Der deutsch-israelische Dialog: Band 8 Teil III, Kultur [Reprint 2021 ed.] 9783110734188, 9783598219481

Die achtbändige Edition dokumentiert in thematisch angeordneten Kapiteln die wichtigsten Stationen der deutsch-israelisc

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German Pages 402 [404] Year 1990

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Der deutsch-israelische Dialog: Band 8 Teil III, Kultur [Reprint 2021 ed.]
 9783110734188, 9783598219481

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Teil I: Politik Band 1 - 3 [Namensregister von Teil I in Band 3]

Teil II: Wirtschaft/Landwirtschaft Band 4 - 5 [Namensregister von Teil II in Band 5]

Teil III: Kultur Band 6 - 8 [Namensregister von Teil III in Band 8]

K-G-Saur München-NewYork-London-Paris 1990

Der deutsch-israelische Dialog Dokumentation eines erregenden Kapitels deutscher Außenpolitik Herausgegeben von Rolf Vogel

Teil III: Kultur Band 8

K-G-Saur München-NewYork-London-Paris 1990

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Der deutsch-israelische Dialog : Dokumentation eines erregenden Kapitels deutscher Aussenpolitik / hrsg. von Rolf Vogel. - München ; New York ; London ; Paris : Saur. ISBN 3-598-21940-7 NE: Vogel, Rolf [Hrsg.] Bd. 8 : Teil 3, Kultur. - 1990 ISBN 3-598-21948-2

Alle Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved K.G. Saur Verlag GmbH & Co. KG, München 1990 Mitglied der internationalen Butterworth-Gruppe, London Printed in the Federal Republic of Germany Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Satz: FotoSatz Pfeifer, Gräfelfing b. München Druck/Binden: Graphische Kunstanstalt Jos. C. Huber, Dießen/Ammersee ISBN 3-598-21940-7 (Gesamt) ISBN 3-598-21948-2 (Band 8)

I nhalts Verzeichnis Austausch in Kunst und Wissenschaft 1

2

Die Anfänge des kulturellen Austausches zwischen der Bundesrepublik und Israel Die Auswirkungen des Eichmann-Prozesses auf die kulturellen Beziehungen

4

15

3

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik 19

4

„Honorary Fellowship" der Hebräischen Universität Jerusalem für Ludwig Erhard

24

5

Die Stiftung Volkswagenwerk richtet Forschungslehrstuhl im WeizmannInstitutein 33

6

Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel 34 6.1 Das Israel-Museum in Jerusalem 35 6.2 Eine Rede Axel Springers im Leo-Baeck-Institut in Jerusalem . . . 41 6.3 Stiftung des Ottilie-Springer-Lehrstuhls in Waltham 43 6.4 Die Einweihung der Bibliothek des Israel-Museums 47 6.5 Verleihung der Ehrendoktorwürde der Bar-Ilan-Universität an Axel Springer 49 6.6 Die Axel-Springer-Stiftung unterstützt den Bau eines Rehabilitationszentrums in Jerusalem 51 6.7 Axel Springer erhält die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität Jerusalem 54 6.8 Das Leo-Baeck-Institut ehrt Axel Springer 55

7

Die Stiftung Volkswagenwerk 7.1 Schwerpunkte 7.2 Gründung 7.3 Kuratorium 7.4 Zusammenarbeit mit Israel

58 58 59 59 60

8

Ein Gespräch mit Herbert Wehner anläßlich seiner Ernennung zum Ehrendoktor der Hebräischen Universität Jerusalem

67 V

Inhaltsverzeichnis

9

Erste kulturpolitische Gespräche auf Direktorenebene in Jerusalem — Ein Gespräch mit Ministerialdirektor Lahn

70

10

Für die Errichtung des Max-Born-Lehrstuhles für Naturphilosophie stellt die Stiftung Volkswagenwerk 1 Million DM zur Verfügung . . . . 73

11

„Plakate aus Israel": Eine Ausstellung in Berlin

74

12

Reaktionen auf den Tod Axel Springers 12.1 Die Trauerfeier 12.2 Kondolenzen 12.3 Heinz Galinski: „Axel Springer, ein unersetzlicher Gesprächspartner"

78 78 81

13 14

15 16

84

Niels Hansen: Vierzig Jahre Staat Israel — Eindrücke als deutscher Botschafter 1981-1985

87

Aus der Dankrede von Ministerpräsident Johannes Rau anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Haifa am 2. April 1986

97

Der israelische Premierminister Shimon Peres spricht vor Journalisten in Berlin

99

Deutsch-israelische Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung, des Wissenschaftsaustausches, des Studentenaustausches und des Jugendaustausches

103

17 Die deutsch-israelische Wissenschaftsstiftung nimmt ihre Arbeit auf

105

18

106

Das 12. deutsch-israelische Lehrerseminar in Jerusalem

19 Deutsch-israelische Gemeinschaftsprojekte, gefördert von der Stiftung Volkswagenwerk 19.1 Notationsmöglichkeiten für elektronische Musik 19.2 Spieltheorie in der ökologischen Forschung 19.3 Feste Teilchen in strömenden Gasen oder Flüssigkeiten . . . . 19.4 Zur Rezeption jüdischer Geschichte im modernen Israel . . . . 19.5 Beitrag zum schadstoffarmen Ottomotor 19.6 Zur Diagnostik von Verbrennungsprozessen 19.7 Optische Untersuchungsmethoden zur Halbleiterforschung 19.8 Zur Verbrennung von Dieselkraftstoff VI

109 109 109 110 110 111 111 112 112

Inhaltsverzeichnis 20

Eine Darstellung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie zur wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit Israel 113

21

„Jettchen Geberts Kinder" — Eine Ausstellung des Leo-Baeck-Instituts in Bonn 118

22

Die Fritz-Naphtali-Stiftung in Israel

124

23

Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Israel über die Errichtung einer Stiftung f ü r wissenschaftliche Forschung und Entwicklung

126

24

Neue historische Reihe der Universität Tel Aviv beim Bleicher-Verlag: Ein Gespräch mit Heinz Bleicher 131

25

Ein fotographisches Porträt von Israel

133

26

„Die Palästinenserin": Diskussion im Westdeutschen Fernsehen über die Inszenierung von Peter Eschberg

137

27

Das israelische Philharmonische Orchester in Bonn

140

28

Europatagung der Freundesgesellschaften der Hebräischen Universität Jerusalem in Frankfurt

142

„Honorary Fellowship" an die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Annemarie Renger, und an den Staatsminister Lutz Stavenhagen verliehen

145

30

Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel 30.1 Aus dem Jahresbericht 1975/76 30.2 Aus dem Jahresbericht 1977/78 30.3 Aus dem Jahresbericht 1978/79 30.4 Aus dem Jahresbericht 1979/80 30.5 Aus dem Jahresbericht 1980/81 30.6 Aus dem Jahresbericht 1981/82 30.7 Aus dem Jahresbericht 1982/83 30.8 Aus dem Jahresbericht 1983/84 30.9 Aus dem Jahresbericht 1984/85 30.10 Aus dem Jahresbericht 1985/86 30.11 Aus dem Jahresbericht 1986/87

147 147 150 151 152 154 156 161 165 168 169 171

31

Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel 178 31.1 Zusammenstellung der geförderten wissenschaftlichen Projekte 1973-1987 178

29

VII

Inhaltsverzeichnis 31.2

31.3

Konzertreise des Bundesjugendorchesters 1986 nach Israel 179 31.2.1 Ein Gespräch mit Rita Süßmuth 180 31.2.2 Ein Gespräch mit Dr. Gottschalk von Daimler-Benz 181 Der Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhl an der Universität Haifa 184 31.3.1 Historischer Hintergrund 185 31.3.2 Die Ansprachen bei der Einweihung 187 31.3.3 Ein Gespräch mit Alex Carmel über die Bedeutung des Lehrstuhls 193 31.3.4 Finanzielle Beteiligung des Landes Baden-Württemberg 194

32

T h e International Center f o r Peace in the Middle East

196

33

Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel

198

34

Die Jerusalem Foundation — Ein Gespräch mit Ministerpräsident Bernhard Vogel am 26.2.1988

218

Eine Briefmarkenausstellung im Siegburger Rathaus zum 40jährigen Jubiläum des Staates Israel

221

36

Deutsch als Wahlfach an Israels Schulen

223

37

Statistische Übersicht über Humboldt-Stipendiaten aus Israel 1958-1989

224

35

38

Städtepartnerschaften zwischen der Bundesrepublik und Israel

39

Das Forschungszentrum Ben-Gurion in Sde Boker — Ein Gespräch mit dem Leiter, Asher Ben Natan 228

40

Neue deutsch-israelische Kulturkonsultationen 40.1 Interview mit Ministerialdirektor Witte, Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen A m t 40.2 Der T e x t des Abkommens

41

VIII

Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und Israel über Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts

. . . 226

231 231 233

241

Inhaltsverzeichnis

Jugendaustausch 1

Entstehung und Entwicklung des deutsch-israelischen Jugendaustausches

244

2

Deutsche Jugendgruppen 1964 in Israel

247

3

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstaltet 1965 eine Israelreise mit zwei Jugendgruppen

248

Über 450 Lehrer und Schüler aus Köln besuchten Israel zwischen 1960 und 1965

251

Ein Interview mit Bruno Heck, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, über den Jugendaustausch mit Israel

253

Richtlinien für den Jugendaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel

254

4 5 6 7

Erste offizielle Schülergruppe aus Israel in der Bundesrepublik

. . . 256

8

Weiterer Ausbau des deutsch-israelischen Jugendaustausches

257

9

Konferenz über Fragen des Jugendaustausches in Israel

259

10 Zehn Jahre Jugendaustausch Köln —Tel Aviv

260

11 Tagungen der gemischten Fachkommission für den deutschisraelischen Jugendaustausch 11.1 Die 1. Tagung in Tel Aviv 1969 11.2 Die 3. Tagung im Mai 1971 11.3 Israelische Kritik am Programm des Jugendaustausches . . . .

263 263 265 267

12 Neuer Start im Jahre 1972

271

13 „Sonderregelung für die Förderung von Programmen des deutschisraelischen Jugendaustausches in der Bundesrepublik Deutschland" — Erlaß des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit für das Haushaltsjahr 1972 275 14 Nach dem Yom-Kippur-Krieg: Die Jugendarbeit mit Israel beginnt wieder

277 IX

Inhaltsverzeichnis 15

Kritik von deutschen Verbänden

278

16

Gemeinsame Bestimmungen f ü r die Durchführung und Förderung des Jugendaustausches vom Gemischten Fachausschuß

281

Die internationale Jugendarbeit der Evangelischen Kirche Deutschlands

287

Die überarbeitete Fassung der Grundlagen des deutsch-israelischen Jugendaustausches

289

„Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

297

Auszüge aus dem Bericht des Bundesministers f ü r Jugend, Familie, und Gesundheit über Maßnahmen der internationalen Jugendarbeit (1985)

347

Israelische Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland 1986 21.1 Israelische Schüler in Bonn 21.2 Gymnasiasten aus Kiriat Chaim in Mannheim 21.3 Junge Israelis in Freiburg

556 356 356 356

22

Einweihung der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz

357

23

„Bewältigung der Zukunft — Erinnerung an die Vergangenheit — Zukunft für unsere Jugend": Der Vortrag von Vizepräsident Westphal bei der Frankfurter Loge von B'nai-B'rith am 24.2.1987 364

24

Tagung des Gemischten Fachausschusses f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch 372

17

18

19

20

21

Namensregister

X

375

Der deutsch-israelische Dialog Teil III: Kultur Band 8

Austausch in Kunst und Wissenschaft

1 Die Anfänge des kulturellen Austausches zwischen der Bundesrepublik und Israel

Das Schwierigste bei der Entwicklung des deutsch-israelischen Dialogs war von Anfang an das große Kapitel der kulturellen Verbindungen unserer beiden Völker. Dennoch, bereits wenige Jahre nach dem Neubeginn für das jüdische Volk, hatten auch in diesem Bereich erste Kontakte stattgefunden. 1954, am 11. August, hatte die Wochenzeitung „Das Parlament" eine Sonderausgabe über den jüdischen Staat veröffentlicht. Auf der ersten Seite hatte der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Prof. Walter Hallstein, ein Interview gegeben, das die deutsche Haltung und die Lage Israels zum Thema hatte. Wenn auch dieses Interview im Vordergrund den politischen Start aufzeigt - wobei das Thema der Wiedergutmachung noch einmal dargestellt wird - so sind doch die menschlichen Aspekte der kommenden Jahrzehnte bereits sichtbar: Frage: Herr Staatssekretär, hat sich nach Ihrer Meinung das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel in den letzten Jahren gebessert? Antwort: Ich glaube, daß man das sagen kann, und zwar als Wirkung von zwei Vorgängen: einmal der einmütigen Zustimmung des Deutschen Bundestages zu der Regierungserklärung, die Bundeskanzler Dr. Adenauer am 27. September 1951 über die Stellung Deutschlands zum jüdischen Problem abgegeben hat, und sodann des Abschlusses des sogenannten Israel-Vertrages. In der Regierungserklärung von 1951 hat der Bundeskanzler dargelegt, daß die Bundesregierung bereit ist, alles Erdenkliche zu tun, um wiedergutzumachen, soweit man davon überhaupt sprechen kann. Er hat ferner darin dargelegt, daß das deutsche Volk gewillt ist, vor allem durch eine eindeutige innere Haltung von den Greueltaten abzurücken, die in seinem Namen an jüdischen Menschen in Deutschland und in anderen europäischen Ländern begangen worden sind. Es ist damals auch erklärt worden, daß die Bundesregierung nicht nur mit strafrechtlichen Mitteln dem Antisemitismus entgegentreten wird, sondern daß sie auch in der Erziehung der Jugend zur Toleranz und zu echtem Verständnis f ü r das Judentum eine dringende Aufgabe f ü r die Zukunft sieht. Damals hat der Bundeskanzler auch gesagt, daß ein sehr großer Teil des deutschen Volkes die furchtbaren Greueltaten, die der Nationalsozialismus beging, nicht nur abgelehnt hat, sondern daß unbeugsame Deutsche, wo es nur immer möglich war, Hilfe geleistet haben. Wir wissen, daß zum Beispiel in den schwersten Zeiten der Judenverfolgung allein in Berlin rund 2 000 Juden von aufrechten Berlinern verborgen worden sind. Das sind Taten, die im Verborgenen von Mensch zu Mensch geschahen. Wenn ich sie erwähne, so geschieht das nicht, um die schmachvollen Greuel, die begangen worden sind, kleiner erscheinen zu lassen. 4

1 Die Anfänge des kulturellen Austausches zwischen der Bundesrepublik und Israel Der Israel-Vertrag, dem der deutsche Bundestag im März 195S mit großer Mehrheit zugestimmt hat, ist Ausdruck derselben Gesinnung. Dieser Vertrag und seine Erfüllung können das schwere menschliche Leid nicht ungeschehen machen, das jüdischen Menschen zugefügt worden ist. Aber sie sind doch eine aufrichtige Bemühung des deutschen Volkes in der Richtung der Sühne. Wir sind glücklich, daß unsere Haltung von vielen jüdischen Menschen, besonders auch von ehemaligen deutschen Juden, so verstanden und gewürdigt worden ist. Indem wir den Vertrag getreulich erfüllen, hoffen wir, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die schweren Wunden vernarben werden. Frage: Bei meinem Besuch in Israel ist mir immer wieder die Frage gestellt worden, ob die demokratische Stabilität in der Bundesrepublik auch von Dauer sein werde? Antwort: Zu dieser Frage brauche ich wohl nur auf die Wahlergebnisse in den Ländern und bei den Bundestagswahlen zum 6. September 1953 zu verweisen. Diese Wahlen sind eine drastische Absage an alle radikalen Gruppen. Keine dieser Gruppen ist mehr in den Parlamenten vertreten. Ermutigend ist vor allem die Haltung der jungen Generation. Diese Jugend lebt in einer geistigen Welt, die nichts mehr mit der Hitlerjugend zu tun hat. Das Erlebnis der europäischen Gemeinsamkeit, viele persönliche Bindungen über die Grenzen Deutschlands hinaus beginnen deutlich ihre Wirkung zu üben. Natürlich werden wir darauf achten, daß alle Erzieher, die Schulen, die Jugendverbände, bemüht bleiben, ein richtiges und verständnisvolles Bild auch vom jüdischen Volk zu vermitteln. Frage: Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine konkrete Frage stellen, Herr Staatssekretär. Gibt es Ihrer Meinung nach heute in der Bundesrepublik einen verbreiteten Antisemitismus? Antwort: Leider kann man f ü r kaum ein Land, wenn man Ihre Frage ehrlich beantwortet, sagen, daß es überhaupt keine Antisemiten gäbe. Aber von einem im deutschen Volk „verbreiteten Antisemitismus" zu sprechen, halte ich doch für eine unzulässige, starke Übertreibung. Man weiß, welche geachtete Stellung gerade in Deutschland die Juden hatten, bevor der Nationalsozialismus das Volk in so verbrecherischer Weise fanatisierte, und heute ist deutlich zu sehen, welche heilsame Wirkung das Grauen über das in Deutschland Geschehene in der Frage des Verhältnisses zum Judentum ausübt. Niemand zweifelt überdies daran, daß die Bundesregierung und die Landesregierungen antisemitischen Regungen mit allen Mitteln entgegentreten würden und daß sie sich dabei auf den geschlossenen Willen der deutschen Parlamente stützen würden. Frage: Herr Staatssekretär, man hat mich in Israel immer wieder gefragt, ob diese Regungen nicht mit der Wiederbewaffnung Deutschlands erneut aufkämen? Antwort: Wir werden dafür sorgen, daß dies nicht eintritt. Wenn die Bundesregierung dem Gedanken einer integrierten europäischen Armee den Vorzug vor dem Gedanken einer deutschen Nationalarmee gegeben hat, so gerade auch deshalb, weil jene eine Schule der gegenseitigen Achtung der Völker und der Toleranz sein wird. Dieses Erziehungsmoment hat eine entscheidende Rolle für unsere Politik in der Frage des deutschen Verteidigungsbeitrags gespielt. Vermeiden 5

Austausch in Kunst und Wissenschaft wir aber eine nationalistische Grundhaltung, so beseitigen wir die gefährlichste Wurzel f ü r die Entwicklung, die nach Ihrer Bemerkung befürchtet wird. Frage: Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß es in absehbarer Zeit möglich sein wird, mit Israel diplomatische Beziehungen aufzunehmen? Antwort: Man muß die Dinge reifen lassen. Es liegt uns daran, ein klares Verhältnis des Vertrauens herzustellen. Das wird nicht zuletzt durch die genaue Erfüllung unseres Vertrages mit Israel geschehen. Wir verstehen aber, daß auch die Zeit ihre Wirkung tun muß. Frage: H e r r Staatssekretär, die arabischen Staaten haben bereits beim Abschluß des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens mit sehr scharfen Protesten zum Ausdruck gebracht, wie sie über Beziehungen der Bundesrepublik zur israelischen Regierung denken. Antwort: Wir wissen, welche Spannungen noch zwischen Israel u n d den arabischen Staaten bestehen und daß dem augenblicklichen Waffenstillstand noch kein Friede gefolgt ist. Vom deutschen Standpunkt wie vom Standpunkt aller freien Völker aus kann man das n u r aufrichtig bedauern. Es muß doch auch hier immer wieder die Frage gestellt werden, wem dieser Konflikt letztlich nützt. Wir h o f f e n im Interesse aller Völker, deren staatliche O r d n u n g auf die Freiheit gegründet ist, und damit auch im Interesse Deutschlands, daß es eines Tages gelingen wird, in diesem Raum einen guten Frieden zu schaffen, der beiden Teilen gerecht wird. Andererseits ist es in Deutschland mit großer Genugtuung anerkannt worden, daß man in den arabischen Völkern freundschaftliches Verständnis d a f ü r gezeigt hat, worum es uns bei dem deutsch-israelischen Vertrag geht: keinesfalls um eine Parteinahme in dem israelisch-arabischen Gegensatz, sondern um ein Bemühen, den Willen zur Wiedergutmachung von Taten zu bekunden, die hoffentlich in der Geschichte der Menschheit nicht wiederkehren. Nach dieser ersten Reise, die in den Ostertagen 1954 begann, war die Atmosphäre bei den offiziellen Stellen nicht gespannt, aber doch recht kühl. Der erste israelische Minister, der den deutschen Journalisten in seinem Amtszimmer empfing, war der Postminister der damaligen israelischen Regierung, Josef Burg. Er war in Dresden geboren. Damals, 1954, konnte man nicht wissen, daß er erst 1986 von seinem Amt als Innenminister der Regierung aus Altersgründen zurücktreten werde. Der Besuch bei ihm im Postministerium war etwas Besonderes. Josef Burg, der der Vorsitzende der nationalreligiösen Partei war und ist, stand hinter seinem Schreibtisch auf, um mich zu begrüßen. „Es gibt drei Gründe", so sagte er, „die mich bewogen haben, Sie zu empfangen: Sie sind Katholik, und die Katholiken haben uns immer sehr anständig behandelt. Das zweite: Sie stehen bei Konrad Adenauer, den wir verehren. Das dritte werden Sie nicht wissen: Ihre u n d meine Mutter waren zusammen in Theresienstadt. Nur haben Sie den Vorteil, daß Ihre Mutter lebend zurückgekommen ist." Ich brauche nicht zu betonen, daß mich diese Worte persönlich sehr ange6

1 Die Anfänge des kulturellen Austausches zwischen der Bundesrepublik und Israel r ü h r t haben. Es war d e r Beginn einer in d e n folgenden J a h r z e h n t e n sich entwikkelnden Freundschaft. Ich sollte ihn noch o f t in seinen verschiedenen Ministerä m t e r n treffen. Zu den Besuchen in d e n offiziellen Gremien d e r israelischen Regierung gehörte auch ein ausführliches Gespräch mit d e m Generaldirektor—bei uns spricht man von Staatssekretär — des israelischen Außenministeriums, Dr. Walter Eytan, mit d e m mich ebenfalls in langen J a h r e n freundschaftliche Gespräche verbanden. Dr. Eytan stammte aus München u n d hieß damals, bevor er nach Palästina kam, Ettighofer. Die Verständigung war sehr menschlich u n d einfach. Bei dieser ersten Reise nach Israel konnte ich viele menschlich gute Kontakte k n ü p f e n . Nicht zuletzt in d e r Bevölkerung und dort natürlich in d e n Kreisen deutscher Einwanderer. Das schwäbische Dorf Shave Zion gehörte dazu. Der Bürgermeister war Dr. Scheuer, d e r als Rechtsanwalt in Heilbronn gewesen war, eng bef r e u n d e t mit unserem Bundespräsidenten Theodor Heuss. Diese Freundschaft hat sich auch in den folgenden J a h r e n weiter fortgesetzt. Dr. Scheuer hatte im Ersten Weltkrieg als deutscher Soldat ein Bein verloren u n d kam m e h r f a c h in die Bundesrepublik, um seine Prothese zu e r n e u e r n . G e r a d e unter d e n deutschen Einwanderern nach Israel gab es viele f r e u n d schaftliche Gespräche. Man kann sie nicht alle a u f f ü h r e n , aber ich möchte hier einen Mann nennen, d e r leider schon verstorben ist. Es war Dr. Simmenauer, der sich in d e m nahen Nahariya ein Haus gebaut hatte. Dort hatte er auch eine kleine Fabrik f ü r Hartgummiteile errichtet. Zu seinem Haus sagte er einen Satz, d e r bis heute unvergessen ist: „Wir deutschen Siedler haben unsere Häuser u m unsere Bibliotheken u n d Flügel herumgebaut. Diese Bücher u n d Klaviere hatten wir aus der deutschen Heimat mitgebracht." In diesen Worten lag viel, was zu d e n kulturellen Verbindungen zwischen Israel u n d Deutschland g e h ö r e n sollte. Natürlich verliefen viele Gespräche dieser ersten Reise nach Israel vor allem im politischen Bereich, aber es zeigten sich auch bei diesen offiziellen Begegnungen bereits immer wieder Ansätze f ü r ein Entstehen kultureller Verbindungen. Dr. Shinnar zitierte in einer Darstellung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens, das am 10. September 1952 unterzeichnet worden war, aus d e r Rede des Bundeskanzlers am 4. März 1963, als die Ratifizierungsverhandlungen ü b e r das Abkommen begannen. Dr. Shinnar f ü h r t e in dieser Darlegung ü b e r das Wiedergutmachungsabkommen aus: „Es ist — angesichts des bisherigen Verlaufs — verständlicherweise viel zu d e r Frage d e r Beziehungen zwischen den beiden Staaten gesagt u n d noch m e h r geschrieben worden. Meist bewegten sich die Ä u ß e r u n g e n innerhalb d e r beiden ext r e m e n Möglichkeiten. Mir scheint, daß die Ä u ß e r u n g des Bundeskanzlers in der Bundestagssitzung vom 4. März 1953 noch immer am besten zum Ausdruck bringt, was zur Frage d e r Entwicklung dieser Beziehungen gesagt werden kann; Dr. Adenauer f ü h r t e in seiner Rede vor d e r ersten Lesung des Gesetzes zum Wiedergutmachungsabkommen folgendes aus: 7

Austausch in Kunst und Wissenschaft ,(...) Wir haben d a h e r die berechtigte H o f f n u n g , daß d e r Abschluß dieser Verträge schließlich auch zu einem ganz neuen Verhältnis zwischen d e m deutschen u n d dem jüdischen Volke wie auch zu einer Normalisierung d e r Beziehungen zwischen d e r Bundesrepublik u n d d e m Staate Israel f ü h r e n wird. Wir werden hierbei nach allem, was vorgefallen ist, Geduld zeigen u n d auf die Auswirkung unserer Wiedergutmachungsbereitschaft u n d schließlich auf die heilende Kraft d e r Zeit vertrauen müssen (...)' Geduld u n d die heilende Kraft der Zeit sind in d e r T a t die beiden wesentlichen Faktoren, von d e r e n sinnvoller A n w e n d u n g es abhängen wird, in welchem Zeitmaß diese Entwicklung vor sich gehen wird." Diese Worte des damaligen Leiters der Israel-Mission, d e r mit d e m persönlichen Titel eines Botschafters ausgestattet war, zeigten bereits das große Interesse an der Entwicklung „der Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten". Das Zitat, das e r aus d e r Rede des Bundeskanzlers brachte, vertiefte diese Gedanken, d e n n Konrad Adenauer hatte damals bereits der H o f f n u n g Ausdruck gegeben, daß es zu „einer Normalisierung d e r Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland u n d Israel k o m m e n möge". Diese Worte zielten natürlich entscheidend auf d e n menschlichen Bereich, d. h. auf die kulturellen Verbindungen unserer Völker. Diese Verbindungen hatten nicht n u r f ü r mich persönlich, sondern f ü r die gesamte Entwicklung unserer beiden Staaten ihren i n n e r e n Wert. Es gab eine Fülle von Ereignissen, die hier im kulturellen Bereich, in d e n Verbindungen d e r Wissenschaft u n d Forschung zustande kamen. Bereits am 11. August 1954 veröffentlichte die Wochenzeitung „Das Parlament", das von der Bundeszentrale f ü r politische Bildung herausgegeben wird, eine Sonderausgabe über den Staat Israel, d e r ich bereits das Zitat aus dem Interview von Prof. Walter Hallstein e n t n o m m e n habe. Die Überschrift der ersten Seite dieser Sonderausgabe lautete: „Neues Leben im Heiligen Land — Israel baut seinen Staat auf d e m Boden d e r Väter —." In d e m Geleitwort heißt es u. a.: „Vor gut sechs J a h r e n w u r d e d e r jüngste Staat der Welt gegründet - von einem Volk, das zu den ältesten d e r Geschichte zählt: Israel. Aus allen Erdteilen kehrten sie heim in das Land i h r e r Väter. Sie kamen als Flüchtlinge, als Gejagte, Gehetzte, Verfolgte; sie kamen aber auch freiwillig, getrieben allein von der Sehnsucht nach d e r alten Heimat u n d beseelt von d e m Wunsch, d e m Volk d e r J u d e n nach j a h r h u n d e r t e l a n g e m Gastsein wieder ein .eigenes Dach ü b e r d e m Kopf zu zimmern. ,Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen!' So hatte einmal Theodor Herzl, d e r Vater des m o d e r n e n Zionismus, gesagt, als es noch viele Zweifler ob des schier unmöglichen Vorhabens gab. Sie haben gewollt: heute ist d e r Staat d e r J u d e n Wirklichkeit." U n d diese Geschichte f ä h r t fort: „Uns Deutschen ist d e r N a m e Israels aus d e r Geschichte des alten u n d des n e u e n Bundes wohl vertraut. Zugleich ist e r aber ver-

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1 Die Anfange des kulturellen Austausches zwischen der Bundesrepublik und Israel k n ü p f t mit der Erinnerung an eine böse Zeit, die vor noch nicht zehn Jahren ihren Abschluß fand." Diese Ausgabe entstand im August aus den Erlebnissen meiner ersten Israelreise im Frühjahr 1954. Sie wurde mit 120.000 Exemplaren gedruckt. Mit dieser Sonderausgabe der Wochenzeitung „Parlament" und zahlreichen Artikeln in deutschen Zeitschriften und Tageszeitungen begann eine breite Information über den Staat Israel. Natürlich waren diese ersten „Gehversuche" noch wenig mit dem T h e m a des kulturellen Austauschs zwischen unseren beiden Staaten bestimmt. Die mörderische Vergangenheit war noch zu nah. Aber all diese Versuche, mit Artikeln und dieser Sonderausgabe der Wochenzeitung „Parlament" in das Schweigen des Schmerzes einzudringen, hatte in begrenzter Weise doch Erfolg. Botschafter Dr. Shinnar und sein Stellvertreter aus dem Außenministerium in Jerusalem Dr. Chaim Yah.il haben zu diesem Beginn herzlich gratuliert. Die Israelmission hatte natürlich den Auftrag, die Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Israel durchzuführen, aber es gab auch politische Themen, die es f ü r die israelische Seite galt zu beginnen. Diese ersten Versuche einer deutschen publizistischen Arbeit, also eines deutsch-israelischen Dialogs hatten nach den ersten Schritten von Rudolf Küstermeier u n d Erich Lüth einen neuen Abschnitt der Verbindungen geschaffen. Hier muß vor allem der Herausgeber der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung, Karl Marx, genannt werden, der sich bei Staatssekretär Felix von Eckardt sehr d a f ü r verwendete, diese noch schmale Basis zu verbreitern. Mein Versuch, über den Staat Israel einen dokumentarischen Film zu drehen, war der nächste Schritt. H e r r von Eckardt war zunächst erschrocken: „Sie können doch jetzt als Deutscher keinen Film über Israel drehen", war seine Antwort. Ich machte ihm klar, daß ich durch Vermittlung von Karl Marx bereits einen Kameramann gefunden hatte, der wie ich aus Berlin stammte. Sein Hebräisch war sehr lückenhaft, aber sein Deutsch atmete die Akzente unserer gemeinsamen Geburtsstadt. Im Frühjahr 1955 reiste ich erneut nach Israel, um mit diesem Kameramann, Lazar Dünner, den Film zu besprechen. Fast drei Wochen f u h r e n wir beide das ganze Land Israel ab. Dabei erklärte ich ihm, welche Stätten und Stellen ich gedreht haben wollte. Es gab n u r einmal eine Schwierigkeit: In Nazareth bat ich ihn, bei der Ausfahrt nach Kanaan nach rechts in einen kleinen Wald abzubiegen. Dünner wußte nicht warum. Aber auf einmal lichtete sich d e r Wald und wir standen vor einem deutschen Soldatenfriedhof aus dem Ersten Weltkrieg. Auf dem steinernen T u r m neben dem Eingang war eine Steinplatte eingelassen: „Deutsche Kriegsgräberstätte 1914—18". H e r r Dünner wurde erregt. „Das d r e h e ich nicht." Ich bat ihn, sich mit mir neben dem Wagen ins Gras zu setzen. Hier erläuterte ich ihm den von mir beabsichtigten Drehort. Ich verdeutlichte ihm, daß dieser Soldatenfriedhof zeige, welche Toleranz sich in Israel offenbare. Diese Kriegsgräberstätte der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg zeige deutlich, daß die Politik diese Kriegsgräberstätte unberührt gelassen habe. Wir diskutierten dort eine gute Stunde, bis ich mich mit meinem Gedanken 9

Austausch in Kunst und Wissenschaft bei Lazar Dünner durchgesetzt hatte. Nach dieser R u n d f a h r t war ein wichtiger. Punkt geschafft. Am Ende übergab ich Herrn Dünner eine Aufzeichnung, die praktisch dann das Drehbuch beinhaltete. Im Laufe des Jahres 1955 fanden die Dreharbeiten statt. Hier m u ß ein wichtiges Detail erwähnt werden: 5000 Meter unbelichtetes Filmmaterial konnten wir über die Israelmission als diplomatische Kurierpost nach Israel senden. So waren wir sicher, daß das Material ohne Schwierigkeiten im dortigen Außenministerium in Jerusalem ankam und von Herrn Dünner in Empfang genommen werden konnte. Auf dem gleichen Wege kamen die Rollen mit d e m belichteten Material wieder nach Bonn zurück. So wurde sichergestellt, daß kein Zollbeamter eine belichtete Rolle öffnete, wobei die Aufnahmen vernichtet worden wären. Diese Möglichkeit der technischen Kooperation, die außerordentlich wichtig war, verdankten wir Dr. Yahil, der diese Genehmigungen gab. Das war eine wichtige Voraussetzung f ü r diese Arbeit. Hier müssen noch zwei Dinge erwähnt werden: Die Musik f ü r den Film komponierte das Mitglied des israelischen Philharmonischen Orchesters, d e r Konzertmeister Sascha Parties. Er kam nach Hamburg, als der Film geschnitten war, was Lazar Dünner ebenfalls in den Studios der Deutschen Wochenschau besorgte. Wie schwierig damals die deutsch-israelischen Kulturverbindungen waren, zeigt eine kleine Episode: Ich war zu den Synchronisationsarbeiten nach Hamburg gekommen. Der Film lief auf der Leinwand an. Hier mußte ich sofort die Stopptaste drücken. Der Titel auf der Leinwand hieß n u r noch „Israel". Der zweite Teil des Titels „Staat der Hoffnung" war weggefallen. Herr Dr. Wiers, der Chef der Deutschen Wochenschau kam u n d meinte, man müsse mir das j a doch sagen: Der Pressechef d e r Israelmission Dr. Uri Naor war im Auftrage von Botschafter Shinnar nach Hamburg gekommen und hatte diese Änderung im Titel gefordert. Dr. Wiers und ich waren sehr rasch einig: Der Titel erhielt wieder sein altes Gesicht, „Israel, Staat der Hoffnung". Herr Dr. Wiers verstand meinen Einwand, denn als Hersteller firmierte das Presse- und Informationsamt d e r Bundesregierung und nicht die Israelmission. Nach diesem kleinen Zwischenfall ging die Arbeit munter fort und wenige Tage danach hatten wir die erste Kopie des Films in Bonn. Die erste A u f f ü h r u n g kam im Bundespresseamt. Neben mir saß auf der einen Seite Dr. Uri Naor, auf der anderen Seite Dr. Chaim Yahil neben vielen Mitgliedern des Bundespresseamtes. Alle Teilnehmer an der A u f f ü h r u n g waren positiv gestimmt. Als der Film zu Ende war, konnten wir das Licht im Saal nicht anmachen. Dr. Yahil schluchzte tief ergriffen neben mir. Als ich ihn fragte, was ihn so bewege, meinte er: „Ich hätte nie geglaubt, daß aus diesem Lande einmal ein solcher Film kommen könnte." Beim Hinausgehen sagte ich zu Dr. Naor: „Das mit dem Titel hätten Sie nicht tun sollen." Seine Erwiderung war schwach: Dr. Shinnar habe gemeint, „Staat der Hoffnung" wäre zu positiv. Ostern 1956 war ich von Israel eingeladen worden, auf dem neuen Fahrgastschiff der „Israel" mit meiner Frau erneut das Land zu besuchen. Dabei gab es eine A u f f ü h r u n g dieses Films im Gewerkschaftshaus in Tel Aviv. Als wir zusammen mit Botschafter Dr. Shinnar in den Saal gingen, sagte er zu mir: „Wenn Sie 10

1 Die Anfänge des kulturellen Austausches zwischen der Bundesrepublik und Israel ein paar Worte sagen, dann bitte in Englisch." Wohl bemerkt, d e r Film war in deutscher Sprache und im Saal befanden sich etwa 600 Menschen, die alle aus Deutschland oder Österreich oder aus deutschsprachigen Orten der Tschechoslowakei stammten. Ich antwortete: „Herr Botschafter, wenn mir etwas einfällt ..." Dr. Shinnar sprach in Hebräisch und gab mir dann das Wort: „Herr Botschafter, meine Damen und Herren", sagte ich in deutsch, „Herr Hitler kam aus Österreich, ich bin Berliner, darum möchte ich mich der Sprache bedienen, die unser großer Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe schon benutzt hat." Ich bekam großen Applaus. Die Menschen hatten verstanden. So f u h r ich in meiner Sprache fort, um die Geschichte dieses Films zu erzählen und dabei vor allem auch die Hilfestellung der Israelmission zu erwähnen. Bei einem Empfang, d e r sich im Hause von Botschafter Dr. Shinnar anschloß, mußte ich mit viel Freude zahllose Hände drücken. In den Tagen nach diesem Ereignis hat ein damals bereits alter Freund, Dr. Fritz Schindler, den Film mehrfach vor Freunden in seinem Garten aufführen lassen, wobei sich diese Ovationen immer wiederholten. Staatssekretär von Echardt war mit diesem Erfolg außerordentlich zufrieden, und der 45-Minuten-Film „Israel, Staat der H o f f n u n g " wurde in der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiges Instrument, um einer breiten Schicht von Menschen diesen jungen jüdischen Staat vorzuführen. Die Landesfilmdienste erhielten Kopien und auch die Polizeiorganisationen benutzten ihn bei ihrer staatspolitischen Bildungsarbeit. Bei den Kulturfilmfestspielen in Mannheim erhielt „Israel, Staat der Hoffnung" einen Preis von DM 5.000,—. Als ich am Ende des Wahlkampfes f ü r die Bundestagswahl 1957 im Sonderzug des Bundeskanzlers durch die Lande fuhr, fragte der Bundeskanzler, was ich denn gerne nach den Wahlen täte? „Ich möchte", so sagte ich ganz direkt, „einen abendfüllenden Film über den Aufbau Israels filmen und das in Farbe. Ein solcher Film sollte aus der Bundesrepublik kommen und nicht Hollywood überlassen bleiben." „Das ist eine ausgezeichnete Idee", meinte der Bundeskanzler. „Herr von Echardt, was meinen Sie dazu?" Herr von Eckardt nahm scherzend die Hände hoch und sagte: „100.000,— DM bekommt er von mir." Dr. Adenauer bemerkte sofort: „Ich bin Ihr Zeuge." Wenige Tage später war ich bei Herrn von Echardt, der mir etliche Briefe an befreundete Industrielle schrieb. So bettelte ich viel Geld zusammen — es war nachher mehr als die Hälfte d e r Produktionskosten. Ein kleines Erlebnis: Ich kam zu Prof. Grünewald, den Chef der Bayerwerke in Leverkusen. Ich legte ihm meinen Brief auf den Tisch, er las und meinte, „das ist eine gute Idee, die wir gern unterstützen. Wir haben mit Israel gute wirtschaftliche Verbindungen". Er rief seinen Kollegen bei der AGFA an. „Höre mal zu", sagte er, „laß doch bitte 16.000 Meter C T 18,35 mm Agfa Color an die IFAGE in Wiesbaden senden, dort soll ein Film über Israel entstehen." Der ganze Besuch bei Dr. Grünewald hatte kaum mehr als 20 Minuten gedauert. Das Filmmaterial stellte einen Wert von ca. 46.000,— DM dar. Auch von israelischer Seite wurde unser Projekt unterstützt. Wir erhielten 5 Flugkarten von der El AI und die Übernahme unserer Hotelkosten im Dan-Hotel 11

Austausch in Kunst und Wissenschaft in Tel-Aviv, wo wir die helfende Hand von Teddy Kollek spüren durften, der damals Staatssekretär bei David Ben Gurion war. Dazu kam die außerordentlich gute Idee des Pressechefs der israelischen Regierung, den Leiter der Filmabteilung seines Amtes, David Andermann, f ü r unsere Dreharbeiten freizustellen, was doch praktisch bedeutete, daß sich die T ü r e n in Industriefirmen und bei Behörden automatisch öffneten. Man kann eine solche Unterstützung bei der Situation, die damals noch herrschte, nicht hoch genug bewerten. Drei Monate dauerten die Dreharbeiten. Als d e r Film fertiggestellt war, gab es auch wieder eine erste A u f f ü h r u n g im Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung. Konrad Adenauer hatte alle seine Kinder telefonisch eingeladen. Der Film hieß — ohne daß jemand Einspruch erhoben hätte — „Paradies und Feuerofen". Und den Löwen von Metro-Goldwyn-Meyer hatten wir durch eine entsprechende Kopfbewegung und den Ton eines Kamels ersetzt. Als der Film nach 83 Minuten zu Ende war, gratulierte Dr. Adenauer. „Aber", so schmunzelte er, „Sie haben ja doch vieles gestellt." Ich machte eine fragende Bewegung. „Naja, die Haschisch-Schmuggler-Jagd in der Wüste war doch sicher nicht echt." „Herr Bundeskanzler", sagte ich lächelnd, „das muß ich Ihnen anders erklären. Als die Polizeibeamten, die wir zu den Dreharbeiten erhalten hatten, von den A u f n a h m e n nach Beer Sheba zurückfuhren, haben Sie tatsächlich eine ganze Gruppe arabischer Haschischschmuggler erwischt." Adenauer lachte und meinte: „Sie sind j a nie um eine Antwort verlegen." Eines war tragisch: Bei einem Empfang in Jerusalem trat ein Herr auf mich zu und erklärte, er mache in Israel die Zensur f ü r ausländische Filme. Dabei habe er „Paradies und Feuerofen" f ü r Israel verboten. Es klang ein großer Stolz aus seinen Worten. Meine Erwiderung: „Da haben Sie Ihrem und unserem Land gleichermaßen Schaden zugefügt." Dann wandte ich mich ab. Im Laufe des Abends kam er noch einmal auf mich zu: „Sie hätten ja als österreichische Co-Produktion auftreten können." Meine Antwort: „Mein Herr, lernen Sie doch Geographie, Braunau (der Geburtsort Hitlers) liegt am Inn und nicht an d e r Spree." Damit ließ ich ihn stehen. Dieser Vorfall ereignete sich zur Zeit des Eichmann- Prozesses. Als ich kurz danach mit Teddy Kollek zusammentraf, erzählte ich ihm den Vorfall. Einige T a g e später rief er mich an. „Haben Sie den Film hier in Israel?" „Ja, die Kopie liegt bei Herrn Sonnenfeld, der ihn hier in den Verleih bringen wollte, was ja nun nicht möglich ist." Teddy Kollek hatte wieder einmal, wie schon so oft f ü r uns Deutsche, die entsprechende Idee. „David Ben Gurion will ihn sich ansehen, sorgen Sie doch dafür, daß die Kopie in das Filmtheater Dizengoff-Platz gebracht wird." Als d e r Termin feststand, war das natürlich ein großer Augenblick. Etliche Minuten bevor der Ministerpräsident eintraf, kamen zahllose Automobile angefahren. Mitarbeiter des Ministerpräsidenten aus einer großen Anzahl von Büros, vor allem auch aus dem Verteidigungsministerium fuhren vor. Darunter viele hohe Offiziere, Generäle, Obristen usw. Dann kam David Ben Gurion. Gemeinsam mit d e m Regierungspressechef, Herrn Landor, begleitete ich ihn ins Filmtheater. Ich saß in der Nähe und konnte ihn gut beobachten. Für Ben Gurion war der Film wie ein Krimi im Fernsehen. Er stützte sich mit beiden Händen auf 12

1 Die Anfange des kulturellen Austausches zwischen der Bundesrepublik und Israel die Balustrade d e r Loge, in d e r er saß. Seinen Kopf hatte er in beide H ä n d e gestützt. Als der Film abgelaufen war, stand er auf u n d begrüßte mich mit einer Gratulation, die nicht herzlicher hätte ausfallen können. In d e r nächsten Sitzung d e r israelischen Regierung hatte d e r Ministerpräsident d e n Film u n d seine Zulassung auf die T a g e s o r d n u n g gesetzt. Teddy Kollek sandte mir die Zulassungsverfügung ins Hotel. Es war ein großer Erfolg. Leider m u ß m a n sagen, d a ß wir d u r c h die v o r h e r g e h e n d e Verweigerung doch d e n Anschluß an die USA verloren hatten. Die dortigen Filmfirmen waren d e r Meinung, daß ein Film aus Deutschland Schwierigkeiten bringen könnte, die man nicht auf sich n e h m e n wollte. Schade, aber es war nicht m e h r viel zu ä n d e r n . Dennoch, der Film w u r d e in d e r hebräischen Sprache synchronisiert u n d lief d a n n auch ganz gut in Israel. Als „Paradies u n d Feuerofen" in d e r argentinischen Hauptstadt Buenos Aires anlief, gab es von antijüdischen Kreisen Proteste. Die Polizei mußte mit Absperrm a ß n a h m e n eingreifen. Diese beiden Filme stehen nicht n u r f ü r meine Betrachtung am Beginn kultureller Verbindungen zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik Deutschland. Ich könnte noch ein Buch erwähnen, das ich im J a h r e 1957 im „Schwabenverlag" herausbringen konnte. Es hatte zwei Teile: Einen Textteil, den Prof. KurtSchubert in Wien schrieb, ein Theologe, d e r d e n H i n t e r g r u n d der Bibel zum F u n d a m e n t seiner Darlegungen machte. Er schrieb aus einem großen Wissen dieser Bibel u n d gab den Fotografien im zweiten Teil aus dieser Schrift Gottes die entsprec h e n d e n Zitate bei. Dieses Buch bekam eine Auflage von weit über 20.000 Exemplaren in deutsch, englisch, französisch u n d spanisch. Auch das war ein Teil der V e r b i n d u n g d e r Bundesrepublik nach Israel. In d e m Klappentext stehen folgende Worte: „Inmitten einer Umwelt feindlicher Staaten liegt Israel, das Land d e r Verheißung, die alte neue Heimat des jüdischen Volkes." Als Israel am 11. Mai 1949 als Mitglied in der U N O a u f g e n o m m e n wurde, verlas vor d e m For u m d e r Vereinten Nationen Israels Außenminister Moshe Sharet aus dem Buche Jesaias die Botschaft vom k o m m e n d e n Friedensreich. Das war eine politische Geste, aber nicht minder ernst gemeint: T r o t z teilweiser Erfüllung messianischer H o f f n u n g e n hat das Volk Israel die noch größere u n d universalere H o f f n u n g nicht vergessen. Die Existenz Israels als Volk u n d Staat heißt also nicht einfach n u r Existenz eines beliebigen Volkes in einem beliebigen Land. Zum Beginn unserer kulturellen Beziehungen gehört noch ein wichtiges T h e m a : Staatssekretär Felix von Eckardt hatte in Berlin einen guten Freund, d e n Kinderarzt Dr. Walter Hirsch. Sehr zeitig verließ dieser Deutschland, u m in T e l Aviv eine n e u e Praxis aufzubauen. Die beiden F r e u n d e trafen sich nach d e m Kriege wieder u n d Walter Hirsch machte ein Angebot: Er wolle seine Bibliothek d e r Bundesrepublik zur V e r f ü g u n g stellen, d e n n bisher kämen in großen Scharen viele der deutschsprachigen Menschen aus Tel Aviv zu ihm, u m sich Bücher auszuleihen. Der H u n g e r derjenigen, die ihre deutsche Sprache mitgenommen hatten, war offensichtlich recht groß. Dr. Hirsch verband mit diesem Angebot die Idee, daß zu 13

Austausch in Kunst und Wissenschaft diesen seinen Büchern entsprechende Büchersendungen aus Bonn k o m m e n sollten, u m daraus eine m o d e r n e deutsche Bibliothek a u f z u b a u e n . W ä h r e n d des Eichmann-Prozesses, als es zum ersten Mal ein offizielles deutsches Büro in Israel gab, w u r d e n auch erstmals entsprechende Räume von H e r r n Dr. Hirsch angemietet u n d die Tatsache, d a ß Dr. Hans Stercken vom Bundespresse- u n d I n f o r m a tionsamt d e r deutschen Delegation angehörte, ermöglichte d e n Versuch, deutsche Bücher nach Israel zu schaffen. Noch bedeutender bei dieser Entwicklung aber war die Tatsache, d a ß es wiederum Dr. Chairn Yahil war, d e r diese B e m ü h u n gen förderte. Hier m u ß auch Frau Inge Lunger genannt werden, die das Bibliotheksbüro leitete u n d bis zum heutigen T a g e nach d e m U m z u g der „WalterHirsch-Bibliothek" auch die Leitung in Jerusalem ü b e r n a h m . Dieser lange Weg durch die J a h r z e h n t e endete praktisch damit, daß diese „Walter-Hirsch-Bibliothek", zunächst über Inter-Nationes, d a n n ein Teil des deutschen Kulturzentrums des Goethe-Institutes in Jerusalem wurde. Eine Episode bei vielen Gesprächen: Dr. Hirsch erzählte mir, daß nach d e m Sechs-Tage-Krieg 1967, als die T r e n n u n g Jerusalems beendet war, alte arabische Patienten, die er zur Zeit des Zweiten Weltkrieges behandelt hatte, in d e n jüdischen Teil Jerusalems kamen u n d ihn suchten. Es war eine alte Herzlichkeit, die nach langen J a h r e n — es waren 19 J a h r e gewesen - wieder aufblühte.

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Die Auswirkungen des Eichmann-Prozesses auf die kulturellen Beziehungen

Israel hatte sich bemüht, Folgen des Eichmann-Prozesses aus dem damals bereits beginnenden deutsch-israelischen Dialog herauszuhalten. Das aber gelang nur bedingt. Gerade im kulturellen Bereich waren die Probleme noch sehr schwierig. Am 5. Dezember 1961 begann eine neue Belastung dieser beginnenden und bereits begonnenen kulturellen Verbindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel. Die Wunden, die einer Überwindung aller Probleme entgegenstanden, waren noch zu frisch. Daraus resultierte die Tatsache, daß die israelischen Oppositionsparteien, angeführt durch die rechtsnationale Heruth-Partei und linkssozialistische Mapam, bei Stimmenthaltung der an der Regierungskoalition beteiligten linksgerichteten Achduth Haavodah einen Parlamentsbeschluß erwirkten, eine Generaldebatte über die deutsch-israelischen Kulturbeziehungen anzusetzen. Für David Ben Gurion und seine sozialdemokratische Mapai waren das keine erfreulichen Dinge. Dennoch war das Kabinett gezwungen, einen Ausschuß zur Vorbereitung der Debatte einzusetzen. Aus diesem Vorgeplänkel wurde sichtbar, daß das Parlament nicht geschlossen zu den Absichten stand, die deutsch-israelischen Kulturbeziehungen zu beschneiden. Die Meinungen der Parteien stießen vielmehr hart aufeinander. Die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung" berichtete in ihrer Ausgabe vom 4. Januar 1962 u. a.: Der Abgeordnete Isak Drori von der Heruthpartei erklärte, es gebe auch heute „kein anderes Deutschland", er attackierte den Rundfunksender „Kol Israel", weil er deutsche Musik gesendet habe und kritisierte die Genehmigung des israelischen Außenministeriums für den Besuch eines Dortmunder Lehrers in einer Jerusalemer Schule. Als völligen Mangel an Logik bezeichnete dagegen der liberale Abgeordnete Mosche Kol die Ansicht, man solle Schillers „Ode an die Freude" in Israel nicht in der deutschen Originalsprache, sondern in englischer Übersetzung vortragen. Diese Auffassung sei engstirnig und kurzsichtig. Kol identifizierte sich mit der Erklärung des israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion, daß das Deutschland Adenauers nicht mit dem Deutschland Hitlers identisch sei. Er spreche sich deshalb für kontrollierte israelisch-deutsche Kulturbeziehungen aus. Willkommen in Israel müßten vor allem junge Deutsche sein, die mit der Nazipartei nichts zu tun gehabt hätten. Die möglichen guten Auswirkungen solcher Kontakte auf persönlicher Basis ließ auch der Abgeordnete Benjamin Schahor von der National-Religiösen Front gelten. Er erklärte jedoch, die Zeit für einen organisierten Kulturaustausch zwischen Deutschland und Israel halte er allerdings für noch nicht gekommen. Die Bundesrepublik gehöre heute zu den einflußreichsten Nationen Europas, und 15

Austausch in Kunst und Wissenschaft alle Beziehungen Israels zu Deutschland wurden von der politischen Notwendigkeit diktiert, erklärte der Abgeordnete der Mapai-Partei, Yona Kesse. Am 9. J a n u a r 1962 hat dann die große Debatte in der Knesseth stattgefunden. Mit großerMehrheit wurde eine Fortsetzung der deutsch-israelischen Kulturbeziehungen unter Beachtung bestimmter Richtlinien gebilligt. Der Antrag auf Abbruch der Kulturbeziehungen zur Bundesrepublik Deutschland wurde mit großer Mehrheit zurückgewiesen. Dem Ausschuß f ü r die Erarbeitung der Richtlinien hatten neben Erziehungsminister Abba Eban, Außenminister GoldaMeir und Transportminister Ahaorn angehört. Abba Eban hat dann die beschlossenen Richtlinien f ü r die Bestimmungen der deutsch-israelischen Kulturbeziehungen im einzelnen vorgetragen. Sie sehen vor: Jugendliche und berufstätige Deutsche d ü r f e n Israel besuchen, damit sie „unsere Aufbauarbeit kennenlernen". Die betreffenden Personen werden von einem besonderen Informationskomitee in Deutschland ausgewählt. Deutsche Künstler dürfen in Israel nicht auftreten, desgleichen d ü r f e n israelische Künstler keine Vorstellungen in Deutschland geben. Das israelische Innenministerium wird in jedem einzelnen Fall die Einladung einer israelischen Gruppe nach Deutschland prüfen. Das gleiche gilt f ü r israelische Ausstellungen in Deutschland außer Wirtschaftsausstellungen. Israelis, die ihre Wehrpflicht noch nicht abgeleistet haben, und israelische Studenten werden nicht zum Studium in Deutschland ermutigt. Eine weitere Fortbildung an deutschen Instituten wird nur erlaubt, wenn diese im Interesse des Staates liegt. Die Weiterbildung erwachsener Arbeiter und Techniker in deutschen Unternehmen wird n u r gebilligt, wenn sie f ü r dieHandhabung von in Deutschland gekauften Geräten erforderlich ist. Die Errichtung von Zweigstellen deutscher Institute, Gesellschaften und Organisationen in Israel ist nicht gestattet. Das gilt nicht f ü r die Beteiligung an philanthropischen Einrichtungen, wobei die Beteiligten keinen Einfluß auf die Führ u n g dieser Einrichtungen üben können. öffentliche Vereinigungen, die nach Deutschland eingeladen werden oder ähnliche Vereinigungen nach Israel einladen wollen, werden im voraus mit diesen Richtlinien vertraut gemacht werden. Abba Eban faßte den Sinn der neuen Bestimmungen in den Worten zusammen: „Es ist nicht alles erlaubt — auch nicht alles verboten." Er erläuterte weiter, angesichts des Wunsches nach besseren Beziehungen zur Bundesrepublik seien erwiesene Antinazis als Besucher in Israel ebenso willkommen wie Studentengruppen, Berufsreisegruppen u n d Gruppen von Gewerkschaftlern. Bevor er die neuen Direktiven verkündete, sagte Abba Eban: „Zwischen uns und dem deutschen Volk unserer Generation stehen Erinnerungen, f ü r die es kein Beispiel in den Beziehungen zwischen zwei Völkern gibt. Noch f ü r lange Zeit wird jeder Kontakt zwischen diesen beiden Völkern im Schatten dieser Erinnerungen bleiben. Es ist unmöglich, die Massenvernichtung in ihren engen historischen Grenzen zu isolieren. Die Massenvernichtung ist nicht mit dem Augenblick der Vernichtung der Nazityrannei vor 16 Jahren zu etwas geworden, was vergan16

2 Die Auswirkungen des Eichmann-Prozesses auf die kulturellen Beziehungen gen ist. Das jüdische Volk hat die schrecklichste Katastrophe erlitten, die j e über ein Volk d e r Menschenfamilie hereingebrochen ist. Ist es möglich, daß solcher Schrecken nicht endlosen Schmerz, Zorn u n d T r a u e r hinterläßt? Da kein Volk erlebt hat, was uns widerfahren ist, haben wir kein anerkanntes Kriterium, an dem wir unser Verhalten messen u n d ausrichten können. Wir müssen selbst entscheiden, auf welche Weise wir auf die Massenvernichtung u n d ihr entsetzliches Andenken, das niemals ausgelöscht werden wird, reagieren sollen." Diese Darstellung mußte der „ F r a n k f u r t e r Allgemeinen Zeitung" entnommen werden, die die Darstellung von UPI/AP ü b e r n o m m e n hatte. Es gab keine deutsche Botschaft, die nach Bonn hätte berichten können, so daß Presseberichte das einzige waren, was ü b e r diesen Vorgang in Jerusalem vorliegt. A m 29. J a n u a r 1962 kam ebenfalls aus einem Bericht d e r AP eine Darstellung scharfer Kritik an den n e u e n Richtlinien f ü r das deutsch-israelische Verhältnis in der „Stuttgarter Zeitung". Darin hieß es: „Jerusalem, 28. J a n u a r (AP). Die d e m israelischen Außenministerium nahesteh e n d e J e r u s a l e m Post* hat am Sonntag scharfe Kritik an d e n neuen scharfen Richtlinien geübt, die vom israelischen Parlament f ü r die kulturellen u n d persönlichen Beziehungen zwischen Israel u n d Deutschland festgelegt worden sind. Es bestehe eine große Diskrepanz zwischen d e r Erfüllung des Wiedergutmachungsabkommens d u r c h die Bundesrepublik einerseits und d e n neuen Richtlinien andererseits. Das Blatt hält eine neue Ü b e r p r ü f u n g dieses Problems f ü r e r f o r d e r lich u n d bemerkt dazu: ,... Wir haben uns auf das Versprechen verlassen, daß Deutschland nicht noch einmal das Deutschland der Vergangenheit wird und daß auf nationaler Ebene unsere erste Verantwortung die gegenüber d e r Zuk u n f t ist. Dadurch wird es noch unvernünftiger, daß das eine Gebiet, auf dem n u n öffentliche Beschränkungen verhängt worden sind, das d e r kulturellen u n d persönlichen Beziehungen ist. Es ist absurd zu sagen, daß diese uns schaden könnten. Wird irgend j e m a n d einen J u d e n , einen Israeli, dazu bringen, daß er den Nazismus annimmt o d e r ihn gutheißt? Können Schulkinder hier wirklich v e r f ü h r t werden, wenn sie a u f g e f o r d e r t werden, eine Botschaft an deutsche Kind e r zu schicken? ... Nichts wird uns nützen, was eine Schranke f ü r das Wissen u n d das Verständnis darstellt, u n d beides ist in bezug auf Deutschland ebenso u n d vielleicht noch m e h r nötig als bei a n d e r e n L ä n d e r n . Offiziell kultivierte Unkenntnis des Deutschlands von heute u n d seiner B ü r g e r wird weder zur Verbesserung d e r Beziehungen zu einem >guten< Deutschland noch dazu beitragen, beizeiten eine sich verschlechternde Position zu erkennen.' Der Leiter d e r Israel-Mission in Köln, Botschafter Felix Shinnar, hatte a m Freitag vor d e m Industrie- u n d Handelsklub in Tel Aviv erklärt, die neuen Richtlinien seien seiner Ansicht nach im Ausland zum großen Teil falsch verstanden worden u n d müßten deshalb noch n ä h e r erläutert werden." Bereits am 11. J a n u a r 1962 hatte die Tageszeitung „Die Welt" zu diesen neuen Richtlinien Stellung genommen. Sie hatte die G r ü n d e u n d die Auswirkungen d e r Beschlüsse d e r Knesseth bedauert. Darin hieß es: 17

Austausch in Kunst und Wissenschaft „Die G r ü n d e sind vor allem in den starken innerpolitischen Spannungen des jungen Staates zu finden. Der Anstoß kam — zur Wahlkampfzeit während des Eichmann-Prozesses —von der kleinen, rechtsstehenden Cheruth-Partei. Sie zielte mit einer A n f r a g e auf den Abbruch j e d w e d e r Beziehungen zur Bundesrepublik. Sie führte nicht nur .merkwürdig positive' Erfahrungsberichte einer israelischen Lehrerdelegation über deren Eindrücke in der Bundesrepublik an. Sie fand es auch empörend, daß ein j u n g e r deutscher Priester, seit Jahren um Verbindungen zwischen der israelischen und der deutschen Jugend bemüht, einer Schulklasse in Jerusalem die Grüße seiner deutschen Schüler überbrachte. Das Kabinett hatte, von der Cheruth-Partei getrieben und zweifellos auch der erregten Stimmung eines Teiles der Bevölkerung während des Prozesses Rechnung tragend, einen Ausschuß zur Vorbereitung der geforderten Parlamentsdebatte eingesetzt. Die Cheruth-Partei erreichte mit der Debatte selbst zwar nicht ihr Ziel, dennoch wurden die kulturellen Beziehungen zur Bundesrepublik arg betroffen. Rund dreißig israelische Studenten erhielten bisher deutsche Stipendien; ihre Zahl sollte in diesem Jahr erhöht werden. Wissenschaftler und Künstler aus Israel besuchen uns, Lehrer- und Jugendgruppen. Ihre Zahl wird jetzt noch geringer werden. W e r seine H o f f n u n g darauf setzte, auch hierdurch zu erreichen, was Ben Gurion o f t genug gefordert hat: sich kennenzulernen, zu achten und zu verstehen, muß die Entscheidung bedauern." Diese Beschränkungen waren der „Neubeginn" der kulturellen Verbindungen. Dennoch hatte sich eine gute Entwicklung bereits vorher angebahnt, als David Ben Gurion durch einen Kabinettsbeschluß den Film „Paradies und F e u e r o f e n " über das Land und den Staat Israel f ü r A u f f ü h r u n g e n im Staat Israel freigegeben hatte. Das lag auf seiner Linie, die er bereits während des Eichmann-Prozesses in Interviews ausgesprochen hatte: „Der heutige deutsche Staat ist nicht mit dem vergangenen gleichzusetzen."

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Die Entwicklung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik

„Die kulturellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel haben sich in den letzten Jahren sehr entwickelt, aber ich möchte betonen, daß sie schon seit vielen Jahren existieren." Diese Worte sprach im Mai 1966 der Leiter der Staats- und Universitätsbibliothek in Jerusalem, Prof. Dr. Woermann, einstmals Leiter der Bibliotheken der Stadt Berlin. „Bereits im Jahre 1952 haben wir begonnen, mit deutschen Bibliotheken und mit dem Börsenverein der Verleger und Buchhändler Fühlung zu nehmen. Es erscheint mir außerordentlich wichtig, daß wir in Israel in steigendem Maße deutsche Bücher und deutsche Zeitschriften haben. Überhaupt können die Studenten ein wesentlich besseres und echteres Bild vom Leben in Deutschland und seinen kulturellen und geistigen Bestrebungen erhalten, wenn sie diese Bücher selbst in den Bibliotheken und besonders in unserer Bibliothek, die gleichzeitig National- und Universitätsbibliothek ist, benutzen können. Ich würde sehr daran interessiert sein, daß wir diese Beziehungen weiter pflegen. Ich glaube, daß von beiden Seiten der gute Wille dazu besteht." Das ist nur ein Gebiet, auf dem sich die kulturellen Beziehungen entwickelt haben. Israelische Künstler, Wissenschaftler, Autoren, Journalisten haben zur Bundesrepublik mannigfache Verbindungen geschaffen, sprechen vor deutschen Universitäten, Volkshochschulen, kulturellen Veranstaltungen demokratischer Organisationen. Professor Dr. Woermann habe ich bei meiner ersten Reise nach Israel 1954 kennengelernt. Die Leiterin der Public-Relations-Abteilung in der Hebräischen Universität Jerusalem hat an einem Nachmittag in ihrer Wohnung eine Reihe ehemals deutscher Professoren eingeladen, mit denen sich ein lebhaftes Gespräch über unsere deutsche Entwicklung nach dem Untergang des Dritten Reiches ergeben hat. Es war nicht einfach, alle einzelnen Fragen dieser Wissenschaftler verschiedenster Fakultäten zu beantworten. Es zeigte sich aber, daß bereits damals der gute Wille zur Verständigung gegeben war. Als man auseinander ging, hörte ich zum ersten Mal das inhaltsreiche Wort „Shalom". Die vielseitigen Kontakte, die die Bundesregierung knüpfte, lassen sich in vielfachen Darlegungen aufzeigen. Seit 1960 hat die Bundesrepublik Deutschland aus Haushaltsmitteln und aus der Stiftung des Volkswagenwerkes fast 22 Millionen DM für die Arbeit und den Ausbau des Weizmann-Institutes in Rehovoth in Israel beigesteuert. Aus dem Kulturfonds des Auswärtigen Amtes wurden in der Zeit von 1960 bis 1963 fast 12 Millionen DM zum Ausbau verschiedener Institute an das Weizmann-Institut gegeben. 1963 kamen von der Stiftung des Volkswagenwerkes nochmals zwei 19

Austausch in Kunst und Wissenschaft Millionen DM hinzu. Im Jahre 1964 erteilte das Bundesministerium f ü r wissenschaftliche Forschung Forschungsaufträge f ü r 3,5 Millionen DM an das Weizmann-Institut. Am 17. Dezember 1964 entschied der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages über einen weiteren Antrag des Weizmann-Institutes f ü r einen weiteren Zuschuß von zwei Millionen DM, die später auf die vier Millionen DM angerechnet werden sollen, die bereits im Haushaltsplan des Bundesministeriums f ü r wissenschaftliche Forschung f ü r Forschungsaufträge an das Weizmann-Institut eingeplant sind. Anfang April 1965 wurde im Weizmann-Institut ein TeilchenbeschleunigerLaboratorium eingeweiht, zu dessen Kosten aus deutschen Mitteln sechs Millionen DM beigesteuert worden waren. Das neue Laboratorium wurde nach dem verstorbenen Mäzen Dannie Heinemann benannt, der zahlreiche wissenschaftliche und karitative Unternehmungen gefördert hatte. Dannie Heinemann war ein enger Freund Dr. Adenauers und hat diesen, bevor er seinerzeit Deutschland verließ und Adenauer zunächst durch seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten mittellos dastand, finanziell helfen können. Er hat ihn später auf die große Arbeit des Weizmann-Instituts aufmerksam gemacht und damit die Kontakte zur Bundesregierung herbeigeführt. Zu all diesen Verbindungen der Bundesrepublik Deutschland mit dem Weizmann-Institut muß man hinzufügen, daß die Forschungsaufträge friedlicher Arbeit dienen u n d im Weizmann-Institut keinerlei militärische Forschungen betrieben werden. Bei dieser Zusammenstellung der Hilfe u n d Zusammenarbeit der Bundesregierung mit Israel kann man immer nur den Versuch unternehmen, so vollständig wie möglich an Zahlen und Darstellungen aus Haushaltsplänen und den Mitteln der Stiftungen, wie z. B. der Volkswagen-Stiftung, heranzukommen u n d darüber in diesem Buch zu berichten. Es gab schon sehr zeitig Verbindungen deutscher wissenschaftlicher Institute, vor allem mit dem Weizmann-Institut Rehovot in der Nähe von Tel Aviv. Bereits Anfang der sechziger J a h r e wurde unter dem Vorsitz des Heidelberger Ordinarius f ü r Kernphysik, Prof. Dr. Wolfgang Gentner, eine gemischte deutsch-israelische Kommission gebildet, die jeweils in ihren Jahresversammlungen die Arbeitsprogramme festlegte, die vor allem zwischen den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft in der Bundesrepublik und den verschiedenen Forschungsgruppen des Weizmann-Instituts abgewickelt werden. Seit 1960 befinden sich in den Haushaltsplänen des Bundesministeriums f ü r wissenschaftliche Forschung feste Beträge, die f ü r derartige Arbeiten nach Israel gehen.

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3 Entwicklung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik

In diesen Anfangsjahren gliederten sich diese Mittel folgendermaßen: 1960 Spenden für allgemeine Institutsaufgaben 3,0 Mill. DM 1961-63 Spenden für ein Forschungsprogramm der Molekularbiologie 3,0 Mill. DM 1962/63 Spende zum Erwerb und zur Installation eines 10-MeV-Tandem-Beschleunigers 5,9 Mill. DM 1964 Forschungsvertrag für bestimmte Forschungen der Medizin und Biologie 3,5 Mill. DM 1965 für die gleichen Forschungen 3,7 Mill. DM 1965/66 Zuschuß zum Ausbau der biologischen und medizinischen Disziplin des Ullmann-Instituts 2,5 Mill. DM für den gleichen Forschungsbereich 4,0 Mill. DM 1966 insgesamt: 25,6 Mill. DM Für 1967 sind für die Forschungsaufgaben des Weizmann-Instituts auf dem Gebiet der Medizin und Biologie 4 Millionen DM in den Haushaltsplan des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung eingesetzt worden. Derselbe Betrag wurde zur Fortsetzung der einzelnen Forschungsvorhaben für 1968 bewilligt. Zu diesen Leistungen aus dem Bundeshaushalt tritt ein Programm der Volkswagen-Stiftung. Im Jahresbericht der Volkswagen-Stiftung für 1963 ist dazu folgendes vermerkt: „Die Stiftung Volkswagenwerk hat ferner im Oktober 1963 eine Sachbeihilfe in Höhe von 2 Millionen DM für wissenschaftliche Arbeiten im Weizmann-Institut, Rehovot (Israel), bereitgestellt. Die Mittel sind zur Beschaffung wissenschaftlicher Geräte und zur Bezahlung wissenschaftlichen Personals zum Einsatz in der Grundlagenforschung in Physik und Physikalischer Biologie (bio-science) vorgesehen. Im Weizmann-Institut, einer privaten Stiftung, arbeiten zur Zeit etwa 350 Wissenschaftler. Es gilt in der wissenschaftlichen Welt als eines der führenden Forschungsinstitute. Weitere Mittel sollen einem Wissenschaftler- und Stipendiatenaustausch zwischen dem Weizmann-Institut und deutschen wissenschaftlichen Instituten, die sich mit ähnlichen wissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, dienen. Man erhofft sich davon einen schnellen und wirkungsvollen Erfahrungsaustausch im Zusammenhang mit den bearbeiteten Themen. In der Bundesrepublik haben nach dem Kriege Wissenschaftler aus den Instituten der Max-Planck-Gesellschft und von Hochschulen, wie Nobelpreisträger Prof. Jensen, Prof. Gentner, Prof. Lynen, Prof. Weber, Prof. Westphal und andere, den wissenschaftlichen Austausch mit dem Weizmann-Institut gepflegt, das auch schon eine Reihe junger deutscher Wissenschaftler zur zeitweiligen post-graduate-Ausbildung aufgenommen hat. Die Mittel der Stiftung Volkswagenwerk sollen diese Kontakte ausbauen und verstärken helfen." 21

Austausch in Kunst und Wissenschaft Zu diesen erwähnten 2 Millionen DM kommen außerdem 200.000 DM für den Wissenschaftler-Austausch zwischen dem Weizmann-Institut und deutschen wissenschaftlichen Instituten, ebenfalls für das Jahr 1963. Im Jahre 1965 verzeichnet der Jahresbericht der Volkswagen-Stiftung die folgende Notiz über die Verbindung zum Weizmann-Institut: „Dem Weizmann Institute of Science, Rehovot, einem der führenden naturwissenschaftlichen Forschungsinstitute der Welt, wurden im Berichtsjahr rund 1,5 Millionen DM zur Verbesserung seiner apparativen Ausrüstung gewährt. Da das Institut durch ein von der Stiftung ebenfalls gefördertes Stipendiaten-Austauschprogramm mit deutschen Forschungseinrichtungen zusammenarbeitet, kommt diese Bewilligung auch den in Rehovot arbeitenden deutschen Wissenschaftler zugute." Im Rahmen des Austauschprogramms von Wissenschaftlern wurde bisher 31 Stipendiaten (zur Hälfte Israelis und Deutsche) die Finanzierung eines Studienaufenthaltes bzw. einer Studienreise bewilligt. Die dafür aufzuwendenden Mittel belaufen sich insgesamt auf etwa 500.000 DM. Bei den langfristigen Studienaufenthalten von einem Jahr und mehr (insgesamt 14) sind die Deutschen mit 10 Stipendiaten in der Überzahl, während die Wissenschaftler des Weizmann- Instituts bisher mehr von Kurzbesuchen von einigen Wochen oder Monaten Gebrauch gemacht haben, wobei sie allerdings oft mehrere deutsche Institute aufsuchten. Von allen Beteiligten wird der Gewinn dieses Austauschprogramms sowohl von der wissenschaftlichen wie auch von der menschlichen Seite hoch eingeschätzt. Zwischen den deutschen Instituten und den Departements des Weizmann-Instituts hat sich eine teilweise sehr enge Zusammenarbeit entwickelt. Eine gemischte israelisch-deutsche Wissenschaftler-Kommission, die abwechselnd in Deutschland und Israel zusammentritt, bespricht in regelmäßigen Abständen die wissenschaftlichen Programme und Arbeiten, die zwischen den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und dem Weizmann-Institut erarbeitet werden. Bei der ersten Tagung 1967 setzte sich die deutsche Kommission aus folgenden Mitgliedern zusammen: Vorsitzender: Prof. Dr. Wolfgang Gentner, Ordinarius für Kernphysik in Heidelberg; Nobelpreisträger Prof. Hans Jensen, Direktor des Instituts für Theoretische Physik der Universität Heidelberg; Prof. Hans Friedrich Freska, Direktor der Abteilung für Physikalische Biologie am Max-Planck-Institut für Virusforschung in Tübingen; Prof. Hans Hermann Weber, wissenschaftliches Mitglied des Instituts für Physiologie am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg; Prof. Dr. Heinz Staab, Direktor des Instituts für Organische Chemie der Universität Heidelberg. Als Gast war die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Volkswagen-Stiftung, Frau Dr. Marie-Luise Zarnitz, Tübingen, anwesend. Von israelischer Seite gehörten der Kommission an: Prof. Arnos de Shalit, Generaldirektor des Weizmann-Instituts; Prof. Shneior Liffson, wissenschaftlicher Leiter des Weizmann-Instituts; Prof. Michael Feldmann, Professor am Weizmann22

3 Entwicklung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und der Bundesrepublik Institut, Prof. Gerhard Schmidt, Professor am Weizmann- Institut. Neben den Professoren des Weizmann-Instituts aus Rehovot nimmt an den Sitzungen auch der Leiter des europäischen Büros des Weizmann-Instituts in Zürich, Dr -Josef Cohn, teil. Bei diesen Tagungen wird mit den Programmen auch im einzelnen über die Verwendung der Gelder gesprochen, die vom Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung oder aus der Volkswagen-Stiftung f ü r die gemeinsame deutsch-israelische Arbeit im wissenschaftlichen Bereich zur Verfügung gestellt werden.

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„Honorary Fellowship" der Hebräischen Universität Jerusalem für Ludwig Erhard

Wenn man die Unterstützung der wissenschaftlichen Forschung in all den Jahren für die Hebräische Universität in Jerusalem, f ü r die Universität in Tel Aviv, aber nicht zuletzt auch f ü r das Weizmann-Institut verfolgt hat, so erscheint es heute nur folgerichtig, daß dem ehemaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard die Ehrendoktorwürde, „Honorary-Fellowship", von diesem Institut verliehen wurde. Die Urkunde, in hebräischer u n d englischer Sprache ausgefertigt, hat in der Übersetzung folgenden Wortlaut: „Auf Vorschlag des Wissenschaftlichen Rats des Weizmann-Instituts f ü r Wissenschaften wählt der Vorstand des Instituts hiermit Ludwig Erhard zum Ehrenmitglied. In Würdigung seiner unermüdlichen Anstrengungen, eine neue und bedeutungsvolle Verbindung zwischen dem Jüdischen Volk und Deutschland zu schaffen u n d aufrechtzuerhalten, seiner Unterstützung f ü r die wissenschaftliche Forschung in Israel durch das Weizmann-Institut und andere Institutionen und seines großen Beitrages zur Förderung des israelischen Wirtschaftswachstums und seiner Entwicklung. Rehovot, Israel, den 7. November 1967. Der Präsident (gez.) Meier W. Weisgal" Nachdem der Präsident des Weizmann-Instituts, Meier W. Weisgal, Ludwig Erhard begrüßt hatte, hielt der ehemalige Justizminister Pinhas Rosen, Mitglied des israelischen Parlaments, die Festrede. Sie hatte folgenden Wortlaut: „Das Weizmann-Institut hat mich gebeten, im Rahmen dieser Zeremonie das Wort zu ergreifen, in der unserem Gast, H e r r n Professor Dr. Ludwig Erhard, dem vormaligen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, die Ehrenmitgliedschaft dieser Lehr- u n d Forschungsstätte erteilt wird. Ich komme diesem Wunsch mit aufrichtiger Genugtuung nach, obgleich ich im Weizmann-Institut weder eine akademische noch eine andere Funktion ausübe. Außenminister Abba Eban, der mit dem Weizmann-Institut seit J a h r e n aufs engste verbunden ist, weilt in einer wichtigen politischen Mission in den Vereinigten Staaten von Amerika. Er hätte, wäre es ihm möglich gewesen, unseren Gast in dieser Stunde mit weitaus klarerer Legitimation, als ich es tun kann, begrüßt. Er hätte es zweifelsohne auch sehr gerne getan. Wenn ich also an dieser Stelle spreche, so fühle ich mich als einfacher Bürger des Staates Israel, der seiner Freude darüber Ausdruck gibt, Sie im Kreise der Ehrenmitglieder des Weizmann-Institutes willkommen heißen zu dürfen. Zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland, Staatsmänner und Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, haben Israel in den letzten Jahren besucht. Die Namen des verstorbenen Bundes24

4 „Honorary Fellowship" der Hebräischen Universität Jerusalem für Ludwig Erhard Präsidenten Professor Heuss, des verstorbenen Bundeskanzlers Dr. Adenauer, ferner f ü h r e n d e r Politiker wie des Präsidenten des Bundestages Dr. Gerstenmaier, des Ministers des Äußeren Herrn Brandt, der Professoren Carlo Schmid und Franz Böhm stehen f ü r viele, die wir in Israel, mitunter auch im Weizmann-Institut, als Gäste empfingen. Die Bundesrepublik hat ja nach dem Zusammenbruch von 1945 den Weg in die Freiheit und in ein neues demokratisches Leben angetreten, und wir sind über solche Besuche froh, weil wir sie als Zeichen der Entschlossenheit der berufenen deutschen Repräsentanten deuten, aus der Vergangenheit den Weg in eine bessere Zukunft zu finden. Wir wissen uns dabei mit solchen deutschen Gästen durchaus eins, daß diese Vergangenheit nicht ausgelöscht werden kann und soll. Die historische Erinnerung trennt unsere beiden Völker und verkettet sie zugleich, und beiden ist es auferlegt, mit dieser Last, jedes in seiner Art, feftig zu werden. All das ist schon oft gesagt und geschrieben worden und mag daher vielleicht wie ein abgegriffener Gemeinplatz klingen. Doch weder wir, die wir uns hier eine neue, die eigene Heimstätte unter Mühen und Sorgen in aufgezwungenen Kriegen erbauen, noch das deutsche Volk haben das Recht, der Wiederholung von geschichtlichen Wahrheiten auszuweichen. Diese Wiederholung ist natürlicher, selbstverständlicher und sinnvoller als es ein betretenes oder verschämtes Schweigen sein könnte. Es ist uns allen wohl bekannt, was Sie, H e r r Professor Erhard, durch Ihren persönlichen Einsatz zunächst als Bundeswirtschaftsminister und später als Bundeskanzler f ü r die Anbahnung einer besseren Beziehung zwischen Ihrem Staat und dem Staat Israel bewirkten, und ich meine damit nicht n u r den Austausch von Botschaftern, der Ihrer Initiative zuzuschreiben ist. Die Beauftragten des jüdischen Volkes und des Staates Israel, die mit Ihnen die grundsätzlichen und all die ungezählten Einzelfragen zu besprechen u n d zu regeln hatten, sind voll des uneingeschränkten Lobes über Ihre wahrhaft verständnisvolle, vom redlichsten Geiste getragene Einstellung. Ihr Amt brachte es mit sich, daß Sie nicht n u r abstrakt den Willen zur Wiedergutmachung, soweit sie eben überhaupt möglich ist, erklären mußten, sondern daß Sie in ungemein praktischer und, wenn ich so sagen darf, in greifbarer Form diesen Willen in Taten ummünzten. Bei Ihren Reisen durch das Land werden Sie nicht ohne innere Befriedigung festgestellt haben, was an Aufbauarbeit geleistet werden konnte. Ich möchte aber, obschon ich, wie gesagt, an dieser Stelle keinen anderen als den Status eines einfachen Bürgers f ü r mich in Anspruch nehme, ein Wort aussprechen, das dem Genius loci gilt. Die Anstalt, die Ihnen, Herr Professor Erhard, heute den höchsten Ehrentitel verleiht, den sie vergeben kann, trägt den Namen des ersten Präsidenten des Staates Israel, Professor Cham Weizmann. Er war wie Sie aus Neigung und Beruf ein akademischer Lehrer. Zur Politik trieb es ihn, weil er sein Volk aus der Tiefe des Elends und der Unfreiheit in ein besseres Dasein emporziehen wollte. Auch sie sind am Firmament d e r deutschen Politik zu einem Zeitpunkt erschienen, als Ihr Volk besiegt, Ihr Land verwüstet war. Weizmann hat noch die schweren Anfänge der Freiheit seines Volkes erleben dürfen, glücklicher freilich als unser Lehrer Moses, dem es nicht vergönnt war, das Gelobte Land zu betreten. 25

Austausch in Kunst und Wissenschaft Sie, sehr geehrter H e r r Professor Erhard, haben I h r Volk auf dem langen Weg von 1945 bis jetzt führend, ratend, lenkend begleiten dürfen. Sie sind ein Theoretiker und Praktiker der Wirtschaft. Weizmann war Chemiker von Rang. Wenn ich die Unterscheidung Wilhelm von Humboldts verwenden darf, so war Weizmann mehr ein Mann der Akademie als ein Mann d e r Universität. In unseren Tagen der fortgeschrittenen, alles beherrschenden Technologie hat die Differenzierung Humboldts zwar viel von ihrem Gewicht verloren, doch man darf ihn in dieser festlichen Zusammenkunft wenigstens mit dem Hinweis zitieren, daß nach seiner Auffassung die Akademie, und dies gilt in hohemMaße auch vom Weizmann-Institut, als die höchste und die letzte Freistätte der Wissenschaft und die vom Staat am meisten unabhängige Korporation erhalten bleiben muß. Das Weizmann-Institut ist ohne Zweifel eine »höchste', wenn auch nicht die letzte oder gar einzige Freistätte der Wissenschaft in Israel. Wir haben zu unserer Freude einige solcher hohen Lehranstalten. Gleichwohl ist das Weizmann-Institut eine moderne Hochschule sui generis in Israel. Weizmann gab ihr nicht n u r den Namen, sondern prägte auch für alle Zeiten ihren spezifischen Charakter. Doch liegt, u m den Faden fortzuspinnen, ein besonderes Tertium Comparationis zwischen dem Gründer dieser Lehranstalt, dem Ehrengast der heutigen Feier und Wilhelm von Humboldt vor. Dieser, ein Freund Goethes und Schülers, war nicht n u r ein Gelehrter, sondern ein bedeutender Staatsmann. Universität oder Akademie—ihre Lehrer spielen, wenn sie das Zeug dazu haben und wenn die Pflicht ruft, mitunter im Leben ihrer Völker eine entscheidende Rolle. Deutsche und J u d e n wissen darüber Bescheid. Das Weizmann-Institut hat weit über das kleine Israel hinaus ein internationales Renommee. Man darf das ohne Überheblichkeit sagen. Was hier geschaffen und gedacht, experimentiert und e r f u n d e n wird, hat seine Bedeutung nicht allein f ü r den Staat Israel. In den Laboratorien des Instituts sitzen j u n g e Gelehrte vieler Völker, hier können sie sich entfalten, und was sie auf dem Gebiet der exakten Wissenschaften leisten, kommt auch anderen Staaten, besonders auch den Entwicklungsländern zugute. Wir wissen, daß unserem Gast nicht nur die ökonomische, sondern auch die allgemeine Entwicklung des Staates Israel am Herzen liegt. Er hat dies vielfach bezeugt und bewiesen, und er möge gerade hier, in dieser Anstalt, deren Ehrenmitglied er wird, verstehen, daß ein Volk mit aller seiner Energie und trotz aller widrigen Umstände am Werk ist, dem Fortschritt der Menschheit und dem Frieden zu dienen. Das Weizmann-Institut, das es sich zur Ehre anrechnet, Professor Erhard von nun an zu den Seinen zählen zu dürfen, dient in seiner Arbeit dem Frieden u n d dem Fortschritt, wie der große Tote, dessen Namen diese Anstalt trägt, den Frieden mit allen Fasern seines Herzens zeitlebens gewollt und all sein großes Können und seinen genialen Geist dem Fortschritt gewidmet hat." Im Anschluß daran sprach d e r ehemalige Leiter der Israel-Mission, Felix E. Shinnar: 26

4 „Honorary Fellowship" der Hebräischen Universität Jerusalem für Ludwig Erhard „Von Ihnen, Herr Präsident, ist mir aufgetragen worden, Altbundeskanzler Professor Erhard vor Ihnen, verehrte Anwesende, vorzustellen. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, der ich mit Freude nachkomme. Es bedarf n u r der Erwähnung der Marksteine, die den Weg Professor Erhards kennzeichnen, um seinen hervorragenden Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte seines Landes und seine Gesinnung und Einstellung zum Staate Israel in die Erinnerung zu rufen. In seinem Intensiv-Studium der Volkswirtschaftslehre erarbeitet sich Erhard die wissenschaftliche Grundlage. Zwei gleichermaßen wichtige Begegnungen sind aus dieser Zeit zu erwähnen: seine Nürnberger Studien- und Fachkollegin, Luise Schuster, wird seine Lebensgefährtin, die Jahre des Studiums an der Frankfurter Universität bescheren Erhard die Verbindung mit Franz Oppenheimer, dem großen Soziologen und Volkswirtschaftler. In enger Freundschaft bleibt Erhard seinem Lehrer und Mentor, dem er wichtige Anregungen verdankt, bis zu dessen Auswanderung und Tode in Los Angeles im J a h r e 1943 verbunden. Das amtliche Institut f ü r Marktforschung, das Erhard in der Zeit des Unrechts und der Willkür leitet, muß er, seiner ablehnenden Einstellung wegen, verlassen. In seinem eigenen privaten Institut setzt er seine Forschungsarbeit frei und unabhängig fort. Gleich nach Kriegsende im J a h r e 1945 von den amerikanischen Besatzungsbehörden mit den verantwortlichen Wirtschaftsaufgaben betraut, verfolgt Erhard konsequent die Verwirklichung seiner Konzeption der freien u n d sozialen Marktwirtschaft — sein wirtschaftliches Credo des fairen Wettbewerbs und der guten Beziehung zwischen den Sozialpartnern. Ihm, dem Psychologen unter den Volkswirtschaftlern, ist die lebendige Einsicht in die Zusammenhänge der sozioökonomischen Probleme und ihre Nutzanwendung wichtiger als die abstrakte Diskussion. Währungsreform und die Aufhebung der Rationierung im Juni 1948 sind die ersten wichtigen Vorstufen; sie bilden die Voraussetzung f ü r die Schaffung der f ü r Erhards Konzeption erforderlichen Marktbedingungen. So sehr ist Erhard von der Richtigkeit seines Weges überzeugt, daß er die Aufhebung der Zwangswirtschaft im J u n i 1948 nicht n u r ohne Genehmigung, sondern gegen den Protest der amerikanischen Militärbehörden als vollzogene Tatsache verkündet. In einem Geschichte gewordenen Gespräch gelingt es Erhard, den Vertreter der amerikanischen Regierung, Lucius Clay, zu überzeugen. Damit ist die entscheidende Vorbedingung f ü r die Durchführung der sozialen Marktwirtschaft Erhardscher Prägung geschaffen. Im September 1949 wird Erhard Wirtschaftsminister in der ersten Regierung der Bundesrepublik unter Adenauer. Sein Programm des sozialen .Wohlstand f ü r alle' macht schnellen Fortschritt. Die Welt spricht vom deutschen Wirtschaftswunder. Erhard lehnt diese schon 1954 viel zitierte, allzu vereinfachende Bezeichnung ab. Ein solches Wunder gäbe es nicht, sagt er am 10. Jahrestag der Aufhebung der Zwangswirtschaft; die Beharrlichkeit des Wollens und die nimmermüde Hingabe seines ganzen Volkes in allen seinen Schichten habe das Erreichte ermöglicht. 27

Austausch in Kunst und Wissenschaft Als Erhard im Oktober 1963 von Adenauer das Amt des Bundeskanzlers übernimmt, ist sein Werk durch drei herausragende Ergebnisse gekrönt: Dem leidenschaftlichen Protagonisten und Verwirklicher seiner Wirtschaftsphilosophie verdankt sein Land den von d e r Welt mit Achtung gewürdigten Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Zusammenbruch des Regimes der Gewalt und des Grauens, im Welthandel steht die Bundesrepublik an zweiter Stelle nach den Vereinigten Staaten, unter den Industrienationen nimmt sie den dritten Platz in der Welt ein. Mitte 1966 tritt eine - nach der lang andauernden Konjunktur fast natürliche — D ä m p f u n g in der Wirtschaftslage der Bundesrepublik ein. Als sich Erhard vor die Entscheidung gestellt sieht, f ü r ihn unverzichtbare Grundsätze seiner wirtschaftspolitischen Auffassung gegen seine bessere Überzeugung aufzugeben, opfert er Ende 1966 sein Amt als Bundeskanzler dem harten Geschäft der Politik. Israel und die J u d e n in der Welt bewerten Staatsmänner und ihre zeitgeschichtliche Leistung verständlicher- und berechtigterweise nach ihrem Verhalten u n d ihrer Einstellung zum jüdischen Volk. Neben und mit Konrad Adenauer hat Professor Erhard den empfindsamen Prozeß der allmählichen Entwicklung einer neuen Beziehung zwischen dem jüdischen und dem deutschen Volke an vorderster Stelle gefördert. Mit der Behandlung aller, zum Teil überaus komplexen, wirtschaftlichen Fragen des Wiedergutmachungsabkommens vom 10. September 1952 betraut, tritt Professor Erhard unermüdlich f ü r das Zustandekommen dieses denkwürdigen Abkommens und f ü r die angemessene Entschädigung dessen ein, was materiell entschädigt werden kann. Für die Durchführung des Abkommens setzt sich Erhard mit seinem ganzen Verantwortungsbewußtsein und nie versagender Bereitschaft so ein, daß es - in Geist und I n h a l t - die Erfüllung fand, die seinem Hintergrunde entspricht, d e r seinesgleichen in der Geschichte der Menschheit nicht hat. In zwei Zusammenkünften in Brüssel mit dem damaligen Finanzminister und heutigen Ministerpräsidenten Eshkol in den Jahren 1960 und 1962 werden andere f ü r Israels Aufbau entscheidend wichtige Gebiete wie Entwicklungsvorhaben, Israels Assoziierung an die EWG und der f ü r Israel lebenswichtige Export durch Erhards warmes Interesse an dem Erfolg des Aufbauwerks in Israel entscheidend gefördert. Professor Erhard war es, der dem mühseligen Verlauf der Erörterungen über die A u f n a h m e herkömmlicher diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik ein Ende setzte: in einem einsamen, ihn ehrenden Beschluß gab er am 7. März 1965 den Wunsch seiner Regierung bekannt, mit dem Staate Israel diplomatische Beziehungen aufzunehmen — eine natürliche, seiner Haltung und Gesinnung gemäße Entscheidung. Als ich am 12. Mai 1965 die Ehre hatte, namens meiner Regierung den Austausch des Briefwechsels zwischen Bundeskanzler Professor Erhard und Ministerpräsident Eshkol über die wichtigen, die voraussehbare Zukunft sichernden Vereinbarungen in seinem Amtssitz in Bonn zu vollziehen, gibt Erhard, am Ende die28

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ses denkwürdigen Aktes, seinen Empfindungen bewegten Ausdruck: diese Einigung, von gegenseitigem Verständnis und gutem Willen getragen, stelle das ihn am meisten befriedigende und wahrhaft beglückende Ereignis in seinem politischen Wirken dar. Die Geschichte eines Volkes ist sein Kollektivgedächtnis — in dieser Erinnerung des Geschehens werden Professor Erhards betätigte Gesinnung und seine Verdienste um Israel und das jüdische Volk für immer ehrend verzeichnet bleiben." Nach der Verleihung der Urkunde dankte Ludwig Erhard der Festversammlung mit folgenden Worten: „Verehrter Herr Vorsitzender, meine Herren Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Ich danke Ihnen bewegten Herzens für die mir soeben zuteil gewordene hohe Ehrung, die mir besonders viel bedeutet. Ich fühle mich aber auch deshalb unmittelbar angesprochen, weil diese Stunde viele Erinnerungen in mir wachruft und Beziehungen sichtbar werden läßt, die auch mein Leben und meinen Lebensweg entscheidend beeinflußt und geprägt haben. Ich habe die Wissenschaft immer als Dienst an dem Wohlergehen, dem friedlichen Zusammenleben und dem Fortschritt der Menschheit verstanden und mich gegen abstrakte Vorstellungen gewandt, die nicht in ein umfassenderes ethisches Weltbild eingebaut waren, das nach Ausgleich und Frieden zwischen den Menschen und den Völkern suchte. In diesem Sinne gibt es keine wertfreie Wissenschaft — und doch muß sie sich über das zweckhafte Gemeine erheben. Die Wissenschaft wird schamlos mißbraucht, wenn eine Obrigkeit sich anmaßt, ihr Gesetze aufzuzwingen, die dem Gebot der Wahrheit zuwiderlaufen. Jeder Abschnitt der Geschichte dieses in aller Welt hoch angesehenen Instituts ist ein Beitrag zur friedlichen Fortentwicklung der Menschheit, ein Kampf gegen die sie bedrohenden Gewalten der Natur, ein Einsatz für die Entwicklung der Zivilisation und die Sicherung des Friedens. Aber dieses Institut und die Ehrung, die mir an dieser ehrwürdigen Stätte zuteil wurde, erinnern mich an mehr als lediglich die Verbindung von Wissenschaft, menschlicher Gesittung und Moral. Der große Gründer dieses Hauses, an dessen Grab mich Gedanken der Hoffnung für Ihr Volk erfüllten, hat in hoher Gesinnung dargetan, wie sehr sich die Verpflichtung gegenüber der Wissenschaft mit dem verantwortungsbewußten Denken für den Staat und für die Gemeinschaft verbinden müssen, um alle diese Seinsbereiche des Individuums und der Gesellschaft zu einer harmonischen Einheit werden zu lassen. Dies sind Gedanken, Empfindungen und Vorstellungen, die mich schon zu Füßen meines unvergleichlichen hochverehrten Lehrers Franz Oppenheimer bewegt und erregt und schließlich dazu bewogen haben, selbst die akademische Laufbahn zu ergreifen. Das tragische Geschehen der Jahre 1933 bis 1945 hat allerdings diese Absicht zunichte gemacht. 29

Austausch in Kunst und Wissenschaft Ich bin an dieser Stätte tief beeindruckt, weil sich d e r Wissenschaftler hier nicht allein von d e m guten Geist angesprochen fühlt, d e r die Forschung in d e n Dienst am Menschen stellt, sondern auch d e r Politiker es spürt, daß gerade die Wissenschaft einen h o h e n A u f t r a g im Sinne einer bewußten Hingabe des einzelnen an den Staat u n d an die Gemeinschaft zu erfüllen hat. Vielfach habe ich es als bedauerlich e m p f u n d e n , daß es d e r Wissenschaft allenthalben noch einer vertrauensvollen Z u o r d n u n g zum eigenen Staatswesen und zu seinen Lenkern ermangelt. Wenn es wohl unbestreitbar richtig ist, d a ß sich f ü r d e n Politiker die noch nicht gewährleistete, b e f r u c h t e n d e Nähe zu d e n Wissenschaften u n d ihren T r ä g e r n als nachteilig erweist, so ist es umgekehrt ein nicht minder großer Schaden f ü r den Wissenschaftler, wenn er den demokratischen Bezug seines Wirkens u n d seiner E i n o r d n u n g in d e n Geist der Gemeinschaft nicht oder nicht m e h r voll zu begreifen u n d zu e r k e n n e n in der Lage ist. Dieser Bezug wird hier im Weizmann-Institut besonders deutlich, d e n n die Anwesenheit so vieler ausländischer Wissenschaftler legt Zeugnis d a f ü r ab, d a ß Sie Ihre Forschungen f e r n a b nationaler Engstirnigkeit weltweit angelegt wissen wollen. Sie werden verstehen, wenn Ihr neues deutsches Ehrenmitglied in dieser Stunde von d e r Gläubigkeit erfüllt ist, d a ß nicht zuletzt die wissenschaftlichen Verbindungen zwischen unseren beiden Staaten u n d Völkern viel dazu beizutragen b e r u f e n sind, u m über einen schreckenserfüllten A b g r u n d hinweg die Brükke in eine gute Z u k u n f t f ü r unsere J u g e n d zu bauen. Sie selbst haben diese Absicht zu fruchtbarer Zusammenarbeit eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, als Sie dem Direktor des Max-Planck-Instituts f ü r Kernphysik in Heidelberg, Professor Gentner, die Ehrenmitgliedschaft verliehen haben. Auch ich werde, so wie immer, auch f e r n e r h i n alle mir zu Gebote stehenden Möglichkeiten d a f ü r einsetzen, daß d e r Dienst der Wissenschaft an d e r Menschheit in einer befriedeten Welt viele Forscher in Israel u n d in Deutschland zu gemeinsamer Arbeit z u s a m m e n f ü h r e n wird. J e n e V e r b i n d u n g von Forschen und tätigem Leben erweist sich auch bei d e n wissenschaftlichen u n d technischen Hilfen, die das Weizmann-Institut in d e n Ländern Asiens u n d Afrikas leistet, als segensreich. Dieser d u r c h die T a t bekundete gute Wille zur Zusammenarbeit schafft neue hoffnungsvolle Ansatzpunkte f ü r das Verständnis, daß alle Menschen, die guten Willens sind, eine geistige u n d moralische Einheit bilden. Ich teile die Auffassung Ihres f r ü h e r e n Präsidenten, des H e r r n Außenministers Abba Eban, d e r in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine vorrangige A u f g a b e beim Aufbau a n d e r e r L ä n d e r erkennt. Sosehr H u n g e r u n d A r m u t in aller Welt unser Gewissen belasten, so kann d e r Beitrag d e r einzelnen L ä n d e r zur Überwindung der Not doch immer n u r als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden. Die Heranbildung einer von tiefem Ethos erfüllten geistigen Elite wird es neuen Generationen ermöglichen, den Fortschritt der eigenen Gemeinschaft über Grenzen des Denkens u n d des Raumes allen vorwärtsstrebenden friedlichen Ländern zugute k o m m e n zu lassen. Schließlich weist j e d e Forschung weit in die Z u k u n f t hinein. Die Forschung von heute gestaltet das Leben d e r nach uns K o m m e n d e n ; sie formt die zivilisato30

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rischen und kulturellen Grundlagen des Lebens, auf der sich in den nächsten Jahrhunderten die Völker immer wieder bemühen und bewähren müssen, das Miteinander der Menschen friedlich zu ordnen, um frei von Furcht leben zu dürfen. Unweit von diesem Institut beginnt ein Teil dieses alten Kulturlandes, den die Kraft der Sonne in eine dürstende Wüste verwandelt hat. Ihrem Genie, Ihrem Einfallsreichtum und Ihrem Fleiß ist es zu danken, daß aus der Einöde der Wüste fruchtbares Ackerland geschaffen wurde und gewiß auch noch weiter erschlossen wird. Wieviel Liebe, aber auch wieviel Schweiß haben Sie diesem harten Boden angedeihen lassen, auf den nach zweitausendjähriger Wanderung das Volk Israels wieder heimgekehrt ist. Sie sind immer durch die harte Konfrontation mit einer oft unbarmherzigen Wirklichkeit in einen sehr praktischen Zusammenhang mit der Wissenschaft gestellt worden. Um so mehr muß Sie der Erfolg Ihrer Bemühungen mit Stolz erfüllen, und deshalb bin auch ich glücklich, daß ich nun durch meine neue Würde auch für die Zukunft an diesem Geschehen inneren Anteil empfinden darf. Ich sehe darin aber zugleich auch eine verpflichtende Aufgabe, die ein akademischer Lehrer und Politiker nicht anders und besser als in der Form eines Appells an die Jugend formulieren kann; die hohen Werte der Wissenschaft und Forschung, die den Geist dieses Instituts prägten und seine starke Ausstrahlungskraft bewirkten, haben neben der hervorragenden Leistung des jüdischen Volkes im eigenen Land Entscheidendes zu dem hohen Rang Israels in der Welt beigetragen. Wenn man es einem Volke glauben darf, daß es endlich Frieden ersehnt, dann bin ich gewiß, daß es die Bürger dieses Staates sind, die hier in ihrer alten und zugleich neuen Heimat in Ruhe und Ordnung ihr Werk weiterführen möchten. Wenn und wo immer in der Welt Recht und Gerechtigkeit als das völkerverbindende Prinzip Anerkennung finden, wird für den Ungeist des Hasses kein Raum mehr bleiben. Völkern, die den Frieden ersehnen, muß gemeinsam daran gelegen sein, in gesicherter Ordnung und Freiheit nicht zuletzt auch in einem enger umgrenzten Raum gutnachbarliche Beziehungen zu unterhalten. Wenn ich mich meinen ehemaligen jüdischen deutschen Mitbürgern im besonderen verbunden fühle, aber dazu allen jüdischen Menschen in Israel und in aller Welt verpflichtet weiß, dann besagt das nicht, daß ich Feind anderer Völker und Rassen sein müßte. Diese Haltung bedeutet auch keine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern ist Ausdruck einer Gesinnung, die aus tragischem Miterleben erfahren hat, welches grenzenlose Leid über die Menschheit kommen muß, wenn gnadenloser Haß und brutale Gewalt noch länger im Regimente bleiben dürfen. Ich lehne es daher aus meiner Grundhaltung auch ab, jene allzu bequeme Taktik als Politik anzuerkennen, die lediglich darauf abzielt, Scheinlösungen für den Augenblick zu finden, und dieser Art von Pragmatismus gar noch einen Wert zuzuerkennen. Bequemlichkeit und innere Feigheit sind schlechte Ratgeber. In einer Zeit, in der über alle Kontinente hinweg die Lebensrechte junger 31

Austausch in Kunst und Wissenschaft

Völker respektiert werden, ist es fast unvorstellbar, daß einem so alten Kulturvolk wie den Juden das Recht verweigert werden darf, auf uralt angestammtem Boden in einem eigenen Staatsgebilde und in seinem eigenen Kulturkreis zu leben. Diese meine Aussage als Bürger eines die Schreckensherrschaft überlebten, wieder freien Landes dürfen und mögen Sie als ein Bekenntnis auffassen, in dem es nicht um ,Für oder Wider' geht, sondern allein um sittliche Normen menschlichen Zusammenlebens. Dem Weizmann-Institut, als dessen Mitbürger ich mich bewegten Sinnes fühlen darf, ist die hohe und große völkerverbindende Aufgabe gestellt, trotz allen geschichtlichen Leides seinen Beitrag zur Versöhnung der Völker zu leisten; über chaotisches politisches Geschehen zu gesicherter Ordnung hinzufinden, dafür zu zeugen, daß Recht über Gewalt obsiegen muß, wenn uns allen und kommenden Geschlechtern noch ein menschenwürdiges Dasein beschieden sein soll. Der innerste Kern der Wissenschaft ist das Suchen nach Wahrheit. So spreche ich denn der Jugend — und insbesondere der unserer beiden Völker — zu, sich in den Dienst der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu stellen. Ich bin aber voll des Dankes über die mir zuteil gewordene Ehrung und weiß zum Schluß nichts Besseres zu sagen, als in dem Verlangen, daß Gott uns gnädig sein mag, mich dem alten Gruß Ihres Volkes in der Sehnsucht nach Frieden anzuschließen: Shalom!"

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Die Stiftung Volkswagenwerk richtet Forschungslehrstuhl im Weizmann-Institut ein

Die Stiftung Volkswagenwerk hat am Weizmann-Institut in Rehovot einen Forschungslehrstuhl eingerichtet, d e r nach d e m deutschen Physiologen u n d Nobelpreisträger Otto Meyerhof b e n a n n t wurde. D e r erste I n h a b e r des Forschungslehrstuhls wird der Leiter d e r Abteilung f ü r Genetik am Weizmann-Institut, Professor Leo Sachs, sein. Otto Meyerhof arbeitete f ü n f J a h r e am Kaiser-Wilhelm-Institut f ü r Biologie in Berlin-Dahlem zusammen mit Otto Warburg und w u r d e 1930 zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes f ü r medizinische Forschung in Heidelberg ernannt. Meyerhofs Arbeiten t r u g e n wesentlich zur A u f k l ä r u n g des Energiestoffwechsels der lebenden Zellen bei. W ä h r e n d seiner Heidelberger Zeit war er d e r Lehrer einer Reihe von Wissenschaftlern, die h e u t e zu den f ü h r e n d e n Physiologen und Biochemikern zählen, d a r u n t e r F. Lipmann, D. Nachmansohn, S. Ochoa und H. H. Weber. Otto Meyerhof verließ Deutschland 1938 und starb 1951 in den Vereinigten Staaten.

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Die Arbeit Axel-Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel

Der Berliner Verleger Axel-Springer hat in langen Jahren Israels Kultur-Projekte mit Millionenbeträgen unterstützt. Das wichtigste Dokument seiner Hilfe ist ein Gebäude des Israel-Museums, das besonders gut von der Straße aus zu sehen ist, die zum gewaltigen Knessetgebäude führt. Dieser Museumsbau beinhaltet einen großen Vortragssaal und eine Kunstbibliothek für das gesamte Museum. Eine Plakette verkündet, daß Axel Springer dieses Gebäude errichten ließ. Dieses und andere 19 Projekte sind von der Axel-Springer-Stiftung über die „Jerusalem Foundation" geschaffen worden. Im einzelnen waren das: 1. Ausgrabung der Kreuzfahrerkirche Sancta Maria in der Altstadt von Jerusalem. 2. Promenade entlang der Stadtmauer der Altstadt von Jerusalem in der Nähe des Damaskus Tores. 3. Gründung eines Fonds für Künstler in Jerusalem in Verbindung mit der Fritz Naphtali Foundation. 4. Das Jerusalem-Comitee, das vor neun Jahren gegründet wurde. 5. Das Jerusalem Khan, ein kulturelles Zentrum für Musik, Folklore und Dramen. 6. Das bekannte Ton- und Licht-Programm, das in der Altstadt von Jerusalem aufgeführt wird, erhielt die Hilfe der Axel-Springer-Stiftung. 7. Die „Springer-Bibliothek" des Israel Museums ist eine Spende der AxelSpringer-Stiftung. 8. Mit anderen Spendern aus Amerika und Genf stiftete die Axel-Springer-Stiftung Fernseh-Geräte für Jerusalemer Schulen. 9. Eine Dokumentarschau über Massada erhielt die Unterstützung der AxelSpringer-Stiftung. 10. Der zweite Kongreß der Architekten und Ingenieure in Israel erhielt die Unterstützung der Axel-Springer-Stiftung. 11. Das Dokumentenzentrum von Yad Vashem wurde durch die Axel-SpringerStiftung gefördert. 12. Der Batei Wasaw Garten wurde in dem Stadtteil Mea Shearim durch die AxelSpringer-Stiftung ermöglicht. 13. Der Danny Mendelson Garten und Spielplatz, der von Herrn und Frau Mendelson u. a. mit Mitteln der Israel Bonds aus Chicago und der Axel-SpringerStiftung zur Erinnerung an Danny Mendelson geschaffen wurde. 14. Clubraum im AKIM-Jugend Hospiz im Stadtteil Talpiot wurde von der AxelSpringer-Stiftung errichtet. 34

6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Spinger-Stiftung für Israel 15. Zusatzflügel f ü r ein Heim zur Rehabilitation f ü r Kleinkinder wurde von d e r Axel-Springer-Stiftung geschaffen. 16. Die Axel-Springer-Stiftung beteiligte sich an einem speziellen Heim f ü r unterprivilegierte Mädchen in Jerusalem. 17. Die Chaldean Kirche wurde mit Mitteln der Axel-Springer-Stiftung geschaffen. 18. Das ökomenische Heim T a n t u r d e r Notre Dame-Universität erhielt Mittel aus d e r Axel-Springer-Stiftung beim A u f b a u nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967. 19. Das Kloster St. Vincent von Pauls im Zentrum d e r Stadt Jerusalem wurde mit Mitteln der Axel-Springer-Stiftung unterstützt.

