, wohl am besten kennengelernt. Als ich heute durch das Institut geführt wurde, das seinen Namen trägt, ein Werk des Friedens und des Fortschritts, da stand seine Persönlichkeit wieder vor mir, wie sie mir in schweren Zeiten zur Seite gestanden und mir in schweren Stunden geholfen hat. Seiner möchte ich gedenken, und ich möchte den Wunsch aussprechen, daß doch alle Länder in dem Staate Israel ein Vorbild erblicken des Vertrauens in eine gesegnete und gute Zukunft der ganzen Menschheit, denn der Staat Israel mit seiner Tatkraft, mit seiner Energie, mit seiner Konsequenz, mit dem Blick, den das wissenschaftliche Institut hier zeigt, mit dem Blick, der in die Zukunft gerichtet ist, ist es ein Vorbild f ü r alle Völker. Es muß es sein, und es verdient es, das zu sein. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen und allen denjenigen, die unmittelbar jetzt am Werke beteiligt sind, viel viel Erfolg f ü r die Zukunft, f ü r eine lange, reich gesegnete Zukunft."
309
13 Konrad Adenauers Reise nach Israel
13.2 Adenauer bei Levi Eshkol Einer d e r politischen H ö h e p u n k t e d e r Reise war d e r Besuch Konrad Adenauers beim israelischen Ministerpräsidenten Levi Eshkol. Der Besuch f a n d zu einer Zeit statt, d a in Bonn noch u m die Verwirklichung des ersten Wirtschaftsabkommens mit Israel g e r u n g e n w u r d e u n d m a n kurz vor d e r U n t e r z e i c h n u n g stand. Manche Politiker mochten geglaubt haben, Adenauer werde in Israel d a r ü b e r sprechen, o b er im Waldorf-Astoria-Hotel in New York d e m V o r g ä n g e r Eshkols, David Ben Gurion, eine Zusage f ü r Kredite in H ö h e von 500 Millionen Dollar gemacht habe. Doch Adenauer schwieg. Konrad Adenauer war im H a u s e des Ministerpräsidenten zu Gast. Auch Nahum Goldmann war zum Essen geladen, ebenso d e r ehemalige Leiter d e r Israel-Mission in Köln, Felix E. Shinnar. Bei diesem Essen kam noch einmal die ganze Problematik des deutsch-israelischen Verhältnisses an die Öffentlichkeit. Die Tischrede Levi Eshkols, die diese Situation schlagartig beleuchtete, hatte folgenden Wortlaut: „ H e r r Dr. Adenauer, erster Kanzler Deutschlands nach d e m T e r r o r der Nazi- Ära, Botschafter Dr. Pauls u n d Frau Pauls, Frau Dr. Multhauptl Ich habe die Ehre, Sie in J e r u s a l e m zu b e g r ü ß e n . Zahlreich sind die Persönlichkeiten, die uns aus allen vier Erdteilen besuchen. Aber Ihr Besuch ist einzigartig, so wie es auch die Beziehungen zwischen Israel u n d Deutschland sind. Ich b r a u c h e I h n e n nichts zu berichten ü b e r das B r a n d m a l , das mein Volk in dieser Generation befallen hat; eine T r a g ö d i e , die selbst in d e r von Blut getränkten, von Leiden u n d V e r f o l g u n g erfüllten jüdischen Geschichte o h n e Parallele ist, oder sogar in d e r Geschichte d e r Menschheit. Das Naziregime in Deutschland vernichtete etwa ein Drittel des jüdischen Volkes mit barbarischen Mitteln jenseits d e r menschlichen Vorstellungskraft. Aber n u n geschah das W u n d e r . Aus d e n T r ü m m e r n d e r Z e r s t ö r u n g und d e r tiefen E r n i e d r i g u n g ist das jüdische Volk a u f e r s t a n d e n , u n d d u r c h d e n H e l d e n m u t seiner S ö h n e u n d Töchter hat es seine Souveränität in diesem L a n d e wiederhergestellt; d e m L a n d e d e r Väter seit d e n uralten T a g e n seiner Geschichte. N u n k ö n n e n Sie mit eigenen Augen die A n f ä n g e d e r E r f ü l l u n g sehen, die vor T a u s e n d e n von J a h r e n von d e n Propheten geweissagt worden ist. Wir haben nicht vergessen. Wir k ö n n e n d e n f u r c h t b a r e n Massenmord nicht vergessen. Wir haben sechs Millionen unseres Volkes verloren. Als geistige u n d historische Einheit h a b e n wir einen fürcherlichen Aderlaß erlitten, u n d wer kann sagen, wann die W u n d e n letztlich geheilt sein werden. Große E r r u n g e n s c h a f t e n d e r Wissenschaft, d e r Kultur schöpferischer Kraft, d u r c h Generationen durch d e n Geist u n d d e n Intellekt unseres Volkes zusammengetragen, sind in Vergessenheit gesunken. In seinem Leid sucht das jüdische Volk Trost in seiner W i e d e r e r s t e h u n g im Heimatland, getreu nach d e m Ausspruch des P r o p h e t e n : In deinem Blut sollst du leben. U n d wir e r i n n e r n uns der Worte des Buches Hiob, Kapitel 29: ,So dachte ich: In meinem Neste stürbe ich, ich lebte soviel J a h r e wie d e r Phönix.' In d e r Rückkehr u n s e r e r Söhne zu ihrer Erde, in d e r E r n e u e r u n g u n s e r e r 310
13.2
Adenauer bei Levi Eshkol
Unabhängigkeit im historischen Heimatland hat der Wille unseres leidgeprüften Volkes zum Leben neuerlichen Ausdruck gefunden. Viele Menschen in der Welt betrachten Sie, Dr. Adenauer, als einen Bereiter dieses Weges. Wir sehen in Ihnen einen Mann, der tief über den einzigartigen geistigen Charakter Israels nachgedacht hat, über die Bedeutung des Überlebens unseres Volkes durch die Jahrhunderte, vom Untergang bis zur Wiederauferstehung, von der Knechtschaft zur Unabhängigkeit. Ihr Platz ist unter jenen, die bemüht sind, die Schande der Nazi-Ära auszulöschen. Sie verstehen, daß das Wiedergutmachungsabkommen, das Sie im Namen Ihres Volkes unterzeichnet haben, keine Sühne ist, daß es keine Sühne gibt f ü r die Greueltaten, keine Sühne für die Vernichtung. Sie wissen um den Beitrag der christlichen Völker, ihre Hilfe der Konsolidierung der Unabhängigkeit Israels zu geben. Ihr Besuch in unserem Lande zu Beginn des 19. Jahres der Wiedereinsetzung der israelischen Souveränität wird Ihnen Gelegenheit geben, die Leistungen und Probleme unseres Landes zu sehen, in der Landwirtschaft und Industrie, im Ernährungswesen, in Wissenschaft und Kultur, im pionierhaften Aufbauwillen und der Opferbereitschaft, in dem aufrichtigen Streben nach Frieden und dem unbedingt notwendigen Bemühen, eine abschreckende Verteidigungskraft zu schmieden, um diesem Frieden nahezukommen. Auf dem Berge Zion, der über die Überreste unseres Tempels hinwegschaut; auf den Bergen Galiläas und den Weiten des Negev; in Massada, ewigem Symbol des Heldentums; im ganzen Land, in all seinen Regionen, seinen Städten und Dörfern, überall werden Sie den Atem des ewigen Geistes verspüren, der die Saiten von Davids Harfe zum Klingen brachte, die jetzt wieder vernehmbar werden. Im Namen aller Anwesenden wünsche ich Ihnen, H e r r Dr. Adenauer, ein langes Leben und Gesundheit." Darauf antwortete Konrad Adenauer: „Es ist schwer, H e r r Ministerpräsident, auf Ihre Ansprache zu antworten. Ich denke, Sie fühlen, wie schwer ich mit vielen Deutschen an den Verbrechen trage, die durch den Nationalsozialismus begangen wurden. Der Nationalsozialismus hat so viele Deutsche wie Juden getötet. Ich habe kein Wort der Entschuldigung dafür, ich habe vieles gesehen und gehört, was der Durchschnitt nicht hörte. Ich kann n u r sagen, daß wir alles getan haben und jeden Beweis geliefert haben, und daß wir bestrebt sind, diese Zeit der Greuel, die man nicht ungeschehen machen kann, zu überwinden. Wir sollten sie aber nun der Vergangenheit überlassen. Ich weiß, wie schwer es f ü r das jüdische Volk ist, das zu akzeptieren. Aber wenn guter Wille nicht anerkannt wird, kann daraus nichts Gutes entstehen. Man fragte mich vorhin, ob Nationalsozialismus in Deutschland nicht von neuem aufkommen kann. Ich habe meiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß diese Gefahr nicht besteht. Ich möchte Ihnen darstellen, wie das deutsche Volk geistig geschichtet ist: Die G r u p p e von 40 bis 65, die die schwersten Opfer 311
13 Konrad Adenauers Reise nach Israel brachte, die G r u p p e von 25 bis 40 ist unruhig — sehr unruhig zum Teil. Nur ein Teil hat den Krieg erlebt u n d erinnert sich nicht aller Einzelheiten. Und schließlich gibt es eine Schicht unter 25 Jahren. Gottseidank bin ich mit vielen Deutschen einig; in dieser Schicht finden wir Ablehnungj e d e r diktatorischen Neigung—den Namen .Nationalsozialismus' darf man vor dieser Gruppe gar nicht erwähnen. Sie sind ein j u n g e r Staat; ich habe es heute gesagt: Sie haben ein große Aufgabe, eine wundervolle Aufgabe, allen Ländern aufzuzeigen, wie man Vorbildliches schaffen kann, Ihr Land neu zu schaffen, in das alle, die es wollen, zurückkehren können und sollen. Könnten Sie in dieser neuen, Ihnen gestellten Aufgabe nicht Trost erblicken für das, was Ihnen angetan worden ist, was ich und niemand entschuldigen will? Diesen Tatbestand sollte man nie vergessen, ebensowenig wie die erschütternde Tatsache, daß der Mensch zur Bestie werden kann. Entschuldigen Sie diesen harten Ausdruck, nachdem wir wissen, daß der Mensch das Ebenbild Gottes sein soll. Helfen wir, indem wir zusammen versuchen, dieser Erscheinung und der furchtbaren Mächte Herr zu werden. Ich trinke nicht darauf, weil es mir banal erschiene, angesichts des Ernstes dieser Frage. Ich wünsche Ihnen, daß Sie der Ihnen gestellten Aufgabe gerecht werden." Die Rede des israelischen Ministerpräsidenten war f ü r Konrad Adenauer eine Überraschung. Er hatte damit gerechnet, daß das deutsch-israelische Verhältnis am Nachmittag im Büro des Ministerpräsidenten zur Sprache kommen werde. Bei dem privaten Abendessen hatte er keine offizielle Ansprache erwartet. Die Rede des Ministerpräsidenten wurde in Israel lebhaft kritisiert. Viele Stimmen brachten zum Ausdruck, daß Levi Eshkol den Oppositionsparteien damit habe Rechnung tragen wollen. Vor dem Abflug Konrad Adenauers aus Israel kam es jedoch auf Wunsch des israelischen Ministerpräsidenten zu einer versöhnenden Aussprache im Avia-Hotel in der Nähe des Flughafens. Levi Eshkol überreichte dem Bundeskanzler die Papstmedaille in Gold, wie sie Paul VI. anläßlich seines Besuches in Israel erhalten hatte.
13.3 Ein Mittagessen bei Nahum
Goldmann
Zu den zahlreichen Ehrungen, die Konrad Adenauer in Israel entgegennahm, zählte auch das Mittagessen, das ihm der Präsident der Jewish Claims Conference und Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nahum, Goldmann, im Jerusalemer King-David-Hotel gab. Etwa 80 Persönlichkeiten waren geladen, Männer und Frauen, die mit der deutsch-israelischen Arbeit und insbesondere mit den Fragen der Wiedergutmachung beschäftigt waren. Bei dieser Gelegenheit sagte Goldmann in seiner Tischrede unter anderem: „Wir haben schon lange die Gelegenheit erwartet, Dr. Adenauer die tiefe Anerkennung des Weltjudentums f ü r seine Rolle in all diesen Problemen auszu312
13.3 Ein Mittagessen bei Nahum Goldmann drücken. Die Wiedergutmachung und Rückerstattungsgesetzgebung ist eine einzigartige Erscheinung. Es gibt praktisch keinen Präzedenzfall, bei dem eine Regierung Idemnitäten gezahlt hat an die O p f e r eines f r ü h e r e n Regimes, die noch nicht einmal Bürger des Landes sind, und diese einzigartige Gesetzgebung hat neue internationale Rechtsbegriffe geschaffen und einen wichtigen Präzedenzfall gebildet. Der finanzielle Umfang dieser Gesetzgebung und die Kosten, die sie f ü r Deutschland verursacht hat, gehen weit über jede Schätzung hinaus, die bei Beginn der Verhandlungen gemacht wurde, u n d werden bis zur vollen Durchführung 9 bis 10 Milliarden Dollar darstellen, von denen ein sehr großer Anteil an Nazi-Opfer in Israel geht. Der Beitrag dieser Zahlungen zur Entwicklung der Ökonomie und besonders der Industrie Israels — zusätzlich zu den direkten Warenlieferungen an die Israel-Regierung in Höhe von 823 Millionen Dollar — kann nicht überschätzt werden, und die Diskussion, ob diese Zahlungen der IsraelÖkonomie genutzt haben, ist sinnlos. Zusätzlich zur entscheidenden Bedeutung für die Wirtschaft des Staates Israel haben die Wiedergutmachungszahlungen es Hunderttausenden J u d e n in vielen Ländern erlaubt, ein neues Leben zu beginnen. Natürlich gab und gibt es Schwächen in der Gesetzgebung, was in einem so umfangreichen Unternehmen, das Millionen von Anträgen umfaßt, unvermeidlich ist. Im großen Ganzen jedoch kann ich nach vierzehn Jahren Erfahrung im Namen der Claims Conference sagen, daß Deutschland das Gesetz mit viel gutem Willen erfüllt hat, obwohl die Kosten erheblich höher sind, als j e die deutsche Regierung und die Claims Conference erwartet haben, als sie die Verhandlungen unternommen haben. Wir sind heute hier versammelt, um den Mann zu ehren, ohne dessen Vision, Mut und Gewissen all dies unmöglich gewesen wäre. Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, wie viele Schwierigkeiten Dr. Adenauer überwinden mußte, wenn nicht um das Prinzip der Wiedergutmachung, dennoch sicher um deren Umfang. Er hätte mit seiner Autorität und Kraft nicht so sehr f ü r die Vereinbarung in Luxemburg gekämpft, wäre er nicht von der tiefen moralischen Überzeugung getragen gewesen, daß das neue Deutschland sich ernsthaft bemühen muß, um zumindest materiell die Schäden, die das Hitler-Regime Hunderttausenden Juden des Nazismus zugefügt hat, wiedergutzumachen. Dafür sind wir ihm tiefe Anerkennung schuldig—so wie das deutsche Volk ihm Dankbarkeit schuldet, daß er die Atmosphäre geschaffen hat f ü r die Rehabilitierung des neuen Deutschlands und seiner Wiederaufnahme in die Familie der Völker als gleichberechtigte große Macht. Mit dem Luxemburger Vertrag wurde d e r Weg geöffnet zur Normalisierung der Beziehungen zwischen dem jüdischen Volke und der Bundesrepublik. Es ist selbstverständlich, daß dies n u r ein langsamer und gradueller Prozeß sein kann, besonders zu Lebzeiten der Hunderttausende Opfer des Nazismus, die die Konzentrationslager überlebt haben. Mit der Herstellung der Beziehungen zwischen Deutschland und dem Staat Israel und mit der Durchführung der Wiedergutma313
13 Konrad Adenauers Reise nach Israel chungsgesetze sind große Fortschritte auf dem Wege dieser Normalisierung gemacht worden. Ich bin überzeugt, daß es im dringenden Interesse beider Völker ist, auf diesem Wege fortzufahren. Es wäre unklug f ü r das jüdische Volk und für Israel, die Existenz Deutschlands zu ignorieren, das heute eine der großen Mächte Europas ist, und es ist im Interesse des deutschen Volkes, der Welt zu beweisen, daß nicht n u r ein neues Regime, sondern ein neuer Geist Deutschland führt, und daß die Bundesrepublik fest entschlossen ist, jeden Versuch, alte nazistische und nationalistische Tendenzen wieder aufleben zu lassen, sofort zu bekämpfen. Das Beispiel, das Dr. Adenauer seinem Volk gegeben hat, in seiner Haltung zu den Problemen Israels und der Wiedergutmachung f ü r Nazi-Opfer muß ganz Deutschland als Richtlinie dienen. Er ist nicht nur der große Führer, der, nach einer vernichtenden Niederlage, die Position Deutschlands als Großmacht in kürzester Zeit wieder hergestellt hat, sondern er hat sich bemüht, seinem Volk einen neuen Geist der Demokratie und des tiefen Respekts f ü r moralische und geistige Werte einzuflößen, die allein eine wirksame Garantie gegen das Wiederaufleben der Greuel der Vergangenheit darstellen. Für all dies verdient Dr. Adenauer unsere Bewunderung und unseren Dank."
13.4
Besuch im Kibbuz Afikim
Der Besuch im Kibbuz Afikim im Jordan tal war ein besonderer Programmpunkt der Reise Adenauers. Der Leiter des Kibbuz begrüßte ihn mit den Worten: „Wir begrüßen jeden einzelnen und jedes Volk, die den großen menschlichen Wert unserer Anstrengungen verstehen und die uns mit Herz und Hand helfen wollen. In Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Adenauer, sehen wir einen der Großen, welche Hand und Verständnis d a f ü r haben, uns zu helfen. Mögen Sie hierfür von Gott und der Menschheit gesegnet werden." Dieser sozialistisch organisierte Kibbuz brachte Konrad Adenauer Beifall und Zustimmung entgegen, genauso wie die Bauarbeiter im Rathaus von Tel Aviv, die ihm spontan zuwinkten, als er die Stufen des Rathauses emporschritt. Dennoch lagen immer wieder bange Fragen an den deutschen Staatsmann über allen Gesprächen und Besuchen, die in diesen Tagen auf dem Programm standen. Der israelische Staatspräsident Salman Schasar sprach seine Sorge aus, daß rechtsradikale Gruppen in Deutschland besonders bei der Jugend erneut das Feld gewinnen könnten. Konrad Adenauer wies diese Sorge mit Entschiedenheit zurück. Man d ü r f e der deutschen Jugend nicht mehr mit nationalsozialistischen Ideen kommen, antwortete er. Er verbürge sich dafür, daß die Jugend immun sei gegen jedes Wiederaufleben dieser Idee. Die rechtsradikale NPD sei eine kleine Partei.
314
13.5 Die Reden bei einem Mittagessen im Kibbuz von David Ben Gurion
13.5
Die Reden bei einem Mittagessen im Kibbuz von David Ben Gurion
Am 9. Mai, dem letzten T a g seines Aufenthaltes in Israel, f u h r Konrad Adenauer zu Ben Gurion in dessen Kibbuz Sde Boker. Immer waren es zwei Fragen, d\eBen Gurion dem Herausgeber bei seinen Besuchen in Israel gestellt hatte: Wie geht es Adenauer, wann kommt er? Was macht die deutsche Jugend? Jetzt standen sich diese beiden Männer im Kibbuz mitten in der Negevwüste gegenüber, zwei Männer, die mit großem gegenseitigem Vertrauen an den politischen Aufgaben ihrer Staaten gearbeitet hatten. In seiner Rede während des einfachen Mittagessens im Gemeinschaftsraum des Kibbuz sagte Ben Gurion u. a.: „Die Größe unseres Landes: sein Wille zum Frieden. Während der letzten zwei J a h r h u n d e r t e hat in Europa der Haß zwischen dem deutschen und dem französischen Volk bestanden. Dr. Adenauer hat trotzdem mit de Gaulle zusammen eine Zukunft des Friedens f ü r Europa geschaffen. Wenige Leute haben so viel für Frieden in der Welt getan, wie Dr. Adenauer... Trotz seines hohen Alters wird Dr. Adenauer noch eine große historische Mission zu erfüllen haben." Konrad Adenauer erwiderte auf diese hebräisch gehaltene Rede: „Liebe Freunde, ich bin jetzt eine Woche in Israel und habe voller Staunen und Bewunderung die Tatkraft gesehen, mit der das israelische Volk diesen Staat aufbaut. Ich habe immer tief bedauert, was von Deutschen über Deutsche und Nichtdeutsche gebracht worden ist. Das werden Sie verstehen. Ich werde von hier weggehen, von diesem Land, mit dem Eindruck und mit der Absicht zu verkünden, daß jedes Volk seine Pflichten hat vor seinem Gewissen, auch einzutreten f ü r die Freiheit und das Leben anderer Völker. Ich bin sehr gerührt, bei Ihnen zu sein, und daher will ich mich sehr kurz fassen. Ich bin hier in Israel mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden, stellenweise auch mit Herzlichkeit, wie in diesem Hause. Was die Zeitungen gebracht haben und bringen mußten über Demonstrationen, das ist lächerlich und kleinlich gegenüber dem Großen, was ich hier gesehen habe und was ich hoffe, daß auch Ihr Eindruck gewesen ist von meinem Besuch bei Ihnen. Das israelische Volk hat eine lange Vergangenheit, und es ist fast wie ein Wunder, daß es jetzt wieder als Volk aufgerufen wird, um im Kreise der Völker seine Stimme zu erheben. Ich glaube, daß die Welt sich nicht selbst überlassen ist, sondern daß wir alle in Gottes Hand sind, und daß es eine Fügung ist, daß das israelische Volk von neuem sich erheben konnte so stark und so kräftig, wie das der Besucher Ihres Landes mit Staunen und Bewunderung sieht. Ich werde mit Herrn Ben Gurion noch eine Aussprache haben, wie sie sich zwischen Politikern und Menschen, die viel erfahren haben, von selbst ergibt. Darauf freue ich mich ganz besonders. Ich habe hier in Israel tiefere seelische Erschütterungen e m p f u n d e n als in vielen Phasen meines Lebens. Ich wünsche dem israelischen 315
13 Konrad Adenauers Reise nach Israel Volk, daß es diese Kraft und Willensstärke beibehält, und daß es immer solche Führer hat, wie Ben Gurion einer ist, der in der ganzen Welt bekannt und geehrt und gefeiert ist. Ich werde diesen Tag niemals vergessen."
316
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe
14.1
14.1.1
Das erste Wirtschaftshilfeabkommen
mit dem Staat Israel
Der Vertragstext
Am 12. März 1966 kam das erste Wirtschaftshilfeabkommen mit Israel zustande. Es hatte folgenden Wortlaut: Die Regierung des Staates Israel und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland in dem Wunsche, die zwischen ihren Ländern bestehenden Beziehungen zu festigen und auszubauen, namentlich ihre wirtschaftlichen Beziehungen durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit zu fördern, im Bewußtsein, daß die Aufrechterhaltung dieser Beziehungen die Grundlage dieses Abkommens ist, sind wie folgt übereingekommen: Artikel 1 Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht es der Regierung des Staates Israel und/oder anderen von beiden Regierungen gemeinsam auszuwählenden Darlehensnehmern bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt am Main, für Vorhaben, deren Förderungswürdigkeit gemeinsam festgestellt worden ist, Darlehen bis zur Höhe von insgesamt 160 (in Worten: einhundertundsechzig) Millionen Deutsche Mark aufzunehmen. Artikel 2 (1) Die Verwendung dieser Darlehen sowie die Bedingungen, zu denen sie gewährt werden, einschließlich der Frage der öffentlichen Ausschreibung, bestimmen die zwischen den Darlehensnehmern und der Kreditanstalt für Wiederaufbau abzuschließenden Verträge, die den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsvorschriften unterliegen. (2) Es besteht Übereinstimmung, daß die Regierung des Staates Israel alle Zahlungen und den sich daraus ergebenden Transfer in Erfüllung von Verbindlichkeiten des Darlehensnehmers aufgrund der abzuschließenden Darlehensverträge gegenüber der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu garantieren hat, soweit Darlehen von anderen Darlehensnehmern als der Regierung des Staates Israel aufgenommen werden. 317
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe
(3) Die Regierung des Staates Israel ist bemüht, Lieferungen und Leistungen, zu deren Bezahlung die in Absatz (1) bezeichneten Darlehen verwendet werden, soweit als möglich durch deutsche Firmen (Firmen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland) erbringen zu lassen. Artikel 3 Die Regierung des Staates Israel stellt die Kreditanstalt für Wiederaufbau von sämtlichen Steuern und sonstigen öffentlichen Abgaben frei, die bei Abschluß und/oder Durchführung der in Artikel (2) erwähnten Darlehensverträge in Israel erhoben werden. Artikel 4 Die Regierung des Staates Israel überläßt bei den sich aus der Darlehensgewährung ergebenden Transporten von Personen und Gütern im See- und Luftverkehr den Passagieren und Lieferanten die freie Wahl der Transportmittel vorbehaltlich des Artikels 5, trifft keine Maßnahmen, welche die Beteiligung der deutschen Verkehrsunternehmen ausschließen oder erschweren und erteilt gegebenenfalls die erforderlichen Genehmigungen. Artikel 5 Lieferungen und Leistungen aus Ländern und Gebieten, die von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gesondert mitgeteilt werden, dürfen aus den Darlehen nicht finanziert werden. Hierunter fallen auch Lieferungen, die ihren Ursprung in einem dieser Länder oder Gebiete haben. Desgleichen dürfen Lieferungen, die aus den Darlehen finanziert werden, nicht auf Verkehrsmitteln dieser Länder und Gebiete transportiert werden. Artikel 6 Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland legt besonderen Wert darauf, daß bei den sich aus der Darlehensgewährung ergebenden Lieferungen die Erzeugnisse der Industrie des Landes Berlin bevorzugt berücksichtigt werden. Artikel 7 Mit Ausnahme der Bestimmungen des Artikels 4 hinsichtlich des Luftverkehrs gilt dieses Abkommen auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Regierung des Staates Israel innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Abkommens eine gegenteilige Erklärung abgibt. 318
14.1 Das erste Wirtschaftsabkommen mit dem Staat Israel
Artikel 8 Dieses Abkommen tritt am Tage seiner Unterzeichnung in Kraft. Geschehen zu Bonn, am 12. Mai 1966 in vier Unterschriften, je zwei in hebräischer und in deutscher Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist. Für die Regierung des Staates Israel Für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland Botschafter
Staatssekretär
AsherBen Natan
Rolf Lahr
14.1.2
Reaktionen und Hintergrundberichte
Der Pressechef der Bundesregierung veröffentlichte zu diesem Tage noch ein Pressekommunique das auf den Inhalt des Vertrages einging. Dabei sagte er vor den Journalisten: „Die Bundesregierung empfindet Genugtuung, daß heute die Verhandlungen über ein deutsch-israelisches Wirtschaftsabkommen mit einem für beide Seiten zufriedenstellenden Ergebnis abgeschlossen worden sind. Sie hegt die Hoffnung, daß nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten vor genau einem Jahr mit dem heutigen Abkommen ein weiterer Schritt auf dem Wege zur Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen und der Lage im Nahen Osten getan worden ist. Die seit dem 23. Febr. 1966 in einem erfreulichen Geist der Verständigung geführten Verhandlungen bestärken die Bundesregierung in der Erwartung, daß damit das Verständnis für die gegenseitigen Notwendigkeiten auch in beiden Völker wachsen wird. Die Bundesrepublik Deutschland gewährt mit diesem Abkommen für vom Staat Israel vorgeschlagene infrastrukturelle Vorhaben, deren Förderungswürdigkeit gemeinsam während der Verhandlungen festgestellt worden ist, Israel Darlehen in Höhe von 160 Millionen DM. Die Kreditbedingungen sind unterschiedlich, richten sich nach der Art der Projekte und lehnen sich an die üblichen Kreditbedingungen an. Mit den deutschen Darlehen sollen israelische Vorhaben des Wohnungsbaus und des Telefonwesens sowie solche der israelischen Industriebank zur Förderung kleinerer und mittlerer israelischer Wirtschaftsbetriebe finanziert werden. Darlehensverträge, die die israelischen Darlehensnehmer und die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt zur Finanzierung der Projekte abzuschließen haben, werden in den nächsten Tagen in Frankfurt unterzeichnet werden. Das heute unterzeichnete Abkommen reiht sich in den Rahmen der deutschen Politik wirtschaftlicher Zusammenarbeit, mit der die Bundesrepublik 319
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe Deutschland andere Länder beim Aufbau ihrer Wirtschaft unterstützt, ein und entspricht dem beiderseitigen Wunsch, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu vertiefen und eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu fördern. Zu diesen 160 Mio. D-Mark im Jahre 1966 wurden außerdem 75 Mio. D-Mark als Restsumme f ü r das J a h r 1965 ausgezahlt. Auch 1967 hielt sich die Summe der Kredite, die ebenfalls f ü r Entwicklungsvorhaben gegeben wurden, auf d e r Höhe von 160 Mio. D-Mark. Es ging auch in diesem J a h r um die Förderung kleinerer und mittlerer israelischer Wirtschaftsbetriebe, um Vorhaben des Wohnungsbaus und den Ausbau des israelischen Telefonnetzes. Ein anderer Teil der Mittel wurden der israelischen Industriebank zur Förderung israelischer Wirtschaftsbetriebe zugeleitet. Damit half die Bundesrepublik Deutschland indirekt Israels Industrien nach den modernsten Planungen umzugestalten, was für eine Annäherung Israels an den gemeinsamen europäischen Markt bereits zu dieser Zeit von größter Bedeutung war. Für diese Industriefinanzierung waren bereits 1966 25 bis 30 % der Mittel eingesetzt worden. Seit dem J a h r e 1968 sind die jährlichen Beträge, die die Bundesrepublik Deutschland Israel zur Verfügung stellte, kontinuierlich bei 150 Mio. D-Mark geblieben. Rechnet man alles zusammen, was seit dem 14. März 1960, dem T r e f f e n im Waldorf-Astoria-Hotel, nach Israel geflossen ist, so ergeben sich r u n d 3 Milliarden D-Mark. 560 Mio. D-Mark waren es unter der 'Aktion Geschäftsfreund', 75 Mio. D-Mark Restzahlung 1965,320 Mio. D-Mark f ü r 1966 und 1967 und seit 1968 jeweils 140 Mio. D-Mark, das sind weitere 1.760 Mio. D-Mark. Das sind, wenn man das J a h r 1983 noch hinzurechnet, 2.855 Milliarden D-Mark."
Zum Hintergrund der Wirtschaftshilfe an Israel Man würde eine Unterlassung begehen, wenn man an dieser Stelle nicht den Teil eines Gespräches mit Hermann Josef Abs veröffentlichen würde, das ich mit ihm am 12. Febr. 1981 hatte. Ich fragte Herrn Abs damals, ob die in der Note Israels vom 12. März 1951 von Ostberlin geforderten 500 Mio. Dollar der materielle Hintergrund dessen waren, was David Ben Gurion und Konrad Adenauer besprochen hatten. H e r r Abs gab mir damals auf meine Frage, ob dieses T h e m a bei der Londoner Schuldenkonferenz eine Rolle gespielt habe, zur Antwort: „In London hat es keine Rolle gespielt, n u r in den Seitengesprächen wurde darauf eingegangen. Diese 500 Mio. Dollar waren aber dann wohl der materielle Hintergrund jener bekannten Verhandlungen Ben Gurions mit dem Bundeskanzler Adenauer im Waldorf-Astoria-Hotel, denn die Forderung, die damals erhoben wurde, war sozusagen der Ersatz f ü r das sich versagende Ostdeutschland und das nicht zur Unterstützung bereite Sowjet-Rußland. Israel konnte keine Forderung gegen Ostdeutschland durchsetzen. Rußland hat den bekannten Brief der israelischen Regierung vom 12. März 1951, so viel ich weiß, nie beant320
14.1 Das erste Wirtschaftsabkommen mit dem Staat Israel wortet. Das waren zusätzliche Leistungen der Bundesrepublik, allerdings nicht wie j e n e Wiedergutmachung aus dem Wassenaar-Abkommen, sondern Kredite, vor allem f ü r den Ausbau des Negev. Frage: Diese Aktion, die der Bundeskanzler mit David Ben Gurion im WaldorfAstoria-Hotel abgemacht hatte, lief ja zunächst eben, wie Sie sagten, als besondere Leistung der Bundesrepublik zum Ausbau des Negev. Sie wurde nachher übergeleitet in die jährlichen Beträge der Wirtschaftshilfe, die heute noch laufen. Haben Sie da auch mitgewirkt? Antwort: Da habe ich wohl mitgewirkt, d e n n der Bundeskanzler hat mich nach der Rückkehr aus New York gebeten, die Möglichkeiten zu prüfen. Diese Absprache, mehr war es zunächst nicht, bedurfte noch der Verankerung durch zwischenstaatliche Abmachungen zwischen der Bundesrepublik und Israel. Hier hatte er mich von vorneherein eingeschaltet, und der erste Brief, der diesen Gegenstand behandelte, den ich an den Bundeskanzler richtete, und den dieser in Abschrift Ben Gurion zustellte, war die Grundlage f ü r diese Kreditvereinbarungen. Die Träger waren u. a. die Kreditanstalt f ü r Wiederaufbau, bei der ich damals noch Vorsitzender des Verwaltungsrates war. So konnte ich mich um diese Dinge in der Formulierung und in der Abwicklung kümmern. Frage: Diese Aktion hatte diesen warmherzigen Namen in den Akten: ,Aktion Geschäftsfreund'. Antwort: So, in der Bundesrepublik? Ich kenne die Geheimakten des Koblenzer Archivs nicht, aber es kann gut sein. Es war gar nicht leicht f ü r den Bundeskanzler, diese weitere große Leistung der Bundesrepublik, Kredite zur Verfügung zu stellen zu einem niedrigen Zinssatz und langen Fristen, im Kabinett durchzusetzen. Ich erinnere mich dieser Bemühungen sehr genau, und es ist wiederum der Initiative des Bundeskanzlers zu verdanken, bis in die letzte Phase des Möglichen zu gehen, alles zu tun, was denkbar war, um die materielle Seite einer üblen Vergangenheit zu bewältigen und zu überwinden. Frage: Herr Abs, Sie sagten vorhin mit Recht, daß ein gewisses Vorfinanzieren von Teilen der Wiedergutmachungsleistungen von Ihnen befürwortet u n d nicht nur befürwortet, sondern auch ermöglicht wurde. Es ging um 600 Mio. DM, die damals vorgezogen wurden, und zwar f ü r die großen Projekte Schiffsbau, Lokomotiven und was alles geschaffen wurde, vor allen Dingen auch die Fernmeldestationen usw. Wie ging das vor sich? Antwort: Das ging vor sich als eine nicht bekanntgewordene, mindestens damals nicht bekanntgewordene, Aktion meiner Bank, damals noch der Süddeutschen Bank, indem ich spätere Fälligkeiten des Wiedergutmachungsabkommens der Bundesrepublik mit Israel vorfinanziert habe in dem von ihnen genannten Umfange von 600 Mio. DM. Damals war es für die Süddeutsche Bank eine Kraftanstrengung, denn diese Aktion machte ungefähr 25 % unserer gesamten ausstehenden Kredite aus. Das ist jahrelang geheimgeblieben. Es hat Israel instand gesetzt, über die Jahresraten hinaus unter vertretbaren Zinsbelastungen, die sehr niedrig waren, einen Vorgriff auf spätere Raten vorzunehmen und aus den Preis321
14 Wiedergutmachung
und
Wirtschaftshilfe
konstellationen der damaligen Zeit besondere Aufträge - in der Hauptsache waren es Schiffsaufträge — zu erteilen. Frage: Herr Abs, wenn Sie heute zurückblicken auf diese Arbeit, die ja eine ungeheure Anstrengung auch f ü r die Bundesrepublik gewesen ist, wie bewerten Sie es abschließend? Antwort: Ja, wenn ich in Proportion setze, was die Bundesrepublik durch die Leistungen an Israel fertigbrachte, und das in Relation stelle zu der Jahresleistung der Bundesrepublik zur Bewältigung der gesamten Vorkriegsschulden und auch der Nachkriegsschulden aus der Wirtschaftshilfe der Vereinigten Staaten (Marshall-Plan, GARIOA-Gelder), Englands, Frankreichs und Leistungen, die ansonsten auch noch in London geregelt wurden, etwa die dänischen Ansprüche aus der Unterbringung von 250.000 Flüchtlingen in ihrem Lande, sowie vieles andere, dann ist klar ersichtlich, daß die Leistung d e r Bundesrepublik Israel gegenüber ungefähr die Hälfte der Jahresleistungen der Bundesrepublik zur Regelung aller Schuldenkategorien Londons darstellte. Wenn ich es in Prozenten ausdrücke, dann gingen von der Gesamttransferleistung der Bundesrepublik zur Bewältigung d e r Vergangenheit ein Drittel an Israel und zwei Drittel an alle übrigen Gläubiger, 65 Länder, der Bundesrepublik. Das war eine Erbschaft aus dem Deutschen Reich."
14.2
Es gibt nicht nur den deutsch-israelischen
Dialog
Wenn man von „Wiedergutmachung" spricht, beschränken sich die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland nicht nur auf den deutsch-israelischen Vertrag. Allein in den Jahren 1959 bis 1964 wurden mit 12 Staaten Europas sogenannte Global-Verträge abgeschlossen, die folgende Größenordnungen hatten: Luxemburg Norwegen Dänemark Griechenland Niederlande Frankreich Belgien Italien Schweden Österreich Großbritannien Schweden
1959 1959 1959 1960 1960 1960 1960 1961 1961 1961 1964 1964
Millionen D-Mark 18 60 16 115 125 400 80 40 10 101 11 1
Diese 12 Verträge umfaßten eine Gesamtleistung von 1 Milliarde D-Mark. Neben diesen globalen Zahlungen kann die Hauptlast f ü r die Finanzhaushalte von Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland aber von etlichen Gesetzen, die die einzelnen Geschädigten betrafen. Da gibt es das Bun322
14.2 Es gibt nicht nur den deutsch-israelischen Dialog
desentschädigungsgesetz (BEG), das Bundesrückerstattungsgesetz (BRüEG) und unter der Rubrik sonstige Leistungen die Zahlungen für Angehörige des Öffentlichen Dienstes und andere Fälle. Aus diesen Gesetzen heraus entwickelten sich im Laufe der Jahre mehrere Novellierungen die zu weiteren Leistungssteigerungen führten. Man muß zu diesen Gesetzen auch noch erwähnen, daß die Bundesrepublik dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zur Verwendung für sogenannte Nationalgeschädigte im Jahre 1960 45 Millionen D-Mark und 1967 weitere 3,5 Millionen D-Mark zu Verfügung gestellt hat. Nationalgeschädigte waren vor allem Polen, die unter dem Hitlerregime in ihrer Heimat als Zwangsarbeiter und Häftlinge entwurzelt wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg durch kommunistische Umstürze in ihren Heimatländern dorthin nicht mehr zurückkehren konnten, und jetzt in westlichen Staaten politisches Asyl gefunden haben. Nach dem Schlußgesetz für das Bundesentschädigungsgesetz und auch für das Bundesrückerstattungsgesetz wurden von Dr. Nahum Goldmann über mehrere Jahre hinweg (seit 1978) Gespräche geführt, die nach dem Schlußgesetz auch noch eine „Abschlußgeste" für die Wiedergutmachung zum Ziel hatten. Nach langen Gesprächen schaltete Dr. Goldmann auch noch den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Werner Nachmann, in die Gespräche ein, was dann zu dem Erfolg führte, daß auch für den Zentralrat D-Mark 40 Millionen neben den 400 Millionen D-Mark der gesamten Abschlußgeste vorgesehen wurden. Diese gesamte Abschlußgeste ist in der Gesetzgebung und in ihren Bestimmungen von besonderem Interesse. Sie entstand aus den von Dr. Goldmann dargelegten Notwendigkeiten, Fälle auszugleichen, die sich mit der eigentlichen Gesetzgebung einschließlich der Novellierungen nicht klären ließen. Am 14. Oktober 1980 hat die Bundesregierung im Bundesanzeiger die Richtlinien für die Vergabe von Mitteln an jüdische Opfer zur Abgeltung solcher Härtefälle im Rahmen der Wiedergutmachung erlassen. Sie waren vom Bundeskabinett am 3. Oktober 1980 beschlossen worden. Hier der Wortlaut: „Richtlinien der Bundesregierung für die Vergabe von Mitteln an jüdische Verfolgte zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen im Rahmen der Wiedergutmachung Vom 3. Oktober 1980 In Anbetracht der Tatsache, daß es noch jüdische Opfer gibt, die durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen Gesundheitsschäden erlitten haben und sich in einer Notlage befinden, jedoch aus formellen Gründen keine Entschädigungsleistung erhalten können, hat die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. Dezember 1979 nachstehende Richtlinien beschlossen: §1 Aus den für abschließende Leistungen zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen vorgesehenen Mitteln in Höhe bis zu 400 Mio. DM dürfen nach Maßgaben dieser Mittel nur Beihilfen geleistet werden, unmittelbar an jüdische Opfer im Sinne des 323
14 Wiedergutmachung
und
Wirtschaftshilfe
§ 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG), die durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen im Sinne des § 2 BEG erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben und sich in einer besonderen Notlage befinden, jedoch aus formellen Gründen keine Entschädigungsleistungen erhalten können, weil sie außerstande waren Antragsfristen einzuhalten oder Stichtags- und Wohnsitzvoraussetzungen des BEG oder des BEG-Schlußgesetzes (BEG-SG) zu erfüllen. §2 Eine Beihilfe wird n u r gewährt, wenn der Verfolgte die Voraussetzungen der §§ 4, 150, 160 BEG oder von Artikel V Nr. 1 Abs. 4 BEG-SG erfüllt. Hier genügt es, daß die Wohnsitz- und Aufenthaltsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen. Artikel V Nr. 1 Abs. 5 BEG-SG und § 238a BEG sind entsprechend anzuwenden. §3 Auf die Beihilfe besteht kein Rechtsanspruch. Sie wird n u r auf Antrag gewährt. §4 Die Beihilfe besteht aus einer Kapitalzahlung in Höhe bis zu 5000 DM. §5 Die Beihilfe ist bei Vorliegen der Tatbestände der §§ 6 oder 7 BEG zu versagen oder zurückzufordern. §6 Erben von Verfolgten werden nicht berücksichtigt. §7 Bis zu 5 v. H. der zur Verfügung stehenden Mittel können auch als Zuschüsse zur Unterhaltung von Einrichtungen, die der Unterbringung von Verfolgten im Sinne des § 1 BEG dienen, verwendet werden. §8 Die Mittel werden dem Zentralrat der J u d e n in Deutschland zur Verfügung gestellt. Ihre Verteilung erfolgt durch die Conference on Jewish Material Claims against Germany gemäß diesen Richtlinien. Zur Finanzierung des entstandenen notwendigen Verwaltungsaufwands darf die Conference on Jewish Claims against Germany höchstens 2 v. H., der Zentralrat d e r J u d e n in Deutschland höchsten 1 v. H. der von der Bundesregierung insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel verwenden. §9 Der Bundesrechnungshof hat ein jederzeitiges Auskunftsrecht über die Verwend u n g der Mittel. Er ist ferner berechtigt, die ordnungsgemäße Verwendung der Mittel an Ort und Stelle zu prüfen. Der Zentralrat der J u d e n in Deutschland wird 324
14.3 Die Abschlußgeste für die Wiedergutmachung kommt in Gang nach Ende eines j e d e n Kalenderjahres über die V e r w e n d u n g d e r Mittel Rechn u n g legen. Bonn, den 3. Oktober 1980. Der Bundeskanzler Schmidt Der Bundesminister der Finanzen Hans Matthöfer" Zum gleichen Zeitpunkt hat das Bundesministerium d e r Finanzen Richtlinien erlassen, die den Weg der Antragstellung vorzeichnen. Diese Richtlinien des Finanzministers haben folgenden Wortlaut: „Anträge auf Gewährung einer Beihilfe nach den vorstehenden Richtlinien der Bundesregierung f ü r die Vergabe von Mitteln zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen im Rahmen d e r Wiedergutmachung können eingereicht werden. 1. von Antragstellern mit Wohnsitz o d e r ständigem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West): beim Zentralrat d e r J u d e n in Deutschland, Fischerstraße 49, 4000 Düsseldorf 30 2. von Antragstellern mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West): bei der Conference on Jewish Claims against Germany, Gr....burgweg 11. MS S. 329, 6000 F r a n k f u r t a. M. Bonn, den 3. Oktober 1980 VI A 6 - 0 1470 D - 2 4 9 / 8 0 Der Bundesminister der Finanzen Im A u f t r a g Kaphammel Weitere 100 Millionen DM werden f ü r nichtjüdische Verfolgte mit der Abschlußgeste verausgabt werden. Die D u r c h f ü h r u n g s v e r o r d n u n g d a f ü r soll zu Beginn d e r Legislaturperiode beraten u n d verabschiedet werden. Die 40 Millionen DM, die d e r Zentralrat der J u d e n in Deutschland erhalten soll, werden vom Bundesinnenminister bearbeitet, so daß wohl auch von dieser Seite eine entsprechende V e r o r d n u n g zu erwarten ist.
143
Die Abschlußgeste für die Wiedergutmachung kommt in Gang
Nachdem Ende 1980 bereits 50 Millionen DM im R a h m e n d e r 400 Millionen DM, d e r Abschlußgeste d e r Wiedergutmachung, gezahlt worden sind, sind im Haus325
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe halt 1981 des Bundes f ü r die Abgeltung von Härten in Einzelfällen weitere 100 Millionen DM vorgesehen. Neben diesen Leistungen sollen 1981 auch an den Zentralrat der J u d e n in Deutschland in der Bundesrepublik Deutschland als einmaligen Zuschuß die ersten 20 Millionen DM f ü r zentrale Aufgaben des Zentralrats gezahlt werden. Außerdem ist im Haushalt Titel 6004 „Sonderleistungen des Bundes" eine weitere Verpflichtungsermächtigung über weitere 20 Millionen DM enthalten, die im J a h r e 1982 fällig werden. Neben diesen Leistungen an nationalsozialistische Verfolgte, die nicht J u d e n sind, werden in den nächsten 4 Jahren —1981 20 Millionen DM — bis zu 100 Millionen DM ausgewiesen werden. Der Zentralrat der J u d e n in Deutschland hat dem Bundesfinanzministerium noch nicht dargelegt, wie er die Gelder verwenden will. In allen Abschnitten dieses Wiedergutmachungsprogramms wird d e r Bundesrechnungshof das Recht haben, Prüfungen vorzunehmen. Der Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats, Werner Nachmann, ist f ü r die Zahlungen an die Claims-Konferenz von insgesamt 400 Millionen DM der Beauftragte f ü r Dr. Nahum Goldmann. 1982 hatten sich die Probleme weitgehend geklärt. Die 40 Millionen D-Mark, die an den Zentralrat der J u d e n in Deutschland zur eigenen Verwendung gingen und gehen, sollen f ü r „Zentrale Aufgaben" verwendet werden. Die Einzelheiten darüber wurden nicht bekanntgegeben. Sicher zu sein scheint, daß der Zentralrat der Juden in Deutschland lediglich die Zinsbeträge aus diesen Mitteln für seine Aufgaben verwendet, und das Kapital, wie es einmal von dem ersten Generalsekretär des Zentralrats mit den Mitteln gehalten worden war, die diejüdischen Gemeinden nach dem Kriege von den Deutschen Behörden als Ersatz für Synagogengrundstücke und jüdische Friedhöfe erhalten hatten, bei Banken in sogenannten Fonds festgelegt hat. Ende Februar 1981 hatten in Bonn auf verschiedenen Ebenen Besprechungen im Deutschen Bundestag, im Bundesfinanzministerium und mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der J u d e n in Deutschland, Werner Nachmann, stattgefunden. Der Abgeordnete der Knesset, Hillel Seidel, war zu diesem Zweck nach Bonn gekommen. Nach seiner Rückkehr nach Jerusalem gab er mir das folgende Interview: Frage: Herr Seidel, Sie waren Ende Februar 1981 in Bonn, um mit zahlreichen Politikern und Beamten Einzelheiten der Abschlußgeste der Wiedergutmachung zu besprechen. Wie stehen diese Fragen, wie sahen sie vorher aus? Antwort: Im Monat März 1981 wird das Büro der Claims-Konferenz in Tel Aviv eröffnet werden. Das soll am 15. März 1981 geschehen. Laut Meldungen der Zeitungen werden die Leute, die das Recht haben, eine Entschädigung zu bekommen, dann ihre Fragebogen ausfüllen. Jetzt war ich von der Knesset, vom israelischen Parlament, offiziell nach Bonn geschickt worden. Wir hatten im Plenum eine Sitzung und anschließend die Einzelheiten in unserer Finanzkommission, dem Finanzausschuß, beraten. Ich war der Vorsitzende der Unterkommission, die diese Probleme behandelt hat. Was 326
14.3 Die Abschlußgeste für die Wiedergutmachung kommt in Gang ich erreicht habe, ist dieses: Die Behörden in Deutschland, d e r Bundesregierung wie auch die Abgeordneten des Bundestages haben mit mir über diese Fragen gesprochen. Man will dort alles tun, damit die Berechtigten die Entschädigung rasch u n d o h n e viel Schwierigkeiten, o h n e große Bürokratie erhalten. Das war mein Ziel. Konkret habe ich erreicht, daß ein Appellationsausschuß gebildet wird, d e r diejenigen Antragsteller anhört, die eine Absage erhalten. Dieser Ausschuß wird in Israel eingerichtet. Ich habe vorgeschlagen, daß d e r Vorsitzende dieses Ausschusses ein Richter sein soll. Außerdem habe ich das Problem besprochen, die ehemaligen Träger des J u d e n s t e r n s in die Entschädigung einzubeziehen. Nach d e n Beschlüssen d e r deutschen Behörden, die gemeinsam mit d e r ClaimsKonferenz gefaßt wurden, können diese ehemaligen Sternträger die Entschädig u n g nicht bekommen. Dieses Problem war f ü r mich ein absolut wichtiger Punkt. Alle, die im Zweiten Weltkrieg den J u d e n s t e r n getragen haben, wissen was das bedeutete. Alle Persönlichkeiten in Bonn, die ich gesprochen habe, gaben mir das Versprechen, daß dieses Problem auch in Betracht gezogen wird. A u ß e r d e m gab es noch a n d e r e Probleme; geringere u n d schwerere. Es gab das Problem, was es bedeutet, wenn ein Mann in einer schweren sozialen Lage ist. Wir haben beschlossen, d a ß ein Minimum gelten wird, wenn er tausend Mark oder eintausendzweihundert Mark im Monat hat — wenn er mit seiner Familie etwas m e h r bekommt, d a n n soll er das Recht haben, eine Entschädigung zu erhalten. A u ß e r d e m wurde auch die Frage des Gesundheitszustandes diskutiert. Die deutschen Gesprächspartner waren damit einverstanden, daß auch private Ärzte das Recht haben sollen, die notwendigen Bescheinigungen d a r ü b e r auszustellen. A u ß e r d e m haben wir beschlossen, daß nach zwei o d e r drei Monaten, wenn die Anträge eingegangen sind, wir beraten werden, wie die einzelnen Fälle laufen. Wir glauben, daß in d e r ganzen Welt - alles zusammengenommen —, 80.000 J u d e n das Recht auf eine Entschädigung aus d e r Abschlußgeste haben werden. Das bedeutet, 5.000 DM f ü r j e d e n d e r 80.000 J u d e n . Das ergibt genau die Summe, die mit 400 Millionen DM festgesetzt wurde. Ich glaube, daß 80 % d e r Berechtigten in Israel leben. Es gibt noch verschiedene andere Schwierigkeiten: Wir haben drei Büros, eines in New York, das zweite in Frankfurt, das dritte in Tel Aviv. Ich habe bei meinen Gesprächen in Bonn gefragt, w a r u m die Fragebogen aus Israel nach F r a n k f u r t gehen müssen. Das wird f ü r die Erledigung d e r einzelnen Fälle wieder länger d a u e r n . Von deutscher Seite hat man mir gesagt, d a ß das ein internes Problem d e r Claims-Konferenz sei. Ich habe in Deutschland auch mit H e r r n Werner Nachmann gesprochen, dem Vorsitzenden d e r J u d e n in Deutschland. Ich habe ihn gefragt, warum er das Geld, das er bekommt, nach New York u n d nicht nach Israel überweist. Die Banken in Israel garantieren genauso wie die Banken in New York, daß die S u m m e in ihrem Wert erhalten bleibt, so wie sie in DM überwiesen wird. H e r r Nachmann hat mir versprochen, so zu handeln, wenn das Büro in Tel Aviv e r ö f f n e t ist. Frage: Wird das Geld d e r Claims-Konferenz nach New York überwiesen oder nach Israel? 327
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe Antwort: Vorläufig kommt das Geld laut Beschluß der Claims-Konferenz zu Herrn Nachmann. Der Bundesrechnungshof wird das in Deutschland kontrollieren. Danach kommt das Geld zur Claims-Konferenz. Dann bekommen es die einzelnen Antragsteller. Ich habe Druck ausgeübt, damit ein Teil dieses Geldes auf Konten israelischer Banken kommt. Ein anderer Teil dann nach New York und nach Frankfurt. Das israelische Außenministerium wird bei dieser Frage mithelfen. Frage: Wieviel aus d e r ersten Rate von 50 Millionen DM, die Ende 1980 an die Claims-Konferenz gezahlt wurden, ist bisher nach New York überwiesen worden? Antwort: Von den 50 Mio. DM sind 15 Mio. DM nach New York überwiesen worden. Leider hatte ich noch keine Zeit, diese Frage mit dem israelischen Finanzminister zu besprechen. Er war sehr stark mit den Fragen des neuen Haushalts belastet. Ich habe ihm gesagt, daß ich dieses Problem mit ihm besprechen werde. Ich hoffe, daß seine Leute verstehen werden, daß es ein Unsinn ist, daß das Geld außerhalb Israel herumläuft. Es gehört nach Israel, wo auch die Berechtigten sind, die es bekommen sollen. Es ist meine Pflicht, das den Gesprächspartnern in Deutschland zu sagen. Ich war im Bundesaußenministerium, im Bundesfinanzministerium und im Bundesjustizministerium. Ich habe auch viele Gespräche im Deutschen Bundestag geführt. Ich habe viel Verständnis d a f ü r erhalten, als ich dargelegt habe, daß es die Berechtigten in ein bis drei Monaten erhalten müssen. Frage: Sie haben eben von dem neuen Büro der Claims-Konferenz gesprochen, handelt es sich um das neue Büro in Israel? Antwort: Ja, das neue Büro in Israel wurde bereits eröffnet. Offiziell wird es am 15. März 1981 beginnen. Wir haben angekündigt, daß dann die offiziellen Anträge angenommen werden. Die Räume sind schon bezogen, der Direktor des Büros ist schon an seinem Arbeitsplatz. Am 14. Dezember 1979 hatten die drei Fraktionen des Deutschen Bundestages bereits eine Entschließung eingereicht mit der festgelegt wurde, daß 1980 240 Millionen D-Mark, 1982 bis zu 100 Millionen D-Mark und 1983 bis zu weiteren 100 Millionen D-Mark in einem Nachtragshaushalt eingetragen sein sollen, um den Betrag von insgesamt 440 Millionen D-Mark der Abschlußgeste auszuwerfen. Bundesfinanzminister Matthöfer nahm am 2. Mai 1980 in einem Schreiben zu dem T h e m a der Abschlußgeste Stellung: „Mit der Entschließung vom 14. Dezember 1979 — Drucksache 8/3511 — hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, durch Vorlage eines Nachtragshaushalts 1980 die Voraussetzungen f ü r eine abschließende Leistung von 440 Mio. DM zu schaffen, und zwar an den Zentralrat der Juden und die jüdischen Gemeinden in Deutschland sowie an die Claims Conference zum Ausgleich von Härten in Einzelfällen. Darüber hinaus hat der Deutsche Bundestag durch 328
14.3 Die Abschlußgeste für die Wiedergutmachung
kommt in Gang
seine Entschließung vom 14. Dezember 1979-Drucksache 8/3510 —die Bundesregierung aufgefordert, angesichts der Ausbringung einer Verpflichtungsermächtigung von 250 Mio. DM im Bundeshaushaltsplan 1980 im Interesse der deutsch-französischen Verständigung sowie der vorstehend genannten abschließenden Leistung zu berichten, welche Konsequenzen sie hieraus f ü r die Kriegsfolgen- und Entschädigungsgesetzgebung zu ziehen gedenkt. Die Bundesregierung hat auch im Hinblick auf die weltpolitische Situation mit ihren unvermeidbaren finanzpolitischen und gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen die größten Bedenken, weitere finanzielle Verpflichtungen im Bereich der Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgen-Regelung zu übernehmen. So werden Maßnahmen auf dem Gebiet der Sicherheit, die energiepolitischen Notwendigkeiten, die Anforderungen der Europäischen Gemeinschaften sowie die Zinsbelastungen in den nächsten Jahren f ü r die Haushaltspolitik äußerste Anstrengungen erforderlich machen. N u r im Rahmen des finanziell Möglichen können Mittel für Hilfsmaßnahmen f ü r jüdische Opfer, die durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben und sich in einer besonderen Notlage befinden, zur Verfügung gestellt werden. Hierbei können diejenigen Opfer berücksichtigt werden, die aus formellen Gründen keine Entschädigungsleistungen erhalten können, weil sie außerstande waren, Antragsfristen einzuhalten oder Stichtags- und Wohnsitzvoraussetzungen des Bundesentschädigungs-Schlußgesetzes zu erfüllen. Mit Rücksicht auf die angespannte Lage des Bundeshaushalts hat die Bundesregierung hierfür zunächst in den Entwurf des Nachtragshaushalts 1980 einen Betrag von 50 Mio. DM eingestellt. Für das Haushaltsjahr 1981 ist ein Betrag von 100 Mio. DM in Aussicht genommen. Über die Höhe weiterer jährlicher Zahlungen wird später mit Rücksicht auf einen dann bestehenden Bedarf und die vorhandenen Haushaltsmöglichkeiten zu befinden sein. Die Bundesregierung sieht für weitere Leistungen, insbesondere auf dem Gebiet des Kriegsfolgenrechts, keine Möglichkeit, zumal in diesem Bereich keine Tatbestände zu finden sind, die mit den Schäden an Leib und Leben, die die NSO p f e r durch deutsches Staatsunrecht erlitten haben, vergleichbar sind. Die im Interesse der deutsch-französischen Verständigung in Erwägung gezogenen Maßnahmen, deren Realisierbarkeit zur Zeit noch offen ist, geben zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß, da sie in erster Linie von wichtigen außenpolitischen Gesichtspunkten bestimmt sind. Für die Beurteilung des in Frage stehenden Problemkreises kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Bund und die Länder f ü r die Wiedergutmachungs* und Kriegsfolgenregelungen bereits erhebliche Leistungen aufgebracht haben und in der Zukunft noch werden erbringen müssen; es bedarf ohnehin großer Anstrengungen, die Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgenleistungen nach geltendem Recht auch künftig zu finanzieren. Die im Beschluß des Bundestages vom 29. November 1979 - Drucksache 8/ 3367 — angesprochenen Petitionen waren der Bundesregierung zum größten 329
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe
Teil bisher nicht bekannt. Die Bundesregierung ist zur Zeit bemüht, diesen Petitionen auf d e r Grundlage der einschlägigen Regelungen zu entsprechen. Sie wird dem Petitionsausschuß nach Erledigung hierüber berichten."
14.4
Interview mit Dr. Ernst Feaux de la Croix
Frage: Im J a h r e 1956 begannen bereits die Überlegungen ein Schlußgesetz oder eine Schlußgesetzgebung f ü r die gesamte Wiedergutmachung zu gestalten. Von dem Zeitpunkt an waren Sie als Ministerialdirektor im Bundesfinanzministerium damit befaßt. Antwort: Lassen Sie mich das Datum ein klein wenig korrigieren, es gab etwa eineinhalb J a h r e Stille. Aber spätetestens Anfang 1958 war erkennbar, daß der Friede, den man geglaubt hatte, mit dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) 1956 schaffen zu können, einfach ein Trugschluß war. Es setzten sehr massiv auf der Seite der Verbände vor allem auf Seiten der Claims-Conference Bestrebungen ein, dieses eben geschaffene BEG grundlegend und mit einem hohen finanziellen Aufwand zu novellieren. Die Exekutive hat sich entsprechend der striktesten Weisungen der politischen Führung zunächst gegen jeden Gedanken einer gesetzlichen Novellierung gewandt. Aber es zeigte sich dann gegen Ende 1958, daß es einen technischen Grund gab, unter Umständen doch den Weg einer Novellierung zu beschreiten. Es hatte sich nämlich ergeben, daß die Gerichte zum Teil Bestimmungen des BEG sehr restriktiv auslegten. Dem wollte man zunächst auf dem Wege einer Verwaltungsvereinbarung begegnen. Sie ist im Juni 1959 zustandegekommen und man glaubte, daß man nun alle Bestrebungen, die Gesetzgebungsmaschine wieder in Gang zu setzen, irgendwie erledigt hätte. Dem war nicht so. Vielmehr wurde der Wiedergutmachungsausschuß — damaliger Vorsitzender war der Bundestagsabgeordnete Frenzel (SPD) — er wurde zum Sammelbecken aller Revisionsbestrebungen. Frenzel ließ deutlich erkennen, daß er, wenn seitens der Bundesregierung keine Gesetzgebungsinitiative ergriffen würde, von sich oder von Seiten seiner Fraktion einen Gesetzgebungsvorschlag einbringen würde. Daraufhin entschlossen sich zunächst die Länder dem Gedanken einer gesetzlichen Fundierung der Verwaltungsvereinbarungen doch Raum zu geben. Während die Länder früher ja immer den Bund darauf drängten, in der Gesetzgebung zurückhaltend zu sein, verlangten sie nun, daß der Bund die Gesetzgebungsinitiative ergreifen solle, aber, es solle lediglich eine rein technische Novelle anvisiert werden, um nicht die gesetzliche Verankerung der Verwaltungsvereinbarung praktisch zu wiederholen. Frage: Und was hätte diese Novelle gekostet, diese technischen Verbesserungen? Antwort: Die rein technische Novelle hätte so gut wie keinen finanziellen Mehraufwand gebracht. Aber wie das einfach — ich möchte beinahe sagen — zwangsläufig seinen Gang zu gehen pflegt, zeigte es sich, daß schon ehe die sehr massiven Angriffe d e r Verbände vor allem die Angriffe von Dr. Goldmann einsetz330
14.4 Interview mit Dr. Ernst Feaux de la Croix
ten, daß auch die Länder eine Reihe von Wünschen berücksichtigt sehen wollten, die über eine rein technische Novelle hinausgingen. Es kam dann auch zu einer Besprechung auf Ministerebene. Es wurde f ü r die Novelle, — man nannte sie immer noch technische Novelle—, eine kleine Novelle, ein Volumen, ein Finanzvolumen von einer Milliarde D-Mark festgelegt. Frage: Aber dabei ist es nicht geblieben? Antwort: Nein. Dr. Goldmann, der — das kann ich hier schon sagen —, im Laufe des ganzen Werdens des Wiedergutmachungs-Schlußgesetzes etwa fünf-, sechs- oder siebenmal in der Form von Staatsvisiten in Bonn interveniert hat, gab in sehr massiver Form auch mit sehr deutlichen Drohungen zu erkennen, daß die ClaimsConferenz einer Novellierung n u r zustimmen könne — wohl gemerkt, er sagte zustimmen könne —, es bedürfte also sozusagen der Zustimmung von Herrn Dr. Goldmann, ein Gesetz über die Bühne zu kriegen, wenn dieses neue Gesetz, diese Novellierung, ein Finanzvolumen von mehreren Milliarden D-Mark habe. Seine Ankündigung, daß mit einer Novellierung in Höhe von mehreren Milliarden DMark zu rechnen sei — später hat er dann ganz konkret seine Forderung auf 6 Milliarden bestellt. Experten haben freilich errechnet, daß seine Forderungen weit über 6 Milliarden ausgemacht hätten. Kurzum: Die Ankündigung, daß mit einer Novellierung in Höhe von mehreren Milliarden zu rechnen sei, führte auch zu einem stürmischen Protest auf arabischer Seite, weil sie darin eine erneute Unterstützung Israels sahen. Der Weg von 1951 — 1961 war der Ausgangspunkt einer kleinen Novellierung in einem Volumen von 1 Milliarde D-Mark, der Weg von da bis zunächst einmal zur Einbringung des Entwurfs der Regierung Ende 1963 war ein sehr dornenvoller Weg. Anschließend war ebenso dornenvoll der Weg in der parlamentarischen Beratung, die von Ende 1963 bis Mai 1965 dauerte. Im Laufe dieser Arbeiten hatte die Exekutive, der ich ja damals angehörte, einen außerordentlich schweren Standpunkt. Einerseits wurde sie intern von der politischen Leitung — ich meine damit den damaligen Finanzminister Dr. Starke mit schärfsten Weisungen versehen. Ich betone schärfste Weisungen, unter keinen Umständen eine Ausweitung der Novelle über ein Finanzvolumen von 1 Milliarde D-Mark zuzulassen. Die Exekutive und auch die Vertreter der Länder bemühten sich mit allen Kräften, und unter erheblichem persönlichem Einsatz entsprechend dieser Weisungen ihres Ministers zu arbeiten. Aber noch bei jedem Besuch von Dr. Goldmann in Bonn - ich sagte j a schon, es waren deren etwa sieben —, bei jedem Besuch zeigte sich nach außen hin und eben Dr. Goldmann gegenüber, daß der Finanzminister so schwankend, ja sogar konzessionsbereit war, daß sich automatisch das Volumen der Novelle, ich möchte sagen, von einem Besuch Dr. Goldmanns bis zum nächsten Besuch erhöhte. Frage: Welches waren denn nun die Einzelteile dieser Novelle, Sie sprachen eben von der kleinen Novelle, das hat sich dann doch gewaltig geändert? Antwort: Die wesentlichen Teile, es war ja insgesamt zunächst einstweilen ein 30Punkte-Programm der Claims-Konferenz, das später ergänzt wurde oder wenn Sie wollen, erneuert wurde durch ein 52-Punkte-Programm mit vielen Unterforderungen. Die Hauptpunkte waren eine Dynamisierung der Renten, eine we331
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe
sentliche Erleichterung f ü r den Nachweis der Verfolgungsbedingtheit eines Schadens und eine Vermutung einer 25 %igen Gesundheitsschädigung bei einem KZ-Aufenthalt von länger als einem Jahr, ein automatisches Einstehenmüssen der deutschen Wiedergutmachung f ü r Verfolgungsmaßnahmen in Achsenstaaten oder in neutralen Staaten und insbesondere natürlich eine Berücksichtigung der bisher im BEG nicht berücksichtigten sogenannten ,post-fiftythree'-Fälle. Zu deutsch: der nach 53er, die zunächst im BErgG von 1953 ihren Niederschlag gefunden hat, dann in BEG von 1956 berücksichtigt wurde. Diese Bestimmungen berücksichtigten lediglich diejenigen, die bis 1953 — kurz ausgedrückt — in den Westen gekommen waren. Frage: Das waren die Fälle der Rückerstattung die Sie vorher nannten. BErgG? Antwort: Nein. BErgG, der volle Ausdruck ist: Bundesergänzungsgesetz. Es war eine Ergänzung der bishin ergangenen landesrechtlichen Vorschriften insbesondere der in der amerikanisch besetzten Zone ergangenen Vorschriften. Und das BErgG, das Bundesergänzungsgesetz fand dann seine Novellierung und seine Fundierung im Bundesentschädigungsgesetz von 1956. Ich sagte, daß die Claims- Konferenz aber auch andere Verfolgten-Verbände einen sehr großen Katalog von Forderungen aufstellten. Ein Teil dieser im Laufe der Beratung und der schon erwähnten Interventionen von Dr. Goldmann erhöhte das Volumen von I Milliarde D-Mark auf rund 3 Milliarden D-Mark. Dabei fanden dennoch sehr, sehr wesentliche Forderungen keine Berücksichtigung. Der einen großen Forder u n g der Claims-Konferenz die eine Berücksichtigung der post-fifty-three verlangte, war dadurch Rechnung getragen worden, daß ein besonderer post-fiftythree-Fond mit 600 Millionen in dem Regierungsentwurf berücksichtigt war. Frage: Wer sollte den verwalten, das Finanzministerium? Antwort: Diesen Fond sollte das Finanzministerium verwalten. Die Länder hatten zunächst nicht n u r eine Finanzielle Beteiligung an diesem Fond abgelehnt, sondern auch eine Verwaltung und seine Durchführung dieser Fondsregelung. Die Novelle, die nunmehr nicht n u r eine rein technische Novelle war — sondern eben schon eine —, man kann sagen, eine große Lösung darstellte, wurde immer noch seitens der Verbände insbesondere seitens der Claims-Konferenz abgelehnt. Ein Vertreter der Claims-Konferenz, Herr Robinson, meinte damals, daß j e d e Novelle, die nicht mindestens ein Volumen von 4,5 Milliarden erreichen würde, absolut unakzeptabel wäre. Und es ist mehrfach von Dr. Goldmann auch deutlich gemacht worden, daß man mit scharfen, schärferen Methoden zu rechnen habe, wenn man sich nicht mit diesen Gedanken einer wirklichen großen Novelle vertraut machen könne. Frage: Was für Maßnahmen waren das, die da angedroht wurden? Antwort: Das blieb etwas im Halbdunkel, aber man konnte unschwer raten, daß Protestaktionen in der ganzen Welt — es gab sie übrigens einmal von den Verfolgtenverbänden mit einem Aufmarsch vor dem deutschen Generalkonsulat in New York — vorkommen. Ob man vielleicht auch an Boykottmaßnahmen gegen deutsche Waren gedacht hätte, das kann man schwer sagen. Aber jedenfalls gab es Drohungen, daß mit recht massiven Aktionen zu rechnen sei. Das war 332
14.4 Interview mit Dr. Ernst Feaux de la Croix sehr eindeutig. Im Wiedergutmachungsausschuß selbst ging der Kampf u m eine weitere Ausweitung der Novelle. Vorsitzender des Wiedergutmachungsausschusses war inzwischen der Abgeordnete Dr. Martin Hirsch. Er, mit einer kleinen Gruppe von Ausschußmitgliedern plädierte und kämpfte um eine sehr wesentliche Ausweitung der Novelle. Dabei trat bei ihm sehr deutlich bei dieser Minderheit in Erscheinung, daß man in dem Glauben war, Geld könne bei dieser Novellierung überhaupt keine Rolle spielen. Es ist vielleicht gerade heute, wo man sich Gedanken um Probleme der Staatsverschuldung macht, recht interessant einmal die Ausführungen von Herrn Dr. Hirsch bei der ersten Lesung der Novelle im November 1963 zu lesen, wo er der Meinung ist, daß man solche Dinge über Anleihen finanzieren müsse, wobei in keiner Weise irgendwie an die Probleme gedacht worden ist, was dies f ü r den Kapitalmarkt, f ü r die Staatsverschuldung schlechthin bedeutet. Die Mehrheit des Ausschusses versagte sich solchen Ausweitungstendenzen. Die Mehrheit folgte den sachlichen Argumenten eines wirklich hervorragenden Wiedergutmachungsexperten des Bundesfinanzminsteriums des damaligen Oberregierungsrats Zorn — er ist heute Bundesrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe —. Man könnte beinahe sagen, daß die Diskussion weitgehend ein Streitgespräch war zwischen Hirsch und Zorn, wobei zu aller Ehre von Herrn Hirsch gesagt werden muß, daß er die Dinge außerordentlich sachlich geleitet hat und Zorn niemals seine „Gegnerschaft" angekreidet hat, im Gegenteil. Er war von den Qualitäten von Zorn so überzeugt, daß er es war, der Zorn dann praktisch zum Bundesgerichtshof brachte. Die erste Lesung f ü h r t e zu einer kleinen Ausweitung in Höhe von 3 Milliarden D-Mark. Die zweite Lesung ging dann etwas darüber hinaus. Sie brachte eine Erhöhung des Volumens von — ich wiederhole — das ursprüngliche Volumen von 3 Milliarden D-Mark, um 700 Millionen D-Mark. Frage: Erste Lesung 3 Milliarden? Antwort: Ja, 3 Milliarden. Unmittelbar vor der zweiten und dritten Lesung schienen die Fronten absolut geklärt zu sein, nach den Ausschußberatungen schien es absolut sicher, daß sicherlich mit scharfen Diskussionen zu rechnen sei, aber letztlich doch die Novelle mit einem Volumen von 3,7 Milliarden D-Mark über die Bühne gehen würde. 24 Stunden vor der zweiten und dritten Lesung fand dann in einem sehr kleinen Kreis bei dem damaligen Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Gerstenmaier, ein Frühstück statt. Als die Experten zum abgeräumten Frühstückstisch kamen, erhielten sie die Aufgabe, zum Nachtisch zu formulieren, nämlich eine weitere Erhöhung des Volumens um rund eine Milliarde D-Mark. So geschah es. Bei diesem Frühstück hatte auch der Finanzminister dieser weiteren Erhöhung zugestimmt, ebenso alle diejenigen Abgeordneten, die bis dahin im Ausschuß noch für eine gewisse Beschränkung des finanziellen Ausmaßes der Novelle eingetreten waren. Dementsprechend ging dann in der zweiten und dritten Lesung ohne besondere Schwierigkeiten diese Novelle über die Runde. Das Gesamtvolumen lag etwas über 4,5 Milliarden D-Mark. Frage: Aber diese 4,5 Milliarden D-Mark waren doch nicht das letzte Wort, das hat sich doch dann noch weiter ausgeweitet? 333
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe Antwort: Nicht bei der BEG-Schlußgesetzgebung. Damals wurde das Volumen der Novelle des BEG-Schlußgesetzes wie es beschlossen worden ist, auf etwas über 4,5 Milliarden D-Mark geschätzt. Vielleicht hatten sie das mit ihrem Einwurf im Sinn. Bei der Verabschiedung eines solchen Entschädigungsgesetzes weiß man natürlich nie, was aus diesem Entschädigungsgesetz in der Praxis wird. Ich glaube, daß wahrscheinlich durch Auslegungen der Berichte, wenn man das heute genau berechnen könnte, ich weiß nicht, ob das geschieht, insoweit habe ich keinen Überblick mehr, ich glaube aber mit Sicherheit sagen zu können, daß in der Zwischenzeit doch noch eine ganze Reihe von Bestimmungen des BEGSchlußgesetzes so weitgehend identifiziert worden sind, daß das finanzielle Volumen noch über die damals kalkulierten 4,5 Milliarden erheblich hinausgingen. Frage: Herr Dr. Feaux de la Croix, das Problem war ja nicht nur ein BEG-Schlußgesetz, es ging ja auch um das Rückerstattungsgesetz. Wie hat sich das ausgewirkt? Antwort: Das Rückerstattungsgesetz war j a etwas vorher verabschiedet worden. Auch beim Rückerstattungsgesetz war ursprünglich ein Volumen in Aussicht genommen worden, das letztlich bei der Verabschiedung erheblich überschritten worden ist. Vor allem aber hat sich beim Bundesrückerstattungsgesetz gezeigt, daß einige Bestimmungen so gefaßt waren, daß Ausweitungen — und man muß das ruhig einmal in aller Offenheit sagen —, auch Mißbräuche sozusagen vorprogrammiert waren. Sie wissen, daß ursprünglich bei dem Überleitungsvertrag ein f ü r die gesamte sogenannte dritte Masse, für die Bundesrückerstattung, ein Gesamtvolumen von 1,5 Milliarden D-Mark in Aussicht genommen war. Es steht heute fest, daß der größte Teil wahrscheinlich sogar schon ausgezahlt ist. Von der Zahl die ich jetzt gleich nenne, das Gesamtvolumen von 4 Milliarden D-Mark oder etwas über 4 Milliarden D-Mark. Frage: Das bedeutet doch, daß das Problem als Frage aufzugreifen ist: Wie kam es dazu, daß wir heute bei r u n d 80 Milliarden D-Mark in den verschiedenen Gesetzesbereichen ausgezahlt wurden. Man hatte doch damals viel kleinere Beträge im Sinn. Als der damalige Bundesfinanzminister Fritz Schäfer, der erste in der Bundesrepublik Deutschland, damals so von 12 oder 15 Milliarden sprach, wurde er doch allgemein verlacht, das könne gar nicht zusammenkommen. Besonders damals auch aus jüdischen Kreisen? Antwort: Natürlich sind Schätzungen des Volumens solcher Entschädigungsgesetze immer sehr schwer. Schon die ersten Schätzungen gingen weit auseinander. Es zeigte sich von Anfang an — und so ist es schließlich bis zum Ende geblieben —, daß natürlich die Betroffenen und ihre Verbände immer das Bestreben hatten, das Volumen der gewünschten Regelung möglichst niedrig zu beziffern. Die Exekutive, die f ü r Schätzungen natürlich wesentlich schlechtere Unterlagen hatte, als wohl die Verfolgten-Verbände, und das hat sich durch den gesamten Weg der Wiedergutmachungsgesetzgebung immer wiederholt, hat diesen Schätzungen meist realistischere Zahlen, höhere Zahlen, gegenübergestellt und ist regelmäßig außerordentlich hart attackiert worden. Sie haben mit Recht gesagt, daß Schäfer in seiner Plattlinger Rede die er damals übrigens, wie ich mich erinnere, schon in 334
14.4
Interview mit Dr. Ernst Feaux de la Croix
seiner Eigenschaft als Justizminister gehalten hat, heftig attakiert wurde. Er wurde auf das Schärfste in der ganzen Welt angegriffen, weil er f ü r die gesamte Wiedergutmachung ein Volumen von etwas über 20 Milliarden D-Mark genannt hat. Nun kommt hinzu, daß über die verschiedenen Etappen der Wiedergutmachungsgesetzgebung immer wieder Tatbestände neu gefaßt worden sind, weiter gefaßt worden sind, daß auf einer Reihe von Gebieten die Rechtsprechung die Vorschriften erheblich extensiver ausgelegt wurden als sie vielleicht ursprünglich beabsichtigt waren. Das sind eigentlich im wesentlichen die Gründe. Es wird manchmal gesagt - und das soll man nicht als ein Tabu betrachten —, daß an dieser Ausweitung erheblich die sogenannten Mißbräuche der Wiedergutmachung schuld sind. Ich habe Zweifel, sicherlich hat es in der Wiedergutmachung Mißbräuche gegeben. Aber ich sage jedem, der darauf zu sprechen kommt, er möge sich einmal überlegen, daß viele dieser Verfolgten sozusagen bei Nacht und Nebel aus ihrem Lebensbereich brutal weggerissen worden sind, daß sie keinerlei Möglichkeiten hatten, Beweismaterial sorgfältig aufzubewahen. Wenn man einen 100 %igen Beweis f ü r die Wiedergutmachung zur Voraussetzung gemacht hätte, hätte das f ü r viele einfach von vornherein die Ablehnung einer Wiedergutmachung bedeutet. Da man die Beweismittel nicht so scharf fassen konnte, wie das vielleicht bei manchen anderen Entschädigungsgebieten möglich war, war auch dem Mißbrauch eine gewisse T ü r geöffnet. Aber ich möchte meinen, man sollte sich davor hüten, diesen Mißbrauch in der Weise zu pontifizieren, daß man meint, die ganzen 80 Milliarden D-Mark wären zu einem wesentlichen Teil auf Mißbrauch zurückzuführen. Es ist müßig und sinnlos, irgendwie eine Zahl zu nennen. Wie gesagt, ich glaube nicht, daß an dieser Zahl von 80 — ich habe also sogar schon die Zahl 85 Milliarden D-Mark gehört - , daß an dieser Zahl die Mißbrauchsfälle einen wesentlichen Anteil haben. Frage: Lassen Sie mich noch auf ein Thema kommen: Bei dem Luxemburger Abkommen erhielt die Jewish Claims-Conference einen Betrag von 450 Millionen D-Mark, der f ü r jene Verfolgte bestimmt war, so sagt es das Protokoll Nr. 2 zu dem Vertrag, die außerhalb Israels ihre neue Existenz aufzubauen hatten. Was ist daraus geworden? Antwort: Der 450 Milliarden-Fond, der an die Claims-Conference gezahlt worden ist, war und das ist ein Punkt, an den ich mich aus dem Verhandlungsprotokoll genauestens erinnere, dazu bestimmt in Härtefällen auszugleichen, die von den nach dem Protokoll Nr. 1 zu schaffenden deutschen Wiedergutmachungsgesetzgebungsprogrammen nicht erfaßt würden. Dazu ist es kaum oder wenn, n u r in einem sehr bescheidenen Ausmaß gekommen. Die Claims-Conference hatte ja über die Verwendung dieses Fonds jährlich einen Aufschluß zu geben. Daraus ergab sich d a n n alsbald, daß die Mittel weniger zum Ausgleich von Härtefällen bei Einzelnen eingesetzt wurden, sondern f ü r die Förderung jüdischer kultureller Aufgaben. Es ist sehr f r ü h einmal erwogen worden, ob dieser Mißbrauch etwa Anlaß geben solle, die Sache vor das in den Protokollen vorgesehene Schiedsgericht zu bringen. Davon ist aus politischen Gründen abgesehen worden. Ich sage in aller Offenheit, daß wir, die mit der Durchführung betrauten Beam335
14 Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe ten, es nie recht verstanden haben, daß hier eine Regelung, die den Segen der Gesetzgebungsinstanzen gefunden hat, auf einem so stillen Weg und in einer solchen Größenordnung geändert worden ist. Es ist mir einmal zu O h r e n gekommen, daß diese nach unserer Meinung mißbräuchliche Art der Verwendung von Adenauer genehmigt worden sei. Ich muß zunächst einmal sagen, wäre dem so, dann wäre dies - denn das Parlament ist in diesem Sinne nie unterrichtet worden - , eine doch recht bedenkliche Hintergehung des Parlaments gewesen. Aber es gibt schlechterdings keinerlei Anzeichen d a f ü r . Solche Dinge sind damals auch von Adenauer festgehalten worden. Es gibt schlechterdings keinerlei Anzeichen, daß Adenauer jemals einer solchen Verwendung dieses Härtefonds zugestimmt hätte. Frage: Diese 450 Millionen möchte ich einmal in Zusammenhang bringen mit der Abschlußgeste von 400 Millionen. Das soll ja auch ein Härtefond sein f ü r jene, die eben nicht vom Gesetz erfaßt werden konnten? Antwort: Sie sprechen nun von Dingen, die sich in einer Zeit ereignet haben, in der ich diesen Dingen nun etwas ferner stand. Aber, natürlich verfolgte ich sie immer noch mit Interesse. Zweifellos ist das zunächst einmal in meinen Augen eine Folge davon, daß der ursprüngliche Härtefond nicht f ü r Härtezwecke verwendet worden ist. Aber das war eine Regelung wie sie in der Bundesentschädigung getroffen worden ist, bei der immer Härtefälle übrig bleiben. Das ist klar. Es wird niemals dazu kommen können, daß alle Fälle erfaßt werden. Es müssen ja schon aus verwaltungsmäßigen Gründen irgendwelche begrifflichen Grenzen gezogen werden mit Stichtagen, Aufenthaltsvoraussetzungen. Jeder Begriff der in einem Gesetz festgelegt wird, enthält eine Grenzziehung und die eben knapp jenseits der Grenze liegt. Sie wird immer als ein Härtefall angesehen. Jede dieser Grenzen ist willkürlich und man wird niemals alle Härten ausscheiden können. Mir ist es zweifelhaft, zu was eine solche Härteregelung verwaltungsmäßig führen muß. Jeder Betroffene u n d jeder Anwalt der einen Betroffenen vertritt, wird doch zunächst einmal darauf aus sein, einen Antrag zu stellen. Wenn man oftmals über die Aufblähung der Verwaltung spricht, dann ist das auch ein Musterbeispiel, wie man die Verwaltung mit Aufgaben versehen kann. Es ist doch zu erwarten, daß in einer Unzahl von Fällen zunächst einmal Anträge eingehen. In dem Augenblick in dem ein Antrag eingegangen ist, ist das ein Arbeitsträger, der Kräfte bindet. Wenn ich mir einmal vorstelle, daß dann von der Fülle der Anträge, wenn man nicht gar schon insgeheim an eine Nachschußpflicht denkt, nur ein wahrscheinlich kleiner Teil positiv berücksichtigt werden kann, dann sehe ich eigentlich voraus, daß hier Mißmut sozusagen mit vollen Händen ausgestreut wird. Jeder, der nicht berücksichtigt werden kann, wird das als ein Zeichen mangelnden Wiedergutmachungswillen ansehen. Frage: Sie bringen mich dabei auf ein Problem der Differenziertheit des Bundesentschädigungsgesetzes. Wenn man zum Beispiel vergleichbare Berufe in vergleichbare Beamtenregelungen hineingenommen hätte, einen Anwalt als Ministerialdirektor, einen Handwerksmeister als Ministerialdirigent und hätte auf diese Weise G r u p p e n geschaffen, in denen man die Renten bewertet hätte, wäre 336
14.4 Interview mit Dr. Ernst Feaux de la Croix man dann nicht schneller zum Ziel gekommen und ohne so furchtbar viele Prozesse? Antwort: Es hätte sicherlich Systeme gegeben, mit denen man dem ganzen Problem der Wiedergutmachung wesentlich einfacher, wesentlich schneller hätte Herr werden können. Ein Musterbeispiel sind f ü r mich die Regelungen mit denen die elf europäischen Staaten, die von uns eine Globalzahlung an ihre NS-Verfolgten erhalten haben, diese Verteilung vorgenommen haben. Das ist nach einem sehr groben Punktesystem überwiegend geschehen, ist aber außerordentlich schnell geschehen und ohne eine Riesenverwaltungsarbeit, ohne eine Riesenrechtsprechung dazu. Ich glaube aber, daß hier, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Kind schon in den Brunnen gefallen war, bevor überhaupt die Bundesrepublik geschaffen wurde. Schon die Alliierten, die drei Besatzungsmächte, ließen deutlich erkennen, daß sie einer sehr differenzierten, sehr ins Einzelne gehenden Wiedergutmachung den Vorzug geben würden. Mag hinzukommen, der Hang zur deutschen Gründlichkeit. Wir haben ja das Parallelbeispiel etwa im Lastenausgleich. Der Lastenausgleich ist ja mit seinen inzwischen vielen Novellen und etlichen — kann man sagen —, Durchführungsvorschriften, auch ein Musterbeispiel für deutsche Gründlichkeit, auch wenn es um die Bewältigung eines solchen Nachkriegsproblems geht. Nachdem man auf einigen anderen Gebieten z. B. im Lastenausgleich einmal diesen Weg der sehr differenzierten Entschädigung eingeschlagen hatte, nachdem vor allem aber auch schon die Weichen in diesem Sinne in der Besatzungszeit gestellt waren, hätte es — so glaube ich —, nachdem nun die Bundesregierung, die Bundesrepublik besser gesagt, die Dinge in die Hand nahm, kein Zurück mehr gegeben. Das mag man im Nachhinein bedauern, aber man muß es hinnehmen. So schwierig es auch war, man soll ja nie vergessen, daß wahrscheinlich auf einen Fall, der schlecht gelaufen ist, der sich über J a h r e hinausgezögert hat, wahrscheinlich einige hundert Fälle kommen, die ohne daß jemand darüber gesprochen hat, tadellos und glatt und schnell erledigt werden konnten. Frage: Lassen Sie mich noch ein letztes T h e m a anschneiden: Es ist die Frage der Entschädigung der ehemaligen deutsch-jüdischen Gemeinden, die j a wohl auch in den Bereich der Entschädigung fielen. Man hat große Gelder vom Bund und vor allen Dingen von den Ländern an die sogenannten Nachfolgeorganisationen gezahlt, die praktisch dann nicht mehr den neuen deutschen jüdischen Gemeinden zugute kamen. Wie kam das zustande? Antwort: In der Wiedergutmachung im großen gesehen, gab es natürlich einen gewissen Gegensatz zwischen den — ich will mich einmal so etwas ungenau ausdrücken — den wieder nach Deutschland zurückgekehrten Verfolgten, lassen Sie mich sie noch mit dem Kurzwort nennen, deutschen J u d e n und den Verbänden der nach Israel oder sonst in die Welt gekommenen Verfolgten. Frage: Sie waren der Meinung, man müsse die deutschen jüdischen Gemeinden hier liquidieren? Antwort: Das mag so sein, und vor allem die stärkeren T r u p p e n waren wohl auf der gesamten politischen Lage eher bei den Weltverbänden. Wir haben Situatio337
14 Wiedergutmachung
und
Wirtschaftshilfe
nen erlebt, in denen die deutschen Juden in aller Form gegen diese oder jene von den Weltverbänden geforderten Wiedergutmachungsregelungen protestiert haben, indem sie aufmerksam gemacht haben, daß damit eigentlich hier die deutschen J u d e n benachteiligt würden. Aber, ich sagte schon, im Rahmen der großen Politik gesehen, sind, so glaube ich, von einer höheren Warte aus gesehen, die Forderungen der J u d e n in der Welt stärker zum Zuge gekommen, als die Wünsche und Forderungen d e r „deutschen Juden".