6.1 Das Israel-Museum in Jerusalem Am 27. September 1966, wenige T a g e vor der offiziellen Einweihung des Ullstein-Axel-Springer-Verlagshauses in Berlin, die f ü r d e n 6. Oktober angesetzt war, überreichte Verleger Axel Springer dem stellvertretenden Bürgermeister von Jerusalem, Dr. Nathan Chouraqui, im Beisein des Leiters d e r Verwaltung des Israel-Museums in Jerusalem, Daniel Gelmond, und d e m israelischen Botschafter in d e r Bundesrepublik, AsherBen Natan, ein Schreiben, in d e m er ihm f ü r das IsraelMuseum eine S p e n d e von 3,6 Millionen DM zusagte. Mit dieser Spende, so hieß es in einem gemeinsam in Berlin u n d Jerusalem veröffentlichten Kommunique, sollte die Zentralbibliothek f ü r Archäologie und Kunst in einem besonderen Geb ä u d e errichtet werden. Mehr als 70.000 Bände w ü r d e n den zahlreichen Studenten d e r Kunstgeschichte u n d Archäologie f ü r ihre wissenschaftliche Arbeit dienen, die aus allen Teilen des Staates Israel u n d aus d e m Ausland nach Jerusalem kamen. Clubräume sollten den internationalen Vereinigungen d e r Freunde des Israel-Museums ebenso zur V e r f ü g u n g stehen wie einflußreichen Besuchern. Das Bibliotheksgebäude würde a u ß e r d e m ein Auditorium mit 430 Plätzen erhalten. Mit dieser ersten Spende w u r d e die neue Axel-Springer-Stiftung ins Leben gerufen, die T r ä g e r dieser Spende war. I n Israel hat es u m diese Stiftung des deutschen Verlegers große Debatten gegeben, besonders u m die Frage, ob es möglich sei, an d e m neuen Gebäude, das von d e n Haifaer Architekten Prof. AI. Mansfeld u n d Frau Dora Gad geplant wurde, eine Gedenktafel f ü r d e n S p e n d e r Axel Springer anzubringen. Springer hatte bereits etwa 14 T a g e zuvor an d e n Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, folgendes Telegramm gerichtet: „Sehr geehrter H e r r Bürgermeister, mithelfen zu d ü r f e n , jedoch nicht als Helfer mitgenannt zu werden, war mein spontaner Wunsch, als ich das so schöne u n d bedeutende Israel-Museum in I h r e r Stadt sah. Bitte sagen Sie das d e n Herren, die sich heute Sorgen machen, u n d daß die ge35

Austausch in Kunst und Wissenschaft wünschte Anonymität f ü r mich nichts Verletzendes hat. Ich f r e u e mich auf eine neuerliche Reise nach Israel u n d bin mit guten Gedanken I h r I h n e n sehr ergebener Axel Springer." Die Antwort Teddy Kolleks auf dieses T e l e g r a m m lautete: „Ich bin zutiefst beeindruckt von I h r e r würdevollen Haltung u n d stolzer d e n n j e auf Ihr Verständnis. Mit größter Hochachtung u n d den herzlichsten Wünschen Teddy Kollek." Die vorzeitige Ü b e r r e i c h u n g dieser Spende wurde notwendig wegen des auf den 6. Oktober fallenden jüdischen Feiertages, an d e m die H e r r e n aus Jerusalem und d e r israelische Botschafter nicht an d e r Einweihungsfeier in Berlin hätten teilnehmen können. Bundespräsident Dr. h. c. Heinrich Lübke w ü r d e mit vielen offiziellen Persönlichkeiten a m 6. Oktober in Berlin sein, u m Axel Springers großen T a g mitzuerleben. Das 19stöckige Verlagshaus war unmittelbar an d e r Mauer, die Berlin zu einer zweigeteilten Stadt macht, errichtet worden, an d e r Ecke Jerusalemer- u n d Kochstraße. Ein weiteres Symbol d e r V e r b i n d u n g dieser beiden geteilten Städte. Der stellvertretende Bürgermeister von Jerusalem überreichte Axel Springer eine große Vase mit Deckel, die etwa 2000 J a h r e alt ist u n d die d e n Vasen entspricht, in d e n e n die Schriftrollen am Toten Meer g e f u n d e n wurden, die heute Kernstück des Israel-Museums sind. Diese Vase fand ihrenPlatz im 19. Stock des neuen Verlagshauses in d e r Privatbibliothek Axel Springers. Anläßlich d e r Übergabe des Schreibens, mit dem die 3,6 Millionen-Spende an das Museum in Jerusalem zugesagt wurde, richtete d e r Verleger folgende Worte an die H e r r e n aus Jerusalem u n d den israelischen Botschafter: „ H e r r Botschafter, H e r r Professor, meine H e r r e n , ich heiße Sie herzlich willkommen. Ich f r e u e mich sehr, Sie heute morgen hier zu sehen. Die F r e u d e ist doppelt: Weil wir zum ersten Male diese n e u e n Räume benutzen, u n d es eine tiefe G e n u g t u u n g ist, meine Herren, d a ß gerade Sie es sind, die u n s heute mit I h r e m Besuch beehren. Meine H e r r e n habe ich Ihnen vorgestellt — wir alle haben uns g e f r e u t auf heute morgen. Ich dachte, ich sollte jetzt vielleicht das Schreiben verlesen, in dem die Substanz dessen, über das wir schon soviel gesprochen haben, noch einmal festgehalten wird. U n d ich darf I h n e n d a n n , Herr Direktor Gelmond, diesen Brief übergeben u n d noch einige persönliche Bemerkungen a n f ü g e n . In diesem Brief, den ich Ihnen, sehr verehrter H e r r Gelmond, geschrieben habe, heißt es: Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen, dem Vertreter des Direktoriums des Israel-Museums in Jerusalem, zu sagen, daß ich es als h o h e Auszeichnung empfinde, an d e m schönen Werk der Erweiterung Ihres Museums mitwirken zu können. H e r r n Bürgermeister Theodore Kollek habe ich schon am 19. August bestätigt, daß ich bereit bin, die Kosten f ü r d e n Bau d e r geplanten Bibliothek mit einem Auditorium u n d den Clubräumen f ü r die internationale Gesellschaft d e r F r e u n d e des Israel-Museums u n d Jerusalems zu tragen. Die S u m m e von 3,6 Millionen Mark, die ich I h n e n zur V e r f ü g u n g stellen darf, enthält sowohl die Baukosten als auch einen Stiftungsbetrag, durch den die laufenden Ausgaben f ü r den 36

6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel hier bezeichneten Teil des Museums gedeckt werden sollen. Der Betrag wird Ihnen durch die Axel-Springer-Stiftung überwiesen, und zwar wie vorgesehen zu zwei gleichen Teilen Mitte November 1966 und Ende März 1967. Noch einmal möchte ich bekennen, wie e r f r e u t ich darüber bin, mich beim Ausbau dieses großen und neuen Kulturinstitutes Ihres Landes mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern verbunden zu wissen. Von Anfang an war ich mir durchaus der Schwierigkeiten bewußt, die in Israel der Beteiligung eines Deutschen an einem solchen Projekt noch immer entgegenstehen. Die Kontroverse, die um die von mir nie geforderte Nennung meines Namens im Zusammenhang mit unserem Bau entstanden ist, hat mich weder überrascht noch etwa gekränkt. Wie könnte es mir an Verständnis f ü r diesen Vorgang fehlen. Um jedes mögliche Mißverständnis auszuschließen, habe ich Herrn Bürgermeister Kollek am 21. September telegraphiert: .Mithelfen zu dürfen, jedoch nicht als Helfer genannt zu werden, war mein spontaner Wunsch, als ich das so schöne und bedeutende Israel-Museum in Ihrer Stadt sah. Sagen Sie das bitte den Herren, die sich heute Sorgen machen, und daß die gewünschte Anonymität f ü r mich nichts Verletzendes hat. Ich freue mich auf eine neuerliche Reise nach Israel und bin mit guten Gedanken Ihr Ihnen sehr ergebener Axel Springer.' Herr Kollek hat mir auf dieses Telegramm noch am gleichen Tage geantwortet: ,Ich bin tief beeindruckt von Ihrer würdigen Haltung und stolzer als j e zuvor f ü r Ihr Verständnis. Meine Hochachtung und meine herzlichsten Wünsche. Teddy Kollek.' Lassen Sie mich Ihnen abschließend sagen, wie glücklich ich darüber bin, daß eine private Initiative nun zur Verwirklichung unseres Planes führt. Kein formuliertes Gesetz steht dahinter, keine äußere Abmachung, sondern ausschließlich jenes innere Gesetz, f ü r das es das schöne Wort Gewissen gibt. Es bereitet mir eine Genugtuung, die in Worten schwer auzudrücken ist, daß ich Sie hier in unserem neuen Hause in der Hochstraße in den Tagen begrüßen darf, in denen die feierliche Einweihung dieses Hauses an der Mauer stattfindet. Mein lieber, verehrter Herr Gelmond, ich bitte Sie und Ihre Freunde, in diesem Zusammenfallen der Ereignisse ein mich und mein Haus bindendes Programm zu sehen. Mit allen guten Wünschen Ihr Ihnen sehr ergebener Axel Springer. In diesem Zusammenhang bin ich eigentlich auch ganz froh, daß ich mich mit der ursprünglichen Einladung an Sie zum 6. Oktober etwas vertan habe. Mir war entgangen, daß auch noch d e r 6. Oktober ein hoherjüdischer Feiertag ist—mir ist immer nur gegenwärtig gewesen, daß es der Geburtstag meiner Mutter war. Im übrigen darf ich sagen, einer ganz ausgezeichneten Frau. Daher der 6. Oktober. Wir werden uns am 6. Oktober nicht sehen. Und so habe ich den Vorzug, Sie vorher und heute hier in meinem Hause zu begrüßen, und ich darf bei dieser Gelegenheit ein paar persönliche Bemerkungen machen, f ü r die vielleicht im großen Rahmen auch nicht der richtige Platz wäre. Ich will sehr behutsam sein u n d bekennen, daß meine Worte überhaupt nicht ausreichen können, um d e m großen und schrecklichen T h e m a überhaupt gerecht zu werden. Ich werde daran auch vorbeigehen, denn f ü r mich gibt es keine Wiedergutmachung, f ü r mich gibt es kein Vergessen. Und das, was wir Verge37

Austausch in Kunst und Wissenschaft bung nennen, gehört einem göttlichen Bereich an, zu dem wir Menschen wohl nicht viel beitragen können. Es gehört das wohl in den Bereich der Gnade. Aber ich möchte doch in diesen für uns bedeutungsvollen T a g e n der Wiedererrichtung eines Verlagshauses in Berlin auch so etwas wie ein Bekenntnis abgeben. Ich möchte als Deutscher sagen, der sich so sehr bemüht, die gegenwärtige Not des geteilten Landes zu überwinden, daß mir nie das Wissen um die Kausalität abhanden gekommen ist. Ich weiß, daß wir es uns selbst zuzuschreiben haben, wenn wir heute vor dem politisch zertrümmerten Deutschland stehen. Erschrecken Sie nicht, wenn ich sage, wir uns zuzuschreiben haben. Vielleicht ist der Mann, der vor Ihnen steht und spricht, nicht ein besonders schuldiger Deutscher. Aber ich bevorzuge diese Formulierung ,wir' für uns Deutsche. Denn wer einen neuen Staat übernimmt, muß ihn j a nicht nur mit den Aktiven übernehmen, sondern ebenso mit den Passiven. Ein Mann wie Willy Brandt hat nach meiner Auffassung die schreckliche Zeit in der völlig richtigen Haltung durchstanden, indem er den Krieg nicht als eine Auseinandersetzung zwischen den Mächten, sondern als einen internationalen Bürgerkrieg angesehen hat, bei dem er auf der richtigen Seite stand. Und wir können nur wir sagen. Wir, die neuen, müssen die Kastanien aus dem Feuer holen und können dabei gar keine großen Unterschiede machen wie groß die Schuld des einen oder des anderen gewesen sein mag. Das ist mein festes Bekenntnis, das ich besonders in Ihrer Gegenwart einmal aussprechen wollte. A m 6. Oktober wird dieses Haus eingeweiht. Und ich bin — lieber Heinz Ullstein, wenn ich es so ausdrücken darf—ja ein wenig praktischer und ideeller Erbe des Ullsteinhauses. Wenn wir den Blick zurückwerfen und wissen, daß hier einmal die Grundlagen der weltweiten brillanten deutschen Presse gelegt wurden, und wenn wir die Geister rufen und unter ihnen so viele jüdische Mitbürger finden, dann gibt es in einem Augenblick der Eröffnung dieses Hauses wohl eine besondere Art der Wiedergutmachung - in diesem Sinn bitte ich Sie, auch diese vielleicht ausdrucksvolle Geste in Richtung auf einen Staat zu verstehen, dem die ganzen Sympathien dieses Hauses gehören müssen. U n d noch ein anderes: Man kennt mich draußen als den Mann, der, für viele manchmal etwas zu drängend, a u f die Lösung der deutschen Probleme hinsteuert. Ich wollte mit der Stiftung auch hier in Deutschland ein sichtbares Zeichen geben, daß eben dieser Mann, der so drängt, sehr genau um die Vergangenheit weiß, ihre Konsequenzen und heutigen Auswirkungen kennt, und damit sagen will, daß die Leute, die drängen, die Vergangenheit auch in keinem Augenblick vergessen haben. Das war der eigentliche geistige Anlaß für mich, in Israel jetzt aktiv zu werden, wenn ich es so beschreiben darf. H e r r Botschafter Ben-Natan, Sie hatten die große Freundlichkeit, mich nach Israel einzuladen. Ich sagte Ihnen damals schon, daß ich schon vielfach Gelegenheit hatte, dankbar zu sein für Einladungen aus Ihrem Lande. Ich habe sie aber immer aus zwei Gründen etwas vor mir hergeschoben. Einmal, weil ich dachte, es wäre noch etwas zu früh, und zweitens eigentlich mehr aus der Kenntnis meiner selbst. Denn ich wußte, wenn ich diesen Staat Israel besuchen würde, den schon so

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6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel viele meiner Freunde gesehen und von dem sie soviel Begeisterndes berichtet hatten, daß ich mich engagieren würde. Ich würde nicht wie ein Tourist dieses Land besuchen. Mein Haus mußte soweit sein, sich auch materiell engagieren zu können. Dann bin ich Ende Juni des Jahres zu einem sehr kurzen Besuch in Israel gewesen, um Ihr Museum zu sehen, und ich bin froh u n d dankbar, daß ich diese Blitzreise gemacht habe u n d freue mich auf einen neuerlichen und längeren Aufenthalt in Ihrem schönen und interessanten Lande. Nochmals darf ich abschließend betonen, eine wie große Genugtuung es mir gewesen ist, Sie als erste offizielle Gäste in meinem neuen Haus in der Kochstraße empfangen zu können." Der Israelische Botschafter Asher Ben Natan antwortete bei dieser Zusammenkunft in Berlin mit folgenden Worten: „Sehr verehrter Herr Springer, meine Herren, darf ich einige Worte hinzufügen. Seit ich in der Bundesrepublik bin, hat es viele Augenblicke, ich würde sagen verschiedener Gefühle, verschiedener Farben, gegeben. Sehr erfreuliche, manchmal vielleicht auch weniger erfreuliche — das war etwas, das ich wußte und das auch nicht zu verhindern war. Ich bin heute zum dritten Male in Berlin. Zum ersten Male, als ich den offiziellen Besuch bei der Stadt und beim Bürgermeister abstattete. Schon mit diesem ersten Besuch in Berlin fand ich hier Kontakte, fand ich Gespräche, ein gegenseitiges Verständnis, das mich sehr angesprochen hat. Mein zweiter Besuch hier war an dem Tage der G r ü n d u n g der deutsch-israelischen Gesellschaft in Berlin, wo ich wußte, daß ich mich unter wahren Freunden befand. Und heute, der dritte Besuch in Berlin, ist in dieser Reihe der, der f ü r mich eine besondere Bedeutung hat. Als ich Sie damals in Hamburg sprach, Herr Springer, fand ich, daß das eines meiner guten, meiner besten Gespräche war, die ich in Deutschland geführt habe. Und ich fand es schon damals, daß eine Brücke geschlagen wurde. Damals dachte ich gar nicht, daß diese Brücke solche großartigen Ergebnisse haben könnte. Trotzdem muß ich Ihnen etwas Persönliches gestehen. Als ich erfuhr, daß Sie nach Israel fahren und daß Sie sich das ansehen wollen und daß Sie eventuell etwas machen wollten, hatte ich den Verdacht, daß nachdem Sie alles gesehen haben, Sie sich f ü r Jerusalem entschließen werden. Die Parallelität von Jerusalem und Berlin — zweigeteilte Städte, wenn auch nicht aus denselben Gründen geteilt, aber zwei Städte, die ein geistiges Zentrum darstellen. Denn f ü r Sie ist heute Berlin noch das geistige Zentrum Deutschlands. Und noch etwas: Archäologie im allgemeinen ist ein Thema, das sich mit Kulturen beschäftigt, die eigentlich aus der Welt schon verschwunden sind, die noch Nachklänge haben, noch Einfluß auf Kulturen späterer Zeit. Archäologie in Israel aber ist lebende Geschichte. Lebende Geschichte nicht n u r des jüdischen Volkes, sondern lebende Geschichte eigentlich des ganzen Abendlandes überhaupt. Was von da kam, hat vieles beeinflußt, was von da kam, hat die geistigen Grundlagen gelegt f ü r die geistige Welt des Abendlandes. Wenn es auch in seinen prakti39

Austausch in Kunst und Wissenschaft sehen Formen, in seinen Auswirkungen manchmal Irrwege gegeben hat, wenn auch manchesmal unser Volk in diesen 2 0 0 0 J a h r e n d a r u n t e r leiden mußte —das ä n d e r t nicht die Tatsache, daß diese geistigen Werte, die hier geborgen worden sind, h e u t e noch bestehen u n d heute noch unser gemeinsames Kulturgut darstellen. U n d d a d u r c h bekommt I h r e Stiftung diese zusätzliche Bedeutung, diesen zusätzlichen Wert. Ich w ü r d e diesen Punkt herausstellen u n d unterstreichen, nicht n u r das, was Sie noch haben, das Problem der unbewältigten Vergangenheit — ich sehe in diesem Werk, in dieser Stiftung eine Brücke, eine geistige Brücke, die Sie geschlagen haben, d e r e n Wert von größter B e d e u t u n g ist, vielleicht von größerer Bedeutung, als wir es heute a n n e h m e n können. Es gibt in d e n Bezieh u n g e n zwischen unseren beiden Völkern, die belastet bleiben werden, das ist keine Frage, Katalysatoren. Es gibt manchesmal Katalysatoren, die sich negativ auswirken, und es gibt Katalysatoren, die sich positiv auswirken. Dieses I h r Werk ist einer d e r Katalysatoren, d e r e n positive Wirkung auf lange Zeit bemerkbar sein und erlebt werden wird. Es tut mir leid, d a ß wir am 6. Oktober nicht hier sein können. Es f r e u t mich, daß wir die Gelegenheit haben, in diesem kleinen intimen Kreise, in diesem wunderschönen Gebäude, das von Kultur spricht, diese kleine Feier mit Ihnen, H e r r Springer, zu begehen. U n d beim Ausblick auf diese geteilte Stadt h o f f e n wir mit I h n e n , d a ß eines Tages auch hier die Brücken u n d die Wege geschaffen werden, u m diese Stadt wieder zu einer Stadt zu machen. N u n , Sie haben von d e m Echo gehört, das Ihre Stiftung in Israel gehabt hat. Heute ist schon eines klar. Das Auditorium in Jerusalem ist das Springer-Auditorium. Als solches ist es h e u t e schon in Israel bekannt. Als solches ist es heute schon weltbekannt. Ich weiß nicht, ob das die Absicht der Kritiker war, aber das gute Resultat ist erreicht. Für mich war es eigentlich eine besondere Freude, die Reaktionen in Israel zu sehen von weiten Kreisen, die im allgemeinen sich reserviert verhalten, weil alle diesem Fall zugestimmt haben u n d weil alle das gesagt haben, was Dr. Adenauer in Israel gesagt hat, und zwar, daß guter Wille anerkannt werden müsse, wenn Gutes d a r a u s entstehen solle. Das ist heute in Israel anerkannt. Das hat man jetzt verstanden, das ist in das Bewußtsein d e r öffentlichen Meinung tief eingedrungen u n d das wird seine Resultate haben. Dieses große Werk, das Sie in Jerusalem tun, wird dazu sehr viel beitragen. Es f r e u t mich, d a ß wir heute d e n stellvertretenden Bürgermeister von Jerusalem hier bei uns haben u n d ich finde auch in diesem Besuch ein Symbol, eine symbolische Wichtigkeit. Wir werden j a die Gelegenheit haben, diesen Besuch u n d die Zeremonie zu einem späteren Zeitpunkt bekanntzumachen, damit dieser h e u t e hier stattfindende Akt der breiten Öffentlichkeit bekannt wird. H e r r Springer, wir f r e u e n uns schon auf Ihren nächsten Besuch in Israel. Wir hoffen, daß Sie bei dieser Gelegenheit dasselbe sagen k ö n n e n u n d weitere Kontakte d o r t finden werden. Es gibt viele H e r r e n , die sich auf I h r e n Besuch f r e u e n , f r e u e n auf das Gespräch mit Ihnen. Wir h o f f e n , d a ß das die Grundlage sein wird f ü r weitere beste persönliche Kontakte mit I h n e n und I h r e m Hause."

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6.2 Eine Rede Axel Springers im Leo-B aeck-Institut in Jerusalem Es war im F r ü h j a h r 1967, als ich ihn bei einem Gespräch in seinem Verlagshaus kennenlernte. Axel Springer erzählte lebendig von seinen ersten Kontakten in Israel, war begeistert ü b e r den Aufstieg dieses Landes. Er berichtete davon, daß er bereits etliche Projekte im Kopf habe, die er f ü r d e n Staat verwirklichen wolle. Es mochte schnoddrig geklungen haben, als ich plötzlich dazwischenfragte: „Herr Springer, warum machen Sie das? Sie haben doch keine .Leiche' im Keller?" Axel Springer schaute mich etwas entgeistert an. Dann kam seine Antwort: „Junger Freund, wenn Sie so denken, werden Sie mich nicht verstehen. Was wir Deutschen f ü r Israel tun, ist eine Gnade f ü r uns Deutsche." Ich war betroffen, in dieser S e k u n d e wurde mir meine Frechheit klar, so über ihn hinwegzugehen. Über den Mann, d e r den seltenen Mut hatte, sein Herz zu ö f f n e n , bei einem Menschen, d e n er hier zum ersten Mal sah. Man kann ihn in diesem Buch n u r schildern, wenn man seine zahlreichen Äußerungen zum Thema Israel u n d gleichzeitig zum T h e m a Jerusalem wiedergibt, d e n n sie spiegeln m e h r als j e d e r Kommentar seine Gedanken, die von d e r Gnade f ü r uns Deutsche künden. Das Leo-Baeck-Institut in New York wurde a m 27. April 1967 zur Stätte, in d e r Axel Springer eine weitere bedeutsame Rede hielt, in der e r nicht n u r der Greuel deutscher Menschen an d e n J u d e n gedachte, sondern auch das heutige Israel nicht aus d e m Auge verlor. Bei dieser Ansprache sagte Axel Springer: „Ich bin bewegt ü b e r die freundliche A u f n a h m e , die ich bei I h n e n finde. U m es gleich vorweg zu sagen, ich e m p f i n d e es als Auszeichnung, heute bei I h n e n sein zu können, u n d ich danke Ihnen d a f ü r . Dem Leo-Baeck-Institut bin ich aus der E n t f e r n u n g seit langer Zeit v e r b u n d e n d u r c h seine Publikationen. I m m e r habe ich die Veröffentlichungen dieses Instituts mit Interesse gelesen. Aber, u m auch das gleich am A n f a n g zu sagen, i m m e r mit Erschütterung. U n d wenn ich heute zum ersten Mal durch dieses Haus gegangen bin, dann war ich auf d e r einen Seite überwältigt, bewundernd überwältigt, u n d auf d e r and e r e n Seite vom Schmerz gepackt. Das Unverständliche will ich hier nicht zu deuten versuchen, aber das, was f ü r mein Land von jüdischen Menschen getan word e n ist, das wird m e h r als augenfällig, wenn man d u r c h dieses Haus geht. Es ist u m so unverständlicher, daß es auf so brutale, auf so teuflische Art zurückgewiesen worden ist. Leo Baeck, das verehrungswürdige H a u p t d e r Berliner J u d e n , h a t damals wohl gleich im Anschluß an Theresienstadt einmal gesagt: ,Für uns J u d e n ist eine Geschichtsepoche zu Ende gegangen. Eine solche geht zu Ende, wenn i m m e r eine H o f f n u n g , ein Glaube, eine Zuversicht endgültig zu Grabe getragen werden muß. Unser Glaube war es, daß deutscher u n d jüdischer Geist auf deutschem Bod e n sich treffen u n d durch ihre V e r m ä h l u n g zum Segen werden könnten. Dies war eine Illusion. Die Epoche d e r J u d e n in Deutschland ist ein f ü r allemal vorbei.' 41

Austausch in Kunst und Wissenschaft Das kann ich nur mit Erschütterung lesen. Bei allem Respekt vor dieser Aussage bäumt sich etwas in mir auf. Ich gebe den Wunsch nicht preis, daß doch irgendwelche Verbindungen wieder geknüpft werden können, u m das fruchtbar zu machen, was uns einmal in so überwältigendem Reichtum geschenkt worden ist. Sie werden es nicht für eine Phrase halten, wenn ich Ihnen sage, daß es auch mir schwerfällt, heute vor Ihnen als Deutscher zu stehen; als ein Mann, der zudem ein Wort von Walther Rathenau ganz a u f g e n o m m e n hat: ,Land, mein Land, du meine Liebe' — das Wort dieses Mannes, der dann wegen seiner Liebe zu Deutschland sterben mußte. Vielleicht verstehen Sie nicht ganz, wieso ich so zu meinem Land stehe. Vielleicht ist es hier der Augenblick zu erklären, was einige von uns in Deutschland oder doch eine große Zahl von uns heute unter Vaterlandsliebe, unter Liebe zu unserem jetzigen Land verstehen. Das ist nicht nur ein anspruchsvolles Bekenntnis zu Rechten, die uns vermeintlich zustehen; das ist auch das Bekenntnis zur Verantwortung der Vergangenheit gegenüber. Ich habe keine Sympathien f ü r jene in meinem Land, die übergangslos gleich in höhere Föderationen hineingehen wollen, ohne erst einmal zu sich selbst zu kommen u n d ohne sich immer wieder der Vergangenheit zu stellen. Ich halte es mit denen, die nicht nur die Frage stellen, wie groß ihre persönliche Schuld sein mag, sondern die ganz einfach sagen: Die neue Führungsschicht in Deutschland hat diese .Firma Deutschland' nicht nur mit d e n Aktiven, sondern auch mit den Passiven übernommen, und f ü r sie haben wir geradezustehen. Das ist wohl auch die Haltung gewesen, die der verstorbene Konrad Adenauer immer eingenommen hat. Er hat mich ausgezeichnet, insbesondere in den letzten eineinhalb Jahren seines Lebens mit mir oft über Deutschland zu sprechen. Immer wieder galt das Gespräch einem T h e m a : dem Verhältnis der Deutschen zu denJuden. Konrad Adenauer war einer, der die Vaterlandsliebe hatte, die ich meine: die nüchterne Vaterlandsliebe. Er ging nicht so weit wie General de Gaulle, von d e m eine Anekdote erzählt, daß ihm einmal j e m a n d gesagt habe:,General, ich bewundere Sie, d a ß Sie die Franzosen so lieben!' Worauf dieser sich überrascht umdrehte und sagte: ,Die Franzosen? Ich liebe Frankreich.' Sicherlich hat Adenauer es nicht in dieser entschiedenen Form e m p f u n d e n . Daß er die Deutschen insgesamt geliebt hätte — nein, das wäre ihm aus seiner Vergangenheit nicht möglich gewesen. Aber die Idee des neuen Deutschland, die hat er geliebt, und zusammen mit der jüngeren Generation wollte er immer wieder das Verhältnis zu den Juden verbessern. Sie wissen auch von seinen Bemühungen u m den Kristallisationspunkt der Judenheit, das Land Israel, von seinen Bemühungen, dort alles zu tun, was überhaupt möglich ist. In dieser Stunde möchte ich auch sagen, daß ich mich gerade in den letzten Jahren besonders zu den Fragen unserer Beziehungen zum J u d e n t u m deutlich geäußert habe, weil ich befürchtete, daß nach zwanzig Jahren — so menschlich das 42

6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel sein mag — etwas in Vergessenheit geraten könnte, was auch um unserer selbst willen nicht in Vergessenheit geraten darf, um der Erlösung des deutschen Volkes willen. So stehe ich vor Ihnen und danke Ihnen, daß Sie mich freundlich aufgenommen haben."

6.3 Stiftung des Ottilie-Springer-Lehrstuhls in Waltham Am 9. April 1968 stiftete Axel Springer der Brandeis-Universität in Waltham bei Boston in Massachusetts, der einzigen von der jüdischen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten geschaffenen, für die Allgemeinheit bestimmten Universität den „Ottilie-Springer-Lehrstuhl" für westeuropäische Zeitgeschichte. 1948, im gleichen J a h r wie der Staat Israel gegründet, gehört diese Universität jetzt zu den angesehensten akademischen Institutionen des Landes. Auf einem Festakt der Universität hielt der Stifter folgende Rede: „Diesem Augenblick habe ich mit einer Mischung von Hoffnung und Demut entgegengesehen. Als vor einiger Zeit die Verabredung für diesen Festakt getroffen wurde, schien es sich lediglich um einen Termin zu handeln, der der Universität wie mir gelegen war. Und nun findet diese Feierstunde in einem Augenblick statt, in dem Sie, in dem alle meine amerikanischen Freunde zutiefst betroffen sind, im Augenblick eines plötzlich hereingebrochenen Notstandes. Als ich am letzten Freitagmorgen in meinem Berliner Haus die Nachricht von der Ermordung Dr. Martin Luther Kings hörte, oder richtiger, als ich von der Nachricht von diesem irrsinnigen Mord schockiert wurde, war mein erster Gedanke, zu empfehlen, diese Feierstunde abzusagen. Aber bei längerem Nachdenken fand ich, daß das, was wir heute hier bewerkstelligen, in einem tieferen Sinn den Zielen Martin Luther Kings entspricht und dem, was nun sein auf uns gekommenes Erbe ist. Mit einem Telefongespräch über den Alantik konnte ich mich bei Präsident Dr. Abram Sachar vergewissern, daß er diese Auffassung teilte. Auf diese Weise hat unsere heutige Begegnung eine zusätzliche Bedeutung erlangt. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß die Erschütterung über diesen Mord in unserem Land nicht geringer war als in dem Ihren: daß in Deutschland Trauer und tiefes Mitgefühl herrschen angesichts der heftigen und schrecklichen Reaktion, die diese sinnlose Tat in vielen Städten der Vereinigten Staaten heraufbeschworen hat; und schließlich, daß sich in Deutschland ein echtes Gefühl des Sympathie dem amerikanischen Volk aller Rassen und Bekenntnisse in diesen Tagen zuwendet. Glauben Sie mir, diejenigen von uns, die in Deutschland geblieben waren und

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Austausch in Kunst und Wissenschaft gesehen hatten, was geschah, und die es entsetzte, waren glücklich, daß es Länder wie die Vereinigten Staaten gab. Auch heute, fast ein Drittel Jahrhundert später, ist das nicht vergessen. Ich empfinde persönliche Dankbarkeit, weil ich, ein Deutscher, der nicht jüdischen Glaubens ist, Ihnen f ü r diese Gastfreundschaft danken darf, die so vielen meiner früheren jüdischen Landsleute das Leben gerettet hat. Besonders dankbar bin ich dafür, daß ich das an dieser großen Universität sagen darf. Warum gerade jetzt? lautet eine andere Frage, die mir gelegentlich gestellt wird. Fast 25 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen. Eine neue Generation ist herangewachsen, neue Probleme sind entstanden — hier und überall. Ganz gewiß will ich nicht alte Wunden aufreißen. Aber es gibt Wunden, die niemals heilen, die schmerzen — 25, 30 und 40 Jahre danach. Diejenigen, die Wunden davongetragen haben, werden nie vergessen. Ob sie vergeben können, ist eine persönliche Entscheidung. Und Vergebung im höheren Sinn kann ohnehin nur in einem anderen Bereich gewährt und empfangen werden. Aber unabhängig davon sind viele von denen, die heute in Deutschland an verantwortlicher Stelle stehen, mit mir der Auffassung, daß die Zeit f ü r uns Deutsche gekommen ist, mehr als bisher zu tun. Ich denke, es war ein Glücksfall für Deutschland, f ü r den demokratischen Teil Deutschlands, daß wir in diesen Monaten und Jahren, in denen Israel ökonomischer und moralischer Hilfe bedurfte, in der Lage und bereit waren zu helfen. Im tiefsten Herzen bin ich mir bewußt, daß es die historische Pflicht der Deutschen ist, den Juden in Israel zu helfen. Einer der Gründe, gewiß nicht der einzige dafür ist, daß die Schaffung des Staates Israel durch das Unaussprechliche beschleunigt worden ist, das Deutsche unter dem nationalsozialistischen Regime den J u d e n in ganz Europa angetan haben. Ich bin glücklich, Ihnen berichten zu können, daß eine pro-israelische Politik heute in Deutschland eine sehr populäre Politik ist. Als meine Zeitungen während des Sechs-Tage-Krieges fast wie israelische Zeitungen — allerdings in deutscher Sprache - aussahen, gab es nicht n u r keinen Widerspruch, sondern eine enthusiastische Zustimmung der Leser. Gelegentlich werde ich von politischen Gegnern oder geschäftlichen Konkurrenten des Monopolismus beschuldigt. Einfachheitshalber vergessen sie, daß in unseren Tagen der elektronischen Kommunikation, wo es in jedem Haushalt Rundfunk und Fernsehen gibt, kein Zeitungsverleger ein Informationsmonopol besitzen kann, wie groß die Auflage seiner Zeitungen auch immer sein mag. Aber ich muß gestehen: In den Tagen des Krieges, den Israel im letzten J a h r führen mußte, hätte ich gern ein solches Monopol besessen. Wobei ich allerdings mit Freude einräume, daß, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, unsere Konkurrenzblätter, ebenso wie die Rundfunk- und Fernsehstationen in der Bundesrepublik, Israel genauso vorbehaltlos unterstützten wie meine eigenen Zeitungen. Die Idee der wirtschaftlichen Wiedergutmachung an den Opfern des Natio44

6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel nalsozialismus habe ich von Anfang an von ganzem Herzen befürwortet. So haben es auch alle meine Zeitungen gehalten. Mir wie allen anderen. Zum unmittelbaren Anlaß unserer Begegnung lassen Sie mich sagen: ich bin dankbar dafür, daß mir erlaubt worden ist, einen Lehrstuhl zu stiften, hier an der Brandeis-Universität — an dieser Universität, die von amerikanischen J u d e n als eine lebendige Huldigung an die besten Traditionen, an den freien Geist Amerikas errichtet worden ist. Ich bin stolz darauf, im zwanzigsten J a h r des Bestehens dieser Universität bei Ihnen sein zu können — und gewiß nicht rein zufällig auch im zwanzigsten Lebensjahr des Staates Israel. Seit wir miteinander in Verbindung stehen, habe ich die Reden und Schriften von Bundesrichter Brandeis und die Veröffentlichungen dieser Universität gelesen. Lassen Sie mich Sie zu Ihren Errungenschaften beglückwünschen: in zwanzig Jahren aus dem Nichts zu hoher Bedeutung gelangt —wenige Institutionen in der Welt können sich damit messen. Beim Studium Ihrer Veröffentlichung bin ich auch auf Ihre Broschüre .Drei Kapellen' gestoßen. Darf ich, selbst in diesen Tagen großer Schwierigkeiten und Nöte f ü r die Vereinigten Staaten, sagen: Glückliches Amerika! Sie mögen fragen: Warum ist Axel Springer hier? Warum stiftet dieser deutsche Verleger einen Lehrstuhl an dieser Universität, welche die amerikanischen J u d e n für das amerikanische Volk errichtet haben? Ehe ich versuche, Ihnen darauf eine Antwort zu geben, möchte ich mich Ihnen vorstellen. Ich weiß, daß viele Geschichten über mich auch in Ihrem Lande veröffentlicht worden sind. Ein Reporter, von dem eine dieser Stories stammt, hat gefragt: ,What makes Axel Springer tick?' (Was treibt Axel Springer an?) Unglücklicherweise fand er es trotz stundenlanger Gespräche nicht heraus. Lassen Sie mich deshalb versuchen zu erklären, was meiner Meinung nach Axel Springer antreibt. Meine Berufung ist die des Journalisten, mein Beruf der des Verlegers. In meinem Beruf habe ich Glück u n d Erfolg gehabt. Aber die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften war f ü r mich niemals ein Selbstzweck u n d gewiß nicht das Ziel aller meiner Wünsche. Ich bin am Geschick meines Volkes, des deutschen Volkes, lebhaft interessiert oder richtiger: ich bin in dieses Geschick tief einbezogen. Ich bin ein Repräsentant der Generation von Deutschen, die die Weimarer Republik erlebt hat und die bösen Tage der Hitler-Zeit, die nun das gegenwärtige geteilte Deutschland erlebt. Ich bin ein Repräsentant der großen Mehrheit in meinem Land, die nicht gewillt sind, die Vergangenheit abzuschreiben, sondern die, wie jejler ehrliche Kaufmann, bereit sind, neben den Posten auf der Aktivseite auch die auf der Passivseite der Geschichte ihres Landes zu übernehmen. Und nun zu den Gründen meines Hierseins: Die Vereinigten Staaten sind, solange sie bestehen, ein sicherer Hafen f ü r die gefährdeten Menschen aus aller Welt gewesen. Als sich vor mehr als einem Jahrh u n d e r t die Eltern von Bundesrichter Brandeis in Europa nicht länger sicher 45

Austausch in Kunst und Wissenschaft fühlten, kamen sie hierher. Als Hitler d e n J u d e n in Deutschland das Leben unmöglich machte, f a n d e n viele von ihnen eine n e u e Existenz, eine n e u e Heimat, ein neues Vaterland in d e n Vereinigten Staaten." Es ist klar, d a ß keinerlei Wiedergutmachung das Geschehene kompensieren kann. Wie sollte es eine Kompensierung menschlichen Lebens geben? Aber ich bin überzeugt, daß wir nur, wenn wir uns des Geschehenen bewußt bleiben, eine bessere Z u k u n f t h e r a u f f ü h r e n können. Damit meine ich eine Zukunft, in d e r eines Tages das jüdische u n d das deutsche Volk wieder ausgesöhnt sein mögen. Diese Überzeugung ist ganz fest. Sie r u h t auf meinem Glauben, d a ß die Aussöhn u n g unsere Aufgabe ist, die Aufgabe meiner Generation. Wir k ö n n e n sie nicht unseren K i n d e r n überlassen, die unschuldig an d e m sind, was sich vor ihrer Geburt ereignete. Ich kann n u r wiederholen: Wir, die wir die Hitler-Zeit durchlebt haben, müssen die Rechnung begleichen, so gut es Gott uns erlaubt. Was treibt Springer an? So lautete die Frage. Lassen Sie mich eine a n d e r e darauf bezogene Frage stellen u n d beantworten: Auf welche H a n d l u n g e n in d e n jüngsten J a h r e n meines Lebens bin ich a m stolzesten, oder besser, f ü r welche bin ich a m dankbarsten? A n erster Stelle steht die Möglichkeit, auf eine Aussöhnung von J u d e n u n d Deutschen hinzuwirken. U n d ich lasse kaum eine Gelegenheit vorübergehen, diesen Gedanken auszudrücken. Als ich, u m n u r ein Beispiel zu n e n n e n , d a r ü b e r in einer in d e r ganzen Bundesrepublik ausgestrahlten Fernsehsendung sprach, war die in Briefen u n d Telegrammen ausgedrückte Reaktion d e r Fernseh-Zuschauer e n o r m u n d nahezu ausschließlich positiv. Es folgt mein Engagement in Berlin — d e r Bevölkerung d e r geteilten Stadt zu helfen im Widerstand gegen d e n Druck des sie u m g e b e n d e n kommunistischen Machtbereichs. Dieser Widerstand gegen d e n Kommunismus ist f ü r mich die Fortsetzung des Kampfes gegen den Nationalsozialismus. Ich unterstütze zudem o h n e Zögern alle Schritte zur friedlichen Wiedervereinigung meines Landes. Ich tue das nicht u m eines ü b e r k o m m e n e n Nationalismus willen, sondern weil ich glaube, daß wir Deutsche, die wir schon einmal unsere Augen vor d e m an unserenMitbürgern begangenen Unrecht — damals waren es die jüdischen Mitbürger — verschlossen, uns nicht noch einmal schuldig machen d ü r f e n , unsere Augen zu verschließen vor n e u e m Unrecht, vor neuer Sklaverei, dieses Mal u n t e r einem a n d e r e n politischen Vorzeichen. Wir haben uns hier versammelt, um den Lehrstuhl f ü r westeuropäische Zeitgeschichte zu g r ü n d e n . Er wird nach meiner geliebten Mutter benannt sein. Worte vermögen meine Bewegung in diesem Augenblick nicht auszudrücken. I n diesem Geist bitte ich Sie, meinen Beitrag zur Brandeis-Universität entgegenzunehmen als den Beitrag eines deutschen Bürgers f ü r eine bessere Zeit in unser aller Leben; als Symbol eines neuen Geistes in Deutschland; als leidenschaftliches Bekenntnis zu d e n ewigen Werten. 46

6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel In diesem Geist bitte ich Sie, den Ottilie Springer-Lehrstuhl für westeuropäische Zeitgeschichte an der Brandeis-Universität entgegenzunehmen.

6.4 Die Einweihung der Bibliothek des Israel-Museums Es dauerte bis zum März 1969, bis sich das erste Projekt Axel Springers in Israel verwirklichte, der Bau des Bibliotheksgebäudes im Israel-Museum in Jerusalem. An diesem 24. März 1969 wurde dieses Gebäude eröffnet. Der aus Wien stammende Bürgermeister der Stadt, Teddy Kollek, überreichte Axel Springer eine Schriftrolle mit folgendem Text: „Dank an Axel Springer. Als wir allein standen in dunklen Tagen, kam Axel Springer zu uns. Er ist ein wahrer Freund Israels. Beweise dafür sind sein nimmermüdes Auftreten in der Öffentlichkeit und seine großzügigen Schenkungen. Er ist einer der Großen in seinem Fach, ausgestattet mit Vision, Mut, Gewissen und einem Gefühl für historische Gerechtigkeit. Zwar liegt die tragische, grausame Vergangenheit noch schwer auf unserer Generation, aber Axel Springer wirkt dem entgegen durch seine Hilfsbereitschaft und durch seine Freundschaft. In einer Zeit, in der Gerechtigkeit und das Lebensrecht der einzelnen und der kleinen Nationen immer mehr eingeengt werden, hat Axel Springer es auf sich genommen, die Entwicklung Israels und vor allem Jerusalems durch öffentliches Auftreten und durch eigenes Tun zu fördern. Auch das Israel-Museum in Jerusalem, vor allem dessen Bibliothek für Kunst und Archäologie, ist Empfänger dieser tatkräftigen Hilfe. Hinter diesem Bemühen Axel Springers stehen die Hoffnung, die Vergangenheit zu überwinden, und der Wunsch, daran mitzuwirken, Würde und Lebensstandard der Menschen zu erhöhen und eine Welt des Anstandes und der Brüderlichkeit zu schaffen, die frei ist von Unterdrückung, Verfolgung und Haß. Genau das waren die Ideale, die den Traum Israel und Jerusalem durch die Jahrtausende wirksam bleiben ließen. Gegeben in Freundschaft und Dankbarkeit im Israel-Museum, Jerusalem, am 24. März 1969 Teddy Kollek" Bei dieser Eröffnungsfeier hielt Axel Springer eine Rede, die ihn als „Freund Israels" deutlich erkennen ließ: „Daß ich heute hier in Jerusalem, in diesem schönen Raum zu Ihnen sprechen kann, bewegt mich tief. Besonders berührt hat mich die Schriftrolle, die Sie, lieber und verehrter Herr Teddy Kollek, mir überreicht haben. Einmal, weil ich weiß, welch tiefe, uralte Symbolik gerade in diesem Land in einer solch pergamentenen 47

Austausch in Kunst und Wissenschaft Rolle liegt. Aber zum anderen auch, weil Sie mich darin einen .Freund Israels' nennen. Ich könnte mir keinen schöneren Titel, keine größere Ehrung wünschen. Wir sind heute zum ersten Mal in diesem Gebäude versammelt. Dafür, daß es so schön und so praktisch geworden ist, daß es sich so harmonisch in den ganzen Komplex des Israel-Museums, j a in die ganze Gegend einfügt, kann ich nun wirklich nichts. Wenn ich deshalb jetzt von Dank spreche, so gilt der besonders auch dem Architekten AlMansfeld, der j a das ganze Museum entworfen und errichtet hat. Sein Auftrag war, wenn ich es richtig verstanden habe, ein Museum zu bauen, das nicht in erster Linie als Aufbewahrungsort alter, traditioneller und unersetzlicher Kostbarkeiten dienen sollte. Er sollte vielmehr eine Anlage schaffen, die eine Brücke werden konnte zwischen dem Israel von vor Jahrtausenden und dem Israel von heute. Wer sieht, wie stark dieses Museum Teil des täglichen Lebens dieser Stadt geworden ist, wer besonders das laute, wache Tun im Jugendflügel erlebt, der weiß, wie weit das gelungen ist. Ich bin davon überzeugt, daß dieser neue Teil des Museums, die Bibliothek und das Auditorium, sofort einbezogen werden in dieses pulsierende Leben. Ich sagte eingangs, wie stolz, wie froh und dankbar ich bin, heute hier in Jerusalem vor Ihnen stehen und sprechen zu können, in dem Jerusalem, wo ich mich heute schon fast wie zu Hause fühle. Wie kam es eigentlich dazu? Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß meine Gedanken schon immer in Ihr Land wanderten, seit es zur Heimstätte für so viele meiner ehemaligen Landsleute wurde, die ohne diese Zuflucht wie Millionen anderer ein furchtbares Schicksal hätten erleiden müssen. Mit Achtung und Bewunderung verfolgte ich den Weg, den Sie gegangen sind. Scheu und Beklommenheit hielten mich, den Deutschen, allerdings lange davor zurück, Ihnen schon damals meine Zuneigung hier, in Ihrem Land zu zeigen. Oft habe ich zu Hause darüber gesprochen. Es war dann ein Freund aus frühen Kindheitstagen, der mir nach seiner eigenen Reise in Ihr Land sagte: ¿ixel, ich kenne seit Jahren Dein Interesse am Heiligen Land und weiß von Deinem Wunsch, irgendwann einmal ein Zeichen der Verbundenheit mit Israel geben zu können. Ich glaube', meinte mein Freund, der Bundestagsabgeordnete Erik Blumenfeld, eines Tages, ,die Zeit ist reif. Ich folgte seinem Rat und machte mich auf den Weg. Dieser erste Besuch, der mich in alle Teile des Landes brachte, wird mir Zeit meines Lebens unvergessen bleiben. Auf dieser Fahrt sah ich nicht nur, was Sie alle mit dem Fleiß Ihrer Hände und mit Ihrem so hellwachen Verstand an Wundern vollbracht haben. Ich sah auch öffentliche Gebäude und Institute mit Plaketten, die Namen von Menschen aus aller Welt trugen, Menschen, die dieses oder jenes Haus gebaut oder gestiftet hatten. Namen von Deutschen fand ich nicht darunter. Natürlich nicht. Wäre es nicht schön, auch mitbauen zu dürfen, fragte ich mich leise. Einen

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6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel Beitrag zu leisten am Aufbau, am Neubau einer Zukunft, die vielleicht die Vergangenheit überwinden könnte? Auf dieser Reise fand auch mein erster Besuch in Jerusalem statt, er begann im Amtszimmer des Bürgermeisters. Wir waren kaum angekommen, da führte uns Teddy Kollek hinauf auf die Zinne des Rathauses, und wir blickten hinunter auf die Mauer, die damals noch Jerusalem teilte. Und er sprach von d e r Einheit Jerusalems. Diese Vision in einer aussichtslos scheinenden Lage hat mich tief beeindruckt — vielleicht auch deshalb, weil ich ja gerade aus Berlin, dieser auch zweigeteilten Stadt gekommen war, wo ich mein Haus nicht irgendwohin, sondern direkt an die Mauer gebaut hatte. Bei diesem ersten, n u r auf Stunden bemessenen Besuch kristallisierte sich dann die Möglichkeit meiner Mitarbeit am Museum heraus. Glücklich, mithelfen zu können, flog ich nach Berlin zurück. Wenig später erreichte mich die Kunde, daß sich um diese Mithilfe eine Kontroverse zu entwickeln drohte. Es war nur zu verständlich, daß manche in diesem Land den Gedanken unerträglich fanden, einen wesentlichen Teil einer großen Kulturinstitution ganz offen mit Nennung seines Namens von einem Deutschen errichten zu lassen. O h n e lange zu überlegen, schickte ich ein Telegramm an Teddy Kollek, in dem ich sagte: .Mithelfen zu dürfen, jedoch nicht als Helfer genannt zu werden, war mein spontaner Wunsch, als ich das so schöne und bedeutende Israel-Museum in Ihrer Stadt sah. Bitte, sagen Sie das den Herren, die sich heute Sorgen machen, und daß die gewünschte Anonymität f ü r mich nichts Verletzendes hat'."

6.5

Verleihung der Ehrendoktorwürde der Bar-Ilan-Universität Springer

an Axel

In Anwesenheit des israelischen Staatspräsidenten, Professor Ephraim Katzir, wurde Axel Springer am 27. Juni 1974 die Ehrendoktorwürde eines Dr. phil. der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan verliehen. In der Urkunde, die Axel Springer überreicht wurde, heißt es: „Man achtet Sie als einen Mann der Gerechtigkeit, u n d Sie haben sich einen Ehrenplatz verdient in der tapferen neuen Welt, die Israel aufbauen will. Von Beruf sind Sie Verleger. Philosophisch gesehen sind Sie ein Mann, der die öffentliche Meinung beeinflußt, ein Architekt, der das Denken und den Geschmack formt. Aus Veranlagung lieben Sie die Welt und die Menschen, die in ihr wohnen. In Ihren Meinungen sind Sie ohne Furcht, sogar bereit, Ihr eigenes Land zurechtzuweisen und zu tadeln. Heldenhaft sind Sie in Ihrem Mut, auch unpopuläre Ansichten zu vertreten und f ü r sie zu kämpfen, wenn Sie von ihrer Gerechtigkeit überzeugt sind. Es ist leichter, die Mordopfer von gestern zu beklagen, als sich zu den Mordopfern von heute zu bekennen. Das haben Sie 49

Austausch in Kunst und Wissenschaft gesagt, u n d der Geist, der dahintersteckt, war die innere Antriebskraft, die Sie zwang, während des Yom-Kippur-Krieges zu Ihren Freunden in Israel zu kommen. Das jüdische Volk wird das lange nicht vergessen. So grüßen wir Sie als einen Freund Israels, als einen Freund Jerusalems, der Stadt Gottes, u n d von heute an auch als einen treuen Freund der Bar-Ilan-Universität." Axel Springer dankte mit nachstehender Ansprache. „Ich bin tiefbewegt und empfinde es als ein außerordentliches Privileg, daß mir, einem Deutschen, an diesem Nachmittag diese Ehrung zuteil wird. Dankbar und in aller Bescheidenheit nehme ich den Gradus honoris causa der Bar-Ilan-Universität an. Ich bin mir bewußt, daß diese E h r u n g fast dreißig J a h r e nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stattfindet, auf dessen grausamem und beispiellosem zweiten Schlachtfeld der Versuch unternommen wurde, die J u d e n in Europa auszurotten. Dafür muß mein Vaterland die Schuld tragen und die Verantwortung in Ewigkeit annehmen. In Ihrem Lande habe ich viele Zeichen der Freundschaft erhalten, die ich nie vergessen werde. An eines davon erinnere ich mich in diesem Augenblick besonders lebhaft. Ich denke an den Text einer Schriftrolle, die mir der Bürgermeister von Jerusalem bei der Einweihung der Bibliothek des Israel-Museums im März 1969 schenkte. Der Text beginnt — ich zitiere: ,Als wir allein standen in dunklen Tagen, kam Axel Springer zu uns. Er ist ein wahrer Freund Israels. Beweise d a f ü r sind sein nimmermüdes Auftreten in der Öffentlichkeit u n d seine großzügigen Schenkungen...' Und jetzt lese ich in einem Bulletin dieser Universität, das meine distinguierten Kollegen und mich als Empfänger des Gradus honoris causa verzeichnet (und ich zitiere wieder): .Freimütiger Verfechter der Sache Israels. Besuchte dieses Land während des Yom-Kippur-Krieges, um unserem Volk in seiner Stunde der Not beizustehen.' Dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen: Erstens, zuviel wird aus dem gemacht, was f ü r mich selbstverständlich ist. Und zweitens, hier in der Universität kommt der Name Gottes leicht über meine Lippen. Was f ü r ein Segen ist es doch, daß ich über J a h r e hinweg manches tun konnte, das mein Herz, das heißt, der Herrgott, mir befahl. Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine kleine Geschichte erzähle: Im vorigen J a h r war mein Sohn Axel Kriegskorrespondent und durchlebte schwierige Stunden auf den Golan-Höhen u n d am Suezkanal. Eines Tages lag er mit einigen israelischen Soldaten in einem Graben versteckt auf dem Westufer des Suezkanals, das ich einige Tage später auch besichtigte. Die jungen Männer begannen sich zu unterhalten, u n d bald kamen sie auf die unglaubliche Entscheidung der Bundesregierung, israelische Schiffe, die mit amerikanischen Waffen beladen waren, am Verlassen des deutschen Hafens Bremerhaven zu hindern. Die jungen Soldaten hielten mit ihrer Kritik nicht zurück. Aber d a n n sagte einer von ihnen, sehr leise: 50

6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel .Aber es gibt einen Deutschen, dem wir vertrauen können. Er hat in guten und in schlechten Zeiten gezeigt, daß er unser Freund ist.' Mein Sohn Axel fragte, wer dieser Mann sei, und mein Name wurde genannt. Und dann sagte er seinen Freunden, daß ich sein Vater bin. Ich erzähle diese Episode nicht aus Eitelkeit, noch will ich sie dramatisieren. Ich gestehe aber, daß ich glücklich war, daß von allen Menschen ausgerechnet mein Sohn auf diese Weise von den Früchten meiner Bemühungen hörte. Diese Bemühungen, die Ziele unserer Arbeit, haben auch in den vier Hauptgrundsätzen meines Unternehmens ihren Niederschlag gefunden, die für alle meine Zeitungen, alle meine Mitarbeiter verbindlich sind. Der hier gültige Grundsatz lautet: Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen. Das schließt ein: Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes. Aber der Hauptgrund, warum ich Ihnen die Episode mit meinem Sohn erzählte, ist folgender: so schmeichelhaft die Bemerkungen des jungen Soldaten über mich sind, er hat — glücklicherweise — ganz unrecht. Sehr viele Deutsche, die Mehrheit, denken wie ich. Es stimmt, daß die jetzige Bundesregierung, zu meinem großen Leid, sich in dieser Frage zurückhält. Oder lassen Sie es mich anders formulieren: Indem sie eine besondere Beziehung zum Staate Israel bestreitet, spielt meine Regierung keine positive Rolle, um die Haltung des deutschen Volkes zu beeinflussen. Ich spreche von der Verpflichtung, jeden zur Einsicht zu bringen, daß Gott auch nach dreißig Jahren eine Schuld von solcher Brutalität nicht tilgt. Gott hat uns Deutschen die Chance gegeben, vor der Geschichte zu bestehen, uns wieder zu bewähren. Und Gott gebietet uns, nie wieder die eine Sünde zu begehen, die nie vergeben wird. Die Sünde, die Gleichgültigkeit des Herzens heißt. Nach seiner Rückkehr nach Berlin an diesem Wochenende verspricht Ihr neuer Doktor der Philosophie honoris causa der Universität Bar-Ilan-, seine Arbeit für dieses Ziel fortzusetzen, solange Gott es ihm erlaubt. Möge Er Sie alle segnen, Ihre Universität und Ihr Heimatland.

6.6 Die Axel-Springer-Stiftung unterstützt den Bau eines Rehabilitationszentrums in Jerusalem „Hadassah ist dankbar für die Spenden von 26.927 Deutschen, die zum Bau dieser Behinderten-Klinik beigetragen haben. Die Spenden kamen über die AxelSpringer-Stiftung und die Jerusalem Foundation." Diese Inschrift steht in englischer Sprache auf der Stiftungsplakette im Haupteingang der Versehrten-Klinik. Sie gehört zum Hadassah-Hospital auf dem Skopus-Berg in Jerusalem. Nach einem Besuch in Israel während des Yom-Kippur-Krieges hatte Axel Springer in 51

Austausch in Kunst und Wissenschaft Deutschland über die „Axel-Springer-Stiftung" zu Spenden f ü r den Bau der Klinik aufgerufen. Zur E r ö f f n u n g des Rehabilitations-Zentrums am 15. Juni 1976 konnte Axel Springer nicht nach Jerusalem kommen. Deshalb wurde der Text seiner geplanten Ansprache an die Gäste der Einweihungsfeier verteilt. „Ich spreche heute zu Ihnen nicht so sehr als Axel Springer, sondern vielmehr als Vertreter von 26.000 Landsleuten. Lassen Sie mich erzählen, wie es geschah. Wie ich es schon im Sechs-Tage-Krieg getan hatte, kam ich auch während des Jom-Kippur-Krieges nach Israel, noch ehe sich der Pulverdampf von den Schlachtfeldern verzogen hatte. Mit Ausnahme der israelischen Fluggesellschaft EL-AL, die Reservisten nach Israel brachte, u m die Armee zu verstärken, flog keine einzige ausländische Fluggesellschaft nach Lod. Unglücklicherweise kam ich als Reservist nicht in Frage. Deshalb nahm ich mein eigenes Flugzeug. Als wir auf dem Ben-Gurion-Flughafen ankamen, dachte ich zunächst, wir seien ganz allein. Die Start- und Landebahnen waren leer. Doch weit entfernt, in einer teilweise versteckten Ecke des Flugfeldes, sah ich bald Geschäftigkeit: Riesige Flugzeuge wurden entladen. Später stellte ich fest, daß es amerikanische Groß-Transport-Flugzeuge vom Typ ,Galaxy' waren. Sie brachten dringend notwendige Munition, Waffen und Ersatzteile f ü r die israelischen Streitkräfte. Seither habe ich immer wieder zu amerikanischen und deutschen Freunden gesagt, und ich werde es hier heute noch einmal sagen: Danke, Amerika. Dank dem amerikanischen Volke f ü r die Hilfe an Israel in der Stunde d e r Not. Ich schäme mich, wenn ich mich daran erinnere, wie fast alle anderen Länder zu jener Zeit gehandelt haben, mein eigenes Land nicht ausgenommen. Bald, nachdem ich auf israelischem Boden gelandet war, in jenen schicksalhaften Tagen im Spätherbst 1973, wurde es mir ermöglicht, die Schlachtfelder des Sinai zu besuchen, die mit den T r ü m m e r n des Krieges übersät waren, sowie den Brückenkopf westlich des Suezkanals, das biblische Land Goschen, von wo wir die eingekesselte Dritte ägyptische Armee beobachteten. Wir sahen viele Verwundete, entlang des Kanals auch zahlreiche Tote. Ich war erschüttert, beeindruckt und tief bewegt, als ich nach Jerusalem zurückkehrte, in die Hauptstadt, die durch den vorhergehenden Krieg wiedervereinigt worden war. Ich sagte Bürgermeister Kollek, daß nicht nur ich, sondern viele von meinen Landsleuten helfen wollten, u m das Elend zu lindern, das der Krieg geschaffen hatte. Er schlug unverzüglich vor, bei der geplanten Klinik f ü r körperlich Behinderte im Hadassah-Hospital auf dem Skopus-Berg mitzuhelfen. Diese Klinik sollte jenen helfen, die im Kriege verwundet worden waren, aber auch anderen, die bei Unfällen verletzt worden oder durch Krankheit behindert waren — Juden ebenso wie Arabern. Eine Einrichtung für gegenseitige Hilfe, f ü r Wiederherstellung der Gesundheit, zur Heilung — im engeren und weiteren Sinne des Wortes — kurz gesagt: ein Bau f ü r den Frieden. 52

6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel Als ich nach Deutschland zurückgekehrt war, rief die ,Axel-Springer-Stiftung' in Zeitungsanzeigen in allen Teilen des Landes auf, zu spenden. Und wie erwartet kamen Tausende diesem A u f r u f nach. Wir brachten viel mehr als eine Million Mark zusammen. Das meiste davon kam in kleinen Beiträgen von f ü n f , zehn oder zwanzig Mark. Ein großer Teil dieser Spenden kam von einfachen Leuten in Berlin, der immer noch geteilten ehemaligen Hauptstadt meines Vaterlandes, wo ich mehr Verständnis und Sympathie f ü r Israel finde als in irgendeiner anderen Stadt, die ich kenne. Alle diese Leute, die keine großen Summen geben konnten, aber dennoch helfen wollten, waren von d e m Wunsche beseelt, j e n e m Israel beizustehen, das trotz der Schrecken des Krieges eine Klinik f ü r körperlich Behinderte baute, um Juden und Arabern in gleicher Weise zu helfen. Juden und Arabern in gleicher Weise zu helfen - das ist für mich in Ihrem Falle die Erfüllung des wichtigsten Gebotes aus dem Alten und aus dem Neuen Testament: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Immer wenn ich nach Jerusalem kam, war ich tief beeindruckt, zu sehen, daß das Leitwort für Teddy Kolleks Arbeit und Überzeugung unverändert geblieben ist, was auch immer geschah: das Leitwort .Zusammenarbeit'. Dies gilt auch für die israelische Regierung. Ich weiß, daß diese Zusammenarbeit immer schwieriger wird, j e mehr die radikalen G r u p p e n unter d e n Arabern in Israel und in den besetzten Gebieten durch internationale A n e r k e n n u n g und wachsendes A n s e h e n ermutigt werden. Jeder Besuch eines westlichen Politikers bei Arafat macht die Zusammenarbeit in Israel schwieriger. Jede E r ö f f n u n g eines PLO-Büros in einer westlichen Hauptstadt hilft den Radikalen u n d entmutigt die Maßvollen unter den Arabern in Israel und außerhalb Israels. U n d ich weiß auch, daß, j e schwieriger die Lage wird, desto härter und unbeliebter die Gegenmaßnahmen sein müssen, die ergriffen werden müssen und die — wie ich nur zu gut verstehen kann — kein Israeli gern sieht. A b e r sie müssen ergriffen werden, ob es die sogenannte .aufgeklärte' Welt nun mag oder nicht. Letzten Endes aber sehe ich keinen anderen Weg, als sich an den Geist des Gebotes zu halten: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Was wiederum ein Glaubensgrundsatz ist. Ich bin zutiefst überzeugt, daß dieser Geist sich schließlich durchsetzen wird. U n d in diesem Sinne bin ich glücklich und dankbar, daß meine Landsleute und ich persönlich an der S c h a f f u n g der Klinik f ü r körperlich Behinderte beteiligt sein durften. Mein Wunsch und meine H o f f n u n g sind, daß diese Klinik immer weniger gebraucht wird, u m Kriegsveteranen wiederherzustellen, sondern mehr und mehr für solche Menschen da ist, die im Zivilleben verletzt wurden. Für diese Versehrten-Klinik und ihre Ärzte und Krankenschwestern, f ü r die Hadassah und ihre Helfer und Helferinnen, für Jerusalem, für Israel und sein Volk habe ich nur ein Wort der H o f f n u n g und der Zuversicht, und ich will es in vier beziehungsvollen Sprachen sagen: Friede — Peace - Salam — Shalom." 53

6.7 Axel Springer erhält die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität Jerusalem Wegen seiner langjährigen Verdienste „um unser Volk und unsern Staat Israel" hat die Hebräische Universität von Jerusalem dem Berliner Verleger Axel Springer die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät verliehen. Die Insignien werden Herrn Springer gemeinsam mit anderen zu Ehrendoktoren ernannten Persönlichkeiten Anfang Juli 1976 in Jerusalem in einer besonderen Feier überreicht werden. Zu den Ausgezeichneten gehören unter anderem der Nobelpreisträger Alexander Sacharow,Jean Paul Sartre und der frühere UN-Delegierte der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Moynien. Axel Springer eroberte sich die Herzen Israels, als die Zeitungen seines Hauses so eindeutig zum bedrängten Jüdischen Volk standen, daß man dort davon sprach, Springer habe in den schweren Tagen des Juni-Krieges 1967 „israelische Zeitungen in deutscher Sprache" herausgegeben. Seine besondere Freundschaft mit dem Oberbürgermeister Teddy Kollek fand ihren Ausdruck in der Stiftung eines besonderen Bibliotheksgebäudes im Bereich des Israel-Museums in Jerusalem, das 1969 eingeweiht wurde. Schon 1966, als das Berliner Verlagshaus Springer fertiggestellt war, hatte er seinen Plan zu dieser Jerusalemer Bibliothek bekanntgegeben. Am 24. März 1969 wurde sie eingeweiht. Teddy Kollek überreichte Herrn Springer eine Schriftrolle, in der er das Handeln dieses Mannes für Jerusalem und Israel würdigte. Unter anderem heißt es dort: „Als wir allein standen in dunklen Tagen, kam Axel Springer zu uns. Er ist ein wahrer Freund Israels. Beweise dafür sind sein nimmermüdes Auftreten in der Öffentlichkeit und seine großzügigen Schenkungen." Und an anderer Stelle heißt es: „In einer Zeit, in der Gerechtigkeit und das Lebensrecht des einzelnen und der kleinen Nationen immer mehr eingeengt werden, hat Axel Springer es auf sich genommen, die Entwicklung Israels und vor allem Jerusalems durch öffentliches Auftreten und durch eigenes Tun zu fördern. Auch das Israel-Museum in Jerusalem, vor allem dessen Bibliothek f ü r Kunst und Archäologie, ist Empfänger dieser tatkräftigen Hilfe." Am 15. Juni wird auf dem Skopus-Berg der Hebräischen Universität von Jerusalem ein Rehabilitationszentrum für verwundete Soldaten, arabische und israelische eingeweiht, das wesentlich durch Spenden von Deutschen errichtet werden konnte, die den Aufrufen der Springer-Stiftung gefolgt waren und durch kleine und größere Spenden einen Betrag von weit über einer Million D-Mark zusammentrugen, der dann mithalf, dieses Zentrum zu verwirklichen.

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6.8 Das Leo-Baeck-Institut

ehrt Axel Springer

Das Leo-Baeck-Institut in New York, der Bewahrung und Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland verpflichtet, zeichnete am 8. Oktober 1978 Axel Springer mit der Leo-Baeck-Medaille aus. Mit der Verleihung der goldenen Plakette, die das Bildnis des verstorbenen Berliner Rabbiners zeigt, würdigte das Institut „die Verdienste des deutschen Verlegers um das Institut und sein Verständnis dafür, daß die Erinnerung an eine große Vergangenheit nicht untergehen darf'. Rabbiner Dr. Max Gruenewald dankte dem Gast aus Deutschland für seinen Beitrag zur Erhaltung der Zeugnisse jüdischen Schaffens. Axel Springer antwortete mit nachstehender Rede. „Ich bin bewegt und dankbar, daß ich jetzt der erste Empfänger der Leo-BaeckMedaille bin. Wann immer ich hierherkomme — und dies ist mein fünfter Besuch —, bin ich erschüttert und voller Dankbarkeit. Erschüttert, weil ich hier, mehr als an irgendeinem anderen Ort, sehe, was wir Deutschen verloren haben, als wir zuließen, was in unserem Namen vor vier Jahrzehnten geschah. Ich bin voller Dankbarkeit, weil Sie, meine lieben Freunde vom Leo-Baeck-Institut, hier einen Geist bewahren, der heute in Deutschland fast unbekannt ist. Ich bin dankbar, daß Sie hier die vielen Zeugnisse deutsch-jüdischer Leistungen aus den 150 besten und schöpferischsten Jahren deutscher Geschichte erhalten. Und ich bin auch dankbar in dem Bewußtsein, daß Ihre Mühe nicht nur von Interesse für die Menschen von gestern, für die Rentner, für die Alten ist, die nicht vergessen können, was sie verloren haben, sondern daß die Jungen — Studenten, Wissenschaftler und einfache Menschen — hierherkommen, um von der Vergangenheit zu lernen, damit in der Zukunft nicht die gleichen Fehler gemacht werden. Heute, lassen Sie mich das wiederholen, bin ich natürlich besonders dankbar für die Leo-Baeck-Medaille. Ich habe schon eine Reihe von Medaillen, Auszeichnungen und anderen Ehrungen erhalten. Aber keine hat mich tiefer berührt als diese Medaille, benannt nach jenem verehrungswürdigen Mann, der in meiner Heimatstadt Berlin der letzte große Repräsentant der deutschen Juden war; der ein Symbol alles dessen wurde, was gut und bewundernswert am Judentum ist; und der durch Ihr Institut eine Brücke schlug, die die jüdische Schöpferkraft stärkt — nicht nur in Israel, sondern überall in der Welt, auch, wie ich hoffe, in meinem eigenen Land. Ich nannte Israel. Sie alle wissen, daß das Wohlergehen und die Sicherheit Israels und seiner Menschen meinem Herzen nahe sind; ebenso nahe wie meine Sorge um die Sicherheit und die Freiheit und die Zukunft und die moralische Kraft meines eigenen Landes und Volkes. Als die Knesset vor zehn Tagen grünes Licht für die Friedensverhandlungen mit Ägypten gab, schickte ich folgendes Telegramm an Ministerpräsident Begin, 55

Austausch in Kunst und Wissenschaft einen Mann, d e n ich verstehe u n d bewundere: ,Seit 1914 hat es f ü r viele Deutsche n u r wenige glückliche Tage gegeben. Zumindest f ü r mich wird d e r T a g des Friedens zwischen Israel u n d Ägypten solch ein w a h r h a f t glücklicher T a g sein. Gott segne Sie u n d alle die, die auf dieses große Ziel hinarbeiten.' Lassen Sie mich hier wiederholen: Ich bete zum H e r r n , d a ß das Volk d e r Bibel, das auch das Volk des Friedens ist, endlich Frieden im Land d e r Bibel findet. Sie mögen f r a g e n : Ist dieser Mann Axel Springer ein Einzelgänger in Deutschland? Glücklicherweise kann ich antworten: nein. Die Unterstützung Israels hat in meinem L a n d e breiten Rückhalt. Lassen Sie mich von einem Beispiel der j ü n g s t e n Vergangenheit berichten: Eine meiner Publikationen, eine Wochenzeitschrift mit einer Auflage von über vier Millionen Exemplaren, untersuchte kürzlich, welchen Anklang ihre Serien u n d Reportagen bei ihren Lesern finden. Unter zahlreichen T h e m e n —sie reichten von volkstümlicher Unterhaltung, Reisen, Pop-Musik bis zu politischen Ereignissen — n a n n t e eine überraschend große Mehrheit als das interessanteste eine Serie, die Israel, sein Volk, seine Leistungen u n d seine Sorgen schilderte. Das ist eine sehr positive Entwicklung unter d e n Deutschen, u n d man fragt sich gelegentlich, ob die Menschen in Deutschland nicht o f t besser u n d anständiger sind als diejenigen, die f ü r sich beanspruchen, in ihrem N a m e n zu sprechen. Von einem bin ich überzeugt: Jenseits von Wiedergutmachung, jenseits d e r Debatte ü b e r Kollektivschuld u n d Kollektivverantwortung, jenseits d e r oberflächlichen Debatten über Tagesereignisse —jenseits davon sitzt ein tiefes Gefühl f ü r die J u d e n , u n d insbesondere f ü r Israel, in den heutigen Deutschen, alt o d e r jung. Doch lassen Sie mich zum Leo-Baeck-Institut zurückkommen. Kurz vor meiner Abreise nach Amerika sprach ich mit Bundespräsident Walter Scheel. Er bat mich, I h n e n allen seine herzlichsten Grüße zu überbringen, u n d I h n e n zu sagen, daß er niemals I h r e großzügige Gastfreundschaft u n d die interessanten Stunden vergessen wird, die er in diesen Räumen verbringen konnte. Einige Wochen zuvor äußerte sich ein anderer p r o m i n e n t e r Politiker meines Landes voller Enthusiasmus ü b e r Ihr Institut. Es war in meiner Berliner Wohnung, von d e r aus m a n den K u r f ü r s t e n d a m m überblickt u n d wo man an einem Regentage glaubt, d u r c h das Fenster Szenen zu sehen, wie Lesser Ury sie gemalt hat. O h n e von meiner Verbundenheit mit d e m Leo-Baeck-Institut zu wissen, sprach dieser f ü h r e n d e Oppositionspolitiker voller Begeisterung über seinen Besuch in diesem Hause u n d konnte kaum a u f h ö r e n , über die Dokumentation jüdischer Beiträge zur Kunst u n d Wissenschaft in Deutschland zu reden, die er hier einsehen konnte. Er beendete seinen Bericht mit d e n Worten: ,1m Leo-Baeck-Institut habe ich das gute Deutschland gefunden.' Der Mann war d e r CDU-Vorsitzende Helmut Kohl, d e r mit seinen Kindern immer wieder auf d e n uralten jüdischen Friedhof in W o r m s geht. U n d der die Lehrer immer wieder mahnt, ihre Schüler dorthin zu f ü h r e n , u m ihnen die j a h r h u n dertealte B i n d u n g vor Augen zu f ü h r e n , die einst zwischen J u d e n u n d Deutschen bestand.

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6 Die Arbeit Axel Springers und der Axel-Springer-Stiftung für Israel Ähnlich wie Kohl äußerte sich Richard von Weizsäcker, d e r CDU-Kandidat f ü r das Amt des Berliner Bürgermeisters, erst vor wenigen T a g e n über das LeoBaeck-Institut. Wie Sie sich vielleicht e r i n n e r n , war Weizsäcker zusammen mit Kohl hier im Institut. Am 20. August wurde mir in meinem Berliner Büro die Freundschaftsmedaille der American Freedoms Foundation in Valley Forge überreicht. Bei dieser Gelegenheit dankte ich d e n zahlreichen amerikanischen F r e u n d e n , die sich aus diesem Anlaß e i n g e f u n d e n hatten, f ü r dreierlei: einmal f ü r die Ehre, die mir zuteil geworden war; zum a n d e r e n f ü r die amerikanische Unterstützung Europas und besonders Berlins; u n d zum dritten f ü r die a n d a u e r n d e amerikanische Unterstützung Israels. U n d ich f u h r fort: Ich glaube daran, daß die folgenden Worte, die von einer f r o m m e n Frau namens Mutter Basilea Schlink stammen, die reine Wahrheit sind. .Welche F r e u d e f ü r den Vater im Himmel, d a ß Sein Volk n u n endlich seine Gaben entfalten kann, wozu Er sie ihm schenkte, u n d zwar im eigenen Lande, auf eigenem G r u n d und Boden, was ihm j a h r h u n d e r t e l a n g verwehrt war.' Mehr möchte ich heute nicht sagen, n u r noch einmal wiederholen: Ich bin I h n e n aus tiefstem Herzen dankbar."

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Die Stiftung Volkswagenwerk

Schon seit Beginn der Tätigkeit der Stiftung Volkswagenwerk im J a h r e 1962 spielt für sie die Förderung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft eine wesentliche Rolle. In den letzten Jahren konnte der Auslandsanteil an den bewilligten Mitteln erheblich ausgeweitet werden. So gingen 1980 rund 13 Prozent an ausländische wissenschaftliche Einrichtungen, das heißt 11,6 Millionen Mark für 68 Projekte. Anträge aus dem Ausland sind deutschen Anträgen auf Förderung prinzipiell gleichgestellt, doch wird in jedem Fall eine genau beschriebene Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen oder Wissenschaftlern in der Bundesrepublik Deutschland vorausgesetzt. Sie kann in einem gegenseitigen Wissenschaftleroder Stipendiatenaustausch, in Gastprofessuren, insbesondere in gemeinsamen Forschungsprojekten (etwa zum gleichzeitigen Angehen des gleichen Problems mit unterschiedlichen Forschungsmethoden oder mit sich ergänzenden Untersuchungen) bestehen.

7.1 Schwerpunkte Die Stiftung Volkswagenwerk fördert grundsätzlich im Rahmen von Schwerpunkten, die bestimmte Wissenschaftsbereiche abdecken. Dieses Förderungsprogramm, das gegenwärtig 23 Schwerpunkte umfaßt, gilt nicht starr für einen längeren Zeitraum; vielmehr werden sie den Erfordernissen der Wissenschaftssituation angepaßt. Darüber hinaus können in Einzelfällen auch Vorhaben von ungewöhnlichem Zuschnitt unterstützt werden, die sich keinem der bestehenden Schwerpunkte zuordnen lassen. Wenn sich auch die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel der Stiftung—in den letzten Jahren jeweils etwa 90 Millionen Mark (ohne Sonderkontingent für Niedersachsen) - quantitativ im Vergleich zu denen der öffentlichen Hand eher bescheiden ausnehmen, so kann die Stiftung Volkswagenwerk doch gerade auch durch ihre Schwerpunktbildung Entwicklungen anregen, Einseitigkeiten ausgleichen und Modelle schaffen helfen. Ihre Initiativen sind besonders auf solche Forschungsgebiete gerichtet, die entweder nicht hinreichend gefördert werden oder im eigenen Land im internationalen Vergleich in Rückstand geraten sind, sowie auf interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit im wissenschaftlichen Bereich. Dabei nimmt sie sich vorzugsweise solcher Vorhaben und Wissenschaftsbereiche an, die — möglicherweise erst längerfristig — zum Erkennen oder Lösen gesellschaftlich wichtiger Aufgaben beitragen können. 58

7.2

Gründung

Gegründet wurde die Stiftung Volkswagenwerk 1961 von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen als selbständige Stiftung bürgerlichen Rechts. Die Stifter stellten ihr die Aufgabe, Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre zu fördern. Die Vorgeschichte: Durch einen Staatsvertrag, der 1959 zwischen Bund und Land geschlossen wurde, wurden die Auseinandersetzungen um die nach 1945 unklaren Eigentumsverhältnisse am Volkswagenwerk beendet. Die damalige Volkswagenwerk GmbH wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt; 60 Prozent des Aktienkapitals wurden durch Ausgabe sogenannter Volksaktien privatisiert. Der Erlös aus dem Verkauf dieser Aktien bildet das ursprüngliche Stiftungskapital von rund 1 Milliarde Mark (1980: 1,3 Milliarden Mark). Die der Stiftung jährlich zur Verfügung stehenden Förderungsmittel stammen in erster Linie aus den Erträgen dieses Kapitals. Weiterhin hat die Stiftung Anspruch auf Dividendeneinnahmen aus dem Aktienbesitz des Bundes und des Landes Niedersachsen an der Volkswagenwerk AG. Schließlich erzielt die Stiftung auch Erträge aus Zwischenanlagen. Im Jahre 1980 konnten auf diese Weise Bruttoerträge in Höhe von rund 159 Millionen Mark erwirtschaftet werden. Seit 1962, als die Stiftung ihre Arbeit aufnahm, hat sie für rund 6.000 Projekte mehr als 2 Milliarden Mark bewilligt.

7.3 Kuratorium, Vorstand der Stiftung Volkswagenwerk ist ein ehrenamtlich arbeitendes Kuratorium, das aus 14 Mitgliedern besteht, von denen jeweils sieben von der Bundesregierung und von der Niedersächsischen Landesregierung für eine Amtszeit von fünfJahren berufen werden, wobei eine Wiederberufung nur einmal möglich ist. Dieses Kuratorium verwaltet die Stiftung und entscheidet insbesondere über die Vergabe der Förderungsmittel; die Kuratoren unterliegen dabei keinen Weisungen. Die Geschäftsführung der Stiftung nimmt ein vom Kuratorium bestellter Generalsekretär wahr, der die Geschäftsstelle in Hannover leitet. Zu den Aufgaben der fast 100 Mitarbeiter der Geschäftsstelle gehören die Vorbereitung und Ausführung der Kuratoriumsbeschlüsse, die Vermögensverwaltung, die Bearbeitung von Anträgen — besonders durch Einleitung und Durchführung des Gutachterverfahrens — und die Vorbereitung, Organisation und Abwicklung von Förderungsschwerpunkten und -programmen.

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7.4 Zusammenarbeit mit Israel Bereits in d e n ersten Jahren ihrer Förderungsarbeit stellte die Stiftung Volkswagenwerk Geldmittel auch ausländischen wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung. In den „Berichten", die die Stiftung jährlich über ihre Tätigkeit veröffentlicht, finden sich schon in den frühen sechziger Jahren Hochschulinstitute und Universitäten und sonstige Forschungseinrichtungen in Israel als Bewilligungsempfänger. Im Laufe der Jahre erhielt dann eine ganze Reihe bedeutender israelischer Wissenschaftsinstitutionen Mittel von der Stiftung, wie beispielsweise das Weizmann-Institut, die Hebräische Universität Jerusalem und die Universität Tel Aviv. Durch diese nunmehr fast 20jährige Förderung zahlreicher Projekte mit insgesamt erheblichem Mittelaufwand in Verbindung mit dem erwähnten Grundsatz definierter Kooperation wurden vielfach neue Kontakte zwischen israelischen und deutschen Wissenschaftlern geschaffen oder schon bestehende noch enger geknüpft. So konnte die Stiftung Volkswagenwerk einen nicht unwichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit dieser beiden Länder leisten. Dem Weizmann-Institut, das sich bekanntlich zu den f ü h r e n d e n naturwissenschaftlichen Forschungsstätten der Welt zählen darf, bewilligte die Stiftung schon 1963 zur Beschaffung wissenschaftlicher Geräte u n d f ü r wissenschaftliches Personal zum Einsatz in der physikalischen und physikalisch-biologischen Grundlagenforschung 2 Millionen Mark. Zugleich wurde ein Wissenschaftlerund Stipendiatenaustausch mit diesem Institut gefördert, der vor allem jüngeren Forschern aus Israel einen längeren Forschungsaufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und deutschen Wissenschaftlern die Mitarbeit im WeizmannInstitut ermöglichte. Dieser Austausch wird inzwischen von der Bundesregierung finanziert und hat sich hervorragend bewährt — zugleich ein Beispiel dafür, daß die Stiftung wirkungsvolle Starthilfen geben und neue Wege bahnen kann. Weitere 500.000 Mark wurden 1966 bereitgestellt zur Beschaffung spezieller Geräte f ü r die Durchführung von Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Festkörper- und Fotochemie. Ein wichtiges Gebiet, auf dem deutsche und israelische Wissenschaftler — zumal aus d e m Weizmann-Institut — besonders eng zusammenarbeiten, ist die Biologie. Bereits seit 1963 förderte die Stiftung das Spezialgebiet der Molekularen und Physikalischen Biologie in einem eigenen Schwerpunkt, der 1975 abgewandelt wurde in den Schwerpunkt Zellbiologie, der noch heute fortbesteht. Von den in diesem Bereich geförderten Gemeinschaftsprojekten seien hier etliche herausgestellt: (1)1972 stand die Thematik „Molekulare Hysterese" im Mittelpunkt eines gemeinsamen Forschungsvorhabens von Wissenschaftlern des Weizmann-Instituts unter Leitung von Professor Eisenberg und des Max-Planck-Instituts f ü r biophysikalische Chemie in Göttingen. Diese Forschungen sollten Phänomene wie Erfahrungsgedächtnis, Nervenerregung und biologische Rhythmen klären helfen. 60

7 Die Stiftung Volkswagenxuerk Hysterese — z. B. in der Computertechnologie als physikalische Grundlage der Informationsspeicherung wohlbekannt — wird in der Biophysik als Modell für molekulare Gedächtnisaufzeichnung und als neues kybernetisches Prinzip für periodische Vorgänge diskutiert. Im Verlauf des Projekts wurden die physikalisch-chemischen Eigenschaften molekularer Hysterese erforscht und damit Grundlagen zur Analyse und zum Verständnis einiger komplexer biologischer Erscheinungen erarbeitet. (2) Ebenfalls 1972 wurde ein Gemeinschaftsprojekt des Weizmann-Instituts unter Leitung von Professor ShaÜiel mit dem Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Würzburg (Professor Helmreich) zur Protein-Forschung gefördert. Ziel des Vorhabens war die chemische Charakterisierung der katalytischen und regulatorischen Bindungsstellen von Phosphorylase und insbesondere die Aufklärung der Funktionsweise des Enzyms. (3) Wissenschaftler der Universität Göttingen (Professor Röbbelen) und des Weizmann-Instituts begannen 1972 mit einem Forschungsvorhaben zum Thema „Verteilung, Paarung und Austausch von homologen Chromosomen in der Meiose des Weizens", für das 390.000 Mark bewilligt wurden. Die Besonderheit dieser Arbeiten lag darin, daß hier eine der wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen als Objekt für die molekular-genetische Bearbeitung eines biologischen Grundphänomens gewählt wurde. (4) Ein großangelegtes deutsch-israelisches Projekt wurde 1973 mit 900.000 Mark bewilligt, das Themen der mathematischen Biologie und der theoretischen Populationsgenetik aufgriff. Beteiligt an den Forschungen waren vom Weizmann-Institut eine Arbeitsgruppe unter Professor Karlin und drei deutsche Teams der Universitäten Tübingen und Mainz mit den Professoren Bühler, Hadeler und Seyffert. Die experimentellen Arbeiten dazu orientierten sich an den für derartige Untersuchungen besonders geeigneten Populationen der Taufliege und eines speziellen Hefepilzes. Durch Aufstellen theoretischer Modelle und Vergleich der Ergebnisse mit den experimentell gewonnenen Daten konnte ein tieferer Einblick in die genetische Struktur von Populationen und deren Entwicklungsmechanismen gewonnen werden. (5) Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie, Freiburg/ Br., und des Weizmann-Instituts ist es in Tierversuchen gelungen, solche Immunzellen zu isolieren und in Gewebekultur zu vermehren, die darauf spezialisiert sind, das eigene Körpergewebe anzugreifen. Es handelt sich dabei um diejenigen Zellen, die direkt für die Entstehung von „Autoimmunkrankheiten" verantwortlich sind. Die Forschungsarbeiten, die seit 1976 von der Stiftung Volkswagenwerk mit insgesamt rd. 620.000 Mark gefördert werden, konzentrieren sich nun insbesondere darauf, diejenigen Gene der Erbmasse zu identifizieren, die Autoimmunreaktionen auslösen und die für die Krankheitsempfänglichkeit des Menschen verantwortlich sind. Autoimmunkrankheiten sind die Folge eines fehlgeleiteten Angriffs des Immunsystems gegen anscheinend normale Bestandteile des eigenen Körpers. In 61

Austausch in Kunst und Wissenschaft solchen Krankheiten scheint das Immunsystem seine Kontrolle über die Fähigkeit zu verlieren, zwischen „selbst" und „fremd" zu unterscheiden. Autoimmunkrankheiten sind weit verbreitet und können zu schwersten Krankheitsbildern führen. Zu den bekanntesten Beispielen zählen Autoimmunkrankheiten, bei denen Nerven und Gehirn, Gelenke und Bindegewebe sowie verschiedene endokrine Drüsen befallen sind. Forschungen über das Wesen der Autoimmunkrankheit sind also, abgesehen von ihrer theoretischen Bedeutung von großer klinisch-medizinischer Relevanz. Sie könnten lehren, wie Autoimmunkrankheiten beherrscht, geheilt oder gar verhütet werden können. Die Arbeitsgruppe um Professor Cohen (Weizmann-Institut) u n d um Dr. Wekerle (Max-Planck-Institut) konzentrieren sich im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsvorhabens auf das Studium mehrerer Modelle von Autoimmunkrankheiten. Meerschweinchen, Ratten und Mäuse dienen als Versuchstiere. Unter den experimentellen Autoimmunmodellen befinden sich autoimmune Entzündungen des Gehirns, der neuromuskulären Endplatte, der Schilddrüse sowie des Hodens. Die von beiden Arbeitsgruppen erzielten Ergebnisse könnten neue experimentelle, aber vielleicht auch klinische Möglichkeiten eröffnen. Es ist n u n möglich, die Reaktionsmuster gereinigter Autoimmunzellfraktionen auf mehreren experimentellen Ebenen weiter zu analysieren, nämlich nicht n u r am lebenden Tier, sondern auch in Gewebekultur und sogar auf molekularer Ebene. Es kann niemand überraschen, daß auch die große und angesehene Hebräische Universität Jerusalem vielfältige Förderungen erfahren hat. Ebenfalls schon 1963 half die Stiftung Volkswagenwerk dem Geographischen Institut der Hebräischen Universität Jerusalem beim Aufbau einer geomorphologischen Abteilung; 1966 kamen 200.000 Mark zur Vervollständigung seiner apparativen Ausstattung hinzu. Weitere Mittel dienten — wie beim Weizmann-Institut — einem Wissenschaftler — u n d Stipendiatenaustausch mit einschlägigen deutschen Einrichtungen. In der Biologie war die Zusammenarbeit auch zwischen Wissenschaftler der Hebräischen Universität und deutschen Kollegen sehr intensiv; die Stiftung förderte in diesem Bereich verschiedene Kooperationsprojekte. Auch hierzu Beispiele: (1) Für Untersuchungen über die Struktur biologisch wichtiger Proteinkomplexe in Lösungen stellte die Stiftung Volkswagenwerk 1971 der Hebräischen Universität 210.000 Mark zur Verfügung. Untersucht wurden von der Jerusalemer Gruppe unter Leitung von Professor Blauer u n d von Wissenschaftlern der Universität Konstanz (Professoren Sund und Hemmrich) „konjugierte" Proteine, in denen an das große Proteinmolekül relativ kleine, chemisch andersartige Substanzen gebunden sind, welche meist die Hauptfunktion eines solchen Systems ausüben. Ein wichtiges Beispiel bietet der Blutfarbstoff Hämoglobin, welcher vier solcher Wirkungsgruppen (Häme) an vier Proteinketten gebunden enthält. Diese Hämgruppen binden Luftsauerstoff und sichern die Hauptfunktion des Hämoglobins — den Sauerstofftransport im Blut. 62

7 Die Stiftung Volkswagenwerk (2) Im gleichen J a h r gingen 161.000 Mark an die Hebräische Universität und an das Max-Planck-Institut f ü r Eiweiß- u n d Lederforschung, München, f ü r das Projekt „Wachstum u n d Abbau von Kollagen-Implantaten". Kollagene sind Proteine mit Stützfunktion, die einen d e r Hauptbestandteile des Bindegewebes u n d d e r organischen Substanz von Knochen u n d Knorpel darstellen. Wachstum sowie Heilungsprozesse sind weitgehend von d e r Synthese u n d d e m Abbau sowie d e r Zusammensetzung u n d d e r Reifung des Kollagens abhängig. Die (Stütz-)Funktion des Kollagens wird dabei wesentlich von Art und U m f a n g d e r Quervernetzungen zwischen den Kollagenmolekülen bestimmt. (3) Zwei Forschungsgruppen von Neurophysiologen an d e r Technischen Universität München u n d an d e r Hebräischen Universität, die d u r c h die Professoren Dudel u n d Parnas geleitet wurden, hat die Stiftung 1971 Mittel in H ö h e von 491.000 Mark f ü r ein gemeinsames Forschungsprogramm bewilligt. Das T h e m a d e r geförderten Untersuchungen war die Verbreitung von Informationen innerhalb des Nervensystems. Die Informationen werden im Nervensystem d u r c h elektrische Stromimpulse — die Aktionspotentiale - fortgeleitet. Das Nervensystem kann n u r die Frequenz, nicht aber die Größe d e r Stromimpulse variieren. U m n u n die verschiedenen Informationen, die verschiedenen Impulsfrequenzen entsprechen, d e n richtigen E m p f ä n g e r n zuzuleiten, m u ß das Nervensystem Filter besitzen, die gewisse Impulsfrequenzen durchlassen u n d a n d e r e blockieren. Es war das Ziel d e r geförd e r t e n Untersuchungen, an einer Reihe von Beispielen Filtermechanismen im einzelnen zu untersuchen u n d damit einen prinzipiellen Beitrag f ü r das Verständnis d e r Arbeitsweise des Nervensystems zu leisten. Weitere Wissenschaftsgebiete, die die Stiftung Volkswagenwerk an d e r Hebräischen Universität förderte, sind die Archäometrie, Soziologie u n d Deutsche Studien. I n d e r Archäometrie — einem Schwerpunkt der Stiftung seit 1973, d e r naturwissenschaftliche Methoden f ü r archäologische (und einige andere geisteswissenschaftliche) Frage- u n d Aufgabestellungen nutzbar machen will, — arbeiten in einem 1978 bewilligten Projekt Wissenschaftler des Archäologischen Instituts d e r Hebräischen Universität (Professor Perlmann) mit Kollegen des Max-PlanckInstituts f ü r Kernphysik, Heidelberg, zusammen, u m Untersuchungen zu Herk u n f t u n d Alter von archäologischem Material d u r c h z u f ü h r e n . Zum T h e m a „Kulturelle Voraussetzungen u n d institutionelle Dynamik europäischer Gesellschaften" nimmt der Soziologe Professor Eisenstadt eine qualitativ vergleichende Analyse des Verhältnisses von kulturellem u n d gesellschaftlichem Wandel in europäischen Gesellschaften vor. Für das Vorhaben bewilligte die Stift u n g d e r Hebräischen Universität 243.000 Mark im J a h r e 1979. Die Entwicklung ausgewählter europäischer Gesellschaften wird z. B. im Hinblick auf die in ihnen herrschenden Vorstellungen über Wesen u n d Gesetzmäßigkeit von Staatsgewalt sowie d e r e n B e d e u t u n g f ü r d e n Grad politischer Beteiligung u n d d e n Zugang zur Macht untersucht. Ebenso interessieren die Bildung u n d die Struktur von Eli63

Austausch in Kunst und Wissenschaft ten und ihr politisches Verständnis sowie ihr Einfluß auf die institutionelle Struktur der zu untersuchenden Gesellschaften. Dabei geht es besonders um Haupttypen politischer Herrschaft, ihre weltanschaulichen Voraussetzungen und ihr politisches Handeln, aber auch um Formen bzw. Ideologien politischen Kampfes, um Sozialhierarchien u n d Klassenkonflikte sowie um die Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Schließlich konnte 1978 an der Hebräischen Universität eine Abteilung f ü r Deutsche Sprache und Literatur eröffnet werden. Für die Einrichtung u n d fünfjährige Startfinanzierung der Abteilung stellte die Stiftung Volkswagenwerk über 900.000 Mark zur Verfügung. Danach wird die Hebräische Universität die Weiterfinanzierung der Abteilung übernehmen. An der Abteilung sind Deutsche Sprache und Literatur sowie Geistes- und Kulturgeschichte in Forschung und Lehre vertreten. Sie steht dabei in enger Verbindung mit der Abteilung f ü r allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft und dem Lehrstuhl f ü r deutsche Geschichte. Ein besonderer Schwerpunkt soll bei der Rolle des J u d e n tums in der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte liegen. Der Lehrplan wird stufenweise bis zu Kursen f ü r den „Master"-Titel ausgebaut werden. Im Rahmen der Förderung durch die Stiftung Volkswagenwerk stehen in begrenztem U m f a n g Stipendien f ü r jüngere israelische Wissenschaftler, die während ihrer Forschungsarbeit nach Deutschland kommen wollen, bereit. In der Abteilung wurde eine deutsche Bibliothek ausgebaut, deren Grundstock durch eine große kollegiale Schenkungsaktion der deutschen Hochschullehrer f ü r Germanistik gelegt wurde, an der sich auch Schriftsteller u n d Verlage beteiligten. Auch an d e r Universität Tel Aviv hat die Stiftung beim Aufbau einer geisteswissenschaftlichen Einrichtung mit deutschen Bezügen geholfen. Eine der größeren Bewilligungen der Stiftung Volkswagenwerk nach Israel ging 1970 an diese Universität: Zur G r ü n d u n g u n d Startfinanzierung eines Instituts f ü r Deutsche Geschichte, das am 20. Oktober 1971 eröffnet wurde, wurden 1,6 Millionen Mark bereitgestellt. Seither werden dort in engem Kontakt mit deutschen Forschungseinrichtungen historische Arbeiten zu T h e m e n der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts durchgeführt. Vorrangige Arbeitsgebiete sind die Erforschung demokratischer Strömungen und Probleme der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts. Obwohl die Forschungsarbeit in diesem Institut im Vordergrund steht, werden auch Lehraufgaben durch Spezialkurse f ü r graduierte Studierende und Doktoranden erfüllt. Mit Hilfe deutscher Gastprofessoren werden den j u n g e n Wissenschaftlern Kontakte zur mitteleuropäischen Geschichte vermittelt, die dann durch Quellenstudien in der Bundesrepublik Deutschland ausgebaut werden können. Am Institut f ü r Deutsche Geschichte waren u. a. die Professoren Karl Dietrich Bracher, Richard Löwenthal und Gerhard A. Ritter während eines Gastaufenthalts tätig. Seit 1972 erscheinen die „Jahrbücher" des Instituts f ü r Deutsche Geschichte, die von seinem Direktor, Professor Walter Grab, herausgegeben werden. 64

7 Die Stiftung Volkswagenwerk Ein weiteres Gebiet, auf dem die Stiftung Volkswagenwerk an d e r Universität Tel Aviv f ö r d e r n d tätig wurde, ist die Archäologie. So w u r d e n 1972 f ü r ein deutschisraelisches Gemeinschaftsprojekt 187.000 Mark bewilligt, das Untersuchungen ü b e r die Vorgeschichte u n d die eiszeitliche Umwelt in der Küstenebene von Israel galt. Beteiligt waren Wissenschaftler der Universität Tübingen u n d des Instituts f ü r Archäologie d e r Universität Tel Aviv. Die Lebensbedingungen des Menschen in dieser Region von d e n ersten bekannten Anfängen vor etwa 250.000 J a h r e n bis zum Beginn des Ackerbaus vor etwa 7.000 J a h r e n standen im Mittelp u n k t dieses Projekts. Geologische u n d pollenanalytische Untersuchungen wurd e n vorgenommen. Im September 1974 begann ein „industrie-archäologisches" Projekt in der Süd-Arabah, das gemeinsam von Wissenschaftlern des Bergbau-Museums Boc h u m u n d d e r d e r Universität Tel Aviv angegliederten Arabah-Expedition d u r c h g e f ü h r t wurde. Die Forschungen unter Leitung von Professor Rothenberg u n d Bergassessor a. D. Conrad galten den ältesten ü b e r h a u p t bekannten Bergbau- u n d Hüttenbezirken im Timna-Tal am Golf von Aqaba. Dort, im Osten der Negev-Wüste, wurden schon vor 6000 J a h r e n Kupfererze abgebaut. An keiner Stelle d e r Welt sind die Spuren frühantiker Bergmannsarbeit in so ungestörtem Zustand überliefert wie im Timna-Tal. Nach einer ersten Phase primitiven Erzsammelns gab es bereits im 4. J a h r t a u s e n d v. Chr. einfache Schacht- und Strekkenbaue. Die etwa 9000 Schächte erfüllten die Funktion von Fahr-, Förder- oder Wetterschächten. Nach einer längeren Pause erschienen im 14. J a h r h u n d e r t v. Chr. ägyptische Bergbau-Expeditionen des Neuen Reichs im Timna-Tal. Zur Zeit Ramses II. (1290-1224 v. Chr.) erreichte dort die Bergbau- u n d Verhüttungstätigkeit die Ausmaße einer Großindustrie. Im „Tal des biblischen Kupfers" w u r d e im R a h m e n d e r Arabah-Expedition auch erstmals ein antikes Kupferverhüttungslager mit Schmelzplatz u n d dazugehörigen Gebäuderesten systematisch ausgegraben. U m die Verhüttungsanlagen mit Brennstoff zu versorgen, wurden Holzkohlen aus Akazien- u n d Dattelpalmholz verfeuert. Die Folge war ein totaler Kahlschlag im Timna-Tal u n d Umgebung, schließlich ein Mangel a n Holzkohle. Dies d ü r f t e auch ein G r u n d d a f ü r sein, daß die Hüttentätigkeit d o r t schließlich eingestellt wurde, obwohl die Minen f ü r d e n Bedarf j e n e r Zeit so g u t wie unerschöpflich waren. Außer den als Beispielen genannten F ö r d e r u n g e n an den Universitäten Jerusalem u n d Tel Aviv sowie d e m Weizmann-Institut hat die Stiftung Volkswagenwerk weitere Projekte in Israel (oder Israel betreffend) unterstützt. So wurde im inzwischen beendeten Schwerpunkt „Systemforschung" 1974 ein Gemeinschaftsprojekt des Volcani Centers in Bet Dagan u n d d e r Universität Gießen bewilligt, das Kompensationsphänomene bei ökologischen Faktoren u n d ihre Auswirkung auf die Epidemiologie von Pflanzenkrankheiten zum T h e m a hatte. Zwei Projekte im ebenfalls kürzlich beendeten Förderungsschwerpunkt „Forschung im Bereich d e r internationalen Beziehungen" betreffen aktuelle wirtschaftspolitische T h e m e n . Gemeinsam mit d e m Kieler Institut f ü r Weltwirtschaft

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Austausch in Kunst und Wissenschaft f ü h r t e das David-Horowitz-Institut, Tel Aviv, das 1976 bewilligte Projekt „Die wirtschaftliche Integration Israels in die Europäische Gemeinschaft" durch. Das Horowitz-Institut war auch an einem Forschungsvorhaben beteiligt, das das Ibero-Amerika-Institut f ü r Wirtschaftsforschung d e r Universität Göttingen 1977 zum T h e m a „Der freie Zugang zu den Liefermärkten als Element einer neuen Weltwirtschaftsordnung" bewilligt bekommen hatte. Schließlich seien noch zwei Bewilligungen genannt, die f ü r Israel wie f ü r die Geschichte der deutschen J u d e n von besonderem Interesse sind: I m J a h r e 1978 bewilligte die Stiftung Volkswagenwerk dem Leo-Baeck-Institut, New York, 300.000 Mark f ü r die Erarbeitung u n d Publikation eines Katalogs seiner Archivbestände. In dem 1955 gegründeten Institut lagert die bedeutsamste Quellensammlung zur Geschichte der deutschen J u d e n der vergangenen 200 J a h r e , unter a n d e r e m Nachlässe von Albert Einstein, Sigmund Freud, Heinrich Heine, Geschäftspapiere des Warenhauskonzerns Tietz, Autographen, Fotos, Gemäld e u n d Zeichnungen. Die 2.500 Sammlungen enthalten auf etwa 350 laufenden Metern handschriftliche Dokumente u n d Korrespondenzen, Autobiographien u n d Bildmaterial zur politischen u n d kulturhistorischen Geschichte u n d Literatur d e r J u d e n im deutschsprachigen Raum, teilweise noch aus d e m 18. J a h r h u n d e r t oder f r ü her. Dieses Archivmaterial spiegelt nicht n u r das Leben u n d Wirken herausrag e n d e r Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft u n d d e m Geistesleben wider, sond e r n auch das Alltagsleben von r u n d 300jüdischen Gemeinden. Dazu liegen Heirats- u n d Sterberegister, Beschneidungsbücher u n d allein 1000 Stammbäume vor. U m diese reichhaltigen Bestände des Leo-Baeck-Instituts, das zur zentralen Sammelstelle f ü r Materialien zur deutsch-jüdischen Geschichte wurde, d e r Forschung zugänglich zu machen, ist ein gedruckter Katalog erforderlich. Er soll in englischer Sprache abgefaßt u n d mit Sach-, Orts- u n d Namen-Indices versehen werden. Die in alphabetischer Reihenfolge a u f z u f ü h r e n d e n Sammlungen werd e n nach Kategorien wie „Briefwechsel", „Manuskripte", „Bildmaterial", „Familienpapiere" a u f g e f ü h r t . Im gleichen J a h r konnten 177.000 Mark bewilligt werden, die zur Mikroverfilmung von Presseausschnitten u n d dokumentarischem Material d e r bislang in L o n d o n untergebrachten Wiener Library dienen. Die Verfilmung hat den doppelten Zweck, einerseits die Originalbestände zu schonen u n d andererseits die Dokumente d e r deutschen Forschung zu erschließen. Trotz Ü b e r f ü h r u n g d e r Wiener Library nach Israel wird somit dieses bisher in der Bundesrepublik Deutschland nicht vorhandene u n d in der Forschung benötigte Material über das Institut f ü r Zeitgeschichte, München, der deutschen Wissenschaft zugänglich gemacht.

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Ein Gespräch mit Herbert Wehner anläßlich seiner Ernennung zum Ehrendoktor der Hebräischen Universität Jerusalem

Kurz nach dem Tag, da Herbert Wehner mit einem Schreiben der Universität von der Tatsache informiert worden war, daß der Senat ihm am 8. Januar 1982 die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität Jerusalem zuerkannt hatte, hatte ich ein Gespräch mit Herbert Wehner, zu den ihm besonders am Herzen liegenden Fragen um Israel u n d den deutsch-jüdischen Dialog, das ich aufgezeichnet habe u n d das hier wiedergegeben werden soll: Frage: Vor kurzem hat die Hebräische Universität Ihnen den Ehrendoktor der Philosophie angetragen. In dem Schreiben heißt es: „Wir sind stolz auf Ihre außerordentliche Zivilcourage und Ihre Bemühungen um die Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Wir sind uns besonders Ihres Verständnisses der Wünsche des jüdischen Volkes und des Staates Israel bewußt, aber auch der vielen Gelegenheiten, bei denen sie diesem Verständnis bedeutsam Ausdruck verliehen haben." H e r r Wehner, das zeigt, welch große Spannweite im zeitlichen Bereich in Ihrem Engagement f ü r die jüdische und die israelische Frage vorhanden ist. Wann haben Sie zum ersten Mal mit diesem jüdischen T h e m a begonnen? Antwort: Ich antworte Ihnen jetzt in meiner Eigenschaft als eines der drei ältesten und längstjährigen Mitglieder des Deutschen Bundestages. Seitdem ich im Bundestag gewählt bin, habe ich mich immer um das Zustandebringen von Beziehungen mit Israel bemüht und das in einer Zeit, in der Israel besonders unter den Problemen, die es im Nahen Osten gegeben hat, zu leiden hatte — wenn man das hier so sagen kann —, und die allmählich in gewisse Ordnungen, wenn auch nicht in vollkommene Ruhe und Sicherheit gebracht worden sind. Ich habe mit meinem alten Freund Jakob Altmeier zusammen die persönlichen Beziehungen aufgenommen. Jakob Altmeier ist seit vielen J a h r e n tot. Ich habe damals an seinem Grab auf dem jüdischen Friedhof sprechen d ü r f e n . Ich habe mit Golda Meir und mit Ben Gurion persönliche Gespräche geführt bzw. bin von ihnen dazu auch eingeladen gewesen. Wir haben uns so lange Mühe gegeben, bis es zu den regulären diplomatischen Beziehungen und zu den möglichen Reisen Deutscher nach Israel und israelischer Mitmenschen nach hier kam. Jetzt um diese Zeit kommt wieder eine Gruppe, mit der wir Gespräche f ü h r e n . Frage: Diese persönliche Verbindung, dieses persönliche Engagement: Wie haben Sie das dann im politischen Raum verwirklicht, wenn es um Israel ging. Vor allen Dingen zunächst einmal bei den Wiedergutmachungsfragen, dann diese politische Entwicklung. Es gab ja auch Schwierigkeiten von israelischer Seite? Antwort: Immer — aber es ist nicht meine Sache, über israelische Besonderheiten zu reden. Wenn ich mit Ihnen direkt spreche, dann ergibt sich die Möglichkeit, 67

Austausch in Kunst und Wissenschaft manches abzubauen, was es an Mißtrauen bis—nun sagen wir einmal — noch nicht voll u n d in festem Zutrauen d e r dortigen Seite zu uns gibt. Umgekehrt geht es mir d a r u m , daß möglichst viele Deutsche u n d nicht zuletzt die j u n g e n Menschen sich vertraut machen mit Israel u n d mit d e n menschlichen u n d auch j e n e n Bezieh u n g e n , die den Israelis helfen in ihrer doch i m m e r noch u n d immer wieder schwierigen Situation, d e n Auseinandersetzungen, d e n e n sie dort ausgesetzt sind von Nachbarn, fertig zu werden. Frage: Das Problem Israel spielt j a in unserer heutigen deutschen Politik eine große Rolle u n d nicht alle Politiker sind in d e r Frage dieses Landes so auf d e m Boden der Gemeinsamkeiten wie Sie es eben mit Recht ausgesprochen haben. Wie geht es in I h r e r eigenen Fraktion, müssen Sie sich da durchsetzen oder stoßen Sie auf volles Verständnis? Antwort: Es gibt in d e r Bundestagsfraktion d e r Sozialdemokraten einige wenige, die sehr betont die Notwendigkeit d e r Unterstützung arabischer Bewegungen und Völker vertreten. Es gibt aber niemanden, der die Beziehungen zu Israel u n d unsere Schuld gegenüber dem israelischen Volk, d e n israelischen Mitmenschen verneint. Das ist vielleicht etwas kompliziert zu sagen, aber das heißt, daß die sehr große Mehrheit d e r Bundestagsfraktion d e r SPD o h n e Einschränkungen u n d o h n e Wenn u n d Aber f ü r die Pflege d e r Beziehungen zwischen Israelis u n d u n s u n d u m g e k e h r t sich M ü h e gibt, u n d auch teilnimmt. Es gibt einige wenige, die d e r Meinung sind, sagen wir einmal, bestimmte arabische G r u p p i e r u n g e n d ü r f t e n nicht unbeachtet bleiben, sondern müßten sehr positiv behandelt werden. Das ist es. Frage: Demokratischer Konsens d e r Parteien, ich glaube, in d e r Frage Israel ist er vorhanden? Antwort: Ja, das will ich nicht verneinen, ich weiß, daß es in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages positive T e n d e n z e n u n d Auffassungen zum Verhältnis gegenüber Israel gibt. Ich halte das auch f ü r nötig, d a ß daraus nicht auch noch eine Art Wettlauf zwischen den Parteien entsteht. Wer wohl — solche T e n d e n z e n gibt es bei den Deutschen häufig —, allein sagen kann, diese Parteien sind die F r e u n d e Israels oder a n d e r e sind es weniger. Hier setze ich mich ein f ü r das Verhältnis, das einem Volk, wie unserem, das jetzt in d e r Bundesrepublik Deutschland seine Angelegenheiten regeln muß. Das gehört zum Wichtigsten unserer Aufgaben. Das ist es also, das was ich mich immer bemühe, zum Gegenstand aller Meinungen zu machen. Frage: H e r r Wehner, Frieden zwischen Israel u n d d e n arabischen Staaten, zwischen Ägypten u n d Israel, ist es bereits auf dem Wege — man kann noch nicht sagen, es ist voll gelungen —, aber hier liegt doch auch eine Aufgabe deutscher Politik helfend zur Seite zu stehen? Antwort: Ja, das ist o h n e Einschränkung meine Meinung, aber das hat, wenn Sie dies o d e r jenes aus meinen vorigen Antworten nicht ganz außer acht lassen, immer noch zur Voraussetzung, daß immer wieder von d e m — sagen wir es einmal so —, gestandenen F r e u n d e n Israels, die es im deutschen Volk ja gibt, betont u n d nicht a n d e r e n aufoktroyiert, aber entwickelt wird. 68

8 Ein Gespräch mit Herbert Wehner anläßlich seiner Ernennung zum Ehrendoktor Frage: Deutsch-jüdische Probleme, wir haben in Deutschland eine kleine jüdische Gemeinschaft, die — darf man vielleicht sagen —, übrig geblieben ist o d e r sich wied e r g e f u n d e n hat nach d e m Holocaust. Wie stehen Sie damit? Antwort: Ich dränge mich nicht auf, ich lese, was es hier ü b e r diese gibt u n d bin immer u n d halte mich i m m e r zu j e d e r Zeit zu einem Gespräch bereit. Aber ich sage noch einmal, ich d r ä n g e mich nicht auf. Ich weiß, wie bei manchen jüdischen Mitmenschen u n d Mitbürgern da zunächst einmal ein p r ü f e n d e r Blick auf uns fällt. Frage: H e r r Wehner, Rückblick u n d Ausblick, wie sehen Sie den Ausblick auf eine bessere Z u k u n f t zwischen Israel u n d d e r Bundesrepublik Deutschland? Antwort: Ich will mich nicht als Prophet darstellen. Ich bin aber d e r Meinung, daß es möglich ist, weil es auch notwendig ist, das unsererseits das Menschenmögliche an Leistungen zu Gunsten des israelischen Volkes eingehalten u n d auch a m Leben gehalten werden m u ß und auch kann. N u r es setzt auch immer wieder voraus, d a ß das Verhältnis zwischen Deutschen u n d Israel nicht als etwas rein Formelles u n d nicht als etwas, das j a sowieso gewissermaßen geregelt sei, — es hat j a lange gedauert, zustandegekommene Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland u n d Israel —, das kann m a n sich nicht selbst überlassen, sondern das m u ß i m m e r wieder neu genährt werden d u r c h das, was m a n hier u n t e r d e n Deutschen u n d nicht zuletzt u n t e r den j u n g e n Menschen sich äußert bzw. ihnen vermittelt. Es gibt j a auch u n d ich kriege, nicht oft, aber d a n n doch sehr schlimme Zuschriften von absoluten Antisemiten u n d Leuten, die sich völkisch bezeichnen. Ich habe gerade in d e r letzten Zeit, das h ä n g t damit zusammen, mit meinen Bem ü h u n g e n u m ein gutes Verhältnis zwischen uns u n d z. B. in Polen erlebt, wie i m m e r wieder Schimpfliteratur in Umlauf gesetzt u n d a n d e r e Menschen damit beleidigt werden. Frage: H e r r Wehner, Antisemitismus, Antisemiten oder Antisemitismus darf ich fragen? Antwort: Beides. Es gibt Antisemitismus von Leuten, die das direkt u n d nachdrücklich zur Geltung bringen, weil sie J u d e n als eine völlig a n d e r e u n d mit uns nicht in Beziehungen zu bringende Rasse — wenn man das einmal so sagen darf nach alten Stilen her—, ansehen, das ist heute keine sehr öffentliche Front, die da gemacht wird. Es gibt aber immer noch solche Überbleibsel, die auch weiter gen ä h r t worden sind, u n d auch weiter g e n ä h r t werden. Insofern bin ich, u m noch einmal auf Ihre Frage zurückzukommen, d e r Meinung, das beides hat miteinand e r zu tun, Antisemiten u n d Antisemitismus. Frage: Für die Z u k u n f t eine echte Gefahr? Antwort: Nein, ich halte das nicht f ü r eine echte Gefahr, wenn wir nicht gleichgültig die Dinge sich selbst überlassen.

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Erste kulturpolitische Gespräche auf Direktorenebene in Jerusalem — Ein Gespräch mit Ministerialdirektor Lahn

Vom 7. bis 11. November 1982 fanden in Jerusalem erstmalig kulturpolitische Gespräche auf der Ebene der zuständigen Direktoren auf beiden Seiten statt. Der Leiter der Kulturabteilung des israelischen Außenministeriums Rivlin u n d Ministerialdirektor Dr. Lahn leiteten die Beratungen. Sie fanden in einer außerordentlich freundschaftlichen Atmosphäre statt und dienten einer Bestandsaufnahme sowie der Festlegung von Prioritäten in den verschiedenen Bereichen der Zusammenarbeit angesichts der von den Haushalten her geforderten Konzentration der Mitte. MinDir. Dr. Lothar Lahn überbrachte seinem israelischen Kollegen die Einladung zu einem Gegenbesuch nach Bonn, die H e r r Rivlin dankend annahm. Herr Dr. Lahn gab mir am 12. November 1982 das folgende Interview zu seinem Besuch: Frage: H e r r Ministerialdirektor Dr. Lahn, Sie sind gerade aus Israel zurückgekommen und haben dort über die kulturellen Verbindungen nicht nur gesprochen, sondern Fühlung genommen mit vielen Institutionen. Wie sehen Sie dieses wohl schwierigste Kapitel unserer deutsch-israelischen Entwicklung? Antwort: Ich bin gestern abend aus Israel zurückgekehrt, ich war noch gestern mittag im Weizmann-Institut und darf Ihnen sagen, daß ich sehr froh und sehr glücklich darüber bin, in dieser Zeit in Israel zu einem eingehenden Meinungsaustausch über unsere kulturellen Beziehungen gewesen zu sein. Es ist — und da möchte ich Ihnen doch widersprechen — nicht das schwierigste Gebiet unserer Beziehungen. Ich habe feststellen können, es ist das Gebiet, das ich am natürlichsten betrachten möchte, das sich am natürlichsten in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. — Die Regierungen sind gar nicht beteiligt gewesen - sehr vieles ist durch Einzelpersonen, durch einzelne Organisationen, durch Städtepartnerschaften, durch Verbände, auch durch die Landesregierungen, durch Gewerkschaften, ins Leben gerufen und durchgeführt worden, ohne daß zum Teil die Bundesregierung davon Kenntnis hatte. Frage: Was waren nun die Hauptpunkte Ihres Besuches? Antwort: Das Ziel ist es gewesen, — es waren die ersten kulturpolitischen Gespräche dieser Art — zwischen unseren beiden Regierungen, einmal eine Bestandsaufnahme zu machen von all d e m was es schon gibt. Und dann sich darüber schlüssig zu werden und darüber zu sprechen, wo gewisse Prioritäten zu setzen sind oder wo die eine oder andere Seite eine etwas stärkere Entwicklung in welcher Richtung also man sich wünscht oder sich vorstellen kann. Frage: Prioritäten, wir haben jetzt ein Goethe-Institut in Tel Aviv, wir haben andere Verbindungen vor allen Dingen auch zu den Universitäten und dem Weizmann-Institut. Sind das diese Prioritäten? 70

9 Ein Gespräch mit Ministerialdirektor Lahn Antwort: Ich würde der Größe und der Bedeutung nach wohl einen anderen an die Spitze stellen. Und zwar ist das der Jugendaustausch. Der Jugendaustausch funktioniert zwischen Israel und d e r Bundesrepublik Deutschland so gut wie mit keinem anderen Land. Zahlenmäßig steht Frankreich in unserem Verhältnis sicherlich an der Spitze. Aber zu Israel — wenn man die Entfernung betrachtet — auch die Schwierigkeiten der Anreise im Vergleich etwa zu Frankreich, so ist der Jugendaustausch eine ganz ungeheure wichtige kulturelle Erscheinung, die ich an die erste Stelle setzen möchte und wozu wir eigentlich wenig beizutragen haben, weil er eben so gut funktioniert. Frage: Der breite Fächer des Jugendaustausches gehört wohl hierher? Antwort: Jawohl, der gehört hierher. Es ist richtig, daß man keine Jugendgruppe ausschließen sollte, was ja auch nicht geschieht, daß man Wert legen sollte auf Jugendliche aus allen Schichten, aus allen Bildungsgängen bis hinauf zu den Universitäten und hier ist ja im deutsch-israelischen Verhältnis wohl der Kern zu sehen, der eines Tages die großen Früchte tragen wird, wenn die Generation drüben, die noch mit Deutschland Verbindung hat und gehalten hat, abgetreten ist. Frage: Wie sieht es mit den Universitäten aus. Es gibt doch sicherlich Stipendien nach beiden Seiten? Antwort: Die Stipendien sind und das ist ein Punkt, den wir vorgebracht haben, in einer Richtung, nämlich von hier nach Israel nicht zu beanstanden. Umgekehrt ist der Weg etwas schwieriger. Wir sind sehr froh, daß wir an den Universitäten in Jerusalem und Tel Aviv nun auch deutsche Lehrstühle, deutsche Seminare eingerichtet haben. Ich habe allerdings den Wunsch vorgebracht, möglichst auch in den Oberschulen — so würden wir es nennen — in den Sekundärschulen, auch Deutsch als Fremdsprache anzubieten. Wohlwissend, daß die anderen Fremdsprachen Englisch und Arabisch den Vorzug genießen müssen, aber daß Deutsch f ü r den jungen Studenten zumindest ein Wahlfach sein sollte. Frage: Wie sieht es mit dem Weizmann-Institut aus, da haben wir ja schon seit langen Jahren einige 100 Millionen DM f ü r Forschungsaufträge, f ü r Austausch von Wissenschaftlern usw. hingegeben, Gelder, die sich bestimmt schon mehr als verzinst haben? Antwort: Das Weizmann-Institut, wo ich also gestern mittag noch war, ist eine blühende Insel der Wissenschaft und der Völkerverständigung im Humanbereich. Es sind meines Erachtens die Beträge, die bisher dorthin geflossen sind, aus deutschen öffentlichen Mitteln, mehr als wert. Wir wissen aber auch, daß die hauptfinanziellen Leistungen ja aus Amerika gekommen sind, zum Aufbau der Institute und der Einrichtungen. Wir sind sehr froh, das möchte ich hier betonen, daß die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Weizmann-Institut und unseren Instituten, etwa der Max-Planck-Gesellschaft und sogar auch deutschen Industrie-Unternehmen, ich erwähne hier Bayer-Leverkusen, so eng sind, daß daraus beide Seiten einen großen Vorteil ziehen können. Frage: Kulturabkommen, Herr Dr. Lahn, das ist doch immer wieder ein großes Problem gewesen in all den Jahren. Kommen wir den Dingen näher? Antwort: Das Kulturabkommen ist ja immer n u r ein Vehikel, das man dann 71

Austausch in Kunst und Wissenschaft braucht, wenn die Kulturbeziehungen entweder vom Staat gelenkt werden oder wenn die Kulturbeziehungen nicht sehr gut funktionieren. Dann braucht man ein Rahmenabkommen, um sich nach gewissen Paragraphen richten zu können. Wir haben dieses Bedürfnis in den kulturellen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland nie gefühlt. Wir meinen die kulturellen Beziehungen sind so eng, daß wir eines Kulturabkommens nicht bedürfen. Das ist auch die Ansicht auf der Seite meiner israelischen Gesprächspartner. Frage: Ein anderes Thema war vor langen J a h r e n das Goethe-Institut. Heute haben wir es, wie funktioniert es nach Ihrer Meinung? Antwort: Ich bin in Tel Aviv im Goethe-Institut gewesen. Es hat erst eine kurze Lebenszeit, es ist erst Anfang 1979 ins Leben getreten, also nicht einmal vor 4 Jahren. Heute sind über 600 israelische Schüler in den Deutsch-Kursen eingeschrieben, die dort u n d an dieser Quelle ja die einzige Möglichkeit sehen, Deutsch zu lernen. Das Goethe-Institut erfüllt hier eine große Aufgabe, füllt eine Lücke, die sonst schwerlich zu füllen wäre. Ich war überrascht in der Bibliothek zu sehen, wie viele j u n g e Israelis zu deutschen Büchern greifen. Nicht n u r die alten Einwanderer, nicht wahr, die sogenannten Jeckes, die sich dort ihre Bücher ausleihen, nein, gerade j u n g e Leute, die in den deutschen Sprachraum eintreten möchten. Frage: Alles in allem ein erfreuliches Bild? Antwort: Ein sehr erfreuliches Bild insbesondere auch gerade in der heutigen Zeit, wo ich glaube, daß es gut war zu zeigen, daß unsere kulturellen Beziehungen sich nicht überschatten lassen durch manche andere Überlegungen oder durch manche andere Nachrichten.

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10 Für die Errichtung des Max-Born-Lehrstuhles für Naturphilosophie stellt die Stiftung Volkswagenwerk 1 Million DM zur Verfügung

Für die Einrichtung eines „Max Born-Lehrstuhles für Naturphilosophie" an der Hebräischen Universität Jerusalem hat die Stiftung Volkswagenwerk eine Million DM zur Verfügung gestellt. Mit der Benennung des neuen Lehrstuhles nach Max Born ehrt die Hebräische Universität, die in diesen Tagen ihr sechzigjähriges Bestehen feiert, einen Wissenschaftler, der vor allem durch sein Wirken in Göttingen seit 1921 eine ganze Generation von Physikern symbolisiert und von 1936 bis 1954 als Emigrant eine Professur für „Natural Philosophy" in Edinburgh innehatte. 1954 erhielt er den Nobelpreis für Physik. Die Hebräische Universität Jerusalem unterhält vielfältige Kontakte zu deutschen Wissenschaftlern und Instituten. Diese sollen nun in verschiedenen Bereichen der Naturforschung, insbesondere der physikalischen Chemie, noch intensiviert werden. So gehören zu den künftigen Aufgaben des Lehrstuhls unter anderem regelmäßige israelisch-deutsche Workshops auf Gebieten, an deren Begründung Max Born wesentlich beteiligt war. Als erster Inhaber ist der international renommierte Wissenschaftler Professor R. D. Levine vorgesehen.

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„Plakate aus Israel": Eine Ausstellung in Berlin

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eröffnete am 11. Juli 1985 eine Ausstellung mit dem schlichten, aber umfassenden Titel „Plakate aus Israel". Sie ist die 92. Veröffentlichung der Kunstbibliothek Berlin, der staatlichen Museen des Preußischen Kulturbesitzes aus ihren eigenen Beständen. Rund 800 Plakate aus Israel besitzt die Berliner Kunstbibliothek in Berlin, von denen rund 270 ausgestellt wurden. Ein umfangreicher Katalog, der die Ausstellung begleitet, gibt einen Einblick in die Vielfalt der Künstler und Motive, die in dieser Ausstellung widergespiegelt sind. Die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz erhielt 1977 von dem in Berlin und Israel lebenden Privatsammler Arthur Rosenblüth den Hinweis auf die intensive, hochinteressante Entwicklung einer Plakatkunst in Israel. Man begann im Rahmen der gebrauchsgraphischen Abteilung der Kunstbibliothek zu sammeln, bis der Bestand in einigen Jahren den Umfang erreicht hatte, mit dem man eine alle wichtigen Künstler und Stile umfassende, repräsentative Ausstellung wagen konnte. Es ist die erste Übersicht dieser Art überhaupt. Bis jetzt hat es weder in Israel noch in Europa oder in den USA den Versuch einer umfassenden Darstellung gegeben. Die Ausstellung, die den Zeitraum von der Staatsgründung im Jahre 1948 bis heute umfaßt, und der sie begleitende Katalog der Berliner Kunstbibliothek bedeuten insofern eine Pionierleistung. Als der Staat Israel 1948 inmitten kriegerischer Wirren ausgerufen wurde, hatte das Plakat im Kampf ums Überleben kaum eine Existenzgrundlage. Erst als der Staat sich konsolidiert hatte und die Einwanderung der jüdischen Vertriebenen und Verfolgten aus Europa einsetzte und diese in der neuen Heimat Fuß gefaßt hatten, bekam das Plakat durch das Aufleben von Industrie, Handel und einem erheblichen Anwachsen kultureller Aktivitäten eine neue Daseinsberechtigung. Und schon begannen die israelischen Designer — oft Absolventen europäischer Akademien für Werbung—, Plakate mit einem Anspruch auf künstlerische Qualität zu entwerfen. Damit setzte eine Entwicklung ein, die zu einer respektablen israelischen Plakatkunst führte. Doch das israelische Plakat ist mehr als ein künstlerisches Gebilde. Es wird zu einem bevorzugten Medium politischer Information und Aufklärung. Die Verwirklichung der zionistischen Idee, aus aller Herren Länder die jüdische Bevölkerung in der alten Heimat zu vereinen, begründete zunächst einmal eine breit angelegte Einwanderungswerbung, zum anderen erwies sich die Bildersprache des Plakats im Lande selbst als unentbehrlich, um sich an die heterogensten Volksgruppen zu wenden und sie der jüdischen Gemeinsamkeit zu versichern. Ob man nun die Notwendigkeit der Sparsamkeit im Umgang mit Wasser erklären oder die Erinnerung an die Gründung des Staates Israel wachhalten will oder den Wert wissenschaftlichen und technischen Fortschritts als Garantie zum Über74

11 „Plakate aus Israel": Eine Ausstellung in Berlin leben betont oder die historische Forschung als eine Rechtfertigung f ü r die Zuk u n f t zu erkennen geben m u ß — alles dient der gemeinsamen, d e r jüdischen Sache. Sie ist d e r stetige H i n t e r g r u n d , vor dem ein dramatisches Leben abläuft, das i m m e r wieder von politischen S p a n n u n g e n und kriegerischen Auseinandersetzungen in Frage gestellt wird, von wirtschaftlichem Ruin bedroht ist, voll Ungewißheit u n d Labilität. In diesem Spannungsfeld zwischen Utopie u n d Selbstbeh a u p t u n g spielt das Plakat eine entscheidende Rolle. Dr. Klaus Popitz, d e r mit Frau Margret Schütte die Sammlung d e r Plakate und die Gestaltung des Katalogs vornahm, schrieb im Vorwort zu d e m Katalog unter anderem: „Das m o d e r n e Plakat, so wie wir es kennen — farbig, brillant, suggestiv, in seiner Form von künstlerischem Ehrgeiz erfüllt —, ist ein Kind des späten 19. J a h r h u n derts. Erst allmählich hat dieses merkwürdige Zwittergebilde aus kaufmännischem Kalkül u n d graphischem Formwillen seine Gestaltung g e f u n d e n . An seiner Wiege standen zunächst technische Gegebenheiten, wie die E r f i n d u n g u n d Entwicklung d e r Farblithographie, andererseits die Einstellung einer Generation von französischen Künstlern, die gegen E n d e des vorigen J a h r h u n d e r t s das Plakat als willkommenes Medium entdeckten, ihre A u f f a s s u n g von künstlerischer Form zu demonstrieren. Damit verliehen Bonnard, Grasset, Toulouse-Lautrec u. a. d e m Plakat d e n Rang eines Kunstwerks und gaben d e n entscheidenden Anstoß zu einer unvergleichlichen Blüte d e r Plakatkunst in Europa u n d d e n USA. Auf diesem F u n d a m e n t r u h t trotz aller Schwankungen u n d Verschiebungen historischer und kultureller Art auch noch das heutige Plakat. In d e n Graphikern gärt weiterhin d e r Ehrgeiz, mit ihren Plakaten Produkte von künstlerischem Wert zu schaffen. Reisen nach Israel erbrachten fruchtbare Verbindungen mit den einzelnen Graphikern u n d einen reichen Zugang an n e u e n Plakaten, die einen stetigen Qualitätszuwachs signalisierten. W e n n uns nicht alles täuscht, ist uns mit diesem Material eine Dokumentation des israelischen Plakats seit d e r Staatsgründung 1948 gelungen, die in Neuland vorgestoßen ist. Neuland insofern, als es selbst in Israel, das sein Interesse an der eigenen Plakatkunst seit u n g e f ä h r zwei J a h r z e h n t e n entdeckt hat, zu einer umfassenden Präsentation noch nicht gekommen ist. Das Tel-Aviv Museum wird in diesem oder nächstem J a h r zum 50jährigen Bestehen d e r Graphic Designers Association of Israel eine Ausstellung ü b e r das Plakat d e r letzten 50 J a h r e in dem britischen Mandatsgebiet Palästina, später Israel, veranstalten. U n t e r n e h m e n dieser Art f o r d e r n die Frage heraus: Gibt es ein spezifisch israelisches Plakat? Auch die Bearbeiter unserer Ausstellung mußten sich die Frage stellen - u n d können sie eindeutig nicht beantworten. Dazu ist d e r zeitliche Abstand f ü r uns zu gering, u m das Gemeinsame in d e r Menge d e r individuellen Lösungen — und die Israelis sind alle Individualisten! — als einen formalen Tatbestand entdecken zu können. Doch Ansätze u n d Voraussetzungen einer spezifisch israelischen Auffassung 75

Austausch in Kunst und Wissenschaft des Plakats sind nicht zu übersehen. Wir werden versuchen, einiges davon anzudeuten. Es gibt ein photographisches Plakat von einem mit Disteln überwachsenen Wüstenboden mit der Aufschrift: Wir versprechen Euch keinen Rosengarten! Es handelt sich um eine Einwanderungswerbung. Dieses Plakat ist, seit ich es kenne, f ü r mich zum Symbol israelischer Werbung geworden. I m allgemeinen verbindet man mit dem Begriff .Plakat' einen etwas fahrlässigen Umgang mit der Wahrheit. Das Plakat soll ja überreden, koste es, was es wolle. In diesem Fall jedoch handelt es sich um eine negative Feststellung, die dem Werbeziel zu widersprechen scheint. Unser Plakat warnt vor falschen Erwartungen. Es weist mit Recht auf die dramatischen Schwierigkeiten einer Umsiedlung hin, bei der lebensbestimmende Bindungen aufgegeben werden und der Schritt in eine völlig neue Umwelt zu tun ist, die — so freundlich und verwandtschaftlich sie auch gesonnen ist — doch zunächst von erschreckender Andersheit und Ungewohntheit sein muß. Die Existenz in Israel verlangt einen harten persönlichen Einsatz, einen drastischen Abschied von bisherigen Lebensgewohnheiten und steht unter dem ständigen Druck der Bedrohung durch die zahlreichen Feinde des jungen Staates. Zunächst einmal wird also gewarnt. Jedoch hinter dieser Warnung steht die durch nichts zu erschütternde Überzeugung, daß es f ü r die J u d e n n u r einen Weg gibt: den d e r Rückkehr in die uralte Heimat Palästina. Die zionistische Idee ist das Leitmotiv d e r israelischen Existenz und die geheime Quelle ihres erstaunlichen Erfolgs. Sie lebt wie ein verborgener, unterschwelliger Pathos auch in einem großen Teil israelischer Werbung und gibt ihr damit einen unverwechselbaren Charakter. Es ist die Berge versetzende Solidarität des Willens, die schon Herzl so prägnant und beschwörend ausdrückte: .Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen!' Und als Drittes spricht sich in dem Plakat ein gewisser Stolz auf das Erreichte aus, denn schließlich weiß alle Welt, daß die Israelis es fertigbrachten, den Wüstenboden, der bis dahin n u r Disteln hervorbrachte, in Ackerland zu verwandeln. Wobei dem Willen zur Utopie — und ist die Idee, aus allen Teilen der Erde, aus den verschiedensten Kulturbereichen und Zivilisationsstufen Menschen zusammenzuführen und zu einem Gemeinwesen zusammenzuschweißen, nicht eine geradezu beängstigende Utopie? — wobei also diesem himmelstrebenden Willen eine ganz handfeste, hervorragende Intelligenz zur Seite steht, so daß dem T r a u m sich eine reale, nüchterne Erfolgsliste beigesellt. Und noch ein Weiteres zum Distelplakat: Es gehört zur politischen Werbung — politisch im weitesten Sinne aufgefaßt. Das heißt, es ist engagiert f ü r eine gemeinsame Sache, die israelische Sache. Und es ist kein Zufall, daß der weitaus größte Teil der guten israelischen Plakate - Makulatur gibt es wie überall auch in Israel auf diesem Gebiet — dieser politischen Werbung angehört. Sie wendet sich zuvörderst an den jüdischen Mitmenschen und versucht, ihn beschwörend zu überzeugen. Sei es von der Notwendigkeit d e r Einwanderung (wie in unserem Fall), sei es von der Wichtigkeit der Sparsamkeit im Umgang mit Wasser, sei es die Erinnerung an die G r ü n d u n g des Staates Israels wachzuhalten, sei es den Wert wissenschaftlichen und technischen Fortschritts als eine Garantie zum Überleben 76

11 „Plakate aus Israel": Eine Ausstellung in Berlin

zu betonen, sei es die historische Forschung als eine Rechtfertigung für die Zukunft zu erkennen usw. usw. Überall ist das israelische Plakat von einer tiefen Engagiertheit für die gemeinsame Sache getragen, wobei selbst die Produkt- und Firmenwerbung eines politischen Untertons nicht entbehrt, sofern sie das israelische Leistungsvermögen vor aller Welt bezeugt. Dieses leidenschaftliche Festhalten an dem utopischen Ziel, zugleich der Mut zur Sachlichkeit, die Solidarität und der durch die Situation bedingte Selbstbehauptungswille — zusammen mit einem wachen Aufklärungsbedürfnis das scheinen uns die wichtigsten Triebfedern des israelischen Plakats zu sein. Von Bonn aus wird die Ausstellung nach Mainz, Aachen, Schloß Cappenberg in Selm und nach Berlin weiterwandern."

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12 Reaktionen auf den Tod Axel Springers

12.1 Die Trauerfeier Am 22. September 1985 hat sich das Leben dieses großen Mannes und Freundes Israels vollendet. Er verstarb zur großen Trauer vieler Freunde viel zu früh. Am 27. September 1985 fand in der Gedächtniskirche in Berlin die Trauerfeier statt. Eine große Gemeinde von Freunden nahm Abschied von diesem Mann. In der Berliner Gedächtniskirche hatten sich mehr als 500 Freunde und Bekannte versammelt. Viele deutsche Politiker waren gekommen, an ihrer Spitze Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl mit seinem Regierungssprecher und Staatssekretär Friedhelm Ost, die Ministerpräsidenten Dr. Franz Josef Strauß, Dr. Ernst Albrecht, Dr. UweBarschel, Prinz Luis Ferdinand von Preußen, der Chef des Hauses Hohenzollern, Erik Blumenfeld, Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Staatssekretär Peter Lorenz, Stravos Orphanou als Vertreter des Präsidenten der Republik Zypern, der Bürgermeister der Stadt Frankfurt, Walter Wallmann und von Berlin der Regierende Bürgermeister der Stadt Eberhard Diepgen und die Senatoren Lummer, Fink, Franke, Pieroth sowie Staatssekretär Hans Eberhard Schleyer aus Mainz, der Sohn des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten. Viele Künstler, die zu den persönlichen Freunden Axel Springers zählen, wären hier zu nennen. Der israelische Botschafter Yitzhak Ben-Ari war aus Bonn gekommen. Werner Nachmann, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde zu Berlin und Hans Rosenthal sowie der ehemalige Staatssekretär im israelischen Außenministerium Gideon Raphael mit seiner Frau und Herr Federmann, Großindustrieller aus Israel, waren angereist. Man könnte die Liste der Trauergäste noch wesentlich verlängern. In der ersten Reihe der Trauergäste, unmittelbar neben Franz Josef Strauß, nahm der Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, Platz. Es war eine Gemeinschaft trauernder Freunde, die sich in dieser Stunde in der Gedächtniskirche vereinigten. Bereits am 24. September hatte sein persönlicher Freund, Ernst Gramer, einen ersten Artikel über ihn und sein Leben geschrieben. Die Überschrift dieser Zeilen lautete: „Mitleiden, Verantwortungsgefühl und Glauben waren seine Stärke." In diesem Artikel schrieb er: xel Springer war ein Mann des Glaubens, darin zugleich fest und tolerant. Als sich seine Kirche seiner Meinung nach in zu starkem Maße irdischen, gar parteipolitisch gefärbten Dingen zuwandte, statt das aus dem Alten und Neuen Testa78

12 Reaktionen auf den Tod Axel Springers

ment überkommene Wort Gottes zu predigen, trat er einer Gemeinde bei, die, wie er glaubte, das Erbe Luthers besser verwaltete. Dabei war Axel Springer keinesfalls ein blinder Anhänger des großen Reformators. .Unerträglich' nannte er bei vielen Gelegenheiten dessen berüchtigten Rückfall in die zu seiner Zeit gängigen Stereotypen des Judenhasses. Denn Antisemitismus, besonders den, der vor fünf Jahrzehnten zur deutschen Staatsräson erhoben worden war, bezeichnete Springer als einen Verrat am Menschen, dem Ebenbild Gottes, und damit an Gott selbst. Preis und Fluch dieses Abfalls, so meinte er, sei ,die Trägheit des Herzens, eine Sünde, die mit Sicherheit nicht vergeben' werde." Im weiteren Verlauf dieser Darstellung können nur jene Zitate Raum finden, die sich mit Israel und dem jüdischen Volk befaßten. Zunächst Zitate aus den Ansprachen bei der Trauerfeier in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. In diesen Reden wurde Axel Springer auch wegen seines großen Kampfes für die Freiheit Berlins entsprechend gewürdigt. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl sagte in seiner Trauerrede: „Berlin war so auch Prüfstand für Gewissen und Moral und deutsches Geschichtsbewußtsein. Der gleiche moralische Anspruch prägte den Einsatz Axel Springers für Israel, das er sein zweites Vaterland nannte. Mit ungewöhnlicher Leidenschaft und Hingabe hat er die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen vorangebracht. Es ist ihm ganz persönlich in einer besonderen Weise zu verdanken, daß die Anstrengungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger zur Aussöhnung mit Israel Glaubwürdigkeit und Unterstützung gefunden haben, den Überlebenden von Auschwitz mit aller Kraft und Tat zu helfen, aber auch der Tyrannis, der wir damals erlagen, zu widerstehen, wo sie uns jetzt in anderer Farbe begegnet. In diesem Satz faßte Axel Springer sein Handeln zusammen: Aussöhnung mit Israel und Kampf gegen jeglichen Totalitarismus." Der Präsident der Universität Boston, Prof. Dr. John R. Silber sagte: ,Axel Springer war sich immer der Kräfte bewußt, die den Figuren innewohnen, den Symbolen, und damit stand er fest in biblischer Tradition. Bevor der ProphetJeremia in die babylonische Knechtschaft verschleppt wurde, erwarb er noch ein Stück Boden in Jerusalem, derart seiner Zuversicht Ausdruck zu geben, daß Jerusalem auf immer seine Heimstätte bleiben werde —und die des jüdischen Volkes." Der Bürgermeister von Jerusalem, der persönliche Freund von Axel Springer, Teddy Kollek, hielt eine warmherzige Rede, die hier im Wortlaut wiedergegeben werden soll: „Liebe Friede, Familie Axels, Herr Bundespräsident, Freunde Axels. Ich kam von Jerusalem nach Berlin, um mit Ihnen allen, mit Friede und Axels Familie, mit

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Austausch in Kunst und Wissenschaft seinen Berufskollegen im Springer-Verlag, von denen einige uns sehr n a h e sind, u m mit seinen F r e u n d e n in Berlin und Deutschland den T o d Axel Springers, Ehr e n b ü r g e r von Jerusalem, zu betrauern. Wir haben in Axel einen machtvollen, unermüdlichen, wahren F r e u n d verloren. I n seiner Rede, als wir ihn in u n s e r e m Rathaus ehrten, sagte er: W e n n n u r meine Mutter hier, in Jerusalem, sein könnte. D e n n sie war meine Lehrerin. Sein anderer großer Lehrer war Konrad Adenauer. U n d eine Grundregel seines Verlages war: T u t alles zur V e r s ö h n u n g zwischen uns Deutschen u n d d e m jüdischen Volk und steht immer an unserer Seite. Wir trafen uns bei seinem ersten Besuch bei uns zum Sommer 1966 auf d e m Dach des Rathauses, 25 Meter von d e r Mauer, die damals noch Jerusalem teilte. Ich wußte nichts von d e m Springer-Hochhaus, in d e r Jerusalemer u n d Kochstraße an d e r Mauer, die Berlin teilt. Niemand konnte wissen, sicher auch nicht ich, daß die Vereinigung von Jerusalem so nahe lag. Axel sagte in seiner Jerusalemer Rede, genau vor zwei J a h r e n , a m 19. September 1983, daß er damals von d e r Ähnlichkeit unserer Auffassung über die Wiedervereinigung geteilter Städte stark beeindruckt war. U n d das trotz aller weitgehenden Unterschiede zwischen Berlin u n d Jerusalem. Sein tiefer religiöser Glaube hat die Beziehungen zu Israel u n d Jerusalem noch ständig verstärkt. U n d Friede war ihm eine treue Gefährtin in dieser tiefen Beziehung zu u n s e r e m Land u n d zu unserer Stadt. J e d e r ihrer Besuche war uns eine große Freude. Mit ihr zusammen hat er g e h o f f t , dieser T a g e d e n Bundespräsidenten von Weizsäcker in seiner Jerusalemer Wohn u n g zu e m p f a n g e n . Sein N a m e steht mit vielen ausgezeichneten Institutionen in Israel u n d besonders in Jerusalem zusammen, daß er also niemals vergessen werden wird. U n d ich hoffe, d a ß meine vielen F r e u n d e u n d ich d e n passenden Ausdruck f ü r unsere tiefe Dankbarkeit, f ü r alles das Gute, was er f ü r uns getan hat, finden werden." Als letzter sprach Peter Tamm, d e r Vorstandsvorsitzende d e r n e u e n Axel Springer AG, f ü r die 11.000 Mitarbeiter des Verlages. Auch er würdigte Axel Springer als einen religiösen, warmherzigen Menschen. Dabei sagte er: „Axel Springer hat Wahrheiten entdeckt u n d I r r t ü m e r zerstört. In Einzelgesprächen mit d e n Großen dieser Welt, in seinen Reden in Berlin, in Jerusalem, in Amerika. U n d in seinen Artikeln als brillanter Journalist; aber auch in Gesprächen mit uns — seinen Mitarbeitern. Man sagt, daß ein Mann, der einen Glauben hat, h u n d e r t a n d e r e aufwiegt, die n u r Interessen haben. Axel Springer war ein gläubiger Mann. Er hätte ein leichteres Leben f ü h r e n können, aber er wollte es nicht: Deutschland zuliebe, seinen Zeitungen zuliebe, seinen 11.000 Mitarbeitern zuliebe in Berlin, H a m b u r g , Kettwig, A h r e n s b u r g , Darmstadt, Bonn und überall in d e r Welt."

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12.2

Kondolenzen

Aus der Fülle von Telegrammen und Kondolenzschreiben zu zitieren, kann nur ein schwacher Versuch bleiben. Die Anzahl derer, die Frau Friede Springer ihr Beileid und Mitgefühl zum Ausdruck gebracht haben, ist viel, sehr viel größer. Auch jüdische Persönlichkeiten aus den USA, Israel und Großbritannien haben geschrieben. Daneben eine große Anzahl führender deutscher Persönlichkeiten aller geistigen Richtungen, aller parteipolitischen Gruppierungen. Viele von ihnen haben, so wie es in den Zitaten hier zum Ausdruck kommt, das Engagement Axel Springers gegenüber Israel und den jüdischen Themen gewürdigt. Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „Axel Springer hat die Verpflichtung, die uns die Vergangenheit auferlegt, und das Bekenntnis zur Freiheit stets zur Grundlage seines Denkens gemacht. Damit hat er wie kein zweiter der Stadt Berlin, dem Bündnis mit den Amerikanern und der Verständigung mit dem jüdischen Volk gedient." Der Präsident des Deutschen Bundestages, Philipp Jenninger: In einem Schreiben an Frau Friede Springer, der Witwe des Verlegers, sagte er unter anderem: „Wiedergutmachungen an den Überlebenden des Holocaust und Solidarität mit dem Recht Israels, in gesicherten Grenzen zu leben, waren ebenso unveränderbare Ziele seines Wirkens wie die auf gemeinsamen Werten beruhende Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Axel Springer hat in seinem Leben zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen erhalten. Die höchste Auszeichnung, die ein Land zu vergeben hat, wird von der Geschichte geschrieben und dessen bin ich mir sicher — eines Tages in den Augen der Öffentlichkeit auch Ihrem Mann zuteil werden: die Erkenntnis, daß Axel Springer ein deutscher Patriot war." Franz Josef Strauß: ,Jixel Springer — der Name symbolisiert eine Haltung, die der deutschen Publizistik nach dem Krieg Profil verliehen hat. Er steht für ein leidenschaftliches Engagement um unserer nationalen Einheit willen, im Dienst an einer wahrhaften Demokratie und mit dem Ziel des Brückenschlages zu den Juden und dem Staat Israel. Sein Lebenswerk ist ein Auftrag an alle, für Frieden, Freiheit und Aussöhnung einzutreten. Ich habe einen Freund verloren." Willy Brandt, Vorsitzender der SPD: „Axel C. Springer gehörte zu den großen, eigenwilligen Verlegerpersönlichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland. Bei allem, was uns politisch trennte, was zu verschweigen keinen Sinn machte, zumal es sich tatsächlich in den Zeitungen 81

Austausch in Kunst und Wissenschaft seines Konzerns niederschlug. Ich habe Respekt vor der Lebensleistung dieses Mannes. U n d ich weiß zu würdigen, was er f ü r die wirtschaftliche Sicherung West-Berlins u n d nicht zuletzt f ü r die Aussöhnung mit Israel u n d d e m jüdischen Nachbarn getan hat. Gerade dies habe ich selbst noch zu A n f a n g dieses J a h r e s in Jerusalem bestätigt g e f u n d e n : Was Axel C. Springer an persönlichen Beiträgen geleistet hat, wird im n e u e n jüdischen Staat—und nicht n u r dort—unvergessen bleiben." Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher: „Mit Axel Springer zu sprechen u n d zu streiten — niemand konnte sich seinem Engagement entziehen, wenn es u m Berlin ging o d e r u m die Einheit d e r deutschen Nation. Noch energischer und leidenschaftlicher wurde er, wenn es u m das Verhältnis zu Israel ging. Sein Denkmal hat er sich selbst gesetzt mit seinem Eintreten f ü r die A u s s ö h n u n g zwischen Deutschen u n d J u d e n . " Bundesarbeitsminister Norbert Blüm: „Er war eine außergewöhnliche Unternehmerpersönlichkeit. Ein Patriot, d e r Mitverantwortung auch f ü r die dunklen Kapitel unserer Geschichte e m p f a n d . Ein erfolgreicher Verleger, f ü r d e n die Moral einen höheren Rang als die wirtschaftliche Effizienz hatte. Sein unermüdlicher Einsatz f ü r die deutsche Einheit u n d f ü r die Aussöhnung zwischen J u d e n u n d Deutschen ist Vorbild u n d Mahnung." JohannesRau, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen: „Auch wenn wir im politischen Denken nicht v e r b u n d e n waren, so habe ich in ihm doch immer eine Persönlichkeit gesehen, die erfüllt war in Sorge u m Freiheit u n d Wohlergehen aller Deutschen. Deutsche Schuld u n d geschichtliche Last hat e r ernst g e n o m m e n . Seine Stimme wird vielen bei uns u n d in Israel fehlen." Erik Blumenfeld, Präsident d e r Deutsch-Israelischen Gesellschaft: ,,Axel Springer war ein bedingungsloser und guter Freund f ü r alle, die ihm nahestanden. Sein plötzlicher T o d , dessen Nähe wir ahnungslos spürten, riß eine unersetzliche Lücke f ü r unseren Staat, f ü r Berlin, f ü r Jerusalem u n d f ü r die deutsch-israelischen Beziehungen." Der Präsident des Staates Israel, Chaim Herzog, sandte folgendes T e l e g r a m m : „Wir sind zutiefst b e k ü m m e r t ü b e r das Hinscheiden eines großen Mannes u n d eines guten Freundes Israels. Das israelische Volk wird sich seiner immer mit Respekt u n d Zuneigung erinnern." Der israelische Botschafter Yitzhak Ben-Ari schrieb an Frau Friede Springer unter anderem: „Wir trauern u m einen Deutschen, der wegweisend f ü r die Verständigung zwischen J u d e n u n d seinem Volke war und viele Menschen in der ganzen Welt dazu

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12 Reaktionen auf den Tod Axel Springers ermutigte, über die schreckliche Vergangenheit hinweg eine Brücke des Vertrauens in eine gemeinsame Zukunft zu bauen. Sein tiefer Glaube, seine Menschlichkeit, sein großzügiges Werk in Israel u n d vor allem in Jerusalem verpflichten alle Religionen u n d Volksgemeinschaften zu friedlicher Gemeinsamkeit. Möge sein Vermächtnis Ihren Schmerz lindern." Shimon Peres, Premierminister des Staates Israel: „Durch Axel Springers T o d habe ich persönlich einen engen und F r e u n d verloren, u n d d e r Staat Israel verlor einen tatkräftigen u n d Rechtsverteidiger. Er versuchte nie, seine Ansichten zu verbergen. viele a n d e r e r Meinung waren, äußerte er sich immer freimütig und

beständigen engagierten Auch wenn wacker."

AsherBen Nathan, f r ü h e r e r israelischer Botschafter in Bonn: „Er war ein wahrer F r e u n d Israels u n d des jüdischen Volkes." Yohanan Meroz, f r ü h e r e r israelischer Botschafter in Bonn: „Israel weint u m ihn, Jeruschalajim klagt u m ihn. Er wird in u n d mit uns weiterleben. Wir d a n k e n Dir, Axel." Simon Wiesenthal, Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien: xel Springers T o d reißt eine Lücke, die d u r c h nichts u n d d u r c h niemanden auszufüllen ist. Ich wünschte n u r , daß sein Zeitungsimperium weiterhin von seinem Geist beseelt bleiben möge." Werner Nachmann, Vorsitzender des Zentralrats d e r J u d e n in Deutschland: „Seine großen Leistungen f ü r das J u d e n t u m u n d d e n Staat Israel werden unvergessen bleiben." Heinz Galinski, Vorsitzender d e r Jüdischen Gemeinde zu Berlin: „Mit tiefer Erschütterung hat die jüdische Gemeinschaft den T o d Axel Springers a u f g e n o m m e n . Mit ihm haben die Jüdischen Gemeinden in d e r Welt u n d die J ü dische Gemeinde zu Berlin einen ihrer besten F r e u n d e verloren. Sein T o d bedeutet einen Verlust von einer derartigen Tragweite, die in diesem Moment noch gar nicht zu überschauen ist. Er war einer d e r ersten, der sich f ü r den Wiederaufbau Jüdischer Gemeinden in d e r Bundesrepublik Deutschland eingesetzt hat. In vielen Reden u n d Stellungnahmen hat e r sich stets zur Vergangenheit bekannt u n d damit eine wichtige Grundlage f ü r die Beziehungen zwischen uns u n d unserer Umwelt geschaffen. W a n n immer es notwendig war, gegen Antisemitismus Stellung zu beziehen, war seine Stimme u n ü b e r h ö r b a r . "

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12.3

Heinz Galinski: „Axel Springer, ein unersetzlicher Gesprächspartner"

Etliche Freunde haben in einem Buch, das Frau Friede Springer herausgegeben hat, ihre Haltung zu diesem Mann dargestellt. Mit Heinz Galinski, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland und Leiter der Jüdischen Gemeinschaft in Berlin, beginnt es: „Axel Springer war ein Mensch, der sich stets darüber bewußt war, wie gegenwärtig die Vergangenheit in diesem Land ist. Das hat ihn für mich und für die Jüdische Gemeinschaft zu einem — ich möchte fast sagen — unersetzlichen Gesprächspartner gemacht. Ich erinnere mich, daß Axel Springer oftmals ohne Anmeldung bei mir erschien. Ohne Rückfrage, ob ich Zeit hätte, stand er plötzlich vor mir, bat mich um Ratschläge oder informierte mich über aktuelle Anliegen. Ich habe diese Gelegenheiten oft genutzt, mich auch persönlich auszusprechen, denn in ihm hatte ich einen Ansprechpartner gefunden, der mir stets das Gefühl menschlicher Wärme und Nähe gab. Wenn wir auch in politischen Fragen — insbesondere was den Tenor der Zeitung ,Die Welt' anging — des öfteren verschiedener Meinung waren und ich ihm dies gegenüber auch offen zum Ausdruck gebracht habe, in entscheidenden Fragen, wenn es zum Beispiel um die Existenz Israels ging, herrschte immer ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen uns beiden. Sein offenes und beherztes Eintreten für den jüdischen Staat, sein Engagement ohne Rücksicht und Scheu fanden immer ihren Ausdruck und bestärkten uns in der Überzeugung, in ihm einen konsequenten Vertreter unserer Angelegenheiten gefunden zu haben. Dies gilt auch und besonders für sein Verhältnis zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin, wo er sich, so glaube ich, immer ein wenig wie zu Hause gefühlt hat. Hier wurde für ihn ein Stück Vergangenheit wieder lebendig, wurden Erinnerungen an ein Berlin wieder wach, das es heute nicht mehr gibt. Kaum eine wichtige Veranstaltung im Gemeindehaus, bei der er nicht anwesend war, kaum ein Gespräch, das nicht auch von einer gewissen Sorge um die jüdische Zukunft geprägt war. Auch was seine eigene beziehungsweise die Zukunft seines Hauses anging, erfüllte ihn vieles mit Sorge. Viele seiner Weggefährten, die vielleicht berufen gewesen wären, sein Erbe fortzuführen, waren vor ihm gestorben oder standen aus anderen Gründen nicht mehr zur Verfügung. ,Was wird aus Ihrem Haus nach Ihnen?' habe ich ihn oft gefragt, ,denn ich habe die große Befürchtung, daß der Weg oder die Zeichen, die Sie gesetzt haben, nicht mehr ihre Fortsetzung finden werden.' Axel Springer wurde dann immer sehr nachdenklich, wissend, zumindest aber ahnend, daß Lebenswerk und Person eng, sehr eng miteinander verbunden waren. Wie eng die gegenseitige Verbundenheit war, zeigte sich nicht zuletzt auch bei 84

12 Reaktionen auf den Tod Axel Springers Empfängen und anderen Veranstaltungen. Wann immer ich Gast war in seinem Privat- oder Verlagshaus — stets wurde ich bei Begrüßungen namentlich erwähnt, wobei dies weniger meiner Person galt als vielmehr öffentlicher Ausdruck seiner Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinschaft war. Ein Mann wie Axel Springer ist unersetzlich. Wir fühlen das in diesen Tagen besonders, denn vieles ist anders geworden in dem einen Jahr. Ein Jahr nach seinem Tode sind wir Belästigungen besonderer Art ausgesetzt, wo wir der Freunde und Partner, wie Axel Springer es war, mehr denn j e bedürfen. Wir brauchen mehr denn j e den Dialog, das Engagement unserer Umwelt, um trotz aller Widerstände zu einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen uns und unserer Umwelt zu gelangen. Gewiß hat sich vieles verändert. Aber Resignation wäre der schlechteste Ausweg für uns alle. Daher gilt es mehr denn j e für Verständigung, für Ausgleich verschiedener Ansichten und Meinungen zu arbeiten und einzutreten. Ein Ansprechpartner, ein Weggefährte ist nicht mehr. Ich vermisse ihn, und das ist mir während des vergangenen Jahres mehr als einmal bewußt geworden. Was bleibt, ist die Hoffnung und der Wunsch, daß alle, die sich ihm verpflichtet fühlen, in seinem Sinne weiterwirken und daß seiner Witwe Friede Springer in ihrem Bemühen, das große Werk mit seinen vielfältigen Verpflichtungen fortzusetzen, weiterhin Erfolg beschieden ist. Es war am Tag nach der Beendigungdes Sechstagekrieges, als AxelSpringer mit einigen Freunden nach Israel kam. Der erste Anruf vom Hotel King David in Jerusalem galt dem Bürgermeister Teddy Kollek: ,Ich bin hier, weil ich zu Hause keine Ruhe finden konnte in der Sorge um meine Freunde im Heiligen Land. Auch wollte ich dabeisein, wenn die geteilte Stadt Jerusalem wiedervereinigt wird.' Am nächsten Morgen, um sechs Uhr früh, kam Teddy Kollek, um Axel Springer zu einem ersten Besuch in die Altstadt Jerusalems zu führen. Der Himmel war leicht bedeckt. Wir besuchten viele der heiligen Stätten, besonders die christlichen Kirchen und Gebetsstellen. Axel Springer sagte mir: ,Das ist einer der großen Tage meines Lebens. Als ich das erste Mal nach Israel kam, trug ich das schwere Kreuz der Sühne und Reue meines Volkes Euch gegenüber.' Während wir sprachen, gingen wir die Via Dolorosa hinauf. Dort blieb Axel Springer stehen und schaute gegen Osten: .Heute in der Altstadt Jerusalems sehe ich das Kreuz des Lebens vor mir. Ich glaube, durch den Besuch in Eurem Land leichter mit dem Leid und dem Schmerz der Vergangenheit leben zu können und das Vertrauen in die Zukunft zurückzufinden. Ich beginne zu glauben, daß eines Tages der Friede zwischen allen Völkern dieser Erde wahr sein wird, nicht nur zwischen Israel und Deutschland.' Wie er diese Worte sprach, brach die Sonne durch die Wolken. Ihre Strahlen gaben den Worten der Hoffnung von Axel Springer symbolisch Kraft. In der Altstadt Jerusalems, in der Via Dolorosa, fand Axel Springer seinen Glauben an die Zukunft unserer Welt wieder. Eine Zeitlang stand er schweigend auf diesem Weg des Leidens und Schmerzes, der für ihn ein Weg in die Hoffnung wurde. Dann sagte er einfach:,Danke.' 85

Austausch in Kunst und Wissenschaft Auf dem Rückweg von der Altstadt ins Hotel sagte Axel Springer zu uns: ,Ich bin überzeugt, daß auch in Berlin eines Tages die Mauer fallen wird. Daß diese Stadt dann die Hauptstadt eines wieder geeinten Deutschlands ist, das ein Hort des Friedens und der Völkerversöhnung sein wird. Hier in Jerusalem weiß ich, daß das einmal Wirklichkeit werden muß.' Das war vor noch nicht zwanzig Jahren. Jetzt ist Axel Springer auf seiner eigenen ,Via Dolorosa' von uns gegangen. Möge sein Glauben daran sich mehr und mehr ausbreiten, daß bei gutem Willen diese Welt Frieden finden kann. Nach der Rückkehr in das Hotel gab ich ihm damals ein Gedicht von Bessie A. Stanley. He has achieved success who has lived well, laughed often and loved much; who has gained the respect of intelligent men, the trust of pure women and the love of little children; who has filled his niche and accomplished his task; who has left the world better than he found it, whether by an improved poppy, a perfect poem or a rescued soul; who has never lacked appreciation of earth's beauty or failed to express it: who has looked for the best in others and given them the best he had; whose life was an inspiration; whose memory is a benediction. (Erfolgreich ist, wer vernünftig gelebt, oft gelacht und auch geliebt hat; wer die Achtung kluger Männer erwarb sowie das Vertrauen lauterer Frauen und die Liebe kleiner Kinder; wer seinen Platz ausgefüllt und seine Aufgaben durchgeführt hat; wer die Welt ein wenig zum Besseren geändert hat, sei es durch eine veredelte Blume, ein vollendetes Gedicht oder eine gerettete Seele; wer nie müde wurde, die Schönheit der Welt zu erkennen und zu lobpreisen; wer das Beste im anderen gesucht und selbst sein Bestes gegeben hat; erfolgreich ist der, dessen Leben andere beflügelte. Die Erinnerung an ihn ist ein Segen.) Diese Worte hätten für Axel Springer geschrieben sein können." 86

13 Niels Hansen: Vierzig Jahre Staat Israel Eindrücke als deutscher Botschafter 1981-1985

Worin liegt die besondere Faszination Israels, wie sie sich jedem Besucher alsbald mitteilt? Was macht den unverwechselbaren Reiz dieses kleinen Landes aus? Seine Erde, seine Geschichte, seine Menschen? Ich meine, sein „Geist". Von ihm wird der Staat Israel geprägt, dessen vierzigsten Geburtstag der Deutsche Koordinierungsrat als Jahresthema gewählt hat. Kann ihn ein Ausländer fassen, begreifen, vermitteln? Die Tätigkeit als Botschafter im Heiligen Land mag es erleichtern, ihm näherzukommen. Wie drückt sich dieser Geist aus? Als Deutscher tut man gut, das Phänomen „Altneuland", wie es Theodor Herzl genannt und visionär verkündet hat, nicht nur mit dem Kopf auszuloten. Auch das Herz erweist sich manchmal als guter Ratgeber. Was zieht den breiten Strom gerade auch so vieler deutscher Reisender aller Art nach Israel? Himmel und Sonne, die vielgestaltigen landschaftlichen Schönheiten, die Bäume und Blüten? Haifa, Tel Aviv und, vor allem, — das seit 1967 wiedervereinigte — Jerusalem? Die jüdischen, christlichen und anderen antiken Stätten, die Archäologie, die bedeutenden Museen? Das Experiment der Kibbuzim und Moschavim? Die demokratischen Institutionen? Die Schulen und Universitäten, das Weizmann-Institut, die wissenschaftlichen und kulturellen Spitzenleistungen? Das „dichte Leben"? Letztlich bestimmen die Menschen den Geist des Landes, in erster Linie die jüdischen Israelis in ihrer ethnischen Vielfalt — geeint durch den uralten Glauben, doch uneins über seinen Einfluß auf Staat u n d Gesellschaft. Mit den häufig abenteuerlichen Lebensgeschichten der älteren Einwanderer aus Europa, die vor 1945 sehr oft von der Verfolgung geformt sind. Mit ihrem Individualismus, ihrer Intelligenz, Lebensweisheit, Selbstironie und gelassenen Tapferkeit, ihrem wehmütigen H u m o r und Wirklichkeitssinn, der auch an Wunder glauben muß, ihrer Familiensolidarität über die Generationen hinweg, ihren religiösen Festen, ihren existentiellen Sorgen und ihrer Lebensfreude u n d Heiterkeit, ihrer Formlosigkeit, Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Aufbau und Ausbau des Staates Israel sind eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte. Weitgehend aus dem Nichts, wenn auch zielstrebig schon seit dem Ende des letzten Jahrhunderts vorbereitet, wurde in wenigen Jahrzehnten ein blühendes Staatswesen geschaffen. Es hatte sich in einer überwiegend feindlich eingestellten Umwelt zu behaupten, die sich mit ihm, von Ägypten seit 1979 abgesehen, immer noch im Kriegszustand befindet. Die nach 1933 aus dem deutschen Sprachraum geflüchteten „Jeckes", von denen es bald keine mehr geben wird, haben dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Wenn wir dies heute, vierzig J a h r e nach der formellen Staatsgründung, im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit" zu würdigen versuchen, muß zunächst 87

Austausch in Kunst und Wissenschaft unterstrichen werden, d a ß es sich hier geschichtlich u m einen ganz unvergleichbaren Vorgang handelt: Ein Volk kehrt in seine angestammte Heimat zurück, aus der es vor fast zwei J a h r t a u s e n d e n in die Diaspora „zerstreut" worden war. In sein geistiges u n d religiöses Ursprungsland, zu dem m a n stets innerliche Bindungen aufrechterhalten hatte. U n d wo auch durch die Zeitläufe hindurch, die Kontinuität sogar materiell wahrend, immer J u d e n gelebt hatten: Als die Einwanderung aus E u r o p a mit d e r ersten „Aliya" 1882 a u f g r u n d d e r Pogrome in Rußland begann, lebten im Heiligen Land etwa 25.000 J u d e n , die meisten in Jerusalem und in d e n anderen drei „heiligen Städten" Safed, Tiberias u n d - im heutigen Westj o r d a n l a n d gelegen - H e b r o n . Die „ H e i m k e h r ins Unbekannte", wie es Gerda Luft in ihrem erregenden gleichnamigen Buch über die deutschjüdische Einwanderung g e n a n n t hat, geschah unter in vielfacher Hinsicht schwierigen Umständen. Wer von uns Nichtjuden vermag zu ermessen, wieviel Gläubigkeit u n d Glauben dazu gehörte, die uralte H o f f n u n g zu verwirklichen? Aber auch wieviele bittere E r f a h r u n g e n in der Zerstreuung, welche die zionistische Sehnsucht nach einem eigenen Gemeinwesen, in dem es sich sicher leben ließ, erst verständlich machen. Ein gewichtiges Problem lag natürlich darin, d a ß vom Land d e r Väter bereits auch andere, im wesentlichen Araber, Besitz e r g r i f f e n hatten u n d dort lebten. Zu ihnen hatte sich indessen seit den letzten zwei J a h r z e h n t e n des vorigen J a h r h u n derts im Verfolg jüdischer Einwanderung das zahlenmäßige Verhältnis laufend zugunsten d e r J u d e n verschoben. Wir denken dabei vor allem auch an die —zum Teil „illegale" — Immigration der etwa 50.000 deutschen J u d e n nach d e m Schicksalsjahr 1933 u n d d a n n — die „Exodus" ist zu einem Symbol geworden—der Überlebenden des Holocaust mit all ihrer tragischen Dramatik. Bei d e r Staatsgründ u n g am 14. Mai 1948 standen in Palästina r u n d 650.000Juden k n a p p doppelt so vielen Arabern gegenüber. Die Unabhängigkeitserklärung gewährleistete d e n — moslemischen u n d christlichen — Arabern in Israel die gleichen Rechte, u n d sie enthielt zudem das Angebot, mit den Arabern außerhalb zusammenzuarbeiten und ihnen zu helfen. Man weiß, d a ß dieses Anerbieten nicht a n g e n o m m e n wurde, daß acht Stunden später von allen Seiten der Angriff auf das gerade gegründete Staatswesen erfolgte u n d daß Israel im Unabhängigkeitskrieg sein Staatsgebiet in d e n von der Völkergemeinschaft später weit überwiegend a n e r k a n n t e n Grenzen konsolidierte. Man weiß, d a ß viele hunderttausende Araber im Verlauf des Krieges daraus flüchteten. All dies hat die Entwicklung des j u n g e n Staates mit einer schweren Hypothek belastet, aus d e r sich nicht zuletzt vier weitere opfervolle Kriege ergaben. Sie ist noch nicht abgetragen, u n d die Zinsen sind in m e h r f a c h e r Hinsicht nach wie vor hoch und schwer. Weitere inhärente Schwierigkeiten kamen hinzu. Israel ist kein reiches Land, und es umfaßt ausgedehnte Wüstengebiete, vor allem den Negev. Wie gerne hätte man auf „Milch u n d Honig" zugunsten von Erdöl u n d Wasser verzichtet! Das Wort Wilhelms II. von 1898 in Jerusalem „Schatten u n d Wasser fehlen diesem 88

13 NielsHansen: Vierzig Jahre Staat Israel—Eindrücke als deutscher Botschafter 1981—1985 Land" ist auch heute noch akut. Die ausgebeuteten Erdölquellen von Abu Rodeis im besetzten Sinai, die immerhin etwa 40 % des israelischen Erdölbedarfs abdeckten, wurden nach dem Friedensvertrag mit Ägypten aufgegeben. Israel hängt in seiner Energiezufuhr vorerst wieder weitgehend vom Ausland ab. Die Wasserversorgung, die nicht zuletzt auch f ü r die Erschließung unfruchtbarer Gebiete Bedeutung besitzt, ist nach wie vor prekär und f ü h r t im übrigen immer wieder zu Differenzen mit den Nachbarländern, vor allem mit Syrien. Schatten vor der im Sommer sengenden Sonne gibt es heute reichlicher (wenn auch noch nicht genug), und die systematische Aufforstung gehört zu den bleibenden Leistungen des jungen Staates. Ebenso wie die Trockenlegung umfangreicher malariaverseuchter Sumpfgebiete, die unter unvorstellbaren Entbehrungen schon f r ü h gelang. Die gewaltigen Errungenschaften bei der Verwirklichung des T r a u m s von Herzl — „wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen" —, die mit so viel Ingenium, Tapferkeit und Zähigkeit unter so schweren O p f e r n erkämpft werden mußten, stellen gewiß den tiefsten Eindruck dar, den der in Israel akkreditierte Diplomat gewinnt. Wie viele weitere spektakuläre Beispiele ließen sich da anführen, u n d wie berechtigt ist der Stolz auf diese historisch einmalige Pionierleistung, vor der etwa das deutsche „Wirtschaftswunder" verblaßt! Ja, es waren Generationen von Pionieren, die dieses W u n d e r bewirkten, und das Wort „Chaluzim" hat auch heute noch — mit vollem Recht — einen heroischen, beinahe romantischen Klang in Israel. Diese exemplarische Willensleistung wäre jedoch nicht gelungen ohne die intellektuellen Fähigkeiten d e r Juden, die sie in der Diaspora zum Überleben entwickeln und schärfen mußten, und die eine wesentliche Voraussetzung d a f ü r waren, in der neuen, weitgehend widrigen Umwelt zu bestehen. Israel ist vor allem eine geistige Schöpfung mit allem, was das beinhaltet. Die erstaunliche Entwicklung etwa einer intensiven, hochdifferenzierten und -rationalisierten Landwirtschaft auch unter heiklen meteorologischen, bodenmäßigen und sonstigen Bedingungen wäre anderenfalls nicht möglich gewesen. Ähnliches gilt f ü r die Schaffung einer eigenständigen mittelständischen Industrie, die sich immer stärker auf zukunftsträchtige Bereiche der Hochtechnologie hin orientiert, und hier mag das Fehlen von Bodenschätzen letztlich ein gewisser Vorteil gewesen sein. Das Weizmann-Institut symbolisiert diese Dimension. Die geistigen Leistungen Israels gehen indessen natürlich weit über den technisch-naturwissenschaftlichen Aspekt hinaus. Die J u d e n sind ja seit jeher, schon dank ihrer Religion, ein typisches Kulturvolk, und das wird in Israel auf Schritt und Tritt deutlich. Im „Konzeptionellen", z. B. dem kühnen Experiment der Kibbuzim, in den Geisteswissenschaften und im eigentlichen kulturellen Bereich. Nirgendwo sonst werden pro Kopf so viele Bücher gelesen wie in Israel. Ein „Volk des Buches", aber auch der Kunst in allen ihren Ausprägungen, sei es Musik, Malerei und Plastik oder Theater, die bezeichnenderweise über die bekannten Spitzenleistungen weit hinausgehen und — aktiv und passiv — erhebliche Brei89

Austausch in Kunst und Wissenschaft tenwirkung erreichen. Die Zeit verbietet es mir, hierüber im einzelnen zu berichten. Die hebräische Sprache hat hier ihren Platz, deren erfolgreiche Wiederbeleb u n g u n d Anpassung als Umgangsidiom d u r c h Eliezer Ben-Jehuda vor d e r J a h r h u n d e r t w e n d e im Heiligen Land ein geistiges Abenteuer besonderer Art darstellte. Auch dies eine unvergleichliche Leistung, die f ü r das Zusammenwachsen des Staatsvolks aus Einwanderern verschiedenster S p r a c h g r u p p e n auf d e r Grundlage der uralten gemeinsamen biblischen Tradition von großer Tragweite war u n d i m m e r noch ist. Zudem eine verstandesmäßige H e r a u s f o r d e r u n g f ü r all diejenigen, die außerhalb Israels in einer a n d e r e n Muttersprache groß w u r d e n . Andererseits gewiß ein Problem bei d e m lebenswichtigen Bemühen, sich nicht abzukapseln, sondern im Gegenteil mit d e r westlichen Welt u n d ihren Gemeinsamkeiten, aber auch mit d e n arabischen Landsleuten u n d Nachbarn — d u r c h die Erlernung des Englischen und/oder des Arabischen, bekanntlich ebenfalls Staatssprache, F ü h l u n g zu halten. Meine Damen u n d H e r r e n , d e r jüdische Geist — auch dies gehört zu meinen E r f a h r u n g e n — ist seit j e h e r kritisch u n d selbstkritisch, u n d die Israelis sind zu klug, u m sich nicht ü b e r die d r ä n g e n d e n Probleme klar zu sein, mit d e n e n d e r Staat nach wie vor zu ringen hat. Lassen Sie mich ergänzend auf zwei besonders hinweisen. Das Zusammenwachsen von Immigranten aus über h u n d e r t Herkunftsländern stellt eine Bereicherung ebenso wie eine H e r a u s f o r d e r u n g dar. Sie wirft bei der vollständigen Integrierung d e r aus d e m Orient stammenden J u d e n — u n d dies gilt natürlich erst recht f ü r die vor einigen J a h r e n eingetroffenen äthiopischen „Falaschen" — komplizierte Fragen auf. Die stärksten Landsmannschaften unter ihnen sind - in dieser Reihenfolge — die Marokkaner, Iraker u n d Jemeniten. Sie unterscheiden sich, eine Folge des j a h r h u n d e r t e l a n g e n Aufenthalts in vorwiegend arabischen Ländern, in Ethnizität u n d Mentalität m e h r o d e r weniger ausgeprägt von d e n — vor allem aus Europa, den USA u n d Südafrika kommenden — westlichen Einwanderern. (Die beiden G r u p p e n decken sich übrigens nicht, wie dies o f t fälschlich unterstellt wird, mit d e n religiös bestimmten Kategorien d e r aschkenasischen u n d sephardischen J u d e n , welch letztere ja in Nordamerika u n d Deutschland eine beträchtliche Rolle spiel(t)en.) Sie machen heute bereits etwa 60 % d e r jüdischen Staatsbürger Israels aus, wobei die statistische Z u o r d n u n g allerdings bei den Nachkommen d e r zahlreichen Mischheiraten fraglich bleibt. Die orientalischen Einwanderer, die überwiegend in den unmittelbar auf die Unabhängigkeit folgenden J a h r e n nach Israel kamen, hatten es oft nicht leicht in einer im wesentlichen europäisch geprägten Gesellschaft u n d politischen Klasse. Ihre Eingliederung hat zwar beträchtliche Fortschritte gemacht, u n d sie beginnen n u n auch in wichtige politische Führungspositionen einzurücken, doch besteht i m m e r noch ein gewisses soziales Gefälle zu ihrem Nachteil mit den sich daraus e r g e b e n d e n kritischen Frustrationen, wie sie z. B. Arnos Oz in seiner bekannten Artikelserie 1982 im „Davar" (bei u n s u n t e r d e m Titel „Im Lande Israel" in 90

13 Niels Hansen: Vierzigjakre Staat Israel—Eindrücke als deutscher Botschafter 1981—1985 Buchform erschienen) geschildert hat. Ich bin zuversichtlich, daß sich die orientalischen J u d e n auch weiterhin gemäß dem attraktiveren „westlichen" Modell in die israelische Gesellschaft integrieren werden. Den Kontakten zu ihnen, vor allem zu den Jemeniten mit ihrer anziehenden eigenständigen Kultur und Folklore, verdanke ich unvergeßliche Erlebnise. Bundeskanzler Kohl ist 1984 mit einer Vereinigung von ihnen — wohl als erster ausländischer Politiker von Rang — in Jerusalem an einem bewegenden Abend zusammengetroffen. Ich meine, wir sollten sie an den deutsch-israelischen Beziehungen, etwa beim Jugendaustausch, ganz bewußt beteiligen. Die Notwendigkeit ständiger Verteidigungsbereitschaft muß mit einer beträchtlichen Verringerung des Lebensstandards erkauft werden. Das oft fälschlich als übertrieben e m p f u n d e n e Gefährdungsbewußtsein der Israelis beruht auf der leidvollen jahrtausendealten jüdischen Geschichte, bei welcher der Holocaust n u r einen — indessen auch in seinen Ausmaßen besonders tragischen — Teil darstellt. Israel investiert zu Lasten der übrigen Volkswirtschaft einen unverhältnismäßig hohen Anteil seines Volkseinkommens und seiner Kreativität in den militärischen Bereich. Die Dienstpflicht dauert f ü r Männer drei, f ü r Frauen zwei Jahre mit laufenden späteren Übungen. Die Israelis haben in den fünf Kriegen seit der Unabhängigkeitserklärung einzigartige soldatische Leistungen gegen zahlenmäßig überlegene Gegner vollbracht, die die Bewunderung der ganzen Welt hervorriefen. Sie mußten jedoch mit mehr als 15.000 Gefallenen erkauft werden, f ü r ein kleines Land mit nur etwa 3,5 Millionen jüdischen Staatsbürgern eine hohe, viel zu hohe Zahl, an der fast j e d e Familie schwer trägt. Der Terrorismus innerhalb und außerhalb Israels kostet zudem ständige Opfer — seit 1967 über 450 Tote — und erfordert stete Wachsamkeit. All das ist einer der Gründe f ü r dauernden inflationären Druck, der in letzter Zeit jedoch wieder besser unter Kontrolle gebracht werden konnte. Daraus ergeben sich nicht zuletzt auch empfindliche Ungleichgewichte im Haushalt, die etwa im Hochschulwesen jüngst zu dramatischen Kürzungen geführt haben, sowie allgemein eine Einbuße an Lebensqualität, die längerfristig auch Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung einer angemesenen Bevölkerungsstärke aufwerfen mag. Die finanzielle Hilfe von J u d e n aus dem Ausland, besonders den USA, stellt n u r einen unvollständigen Ausgleich hierfür dar. Gerade auch unter diesem Aspekt benötigt Israel Frieden, und es ist kein Zufall, daß Shalom zum bekanntesten Wort der reichen hebräischen Sprache geworden ist. Frieden mit allen seinen Nachbarn in d e r engeren u n d weiteren Region. Frieden auch im Innern. Hierbei denke ich an das Verhältnis des jüdischen zum arabischen Bevölkerungsteil des Staates, aus dem sich nach meinen Erkenntnissen vor Ort übrigens —jedenfalls nach außen — weniger spürbare Probleme ergeben als man im allgemeinen annimmt. Die r u n d 750.000 Araber sind loyale Staatsbürger, die übrigens keinen Militärdienst leisten müssen, obwohl einige von ihnen, besonders die Drusen, dies tun. Ich sage dies auch nach den bedauerlichen Vorkommnissen des 21. Dezember 1987. Die Bemühungen im Sinne des exemplarischen Vorhabens des jüdisch-arabischen Dorfes Neve Shalom, das 91

Austausch in Kunst und, Wissenschaft

1987 ja mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet wurde, unterstützen zahlreiche Israelis aller drei Konfessionen, was ich im einzelnen unschwer erläutern könnte. Ich denke aber auch an die politische Polarisierung vieler jüdischer Bürger, wobei ich offenlassen möchte, welche Rolle die vielzitierte Erfahrung „Zwei Israelis — drei Meinungen" bei ihr spielt. Die im Herbst bevorstehenden Knessetwahlen könnten, so ist zu besorgen, an der derzeitigen Patt-Situation nicht viel ändern. Sie erschwert es, sich israelischerseits — prozedural und in der Substanz — auf ein Konzept für die Überwindung der internationalen Spannungen zu einigen, die von den Menschen der leidgeprüften Region so sehr herbeigesehnt wird. Der Status der Westbank und des Gaza-Streifens mit ihrer weit überwiegend arabischen Bevölkerung, die seit 1967 von einer auf etwa 1,3 Millionen Menschen angewachsen ist, muß zwischen allen Beteiligten einvernehmlich geklärt werden. Dies wird schon deshalb nicht einfach sein, weil sich zwischen diesen Gebieten und Israel seit dem Sechstagekrieg in mehr als zwei Jahrzehnten — über die dort bestehenden israelischen Siedlungen weit hinaus — intensive strukturelle und wirtschaftliche Verklammerungen ergeben haben. Dabei gilt es sich darüber im klaren zu sein, daß dieser Krieg vom Juni 1967 ein Israel aufgezwungener Verteidigungskrieg gewesen ist. Die Unruhen der letzten Monate in den sogenannten Schtachim, den Territorien, vor allem im Gaza-Streifen, mit seinen über 500.000 Arabern eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, haben in der Tat bedrückende Ausmaße angenommen. Hier wuchs ein Konfliktpotential heran, das sich nur mehr schwer kontrollieren läßt. Zunehmend gewinnen radikale, militante islamische Kräfte an Einfluß, Fundamentalisten, die man ja übrigens auch in benachbarten arabischen Staaten mit Recht zu fürchten hat. Zwar ist der Wohlstand und das Bildungsniveau der Bevölkerung besonders im Westjordanland in den zwanzig Jahren israelischer Herrschaft erheblich gewachsen — es wurden in diesem Zeitraum die dort bestehenden sieben Universitäten gegründet—, doch kann es ja als geschichtliche Erfahrung gelten, daß die Anhebung des Lebensstandards Unabhängigkeitsbestrebungen nicht entgegenwirkt — oft im Gegenteil. Auch ist es kein Zufall, daß so viele junge Menschen das Banner des Aufruhrs tragen. Tragisch ist es, daß diese Ereignisse das 40. Gründungsjubiläum des Staates belasten und überschatten. Wird all das diejenigen im politischen Spektrum Israels nachdenklich stimmen, welche die Souveränität über Judäa und Samaria, die jüdischen Stammlande der Bibel, aus ideologischen und geschichtlichen Gründen voll aufrechterhalten wollen? Ich bekomme manchen Brief aus Israel, der darauf hindeutet, auch von solchen, die sich nicht als „Tauben" einordnen lassen. Ein dauerhaftes Arrangement würde nicht zuletzt dem Bild Israels in der Welt zugutekommen, das unter der derzeitigen Lage unvermeidlicherweise stark leidet. Da hilft es leider nicht viel, daß Israel darauf hinzuweisen vermag, ein Rechtsstaat zu sein, daß Auswüchse bei der Gewährleistung von Ruhe und Ordnung, wie sie in dieser für junge Soldaten äußerst schwierigen psychologischen Situation in der Abwehr von Steinwürfen und Brandbomben eben vorkommen, 92

13 Niels Hansen: Vierzig Jahre Staat Israel—Eindrücke ah deutscher Botschafter 1981—1985

penibel verfolgt werden. Daß gegen Ausweisungen appelliert werden kann. Und etwa auch, daß man 1982ja nach den schlimmen Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im Libanon, für die Israelis allenfalls mittelbar verantwortlich waren, ein gerichtliches Untersuchungsverfahren eingeleitet hatte, von dem die inkriminierten Unterlassungen empfindlich geahndet wurden. Wir sollten uns davor hüten, selbstgerecht einseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen, wie dies seitens der Medien - nicht nur anläßlich der gegenwärtigen Unruhen — überall in der freien Welt geschieht. Ich habe den Israelis übrigens schon während des Libanon-Krieges zu vermitteln versucht, daß die Anlegung strenger Maßstäbe durch die westliche Presse im Grunde genommen deshalb positiv zu bewerten ist, weil man Israel nach freiheitlichen, demokratischen Kriterien beurteilt, was damals ebenso wie jetzt hinsichtlich der anderen Seite oft nicht geschah und geschieht. Freunde in der Not sind bekanntlich selten, und Israel benötigt sie gerade in dieser schwierigen Lage. Verdienen nicht just auch diejenigen Kritik, die seit Jahren Terror predigen und üben, die auch jetzt wieder Kinder ins Gefecht schicken, die wie die PLO in ihren Statuten dem Staat Israel Feindschaft geschworen haben und die nicht bereit sind, seine Existenz anzuerkennen, die nach dem Grundsatz „alles oder nichts" Kompromisse zurückweisen? Die Dinge sind äußerst kompliziert, und undifferenzierte Verurteilungen bieten sich ebenso wenig an wie wohlfeile Patentlösungen. Dabei gilt es in Rechnung zu stellen, daß das israelische Kernland sich geographisch nicht leicht verteidigen läßt. Die „Wespentaille" zwischen „grüner Linie" bei Kalkiliya und Mittelmeer nördlich von Tel Aviv ist nur knapp sechzehn Kilometer breit. Dies spielt bei den Erwägungen hinsichtlich einer Friedenslösung auch bei denjenigen politischen Kräften in Israel eine Rolle, welche die seit dem Sechstagekrieg bestehende Souveränität über den größten Teil der infragestehenden Gebiete aus guten, nicht zuletzt demographischen Gründen nicht aufrechterhalten wollen. Was wäre passiert, hätte der Angreifer im Yom-KippurKrieg 1973 von hier aus zuschlagen können? Der Golan besitzt strategisch, wie die Erfahrung zeigt, ebenfalls erhebliches Gewicht. Ganz andere Probleme stellen sich für das seit 1967 wiedervereinigte Jerusalem, dessen Ostteil ja von Israel — im Gegensatz zu den „verwalteten Gebieten" — als zu seinem Staatsgebiet gehörig bestimmt worden ist. Wer die Bilder und Filme von der gewaltigen Kundgebung an der wieder zugänglichen Klagemauer während des Sechstagekrieges mit ihrer überschäumenden Freude und tiefen Gläubigkeit gesehen hat, vermag sich eine Vorstellung davon zu machen, was Jerusalem den Israelis bedeutet. Ihre ganz überwiegende Mehrheit wird nicht bereit sein, die Souveränität über die östlichen Bezirke der Stadt wieder aufzugeben, wohl jedoch, sich weitgehenden ein vernehmlichen Regelungen zu unterwerfen, mit welchen — wie bisher — der Schutz der arabischen Bewohner sowie die Verwaltung der christlichen und muslemischen heiligen Stätten und der ungehinderte Zugang zu ihnen garantiert wird. 93

Austausch in Kunst und Wissenschaft Rasche, wesentliche Fortschritte in all diesen schwierigen Fragen sind aus vielerlei komplexen G r ü n d e n nicht einfach, wie dies auch die kürzlichen NahostReisen von Außenminister Shultz wieder gezeigt haben. Fortschritte sind aber Voraussetzung f ü r einen umfassenden Frieden, d e r — ein wesentliches Element gerade auch d e r deutschen Nahost-Politik — die staatliche Existenz Israels in gesicherten und a n e r k a n n t e n Grenzen d a u e r h a f t zu gewährleisten hat. Enge u n d vertrauensvolle Beziehungen aller westlichen Länder zu Israel werd e n zur Lösung dieser seiner Probleme einen gewichtigen Beitrag leisten können. Der Westen besitzt schon deshalb ein ganz erhebliches Interesse daran, weil Israel j a die einzige Demokratie liberalen Zuschnitts im Nahen u n d Mittleren Osten ist. Sie kompromißlos zu bewahren ist nicht i m m e r einfach in einer äußerst schwierigen U m g e b u n g , die es in Rechnung zu stellen gilt, wenn man, „vom sicheren Port gemächlich ratend", gewisse extremistische Strömungen in d e r israelischen Innenpolitik anklagend beklagt. Ich bin überzeugt davon, d a ß es gelingt, auch künftig mit ihnen fertigzuwerden. Daß vornehmlich wir Deutsche in unserem Verhältnis zu Israel g e f o r d e r t sind, ergibt sich schon aus d e n tiefen W u n d e n d e r Geschichte, die d o r t - wie könnte es anders sein? — schwere, schmerzhafte Narben hinterlassen haben. 1988 j ä h r t sich zum 50. Mal d e r Pogrom vom 9./10. November, eines der schmachvollsten Ereignisse d e r deutschen Geschichte. Der Demjanjuk-Prozeß in Jerusalem wird gerade auch von d e n j ü n g e r e n Israelis mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt. Die Beziehungen u n s e r e r beiden Länder haben sich in d e n vergangenen zwei J a h r z e h n t e n z u n e h m e n d positiv gestaltet, und dies gehört zu den bedeutendsten Entwicklungen d e r Nachkriegsepoche. Nicht zuletzt im menschlichen Bereich sind sie heute auf einigen Gebieten (z. B. bei den Städtepartnerschaften, im J u gendaustausch, seitens d e r Gewerkschaften, in Wissenschaft und Kultur im weitesten Sinne) dichter als diejenigen zwischen den meisten anderen Staaten. Dies gilt relativ etwa auch f ü r d e n ständigen Strom wichtiger — amtlicher u n d privater — deutscher Besucher seitens Exekutive, Legislative u n d Judikative, aus Bund, L ä n d e r n u n d Gemeinden, von Wissenschaftlern, Künstlern, Rotariern usw. Der Reisefluß aus Deutschland nach Israel wird in diesem Jubiläumsjahr besonders breit sein, u n d das schafft gelegentlich f ü r eine mittelgroße Botschaft in einem kleinen Land arbeitsmäßige u n d sonstige Probleme. Diese Intensität h ä n g t mit den Schrecken dessen, was wir verschämt die Vergangenheit n e n n e n , — n u r vordergründig paradoxerweise — zusammen. Die sogenannte deutsch-jüdische Symbiose, deren Kinder u. a. Marx, Freud u n d Einstein gewesen sind, die sich in d e r Zeit d e r Weimarer Republik besonders schöpferisch auswirkte u n d die d a n n ü b e r Nacht — und in die Nacht hinein — so grausam zerstört wurde, ist zwar unwiederbringlich dahin, doch haben wir, so meine ich, nach d e r Katastrophe in m a n c h e m d a r a n anzuknüpfen vermocht. Unabdingbare Voraussetzung f ü r ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis war u n d bleibt die Zuversicht d e r Israelis, es mit einem n e u e n , auf Dauer demokratischen, pluralistisch ausgerichteten Deutschland zu tun zu haben. Ein Deutsch94

13 Niels Hansen: Vierzig]ahre Staat Israel—Eindrücke als deutscher Botschafter 1981—1985

land, in dem man die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und das, was den Juden damals durch Deutsche und im deutschen Namen an Unfaßlichem angetan wurde, nicht verdrängen und vergessen will — so schwer dies für die Jüngeren auch sein mag, die mit den Verbrechen ja nichts zu tun haben konnten und für die sie ebenfalls ein — indessen ganz anders geartetes — Trauma darstellen, mit dem sie fertigwerden müssen. Bei den deutsch-israelischen Schulbuchgesprächen wurden in diesem Zusammenhang keine Beanstandungen erhoben, und in den letzten Jahren hat sich die deutsche Publizistik zunehmend mit der Hitlerschen Judenverfolgung auseinandergesetzt. Die Reizschwelle ist begreiflicherweise niedrig, denn die Vergangenheit ist in Israel nach wie vor gegenwärtig, stärker als man dies bei uns in Deutschland gemeinhin annimmt. Es leben dort ja noch viele Menschen, die in den Lagern Unvorstellbares erleiden mußten und die dort Kinder, Eltern und Geschwister verloren haben. Das Auschwitzmal, das ich schon in den USA gelegentlich mit Betroffenheit gewahrt hatte, sah ich in Israel häufiger, zum erstenmal bei der Übergabe des Beglaubigungsschreibens am Arm der Frau, die den Sekt servierte. Gewiß, die unmittelbar Betroffenen werden in absehbarer Zeit nicht mehr leben. Indessen hat kein Volk ein so enges Verhältnis zu seiner Geschichte wie das jüdische. Der frühere Staatspräsident Navon erläuterte dies einmal einer Gruppe deutscher Jungen und Mädchen, als er bemerkte, seine kleine Tochter habe ihm Vorwürfe gemacht, weil er mit dem italienischen Botschafter zu Mittag aß — dem Vertreter eines Volkes, das vor zweitausend Jahren den Zweiten Tempel zerstörte. Es ist eine leidvolle Geschichte, und der Holocaust ist Teil davon. Wie könnte er je vergessen werden - ganz abgesehen vom politischen Interesse Israels, das sich als Schutz- und Heimstätte für alle Juden versteht, die Erinnerung daran wachzuhalten? Der Holocaust ist präsent, nicht zuletzt bei den Jüngeren, die darüber auch im Schulunterricht erfahren. Dies gilt nicht nur für die aus Europa stammenden Israelis und ihre Nachkommen, sondern auch für die aus dem Orient eingewanderten, die — von Ausnahmen abgesehen — der Judenpolitik Hitlers nicht ausgesetzt waren. Es liegt an uns Deutschen, zur Aufhellung der Schatten beizutragen und in Israel das Bewußtsein zu stärken, daß es wieder ein besseres Deutschland gibt, dessen politische Ordnung Bestand hat. Ein besonderes Kapitel ist dabei die — historisch nur zu gut erklärliche — Besorgnis vieler Israelis über den Antisemitismus in der westlichen Welt und damit auch in Deutschland. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß in Israel vieles als Antisemitismus gedeutet wird, das meiner Überzeugung nach damit in der Substanz nichts zu tun hat, wie z. B. ablehnende Reaktionen auf die Intervention im Libanon von 1982. Mit der Unterstellung von Antizionismus gilt es m. E. ebenfalls behutsam umzugehen; sachliche Kritik etwa an bestimmten Aspekten der israelischen Westbank- und Gazapolitik, die man ja auch in Israel selbst erhebt, wird nur bei recht weiter Auslegung dieses Begriffs darunter subsumiert werden können. Kein Volk hat aber andererseits ein so waches Gefühl für wirkliche Sympathie 95

Austausch in Kunst und Wissenschaft u n d Freundschaft, keines vergilt sie so sehr mit Zuneigung u n d Zutrauen wie das jüdische. J e stärker die Israelis das Gefühl haben, mit F r e u n d e n zu sprechen, desto m e h r werden sie auch geneigt sein, d e r e n Versicherungen zu glauben, d a ß Ausgewogenheit d e r westlichen Nahostpolitik auch im israelischen Interesse liegt, weil sie d e n westlichen Einfluß auf die arabischen L ä n d e r stärkt u n d damit einer einvernehmlichen Friedenslösung förderlich ist. Nach wie vor ist es j e d o c h so, d a ß auch gutgemeinte öffentliche Ratschläge von deutscher Seite in Israel leicht als taktlos e m p f u n d e n werden u n d kontraproduktiv wirken, i n d e m sie „Tauben" u n d „Falken" im Abwehrreflex solidarisieren. Die deutsch-israelischen Beziehungen haben sich in manchen Bereichen zu einer echten Partnerschaft entwickelt—dies ist eine wichtige Gegebenheit von politischer Bedeutung, die es im 40. G r ü n d u n g s j a h r Israels nicht n u r bei u n s festzuhalten gilt. Die Besuche von Bundespräsident von Weizsäcker in Israel 1985 u n d von Staatspräsident Herzog in Deutschland 1987 waren H ö h e p u n k t u n d Symbol dieser Partnerschaft. F ü r sie setzt sich auch die in Deutschland lebende — leider n u r noch sehr kleine — jüdische Gemeinschaft erfreulicherweise immer u n b e f a n gener ein. Diese hat, so will mir scheinen, ein gesteigertes Selbstbewußtsein gewonnen, das jetzt auch in Israel anerkannt wird. Die beschriebene Entwicklung ist f ü r uns Deutsche kein Anlaß zur Selbstzufriedenheit, sondern sie bedeutet stete H e r a u s f o r d e r u n g u n d Ansporn, die zarte Pflanze behutsam u n d engagiert weiter zu pflegen. Wir können uns dabei nicht n u r auf gleichgerichtete Interessen, sondern auch auf identische moralische Werte sowie die Gemeinsamkeiten der beiden Religionen, deren man sich i m m e r deutlicher bewußt wird, u n d auf unsere jüdisch-christlich geprägte Zivilisation und Kultur stützen. Wir wünschen Israel zu seinem Geburtstag Glück u n d Segen. Am besten t u n wir es mit d e m uralten Trinkspruch „Lechaim" — zum Leben u n d , eng d a r a n geknüpft, mit einem herzlichen „Shalom".

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Aus der Dankrede von Ministerpräsident Johannes Rau anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Haifa am 2. April 1986

„(...) Meine Gesprächspartner hier wissen, und sie sollen es wissen, daß unsere guten Dienste ihnen jederzeit zur Verfügung stehen. Sie müssen uns richtig verstehen: Es geht uns natürlich um das Schicksal der Menschen in dieser Region, aber es geht hier in Wahrheit auch um Europa. Der Friede ist unteilbar und wer in Europa in Frieden leben will, der muß sich auch um Frieden hier bemühen, hier im Nahen Osten. Deshalb möchte ich auch Israel und seine Bürger bitten, nicht nachzulassen in dem Bemühen, vertrauensbildend in ihrem Umkreis zu wirken. Und damit meine ich: Überall dort, wo erkennbar der Gewalt gegen diesen Staat und seine Menschen abgeschworen wird. Diese Bereitschaft, durch Vertrauen, durch das Angebot von Partnerschaft zu stabilen Verhältnissen zu kommen, steht einem klaren Selbstbehauptungswillen nicht im Wege. Wir Europäer haben jedenfalls die Erfahrung gemacht, daß Stabilität und Friedenssicherung sehr viel mit ökonomischer Prosperität, ja sogar mit gegenseitiger wirtschaftlicher Verflechtung zu tun haben, also mit dem auch bei den Bürgern entwickelten Gefühl, daß man wirtschaftlich einander nützlich ist. Lassen Sie mich einen zweiten Gedanken aussprechen, der zu der Beschämung gehört, die ich empfinde. Hitlers Mord an den Juden hat das Zusammenleben der Deutschen und der Juden aufs Furchtbarste getroffen und belastet. Aber diese zwölf Jahre haben nicht auslöschen können, was in deutscher Geistes- und Kulturgeschichte durch jüdische Denker und durch jüdische Künstler fruchtbar geworden ist. Und jetzt möchte ich am liebsten die Zettel beiseite legen und erzählen und zitieren von Heinrich Heine, von Börne, von Lassalle, von Artur Schnitzler und Jakob Wassermann oder von Karl Kraus, dem Wiener, und von Stefan Zweig. Von ElseLasker-Schüler, die aus meiner Heimatstadt Wuppertal stammt und an deren Grab ich vor zwei Tagen war, von Egon Erwin Kisch, von Kurt Tucholsky, vonJoseph Roth oder gar von einem Mann wie Martin Buber, zu dessen Füßen ich noch sitzen durfte. Ich möchte aufklingen lassen Mendelssohn, Gustav Mahler und Schönberg und erinnern an Musiker wie Bruno Walter und Otto Klemperer, Artur Schnabel oder Rubinstein, ich möchte von großen jüdischen Frauen berichten; von Henriette Herz und Rahel Varnhagen oder von Rosa Luxemburg. Ich möchte von der Geschichte der Wissenschaft und Technik Kunde geben, von Männern wie Paul Ehrlich und Albert Einstein und Fritz Haber, von Gustav Hertz und Heinrich Hertz und Otto Warburg. Das ist nur ein Ausschnitt, der anschaulich macht, welchen Beitrag das Juden97

Austausch in Kunst und Wissenschaft tum zur deutschen Kultur geleistet hat und wieviel ärmer wir uns selber gemacht haben. Ich bin hier in Israel Auswanderern u n d ihren Söhnen u n d Töchtern begegnet, die auch davon sprachen. Dann wurden die Stimmen oft brüchig, wir haben einander in Erinnerung und in Trauer verstanden. Solche Erinnerung ist nicht nur Diskussionsstoff über den Weg der J u d e n in Deutschland und in Europa, sie kann und wird auch zu Selbstvertrauen und Kraft beim Neubau Ihres Staates gef ü h r t haben. Solche Kraft hat in den seit Hitler vergangenen vier Jahrzehnten zurückgewirkt und ausgestrahlt, auch in Deutschland. Freundschaften, Partnerschaften, Besuche hinüber und herüber zeugen davon. Das ist die eine Seite der heutigen Beziehung zwischen J u d e n und Deutschen. Aber ich d a r f a u c h eine andere Seite nicht unterschlagen. Zu dieser anderen Seite gehört das Erinnern, der Widerstand gegen die Erinnerung unter Deutschen. Es gehören dazu die , Wochen d e r Brüderlichkeit' und all das an Verarbeitung u n d Vergangenheit, was Männer wie Heinrich Boll u n d WalterJens und viele Tausende in den beiden Kirchen bewirkt haben. Aber es gehört auch dazu mancher Gedanke, daß dies alles nun einmal ein Ende haben müßte. Es gehört dazu das da u n d dort laut gewordene, tief verletzende antisemitische Zitat. Und ich will nichts verschweigen, keine schändende Schrift und Tat jugendlicher Neonazis und auch nicht die Auseinandersetzung u m ein plakativ gearbeitetes Theaterstück in Frankfurt, die dann beendet wurde mit der Einsicht, daß die seelische Verletzung von J u d e n nach Auschwitz etwas anderes ist als theologische oder politische Auseinandersetzung etwa zur Zeit von Moses Mendelssohn und Lessing, von Richard Wagners Schriften ganz zu schweigen. Ich kann und will vor Ihnen in Haifa dazu nicht anders sprechen als vor den jüdischen Bürgern in New York oder als zuhause in Duisburg, wo wir die ,Woche der Brüderlichkeit' mit einer wegweisenden Rede unseres Bundespräsidenten jüngst eröffnen konnten. Versöhnung kann nur sein, wenn unter Deutschen nicht verschwiegen, nicht vergessen u n d nicht verdrängt wird. (...)"

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Der israelische Premierminister Shimon Peres spricht vor Journalisten in Berlin

Es fällt mir nicht leicht, hier zu sprechen. Für uns nämlich ist Berlin dreidimensional: — eine Wiege der Kultur, auch jüdischer, aus der Denker, Schriftsteller, Dichter und Künstler hervorgegangen sind; — ein Ort, der zum Schwerpunkt unermeßlichen Hasses wurde und das NaziMonstrum hervorbrachte, das ein Drittel unseres Volkes vernichtete; — eine geteilte Stadt, die auf eine neue, eine bessere Zukunft hofft. Ich trage in mir das Erbe eines Volkes, in dessen Geschichte das dunkelste Kapitel mit Nazi-Deutschland verbunden ist. Ich trage in mir die Vision unserer Propheten, wonach eine neue, eine andere Welt aus der Asche auferstehen soll. 41 Jahre sind seit der Niederlage des Deutschen Reiches vergangen und noch ist kein Mittel vorhanden, unsere klaffende Wunde zu schließen. Die Zeit vergeht, die Erinnerungen bleiben. Der Staat Israel birgt in seinem Herzen Schmerz und Trauer um einen ganzen Stamm, der abgetrennt wurde; um die vielen Brüder und Schwestern, die Bürger Israels hätten werden können und dem Land ihre Kraft, ihren Geist und ihre Inspiration beigesteuert hätten. In jenen bitteren Jahren waren sie das isolierteste Volk auf Erden. „Ein Volk, das auf dem Altar der Rasse, des gierigsten Gottes, geopfert wurde." Ihre Kraft gaben sie in den neugeborenen Staat. Israel gab ihnen eine Heimat, eine Identität, eine Zukunft. Über 40 Jahre sind vergangen. Europa, das zahlreiche Kriege erlebte, Zerstörung und Leid erfahren hat, erfreut sich heute trotz Teilung eines Friedens. Die demokratischen Staaten, die die Europäische Gemeinschaft gegründet haben, vereint heute ein Bund der Freundschaft. Grenzen sind offen; Kultur dient dem menschlichen Miteinander. Völker und Menschen können gedeihen und träumen. Mein Volk kann und wird die Verbrechen nicht vergessen. Auch können wir nicht verzeihen. Dennoch nehmen wir die eingetretenen Veränderungen zur Kenntnis. Unser Verhalten hat sich an den Worten des Propheten Ezekiel zu richten: „Meint Ihr etwa... die Väter haben Heringe gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden?" und fügt hinzu: „Der Sohn soll nicht tragen die Missetat des Vaters, und der Vater soll nicht tragen die Missetat des Sohnes: sondern des Gerechten Gerechtigkeit soll über ihn sein und des Ungerechten Ungerechtigkeit soll über ihn sein." (Ezekiel 18) Es ist in der Tat eine neue Generation herangewachsen. Sie ist toleranter, offener, weiser. Eine Generation, die eine Welt der Partnerschaft, der Hoffnung und des Mitgefühls zu erbauen sucht. Diese, die andere Generation, möchte ich heute ansprechen. Sie haben Ihre gesamte Geschichte geerbt: ihre kulturelle Schönheit und Größe; ihre Dunkelheit und Greuel. Somit tragen Sie eine schwer99

Austausch in Kunst und Wissenschaft

wiegende Verantwortung, nämlich die, eine Welt aufzubauen, die frei von Haß und aufgeklärter ist. Wir dürfen nicht vergessen, daß es keine Ruhe, keinen Wohlstand auf der Welt geben kann, so lange Ungerechtigkeit, Hunger, Krankheiten und Rassendiskriminierung Haß und Gewalt erzeugen, so lange sinnloser Terrorismus nicht ausgerottet ist. Diejenigen, die ihre Augen vor der Vergangenheit verschließen, können die Gegenwart nicht deuten. Diejenigen, die ihre Ohren vor der Gegenwart schließen, werden die Zukunft nicht wahrnehmen können. Der Schmerz der Erinnerung, die Weisheit der Toleranz, der Respekt vor der Freiheit und die Suche nach einem Arrangement mögen mit der Zeit einen Brükkenschlag über die Differenzen hinweg ermöglichen. Und ich bin mir sicher, daß selbst in unserer Region, dem Nahen Osten, eine Zeit kommen wird, in der Weisheit und Verständnis Grenzen öffnen und den Bau solcher Brücken ermöglichen. Ägypten, Jordanien und Israel haben die Wahl: entweder eine offene Region und einen abgeschlossenen Konflikt, oder einen offenen Konflikt und eine geschlossene Region. Sollte sich die Region öffnen, würde man von einem Wettrüsten zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit übergehen, stünden neue und große Möglichkeiten bevor. Die Bereitschaft zahlreicher europäischer Führungspersönlichkeiten — ganz besonders die von Bundeskanzler Helmut Kohl —, einen Beitrag zur Herstellung einer Infrastruktur auf der Grundlage gutnachbarlicher Beziehungen im Nahen Osten zum Vorteil der Völker der Region zu leisten, hat mich tief beeindruckt. Den Anfang haben wir bereits. Der große Durchbruch erfolgte 1977. Es gelang, einen Konflikt zu lösen, der im Grunde eine dreißigjährige psychologische Barriere tiefer Feindschaft, Furcht und Mißtrauen darstellte. Der Friede mit Ägypten dient als Präzedenzfall und Beispiel. Genauso wie alle anderen menschlichen Erfahrungen steht auch seine Dauerhaftigkeit zur Probe. Ein Scheitern könnte sich als irreparabel erweisen; ein Erfolg—als Beispiel für andere. Uns steht eine entscheidende Zeit bevor. Sie könnte sich als die geeignetste für einen Frieden erweisen. Ignoriert man die sich bietende Öffnung, könnte diese Chance unwiderruflich verloren gehen. Wir versuchen, mit unseren Nachbarn zu einer Verständigung zu kommen. Aussichten scheint es in Bezug auf das Haschemitische Königreich Jordanien und die Palästinenser zu geben. Wir schlagen dem König die sofortige Aufnahme eines offenen Dialogs vor, um die Barriere der Scheu und die Zurückhaltung der Vergangenheit zu überwinden. Wir glauben an die Möglichkeit einer Lösung des palästinensischen Problems. Wir sind davon überzeugt, daß der einzige Weg zu einer solchen Lösung über friedliche Verhandlungen führt. Doch auch die Palästinenser müssen eine Wahl treffen: entweder setzen sie ihre militante Politik, ihre Strategie der Unverbindlichkeit und ihre gewaltsamen Taktiken fort, oder sie wenden sich einer gemäßigten Haltung, einer Kompromißbereitschaft und dem Dialog zu. Die Entscheidung liegt bei ihnen. Wir hof-

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15 Der israelische Premierminister Shimon Peres spricht vor Journalisten in Berlin fen, daß sie die richtige treffen. Denn unser Feind ist weder ein Mensch noch ein Volk, sondern der Terrorist und der Terrorismus. Der Terrorismus hat Israel und unschuldigen Menschen Leid verursacht, doch war sein Hauptopfer die palästinensische Sache, und zwar in erheblicherem Maß. Er hat die palästinensischen Anführer gelähmt und Ansätze für einen Frieden versperrt. Wer Selbstverwirklichung verlangt, muß unter Beweis stellen, daß er das Recht auf freie Meinung respektiert. Der Terrorismus hat das elementare Recht auf die freie Wahl einer Zukunft — einer Zukunft in Freiheit - ausgelöscht. Wir sind bereit zu Gesprächen mit legitimierten Anführern des palästinensischen Volkes. Wir sind fest entschlossen, der Gewalt nicht beizugeben, egal ob sie von palästinensischer oder anderer Seite ausgeht. Miteinander sprechen und sich gleichzeitig zu beschießen — das geht nicht an. Beschuß wird auf Machtanwendung stoßen. Gesprächsbereitschaft hingegen — auf Bereitwilligkeit. I m Gespräch mit den Palästinensern, beim Anhören ihrer Leiden und Sorgen, glaube ich, daß — wenn die Wahl zwischen der PLO ohne eine Lösung und einer Lösung ohne die P L O zu treffen wäre — sie der Suche nach einer Lösung den Vorzug geben werden. Der Gegensatz zwischen PLO und Lösung ist der P L O selbst zuzuschreiben. Wir glauben, daß König Hussein zum Vorteil seines Landes und seines Volkes nach einer Lösung sucht. Als er in seiner Ansprache vor den Vereinten Nationen im September 1985 die T ü r für einen politischen Dialog zu öffnen schien, trug Israel eine Reihe von Grundsätzen vor, die im Falle ihrer Durchführung die Räder des Friedens erneut in Bewegung setzen könnten. Hussein und den Palästinensern können wir nur sagen: die Zeit bleibt nicht stehen, und Ereignisse warten Entscheidungen nicht ab. Bleibt die Aufforderung zum Frieden unbeantwortet, könnte der Augenblick der Wahrheit verpaßt werden. Die heutigen Anführer — Präsident Mubarak, König Hussein und zuständige Palästinenser — haben die Gelegenheit, j a die Pflicht, unsere Region von Feindseligkeiten zu befreien und Frieden für unsere kriegsgeschädigten Länder herbeizuführen. Jedes weitere Zaudern, jedes Versäumnis, jetzt zu handeln, könnte den Konflikt für eine weitere Generation fortschreiben. O b unsere Jugend denen verzeihen wird, die versagt haben? Man kann auch zögern, abwarten, nichts tun; doch das birgt Gefahr. Es könnte unwiderrufliche Folgen haben, Optionen versperren. Wir sind weiterhin entschlossen, j e n e Politik verstärkt zu betreiben, die eine friedliche Koexistenz zwischen Arabern und J u d e n ermöglichen soll. Beabsichtigt ist, die Bewohner des Westufers und des Gaza-Streifens zu ermutigen, zunehmende Verantwortung für die Gestaltung ihres Lebens, das Wirtschaftswachstum, die Bildung eines demokratischen Umfelds und die Beziehungen zur arabischen Welt zu übernehmen. Wir wollen das Leben der Menschen in den Gebieten nicht kontrollieren, und ebenso wenig wollen wir ein anderes Volk beherrschen. Wir wünschen Frieden, der auf Würde und gegenseitigem Respekt beruht und durch Verhandlungen 101

Austausch in Kunst und. Wissenschaft

und Kompromisse erreicht worden ist. Wir sprechen aus einer Position der Stärke heraus. Wir sind stark genug, um uns für den Frieden zu entscheiden. Das alte geteilte Jerusalem der Vergangenheit ist heute eine vereinigte Stadt, die Hauptstadt Israels und der Mittelpunkt jüdischer Souveränität. Mauern, die die Stadt teilen, gibt es nicht mehr. Christen, Moslems und Juden bewegen sich frei, sie huldigen ihrem Gott in ihrer eigenen Sprache, in ihren eigenen Heiligtümern. In Jerusalem erfährt man, daß ein dauerhafter Frieden keiner dauerhaften Mauer bedarf. Backsteinmauern können den Fluß der Gedanken nicht stoppen oder menschliche Gefühle durchbrechen. Keine Mauer ist stark genug, um eine ewige Trennung zu vollziehen. Wir wünschen Offenheit und Pluralismus; wir wünschen das Verschwinden von Mauern aus unserer Mitte. Uns ist bekannt, daß hinter der Berliner Mauer, viel weiter nach Osten, ein anderes System herrscht. Dort, unter sowjetischer Herrschaft, ersehnt eine bedeutende Gruppe unseres Volkes, die sowjetischen Juden, die Erlangung ihres natürlichen Rechts auf Auswanderung in ihre einzige Heimat, nach Israel. Gestatten Sie mir den Gebrauch dieser Bühne in einer Stadt, in der die Naziführung ihren imposanten Start und ihre beschämende Niederlage — durch die Rote Armee — erlebte, um an die neue Führung der Sowjetunion zu appellieren, das gemeinsame Leid unserer beiden Völker nicht zu vergessen. Ich rufe sie auf, jener Millionen zu gedenken, die unter der Naziherrschaft ums Leben kamen, und den Überlebenden den Weg zu ihrem Ziel nicht zu versperren. Lassen Sie unser Volk ziehen! Auch im Friedensprozeß kann eine offenere, konstruktivere Haltung auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und unmittelbaren Dialogs die sowjetische Politik zu einem Beitrag zum Frieden werden lassen. An Berlin haften viele Erinnerungen, und auch viele Hoffnungen sind mit Berlin verknüpft. Verändern können wir die Vergangenheit nicht, doch eine andere Zukunft können wir gestalten. In den Annalen menschlicher Geschichte gibt es mehr verbindende Elemente als trennende Mauern. Wir hoffen, daß der großartige menschliche Geist und unsere Grundwerte — zwei mächtige vereinigende Kräfte — sich durchsetzen mögen, in dieser Stadt und überall.

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16 Deutsch-israelische Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung, des Wissenschaftsaustausches, des Studentenaustausches und des Jugendaustausches

Gute Perspektiven f ü r eine vertiefte Zusammenarbeit im Bereich d e r beruflichen Bildung, im Hochschulbereich sowie beim Studenten- u n d Jugendaustausch sieht d e r Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister f ü r Bildung und Wissenschaft, Anton Pfeifer MdB, nach seinen jüngsten Gesprächen in Jerusalem, Tel Aviv u n d Haifa. In d e n zurückliegenden J a h r e n haben ü b e r 700 Experten u n d Berufsausbilder aus Israel a n in d e r Regel dreimonatigen Fortbildungssemin a r e n in d e r Bundesrepublik teilgenommen. Diese Zusammenarbeit wird in diesem J a h r insofern einen neuen thematischen Schwerpunkt erhalten, als sowohl auf deutscher als auch auf israelischer Seite ein besonderes Interesse am Informations- u n d Erfahrungsaustausch über die Auswirkungen d e r m o d e r n e n Informationstechnologien auf die berufliche Erstausbildung und im Bereich d e r Weiterbildung besteht. Vorgesehen ist hierzu ein gemeinsames deutsch-israelisches Seminar im J u n i in d e r Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus werd e n 1986 e r n e u t ca. 50 israelische Fachleute aus d e m Bereich d e r beruflichen Bild u n g f ü r ca. 3 Monate zu Fortbildungsveranstaltungen nach Deutschland kommen. Ebenso wird im Herbst eine deutsche Expertendelegation Israel besuchen. Darüber hinaus ist das mit starker finanzieller Hilfe d e r Bundesregierung errichtete Berufsbildungszentrum f ü r Bauberufe in Holon zu einem Meilenstein d e r guten Zusammenarbeit geworden. Das Zentrum hat inzwischen mit der Ausb i l d u n g j u n g e r Israelis begonnen, u n d nach d e m Gespräch mit d e m Generaldirektor im israelischen Arbeitsministerium Zvi Zilker wollen n u n beide Seiten eine d a u e r h a f t e Partnerschaft zwischen d e m Berufsbildungszentrum in Holon und einer deutschen H a n d w e r k s k a m m e r anstreben. I m Mittelpunkt d e r Gespräche in der Hebräischen Universität in Jerusalem, u. a. mit d e m Präsidenten dieser Universität, Prof. Patenhin, stand d e r israelische Wunsch nach einer verstärkten Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen u n d mit d e r deutschen Forschungsgemeinschaft, wobei von d e r Meeresforschung bis in d e n Bereich d e r Literaturwissenschaften das Interesse a n einer Reih e konkreter Projekte bekundet wurde. Derzeit bestehen über 15 Hochschulpartnerschaften zwischen deutschen u n d israelischen Hochschulen, die eine gute Grundlage f ü r diese Wissenschaftskooperation darstellen können. Über 600 israelische Studenten haben im vergangenen J a h r an deutschen Hochschulen studiert. Hinzu k o m m e n ca. 40 Studienaufenthalte, die teils als Jahresstipendium, teils als Kurzzeit- o d e r Sprachkursstipendium o d e r als Forschungsstipendium vor allem fürNachwuchswissenschaftler über d e n DAAD finanziert werden. Eine E r h ö h u n g d e r Zahl d e r Kurzzeitstipendien ist in d e n Gesprächen in d e r Hebräischen Universität Jerusalem angeboten worden. 103

Austausch in Kunst und Wissenschaft Die Zahl deutscher Studenten, die in Israel studieren, wird nicht im einzelnen erhoben, aber allein über den DAAD sind im letzten Jahr 230 Praxisaufenthalte bzw. Studienreisen von deutschen Studenten in Israel gefördert worden. Ausgesprochen günstig hat sich in den letzten Jahren der deutsch- israelische Jugendaustausch entwickelt. Allein im letzten J a h r haben insgesamt 6000 deutschejugendliche Israel und ca. 2000 israelische Jugendliche die Bundesrepublik Deutschland besucht. Die hohe Bedeutung, welche die israelische Seite auch künftig diesem Jugendaustausch beimißt, kommt u. a. darin zum Ausdruck, daß der Generaldirektor im israelischen Entwicklungsministerium, Shmueli, mitteilte, daß künftig die in Israel übliche Reisesteuer f ü r Auslandsreisen im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustauschs nicht m e h r erhoben wird. Als neues zusätzliches Austauschprojekt schlug Shmueli einen Praktikantenaustausch von Fachschulabsolventen bzw. Fachhochschulstudenten vor, der 1987 beginnen könnte. Mit den konkreten Vorbereitungen wurde inzwischen begonnen.

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17

Die deutsch-israelische Wissenschaftsstiftung nimmt ihre Arbeit auf

Am 4. Dezember 1986 trat unter der Leitung von Bundesforschungsminister Dr. Heinz Riesenhuber in Bonn das Kuratorium der Deutsch-Israelischen Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Das Kuratorium ist das Entscheidungsgremium dieser im Oktober 1985 von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und dem seinerzeitigen israelischen Ministerpräsidenten Shimon Peres angeregten und zwischen Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber und seinem israelischen Kollegen Gideon Patt am 4. Juli 1986 vereinbarten Stiftung. Aufgabe der Stiftung ist die Förderung ziviler Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in der Grundlagen- und in der angewandten Forschung, die im Interesse beider Länder liegen. Hierzu wird vereinbarungsgemäß in den nächsten 4 Jahren ein Stiftungskapital von 150 Millionen DM aufgebaut, das j e zur Hälfte von Israel und der Bundesrepublik Deutschland erbracht wird. Aus den Zinserträgen des Stiftungskapitals sollen die gemeinsamen Projekte gefördert werden. Auf der Sitzung am 4. Dezember 1986 — auf den Tag genau 5 Monate nach der Unterzeichnung des Abkommens — hat das Kuratorium die Leitlinien für die Projektförderung beraten und Entscheidungen getroffen, damit noch 1987 erste Projekte gefördert werden können. Einzelheiten hierzu muß jetzt der auf der Sitzung bestellte Direktor für die nächste Kuratoriumssitzung im Frühjahr 1987 vorbereiten.

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18 Das 12. deutsch-israelische Lehrerseminar in Jerusalem

Vom 28.12.1986 bis zum 2.1.1987 fand in der Nähe von Jerusalem (Kibbuz Maaleh Hachamishah in den Judäischen Bergen) das 12. Deutsch-Israelische Lehrerseminar statt. Diese Seminare werden von den Hauptvorständen d e r Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Israelischen Histadrut Hamorim im Wechsel in der Bundesrepublik Deutschland und in Israel durchgeführt. Das diesjährige Seminar befaßte sich mit den Aufgaben der Erziehung zur Demokratie im Zeitalter der Technologie, mit dem Schulwesen und dem jüdischen Leben in der Zeit des Nationalsozialismus sowie mit weiteren historischen, psychologischen und literarischen T h e m e n im Zusammenhang mit d e r NS-Zeit. Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Beschäftigung mit der Erziehung gegen Rassismus und Antisemitismus. Der deutschen Delegation, unter Leitung des Vorsitzenden der GEW, Dr. Dieter Wunder, gehörten 15 Lehrerinnen u n d Lehrer aller Schularten aus allen Teilen der Bundesrepublik an. Auf israelischer Seite nahmen 16 Lehrerinnen und Lehrer teil. Auch der Generalsekretär der Histadrut Hamorim, Izhak Velder, hielt einen Vortrag. Das Seminar stand unter der Leitung von Siegfried Vergin (Landesvorsitzender der GEW Baden-Württemberg) u n d Dr. Shalorn Levin (Präsident der Histadrut Hamorim). Die deutschen u n d israelischen Teilnehmer des Seminars verabschiedeten als Arbeitsergebnis des 12. Seminars einstimmig eine Erklärung mit folgendem Wortlaut: „Die erzieherische Verantwortung des Lehrers im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus und f ü r die Verwirklichung der Menschenrechte! Die zentrale Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern, j u n g e Menschen zu einer humanen Gestaltung d e r Zukunft zu befähigen, wird in entscheidender Weise durch die Erfahrung des Holocaust bestimmt. Sie verpflichtet die Lehrerinnen und Lehrer in aller Welt, gegen Rassismus und Antisemitismus und gegen jede Verletzung von Menschenrechten zu kämpfen. Rassismus und Antisemitismus sind Gewaltakte gegen Menschen aus politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ethischen Motiven. 1. Eine Erziehung im Sinne der universellen Grundrechte (Menschenrechte, Freiheit und Demokratie) ist die Voraussetzung dafür, daß Rassismus und Antisemitismus in den Beziehungen zwischen Menschen und Staaten bedeutungslos werden. Eine solche Erziehung stellt hohe moralische, politische und pädagogische und nicht zuletzt persönliche Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer.

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18 Das 12. deutsch-israelische Lehrerseminar in Jerusalem

Sie müssen — frei von Vorurteilen und geprägt vom Verständnis für andere Kulturen und Völker, durch ihr eigenes Verhalten vorbildlich wirken, — für die Verletzung von Menschenrechten, insbesondere für jede Form von Rassismus und Antisemitismus, sensibel sein und die Verpflichtung übernehmen, diese Erscheinungen auch persönlich zu bekämpfen, — sich das für diese erzieherische Arbeit notwendige Wissen aneignen und sich kontinuierlich fortbilden. 2. In der schulischen Arbeit muß der Holocaust wegen seiner schrecklichen Einmaligkeit und der unmittelbaren Betroffenheit von Deutschen und Juden eine zentrale Stellung einnehmen. Die Erziehung zum Respekt vor der Würde des Menschen, zur Demokratie und zur Solidarität aller Menschen ist nicht nur Sache einzelner Unterrichtsfächer, Unterrichtseinheiten oder Projekte und auch nicht Sache einzelner Schul- oder Altersstufen, sondern sie muß fächerübergreifend das gesamte Schulleben bestimmen. Ziel der Erziehung ist es, junge Menschen zu einem persönlichen und politischen Verhalten zu befähigen, das eine Wiederholung des Holocaust ausschließt; altersgemäß müssen junge Menschen lernen, auch mit den Angehörigen von Minderheiten Formen des humanen Zusammenlebens zu entwikkeln. 3. Deutsche Pädagogen haben aufgrund der Geschichte die Verpflichtung zum Kampf gegen jede Verletzung der Menschenrechte, insbesondere gegen Rassismus und Antisemitismus und alle Formen der Ausländerfeindlichkeit: Kein Volk kann aus seiner Geschichte aussteigen. Deutsche Lehrerinnen und Lehrer müssen durch ihren Unterricht ein Geschichtsbild vermitteln, das den Holocaust nicht verharmlost, sondern seine Bedeutung für die deutsche und die jüdische Geschichte verdeutlicht. Ein wichtiges Mittel, um deutschen Schülerinnen und Schülern das Schicksal der Juden in Europa nahezubringen, ist die Behandlung bedeutsamer Aspekte und Vorgänge der jüdischen Geschichte und Kultur sowie des jüdischen Beitrags zur europäischen Kultur im allgemeinen sowie der deutschen Kultur im besonderen. 4. Israelischen Pädagogen, deren Volk Opfer des Rassismus und Antisemitismus in ihrer grausamsten Form war, obliegt es, durch die Erinnerung an den Holocaust vor der Gefahr von Rassismus und Antisemitismus zu warnen und gegen jede rassistische Propaganda oder Diskriminierung von Minderheiten oder von deren Angehörigen einzutreten. Sie haben die schwierige Aufgabe, durch die Darstellung der Vielfalt der deutschen Geschichte und Kultur Brücken zwischen unseren Völkern zu bauen. 5. Eine wertvolle Grundlage hierfür liefern die deutsch-israelischen Schulbuchempfehlungen, an deren Entstehung die GEW und die Histadrut Hamorim maßgeblich beteiligt waren. In ihnen wird deutlich gemacht, daß die Juden nicht nur als Objekte von Verfolgung und Vernichtung, sondern daß sie auch als Gestalter ihrer eigenen Geschichte sowie als Beteiligte an der Geschichte 107

Austausch in Kunst und Wissenschaft

anderer Völker gesehen werden müssen. Die Zionistische Bewegung soll nach diesen Empfehlungen nicht ausschließlich als Reaktion auf den Antisemitismus behandelt werden, sondern als ein Ausdruck jüdischer Identitätsfindung in der modernen Gesellschaft. Der Zionismus sollte von den Schülern als eine der Konsequenzen aus den Erfahrungen der jüdischen Geschichte verstanden werden. 6. Eine solche Erziehung im Sinne der Menschenrechte, der Solidarität aller Menschen und der Demokratie ist nur möglich, wenn die Schule das handelnde, selbstbestimmte Lernen ermöglicht. Die Schule muß als Teil der demokratischen und humanen und sozialen Gesellschaft in ihren Inhalten und Vermittlungsformen und im gesamten Schulleben von demokratischen, humanen und sozialen Prinzipien geprägt sein. Dazu gehört vor allem auch die Anwendung dieser Prinzipien z. B. in selbstentdeckendem Lernen, im Gruppenunterricht oder dem Lernen in Projekten. Dazu müssen die Lehrer pädagogische Freiheit besitzen. Es ist Aufgabe der Schulbehörden, diesen Freiraum zu schützen. 7. Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher dürfen nicht alleingelassen werden. Sie bedürfen einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung durch Politiker und Behörden, durch die Medien, die Erziehungswissenschaft und vor allem durch eine breite, umfassende und qualifizierte Fortbildung. 8. Die GEW und die Histadrut Hamorim sind sich einig, ihre Zusammenarbeit in der Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus sowie in der Verteidigung der Menschenrechte fortzuführen. Sie fordern andere Lehrerorganisationen zur Unterstützung dieser Bemühungen auf und werden entsprechende Initiativen entwickeln.