14.5 Eine israelische Reaktion auf die Wiedergutmachungsbemühungen
14.5.1
Brief eines Israeli an Botschafter Dr.
Pauk
Am 5. Mai 1967 sandte Herr Dov Kraus, Mitglied des Kibbuz Neot Mordechay, den folgenden Brief an den deutschen Botschafter in Israel. Gleichzeitig sandte er Kopien an das Sekretariat seines Kibbuz, an das israelische Außenministerium und an die deutschsprachige Zeitung „Jedioth Chadashoth" in Tel Aviv. „Herr Botschafter, ich beginne einzusehen, daß wir einen großen Fehler machen, da wir den Deutschen nicht rechtzeitig die ihnen gebührende Anerkennung aussprachen d a f ü r , was sie in der Sache der Wiedergutmachung Gutes und Richtiges schon geleistet haben. Wir sind das ihnen schuldig. Ich stehe Ihrem Volke sehr kritisch gegenüber, aber heißt die richtige Kritik nicht auch das Positive sehen und festzustellen? Es ist wahr, daß die Idee der Reparationen von fremden Köpfen stammt, so hörte ich, aber es ist auch wahr, daß sie sich die Deutschen etwas kosten ließen. Ich erinnere mich von Zeit zu Zeit an die Worte eines Knaben, an sich hätte er schon nichts gegen den Staat Israel, wenn nur nicht der Vater so große Steuern bezahlen müßte. H e r r Botschafter, es waren schon Genociden in der Geschichte, diesmal ist es meines Wissens zum ersten Mal, daß ein Volk es wettzumachen versucht. Ich möchte den Deutschen wünschen, daß es ihnen die Historie nicht vergißt, denn das ist ein Fortschritt; man kann denken, was man will, es ist etwas Anständiges daran, und Anständigkeit ist in den internationalen Beziehungen etwas Seltenes und sehr Notwendiges. Finden Sie nicht, daß es eigentlich eine Pioniertat ist? — Ich bin auch nicht ohne Vorbehalte, aber hier sollen sie nur berührt werden. Es ist auch nicht zu vergessen, daß uns Juden die ganze Lage bestimmte Pflichten auferlegt, denn in gewissem Sinne sind wir die Stärkeren. Bitte leiten Sie meine Worte weiter, wenn Sie es für gut halten, der kurze Sinn meines Briefes in puncto dessen, was mir persönlich widerfahren, ist ,in Ordnung'. 338
14.5 Eine israelische Reaktion auf die Wiedergutmachungsbemühungen
Und ich kann nicht glauben, daß es schaden kann, wenn ich hinzufüge: .Verzeihen Sie, daß so spät.' Ich hoffe im Interesse beider Seiten, daß Sie viele solcher Briefe bekommen. Mit Gruß, ehrlich gez. Dov Kraus"
14.5.2
Der Botschafter antwortet
„Sehr geehrter Herr Krausl Ihr nachdenklicher Brief vom 5. Mai hat mich bewegt, und Sie haben mir eine ermutigende Freude bereitet. Mit Ihren Bemerkungen über die Reparationen greifen Sie einen Gedanken auf, den Nahurn Goldmann ausgedrückt hat, als er vor einem J a h r Konrad Adenauer in Jerusalem begrüßte, daß es nämlich ohne Vorgang in der Geschichte sei, daß eine Regierung die Verantwortung für die Verbrechen eines früheren Regimes auf sich nimmt und aus eigenem Entschluß Reparationen leistet. Ihre Gesinnung trifft sich mit dem, was Konrad Adenauer damals sagte: ,Wenn guter Wille nicht anerkannt wird, kann nichts Gutes daraus entstehen.' Besonders beschäftigen mich Ihre Worte, ,denn in gewissem Sinne sind wir die Stärkeren'. Das haben Sie ebenso feinsinnig wie zutreffend ausgedrückt. Ja, Sie sind in vieler Hinsicht die Stärkeren, und ich hoffe zuversichtlich, daß die wachsende Erkenntnis der Richtigkeit dieses Gedankens es immer mehr Juden erleichtern wird, trotz allem, was hinter uns liegt und was Sie nicht vergessen können und wir nicht vergessen dürfen, J a zu sagen zum Frieden und zur Zusammenarbeit mit den Deutschen. Mit herzlichem Gruß und Dank Ihr gez. Dr. Pauls"
339
15 Der Tod Konrad Adenauers
15 Der Tod Konrad Adenauers — Ben Gurion kommt mit einer großen Delegation zu den Trauerfeierlichkeiten Als sich am 19. April 1967 in den Mittagsstunden die Fahnen in Bonn auf Halbmast senkten, um damit zu verkünden, daß der T o d Konrad Adenauers eingetreten war, zeigte sich, daß dieser Tod auch in Israel und in jüdischen Gemeinden in aller Welt mit tiefem Schmerz e m p f u n d e n wurde. In den Tagen bis zur Beerdigung kam das in vielen Äußerungen, Beileidskundgebungen und Trauerbesuchen zum Ausdruck. Die Beisetzungsfeierlichkeiten fielen auf den Beginn des Pessach-Festes. Das beschränkte den jüdischen Politikern das Reisen. So war es ein großer Augenblick, daß Nahum Goldmann, von New York kommend, am Sonntag, dem 23. April, nachmittags kurz vor 16 Uhr, nur von seinem engsten Mitarbeiter bei d e r Jewish Claims Conference in Bonn, Ernest Katzenstein, begleitet, vor den Sarg im Palais Schaumburg trat, um von dem Manne Abschied zu nehmen, mit dem er gemeinsam so viele Gespräche und Verhandlungen über die deutsch-jüdische Aussöhnung geführt hatte. Direkt nach dieser Gedenkminute flog Goldmann wieder nach New York zurück. Zu den Trauerfeierlichkeiten selbst hatte sich aus Israel eine Delegation angemeldet, die kein Deutscher erwartet hatte. Israels großer alter Mann, David Ben Gurion, kam zusammen mit Israels Außenminister, Abba Eban, und mit Felix Shinnar, der als Leiter der Israel-Mission am Luxemburger Abkommen wesentlich beteiligt gewesen war. Zu der Zeit, da Botschafter Pauls sich die ersten Tage in Israel aufhielt, traf der Herausgeber Ben Gurion in seinem Tel Aviver Heim zu einem Gespräch unter vier Augen. Ben Gurion fragte nach dem Befinden Konrad Adenauers und trug Grüße auf. Adenauer sollte doch bald einmal kommen. Ich entgegnete mit der Frage, ob er denn nicht einmal nach Deutschland kommen wolle, in das Deutschland, von dem er gesagt habe, daß es ein neues Deutschland sei, nicht vergleichbar mit dem Deutschland Hitlers. Nein, nach Deutschland wolle er nicht kommen. Er sei 1946 in Deutschland gewesen, in den jüdischen Flüchtlingslagern, habe die Konzentrationslager gesehen, all das könne er nicht vergessen. Auf meine Frage, ob er kommen würde, wenn ihn Adenauer einladen würde, wenn er dann von Rhöndorf aus zu Jugendlagern fahren könnte, gleichsam ohne direkt nach Deutschland zu fahren, in Deutschland zu reisen. Ja, dann würde er kommen, wenn ihn Konrad Adenauer rufe, dann ja. Ben Gurion kam, er hatte Wort gehalten. Nach den protokollarischen Regeln saß dieser Mann unter den vielen Außenministern in einer der ersten Reihen beim großen Staatsakt im Plenarsaal des Bundestages. Neben dem Bundespräsidenten, rechts u n d links in der allerersten Reihe, PräsidentJohnson und Präsident de Gaulle. Es war f ü r die Journalisten gewiß ein Ereignis, daß diese beiden 340
15 Der Tod Konrad Adenauers Staatsmänner der westlichen Welt in solcher Stunde nach Bonn gekommen waren, aber ihre eigentliche Aufmerksamkeit richtete sich auf Ben Gurion und Abba Eban. In vielen Zeitungsberichten kam das zum Ausdruck, und es wurde manche Kritik laut, daß Konrad Adenauers Bemühungen u m Aussöhnung mit dem jüdischen Volk in den Gedächtnisreden nicht erwähnt worden waren. Es war, wie es sich in vielen Gesprächen nach diesen ereignisreichen Tagen herausstellte, kein böser Wille gewesen. Einer hatte dem anderen dieses Thema überlassen wollen, aber man hatte es in der gedrängten Terminfolge versäumt, sich abzustimmen. Bundespräsident Lübke wollte das T h e m a dem Bundestagspräsidenten Gerstenmaier überlassen, der noch vor acht Monaten in Brüssel vor dem Jüdischen Weltkongreß gesprochen hatte. Gerstenmaier wollte zu diesem großen politischen T h e m a dem Bundeskanzler nicht vorgreifen. So kam es, daß Kardinal Frings beim Requiem im Kölner Dom die Verdienste Adenauers um die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk würdigte. Vielleicht war das der beste Ort, um dieser Taten zu gedenken, denn f ü r Adenauer war die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk immer ein sittliches Anliegen gewesen, aus dem sich dann die politischen Taten ergaben. Am Tage nach der Beisetzung traf Ben Gurion mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger im Palais Schaumburg zusammen. Der Bundeskanzler bat seinen israelischen Gast in dem Sessel Platz zu nehmen, in dem einst Konrad Adenauer immer gesessen hatte. Dieser Platz gebühre ihm, dem Mann, der den Deutschen so viel Vertrauen entgegengebracht habe. Israels Außenminister Abba Eban konferierte in diesen Tagen mit Bundesaußenminister Willy Brandt, ein Gespräch, das die schwerwiegenden Probleme Israels und seinen Beitritt als assoziiertes Mitglied in die EWG zum Inhalt hatte und bei dem der Außenminister das sagte, was auch in vielen Erklärungen der Bundesregierung bereits zum Ausdruck gekommen war: „Die Bundesrepublik Deutschland wird Israel bei diesem Vorhaben in den europäischen Gremien unterstützen." Unter den zahlreichen Telegrammen und Beileidsbekundungen aus aller Welt befanden sich auch Stimmen der T r a u e r und Würdigung für Konrad Adenauer aus jüdischen Kreisen. Für die vielen Worte, die in diesen Tagen aus jüdischem Munde gesprochen wurden, sollen einige beispielhafte Äußerungen stehen: Der israelische Ministerpräsident Levi Eshkol sandte das folgende Beileidstelegramm an Bundeskanzler Kiesinger-. „Mit dem Ableben Konrad Adenauers ist die Welt um einen Staatsmann ärmer geworden, dessen Wirken Europa und Nachkriegsdeutschland tief beeinflußt hat. Es war eines seiner vornehmsten Lebensziele, auf das er ohne Unterlaß hinarbeitete, daß sich das deutsche Volk zu dem vom nationalsozialistischen Deutschland am jüdischen Volk verübten Verbrechen, zur Verantwortung für die Massenvernichtungen bekannte. 341
15 Der Tod Konrad Adenauers Im Staate Israel sah er einen hervorragenden Ausdruck der Hoffnungen und Bestrebungen des jüdischen Volkes, und die Wiedererstehung Israels auf seinem Heimatboden war ihm das sicherste Unterpfand seines Fortbestehens." Der israelische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, Asher Ben Natan, sagte zum T o d e Konrad Adenauers: „Konrad Adenauer wird in die Geschichte der Menschheit als einer der größten Staatsmänner unserer Zeit eingehen, weil er sein Land aus dem Chaos der Tyrannei zurück ins Lager der Demokratie geführt hat. Sein Mut, seine Voraussicht und sein hohes humanitäres Niveau haben die moralischen Bedingungen hergestellt, die einen positiven Dialog zwischen der Bundesrepublik und Israel ermöglichen." In einem Handschreiben des Botschafters an Konrad Adenauer jr. in Rhöndorf hieß es abschließend: „Die Bäume im Adenauer-Wald in Israel haben Wurzeln geschlagen und werden wachsen und blühen. Mögen sie das Symbol des Vermächtnisses Konrad Adenauers sein." Vor seinem Abflug nach Bonn, wo Nahum Goldmann einen Kranz am Sarge Konrad Adenauers niederlegte, erklärte er in New York: „In Kanzler Konrad Adenauer haben das jüdische Volk und Israel einen ihrer großen Freunde verloren. In den 16 Jahren, die ich ihn kannte und in denen ich sehr oft mit ihm zusammentraf, hat er immer wieder seine unbeirrbare Entschlossenheit unter Beweis gestellt, zumindest auf materiellem Gebiet die Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die J u d e n soweit wie möglich wiedergutzumachen, und er hat dieser Haltung gegen viele Widerstände zur Durchführung verholfen. Das einzigartige und beispiellose Werk der Wiedergutmachung und Rückerstattung f ü r die Opfer des Nationalsozialismus, das seinen Ausdruck in dem Luxemburger Abkommen und vielen deutschen Gesetzen fand, wäre ohne seine Beharrlichkeit und Entschlußkraft in seiner gegenwärtigen Form nicht möglich gewesen. Ich bin vielen führenden Staatsmännern meiner Generation begegnet. Ich betrachte Konrad Adenauer als eine der größten Gestalten der Nachkriegszeit, als einen Menschen, in dem sich bewundernswerte menschliche Fähigkeiten mit einer ungewöhnlichen politischen und staatsmännischen Begabung vereinten. Das jüdische Volk wird seine Haltung und seine Leistungen bei der Wiedergutmachung nationalsozialistischer Verbrechen und seine wirkungsvolle Zusammenarbeit und Unterstützung in vielen f ü r Israel und das jüdische Volk wichtigsten Fragen nie vergessen. Diese und künftige Generationen werden sein Andenken stets in Ehren halten." 342
15 Der Tod Konrad Adenauers Der Zentralrat der Juden in Deutschland sandte an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Eugen Gerstenmaier, ein Beileidstelegramm: „Der Zentralrat der J u d e n in Deutschland spricht Ihnen und dem Deutschen Bundestag tiefste Anteilnahme zu dem Verlust des hervorragenden Abgeordneten Altbundeskanzler Dr. Konrad Adenauer aus. Sein Tod hat bei uns Bestürzung und Trauer ausgelöst. Der eminente deutsche und europäische Staatsmann Konrad Adenauer hat nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, das er verachtet und bekämpft hat, Hand an den Aufbau eines wirtschaftlich starken demokratischen Rechtsstaates gelegt. Er kannte die Schwierigkeiten der Aufgabe, dem deutschen Namen, der mißbraucht worden war, nicht nur in politischer, sondern vor allem auch in moralischer Hinsicht wieder Geltung zu verschaffen. Die Beziehungen zu den jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik und auch zu Israel waren in diesem Zusammenhang f ü r ihn ein wesentliches Anliegen. Die Anregungen des Zentralrates der Juden in Deutschland haben bei ihm viel Förderung gefunden, wie ihm die Existenz einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland als ein wichtiger Faktor erschien. Rechtswiederherstellung war f ü r ihn eine logische Konsequenz des Rechtsstaates. Das Werk Adenauers ist in die Annalen der Geschichte gemeißelt. Uns ist er nicht nur durch seine staatsmännische Leistung, sondern auch durch seine Persönlichkeit unvergeßlich."
343
16 Israels europäische Aktivitäten
Am 5. Oktober 1965 übergab Israels Botschafter in der Bundesrepublik, Asher Ben Natan, Bundesaußenminister Dr. Schröder im Beisein des EWG-Referenten des Auswärtigen Amtes , VLR I von Stempel, die Note der israelischen Regierung mit der Bitte an die Bundesregierung, Israels Antrag auf Assoziierung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu unterstützen. Der zwei Seiten umfassenden Note ist ein ausführliches Memorandum von mehr als neun Schreibmaschinenseiten angefügt, das in 18 Punkten Israels Wunsch dadurch untermauert, daß es die israelische wirtschaftliche Entwicklungsgeschichte und vor allem auch die Handels- und Wirtschaftsentwicklung darstellt. In den ersten Punkten wird die geschichtliche Entwicklung Israels aufgezeigt und dabei vor allem auch daran erinnert, welch enge Bindung der Staat Israel zur europäischen Kultur, Demokratie und nicht zuletzt zu den europäischen Völkern hat, was durch die Tatsache der Verfolgung der jüdischen Bevölkerungsteile in den europäischen Staaten, deren Reste nach Israel auswanderten, besonders belegt ist. Es wird daran erinnert, welch übermäßige Belastungen der junge Staat durch die Aufnahme dieser Flüchtlinge aus Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu bewältigen hatte. Das Memorandum weist in Punkt 5 daraufhin, daß eine jährliche zehnprozentige Steigerung des Bruttosozialprodukts in der israelischen Wirtschaft zu verzeichnen sei. In Punkt 6 wird dargelegt, welche Bedeutung der Staat Israel dem Gesundheitswesen, seinen Schulen und dem sozialen Aufstieg beimißt: ein Drittel des Staatshaushaltes wird für diese Zwecke verausgabt. In den 18 Jahren des Bestehens des Staates hat sich die israelische Bevölkerung vervierfacht. Im Hinblick auf die israelische Landwirtschaft weist das Memorandum daraufhin, in welchen Produkten Israel bereits vollständig autark ist, aber auch darauf, daß es in bestimmten Produkten große Einfuhren tätigen muß, so z. B. muß der gesamte Reisbedarf importiert werden; Brot- und Futtergetreide sowie Pflanzenöle zu zwei Dritteln des Bedarfes, Rindfleisch zur Hälfte. 120 Millionen Dollar gab Israel 1965 für Lebensmittelimporte aus. Die Exporte, so sagt das Memorandum, werden in den Landwirtschaftsprodukten 1970 160 Millionen Dollar betragen. Es weist allerdings daraufhin, daß durch eine Begrenzung der günstigen Böden, die mit Süßwasser versorgt werden können, eine Verlangsamung dieses Anstiegs eintritt. Umso mehr verweist das Memorandum auf die industriellen Anstrengungen Israels. 25 % der Bevölkerung des jungen Staates sind in der Industrie beschäftigt bei einer jährlichen Produktionszuwachsrate von 15 % . Um den EWG-Ländern darzulegen, wie stark Israel sich auf die Ausweitung seiner Industrie verlegt, ist in dem Memorandum daraufhingewiesen, daß man in den nächsten zehn Jahren allein 1,5 Milliarden Dollar in den Industrien des Landes investieren will. Damit ist der Hinweis verbunden, daß der größte Teil dieser wichtigen Investitionen aus den Staaten der Europäischen Wirtschaftsge344
16 Israels europäische
Aktivitäten
meinschaft geliefert werden könnte. 1965 erhöhten sich die israelischen Importe auf 834 Millionen Dollar, das sind 300 Dollar pro Einwohner im Jahr. Die Importe umfaßten zum großen Teil — soweit sie sich auf Industrieprodukte bezogen, wenn man von den 120 Millionen Dollar-Einfuhren der Agrarprodukte absiehtauf Investitionsgüter, Rohstoffe und Halbfabrikate. Das Memorandum zeigt sehr offen und ehrlich das Handelsdefizit Israels auf. In beiden Richtungen hat sich der Warenverkehr zwischen Israel und den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kontinuierlich entwickelt. Zwischen 1958 und 1965 gab es ein Handelsdefizit zwischen Israel und den sechs Staaten der EWG von 700 Millionen Dollar. Dazu ist zu sagen, daß sich das Defizit von 1958 bis 1962 in der Handelsbilanz Israels mit der EWG jährlich auf rund 80 Millionen Dollar belief, 1963 auf 48 Millionen Dollar absank und 1964 auf rund 136 Millionen Dollar anstieg, was besonderen Einflüssen zuzuschreiben ist. 1963 standen den israelischen Einfuhren aus der EWG von etwa 200 Millionen Dollar Ausfuhren in die sechs Staaten von rund 122 Millionen Dollar gegenüber. Durch die Exporte konnten also rund 60 % gedeckt werden, während es 1958 nur rund 30 % waren. Die Dekkungsquote bei den Gesamteinfuhren Israels durch Ausfuhren lag 1965 etwas über 50 % gegenüber ebenfalls 30 % im Jahre 1958. Die gesamte Zahlenrelation zeigt, daß sich im Zeitraum 1958 bis 1965 der Warenverkehr Israel — EWG günstiger entwickelt hat als die Gesamtrelation von Einfuhr und Ausfuhr. Der Anteil des israelischen Exportes in die EWG am Gesamtexport Israels erhöhte sich von rund 23 % auf 29 %, während der EWG-Anteil am Gesamtexport Israels mit +/- 23 % ziemlich konstant blieb. Die Auswirkungen des Handelsabkommens zwischen Israel und der EWG vom Juni 1964 brachten eine Steigerung der israelischen Exporte in die Gemeinschaftsstaaten von 14,5 %, während sich die Gesamtausfuhr Israels im gleichen Zeitraum um 23 % erhöhte. Abgesehen vom Zitrusexport und den Exporten von geschliffenen Diamanten, die im Jahre 1965 einen Exportanteil von rund 30 % des israelischen Gesamtexportes hatten - die Agrarausfuhren betrugen 25 % gingen Industriewaren in die Gemeinschaft sogar zurück, selbst dort, wo einige Zollerleichterungen zu verzeichnen waren. Zu den Ausführungen des Memorandums gehört auch der Hinweis auf die großen Leistungen Israels auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe. Rund 12.000 Praktikanten aus asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten wurden in Israel ausgebildet. 2.500 israelische Fachleute wurden in die Entwicklungsländer entsandt. Diesen Hinweis hat das israelische Memorandum nicht ohne Grund gegeben. Es wird daraufhingewiesen, daß Israel bei einer Assoziierung mit der EWG hier durch seine Erfahrungen sehr nutzbringend in die Entwicklungsüberlegungen der europäischen Staaten eingreifen könnte, denen es oftmals an Fachleuten mangelt, während Israel für die Ausweitung seiner Entwicklungsbemühungen das notwendige Geld fehlt. Diese wirtschaftlichen Fragen konnten nur als ein Teil der deutsch-israelischen Überlegungen gesehen werden, denn die Bundesrepublik Deutschland war ja bereits seit Anbeginn der Unterzeichnung der römischen Verträge Mit345
16 Israels europäische Aktivitäten
glied der sechs europäischen Staaten. Daraus ergab sich letztlich, daß eine deutsch-israelische Politik gleichzeitig auch eine europäische Politik wurde. Der Präsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war Staatssekretär Walter Hallstein geworden, der den deutsch-israelischen Dialog als vorheriger Staatssekretär des Auswärtigen Amtes geleitet und begleitet hatte. In einem Interview mit ihm wurde deutlich, wie stark Israel in diesen Monaten bereits mit der Europäischen Wirtschaftsvereinigung und der europäischen Politik verbunden wurde. Es zeigt sich aus den Worten von Präsident Prof. Hallstein, daß in Zukunft eine deutsche Politik ohne Berücksichtigung der Politik der Europäischen Gemeinschaft überhaupt nicht m e h r denkbar war. Darum ist dieses Interview vom Nov. 1965 bedeutungsvoll: Frage: Herr Präsident, die EWG verhandelt zur Zeit mit Israel über den Abschluß eines weiteren Handelsvertrages. Wo sehen Sie Möglichkeiten der Erweiterung und Verbesserung des Handels der Mitgliedstaaten der EWG mit Israel gegenüber dem ersten Handelsvertrag? Antwort: Der am 4. Juni 1964 zwischen Israel und der EWG abgeschlossene Handelsvertrag sieht die Bildung einer gemischten Kommission vor, die mindestens einmal jährlich die Entwicklung des beiderseitigen Handels p r ü f t und gegebenenfalls Vorschläge zum weiteren Ausbau der Handelsbeziehungen macht. Dieser gemischte Ausschuß ist im April 1965 zusammengetreten. Auf Grund seiner Beratungen prüft zur Zeit die Kommission, was geschehen kann, um die israelische Ausfuhr in die EWG zu erleichtern. In Frage kommen vor allem Senkungen des gemeinsamen Außenzolls f ü r einige den israelischen Export besonders interessierende industrielle oder landwirtschaftliche Produkte. Daneben steht die Frage, ob und in welcher Form ein besonderes Zollregime f ü r solche Produkte eingeführt werden kann, deren Grund- oder Halbstoffe aus der EWG stammen, aber in Israel veredelt werden. Dies ist eine wichtige, aber auch schwierige Aufgabe, deren sich die Kommission mit Vorrang annimmt. Vorbereitet wird also in Brüssel nicht ein weiterer Handelsvertrag, sondern Maßnahmen, die den bestehenden Vertrag ergänzen sollen. Frage: In welcher Weise wird in diesem Vertrag der israelische Citrus-Export in die EWG-Länder berücksichtigt werden können? Antwort: Die Citrusfrüchteproduktion im Mittelmeerraum stellt große Probleme. Nach Berechnung der Welternährungsorganisation besteht im Mittelmeerraum die Gefahr einer Überproduktion. Die Kommission ist bestrebt, eine langfristige und realistische Lösung zu finden. Das Problem stellt sich übrigens auch in unserem Verhältnis zu anderen mittelmeerischen Ländern wie etwa Marokko und Tunesien, mit denen wir kürzlich Verhandlungen über eine Assoziation aufgenommen haben. Hierbei haben wir das Problem des Obst- und Gemüseexports erst einmal beiseite gelassen. Die Gemeinschaft muß auf diesem Gebiet ihre eigene Politik klar definieren, bevor sie mit anderen darüber verhandeln kann. Das gilt natürlich auch in Bezug auf Israel. Frage: Wird es in Zukunft möglich sein, Israel über einen Handelsvertrag hinaus 346
16 Israels europäische Aktivitäten Kontakte mit d e r EWG zu gewähren? Israel hatte zu Beginn seiner Verhandlungen vor dem ersten Handelsvertrag an eine Assoziierung gedacht. Antwort: Das Gespräch hierüber ist in der Gemeinschaft im Gange. Es ist aber noch nicht soweit gediehen, daß irgendeine Aussage gemacht werden könnte. Das Europäische Parlament hat schon im Mai 1964 die Auffassung geäußert, daß das Handelsabkommen mit Israel als eine erste Phase der Handels- u n d Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Partnern angesehen werden müsse. Auf sein e r Sitzung im März 1964, die durch einen Besuch des israelischen KNESSET ausgezeichnet war, hat das Europäische Parlament die Kommission in einer Entschließung ersucht, alle Maßnahmen zu unterstützen, die in Erwartung einer späteren Assoziierung Israels mit d e r Gemeinschaft auf eine allmähliche Verstärk u n g der Beziehungen im R a h m e n des Handelsvertrages abzielen. Die politische Entscheidung über einen solchen Schritt liegt beim Ministerrat, d. h. bei den Mitgliedsregierungen der EWG, nicht bei d e r Kommission. Frage: Wie sehen Sie, H e r r Präsident, die wirtschaftliche Entwicklung Israels im Vergleich zu den anderen Nahost-Staaten? Haben diese ähnliche Probleme beim Absatz ihrer Waren? Antwort: Ein auch n u r flüchtiger Blick auf die Statistiken zeigt den außerordentlich großen Unterschied zwischen d e r Wirtschafts- und Absatzstruktur Israels u n d d e r seiner Nachbarn. Sie sind miteinander unvergleichbar. Israel ist ein durch außerordentliche Diversifizierung gekennzeichneter j u n g e r Industriestaat, der sogar in d e r Lage ist, a n d e r e n technische Hilfe zu gewähren. Frage: Wenn d e r Gemeinsame Markt die Handelsverbindungen mit Israel nicht m e h r erweitern kann, indem man Zollvergünstigungen gewährt, wird man Israel d a n n helfen, n e u e Wege f ü r d e n Absatz seiner Produkte außerhalb d e r Gemeinschaft zu ebnen? Antwort: Die Kommission wird das ihre tun, u m die Absatzchancen Israels innerhalb d e r Gemeinschaft zu verbessern. Schwer zu sehen ist dagegen, auf welche Weise die Gemeinschaft die A b n a h m e israelischer Produkte in dritten Ländern f ö r d e r n kann. Frage: Glauben Sie, daß d e r erfolgreiche Abschluß d e r Kennedy-Runde auch Israel zugute k o m m e n wird, u m seine traditionellen europäischen Märkte auszubauen? Antwort: Ja, sicherlich. Zwischen Israel und d e r Gemeinschaft besteht Einverständnis darüber, daß die EWG im Verlauf d e r Kennedy-Runde die israelischen Interessen so weit wie möglich berücksichtigen wird. Wir h o f f e n , daß die anderen Handelspartner Israels entsprechend verfahren werden. In j e d e m Fall bedeutet eine nachhaltige Zollsenkung einen Vorteil f ü r alle am Welthandel beteiligten Länder. Frage: Israel leistet eine große Aufbauarbeit in zahlreichen j u n g e n afrikanischen Staaten. Sehen Sie hier die Möglichkeit d e r Zusammenarbeit mit entsprechenden B e m ü h u n g e n d e r EWG-Kommission im afrikanischen Raum? Antwort: Eine solche Zusammenarbeit findet bereits statt. Die Assoziationskonvention von J a u n d e hat ein System der EWG-Entwicklungshilfe f ü r Afrika ge347
16 Israels europäische Aktivitäten schaffen, bei dem alle Partner auf gleichberechtigter Ebene zusammenwirken. Angesichts des großen Prestiges, das Israel sich bei den jungen Staaten Afrikas geschaffen hat, ist es nur natürlich, daß diese daran interessiert sind, die von der Gemeinschaft finanzierte technische Hilfe in vielen Fällen von Israel ausführen zu lassen. Wir sind durchaus damit einverstanden, denn auf diese Weise kann unsere technische Hilfe sich mit Erfahrungen verbinden, die ihre Wirkung nur verstärken.
348
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik In einer blitzartigen Aktion schlug Israel am 1. Juni 1967 die massive militärische Bedrohung durch Ägypten, Jordanien und Syrien in wenigen Tagen zusammen. Es war ein Notwehrakt ohnegleichen. Wer die Massen sowjetischer Waffen, die Israel im Sinai erbeutet hatte, wenige Tage nach Beendigung des Feldzuges auf riesigen Plätzen zusammengefahren, gesehen hat, der konnte sich die Bedrohung so recht vorstellen, der der Staat Israel in letzter Minute entgangen war. Diese Bedrohung des israelischen Staates fand in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ein breites und lebhaftes Echo. In zahlreichen Kundgebungen und Protesten, in unzähligen Hilfsangeboten vielfältigster Art hat die deutsche Bevölkerung auf diese Bedrohung Israels reagiert.
17.1 Stellungnahmen der Bundestagsfraktionen Am 7. Juni 1967 reagierte der Deutsche Bundestag anläßlich der zweiten Lesung des Bundeshaushalts im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes in einer Plenardebatte auf diese Bedrohung. Hier sollen die wichtigsten Auszüge von Sprechern der Bundestagsfraktionen wiedergegeben werden.
17.1.1
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger
„Ich habe in meiner Regierungserklärung schon daraufhingewiesen, daß die gesamte Arbeit, die wir im Innern zu vollbringen haben, nicht gesichert wäre, wenn es nicht gelingen würde, in der Welt den Frieden zu erhalten. Es war nicht vorauszusehen, daß schon bald nach jener Feststellung, von dem lange schwelenden Krisenherd in Vietnam abgesehen, unmittelbar vor den Toren Europas ein neuer großer Konflikt ausbrechen, ja, ein Krieg entstehen würde. In diesem Konflikt hat die Bundesregierung folgende Stellung eingenommen: Sie hat die Entwicklung des Konflikts mit tiefster Sorge verfolgt, und sie bedauert es aus tiefstem Herzen, daß es zum Ausbruch des Krieges im Nahen Osten gekommen ist. Sie setzt ihre Hoffnung darauf, daß es dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gelingen werde, die Einstellung der Kampfhandlungen zu veranlassen. Sie erwartet von den Großmächten, daß sie innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen ihren ganzen Einfluß geltend machen, um den Konflikt zu begrenzen und schnell zu beenden. Es ist nicht anzunehmen, daß eine unmittelbare Gefährdung unserer eigenen 349
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik Sicherheit eintritt. Aber d e r Ablauf des Konflikts wird starke Wirkung auf die weitere Entwicklung d e r Weltpolitik haben. Darüber sollten sich alle, insbesondere die großen Mächte, im klaren sein u n d nicht d e r Versuchung erliegen, u m augenblicklicher Vorteile, scheinbarer Vorteile willen das größere u n d wichtigere Werk einer weltweiten Entspannungs- u n d Friedenspolitik zu gefährden. Die Bundesregierung hat sich zu einer Politik d e r Nichteinmischung entschlossen, u m einer Verschärfung des Konflikts vorzubeugen u n d sich eine Grundlage f ü r ihre Mitwirkung an der B e f r i e d u n g und positiven Entwicklung im Nahen Osten zu erhalten. Sie wird trotz des Konflikts versuchen, die Verbindungen zu d e n Ländern jenes Raumes aufrechtzuerhalten. Das gilt auch f ü r die Gebiete d e r Wirtschaft u n d des Handels. Aber sie wird, d e m Grundsatz d e r Nichteinmischung getreu, keine Waffen an die k r i e g f ü h r e n d e n Parteien liefern u n d d a r ü b e r wachen, daß dieser ihr Beschluß strikt beachtet wird. Die Bundesregierung kann u n d will aber deutsche Bürger nicht d a r a n hindern, h u m a n i t ä r e Aufgaben in j e n e m Raum u n d auch in d e n Kampfgebieten zu erfüllen. Die Bundesregierung hat den Staatsangehörigen, die sich im Spannungsgebiet aufhalten, empfohlen, das Spannungsgebiet zu verlassen. Das Auswärtige Amt hat seit d e m 24. Mai die f ü r derartige Fälle vorgesehenen Planungen in Kraft gesetzt. Es hat im Zusammenwirken mit a n d e r e n Ressorts und insbesondere mit d e n deutschen Flug- und Schiffahrtsgesellschaften alle erforderlichen Maßnahmen getroffen, u m deutschen Staatsangehörigen u n d dem deutschen Eig e n t u m d e n größtmöglichen Schutz u n d , falls notwendig, die Möglichkeit d e r Evakuierung zu geben. Die schnell wechselnde Lage im Kampfgebiet macht es erforderlich, alle Planungen flexibel zu halten u n d gegebenenfalls schnelle Entschlüsse zu fassen. Die Bundesregierung steht in ständigen Konsultationen mit den b e f r e u n d e t e n u n d verbündeten Mächten. Sie hat f e r n e r die interessierten Regierungen über die deutsche Beurteilung d e r Lage u n d die von d e r Bundesregierung getroffenen politischen Entscheidungen eingehend unterrichtet. Ich halte es aber f ü r notwendig, doch noch das folgende Wort in diesem Zus a m m e n h a n g zu sagen. Auf dem H i n t e r g r u n d d e r jüngsten Geschichte unseres Volkes ist es wahrhaft tragisch, daß die Machthaber im anderen Teil Deutschlands d u r c h ein in j e d e r Weise unverantwortliches Verhalten den Konflikt zu schüren versuchen. Sie tun dies offenbar nur, weil sie hoffen, im Elend u n d Grauen des Krieges, wenn die Einsichten durch Leidenschaften getrübt werden, einen Fetzen A n e r k e n n u n g f ü r ihr Regime erhalten zu können."
17.1.2
Der Fraktionsvorsitzende
der Sozialdemokraten,
Helmut
Schmidt
„Die Arbeit dieser Bundesregierung, insbesondere die Arbeit des Kanzlers selber und seines Stellvertreters, des Außenministers, ist in d e n letzten zehn T a g e n genau wie auch unser aller Denken von dem Konflikt im Nahen Osten überschattet. Es steht mindestens seit einer Woche, vielleicht schon seit zehn Tagen fest, daß 350
17.1 Stellungnahmen der Bundestagsfraktionen sich hier ein Spannungsherd entwickelte, der seiner weltpolitischen Bedeutung nach das Gewicht der Kuba-Krise erreichen würde, wenngleich der Nahe Osten nicht wie Kuba vor der Haustür einer der Weltmächte liegt. Wohl aber liegt er vor der Haustür unseres Kontinents Europa. Es besteht die Gefahr einer Ausbreitung, und auch wir Deutschen haben Anlaß, unsere eigene Lage, unsere eigene Rolle, unsere eigene Sicherheit zu bedenken. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich die eben noch einmal von Herrn ÄjVsingfrwiederholteErklärungderNichteinmischungder Bundesrepublik Deutschland. Ich will aber im Namen meiner Parlamentskollegen hinzufügen, daß f ü r die Sozialdemokraten Nichteinmischung nicht bedeutet, daß wir moralisch oder politisch gleichgültig dem Ausgang gegenüberstünden, den man noch nicht absehen kann. Wir sind tief bestürzt über den Ausbruch dieses Krieges, der seit Monaten systematisch vorbereitet worden ist. So sehr uns an der traditionellen Freundschaft unseres Volkes mit den arabischen Völkern liegt, müssen wir uns gegen deren Absicht ihrer Führer verwahren, Israel zu vernichten. Wir erinnern daran, daß die Schaffung dieses Staates Israel durch eine Entscheidung der Vereinten Nationen gewollt und sanktioniert worden ist. Dieses Volk hat erfolgreich eine Demokratie aufgebaut. Wir haben keinen Zweifel an seinem Willen zur friedlichen Entwicklung seines Staates, und wir können die Bedrohung der Existenz dieses Staates und die öffentlich und zynisch ausgesprochene Androhung der Vernichtung eines Volkes nicht ohne tiefe innere Beteiligung vernehmen. Wir sind überzeugt, daß alle strittigen Probleme im Nahen Osten auch ohne Anwend u n g von Gewalt lösbar gemacht werden können. Wir möchten unsere Verbundenheit mit diesem Volk der Israelis bekunden und zugleich auch bekunden—hier unterstreiche ich, was Herr Kiesinger gesagt hat — daß wir beschämt sind von der Tatsache, daß die offiziellen Reden und Äußerungen der Verantwortlichen im anderen Teil Deutschlands von der besonderen Verpflichtung, die wir Deutschen diesem Volk gegenüber haben, nichts, aber auch gar nichts spüren lassen. Dieses Haus ist sich gewiß einig darin, von der Bundesregierung, von allen Verantwortung tragenden Regierungen, insbesondere von den beiden Großmächten, zu erwarten, daß sie alle ihnen zu Gebote stehenden diplomatischen und moralischen Kräfte einsetzen, um eine Einstellung der Kampfhandlungen zu erzielen und eine Wiederherstellung des Zustandes im Nahen Osten, wie er bis zu dem voreiligen Abzug der T r u p p e n der Vereinten Nationen bestanden hat. Ich will bei dieser Gelegenheit auch ein paar Bemerkungen machen, die näher beleuchten sollen, wie f ü r Europa und f ü r die Sicherheit der in Europa lebenden Völker die Entwicklung dieser Krise im Nahen Osten sich auswirken könnte. Ich rede im Konjunktiv: könnte! Es ist klar, daß die sowjetische Führung diese Krise im Nahen Osten benutzt zur Errichtung einer zweiten Spannungsfront gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika zur Entlastung von Nordvietnam. Bei weiterer Entwicklung dieser Dinge können f ü r die sowjetische Führung drei mögliche Erfolge anfallen. Erstens. Die Sowjetunion könnte tatsächlich eine Entlastung in Vietnam erreichen und eine Regelung beschleunigen helfen. Dazu will ich nichts sagen. 351
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik Zweitens. Der Sowjetunion könnte zugleich politisch u n d strategisch d e r Ausbruch aus d e n Dardanellen in die Weite des mittelmeerischen Raumes u n d durch d e n Persischen Golf in den Indischen Ozean gelingen. Es ist sehr deutlich, daß in d e n letzten T a g e n eine Reihe von arabischen Staaten sehr viel stärker in d e n Sog d e r sowjetischen Politik geraten sind, als das bisher d e r Fall war. Ob u n d wieweit das redressiert w e r d e n kann, ist eine Frage der Zeit u n d nicht der akuten Beend u n g d e r akuten Krise. Drittens: Dadurch, daß dies geschehen könnte, von dem ich eben spreche, kann zugleich auch f ü r Europa ein hervorragendes Ereignis eintreten; .hervorragend' im Sinne von .bedeutend', nicht im Sinne einer positiven Wertung. Es darf nicht eintreten, d a ß hier etwa d e r Beweis g e f ü h r t würde, daß die Vereinigten Staaten von Amerika nicht in der Lage seien, ihre Verpflichtungen gleichzeitig in m e h r e r e n Teilen d e r Welt zu erfüllen. Wenn d u r c h die sowjetische F ü h r u n g u n d Politik dieser Beweis g e f ü h r t werden könnte, d a n n allerdings stünde damit ein Stück d e r bisherigen Struktur des Weltgleichgewichts auf dem Spiel, wie dieses Weltgleichgewicht schon 1961 in Berlin u n d 1962 in Kuba auf dem Spiel gestand e n hat. Es steht auf dem Spiel die Aushöhlung grundlegender psychologischpolitischer Positionen des westlichen Bündnisses. Daß j e d e Verschiebung des Gleichgewichts deutsche Interessen, deutsche Sicherheit hautnah b e r ü h r e n muß, steht f ü r uns alle a u ß e r Frage, denke ich. Ebenso steht außer Frage, daß j e d e Verschiebung des Gleichgewichtes zu Ungunsten d e r Vereinigten Staaten von Amerika f ü r d e n Z u s a m m e n h a n g des westlichen Verteidigungssystems die Gefahr einer perniziösen Anämie — oder wenn Sie so wollen: des unerkannten Blutkrebses — bedeutet. Ich bin sicher, daß man sich in Washington dieser weltweiten Implikationen d e r gegenwärtigen Nahost-Krise d u r c h a u s bewußt ist. Diese Krise betrifft nicht n u r das westliche System im Bereich des Stillen Ozeans u n d Asiens, sie betrifft ebenso u n d vielleicht noch mehr das westliche System im Bereich des Atlantiks und Europas. In dieser Lage richten sich die Augen der E u r o p ä e r und die Augen d e r Deutschen erwartungsvoll, aber auch voller Vertrauen auf die amerikanische Regierung u n d auf ihren Präsidenten. Ich unterstelle dabei, daß im übrigen im Council des nordatlantischen Bündnisses in d e r gegenwärtigen Krise eine ständige Konsultation im Gange ist. N u n sind die eigenen diplomatischen Möglichkeiten d e r Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland, zur Beilegung des Konflikts zu helfen — von d e n e n ich vorhin sagte, sie sollten von Ihnen, H e r r Bundeskanzler, und von I h r e r Regier u n g voll ausgeschöpft werden — naturgemäß begrenzt. Aber unsere deutschen Möglichkeiten sind nicht etwa gleich Null. Auch wir können zur E n t s p a n n u n g beitragen. Wir — ich richte mich hier an die Partnerfraktion der Großen Koalition — haben im letzten Dezember gemeinsam begonnen, f ü r die E n t s p a n n u n g neue Wege einzuschlagen. Die heutige akute Lage bestätigt die Analyse, die im Dezember z u g r u n d e gelegen hat, in einer bestürzenden Weise. Umso m e h r haben wir heute allen G r u n d , unseren festen und unbeirrbaren Willen zur aktiven Entspannungspolitik zu beweisen u n d in die T a t umzusetzen."
352
17.1
17.1.3
Stellungnahmen der
Bundestagsfraktionen
Der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten, Freiherr von Kühlmann-Stumm
„Diese Bundestagsdebatte steht unter dem Eindruck der Gefahren für den Weltfrieden, die sich aus dem Konflikt im Nahen Osten ergeben. Die Hoffnungen, daß es gelingen möge, den Krieg im Nahen Osten zu vermeiden, haben sich nicht erfüllt. Es wird geschossen, Menschen verlieren Gesundheit und Leben. Die Anstrengungen aller politisch Verantwortlichen müssen sich jetzt auf die Lokalisierung dieses Konflikts und auf seine schnellste Beendigung richten. Das deutsche Volk knüpft nach den schmerzlichen Erfahrungen zweier Weltkriege an die Bemühungen um die Wiederherstellung des Friedens im Nahen Osten besondere Erwartungen. Uns trifft die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung in einem Zeitpunkt, in dem auf deutschem Boden sich die Truppen zweier Paktsysteme gegenüberstehen, deren stärkste Mächte, die USA und die Sowjetunion, von dem Krieg im Nahen Osten unmittelbar berührt werden. Dazu kommt die exponierte Lage der deutschen Hauptstadt Berlin. Angesichts dieser Lage muß das deutsche Volk wie kein anderes darauf bedacht sein, eine Ausbreitung des Konflikts im Vorderen Orient oder gar sein Übergreifen auf Europa zu verhindern. Die deutsche Bundesregierung wird deshalb wie keine andere die Grundsätze der striktesten Neutralität im völkerrechtlichen Sinne beachten müssen. Sie kann für eine Politik der Neutralität auf die ungeteilte Unterstützung der parlamentarischen Opposition rechnen. Wir werden dem Hohen Hause einen Entschließungsantrag vorlegen, der diesen Willen zur Neutralität bekräftigen soll. Wir würden es, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, begrüßen, wenn wir diesen Beschluß mit den Stimmen der Regierungsparteien einstimmig im Deutschen Bundestag fassen könnten. Die Entschlossenheit, alles zu verhindern, was zu einer Ausbreitung des Konfliktes führen könnte, Anteilnahme und Besonnenheit müssen in dieser Stunde Maxime unserer Politik sein. Unter Beachtung dieser Maximen gewinnen wir die Basis für die Fortsetzung unserer Arbeit in diesem Hohen Hause."
17.1.4
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Rainer Barzel
„Das zweite ist das ernste Problem, das auch der Bundeskanzler nach vorn gestellt hat: der Krieg im Nahen Osten. Wir unterstützen die Position, die die Bundesregierung hier eingenommen hat, und zwar in allen Details. Wir glauben, daß diese Position in Wort und Tat besonnen und abgewogen ist. Wir meinen auch, daß sie unseren prinzipiellen Einsichten, unserem gesamtdeutschen Interesse und unseren Möglichkeiten entspricht. Ich stelle zunächst mit einer gewissen Befriedigung fest, daß der verantwortliche Sprecher der Bundestagsfraktion der FDP, der sich hier dazu geäußert hat, den Protest gegen die humanitäre Lieferung von Gasmasken zum Schutz der Zi353
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik vilbevölkerung, von d e m in d e r Presse zu lesen war, o f f e n k u n d i g nicht wiederholt hat, so d a ß ich wohl die H o f f n u n g haben kann, d a ß dieses H a u s insoweit zu einer geschlossenen A u f f a s s u n g findet. Es ist seit langem nicht n u r unsere politische Auffassung, sondern auch — wohlüberlegt u n d konsequent — unsere praktische Politik, d a ß es nicht unsere, d e r Deutschen Sache sein kann, in militärische Engagements a u ß e r h a l b d e r N A T O zu k o m m e n . Wir haben hierüber Entscheidungen zu t r e f f e n gehabt im Z u s a m m e n h a n g mit d e r Zypern-Krise — ich sehe d e n f r ü h e r e n Bundeskanzler Erhard vor mir —, wir haben Entscheidungen zu t r e f f e n gehabt im F e r n e n Osten. U n s e r e Position ist klar: Wie i m m e r u n s e r H e r z schlägt, militärische Engagements außerhalb d e r N A T O sind nicht unsere Sache. Ich sage dies nicht, u m uns in irgendeiner Weise h e r a u s z u r e d e n o d e r d a r u m h e r u m z u r e d e n . Es gibt Fragen, in denen m a n sich auch innerlich klar entscheiden muß, u n d hier ist eine Lage entstanden, die uns auch politisch b e r ü h r t u n d uns auch politisch engagiert, weil wir — das h a b e n d e r H e r r Bundeskanzler u n d d e r Kollege Schmidt mit Recht betont — natürlich sehen, d a ß die E u r o p ä e r als Europäer kein wirksamer Faktor selbst in diesen Bereichen m e h r sind, weil wir die off e n k u n d i g e n Implikationen dieses Krieges f ü r uns u n d die potentiellen Implikationen f ü r das Bündnis sehen u n d weil hier politische u n d moralische Prinzipien, die u n s leiten, mit b e r ü h r t sind. Ich meine, die deutsche öffentliche M e i n u n g ist hier klar. Sie hat sich d e r Gleichgültigkeit der H e r z e n versagt. Zugleich ist es richtig, daß die Regierung besonnen u n d klar die Positionen durchhält, von d e n e n sie b e g o n n e n hat. Israel ist ein von d e r U N O a n e r k a n n t e r Staat. Manch einer in Israels Nachbarstaaten, d e r bisher vielleicht auf Parolen des Hasses hereingefallen ist, wird sich auch d o r t überlegen, ob eigentlich a n d e r e richtig g e f ü h r t waren, als sie f r e m d e n Einfluß zuviel R a u m gegeben haben, u n d d a ß vielleicht — ich sage es o f f e n — auch die Araber nicht zur W a f f e zu greifen brauchen, wenn sie ihre Probleme in O r d n u n g bringen wollen. Ich will hier nicht j e n e schreckliche S a m m l u n g von Zitaten aus der d e u t s c h e n Presse verlesen, von bösen Worten, die bevor die kriegerischen Verwicklungen b e g o n n e n h a b e n , doch ganz deutlich gemacht haben, was an Vernichtungsabsichten v e r k ü n d e t ist. W e n n wir u n s e r Herz hier noch zurückhalten, d a n n auch deshalb, weil d e r Zeitpunkt, zu d e m die u n v e r b r a u c h t e deutsche Stimme in dieser Krise nachdrückliches Gewicht haben könnte, vielleicht noch nicht g e k o m m e n ist. Aber, meine F r e u n d e , ich meine, daß wir d e m eigenen Volk noch einen Satz schuldig sind, — solche Fragen werden im Volk gestellt—, wir haben nämlich auch nicht vergessen, wie Frankreich, Großbritannien, die USA u n d die Sowjetunion in N ü r n b e r g internationales Recht erklärt haben. Sie haben d o r t erklärt, welche H a n d l u n g e n alle Rechtsverletzungen seien. Wir haben in u n s e r e m Strafgesetzbuch einen § 222a eingefügt. Wir kennen ein A b k o m m e n internationaler Art zur V e r h ü t u n g u n d B e s t r a f u n g des Völkermords. Meine Damen u n d H e r r e n , ich erwähne dies n u r am Rande, u m d a r z u t u n , d a ß unsere Position die des internationalen Rechts ist, u n d dazu gehört - das sage ich f ü r mich ganz persönlich — d a ß man auch n i e m a n d e n zur Notwehr zwingen darf." 354
17.1 Stellungnahmen der Bundestagsfraktionen 17.1.5
Der Vorsitzende der Landesgruppe Stücklen
der Bayerischen CSU,
Richard
„Was die Frage des Krieges im Nahen Osten betrifft, so schließe ich mich in vollem Umfang den Ausführungen meines Fraktionsvorsitzenden, des Kollegen Dr. Barzel, an. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung richtig gehandelt hat, daß sie in unserer Situation n u r so handeln konnte: mit der strikten Neutralität. Wir sind darüber hinaus aber auch der Auffassung, daß es nicht nur eine menschliche, sondern für uns Deutsche eine ganz besondere moralische Pflicht ist, alle humanitären Maßnahmen sofort und in großzügiger Weise zu ergreifen, die wir f ü r die leidenden Menschen in diesen Gebieten ergreifen können."
17.1.6
Bundesaußenminister
Willi Brandt
„Zum Nahost-Konflikt darf ich n u r noch folgendes nachtragen zu dem, was schon gesagt worden ist, also Unterstreichung und vielleicht zu ein paar Punkten als Ergänzung. Wir haben es wirklich so gesehen — nicht erst seit geschossen wird — daß es nicht Aufgabe der Regierung der Bundesrepublik Deutschland sein können, in diesem Konflikt Partei zu ergreifen im Sinne desjenigen, der in Kriegshandlungen direkt oder indirekt eingreift, sondern wir haben deutlich gemacht vor Ausbruch der Feindseligkeiten und danach — daß das, was uns erfüllt, der Wunsch ist nach Bewahrung des Friedens und nach Wiederherstellung des Friedens, als er dort zerbrochen war. Aber mir liegt sehr daran, auch nach dieser ersten Runde der Debatte noch einmal unterstreichen zu dürfen — als meine persönliche Überzeugung, mit der ich aber nicht allein stehe — daß unsere Nichteinmischung und damit Neutralität im völkerrechtlichen Sinne des Wortes keine moralische Indifferenz und keine Trägheit des Herzens bedeuten kann. Wir haben gehört, daß in der Nacht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig die Kriegführenden aufgefordert hat, das Feuer einzustellen. Der erste Staat in d e r Krisenzone, der dieser Aufforderung nachgekommen ist, ist das Königreich Jordanien. Wir hoffen ernsthaft, daß, gestützt auf den einstimmigen Beschluß des Sicherheitsrates, die Großmächte in dieser bedrohlichen Lage ihre Meinungsverschiedenheiten überbrücken und bei der Wiederherstellung des Friedens zusammenarbeiten. Wir kennen aus eigener bitterer Erfahrung Grauen und Schrecken des Krieges, und deshalb ist es ganz natürlich, daß nicht n u r diejenigen, die als Abgeordnete oder als Regierung für das deutsche Volk sprechen, sondern daß unser deutsches Volk selbst an dem menschlichen Schicksal der vom Krieg Betroffenen lebhaft Anteil nimmt und daß unser Volk aufrichtig wünscht, daß auch im Nahen Osten die Welt von dem Gespenst der Zerstörung und der Vernichtung befreit werde. Ich meine wirklich: wenn, wie ich hoffe, die Kriegshandlungen in relativ wenigen Tagen vorbei sind, sollte unser deutsches Volk trotz gewisser momentaner ökonomischer Schwierigkeiten, die wir haben, zeigen, nicht n u r durch Mittel 355
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik aus d e m Bundeshaushalt, daß es auch über Frontlinien hinweg zu einer großen humanitären Leistung fähig ist, um den O p f e r n des Krieges beizustehen. Wir sind d e r Meinung, d a ß im Nahen Osten endlich nach einer gerechten, dauerhaften Lösung d e r dort v o r h a n d e n e n Probleme gesucht werden muß, nach einer Lösung, welche es d e n Regierungen und den Völkern dieses Teils d e r Welt erlaubt, ihre Aufbauleistungen u n d das Wohlergehen d e r Menschen zu richten."
17.2
17.2.1
Der kommunistische Teil Deutschlands steht zu Nasser und seinen Kumpanen
Erklärung
des Außenministers
der DDR, Otto
Winzer
„Die Imperialistische Politik d e r Verschärfung d e r S p a n n u n g e n hat im Nahen Osten zu einer f ü r den Frieden in diesem Raum bedrohlichen Lage geführt. In ihrem verzweifelten Bemühen, ihren neokolonialistischen Einfluß aufrechtzuerhalten, die nationale Unabhängigkeit d e r arabischen Völker zu untergraben, d e n sozialen Fortschritt in den arabischen Ländern aufzuhalten u n d die Ausbeutung d e r Erdölreichtümer zu sichern, greifen Imperialismus u n d Reaktion zu schwerwiegenden militärischen Provokationen. Durch israelische T r u p p e n k o n z e n t r a t i o n e n an d e r Grenze zur syrischen arabischen Republik u n d aggressive Akte auch gegenüber a n d e r e n arabischen Staaten wurden die S p a n n u n g e n in gefährlicher Weise verschärft. Darin zeigt sich erneut die Rolle Israels als Militärstützpunkt des Imperialismus gegen die arabischen Völker u n d Staaten. Die DDR verurteilt auf das schärfste die imperialistischen Machenschaften gegen die arabischen Staaten." (ADN, vom 23.5.67)
17.2.2
Erklärung
des Außenministeriums
der DDR
„...Die Deutsche Demokratische Republik verurteilt auf das schärfste die imperialistischen Machenschaften gegen die arabischen Staaten. Im Gegensatz zur araberfeindlichen Politik d e r Regierung d e r westdeutschen Bundesrepublik stehen die Regierung u n d Bevölkerung d e r DDR heute wie in d e r Vergangenheit fest an d e r Seite d e r arabischen Staaten und Völker bei der Abwehr d e r imperialistischen Provokationen. Die DDR verurteilt entschieden die niederträchtige Hetze der imperialistischen Publikationsorgane der westdeutschen Bundesrepublik gegen die Staatsmänner d e r VAR, der SAR sowie gegen den Generalsekretär d e r UNO, U Thant..." (Neues Deutschland, vom 24.5.67) 356
17.2 Der kommunistische Teil Deutschlands steht zu Nasser und seinen Kumpanen 17.2.3
Neues Deutschland,
25.5.67
„...Die Regierung in Tel Aviv stellt sich e r n e u t als imperialistische Speerspitze gegen die unabhängigen Nationalstaaten dar. Denn natürlich sind die gefährlichen Schritte Tel Avis nicht isoliert zu verstehen. Sie sind vielmehr Teil eines sorgfältig eingefädelten Komplotts, mit dem die progressive Entwicklung im Nahen Osten aufgehalten werden soll..." „...Die DDR hat in einer Erklärung ihres Außenministeriums die Verteidigungsm a ß n a h m e n d e r arabischen Länder nachhaltig unterstützt u n d das reaktionäre Komplott Washington/Tel Aviv/Bonn vor aller Welt angeprangert. Die Freundschaft d e r DDR zu den arabischen Ländern ist unerschütterlich u n d unwandelbar. Sie wurde bei d e r kürzlichen Reise des Außenministers Otto Winzer durch f ü n f Staaten des Nahen Ostens erneut nachhaltig unterstrichen. Die DDR steht gemeinsam mit den arabischen Ländern im Kampf gegen d e n Imperialismus, f ü r den Frieden u n d die Sicherheit im Nahen Osten wie in Europa..."
17.2.4
Telegramm des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes den Arabischen Gewerkschaftsbund
(Ostberlin)
an
„...,Der FDGB mit seinen 6,6 Millionen Mitgliedern steht im Geist des proletarischen Internationalismus solidarisch an der Seite des u m Freiheit und Unabhängigkeit k ä m p f e n d e n arabischen Volkes und ist gewiß, d a ß die gegen den Frieden in d e r Welt im Nahen Osten gerichtete imperialistische Aggression an d e r Einheit aller progressiven anti-imperialistischen Kräfte scheitern wird!'..."
17.2.5
Telegramm des Zentralkomitees der SED an das Hohe der Arabischen Sozialistischen Union der VAR
Exekutivkomitee
„...Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands und das Volk d e r Deutschen Demokratischen Republik stehen fest u n d solidarisch an d e r Seite der VAR und aller u m Freiheit u n d Unabhängigkeit k ä m p f e n d e n arabischen Völker und Staaten..." (Neues Deutschland, vom 30.5.67)
17.2.6
Telegramm des ZK der SED an das Zentralkomitee Kommunistischen Partei Syriens
der
„...Die Mitglieder d e r Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und alle Werktätigen d e r Deutschen Demokratischen Republik stehen fest u n d solidarisch an d e r Seite des syrischen Volkes. Unserem gemeinsamen Kampf, d e r brüderlichen 357
17 Der Sechs-Tage-Krieg
im Juni 1967 und die deutsche
Nahost-Politik
Einheit und Solidarität aller anti-imperialistischen Kräfte muß es gelingen, die Imperialisten zum Rückzug zu zwingen, den Frieden zu erhalten und die Spannungen zu mindern."
17.2.7
Grußadresse der Deutsch-Arabischen Gesellschaft in der DDR an Vertreter der arabischen Studenten in der DDR
„...Mit großer Aufmerksamkeit und tiefer Sorge verfolgen die Mitglieder der DAG die friedensgefährdenden aggressiven Machenschaften des imperialistischen Stützpunktes Israel gegen die arabischen Länder." (Neues Deutschland, vom 30.5.67)
17.2.8
Der stellvertretende Außenminister der DDR,
Kiesewetter
„...Wir verurteilen auf das entschiedenste die imperialistischen Manöver gegen die arabischen Staaten, insbesondere gegen die VAR und die SAR. Wir fordern energisch die sofortige Einstellung dieser friedensgefährdenden Manöver. Wir verurteilen die Rolle Israels in diesem Zusammenhang. Umgekehrt unterstützen wir mit all unserer Kraft Unabhängigkeit und Souveränität der arabischen Staaten und bekunden, so gut wir können, unsere Solidarität mit ihnen. Ich möchte unseren Hörern am Schluß nochmals sagen, daß sich die Araber auf die DDR als einen Freund verlassen können. Wir werden alles tun, um ihren Befreiungskampf nach Kräften zu unterstützen..." (Interview mit dem Ostberliner Deutschlandsenderam 1.6.67) „...Wir wissen, daß in den arabischen Staaten diese (westdeutsche) Haltung verurteilt wird und daß man immer besser den unterschiedlichen Charakter der beiden deutschen Staaten gerade an der Haltung zu den gegenwärtigen Problemen im Nahen Osten ablesen kann. Ich möchte unseren Hörern am Schluß nochmals sagen, daß sich die Araber auf die Deutsche Demokratische Republik als einen Freund verlassen können. Wir werden alles tun, um ihren Befreiungskampf nach Kräften zu unterstützen. Wir hoffen von ganzem Herzen, daß die imperialistischen Manöver scheitern werden, wir sind sogar überzeugt davon..." (Ostberliner Rundfunk am 31.5.67)
17.2.9
Botschaft des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, an den Präsidenten der Syrischen Arabischen Republik, Nureddin el Atassi
„...Die Regierung der westdeutschen Bundesrepublik unterstützt Israel seit J a h r und T a g in vielfältiger Form. Dazu gehört auch die direkte Zusammenarbeit auf 358
17.2 Der kommunistische Teil Deutschlands steht zu Nasser und seinen
Kumpanen
militärischem Gebiet. Führende Politiker sowie Presseorgane, Rundfunk und Fernsehen beziehen deutlich Position für Israel und verunglimpfen die gerechte Sache des Volkes der Syrischen Arabischen Republik und der anderen arabischen Völker. Die Deutsche Demokratische Republik hat sich stets entschieden gegen diese araberfeindliche Haltung der westdeutschen Bundesregierung gewandt und betrachtet es auch jetzt als ihre Pflicht, diese imperialistische Verschwörung gegen die arabischen Völker aufzudecken und zu bekämpfen. Staatsrat und Regierung der Deutschen Demokratischen Republik verurteilen entschieden die Manöver der amerikanischen Imperialisten, Israels und der westdeutschen Regierung in der Gewißheit, daß sie an der Einheit und Geschlossenheit aller anti-imperialistischen Kräfte scheitern werden. Die Deutsche Demokratische Republik unterstützt mit ganzer Kraft die von der Syrischen Arabischen Republik, der Vereinigten Arabischen Republik und den anderen arabischen Staaten ergriffenen Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Souveränität, Unabhängigkeit und Freiheit. Sie steht entschlossen auf der Seite des syrischen Volkes bei der Abwehr aller imperialistischen und neokolonialistischen Provokationen, bei seinen Bemühungen um die Erhaltung des Friedens im Nahen Osten. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen, Exzellenz, auf diesem Wege die volle Sympathie und Solidarität des Staatsrates und des Volkes der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck zu bringen." (ADN, 4.6.67)
17.2.10
Danktelegramm des Präsidenten der VAR-Nationalversammlung, Anwar-El-Sadat, an den Volkskammerpräsidenten der DDR, Johannes Diekermann
„Wir schätzen den aufgeschlossenen und verständnisvollen Standpunkt Ihres Landes hoch ein und sind der Ansicht, daß Ihre Haltung wie auch die Haltung aller friedliebenden Nationen unseren Glauben an die Gerechtigkeit unserer Sache und die Rechtmäßigkeit unserer Position bestärkt. Wir sind gewiß, daß wir in unserem Widerstand gegenüber der Aggression nicht allein sind und daß die friedliebenden Länder und ihre Parlamente, die den Willen ihrer Völker vertreten, weiterhin unser Volk in seinem rechtmäßigen Kampf um einen Frieden, der sich auf Gerechtigkeit gründet, unterstützen werden." (ADN, 2.6.67)
17.2.11
Der Ministerpräsident der DDR, Willi Stoph, auf der Wählervertreterkonferenz in Dresden
„...Voller Empörung haben wir Kenntnis von dem imperialistischen Überfall auf die VAR erhalten. Angesichts dieser verbrecherischen Machenschaften gilt unsere ganze Unterstützung den arabischen Völkern. Die Regierung und die Bevöl359
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik kerung der DDR verurteilen die Aggressoren und stehen ganz auf der Seite der arabischen Völker. Wir sind gewiß, daß die gerechte Sache der arabischen Völker siegen wird." „Das sind wir ihnen schuldig" (Radio DDR, 5.6.67)
17.3 Bewahrung des Friedens im Nahen Osten — Ein Memorandum der Bundesregierung Der Ständige Beobachter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen, Botschafter von Braun, hat am 29. Juni 1967 dem Präsidenten der Vollversammlung der Vereinten Nationen das folgende Dokument zugehen lassen. MEMORANDUM „Exzellenz, auf Weisung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und unter Bezug auf Tagesordnungspunkt 5 der 5. Notsondersitzung der Vollversammlung beehre ich mich, Ihnen folgende, die Auffassung meiner Regierung zu obigem Tagesordnungspunkt wiedergebende Erklärung zu übermitteln. Ich bin dem verehrten Vertreter der Volksrepublik Ungarn bei den Vereinten Nationen besonders dankbar dafür, daß er die Frage der Politik meiner Regierung zur gegenwärtigen Lage im Nahen Osten aufgeworfen hat, und beehre mich, Eure Exzellenz in Erwiderung auf sein Schreiben vom 22. Juni 1967 (Dokument a/6728) um Zirkulierung dieses Schreibens und der darin enthaltenen Erklärung als offizielles Dokument der Vollversammlung zu bitten: ,Im Nahen Osten ist in den vergangenen Wochen eine gefährliche, den Weltfrieden bedrohende Lage entstanden. Auf Verlangen der großen Mehrzahl der Regierungen der Welt ist eine Notsondersitzung der Vereinten Nationen einberufen worden. Die Bundesrepublik Deutschland gehört den Vereinten Nationen nicht als Mitglied an. Sie hat aber durch ihre Politik sowie durch ihre Zugehörigkeit zu allen VN-Sonderorganisationen und durch ihre Beiträge zu zahlreichen Hilfsprogrammen der Vereinten Nationen bewiesen, daß sie auf das höchste an der Bewahrung des Friedens und an internationaler Entspannung interessiert ist. Das deutsche Volk kennt aus eigener bitterer Erfahrung die Grauen und Schrecken des Krieges. Es weiß, daß Gewalt und Krieg keine geeigneten Mittel zur Erreichung nationaler Ziele oder zur Lösung internationaler Streitfragen sind. In Übereinstimmung mit dem Friedenswillen des deutschen Volkes hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland seit jeher ihre Politik daraufgerichtet, die internationale Entspannung zu fördern, eine weltweite und wirksame 360
17.3 Bewahrung des Friedens im Nahen Osten — Ein Memorandum der
Bundesregierung
Abrüstung anzustreben und auf die Anwendung von Gewalt zur Lösung von Streitfragen zu verzichten. Sie hat bereits vor 13 Jahren auf die Herstellung von atomaren, baktuerialigischen und chemischen Waffen verzichtet. Diese Grundsätze bestimmen auch die Politik der Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zur Lage im Nahen Osten. Sie war bemüht, zu den Völkern dieses Raumes stets enge und freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten. Grundlage dieser Beziehungen war die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und die Anerkennung der Souveränität ihrer Staaten. Zu keiner Zeit in der Geschichte hat das deutsche Volk im Nahen Osten eigensüchtige politische Ziele verfolgt. Allerdings hat es mit den Staaten dieses Raumes stets einen engen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch gepflegt, der beiden Seiten zum Vorteil gereicht. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland lehnt es ab, anderen souveränen Regierungen wie ein Lehrmeister ,gute Ratschläge' zu erteilen. Sie weiß, daß die Völker des Nahen Ostens ihre Unabhängigkeit erkämpft haben und sich nicht von neuem fremder Bevormundung unterwerfen wollen. Einziges Ziel der deutschen Politik ist deshalb, mit den Völkern des Nahen Ostens auf der Grundlage von Vertrauen, gegenseitiger Achtung und Würde zusammenzuarbeiten. Bedauerlicherweise hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erleben müssen, daß von dritter Seite versucht worden ist, die jüngste Krise im Nahen Osten zur Erreichung egoistischer Ziele auszunutzen. Sie verweist hierzu auf das von dem Delegierten Ungarns dem Präsidenten der Vollversammlung übermittelte Memorandum (VN-Dokument a/6728). Gewisse Kreise im anderen Teil Deutschlands, aber auch in einigen wenigen anderen Staaten, haben geglaubt, dieser Zeitpunkt sei für eine Verleumdungskampagne gegen die Bundesrepublik Deutschland günstig. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland bedauert dies nicht nur, weil die gegen sie gerichteten Behauptungen jeder Grundlage entbehren, sondern umso mehr, als nach ihrer Auffassung die gegenwärtige Lage im Nahen Osten - insbesondere im Hinblick auf die große Not der Bevölkerung in den vom Krieg betroffenen Gebieten — für derartige Propagandaaktionen denkbar ungeeignet ist. Vielmehr sollten nach ihrer Auffassung alle Anstrengungen gemacht werden, durch konstruktive Friedensvorschläge und humanitäre Hilfsmaßnahmen zu einer Milderung und, wenn möglich, zu einer Lösung der vorhandenen Probleme beizutragen. Die Vereinten Nationen sind besonders aufgefordert, zu einer solchen friedlichen und gerechten Lösung beizutragen. Die Bundesregierung hat diese Ansicht vertreten, als diese Spannungen im Nahen Osten stiegen und bevor die Feindseligkeiten begannen, und möchte sie bei dieser Gelegenheit wiederholen. Es ist die absurde Beschuldigung erhoben worden, daß die Bundesrepublik Deutschland durch Waffenlieferungen an Israel, die angeblich im März zugenommen hätten, zu der Entstehung und Verschärfung der Krise beigetragen habe. Diese Beschuldigungen sind falsch und werden durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Es trifft zu, daß die Bundesrepublik Deutschland bis zum Frühjahr 1965 Waf361
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik fen u n d Kriegsmaterial im Werte von 45 Millionen US-Dollar an Israel u n d Waffen u n d Kriegsmaterial im Werte von 30 Millionen US-Dollar an arabische Staaten geliefert hat. Dies entspricht weniger als 2 % d e r gesamten W a f f e n l i e f e r u n gen in d e n R a u m d e r letzten zwölf J a h r e , die nach internationalen Schätzungen einen Gesamtwert von 4—5 Milliarden US-Dollar hatten u n d an d e n e n sich viele Staaten beteiligt haben. In Anbetracht d e r wachsenden S p a n n u n g e n in d e r Region beschloß die R e g i e r u n g d e r Bundesrepublik Deutschland im F r ü h j a h r 1965, keine W a f f e n o d e r Kriegsmaterial m e h r nach Nahost zu liefern, u n d h a t seither diese Entscheidung strikt befolgt. Sie ist fest entschlossen, a n diesem Beschluß auch in d e r Z u k u n f t festzuhalten. Es ist die A u f f a s s u n g meiner Regierung, d a ß die R e g i e r u n g e n sich enthalten sollten, S p a n n u n g e n , die nicht auf den N a h e n Osten bezogen sind, auf die äußerst schwierigen Probleme dieser Region zu ü b e r t r a g e n , u n d d a ß insbesondere die d o r t v o r h a n d e n e n Probleme im gegenwärtigen Stadium nicht mit Verleumd u n g e n nach Art des Kalten Krieges belastet werden sollten. Die Bundesrepublik Deutschland b e m ü h t sich u m eine V e r r i n g e r u n g d e r S p a n n u n g e n . Falsche Anschuldigungen, die i h r e n U r s p r u n g in d e r europäischen Lage haben, k ö n n e n diese B e m ü h u n g e n g e f ä h r d e n . Die R e g i e r u n g d e r Bundesrepublik Deutschland ist d e r wohlerwogenen Auffassung, d a ß es höchste Zeit ist, endlich das Gespenst des Krieges u n d d e r Vernichtung aus d e m N a h e n Osten zu verbannen, damit die d e r gesamten dortigen Bevölkerung i n n e w o h n e n d e n Fähigkeiten, ihr Einfallsreichtum u n d i h r Talent f ü r eine friedliche A u f b a u a r b e i t genutzt werden k ö n n e n . Unmittelbar nach B e e n d i g u n g d e r Feindseligkeiten im N a h e n Osten hat die Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland ihre Bereitschaft erklärt, d e r bet r o f f e n e n Bevölkerung, insbesondere d e n d r i n g e n d hilfebedürftigen Flüchtlingen, h u m a n i t ä r e Hilfe zu leisten. Die ersten deutschen S e n d u n g e n mit Lebensmitteln, Medikamenten u n d Kleidung sind bereits e i n g e t r o f f e n ; diese L i e f e r u n gen w e r d e n fortgesetzt. Der Bundeskanzler hat in seiner Rede vom 24. J u n i 1967 alle Staaten d e r Welt a u f g e f o r d e r t , ihre Rivalitäten einzustellen u n d sich zu einem gemeinsamen Wied e r a u f b a u w e r k im N a h e n Osten zusammenzuschließen. Die Regierung d e r Bundesrepublik Deutschland ist fest entschlossen, sich an einem solchen P r o g r a m m zu beteiligen'."
17.4
Sympathiekundgebungen deutschen Städten
und Spenden für Israel in vielen
Berlin: A u f r u f des Bundestagsabgeordneten Adolf Arndt zur Hilfe f ü r Israel an alle Deutschen, besonders die deutsche J u g e n d . Die Deutsch-Israelische Gesellschaft unterschreibt diesen A u f r u f . — Der Berliner Senat stellt f ü r h u m a n i t ä r e Hilfsaktionen 100.000,— DM zur 362
17.4 Sympathiekundgebungen und Spenden für Israel in vielen deutschen Städten
Verfügung. — Der Bezirk Berlin-Charlottenburg überweist der Deutsch-Israelischen Gesellschaft 10.000,-- DM f ü r die Aktion „Hilfe f ü r Israel". — Ökumenischer Fürbitte-Gottesdienst in d e r Gedächtniskirche von J u d e n u n d Christen aller Konfessionen. Rabbiner Dr. Lehrmann spricht den priesterlichen Schlußsegen bei diesem Gottesdienst. — Sympathieversammlung der Evangelischen Studentengemeinschaft mit A u f r u f e n von Günter Grass u n d Prof. Gollwitzer. - Aufruf des Deutschen Koordinierungsrates f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit zu einem „praktischen Engagement" zur materiellen und finanziellen Hilfe. — Sympathie-Erklärung des Regierenden Bürgermeisters Albertz. - Solidaritätserklärung der Berliner Sozialdemokraten, des Landesjugendringes Berlin, des Ringes Politischer J u g e n d , d e r J u n g e n Union u n d des Bundesverbandes deutschisraelischer Studiengruppen. — Meldung von ca. 50 Freiwilligen zum Hilfsdienst in Israel bei d e r Jüdischen Gemeinde. — A u f r u f des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Dietzfelbinger, zu Fürbitte- Gottesdiensten in allen Gemeinden. — Unterstützungsaufruf f ü r Israel auf der Jahreshauptversammlung des Bundes der Verfolgten des Naziregimes. - A u f r u f des Schriftstellers Günter Grass zum freiwilligen Arbeitseinsatz in Israel (Wiederaufbau) an j u n g e Deutsche unter seiner Leitung. 500 Meldungen d a f ü r liegen bereits vor. — Verteilung eines Flugblattes des Bundesvorstands Deutsch-Israelischer Studiengruppen (BDIS) in einer Auflage von 20.000 Exemplaren an den Hochschulen der Bundesrepublik u n d Westberlins: Friede f ü r Israel. — An einem T a g (7.6) melden sich bei d e r Jüdischen Gemeinde Berlin mehr als 300 junge Deutsche zum Zivildienst in Israel. Unaufhörlich treffen Geldspenden u n d Solidaritätserklärungen aus der Berliner Bevölkerung bei der Jüdischen Gemeinde ein. — Demonstrationen verschiedener Studentengruppen mit Plakaten wie z. B. „Wir stehen zu Israel - Unsere Herzen sind Flammen der Solidarität" oder „Berliner, helft Israel". Die Deutsch-Israelische Gesellschaft erläßt neuen Spendenaufruf in den Berliner Tageszeitungen. Die Inserate „Hilfe f ü r Israel" werden von den Berliner Verlegern — wie durchweg auch in d e r westdeutschen Presse — kostenfrei veröffentlicht. — Zahlreiche Berliner Familien erklären sich bereit, evakuierte israelische Kinder aufzunehmen. — Straßensammlungen des Bundes deutsch-israelischer Studiengruppen und d e r Freunde der Hebräischen Universität. — Die der Funkmietwagen-Vermittlung angeschlossenen Berliner Taxi fahren einen Tag f ü r Israel; der Erlös wird dem Spendenkonto der Jüdischen Gemeinde überwiesen. — Die staatliche Hochschule f ü r bildende Künste Berlin schließt sich dem A u f r u f „Hilfe f ü r Israel" an. — Die Deutsche Angestellten-Jugend plant freiwilligen Arbeitseinsatz ihrer Mitglieder f ü r jeweils drei bis vier Wochen. — Der Erlöse einer Unterhaltungsveranstaltung im „Albert-Schweitzer-Jugendheim" ist f ü r Israel bestimmt. — Erklärung des PEN-Clubs, des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller u n d der Akademie d e r Künste f ü r Israel. - In der jüdischen Gemeinde herrscht noch nach d e r kriegerischen Entscheidung A n d r a n g von Spendern und Freiwilligen, die sich zu Ernte- u n d Aufbauarbeiten zur Verfügung stellen wollen. — Berliner Schauspieler, die Studenten der Akademie f ü r Grafik 363
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Polilik und die „Arbeitsgemeinschaft 13. August" erklären ihre Solidarität mit Israel. — Der Ertrag eines Sonderkonzertes der Berliner Philharmoniker wird dem Roten Kreuz überwiesen zugunsten der Opfer des Krieges im Nahen Osten. — In einem zweiten gemeinsamen jüdisch-evangelisch-katholischen Gottesdienst seit Ausbruch der Nahost-Krise ruft der evangelische Landesbischof von Berlin-Brandenburg, Kurt Scharf, in der Charlottenburger Synagoge alle evangelischen Christen dazu auf, „für das Lebensrecht des Staates Israel" und den Frieden im Nahen Osten einzutreten. Bonn: Meldungen von etwa 1.000 deutschen Ärzten, Krankenschwestern, Arbeitern, Soldaten und Jugendlichen aller Berufsstände bei der israelischen Botschaft zu Hilfeleistungen in Israel. - Hilfsaufruf der Deutsch-Israelischen Gesellschaft; Einrichtung von drei Spendenkonten „Hilfe f ü r Israel". — Erklärung von Bundeskanzler Kiesinger xor der CDU-Fraktion: die Bundesregierung wird humanitäre Hilfsmaßnahmen f ü r das Kriegsgebiet einleiten. - Sympathie-Erklärung f ü r Israel von der SPD-Fraktion. - Schweigemarsch von etwa 2.000 Studenten mit Kundgebung auf dem Münsterplatz. A u f r u f e von Günter Grass und Bundestagsabgeordneten Adolf Arndt zur Hilfe f ü r Israel. — Spende eines privaten Arztes: ein komplettes Operationszimmer. - Der Verband privater Kinderheime bietet dem Bundesfamilienministerium 150 Heimplätze f ü r evtl. zu evakuierende israelische Kinder und 15 Plätze für werdende Mütter an. — Medikamenten-, Verbandstoff- und Blutkonservenspende des Deutschen Roten Kreuzes im Wert von 100.000,— DM f ü r die vom Krieg betroffenen Länder. — Der Deutsche Städtetag bittet seine Mitgliedsstädte in einem Schnellbrief, den Aufruf f ü r Israel des Abgeordneten Dr. Adolf Arndt zu unterstützen. — Sozialdemokratische Jugendverbände erklären in einem Aufruf ihre Solidarität mit Israel und bitten die deutsche Jugend um Geldspenden zur Hilfe f ü r Israel. — Die Arbeiterwohlfahrt richtet zwei Konten ein und bittet um Geldspenden f ü r Israel-Hilfe. Die Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Staatssekretär Benda und Bundestagsabgeordneter Westphal, überbringen dem israelischen Botschaf ter Ben Natan zwei Schecks über j e 500.000 Mark als erstes Ergebnis der Sammelaktion der Gesellschaft. — Bei der israelischen Botschaft sind inzwischen mehrere tausend Briefe mit Sympathie-Erklärungen und Geldspenden eingegangen. — Die Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit Bonn wirbt jugendliche Freiwillige zum Arbeitseinsatz in Israel. — Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend fordert seine Mitglieder zu Wiederaufbauarbeiten in Israel auf. München: G r ü n d u n g eines Komitees „Menschen in Deutschland helft den Menschen in Israel" unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dr. HansJochen Vogel. Mitglieder des Komitees sind Persönlichkeiten des öffentlichen und politischen Lebens, u. a. Frau Brigitte Gerstenmaier, Bonn; Burghardt Freudenfeld vom Bayerischen Rundfunk; Rolf Vogel, Herausgeber der „deutschland-berichte", Bonn, und einige Münchner Bankdirektoren. In dem Aufruf des Komitees heißt es: „Beweist, daß Ihr als freie Menschen f ü r ein freies demo364
17.4 Sympathiekundgebungen und Spenden für Israel in vielen deutschen Städten kratisches Volk eintretet. Beweist, daß es niemals unsere Billigung fand, als dieses Volk schuldlos mißhandelt, verachtet und dann zum großen Teil vernichtet wurde! Wir brauchen für Israel, das im Zentrum eines Ringangriffes liegt, mobile Lazarette, Bluttransfusionsgeräte, Ambulanzen, Verbandmaterial, kurz alles, was dem Schutz der unbeteiligten Zivilbevölkerung und der Hilfe f ü r die Verwundeten dient." — Kundgebung auf dem Königsplatz mit 3.000 Teilnehmern, wo der Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Dr. Wilhelm Hoegner, sagt: „Ich glaube, ich spreche im Namen aller Deutschen, wenn ich dem jüdischen Volk alles Glück in der Stunde der Gefahr wünsche." — Großer Andrang in der BlutspendeZentrale; Aufruf der Zentrale zu weiteren Blutspenden. — Gemeinsame Spendenaktion von Deutschen und Mitgliedern der Münchner Jüdischen Gemeinde: Ergebnis eine Million DM. — Aufruf des Deutsch-Israelischen Jugendkulturkreises e. V. zur Hilfe an Israel. — Zahlreiche prominente Künstler stellen sich spontan f ü r eine f ü r den 15. Juni terminierte Wohltätigkeitsveranstaltung zur Verfügung, deren Erlös an das israelische Rote Kreuz gehen wird. — Die evangelische Landjugend in Bayern erklärt sich bereit, f ü r den Fall einer Evakuierung Kinder aus dem israelischen Kibbuz Hammacabibei Haifa in Bayern aufzunehmen. Aus Rosenheim wird mitgeteilt, daß sich schon zahlreiche Familien f ü r die Aufnahme von Kindern gemeldet hätten. Zwölf Mitglieder der evangelischen Landjugend in Bayern melden sich zum Einsatz in einem Kibbuz. Für die Fahrtkosten der G r u p p e spendet ein Unbekannter aus dem Landkreis 1.000,— DM. Unter d e r Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dr. Jochen Vogel wird ein Komitee „Friedenshilfe f ü r Israel" gegründet. — Die Studenten der Hochschule f ü r politische Wissenschaften rufen zu Hilfsaktionen auf. — Das Münchner Kabarett „Lach- und Schießgesellschaft" wirkt neben einer Reihe deutscher und israelischer Künstler in einer Wohltätigkeitsveranstaltung „Shalom" im Deutschen Museum mit; vom Reinerlös von r u n d 50.000 Mark werden Medikamente f ü r Israel gekauft. - Der Vorsitzende des Deutsch-Israelischen Jugendkulturkreises appelliert an Jugendliche, sich als Erntehelfer in Israel zur Verfügung zu stellen; in Zusammenarbeit mit einem Münchner Reisebüro sollen dazu verbilligte Gruppenreisen organisiert werden. — Die Abgeordneten der SPD-Landtagsfraktion und der SPD-Landesverband Bayern stellen 10.000 Mark als humanitäre Hilfe f ü r Israel zur Verfügung. — Rund 25 deutsche Verlagsunternehmen rufen in einem großen Inserat in der „Süddeutschen Zeitung" zur Hilfe f ü r Israel auf. — Als erste Hilfe überweist der Deutsch-Israelische Jugendkulturkreis 20.000 Mark, die durch Spendenaufrufe und eine Straßensammlung eingegangen sind, an den Grenzkibbuz En-Gev. Hamburg: Der Hamburger Jugendring, der Allgemeine Studentenausschuß der Universität und die evangelische Studentengemeinde bekennen sich mit einem Schweigemarsch für Frieden und Recht f ü r Israel. — In einer Großkundgebung mit einer Rede von Hamburgs früherem Oberbürgermeister Dr. Paul Nevermann und Günter Grass werden Sympathie und Hilfsbereitschaft der Hamburger Bevölkerung f ü r Israel bekräftigt. — Über 300 Hamburger melden sich be365
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik reits in den ersten Stunden nach der Veröffentlichung eines Aufrufes Hamburger prominenter Bürger zum Blutspenden f ü r Israel. In einigen Kliniken bilden sich schnell lange Schlangen von Blutspendern. Hamburger Ärzte spenden Medikamente im Wert von 35.000 Mark. — Die Mitternachtsshow „Shalom" mit prominenten Künstlern erbringt einen Reinerlös von über 34.000 Mark f ü r das Israelische Rote Kreuz. — Spendenaufrufe der Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Freunde der Hebräischen Universität, des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) u. a. — Aufruf des evangelischen Bischofs Wölber und des katholischen Weihbischofs Rudioff sowie anderer Hamburger prominenter Persönlichkeiten zur Blutspende für Israel. — Für durch Kriegsereignisse verletzte israelische Staatsbürger stellt der Senat als Spende der Stadt Arzneimittel (Antibiotika und Blutplasma) im Wert von 50.000 Mark zur Verfügung. — Über 100 Hamburger Familien erklären sich innerhalb weniger Tage bereit, Kinder aus Israel aufzunehmen. — Über 1000 Hamburger spenden Blut. — Das Schülerparlament veranstaltet eine Spendenaktion in allen Hamburger Schulen. Frankfurt!Main: Spende der Stadt Frankfurt als Hilfe f ü r Israel in Höhe von 30.000,-- DM. Spendenaufruf des Magistrats an die Bevölkerung. —Spendenaufruf des evangelischen Arbeitskreises „Kirche und Israel". — Schweigemarsch von Studenten, Mitgliedern der Jungen Union, der Falken und der Gewerkschaftsjugend mit einer Israel-Sympathie-Kundgebung auf dem Römerberg. Oberbürgermeister Professor Brundert ruft in seiner Ansprache an die Frankfurter Bevölkerung zur Solidarität mit Israel auf. — Die Bank f ü r Gemeinwirtschaft beschließt, israelische Staatsanleihen (Israel-Bonds) in Höhe von drei Millionen DM zu kaufen. — Der Vorstand des Hessischen Jugendrings appelliert an alle hessischen Jugendlichen u n d Jugendverbände, die Israel besucht haben, ihre Kontakte zu israelischen Freunden f ü r materielle und ideelle Hilfe zu nutzen. G r ü n d u n g eines „Kuratoriums für humanitäre Hilfsmaßnahmen zugunsten israelischer Bürger" unter Mitwirkung der drei großen demokratischen Parteien, der evangelischen und katholischen Kirche, der Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammer, Bank f ü r Gemeinwirtschaft und anderer Organisationen und Institutionen Frankfurts. — Kunstauktion „Frankfurter Künstler helfen Israel" mit einem Erlös von 20.000 Mark. Die „Ökumenische Studienreisen GmbH" entsendet eine erste G r u p p e von 25 jungen Deutschen zur dreiwöchigen Arbeit in einem Kibbuz. — A u f r u f des evangelischen Arbeitskreises „Kirche und Israel" zu Solidarität und Geldspenden. Düsseldorf: Der Deutsche Gewerkschaftsbund übernimmt „als sichtbaren Ausdruck der Solidarität u n d des Vertrauens in das israelische Volk" Israel-Bonds im Wert von drei Millionen DM. - Gründung eines Aktionskomitees zur Hilfe f ü r Israel zusammen mit der Synagogengemeinde. — G r ü n d u n g einer privaten Hilfsaktion f ü r die israelische Zivilbevölkerung durch neun Ärzte. — Demonstrationszug und Kundgebung verschiedener Jugendorganisationen. — Aufruf des Deut366
17.4 Sympathiekundgebungen und Spenden für Israel in vielen deutschen Städten
sehen Gewerkschaftsbundes an alle Mitglieder und besonders die Gewerkschaftsjugend zur Teilnahme an Kundgebungen „zur Wiederherstellung des Friedens und zur Rettung der Existenz Israels". — Große Sympathiekundgebung mit einer Rede von NRW-Ministerpräsident Kühn und einem Aufruf von Günter Grass. Übergabe von 10.000 Mark an die israelische Botschaft durch die Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit. Das Geld wurde zum Teil nach einem öffentlichen Konzert in Düsseldorfs Straßen gesammelt. - Der Erlös einer Vorstellung des „Intimen Theaters" wird der Aktion „Hilfe f ü r Israel" zur Verfügung gestellt. Köln: G r ü n d u n g eines gemeinsamen Hilfskomitees bei der Kölner Synagogengemeinde. Eingang vieler Geld- und Sachspenden aus der Bevölkerung. - Aufruf des Erzbischofs von Köln, Kardinal Fnrags,namens der deutschen Bischöfe zum Gebet für baldigen Frieden. Das Sozialwerk Adam Stegerwald Köln stellt seine drei Erholungsheime im Rahmen der Hilfe f ü r Israel f ü r evtl. Evakuierte, f ü r Kinder und Alte kostenlos zur Verfügung. — In der Trinitatiskirche findet ein gemeinsamer Bittgottesdienst der evangelischen und katholischen Gemeinde Kölns statt. — Der Rat der Stadt Köln übergibt der Deutsch-Israelischen Gesellschaft eine Spende von 30.000 Mark für die Zivilbevölkerung in den vom Krieg betroffenen Gebieten Israels und Jordaniens. — Die Stadt Köln veranstaltet zusammen mit der Deutsch-Ame rikanischen Gesellschaft und der Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit zwei Sonderkonzerte, deren Erlös f ü r die Aktion „Hilfe f ü r Israel" bestimmt ist. - Kundgebung „Friede f ü r Israel" und Schweigemarsch mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Heinz Kühn und Landtagspräsident John van Nes Ziegler sowie f ü h r e n d e n Persönlichkeiten der Stadt; Ansprache Kühns: „Keiner darf schweigend abseits stehen. Für den einzelnen ist Neutralität moralische Desertion." — Veranstaltung in der Aula der Universität mit dem nordrhein-westfälischen Justizminister Dr. Josef Neuherger, dessen beide Söhne in Israel an der Front stehen. — A u f r u f „Frieden f ü r Israel" der Kölnischen Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit, unterzeichnet neben vielen anderen führenden Kölnern von Ministerpräsident Kühn und Oberbürgermeister Bureauen. Essen: Der Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Dr. Josef Neuberger, spricht auf einer von Studenten und Jugendorganisationen veranstalteten Sympathiekundgebung. Demonstrationszüge Jugendlicher für „Frieden in Nahost" mit dem Essener Bürgermeister und dem Vorsitzenden der Essener Jüdischen Gemeinde. — Straßensammlung d e r Sozialistischen Jugend zur Hilfe f ü r Israel. — Resolution der Studenten und Professoren der Pädagogischen Hochschule, in der die Haltung der arabischen Staaten verurteilt wird. — Gottesdienst der christlichen Gemeinden mit der jüdischen Gemeinde in der Synagoge von Essen. — Auf Einladung des Stadtjugendringes und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit 367
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik spielen und singen Essener Künstler und Schauspielschüler der Folkwang-Schule; der Erlös wird der Israel-Hilfsaktion zur Verfügung gestellt. Stuttgart: Die Studenten der Stuttgarter Hochschulen schließen sich dem Aufruf „Hilfe f ü r Israel" der Deutsch-Israelischen Gesellschaft an. Unterschriftenlisten in der Technischen Hochschule. - Hilfeleistungserklärung des Diakonischen Werkes. — Anonyme Spende an die Israelitische Kultusgemeinschaft in Höhe von 1.000,- DM. Die Stadt Stuttgart stellt Verbandsmaterial im Wert von 30.000 Mark zur Verf ü g u n g als „Beitrag zur Linderung der ersten Not". — Sammelaktion der Studenten der Kunstakademie. — Bei der israelitischen Religionsgemeinschaft gehen wie bei anderen westdeutschen jüdischen Gemeinden während der Krisentage ständig Spenden aus allen Bevölkerungsschichten ein. — Aufruf der Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit f ü r freiwillige Erntehelfer und Ärzte. — Evangelische Pfarrer sammeln über 59.000 Mark in ihren Gemeinden. - Appell der Vollversammlung des Landesjugendringes Baden-Württemberg zur Hilfe f ü r Israel. — Spendenaufruf zugunsten Israels des Touristen Vereins „Naturfreunde" an alle Mitglieder. — Bittgottesdienst f ü r einen dauerhaften Frieden in der Stuttgarter Synagoge; Fürbitte-Gottesdienst in der Stuttgarter Stiftskirche. — Für Notmaßnahmen und erste Wiederaufbauhilfe stellt das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland eine erste Rate von 250.000 Mark zur Verfügung. Aus dem Katastrophenlager des Diakonischen Werkes werden Dekken, Zelte und Liegen an die Einsatzpunkte der ökumenischen Hilfe in Nahost geflogen. — Hinter den Aufruf „Hilfe f ü r Israel" stellen sich durch öffentliche Erklärung viele namhafte Persönlichkeiten aus dem Stuttgarter Gebiet. Bremen: Die Gesellschaft für Brüderlichkeit r u f t zu einer Hilfsaktion f ü r eventuell zu evakuierende israelische Kinder auf. Spontan melden sich 200 Bremer Familien, zahlreiche Geldspenden f ü r den gleichen Zweck und f ü r allgemeine Hilfe in Israel gehen ein. Spendenaufruf der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Gesellschaft der Freunde der Hebräischen Universität. — Fast 500 Familien melden sich, die bereit sind, Kinder aus Israel aufzunehmen. Freiburg: Der Deutsche Caritas-Verband stellt 100.000,— DM f ü r die Kriegsgeschädigten in Nahost zur Verfügung und erläßt einen Spendenaufruf an die Bevölkerung. — Appell der „Gruppe 47" an alle deutschen Schriftsteller zur Solidarität und zum freiwilligen Zivildienst in Israel. — Frau Dr. Gertrud Luckner will den bedrängten Menschen in Israel durch persönlichen Einsatz im Lande helfen. Erneuter Hilfsappell des Deutschen Caritas Verbandes. — Die Freiburger Buchhandlung „Novalis" veranstaltet eine Kunstauktion, deren Ertrag zugunsten Israels bestimmt ist. Darmstadt: Der Konvent Südhessen der Evangelischen MicAadsbruderschaft übermittelt der jüdischen Gemeinde seinen Fürbittewillen f ü r Israel. 368
17.4 Sympathiekundgebungen und Spenden für Israel in vielen deutschen Städten Konstanz: Demonstrationszug vor der Universität f ü r „das Lebensrecht Israels". Aufruf der Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit an die Bevölkerung, sich an der Demonstration zu beteiligen. — Solidaritätserklärung des Lehrkörpers und der Verwaltung der Konstanzer Universität. Wuppertal: Kundgebung auf dem Rathausvorplatz f ü r „Friede in Nahost — Hilfe f ü r Israel" mit Ansprache des nordrhein-westfälischen Justizministers Dr. Josef Neuberger. — Fürbittegottesdienst von Christen und J u d e n . — Gründung eines Komitees „Hilfe für Israel" und Spendenaufruf an die Bevölkerung. — Solidaritätserklärung der Jungsozialisten Wuppertals mit Israel. Bochum: Aufruf der Verbände des Jugendrings zu einer Sympathiekundgebung für Israel. — Aufruf des DGB-Kreisvorsitzenden an die Bochumer Gewerkschaftsvertreter, alle Maßnahmen und Veranstaltungen der demokratischen Parteien, Verbände und der Kirchen, „die der Rettung der Existenz Israels dienen" zu unterstützen. Remscheid: Der Aufruf „Hilfe f ü r Israel" wird von zahlreichen Persönlichkeiten der Stadt unterzeichnet. Duisburg: Schweigemarsch der Jungen Union und der übrigen Duisburger Jugendverbände und Unterzeichnungeines gemeinsamen Aufrufs „Frieden in Nahost". Mönchengladbach: Spendenaufruf „Helft Israel" der Mönchengladbacher Jungsozialisten. Aachen: Das Aachener Aktionskomitee „Hilfe f ü r Israel" erläßt einen Aufruf zu moralischem Beistand und zu praktischer Hilfe f ü r humanitäre Zwecke in Israel; der Aufruf wird von zahlreichen namhaften Organisationen und Persönlichkeiten unterzeichnet. Dortmund: Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit, CDU, SPD, FDP, der Dortmunder Jugendring und der Ring politischer J u g e n d unterzeichnen einen Aufruf zu einer Demonstrationskundgebung. Eine gemeinsame Resolution zum Krieg in Nahost wird in 10.000 Exemplaren an die Bürger verteilt. — Sympathiekundgebungen auf dem Marktplatz mit Ansprachen des Oberbürgermeisters und weiterer f ü h r e n d e r Persönlichkeiten. — Der Erlös zweier Vorstellungen des Theaters „Folklore Studio D" wird der Aktion „Hilfe f ü r Israel" zur Verfügung gestellt. Nürnberg: G r ü n d u n g eines Komitees „Hilfe f ü r Israel"; gemeinsamer Aufruf der Kirchengemeinden und des DGB-Kreisausschusses Nürnberg. — Solidaritätskundgebung „Frieden mit Israel" der evangelischen, katholischen und Gewerk369
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik schaftsjugend. — Straßensammlung des Kreisjugendringes Nürnberg-Stadt und der ihm angeschlossenen Jugendverbände. - Das evangelische Jugendwerk in Bayern erklärt sich mit dem Aufruf „Hilfe für Israel" der Deutsch-Israelischen Gesellschaft solidarisch. Fürth,: Gründung eines Komitees „Hilfe f ü r Israel", das sich aus Vertretern der SPD, CDU, FDP, der Gewerkschaften und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammensetzt. — Zahlreiche an die Fürther Israelitische Kultusgemeinde gerichtete Sympathieerklärungen und Hilfsangebote. Karlsruhe: Bittgottesdienste in zahlreichen Kirchen der Stadt f ü r den Frieden in Nahost. — In den Krisentagen erhält die Jüdische Gemeinde in Karlsruhe fast pausenlos Bekundungen der Anteilnahme und Hilfsbereitschaft; zahlreiche, meistjunge Leute melden sich zum freiwilligen Hilfsdienst nach Israel. Innerhalb weniger Tage gehen aus allen Teilen der Bevölkerung über 200.000 Mark bei der Jüdischen Gemeinde ein. — Kunstauktion der Buchhandlung Lugert zugunsten Israels. Mannheim: Flugblattaktion des Sozialdemokratischen Hochschulbundes mit Aufforderung zur Solidarität mit dem israelischen Volk. Augsburg: Das Komitee „Humanitäre Hilfe für Israel" r u f t zu Geldspenden auf. — Caritas, Innere Mission und Arbeiterwohlfahrt errichten ein Sammelspendenkonto. Wiesbaden: Aufruf des Arbeiter-Samariter-Bundes zu Geldspenden f ü r Israel. — Eine Erklärung „Solidarität mit Israel" unterzeichnen der CDU-Kreisverband, der SPD-Ortsverein, Repräsentanten beider Kirchen, die Staatsminister Strelitz und Troescher, Publizisten und Journalisten. Esslingen: Aufruf des Kreisjugendringes zur Nahost-Hilfe. Heidelberg: Sympathiekundgebung der Studenten und Professoren d e r Heidelberger Universität mit Spendenaufruf an die Bevölkerung. — Spendenaktion der Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit. Oberhausen: Der Arbeitsausschuß des Ortskuratoriums Oberhausen der DeutschIsraelischen Gesellschaft plant die Errichtung eines Kinderdorfes f ü r israelische Kinder und deren Eltern; das Grundstück wird von einem Bergbau-Unternehmen zur Verfügung gestellt. Bielefeld: Schweigemarsch der Studenten der Pädagogischen Hochschule für Frieden in Nahost. — Bittgottesdienst in der Zionskirche von Bethel. — Die jüdische Kultusgemeinde erhält viele Spenden und Sympathieerklärungen aus der Bevölkerung. 370
17.4 Sympathiekundgebungen und Spenden für Israel in vielen deutschen Städten Siegburg: Veranstaltung der Jungsozialisten „zum Zwecke der moralischen Unterstützung des Staates Israel". Oldenburg: Kundgebung f ü r den Frieden mit anschließender Sammlung f ü r das Internationale Rote Kreuz. Marburg: Beim „Aufbauwerk der J u g e n d in Deutschland" melden sich viele junge Deutsche zum humanitären Einsatz in Israel. Koblenz: Veröffentlichung u. a. eines von zahlreichen führenden Persönlichkeiten d e r Stadt unterzeichneten Aufrufs zur humanitären Hilfe f ü r Israel, in dem es heißt: „Gegenüber dem Unrecht gibt es keine Neutralität. Es ist unsere moralische Pflicht, Stellung zu beziehen. Sympathieerklärungen allein genügen nicht." — Die Koblenzer Caritas erklärt sich bereit, ein Kinderheim f ü r erholungsbedürftige israelische Kinder zur Verfügung zu stellen; A u f r u f der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt um Hilfe f ü r Israel. — Die Evangelische Frauenhilfe im Rheinland veranstaltet bei einer Mitgliederversammlung eine Kollekte, deren Ertragje zur Hälfte f ü r die von den Kriegsauswirkungen betroffenen Israelis und Araber bestimmt wird. Braunschweig: Veröffentlichung eines von vielen Braunschweiger Persönlichkeiten unterzeichneten Aufrufs „Hilfe f ü r Israel". — Bittgottesdienste in allen Kirchen der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche. Kassel: Gründung eines Aktionskomitees sowie Plakataktion „Hilfe f ü r Israel"; freiwillige Helfer verteilen Handzettel mit Spendenaufrufen. — Die Stadt Kassel stellt f ü r Medikamentenhilfe 10.000 Mark bereit. Münster: Gründung einer örtlichen Arbeitsgemeinschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft; Aufruf „Hilfe f ü r Israel" und zusätzlicher Spendenaufruf der münsterischen Arbeitsgemeinschaft. Hannover: Kundgebung „Frieden f ü r Israel" des Stadtjugendringes vor mehreren tausend Hannoveranern mit Ansprache von Landtagspräsident Lehners. Würzburg: Die Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit in Unterfranken publiziert einen Spendenaufruf um Hilfe f ü r Israel, dem sich die Oberbürgermeister der Städte Würzburg, Schweinfurt, Kitzingen und Aschaffenburg anschließen.
371
17 Der Sechs-Tage-Krieg
17.4.1
im Juni 1967 und die deutsche
Nahost-Politik
Der Dank des israelischen Botschafters Asher Ben
Nathan
In den Sekretariaten der Botschaft des Staates Israel in Bad Godesberg türmen sich Berge von Briefen, die täglich mit Sympathie-Erklärungen, mit Geldspenden und Hilfsangeboten dort eingehen. Unter den Absendern sind Schulklassen von zehn- bis zwölfjährigen Mädchen genauso wie z. B. die Vereinigung der Straßenwärter Deutschlands mit einem Scheck über 1.000,- DM. Auf dem Schreibtisch des Botschafters häufen sich Ausschnitte aus der gesamten deutschen Presse. Hinter ihm hängen zwei große Karten an der Wand: Israel und die Halbinsel Sinai. Die Sinai-Karte hat noch Pfeile eingedruckt, die den Vormarsch der israelischen T r u p p e n im J a h r e 1956 zeigen, einer Zeit, in der der heutige Botschafter Asher Ben Nathan Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums war. Ein Kurzwellenradiogerät bringt ihm laufend die Nachrichten aus aller Welt über die Kämpfe in sein Arbeitszimmer. Unser Gespräch ging auf die Haltung der deutschen Bevölkerung und der deutschen Politik ein. Dazu sagte er mir: „Daß die Zeitungen in der Bundesrepublik jetzt über unsere großen Siege schreiben und ihre Genugtuung darüber ausdrücken, das war nach den Ereignissen eigentlich zu erwarten. Aber ich habe mich gefreut, daß die Zeitungen vorher, während der großen Bedrohung Israels einen Standpunkt eingenommen haben, der klar erkennen ließ, daß hier die Existenz Israels bedroht wird, daß sich ein eiserner Ring um Israel bildet u n d daß das die Weltöffentlichkeit nicht zulassen darf und nicht zulassen kann. Hier wurde von einem neuen .München' gesprochen. Die Situation wurde hier richtig gesehen und alle verantwortlichen Zeitungen der Bundesrepublik sind schon damals mit einer klaren Haltung hervorgetreten. Diese Einstellung war aus unserer Sicht sehr erfreulich. Das trifft auch für den Rundfunk und f ü r das Fernsehen zu. Es freut mich, daß die deutsche Öffentlichkeit durch Presse, R u n d f u n k und Fernsehen in jeder Phase des Konfliktes wahrheitsgetreu informiert wurde. Die Wahrheit war unser bester Beistand, den wir brauchen, nachdem jetzt d e r eigentliche politische Kampf beginnt, nachdem die militärischen Aktionen zu Ende gegangen sind. Auch die Aktionen der breiten deutschen Öffentlichkeit erfüllen mich mit Genugtuung: die Hunderte und Aberhunderte von Briefen, die in diesen Tagen auf uns zukommen von jungen und älteren Leuten, die sich freiwillig zur Arbeit melden wollen — zu jeder Arbeit in Israel. Ich glaube, es sind heute schon über tausend Briefe. Dazu kommen die Geldspenden, die spontan mit vielen Briefen eingehen, und viele Geldspenden, die anonym eingehen. Die anonymen Geldspenden haben etwas ganz besonderes an sich. In den Briefen liest man viele äußerst rührende Beweise der Zuneigung zu unserem Volke; Äußerungen, die völlig spontan sind. Sie kommen aus allen Teilen Deutschlands. Dies alles weist darauf hin, daß man hier unseren Kampf und unsere Rechte in der breiten Öffentlichkeit mit sehr viel Sympathie und Wohlwollen verfolgt und bereit ist, uns zu unterstützen. Auch sehr viele j u n g e Leute haben sich bei uns gemeldet, bei ihnen ist das gar nicht mit einem 372
17.4 Sympathiekundgebungen und Spenden für Israel in vielen deutschen Städten Schuldgefühl wegen der Vergangenheit verbunden — ich würde eher sagen, bei diesen jungen Leuten gibt es mehr ein Schamgefühl als ein Schuldgefühl — sondern es ist etwas, was sich auf das Heute bezieht, auf heute und morgen und nicht nur auf gestern. Frage: Herr Botschafter, diese vielen Hilfsangebote, Geldspenden und Freiwilligenmeldungen aus dem ganzen Volk, nicht n u r aus der deutschen Jugend, lassen mich auf die Frage kommen, ob sich aus all dem nicht etwas Neues zwischen Israel und Deutschland entwickeln kann. Ich denke an die Zeit nach dem Krieg. Ich möchte fragen, ob sich nicht daraus engere Beziehungen, menschliche Verbindungen zwischen unseren beiden Völkern ergeben können, Beziehungen, f ü r die Sie ja auch letztlich täglich arbeiten, wie auch viele Menschen in Deutschland. Antwort: Ich glaube, daß es vieles leichter machen wird und ich hoffe, auch zu manchen schnelleren Entwicklungen führen wird. In Zeiten, wo man Sympathie und Hilfe braucht, kann man deutlich erkennen, wie sich jemand verhält, wo man Freunde hat. Das muß zu einer Reaktion f ü h r e n . Seit Jahren hat eine positive Entwicklung zwischen Deutschland und Israel begonnen. Es ist keine Frage, daß die Sympathiekundgebungen und die Hilfe, die aus dem deutschen Volk f ü r Israel aufgebracht werden, diese Entwicklung weiterführen werden; ich möchte sagen, daß die Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern durch die Haltung der deutschen Bevölkerung beschleunigt werden. Sie wird vielen Menschen hüben und drüben helfen, über manches hinwegzukommen. Frage: Herr Botschafter, wie auch andere Staaten muß die Bundesrepublik Deutschland offiziell eine neutrale Haltung einnehmen. Viele Politiker unseres Landes haben aber ganz offen erklärt, daß es neben der politischen Neutralität ein menschliches, ein moralisches Engagement gibt, daß man mit dem Herzen nicht neutral sein kann. Wie beurteilen Sie diese Haltung? Antwort: Ich möchte zunächst betonen, daß viele Persönlichkeiten — ohne Unterschied von Rang und Titeln — in Privatgesprächen noch viel stärker zum Ausdruck gebracht haben, was sie bewegt, als es die gleichen Persönlichkeiten offiziell gesagt haben. Zweitens haben wir mit Genugtuung die Erklärungen gehört, bevor die Kämpfe ausgebrochen sind, daß die Bundesregierung das Recht auf die freie Schiffahrt völlig anerkennt. Das war eine wichtige Aussage, die auch im richtigen Augenblick erfolgt ist. Ich habe hier oft hören dürfen, daß es keine Neutralität des Herzens geben kann. Das machte sich in vielen Äußerungen bemerkbar. Manche Politiker quälten sich, Formulierungen zu finden, die noch irgendwie neutral klingen sollten. Sie mußten ihre eigenen Gedankengänge verdrängen, da sie nichts anderes sagen konnten. Es ist hier über „Nichteinmischung" gesprochen worden. Vielleicht ist „Nichteinmischung" sogar ein besseres Wort als „Neutralität". Ich habe die Debatte im Bundestag verfolgt, ich habe die Nuancen einiger Aussagen klar erkennen können. Die spontane klare Reaktion fast aller Abgeordneten des Bundestages war natürlich sehr erfreulich." Das Interview gab mir Asher Ben Nathan am 8. Juni 1967.
373
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Polilik
17.5 Ansprache von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger für eine friedliche Entwicklung im Nahen Osten Am 23. Juni 1967 sprach Bundeskanzler Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger anläßlich der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft f ü r Auswärtige Politik. Ein wichtiges Kapitel seines Vortrages war dem Thema der Situation im Nahen Osten gewidmet, mit dem er auch Gedanken einer deutschen Entspannungs- und Friedenspolitik verband. Dieser Abschnitt seiner Rede hatte folgenden Wortlaut: „Es ist nicht abzusehen, wie eine dauerhafte Friedensordnung im Nahen Osten zustande kommen kann. Lassen Sie mich wenige Worte für mich selbst und f ü r die deutsche Bundesregierung dazu sagen. Solange dieser Raum im herkömmlichen Sinne als Interessensphäre rivalisierender großer Mächte behandelt wird, wird es schwer, wenn nicht unmöglich sein, eine Befriedigung zu erreichen. Auch läßt sich sagen, daß ein System der Kontrollen und Garantien — so notwendig es sein mag — nicht die Wurzeln des Übels beseitigen kann. — Dort ebensowenig wie in anderen Krisengebieten. Wir sind der Meinung, daß es in einer gemeinsamen Anstrengung unter Einsetzung großer Mittel gelingen müßte, die friedliche Entwicklung des ganzen Raumes voranzutreiben. Große Projekte mit dem konkreten Ziel, über die nationalen Grenzen hinaus die Lebensbedingungen zu verbessern, insbesondere auch den Palästina-Flüchtlingen eine gesicherte Existenz zu verschaffen, sollten international konzipiert und durchgeführt werden. Wenn die durch den Krieg ausgelösten Leidenschaften etwas abgeklungen sind, ist es natürlich notwendig, daß sich dann auch die streitenden Parteien zu einer friedlichen Aufbauarbeit zusammenfinden. Die Bundesregierung wäre bereit, sich an einer solchen großen Friedensaktion und an der Durchführung derartiger Projekte in einer der Größe des Vorhabens angemessenen Weise zu beteiligen. In den letzten Tagen sind verschiedene Versuche unternommen worden, die Friedenspolitik d e r Bundesregierung hinsichtlich des Nahen Ostens in Frage zu stellen. Der Wortführer dieser Verleumdungskampagne ist wieder die Sowjetunion. Aber die Tatsachen sprechen eine so beredte Sprache, daß sich nur wenige, die aus besonderen Gründen sich gehalten sehen, der Moskauer Parole zu folgen, bereitgefunden haben, diese Propaganda-Aktion zu unterstützen. Und tatsächlich ist die sowjetische Anklage auch in der bisherigen Debatte kaum aufgenommen worden — auch nicht von den arabischen Staaten. Die Instabilität im Nahen Osten und in vielen anderen Teilen der Welt liegt — es ist eine Banalität, das zu sagen — darin begründet, daß es nicht gelingt, eine schnell wachsende Bevölkerung mit dem Allernotwendigsten des Lebens zu versorgen und ihr ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Es sieht so aus, als ob der Bevölkerungszuwachs es unmöglich machen werde, auch nur das jetzige Niveau — das dürftig genug ist - zu halten, und daß eine noch stärkere Verelend u n g von vielen Millionen Menschen eintreten wird. Die Zahl der Menschen in 374
17.5 Ansprache von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger
vielen Teilen der Welt wächst weit schneller als das Sozialprodukt. Wir wissen, daß die Anstrengungen der Industrienationen, mit den daraus entstehenden dramatischen Krisen fertig zu werden, auf eine sehr harte Probe gestellt werden. Ich habe auch dieses Problem in meiner Regierungserklärung angesprochen. Ich habe daraufhingewiesen, daß wir auf allen Gebieten sparen und kürzen müßten. Von diesem Sparprogramm habe ich nur zwei Gebiete ausdrücklich ausgenommen. Das eine ist die Förderung der wissenschaftlichen und technischen Ausbildung und Forschung, das andere ist die Entwicklungshilfe. Wir haben uns bei der Verabschiedung des Haushaltes — aus dieser Verantwortung, die wir in wohlverstandenem eigenen Interesse f ü r die Entwicklung in der Welt spüren — auch daran gehalten. Die Problematik dieser Entwicklungshilfe ist bekannt. Es übersteigt unsere deutschen Kräfte, überall und in jeder Weise helfen zu können. Die Bundesregierung wird daher versuchen, ein Programm aufzustellen —jedenfalls soweit es sich um bilaterale Hilfe handelt — das unsere Leistungen auf Vorhaben konzentriert, die in besonderer Weise geeignet sind zu helfen, d. h. mehr Menschen ernähren zu helfen und eine angemessene, richtige Industrialisierung einzuleiten. Dabei werden wir versuchen, Gebiete zu wählen, für die wir besondere Erfahrungen und Kenntnisse aufbringen. Wir werden aber auch versuchen, in dem Feld der multilateralen Hilfe unsere Stimme in diesem Sinne in die Waagschale zu werfen. Es ist zu beklagen, daß manche Mächte oft Waffen in großen Mengen und mit erheblichen Kosten liefern, aber auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe keine ihren wirtschaftlichen Kräften angemessene Leistungen vollbringen. Ich meine in allem Ernst und ohne utopische Illusion, daß, im wohlverstandenen eigenen Interesse, Ost und West davon abgehen sollten, die Entwicklungshilfe als eine Waffe im Kampf der Systeme zu betrachten. Sie sollten statt dessen ihre Anstrengungen koordinieren und sich zu praktischer Zusammenarbeit entschließen. Der Nahe Osten könnte die erste große Aufgabe sein, bei der man unter dem Druck der Notwendigkeit zu einer solchen Zusammenarbeit gelangen könnte. Sie wäre die sicherste Garantie eines dauerhaften Friedens in jenem Raum. Auch dazu ist die Bundesregierung bereit, ihre Hilfe nach ihren Kräften zu leisten. Die hochindustrialisierten Länder der Welt könnten diese Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu einem wichtigen Element ihrer allgemeinen Entspannungs- und Friedenspolitik machen. Angesichts der neuen dringlichen Aufgaben, die sich stellen, erscheinen doch viele der alten Frontstellungen schon heute überholt und sinnlos. Unsere deutsche Entspannungs- und Friedenspolitik hat eben dieses Ziel: alte sinnlos werdende Gegnerschaften zu überwinden und durch Zusammenarbeit zu ersetzen — so schwer dies auch durchzusetzen sein mag. Ohne diese Zusammenarbeit werden neue Fronten und neue Teilungen in der Welt entstehen: Teilungen zwischen Nord und Süd, Teilungen zwischen arm und reich, Teilungen zwischen weiß und farbig, die mit Sicherheit Spannungen und Konflikte herbeiführen werden, denen gegenüber unsere heutigen Konflikte vergleichsweise harmlos sein würden. Wir hoffen, daß diese realistische Einsicht zunehmend das politische Denken und Handeln im Osten und im Westen beeinflußt. Und wir sind auch da bereit, nach dem Maß unserer Kräfte mitzuwirken." 375
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik
17.6 Bundesaußenminister Nahen Osten
Willy Brandt: Beitrag zum Frieden im
Am 31. Juli 1967, wenige Tage nach der Rede von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger gab Bundesaußenminister Willy Brandt zur Haltung der Bundesregierung zum Nahost-Konflikt die folgende Erklärung ab: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat die Sondersitzung der Vereinten Nationen über die Nahostkrise mit Aufmerksamkeit verfolgt. Sie hat wie die Mitgliedstaaten dieser Organisation den lebhaften Wunsch, daß im Interesse des Weltfriedens und einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Völker möglichst bald eine friedliche, gerechte und dauerhafte Lösung der Probleme im Nahen Osten gefunden wird. Sie unterstützt alle Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, die Folgen der kriegerischen Auseinandersetzung möglichst bald zu überwinden und alles beiseite zu räumen, was zu neuen Konflikten führen könnte. Dabei wird es ganz besonders darauf ankommen, der leidgeprüften Bevölkerung in diesem Raum zu helfen und ihre berechtigten Interessen zu wahren. Mit allen friedliebenden Nationen teilt das deutsche Volk die Überzeugung, daß endlich die Angst und das Gespenst des Krieges aus dem Nahen Osten verbannt werden müssen, damit die der gesamten dortigen Bevölkerung innewohnenden Fähigkeiten, ihr Einfallsreichtum und ihr Talent für eine friedliche Aufbauarbeit genutzt werden können. Die Bundesregierung hat sich nicht in den Konflikt eingemischt. Sie hat sich nach Einstellung der Feindseligkeiten unverzüglich zur Hilfeleistung f ü r die Opfer des Krieges entschlossen und dahin zielende Angebote an die betroffenen Regierungen gerichtet. Sie f ü h r t auch ungeachtet des Konflikts ihre Entwicklungsprojekte in diesen Ländern weiter. Dem Schicksal der Flüchtlinge schenkt sie ihre besondere Aufmerksamkeit und ist bereit, nach besten Kräften zur Lösung dieses Problems beizutragen. Hiermit verbindet sie den Wunsch, mit allen arabischen Staaten in Frieden und Freundschaft zu leben. Sie hielte es f ü r verhängnisvoll, wenn neue Hindernisse auf dem Wege zu diesem Ziel entstehen würden. Wie Bundeskanzler Kiesinger am 23. Juni 1967 erklärt hat, ist die Bundesregierung zu koordinierten Anstrengungen und zu einer wirkungsvollen Hilfe bereit. Sie glaubt, daß die gegenwärtige Situation im Nahen Osten eine Zusammenarbeit zwischen Ost und West notwendig macht und wird sich konstruktiven Planungen und Maßnahmen, sei es im Rahmen der Sonderorganisation der Vereinten Nationen, sei es in anderer Weise, gern anschließen."
17.7
Ein Staatssekretär erinnert sich
Es war im J a h r e 1954 bei meinem ersten Besuch in Israel. Der Staatssekretär im israelischen Außenministerium, Walter Eytan, der aus München stammte, und Ettighofer hieß, empfing mich. Das war zur damaligen Zeit wirklich etwas Beson376
17.8 Abgeordnete des Europäischen Parlaments gründen "Gesellschaft Europa — Nah-Ost deres. Er genierte sich auch nicht, mir ein Interview in deutscher Sprache zu geben. Das Gespräch floß in sehr lockerer und netter Form dahin. Ich habe ihm immer wieder getroffen, auch als er sein Amt abgegeben hatte und später der Generaldirektor des Rundfunks und des Fernsehens in Israel geworden war. Walter Eytan kam auch einmal auf Einladung der Bundesregierung nach Bonn. Ich war gerade bei einer Reserveübung bei der Bundeswehr, als mich die Nachricht erreichte. Ich kam zu einem gemeinsamen Mittagessen nach Bonn zurück, aber die Zeit fehlte mir, mich noch umzuziehen. Die Uniform der Bundeswehr störte ihn nicht. Auch das schien völlig selbstverständlich zu sein. Walter Eytan gehört zu jenen, die den deutsch-israelischen Dialog gerade auch von der menschlichen Seite gefördert haben. 1967, der Sechs-Tage-Krieg war vorbei, da traf ich ihn wieder einmal in Jerusalem. Ich bat ihn aus seinen Erinnerungen einiges zu sagen, wie sie das deutschisraelisches Verhältnis sehen, wie sie es damals sahen. Walter Eytan antwortete: „Das alles liegt nun schon sehr weit hinter uns, nicht nur zeitlich. Unsere ganze Begriffswelt war damals anders. Ich denke an so manchen israelischen Minister, der von Versöhnung, von Verständnis, sogar von bloßem Kontakt überhaupt nichts wissen wollte und der alle jene, die anders gesonnen waren, in Wut bekämpfte. Man sagt, die Zeit heilt. Auf jeden Fall trägt die Zeit zur Heilung bei. Ich erinnere mich noch an das erste deutsche Schiff, das einen israelischen Hafen anlief. Es brachte Waren aus dem israelisch-deutschen Wiedergutmachungsabkommen. Und später erinnere ich mich an das erste Schiff, dem erlaubt wurde, die Schwarz-Rot-Goldene Fahne zu hissen, und an das erste deutsche Besatzungsmitglied, dem genehmigt wurde, während des Aufenthalts seines Schiffes im Hafen an Land zu gehen. Dies waren die ersten Schritte zu einer Normalisierung, nicht nur unserer Verhältnisse, sondern unserer ganzen Begriffswelt. Jeder Schritt mußte damals mühsam erkämpft werden. Aber wie gesagt, dies alles liegt heute schon sehr weit hinter uns zurück und ich freue mich, daß es sich alles heute nur noch um Erinnerungen handelt, und das die heutige Wirklichkeit so verschieden und so viel erfreulicher ist."
17.8 Abgeordnete des Europäischen Parlaments gründen „Gesellschaft Europa — Nah-Ost" Am 18. Juli 1967 traten im Europa-Zentrum in Luxemburg Abgeordnete der verschiedenen Gruppen des Europa-Parlaments — Sozialisten, Christliche Demokraten, Liberale und Mitglieder der Europäisch-Demokratischen Union — zusammen, um als Gründungsmitglieder eine neue Gesellschaft „Europa-Israel" ins Leben zu r u f e n . Diese Gründungsversammlung soll nun im kommenden Frühjahr in einem Gründungskongreß in Paris bekräftigt werden. Die Gesellschaft will sich „Europa-Nahost" nennen. Ihre Ziele hat sie bereits in einer soge377
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik
nannten „Gründungs-Charta" niedergelegt, die hier im Wortlaut wiedergegeben wird. Gründungs-Charta 1. Anlaß
Der israelisch-arabische Konflikt hat der europäischen Öffentlichkeit erneut zum Bewußtsein gebracht, wie sehr Friede und Wohlergehen in Europa durch Unruhe u n d Krieg im Nahen Osten gefährdet werden können. Europäische Länder sind zudem teilweise für die Ursachen des Konflikts mitverantwortlich: f ü r die Bedingungen, unter denen der Staat Israel entstand, und durch die zwanzig J a h r e währende Duldung einer unstabilen Lage in dieser Gegend. Es besteht also eine politische und moralische Verantwortlichkeit Europas. Andererseits hat die jüngste Krise deutlich gemacht, wie wenig die europäischen Staaten in ihrer heutigen Verfassung in der Lage sind, ihrer Verantwortung gemäß gemeinsam zu handeln. Die Mitglieder der Gesellschaft sehen in dieser Situation eine Herausforderung f ü r die Bürger Europas. Sie glauben, daß es ihre Aufgabe ist, eine entsprechende, d. h. „europäische" Antwort zu geben. Die Aktion der Gesellschaft hat zum Ziel, Initiativen auf einem Gebiet zu ergreifen, wo es bis jetzt noch keine Instrumente noch Mittel zum Handeln — außer in der Wirtschaftspolitik — gibt: eine gemeinsame europäische Politik f ü r den Nahen Osten zu formulieren u n d eine öffentliche Diskussion über sie auszulösen, u m in den Staaten Europas, in ihren politischen und gesellschaftlichen Verbänden, die Bereitschaft zu fördern, eine solche Politik zu f ü h r e n und die hierfür notwendigen Instrumente zu schaffen. 2. Ziele
Die Gesellschaft beabsichtigt, eine politische Aktion zu führen, die daraufhinwirken will, daß: a) die europäischen Länder durch eine gemeinsame Politik dazu beitragen, im Nahen Osten einen gerechten und dauerhaften Frieden herbeizuführen und den wirtschaftlichen, sozialen und technischen Fortschritt in diesen Staaten zu fördern; b) hierzu die Beziehungen Europas zu Israel gefestigt werden, dies auf Grund einer Politik, die zur Anerkennung der Existenz und der Souveränität Israels mit allen hierzu gehörigen Attributen durch die arabischen Staaten führen soll; c) auf dieser Grundlage die Zusammenarbeit mit allen Nahoststaaten angestrebt und eine umfassende Entwicklungspolitik geführt wird, die zum Ziel hat, die Unterschiede in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser Länder zu verringern u n d schließlich zum Verschwinden zu bringen; d) in Europa das Bewußtsein einer gemeinsamen politischen Verantwortlichkeit geweckt wird und die europäischen Länder dazu gebracht werden, die f ü r die F ü h r u n g einer gemeinsamen Politik im Dienste des Friedens im Nahen Osten notwendigen Instrumente zu schaffen. 378
17.8 Abgeordnete des Europäischen Parlaments gründen "Gesellschaft Europa — Nah-Ost" Darüber hinaus macht sich die Gesellschaft die Wünsche zu eigen, die das Europa-Parlament in seiner Entschließung vom 22. Juni 1967 ausgedrückt hat, worin die Überzeugung zum Ausdruck gebracht wird, daß die Probleme des Nahen Ostens n u r durch den Abschluß eines allgemeinen Friedensvertrages zwischen Israel und den arabischen Staaten auf Grundlage der folgenden Prinzipien gelöst werden können: — Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten, — Fixierung und Sicherung aller Grenzen zwischen den betreffenden Staaten, — freier Zutritt zu den Heiligen Stätten f ü r die Gläubigen aller Religionen, — Garantie freier Schiffahrt im Golf von Akaba und im Suezkanal, — Lösung der Flüchtlingsfrage, und spricht sich entschieden f ü r eine Beschleunigung der Verhandlungen aus, die zu einer Assoziierung Israels mit der Europäischen Gemeinschaft f ü h r e n sollen. 3. Aktion Als erster Schritt zu einer gemeinsamen europäischen Politik im Nahen Osten betrachtet die Gesellschaft eine Kampagne f ü r die Assoziierung Israels mit der Europäischen Gemeinschaft. Sie wird hierzu gegebenenfalls einen eigenen Vorschlag ausarbeiten und vorlegen. Die Gesellschaft ist interessiert und bereit, sich f ü r eine enge Verbindung, gegebenenfalls auch f ü r die Assoziierung anderer Staaten des Nahen Ostens mit der Europäischen Gemeinschaft einzusetzen, soweit diese Staaten zu einer friedlichen Zusammenarbeit mit Israel im Rahmen der Gemeinschaft bereit sind. 4. Mittel Um ihre Ziele zu erreichen, sieht die Gesellschaft vor: a) Vermittlung von Informationen über die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Westeuropa, Israel und allen anderen, zur Zusammenarbeit bereiten Ländern des Nahen Ostens; die Veranstaltung von öffentlichen Versammlungen und Vorträgen in den westeuropäischen Ländern. b) Ausarbeitung von Untersuchungen und Studien über die politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen und Erfordernisse zur Förderung von Frieden und Entwicklung im Nahen Osten und einer daraufgerichteten europäischen Politik; gegebenenfalls Veröffentlichungen der Ergebnisse der Untersuchungen. Die Gesellschaft gibt sich die f ü r ihre Tätigkeit nötigen Organe. Sie arbeitet in adhoc-Arbeitsgruppen, deren Tätigkeit der Generalsekretär vorbereitet und koordiniert. 5. Mitgliedschaft Zur Mitarbeit sind alle politischen Bürger d e r europäischen Länder aufgerufen, die die Ziele der Gesellschaft aktiv zu unterstützen bereit sind. Die Gesellschaft ist nach Zielen und Aktionsmitteln übernational, sie bildet also keine Föderation der 379
17 Der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 und die deutsche Nahost-Politik verschiedenen bestehenden nationalen Gesellschaften, mit deren Tätigkeit sie sich nicht überschneidet. Entsprechend dieser Charta wählt die Gesellschaft als ihren Namen: „Gesellschaft Europa-Nahost". Die Gesellschaft wird in naher Zukunft einen öffentlichen Kongreß in Paris abhalten, zu dem die Parlamentarier d e r sechs Länder der Gemeinschaft und Großbritannien sowie die hervorragendsten Persönlichkeiten des europäischen Geisteslebens, die sich der Gesellschaft angeschlossen haben, eingeladen werden sollen. Das provisorische Leitungskomitee der Gesellschaft, das Parlamentarier der politischen Parteien aller sechs Länder umfaßt, wurde bestätigt. Zum Vorsitzenden wurde Herr Diomdde Catroux, ehemaliger Minister, Vorsitzender der Gesellschaft „Frankreich-Israel", bestimmt. Angesichts der Entwicklung der Nahost-Politik und dem Streben Israels, in den Europäischen Markt zu gelangen, könnte einer derartigen Gesellschaft in den kommenden Monaten einige Bedeutung zukommen.
17.9 Bundesaußenminister Willy Brandt: Dauerhafter und gerechter Frieden im Nahen Osten ist für das Wohlergehen der Völker dringend notwendig Ende Oktober 1967 hatte ich mit dem damaligen Bundesaußenminister Willy Brandt ein Interview, bei dem er zu den aktuellen Fragen deutscher Nah-Ost-Politik Stellung nahm. Zu diesen politischen Fragen sagte der Bundesaußenminister: Frage: H e r r Minister, die Nahost-Krise hat seit dem Sechs-Tage-Krieg im Juni noch keine Entspannung erfahren. Wie sehen Sie als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und damit als ein Mitglied der Europäischen Gemeinschaften die Möglichkeiten, an der Entspannung im Nahen Osten mitzuwirken? Antwort: Die Bundesregierung hat bei verschiedenen Anlässen den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß möglichst rasch eine friedliche, gerechte und dauerhafte Lösung f ü r die Probleme des Nahen Ostens gefunden werden möge. Unsere Möglichkeiten, zu einer Entspannung im Vorderen Orient aktiv beizutragen, sind jedoch beschränkt; wir sind auch nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Überdies ist unser politischer Spielraum noch durch die unselige Teilung unseres Landes fühlbar eingeengt. Wir waren jedoch in eingehenden Gesprächen - auch in den europäischen Gremien — bemüht, durch einen freimütigen Gedankenaustausch zu einer sachlichen und konstruktiven Betrachtung der Vorgänge im Nahen Osten beizutragen. 380
17.9 Bundesaußenminister Willy Brandt: Dauerhafter Frieden dringend notwendig Frage: Kürzlich war der jordanische König Hussein in Bonn. Glauben Sie, daß Gespräche mit arabischen Politikern ein Beitrag besonderer Art zu bilateralen arabisch-israelischen Gesprächen sein können? Antwort: Wir sind der Auffassung, daß es zunächst an den Faktoren im Nahen Osten selbst ist, sich über den Weg, der zu einer Friedenslösung führen soll, klar zu werden. Dazu gehört auch die Entscheidung über bilaterale Gespräche zwischen der arabischen und der israelischen Seite. Wir sind nicht berufen, dazu Ratschläge zu erteilen. Was den Besuch König Husseins in Bonn anbetrifft, waren wir von der nüchternen Sprache und der maßvollen Haltung des Königs beeindruckt. König Hussein hat wiederholt seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß die Probleme des Nahen Ostens auf friedliche Weise gelöst werden mögen.
381
18 Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard reist nach Israel
Vom 30. Oktober bis 10. November 1967 reiste d e r f r ü h e r e Bundeskanzler Prof. Dr. Ludwig Erhard mit seiner Frau nach Israel. Ministerpräsident Eshkol holte mit seiner Frau den Gast aus Deutschland persönlich am Flugplatz ab u n d gab ihm auch am 10. November bis zur Maschine, die ihn nach Deutschland zurückbrachte, das Geleit. Auch Botschafter Dr. Pauls war am Flugplatz erschienen. Er begleitete Professor Erhard zu vielen Gesprächen u n d Besuchen in Israel. Am 8. November gab Botschafter Pauls zu Ehren von Ludwig Erhard einen großen E m p f a n g im Holyland-Hotel in Jerusalem, zu d e m auch Ministerpräsident Eshkol u n d zahlreiche Persönlichkeiten des israelischen öffentlichen Lebens erschienen. Der Besuch stand im Zeichen der seit den T a g e n d e r Nahost-Krise u n d des Nahost-Krieges völlig veränderten deutsch-israelischen Atmosphäre. Kein Zweifel, Israel erblickte in Ludwig Erhard den Mann, d e r in seiner Regierungszeit als persönlichen Entschluß die diplomatischen Beziehungen zum j u n g e n Staat Israel a u f g e n o m m e n hat. Die Sympathie, die Prof Erhard aus allen Teilen d e r israelischen Bevölkerung entgegenschlug —in der Konzerthalle, dem FredericR.- MannAuditorium, war ein Symphoniekonzert zu seinen Ehren veranstaltet worden galt in erster Linie diesem politischen Schritt. Es wäre aber falsch, wollte man n u r diese eine Beobachtung berücksichtigen. In einem privaten Gespräch sagte einer der h o h e n Beamten d e r israelischen Regierung zu d e m Gast aus Deutschland, daß all das, was die Milliarden d e r Wiedergutmachung und d e r Wirtschaftshilfen nicht erreicht hätten, in der Atmosphäre gegenüber Deutschland nach d e r Nahost-Krise zum Ausdruck gekommen sei. Will man diese Atmosphäre kennzeichnen, so m u ß man sagen, daß sich langsam Vertrauen in die Haltung des demokratischen Deutschlands u n d vor allem der deutschen Bevölkerung in Israel durchsetzt. Professor Erhard f ü h r t e in Jerusalem zahlreiche Gespräche mit Ministern, wie dem Finanzminister Sapir, Industrie- und Handelsminister Sharef, Sozialminister Yosef Burg, f ü h r e n d e n H e r r e n der Liberalen Partei Israels und mit dem Präsidenten d e r Bank von Israel, Horowitz, den er bereits anläßlich zahlreicher Besprechungen d e r Weltbank u n d anderer Wirtschaftsgremien getroffen hatte. Bei all diesen Wirtschaftsgesprächen zeigte es sich, wie sehr Erhard mit den Problemen Israels vertraut war, daß er nicht n u r höfliche Floskeln fand, sondern durch Fragen u n d Darlegungen zeigte, daß eine Assoziierung Israels an den Gemeinsamen Markt auch und gerade f ü r die Menschen in Deutschland Sorgen bereitet, die sich nicht damit begnügen, in Deklamationen die F o r d e r u n g nach einer A u f n a h m e Israels in die EWG zu unterstützen. Erhard sah die Schwierigkeiten, die in den h o h e n Zollmauern Israels begründet liegen, in der breiten Streuung d e r israelischen Industrie, die f ü r den kleinen Staat auf die Dauer uner382
18.1 Levi Eshkols Rede im King David Hotel trägliche Belastungen bringt, weil die Stückzahlen und die Vielfalt der Produkte Kosten verursachen, die, abgesehen von sehr hohen Löhnen, Preise fordern, die man nicht im Weltmarkt vertreten kann. Ausgleich der Handelsbilanz, Normalisierung des gesamten Wirtschaftslebens, all das waren Themen, die unmittelbar mit d e r Frage nach einer Ausweitung des Wirtschaftsverkehrs mit Israel in Zusammenhang standen. Nahum Goldmann, der Professor Erhard zu Ehren ein Essen gab, zu dem viele prominente Persönlichkeiten aus dem Wirtschafts- und Geistesleben geladen waren — der israelische Nobelpreisträger Agnon saß neben dem Gast aus Deutschland - betonte in seiner Tischansprache die großen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland in der Wiedergutmachungsfrage. Als der einstige Finanzminister Fritz Schäffer zu schätzen begann, war man bei acht, dann bei zwölf Milliarden DM. Heute näherten sich die Leistungen der Bundesrepublik 50 Milliarden DM. Professor Erhard hatte in einer anderen Rede wenige Tage vorher bereits schon von seinen „teuren Freunden" Shinnar und Goldmann gesprochen. Hinter dieser launigen Formulierung stand der Rückblick auf die ernsten Begegnungen und Besprechungen, all diese Probleme einer guten und nicht nur einer gerechten Lösung zuzuführen.
18.1
Levi Eshkols Rede im King David Hotel
Höhepunkt der Besprechungen in Jerusalem waren die Besuche beim israelischen Staatspräsidenten Salman Schasar und Ministerpräsident Levi Eshkol. Eshkol hatte etwa 80 Gäste zu einem festlichen Dinner ins King David Hotel geladen. Hier hielt er dem Gast aus Deutschland eine große Rede. Sie hatte folgenden Wortlaut: „Verehrter Herr Professor Erhard, Frau Erhard, meine Damen und Herren! Ich freue mich, unsere werten Gäste, Herrn Professor Ludwig Erhard und seine Gattin, bei uns begrüßen zu können. Der Name unseres lieben Gastes ist der jüdischen Öffentlichkeit und den Bürgern unseres Landes wohlbekannt — war er doch die Persönlichkeit, die f ü r die Formung der neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gestalt der Bundesrepublik Deutschland maßgebend war. Ich will nicht auf die Einzelheiten der hervorragenden Leistung, die Professor Erhard im Dienst seines Landes vollbrachte, eingehen und auch nicht auf die überaus wichtigen Aufgaben, die er in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsminister und später als Bundeskanzler zu bewältigen hatte. Doch möchte ich voll dankbarer Bewunderung darauf hinweisen, daß Prof. Erhard persönlich f ü r die Ausführung der Verträge verantwortlich war, in denen die Wiedergutmachung an die Naziopfer und die Entschädigungszahlung an den Staat vereinbart worden waren, der den Rest der überlebenden J u d e n Europas bei sich aufnahm, sie materiell, wirtschaftlich und seelisch einordnete und ihnen half, selbstbewußte Bürger in ihrer neuen Heimat zu sein. 383
18 Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard reist nach Israel
Prof. Erhard hat mehr als einmal seiner großen Sympathie f ü r das Aufbauwerk Ausdruck verliehen, das unter der Ägide der zionistischen Bewegung in Palästina entstand. Möglicherweise hatte diese Sympathie ihren Ursprung darin, daß unser Gast ein hervorragender Schüler und später ein persönlicher Freund des bekannten Soziologen Prof. Oppenheimer gewesen ist, der, ein Jude, mit seinem Volk und der zionistischen Bewegung innig verbunden war. In der Geschichte der Gestaltung der Beziehungen zwischen Israel und d e r Bundesrepublik Deutschland gebührt Prof. Erhard ein ganz besonderer Ruhmesplatz: war er es doch, der im Jahre 1965 der israelischen Regierung den Vorschlag machte, volle diplomatische Beziehungen mit seinem Lande aufzunehmen. Es war dies eine mutige Tat, zu der ihn ein tiefes Gefühl von Menschlichkeit und Ethos trieb. Ich möchte hinzufügen, daß Prof. Erhard derjenige war, dem die größten Wiederaufbauwunder zuzuschreiben sind, die sich jemals in kriegsverwüsteten Ländern ereignet haben. Das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von Prof. Erhard geschaffen. Es muß zwar zugegeben werden, daß in Wirklichkeit in d e r Nationalökonomie nicht mit Wundern zu rechnen ist; die Faktoren sind: Verstand, Berechnung, Anstrengung und Arbeit. Auch wir hier in Israel — und ich sage dies in aller Bescheidenheit — vollbrachten beträchtliche Veränderungen in einem Land, das Generationen hindurch vernachlässigt war, wir entwässerten Sümpfe, brachten seine Wüsten und kahlen Berge zum Blühen und schufen eine Wirtschaft für eine fortschrittliche, demokratische u n d tolerante Gesellschaft, die auf dem Fundament der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, gleichen Rechtes f ü r alle seine Bewohner ohne Unterschied der Herkunft, des Glaubens, der Volkszugehörigkeit und der Weltanschauung begründet ist, eine Gesellschaft, die der Privat- und der genossenschaftlichen Wirtschaft gleiche Chancen gewährt. In Israel wird der Prozeß des Aufbaus und der Entwicklung des Landes von einer U m f o r m u n g der Gesellschaft und des Einzelnen begleitet, in dem die zeitlose Zusicherung der „Einsammlung der Verstreuten" und die Rückkehr der Söhne in ihre Heimat verwirklicht wird. Meine verehrten Gäste! Vor nicht ganz einem Monat feierten wir den Beginn des neuen jüdischen Jahres 5728. In den Tagen zwischen unserem Neujahr und dem Versöhnungstag besinnt sich das jüdische Volk auf sich selbst und seinen Schöpfer, rechnet mit seinen Taten in der Vergangenheit ab und betet um sein Schicksal im kommenden Jahr. Diese 10 Tage werden „Tage der Umkehr" genannt, da nach unserer Religion der Mensch befugt ist, das Erbarmen Gottes zu erhoffen, wenn er diese Tage in Gebet, Reue und mit Wohltätigkeit verbringt. Dies betrifft jedoch nur die Beziehungen des Menschen zu Gott. Vergehen des Einzelnen gegen seinen Nebenmenschen können nicht durch Gebet gesühnt werden, sondern der Mensch ist verpflichtet, sich unmittelbar mit dem Geschädigten auseinanderzusetzen. Dies ist einer der Elementarsätze jüdischer Weltanschauung und jüdischen Lebens. Mir scheint, daß sich heute im deutschen Volke viele Menschen von hohen ethischen Prinzipien befinden, die bereit sind, sich dieser Haltung anzuschließen. Sie haben verstanden, daß der Schandfleck, den 384
18.1 Lexri Eschkols Rede im King David Hotel das Naziregime durch seine Untaten Deutschland f ü r Jahre aufgedrückt hat, durch eine Neuordnung der Gesellschaft in Deutschland selbst weggewaschen werden muß und daß gleichzeitig und unaufhörlich Anstrengungen gemacht werden müssen, um das jüdische Volk f ü r seine Leiden zu entschädigen und sein Vertrauen mit Geduld zu erwerben. Prof. Erhard gehört zu denen, welche in Deutschland diese Ansicht vertreten. Es gibt auch Anzeichen d a f ü r innerhalb der Jugend seines Landes, der Jugend, die an den Untaten des Dritten Reiches keinen Anteil hatte und für dessen Verbrechen nicht persönlich verantwortlich gemacht werden kann. Sie bekennen sich dazu, daß es notwendig ist, die Bemühungen fortzusetzen, um, soweit wie möglich, die Wunden des jüdischen Volkes zu heilen. Diese Bemühungen finden bei uns volle Anerkennung. Der Staat Israel wurde mit der Hände Arbeit und durch Selbstverteidigung neu aufgebaut. Israel strebt danach, mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine bedeutsame wirtschaftliche Verbindung zu knüpfen, und unsere wirtschaftliche und politische Zukunft wird entscheidend davon abhängen. Deutschland, ein wichtiges und einflußreiches Mitglied der Gemeinschaft, kann eine Hauptrolle bei der Ebnung des Weges von Israel zum Europäischen Markt spielen. Dadurch würde außerdem ein gemeinsamer Rahmen f ü r unsere beiden Länder geschaffen werden, der eine zweiseitige oder auch mehrseitige Zusammenarbeit sowie die Erschließung zusätzlicher Gebiete der Zusammenarbeit ermöglichen würde. Ich muß gestehen, daß ich — zusammen mit Dr. Shinnar—bei unseren Begegnungen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Erhard immer ein offenes O h r f ü r unsere Bedürfnisse und die Bereitschaft, uns beizustehen, gefunden habe. Zu unserem Leidwesen konnten unsere Bestrebungen noch nicht in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Doch ist die Stellung Deutschlands in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft derart stark, daß einmal der Tag kommen wird, wo seine Entscheidung den Ausschlag gibt. Prof. Erhard wird dann sicherlich, sei es in amtlicher oder nichtamtlicher Eigenschaft, uns helfen wollen und können. Die deutsche Regierung hat das Bestreben, die außenpolitischen Beziehungen zu den Ländern des Nahen Ostens zu verbessern. Wir sind nicht engstirnig, doch möchten wir ersuchen, dies nicht unter Außerachtlassung internationaler Moral zu tun. Wir hoffen, daß sie stark genug sein wird, dem erpresserischen Druck von Faktoren, die Israel feindlich gesinnt sind, standzuhalten. Dadurch würde Deutschlands Politik zu einem positiven Element im ganzen Gebiet einschließlich Israels werden. Im Laufe der Zeit könnte sie zur gegenseitigen Anerkennung aller Staaten des Gebietes einschließlich Israels führen und zur Herstellung einer friedlichen Atmosphäre und Zusammenarbeit - ein Ziel, dessen Erreichung wir in Israel so sehr herbeisehnen. Unser Land war im Sommer dieses Jahres in seiner Existenz bedroht. Die meisten Nationen der Welt und die aufgeklärte Volksmeinung sympathisierten in jenen Tagen d e r Gefahr mit unserem Volk und ermunterten es. Auch in der Bundesrepublik Deutschland standen breite Schichte der Öffentlichkeit uns zur Seite und gaben ihrer Identifikation mit uns deutlichen Ausdruck. Diese spontane Er385
18 Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard reist nach Israel hebung des deutschen Volkes wurde von unserem Volk mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. N u n m e h r wurde in unserem Gebiet ein neuer Zustand geschaffen. Unabänderlich ist unser Entschluß, diesen Zustand in einen dauernden Friedenszustand zu verwandeln, der durch Verträge gegenseitiger Anerkennung und Sicherheit gefestigt wird. Ich hoffe, daß die Tage Ihres Besuches zu Ihrer, Herr Prof. Erhard, und Ihrer Gemahlin Zufriedenheit verlaufen werden. Genießen Sie die Reisen und die Gespräche, sehen Sie das Land mit offenen Augen, hören Sie mit offenen Ohren auf das Treiben des jüdischen Volkes, das in seine Heimat zurückgekehrt, um seine zeitlose H o f f n u n g zu verwirklichen."
18.2
Professor Erhard antwortet seinem Gastgeber
„Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren! Darf ich Ihnen f ü r Ihren Willkommensgruß und die freundlichen und auszeichnenden Worte, die Sie meinem politischen Wirken und mir persönlich gewidmet haben, sehr herzlich danken. Diese Reise ist meiner Frau und mir seit langem eine Herzensangelegenheit gewesen. Wir sind glücklich, in Jerusalem, dieser altehrwürdigen Stätte, die Juden, Christen und Moslems heilig ist, weilen zu dürfen. Wir sind bewegt, in Ihrem Land den Geist zu verspüren, der die Wiederbegegnung von Deutschen und J u d e n heute leitet und zu gemeinsamer Arbeit zusammenführt. Wir haben es erlebt, wie das, was sich in beiden Völkern an gutem Willen zum Frieden und einem gedeihlichen Miteinander immer lebhafter regte, durch die einmütige Haltung des deutschen Volkes in der Stunde Ihrer größten Bedrängnis im Frühjahr dieses Jahres kraftvollen Auftrieb und überzeugenden Ausdruck erfahren hat. Das heißt nicht, daß wir glauben oder gar erwarten dürften, das grausame Geschehen in tragischster Zeit sollte oder könnte vergessen werden. Besser aber als alle verbalen Bekenntnisse der Schuld scheint mir die Bereitschaft zur T a t zu sein, die mich bewog, die diplomatischen Beziehungen zu Israel anzustreben und Verständnis für das jüdische Volk zu bezeugen. Wenn wir uns dessen bewußt sind und bewußt bleiben, dann obliegt es unserer Pflicht, nach vorne zu sehen und in der Gegenwart das zu tun, was der gute Wille, eine glücklichere Zukunft für unsere beiden Völker in einer friedvollen Welt zu bauen, uns an Redlichkeit der Gesinnung auferlegt. Deutschland ist sich, seitdem es sich aus der vollkommenen Katastrophe befreien und zu sich selbst zurückfinden konnte, seiner besonderen Lage gegenüber dem jüdischen Volk immer bewußt gewesen und hat sich in seiner moralischen Haltung und seinem praktischen Handeln bemüht, dem zu entsprechen. Ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident, daß Sie das in Ihren Worten in der rechten Weise gewürdigt haben. Seitdem ich seinerzeit als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1965 durch einen Briefwechsel mit Ihnen die diplomatischen Beziehungen zwi386
18.2
Prof. Erhard antwortet seinem Gastgeber
sehen unseren beiden Staaten aufgenommen habe im vollen Bewußtsein der schweren und heute noch nicht überwundenen Spannungen in den Beziehungen meines Landes zu einer großen Anzahl arabischer Mächte, habe ich die darauffolgende Entwicklung mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Unsere Beziehungen zu Israel und zum jüdischen Volk sind nicht n u r ein wesentlicher Bestandteil unserer Außenpolitik; sie sind in gleicher Weise ein Ausdruck menschlicher Gesinnung und politischer Moral. So erfüllt es mich mit tiefer Befriedigung, feststellen zu können, daß sich diese Beziehungen in einer wohlausgewogenen Weise, die Interessen beider Länder berücksichtigend und zum Nutzen unserer beiden Völker fruchtbar entwickelt haben. Sie dürfen dessen gewiß sein, daß im Einklang mit dem Willen des deutschen Volkes die Kräfte, die die Politik unseres Landes gestalten, um weiteren konstruktiven Ausbau des deutsch-israelischen Verhältnisses mit dem Ziel der Wohlfahrt dieses Landes, des Friedens dieses Landes und einer in sich gefestigten und gesicherten Friedensordnung im Nahen Osten bemüht bleiben. Deutschland verfolgt in diesem Raum keine eigensüchtigen Ziele; gleichwohl ist ihm entscheidend daran gelegen, seinen Teil zur friedlichen Konsolidierung des Nahen Ostens beizutragen, weil eine auf Gerechtigkeit basierende Verständigung zugleich auch ein Beitrag f ü r den Frieden Europas und der Welt sein wird. Dieser Raum darf nicht länger ein Unruheherd der Welt bleiben. In diesem Sinne verstehen wir die sich immer fruchtbarer gestaltenden Beziehungen zu Israel und die leider noch getrübten Beziehungen zu den arabischen Staaten. Wir wünschen nichts mehr, als daß das furchtbare kriegerische Geschehen dieses Jahres, in dem sich gerade Ihr Volk in der Verteidigung seiner Heimat so glänzend bewährte, zur Grundlage der Befriedigung des Nahen Ostens dienen möge. Unsere deutschen Bemühungen, f ü r Israel eine engere Verbindung zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu schaffen, verstehen wir ebenfalls als einen Beitrag zu diesem Ziel. Wir wissen, daß Israel f ü r seine friedvolle wirtschaftliche Weiterentwicklung, zur Überwindung struktureller wirtschaftlicher Schwierigkeiten der engen Verbindung zum Europäischen Gemeinsamen Markt bedarf. Wir stehen dem Streben nach Beitritt oder Assoziierung auch anderer Mächte, soweit sie dies wünschen, verständnisvoll gegenüber. Der Wunsch Israels aber geht uns besonders an, und wir werden auch nicht aufhören, dahin zu wirken, daß die Lebensinteressen Israels in der Gemeinschaft rechte und gerechte Würdigung finden. In uns Älteren wird immer die tiefe Erschütterung über geschehene Schandtat und grenzenloses Leid lebendig bleiben. Gerade daraus aber erwächst uns die hohe Verpflichtung, der Jugend unserer beiden Völker, die unser gemeinsames Schicksal in die Zukunft tragen soll, den Weg zueinander zu ebnen, sie zueinander zu führen, damit sie sehen und lernen, welche Tragik unsere Völker zertrennte, aber auch spüren dürfen, daß wir uns des Anbruchs einer neuen Zeit bewußt sind, die uns zueinander finden und miteinander arbeiten heißt, zum Nutzen und zum Heil einer — so Gott wolle — glücklicheren friedvollen Zukunft."
387
18 Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard reist nach Israel
18.3
300 Persönlichkeiten bei der Handelskammer
Deutsch-Israelischen
Mehr als 300 Persönlichkeiten waren ins Sheraton-Hotel in Tel Aviv gekommen, um Ludwig Erhard bei einer ersten Veranstaltung dieser Institution zu hören. Der Präsident, Dr. K.A. Moosberg, sagte in seinen Begrüßungsworten u. a.: „...Unsere Kammer war wohl die erste Körperschaft innerhalb des israelischen Volkes, die die Förderung der Beziehungen mit dem neuen Deutschland auf ihre Fahne schrieb. Die Vorbereitungen und Vorbesprechungen zur Errichtung der hiesigen Kammer und ihrer Schwesterorganisation, der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen mit Israel, gehen um etwa drei J a h r e zurück. Als wir uns vor einem halben J a h r endgültig entschlossen, die IsraelischDeutsche Industrie- und Handelskammer zu errichten, fehlte es immer noch nicht an warnenden Stimmen, auch aus gutwilligen Kreisen, die uns sagten, die Zeit sei noch nicht reif. Damals jedoch zögerten wir nicht länger. Wenn Sie mir erlauben, ein schönes deutschsprachiges Zitat leicht zu variieren: Wir wagten es mit Sinnen Und tragen des kein Reu. Unser Vertrauen wurde nicht enttäuscht, weder unser Vertrauen auf die verständnisvolle Haltung der maßgebenden Kreise der israelischen Wirtschaft, die heute hier in präzedenzloser Weise durch die überwiegende Mehrzahl ihrer namhaftesten Unternehmungen aus allen Zweigen und Sektoren vertreten ist, noch unser Glauben an die führende Schicht des neuen Deutschlands, die nun heute hier so hervorragend durch Sie, sehr verehrter H e r r Altbundeskanzler, repräsentiert wird...". In diesem Kreis hat Ludwig Erhard über die Probleme gesprochen, die der israelischen Wirtschaft bei einem günstigen Ausgang der EWG-Gespräche in Brüssel im Falle einer Assoziierung entstehen. Es wurde deutlich, daß die Industriellen und Wirtschaftler den Wirtschaftsfachmann Ludwig Erhard verstanden haben. Zum Abschluß dieser Veranstaltung überreichte Dr. Moosberg seinem Gast eine Bronzemünze des römischen Imperators Pontius Pilatus, wobei er u. a. sagte: „...Diese Münze wurde aber, wie gesagt, etwa 40 Jahre vor dem Falle Jerusalems geprägt, und bescheiden, wie sie im Äußern und im Materialwert ist, mag uns als Wirtschaftler doch der Gedanke trösten: Hätten wir die Münze zur Zeit ihrer Entstehung auf einer der israelischen Banken deponieren können, die hier heute vertreten sind — sogar zu einer niedrigen Verzinsung, die weit unter dem Zinsfuß gelegen hätte, der leider heute in unserem Lande üblich ist—so wäre aus Zins und Zinseszins heute ein Kapital aufgelaufen, das selbst das ganze deutsche Wirtschaftswunder in den Schatten stellen würde..."
388
18.5 Besuch in der Altstadt
18.4 Besuch bei Ben Gurion Ein besonderes Erlebnis f ü r Ludwig Erhard war das Zusammentreffen mit Israels großem alten Mann in der Wüste des Negev. Mit dem Hubschrauber flog Erhard mit seiner Begleitung von der Provinzstadt Kiryat Gat, wo ihm der Bürgermeister die zentrale Bedeutung des Lachish-Distriktes erklärt hatte, wo ihn die Bevölkerung nach Verlassen des Rathauses genauso spontan mit Beifall bedachte wie in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa, und nach Besichtigung eines Textilbetriebes, der mit deutschen Maschinen ausgerüstet ist, nach Sde Boker. Das Gespräch der beiden Politiker drehte sich um die Sorge der Sicherung Israels. Ein Staat wie die Sowjetunion, der selbst Teile Finnlands, Deutschlands und das ganze Baltikum besetzt halte — das war die Meinung Ben Gurions — will nun den Moralprediger spielen und von Israel fordern, daß es sich vor Friedensverhandlungen aus den besetzten Gebieten zurückziehe.
18.5 Besuch in der Altstadt Am letzten T a g seine Israel-Aufenthaltes besichtigte Professor Erhard die Altstadt von Jerusalem. Vom Ölberg aus hatte er einen herrlichen Ausblick auf ganz Jerusalem. Die Omar-Moschee, die Grabeskirche und die lutherische Erlöserkirche, an der der deutsche Propst Köhler als Geistlicher wirkt, gehörten zu den Stationen dieses Besuchs, der auf dem Berg Zion mit dem Abendmahlsaal und der Benediktinerabtei seinen Abschluß fand. In einer abschließenden Pressekonferenz äußerte sich Professor Erhard tief beeindruckt von den Aufbauleistungen Israels und dem Staatsbewußtsein seiner Bürger. Zu den wirtschaftlichen Fragen meinte er, daß eine Assoziierung Israels an die EWG und der damit verbundene Erfolg n u r dann möglich sein werden, wenn es Frieden im ganzen Nahen Osten gebe und wirtschaftliche Lösungen f ü r den gesamten Raum gefunden würden. Er wolle mithelfen, daß diese Probleme gelöst würden, genauso wie er im Gespräch mit Bankpräsident Horowitz den Wunsch bekundete, an der Lösung der Flüchtlingsfrage in den arabischen Ländern auf internationaler Ebene mitzuwirken. Zufrieden über die freundschaftliche A u f n a h m e in Israel landete Professor Erhard am 10. November mittags in Frankfurt, wo ihn Israels Botschafter in der Bundesrepublik, Asher Ben Nathan, begrüßte. Schon vor seiner Abreise hatte Professor Erhard in einem Telefongespräch mit Bundesaußenminister Brandt vereinbart, daß er ihn nach der Reise — wie auch den Bundeskanzler — von seinen Eindrücken informieren werde.