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19

19.1

Deutsch-israelische Gemeinschaftsprojekte, gefördert von der Stiftung Volkswagenwerk

Notationsmöglichkeiten

für elektronische

Musik

Durch eine langjährige Förderung hat die Stiftung Volkswagenwerk ein deutschisraelisches Gemeinschaftsprojekt ermöglicht, das auf dem schwer zu bearbeitenden Feld zwischen Kunst, Technik und Musikwissenschaft angesiedelt ist. In einem Gemeinschaftsprojekt des Studios f ü r musikalische Kommunikation der Hochschule f ü r Musik und darstellende Kunst, Hamburg (Professor Dr. E. Maronn), und dem Technion Israel Institute of Technology, Haifa (Dr. U. Shimony), sowie in Zusammenarbeit mit Professor Dr. J. Tal, Jerusalem, sollen Notationsmöglichkeiten f ü r elektronische Musik entwickelt werden. Die konventionelle Schreibweise mittels Noten ist f ü r diese Musik ungeeignet. Von einer neuartigen umfassenderen Schreibweise werden auch neue Impulse f ü r die Entwicklung der Musik schlechthin erwartet. Initiator des Projektes ist der israelische Komponist Professor Josef Tal, der 1934 nach Israel emigrierte.

19.2

Spieltheorie in der ökologischen

Forschung

Ein „Wettbewerb Biowissenschaften", den die Stiftung Volkswagenwerk 1986 ausgeschrieben hat, hat zu einem Forschungsprojekt geführt, in dem Professor Dr. A. Neyman von der Hebrew University of Jerusalem (Department of Mathematics and Economics) Konzepte der Spieltheorie f ü r die Analyse einer Reihe von aktuellen Problemen der ökologischen Forschung einsetzt, die bisher für eine solche Behandlung nicht zugänglich waren. Einzelne Teilprojekte befassen sich mit Strategien der Samenausbreitung und Keimung in Wüstenökosystemen, mit Werbestrategien bei Interaktionen zwischen Pflanzen und Insekten, mit der Spieltheorie des Sozialverhaltens und mit der Evolution von Wachstumsmustern in Pflanzengesellschaften. Die mathematische Spieltheorie hat bisher wichtige Beiträge zur Modellbildung, insbesondere in der Soziobiologie, geliefert.

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19.3

Feste Teilchen in strömenden Gasen oder Flüssigkeiten

In einem dreijährigen israelisch-deutschen Gemeinschaftsvorhaben soll das Diffusions-, Agglomerations- und Abscheidungsverhalten fester Teilchen mit weniger regelmäßiger Gestalt in strömenden Gasen oder Flüssigkeiten theoretisch behandelt werden; ergänzend sind Strömungsexperimente mit stäbchenförmigen Modellpartikeln vorgesehen. Für dieses Vorhaben hat die Stiftung Volkswagenwerk dem Department of Atmospheric Sciences der Hebrew University of Jerusalem (Professor Dr. I. Gallily) und dem Fachgebiet Mechanische Verfahrenstechnik und Strömungsmechanik der Universität Kaiserslautern (Professor Dr.Ing. F. Ebert) Mittel zur Verfügung gestellt. Das Thema ist von erheblicher Bedeutung für eine Reihe ganz unterschiedlicher technischer Prozesse, etwa für die Verbrennung disperser Brennstoffe, für die Deposition von Partikeln auf Oberflächen oder für die Herstellung von neuartigen Werkstoffen, die alle auf der Wechselwirkung einer Vielzahl meist irregulärer, diskreter Partikel mit strömenden Fluiden beruhen.

19.4

Zur Rezeption jüdischer Geschichte im modernen Israel

Eine Untersuchung zum Thema „The Perception in Modern Israel and the PreState Era of Jewish History in the Second Temple Period (Hellenistic and Roman Period)" führt Professor B. Bar-Kochva (Tel-Aviv University) in Kooperation mit Professor Dr. W. Schüller von der Universität Konstanz durch. Professor BarKochva geht von der Überlegung aus, daß für die Gründung und innere Gestaltung des Staates Israel die historische Erinnerung eine wesentliche Rolle spiele. Namentlich die hellenistisch-römische Periode, die Zeit des „Zweiten Tempels", habe in dieser Hinsicht größten Einfluß gehabt. Als eines der herausragenden Beispiele nennt Professor Bar-Kochva die Rezeption der Geschichte des Judas Maccabaeus. Die Stiftung Volkswagenwerk hat für die Durchführung des Projektes im Rahmen ihres Schwerpunktes „Antike in der Moderne" Sach- und Reisemittel zur Verfügung gestellt sowie einen Forschungsaufenthalt Professor BarKochvas in Konstanz ermöglicht.

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19.5 Beitrag zum schadstoffarmen Ottomotor In ihrem Schwerpunkt „Verhalten metallischer und keramischer Werkstoffe unter Betriebsbedingungen" fördert die Stiftung Volkswagenwerk ein deutschisraelisches Forschungsvorhaben, das einen Beitrag zur Realisierung des schadstoffarmen Ottomotors liefern soll. Um das dazu erforderliche Magerkonzept zur Reduzierung der Stickoxide verwirklichen zu können, soll der Brennraum zur Vermeidung der Zündaussetzer in eine Vorkammer mit fettem Gemisch und Zündkerze und einem Hauptraum mit magerem Gemisch abgeteilt werden. Ziel des Projektes ist es, eine sich möglichst günstige auf den Betrieb auswirkende Vorkammer aus keramischem Material zu entwickeln. Der motortechnische Teil wird am Lehrstuhl für Angewandte Thermodynamik der RWTH Aachen (Professor Dr. F. Pischinger) durchgeführt, der werkstoffkundliche Teil am Israel Institute of Technology, Haifa (Professor Dr.-Ing. A. Stotter und Professor Dr. D. Brandon).

19.6 Zur Diagnostik von Verbrennungsprozessen Für ein detailliertes Verständnis von Verbrennungsvorgängen ist es notwendig, quantitative Informationen über Konzentration, Temperatur und Zustände der am Verbrennungsvorgang beteiligten chemischen Substanzen zu gewinnen. Um derartige Informationen unter möglichst realistischen Bedingungen zu erhalten, wie sie bei technisch genutzten Verbrennungsvorgängen auftreten, müssen berührungslose Diagnostikverfahren angewandt werden, die keine Störung des Verbrennungsprozesses bewirken. Eine neue Technik dazu aus dem Bereich der nichtlinearen Optik, die man als 4-Photonen-Wechselwirkungsprozeß (DFWM) bezeichnet, wird dazu im Rahmen eines deutsch-israelischen Gemeinschaftsvorhabens eingesetzt. Kooperationspartner sind das Department of Chemical Physics des Weizmann Institute of Science in Rehovot (Dr. Y. Prior) und das Physikalisch-Chemische Institut der Universität Heidelberg (Professor Dr. J. Wolfrum). Die Stiftung Volkswagenwerk fördert die Untersuchungen im Rahmen ihres (inzwischen beendeten) Schwerpunktes „Grundlagen technischer Verbrennungsvorgänge".

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19.7

Optische Untersuchungsmethoden

zur

Halbleiterforschung

In ihrem (inzwischen beendeten) Förderschwerpunkt „Mikrostrukturwissenschaft" fördert die Stiftung Volkswagenwerk ein deutsch-israelisches Gemeinschaftsvorhaben „Kristallstruktur und Qualität von Mischkristallen und ihr Zusammenhang mit periodischen Übergitterstrukturen". Die kristalline Struktur von Mischkristallen, bei denen bestimmte Plätze im Festkörpergitter durch verschiedene Atomsorten besetzt werden können, ist zur Zeit Gegenstand intensiver Untersuchungen bei verschiedenen Halbleitermaterialien. Einige Materialien neigen dazu, sich wie Übergitter mit periodischer Struktur in Richtung des Kristallwachstums abzuscheiden, während andere zu Fluktuationen in der Zusammensetzung tendieren. In dem von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Forschungsvorhaben sollen Halbleiterstrukturen am Institut für Halbleitertechnik der RWTH Aachen (Professor Dr. P. Balk) hergestellt und am Solid State Institute des Technion-Israel Institute of Technology in Haifa (Professor Dr. R. Besermari) mit optischen Untersuchungsmethoden charakterisiert werden.

19.8

Zur Verbrennung von

Dieselkraßstoff

Für ein Projekt „Rechnerische Modellierung der Brennstoff-Luft-Mischung bei Einspritzung von Dieselkraftstoff in stark rotierende Luft" hat die Stiftung Volkswagenwerk dem Technion-Israel Institute of Technology Mittel zur Verfügung gestellt. Mit am „Technion" geplanten theoretischen Untersuchungen soll der Einspritzvorgang von Dieselkraftstoff in eine zylindrische Brennkammer simuliert werden. Dazu sollen zwei von Professor D. Adler und Dr. S. Habere ntwikkelte Rechenmodelle, die unterschiedliche Aspekte der komplizierten Vermischungsvorgänge von Dieselstrahl und umgebender Luft beschreiben, kombiniert werden. Die für die Rechnungen notwendigen Anfangs- und Randbedingungen werden durch Experimente am Lehrstuhl für Angewandte Thermodynamik der RWTH Aachen (Professor Dr. F. Pischinger) ermittelt.

112

20

I.

Eine Darstellung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie zur wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit Israel

Zusammenfassung

Die Zusammenarbeit mit Israel in Forschung und Technologie hat eine lange Tradition. Bereits 1959/60 wurden erste Kontakte zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und dem Weizmann-Institut aufgenommen. Diese weiterhin bestehende Zusammenarbeit wird seit 1964 vom Bundesminister für Forschung und Technologie (BMFT) bzw. seinen Vorläufern gefördert. Ab 1973 sind weitere Forschungseinrichtungen Israels hinzugetreten, deren Projekte vom israelischen Nationalrat für Forschung und Entwicklung (NCRD) koordiniert werden. 1986 wurde darüber hinaus die deutsch-israelische Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung gegründet, die sich noch im Aufbau befindet, aber voraussichtlich noch vor Ende 1987 erste Projektförderungen beschließen wird.

II.

Sachstand

1. Organisation der Forschungspolitik in Israel Bis Mitte 1981 gab es kein israelisches Forschungs- und Technologie-Ministerium, sondern nur die Einrichtung von Chief Scientists-Büros bei einigen Ministerien. Ein 1980 eingesetztes Ministerial-Committee on Science and Technology auf Kabinettsebene für die Forschungspolitik trat nicht zusammen. Seine Beratungsfunktion für die Festlegung der nationalen FuE-Politik wurde von dem — dem Ministerium für Energie und Infrastruktur unterstehenden — National Council for Research and Development (NCRD) wahrgenommen durch - Beratung bei Planung, Koordinierung und Management des staatlichen FuESektors; - Förderung von nicht-staatlicher FuE und ihrer Anwendung in Israel; - Förderung der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit dem Ausland. Ende Juli 1982 wurde ein Ministerium für Wissenschaft und Entwicklung geschaffen, das heute von Minister G. Patt geleitet wird. Der NCRD wurde aus dem Ministerium für Energie und Infrastruktur ausgegliedert und dem neuen Wissenschaftsministerium unterstellt. Ferner wurde die Atomenergie-Kommission 113

Austausch in Kunst und Wissenschaft

aus dem Prime Minister's Office ausgegliedert und dem Wissenschaftsministerium zugeschlagen. Neben der Leitung dieser beiden Organisationen ist dessen Aufgabe die Ansiedlung von „science-based industries" und die Ausweitung oder Verlegung von wissenschaftlichen und technologischen Aktivitäten. Zusätzlich zu der Einrichtung des Wissenschaftsministeriums wurde das Ministerial Committee for Science and Technology reaktiviert, unter dem Vorsitz des Wissenschaftsministers und Beteiligung der Minister für Landwirtschaft, Bau- und Wohnungswesen, Verteidigung, wirtschaftliche Koordinierung, Erziehung, Energie und Infrastruktur, Gesundheit, Industrie und Handel, Arbeit und Wohlfahrt, Telekommunikation sowie Finanzen. Die Hauptaufgaben des Ministerial Committee sind — Festlegung einer langfristigen Politik für die Förderung von FuE und der Deckung der wirtschaftlichen Bedürfnisse; — Interministerielle Koordinierung der FuE-Aktivitäten; — Billigung von organisatorischen Änderungen bei regierungseigenen Forschungseinrichtungen. Die Aufgaben des NCRD sind durch die Unterstellung unter das Wissenschaftsministerium nicht geändert worden.

2. Überblick über die vom BMFT geförderte Kooperation mit Israel Die Förderung von Forschungsarbeiten an Forschungseinrichtungen in Israel durch den Bundesminister für Forschung und Technologie (BMFT) umfaßt hauptsächlich a) die Finanzierung von Forschungsverträgen mit dem Weizmann-Institut, von Stipendien für den deutsch-israelischen Wissenschaftleraustausch und von Sondermaßnahmen wie Einrichtung von Lehrstühlen und Beschaffung von wissenschaftlicher Ausrüstung; b) Zuwendungen für den Abschluß von Forschungsverträgen zwischen deutschen Großforschungseinrichtungen und dem NCRD; c) Zuwendungen aus der Grundfinanzierung von DKFZ, GBF, GSF, KFA, KfK* für Forschungsvorhaben oder Leistungen israelischer Stellen.

*

DKFZ: GBF: GSF: KFA: KfK:

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Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, Braunschweig Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung, Neuherberg Kernforschungsanlage Jülich Kernforschungszentrum Karlsruhe

20 Eine Darstellung zur wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit Israel Zu a): Die Finanzierung von Forschungsarbeiten des Weizmann-Instituts — vornehmlich in der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung — wird über die MINERV A-Gesellschaft f ü r die Forschung mbH, eine Tochtergesellschaft d e r MaxPlanck-Gesellschaft abgewickelt. Die MINERVA-GmbH schließt jährlich mit dem Weizmann-Institut einen Forschungsvertrag über die D u r c h f ü h r u n g einer Reihe von Forschungsvorhaben ab, die von einem mit deutschen und israelischen Wissenschaftlern paritätisch besetzten Ausschuß — dem sog. „Minerva-Hauptkomitee" - erörtert u n d festgelegt werden. Daneben werden ad hoc-Maßnahmen zur Stärkung d e r wissenschaftlichen Infrastruktur finanziert. Der MINERVA-Titel hat sich seit 1975 wie folgt entwickelt: 7,5 Mio DM in 1975 7,2 Mio DM in 1976 7,7 Mio DM in 1977 7,2 Mio DM in 1978 8,2 Mio DM in 1979 10,0 Mio DM in 1980 10,0 Mio DM in 1981

10,0 9,0 10,5 10,8 11,6 12,5

Mio Mio Mio Mio Mio Mio

DM DM DM DM DM DM

in in in in in in

1982 198S 1984 1985 1986 1987.

Zu ¿J.Aus dem Einzelplan des BMFT werden jährlich ca. 70 gemeinsame FuE-Vorhaben zwischen deutschen und israelischen Forschungseinrichtungen in fünf Schwerpunktbereichen (Biotechnologie, Energieforschung, medizinische Forschung, Aquakultur, Wassertechnologie) gefördert. Diese Zusammenarbeit vollzieht sich in der Weise, daß die f ü r den jeweiligen Bereich fachlich zuständigen deutschen Großforschungseinrichtungen auf Anregung des BMFT mit dem NCRD privatrechtliche Verträge über die D u r c h f ü h r u n g bestimmter Forschungsvorhaben abschließen. Der NCRD, der keine eigenen Institute besitzt, vergibt seinerseits Unteraufträge an diejenigen israelischen Forschungseinrichtungen, an denen die Vorhaben durchgeführt werden, behält jedoch gegenüber den deutschen Partnern die alleinige Verantwortung f ü r die administrative Abwicklung der Projekte. Stand und weitere Entwicklung der Zusammenarbeitsprojekte werden auf jährlichen Sitzungen des „Gemeinsamen deutsch-israelischen Ausschusses f ü r wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit" überprüft, in dem der BMFT, die beteiligten Großforschungseinrichtungen und der NCRD vertreten sind. Der Ausschuß tritt abwechselnd in Jerusalem und Bonn zusammen. Zu c): DESY, GBF, GSF, KFA und KfK fördern über direkte Verträge mit israelischen Forschungseinrichtungen oder über Verträge mit dem NCRD israelische Vorhaben oder Leistungen aus Wirtschaftsplanmitteln. 115

Austausch in Kunst und Wissenschaft

3. Finanzvolumen der deutschen Unterstützung israelischer Wissenschaft und Forschung aus öffentlichen Mitteln Der jährliche Gesamtumfang der durch die Bundesregierung geförderten deutsch-israelischen Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Forschung beträgt über 20 Mio DM.

4. Deutsch-israelische Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung Anfang 1986 haben Bundeskanzler Kohl und der israelische Ministerpräsident Peres die Gründung einer gemeinsamen Stiftung zur Förderung von wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung in Grundlagen- und angewandter Forschung beschlossen. Die Regierungschefs haben die zuständigen Forschungsminister mit der Ausarbeitung der Einzelheiten beauftragt; das entsprechende Abkommen wurde am 4.7.1986 in Bonn von Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber und dem israelischen Minister Gideon Patt in Anwesenheit von Bundeskanzler Kohl unterzeichnet. Das Abkommen sieht vor, daß jede Seite innerhalb von vier Jahren 75 Mio DM zum Stiftungskapital aufbringt. Aus den Zinserträgen dieses Stiftungskapitals erfolgt die Projektförderung. Über die zu fördernden Vorhaben beschließt ein paritätisch besetztes Kuratorium mit Vertretern aus Regierung, Wissenschaft und Wirtschaft; für die ersten beiden Jahre ist Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber zum Vorsitzenden und Minister Gideon Patt zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden. Das Kuratorium hat auf seiner ersten Sitzung am 4.12.1986 in Bonn als Direktor der Stiftung Herrn Dr. Amnon Barak bestellt. Dieser hat zunächst die Aufgabe, den organisatorischen Aufbau der Stiftung und seines Sekretariats in Jerusalem in die Wege zu leiten. Auf seiner zweiten Sitzung in Jerusalem am 15.4.1987 will das Kuratorium Einzelheiten der Förderrichtlinien beschließen. Danach werden Interessenten zur Abgabe von Projektvorschlägen aufgefordert, über die noch möglichst vor Jahresende 1987 entschieden werden soll. Aus den Einzelplänen des Bundesministeriums für Forschung und Technologie — einschl. seiner Vorläufer — sind seit 1964 bis Ende 1986 für die wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit mit Israel rd. 252 Mio DM bewilligt worden. Davon

- a u s dem MINER VA-Titel —ausversch. Fach titeln —aus GFE-Wirtschaftsplänen 116

rd. 162 Mio DM rd. 81 Mio DM rd. 9 Mio DM.

20 Eine Darstellung zur wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit Israel

Finanzentwicklung der letzten 10 Jahre: 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 11,6 13,0 10,6 14,3 14,5 15,9 16,5 19,0 21,5 23,3 Mio DM Förderschwerpunkte

waren:

— Grundlagen- und angewandte Forschung in Physik, Medizin, Biotechnologie, Aquakultur, Materialforschung, Erneuerbare Energien und Informationstechnologien. — Partner in Hochschulen und Großforschungseinrichtungen beider Länder. — Jährliche Projektüberprüfung durch Gemeinsamen Ausschuß. — Daneben auch Finanzierung von Forschungszentren und Lehrstühlen in Israel, sowie Wissenschaftleraustausch (MIN ER VA-Stipendien).

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„Jettchen Geberts Kinder" - Eine Ausstellung des Leo-Baeck-Instituts in Bonn

Die Ausstellung des Leo-Baeck-Instituts, die im vergangenen J a h r bei der internationalen Historiker-Tagung des Leo-Baeck-Instituts in Berlin zum ersten Mal gezeigt wurde und dann in Frankfurt/M. zu sehen war, wurde am 3. August 1986 im Rheinischen Landes-Museum in Bonn gezeigt. Wenn man die Möglichkeit hatte, alle drei Austellungen zu sehen, so konnte man mit Recht behaupten, daß die Präsentation dieses Beitrags des deutschen Judentums zur deutschen Kultur des 18. bis 20. J a h r h u n d e r t s am Beispiel der Kunstsammlung des Leo-Baeck-Instituts hier am besten gelungen war. Die Begrüßung der Gäste, zu denen vor allem Israels Botschafter YitzhakBenAri gehörte, wurde von Dr. Jürgen Wilhelm, dem Vorsitzenden der Landschaftsversammlung Rheinland eingeleitet. Dr. Wilhelm sagte: „Jettchen Geberts Kinder' — das klingt nach Beschaulichkeit, nach Familiärem, nach Biedermeier. Doch verbergen sich hinter diesem Titel Bild-Zeugnisse, die uns unmittelbar an die Zeit nationalsozialistischen Terrors und an die Ermord u n g von Millionen jüdischer Menschen heranführen. Dennoch weist der Titel — durch seine literarischen Assoziationen — sehr genau auf die Inhalte unserer neuen Ausstellung hin. Jettchen Gebert' hieß ein Roman des jüdischen Schriftstellers Georg Hermann Borchardt, der mit dieser Erzählung im Jahre 1906 seinen schriftstellerischen Durchbruch erlebte. Unter dem Namen ,Georg Hermann' schrieb er viele Erzählungen aus dem bürgerlichen jüdischen Milieu Berlins; bis in unsere Zeit bekannt blieb n u r Jettchen Gebert' und die Fortsetzung, .Henriette Jacoby'. Jettchen stammte, wie Georg Hermann selbst, der 1871 in Berlin zur Welt kam, aus einer angesehenen jüdischen Familie. Ihr Schicksal ist gekennzeichnet von der T r e u e zum traditionellen J u d e n t u m einerseits und dem Zwang, aber auch dem Willen zur Assimilation. Fast prophetisch scheint in dieser Darstellung aus dem 19. J a h r h u n d e r t der grausame Konflikt vorweggenommen zu werden, dem mit Beginn der Naziepoche J u d e n , die sich in Deutschland mit Deutschland als Deutsche verwurzelt fühlten, ausgesetzt wurden. Georg Hermann floh 1933 nach Holland. 1940 holten ihn die Nazis ein; er kam ins Internierungslager Westerburg; von dort wurde er drei Jahre später mit weit über eintausend Kindern, Frauen u n d Männern in die Vernichtung nach Auschwitz transportiert. Der feinsinnige Titel der Ausstellung will uns nicht vergessen lassen, was Jettchen Geberts Kinder' gesellschafts- und kulturpolitisch f ü r uns bedeuten. Denn die Austeilung läßt uns eine Kultur erkennen, — die mit der nichtjüdischen fest verknüpft war — die mit dieser in weiten Teilen eine Symbiose bildete, 118

21 „Jettchen Geberts Kinder" — Eine Ausstellung des Leo-Baeck-Instituts in Bonn — d e r e n S c h ö p f u n g e n f ü r unser Sein bis heute prägend sind u n d — die deshalb einen bedeutenden Teil unserer Kulturentwicklung insgesamt darstellen, mit der wir u n s heute identifizieren, ja auf die wir stolz sein können. Jüdische Künstler u n d Intellektuelle leisteten einen eigenen unverwechselbaren u n d nicht wegzudenkenden Beitrag zur deutschen Kultur. Diese kulturhistorische Wahrheit, die auch heute noch keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, wollte ich im Kontext unserer Ausstellung nicht u n e r w ä h n t lassen. Es ist nicht möglich, die N a m e n der deutschen J u d e n zu n e n n e n , die als Schriftsteller, Maler, Musiker oder als Geschäftsleute, Wissenschaftler, Publizisten o d e r Politiker ihren Beitrag zur deutschen Kultur geleistet haben. Worauf ich aber hinweisen will, ist, d a ß wir gerade hier im Rheinland von der Kreativität u n d d e m Fleiß jüdischer Mitbürger in besonderer Weise profitiert haben. Die französische Besetzung am E n d e des 18. J a h r h u n d e r t s hatte auf diese Entwicklung sicher entscheidenden Einfluß. Die Ursache ist aber auch darin zu sehen, daß das Rheinland schon damals ein relativ liberaler O r t d e r Begegnung war, u n d wie es eine politische Begegnung zwischen J u d e n und Nichtjuden gab, so g a b es auch eine publizistische, eine künsderische, eine wirtschaftliche und eine wissenschaftliche. N u r a m Rande, aber nicht o h n e Stolz sei bemerkt, daß im Juli 1843 der 7. Rheinische Landtag, also der Vorgänger d e r Landschaftsversammlung Rheinland, eine rechtliche Gleichstellung d e r J u d e n forderte. Es war dies das erste Eintreten einer öffentlichen Körperschaft in Deutschland f ü r die Emanzipation der J u d e n . Leider ist die F o r d e r u n g bis 1945 nie politische Wirklichkeit geworden. Daneben gab es allerdings auch Antisemitismus, d e n Rheinland-Enthusiasten nicht gerne mit ihrer Landschaft in Zusammenhang bringen, d e r aber nicht aus diesem Zusammenleben weggedacht werden kann. N u r mit Entsetzen u n d - ganz unabhängig von unserem Alter — auch mit Schuld- u n d Schamgefühlen müssen wir die Dokumente jüdischer Künstler und Intellektueller zur Kenntnis nehmen, die d e r von einer deutschen Regierung beg o n n e n e n u n d später bis zum staatlich organisierten Massenmord gesteigerten J u d e n v e r f o l g u n g zum O p f e r fielen. I n den sehr persönlichen Zeugnissen, die die Ausstellung zeigt, werden Einzelschicksale lebendig. Sie stehen stellvertretend f ü r Angehörige einer Kultur, wie sie sich in den hervorragenden Kunstwerken aus d e n Sammlungen des LeoBaeck-Instituts dokumentiert. Ich d a n k e dem Direktor des Instituts, H e r r n Dr. Fred Grubel, f ü r die Großzügigkeit, mit d e r er die o f t unter abenteuerlichen Umständen zusammengetragenen persönlichen Erinnerungsstücke verfolgter deutscher J u d e n als Leihgaben zur V e r f ü g u n g gestellt hat. Unser besonderer Dank gilt auch d e r Berlinischen Galerie, ihrem Direktor H e r r n Professor Eberhard Roters, u n d seiner Mitarbeiterin, Frau Gisela-IngeborgBolduan, die die Ausstellung organisiert haben. Die materielle Grundlage f ü r diese Ausstellung kam vom Bundesinnenministerium. I h n e n , H e r r Dr. von Köckeritz, u n d I h n e n , H e r r König, gilt d e r besondere Dank aller, die sich u m die Realisierung d e r Ausstellung b e m ü h t haben. 119

Austausch in Kunst und, Wissenschaft Meine Damen und Herren, die finsteren .tausend Jahre' lassen uns oft vergessen, was vorher war. Die Rolle des Juden wird dadurch auf die Funktion des Opfers reduziert. Dies ist aus deutscher Sicht verständlich u n d auch ich empfinde es als eine Verpflichtung u n d Notwendigkeit, diese Rolle nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn wir tragen aus dieser Zeit eine Last mit uns, mit der fertig zu werden uns bis heute nicht gelungen ist. Es hilft uns hier auch kein Verdrängen. Im Gegenteil: der ost-jüdische Mystiker Baal Schern Tov hat gesagt: ,Nicht verdrängen — sich erinnern hilft weiter!'. In diesem Sinne ist wohl auch Richard von Weizsäcker in seiner Rede vom 8. Mai letzten Jahres zu verstehen, als er sagte: ,Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung'. Aber dieses Erinnern darf sich genauso wenig aufjene 12 J a h r e beschränken, wie es sie ausklammern darf. Es ist das Verdienst dieser Ausstellung, unseren Blick auf jene Epoche zu richten, die der nationalsozialistischen voranging. Wir werden sehen, wie jüdische Kultur blühte und gedeihte. Wir werden sehen, daß viele Juden glaubten, Urjüdisches könne sich mit dem besten Erbe des Humanismus und des deutschen Idealismus verbinden. Wir werden sehen, welches Vertrauen die J u d e n in Deutschland uns Nichtjuden entgegenbrachten — und wir wissen, wie schmählich wir sie enttäuschten. Ich wünsche uns allen, daß ein großes und interessiertes Publikum diese Ausstellung in sich aufnimmt." Der Direktor des Leo-Baeck-Instituts in New York, Dr. Fred Grubel, erzählt in seiner Ansprache, wie diese Kunstwerke ins Leo-Baeck-Institut gekommen sind: „Wir haben sie nicht gesammelt, sie sind zu uns gekommen!" Dr. Grubel gab einen lebendigen Eindruck vom Leo-Baeck-Institut, von seiner G r ü n d u n g bis heute. Als letzter sprach d e r Staatsminister beim Bundeskanzler, Friedrich Vogel, MdB, wobei er die geschichtliche Bedeutung des deutschen Judentums f ü r die Bundesrepublik Deutschland darstellte und die Entwicklung des Beitrags zur deutschen Kultur vom 18. bis 20. J a h r h u n d e r t darstellte. Staatsminister Vogel sagte in seiner Rede: „Es ist behauptet worden, daß in kaum einem anderen Land der Welt die J u d e n sich einer ihnen zunächst fremden Kultur so vollständig assimiliert, sich diese so intim zu eigen gemacht hätten wie in Deutschland. Das ist sicherlich eine Übertreibung. Vielleicht liegt darin aber auch ein Körnchen Wahrheit, denn es ist eine auch durch die heutige Ausstellung belegbare Tatsache, daß die im deutschen Kulturkreis lebenden J u d e n im Laufe eines J a h r h u n d e r t e dauernden Annäherungsprozesses auf allen Gebieten des Geistes und der Wissenschaften Beiträge geleistet haben, ohne die sich die deutsche Kultur gar nicht denken läßt. Wie wäre dies möglich gewesen o h n e eine weitgehende Identifikation mit eben dieser Kultur? Das deutsche J u d e n t u m hat insbesondere in den zwei Jahrhunderten seit seiner Emanzipation kulturelle Glanzleistungen hervorgebracht, die die heutige 120

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deutsche Kultur maßgeblich mitgeprägt haben. Moses Mendelssohn und Max Liebermann stehen am Anfang und am Ende dieser so überaus fruchtbaren deutschjüdischen Kultursymbiose. Moses Mendelssohn war zusammen mit Lessing eine der Symbolfiguren der Aufklärung, in deren Gefolge die Juden in den deutschen Staaten Schritt für Schritt eine weitgehende Gleichberechtigung erlangten. 1806 erhielten sie in Frankfurt am Main das Bürgerrecht, 1810 in Berlin. Freilich war und blieb diese bürgerliche Gleichstellung in einigen Bereichen des öffentlichen Lebens doch eher formaler Natur; so blieben ihnen das Offizierkorps und eine Karriere im höheren Beamtendienst zumeist verschlossen. Doch welch ein Fortschritt bedeutete schon diese langsam mühselig erkämpfte Gleichberechtigung, wenn man sie vergleicht mit den Jahrhunderten davor, in denen jüdische Existenz in deutschen Landen sich nie unangefochten entfalten konnte. Duldung und Verfolgung wechselten je nach Landesherr und Entwicklung der Zeitläufe. Oft genug wurden die Juden aus religiöser Verblendung, aus Aberglaube, Wirtschaftsneid und anderen irrationalen Motiven mit dem Tode bedroht und verjagt. Als Ergebnis mittelalterlicher Verfolgungen der Juden im westlichen Deutschland ist - wie wir wissen—das Ostjudentum entstanden, in dessen jiddischer Sprache das Mittelhochdeutsch fortlebte, bis es im Inferno der von Deutschland ins Werk gesetzten Vernichtung unterging. Daß es schon im Mittelalter kulturelle Zeugnisse von Juden in deutscher Sprache gegeben hat, ist nur wenigen bekannt. Ich erinnere an den jüdischen Minnesänger Süsskind von Trimberg im 13. J a h r h u n d e r t . Friedrich Torberg hat diesem fah-

renden jüdischen Sänger und Poeten ein literarisches Denkmal gesetzt. B e k a n n t e r sind u n s N a m e n wie Heinrich Heine, Ludwig Börne, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Rahel Varnhagen, Kurt Tucholsky, Albert Einstein, Alfred Kerr, Lion Feuchtwanger, Otto Klemperer, Walther Rathenau, Martin Buber, Franz Rosenzweig.

Diese und viele andere, die ich hier nicht aufzählen kann, zeugen von der Blütezeit der Entfaltung des jüdischen Geistes in Deutschland. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an den jüdischen Industriellen Eduard Arnhold aus Berlin, der im Jahre 1910 dem Preußischen Staat die Villa Massimo in Rom als Künstlerförderungsstätte schenkte, eine mäzenatische Tat, die bis heute fortwirkt, denn die Villa Massimo erfüllt nach dem Übergang in das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor den Zweck, den ihr der Stifter damals zugedacht hat. Auch die Gründung der Universität Frankfurt im Jahre 1912 geht maßgeblich aufjüdische Initiative zurück. Diese Beispiele ließen sich noch sehr lange fortsetzen. Diese so fruchtbare Epoche jüdischer Kulturleistung in Deutschland fand ein jähes Ende mit dem Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, als deutsche Juden drangsaliert, verhöhnt und verachtet, isoliert und verfolgt und schließlich auf so grausame Weise vernichtet wurden, daß es die Grenzen menschlicher Vorstellungskraft sprengt. Mit Unverständnis und Fassungslosigkeit blicken wir heute auf diese Zeit zurück und fragen uns, wie menschliche Schwächen solche Greueltaten möglich gemacht haben. Namen wie Auschwitz, 121

Austausch in Kunst und Wissenschaft Treblinka, Theresienstadt u n d die anderer Stätten der Vernichtung erfüllen u n s mit Scham, weil die begangenen Verbrechen in deutschem N a m e n geschahen. Anläßlich d e r internationalen Historikertagung des Leo-Baeck-Instituts im vergangenen J a h r in Berlin hat Bundeskanzler Helmut Kohl gesagt: ,Man m u ß die Geschichte kennen, u m t r a u e r n zu können: T r a u e r n u m die O p f e r , t r a u e r n u m den selbstverschuldeten Aderlaß, d u r c h d e n unser Vaterland Deutschland weit über das J a h r 1945 hinaus schöpferische Energien verlor. ,Man m u ß die Geschichte kennen, u m d a n k e n zu können: wir d a n k e n unseren jüdischen Mitbürgern, die bis 1933 die deutsche Kultur, die deutsche Wissenschaft, die Gesellschaft, die Politik und unsere Wirtschaft in so eindrucksvoller Weise bereichert haben. Wir d a n k e n denen, die auch noch nach 1933 an ein anderes, a n ein besseres Deutschland glaubten, weil sie dieses andere Deutschland zuvor doch selbst erlebt hatten ... Besonderer Dank gebührt denen, die nach d e n bitteren E r f a h r u n g e n in d e r NS-Diktatur nach Deutschland zurückkehrten u n d geholfen haben, diesen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, unsere Bundesrepublik Deutschland, aufzubauen. Sie gehören zu uns, u n d unser Land verdankt ihnen viel.' Eine außerordentlich wichtige Funktion übt das 1956 g e g r ü n d e t e Leo-BaeckInstitut aus, das sich zum Ziel gesetzt hat, die wissenschaftliche Erforschung des deutschsprachigen J u d e n t u m s anzuregen u n d d u r c h Publikationen zu f ö r d e r n . Ich f r e u e mich, d a ß d e r B u n d zur Arbeit dieser wissenschaftlich hoch angesehenen Institution einen Beitrag leisten kann; er wird diese Unterstützung auch in Z u k u n f t nach Kräften fortsetzen. Die heute zu e r ö f f n e n d e Ausstellung mit Kunstwerken aus d e m Besitz des Leo-Baeck-Instituts m u ß d e n deutschen Betrachter wehmütig stimmen. Zwar sind die stolzen Zeugnisse des jüdischen Bürgertums u n d die künstlerischen Leistungen deutscher J u d e n , die hier d o k u m e n tiert werden, integraler Bestandteil unserer Kultur. Zugleich wird hier aber auch ein Verlust dokumentiert, d e n n die historische Situation, in d e r diese Kunstwerke entstanden sind, die Traditionen, die zu i h r e r Entstehung f ü h r t e n , sind unwiederbringlich dahin. Dieser Verlust an kultureller Substanz wird in Deutschland noch lange spürbar sein. Die Feststellung des Verlustes u n d die Befassung mit d e m Verlorenen ist notwendig, um unsere Kulturgeschichte ü b e r h a u p t richtig verstehen zu können. Die Ausstellung macht deutlich, wie jüdische Familien in Deutschland lebten, inwieweit sich ihre Kultur von d e r nichtjüdischen U m g e b u n g unterschied u n d was an Gemeinsamem vorhanden war. Sie läßt ein Bild lebendig werden, wie es wirklich war; u n d das war anders, als die NS-Propaganda vom jüdischen ,Untermenschentum' die Deutschen glauben machen wollte. So ist diese Ausstellung ein Beitrag zur Wiederentdeckung einer verlorenen Wahrheit, u n d das im doppelten Sinn: einer Wahrheit, die vergessen w u r d e , u n d einer Wahrheit, die vernichtet wurde. Sie wieder lebendig werden zu lassen, ist f ü r uns alle eine Ehrenpflicht. Dank u n d A n e r k e n n u n g gelten dem Leo-Baeck-Institut in New York u n d 122

21 „Jettchen Geberts Kinder" — Eine Ausstellung des Leo-Baeck-Instituts in Bonn seinem Direktor Dr. Fred Grubel, die die hier gezeigten Exponate zum ersten Mal ins Ausland ziehen ließen, sowie auch Herrn Professor Roters und den Mitarbeitern der Berlinischen Galerie, die diese Ausstellung maßgebend mitorganisiert haben, schließlich auch Herrn Professor Klaus Honnef und dem Rheinischen Landesmuseum, die diese Ausstellung hier ermöglicht haben. Ihnen allen danke ich f ü r Ihren Besuch; die Ausstellung ist damit eröffnet."

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Die Fritz-Naphtali-Stiftung in Israel

Die Informationen der Friedrich-Ebert-Stiftung haben in ihrer Ausgabe Mai 1986 aus ihrer internationalen Arbeit einen Bericht veröffentlicht, der überschrieben ist: „Unser Partner in Israel: Die Fritz-Naphtali-Stiftung". Dieser Bericht zeichnet die grundsätzliche Bedeutung dieser fast 20jährigen Arbeit: „Auf eine nahezu zwanzigjährige erfolgreiche Tätigkeit kann die israelische Fritz-Naphtali-Stiftung zurückblicken, die im Jahre 1967 gegründet wurde und den Namen eines deutsch-jüdischen Veteranen der Arbeiterbewegung trägt. Die Initiative zur Gründung dieser Stiftung kam von leitenden Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung in Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Ziel ist die Förderung der Werte, die den Arbeiterbewegungen dieser Länder sowie der israelischen Arbeiterbewegung und dem Staat Israel gemeinsam zu eigen sind. Die Idee zur Gründung der Fritz-Naphtali-Stiftung hatte seinerzeit Dr. Walter Hesselbach, Präsident des Kuratoriums der Friedrich-Ebert-Stiftung, und selbst einmal Schüler von Fritz Naphtali. Bauprojekte für die Wissenschaft Seit ihrer Gründung investierte die Fritz-Naphtali-Stiftung in enger Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung mehr als 35 Millionen DM in große erzieherische und soziale Projekte in Israel. Dazu gehören beispielsweise das Gebäude der Fritz-Naphtali-Fakultät der Universität Tel Aviv, das Buber-Rousso-Haus und die Fritz-Naphtali-Fakultät der Hebräischen Universität, die Zalman-Aranne-Zentralbibliothek der Ben-Gurion-Universität in Be'er-Schewa und das LeviEshkol-Forschungs- und Verwaltungshaus der Universität Haifa. Zusammen mit der Stadtverwaltung Tel Aviv und dem Ministerium für Erziehung und Kultur errichtete die Fritz-Naphtali-Stiftung den Tel-Aviv-Fond für Literatur und Kunst. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Histadruth wurden gesellschaftliche und Sportzentren in Be'er Schewa, Cholon und Beth Berl erbaut. Erwähnt werden muß auch, daß der Dr. Walter Hesselbach-Hörsaal in KirjaSapir zusammen mit der Stadtverwaltung von Kfar-Saba geschaffen wurde. Die Fritz-Naphtali-Stiftung hat außerdem in Kooperation mit dem israelischen Arbeitsministerium Fortbildungskurse für Industriearbeiter aus Israel in der Bundesrepublik Deutschland initiiert und entwickelt, durch israelitische Fachleute die Entwicklung des genossenschaftlichen Bankwesens in zwölf lateinamerikanischen Ländern unterstützt, Studenten und Forscher mit einer großen Zahl von Stipendien und Zuwendungen für Forschungszwecke gefördert sowie Seminare für Lehrer aus Israel und der Bundesrepublik Deutschland veranstaltet. Alljährlich hat die Fritz-Naphtali-Stiftung im Zeitraum zwischen 1981 und 1986 Mittel für Seminare zur Verfügung gestellt, die den Holocaust und die aus ihm zu 124

22 Die Fritz-Naphtali-Stiftung in Israel ziehenden Lehren zum Inhalt hatten. Diese Seminare wurden vom B u n d der L e h r e r in Israel u n d d e r Gewerkschaft Erziehung u n d Wissenschaft aus d e r Bundesrepublik Deutschland veranstaltet. Mit Beteiligung d e r Friedrich-Ebert-Stiftung wird auch in d e n k o m m e n d e n J a h r e n das Netz d e r ,Amal'(Arbeit)-Schulen mit r u n d einer Million DM gefördert. Zum .Amal'-Netz gehören Hochschulen f ü r Techniker u n d Ingenieure, Industrieschulen u n d ein Zentrum f ü r Erwachsenenbildung. Im Rahmen dieser Bildungsinstitutionen wird die A n s c h a f f u n g von Lehrmitteln unterstützt sowie die Herausgabe von hebräischen, arabischen u n d englischen Fachwörterbüchern zum Zweck der F ö r d e r u n g des technologischen Unterrichts in d e n arabischen Schulen des ,Amal'-Netzes ermöglicht. D u r c h eine Geldspende d e r Fritz-Naphtali-Stiftung ist 1985 im Erziehungsinternat des Kfar Chabad die Errichtung von W o h n g e b ä u d e n ermöglicht worden. Dieses in d e r Nähe von Tel Aviv liegende Erziehungszentrum beherbergt r u n d 300 Kinder zwischen 6 u n d 13 J a h r e n , die aus Notstandsfamilien k o m m e n oder Waisen sind. In d e m Erziehungszentrum, das ihnen W o h n u n g , Verpflegung, Kleidung u n d Unterricht gibt, haben sie ein neues Zuhause g e f u n d e n . Fritz-Peretz Naphtali, d e r unserer israelischen Partnerstiftung d e n N a m e n gab, kam im Alter von 45 J a h r e n , kurz nach d e r Machtergreifung d e r Nazis in Deutschland, nach Israel. Er war in Deutschland u. a. als Wirtschaftsredakteur bei d e r angesehenen .Frankfurter Zeitung' tätig u n d arbeitete in d e n J a h r e n von 1926 bis 1933 im Institut f ü r die E r f o r s c h u n g der Wirtschaftspolitik d e r SPD und d e r Gewerkschaften in Berlin. In Israel war er sowohl in den Institutionen der Arbeiterbewegung als auch in Staatsämtern aktiv, u n t e r a n d e r e m als Landwirtschaftsminister. Ü b e r Fritz Naphtali sagte d e r Präsident des Kuratoriums d e r Friedrich-EbertStiftung, Dr. Walter Hesselbach: ,Fritz Naphtali symbolisiert wie kein a n d e r e r die V e r b i n d u n g zwischen d e n besten Traditionen d e r europäischen Arbeiterbeweg u n g u n d dem Aufbauwerk in Israel. Sein Einfluß ist weder aus d e r Entwicklung in E u r o p a noch d e r in Israel wegzudenken. Noch heute sind sein Werk u n d seine Arbeit d e r Ausgangspunkt f ü r die Auseinandersetzungen unserer Zeit ü b e r die Fragen d e r Gemeinwirtschaft, d e r Mitbestimmung u n d d e r Wirtschaftsdemokratie.'"

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Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Israel über die Errichtung einer Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung

„In Bonn ist am 4. Juli 1986 ein Abkommen zwischen dem Bundesminister für Forschung und Technologie der Bundesrepublik Deutschland und dem Minister für Wissenschaft und Entwicklung des Staates Israel über die Errichtung einer Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung unterzeichnet worden. Das Abkommen ist nach seinem Artikel 13 am 4. Juli 1986 in Kraft getreten; es wird nachstehend veröffentlicht. Bonn, den 2. September 1986 Der Bundesminister für Forschung und Technologie in Vertretung Haunschild

Abkommen zwischen dem Bundesminister für Forschung und Technologie der Bundesrepublik Deutschland und dem Minister für Wissenschaft und Entwicklung des Staates Israel über die Errichtung einer Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung

Der Bundesminister für Forschung und Technologie und der Minister für Wissenschaft und Entwicklung — im folgenden als Vertragsparteien bezeichnet — im Hinblick auf die engen Verbindungen, die sich in der Vergangenheit auf dem Gebiet der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern entwickelt haben, in der Überzeugung, daß die beiderseitige Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Forschung die Bande der Freundschaft und Verständigung zwischen ihren Völkern stärken und den Stand der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung zum Nutzen beider Länder fördern wird, 126

23 Abkommen über die Errichtung einer Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Technik

in der Überzeugung, daß ein Ausbau der bilateralen Instrumente zur Fortführung und Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung wünschenswert ist, sind wie folgt übereingekommen: Artikel 1

Die Vertragsparteien errichten gemeinsam die „Deutsch-israelische Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung". Artikel 2

Zweck der Stiftung ist die Förderung und Finanzierung ziviler Forschungs- und Entwicklungsprojekte von beiderseitigem Interesse in der Grundlagen- und angewandten Forschung. Besonderes Augenmerk gilt Themen, die spezifisch für die geographische Lage Israels sind, zum Beispiel Arbeiten in der biomedizinischen Forschung, der Pflanzen- und der Wasserforschung. Die Projekte werden von deutschen und israelischen Partnern durchgeführt. Von der Stiftung in Israel geförderte Projekte werden nur innerhalb der geographischen Gebiete durchgeführt, die sich vor dem 5. Juni 1967 unter der Jurisdiktion des Staates Israel befanden. Artikel 3

Die Projektergebnisse stehen beiden Seiten gleichermaßen zur Verfügung und können anschließend gemäß den von der Stiftung aufgestellten Leitlinien in Israel und in der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden; wenn beide Vertragsparteien zustimmen, können sie auch einem Drittland oder in einem Drittland verfügbar gemacht werden. Artikel 4

Die Stiftung wird als juristische Person in Israel errichtet. Sie kann alle für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Artikel 5

a) Das Kuratorium ist das Entscheidungsgremium der Stiftung und besteht aus acht Mitgliedern, die je zur Hälfte von jeder Vertragspartei benannt werden; mindestens ein Vertreter jedes Landes soll aus der Wissenschaft kommen. Die Vertragsparteien können die Zahl der Mitglieder des Kuratoriums in gegenseitigem Einvernehmen um ein Mitglied aus jedem Land erhöhen. b) Der Vorsitz im Kuratorium wechselt alle zwei Jahre zwischen einem von der einen Vertragspartei benannten Mitglied und einem von der anderen Vertragspartei benannten Mitglied, wobei der stellvertretende Vorsitzende ein von der jeweils anderen Vertragspartei benanntes Mitglied ist. 127

Austausch in Kunst und. Wissenschaft c) Das Kuratorium tagt mindestens einmal jährlich. d) Das Kuratorium beschließt u n t e r anderem ü b e r — d e n Haushalt d e r Stiftung sowie die Jahresrechnung, — die Bestellung u n d Entlassung des Direktors sowie seine Anstellungsbedingungen, — jährlich zu ü b e r p r ü f e n d e Prioritäten f ü r die Projektförderung, — Leitlinien f ü r die Vorlage von Projektvorschlägen und f ü r die Vergabe von Förderzuschüssen u n d ihre Bedingungen, — Leitlinien f ü r die Nutzung d e r Forschungsergebnisse in Übereinstimmung mit Artikel 3. e) Beschlüsse des Kuratoriums b e d ü r f e n d e r Zustimmung von zwei Dritteln seiner Mitglieder. f) Das Kuratorium gibt sich eine Geschäftsordnung. Artikel 6 Der Vorsitzende des Kuratoriums oder im Fall seiner V e r h i n d e r u n g d e r stellvertretende Vorsitzende vertritt die Stiftung, soweit nicht der Direktor damit vom Kuratorium betraut wird. In dringenden Fällen k a n n d e r Vorsitzende im Einvern e h m e n mit seinem Stellvertreter Entscheidungen treffen, über die er das Kuratorium unverzüglich in Kenntnis setzt. Artikel 7 Der Direktor ist verantwortlich f ü r — die Erstellung des Haushaltsentwurfs u n d d e r J a h r e s r e c h n u n g , — die Anstellung des Personals d e r Stiftung im R a h m e n des Stellenplans u n d d e r Anstellungsbedingungen, die vom Kuratorium genehmigt sind, — die Vorlage d e r eingereichten Projektvorschläge zusammen mit Empfehlungen u n d Gutachten beim Kuratorium, — die D u r c h f ü h r u n g der Beschlüsse des Kuratoriums, insbesondere bezüglich d e r F ö r d e r u n g von Projekten, — die Vertretung d e r Stiftung in d e m vom Kuratorium genehmigten Rahmen, — sonstige ihm vom Kuratorium übertragene Aufgaben. Artikel 8 Die Vertragsparteien tragen innerhalb von vier J a h r e n j e 75 Millionen DM zum Stiftungskapital bei. Der Betrag ist in konvertiblen W ä h r u n g e n , die sich durch eine h o h e Preisstabilität u n d vergleichsweise h o h e Renditen auszeichnen, anzulegen; dabei sind insbesondere die im Sonderziehungsrecht enthaltenen W ä h r u n gen zu berücksichtigen. Die Stiftung verwendet zur D u r c h f ü h r u n g ihrer Aufgaben n u r die Zinserträge.

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23 Abkommen über die Errichtung einer Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Technik Artikel 9

Die israelische Regierung gewährt der Stiftung und ihrem nicht-israelischen Personal Befreiung von Einkommen- und Vermögensteuer sowie von Zöllen und sonstigen Abgaben auf eingeführte Gegenstände, die zum Gebrauch durch die Stiftung oder ihre Mitarbeiter bestimmt sind. Die israelische Regierung gewährt der Stiftung Befreiung von Beschränkungen des Devisenhandels. Artikel 10

Der israelische Rechnungsprüfer (State Comptroller) prüft die Verwendung der Mittel entsprechend den in Israel geltenden Vorschriften. Ergebnisse von Buchund Rechnungsprüfungen bei der Stiftung werden dem Bundesrechnungshof der Bundesrepublik Deutschland zugeleitet. Artikelll

Die Auflösung der Stiftung bedarf der Zustimmung beider Vertragsparteien. Im Fall der Auflösung beraten die beiden Vertragsparteien über die Verwendung der dann vorhandenen Mittel. Jeder Vertragspartei stehen der bis zum Zeitpunkt der Auflösung eingezahlte Beitrag zum Stiftungskapital sowie anteilmäßig die noch nicht gebundenen Erträge zu. Artikel 12

Dieses Abkommen gilt auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Regierung des Staates Israel innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Abkommens eine gegenteilige Erklärung abgibt. Artikel 13

Dieses Abkommen tritt mit dem Tag der Unterzeichnung in Kraft und kann mit Zustimmung beider Vertragsparteien geändert werden. Geschehen zu Bonn am 4. Juli 1986 in zwei Urschriften, jede in deutscher, hebräischer und englischer Sprache, wobei jeder Wortlaut verbindlich ist. Bei unterschiedlicher Auslegung des deutschen und des hebräischen Wortlauts ist der englische Wortlaut maßgebend. Der Bundesminister für Forschung und Technologie der Bundesrepublik Deutschland Heinz Riesenhuber

Der Minister für Wissenschaft und Entwicklung des Staates Israel Gideon Patt"

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Austausch in Kunst und Wissenschaft Deutsche Kuratoriumsmitglieder — Dr. Heinz Riesenhuber — Vorsitzender Bundesminister f ü r Forschung und Technologie Bonn — Professor Dr. Ernst Biekert Limburgerhof/Pfalz — Professor Dr. Hubert Markt Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bonn — Professor Dr. Hans A. Weidenmüller Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg Israelische Kuratoriumsmitglieder — Gideon Patt Minister für Wissenschaft und Entwicklung Jerusalem — Professor Dr. Michael Albeck Präsident der Bar-Ilan Universität Vorsitzender des Komitees der Universitätspräsidenten Ramat Gan — Dr. Ben ZionNaveh Generaldirektor der Scitex Co. Ltd. Herzlia — Menachem Savidor früherer Sprecher der Knesset

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Neue historische Reihe der Universität Tel Aviv beim Bleicher-Verlag: Ein Gespräch mit Heinz Bleicher

Frage: Eine neue historische Reihe für die deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, das ist etwas, was, neben dem Leo-Baeck-Institut in anderen Verlagen, vom Bleicher-Verlag in Stuttgart und in Gerlingen neu begonnen wurde. Herr Bleicher, wie kam es, ich möchte sagen, zu diesem Auftrag? Antwort: Wir haben uns j a schon immer um deutschsprachige Publikationen in Israel gekümmert. Deshalb ist das Institut auch auf uns zugekommen, als der bisherige Verleger die schon seit einigen Jahren bestehende Schriftenreihe abgeben wollte. Frage: Und wie kam es zu diesem Abgebenwollen? Antwort: Ja, es ist immer das gleiche. Zu irgendeinem Zeitpunkt wird ein Verleger in einer Sache müde, wenn er ständig subventionieren muß. Wir sind uns völlig darüber klar, daß sich diese Schriftenreihe nicht selber tragen wird, aber wir sind begeistert von dem, was dort in Tel Aviv an dem Institut geschieht, weil man dort Themen aus der deutschen Geschichte aufgreift, die hier an unseren historischen Instituten nicht angefaßt werden. Frage: Gibt es dafür Gründe? Antwort: Die sind naheliegend. Wir kennen j a die Probleme, die unsere Historiker auch heute noch zumindest teilweise mit Themen haben, die unmittelbar aus der jüngsten Vergangenheit herausgewachsen sind. Ich denke insbesondere jetzt an die große Arbeit von Buchsweiler, der es gewagt hat, die Frage der doppelten Loyalität der Ukraine-Deutschen, der Volksdeutschen in der Ukraine, aufzugreifen und wissenschaftlich zu bearbeiten. Gerade dieses Buch halten wir für sehr wichtig. Herr Buchsweiler war lange Zeit in Rußland und hat dort in den Archiven nachgeforscht und hat eine umfassende Darstellung dieser j a wirklich schwierigen Frage vorgelegt. Frage: Sie haben jetzt „die Toleranzpolitik Kaiser Joseph II." ganz neu herausgebracht. Wie sieht es damit aus? Antwort: Das halten wir für eines der wichtigsten Bücher in dieser Reihe. Überhaupt für ein wichtiges historisches Buch, denn mit der „Toleranzpolitik Joseph II", der j a im Umgang mit Minderheiten ganz besondere Erfahrungen hatte, hat sich eigentlich das Gesicht Europas zu verändern begonnen, zumindest hat sich für die Judenheit in Europa eine Möglichkeit guter Koexistenz gezeigt. Daß es dann doch wieder anders gekommen ist, die Gründe dafür kennen wir. Frage: Julius Moses und die Politik der Sozialhygiene in Deutschland? Antwort: Julius Moses war in der Weimarer Republik ein wichtiger Abgeordneter. Er hat sich vor allem um Fragen — er war Mediziner, muß ich dazu sagen — der Sozialhygiene gekümmert, zu einer Zeit, zu der man dieses noch gar nicht kannte. Daß wir heute Sozialpolitik und Sozialhygiene ernst nehmen, ist eigentlich selbst131

Atistatisch in Kunst und. Wissenschaft verständlich. Aber ein Mann wie Julius Moses hat erst die Grundlagen d a f ü r gelegt, daß wir das heute alles können. Frage: Ein vierter Band ist in dieser Reihe zu verzeichnen. „Das Frankreich-Bild der deutschen Arbeiterbewegung 1859-1865." Antwort: Auch darüber ist bei uns viel zu wenig bekannt, daß sich etwa die deutsche Sozialdemokratie aus dieser französischen Arbeiterbewegung herausentwickelt hat. Ich denke an Namen wie Lasalle und von Habermann. Das wird übrigens auch in dieser sehr wissenschaftlichen Publikation sorgfältig untersucht u n d f ü r uns Deutsche vor allem verständlich dargestellt. Merkwürdigerweise ist das an unseren eigenen Instituten nie so untersucht worden. Frage: Nun, das sind vier Bände dieser neuen Reihe, dieser wissenschaftlichen Reihe. Was wird als nächstes kommen? Antwort: Ich kann das im Augenblick deshalb nicht sagen, weil das Institut in Tel Aviv einen Wechsel in der Leitung hat. Die neue Leiterin, Frau Prof. Dr. Wolkow, Historikerin und Germanistin, war zwar schon bei uns im Verlag, und wir haben die nächsten Pläne miteinander besprochen. Aber Titel wage ich im Moment noch nicht in den Raum zu stellen. Fest steht nur, daß wir pro J a h r zwei Titel herausbringen werden. Frage: Das ist vom Finanziellen her auch schon eine ganze Menge. Antwort: Das ist eine ganze Menge, obwohl das Institut Zuschüsse vergibt, aber keine ausreichenden Zuschüsse. Es wird in Zukunft unsere, d. h. des Verlages, wichtigste Aufgabe sein, mit einer der großen deutschen Stiftungen — denn ich meine, es sei eine deutsche Aufgabe das zu fördern — zu sprechen. Frage: Wieviel Auflage hat ein solches Buch? Antwort: Das sind immer 2.000 Exemplare. Natürlich versuchen wir den Verkauf ganz normal über den Buchhandel. Aber wichtiger sind die Bibliotheken in den Universitäten, vor allem dort wiederum in den historischen Fakultäten.

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Ein fotografisches Porträt von Israel

Es war eine vielfältige Ausstellung, die 1986 in der Landesvertretung des Saarlandes mit zahlreichen farbigen und schwarzweißen Bildern das Land der Vielfalt, der Gegensätze und seine Schönheit zeigte. Der Bevollmächtigte des Saarlandes beim Bund, Dr. Ottokar Hahn, hatte gemeinsam mit dem Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland, Herrn YitzhakBen-Ari, eingeladen. Es war, wie schon oft, ein großartiges Erlebnis, auch f ü rjene, die Israel selbst oftmals bereist hatten, diese Bilder zu sehen. Kaum ein anderes Land bietet seinen Besuchern innerhalb solch enger Grenzen so viele kontrastreiche Eindrücke wie Israel: Paradiesische Badestrände und Feriendörfer an den vier „Meeren", weite Zitrusplantagen, moderne Küstenstädte, geheimnisvolle Ruhe der Wüste, historische u n d biblische Stätten auf Schritt und Tritt, Drehscheibe zwischen Orient und Okzident und Heiliges Land dreier Weltreligionen: Das ist Israel. War früher eine Pilger- oder Studienreise nach Israel, dem Land der Bibel, ein recht mühsames u n d zeitraubendes Unternehmen, so ist heute das Land per Schiff oder Flugzeug bequem und schnell erreichbar. Der Amateurfotograf Robert Funk aus Merzig bereiste Israel 1979 und 1984. Die Fotos seiner Austeilung erheben keinen Anspruch auf motivliche Vollständigkeit, sondern möchten n u r einen „Blick ins Heilige Land" u n d ein fotografischer Beitrag zum besseren Verständnis der Situation Israels wie zur Versöhnung der Völker sein. Alfred Diversy, Stadtverordneter in Merzig, Leiter des Amtes f ü r Bildung und Sport, hat sich der Arbeit von Robert Funk, der 1923 in dieser Stadt geboren wurde, besonders angenommen. Über sein Leben u n d seine Arbeit schrieb er in dem vorliegenden Katalog: „Auch in Israel kennt man seine Arbeiten. 1984 konnte er sie im Bloomfield-College in Haifa vorstellen. Israelische Fotografen u n d Maler waren es auch, die zuvor seine Bilder im Saarland gesehen hatten und ihn dann nach Haifa einluden. Robert Funk, Mitbegründer des Fotoclub Merzig, ist heute dessen Vorsitzender. Zum,Berufenen Mitglied' ernannte ihn die Deutsche Gesellschaft f ü r Photographie (DGPh) in Köln. Die Weltorganisation d e r künstlerischen Amateurfotografie, die FI AP, würdigt seine fotografischen Leistungen durch Verleihung der internationalen Titel AFIAP u n d ESFIAP. Der Verband Deutscher Amateurfotografen-Vereine (VDAV) hat ihm, insbesondere f ü r seine erfolgreiche Jugendarbeit im Saarland, als Auszeichnung die Verdienstmedaille in Gold verliehen. Die Ausstellung ist bisher in Merzig, Saarbrücken, Wölmersen, Frankfurt/ Main, bei einer Israel-Woche in Oldenburg, in Düren, Bad Herzfeld und Erftstadt gezeigt worden, bevor sie jetzt in Bonn zu sehen ist. Nach d e r Ausstellungszeit in Bonn werden die Fotografien bei einer Israel-Woche in Osnabrück gezeigt 133

Austausch in Kunst und Wissenschaft werden. Das Faltblatt zur Ausstellung gibt einen Einblick in die verschiedenen Abteilungen der Fotografie: Jerusalem: Wie unscheinbar es ist, das .Goldene Tor'. Nicht so prächtig wie die übrigen T o r e in der mächtigen Mauer, die die Jerusalemer Altstadt umgibt. Den größten Teil dieser Mauer hat Sultan Suleimann /., der Prächtige genannt, errichtet. Er regierte im 16. J a h r h u n d e r t , zu Beginn d e r .türkischen Epoche', die immerhin bis zum Beginn der britischen Mandatsherrschaft 1917 dauerte. Vorangegangen — keine Stadt hat eine so bewegte Geschichte wie Jerusalem — sind viele andere Herrscher mit unterschiedlichen Kultureinflüssen. Da war — die persische Epoche mit der Rückkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft u n d d e m Bau des Zweiten Tempels — die griechische, die Alexander den Großen nach Jerusalem brachte — die der Hasmonäer, mit der Eroberung des Tempelbergs durch Judas Makkabäus — die römische, in der Jerusalem gleich zweimal zerstört wurde — im J a h r e 70 von Titus, und 135 von Hadrian — die byzantinische, in der die Mutter des Kaisers Konstantin, Helena, den Grundstein zur Grabeskirche legte — die islamische, in der der Felsendom gebaut wurde, der eigentlich ,Omar-Moschee' heißt — die Kreuzfahrer-Epoche, in der Saladin Jerusalem erobert und die Kreuzfahrer besiegt hat, aber auch Kaiser Friedrich II. sich zum König von Jerusalem krönte — die Mameluken-Epoche, die von 1250 bis 1516 dauerte und von der türkischen abgelöst wurde. Aus allen Zeiten sind Bauten geblieben. Und der Glaube der J u d e n an den Messias, der durch das T o r kommen soll, hat alle Epochen überdauert. Der junge Staat: Die Menorah, der riesige siebenarmige Leuchter vor dem israelischen Parlament, der Knesset, ist das Staatssymbol. Sie ist ein Geschenk des britischen Parlaments an die israelische Volksvertretung, 1949 von Bildhauer Benno Elkan aus Haifa aus Bronze geschaffen, reich mit Motiven aus der jüdischen Geschichte ausgestattet. Die Menorah — das heißt auf Hebräisch einfach .Leuchter' — ist seit Tempelzeiten eines der wichtigsten Bildmotive der jüdischen religiösen Kunst. Und mit der Staatsgründung, fast 2000 J a h r e nach der Zerschlagung des alten Staates, ist sie noch mehr geworden: Symbol f ü r die neue Heimat, die f ü r die J u d e n die einzig wirkliche ist, in die sie durch die Jahrhunderte immer zurück wollten. .Nächstes J a h r in Jerusalem' haben sie immer gebetet. Und dann ist der T r a u m Wirklichkeit geworden - erst durch Theodor Herzl und dessen aus der Enttäuschung über die Affäre Dreyfus geborene Vision von der eigenen jüdischen nationalen Heimstätte. Zu seinen Lebzeiten schon gab es die erste große Einwanderungswelle in Palästina, die erste .Alija'. Weitere folg134

25 Ein fotografisches Porträt von Israel ten, verstärkt in der Zeit des Holocaust. Da war Palästina noch britisches Mandatsgebiet, die Einwanderung war kontingentiert — und die jungen arabischen Staaten begannen, sich gegen die .Eindringlinge' zu wehren, die derweil das Land urbar machten, Sümpfe trockenlegten, in der Wüste Blumen wachsen ließen. 1948 rief Ben Gurion den Staat Israel aus, in dem jeder Jude in der Welt berechtigt ist, Bürgerrechte zu erwerben. Viel Blut ist seither geflossen. Israel existiert. Aber Friede ist nicht eingekehrt. Jüdische Geschichte: Betende Juden an der Klagemauer — Lieblingsmotiv fotobegeisterter Israel-Besucher. Aber nicht nur das Fremde, das Andersartige übt diese Faszination aus. Die Andacht, die Ernsthaftigkeit der orthodoxen Juden mit den Schläfenlocken und den steifen Hüten und der salopp in Jeans und T-Shirts gekleideten Jungen, die ihr Käppchen mit der gleichen Selbstverständlichkeit tragen wie ihren modernen Haarschnitt, vermitteln dem Besucher eine Ahnung der Bedeutung dieser Mauer für die Juden, zwingen ihm Respekt auf. Ein Zentrum ihres Glaubens ist sie und Stelle des direkten Kontakts ,nach oben'. Da werden — vor allem auf der Frauenseite — Zettelchen mit Bitten und Wünschen in die Fugen der klobigen Mauersteine gesteckt. Sie ist der Rest der westlichen Umfassungsmauer des Tempels des Herodes, den der Römer-Kaiser Titus im Jahre 70 zerstört. Das ist eine der vielen tiefen, nie vernarbten Wunden, die dem Volk der Juden geschlagen worden sind, seit Abraham in das Gelobte Land kam und seit Salomon den ersten Tempel baute, den Nebukadnezar von Babylonien 538 zerstörte. Nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft errichteten sie den Zweiten Tempel, von dem die West-Mauer übrig ist. Mit dem Bar-Kochba-Aufstand, 135 nach Christus, und seiner Niederschlagung begann der große Exodus der Juden in alle Welt. Die Klagemauer, die Tempelmauer, war über Jahrhunderte Ziel jüdischer Sehnsucht. Seit 1967, seit der Wiedervereinigung Jerusalems, können sie hier wieder beten. Ort der Weltreligion—Jerusalem: Kuppeln und Minarette, Kirchtürme mit Kreuzen, Synagogen — in Jerusalem treffen die drei großen monotheistischen Weltreligionen aufeinander, die ihren gemeinsamen Ursprung im Vorderen Orient haben. Für die über die ganze Welt verstreuten Juden war Jerusalem über Jahrhunderte Ziel nicht nur nationaler, sondern vor allem religiöser Sehnsucht. Hier ist das Goldene Tor, das einst Hauptzugang zum Tempelplatz war, und durch das ( , 0 when the saints go marchin' in') der Messias Einzug halten wird. Und am Ölberg soll nach jüdischem Glauben die Auferstehung beginnen. Hier ist auch der älteste jüdische Friedhof, auf dem jeder begraben sein möchte: bei der Auferstehung wäre er an vorderster Stelle. In der El Aqsa-Moschee haben die Moslems das drittwichtigste ihrer Heiligtümer—nach Mekka und Medina. Und sie haben den grandiosen achteckigen Felsendom, die Omar-Moschee, die über die Stelle erbaut ist, wo Salomons Tempel stand. Von hier aus sei nämlich, wie sie glauben, Mohamed mit seinem Pferd in den Himmel aufgestiegen — wenn auch nur für eine Nacht. Für die vielen christlichen Glaubensgruppen schließlich — 50 sind in Jerusa135

Auslausch in Kunst und Wissenschaft lern vertreten - ist Jerusalem, sind Ölberg, Abendmahlsaal auf d e m Zionsberg, Via Dolorosa, Grabeskirche, nicht weniger wichtig. Die Kultstätten aller stehen eng zusammen in Jerusalem. Stätten der Christenheit: Das Lazarus-Grab ii\ Bethanien, an d e r Straße von Jerusalem nach Jericho, ist eines d e r vielen christlichenHeiligtümer. Sicher nicht das bedeutendste. Auch nicht das glaubwürdigste — ein Grab eben. Das dreisprachige Schild — hebräisch, arabisch u n d englisch verlangt E h r f u r c h t vor der Heiligkeit des Platzes — ist größer als d e r ganze Eingang. Besucher gehen aus d e r hellen Sonne in die dunkle Kühle. Der Kleine, den der Fotograf hier festgehalten hat, ist m ü d e . Wer weiß, wie viele Denkmäler er auf d e r R u n d f a h r t , d e n R u n d g ä n g e n mit d e n Großen schon besichtigt hat? Die gründlichen Pilger beginnen ihre Reise j a in Bethlehem, f a h r e n d a n n d u r c h Samaria nach Nazareth u n d verfolgen weiter, auf d e r Fahrt d u r c h das blüh e n d e , strahlende Galiläa, die Spuren des Neuen Testaments — in Tiberias, in T a b h g a h , wo die 5.000 gespeist wurden, Caparnaum, wo Jesus so viele W u n d e r wirkte. U n d staunen am O r t d e r Bergpredigt über die unglaublich schöne Aussicht. Vielleicht hat d e r Kleine das alles schon gesehen. U n d jetzt stehen ihm noch die monumentaleren Stätten in Jerusalem bevor: den Ölberg u n d den Garten Gethsemane, die unterirdischen Reste d e r Antonius-Burg, dort wo die Geißelung stattgefunden haben soll, die Via Dolorosa, die Grabeskirche u n d vielleicht auch die wunderschöne Anlage des Gartengrabs. Tourismus: Israel als Reiseland hat seit seiner Staatsgründung erheblich an Bed e u t u n g u n d Anziehungskraft hinzugewonnen. Auf reisefreudige Menschen aller Welt u n d Religionen übt das Land eine ungewöhnliche Faszination aus, die bis auf d e n heutigen T a g ungebrochen ist, m e h r noch, ständig größer wird. Aus aller Welt strömen die Besucher herbei — hier im Bild ist es eine äthiopische Pilg e r g r u p p e , traditionell gekleidet die einen, flott-westlich die anderen. Im dichten G e d r ä n g e d e r zahlreichen Touristen besichtigen sie die Stadt, ziehen mit d e r Prozession d u r c h die Via Dolorosa, schleppen schwere Kreuze mit,... und Fotoapparate. Es ist in der Karwoche. Die Pilger in d e n engen Straßen d e r Altstadt Jerusalems scheint's sind in d e r Minderzahl — hie u n d da eine singende, betende Gruppe. D e r , Klick' d e r Zeitgenossen mit dem dritten Auge ist überall gegenwärtig. O b im Basar: ,Klick', vor d e r Stadtmauer: ,Klick' oder im T r u b e l des orientalischen Lebens am Damaskus-Tor, überall,Klick'. U n d zwischendurch ein Glas frischgepreßten Orangensaft vom kleinen Stand, dazu d u f t e n d e Sesam-Kringel. Mit F r e u d e beobachten die Touristen die schönen, rassigen israelischen Mädchen; gehen schüchtern u n d gar beklommen d u r c h Mea Shearim, das Orthodoxen-Judenviertel, schweigen in Yad Vashem, d e r Gedenkstätte, stellen sich vor d e r großen Menorah beim Parlamentsgebäude zu Gruppenfotos auf, staunen vom Ölberg herab auf die Herrlichkeit Jerusalems u n d vielleicht lassen sie sich von einem Kameltreiber zum obligatorischen Erinnerungsfoto auf seinem quastengeschmückten Wüstenschiff überreden. Touristen in Jerusalem u n d wo überall im Lande, sie sind selbst übrigens dankbare Fotoobjekte. 136

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„Die Palästinenserin": Diskussion im Westdeutschen Fernsehen über die Inszenierung von Peter Eschberg

Am 1. Februar 1987 übertrug das Westdeutsche Fernsehen eine Diskussion aus Anlaß der A u f f ü h r u n g eines Theaterstücks „Die Palästinenserin", das von dem Bonner Regisseur Peter Eschberg inszeniert worden war. Bei dieser Diskussion nahmen der Autor des Stückes Joshua Sobol, der Regisseur Peter Eschberg, Erika Landau, Publizistin in Tel Aviv, sowie der israelische Botschafter in Bonn, Yitzhak Ben Ari, teil. Daneben gab es Teilnehmer aus dem Publikum. Die Gesprächsleitung hatte Eberhard Piltz, der mehrere Jahre als Korrespondent des Fernsehens der ARD in Israel gewirkt hat. Man kann ihn also getrost als Fachmann dieser Probleme nennen. Wir bringen im Auszug ein Gespräch von Eberhard Piltz mit dem israelischen Botschafter: Piltz: H e r r Ben-Ari, Sie sind j a bekannt dafür, daß Sie immer wieder mahnen, daß im Bewußtsein der Deutschen die Erinnerung an das, was geschehen ist, an den Holocaust, nicht verdrängt werden darf. Glauben Sie, daß mit einer solchen T h e a t e r a u f f ü h r u n g eine Kontinuität tatsächlich im Bewußtsein der Deutschen f ü r alles, was J u d e n betrifft, gefördert wird? Ben-Ari: (...) Das Leben ist leider nicht so einfach wie das Theater. Wenn das Leben so einfach wäre, würden wir alle Probleme auf dieser Welt sehr schnell gelöst haben. Ich verstehe heute Karl Kraus besser, der einmal gesagt hat: Kunst ist gerade das Gegenteil von guten Absichten. Denn ich sah hier eine vollständig falsche Geometrie, eine falsche Asymmetrie. Das Problem zwischen J u d e n und Arabern müssen wir in Nazareth, in Jerusalem, in Damaskus, in Kairo, in Amman lösen — nicht in Bonn. Es stimmt, daß ich glaube, daß man in der Geschichte nichts vergleichen soll. Und deshalb störten mich hier Vergleiche, die gemacht wurden. Das gilt auch (für) Vergleiche über die Nazigewaltherrschaft und schreckliche Taten in dieser Zeit von Stalin geschehen. Es ist eine Beleidigung f ü r Deutsche, glaube ich, wenn man ihnen sagt, sie müssen aus dem Schatten Hitlers weggehen, denn nicht alle Deutschen stehen unter dem Schatten Hitlers, - sind auch damals nicht gestanden. Ich bin der Meinung, wir sollen nicht verallgemeinern, nicht gegenüber Juden, nicht gegenüber Deutschen und auch nicht gegenüber den Arabern. (...) Was wir uns alle bemühen müssen, J u d e n u n d Araber, Israelis und Christen im Nahen Osten, ist, nebeneinander zu leben und sich nicht zu vermischen. Denn wenn wir versuchen, gemeinsame Kinder zu machen, dann gibt es Konflikte. Piltz: Aber wenn ich das (Theater-)Stück richtig verstanden habe, dann ist das ja gerade eins der Anliegen von Joshua Sobol (Autor des Stückes), der einen Appell richtet an die Möglichkeit des Zusammenlebens ohne Haß. 137

Austausch in Kunst und Wissenschaft Ben-Ari: Aber dies kann nur in einem Mosaik geschehen, daß wir friedlich nebeneinander leben. PiUz: Sie haben (von einem Diskussionsteilnehmer) gehört, es geht um Gleichberechtigung. Vielleicht muß man zur Erklärung sagen, es gibt etwa 7 5 0 . 0 0 0 Araber, die in Israel leben, und zwar in Israel ohne die besetzten Gebiete.(...) Ben-Ari: Ich möchte nicht verheimlichen, daß ich volles Verständnis dafür habe, für j e d e Minorität in j e d e m Lande, die Schwierigkeiten mit d e r Mehrheit in diesem Lande hat. Es ist sicherlich nicht einfach. Araber und Israelis — das war keine politische Bemerkung, ich sprach über Religionsgruppen. Deswegen unterschied ich. Solange es keinen Frieden im Nahen Osten gibt, ist es äußerst kompliziert, arabischer Palästinenser zu sein, denn seine B r ü d e r sind im Krieg mit Israel—außer Ägypten. Natürlich schafft das Situationen, die es schwierig (machen) für einen Araber in Israel, seinem tagtäglichen Leben nachzugehen. Aber ich glaube, sagen zu können — und wer nach Israel kommt, sollte sich davon überzeugen und nicht nur meine Meinung dazu hören, denn ich bin vielleicht nicht objektiv — ich glaube, daß unter den bestehenden Bedingungen in einer Situation, in der wir tagtäglich vom T e r r o r hören in Israel, an den Grenzen, es für Menschen, J u d e n und Araber, nicht immer einfach ist. (...) Piltz: Die Zeit arbeitet doch eigentlich gegen die Israelis, wenn man sich anschaut, wie die Bevölkerung sich entwickelt, wenn die besetzten Gebiete nicht zurückgegeben werden. Besteht nicht die Gefahr, daß Israel dann seinen Charakter als j ü discher Staat verliert, in seinem eigenen Verständnis als jüdischer Staat? Könnten Sie sich denn ein Ziel vorstellen, wo beide gleichberechtigt nebeneinander in dem Staat Israel leben? Ben-Ari: Ich glaube, die Zeit arbeitet auch gegen die Araber und nicht nur gegen die J u d e n . Die Zeit arbeitet nämlich gegen den Frieden. Wenn wir in Betracht nehmen, was getan werden konnte vor 4 0 J a h r e n , vor 5 0 J a h r e n in dem damaligen Palästina, als Vorschläge angenommen wurden, weil wir keine anderenMöglichkeiten gehabt haben, so glaube ich, wenn dem Friedenswillen, den es in Israel gibt, (nicht) die Hand gestreckt wird, nicht von weiteren arabischen Ländern angenommen wird, so werden manche der Israelis langsam müde werden und sich an die heutige Situation gewöhnen. Und ich sage das absichtlich, als ich a u f einige arabische Zuschauer (im T h e a t e r ) sie anspreche. Das ganze Problem des Nahen Ostens kann man vielleicht in einem Beispiel darstellen. Gestern abend hielt der saudische Botschafter einen Vortrag ganz nahe von hier in B o n n in der Redoute. In der Redoute sind auch Mitglieder der Israelischen Botschaft. Als der Botschafter Saudi-Arabiens hörte, daß eventuell ein Israeli dabei sein würde, wandte er sich an die Direktion von Redoute und sagte: Wenn ein Israeli im Publikum ist, werde ich nicht kommen und den Vortrag nicht halten. Ich freue mich, daß heute unter uns (im T h e a t e r ) sowohl arabische Israelis als auch Araber, Palästinenser, wahrscheinlich aus anderen Gebieten hier sind, denn ich will mit ihnen sprechen, wo immer sie sind. 138

26 Diskussion im Westdeutschen Fernsehen über die Inszenierung von Peter Eschberg

Ich möchte noch etwas hinzufügen. Das erstemal, als wir offiziell—und ich unterstreiche das Offizielle, denn es gab auch andere Gespräche — mit einem arabischen Land gesprochen haben und ein arabischer Regierungschef den Mut gehabt hat und die Vision, nach Jerusalem zu kommen, hat er (für) seine Probleme, die Probleme seines Landes und wahrscheinlich auch f ü r die arabisch-palästinensische Seite mehr getan als 40 J a h r e Krieg und Terroraktionen.

Ben Art (über eine Meinungsäußerung der Publizistin Erika Landau zur zionistischen Bewegung): Ich glaube, daß die zionistische Bewegung die Freiheitsbewegung des jüdischen Volkes ist. U n d wenn es 19 arabische Staaten (gibt), in denen die Araber ihre Gleichberechtigung bekommen haben, so darf das jüdische Volk einen Staat haben, in dem es Herr seines eigenen Schicksals ist. Stichwort Gleichberechtigung: Ich würde sehr gerne dieses (Theater-)Stück, auch wenn ich diesem Stück hier und da kritisch bin, in Amman, in Damaskus, in Riad, in allen arabischen Städten aufgeführt wissen und das arabische Stück frei in Israel a u f g e f ü h r t werden. Warum kommen wir uns nicht auch über die Kultur näher? U n d als drittes: J u d e n und Araber leben in einer Region. Wir sind verdammt dazu zusammenzuleben. Weder Deutsche noch Amerikaner noch Russen können die Probleme f ü r uns lösen. N u r wir gemeinsam. Und wir müssen die Probleme miteinander und nicht gegeneinander lösen.

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Das israelische Philharmonische Orchester in Bonn

Am 14. September 1987, gleichsam zu den Hohen Feiertagen Israels, waren die israelischen Philharmoniker nach Bonn gekommen, wo sie in der Beethovenhalle anläßlich des 40jährigen Bestehens des Staates Israel unter ihrem Dirigenten Zubin Mehta ein glanzvolles Konzert absolvierten. Der Background dieses Orchesters war in eindrucksvoller Form von der veranstaltenden Agentur „Festival Pro" im Programm dargestellt: „Die 110 Musiker des Orchesters geben in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem mindestens 200 Konzerte im Jahr, und das Publikum ist glücklich, wenn es Sinfoniekonzerte hören kann; der Andrang ist derart, daß die Konzerte mehrmals gespielt werden müssen. Das hat dazu geführt, daß die Musiker sich als Mittler zum Publikum empfinden, daß sie darüber hinaus einen ganz besonderen Stolz darein setzen, als Botschafter ihres Landes empfangen und empfunden zu werden. Schon nach dem ersten Berliner Konzert meldete die Nachrichtenagentur dpa: ,Der Beifall in der ausverkauften Berliner Philharmonie glich einer Explosion der Begeisterung.' Der Rezensent des .Hamburger Abendblatts' sprach von .glutvoller Intensität', die .Rheinische Post' rühmte den .spontanen Ausdruck' und sprach .von dem Drang, Musik zu machen aus dem Temperament, aus der Ausdruckskraft eines Werks heraus'. Kurz, das Orchester überzeugte nicht nur im technisch-virtuosen Sinne, sondern durch seine leidenschaftliche Bereitschaft, Musik zu machen und sich durch Musik mitzuteilen. Nachdem der große Geiger und Humanist Bronislaw Huberman im Jahre 1936 die Vorbereitungen zur Gründung des — damals so genannten — .Palestine Orchestra' getroffen hatte, dirigierte Arturo Toscanini am 26. Dezember 1936 das erste Konzert. Es war zugleich eine politische Aktion, nämlich ein international beachteter Auftritt gegen den Faschismus. Kurz nach Toscanini kam William Steinberg; als erster Solist konzertierte, auf ausdrücklichen Wunsch Hubermans, der deutsche Geiger Adolf Busch. Im Krieg war das Orchester weitgehend vom internationalen Musikleben abgeschnitten. Nach generöser Hilfe durch den italienischen Dirigenten Bernadino Molinari und den Franzosen Charles Münch entschloß sich das Orchester im Jahre 1947 zur Selbstverwaltung. Im gleichen Jahr gab der junge Leonard Bernstein sein stürmisch bejubeltes Debüt—er ist seit dieser Zeit eng mit dem Orchester verbunden. Mit dem Beginn der dreizehnten Saison änderte das Orchester seinen Namen: es nannte sich fortan .Israel Philharmonie Orchestra'. Zu diesem Zeitpunkt begann auch die internationale .Karriere' des Orchesters, das nicht nur im eigenen Land die bedeutendsten Dirigenten und Solisten empfing, sondern auch — dem Wunsch Hubermans entsprechend — immer wieder auf Reisen ging. 1949/50 spielten die Geiger Jascha Heifetz und Zino Francescatti mit diesem Orchester unter Serge Kussewitzkys Dirigat: das Publikum tobte vor Begeisterung.Im Dezember 1950 begann das IPO seine erste Tournee durch die 140

27 Das israelische Philharmonische Orchester in Bonn Vereinigten Staaten, die ihm den noch heute gültigen Ruf des .besten Botschafters Israels im Ausland' eintrug. Unter der Leitung von Leonard Bernstein, Serge Kussewitzky und Izler Solomon gab das Ensemble 54 Konzerte in 40 Städten. In den frühen fünfziger Jahren stießen Artur Rubinstein, Rudolf Serkin, Paul Kletzki (der später die ersten Platten mit dem IPO einspielte), Erich Leinsdorf und Rafael Kubelik zu den israelischen Musikern, dann kamen Sir Georg Solti, Josef Krips und Jean Martinon, Sergiu Celibidache, Ferenc Fricsay und Igor Markevitch. Seit 1951 hatten sich die Verantwortlichen bemüht, dem Orchester einen angemessenen Konzertsaal zur Verfügungzu stellen. Dank der großzügigen Spende des aus Philadelphia stammenden Industriellen Fredric R. Mann und zusätzlicher Hilfe der US-Regierung und weiterer Mäzene konnte 1953 der Grundstein zum Fredric R. Mann-Auditorium gelegt werden, das am 2. Oktober 1957 mit einem Konzert eröffnet wurde, an dem Leonard Bernstein, Artur Rubinstein, Isaac Stern und Paul Tortelier beteiligt waren. Neben den .großen Alten' (außer den schon erwähnten Musikern seien Claudio Arrau, Gregor Piatigorsky, Pablo Casals genannt) kamen Daniel Barenboim, Jacqueline du Pre, Pinchas Zuckerman und Itzhak Perlman nach Israel — vor allem dann, wenn das Land durch politische Wirren und Kriege bedroht war. Sowohl während des Sechs-Tage-Krieges als auch des Yom-Kippur-Krieges (1973) reisten zahlreiche Musiker sofort in das Land ihres Glaubens, um mit der musikalischen Verbundenheit zugleich eine moralische zu demonstrieren. Das gilt nicht minder für den indischen Dirigenten Zubin Mehta. Der brillante Absolvent der Wiener Musikakademie und Schüler von Hans Swarowsky, der Preisträger eines Dirigentenwettbewerbs in Liverpool (1958) hat das Orchester zum erstenmal im Jahre 1961 dirigiert. In jenem Jahr wurden er und das Orchester 25 Jahre alt. Die Orchestermusiker waren von dem jungen Inder so beeindruckt, daß sie den Wunsch aussprachen, er möge so lange wiederkommen, daß man auch den 50. Geburtstag gemeinsam feiern könnte. Diese Hoffnung könnte sich sehr wohl erfüllen: Mehta wurde im Jahre 1970 zum .Musical Adviser' ernannt — für viele Außenstehende ist er zum .imaginären' Chefdirigenten geworden, zumal er auch die meisten Schallplattenaufnahmen mit dem IPO betreut.

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28 Europatagung der Freundesgesellschaften der Hebräischen Universität Jerusalem in Frankfurt

Am 5. und 6. Dezember 1987 fand in Frankfurt eine Tagung der Freundschaftsgesellschaften der Hebräischen Universität Jerusalem statt. Walter Hesselbach, der Präsident des Bundesverbands der Gesellschaften der Freunde der Hebräischen Universität in Deutschland sagte in seiner Eröffnungsrede, daß er sich besonders freue, daß die Europatagung in seiner Vaterstadt stattfinde: „Ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe fast mein ganzes Leben in dieser Stadt zugebracht. Ich fühle mich Frankfurt verbunden. Frankfurt hat eine sehr alte Tradition des Zusammenlebens von Christen und Juden. Dieses Zusammenleben war nicht immer reibungslos. Juden hatten es bis in die Neuzeit auch in Frankfurt schwer und lebten in drangvoller Enge im Ghetto. Die Juden waren Verfolgungen und Pogromen ausgesetzt; sie waren ausgegrenzt und wurden gekennzeichnet. Dennoch gab es viele menschliche Bindungen. Für die Stadt wurde der agile jüdische Bevölkerungsteil von stets wachsender Bedeutung. Auch für die Entwicklung jüdischer Sitten und Gebräuche und jüdischer Religiosität in allen Teilen Deutschlands gewann Frankfurt eine besondere Stellung. Es gab den ,Minhag Frankfurt', den Frankfurter Brauch, nach dem sich viele Juden nicht nur in der Nachbarschaft von Frankfurt, sondern überall in Deutschland richteten. Die Gebräuche sind für Juden nach alter Tradition genau so wichtig oder unter Umständen noch wichtiger als das Gesetz, die Lehre. Die Gebetbücher, die in der berühmten jüdischen Druckerei von Rödelheim gedruckt wurden, hatten im europäischen Judentum über die Grenzen Deutschlands hinaus große Bedeutung. In den 150 Jahren, die der Nazi-Epoche vorausgingen, also in den Jahren 1780 bis 1933, waren die Juden in Frankfurt so stark mit ihrer Vaterstadt verwachsen wie wohl in keinem anderen deutschen Gemeinwesen. Ihr Einfluß auf das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben war groß. Im Frankfurter Dialekt gab es viele hebräische und jiddische Ausdrücke; die Besonderheiten des jüdischen Bevölkerungsteiles waren ein akzeptierter Bestandteil des Frankfurter Lebens, so wie es der Heimatdichter Friedrich Stoltze in seinen Gedichten zeigt. Antisemitische Strömungen, die es auch hier in Frankfurt gab, wurden von der Mehrheit der christlichen und jüdischen Bevölkerung nicht ernst genug genommen. So trafen die dann folgenden Ereignisse die ,verjudete' Stadt mit doppelter Wucht. Es kam die Zeit des Grauens und des Entsetzens, der Verfolgung und der Zerstörung. Das Frankfurter Judentum ist in den Jahren der Diktatur und der Gewaltherrschaft untergegangen. Die alte Jüdische Gemeinde wurde zerstört, genau wie die Israelitische Religionsgesellschaft, die sogenannte ,Austrittsgemeinde', in der eine besondere Form jüdischer Orthodoxie gepaart mit 142

28 Europatagung der Freundesgesellschaften der Hebräischen Universität in Frankfurt deutscher Kultur praktiziert wurde. Frankfurt hat durch diese Zerstörung unwiderruflich viel verloren, auch wenn es nach 1945 gelang, wieder eine kleine jüdische Gemeinde zu gründen. Die Beschreibung, die Johann Wolfgang von Goethe in seiner autobiographischen Schrift .Dichtung und Wahrheit' über das Frankfurter Ghetto gab, ist sicher bekannt. Goethe lernte übrigens in seiner Kindheit bei einem jüdischen Lehrer hebräisch und hat später das ,Hohe Lied' ins Deutsche übersetzt. Meine Familie lebte in enger Gemeinschaft mit Frankfurter Juden. Ich habe viel Gutes erlebt. Mein Vater und meine Mutter arbeiteten im Hause der Familie Dreyfus; in dem Bankhaus Dreyfus habe ich nach dem Abitur eine Lehre gemacht. Die Verbindung zu jüdischen Freunden, die heute zum Teil in Israel leben, ist nie abgerissen. Nach Ende des Krieges war die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Deutschen und Juden, zwischen Deutschland und Israel mein wichtigstes Anliegen; es ist zu einem zentralen Punkt in meinem Leben geworden. In meiner Arbeit f ü r die deutsch-israelischen Beziehungen hat die Aktivität f ü r die Universität Jerusalem ihr besonderes Gewicht. Ich freue mich, daß es gelungen ist — nicht zuletzt auch dank der Bemühungen des jetzigen Repräsentanten der Hebräischen Universität in Deutschland, Dr. Ephrahim Lahav, enge Beziehungen zwischen der Universität in Jerusalem und einer Reihe deutscher Universitäten, darunter auch der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt, herzustellen. Es ist sehr wichtig, daß nach der Vernichtung des überwiegenden Teils des deutschen Judentums wieder eine aktive jüdische Gemeinde in Frankfurt entstanden ist. Sie hat hier im Frankfurter Westend ein stattliches Gemeindezentrum errichtet, und ich freue mich, daß wir uns heute hier treffen können. An der Entstehung dieses Gemeindezentrums haben neben der jüdischen Gemeinde und ihrem Vorstand unter dem Vorsitz von Ignatz Bubis auch die Stadt Frankfurt und das Land Hessen mitgearbeitet. Sie haben die Errichtung unterstützt; ich bin froh darüber. Dieses Gemeindezentrum betrachte ich als ein Symbol des neuen jüdischen Lebens, das es in Frankfurt und seiner Umgebung wieder gibt. Gemeinsam mit einigen Freunden konnte ich erreichen, daß ,Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution' von einem der wenigen überlebenden Frankfurter Juden, Dr. Paul Arnsberg, geschrieben und herausgegeben werden konnte. Ich freue mich, daß auch seine Witwe, Frau Rosel Arnsberg, heute hier unter uns ist. Wir hoffen, daß wir mit diesem dreibändigen Werk erreichen konnten, daß auch kommende Generationen sich über das Leben der ehemals großen jüdischen Gemeinde in Frankfurt orientieren können. Dieses Werk wird auch als Quelle f ü r spätere Forscher dienen. In Frankfurt haben große Persönlichkeiten, von denen mehrere auch mit der Entstehung und Entwicklung der Hebräischen Universität Jerusalem verbunden waren, gewirkt. Lassen Sie mich nur Martin Buber, Franz Rosenzweig, Paul Ehrlich, Abraham Geiger, den hebräischen Schriftsteller und Bibelkritiker, Abraham Krochmal, Fritz Naphtali, der später Mitglied der israelischen Regierung wurde, Franz 143

Austausch in Kunst und Wissenschaft Oppenheimer u n d Professor Ernst Simon n e n n e n . Daß die große Bankiersfamilie Rothschild aus F r a n k f u r t stammt, ist bekannt. Auch Isaak Dreyfuß, sein Sohn Willy u n d sein Enkel Richard sind hier geboren. Bedeutende Publizisten wie Leopold Schwarzschild, der Herausgeber des .Tagebuch' u n d einer d e r Hauptvertreter linksliberaler Publizistik der Weimarer Republik war, stammt aus F r a n k f u r t . Auch große Soziologen, wie Theodor Adorno, Erich Fromm u n d Max Horkheimer, d e r B e g r ü n d e r d e r F r a n k f u r t e r Schule u n d des Institutes f ü r Sozialforschung, lebten u n d wirkten in F r a n k f u r t (Ich bin diesem Institut sehr verbunden u n d bin seit J a h r z e h n t e n Vorsitzender des Vorstandes bzw. des Stifterrates). Hier lebte auch Martin Buber, d e r große Religionsphilosoph. Er war zuletzt Honorar-Professor f ü r vergleichende Religionswissenschaften an d e r F r a n k f u r ter Universität (Ich habe zu seinen Füßen gesessen und ihn gehört). Der Journalist u n d Schriftsteller Siegfried Krakauer ist in F r a n k f u r t geboren und wirkte als Redakteur an d e r F r a n k f u r t e r Zeitung. An d e r F r a n k f u r t e r Universität lehrte auch Fritz Neumark, d e r bedeutende Wirtschaftswissenschaftler. So könnte ich aus j e d e m Bereich der Geisteswissenschaften, d e r Naturwissenschaften, d e r Kultur u n d der Publizistik noch viele Namen von J u d e n nennen, die hier in dieser Stadt geboren sind, gelebt und gewirkt haben. Sie werden in F r a n k f u r t am Main sicher feststellen, d a ß es viele Anstrengungen gibt, in gegenseitiger Achtung zusammenzuleben. Ich heiße Sie in F r a n k f u r t am Main herzlich willkommen."

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29 „Honorary Fellowship" an die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Annemarie Renger, und an den Staatsminister Lutz Stavenhagen verliehen

Bei einem feierlichen Mittagessen während der Tagung der Freundschaftsgesellschaften der Bundesrepublik Deutschland verlieh der Präsident die vom Präsidenten der Hebräischen Universität verliehenen Urkunden der Honorary Fellow an die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages der Bundesrepublik Deutschland und an den Staatsminister im Kanzleramt, Dr. Lutz-Georg Stavenhagen. Die Urkunde an Frau Annemarie Renger hat folgenden Wortlaut: „Die Hebräische Universität Jerusalem würdigt Frau Annemarie Renger, die frühere Präsidentin und jetzige Vizepräsidentin des Bundestages der Bundesrepublik Deutschland in Anerkennung ihres jahrzehntelangen Wirkens für den Aufbau einer parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik, für ihre ständige Bereitschaft, den Staat Israel, insbesondere dabei die deutsch-israelische Zusammenarbeit im politischen und ökonomischen Bereich zu unterstützen sowie den deutsch-jüdischen Dialog mit hohem Engagement zu fördern. Frau Annemarie Renger wird hiermit zum Honorary Fellow ernannt und damit in den Kreis der besonders ausgezeichneten Freunde der Hebräischen Universitätjerusalem aufgenommen. Jerusalem, Dezember 1987." Im Anschluß an die Verleihung hielt Frau Renger die folgende Ansprache: „Durch die ehrenvolle Auszeichnung der Hebräischen Universität Jerusalem fühle ich mich außerordentlich geehrt, und ich danke Ihnen dafür. Ich danke auch für die anerkennenden und liebenswürdigen Worte, die Sie, lieber Herr Hesselbach, zu meiner Person gefunden haben. Es berührt mich außerordentlich, daß ich diese Ehrung durch Sie, sehr verehrte Herren und Damen Professoren der Hebräischen Universität Jerusalem erfahren habe. An dieser unvergleichbaren, schicksalsträchtigen Stadt hängt mein ganzes Herz, so wie sie das Herz Israels ist. Das muß so bleiben. Ebenso fühle ich mich mit diesem neugeborenen Staat Israel sehr verbunden. Ich bewundere die Kraft, mit der das jüdische Volk in vierzig Jahren in einer unglaublichen Aufbauleistung sozusagen aus Steinen Brot gemacht hat und wie es zu einer Nation zusammengewachsen ist. An diesem für mich so ehrenvollen Tag möchte ich auch meinen Dank dafür aussprechen, daß es gelingen konnte, zwischen Juden und Deutschen einen neuen Anfang zu versuchen. Sowohl die menschlichen Beziehungen als auch die staatlichen zwischen Israel und Deutschland sind von einer bemerkenswerten In145

Austausch in Kunst und Wissenschaft tensität, wenn sie wohl auch noch lange ,besondere' Beziehungen bleiben werden. Wäre es anders, würde es unglaubwürdig sein. Die Schrecken der Vergangenheit, der Naziterror, können und dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb bemühen wir uns in der Bundesrepublik Deutschland, politische Ursachen und Verbrechen des Nazismus aufzuzeigen, um insbesondere die nachfolgenden Generationen gegen solche barbarischen Untaten immun zumachen. Politiker sollten hier eine Vorbildfunktion einnehmen. So wird das makabre Haus am Wannsee zu einer Gedenk- und Begegnungsstätte, zu einem Dokumentations- und Informationszentrum umgewandelt, um intensiv die geschichtlichen Wurzeln des Antisemitismus und insbesondere des Rassenantisemitismus an diesem Ort der sog. .Endlösung' aufzudecken, der den Höhepunkt j e n e r politischen u n d moralischen Verkommenheit markiert, die den Nährboden der Verbrechen an den jüdischen Menschen bildete. So heißt es in einer Laudatio an Dr. Eva Reichmann-. ,Die T r e u e zu den Gemordeten verbietet das Vergessen, verbietet Vergebung ohne Umkehr, sie eröffnet den Überlebenden und Nachgeborenen Wege zur Umkehr u n d zum Neubeginn f ü r die einzelnen und f ü r die Gemeinschaft zu jeder Zeit.' In dieser Aufgabe treffen Wissenschaft und Politik zusammen. Und mir scheint, daß wir zur Zeit in eine Diskussion hineingeraten, die mehr als nur zu Mißverständnissen Anlaß gibt. Der Versuch einer historischen Neubewertung des Holocaust, wie sie durch einige deutsche Wissenschaftler angeregt wurde, rückt die Haltung der Deutschen zur Nazivergangenheit erneut ins Zwielicht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zum Abschluß meiner Bemerkungen sagen, wie bedrückend ich es finde, daß es bisher immer noch nicht gelungen ist, einen dauerhaften Frieden zwischen den arabischen Staaten und Israel zu erreichen. Ich finde, daß wir alle d a f ü r noch nicht genug getan haben. Resolutionen helfen gar nichts, wenn nicht Regierungen und Einzelpersonen f ü r diesen Frieden, dort wo sie Einfluß ausüben können, eintreten. Ich werbe f ü r Einsicht bei allen Beteiligten. Ich glaube, das renommierte Truman-Institut leistet auf dem Gebiet der Friedensforschung wichtige wissenschaftliche Hilfe. Ich erlaube mir zu sagen, daß es keiner wissenschaftlich zweifelhaften Beweisf ü h r u n g über angebliche Zwangsläufigkeiten deutscher Geschichte bedarf, die keine neuen Erkenntnisse erbringen kann, deren Ergebnisse aber überdies falsch u n d unhistorisch sind. Wenn auch nicht beabsichtigt, sollten wir neonazistischen Regungen, die noch Randerscheinungen sind, keine Chance geben, sich auf falschverstandene geschichtliche Aufarbeitung berufen zu können. Wenn ich dazu in meinem weiteren politischen Wirken auch einen Beitrag leisten kann, würd e mich das sehr glücklich machen. In diesem Sinne empfange ich Ihre E h r u n g als Verpflichtung, die sich entwickelnden positiven Beziehungen zwischen J u d e n und Deutschen zu fördern, das Vorurteil, das die Wurzel der Intoleranz ist, zu bekämpfen u n d der Menschenwürde u n d dem Menschenrecht zum Durchbruch zu verhelfen. Ich danke Ihnen."

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30

Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel

Dr. Kurt Birrenbach, d e r seit langen J a h r e n , eigentlich seit Beginn der Stiftung im J a h r e 1959 im Bereich d e r Fritz Thyssen AG gearbeitet hat, soll hier zu Wort kommen. Er ist all d e n e n , die sich mit Israel befassen, aus zahlreichen Erlebnissen u n d Tätigkeiten mit Israel bekannt. Bundeskanzler Prof. Dr. Ludwig Erhard entsandte diesen großen Außenpolitiker in den Märztagen des J a h r e s 1965 nach Israel. Er war kurz vorher aus den USA zurückgekehrt. Das Ziel seiner Reise war letztlich bereits die A u f n a h m e diplomatischer Beziehungen zu Israel gewesen. Verschied e n e Gespräche hatten bereits in Bonn mit Außenminister Gerhard Schröder, Verteidigungsminister von Hassel, Minister Heinrich Krone u n d d e n Staatssekretären Carstens u n d von Hase sowie am Vorabend d e r A b f a h r t auch mit dem Fraktionsvorsitzenden d e r CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel, stattgefunden. Im J a h r e 1984 blickt die Fritz-Thyssen-Stiftung auf eine 25jährige Tätigkeit zurück. Sie ist die erste große private Einzelstiftung, die nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges zur F ö r d e r u n g der Wissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland errichtet wurde. Stifter waren Frau Amélie Thyssen u n d ihre Tochter Anita Gräfin Zichy-Thyssen, die die G r ü n d u n g d e r Fritz-Thyssen-Stiftung durch den Einsatz eines bedeutenden Teiles ihres Vermögens ermöglicht haben. Ihnen vor allem gilt aus Anlaß dieses Jubiläums unser Dank. Die Fritz-Thyssen-Stiftung hat als gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts bis h e u t e 237 Millionen DM f ü r die F ö r d e r u n g der Wissenschaft an wissenschaftliche Hochschulen u n d Forschungsstätten, vornehmlich in Deutschland, bewilligt. Dabei hat die Stiftung auf die F ö r d e r u n g von Projekten verzichtet, die sich auf Bereiche beziehen, aus denen die Erträge d e r Stiftung stammen.

30.1

Aus dem Jahresbericht

1975/76

Im J a h r e 1975 bewilligte die Stiftung Mittel f ü r die Erforschung der Römischen Straßen, Straßenstationen und Meilensteine in Israel, ein Projekt, das ebenfalls von Prof. M. Gichon d u r c h g e f ü h r t wird. Die Entwicklung des Straßenwesens gibt wichtige Hinweise auf d e n wirtschaftlichen, kulturellen u n d nicht zuletzt militärischen Entwicklungsstand eines Staates. In der Antike waren die Landstraßen von noch größerer B e d e u t u n g als in d e r Neuzeit. Flußtransport war n u r dort möglich, wo befahrbare Flüsse von N a t u r aus ihren Lauf n a h m e n . Künstliche Wasserwege waren praktisch unbekannt. Die Seeschiffahrt im Mittelmeer u n d auch sonst war durch die Unbill d e r N a t u r sowie durch die unzulänglichen Navigationsmittel vor 147

Austausch in Kunst und, Wissenschaft allem auf Küstenschiffahrt oder die Ansteuerung von Inseln angewiesen. Bei langwierigen Gegenwinden war die Schiffahrt oft lahmgelegt. Aus dem Bereich der Förderung naturwissenschaftlicher Projekte ist über den Fortgang und Abschluß früher bewilligter Projekte sowie ein neues Projekt zu berichten. Im Zusammenhang mit den hier dargestellten Einzelvorhaben ist aber auch auf die Entwicklungsländerforschungen zu verweisen, über die unter III. ausführlich berichtet wurde. Sie umfassen eine Reihe naturwissenschaftlicher Fragestellungen und bedienen sich naturwissenschaftlicher Methoden. Die Fortführung eines langfristig angelegten meeres- und seenbiologischen Forschungsprojekts in Israel stand im Vordergrund des Förderungsbereichs der Naturwissenschaften. Im Jahre 1970 hat die Stiftung der Hebräischen Universität, Jerusalem, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Mittel für ein vierjähriges Ausbildungs- und Forschungsprogramm zur Verfügung gestellt. Im Hinblick auf die einzigartige geographische Lage Israels als Landbrücke zwischen Afrika und Asien, Mittelmeer und Rotem Meer hat die meeresbiologische Forschung in diesem Lande in den letzten Jahren einen großen Aufschwung genommen. Die deutsche Forschung auf diesem Gebiet, die bislang — wie in anderen Wissenschaftsbereichen auch — weitgehend von amerikanischen Einflüssen geprägt war, hat diese Fortschritte durch engen wissenschaftlichen Kontakt, vor allem durch den Austausch von Wissenschaftlern, zunehmend für die eigene Entwicklung nutzbar gemacht. Das im Berichtsjahr ausgelaufene Programm hat dazu einen wesentlichen Beitrag geleiset. In Erkenntnis dieses wechselseitigen Gewinns und um eine Fortführung der Forschungen zu gewährleisten, haben die Gremien beschlossen, die Meeresbiologie in Israel für weitere drei J a h r e zu fördern. Die Untersuchungen von Bedingungen und Gefährdungen des ökologischen Gleichgewichts — ein Schlüsselbegriff bei allen Fragen des Umweltschutzes, Tierund Pflanzenschutzes — verbindet die drei Einzelprojekte. Sie werden von Prof. M. Shilo, dem Leiter der Biologischen Meeresforschungsstelle der Hebräischen Universität, Eilat, betreut. Das erste Projekt befaßt sich mit der Population von Mikroorganismen in Meeres- und Brackwasserumgebungen. Der gewaltige Umsatz von Nährstoffen im Ozean wie in anderen Wassern hängt von Mikroorganismen in verschiedener Weise ab. Diese sind außergewöhnlich anfällig für schon verhältnismäßig geringe Änderungen in den Umweltbedingungen. Die Erforschung ihrer Lebensbedingungen stellt den Schwerpunkt dieses Programmes dar. Die Arbeit konzentrierte sich 1975 auf vier Forschungsprojekte: auf freilebende Leuchtbakterien (Dr. S. Ulitzur und Dr./. Yashphe)-, Photoblepheron, den „Blitzlicht"-Fisch und symbiotische Leuchtbakterien (Dr. M. Kessel)-, Schwärmen und einzigartig rasche Generationenfolge einiger Meeresbakterien (Dr. S. Ulitzur u. a.); 148

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Isolierung einer besonderen Art von Mikroorganismen, der Bakterienparasiten (Bdellovibrio-Gruppe). Im letzten J a h r wurden Fortschritte, die besonderen Bedürfnisse dieser Organismen an Na + , K + , Mg + , Ca + zu bestimmen, gemacht. Es wurde festgestellt, daß jeder dieser Stoffe f ü r die Beweglichkeit, Durchdringungskraft des Mikroorganismus und die Interaktionen zwischen den Bakterien und dem Wirtsorganismus eine Rolle spielt. Das zweite Projekt untersucht die speziellen endemischen mikrobiologischen Populationen des Solar Lake bei Eilat. Der Solar Lake ist ein einmaliges Biotop. Sein Grundwasser weist große Dichtigkeit auf und ist von der weniger dichten Oberschicht, welche von d e r angrenzenden See über eine durchlässige Wasserbarriere gehüllt wird, isoliert. Das Ergebnis ist ein Treibhauseffekt am Boden. Dadurch ist es wie sonst kaum wo möglich, die Adaption von wärme- und salzliebenden Organismen an kälteres und weniger salzhaltige Wasser an Ort und Stelle zu studieren. Im Berichtsjahr wurde an der umfassenden physikalisch-chemischen und biologisch-limnologischen Bestandsaufnahme der Solar Lake Population weitergearbeitet (Dres. Shilo, Cohen, Krumbein; Ulitzur u. a.). Im Fortgang der Arbeit soll physiologischen Aspekten ein besonderes Augenmerk zugewandt werden. Das dritte Projekt untersucht Fragen von Fischkrankheiten und Parasiten in Brack- und Frischwasser. Schon seit über zwei Jahrzehnten hat das Institut sich mit der künstlichen Fischzucht beschäftigt, was nicht nur zu einer entwickelten Zuchtindustrie in Israel geführt, sondern auch die Warmwasser-Fischerei in Entwicklungsländern gefördert hat. Um so wichtiger ist, daß die Fischkrankheiten und die Möglichkeiten zu ihrer erfolgreichen Kontrolle untersucht werden. — Im J a h r e 1975 lag der Schwerpunkt der Arbeit in der Erforschung der Photooxydation von blau-grünen Algen, die zum Absterben und Entstehung neuer Pflanzen f ü h r t (Abeliovich, Kellenberg, Shilo). Im einzelnen geht es um das Verständnis der Funktion des Enzyms Superoxyd Dismentase (SOD). Auch soll der Entdeckung weiter nachgegangen werden, daß es natürlich vorkommende Cyanobakterienarten gibt, die gegen Photooxydation resistent sind. Ferner ist es gelungen, widerstandsfähige Mutanten von Cyanobakterien zu isolieren und zu analysieren, insbesondere Plectonema Boryarum. Einige Mutanten wurden durch wiederholte Photooxydativschocks angereichert u n d isoliert. Ein mit 1976 bewilligten Stiftungsmitteln durchgeführtes biologisches Vorhaben befaßt sich mit ,Molecular und Cellular Aspects of Immunology" (Prof. M. Sela, Präsident des Weizmann Institute of Science, Rehovot/Israel, Direktor des Department of Chemical Immunology, Weizmann Institute/Prof. M. Feldman, Direktor des Department of Cell Biology, Weizmann Institute). Das System der Selbstverteidigung lebenden Gewebes gegen Fremdstoffe aller Art beruht auf den sogenannten immunochemischen Reaktionen. Sie stellen nicht nur eine Art von Frühwarnsystemen dar, sondern haben auch ausschließlich die wirksame Bekämpfung aller Eindringlinge zu übernehmen. Die eigentlichen Immunreaktionen erfolgen durch die sogenannten T - und B-Zellen. Beide Zellarten tragen an 149

Austausch in Kunst und Wissenschaft der Oberfläche Rezeptoren, die Antigene, d. h. Fremdstoffe erkennen und sehr genau voneinander und untereinander unterscheiden können. Ziel des Projekts ist es, die Natur dieser Rezeptoren genauer zu studieren. Bei den B-Zellen richtet sich das Hauptaugenmerk darauf, ob die als Rezeptoren dienenden Eiweißketten mit den von den Zellen ausgeschiedenen Antikörpern identisch sind. Bei den T-Zellen soll die bisher unbekannte molekulare Beschaffenheit der Rezeptoren untersucht werden. Die Antragsteller arbeiten seit langem an den Problemen dieses Projekts. Der interdisziplinäre Forschungsansatz verspricht wichtige Ergebnisse über das Zusammenspiel der Immunreaktionen des Körpers. Da diese beim Kampf gegen Tumorzellen eine Rolle spielen, kann ihr Studium einen notwendigen Schritt auch zur Lösung des Krebsproblems darstellen.

30.2

Aus dem Jahresbericht

1977178

Mittel für eine Tagung mit dem Titel „The Thought of Martin Buber, a Centenary Conference: 1878—1978" wurden Prof./. Bloch, Ben Gurion Universität, Beer Sheva/ Israel, gewährt. Martin Buber, in Wien geboren, lebte in Deutschland. In den dreißiger Jahren wanderte er in das damalige Palästina aus. Für Buber war das Zentrum seiner geistigen Existenz die dialogische Anthropologie, durch die er überhaupt erst seine Funktion in der Geistesströmung des 20. Jahrhunderts gewonnen hat. Es bestand ein Bedürfnis, gerade die philosophische und theologische Bedeutsamkeit Bubers zu thematisieren. Der 100. Geburtstag Martin Bubers wurde am 8. Februar 1978 begangen. Zur Erinnerung dieses Geburtstages veranstaltete die Ben-Gurion-Universität diese internationale Konferenz, die dem Denken Martin Bubers gewidmet ist. Die Konferenz, die in der neuen Anlage der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva vom 3.-6. Januar 1978 abgehalten wurde, behandelte folgende Hauptthemen: — Die philosophische Analyse des Dialogischen von Martin Buber — Das Denken Martin Bubers im Licht nicht-religiöser Begrifflichkeit — Die Stellung Martin Bubers in der Geschichte jüdischen Denkens — Der Einfluß Martin Bubers auf die christliche Theologie, jüdisch-christliche Aufgaben im Denken Martin Bubers.

150

30.3

Aus dem Jahresbericht

1978179

Prof. L. Pecht, Department of Chemical Immunology, The Weizmann Institute of Science, Rehovot, arbeitet mit Unterstützung der Stiftung an einem Forschungsprogramm „Structure — function relationship of Antibodies and related Immunoreceptors". Es handelt sich dabei um ein zentrales Problem beim Verständnis der Antikörperfunktion. Antikörper sind Schutzstoffe, die als Reaktion auf Antigene (artfremde Eiweißstoffe, z. B. die der Infektionserreger) entstehen. Das Vorhaben gilt der Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen den beiden Ketten der Antigenbindungsstelle und speziell der Frage, wie diese Wirkungen durch die Antigenbildung beeinflußt werden, und umgekehrt. Die Wechselwirkungen zwischen ausgewählten Bindungsstellen und deren jeweiligen Liganden sollen thermodynamisch, kinetisch und spektroskopisch untersucht werden. Seit einer Reihe von Jahren unterstützt die Fritz-Thyssen-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft das meeres- und seenbiologische Forschungsprojekt des Department of Microbiological Chemistry der Hebrew University, Jerusalem. An diesem Projekt arbeiten neben Wissenschaftlern aus Dänemark, Großbritannien, Israel, den Niederlanden und Norwegen auf deutscher Seite die Professoren W. E. Krumbein, Universität Oldenburg, P. Hirsch, Universität Kiel und Dr. N. Wilbert, Universität Bonn. Im Mittelpunkt der Untersuchungen, über die in den Jahresberichten 1976/ 77 u n d 1977/78 der Stiftung ausführlich berichtet wurde, stand auch im Berichtsj a h r wiederum der Solar Lake bei Eilat. Er ist in hervorragender Weise geeignet, die Adaptionsfähigkeit von Mikroorganismen an rasch wechselnde ökologische Bedingungen im Meereswasser zu erforschen. So gelang z. B. den Wissenschaftlern, im Solar Lake einer einzigartigen Gruppe von Organismen, den Cyanobakterien (Blaualgen) auf die Spur zu kommen. Diese können — j e nach tages- und jahreszeitlich wechselnder Sauerstoff- und Schwefelwasserstoff-Konzentration des Solar Lake — rasch von oxygener zu anoxygener Photosynthese überwechseln; das bedeutet: unter anaeroben Bedingungen und bei hoher Schwefelwasserstoffkonzentration führen die Cyanobakterien sauerstofffreie Photosynthese durch, unter aeroben Bedingungen schalten sie sofort um auf die gängige Form der Photosynthese. Mit Hilfe differenzierter Messungen konnte die Forschergruppe darlegen, daß 0 2 - und H 2 S- Schichten innerhalb der lichtdurchlässigen Zone des Sees vertikal fluktuieren. An der Grenzlinie beider Schichten treten 0 2 und H 2 S nebeneinander auf. Durch das rasche Umschalten von oxygener auf anoxygene Photosynthese ist es den Cyanobakterien möglich, beide Schichten gleichermaßen f ü r sich zu nutzen. Andere, im Berichtsjahr durchgeführte Untersuchungen belegen den im hohen Maße flexiblen Stoffwechsel der Cyanobakterien, speziell der O.limnetica. Er vermag, sich auftretenden Schwankungen in der Konzentration von Licht, Salz oder Temperatur in den einzelnen Schichten des Solar Lake rasch anzupassen; 151

Austausch in Kunst und Wissenschaft das bedeutet: auf unterschiedliche Umweltbedingungen reagieren O.limnetica gezielt mit Aktivierung oder Repression bestimmter Stoffwechselvorgänge. Die Arbeiten über Vorkommen von Leuchtbakterien im Golf von Eilat und entlang der Mittelmeerküste Israels wurden im Berichtsjahr ebenfalls fortgesetzt. Dabei wurde deutlich, daß unterschiedliche Arten von Leuchtbakterien auch unterschiedliche Gewässer bevorzugen. Dies ist abhängig von Wassertemperatur, Lichtintensität, Nährstoffkonzentration und Salzgehalt sowie von der Adaptionsfähigkeit der verschiedenen Arten von Leuchtbakterien an diese Parameter. So findet sich z. B. P. fischeri nicht im Golf von Eilat, wohl aber im Mittelmeer. Bei P. leiognathi ist es umgekehrt. Wichtigstes Forschungsergebnis in diesem Bereich war im Berichtszeitraum die Entdeckung, daß die durch Licht verursachte letale Photooxydation ausschlaggebend ist f ü r das Vorkommen von P. leiognathi u n d daß dieser Organismus primär in nährstoffarmer Umgebung gedeiht. Die oligotrophischen Charakteristika des P. leiognathi sollen n u n auf ihre physiologischen Implikationen hin im einzelnen überprüft werden.

30.4

Aus dem Jahresbericht

1979/80

Erschließung und Interpretation der Verkehrsinfrastruktur des römischen Israel sind Gegenstand der von d e r Fritz-Thyssen-Stiftung finanzierten Erforschung der Römischen Straßen, Straßenstationen und Meilensteine in Israel durch Prof. M. Gichon, Department of Classical Studies der Universität Tel-Aviv. Die allgemeine Zielsetzung des Projektes wurde im J B 1978/79, S. 12 ff., ausführlich dargestellt. Im Laufe des Sommers 1979 wurde die Erforschung des Straßennetzes weitergeführt: — Begehung u n d Vermessung des sog. Skorpion-Passes, der Hauptverkehrsader zwischen d e r Araba Senke und dem Negev Hochland und des Ditto-Maaleh Deragot-Passes, einer Paßstraße, die von der Beer-Sheba Ebene zu dem südjudäischen Bergland aufstieg. Untersucht wurden bautechnische Methoden (Ausmeißelung aus dem Felsen, Stützmauern an den steilen Abhängen, Stufen, Pflasterung, Einzelheiten des Gefälles der Serpentinen), die Straßenhauptstationen und die die Straße beschirmenden Wachttürme. Teilweise dienten die T ü r m e am Skorpion-Paß, ihrer Lage nach zu urteilen, als RelaisStationen f ü r die Signalverbindung zwischen Transjordanien, Araba und dem Westjordanland. — Begehung und Erforschung des Straßennetzes in Süd-Sinai um Knotenpunkte Oase Paran (Firan), das St.-Katharina-Kloster und das Erz- und Türkisgebiet Serabit el Chadem: Der Bezirk Süd-Sinai gehörte im 6. Jh. zur Provinz Palaestina III, in römischer Zeit möglicherweise zur Provinz Arabia (dem heutigen Transjordanien). Darauf deuten die vielen nabatäischen Inschriften aus dem 2.-4. Jh., die entlang der Straßen von Elath in westlicher u n d südwestlicher Richtung laufen. 152

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel — Erforschung der Straßenstränge im Raum Emmaus-Kefar Ruta-Kodiin (Judäa): Nahe der Straßen befanden sich größere wirtschaftliche Betriebe. Bei Kefar Ruta wurden u. a. Steinmetzwerkstätten entdeckt, die Sarkophage, Stelen und diverse Steinplatten, Säulen usw. am Steinbruch herstellten. Ob die Straßen den Industriebetrieben folgten oder jene an die bestehenden Straßen etabliert wurden, kann noch nicht gesagt werden. Ebenfalls im Sommer 1979 konnten drei Ausgrabungen begonnen bzw. fortgeführt werden: — Ausgrabung in Horvat Eqed, einem stark befestigten Platz, der möglicherweise als Verwaltungszentrum wie auch als Speicher- oder Stapelplatz f ü r die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Umgebung diente: Ausgegraben wurde hier vollständig das Südtor mit einem 4,45 m tiefem Durchgang, bedeckt mit einem Tonnengewölbe und eine Bastion an der Südmauer. Besondere Beachtung verdienen auch mehrere Höhlen, die am Abhang des Stadthügels aufgefunden wurden. Sie waren zur Zeit des Bar Kochba Krieges zu geheimen Offensivbasen der J u d e n ausgebaut worden. — Ausgrabung von Gräbern an der Straße Emmaus-Eqed: Die Erforschung dieser Gräber ist von besonderem Interesse, da Emmaus nicht nur Verkehrsknotenpunkt war, sondern auch Treffpunkt der drei Religionen — Judentum, Samaritaner und Christentum —, die dort während der römisch-byzantinischen Zeit nebeneinander bestanden. Da die Gräber mehrere Jahrhunderte überbrücken, besteht die Hoffnung, über dieses wichtige Kulturproblem Aussagen zu erhalten. — Beginn der Ausgrabung des wichtigen römischen Straßenknotenpunktes von Kefar Ruta: Hier finden sich als Siedlungsform größere Bauern- oder Gutshöfe. Eine Einkunftsquelle bildete die ölproduktion. Völlig unbekannt waren die Steinmetzwerkstätten am Orte. Ein neu entdeckter Steinbruch mit Sarkophagen in verschiedenen Produktionsstadien wird eingehend untersucht. Die Produktion geschah direkt am Bruchort. Man glaubt, zumindest f ü r den Raum Israel, erstmalig Einzelheiten für die damit verbundene Produktionstechnik zu gewinnen. Außerdem wurde weiterhin an der Erforschung von Meilensteinen gearbeitet. Man hofft beweisen zu können, daß der Großteil der unbeschriebenen Meilensteine ursprünglich mit Farbe beschrieben war. Das von der Stiftung weiterhin geförderte Forschungsprojekt zur Schmerzlinderung wird von einem Ausschuß gelenkt, dem Prof. P. D. Wall, Direktor der Cerebral Functions Research Group, Anatomy Department, University College, London, Prof. A. Beller, Neurosurgery Department Hadassah Medical School, Jerusalem, und Prof. R. Wermann, Neurobiology Unit, Russian Compound, Hebrew University, Jerusalem, angehören. Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens steht das Bemühen um Verständ153

Austausch in Kunst und Wissenschaft nis und Kontrolle des Schmerzmechanismus. Bei den bisherigen Untersuchungen richtete sich das Augenmerk v. a. auf Schmerzen, die als Folge von Nervenschäden nach Amputationen der Gliedmaßen, nach Armverletzungen sowie nach Herpes-Erkrankungen zumal bei älteren Menschen auftreten. In all diesen Fällen wurden sowohl Veränderungen im peripheren als auch im zentralen Nervensystem festgestellt. Beim ersteren zeigte sich, daß ein verletzter Nerv neue Fasern und diese wiederum eigene Formen der Reaktion entwickeln, wie z. B. besondere Sensibilität im Hinblick auf körpereigene chemische Substanzen. Ebenso ließ sich eine — trotz gleicher Verletzung—unterschiedliche Schmerzempfindung beim Menschen ausmachen. Die Vermutung, dies sei genetisch bedingt, konnte im Tierversuch erhärtet werden. Als Schmerzprophylaktikum erwies sich Capsaicin, eine in d e r Paprikaschote enthaltene Substanz, die die Mehrzahl der winzigen Fasern im peripheren Nervensystem zum Absterben bringt. Signifikant sind auch — wie bereits erwähnt — die nach Nervenverletzungen auftretenden Veränderungen im zentralen Nervensystem. Es zeigten sich anatomische und chemische Veränderungen an den zentralen Enden der verletzten Nerven ebenso wie physiologische und chemische Veränderungen in den Rükkenmarkszellen, in die diese verletzten peripheren Fasern münden. Die Wissenschaftler schließen daraus, daß innerhalb des menschlichen Nervensystems ein Kontrollmechanismus funktioniert, der im Falle peripherer Schäden Schmerzimpulsübertragungen steuern, d. h. umorientieren kann. Sie sehen hier einen Ansatzpunkt f ü r weiterführende Forschungsarbeiten. Die Projektgruppe arbeitet wissenschaftlich zusammen mit den deutschen Professoren R. F. Schmidt und W.Jänig, Universität Kiel, und mit israelischen Kollegen der Hadassah Dental School und des Hadassah Orthopaedic Department. Prof. W.Jänig hat im August/September 1980 gemeinsam mit israelischen Wissenschaftlern in der Neurobiology Unit in Jerusalem experimentell gearbeitet.

30.5

Aus dem Jahresbericht

1980181

Das von der Stiftung im Berichtszeitraum abschließend geförderte Forschungsprojekt zur Schmerzlinderung wird von einem Ausschuß gelenkt, dem Prof. P. D. Wall, Direktor der Cerebral Functions Research Group, Anatomy Department University College, London, Prof. A. Beller, Neurosurgery Department Hadassah Medical School, Jerusalem, und Prof. R. Wermann, Neurobiology Unit, Russian Compound, Hebrew University, Jerusalem, angehören. Im Berichtszeitraum besuchte Prof. W.Jänig, Universität Kiel, die Gruppe in Jerusalem. Die Zusammenarbeit während dieser Zeit ergab Aufschlüsse über eine Beziehung zwischen abnormaler, elektrischer Aktivität in verletzten, sensorischen Nerven und von Aktivitäten im sympathischen Nervensystem.

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30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Das Forschungsvorhaben „Structure — function relationship of Antibodies and related Immunoreceptors", das von Prof. Dr. Israel Pecht, Department of Chimical Immunologie, The Weizmann Institute of Science, Rehovot, durchgeführt wird, fand auch weiterhin die Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung. Das Vorhaben ist einem zentralen Problem beim Verständnis der Antikörperfunktion gewidmet. Antikörper oder Immunglobuline sind Eiweißstoffe, die aus schweren und leichten Proteinketten aufgebaut sind. Sie erkennen körperfremde Substanzen (sog. Antigene wie z. B. Infektionserreger) mittels spezifischer Bindungsstellen. Die Antigenbindung an den Antikörper ist der auslösende Faktor f ü r eine Reihe von Folgereaktionen in der Immunantwort, die schließlich zu einer Eliminierung des Antigens aus dem Organismus führt. Schwerpunkte der diesjährigen Aktivitäten in dem Projekt von Prof. Pecht waren — weitere reaktionskinetische Untersuchungen der Antikörper-Hapten-Bind u n g mit dem Ziel einer Konsolidierung der Allgemeingültigkeit des HaptenBindungsmechanismus (Haptene sind niedermolekulare Substanzen, die eine antigene Determinante besitzen und über diese vom Antikörper gebunden werden). — Präparation von Antikörperhybriden aus leichten und schweren Ketten verschiedener Myelomproteine mit DNP-(Dinitrophenyl-)Spezifität sowie Haptenbindungsstudien mit diesen Hybriden. — Bindungsstudien an Dimeren der leichten Kette, einem möglichen Modell für Rezeptoren auf T-Lymphozyten. — Ausdehnung der reaktionskinetischen Studien auf die Bindung von divalenten Haptenen an Antikörper, dem einfachsten Modell einer Antigen-Antikörper* Reaktion. Auf Grund weiterer Untersuchungen an Antikörper-Hapten-Systemen konnte Prof. Pecht mit Erfolg zeigen, daß in allen untersuchten Systemen Haptenbindung eine Konformationsänderung im Antikörper induziert. Dies gilt ebenfalls f ü r Immunglobuline, bei denen f r ü h e r eine solche Umwandlung nicht nachgewiesen werden konnte, wie z. B. bei Protein M-315. Mittels chemischer Relaxationsmethoden und Differenz-Absorptionsspektroskopie wurden Kinetik und Thermodynamik der Bindung eines DNP-Derivates an ein Immunglobulinhybrid untersucht. Dieses Hybrid aus den leichten Ketten von Protein M-315 und den schweren Ketten von Protein M-460—beides Myelomproteine mit anti-DNP-Spezifität - bindet ebenfalls DNP-Haptene, wenn auch mit einer andersgearteten Bindungsstelle als jedes der elterlichen Antikörper. Wie f r ü h e r bereits f ü r anti-Galactan-spezifische Hybrid-Immunglobuline gezeigt, konnte auch bei diesem Hybrid eine Hapten-induzierte Konformationsänderung nachgewiesen werden. All diese Ergebnisse unterstützen die Annahme, daß die beobachtete Konformationsänderung als unhärente Eigenschaft der Tertiärstruktur der Antikörper anzusehen ist, deren Ketten aus einzelnen Domänen aufgebaut sind. Möglicher155

Austausch in Kunst und Wissenschaft weise spielen bei d e r Hapten-induzierten Konformationsänderung der Immunglobuline Wechselwirkungen zwischen den Domänen der schweren und leichten Kette eine Rolle. Mit Hilfe absorptionsspektroskopischer Methoden wurden drei verschiedene dimere Derivate d e r leichten Kette von M-315 untersucht. Alle drei Derivate besitzen zwei Bindungsstellen mit der gleichen Spezifität wie der intakte Antikörper M-315, jedoch mit geringerer Bindungsaktivität. Haptenbindung induziert in diesen Derivaten ebenfalls eine Änderung der Proteinkonformation, wie Messungen des Zirkulardichroismus zeigten. Die ermittelten Bindungsparameter als auch die beobachtete positive Kooperativität der Haptenbindung passen in das allosterische Modell von Monod, Wymann und Changeux, bei dem Haptenbindung an eine Bindungsstelle das gesamte Proteinmolekül in eine besserbindende Konformation überführt. Auf Grund detaillierter differenzspektroskopischer Analysen wurden signifikante Unterschiede in der Umgebung des gebundenen DNPRinges bei beiden Konformeren offenbar. Durch Vergleiche der Parameter von Haptenbindung u n d allosterischer Proteinumwandlung bei den unterschiedlichen Dimeren konnte Prof. Pecht das Vorhandensein von longitudinalen Wechselwirkungen in Immunglobulin-Derivaten nachweisen. Dies ist von besonderem Interesse in Hinblick auf den möglichen Modellcharakter von Dimeren der leichten Immunglobulinketten als Rezeptoren auf T-Lymphozyten. Pilotstudien zur Thermodynamik u n d Kinetik der Bindung von verschiedenen divalenten DNP-Derivaten an Protein M-315 zeigten, daß der Abstand der beiden DNP-Gruppen von entscheidender Bedeutung ist. Eines dieser Derivate wurde f ü r weitere detaillierte Bindungsstudien ausgewählt.

30.6

Aus dem Jahresbericht

1981/82

Die Fritz-Thyssen-Stiftung ermöglichte dem Department of Social Medicine der Hehrew University — Hadassah Medical School, Jerusalem (Prof./. H. Abramson), die weitere Auswertung der Daten aus einer zum Teil vertikal angelegten epidemiologischen Bevölkerungsstudie. Die Forschungsarbeit zielt auf die Erkennung von „Gemeinwesen-Syndromen" (Community Syndroms) untereinander korrelierter Gesundheitszustände. Es ist eine alte medizinische Beobachtung, daß manche Menschen zu Krankheiten neigen und oftmals unter vielen unterschiedlichen Beschwerden leiden. Andere wiederum scheinen demgegenüber immer gesund zu sein. Da mit dem Alter auch die Krankheiten zunehmen, muß davon ausgegangen werden, daß bei bestimmten Personen zwei oder mehrere Krankheiten gleichzeitig auftreten. N u n gibt es Anhaltspunkte — jedoch keine Beweise —, daß die H ä u f u n g von bestimmten Krankheiten bei ein und derselben Person nicht vom Zufall allein bestimmt wird. Ein kleinerer Teil der Bevölkerung wird offensichtlich von vielen 156

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Krankheiten heimgesucht, während a n d e r e n u r selten d e n Arzt konsultieren müssen. Ein solcher wissenschaftlich-quantitativ belegter B e f u n d wäre außerordentlich wichtig, sowohl f ü r eine optimale ärztliche Versorgung als auch f ü r die Suche nach Krankheitsursachen. Die Existenz derartiger Krankheitskonstellationen w ü r d e nämlich bedeuten, daß die gleichen Ursachen, seien es Umwelteinflüsse o d e r genetische Faktoren, die Krankheiten in diesem „Bündel" zumindest teilweise bedingen u n d ähnliche Behandlungsverfahren o d e r Vorbeugungsmaßnahmen erfordern. Epidemiologisch ist es jedoch außerordentlich schwer nachzuweisen, d a ß bestimmte Krankheiten gemeinsam vorkommen u n d oft bei einer Person gleichzeitig auftreten. Die von Professor J. H. Abramson in Jerusalem d u r c h g e f ü h r t e Bevölkerungsstudie ist eine d e r wenigen — wenn nicht sogar die einzige — zuverlässige Datenquelle f ü r eine derartige epidemiologische Bevölkerungsanalyse. In die U n t e r s u c h u n g wurden r u n d 4000 Personen im Alter von 25 bis 69 J a h r e n unterschiedlicher sozialer H e r k u n f t u n d schulischer Bildung einbezogen. Im wesentlichen handelte es sich u m jüdische Einwanderer aus Ost- u n d Mitteleuropa, Nordafrika u n d den L ä n d e r n des Mittleren Ostens sowie u m d e r e n Nachkommen. Die U n t e r s u c h u n g beschränkte sich auf h ä u f i g vorkommende Krankheiten; registriert w u r d e besonders das gleichzeitige V o r k o m m e n verschiedener Krankheiten. Die Analyse d e r B e f u n d e ist sehr schwierig. Es m u ß zuerst ein geeigneter Maßstab f ü r die Prävalenz g e f u n d e n werden, der es erlaubt, festzustellen, in welchem U m f a n g ein Krankheitspaar im gleichen Individuum häufiger als zufallsbedingt auftritt. Ein solches Maß m u ß die Alters- u n d Geschlechtsverteilung berücksichtigen. Es darf nicht davon beeinflußt werden, daß die meisten Krankheiten bei älteren Menschen o d e rj e nach Geschlecht häufiger vorkommen. Als Maßstab bei d e r Auswertung w u r d e der Risikoquotient von Mantel u n d Haensel (1959) benutzt. Die erste Auswertung einer Liste von 23 Krankheiten brachte zwei Krankheits-Konstellationen zum Vorschein, welche zu einem wesentlichen Grad zusammenhängen. Zur ersten Konstellation gehören koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Linksherzerweiterung u n d der Diabetes. Die a n d e r e G r u p p e umfaßt Gallenblasenkrankheit, Herzmuskelinsuffizienz, Asthma, chronische Bronchitis und Migräne. Aus d e r detaillierten Analyse ergibt sich, daß die Beschwerden in der zweiten G r u p p e mit pathophysiologischen Symptomen, Beeinträchtigungen von Stimmung u n d Gefühl u n d Schwierigkeiten in d e r jetzigen u n d in den vergangenen Lebenssituationen verbunden sind. Die Ergebnisse d e r Studie sind im „Journal of Chronic Diseases" u n t e r dem Titel „Clustering of Chronic Disorders: A Community Study of Coprevalence" in Jerusalem (J. H. Abramson, J. Gofin, E. Peritz, C. Hopp and L. M. Epstein) erschienen. Die biochemischen Vorgänge an verletzten Nervenfasern untersucht mit Unterstützung d e r Stiftung Prof. Dr. Gilad vom Center for Neurosciences and Behavioural Research 157

Austausch in Kunst und Wissenschaft des Weizmann-Instituts in Rehovot. Diese Forschungen sollen klären, warum sich die peripheren Nervenfasern nach Verletzungen regenerieren können, w ä h r e n d dies im Zentralnervensystem nicht möglich ist. Die Untersuchungen sind dadurch erschwert, daß das Zentralnervensystem ungewöhnlich komplex aufgebaut ist. A u ß e r d e m findet im Zentralnervensystem beim Erwachsenen kein Nervenwachstum m e h r statt, weshalb im Gegensatz zum peripheren Nervensystem nach Verletzungen die ursprünglichen Verbindungen nicht m e h r hergestellt werden k ö n n e n . Die Ursachen f ü r diese Diskrepanz zwischen peripherem u n d zentralem Nervensystem sind unbekannt. Wir wissen lediglich, daß die Nervenzelle beim ausgewachsenen Säugetier auf eine Verletzung d e r Nervenfaser mit einer Reihe biochemischer, morphologischer u n d funktioneller Ä n d e r u n g e n reagiert. I m wesentlichen handelt es sich u m drei eng zusammenhängende u n d sich überlappend e Prozesse. So degenerieren die sich jenseits der Verletzungen b e f i n d e n d e n Abschnitte u n d Ausläufer d e r Nervenfaser. Sie verliert d a d u r c h ihre Funktionstüchtigkeit. Diesseits d e r Verletzung reagiert die Nervenzelle mit V e r ä n d e r u n gen im Stoffwechsel von Nukleinsäuren u n d Proteinen. Es kommt zu einer Verg r ö ß e r u n g des Nervenzellkörpers und zu einer Verlängerung der Nervenfaser. Wenn eine Regeneration erfolgt, so sprießen die neuen Nervenfasern d e r unmittelbarenUmgebung des zum Nervenzellkörpers gehörenden Stumpfes. Der Nervenzellkörper ist die eigentliche biochemische Fabrik, die f ü r die Integrität d e r Nervenfaser u n d ihrer Ausläufer sorgt. Deshalb kommt es bei Verletzungen d e r Faser entscheidend darauf an, daß der Zellkörper überlebt. Von d e n d a n n ablaufenden biochemischen Reaktionen hängt es wiederum ab, wie die Nervenfasern reagieren. Da viele Gewebe mit einer verstärkten Bildung von Polymanien u n d d e r zu ihrer Biosynthese erforderlichen Enzyme auf Umweltreize wie Streß o d e r H o r m o n g a b e n antworten u n d solche V e r ä n d e r u n g e n auch in verletzten Nervenzellen beobachtet wurden, geht Prof. Gilad davon aus, daß d e n Polyaminen eine Schlüsselrolle bei d e r Reaktion der Nervenzellen zukommt. Als Modellsystem dienen Prof. Gilad die peripheren N o r a d r e n e r g e n sympathischen N e u r o n e n des Ganglion cervicale superius (SCG) d e r Ratte. Erste Experimente haben ergeben, d a ß die Ornithin-Decarboxylase, die d e n ersten Schritt der Biosynthese d e r Polyamine katalysiert, nach Verletzungen des SCG-Ganglions schnell auf über 200 Prozent ansteigt. A u ß e r d e m untersuchte Gilad das Enzym Cholin-Kinase, das die Synthese des f ü r d e n A u f b a u d e r Nervenfaser unerläßlichen Lecithins einleitet, denn die Polyamine können auch an d e r Regulation dieser Prozesse beteiligt sein. W ä h r e n d des Entwicklungswachstums steigt die Aktivität d e r Cholin-Kinase im Ganglion gleichförmig u n d parallel zum Proteingehalt an, d e r als Maßstab des Nervenwachstums dient. W ä h r e n d die spezifische Aktivität des Enzyms beim erwachsenen Tier konstant bleibt, ist sie interessanterweise etwa f ü n f Tage vor d e r Geburt, also in j e n e m Zeitraum, wo noch ein Wachstum terminaler Axonen stattfindet, verdoppelt. Es zeigte sich ferner, d a ß die erhöhte Aktivität d e r Cholin-Kinase einen integralen Teil d e r Reaktion des SCG auf die Nervenverletzung dar158

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel stellt. Weiterhin sind die Veränderungen der Enzymaktivität innerhalb d e r axonenverletzten Nervenzellkörper wahrscheinlich ein Teil einer Verschiebung der Proteinbiosynthese, die f ü r die Regeneration von Strukturbestandteilen des verletzten Axons benötigt wird. Das von der Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Structure —function relationship ofAntibodies and related Immunoreceptors", das von Prof. Dr. Israel Pecht, Department of Chemical Immunology, The Weizmann Institute of Science, Rehovot, durchgef ü h r t wird, ist einem zentralen Problem beim Verständnis der Antikörperfunktion gewidmet. Antikörper oder Immunglobuline sind Eiweißstoffe, die aus schweren und leichten Proteinketten aufgebaut sind. Sie erkennen körperfremde Substanzen (sog. Antigene wie zum Beispiel Infektionserreger) mittels spezifischer Bindungsstellen. Die Antigenbindung an den Antikörper ist der auslösende Faktor für eine Reihe von Folgereaktionen in der Immunzelldifferenzierung. Die bei Bakterien f ü r die Sporenbildung verantwortlichen Differenzierungsprozesse untersucht Prof. A. Keynan, Section for Molecular and Developmental Biology, Department of Life Sciences, The Hebrew University, Jerusalem. Auch Prof. M. Yudkin von der Oxford Universität, der im Laboratorium von Professor Keynan ein Forschungsfreijahr verbracht hat, beteiligte sich an diesen Untersuchungen. Bei diesem Projekt geht es darum zu klären, warum bei bestimmten Bakterien als Ruhestadium Sporen gebildet werden. Die Sporen, die wesentlich widerstandsfähiger gegen Hitze sind als die Bakterien, entstehen unter ungünstigen Lebensbedingungen auf bislang unbekannte Weise im Inneren der Bakterienzellen. Die Sporenbildung ist einer der kompliziertesten biologischen Prozesse. Um die mit der Differenzierung verbundenen Vorgänge besser verfolgen zu können, wurde von Prof. Yudkin ein Verfahren entwickelt, mit dem sich beim Bacillus subtilis die Protein-Synthese während der Sporenbildung und auch während der Keimung besser verfolgen läßt. Es ist schon länger bekannt, daß die Eiweißsynthese während der Sporulation erheblichen Veränderungen unterliegt, doch die Zahl der neu synthetisierten Eiweißkörper war erheblich unterschätzt worden. Statt einiger Dutzend Proteine, wie f r ü h e r angenommen, sind nach den Analysen von Prof. Yudkin mit d e r zweidimensionalen Gel-Elektrophorese mehrere hundert verschiedene Eiweißkörper daran beteiligt. Diese nur mit radioaktiv markiertem Methionin durchzuführenden Untersuchungen werden jedoch durch das in Casein-Nährmedium enthaltene Methionin stark beeinträchtigt. Nach vielen mühsamen Versuchen wurde von Prof. Yudkin ein Medium gefunden, das den Anforderungen genügt. Damit konnte er zeigen, daß sich das Proteinmuster während der Sporulation ständig ändert. Die Analyse dieser Veränderungen im Proteinmuster ergab, daß innerhalb der ersten 3 Stunden der Sporulation ungefähr 22 neue sporulationsspezifische Proteine entstehen. Gleichzeitig verschwinden ungefähr 12-15 Proteine, die während des vegetativen Wachstums synthetisiert werden. Aus der 159

Austausch in Kunst und Wissenschaft

Literatur ist bekannt, daß ungefähr 60 verschiedene Gene für die Sporenbildung verantwortlich sind. Darum kann man annehmen, daß rund ein Drittel der Genprodukte, die für die Sporenbildung verantwortlich sind, innerhalb der ersten 3 Stunden der Sporulation durch zweidimensionale Gel-Elektrophorese identifiziert werden können. Während der Sporenbildung werden auch viele hundert Proteine weitergebildet, die mit den vegetativen Eiweißkörpern identisch sind. Deshalb muß man annehmen, daß viele der vegetativen Gene der Zellen während der Sporenbildung weiter wirken, zumindest in den ersten drei Stunden der Sporenbildung. Dieselbe Analyse wurde auch mit Mutanten, die in den verschiedenen Stadien der Sporulation blockiert waren, ausgeführt. Wenn man die Proteinmuster der Mutanten, die am Anfang der Sporulation blockiert sind (Mutante A), mit anderen Mutanten, die im zweiten Stadium der Sporulation blockiert sind (Mutante B), vergleicht, ergibt sich, daß 35 % der Änderungen, die im ursprünglichen Genotyp während der ersten Stunde der Sporulierung entstehen, in der Mutante A gehemmt sind. Bei der Mutante B sind es rund 10 %. Wenn man das Proteinmuster der beiden Mutanten mit dem ursprünglichen Genotyp nach 2 bis 3 Stunden vergleicht, findet man, daß mehr als die Hälfte der sporenspezifischen Änderungen, die man in dem Proteinmuster sieht, gehemmt sind. Diese Ergebnisse stimmen mit der Theorie überein, daß gewisse Sporulationsgene schon in der ersten Stunde aktiviert werden und daß die Genwirkung in späteren Stadien von den vorher wirkenden Genen abhängt. Diese Analyse des Proteinmusters verschiedener Mutanten wird weiter verfolgt, weil man durch den Vergleich der Proteinmuster von Mutanten, die in den verschiedenen Stadien der Sporulation blockiert sind, möglicherweise die Produkte der Sporulationsgene identifizieren und eventuell auch isolieren kann. Was die Beendigung der Sporulation, also die Keimbildung, angeht, so bestätigt sich, daß daran die Aktivierung eines proteinauslösenden Enzyms beteiligt ist. Dies ließ sich durch Verwendung von Hemmstoffen klären, die die Wirkung dieses Enzyms blockieren. Die Hemmstoffe, welche die Sporenkeimung unterbrechen, blockieren auch Enzyme der Trypsingruppe. Zu diesen Hemmstoffen zählen u. a. die Peptide Antipain und Leupeptin sowie die synthetische Verbindung T.L.C.K. (Tosyllysin-chlormethyl. Keton). Es ist von besonderem Interesse, daß ein Trypsinsubstrat T.A.M.E. (Tosyl-ariginin-methylester) die Sporenkeimung unterbricht und gleichzeitig von der Spore hydrolysiert wird. Nach Beendigung dieser Hydrolyse verläuft die Sporenkeimung wieder normal. Ein weiterer Beweis dafür, daß an der Sporenkeimung ein proteolytisches Enzym beteiligt ist, ergibt sich aus dem Verhalten einer Mutante von Bacillus cereus, die keine Proteasen bilden kann. Bei diesem Stamm ist auch keine Keimbildung möglich. Wenn man jedoch Protease von außen zuführt, was nach Aufweichung der sehr beständigen Zellwand der Sporen gelungen ist, läßt sich mit Pronase, nicht aber mit Trypsin eine normale Keimbildung auslösen. Da sich aber frische Pronase-Lösungen als unwirksam erwiesen, muß ein Selbstverdauungsprodukt der Pronase für die Keimbildung verantwortlich sein. Die für die Wiedereinset160

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel z u n g der Keimbildung verantwortliche Substanz ist bis jetzt noch nicht isoliert worden. Es handelt sich aber u m einen niedermolekularen Stoff, wie chromatographische Untersuchungen ergeben haben. Es ist möglich, daß dieses Molekül ein proteolytisches Enzym aktiviert.

30.7

Aus dem Jahresbericht

1982183

Prof. Y. Stein, Lipid Research Laboratory, Department ofMedicine B, Hadassah University Hospital u n d Dr. Sh. Eisenberg, Unit for Diagnosis and Treatment of Hyperlipidemia, Hadassah University Hospital, Jerusalem, wurden Förderungsmittel f ü r wissenschaftliche Untersuchungen in V e r b i n d u n g mit Erziehungsprogrammen zur Vorbeugung von Risikofaktoren bei ischämischen Herzkrankheiten bewilligt. Die 1980 b e g o n n e n e n Untersuchungen gelten d e n Auswirkungen, die durch Erziehung, Ausbildung u n d Informationszuwachs f ü r die Gesundheitsvorsorge sowie persönliche Einstellungen u n d Verhaltensweisen in diesem Zusammenh a n g erzielt werden können. Es soll u. a. untersucht werden, ob Familien, in den e n mit einer Disposition f ü r Herzkrankheiten zu rechnen ist, eine größere Bereitschaft zur Vorsorge zeigen als Familien o h n e bekanntes Risiko. In d e n geplanten Vertikaluntersuchungen sollen physiologische u n d Verhaltensdaten erhoben werden. Methodisch ist das Vorhaben ähnlich wie Untersuchungen des National H e a r t a n d Blood Vessel Research and Demonstration Center, Houston, angelegt; aus dem Vergleich d e r Ergebnisse h o f f t man, wesentlichen Nutzen f ü r Gesundheitserziehungsprogramme zu erhalten. Das Projekt erstreckt sich auf r u n d 1000 Schüler, von d e n e n bereits viele an einem anderen Stoffwechsel-Forschungsprogramm beteiligt waren. Die Schüler, die die zehnte Klasse der Oberschule besuchen, erhalten Basismaterialien über das Herz-Kreislauf-System, dessen Krankheiten u n d die sie begünstigenden Risikofaktoren. A u ß e r d e m werden sie durch drei ausführliche Lehreinheiten über die wichtigsten Risikofaktoren — E r n ä h r u n g , Rauchen u n d Bluthochdruck — informiert. Ihre Eltern erhalten Informationsmaterial, das ihrem jeweiligen Gefährdungspotential entspricht. 1980 n a h m e n erstmals die Schüler von 24 zehnten Klassen aus sechs verschiedenen h ö h e r e n Schulen in Jerusalem an dem Projekt teil. Eine Hälfte diente als Versuchsgruppe, die a n d e r e Hälfte als Kontrollg r u p p e . 1981 lag d e r Schwerpunkt auf der Analyse d e r im J a h r zuvor gesammelten Daten sowie auf d e r kritischen Ü b e r p r ü f u n g des Programms a n h a n d der inzwischen gesammelten E r f a h r u n g e n . Schließlich w u r d e mit einem neuen Prog r a m m bei einer weiteren Versuchsgruppe von 24 zehnten Klassen begonnen. Daneben befaßte sich das Forschungsteam mit e i n e m Förderungsprogramm f ü r die Teilnehmer d e r 1980 in die Jerusalem-Studie a u f g e n o m m e n e n Klassen. Der Erfolg des Programms wird zum einen am Verhalten d e r Schüler selbst beurteilt: Als wichtigstes Kriterium gilt d e r Prozentsatz d e r Raucher in diesen 161

Austausch in Kunst und Wissenschaft

Klassen gegenüber einer Kontrollgruppe gleichaltriger Schüler. Aufgrund einer Fragebogenaktion werden zum anderen zwei Gruppen von jeweils hundert bis zweihundert Familien gebildet, in denen bereits arteriosklerotische Veränderungen aufgetreten sind oder bisher ausblieben. Nach der Intervention, die sich über ein Jahr erstreckt, werden die zuvor ermittelten Risikofaktoren erneut kontrolliert. Durch diese Untersuchung soll vor allem geklärt werden, ob bei Familien mit Risikofaktoren eine größere Aussicht auf eine Veränderung ihres Gesundheitsverhaltens besteht als bei gesunden Familien. Weiterhin sollen die Gründe für das unterschiedliche Verhalten der einzelnen Familien analysiert werden. So will man ermitteln, welche Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der Risikofaktoren und dem Verhalten bestehen und wie dieses von den verschiedenen Faktoren beeinflußt wird — Informationen, die für die Verbesserung von entsprechenden Erziehungsprogrammen ganz wesentlich sind. Nach den Erfahrungen früherer Untersuchungen kommt es bei derartigen Erziehungprogrammen, die sich an Schüler wenden, vor allem darauf an, das Interesse am Rauchen nicht noch zu fördern. Dies kann leicht durch die mit den Gesprächen geweckte Neugier geschehen. Außerdem hat sich herausgestellt, daß die Jugendlichen meist deshalb rauchen, weil sie als „reif' und „unabhängig" gelten wollen. Sie orientieren sich dabei aber ganz entscheidend an den Normen ihrer Umwelt, die wiederum maßgebend von der Peer-Gruppe geprägt werden. J e größer deren Einfluß ist, um so geringer ist der Widerstand der Jugendlichen. Da dieses Phänomen nicht nur bei schwachen Persönlichkeitsstrukturen auftritt, müssen die Erziehungsprogramme diesen sozialen Druck abbauen und die Widerstandskraft stärken. Dazu erscheinen Schulklassen besonders geeignet. Wie vermutet zeigte sich, daß das Rauchen eng mit einer Subkultur der „Widerspenstigkeit" und einer Beeinflussung durch Gleichaltrige zusammenhängt. Tatsächlich ergaben die Analysen in Jerusalem, daß Schulschwänzen, mangelnder schulischer Ehrgeiz, Streben nach Beliebtheit oder Nachgiebigkeit gegenüber fremden Einflüssen eng mit dem Rauchen verknüpft sind. Allerdings unterscheiden sich hier Jungen und Mädchen erheblich. Während bei Mädchen meist ein schlechtes Verhältnis zu den Eltern auslösender Faktor für das Rauchen ist, dürfte bei Jungen eher die Unfähigkeit, der Beeinflussung durch Gleichaltrige zu widerstehen und die Neigung zu übermäßigem Alkoholgenuß dafür verantwortlich sein. Anders ausgedrückt: Wenn Mädchen das Rauchen anfangen und zudem noch andere Zeichen von aufsässigem Verhalten zeigen, so geschieht dies aus Trotz gegen das Elternhaus; Jungen hingegen rauchen eher aufgrund der Beeinflussung durch Gleichaltrige. In beiden Fällen ist das Rauchen jedoch Teil eines allgemeineren Syndroms der Nichtanpassung seitens der Teenager. Weiterhin ist bemerkenswert, daß Raucher im allgemeinen in allen Bereichen (einschließlich Rauchen) für Beeinflussungen empfänglicher sind als Nichtraucher, obwohl die Raucher behaupten, in bezug auf das Rauchen weniger beeinflußbar zu sein. Sie sind somit leichter zu beeinflussen, glauben jedoch das Gegenteil. Insgesamt scheinen diese Ergebnisse die Ausgangshypothese zu bestätigen. 162

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel

Die Teilnahme am Erziehungsprogramm hatte zunächst eine günstige Wirkung. Der Prozentsatz der erklärten Nichtraucher fiel in der Kontrollgruppe um 2,7 Prozent, in der Versuchsgruppe stieg er dagegen um 6,8 Prozent. Dieser Unterschied verschwand allerdings nach einiger Zeit. Der Effekt des Programms hielt also nicht lange an. Nach zwei Monaten war der Prozentsatz der Raucher in beiden Gruppen gleich. Diese Ergebnisse sind zwar nicht willkommen, jedoch nicht unerwartet. Man kann von einem Programm dieses Umfangs und mit diesen Zielen nicht erwarten, daß es schon im Pilotprojekt gelingt. Im Pilotprojekt lag der Schwerpunkt weniger auf dem Rauchen selbst, als auf der Beseitigung der Anfälligkeit gegen Beeinflussung. Man war dabei von der Annahme ausgegangen, daß eine Steigerung der Widerstandsfähigkeit der Jugendlichen gegen Beeinflussung auch auf ganz bestimmte Verhaltensweisen — einschließlich des Rauchens — eine stabilisierende Wirkung haben würde. Tatsächlich wurde eine solche Verhaltensänderung in der Versuchsgruppe (nicht jedoch in der Kontrollgruppe) festgestellt; dieser Effekt schien sich jedoch nicht auf das Rauchen übertragen zu lassen, jedenfalls nicht innerhalb von zwei Monaten. Daher konzentrieren sich die Lehreinheiten jetzt stärker auf das Rauchen. Es wird jedoch darauf geachtet, daß sich das Programm durch die Verlagerung des Schwerpunktes von allgemeinen Fragen der Beeinflussung und der Widerstandsfähigkeit gegen das Rauchen nicht zu einer Kampagne gegen das Rauchen entwickelt. Statt Fragen der Beeinflussung durch andere, der Anpassung, der Angst vor Prestigeverlust oder vor Mißstimmigkeiten ganz allgemein zu diskutieren und das Rauchen nur als Beispiel zu verwenden, steht es nun im Zentrum des Programms. Das neue Programm wird mit dem amerikanischen Film „Smoking is your choice" (Rauchen oder nicht — die Entscheidung liegt bei dir) eingeleitet. Anschließend wird darüber diskutiert, warum Menschen Informationen und Warnungen, wie sie in dem Film zu sehen sind, einfach ignorieren. Zum Programm gehören jetzt auch Hausaufgaben (zum Beispiel einen Freund/Freundin dazu zu bewegen, etwas zu tun, was er/sie nicht tun möchte; Gespräche mit Rauchern darüber, wie sie ihr Rauchen rechtfertigen). Weitere Änderungen waren einige Rollenspiele (die jedoch eher ablehnend als positiv aufgenommen wurden). Das für die elften Klassen entwickelte „Förderprogramm" unterstrich die Gefahren des Rauchens, die weitverbreitete Ansicht des „mir kann das nicht passieren" und das Rauchen als Form der Auflehnung. Es fand im allgemeinen guten Anklang. Es wird deutlich, daß kein Programm gegen das Rauchen von Anfang an so erfolgreich ist, wie man sich das wünscht. Obwohl die Gruppe in Jerusalem die relevanten psychologischen und erzieherischen Gesichtspunkte kennt, ist doch die genaue Abstimmung des Programms eine Sache von Erfahrung und ein Lernprozeß durch Probieren. Das Jerusalemer Team rechnet damit, daß das überarbeitete Programm erfolgreich sein wird. Man ist sich jedoch gleichzeitig bewußt, daß auch dieses Programm vielleicht weiter kritisch überprüft werden muß. 163

Austausch in Kunst und Wissenschaft Die Feldarbeiten im R a h m e n des Projekts stehen vor d e m Abschluß. Die Datenverarbeitung ist noch im Gange. I n einem gemeinsamen Arbeitsprogramm untersuchen mit Unterstützung d u r c h die Fritz-Thyssen-Stiftung Professor ErnstJ. M. Helmreich, Institut für Physiologische Chemie, Universität Würzburg, u n d Professor Alexander Levitzki, Department of Biological Chemistry, Institute of Life Science, Hebrew University, Jerusalem, den Einfluß von Katecholaminen, a 2 - u n d ß-Rezeptoren auf die Adenylatzyklase. Beide G r u p p e n konnten in d e r Berichtszeit weitere Fortschritte erzielen u n d ihre Zusammenarbeit vertiefen. Die Zusammenarbeit bietet sich bei diesem Vorhaben besonders an, weil sich die E r f a h r u n g e n d e r Arbeitsgruppe in Israel mit d e n Möglichkeiten des Würzb u r g e r Arbeitskreises bemerkenswert verbinden. Das Vorhaben gilt Rezeptoren von H o r m o n e n , die lebenswichtige Wirkungen auf Physiologie und Stoffwechsel haben. ( H o r m o n e k ö n n e n die ungewöhnliche Eigenschaft haben, in sehr kleinen Mengen u n d n u r einmal zu wirken. Sie und ihre Rezeptoren werden inaktiviert, sobald sie ihre biologische Wirkung entfaltet haben.) Die Arbeitsgruppe in Jerusalem hat interessante Ergebnisse ü b e r die Wirkung, die über a 2 -Rezeptoren in Blutplättchen verursacht wird, erarbeiten können. Über die a 2 -Rezeptoren wird die Adenylatzyklase in Thrombozyten geh e m m t . Die H e m m u n g d e r Adenylatzyklase durch a 2 -Rezeptoren ist unabhängig von d e m stimulierenden GTP-bindenden Protein, das an d e r Aktivierung d e r Adenylatzyklase obligatorisch beteiligt ist. Die Arbeitsgruppe von Professor Levitzki b e m ü h t sich u m die Lösung, d u r c h Reinigung u n d eventuelle Rekonstitution des a 2 - a d r e n e r g e n Rezeptorsystems. In enger Zusammenarbeit bearbeiten beide G r u p p e n gemeinsam die Rekonstitution hochgereinigter ß-Rezeptoren mit reinen G-Proteinen. W ä h r e n d d e r letzten eineinhalb J a h r e hat die Arbeitsgruppe in Jerusalem Methoden zur Rekonstruktion eines d u r c h Katecholamine stimulierten Adenylatzyklasesystems entwickelt. Beide Arbeitsgruppen versuchen n u n , diese Methode mit d e n in W ü r z b u r g durch Affinitätschromatographie gereinigten ß-adrenergen Rezeptor e n aus Truthahnerythrocyten zu erproben. (Untersuchungen zur Rekonstitution stehen derzeit im Mittelpunkt des Interesses nicht n u r der beiden G r u p p e n , sondern auch amerikanischer Arbeitskreise.) Die Voraussetzung f ü r erfolgversprechende Rekonstitutionsversuche ist die Reinigung des ß-Rezeptors. Methoden f ü r die Reinigung von ß-Rezeptoren aus T r u t h a h n e r y t h r o c y t e n sind in W ü r z b u r g u n d von d e r Arbeitsgruppe Lefkowitz in d e n USA entwickelt worden. In Würzburg werden gereinigte Rezeptorpräparatio n e n auch als Antigene verwendet, u m monoklonale Antikörper herzustellen. (Bisher sind solche B e m ü h u n g e n d a r a n gescheitert, daß kein geeignetes Antigen zur V e r f ü g u n g stand, da M e m b r a n e n nur einige T a u s e n d Rezeptoren p r o Zelle enthalten.) Interessanterweise enthalten Vogelerythrocyten zwei molekulare Formen des ß-Rezeptors: Eine Form ist ein Protein mit MG 50.000 (P50), die and e r e ein Protein mit MG 40.000 (P40). Beide Formen unterscheiden sich nicht be164

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel züglich d e r Spezifität der Bindung, aber bezüglich d e r Zugänglichkeit f ü r spezifische ß-adrenerge Liganden. In intakten Zellen u n d Membranen ist fast ausschließlich das P40-Protein zugänglich, während nach Lösung d e r Membranproteine d u r c h Detergenzien das P50-Protein zugänglich wird u n d mit d e n in Würzb u r g synthetisierten spezifischen Photoaffinitätsreagenzien markiert werden kann. Man h o f f t , daß es mit Hilfe der monoklonalen Antikörper möglich wird, die Verwandtschaft beider Proteine immunologisch zu untersuchen. Derzeit wird die Verwandtschaft protein-chemisch untersucht, z. B. mittels isoelektrischer Fokussierung u n d mittels Peptid-mapping nach Proteolyse d e r photoaffinitätsmarkierten radioaktiven Proteine. Es ist n u n beabsichtigt, die in Würzburg gereinigten ß-Rezeptoren mit d e n gereinigten G-Proteinen, die Prof. Th. Pfeuffer, ebenfalls Institut f ü r Physiologische Chemie d e r Universität Würzburg, zur V e r f ü g u n g stellt, mittels d e r in Jerusalem entwickelten Methoden in einer geeigneten Lipidumgebung zu einem aktiven, hormonal stimulierbaren System zu rekonstituieren. Das System kann mittels Aktivierung d e r Adenylatzyklase getestet werden. Sollte die Rekonstitution gelingen, so wäre d e r Zugang zum moleklaren Verständnis d e r Hormon-Rezeptor-Wechselwirkung erschlossen. Die B e m ü h u n g e n der beiden Arbeitskreise, n e u e spezifische chemische Sond e n f ü r die Lokalisation ß-adrenerger Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen zu synthetisieren, wurden erfolgreich fortgesetzt. Die Arbeitsgruppe von Professor Levitzki hat ein neues NBD-Methylcyanopindololderivat entwickelt, das die ßRezeptor-Lokalisation u n d die laterale Mobilität des ß-Rezeptors zu untersuchen erlaubt. Diese n e u e chemische Sonde e r ö f f n e t eine willkommene Möglichkeit, die bisherigen Untersuchungen fortzusetzen u n d zu vertiefen. Mit dieser hochaffinen fluoreszierenden Probe soll die ß-Rezeptor-Verteilung in normotensiven, spontan hypertensiven u n d resistenten Ratten, speziell im Zentralnervensystem, untersucht werden. Die Würzburger Arbeitsgruppe hat in Zusammenarbeit mit d e r Arbeitsgruppe von Prof. Th. Wieland, Max-Planck-Institut f ü r Medizinische Forschung, Heidelberg, einen n e u e n Photoaffinitätslabel synthetisiert. Dieser ist d e r erste spezifische ß-adrenerge Rezeptor-Marker, d e r bei Aktivierung ein Carben bildet. Mit Hilfe dieser chemischen Sonden wird an d e r Erforschung des Weges gearbeitet, d e n desensitisierte ß-Rezeptoren n e h m e n , wenn sie ihren Standort in d e r Membran verlassen.

30.8

Aus dem Jahresbericht

1983184

In einem gemeinsamen Arbeitsprogramm untersuchen mit Unterstützung durch die Fritz-Thyssen-Stiftung Prof. E. J. M. Helmreich, Institutfür Physiologische Chemie, Universität Würzburg, u n d Prof. A. Levitzki, Department of Biological Chemi165

Austausch in Kunst und, Wissenschaft stry, Institute ofLife Science, Hebrew University, Jerusalem, den Einfluß von Katecholaminen und ß-Rezeptoren auf die Adenylatzyklase. Eine Kooperation bietet sich bei diesem Vorhaben besonders an, weil sich die Erfahrungen der Arbeitsgruppe in Israel mit den Möglichkeiten des Würzburger Arbeitskreises bemerkenswert verbinden. Das Vorhaben gilt Rezeptoren von Hormonen, die lebenswichtige Wirkungen auf Physiologie und Stoffwechsel haben. In enger Zusammenarbeit haben beide Gruppen im Berichtszeitraum ihr vorrangiges Forschungsziel erreicht, nämlich hochgereinigte ß-Rezeptoren mit reinen G-Proteinen, den Amplifikatorproteinen, in künstliche Membranen zu inkorporieren und die Signaltransmissionskette zur Funktion zu bringen. Die ersten Ergebnisse wurden bereits publiziert. Untersuchungen zur Rekonstitution stehen derzeit im Mittelpunkt des Interesses nicht n u r der beiden Gruppen, sondern auch von zwei amerikanischen Arbeitskreisen. Die Voraussetzung für erfolgreiche Rekonstitutionsversuche ist die Reinigung des ß-Rezeptors. Methoden f ü r die Reinigung von ß-Rezeptoren aus Truthahnerythrozyten sind in Würzburg und von der Arbeitsgruppe Lefkowitz in den USA entwickelt worden. \ H e r r Dr. Helmut W. Klein und Miss Mie jae Im im Würzburger Arbeitskreis bem ü h e n sich derzeit, den ßj-Rezeptor aus Truthahnerythrozyten in größerem Maßstab bis zur Homogenität zu reinigen. Das schafft die Voraussetzung f ü r die Mikrosequenzierung, die gemeinsam mit Herrn Dr. E. Schütz, Institut f ü r Organische Chemie und Biochemie der Universität Freiburg, durchgeführt werden soll, u m den Einstieg in die Gentechnologie und die Isolierung des ß-Rezeptorgens zu ermöglichen. Der bisherige Kenntnisstand führte zu der allgemein akzeptierten Vorstellung, daß alle Hormonrezeptoren, die die Adenylatzyklase aktivieren, eine gemeinsame Strukturdomäne besitzen, die die Wechselwirkung mit G-Proteinen ermöglicht. Die Verfügbarkeit einer Bibliothek monoklonaler Antikörper, spezifisch f ü r den ß-Rezeptor, würde erstmals erlauben, mittels Kreuzreaktivität die Verwandtschaft von ß-Rezeptoren verschiedener, differenzierter Zellen und von ß ( - u n d ß 2 -Rezeptoren zu bestimmen. Monoklonale Antikörper sind nicht nur nötig f ü r die Gentechnologie, sie könnten auch f ü r die Klinik diagnostische Hilfsmittel bei Herz- u n d Kreislaufkrankheiten werden. Bisher gibt es wenige Berichte über ß-Rezeptor-spezifische Antikörper. Jedenfalls haben bisher monoklonale Antikörper kaum Eingang in die ß-RezeptorForschung gefunden. Die Arbeitsgruppe Helmreich u n d Levitzki verwenden gereinigte Rezeptorproteine als Antigen. Im Laboratorium von Prof. Levitzki werden Klone, die Antikörper gegen Truthahnerythrozytenmembran-Antigene produzieren, auch mit Humanerythrozytenmembran-Antigenen getestet. Klone, die Antikörper gegen Truthahnerythrozytenmembranen produzieren, werden auf ß-rezeptorspezifische Antikörper untersucht. Zu diesem Zweck wird die Hemm u n g der Anti-Erythrozytenmembran-Antikörperreaktion durch Zugabe gereinigter ß-Rezeptorproteine getestet. Monoklonale Antikörper gegen ß-Rezeptoren, die die Bindung spezifischer ß-adrenerger Liganden hemmen, sollen mit 166

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Fluoresceinisothiocyanat oder Tetramethylrhodaminisothiocyanat markiert werden. Die Beeinflussung d e r Bindung dieser fluoreszierenden Antikörper an ß-Rezeptoren auf d e r Oberfläche intakter Zellen d u r c h spezifische ß-adrenerge Liganden wird getestet. Die G r u p p e Levitzki will diese Antikörper als Diagnose„Kit" zur Überwachung von Patienten, die mit ß-Blockern behandelt werden, entwickeln. Beide G r u p p e n werden monoklonale Antikörper zur Charakterisierung der Konformationsänderung des ß-Rezeptors im Laufe d e r Aktivierung, Phosphorylierung u n d Desensitisierung verwenden. Ein spezielles Arbeitsgebiet der Gruppe Levitzki in Jerusalem ist die Herstellung monoklonaler Antikörper gegen ß-Rezeptoren von Humanzellen. Die Human-Carcinoma-Zellinie A-431 scheint mehr ß-Rezeptoren als alle anderen bisher untersuchten Zellen zu besitzen: 85.000 ± 3000 ß-adrenerge Rezeptoren p r o Zelle o d e r 30 Rezeptoren p r o |i 2 im Vergleich zu weniger als 1 2 Rezeptor p r o (x2 im Falle von Truthahnerythrozyten. Die ß-Rezeptoren dieser Human-Carcionoma-Zellinie sollen gereinigt u n d als Antigen verwendet werden, u m monoklonale Antikörper zu produzieren. Diese Zellinie könnte sich f ü r gentechnologische Versuche eignen mit d e r Absicht, das H u m a n ß-Rezeptor-Gen zu klonieren, weil eine Gen-Bibliothek von A-431 verfügbar ist. Die Verfügbarkeit des ß-Rezeptor-Gens würde nicht n u r die Erstellung d e r gesamten Primärsequenz des ß-Rezeptors ermöglichen, sie würde auch die Möglichkeit von „site-directed mutagenesis" e r ö f f n e n . Die letztere Möglichkeit würde außerordentliche Konsequenzen f ü r ein vertieftes Verständnis d e r Pathophysiologie dieser medizinisch wichtigen Klasse von Hormon-Rezeptoren haben, da ßadrenerge Rezeptoren entscheidend an d e r Regulation des cardiovaskulären Systems beteiligt sind. Native Vogelerythrozyten enthalten zwei molekulare Formen des ß-Rezeptors: Eine Form ist ein Protein mit MG 50.000 (P50), die a n d e r e ein Protein mit MG 40.000 (P40). Beide Formen unterscheiden sich nicht bezüglich d e r Spezifität der B i n d u n g ß-adrenerger Liganden. In intakten Zellen sind im ganzen T e m p e raturbereich (4°—37° C) beide Proteine P50 u n d P40 vorhanden, während in Membranen bei h ö h e r e n T e m p e r a t u r e n (30°—37° C) P50 u n d P40 umgewandelt wird. Lösung d e r Membranproteine d u r c h Detergenzien blockiert die Umwandlung. P50 u n d P40 k ö n n e n mit den in W ü r z b u r g u n d Heidelberg synthetisierten spezifischen Photoaffinitätsreagenzien markiert werden. Man hofft, daß es mit Hilfe monoklonaler Antikörper möglich wird, die Verwandtschaft beider Proteine auch immunologisch zu untersuchen. Derzeit wird die Verwandtschaft protein-chemisch untersucht, z. B. mittels isoelektrischer Fokussierung u n d mittels Peptid-mapping nach Proteolyse d e r photoaffinitätsmarkierten radioaktiven Proteine. Auch auf diesem Gebiet sind kürzlich wesentliche Fortschritte erzielt worden. So konnte Dr. R. Jürß im Würzburger Arbeitskreis erstmals eine membranständige Metalloprotease identifizieren, die die U m w a n d l u n g von P50 in P40 katalysiert. Die ersten Ergebnisse w u r d e n bereits publiziert. Die B e m ü h u n g e n d e r beiden Arbeitskreise, n e u e spezifische chemische Sonden f ü r die Lokalisation von Hormonrezeptoren auf d e r Oberfläche von Zellen 167

Austausch in Kunst und Wissenschaft zu synthetisieren, wurden erfolgreich fortgesetzt. Levitzki u n d Mitarbeiter haben N-bromoacetylamincyanopindolol synthetisiert. Diese V e r b i n d u n g blockiert irreversibel d e n Zugang von 125 I-cyanopindolol zum ß-adrenergen Rezeptor u n d verhindert die Aktivierung d e r Adenylatzyklase. Interessanterweise reagiert diese V e r b i n d u n g nicht direkt mit d e m ß-Rezeptorprotein, sondern scheint ein Lipid in d e r Nachbarschaft des ß-Rezeptors anzugreifen. Ein neues fluoreszierendes T r y p t o p h a n in Position 25-derivatisiertes Glukagon w u r d e in Würzburg von Dr. H. W. Klein, Miss Mie Jae Im u n d Frl. G. Pollak synthetisiert. H e r r Dr. H. Leithier hat das Glukagonderivat an L e b e r m e m b r a n e n getestet u n d g e f u n d e n , d a ß es, verglichen mit natürlichem Glukagon, noch zu 60 % die Adenylatzyklase aktiviert. Eine Publikation ist in Vorbereitung. Diese neue chemische Sonde e r ö f f n e t eine willkommene Möglichkeit, die bisherigen Untersuchungen über die Mobilität der H o r m o n r e z e p t o r e n , die Adenylatzyklase aktivieren, fortzusetzen u n d zu vertiefen. Das neue Glukagonderivat wird von Dr. H. Leithier in Zusammenarbeit mit Dr. R. Peters, Max-Planck-Institut f ü r Biophysik F r a n k f u r t , zur Messung d e r Lateralmobilität des Glukagonrezeptors mittels d e r FRAP(fluorescence Recovery after Photobleaching)-Methode eingesetzt werden. Sollten diese Versuche erfolgreich sein, würden sie die bisherigen Würzburger Untersuchungen über die Lateralmobilität der H o r m o n r e z e p t o r e n , die primär die Adenylatzyklase aktivieren, in den Membranen intakter Zellen wesentlich ergänzen u n d erweitern.

30.9

Aus dem Jahresbericht

1984185

Über die bei Bakterien f ü r die Sporenbildung verantwortlichen Differenzierungsprozesse, die Prof. A. Keynan, Department of Biological Chemistry, Institute of Life Sciences, T h e Hebrew University, Jerusalem, mit abschließender F ö r d e r u n g d u r c h die Stiftung im Berichtszeitraum untersuchte, wurde zuletzt im Jahresbericht 1983/ 84 d e r Stiftung (S. 239 ff.) ausführlich berichtet. Manche Bakterien bilden beim Übergang in ungünstige Lebensbedingungen Sporen. Sporen sind vielfältig widerstandsfähige Zellprodukte, die keinerlei Lebenserscheinungen zeigen. Gelangen solche Sporen wieder in ein f ü r die Verm e h r u n g günstiges Medium, so „keimen" sie zu sich teilenden Bakterien aus. Neben d e m praktischen Interesse am Prozeß d e r Sporulation u n d Sporenkeimung (viele pathogene Bakterien, wie z. B. die Erreger von Milzbrand oder W u n d starrkrampf sind Sporenbildner) b e m ü h e n sich viele Wissenschaftler um ein Verständnis d e r Sporulationsvorgänge, weil die Sporulation u n d die Sporenkeimung als primitivste Modelle d e r Differenzierung aufgefaßt w e r d e n können. Es könnte möglich sein, aus einem biochemischen Verständnis dieser Vorgänge Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, die auch f ü r die Differenzierung bei h ö h e r e n Organismen wie Bakterien Gültigkeit haben. 168

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Dieser Ansatz wurde von Prof. A. Keynan verfolgt. Während seine Arbeiten in der ersten Phase auf den Sporulationsprozeß konzentriert waren, hat sich A. Keynan im Berichtsraum vorwiegend mit der Frage der Biochemie der Sporenkeim u n g beschäftigt. Hier zeigte sich n u n ein Phänomen, das auch f ü r andere Differenzierungsprozesse bedeutsam ist: Offenbar spielen am Übergang der bakteriellen Spore zur vegetativen Zelle (Auskeimung) sporenspezifische eiweißspaltende Enzyme (Proteasen) eine Schlüsselrolle. Drei solcher Enzyme, die bereits im vorausgehenden Bericht erwähnt wurden, wurden identifiziert. Ausgehend von diesem Befund wurden sodann zwei Arbeitsrichtungen verfolgt: Einerseits wurde geprüft, ob die Beteiligung von Proteasen bei der Sporenkeimung auch f ü r die Sporenkeimung anderer als dem zunächst untersuchten Bacillus cereus gilt. Die Tatsache, daß Stoffe, die die Aktivität der angenommenen Proteasen hemmen, bei vielen Bakterien die Sporenkeimung verhindern, ist ein starker Hinweis d a f ü r , daß das hier beobachtete Engagement von Proteasen ein generelles Phänomen ist. Andererseits werden durch detaillierte biochemische Analysen die ersten Schritte zur Isolierung, Reinigung und Charakterisier u n g der verschiedenen an der Sporenkeimung beteiligten Proteasen begonnen. Das Ergebnis solcher Untersuchungen sollte das Verständnis des interessanten Differenzierungsprozesses der Sporenkeimung deutlich vertiefen. Im J a h r e 1984 beging das Weizmann Institute of Science den 50. Jahrestag seiner G r ü n d u n g in Rehovot. 1984 wurde auch des fünfzigsten Todestages von Fritz Haber gedacht. Aus diesem Grunde errichtete das Weizmann-Institut ein „FritzHaber-Zentrum für physikalische Chemie" zu seinem Gedächtnis. Zum apparativen Ausbau des Zentrums trug die Fritz-Thyssen-Stiftung durch eine Sachbeihilfe bei u n d ermöglichte die Beschaffung eines Kryomat-Systems (BS 47/98 Bruker), wichtigster Bestandteil eines im Weizmann-Institut gebauten 200-MHz-NMRSpektrometers, das f ü r eine Reihe von Forschungsprojekten und vor allem von Prof. Sh. Vega benötigt wird. Das Gerät wird zur Zeit besonders f ü r kernmagnetische Resonanzuntersuchungen von Multiphotonenprozessen und dynamischen molekularen Vorgängen eingesetzt.

30.10

Aus dem Jahresbericht

1985/86

Für das Projekt,Erschließung und Bearbeitung des biographischen Materials zur Jugend Walter Benjamins im Gershom Scholem-Nachlaß der Hebrew University of Jerusalem" stellte die Stiftung im Berichtszeitraum Prof. St. Moses, Department of German, Institute of Languages, Literatures and Arts der Hebrew University of Jerusalem Förderungsmittel zur Verfügung. Das Projekt wird in Kooperation mit Prof. Witte, Aachen, durchgeführt. Das Forschungsprojekt zielt auf eine Jugendbiographie Walter Benjamins und 169

Austausch in Kunst und Wissenschaft seines jüdischen Freundeskreises. Dabei soll Benjamins denkerische und biographische Entwicklung in den Jahren 1912 und 1922 dargestellt werden, insofern sie sich in dem umfangreichen biographischen Material des Benjamin-Archives, das Frau Fannia Scholen d e r National- u n d Universitätsbibliothek in Jerusalem übermittelt hat, widerspiegelt. Es handelt sich bei dem Material vor allem um den Briefwechsel Benjamins mit seinem engsten Freundeskreis: Jula Cohn, Ernst Schön, Alfred Cohn, Grete Rodt und Ernst Rodt. Ein Teil dieses Materials wurde schon in der gemeinsam von G. Scholem und Th. W. Adorno erstellten Ausgabe der Briefe Benjamins zusammengestellt. Gerade im Briefwechsel mit den Freunden nimmt Benjamin zum eigenen literaturtheoretischen u n d geschichtsphilosophischen Denken Stellung. Dabei sind für diese f r ü h e Zeit zwei Epochen zu unterscheiden: zum einen handelt es sich um Benjamins „Metaphysik der J u g e n d " und seine Auseinandersetzung mit Gustav Wyneken, dessen auf die Jugendkultur zugeschnittene hegelianische Philosophie den Studenten zunächst sehr ansprach, dessen Befürwortung des Ersten Weltkrieges aber dann auf entschiedene Ablehnung bei Benjamin stieß. Die zweite Epoche bezieht sich auf die J a h r e 1915—1922, in denen Benjamin den Traktat über die mystische Sprache veröffentlicht hat und sich zunehmend der Philosophie Kants und der Frühromantiker zuwandte. Die Projektarbeit wird hier dem biographischen Hintergrund und der Auseinandersetzung im Freundeskreis, soweit sie brieflich dokumentiert sind, nachgehen. Dabei soll vor allem auch Benjamins f r ü h einsetzende Auseinandersetzung mit dem eigenen J u d e n t u m und seiner Stellung als deutscher J u d e berücksichtigt werden, so wie sie sich im Briefwechsel mit dem am Ostjudentum und seiner Kultur orientierten Ludwig Strauss zum ersten Male angekündigt hat. Dieser Briefwechsel darf als bestimmend für Benjamins Stellung zum J u d e n t u m aufgefaßt werden. Für die zweite Epoche soll vor allem der biographische Hintergrund des Essay über „Die Wahlverwandtschaften" von Goethe untersucht werden. Die Äußerung Benjamins an die Psychologin Charlotte Wolf, große Werke der Literatur würden sich durch persönliche Probleme entfalten, erweist ihre Bedeutung gerade im Zusammenhang mit dem Wahlverwandtschaften-Essay. Der längere Aufenthalt der Schwester seines ehemaligen Klassenkameraden Alfred Cohns, Jula Cohn, hat die eheliche Beziehung Benjamins mit seiner Frau Dora zerstört. Daß Benjamin in der Beschreibung Ottilies aus den Wahlverwandtschaften ein Porträt Jula Cohns angefertigt hat, ist der Forschung heute bekannt. In der Projektarbeit sollen diese biographischen Hintergründe weiter verfolgt werden. Bleibt die Hauptuntersuchung auf Benjamins Jugendzeit begrenzt, so sollen doch die brieflichen Unterlagen der späteren J a h r e ebenso berücksichtigt werden, um so ein Gesamtbild dieses Kreises herzustellen. Um das Bild zu vervollständigen, werden dann zu den Briefen noch vereinzelte Darstellungen zur Biographie, die sich ebenfalls im Archiv befinden, herangezogen.

170

30.11

Aus dem Jahresbericht

1986/87

Die Arbeiten an dem Handbuch „Germania Judaica" von Dr. A. Maimon, Institute of Jewish Studies, The Hebrew University of Jerusalem, wurden von der FritzThyssen-Stiftung gefördert. Germania Judaica ist ein historisch-geographisches Handbuch zur Geschichte der Juden im Gebiet des alten Deutschen Reichs, also Mitteleuropas. Der erste Band des Werkes (über die Zeit vor 1238) erschien bereits 1934 in Berlin. Nach dem 1968 erschienenen zweiten Band (1238-1350), der trotz Beschlagnahme der Materialien zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fertiggestellt werden konnte, wird gegenwärtig der dritte Band (1350—1519) vorbereitet. Alle diese Bände enthalten in alphabetischer Reihenfolge Ortschaftsartikel (wie Mainz und Zürich) oder Gebietsartikel (wie Oberpfalz und Böhmen), in denen die Geschichte der lokalen territorialen Judenschaften dargestellt ist. Die Ziele des Vorhabens sind, den Stand der bisherigen Forschung kritisch wiederzugeben, den Grund zu deren Fortsetzung zu legen und dem interessierten Leser rasche Orientierung über Tatsachen und Probleme der mitteleuropäisch-jüdischen Geschichte zu ermöglichen. Der zur Zeit in Vorbereitung befindliche Band 3 gliedert sich in 3 Teilbände: 3 a, der die Ortschaftsartikel mit den Initialen A—L enthält, ist im April 1987 erschienen: Germania Judaica. — Tübingen: Mohr. Bd. 3: 1350—1519. Hrsg. v. Arye Maimon. Teilbd. 1. Ortschaftsartikel Aach-Lychen. - 1987. XXX, 769 S. Das druckfertige Manuskript von 3 b (Ortschaftsartikel M-Z) wird gegenwärtig bearbeitet, so daß dieser Teilband im Sommer 1988 gedruckt vorliegen wird. Teilband 3 c (Gebietsartikel, geographische Karten, Register) folgt später. Die Unterstützung der Stiftung diente den Abschlußarbeiten an Band 3 a und fördert wesentlich die Arbeiten an den beiden anderen Teilbänden. Einem Anliegen der Stifterinnen entsprechend erfährt die Förderung der medizinischen Forschung die besondere Aufmerksamkeit der Stiftungsgremien. Auch in diesem Förderungsbereich unterstützt die Fritz-Thyssen-Stiftung Projekte im In- und Ausland. Bei Anträgen aus dem Ausland werden dabei von ihr Projekte bevorzugt, bei denen deutsche Forscher mit ausländischen Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Auch in der medizinischen Forschung fördert die Stiftung bevorzugt im Rahmen thematischer Schwerpunkte. Seit 1977 hat die Stiftung im Förderungsschwerpunkt „Koronarsklerose und Herzinfarkt" Projekte der Grundlagenforschung und klinisch-angewandten Forschung finanziert, die sich auf die Prävention, die Frühdiagnose und die Behandlung der Koronarsklerose und des Herzinfarkts, deren Krankheitsmechanismen und Komplikationen beziehen. Es wurden 77 Bewilligungen ausgesprochen und Forschungsprojekte in in171

Austausch in Kunst und Wissenschaft ternationaler Kooperation zwischen Wissenschaftlern an Universitätskliniken und -instituten in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Israel, Österreich, der Schweiz, den USA und der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Die Stiftung hat dafür mehr als zwölf Millionen DM bereitgestellt. Mit den von der Stiftung bewilligten Förderungsmitteln wurde die wissenschaftliche Arbeit in dem Bereich deutlich verstärkt und auch der wissenschaftliche Nachwuchs gefördert. Die weitere Unterstützung dieses Forschungsschwerpunktes wäre unter rein fachlichen Gesichtspunkten durchaus vertretbar. Jedoch wirkt eine perpetuierte und damit einplanbare stiftungsfinanzierte Schwerpunktförderung eines bestimmten Themenbereichs langfristig nicht mehr „zusätzlich", sondern beeinflußt den Einsatz „normaler" Finanzierungsmöglichkeiten aus staatlichen Mitteln im Sinne einer Entlastung der öffentlichen Hand. Es kommt hinzu, daß die der Fritz-Thyssen-Stiftung verfügbaren Mittel begrenzt sind. Neue Schwerpunkte können in ihrer Forschungsförderung nur gesetzt werden, wenn die Förderung in bisher bevorzugten Bereichen nach einem angemessenen Zeitraum ausläuft. Die Verwendung von natürlichen Lipiden, Apolipoproteinen und phospholipidanalogen Substanzen ab Komponenten von Liposomen zum Studium der zellulären Cholesterinabgabe und Cholesterinaufnahme wird gemeinsam von Prof. K. Oette, Leiter der Abteilung für Klinische Chemie, Universitätskliniken Köln, und Prof. Y. Stein und Dr. 0. Stein, Lipid Research Laboratory, Department of Medicine B, Hadassah University Hospital, und Department of Experimental Medicine and Cancer Research, Hebrew UniversityHadassah Medical School, Jerusalem, untersucht. Die Fritz-Thyssen-Stiftung fördert das Gemeinschaftsprojekt. Die abnorm hohe Cholesterin- bzw. Cholesterinesterbeladung von Arterienwandzellen ist für die Entwicklung der Arteriosklerose von zentraler Bedeutung. Das Ausmaß der Überladung wird bestimmt durch — Eigenschaften bestimmter Plasmalipoproteine, die in der Lage sind, Cholesterin an die Zelle abzugeben oder von der Zelle aufzunehmen, und — Eigenschaften der Zellen, die die Aufnahme, Abgabe und Synthese von Cholesterin regulieren. Cholesterin wird entweder von der Zelle aufgenommen oder intrazellulär synthetisiert; es kann nur in der Leber, nicht in anderen Körperzellen zu Gallensäuren abgebaut werden. Bleibt die Cholesterinbilanz der Zelle positiv, so wird Cholesterin bzw. dessen Ester bis zur Selbstzerstörung der Zelle gespeichert. Um die Cholesterinbilanz auszugleichen oder vorübergehend sogar negativ zu halten, werden als Therapeutika Plasmacholesterinsenker mit unterschiedlichen Angriffspunkten und Cholesterinsynthese-Hemmer (HMG-CoA-Reduktase-Hemmer) eingesetzt. Arteriosklerosefördernd ist insbesondere das an Plasma LDL (Low-Density Lipoprotein) gebundene Cholesterin. Bei LDL-Cholesterin-Erhöhungen, den Hypercholesterinämien, entwickelt sich die Arteriosklerose vorzeitig, d. h. in frühem Lebensalter. Eine antiarteriosklerotische Therapie muß deshalb die LDL172

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Cholesterinkonzentration in einen Bereich senken, d e r die Arteriosklerose nicht m e h r f ö r d e r t o d e r sogar Voraussetzungen zum Abtransport überschüssigen zellulären Cholesterins schafft. Klinische Studien zeigen, d a ß n u r bei ausgeprägteren LDL-Senkungen mit einem Stillstand d e r Arteriosklerose oder sogar mit einer Regression arteriosklerotischer V e r ä n d e r u n g e n zu rechnen ist. Epidemiologische u n d molekularbiologische Studien haben gezeigt, d a ß bestimmte Plasmalipoproteine d e r HDL-Klasse (High-Density Lipoprotein) f ü r die Ausschleusung des Cholesterins aus der Zelle wichtig sind. Die Verbesserung d e r Cholesterinausschleusung aus der Arterienwandzelle u n d d e r Cholesterinaufn a h m e d u r c h Zellen d e r Leber, dem Haupteliminationsorgan von Cholesterin, bilden neben d e r LDL-Cholesterinsenkung einen zweiten therapeutischen Ansatz. Die geplante Forschungsarbeit gilt d e r Stimulierung d e r Cholesterinausschleusung aus mit Cholesterin bzw. Cholesterinestern angefüllten kultivierten Arterienwandzellen d u r c h Liposomen komplexer Zusammensetzung. Die Liposomen, lipoproteinähnliche Partikel, werden aus natürlichen Lipiden, synthetisierten modifizierten Phospholipiden u n d Apolipoproteinen (Proteinanteile von Plasmalipoproteinen) hergestellt. Man h o f f t , Liposomen zu entwickeln, die in ihren Eigenschaften, die Cholesterinausschleusung aus d e r Zelle u n d den Cholesterinabtransport über die Leber zu beschleunigen, d e n bisher gegebenen Möglichkeiten bei d e r T h e r a p i e d e r Hypercholesterinämie überlegen sind. Die Eigenschaften d e r komplexen Liposomen sollen zunächst an kultivierten Zellen getestet werden, danach in Organperfusionsversuchen u n d in vivo a n normalen u n d hypercholesterinämischen Ratten. Beide Arbeitsgruppen verfügen über sich ergänzende E r f a h r u n g e n u n d Kenntnisse auf dem Gebiet d e r Isolierung spezieller Lipide und Apolipoproteine in hochgereinigter Form sowie der chemischen Synthese von phospholipidanalogen Substanzen mit besonderen physikalisch-chemischen u n d metabolischen Eigenschaften (Universität Köln), ebenso aber auch auf den Gebieten d e r Zellbiologie, O r g a n p e r f u s i o n u n d d e r in vivo-Prüfung d e r zellulären Cholesterinbilanz, des intravaskulären Cholesterintransports u n d der Cholesterinelimination über L e b e r u n d D a r m (Hebrew University, Jerusalem). Bei einem Projekt „Preparative Purification und Characterization of a Digitalislike Compound front Mammalian Plasma-Relation to Essential Hypertension and Heart Disease" werden Prof. J. D. Karlish u n d Dr. D. M. Tal, Biochemistry Department, Weizm a n n Institute of Science, Rehovot, von d e r Fritz-Thyssen-Stiftung unterstützt. Im Plasma von Säugern gibt es Substanzen, die die gleiche Wirkung wie wichtige pflanzliche Herzglykoside (z. B. Digitalis, Strophantin (ouabain)) aufweisen. Wegen ihrer extrem geringen Konzentration (ca. 10"12 Mol p r o Gramm) ist es noch nicht gelungen, die chemische Struktur dieser sogenannten OLC („ouabain-like Compounds") zu klären. Der Arbeitsgruppe in Rehovot ist vor kurzem die Entdeckung u n d 2000fache Anreicherung einer dieser Verbindungen aus Rinderblut gelungen, die f ü r die 173

Austausch in Kunst und Wissenschaft pharmakologische Beeinflussung des Bluthochdrucks bedeutsam sein könnte. In ihrem Forschungsvorhaben streben sie an, das von ihnen entwickelte V e r f a h r e n weiter zu verbessern, u m eine Substanzmenge zu gewinnen, die zur Charakterisierung d e r biochemischen Eigenschaften und der Struktur ausreicht. Das Projekt ist wahrscheinlich von pharmakologischer B e d e u t u n g , weil Herzglykoside, die bei Herzinsuffizienz eingesetzt werden, d e n Nachteil einer n u r sehr schmalen therapeutischen Breite zwischen u n g e n ü g e n d e r u n d toxischer Wirkung aufweisen. Körpereigene Stoffe sind in dieser Hinsicht wahrscheinlich nicht so e n g begrenzt. Die Produktion von Antikörpern gegen natürliches O L C kann möglicherweise zur Diagnostik u n d Behandlung bei Bluthochd r u c k eingesetzt werden. Die Kenntnis d e r Struktur würde dazu beitragen, ein spezifisches Detektionsverfahren f ü r OLC zu entwickeln. Die Forschungsarbeiten von Prof. Y. Weinstein, University Center for Health Sciences, Dept. of Microbiology and Immunology, Ben Gurion University of the Negev, Beer Sheba, über Mechanismen der Entstehung von T-Zell-Leukämie durch Nicht-Transformierende Retroviren werden von d e r Stiftung mit einer Sachbeihilfe unterstützt. Viren sind Partikel, die ihre Erbinformation in Form einer DNA-Kette enthalten. Sie können sich jedoch nicht selbständig vermehren, d a ihnen die hierzu erforderliche Ausstattung an Zellbestandteilen fehlt. Die V e r m e h r u n g erfolgt, i n d e m das Virus in normale Zellen eindringt u n d d e n Stoffwechsel d e r infizierten Zelle so umschaltet, d a ß die eingeschleuste Virus-DNA abgelesen wird u n d aus diesen Informationen neue Viren nachgebaut werden. Eine Sonderstellung u n t e r diesen Viren nehmen die Retroviren ein. Die Erbinformation (Genom) dieser Viren liegt nicht in Form einer doppelsträngigen DNA-Kette vor, sondern als einzelsträngige RNA-Kette. Diese Form d e r Erbinformation kann von normalen Zellen jedoch nicht zur V e r m e h r u n g genutzt werden. Nach Befall einer Zelle wird d a h e r die RNA durch ein vom Retrovirus mitgebrachtes Enzym, eine reverse Transkriptase, in einen DNA-Strang zurückübersetzt. Die so entstandene virale DNA wird in vielen Fällen in die zelluläre DNA eingebaut u n d in dieser Form als Provirus bezeichnet. Da die eingebaute virale DNA nicht m e h r von der zelleigenen DNA unterscheidbar ist, bleiben die betroffenen Zellen bis zu ihrem T o d e infiziert. Die Infektion mit bestimmten Retroviren kann die betroffenen Zellen zu entartetem (malignem) Wachstum veranlassen (Transformation). Dabei entstehen clonale T u m o r e n , d e r e n Zellen alle letztendlich von einer einzigen entarteten Zelle abstammen. In vielen Fällen kommt es nicht sofort zu einem malignen Wachstum (nicht transformierende Retroviren), vielmehr sind weitere Faktoren zur T r a n s f o r m a tion erforderlich. Eine wesentliche Rolle scheint hierbei den O n k o g e n e n zuzukommen. Bei d e n Onkogenen handelt es sich u m Bereiche d e r DNA, d e r e n Aktivier u n g zu einem entarteten Wachstum der Zelle f ü h r t . Onkogene w u r d e n erst vor wenigen J a h r e n entdeckt; sie konnten bisher in Zellen sehr unterschiedlicher 174

30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Spezies wie z. B. Säugern u n d Insekten, nachgewiesen werden. Die Struktur dieser Gene unterscheidet sich nach den bisherigen Untersuchungen auch f ü r sehr unterschiedliche Arten kaum. Soweit erkennbar, enthalten Onkogene die Information f ü r den Bau von Proteinen, die in geringer Menge f ü r ein geregeltes Wachstum der Zellen erforderlich sind. Für die Transformierung in bösartige Zellen scheint die Einfügung der Retrovirus-Gene nahe oder innerhalb eines Onkogens erforderlich zu sein. Durch die Einfügung wird entweder die Produktion des durch das Onkogen codierten Proteins erhöht, oder das Protein wird in seiner Struktur verändert. Beide Fälle führen zu einer Funktionsstörung in der Zelle u n d damit zur Auslösung des malignen Wachstums. Alle Zelltypen des Blutes stammen von einem unreifen Grundtyp ab, den pluripotenten Stammzellen. Welche Aufgabe eine Zelle in ihrer Endform erfüllt, wird im Verlauf der weiteren Differenzierung festgelegt. In jedem Bereich der möglichen Differenzierungen können maligne Transformationen auftreten. Werden die weißen Blutzellen betroffen, so entstehen Leukämien. Für mindestens eine dieser Leukämien, die T-Zell-Leukämie, wird seit einiger Zeit angenommen, daß ihrer Entstehung eine Retrovirusinfektion zugrunde liegt. Einige Veränderungen, die während der Manifestation einer Leukämie auftreten, sind das Auftreten des Virus im Blut, eine anhaltende Immunreaktion gegen die Virusantigene sowie eine verstärkte Bildung von Lymphokinen, die zu einer verstärkten Teilungsaktivität blutbildender Zellen führt. Vermutlich ist daher die Entstehung eines malignen Tumors aus einer Zelle mit veränderten Onkogenen ein Prozeß über viele Stufen. Zusätzliche genetische Veränderungen f ü h r e n außerdem zu einer Unabhängigkeit der malignen Zellen vom Wachstumsfaktor und schützen sie vor Angriffen des Immunsystems. Auf der Grundlage von Versuchen mit dem Moloney murine leukemia Virus, einem Retrovirus, das in Mäusen eine T-Zell-Leukämie auslöst, soll in dem Projekt von Prof. Weinstein die Herkunft von Zellen bestimmt werden, die sich aufgrund einer Infektion mit Viren maligne verändern, wodurch es zur Entwicklung einer Leukämie kommt. Außerdem soll untersucht werden, wie diese leukämischen Zellen einer Zerstörung durch das Immunsystem entgehen. Die Bestimmung der Herkunft dieser leukämischen Zellen und die Aufklär u n g des Mechanismus, mit dem sie dem Immunsystem entgehen, können möglicherweise die Theapie von Leukämiepatienten verbessern u n d wirksamere antileukämische Medikamente entwickeln helfen. Das Forschungsvorhaben gilt u. a. der Frage, warum Lymphozyten, die im Kulturmedium durch leukämieauslösende Viren (nicht-transformierende Retroviren) nicht infiziert werden können (und sich damit nicht maligne verändern), im Tier infiziert werden und sich in Leukämiezellen umwandeln. Es ist bekannt, daß die Transformation einer gesunden Zelle in eine leukämische Zelle ein relativ seltenes Ereignis ist. Außerdem scheinen im Körper verteilte Zellen von einer einzigen transformierten Zelle abzustammen. Es soll untersucht werden, ob nur eine einzige Zelle in eine leukämische Zelle umgewandelt wurde 175

Austausch in Kunst und Wissenschaft oder ob m e h r e r e Zellen transformiert wurden u n d von diesen n u r eine Zelle selektioniert wurde. Falls bei d e r Entwicklung einer Leukämie die Selektion einer aktiven malignen Zelle eine Rolle spielt, soll d e r Auswahlmechanismus geklärt werden. Das Immunsystem bildet die Hauptabwehr gegen F r e m d k ö r p e r u n d wahrscheinlich auch gegen Krebszellen. Es soll erforscht werden, wie maligne Zellen dem Immunsystem entgehen können. Die bisherigen Ergebnisse sind folgende: Im Gegensatz zur bisher üblichen Meinung, daß Leukämien aus homogenen Zellpopulationen bestehen, die aus den gleichen transformierten Zellen stammen, wurden heterogene Populationen von transformierten Zellen g e f u n d e n . Es dominiert jedoch ein Klon. Weiter zeigt sich, daß leukämische Zellen die Aktivität von Effektorzellen h e m m e n , deren Aufgabe es ist, Tumorzellen zu zerstören, und d a ß es zwischen d e r Virusinfektion des Tieres u n d d e r Manifestation der Leukämie zu einer vermehrten Produktion eines Lymphozytenstoffes kommt, der die Funktion dieser physiologischen Killerzellen beeinträchtigt (Interleukin 3). A u ß e r d e m wird die Produktion eines a n d e r e n löslichen Lymphozytenstoffes gehemmt, der f ü r die normale Immunantwort von essentieller Bedeutung ist (Interleukin 2). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Infektion des Körpers mit leukämieauslösenden Viren zu einer Transformation zahlreicher Zellen f ü h r t . Einer der leukämischen Klone wird selektioniert, während die restlichen transformierten Zellen als Minderheitenpopulation vorliegen. Als Folge von Wechselwirkungen zwischen d e n Viren u n d d e m Immunsystem kommt es gleichzeitig zu starken V e r ä n d e r u n g e n bei d e r Produktion von Wachstums- u n d Differenzierungsfaktoren in den Lymphozyten. Dies f ü h r t zu einer Reaktionsunfähigkeit des Immunsystems. Es sollen n u n die Eigenschaften leukämischer Zellen untersucht werden, u n d es soll geklärt werden, w a r u m ein bestimmter Klon transformiert u n d selektioniert wird u n d sich damit zur dominanten Zellreihe im T u m o r g e w e b e entwickelt. Weiterhin soll erforscht werden, wodurch es zu einer gestörten Sekretion von Wachstumsfaktoren aus den Lymphozyten kommt. Versteht man diese Phänomene, können wahrscheinlich auch erfolgreichere Behandlungsschemata f ü r leukämische Patienten entwickelt werden. In der großen Liste d e r Forschungsstipendien, die die Fritz-Thyssen-Stiftung im Bericht des Jahrganges 1986/87 benannt hat, findet sich auch: Dr. J. Braun: „Unabhängigkeit paralleler u n d serieller Abläufe in einfachen Sehvorgängen" (Rehovot/Israel). Insgesamt sind in diesem Bereich von der Fritz-Thyssen-Stiftung 42 Forschungsprojekte vergeben worden. Im Bereich d e r Philosophie u n d Wissenschaftstheorien sind 22 Forschungsstipendien von d e r Fritz-Thyssen-Stiftung vergeben worden.

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30 Die Zusammenarbeit der Fritz-Thyssen-Stiftung mit Israel Der Bereich Religionswissenschaften und Theologie nennt im Jahresbericht 1986/87 zwei Stipendien. In Geschichtswissenschaft und Archäologie sind insgesamt 27 Forschungsstipendien vergeben worden. In diesem Bereich ist mit Israel unter der Arbeit von Prof. Y.Jelinek das folgende Thema genannt: „To Live with the Past and to See the Future: Israeli-German Relations 1945—1965".

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31

Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel

Die Daimler-Benz AG in Stuttgart hat in kontinuierlicher und leiser Form die wissenschaftliche Arbeit in Israel auf den verschiedensten Gebieten regelmäßig und mit größeren Beträgen unterstützt. Diese Beträge und ihre Empfänger sollen hier dargelegt werden. Sie zeigen, wie hier in diesem riesigen Konzern Forschungsvorhaben im jüdischen Staat unterstützt wurden.

31.1

Zusammenstellung 1973-1987

der geförderten wissenschaftlichen

Projekte

1982 DM 10.000,—für Heinz-Herbert-Karry-Jugendzentrum Jerusalem (Begegnungsstätte für jüdische und arabische Jugendliche) Universitäten:

Tel-Aviv

Haifa

1973 1974 1975 1977 1978 1982 1983 1984

DM50.000,DM 25.000,DM 25.000,DM 20.000,DM 10.000,DM 10.000,DM 10.000,DM 10.000,-

Stifterverband Stifterverband

1978 1979 1981 1982 1984 1985

DM DM DM DM DM DM

für arab.-jüd. Zentrum

10.000,5.000,15.000,10.000,10.000,10.000,-

Ben Gurio

1979 DM 10.000-

Bar-Ilan

1976 1977 1978 1979 1980

178

DM DM DM DM DM

10.000,10.000,10.000,10.000,10.000,-

Stifterverband

Stifterverband

Prof. Breuer Sonderkonto Stifterverband dto. Stifterverband Stifterverband

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel

Jerusalem

1981 1982 1983 1984

DM 10.000,DM 10.000,DM 10.000,DM 10.000,-

Stifterverband Stifterverband Stifterverband Stifterverband

1960 1977 1980 1983 1985

DM DM DM DM DM

anl. 70. Geburtstag Hesselbach

5.000,10.000,5.000,5.000,5.000,-

Jerusalem-Foundation Deutschland 1981 DM 100.000,— Arabisches Gesundheitszentrum in Jerusalem 1985 DM 70.882,50 dto. = $ 25.000 ansonsten noch kleinere Beträge zwischen DM 200,— und DM 1.000,— für verschiedene jüdische Einrichtungen in Deutschland Weizmann-Institut (Sonderkonto beim Stifterverband) 1984 DM 250.000,- für Projekt Energieforschung 1985 DM 250.000,— für Projekt „thermische Solarenergienutzung" 1986 DM 50.000,— für Intern. Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz 1987 DM 457.000,- für Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhl

31.2

Konzertreise des Bundesjugendorchester

1986 nach Israel

Die Daimler-Benz AG Finanziert schon seit einigen Jahren pro Jahr jeweils eine Arbeitsphase des Bundesjugendorchesters. Im Rahmen einer dieser Arbeitsphasen ermöglichte die Daimler-Benz AG dem Orchester vom 23.8. bis zum 4.9.1986 eine Konzerttournee nach Israel. Die 120 Orchestermitglieder traten unter der Leitung des Dirigenten Bertini im Kibbuz Dorot, Kibbuz Ein-Hashotet und in Tel Aviv in der Henry Cron-Halle auf. Das Programm setzte sich aus Strawinskys „Feuervogel" und der „Phantastique" von Berlioz zusammen.

Es war ein gewaltiger Erfolg, den die über hundertjungen deutschen Musiker bei vier großen Konzerten in Israel verzeichnen konnten. Die Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Prof. Dr. Süßmuth, hatte eine einwöchige Reise nach Israel so eingerichtet, daß es ihr möglich war, die Konzerte und den großen Erfolg mitzuerleben. 179

31.2.1 Ein Gespräch mit Rita Süßmuth Frage: Frau Ministerin, Sie waren zu einer einwöchigen Reise in Israel. Das wichtigste war wohl auch für Sie das Auftreten des Bundesjugendorchesters. Eine israelische Zeitung schrieb, dieses Orchester sei der „Mercedes" unter den Jugendorchestern. Ein wichtiger Punkt: Daimler-Benz hat das Bundesjugendorchester mitfinanziert, hat ein Drittel der Reisekosten von 300.000,— DM übernommen. Das Auftreten muß wohl sehr gut gewesen sein. Antwort: Das war in der Tat so, wobei die Frage Mercedes dabei keine Rolle spielte. Wir sind froh, daß sie mit zu den Sponsoren gehören, wie andere auch. Die Musik ist nach wie vor das beste Bindeglied zwischen den Völkern. In Jerusalem war es tatsächlich ein Erlebnis, was auf Orchester und Publikum übergesprungen ist. In der Bundesrepublik würde sich ein Orchester j a feiern lassen, aber das Orchester feierte den Dirigenten, feierte den Solisten und diese Begeisterung war wechselseitig so groß, daß ich mir nur wünschen könnte, solche Orchester wären häufiger in Israel. Man muß allerdings sehen, daß es j e nach Ort auch eine andere Gruppe einsetzen muß, also das Bundesjugendorchester etwa im Kibbuz ist dort weniger gut plaziert als etwa in der Musikhalle in Jerusalem. Frage: Wie war die Stimmung unter den offiziellen Gästen. Chaim Herzog, der Staatspräsident, Yitzhak Navon, der frühere Staatspräsident, Ihnen gegenüber. Antwort: Die Stimmung war mehr als gut. Sie war eine sehr herzliche und einladende, so daß uns neben dem Formellen das Informelle gerade auch mit dem ehemaligen Staatspräsidenten einen erheblichen Anteil hatte und wir voneinander mit Einladungen geschieden sind. Herr Gur kommt im Oktober, Herr Navon wird im nächsten J a h r kommen, so daß wir positiv weiterarbeiten können. Die Beziehungen sind gut und geprägt nicht durch Belastungen, sondern durch Gemeinsamkeit. Frage: Ist schon ein Termin festgesetzt worden für den Besuch von Staatspräsident Chaim Herzog in Bonn? Antwort: Nein, er ist noch nicht festgelegt worden. Frage: Aber er ist weiterhin in der Planung. Antwort: Er ist weiterhin in der Planung. Festgelegt sind die beiden erstgenannten. Von Daimler-Benz in Stuttgart war der Direktor für Öffentlichkeit, Dr. Bernd Gottschalk, nach Israel gereist, wo er bei einem Empfang, den die Daimler-Benz AG gemeinsam mit ihrer israelischen Vertragsniederlassung gab, eine Ansprache hielt. Dr. Gottschalk sagte dabei: „Es ist mir eine große Freude und Ehre, Sie im Namen der Daimler-Benz AG, für die ich als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit sprechen darf und im Namen der Generalvertretung C O L M O B I L in Tel Aviv anläßlich der Konzertreise des Bundesjugendorchesters willkommen zu heißen. Ich glaube, wir stehen noch alle unter dem Eindruck dieses schönen Konzer180

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel

tes, so daß ich mich auf einige kurze Begrüßungsworte konzentrieren möchte. Das Bundesjugendorchester und unser Unternehmen sind seit geraumer Zeit eine—wie ich meine — gute und erfolgreiche Partnerschaft eingegangen. Das vom Bundesministerium f ü r Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und dem Westdeutschen R u n d f u n k sowie der Daimler-Benz AG geförderte Bundesjugendorchester gastiert erstmals während einer Konzertreise hier in Israel. Diesen Schritt, den wir sehr begrüßen, haben wir gerne gefördert, um damit jungen deutschen Musikern die Chance zu geben, als kulturelle Botschafter unseres Landes wirken und Israel kennenlernen zu können. Wir hoffen, daß mit dieser Reise die kulturellen Bindungen und Verbindungen noch enger geknüpft werden können, auch z. B. zur jungen Israelischen Philharmonie. Manche von Ihnen werden sich fragen, warum sich ein Automobilunternehmen d e r Kulturförderung verpflichtet fühlt, ob es nicht richtiger sei, sich ausschließlich den Aufgaben von Produktion und Vertrieb zu widmen. So wichtig dies auch f ü r die wirtschaftliche Existenz unseres Unternehmens ist, so sehr sind wir doch aus einer gesellschaftspolitischen Verantwortung heraus verpflichtet, uns wichtigen kulturellen Anliegen zu widmen. Wir haben uns entschlossen, dies kontinuierlich zu tun und sind glücklich, daß die Zusammenarbeit mit dem Bundesjugendorchester gerade auf dieser Israel-Reise einen so erfreulichen Niederschlag findet. Wir haben den Wunsch, daß die fruchtbare Zusammenarbeit noch lange besteht und vielen Menschen und Ländern durch engagierte Musiker große Freude bereitet werden kann. Ich danke Ihnen f ü r Ihre Aufmerksamkeit und bin sicher, daß das Bundesjugendorchester auch morgen in Jerusalem den Zuhörern einen schönen Abend bereiten wird."

31.2.2 Ein Gespräch mit Dr. Gottschalk von Daimler-Benz Auch mit dem Leiter der Abteilung „Öffentlichkeitsarbeit" von Daimler- Benz in Stuttgart konnte ich nach seiner Rückkehr ein Gespräch über seine Eindrücke bei d e r Reise führen: Frage: Herr Dr. Gottschalk, das Bundesjugendorchester war zum ersten Male in Israel. Eine Zeitung schrieb, dieses Jugendorchester sei der „Mercedes" unter den Jugendorchestern der Welt. Ich glaube, eine interessante Bemerkung, wenn man bedenkt, daß Ihr Haus viel dazu beigetragen hat, daß dadurch allein vom Finanziellen her diese Reise möglich wurde. Hundert j u n g e Musiker mit Instrumenten und allem möglichen Troß nach Israel, das kostete eben mindestens 300.000,— DM. Da hat Ihr Haus ein Drittel dazugegeben. Wie sehen Sie, nachdem Sie zurückgekommen sind, diese Reise? Antwort: Ich glaube, zunächst einmal können wir alle glücklich sein, daß diese Reise stattgefunden hat. Es ist eine Reise gewesen, die junge begeisterte deutsche Musiker nach Israel gebracht hat u n d dort hat dieses Orchester sozusagen als kultureller Botschafter fungiert. Das diente nicht n u r der Musik, sondern ich möchte sagen auch in politischer Hinsicht. Dieser Gedankenaustausch zwischen den 181

Austausch, in Kunst und Wissenschaft j u n g e n Leuten war ganz wichtig, das haben wir bei allen politischen Gesprächen, die wir dort drüben geführt haben, gemerkt u n d insofern sind wir auch, ist unser Unternehmen froh, daß es ein wenig ganz bescheiden beitragen konnte, daß diese Reise stattfinden konnte. Frage: Haben die jungen Leute die politische Hintergrundsituation von Israel begriffen? Sie waren auch in Yad Vashem? Antwort: Ja, das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Zunächst einmal haben zwei Konzerte in den Kibbuzim stattgefunden, in Dorot u n d in Ein-Hashotet. Und ich glaube, auch dort sind sie zunächst einmal mit Menschen in Berühr u n g gekommen, haben Gespräche geführt u n d haben verstanden, daß dieses Land eine andere Geschichte hat, daß dieses Land auch unter anderen Bedingungen existiert als wir. Im Verlauf dieser Reise sind natürlich auch eine Reihe von Erlebnissen auf die j u n g e n Menschen zugekommen, darunter auch politische, aber ich glaube, es wäre zuviel gesagt, daß man auf einer solchen Reise die ganze Problematik verstehen kann. Vielleicht ist dies auch ein Hinweis an die Politik und auch an mögliche Sponsoren, hier nicht stehenzubleiben, sondern vielleicht einmal zu einem Austauschprogramm zu kommen, z. B. daß man die junge israelische Philharmonie nach Deutschland einlädt und vielleicht auch einmal ein zweites Konzert ins Auge faßt. Frage: Haben die jungen Leute von dem israelischen philharmonischen Orchester mit Mitgliedern im persönlichen Gespräch gesprochen? Da gibt es ja eine Reihe von Mitgliedern, die aus Deutschland kommen oder aus deutschsprachigen Ländern? Antwort: Natürlich hat es solche Kontakte gegeben, aber im Vordergrund stand natürlich das Bemühen, daß dieses Orchester sich einmal so präsentieren wollte, wie es seine eigene Aufgabe versteht, nämlich als ein junges aber von durchaus Elitebewußtsein gekennzeichnetes Orchester und natürlich haben auch der Chefdirigent Bertini und auch der junge israelische Solist Gil Shaham dazu beigetragen, daß sich dieses Orchester herausgefordert gefühlt hat. Das hat man auch bei allen Konzerten gemerkt. Aber danach haben eben auch Empfänge stattgef u n d e n und die haben die Plattform abgegeben für Kontakte und f ü r Gespräche mit jungen Israelis und natürlich auch mit Politikern. Frage: Frau Ministerin Süßmuth war in Israel u n d hat vor allen Dingen mit dem Kultusminister und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Yitzhak Navon Kontakte gehabt, und auch Staatspräsident Chaim Herzog, der Nachfolger von Navon im Amt, war im Konzert. Wie waren diese Kontakte und Gespräche? Antwort: Dem Konzert ging Rede voran und ich muß sagen, ich bin froh und glücklich, daß dies auch so stattgefunden hat. Es ist ja auch original dort übertragen worden, wie übrigens sämtliche Konzerte, was sehr erfreulich war. Frau Ministerin Süßmuth hat sehr deutlich auch die Probleme angesprochen, hat nichts verheimlicht, und das fiel bei den israelischen Politikern auf sehr fruchtbaren Boden. Man hat gespürt, daß ein sehr freundliches Klima geherrscht hat. Man hat d e n Eindruck erweckt, daß wir willkommene Partner waren, aber man hat deutlich gesagt, daß nichts verschwiegen werden soll aus der Geschichte, 182

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel man hat ebenso deutlich gemacht, daß dieses ein richtiger Weg ist, u m die Politik der Zukunft zu bestimmen. Frage: Herr Dr. Gottschalk, das Thema, nationalsozialistische Vergangenheit, Ermordung von Millionen von Juden, das bleibt ja in Israel ein Thema, das können wir ja auch nicht wegwischen. Wie haben die Israelis reagiert, als diejungen Leute aus Deutschland Yad Vashem besucht haben, die Gedenkstätte, und auch in der Allee der Gerechten die vielen Bäume und Steine gesehen haben, wo deutsche Judenretter verzeichnet sind? Antwort: Sicher haben diese Ereignisse alle einen tiefen und nachhaltigen Eindruck — einmal auf die jungen Musiker - gemacht und ich bin sicher, daß auch der Besuch des Bundesjugendorchesters bei den Israelis einen Eindruck hinterlassen hat. Man wird nicht sagen können, daß man die Ereignisse und Erlebnisse in einer relativ doch kurzen Reise auch schnell verdauen und auch politisch auswerten kann. Ich glaube, dies ist ein langwieriger Prozeß. Aber es hat uns doch gezeigt, daß es ein wirksamer und richtiger Prozeß ist und ich glaube, daß die Musik hier auch ein guter Botschafter oder man sollte auch sagen ein guter Katalysator war. Frage: Herr Dr. Gottschalk, wenn Sie diese erste Stufe des ständigen Kontaktes jetzt genommen haben, wie würde sich das ermöglichen lassen, daß diejungen israelischen Musiker aus Tel Aviv hierher kommen? Antwort: Ich habe noch am Abend nach dem Konzert, das wie gesagt ein ganz großer Erfolg war, mit Frau Ministerin Süßmuth gesprochen und habe die Anregung an Sie herangetragen, daß man diejungen israelischen Philharmoniker einladen sollte. Sie hat sich spontan positiv geäußert und hat uns als Sponsoren oder Förderer aufgefordert, rasch die Dinge einmal zu klären, etliche Gespräche einzuleiten. Sie hat dann gebeten, daß wir uns mit dem Ministerium ins Benehmen setzen, um hier die Voraussetzungen zu schaffen. Ich glaube, wenn wir auch an diesen Abend des letzten Konzertes in Jerusalem denken, ist allen klar geworden, daß es wichtig ist, so einen Austausch zu pflegen. Natürlich gab es einige ganz wenige, die auch als Demonstranten vor dem Konzert aufmerksam gemacht haben auf das schreckliche Unglück, das auf die J u d e n gekommen ist. Auf der anderen Seite haben uns alle gesagt, daß man dies durchaus nicht überbewerten sollte, denn hier wurden insgesamt in der Reise eigentlich mehr positive Zeichen f ü r die Zukunft gesetzt. Ich meine, daß ein Austausch, ein ständiger Austausch durchaus richtig wäre, insbesondere bei den Jugendlichen, die wir vertraut machen müssen, mit dem was geschehen ist, weil sie die Zeit nicht mehr unmittelbar miterlebt haben. Zum anderen aber auch müssen wir ihnen den Weg weisen, wie ein vernünftiges Miteinander dieser beiden Staaten machbar ist.

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31.3

Der Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhl an der Universität

Haifa

Im 30. Stock des Levy-Eshkol-Towers fand am 28. September 1987 eine bedeutende Feierstunde statt.Der Lehrstuhl auf den N a m e n Gottlieb Schumacher zur Erforschung des Wiederaufbaus Palästinas im 19. J a h r h u n d e r t , mit d e m Schwerp u n k t auf d e m christlichen Beitrag zur Zeit Schumachers (1857 bis 1925), war ein bedeutendes Ereignis. Die Daimler-Benz AG in Stuttgart hatte zur Errichtung dieses Forschungsinstituts eine Spende von 250.000 Dollar an die Universität in Haifa übergeben. Dr. Bernd Gottschalk, d e r Public-Relations-Chef d e r DaimlerBenz AG, hielt aus diesem Anlaß eine Rede, in die er einen reizenden Versprecher eingebaut hatte. Er sagte einmal „Gottlieb Daimler" anstatt Gottlieb Schumacher. Die Universität von Haifa hatte eine kurze Darstellung dieses Instituts gegeben: „Am Montag, d e m 28. September 1987, fand an d e r Universität Haifa die feierliche Einweihung des ,Gottlieb-Schumacher-Instituts' zur Erforschung des christlichen Beitrags zum Wiederaufbau Palästinas im 19. J a h r h u n d e r t statt. An den Feierlichkeiten n a h m e n u. a. teil: H e r r Mosche Schachal, Minister f ü r Energie u n d Infrastruktur, H e r r Wilhelm Haas, Botschafter d e r Bundesrepublik Deutschland u n d Mitglieder d e r Leitung der Daimler-Benz AG, Stuttgart, die die Errichtung des Instituts ermöglichte. Das neue Institut wird sich mit einem weiten Spektrum von Aktivitäten d e r christlichen Welt im Palästina des 19. J a h r h u n d e r t s befassen, insbesondere mit d e m Beitrag d e r Deutschen, Engländer, Franzosen, Russen, Österreicher, Italiener, Amerikaner, Schweden und Schweizer zur Entwicklung Palästinas. Das Institut wird von d e m Historiker Prof. Alex Carmel geleitet werden. Die Errichtung des Instituts ist ein weiterer Schritt zur Konsolidierung d e r Universität Haifa als internationales Forschungszentrum im Bereich d e r Geschichte des Landes Israel." Am 22. September 1987 richtete Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine Glückwunschadresse an d e n Präsidenten d e r Universität Haifa, H e r r n Ephraim, Evron. Diese Gratulation hatte folgenden Wortlaut: „Sehr geehrter H e r r Präsident, zur Einweihung des Gottlieb-Schumacher-Instituts u n d Lehrstuhls zur E r f o r s c h u n g des christlichen Beitrags zum A u f b a u Palästinas im 19. J a h r h u n d e r t möchte ich Ihnen u n d d e r Universität meine besten Wünsche übermitteln. Haifa ist eine Stadt, deren Beziehungen zu unserem Land eine lange Tradition haben. Mit Dankbarkeit erinnere ich mich an meinen Besuch u n d besonders an die Begegnung mit ehemaligen Mitbürgern, die d e r Barbarei entkommen konnten u n d in Haifa Zuflucht f a n d e n . Mit bewegender Dankbarkeit habe ich aber auch e r f a h r e n dürfen, d a ß es wieder starke menschliche Bindungen zwischen Haifa und Deutschland gibt. Hiervon zeugt auch die enge menschliche u n d wissenschaftliche Zusammenarbeit d e r Universität Haifa mit deutschen Wissenschaftlern und Universitäten. 184

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel Die Errichtung des Gottlieb-Schumacher-Instituts und Lehrstuhls betrachte ich als eine Ermutigung f ü r die Zukunft, auf diesem eingeschlagenen Weg der Verständigung und der vertrauensvollen Zusammenarbeit weiterzugehen. Ihnen, Herr Präsident, der Universität Haifa und allen ihren Angehörigen sende ich meine herzlichen Grüße."