389
18 Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard reist nach Israel
18.6
Honorary Fellowship im
Weizmann-Institut
Das Weizmann-Institut machte Professor Erhard zum Ehrenmitglied, um seine Verdienste gerade auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit der israelischen Wissenschaft zu würdigen. Die Urkunde hat folgenden Wortlaut: „Auf Vorschlag des wissenschaftlichen Rates des Weizmann-Instituts f ü r Wissenschaften wählt der Vorstand des Instituts hiermit Ludwig Erhard zum Ehrenmitglied, in Würdigung seiner unermüdlichen Anstrengungen, eine neue und bedeutungsvolle Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und Deutschland zu schaffen und aufrecht zu erhalten, und seiner Unterstützung f ü r die wissenschaftliche Forschung in Israel sowie seines großen Beitrages f ü r die Förderung des israelischen Wirtschaftswachstums und der wirtschaftlichen Entwicklung." Die Laudatio bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde hielt der ehemalige Justizminister u n d heutige Abgeordnete der Knesset, Pinhas Rosen, nachdem Dr. Shinnar, der f r ü h e r e Leiter der Israel-Mission, das Leben Ludwig Erhards erläutert hatte. In seiner Rede sagte Rosen u. a.: Zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland, Staatsmänner und Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, haben Israel in den letzten Jahren besucht. Die Namen des verstorbenen Bundespräsidenten Prof. Heuss, des verstorbenen Bundeskanzlers Dr. Adenauer, ferner f ü h r e n d e r Politiker wie des Präsidenten des Bundestages Dr. Gerstenmaier, des Ministers des Äußeren, Herrn Brandt, der Professoren Carlo Schmid und Franz Böhm stehen f ü r viele, die wir in Israel mitunter auch im Weizmann-Institut als Gäste empfingen. Die Bundesrepublik hat j a nach dem Zusammenbruch von 1945 den Weg in die Freiheit und in ein neues demokratisches Leben angetreten und wir sind über solche Besuche froh, weil wir sie als Zeichen der Entschlossenheit der berufenen deutschen Repräsentanten deuten, aus der Vergangenheit den Weg in eine bessere Zukunft zu finden. Wir wissen uns dabei mit solchen deutschen Gästen durchaus eins, daß die Vergangenheit nicht ausgelöscht werden kann und soll. Die historische Erinnerung trennt unsere beiden Völker und verkettet sie zugleich und beiden ist auferlegt, mit dieser Last, jedes in seiner Art, fertig zu werden. All das ist schon oft gesagt und geschrieben worden, und mag daher vielleicht wie ein abgegriffener Gemeinplatz klingen. Doch weder wir, die wir uns hier eine neue, die eigene Heimstätte unter Mühen und Sorgen, in aufgezwungenen Kriegen erbauen, noch das deutsche Volk haben das Recht, der Wiederholung von geschichtlichen Wahrheiten auszuweichen. Diese Wiederholung ist natürlicher, selbstverständlicher und sinnvoller als es ein betretenes oder verschämtes Schweigen sein könnte. Es ist uns allen wohlbekannt, was Sie, Herr Professor Erhard, durch Ihren persönlichen Einsatz zunächst als Bundeswirtschaftsminister und später als Bundeskanzler f ü r die Anbahnung einer besseren Beziehung zwischen Ihrem Staat 390
18.6 Honorary Fellowship im. Weizmann-Institut und dem Staat Israel bewirkten, und ich meine damit nicht nur den Austausch von Botschaftern, der Ihrer Initiative zuzuschreiben ist. Die Beauftragten des jüdischen Volkes und des Staates Israel, die mit Ihnen die grundsätzlichen und all die ungezählten Einzelfragen zu besprechen und zu regeln hatten, sind voll des uneingeschränkten Lobes über Ihre wahrhaft verständnisvolle, vom redlichen Geiste getragene Einstellung. Ihr Amt brachte es mit sich, daß Sie nicht n u r abstrakt den Willen zur Wiedergutmachung, soweit sie eben überhaupt möglich ist, erklären mußten, sondern daß Sie in ungemein praktischer und, wenn ich es so sagen darf, in greifbarer Form diesen Willen in Taten ummünzten... Sie sind ein Theoretiker und Praktiker der Wirtschaft. Weizmann war Chemiker von Rang. Wenn ich die Unterscheidung Wilhelm von Humboldts verwenden darf, so war Weizmann mehr ein Mann der Akademie als ein Mann der Universität. In unseren Tagen der fortgeschrittenen, alles beherrschenden Technologie hat die Differenzierung Humboldts zwar viel von ihrem Gewicht verloren, doch man darf ihn in dieser festlichen Zusammenkunft wenigstens mit dem Hinweis zitieren, daß nach seiner Auffassung die Akademie, und dies gilt in hohem Maße auch vom Weizmann-Institut, als die höchste und die letzte Freistätte der Wissenschaft und die vom Staat am meisten unabhängige Korporation erhalten bleiben muß. Das Weizmann-Institut ist ohne Zweifel eine .höchste', wenn auch nicht die letzte oder gar einzige Freistätte der Wissenschaft in Israel. Wir haben zu unserer Freude einige solcher hohen Lehranstalten. Gleichwohl ist das Weizmann-Institut eine moderne Hochschule sui generis in Israel. Weizmann gab ihr nicht nur den Namen, sondern prägte auch f ü r alle Zeiten ihren spezifischen Charakter. Doch liegt, um den Faden fortzuspinnen, ein besonderes Tertium Comparationis zwischen dem Gründer dieser Lehranstalt, dem Ehrengast der heutigen Feier und Wilhelm von Humboldt vor. Dieser, ein Freund Goethes und Schillers, war nicht nur ein Gelehrter, sondern ein bedeutender Staatsmann. Universität und Akademie — ihre Lehrer spielen, wenn sie das Zeug dazu haben und wenn die Pflicht ruft, mitunter im Leben ihrer Völker eine entscheidende Rolle. Deutsche und Juden wissen darüber Bescheid. Das Weizmann-Institut hat weit über das kleine Israel hinaus ein internationales Renommé. Man darf das ohne Überheblichkeit sagen. Was hier geschaffen und gedacht, experimentiert und e r f u n d e n wird, hat seine Bedeutung nicht allein f ü r den Staat Israel. In den Laboratorien des Instituts sitzen junge Gelehrte vieler Völker, hier können sie sich entfalten, und was sie auf dem Gebiet der exakten Wissenschaften leisten, kommt auch anderen Staaten, besonders auch den Entwicklungsländern zugute. Wir wissen, daß unserem Gast nicht n u r die ökonomische, sondern auch die allgemeine Entwicklung des Staates Israel am Herzen liegt. Er hat dies vielfach bezeugt und bewiesen, und er möge gerade hier, in dieser Anstalt, deren Ehrenmitglied er wird, verstehen, daß ein Volk mit aller seiner Energie und trotz aller widrigen Umstände am Werk ist, dem Fortschritt der Menschheit und dem Frieden zu dienen. Das Weizmann-Institut, das es sich zur Ehre anrechnet, Prof. Erhard von nun 391
18 Bundeskanzler a. D. Ludwig Erhard reist nach Israel an zu den Seinen zählen zu dürfen, dient in seiner Arbeit dem Frieden und dem Fortschritt, wie der große Tote, dessen Namen diese Anstalt trägt, den Frieden mit allen Fasern seines Herzens zeitlebens gewollt und all sein großes Können und seinen genialen Geist dem Fortschritt gewidmet hat." In seiner Antwortrede hob Professor Erhard besonders die Notwendigkeit hervor, den wissenschaftlichen Geist und die Forschung in den Dienst am Menschen zu stellen, „da gerade die Wissenschaft einen hohen Auftrag im Sinne einer bewußten Hingabe des einzelnen an den Staat und an die Gemeinschaft zu erfüllen hat". Er sagte: „Vielfach habe ich es bedauerlich empfunden, daß es der Wissenschaft allenthalben noch einer vertrauensvollen Zuordnung zum eigenen Staatswesen und zu seinen Lenkern ermangelt. Wenn es wohl unbestreitbar richtig ist, daß sich für den Politiker die noch nicht gewährleistete, befruchtende Nähe zu den Wissenschaften u n d ihren Trägern als nachteilig erweist, so ist es umgekehrt ein nicht minder großer Schaden f ü r den Wissenschaftler, wenn er den demokratischen Bezug seines Wirkens und seiner Einordnung in den Geist der Gemeinschaft nicht oder nicht mehr voll zu begreifen und zu erkennen in der Lage ist. Dieser Bezug wird hier im Weizmann-Institut besonders deutlich, denn die Anwesenheit so vieler ausländischer Wissenschaftler legt Zeugnis d a f ü r ab, daß Sie Ihre Forschungen fern von nationaler Engstirnigkeit weltweit angelegt wissen wollen. Sie werden verstehen, wenn Ihr neues deutsches Ehrenmitglied in dieser Stunde von der Gläubigkeit erfüllt ist, daß nicht zuletzt die wissenschaftlichen Verbindungen zwischen unseren beiden Staaten und Völkern viel dazu beizutragen berufen sind, um über einen schreckenserfüllten Abgrund hinweg die Brükke in eine gute Zukunft f ü r unsere Jugend zu bauen. Sie selbst haben diese Absicht zu fruchtbarer Zusammenarbeit eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, als Sie dem Direktor des Max-Planck-lnstituts f ü r Kernphysik in Heidelberg, Prof. Gentner, die Ehrenmitgliedschaft verliehen haben. Auch ich werde, so wie immer, auch fernerhin alle mir zu Gebote stehenden Möglichkeiten d a f ü r einsetzen, daß der Dienst der Wissenschaft an der Menschheit in einer befriedeten Welt viele Forscher in Israel und in Deutschland zu gemeinsamer Arbeit zusammenführen wird. J e n e Verbindung von Forschen und tätigem Leben erweist sich auch bei den wissenschaftlichen und technischen Hilfen, die das Weizmann-Institut in den Ländern Asiens und Afrikas leistet, als segensreich. Dieser durch die T a t bekundete gute Wille zur Zusammenarbeit schafft neue hoffnungsvolle Ansatzpunkte f ü r das Verständnis, daß alle Menschen, die guten Willens sind, eine geistige und moralische Einheit bilden. Ich teile die Auffassung Ihres früheren Präsidenten, des H e r r n Außenministers Abba Eban, der in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine vorrangige Aufgabe beim Aufbau anderer Länder erkennt. So sehr Hunger und Armut in aller Welt unser Gewissen belasten, so kann der Beitrag d e r einzelnen Länder zur Überwindung der Not doch immer n u r als Hil392
18.6
Honorary
Fellowship im
Weizmann-Inslitut
fe zur Selbsthilfe verstanden werden. Die Heranbildung einer von tiefem Ethos erfüllten geistigen Elite wird es neuen Generationen ermöglichen, den Fortschritt der eigenen Gemeinschaft über Grenzen des Denkens und des Raumes allen vorwärtsstrebenden friedlichen Ländern zugute kommen zu lassen."
393
19 Zwanzig Jahre Israel 19.1 Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger: Frieden für das tapfere und kluge israelische Volk Am Abend des 30. April 1968 e m p f i n g mich Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger in seinem B o n n e r Heim direkt nach d e r Sondersitzung des Deutschen Bundestages ü b e r die innenpolitische Lage zu einem m e h r als einstündigen Gespräch ü b e r die deutsch-israelischen Beziehungen. Anlaß dieses Gespräches war d e r am 2. Mai zu b e g e h e n d e 20. J a h r e s t a g der Unabhängigkeitserklärung des j ü d i s c h e n Staates. An d e m Gespräch, bei d e m d e r Bundeskanzler mit g r o ß e r Anteilnahme ü b e r die Aufbauleistungen des jüdischen Staates sprach, n a h m auch Staatssekretär Günter Diehl teil. In einem Interview f o r m u l i e r t e d e r Bundeskanzler seine Gedanken a u f die Fragen, die ich ihm zu d e m Problemkreis d e r zwischen uns Deutschen u n d Israel liegenden T h e m e n stellte. Frage: H e r r Bundeskanzler, vor 20 J a h r e n w u r d e d e r Staat Israel etwa eineinhalb J a h r e vor G r ü n d u n g d e r Bundesrepublik Deutschland ins Leben g e r u f e n . Sie geh ö r e n zu d e n Parlamentariern, die seinerzeit d e m ersten Deutschen Bundestag a n g e h ö r t e n u n d von Beginn an die Beziehungen d e r Bundesrepublik zum j ü d i schen Staat gestalten halfen. Wie sehen Sie heute, zum Zeitpunkt des 20jährigen Bestehens, diese Entwicklung? Antwort: J e d e r Deutsche wird nach all dem, was d e m jüdischen Volk angetan worden ist, mit g r o ß e r i n n e r e r G e n u g t u u n g feststellen, daß die Bundesrepublik Deutschland u n d Israel heute intensive Beziehungen unterhalten. Z w a n z i g j a h r e sind eine k u r z e Spanne. Kein Mensch kann die Ungeheuerlichkeit d e r begangenen V e r b r e c h e n vergessen. Wir haben d a h e r mit Dankbarkeit die ausgestreckten H ä n d e j ü d i s c h e r Menschen ergriffen. Es gäbe eine Fülle von N a m e n aufzuzählen, Menschen, die einst in Deutschland lebten, von d e n e n h e u t e viele in Israel ihre n e u e H e i m a t g e f u n d e n h a b e n . Der T a g , an d e m vor zwanzig J a h r e n d e r j ü d i sche Staat ins Leben g e r u f e n wurde, ist auch u n d vielleicht g e r a d e f ü r uns Deutsche ein T a g d e r Mitfreude. Das, was Menschen aus 70 Nationen in Israel aufgebaut haben, erfüllt uns alle mit B e w u n d e r u n g . Ich e r i n n e r e mich noch gut an die B e r a t u n g e n u n d Debatten, aus denen d a n n die A b s t i m m u n g ü b e r das deutsch-israelische W i e d e r g u t m a c h u n g s a b k o m m e n hervorging. M a n c h e von d e n e n , die damals Zweifel hegten, ob es d e n n richtig sei, diesen V e r t r a g abzuschließen, sind in ihren Zweifeln widerlegt worden, haben sich zu wirklichen F r e u n d e n Israels bekehrt. Dieser Vertrag ist zum F u n d a m e n t d e r vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik Deutschland g e w o r d e n . Ich möchte in diesem Z u s a m m e n h a n g an das Gespräch e r i n n e r n , das ich am T a g e nach d e r Beisetzung Konrad Adenauers, d e r als Architekt dieser Politik d e r
394
19.1 Frieden für das tapfere und kluge israelische Volk Aussöhnung angesehen werden muß, im Palais Schaumburg in Bonn mit David Ben Gurion führte. Das Vertrauen, das Ben Gurion uns Deutschen während seiner Regierungszeit entgegengebracht hat und durch das letzten Endes das deutschisraelische Wiedergutmachungsabkommen möglich wurde, hat auch die weitere Entwicklung zwischen unseren beiden Staaten bestimmt. In den ersten Jahren der Verhandlungen über das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen und in der Folgezeit war es entscheidend, daß die Politik der damaligen Bundesregierung vom Vertrauen aller demokratischer Kräfte des Deutschen Bundestages getragen worden war, gerade auch von der damaligen Opposition, der Sozialdemokratie. Die deutsch-israelische Frage ist in all den Jahren ein Bindeglied zwischen den großen Parteien gewesen. Frage: Das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen, Herr Bundeskanzler, war der erste große Schritt. Welche Ereignisse sehen Sie in der Folge als bedeutungsvoll auf diesem Wege an? Antwort: Wenn Sie mich fragen, welche Ereignisse ich als bedeutungsvoll auf dem Wege der deutsch-israelischen Beziehungen ansehe, so würde ich meinen, daß die zahlreichen Besuche junger Deutscher in Israel und die immer stärker werdenden Kontakte junger Israelis zur Bundesrepublik ein wichtiges Zeichen der Annäh e r u n g und Verständigung sind. Ich hörte, daß rund 400 israelische Studenten an unseren Hochschulen studieren. Das ist eine erfreuliche Tatsache. Natürlich war das Ereignis der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen unseren Staaten ein ganz entscheidender Schritt. Aber ich möchte doch sagen, daß das nur das Aufstoßen der Türen war, durch die in den letzten beiden Jahren viele Menschen von hüben und drüben gegangen sind, aufeinanderzugegangen sind. Die entscheidenden Impulse der Verbindung unserer beiden Völker sind vom gegenseitigen Vertrauen der einzelnen Menschen ausgegangen. Die jüdischen Menschen in Israel und in aller Welt dürfen Vertrauen zum deutschen Volk haben. Die extremen Kräfte, die sich in der Bundesrepublik regen, sind zwar lautstark, aber nicht tonangebend in unserem Volk. Die Ergebnisse aller Wahlen haben gezeigt, daß die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bei den demokratischen Parteien steht. Bei den letzten Unruhen ist deutlich geworden, daß wir nicht nur auf rechtsextremistische Gruppen achten müssen, sondern daß die gleichen Parolen, die während und nach der Nahost-Krise aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands gegen Israel und das jüdische Volk gerichtet wurden, auch von linksradikalen Gruppen hier aufgegriffen wurden. In Israel sollte man sehr vorsichtig sein, wenn die kommunistische Propaganda versucht, unsere demokratische Bundesrepublik und ihre Politiker zu diffamieren. Immer wieder zeigt es sich, daß diese Leute n u r ein Ziel haben, die Gefühle jüdischer Menschen, die durch das Leid der Vergangenheit wundgeworden sind, gegen die Bundesrepublik Deutschland zu mißbrauchen. Es wäre bittere Ironie, wenn es diesen Kräften gelingen würde, die vertrauensvolle Atmosphäre, die sich in den letzten Jahren ganz besonders zwischen Deutschland und Israel entwickelt hat, auf diese Weise zu erschüttern. 395
19 Zwanzig Jahre Israel Frage: H e r r Bundeskanzler, Sie sagten eben, die deutschen Wählerstimmen stehen treu bei d e n demokratischen Parteien. 86 Prozent haben in Baden-Württemberg wieder die demokratischen Parteien gewählt. Es gab dennoch U n r u h e d u r c h die A b w a n d e r u n g z u r NPD. Können Sie noch etwas nähere A u s f ü h r u n g e n machen? Antwort: Es gibt seit Mitte 1966 wieder eine rechtsradikale Partei in Deutschland. Man hört sie häufiger eine neonazistische Partei nennen. So verallgemeinert ist das nicht richtig. Es sind da alle möglichen Leute beisammen, solche Leute, die m a n in Frankreich Poujadisten n e n n e n würde, die verbittert sind, weil sie sich in d e r Industriegesellschaft nicht zurechtfinden, kleine Geschäftsleute, Handwerker, aber auch verärgerte Bauern. Natürlich gibt es darin auch einen starken u n d aggressiven Nationalismus u n d sicher auch gewisse Anklänge an Vergangenes, Übles. Man nimmt sich natürlich in acht mit d e n Parolen, weil man ganz genau weiß, daß man es in diesem Volke einfach nicht m e h r wagen kann, eine Propaganda gegen das jüdische Volk vorzutragen. Hier würde sich wie mit einem Aufschrei das Gewissen unseres Volkes regen. Ich w ü r d e auch noch sagen, es gibt überall in d e r Welt u n z u f r i e d e n e Leute, die d a n n Trotzwahlen vollziehen. In Italien u n d in Frankreich wählen unzufriedene Bauern kommunistisch, ohne Kommunisten zu sein. Der verhältnismäßig hohe Erfolg — fast 10 Prozent —, den die NPD jetzt in Baden-Württemberg erhalten hat, erklärt sich nach meiner Meinung daraus, d a ß es solche Trotzreaktionen gegeben hat. Leider treiben die extremen Linken, d a r a n ist gar kein Zweifel, einen Teil unserer Mitbürger, d e r über dieses Treiben e m p ö r t und erschreckt ist, ebenfalls zu einer solchen Kurzschlußraktion. Beide G r u p p e n sind keine Überzeugungswähler u n d ich habe die sichere H o f f n u n g , daß sie diese Partei auch wieder verlassen werden. Frage: H e r r Bundeskanzler, ich glaube, Sie sagten heute im Parlament—es waren auch a n d e r e Redner, vor allem auch d e r Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Dr. Barzel —, das Ausland solle nicht in d e n Fehler verfallen, den demokratischen Parteien den Rücken zu kehren und Mißtrauen hegen. Sehen Sie diese Dinge gerade im Hinblick auf Israel in d e r gleichen Weise? Antwort: Aber natürlich, das ist sogar meine allergrößte Sorge. Innenpolitisch ist so eine G r u p p e von Leuten, die da in einen Landtag einziehen, ohne weiteres zu bewältigen. Was haben d e n n diese Leute gemacht, die z. B. im Sommer und Herbst 1966 in den hessischen und bayerischen Landtag eingezogen sind? Ich habe nicht viel von ihnen gehört. Sie sind absorbiert worden. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, daß im Ausland u n d besonders in Israel der Eindruck entstehen könnte, da sind schon wieder diese alten Kräfte des Unheils am Werk, u n d zwar so, daß man ernsthaft von einem Wiedererstehen des Neonazismus in Deutschland sprechen könnte. Das ist ganz gewiß nicht d e r Fall. Wir sehen die Dinge differenzierter. Das Ausland natürlich, alarmiert, ist geneigt, nicht zu differenzieren. So müssen wir unsere Freunde im Ausland d a r u m bitten, objektiv zu sein u n d das deutsche Volk nicht mit einer kleinen G r u p p e von Leuten zu ver396
19.1 Frieden für das tapfere und kluge israelische Volk wechseln, die man nicht einmal einheitlich unter die Kategoerie des Neonazismus bringen kann. Frage: Die Bundesrepublik Deutschland gewährt Israel seit einigen Jahren Wirtschaftshilfe f ü r den friedlichen Aufbau. Sehen Sie Möglichkeiten, diese Unterstützung Israels durch Erweiterung des Handels zu stärken? Antwort: Die Wirtschaftshilfe an Israel ist zweifellos eine bedeutungsvolle Frage. Wir werden uns auch in Zukunft bemühen, an friedlicher Aufbauarbeit mitzuwirken. Unsere Wirtschaftsbeziehungen gehen ja weit darüber hinaus. Das Bundeswirtschaftsministerium und vor allem deutsche Einzelhandelsverbände, Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte sind ständig bemüht, den Wirtschaftsverkehr mit Israel auszuweiten. Ich bin sehr froh darüber, daß die Bundesrepublik sich zum zweit- bzw. drittgrößten Handelspartner desjungen Staates entwikkelt hat. Aus der Vielfalt der Warenströme, die hin- und hergehen, entstehen immer neue Verbindungen, die auch in der Zukunft zweifellos ihren Platz im Gesamtexport und -import beider Staaten haben werden. Frage: Israel drängt in die EWG, Herr Bundeskanzler, und die Bundesregierung hat sich bisher mit allen Kräften bemüht zu helfen. Aber wir sind nicht allein. Wir beurteilen Sie die weitere Entwicklung dieser Frage? Antwort: Die gegenwärtige Situation ist schwierig und das israelische Problem darf man nicht isoliert sehen. Sie wissen, daß wir uns d a f ü r eingesetzt hatten, daß Israel mit dem Gemeinsamen Markt verbunden wird, sei es durch eine Assoziierung oder wie immer. Dabei werden wir bleiben, aber jetzt werden wir versuchen müssen, die augenblickliche Krise zu überwinden, die durch die Diskussion über den Beitritt Großbritanniens und anderer entstanden ist. Das Problem ist bekannt. Ich kann nur hoffen, daß wir, indem wir in dieser im Vordergrund stehenden Frage vorankommen, dann auch zugleich in der Frage der israelischen Assoziierung oder der israelischen Verbindung mit dem Gemeinsamen Markt ebenfalls weiterkommen werden. Frage: Die Unruhe im Nahe Osten ist noch nicht gebannt. Die Bundesregierung hat ganz bestimmte Vorstellungen von den Beziehungen zu den Staaten dieses Raumes. Würden Sie diese im Hinblick auf Israel noch einmal präzisieren können? Antwort: Eigentlich muß ich sie sowohl im Hinblick auf Israel als auch im Hinblick auf die arabischen Staaten präzisieren. Unsere Haltung gegenüber Israel war klar und wird klar bleiben. Wir können als nicht unmittelbar Betroffene n u r mittelbar zum wichtigsten beitragen, zum Frieden in diesem Raum. Wir hoffen, daß die arabischen Staaten, die, als die Bundesregierung zu Israel diplomatische Beziehungen aufnahm, ihre Beziehungen zu uns abgebrochen haben, diese wieder aufnehmen werden. Auch das wäre ein Schritt zur Verständigung, der sich letzten Endes auch zugunsten einer Entspannung auswirken könnte. Die Bevölkerung Israels will und braucht Frieden. Und auch die arabischen Staaten brauchen diesen Frieden. Was wir dazu helfen können, diesen Frieden zu schaffen, mitzuschaffen und mitzuerhalten, das wollen wir von Herzen gerne 397
19 ZwanzigJahre Israel tun. Es gibt zu diesem Frieden n u r einen Weg: Verhandlungen. Verhandlungen, die g e f ü h r t werden in d e r Bereitschaft, nachbarlich miteinander auszukommen. Die ersten 20 J a h r e des israelischen Staates sind f ü r Israel J a h r e d a u e r n d e n Ringens u n d d a u e r n d e r Existenzsorgen gewesen. Ich möchte dem israelischen Volk f ü r seine Z u k u n f t von ganzem Herzen Frieden u n d Wohlstand wünschen, Frieden, damit es seinen bewundernswerten A u f b a u weiterführen kann. Frieden f ü r ein tapferes u n d kluges Volk. Glück u n d Frieden vor allem f ü r j e n e Familien, die in u n d nach den J a h r e n d e r Gewaltherrschaft u n d des Unheils in E u r o p a hier bei uns als Flüchtlinge in dieses Land gingen.
19.2
Botschafter Ben Natan zu den deutsch-israelischen während der 20jährigen Entwicklung Israels
Beziehungen
20 J a h r e Israel sind f ü r den Betrachter aus Deutschland gleichzeitig 20 J a h r e Bem ü h e n unserer beiden Völker auf dem Wege zueinander, nach allem, was die Nationalsozialisten d e m jüdischen Volk angetan haben. Ich habe den israelischen Botschafter in d e r Bundesrepublik, AsherBen Natan besucht, um ihn nach seinen Gedanken zum deutsch-israelischen Verhältnis zu fragen. Als Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums war er einer der ersten, d e r offizielle Kontakte mit deutschen Ministern im Zusammenhang mit Problemen a u f n a h m , die jenseits d e r Wiedergutmachungsfragen lagen. Ich frage d e n Botschafter, wie e r diese Zeit d e r deutsch-israelischen Kontakte u n d Verbindungen bewerte. Antwort: 20 J a h r e Israel von d e r Bonner Warte aus gesehen geben natürlich manche Überlegungen auf, die — wenn man sich über die Entwicklung von 20 J a h r e n in Israel selbst klar werden will —, vielleicht nicht mit denselben Akzenten gesehen werden können. 20 J a h r e Israel sind ja auch 20 J a h r e , in d e n e n das jüdische Volk das unsagbare Schicksal der vorausgegangenen J a h r e hat verarbeiten müssen. Dieses Israel, das 1948 gegründet wurde, das aus der Fülle der jüdischen Geschichte herauswuchs, war auch von den Ereignissen der vorausgegangenen 20 J a h r e in E u r o p a geprägt. Es gab dort H u n d e r t t a u s e n d e von Menschen, die aus d e r nazistischen Hölle entflohen sind, die kurz vor der G r ü n d u n g des Staates o d e r kurz danach nach Israel kamen, um dort ein neues Leben u n d gleichzeitig einen neuen Staat aufzubauen. Die Entwicklung d e r Beziehungen zu Deutschland war sicher eines d e r schwerwiegendsten u n d kompliziertesten Probleme dieses neuen j u n g e n Staates, d e n n in den ersten J a h r e n nach d e r Staatsgründung, 1948/49, in d e n J a h r e n des Krieges und der Bedrängnis — wo die Bundesrepublik als Staat auf internationaler Ebene noch gar nicht erschienen war — das waren die J a h r e , die noch so nahe an d e n furchtbaren Ereignissen lagen, daß sie nichts aufwiegen konnten, was d e m jüdischen Volk von nationalsozialistischer H a n d ange398
19.2 Deutsch-israelische Beziehungen während, der 20-jährigen Entwicklung Israels tan worden war. Ressentiments ist nicht einmal das richtige Wort. Es ist nicht tief genug, es ist zu oberflächlich, um das auszudrücken, was sowohl gefühlsmäßig als auch im rein logischen Denken die Richtung hätte ausdrücken können. Was damals klar war und was heute klar ist, zeigt, daß die Wunden, die damals geschlagen worden sind, so tief sind, daß es Generationen andauern wird, um das zu erneuern, was nicht mehr vorhanden war: menschliche Beziehungen. Und dann kam 1952. Ich glaube, daß die Tatsache bedeutsam war, daß dieser neue Staat, die Bundesrepublik Deutschland, bereit war, vor allem im moralischen Sinne das Geschehene auf sich zu nehmen, zu sagen, wir haben eine große moralische Schuld auf uns genommen, wir müssen versuchen, mit allen möglichen uns zur Verfügung stehenden Kräften dies im moralischen Sinne des Wortes gutzumachen. Den Ausdruck, den dieser Wille dann in der praktischen Verwirklichung fand, die Tatsache, daß mit großer Mehrheit das Übereinkommen von Luxemburg in der Bundesrepublik angenommen und bestätigt wurde, war ein historisches Ereignis von besonderer Schwere und Wichtigkeit, das eigentlich nachher allem anderen den Weg geebnet hat. Daß dieses Abkommen zeitlich so nahe an den furchtbaren Ereignissen lag— 1952/53 —hat in Israel eine sehr tiefschürfende Diskussion entfacht, damals sind viele Leidenschaften entbrannt. Das Abkommen wurde aber auch von der Mehrheit Israels angenommen, obwohl es klar war, daß es Dinge gibt, die nicht gutzumachen sind. So sah man doch in dem Vertrag einen Weg in die Zukunft. Die wirtschaftlichen Konsequenzen aus diesem Abkommen f ü r den sich entwickelnden Staat sind schon vielfach gewürdigt worden. Sie sind aus der Wirtschaftsentwicklung Israels in den letzten 16 Jahren nicht mehr wegzudenken. Frage: Es kamen dann vor fast drei Jahren die diplomatischen Beziehungen, und Sie haben hier in Deutschland begonnen. Sie hatten vorher im israelischen Verteidigungsministerium aber schon eine Phase miterlebt, die Shimon Peres, Ihr damaliger Vizeminister, als den eigentlichen Beginn der diplomatischen Beziehungen bezeichnet hatte. Wie sehen Sie diesen Teil der Entwicklung? Antwort: Zwischen dem Abschluß des Luxemburger Abkommens und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen hat es einige Etappen gegeben. Man muß hier hinzufügen, daß die Art, wie die Entschädigungsgesetze und die Rückerstattungsgesetze des Eigentums gehandhabt worden sind, zweifellos ein wichtiger Schritt war. Die Tatsache, daß sich normale Handelsbeziehungen aus dem Luxemburger Abkommen entwickelt haben, war ein anderes Kapitel. Dazu kam, daß es mehr und mehr Kontakte zwischen beiden Ländern gegeben hat und daß man in Israel sehen konnte, daß sich hier in der Bundesrepublik ein demokratischer Staat entwickelte, der mit der Vergangenheit völlig gebrochen hat und der in die Zukunft sieht. Doch daß die Bundesrepublik zu einem gewissen Augenblick sagte, daß sie f ü r die Sicherheit Israels auch bereit sei, mit Lieferungen einzustehen, eine Verantwortung auf sich zu nehmen, wie sie sich damals in der Waffenhilfe ausgedrückt hat, das, glaube ich, war neben der eigentlichen Hilfe — die im gegebenen Augenblick eine sehr wichtige Tat f ü r uns war— auch ein psycholo399
19 Zwanzig Jahre Israel
gischer, politisch sehr durchgreifender Eindruck f ü r unser israelisches Volk. Ich glaube, man sollte diese Ereignisse zu den wichtigsten Meilensteinen rechnen in der Entwicklung zwischen beiden Ländern." Frage: Wie sehen Sie nach dem Beginn der diplomatischen Beziehungen die Entwicklung f ü r die Zukunft der nächsten Jahre? Antwort: Die A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen, die eine Formalisierung der Verbindungen bedeutete, hat eigentlich neue Möglichkeiten geschaffen, indem sie das Instrumentarium zur Verfügung gestellt hat, um auf allen Gebieten Entwicklungen einzuleiten und neue Kontakte zu knüpfen. Ich glaube, die seither vergangenen drei J a h r e haben bewiesen, daß dies ein Weg ist, d e r richtig war und der es ermöglicht hat, mit einer großen Zuversicht in die Zukunft zu gehen. Die Tatsache zum Beispiel — sie ist schon mehrmals genannt worden — daß hier in der Bundesrepublik f ü r Israels Probleme in den schwersten Stunden, im Mai und Juni 1967, Verständnis und mehr als Verständnis, Sympathie gezeigt wurde, ist in Israel honoriert worden. In solchen Stunden registriert man, wo man Sympathie findet und wo es Zurückhaltung gibt. Gerade weil die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel trotz aller Normalisierung doch einen besonderen Charakter tragen und auch in Zukunft tragen werden, ist die Haltung, die Einstellung in der Bundesrepublik zu dem, was uns in Israel bewegt, f ü r unser Volk von so großer Bedeutung.
19.3
Die Jahresversammlung
der deutsch-israelischen
Gesellschaft
Es war ein Jahr nach dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967. Die Haltung des deutschen Volkes in jenen Tagen war auch f ü r weite Kreise in Israel etwas besonderes. So kam es, daß im darauffolgenden Sommer das Klima nicht mehr so stark von der deutschen Vergangenheit bestimmt wurde, sondern daß eine freundlichere Atmosphäre in verschiedene Bereiche deutsch-israelischer Zusammenarbeit kam. Davon war auch die Jahresversammlung der deutsch-israelischen Gesellschaft bestimmt. Am Nachmittag des 14. Mai 1968 hat in Bad Godesberg die Jahresversammlung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft stattgefunden, auf der Botschafter Ben Natan für die Arbeit dankte, die im deutschen Volk f ü r Israel während der Juni-Krise 1967 geleistet worden sei. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft habe sich an die Spitze dieser Bewegung für Israel gestellt, die entscheidenden Einfluß auf die Stimmung der israelischen Bevölkerung gegenüber Deutschland gehabt habe. Heute sei daraus eine Basis entstanden, um in der Zukunft noch enger zusammenzuarbeiten. Zur Lage in Israel betonte der Botschafter, daß sich sein Land noch nie in so guter Sicherheitsposition befunden habe wie heute, auch wenn die politische Lage allgemein schlecht sei. Aber, so sagte der Botschafter, Israel sei dem Frieden näher als je, und es zeichne sich auch der Beginn eines Vernunftsprozesses in den 400
19.3 Die Jahreshauptversammlung der deutsch-israelischen Gesellschaft arabischen Ländern ab. Die arabische Bevölkerung sehe in den von Israel besetzten Gebieten, was man ihr an Lügenpropaganda über das israelische Volk geboten habe. Es hätten sich doch etliche Kontakte zu den Arabern in Israel ergeben. Für die arabischen Politiker wie Nasser und andere sei es wichtig, jetzt die „underdog"-Situation auszunutzen. Der Deutsch-Israelischen Gesellschaft falle die Aufgabe zu, die echte Situation im Nahen Osten darzustellen. Zu den rechtsradikalen Erscheinungen in der Bundesrepublik meinte der Botschafter, daß man im Ausland wisse, daß sich die Demokratie hier mit diesen Problemen auseinandersetze. Es sei wichtig, daß die demokratischen Kräfte aus eigenem Interesse heraus alles tun, um diese Entwicklung zu bremsen. Auch hier, betonte der Botschafter, habe die Deutsch-Israelische Gesellschaft eine wichtige Aufgabe. Das Geschäftsführende Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Bundestagsabgeordnete Heinz Westphal, sprach über die Arbeit der DIG, wobei es vor allem in Zukunft darum ginge, die Begegnungen zwischen Israelis und Deutschen zu verbessern. Vorläufig fehle noch eine direkte Partnerorganisation zur Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Westphal meinte, man würde es begrüßen, sehr bald eine solche Organisation vorzufinden, um die deutsch-israelischen Begegnungen zu erleichtern und zu vertiefen. Zusammen mit der Aktion Sühnezeichen habe die DIG die Trägerschaft über eine europäisch-israelische Jugendbegegnungsstätte in Jerusalem, das bisherige „Haus Pax" übernommen, die ab Mitte dieses Jahres deutschen Gruppen f ü r Begegnungen, Tagungen und Seminare zur Verfügung stünde. Außerdem werde in Kürze die erste Ausgabe eines Mitglieder-Informationsblattes der DIG herauskommen. Zur Intensivierung der Information über Israel wolle die DIG weiterhin einen Rednerdienst aufbauen. In mehreren Städten der Bundesrepublik hätten sich in den vergangenen Monaten örtliche Arbeitsgruppen der DIG gebildet; zur Zeit gäbe es elf solcher Arbeitsgruppen. In Zukunft werde man die Arbeit der Mitgliederwerbung verstärken. Im Mai des vergangenen Jahres habe die Deutsch-Israelische Gesellschaft 545 Einzelmitglieder und 55 korporative Mitglieder in ihrem Kreis verzeichnet. Bis Mai 1968 sei die Zahl auf 960 Einzelmitglieder und 65 korporative Organisationen, Institutionen und Gruppen angestiegen. 73 Abgeordnete des Deutschen Bundestages zählten zu den Mitgliedern der Gesellschaft. Die Höhe der Spenden, die während der Juni-Krise durch die Deutsch-Israelische Gesellschaft in der Bundesrepublik gesammelt worden seien, habe 3,3 Millionen DM betragen. Um die Israel-Reisen deutscher Gruppen im Inhalt zu qualifizieren und um sie nicht „willkürlich den Reisebüros auszuliefern" werde man im Frühjahr 1969 nach zwei vorhergegangenen Israel-Seminaren f ü r Führungskräfte der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung eine „Regiefahrt" mit derartigen Führungskräften veranstalten. Geplant seien außerdem ein deutsch-israelisches Journalisten-Seminar und ein Politologen-Seminar, die im Herbst in Israel stattfinden würden. Ein Deutsch-Israelisches Jugendwerk befinde sich im Gespräch. Von der Mitgliederversammlung, zu der aus der ganzen Bundesrepublik et401
19 Zwanzig Jahre Israel
wa 100 Mitglieder erschienen waren, wurden zwei Resolutionen verabschiedet; eine zur Konfliktsituation im Nahen Osten, die andere zur Frage des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik. Die Resolutionen haben folgenden Wortlaut:
19.3.1
Resolution „Israel"
„Die Deutsch-Israelische Gesellschaft gibt der Besorgnis ihrer Mitglieder und Freunde darüber Ausdruck, daß die israelisch-arabische Konfliktsituation sich eher erneut zu verschärfen als endlich zu entspannen scheint. Angesichts der zunehmenden internationalen und auch in der Bundesrepublik feststellbaren Kritik an der israelischen Politik und angesichts einer neuerdings häufiger zu beobachtenden Gleichgültigkeit gegenüber der Kriegsgefahr im Nahen Osten hält es die DIG f ü r angebracht, nachdrücklich auf folgende klar erkennbare Tatbestände hinzuweisen: 1. An der arabischen Politik, die Existenz Israels nicht hinzunehmen, hat sich auch nach dem Junikrieg nichts geändert. Diese Politik ist auf eine Fortsetzung des Krieges und Terrors gegen Israel ausgerichtet und weiterhin von dem Bestreben gekennzeichnet, die Heimstätte des jüdischen Volkes nicht in Frieden bestehen zu lassen. Während Israel jederzeit Verhandlungsbereitschaft und Versöhnungswillen gezeigt hat, weigern sich die arabischen Mächte nach wie vor, mit Israel Verhandlungen über eine dauerhafte Friedensregelung zu führen. 2. Israel hat sich in drei von ihm selbst nicht gewollten Kriegen aus tödlicher Umklammerung, deren erklärtes Ziel der Völkermord war, befreien und einer Kette terroristischer Anschläge erwehren müssen. Deswegen Israel, also das von Aggression bedrohte jüdische Volk, als Aggressor brandmarken zu wollen, stellt eine Verkehrung der Wirklichkeit und historischen Wahrheit dar, wie sie nur aus Unkenntnis, Verblendung, Gewissenlosigkeit oder Feindschaft erwachsen kann. 3. Mit dem Fortbestehen der von Haß und Unversöhnlichkeit geprägten arabischen Politik und ihrer Rückendeckung durch die Sowjetunion besteht auch die existenzielle Bedrohung des israelischen Staates und jüdischen Volkes generell weiter. Die Notwehrsituation ist f ü r Israel generell unverändert geblieben. Nach wie vor hat Israel keine Bündnispartner, auf die es sich in der Stunde der Not stützen kann. Israel ist in seinem Sicherungs- und Selbsterhaltungsbestreben weiterhin darauf angewiesen, sich auf die eigenen Kräfte zu verlassen. 4. Von Israel zu fordern, sich ohne angemessene arabische Friedensgarantien und Gegenleistungen auf den Status quo ante zurückzuziehen, ist gleichbedeutend mit der Forderung, daß Israel im Interesse seiner Gegner und rivalisierender dritter Mächte seine Existenz freiwillig aufs Spiel setzen solle. Wer diese Forderung stellt und wer einseitig n u r die israelischen Verteidigungs- und Vorbeugungsmaßnahmen verurteilt, nicht aber wenigstens gleichermaßen die sie veranlassenden arabischen Aggressionsakte, bestärkt damit j e n e Kräfte, die sich erneut in den Wahn hineinsteigern, Israel vernichten zu müssen. Solange Israel jeder402
19.3
Die Jahreshauptversammlung
der deutsch-israelischen
Gesellschaft
zeit auf einen Angriff vorbereitet sein muß, ist schwerlich zu erwarten, daß es seine jetzt relativ günstigeren Verteidigungslinien preisgibt. 5. Der Weg zu einer dauerhaften Friedenslösung führt nicht über Krieg und Terror, führt nicht über opportunistische oder einseitig verurteilende Resolutionen, führt nicht über einseitige Vorleistungen und vorbehaltlose Annektionen. Der Weg zum Frieden führt über die Bereitschaft der Mächte, neuerlichen Bedrohungen der israelischen Existenz entgegenzutreten, und führt über die Friedensbereitschaft auch der arabischen Welt zur gemeinsamen Hinwendung auf die wirklichen Zukunftsaufgaben im Nahen Osten. Unabhängig davon, ob man die Politik Israels im einzelnen billigen will oder nicht, kann es f ü r Deutsche keine Alternative geben zu der Notwendigkeit, sich solidarisch zu bekennen zu dem Recht des jüdischen Volkes, frei und in Frieden in seiner Heimatstätte Israel zu leben. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft appelliert deshalb an die Einsicht aller demokratischen Bürger und Kräfte in Deutschland, sich dieser grundsätzlichen Solidarität mit Israel nicht zu verschließen, sondern ihr, wenn immer es nötig ist, offen Ausdruck zu geben."
19.3.2
Resolution
„Rechtsradikalismus"
„Die Deutsch-Israelische Gesellschaft sieht in der Zunahme rechtsextremistischer Tendenzen, wie sie im Wahlerfolg der NPD in Baden-Württemberg sichtbar geworden sind, ein bedenkliches Zeichen dafür, daß die gesellschafts- und bildungspolitische Entwicklung in der Bundesrepublik noch nicht dazu geführt hat, alle Teile des Volkes gegen die gefährliche politische Verirrung des Faschismus immun zu machen. Die Aufgabe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu fördern und zu vertiefen, ist erwachsen aus den besonderen Verpflichtungen, die uns Deutschen zur Überwindung der nationalsozialistischen Vergangenheit auferlegt sind. Die DIG kann deshalb gegenüber rechtsradikalen Kräften nicht passiv sein und nicht tatenlos dem Treiben dieser Kräfte zusehen. Das Engagement f ü r Israel und das antifaschistische Engagement gehören zusammen. Die DIG sieht ihre Aufgabe in dieser Hinsicht vor allem darin, wachsam mit darauf zu achten, daß die Gefahr einer fortschreitenden Stärkung rechtsradikaler Kräfte überall rechtzeitig erkannt und ihr rechtzeitig begegnet wird. Sie sieht es dabei als wesentlich an, darauf hinzuwirken, daß die nationalistischen Kräfte isoliert und disqualifiziert werden, so daß die Antidemokraten keine Macht gewinnen können. Die DIG ist eine Gesellschaft von Demokraten, in der Israelfreunde verschiedener politischer Auffassungen ihren Platz haben. Das bedeutet auch, daß die Mitgliedschaft in der DIG jegliche Förderung rechtsradikaler Organisationen ausschließt. 403
19 ZwanzigJahre Israel Angesichts der beunruhigenden Perspektive, daß in den nächsten Bundestag möglicherweise Vertreter einer rechtsradikalen, antidemokratischen und anti-israelischen Partei einziehen werden, appelliert die DIG an ihre Mitglieder und Freunde, an die Politiker, an die Wissenschaftler, Pädagogen und Theologen, an die Jugendleiter, an die Journalisten in Presse, Funk und Fernsehen, an alle, die in unserem Land Erziehungs-, Bildungs- und Informationsaufgaben erfüllen, an jeden einsichtigen, demokratisch gesinnten und politisch aktiven Bürger, den der V e r f ü h r u n g ausgesetzten alten und jungen Mitbürgern deutlich zu machen, welche gefährliche Schädigung die verschwommene, sich auf die Negation des demokratischen Staates beschränkende Polemik der rechtsradikalen Kräfte f ü r Deutschland bedeutet. Die DIG meint diesen Appell sehr ernst, auch wenn sie heute der Meinung ist, daß die antidemokratischen u n d rechtsradikalen Kräfte noch keine ernsthafte Gefahr darstellen für den Bestand der deutschen Demokratie, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung bewußt und überzeugt getragen wird."
19.4 Juli 1968 — Erinnerung an die Opfer des Widerstandes und Gedanken über den Radikalismus in diesen Jahren. Ein Gespräch mit Bundestagspräsident Dr. D. Eugen Gerstenmaier Am 3. Juli 1968 empfing mich Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier zu einem Gespräch im Bundeshaus. Die „Deutsche National-Zeitung" hatte ihn angegriffen. Es bedurfte nicht einer Rechtfertigung dieses Mannes, der seit Kriegsende, seit seiner glücklichen Errettung aus den Zuchthäusern der Nazis, vor aller Welt bekannt ist. Aber Gespräche mit Männern, die wie er Geschichte mitgestalteten in j e n e r Zeit des Mordes und des Ermordetwerdens, sind selbst Blätter zur Erläuterung der Geschichte jener Zeit, wofür wir dankbar sein müssen. Ich habe dieses Gespräch auf Tonband aufgenommen, und wir haben es ausgeschrieben. So können wir Ihnen die Worte des Präsidenten so lebendig wiedergeben, wie er sie sprach, Gedanken, die von Bedeutung sein werden f ü r die Betrachtung der vielen, weitverzweigten Wege in dem Gestrüpp dieser Zeit. Frage: Herr Präsident, die „Deutsche National-Zeitung", das Schandblatt der deutschen Publizistik, hat in großen Lettern als Headline gebracht „Aus Gerstenmaiers Vergangenheit — Das bewegte Leben des Bundestagspräsidenten". Nun, ich glaube, bewegt war es immer bei Ihnen, ruhig ist es nie gewesen, aber nicht so, wie die „Nationalzeitung" das hinzustellen versucht. Wenn man die Originalakten des Auswärtigen Amtes zur Hand nimmt, wird deutlich sichtbar, wie hier entstellt, gelogen, verdreht wird. Was haben Sie diesem Blatt des rechtsradikalen Deutschlands zu sagen? Präsident Dr. D. Gerstenmaier: Nun, die Leute wollen eben nichts dazulernen. Was ich von diesem Blatt halte, habe ich schon im Bundestag gesagt. Ich bin oft ge404
19.4 Juli 1968 — Erinnerung an die Opfer des Widerstandes fragt worden, ob es verboten werden soll oder verboten werden kann. Persönlich neige ich d e r Auffassung zu, großzügig zu sein und es nicht zu verbieten, solange das unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten immer geht. Auf der anderen Seite ist es natürlich nicht gut, sich fortgesetzt anspeien zu lassen, und das auch noch von Leuten, die immer wieder zu erkennen geben, wie wenig sie sich von Hitler und seiner Kumpanei innerlich getrennt haben. Der neueste Angriff dieser sogenannten „National-Zeitung" ist aus demselben Material und mit der gleichen Verlogenheit gemacht wie ihre früheren. Ich denke gar nicht daran, mich gegen diese ebenso niedrige wie d u m m e Schreiberei zu verteidigen. Man darf von keinem Soldaten an der Front eine Entschuldigung d a f ü r erwarten, daß er einen Tarnanzug trägt. Er ist deshalb kein Lügner, und er ist auch kein Feigling, wenn er vor dem Feind, der ihm nach dem Leben trachtet, zeitweilig in Deckung geht. Bei der ersten Gelegenheit, die sich im Reiche Hitlers sinnvoll bot, trat ich übrigens offen und auf jedes Risiko hin aus der Deckung. Die Leute, die diese Zeitung machen, wollen darauf hinaus, daß ich ein Helfershelfer des Nazismus gewesen sei. Daß das nicht wahr ist, wissen sie alle; und sie wissen auch, daß sie gegen diese Wahrheit niemals aufkommen können. Sie, die sich so gerne national und patriotisch nennen, sind so kümmerliche Charaktere, daß sie nicht wahrhaben wollen: Der deutsche Widerstand gegen Hitler hat Deutschland niemals an Hitler abgetreten und war deshalb auch darauf bedacht, das eigene Land vor Schaden zu bewahren. Ich habe gar keinen Anlaß zu verschweigen, daß ich nicht gegen Hitler war, um Stalin einen Gefallen zu tun. Ich war und bin gegen den Kommunismus ebenso wie gegen den Nazismus. Deshalb hat es zwar einen Sinn, wenn mich Ulbrichts Knechte beschimpfen. Aber Leute, die sich dabei mit ihnen im Namen des Vaterlandes verbinden, sind Dummköpfe oder es ist ihnen eben jedes Mittel recht. In trüber Gemeinschaft mit Leuten wie Schnitzler, Kaul, Norden besteht ihre einzige Weisheit in meinem Fall darin, einige Fetzen Packpapier aus der Nazizeit in Gesinnungsdokumente umzufälschen und den darin verpackten, inzwischen längst bekannten und belegten Sinn und Gehalt bewußt zu verschweigen und zu vertuschen. Mancher gute, ganz integre Mann, der mit dem Nationalsozialismus so wenig im Sinn hatte wie ich, ist mit dieser Methode gebeugt und schließlich gebrochen worden, n u r weil ihm dagegen ähnlich handfeste Beweise wie mir nicht zur Verfügung standen. Man kann eben nicht 1933 verprügelt, 1934 eingesperrt werden, 1938 aus der Universität und einem geliebten Beruf hinausfliegen, 1944 neben Stauffenberg im Mittelpunkt des Aufstandes stehen, auf die Folter gelegt, unter den Galgen gestellt und am Ende im Zuchthaus aufgelesen werden, um dann nach Jahr und T a g zum Helfershelfer Hitlers umfrisiert zu werden. Ich war sein Gegner. Aber es ist wahr: ich habe darüber mein Land so wenig aufgegeben wie es einer meiner Freunde tat oder beispielsweise Bundeskanzler Kiesinger, der meines Wissens — wie mancher seiner damaligen Kollegen — mit Hitler gar nichts im Sinn hatte. Frage: Können Sie ein Wort zu Bundeskanzler Kiesinger sagen? Präsident Dr. D. Gerstenmaier: Ich will hier nur sagen, daß der Bundeskanzler sol405
19 Zwanzig Jahre Israel chen Angriffen gegenüber deshalb in einer weniger guten Lage ist, weil ihm erspart blieb, erkannt, gefaßt und unter den Galgen gestellt zu werden. Aber daraus zu schließen, daß er ein gesinnungsmäßiger Mitläufer des Nationalsozialismus gewesen sei, das ist nicht nur ein Irrtum, sondern das ist —jedenfalls bei dem, der die Realität des totalitären Staates selber erfahren hat — mindestens eine üble Gedankenlosigkeit. Ich verstehe gut, daß den Bundeskanzler bei solchen Beleidigungen eine Verbitterung überkommt, die ihn dann schweigen läßt. Aber das Problem, auf das ich im Blick auf meine eigene Vergangenheit zu sprechen kommen möchte, stellt sich für mich ganz anders. Wenn ich zurückblikke und mir die O p f e r und Folgen der Herrschaft Hitlers vergegenwärtige, dann frage ich mich immer wieder, ob das andere Deutschland, ob wir im Widerstand denn alles getan haben, was wir nach unserer grundsätzlichen Einstellung und Erkenntnis eigentlich von uns selbst hätten verlangen müssen. Nicht andere, die selber nichts zu tun und zu wagen bereit waren — sie haben kein Recht zu dieser Frage — nein, wir selbst müssen uns diese Frage stellen. Und sie ist bitter. In Hochhuths „Stellvertreter" erscheint die Figur des SS-Führers Kurt Gerstein. Die Gestalt ist authentisch. Ihn gab es, seine Witwe lebt heute noch. Wir haben vor einigen Jahren noch Auseinandersetzungen um seine Rehabilitierung geführt, d. h. um seine Anerkennung als einen Mann des Widerstandes gegen Hitler. Dieser Kurt Gerstein trat, wie auch Niemöller bestätigt hat, als entschlossener Gegner des Nationalsozialismus in die SS ein, er erlangte in ihr eine hohe Stellung und er gewann damit Einsicht in die Verbrechen, z. B. in die mir lange nicht bekannten Massenvergasungen. Gerstein ist mir nie begegnet. Aber es ist einwandfrei bezeugt, daß er alles Mögliche gegen die Verbrecher versuchte. Ich frage mich auch heute noch wie einst, ob es nicht unsere Pflicht gewesen wäre, ähnlich wie Gerstein nach wirksameren Einflußpositionen zu suchen. Gewiß: wir hatten Canaris, Olbricht und andere militärisch wichtige Positionen. Aber dort, von wo aus man den Stoß am ehesten und frühesten hätte f ü h r e n können, in der unmittelbaren von Himmler und Bormann kontrollierten Umgebung Hitlers hatten wir niemanden. Hätten wir — ähnlich wie Gerstein—nicht auch bewußt unseren guten Namen daran wagen müssen? Meine Frage ist also nicht, ob ich zu viel bei der I r r e f ü h r u n g meiner Gegner getan habe, sondern meine Frage ist, ob wir nicht, etwa auf der Linie von Gerstein, den von uns ja doch als unabweisbar notwendig erkannten Todesstoß gegen Hitler f r ü h e r und mit größerer Aussicht auf Erfolg hätten führen können. Es mag sein, daß mancher brave Mann auch heute noch eine Gänsehaut darüber bekommt, und ich bin Gott dankbar, daß ich einer solchen Entscheidung enthoben bin. Aber dennoch: Kurt Gerstein bleibt eine Frage an uns. Waren wir bei dem miserablen Geschäft der fortgesetzten I r r e f ü h r u n g nicht viel zu sehr die Gefangenen unserer eigenen Gewissenskultur? Gewissenskultur ist schön und gut. Aber wenn andere Menschen, hilflose, einflußlose Millionen unsere moralischen — und ästhetischen — Hemmungen mit einem grauenhaften Tod bezahlen müssen, dann muß man auch mit seiner eigenen Gewissenskultur sehr kritisch zu Rat gehen. 406
19.4 Juli 1968 — Erinnerung an die Opfer des Widerstandes Zum dem Fall Beckerle: Ich erinnere mich ganz gut an ihn. Der Mann war sicher kein Bluthund. Er war auch kein großer Mann. Er gab sich rechtschaffene Mühe, um der in seinem Bewußtsein erhabenen Position eines deutschen Gesandten in Sofia in jeder Hinsicht gerecht zu werden und dabei das Wohlwollen seiner Führer in Berlin zu behalten. Beides zusammen wäre auch über die Kraft eines Stärkeren gegangen. Die Judenfrage spielte, als ich Beckerle sah, im September 1941, in Bulgarien meines Wissens überhaupt noch keine Rolle. Seine Verteidigung hätte das wissen und auf ihre unsinnige, den hohen orthodoxen Klerus schwer diskriminierende Konstruktion verzichten müssen. In dem Gespräch zwischen Beckerle und mir wurde die J u d e n f r a g e mit keinem Wort angeschnitten. Er hat darüber auch kein Wort berichtet. Weder in seinem Bericht an das Auswärtige Amt noch in seinen eigenen, handschriftlichen Aufzeichnungen hat er damals davon gesprochen. Auch einen Namen hat er nie erwähnt. Zudem wußte ich über die Judenverfolgung in Polen und Rußland im September 1941 wenig oder gar nichts. Ich glaube, daß ich davon frühestens im Winter 1942/43 etwas hörte. Damals war ich auf Betreiben Heydrichs schon längst aus dem Auswärtigen Amt verjagt. Ich erhielt meine Informationen meist von meinen Freunden aus dem Kreisauer Kreis. Aktionen wie die, zu denen sich Beckerle jetzt zu äußern hat, waren im September 1941 unbekannt. Hätte ich davon gewußt, hätte ich sicher mit einigen Metropoliten darüber gesprochen. Aber ganz gewiß in einem radikal anderen Sinn und mit dem entgegengesetzten Ergebnis, als es Beckerle heute zu behaupten wagt. Meine Verhandlungen mit Beckerle drehten sich, wie seine eigenen Berichte an das Auswärtige Amt beweisen, ausschließlich um das Verhältnis zu der orthodoxen Nationalkirche von Bulgarien. Nach meinem Besuch schrieb er — ohne meinen Namen irgendwo auch n u r zu erwähnen — als seine eigene Erkenntnis an das Auswärtige Amt nach Berlin: „Der Einfluß der bulgarischen Kirche ist zweifellos bei der breiten Masse der bulgarischen Bevölkerung sehr weitgehend. Im Gegensatz zur Regierung, die nach Auflösung der Parteien keine Verbindung zu den breiten Schichten hat, erfaßt die bulgarische Kirche über ihren hierarchischen Aufbau den letzten Bauern in Bulgarien. Ferner ist zu beachten, daß die Regierungen in Bulgarien oft wechseln, daß aber die Geistlichen, insbesondere die Metropoliten, lebenslänglich ihr Amt ausüben... Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß man diese Kirchenfrage von einem ganz besonderen Gesichtspunkt aus betrachten muß und sie nicht übersehen darf. Die Verquickung von Staat und Kirche ist doch sehr tiefgehend." Aus diesem Bericht Beckeries vom 22.9.1941, der mir erst jetzt im Archiv des Auswärtigen Amtes zu Gesicht kam, ergibt sich also, daß es mir damals glückte, ihn zu der Warnung davor zu bewegen, die orthodoxen Kirchen gleichschalten, das heißt unterwerfen zu wollen. Solche Versuche waren von ideologischen Idioten wie Himmler, Rosenberg usw. durchaus zu erwarten. Sie schon im Entstehen zu lähmen, war die Absicht 407
19 Zwanzig Jahre Israel meiner Freunde im Widerstand wie im Kirchlichen Außenamt. Deshalb mußte — insbesondere über das Auswärtige Amt und das Oberkommando der Wehrmacht — bei den Nationalsozialisten der Eindruck erweckt werden, daß sie sich gewaltig die Finger verbrennen würden, wenn sie mit den auswärtigen Kirchen dasselbe Spiel wiederholten, das sie mit den deutschen Kirchen im Kirchen kämpf gespielt hatten. J e mächtiger und kirchenfeindlicher die nationalsozialistische Führungsschicht wurde, desto notwendiger erschien es mir, zu tun was möglich war, um den Kirchen, zu denen die Deutsche Evangelische Kirche ökumenische Beziehungen unterhielt, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Unser Ziel war es, dem nationalsozialistischen Regime einen möglichst geschlossenen Block der Kirchen gegenüberzustellen. (Was Beckerle im übrigen über angeblich antikatholische Äußerungen meinerseits von sich gab, ist durch die Akten widerlegt.) Dazu war es notwendig, die ökumenischen Verbindungen dieser Kirchen zu der Genfer ökumenischen Zentrale durch den deutschen Polizeivorhang hindurch zu sichern. Ich war dazu im Kirchlichen Außenamt geblieben. Niemand zwang mich dazu. Alles, was ich dabei zur I r r e f ü h r u n g des Regimes f ü r notwendig hielt, wurde von mir unternommen, wenn auch zuweilen unter Bedenken. Ich kann nicht behaupten, daß mir das gefallen hätte. Aber danach konnte nicht gefragt werden. Was ich auch immer dabei tat: ich stehe dazu und nehme nichts davon zurück. Vor einigen Monaten lief die Meldung durch die Zeitungen, daß in einem Keller in Stockholm Akten der deutschen sozialdemokratischen Emigration gef u n d e n worden seien. Darunter fanden sich Bücher, die in Aussehen, Einband und langen Textpartien durchaus nicht antinationalsozialistisch aussahen. Wer jedoch genau hinsah, der stieß auf den originalen Kampftext der sozialdemokratischen Emigration. Zu ähnlichen Mitteln haben auch meine Freunde und ich selbst gegriffen in einer Zeit, in der es nur möglich war, tatenlos zu verstummen oder mitzumachen oder entschlossen dagegen anzugehen. Ich wüßte auch heute in gleicher Lage keinen anderen Weg. Es sei denn, man wählt das Martyrium. Respekt davor! Nur dem deutschen Widerstand mußte es noch mehr um die Rettung von Millionen Menschen gehen als um das Heil der eigenen Seele. Wir hatten es nicht auf die Märtyrerkrone abgesehen; wir wollten Bluthunde umbringen, um zu retten, was zu retten war. Das ist vielleicht nicht sehr christlich, aber gerade das war notwendig.
19.5
Israels Staatspräsident an Botschafter Knoke: „ Vertrauen Sie auf eine vielfältige Zusammenarbeit mit Israel"
Am 21. August überreichte Botschafter Karl Hermann Knoke als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland dem israelischen Staatspräsidenten Salman Schasar sein Beglaubigungsschreiben. Diesmal — im Gegensatz zu der Zeremonie 408
19.5 Vertrauen auf vielfältige Zusammenarbeit mit Israel bei der Übergabe des Beglaubigungsschreibens durch den ersten Botschafter, Dr. Pauls, fand dieses Ereignis ohne Demonstration statt. Presse und Rundfunk in Israel haben mit Wohlwollen und Vertrauen diesen Amtsantritt begrüßt. Auch das Abspielen der deutschen Nationalhymne gab zu keinerlei Demonstration Anlaß. In der Bundesrepublik wurde diese Haltung mit Dankbarkeit in den Zeitungen vermerkt. Bei der Übergabe des Beglaubigungsschreibens hielt der neue deutsche Botschafter, Karl Hermann Knoke, an den Präsidenten des Staates Israel die folgende Ansprache: „Euer Exzellenz, es ist für mich eine hohe Ehre, Eurer Exzellenz mein Beglaubigungsschreiben als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Staate Israel zu überreichen. Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland hat mich beauftragt, bei diesem Anlaß Eurer Exzellenz seine aufrichtigen Wünsche für Ihr persönliches Wohlergehen sowie eine glückliche und friedliche Zukunft des Staates Israel zu übermitteln. Dies sind auch die Wünsche meiner Regierung und des deutschen Volkes. Mein Vorgänger hat vor drei Jahren an dieser Stelle die Hoffnung ausgesprochen, daß es gelingen möge, auf dem Weg, der damals durch den Austausch von Botschaftern zwischen unseren beiden Ländern eröffnet wurde, erfolgreich voranzuschreiten. Dieser Weg ist schwierig gewesen, und er wird auch in der Zukunft — dessen bin ich mir bewußt — mühevoll sein. Die deutsche Regierung empfindet aber ein Gefühl dankbarer Genugtuung darüber, daß während der drei zurückliegenden Jahre in der Tat neue Brücken über die Abgründe geschlagen werden konnten, welche die furchtbaren Untaten eines verbrecherischen Regimes zwischen unseren beiden Völkern aufgerissen haben. Auf der Grundlage von gutem Willen und einem wachsenden gegenseitigen Verständnis hat sich ein für beide Seiten fruchtbarer Austausch in verschiedenen Bereichen angebahnt. Ich werde als meine vornehmste Aufgabe ansehen, meine Kräfte dafür einzusetzen, daß die Bindungen zwischen unseren beiden Völkern gefestigt und die Hemmnisse, welche auf dem Wege zu diesem Ziel liegen, mit Geduld überwunden werden. Es würde mich mit Zuversicht erfüllen, Exzellenz, wenn ich dabei auf Ihre wohlwollende Unterstützung rechnen dürfte." Der israelische Staatspräsident antwortete dem deutschen Botschafter: „Herr Botschafter, ich nehme von Ihnen, Exzellenz, dieses Beglaubigungsschreiben als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel entgegen und entbiete Ihnen meine besten Wünsche für eine erfolgreiche Amtsperiode in unserem Land. Ich freue mich außerordentlich über die Grußbotschaft Seiner Exzellenz des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland und ich würde dankbar sein, wenn Sie ihm meine Wünsche für sein persönliches Wohlergehen und für das Wohlergehen und den gedeihlichen Fortschritt seines Landes übermitteln würden. 409
19 Zwanzig Jahre Israel In unserem Lande haben die Überlebenden, die jüdischen Flüchtlinge aus Europa, die den Schrecken des Regimes, das Sie, Exzellenz, als Verbrechen charakterisiert haben, e n t r o n n e n sind, Heimat g e f u n d e n . Die Ausrottung d e r europäischen J u d e n stört nicht n u r die E r i n n e r u n g an die Vergangenheit: ihre Folgen bestimmen seitdem i m m e r noch die internationalen Beziehungen. Ich stelle mit G e n u g t u u n g fest, daß nach d e r A u f n a h m e d e r diplomatischen Beziehungen zwischen unseren beiden Regierungen sich die Bezieh u n g e n zwischen d e r Bundesrepublik Deutschland u n d Israel in einer positiven Weise entwickelt haben und ich möchte hoffen, d a ß sich diese Entwicklung im Laufe der Zeit noch vertieft und intensiviert. G e r n e haben wir davon Kenntnis genommen, d a ß Sie es als Ihre Aufgabe ansehen, diese V e r b i n d u n g fester zu k n ü p f e n u n d geduldig alle Schwierigkeiten, die noch k o m m e n werden, überwinden wollen. Ich verspreche Ihnen, H e r r Botschafter, daß in Erfüllung dieser I h r e r Aufgabe u n d in I h r e m B e m ü h e n , das gegenseitige Vertrauen noch stärker werden zu lassen u n d die Bindungen zwischen unseren beiden L ä n d e r n weiter zu intensivieren, Sie zuversichtlich auf die Zusammenarbeit meines Staates u n d meiner Regierung mit I h n e n auf die vielfältigste Weise vertrauen können."
410
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn
20.1
1969: Walter Scheel wird
Außenminister
Ende 1969, als der spätere Bundespräsident bereits Außenminister geworden war, gab er mir ein Interview zu dem Themenkreis einer deutschen Nahost-Politik, das letztlich dann auch wieder in der Problematik der europäischen Verflechtung Israels mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ausklang. Dieses Interview mit dem Bundesaußenminister hatte folgenden Wortlaut: Frage: Herr Minister, die erste Regierungserklärung der neuen Bundesregierung hat zur Nahost-Frage Israel nicht besonders erwähnt, wie das bereits in früheren Erklärungen geschehen war. Hatte das einen besonderen Grund? Antwort: Die Regierungserklärung war, wie Sie sich sicherlich erinnern werden, ganz überwiegend den innenpolitischen Reformfragen gewidmet. Die außenpolitischen Probleme nahmen einen geringeren Raum ein, und die Regierungserklärung beschränkte sich insoweit auf die Darstellung der großen Linien unserer Politik. Die bilateralen Beziehungen zu einzelnen Ländern wurden deshalb nur dann besonders berührt, wenn dies im Zusammenhang mit grundlegenden Fragen wie unserer Europa-Politik und Ost-Politik angebracht war. Frage: Können Sie die Formulierung der Regierungserklärung, „die Bundesregierung meint, daß es im Interesse der betroffenen Länder läge, eine Lösung zu finden, wie sie in der Entschließung des Sicherheitsrates vom 22. November 1967 angeboten wurde", etwas näher erläutern? Antwort: Die Lage im Nahen Osten, Herr Vogel, wird von der Bundesregierung und der ganzen deutschen Bevölkerung mit großer Sorge verfolgt. Wir hoffen sehr, daß es möglich sein wird, bald eine friedliche, gerechte und dauerhafte Lösung des Nahost-Konflikts zu finden. Wir begrüßen deshalb alle Bemühungen, insbesondere die der Vereinten Nationen, die zu einer solchen Lösung beitragen. In diesem Sinne erscheint uns die seinerzeit einstimmig gefaßte Entschließung des Sicherheitsrats in ihren verschiedenen Teilen nach wie vor als eine geeignete Grundlage, auf der ein Frieden herbeigeführt werden könnte. Frage: Ist es die neue Politik der Bundesregierung, mit den arabischen Staaten neue Beziehungen anzuknüpfen und muß Israel dabei befürchten, daß die Bundesregierung ihre bisherige Haltung diesem Land gegenüber ändert? Antwort: Es ist richtig, daß die Bundesregierung in der Regierungserklärung den Wunsch geäußert hat, ein gutes Verhältnis zu allen Staaten des Nahen Ostens zu unterhalten. Dies schließt naturgemäß die arabischen Staaten ein. Ich würde es jedoch f ü r falsch halten, unsere Beziehungen zu Israel immer unter dem Gesichtspunkt unserer Beziehungen zu den arabischen Ländern zu 411
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn sehen. Wie ich schon bei anderer Gelegenheit gesagt habe, wird in unserer Nahostpolitik das Bemühen um eine ausgewogene Haltung nach den verschiedenen Seiten entscheidend sein. Frage: In Israel selbst, H e r r Minister, hört man hier und da Sorgen, daß die Ostpolitik der Bundesregierung letzten Endes auch das deutsch-israelische Verhältnis indirekt belasten könnte, weil gerade in diesen Staaten ein sehr harter Kurs gegen Israel eingenommen wird. Antwort: Unsere Politik ist darauf ausgerichtet, mit allen Völkern, die dies wünschen, friedlich zusammenzuarbeiten. Die Bemühungen der Bundesregierung um einen Ausgleich mit unseren östlichen Nachbarn dienen der Entspannung in Europa. Sie gehen — was uns anlangt — nicht zu Lasten unserer Beziehungen mit anderen Staaten. Frage: Sehen Sie Chancen f ü r die deutsche Politik, in der Nahost-Frage eine Vermittlerrolle zu übernehmen, um den Völkern dieses Raumes einen gesicherten Frieden zu bereiten? Israel fordert direkte Gespräche mit seinen Nachbarstaaten, um einen echten Friedensvertrag zu erreichen. Sehen Sie besonders in dieser Hinsicht Möglichkeiten f ü r die deutsche Politik, hier helfend und unterstützend zu wirken? Antwort: O f f e n gesagt, gibt es nach meiner Meinung auf absehbare Zeit keine Chance f ü r die deutsche Politik, in der Nahost-Frage eine Vermittlerrolle zu übernehmen. Zu einer Vermittlerrolle gehört wohl vor allem, daß der Vermittler ein enges Verhältnis zu beiden Seiten eines Konflikts hat. Wir unterhalten jedoch mit der Mehrzahl der arabischen Staaten, wie Sie wissen, gegenwärtig keine diplomatischen Beziehungen. Frage: Israel bemüht sich seit langen Jahren um einen engeren Kontakt mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Wird die neue Bundesregierung den bisherigen Kurs festhalten und diese Bemühungen im Ministerrat und bei anderen Beratungen in Brüssel weiter unterstützen. Antwort: Die Bundesregierung hat am 17. Oktober 1969 einem Mandat an die EWG-Kommission zugestimmt, mit der israelischen Regierung Verhandlungen über ein Präferenzabkommen zu führen. Inzwischen haben zwei Verhandlungsrunden stattgefunden, die — wie wir wissen — im großen und ganzen zufriedenstellend verlaufen sind. Ich hoffe aufrichtig, daß es nach Klärung der restlichen Fragen bereits in der nächsten Verhandlungsrunde möglich sein wird, zum Abschluß eines Abkommens zu gelangen.
20.2
22. Februar 1970: Der israelische Außenminister Abba Eban kommt in die Bundesrepublik zu einem offiziellen Besuch
Am 22. Februar 1970 traf der israelische Außenminister Abba Eban zu einem offiziellen Besuch in der Bundesrepublik Deutschland ein. Der erste Tag galt der Bayerischen Landeshauptstadt München und der Gedenkstätte im ehemaligen 412
20.2 Der israelische Außenminister Abba Eban kommt in die Bundesrepublik Konzentrationslager Dachau, wo der israelische Minister einen Kranz niederlegte. Bei einem Empfang, den der Bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel gab, hob er das gewaltige Aufbauwerk Israels hervor „das die Menschen in Israel heute auf dem Boden ihrer Vorväter vollbringen und an dem auch wir mit Bewunderung und aufrichtiger Freude Anteil nehmen. Diese umfassende Aufbauarbeit in allen Bereichen ihrer Gesellschaft und ihres Staates, von der ich anläßlich eines Besuches in ihrem Lande persönlich tief beeindruckt war, kann auf die Dauer nur gedeihen und Früchte tragen, wenn es auch in diesem Teil der Welt gelingt, die noch immer vorherrschenden abgrundtiefen Gegensätze im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten auszugleichen und hier in einem gut nachbarlichen Verhältnis f ü r alle Menschen eine lebenswerte Zukunft zu sichern." Abba Eban erwiderte indem er sagte, daß sich in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel in den letzten Jahren ein konstruktiver Aufbau entwickelt habe, der als ein Zeichen f ü r eine kommende Gelegenheit des Zusammentreffens und des Zwiegesprächs gewertet werden könnte.
20.2.1
Die Ansprache des Präsidenten der Deutsch-Israelischen
Gesellschaft
Der nächste Tag war dem Besuch in der Bundeshauptstadt gewidmet. Das Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft gab dem israelischen Gast ein Essen. Dabei sagte der Präsident, das Mitglied des Deutschen Bundestages, Ernst Bender, in einer Ansprache: „Diese heutige Begegnung, die wir als einen besonderen Vorzug empfinden, ist f ü r viele von uns ein Wiedersehen mit Ihnen, Herr Eban, das an frühere Begegnungen anknüpft; ich selbst hatte ja noch in der vorletzten Woche erneut die Gelegenheit, mit Ihnen in Jerusalem zusammenzutreffen. Bei all diesen Gelegenheiten haben wir eine f ü r uns erfreuliche und weitgehende Übereinstimmung in den Fragen, die das deutsch-israelische Verhältnis betreffen, feststellen können. Über dieses Verhältnis ist es gerade in jüngster Zeit zu Diskussionen in unseren beiden Ländern gekommen. Die Frage wird gestellt, ob das Einmalige dieses Verhältnisses aus deutscher Sicht dennoch gegenüber den Problemen des Nahen Ostens eine Politik der Neutralität und .Normalisierung' ermögliche oder gar fordere oder ob es auch heute noch jenes besondere Verhältnis zwischen den Völkern gebe, das auch in der praktischen Politik konkrete Konsequenzen haben müsse. Der Begriff .special relationship' - eben jenes besondere Verhältnis — ist von Winston Churchill 1946 in seiner berühmten Rede am Westminster College in Missouri geprägt worden, in der er auch das Wort vom .Eisernen Vorhang' prägte, der Europa in seinem Herzen trenne. Churchill meinte damit die tiefen, andauernden Bindungen zwischen seinem Lande und den USA, die sich aus ge413
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn
meinsamer Geschichte, einer gleichlautenden Philosophie, gemeinsamen Traditionen parlamentarischer Demokratie und dem Respekt f ü r die Rechte des einzelnen ergaben. Kann man es wagen, diesen gleichen Begriff zur Grundlage der Beziehungen zwischen zwei Ländern und Völkern zu nehmen, die in so ungleich tieferer, zugleich aber in seiner Schrecklichkeit einmaliger Weise miteinander in ihrer Vergangenheit verknüpft sind? Die Deutsch-Israelische Gesellschaft kann nur f ü r sich selbst, nicht für die amtlichen Stellen der Bundesrepublik sprechen. Aber es zählt zu ihren Aufgaben, sich an dem Dialog über das Verhältnis unserer Länder, der ja nicht nur von Staat zu Staat, sondern auch von Volk zu Volk geführt werden muß, zu beteiligen. Wir verstehen uns zudem vorrangig als eine politische Vereinigung, in deren Reihen sich dementsprechend auch eine große Zahl von Parlamentariern und Regierungsmitgliedern sowie viele bedeutsame Organisationen zusammengefunden haben. Und wir wissen deshalb auch, daß unsere Arbeit einen Beitrag zur Förderung der offiziellen Beziehungen von Staat zu Staat leisten kann und bereits leisten könnte. »Special relationship': Es ist eine der Grundauffassungen dieser unserer politischen Vereinigung, daß in Gegenwart und Zukunft ein fruchtbares deutsch-israelisches Verhältnis nicht möglich ist, das nicht diese Besonderheit der Bindungen erkennt und anerkennt und damit auch zugleich ganz praktische Konsequenzen zieht. Gegenüber dem Nahost-Konflikt ist Neutralität ohnehin nicht in dem Sinne möglich, daß uns dieser Konflikt nichts angehe. Die Ereignisse in München und anderwärts haben jedermann gezeigt, daß wir jedenfalls nicht unbeteiligt sind."
20.2.2
Aus der Antwort von Außenminister Abba Eban
„Ein berühmter Autor des 18. Jahrhunderts hat einmal gesagt, alles menschliche Leben werde zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erinnerung und Hoffnung gelebt. Was die Erinnerungen betrifft, so gehen die unseres Volkes zurück auf eine ungebrochene vieltausendjährige Geschichte. Und ich weiß, welche Faszination die Geschichte des jüdischen Volkes auf die Völker der Welt ausübt. Was f ü r eine außerordentliche Geschichte ist das doch: eine Sinfonie ohne einen Augenblick der Stille, voll gewaltiger Ausbrüche der Tragik und Erlösung, voll schäumender intellektueller und geistiger Lebenskraft. Von den Griechen ist gesagt worden, was eigentlich f ü r unser Volk gilt: Dieses Volk ist dazu geboren, selbst nicht zu rasten und andere nicht rasten zu lassen. Diese unsere rastlose Geschichte ist verwoben mit der Geschichte Europas. Der Mensch ist ein geschichtsbewußtes Wesen, er ist das einzige Geschöpf, das ein Geschichtsbewußtsein besitzt, und wir alle leben in der Erfahrung. Die Erinnerung macht daher gewiß einen Teil unserer Beziehungen aus. Ein anderer Teil unserer Beziehungen ist jedoch die Hoffnung. Und wir ver414
20.2
Der israelische Außenminister Abba Eban kommt in die Bundesrepublik
suchen, die Vergangenheit zugunsten einer anderen und besseren Zukunft hinter uns zu lassen. Dies, so meine ich, ist der Sinn der Existenz dieser Gesellschaft: Das Wissen um all das, was das Verhältnis zwischen unseren beiden Völkern in der Vergangenheit zeichnete, und die Entschlossenheit, auf der Grundlage dieses Wissens und dieser Erfahrung die konstruktive und schöpferische Zukunft zu bauen, nach der wir alle streben. Sie, Herr Minister, haben viel Wesentliches gesagt über Definitionen, über Normalitäten und über Besonderheiten. Ich muß sagen, wer die Geschichte unseres Volkes liest, wird zugeben müssen, daß sie sich mit einem einzigen Wort niemals beschreiben läßt. Sie ist die unnormalste Episode in der Geschichte der Menschheit. Was immer man über Israel sagen mag, dieses Land ist einzigartig und im Grunde ohne Parallele. Und hier sind nun unsere beiden Völker, deren geschichtliche Erfahrung in nichts der anderer Völker gleicht, sowohl was ihre jeweilige nationale Existenz als auch ihr Verhältnis zueinander betrifft. Ich meine daher, daß wir unser Verhältnis als etwas völlig Neues aufbauen müssen, daß wir nicht sehr viel von anderen Beispielen lernen können, daß wir es vielmehr entsprechend unseren eigenen Erfahrungen gestalten müssen, entsprechend unseren eigenen Vorstellungen, unseren eigenen Einsichten und unseren eigenen Eigenschaften. Ich weiß, daß alle Länder Europas und die Bundesrepublik Deutschland eine Stärkung ihres Verhältnisses zu anderen Staaten des Nahen Ostens wünschen. Es gibt da jedoch einen Unterschied. Israel mischt sich da nicht in die deutsch-arabischen Beziehungen ein. Unsere Nachbarn versuchen aber leider, sich in die deutsch-israelischen Beziehungen einzumischen. Und hier können wir n u r das sagen, was ich immer zu allen Ihren Landsleuten, seien sie nun Vertreter des Staates oder Privatleute, sage: Wir müssen unser Verhältnis als etwas Eigenständiges, Getrenntes, Selbständiges bewahren, so wie Sie, in einem anderen Bereich, keine Einmischung von unserer Seite in Ihre internationale Angelegenheiten dulden werden. Das Besondere an unserem Verhältnis ist jedoch nicht n u r eine Funktion der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart. Unsere beiden Völker haben sich der Demokratie verschrieben. Wir glauben, daß Demokratie die höchste Ausdrucksform des Menschen als eines sozialen Wesens ist. Wir meinen, daß wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters der Freiheit stehen. Wir sehen diejenigen Faktoren, die zu Frieden und Sicherheit in der Welt beitragen, in gleicher Weise. Das ist der Grund, warum unser Verhältnis, das in vieler Hinsicht so dramatisch war, eine intellektuelle und emotionale Initiative bei so vielen Ihrer führenden Persönlichkeiten auslöst. Das ist der Grund, warum so viele der hervorragenden Männer, die die Bundesrepublik sowohl in ihrem nationalen Aufbau als auch in ihrem Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft geprägt haben, heute hier versammelt sind. Es gibt offenbar etwas in unserem kleinen Land, was auf viele Menschen in der ganzen Welt und insbesondere hier in Deutschland eine Faszination ausübt und Interesse und Emotionen wachruft. 415
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn Ich habe in dem Lächeln der Menschen, die ich auf den Straßen sah, etwas gelesen, was auf dieses besondere Interesse an dem Abenteuer Israel hinweist. Ich glaube, daß es die Bestimmung der neuen Generation in Ihrem wie in meinem Lande ist, eine von Vertrauen gekennzeichnete Beziehung aufzubauen. Und jedes Mal, wenn ich mit Abordnungen junger Deutscher in Israel zusammentreffe, stelle ich bei ihnen eine sehr tiefe Haltung der Ritterlichkeit zu Israels Kampf fest, wobei auch jene, die nach den Ereignissen der vierziger J a h r e geboren wurden, ein sehr feinfühliges Interesse f ü r den Hintergrund haben, vor dem sich unser Verhältnis herausgebildet hat. Herr Vorsitzender, meine Herren, die von dieser Gesellschaft geleistete Arbeit ist von entscheidender Bedeutung, weil, so meine ich, auf Grund der besonderen Verhältnisse, in denen wir gelebt haben, der Aufbau konstruktiver Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik eine der dringenden moralischen Forderungen unserer Zeit ist. Daher gebührt denjenigen Menschen in Deutschland und in Israel hoher Dank, die diesem Verhältnis so viel Nachdenken und Aufmerksamkeit widmen."
20.2.3
Bundesaußenminister
Walter Scheel in einer Tischrede
Am Abend des ersten Konferenztages hatte Bundesaußenminister Walter Scheel rund 70 Gäste zu einem festlichen Essen gebeten, bei dem u. a. auch viele Politiker anwesend waren, der ehemalige Bundeskanzler Prof. Erhard, Walter Hallstein, Dr. Kurt Birrenbach, der Vorsitzende der Bank für Gemeinwirtschaft, Walter Hesselbach, sowie der Sohn Dr. Adenauers, Dr. Max Adenauer aus Köln. In seiner Rede sagte Bundesaußenminister Walter Scheel u. a. folgendes: „Der erste offizielle Besuch eines israelischen Regierungsmitgliedes bewegt die deutsche Öffentlichkeit u n d alle, die politische Verantwortung tragen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, welch schwieriger Weg hinter uns liegt, so wird uns die Bedeutung dieses Ereignisses bewußt. Vor 25 Jahren näherte sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende. Deutschland war im Begriff, unter den letzten Schlägen des Krieges zusammenzubrechen. Das deutsche Volk e r f u h r in vollem Ausmaß erst dann von den grauenhaften Verbrechen, die in seinem Namen vor allem am jüdischen Volk begangen worden sind. Jedem verantwortungsbewußten Deutschen ist es seitdem klar, daß nur die Einsicht in die Größe dieses Verbrechens und in seine Konsequenzen dem deutschen Volk die Rückkehr in die Gemeinschaft der Völker ermöglichen könnte. Es ist das historische Verdienst Konrad Adenauers, daß er am Anfang der Geschichte dieser Republik mit der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens eine wesentliche Voraussetzung f ü r die moralische Rehabilitierung der ganzen deutschen Nation geschaffen hat. Heute rückt zunehmend eine jüngere Generation in die politische Verantwortung. Es ist eine Generation, die bei Ende des Krieges noch nicht geboren war, 416
20.2
Der israelische Außenminister Abba Eban kommt in die Bundesrepublik
oder die durch den Verlust ihrer J u g e n d selbst f ü r j e n e wahnwitzige Politik bezahlt hat. Sie weiß um die Vergangenheit und um die Tatsache, daß sie nicht aus dem Strom der Geschichte ihres Volkes heraustreten kann. Sie hat ihren Blick auch in die Zukunft gewendet u n d hofft darauf, daß sich die Beziehungen zu Israel eines Tages als das Selbstverständliche in der deutschen auswärtigen Politik einfügen werden. Der weitere Ausbau und die Vertiefung der deutsch-israelischen Beziehungen, die die Bundesregierung als eine wichtige Aufgabe betrachtet, werden uns, ich bin dessen gewiß, diesem Ziel näher bringen. Sie können versichert sein, Exzellenz, daß die Bundesregierung und das deutsche Volk mit allen aufrichtigen und rechtschaffenen Menschen weiterhin für den Frieden und f ü r das Lebensrecht aller Völker, auch Ihres Volkes, eintreten wird. Weil wir den Krieg kennengelernt haben, gelten unsere Bemühungen der Erhaltung des Friedens und dort, wo er gestört ist, seiner Wiederherstellung. Mit Sorge und Anteilnahme verfolgen wir daher die Entwicklung im Nahen Osten. Wir hoffen, daß es gelingen möge, f ü r Ihr Volk wie f ü r alle anderen Betroffenen eine friedliche, gerechte und dauerhafte Lösung des Konfliktes zu finden. Wir begrüßen und unterstützen alle Anstrengungen, die diesem Ziel dienen." 20.2.4
Aus der Antwort Abba Ebans
„...Bei unseren heutigen Gesprächen haben wir die verschiedenen Aspekte unserer Beziehungen Revue passieren lassen. Und trotz unserer Bemühungen und der unserer Mitarbeiter ist es uns nicht möglich gewesen, irgendeinen größeren Unterschied in unseren Ansichten festzustellen. Die Übereinstimmung, die zwischen uns besteht, ist also intakt. Ich bin daher sicher, daß auch in meinen morgigen Gesprächen mit Ihren Mitarbeitern und den anderen Mitgliedern der Regierung wir neue Möglichkeiten zur Vertiefung und Weiterentwicklung der konstruktiven Beziehungen, die insbesondere in den letzten Jahren zwischen uns gewachsen sind, finden werden. Die Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern sind jedoch nicht nur auf die kurze Zeitspanne begrenzt, in der zwischen uns formelle Beziehungen bestehen. Das israelische Volk hat ein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein und es hat eine einzigartige Entwicklung auf der Bühne der Weltgeschichte durchgemacht. Es gibt in der Geschichte der Menschheit nichts, was damit verglichen werden könnte. Es gibt nichts, was mit dem Epos eines kleinen Volkes verglichen werden kann, dem es gelungen ist, unter solch mühsamen Verhältnissen durch viele J a h r h u n d e r t e des Leides seine nationale Eigenständigkeit zu behaupten und zu erneuern, die unser Volk hervorgebracht hat, oder den besonderen Umständen, unter denen es wiedergeboren wurde, verglichen werden kann. Daher nimmt es nicht wunder, wenn das deutsche Volk die Entstehung des Staates Israel mit solcher Spannung und einem wachsenden Interesse verfolgt hat. H e r r Minister, Sie haben auf die besonderen und tragischen Erinnerungen hingewiesen, die wir bei unserem Versuch, eine neue Art der Beziehungen mit417
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn einander a u f z u b a u e n , mit uns tragen. Natürlich leben wir zwischen d e r Vergangenheit u n d d e r Zukunft. Aber mitj e d e m J a h r , das dahingeht, wollen wir die B e t o n u n g m e h r auf die zukünftigen H o f f n u n g e n legen u n d die E r f a h r u n g e n der Vergangenheit u n d die E r i n n e r u n g e n zur Schaffung des Friedens im Nahen Osten, in E u r o p a und in d e r Welt einsetzen. Ich bin d a h e r fest davon überzeugt, daß die Entwicklung unserer Beziehungen den dringenden moralischen Erfordernissen d e r Menscheit entspricht u n d zur Stärkung des Weltfriedens und des gegenseitigen Verstehens u n t e r den Menschen beiträgt. Der Friede ist selbstverständlich unser Hauptziel. Unser Land m u ß gewaltige Anstrengungen u n t e r n e h m e n , u m zu überleben. Wir h o f f e n , d a ß die Stärkung unserer Beziehungen zu E u r o p a und zu d e n Ländern, die d e m Gemeinsamen Markt angehören, uns helfen wird, eine n e u e u n d freie Gesellschaft zu errichten und an d e r östlichen Küste des Mittelmeeres eine Zivilisation aufzubauen, die d e r Vergangenheit dieses Volkes würdig ist. Das Volk Israels beobachtet mit natürlichem Interesse die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland u n d die dortigen B e m ü h u n g e n , eine auf Freiheit gegründete Gesellschaftsordnung zu errichten sowie die Beiträge, die die Bundesrepublik zum Aufbau eines neuen u n d vereinigten Europas leistet. Ich hoffe, d a ß unsere Gespräche heute u n d in den nächsten zwei T a g e n uns helfen werden, unsere gemeinsamen Ziele abzustecken u n d n e u e Perspektiven f ü r die künftige Zusammenarbeit zu e r ö f f n e n . Für mich ist es bewegend, dies vor einer solchen R u n d e sagen zu können, d e n n ich sehe u m diesen Tisch viele Männer versammelt, die zu diesem schwierigen u n d komplizierten, aber zugleich lebenswichtigen Prozeß beigetragen haben, d e r unsere Beziehungen auf ihren gegenwärtigen Stand g e f ü h r t hat. Wir haben allen G r u n d , mit d e m Erreichten zufrieden zu sein, insbesondere d e m Fortschritt, der seit Errichtung eines formellen Rahmens f ü r unsere Beziehungen erzielt worden ist. Sie, H e r r Minister, haben auf die staatsmännischen Anstrengungen hingewiesen, die Bundeskanzler Adenauer u n t e r n o m m e n hat, u m mit den durch den Zweiten Weltkrieg entstandenen Problemen fertig zu werden. Ich möchte an eine andere Periode in diesem Prozeß erinnern, als ein Abgesandter Bundeskanzler Erhards zu uns gekommen ist u n d wir in d e r Folge in der Lage waren, einen diplomatischen Rahmen f ü r unsere Beziehungen zu schaffen. U n d auch in d e n folgenden Regierungen mit a n d e r e n Parteien ist es möglich gewesen, hoffnungsvoll in die Z u k u n f t zu schreiten. Ich kann n u r sagen, daß diese Entwicklung noch nicht zu Ende ist. Soviel in den vergangenen f ü n f J a h r e n auch erreicht worden ist, es bleibt uns noch vieles, was wir zur Bewahrung unserer gemeinsamen Werte und zum Nutzen unserer beiderseitigen Interessen tun können, um damit auch unserem Wunsch nach einem befriedeten Mittelmeer in einem friedlichen Europa u n d in einer friedlichen Welt Ausdruck zu geben..."