31.3.1 Historischer Hintergrund Anno 1841 — Palästina war noch eine der vernachlässigsten Provinzen des sich im Verfallen befindenden Osmanischen Reiches — initiierte König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die G r ü n d u n g eines protestantisch-anglikanischen Bistums in Jerusalem. Das christliche Europa war in der damaligen Zeit lediglich durch eine Handvoll griechischer und katholischer Mönche an den Heiligen Stätten vertreten. Die protestantische Kirche war im Orient weder vorhanden noch von der türkischen Regierung als Religionsgemeinschaft anerkannt. Gemeinsam mit der englischen Schwesterkirche setzte Preußens gläubiger König seine Initiative in Konstantinopel durch. Im J a n u a r 1842 zog der erste anglikanische Bischof, der aus Posen stammende getaufte J u d e M. S. Alexander, in Jerusalem ein. Ihm folgte 1846 (bis 1879) der Schweizer Samuel Gobat. Damit war das englisch-preußische Bistum etabliert, und im J a h r e 1849 konnte die „Christ Church" in Jerusalem schließlich als erste anglikanische Kirche im Nahen Osten eingeweiht werden. Im Sinne Englands widmete sich Bischof Alexander der Juden-Mission, einer in Jerusalem eigentlich aussichtslosen Aufgabe. Der von König Friedrich Wilhelm IV. ernannte zweite Bischof Gobat hingegen wandte sich vornehmlich und mit großem Erfolg an die arabischen Christen Palästinas. Über das ganze Land verteilt — vor allem aber in Jerusalem selbst —^wurden nun zahlreiche Einrichtungen ins Leben gerufen, z. B. Schulen wie Talitha kumi, Palästinas erstes und größtes Mädcheninternat, eine G r ü n d u n g Fliedners aus Kaiserswerth, sowie Waisenhäuser, von denen sich „Schneller" bis 1914 zur größten protestantischen Missionsanstalt im Nahen Osten entwickelte. Auch das erste moderne Leprakrankenhaus mit bedeutenden medizinischen Verdiensten, „Jesus Hilfe" in Jerusalem, war eine deutsche G r ü n d u n g ebenso wie mehrere Hospize, an ihrer Spitze sei das „Auguste Victoria" erwähnt, das prächtigste, 1910 eingeweihte Bauwerk ganz Palästinas, von der großen Vielfalt neuer Kirchen und kleinerer Wohltätigkeitsinstitutionen ganz zu schweigen. Um mit dieser umfangreichen protestantischen Tätigkeit Preußens u n d Englands (aber auch der Schweiz und Amerikas) im Heiligen Land Schritt zu halten, entfalteten dann auch die katholischen und die griechisch-orthodoxen Kirchen sowie die jüdische Welt ähnliche Aktivitäten in Palästina. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts strömten, vor allem aus Frankreich, Rußland, Österreich, Italien und dem Vatikan (aber auch aus dem katholischen Deutschland) Hunderte kirchlicher und weltlicher Beauftragter nach Palästina, u m ihr Eigeninteresse 185

Austausch in Kunst und Wissenschaft durch die Gründung zahlloser Institutionen geltend zu machen und beim Wiederaufbau des Heiligen Landes mitzuwirken. Anno 1868 begannen die württembergischen Templer mit der massiven Besiedlung Palästinas und dem Aufbau ihrer sogenannten „deutschen Kolonien". Zur Modernisierung Palästinas und seiner primitiven Landwirtschaft war dies ein Schritt von besonderer Bedeutung. Wenige Jahre später folgte die erste große jüdische Einwanderungswelle (1882), die durch ihr Ausmaß für die weitere Entwicklung Palästinas ausschlaggebend wurde. Auf diese Weise entwickelte sich das nur wenige Jahrzehnte zuvor noch besonders vernachlässigte Heilige Land allmählich zu einer der fortschrittlichsten Provinzen des türkischen Reiches und zum Brennpunkt internationalen Interesses. Die Initiative König Friedrich Wilhelms IV. zu dieser Entwicklung als auch die Pionierleistungen der christlichen Welt beim Wiederaufbau des Heiligen Landes wurden zunehmend von dem wachsenden jüdischen Einfluß in Palästina und der späteren Gründung des Staates Israel (1948) verdrängt. Der „historischen Gerechtigkeit" halber soll nun an der Universität Haifa ein Gottlieb-SchumacherLehrstuhl errichtet werden, der sich vor allem dem christlichen Beitrag zum Wiederaufbau Palästinas im 19. Jahrhundert widmen soll. Da gut die Hälfte aller in Palästina tätigen christlichen Europäer (1914 waren es bereits ca. 5.000!) deutscher und zum größten Teil schwäbischer Abstammung waren, schien es angemessen, den Lehrstuhl nach dem königl.-württembergischen Baurat Gottlieb Schumacher zu benennen. Gottlieb Schumacher (gestorben 1925 in Haifa) gilt als der bedeutendste Palästina-Deutsche des ausgehenden 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Er stammte aus einer in Tübingen altansässigen, ehrwürdigen Familie und zählt bis zum heutigen Tag zu den führendsten Palästina-Forschern und -Erbauern seiner Zeit. Sein Vater, Jakob Schumacher, 1825 in Tübingen geboren, war Mitbegründer der ersten deutschen Kolonie in Haifa (1869 — nach seinen Plänen angelegt) und Vorsteher der dortigen Templer-Gemeinde. Nach abgeschlossenem Architekturund Ingenieurstudium an der Technischen Hochschule in Stuttgart kehrte sein Sohn Gottlieb nach Haifa zurück. Er wurde von den Türken zum Bezirks-Ingenieur von Akko (damals noch Hauptstadt Nord-Palästinas) ernannt, plante Straßen, Brücken und Landungsanlagen, führte den Bau zahlreicher Wohnhäuser sowie öffentlicher Gebäude für Araber, Juden und Christen aus (u. a. den großen Rothschild'schen Weinkeller in der jüdischen Kolonie Rischon-Le-Zion, die Bauten der Schottischen Mission in Tiberius und Safed und den großen Russenbau in Nazareth) und leitete mehrere archäologische Ausgrabungen sowie die Messungen für den ersten Bahnbau im Norden Palästinas (spätere Grundlage für die Hedschasbahn). Letztere Tätigkeit führte ihn zur ersten kartographischen und topographischen Vermessung des Ostjordan-Landes, ein mit mehreren Schriften und Karten versehenes Werk von herausragender wissenschaftlicher Bedeutung. Diese Arbeit wurde im Auftrag des deutschen Palästina-Vereins ausgeführt und noch kurz vor seinem Tode veröffentlicht. 186

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel Im Rahmen des Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhls, der nach israelischem Begriff als Forschungsinstitut zu verstehen ist, soll vornehmlich der christliche Beitrag zum Wiederaufbau Palästinas in den Jahren 1799 bis 1914 erstmals systematisch untersucht werden. Durch internationale und überkonfessionelle Zusammenarbeit sollen Archivmaterialien und andere relevante Schriften — auch auf Microfilm — gesammelt und zum Studium ausgeliehen und darüber hinaus auch wissenschaftliche Tagungen abgehalten und Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Ein weiteres zu erwartendes Ergebnis des geplanten Lehrstuhls werden nützliche Hinweise sein, die zum Denkmalschutz von bedeutenden (aber oft nicht mehr bekannten) christlichen Bauten f ü h r e n können. Nach israelischem Hochschulgesetz fordert die Gründung eines Lehrstuhls den Mindestbetrag von 250.000 US-Dollar, eine Summe, die dann aus Regierungsmitteln auf das Doppelte erhöht wird. Aus den Zinsen des Grundkapitals, das von den Stiftern auch innerhalb 5 Jahre (zu j e 50.000 US-Dollar) aufgebracht werden kann, werden die Tätigkeiten des Lehrstuhls finanziert. Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker befürwortete das Vorhaben in einem Schreiben an Prof. Dr. Alex Carmel von der Universität Haifa vom 25.9.1985 wie folgt: „(...) Schon aus landsmannschaftlicher Verbundenheit habe ich das segensreiche Wirken der württembergischen Templer von ihren Anfängen im vorigen Jahrh u n d e r t an mit großer Anteilnahme verfolgt. Ich würde mich freuen, wenn es durch die Initiative der Freunde der Universität Haifa und durch Ihr eigenes persönliches Engagement gelingen würde, die Mittel zusammenzubringen, um die Errichtung des geplanten Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhls finanziell sicherzustellen." Dieser Wunsch, an einer israelischen Universität den Beitrag der Templer und selbstverständlich der gesamten christlichen Welt zum Wiederaufbau Palästinas hervorzuheben, ist in der Tat nicht nur eine wissenschaftlich notwendige Aufgabe. Es ist auch wichtig, in Israel die positiven Seiten der deutsch-jüdischen Vergangenheit in angemessener Weise zur Geltung zu bringen. Der Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhl an der Universität Haifa, die auf diesem Gebiet schon nennenswerte Vorarbeiten geleistet hat, scheint der geeignete Ort f ü r eine Aufgabe, die nicht versäumt werden sollte.

31.3.2 Die Ansprachen bei der Einweihung Aus der Ansprache des Botschafters d e r Bundesrepublik Deutschland in Israel, Herrn Dr. Wilhelm Haas: „Es tut gut, wieder in Haifa zu sein, besonders zu einem so erfreulichen Anlaß. Die Universität Haifa und besonders Prof. Alex Carmel beglückwünsche ich zur Errichtung des Gottlieb-Schumacher-Instituts. Daimler-Benz danke ich von gan187

Austausch in Kunst und Wissenschaft zem Herzen f ü r die großzügige Spende, mit der es dieses Institut ausgestattet hat. Die Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschen und J u d e n ist lang. Sie umfaßt viele dunkle Blätter, sehr dunkle Blätter. Sie kennt aber auch lichtere Seiten, und zu denen gehört der Beitrag deutscher Christen zum Aufbau und zur Entwicklung Palästinas. Es wird die Aufgabe des Gottlieb-Schumacher-Instituts sein, diese Seiten mit neuen Forschungsergebnissen zu füllen. Ich wünsche dem Institut und Prof. Axel Carmel bei dieser Aufgabe allen Erfolg." Diese Ansprache hielt Botschafter Wilhelm Haas zum erstenmal in der Öffentlichkeit in Hebräisch. Es braucht nicht betont zu werden, daß er den Beifall der Gäste in besonderer Weise d a f ü r erhielt. Bernd Gottschalk sprach anschließend für Daimler-Benz. „Gemäß d e r Einladung zu dieser Einweihungsfeier sollte jetzt H e r r Dr. Gentz, das f ü r das Personalwesen verantwortliche Vorstandsmitglied der Daimler-Benz AG, das Wort an Sie richten und Ihnen die Beweggründe unseres Unternehmens f ü r die Stiftung erläutern. Stattdessen steht d e r Leiter der Öffentlichkeitsarbeit vor Ihnen. Was ist geschehen? N u r wenige Stunden vor dem Abflug bekamen wir gestern in Stuttgart die Nachricht von unserer seit Wochen bestreikten Tochtergesellschaft in Südafrika, daß es im Laufe des nächsten Tages zu einer Eskalation kommen könne und dramatische Entwicklungen nicht auszuschließen seien. Dr. Gentz, der sich von Beginn des Streiks an u m eine Einigung u n d die Beendigung des Produktionsstillstands bemüht hat, war der Ansicht — u n d ich bin sicher, daß Sie d a f ü r Verständnis haben — daß er für d e n Fall, daß neue Entwicklungen neue Entscheidungen erforderlich machen, in der Zentrale in Stuttgart erreichbar bleiben müsse. Aus seinem Verantwortungsgefühl heraus mußte er Prioritäten setzen und beschloß, in Stuttgart zu bleiben. Ich bitte Sie um Verzeihung und um Ihr Verständnis. Sie sollten aber wissen, daß Dr. Gentz es außerordentlich bedauert hat, nicht kommen zu können, denn schließlich war e r es, der sich zusammen mit unserem Vorstandsvorsitzenden, H e r r n Reuter, persönlich stark f ü r das Projekt engagiert hat, das uns heute hier zusammengebracht hat. Deshalb hat Dr. Gentz seine Frau gebeten, sich der Daimler-Benz-Delegation anzuschließen, und ich bin sicher, daß die Anwesenheit von Frau Gentz das Engagement ihres Mannes f ü r diese Stiftung deutlich unterstreicht. Und, meine Damen und Herren, es ist mir eine große Freude, Sie im Namen von Dr. Gentz und der Daimler-Benz AG begrüßen zu dürfen. Wir sind uns sehr wohl bewußt, daß unser Unternehmen in Ihrem Land einen guten Ruf genießt, und wir haben festgestellt, daß unsere Produkte — vor allem Busse und Taxis — auf den Straßen Haifas überall präsent sind. Es ist deshalb f ü r uns alle eine besondere Freude, heute bei Ihnen sein zu dürfen, um Ihnen eine namhafte Spende unseres Hauses zu überbringen. 188

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel Als man mit dem Wunsch an uns herantrat, Daimler-Benz möge einen Beitrag zur G r ü n d u n g eines Instituts leisten, das die Rolle der christlichen Welt in der Entwicklung Palästinas im 19. J a h r h u n d e r t untersuchen soll, waren wir angenehm berührt, aber gleichzeitig auch ein wenig skeptisch. Wir waren skeptisch a u f g r u n d der jahrhundertelangen Verständigungsschwierigkeiten zwischen der jüdischen und der christlichen Religion, die, so bleibt zu hoffen, durch die Erforschung ihrer Ursprünge und Traditionen zu einem besseren und tieferen gegenseitigen Verständnis gelangen werden. Und wir waren, um ehrlich zu sein, skeptisch aufgrund unseres Wissens über die Rolle der Templergesellschaft im späteren Verlauf der Geschichte. Was nun brachte uns dazu, J a zu sagen? Ganz einfach: Sie müssen nur einmal Professor Carmel zuhören und seinen Ansatz zur Geschichte kennenlernen. Der wissenschaftliche Ansatz ist in der Tat hochinteressant, zeigt er doch die frühen Beziehungen zwischen Württemberg und Palästina auf. Dieses Projekt macht deutlich, daß die Menschen heute bereit und in der Lage sind, auch über problematische Religionsgrenzen hinweg zu tolerieren, daß sie sich wechselseitig beeinflußt haben. Wir waren davon beeindruckt, daß man bereit ist, diese Einflüsse sogar zu dokumentieren und d a f ü r eine neue Forschungsstätte einzurichten. Und ganz abgesehen davon ist es ein Beispiel guter Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik — wie Sie wissen, finanziert das Land Baden-Württemberg den Lehrstuhl. Ihr Land, das heutige Israel, hat eine alte und zugleich moderne Geschichte. Seine Religion, die Herkunft und das Leiden seines Volkes u n d die Geschichte des Landes Palästina sind so eng miteinander verknüpft, daß keiner dieser drei Einflüsse bei einem Rückblick auf die Wurzeln dessen, was heute Politik ist und morgen Geschichte sein wird, außer acht gelassen werden darf. Wir glauben, Professor Carmel, daß dies einer der Hauptgründe f ü r Ihre Entscheidung ist, diese wichtige Periode in der jüngeren Geschichte Palästinas zum T h e m a Ihrer Forschungsarbeit zu machen. Wenn es in der Geschichte Zufälle gibt, dann will es dieser Zufall, daß gerade in dieser Zeit des 19. J a h r h u n d e r t s u n d vor allen in dessen zweiter Hälfte württembergische Christen sich aufmachten, um Palästina zu besiedeln. Wir wissen dank Ihrer Arbeit, daß religiöse Vorstellungen die wesentliche Triebfeder dieser Siedler waren. Sie haben auch dargestellt, wie die Verhältnisse unter schwierigen klimatischen Bedingungen dazu geführt haben, daß viele dieser Siedler sehr realistisch an die ihnen gestellten Aufgaben herangegangen sind. Wir wissen auch von Ihnen, daß sich das Wirken dieser Menschen auf das damalige Palästina segensreich auswirkte, auf die Infrastruktur, auf die Landwirtschaft, aber auch auf Handel und Verkehr. Vieles aber muß noch gründlicher erforscht werden - insbesondere das Zusammenwirken mit Menschen anderer Nationen und mit den J u d e n , die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus allen Teilen der Welt nach Palästina kamen, um sich im Land ihrer Väter niederzulassen. Meine Damen u n d Herren, lassen Sie mich nun zum eigentlichen Anlaß unserer heutigen Zusammenkunft zurückkommen. Es ist mir eine große Freude, 189

Austausch in Kunst und Wissenschaft Ihnen eine Spende der Daimler-Benz AG f ü r das neu gegründete Gottlieb-Schumacher-Institut überbringen zu können. Ich glaube, daß die Benennung Ihres Instituts nach Gottlieb Schumacher eine würdige E h r u n g des Mannes ist, der in dem politischen Klima des ausgehenden 19. Jahrhunderts in der Lage war, über Nationalitäts- und Religionsgrenzen hinweg zu denken. Wir betrachten unsere Spende nicht n u r als einen Teil unseres Programms zur Förderung von Forschung und Wissenschaft, sondern vielmehr auch als einen Ausdruck unserer Verbundenheit mit Ihrem Land. Dabei hoffen wir, daß die Arbeit des Instituts vor allem auch jungen Wissenschaftlern und Studenten die Möglichkeit gibt, in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen, um dort nicht nur ihrer Forschungsarbeit nachzugehen, sondern auch, um Land und Leute kennenzulernen. Ich weiß, daß Sie, Herr Professor Carmel, oft in Deutschland und insbesondere in Württemberg u n d Stuttgart waren u n d bin sicher, daß Sie Ihre Studenten ebenfalls in all die europäischen Gegenden schicken werden, von denen aus Menschen nach Palästina in einer Zeit ausgewandert sind, der sie so viel Ihrer Energie gewidmet haben. Herr Professor Carmel, darf ich ganz besonders Ihnen viel Erfolg f ü r Ihre weitere Forschungsarbeit an diesem Institut wünschen u n d der H o f f n u n g Ausdruck geben, daß die Ergebnisse Ihrer Arbeit einen Beitrag zur Verständigung unserer Völker und zur Verständigung zwischen J u d e n und Christen leisten werden." Der baden-württembergische Minister f ü r Forschung, Prof. Helmut Engler, hielt bei diesem Festakt ebenfalls eine Ansprache, die hier wiedergegeben werden soll: „Dieser Tag markiert f ü r die Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg mit Israel im Hochschulbereich ein bedeutendes Datum. Als Minister f ü r Wissenschaft und Kunst und ehemaliger Rektor der Universität Freiburg bin ich besonders glücklich, an der heutigen Feier teilnehmen und dem Präsidenten der Universität Haifa, H e r r n Evron, und dem Inhaber des neuen Gottlieb-SchumacherLehrstuhls, H e r r n Professor Carmel, meine persönlichen Glückwünsche aussprechen zu können. Es ist dies mein zweiter Besuch in Israel, nachdem ich im März 1985 der Unterzeichnung einer Hochschulpartnerschaftsvereinbarung zwischen der Hebrew University of Jerusalem und der Hochschule f ü r jüdische Studien in Heidelberg beiwohnen konnte. Mit großer Genugtuung beobachte ich die positive Entwicklung in Richtung auf eine engere, fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Hochschulen in Baden-Württemberg und Israel. Neben der wissenschaftlichen Kooperation im Rahmen der gegenwärtig acht formell abgeschlossenen Hochschulpartnerschaften besteht eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen beider Seiten in zahlreichen Disziplinen, an der auf baden-württembergischer Seite alle neun Landesuniversitäten von Freiburg bis Ulm sowie die Pädagogische Hochschule Heidelberg und die Fachhochschule Karlsruhe beteiligt sind. Meist geht es bei dieser Zusammenarbeit um den Austausch von Wissenschaftlern, doch hat die Kooperation in einigen Bereichen auch schon zur Bearbeitung gemeinsamer Forschungsprojekte geführt, an denen ein gemeinsames Interesse besteht. 190

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel

Aus der zunehmenden Zahl der Kooperationsvorhaben ergeben sich auch immer mehr Begegnungen von Wissenschaftlern und Studenten beider Seiten. Über die letzten Jahre hinweg registrieren wir eine Zunahme von israelischen Staatsangehörigen, die an den baden-württembergischen Hochschulen als Doktoranden oder Studenten eingeschrieben sind. Wissenschaftliche Exkursionen tragen dazu bei, Fachfragen zu diskutieren und menschliche Begegnungen herbeizuführen. Ganz selbstverständlich sind solche Begegnungen nicht. Die Bundesrepublik Deutschland ist heute ein demokratischer, freiheitlicher und sozialer Rechtsstaat. Dennoch sind wir uns bewußt, daß die Zusammenarbeit mit Israel eine andere Qualität besitzt als diejenige zwischen dem deutschen Volk und anderen Völkern, mit denen wir uns gleichfalls freundschaftlich verbunden und denselben Werten verpflichtet wissen. Wir als Deutsche müssen uns vor Augen halten, daß kein Israeli je einem Deutschen begegnen wird, ohne sich des Leidenswegs der Juden unter dem Nationalsozialismus zu erinnern, gleich welcher Generation er angehören mag, und daß es auf der israelischen Seite kein Vergessen geben kann. Wir Deutsche andererseits dürfen nicht verdrängen, welches Unheil in deutschem Namen über die Völker, und insbesondere über das jüdische Volk, gebracht wurde. Israelis und Deutsche werden, wie der Präsident des Staates Israel, Chaim Herzog, anläßlich des Staatsempfangs am 6. April 1987 in Bonn sagte, ,die Erben der Vergangenheit bleiben' — oder, um es mit den Worten von Bundespräsident von Weizsäcker zu sagen, ,der Holocaust ist ein Ereignis in der Geschichte, das die Identität der Juden und der Deutschen beeinflußt hat und immer beeinflussen wird'. Aber wir sind es denjenigen, die nach uns kommen, auch schuldig, in die Zukunft zu blicken. Wir müssen uns im Bewußtsein um die leidvolle Vergangenheit bemühen, eine bessere Zukunft zu gestalten. Der Bereich von Forschung, Wissenschaft und Kunst, den ich vertrete, kann hierzu nur einen Beitrag unter vielen anderen wichtigen Bereichen leisten. Ich sehe jedoch eine meiner Aufgaben darin, die akademische Jugend zu bestärken, durch Begegnungen mit Israelis und Studienaufenthalten in Israel auf diese bessere Zukunft hinzuarbeiten im Geiste der Toleranz, des Friedens und der Freiheit. Es gehört zu den Herausforderungen der jungen Generation unserer Länder, an die fruchtbaren Perioden der deutsch-jüdischen Geschichte wieder anzuknüpfen. Unvergessen ist bei uns, daß über Jahrhunderte hinweg Juden zur Kultur und Geschichte Deutschlands entscheidende Beiträge erbracht haben. Voraussetzung hierfür ist eine Bereitschaft zur Versöhnung, eine Versöhnung in Erinnerung. Daß eine solche Bereitschaft vorhanden ist, bezeugt der mutige Beschluß der Universität Haifa, den Lehrstuhl für die Erforschung der Geschichte Palästinas im 19. Jahrhundert nach Gottlieb Schumacher aus der Gemeinde der Templer zu benennen, obwohl bei allem Respekt vor deren Aufbauleistungen ein guter Teil ihrer Nachkommen sich dem Wahn des Nationalsozialismus angeschlossen hatte. Unter Beweis gestellt wird diese Bereitschaft aber auch durch die Vielzahl 191

Austausch in Kunst und Wissenschaft deutsch-israelischer Begegnungen, die seit A u f n a h m e d e r diplomatischen Bezieh u n g e n zwischen d e m Staat Israel u n d d e r Bundesrepublik Deutschland möglich w u r d e n u n d d u r c h die neue, wenn vielleicht auch noch schmale, so doch tragfähige Brücken entstanden sind u n d weiter entstehen u n d an Stärke z u n e h m e n werden. Dankbar b e g r ü ß e ich insbesondere d e n Beitrag vieler Menschen guten Willens hierzu, u n d mein besonderer Dank gilt den zahlreichen ehemaligen jüdischen Mitbürgern aus Deutschland, die die Verbesserung der Zusammenarbeit ideell oder f ö r d e r n d unterstützen. Erst vor k n a p p einem Monat, a m 30. September 1987, f a n d e n z. B. in Konstanz die Gründungsversammlung eines ,Förderkreises f ü r die Zusammenarbeit zwischen d e n Universitäten Konstanz u n d Tel Aviv', d e m n a m h a f t e Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft u n d Wirtschaft angehören, u n d gleichzeitig die G r ü n d u n g d e r Lion Foundation statt, die auf Kurt Lion aus Kreuzlingen in d e r Schweiz u n d seine F r e u n d e zurückgeht. Die Mittel, die d e r Förderkreis u n d die Lion Foundation zur V e r f ü g u n g stellen, sind insbesondere f ü r d e n Austausch von Postdoktoranden, Doktoranden und Studenten zwischen Konstanz u n d Israel bestimmt, u m die bestehenden Verbindungen zu intensivieren u n d auf weitere Fächer auszuweiten mit dem Ziel, einen wichtigen Beitrag zum Nutzen beider Länder u n d zum Verständnis ihrer Menschen zu leisten. Hätte Theodor Herd bei seiner Audienz am 2. September 1898 bei Friedrich I., d e m liberalen Großherzog von Baden, auf d e r Insel Mainau wohl a h n e n können, daß in unmittelbarer Nachbarschaft die Universität Konstanz entstehen würde, die sehr intensive Wissenschaftskontakte zu israelischen Universitäten pflegt, u n d daß bei d e r Universität Konstanz ein Forschungsprojekt zur Geschichte d e r Kehilla Kedoscha von Konstanz läuft, das sich im Bereich d e r Soziologie als zeitgenössische A u f k l ä r u n g versteht u n d als konkreter Beitrag gegen das Vergessen in Deutschland gedacht ist, worin sich die Gemeinde u n d ihre Mitglieder so wiedererkennen sollen, wie sie waren u n d wie sie sind. Einem ganz a n d e r e n Aspekt d e r gemeinsamen geschichtlichen B e r ü h r u n g e n widmet sich das Gottlieb-Schumacher-Institut der Universität Haifa u n d d e r Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhl: Hier wird d e r Beitrag von Christen aus vielen Ländern, auch d e r aus Württemberg stammenden T e m p l e r , am Wiederaufbau Palästinas im 19. J a h r h u n d e r t u n d deren Pionierarbeit erforscht. Vielleicht ist es ein typisch schwäbischer Zug, wenn von d e n T e m p l e r n möglicherweise d e r Versuch u n t e r n o m m e n wurde, die berühmt-berüchtigte Kehrwoche in Palästina heimisch werden zu lassen. Tatsache ist jedenfalls, Professor Carmel hat mich dankenswerterweise d a r a u f aufmerksam gemacht, daß die erste Fabrik in Palästina, die Struve-Seifen-Fabrik, auf die T e m p l e r zurückgeht. Es ist mir eine große Freude, ein Mitglied d e r Familie Struve, Frau Struve aus d e n USA, heute u n t e r d e n Gästen d e r Universität Haifa zu wissen. Ebenso typisch f ü r die aus Schwaben stammenden Templer erscheint mir deren Sorge, sich ü b e r die richtige A u f b e w a h r u n g von Wein Gedanken zu machen. So erscheint es mir n u r folgerichtig, daß d e r Bau des ersten Weinkellers in Palästina im J a h r e 1889 in Rishon le Zion Gottlieb Schumacher übertragen wurde. Dieser 192

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel Keller ist u n t e r d e m N a m e n Rothschildkeller bekannt. Ich werte es als eine außerordentlich liebenswürdige Geste der Universität Haifa, u n s eine Kostprobe aus diesem Keller zu gestatten. Ich bin überzeugt, daß die wissenschaftlichen Forschungen des Instituts und des Lehrstuhls weitere Apercus zu T a g e f ö r d e r n werden. Sie mögen aber auch dazu beitragen, das A n d e n k e n an die christlichen — u n d als Baden-Württemberger werden Sie mir gestatten: auch schwäbischen — Pioniere zu bewahren und ihren positiven Beitrag zum Aufbau Palästinas zu ehren. Ich wünsche d e r Universität Haifa, ich wünsche d e m Gotdieb-SchumacherInstitut u n d H e r r n Professor Carmel ertragreiche Forschungsergebnisse, u n d ich wünsche eine friedliche, sichere und glückliche Z u k u n f t Israels und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen u n s e r e n Völkern in d e r Gegenwart u n d Zukunft."

31.3.3 Ein Gespräch mit Alex Carmel über die Bedeutung des Lehrstuhls Unmittelbar nach d e r Feierstunde zur S c h a f f u n g des Gottlieb-Schumacher-Instituts an d e r Universität in Haifa konnte ich mit Professor Alex Carmel über die Entstehung dieses Instituts sprechen. H e r r Professor Carmel ist der geistige Vater auf israelischer Seite, d e r die Arbeit auch leiten wird: Frage: H e r r Prof. Carmel, Sie stammen ursprünglich aus Berlin. Die heutigen Gedanken gehen zu d e n T e m p l e r n , die aus Württemberg nach Palästina kamen. Beide G r u p p e n haben im Lande viel bewirkt u n d bewirken es noch. Die Stiftung u m das Gottlieb-Schumacher-Institut kommt von Daimler-Benz aus Stuttgart. Eine große Tat, abgesehen von der S u m m e , die auch beachtlich ist. Man wird damit vieles tun. Das wichtigste f ü r mich als Deutscher ist es, daß d e r christlich-jüdische Dialog, d e r damals schon vorhanden war, neu belebt wird. Wie sehen Sie es? Antwort: Erst einmal n e h m e ich den N a m e n Berlin auf, d e n Sie erwähnen. Ich bin wirklich Berliner, ich bin in Berlin geboren, ich ging von Berlin weg mit 7 J a h r e n nach d e r Kristallnacht. Ich möchte das sagen, auch wenn die Tatsache so ist, daß die meisten Deutschen, die hier in Palästina tätig waren, Württemberger waren. Daher haben wir auch das ganze Institut nach einem Württemberger, nach einem T ü b i n g e r , Gottlieb Schumacher, benannt. Den ganzen Wandel in der Geschichte Palästinas im 19. J a h r h u n d e r t muß m a n aber gerade einem Berliner verdanken. Das ist kein geringerer als König Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, d e r e i n sehr f r o m m e r , gläubiger Protestant war, d e r 1841 d e n Gedanken hatte, m a n sollte nach Palästina — damals unter türkischer Herrschaft — einen protestantischen Bischof schicken. Das konnte er aber nicht allein machen. Er hat das zusammen mit England gemacht. Er kam mit d e m Vorschlag nach England. Die Engländer haben zugestimmt. Auf diese Weise entstand E n d e 1841 das sogenannte preußisch-englische Bistum in Jerusalem. Im J a n u a r 1842 kam nach Jerusalem d e r er195

Austausch in Kunst und Wissenschaft ste Bischof. Damit hat sich das Schicksal Palästina geändert; d e n n diese ersten Missionare — u n d es waren Missionare — die hierher kamen, die sollten die J u d e n in Palästina — leider gab es nicht viele J u d e n — leider konvertieren. Das ging aber nicht. U n d d a n n hat das Bistum vor allem seine Tätigkeit u n t e r d e n christlichen Arabern hier in Palästina entwickelt und hat sehr viele christliche Araber, die vor allem griechisch-orthodox waren, also u n t e r russischem Schutz, zu Protestanten gemacht. Auch viele katholische Araber u n t e r französischem Schutz wurden damals Protestanten. Das hatte dazu g e f ü h r t , d a ß nach J a h r h u n d e r t e n — obwohl hier ü b e r h a u p t nichts los war in Palästina — Rußland, Frankreich, Österreich u n d auch natürlich Preußen u n d vor allem Württemberg sowie England hier sehr viel gemacht haben u n d all das, bevor die große jüdische Einwanderung 1882 begonnen hat. Das heißt, daß wir eigentlich hier in Israel die Initiative d e m König von Preußen verdanken, d e r damals, 1841, sehr viel zum Wiederaufbau des Landes beigetragen hat. Aber die Pioniere waren eben die Christen, u n d das wurde hier im Land aus verständlichen G r ü n d e n nicht viel erforscht. Das wollen wirjetzt machen im Rahmen des Instituts. Ich glaube im ganzen, daß es ein sehr positiver Beitrag d e r christlichen Welt im 19. J a h r h u n d e r t zum Wiederaufbau des Landes war; d e n n die Deutschen waren die Hälfte aller Christen, die hier tätig waren. Ich glaube, es wird wirklich eine positive Seite in d e n Verhältnissen zwischen J u d e n u n d Deutschen hervorheben u n d mit all d e m vielen Schlimmen, was vorher passiert ist, ist es sehr schön, daß m a n auch das Positive ans Licht bringt. Frage: U n d dieses Positive, H e r r Professor Carmel, wird j a n u n d u r c h das Institut in G a n g gebracht, in G a n g gehalten, u n d eine neue j u n g e Generation aus Deutschland wird damit n e u e Beziehungen zum israelischen Volk bekommen. Antwort: Ja, das hoffen wir, das ist unser Plan. Wir werden jetzt damit a n f a n g e n , aus d e r ganzen Welt Material nach Haifa zu holen, vor allem natürlich in Fotokopien u n d auf Mikrofilmen über alles, was die christliche Welt in Palästina im 19. J a h r h u n d e r t , also bis zum Ersten Weltkrieg, getan hat. Dazu brauchen wir Mitarbeiter auf d e r ganzen Welt. Wir brauchen wirklich an erster Stelle Mitarbeiter, die einfach deutsch lesen u n d verstehen können. Daher sehe ich in Z u k u n f t eine starke Zusammenarbeit zwischen uns hier im Gottlieb-Schumacher-Institut u n d j u n gen deutschen Wissenschaftlern, die mit uns arbeiten werden, u m die Aufgabe des Instituts zu erfüllen, damit wir in h u n d e r t J a h r e n viel m e h r über die Tätigkeit d e r christlichen Welt zum Wiederaufbau des Landes wissen als wir heute wissen. H e u t e wissen wir eigentlich noch sehr wenig.

31.3.4 Finanzielle Beteiligung des Landes Baden-Württemberg Der Staatssekretär im baden-württembergischen Staatsministerium, Dr. Kleinert, hat an d e m T a g , d a man sich in Haifa zur Feier des Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhls zusammengesetzt hat, verkündet, d a ß das Land Baden-Württemberg u n d d e r Staat Israel j e zur Hälfte die finanziellen Voraussetzungen d a f ü r schaffen werden, daß die Universität Haifa einen Gottlieb-Schumacher-Lehrstuhl erhal194

31 Daimler-Benz unterstützt Projekte in Israel ten wird. Das Ziel dieser Einrichtung ist die Erforschung und historische Aufarbeitung des christlichen Beitrages zum Wiederaufbau des „Heiligen Landes" Palästina in den J a h r e n 1799 bis 1914. Ein großer Teil der zu dieser Zeit tätigen christlichen Europäer kam aus dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg. Das Land Baden-Württemberg hat in diesem Zusammenhang einen Betrag von 250.000,— Dollar in eine Stiftung zur Finanzierung des Lehrstuhls eingebracht. Aus dem Staat Israel kam noch einmal der gleiche Betrag. Die dadurch ermöglichten Arbeiten sind, so Kleinert, geeignet, die Leistungen christlicher Siedler aus dem deutschen Südwesten f ü r den Aufbau Palästinas zur Geltung zu bringen. Das Bewußtsein dieser positiven Seiten der deutsch-jüdischen Vergangenheit sei nicht n u r von historischer, sondern ebenso von aktueller Bedeutung. Das Land Baden-Württemberg setze mit seiner Beteiligung an den Lehrstuhl ein Zeichen dieser historischen Verbundenheit des deutschen Südwestens mit Palästina und schaffe damit ein Bindeglied zwischen Baden- Württemberg und Israel. Der Wissenschaftsminister der Landesregierung, Prof. Dr. Helmut Engler, ist in diesem Zusammenhang vom 25. bis 27. Oktober 1987 nach Israel gereist.

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The International Center for Peace in the Middle East

Frau Annemarie Renger stellte diese Gründung vor. Die H o f f n u n g , daß in den Friedensprozeß im Nahen Osten Bewegung kommen würde, die in eine von allen Seiten gebilligte Friedensregelung münden könnte, damit sich in dieser Region alle Energien, die bisher auf die Anwendung von Gewalt verwendet wurden, nunmehr auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren, hat sich unglücklicherweise nicht erfüllt. Die Sackgasse, in d e r sich die Diskussion über die Palästinenserfrage befindet — die weiterhin den Kern des israelisch-arabischen Konflikts ausmacht —, scheint ausweglos. Also braucht der Frieden eine Lobby. Das bedeutet u.a., daß es eine Stelle geben muß, die Möglichkeiten u n d Wege erforscht, einer friedlichen Konfliktlösung näherzukommen. Langfristig gehört dazu auch die Entwicklung von Programmen, die an die Wurzeln des Konflikts gehen, und damit die überkommenen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ideologischen und politischen Strukturen ändern, um die Bedingungen d a f ü r zu schaffen, zu einem dauerhaften Frieden zu kommen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wurde das International Center for Peace in the Middle East gegründet. Das Center ist eine parteiungebundene Organisation, die in sich alle diejenigen vereinigen will — Wissenschaftler, Politiker, Wirtschaftsleute u n d Beamte —, die sich aktiv f ü r einen Frieden im Nahen Osten einsetzen, und zwar unabhängig von Nationalität, Ideologie, Religion oder politischen Ansichten. Das Middle East Center soll Kontakte und eine Zusammenarbeit zwischen Israelis, Palästinensern und friedensliebenden Kräften im Mittleren und Nahen Osten und Nordafrika fördern. Bedeutende Wissenschaftler und Pädagogen, eine wachsende Zahl von Politikern (z. B. etwa 15 Knesset-Abgeordnete), J u d e n und Araber in Israel und in anderen Ländern und auch Angehörige vieler anderer Nationen unterstützen die Aktivitäten des Centers. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt in folgenden Bereichen: Friedensforschung: Um eine sachliche Diskussion zwischen J u d e n und Arabern über den Frieden zu ermöglichen, gibt das Center Forschungsarbeiten in Auftrag und veröffentlicht sie. Dialog: Um Verständnis u n d Toleranz f ü r ein Zusammenleben von J u d e n und Arabern zu fördern, organisiert das International Center gemeinsame Begegnungen sowohl in Israel als auch in den besetzten Gebieten. Informationsdienst: Das International Center veröffentlicht monatlich einen Pressespiegel in englisch mit Auszügen aus israelischen und arabischen Publikationen. Erziehung: Fanatismus und Feindbildvorstellungen greifen immer mehr um sich. Auch die heranwachsende Jugend in Israel und in der arabischen Welt sind 196

32 The International Center for Peace in the Middle East davon betroffen. Das International Center organisiert Seminare f ü rjüdische und arabische Pädagogen, um Multiplikatoren in der Jugendarbeit und damit der J u gend humane Werte wie Toleranz, Verständnis und Solidarität zu vermitteln. In zahlreichen Ländern, so in den USA, in England und Frankreich, wurden Vereine gegründet, die die gleichen Ziele wie das International Center verfolgen und dessen Arbeit unterstützen. In der Bundesrepublik Deutschland soll die Gesellschaft zur Förderung des Friedens im Nahen Osten e. V. diese Aufgabe leisten. Sie wird sich f ü r ein gegenseitiges Verständnis zwischen den Völkern einsetzen, insbesondere wird sie sich um eine Verständigung zwischen dem jüdischen Volk und den arabischen Völkern bemühen. Dabei wird sie mit anderen Vereinigungen im In- u n d Ausland, die die gleichen Ziele verfolgen, zusammenarbeiten. Die Gesellschaft ist vom Finanzamt Frankfurt wegen Förderung der Völkerverständigung als gemeinnützig und besonders förderwürdig anerkannt worden. Mitglied kann jeder werden, der sich mit ihren Zielen identifiziert. Als Einstieg in die Aktivitäten der Gesellschaft soll an die in den israelisch-arabischen Konflikt verwickelten Parteien ein Aufruf zu Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen verschickt werden. Um dem Aufruf den nötigen Rückhalt zu geben, werden sich prominente Mitglieder der Gesellschaft an Persönlichkeiten im Inland wenden und sie bitten, sich ihrerseits dieser Initiative anzuschließen. Der Aufruf liegt vor. Er lautet: „Zwanzig J a h r e sind seit dem Sechs-Tage-Krieg vergangen, zehn Jahre seit der historischen ägyptischen Friedensinitiative. Der langjährige israelisch-arabische Konflikt, T e r r o r , Gewalt, gegenseitiges Blutvergießen und die Herrschaft eines Volkes über ein anderes müssen ein Ende finden. Dieser Konflikt kann nicht unter Anwendung von Gewalt gelöst werden. Wir rufen alle Beteiligten auf, auf Gewalt zu verzichten. Die Zeit ist gekommen, einen Frieden gegenseitiger Anerkennung zu schaffen, auf der Basis von territorialen Kompromissen und Selbstbestimmung. N u r ein solcher Frieden kann die Sicherheit Israels, die Verwirklichung palästinensischer H o f f n u n g e n und die regionale Stabilität gewährleisten. Wir rufen die Konfliktparteien auf, ihre Feindschaft zu überwinden u n d Verhandlungen f ü r einen Frieden ohne Vorbedingungen zu ermöglichen." Vorsitzender des Präsidiums des International Center for Peace in the Middle East ist Abba Eban. Dem Kuratorium der Deutschen Gesellschaft zur Förderung des Friedens im Nahen Osten gehören bisher an: Gerhard Rudolf Baum, f r ü h e r e r Bundesinnenminister, der ehemalige Kirchentagspräsident Hild, Hans Koschnick, ehemaliger Präsident des Senats in Bremen, Oberbürgermeister Manfred Rommel, Stuttgart, und Frau Annemarie Renger, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

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Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel

Der Leiter der Presse- und Informationsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Klaus Reiff, hat in einer eindrucksvollen Zusammenstellung die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung für und in Israel zusammengestellt. Dr. Walter Hesselbach, der Präsident des Kuratoriums der Friedrich-EbertStiftung gab dieser Darstellung ein eindrucksvolles Vorwort: „Israel und die Bundesrepublik Deutschland haben einen neuen Anfang miteinander gemacht. Die Bemühungen um Verständigung und Gemeinsamkeit sind mittlerweile Alltag geworden. Von vielen Vorhaben und Plänen, die wir verwirklichen konnten, machen wir wenig Aufhebens. Dies beweist, daß wir uns nähergekommen sind. Selten hat Hilfe den Geber so sehr belohnt. Ich hoffe, daß sich die Deutschen bewußt bleiben, was es f ü r ihre politische Entwicklung bedeutete, daß das jüdische Volk wieder zum Dialog bereit war. Dies hat uns Deutschen Türen geöffnet. Wir Deutsche tragen noch immer an unserer Geschichte, auch die junge Generation, obwohl sie keine persönliche Schuld trifft. Die Vergangenheit kann aber nicht durch einfache Formeln abgetan werden. Die Verantwortung f ü r das Geschehene bleibt. Man kann sie nicht ausschlagen wie ein unerwünschtes Erbe. Alle Deutschen tragen eine bleibende Verantwortung gegenüber den Verfolgten, Ermordeten u n d ihren Nachkommen. Deshalb dürfen wir in dem Bemühen nicht nachlassen, Israel zu helfen. Wir helfen uns dabei selbst." Im Folgenden drucken wir die Zusammenstellung Klaus Reiffs im Wortlaut: Ein Land und eine Region suchen Frieden Friedensarbeit in Israel und für den Nahen Osten, wie sie die Friedrich-EbertStiftung seit nunmehr zwanzig Jahren in enger Partnerschaft mit jenen gesellschaftlichen Kräften des jüdischen Staates betreibt, die Koexistenz, Kooperation und Versöhnung mit den arabischen Nachbarn als eine wesentliche Voraussetzung für das Überleben Israels erkannt haben, hat angesichts der aktuellen Ereignisse ihre fortdauernde Notwendigkeit bewiesen. Wie so viele andere Freunde des Staates Israel, blickt auch die Friedrich-Ebert-Stiftung mit Besorgnis auf Entwicklungen, die sich im 40. Jahr seiner Existenz im jüdischen Staat selbst und in den von ihm besetzten Gebieten vollziehen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung, seit zwei Jahrzehnten mit Israel verbunden, konzentriert sich in ihren Aktivitäten heute insbesondere auf solche Bereiche, die einer gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklung entgegenwirken und auf einen Ausgleich mit den arabischen Nachbarn ausgerichtet sind. 198

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel Zur Sorge Anlaß geben in Israel Erscheinungen, die seit einigen J a h r e n in d e r Gesellschaft des jüdischen Staates verstärkt sichtbar werden: eine z u n e h m e n d e Polarisierung zwischen J u d e n und Arabern, ein Erstarken des religiösen Fundamentalismus, z u n e h m e n d e Intoleranz u n d ein schwindendes Vertrauen in die Aktionsfähigkeit d e r israelischen parlamentarischen Demokratie. Anfällig f ü r radikale politische Strömungen in Israel zeigen sich ganz besonders Jugendliche u n d Bürger aus wenig gebildeten, schlecht verdienenden u n d religiösen Schichten. Amnon Neustadt, ein Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung aus Israel, heute Dozent f ü r Staatswissenschaften an der Universität in Tel Aviv, hat diese Feststellungen in seinem viel beachteten Buch „Israels zweite Generation. Auschwitz als Vermächtnis" (Verlag J . H. W. Dietz Nachf. Berlin-Bonn) getroffen. Er analysiert die gesellschaftlichen V e r ä n d e r u n g e n in Israel u n d weist darauf hin, daß heute j e d e r sechste Bürger des jüdischen Staates ein Araber ist. Von heute 600.000 werde d e r arabische Bevölkerungsanteil im israelischen Kernstaat bis zum J a h r 2000 auf eine Million ansteigen. Gleichzeitig Araber und Israelis „Daß es ein geregeltes jüdisch-arabisches Nebeneinander/Miteinander in Israel geben muß, entzieht sich subjektiver Entscheidungsgewalt, sondern ist schlichtweg Realität. Im Schatten des Holocaust u n d vor d e m H i n t e r g r u n d einer eskalierenden Situation im Nahen Osten wurden hier zwei gesellschaftliche Gruppierungen zum Zusammenleben verurteilt", schreibt Amnon Neustadt. U n d weiter: „Die Lage d e r arabischen Bewohner Israels ist im Vergleich zu denen, die in d e n Nachbarländern beheimatet sind, weit komplizierter. Sie sind gleichzeitig Araber u n d Israelis. Daraus ergibt sich ein grundlegendes Paradoxon. Wie kann sich ein Araber in einen jüdischen Staat integrieren u n d sich mit ihm identifizieren? O d e r umgekehrt: Ist die völlige Integration d e r israelischen Araber, über die Verleih u n g von offiziellen Rechten hinaus, f ü r die jüdische Bevölkerung ü b e r h a u p t wünschenswert u n d akzeptabel?" Amnon Neustadt spricht von d e n Versäumnissen d e r Erziehungsinstanzen, die es zu beseitigen gelte. In Schulen u n d Hochschulen werde das jüdische Verhältnis zur arabischen Minderheit n u r unzureichend beachtet. Wachsende innere Konflikte Dies ist aber n u r einer von einer ganzen Reihe gesellschaftlicher Krisenherde in Israel. U n t e r der jüdischen Mehrheit des Staates selbst n e h m e n die Konflikte zu. Da sind die Auseinandersetzungen im religiösen Lager mit d e n „Ultra-Orthodoxen". „Frömmigkeit ist eine schöne Sache", heißt es in einem Kommentar d e r deutschsprachigen „Israel Nachrichten" in T e l Aviv, „und Religiosität ist ein von allen gesitteten Nationen anerkanntes u n d geachtetes Anliegen. Aber die buchstabengläubige Frömmigkeit kann auch zu weit gehen". Das Blatt berichtet über die Weigerung Ultra-Orthodoxer, „jüdischen Strom" zu beziehen. Sie wollten sich lieber eigene Generatoren anschaffen, u m nicht Energie zu verwenden, bei deren Herstellung die Schabbatruhe von J u d e n verletzt worden sein könnte. Es 199

Austausch in Kunst und Wissenschaft kam zu Unruhen zwischen Juden und Juden. Sicherheitskräfte, die sich wochentags mit revoltierenden Arabern zu beschäftigen hatten, mußten am Schabbat gegen demonstrierende Ultra-Orthodoxe eingreifen. „Dem israelischen, säkularen Beobachter wird bange ums Herz, wenn er sieht, wie die Kerze von beiden Enden angezündet wird", schreiben die „Israel Nachrichten". Auch die Arbeiterbewegung in Israel, ein Grundpfeiler des jüdischen Staates, sieht sich, nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung in der Gesellschaft des Staates Israel, vor neue und ernsthafte Herausforderungen gestellt. Die Israelische Arbeitspartei ist zu Regierungskoalitionen gezwungen, die sie hart ankommen. Bei der 1920 schon gegründeten Gewerkschaft „Histadrut" zeigt sich die Notwendigkeit zur Restrukturierung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche, die von wirtschaftlichen Unternehmen bis zur Krankenkasse „Kupat Holim" reichen. In einem Artikel der „Jerusalem Post" vertrat Gavriel Bartal, Direktor des HistadrutExekutivkomitees, die Auffassung, daß die Zukunft der Gewerkschaft davon abhänge, ob es ihr gelinge, den Weg in die Herzen der jüngeren Generation zu finden. Die Grundwerte der „Histadrut", gegenseitige Hilfe, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Vorrang für die Interessen der Arbeiter, wendeten sich gerade an die Jüngeren. Partner der israelischen Arbeiterbewegung Vor diesem aktuellen Hintergrund vollzieht sich nunmehr im zwanzigsten Jahr die Tätigkeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Israel. Sie war von Anfang an darauf ausgerichtet, zur Konsolidierung der Gesellschaft dieses Landes beizutragen, Bildung und Wissenschaften zu fördern und bei der Begründung eines dauerhaften und von gegenseitiger Achtung getragenen Verhältnisses zwischen Juden und Arabern in diesem Staat selbst und in der Nahost-Region mitzuwirken. Partner dieser Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung waren von Anbeginn in erster Linie die Institutionen der israelischen Arbeiterbewegung. Sie waren f ü r die Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Wurzeln ebenfalls in der Arbeiterbewegung begründet sind, die natürlichen Partner. Hinzu kam, daß zwischen jenen auf jüdischer Seite, die den Holocaust überlebt hatten, und führenden Repräsentanten der ältesten politischen Stiftung in Deutschland, die in der Emigration waren oder im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime gestanden hatten, noch vielfältige Beziehungen aus einer Zeit gemeinsamen Wirkens in der deutschen Arbeiterbewegung existierten. Es war daher für jene, die nach dem Kriege die Friedrich-Ebert-Stiftung wieder aufbauten, eine Selbstverständlichkeit, gerade auch die Zusammenarbeit mit der Arbeiterbewegung des jungen jüdischen Staates zu suchen. Eingedenk der Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands an seinen jüdischen Bürgern, hatte es sich die Friedrich-Ebert-Stiftung bewußt auch zur Pflicht gemacht, Israel solidarisch Hilfe zu leisten und f ü r das neue, demokratische Deutschland Zeichen der Versöhnung und des guten Willens zu setzen. Im historischen Rückblick der Kooperation mit Partnern in Israel steht deshalb f ü r die Friedrich-Ebert-Stiftung zunächst der von Israels Arbeiterbewegung 200

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel initiierte Brückenschlag zur Arbeiterbewegung in d e r Bundesrepublik Deutschland. Aus ihm heraus w u r d e die Idee zur G r ü n d u n g d e r Fritz-Naphtali-Stiftung in Israel geboren, die in d e r Friedrich-Ebert-Stiftung auf deutscher Seite ihren natürlichen Partner f a n d . Wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, ist auch die FritzNaphtali-Stiftung eine eigenständige Institution in d e r Arbeiterbewegung ihres Landes. Vielfältige Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit d e r beiden Stiftungen begann 1968 mit Austauschprog r a m m e n u. a. f ü r Lehrer, israelische Industriearbeiter, Journalisten u n d Gewerkschafter. Es folgte die Zusammenarbeit bei der F ö r d e r u n g d e r Wissenschaften in Israel, indem sich die Friedrich-Ebert-Stiftung an d e r Finanzierung beim Bau von Universitätsinstituten zum Beispiel in Tel Aviv beteiligte, und die Jugend- u n d Erwachsenenbildung, die in d e r zweiten Hälfte d e r siebziger J a h r e immer m e h r an B e d e u t u n g gewann. 1979 richtete die Friedrich-Ebert-Stiftung in Tel Aviv erstmals ein ständiges Büro ein u n d entsandte einen Mitarbeiter nach Israel. Inzwischen ist die Friedrich-Ebert-Stiftung beim israelischen Justizministerium als in Israel tätige ausländische Institution amtlich registriert u n d anerkannt. Die Tätigkeit hat sich erheblich ausgeweitet. Veranstaltet werden unter a n d e r e m heute auch deutsch-israelische Konferenzen mit deutschen Experten u n d d e r Gewerkschaft Histadrut zu Problemen der technologischen Entwicklung u n d der „Neuen Medien". Als nützlich erwiesen haben sich auch Fachprogramme f ü r Gewerkschafter u n d Politiker aus Israel in d e r Bundesrepublik Deutschland. Der in den letzten J a h r e n stetig gewachsene U m f a n g der Kooperation und die d a d u r c h notwendig gewordene Beschäftigung einheimischer Mitarbeiter haben einen Umzug in ein größeres u n d modernes B ü r o notwendig gemacht. Im März 1988 hat die Friedrich-Ebert-Stiftung die neuen R ä u m e ihrer Vertretung im Z e n t r u m von Tel Aviv bezogen. Die Einweihung f a n d in Anwesenheit des neugewählten Vorstandsvorsitzenden d e r Stiftung, Ministerpräsident a. D. Holger Börner, statt, dessen erste Reise nach Israel führte. Damit wollte er auf die hohe politische Bedeutung hinweisen, die die Friedrich-Ebert-Stiftung d e r Zusammenarbeit mit den P a r t n e r n in Israel beimißt.

Erster Partner: die

„Fritz-Naphtali-Stiftung"

Die Idee z u r G r ü n d u n g einer Stiftung im Bereich d e r israelischen Arbeiterbeweg u n g hatte der Präsident des Kuratoriums d e r Friedrich-Ebert-Stiftung, Dr. Walter Hesselbach, ein engagierter F r e u n d u n d Förderer des jüdischen Staates, der in diesem Land großes Ansehen genießt. Manch eine Gedenktafel in Israel trägt seinen N a m e n und weist ihn als hochgeachteten Mäzen vieler kultureller u n d wissenschaftlicher Einrichtungen aus. Er traf mit dem Vorschlag, auch in Israel eine Stiftung f ü r die Arbeiterbewegung ins Leben zu r u f e n , genau die Intentionen, 201

Austausch in Kunst und Wissenschaft die dort herangereift waren. Dr. Walter Hesselbach wurde zum Motor d e r d a n n 1967 in T e l Aviv g e g r ü n d e t e n Stiftung, d e r e n Vorstandsvorsitzender e r noch heute ist. Akiwa Lewinsky, Präsident des Kuratoriums d e r Fritz-Naphtali-Stiftung, sagt, o h n e Dr. Walter Hesselbach sei die Existenz dieser Stiftung undenkbar. Es war schließlich eine gemeinsame Initiative leitender Persönlichkeiten der deutschen, österreichischen u n d schweizerischen Arbeiterbewegung, zusammen mit ihren israelischen F r e u n d e n die n e u e Stiftung zu g r ü n d e n , d e r e n wichtigster P a r t n e r die Friedrich-Ebert-Stiftung wurde. Aus Deutschland emigriert Fritz Naphtali, der unserer israelischen Partnerstiftung d e n N a m e n gab, kam kurz nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Deutschland im Alter von 45 J a h r e n in das damalige Palästina. Er war in Deutschland u n t e r a n d e r e m bei der angesehenen „ F r a n k f u r t e r Zeitung" als Wirtschaftsredakteur tätig gewesen und hatte in den J a h r e n von 1926 bis 1933 im Institut f ü r die Erforschung d e r Wirtschaftspolitik der SPD u n d d e r Gewerkschaften in Berlin gearbeitet. Fritz Naphtali beschäftigte sich damals bereits intensiv mit dem, was heute „industrielle Demokratie" genannt wird. U n t e r anderem veröffentlichte er das Buch „Wirtschaftsdemokratie, ihr Wirken u n d Ziel". In d e r Beteiligung d e r Arbeiter a n d e r Produktion sah er ein Frühstadium der Verwirklichung eines human-demokratischen Sozialismus. Im August 1924 schrieb Fritz Naphtali: „Die jüdischen Nationaleigenschaften k ö n n e n einen wertvollen Beitrag zur übernationalen sozialistischen Verwirklichung liefern. Das glaube ich heute zu e r k e n n e n , deshalb hat sich mein jüdisches Nationalbewußtsein gefestigt, u n d deshalb sehe ich auch heute in dem A u f b a u eines jüdischen Zentrums in Palästina eine mit allen Kräften zu förd e r n d e Aufgabe. Daß diese jüdisch-nationale Arbeit im Dienste der größeren Menschheitsarbeit bleibt u n d nicht in die nationalistischen Irrwege a n d e r e r Völker m ü n d e t , ist, wie mir scheint, das innere Kernproblem des mit ach so vielen anderen äußerlichen Problemen behafteten Zionismus. Der Sozialismus als Weltanschauung ist das Übergeordnete, n u r die nationalen Strebungen, deutsche u n d jüdische, die das sozialistische Ziel näherbringen, haben Lebensrecht." In Palästina begann Fritz Naphtalis zweiter Lebensabschnitt. Auch hier setzte er sich in theoretischen Schriften und später d a n n auch in der Praxis f ü r die Beteiligung d e r Arbeiterschaft an ihren Betrieben ein. Fritz Naphtali ließ sich in Tel Aviv nieder u n d f ü g t e sich rasch in die Institutionen d e r jüdischen Arbeiterbewegung ein. Er wurde in d e n Rat d e r Gewerkschaftsorganisation u n d in den Stadtrat von T e l Aviv gewählt u n d zu einem d e r Direktoren d e r Arbeiterbank „Hapoalim" e r n a n n t . Abgeordneter der ersten Knesset Mit der G r ü n d u n g des Staates Israel im J a h r e 1948 w u r d e er als Abgeordneter bereits in die erste Knesset (Parlament) gewählt und Vorsitzender des Wirtschaftsrates. 1952 erhielt Fritz Naphtali die E r n e n n u n g zum Landwirtschaftsminister u n d war 1959 zeitweilig auch Wohlfahrtsminister. In seine Amtszeit fiel die 202

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel Periode der intensiven Besiedlung Israels und die Entwicklung seiner Landwirtschaft, die es schon Mitte der 50er Jahre schaffte, Israel allein mit Nahrungsmitteln zu versorgen und sogar zu exportieren. Dr. Walter Hesselbach, der Fritz Naphtali freundschaftlich verbunden war, charakterisierte ihn und sein Lebenswerk mit den Worten: „Fritz Naphtali symbolisiert wie kein anderer die Verbindung zwischen den besten Traditionen der europäischen Arbeiterbewegung und dem Aufbauwerk in Israel. Sein Einfluß ist weder aus der Entwicklung in Europa noch der in Israel wegzudenken. Noch heute sind sein Werk und seine Arbeit der Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen unserer Zeit über die Fragen der Gemeinwirtschaft, der Mitbestimmung und der Wirtschaftsdemokratie." Ideen für die Annäherung Mit der Gründung der Fritz-Naphtali-Stiftung im Jahre 1967 begann eine erfolgreiche und fruchtbare Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese Zusammenarbeit, sagte der Präsident des Kuratoriums der israelischen Partnerstiftung, Akiwa Lewinsky, sei nicht allein an den zahlreichen Projekten zu messen, sondern auch an der Fülle neuer Ideen für eine deutsch-israelische Annäherung, die aus dieser Kooperation heraus geboren wurde. Dazu gehörten beispielsweise die Förderung von Städtepartnerschaften und der Jugendaustausch. Seit ihrer Gründung investierte die Fritz-Naphtali-Stiftung in enger Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung mehr als 35 Millionen DM in große erzieherische und soziale Projekte in Israel. Dazu gehören beispielsweise die Errichtung der Gebäude der Fritz-Napthali-Fakultät an der Universität Tel Aviv, das Buber-Rousso-Haus und die Fritz-Naphtali-Fakultät der Hebräischen Universität auf dem Skopus-Berg in Jerusalem, die Zalman-Aranne-Zentralbibliothek der Ben-Gurion-Universität in Bersheva und das Levi-Eshkol-Forschungsu n d Verwaltungszentrum der Universität Haifa. Zusammen mit der Stadtverwaltung von Tel Aviv und dem Ministerium für Erziehung und Kultur errichtete die Fritz-Naphtali-Stiftung den Tel-Aviv-Fonds für Literatur und Kunst. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Histadrut wurden gesellschaftliche und Sport-Zentren in Bersheva, Cholon und Beth Berl erbaut. Erwähnt werden muß auch, daß zusammen mit der Stadtverwaltung von Kfar-Saba der „Dr.-Walter-HesselbachVortragssaal" in Kirjat-Sapir eingerichtet wurde. Erziehungszentrum für 300 Kinder errichtet Durch eine Geldspende der Fritz-Naphtali-Stiftung ist 1985 im Erziehungsinternat der Kfar Chabad die Errichtung von Wohngebäuden ermöglicht worden. Dieses in der Nähe von Tel Aviv liegende Erziehungszentrum beherbergt rund 300 Kinder zwischen sechs und 13 Jahren, die aus Notstandsfamilien kommen oder Waisen sind. In diesem Erziehungszentrum, das ihnen Wohnung, Verpflegung, Kleidung und Unterricht gibt, haben sie ein neues Zuhause gefunden.

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Austausch in Kunst und Wissenschaft

Fortbildungskurse für Israelis In Kooperation mit dem israelischen Arbeitsministerium hat die Fritz-NaphtaliStiftung außerdem Fortbildungskurse für Industriearbeiter aus Israel in der Bundesrepublik Deutschland initiiert und entwickelt. Durch israelische Fachleute hat sie die Entwicklung des genossenschaftlichen Bankwesens in zwölf lateinamerikanischen Ländern unterstützt, in Koordination mit der Friedrich-EbertStiftung und deren Aktivitäten in den Ländern der Dritten Welt. Im Zeitraum zwischen 1981 und 1986 haben die Fritz-Naphtali-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung Mittel für Seminare zur Verfügung gestellt, die den Holocaust und die aus ihm zu ziehenden Lehren zum Inhalt hatten. Diese Seminare wurden vor allem für deutsche und israelische Pädagogen veranstaltet und zwar gemeinsam mit dem Bund der Lehrer in Israel und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Aus der Fülle der Einzelaktivitäten, die die Fritz-Naphtali-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam oder auch in eigener Regie durchführten, sei hier vor allem noch auf die Wissenschaftsförderung in Israel hingewiesen. Seit 1981 wird von der Fritz-Naphtali-Stiftung die „Sam-Rothberg-Schule" der Hebräischen Universität in Jerusalem unterstützt, an der jüdische Studenten aus 60 Ländern nach einem konzentrierten Lehrplan studieren. Die Ben-Gurion-Universität in Bersheva erhält seit 1983 jährlich 60 Stipendien für einkommensschwache Studenten auch aus arabischen Familien. Rund 50 Stipendien jährlich werden für ein Studium an der Universität Haifa vergeben. Finanziell unterstützt wird ferner der Lehrstuhl für Agrarforschung an der Hebräischen Universität in Jerusalem und das Institut für die Kibbuz-Forschung. Förderung erfuhr auch das Jerusalem Institute of Management, das Führungskräfte für die israelische Wirtschaft ausbildet.

Friedensförderung nach innen und außen Es zeigte sich schon bald, daß das Feld der Zusammenarbeit in Israel für die Friedrich-Ebert-Stiftung nicht auf die Fritz-Naphtali-Stiftung begrenzt bleiben konnte. Das erfolgreiche Zusammenwirken zwischen der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihrer Partnerstiftung rief schon sehr bald auch bei anderen Institutionen der israelischen Arbeiterbewegung den Wunsch nach gemeinsamen Aktivitäten mit der Friedrich-Ebert-Stiftung für die gesellschaftliche Entwicklung im jüdischen Staat hervor. Dieser Staat, der vom ersten Tag seiner Existenz an ums Überleben zu kämpfen hatte, dessen Bürger aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen und deren gemeinsamer Nenner oft genug allein diejüdische Herkunft ist, sah sich sehr bald einem wachsenden gesellschaftlichen Konfliktpotential gegenüber. In Israel beginnt dies bei den scharfen Gegensätzen zwischen Juden und arabischer Minderheit, setzt sich fort über religiöse Auseinandersetzungen, Animositäten zwischen orientalisch und europäisch geprägten Israelis bis hin zur permanenten 204

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel B e d r o h u n g d u r c h arabische Nachbarstaaten, von denen einige d e n jüdischen Staat am liebsten von der Landkarte verschwinden lassen möchten. Es w u n d e r t deshalb nicht, wenn all dies in d e r Gesellschaft Israels Reaktionen auslöst. Einige Reaktionen, die vor allem bei Jugendlichen zu beobachten sind, signalisieren eine gefährliche Entwicklung: z u n e h m e n d e Polarisierung, intolerantes Verhalten, Demokratiefeindlichkeit u n d H i n w e n d u n g zu religiös-messianischen Sekten extrem nationalistischer Färbung. Sie bedrohen nachhaltig den Frieden im I n n e r n Israels wie auch das angestrebte friedliche Zusammenleben mit den arabischen Nachbarn. Die demokratische Ordnung stärken Im J a h r e 1978 wurde deshalb die „Golda Meir Association for Labour Education (ALE)" gegründet, mit der die Friedrich-Ebert-Stiftung seit Anbeginn zusammenarbeitet. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf d e r Grundlage d e r Werte d e r Arbeiterbewegung die demokratische O r d n u n g in Israel zu stärken, tolerantes Verhalten zu fördern, zu politischem Engagement und öffentlicher Meinungsäußerung zu e r m u n t e r n und insbesondere d a u e r h a f t e Kontakte zwischen J u d e n u n d Arabern zu schaffen u n d das Interesse am Friedensprozeß im Nahen Osten u n d einer positiven Einstellung zu seinen Chancen zu verstärken. Das geschieht d u r c h Vorträge in Seminaren, Diskussionsabende, Gruppengespräche, Rollenspiele und sog. Werkstätten. Hauptzielgruppe ist neben der J u g e n d die erwachsene Arbeitnehmerschaft Israels. Für die Arbeit mit den Jugendlichen g r ü n d e t e die „Golda Meir Association for Labour Education" eine eigene Institution u n t e r dem Namen „Igal Alon-Midrasha". IgalAlon war israelischer Arbeits- und Erziehungsminister; „Midrasha" ist die hebräische Bezeichnung f ü r „Lehrhaus". Die „Igal Alon-Midrasha der Arbeiterbewegung f ü r die Jugenderziehung", so lautet ihr vollständiger Name, entstand 1978 mit d e r Zielsetzung, die Werte d e r Demokratie in d e r J u g e n d Israels zu verankern, sie zu politischem Engagement zu e r m u n t e r n u n d sie zu Toleranz u n d Achtung gegenüber Minderheiten zu erziehen. Diese außerschulische Jugendbildungsinstitution ist inzwischen offiziell vom israelischen Erziehungsministerium anerkannt worden u n d arbeitet eng mit d e n Schulen zusammen. Allein im Schuljahr 1985/86 fanden ü b e r 800 sogenannte „Diskussionstage" statt, an denen r u n d 20.000 Schüler teilgenommen haben. Aufklärung im Jugendclub Ein J u g e n d c l u b im Norden Tel Avivs. In zwei Räumen haben sich 16jährige Schülerinnen u n d Schüler zur Gruppenarbeit z u s a m m e n g e f u n d e n . Geleitet werd e n die G r u p p e n von eigens f ü r diese Aufgabe ausgebildeten Studenten. Das T h e m a d e r überaus lebhaften Diskussion: „Was kann die Demokratie zur Lösung d e r Gegensätze zwischen religiösen und nichtreligiösen J u d e n sowie zwischen Arabern u n d J u d e n bewirken?" Zunächst geht es u m die Erläuterung von Grundbegriffen d e r Demokratie. Was bedeutet Toleranz im Alltag? Zwischen den Teiln e h m e r n kommt es zu lautstarken Meinungsverschiedenheiten. Die Gruppenlei205

Austausch in Kunst und Wissenschaft

terin läßt die Jugendlichen eine Weile gewähren und greift dann in die Diskussion ein, erläutert den Begriff, gibt Beispiele, zeigt auf, was Toleranz zwischen zwei Völkern und zwischen unterschiedlichen religiösen Anschauungen bedeutet, fordert dazu auf, schon in der Schule Toleranz zu üben. Beispielsweise gegenüber jenen Mitschülern, die aus den ärmeren Vierteln im Süden Tel Avivs kommen und in eine Schule des besser situierten Nordens der Stadt gehen. Ein Experiment, das mit Genehmigung des Erziehungsministeriums gestartet wurde. Schließlich noch ein Rollenspiel: „Juden und Araber begründen und verteidigen ihre Ansprüche auf Palästina". Wieder geht es bei den Diskussionen überaus lebhaft zu. Es ist augenblicklich ein Thema, das die Jugendlichen bewegt. In diesen sogenannten „Werkstätten" der ALE, die entweder einen halben oder manchmal auch einen ganzen Tag dauern und vorzugsweise außerhalb der Schule stattfinden, wird ernsthaft gearbeitet, versuchen die jungen Pädagogen das Bewußtsein dieser Jugendlichen für demokratische Verhaltensweisen zu schärfen. Dabei lenken die Moderatoren die Gespräche so, daß Themen wie „Freiheit des Einzelnen", „Der Rechtsstaat" und „Der Wert des Menschen" besonders hervorgehoben werden. In ihren Erläuterungen betonen die Moderatoren besonders die Wichtigkeit der Koexistenz zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb des Judentums sowie zwischen Juden und Nichtjuden. Auch dieser „Unterricht in Demokratie" für die junge Generation wird über die Zukunft Israels als demokratisches Staatswesen entscheiden. Überprüfung der Resultate Zu Beginn und zum Abschluß jeder Veranstaltungsreihe verteilen die Moderatoren Fragebögen an die Jugendlichen, beispielsweise zur Stellung der Araber in Israel, um die Resultate ihrer Arbeit zu überprüfen. Bei ihrer Auswertung zeigt sich, daß ein beachtlicher Teil der Schüler seine Meinung ändert. Die Meinungsänderung wird besonders deutlich bei Schülern eines niedrigeren Bildungsniveaus, für die viele Themen und Begriffe neu waren. Für viele bedeuten diese Seminare ein erstes Erkennen von Tatsachen. Vor allem bei Schülern aus berufsbildenden Schulen sind Grundbegriffe wie Freiheit der Meinungsäußerung und Pressefreiheit teilweise völlig unbekannt. In ihrem Jahresbericht 1985/86 stellt die ALE weiter fest: „Unsere Pflicht als Gremium außerhalb des offiziellen Unterrichtswesens ist es, auf diesem Wege mit verstärktem Eifer weiter fortzuschreiten. Dies um so mehr angesichts der bestürzenden Tatsache, daß das offizielle, staatliche Erziehungswesen außerstande ist, sich dieser Aufgabe eingehend zu stellen." Zwar gebe es viele Programme, aber das Unterrichtsministerium habe es bis jetzt nicht vermocht, ein Langzeitprogramm für die Umerziehung der Jugendlichen aufzustellen. Die Tatsache, daß immer mehr Schulen Interesse an einer Zusammenarbeit mit der ALE bekunden, beweise deutlich genug, wie wichtig dieses Unternehmen ist.

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33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel Reaktionen der Schüler Aufschlußreich sind die Reaktionen d e r Schüler nach Abschluß eines solchen Seminars. Einige Beispiele: — Das Seminar vermittelte mir Denkrichtungen, auf die ich sonst nicht gekommen wäre." — „Ich hatte Vorurteile gegen Araber, aber, als ich die Tatsachen erkannte, änderte ich meine Ansicht. Ich glaube, wir müssen unsere Probleme mit d e n Arabern auf demokratischem Weg lösen. Die Kinder müssen von kleinauf die Botschaft zwischen J u d e n u n d Arabern lernen." — Ich begann zu verstehen, d a ß die Araber Menschen sind wie alle anderen." Ähnlich wirkt die „Golda Meir Association f o r Labour Education" auch im Bereich d e r Erwachsenen. Hier b e m ü h t sie sich vor allem u m die Grenzsiedler, verschiedene E i n w a n d e r e r g r u p p e n u n d u m die B ü r g e r in d e n neugegründeten Städten Israels. Auch bei d e n Erwachsenen geht es u m die F ö r d e r u n g demokratischer Denkweisen, die S c h a f f u n g d a u e r h a f t e r Kontakte zwischen J u d e n u n d Arabern, eine Verstärkung des Interesses am Friedensprozeß im Nahen Osten u n d eine positive Einstellung zu seinen Chancen sowie u m die E r m u n t e r u n g zu politischem Engagement. Fester T r e f f p u n k t f ü r die örtlichen Z u s a m m e n k ü n f t e sind die sogenannten „Ideenclubs", die jeweils einen Sekretär haben. Mit einer G r u p p e professioneller Moderatoren werden die P r o g r a m m e f ü r die Clubarbeit gestaltet. Dabei wird vor allem auch darauf geachtet, kompetente lokale Führungskräfte in die Arbeit des Clubs einzubeziehen. Ergänzt wird die Tätigkeit d e r „Ideenclubs" d u r c h mehrtägige Themen-Seminare f ü r die aktiven Clubmitarbeiter. Dabei geht es u. a. u m grundlegende Informationen über die Arbeiterbewegung, Wesen u n d A u f b a u demokratischer Regierungsform, die Beziehungen Israels zu seinen Nachbarstaaten, den Stellenwert des Palästinenser-Problemes im israelisch-arabischen Konflikt und die Stellung der Araber Israels sowie u m die Minderheiten in Israel u n d schließlich auch u m extreme Bewegungen u n d ihre B e d e u t u n g in d e r israelischen Gesellschaft. Neue Diskussionsthemen u n d auch a n d e r e Präsentationsformen, die die Teiln a h m e abwechslungsreich gestalten, sprechen immer breitere Kreise der israelischen Gesellschaft an. Neue Förderer für ALE Boris Krasny, langjähriger Direktor d e r „Golda Meir Association f o r Labour Education", beziffert das derzeitige Budget zur Finanzierung aller ALE-Programme auf r u n d eine Million US-Dollar jährlich. Bis 1985 war die Friedrich-Ebert-Stift u n g einziger Förderer dieses gesellschaftspolitischen Bildungsprogramms. Inzwischen haben sich F ö r d e r e r g r u p p e n in d e n USA, Kanada, England, Belgien u n d Österreich gebildet, die weitere Finanzmittel beisteuern. I n den USA entstand eine Gesellschaft d e r F r e u n d e d e r ALE, zu d e n e n b e k a n n t e Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gehören wie d e r Dirigent Leonard Bernstein u n d d e r Friedensnobelpreisträger Eli Wiesel. 207

Austausch in Kunst und Wissenschaft Berufsausbildung im „Amol"-Schulnetz Szenenwechsel. Eine Berufsschule f ü r arabische Jugendliche in der Altstadt von Jaffa. Sie gehört zum „Amal"-Schulnetz der Gewerkschaft „Histadrut". Dieses Schulnetz zählt gegenwärtig rund 120 Berufsbildungseinrichtungen unterschiedlicher Art mit etwa 32.000 Schülern in allen Gegenden Israels. Insgesamt 17 dieser Berufsschulen hat „Amal" in Gebieten der arabischen Minderheit Israels eingerichtet. Hier in der Altstadt von Jaffa ist im Dezember 1987 die jüngste Berufsschule für arabische Jugendliche entstanden, die zu Kraftfahrzeugschlossern ausgebildet werden. Damit diese Berufsschule nicht nur ihre Funktion als Ausbildungsstätte erfüllen kann, sondern, mehr noch, die berufliche und gesellschaftliche Integration der arabischen Minderheit im Sinne einer friedlichen Nachbarschaft zwischen Arabern und Juden erfüllen kann, hat die FriedrichEbert-Stiftung sie gefördert. Die angeschlossene Lehrwerkstatt mit ihrer technischen Ausrüstung ist von der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Verfügung gestellt worden. Uri Agami, der Vorsitzende des „Amal"-Schulnetzes, bringt die Arbeit seiner Institution f ü r die arabische Minderheit in Israel auf die Formel: „Wir können und wir dürfen die arabischen Jugendlichen in unserem Land nicht sich selbst überlassen. Sie müssen die Chance erhalten, einen Beruf zu erlernen, sonst werden sie in die Kriminalität oder den Terrorismus abgleiten. ,Amal' ist sowohl für die Juden als auch f ü r die Araber tätig und formt gemeinsam eine demokratische Gemeinschaft mit einer gesellschaftlichen Vision." Die Annäherung zwischen jüdischen und arabischen Jugendlichen ist einer der zentralen Punkte im sozialpädagogischen Programm der „Amal"-Schulen. Dabei werden gegenseitige Besuche von jüdischen und arabischen Schülergruppen, gemeinsame Teilnahme an Seminaren und Schulausflügen organisiert, um sich besser kennenzulernen und das Verständnis f ü r die gesellschaftliche Struktur und Kultur der arabischen und jüdischen Gemeinschaften zu wecken. Damit die Schüler ihre Erfahrungen zum Ausdruck bringen können, wird eine monatlich erscheinende Schülerzeitschrift mit dem Titel „Yachdav" („Gemeinsam") ins Leben gerufen, die der jüdisch-arabischen Integration gewidmet ist. Pionier der Berufsbildung Das „Amal"-Schulnetz ist ein Pionier der Berufsbildung in Israel. Es nahm schon im Jahre 1929 seine Tätigkeit auf, als in Tel Aviv die erste Berufsschule errichtet wurde. „Amal" ist im Rahmen des Exekutivkomitees der Gewerkschaft „Histadrut" aktiv und stimmt seine Tätigkeit mit den zuständigen staatlichen Behörden, wie dem Erziehungs- und Kulturministerium, ab. 1985 hat „Amal" sein neues pädagogisches Zentrum in Tel Aviv eröffnet, das administrativer, technologischer und ideologischer Mittelpunkt des Schulnetzes ist. Hier werden die Lehrpläne entworfen und Unterrichtsmittel entwickelt sowie Fortbildungskurse für die Lehrer veranstaltet. Zur Ausstattung des pädagogischen Zentrums hat die Friedrich-Ebert-Stiftung mit einer f ü r die Lehrerfortbildung einzusetzenden Videoausrüstung, einen Computer f ü r die Bibliothek und einem computergesteuerten Lernsystem beigetragen. 208

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel Die höhere technische Fachschule in Petach Tikva des „Amal"-Schulnetzes stellt u n t e r den Berufsbildungsinstitutionen eine Besonderheit dar: Hier wird vor allem die fachliche Ausbildung von Mädchen im technologischen Bereich gefördert. 52 Prozent d e r hier L e r n e n d e n sind Mädchen. In d e n Fächern Elektronik u n d Computertechnik liegt ihr Anteil mit 20 Prozent d e r Schülerschaft weit über d e m Landesdurchschnitt von 5 Prozent. Viele der Schülerinnen absolvieren in Petach Tikva auch das Lehrerseminar u n d erhalten nach Abschluß des Studiums das Diplom eines praktischen Ingenieurs mit Lehrbefähigung. Damit können sie als Lehrerinnen in technologischen Fächern an Mittelschulen tätig werden. Das L e h r p r o g r a m m d e r höheren technischen Fachschule in Petach Tikva hat die Friedrich-Ebert-Stiftung mit computergesteuerten Lehrmitteln gefördert u n d damit einem gesellschaftspolitischen Experiment ihre Unterstützung gegeben, das n e u e Wege in d e r beruflichen Ausbildung f ü r Frauen beschreitet. Wie sehr auch d e m israelischen Gewerkschaftsbund „Histadrut" selbst die Problematik der Koexistenz zwischen J u d e n und Arabern in Israel bewußt ist, macht Generalsekretär Israel Kessar im Gespräch deutlich. I m m e r h i n gehören 10 Prozent d e r Histadrut-Mitglieder zur arabischen Minderheit Israels. Für sie seien insbesondere im Bereich d e r beruflichen Bildung, aber auch in d e r sozialen Fürsorge u n d kulturellen B e t r e u u n g verstärkte Anstrengungen notwendig. Die Histadrut wolle unter Beweis stellen, daß J u d e n und Araber friedlich zusammenleben können, als Freunde, als Kollegen, als Gleiche unter d e m Dach einer Organisation. Aber angesichts einer Vielfalt a n d e r e r Aufgaben benötige die Histadrut d a f ü r auch die Unterstützung ihrer F r e u n d e im Ausland. Israel Kessar weist dara u f h i n , daß eine ganze Reihe von Aktivitäten des israelischen Gewerkschaftsbundes nicht hätten d u r c h g e f ü h r t werden können o h n e die Hilfe d e r FriedrichEbert-Stiftung im Bereich d e r Bildungsprogramme. Fruchtbar und erfolgreich Nahum Fassa, Mitglied des Vorstands d e r Histadrut u n d Leiter der Abteilung Kultur u n d Bildung im israelischen Gewerkschaftsbund, n e n n t die Zusammenarbeit mit d e r Friedrich-Ebert-Stiftung „fruchtbar u n d erfolgreich". Die Stiftung habe in die Bildungsarbeit d e r Histadrut neue Instrumente und Formen eingebracht, auch andere Methoden, mit d e n e n die Aktivitäten auf diesem Gebiet fortentwickelt werden konnten. Angesichts d e r b e u n r u h i g e n d e n T e n d e n z e n unter den Jugendlichen, aber auch unter Teilen d e r übrigen Bevölkerung, seien verstärkte Anstrengungen in d e r gewerkschaftlichen Bildungsarbeit notwendig. Diese von d e r Friedrich-Ebert-Stiftung seit Beginn ihres Israel-Engagements vor 20 J a h r e n mit erheblichen finanziellen Mitteln g e f ö r d e r t e Bildungsarbeit wird über das Institut für Ideologische Erziehung des israelischen Gewerkschaftsbundes abgewickelt. Diesem Institut obliegt d e r überwiegende Teil d e r Bildungsarbeit d e r Histadrut. Zielgruppen dieser Bildungsmaßnahmen sind die Gewerkschaftsjugend, die Arbeiterkomitees u n d Aktivisten u n d Multiplikatoren der Arbeitnehmerorganisation. In den f ü r diese Zielgruppen veranstalteten Seminaren geht es u. a. um die aktuellen sozialen u n d wirtschaftlichen Probleme Israels, u m

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Austausch in Kunst und Wissenschaft die Motivation zu einer verstärkten gewerkschaftlichen Arbeit, Probleme der politischen Radikalisierung in Israel, der Arbeitslosigkeit und der Ausbildung und nicht zuletzt auch hier um das friedliche Zusammenleben zwischen Juden und Arabern. In den Schulen der Arbeiterbewegung Finanzielle Förderung läßt die Friedrich-Ebert-Stiftung auch den Bildungsveranstaltungen in verschiedenen Schulen der israelischen Arbeiterbewegung angedeihen. Beth Berl ist die größte ihrer Art u n d damit ein geistiges Zentrum politischer und gewerkschaftlicher Arbeit in Israel. Hier hat sich die Friedrich-EbertStiftung vor allem eines der verschiedenen unter dem Dach von Beth Berl agierenden Zentren angenommen. Es widmet sich der arabisch-jüdischen Zusammenarbeit nicht allein unter politischen Aspekten, sondern berücksichtigt gleichgewichtig auch das gesellschaftliche und kulturelle Zusammenleben beider Bevölkerungsgruppen Israels. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützte Bildungsarbeit in Beth Berl vollzieht sich in der Form unterschiedlich thematisierter Seminarreihen. Ein Thema lautete beispielsweise „Einfluß der Presse auf die arabisch-jüdischen Beziehungen", zweifellos eine Problematik, die der intensiveren Untersuchung und Diskussion wert ist, denn die Gefahr, daß Klischees und Stereotypen zusätzlich das jüdisch-arabische Verhältnis belasten, ist groß. Im Sharon-Tal, im Herzen Israels, liegt eine andere Bildungsstätte der israelischen Arbeiterbewegung: Givat Haviva. Die Schulgebäude mit den verschiedenen Instituten gruppieren sich um gepflegte Grünanlagen auf einem Campus. In der Arbeit dieser Schule wird ein besonderer Schwerpunkt auf die arabisch-jüdischen Beziehungen gelegt. Das ist verständlich, denn in ihrem unmittelbaren Einzugsbereich leben rund 200.000 israelische Araber. Das „Jüdisch-Arabische Institut" von Givat Haviva wurde 1963 mit der Aufgabenstellung gegründet, Bande der gegenseitigen Achtung, des Vertrauens und der Zusammenarbeit zwischen den arabischen und jüdischen Bürgern Israels zu knüpfen und darüber hinaus auch zwischen Israel und seinen Nachbarn. Den jüdischen Teilnehmern an Seminaren dieser Bildungsstätte werden die arabische Kultur, Geschichte und Politik nahegebracht, und die arabischen Teilnehmer lernen die jüdische Geschichte und all das, was mit dem Zionismus zusammenhängt, kennen. Veranstaltet werden hier u. a. Programme für arabische Lehrer, jüdisch-arabische Begegnungsseminare, Ausbildungsmaßnahmen f ü r arabische Erzieher und Jugendleiter sowie Ausstellungen und Konzerte, die Einblicke in arabische und jüdische Kunst vermitteln. Arabische Nachbarn kennenlernen Die Friedrich-Ebert-Stiftung fördert in Givat Haviva die Ausbildung arabischer Pädagogen und Jugendleiter sowie verschiedene Seminartypen für die Begegnung arabischer und jüdischer Jugendlicher. Was diese Bildungsarbeit der Schule Givat Haviva auszeichnet, ist die unmittelbare Begegnung der jüdischen und arabischen Bürger Israels als wesentlicher Bestandteil der Seminarmaßnahmen. 210

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel Die jüdischen Teilnehmer besuchen die in d e r U m g e b u n g d e r Schule liegenden arabischen Dörfer, gehen dort in die Schulen u n d Kulturhäuser d e r arabischen Minderheit und lernen in den Familien deren besondere Lebensumstände kennen. Umgekehrt gilt dies auch f ü r die arabischen Teilnehmer. Ganz besonders wird dies bei den P r o g r a m m e n f ü r Jugendliche gepflegt. Sie n e h m e n auch jeweils f ü r einige Stunden am Unterricht in d e n jüdischen bzw. arabischen Schulen teil. 1987 beteiligten sich a n diesem jüdisch-arabischen Schüleraustausch insgesamt sechs Schulen in d e r U m g e b u n g d e r Bildungsstätte Givat Haviva. Mit Erfolg werd e n hier Vorurteile u n d Klischees auf beiden Seiten abgebaut u n d so ein Beitrag zum friedlichen Zusammenleben zwischen Arabern u n d J u d e n geleistet. Die Friedrich-Ebert-Stiftung beteiligt sich schon seit 1978 daran. Bei der F ö r d e r u n g israelischer B e m ü h u n g e n u m Koexistenz u n d Zusammenarbeit mit dem arabischen Nachbarn hat die Friedrich-Ebert-Stiftung auch Partn e r außerhalb der Bildungsstätten d e r Arbeiterbewegung Israels g e f u n d e n . Hier ist die Kooperation mit dem „Center for Peace in the Middle East" (CPME) zu nennen, eine überparteiliche Forschungs- u n d Bildungseinrichtung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, zu einer friedlichen Lösung d e r Konflikte im N a h e n Osten einen Beitrag zu leisten. Die Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung gilt einmal d e r Herausgabe von Publikationen zu verschiedenen Aspekten d e r innenu n d außenpolitischen Konflikte im N a h e n Osten sowie von Seminaren f ü r junge Israelis, die sich nach Beendigung ihres Militärdienstes politisch u n d sozial engagiert haben sowie T a g u n g e n beispielsweise f ü r leitende Vertreter aus d e r Wirtschaft des jüdischen u n d des arabischen Bevölkerungsteils.

Wissenschaft führt Juden und Araber

zusammen

U n t e r den Hochschulen Israels verzeichnet die Universität Haifa d e n höchsten Anteil arabischer Studenten. Von d e n insgesamt r u n d 6.000 Studenten sind hier 1.400 arabischer H e r k u n f t , das heißt, sie kommen aus Familien d e r arabischen Minderheit in Israel, die vorwiegend im Norden des Landes lebt. Die Araber Israels sind nach d e m Gesetz gleichberechtigte israelische Staatsbürger. Gleichwohl f ü h l e n sich viele von ihnen als unterprivilegierte Bevölkerungsgruppe, die um ihre gesellschaftliche A n e r k e n n u n g k ä m p f e n muß. U n t e r d e r arabischen Minderheit in Israel gibt es heute r u n d 10.000 Akademiker, 25 Prozent von ihnen sind Frauen. Bemerkenswert ist, d a ß 40 Prozent d e r arabischen Akademiker den Beruf eines Lehrers ergreifen. Allgemein ist festzustellen, d a ß die arabischen Studenten nach ihrem Studium u n t e r ihrer Bevölkerungsgruppe Führungspositionen einnehmen u n d damit maßgeblich an d e r Gestaltung des Verhältnisses zwischen J u d e n u n d Arabern in Israel mitwirken. I m J a h r e 1972 w u r d e an d e r Universität Haifa ein „Jüdisch-Arabisches Zentrum" gegründet. Es hat sich zum Ziel gesetzt, das Verständnis u n d die Zusammenarbeit zwischen J u d e n u n d Arabern sowohl an der Universität selbst wie auch in Israel allgemein zu f ö r d e r n u n d Forschungen über den N a h e n Osten u n d die arabisch211

Austausch in Kunst und Wissenschaft israelischen Beziehungen zu betreiben. Das Zentrum veranstaltet Vorträge und Seminare zu Fragen der jüdisch-arabischen Koexistenz innerhalb und außerhalb der Universität, die sich an ausgewählte Zielgruppen wie beispielsweise Kommunal- und Regierungspolitiker, Schüler und Studenten anderer Hochschulen wenden. Das Gustav-Heinemann-Institut Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist seit 1977 als Förderer des „Jüdisch-Arabischen Zentrums" an der Universität Haifa tätig. Einen Teilbereich ihres Engagements stellt das 1974 gegründete „Institute of Middle East Studies" dar, das seit 1985 den Namen des verstorbenen Bundespräsidenten Dr. Gustav Heinemann trägt. Es ist eine überdisziplinäre Einrichtung, zu dessen Mitarbeiterstab Mitglieder der geisteswissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Haifa gehören. Das Studium der arabisch-jüdischen Beziehungen in Vergangenheit und Gegenwart stellt den Schwerpunkt der Forschungstätigkeit des „Gustav Heinemann Institute of Middle East Studies" dar. Das Institut umfaßt folgende Forschungseinheiten: Die Araber in Israel Der arabisch-israelische Konflikt Die Drusen Palästinenser unter türkischer Herrschaft Die Wirtschaft im Nahen Osten Arabische Kultur und Literatur Das arabische Schulsystem in Israel Die Geographie des Nahen Ostens Eine besondere Bedeutung hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Drusen. Es ist eine im Norden Israels und im südlichen Libanon lebende Volksgruppe islamischen Glaubens mit sehr spezifischen Sitten und Traditionen. Gerade im Einzugsbereich der Universität Haifa bilden die Drusen heute die bedeutendste arabische Volksgruppe, die mit einem entsprechend hohen Anteil auch unter den arabischen Studenten in Haifa vertreten ist. Neben der rein akademischen Forschung über die Drusen, bemüht sich die Drusensektion des Instituts, durch regelmäßige Bildungs- und Informationsveranstaltungen in den drusischen Dörfern zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen jüdischen und drusischen Israelis beizutragen und unter der drusischen Jugend das Interesse an einem Studium an der Universität zu wecken. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Drusenforschung des „Gustav Heinemann Institute of Middle East Studies" besonders gefördert. Dazu gehört auch die Unterstützung beim Aufbau eines Drusen-Archivs, des einzigen Spezialarchivs dieser Art in Israel.

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33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel Die Zeitschrift „AI Karmil" Derzeit widmet sich das Institut in seiner Forschungstätigkeit insbesondere gegenwartsbezogenen Themen der israelisch-arabischen Beziehungen, um auch hier durch Kenntnis zu einem besseren gegenseitigen Verständnis der beiden Volksgruppen im jüdischen Staat beizutragen. Das „Gustav-Heinemann-Institut" veröffentlicht die wissenschaftliche Zeitschrift ,Al-Karmil" in arabischer Sprache mit Beiträgen zur arabischen Kultur, Sprache und Literatur. Diese in ihrer Art einzige Zeitschrift in Israel bemüht sich, die Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Arabern in Vergangenheit und Gegenwart herauszustellen, um auf diese Weise nicht nur zur Verständigung zwischen der jüdischen und arabischen Bevölkerungsgruppe beizutragen, sondern zugleich auch eine Brücke zur arabischen Welt zu schlagen. Neben der Förderung der Forschungstätigkeit am Jüdisch-Arabischen Zentrum der Universität Haifa, engagiert sich die Friedrich-Ebert-Stiftung hier auch bei der Unterstützung der arabischen Studenten, die sich mit ihren jüdischen Kommilitonen regelmäßig in dem von der Stiftung initiierten und eingerichteten „Willi-Eichler-Studentenclub" zusammenfinden. Hintergrund dieser Förderung ist die Tatsache, daß arabische Studenten aufgrund ihrer Herkunft und schulischen Vorbildung ungünstigere Zugangsvoraussetzungen f ü r die Universität als ihre jüdischen Studienkollegen mitbringen. Die Eingliederung in das akademische Leben fällt ihnen schwer, nicht zuletzt auch wegen nicht ausreichender hebräischer Sprachkenntnisse. Im „ Willi-Eichler-Studentenclub" Hier setzt die Tätigkeit der Friedrich-Ebert-Stiftung an, deren Willi-Eichler-Studentenclub" inzwischen zu einer wichtigen Begegnungsstätte f ü r jüdische und arabische Studenten an der Universität Haifa geworden ist. Hier finden Vorträge zu wissenschaftlichen Themen, Diskussionsabende mit Politikern und Seminare statt. Jüdische und arabische Studenten unternehmen gemeinsam Exkursionen und Studienfahrten. Es finden Wochenendbegegnungen zwischen Hochschullehrern und ihren arabischen Studenten und deren Familien in den Heimatorten statt, um auch auf diese Weise die zwischenmenschlichen Beziehungen und das gegenseitige Verständnis zwischen Juden und Arabern zu fördern. Außerdem werden Sprachkurse in Arabisch und Hebräisch veranstaltet und literarische Werke aus dem Hebräischen ins Arabische und umgekehrt übersetzt. Die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt ein spezielles Förderungsprogramm f ü r die arabischen Studenten, damit sie ihr Universitätsstudium so gut wie möglich abschließen können. Für sie wurde ein Zusatzlehrprogramm eingerichtet, u. a. in den Fächern Englisch, Mathematik und westliche Philosophie, und die Möglichkeit für Stipendien geschaffen. Jährlich werden mehr als 100 Voll- und Teilstipendien vergeben. Gefördert wird außerdem die Promotion arabischer Studenten. Schließlich wird ihnen nach Abschluß des Studiums auch Hilfestellung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz gewährt.

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Austausch in Kunst und Wissenschaft Abbau von Barrieren Dieses Förderungsprogramm der Friedrich-Ebert-Stiftung ür das, Jüdisch-Arabische-Zentrum" der Universität Haifa beginnt immer deutlicher sichtbar Früchte zu tragen. Es hat inzwischen ganz zweifellos zum Abbau von Barrieren zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen und damit auch zu einer Verminderung des Konfliktpotentials zwischen Juden und Arabern in Israel beigetragen. Stärker als anderswo zeigt sich hier die Bereitschaft zur friedlichen und sachlichen Auseinandersetzung. Tatsächlich konnten hier Spannungen auch dadurch abgebaut werden, daß die arabischen Studenten heute mehr Chancen f ü r ein erfolgreiches Studium und die soziale Eingliederung im universitären Bereich haben als anderswo. Der Rektor der Universität Haifa, Prof. Dr. Gabi Ben-Dor, schätzt die Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung f ü r das Jüdisch-Arabische Zentrum und vor allem auch die von Prof. Dr. Alex Carmel und Dr. George Kamaze geleistete wissenschaftliche Arbeit hoch ein. Wie erfolgreich die auf Koexistenz und Verständigung ausgerichtete Arbeit des Jüdisch-Arabischen Zentrums inzwischen gediehen ist, konnte der Besucher bei Ausbruch der Unruhen im Gazastreifen und im Westjordanland im Dezember 1987 deutlich genug beobachten. Während es an anderen Orten zu Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und arabischen Studenten kam und Hochschulen geschlossen werden mußten, blieb es an der Universität Haifa ruhig. Hier konnte der Lehrbetrieb ungestört fortgeführt werden. Ein Stipendiat in Nablus Eine der Universitäten, die gleich nach Ausbruch der Unruhen den Lehrbetrieb einstellen mußten, ist die Universität in Nablus in dem von Israel besetzten Westjordanland. Hier lehrt ein ehemaliger Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dr. Abdelfattah Abu-Shokor. Der palästinensische Wissenschaftler ist seit 1984 Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der An-Najah-Universität in Nablus. Er hat mit Förderung der Friedrich-Ebert-Stiftung an der Universität in Marburg/Lahn studiert, zu der er noch immer Kontakte unterhält und der er eine Partnerschaft mit der Universität Nablus vorgeschlagen hat. Die FriedrichEbert-Stiftung versorgt Dr. Abu-Shokor, wie auch einen weiteren ehemaligen Stipendiaten an dieser Universität, im Rahmen ihres Nachkontaktprogramms f ü r Stipendiaten regelmäßig mit wissenschaftlicher Literatur seines Fachgebietes. In den vergangenen Jahren haben rund 40 Palästinenser ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten. Universität mit fünf Fakultäten In der 1978 gegründeten und mit Spenden aus den Ölförderländern neu errichteten Universität Nablus ist es im Dezember 1987 gespenstisch leer. Von den 4.000 Studenten, die an den fünf Fakultäten der größten Universität des Westjordanlandes studieren, ist nicht ein einziger zu sehen, und von den 250 Hochschullehrern ist auch nur Dr. Abu-Shokor anwesend, um die Besucher aus der Bundes214

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel republik Deutschland zu empfangen. Auf Anweisung der israelischen Besatzungsbehörden ist die Universität geschlossen worden. In den palästinensischen Flüchtlingslagern von Nablus wird derweil scharf geschossen.

Forschung zur Lage der Palästinenser Dr. Abu-Shokor berichtet über seine wissenschaftlichen Arbeiten, die sich vor allem mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland beschäftigen. Die Arbeitslosigkeit bei der palästinensischen Bevölkerung des Westjordanlandes liegt bei fast 40 Prozent. Viele sind gezwungen, in Israel zu arbeiten. Dr. Abu-Shokor hat die Gründe dafür wissenschaftlich untersucht und kürzlich in einem Buch unter dem Titel „Socio-Economic Conditions of the West Bank and Gaza Strip Workers in Israel" veröffentlicht. Stipendien für Studenten und Wissenschaftler aus Israel für einen Studienaufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat die Friedrich-Ebert-Stiftung schon lange, bevor sie mit einem eigenen Büro in Tel Aviv vertreten war, regelmäßig vergeben. Im Zeitraum seit 1961 sind annähernd 500Jahresstipendien Bewerbern aus Israel zugesprochen worden. An der Spitze der von den israelischen Stipendiaten belegten Studienfächern stand die Medizin. Vertreten waren auch Politikwissenschaft, Architektur, Maschinenbau, Philosophie und Geschichte.

Kooperation mit dem Lavon-Institut Die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Israel schließt aber auch andere Bereiche ein, wie beispielsweise die Kooperation mit dem Lavon-Institut zur Erforschung der Arbeiterbewegung in Tel Aviv. Es ist vom Gewerkschaftsbund Histadrut als zentrales Institut für Forschung und Ideologie gegründet worden und arbeitet zugleich als Archiv der israelischen Arbeiterbewegung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat das Lavon-Institut nicht nur finanziell gefördert, sondern hat bei dessen Aufbau Erfahrungen und Kenntnisse weitergeben können, die seinerzeit bei der Einrichtung des „Archivs der sozialen Demokratie" der Stiftung in Bonn gewonnen wurden.

Israel und die deutsch-jüdischen Beziehungen in der politischen Bildung Es versteht sich von selbst, daß die Themen „Israel — Juden — Holocaust" und „Deutsch-Jüdische Beziehungen" in der politischen Bildungsarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung sieht hier ihre Aufgabe darin, insbesondere der jungen Generation unseres Landes die schreckliche Vergangenheit und die ihr aus der Geschichte zugewachsene Verantwortung dafür bewußt zu machen, daß sich ein solcher Völkermord nie wiederholen darf. Die junge Generation muß wissen was geschah, um den Anfängen wehren zu können. Zugleich gilt es in der politischen Bildungsarbeit, über den jüdischen Staat heute zu informieren, über 215

Austausch in Kunst und Wissenschaft seine gesellschaftlichen Probleme u n d sein Verhältnis zu d e n arabischen Nachbarn. Die Nachkriegschronik d e r Friedrich-Ebert-Stiftung verzeichnet als erstes T h e m a einer T a g u n g zum deutsch-jüdischen Verhältnis die sog. „Reichskristallnacht", das größte J u d e n - P o g r o m im nationalsozialistischen Deutschland. Diese T a g u n g fand 1958 in d e r damals neu errichteten Heim Volkshochschule Bergneustadt statt, dem heutigen Alfred-Nau-Bildungszentrum.

Tagungen und Ausstellungen An das Menetekel d e r „Reichskristallnacht" k n ü p f e n in d e n folgenden J a h r e n eine ganze Reihe von Seminaren, T a g u n g e n u n d Ausstellungen an. Zu erwähnen sind die Ausstellung „Die Vergangenheit mahnt" von Gerhard u n d Mira Schoenberner sowie die T a g u n g „Zum 40. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto", die von der Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit d e r Ernst-Strassmann-Stift u n g in Bergneustadt veranstaltet wurde. N a m h a f t e Wissenschaftler u n d Zeitzeugen, wie d e r Leiter des Forschungsinstituts von Yad Vashem, Prof. Dr. Israel Gutmann, d e r aktiv am Ghetto-Aufstand in Warschau teilgenommen hatte, d e r inzwischen verstorbene damalige Leiter der Hauptkommission f ü r die Verfolg u n g von NS-Verbrechen in Polen, Prof. Dr. Czeslaw Pilichowski (Warschau), u n d die Genfer Philosophin Prof. Hr.Jeanne Hersch gaben dieser T a g u n g einen internationalen Rang. Die Dokumentation mit einer Auflage von 2.500 Exemplaren war schon nach kurzer Zeit vergriffen.

Tagung zum Thema „Schulbuchempfehlungen" Gemeinsam mit d e r Landeszentrale f ü r politische Bildung in Nordrhein-Westfalen referierten u n d diskutierten im Oktober 1985 im Alfred-Nau-Bildungszent r u m Experten d e r politischen Bildungsarbeit über „Die Behandlung d e r .Endlösung d e r J u d e n f r a g e ' im schulischen u n d außerschulischen Unterricht, dargestellt am Beispiel Nordrhein-Westfalen". Kurz zuvor waren in d e r Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts f ü r internationale Schulbuchforschung in Braunschweig zum ersten Mal deutsch-israelische Schulbuchempfehlungen erschienen, die von zwei Mitgliedern d e r deutsch-israelischen Schulbuchkommission, Prof. Dr. Chaim Schatzker (Jerusalem) u n d Dr. Michael Brocke (Duisburg) vor diesem fachkundigen Auditorium erläutert wurden. Die Umsetzung dieser Schulbuchempfehlungen in Israel und in d e r Bundesrepublik Deutschland war d a n n das T h e m a einer Folgeveranstaltung des AlfredNau-Bildungszentrums gemeinsam mit der Landeszentrale f ü r politische Bild u n g Nordrhein-Westfalen u n d dem Georg-Eckert-Institut f ü r internationale Schulbuchforschung im J u n i 1987, ebenfalls in Bergneustadt. Die Folgewirkung dieser Aufklärungs- und Informationsarbeit d e r Friedrich-Ebert-Stiftung zu deutsch-jüdischen u n d deutsch-israelischen T h e m e n schlagen sich nieder in zahlreichen Anfragen von Schulräten, Lehrern, Erwachsenenbildnern u n d Vertretern von Jugendorganisationen nach Materialien, Kontaktadressen in Israel, weiteren Seminaren u n d Möglichkeiten zu Begegnun216

33 Friedrich-Ebert-Stiftung: 20 Jahre Friedensarbeit für Israel gen mit Israelis, die häufig als Gäste der Friedrich-Ebert-Stiftung in die Bundesrepublik Deutschland kommen. Dies war u. a. im Februar 1987 der Fall, als Künstler und Kritiker aus Israel im Kurt-Schumacher-Bildungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bad Münstereifel weilten, um dort mit deutschen Seminarteilnehmern einen Dialog über die Darstellung des Krieges in der zeitgenössischen Kunst zu f ü h r e n . In einer Würdigung d e r politischen Bildungsarbeit d e r Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb Gabriele Behler in der „Tribüne", der Zeitschrift zum Verständnis des Judentums: „Hier wird durch praktische Bildungsarbeit eine Gegenposition zu den Kräften aufgebaut, die lautstark und unsensibel die ,Gnade der späten Geburt' f ü r sich in Anspruch nehmen und eine aus der Geschichte erwachsene besondere Verantwortung von sich schieben."

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34 Die Jerusalem Foundation — Ein Gespräch mit Ministerpräsident Bernhard Vogel am 26.2.1988 Frage: Herr Ministerpräsident, in Jerusalem gibt es die Jerusalem Foundation, einen Zusammenschluß von Politikern, Fachleuten der Kultur aus den verschiedensten Kreisen. Was macht die Jerusalem Foundation? Antwort: Die Jerusalem Foundation ist eine weltweite Organisation mit nationalen Komitees, eben auch einem deutschen Komitee, der Jerusalem Foundation Deutschland e. V. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, beim Wiederaufbau Jerusalems zu helfen und bei der Integration von Juden, Arabern und Christen in dieser Stadt, die ja nicht nur eine Weltstadt unter anderen ist, sondern die die Wurzel großer Weltreligionen darstellt. Frage: Das ist letzten Endes auch ein Werk von Bürgermeister Teddy Kollek, der ja viele Aktionen für Jerusalem auf die Beine gestellt hat. Antwort: Der Wiederaufbau Jerusalems ist besonders nach der Wiedervereinigung der beiden Teile der Stadt ohne Teddy Kollek nicht denkbar. Das ist sein Lebenswerk, und er hat es nicht zuletzt in hervorragender Weise verstanden, dafür in der ganzen Welt Freunde zu finden. Die Jerusalem Foundation Deutschland ist selbstverständlich auf das Engste mit dem Jerusalemer Oberbürgermeister verbunden und will ihm helfen, sein Lebenswerk, den Wiederaufbau der Stadt, die Integration der Menschen, die in Jerusalem leben, zu fördern. Frage: Ich will gleich zum Punkt kommen. Jerusalems Aufbau heißt ja letzten Endes große Mittel aus Verbänden, aus Einzelpersonen und deren Hintergrund zu mobilisieren — ich denke ganz besonders an Axel Springer —, um hier überhaupt Möglichkeiten zu schaffen, diesen Aufbau zu fördern! Antwort: In der Tat haben wir hier speziell in Deutschland—aber wie gesagt, ähnliche Aktivitäten gibt es in der ganzen Welt, — uns bemüht, durch die Jerusalem Foundation Deutschland finanzielle Mittel zu mobilisieren und den Wiederaufbau auch zu finanzieren. Wir haben eine große Anzahl von Persönlichkeiten in Deutschland dafür gewonnen, sich persönlich in Jerusalem zu engagieren. Es gibt übrigens auch eine große Zahl von Städten in Deutschland, etwa Berlin, Frankfurt, Stuttgart — um drei Beispiele zu nennen —, die sich unmittelbar in Jerusalem engagiert haben. Wir haben als Jerusalem Foundation Deutschland Spenden gesammelt, um bestimmte Projekte in Absprachen mit Jerusalem zu verwirklichen. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß im arabischen Teil Jerusalems ein großes Gesundheitszentrum, eine große Klinik, entstanden ist. Wir errichten gegenwärtig im Westen Jerusalems ein Jugendbegegnungszentrum für arabische und israelische junge Menschen. Den Grundstein dazu hat die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Teddy Kollek gelegt, der den damit verbundenen Geldpreis für diesen Zweck gestiftet hat. Wir haben weitere Mittel gesammelt. 218

34 Die Jerusalem Foundation Frage: Wie weit ist das gediehen? Sind die Projekte schon im Bau, sind da schon Überlegungen vorhanden? Antwort: Das Krankenhaus ist schon im Betrieb, da sind zwar noch einige Abteilungen, wie beispielsweise die Röntgen-Abteilung, die noch nicht voll eingerichtet u n d voll funktionsfähig sind, aber das Krankenhaus als solches ist gebaut und finanziert. Das Jugendbegegnungszentrum ist ebenfalls finanziert. Die Verwirklichung des Bauvorhabens hat begonnen, aber es ist noch nicht fertiggestellt. Frage: Herr Ministerpräsident, wenn Sie diese ganzen Aktivitäten um Jerusalem sehen, die von der Foundation speziell in Angriff genommen wurden, wie sehen Sie die Zusammenarbeit f ü r den deutsch-israelischen Dialog? Ist mit dieser Stiftung im Kreis der Stifter etwas f ü r die deutsch-israelischen Verbindungen bewirkt worden? Antwort: Ich bin dessen ganz sicher. Die Repräsentanten aus allen gesellschaftlichen Gruppen, vor allem auch aus den beiden großen politischen Parteien, beispielsweise Herr Leber von den Sozialdemokraten, ich aus der Christlich-Demokratischen Union u n d viele andere, haben in Deutschland diese Aufgabe der Jerusalem Foundation übernommen, weil in unserem Vaterland, anders als z. B. den Vereinigten Staaten von Amerika, ja kaum m e h r J u d e n leben, die das selbst in die Hand nehmen könnten. Ich glaube, daß wir damit — und das ist auch der Antrieb, warum ich mich dort engagiert habe —, auch einen Beitrag f ü r die deutsch-israelischen Beziehungen leisten. Mir, d e r ich am Tage des Kriegsendes 12 J a h r e alt war, lagen und liegen die politischen Beziehungen zu drei Ländern in der Welt besonders am Herzen: zu Frankreich, zu Polen und zu Israel. Zu Frankreich ist ein überwältigender Erfolg gelungen. Es ist einer der ganz großen Erfolge d e r Nachkriegszeit, daß es zu einer Aussöhnung gekommen ist. So war beispielsweise der 25. Jahrestag des Elysee-Vertrages, d e n wir vor ein paar Wochen in Paris begangen haben, ein Tag, den man nur mit vollster innerer Befriedigung erleben konnte. Hier sind die Gräben zugeschüttet, und hier ist eine neue Freundschaft entstanden. Für Polen kann man das in diesem Ausmaß noch nicht sagen. Hier sind noch viele Anstrengungen notwendig, hier sind noch viele Schatten der Vergangenheit zu überwinden, um ebenfalls zu einer guten Nachbarschaft zu kommen, wie dies zu Frankreich schon erreicht ist. Auch zu Israel sind viele Erfolge erzielt worden. Ich glaube, daß viele Jugendliche in den beiden Ländern und viele Politiker, beispielsweise auch d e r amtierende israelische Staatspräsident durch seinen Besuch in der Bundesrepublik 1987, aber auch der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker durch seinen Besuch in Israel dazu beigetragen haben. Ich bin überzeugt, daß in bescheidenerem, in begrenzterem Rahmen selbstverständlich, auch die Jerusalem Foundation dazu einen Beitrag geleistet hat. Übrigens gehört dazu auch eine ganze Reihe von Städtepartnerschaften, die sich Gott sei Dank inzwischen entwickelt haben. Unter vielen nenne ich als Beispiel nur die Partnerschaft zwischen Worms und Tiberias. Frage: Wenn Sie dieses ganze Gemälde vor Ihren Augen Revue passieren lassen, dann ist die Jerusalem Foundation ja ein wichtiger Beitrag in dieser Bereinigung des furchtbaren Holocaust und was damit zusammenhängt. Glauben Sie, daß die 219

Austausch in Kunst und Wissenschaft

deutsch-israelischen Verbindungen letztlich im kulturellen Bereich führend werden können für die gesamte Entwicklung? Antwort: Ich glaube zunächst einmal, daß wir gut daran tun, auch in Zukunft unsere ganze Kraft auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu legen, wobei ich zur Maxime machen möchte, nicht die Vergangenheit zu vergessen, aber gemeinsam eine bessere Zukunft zu bauen. Es ist unhistorisch, die Vergangenheit zu vergessen, etwa zu sagen, Strich darunter, wir reden nicht mehr darüber. Aber es ist lähmend, nur über die Vergangenheit zu reden und nicht auch an die Zukunft zu denken. Deswegen noch einmal: Die Vergangenheit bewahren, sie nicht dem Vergessen anheimgeben. Wir müssen eine bessere Zukunft gemeinsam gestalten, und dazu wird hoffentlich auch in Zukunft die Jerusalem Foundation Deutschland einen Beitrag leisten. Ich bedauere in diesem Zusammenhang, daß die gegenwärtige Situation in Israel uns in unserem Bemühen nicht unterstützt. Ich sage das in aller Offenheit.