418
20.4 Die Außenminister der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nehmen Stellung
20.3 Ende 1970: Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe vor der Gründung Der damalige Bundestagsabgeordnete Jürgen Wohlrabe, (CDU), machte sich im Herbst 1970 daran, eine Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe, gemeinsam mit der SPD-Abgeordneten, Frau Annemarie Renger, ins Leben zu rufen. Der damalige Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel hatte den entsprechenden Antrag genehmigt. In Jerusalem hatte Wohlrabe gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen Philipp Jenninger Gespräche mit dem Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek und dem Präsidenten der Knesset Barkad geführt, um diese Gruppierung ins Leben zu rufen. Dabei hatte der israelische Politiker deutlich gemacht, daß es ihm daran liegen würde, wenn die Führung einer solchen Gruppe besonders von jungen Abgeordneten ausginge. Der Abgeordnete Wohlrabe hatte später an alle 518 Abgeordnete ein Rundschreiben versandt, auf das sich 104 f ü r die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe angemeldet hatten. Es waren 70 Abgeordnete der CDU, 33 der SPD und ein Abgeordneter der FDP. Damit wurde die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe die drittstärkste von 15 derartigen Ländergruppierungen. In einer Präsidialsitzung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft am 16. Dezember 1970 wurde bereits über eine kooperative Mitgliedschaft dieser Gesellschaft gesprochen.
20.4 Die Außenminister der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nehmen zu den Sorgen Israels im Nahen Osten Stellung Am 13. und 14. Mai 1971 hatten sich die Außenminister der sechs Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit Ausarbeitungen ihrer Ministerialdirektoren zur Nahost-Krise befaßt. Dabei handelte es sich bei diesen Unterlagen nicht um veröffentlichte Papiere, sondern um Arbeitsstudien die im einzelnen weiter entwickelt werden. Die Behauptung, die sechs Außenminister hätten auf der Basis dieser Ausarbeitungen einer Resolution zugestimmt, hat sich nicht bewahrheitet. Der französische Außenminister Maurics Schumann gab vor der Presse die folgende Erklärung ab, die keinen Resolutionscharakter hatte: „Nachdem die Außenminister auf ihrer Zusammenkunft vom 13. Mai ihre Übereinstimmung über den ersten, vom politischen Komitee vorgelegten Bericht festgestellt haben, haben sie erneut das Problem des Nahen Ostens erörtert; dabei gingen sie von den alten und engen Bindungen aus, die Europa und die Länder dieser Region miteinander verbinden, und von den ihnen gemeinsamen Interessen. Sie sind der Ansicht, daß die Erreichung eines gerechten Friedens im Mittleren Osten f ü r Europa große Bedeutung hat. Daher begrüßen sie alle Anstrengun419
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn gen, die zu einer friedlichen Lösung des Konflikts führen, insbesondere die Verhandlungen, an denen Herr Jarring teilnimmt. Sie richten die eindringliche Auff o r d e r u n g an alle interessierten Partner, den Erfolg dieser Mission zu sichern. Sie bekräftigen erneut ihre Billigung der Resolution No. 242 des Sicherheitsrats vom 22. November 1967, die die Grundlage f ü r eine Regelung darstellt, und unterstreichen die Notwendigkeit, sie in allen Teilen anzuwenden. Die 6 Regierungen erklären sich bereit, soweit es ihre Mittel erlauben, zu gegebener Zeit einen Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilisierung des Nahen Ostens beizutragen. Sie haben an ihre Entscheidung erinnert, am 18. Mai mit den vier Beitrittskandidaten zum Gemeinsamen Markt einen Meinungsaustausch zu f ü h r e n . Sie haben das politische Komitee beauftragt, seine Arbeiten zu ergänzen und fortzusetzen unter Berücksichtigung der ständigen Entwicklung der Lage im Mittleren Osten." Der israelische Außenminister Abba Eban hatte über die nicht bekannte Resolution und die Gedanken der Außenminister harte Kritik an der deutschen Haltung geübt, sich mit dieser Linie einverstanden zu erklären und vor allem den Vorwurf erhoben, daß die Bundesregierung einer französischen Haltung, die Israel ablehne, nachgegeben habe. In der Außenministerberatung vom IS. und 14. Mai war festgelegt worden, daß auch die vier beitrittswilligen Länder zur EWG am 18. Mai von diesen Beratungen informiert werden sollen. Zu all diesen Fragen nahm der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Herr Dr. Brunner, am 19. Mai vor der Bundespressekonferenz wie folgt Stellung: „Die Konsultationen in Paris am 12. und 14. Mai haben bekanntlich eine gemeinsame Grundlage aller sechs beteiligten Staaten ergeben. Dieser gemeinsamen Grundlage haben sich die vier Beitrittskandidaten Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen auf der Besprechung in Paris am 18. Mai angeschlossen. Die allgemeine Auffassung war, daß es den Interessen Europas entspreche, wenn es an d e r Entwicklung im Nahen Osten Anteil nehme und seine Stimme gemeinsam zur Geltung bringe. Diesem Anspruch auf Mitsprache Europas müsse jedoch eine Bereitschaft entsprechen, auch Verantwortung zu übernehmen. Die Außenminister haben sich dazu bereit erklärt, indem sie ausgedrückt haben, daß sie zu gegebener Zeit einen Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Aufbau in dieser Region leisten wollten. Der politische Konsultationsmechanismus, der im Anschluß an die Münchner Konferenz vom November 1970 unter den Europäern aufgebaut worden ist, hat sich in Paris bewährt. Es liegt im Interesse aller beteiligten europäischen Länder, daß dieser Ansatz zu einer Fortentwicklung gemeinsamer europäischer Politik nicht gestört wird. Frage: Können Sie sagen, wie weit diese gemeinsame europäische Haltung von der spezifisch deutschen Haltung her entwickelt worden ist? Dr. Brunner: Alle europäischen Länder, die an der Ausarbeitung d e r Arbeitsgrundlage f ü r diese gemeinsame Linie beteiligt waren, haben ihre Meinungen 420
20.5 Äußerungen von Bundesaußenminister Scheel zu den Problemen im Nahen Osten ausgedrückt, haben sie auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Daß es einen solchen gemeinsamen Nenner gibt, zeigt, daß es sich nicht um die Meinung des einen oder des anderen Landes handelt, sondern die politischen Direktoren und die Nahostexperten haben in monatelanger gemeinsamer Arbeit eine Grundlage geschaffen. Dieses diplomatische Arbeitsdokument wird fortentwickelt werden. Das Kommunique, das der französische Außenminister als Präsident der Tagung der Presse mitgeteilt hat, drückt aus, daß von diesem Dokument Kenntnis genommen worden ist. Die politischen Direktoren werden sich aber weiter damit zu befassen haben. Frage: Hat die Bundesregierung gegenüber der israelischen Regierung jemals Zusagen gemacht, die jetzt von der Tagung in Paris nicht mehr eingehalten werden konnten? Dr. Brunner: Nein, davon kann keine Rede sein. Die Bundesregierung kann nicht eine Zusage in dem Sinn machen, daß sie einen politischen Konsultationsmechanismus, f ü r den sie immer eingetreten ist und der zu funktionieren begonnen hat, durch eine sehr drastische Form der Meinungsäußerung in den Ansätzen blockierte. Das kann nicht im Interesse der Bundesregierung liegen; das liegt auch nicht im Interesse aller an den Streitigkeiten im Nahen Osten beteiligten Länder. Die Tatsache, daß die europäischen Außenminister sich gemeinsam zu einer solchen Frage äußern, liegt unseres Erachtens im wohlverstandenen Interesse auch aller Streitparteien dieser Region und ist in sich selbst ein konsolidierendes Element."
20.5
Mai 1971: Äußerungen von Bundesaußenminister Walter Scheel vor seiner Nahost-Reise zu den Problemen im Nahen Osten
Frage-DLF (Deutschlandfunk): H e r r Minister, am Donnerstag und Freitag fanden in Paris die zweiten politischen Konsultationen der sechs EWG-Außenminister statt. Wurden Fortschritte erzielt in Richtung einer engeren politischen Zusammenarbeit, einer stärkeren außenpolitischen Solidarität? Bundesaußenminister Walter Scheel: Ja, es geht j a darum, daß zunächst eine gemeinsame Analyse zu bestimmten weltpolitischen Fragen erstellt wird und daß man dann den Versuch macht, auf der Basis einer gemeinsamen Analyse auch zu gemeinsamem Handeln zu kommen. Wir haben zwei Probleme: Zunächst einmal unsere Stellung zu den Fragen einer möglichen Konferenz über europäische Sicherheits-Probleme, die die EWG direkt angehen, und zweitens unsere Stellungnahme und unser Verhalten zum Nahost-Konflikt. Frage-DLF: Dürfen wir zunächst bei der Konferenz über europäische Sicherheit bleiben: Man hörte, daß es Differenzen zwischen den Sechs geben soll über den zweckmäßigsten Weg zu einer solchen Konferenz. Worin drücken sich diese Unterschiede aus? 421
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn Bundesaußenminister: Es gibt keine eigentlichen „Differenzen". Wenn ich mit den Gemeinsamkeiten anfangen soll: Zunächst gehen wir davon aus, daß eine Konferenz über europäische Sicherheitsfragen nur dann in die Phase der Multilateralität eintreten sollte, wenn man einen Erfolg einer solchen Konferenz erwarten kann. Und einen Erfolg kann man nur erwarten unter bestimmten politischen Voraussetzungen, in einer bestimmten politischen Atmosphäre. Es gehört zu den „atmosphärischen" Voraussetzungen zum Beispiel, daß die so schwierigen Berlinprobleme geregelt sind. Darüber gibt es volle Einstimmigkeit. Es gibt gewisse Nuancen in der Beurteilung, die aber für einen Nicht-Berufsdiplomaten überhaupt sehr schwer zu erkennen sind: ob man nämlich eine „bilaterale Exploration", wie sie jetzt betrieben wird, durch „bilaterale, präparatorische Aktivität" verlängern soll, bevor man die multilaterale Vorbereitung einer Konferenz beginnt, oder ob es hier auch schon die Möglichkeit gibt, in der exploratorischen Phase eine Teil-Multilateralität zu beginnen, oder — um es noch komplizierter zu machen —, es gibt den Begriff der „multiplen Bilateralität", wo also ganz feinsinnige Diplomaten auf den Gedanken gekommen sind, man könnte vielleicht die im Gang befindliche bilaterale Fühlungnahme über eine mögliche Konferenz an einen Ort verlegen und dann dort, an diesem Orte, sozusagen multiple, bilaterale Gespräche führen. Das ist aber alles so fein gesponnen, daß ich meine, man sollte ganz einfach sagen und dabei bleiben — und die Mitgliedstaaten sind dieser Meinung —, es hat erst Sinn, multilaterale Gespräche über eine solche Konferenz zu führen (auch über die Vorbereitung einer solchen Konferenz!), wenn ein entsprechendes politisches Klima eingetreten ist. Frage-DLF: Herr Minister, das zweite wichtige Thema bei den politischen Konsultationen in Paris — Sie erwähnten es schon —, war die Nahost-Frage, der NahostKonflikt, oder - allgemeiner gesagt - die Lage im Mittelmeer-Raum. Können Sie die Haltung der sechs EWG-Staaten präzisieren; neigen Sie mehr der Auffassung der Amerikaner zu oder der Franzosen (hier gibt es j a Unterschiede!), oder beruft man sich auf die Resolution der Vereinten Nationen? Bundesaußenminister: Zunächst einmal haben wir den Versuch gemacht, eine gemeinsame Haltung der sechs Mitgliedstaaten der EWG zu erarbeiten — auf der Basis eines Berichtes unserer Politischen Direktoren. Es ist weder die französische Meinung noch die italienische Meinung noch die luxemburgische, noch die deutsche, sondern dieses ist eine gemeinsame Meinung, die wir erarbeitet haben. Sie beruht auf der Resolution des Sicherheitsrates vom 22. November 1967. Natürlich ist in der Analyse der Politischen Direktoren auch auf Einzelheiten eingegangen worden, damit wir eine Grundlage für ein gemeinsames Verhalten erarbeiten können. Im Augenblick sind wir noch in dem Prozeß der Meinungsbildung; denn die Entwicklung geht j a auch weiter. Ich denke an die Äogm-Initiative, die einen Fortschritt gebracht hat, ich denke daran, daß jetzt nicht nur über die Gesamt-Lösung gesprochen wird, sondern auch über Teillösungen; das sind alles Entwicklungen, die wir mit großer Aufmerksamkeit und mit großer Sympathie verfolgen und die wir auf gar keinen Fall stören wollen. Wir werden zunächst mit dem bisher Erreichten am 18. Mai mit den vier beitrittsbereiten Ländern in einen 422
20.6 Die Reise Walter Scheels nach Israel Meinungsaustausch eintreten und danach selber sehen, wie wir unsere gemeinsame Haltung im Interesse einer Friedenssicherung einsetzen können. Eines ist auf jeden Fall sicher: Die europäischen Länder haben ein vitales Eigeninteresse daran, daß der Konflikt, der vor ihrer Haustüre schwellt, mit politischen Mitteln so schnell wie möglich überwunden wird, und dann kommt unsere große Aufgabe erst, nämlich nach der endgültigen Friedenssicherung dann auch diesen Frieden durch geeignete wirtschaftliche und soziale Maßnahmen zu einem dauerhaften Frieden zu machen. Frage-DLF: Herr Scheel, hier und dort wird die Sorge geäußert — und auch schon die Vermutung—, daß das deutsch-israelische Verhältnis wegen unserer Haltung zum Nahost-Konflikt Schaden nehmen könnte. Sehen Sie diese Gefahr? Bundesaußenminister: Ich sehe diese Gefahr gar nicht! Ich bin sogar sicher, daß Israel mit positivem Interesse die Rolle Europas in dieser Frage verfolgt. Es muß Israel daran gelegen sein, daß Europa endlich eine Stellungnahme erkennen läßt nicht n u r zum Konflikt selbst, sondern vor allem dazu, was die Zukunft des Mittelmeers angeht. Wir sind nun einmal durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft alle „Mittelmeer-Anrainer" geworden, und es kann uns nicht gleichgültig sein, was im Mittelmeer geschieht. Wir müssen d a f ü r sorgen, daß auch das Mittelmeer eine Region stabiler wirtschaftlicher, sozialer und politischer Verhältnisse wird.
20.6
Die Reise Walter Scheels nach Israel
Vom 7. bis 10. Juli 1971 erwiderte Bundesaußenminister Walter Scheel den Besuch seines israelischen Kollegen Abba Eban, der 1970 im Februar in der Bundesrepublik Deutschland gewesen war. Walter Scheel gab mir kurz vor Verlassen Israels ein Interview indem er die Bilanz seines Besuches zog: Bundesaußenminister Walter Scheel: Ich meine, daß es von Vorteil gewesen ist, daß ein Außenminister der Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal nach Israel gekommen ist. Man kann natürlich die Probleme eines Landes, mit dem man freundschaftliche Beziehungen unterhält, besser verstehen, wenn man das Land gesehen hat, die Menschen kennt. Nun haben es die Umstände mit sich gebracht, daß wir mit Israel zwar gute und freundschaftliche Beziehungen entwickelt haben — und weiter entwickeln —, daß aber niemals ein Außenminister der Bundesrepublik in Israel gewesen ist. Dies war der erste Besuch. Er hat dazu geführt, daß die Positionen, die beide Länder zu politischen Fragen haben, in Gesprächen, zu denen wir uns Zeit genommen haben, besser klar gemacht werden konnten. Wir haben festgestellt, daß wir in manchen Fragen dicht beieinander liegende Meinungen haben. Es gibt Probleme, bei denen sich die Meinungen Israels und der Bundesrepublik unterscheiden. Das ist natürlich, weil die Lage nicht die gleiche ist. Es kommt darauf an, daß man den Standpunkt des Partners versteht, daß man ihn auch würdigt. Es hat in der Zwischenzeit auch einige Mißverständnisse 423
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem, Regierungswechsel in Bonn über den komplizierten Zusammenhang bilateraler Beziehungen der Bundesrepublik mit Israel in den Bemühungen der europäischen Länder zu einer gemeinsamen politischen Haltung in manchen Fragen der Weltpolitik zu kommen gegeben. Diese Mißverständnisse, so meine ich, haben wir ausräumen können. Es ist jetzt klar, daß die europäischen Länder nicht etwa bei ihrem Bemühen, zum Nahost-Problem eine gemeinsame Auffassung zu erarbeiten, irgendeiner schon vorgeschriebenen Meinung irgendeines Mitgliedlandes gefolgt sind, sondern daß sie sich bemüht haben, zu einer gemeinsamen Anschauung zu kommen. Das ist naturgemäß nicht eine rein niederländische, luxemburgische, rein deutsche oder rein französische Meinung, sondern eine Meinung eigener Art, eben eine europäische Gemeinschaftsmeinung. Frage: Zum T h e m a Europa gibt es ja noch eine andere Sicht: Israel bemüht sich, über die Präferenzregelung hinaus assoziiertes Mitglied der EWG zu werden. Daraus ergibt sich die Frage: Ist der europäische Ministerrat, sind nicht die europäischen Außenminister dadurch besonders berufen, sich um dieses Problem zu kümmern? Antwort: Das ist völlig richtig. Die augenblicklichen Beziehungen Israels mit der EWG im Bereich der Handelspolitik basieren auf einem Präferenzabkommen, das die EWG mit Israel geschlossen hat. Dieses Präferenzabkommen soll nicht der letzte Grad der Entwicklung unserer Handelsbeziehungen sein, sondern eher eine erste Stufe. Bei der Komplexität der Probleme im Nahen Osten ist es verständlich, daß es eine gewisse Ausgewogenheit der Beziehungen der EWG zu all diesen Ländern geben muß und daß man erst in Etappen Beziehungen mit den einzelnen Staaten weiterentwickeln kann. Wir haben Verständnis d a f ü r — wenn ich sage wir, dann meine ich die Deutschen —, daß Israel eine nähere Zusammenarbeit mit der EWG wünscht. Wir haben insoweit auch in den Beratungen der EWG diese Wünsche Israels unterstützt. Wir glauben, daß zwischen der EWG und Israel möglichst enge wirtschaftliche Beziehungen hergestellt werden sollen. Frage: Wenn es hier in diesem Raum Frieden gibt, was wir ja alle erhoffen, wäre dann die EWG — um Ihrer Meinung zu folgen — berufen, eine Wirtschaftsunion zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten zu entwickeln, weil sich ja auch der Libanon, Ägypten und Jordanien um eine Präferenz-Assoziierungslösung mit der EWG bemühen? Antwort: Sicherlich können die europäischen Staaten den Ländern des vorderen Orients nicht vorschreiben, in welcher Weise sie ihre Beziehungen zueinander organisieren wollen. Wir können aus unseren Erfahrungen Rat erteilen und können daraufhinweisen, daß größere Wirtschaftsräume im allgemeinen dem Vorteil aller Beteiligten dienen. Wenn es einmal zu einem endgültigen Frieden in diesem Raum kommt, dann können wir eins und wollen eins: Wir wollen unsere wirtschaftliche Leistungskraft als eine Chance anbieten f ü r die wirtschaftliche Stabilsierung des ganzen Raumes, d. h. über den Rahmen der Handelspolitik hinaus auch wirtschaftliche Zusammenarbeit, Förderung von Investitionen ins Auge fassen. Das ist j a auch der eigentliche Hintergrund der Gespräche der europäischen Außenminister über unser Verhältnis zum Nahen Osten. 424
20.7 Eine Delegation des Deutschen Bundestages besucht die Knesset Frage: H e r r Minister, die Frage unserer Zusammenarbeit mit Israel war j a dadurch etwas getrübt, daß man vielleicht nicht oft genug miteinander gesprochen hat. In Ihrer Pressekonferenz haben Sie einen Satz gesagt, der positiv aufhorchen läßt. Sie sagten, Sie haben dem israelischen Außenminister, Herrn Abba Eban, vorgeschlagen, sobald er es einrichten könne, wieder nach Bonn zu kommen. Kann man diese kleine zarte Pflanze als den Beginn stetiger Konsultationen werten? Antwort: Ich möchte nicht jetzt schon den Begriff ständiger Konsultationen in die Unterhaltung einführen, weil das vielleicht zu Fehlschlüssen führen könnte. Aber ich bin davon überzeugt, daß es nützlich ist, daß sich die Verantwortlichen der beiden Regierungen in unregelmäßigen, aber nicht zu weit auseinanderliegenden Abständen sehen, vor allem die Außenminister. Das ist bisher zu gering entwickelt gewesen. H e r r Abba Eban war einmal in Bonn, und ich bin jetzt zum ersten Mal in Israel gewesen. Es wird sicherlich nützlich sein, daß man sich in der Zukunft häufiger sieht. Diesen Vorschlag habe ich meinem Gesprächspartner gemacht. Was daraus f ü r die Zukunft sich entwickeln mag, das meine ich, sollte man einem natürlichen Ablauf der Weiterentwicklung unserer Beziehungen überlassen. Frage: Noch ein abschließendes Wort zum T h e m a Kulturbeziehungen. Sie laufen ausgezeichnet, aber sie sind noch nicht formalisiert. Es gibt immer noch den Beschluß der Knesset, keine direkten Kulturbeziehungen zu Deutschland aufzunehmen. Ist das T h e m a angeschnitten worden? Wie sehen Sie es f ü r die Zukunft? Antwort: Sicherlich haben wir uns über die Kulturbeziehungen unterhalten. Ich kann dazu nur sagen, daß es uns darauf ankommt, daß sie ausgezeichnet laufen. Das können wir feststellen, das stellen unsere israelischen Partner auch fest, dabei sollten wir es belassen. Frage: Also Abbau der Formalitäten durch Realitäten? Antwort: So ist es.
20.7
Eine Delegation des Deutschen Bundestages besucht die Knesset — Ein Interview
Unter Leitung des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Carlo Schmid besuchte vom 6. bis 11. Juni 1971 auf Gegeneinladung der Knesset Israel. Im vergangenen J a h r 1970 waren Abgeordnete der Knesset zu einem Besuch nach Bonn gekommen. Über die Eindrücke und Gespräche, die die Abgeordneten der drei demokratischen Fraktionen in Israel hatten, ein Interview mit Prof. Carlo Schmid. Frage: Herr Professor Schmid, als Vizepräsident des Deutschen Bundestages haben Sie die Delegation der Abgeordneten der drei Parteien des Deutschen Bundestages geleitet, die auf Einladung der israelischen Knesset vom 6. bis 11. Juni 1971 in Israel einen Gegenbesuch abgestattet hat. Was ist Ihr genereller Eindruck von der Reise? 425
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn Professor Schmid: Ich glaube, daß die Reise, die jetzt hinter uns liegt, ergiebig gewesen ist. Wir haben nicht nur jede Möglichkeit gehabt, das Land zu sehen — und zwar nicht als Touristen, sondern zu sehen, was in dem Land geschaffen worden ist auf industriellem Gebiet, architektonisch, auf dem Gebiet der Ansiedlung von Neueinwanderern, städtebaulich usw. Es waren lauter Dinge, die in hohem Maße beeindruckend sind. Wir haben auch die Möglichkeit gehabt, mit allen Persönlichkeiten, die in Israel etwas bedeuten, zu sprechen. Wir haben gefragt und sind sehr, sehr viel gefragt worden. Um es gleich zu sagen: Die Fragen, die an uns gerichtet wurden, waren klare, einfache Fragen, keine Fangfragen, nichts, mit dem man uns etwa entlarven oder hereinlegen wollte, sondern einfach Fragen ernsthafter Männer, von Menschen gestellt, die wissen wollen, wie das eigentlich bei den anderen ist, mit denen man zu tun hat. Man wollte wissen, wie es in Deutschland mit diesem Volk steht, das auf so schmerzliche Weise mit dem jüdischen Volk verbunden ist. Man hat nicht vergessen, daß es Zeiten gab, in denen die Verbindung zwischen Juden und Deutschen eine sehr fruchtbare gewesen ist. Ich habe dieses Mal — ich bin schon oft in Israel gewesen — feststellen können, daß man die Rolle der deutschen Juden, der aus Deutschland gekommenen Juden, die ihre geistige Bildung in Deutschland gefunden haben, für sehr wohltätig und nützlich zu halten beginnt. Das war nicht immer so. Frage: Herr Professor, sind Sie bei dieser Reise auch auf das deutsch-israelische Verhältnis angesprochen worden. Diese Tage in Israel hatten doch einen sehr hohen politischen Gehalt? Professor Schmid: Sicher. Das alles beherrschende Ereignis der Fragen, die bei dieser Reise gestellt worden sind, war die Ostpolitik der Bundesregierung und dann jenes sogenannte Schumann-Papier. Dieses Papier, das bei der Sitzung der Außenminister der EWG in den vergangenen Wochen herausgekommen ist. In dieser Sitzung hat sich der Ministerrat der EWG zum ersten Mal eigentlich einmütig in der Beurteilung der außenpolitischen Möglichkeiten und Bezogenheiten über die Lage im Nahen Osten ausgesprochen. Viele Israelis sind mißtrauisch geworden. Sie meinen, die neue deutsche Ostpolitik könnte uns Deutsche dazu führen, um diese Politik für uns Deutsche ergiebiger zu machen — man muß etwas bieten — unser bisheriges Verhalten Israel gegenüber zu ändern. Ich habe ihnen gesagt, davon sei keine Rede und ich sei autorisiert, ihnen das zu sagen, daß nichts an der Ostpolitik irgendwelchen negativen oder schädlichen Einfluß auf das deutsch-israelische Verhältnis habe und haben könnte. Das zweite war — und das war nun wirklich brisant: — dem Beschluß der Außenminister der EWG liegt ein sogenanntes Arbeitspapier der politischen Direktoren der verschiedenen Außenminister zugrunde. Was dieses Papier anbelangt — das geheim ist, das noch nirgends offiziell veröffentlicht wurde, dessen Inhalt aber manche Leute zu kennen glauben, das auch die Israelis zu kennen glaubten —, enthält Ausführungen von denen die Israelis meinen, sie seien für sie nicht nur nachteilig, sondern geradezu eine Katastrophe. Das wurde ich nun nach allen Seiten hin gefragt. Als einer, der die Dinge nur vom Hören-Sagen kennt und aus Informationen aus zweiter Hand her kannte, war es für mich schwierig, Antworten zu geben, die 426
20.7 Eine Delegation des Deutschen Bundestages besucht die Knesset die Israelis überzeugten. Aber es scheint mir doch gelungen zu sein, sie zu überzeugen, daß dieses Papier — man nannte es das SchumannPapier, weil man der Meinung war, der französische Außenminister Schumann habe es den anderen aufgezwungen — sei kein Papier der Regierungen, sondern lediglich ein Papier der Beamten als Ausgangspunkt f ü r weitere noch zu f ü h r e n d e technische Beratungen. Aber ich betonte insbesondere, daß die Linie des Papiers nicht die Operationslinie der deutschen Regierung zu Israel darstelle. Frage: Man hat von Israel in diesem Zusammenhang immer wieder hören können, daß Bundesaußenminister Walter Scheel Zielscheibe dieser Angriffe wurde. Seine Reise nach Israel steht jetzt bevor. Sie haben mit Frau Ministerpräsident GoldaMeir und mit all den f ü h r e n d e n israelischen Politikern gesprochen. Wie war da die Stimmung? Professor Schmid: Die vom „Spiegel" veröffentlichte angebliche Behauptung des Außenministers Walter Scheel, wir hätten keine Nazis mehr in der Bundesregierung, also könne man uns nicht mehr erpressen, hat in Israel enorm böses Blut gemacht. Sie sagten mir, daß man überhaupt annehmen könne, Israel hätte etwas verwendet, um Deutschland zu erpressen, sei beleidigend. Ich habe in Israel gesagt, ich glaube das nicht, daß Scheel so gesprochen habe. Dieses Wort und diese Art zu denken, liege nicht in seinem Vokabular, in seiner Art zu denken. Man ist außerordentlich gespannt auf seinen Besuch am 7. Juli. Er wird dort bestimmt eine Reihe von Gesprächspartnern finden, die viele Antworten auf Fragen suchen werden. Dieser Besuch wird sicherlich ein bedeutsamer Akt werden. Bei diesem Besuch wird es auf einiges ankommen. Frage: Wie beurteilen Sie nach Ihrer Reise die Gesamtsituation zwischen Deutschland und Israel. Sie sagten, man sei hellwach bei allem, was von Deutschland gegenüber Israel getan werde. Wird man das alte Vertrauensverhältnis fortsetzen? Professor Schmid: Ich bin sicher und habe nicht den geringsten Zweifel daran, daß diese Schatten — mehr als Schatten sind es nicht — vorübergehen werden, so wie eine Wolke weiterzieht. Das wird nicht bleiben. Vielleicht führt das sogar zu einer Erneuerung der Intensität, „des sich Suchens" von beiden Seiten aus, das am Anfang dieser Politik das eigentliche Merkmal war und wirklich Segen gebracht hat. Es wird wieder werden. Entscheidend aber ist eben ein völliger Verzicht unsererseits „von schlau sein wollen". Entscheidend ist, daß man sagen muß, was man denkt, sich bemüht, nichts im Hintergrund zu halten. Das ganze ist Vertrauenssar che. Wenn Vertrauen besteht — es kommt ja nicht von selbst, insbesondere nicht nach dem, was vorausgegangen ist in den schrecklichen Zeiten —, nur dann läßt sich unter erwachsenen Menschen über komplizierte Dinge sprechen. Auch wirtschaftliche Fragen werden angeschnitten. Die Israelis wundern sich, daß so wenig deutsche Firmen Investitionen in diesem doch sehr f ü r Investitionen offenen Land vornehmen. Wir könnten doch bei ihnen so viel investieren wie bei den Arabern oder anderswo, sagten sie uns. Darüber muß man miteinander sprechen. Man muß ernsthafte Versuche unternehmen, sich zu verstehen auf beiden Seiten. Die Israelis müssen uns auch verstehen. Mein Eindruck war: Sie sind bereit dazu. Aber man muß besonders die Bedürfnisse dieses Landes und Volkes verstehen. 427
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn Es ist unvorstellbar, was dort gebaut worden ist, an Industrien geschaffen wurde. Das letzte Mal war ich vor vier Jahren in Israel. Das Land war kaum wiederzuerkennen, so hat es sich durch die Bautätigkeit und die Industrie verändert. Den größten Eindruck machte mir die unvorstellbare Gelassenheit dieses Volkes, das doch im Krieg lebt, wo doch die Fronten von gestern und die möglichen Fronten von morgen dieser doch sehr labilen Waffenstillstandslinien in Straßenbahnentfernungen von den vitalen Punkten des Landes entfernt liegen. Wer sich heute in Israel bewegt, hat nicht den Eindruck, in einem Land zu sein, daß einen großen Krieg hinter sich hat u n d das im Belagerungszustand zu leben gezwungen ist. Es ist wirklich erstaunlich. Man sieht kaum Soldaten, bestenfalls ein paar Mädchen in Uniform, aber den Eindruck eines Landes, das Etappe einer Front ist, gewinnt man dort nicht.
20.8
Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des deutschen Bundestages, Gerhard Schröder, in Israel
Am 5. September 1971 flog der frühere Außenminister der Bundesrepublik und heutige Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Dr. Gerhard Schröder, CDU, begleitet von seiner Gattin und dem Sekretär des Ausschusses, Dr. Hermann Jung, zu einem offiziellen Besuch nach Israel. Dr. Schröder hatte die Möglichkeit, nicht nur den stellvertretenden Generaldirektor des Außenministeriums, Herrn Yohanan Meroz und Außenminister Abba Eban zu sehen. Er sprach auch mit Herrn Yitzhak Navon, dem amtierenden Sprecher der Knesset. 45 Minuten lang hatte Dr. Schröder Gelegenheit, vor dem israelischen Fernsehen seine politischen Ansichten darzulegen. Er besuchte das WeizmannInstitut, die israelische Luftfahrtindustrie, wo er vom Präsidenten dieser Gesellschaft, A.W. Schwimmer, begrüßt wurde. Im militärischen Bereich traf Dr. Schröder den Brigadegeneral Shlomo Gazit, den verantwortlichen Leiter der militärischen Regierungen f ü r die besetzten Gebiete, Aharon Yariv. Der Minister f ü r diese Probleme und die Neueinwanderer, Shimon Peres, gab f ü r Minister Dr. Schröder ein Essen. Am 9. September 1971, kurz vor seinem Abflug, gab der deutsche Botschafter, Jesco von Puttkamer, ein Essen, an dem zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Israel teilnahmen. Nach seiner Rückkehr gab Dr. Schröder dem Herausgeber dieser Dokumentation das folgende Interview: Ich fragte Dr. Schröder, wie seine Eindrücke, wie seine Erlebnisse waren. Dr. Schröder: Zunächst möchte ich sagen, daß ich von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ganz außerordentlich beeindruckt bin. Wenn ich jetzt sage wirtschaftliche Entwicklung, so gilt das auch f ü r die sozialen und kulturellen Bereiche. Für die wirtschaftliche Entwicklung möchte ich hier ein einziges Faktum nennen. Es ist nach meiner Meinung eine großartige Leistung, wenn ein Land mit 428
20.8 Gerhard Schröder in Israel einer so kleinen Bevölkerung eine so bedeutende Produktion auf dem Luftfahrtgebiet zustande gebracht hat. Das Werk, das wir in Lod gesehen haben und das eine Reihe von Zweigwerken besitzt, ist in meinen Augen — ich spreche hier von dem pars pro toto — einer d e r überzeugendsten Leistungsbeweise, den es für Israel gibt. Die militärische Leistung ist sicherlich besonderer Würdigung wert. Ich möchte unter den gegebenen Umständen davon absehen. Die geographische Lage Israels und seine besonderen Gegebenheiten wirken in j e d e m Augenblick plastisch. Hier habe ich die Überzeugung gewonnen, daß auf die Versöhnung zwischen Israelis und Arabern weiter hingearbeitet werden kann. Ich glaube, daß die Politik, die betrieben wird — als Beispiel nenne ich die Verwaltung der besetzten Gebiete — gute Ansatzpunkte d a f ü r bildet, daß sich ebenfalls in absehbarer Zeit ein besseres Verhältnis zwischen Israel und seinen Nachbarn entwickeln kann. Frage: H e r r Dr. Schröder, bei uns in der Bundesrepublik werden ja zur Zeit Anstrengungen gemacht, die abgebrochenen diplomatischen Beziehungen der arabischen Staaten wieder neu einzufädeln. Glauben Sie, daß auch dieser Weg etwas f ü r die Verbesserung der Beziehungen zwischen Israelis und Arabern zu tun haben kann? Dr. Schröder: Auf diese Frage möchte ich zunächst einmal sagen, daß wir dort, wo wir diplomatische Beziehungen haben, in eine, die Konfliktlösung begünstigenden Weise hinwirken sollten. Es trifft sicherlich zu, daß unsere Beziehungen zu den arabischen Staaten heute nicht so intensiv sind, wie sie das möglicherweise bei Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen gewesen wären. Auf der anderen Seite muß man sich aber darüber klar sein, daß sich in den arabischen Ländern die Aktivität des anderen Teils Deutschlands, also der DDR, sehr stark bemerkbar gemacht hat und bemerkbar macht. Ich bin, um dies ganz offen zu sagen, kein sonderlicher Anhänger des Drängens f ü r die A u f n a h m e der diplomatischen Beziehungen mit den arabischen Staaten. Wir haben diese Beziehungen nicht abgebrochen, wir sind f ü r die Aktivität der DDR dort nicht verantwortlich. Ich sehe hier einen schwierigen Prozeß. Gleichgültig, wie dieser Prozeß ausgehen mag, ich teile die Überzeugung, die von israelischer Seite mehrfach ausgesprochen worden ist, daß sich solche Beziehungen nicht etwas zu Lasten Israels entwickeln dürfen. Natürlich kann keine Rede davon sein, daß Israel der Begründung solcher Beziehungen entgegensteht. Hier muß letztlich der deutsche Entschluß entscheidend sein. In diesem Falle muß man aber das Gegenüber von Regierung und Opposition deutlich sehen. In diesem Gegenüber spielt eine Rolle, daß es nach unserer oppositionellen Meinung nicht besonders günstig ist, die DDR auf der internationalen Szenerie auf irgendeine Weise weiter zu etablieren. Frage: Haben Sie bei Ihren politischen Gesprächen besondere Aspekte des deutsch-israelischen Verhältnisses feststellen können, auch in dieser Frage? Dr. Schröder: Die deutsch-israelischen Beziehungen haben sich im Laufe der Jahre weiter zum Guten entwickelt. Sie stehen natürlich unter dem Schatten der Ereignisse der jüngeren Geschichte unseres Landes. Es hat sicherlich keinen Sinn, wenn wir versuchen wollten, diesen Schatten zu beseitigen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß hier n u r die Arbeit durch ein gutes Heute, Morgen und 429
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn Übermorgen entscheidend sein kann. Auf israelischer Seite ist jedenfalls das Verständnis d a f ü r gewachsen, daß die gemeinsame Arbeit an vor uns liegenden Aufgaben wichtiger ist als die noch so berechtigten Klagen um die Vergangenheit. Frage: Herr Dr. Schröder, zu den diplomatischen Gesprächen in Israel gehört zweifellos auch die Frage des Einflusses der Sowjetunion im Nahost-Raum. Wie beurteilen Sie die Standfestigkeit Israels in dieser Frage? Wie beurteilt man in Jerusalem den Einfluß der Sowjets in diesem Raum, ein Einfluß, der ja weit über das deutsch-israelische Verhältnis hinausgeht? Dr. Schröder: Sie haben ganz recht, wenn Sie die Haltung der Sowjetunion in den Nahostfragen als besonders wesentlich herausstellen. Auf der anderen Seite muß man natürlich auch die Haltung der Vereinigten Staaten in Rechnung stellen. Sie sind in diesem Raum von allergrößter Bedeutung. Es ist nicht ganz leicht, ein endgültiges Urteil darüber zu gewinnen, welches die Position der Sowjetunion in diesem Bereich sein wird. Ich neige zu der Auffassung, daß die Sowjetunion in diesem Teil der Welt, wie in anderen Teilen auch, mit äußerster Vorsicht zu prozedieren geneigt ist. Deswegen möchte ich meinen, daß die Sowjetunion Lösungen nicht im Wege stehen wird, die — natürlicherweise mit ihrem Interesse vereinbart sind — mit dem Interesse einer Großmacht vereinbart sind. Ich würde aber davon ausgehen, daß die Sowjetunion — ich sage noch einmal, immer berücksichtigt, daß die Vereinigten Staaten von Amerika auf der anderen Seite dazu neigen, den jetzt gegebenen Konflikt mit einer gewissen Vorsicht und Rücksicht zu behandeln. Ich neige zu der Meinung, daß die Sowjetunion sich hier vorsichtiger verhalten wird, als das gelegentlich angenommen wird. Frage: Ö f f n u n g des Suez-Kanals, Herr Dr. Schröder, das ist das Hauptziel der Sowjetunion, wie man es an der militärischen, strategischen und der geographischen Situation ablesen kann. Glauben Sie daran, daß sich die Sowjetunion auch f ü r eine wirkliche Freiheit der Wasserstraße einsetzen wird und daß die Israelis sie ebenfalls werden frei benutzen können? Dr. Schröder: Ich glaube, daß wir das Ringen um Teillösungen niemals sehen dürfen nach dem Akzent auf den einen Partner und daß wir den anderen Partner — ich unterstreiche noch einmal die Vereinigten Staaten von Amerika — auch sehen müssen. Die eine Teillösung unter Einbeziehung des Suez-Kanals muß natürlich ausgewogen sein. Ich bin überzeugt, daß Israel sich auch zu keiner anderen Lösung verstehen würde. Ich kann mir aber eine Teillösung nur vorstellen, daß sie nicht n u r dem sowjetischen Interesse dient — davon kann sicherlich nicht die Rede sein, daß irgendeiner der Beteiligten auf eine derartige Lösung eingehen würde. Ich kann mir Lösungen vorstellen, die den Anfang einer fruchtbaren positiven Lösung des Gesamtkonflikts darstellen würden. Mit anderen Worten: Das sowjetische Interesse in diesem Raum ist ein Faktor, neben diesem einen Faktor wird es zahlreiche andere geben, die sich bei einer Lösung bemerkbar machen werden. Frage: Bei diesen Gesprächen, Herr Dr. Schröder, wird auch sicherlich das sogenannte EWG-Papier zur Nahostfrage eine Rolle gespielt haben. Wie beurteilen Sie nach Ihren direkten Gesprächen in Israel dieses Papier? 430
20.8 Gerhard Schröder in Israel Dr. Schröder: Ich bin, abgesehen von einer Pressekonferenz, auf dieses Papier im einzelnen nicht angesprochen worden. Meine Auffassung ist die, daß nicht mit einer E r ö r t e r u n g d e r EWG-Staaten dieses Problem beendet werden kann, sond e r n daß eine weitere Diskussion eines noch nicht abgeschlossenen Konfliktes stattfinden wird. Ich möchte beinahe a n n e h m e n , daß es eine p e r m a n e n t e Diskussion dieses Konfliktes geben wird. Dabei sollte es möglich sein — ich neige zu dieser Auffassung — Ergebnisse zu erzielen, auf die sich nicht n u r die E u r o p ä e r verständigen können als eine Linie ihres Handelns, sondern Ergebnisse, die keinerlei Konflikte etwa mit d e r israelischen Seite oder d e r arabischen Seite nach sich zu ziehen brauchten. Meine Antwort lautet also: Ich gehe nicht so sehr von einem Papier aus, das ein f ü r allemal abgeschlossen ist, sondern ich gehe von einer Fortsetzung der Diskussion über diese Frage aus, von der ich mir eine harmonisierend e Lösung verspreche. Frage: Haben Sie Jerusalem gesehen, die Stadt, die Israel nach d e m Sechstagekrieg eingemeindet hat? Was haben Sie f ü r einen Eindruck von d e m Gedanken: Internationalisierung des Status von Jerusalem. Glauben Sie wirklich, d a ß derartige Gedanken heute noch aktuell sein können? Dr. Schröder: Ich bin von Jerusalem u n d der Rolle, die es f ü r den Staat spielt, wie auch im Verlauf d e r ganzen Geschichte, außerordentlich beeindruckt. Das entscheidende Problem sehe ich nicht in d e m Stichwort, das Sie gerade genannt haben, Internationalisierung, sondern ich sehe es in dem freien Zugang zu d e n Heiligen Stätten f ü r die großen Teile d e r Gläubigen in d e r Welt. Ich denke, daß sich dieser freie Zugang in einer Weise wird sichern u n d garantieren lassen, die die Zustimmung der Beteiligten finden kann. Frage: H e r r Dr. Schröder, Sie waren n u r f ü n f Tage in Israel. Noch einen Satz: Wie waren Sie mit der Reise zufrieden? Dr. Schröder: Meine Eindrücke sind durchweg und durchaus positiv. Ich glaube, d a ß ich f ü r Israel und seine geschichtliche Entwicklung, seine derzeitigen Probleme, seine Leistungen u n d seinen weiteren Leistungsmöglichkeiten ein sehr viel besseres Verständnis gewonnen habe, als es noch so intensive schriftliche Studien von schriftlichen Unterlagen ergeben könnte. Ich bin aus Israel zurückgekommen mit einer großen B e w u n d e r u n g f ü r die Leistungen, die dort ganz offensichtlich zu Tage traten. Frage: Was können wir Deutsche f ü r Israel auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet tun? Dr. Schröder: Ich möchte meinen, d a ß wir die Möglichkeiten, die es f ü r eine enge Zusammenarbeit gibt, in j e d e r Weise nutzen sollen. W e n n ich sage, enge Zusammenarbeit, gehe ich davon aus, daß, j e weiter sich d e r wirtschaftliche Entwicklungsgrad eines Landes abzeichnet, es desto intensivere Beziehungen geben kann. Diese Beziehungen werden unterstützt durch vielerlei persönliche Verbind u n g e n , die es in den vergangenen J a h r e n glücklicherweise e r n e u t gegeben hat. Ich möchte hierbei einen besonderen Akzent auf die große Wissenschaftszusammenarbeit legen. Das Weizmann-\nst\t\it u m n u r dieses eine zu n e n n e n — mit seinen großartigen Einrichtungen, ist vielleicht in mancher Beziehung schon dem 431
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn voraus, was sich an Zusammenarbeit derzeit ergibt. Ich möchte hier etwas zitieren, was mir dort gesagt wurde. Es lautet etwa so: Wir sind zwar nicht oder noch nicht Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, aber auf jeden Fall sind wir ein Teil der größeren Gemeinschaft und Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet, die es in diesem Teil der Erde gibt. Das ist eine Sache, die nach meiner Meinung außerordentlich ausbaufähig ist. Frage: Und d a f ü r werden Sie sich weiterhin politisch engagieren? Dr. Schröder: Ich gehöre zu den Menschen, die das, was sie feststellen, das, was sie gefunden haben, eben zum Bestandteil ihrer politischen Arbeit machen, das gilt auch f ü r die Fragen, die ich gerade angeschnitten habe.
20.9
Bundesaußenminister Walter Scheel zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ägypten im Zweiten Deutschen Fernsehen am 8. Juni 1972
Frage: Herr Minister, die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen wird in Kairo als das Ergebnis der ausgewogenen Nahostpolitik der Bundesrepublik interpretiert. Bedeutet das nicht aber zumindest aus Kairoer Sicht, daß diese Wiederaufnahme auf Kosten Israels gehen könnte? Antwort: Nein. Die Ausgewogenheit unserer Nahostpolitik besteht eben darin, daß wir zu allen Ländern des Nahen Ostens gute Beziehungen haben wollen, d. h. die Wiederaufnahme der Beziehungen mit den arabischen Ländern geht nicht zu Lasten unserer guten Beziehungen mit Israel. Und Israel weiß das. Und unsere guten Beziehungen zu Israel beeinträchtigen nicht die Möglichkeit, mit den arabischen Ländern Beziehungen zu unterhalten und neue diplomatische Beziehungen aufzunehmen mit den Ländern, die 1965 die Beziehungen abgebrochen haben. Es ist ja eine ganze Anzahl von Ländern gewesen, und wir sind jetzt dabei, diese Lücken unserer diplomatischen Beziehungen allmählich zu schließen. Mit Ägypten ist jetzt praktisch unser diplomatischer Kontakt mit dem Mittelmeer wieder vollständig hergestellt: Wir haben damit die letzte Lücke am Mittelmeer geschlossen. Frage: Nun ist es aber kein Geheimnis, daß die Zustimmung der Bundesregierung zur EWG-Resolution, in der der Rückzug der israelischen T r u p p e n aus den besetzten Gebieten gefordert wird, eine wichtige Voraussetzung war für diese Wiederaufnahme? Antwort: Nun, die europäischen Länder sind daran interessiert, daß der Konflikt im Nahen Osten gelöst wird, und zwar mit politischen Mitteln. Und wir unterstützen deswegen alles, was dem Frieden im Nahen Osten dienen kann, vor allem die Resolution der Vereinten Nationen, des Sicherheitsrates, und auch die Mission von Herrn Jarring, der ja von den Vereinten Nationen beauftragt ist, sich darum 432
20.10 20Jahre nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens zu kümmern, daß Friedenslösungen gesucht werden. Hier sind wir mit allen Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaften eines Sinnes. Frage: Würden Sie denn sagen, daß mit dem heutigen T a g das besondere Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel zu Ende geht? Antwort: Es gibt kein besonderes Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel. Es gibt gute Beziehungen mit Israel, und zwar haben sie einen ganz besonderen geschichtlichen Hintergrund, - das glaube ich, wird jeder erkennen — aber dieses Verhältnis wird so, wie es sich entwickelt hat, bestehen bleiben und von uns weiter gepflegt werden.
20.10 20Jahre nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens Zum 10. September 1972, dem 20. Jahrestag der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens äußerte sich Bundesaußenminister Walter Scheel im Hessischen Rundfunk: Frage: Herr Minister, am 10. September j ä h r t sich zum 20. Mal der Tag der Unterzeichnung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens. Welche Bedeutung hat dieser Vertrag f ü r die deutsche Außenpolitik und ganz besonders f ü r die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen gehabt? Antwort: Im Luxemburger Abkommen vereinbarten die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel deutsche Entschädigungsleistungen, um jüdischen Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes die Eingliederung in Israel zu ermöglichen. Wir haben diese Hilfe als eine selbstverständliche Verpflichtung gegenüber den Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung empfunden und mit Genugtuung festgestellt, daß sie ihren Zweck, menschliche Not zu lindern, erfüllt hat. Sicherlich war das Luxemburger Abkommen darüber hinaus auch f ü r die deutsche Außenpolitik und die deutsch-israelischen Beziehungen von großer Bedeutung. Es hat nämlich deutlich gemacht, und zwar vor der Welt, daß Deutschland bereit war, für die nationalsozialistischen Verbrechen einzustehen und seine Verantwortung für das Schicksal der Verfolgten ernstzunehmen. Diese Haltung hat Anerkennung gefunden und dazu beigetragen, eine tragfähige Grundlage f ü r ein besseres Verhältnis des neuen Deutschland zu anderen Staaten zu schaffen. In unserem Verhältnis zu Israel läßt sich das Luxemburger Abkommen als Ausgangspunkt der beiderseitigen Beziehungen bezeichnen. Frage: Wie sind die deutsch-israelischen Beziehungen heute? Sehen Sie eine gerade Linie in der Entwicklung von damals bis zum heutigen Tage? Antwort: Die deutsch-israelischen Beziehungen waren von Beginn an von gegenseitigem Verständnis geprägt. Sie sind von beiden Seiten — das ist verständlich behutsam entwickelt worden und haben seit Anbeginn stetig Fortschritte ge433
20 Die weitere Entwicklung der Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Bonn macht. Der Austausch von Botschaftern im Jahre 1965 leitete eine Intensivierung der Beziehungen ein, die dann in verstärktem Wirtschaftsverkehr sowie vor allem auch in zunehmendem Kultur- und Jugendaustausch einen sichtbaren Ausdruck fand. Heute, 20 Jahre nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens, halte ich die deutsch-israelischen Beziehungen für gut und gefestigt. Man kann sie — um Ihre Frage wieder aufzugreifen — durchaus auch in einer einheitlichen Linie von damals bis heute sehen. Frage: Die weitere Entwicklung. Ich denke dabei besonders an den Augenblick der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu den arabischen Staaten. Dadurch ist j a der Streit, der zwischen den arabischen Staaten und der Bundesrepublik bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Israel entstanden war — ein sehr einseitiger Streit —, eigentlich aus der Welt geschafft worden. Antwort: Die weitere Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen betrachte ich gleichfalls mit Zuversicht. Ich bin davon überzeugt, daß die Vertrauensgrundlage, die wir in den vergangenen Jahren geschaffen haben, auch in der Zukunft Bestand haben wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat in letzter Zeit die diplomatischen Beziehungen zu einer Reihe von arabischen Staaten wieder aufgenommen. Wir haben wiederholt unsere Bereitschaft erklärt, zu all denjenigen Staaten des Nahen Ostens freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten, die ihrerseits eine freundschaftliche Zusammenarbeit mit uns wünschen. Diese Aufnahme freundschaftlicher Beziehungen gehen auf keinen Fall zu Lasten der Beziehungen, die wir schon haben. Mit Befriedigung können wir feststellen, daß diese Haltung in zunehmendem Maße Verständnis gefunden und auch zu positiven Ergebnissen geführt hat. Wenn wir im Nahen Osten eine ausgewogene Politik verfolgen, so bedeutet das keine Gleichgültigkeit gegenüber der dortigen Lage. Vielmehr sind wir gerade im Hinblick auf unsere eigenen Bemühungen um eine Entspannung in Europa an einer friedlichen Entwicklung auch im Nahen Osten interessiert. Deshalb möchte ich gerade an diesem 20. Jahrestag des Luxemburger Abkommens der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Probleme des Nahen Ostens in einem gerechten und in einem dauerhaften Frieden ihre Lösung finden werden.
434
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft am 5. und 6. September 1972 Ein bisher nie dagewesenes Verbrechen ereignete sich im Olympischen Dorf am 5. u n d 6. September 1972: Das Quartier d e r israelischen Olympia-Mannschaft wurde von Terroristen der PLO überfallen. Hier ein Bericht über den Ablauf des Verbrechens:
21.1
Der Ablauf des abscheulichen Verbrechens
Am 7. September 1972 veröffentlichte das Bayerische Staatsministerium des Innern eine erste Zusammenfassung über den wesentlichen Ablauf der Ereignisse im Zusammenhang mit der Geiselnahme israelischer Sportler durch arabische Terroristen am 5. September u n d in d e r Nacht vom 5. zum 6. September 1972. Seither gehen die Besprechungen zwischen d e r Bundesregierung und der Landesregierung Bayern weiter u n d auf parlamentarischer Ebene werden ähnliche Überlegungen angestellt, einen Untersuchungsausschuß zu bilden, d e r die Vorgänge bis in die letzten Einzelheiten ermittelt und aufzuklären sucht. Bundeskanzler Willy Brandt hat sich f ü r rücksichtslose O f f e n l e g u n g aller Einzelheiten ausgesprochen. A u ß e r d e m soll eine gemeinsame Dokumentation d e r Bundesregierung und d e r Bayerischen Staatsregierung zusammengestellt werden. Solange wird der n u n folgende Bericht des Bayerischen Innenministeriums die erste offizielle Darstellung bleiben. Sie hat folgenden Wortlaut: „Um 5.00 U h r u n d 3 Minuten kam die erste telefonische Meldung aus d e m Olympischen Dorf bei d e r Polizei an: ,Es wird geschossen'. Im Bau 31 sollten drei Araber auf Israelis in d e r e n U n t e r k u n f t das Feuer e r ö f f n e t haben. Einem f ü n f Minuten später e i n t r e f f e n d e n leitenden Polizeibeamten des Polizeiführungsstabes übergaben die T ä t e r ein Ultimatum mit der Forderung, 200 arabische Häftlinge freizulassen. Es w u r d e eine Frist bis 9.00 U h r gestellt. Die Polizei traf sofort umfangreiche A b s p e r r u n g s m a ß n a h m e n und verständigte alle infrage kommenden Dienststellen. Vor d e m Bau 31 wurde eine Mitarbeiterin des Ordnungsdienstes, die Kriminalbeamtin ist, postiert. Sie wurde mit einem Funkgerät ausgerüstet. Sie hatte den Auftrag, die Verbindung zur Einsatzleitung zu halten. Gleichzeitig wurden Präzisionsschützen zum Olympischen Dorf beordert. Die Lerchenauerstraße wurde f ü r d e n allgemeinen Fahrverkehr gesperrt. Eine Einsatzleitung wurde im Olympischen Dorf aufgebaut. Um 7.20 U h r traf d e r bayerische Innenminister Dr. Bruno Merk u n d kurz darauf der Bundesinnenminister Hans Dietrich Genscher im Olympischen Dorf ein. 435
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft im Jahre 1972 Nach 8.00 U h r erging die Weisung an den Polizeiführungsstab, die Befreiung der Geiseln einsatztaktisch vorzubereiten. In Verhandlungen mit den Terroristen erreichte der Polizeipräsident, daß das zunächst bis 9.00 Uhr befristete Ultimatum der Terroristen bis 12.00 Uhr verlängert wurde. Sollten bis dahin die 200 Gefangenen nicht freigelassen sein, so sollten die Geiseln erschossen werden. Ein Angebot des Polizeipräsidenten, Ersatzgeiseln zu stellen, den Tätern freies Geleit zu geben oder einen Geldbetrag in unbestimmter Höhe zur Verfügung zu stellen, wurde abgelehnt. Ebenso wurde die Bitte abgelehnt, die Zahl d e r Geiseln bis auf eine zu verringern. Die im Dorf anwesenden offiziellen Vertreter Israels wurden von der Polizei gebeten, ihre Regierung zu verständigen. Gleichzeitig wurde der Versuch gemacht, einen Vertreter der arabischen Liga zur Unterstützung der Gespräche mit den Entführern heranzuziehen. Die anwesenden Minister des Bundes und des Landes, die Vertreter der Polizei, die Vertreter der Stadt und des Olympischen Komitees beschlossen, den israelischen Botschafter zu verständigen, um eine offizielle Äußerung der israelischen Regierung zur Frage der Auslieferung von Gefangenen im Austausch gegen die Geiseln herbeizuführen. Der Ordnungsdienst wird gegen 10.00 Uhr der Polizei unterstellt, die Absperrungsmaßnahmen werden verstärkt. Kurz danach erörtern der Bundesinnenminister, der Bayerische Innenminister, der Polizeipräsident, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Brundage, der Präsident des Olympischen Komitees, Daume, und der Vizepräsident Dr. Vogel die Lage. Sie erzielten grundsätzliche Übereinstimmung in ihrer Beurteilung und der Bewertung der Risiken. Im Anschluß daran erging durch die Einsatzleitung folgender Auftrag an die Polizei: 1. Bereitstellung einer möglichst großen Zahl von Präzisionsschützen; 2. Erkunden von geeigneten Positionen und Einweisen der Schützen; 3. Bilden von 12 Sturmtrupps aus freiwilligen Beamten der Schutzpolizei und der Kriminalpolizei. Die Beamten wurden unterwiesen und entsprechend ausgerüstet. Um 11.15 U h r unterrichtete der Polizeipräsident im Pressezentrum über den Sachverhalt. Inzwischen ist der israelische Botschafter eingetroffen. Er erklärt, daß eine Freilassung von 200 Gefangenen nicht erfolgen werde und daß die Regierung Israels auf die Maßnahmen und Entscheidungen der deutschen Behörden vertraue. Der Botschafter betonte, daß es sich dabei um einen Beschluß des israelischen Kabinetts handle. Kurz vor 12.00 Uhr nimmt der Polizeipräsident in Begleitung eines Vertreters der arabischen Liga und des Chefs der ägyptischen Mission noch einmal Verhandlungen mit den Terroristen auf. Die Terroristen gewähren eine weitere Stunde Aufschub. Alle anderen Angebote werden von den Terroristen erneut abgelehnt. Die Forderung nach Freilassung der Gefangenen in Israel 436
21.1
Der Ablauf des abscheulichen Verbrechens
wird noch einmal wiederholt. Es wird angedroht, zwei der Geiseln auf dem Vorplatz vor dem Haus in Anwesenheit der Presse und des israelischen Botschafters zu erschießen, wenn der Termin nicht eingehalten werde. Eine weitere Verlängerung des Termins erscheint in diesem Zeitpunkt nicht mehr erreichbar. Von diesem Sachverhalt wurde sogleich der israelische Botschafter informiert, der den Standpunkt seiner Regierung noch einmal bekräftigte. Nach erneuten Beratungen wurde beschlossen, daß jetzt die Minister Genscher und Merk einen Versuch machen sollten, selbst mit den Tätern zu sprechen und die Freigabe der Geiseln unter bestimmten Bedingungen zu erreichen. Der Bundesinnenminister und der Bayerische Innenminister gehen zu den Entführern und erreichen eine weitere Verlängerung der Frist bis 15.00 Uhr im Hinblick auf .laufende Verhandlungen mit den israelischen Behörden'. Der Termin 15.00 Uhr wurde schließlich von den Terroristen mit der Feststellung akzeptiert, daß bei der Nichteinhaltung und der Nichtannahme der Bedingungen zwei Geiseln u m 15.00 Uhr erschossen werden. Der Polizeiführungsstab verstärkte die Kräfte der Polizei, um die äußere Absperrung noch weiter zu verstärken und Beobachtungsposten und Gruppen des Erkennungsdienstes in genügender Zahl bereitzuhaben. Gleichzeitig wurden der Leiter des vorbereiteten Sturmkommandos und der Beamte, der f ü r den Fall eines Stürmens den Auftrag hatte, die Eingangstür zu stürmen, als Köche verkleidet. Mehrere Kisten mit Essen wurden bereitgestellt. Es handelte sich um so viele Kisten, daß ein Täter allein nicht in der Lage sein konnte, sie allein in das Haus zu schaffen. Es war also auch notwendig, mit mehreren Personen, insgesamt vier, die Kisten zu dem Haus zu tragen. Ziel war es, die Örtlichkeit und die Lage der Geiseln von außen und möglichst auch von innen, genauer kennenzulernen. Die Täter waren damit einverstanden, daß den Geiseln Essen gebracht wurde, sie hatten aber erklärt, daß sie selbst davon nichts essen werden. Der Täter ließ die Beamten nicht ins Haus, er gab vielmehr den Auftrag, die Kisten in einiger Entfernung abzustellen. Er trug sie selbst einzeln ins Haus. Im Anschluß daran wurden die Sturmtrupps eingewiesen und belehrt und die Positionen der Präzisionsschützen noch einmal überprüft. Zu diesem Zeitpunkt wurde noch einmal die Auffassung von Experten des Landeskriminalamtes, eines Chemikers und eines Belüftungsexperten bekräftigt, daß der Einsatz von chemischen Mitteln in diesem Falle keinen Erfolg verspreche. Um 14.26 Uhr erreichten die beiden Minister und der Polizeipräsident unter Darlegung von technischen Schwierigkeiten der Verhandlungen mit der israelischen Regierung eine weitere Verlängerung der Frist bis 17.00 Uhr. Sie boten sich dabei f ü r einen Geiselaustausch an, der erneut abgelehnt wurde. Danach fand erneut ein Gespräch mit dem israelischen Botschafter statt, der die Haltung seiner Regierung bekräftigte, daß der geforderte Austausch nicht in Frage kommt. Er erklärte, seine Regierung lasse den Polizeibehörden freie Hand, wie sie von dieser ihrer Haltung Gebrauch mache. Im übrigen rate die israelische Regierung aus ihrer E r f a h r u n g in solchen Fällen, in jedem Fall auf Zeitge437
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft
im Jahre
1972
winn bedacht zu sein. Nach 1/2 4 Uhr f ü h r t e auch der tunesische Botschafter auf Bitten der deutschen Stellen ein Gespräch mit den Terroristen. Er konnte n u r auf die Frist um 17.00 Uhr hinweisen. Eine halbe Stunde vor Ablauf der Frist erging an die Polizei der Befehl, die Sturmposition einzunehmen. Gleichzeitig begeben sich die Minister und der Polizeipräsident erneut zu dem Gebäude 31. Jetzt fordern die Terroristen zum ersten Mal: Abflug nach Kairo mit den Geiseln. Innenminister Genscher erhielt Gelegenheit, am Fenster mit einer Geisel zu sprechen. Der Sprecher der Terroristen erklärte, daß um 17.00 U h r die Geiseln erschossen würden, um anschließend unter Mitnahme deutscher Geiseln zu flüchten. Es wurde erneut die Bitte gestellt, noch einmal mit den Geiseln reden zu können. Jetzt wird im Gespräch von den Terroristen wieder Forderung erhoben: Abflug nach Kairo mit den Geiseln. Um mit den Geiseln sprechen zu können und sich von ihrem Einverständnis zum Wegflug zu überzeugen, betrat der Bundesinnenminister mit Erlaubnis der Terroristen das Gebäude. Die Geiseln bestätigten dem Bundesinnenminister die Auskunft, die einer von ihnen schon am Fenster gegeben hatte. Sie waren mit dem Ausfliegen unter der Bedingung einverstanden, daß die Zustimmung der israelischen Regierung zum Austausch der Gefangenen am Ort der Ankunft des Flugzeuges vorliege. Der Bundesinnenminister stellte im Gebäude fest, daß neun Geiseln am Leben sind, die sich in einem kleinen Raum im ersten Stock aufhalten. Die Fenster des Raumes waren verhängt. Je drei Geiseln saßen auf einem Feldbett und waren an Händen und Füßen gefesselt. Sie wurden von zwei Terroristen, die mit schußbereiten Maschinenpistolen bewaffnet waren, bewacht. Die Terroristen waren im ganzen Haus verteilt. Um 17.15 U h r wurde das Gespräch mit den Terroristen beendet. Erneut wurde der israelische Botschafter von den Ergebnissen unterrichtet. Eine Änderung der Haltung der Israelis ergab sich nicht. Jetzt ergab sich zum ersten Mal die Möglichkeit, daß die Täter mit den Geiseln das Haus verlassen würden. Ein Angriff auf das Haus zur Befreiung der Geiseln mußte nach den inzwischen gewonnenen Erkenntnissen ohnehin ausscheiden, weil er nicht mehr kalkulierbare Risiken enthielt und nicht zur Befreiung der Geiseln hätte führen können. Der Polizeiführungsstab traf f ü r eine mögliche Befreiung außerhalb des Hauses die notwendigen polizeitaktischen Vorbereitungen. Die Sturmtrupps der Polizei wurden wieder in ihre Bereitschaftsstellungen zurückgenommen. Hubschrauber wurden bereitgestellt. Mit den Terroristen war besprochen worden, daß die Möglichkeit bestehe, sie mit Hubschraubern zu einer bereitgestellten Maschine zu fliegen. Zwei Möglichkeiten, auf diesem Wege die Geiseln zu befreien, wurden vorbereitet. Die erste Möglichkeit war, auf dem Wege von der Unterkunft zu den Hubschraubern im sog. Basement des Olympischen Dorfes die Geiseln dadurch zu befreien, daß die Täter kampfunfähig gemacht werden. Für den Fall, daß dies nicht möglich wäre, weil die Geiseln zu sehr gefährdet würden, war als zweite Möglichkeit der Versuch zur Befreiung der Geiseln auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck vor dem Einsteigen in die Maschine nach dem Verlassen der Hub438
21.1
Der Ablauf des abscheulichen Verbrechens
schrauber vorgesehen. Fürstenfeldbruck wurde ausgewählt, weil dort die Bedingungen günstiger waren als an anderen Plätzen. Es wurde auch Vorsorge f ü r den Fall getroffen, daß die Terroristen die Hubschrauber z. B. zum Flughafen Riem umdirigieren würden. Für beide Fälle wurden die notwendigen polizeilichen Vorbereitungen getroffen. Kurz vor 18.00 Uhr wurde ein Teil der Polizeiführung nach Fürstenfeldbruck geschickt. Bei erneuten Verhandlungen mit den Attentätern gegen 18.30 Uhr baten die Attentäter darum, mit einem Bus statt mit Hubschraubern zu dem Flugzeug gebracht zu werden. Diese Forderung wurde abgelehnt, weil sonst den Attentätern Gelegenheit gegeben worden wäre, mit dem Bus unmittelbar an das Flugzeug heranzufahren und die Geiseln einzeln in das Flugzeug zu transportieren. Außerdem bestand die Gefahr, daß die Attentäter weitere Geiseln nehmen könnten. Schließlich wäre damit eine erhebliche Gefährdung Dritter verbunden gewesen; denn es hatten sich große Menschenmassen vor dem Olympischen Dorf angesammelt. Bei diesen Verhandlungen wurde auch versucht, den Termin 19.00 Uhr weiter zu verlängern mit der Begründung, daß das Flugzeug noch nicht zur Verfügung stehe. Das gelang auch. Das Ultimatum wurde bis 21.00 Uhr verlängert. Das gab die Möglichkeit f ü r die Minister und den Polizeipräsidenten, anschließend nach Fürstenfeldbruck zu fliegen, um die Örtlichkeiten zu besichtigen. Bei den Verhandlungen mit den Terroristen war vereinbart worden, daß sie mit Hubschraubern nach Fürstenfeldbruck geflogen werden. Dort sollte eine Maschine für sie bereit stehen. Nach der Rückkehr des Ministers und des Polizeipräsidenten gingen diese mit dem A n f ü h r e r der Terroristen den Weg von der Unterkunft zu den Hubschraubern ab. Der Polizeipräsident ging zum Einweisen der Gruppe voraus. Im Basement hatte die Polizei, wie gesagt, alle Vorbereitungen zur Rettung der Geiseln getroffen f ü r den Fall, daß sich dort eine Chance zum Einschreiten bieten sollte. Ein solches Eingreifen wurde nicht möglich, weil die Täter einen Bus forderten, um damit zu den Hubschraubern zu fahren. Der Bus mußte auf Verlangen der Terroristen noch einmal ausgetauscht werden. Auch das zeigt, daß es sich um Profis handelte. Inzwischen wurde eine Maschine der Lufthansa bereitgestellt, die Besatzung verließ das Flugzeug. Gegen 21.50 U h r wurden die Piloten der Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes informiert und angewiesen, nach der Landung der Hubschrauber in Fürstenfeldbruck rasch die Türen zu öffnen und sich schnell zu entfernen. Um 22.06 Uhr fahren die Attentäter und die Geiseln in dem Bus zu den Hubschraubern. Es werden gezählt: 8 schwer bewaffnete Täter und 9 Geiseln. Die Hubschrauber starteten um 22.22 Uhr. Über die Vorbereitungen in Fürstenfeldbruck ist noch zu sagen, daß die Maschine der Lufthansa mit einer Crew aus verkleideten Polizeibeamten besetzt war. Ein Kampf in der Maschine mit den Terroristen, die mit Handgranaten und Ma439
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft im Jahre 1972 schinenpistolen bewaffnet waren, mußte d e n Beamten in d e r Maschine als .Todeskommando' erscheinen. Es war nicht auszuschließen, d a ß m e h r e r e Polizeibeamte bei einer solchen Aktion getötet werden würden. Daher wurde die .Besatzung' des Flugzeuges von d e r Einsatzleitung d e r Polizei wieder zurückgezogen. U m 22.35 U h r , also kurz nachdem d e r andere Hubschrauber mit d e n Ministern u n d d e m Polizeipräsidenten gelandet war, setzten die beiden Hubschrauber mit den Terroristen u n d d e n Geiseln an Bord in Fürstenfeldbruck auf d e m Flugplatz auf. Die Hubschrauber wurden d u r c h Polizeibeamte, die als Flughafenpersonal verkleidet waren, eingewiesen. Sie standen ca. 35 m von dem Flugh a f e n g e b ä u d e entfernt. Die E n t f e r n u n g zu d e r bereitgestellten Maschine d e r Lufthansa betrug ca. 100 m. Aus j e d e m d e r beiden Hubschrauber stieg zunächst ein Terrorist aus. Die beiden Terroristen gingen im Abstand von ca. 30 m voneinander in Richtung auf die Verkehrsmaschine. Aus j e d e m der Hubschrauber stieg d a n n ein weiterer Terrorist aus u n d b e d r o h t e die ebenfalls ausgestiegenen u n d neben den H u b schraubern stehenden Besatzung mit Maschinenpistolen. Der Raum zwischen den Hubschraubern und d e r Maschine d e r Lufthansa war mit drei Lichtgiraffen sehr hell ausgeleuchtet. Die beiden zuerst ausgestiegenen Terroristen erreichten das Flugzeug, gingen hinein, kamen wieder heraus und bewegten sich in Richt u n g zurück auf die Hubschrauber. Als sie m e h r als die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, e r ö f f n e t e n die Präzisionsschützen der Polizei das Feuer. Zu diesem Zeitpunkt konnte die größtmögliche Zahl von Terroristen ausgeschaltet werden. Die beiden Bewacher der Hubschrauberbesatzungen fielen sofort getroffen zu Boden. Von den beiden a n d e r e n wurde einer erst nach einigen Schüssen getroffen, während es dem anderen, offenbar d e r A n f ü h r e r d e r Terroristen gelang, unter dem nächsten Hubschrauber in Deckung zu gehen. Die Terroristen erwiderten sofort das Feuer mit Maschinenpistolen auf den Tower. Dabei wurde ein Polizeibeamter der Landeshauptstadt München, Polizeiobermeister Fliegerbauer, tödlich getroffen. A u ß e r d e m wurde die Funkeinrichtung des T o w e r durch einen T r e f f e r außer Betrieb gesetzt. Gegen 22.50 U h r wurden die Terroristen über Handlautsprecher in deutscher, englischer und arabischer Sprache aufgefordert, die Waffen wegzuwerfen und sich zu ergeben. Inzwischen eingetroffene gepanzerte Fahrzeuge d e r Polizei erhielten d e n Auftrag, noch Widerstand leistende Terroristen auszuschalten. Angesichts d e r Aussichtslosigkeit ihrer Lage sprang kurz nach Mitternacht einer d e r Terroristen aus d e m einen Hubschrauber, zündete eine Handgranate, warf sie in den Hubschrauber zurück und versuchte, in die Dunkelheit zu entkommen. Dabei wurde er von einem Präzisionsschützen der Polizei tödlich getroffen. Ebenso erging es dem aus seiner Deckung u n t e r dem Hubschrauber hervorbrechenden A n f ü h r e r der Terroristen. Der Hubschrauber geriet in Brand. Die Flughafenfeuerwehr rückte aus und löschte das Feuer. Anschließend wurden von d e r Polizei drei Terroristen in und neben den Hubschraubern festgenommen. In den Hubschraubern f a n d e n die Beamten d e r Polizei in einem Hubschrau440
21.2 Bekundungen der Bestürzung und der Trauer offizieller Persönlichkeiten
ber fünf tote Geiseln, in dem anderen Hubschrauber vier tote Geiseln. Zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise die Geiseln ums Leben gekommen sind, wird erst der Obduktionsbefund ergeben."
21.2 Bekundungen der Bestürzung und der Trauer führender Persönlichkeiten 21.2.1
Telegramme des Bundespräsidenten Israel
an den Präsidenten des Staates
Der Bundespräsident sandte an den Präsidenten des Staates Israel, Salman Schasar, folgendes Telegramm: „Zu dem verbrecherischen Anschlag auf israelische Olympiateilnehmer, von denen zwei den Tod fanden, spreche ich Eurer Exzellenz und den Angehörigen der Opfer meine tiefempfundene Anteilnahme aus. Das deutsche Volk teilt mit mir die Bestürzung und Empörung, die ich über den Anschlag gegen Sportler aus Ihrem Volk und gegen den olympischen Frieden empfinde. Gustav W. Heinemann, Präsident der Bundesrepublik Deutschland" Nach dem Tod der Geiseln am 6. September 1972 telegrafierte der Bundespräsident erneut an das israelische Staatsoberhaupt: „Erschüttert von den entsetzlichen Ereignissen, die unser aller H o f f n u n g auf Rettung der noch in verbrecherischer Terroristenhand befindlichen israelischen Sportler ein jähes Ende setzten, spreche ich Eurer Exzellenz meine zutiefst empfundene Anteilnahme aus. Mit mir teilt das deutsche Volk den Schmerz, der Sie, das israelische Volk, besonders die Angehörigen der Opfer, ja die ganze zivilisierte Menschheit bewegt. Die Welt, die den friedlichen sportlichen Wettkampf der Jugend verfolgt, ist tief vom Schlag des unberechenbaren und heimtückischen Terrors getroffen. Möge unser aller Streben nach Versöhnung diesem Terror, wo immer er auch auftritt, nicht erliegen, sondern den Haß überwinden und den Frieden stärken. Gustav W.
Heinemann
Präsident der Bundesrepublik Deutschland" 21.2.2
Telegramme des Bundeskanzlers
an Ministerpräsidentin
Golda Meir
Der Bundeskanzler sandte an den israelischen Ministerpräsidenten, Frau Golda Meir, nach Bekanntwerden des Anschlags auf das israelische olympische Quartier folgendes Telegramm: 441
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft im Jahre 1972 „Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin! Mit großer Bestürzung habe ich die Nachricht über den empörenden Anschlag in München erhalten. Mit meiner aufrichtigen Anteilnahme verbinde ich die Versicherung, daß die Bundesregierung alles in ihrer Kraft stehende tun wird, um weiteres Unheil abzuwenden. Ihr Willy Brandt Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland" Nach dem Tod der Geiseln sandte der Bundeskanzler ein erneutes Telegramm: „Der tragische T o d so vieler junger Menschen, die in München nur den friedlichen, sportlichen Wettstreit gesucht haben, erfüllt das deutsche Volk mit Schmerz und tiefer Trauer. Wir verneigen uns vor den Toten, die einem sinnlosen, von Haß getragenem Anschlag zum Opfer gefallen sind. Unser Mitgefühl gilt allen ihren Angehörigen und dem ganzen israelischen Volk. Ich bitte Sie, mein aufrichtiges Beileid entgegenzunehmen und auch den leidgeprüften Familien meine Anteilnahme zu übermitteln. Willy Brandt Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland"
21.2.3
Bundesaußenminister Walter Scheel an den israelischen Abba Eban und an den israelischen Botschafter
Außenminister
Der Bundesminister des Auswärtigen hat dem israelischen Außenminister Abba Eban folgende Beileidsbotschaft übermittelt: „Der Tod der Männer der Olympia-Mannschaft Ihres Landes erfüllt mich mit Trauer und Schmerz. Sie wurden Opfer eines hinterhältigen und sinnlosen Mordanschlags. Mein tiefes Mitgefühl gilt Ihnen persönlich und Ihrem trauernden Volk, vor allem aber den Angehörigen der Opfer. Walter Scheel Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland" Und an den israelischen Botschafter in Bonn, Eliashiv Ben-Horin: „Sehr geehrter H e r r Botschafter, lassen Sie mich Ihnen versichern, wie sehr mich die schändliche Ermordung der Männer der israelischen Olympia-Mannschaft empört und erschüttert hat. Der rücksichtslose Mißbrauch der friedlichen Olympischen Spiele erfüllt mich mit Abscheu. Ich trauere mit dem israelischen Volk und mit den leidgeprüften Hinterbliebenen. Ihr Walter Scheel."
442
21.4 Eine Flut von Briefen aus der Bevölkerung
21.2.4
Telegramm des Bundespräsidenten
an den
IOC-Präsidenten
Der Bundespräsident sandte am 5. September 1972 an den Präsidenten des IOC, Avery Brundage, München, nachstehendes Telegramm: „Ich bin zutiefst bestürzt und empört über das furchtbare Geschehen im Olympischen Dorf. Der olympischen Idee des friedlichen sportlichen Wettbewerbs unter den Völkern ist schwerer Schaden zugefügt worden. Sie und mich und wohl alle, die wir im Schatten des Ereignisses stehen, verbindet die Trauer um die Opfer. Durch den Anschlag sind wir alle getroffen. Gustav XV. Heinemann
Präsident der Bundesrepublik Deutschland" 21.2.5
Telegramm des UN-Generalsekretärs
an den Bundeskanzler
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, sandte an Bundeskanzler Willy Brandt nachstehendes Telegramm: „Ich möchte Ihnen persönlich mein tiefes Bedauern über die schreckliche Tragödie in München ausdrücken. Ich weiß, daß Sie selbst und die Behörden der Bundesrepublik Deutschland jede mögliche Anstrengung unternommen haben, um dieses sinnlose Verbrechen abzuwenden. In dieser tragischen Stunde bezeuge ich Ihnen mein tiefes Mitgefühl. Kurt Waldheim, Generalsekretär der Vereinten Nationen"
21.3
Zahllose Politiker
kondolieren
Die Flut der Briefe, Telegramme und Kondolenz-Besuche, die der israelische Botschafter in der Bundesrepublik, Eliashiv Ben-Horin, empfing, die auch während der restlichen Tage der Münchner Olympiade beim israelischen Konsulat in München einliefen, läßt sich nicht wiedergeben. Oppositionsführer Dr. Rainer Barzel stattete ebenso wie Franz-Josef Strauß und etliche Minister der Bundesregierung dem israelischen Botschafter in seinem Münchner Quartier Kondolenzbesuche ab, Parteiführer, Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Landtage genauso wie Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel, der in diesen Tagen ebenfalls in München weilte.
21.4
Eine Flut von Briefen aus der Bevölkerung
Die Zahl der Kondolenzbriefe und -telegramme, die in der Israelischen Botschaft und beim Münchner Konsulat einliefen, läßt sich bis heute nicht übersehen. Jeden Tag sind es Körbe voll, die die Post in der Botschaft abgibt. Die Zahl 443
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft im Jahre 1972 derjenigen, die kondolieren, ist noch größer als die Zahl der Briefe selbst. Oftmals sind die Briefe von Hunderten von Unterschriften begleitet, Briefe von Schulen, Bundeswehrsoldaten, Gewerkschaftlern, Gruppen aus dem Volk. Ich möchte hier einen Brief f ü r die vielen wiedergeben, der den Botschafter erreichte. Dort heißt es: „Ich spreche Ihnen, erfüllt von Schmerz und Trauer, angesichts des Opfertodes der israelischen Sportler in München mein tiefempfundenes Beileid aus. Wie Millionen in Deutschland und der Welt haben wir gebetet, das Unheil möge noch gemildert werden, aber der Haß triumphierte. Als neunjähriges Kind habe ich die Entsetzlichkeit der,Reichskristallnacht' erlebt und dies wie alles danach nicht vergessen, was Ihrem Volk widerfahren ist. Mit vielen meiner Generation gelobte ich mir später, nie wieder Diktatur oder Gewalt in diesem Land schweigend hinzunehmen. In dieser Stunde sollen Sie es wissen, daß nach wie vor ungezählte Deutsche fest und brüderlich an der Seite des jüdischen Volkes stehen. Wir wollen unserer Solidarität über den von Grauen erfüllten T a g hinaus Ausdruck verleihen gegen jedermann, der Gewalt anwendete oder sie redend oder schreibend billigt. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung grüße ich Sie und durch Sie Ihr leidgeprüftes Land." Der Hamburger Verleger Axel Springer, der mit Israel besonders verbunden ist, telegrafierte an den israelischen Verteidigungsminister, General Moshe Dayan, indem er besonders die tragische Verbindung des israelischen Neujahrsfestes mit dem Münchner Anschlag hervorhob: „An diesem Neujahr werden die Gedanken aller anständigen Menschen in der Welt noch intensiver als sonst bei dem israelischen Volk sein. Möge das Echo auf das Schofar an diesem Wochenende weltweites Verständnis f ü r die Probleme und Schwierigkeiten Israels sein. Möge das Echo auch die Erkenntnis sein, daß nicht Schwäche, sondern Festigkeit gepaart mit Klugheit und Demut uns befähigen werden, der weltweiten Bedrohung durch verbrecherische Fanatiker zu widerstehen. Ihr Axel Springer"
21.5
Die Verbände drücken ihr Beileid aus
Für die Deutsch-Israelische Gesellschaft und f ü r den Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften f ü r Christlich-Jüdische Zusammenarbeit riefen nach dem Mordanschlag zu Spenden f ü r die Hinterbliebenen der Opfer auf: „Terroristen haben auf deutschem Boden Mitglieder der Olympia-Mannschaft Israels brutal ermordet. Der Anschlag ist von der Öffentlichkeit in aller Welt einmütig verurteilt worden. Bestürzung und T r a u e r reichen aber nicht aus. Daher 444
21.5 Die Verbände drücken ihr Beileid aus r u f e n wir die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zum konkreten Engagement und zu einer Spende für die Hinterbliebenen auf." Der Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Professor Dr. Rolf Rendtorff, richtete an den Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik, Herrn Eliashiv Ben-Horin, ein Schreiben, in dem es heißt: „Der Anschlag auf Mitglieder d e r israelischen Olympiamannschaft vom heutigen Morgen hat die Deutsch-Israelische Gesellschaft mit tiefer Bestürzung und Trauer erfüllt. Im Namen des DIG-Präsidiums möchte ich Ihrer Regierung und Ihrem Volk tiefes Mitleid aussprechen. Nach dem Verbrechen auf dem Flughafen Tel Aviv-Lod am 30. Mai 1972 haben Angehörige einer palästinensischen Kommandoeinheit erneut Zivilisten ermordet und bedrohen gegenwärtig andere mit dem Tod. Das Attentat gilt israelischen Sportlern, die zur Teilnahme an den Olympischen Spielen nach München gekommen sind. Die Terroristen haben die Freilassung von arabischen Attentätern verlangt, die in Israel rechtskräftig verurteilt worden sind. Sie fordern damit die Aufgabe des rechtsstaatlichen Prinzips. Das Verbrechen geschieht zu einer Zeit, in der man erstmals eine realistische politische Betrachtungsweise in den arabischen Hauptstädten zu erkennen meint. Der seit der G r ü n d u n g des Staates Israel geschürte Haß erweist sich aber noch als stärker als die Einsicht in die Notwendigkeit, längst überfällige politische Entscheidungen zu treffen. Der Druck aller gutwilligen Kräfte muß bewirken, daß sich die arabischen Regierungen unverzüglich und eindeutig von der Münchner Bluttat distanzieren und ihren gesamten Einfluß geltend machen, damit eine Wiederholung verhindert wird. Dieses Abrücken ist nicht n u r von der Achtung vor dem menschlichen Leben geboten, sondern es ist ein Akt der eigenen politischen Glaubwürdigkeit und der Selbstbefreiung von einer verfehlten Gewaltpolitik in den vergangenen Jahrzehnten. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft erwartet, daß die Weltöffentlichkeit in diesen Stunden ihre Aufmerksamkeit nicht n u r der Fortsetzung des friedlichen Wettkampfes der Sportler widmet, sondern daß sie den Terroristen eine klare politische Antwort gibt und ihr Verbrechen einmütig verurteilt. N u r die vereinten Anstrengungen der politisch Verantwortlichen in allen Hauptstädten können dem weiteren rücksichtslosen Vorgehen palästinensischer Kommandos den Boden entziehen." In einem Telegramm des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an den Botschafter des Staates Israel, BenHorin, hieß es u. a.: „Wir verneigen uns vor diesen O p f e r n einer fanatischen Unversöhnlichkeit, die die Existenz des jüdischen Staates auslöschen will und dabei Humanität und Völkerrecht in aller Welt bedroht... Wir hoffen, daß die Gewalttat von München den Menschen die Augen über die wahren Widerstände gegen eine friedliche Existenz Israels öffnet: Die von allzuvielen Völkern und Menschen geduldete 445
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft im Jahre 1972 N i c h t a n e r k e n n u n g Israels, die Verweigerung von Verhandlungen und das abscheuliche Spiel mit D r o h u n g u n d Gewalt. Wir arbeiten in Solidarität mit Ihnen, u m unseren Beitrag zur Weckung der Gewissen zu leisten." Zur gleichen Stunde sandte d e r Deutsche Koordinierungsrat d e r Gesellschaften f ü r Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an d e n Schirmherrn, Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann, nach d e r T r a u e r f e i e r im Münchner Olympia-Stadion ein Telegramm, in d e m es hieß: „Vor allem f ü r die klaren und mutigen Worte, mit denen erstmals ein deutscher Staatsmann unmißverständlich die Mitschuld derjenigen Länder anprangerte, die das verbrecherische T u n arabischer Terrororganisationen dulden, verherrlichen u n d unterstützen, danken wir Ihnen."
21.6
Zahlreiche Trauerfeiern, Schweigemärsche und Gottesdienste
Die Liste d e r T r a u e r k u n d g e b u n g e n , die in deutschen Städten u n d Gemeinden abgehalten w u r d e n , wird niemals vollständig erfaßt werden können. In Berlin, Bielefeld, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt, Gelsenkirchen, H a m b u r g , Mannheim, Saarbrücken u n d Stuttgart f a n d e n Schweigemärsche statt, bei d e n e n als Abschluß Reden gehalten wurden oder das jüdische Totengebet in hebräischer Sprache erklang, wie z. B. in Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Hannover, Karlsruhe, Mannheim, Minden, München, Saarbrücken, Stuttgart, Wiesbaden u n d W ü r z b u r g f a n d e n Trauergottesdienste statt, wobei u. a. in München Julius Kardinal Döpfner die Verbrechen verurteilte. A u ß e r d e m gab es viele K u n d g e b u n g e n u n d Gedenkstunden. In München wurde noch am Abend des 6. September an d e r gleichen Stelle, wo vor Ausbruch des Juni-Krieges 1967 eine K u n d g e b u n g stattgefunden hatte, wieder eine große T r a u e r k u n d g e b u n g abgehalten, bei d e r d e r neue Bürgermeister Kronawitter, der ehemalige Bürgermeister Dr. Vogel, d e r CSU-Minister Dr. Heubl und d e r Präsident d e r Jüdischen Gemeinde Münchens, Dr. Lamm, sprachen. Die K u n d g e b u n g war u m ein Vielfaches stärker besucht als diejenige vom J u n i 1967. Was in all diesen Schweigemärschen, Kundgebungen u n d Gottesdiensten auffiel, war der große Anteil Jugendlicher, die gekommen waren. Bedeutsam war die Tatsache, daß in den christlichen Kirchen beider Konfessionen besondere Gebete gesprochen wurden u n d in sehr vielen Kirchen in d e n Predigten das abscheuliche Verbrechen von München Verurteilung fand. So wurden in allen evangelischen Kirchen im Rheinland und Westfalen am Abend des 7. September Gottesdienste abgehalten, die zu einem großen Teil gemeinsam mit den katholischen Gemeinden d u r c h g e f ü h r t wurden. Am Wochenende nach d e m Grauen von München f a n d e n ähnliche Gebete u n d Gottesdienste d e r evangelischen Kirche von Hessen u n d Nassau statt, wie auch in anderen Bundesländern. 446
21.7 Bundeskanzler Willy Brandt: Mit mir trauern alle Menschen in unserem Land
21.7 Bundeskanzler Willy Brandt: Mit mir trauern alle Menschen in unserem Land Am Abend des 5. September, an dem in den frühen Morgenstunden um 4.30 Uhr die arabischen terroristischen Verbrecher die israelische Mannschaft in ihrem Quartier in München überfielen, sprach Bundeskanzler Willy Brandt über beide Fernsehkanäle in der Bundesrepublik, indem er sagte: „Liebe Gäste in München, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Sie wissen, die Olympischen Spiele mußten heute wegen tragischer Umstände unterbrochen werden. Die Ereignisse dieses Tages sind ein böser Schlag gegen die olympische Idee, die eine Idee des friedlichen Wettstreits der Jugend der Welt ist. Mit dem Anschlag auf die Mannschaft von Israel wurde nicht nur Frevel an der Idee des olympischen Friedens begangen, auch der Bundesrepublik Deutschland, uns allen, wurde schwerer Schaden zugefügt. Bis heute nacht konnten die Spiele in München im olympischen Geist durchgeführt werden, bis dann in den frühen Morgenstunden — Sie haben das, die meisten von Ihnen, alle mitverfolgt im Laufe des Tages — arabische, palästinensische Freischärler in das Quartier der israelischen Mannschaft eindrangen. Dabei wurde ein Trainer umgebracht. Möglicherweise haben wir es schon seit heute früh mit einem zweiten Todesopfer zu tun. Mit mir trauern alle Menschen in unserem Land. Was sich über den ganzen Tag hinzog, waren dramatische Versuche zur Befreiung der gefangen gehaltenen Geiseln, zur Erlösung aus den qualvollen Umständen, in denen sie sich befinden. Alle Anstrengungen wurden unternommen, um die weder den Mord noch den Selbstmord scheuenden Terroristen von ihrem Vorhaben abzubringen. Lösegeld und freier Abzug wurden angeboten. Führende deutsche Politiker stellten sich im Austausch als Geiseln zur Verfügung. Aber die Terroristen ließen sich darauf nicht ein. Sie haben bereits in aller Welt viele schwere Gewalttaten begangen: Flugzeugentführungen, bewaffnete Überfälle und Bombenattentate. Auf diese Weise wollen sie die Welt in Unruhe halten und auf ihre Ziele aufmerksam machen. Das sind verabscheuungswürdige Methoden. Es gibt kein politisches Ziel, welches solche Methoden rechtfertigen kann. Aus Verbrechen dieser Art kann nirgendwo, auch nicht im Nahen Osten, ein Friede entstehen. Die Bundesregierung und alle anderen beteiligten Stellen haben das in ihrer Macht stehende zu tun versucht, um derartige Zwischenfälle zu verhindern und um kein Unglück geschehen zu lassen, nachdem das Verbrechen begangen wurde. Wir stehen in ständiger Verbindung mit der israelischen Regierung, mit anderen Regierungen. In dieser Stunde bemühe ich mich selbst noch um einen besonderen persönlichen Kontakt. Wir halten natürlich den ganzen Tag über Kontakt mit dem Organisationskomitee und mit den für die Sicherheitsbelange der Olympischen Spiele verantwortlichen Stellen des Staates Bayern und der Stadt 447
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft im Jahre 1972 München. Verständlicherweise ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Sicherheitsmaßnahmen ausreichend waren, und ob genügend Vorsorge getroffen worden ist. Selbstverständlich wird genau geprüft werden, ob Versäumnisse vorliegen. Aber gegen Desperados, die ihr eigenes Leben nicht achten, gibt es, wie die Erfahrung zeigt, leider keinen totalen Schutz. Auf der anderen Seite, mit Beileid, mit Anteilnahme allein ist es jetzt nicht getan. Alle zivilisierten Staaten und ihre Regierungen müssen effektiver zusammenwirken, um dem Treiben von Terroristen ein Ende zu bereiten; nicht zuletzt die Staaten der arabischen Welt sind hier gefordert. Verständlicherweise ist auch die Frage aufgetaucht, ob die Olympischen Spiele nicht überhaupt abgebrochen werden sollten. Ich darf dem dafür zuständigen IOC nicht vorgreifen, möchte aber mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg halten. Ich meine, es darf nicht Schule machen, daß eine Gruppe rücksichtsloser Extremisten darüber bestimmen kann, ob große internationale Veranstaltungen stattfinden können oder nicht. Die heiteren Spiele sind zu Ende. Was das bedeutet, werden viele von uns noch gar nicht ermessen können. In diesen Stunden und Tagen haben wir uns nun neu zu bewähren."
21.8
Die Trauerfeier im Olympia-Stadion von München
Die Fahnen in der Bundesrepublik Deutschland, in vielen Städten der Welt waren auf Halbmast gegangen. Als der Termin der Trauerfeier im Olympia-Stadion am Dienstag für Mittwoch, 10 Uhr, verkündet wurde, wußte man von zwei Toten, von Moshe Weinberg und Josef Romano, die in der Unterkunft der israelischen Mannschaft von den Terroristen erschossen wurden. Jetzt lag die Nacht mit dem grauenhaften Blutbad in Fürstenfeldbruck hinter uns allen und das, was sich vor unseren Augen in dem Stadion abspielte, fand für alle Freunde Israels, für Millionen Deutsche statt, wie hinter einer Glasscheibe. Man konnte es nicht realisieren. Es war wie ein böser Alptraum, den man bis heute, den man niemals wird verstehen können. Auf dem Rasen des Stadions, wo die Wettkämpfe noch vor 24 Stunden stattgefunden hatten, waren einige tausend Sportler, Teilnehmer der Wettkämpfe, versammelt. Die Israelis, die das Blutbad überlebt hatten, in der Mitte. Die größte Gruppe war die deutsche Mannschaft mit Trauerflor an den hellen Olympia-Anzügen. Die Gesichter suchten nach einem Halt, nach einer Bestätigung dafür, daß es wirklich nur ein böser Traum sei, aber es war Wirklichkeit. In diese Hilflosigkeit hinein sprach der Präsident des Organisationskomitees für die Spiele der X X . Olympiade, Willi Daume: „Liebe Trauergemeinde, für uns, die wir mit festem Vertrauen auf den guten Willen aller Menschen die Spiele der XX. Olympiade vorbereitet haben, ist dieser Tag ein Tag unendlicher Trauer. Alles, was sich so schön zu erfüllen schien, ein Fest, das bis gestern so
448
21.8 Die Trauerfeier im Olympia-Stadion von München sichtbar die Sehnsucht der Menschen nach Verstehen, Freude und Frieden zum Ausdruck brachte, ist durch menschliche Schuld ohnegleichen in Frage gestellt worden. Selbst in der Welt des Verbrechens gibt es noch Tabus, gibt es eine letzte Schranke der Entmenschlichung, vor der man zurückschreckt. Diese Schranke haben die Schuldigen im Olympischen Dorf durchbrochen. Sie sind mit Mord in das schöne große Fest der Völker der Erde eingebrochen, in ein Fest, das dem Frieden gilt. Die Härten und Gefahren des Irdischen werden nicht immer nach eigener Gunst und Erwartung verteilt. Möge aber wenigstens dieses Durchbrechen der letzten Schranken menschlicher Gesittung die Welt aufrütteln, endlich der Gewalttätigkeit zu entsagen, sie als menschenfeindlich und abscheulich zu verurteilen und zu verachten, wo immer und zu welchem Zweck sie auch angewendet werden. Wir vereinen uns in der Trauer mit den Familien der Mannschaft, den Ländern, indem wir den T a g mit seinen unreifen Rasereien hinter uns lassen. Es gibt n u r den Trost, daß wir nicht selbst unser Schicksal formen, sondern daß unsere Gegenwart und unsere Zukunft liegt in eines Höheren Hand." Dann trat der Chef der Mission der israelischen Mannschaft, Shmuel Lalkin, vor die Mikrofone, um zunächst in hebräischer Sprache seine Trauerworte zu sprechen. Als er die Namen der Ermordeten nannte, erhoben sich die 80.000 Menschen im tadion und mit ihnen trauerten Millionen Deutscher in Städten und Gemeinden, in den Millionen Wohnungen, wo man am Fernsehschirm dieses Unfaßliche in der Feier erlebte. Nach der hebräischen Ansprache wurde sie ins Deutsche übersetzt. Shmuel Lalkin sagte: „Die Israelis kamen nach München zu den Spielen der XX. Olympiade im Geiste der olympischen Brüderlichkeit, der Freundschaft, der Fairneß und des Friedens gemeinsam mit allen Sportlern der Welt. Zutiefst erschüttert trauern wir über die barbarische Schändung des olympischen Geistes, verursacht durch den heimtückischen Überfall von Terroristen, bei welchen elf unserer Sportler in verbrecherischer Weise ermordet wurden. Hier ihre Namen: Berger David, Halfin Elizer, Friedmann Zeev, Gottreund Josef, Kehat Shor, Romano Josef, Shapira Armitzur, Slavin Mark, Spitzer Andrei, Springer Jacob, Weinberg Moshe. Sie waren wahre und tapfere Sportkameraden und starben in der Blüte ihres Lebens. Solch ungeheuerliches Verbrechen steht in der Geschichte der Olympischen Spiele beispiellos da und wird von allen zivilisierten Menschen auf das schärfste verurteilt. Wir betrauern zutiefst unsere Toten und drücken ihren Familien unser tiefstes Beileid aus. Wir bedauern die O p f e r der Menschen, die in Erfüllung ihres Dienstes beim Einsatz gegen die verbrecherischen Banditen ihr Leben geben mußten oder verwundet wurden und empfinden mit ihren Angehörigen. 449
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft im Jahre 1972
Im Namen der israelischen Delegation, im Namen aller Sportler unseres Landes und im Namen aller Bürger des Staates Israel möchte ich dem Internationalen Olympischen Komitee und dem Organisationskomitee der XX. Olympiade meine Anerkennung aussprechen, daß sie die Spiele als Zeichen der Solidarität mit den israelischen Sportlern unterbrochen haben. Dem Krisenstab der Polizei, dem Grenzschutz und den Sicherheitsorganen gebührt unsere Anerkennung. Wir schätzen die scharfe Verurteilung des Verbrechens und die Worte des Beileids, die uns von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Journalisten und von der Bevölkerung dieses Landes sowie von Sportlern aus aller Welt ausgesprochen wurden. Ich darf Ihnen hier versichern, daß die Sportler Israels trotz dieses niederträchtigen Verbrechens auch weiterhin an olympischen Wettkämpfen im Geiste der Brüderlichkeit und Fairneß teilnehmen werden. In tiefer Erschütterung verläßt die israelische Delegation diesen Ort. Wir danken allen für die uns erwiesene Solidarität." Der israelische Botschafter in der Bundesrepublik, Eliashiv Ben-Horin, der mit dem Münchner Konsul Israels, Shamir, auf der Ehrentribüne saß, sprach erst in hebräischer und dann in deutscher Sprache: „Liebe Anwesenden, erfüllt vom Geist des olympischen Friedens und der internationalen Brüderlichkeit waren Israels Sportler vor zehn Tagen nach München gekommen, um mit Mannschaften aus 120 anderen Nationen an den Ereignissen und Wettbewerben der XX. Olympiade teilzunehmen. Mörder haben als Tatort ihres wahnsinnigen Verbrechens gerade die Arena der Olympischen Spiele gewählt. Sie haben das Symbol und den Ausdruck der Freundschaft und der Nationen und Völker gebrochen und geschändet. Wir haben eine deutliche Demonstration der grausamen Geringschätzung erlebt, welche Terroristen und terroristische Organisationen f ü r die Grundwerte der menschlichen Zivilisation zutage legen. Erschüttert von dem niederträchtigen Verbrechen, das den Geist der Olympiade und den Grundsatz der weltweiten Solidarität entweiht, rufen wir von diesem Ort, über dem die Flagge der fünf Ringe, die Flagge der Verbrüderung weht, alle Völker der zivilisierten Welt und ihre Regierungen sowie internationale Organisationen auf, mit aller Kraft vorzugehen gegen eine Politik des Mordes, der Entführung und des Terrors, die seit Jahren von Feinden des Friedens und der Menschlichkeit geführt wird. Laßt uns alle die Hand zum Zerschlagen dieser verbrecherischen Kette reichen; denn nicht nur ein Volk, hier Israel, ist betroffen. Vielmehr ist. das gesamte Gewebe des internationalen Lebens in ständiger Gefahr zu zerreißen und zu zerfallen. Mögen die Schrecken der vergangenen Stunden endlich das Bewußtsein der aufgeklärten Welt erwecken, damit die erforderliche Lehre gezogen wird, nämlich daß Konflikte zwischen Völkern nicht mit solchem Gewaltmittel gelöst werden können, sondern n u r auf dem Wege, der zivilisierten Menschen entspricht. Die Bevölkerung Israels weiß den aufrichtigen Zorn und Schmerz zu schätzen, welche Oberhäupter von Staaten und Regierung, Organisationen, die Pres450
21.8 Die Trauerfeier im Olympia-Stadion von München
se und die Weltöffentlichkeit kundgegeben haben. Es ist klar und deutlich, was das Gewissen der Welt fordert und wie es reagiert. Wir bringen hier unsere Anteilnahme an der tiefen T r a u e r und dem Schmerz der Hinterbliebenen der Ermordeten sowie derjenigen, die ihr Leben in der Erfüllung ihres Einsatzes gefährdet und gelassen haben, zum Ausdruck." Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann fiel die schwere Aufgabe zu, f ü r die Bundesrepublik Deutschland zu sprechen, vielfach von großem Beifall unterbrochen, weil er das sagte, was viele Menschen in dieser Stunde spürten: „Vor elf Tagen habe ich hier in dieser Arena von dieser Stelle die Olympischen Spiele München 1972 eröffnet. Sie begannen als wahrhaft heitere Spiele im Sinne der olympischen Idee. Ein großartiges Echo in der weiten Welt begleitete sie, bis sich gestern morgen der Schatten einer Mordtat auf sie legte. In der vergangenen Nacht haben sich Schrecken und Entsetzen ausgeweitet. Der Versuch zur Rettung der israelischen Geiseln schlug fehl. Wo vor kurzem noch frohe Gelöstheit herrschte, zeichnen jetzt Ohnmacht und Erschütterung die Gesichter der Menschen. Fassungslos stehen wir vor einem wahrhaft ruchlosen Verbrechen. In tiefer Trauer verneigen wir uns vor den Opfern des Anschlags. Unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen und dem ganzen Volk Israel. Dieser Anschlag hat uns alle getroffen. Waren der Anschlag und sein Ausgang abzuwenden? Niemand wird darauf eine abschließende Antwort geben können. Wer sind die Schuldigen dieser Untat? Im Vordergrund ist es eine verbrecherische Organisation, die da glaubt, daß Haß und Mord Mittel des politischen Kampfes sein können. Verantwortung tragen aber auch jene Länder, die diese Menschen nicht an ihrem T u n hindern. Allen Menschen in allen Teilen der Welt ist in den letzten Stunden vollends klargeworden, daß Haß n u r zerstört. Die O p f e r auch dieses Anschlags rufen uns abermals auf, unsere ganze Kraft f ü r die Überwindung des Hasses einzusetzen. Bei dem, was wir erleben mußten, besteht keine Trennungslinie zwischen Nord und Süd, keine zwischen Ost und West. Hier besteht eine Trennungslinie zwischen der Solidarität aller Menschen, die den Frieden wollen und jenen anderen, die dem tödliche Gefahr bringen, was das Leben lebenswert macht. Das Leben braucht Versöhnung. Versöhnung darf nicht dem Terror zum Opfer fallen. Im Namen der Bundesrepublik Deutschland appelliere ich an alle Völker dieser Welt: Helft mit, den Haß zu überwinden! Helft mit, der Versöhnung den Weg zu bereiten! Gerade angesichts der neuen Opfer gilt es jetzt, dem Fanatismus, der die Welt aufschreckt, den Willen der Verständigung entgegenzusetzen. Die olympische Idee ist nicht widerlegt. Wir sind stärker verpflichtet als zuvor." Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage, ge451
21 Das Verbrechen der PLO gegen die israelische Olympia-Mannschaft
im Jahre
1972
dachte als letzter der ermordeten israelischen Sportler. Er schlug die Brücke aus dem Tod ins Leben: „Jeder zivilisierte Mensch ist bestürzt über diesen barbarischen und verbrecherischen Überfall von Terroristen im friedlichen olympischen Bereich. Wir beklagen unsere israelischen Freunde, die Opfer dieses brutalen Angriffs. Es ist eine traurige Tatsache in unserer unvollkommenen Welt, daß, j e größer und bedeutender die Olympischen Spiele werden, sie umso mehr ein O p f e r wirtschaftlichen, politischen und jetzt auch kriminellen Drucks werden. Die Spiele der XX. Olympiade sind das Ziel von zwei grausamen Angriffen gewesen; denn wir haben im Falle Rhodesien den Kampf gegen politische Erpressung verloren. Wir verfügen n u r über die Kraft eines großen Ideals. Ich bin überzeugt, daß die Weltöffentlichkeit mit mir einer Meinung ist, daß wir es nicht zulassen können, daß eine Handvoll von Terroristen diesen Kern internationaler Zusammenarbeit u n d guten Willens zerstört, den die Olympischen Spiele darstellen. Die Spiele müssen fortgesetzt werden! Wir müssen in unseren Bemühungen fortfahren, sie rein und ehrlich zu halten und zu versuchen, die sportliche Haltung der Athleten in andere Bereiche zu tragen. Wir erklären hiermit den heutigen T a g zum Trauertag und werden alle Veranstaltungen wie vorgesehen einen T a g später fortführen."
452
22 Der fünftägige Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt in Israel Bundeskanzler Willy Brandt besuchte vom Freitag, den 8. Juni bis zu seinem Rückflug am 11. Juni 1973 den Staat Israel. In einer Bilanz vor der internationalen Presse in Jerusalem faßte der Bundeskanzler die T h e m e n seines Besuches zusammen: „Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen f ü r die Einladung zu dieser Pressekonferenz. Gestern und heute haben die Premierministerin und ich Gespräche über einen weiten Kreis von Themen geführt. Es hat, wie Sie wissen, auch andere wichtige Gespräche gegeben, und weitere werden folgen. Gleichwohl ist es möglich, folgende Feststellungen zu treffen: Erstens: Wir haben, wie es bei dieser Art von Begegnungen zweier Regierungschefs üblich ist, die Chancen und Probleme der gemeinsamen, bilateralen Beziehungen geprüft. Wir konnten feststellen, daß sich die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel auf einer Vielzahl von Gebieten günstig entwickelt hat und daß ein Ausbau des Austausches und der Kooperation dem beiderseitigen Interesse entspricht. Die Tatsache, daß heute der deutsche Bundeskanzler hier vor Ihnen steht, ist keine Selbstverständlichkeit, aber sie spricht für sich selbst. Die deutsch-israelischen Beziehungen müssen vor dem düsteren Hintergrund der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gesehen werden. Dies meinen wir, wenn wir sagen, unsere normalen Beziehungen haben den Charakter der Besonderheit. Zweitens: Wir haben über einen breiten Themenkatalog aus dem Bereich der allgemeinen internationalen Beziehungen gesprochen — so auch über die Bemühungen, die den Abbau von Spannungen und mehr Zusammenarbeit zwischen Ost und West zum Ziel haben. Dieser Meinungsaustausch wird fortgesetzt werden, wenn ich im Anschluß an diese Pressekonferenz mit Außenminister Abba Eban zusammentreffe. Drittens: Der Nahost-Konflikt und die Probleme dieser Region waren naturgemäß das Thema, das uns besonders beschäftigte. Ich weiß die Offenheit zu schätzen, in der mir die israelischen Überlegungen dargelegt wurden. Was die Bundesregierung angeht, so hat sie weder die Absicht noch die Legitimation, sich durch erbetene oder unerbetene Parteinahme zu übernehmen. Wir sind nicht dazu berufen und auch nicht in der Lage, eine Vermittlerrolle zu spielen; aber das deutsche Interesse ist klar: es gilt einer friedlichen Lösung, die von den unmittelbar Beteiligten ausgehandelt wird und akzeptiert werden kann. Im übrigen hoffen wir, daß es dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und den besonders engagierten Regierungen gelingt, einen Rahmen f ü r sinnvolle Gespräche und Verhandlungen der unmittelbar Beteiligten zu schaffen. 453
22 Der fünftägige Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt in Israel Viertens: Es ist über die Europäische Gemeinschaft, über ihre Perspektiven und ihr Verhältnis zu dieser Region gesprochen worden. Der deutsche Bundeskanzler kann nicht für die Gemeinschaft sprechen, aber er kann sich als Europäer äußern, und das habe ich getan. Wir haben auch Israels wirtschaftliche und politische Interessen im Zusammenhang mit der Europäischen Gemeinschaft erörtert. Manche der israelischen Vorstellungen begegnen sich hier mit den unseren und wir werden sie im Auge behalten, wenn die erweiterte Gemeinschaft daran geht, ihre Mittelmeerpolitik umfassend u n d ausgewogen zu regeln. Fünftens: Die Premierministerin hat meine Einladung zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik Deutschland angenommen. Der Zeitpunkt des Besuchs soll auf diplomatischem Wege vereinbart werden. Nun lassen Sie mich noch dies sagen, bevor ich für Fragen zur Verfügung stehe: wenn ich das Programm des Wochenendes absolviert habe, werde ich über Israel schon wieder etwas mehr wissen, als ich bisher wußte. Glauben Sie einem Mann, der nun auch schon lange nicht mehr zu den Jüngsten gehört: Lektüre ist wichtig. Gespräche sind manchmal noch wichtiger, der persönliche, unmittelbare Eindruck bleibt in vielen Fällen unersetzlich."
22.1 Ehrendoktorwürde im Weizmann-Institut Am letzten T a g seines Besuches in Israel wurde Bundeskanzler Brandt die Ehrendoktorwürde der Philosophie im Weizmann-Institut verliehen. Die Urkunde hatte folgenden Wortlaut: „Zum 25. Jahrestag der G r ü n d u n g des Staates Israel verleiht der Exekutivrat des Weizmann-Instituts of Science auf Beschluß seines Wissenschaftlichen Senats hiermit Willy Brandt, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, die Würde eines Ehrendoktors der Philosophie in Anerkennung seiner einmaligen und unablässigen Bemühungen um die Schaffung und Wahrung von Frieden und Eintracht unter den Völkern der Welt; seines rückhaltlosen und mutigen Einsatzes f ü r die Sache der Demokratie in seinem Land; seiner unschätzbaren Rolle bei der Festigung der Bande, die die Bundesrepublik Deutschland mit dem jüdischen Staat und insbesondere mit diesem Institut verknüpfen. Rehovot, Israel, 11. Juni 1973
Israel Dostrovsky, Amtierender Präsident"
In seiner Laudatio sagte der israelische Außenminister Abba Eban u. a.: „Der geistige Weg des jüdischen Volkes erstreckt sich über diese ganzen dreitausend J a h r e von den alten Propheten zur modernen Wissenschaft, von den kaum sichtbaren Wurzeln der Vergangenheit des Menschen zu den leuchtenden Möglichkeiten seiner Zukunft. Es gibt wohl kaum ein anderes Volk, das zu j e d e r Zeit alle Phasen dieser Geschichte so unmittelbar miterlebt hat. 454
22.2 Interview auf dem Rückßug Viele Besucher sind überrascht, wenn sie in einen kleinen Staat am Westrand der Wüste kommen und dort wissenschaftliche Institutionen, Forschungsreaktoren, Beschleuniger, Elektronenrechner, Laboratorien, elektronische Fabriken, Flugzeugreparatureinrichtungen, modernste medizinische Zentren und andere Zeichen des wissenschaftlichen Fortschritts vorfinden. Aber seit eh und j e hat Israel ein besonderer wissenschaftlicher Ehrgeiz beseelt. Wenn wir uns fragen, warum das so ist, dann wird uns die ganze Anfälligkeit unserer Kleinheit bewußt, denn selbst wenn wir alle unsere Träume und Pläne der Sammlung des Volkes verwirklichen, so bleibt Israel doch zahlenmäßig klein im Vergleich zu seinen Nachbarn. Wie immer die Friedenskarte aussehen m a g und wie Sie wissen, ist die kartographische Spekulation heutzutage schon zum Statussymbol israelischer Politiker geworden —, was immer geschehen mag, wir werden niemals zu den größeren Territorialmächten gehören. Israels Problem heißt, aus dem Geringsten das meiste zu machen, und in unserer Generation ist das Gefühl für unsere zahlenmäßige Schwäche noch intensiver geworden, denn das jüdische Volk ist absolut das einzige Volk, die einzige Familie der Menschheit, die zahlenmäßig kleiner ist, als sie es noch vor 40 Jahren war."
22.2
Interview auf dem Rückßug
Auf dem Rückflug von Israel gab mir Bundeskanzler Willy Brandt das folgende Interview über seine Reise: Frage: Herr Bundeskanzler, fünf Tage Israel liegen hinter Ihnen, hinter uns. Wir durften als Journalisten diese Tage miterleben. Sie begannen auf dem Flugfeld von Tel Aviv mit der ungewohnten Tatsache, daß das Deutschlandlied gespielt wurde, und dann gleich daran als Kontrast die Begegnung mit der Vergangenheit: mit Yad Washem. Die besonderen Beziehungen standen im Mittelpunkt des Programms, wenigstens für die Israelis. Man hatte den Eindruck, sie hatten Angst, einen Freund von der Hand zu lassen, weil sie nicht wußten oder zu wissen glaubten, ob sie dann den Freund verlieren könnten, den sie im deutschen Volk, in der Bundesrepublik Deutschland hatten. War das auch Ihre Empfindung? Antwort: Es hat in den Zeitungen, in der journalistischen Begleitung etwas zuviel Rätselraten gegeben um den Begriff der „besonderen Beziehungen". Uns lag daran klarzumachen, daß wir normale diplomatische Beziehungen unterhalten, aber daß diese normalen diplomatischen Beziehungen einen besonderen Charakter haben, der sich aus dem einzigartigen historischen und moralischen Hintergrund ergibt, über den ich jetzt nichts weiter zu sagen brauche. Es war ein eigenartiger Zufall, daß diese Interpretation parallel zueinander von dem israelischen Außenminister Abba Eban und von uns in Bonn gefunden wurde. Ich denke, es ist manchem so gegangen wie dem Präsidenten des Weizmann455
22 Der fünftägige Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt in Israel Instituts in seiner Ansprache, daß sie nun ganz im Gegenteil zu den Befürchtungen anderer den Wert dessen erkannt haben und dann auch zum Ausdruck gebracht haben, was im besten Sinne des Wortes in „normalen Beziehungen" liegen kann. Frage: Herr Bundeskanzler, die politischen Themen gruppierten sich um Europa, um die Mittelmeerfrage, um die Thematik Frieden im Nahen Osten und Ihre Ostpolitik, um die Themen, über die Sie vorher mit Breschnew, Nixon, Heath und Tito gesprochen hatten, die Reise des Bundesaußenministers Scheel. Sie hatten deutlich gemacht, daß man von der Bundesregierung aus nicht mit zwei Zungen spricht. Wofür hat Frau GoldaMeir, wofür haben die Israelis am meisten Interesse gezeigt? Antwort: Zunächst sollte man nicht übersehen, auch in unserem Gespräch nicht übersehen, daß wir natürlich auch Stunden darauf verwendet haben, die unmittelbaren Beziehungen zwischen den beiden Staaten und Völkern zu erörtern, eine Art Bilanz zu ziehen, hier und da festzustellen, wo im beiderseitigen Interesse neben dem, was sich schon entwickelt hat, etwas hinzuzufügen ist. Aber sonst, wenn man die internationalen politischen Fragen nimmt, dann hat natürlich bei den israelischen Gesprächspartnern am meisten das Interesse gefunden, was sich auf den Nahen Osten, die Mittelmeerregion im weiteren Sinne, speziell dann auf den Nahen Osten, bezieht. Ich will nun nicht das überbewerten, was wir einführen konnten. Unsere Rolle ist j a nicht die, herumzulaufen und über mit anderen geführte vertrauliche Gespräche in dem Sinne zu berichten, als ob wir das Wasser nicht halten könnten. — Darum geht es nicht, sondern das einfließen zu lassen in unsere Beurteilung der Lage. Dabei geht es häufig um Dinge, die so kluge Frauen und Männer wie die an der Spitze der israelischen Regierung auch schon wissen. Aber es mag andere Zusammenhänge gegeben haben - und ich hatte den Eindruck —, die für die Abrundung des Bildes als nicht unwesentlich betrachtet wurden. Es liegt nun in der Natur der Sache, daß dieser Teil des Meinungsaustausches nicht, jedenfalls nicht in diesem Stadium, öffentlich dargelegt werden kann. Frage: Herr Bundeskanzler, Sie hatten die Frage nach deutscher Mitwirkung im Nahost-Konflikt damit beantwortet, daß Sie sagten, wir Deutsche werden uns nicht als Vermittler aufspielen. Welche Rolle können Sie jetzt umreißen? Antwort: Wir sind ein Land, das sich um gute Nachbarschaft bemüht, um die Organisierung des Friedens. Wir haben dazu eigene Beiträge geleistet, auf Europa bezogen, die niemand uns abnehmen konnte. Der Frieden in Europa erfordert, daß er seine Ergänzung findet im Mittelmeerraum, im Nahen Osten. Hier ist also ein eigenes Interesse mit im Spiel. Wir werden mit unseren europäischen Partnern zusammen in der westlichen, der Atlantischen Allianz, auch in den sich neu entwickelnden Gesprächen mit den Staaten im Osten Europas auf die Zusammenhänge hinweisen, wie wir sie sehen. Aber sonst bleibt es bei dem, was ich gesagt hatte: Wir würden uns übernehmen, wenn wir uns auf die Rolle eines Vermittlers einstellten. Es ist schon eine ganze Menge, wenn man anderen helfen kann, ein bißchen helfen kann durch die objektive Vermittlung von Tatsachen,
456
22.2 Interview auf dem Rückflug Ideen, Überlegungen. Aber dies alles ist nicht das, was man eine Vermittleraufgabe nennt. Darum bemühen sich andere. Aber auch die anderen werden erkennen, daß, so wichtig Vorbereitungen einerseits sein können und Bestätigungen hinterher, dann aber doch die entscheidende Rolle bei den Regierungen in dem Gebiet, im Gebiet des Nahen Ostens selbst liegen muß. Frage: Eine letzte Frage, Herr Bundeskanzler. Sie haben mit Finanzminister Sapir gesprochen und mit Moshe Dayan. Beide haben große Sorgen. Der eine kümmert sich vor allen Dingen um die Ansiedlung der russischen Neueinwanderer, und Moshe Dayan hat eine Politik verfolgt, die vor allem auch der Normalisierung des Lebens der palästinensischen Flüchtlinge in den Lagern in Gaza und der arabischen Bevölkerung im Westgebiet Jordaniens dient. Sehen Sie Probleme auf uns zukommen, finanzielle Wünsche, so daß man hier mit einer Art Investitionshilfe, um dieses Wort zu gebrauchen, beistehen könnte, um hiereine Friedensleistung für die Menschen zu erbringen, um Ihr Wort aufzugreifen von der besseren Qualität des Lebens für diese Armen dort in diesem Bereich? Antwort: In der Tat haben die Flüchtlingsprobleme die Hauptrolle gespielt in meinem Gespräch mit Herrn Dayan, aber nicht nur. Die Probleme der Araber, die in den besetzten Gebieten leben, in den Gebieten, die vor dem Sechs-Tage-Krieg nicht zu Israel gehörten, sondern auch in den übrigen, in den anderen Ländern, in Jordanien, in Syrien, im Libanon. Dabei ist aber nichts erörtert worden, was auf unsere finanzielle Leistungsbereitschaft abzielt. Ich habe von uns aus in früheren Jahren erklärt, und der Außenminister hat es erklärt: Wenn es zu ernsten internationalen Bemühungen auf diesem Gebiet kommt, wird die Bundesrepublik Deutschland sich nicht abseits stellen. Das ist sicher festzustellen. Herr Sapir hat sich unabhängig vom Flüchtlingsproblem befaßt mit Möglichkeiten, Investitionen weiter zu fördern. Er hat aber noch mehr sich befaßt — das hielt ich für sehr interessant — mit den künftigen Möglichkeiten im Verhältnis zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Staat Israel. Es ist z. B. so, es liegt auf der Hand: Israel darf nicht - es würde für ein anderes Land entsprechend gelten — Nachteile erleiden durch die Erweiterung des Marktes. Die Stellung, die Israel mit seinen Zitrusfrüchten seit Jahrzehnten auf dem britischen Markt hat, muß berücksichtigt werden. Aber ich glaube, hier wird es auch möglich sein, zu praktischen Lösungen zu kommen.
457
23 Der Yom-Kipur-Krieg
Ende September 1973 war ich mit meiner Frau mit dem Fährschiff „Dan" in Haifa gelandet. Wir hatten von Mercedes einen Testwagen mitbekommen, einen der neuen Serie des 300 D. Noch im alten Gewand. Am 30. September, am nächsten T a g nach unserer Ankunft hielt ich vor den deutschen Kreisen in Haifa einen Vortrag über das deutsch-israelische Verhältnis. Etwa 500 Personen waren gekommen. Es war eine gute, freundschaftliche Atmosphäre. Am nächsten T a g fuhren wir weiter durch Galiläa zum See Genezareth und dann durch das Jordantal über Nablus Richtung Jerusalem. Die hohen israelischen Feiertage hatten schon begonnen. Wir hatte ein Zimmer im King-David-Hotel, das mir vier Monate während des Eichmann-Prozesses Heimat geworden war. Der Manager des Hotels war H e r r Bodenheimer und vom altbekannten Personal gab es viele, die einen wieder freundschaftlich begrüßten. Es war eine freundschaftliche Atmosphäre auch hier in diesen Mauern. Der Yom-Kipur-Tag kam, es war der 6. Oktober. In der Mittagsstunde hatte ich mich ein wenig aufs Ohr gelegt, als meine Frau mich weckte und darauf aufmerksam machte, daß die Sirenen gingen. Yom-Kipur und Sirenen? Mit einem Satz war ich aus dem Bett und im gleichen Moment schon beinahe angezogen. Als ich in die Hotelhalle kam, sah ich die große Aufregung. Bedienstete des Hotels waren damit beschäftigt, Verdunklungsvorkehrungen zu treffen, an der Eingangstür sah ich etliche, die ihre Hoteljacken an den Nagel gehängt hatten und davoneilten. Ich traf Herrn Bodenheimer. „Was ist denn bei Ihnen los?" „Herr Vogel, wir haben Krieg." Ein furchtbarer Satz. Denn wir wußten doch alle, was dies f ü r das Land bedeutet. Ich telefonierte mit Yehuda Blum, der später Botschafter Israels bei den Vereinten Nationen wurde. Und dann mit der Deutschen Botschaft in Tel Aviv. Hier wußte man auch noch nicht allzu viel, nur schien es klar und deutlich, daß Ägypten diesen neuen Krieg vom Zaun gebrochen hatte. In der nächsten Stunde reisten viele Touristen ab; es ging im Hotel und auf den Straßen zu, wie in einem Bienenhaus. Die Männer eilten zu den vorgesehenen Mobilmachungsplätzen in der Stadt, man konnte überall Fahrzeuge sehen, auf denen bereits die Männer in Uniform zu den Einheiten fuhren. Krieg in Israel. Wie oft hatten wir das von Deutschland aus schon miterlebt? 1967 im Sechs-Tage-Krieg war der Sohn unseres Freundes Chairn Yahil beim Sturm auf Jerusalem gefallen. Humanität. Israel hatte n u r Handfeuerwaffen eingesetzt, damit die Altstadt nicht beschädigt oder gar Teile zerstört würden. 200junge Menschen, meist Offiziere, waren damals gefallen. Für Dr. Yahil und seine Frau Leni war das ein schwerer Schlag gewesen. Wen würde es jetzt wohl treffen? Ein weiteres Telefongespräch mit Dr. Kiesler, der Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Haifa war. Ich kannte ihn und seine Frau schon lange Jahre. Bevor er nach Israel kam, in alter Zeit, war er Hauslehrer bei Hans Habe 458
23 Der Yom-Kipur-Krieg gewesen, der von seiner einzigen Israel-Reise das Buch geschrieben hatte, „Wie einst David". Es wurde ein großer Erfolg am Büchermarkt. Ein lebendiger Gesang über das Volk, die Menschen und ihren Aufbauwillen. Er war die Ruhe selbst, dieser Dr. Kiesler. Er meinte, der Krieg ginge sicher bald vorüber, aber er hatte f ü r meine Frage Verständnis, ob es nicht ratsam sei, zurückzufahren, denn man könnte in einer solchen Situation den vielen Freunden im Lande weder etwas nützen, sondern sie n u r belasten in einem Augenblick, wo sie ganz andere Sorgen hätten. Wir fuhren daraufhin mit unserem Auto über Tel Aviv nach Haifa. Hier gab es einen Zwischenfall, der typisch war f ü r Israel. An der Straße nach Tel Aviv, kurz vor Ramie, liegt die Zement-Fabrik Nesher. Der Himmel zeigte ein dunkles Gewitter und davor bliesen die Schornsteine weißen Rauch gegen den dunklen Himmel. Eine Lichtszene, wie man sie sich als Fotograf wünscht. Ich hielt an, nahm die Leica heraus und machte einige Aufnahmen. Im gleichen Moment hielt ein Wagen der mit einer Reihe Soldaten besetzt war, mit Reservisten, die sofort drohend ihre Maschinenpistolen gegen mich richteten und mich aufforderten, einzusteigen. Sie brachten mich ungeheuer nervös zur Polizeistation in Ramie. Der dortige Beamte ließ sich von mir die Situation erklären, hatte aber offensichtlich keine Vollmacht, irgend etwas zu entscheiden. Er telefonierte. Aus seinem Hebräisch verstand ich n u r den Namen „Österreicher". Ich machte ihm Zeichen, daß ich diesen Offizier kenne, er solle mir einmal den Hörer geben. Dieser Polizist war vernünftig und gab mir den Hörer. „Shalom H e r r Österreicher", sagte ich in Deutsch, „wir kennen uns doch vom Eichmann-Prozeß." „Ach Sie sind das!" „Sie können beruhigt sein, ich habe kein Spionage-Foto gemacht." Als ich ihm die Situation erklärt hatte, meinte er, ich solle den Hörer noch mal dem Beamten geben. Ich bedankte mich bei ihm für sein Verständnis und gab den Hörer wieder ab. Er erklärte dem Beamten gegenüber die Situation auf, ich war frei und bekam meine Leica zurück. Als wir vor der Polizeistation in unser Auto stiegen, schien die Verblüffung bei den Soldaten, die mich festgenommen hatten, groß zu sein. Es war nun alles umsonst, was sie f ü r die Sicherheit Israels hatten tun sollen. Als wir nach Haifa kamen, hatte Herr Kiesler bereits ein deutsches Frachtschiff ausgemacht, ein Container-Frachter mit nur 990 BRT. Wir erhielten auf dem Schiff eine freie Offizierskajüte und unser Wagen wurde in einem Container verstaut. Einige Stunden später ging die Reise nach Europa. Das Schiff wurde von einigen Schnellbooten aus der Gefahrenzone Haifa herausbegleitet. Es war ein merkwürdiges Gefühl, Israel so zu verlassen. Über dem Hafengebiet sah man pausenlos Hubschrauber hin und her fliegen. Sie brachten Verwundete von der Nordfront, den Golan-Höhen, in das sehr nahe gelegene Hospital. Die Fahrt war langwierig und man konnte nicht telefonieren, die Funkverbindungen waren sehr schlecht. Nach sieben Tagen erreichten wir London. Leider war unser Container sehr weit unten im Schiffsbauch verstaut, sodaß wir hier noch nicht an Land gehen konnten. Dennoch, die Pause im Londoner Hafen konnten wir benutzen, um von einem Hotel aus bei den Kindern anzurufen, die sich natürlich freuten, ihre Eltern wieder zu hören. Drei Tage später wurde das 459
23 Der Yom-Kipur-Krieg Schiff im Hamburger Hafen bei strömenden Regen entladen. Wir fuhren den Wagen aus dem Container und gingen auf die Autobahn. Am Mittag des nächsten Tages waren wir wieder in Bonn. Eine merkwürdige Reise. In London hatte ich mir am Sonntag Morgen den „Observer" gekauft. Auf der ersten Seite stand eine kleine Nachricht, die besagte, daß der Sohn des ersten Botschafters Israels, von AsherBen Nathan, gefallen war. Wir hatten ihn beide als Jungen gekannt. Es war ein persönlicher Schlag, beinahe so, als wäre es ein eigener Sohn gewesen.
23.1
Die Bonner Politik in diesen Tagen
Die Ankunft in Bonn brachte einen wieder mitten in die aktuelle Politik. Vor mir lag die Rede, die der damalige Bundeskanzler Willy Brandt bei der 25. Internationalen Buchmesse gehalten hatte. Das geschah am 10. Oktober 1973, als der Krieg in Israel noch im Gange war. Diese Rede war eine spontane Äußerung dieses Mannes, die alles überragte, was an offiziellen Erklärungen zu diesem furchtbaren Krieg von deutschen Politikern in diesen Tagen gesagt wurde, aber auch diese Äußerungen sind natürlich von Bedeutung, gleichzeitig mit den Dokumenten, die wir hier ebenfalls wiedergeben. Die Rede des Bundeskanzlers hat folgenden Wortlaut:
23.1.1
Bundeskanzler Willy Brandt: Nur ein Fragment für den Frieden — Anerkennung des Lebensrechts und der Sicherheit aller Staaten
Zum 25jährigen Bestehen der Internationalen Frankfurter Buchmesse hat Bundeskanzler Willy Brandt in Frankfurt am Main die diesjährige Eröffnungsrede gehalten. Das geschah unmittelbar nach dem Angriff auf Israel am 10. Oktober 1973. Diese Rede, eine spontane Äußerung dieses Mannes, überragt alles, was an offiziellen Erklärungen zu diesem furchtbaren Krieg von deutschen Politikern gesagt wurde. Darum hier den vollen Wortlaut: „Herr Oberbürgermeister, meine Herren Präsidenten und Direktoren, meine sehr verehrten Damen und Herren! Für den Bundeskanzler ist es heute abend schwer, über Bücher zu sprechen, denn es ist Krieg — Krieg nicht irgendwo, sondern in einem Teil der Welt, der Europa geographisch und nicht nur geographisch eng benachbart ist. Wir sind in diesen Tagen Zeugen eines dramatischen Zusammenbruchs von Hoffnungen. Das schwierige und mühselige, geduldige Suchen nach politischen Lösungen hat versagt. Der tragische Konflikt ist eine Kriegserklärung an die Vernunft. Wir, andere Staaten, sogar Großmächte, scheinen dazu verurteilt zu sein, dem dramatischen Gang der Geschehnisse hilflos, ohnmächtig zuzuschauen. Es sind, wie immer, Unschuldige, die am schrecklichsten unter der entfesselten Gewalttätigkeit leiden. Diesen Unschuldigen vor allem gilt unsere Verbun460
23.1 Die Bonner Politik in diesen Tagen denheit, unsere Solidarität. Lassen Sie mich gleich hinzufügen: Wenn im Nahen Osten d e r Frieden eine echte Chance gewinnen soll, d a n n m u ß das Lebensrecht aller Staaten dort respektiert werden, d a n n braucht es d e n Mut zur A n e r k e n n u n g dieser Realität, d e r Bereitschaft zum Gespräch u n d zur Schlichtung, d e r Kraft zur V e r n u n f t . Sie werden es hoffentlich verstehen, meine Damen u n d Herren, ich kann hier nicht zu I h n e n sprechen, als geschehe in diesen Stunden nichts Schreckliches, das uns alle tief bedrückt. Was zum Anlaß zu sagen war, ist vor mir gesagt worden. Der Bundeskanzler kann mit I h n e n nicht u n b e f a n g e n über Literatur plaudern, wie er es wünschte, über Literatur, die d e n n doch noch immer mit den schönen Dingen zu tun hat. Was ich I h n e n an Nachdenklichkeiten gerne vermittelt hätte, das mögen die, die daran interessiert sind, wenn sie die Zeit dazu finden, in den in Bonn und hier herausgegebenen Exemplaren meiner f ü r diesen Anlaß konzipierten Rede e n t n e h m e n . Ich habe heute mittag gesagt, laßt uns das beiseite legen — es hätte auch f ü r mich ein festlicher Anlaß sein sollen, doch eine Jubiläumsfanfare in reinem Dur hätte ich ohnehin nicht angestimmt. Stichworte mögen I h n e n andeuten, daß mich bei der Vorbereitung auf diese Begegnung nicht bloß die Lust am Büchermachen, sondern m e h r die Problematik dieser schwierigen u n d verantwortungsvollen Arbeit berührte. Vom Buch als Vermittlung von Muße, Kunst u n d Gelehrtheit, vom Buch als Produkt d e r Informationsindustrie hätte die Rede sein sollen; so begegnet es uns hier in F r a n k f u r t zum 25. Male nach d e m Krieg, begegnet uns in einer Konzentration u n d Fülle, die manchen von uns immer aufs neue verwirrt, wenn nicht erschrickt. Ich will d e n Bilanzen dieser S t u n d e n keine a n d e r e hinzufügen, so wichtig es wäre, in der Rückschau auf j e n e Zäsur des Jahres 1948 mit gebotener Klarheit zu fragen: Woher kam d e r Geist, von d e m hier die Rede ist, und wohin ging er? W e n n wir so fragen, d a n n d ü r f t e die Zäsur 1933 u n d mit ihr die Bücherverb r e n n u n g u n d die Vertreibung keinesfalls verschwiegen werden. So wenig wie die a n d e r e von 1945, die Zäsur, als man von d e r , G n a d e des Nullpunktes' sprach. — Wir wissen heute, d a ß sie n u r allzu gering war. 1968 wäre eine andere d e r Zäsuren, ü b e r die noch weiter nachzudenken ist. Wir hatten es damals mit radikalen Mißverständnissen d e r Messefreiheit zu tun — Mißverständnisse, die das Resultat einer allzulangen Verwechslung von Indolenz u n d Toleranz, von pseudoliberaler Selbstzufriedenheit u n d demokratischem Selbstbewußtsein, von intellektueller Geschäftigkeit u n d geistigem Elan, von freiheitlichem Pathos u n d Mut zu praktizierender Freiheit gewesen sind. Die Buchmesse hat es überstanden. Sie ist eine internationale Institution des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland geworden. Ich setze den Akzent auf die Internationalität. Denn die T ü r e n , die 1945 vorsichtig g e ö f f n e t wurden, müssen weit o f f e n bleiben. Wir haben nicht zu viele davon. Zu wenige, das ist gewiß, die Tradition schaffen - u n d so klar in einer Tradition stehend, die wir zur nationalen Substanz zählen. Wir wollen nicht vergessen, daß diese Tradition auch auf ihre Weise J a h r f ü r J a h r in Leipzig, d e r Messeheimat j e n e r Zeit, von d e r H e r r Klett gesprochen hat, weitergeführt wird: J a h r um J a h r eine Chance f ü r die gute 461
23 Der
Yom-Kipur-Krieg
Nachbarschaft, die wir suchen und von der wir wünschen, sie möge J a h r f ü r J a h r intensiver, fruchtbarer, freundschaftlicher und freier werden. Ein Vierteljahrhundert — das ist Anlaß zur Gratulation und zur Dankbarkeit gegenüber den vielen, die Institution und Tradition mit großer Mühe und großer Geduld aufgebaut und verteidigt haben. Der Bundespräsident sagte mir gestern abend, als ich bei ihm war, er werde am Sonntag dabeisein, wenn der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wird, als Dank f ü r die Arbeit, die im Geiste und f ü r den Geist des Friedens geleistet wurde. 25 J a h r e Buchmesse — auch 25 Jahre eines beunruhigten Friedens f ü r uns in Europa, auch hier immer wieder überschattet von Gewalttaten und Verzweiflung. Es waren nicht 25 Jahre Frieden f ü r die Welt, in Wahrheit schwiegen die Waffen nie. Oft genug herrschte nur ein täglich gefährdeter Waffenstillstand — so im Nahen Osten. Er ist von neuem zerstört worden. Ein anderes Mal siegte das, was ich die ultima irratio genannt habe, nämlich das Versagen der politischen und menschlichen Vernunft. Der Wille zum Krieg —das ist in Wirklichkeit unser aller Niederlage. Niemals ist unsere Ohnmacht sichtbarer geworden. In dieser Stunde richten sich unsere Gedanken zuerst auf die Not und das Elend der vom Krieg betroffenen Menschen. Jede Stunde, um die die Kampfhandlungen verkürzt werden können, ist ein Gewinn f ü r die Menschen. Die Bundesrepublik Deutschland ist in diesem Konflikt nicht Partei, aber sie wird entschlossen jede Anstrengung unterstützen, die den Kampfhandlungen, wenn es geht, sofort ein Ende macht. Sie steht mit denen zusammen, die einen zuverlässigen Frieden wollen, der auf der Grundlage der Sicherheits-Resolution der Vereinten Nationen vom November 1967 ausgehandelt werden muß. Was vor den Toren Europas in diesen Tagen geschieht, meine Freunde, geht uns unmittelbar an. Dies ist auch eine Bewährungsprobe f ü r die politische Zusammenarbeit der neun europäischen Staaten der sich herausbildenden Gemeinschaft, die sich neben anderen zu einem eindringlichen Appell an die beiden eigentlichen Weltmächte zusammenfinden müßten. Heute vor 14 Tagen, fast auf die Stunde, fragte ich vor den Vereinten Nationen: .Wenn die beiden Weltmächte den Frieden nicht garantieren, wer könnte es an ihrer Stelle?' Doch ich fügte hinzu, daß keine der beiden Weltmächte ersetzbar in ihrer Verantwortung sei, und keine könne sich aus ihrer Verantwortung lösen. Diese Feststellung hat sich auf eine negative Weise in diesen Tagen bestätigt, wie auch die andere, über die ich auf der großen Versammlung in New York nachzudenken bat, nämlich daß Macht nicht quantifizierbar sei, daß es f ü r sie eine Grenze gebe, an der sie sich in Ohnmacht verwandele. Das war keine Einladung zur Resignation. Dies war eine Mahnung an die Verantwortlichkeit, die ich zu formulieren versuchte. Und so wiederhole ich sie heute: Auf welches Recht kann sich Macht heute berufen, und wozu sollte sie gut sein, wenn sie nicht in den Dienst des Friedens genommen wird? Wenn sie vor Konflikten kapituliert, die man in einer beschönigenden Sprache .begrenzte' nennt. Als ob diese Grenze f ü r die armen Teufel existierte, die töten müssen und die sterben müssen. Der Zustand einer zur Zeit fast universellen Hilflosigkeit teilt sich uns auf 462
23.1
Die Bonner Politik in diesen Tagen
deprimierende Weise mit. Wir wissen, daß unsere Stimme nicht weit trägt, aber d a r u m dürfen wir dennoch nicht schweigen. Vor den Vereinten Nationen — ich darf daran noch einmal erinnern — habe ich mit jener Behutsamkeit, die hier angemessen zu sein schien, auch auf die Notwendigkeit eines friedlichen Ausgleichs im Nahen Osten hingewiesen. Ich sagte, meine Regierung teile die Hoffnung, daß die internationale Gemeinschaft vor den Möglichkeiten einer Vermittlung nicht resigniere; sie sei zugleich der Meinung, daß vor allem im Friedensgespräch der Beteiligten der Ausgleich elementarer Interessen gefunden werden könnte. Statt dessen sprechen nun die Waffen. Ihre Sprache ist elementar. Ich verberge niemandem, wie tief diese Tragödie uns Deutsche bewegt, wie tief sie mich und meine Regierung und alle, die in deutschen Landen Verantwortung tragen, erschüttert. Wir haben uns den Auftrag von Vermittlern nicht zugemutet, denn wir überschätzen weder unsere politische noch unsere moralische Kraft. Aber wir haben zum Ausgleich, zur Vernunft geraten, für den Frieden geredet, wo immer es geboten war: Außenminister Scheel bei seinen Besuchen in Kairo und anderen Hauptstädten der arabischen Welt; ich erklärte selbst vor der Presse in Jerusalem, die Bundesregierung habe weder die Absicht noch die Legitimation, sich durch erbetene oder unerbetene Parteinahme zu übernehmen, aber das deutsche Interesse sei klar: es gelte einer friedlichen Lösung, die von den unmittelbar Beteiligten akzeptiert werden könnte. Meine Hoffnungen trugen mich bei der Begegnung — am 9. Juli war es erst, also vor wenigen Monaten — im Hotel King David mit Frau Premierminister Golda Meir einen Schritt weiter, als ich vorschlug, Israel und seine arabischen Nachbarn sollten nicht nur über die Sicherheit ihrer Grenzen, sondern auch über die großen Möglichkeiten regionaler Zusammenarbeit miteinander reden und mehr, daß es die Aufgabe Dritter sein sollte, diesen Prozeß zu fördern und für sein Ergebnis einzustehen. Vielleicht kehren diese H o f f n u n g e n wieder von den Schlachtfelder zu uns zurück. Ich wünschte, es würde schon morgen sein! Vielleicht wird diese Phase des Nahost-Krieges tatsächlich die letzte sein, weil sie endlich die große Ernüchterung schafft, ohne die Frieden in diesem Teil der Welt nicht möglich ist. Für diesen Frieden gibt es nach unserer unverrückbaren Einsicht - ich wiederhole es — n u r ein Fundament: die Anerkennung und Respektierung des Lebensrechts und der Sicherheit aller Staaten der Region. So sagten wir es den einen und den anderen und allen miteinander vom Podium der Vereinten Nationen. Für Menschlichkeit gibt es keine punktuelle Zuständigkeit. Für niemand kann es ein Anlaß zu Mißverständnissen sein, wenn der deutsche Bundeskanzler mit seinen Landsleuten dieses Wiederaufflammen des Krieges mit Entsetzen beobachtet. Gleichgültigkeit wäre nicht n u r eine Abdankung aller Menschlichkeit, sondern auch Flucht aus der Verantwortung, Rückzug aus der Realität, zu der jetzt die tragische Erfahrung zählt, die Juden und Deutsche aneinander bindet. Diese Erfahrung gibt uns nicht nur nicht das Recht, moralisch aus der Balance zu geraten, sie stärkt unser Augenmaß. Unsere Anteilnahme, die hier auf eine besondere Weise geweckt ist, schließt das Schicksal der einen wie der anderen ein: 463
23 Der
Yom-Kipur-Krieg
Menschen hier wie dort, die sich im Leiden, im Sterben, in der T r a u e r zuletzt nicht unterscheiden. Man muß verstehen, daß sich die Furcht von dort auf uns überträgt, mit ihr die Ahnung des Leidens uns mehr als eine Ahnung der Trauer, nicht nur, weil kein Friede in Europa sein kann, wenn die Häuser der Nachbarn im Nahen Osten brennen, sondern weil wir uns gegenwärtig machen müssen, daß hier auch das Leben von letzten Überlebenden bedroht ist, von Menschen, deren Familien im großen Inferno ausgelöscht oder so gut wie ausgelöscht wurden. Es geht um ihr Existenzrecht und um das ihres Volkes. Weil wir dies so ernst nehmen, sind uns das Existenzrecht und das Recht auf Sicherheit auch der arabischen Menschen genauso bewußt und genauso wichtig. Unsere Furcht f ü r das Leben derer, die betroffen sind, unterscheidet sich nicht nach Nationalitäten und nach Rassen, nach Staatsangehörigkeiten. Die Bundesregierung fordert immer wieder und eindringlich die Sicherung des Friedens in der Welt auch deswegen, weil dieses deutsche Volk f ü r den Zweiten Weltkrieg einen hohen, um nicht zu sagen schrecklichen Preis zahlen mußte. Sie tut es außerdem, weil sie weiß, daß f ü r eine gedeihliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Völker eine echte Chance nur besteht, wenn Frieden herrscht. Ich sagte, daß in solchen Erinnerungen aus den bittersten Jahren unserer Geschichte die Schauen zurückkehren, auch die Erinnerung an die Angst, mit der damals bei uns Väter und Mütter, Frauen und Kinder auf Nachrichten von der Front warteten, auf den Feldpostbrief, der weiter hoffen ließ, oder der aller Hoffnung ein Ende setzte. Unser Mitleiden, das aus dieser Erinnerung rührt, und unsere passionierte Bitte um Frieden duldet kein Mißverständnis, und sie sind jeder Pression entzogen. Man soll sich darüber nirgendwo falsche Vorstellungen machen. Ich sagte, daß die so offensichtliche Ohnmacht der Vernunft nicht Anlaß zur Resignation sein dürfe. Zumal die Weltmächte — ich darf das unterstreichen — sollten ihre Verantwortung ohne Zögern f ü r einen Frieden nutzen, der das Existenzrecht und die Sicherheit aller betroffenen Staaten garantiert. In den ersten Tagen, in denen solche Gewalten entfesselt werden, besteht meist wenig Aussicht, daß in dem Getöse der Waffen und der Waffensysteme — wie man heute sagte — eine Stimme menschlichen Empfindens und menschlicher Vernunft gehört wird. Dies darf uns nicht davon abhalten zu sagen, was unsere Überzeugung ist: Die Waffen sollen schweigen! Ich hoffe, daß sich diesem Ruf viele Staaten anschließen, gerade auch größere, als wir es sind, daß sie alles tun, was in ihren Kräften steht, damit die Waffen schweigen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es eine Illusion ist, die Konflikte im Nahen Osten militärisch lösen zu wollen. Dies wird sich wieder zeigen. Die Anerkennung der Wirklichkeit verlangt, daß keinem der dort bestehenden Staaten und der dort lebenden Völker das Lebensrecht abgesprochen werden darf. Es wird die Aufgabe der internationalen Politik sein, nicht n u r einen jederzeit neu gefährdeten Waffenstillstand zu erreichen, sondern zum Frieden in diesem Raum vorzustoßen. Der Zyklus von Eroberung und Rückeroberung, von Haß und Rache, von Drohung und Gewalt, unterbrochen von kürzeren oder längeren Pausen des Atemholens und des Sammeins neuer Kräfte, muß ein Ende finden! Jeder Staat 464
23.1 Die Bonner Politik in diesen Tagen ist heute aufgerufen mitzuhelfen, damit die Beteiligten die Kraft zum Frieden finden. Meine Damen und Herren, wo Forderungen wenig ausrichten, wo keine Macht ist, sie in die Wirklichkeit zu zwingen, da muß man der Kraft der Bitte vertrauen. Sie ist ein anderes Wort für Gebet, und auch wenn ich nicht zum Buch der Bücher greife, sage ich einfach: In diesem Vertrauen bitten wir um Frieden."
23.1.2
Die Botschafter beider Staaten beim
Bundesaußenminister
Am 8. Oktober empfing der Bundesminister des Auswärtigen, Walter Scheel, die in Bonn akkreditierten Botschafter der arabischen Staaten auf deren Wunsch. Die Botschafter legten Bundesminister Scheel die Auffassung ihrer Regierungen zu den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten dar. Bundesminister Scheel brachte nochmals das Bedauern der Bundesregierung über die ausgebrochenen Kampfhandlungen zum Ausdruck und äußerte die Hoffnung auf neue Bemühungen um eine friedliche Regelung des Nahost-Konflikts auf der Grundlage der Sicherheitsrats-Resolution Nr. 242. Am gleichen Tage empfing der Bundesminister des Auswärtigen, Walter Scheel, auch Botschafter BenHorin, der ihn um dieses Gespräch gebeten hatte. Das Auswärtige Amt veröffentlichte im Anschluß an diesen Besuch die folgende Erklärung: „Der Botschafter legte Bundesminister Scheel die Auffassung seiner Regierung zu den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten dar. Bundesminister Scheel brachte nochmals das Bedauern der Bundesregierung über die ausgebrochenen Kampfhandlungen zum Ausdruck und äußerte die Hoffnung auf eine baldige Feuereinstellung und neue Bemühungen um eine friedliche Regelung des NahostKonflikts auf der Grundlage der Sicherheitsrats-Resolution 242."
23.1.3
Strikte Neutralität der Bundesregierung
im Nahost-Konflikt
Am Nachmittag des 25. Oktober 1973 gab das Auswärtige Amt bekannt: „Die Bundesregierung hat am 24. Oktober erfahren, daß israelische Schiffe in Bremerhaven mit amerikanischem Material für Israel beladen wurden und ausgelaufen sind. Sofort nach Bekanntwerden hat der Staatssekretär im Auswärtigen Amt den amerikanischen Geschäftsträger in Bonn zu sich gebeten. Er hat ihm unter Hinweis auf die Unterredung beim amerikanischen Botschafter vom Vortag erklärt, die strikte Neutralität der Bundesrepublik in Nahost gebiete es, daß Waffenlieferungen aus amerikanischen Depots in der Bundesrepublik an eine der kriegführenden Parteien unter Inanspruchnahme des Territoriums oder von Einrichtungen der Bundesrepublik nicht gestattet werden können. Dem amerikanischen Geschäftsträger wurde ferner gesagt, die Bundesregierung 465
23 Der
Yom-Kipur-Krieg
verlasse sich darauf, daß danach die amerikanischen Lieferungen aus und über die Bundesrepublik endgültig abgeschlossen seien. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, sich nicht in den Nahost-Konflikt hineinziehen zu lassen. Sie hält trotz der Belastung durch den neuen Nahost-Krieg an ihrer Neutralität und an der Ausgewogenheit ihrer Nahost-Politik fest. Sie ist überzeugt, daß sie durch diese Haltung am besten der Herbeiführung eines dauerhaften und gerechten Friedens dienen kann."
23.1.4
Die Sowjetunion hat entscheidende
Verantwortung
Die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages, in der Abgeordnete aller drei Fraktionen zusammenwirken, hat in ihrer Sitzung am 19. Oktober 1973 die folgende Erklärung veröffentlicht: „Die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe des Bundestages verurteilt den Bruch des Waffenstillstands durch Ägypten und Syrien und den Angriff auf Israel. Das Mittel des Krieges ist in keiner Weise geeignet, die Spannungen abzubauen, die Probleme zu lösen und einen dauerhaften Frieden für die Völker des Nahen Ostens zu erreichen. Die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe bekräftigt die Existenz des Staates Israel und das Lebensrecht seiner Bürger, unterstützt die Forderung mit sicheren Grenzen und unterstreicht die entscheidende Verantwortung der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bei der Gewährung entsprechender Garantien. Mit voller Zustimmung der Parlamentariergruppe bemüht sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf Grund eigener Initiative u n d im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft um eine Feuereinstellung und wirkt auf die Großmächte ein, die kriegführenden Staaten zu einer Beendigung des Blutvergießens zu veranlassen. Von den Kollegen in den europäischen Parlamenten erwartet die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe, daß sie im gleichen Sinne auf ihre Regierungen Einfluß nehmen. In Übereinstimmung mit dem israelischen Volk hat die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe die bedrückende Gewißheit, daß es in diesem Krieg f ü r Israel um Sein oder Nichtsein geht. Angesichts dieser schrecklichen Gefahr verurteilt sie alle Waffenlieferungen und andere militärische Hilfeleistungen an die Kriegsgegner Israels. Der Frieden ist unteilbar. Man kann nicht in einem Teil der Welt Meinungsverschiedenheiten und Konflikte im Wege von Verhandlungen austragen und in einem anderen Teil der Welt mit dem Feuer des Krieges spielen. Hierbei trifft die Sowjetunion eine entscheidende Verantwortung." Weiterhin rief die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland auf, Spenden zum Ankauf von Arzneimitteln für die Versorgung von Verwundeten an die Rote Kreuz-Organisation Israels zu leisten.
466
23.1 Die Bonner Politik in diesen Tagen 23.1.5
Die CDU/CSU-Fraktion
zum
Nahost-Krieg
Die parlamentarische Opposition im Deutschen Bundestag hat am 16. Oktober 1973 die folgende Erklärung beschlossen: „Der blutige Krieg zwischen Arabern und Israelis und die von ihm geforderten schweren Menschenverluste erfüllen die CDU/CSU mit großer Sorge. Es steht zu befürchten, daß eine längerdauernde militärische Auseinandersetzung die aufgestauten politischen Probleme nicht löst, sondern die Gefahr einer Ausweitung des Krieges und eines immer umfassenderen Engagements der Großmächte in sich birgt. Die CDU/CSU-Fraktion stellt fest: Die Sowjetunion trägt eine schwere Verantwortung f ü r diesen Krieg. Daher appelliert die CDU/CSU an die kriegführenden Parteien, das Blutvergießen rasch zu beenden und miteinander erste Kontakte aufzunehmen und Friedensgespräche vorzubereiten. Mit anderen christlich-demokratischen Parteien in der Welt verlangen wir Respekt vor den Lebensrechten des Nachbarn und eine verbindliche und glaubwürdige Garantie der Existenz Israels in gesicherten Grenzen. Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, ihre politischen und diplomatischen Mittel — auch in Zusammenarbeit mit den anderen freien europäischen Staaten - nachdrücklich f ü r die Herstellung friedlicher Zustände im Nahen Osten einzusetzen. Sie hofft, daß Regierung und Bevölker u n g alle vorhandenen Möglichkeiten nutzen, um humanitäre und wirtschaftliche Hilfe den bedrängten Menschen zu leisten."
23.1.6
Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion: für die Entspannungspolitik hat begonnen
Die
Bewährungsprobe
Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Mischnick, hat auf der Fraktionssitzung am 23. Oktober die Erwartung ausgesprochen, „daß nach einem ersten Hoffnungsschimmer die Welt nicht erneut Zeuge einer Auseinandersetzung im Nahen Osten wird, die den Geboten der Menschlichkeit und d e r Vernunft widerspricht. Daß die Kämpfe trotz der Friedensbemühungen der beiden Großmächte und der Vereinten Nationen erneut aufflammen, werfe ein Schlaglicht auf die immensen Schwierigkeiten bei dem Versuch, eine Lösung der in Jahrzehnten gewachsenen Probleme zu finden. Die Großmächte haben mit ihrem ersten Schritt bewiesen, daß Entspannungspolitik mehr ist als die Verbesserung bilateraler Beziehungen. Sie enthält die Maßgabe durch verantwortungsbewußtes Handeln Gegensätze um der Menschen willen zu überbrücken. Die Bewährungsprobe f ü r diese Politik hat erst begonnen. Die Freien Demokraten hoffen, daß sie nach einem sicherlich sehr langwierigen und mühevollen Prozeß auch bestanden wird. Das Ergebnis wird zweifellos Auswirkungen auch f ü r den Fortgang unserer Entspannungspolitik haben." 467
23 Der Yom-Kipur-Krieg
23.2
Deutsch-Israelische Gesellschaft: Hilfe für Überwindung Kriegsfolgen in Israel
der
Das Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft hat bei seiner Sitzung am 15. Oktober 1973 einmütig die folgende Entschließung gefaßt: „Der Krieg im Nahen Osten gibt Anlaß zu äußerster Besorgnis. Die heftigen Kämpfe dauern unvermindert an. Auf Grund der verstärkten Waffenlieferungen zunächst der Sowjetunion und dann der USA ist die Verlängerung der militärischen Auseinandersetzungen zu befürchten. Wieder ist dem Staat Israel durch den Angriff einer großen arabischen Übermacht ein Krieg aufgezwungen worden, bei dem es f ü r die Araber allenfalls um eine militärische Niederlage, f ü r Israel aber um Sein oder Nichtsein geht. Unter den Folgen dieses Krieges leiden Menschen auf allen Seiten. Die Opfer übersteigen bereits die Verluste während desjunikrieges 1967, insbesondere auch unter der Zivilbevölkerung Israels und Syriens. Das Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft richtet an die kriegführenden Parteien den eindringlichen Appell, das Blutvergießen unverzüglich zu beenden, und verweist in diesem Zusammenhang auf die besondere politische Verantwortung der Großmächte. Der Konflikt im Nahen Osten läßt sich nur auf dem Wege direkter Verhandlungen ohne Vorbedingungen zwischen Arabern und Israelis lösen. Das Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bittet alle Kräfte in unserem Lande, die sich dem Frieden und dem Lebensrecht Israels verpflichtet wissen, diesen Appell zu unterstützen und bei der Überwindung der Kriegsfolgen mitzuhelfen. Es begrüßt alle Bemühungen der Bundesregierung, politischen Einfluß im Sinne eines sofortigen Waffenstillstands geltend zu machen." Bereits am 8. Oktober 1973, zwei Tage nach Beginn der Kampfhandlungen, hatte die Deutsch-Israelische Gesellschaft einen Spendenaufruf f ü r Israel erlassen, der vom Präsidenten, dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Heinz Westphal, dem Vizepräsidenten Erik Blumenfeld, Abgeordneter der CDU im Deutschen Bundestag, Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und Vorstandsvorsitzender der Bank f ü r Gemeinwirtschaft, Dr. h. c. Walter Hesselbach, dem Vizepräsidenten Prof. Dr. Rolf Rendtorff und dem Mitglied des DIG-Präsidiums und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, erlassen wurde. Dieser Aufruf hat folgenden Wortlaut: „Ägyptische und syrische Streitkräfte haben am 6. Oktober 1973 israelische Stellungen angegriffen. Der ägyptische Außenminister hat in New York erklärt, daß der Krieg von arabischer Seite eröffnet wurde. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft unterstützt die israelischen Verteidigungsanstrengungen, den Gegner auf die Waffenstillstandslinien vom Juni 1967 zurückzudrängen. Eine Regelung des 468
23.4
57 Prozent der deutschen Bevölkerung mit ihrer Sympathie für Israel
Nahost-Konflikts kann nur durch politische Mittel erreicht werden. Die Zivilbevölkerung im Norden Israels hat zum Teil schwere Verluste hinnehmen müssen. Auch Angehörige der drusischen Minderheit haben gelitten. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft ruft die deutsche Öffentlichkeit zu einer Hilfsaktion zugunsten der Hinterbliebenen unter der Zivilbevölkerung auf."
23.3
Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften für ChristlichJüdische Zusammenarbeit: „Dieser Krieg löst keine Probleme"
Der Deutsche Koordinierungsrat, Dachverband der Gesellschaften für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, gab zum Kriegsausbruch im Nahen Osten folgende Stellungnahme ab: „Die Nachrichten über den erneuten Ausbruch des Krieges im Nahen Osten am jüdischen Versöhnungstag haben nicht nur uns tief betroffen. Nach allen bisher vorliegenden Meldungen, insbesondere den Feststellungen der UN-Beobachter, sind Syrien und Ägypten für den Bruch der Waffenstillstandsabkommen verantwortlich. Dieser Krieg löst keine Probleme, er bringt nur neues Unrecht, Tod und Not für Tausende unschuldige Menschen auf beiden Seiten. Sein erneuter Ausbruch geht auch zu Lasten derer, die wirklichkeitsfremde Erklärungen und Resolutionen an die Stelle verantwortungsvollen politischen Handelns setzten." In einem Telegramm an den israelischen Botschafter in Bonn gab der Deutsche Koordinierungsrat erneut seiner Solidarität mit dem bedrohten Staat Israel Ausdruck. In Telegrammen an die Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bat er, ,die Beziehungen ihrer internationalen Gemeinschaft für die Sicherung von Frieden und Gerechtigkeit für alle Völker des Nahen Ostens einzusetzen — eines Friedens, der das Existenzrecht des Staates Israel einschließen muß. Darüber hinaus bitten wir - wie beim Ausbruch des Sechstagekrieges — die Kirchen, Bittgottesdienste abzuhalten, die der weltweiten Verantwortung der Kirchen für Frieden und Gerechtigkeit Ausdruck verleihen würden'.
23.4
57 Prozent der deutschen Bevölkerung mit ihrer Sympathie für Israel
Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat in einer Blitzumfrage von 500 Bundesbürgern ermittelt, daß sechs von zehn Bundesbürgern in diesem NahostKrieg, zu dieser Situation mit den Israelis sympathisieren. Die Veröffentlichung des Instituts über diese Umfrage bringen wir im vollen Wortlaut: 469
23 Der Yom-Kipur-Krieg
„Im Nahost-Krieg steht die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik mit West-Berlin gefühlsmäßig auf Seiten der Israelis. Das Institut f ü r Demoskopie Allensbach bat am 17. und 18. Oktober einen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt ab 16 J a h r e in persönlichen, mündlichen Interviews um Stellungnahme: ,Eine Frage zum Krieg zwischen Israel und den Arabern: Wem gehört Ihre Sympathie in diesem Krieg?' 57 Prozent erklärten, daß ihre Sympathie den Israelis gehöre; acht Prozent gaben an, daß sie mit den Arabern sympathisieren. Daß ihre Sympathie keiner der beiden kriegführenden Parteien gehöre, gaben 25 Prozent an, und zehn Prozent enthielten sich jeder Stellungnahme." Im April 1973, als man sich noch Hoffnungen machen konnte, daß es im Nahen Osten nicht wieder zu einem Waffengang kommen werde, hatte das Institut f ü r Demoskopie Allensbach schon einmal eine ähnliche Frage gestellt. Damals wurde gefragt: ,Wem gehört Ihre Sympathie im Nahost-Konflikt, den Israelis, den Arabern oder keiner der beiden Parteien?' Seinerzeit bekundeten den Israelis 37 Prozent der Bevölkerung ihre Sympathie. Für die Araber sprachen sich f ü n f Prozent aus, während 37 Prozent ihre gefühlmäßige Neutralität bekundeten und 21 Prozent keine Meinung äußerten. Technische Daten für die Redaktion
Zahl der Befragten: Repräsentanz: Zeitraum der Befragung: Zahl d e r Interviewer: Archiv-Nummer der Umfrage:
rund 500 Bevölkerung der Bundesrepublik mit Westberlin ab 16 Jahre; Mehr-ThemenUmfrage, Quota-Auswahl 17. und 18. Oktober 1973 120 2136
Tabelle 1
Frage: Eine Frage zum Krieg zwischen Israel und den Arabern. Wem gehört Ihre Sympathie in diesem Krieg?