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35

Eine Briefmarkenausstellung im Siegburger Rathaus zum 40jährigen Jubiläum des Staates Israel

Bei der Eröffnung einer Briefmarkenausstellung, in der das Thema Israel im Mittelpunkt stand, hielt die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Annemarie Renger, die folgende Eröffnungsansprache: „Es freut mich sehr, daß auch die Stadt Siegburg zusammen mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Bonn dem 40jährigen Bestehen des Staates Israel mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen öffentliche Beachtung verleiht. Deshalb habe ich gerne die Schirmherrschaft über diese Ausstellung übernommen. Es ist gerade ein paar Tage her, da erhielt ich von einem Freund, der sich im Moment in Israel aufhält, eine ganz einfache Ansichtskarte; sie zeigt die Umgebung der Klagemauer - ein sicherlich interessantes Motiv. Mein zweiter Blick aber fiel direkt auf die Briefmarke. Sie zeigt einen großen grauen mit einem Korken verschlossenen Wasserhahn auf stahlblauem Hintergrund mit der schlichten Aufforderung: Spare Wasser. Die Gedanken, die sich an diese Briefmarke anknüpfen, führen kreuz und quer durch Israel, von Abrahams Brunnen in Beer Sheva bis zu den Bewässerungsanlagen der Kibbuzim. Dies zeigt die kulturelle Aussagekraft dieses kleinen, aber so liebenswerten Gebrauchsgegenstandes. Briefmarken erlauben oft einen kurzen, aber gezielten Einblick in ein fremdes Land, in eine fremde Kultur und Geschichte. Nicht nur die Philatelisten können hier eine Menge interessanter Dinge sehen. 200 Jahre alte Briefmarken zeugen noch von den Spuren des osmanischen Großreiches, das auch lange Palästina besetzt hielt. Landesmarken aus den verschiedensten europäischen Nationen, mit türkischem Überdruck, zeugen von den vielfältigen kulturellen Einflüssen im 19. Jahrhundert. Auch die Zeit des britischen Mandats findet in den Briefmarken ihren Niederschlag, eine Zeit, in der es bereits zu verstärkten jüdischen Einwanderungen kam, nicht zuletzt bedingt durch die erbarmungslose Judenverfolgung in Mitteleuropa. Für die Briefmarkenkenner ist die Dokumentation der Interimszeit, also der Zeit zwischen dem Abzug der britischen Verwaltung und der Staatsgründung, ein besonderer Leckerbissen. Die hier zusammengefaßte Ausstellung dokumentiert in einer sehr übersichtlichen Weise die wichtigsten geschichtlichen Etappen im Heiligen Land in den vergangenen zwei Jahrhunderten. Wie wir alle wissen, war die Geschichte Palästinas ja sehr wechselvoll und für die Juden sehr leidvoll. Erst die Teilung Palästinas durch den UN-Beschluß 1947 hat das heutige Israel möglich gemacht. Der Traum: .Nächstes Jahr in Jerusalem* ist Wirklichkeit geworden. Aber nicht erfüllt hat sich bis heute die Hoffnung Ben-Gurions, des ersten Ministerpräsidenten des Staates Israel, der am 14. Mai 1948 gegründet wurde, daß 221

Austausch in Kunst und Wissenschaft J u d e n u n d Araber in friedlicher Nachbarschaft zusammenleben können. Die Bild e r d e r Gewalt u n d Gegengewalt stehen noch vor unseren Augen, u n d es ist besonders f ü r die F r e u n d e Israels bedrückend, wie die als latente u n d akute Bedroh u n g e m p f u n d e n e Situation die j u n g e n Soldaten u n d Soldatinnen zu Handlungen hinreißt oder auch zwingt, ihnen f r e m d e u n d auch leider unerträgliche H a n d l u n g e n zu begehen. Diese tägliche Gewalt verhindert aber alle Ansätze zu einer tragbaren Friedensregelung, die sowohl den Israelis Sicherheit ihrer Existenz in sicheren Grenzen gibt als auch d e n arabischen Palästinensern ihren Anspruch auf Eigenstaatlichkeit in welcher Form auch i m m e r erfüllt. Wir können sicher nicht viel tun, aber doch in gebotener Zurückhaltung f ü r einen Frieden im N a h e n Osten werben. Dazu kann trotz d e r unterschiedlichen Auffassungen wohl noch am besten eine Internationale Friedenskonferenz dienen, wenn die beiden Großmächte sich ihrer Verpflichtung bewußt sind. Die Briefmarken, die diese Entwicklung begleitet haben, gehören zu den schönsten in der Welt, u n d Leonhard Bohlen kommt das Verdienst zu, diese umfassende Sammlung zusammengestellt zu haben — ein Dank, der auch an die Autoren d e r beiden Spezialsammlungen, Karl Thomas u n d Herbert Wermelskirchen, die d u r c h ihre Seltenheit f ü r d e n Philatelisten einen besonderen Wert haben, geht. Ich h o f f e u n d wünsche mir, daß Israel in nicht allzu f e r n e r Z u k u n f t seine Briefmarkenmotive u m eine Dokumentation eines d a u e r h a f t e n Friedens bereichern kann. In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung viel Erfolg."

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Deutsch als Wahlfach an Israels Schulen

Vor kurzem wurde in Jerusalem zwischen dem Staatssekretär im israelischen Kultusministerium, Mordechai Shoshani, und dem Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt in Bonn, Dr. Barthold Witte, eine Vereinbarung getroffen, nach der Deutsch als Wahlfach an Sekundar-Schulen genehmigt werden soll. Es ist dies ein wichtiger Punkt der deutsch-israelischen Kulturbeziehungen, da formell immer noch die vor langen Jahren durch die Knesset eingeführte Restriktion deutsch-israelischer Kulturbeziehungen besteht. Damals wurde eine entsprechende Bestimmung erlassen, die jede Kulturbeziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel gebremst hat. Wie die Tageszeitung „Die Welt" am 9. Juni 1988 berichtete, war das Interesse am Deutschunterricht in Israel unvermindert groß. Sprachkurse, bis zum Abiturniveau, werden derzeit vom Goethe-Institut angeboten und sind überfüllt. In Tel Aviv sind 1.200 Studenten eingetragen. In Jerusalem lernen 120 Israelis Deutsch. Darunter sind auch Kinder deutschstämmiger Israelis, allerdings nur als eine Minderheit. In der hebräischen Universität in Jerusalem wird Deutsch in der germanistischen Fakultät gelehrt. Das Auswärtige Amt will helfen, den Studiengang Deutsch zum Hochschulabschluß des M. A. (Master of Arts) aufzuwerten und dadurch Lehrkräfte f ü r den Deutschunterricht zu erhalten. Wie „Die Welt" in ihrem Bericht schreibt, ist diese positive Entwicklung dem derzeitigen Amtsinhaber des Ministeriums zu verdanken: „Israelische Abgeordnete erklärten, diese Entwicklung wäre unter dem vorigen Unterrichtsminister, einem Mitglied der National-Religiösen Partei, kaum denkbar gewesen. Der derzeitige Amtsinhaber, Itzhak Navon, ehemaliger politischer Sekretär von David Ben Gurion, ist wie einst Ben Gurion für eine würdevolle Annäherung an die Bundesrepublik. Er ignoriert wie die anderen Kulturbehörden den 30 Jahre alten Knessetbeschluß gegen Kulturbeziehungen mit Deutschland. Er steht zwar noch in den Statuten, aber statt ihn gegen den möglichen Widerstand einzelner abzuschaffen, schweigt man ihn lieber tot." In dem Artikel der Tageszeitung „Die Welt" wird auch auf andere Zweige florierender Kulturbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel hingewiesen. Dazu heißt es: „Beim gerade laufenden Israel-Festival übersteigt der deutsche Beitrag alle anderen. Zu den Mitwirkenden zählen das Frankfurter Concerto Grosso, die Frankfurter Oper, das Münchner Residenz-Theater, das Berliner Grips Theater, der Kieler Knabenchor und das Hamburger Philharmonische Orchester. Im Rahmen von Hochschulpartnerschaften studieren 500 Israelis an deutschen und ungefähr 100 Deutsche an israelischen Universitäten. Im Jugendaustausch kamen 1987 rund 5.000 Deutsche nach Israel und 3.000 Israelis nach Deutschland."

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Statistische Übersicht über Humboldt-Stipendiaten aus Israel 1958-1989

Fachgebiet

Anzahl

Geisteswissenschaften gesamt: 39, davon Theologie Philosophie Psychologie, Pädagogik Allg. Sprach- und Literaturwissenschaften Germanistik Fremde Sprachen und Kulturen Ethnologie Archäologie Geschichtswissenschaft Kunst- und Musikwissenschaft Rechtswissenschaften

1 2 3 5 1 9 1 1 11 1 4

Naturwissenschaften gesamt: 39, davon Mathematik Physik Astronomie, Astrophysik Geowissenschaften Chemie, Pharmazie Biowissenschaften Medizin Veterinärmedizin

5 6 1 4 8 7 6 2

Ingenieurwissenschaften gesamt: 5, davon Werkstoffwissenschaften Bauingenieurwesen

1 4

Gesamt:

83

Anzahl nach J a h r e n (Jahr des Stipendien-Beginns) 1958 1961 1962 1963 1964 1968 1969 1970 224

1 2 1 2 1 3 1 1

1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978

6 1 6 2 2 7 1 5

1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986

1 3 6 2 4 5 5 4

1987 1988 1989 Gesamt:

4 4 2 83

3 7 Statistische Übersicht über Humboldt-Stipendiaten aus Israel 1958—1989

Nachbetreuung Gerätespenden: Buchspenden: Wiedereinladungen: Wiederaufnahmen:

9 im Gesamtwert von 359.430 DM 28 im Gesamtwert von 49.467 DM 4 31

225

38

Städtepartnerschaften zwischen der Bundesrepublik und Israel

Andernach Attendorn Berlin-Charlottenburg Kreuzberg Neu-Kölln Reinickendorf Spandau Steglitz Tempelhof Wedding Willmersdorf Zehlendorf Grafschaft Bentheim LK Bad Kreuznach Bad Oldeslohe Bielefeld Bonn Bramsche Braunschweig Bremen Bremerhaven Dortmund Düsseldorf Emden Eßlingen (LK) Frankfurt Georgsmarienhütte Gießen Heidelberg Hochtaunus Kreis LK Kamen Köln Leverkusen Hannover (LK) Ludwigsburg LK Mainz Marl Meerbusch 226

Dimona Beniamina Or Yehuda Kiryat Yam Bat Yam Kiryat Ata Ashdod Kiryat Bialik Nahariya Cholon Karmiel Sderot Hapoel Kfar-Saba Kiryat Motzkin Beer Yacov Nahariya Tel Aviv Raanana Kiryat Tivon Haifa Rehovot Natanya Haifa Ashkelon Givatayim Tel Aviv Ramat Hasharon Natanya Rehovot Tamar Regional Council Eilat Tel Aviv Nazaret Illit Galil Tachton/Region Unter-Galiläa Region Oberes Galiläa Haifa Herzliya Petah Tikva

38 Städtepartnerschaften zwischen der Bundesrepublik und Israel

München Münster Oberhausen Offenbach Paderborn (LK) Pocking Recklinghausen (LK) Siegen-Wittgenstein LK Stade Uelzen (LK) Wiehl Wiesbaden Witten Worms Wuppertal

Rishon le Zion Rishon le Zion Jerusalem Nahariya Nahariya Metulla Akko/Region Nordisrael Emek-Hefer Givat Shmuel Lod Yokneam Kfar Saba Ein Vered Yavne Beer Sheva

LK: Landkreis — in () unter Einschluß der Stadt

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Das Forschungszentrum Ben-Gurion in Sde Boker — Ein Gespräch mit dem Leiter, Asher Ben Natan

Nach langen Jahren hatte ich Asher Ben Natan wiedergetroffen. Er saß in seinem Büro, von dem aus er die Arbeit für die Universität „Ben-Gurion" in Beer Sheba leitete und damit auch die Grundlage für das Ben-Gurion-Zentrum Sde Boker in der Hand hielt. Seine Dynamik war gleichzeitig die Ausprägung für diese Forschungszentrale in der Wüste. Ben Gurion hatte dieses Forschungszentrum errichtet, als er selbst in seiner kleinen barackenähnlichen Hütte dort eingezogen war. Hier zeigte er Konrad Adenauer bei dessen Besuch seine Umgebung. Mit den zahllosen Büchern und Schriften, die er hier angesammelt hatte. Über all das sprach ich mit Asher Ben Natan in seinem Büro in Tel Aviv: Frage: Herr Ben Natan, Sie waren viele Jahre lang Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland für Ihr Land und sind jetzt der Vorsitzende, Direktor oder wie Sie es nennen wollen der Ben-Gurion-Stiftung in Beer Sheba. Sie hatte erst den Namen Negev-Stiftung getragen und ist jetzt als Ben-Gurion-Stiftung eingetragen und bekannt. Was tut sie? Antwort: Es war zuerst die Negev-Stiftung, eine Assoziation um die Wissenschaft für die Gesellschaft Erziehung und Landwirtschaft im Negev, die es auf sich genommen hat, ein akademisches Zentrum in der Zinn-Wüste, unweit vom Kibbuz Sde Boker, zu gründen. Zuerst einmal wurde es das, was man eine Feld-Scholl nennt. Feld-Scholl ist ein — ich weiß nicht, ob es so etwas in Deutschland gibt — Institut, wo Leute auf zwei oder drei Wochen kommen, um über die Umgebung zu lernen, sowohl was Flora, Fauna und die biologischen Daten betreffen, alles was mit der Umgebung zu tun hat, um den Negev all jenen näherzubringen, die sich für die Wissenschaft interessieren. Ein zweites war ein Internat, ein Gymnasium als Internat, das einzige überdies, was dem Umweltschutz und der Umweltforschung dient. Die Schüler des Internates befinden sich wochenlang im Negev, studieren Details, die mit dem Negev zusammenhängen und was noch interessant ist, sie machen einen Umweltplan. Der wird von dieser Schule von Anfang an betrieben. Das Gymnasium unterweist bis zur Reifeprüfung und ist eine der besten Schulen in Israel. Nach dem Tode von Ben Gurion wurde die Negev-Stiftung in Yad-Ben-Gurion-Stiftung umbenannt, und es wurden zwei Institutionen im Sinne von Ben Gurions Überlieferung gegründet. Das war das Ben-Gurion-Forschungszentrum und das Institut für Wüstenforschung. Diese beiden gehören akademisch zusammen und unterstehen der Universität „Ben-Gurion" in Beer Sheba, aber die Infrastruktur und dergleichen wird von Yad-Ben-Gurion gefördert. Die Aufgabe des Yad-Ben-Gurion ist es, allen diesen Institutionen zu helfen für Forschung, Veröffentlichung wissenschaftlicher und erzieherischer Publikationen und die Infrastruktur für die Institute und für die Menschen, die dort leben, denn das ist 228

39 Das Forschungszentrum Ben-Gurion in Sde Boker ein akademisches Dorf geworden mit Menschen, die da wohnen. Einige sorgen für Unterkunft, f ü r Wohnungen und ein Kommerzialzentrum. Es ist eine kleine akademische Stadt geworden. Die Knesset hat das Ben-Gurion-Gesetz beschlossen und dieses sieht vor, daß all diese Institutionen von der Regierung unterstützt werden durch das Erziehungsministerium und die Ben-Gurion-Stiftung und hat im Rahmen dieses Gesetzes die Obhut über all diese Institutionen. Die Stiftung ist in allen Institutionen zum Teil verantwortlich, zum Teil repräsentiert. Ben Gurions Mission war, in der Wüste ein geistiges Zentrum zu haben. Er sagte „so wie J a f n e und Oxford" sowohl f ü r allgemeine Wissenschaft als auch f ü r jüdische Wissenschaft. Natürlich ist es die Hauptaufgabe des Ben-Gurion-Institutes, die Überlieferung vom Denken Ben Gurions zu fördern. Im Archiv Ben Gurions gibt es eine Million Dokumente. Da gibt es alle Tagebücher von Ben Gurion. Ben Gurion hat ja seit j e Tagebuch geführt in kleinen, handgeschriebenen Heften, wo er alles mitgeschrieben hat. Das ist natürlich eine Fundgrube, die Arbeit f ü r viele Jahre gibt. Sie dürfen natürlich erst nach SO Jahren veröffentlicht werden. Das ist die Frist, und wir haben jetzt die Tagebücher während des Krieges veröffentlicht, und zwar nach eineinhalb Jahren, 1948 und 1949, das sind drei Bände geworden. Sie können sich vorstellen, wenn sämtliche Tagebücher von Ben Gurion veröffentlicht werden, dann werden es hunderte werden. Wir veröffentlichen die Memoiren von Ben Gurion. Da sind wir am Anfang der 40er Jahre. Wir werden noch 6 oder 7 Bände in den nächsten 4 oder 5 J a h r e n veröffentlichen. Dies ist natürlich auch zu sehen auf die Memoiren und auf die Hinterlassenschaften von Ben Gurion. Frage: Darf ich unterbrechen: Als Bundeskanzler Dr. Adenauer damals in Sde Boker war, hat Ben Gurion ihm diese Art Vision vor Augen geführt. Antwort: Ich glaube, eines der Hauptthemen des Gespräches war damals der Negev. Damals, als Adenauer bei Ben Gurion war, hat das Zentrum noch gar nicht bestanden. Das war n u r ein Gedanke, etwas derartiges zu schaffen. Es waren die ersten Schritte, die damals gemacht wurden, u m dieses Zentrum zu gründen. Nun das ist f ü r Geschichtsforscher ein „Muß". Aber es dient auch jedem, der die Geschichte um die Entstehung des Staates Israel und die ersten 20 Jahre untersuchen will. Ihm dient dieses Institut, das Forschungen über verschiedene Aspekte von Ben-Gurion und die intellektuellen Bemühungen und die Bibel und verschiedene Aspekte seines Wirkens, Schaffens betreffen. Das Ben-Gurion-Institut hat auch eine besondere Abteilung f ü r Erziehung, die jedes J a h r ein Erziehungsprogramm über Ben-Gurion in allen Schulen durchführt, jedes J a h r , und zwar wird das durch Publikationen in Form von Spielen, in Form von Quiz gemacht. Es basiert in den verschiedenen Stadien der Erziehungsstufen der Schulen. Das ist ein Institut, das jedes J a h r ein solches Programm durchführt, um Ben Gurion der J u gend näherzubringen. Frage: Herr Ben-Natan, wenn Sie hier das Programm entwickeln, dann zeigt es j a im Grunde, welch große Figur Ben Gurion nicht n u r gewesen ist, sondern in der Staatsführung immer gespielt hat und bis heute spielt. 229

Austausch in Kunst und Wissenschaft Antwort: Zweifellos, Ben Gurion hat in der Geschichte des Staates Israel eine entscheidend große Rolle gespielt, und zwar seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Frage: Und wir haben ja einen Einblick in das, was Ben Gurion für die Verwendung der Materialien im Bereich Deutschland/Israel gemacht hat? Antwort: Zweifellos, die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel sind immer bestimmt gewesen von den Grundprinzipien, die Ben Gurion festgelegt hat, und zwar unmittelbar nach dem Kriege, und zwar geschah das aus zwei Konstellationen heraus. Die erste war immer das Interesse des Staates Israel. Das ist der Staat Israel, der j a unter schweren Umständen entstanden ist mit einer sehr großen Emigration und ohne überhaupt die Mittel zu haben, das Land zu entwickeln. Für ihn war eines seiner Hauptmerkmale, die Sicherheit des Staates, derja von Anfang an auch in jeder Beziehung unter schwersten Umständen entstanden ist, der Befreiungskrieg und nachher die stetigen Spannungen, der Aufbau der Armee. Der Begründer der Verteidigung ist auch der Vater der israelischen Armee gewesen. Er war Verteidigungsminister und Ministerpräsident zur gleichen Zeit. Er war schon der Verteidigungsminister vor der Staatsgründung. Ein Befehl war die Sicherheit, immer das Wichtigste. Das zweite Prinzip war, er sagte, „Du sollst nicht morden und auch nicht erben", aber ein drittes Prinzip war, daß er nur bereit war, überhaupt Kontakt aufzunehmen, nur mit einem Regime, das der Vergangenheit sowohl im Geist als auch in Taten völlig den Rücken gekehrt hat. Frage: Herr Ben Natan, dieses Institut, diese Entwicklung dieser Institute möchte ich sagen, kostet ja eine Menge Geld. Macht das Israel alleine oder kommen da auch Spenden aus der Bundesrepublik? Antwort: Den Großteil der Investitionen in Sde Boker kamen entweder von der Regierung oder aus Spenden aus der ganzen Welt. Die Yad-Ben-Gurion-Stiftung ist eine Institution, die Gelder und Spenden immer gesucht und gefunden hat. Aus der Bundesrepublik kam nur eine Spende von Axel Springer, den ich damals angesprochen habe. Es gibt im Institut heute ein Axel-Springer-Auditorium. Er war auch bei der Eröffnung dabei und seine Stiftung stellte uns jedes Jahr eine kleine Summe zur Verfügung für Forschungen. Aus anderen Quellen aber kam nichts aus der Bundesrepublik. Das meiste Geld kam von jüdischen Spendern aus Europa und den Vereinigten Staaten.

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Neue deutsch-israelische Kulturkonsultationen

Am 30. Juni und 3. Juli 1989 fanden in Bonn deutsch-israelische Kulturkonsultationen statt. Auf deutscher Seite waren, unter dem Vorsitz des Leiters der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts, die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK), das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG), das Goethe-Institut sowie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) beteiligt. Von israelischer Seite waren das Außenministerium, das Ministerium für Erziehung und Kultur und die hiesige israelische Botschaft vertreten. Die Gespräche deckten das gesamte Spektrum der bilateralen Kulturbeziehungen ab. Beide Delegationen konnten übereinstimmend feststellen, daß sich die deutsch-israelische kulturpolitische Zusammenarbeit sehr erfreulich entwickelt und eine Breite und Qualität gewonnen hat, wie sie vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar erschien. Besonders hervorgehoben wurden die Bereiche Jugendaustausch, Kultur im engeren Sinn sowie die Unterrichtung der Partnersprache im jeweils anderen Land. Gerade in diesem Fall ist es wichtig, sich der Dinge zu erinnern, um die sich deutsch-israelische Kulturgespräche in den vergangenen Jahren gedreht haben. Dahin gehört auch der Bericht, den ich in einem Interview mit Herrn Botschafter Dr. Lahn nach seinen Gesprächen vom November 1982 abgedruckt habe:

40.1

Interview mit Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt

Witte, Leiter der

Kulturabteilung

Frage: Etwas unvermittelt für den Außenstehenden kamen Ihre jetzt hinter Ihnen liegenden Gespräche über Kulturfragen mit der israelischen Regierung. Unvermittelt deshalb, weil vor etlichen Jahren Ihr Vorgänger im Amt, Herr Botschafter Lahn, in Israel war, und als ich ihn fragte, wie ist es mit einem Abkommen, was Sie jetzt ausgehandelt haben, sagte er, wieso brauchen wir ein Abkommen, wir haben ja gute Beziehungen. Nun sind wir soweit, daß wir so eine Art Abkommen erhalten werden. Antwort: Wir haben in den letzten Jahren im Kulturaustausch mit Israel - aber auch in der Substanz - spürbare Fortschritte gemacht. Das Wort „Abkommen" trifft nicht ganz das, worum es geht. Was da tatsächlich geschehen ist und was geschehen wird, ist folgendes: Auf Grund meiner letztjährigen Konsultationen in Israel mit dem Außenministerium, mit dem Kulturund Erziehungsministerium haben sich beide Seiten entschlossen, künftig regel231

Austausch in Kunst und Wissenschaft mäßige organisierte Gespräche zu halten über den Austausch zwischen beiden Ländern. Dazu brauchen wir nicht einmal ein Kulturabkommen, sondern das ist die Absprache, die auch den Kern eines Kulturabkommens erstellen würde. Wir sind diesmal zum ersten Mal zusammengekommen u n d die Gespräche haben dann zu einem umfangreichen Protokoll dieser Konsultationen geführt. Das kann man also als ein Arbeitsprogramm f ü r die nächsten zwei J a h r e etwa betrachten. Vorgesehen ist, daß wir nach zwei J a h r e n erneut dann in Israel wieder zusammen kommen, um ein solches Arbeitsprogramm wiederum f ü r zwei J a h r e zu entwickeln. Ich finde, das ist eine gute Basis und völlig zufriedenstellend. Frage: Kann man etwas über den Inhalt dieses Protokolls sagen? Antwort: Natürlich, das ist ja keine Geheimsache. Das Protokoll umfaßt im Grunde alle Felder des Kulturaustausches, also nicht nur im kulturengeren Sinne des Wortes, sondern einfach jetzt in der Reihenfolge der Kapitel: Die Zusammenarbeit im Bereich des Erziehungswesens, also Schulen und Hochschulen u n d Erwachsenenbildung, die Zusammenarbeit im Bereich der Förderung Partnersprache Deutsch in Israel u n d Neuhebräisch in der Bundesrepublik Deutschland — auch ein wichtiger Punkt. Dann geht es weiter mit einem Kapitel über allgemeine Planung von Kulturpolitik in den beiden Ländern. Die Kultur im engeren Sinne, also die darstellenden Künste, die Musik, das Theater, die gemeinsamen Bemühungen zur Erhaltung von überliefertem Kulturgut, Literatur, Rundfunk, Fernsehen, Jugendaustausch, Sportaustausch. Also: Alles in allem ist es ein weites Feld, in dem wir eine Fülle von einzelnen Vorhaben miteinander besprochen u n d vereinbart haben, die nun in den beiden J a h r e n realisiert werden. Frage: Wie war die Stimmung auf der israelischen Seite? Antwort: Gut, wirklich offen. Frage: Gab es auch keine Probleme, die wir Vorjahren noch hatten? Antwort: Nein. Natürlich ist, wenn man über deutsch-israelische Beziehungen spricht, immer im Auge zu behalten, daß die Vergangenheit vergeht. Das ist doch bei diesen Gesprächen so gewesen und allen Beteiligten so bewußt. Aber ich will es einmal umgekehrt sagen. Gerade weil diese Vergangenheit im Bewußtsein lebendig ist, können wir jetzt in zunehmender Unbefangenheit daran gehen, es besser zu machen. Frage: N u n ist leider in diesem Moment, wo Sie zurückkamen, ein Mann gestorben, der den „Teppich sehr eng gewebt hat": ShmuelRodenski. Ich erinnere mich noch sehr gut an unser erstes Zusammentreffen in Hamburg zwischen zwei Proben, wo er mich fragte: „Meinst Du, ich habe es richtig gemacht, meinem Botschafter zu folgen"? Ich sagte ihm: „Es war sehr richtig". Antwort: Der Tod von Shmuel Rodenski hat mich wie Sie sehr betroffen, weil er in der T a t einer von denen war, die unter Überwindung großer Hemmnisse geholfen haben, das Eis zu brechen. Wie weit wir heute tatsächlich gekommen sind, will ich belegen mit einer Bemerkung meines israelischen Gesprächskollegen, der 232

40 Neue deutsch-israelische Kulturkonsultationen mir gesagt hat — u n d zwar ganz unaufgefordert — Israel unterhält nach d e n Staaten von Amerika mit der Bundesrepublik Deutschland die intensivsten Kulturbeziehungen, wenn es um andere Staaten geht. Ich finde, daß ist eine erstaunliche, ja gerade wunderbare Sache. Wir werden natürlich einiges zu tun haben, diesen Stand aufrechtzuerhalten. Wichtig ist, daß das jetzt nicht n u r ein Gespräch mit dem Außenministerium war, sondern auch unter voller Beteiligung der Bundesländer. Frage: Wie sehen Sie jetzt die Arbeit des Goethe-Instituts? Antwort: Das Goethe-Institut hat sich eine wichtige Stellung erworben mit seiner Hauptstelle in Tel Aviv und seiner Zweigstelle in Jerusalem, wo man zur Zeit noch nach einem passenden Gebäude sucht mit Unterstützung von Bürgermeister Teddy Kollek und d e r Stadtverwaltung. Das gilt f ü r die Programmarbeit, die Bibliothek wie auch die Spracharbeit. Insbesondere was die Spracharbeit angeht, kommt das Goethe-Institut ja gar nicht nach. Es hat sich herausgestellt, daß unsere Befürchtung unbegründet war, daß mit dem Zurücktreten der deutschsprachigen Einwanderergeneration die Nachfrage nach Deutschunterricht abnehme, eher ist das Gegenteil der Fall. Das ist auch der Hintergrund dafür, daß sich die israelische Germanistik im Aufschwung befindet u n d auch erste Schritte unternommen werden, um an israelischen Sekundärschulen Deutsch als Wahlfach einzuführen.

40.2

Der Text des Abkommens Vereinbarte Niederschrift der Konsultationen über den Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel vom 30. J u n i bis zum 3. Juli 1989

Entsprechend den Absprachen, die während der am 6. und 7. Juni 1988 in Jerusalem durchgeführten Kulturkonsultationen erreicht wurden, hielten die Delegationen der beiden Länder ihre Sitzung am 30. J u n i u n d am 3. Juli 1989 in Bonn ab. Die Delegationslisten befinden sich in Anlage 1. Beide Seiten stellten mit Befriedigung fest, daß die kulturellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel in den letzten J a h r e n stetig ausgebaut und vertieft worden sind, insbesondere in den Bereichen Jugendaustausch, Hochschulwesen, Musik und Kunst.

233

Austausch in Kunst und Wissenschaft I. Zusammenarbeit im

Bildungswesen

1. Die deutsche Seite verwies auf die Stipendienprogramme des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), insbesondere auf die Kurzstipendien und die Möglichkeiten, israelische promovierte Akademiker und Professoren zu Forschungsaufenthalten an deutschen Universitäten einzuladen, die zu von Forschungsleitern einer israelischen und einer deutschen Universität betreuten gemeinsamen Promotionsvorhaben (Dr. phil.) führen können. 2. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) wird im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten weiterhin sowohl Kurz- als auch Langzeitlehraufträge zur Verfügung stellen. 3. Die deutsche Seite verwies auf die Forschungsstipendien und Preisträgerprogramme, die hochqualifizierten israelischen Nachwuchswissenschaftlern aller Fachgebiete von der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) angeboten werden. Die AvH unterstützt durch ihre Forschungsstipendien und Preisträgerprogramme im Einklang mit ihren Richtlinien israelische Wissenschaftler, die Forschungsarbeiten in der Bundesrepublik Deutschland durchführen. Darüber hinaus bietet die AvH deutschen Wissenschaftlern, die in Zusammenarbeit mit ehemaligen Gastwissenschaftlern der Alexander von Humboldt- Stiftung Forschungsvorhaben in Israel durchführen, Feodor-LynenStipendien an. Anträge können jederzeit an die Stiftung gerichtet werden. 4. Beide Seiten würdigten das Studentenaustauschprogramm für praktische Ausbildung, das von der International Association of Students for Technical Experience (IASTE) durchgeführt wird, und würden einen Ausbau dieses Programms in beiden Richtungen begrüßen. 5. Die israelische Seite wird jährlich drei Postgraduierten-Stipendien für Studien an israelischen Universitäten gewähren. Die Einzelheiten werden auf diplomatischem Weg erarbeitet. 6. Beginnend mit dem Studienjahr 1989/90 bietet der Landtag von BadenWürttembergjedes Jahr zwei Stipendien für israelische Studierende und zwei Stipendien für israelische Inhaber eines akademischen Grades in Industrietechnik an. Auskünfte über Einzelheiten erteilt die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Israel. 7. Beide Seiten würdigten die Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Hochschuleinrichtungen und Forschungsinstituten im Rahmen der Partnerschaften und gemeinsamen Forschungsvorhaben und empfahlen eine weitere Verstärkung dieser Zusammenarbeit. Beide Seiten möchten den Gedanken der Einsetzung einer Sachverständigengruppe zur Festlegung von Forschungsvorhaben im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Kunst wiederbeleben. 8. Beide Seiten begrüßten die Fortsetzung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere auf das deutsch-israelische Programm für Zusammenarbeit im Bereich der 234

40 Neue deutsch-israelische Kulturkonsultationen

beruflichen Bildung unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BMBW) und seiner israelischen Partner verwiesen. Die fruchtbare Arbeit des Deutsch-Israelischen Forums und der Deutsch-Israelischen Seminare, von denen das zehnte 1988 stattfand, wurde lobend erwähnt. 9. Beide Seiten würdigten die bestehenden Partnerschaften zwischen deutschen und israelischen Schulen und würden einen Ausbau dieser Kontakte zur Verstärkung des Schüleraustausches begrüßen. 10. Die deutsche Seite erklärte, sie werde weiterhin jedes Jahr sechs israelische Schüler, die hervorragende Leistungen beim Erlernen der deutschen Sprache aufweisen, zu einem vierwöchigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland in Begleitung eines Lehrers einladen. 11. Beide Seiten empfehlen die Verstärkung der Zusammenarbeit bei der gegenseitigen Überprüfung von Geschichtsbüchern auf der Grundlage der gemeinsamen Empfehlungen von 1985. Die israelische Seite möchte in diese Überprüfung die Darstellung der Juden und der Israeli in modernen deutschen Kinderbüchern einbeziehen. 11. Sprachen

12. Die israelische Seite äußerte sich zum Studium der hebräischen Sprache in der Bundesrepublik Deutschland. Die deutsche Seite äußerte sich zum Studium der deutschen Sprache in Israel. 13. Die deutsche Seite wird die Einrichtung eines Lehrstuhls für die hebräische Sprache an einer deutschen Universität fördern. Die israelische Seite wird geeignete Kandidaten dafür auswählen. 14. Zum Gedenken an den 100. Jahrestag der Wiederbelebung der hebräischen Sprache wurde das Jahr 1989/90 von der Regierung von Israel zum Jahr der hebräischen Sprache erklärt. Die Akademie für hebräische Sprache plant unter anderen wichtigen Tätigkeiten die Veranstaltung eines internationalen Symposiums und lädt dazu den Präsidenten der Akademie für deutsche Sprache ein. 15. Die israelische Seite wies die deutsche Seite auf die Sachverständigentagung zur Vorlage von Vorschlägen zur Erhaltung und Verbreitung des jiddischen Sprach- und Literaturerbes hin, die Ende 1989 unter der Schirmherrschaft der UNESCO stattfinden und von der Hebräischen Universität veranstaltet wird. Die israelische Seite lud deutsche Sachverständige zur Teilnahme an dieser Tagung ein. 16. Die israelische Seite würde eine deutsche Teilnahme am 10. Weltkongreß über Judaistik, der im August 1989 in Jerusalem stattfinden wird, und an dem vor dem 10. Weltkongreß stattfindenden Vorkongreß über Probleme des Neuhebräischunterrichts begrüßen. 17. Die israelische Seite verwies auf die Seminare, die das Internationale Zentrum 235

Austausch in Kunst und Wissenschaft

für die Vermittlung der jüdischen Kultur an Universitäten Lehrern der jüdischen Kultur und der hebräischen Sprache anbietet. Sie würde die deutsche Mitarbeit in diesen Seminaren begrüßen. Das Zentrum wird Lehrmaterial in englischer Sprache zur Verfügung stellen. 18. Israel bittet die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland sowohl im Unterausschuß für Universitäten des Europarats als auch in der UNESCO, eine Erklärung zur Förderung des Unterrichts in jüdischer Kultur und hebräischer Sprache an europäischen Universitäten zu verabschieden. 19. Die deutsche Seite berichtete über wichtige Tätigkeiten des Goethe-Instituts in Tel Aviv und seiner Zweigstelle in Jerusalem. Die deutsche Seite bekundete ihre Genugtuung über das Interesse, das diesen Tätigkeiten in Israel entgegengebracht wird, und über die Bereitschaft israelischer Partnerorganisationen zur Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Darüber hinaus begrüßte die deutsche Seite das wachsende Interesse der jungen Generation in Israel an den Deutschkursen des Goethe-Instituts. 20. Die deutsche Seite verwies auf die Unterbringungsprobleme der Goethe-Institute sowohl in Tel Aviv als auch in Jerusalem und bat die israelische Seite, ihr dabei zu helfen, in Tel Aviv neue Räumlichkeiten zu finden und für das Grundstück in der Hadad-Hamaar-Straße eine Baugenehmigung zu erhalten oder ein anderes geeignetes Grundstück mit einem Bürogebäude zu finden. 21. Die deutsche Seite kündigte an, daß das Goethe-Institut für zwei junge israelische Diplomaten zusätzliche Stipendien zur Teilnahme an Sprachkursen von vier- bis achtwöchiger Dauer an einem der Goethe-Institute in der Bundesrepublik Deutschland gewähren wird. 22. Die israelische Seite dankte der deutschen Seite für die Gewährung dieser Stipendien. Die israelische Seite lädt junge deutsche Diplomaten zu einem Studienaufenthalt nach Israel ein. Die Einzelheiten werden auf diplomatischem Weg bekanntgegeben. III: Kulturpolitik

und

-planung

23. Beide Parteien werden den Austausch von Informationen über kulturelle Entwicklungen, Kulturpolitik und -planung sowie über Statistiken im kulturellen Bereich fördern. Sie werden den Austausch von Sachverständigen auf verschiedenen Gebieten der Kultur wie Theater, Tanz, Musik, Museen, Kino, Literatur usw. unterstützen und dabei vor allem Kuratoren im Bereich der modernen Kunst berücksichtigen. 24. In diesem Zusammenhang unterrichtete die israelische Seite die deutsche Seite über ihren Plan, in Israel ein internationales Seminar über kulturpolitische Planung abzuhalten. Deutsche Vertreter werden dazu eingeladen. 25. Die israelische Seite lädt die Kulturpolitiker der Länder und Gemeinden ein, um den Erfahrungsaustausch in bezug auf Kulturplanung, Kulturpolitik und Kulturkonzepte für die Zukunft zu fördern.

236

40 Neue deutsch-israelische Kulturkonsultationen IV: Kunst, Musik und die Erhaltung von

Kulturgut

26. Die israelische Seite würdigte den bedeutenden deutschen Beitrag zum Jerusalem-Festival 1988, mit dem des 40. Jahrestages der Gründung des Staates Israel gedacht wurde. 27. Die deutsche Seite erklärte sich bereit, dasjährliche Jerusalem-Festival weiterhin zu unterstützen. Beim diesjährigen Festival wird das Berliner SchillerTheater als Hauptbeitrag der Bundesrepublik Deutschland vertreten sein. 28. Die israelische Seite unterrichtete die deutsche Seite über die für 1989/90 geplanten Veranstaltungen der Bat Sheva Dance Company, des Israelischen Philharmonischen Orchesters und des Israelischen Kammerorchesters in der Bundesrepublik Deutschland. 29. Die deutsche Seite unterrichtete die israelische Seite über zwei weitere wichtige Vorhaben: Das Ein-Harod-Museum wird eine Ausstellung mit Kunstwerken Ernst Opplers veranstalten, und das Tel-Aviv-Museum wird eine Dokumentation zum Bauhausstil erarbeiten. 30. Die israelische Seite unterrichtete die deutsche Seite, daß die Ausstellung „40 israelische Künstler" in Braunschweig zu sehen sein wird (März 1990). Darüber hinaus wird in der Gedenkstätte Yad Vashem die Henning-Langenheim-Ausstellung gezeigt werden (Sommer 1990). Die Mayorkas-Sammlung zeitgenössischer israelischer Kunst, aus der eine Ausstellung zusammengestellt werden könnte, ist in Zug (Schweiz) zu besichtigen. Die israelische Seite ist bereit, interessierten Museen in Deutschland Ausstellungen mit Werken von Künstlern aus der Zeit des Holocausts anzubieten. 31. Beide Seiten unterstützen weiterhin den Austausch von Kunstwerken, Sachverständigen und von Musik-, Theater- und Folkloregruppen. Sie befürworteten den Austausch von Informationen und Lehrprogrammen im Bereich der Museumskunde. Sie ermutigen zur Teilnahme an internationalen und anderen Veranstaltungen im jeweils anderen Land. 32. Beide Seiten würdigten die Bemühungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland sowie der Gemeinden beider Staaten um die Förderung des zweiseitigen Austausches in den Bereichen Kunst und Musik. 33. Die deutsche Seite erklärte sich bereit, zum Ausbau des Museums der jüdischen Diaspora in Tel Aviv beizutragen. Die Einzelheiten werden auf diplomatischem Weg erarbeitet. 34. Die israelische Seite ist an der deutschen Mitarbeit bei der Einrichtung eines Lehrstuhls im Bahnhof Rolandseck interessiert, damit junge israelische Musiker die Möglichkeit erhalten, einige Monate im Jahr in Deutschland zu verbringen, und dort in Zusammenarbeit mit prominenten Musikern Seminare veranstaltet werden können.

237

Austausch in Kunst und Wissenschaft V. Literatur, Film, Hörfunk und Fernsehen 35. Die deutsche Seite ist bereit, israelischen Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen auf Antrag und im Rahmen ihrer Haushaltsmittel Buch- und Zeitschriftenspenden zukommen zu lassen. 36. Die beiden Seiten waren sich über den Wert von Büchern bei der Förderung der Kenntnisse über das jeweils andere Land einig. Beide Seiten begrüßen die regelmäßige umfassende Beteiligung an den Buchmessen des jeweils anderen Landes (Jerusalem und Frankfurt). 37. Die deutsche Seite verwies auf das eingeführte Sprachenübersetzungsprogramm „Übersetzung deutscher Bücher in eine Fremdsprache" von Inter Nationes, das interessierten israelischen Verlagen für Übersetzungen aus der deutschen in die hebräische Sprache grundsätzlich zur Verfügung steht. 38. Die israelische Seite wies die deutsche Seite auf die umfangreichen Übersetzungsarbeiten zur Übertragung hebräischer Werke in die deutsche Sprache und auf die Veröffentlichung dieser Werke in Deutschland hin, die unter Mitarbeit des Instituts für die Übersetzung hebräischer Literatur durchgeführt wird, sowie auf die Übersetzung deutscher Bücher in die hebräische Sprache durch den Nationalen Kulturrat und andere Verlage. 39. Beide Seiten würden eine Zusammenarbeit zwischen der israelischen Übersetzervereinigung und ihrer deutschen Partnerorganisation in Straelen begrüßen. 40. Beide Seiten ermutigen ihre Schriftsteller, sich um die Herstellung von Kontakten zu ihren Kollegen im jeweils anderen Land über die jeweiligen Schriftstellerverbände zu bemühen. Beide Seiten begrüßten als vorbildliches Vorhaben in diesem Bereich die Tagung deutscher und israelischer Schriftsteller, die im Mai 1989 in Freiburg stattfand. Beide Seiten befürworten ähnliche Begegnungen in der Zukunft. Die deutsche Seite ist bereit, Vortrags- und Informationsaufenthalte israelischer Schriftsteller zu fördern. 41. Die deutsche Seite ist bereit, die Teilnahme deutscher Filme an den Internationalen Filmfestspielen in Jerusalem, Haifa und Tiberias zu fördern. Die israelische Seite ist ebenso bereit, die Teilnahme israelischer Filme an den Internationalen Filmfestspielen in Berlin, Mannheim und Oberhausen zu fördern. 42. Die deutsche Seite äußerte die Hoffnung, daß der neue Fernsehsprachkurs „Alles Gute", der dem israelischen Bildungsministerium am 1. März 1989 überreicht wurde, in Zukunft im israelischen Bildungsfernsehen gezeigt wird. 43. Die israelische Seite bekundete ihr Interesse an einem Austausch von Bibliothekaren der Nationalbibliothek und anderer öffentlicher Bibliotheken. Dieser Austausch sollte auch auf Zeitschriften, Veröffentlichungen, Mikrofilme und sonstige Materialien in den jeweiligen nationalen Bibliotheken ausgedehnt werden. 238

40 Neue deutsch-israelische Kulturkonsultationen VI. Jugend und Sport 44. Beide Seiten würdigten ausdrücklich die wichtige Rolle, die der Jugendaustausch im Rahmen der Beziehungen zwischen den beiden Ländern spielt. Sie begrüßten die während des Seminars und der Tagung des Gemeinsamen Sachverständigenausschusses f ü r den Jugendaustausch erzielten Ergebnisse; beide Veranstaltungen wurden im Januar 1989 in Israel durchgeführt. 45. Beide Seiten lobten die intensive Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Sports u n d würdigten insbesondere die fruchtbare Arbeit des Deutschen Sportbunds (DSB) und seiner israelischen Partner bei d e r D u r c h f ü h r u n g dieses Austausches. VII. Allgemeine Bestimmungen 46. Falls erforderlich, werden die beiden Seiten den Umfang dieses Protokolls durch die Einbeziehung weiterer Vorhaben aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Bildung und Kunst erweitern. 47. J e d e Seite wird die andere Seite über im eigenen Land zu veranstaltende Seminare, Kurse und Symposien auf internationaler, regionaler und örtlicher Ebene unterrichten, damit die andere Seite daran teilnehmen kann. 48. Die beiden Seiten vereinbarten, daß die finanziellen Bedingungen f ü r diejenigen Vorhaben, die nicht im einzelnen von den deutschen und israelischen Partnern beschlossen worden sind, sich nach internationalen Gepflogenheiten richten werden. 49. Die deutsche Seite wies auf die von der israelischen Regierung eingeführte Reisesteuer u n d die nachteiligen Auswirkungen hin, die sie auf den Personenaustausch in allen Bereichen hat. VIII. Zeitpunkt und Ort der nächsten Sitzung 50. Die beiden Seiten kamen überein, 1990 in Deutschland auf Arbeitsebene zu einer Bestandsaufnahme zusammenzukommen und die nächste Sitzung 1991 in Israel abzuhalten. Der genaue Zeitpunkt und der genaue Ort werden auf diplomatischem Weg vereinbart. (gez.) Barthold C. Witte Dr. Barthold C. Witte Ministerialdirektor Abteilung f ü r auswärtige Kulturpolitik Auswärtiges Amt

(gez.) Navon S. E. Benjamin Navon Außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland

239

Austausch in Kunst und Wissenschaft Liste der Delegationen A. Deutsche Delegation 1. Dr.BartholdC.Witte

2. Dieter Haaßengier

3. Klaus Herzog 4. Jürgen Roland

5. Alwin Proost 6. Jürgen Klein 7. Christian Reiser

Ministerialdirektor, Abteilung f ü r auswärtige Kulturpolitik, Auswärtiges Amt; Delegationsleiter Staatssekretär, Kultusministerium des Landes Niedersachsen; stellvertretender Delegationsleiter Abteilung f ü r auswärtige Kulturpolitik, Auswärtiges Amt Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Goethe-Institut, München; künftiger Leiter der Zweigstelle des Goethe-Instituts in Tel Aviv Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD), Bonn

B. Israelische Delegation 1. S. E.BenjaminNavon

2. ShmuelHadas 3. Dr. Dan Ronen 4. AvivShir-On 5. RonProsor

240

Außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland; Delegationsleiter Leiter d e r Kulturabteilung, Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten Leiter des Kultur- und Kunstreferats, Ministerium für Bildung und Kultur Botschaftsrat, Botschaft des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland Erster Sekretär, Botschaft des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland

41

Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und Israel über Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts

Protokollvermerk zu der Vereinbarung vom 22. August 1989 zwischen dem Bundesminister der Justiz der Bundesrepublik Deutschland und dem Justizministerium des Staates Israel über Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts Zur Einleitung der Zusammenarbeit innerhalb der Geschäftsbereiche beider Ministerien ist vorgesehen: 1. Für die Planung und Durchführung aller Veranstaltungen im Rahmen dieser Vereinbarung ist ein gemeinsamer Lenkungsausschuß zuständig. 2. Inhalt, Form, Häufigkeit und Umfang der Veranstaltungen im Rahmen dieses Abkommens werden entsprechend dem Bedarf und den Interessen beider Seiten und unter Berücksichtigung der jeder Seite zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel festgelegt. Der Generaldirektor des Justizministeriums des Staates Israel

Der Bundesminister der Justiz der Bundesrepublik Deutschland In Vertretung

Vereinbarung zwischen dem Bundesminister der Justiz der Bundesrepublik Deutschland und dem Justizministerium des Staates Israel über Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts Der Bundesminister der Justiz der Bundesrepublik Deutschland und das Justizministerium des Staates Israel — in dem Bemühen, das gegenseitige Verständnis f ü r die Rechtsordnung zu fördern, und 241

Austausch in Kunst und Wissenschaft — in der Überzeugung, dadurch einen Beitrag zur Weiterentwicklung der freundschaftlichen Verbindungen zu leiten — sind wie folgt übereingekommen: I.

Die Justizministerien beider Seiten werden die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts fördern durch Juristenaustausch, Austausch von Forschungsprogrammen, von Unterlagen, Literatur und Dokumentation zur Gesetzgebung sowie durch Erfahrungsaustausch im Bereich der Juristenausbildung und -fortbildung. II. Die Zusammenarbeit kann zum Gegenstand haben: 1. Juristenaustauschprogramm 2. Seminare zu aktuellen Rechtsfragen S. Seminare und andere Aus- und Fortbildungsveranstaltungen f ü r Juristen 4. Gegenseitige Studienbesuche und Besuche von Einrichtungen der Juristenausbildung und -fortbildung 5. Expertengespräche zu Rechtsfragen von gemeinsamem Interesse 6. Programme allgemeinbildender Art auf dem Gebiet des Rechts. III. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß einzelne Vorhaben im Rahmen des Austauschs auch von anderen Stellen der jeweiligen Seite zur Durchf ü h r u n g übernommen werden können. Die verschiedenen Formen gemeinsamer Veranstaltungen sollen auch der Förderung des Verständnisses der sozialen, wirtschaftlichen, politischen sowie historischen Gegebenheiten beider Länder dienen. IV. Diese Vereinbarung gilt auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Regierung des Staates Israel innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Vereinbarung eine gegenteilige Erklärung abgibt. V. Diese Vereinbarung tritt am Tag der Unterzeichnung auf unbestimmte Dauer in Kraft, sie kann von jeder Vertragspartei mit einer Frist von mindestens 6 Monaten zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Geschehen zu Bonn am 22. August 1989 in zwei Unterschriften, jede in deutscher und hebräischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist. Der Generaldirektor des Justizministeriums des Staates Israel

242

Der Bundesminister der Justiz der Bundesrepublik Deutschland In Vertretung

Jugendaustausch

1

Entstehung und Entwicklung des deutsch-israelischen Jugendaustausches

„1972 hatte es einen Vertrag zwischen dem Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit und dem israelischen Erziehungsministerium gegeben. Daraus entwickelten sich in der Folge gemeinsame Richtlinien und die G r ü n d u n g des Youth Council in Israel und des gemischten Fachausschusses. Lange vor dieser staatlichen Sanktionierung gab es einen regen Jugendaustausch, der auf ganz privater u n d auf kommunaler Ebene begann, Anfang der sechziger Jahre. Einen genauen Starttermin kann man nicht bestimmen, er wäre reine Definitionssache; zudem lassen sich auch durch intensive Nachforschungen nicht mehr alle J u g e n d g r u p p e n , die in der Anfangszeit fuhren, feststellen. Zunächst startete ein reiner Einbahnverkehr nach Israel, vornehmlich aus den Städten Köln (Giesberts), München und Berlin. So schickte die Stadt Köln durch die Synagogenschmierereien an Weihnachten 1959 ein .gebranntes Kind' — ab 1960 regelmäßig ca. 80 Schüler nach Tel Aviv. In den Jahren 1960 bis 62 gab es auch erste Lehrer- und Schülerfahrten der Stadt München nach Israel, unter besonderer Mithilfe der Jugendherbergswerke. Erste gewerkschaftliche Kontakte wurden 1961 durch die Fahrt von 20 jungen Gewerkschaftlern aus Solingen mit einem studentischen Reisedienst nach Tel Aviv geknüpft, wobei es zu Gesprächen mit der Histadrut kam. Schon im Frühjahr 1959: Fahrt der Studentengemeinden der FU und T U Berlin nach Libanon, Syrien, Jordanien und Israel, Kontakte zu israelischen Studenten. 1962: Erste Fahrt der Berliner Naturfreunde zu den israelischen Naturfreunden, mit Unterstützung des Senats, ebenso Fahrten der evangelischen Studentengemeinden jetzt regelmäßig. 1961 Berliner Schülergruppe im Kibbuz Tel Kazir. Dies sind n u r einige gesicherte Einzelbeispiele. Wenn Inge Deutschkron davon spricht, von 1959 bis 1965 seien ca. 40.000 deutsche Jugendliche in Israel gewesen, so ist dies sicherlich weit übertrieben, besonders, wenn man auch n u r annähernd heutige Kriterien von Jugendaustauschgruppen (Alter, seriöse Inhalte der Maßnahmen über den reinen Tourismus hinaus) anlegt. Als einigermaßen sicher d ü r f e n folgende durch Presse- oder andere Berichte belegte Angaben gelten: 1961 besuchten schon über 20 deutsche Jugendgruppen Israel. 1964 waren es 57 Gruppen. Allein aus Berlin fuhren von 1962 bis 1967 28 Berliner Jugendgruppen, die beim Senat registriert waren, nach Israel. Erst aus der Zeit nach dem Sechstagekrieg gibt es gesichertere Zahlen über den Jugendaustausch. 244

1 Entstehung und Entwicklung des deutsch-israelischen Jugendaustausches 1968 fuhren ca. 3.000 deutsche Jugendliche in Gruppenreisen nach Israel, 1969 3.650, 1970 ca. 5.000, 1971 über 6.000. Praktisch bis 1967 blieb es ein Einbahnstraßenbetrieb. Nur ganz sporadisch und zögernd kamen zu Beginn der sechziger Jahre israelische Jugendgruppen nach Deutschland, zumal die Knesset 1962 diesbezüglich einen sehr restriktiven Beschluß faßte. Im September 1960 war eine israelische Gruppe im Europahaus Marienberg. Im gleichen J a h r lehnte Jerusalem das Angebot der Stadt München zu einem Kulturaustausch der beiden Städte ab. Schon 1962 legte die Regierung von Nordrhein-Westfalen als Folge der durch Giesberts in Gang gekommenen Kontakte zwischen Köln und Tel Aviv ein Sonder-Förderungsprogramm für Israel-Jugendreisen auf, das bis heute besteht. Während der 60er J a h r e lehnten es das israelische Außenministerium und das Erziehungsministerium mehrfach ab, einen staatlich geförderten Jugendaustausch mit Deutschland zu beginnen. Dennoch kamen ab 1965, mit Hilfe des Bayerischen Jugendringes, regelmäßige Fahrten israelischer Jugendleiter nach Bayern und Berlin zustande. Die Hauptpartner auf israelischer Seite waren Kibbuzim und Kommunen, später auch Sportverbände und Moschawim (nach 1967). Zu Beginn der siebziger Jahre wurde der Jugendaustausch zu einer Art Massenbewegung, eine Strukturierung und Kontrolle immer notwendiger. 1971 kamen schon über 2.500 israelische Jugendliche im Rahmen des Jugendaustauschs in die BRD, das Verhältnis war nun stets ungefähr 2 : 1 (doppelt soviele deutsche wie israelische Jugendliche). Nun wurden schärfere Kriterien angelegt, die schließlich in die 1974 verabschiedeten gemeinsamen Bestimmungen für den deutsch-israelischen Jugendaustausch' mündeten. Zuständig auf israelischer Seite war nun zentral der Youth Council, eine dem Erziehungsministerium unterstellte Behörde, auf deutscher Seite das BMJFG sowie—in den Bundesländern, die eigene Zuschüsse gaben —die jeweiligen Landesbehörden. Seither wird im Jugendaustausch auch unterschieden zwischen sogenannten B-Gruppen, d. h. eigentlichen Jugendgruppen, und A-Gruppen, sogenannten Multiplikatorengruppen, die besser gefördert werden." Dieser kurze Bericht, der von Wolfgang Weber in Bonn stammt, ist ein Einstieg für das Thema des Jugendaustausches zwischen beiden Ländern. 1987 hat Frau Dr. Irmgard Adam-Schwätzer, MdB, als Staatsministerien im Auswärtigem Amt in einem Schreiben an den Herausgeber der Information über das Stipendienangebot des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für Israel folgende Zahlenunterlagen für die J a h r e 1983 bis 1986 übermittelt:

245

Jugendaustausch Programm Anzahl der geförderten Personen 1983 1984 1985 1986 Erststipendien 5 5 5 6 Verlängerungsstipendien 9 6 5 5 Kurzstipendien 1 2 5 5 Studienaufenthalte/ Wiedereinlad. ehe17 9 9 10 maliger Stipendiaten 10 29 55 28 Praktikanten Hochschulferienkurse/ 9 15 15 Feriensprachkurse 5 Der Schwerpunkt der DAAD-Förderung liegt auf den Sozial- und Geisteswissenschaften. Für Stipendienbewerber aus der Bundesrepublik Deutschland sah das Angebot wie folgt aus: Programm Anzahl der geförderten Personen 1983 1984 1985 1986 Stipendien f ü r Graduierte Jahresstipendien/Kurzstip. 4 2 2 6 Sonderprogramm ,Pro Memoria' Theologen nach Jerusalem 21 21 21 21 Kurzzeitdozenturen 5 8 5 2 Praktikanten 33 67 67 72 Des weiteren finanzierte der DAAD teilweise Studenteninformationsreisen in beide Richtungen (eine israelische und zwei deutsche Gruppen).

246

2

Deutsche Jugendgruppen 1964 in Israel

In den ersten zehn Monaten des Jahres 1964 sind 5.541 Jugendliche in 136 Gruppen aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu Studienreisen nach Israel gefahren. 15 dieser Jugendgruppen haben mehrere Wochen in einem Kibbuz gearbeitet, bevor sie den Rest ihrer Reise für die Rundfahrt durch das Land benutzten. Die Kibbuzim haben den Jugendgruppen nicht nur die Möglichkeit zu engem Kontakt mit der israelischen Bevölkerung gegeben, sondern ihnen auch an den Wochenenden mit ihren Fahrzeugen und Begleitern Ausflüge in das Land vermittelt. Gegenüber dem Jahr 1963 ergibt sich eine Steigerung von über 600Jugendlichen und 16 Gruppen. Während des ganzen Jahres 1963 waren 120 Gruppen mit 4.908 Teilnehmern nach Israel gefahren. Auch von diesen waren 15 Gruppen in die Kibbuzim gegangen. Alle Reisen waren aus Mitteln des Bundes und der Länder sowie zahlreicher Städte unterstützt worden, so daß jeder Jugendliche für eine Reise nach Israel, die zwischen drei und sechs Wochen dauerte, zwischen ca. 350,- und 600,— DM selbst aufbringen mußte.

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3 Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstaltet 1965 eine Israelreise mit zwei Jugendgruppen

Seit fünf Jahren etwa reisen ständig Jugendgruppen aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin nach Israel, um die heutigen Wirklichkeiten des jüdischen Volkes und Staates kennenzulernen. 1963 waren es 120 Gruppen mit rund 5.000 Teilnehmern, im vergangenen Jahr dürften es rund 150 Gruppen mit etwa 6.000 Teilnehmern gewesen sein, und ähnlich viele werden es wohl auch in diesem Jahre werden. An die 15.000junge Deutsche haben Israel seit 1960 besucht, haben sich meist mehrere Wochen im Lande aufgehalten und oft in einem Kibbuz mitgearbeitet. Nicht nur die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die tragische Bindung Deutschlands an Israel ist es, was diese jungen Leute bewegt, an solchen Fahrten der Begegnung und Unterrichtung teilzunehmen. Es ist auch die Anziehungskraft, die Staat und Aufbauleistungen der Juden auf sie ausüben. Wenn man bedenkt, daß die meisten von ihnen in Jugendorganisationen als Lehrer und künftige Lehrer erzieherisch tätig sind oder wirksam werden, dann darf man erwarten, daß am Gewinn ihrer Israelfahrten: Verständnis, Anteilnahme, Bewunderung, Verpflichtung f ü r die jüdischen Geschicke in Vergangenheit und Zukunft, auch viele andere junge Deutsche mitbeteiligt sein werden. Hier beginnt sich mehr und mehr in die erzieherische Praxis umzusetzen, was längst erkannt, aber noch nicht genügend verwirklicht ist: daß es beharrlicher Unterrichtung, Erziehung, „Aufklärung" bedarf, um die unheilvolle Kette kollektiver Vorurteile endgültig zu brechen. Als musterhaft in Konzeption, Vorbereitung und Verwirklichung einer dieser Reisen sei hier die diesjährige von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Bonn veranstaltete Israelreise zweier Jugendgruppen genannt. Die 33 Teilnehmer der Gruppen setzen sich zusammen aus 17 Studenten und Studentinnen der Universitäten Bonn, Köln, Tübingen und der Pädagogischen Hochschulen Bonn und Freiburg, drei Studenten (= Priester) der sozialwirtschaftlichen Albertus-Magnus-Akademie Walberberg, fünf Bonner Schülern, fünf Berufstätigen (einschließlich zweier Offiziere) sowie drei Studienräten als Gruppenleitern. Hauptziel der Reise war die Herstellung persönlicher Kontakte mit Israelis mit dem Zweck, mögliche latente Vorurteile abzubauen und Verständnis füreinander zu gewinnen. Entsprechend den Forderungen des Bundesjugendplanes für die Vergabe von Mitteln für Jugendbegegnungen in Israel (finanziert wurde die Reise in diesem Falle von Bundesministerien, verschiedenen Städten und Landkreisen sowie von privaten Spendern und Eigenbeteiligung der Teilnehmer) wurde ein viermonatiges Vorbereitungsseminar mit abschließender Qualifikationsprüfung eingerichtet, an dem etwa 90 Interessenten teilnahmen. Das Seminarprogramm enthielt folgende Themen: Sinn einer Israelreise, Grundzüge der Geschichte derJu248

3 Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstaltet 1965 eine Israelreise den, Die deutsch-jüdische Symbiose vor Hitler, Rassismus u n d Antisemitismus im 19. u n d 20. J a h r h u n d e r t , Religiöse Probleme im Staat Israel, Der Zionismus, Geschichte d e r jüdischen Besiedlung Palästinas in d e n letzten 100 J a h r e n , Geographie, Struktur, Probleme des Staates Israel, Die deutsch-israelischen Beziehungen. Die Reise selbst, sie fand statt vom 7. April bis 2. Mai 1965, war aufgeteilt in eine zehntägige Rundreise d u r c h das Land u n d in einen 14tägigen Aufenthalt im Kibbuz Bror Hayil. An j e d e m T a g d e r Rundreise f a n d eine Aussprache statt. Im Kibbuz halfen die G r u p p e n sechs Stunden täglich bei den anfallenden Arbeiten, nachmittags o d e r abends f a n d e n Diskussionen mit Mitgliedern des Kibbuzes oder innerhalb d e r G r u p p e statt. W ä h r e n d d e r Reise wurden Tagesprotokolle g e f ü h r t , die später von d e n Gruppenleitern als Grundlage f ü r einen Rechenschaftsbericht verwertet wurden. Die Rundreise f ü h r t e u n t e r a n d e r e m nach Tel Aviv, Jerusalem (wo die Teiln e h m e r u. a. am Shabbat Gäste des Gottesdienstes im Hebrew Union College waren u n d vom Rabbiner zum Kiddush eingeladen wurden) mit Besuch d e r Gedächtnishalle im Yad Vashem, Nazareth, Deganiah, in das Wüstenforschungszentrum in Beer Sheba, Sfad, Megiddo, d e n im N o r d e n gelegenen Kibbuz Manara, Safed, Akko, Kiryat Bialik, Natamiah, Ashkelon, Eilat, Ashded, S'dorot. — W ä h r e n d des gesamten Aufenthaltes in Israel f a n d e n zahlreiche Diskussionen mit jüdischen Fachleuten d e r verschiedensten Bereiche statt, zum Beispiel über die T h e m e n : Israel im Kräftespiel des Nahen Ostens, Israels J u g e n d zwischen gestern und morgen, Das Militär als Erziehungsfaktor in Israel, Erziehungsprobleme im Lande, Die religiöse Situation; R e f o r m j u d e n t u m , Health Service im Süden als Beispiel der Entwicklungsprobleme im Negev — sowie über sämtliche die Bed e u t u n g u n d Funktionen d e r Kibbuzim u n d Moshavim betreffenden Fragen. Wenn sich sagen läßt, daß nirgendwo außerhalb Israels als in Deutschland die gebildete Öffentlichkeit m e h r u n d wohl auch vielseitiger über Israel informiert ist u n d wird, so werden aus d e m Reisebericht doch immer wieder die überraschten E m p f i n d u n g e n d e r Besucher deutlich, E r f a h r u n g e n zu machen, die das landläufige Israel-Bild in Deutschland bereits wieder als Klischee erscheinen lassen. I m m e r wieder n e u e Aspekte des Landes u n d d e r Denkungsweise d e r Israelis werden w a h r g e n o m m e n , europäische, levantinische, biblische, patriotische. Im Kibbuz Bror Hayil — imponierend d u r c h die Gastlichkeit, die Leistungen, die H o f f n u n g u n d die Bereitschaft zur Utopie seiner Mitglieder—erleben die j u n g e n Deutschen ein Stück d e r konkreten Schwierigkeiten Israels; sie lernen d e n Sabre des Kibbuz kennen mit all seiner Einsatz- u n d Reaktionsbereitschaft u n d seiner Kunst d e r M e n s c h e n f ü h r u n g ; u n d sie b e m ü h e n sich eindrucksvoll, sich die schwierige u n d komplexe Frage nach dem J u d e n t u m in diesem Lande zu beantworten. Aus vielen Eindrücken wird ihnen klar, d a ß d e r Staat Israel sich konsolidiert hat u n d im gesamten Nahen Osten die einzige stabile westliche Demokratie darstellt. U n d immer wieder, viele Male, werden in Begegnungen u n d Aussprachen die deutsch-israelischen Beziehungen diskutiert. Aus den Gesprächen mit vor 249

Jugendaustausch

den Nazis geflohenen Juden, aus der Bitterkeit deren ganz persönlicher Erlebnisse, erwächst den jungen Deutschen ein tieferes Verständnis für die Geschichtstradition eines Volkes, das seine Toten nicht vergessen kann. So begreifen sie ihre eigene Verpflichtung. Bei aller natürlichen Neigung, unbetroffen von der Schuld und Verantwortung für die deutsche Juden vernichtung zu sein, erkennen sie an, daß es für den Israeli in seiner Haltung gegenüber Deutschland keine Trennung von Moral und Politik geben kann. Daß sie diese Einheit in etwa — wenn auch pragmatischer vielleicht — auch auf sich beziehen, mag folgende, von den Diskutanten formulierte und für sie als Orientierung verbindliche These verdeutlichen: „Das Verpflichtungsverhältnis des deutschen Volkes gegenüber dem israelischen in seiner Gesamtheit einschließlich der Jugend ist nicht in der individuellen Verschuldung jedes einzelnen Deutschen begründet, sondern in der konkreten, durch die Geschichte auferlegten Pflicht jedes Deutschen zur öffentlichen Rehabilitation des deutschen Namens." Deutlich wird ihnen jedenfalls, daß man sich „als junger Deutscher weder aus der Geschichte entlassen noch auf sie festgelegt fühlen kann". Nach einer Seder-Feier, an der die jungen Leute am Tag des Pessachfestes teilnahmen, sagte ihnen ein älterer russischer Jude: „Ich freue mich, daß ihr heute da seid. Aber ihr müßt verstehen, daß bei uns bis 1945 und noch länger jeder Deutsche mit dem Teufel gleichgesetzt wurde. Das wird erst allmählich anders. Darum ist es notwendig, daß junge Leute von euch in unser Land kommen. Mit denen können wir, kann mehr noch unsere Jugend unbefangen reden. Schickt viele Gruppen nach Israel."

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Über 450 Lehrer und Schüler aus Köln besuchten Israel zwischen 1960 und 1965

Auf dem Wege nach Israel — ein Buch für junge Deutsche" lautet der Titel eines Buches, das in Tel Aviv verlegt (bei Elgad Ltd.) und dort seit 1963 in hohen Stückzahlen hergestellt wird. Das großformatige, reich mit Farbaufnahmen ausgestattete Buch handelt vom modernen Staat Israel, seinen Menschen und Problemen, seiner Geschichte und Landschaft und schildert Erlebnisse Kölner Schüler, die Israel besuchten. Verfasser des Buches ist der Beigeordnete und Schuldezernent der Stadt Köln, Johannes Giesberts, Initiator von bisher insgesamt 17 Studienreisen Kölner Lehrer und Schüler nach Israel. Geschaffen wurde es auf Beschluß des Rates der Stadt Köln. Das Buch hat ein Vorwort vom Kölner Oberbürgermeister Theo Bureauen und Oberstadtdirektor Dr. Max Adenauer, sowie eine Einführung des ehemaligen Schuldezernenten von Tel Aviv und jetzigem Botschafter Israels in Brasilien, Dr. Shaul Levin. Das Buch wird alljährlich den Schülern der Stadt Köln und anderer Städte in Nordrhein-Westfalen zur Schulentlassung (und „Woche der Brüderlichkeit") überreicht. Dieses Buch ist gleichsam Ausdruck für die Bemühungen des Rates der Stadt Köln sowie des Stadtrates von Tel Aviv, deutschen Jugendlichen ein Kennenlernen des Staates, der Menschen, des Landes Israel zu ermöglichen. Denn daß seit 1960 eine Vielzahl deutscher Jugendgruppen nach Israel reisen konnte, ist nicht zuletzt ein Verdienst insbesondere der Schuldezernenten beider Städte, Johannes Giesberts und Dr. Shaul Levin. Letzten Anstoß dazu gab die Untat zweier böswilliger Narren, die in der Weihnachtsnacht 1959 die Synagoge in Köln mit Hakenkreuzen beschmierten. Rat und Verwaltung der Stadt Köln zogen daraus weitreichende Konsequenzen. Und wenige Tage nach dem in der Welt und besonders in Israel widerhallenden Geschehnis wurde im Schulamt von Tel Aviv von den Schuldezernenten beider Städte ein pädagogisches Programm für Studienfahrten Kölner Schüler nach Israel erdacht. Jahr f ü r Jahr seitdem kommen Schülergruppen aus Köln nach Israel, und zwar — das war das besondere daran, solange keine diplomatischen Beziehungen bestanden — auf offizielle Einladung durch den Stadtrat von Tel Aviv. Neben diesen Kölner Schülergruppen, die auf Einladung aus Tel Aviv jährlich im Sommer an einem sechswöchigen internationalen Jugendtreffen in Israel teilnehmen, hat das Kölner Schulamt weiterhin veranlaßt, daß jedes Jahr zusätzlich noch eine Studiengruppe Kölner Schüler und Lehrer nach Israel fährt. Von besonderer Bedeutung ist es vielleicht, daß ebenfalls seit 1960 sich alljährlich eine Gruppe Kölner Lehrkräfte der Höheren Schulen, Real-, Berufs- und Volksschulen (zusammen mit Mitgliedern der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit) in Israel aufhält. Gesamtbilanz dieser Reisen in Zahlen: 251

Jugendaustausch Von 1960 bis Dezember 1964 besuchten 155 Lehrer und 324 Schüler der Stadt Köln Israel. Die Kosten für diese Fahrten von insgesamt dreiviertel Millionen DM übernahm fast gänzlich die Stadt Köln (neben einigen Zuschüssen des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes), nicht eingerechnet die Zuwendungen in Höhe von bisher rund DM 60.000-, die Köln an das Pädagogische Institutjerusalem, an das Lehrerinnenseminar „Ephrata" in Jerusalem, an die Talmud-Thora-Schule in Petah Tikva und die Höhere Mädchenschule Kfar Pinas geleistet hat. Am 23. Juli 1965 werden wiederum zwei Schülergruppen mit 70 Schülern unter Leitung des Beigeordneten Giesberts nach Tel Aviv reisen, zum sechsten Male hat die Stadt Köln damit diese Gruppenreisen ermöglicht. Eine der Gruppen ist von der Stadt Tel Aviv direkt eingeladen. Rund 1.000,— DM der Reisekosten übernimmt die Stadt Köln für jeden der Schüler — 70.000,— DM. Beigeordneter Giesberts sagte, daß es wohl das letzte Mal sein wird, daß er selbst die Gruppenleitung übernimmt. „Nun gibt es ja eine deutsche Botschaft in Israel und es ist unsere Hoffnung, daß dann auch die Gespräche zwischen uns leichter werden." Seit 1960 haben weit über 12.000 deutsche Jugendliche Israel besucht und zum Teil in Kibbuzim mitgearbeitet; vorwiegend Studenten und Schüler - nicht nur aus Köln — sowie Mitglieder der Gewerkschaftsjugend, der konfessionellen Jugendverbände und Helfer der „Aktion Sühnezeichen". Sie alle suchen, aus dem Wissen um die Vergangenheit und der Erfahrung der Schuld heraus, Verständigung und - wo es möglich ist - Freundschaft mit der Jugend Israels. Sie kommen nicht nur nach Israel, um zu sehen und zu lernen, es sollen ihre Fahrten auch nicht nur ein Beitrag zu ihrer staatsbürgerlichen Erziehung sein oder eine Gelegenheit zur Völkerverständigung. Sie sollen auch nicht in philo-semitischem Überschwang zurückkehren oder mit dem Gefühl der Scham, sondern mit Verständnis und in Bewunderung für ein tapferes Volk und seine großen geschichtlichen und neuzeitlichen Leistungen. Vor allem aber soll ihnen die Israel-Fahrt helfen, unbefangen, doch die Bilder von Yad Vashem in der Erinnerung, so in die Zukunft hineinzuwachsen, daß sie einer neuen mörderischen Unterdrükkung von Menschen und Minderheiten entgegenstehen würden. Die meisten von ihnen haben erkannt, daß für sie und für uns „der Weg nach Israel" ein Leben lang währen wird. Viele Gespräche mit diesen jungen Menschen, die aus Israel von einer Reise zurückkehren, zeigen deutlich, daß es bleibende Impulse waren, die sie bei der Begegnung mit dem jüdischen Volk empfingen. Die Ergebnisse einer lebendigen Begegnung mit dem jüdischen Volk sind letzdich die Hoffnung, daß die Verständigung zwischen der Jugend beider Völker, wenn auch auf einem langen Weg, gelingen wird.

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5 Ein Interview mit Bruno Heck, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, über den Jugendaustausch mit Israel

Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Dr. Bruno Heck, hat 1966 in einem Interview mit den in Münster erscheinenden „Westfälischen Nachrichten" u. a. auch zur Frage des Jugendaustausches mit Israel Stellung genommen. Dieser Teil des Interviews hat folgenden Wortlaut: Frage: Im Zusammenhang mit dem internationalen Jugendaustausch noch eine weitere Frage, Herr Minister. Die Bundesrepublik Deutschland hat seit kurzer Zeit wieder eine israelische Botschaft und einen deutschen Botschafter in Israel. Glauben Sie, daß die Jugend dazu beitragen kann, die Bilder der Vergangenheit zu vergessen? Antwort: Die dunklen Schatten der Vergangenheit liegen natürlich über allen Begegnungen. Wir können und wollen das nicht wegwischen. Aber die junge Generation kann sich doch unbefangener begegnen als es uns Erwachsenen, die wir doch Zeitgenossen der grausigen Dinge sind, möglich ist. Frage: In welchem Umfang besteht überhaupt ein Austausch zwischen jungen Israelis und jungen Deutschen? Antwort: 1960 waren rund 40 Jugendgruppen in Israel, 1965 waren es über 200. Sie alle haben wochenlang in Kibbuzim und anderen Einrichtungen mit israelischer Jugend zusammengearbeitet. Das wird sicher Früchte tragen. Junge Israelis kommen bisher nur vereinzelt nach Deutschland. Man muß auch das verstehen. Mit der Zeit werden sich auch hier gewiß die Dinge ändern. Im übrigen ist da viel Takt und viel Geduld nötig; zu unbefangen handeln, kann auch heißen - und vor allem so empfunden werden — wie oberflächlich handeln. Frage: Gibt es nun aber auch einen Fonds, Herr Minister, der Fahrten nach Israel bezuschußt? Antwort: Der Bundesjugendplan hilft bei der Finanzierung der Israel-Fahrten, weil er in dieser Begegnung ein besonders wertvolles Stück internationaler Arbeit sieht.

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Richtlinien für den Jugendaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel

Der Jugendaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel wird seit 1960 aus dem Bundesjugendplan stark gefördert. Bis dahin sind jedoch Einzelveranstaltungen auf besondere Anträge hin ebenfalls unterstützt worden. Für alle deutschen Gruppen, die einem zentralen Jugendverband angehören, werden die Förderungsmittel über die jeweiligen zentralen Organisationen vergeben. In anderen Fällen, auch für Studentengruppen, werden die Bundesmittel über die Bundesländer verteilt. Von Zeit zu Zeit werden die bestehenden Richtlinien mit den anderen Bundesministerien, den Jugendverbänden und der israelischen Botschaft in Bonn abgestimmt, damit sie an die jeweils geltenden Verhältnisse angepaßt werden. Die entsprechenden Richtlinien für 1966 haben folgenden Wortlaut: „ 1. Die Teilnehmer an internationalen Begegnungen in Israel sollen mindestens 21 Jahre alt sein. In Ausnahmefällen können auch Jugendliche vom 18. Lebensjahr an zugelassen werden. Sie müssen durch Kurse oder Seminare über die Geschichte des jüdischen Volkes, die Entstehung des Staates Israel und seine Probleme in der heutigen Welt vorbereitet und sorgfältig ausgewählt worden sein. Sie sollen über englische oder französische Sprachkenntnisse verfügen. 2. Das zwischen den Partnern der Begegnung vereinbarte Programm muß über die einzelnen Veranstaltungen und die Unterbringung Aufschluß geben. Internationale Jugendbegegnungen in Israel sollen mit einem Arbeitsaufenthalt in einem Kibbuz von mindestens zwei Wochen oder, falls ein solcher Arbeitsaufenthalt nicht möglich ist, mit einer anderen vergleichbaren intensiven Begegnung verbunden sein. Die Begegnung soll mindestens zwei und nicht länger als sechs Wochen dauern. Für alle Begegnungen in Israel muß das Einverständnis der Botschaft des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland vorliegen. 3. In Ausnahmefällen können auch Studienfahrten nach Israel als internationale Jugendbegegnungen anerkannt werden, wenn mit ihnen ein Arbeitsaufenthalt in einem Kibbuz von mindestens zehn Tagen oder, falls ein solcher Arbeitsaufenthalt nicht möglich ist, eine andere vergleichbare intensive Begegnung verbunden ist." Zu diesen Richtlinien gab das Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen noch folgende Einzelheiten bekannt: „Die Höchstsätze der Bundeszuwendung betragen bis zu 3,— DM j e T a g und Teilnehmer zuzüglich 50 % der Fahrtkosten; jedoch darf die Zuwendung für die Fahrtkosten den Betrag von 400,— DM j e Teilnehmer nicht übersteigen. Die bisher für Israelfahrten zur Verfügung gestellten Bundesmittel, die im Rahmen des Bundesjugendplanes zur Förderung der internationalen Jugendarbeit bereitstehen und in den letzten Jah254

6 Richtlinien für den Jugendaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel

ren ständig erhöht wurden, reichen aus, um die zahlreichen Einzel- und Sammelanträge für Gruppenbegegnungen zu berücksichtigen. Die Richtlinien bilden ein von den freien Trägern und auch den israelischen Behörden gewünschtes und beachtetes Korrelativ für die in letzter Zeit merklich zunehmenden Wünsche von qualifizierten, aber auch manchmal nicht geeigneten oder ungenügend vorbereiteten Gruppen an Jugendlichen, nach Israel zu fahren. In den letzten Jahren sind Studenten, Gruppen der konfessionellen Jugendverbände, Pfadfinder, der Gewerkschaftsjugend, der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und manche andere Gruppen nach Israel gereist, um in einer intensiven Begegnung mit jungen und erwachsenen Israelis, in gemeinsamer Arbeit und durch andere enge Kontakte bestehende Bindungen zu festigen, neue zu suchen und eine wirkliche Partnerschaft zu erreichen. Seit 1960 hat sich die Zahl der deutschen Jugendgruppen, die nach Israel zu solchen Begegnungen reisten, ständig vergrößert. Während es 1960 etwa 40 Jugendgruppen waren, 1961 über 60, stieg die Zahl 1963 bereits auf rund 200 deutsche Jugendgruppen. Von 1959 bis 1965 einschließlich haben nach Mitteilung israelischer Stellen etwa 40.000Jugendliche aus der Bundesrepublik Israel besucht, an einer Begegnung teilgenommen, in einem Kibbuz oder in einer anderen gemeinnützigen Einrichtung gearbeitet oder sonstwie Kontakte mit jungen Israelis gehabt. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel sollten vor allem die Besuche junger Israelis in der Bundesrepublik verstärkt werden. Nur so könnte eine wirkliche gegenseitige Partnerschaft und das Prinzip der Gegenseitigkeit verwirklicht werden. Es ist erfreulich, daß die Deutsche Botschaft in Tel Aviv und die Israelische Botschaft in Bad Godesberg sich eifrig um die Verwirklichung dieser bilateralen Kontakte der jungen Generation in beiden Ländern bemühen. Im Bundesjugendplan steht ein zusätzlicher Betrag zur Förderung der Teilnahme von israelischen Jugendlichen und Jugendleitern an Begegnungen, internationalen Veranstaltungen, Tagungen und Kursen in der Bundesrepublik zur Verfügung.

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Erste offizielle Schülergruppe aus Israel in der Bundesrepublik

Am 18. Juli 1966 hat der deutsche Botschafter Dr. Rolf Pauk in Tel Aviv eine erste Gruppe von 35 Schülern und Schülerinnen des Abiturientenjahrganges der Tel Aviver Schüler im Alter von 17 bis 19 Jahren zu einer Reise in die Bundesrepublik verabschiedet. Dr. Shaul Levin, der Direktor des Erziehungswesens der Stadt Tel Aviv, hatte diese Reise mit den Schulämtern der Städte München und Köln vereinbart. Der deutsche Botschafter richtete in einer herzlichen und intimen Feierstunde offene, persönliche Worte an die Jugendlichen, wovon nicht nur die vor ihrer Deutschlandreise stehenden Schüler, sondern auch die Eltern, die zu einem großen Teil gekommen waren, beeindruckt waren. Dr. Pauls ermahnte die Schüler, mit offenen Augen durch unser Land zu gehen und sich ruhig kritisch umzusehen. Wir seien kein Volk, das mit genormten Ansichten erzogen werde. Es gäbe vielschichtige Gedanken und Ideen, auch Israel gegenüber. Er freue sich schon, mit der Gruppe nach Beendigung der Reise ihre Eindrücke und Meinungen diskutieren zu können. Die Schülergruppe, die am 27. Juli in München eintraf, hat als Gast der bayerischen Landeshauptstadt zunächst mit 42 gleichaltrigen Deutschen im Jugendheim Maxhof bei Bad Aibling einige Tage verbracht. Vom 1. bis 6. August halten sich die jungen Israelis in München auf. Auf dem Programm stehen Diskussionen über das heutige Deutschland, die politische Bildung und allgemeine Jugendfragen. Besuche in verschiedenen Museen und im ehemaligen Konzentrationslager Dachau sind außerdem vorgesehen. Am 6. August treffen die israelischen Schüler in Köln ein, wo sie bis zu ihrer Weiterreise nach Frankreich am 14. August bleiben werden. Der Beigeordnete der Stadt Köln, Giesberts, der seit acht Jahren viele deutsche Jugendgruppen nach Israel gebracht hat und der als erster den Kontakt mit der Stadt Tel Aviv aufnahm, ist besonders froh, diese erste israelische Schülergruppe in Köln zu haben. Im Kölner Programm ist ein Empfang durch den Regierungspräsidenten vorgesehen, ein Besuch in der nordrhein-westfälischen Hauptstadt Düsseldorf mit einem Empfang durch den Ministerpräsidenten, eine Besichtigung des Duisburger Rheinhafens, ein Besuch bei den Bayer-Werken in Leverkusen, ein Empfang in der israelischen Botschaft in Bad Godesberg sowie ein Mittagessen mit Familienminister Bruno Heck. Die alte Römerstadt Trier soll besichtigt werden und die bekannte Benediktinerabtei Maria Laach in der Eifel, ebenso das Prätorium und das Judenbad der alten Kölner Synagoge. Der Rabbiner der Kölner Jüdischen Gemeinde wird den israelischen Schülern ebenfalls einen Empfang geben.

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8 Weiterer Ausbau des deutsch-israelischen Jugendaustausches

Über den zukünftigen deutsch-israelischen Jugendaustausch führte Ministerialrat Dr. Ott vom Bundesministerium für Familie und Jugend unter Mitwirkung des Direktors des Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienstes der Bundesrepublik Deutschland, Herrn H.J. Nüchel, vom 11. bis 15. November 1968 Besprechungen mit dem israelischen Außenministerium, Erziehungsministerium und dem Ausschuß für Internationalen Austausch des Israelischen Städteverbandes, dem ein Vertreter des Erziehungsministeriums angehört. Unter Mitarbeit der Deutschen Botschaft wurde eine offizielle Abmachung zunächst für 1969 getroffen. Darin wurde festgesetzt, daß etwa 120 israelische Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren an verschiedenen qualifizierten Programmen in der Bundesrepublik Deutschland teilnehmen. Außerdem wird eine Gruppe von Leitungskräften der israelischen Jugendarbeit zum Studium deutscher Einrichtungen für die Jugend und zum Erfahrungsaustausch Deutschland besuchen. Umgekehrt werden deutsche Jugendgruppen und Fachkräfte der deutschen Jugendarbeit Israel zu Begegnungs- und Studienprogrammen besuchen, die in der Verantwortung und organisatorischen Durchführung des Israelischen Städteverbandes liegen. Von beiden Seiten werden für die Begegnungen finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Ein deutsch-israelischer Ausschuß für die Durchführung des deutsch-israelischen Jugendaustausches wurde gebildet; er wird zum ersten Mal in Israel Anfang 1969 zusammentreten. 1967 wurde den deutschen Trägerorganisationen für freiwillige Jugendgemeinschaftsdienste und Aufbau, Instandsetzungsarbeiten u. ä. Aufgaben in Israel ein Betrag von 305.497,— DM gewährt. Mit diesen Mitteln konnten 29 deutsche Gruppen mit insgesamt 451 freiwilligen jugendlichen Helfern aus der Bundesrepublik Deutschland an 22.347 Tagen in Israel tätig sein. Daneben erhielten 1967 die zentralen Jugend- und Studentenverbände und andere Fachorganisationen der Jugendarbeit erhebliche Mittel aus dem Bundesjugendplan für den deutsch-israelischen Jugendaustausch. 1968 gewährte das Bundesministerium f ü r Familie und Jugend insgesamt rund 1,1 Millionen DM f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch. Die Mittel wurden über die zentralen Jugend-, Studenten- und Fachorganisationen unmittelbar oder über die obersten Jugendbehörden der Länder mittelbar für deutschisraelische Programme in der Bundesrepublik Deutschland und in Israel gegeben. Gefördert wurden vor allem: Begegnungen von Jugend- und Studentengruppen, Tagungen und Semina257

Jugendaustausch

re von Jugendleitern und Mitarbeitern der Jugendarbeit, freiwillige Jugendaufbaulager, Mitarbeit in Kibbuzim, Teilnahme an anderen jugendpolitischen Veranstaltungen in Israel und in der Bundesrepublik Deutschland. Experten-Seminare der deutsch-israelischen Gesellschaft für verantwortliche Leiter und Veranstalter von Israelgruppenreisen. Vom 9. bis 11. Januar 1969 veranstaltet die deutsch-israelische Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Bundeszentrale für Politische Bildung und israelischen Fachleuten in der Volksbildungsstätte Bergneustadt der Friedrich-EbertStiftung ein Seminar, um Erfahrungen und Kenntnisse zu den Fragen des Jugendaustausches zwischen Israel und der Bundesrepublik zu ergänzen. Die deutsch-israelische Gesellschaft ist bestrebt, als Zentralorganisation den gesamten Jugendaustausch zwischen beiden Ländern sehr stark mitzubestimmen. In Bemerkungen zu der Planung des Bundesfamilienministeriums mit den israelischen Stellen heißt es hier u. a.: „Die deutsch-israelische Gesellschaft (DIG) als diejenige zentrale Institution, die im nicht-behördlichen, nicht-wirtschaftlichen Bereich über die vielfältigsten Erfahrungen und Kenntnisse aus deutsch-israelischen Begegnungen sowie über die vielfältigsten Kontakte zu israelischen Stellen und führenden Persönlichkeiten verfügt, müßte ebenfalls ständiges Mitglied des Ausschusses sein. Dies ist nicht nur die Auffassung des DIG-Präsidiums, sondern auch der israelischen mit dem Jugendaustausch befaßten Stellen. Hinzu kommt, daß die beratende, koordinierende, vermittelnde Funktion, die künftig von zentraler Stelle zur allgemeinen Verbesserung von Jugendreisegruppen nach Israel ausgeübt werden sollte, nach Ansicht von Fachleuten nur von der DIG übernommen werden kann, sofern ihr, wie bereits erbeten, die erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden (J ugendbildungsreferent)."

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Konferenz über Fragen des Jugendaustausches in Israel

Im Dezember 1969 trafen sich deutsche und israelische Persönlichkeiten, um den deutsch-israelischen Jugendaustausch und die Zusammenarbeit der Jugendgruppen weiter zu fördern. Das war das Ergebnis von Gesprächen, die der Generalsekretär des israelischen Städteverbandes, Zeev Meljon, vor allem mit Vertretern des Bundesfamilienministeriums in Bonn führte. Auch der Geschäftsführer der Kibbuz-Zentrale, Josef Meisel, war nach Bonn gekommen, um ähnliche Gespräche mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zu führen, mit der auch Herr Meljon zusammentraf. Bei der Konferenz ging es um folgende Aktivitäten, die 1970 fortgesetzt wurden: a) Austausch von Jugendlichen b) Austausch von Fachkräften der Jugendarbeit und Bildungseinrichtungen für die Jugend c) Austausch kommunaler Jugendleiter d) Einladung der Führungskräfte der Jugendarbeit und Jugendpolitik sowie Einladung einer Delegation der in der Kibbuz-Organisation tätigen Kräfte bei Jugendfragen Außerdem sollte die Zusammenarbeit der Jugendgemeinschaftsdienste der Bundesrepublik mit den entsprechenden israelischen Stellen behandelt werden. Im J a h r 1968 hat das Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen neben den regulären Mitteln, die für die Jugendarbeit zur Verfügung stehen, für Sonderprogramme für Israel weitere 250.000,— DM zur Verfügung gestellt. Unter Leitung von Herrn Ministerialrat Ott vom Bundesministerium für Familien* und Jugendfragen wird im Dezember 1969 eine Delegation nach Israel fliegen, an der ein Vertreter der obersten Behörden der Bundesländer, zwei Delegierte von Jugendorganisationen sowie zwei Angehörige der Einrichtungen des Jugendbildungswesens teilnehmen werden. Das Auswärtige Amt wird voraussichtlich über die Deutsche Botschaft in Tel Aviv daran beteiligt sein.

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Zehn Jahre Jugendaustausch Köln — Tel Aviv

Vorausgegangen war schon ein Besuch des Kölner Oberbürgermeisters Theo Burauen in Israel und ein Empfang bei David Ben Gurion. Auch der damalige Kölner Oberstadtdirektor Dr. Max Adenauer war von Ben Gurion empfangen worden. Dann geschah 1959 in Köln etwas Schreckliches. Mit Hakenkreuzen war die Synagoge beschmutzt worden. Mit Bürgermeister Dr. Ernst Schwering war ich in Tel Aviv und wurde immer wieder nach der Haltung der deutschen Jugend befragt. Und dann kam es zu dem ausführlichen Gespräch mit Dr. Shaul Levin, dem geistreichen und weitblickenden Pädagogen, dem Schuldezernenten von Tel Aviv. Die Frage stand im Raum: Gibt es einen gemeinsamen Weg zum besseren Verständnis zwischen Deutschland und Israel über die Jugend unserer beiden Völker? Dr. Levin faßte einen einsamen Entschluß. Er lud kurzerhand die ersten zehn Jungen und Mädchen aus Deutschland offiziell ein, Teil einer französischen Jugendgruppe zu sein und zugleich Gäste der Stadt Tel Aviv, um dort im Rathaus offiziell begrüßt zu werden. Wie einsam und gewagt dieser Entschluß war, und wie sehr er stellvertretend für ganz Israel gelten muß, geht aus der Tatsache hervor, daß noch zwei Jahre später in der Knesset beschlossen wurde, die kulturellen Beziehungen zu Deutschland nicht zuzulassen. Aber zugleich war es ein Erfolg, daß die Knesset beschloß, Jugendliche aus Deutschland sollten in Israel selbst willkommen sein. Mit besonderem Dank muß auch anerkannt werden, daß der Rat der Stadt Tel Aviv sich in seiner Mehrheit für diese deutsch-israelische Zusammenarbeit immer wieder entschieden hat und daß auch Oberbürgermeister Namir sich voll und ganz hinter diese Zusammenarbeit stellte und deutsche Gruppenleiter regelmäßig persönlich empfangen hat. Für den Rat und die Verwaltung der Stadt Köln war es vor zehn Jahren ein Zeichen von politischem Weitblick, als sie beschlossen, diese Begegnungen mit der israelischen Jugend und die Zusammenarbeit der beiden Städte auf dem Gebiet der Erziehung ständig zu fördern. Die Bundesregierung hatte auf dem Gebiet der Erziehung keine Kompetenzen; daher konnte sie auf diesem Gebiet keine Initiative zeigen; umso weniger, als es noch keine diplomatischen Beziehungen gab. Die Länder unternahmen zunächst nichts in Richtung Israel, vielleicht auch weil sie nicht außenpolitisch tätig werden wollten. Auch so kommt es nicht von ungefähr, daß das heiße Eisen zwischen Israel und Deutschland auf dem Gebiet der Erziehung auf der kommunalen Ebene, zwischen den Städten Tel Aviv und Köln, stellvertretend für beide Völker angefaßt wurde. Ein Beispiel dafür, daß auch auf der kommunalen Ebene Verantwortung für das Ganze wahrgenommen werden kann. Es hat eine Zeit gegeben, in der von den Städten Tel Aviv und Köln die späteren diplomatischen Beziehungen mit vorbereitet wurden. 1959, vor 10 Jahren hatten die Jugendgruppen aus Köln—aber auch die anderen, die durch Reisegesellschaften kamen — vorwiegend die Aufgabe, Vertrauen 260

10 Zehn Jahre Jugendaustausch Köln — Tel Aviv f ü r ein neues und besseres Deutschland zu suchen. Sie haben dieses Vertrauen gefunden. Bald aber kamen neue Aufgaben hinzu. Die Jugendlichen engagierten sich für Israel. Als z. B. bekannt wurde, daß deutsche Wissenschaftler an Raketenprojekten in Ägypten arbeiteten, kamen sie in Köln zusammen, um Protestschreiben an Bundesregierung und Bundestag zu verfassen und abzusenden. Unsere Jugend half mit, die deutsche Öffentlichkeit über die wahre Situation Israels aufzuklären. In den 10 Jahren der Zusammenarbeit von Tel Aviv und Köln hat der Rat der Stadt Köln nicht n u r die Jugendbewegungen gefördert, sondern auch noch weitergehende Anstrengungen zum besseren Verständnis gemacht. Während des Konzils in Rom veranstaltete Köln eine große Ausstellung, die in der ganzen Welt beachtet wurde: Monumenta Judaica, die Geschichte der J u d e n am Rhein. Oberbürgermeister Burauen eröffnete in der Messehalle eine Großkundgebung mit 5.000 Teilnehmern, auf der Kardinal Zim, Bischof Stahlen und aus Jerusalem Prof. Ernst Simon sprachen. Seit mehr als 10 Jahren fördert die Stadt Köln die Bibliothek „Germania Judaica", die das deutsch-jüdische Verhältnis in der Geschichte erforschen hilft. In vier aufeinander folgenden J a h r e n erhielten alle Schüler in Köln, wenn sie die Schule verließen, das Buch „Auf dem Wege nach Israel". So kamen rund 50.000 Bücher allein in die Kölner Familien. Das Land Nordrhein-Westfalen verteilte die Bücher an alle Schulen des Landes. Weitere Städte folgten dem Beispiel. Als im August 1965 endlich der deutsche Botschafter Rolf Pauls sein Beglaubigungsschreiben überreichte, waren es zwei Tage später die Kölner Jugendlichen mit ihren israelischen Freunden, mit Vizebürgermeister Burstein u n d Yehuda Erel, die ihn in Neurim begrüßten u n d baten, einen Baum der Freundschaft zu pflanzen. Neurim mit Herren Akibalchai und Schlomo Wermus sind bei den Kölner Israelfahrern unvergessen. Während des Sechs-Tage-Krieges waren es Tausende von Kölner Jungen u n d Mädchen, die in der Universität u n d auf dem Neumarkt f ü r Israel demonstrierten und sammelten. Nach dem Sechs-Tage-Krieg kamen auch die ersten offiziellen Gegenbesuche aus Tel Aviv u n d ganz Israel nach Köln und in die übrige Bundesrepublik. Diese stolze Bilanz zieht der Beigeordnete der Stadt Köln, Johannes Giesberts, über die gemeinsamen Bemühungen, die ihn mit Dr. Shaul Levin zu enger Freundschaft verbunden haben. Über 600 Schüler der Stadt Köln u n d 200 Lehrer sind bis jetzt aus Köln nach Israel gegangen, haben Land und Leute kennengelernt. Köln war der Anfang, andere Städte folgten und selbst aus der rheinischen Metropole sind außerhalb des genannten Austausches viele nach Israel gegangen, der Bann war gebrochen. Diese beiden Männer haben dies unter dem Oberbürgermeister der Stadt Köln, Theo Burauen, und dem Tel Aviver Oberbürgermeister Namir tun können. Jetzt, zum zehnjährigen Jubiläum, das bannbrechend war, ist ein gemeinsames H e f t erschienen, das in deutscher und hebräischer Sprache herauskommt und in 20.000 Exemplaren von der israelischen Druckerei nach Köln unterwegs ist. In diesem Heft hat Giesberts seinen Rechen261

Jugendaustausch schaftsbericht veröffentlicht. Die persönlichen Erlebnisse dieses Mannes, die er ebenfalls in diesem Heft schildert, sind ein Teil jener Geschichte, die sich zwischen Israel und Deutschland entwickelt hat. Dr. Shaul Levin ergänzt diese Gedanken, wenn er in dem gleichen Heft schreibt: „Zehn Jahre sind inzwischen vergangen. — Hunderte Lehrer und beinahe tausend Schüler aus Köln besuchten unsere Stadt im Rahmen der Schülerdelegation des Kölner Schulamtes. Viele kamen zum zweiten und dritten Mal, alle sind heute unsere ergebenen Freunde. Im Jahre 1967 kam die erste offizielle Schülergruppe aus Tel Aviv nach Köln, durch Initiative des israelischen Städtebundes. 1968 beschloß die Verwaltung der Stadt Tel Aviv einstimmig, von nun an Jahr für Jahr offizielle Schülergruppen nach Köln zu schicken. Lang war der Weg. In einer zufälligen Begegnung und einem kurzen Gespräch entstand dieses Werk — der Ausdruck eines gemeinsamen Verantwortungsgefühls für die junge Generation beider Völker und deren geistigen Gehalt. Seitdem wirken wir im gemeinsamen Glauben an den guten und aufrichtigen Willen der jungen Menschen auf beiden Seiten."

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11 Tagungen der gemischten Fachkommission für den deutsch-israelischen Jugendaustausch

11.1 Die 1. Tagung in Tel Aviv 1969 Bei der ersten Sitzung vom 8. bis 12.12. ging es um die Frage der künftigen Finanzierung von Austauschgruppen und einer straffen Programmierung der Arbeit. Die Delegation setzte sich wie folgt zusammen: Auf israelischer Seite waren es: Bürgermeister Kreismann, der Direktor der Jugendabteilung, Ministerium f ü r Erziehung und Kultur, Herr Meyouhas, der Generalsekretär des israelischen Städtetages, Herr Meljon, der Erziehungsdezernent der Stadt Tel Aviv anstelle von Herrn Dr. Levin, der Vertreter der Kibbuzbewegung, Herr Meisel, der Geschäftsleiter f ü r Jugendaustausch, Herr Avihar. Die deutsche Delegation stand unter der Leitung von Herrn Ministerialrat Dr. Ott, Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. Ferner waren von deutscher Seite nach Tel Aviv geflogen Dr. Eisholz, Beigeordneter des Deutschen Städtetages, Herr A. Rohmeis, Vorstandsmitglied der deutsch-israelischen Gesellschaft, Herr Pastor Lübbert, Vertreter der Jugendgemeinschaftsdienste, Herr Pastor Lubkoll, Vertreter des Deutschen Bundesjugendringes. Außerdem nahm von der Deutschen Botschaft in Tel Aviv der Kulturreferent Dr. Niemöller an den Sitzungen teil. Als wichtigstes Ergebnis dieser Beratungen wurde für die Reisen deutscher Jugendgruppen nach Israel und ihren Aufenthalt im Lande ein 12 Punkte-Programm als Richtschnur erarbeitet. Diese 12 Punkte sind sowohl für die Auswahl der Gruppen als auch für die Arbeit festgelegt worden. Die Punkte lauten: ¡.Austausch von Einzelkräften der Jugendarbeit, z. B. Jugendredakteure von Jugend- und Schülerzeitschriften, 2. Aufbaukontakte, z. B. Naturschutz und in der Form unserer Jugendgemeinschaftsdienste mit ca. 120 Plätzen für junge Deutsche, 3. Wissenschaftliche Programme (archäologische Ausgrabungen u. ä.), 4. Austausch von musischen Gruppen (Jugendgruppen und Experten), 5. Jugendfotoausstellung in Israel, 6. Zusammenarbeit mit den deutschen Clubs „Jugend forscht" und den entsprechenden Vereinigungen in Israel, 7. Gemeinsamer Jugendfoto-Wettbewerb, 8. Jugendsportprogramme, vor allem mit Hapoel, 9. Verstärkter Austausch von Führungskräften der Jugendarbeit auf verschiedenen Gebieten, 10. Zusammenarbeit im Bereich der Jugendzentren, Häuser der offenen Tür, Jugendfreizeitstätten, 263

Jugendaustausch

11. Stärkerer Austausch von berufstätigen Jugendlichen, 12. Deutsche Folklore-Gruppen nach Israel. Auch für die Entsendung israelischer Gruppen nach Deutschland wurden Richtlinien erarbeitet, nach denen künftig vorgegangen werden soll: 1. Teilnahme von jungen Israelis an internationalen großen Programmen, wenn möglich auch an Japan-Fahrten u. ä., 2. Kurse für israelische Jugendleiter in deutscher Sprache, 3. Stipendien für israelische Jugendleiter und andere Führungskräfte der Jugendarbeit an der musischen Akademie Remscheid, 4. Studienaufenthalt für Jugendarbeitexperten beim Institut für Film und Bild bei der internationalen Jugendbibliothek und beim deutschen Jugendinstitut, 5. Stipendien für Kurse an der Landvolkshochschule Friedrichsdorf, 6. Teilnahme von arabischen Jugendlichen aus Israel an geeigneten Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Richtlinien sind auch untereinander austauschbar, wenn z. B. israelische Jugendgruppen aus den Gedankengängen für deutsche Jugendliche in Israel ihrerseits in die Bundesrepublik kommen wollen und bereit sind, hier Dinge zu tun, die für deutsche Jugendliche in Israel festgelegt wurden. Wie man aus Fachkreisen betont, geht es bei diesen genannten Programmen lediglich um Anregungen, die einen Rahmen für die bilateralen Maßnahmen darstellen sollen. Solche Überlegungen wurden notwendig, um den zentralen Stellen die Auswahl bei der Finanzierung dieser Programme zu ermöglichen. Von deutscher Seite wurde bei diesen Beratungen die Bereitschaft erklärt, daß 1970 ausnahmsweise bis zu 8 Gruppen junger Israelis im Alter von 16 bis 18 Jahren sich an einem Begegnungsprogramm in der Bundesrepublik beteiligen. Dabei sollen von deutscher Seite die Flugkosten getragen werden, während die israelische Seite für diese 8 Gruppen die Aufenthalts- und Programmkosten übernehmen soll. Außerdem wurde von deutscher Seite der Wunsch geäußert, daß je eine Gruppe von Jugendleitern der Moshawim- und der Kibbuzim-Bewegung nach der gleichen Regelung die Bundesrepublik besuchen darf. Bei den Finanzberatungen wurde vor allem von deutscher Seite darauf Wert gelegt, künftig konzentrierte Mittel auf hochqualifizierte Kräfte zu beschränken. Man will die deutschen und israelischen Gruppen, wie es schon nach den Plänen seit Jahr und Tag geschieht, auf ihre Reisen entsprechend vorbereiten. Die jungen Israelis, die die Bundesrepublik besuchen, sollen nicht in Lagern und an einem einzigen Ort zusammengefaßt werden, sondern vielmehr weitgehende Möglichkeiten erhalten, durch geeignete Familienkontakte und Begegnungen mit jungen Deutschen die Menschen in der Bundesrepublik kennenzulernen. Außerdem soll ihnen die Möglichkeit gewiesen werden, die Berufswelt, die Wirtschaft, die Politik, Gesellschaft und Kultur unseres Landes näher kennenzulernen. Die Arbeit der gemischten Kommission, die in ihrer Besetzung die Vielfalt 264

11 Tagungen der gemischten Fachkommission für den deutsch-israelischen Jugendaustausch

der Jugendarbeit in den beiden Ländern widerspiegeln soll, hat festgelegt, daß das Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit wie bisher die zentrale Instanz für Koordinierung, Information und Finanzierung sein wird, während auf israelischer Seite diese Funktion der israelische Städteverband wahrnehmen wird. Zur Zeit erarbeitet das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine Bestandsaufnahme des deutsch-israelischen Jugendaustausches aus demjahre 1969, um dann für 1971 entsprechende Schlüsse auf die Programmgestaltung zu ziehen, die man in der gemeinsamen Sitzung im Mai auf Grund der vorliegenden Unterlagen erarbeiten will.

11.2 Die 3. Tagung im Mai 1971 Vom 3. bis 9. Mai 1971 fand in Israel (Tel Aviv, Jerusalem u. a.) die 3. Sitzung des Gemischten Fachausschusses für den deutsch-israelischen Jugendaustausch statt. Der Fachausschuß besteht aus der deutschen und israelischen Delegation, die repräsentativ die Jugendbehörden und Jugendorganisationen vertreten. So gehören der deutschen Delegation Vertreter der Bundes- und Länderministerien, der kommunalen Spitzenverbände, der zentralen Jugendverbände, der internationalen Jugendgemeinschaftsdienste, der deutsch-israelischen Gesellschaft und des internationalen Jugend-Austausch- und Besucherdienstes an. Neben den Beratungen über den deutsch-israelischen Jugendaustausch hatte die deutsche Delegation Gelegenheit, Einrichtungen der Jugendarbeit und interessante historische und kulturelle Orte kennenzulernen. 1969 wurden aus dem Bundesjugendplan 4.453 deutsche und israelische Teilnehmer an Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und in Israel mit insgesamt 1.115.487,— DM gefördert. 1970 wurden aus Bundesmitteln 3.125 deutsche Teilnehmer in Israel, 2.125 israelische Teilnehmer in der Bundesrepublik Deutschland und weiterhin 410 deutsche Teilnehmer an besonderen bilateralen Programmen in der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Die Zahl der israelischen Teilnehmer stieg gegenüber dem Vorjahr um etwa 50 %. 1970 förderte die Bundesregierung mit 2.050.426,- DM 5.750 deutsche und israelische Teilnehmer. Für die Jahre 1969/70 gab somit die Bundesregierung für den deutsch-israelischen Jugendaustausch 3.165.413,—DM aus und unterstützte damit 10.203 deutsche und israelische Teilnehmer an vielfältigen Begegnungsprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland und in Israel. Für 1971 ergibt sich aus den dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit vorliegenden Anträgen auf Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches eine Steigerung von bereits über 20 % an Teilnehmern gegenüber dem Vorjahr. Neben diesen Zahlen und Förderungsmitteln muß auf deutscher Seite die Förderung aus Ländermitteln und Mitteln der kommunalen 265

Jugendaustausch Stellen gesehen werden, so daß in diesen Jahren die Gesamtzahl der deutschen und israelischen Teilnehmer an Begegnungsprogrammen in beiden Ländern wesentlich höher ist. Die Zahlen, welche f ü r denselben Zeitraum die israelischen Behörden und Zentralstellen mitteilten, decken sich weitgehend mit den deutschen Angaben. Seit dem 1. Januar 1971 sind die neuen Richtlinien f ü r den Bundesjugendplan in Kraft; sie enthalten ein neues Förderungssystem der internationalen Jugendarbeit mit höheren Förderungssätzen. Danach werden Subventionen f ü r deutsche und ausländische Teilnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, f ü r deren Programme u n d Aufenthaltskosten im Ausland, f ü r deutsche Teilnehmer nur f ü r deren Fahrtkosten gewährt. Wegen der besonderen Situation des deutsch-israelischen Jugendaustausches und der erheblichen Schwierigkeiten durch die Ausreisesteuer für israelische Teilnehmer, gab das Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit am 1. April 1971 einen Erlaß über die Sonderregelung der Förderung deutsch-israelischer Austauschprogramme in der Bundesrepublik Deutschland heraus. Dieser Erlaß enthält, auf das Haushaltsjahr 1971 begrenzt, Ausnahmebestimmungen über die Finanzierung von Jugendgruppen und von Führungskräften aus Israel. Ferner über die Höhe der Mittel und Dauer der Maßnahmen. Der Fachausschuß erörterte eingehend die Planungen des deutsch-israelischen Jugendaustausches f ü r 1971 und legte die Programme nach der Kategorie A (Veranstaltungen mit Multiplikatoren, ausgewählten Jugendlichen usw.) fest; bei dieser Kategorie übernimmt die Bundesregierung Deutschlands die vollen An- und Abreisekosten mit der Konsequenz der Befreiung von der Ausreisesteuer f ü r die israelischen Teilnehmer. Die Beratung über die bilateral geförderten Sonderprogramme wird auch fortan ein wesentlicher Gegenstand der Beratungen des Fachausschusses sein. Die deutsche Delegation teilte mit, daß ab 1972 eine Übernahme der vollen An- und Abreisekosten für israelische Teilnehmer aus haushaltsrechtlichen Gründen und anderen Gründen nicht mehr möglich sei, und daß statt dessen die Absicht bestehe, eine großzügige Regelung der Aufenthaltskosten für israelische Teilnehmer in der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen. Für Teilnehmer nach der Kategorie A (ausgewählte Programme mit Multiplikatoren usw.) würde ein etwa doppelt so hoher Tagessatz als f ü r Teilnehmer nach der Kategorie B (Jugendliche) eingeplant. Programme nach der Kategorie B würden noch weiterhin von deutscher Seite über die deutschen zentralen Träger (Jugend- und Studentenverbände, Fachorganisationen der Jugendarbeit) und über die obersten Jugendbehörden der Länder gefördert; der israelischen Seite würde ein ähnliches Verfahren empfohlen. Die deutsche Delegation hatte eine Besprechung im israelischen Finanzministerium mit der Absicht, eine einheitliche Regelung der Ausreisesteuer-Bestimmungen und eine Befreiung oder mindestens erhebliche Ermäßigung der Ausreisesteuer für israelische Teilnehmer an Begegnungsprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Das israelische Finanzministerium hat die 266

11 Tagungen der gemischten Fachkommission für den deutsch-israelischen Jugendaustausch

Absicht, die Teilnehmer an deutsch-israelischen Begegnungsprogrammen, so weit sie auch aus deutschen öffentlichen Mitteln gefördert werden und den Richtlinien entsprechen wie Teilnehmer an kulturellen Austauschprogrammen zu behandeln und demnach die Ausreisesteuer für sie erheblich zu ermäßigen. Voraussetzung für diese Ermäßigung ist allerdings, daß das israelische Erziehungsministerium die Differenz zwischen der vollen und der ermäßigten Reisesteuer in seinem Haushalt auffangen müsse. Nach wie vor gilt die Regelung weiter, daß die Ausreisesteuer für israelische Teilnehmer ganz erlassen wird, wenn die An- und Abreise von deutscher Seite voll in Devisen getragen wird und eine offizielle Einladung vorliegt. Die deutsche Regierung schlug vor, den deutsch-israelischen Jugendaustausch demnächst auf ein separates Regierungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland oder auf ein Kulturabkommen generell zu gründen. Die Überlegungen darüber sollen auf dem üblichen diplomatischen Wege fortgeführt werden. Falls ein Regierungsabkommen, sei es separat oder als Teil eines Kulturabkommens zustande käme, würde der Gemischte Fachausschuß bestehen bleiben und seine Funktion wie bisher ausüben. Die nächste Sitzung des Fachausschusses soll im Januar 1972 in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden.