%
%
Keiner der beiden Parteien %
Bevölkerung insgesamt Männer Frauen
57 59 56
8 10 6
25 24 26
10 = 100 7 = 100 12 = 100
Altersgruppen 16-29 Jahre 3 0 - 4 4 Jahre 45-59Jahre 6 0 J a h r e und älter
61 61 57 50
6 5 8 10
27 24 24 27
6 10 11 13
470
Den Israelis
den Arabern
Keine Meinung %
=100 =100 = 100 = 100
23.5 Botschaft des Zentralrats der Juden in Deutschland zum Jahre 5734 Tabelle 2 Frage: W e m gehört Ihre Sympathie im Nahost-Konflikt, den Israelis, den Arabern o d e r keiner der beiden Parteien? April 1973 Pro Israelis
Pro Araber
Neutral
Keine Meinung
%
%
%
%
Bevölkerung insgesamt
37
Männer Frauen
42 32
5 7
37 36 37
21 = 100 15 = 100 27 = 100
Altersgruppen 16-29Jahre 30-44Jahre 45-59Jahre
43 39 37
6 6 4
17 = 100 17 = 100
60 Jahre und älter
29
5
34 38 37 37
4
22 = 100 29 = 100
23.5 Botschaft des Zentralrats der Juden in Deutschland zum Jahre 5734 Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat zum jüdischen Neujahrsfest eine Botschaft erlassen, die vor dem Fest „Rosh Hashana" veröffentlicht wurde. Angesichts der furchtbaren Kriegshandlungen, die am letzten T a g e des Neujahrsfestes, dem Jom Kipur, in Israel ausbrachen, erhält diese Botschaft einen neuen Blickwinkel. Darum hier den vollen Wortlaut: „ A m jüdischen Neujahrsfest, das in diesem Jahr auf den 27. und 28. September fällt, blicken wir auf ein Jahr der Sorgen und Spannungen zurück. Unsere Besorgnis mußte erneut der andauernden Gefährdung des friedlichen Aufbauwerkes im Lande Israel gelten, dessen Existenz weiterhin von intransigenten Gegnern bestritten wird. I m m e r wieder erreichten uns schreckenserregende Nachrichten über Terrorakte und Verbrechen derartiger Kreise und ihre katastrophalen Folgen für das friedliche Zusammenleben der Völker und Menschen. Die neue Form des Judenhasses, die sich fälschlicherweise als Antiimperialismus und Fortschritt ausgibt, führte zu weltweiten Terrorakten und Anschlägen, wodurch zahlreiche unschuldige O p f e r des blinden Terrors zu beklagen sind. Teilnahmslosigkeit gegen dieses Unrecht wäre nicht Neutralität, sondern Unterstützung für immer neue Akte der Barbarei. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, vor wenigen Jahrzehnten selbst O p f e r eines mörderischen Regimes, darf zum erneuten Auftreten von Völkermord, von Diskriminierung und V e r f o l g u n g ganzer Völker und Gruppen in vielen Teilen der heute so zusammenwachsenden Welt nicht schweigen. W i r begrüßen und unterstützen daher alle politischen Maßnahmen im K a m p f gegen diese 471
23 Der
Yom-Kipur-Krieg
Erscheinungen, sofern sie nicht selbst wieder zu neuen Formen des Unrechts führen. Es gehörte und wird weiterhin zu unseren nobelsten Aufgaben gehören, unseren Beitrag zur Linderung von Not und Elend zu leisten. Aus dem umfangreichen Katalog der fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Bundesregierung und den im Bundestag vertretenen Parteien möchten wir besonders den Kanzlerbesuch in Israel hervorheben. Die daraus resultierende Vertiefung der deutsch-israelischen Beziehungen im Dienste der Völkerverständigung wird hoffentlich auch zu neuen Ansätzen für einen gerechten und dauerhaften Frieden f ü r Israel und seine Nachbarn beitragen. Über alle Grenzen und Staaten, Völker und Glaubensgemeinschaften hinweg muß die Menschheit in der heutigen Situation zusammenwirken, um die ihr gestellten Aufgaben zu lösen. Wir alle müssen uns bemühen, unseren Teil an dieser Verpflichtung zu übernehmen, um das J a h r 5734 d e r jüdischen Zeitrechnung zu einem guten J a h r werden zu lassen. Das Direktorium des Zentralrats wünscht in diesem Sinne allen Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, den Rabbinern und Lehrern, den Gemeinden, Landesverbänden und sonstigen jüdischen Organisationen und der jüdischen Presse ein gutes und erfolgreiches Jahr. Ein segensreiches J a h r wünschen die J u d e n in Deutschland ihren Brüdern in aller Welt, insbesondere den jüdischen Gemeinden, die in osteuropäischen und arabischen Ländern Verfolgung erleiden. In der Überzeugung, daß die freiheitliche Demokratie weiter gefestigt wird, grüßen wir alle Bürger der Bundesrepublik. Ein gutes und gesegnetes Jahr!" Am 7. Oktober 1973 erklärte der Verwaltungsrat des Zentralrats der Juden in Deutschland auf einer Sondersitzung: „Der Überfall am höchsten jüdischen Feiertag — dem der inneren Einkehr und Aussöhnung unter den Menschen gewidmeten Versöhnungsfest - ist eindeutig auf die Regierungen in Kairo und Damaskus zurückzuführen, die noch immer Israel das Recht auf sichere und friedliche Entwicklung nicht zubilligen. Aufgabe aller politisch Verantwortlichen muß es sein, der erneuten Gefährdung der Existenz des Staates Israel energisch entgegenzutreten und eine friedliche Regelung des Konfliktes zwischen Israel und seinen Nachbarn zu fordern. Insbesondere ist hier die J u g e n d aufgerufen, in ihrem Kampf für Frieden und Gerechtigkeit Israel aktive Unterstützung zu gewähren."
23.6
Bundesaußenminister Walter Scheel: Die Bundesrepublik Deutschland wird aktiv an den Entscheidungen der Vereinten Nationen teilnehmen
Am Vorabend seiner Reise zu den Vereinten Nationen, zu der Sitzung, an der die Bundesrepublik Deutschland in das Gremium der Völkergemeinschaft aufge472
23.6 Walter Scheel: Aktive Teilnahme an den Entscheidungen der Vereinten Nationen nommen wurde, hat sich Bundesaußenminister Walter Scheel in der Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens „Bonner Perspektiven" am 16. September 1973 den Fragen von Dr. Trampe und Gerd Schroers gestellt. Diese Fragen berührten auch die Thematik des Nahen Ostens im besonderen und im allgemeinen. Aus dieser Sendung daher der folgende Auszug: Frage: Herr Minister, die Bundesrepublik wird nun zum ersten Mal Sitz und Stimme in der U N O erhalten. Wie wird die Bundesregierung von dieser Stimme Gebrauch machen? Wird sie versuchen, sich aus den Händeln der Welt, die in der U N O ausgetragen werden, herauszuhalten? Also eher bei der Stimmenthaltung Zuflucht suchen oder will sie aktiv von dem Stimmrecht Gebrauch machen, Partei ergreifen, Farbe bekennen, auch in heiklen Situationen? Minister Scheel: Sicher werden wir aktiv an den Entscheidungen der UNO teilnehmen. Wir wollen uns nicht drücken vor den Abstimmungen, die in der UNO stattfinden. Abstimmungen, die sicherlich heikle Themen betreffen. Aber wir werden in einer sachlichen, in einer konstruktiven Form in der U N O mitwirken. Und zwar in einem Umfang, wie es unseren Möglichkeiten angemessen ist. Oder um es einmal negativ auszudrücken: Man sollte nicht etwa erwarten, daß wir spektakuläre Anträge stellen, Initiativen ergreifen oder etwa glauben, n u n m e h r müsse man die U N O erst einmal zu einer richtigen Arbeitsweise bringen. Das ist nicht unsere Absicht, sondern so geschäftsmäßig wie das die Zeit und wie das der Anlaß erfordern. Frage: Herr Minister, kann man das vielleicht am Beispiel eines ständigen Konflikts erläutern? Ich denke an den Nahost-Konflikt. Sie selbst sind in den arabischen Staaten gewesen im Frühjahr. Der Bundeskanzler war in Israel und man konnte den Eindruck haben, als würde die Bundesregierung ihre Rolle in den Vereinten Nationen hinsichtlich dieses Konflikts darin sehen, daß sie sich der Stimme enthielte, wenn sie gefordert würde. Minister Scheel: Nein, dieses ist weiß Gott nicht richtig. Obgleich es einmal vorkommen kann, daß wir uns in bestimmten Fragen der Stimme enthalten. Aber dann hat es seinen Grund, daß wir uns der Stimme enthalten. Denn auch Stimmenthaltung ist ja eine Stellungnahme zu einem Problem. Man kann ein Problem nicht unbedingt immer mit Ja oder mit Nein beantworten. Aber was den Nahost-Konflikt angeht, so haben wir schon seit langer Zeit eine eindeutige Stellung bezogen. Die ist sehr klar. Vielleicht präziser als die Stellung manch' anderen Landes. Diese Position ist eine ausgewogene. Das heißt, wir haben gute Beziehungen zu Israel. Die wollen wir erhalten. Und wir wollen sie weiter pflegen. Und wir haben in den letzten Jahren die unterbrochenen diplomatischen Beziehungen zu den arabischen Ländern mit fast allen wieder aufgenommen, und die wollen wir weiter entwickeln. Beides darf nicht etwa sich gegenseitig stören. Das wissen die Araber so gut wie die Israelis und beide sind zufrieden, weil wir hier eine sehr vernünftige Position bezogen haben, aus der heraus man auch mitwirken kann bei der Überwindung des Konfliktes, der ja leider immer noch andauert. Sehr zum Schaden, nicht n u r der direkt Beteiligten, sondern zum Schaden auch der anderen. Zum Schaden auch der Europäer. 473
23 Der Yom-Kipur-Krieg Frage: Mitwirken k a n n vielleicht auch, indem m a n mal eindeutig Stellung bezieht zugunsten eines d e r beiden Teile. Ich stelle mir vor, d a ß es passieren könnte. Die A r a b e r gewinnen ein Übergewicht. Und wir w ü r d e n uns d a n n , u m eine Balance herzustellen, auf die Seite Israels setzen. Minister Scheel: U n s e r e Position wird sich i m m e r ergeben aus d e r Sachfrage. Sicherlich ist es möglich, d a ß wir in einer in d e r U N O zu entscheidenden Frage o d e r in d e r U N O zu diskutierenden Resolution uns einmal auf die eine o d e r a n d e r e Seite stellen. W e n n ' s zum Beispiel um Beurteilung von T e r r o r m a ß n a h m e n geht. Da sind wir sehr klar, weil wir den Gewaltverzicht z u r G r u n d l a g e d e r Politik machen. Nicht n u r f ü r uns selbst, sondern auch, wir erwarten es von a n d e r e n . A b e r das hängt von d e r Sachfrage ab. Man weiß nicht, ob wir einmal auf dieser o d e r auf j e n e r Seite J a o d e r Nein sagen müssen. Frage: Die U N O , H e r r Minister, wird j a i m m e r m e h r zum F o r u m d e r Auseinand e r s e t z u n g zwischen N o r d u n d Süd, des Nordsüdkonflikts, d e r Auseinandersetz u n g zwischen d e n a r m e n u n d d e n reichen L ä n d e r n . Wir gehören zu d e n bevorzugten Gebieten, d e n entwickelten Gebieten, sind a b e r allein schon, u m unseren Energie- u n d R o h s t o f f b e d a r f zu decken, auf ein gutes Verhältnis zur Dritten Welt angewiesen. Welche Maßstäbe gelten f ü r die B u n d e s r e g i e r u n g in dieser Auseinandersetzung? Minister Scheel: Lassen Sie mich zunächst vielleicht einmal sagen, als Sie sagten, wir g e h ö r e n zu d e n bevorzugten Gebieten: Da ergibt sich gleich eine Parallele zu d e m zweiten, neu b e i t r e t e n d e n Land, zur DDR. In diesem Bereich gehören wir zur selben G r u p p e . Auch die DDR ist ein europäisches Industrieland. Was die Entwicklungspolitik angeht, so ist die Bundesrepublik kein unbeschriebenes Blatt, sond e r n wir haben vor ü b e r einem J a h r z e h n t , vor zwei J a h r z e h n t e n sogar, damit beg o n n e n , aktive Entwicklungspolitik zu treiben. U n d wir gehörten sogar zu d e n Pionieren d e r Entwicklungspolitik auf d e r Welt. Ich selber habe j a meine politische L a u f b a h n zumindest im Bundeskabinett in dieser Sparte d e r Politik b e g o n n e n . Wir haben weltweit A n e r k e n n u n g mit u n s e r e n B e m ü h u n g e n g e f u n d e n auf diesem Gebiet. B e m ü h u n g e n , die von vornherein in erster Linie die Interessen des Partners, des schwächeren Partners im Auge gehabt haben u n d nicht etwa n u r die eigenen Interessen. Aber wir haben auch nie verschwiegen, daß es am besten ist in d e r Entwicklungspolitik, beiderseits die Interessen miteinander zu verbinden. Unsere Leistungen in diesem Zeitraum, seit 1950 etwa, sind außergewöhnlich groß. Sie sind in d e r Skala der Leistungen d e r Mächte dieser Welt ganz an d e r Spitze zu finden. Wir haben etwa 70 Milliarden D-Mark netto d e n Entwicklungsländern bisher z u r V e r f ü g u n g gestellt. Eine gewaltige Summe. U n d m a n hat vor allem an u n s e r e r Hilfe die objektive Art geschätzt u n d die Tatsache, d a ß wir Hilfe leisten wollen o h n e irgendwelchen politischen Druck auszuüben oder politischen Einfluß zu n e h m e n . Es wird auch so bleiben. Das heißt, wir haben in d e r U N O eine n e u e Möglichkeit, ü b e r die Probleme d e r Entwicklungswelt zu diskutieren, unsere Position darzulegen, u n d ich bin davon überzeugt, d a ß das auch unsere politischen Mitwirkungsmöglichkeiten beeinflussen wird. Frage: Aber trotz u n s e r e r Entwicklungshilfe gelten wir bei den L ä n d e r n d e r Drit474
23.6 Walter Scheel: Aktive Teilnahme an den Entscheidungen der Vereinten Nationen ten Welt natürlich als ein Land, als ein Industrieland unter anderen, das den Ländern der Dritten Welt ihre wirtschaftliche Selbstbestimmung vorenthält. Minister Scheel: Ja, aber ich finde, daß eine solche Betrachtungsweise eher polemisch ist. Wir wollen die wirtschaftliche Selbstbestimmung, das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht diesen Ländern nicht vorenthalten, sondern im Gegenteil: wir helfen ihnen dabei, ihren Nachholbedarf zu decken auf diesem Gebiete. Und zwar immer nach den Vorstellungen, die unsere Partner selbst entwickeln. Wir wollen ihnen überhaupt nichts aufzwingen. Ich glaube, daß man vielleicht, das, was in der UNO selbst an harter Auseinandersetzung zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern sichtbar wird, relativiert sehen muß. Es gibt leider, ich Finde es gar nicht berechtigt, eine Beziehung auf zwei Ebenen zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern. Die eine Ebene ist die bilaterale. Das geht sehr gut, weil sie genau wissen, diese Länder, was sie von uns haben. Und die andere Ebene, das ist die Bühne, auch die UNO. Da gibt es Propaganda, da gibt es auch Polemik. Aber die muß man entsprechend relativiert sehen. Frage: Herr Minister, ich darf noch einmal auf einen Gedanken zurückkommen, den Sie vorhin äußerten. Einerseits Gewaltverzicht, andererseits Antiterrorismus. Das ist unsere Haltung. Aber wie stehen wir eigentlich zu den Freiheitsbewegungen, die ja auch Gewalt anwenden? Minister Scheel: Ja. Sicherlich haben wir Verständnis f ü r die Völker, denen ihr Selbstbestimmungsrecht vorenthalten wird. Wir haben nicht nur Verständnis. Möglicherweise haben wir auch Sympathie f ü r sie. Und wir sind frei genug, diese Sympathie auch offen zu erklären. Aber was hier gilt in Europa, als Grundlage unserer Politik, nämlich der Gewaltverzicht als die erste Forderung, das gilt natürlich f ü r andere Kontinente auch. Das gilt auch für Afrika. Mit anderen Worten: Befreiungsbewegungen, die die bestehende O r d n u n g mit Gewalt, mit militärischen, mit kriegerischen Mitteln umstürzen wollen, können von uns nicht unterstützt werden und werden von uns nicht unterstützt. Man hat überhaupt nichts dagegen, wenn meinetwegen private Organisationen oder auch Kirchen mit diesen Bewegungen Kontakt haben, um ihnen im humanitären Bereich zu helfen.
475
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik
Anfang November schrieb ich zu den Ereignissen in Israel und zu dem, was sich im europäisch politischen Raum tat, die folgenden Gedanken nieder: „Als über Nachrichten-Agenturen, Fernsehen und Rundfunk am 6. November 1973 die Verlustziffern des letzten Nahost-Krieges veröffentlicht wurden, zog in meiner Familie — aber ich darf sagen, bei vielen Freunden in Deutschland — tiefe Trauer ein. Die Zahl von 1854 Toten und über 1800 Verwundeten ist f ü r Israel mit seiner Bevölkerungszahl von 3,1 Millionen Menschen ein ungeheurer Verlust. Wieviele persönliche Freunde und Bekannte haben ihre Söhne und Väter verloren. Als Professor Simonsohn am 9. November in Bonn weilte, um die Gesellschaft zur Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit der Tel Aviver Universität mitzugründen, hörten wir, daß allein an dieser Universität sieben Professoren und Dozenten gefallen sind. Wieviele Studenten nicht mehr an ihre Plätze zurückkehren werden, war offen. Bei dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sind bereits etliche Stipendiaten, sowie Israelis als auch Araber, unter den Toten. Ein grausames Kapitel der jüngsten Geschichte, das noch nicht abgeschlossen ist und das nur abgeschlossen werden kann durch Frieden. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen und erregten Kommentaren, wie empört man in Israel und in jüdischen Kreisen in aller Welt über die Resolution der Europäischen Gemeinschaft der neun Staaten war und ist. Ich halte es aber f ü r verfehlt, der Bundesrepublik und ihrer Regierung Vorwürfe zu machen, so als seien die Formulierungen von ihr getroffen worden. Bundeskanzler Willy Brandt hat mehrfach betont, daß man diese Resolution sehr genau lesen müsse und ich habe viele seiner Äußerungen vor dem Bundestag, dem Bundesrat und dem Europäischen Parlament wiedergegeben. Dazu kommen die Texte der Resolution 242 der Vereinten Nationen und die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft. Der Bundeskanzler hat vor dem Europäischen Parlament in Straßburg den Satz gebracht: „Politische Einheit hat ihren Preis." Es ist ein Satz der Vernunft, aber auch der Resignation, denn die Einheit Europas ist eben sehr teuer zu erkaufen, wenn es Mitglieder gibt, die in vielen Punkten versuchen, ihre eigenen Vorstellungen oftmals auf Kosten der Gemeinschaft durchzusetzen. Wir Deutschen — das ist ein Resultat unserer jüngsten Vergangenheit — können eine Gemeinschaft Europas nicht an irgendeiner Stelle platzen lassen. Ich weiß aus vielen Gesprächen, daß man sich bemüht hat, andere Positionen einzunehmen, aus denen dann dieser Kompromiß wurde. Die Begegnung des Bundeskanzlers anläßlich des europäischen Treffens der Sozialdemokratischen Parteien, zu dem auch Israels Ministerpräsidentin, Frau Golda Meir, in London weilte, brachte den Versuch der Erläuterung der Hinter476
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik gründe zu dieser Resolution. Es hat sich gezeigt, daß nach vielen Konsultationen dieser und anderer Art, die israelischen offiziellen Äußerungen wesentlich ruhiger klangen als in der ersten Erregung. Das parteipolitische Vertrauen von Frau Meir zu dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, hat hier vieles aufgefangen, was durch die ungenaue Kenntnis von Texten im ersten Augenblick von manchen Kreisen in der jüdischen Welt anders gesehen worden war. In den Texten, die ich in dieser Ausgabe der „deutschland-berichte" wiedergebe, spiegelt sich die innere Haltung der Politiker gegenüber Israel wider. In unserer letzten Ausgabe hatten wir ein demoskopisches Umfrage-Ergebnis abgedruckt, das deutlich zeigte, wie die Bevölkerung der Bundesrepublik zu Israel steht. Durch die Versuche, Geld f ü r die Not zu sammeln, der Aufruf Axel Springers in Jerusalem ein israelisch-arabisches Rehabilitationszentrum auf dem Skopusberg in Jerusalem sind Zeichen, die gesetzt werden, um neben der offiziellen Politik darzutun, wie man sich mit der Not Israels, mit seinen Sorgen um die Zukunft verbunden fühlt. Man hat in der Erregung den Europäern vorgeworfen, daß sie nur um ein paar Tropfen Öl, um einer warmen Wohnung willen den Arabern nachlaufen. Es gibt sicherlich viele Rezepte, auf den Ölboykott zu reagieren. Einer der Gründe, nicht mit der ganzen arabischen Welt zu brechen, ist wohl dieser, das Feld der arabischen Diplomatie nicht zu räumen, damit diese Bereiche nicht völlig in die Hände der Sowjetunion geraten. Wie weit diese Versuche gelingen können, wird die Zukunft lehren. Es geht auch nicht n u r um die warme Stube. Die Energie-Konzeption Europas - ein einzelner Staat ist hier gar nicht mehr zu nennen - ist bei der starken Industrieabhängigkeit vom Öl in größeren Dimensionen zu sehen. Das bedeutet nicht, daß ich f ü r ein Nachgeben gegenüber arabischen Boykottdrohungen eintrete. Die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft haben in Kopenhagen am 21. November in einer Art Geheimdiplomatie nicht nur die Überwindung der Ölkrise behandelt, sondern sich auch darüber Gedanken gemacht, wie man die Erpressung als politisches Mittel ausschalten kann. Am 14. und 15. Dezember werden die Regierungschefs der EG-Staaten in einer vertraulichen Gipfelkonferenz das Nahost-Problem weiter diskutieren. Bis dahin wird man zwischen den einzelnen Regierungen das Thema weiter behandeln. Wie weit wir von einem Frieden im Nahen Osten, aber auch von einem Frieden in der Welt entfernt sind, läßt sich in dieser Stunde nicht sagen. Sollen wir daher diese Friedensgedanken beiseite legen? Ich meine, nein. Wir müssen daran festhalten, wir müssen immer wieder von neuem in unendlicher Geduld versuchen, einen Frieden zu erreichen. Die Welt braucht ihn, Europa muß ihn haben und Israels Sicherheit hängt letztlich vom Frieden ab. Sichere Grenzen sind selbstverständlich. N u r hat der letzte Krieg auch gezeigt, wie eben jeder Krieg auch bei sicheren Grenzen unendliches Leid, unendliche Verluste mit sich bringt. Europa braucht das östliche Mittelmeer genauso wie Israel Europa braucht. Frieden im Nahen Osten, das mag in dieser Stunde wie eine Fata Morgana klingen, 477
24 Der Nah-Ost-Krieg
und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik
wird sich n u r durch eine Art Niederlegung der Grenzen ermöglichen lassen, wenn auf beiden Seiten Friedensgedanken Realität annehmen. Das würde bedeuten, daß es eine ähnliche gemeinschaftliche Wirtschaft im Nahen Osten gibt wie heute in Europa, die vielleicht durch eine Art europäischen Marshall-P\a.n mitgeschaffen werden könnte. Dadurch ließe sich dann auch friedlich und ohne Vertreter der palästinensischen Terrororganisationen ein Frieden f ü r diese Bevölkerung schaffen. Diese Dinge werden uns sicherlich noch lange beschäftigen."
24.1 Der Nahost-Konflikt vor Bundesrat und Bundestag Anläßlich der Verabschiedung des Energie-Gesetzes, das die Bundesregierung einbrachte, um der akuten Notsituation in der Ölversorgung H e r r zu werden, hat Bundeskanzler Willy Brandt zum Nahost-Konflikt vor dem Bundestag am 9. November 1973 Stellung genommen: „...Gestatten Sie mir nun auch noch einige Bemerkungen zum ernsteren Thema, das uns in diesen Tagen und in diesen Wochen begleitet, ein Thema, auf das der Herr Präsident zu Beginn seiner Ansprache eingegangen ist. Der Konflikt im Nahen Osten birgt trotz leicht optimistischer Andeutungen dieses Morgens die zur Zeit größte Bedrohung des Weltfriedens. Unbestreitbar ist in diesem Zusammenhang die besondere Verantwortung der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Im übrigen fällt den Vereinten Nationen eine wichtige Rolle bei der D u r c h f ü h r u n g einer Friedensregelung zu. Niemand aber kann die Augen davor verschließen, daß auch wir Europäer unseren Beitrag zu einer Gesamtlösung der Probleme zu leisten haben. Die neun Staaten der Gemeinschaft haben nun im Zuge ihrer verstärkten politischen Zusammenarbeit jetzt zum ersten Mal ausführlicher zum Nahost-Problem Stellung genommen. Dabei war es wohl unumgänglich, daß einzelne Mitgliedstaaten im Interesse der Gemeinschaft auf diesen oder jenen Akzent verzichten, den sie selbst gern stärker hervorgehoben hätten. Hier und da wird man sich bei uns und anderswo daran erst noch gewöhnen müssen, und man wird, so denke ich, schließlich einsehen, daß dies, nämlich eine gewisse, hoffentlich gleichmäßig verteilte Unzufriedenheit der Preis für die angestrebte politische Einigung und Einheit Westeuropas ist. Zuletzt liegt es im Interesse nicht nur der Europäer, sondern auch der direkt am Konflikt Beteiligten, wenn die Gemeinschaft an Gewicht gewinnt; denn n u r dann wird sie in der Lage sein, ihren Einfluß im Sinne der Vernunft und der Gerechtigkeit geltend zu machen. Im Zusammenhang mit der Nahost-Debatte hat das Schlüsselwort von der Neutralität, das in seinem klaren Verständnis nicht verteufelt werden darf, schon mit Rücksicht auf unsere Nachbarn im Norden und im Süden der Bundesrepublik, hat dieses Schlüsselwort einen anderen Akzent erhalten. Zum stereotypen Vorwurf neutralistischer Neigungen ist zu sagen: Meine Regierung hat ihre Politik f ü r Europa und f ü r das Bündnis von der ersten Regie478
24.1
Der Nahost-Konflikt
vor Bundesrat und Bundestag
rungserklärung im J a h r e 1969 bis zu diesem Tage unmißverständlich erklärt, und mehr als das, wir haben unsere Politik durch unser tägliches Verhalten bestätigt. Ich habe festzustellen: Neutralismus ist nicht unser T h e m a . Was die sogenannte Neutralität gegenüber dem Konflikt im Nahen Osten angeht: sie wurde mit unserer Nicht-Parteinahme in den bitteren militärischen Konflikt auf eine unentschuldbare Weise verwechselt. Ich habe oft betont, daß es für uns keine Neutralität des Herzens und des Gewissens gibt. Wären wir in diesem Sinne neutral, dann hätten wir geringeren Anlaß, die Forderung nach einem gerechten und dauerhaften Frieden in dieser gequälten Nachbarregion zu der unseren zu machen. Wir begreifen unsere Pflichten anders. Das kommt auch der arabischen Welt zugute, und manche ihrer Führer wissen es. Mein Wort, daß unsere Beziehungen zu Israel einen besonderen Charakter haben, steht unangetastet. Niemand kann von uns erwarten, daß wir uns an unserer eigenen Geschichte und an den bitteren Lehren aus dieser unserer eigenen Geschichte vorbeimogeln. Kein Volk kann sich das leisten. Das gilt f ü r uns, das gilt f ü r die arabische Welt, deren Selbstrespekt in ihrer eigenen Geschichte wurzelt und die daraus das Recht auf unseren Respekt bezieht. Würden wir an unserem Verhältnis zu Israel rütteln lassen, dann wäre keines unserer wohlabgewogenen Worte gegenüber den arabischen Völkern auch nur irgendetwas wert. Unser Ehrgefühl ist so empfindlich wie das anderer Völker. Wir betrachten es als Fundament jedes vernünftigen Gesprächs. Darum auch als Voraussetzungjeden Friedensgesprächs. Durch Drohungen und Erpressungen kann man einen gewissen Eindruck machen auf begrenzte Zeit. Doch Freunde schafft man sich damit nicht. Wir haben das erfahren. Jede andere Politik wäre auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Der Weg zum Frieden im Nahen Osten, meine Damen und Herren - wem sage ich das vor diesem Hohen Haus - , stellt an die politische Vernunft aller Beteiligten hohe Anforderungen. Es darf nicht dahin kommen, daß ein kleines Volk, dem es ums Überleben geht, sich in der Angst der Einkreisung verkrampft. Diese Region muß vielmehr zu einem lebensfähigen Raum werden, dessen Mitgliedstaaten gemeinsam zu seinem Wohl beitragen. Sehen wir, so möchte ich bitten, in der Resolution der Ministerkonferenz vom Dienstag die Anstrengung, durch Argumente im Feld der Vernunft den Teufelskreis der Gewalt überwinden zu helfen. In Brüssel wurde kein Schlußstein gesetzt, sondern es wurde ein Weg gesucht. Das bitte ich zu erkennen und zu respektieren. Von hier aus kann weiter gesucht und weiter argumentiert werden. Die Bundesrepublik Deutschland, lassen Sie mich dies in aller Offenheit hinzufügen, versteckt sich nicht hinter Europa. Wir stehen zur Politik der Gemeinschaft, soweit sie schon entwickelt werden konnte. Sie darf nicht als Schlagseitenposition im Konflikt mißverstanden werden. Man sollte in ihr vielmehr das Bemühen sehen, an der Aufgabe mitzuwirken, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seit Ende 1967 verabschiedeten Entschließungen in praktische Lösungen umzusetzen. Keine Lösung wäre nach unserer Überzeugung von Dauer, die nicht das Lebensrecht aller Staaten und Völker in dieser Region sichert. 479
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik Und nun zum Schluß noch, verehrter Herr Präsident, im Anschluß an Ihre Bemerkungen dazu auch ein paar Sätze zum deutsch-amerikanischen Verhältnis. Der Nahostkonflikt, obwohl eine Region betreffend, die nicht erfaßt wird durch den Nordatlantikpakt, der Nahostkonflikt ist auch zu einer Art, nein zu einer besonderen Art Bewährungsprobe f ü r unser Bündnis geworden und innerhalb des Bündnisses f ü r die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Ich bestreite keinen Augenblick, daß es Verständigungsschwierigkeiten gab, die keine einseitigen waren. Und ich meine, daß alle Beteiligten hieraus gelernt haben. Das Bündnis u n d ganz besonders die deutsch-amerikanische Kooperation haben, wenn man es recht sieht, eine Bewährungsprobe bestanden. Der intensive Meinungsaustausch mit dem Weißen Haus, über den berichtet worden ist, kann als klarer Beweis gelten. So ist es vor ein paar Tagen auch durch die Verteidigungsminister in Haag festgestellt worden. Ich halte mich im übrigen an das, was mir von der insoweit einzig autorisierten Quelle, nämlich aus dem Weißen Haus, mitgeteilt wird. Hörte ich auf andere Stimmen, dann ließe ich es am Vertrauen fehlen. Und ich kenne n u r eine Gefährdung des Bündnisses und der deutschamerikanischen Zusammenarbeit, nämlich ein Mißtrauen, das niemand, weder auf dieser noch auf der anderen Seite des großen Wassers, fahrlässig schüren darf." Bei der Behandlung des gleichen Gesetzes am gleichen 9. November 197S hat d e r f r ü h e r e Vorsitzende der CDU-Fraktion, jetziger Bundestagsabgeordneter Dr. Rainer Barzel, das Problem deutsch-israelischer Zusammenarbeit um die Fragen deutscher Politik gegenüber Israel angesprochen. Dr. Barzel sagte in seiner Rede: „Daß die Bundesregierung nicht jeden T a g alles, was sie tut, an die große Glocke hängen kann, daß sie nicht immer alles vollständig und öffentlich, zu jedem Zeitpunkt gar noch, erklären kann, daß sie viel Rücksicht üben muß, wissen wir. Wir heben das in diesem Augenblick besonders hervor. Dieses Parlament u n d seine Abgeordneten haben aber eigene Pflichten. Wir meinen, daß wir die eigenen Pflichten verletzen, wenn wir diesem Gesetz einfach zustimmen — und damit der Politik, die zu diesem Gesetz geführt hat —, ohne zu erläutern, was wir dabei empfinden. Wir können ja nicht so tun, als würden im Volk, zumal von j u n g e n Menschen, nicht Fragen nach der moralischen Qualität von Politik, Fragen über Technik und Öl hinaus gestellt. Wie gern zitiert der Herr Bundeskanzler den Satz aus der Bibel: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Es wäre interessant f ü r dieses Haus — und irgendwann wird dies sicher erfolgen —, wenn der Bundeskanzler diese Sentenz auf Grund der Erfahrungen dieser Tage mit dem Blick auf die Lage der Menschen hier und auf die Erfahrungen in einer hochindustrialisierten Gesellschaft und in einem empfindlichen Staatswesen einmal mit dem Blick auf das Öl formulierte. Ich glaube, dies wäre ein wichtiger Beitrag. Wie gesagt, wir suchen, wie Sie merken, heute nicht die große kontroverse Debatte. Wenn Sie sie wünschen, wird sie natürlich geführt. Was heute vielmehr not tut —dies ist, wie wir glauben, die Aufga480
24.1 Der Nahost-Konflikt vor Bundesrat und Bundestag be einer recht verstandenen Opposition, dies entspricht, wenn wir richtig zuhören, wohl auch den Bedürfnissen von Kollegen aus der Koalition —, sind Anmerkungen und Fragen zu den Zusammenhängen. Sicher wird die Bundesregierung selbst empfinden, daß sie uns hier u n d der Öffentlichkeit noch Antworten schuldig ist. Wir verstehen, daß nicht j e d e Antwort zu jeder Stunde gegeben werden kann. Wir hoffen, daß die Regierung ebenso versteht, daß wir nicht immer dann schweigen und unser Fragen unterlassen, wenn wir glauben, etwas sagen zu müssen. Deshalb muß dieses heute gesagt werden. Die USA haben sich uns gegenüber — wie auch im Verhältnis zu ihnen seit langem - nicht n u r als Partner, sondern als Freunde bewährt, und das, verkürzt gesagt, nicht nur bei schönem Wetter, wie nicht n u r die Berliner wissen. Gerade haben sich die USA erneut als friedenssichernde und friedensstiftende Macht erwiesen. Unsere Sicherheit hier, unsere Freiheit und unsere Wohlfahrt hängen vom Bündnis mit den USA ab. Auch die Chance zur weiteren Entspannung hängt von der Tragfähigkeit des Bündnisses ab. Diese Realitäten — ob uns das paßt oder nicht—gelten doch umso mehr, als der Anblick Europas, wenn man dies, wie wir es tun, in seinem freien Teil vereinigt zu sehen wünscht, alles andere als erfreulich und befriedigend ist. Das sind Realitäten. Das sind existentielle Bedingungen f ü r die Lebensqualität der Menschen in d e r Bundesrepublik Deutschland. Deshalb müssen wir leider fragen: Ist der Bundesregierung diese fundamentale Bedingung der deutschen Politik in den letzten Wochen immer voll bewußt gewesen? Hat sie immer und an jedem T a g intern und öffentlich entsprechend gehandelt? Hat sie Westpolitik insgesamt mit dem nötigen Vorrang, mit der nötigen Vorsorge, mit der nötigen Rücksicht, mit dem, was unter Freunden möglich und nicht möglich ist, betrieben? Diese Fragen müssen gestellt werden. Unsere Antwort hierzu lautet: Nein. Wir sehen natürlich, daß hier ganze Reparaturkolonnen von beiden Seiten auf dem Wege sind, um den Schaden einzugrenzen. Vielleicht habe sie auch Erfolg. Aber wir fürchten, das Glas hat einen Sprung bekommen. Zum anderen rufen wir seit langem — und ich habe mich gefreut, daß der Kollege Ahrens das eben auch getan hat, das wird dann hier geschehen; aber durch die Politik der Regierung geschieht da, wo sie handeln kann, etwas anderes — nach mehr europäischer Solidarität. Ich meine, diese Lage macht doch deutlich, daß es einfach stimmt, wenn wir sagen: Keiner, wer immer es sei, wird einem Mitglied d e r Europäischen Gemeinschaft wirtschaftlich und politisch zu nahe treten können — und selbst derjenige nicht, d e r das wollte — wenn diese Gemeinschaft eine festgefügte, politisch handlungsfähige, solidarische politische Gemeinschaft ist. Auch hier räumen wir, um ein gerechtes Urteil bemüht, ein, daß in einer solchen Gemeinschaft natürlich nicht alles so gehen kann, wie ein Partner will; aber es darf auf Dauer auch nicht so gehen, wie ein Partner es will. Sie haben sicher verstanden, was das heißt. Wir sähen aber nun gern die Bundesregierung in der Position des Drängens, wie sie eben durch den Sprecher der Opposition hier f ü r das Parlament bezogen worden ist. Wir erlebten es gern, daß sie Vorschläge macht, daß sie sich nicht scheut, hervorzutreten und auf Verbreiterung und Beschleunigung des europäi481
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik sehen Einigungsprozesses einzuwirken. Mindestens w ü r d e n wir gerne die Regier u n g sichtbar tätig sehen, v o r h a n d e n e V e r a b r e d u n g e n , ob es sich n u n u m Wirtschafts- u n d W ä h r u n g s u n i o n o d e r um Richtlinien alter Gipfelkonferenzen handelt, einzuhalten. Dieses E u r o p a wäre in einer a n d e r e n Lage, wenn diese Beschlüsse wenigstens vollzogen w ü r d e n . Dieses E u r o p a m u ß , wie wir meinen, ein weniger klägliches Bild bieten, wenn es vor allem f ü r j u n g e Menschen weiterhin — ein bitteres W o r t - H o f f n u n g haben soll. Es ist erschütternd, d a ß es selbst in dieser Lage, bei diesem großen Erwartungshorizont d e r B ü r g e r überall in E u r o p a u n d auch a u ß e r h a l b d e r Gemeinschaft in dieser Woche zu Beschlüssen kam, wie sie H e r r Kollege Ahrens hier verlesen hat; ich kann mir die Verlesung deshalb sparen. Ich möchte sagen: Dieses Ergebnis ist d e p r i m i e r e n d . Ich stehe mit d e m Urteil, das die Meinung d e r C D U / CSU ist, nicht ganz allein, wenn ich sage: Nichts wäre wohl m e h r gewesen als das, was jetzt d o r t beschlossen w o r d e n ist. Aber, H e r r Kollege Ahrens, wo bleibt I h r e Konsequenz? Sie lesen diesen Beschluß vor, Sie kritisieren ihn als nicht ausreichend, als nicht b e f r i e d i g e n d . Sie n e n n e n alle möglichen Vokabeln, d e n e n wir zustimmen. Aber ist es d e n n nicht diese Regierung, die d e m Beschluß in Brüssel zugestimmt hat? Das ist doch d e r Punkt, von d e m hier g e r e d e t werden m u ß . Wir k ö n n e n u n d wollen auch nicht zu d e r Lage im N a h e n Osten schweigen, die, wie wir glauben, d u r c h die Stellungnahme d e r N e u n nicht besser g e w o r d e n ist. Wir wollen hier d r i n n e n u n d nach d r a u ß e n nichts erschweren. Ich habe die Lage, o h n e sie zu f o r m u l i e r e n , charakterisiert. Sie ist verworren genug. Aber wir sind d e r Meinung, die Lage w ü r d e noch verworrener w e r d e n , wenn etwa das Kräfteverhältnis dort, zu d e m auch moralische, psychologische Kategorien u n d F r e u n d s c h a f t e n o d e r N i c h t f r e u n d s c h a f t e n g e h ö r e n , d a d u r c h aus den Fugen geriete, daß auf dieser oder j e n e r Seite falsche Eindrücke ü b e r unsere H a l t u n g entstehen k ö n n t e n . Deshalb sagen wir: Wir wollen Frieden u n d Menschenrechte, Gewaltverzicht u n d Selbstbestimmungsrecht, gute Nachbarschaft u n d Zusammenarbeit überall in d e r Welt, auch im N a h e n Osten. Wir sind in d e r T r a d i t i o n Konrad Adenauers — u n d ich d e n k e , j e d e r weiß, was dieser Hinweis mit d e m Blick auf diese Region b e d e u t e t - n u r , wenn wir in diesen Fragen die — wenn ich so sagen darf — b e s o n d e r e Sensibilität d e r Gewissen, das Gespür f ü r die Lehren aus d e r Geschichte, die Behutsamkeit aus d e r Entscheid u n g u n d die A b l e h n u n g j e d e r offensiven Gewalt, wann u n d wo u n d von wem immer sie ausgeht, ausdrücklich betonen. Nach d e m Nahost-Krieg 1956 gab Adenauer am 8. November 1956 - es ist merkwürdig, daß die Novembertage d a immer eine Rolle spielen - eine Regierungserklärung ab. In d e r damals — ich brauche das nicht zu b e g r ü n d e n — besonders heiklen Situation — weil europäische F r e u n d e u n d Nachbarn, sagen wir einmal involviert waren — hat sich dieser Bundeskanzler nicht gescheut, hier vor das H a u s zu treten u n d in dieser Regierungse r k l ä r u n g folgendes zu sagen: ,Es erscheint', so sagte e r , , n i c h t sehr sinnvoll, B e t r a c h t u n g e n d a r ü b e r anzustellen, w a r u m es zu einer solchen gegenseitigen V e r s t ä n d i g u n g kam. Die Entwicklung ist weitergegangen, u n d es kam zu kriegerischen H a n d l u n g e n , die 482
24.1 Der Nahost-Konflikt vor Bundesrat und Bundestag wir bedauern, da wir überzeugt sind, daß auch legitime Ziele der Politik nicht mit Waffengewalt verwirklicht werden sollen.' So damals schon, 1956. Anläßlich des Krieges 1967 hielten wir diese Linie — ich verweise auf die Debatte vom 7. Juni 1967. Wir halten diese Linie auch heute. Wir hatten dann unter Bundeskanzler Erhard diplomatische Beziehungen auch mit Israel aufgenommen; Beziehungen, an die sich Israels Nachbarn später, dann auch —warum sollte das nicht zugegeben werden — mit Hilfe der gegenwärtigen Bundesregierung, gewöhnten; Beziehungen mit Israel mit dem, wie ich ausdrücklich sagen möchte, Blick nach vorn und auf der Basis — wie es damals formuliert wurde —, daß Deutschlands Geschichte nicht nur zwölf J a h r e umgreift. Diese Beziehungen sollten und sollen, wie die zu den arabischen Nachbarn, im Interesse des Friedens und der Zusammenarbeit immer gute Beziehungen sein. Wir sind für die Verständigung und Ausgleich auch dort. Unsere Welt ist zu klein und zu gefährdet, als daß sie sich Inseln des Hasses leisten könnte. Zusammenarbeit trotz Unterschied der Religion, der Ideologie und Meinungen ist das Gebot des Friedens unserer Zeit. Wir meinen, daß die doch besonders begabten Völker dort durch Frieden und Zusammenarbeit sich und der Welt, uns allen mehr bieten könnten. Wir ermuntern deshalb alle, sich auf den Weg der Verhandlungen zu begeben. Verhandlungen können zu Lösungen führen; am leichtesten wohl, wenn sie ohne Vorbedingungen begonnen und diskret vorbereitet werden. Aggressive Gewalt in der Form von Krieg löst keine Probleme, löst für keinen die Problee. Sicherheit, Lebensrecht und friedvolles Nebeneinander auch dort schließen ein, daß die Souveränität und Unabhängigkeit aller Staaten, auch Israels, geachtet werden, daß alle in sicheren und anerkannten Grenzen friedlich leben können. Erst vor wenigen Wochen hörten wir, wie die Bundesregierung mit großen und überwiegend guten Reden — wie der Kollege Carstens dies hier j a unlängst qualifiziert hat — den Eintritt in die Vereinten Nationen vollzog. Dabei betonte die Regierung mit Zustimmung der Opposition die Prinzipien, welche ihre Politik in Fragen der Weltpolitik leiten. Sie werde immer auf der Seite derer stehen, die auf Gewalt verzichten, und auf der Seite derer, die das Gegenteil von Gewalt praktizieren. Wir hörten: ,Kein politisches Ziel rechtfertigt die Gewalt, kein Nationalismus, kein Klassenkampf, keine koloniale oder Rassenauseinandersetzung, weder Utopie noch Ideologie.' Wir hörten weiter, das entscheidende moralische Kriterium sei nicht, ,ob es sich um eine verbündete oder vertraglich befreundete oder um eine weniger befreundete Macht handelt, entscheidend ist, daß wir in diesen Fragen nicht teilnahmslos bleiben — selbst dann nicht, wenn manche Einzelheit undurchschaubar sein sollte. Eine Politik des Friedens, der Solidarität und der Ablehnung von Gewalt ist unteilbar.' So der Bundeskanzler vor den Vereinten Nationen. Wir stimmen dem weiter zu. Die Regierung freilich wird zur gegebenen Zeit hier die Frage zu beantworten haben, wo solche Sätze anfangs Oktober geblieben sind, ob und wie diese Prinzipien 483
24 Der Nah-Ost-Krieg
und die Diskussion in der deutschen und europäischen
Politik
mit ihrer Politik in jüngster Zeit in Einklang stehen. Diese Frage wird zu beantworten sein." Abg. Wehner: „Sehr verehrter Herr Kollege, beziehen Sie darin auch die Erklär u n g des Bundeskanzlers in der Plenarsitzung vom 26. Oktober ein, die alle diese Fragen ganz präzise behandelte?" Abg. Barzel: „Herr Kollege Wehner, es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, daß ich von Anfang Oktober sprach. Was am 26. Oktober geschehen ist, ist bekannt. Wenn Sie sich bei befreundeten Nationen in der Welt umsehen und sehen, was dort am 7., 8., 9., 10. Oktober erklärt worden ist, werden Sie diese sehr verhaltene Kritik sicherlich besser zu würdigen wissen. Wir möchten sagen, daß wir zu diesen Leitlinien stehen, daß wir nicht bereit sind, unsere Partner und unsere Freunde ebenso wie unsere Grundsätze anders als aus eigenem Entschluß auszusuchen. Zur Ausgewogenheit einer Politik, die nicht Partei nehmen kann, aber sich selbst treu ist, und zum Gleichgewicht der Kräfte, worauf überall der Nichtkrieg beruht, gehören nicht n u r militärische Waffen, wirtschaftliche Potentiale und soziale Ordnungen. Ich möchte den Satz, den der Kanzler so gerne verwendet, abwandeln: ,Auch der Friede lebt nicht vom Brot allein.' Sein Wort ist gefordert: Gesinnung ist auch hier durch nichts zu ersetzen." Hierauf antwortete Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Rede: „Ich möchte zunächst sagen, wenn wir Zeugen sind des Konflikts, der weiterhin die ernsteste Gefahr f ü r den Weltfrieden bleibt, auch wenn die Meldungen von heute früh ein wenig günstiger sind, dann soll doch niemand daran zweifeln dürfen, daß es sich nicht um irgendwelche Art von Zeugen, sondern um beteiligte Zeugen handelt, Zeugen eines Konflikts, den — daran kann es ja wohl keinen Zweifel geben - alle Mitglieder dieses Hauses als eine Tragödie empfinden. Ich möchte feststellen dürfen, daß wir an den Bemühungen um einen dauerhaften und gerechten Frieden in jener Region, einen Frieden, der die Existenz und die sicheren Grenzen jedes Staates der Nahostregion garantieren soll, mit der Leidenschaft von Betroffenen mitwirken. Diese Betroffenheit stammt aus einer Verantwortung, die durch nichts aus der Welt geredet werden könnte. Sie bedarf hier auch keiner Begründung und keiner Rechtfertigung. Auf sie gründet sich vielmehr unsere Pflicht, jeder Geste zu entsagen, die nicht unmittelbar der Ermutigung des Friedenswillens in diesem Augenblick dient. Es handelt sich hier nicht, wie man es hier und da mißverstanden hat, um Neutralität von Bewußtsein und Gewissen, sondern im Gegenteil um den Ausdruck unseres Engagements. Die Nichtparteinahme im militärischen Konflikt, die wir uns auferlegten, duldet kein Mißverständnis. Unser Engagement zum Frieden dient genauso den recht verstandenen Interessen der arabischen Völker, wie es Israel dient. Ich habe soeben vor dem Bundesrat gesagt — ich darf es hier sinngemäß wiederholen, meine Damen und Herren: Die neun Staaten der Gemeinschaft —jetzt nicht als Ministerrat der Gemeinschaft, sondern als Außenmi484
24.1 Der Nahost-Konflikt vor Bundesrat und Bundestag nister j e n e r politischen Zusammenarbeit, aus der sich das andere Element der Union Europas noch in diesem J a h r z e h n t entwickeln soll — haben im Zuge — ich bin sicher, Herr Kollege Apel hat hierauf schon hingewiesen - ihrer verstärkten politischen Zusammenarbeit jetzt zum erstenmal ausführlicher gemeinsam zum Nahostproblem Stellung genommen. Dabei — lassen Sie es mich so sagen — war es unumgänglich, daß einzelne Mitgliedstaaten im Interesse der Gemeinschaft auf diesen oder j e n e n — manchen auch wichtigen — Akzent verzichten, den sie gern stärker hervorgehoben hätten. Hier und da wird man sich bei uns zu Haus und draußen, ob es einem Spaß macht oder nicht, noch damit vertraut machen müssen, daß gemeinsame europäische Stellungnahmen nur a u f so unvollkommene und manchmal auch unbefriedigend erscheinende Weise wachsen können und daß dies ein Preis für die angestrebte europäische politische Einheit ist. Zuletzt liegt es im Interesse nicht nur der Europäer, sondern auch der am Konflikt direkt Beteiligten, wenn die Gemeinschaft an Gewicht gewinnt; denn nur dann wird sie in der Lage sein, ihren Einfluß im Sinne der Vernunft und der Gerechtigkeit geltend zu machen. Ich sagte soeben schon, daß das Wort von der Neutralität vielfach mißverstanden worden sei. Im Zusammenhang mit der Nahostdebatte hat dieses Schlüsselwort von der Neutralität, das schon wegen unserer Nachbarn im Norden und im Süden in seinem klaren Verständnis nicht verteufelt werden darf, einen anderen Akzent bekommen. Es wurde, so kann man sagen, mit unserer Nichtparteinahme in dem bitteren militärischen Konflikt verwechselt. Ich habe oft betont — und mir liegt daran, es hier zu bestätigen —, daß es für uns keine Neutralität des Herzens und des Gewissens gibt und geben kann. Wären wir in diesem Sinne neutral, dann hätten wir geringeren Anlaß, die Forderung nach einem gerechten und dauerhaften Frieden in j e n e r gequälten Nahostregion zu der unseren zu machen. Wir begreifen unsere Pflichten anders. Das kommt auch der arabischen Welt zugute, und manche ihrer Führer wissen dies. Im übrigen, meine Damen und Herren aus allen drei Fraktionen dieses Hauses: Mein Wort und das des Bundesaußenministers, daß unsere Beziehungen zu Israel einen besonderen Charakter haben, steht unangetastet. Niemand kann von uns erwarten, daß wir uns an unserer eigenen Geschichte oder an den Lehren aus dieser unserer eigenen Geschichte vorbeimogelten. Kein Volk kann sich das leisten. Das gilt für uns, das gilt für Israel, und es gilt für die arabische Welt, deren Selbstrespekt in ihrer eigenen Geschichte wurzelt und die daraus das Recht auf unseren Respekt ableitet. Würden wir an unserem Verhältnis zu Israel rütteln lassen, dann wäre auch keines unserer wohlabgewogenen Worte gegenüber der arabischen Welt irgendetwas wert. Nun, lassen Sie mich auch dies hinzufügen: Unser Ehrgefühl ist eine der Voraussetzungen j e d e n Friedensgesprächs. Durch Drohungen und Erpressungen — ich denke, auch dies sollte und brauchte nicht umstritten zu sein — kann man einen gewissen Eindruck machen a u f bestimmte Zeit, doch Freundschaft läßt sich damit nicht machen; wir haben das selbst erfahren, und eine solche Politik wäre a u f lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Der Weg zum Frieden im Nahen Osten stellt an die politische Vernunft aller 485
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik Beteiligten hohe Anforderungen. Es d a r f nicht dazu kommen, daß ein kleines Volk, dem es ums Überleben geht, sich in der Angst der Einkreisung verkrampft. Diese Region muß vielmehr zu einem lebensfähigen Raum werden, dessen Mitgliedstaaten gemeinsam zu seinem Wohl beitragen. Die Europäer haben a u f der Gipfelkonferenz in Paris im Oktober vorigen J a h r e s gesagt: Wir wollen, wenn die Zeit da ist, an dieser wirtschaftlichen Entwicklung der Region mitwirken. Sehen wir also, wenn ich darum bitten darf, in der Resolution der Außenminister vom Dienstag die Anstrengung - die, ich gebe es j a zu, sehr mühsame, sehr schwierige Anstrengung—, durch Argumente im Feld der Vernunft daran mitzuhelfen, daß der Teufelskreis der Gewalt zerbrochen wird. In Brüssel ist j a im übrigen keine Schlußstein gesetzt worden, sondern dort ist ein Weg gesucht worden. Das bitte ich bei allem, was einen unbefriedigt läßt—und das kann ich j a wohl verstehen - , zu erkennen und zu respektieren. Von hier aus kann dann weiter gesucht und argumentiert werden. Die Bundesrepublik Deutschland im übrigen, meine Damen und Herren, versteckt sich nicht hinter Europa und d a r f sich nicht hinter Europa verstecken. Wir stehen zur Politik der Gemeinschaft soweit sie schon entwickelt werden konnte. Sie d a r f nicht als ,Schlagseitenposition' im Konflikt mißverstanden werden. Man sollte in ihr vielmehr das Bemühen sehen, an der Aufgabe mitzuwirken, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seit Ende 1967 verabschiedeten Entschließungen in praktische Lösungen umzusetzen. Keine Lösung wäre nach unserer Überzeugung von Dauer, die nicht das Lebensrecht aller Staaten und Völker in dieser Region sichert. Nun noch ein Wort, Herr Kollege Marx, zum deutsch-amerikanischen Verhältnis! Wenn man eines Tages über diese Dinge noch offener wird sprechen können als heute, dann wird sich herausstellen, daß der Nahost-Konflikt mit all seinen bedrückenden Begleiterscheinungen, der sich in einer Region abspielt, die nicht durch den Nordatlantischen Pakt gedeckt wird, gleichwohl zu einer Bewährungsprobe geworden ist, die das Bündnis bestanden hat. Dies gilt auch für das deutsch-amerikanische Verhältnis. Ich bestreite keinen Augenblick, daß es Verständigungsschwierigkeiten — auch Pannen, aber die Verständigungsschwierigkeiten sind wichtiger — gegeben hat, die keine einseitigen waren. Aber ich habe den bestimmten Eindruck, daß man a u f beiden Seiten oder — dort, wo es noch mehr als zwei sind — aufseiten aller Beteiligten hieraus gelernt hat. Das Bündnis und ganz besonders die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit haben trotz allem eine Bewährungsprobe bestanden. Der intensive Meinungsaustausch zwischen uns und Washington - auch bekräftigt durch die Verteidigungsminister vor wenigen Tagen in Den Haag — hat dies bestätigt. Ich kann mich nicht an das halten, was irgendwo gedruckt wird, sondern ich kann mich nur an die allein autorisierte Quelle halten: das ist das Weiße Haus. Ich kann in Wirklichkeit nur eine Gefährdung des Bündnisses und der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit sehen: ein Mißtrauen, das niemand weder diesseits noch jenseits des großen Wassers fahrlässig schüren darf. Ich appelliere auch insoweit an das Verantwortungsgefühl aller Beteiligten."
486
24.2 Bundeskanzler Willy Brandt zu dem EG-Papier in der Nahost-Frage
24.2
Bundeskanzler Frage
24.2.1
Ein Interview
Willy Brandt zu dem EG-Papier in der Nahost-
im
„Deutschlandfunk"
Am Sonntag d e m 11. November 1973, hat Bundeskanzler Willy Brandt im Rahmen eines ausführlichen Interviews mit dem Leiter des Bonner Büros des „Deutschlandfunk", Karl Donat, auch auf Fragen geantwortet, die das Verhältnis d e r europäischen Außenminister zur Nahost-Frage betrafen. Diese Passagen haben folgenden Wortlaut: Donat: H e r r Bundeskanzler, das Stichwort E u r o p a und Nahost. Sie haben am Freitag im Bundesrat u n d Bundestag deutlich gemacht oder deutlich zu machen versucht, daß die Nahost-Erklärung der Außenminister in Brüssel keineswegs als einseitige pro-arabische Stellungnahme gewertet werden darf u n d daß in Brüssel, wie Sie wörtlich sagten, kein Schlußstein gesetzt, sondern ein Weg gesucht wurde. Unter den Punkten auf die nach dieser Entschließung ein Friedensabkommen gegründet sein muß, steht die F o r d e r u n g an Israel auf Beendigung der territorialen Besetzung und die Berücksichtigung d e r legitimen Rechte d e r Palästinenser. H e r r Bundeskanzler, können die arabischen Staaten das nicht als volle Bestätigung ihrer Friedensvorstellungen werten oder liegt hier noch ein Verhandlungsspielraum eben im Sinne Ihrer Formulierung, kein Schlußstein, sondern ein Weg? Bundeskanzler Brandt: Sehen Sie, manche Kritiker des Brüsseler Textes vom vergangenen Dienstag haben sich die vorangegangenen Dokumente nicht gut genug angeschaut. N e h m e n wir die Palästinenser; im J u n i dieses J a h r e s haben Präsident Nixon u n d H e r r Breschnew genau diese Formulierung zu einem Bestandteil ihrer gemeinsamen Erklärung gemacht. Ihr folgt die Europäische Gemeinschaft, einer Formulierung, auf die sich d e r Präsident d e r Vereinigten Staaten bereits festgelegt hatte. Dies ist j a doch n i c h t - w e n n man s a g t - , die Flüchtlingsfrage muß endlich einmal gelöst werden. Da gibt es ja verschiedene Lösungsmodelle; dann bedeutet ja dies nicht eine anti-israelische Stellungnahme, sondern einen Hinweis darauf , hier m u ß nach Wegen gesucht werden, d e n n die Flüchtlingslager blieben doch eine d e r Quelle der U n r u h e in der Region. N e h m e n wir die Formel von der Beendigung d e r territorialen Okkupation. In der b e r ü h m t e n Sicherheitsrats-Resolution 242 vom November 1967, da hatte man sich — lasse Sie es mich so salopp sagen — um die Schwierigkeit herumgemogelt, in d e m der englische Text mit dem französischen nicht genau übereinstimmte. Die Israelis gaben ihre Zustimmung zu j e n e r Resolution, weil es im englischen T e x t hieß: ,occupied territories' — besetzte Gebiete o h n e Artikel, u n d die Araber stimmten zu — nicht alle übrigens, aber'die Ägypter zum Beispiel —, weil sie sich an den französischen Text mit ,les territoires occupés' bezogen, also mit direktem Artikel. Die Brüsseler Entschließung ist hier elastischer. Denn sie sagt — was ja selbstverständlich ist —,
487
24 Der Nah-Ost-Krieg
und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik
territoriale Okkupationen können nicht andauern, wenn man einen Frieden sucht. Territoriale Okkupation muß durch eine Friedensregelung abgelöst werden. Wie wird sie abgelöst? Vermutlich doch im wesentlichen dadurch, daß besetzte Gebiete nicht mehr besetzte Gebiete sind. Wie werden sie nicht mehr besetzte Gebiete sein? Entweder dadurch, was das Normale ist, daß sie an den zurückgehen, bei dem sie waren. Sollte es an dieser oder jener Stelle zu gewissen Korrekturen kommen, dann wird die territoriale Okkupation abgelöst durch eine Friedensregelung, durch eine zivile Administration anstelle der territorialen Okkupation. Donat: Herr Bundeskanzler, nur eine Zwischenfrage. Halten Sie also solche Korrekturen für möglich? Bundeskanzler Brandt: Dieses hat die Gemeinschaft bereits im Jahre 1971 gesagt. Dies wird mittlerweile auch von einigen der Führer in der arabischen Welt und von der ihnen verbundenen Sowjetunion nicht mehr ausgeschlossen, allerdings gibt es dafür sehr unterschiedliche Vorstellungen, und es wäre wohl falsch, jetzt sich dieses alles zu leicht vorzustellen. Aber der springende Punkt ist — wie gesagt — Friedensregelung macht es erforderlich, daß Besetzung durch einen normalen Zustand abgelöst wird, und der normale Zustand bedeutet in aller Regel, daß Gebiete dorthin kommen, wo sie hingehören. Es sei denn, die Beteiligten verständigen sich auf Abweichungen hiervon. 24.2.2
Rede vor dem europäischen Parlament: Harte Probe für die Entspannungspolitik
Am 13. November 1973 sprach Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Auch bei dieser Gelegenheit nahm er zu der Haltung der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft zum Nahost-Konflikt Stellung. In seiner Ansprache erklärte der Bundeskanzler: „Meine Damen und Herren! Die Tragödie in der Nahost-Region, einer Region, die uns nicht nur geographisch, sondern auch geistig und geschichtlich so eng benachbart ist, verlangt von mir —so meine ich — ein deutsches und ein europäisches Wort: Der Konflikt im Nahen Osten hat das mühevolle Werk der Entspannung auf eine harte Probe gestellt. Sicherlich tragen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion eine besondere Verantwortung. Aber der Konflikt ist auch eine Herausforderung für Europa. Was in dieser gequälten Nachbarregion vor sich geht, berührt uns unmittelbar. Europa muß also, wenn es dies kann, einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten. Dies ist nur in engster Zusammenarbeit möglich. In der vergangenen Woche haben die neun Staaten der Gemeinschaft zum ersten Mal eingehender in einem gemeinsamen Dokument ihrer Diplomaten und ihrer Außenminister Stellung bezogen. Daß nun eine gewisse Einheitlichkeit der europäischen Stimme Gewicht verleiht, liegt letzten Endes auch im Interesse der unmittelbar am Konflikt beteiligten Staaten. 488
24.2 Bundeskanzler Willy Brandt zu dem EG-Papier in der Nahost-Frage Ein Chor sich widersprechender europäischer Stimmen nutzt niemandem. Politische Einheit aber hat ihren Preis. Sie fordert zuweilen den Verzicht auf Akzente, die einzelne Mitgliedstaaten gern stärker setzen würden; dies ist wohl unumgänglich. Man wird sich aber erst daran gewöhnen müssen, bei uns und anderswo. Lassen Sie uns — so möchte ich vorschlagen, meine Damen und Herren die Resolution vom Dienstag voriger Woche so verstehen: als den Versuch, einen Anfang zu machen und durch Argumente der Vernunft einen Teufelskreis zu durchbrechen. Von hier aus kann man weiter suchen nach Wegen und Verfahren, um die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Entschließungen in praktische Lösungen umzusetzen. Was insbesondere die deutsch-israelischen Beziehungen angeht, so wird jedermann verstehen, wenn ich auch hier sage, daß sie einen besonderen Charakter haben. Diese Charakteristik bleibt unangetastet. Für uns kann es zumal keine Neutralität des Herzens und des Gewissens geben. Der Nahost-Konflikt geht uns vielleicht noch mehr an als andere: er appelliert an unsere bittere Verantwortung. Aber gerade deshalb machen wir auch die Forderung nach einem gerechten und dauerhaften Frieden in dieser Region zu der unseren. Wäre uns Gleichgültigkeit erlaubt, dann hätten wir geringen Anlaß, uns so tief beteiligt zu fühlen. Dieses Beteiligtsein - wie ich natürlich unterstreichen möchte — kommt auch der arabischen Welt zugute. Denn nur durch eine dauerhafte Friedensregelung wird es gelingen, aus der verfeindeten Region einen lebensfähigen Raum zu machen, dessen Mitgliedstaaten gemeinsam zum Wohl aller beitragen. An einer solchen regionalen Zusammenarbeit könnte die Europäische Gemeinschaft sich konstruktiv beteiligen. Und ich meine, wir sollten uns einig sein, daß diese Bereitschaft vorhanden ist. Dies setzt voraus, daß die Staaten Europas und die Staaten des Nahen Ostens das gemeinsame Gespräch versuchen. Ich zweifle nicht daran, daß die Europäische Gemeinschaft dazu bereit sein wird; sie steht schon heute mit den meisten Staaten, um die es geht, in einem Vertragsverhältnis. Allerdings würden Drohungen und gar Erpressungen konstruktive Entwicklungen nur stören. Freunde schafft man sich damit nicht. Vielleicht verdient diese Anregung, die ich der Europäischen Gemeinschaft anheimgebe, eine sorgfältige Prüfung. Könnte - so ist meine Frage - die Gemeinschaft durch die Verstärkung der Instrumente, die in den einzelnen Verträgen schon angelegt sind, nicht die Voraussetzungen für eine Befriedung der Region verbessern? Ich denke etwa an die Nahrungsmittelhilfe. An die Unterstützung für die Ansiedlung der Flüchtlinge. An die vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten, die bereits bestehen und um die wir uns weiterhin bemühen sollten. Im Nahen Osten geht es zum Wohl der Menschen darum, den Frieden zunächst zu etablieren und ihn dann zu stabilisieren. Europa könnte bei beiden Aufgaben helfen."
489
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik
24.3
Bundesaußenminister Walter Scheel spricht mit des Zentralrats der Juden in Deutschland
Repräsentanten
Am Montag, dem 12. November 1973, fand am Rande des FDP-Parteitages ein Gespräch zwischen dem Vorsitzenden des Zentralrats der J u d e n in Deutschland, Werner Nachmann, und dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin, Heinz Galinski, und Bundesaußenminister Walter Scheel in Wiesbaden statt. Dieses Gespräch war schon lange vorbereitet worden. Jetzt wurden bei dieser Begegnung auch die Fragen des Nahost-Konflikts erörtert, wobei die Resolution der Staaten der Europäischen Gemeinschaft im Mittelpunkt stand. Wie aus der Umgebung von Bundesaußenminister Scheel verlautete, zeigten die jüdischen Repräsentanten nach Darlegung der Hintergründe Verständnis für die deutsche Situation und den Inhalt des EG-Papiers. Werner Nachmann hatte außerdem eine Begegnung mit Bundesinnenminister Hans-Dietrich, Genscher. Heinz Galinski hatte im Jüdischen Gemeindehaus anläßlich des 35. Jahrestages der „Kristallnacht" die Nahost-Erklärung der EG-Außenminister vom 6. November als „nicht mehr neutral" und als eine „Begünstigung der Aggressoren" bezeichnet. Galinski sagte, daß die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in dieser Erklärung f ü r einen Rückzug Israels aus den im Krieg von 1967 eroberten arabischen Gebieten eingetreten seien. Er erklärte weiter, daß die EG-Staaten mit diesem Papier einer Erpressung nachgegeben hätten. Er warf der Bundesregierung vor, sie habe sich auf Neutralität berufen, als sie Einspruch dagegen erhob, daß die USA von Bremen aus Waffen aus ihren Beständen in der Bundesrepublik nach Israel brachten. Diese Haltung der Bundesregierung nannte Galinski „außerordentlich befremdlich". Neutralität habe ihre Grenzen, wenn man nicht frage, wer das „Völkerrecht mit Füßen getreten hat". Der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde appellierte erneut an den Senat, die drei Schutzmächte und die Bundesregierung wirksame Maßnahmen gegen das illegale Einsickern von Terroristen über Ost-Berlin zu treffen und dafür zu sorgen, daß niemand das Asylrecht mißbrauche. Der Regierende Bürgermeister von Berlin,. Klaus Schütz, wies in seiner Ansprache ausdrücklich auf das Verhalten der USA im Nahost-Konflikt hin. „Es muß die militärische Neutralität vereinbar sein mit der Selbstverständlichkeit", sagte Schütz, „Freunden in der Not zu helfen." Es bleibe seine feste Überzeugung, betonte Schütz unter Anspielung auf die jüngsten Differenzen zwischen Bonn und Washington in dieser Frage, „daß die Freundschaft mit den USA f ü r diese Stadt Berlin unersetzbar ist und es bleiben wird." Dies bleibe „weiterhin und in beiden Punkten meine feste M e i n u n g - w i e immer der Wind des Opportunismus in Europa auch wehen mag".
490
24.5 Resolution auf dem Parteitag der FDP
24.4. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Heinz Westphal, zum Nahost-Papier der EG Staatssekretär Heinz Westphal hat am 8. November 1973 in seiner Eigenschaft als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft die folgende Erklärung abgegeben: „l.Die Deutsch-Israelische Gesellschaft hat wiederholt erklärt, daß sie die Bundesregierung in ihren Bemühungen unterstützt, ein Verhältnis der politischen Ausgewogenheit zu allen Staaten des Nahen Ostens zu finden. Diese Ausgewogenheit schließt aber strikte Neutralität gegenüber Kriegen im Nahen Osten aus, wenn die Sicherheit des Staates Israel und das Leben seiner Bevölkerung bedroht sind. 2. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft bejaht den Versuch der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft, den Prozeß der gemeinsamen politischen Willensbildung voranzutreiben. Die Nahost-Erklärung vom 6. November ist jedoch geeignet, der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 22. November 1967 neue Schwierigkeiten d e r Interpretation hinzuzufügen. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft hätte es begrüßt, wenn die Nahost-Erklärung in eindeutiger Weise die Sicherheitsbedürfnisse des Staates Israel anerkannt hätte. Nicht das Existenzrecht arabischer Staaten, sondern ausschließlich das Existenzrecht des Staates Israel ist bisher ungesichert. 3. Die Nahost-Erklärung steht in einem inneren Zusammenhang mit gleichzeitigen Überlegungen der Außenminister, die Krise in der Erdölversorgung abzuwenden. Die Gleichzeitigkeit erweckt den Eindruck, als ob sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft arabischen Drohungen gebeugt hätten, die auf den Stopp von Erdöllieferungen abzielen. Diese Einschätzung wird verstärkt durch den Beifall, den die Nahost-Erklärung bei arabischen Regierungen gefunden hat. Da sie ,nur einen ersten Beitrag...zur Suche nach einer Gesamtlösung des Problems darstellen' soll, steht zu befürchten, daß arabische Staaten zu gegebener Zeit erneuten Druck auf die Europäische Gemeinschaft ausüben werden. 4. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft erwartet von der Bundesregierung, daß sie den Kurs ihrer Nahostpolitik fortsetzt, wie er in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 festgelegt ist. Sie fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft auf Entscheidungen hinzuwirken, die gegen Erpressungsversuche arabischer Staaten Widerstand leisten."
24.5
Resolution auf dem Parteitag der FDP
Auf ihrem 24. ordentlichen Bundesparteitag haben die Delegierten der FDP, der vom 12. bis 14. November 1973 stattfand, die folgende Resolution verabschiedet: 491
24 Der Nah-Ost-Krieg
und die Diskussion in der deutschen und europäischen
Politik
„Der Bundesparteitag begrüßt die Erklärung des Bundesvorsitzenden der FDP zum Nahost-Konflikt vom 12.11.1973. Ihr wesentlicher Inhalt ist die Feststellung, daß — die Deutschen vor dem Hintergrund der Geschichte besondere Beziehungen zu Israel haben, — das Lebensrecht Israels, dessen staatliche Existenz seit 25 J a h r e n nicht durch dauerhafte Verträge gesichert ist, künftig von niemandem mehr bestritten werden darf, ebenso wie die Integrität der arabischen Staaten unumstritten ist, — eine dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten jeder Partei die Garantie f ü r gesicherte Grenzen geben und eine gerechte Lösung des PalästinenserProblems einschließen muß. Der Bundesparteitag gibt—ausgehend von der Erklärung der Außenminister der EG vom 6.11.1973 - seiner H o f f n u n g Ausdruck, daß es nach der ersten Vereinbarung zwischen Israel und Ägypten vom 1.1.1973 stufenweise zu einem dauerhaften, für alle Seiten tragfähigen Frieden kommen wird."
24.6
Die Resolution der Vereinten Nationen Nr. 242 vom 22.11.1967
Es wird viel über die Resolution der Vereinten Nationen vom 22. November 1967, N u m m e r 242, gesprochen. Diese Resolution hat folgenden Wortlaut: „Der Sicherheitsrat gibt seiner andauernden Beunruhigung über die ernste Lage im Nahen Osten Ausdruck und unterstreicht, daß es nicht angeht, Territorium durch Krieg zu erobern, und daß es nötig ist, f ü r einen gerechten und dauernden Frieden zu wirken, der es j e d e m Staat der Region erlaubt, in Sicherheit zu leben. Er unterstreicht im weiteren, daß alle Mitgliedstaaten, indem sie die Charta der Vereinten Nationen annehmen, sich verpflichtet haben, gemäß Artikel 2 der Charta zu handeln. 1. Er bekräftigt, daß die Einhaltung der Prinzipien der Charta es erfordert, daß ein gerechter und dauerhafter Frieden im Nahen Osten errichtet wird, welcher die Anwendung der beiden folgenden Prinzipien umfassen sollte: a. Rückzug israelischer Streitkräfte aus während des jüngsten Konfliktes besetzten Gebieten, b. Einstellung jeglicher kriegerischer Erklärung oder jeglichen kriegerischen Zustandes sowie Respektierung und Anerkennung der Souveränität, der territorialen Integrität und d e r politischen Unabhängigkeit jeglichen Staates der Region u n d dessen Rechts, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen frei von Drohungen oder Gewaltakten zu leben. 492
24.7
Das Nahost-Papier
der Außenminister der Europäischen
Gemeinschaft
2. Er stellt im weiteren die Notwendigkeit fest: a) die freie Schiffahrt auf den internationalen Wasserstraßen der Region zu garantieren, b) eine gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems zu verwirklichen, c) die territoriale Unverletzlichkeit und politische Unabhängigkeit jedes Staates der Region durch Maßnahmen zu garantieren, welche die Schaffung entmilitarisierter Zonen umfassen. 3. Er ersucht den Generalsekretär, einen Sondervertreter zu bestimmen, der sich nach dem Nahen Osten begibt, um dort Kontakte mit den interessierten Staaten herzustellen und zu unterhalten, ein Abkommen zu fördern und an den Bemühungen mitzuwirken, um auf eine friedliche und akzeptable Lösung zu kommen, gemäß den Bestimmungen und Prinzipien der vorliegenden Resolution. 4. Er ersucht den Generalsekretär, dem Sicherheitsrat so schnell wie möglich über die Bemühungen des Sondervertreters einen Tätigkeitsbericht vorzulegen."
24.7
Das Nahost-Papier Gemeinschaft
der Außenminister der Europäischen
Am Dienstag, dem 6. November 1973, haben die Außenminister der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft eine Nahost-Erklärung verabschiedet, in der sie auch auf die Uno-Resulotion 242 Bezug nehmen und die den Vereinten Nationen zur Kenntnis gebracht wurde. Authentisch ist allein der Wortlaut der französischen und englischen Originalfassung: „Die neun Regierungen der Europäischen Gemeinschaft haben ihren Gedankenaustausch über die Lage im Nahen Osten fortgesetzt. Sie betonen, daß die nachstehenden Ansichten nur ein erster Beitrag ihrerseits zur Suche nach einer umfassenden Lösung des Problems sind; sie sind wie folgt übereingekommen: 1) Sie treten nachdrücklich dafür ein, daß die Streitkräfte beider Seiten im Nahostkonflikt gemäß den Entschließungen 339 und 340 des Sicherheitsrates zu den Stellungen zurückkehren, die sie am 22. Oktober innehatten. Sie glauben, daß eine Rückkehr zu diesen Stellungen eine Lösung anderer drängender Probleme im Zusammenhang mit Kriegsgefangenen und der ägyptischen dritten Armee erleichtern wird. 2) Sie hegen die feste Hoffnung, daß im Anschluß an die Verabschiedung der Resolution 338 vom 22. Oktober durch den Sicherheitsrat endlich Verhandlungen über die Wiederherstellung eines gerechten und dauerhaften Friedens im Nahen Osten mittels Verwirklichung aller Teile der Sicherheitsreso493
24 Der Nah-Ost-Krieg
und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik
lution 242 beginnen werden. Sie erklären sich bereit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um zu diesem Frieden beizutragen. Ihrer Auffassung nach müssen diese Verhandlungen im Rahmen d e r Vereinten Nationen stattfinden. Sie erinnern daran, daß die Charta dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung f ü r den Weltfrieden und die internationale Sicherheit übertragen hat. Dem Rat u n d dem Generalsekretär fällt bei der Herstellung und Wahrung des Friedens mittels Verwirklichung der Sicherheitsratsentschließung 242 und 338 eine besondere Rolle zu. 3) Sie sind der Auffassung, daß eine Friedensvereinbarung insbesondere auf folgenden Punkten beruhen sollte: I. Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Gewalt. II. Notwendigkeit, daß Israel die territoriale Besetzung beendet, die es seit dem Konflikt von 1967 aufrechterhalten hat. III. Achtung der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit und Unabhängigkeit eines jeden Staates in dem Gebiet sowie seines Rechtes, in Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben. IV. Anerkenntnis, daß bei der Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens die legitimen Rechte der Palästinenser berücksichtigt werden müssen. 4) Sie erinnern daran, daß gemäß Entschließung 242 die Friedensregelung Gegenstand internationaler Garantien sein muß. Sie sind der Auffassung, daß Garantien dieser Art unter anderem durch die Entsendung friedenshaltender Streitkräfte in die in Artikel 2 (c) der Entschließung 242 vorgesehenen entmilitarisierten Zonen verstärkt werden müssen. Sie stimmen darin überein, daß solche Garantien von hervorragender Bedeutung bei der Regelung der Gesamtsituation im Nahen Osten gemäß der Entschließung 242 sind, auf die der Rat in der Entschließung 338 Bezug nimmt. Sie behalten sich das Recht vor, in diesem Zusammenhang Vorschläge zu unterbreiten. 5) Sie erinnern bei dieser Gelegenheit an die vielfältigen Bande, die seit langem zwischen ihnen und den Anrainerstaaten des südlichen und östlichen Mittelmeeres bestehen. In diesem Zusammenhang bekräftigen sie die Pariser Gipfelerklärung vom 21. Oktober 1972 und erinnern daran, daß die Gemeinschaft beschlossen hat, im Rahmen eines globalen und ausgewogenen Vorgehens Vereinbarungen mit diesen Ländern auszuhandeln."
24.8
Kleine Anfrage von SPD- und FDP-Abgeordneten an die Bundesregierung
Mehr als 40 Bundestagsabgeordnete der SPD und der FDP haben am 9. November 1973 eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, in der sie in fünf Fragen ersucht wird, welche Maßnahmen sie zur Hilfe israelischer Kriegsgefan494
24.8 Kleine Anfrage von SPD- und FDP-Abgeordneten an die Bundesregierung
gener in Ägypten und Syrien unternehmen wird. Diese Anfrage hat folgenden Wortlaut: „Nach dem Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen, dem Ägypten und Syrien beigetreten sind, besteht unter anderem die Verpflichtung, — Kriegsgefangene unter allen Umständen und jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln und jede Art der Gewalttätigkeit, insbesondere Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung zu unterlassen; — Kriegsgefangenen unentgeltlich die ärztliche Behandlung angedeihen lassen, die ihr Gesundheitszustand erfordert; — jedem Kriegsgefangenen Gelegenheit zu geben, unmittelbar an seine Familie eine Karte zu senden; — die schwerkranken und schwerverwundeten Kriegsgefangenen in ihr Heimatland zurückzusenden; — Auskünfte über die Personalien und den Verbleib von Kriegsgefangenen zu geben; — Delegierten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu ermöglichen, sich an alle Orte zu begeben, wo sich Kriegsgefangene aufhalten, die von den Kriegsgefangenen benutzten Lager und Räumlichkeiten zu betreten und sich ohne Zeugen mit den Kriegsgefangenen zu unterhalten; Dauer und Zahl dieser Besuche dürfen nicht eingeschränkt werden. Aus Presseberichten ist zu entnehmen, d a ß zwei Wochen nach Eintritt des Waffenstillstandes im Nahen Osten gegen dieses Genfer Abkommen vom 12. August 1949 fortlaufend und massiv verstoßen wird. Für die Öffentlichkeit der Bundesrepublik ist nicht klar erkennbar, inwieweit diese in der Tagespresse wiedergegebenen Vorwürfe zutreffen. Wir sind der Auffassung, daß es sich hierbei ausschließlich um Fragen der humanitären Hilfe handelt, die Bundeskanzler Willy Brandt am 26. Oktober 1973 im Deutschen Bundestag angesprochen hat. Wir fragen deshalb die Bundesregierung: 1. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, auf die am Konflikt beteiligten Staaten mit dem Ziel einzuwirken, die humanitären Verpflichtungen aus dem Abkommen vom 12. August 1949 einzuhalten? 2. Ist die Bundesregierung bereit und in d e r Lage, schwerkranken oder schwerverwundeten Kriegsgefangenen unmittelbare Hilfe zukommen zu lassen? 3. Wird die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft auf die Partnerstaaten einwirken, im gleichen Sinne tätig zu werden? 4. Wird die Bundesregierung durch ihre Vertreter bei der zur Zeit tagenden Konferenz des Internationalen Roten Kreuzes im Sinne der Einhaltung und gegebenenfalls der Präzisierung der Bestimmungen der Genfer Konvention tätig werden? 495
24 Der Nah-Ost-Kiieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik 5. Wird sich die Bundesregierung an internationalen Maßnahmen beteiligen, die dem Ziele dienen, a u f die Einhaltung des Abkommens vom 12. August 1949 durch die am Konflikt beteiligten Staaten hinzuwirken?" Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, der als erster die Kleine Anfrage unterzeichnet hatte, hat persönlich noch folgende Feststellungen hinzugefügt: „Es gibt Nachrichten, wonach sich Ägypten und Syrien unter anderem weigern sollen, — israelische Kriegsgefangene unter allen Umständen und jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln, — die schwerkranken und schwerverwundeten israelischen Kriegsgefangenen * in ihr Heimatland zurückzusenden, — Auskünfte über die Personalien und den Verbleib von israelischen Kriegsgefangenen zu geben, — Delegierten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz zu ermöglichen, sich an alle Orte zu begeben, wo sich israelische Kriegsgefangene aufhalten, . die von den israelischen Kriegsgefangenen benutzten Lager und Räumlichkeiten zu betreten und sich ohne Zeugen mit den israelischen Kriegsgefange. nen zu unterhalten. Andererseits wird von ägyptischer und syrischer Seite erklärt, Israel halte sich nicht an die Bestimmungen der Genfer Konvention."
24.9
Über das Schicksal der israelischen Kriegsgefangenen
Das Schicksal der israelischen Kriegsgefangenen in Ägypten und Syrien hat in der Bundesrepublik ein lebhaftes Echo gefunden. Die Geschäftsführung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft erklärte am 5. November 1973: „Zwei Wochen nach Eintritt des Waffenstillstands im Nahen Osten ist das Schicksal m e h r e r e r hundert israelischer Kriegsgefangener immer noch ungeklärt. Die Regierungen Ägyptens und Syriens weigern sich nach wie vor, über ihren Verbleib Auskunft zu geben. Kriegsgefangene werden zum Spielball zweifelhafter politischer Ziele. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft fordert die Regierungen in Kairo und Damaskus auf, die Namen der israelischen Soldaten unverzüglich dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz bekanntzugeben. Sie bittet gleichzeitig alle politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik, diesen Appell zu unterstützen und mit Hilfe geeigneter Maßnahmen a u f die Klärung des Schicksals j e n e r Kriegsgefangenen zu dringen. Die Folterung von israelischen Soldaten, die im Junikrieg 1967 in syrische Hände fielen, geben uns Anlaß zu tiefer Besorgnis."
496
24.10 Heinz Kühn
24.10
Heinz Kühn: Mein Herz und Gewissen gehört dem Selbstverteidigungskampf des israelischen Volkes
Am Samstag, d e m 10. November 1973, flog d e r nordrhein-westfälische Ministerpräsident u n d stellvertretender Vorsitzende d e r Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auf Einladung d e r Tel Aviver Organisation d e r israelischen Arbeiterpartei nach Israel. Die Einladung lag bereits seit einem halben J a h r vor. Kühn betonte, daß e r es f ü r richtig gehalten habe, diese Reise gerade jetzt vorzunehmen, da Israel in einem verzweifelten Verteidigungskampf u m seine Existenz steht. Er wolle seine Solidarität und Sympathie f ü r Israel zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig diente d e r Besuch der Besprechung gemeinsamer Projekte der beiden Forschungsgesellschaften, der Friedrich-Ebert-Stiftung u n d d e r Fritz-NaftaliStiftung in Israel. Kühn betonte, daß er nicht als Repräsentant d e r Bundesregierung u n d nicht im Auftrage der Bundesregierung gereist sei, daß die Meinungen, die er zu d e n israelischen Problemen äußere, stets seine eigenen Auffassungen seien. Zum Abschluß seiner Reise veröffentlichte die Tageszeitung „Die Welt" ein ausführliches Interview zu d e n aktuellen Problemen mit Ministerpräsident Kühn. Darin sagte er: „Das israelische Volk ist von d e n arabischen Staaten angegriffen worden. Es gibt hinreichend viele Dokumentationen d e r letzten Zielvorstellungen d e r Araber, die J u d e n ins Meer zu werfen, das heißt, den israelischen Staat zu liquidieren. Ich bin nachdrücklich aus moralischen u n d aus politischen G r ü n d e n f ü r die Existenz eines israelischen Staates, in dem das israelische Volk in Frieden seine Zukunft gestalten kann, u n d stehe also mit meiner moralischen Stellungnahme f ü r die Verteidigung des israelischen Volkes u n d des israelischen Staates, u n d hier kann es keine moralische Neutralität geben. Meine israelischen F r e u n d e hier haben in allen Gesprächen ihre Unzufriedenheit u n d Bedrücktheit gegenüber den Außenministern d e r EG zum Ausdruck gebracht, obwohl ich glaube, d a ß das sorgfältige Studium dieser Resolution zeigt, daß sie keineswegs eine pro-arabische und anti-israelische ist. Ich glaube, u n d hier greife ich ein Wort des Bundeskanzlers auf, daß sich mancher diese oder jene Nuance in der Formulierung anders gewünscht hätte, aber die Resolution läßt f ü r die Z u k u n f t alle Möglichkeiten der Existenzsicherung Israels offen. Welt: Aber die Bundesrepublik mußte nicht f ü r die Resolution stimmen, sie stand j a nicht unter Zwang. Kühn: Es war von großer Wichtigkeit, daß es zum erstenmal in d e r Geschichte der Beziehung d e r europäischen N e u n zu einer gemeinsamen Resolution kam. Sie werden mir entgegenhalten, u n d ich sage mir dies selbst, es wäre mir lieber gewesen, diese Gemeinsamkeit an einem anderen Gegenstand manifestiert zu sehen. Eine solche Gemeinsamkeit, wie sie in der Resolution zum Ausdruck kommt, ist das Produkt eines Kompromisses. J e d e r d e r N e u n würde dieses oder jenes sicher497
24 Der Nah-Osl-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik lieh gerne, wenn es allein auf seinen eigenen Wunsch angekommen wäre, anders formuliert gesehen haben. Die Bundesrepublik hätte auf keinen Fall, und dies hat auch nicht zur Diskussion gestanden, als einziger Staat sich dieser gemeinsamen europäischen Resolution widersetzen können. Ich wiederhole noch einmal: Die Resolution verbaut keine Möglichkeit einer für Israel in vollem Umfange befriedigenden Friedenslösung. Welt: Wie begründen Sie das? Kühn: Sehen Sie, es kommt doch jetzt darauf an, daß - was die Grenzziehung eines endgültigen israelischen Staates angeht — ein Kompromiß gesucht werden muß. Die alten Grenzen waren j a auch Demarkationslinien, und ausgehend von den heutigen Waffenstillstandslinien wird die definitive Grenze Israels irgendwo dazwischen liegen; mehr nach dem einen oder mehr nach dem anderen hin. Welt: Das scheint sich nicht aus dem Wortlaut der Resolution zu ergeben. Kühn: Aus dem Wortlaut nicht, aber aus dem Sinn der Resolution. Der Sprecher der Bundesregierung hat schon darauf hingewiesen, daß diese Flexibilität der schließlichen Lösung als Gegenstand eines Friedensvertrages durchaus vorhanden ist. Welt: Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage, daß es zu dieser Resolution der Neun nicht gekommen wäre, wenn Europa nicht vor der Drohung oder sogar vor einem effektiven Ölboykott gestanden hätte. Kühn: Ja, ich bin nicht naiv genug, hier sagen zu wollen, daß schwerwiegende materielle Einflüsse nicht auf politische Resolutionen der Mächte einwirken. Ich glaube zwar, daß Ölboykott und Drohungen mit Ölboykott nicht im wohlverstandenen Sinne der arabischen Länder stehen. Sie laufen damit Gefahr, dort, wo sie in Europa auf Verständnis rechnen können, dieses verlieren werden. Zwar ist die Drohung mit dem Ölboykott von einer gewissen, aber doch nur begrenzten Wirkungsmacht. Denn sehr wohl könnten die davon bedrohten Länder auch ihrerseits zu der Überlegung kommen, wirtschaftliche Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, auch gegen arabische Länder. Welt: Warum hat die Bundesrepublik nicht einen Gegenboykott gegen die arabischen Länder vorgeschlagen? Warum hat nicht irgend jemand zumindest Gespräche mit den USA angebahnt, um darauf hinzuwirken, daß man den boykottierenden Ländern lebenswichtige Einfuhrwaren entzieht? Kühn: Die Bundesregierung hält Boykott nicht für ein erwägenswertes Instrument, weder für die eine noch für die andere Seite. Es kommt vielmehr darauf an, in den Verhandlungen eine Atmosphäre zu schaffen, die alle Seiten auf den Verzicht festlegen, den Boykott als politisches Instrument zu benutzen. Welt: Betrachten Sie einen Gegenboykott als unmoralisch? Kühn: Ich halte einen Gegenboykott nicht für unmoralisch. Ich halte Boykottmaßnahmen von beiden Seiten für nicht erlaubt. Wenn sie eine Seite ausübt, dann kann man einen Gegenboykott nicht mehr für unmoralisch halten, aber ich halte ihn für unklug. Ich halte ihn für im Gegensatz zur realen Interessenlage beider Seiten stehend. Deshalb glaube ich, daß das Instrumentarium der Politik benutzt werden soll, um eine solche Entwicklung zu verhindern.
498
24.11 Die Jugendarbeit mit Israel geht weiter Welt: Aber auf die arabische Boykottdrohung können Sie keinen Einfluß nehmen? Kühn: Doch, ich glaube, daß man Einfluß nehmen kann. In den Verhandlungen kann man dies wohl. Ich bin mir der Bedeutung von Emotionen in der Politik durchaus bewußt und weiß, daß in unterschiedlichen Regionen der Welt auch Emotionen unterschiedlich gewichtige Bedeutungen haben. Aber ich glaube, daß nirgendwo in der Welt ganz auf Rationalität des politischen Geschehens verzichtet werden kann. Welt: Die Bundesrepublik hat den Abtransport von Waffen aus amerikanischen Beständen über deutsche Häfen verboten. Kühn: Ja. Ich halte dies auch f ü r richtig. Die Position der Bundesregierung ist ganz klar. Ich habe es mit den Worten des Bundeskanzlers definiert: keine Neutralität des Gewissens. Unsere Neutralität ist zu verstehen als Nichtbeteiligung an den militärischen Kriegshandlungen. Und wenn einer der Beteiligten aus deutschen Häfen Waffen abtransportiert, die übrigens zu einem Teil NATOWaffen sind und zur Disposition der N A T O stehen, dann ist dies ganz ohne jeden Zweifel ein Schritt, der in Konflikt gerät mit dieser Definition der Neutralität, nämlich der Nichtteilhabe am militärischen Konflikt. Ich glaube, das Problem würde anders ausgesehen haben, wenn die Amerikaner den Abtransport auf amerikanischen Schiffen vollzogen hätten und gesagt hätten: ,Es handelt sich um NATO-Waffen, wir werden sie in kürzester Zeit aus anderen Beständen ersetzen'."
24.11
Die Jugendarbeit
mit Israel geht weiter
Der Yom Kipur-Krieg hatte den deutsch-israelischen Jugendaustausch und die Kontakte mit Gruppenreisen jäh unterbrochen. Einen Monat nach Kriegsende sind hier neue Anfänge gesetzt worden. Der Knesset-Abgeordnete Addi Amorai, Vorsitzender des Öffentlichen Rates f ü r den israelischen Jugendaustausch und Yehuda Erel, Generalsekretär dieser Institution, führten am 19. und 20. November 1973 mit dem Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit und deutschen Mitgliedern des Gemischten Fachausschusses f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch Besprechungen über die Fortführung der Jugendbegegnungen und der jugendpolitischen Zusammenarbeit zwischen der BRD und Israel. Beide Seiten kamen überein, noch 1973 f ü n f intensive Programme in Israel mit israelischer finanzieller Unterstützung durchzuführen und auf der nächsten Sitzung im J a n u a r 1974 in Israel die weiterhin geplanten Veranstaltungen zu beraten und darüber zu entscheiden. Das Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit wird zudem in einem Runderlaß über die israelischen Organisationen unterrichten, die zur Zeit in der Lage sind, Jugendbegegnungen und J u gendaustausch unbeschränkt durchzuführen. Israel wird seinerseits, sobald die Voraussetzungen gegeben sind, die deutschen Jugendgemeinschaften und Ju499
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik gendsozialdienste über die Möglichkeiten f ü r freiwillige Hilfsaktionen Jugendlicher in Israel benachrichtigen. Die Besprechungen wurden mit der Absicht geführt, d e r jungen Generation durch geeignete Kontaktprogramme einen besonderen Beitrag zur Verständigung und f ü r einen baldigen Frieden im Nahen Osten zu erleichtern.
24.12 Initiativen der deutschen Bevölkerung für Israel In den Tagen nach Yom-Kipur gab es in der deutschen Bevölkerung eine Fülle von Anregungen, eine Fülle von Initiativen, Israel zu helfen. Die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik und in Berlin haben bis heute viele Millionen D-Mark unter ihren Mitgliedern gesammelt. Zahlreiche Spenden nichtjüdischer Deutscher gingen auf ihre Konten. Deutsche Firmen und einzelne deutsche Persönlichkeiten spendeten hohe Geldbeträge, unter denen sich auch Beträge in Millionenhöhe befanden. In der Folge werden einige Initiativen aus der deutschen Bevölkerung aufgezählt, so wie sie uns direkt bekannt wurden. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft und die Gesellschaften f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit haben in großen A u f r u f e n die Bevölkerung zu Spenden f ü r Israel angeregt. Bezeichnend bei den Spendeneingängen ist die Tatsache, daß zehntausende kleinere Spenden eingegangen sind, woraus hervorgeht, daß ein breites Echo aus der deutschen Bevölkerung auf diesen Aufruf sichtbar wurde. In Krefeld hat sich eine Reihe von Bürgern, zu denen unter anderem der frühere Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde Krefeld, Elemer Schwarz, und der Kapuzinerpater Edilbert Schülli gehören, zu einer Aktion „Hilfe f ü r Israel" zusammengeschlossen. Zahlreiche Spenden gingen bereits auf ein Sonderkonto ein, auf das auch der Erlös einer Versteigerung floß, auf der von Krefelder Künstlern und Galerien gestiftete Kunstgegenstände verkauft wurden. Die Kölner Gesellschaft f ü r christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstaltete eine Flugblattaktion, in der die Solidarität mit Israel bekräftigt wurde. Da die Mitglieder des deutsch-israelischen Länderkreises Hagen angesichts des neuen Nahostkrieges nicht warten wollten, „bis eine vielleicht langsam arbeitende Hilfsbürokratie etwas unternimmt", richteten sie unter dem Kennwort „Hilfe f ü r Israel" ein Spendenkonto bei der Sparkasse der Stadt Hagen ein. Alle eingehenden Beträge wurden sofort dem jüdischen Hilfswerk Deutschland zur Verfügung gestellt. Da der Länderkreis aus Israel Nachricht erhalten hatte, daß Verbandszeug und Medikamente fehlen, hat er sich sofort mit entsprechenden Firmen in Verbindung gesetzt und zu einer Spendenaktion aufgerufen. Die jüdische Kultusgemeinde Mönchengladbach-Rheydt erhielt durchschnittlich 30 Anrufe pro Tag, in denen angefragt wurde, wohin man Geld zur Unterstützung Israels senden könne. Aus diesem G r u n d e richtete sie bei der Dresdner Bank Gladbach ein Spendenkonto ein. 500
24.12 Initiativen der deutschen Bevölkerung für Israel Zu einer Spende zugunsten der israelischen Rot-Kreuz-Gesellschaft ,MagenDavidAdom" hat die Organisation „Freunde des roten Davidsterns" in Dortmund aufgerufen, damit, wie es heißt, die Rot-Kreuz-Gesellschaft ohne Ansehen der Person, der Volks- oder Religionszugehörigkeit helfen kann. Die in Aachen gegründete Bürgerinitiative „Hilfe f ü r Israel" will mit Geldspenden und Medikamenten ebenfalls helfen, die Not der Zivilbevölkerung in Israel zu lindern. Mit Aufrufen an die Öffentlichkeit wurde mehrfach auf den guten Zweck einer Geldspende auf ein Konto bei der Dresdner Bank, Aachen, hingewiesen. Um Israel im Kampf ums Überleben auch nach dem Waffenstillstand zu unterstützen, rief die jüdische Studentenvereinigung Berlins zu einer Geldspende auf ein Postscheckkonto Berlin West auf. Im jüdischen Gemeindehaus Berlin-Charlottenburg, Fasanenstraße 79/80, können in einem Büro des Solidaritätskomitees „Hilfe f ü r Israel" Spenden eingezahlt werden. Das Büro ist täglich von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Im Briefkasten der jüdischen Gemeinde Offenbach wurde folgender 500 Mark enthaltender Brief gefunden: „An den Leiter der Synagoge persönlich. — Offenbach, 18.10.1973 p. p. Wir erlauben uns, Ihnen eine Spende f ü r Israel beizulegen." Dieser Betrag wurde auf folgendes Konto eingezahlt, auf das jeder eine Spende f ü r Israel einzahlen kann: Keren Hayessod, Vereinigte Israel-Aktion e. V., Bank f ü r Gemeinwirtschaft, Frankfurt. Willi Apel, Kontaktmann zwischen Kassel und der Vereinigung ehemaliger Kasselaner in Israel, ging förmlich unter in Verbandszeug und Medikamenten, die bei ihm abgegeben wurden, nachdem er in der Zeitung über einen bei ihm eingegangenen Hilferuf aus Israel berichtet hatte. Nach Absprache mit der israelischen Botschaft in Bonn wurde das Material nach Frankfurt geschickt, wo es von einer EL AL-Maschine übernommen wurde. Privatsammler Wilfried Wolff aus Berlin-Wilmersdorff stellt einen wertvollen Mercator-Kupferstich als Spende f ü r Israel zur Verfügung. Bei dem Stich, der gegen Höchstangebot abgegeben werden soll, handelt es sich um eine vermutlich einmalige Landkarte Palästinas aus dem 16. J a h r h u n d e r t . Von Moshe Atzmon, dem Chefdirigenten des Hamburger NDR-Symphonieorchesters, wurde in der großen Musikhalle in Hamburg ein Beethoven-Wohltätigkeitskonzert zugunsten des israelischen Roten Kreuzes organisiert. Sämtliche Musiker des Abends hatten sich f ü r den guten Zweck ohne Honorar zur Verfügung gestellt. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft Braunschweig hat die Bevölkerung zu einer ungewöhnlichen Spende f ü r Israel aufgerufen, zu einer Baumspende. Die Initiatoren erklären ihre Aktion wie folgt: Es könne nicht die Aufgabe der Gesellschaft sein, Waffen zu finanzieren. „Aber wenn durch unsere Baumspende — ein Bäumchen kostet etwa 10 DM — das Land ergrünt und das Wasser gehortet werden kann, so kommt diese Umweltverbesserung allen Einwohnern des Landes, J u d e n wie Arabern, zugute."
501
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik Spenden konnten auf ein Postscheckkonto der Stadt Hannover eingezahlt werden. Zu einem mehrtägigen Besuch reiste der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, am 10. November nach Israel. Er folgte damit einer Einladung der israelischen Arbeiterpartei und der Regierung in Jerusalem. Kühn betonte vor seinem Abflug, er wolle mit seiner Reise seine Sympathie zu Israel bekunden. Als Privatmann fühle er sich nicht an die europäische Nahost-Resolution gebunden. Aus d e m gleichen Grund war auch der Verleger Axel Springer f ü r eine Woche in Israel. Er hatte, wie er in einem Interview mit der Jerusalem Post mitteilte, „jetzt das Gefühl, bei seinen israelischen Freunden sein zu müssen".
24.13 Axel Springer: Vor der Einigung über Grenzen steht die Verpflichtung zur humanitären Hilfe Der Berliner Verleger Axel Springer hat mit seiner „Axel Springer Stiftung" eine Hilfsaktion Skopusberg ins Leben gerufen. In den Zeitungen seines Verlages ist in diesen Tagen eine große Anzeige eingerückt, in der es heißt: „Helft! Hunderte von Schwerverwundeten aus dem Nahost-Krieg warten auf Ihre Hilfe! J e d e r muß in dieser Stunde mithelfen, entstandenes Leid zu mildern! Bei der Sorge um die O p f e r des Krieges gibt es kein Beiseitestehen! Vor der Einigung über Grenzen steht die Verpflichtung zur humanitären Hilfe für die O p f e r des Krieges. Hunderte warten auf die helfende Hand. Genesungsheim f ü r Verwundete. Alle, auch Sie, können helfen. Auf dem Skopusberg in Jerusalem, einem Nebenhügel des Ölberges, wird ein Genesungsheim für Versehrte errichtet. Hier werden verwundete Israelis und Araber operiert, gepflegt und auf die Rückkehr ins Familien- und Berufsleben vorbereitet. In der Stadt des Friedens. Die Hilfsaktion Skopusberg wird in Jerusalem, der Stadt des Friedens, verwirklicht. Denn Jerusalem ist der Beweis vor aller Welt, daß Menschen verschiedenen Glaubens, verschiedener Nationalitäten und verschiedener Rassen in Frieden nebeneinander leben können. Selbst während des vierten Nahostkrieges ist es dort zu keinem einzigen Zwischenfall gekommen. Getreu dieser Tradition soll das Rehabilitationszentrum allen, ohne Ansehen der Nation, offen stehen - sofort und ohne Vorbehalte! Skopusberg — er muß Sinnbild deutscher Verbundenheit mit Israel werden. Die Menschlichkeit muß siegen — auch durch unsere Hilfe! Die Jerusalem-Foundation' ist gemeinnütziger Verein in der heiligen Stadt, ruft zur Spendenaktion f ü r den Bau des Genesungsheims auf. Wir Deutsche wissen, welches Leid der einzelne nach Kriegen tragen und bewältigen muß. Wir, gerade wir, müssen helfen! Hilfsaktion Skopusberg — Symbol privater 502
24.14
Europas Staats- und Regierungschefs tagen in Kopenhagen
deutscher Hilfe! Bitte überweisen Sie Ihre Spende auf das .Sonderkonto Skopusberg bei der Berliner Disconto Bank, Berlin'."
24.14 Europas Staats- und Regierungschefs tagen in Kopenhagen Die Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs und der Außenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die am 14. und 15. Dezember 1973 in Kopenhagen zusammengetreten waren, hat in einem ausführlichen Kommunique zur weiteren Entwicklung der europäischen Arbeit und ihrer Haltung zum Nahost-Konflikt sowie zu den Problemen der Energiekrise Stellung genommen. Am Rande der Konferenz haben sie mit den Außenministern Algeriens, Tunesiens, des Sudan und der Vereinigten Emirate am Persischen Golf, wie bekanntgegeben wurde, den Dialog zwischen der arabischen Welt und Westeuropa aufgenommen. In der Folge wollen wir die Dokumente, das Kopenhagener Kommunique im vollen Wortlaut wiedergeben: „Die Staats- und Regierungschefs und die Außenminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft trafen sich auf Einladung des Premierministers von Dänemark am 14. und 15. Dezember 1973 in Kopenhagen. Der Präsident der Kommission nahm in den die Gemeinschaften berührenden Fragen aktiv an ihrer Arbeit teil. Sie kamen wie folgt überein: 1. Die neun Länder bekräftigen ihren gemeinsamen Willen, dafür Sorge zu tragen, daß Europa in den wichtigen Angelegenheiten der Welt mit einer Stimme spricht. Sie haben die Erklärung über die europäische Identität verabschiedet, die in dynamischer Perspektive die Grundsätze für ihr Handeln näher bestimmt. 2. Sie haben beschlossen, die notwendigen Arbeiten zur Ausgestaltung der Europäischen Union zu beschleunigen, die sie sich auf der Pariser Konferenz zum Hauptziel gesetzt haben. Sie haben die Präsidentschaft gebeten, dazu unverzüglich zweckdienliche Vorschläge zu machen. 3. Sie haben beschlossen, häufiger zusammenzukommen. Derartige Zusammenkünfte sollen stattfinden, wenn sie auf Grund der Umstände zweckmäßig sind und wenn Impulse oder die nähere Bestimmung neuer Leitlinien für das europäische Einigungswerk notwendig erscheinen. Dem jeweiligen Präsidentschaftsland obliegt es, derartige Zusammenkünfte einzuberufen und die näheren Bedingungen für ihre Vorbereitung und Gestaltung vorzuschlagen. Die Staats- und Regierungschefs halten es für äußerst wichtig, daß die Gemeinschaftsorgane uneingeschränkt funktionieren und in ihnen die notwendigen Beschlüsse rechtzeitig getroffen werden. 4. Sie kamen überein, zusammenzutreten, wann immer die internationale Lage es erfordert. Sie vereinbarten, daß die Außenminister der Mitgliedstaaten bei ihrem nächsten Treffen festlegen, auf welche Weise in Krisenzeiten schnell 503
24 Der Nah-Ost-Krieg
5.
6.
7.
—
—
—
und die Diskussion in der deutschen und europäischen
Politik
eine gemeinsame Haltung erarbeitet werden kann. Überdies kann der Ausbau der politischen Zusammenarbeit dazu führen, daß Situationen mit Krisenrisiko gemeinsam bewertet werden, damit diese vorausgesehen und gemeinsame Positionen zu ihrer Bewältigung erarbeitet werden können. Sie haben ihr Bekenntnis zur Politik der internationalen Entspannung unter Achtung der Unabhängigkeit und Sicherheit jedes Staates und in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Regeln zur Verhütung und Beilegung von Konflikten bekräftigt. Sie waren übereinstimmend der Auffassung, daß die wachsende Einheit der Neun den gesamten Westen stärkt und dem Verhältnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten förderlich ist. Die Staats- und Regierungschefs begrüßen die Einberufung einer Friedenskonferenz nach Genf und fordern die Teilnehmer auf, jede Anstrengung zu unternehmen, um bald eine gerechte und dauerhafte Regelung herbeizuführen. Die neun Regierungen sind bereit, bei der Suche nach Frieden und bei der Garantierung einer Regelung mitzuhelfen. Die Staats- und Regierungschefs bekräftigen die gemeinsame Haltung ihrer Regierungen zur Nahostfrage, wie sie in der Erklärung vom 6. November 1973 ihren Niederschlag fand. Die jüngsten Ereignisse haben sie in ihrer Auffassung bestärkt, daß die Sicherheit aller Staaten in der Region, sei es Israels oder seiner arabischen Nachbarn, nur auf der vollen Verwirklichung der Sicherheitsresolution 242 in allen ihren Teilen unter Berücksichtigung der legitimen Rechte der Palästinenser beruhen kann. Die Staats- und Regierungschefs sind überzeugt, daß die Forderungen der Souveränität und der Sicherheit durch den Abschluß von Friedensvereinbarungen erfüllt werden können, die unter anderen Abmachungen internationale Garantien und die Errichtung entmilitarisierter Zonen vorsehen. Sie werden den Generalsekretär der Vereinten Nationen entsprechend unterrichten. Hinsichtlich der Europäischen Gemeinschaft haben sich die Staats- und Regierungschefs erneut zu dem in der Gemeinschaft Erreichten bekannt und ihren Willen bekräftigt, dies weiterzuentwickeln. Nach P r ü f u n g der in Anwend u n g f r ü h e r e r Beschlüsse bereits erzielten Fortschritte sind sie übereingekommen: die Gemeinschaftsorgane aufzufordern, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit schnellere Fortschritte auf dem Wege zur vollständigen Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion unter Zugrundelegung der bereits getroffenen Beschlüsse erzielt werden können; die Ausarbeitung einer gemeinsamen Position zur Reform des Weltwährungssystems aktiv weiterzuverfolgen, die dem europäischen Fonds f ü r währungspolitische Zusammenarbeit zur Verfügung stehenden Mittel aufzustocken und die Koordinierung ihres Vorgehens gegen störende Kapitalbewegungen zu verstärken, um in Europa eine Zone der Stabilität zu schaffen; die Staats- und Regierungschefs waren sich einig, das der Regierungsfonds am 1. J a n u a r 1974 errichtet werden sollte. Als Ausdruck ihrer positiven Hal-
504
24.14
—
—
—
—
—
8. 9.
Europas Staats- und Regierungschefs tagen in Kopenhagen
tung zur Errichtung des Fonds sind sie übereingekommen, ihren Außenministern Empfehlungen zu geben, damit der Rat auf seiner nächsten Tagung die notwendigen Beschlüsse über Umfang und Verteilung sowie über die Operationskriterien des Fonds trifft; ein gesellschaftspolitisches Aktionsprogramm zu verwirklichen, das die Vollbeschäftigung und Besserbeschäftigung in der Gemeinschaft, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Sinne eines Ausgleichs im Fortschritt und die wachsende Beteiligung der Sozialpartner an den wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Beschlüssen der Gemeinschaft und der Arbeiter am Leben der Unternehmen zum Ziel hat; die Arbeitsweise der Gemeinschaftsorgane wirksamer zu gestalten, indem die Zusammenarbeit zwischen Rat, Kommission und europäischem Parlament verbessert, ein schnelleres Verfahren für die Regelung der den Gemeinschaftsinstanzen unterbreiteten Fragen eingerichtet und die Finanzkontrolle unter anderem durch G r ü n d u n g eines unabhängigen Gemeinschafts-Rechnungshofes sowie die haushaltsrechtliche Rolle des europäischen Parlaments verstärkt wird; die Staats- und Regierungschefs sind übereingekommen, ihren Außenministern Empfehlungen zu geben, damit der Rat der Europäischen Gemeinschaft auf seiner nächsten Tagung eine Lösung findet, die es den Faröerinseln erlaubt, ihre Entscheidung über einen Beitritt zu der Europäischen Gemeinschaft so lange zu verschieben, bis das Ergebnis der Seerechtskonferenz bekannt ist. die Staats- und Regierungschefs haben im Bewußtsein der Bedeutung, die sie den Problemen des internationalen Handels mit Rohstoffen und Grundstoffen beimessen, die Kommission gebeten, diese Frage eingehend zu prüfen und dem Rat Vorschläge zu unterbreiten; die Staats- und Regierungschefs fordern von der Gemeinschaft eine aktivere Entwicklung einer gemeinsamen Politik der industriellen, wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit in allen Bereichen. Die Staats- und Regierungschefs haben die Energiefragen in einem getrennten Papier behandelt, das dieser Erklärung beigefügt ist. Die Staats- und Regierungschefs der Neun sind überzeugt, daß Europa durch seinen Zusammenschluß eine Rolle spielen kann, die seiner Geschichte und seinen Fähigkeiten im Dienste des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts innerhalb der Gemeinschaft, im Dienste des Wachstums und der Industrialisierung der Entwicklungsländer und im Dienste des Friedens zwischen allen Völkern gerecht wird."
Dokument zur Energiekrise
„Die Staats- bzw. Regierungschefs waren der Auffassung, daß die durch die Energiekrise hervorgerufene Lage die Weltwirtschaft als ganzes bedroht und Industrieländer wie Entwicklungsländer trifft. Ein anhaltender Energiemangel wür505
24 Der Nah-Ost-Krieg und die Diskussion in der deutschen und europäischen Politik
de ernsthaft auf Produktion, Beschäftigung und Zahlungsbilanz der Gemeinschaftsländer zurückwirken. Die Staats- u n d Regierungschefs waren sich daher einig, daß die Gemeinschaft sofort auf folgende Weise wirksame Maßnahmen ergreifen muß. Der Rat soll auf seiner Tagung vom 17. und 18. Dezember 1973 die Gemeinschaftsinstrumente erlassen, die die Kommission in die Lage versetzen, zum 15. J a n u a r 1974 umfassende Energiebilanzen zu erstellen, die sich auf alle einschlägigen Aspekte der Energielage in der Gemeinschaft erstrecken. Die Kommission soll auf dieser Grundlage mit der Prüfung aller gegenwärtigen oder vorhersehbaren Auswirkungen der Energieversorgungslage auf Produktion, Beschäftigung, Preise und Zahlungsbilanzen sowie auf die Entwicklung der Währungsreserven beginnen. Der Rat soll vor dem 15. J a n u a r 1974 Maßnahmen zur Sicherung des ordnungsgemäßen Funktionierens des gemeinsamen Energiemarktes treffen; diese Maßnahmen sollen die Ein- und Ausfuhr, die Verteilung, die Lagerhaltung und ein Kontrollsystem umfassen, das angemessene Preise sowohl f ü r Einfuhren aus Drittländern als auch auf dem Binnenmarkt sichert. Die Staats- und Regierungschefs bitten die Kommission, bis zum 31. Januar 1974 Vorschläge vorzulegen, die der Rat so rasch wie möglich — im Prinzip vor dem 28. Februar 1974 - verabschieden soll, um das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Energiemarktes herzustellen. Die Kommission wird in diesem Zusammenhang gebeten, dem Rat so rasch wie möglich zur alsbaldigen Beschlußfassung Vorschläge zu unterbreiten, wie den Problemen d e r sich entwickelnden Energiekrise möglichst konzentriert begegnet werden kann. Aus den gleichen Gründen forderten sie den Rat auf, Regelungen zu erlassen, um sicherzustellen, daß alle Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Einschränkung des Energieverbrauchs auf der Basis der Gleichwertigkeit und der Konzentration treffen. Um die Energieversorgung der Gemeinschaft zu sichern, wird der Rat ein umfassendes Gemeinschaftsprogramm f ü r Alternativenergiequellen beschließen. Das Programm soll die Diversifizierung der Versorgung der vorhandenen Ressourcen, beschleunigte Erforschung neuer Energiequellen und Schaffung neuer Produktionskapazitäten, insbesondere Schaffung einer europäischen Urananreicherungskapazität mit dem Ziel einer abgestimmten harmonischen Entwicklung bestehender Projekte fördern."
506
25 Ben Gurion stirbt in Israel
Am 1. Dezember 1973 starb David Ben Gurion in Israel. Wir Deutsche haben diesem Politiker viel zu verdanken. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß die Bundesrepublik Deutschland zur Trauerfeier nach Jerusalem eine besondere Delegation entsandte: den Wohnungsbauminister Dr. Jochen Vogel, der als früherer Oberbürgermeister der Stadt München besondere Beziehungen zu Israel entwikkelt hatte, Professor Carlo Schmid, der ebenfalls oftmals im Lande war und den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU im Bundestag, Richard von Weizsäcker. Am 3. Dezember fanden die Trauerfeierlichkeiten statt, zu denen ich persönlich mit den drei Abgesandten aus Bonn nach Israel fliegen konnte. Das verdanke ich Staatssekretär Dr. Paul Frank vom Auswärtigen Amt, der am Telefon sagte: „Selbstverständlich, da gehören Sie hin." Es war ein ereignisreicher Flug. Die Gespräche mit den drei politischen Persönlichkeiten gingen zurück in die Geschichte der bis dahin entstandenen deutsch-israelischen Beziehungen. Außer den deutschen Delegierten waren besondere Abgesandte aus den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien erschienen. Für viele Regierungen war die Trauerfeier zu kurz nach dem Tode angesetzt, was in Telegrammen an das israelische Außenministerium zum Ausdruck kam. Es war eine Gedenkfeier besonderer Art, als wir vor dem weiten Platz vor der Knesset standen, auf dem der Staatsgründer Israels aufgebahrt war. Mehr als alle Gedenkreden ergriff die schlichte Feier, das gesamte Zeremoniell dieser Stunde. Die Sirene, die über das ganze Land tönte und zur Gedenkminute an den Propheten und Gründer des Staates aufrief, die Verlesung der Gründungsurkunde, die seine Handschrift trug, alle die Gebete, die von Armee-Rabbinern gesprochen wurden. Ich hatte oftmals Gelegenheit, diesen Mann zu sprechen und zu erleben. Ich glaube, es gab für ihn zwei Themen, die ihn besonders beschäftigten: Das eine war das Verhältnis Israels und der Juden zu dem anderen Deutschland, das zweite die Aussöhnungmit den arabischen Nachbarn. Die von ihm geschaffene Gründungsurkunde des Staates, die er vor 25 Jahren, am 14. Mai 1948 im Museum von Tel Aviv verkündete, enthält auch Absätze, die ein Beweis zum Frieden sind, ein Bekenntnis zu einem gemeinsamen Aufbau der ganzen nahöstlichen Region. Ich mußte daran denken, daß dieser Mann nun gerade in dieser Stunde fehlen wird, da diese notwendigen Gedanken politisch nach 25 Jahren des Bestehens Israels in die Tat umgesetzt werden sollen. Ich denke dabei an die Sätze der Urkunde, in der es heißt: „Wir wenden uns — selbst inmitten der mörderischen Angriffe, denen wir seit Monaten ausgesetzt sind — an die in Israel lebenden Araber mit dem Aufruf, den Frieden zu wahren und sich auf Grund voller bürgerlicher Gleichberechtigung 507
25 Ben Gurion stirbt in Israel und entsprechender Vertretung in allen provisorischen und permanenten Organen des Staates, an seinem Aufbau zu beteiligen. Wir bieten allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und guter Nachbarschaft und rufen sie zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe mit dem selbständigen jüdischen Volke in seiner Heimat auf. Der Staat Israel ist bereit, seinen Beitrag bei gemeinsamen Bemühungen um den Fortschritt des gesamten Nahen Ostens zu leisten." Einen Satz muß man besonders hervorheben: „Der Staat Israel ist bereit, seinen Beitrag bei gemeinsamen Bemühungen um den Fortschritt des gesamten Nahen Ostens zu leisten." Heute, da man in der westlichen Welt besonders das Schicksal der Palästinenser hevorhebt, muß man an diesen Satz Israels erinnern, der ein Programm ist. Aber 25 J a h r e lang haben sich die arabischen Führer immer wieder gesträubt, diesen Menschen Menschlichkeit zuteil werden zu lassen. Sie haben sie in Lagern gehalten, in Zelten und Baracken und ihnen die Arbeit vorenthalten. Sie waren politischer Sprengstoff, der dazu beigetragen haben mag, was diese arabischen Führer ihre T r u p p e n am Versöhnungstag, dem Yom Kipur, zum vierten Mal auf die Schlachtfelder getrieben haben. Anläßlich seines Todes aber müssen wir Deutschen uns daran erinnern, was David Ben Gurion auch f ü r uns gewesen ist. Konrad Adenauers Bemühungen um eine Aussöhnung mit dem jüdischen Volk, mit den J u d e n in aller Welt, wären undenkbar gewesen, ohne den großen alten Mann auf d e r jüdischen Seite zu haben. Wenn man heute in einem Atemzug Männer wie den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik, Robert Schumann, de Gasperi und in den Vereinigten Staaten Dulles und Eisenhower nennt, dann muß besonders hervorgehoben werden, daß David Ben Gurion zu deren Gesprächspartnern gehörte. Einer seiner Biographen hatte ihn den „streitbaren Propheten" genannt. Die wichtigste Aussage dieses Mannes waren die Worte: „Daß das heutige Deutschland nicht mehr vergleichbar sei mit dem Hitlers". Er baute die Emotionen ab, die Gefühle der Verfolgten seines Staates. Die erste Schlacht, die er im israelischen Parlament f ü r seine Ansichten zu schlagen hatte, fand im J a n u a r 1952 in der Knesset statt, als er zur Ratifizierung den Wiedergutmachungsvertrag mit der Bundesrepublik einbrachte. In dem Buch „Gespräche mit Ben Gurion" von Moshe Pearlman sagte Ben Gurion zu diesem Ereignis: „Ich wußte, daß die Debatte stürmisch und gefühlsgeladen verlaufen, daß sich in ihr die Stimmung der Demagogen wie auch der ernsthaften Gegner eines Kontaktes mit Deutschland ausdrücken würde. In der Tat versuchten die Demagogen, sich auf das Blut der Märtyrer zu berufen und damit die Volksstimmung gegen uns aufzubringen — als ob meine Gefühle gegenüber den Nazis lauer, weniger leidenschaftlich gewesen wären als die ihren. Sie versuchten sogar, den Knesset während der Debatten lahmzulegen. Die ernsthaften Gegner glaubten ganz einfach, daß es Unrecht sei, irgendetwas mit Deutschland zu tun zu haben, und daß selbst Reparationen von dieser Seite nicht angenommen werden könnten. Ich bin froh darüber, daß die Majorität im Knesset, ich glaube sogar die Majorität 508
25 Ben Gurion stirbt in Israel des jüdischen Volkes in Israel als auch außerhalb dieser Ansicht nicht folgte. Die Mehrheit trat d a f ü r ein, mit dem Deutschland Adenauers in Verhandlungen zu treten, das die moralische Verantwortung des gesamten deutschen Volkes anerkannt hatte und die Pflicht zur Wiedergutmachung an den überlebenden Opfern akzeptierte." Und an anderer Stelle fügte er diesen Gedanken hinzu: „Die Diskussion über die Reparationen beschäftigte sich zum großen Teil mit der Frage, ob das Deutschland von heute mit Nazideutschland gleichzusetzen sei und ob es einen Unterschied zwischen Adenauer und Hitler gäbe. Einige meiner extremen Gegner gingen sogar so weit zurück, daß sie das kaiserliche Deutschland zitierten und behaupteten, daß man in allen Systemen, die dem Kaiserreich gefolgt waren, keinen Unterschied finden könne. Für sie war das deutsche Volk und würde das deutsche Volk immer ein Nazivolk bleiben." Es dauerte noch volle acht J a h r e bis zum 13. März 1960, als sich die beiden „Alten" in New York im Waldorf-Astoria Hotel trafen. Die Menschen blieben vor dem Hotel stehen, um die beiden Fahnen zu betrachten, die israelische und die schwarz-rot-goldene, die miteinander vor diesem Hotel wehten. Es war ein Gespräch von Gleichgesinnten. Man sprach nicht von Wiedergutmachung, sondern vom Aufbau und statt eines Vertrages hatte Konrad Adenauer David Ben Gurion zugesagt: „Wir werden Ihnen helfen." Es ging um den Ausbau der Wüste, um weitere Aufbaumaßnahmen f ü r einen Staat, in den jüdische Menschen aus aller Welt strömten, um ihn zu entwickeln. Ein Jahr später verkündete David Ben Gurion vor der Knesset, daß Adolf Eichmann sich in israelischem Gewahrsam befände. Ich habe in diesen Monaten des Prozesses und davor mehrere Gespräche mit Ben Gurion geführt. Was ihn für das deutsch-israelische Verhältnis auszeichnete, war das große Vertrauen, das er zu der Demokratie der Bundesrepublik hatte, zu Konrad Adenauer, dem damaligen Regierungschef. Mit dieser Haltung nahm Ben Gurion den Ehrabschneidern in Ost-Berlin jede Möglichkeit, die Bundesrepublik Deutschland gerade in den Monaten des Eichmann-Prozesses zum Nachfolgestaat Hitlers zu stempeln. Und in einem Interview, das ich in den Tagen des Prozesses mit ihm haben durfte, sprach es dieser Mann noch deutlicher aus: „Das heutige Deutschland ist nicht mit dem eines Hitler zu vergleichen." Das vertrauensvolle Verhältnis, das er mit Konrad Adenauer persönlich hatte, hat er auch, wie aus all seinen Äußerungen hervorgeht, auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen. Ich habe das gespürt, als ich im März letzten Jahres zum letzten Mal bei ihm war und f ü r eine große Rundfunksendung ein Interview über die deutsch-israelischen Probleme bei ihm in der Bibliothek in Tel Aviv aufnahm. Wie eh und je hielt er an dem Gedanken fest und sprach ihn aus, was er mir zum ersten Mal beim Eichmann-Prozeß gesagt hatte: „Das heutige Deutschland ist nicht mit dem Hitlers zu vergleichen." 509
25 Ben Gurion stirbt in Israel Als Bundeskanzler Willy Brandt im Juni 1973 den ersten offiziellen Besuch eines Bundeskanzlers abstattete, war es sicherlich der Wunsch von Brandt, mit Ben Gurion zusammenzutreffen. Vielleicht darf man darin etwas besonderes sehen, daß diese Begegnung direkt an einen Empfang stattfand, den der Bundeskanzler f ü r ehemalige Deutsche in Israel in Herzlia gegeben hat. Es war ja nicht das erste Mal, daß sich diese beiden Politiker begegneten. Brandt hatte bereits als Regierender Bürgermeister von Berlin mehrfach mit Ben Gurion gesprochen. Aber wie schon erwähnt, es waren die letzten Gespräche dieser Art, bevor nun das Unvermeidliche eintrat. David Ben Gurion hat auch frühzeitig erkannt, daß Deutschland ein Teil des auf dem Wege zur Einigung befindlichen Europas ist. Israel, das war immer seine Politik, muß den Weg nach Europa finden, weil es am Mittelmeer liegt, das ein Teil Europas ist. Und in dem 1964 erschienenen Buch von Moshe Pearlman hat er dieser politischen Meinung Ausdruck gegeben, wenn er sagt: „Meiner Meinung nach wird Deutschland nie wieder eine solche Weltmacht werden, wie es zu Beginn dieses Jahrhunderts war; aber auf jeden Fall ist es eine aufstrebende Macht. Es ist ganz klar, daß die große Majorität der deutschen Bevölkerung es vorzieht, im demokratischen Lager zu verbleiben, trotz oder vielleicht gerade wegen des sowjetischen Einflusses auf den östlichen Teil des Landes und wegen des sowjetischen Wunsches, diesen Teil zu einem Satelliten zu machen. Für uns kann es nicht unwichtig sein, ob Westdeutschland f ü r oder gegen Israel ist. Deutschland könnte leicht eine feindliche Haltung gegenüber Israel einnehmen. Das wäre selbst ohne Nazis durchaus möglich. In Indien gibt es keine Nazis, und trotzdem zeigt die indische Regierung keine besonders freundschaftlichen Gefühle gegenüber Israels. Ein feindliches Deutschland könnte die Freundschaft zwischen Israel und anderen Ländern in Westeuropa gefährden und außerdem einen wenig wünschenswerten Einfluß auf die Vereinigten Staaten ausüben. Es ist deshalb doppelt wichtig f ü r Israel, eine engere Beziehung zu Deutschland zu fördern."
Auch mit diesen Bemerkungen ist Ben Gurion tagesaktuell geblieben. Er hat nicht nur seinem Volk den Weg gewiesen, sondern auch jenen, die in Freundschaft mit Israel verbunden sind. Wenn ein großer Mann in einem Volk die Augen für immer schließt und die Erde verläßt, dann geht ein Zittern durch die Völker, ein Schaudern überläuft sie, weil sie auch dann noch das Gefühl der Geborgenheit haben, wenn diese Menschen nur unter ihnen weilen, auch, wenn sie selbst nicht mehr regieren. Der 87jährige David Ben Gurion, der Vater seines Israel, mag durch den Yom-KipurKrieg besonders getroffen worden sein. Wir Deutschen verdanken ihm unendlich viel. Die deutsche Öffentlichkeit hat ihm zu seinem T o d in zahlreichen Nachrufen und auch in Gesprächen unter den Menschen diesen Dank abzustatten versucht. Man weiß, was er getan hat und reiht ihn in die „Großen" unserer Tage ein. 510
25.1 David Ben Gurions Tod in der deutschen Publizistik
25.1 David Ben Gurions Tod in der deutschen Publizistik Selten hat der Tod eines Staatsmannes ein so breites Echo in der deutschen Publizistik gefunden wie der T o d Ben Gurions. Sondersendungen beider Fernsehprogramme, die seinen politischen und menschlichen Werdegang darstellten, Kommentare in allen Rundfunkstationen, breite aktuelle Berichte von den Beisetzungsfeierlichkeiten in Jerusalem wurden ausgestrahlt. An dieser Stelle soll aus einigen Artikeln, die in der deutschen Presse erschienen und die das gesamte Werk dieses Mannes würdigen, die immer wiederkehrende Darstellung der Bedeutung seiner politischen Haltung gegenüber Deutschland hervorgehoben werden. Es gab unendlich viele Kommentare, die diese Ereignisse hervorhoben. Telegramm des Bundespräsidenten an Präsident Katzir. „Zum Tode des f r ü h e r e n israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion übermittle ich Ihnen zugleich im Namen des deutschen Volkes meine herzliche Anteilnahme. Ich bitte Sie, den Angehörigen des Verstorbenen mein Beileid auszusprechen. Die Leistungen Ben Gurions als Staatsmann haben auch außerhalb Israels weite Anerkennung gefunden. Mit der Herstellung und Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen wird sein Name verbunden bleiben. Er hatte sich zu ihrem Fürsprecher gemacht, als die Schatten der tragischen Vergangenheit den Weg in die Zukunft noch zu verschließen schienen. Wir werden sein weitsichtiges Wirken f ü r die Verständigung zwischen unseren Staaten und Völkern in dankbarer Erinnerung behalten. Gustav W. Heinemann, Präsident der Bundesrepublik Deutschland." Der Bundeskanzler sandte an die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir folgendes Telegramm: „Die Nachricht vom T o d e David Ben Gurions hat mich tiefbewegt. Ihnen und dem israelischen Volk gilt meine aufrichtige Anteilnahme. Ich bitte Sie, den Familienangehörigen mein herzliches Beileid zu übermitteln. Wir alle wissen um den entscheidenden Anteil David Ben Gurions am Aufbau des Staates Israel. In unserem Land wird er auch als d e r israelische Staatsmann unvergessen bleiben, der nach den Schrecken der Vergangenheit dem neuen Deutschland die Hand zum Neubeginn und zur Versöhnung gereicht hat. Willy Brandt, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland." Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl sagte: „Die CDU trauert um David Ben Gurion, d e r einer der großen Staatsmänner unserer Zeit war. Wir wollen ihm nicht vergessen, daß er nach all dem Schrecklichen, was in d e r Geschichte zwischen unseren Nationen steht, zusammen mit Konrad Adenauer den Weg zur Aussöhnung zwischen den beiden Völkern fand." 511
25 Ben Gurion stirbt in Israel „Als einen patriotischen Menschen und hervorragenden Staatsmann, der sich als Wegbereiter f ü r die Verständigung zwischen Deutschen und Israelis nach den schrecklichen Ereignissen der Nazizeit erwiesen habe", würdigte die FDP Ben Gurion. Er habe die wesentlichen Voraussetzungen d a f ü r geschaffen, daß zwischen beiden Ländern heute ein auf gegenseitiges Vertrauen begründetes Verhältnis bestehe. Franz-Josef Strauß sandte an Frau Golda Mehr, Ministerpräsidentin des Staates Israel, folgendes Telegramm: „Zu dem T o d e David Ben Gurions spreche ich Ihnen und dem israelischen Volk auch im Namen der CSU mein tiefempfundenes Beileid aus. Uns allen wird unvergessen bleiben, daß David Ben Gurion dem deutschen Volk den Weg zur Versöhnung mit dem jüdischen Volk geöffnet hat. Sein Lebenswerk ist auch uns Verpflichtung. Die Stunden der Begegnung mit ihm werden mir immer unvergeßlich und in dankbarer Erinnerung bleiben. Franz-Josef Strauß" Die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland hat Frau Ministerpräsidentin Golda Meir durch den Generalsekretär des Zentralrats der J u d e n in Deutschland, Alexander Ginsburg und den Vorsitzenden des Direktoriums, Werner Nachmann, das folgende Telegramm gesandt: „Die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland verneigt sich gemeinsam mit allen J u d e n in der ganzen Welt in Trauer u n d Respekt vor dem großen J u d e n und Staatsmann DavidBen Gurion. In dankbarer Erinnerung bleibt David Ben Gurions Hilfe f ü r die Sherith-Hapletah, für die Überlebenden der Konzentrationslager, im Zeichen der Verbundenheit mit Zion und Jerusalem. Die großen Leistungen von David Ben Gurion bleiben in der Geschichte unvergessen." Welt am Sonntag, 2.12.1973: „Er hatte die Mähne eines Löwen, das Herz einer Löwin, die ihre Jungen verteidigt, das Auge eine Propheten und die Durchsetzungskraft eines Bulldozers. Zwei Buchstaben genügten, um ihn für die Welt zu kennzeichnen: B.G. — David Ben Gurion. Nur deshalb, so erzählt man sich augenzwinkernd in Israel, habe sich Ben Gurion, dessen Steckenpferd die Bibel war, nicht zum König von Israel ausrufen lassen, weil er nicht,David der Zweite' sein wolte. Seine flinken Augen sahen alles, sein Tatendrang ruhte nie. B.G. war immer der Mittelpunkt des Geschehens. Niemand wunderte sich, als der Ministerpräsident kurz vor Nazareth auf der Landstraße seinen Wagen halten ließ, ausstieg und eigenhändig mithalf, das liegengebliebene Auto eines unbekannten, einfachen Bürgers anzuschieben. Doch keiner hatte auch einen härteren Kopf. Man wunderte sich, wo dieser kleine Mann den physischen Hubraum hernahm, um immer wieder die mutigsten 512
25.1 David Ben Gurions Tod in der deutschen Publizistik Entscheidungen zu fällen. Äußerlich war er kein Goliath, sondern eben ein David. Er fürchtete sich vor niemandem. Aber als er 1948 im Museum von Tel Aviv den Staat Israel ausrief, schnürte ihm die Sorge um Land und Volk die Kehle zu. Die Hatikwa, die Nationalhymne, wurde gesungen; dochß.G. blieb stumm. Erdachte an den Krieg, der hereinbrach. Zittern, Zagen, Zögern aber gab es nicht bei ihm. Er packte zu und tat (meistens) das Richtige..." Kölner Stadtanzeiger, 3.12.1973: „...Ben Gurion, der Vater seines Staates, der sich selbst einen Sohn seines Staates nannte, war auf jüdischer Seite auch der Vater der Versöhnung zwischen Israel und der Bundesrepublik. Er verteidigte 1952 im Parlament zu Jerusalem gegen wütende Angriffe vor allem von Menachem Begin, dem heutigen Führer des Rechtsblocks in Israel, die Wiedergutmachungsverhandlungen; er traf sich 1960 im New Yorker Waldorf-Astoria Hotel mit Konrad Adenauer; er empfing Adenauer in seinem Wüstenkibbuz; er kam zu seiner Beerdigung in die Bundesrepublik; er sprach noch vor wenigen Monaten - wieder in einem Hotelzimmer mit Willy Brandt. Der Bundesrepublik stand Ben Gurion jedoch beileibe nicht unkritisch gegenüber; aber, so äußerte er sich einmal, die vollständig in der Vergangenheit leben, weigern sich, die Unterschiede zu sehen, die Veränderungen, die in der Welt eingetreten sind; und nur sie können glauben, daß sich HitlerDeutschland wieder zu etablieren vermag..." Stuttgarter Zeitung, 3.12.1973: „...Ben Gurion war bei aller Leidenschaft, mit der er die Ziele des Zionismus verwirklichte, kein Fanatiker. Das zeigte sich nicht zuletzt in seiner Haltung gegenüber den Deutschen. Im mutigen Gegensatz zu den meisten israelischen Politikern vertrat er die unpopuläre Ansicht, daß sich die Einstellung der Deutschen in der Bundesrepublik zum jüdischen Volk tatsächlich geändert habe. Von diesem angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen bewundernswerten vorurteilsfreien Standpunkt aus reichte er Bundeskanzler Adenauer im März 1960 bei der berühmten Begegnung im New Yorker Hotel Waldorf-Astoria die Hand zur Versöhnung. Schon 1962 scheute er sich nicht, die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik zu befürworten. Da er in dieser Frage der öffentlichen Meinung seines Landes ein großes Stück voraus war, soll seine deutsch-freundliche Haltung nicht unwesentlich zu seiner Isolierung in der Mapai-Partei beigetragen haben, die schließlich im J u n i 1963 zu seinem endgültigen Rücktritt vom Posten des Ministerpräsidenten führte..." Bremer Nachrichten, 3.12.1973: „...Dem 87 J a h r e alt gewordenen David Ben Gurion in positivem Sinne zu gedenken, besteht in Deutschland besonderer Anlaß. Israels erstem Regierungschef ist es von Anfang an d a r u m gegangen, im deutsch-jüdischen Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Anfang zu setzen — dies gegen erheblichen Widerstand im Lande. Zwar fiel die Normalisierung der deutsch-israelischen Bezie513
25 Ben Gurion stirbt in Israel hungen nicht mehr in seine Ägide, aber die Grundlagen dazu hatte er doch gelegt, der es 1959 auch in Kauf nahm, daß wegen des von ihm durchgesetzten Waffenstillstandsvertrages mit der Bundesrepublik sein sechstes Kabinett zerbrach..." A ugsburger A llgemeine, 3.12.1973: „...Kompromisse schloß Ben Gurion fast nie, umso mehr zeigte er Mut zur Unpopularität. Als einer der ersten befürwortete er eine Aussöhnung mit der Bundesrepublik. 1967 kam er zur Beerdigung Adenauers nach Bonn. Auch als er sich in seinen Kibbuz aufs politische Altenteil zurückgezogen hatte und Bücher über die Geschichte Israels schrieb, blieb er ein unbequemer Mahner und Kritiker..." Vorwärts, Bonn, 6.12.1973: „...Ben Gurion war immer ein unbequemer Politiker gewesen. Er sah Dinge, bevor andere in seinem Volk davon zu träumen wagten. Er hatte unkonventionelle Ideen und handelte dementsprechend. Gegen den Widerstand weiter Bevölkerungskreise boxte er die deutsch-israelischen Verträge durch und bis zu seinem T o d e empfand er große Achtung vor Adenauer, zu dessen Beisetzung er — auch wieder gegen den Widerstand weiter Kreise in Israel — nach Deutschland gekommen war. Der kleine Mann mit dem zerzausten weißen Haar war eine merkwürdige Mischung von Philosoph, Realpolitiker und Prophet. Zu Lebzeiten bereits war er eine Art Denkmal, ist er in den nationalen Besitz Israels übergegangen." Münchner Merkur, 3.12.1973: „Ben Gurions in Israel wohl umstrittenster politischer Schritt war der Versuch einer Aussöhnung mit der Bundesrepublik. Zu einer Zeit, als Deutschland noch immer die Emotionen in dem Judenstaat aufwallen läßt, trifft er mit Konrad Adenauer in New York zusammen (März 1960). Der Besuch Adenauers in Israel zu einer Zeit, als die großen Staatsmänner beider Völker von der politischen Bühne bereits abgetreten sind, legt den Grundstein f ü r die Aussöhnung. Israel trauert seit Samstag um seinen Vater, dessen politische Maximen noch lange den Weg Israels kennzeichnen werden." Süddeutsche Zeitung, 3.12.1973: „...Wegen der Frage von Waffenlieferungen aus Deutschland brach 1959 sein Kabinett auseinander. Ben Gurion ließ dennoch nicht davon ab, stärkere Bande mit der Bundesrepublik anzuknüpfen: Am 14. März 1960 schüttelten sich im Waldorf-Astoria Hotel in New York Ben Gurion und Konrad Adenauer vor Pressephotografen die Hände. Auch wenn ein Vertrag über deutsche Kredite in Höhe von 500 Millionen Dollar f ü r Israel eines der Verhandlungsergebnisse war, so isolierte der Händedruck doch den Premier von seinen Parteifreunden..." 514
25.1 David Ben Gurions Tod in der deutschen Publizistik Neue Ruhr-Zeitung, 3.12.1973: „...Staatsmännischen Mut und Weitblick bewies Ben Gurion, als er als erster maßgeblicher Politiker Israels die Versöhnung mit Deutschland einleitete. Das deutsch-israelische »Luxemburger Abkommen' über deutsche Restitutionen und die Begegnung mit Konrad Adenauer in New York, waren Meilensteine auf diesem Wege." Westdeutsche Allgemeine, Essen, 3.12.1973: „...Während seiner Regierungszeit wurde er häufig seiner deutschfreundlichen Haltung und der Zusammenarbeit mit Konrad Adenauer wegen angegriffen. Auch im Charakter hatte er manche Züge mit dem ersten Bundeskanzler gemeinsam. Beide wurden ihrer autoritären Haltung wegen ,der Alte* genannt. Wo andere schwankten und zögerten, wußten sie, ihren Willen durchzusetzen. Erst in seinen letzten Jahren war der Streit um Ben Gurion erloschen. Er war der legendäre .Vater des Vaterlandes' geworden, der schon zu Lebzeiten der Geschichte angehörte." Berliner Zeitung, 3.12.1973: „...Der Mann, der den dritten in Israel ausgestellten Ausweis besaß, gilt als einer der größten Staatsmänner dieses Jahrhunderts. Man nennt ihn in einem Atemzug mit den Prominentesten seiner Generation, Winston Churchill, Konrad Adenauer und Charles de Gaulle.1'' Mannheimer Morgen, 3.12.1973: „...Er lebte fast nur noch in seinem Kibbuz, in einem kleinen Stübchen, das mit Büchern tapeziert war, und schrieb, immer mit der Hand, niemals mit der Maschine. Seit dem Tod seiner Frau im J a h r e 1968 sorgten die Kibbuzniks f ü r ihn. Den letzten Krieg, seinen sechsten, mußte er noch erleben. Frieden für den Staat, den er gegründet hatte, war ihm nicht mehr vergönnt. Die Deutschen werden ihm nicht vergessen, daß er ihnen die Hand zur Versöhnung reichte." Fränkisches Volksblatt, 3.12.1973: „...Alle Daten, die man a n f ü h r e n könnte, sind indessen so dürftige Markierungspunkte seines reichen und bewegten Lebens. Schon mit 20 Jahren kam er aus seiner polnischen Heimat nach Palästina, besessen von dem Gedanken eines Judenstaates. David Ben Gurion hat diesen Staat gegründet, den Jahrhunderte lang verstreuten J u d e n eine Heimat gegeben und eine neue Nation geschaffen. Zu seinem Tode, in dem wieder einer der großen Männer und einer der einprägsamsten Figuren der Nachkriegszeit die Erde verläßt, ist festzustellen: Er hat seine Idee verwirklicht. Wer kann das am Ende seines Lebens schon von sich sagen?" Schwäbische Zeitung, Leutkirch, 3.12.1973: „...Meinungsverschiedenheiten hatte er insbesondere wegen seiner guten Beziehungen zur Bundesrepublik, die auf seine Initiative zustande kamen und auf sei515
25 Ben Gurion stirbt in Israel ner Freundschaft mit Bundeskanzler Adenauer beruhten. Wiedergutmachung und deutsche Wiederbewaffnung waren die Streitpunkte in der Knesset. ,Der Feind steht in Ägypten, nicht in Deutschland', erklärte er im Parlament. Mit Beklemmung sah er die Schwenkung der anfänglich israelfeindlichen Politik Moskaus zu einer proarabischen Unterstüztung Kairos. Deswegen beurteilte er auch die Beilegung des Nahost-Konflikts skeptisch. Das Streben nach Herrschaft im Mittelmeer schrieb er den Russen zu, ,die den Schlüssel zum Frieden in den Händen haben'. Von Änderungen im Sowjetbereich - etwa durch die Rivalität mit China — versprach er sich eine leichtere Regelung der Dinge im Nahen Osten." Frankfurter Rundschau, 3.12.1973: „...Als er im März 1960 sein erstes Gespräch mit Konrad Adenauer in New York hatte — damals galt es noch als Sensation, daß ein deutscher und ein israelischer Staatsmann einander trafen — stellte er fest: ,Ich gehöre einem Volk an, das seine Vergangenheit nicht vergessen kann. Aber wir denken an die Vergangenheit nicht, um darüber zu brüten, sondern um sicher zu gehen, daß sie sich nicht wiederholt. Ich habe vor der Knesset gesagt, das Deutschland von heute sei nicht das Deutschland von gestern. Nach meinem heutigen Zusammentreffen mit dem Bundeskanzler bin ich davon überzeugt, daß diese damalige Bewertung richtig war...'" A bendzeitung, München, 3.12.1973: „...Der ,Alte', wie er allgemein n u r genannt wurde, genoß und beanspruchte keinerlei Privilegien. Er führte wieder das einfache Leben seiner Anfangsjahre in Palästina, als es noch türkisch war. Seine bekannte Löwenmähne war längst weiß geworden. Den Hemdkragen trug er noch immer offen..." Münsterische Zeitung, 3.12.1973: „...Gerade rückschauend sind auch bestimmte Parallelen zwischen dem IsraelArchitekten David Ben Gurion und dem ersten Bonner Regierungschef Konrad Adenauer gar nicht zu übersehen. Die deutsch-israelische Annäherung ist entscheidend das Werk dieser beiden großen alten Männer gewesen, aber in mancher Hinsicht doch immer noch der gleichen Natur. Es geht darum, sich dessen bewußt zu bleiben."
25.2
Das letzte Gespräch mit David Ben Gurion
Im Sommer 1973, es war im Juni, sprach ich zum letzten Mal mit David Ben Gurion. Es war ein Blick zurück auf 25 J a h r e Israel und auf die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen. Ich f u h r zu seinem Haus in Tel Aviv, das in der Straße Keren Kajemeth liegt. 516
25.2 Das letzte Gespräch mit David Ben Gurion Es ist ein zweistöckiger Würfel, mit flachem Dach. Am Eingang im Garten stand wie immer ein Polizeiposten. Ich war angemeldet. Einer der ständigen Sicherheitsbeamten, der mich bereits von vielen Besuchen her kannte, führte mich in den ersten Stock. Durch die kleinen Fenster und die Läden fiel wenig Licht von draußen. Der Hauptgrund f ü r diese Abdunkelung war, die Hitze des Tages fernzuhalten. David Ben Gurion saß an seinem Schreibtisch. Das Zimmer war rundum mit Bücherregalen bedeckt, Erinnerungsfotos aus allen Zeiten seines Wirkens standen im ganzen Raum oder hingen an den Wänden. Dieser größte lebende Politiker Israels, der Gründer des Staates, dessen wallendes weißes Haar seinen Kopf prägte, trug wie immer nur ein kurzärmeliges weißes Hemd zu seiner leichten Sommerhose. Er stand auf und begrüßte mich, wie er das so oft getan hatte, herzlich und ohne jede Zurückhaltung. Als ich ihm erläutert hatte, was ich von ihm wollte, war er sofort einverstanden. Ich hatte eine Dolmetscherin mitgebracht, Frau Levi, die schon beim Eichmann-Prozeß aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt hatte. Auch sie gehörte zu jenen, die trotz der Schwere dieses Prozeß-Geschehens keine Vorbehalte gegen die Menschen aus der alten Heimat mehr hegte. Der Vater war einst Zahnarzt in Dresden gewesen und hatte eine Praxis in Haifa aufgebaut, die er noch lange J a h r e bis zu seinem Tod führte. Ihre Mutter lebte in dieser herrlichen Stadt auf dem Carmelberg. Dort gab es ein Wohnheim für ältere Menschen, das aus den Wiedergutmachungsgeldern, die einst aus Deutschland kamen, errichtet worden war. Ben Gurion fragte, in welcher Sprache das Interview laufen solle, in englisch oder hebräisch. Wir sagten, daß er hebräisch sprechen solle, ich würde meine Fragen in deutsch stellen, Frau Levi werde sie übersetzen. Der große alte Mann nickte mit dem Kopf und wir begannen das Gespräch. Es war n u r allzu natürlich, daß ich 25 J a h r e nach der G r ü n d u n g des Staates Israel mit diesem T h e m a begann. Was wir aufzeichneten, was dieses Gespräch ausmacht, soll hier wiedergegeben werden: Frage: Herr Ben Gurion, die Erinnerung an die Staatsgründung Israels vor 25 Jahren ist meine Frage. Wie sehen Sie heute, was erinnert Sie heute an diesem Tag, an den 14. Mai 1948, wo Sie in dem Museum von Tel Aviv die Gründungsurkunde des Staates verlasen und damit den Staat proklamierten? Antwort: Das wichtige ist nicht nur, daß der Staat gegründet wurde, sondern daß die Anzahl der J u d e n , die nach Israel kamen, sich um vieles vermehrte. Zwar ist die Anzahl noch immer nicht so groß, wie ich es gerne gesehen hätte, aber von den 650 000 Juden, die zum Staatsbeginn im Lande lebten, sind wir heute beinahe auf 3 Millionen Juden gekommen. Das ist das Wichtigste. Frage: In diese Periode der ersten 25 J a h r e Israels fällt die neue Verbindung der Bundesrepublik Deutschland mit Israel. Sie, Herr Ben Gurion, haben diese Verbindung als israelischer Regierungschef von Beginn an gefördert. Woher nahmen Sie die Kraft gegenüber all den politischen Gegnern, diese Haltung zu vertreten? Antwort: Ich tat dies, weil ich wußte, daß meine Gegner in Israel, die sich mir ge517
25 Ben Gurion stirbt in Israel genüberstellten, nicht Recht hatten. Denn das Nachkriegs-Deutschland war ja nicht das Deutschland, das den Krieg heraufbeschworen hatte. Im übrigen hatte ich sehr viel Respekt und Verehrung f ü r den Vorsitzenden der CDU, Konrad Adenauer. Ich hatte bereits auch f ü r die Männer der Arbeitsbewegung sehr viel übrig gehabt. Ich hatte über Konrad Adenauer sehr viel gehört und merkte bei meinem T r e f f e n mit ihm, daß das, was ich über ihn gehört hatte, längst nicht voll seine Persönlichkeit ausschöpfte. Im übrigen war ja auch die Jugend Deutschlands in keiner Weise mit dem Krieg in Verbindung zu bringen. Sie hatte ihn auch nicht heraufbeschworen u n d hatte daher überhaupt nichts mit der Vernichtung der sechs Millionen J u d e n der Hitlerzeit zu tun. Frage: Herr Ben Gurion, der erste Schritt auf dem Wege Deutschlands nach Israel war das Abkommen von Luxemburg. Wie beurteilen Sie es heute in seiner Wirkung für die deutsch-israelischen Beziehungen? Antwort: Ja, das Wiedergutmachungsabkommen hat vielleicht nicht alles gegeben, was es hätte geben müssen, obwohl das Geld natürlich sehr wichtig war und es eine große Ehrfurcht hervorrief, daß Deutschland diesen Schritt getan hatte. Aber es ging ja nicht nur um die finanzielle Hilfe. Schließlich ging es darum, daß die Deutschen, die dieses Abkommen geschlossen hatten, ganz anders waren als diejenigen, die hinter dem Krieg gestanden hatten. Es gab unter den Sozialisten viele, die sich dem widersetzt hatten, wie auch unter den CDU-Leuten. Im übrigen war Adenauer eine ganz hervorragende und wichtige Persönlichkeit. Frage: Der kommunistische Teil Deutschland hat niemals Wiedergutmachungen an Israel gezahlt. Soll sich Israel nach Ihrer Meinung von dieser DDR fernhalten? Antwort: Wir haben die Einstellung dieser DDR niemals angenommen. Wir wußten, daß sie überhaupt im Unrecht waren, denn sie hatten uns genau so viel zugefügt wie Westdeutschland. Während Westdeutschland zu seiner Schuld stand, hatte die DDR ihre Schuld nicht anerkannt. Ich hoffe, daß sie ihre Auffassung noch ändern wird, daß sie einsehen werden — wie auch die anderen Deutschen—daß sie schuldig waren und daß sie ihre Pflicht und Schuldigkeit noch erfüllen werden. Frage: Herr Ben Gurion, es gab im deutsch-israelischen Dialog einige Höhepunkte. Ich denke an Ihr erstes Zusammentreffen mit Konrad Adenauer im WaldorfAstoria Hotel am 14. März 1960. Welchen Eindruck hatten Sie von Ihrem damaligen Gespräch? Antwort: Ich hatte bereits sehr viel von Konrad Adenauer gehört. Aber den großen Eindruck vermittelte er mir erstmals im besonderen bei diesem T r e f f e n im Waldorf-Astoria Hotel. Es war wirklich ein ganz besonders großer Eindruck. Nicht zuletzt vertiefte sich dieser Eindruck, als er mich in Sde Boker, wo ich — wie Sie wissen — normalerweise lebe, bei mir einen ganzen T a g verbrachte und ich noch besser Gelegenheit hatte, ihn aus nächster Nähe kennenzulernen und festzustellen, daß er ein sehr großer und echter Mensch ist. Frage: Herr Ben Gurion, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel war ein weiterer großer Schritt vorwärts in diesen Beziehungen. Sie hatten immer sehr enge menschliche Kontakte zu Dr. Pauls, dem ersten Botschafter in Israel. Wie kam es dazu? 518
25.2 Das letzte Gespräch mit David Ben Gurion Antwort: Es tut mir leid, ich kann mich an diesen Herrn nicht erinnern. Ich weiß natürlich, daß es ihn gab, aber ich muß gestehen, ich weiß leider nicht mehr, wer er ist oder welche Beziehungen zwischen uns bestanden haben mögen. Oder auch, was er hier im Lande getan haben mag. Frage: Der J u n i Krieg 1967 brachte einen Höhepunkt der deutsch-israelischen Kontakte. Wie waren Ihre Gefühle damals, als Sie von den spontanen Äußerungen d e r deutschen Bevölkerung zu Israel hörten? Antwort: 1967 war ich nicht mehr in der Regierung. Ich hatte die Regierung bereits 1963 verlassen und war daher überhaupt nicht mehr in die Dinge verwickelt und beschäftigte mich mit ihnen auch nicht mehr. Daher kann ich auch gar nichts weiteres dazu sagen. Ich habe von diesen Dingen einfach nicht mehr Notiz genommen, da ich — wie gesagt — in keiner Form mehr im politischen Leben stand. Ich war nur beseelt von dem einzigen Gedanken, f ü r die Jugend zu schreiben und das ist das, was ich auch heute noch weiter tue. Um der Jugend zu erzählen, was Gutes und Schlechtes getan wurde und der J u g e n d den Weg zu zeigen, die Dinge auf gute Weise weiterzuführen. Frage: Herr Ben Gurion, Sie haben Ihr ganzes Leben neben dem Aufbau des Staates Israel auch für eine israelisch-arabische Zusammenarbeit gewirkt. Wie sehen Sie heute, als Privatmann, als Schriftsteller, als ein Mann, der seine Memoiren schreibt, das Problem, Ansatzpunkte zu finden, Möglichkeiten f ü r ein Übereinkommen zwischen Israel und einem friedlichen Zusammenleben mit seinen Nachbarn? Antwort: Es gibt Araber, bei denen ein Verständnis besteht für gute und menschliche Beziehungen zwischen den arabischen Ländern und Israel. Bei vielen anderen ist es natürlich genau das Gegenteil. Ich glaube, es ist schwer, bereits ganz klar und eindeutig die Dinge zu beurteilen oder zu behaupten, daß die Beziehungen so weit gediehen sind, daß man diese ins Auge fassen könnte. Ich darf vielleicht hinzufügen, daß bei einer kleinen Anzahl von individuellen Arabern ein sehr großes Verständnis f ü r die Notwendigkeit solcher Beziehungen gefunden wurde. Im besonderen denke ich dabei an einen Araber, den Enkel eines großen Menschen, der weit von hier - mir fällt im Moment das Land und die Stadt nicht ein — auf die Welt kam. Er lebt heute in Frankreich und hat ein Buch über die arabisch-jüdischen Beziehungen geschrieben. Er war einer derjenigen, der das gute Verständnis zwischen Arabern und Juden, bzw. Israel hatte und bemüht war, dieses auch zu fördern. Es gibt noch eine kleine Anzahl anderer, aber wie gesagt, sie sind nicht sehr groß an der Zahl. Frage: Israel sucht Wege f ü r eine Annäherung an den Gemeinsamen Markt in Europa. Halten Sie es f ü r möglich, daß Israel den Aufbau einer israelisch-arabischen Wirtschaftsunion im Nahen Osten mit der Hilfe d e r europäischen Staaten voranbringen könnte? Antwort: Wir haben gute Beziehungen zwischen Europa, mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien usw. Aber wir können uns nicht n u r einzig auf sie verlassen. Noch vor Staatsbeginn als ich mich mit Regierungsfragen beschäftigte, versuchte ich mit Arabern Kontakte herzustellen und es gab insbesondere 519
25 Ben Gurion stirbt in Israel eine Gruppe unter ihnen, bei denen wir bemüht waren, auf gemeinsamem Wege doch irgend etwas zu erzielen. Einer von ihnen war der Vertreter eines großen arabischen Führers, der mir persönlich zwar nicht sehr sympathisch war, aber doch sehr viel zu sagen hatte und der ja direkt mit dem Mufti in Verbindung stand. Wir trafen uns und nach 4-monatigen Verhandlungen mit dieser Gruppe waren sie einverstanden, daß ich mit zwei weiteren Arabern, die sich in der Schweiz befanden, eine Unterredung führen sollte. Einer dieser beiden Araber, die ich dort treffen sollte, war ein Druse, der zweite ein Araber. Der Druse sagte mir gleich: ich bin kein Druse, ich bin ein Araber. Und nur er sprach. Der Zweite, ein syrischer Araber, hatte sich nicht in das Gespräch eingemischt. Der Druse sagte mir: Wie kannst Du von uns verlangen, daß wir Euch etwas geben, wenn nicht einmal England dazu bereit ist? Wenn Ihr glaubt, daß England Euch einen Staat geben wird, so irrt Ihr Euch. Der zweite Araber, der sich überhaupt nicht in das Gespräch eingemischt hatte, begleitete mich nach Ende dieser Unterredung zum Bahnhof und erzählte mir auf dem Wege, daß dies noch längst nicht das letzte Wort sei. Ich f u h r nach Palästina zurück und fand dort ein Buch vor, das diese Gruppe herausgab, in dem die Dinge ganz anders geschildert waren, als sie sich eigentlich in dem Gespräch zugetragen hatten. Ich traf dann auch den Verbindungsmann zwischen dem Mufti und dieser Gruppe, der mir sagte, daß er sich schämte, daß die Dinge so entstellt worden seien. Im übrigen gab es eine Möglichkeit, mit einigen Arabern ins Gespräch zu kommen, aber es waren eben diejenigen, die nicht mitzureden hatten, die nicht die Entscheidungen zu treffen hatten. Derjenige, d e r darüber zu entscheiden hatte, war der Mufti. Er lebt natürlich nicht mehr in diesem Lande. Er wurde bereits noch zu Zeiten der Engländer des Landes verwiesen. Frage: Damit würden Sie sagen, daß es möglich wäre, eine Union mit den arabischen Staaten zu schaffen, die dann wirtschaftlich eine starke Kraft wäre für Europa und mit Europa. Antwort: Ich glaube, daß das möglich sein sollte. Frage: Nun eine ganz andere Frage: wie sehen Sie das Verhältnis von Zionismus und jüdischer Religion zueinander? Was verbindet die beiden Dinge und was trennt diese Begriffe? Antwort: Nichts trennt diese beiden Begriffe voneinander. Sie sind ein und dasselbe. Zionismus ist einfach das neue Wort. Aber die Idee des Zionismus besteht seit vielen Generationen. Er geht bis zu den Zeiten Moses zurück. Im Laufe dieser ganzen Jahre hatten alle Juden jeweils an eine Heimkehr in ihr Land geglaubt. Die Dinge änderten sich radikal, aber erst im 19. Jahrhundert, als Folge der französischen Revolution. Frankreich war das erste Land, das den Juden Zivilrecht einräumte. Die französischen Juden sahen auch die Notwendigkeit ein, daß die J u d e n nach Palästina zurückkehren mußten und das Land aufbauen sollten. Diesen ersten französischen Juden folgten auch dann J u d e n anderer Länder und es ist eine Tatsache, daß vor dem Entstehen des Staates — also vor 1948 — bereits 300 jüdische Siedlungen erstellt wurden und seit Staatsgründung nun weitere 500 hinzugekommen sind. Aber das will nicht sagen, daß wir alles, was uns fehlt, er-
520
25.2 Das letzte Gespräch mit David Ben Gurion reicht haben. Denn wir brauchen noch mindestens 5—6 Millionen J u d e n . Ich bin überzeugt, daß sie kommen werden. Jedes J a h r kommen sie in größerer Anzahl zu uns. Mit anderen Worten: es sind zwei Hauptdinge deren wir am meisten bedürfen. 1. 5—6 Millionen J u d e n und 2. die Entwicklung der Wüstenstriche, die nun einmal den größten Teil des Landes ausmachen. Bis 1948 war das natürlich nicht möglich. Seither haben wir enorm viel in dieser Hinsicht unternommen. Wir konnten es tun, obwohl es natürlich Skeptiker gab, die gesagt haben, so etwas sei unmöglich, doch haben wir gezeigt, daß es getan werden kann, aber es bleibt noch sehr viel auf dem Gebiet der Siedlung und der Fruchtbarmachung der Wüste zu unternehmen. Dazu brauchen wir die 5 - 6 Millionen J u d e n . Frage: H e r r Ben Gurion, Israel bekommt gerade einen sehr großen Zustrom vieler Menschen aus der Sowjetunion, aus Rußland, auch aus Amerika. Wie kann man die sowjetischen Führer bewegen, alle Juden die ausreisen wollen, freizugeben? Antwort: Da haben Sie eine sehr wichtige u n d zutreffende Frage gestellt. Vorläufig kommt ein großer Teil der Juden, die die Sowjetunion verlassen wollen, heraus. Aber es sind bei weitem nicht alle, die es gerne getan hätten. Wie es in der Zukunft bestellt ist, weiß ich nicht. Es handelt sich um ein Regime, daß der ganzen Idee nicht sehr wohlwollend gegenüber steht. Da muß ich aber noch hinzufügen: Als wir den Staat gründeten, war die Sowjetunion das einzige Land, das uns half. Es half uns mit Waffen zu einer Zeit, da weder England noch die USA dazu bereit waren. Die Sowjetunion half uns auch nicht nur während unseres Befreiungskrieges, sondern auch 2—3 Jahre weiter, u n d stand gut mit uns. Seitdem haben sich die Dinge natürlich grundlegend geändert. Man hat sich von uns entfernt und heute sind wir alles andere als Freunde. Frage: Es gibt viele Stimmen in Israel, die in der israelischen Bevölkerung einen Komplex vermuten, einen Neidkomplex gegen die Hilfen, die man den Einwanderern aus der Sowjetunion gibt. Diese Stimmung ist nicht gut. Man muß diesen Menschen — so glaube ich — helfen, hier im Land eine neue Heimat zu finden. Antwort: Man muß natürlich den Einwanderern aus der Sowjetunion helfen, soweit es nur möglich ist. Vielleicht tut man nicht einmal genügend für sie. Wenn es unter den Israelis einige geben sollte, die nicht bereit sind ihren Brüdern zu helfen, die aus der Sowjetunion kommen, dann sind sie in meinen Augen keine Juden. Frage: Sie haben vorhin dargelegt, wie der Zionismus aus der jüdischen Religion seine Wurzeln schöpfte und die Menschen hier ins Land brachte und sie glücklich gemacht hat, daß sie hier einen eigenen Staat in Israel gefunden haben. Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß die jüdische Religion heute im jüdischen Volk zum Teil sehr liberal oder nicht mehr ganz religiös behandelt wird? Antwort: Ihre Beschreibung trifft nicht ganz zu. Wie gesagt, Zionismus ist ein neuer Name, der aber eigentlich nichts besonderes sagen will. Schließlich sind Juden im Verlauf der ganzen J a h r e in unser Land gekommen und haben in diesem Land auch nach der Zerstörung des Tempels - wie Sie wissen gab es zwei Zerstörungen — gelebt. Sie waren immer wieder von der H o f f n u n g getrieben, doch wie521
25 Ben Gurion stirbt in Israel der in ihr Land zurückzukehren. Natürlich beteiligen sich alle Juden an diesem Unternehmen der Rückkehr in ihr Land. Viele sind hilfreich, nicht nur diejenigen, die sich offen zum Zionismus bekennen, sondern wie wir es heute z. B. oft in Amerika sehen — schließlich hat Amerika heute die größte jüdische Bevölkerung; ungefähr 6 Millionen. Auch diejenigen die nicht Zionisten sind und dieses umfaßt die gesamtejüdische Allgemeinheit Amerikas mit Ausnahme von kleinen kommunistischen G r u p p e n oder die ganz schwer Reichen, obwohl es sogar unter denen auch viele gibt, die uns zur Seite stehen. Also, alle diese helfen uns, erstens, die J u d e n hereinzubringen und zweitens das Land zu erbauen. Seinerzeit war in d e r Sowjetunion die größte jüdische Ansammlung von J u d e n - ungefähr 6 Millionen — aber es ist interessant festzustellen, daß keiner der Führer dieser Sowjet-Juden hierher emigrierte. Ich z. B. wurde seinerzeit von den Türken vertrieben. Zusammen mit einem guten Freund von mir, der später der 2. Staatspräsident des Landes wurde (Ben Zwi). Wir waren Ottomanen und mußten an einer türkischen Universität studieren. Als die T ü r k e n in einen Krieg mit andern Völkern verwickelt wurden, verstanden wir, worum es ging. Aber trotzdem wurden wir aus der Türkei vertrieben, ausgerechnet wir beiden. Andere waren aus Palästina in die Türkei vertrieben worden. Wir aber mußten die Türkei verlassen. Wir wurden auf ein Schiff gesetzt und nach Ägypten geführt. In Ägypten aber ließen uns die Engländer nicht landen, nachdem wir nun einmal türkische Staatsbürger waren. Die USA setzte sich f ü r uns ein und wir konnten nach den Vereinigten Staaten Weiterreisen. Dort hielt ich mich mit meinem Freund 3 Jahre lang auf. Wir hatten es uns zur Aufgabe gemacht, zwei Dinge dort zu unternehmen: 1. eine jüdische Organisation zu gründen, die bereit gewesen wäre, ein jüdisches Bataillon, das gegen die Türken kämpfen sollte, aufzustellen. Wir hatte zu diesem Zweck ungefähr 150 junge, jüdische Burschen organisiert. Wir setzten uns mit einer sehr hervorragenden jüdischen Persönlichkeit in Verbindung, die Zugang zu Präsident Wilson hatte. Präsident Wilson aber erklärte: ja, wir stehen im Krieg, wir haben Krieg gegen Deutschland erklärt. Nur gegen Deutschland erklärt. Sie wollen, daß wir auch in Palästina kämpfen. Das können wir nicht. Wenden Sie sich doch an die Engländer. Also wandten wir uns an die Engländer und die waren damit einverstanden, daß so eine G r u p p e in Palästina kämpfen sollte. Es war uns gelungen, etwa 4000 amerikanische jüdische Jugendliche zusammenzubringen, mit denen wir dann gemeinsam nach Palästina f u h r e n . Sie setzten sich aus Amerikanern und teilweise aus Kanadiern zusammen. Hier aber stießen wir nun auf Widerstand von Amerika und Canada. Sie waren nicht bereit, ihre Landsleute in Palästina kämpfen zu lassen. Auch die Engländer in Palästina waren nicht einverstanden, daß diese amerikanischen und kanadischen Juden in Palästina kämpfen sollten. Sie erklärten sich erst dann bereit, als das Ende des Krieges in Sicht war. Daraufhin erklärten die Amerikaner eine Art Streik gegen die Engländer und die Engländer mußten sich zum Schluß bereit erklären, aber erst als der Krieg vorbei war. Auf diese Art kamen amerikanische J u d e n — wie gesagt ungefähr 4000 oder etwas mehr — nach Palästina. Ihnen folgten J u d e n aus vielen anderen Ländern, so daß bei der Staatsgründung 1948 bereits 650 000 J u d e n in diesem Land waren 522
25.2 Das letzte Gespräch mit David Ben Gurion und wir heute fast 3 Millionen zählen. Aber wie ich bereits ausführte, gibt es zwei Hauptdinge, denen wir entgegenstreben müssen, daß ist erstens die jüdische Bevölkerung auf ungefähr 8 Millionen zu erhöhen. Sie kommen jedes J a h r in größerer Anzahl. Und zweitens — wie gesagt — die Wüste blühend zu machen, sie zu bebauen und zu besiedeln und die J u d e n dazu anzuregen, an diesem großen Unternehmen einen aktiven Anteil zu haben." Als wir ihn verließen, schaute ich am Gartentor noch einmal zurück. Ich wußte nicht, daß es mein letzter Besuch bei ihm gewesen war. Der Yom-Kipur-Krieg kam Anfang Oktober. Als dieses schwere Ringen vorüber war, verstarb David Ben Gurion im November 1973. Ein großes Kapitel israelischer Geschichte, das er geschrieben hatte, gerade im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland, war abgeschlossen.
523