11.3

Israelische Kritik am Programm des Jugendaustausches

Zunächst ein Wort zur Entwicklung: Bis Ende des vergangenen Jahres 1971 funktionierte die deutsch-israelische Absprache über den Jugendaustausch zwischen unseren beiden Ländern beinahe reibungslos, und man kann hinzufügen, mit einem beachtlichen Erfolg. Ein Gemischter Fachausschuß tagte zu den daraus resultierenden Fragen in regelmäßigen Abständen und jeweils abwechselnd in Israel und der Bundesrepublik. Die letzte Sitzung fand im Mai 1971 in Tel Aviv statt. Die nächste Zusammenkunft dieses Gemischten Fachausschusses sollte am 19. und 20. Januar 1972 in der Bundesrepublik stattfinden. Finanziell trug die Bundesregierung der Besonderheit des deutsch-israelischen Jugendaustausches dadurch Rechnung, daß sie erhebliche Ausnahmen von den Richtlinien für den Jugendaustausch, die im Bundesjugendplan festgelegt sind, einräumte und außerdem erhebliche zusätzliche Förderungsbeträge bereitstellte. Für 1970 gewährte das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 2,05 Millionen D-Mark, 1971 waren es 2,33 Millionen D-Mark. Mit diesen deutschen Haushaltsgeldern konnten die Reisen von 5.800 deutschen und israelischen Jugendlichen und Jugendleitern gefördert werden. Diese Zahl stieg 1971 auf über 6.000 deutsche und israelische Teilnehmer. Von der für Januar 1972 vorgesehenen Tagung des Gemischten Ausschusses sollten neben der Planung von neuen bilateralen Maßnahmen auch Finanzie267

Jugendaustausch rungsprobleme, Fragen d e r Beteiligung d e r Luftfahrtgesellschaften, eine angemessene israelische Mitfinanzierung und andere derartige Themen besprochen werden. Auf diplomatischem Wege hatte die deutsche Seite den Wunsch vorgetragen, daß in Zukunft die israelische Delegation entweder neu von der israelischen Regierung gebildet werden solle oder das zuständige israelische Ministerium mindestens in der bisherigen israelischen Kommission den Vorsitz f ü h r e n sollte. Diese Entwicklung wurde noch anläßlich einer Reise des Parlamentarischen Staatssekretärs des Bundesministeriums f ü r Jugend, Familie und Gesundheit, Heinz Westphal, unterstrichen, der vom 14. bis 17.11.1971 gleichzeitig in seiner damaligen Eigenschaft als Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Besprechungen mit Vertretern der israelischen Regierung und dem israelischen Städteverband führte, der bis dahin praktisch der alleinige Gesprächspartner d e r deutschen Stellen gewesen war. In seiner Besprechung mit dem israelischen Vizeminister f ü r Erziehung, Yadlin, ergaben sich folgende Punkte: In der Frage d e r erheblichen israelischen Reisesteuer wurde darin Übereinstimmung erzielt, daß diese Frage ein ausschließlich israelisches Problem darstelle. Die israelische Regierung zeige Verständnis dafür, daß die deutsche Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches auf die israelischen Bestimmungen f ü r die Ausreisesteuer künftig keine Rücksicht mehr nehmen kann. Herr Yadlin hielt die volle Information an israelische Teilnehmer an deutschisraelischen Begegnungsprogrammen über die Intentionen der Bundesregierung f ü r d e n deutsch-israelischen Jugendaustausch f ü r berechtigt, so daß die israelischen Teilnehmer von deutscher und israelischer Seite entsprechend informiert werden sollen. Außerdem zeigte Yadlin Verständnis d a f ü r , daß die Förderung aus dem Bundesjugendplan n u r f ü r deutsch-israelische Begegnungen u n d nicht auch f ü r Reisen israelischer Jugendlicher in andere Länder Europas gewährt werden könne. Gelegentliche geographisch und zeitlich begrenzte Kontakte über die deutschen Grenzen hinaus in Nachbarstaaten sollten großzügig behandelt werden. Yadlin stimmte dem deutschen Vorschlag zu, daß fortan mehr als bisher israelische Jugendliche in höheren Altersgruppen beim Austausch berücksichtigt werden sollen. Die Probleme der Reisesteuer, die Informationen israelischer Teilnehmer und der Rahmen der Förderung des deutschen Austausches, so kamen die deutschen Gesprächspartner im November 1971 überein, sollten fortan nicht mehr Gegenstand des Gemischten Fachausschusses sein. Fast zur gleichen Zeit, anläßlich der Deutschen Kulturwoche im November 1971, kam es in Israel zu verschiedenen kritischen Äußerungen in der israelischen Presse sowie in d e r israelischen Öffentlichkeit, wobei u. a. auch der deutsch-israelische Jugendaustausch erwähnt wurde. Der stellvertretende Ministerpräsident und Erziehungsminister YigalAllon erklärte am 14. Dezember 1971 in der Knesset, daß er sich an alle Körperschaften, die sich mit Jugendaustausch beschäftigen, mit d e r Bitte gewandt habe, im J a h r e 1972 aus Ersparnis268

11 Tagungen der gemischten Fachkommission für den deutsch-israelischen Jugendaustausch gründen keinen Austausch von J u g e n d g r u p p e n mit anderen Ländern durchzuf ü h r e n ; nur Sportler sollten künftig noch ins Ausland gesandt werden. Das israelische Außenministerium zeigte sich von dieser Erklärung überrascht, da es gerade 1972 den Jugendaustausch mit der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen will. Anfang J a n u a r verlautete aus Israel, daß es gelungen sei, Minister Allon von seiner negativen Haltung abzubringen und daß beabsichtigt sei, eine besondere Kommission f ü r den Jugendaustausch zu bilden. Zu diesem Zeitpunkt befaßte sich der Erziehungsausschuß und Innenausschuß der Knesset mit dem deutschisraelischen Jugendaustausch. Während dieser Entwicklung hatte der Israelische Städteverband die Bitte geäußert, da die frühere israelische Delegation unter seiner F e d e r f ü h r u n g gemäß der Regelung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Allon nicht mehr existent sei, gesonderte Gespräche mit dem Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit nur über den Austausch von Jugendgruppen des Israelischen Städteverbandes (Schülergruppen, Gruppen von jungen Werktätigen usw.) zu führen. Das Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit hielt diese Gespräche aus gewichtigen Gründen nicht für opportun u n d erneuerte seinen Wunsch nach Neubildung der israelischen Delegation bzw. nach dem Vorsitz in der Delegation durch das israelische Erziehungsministerium. Von der israelischen Öffentlichkeit gab es Ende 1971 kritische Äußerungen zu d e r bisherigen Praxis des Israelischen Städteverbandes im deutsch-israelischen Jugendaustausch. Man warf dem Israelischen Städteverband vor, daß er sich ein Monopol f ü r die Beteiligung israelischer Jugendlicher und Jugendleiter beschafft habe, gegen eine wirkliche Repräsentanz der israelischen Organisationen in der israelischen Delegation sei, eine undurchsichtige Verwaltung der deutschen Förderungsgelder betreibe und daß er trotz des bestehenden deutschen Erlasses einseitig die EL AL vor der Lufthansa bevorzuge. Deutsche und israelische Äußerungen gipfelten in dem Vorwurf, daß der Israelische Städteverband die deutschen Subventionsmittel, soweit sie ihm in Devisen zur Verfügung gestellt wurden, allgemein f ü r den Jugendaustausch zwischen Israel u n d europäischen Ländern verwende und daß er trotz der deutschen Förderung von israelischen Teilnehmern an Programmen in der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt 1.2001. L. (Israelische Pfund) als Eigenleistung verlange und die israelischen Teilnehmer nicht über die deutsche Förderung informiere. Gegenüber diesen Vorwürfen wehrten sich Vertreter des Israelischen Städteverbandes in der israelischen Presse mit der falschen Behauptung, daß die offiziellen deutschen Partner im deutsch-israelischen Jugendaustausch, also auch das Bundesministerium f ü r Jugend, Familie u n d Gesundheit, über die kritisierte Förderungsmethode unterrichtet und damit insgeheim einverstanden gewesen seien; sie äußerten sich in der Presse teilweise aggressiv und unglücklich. Wie man in Bonn erfahren konnte, beabsichtigt die Bundesregierung nach wie vor den deutsch-israelischen Jugendaustausch auch 1972 qualitativ zu verbessern und auszuweiten und die d a f ü r notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen. Wie bereits in einer offiziellen deutschen Mitteilung anläßlich der letzten 269

Jugendaustausch Sitzung des Gemischten Fachausschusses in Tel Aviv im Mai 1971 mitgeteilt wurde, soll den israelischen Teilnehmern an Veranstaltungen in Deutschland künftig kein Fahrtkostenzuschuß mehr gewährt werden. Die deutsche Förderung soll der Systematik des Bundesjugendplans angepaßt werden, so daß die israelischen Teilnehmer einen entsprechenden Zuschuß zu den Aufenthalts- und Programmkosten nach Tagessätzen erhalten werden. Für diese Förderung sind bisher zwei Kategorien vorgesehen: Kategorie A (Jugendleiter u. a Führungskräfte der Jugendarbeit u. ä.) Jeder Teilnehmer soll an derartigen Reisen DM 50,— pro Tag erhalten, wovon bis zu 50 % für An- und Abreisekosten durch die deutsche Institution, die die Mittel gibt, verrechnet werden können; Kategorie B umfaßt jugendliche Teilnehmer, von denen jeder DM 23,— pro Tag ohne Anrechnung auf Fahrtkosten erhalten soll. Projekte der Kategorie A würden wie bisher Gegenstand der Beratungen in der Gemischten Fachkommission sein. Eine Förderung von bilateralen Projekten nach Kategorie A soll auch in Zukunft an die Zustimmung des Gemischten Fachausschusses gebunden werden. Das Bundesministerium fürjugend, Familie und Gesundheit wird in Kürze die neuen Bestimmungen über die Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches in einem besonderen Erlaß veröffentlichen. Der israelische Minister für Erziehung und Kultur hat nach Bonner Informationen einen Ausschuß unter Vorsitz des Stellvertretenden Ministers beschlossen, der bis Ende Februar Empfehlungen für den Ausschuß von Jugendlichen und jungen Menschen mit anderen Ländern ausarbeiten soll. Allerdings soll sich aus finanziellen Gründen 1972 der Austausch auf sportliche und politische Gruppen beschränken. Diesem Ausschuß werden Vertreter der Regierungsstellen, Lokalbehörden, Jugendorganisationen, Histadrut, Kibbuzim, Moshawim, politischer und anderer Organisationen angehören. Es bleibt zu hoffen, so betonen Bonner Regierungskreise, daß die entstandene Krise zur Lösung gerade mancher Fragen auf israelischer Seite führt und Mißverständnisse sowie Unklarheiten beseitigt, damit der Jugendaustausch zwischen beiden Ländern ungestört und ungeschmälert weiterläuft und seine wichtige politische und pädagogische Funktion wieder erfüllen kann.

270

12 Neuer Start im Jahre 1972

Auf Einladung und unter Vorsitz des israelischen Stellvertretenden Ministers f ü r Erziehung und Kultur, Aharon Yadlin, berieten am 15. und 16. April 1972 die Delegationen Israels und der Bundesrepublik Deutschland über grundsätzliche Probleme des deutsch-israelischen Jugendaustausches sowie über seine praktische Durchführung im Jahre 1972. Die deutsche Delegation wurde vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit, Heinz Westphal, geleitet. Beide Seiten sehen im deutsch-israelischen Jugendaustausch ein wichtiges und wertvolles Mittel, um im Bewußtsein der Ereignisse der Vergangenheit zwischen der Jugend beider Länder Brücken zu schlagen und dadurch der Versöhnung und dem Frieden zu dienen. Herr Yadlin wies darauf hin, daß dem auf Weisung von Erziehungsminister Allon zusammengetretenen interministeriellen Ausschuß die Aufgabe gestellt sei, die grundsätzlichen und praktischen Aspekte des Jugendaustausches zu untersuchen sowie seine wirtschaftliche Seite und seine Finanzierung zu prüfen. Herr Yadlin berichtete sodann über die Empfehlung des Knesset-Ausschusses, die Durchführung des Jugendaustausches in Zukunft einem besonderen Gremium zu übertragen. Herr Yadlin informierte die deutschen Gäste außerdem über die Absicht des interministeriellen Ausschusses, f ü r den diesjährigen Jugendaustausch folgende Kategorien der israelischen Teilnehmer aufzustellen: 1. Aktive Sportler als Teilnehmer an internationalen Sportveranstaltungen, 2. Treffen politischer Jugendgruppen, 3. Gruppen repräsentativer künstlerischer Natur (z. B. Jugendorchester, Folkloregruppen), 4. Durch die Jewish Agency veranstaltete Treffen, 5. Jugenderzieher als Teilnehmer experimenteller Bildungsprogramme, 6. Einzelreisen zu Arbeitszwecken (z. B. in der Landwirtschaft), 7. Führungskräfte und Erzieher im Rahmen weiterer Berufsausbildung, 8. Abwicklung bestehender Verpflichtungen. Vizeminister Yadlin betonte, trotz der durch Sparmaßnahmen bedingten Einschränkung des Reiseprogramms israelischer Gruppen nach Deutschland befürworte seine Regierung die uneingeschränkte Durchführung deutscher Jugendprogramme in Israel. Staatssekretär Westphal begrüßte die Bereitschaft der israelischen Regierung, in Zukunft größere Verantwortung f ü r den internationalen Jugendaustausch zu übernehmen und den deutsch-israelischen Jugendaustausch als Ausdruck des besonderen Verhältnisses zwischen beiden Ländern und Völkern, ausgehend von den bisherigen Aktivitäten weiter zu entwickeln. 271

Jugendaustausch Beide Delegationen waren sich darüber einig, daß ein sinnvoller Jugendaustausch die gründliche organisatorische und pädagogische Vorbereitung der G r u p p e n voraussetzt. Die Kontrollfunktion hierüber wird auf israelischer Seite durch den interministeriellen Ausschuß wahrgenommen werden. Die deutsche Delegation sagte zu, der israelischen Seite die zur D u r c h f ü h r u n g einer ausreichenden Prüfung erforderlichen Informationen über die auf deutscher Seite vorgesehenen Programme zentral zugänglich zu machen. Die deutsche Seite begrüßte die Absicht der israelischen Delegation, die Frage der Ermäßigung und des Wegfalls der Reisesteuer mit den zuständigen israelischen Behörden zu erörtern. Die deutsche Delegation betonte die besondere Bedeutung einer solchen Regelung, die unter Berücksichtigung sozialer Aspekte den Zielen und Grundsätzen des internationalen Jugendaustausches entsprechen sollte. Die beiden Delegationen trafen Vereinbarungen über die Projekte des Jahres 1972. Es bestand Einigkeit darüber, die Beratungen über prinzipielle Vereinbarungen, die den Jugendaustausch betreffen, und über die Programme des Jahres 1973 im Herbst oder Winter 1972 in Deutschland fortzusetzen. Bei beiden Beratungen wurden die Durchführung und Förderung von 28 Programmen der Kategorie A (Veranstaltungen mit Jugendleitern u. a. hauptund ehrenamtlichen Mitarbeitern der Jugendarbeit und außerschulischen Bild u n g in der BRD) und 24 entsprechende Programme derselben Kategorie in Israel beraten und entschieden. Über den deutsch-israelischen Jugendaustausch der letzten beiden J a h r e liegen folgende Zahlen vor: 1970 wurden mit Förderungen aus dem Bundesjugendplan 235 Maßnahmen gemeinsam in Israel u n d in der BRD durchgeführt u n d dabei 6.355 deutsche und israelische Teilnehmer gefördert. Der d a f ü r aus dem Bundesjugendplan bereitgestellte Gesamtbetrag betrug 2.810.727,-DM, davon 500.000,-DM f ü r bilaterale Programme — Kategorie A. 1971 waren es (nach der vorläufigen und bis jetzt noch nicht endgültigen statistischen Auswertung) 250 Maßnahmen mit 6.800 deutschen und israelischen geförderten Teilnehmern. Der Förderungsbetrag aus dem Bundesjugendplan betrug 3.115.000,- DM, davon 830.000,- DM f ü r bilaterale Programme — Kategorie A. Die Empfehlungen des Knesset-Ausschusses, über die der israelische Vizeminister Yadlin berichtete, haben folgende Vorgeschichte: „In der Knessetsitzung vom 14.12.1971 brachte das Knessetmitglied Abraham Werdiger die obenstehende Frage zur Sprache im Rahmen der Tagesordnung der Knesset. Die Knesset beschloß den Antrag an den Ausschuß zur weiteren Diskussion zu überweisen. Der Knessetausschuß beauftragte am 21.12.1971 den von den Ausschüssen f ü r Innere Angelegenheiten und Erziehungs- und Kulturwesen geschaffenen gemeinsamen Ausschuß, sich mit dieser Frage zu befassen. Im Verlaufe d e r fünf Sitzungen, die dieser abhielt, hörte er die Äußerungen des Vizeministers f ü r Er272

12 Neuer Start im Jahre 1972

ziehung und Kulturwesen, des Leiters der Sportbehörde, des Vorsitzenden des Städteverbandes, des Vorsitzenden des Jugendherbergwerks in Israel sowie des Jugendaustauschleiters der Kibbuzbewegung ,Ihud Hakvutzot veHakibbutzim*. Ein Vertreter des Erziehungsministeriums wohnte ständig den Beratungen dieses Ausschusses bei. Aus den Verhandlungen ergab sich, daß die Initiative zum Jugendaustausch mit der Bundesrepublik von den großen Stadtverwaltungen Israels ausgegangen war. Damit sich jedoch die Beteiligung (am Austausch) nicht nur auf die Jugendlichen der großen Städte beschränke, nahm der Städteverband vor etwa vier Jahren diese Tätigkeit in landesumfassendem Ausmaß auf sich. Dies geschah mit der Zustimmung des Außenministeriums, des Ministeriums für Erziehung und Kulturwesen sowie auch des Innenministeriums. Der israelische Städteverband schloß ein Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland über den Umfang solcher Austauschprogramme sowie die Art ihrer Finanzierung seitens beider Beteiligten. Ferner stellte es sich heraus, daß auch direkte Kontakte zwichen der Bundesrepublik und anderen israelischen Stellen bestanden, die Jugendgruppen nach der Bundesrepublik entsandten und finanzielle Beihilfe aus Deutschland erhielten. Zu denen zählen Sportvereine, die Histadrut (der israelische Gewerkschaftsbund), Kibbuzim, politische Parteien und Reisebüros. Von 2.500 Israelis, die 1971 im Rahmen des Austauschprogramms nach der Bundesrepublik reisten, waren nur 400 vom Städteverband entsandt, während aus der Bundesrepublik in diesem Rahmen etwa 4.500 Jugendliche nach Israel kamen. Angesichts dieser Tatsachen kam der Ausschuß dann zu folgenden Schlußfolgerungen: a) Der Ausschuß sieht im Jugendaustausch mit der Bundesrepublik ein nützliches Instrument, um die Sache Israels der in Deutschland heranwachsenden Generation näher zu bringen, nachdem in ihr das Bewußtsein der Geschehnisse der Katastrophe nicht verwurzelt ist, und seitens verschiedener Elemente die Neigung besteht, diese zu vertuschen. Auch sieht er darin ein Werkzeug zur Hemmung der anti-israelischen Tätigkeit feindlich gesinnter Gremien in der Bundesrepublik. Es ist selbstverständlich, daß dieser Jugendaustausch in beiden Richtungen vorgenommen werden muß. b) Der Ausschuß stellt fest, daß in Ermangelung einer öffentlichen Stelle zum Leiten und zur Koordinierung der mit der Fortsetzung des israelisch-deutschen Jugendaustausches verbundenen Tätigkeit, sich eine Lage ergeben hat, in der gewisse Jugendgruppen aus Israel nicht immer mit der wünschenswerten Sorgfalt auf ihr Treffen mit deutscher Jugend vorbereitet wurden. Mit Genugtuung wird vermerkt, daß die vom Städteverband und anderen verantwortlichen Organisationen entsandten Jugendgruppen Israel und seine Sache mit Würde vertreten haben, nach entsprechender Vorbereitung seitens der zuständigen Stellen vor der Abreise. c) Der Ausschuß empfiehlt das Bilden eines Sonderausschusses, der sich aus Vertretern der zuständigen Ministerien, des Städteverbandes und anderer öf273

Jugendaustausch fentlicher Organisationen zusammensetzen soll, zur konzentrierten Durchführung der sich aus dem Jugendaustauschabkommen mit der Bundesrepublik ergebenden Tätigkeit. Eine Ermäßigung der Reisesteuer für diese Gruppen soll nur auf Grund einer Bestätigung dieses Sonderausschusses erfolgen. Als Vorsitzender des Sonderausschusses soll eine öffentliche Persönlichkeit eingesetzt werden, die über entsprechende Befugnisse verfügt. Der Sonderausschuß soll für die Vorbereitung und Ausbildung der Teilnehmer der Jugendgruppen Sorge tragen und die Verantwortung für ihre Führung und Beaufsichtigung während ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik übernehmen." Nach diesen Besprechungen in Israel wurden für 1972 28 Projekte der Kategorie A (Seminare, Konferenzen, intensive Informationsreisen usw. von Jugendleitern und anderen Führungskräften der Jugendarbeit) in der Bundesrepublik und umgekehrt 24 Projekte in Israel geplant. Die deutsch-israelischen Programme wurden von israelischer Seite zum ersten Mal nach den von der israelischen Regierung für 1972 aufgestellten Kriterien für den Jugendaustausch erörtert und entschieden. Es ist damit zu rechnen, daß die von deutscher Seite auch für 1972 bereitgestellten zusätzlichen Mittel für den deutsch-israelischen Jugendaustausch voll verwendet werden.

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13 „Sonderregelung für die Förderung von Programmen des deutsch-israelischen Jugendaustausches in der Bundesrepublik Deutschland" Erlaß des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit für das Haushaltsjahr 1972

Im Rahmen des Jugendaustausches hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit eine „Sonderregelung für die Förderung von Programmen des deutsch-israelischen Jugendaustausches in der Bundesrepublik Deutschland" für das Haushaltsjahr 1972 erlassen. Es handelt sich hierbei nur um Finanzierung deutsch-israelischer Jugendbegegnungen innerhalb der Bundesrepublik. Dieser Erlaß sieht folgendes vor:

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Finanzierung

1. Jugendgruppen Bei Begegnungen zwischen israelischen und deutschen Jugendgruppen in der Bundesrepublik Deutschland kann für jeden israelischen Teilnehmer ein Tagessatz bis zu DM 23,- abgerechnet werden, wenn im übrigen die Voraussetzungen nach Nr. 14 des Durchführungserlasses gegeben sind. 2. Führungskräfte Bei Veranstaltungen mit Führungskräften der Jugendverbände und anderen Experten der Jugendarbeit in der Bundesrepublik Deutschland kann für jeden israelischen Teilnehmer ein Tagessatz bis zu DM 50,— pro Tag gewährt werden. Davon kann ein Betrag bis zu 50 % für An- und Abreise, Bundesrepublik-Israel, von dem deutschen Träger abgerechnet werden, wenn unmittelbar vor oder nach der Veranstaltung in der Bundesrepublik Deutschland kein weiterer Aufenthalt in einem anderen Land damit verbunden ist. Bei der Abrechnung von An- und Abreisekosten ist Nr. 3 Abs. 2 der Allgemeinen Richtlinien für den Bundesjugendplan besonders zu beachten. Demgemäß sind die Flüge bei etwa gleichen Kosten bei der Deutschen Lufthansa zu buchen, vor allem dann, wenn die Flugkosten der israelischen Teilnehmer an Veranstaltungen in der Bundesrepublik ganz oder überwiegend aus Mitteln des Bundesjugendplans und aus anderen deutschen öffentlichen Mitteln getragen werden. Eventuelle Beträge zu den Flugkosten sind bei den Büros der Deutschen Lufthansa einzuzahlen. Nicht zu den Flugkosten gehört die von der israelischen Seite erhobene Ausreisesteuer.

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Jugendaustausch

3. Dauer Die Dauer der deutsch-israelischen Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland nach 1.1 und 1.2 soll mindestens 14 Tage und höchstens 4 Wochen betragen. 4. Mittel Für die Finanzierung können neben den Bundesjugendplanmitteln auch Landesmittel und kommunale Mittel zur Kostendeckung in Anspruch genommen werden. Die Veranstaltungen sind grundsätzlich aus den Globalmitteln zu fördern, die den zentralen Jugendverbänden und anderen mitverantwortlichen Zentralstellen sowie den Ländern aus dem Bundesjugendplan zur Verfügung gestellt werden. Zusätzliche Mittel stehen nur für solche bilateralen Maßnahmen nach 1.2 zur Verfügung, die zwischen den Regierungen in dem gemeinsamen Gemischten Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch vereinbart worden sind. Zur Förderung im Sonderverfahren verweise ich auf die mitgeteilte Sonderregelung. 5. Unterrichtung über die Weitergabe der Mittel Nr. 19 Abs. 6 und Nr. 20 Abs. 4 der Allgemeinen Richtlinien für den Bundesjugendplan gilt mit der Maßgabe, daß israelische Teilnehmer an den Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland über die den obersten Landesjugendbehörden und den zentralen Jugendverbänden und Fachorganisationen der Jugendarbeit bekanntgegebenen Intentionen der Bundesregierung zum deutschisraelischen Jugendaustausch und die aus dem Bundesjugendplan besonders in Verbindung mit diesem Erlaß gebotenen Förderungsmöglichkeiten sowie die Herkunft dieser Förderungsmittel unterrichtet werden.

II.

Träger

Verantwortlich für das Begegnungs- und Austauschprogramm bleibt der antragstellende deutsche Träger. Die Mitwirkung von Reisebüros u. ä. Unternehmen auf den Programmablauf in der Bundesrepublik Deutschland ist auf rein technische Fragen zu beschränken. Hierdurch entstehende Kosten dürfen auf die Bundeszuwendung nicht abgerechnet werden."

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14 Nach dem Yom-Kippur-Krieg: Die Jugendarbeit mit Israel beginnt wieder

Der Yom-Kippur-Krieg hatte den deutsch-israelischen Jugendaustausch und die Kontakte mit Gruppenreisen jäh unterbrochen. Einen Monat nach Kriegsende sind hier neue Anfänge gesetzt worden. Der Knesset-Abgeordnete Addi Amorai, Vorsitzender des Öffentlichen Rates f ü r den israelischen Jugendaustausch und Yehuda Erel, Generalsekretär dieser Institution, führten am 19. und 20. November 1973 mit dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit und deutschen Mitgliedern des Gemischten Fachausschusses f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch Besprechungen über die Fortführung der Jugendbegegnungen und der jugendpolitischen Zusammenarbeit zwischen der BRD und Israel. Beide Seiten kamen überein, noch 1973 fünf intensive Programme in Israel mit israelischer finanzieller Unterstützung durchzuführen und auf der nächsten Sitzung im J a n u a r 1974 in Israel die weiterhin geplanten Veranstaltungen zu beraten und darüber zu entscheiden. Das Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit wird zudem in einem Runderlaß über die israelischen Organisationen unterrichten, die zur Zeit in der Lage sind, Jugendbegegnungen und Jugendaustausch unbeschränkt durchzuführen. Israel wird seinerseits, sobald die Voraussetzungen gegeben sind, die deutschen Jugendgemeinschaften und Jugendsozialdienste über die Möglichkeiten f ü r freiwillige Hilfsaktionen Jugendlicher in Israel benachrichtigen. Die Besprechungen wurden mit d e r Absicht geführt, der j u n g e n Generation durch geeignete Kontaktprogramme einen besonderen Beitrag zur Verständigung und f ü r einen baldigen Frieden im Nahen Osten zu erleichtern.

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15

Kritik von deutschen Verbänden

Der deutsch-israelische Jugendaustausch, der seit 1959 durch den Kölner Beigeordneten Dr. Giesberts ins Leben gerufen wurde, hat sich in den letzten Jahren immer weiter entwickelt. Dennoch ist er nicht ohne Probleme. Soweit die Entwicklung des deutsch-israelischen Jugendaustausches f ü r 1974 aus deutscher Sicht bereits zu übersehen ist, wird die Zahl der Programme und der Teilnehmer gegenüber dem Vorjahr weiterhin zunehmen. Wahrscheinlich werden in der Kategorie A (Veranstaltungen mit Multiplikatoren u n d andere Intensivprogramme) zwischen 50 und 60 Programme in Israel und 70 bis 80 in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. In d e r Kategorie B (Begegnungen mit Jugendlichen) ist die Planung von 104 gemeinsamen Projekten in Israel und von annähernd 100 in der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Eine vorläufige Berechnung ergibt, daß 1974 mindestens 3.500 deutsche Jugendliche und Jugendleiter mit Bundesförderung nach Israel reisen und umgekehrt fast die gleiche Zahl Israelis in die Bundesrepublik Deutschland reisen wird. Dem Vernehmen nach — das Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit machte dazu bisher keine genauen Angaben — sind die Bundesmittel zur Förderung dieser Veranstaltungen wesentlich angehoben worden: Der Betrag f ü r die unmittelbare Förderung soll jetzt bei einer Million DM liegen. Diese Quantitätsentwicklung kann und soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß in diesem J a h r verschiedene Probleme gelöst werden müssen, wenn auch und gerade die Qualität des deutsch-israelischen Jugendaustausches verbessert werden soll. Auf der nächsten Sitzung des gemeinsamen Fachausschusses — voraussichtlich im November dieses Jahres — steht die Verabschiedung der Bestimmungen f ü r Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Veranstaltungen des deutsch-israelischen Jugendaustausches an. Nur wenn diese ausführlichen Bestimmungen auf beiden Seiten und in gleicher Weise verbindlich angewendet werden, wird sich die Qualität dieser Begegnungen merklich bessern und manches touristische Projekt von der Förderung ausgeschlossen werden. Damit hängt auch die Notwendigkeit zusammen, fortan Maßstäbe bei der Auswahl israelischer Multiplikatoren bei diesem Kontakt-Programm anzulegen: es müssen wirklich Fachkräfte d e r außerschulischen Jugendarbeit und Jugendbildung sein. Die Frage, welche privaten israelischen Träger von Jugendreisen in die Förderung einbezogen werden können, ist bisher noch nicht zufriedenstellend geklärt. Dabei handelt es sich noch um kleinere Organisationen oder Gruppen, die mit viel Elan und Idealismus den Jugendaustausch zwischen beiden Ländern realisieren, aber nicht den zentralen Verbänden angehören. Der in Israel von der Regierung mit allen Fragen und Aufgaben des deutschisraelischen Jugendaustausches u n d der jugendpolitischen Zusammenarbeit beauftragte „öffentliche Rat f ü r d e n Jugendaustausch mit anderen Ländern" gewinnt nach Anlaufschwierigkeiten an Stabilität und Funktionsfähigkeit, so daß 278

15 Kritik von deutschen Verbänden

sich in dieser Institution mehr und mehr das gemeinsame Engagement der israelischen Regierung und der israelischen Institutionen und Organisationen realisieren kann. Von deutschen Verbänden wurde zum Teil starke Kritik an dem diesjährigen Verfahren der Auswahl der gemeinsamen Projekte zur Förderung geübt, zumal es sich nach wie vor überwiegend oder sogar fast ausschließlich um deutsche Mittel handelt. Angeblich hat der gemeinsame Fachausschuß auf seiner letzten Sitzung im Januar 1974 in Israel wenigstens auf deutscher Seite ohne direkte Mitwirkung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit die zur Förderung vorgesehenen Projekte ausgewählt und in einer Prioritätenliste festgelegt. Die freien deutschen Träger bemängeln diese Methode als nicht ganz objektive Auswahl und als eine Festlegung des Ministeriums, das damit in die Rolle einer Exekutive des Fachausschusses gezwungen würde, während dieser Ausschuß eigentlich umgekehrt Beratungs- und Empfehlungsfunktionen habe. Auch diese Frage wird auf der nächsten Sitzung anstehen und geklärt werden müssen. Unvermindert problematisch ist die Angelegenheit der israelischen Ausreisesteuer. Zwar sind wesentliche Fortschritte in der Weise erzielt worden, daß die aus deutschen öffentlichen Mitteln geförderten deutsch-israelischen Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland der Kategorie A und B ganz oder teilweise von dieser Ausreisesteuer befreit werden, doch kann und muß dieses Verfahren noch verbessert und von mancher bürokratischen Belastung befreit werden. Unbefriedigend ist allerdings der jetzige Zustand, daß durch eine Ausnahmeregelung mit dem Bundesfinanzminister aus den Förderungsmitteln des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit zu einem erheblichen Teil auch An- und Abreisekosten der israelischen Teilnehmer mitfinanziert werden. Diese Ausnahme gilt nur für den deutsch-israelischen Jugendaustausch. Eine Reduzierung dieses Problems würde nur durch höhere israelische Förderung der Programme erreicht werden; diese israelische finanzielle Unterstützung ist bisher allerdings sehr begrenzt oder sporadisch. In die Betrachtung oder Beurteilung des deutsch-israelischen Jugendaustausches ist in jüngster Zeit eine interessante politische Note gebracht worden: deutsche Träger erhoben die Forderung, den deutsch-israelischen Jugendaustausch nicht als privilegierten Bereich anzusehen und mehr als bisher auch den Jugendaustausch mit arabischen Staaten auszubauen; arabische Staaten haben ihrerseits auf den Umfang des Jugendaustausches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel hingewiesen und erhebliche Wünsche geäußert, ohne freilich mitzuteilen, daß die bisherigen offiziellen deutschen Bemühungen um einen angemessenen Jugendaustausch mit arabischen Staaten dort nicht immer die entsprechende Resonanz gefunden haben. Aus dem Rückblick über den deutsch-israelischen Jugendaustausch der letzten Jahre und mit realistischer Prognose für die Zukunft läßt sich zusammenfassend sagen, daß eine erfreuliche, aufwärtsstrebende Entwicklung nach wie vor vorhanden ist, wobei Quantität und Qualität nicht unbedingt identisch sind, und 279

Jugendaustausch daß eine richtige Lösung der aufgeführten Probleme, die hier bewußt in den Vordergrund gestellt wurden, erst recht Qualität und damit pädagogische und politische Wirkung des deutsch-israelischen Jugendaustausches als eines gemeinsamen Engagements der jungen Generation zur Kenntnis voneinander, zur Solidarität u n d erst recht f ü r eine dauerhafte Friedensordnung gerade im Nahen Osten verstärken kann.

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16 Gemeinsame Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des Jugendaustausches vom Gemischten Fachausschuß

Vom 5. bis 7. November 1974 tagte in Berlin der Gemischte Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch, um gemeinsame Richtlinien zur künftigen Durchführung und Förderung dieser Jugendbegegnungen zu erarbeiten. Leiter der israelischen Delegation war Adiel Amorai, Mitglied der Knesset und Vorsitzender des öffentlichen Rates für den Austausch mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit anderen Ländern. Ferner gehörte zu der neunköpfigen israelischen Arbeiterpartei David Frankfurter, Auslandsabteilung der Histadrut, Yechzkel Flumin, Liberale Partei, Vorsitzender der Jungliberalen und Mitglied der Knesset, Zeev Meljon, Generalsekretär des Israelischen Städteverbandes, Yehuda Liljen, Vertreter der Sportjugend, Hapoel Auslandsabteilung, Yehuda Erel, Generalsekretär des israelischen öffentlichen Rates f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch, Yehuda Shimoni, Fachberater EL AL, und Uri Proser, Botschaftsrat der Israelischen Botschaft. Ministerialdirektor Otto Fichtner vom Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit leitete die deutsche Delegation, die mit zehn Personen besetzt war. Dabei handelte es sich um folgende Persönlichkeiten: Dr. Hagemann, Bundesministerium f ü r Jugend, Familie und Gesundheit,//. Gracher, Vortragender Legationsrat I. Klasse, Auswärtiges Amt, H. Sühle, Oberamtsrat im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, NRW, Vertreter der obersten Landesjugendbehörden, Dr. L. Eisholz, Beigeordneter, Vertreter des Deutschen Städtetages, Irma Haase, Landesjugendring Berlin, Vertreterin der zentralen Jugendverbände, Pastor Lübbert, Vertreter der Jugendgemeinschaftsdienste, Alfred Rohmeis, Vertreter der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Rudi Müller, Vertreter der Deutschen Sportjugend, und H.-J. Nüchel, Direktor des Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienstes der Bundesrepublik Deutschland e. V. Die gemeinsamen Bestimmungen werden im folgenden im Wortlaut wiedergegeben:

„Ziele Internationale Jugendarbeit fördert die Bereitschaft, politische Verantwortung im Leben der menschlichen Gemeinschaft zu entwickeln, eine bessere und vertiefte Kenntnis vom anderen Volk, von seiner politischen und sozialen Lage, seinem Land, seiner Geschichte und seiner Kultur. Sie fördert die Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln. 281

Jugendaustausch Die Begegnung junger Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel ist Bestandteil der internationalen Jugendarbeit beider Länder. Sie steht in einem besonderen geschichtlichen Zusammenhang. Bei dem notwendigen Wissen um die schweren und unauslöschbaren Geschehnisse in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hat und nutzt die junge Generation beider Länder die Möglichkeit, eine Atmosphäre gegenseitiger Achtung und Freundschaft zwischen den beiden Völkern zu schaffen. Ständige Ziele des deutsch-israelischen Jugendaustausches sollen deshalb in besonderer Weise gegenseitiges Kennenlernen, Verständigung und gemeinsames Handeln sein. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung Israels wollen der Jugend diese Aufgabe erleichtern, indem sie den Jugendaustausch zwischen ihren Ländern verstärken, den Austausch von Fachkräften der außerschulischen Jugendbildung fördern, die Zusammenarbeit zwischen den Jugend- und Studentenverbänden und den Fachorganisationen der außerschulischen Jugendarbeit beider Länder intensivieren, und alle diese Bestrebungen finanziell tatkräftig unterstützen.

Zentrale Instanzen Auf deutscher Seite ist das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die zentrale Instanz für Koordinierung, Information und Finanzierung. Auf israelischer Seite nimmt diese Funktion der .öffentliche Rat für den Austausch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit anderen Ländern' wahr, dessen Sekretariat beim israelischen Erziehungsministerium eingerichtet ist (im folgenden: Der israelische öffentliche Rat).

Veranstaltungen Der deutsch-israelische Jugendaustausch kann in folgenden Kategorien gefördert werden: Kategorie A Gemeinsame Programme mit Führungskräften und anderen Experten der Jugendarbeit, z. B. zentrale Konferenzen, Arbeitstagungen, Fachseminare, ausgewählte Studienreisen, langfristige Studien- und Ausbildungsaufenthalte und andere Programme auf gemeinsame Empfehlungen des Fachausschusses. Kategorie B Begegnungen zwischen deutschen und israelischen Jugendgruppen in der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich Berlin, und Israel.

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16 Gemeinsame Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des Jugendaustausches

Teilnehmer Teilnehmer können sein: Kategorie A Jugendleiter, Jugendpfleger und andere haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Jugendarbeit bis zum vollendeten 35. Lebensjahr, ferner Führungskräfte der außerschulischen Jugendbildung, andere Experten, die sich mit Jugendfragen befassen, sowie andere Teilnehmer auf gemeinsame Empfehlung des Fachausschusses. Von dem Höchstalter sind Ausnahmen zulässig für a) Delegationsleiter, Dolmetscher b) weitere Führungskräfte bis zum vollendeten 40. Lebensjahr; ihre Zahl darf drei pro Gruppe nicht übersteigen. Kategorie B Jugendliche vom vollendeten 16. Lebensjahr an: junge Arbeitnehmer, Schüler und Studenten. Allen Gruppen von Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren dürfen höchstens zwei erwachsene Begleitpersonen, bei Koedukationsgruppen drei angehören. Veranstaltungen Veranstalter der Begegnungsprogramme in Israel und in der Bundesrepublik Deutschland können nur Träger mit gemeinnütziger Zielsetzung sein, sollen besondere Erfahrungen in der Jugendarbeit und in der deutsch-israelischen Zusammenarbeit besitzen und müssen eine ordnungsgemäße Verwendung und Abrechnung der Zuwendungen garantieren. Sie tragen in enger Zusammenarbeit mit dem ausländischen Partner die Verantwortung für eine sorgfältige Auswahl und Vorbereitung der Teilnehmer. In der Regel sind die Träger der Veranstaltungen zentrale Jugendverbände, Studentenverbände, Fachorganisationen der Jugendarbeit, die Stadt- und Landkreise, Gemeinden oder andere anerkannte Träger der Jugendarbeit. Reisebüros oder Reiseorganisationen können nicht als Träger von Veranstaltungen gefördert werden; ihre Tätigkeit kann sich nur auf eine technisch-organisatorische Hilfe bei der Durchführung der Programme beschränken. Vorbereitung der Teilnehmer Die Teilnehmer sollen durch Arbeit in der Gruppe über die Verhältnisse ihres Landes und des Gastlandes eingehend unterrichtet sein. Wenigstens müssen israelische Gruppen, welche erstmalig die Bundesrepublik Deutschland besuchen, und deutsche Gruppen, die erstmalig Israel besuchen, an einem Seminar von einer Mindestdauer von drei Tagen teilnehmen, das folgende Hauptthemen behandelt: 283

Jugendaustausch

Israel — Geschichte und Gegenwart, Deutschland — Geschichte und Gegenwart, Antisemitismus und Folgeerscheinungen, Lebensgewohnheiten im anderen Land, fachliche Vorbereitung je nach Eigenart der einzelnen Gruppen, politische und gesellschaftliche Aufgaben und Probleme des Partnerlandes und Versuche zu ihrer Bewältigung. Bei der Auswahl der Teilnehmer ist darauf zu achten, daß sie möglichst über ausreichende Kenntnisse in Englisch, Französisch bzw. Deutsch verfügen. Ausnahmen kann die zuständige Bewilligungsbehörde auf Antrag genehmigen. Die Teilnehmer sollen zudem über die beiderseitigen amtlichen Intentionen zum deutsch-israelischen Jugendaustausch sowie über die Höhe der Förderung des Austausches mit öffentlichen Mitteln unterrichtet werden. Programmgestaltung Die Veranstaltungen müssen ein rechtzeitig zwischen den Partnerorganisationen vereinbartes Programm haben, das neben der gemeinsamen Tätigkeit genügend Zeit zum Kennenlernen der Lebensverhältnisse des Gastlandes umfaßt. Die Veranstaltungen müssen unter sachkundiger Leitung gründlich vorbereitet sein, um Einblick in Berufsarbeit, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur des Gastlandes zu vermitteln. Die Programme für deutsche Gruppen, die Israel besuchen, sollen nach Möglichkeit enthalten: Besichtigung von Jerusalem, Unterrichtung und Diskussion über die Geschichte und das Selbstverständnis des jüdischen Volkes und des Staates Israel, mit besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, dazu ist ein Besuch der Gedenkstätten Yad Vashem besonders geeignet, Besuch eines Kibbuz, eines Moshav und einer Entwicklungszone, Besuch eines Museums und der Gedenkstäte von Massada, mindestens ein zweitätiges politisches oder fachliches Seminar, Treffen und Diskussionen mit jüdischen und arabischen Partnern, Aufenthalt in israelischen Gastfamilien, Teilnahme an einem israelischen Folklore-Abend, Auswertungsgespräche der Gruppe mit dem Programmpartner. Die Programme für israelische Gruppen, die Deutschland besuchen, sollen nach Möglichkeit umfassen: Seminar und Diskussion mit deutschen Jugendlichen über die Wechselbeziehungen zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk, Diskussionen oder Arbeitstage über Lehren, die aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu ziehen sind, und den daraus erwachsenen besonderen Beziehungen zwischen dem jüdischen und dem deutschen Volk, gemeinsame Besichtigung von Gedenkstätten des NS-Antisemitismus und Terrors, Besuch von Stätten jüdischer Geschichte und Kultur in Deutschland, nach Möglichkeit Kontakt zu einer jüdischen Gemeinde, mindestens ein zweitägiges Seminar über politische und gesellschaftliche Probleme in Deutschland, Besichtigung 284

16 Gemeinsame Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des Jugendaustausches

und Vorträge je nach den Fachinteressen der Gäste (z. B. Industrie, Landwirtschaft, Jugend- und Sozialeinrichtungen, Bildungswesen, Kunststätten), Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, Aufenthalt in deutschen Gastfamilien, Auswertungsgespräch der Gruppe mit dem Programmpartner. Die Gruppen sollen — im Sinn der politischen Bildung—zur Teilnahme an den gesellschaftlichen und politischen Problemen des Partnerlandes geführt und zum Lernen voneinander sowie zur gegenseitigen Hilfe bei den anstehenden Aufgaben angeregt werden. Die verantwortlichen Leiter der Veranstaltungen müssen Erfahrungen in der internationalen Jugendarbeit, Fremdsprachenkenntnisse und die Fähigkeit besitzen, die Teilnehmer zur Mitarbeit, zu eigener Initiative und zu gemeinsamem Handeln zu veranlassen. Im Anschluß an die Begegnung soll mit den Teilnehmern der Gruppe die Erfahrung ausgewertet und zu einer Weiterarbeit im Blick auf die gewonnenen Einsichten angeleitet werden. Das Zahlenverhältnis der deutschen und israelischen Teilnehmer bei Jugendbegegnungen soll ausgeglichen sein. Begegnungen von Jugendgruppen im Bundesgebiet können grundsätzlich nur gefördert werden, wenn mindestens die Hälfte und nicht mehr als zwei Drittel der Teilnehmer Israelis sind; dies gilt entsprechend für Veranstaltungen in Israel. Die Zahl der mitwirkenden Jugendleiter und Fachkräfte muß in einem angemessenen Verhältnis zu der gesamten Teilnehmerzahl stehen. Es werden nur Jugendbegegnungen gefördert, die einschließlich An- und Abreise mindestens sieben Tage und höchstens vier Wochen dauern. Die Förderung von längeren Programmen, z. B. von Gemeinschaftsund Sozialdiensten, wird von Fall zu Fall geregelt. Auf Grund des erheblichen pädagogischen und finanziellen Aufwands, den diese Programme erfordern, können nur solche Veranstaltungen gefördert werden, die der Zielsetzung des deutsch-israelischen Jugendaustausches dienen und die geforderten Voraussetzungen voll erfüllen. Dazu gehört auch, daß andere europäische Länder nur nach der Abwicklung der geförderten Programme in der Bundesrepublik Deutschland besucht werden können. Verfahren Der Veranstalter eines Programms setzt sich zunächst mit seinem Partner im anderen Land in Verbindung und spricht mit ihm die gemeinsame Veranstaltung ab. Bei Veranstaltungen der Kategorie B (Jugendgruppenbegegnungen) legt der deutsche Träger Anträge und Verwendungsnachweise, wenn er einem zentralen Verband angehört, diesem im Zentralstellenverfahren vor. Andere zentrale Organisationen der Jugendhilfe reichen ihre Anträge dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ein. Die übrigen deutschen Träger stellen die Anträge usw. im Länderverfahren an die zuständige oberste Jugendbehörde ihres Landes. Die zentralen Organisationen und die obersten Jugendbehörden der Länder erhalten vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit aus dem Bundesjugendplan Globalmittelbeträge u. a. zur Förderung dieses deutsch-israelischen Jugendaustausches. 285

Jugendaustausch

Israelische Träger legen ihre Anträge entsprechend dem israelischen und öffentlichen Rat vor. Anträge für Programme der Kategorie A (Veranstaltungen mit Fachkräften usw.) werden von den Trägern über ihre Zentralstelle, in der Bundesrepublik Deutschland dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, in Israel dem israelischen öffentlichen Rat vorgelegt. Andere zentrale Organisationen der Jugendhilfe reichen die Anträge dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit unmittelbar ein. Träger, die keinem zentralen Verband angehören, reichen ihre Anträge in der Bundesrepublik Deutschland über die zuständige oberste Jugendbehörde der Länder ein. Zu den Anträgen der Kategorie A spricht der .Gemischte Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch' auf seinen jeweiligen Sitzungen oder ausnahmsweise auf schriftlichem Wege Empfehlungen an die zuständigen zentralen Instanzen aus. Die Anträge zur Förderung von Programmen der Kategorie A (bilaterale Projekte) müssen der zuständigen Zentralstelle spätestens zum 31. Oktober des der Veranstaltung vorausgehenden Jahres vorliegen. Zuwendungen Für die Veranstaltungen im Bundesgebiet werden Zuwendungen zu den Aufenthalts- und Programmkosten der deutschen und israelischen sowie zu den Fahrtkosten der israelischen Teilnehmer, bei Veranstaltungen in Israel Zuwendungen zu den Fahrkosten der deutschen Teilnehmer gegeben. Bei Flugreisen sind die Flüge über Lufthansa oder El AI durchzuführen. Die Förderung aus Bundesmitteln im einzelnen beruht auf den Absprachen im Gemischten Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch im Rahmen der Richtlinien für den Bundesjugendplan. Für die Förderung von deutsch-israelischen Jugendaustauschprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland kann der Bundesminister f ü r Jugend, Familie und Gesundheit in begründeten Fällen Abweichungen von den Bestimmungen des Bundesjugendplanes zulassen. Die Förderung durch die israelische Seite wird von Fall zu Fall geregelt. Ausreisesteuer Für israelische Teilnehmer an deutsch-israelischen Begegnungsprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland gewährt das zuständige israelische Ministerium oder die von ihm beauftragte Stelle, sofern die Veranstaltungen diesen .Gemeinsamen Bestimmungen für den deutsch-israelischen Jugendaustausch' entsprechend und vom Gemischten Fachausschuß zur Förderung in den Kategorien A und B empfohlen worden sind, volle oder teilweise Befreiung von der israelischen Ausreisesteuer. Die Einzelheiten des Verfahrens werden von der israelischen Seite gesondert mitgeteilt."

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17 Die internationale Jugendarbeit der Evangelischen Kirche Deutschlands

„Die Begegnung junger Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zu fördern, gehört seit Anfang der 60er Jahre zum festen Bestandteil der internationalen Jugendarbeit der Evangelischen Jugend in Deutschland. Die Beziehungen im deutsch-israelischen Jugendaustausch sind von starken emotionalen Belastungen gekennzeichnet, die sich aus der deutsch-jüdischen Vergangenheit ergeben. Evangelische Kirchen und die Evangelische Jugend haben wiederholt in großer Anteilnahme und im Bekenntnis zur Mitverantwortung für das Schicksal Israels heute ihre Bereitschaft zum Mittragen und zum Gespräch bekundet. In der EKD-Denkschrift,Christen und Juden' heißt es: .Darum müssen an den Bemühungen um einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten auch die mitwirken, die nicht unmittelbar Beteiligte sind.' Der Mitarbeit an dieser Aufgabe können sich Christen — gerade auch in Deutschland — nicht entziehen. Sie werden dabei auch den Kontakt zu den arabischen Christen verstärken müssen." Wenn diese Bekenntnisse und diese Bereitschaft sich in den nächsten Jahren bewähren sollen, müssen die Gespräche zwischen Juden und Christen, zwischen Deutschen und Israelis, zwischen den .westlichen' Christen und den Christen in Israel und den arabischen Nachbarländern intensiviert werden. Die arabischen Christen vermissen bei den Christen aus Europa Verständnis für ihre Situation und Aufgeschlossenheit für ihre Argumente. Zugleich ist der Dialog mit dem Islam zu suchen und zu verstärken, um Vorurteile zu beseitigen und Verständnis herzustellen. Eine Verständigung von Christen, Juden und Moslems sollte von den Voraussetzungen ihres Glaubens her nicht unmöglich sein. Sie ist wohl auch unerläßlich. Die evangelische Jugendarbeit kann hier einen bescheidenen, aber wesentlichen Beitrag leisten. Dazu gehören die zahlreichen durchgeführten Begegnungen, die sozialen Einsätze, die Studienfahrten sowie Austausch und Einsatz von Führungskräften in der Jugendarbeit zwischen der Evangelischen Kirche im Rheinland und Israel. Viele junge Christen arbeiten in diesem Spannungsfeld verantwortungsbewußt mit. Aus dem Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland haben im Jahre 1979 150 junge Menschen an Begegnungen teilgenommen 45 junge Menschen in sozialen Einsätzen (Kinderheime, soziale Einrichtungen) gearbeitet 40 junge Israelis als unsere Gäste Jugendgruppen und Gemeinden besucht 14 Führungskräfte verschiedener Jugendverbände aus Israel als Gäste des 287

Jugendaustausch Amtes f ü r Jugendarbeit der EKiR teilgenommen an einem vom Amt veranstalteten Seminar über Evangelische Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. 1980 werden 30 Leiter der Begegnungen und der sozialen Einsätze im J a h r 1980 zu einem vorzubereitenden Seminar im Januar in Israel sein. 350 junge Menschen der Evangelischen Jugend im Rheinland zu Begegnungen nach Israel fahren. 45 junge Israelis wiederum zu einem Besuch und Gedankenaustausch ins Rheinland kommen. Über die Zahl der Studienfahrten und Biblischen Reisen aus den Gemeinden liegen keine Zahlen vor. Das Amt f ü r Jugendarbeit bemüht sich um die Koordinierung bei den Begegnungen und gibt Hilfestellungen bei den Vorbereitungen. Wesentlicher Schwerpunkt ist die Aus- und Fortbildung der Verantwordichen im Jugendaustausch. Die Arbeit der Kirche, Gespräche und Begegnungen — wie 1978 der Besuch von Präses Lic. Immer in Israel — sind hier eine wesentliche Verstärkung der Bemühungen der Jugendarbeit, daß Vorurteile abgebaut werden und Mißtrauen überwunden wird. Auch die aus einer Fahrt der Redaktion nach Nah-Ost erwachsene achtteilige Serie des rheinischen Sonntagsblattes ,Der Weg' über die Lage der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten, verbunden mit einer ,Brot f ü r die Welt'-Spendenaktion, gehört in den Kreis dieser Bemühungen. Die Begegnungsarbeit der letzten Jahre hat ergeben, daß bei allen Beteiligten Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen der Partner und die vielfach vorhandene und praktizierte Form höflicher Toleranz und Distanz abgelöst sind durch ein neues Miteinander. In diesem Miteinander auf dem Weg und im Bemühen um eigene Lösungen für den Frieden in Gerechtigkeit wird deutlich, daß beide, Juden und Christen, bereit sind, die Verantwortung zur Gestaltung der Welt wahrzunehmen, die ihnen aus ihrem gemeinsamen Glauben an den einen Gott erwächst."

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18 Die überarbeitete Fassung der Grundlagen des deutsch-israelischen Jugendaustausches

Der internationale Jugendaustausch und -besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) e. V. hat im Juli 1981 im Auftrage des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit mit den Unterschriften des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit und dem Vorsitzenden des öffentlichen Rates für den Jugendaustausch in Israel eine überarbeitete Neuauflage der Grundlagen für den deutsch-israelischen Jugendaustausch herausgegeben. Aus dem Vorwort: „Der deutsch-israelische Jugendaustausch, der vor zwanzig Jahren zögernd und mit vielen Belastungen begann, wird heute sowohl in der deutschen als auch in der israelischen Öffentlichkeit anerkannt und gewürdigt. Durch die Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches möchten die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und des Staates Israel dazu beitragen, der jungen Generation beider Länder das Kennenlernen des jeweils anderen Volkes zu ermöglichen — ohne dabei die Vergangenheit zu verschweigen — und den Dialog zwischen den jungen Menschen als bedeutenden Teil des Verständigungsprozesses zwischen beiden Völkern zu intensivieren. Den Rahmen für diejugendpolitische Zusammenarbeit bilden die .Gemeinsamen Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches', die im November 1974 vom Gemischten Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch verabschiedet wurden. Die hier vorgelegte überarbeitete Neuauflage ist das Ergebnis der inhaltlichen Weiterentwicklung der jugendpolitischen Zusammenarbeit. Sie enthält wichtige vom Fachausschuß im Oktober 1979 ausgearbeitete Ergänzungen, die eine weitere qualitative Verbesserung der Vorbereitung und inhaltlichen Gestaltung der Austauschprogramme zum Ziel haben. Die Bewußtseinsbildung der deutschen und israelischen Jugend ist eine andauernde Aufgabe, die vor dem Hintergrund der Vergangenheit nur gemeinsam gelöst werden kann. Mögen die .Gemeinsamen Bestimmungen' auch weiterhin ihre maßgebende Rolle bei der Wahrung dieser Aufgabe einnehmen." Die Verantwortlichen sind: Auf deutscher Seite: Klaus Garten, Ministerialrat — Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit Auf israelischer Seite: Adial Amorai, M. K., Vorsitzender des öffentlichen Rates für den Jugendaustausch in Israel. 289

Jugendaustausch

Die überarbeitete Fassung der Bestimmungen hat folgenden Wortlaut: „I. Ziele Internationale Jugendarbeit fördert die Bereitschaft, politische Verantwortung im Leben der menschlichen Gemeinschaft zu entwickeln, eine bessere und vertiefte Kenntnis vom anderen Volk, von seiner politischen und sozialen Lage, seinem Land, seiner Geschichte und seiner Kultur. Sie fördert die Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln. Die Begegnung junger Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel ist Bestandteil der internationalen Jugendarbeit beider Länder und trägt daher zu den gemeinsamen Bemühungen zur Erreichung des Friedens bei. Bei dem notwendigen Wissen um die schweren und unauslöschbaren Geschehnisse in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur hat und nutzt die junge Generation beider Länder die Möglichkeit, eine Atmosphäre gegenseitiger Achtung und Freundschaft zwischen den beiden Völkern zu schaffen. Ständige Ziele des deutsch-israelischen Jugendaustausches sollen deshalb in besonderer Weise gegenseitiges Kennenlernen, Verständigung und gemeinsames Handeln sein. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung des Staates Israel wollen der Jugend diese Aufgabe erleichtern, indem sie den Jugendaustausch zwischen ihren Ländern verstärken, weiterentwickeln und ausbauen, den Austausch von Fachkräften der außerschulischen Jugendbildung fördern, die Zusammenarbeit zwischen den Jugend- und Studentenverbänden und den Fachorganisationen der außerschulischen Jugendarbeit beider Länder intensivieren und alle diese Bestrebungen finanziell tatkräftig unterstützen. II. Fachausschuß a) Aufgaben Beide Seiten bedienen sich zur Durchführung dieses bilateralen Jugendaustausches des .Gemischten Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch'. Dieser Ausschuß untersucht Möglichkeiten für eine Verstärkung der verschiedenen Austausch- und Begegnungsprogramme oder ihrer Teilnehmerzahl sowie für besondere Veranstaltungen auf bilateraler Basis, entwickelt den Rahmen für ein einheitliches Antrags- und Förderungsverfahren, 290

18 Die überarbeitete Fassung der Grundlagen des deutsch-israelischen Jugendaustausches

gibt Anregungen zur weiteren Gestaltung und inhaltlichen Fortentwicklung des deutsch-israelischen Jugendaustausches sowie Empfehlungen für die finanzielle Förderung bestimmter deutsch-israelischer Austauschprogramme, unterstützt in Einzelfällen Veranstalter durch Vermittlung von Partnern und wertet durchgeführte Programme aus. Weiter fördert der Ausschuß den ständigen und regelmäßigen Austausch von Informationsmaterial und Fachliteratur über Jugendarbeit und verwandte Bereiche. Zur Verwirklichung dieser Aufgaben kann der Fachausschuß ständige oder ad-hoc-Arbeitsgruppen einsetzen, denen er die Erledigung bestimmter Aufgaben übertragen kann. Diese Arbeitsgruppen haben den Fachausschuß regelmäßig zu unterrichten. b) Zusammensetzung Der .Gemischte Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch' besteht aus einer deutschen und einer israelischen Delegation, die von dem jeweils zuständigen Ministerium berufen und beauftragt ist. Er tritt mindestens einmal jährlich, abwechselnd in der Bundesrepublik Deutschland und in Israel, zusammen. Der Fachausschuß kann zu seinen Sitzungen fachkundige Berater hinzuziehen.

III. Zentrale Instanzen Auf deutscher Seite ist das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die zentrale Instanz für Koordinierung, Information und Finanzierung. Auf israelischer Seite nimmt die Funktion der .Öffentliche Rat für den Austausch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit anderen Ländern' wahr, dessen Sekretariat beim israelischen Erziehungsministerium eingerichtet ist (im folgenden: Der israelische öffentliche Rat). IV. Veranstaltungen Der Deutsch-israelische Jugendaustausch kann in folgenden Kategorien gefördert werden: Kategorie A Gemeinsame Programme mit Führungskräften und anderen Experten der Jugendarbeit, z. B. zentrale Konferenzen, Arbeitstagungen, Fachseminare, ausgewählte Studienreisen, langfristige Studien- und Ausbildungsaufenthalte oder andere Programme auf gemeinsame Empfehlung des Fachausschusses.

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Jugendaustausch

Ausgewählte Studienreisen sind solche, die (1) dem Austausch gemeinsamer beruflicher Kenntnisse und Erfahrungen, (2) dem Austausch besonderer Kenntnisse und Erfahrungen, die durch musische, sportliche, wissenschaftliche, gesellschaftspolitische, auch nebenberufliche, Tätigkeit erworben worden sind, sowie (3) der Verbreitung und Vertiefung von Kontakten im Rahmen langfristiger Partnerschaften zwischen festen Partnern dienen. Kategorie B Begegnungen zwischen deutschen und israelischen Jugendgruppen in der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich Berlin und in Israel.

V. Teilnehmer Teilnehmer können sein: Kategorie A Jugendleiter, Jugendpfleger und andere haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Jugendarbeit bis zum vollendeten 35. Lebensjahr, ferner Führungskräfte der außerschulischen Jugendbildung, andere Experten, die sich mit Jugendfragen befassen, sowie andere Teilnehmer auf gemeinsame Empfehlung des Fachausschusses. Von dem Höchstalter sind Ausnahmen zulässig für a) Delegationsleiter, Dolmetscher b) Personen mit besonderen notwendigen Fachaufgaben c) weitere Führungskräfte bis zum vollendeten 40. Lebensjahr. Insgesamt nicht mehr als 4 Personen. Weitere Ausnahmen vom Höchstalter bei zentralen Konferenzen, Fachseminaren, Arbeitstagungen und ausgewählten Studienreisen kann der Gemischte Fachausschuß in begründeten Fällen zulassen. Kategorie B Jugendliche vom vollendeten 16. Lebensjahr an: junge Arbeitnehmer, Schüler und Studenten. Allen Gruppen von Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren dürfen höchstens zwei erwachsene Begleitpersonen, bei Koedukationsgruppen drei angehören.

VI. Veranstalter Veranstalter der Begegnungsprogramme in Israel und in der Bundesrepublik Deutschland können nur Träger mit gemeinnütziger Zielsetzung sein, sollen besondere Erfahrungen in der Jugendarbeit und in der deutsch-israelischen Zu292

18 Die überarbeitete Fassung der Grundlagen des deutsch-israelischen Jugendaustausches

sammenarbeit besitzen und müssen eine ordnungsgemäße Verwendung und Abrechnung der Zuwendungen garantieren. Sie tragen in enger Zusammenarbeit mit dem ausländischen Partner die Verantwortung für eine sorgfältige Auswahl und Vorbereitung der Teilnehmer. In der Regel sind die Träger der Veranstaltungen zentrale Jugendverbände, Studentenverbände, Fachorganisationen der Jugendarbeit, die Stadt- und Landkreise, Gemeinden oder andere anerkannte Träger der Jugendarbeit. Reisebüros oder Reiseorganisationen können nicht als Träger von Veranstaltungen gefördert werden; ihre Tätigkeit kann sich nur auf eine technisch-organisatorische Hilfe bei der Durchführung der Programme beschränken. VII. Vorbereitung der Teilnehmer Die Teilnehmer sollen durch Arbeit in der Gruppe über die Verhältnisse ihres Landes und des Gastlandes eingehend unterrichtet sein. Wenigstens müssen israelische Gruppen, welche erstmalig die Bundesrepublik Deutschland besuchen, und deutsche Gruppen, die erstmalig Israel besuchen, an einem Seminar von einer Mindestdauer von drei Tagen teilnehmen, das folgende Hauptthemen behandelt: Israel — Geschichte und Gegenwart, Deutschland — Geschichte und Gegenwart, Antisemitismus und Folgeerscheinungen, Lebensgewohnheiten im anderen Land, fachliche Vorbereitung j e nach Eigenart der einzelnen Gruppen, politische und gesellschaftliche Aufgaben und Probleme des Partnerlandes und Versuche zu ihrer Bewältigung. Bei der Auswahl der Teilnehmer ist darauf zu achten, daß sie möglichst über ausreichende Kenntnisse in Englisch, Französisch bzw. Deutsch verfügen. Ausnahmen kann die zuständige Bewilligungsbehörde auf Antrag genehmigen. Die Teilnehmer sollen zudem über die beiderseitigen amtlichen Intentionen zum deutsch-israelischen Jugendaustausch sowie über die Höhe der Förderung des Austausches mit öffentlichen Mitteln unterrichtet werden. Die Gruppenleiter sollen in der Regel — über Erfahrungen aus einer Teilnahme an deutsch-israelischen Begegnungen verfügen, — sich auf ihre Gruppenleitertätigkeit durch besonders intensive Beschäftigung mit den in Abschnitt VII genannten Themen vorbereiten, — gute Englisch- bzw. Deutschkenntnisse haben.

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Jugendaustausch

VIII. Programmgestaltung Die Veranstaltungen müssen ein rechtzeitig zwischen den Partnerorganisationen vereinbartes Programm haben, das neben der gemeinsamen Tätigkeit genügend Zeit zum Kennenlernen der Lebensverhältnisse des Gastlandes umfaßt. Die Veranstaltungen müssen unter sachkundiger Leitung gründlich vorbereitet sein, um Einblick in Berufsarbeit, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur des Gastlandes zu vermitteln. Die Programme für deutsche Gruppen, die Israel besuchen, sollen nach Möglichkeit enthalten: Besichtigung von Jerusalem, Unterrichtung und Diskussion über die Geschichte und das Selbstverständnis des jüdischen Volkes und des Staates Israel, mit besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, dazu ist ein Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem besonders geeignet. Besuch eines Kibbuz, eines Moshav und einer Entwicklungszone, Besuch eines Museums und der Gedenkstätte von Massada, mindestens ein zweitägiges Seminar über politische oder gesellschaftliche Probleme in Israel, T r e f f e n und Diskussionen mit jüdischen und arabischen Partner, Aufenthalt in israelischen Gastfamilien, Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, Auswertungsgespräche der Gruppe mit dem Programmpartner, Erörterung der aktuellen Probleme einer Friedensordnung im Nahen Osten, Fachgespräche über Fragen der Jugendpolitik und Jugendarbeit in Israel. Die Programme für israelische Gruppen, die die Bundesrepublik Deutschland besuchen, sollen nach Möglichkeit umfassen: Seminar und Diskussion mit deutschen Jugendlichen über die Wechselbeziehungen zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk, Diskussionen oder Arbeitstage über Lehren, die aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu ziehen sind, und den daraus erwachsenen besonderen Beziehungen zwischen dem jüdischen und dem deutschen Volk, gemeinsame Besichtigung von Gedenkstätten des NS-Antisemitismus und Terrors, Besuch von Stätten jüdischer Geschichte und Kultur in Deutschland, nach Möglichkeit Kontakt zu einer jüdischen Gemeinde, mindestens ein zweitägiges Seminar über politische und gesellschaftliche Probleme in Deutschland, Besichtigung und Vorträge j e nach den Fachinteressen der Gäste (z. B. Industrie, Landwirtschaft, Jugend- und Sozialeinrichtungen, Bildungswesen, Kunststätten), Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, Aufenthalt in deutschen Gastfamilien, 294

18 Die überarbeitete Fassung der Grundlagen des deutsch-israelischen Jugendaustausches

Auswertungsgespräch der Gruppe mit dem Programmpartner, Informationen über den politischen Einigungsprozeß in Europa und über die besondere Lage der Bundesrepublik im Verhältnis zu Osteuropa, Fachgespräch über Fragen der Jugendpolitik und der Jugendarbeit in der Bundesrepublik Deutschland. Die Gruppen sollen — im Sinne der politischen Bildung — zur Teilnahme an den gesellschaftlichen und politischen Problemen des Partnerlandes geführt und zum Lernen voneinander sowie zur gegenseitigen Hilfe bei den anstehenden Aufgaben angeregt werden. Die verantwortlichen Leiter der Veranstaltung müssen Erfahrungen in der internationalen Jugendarbeit, Fremdsprachenkenntnisse und die Fähigkeit besitzen, die Teilnehmer zur Mitarbeit, zu eigener Initiative und zu gemeinsamem Handeln zu veranlassen. Im Anschluß an die Begegnung soll mit den Teilnehmern der Gruppe die Erfahrung ausgewertet und zu seiner Weiterarbeit im Blick auf die gewonnenen Einsichten angeleitet werden. Das Zahlenverhältnis der deutschen und israelischen Teilnehmer bei Jugendbegegnungen soll ausgeglichen sein. Begegnungen von Jugendgruppen im Bundesgebiet können grundsätzlich nur gefördert werden, wenn mindestens die Hälfte und nicht mehr als zwei Drittel der Teilnehmer Israelis sind; dies gilt entsprechend für Veranstaltungen in Israel. Die Zahl der mitwirkenden Jugendleiter und Fachkräfte muß in einem angemessenen Verhältnis zu der gesamten Teilnehmerzahl stehen. Es werden nur Jugendbegegnungen gefördert, die einschließlich An- und Abreise mindestens sieben Tage und höchstens vier Wochen dauern. Die Förderung von längeren Programmen, z. B. von Gemeinschaftsund Sozialdiensten, wird von Fall zu Fall geregelt.

IX. Verfahren Der Veranstalter eines Programms setzt sich zunächst mit seinem Partner im anderen Land in Verbindung und spricht mit ihm die gemeinsame Veranstaltung ab. Für die bilaterale Förderung der Veranstaltungen im deutsch-israelischen Sonderprogramm für den Bundesjugendplan gilt folgendes Verfahren: Programme der Kategorie A werden in der Bundesrepublik Deutschland mit den im Rahmen des Bundesjugendplans bzw. mit den im Rahmen der Landesjugendpläne für den deutsch-israelischen Jugendaustausch zur Verfügung gestellten Mitteln gefördert. Programme der Kategorie B werden in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der den zentralen Bundesorganisationen und den obersten Landesjugendbehörden im Zentralstellenverfahren für den internationalen Jugendaustausch zur Verfügung gestellten Bundesjugendplanmitteln gefördert. 295

Jugendaustausch

Bundeszentrale Träger sowie Träger, die einer Zentralstelle angeschlossen sind, reichen ihre Anträge und Verwendungsnachweise über die Zentralstelle ein. Örtliche und regionale Träger, die keiner Zentralstelle angeschlossen sind, können ihre Anträge und Nachweise bei der zuständigen obersten Landesjugendbehörde bzw. bei der von dieser Behörde bestimmten Stelle einreichen. Anträge für Programme der Kategorie A müssen spätestens am 1. Oktober des der Veranstaltung vorhergehenden Jahres dem BMJFG vorliegen. Israelische Träger legen ihre Anträge und Nachweise dem öffentlichen Rat für internationalen Jugendaustausch zu den dort geltenden Terminen vor. X. Zuwendungen Für die Veranstaltungen im Bundesgebiet werden Zuwendungen zu den Aufenthalts- und Programmkosten der deutschen und israelischen Teilnehmer, bei Veranstaltungen in Israel Zuwendungen zu den Fahrtkosten der deutschen Teilnehmer gegeben. Bei Flugreisen sind die Flüge über Lufthansa oder El AI durchzuführen. Die Förderung aus Bundesmitteln im einzelnen beruht auf den Absprachen im Gemischten Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch im Rahmen der Richtlinien für den Bundesjugendplan. Für die Förderung von deutsch-israelischen Jugendaustauschprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland kann der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit in begründeten Fällen Abweichungen von den Bestimmungen des Bundesjugendplanes zulassen. Die Förderung durch die israelische Seite wird von Fall zu Fall geregelt."

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19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel" Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

Eine Broschüre, die vom Internationalen Jugendaustausch und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) erarbeitet wurde und die 1982 zum ersten Mal erschien, gibt einen guten Überblick über die Fragen und Probleme des deutsch-israelischen Jugendaustausches. Mit der Genehmigung des IJAB durften wir weite Teile aus dieser Broschüre für unsere Arbeit herausnehmen und abdrucken. Dr. Wolfgang Reifenberg zeichnete für den Bundesminister f ü r Jugend, Familie und Gesundheit für das Ganze verantwortlich. Er gab dieser Broschüre ein Vorwort mit auf den Weg und machte im Anschluß darin noch etliche einleitende Bemerkungen: „Ein langer, schwieriger Weg kennzeichnet die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland und im Staate Israel. Vom bescheidenen Versuch, eine Annäherung mit dem Austausch von Jugendgruppen in den fünfziger Jahren einzuleiten, bis hin zur heutigen intensiven jugendpolitischen Zusammenarbeit waren die Bemühungen um den Ausbau der Kontakte auf beiden Seiten stets vom Engagement der beteiligten Personen und Institutionen geprägt. In diese Bemühungen ordnet sich der Auftrag des IJAB ein, einen Beitrag zur Qualifizierung der inhaltlichen Arbeit im Rahmen internationaler Austauschprogramme zu leisten. Der deutsch-israelische Jugendaustausch steht in der internationalen Jugendarbeit in der Bundesrepublik Deutschland an besonderer und hervorragender Stelle. Aus der Erfahrung des IJAB in diesem Bereich ist nach vierjähriger Arbeit die hier veröffentlichte Schrift entstanden. Sie ist ein erster Versuch einer Darstellung der Situation der Jugend und der Strukturen der Jugendarbeit in Israel. Nach unserer Kenntnis gibt es zur Zeit weder in Israel noch in einem anderen Land eine solche zusammenfassende Aufarbeitung dieses Themas. Jugend und Jugendarbeit in Israel' soll und kann kein allgemein übergreifendes Werk über das politische und gesellschaftliche Leben in diesem Lande sein. Es wurde jedoch so zusammengefaßt, daß Jugendliche auch ohne umfangreiche Vorkenntnisse über Israel in die Lage versetzt werden, sich auf die Begegnung und auf den Dialog mit der Jugend Israels eingehend vorzubereiten. Ich hoffe, daß es dadurch seinen Anteil an der Verwirklichung der in den .Gemeinsamen Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches' festgelegten Zielsetzungen haben wird." Im folgenden nun Auszüge aus der Abhandlung des IJAB zum deutsch-israelischen Jugendaustausch:

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Jugendaustausch

1. Die Jugend im Staate Israel 1.1 Begegnung mit der Jugend Israels Die Begegnungjunger Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel stand und steht unter der Belastung der jüngsten Vergangenheit. Die Jugend beider Länder hat in den letzten zwanzig Jahren die Chance genutzt, eine Brücke über die Vergangenheit zu schlagen und in gegenseitiger Achtung zueinander zu finden. Doch aller Anfang war schwer. Die politische Führung Israels beabsichtigte zunächst, erst eine Generation verstreichen zu lassen, bevor an einen Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland gedacht werden könnte. So waren die ersten Kontakte bzw. Begegnungen sehr diskret und von Unbehagen geprägt. Die ersten deutschen Jugendgruppen reisten 1955 nach Israel. 1961 waren es bereits mehr als 60, und 1963 wurde die Zahl von 200 Reisegruppen im Jahr überschritten. Internationale Begegnung erfüllt ihren Sinn nur, wenn sie auf einem Verhältnis von gegenseitiger Partnerschaft beruht. Damals waren die Kontakte jedoch noch einseitig: Junge Deutsche fuhren nach Israel. Ein Umschwung trat erst nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 ein, wohl als Reaktion auf die Solidarität des deutschen Volkes zu Israel im Augenblick der Not. Von 1969 bis 1972 vereinbarten der Israelische Kommunalverband und das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit federführend für die Träger die jährlichen Austauschprogramme. Der für den Jugendaustausch beim Israelischen Städteverband eingerichtete Ausschuß wurde 1973 losgelöst vom Städteverband neu durch das Ministerium für Erziehung und Kultur berufen. Dies trotz der großen Widerstände, die sich in der Knesset gegen eine Institutionalisierung des Jugendaustausches mit der Bundesrepublik Deutschland erhoben hatten. Den Zielsetzungen der heutigen deutsch-israelischen jugendpolitischen Zusammenarbeit—darunter werden sowohl der Breitenaustausch von Jugendgruppen als auch der Austausch von Fachkräften der Jugendarbeit, aber auch gemeinsame Seminare verstanden — entsprechend, muß sich der deutsche Jugendliche auf die Begegnung mit jungen Israelis vorbereiten. Er muß vor allem davon ausgehen, daß es für ihn keine Selbstverständlichkeit in diesem Dialog mit der Jugend Israels gibt und, daß er mit solchen Lebens- und Wertvorstellungen konfrontiert wird, die für seine Generation nicht „selbstverständlich" sind. In diesem Zusammenhang spielt die Frage „Welches Bild hat die Jugend des einen Landes von der des anderen?" eine bedeutende Rolle. (...)

1.5 , Fromm zu sein, bedarf es viel..." könnte man in Abwandlung eines beliebten Kanons sagen, wenn man auf das Drittel der israelischen Jugend zu sprechen kommt, die religiöse Juden sein wol298

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

len. Es bedarf vieler Vorschriften, die der Jude gut kennen muß, wenn er Gott und den Rabbinern alles recht machen will. Nicht einfach ist es aber auch für einen, der es religiösen Jugendlichen recht machen will, die er im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustauschs nach Deutschland eingeladen hat. Da hat man extra darauf geachtet, daß kein Schweinefleisch auf den Tisch kommt, und jetzt essen die Gäste nicht einmal Hähnchen. In Israel war das doch gar nicht so problematisch. Man hat sich vielleicht gewundert, daß man z. B. im Selbstbedienungsrestaurant am Toten Meer kein Eis bekam. Wer versuchte, mit dem am Kiosk außerhalb gekauften Milcheis in das Restaurant zu kommen, der wurde lautstark wieder hinausgewiesen. Man hat vielleicht darüber den Kopf geschüttelt — wo doch das Restaurant und der Kiosk zum gleichen Kibbuz gehören — und es als angenehm empfunden, daß wenigstens am Samstag im Speisesaal des Hotels nicht geraucht werden durfte, aber besonders berührt hat es einen nicht. Daß man in Israel jüdische Vorschriften beachtet, daß man z. B. in einem Restaurant mit dem Schild „Unter Aufsicht des Rabbinats" auf das von zu Hause gewohnte Schweinefleisch verzichten muß, das versteht man ohne großes Nachdenken. Schwieriger wird es, wenn man jüdische Gäste hat, die auch in der Bundesrepublik Deutschland nach ihren Vorschriften leben wollen. Für sie sind Speiseund Verhaltensvorschriften eine Frage der Religion oder auch der jüdischen Identität. Die Makkabäerbücher berichten, daß fromme Juden im zweiten Jahrhundert vor Christus lieber gestorben sind, als sich durch unreine Speisen zu verunreinigen und den heiligen Bund mit Gott zu entweihen. Religion, d. h. Bindung an Gott, bedeutet für den religiösen Juden vor allem Befolgung der Gesetze. Die 613 Vorschriften, die das jüdische Leben religiös bestimmen, enthalten 248 Gebote und 365 Verbote. In unserem Zusammenhang die wichtigsten sind die Speise- und Sabbatgesetze. Die wichtigsten davon sind die folgenden: „Reine", d. h. für den Verzehr erlaubte, Tiere sind unter den Säugetieren nur die Wiederkäuer mit gespaltenen Klauen, unrein sind außer dem Schwein z. B. auch Hase und Kamel. Fische mit Schuppen und Flossen dürfen gegessen werden; Aale, Austern, Krebse u. ä. sind verboten (3 Mos.l 1). Damit Fleisch „koscher", d. h. zum Verzehr erlaubt ist, muß es auch vorschriftsmäßig geschlachtet sein. Das „Schächten" der Tiere hat ein völliges Ausbluten zum Zweck, dies wird durch Salzen und Wässern noch verstärkt. Blut als Sitz des Lebens soll vom Menschen nicht genossen werden (3 Mos. 17,11). Eine weitere Vorschrift, die besagt, daß alle Milchspeisen und -getränke nur in zeitlichem Abstand von Fleischspeisen genossen werden dürfen, beruft sich auf 2 Mos. 23, 19. Man kann zur Erklärung dieser Vorschriften sicher auch medizinische Gründe ins Feld führen. Es ist durchaus denkbar, daß die Priester, die diese Vorschriften im Jahrtausend vor Christus formuliert haben, wußten, daß z. B. der Genuß von Schweinefleisch sehr gefährlich sein kann. Ihre medizinischen Kenntnisse (Priester waren die ersten Medizinmänner, Ärzte) schlössen aber möglicherweise die Trichinenbeschau nicht mit ein. Der wichtigste Grund für diese Gesetzgebung ist aber in der dadurch be299

Jugendaustausch zweckten Unterscheidung von heidnischen Völkern u n d ihren religiösen Praktiken zu sehen. Die J u d e n lebten als kleine Minderheit, die an n u r einen Gott glaubte, unter vielen polytheistischen Völkern. Die Kulte der Ägypter, Kanaaniter, Babylonier usw. lockten mit anziehenden Riten und freien Opfermählern. Die Gefahr, daß über die Teilnahme an heidnischen Götteropfern, bei denen z. B. Blut oder auch Blut und Milch zusammen vergossen wurden, der Glaube an den einen Gott verlorengeht, war eine wirkliche Erfahrung. Das Gebot, Milch- u n d Fleischspeisen n u r getrennt u n d nie gleichzeitig zu essen, kann sogar aus vermosaischer Zeit stammen, aus den Traditionen Vieh züchtender Nomaden. N u r am Feiertag, der kultisch begangen wird, schlachten sie ein Tier, meist ein Jungtier. Durch das unterschiedlose Essen von Fleisch und Milch würde die Ehrfurcht vor dem den Feiertag auszeichnenden Tieropfermahl und auch vor dem Leben, d. h. Milch spendenden Muttertier verletzt. Wieviel Deutsche wissen eigentlich, warum Pferdefleisch bei uns im Gegensatz zu Frankreich und Italien verpönt ist? Als die ersten christlichen Missionare zu den alten Germanen kamen, mußten sie diese auch bald vor ein deutliches „entweder-oder" stellen. Wer Christ sein wollte, durfte nicht mehr an den bei den Germanen üblichen Götteropfermählern teilnehmen, wo zu Ehren Thors und Wotans Pferde geopfert u n d gegessen wurden. Wenn man die existenzielle Bedeutung, die diese Vorschriften f ü r religiöse J u d e n haben, einsieht, wird es gar nicht den Hinweis auf Artikel 3 und 4 des Grundgesetzes brauchen: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Wer also nicht will, daß j u n g e Israelis deswegen, weil sie die Vorschriften ihrer Religion befolgen, vom deutsch-israelischen Jugendaustausch ausgeschlossen werden, der wird gegebenenfalls für seine Gäste einige besondere Vorbereitungen treffen. Dabei ist es wichtig, zunächst entweder schon brieflich oder auch nach Eintreffen mündlich festzustellen, wie streng sie sich an die Koscher-Vorschriften halten. Wichtig ist zu wissen, ob sie normales Geschirr benützen, oder der rabbinischen Auslegung, daß unreine Speisen auch das Geschirr unkoscher machen, folgen. Am leichtesten kann man dem Problem entgehen, wenn man das Essen in Glastellern serviert, die werden nämlich auch nach strenger Auslegung nicht verdorben. Rohes Gemüse (z. B. Tomaten, Karotten, Gurken), Salat, Obst, Pellkartoffeln in Schale, Dosenfisch oder in Folie gekochter oder gebratener Fisch, Brot, Butter und Marmelade sind immer erlaubt, Quark auch, bei Käse gibt es besondere Vorschriften. Bei d e r Programmgestaltung f ü r Gruppen mit religiösen Teilnehmern muß man auch auf den Sabbat Rücksicht nehmen. Eine Stunde vor Sonnenuntergang beginnt er am Vorabend und eine Stunde nach Sonnenuntergang am Samstag hört er auf. Fromme J u d e n werden, um den Sabbat zu heiligen, alles, was nach Arbeit oder Inbetriebsetzen von Arbeitsgerät aussieht, meiden. Man kann daher von Freitagabend bis Samstagabend keinen Transfer von einem Hotel ins andere 300

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB machen. Geldausgeben und Reisen mit Verkehrsmitteln ist ihnen verboten. Wohl kann man zu Fuß Besichtigungen in der Stadt unternehmen. Wer Besuch solcher Art erwartet, spricht das Programm am besten auch mit der nächsten jüdischen Gemeinde ab, damit die Gäste, wenn sie wollen, am Sabbatgottesdienst in der Synagoge teilnehmen können. Wenn es möglich ist, sollte man auch mal eine der großen jüdischen Gemeinden wie Frankfurt, München, Köln oder Berlin, besuchen, wo die Teilnehmer während der beiden Wochen in der Bundesrepublik Deutschland wenigstens einmal eine warme Mahlzeit mit Fleisch essen können. Sonst gibt es kaum koschere Restaurants in der Bundesrepublik. 1.6 Das Bild der israelischen Jugend

von der deutschen: Auschwitz und VW

Der Direktor eines Gymnasiums in Israel schrieb, nachdem er von einer Informationsreise durch die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt war: „Für die meisten Israelis, die nicht vorher in Deutschland waren, bedeutet Deutschland eben Hitler und die Gasöfen — und gute Autos und Apparate. Das ist das Resümee und fast das einzige, was hier die Kinder in der Schule über Deutschland erfahren." Um dieses Bild korrigieren zu können, sei der Austausch von Jugendgruppen sehr wichtig. Daß der Holocaust in Israel nicht des gleichnamigen Filmes bedurfte, um ins Bewußtsein der nach dem Kriege geborenen jungen Generation zu dringen, wie dies in der Bundesrepublik geschah, folgt u. a. auch aus der dies intendierenden politischen Erziehung. Professor Arik Carmon von der Universität Beer-Sheba hielt bei dem zweiten Grundsatzseminar zum deutsch-israelischen Jugendaustausch 1976 in Beit Yehoshua zu diesem Thema ein sehr beachtliches Referat. Demzufolge sei für das neue vom Ministerium für Erziehung und Kultur entwikkelte Unterrichtsprogramm über Holocaust der Leitsatz „Jeder Israeli muß sich selbst so sehen, als ob er Auschwitz überlebt habe" gewählt worden. Das Verstehen dieses Mottos bilde die Grundlage für einen ehrlichen Dialog zwischen Israelis und Deutschen, da das Naziphänomen im allgemeinen und der Holocaust im besonderen eine zentrale Stellung in der jüdischen und zionistischen Existenz in Israel habe, und da die tiefe Wunde, die die Naziära hinterlassen habe, den Hintergrund der Entwicklung der Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland bilde. Von diesem Standpunkt aus könne man dann über jedes Thema ehrlich und offen reden, meinte Dr. Carmon. Ein zweiter Grund dafür, daß viele junge Israelis, wenn sie das Wort Deutsch hören, sich mit der gewollten oder ungewollten Assoziation „Nazideutschland" auseinandersetzen müssen, ist das jüdische Verständnis von Geschichte, das sich von dem des deutschen Schülers stark unterscheidet. Dachau und Bergen-Belsen, um nur zwei Beispiele zu nennen, sind für Israelis nicht geschichtliche Gedenkstätten, sondern eine Realität, der man sich heute stellen muß. Daß Geschichte für Juden Teil der Gegenwart ist, dürfte den nicht verwundern, der weiß, daß auch das Gottesbild der Juden (und Christen) nicht das einer Naturgottheit oder eines bloßen Schöpfergottes ist, sondern von der Überzeu301

Jugendaustausch gung seines geschichtlichen Handelns an und in seinem Volk geprägt ist. So wie der Gott der Väter für sie der ist, der gegenwärtig ist, so sind auch Leben und Leiden der Väter nicht einfach Vergangenheit. Wenn die Gemeinsamen Bestimmungen für den deutsch-israelischen Jugendaustausch beim Besuch in Israel „die Unterrichtung und Diskussion über die Geschichte und das Selbstverständnis des jüdischen Volkes und des Staates Israel mit besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" und in den Programmen für israelische Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland „Diskussionen oder Arbeitstage über Lehren, die aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu ziehen sind, und den daraus erwachsenden besonderen Beziehungen zwischen dem jüdischen und dem deutschen Volk", sowie „gemeinsamen Besuch von Gedenkstätten des NS-Antisemitismus und Terrors" fordern, so wollen sie damit gerade dieser Vergangenheit gebührend Rechnung tragen und die Besinnung darauf, wie die Wiederkehr von Auschwitz zu verhindern sei, fördern. Es stimmt auch, daß die jungen Deutschen von heute „andere sind" und sie die NS-Verbrechen nicht begangen haben. Dies berechtigt sie jedoch nicht, sich um die Realität der deutschen NS-Verbrechen herumzudrücken und sich davon frei und unbeschwert zu fühlen. Mit dem Tode Hitlers und Himmlers- dies muß auch erwähnt werden - , ist die Unmenschlichkeit nicht gestorben. In der Bildungsarbeit deutscher Jugendorganisationen wird deshalb versucht, an den Beispielen heutiger Brutalität die Gefahr des Weiterbestehens und Wiederauflebens der Unmenschlichkeit der Nazizeit zu verdeudichen. Ein israelischer Politiker vertrat in einer Gedenkrede in der Synagoge von Dachau die Ansicht, daß man solche Orte wie Dachau oder andere ehemalige Konzentrationslager sehen müsse, um zu erleben, wozu der Mensch an Bosheit und Brutalität fähig ist, und als Mahnung, daß solches nirgendwo auf der Erde wieder passieren dürfe. Er hat also dieses unverständliche Geschehen nicht auf Deutschland beschränkt, sondern versucht, für seine israelischen Landsleute Dachau in den Kontext der allgemeinen menschlichen Brutalität zu stellen. Für viele Israelis hat die Teilnahme an deutsch-israelischen Austauschprogrammen als positives Ergebnis ein neues Bild von der Bundesrepublik Deutschland und den Deutschen gebracht. Ein „anderes Deutschland" haben sie dabei kennen- und liebengelernt. In diesem Zusammenhang kommt der jungen Generation in der Bundesrepublik Deutschland eine besondere Rolle zu: Sie muß den Dialog mit den jungen Israelis aktiv weiterführen und den Verständigungsprozeß auf die Erfahrung der älteren Generation aufbauend mitgestalten. (...)

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19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel': Atiszüge aus einer Broschüre des IJAB

2. Jugendaustausch und deutsch-israelische Zusammenarbeit 2.1 Der Beitrag des bilateralen Jugendaustausches zur politischen Bildung Der deutsch-israelische Jugendaustausch steht im Rahmen der internationalen Beziehungen der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland an besonderer und hervorragender Stelle. Zum Ausdruck kommt dies — wenn man von der besonderen Situation des Deutsch-Französischen Jugendwerks absieht — sowohl in der in den Beziehungen zu anderen, auch größeren Ländern nicht übertroffenen finanziellen Förderung als auch in der Anzahl der Programme und Teilnehmer. Diese hohe Bedeutung wird dem deutsch-israelischen Jugendaustausch von beiden Seiten zunächst wegen des von ihm erbrachten Beitrags zur politischen Bildung der jungen Generation beigemessen, vor allem bei der dabei ermöglichten Vergegenwärtigung der jüngsten deutschen Vergangenheit und einer dadurch intensivierten und qualifizierten Auseinandersetzung mit ihr. Weitere Ansätze zur politischen Bildung gibt das Erleben der Situation des Nahen Ostens mit seinem heute auch auf Europa immer stärker werdenden Einfluß. Aus den besonderen Verhältnissen der Jugend in Israel (z. B. Integrationsprobleme) und dem besonderen Gewicht, das man dort der außerschulischen Jugendarbeit gibt, hat der Austausch von Erfahrungen zwischen Fachkräften der Jugendarbeit in den letzten Jahren in beiden Ländern wertvolle Impulse vermitteln können. 2.2 Der Gemischte Fachausschuß für den deutsch-israelischen Jugendaustausch Er wurde zur Förderung und Koordinierung des bilateralen Jugendaustausches eingerichtet und besteht aus einer deutschen und einer israelischen Delegation, die vom jeweils zuständigen Ministerium berufen und beauftragt ist. Er tritt jährlich mindestens einmal, abwechselnd in der Bundesrepublik Deutschland und in Israel, zusammen und beschließt dabei u. a. die Listen der geförderten Programme des nächsten Jahres. Er bemüht sich um die Fortentwicklung, d. h. inhaltliche Verbesserung und Vertiefung des deutsch-israelischen Jugendaustausches. Deswegen wertet er bei seinen Sitzungen und den von ihm veranstalteten Grundsatzseminaren die durchgeführten Programme aus. Er hat 1974 „Gemeinsame Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches" verabschiedet, die in einer revidierten Fassung 1981 neu herausgegeben wurden. (... Siehe in diesem Band Kap. 18) 2.2.1 Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit Auf deutscher Seite werden die Mitglieder des Fachausschusses vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit berufen. 2.2.2 Der Öffentliche Rat für den Jugendaustausch in Israel Auf israelischer Seite wird die Delegation vom öffentlichen Rat für Jugendaus303

Jugendaustausch tausch in Israel (The Public Council for the Exchange of Youth and Young Adults) gebildet. In dem vom israelischen Ministerium f ü r Erziehung und Kultur gegründeten öffentlichen Rat f ü r Jugendaustausch sind u. a. der Israelische Städte- und Kommunalverband, Vertreter der drei großen Städte (Jerusalem, Tel Aviv, Haifa), der Gewerkschaftsbund „Histadrut", die Moshavbewegung, die Sportverbände (Hapoel, Makkabi, Elizur), der Israelische Jugendrat, das Erziehungsministerium, Experiment in Israel und wichtige Jugendbildungsstätten wie das Rutenberg-Institut und die Leo-Baeck-Schule in Haifa vertreten. Den Vorsitz übt seit der Gründung 1973 der Knesset-Abgeordnete Adial Amorai aus, der gleichzeitig auch den Vorsitz des israelischen Jugendkuratoriums innehat, das den israelischen Erziehungsminister in allen die Jugend betreffenden Fragen berät. Die Verantwortlichen des Öffentlichen Rates sehen die Bedeutung des Jugendaustausches mit anderen Ländern f ü r die israelische Jugend über die allgemeingültigen positiven Ergebnisse internationalen Jugendaustausches hinaus vor allem in der Überwindung von zwei Gefahren: der Klaustrophobie und des Provinzialismus. Bis zum Friedensvertrag mit Ägypten waren die Israelis auf einer relativ kleinen Fläche innerhalb ihrer Landesgrenzen hermetisch von jeder Grenzüberschreitung auf dem Landwege abgeschlossen. Ein Herauskommen aus dieser Enge war nur über das Wasser und auf dem Luftweg möglich. Internationaler Jugendaustausch bietet der israelischen Jugend die Chance, aus diesem Eingesperrtsein herauszukommen und durch die Begegnung mit anderen Kulturen, anderen gesellschaftlichen und politischen Strukturen eine Erweiterung des eigenen Horizontes zu erfahren. Der Öffentliche Rat mißt der Pionierrolle, die der deutsch-israelische Jugendaustausch bei der Entwicklung des Jugendaustausches in Israel hatte, große Bedeutung bei. Heute steht der deutsch-israelische Jugendaustausch in Israel an der Spitze, was die Zahl der Programme und Teilnehmer betrifft. Längst gibt es jedoch neben dem deutsch-israelischen Jugendaustausch auch israelische Austauschabkommen mit den USA, Frankreich, den Niederlanden, insgesamt zur Zeit mit zwölf Ländern. Das neueste und als Folge von Camp David erfreuliche Austauschprogramm wurde im März 1981 mit Ägypten vereinbart. Der Öffentliche Rat betrachtet diese Ausweitung, die ihm in den letzten Jahren gelungen ist, auch deswegen sehr positiv, weil sich israelische Jugendgruppen, die ins Ausland fahren, in der Regel als eine Art „Gesandte" des Staates Israel verstehen. Die jungen Israelis versuchen einerseits, die Position Israels in der Diskussion über den Nahen Osten zu vertreten, andererseits, durch ihre Kontakte mit der Jugend des anderen Landes auch die Freundschaft zwischen beiden Ländern zu stärken. 2.3 Bitte um Vergebung und Frieden Zahlreiche Einzelpersonen und Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland haben bereits Anfang der fünfziger Jahre die ersten Schritte zur Versöhnung mit dem Volke Israel getan. Auf der Synode der Evangelischen Kirche in 304

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

Deutschland im Jahre 1958 wurde der Wille zum Ausdruck gebracht, Vergebung und Frieden durch aktiven Einsatz zu erlangen: „Wir bitten die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, daß sie uns erlauben, in ihrem Lande etwas Gutes zu tun." Im Hinblick auf diese Bemühungen zeichneten sich insbesondere zwei Organisationen aus, die durch ihre Arbeit in Israel und ihr Zusammenwirken mit Israel den Weg zur Verständigung und zum Verständnis geebnet haben. 2.3.1

Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste

Anschrift in der Bundesrepublik Deutschland: Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste, Jebensstraße 1, 1000 Berlin 12 Anschrift in Israel: Haus Pax, Rehov Ein Gedi 28, Jerusalem-Talpioth Die Aktion Sühnezeichen wurde 1958 auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland gegründet. Die Mehrzahl der Synodalen unterstützte damals folgenden Gründungsaufruf: „Wir Deutsche haben den Zweiten Weltkrieg begonnen. Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen Juden umgebracht. Wir bitten die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, daß sie uns erlauben, in ihrem Lande etwas Gutes zu tun. Laßt uns mit Polen, Rußland und Israel beginnen, denen wir wohl am meisten weh getan haben." Was hat diese „Bitte um Vergebung und Frieden" bewirkt? In den mehr als zwanzig Jahren seit 1958 haben mehrere Tausend junge Menschen mit der Aktion Sühnezeichen einen freiwilligen sozialen Friedensdienst geleistet. Die Arbeit erstreckte sich auf zahlreiche Länder West-Europas, auf Polen, die USA und insbesondere auf Israel. Aktion Sühnezeichen begann ihre Arbeit in Israel bereits kurz nach der Gründung im Jahre 1961. Dies war das Jahr des Eichmann-Prozesses. Ganz Israel stand erneut das Schreckliche vor Augen, was Deutsche dem jüdischen Volk angetan hatten. Die ersten Gruppen der Aktion arbeiteten im Kibbuz. In den folgenden Jahren konnten junge Deutsche beim Aufbau verschiedener Sozialeinrichtungen im Lande mitwirken und schließlich in sozialen Projekten selbst. Heute arbeiten etwa 40 deutsche Freiwillige in Israel. Die Dienstzeit umfaßt, einschließlich des Hebräisch-Kurses und der Seminare, 18 Monate. Die meisten Freiwilligen arbeiten im sozialen Bereich in Heimen für körperlich und geistig behinderte Kinder, mit blinden und mit alten Menschen, in Krankenhäusern und in Kinderheimen. Weitere Freiwillige arbeiten in der Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem, in der jüdisch-arabischen Gemeinschaftssiedlung und Friedensschule Neve Shalom, im Haus Pax in Jerusalem und beim Aufbau von Gemeindezentren in arabischen Dörfern Israels. Die Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste stellt sich in Israel mit ihrer Arbeit der gemeinsamen Geschichte von Christen und Juden, von Deutschen und Israelis und fühlt sich dem jüdischen Volk verbunden. Die Folgen des Holocaust wirken auch im Israelisch-Arabischen Konflikt weiter. Deshalb sucht die Aktion besonders Kontakte zu solchen Gruppen, die eine 305

Jugendaustausch

friedliche und gerechte Gestaltung des Lebensrechts für alle am Nahost-Konflikt Beteiligten anstreben. In der Gedenkstätte in Dachau arbeiten seit einiger Zeit zwei Freiwillige der Aktion Sühnezeichen. Sie stehen interessierten Gruppen aus Israel und der Bundesrepublik als Gesprächspartner zur Verfügung. 2.3.2 Deutsch-Israelische Gesellschaft — Israelisch-Deutsche Gesellschaft Anschrift in der Bundesrepublik Deutschland: Deutsch-Israelische Gesellschaft e. V., Markt 9,5300 Bonn 1 Anschrift in Israel: Israelisch-Deutsche Gesellschaft, c/o Frau Hanna Glücksmann, 226, Hayarkon Street, Tel Aviv In der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) haben sich Freunde Israels in überparteilicher Zusammenarbeit zusammengefunden, um sich für die Aussöhnung und Freundschaft zwischen Deutschen und Israelis, zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel einzusetzen. Aus dem Wissen über die von Deutschen zu verantwortenden Verbrechen an den Juden während der Jahre 1933 bis 1945 fühlt sich die DIG verpflichtet, in Solidarität mit dem Staat Israel und seiner Bevölkerung zu wirken. Diesen Gedanken möchte sie auch der nachwachsenden jungen Generation in der Bundesrepublik Deutschland vermitteln. Einen konkreten Auftrag für die Zukunft sieht sie darin, der Entstehung von Vorurteilen gegenüber Juden in der deutschen Bevölkerung entgegenzuwirken sowie Antisemitismus und Antizionismus entschieden zu bekämpfen. Sie möchte durch ihre Tätigkeit zur Festigung menschlicher, politischer, kultureller und wirtschaftlicher Verbindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel beitragen. Sie bemüht sich, in der Bunderepublik Deutschland die Kenntnis über Israel, seine Geschichte und seine Gegenwart zu vertiefen. In Israel bemüht sie sich um die Vermittlung eines realistischen Bildes von der Entwicklung und den Problemen der Bundesrepublik Deutschland. Sie fördert den Einzel- und Gruppenaustausch junger Menschen in Israel und in der Bundesrepublik durch organisatorische und inhaltliche Beratung. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe arbeitet sie mit Verbänden, Organisationen und Personen in Israel zusammen, besonders mit ihrer Partnerorganisation, der Israelisch-Deutschen Gesellschaft. Im deutsch-israelischen Jugendaustausch ist die DIG auf vielfältige Weise aktiv. Sie vermittelt einzelnen Interessenten wie Gruppen Arbeitsaufenthalte in Kibbuzim und Moshavim und steht den Trägern im deutsch-israelischen Jugendaustausch bei Vorbereitungsseminaren beratend zur Verfügung. Die DIG und ihre israelische Schwesterorganisation IDG sind sich der Tatsache bewußt, daß der Begegnung und dem Sich-Verstehen junger Menschen aus beiden Ländern in wachsendem Umfang sprachliche Barrieren entgegenstehen. Die Gesellschaften sind daher bemüht, diese Sprachbarrieren abbauen zu helfen. Als einen gangbaren Weg hierzu erachten sie die Vermittlung von Familien-Patenschaften und von Brieffreundschaften. In ihren örtlichen Arbeitsgemeinschaften in nunmehr 18 Städten und Stadt306

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

regionen bemüht sich die DIG um eine gezielte Vermittlung von Kenntnissen über Israel, seine Menschen, seine Kultur und seine Probleme. Auch diese Arbeitsgemeinschaften verfügen über ein reichhaltiges Veranstaltungs- und Informationsprogramm; sie wirken mit an der Vorbereitung organisierter Israel- Reisen und geben Einzelreisenden Hinweise und Anregungen. Die Anschriften dieser Arbeitsgemeinschaften sind bei der zentralen Geschäftsstelle der DIG in Bonn zu erfragen. 4. Außerschulische Jugendbildung und Jugendarbeit in freier Trägerschaft Die außerschulische Jugendbildung hat sich in Israel eine beachtliche Stellung in der Öffentlichkeit verschafft. Der Staat Israel erkennt sie als Ergänzung zur schulischen Bildung an und fördert sie sowohl finanziell als auch ideell. Sie ist ein wichtiger Faktor im Reifeprozeß des jungen Menschen und in seiner gesellschaftlichen und politischen Bildung. Hinzu kommt noch, daß die außerschulische Jugendbildung und Jugendarbeit auch dort, wo die Schule versagt, reale Chancen bietet zur Entfaltung der Persönlichkeit des jungen Menschen. Erfolg oder Mißerfolg der schulischen Erziehung hängt von einem pädagogischen Prozeß mit normativem Charakter ab. Die die Stufen des pädagogischen Prozesses markierende Benotung kann zum Leistungsdruck, bzw. bei „Versagen" zur Frustration führen, sogar zum Ausfall von „Versagern" aus dem Schulsystem und als Folge aus der „Stufenleiter" der Gesellschaft. Neben der allgemeinen erzieherischen Arbeit kann die außerschulische Jugendbildung gerade hier auch dadurch Hilfe leisten, daß sie vielfältigere Möglichkeiten zur Beteiligung der Jugendlichen an ihren Interessen entsprechenden Aktivitäten bietet. Sie kann auch individuelle Neigungen und Talente leichter berücksichtigen und einen geeigneteren Rahmen zur Selbstentfaltung in solchen Bereichen schaffen, die die Schule gar nicht oder nicht genügend anspricht. Außerdem ermöglicht die außerschulische Jugendarbeit ein auf mehr Gleichheit basierendes Verhältnis zwischen den Jugendlichen und dem Jugendleiter als zwischen Schüler und Lehrer. Der Staat Israel mißt der außerschulischen Jugendarbeit auch als wichtigem Faktor bei der Integration der Einwanderer, die aus ganz verschiedenen Kulturkreisen nach Israel kommen, eine große Bedeutung bei. Das Ministerium für Erziehung und Kultur und das Ministerium für Arbeit und Soziale Wohlfahrt, aber auch die kommunalen Behörden unterstützen die außerschulische Jugendarbeit durch Planung und Supervision und fördern diese finanziell sowie durch Bereitstellung von Mitarbeitern. Auch durch systematische und professionelle Ausbildung von Jugendleitern in speziellen Ausbildungsstätten bemüht sich der Staat um Qualifizierung der außerschulischen Jugendarbeit. „Jugendleiter" ist in Israel ein eigenes Berufsbild, in Gehalt und Ansehen dem des Schullehrers gleichgestellt, allerdings ist die Bezahlung in beiden Berufen relativ niedrig. 307

Jugendaustausch 4.1

Jugendbewegungen

Mit dem Wort „Jugendbewegung", das im Deutschen fast nur noch zur Bezeichnung eines bestimmten Abschnitts der Geschichte der deutschen Jugendarbeit verwendet wird, identifizieren sich auch heute noch, und zwar bewußt, die im Rat der Jugendbewegungen in Israel zusammengeschlossenen Jugendverbände. In der internationalen Arbeit der Jugendverbände in der Bundesrepublik Deutschland wird er als Israelischer Jugendrat bezeichnet, daher wird auch im folgenden dieser Name verwendet. Für die einzelnen Mitgliedsverbände des Israelischen Jugendrates bedeutet der Begriff „Jugendbewegung" vor allem die Bindung an die Tradition der jüdischen Jugendbewegungen in Europa, die wiederum wichtige Impulse von der deutschen Jugendbewegung erfahren hatten. Der Autor JubalDror beginnt z. B. die Geschichte der israelischen Jugendbewegung mit einem Hinweis auf die deutsche Jugendbewegung. Die Jugendbewegungen in Israel haben meist historisch-traditionelle Bindungen zu Organisationen, aus denen sie entstanden, bzw. bei deren Entstehung sie mitgewirkt haben. Sie haben — die einen mehr, die anderen weniger — eine wechselseitige Beziehung nicht nur zu den politischen Parteien und Gruppen des heutigen politischen Lebens in Israel, denen sie jeweils zugeordnet werden können, sondern von ihrer Entstehung her auch zu den Ideen und Bausteinen, die beim Aufbau des heutigen Staates von Bedeutung waren und die auch stark von ihnen geprägt worden sind. Als solche Bausteine können genannt werden: — Die Einwandererbewegung (hebräisch Aliyah). Die zweite Aliyah bestand beispielsweise zum größten Teil aus jungen Leuten um die zwanzig, die aus einem Protest gegen die damals vorherrschenden Tendenzen im Zionismus und im jüdischen Leben nach Israel kamen (der Protest gegen die Tendenzen der älteren Generation ist typisches Kennzeichen der Jugendbewegung, hier vor allem gegen die Annahme des Uganda-Plans). — Die Kibbuzbewegung. Das hebräische Kwuza, von dem das Wort Kibbuz sich ableitet, bedeutet sowohl die Gruppe schlechthin, z. B. in den heutigen Jugendbewegungen, als auch die Gruppen von Pionieren, die sich z. B. in den Jugendbewegungen in der Diaspora zur gemeinschaftlichen Ansiedlung im damaligen Palästina zusammenschlössen (siehe 4.5.1). — Die Wiedergewinnung der körperlichen Arbeit für die Juden, nachdem sie in der Diaspora weitgehend vom Handwerk (im Mittelalter konnten sie nicht Mitglied der christlichen Zünfte werden) und von der Landwirtschaft (unberechtigt, Grund und Boden zu erwerben) ausgeschlossen waren. Die körperliche Arbeit brachte beim Aufbau der jüdischen Ansiedlung in Israel größeres Ansehen als geistige Tätigkeit. Die hohe Wertschätzung körperlicher Arbeit kommt heute noch in der von den Jugendbewegungen geforderten Bereitschaft zum Kibbuzleben zum Ausdruck, besonders in der Form des Nachal 308

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB (landwirtschaftliche Wehrsiedlung, Kombination von Kibbuzleben und Wehrdienst). - Sozialistische Tendenzen u n d die Förderung von genossenschaftlichen Wirtschaftsstrukturen. Diese sind besonders stark in der Kibbuzbewegung Haarzii (s. 4.5.1.1.2) u n d in der Jugendbewegung des Hashomer Hazair (s. 4.1.1.4) aber auch in der größten Jugendbewegung, dem Verband der Arbeiter- und Schülerjugend (s. 4.1.1.1) und der kleineren Dror-Hamachanot Haolim (s. 4.1.1.8) ausgeprägt. Genossenschaftliche Strukturen sind in Israel nicht nur in den Kibbuzim und Moshavim, sondern in allen Bereichen der israelischen Volkswirtschaft zu finden. - Der Pioniergeist wird heute noch als wesentliche Eigenschaft der Jugend, besonders der Jugendbewegungen, angesehen. Er war bei der Einwanderung und Ansiedlung unter lebensgefährlichen klimatischen, hygienischen und politischen Verhältnissen wichtigste Voraussetzung f ü r die Schaffung des Staates Israel. Daher die starke Identifikation mit dem Pioniergeist, aber auch die Notwendigkeit einer Neubesinnung auf eine neue Aufgabenstellung nach 1948. - Die Verteidigungsbereitschaft (hebräisch Haganah). Aus den Jugendbewegungen rekrutierten schon vor der Staatsgründung die jüdische Selbstschutzorganisation (Haganah), aus der die israelische Armee hervorging, die auch diesen Namen trägt, sowie die damalige Eliteorganisation Palmach ihre Mitglieder. Gerade in Verbindung mit d e r heldenhaften Tradition von Haganah und Palmach bleibt eine der großen Fragen der jungen Generation in Israel an die Generation des Holocaust ohne befriedigende Antwort: Warum sich damals Millionen von J u d e n ohne bewaffnete Gegenwehr vernichten ließen? Vereinzelte Widerstandsgruppen, Aufstände, wie die im Ghetto von Warschau, waren Ausnahmen, haben f ü r die Jugend- und Kibbuzbewegung umso größere Symbolbedeutung. Bruno Bettelheim schreibt in seinem Buch „Die Kinder der Zukunft" über diese Bindung an die Jugendbewegung in der Diaspora: „Zwei wesentliche Beweggründe haben bei der Geburt des Kibbuzgedankens Pate gestanden. Erstens hatten die G r ü n d e r den Wunsch, ihre Ghettoexistenz abzustreifen. Zweitens wollten sie dort einen neuen Lebensstil schaffen, wo einmal die Heimat der Juden gewesen war. Aber die besondere Form, in der sich diese beiden Beweggründe schließlich manifestierten, läßt sich zu einem großen Teil auf die jugendliche Revolte einer kleinen .Elitegruppe' in Mitteleuropa zurückführen, nämlich auf die Wandervogelbewegung der Zeit um die Jahrhundertwende. Die Wandervögel wollten die Welt ihrer Eltern verlassen — ein Gedanke, der auch der Ghettojugend überaus verlockend erschien. Die Wandervogelbewegung war eine Revolte gegen die autoritären Methoden des deutschen Gymnasiums, das die meisten von ihnen besucht hatten. Sie waren auf der Suche nach einem echteren, naturverbundeneren Leben. Alle diese Ideen sprachen die jüdische Ghettojugend an, die sich gegen die noch strengeren Traditionen ihrer Eltern auflehnte und gegen eine religiöse Er309

Jugendaustausch ziehung, die wesentlich tyrannischer war als jede deutsche Schule. Außerdem muß daran erinnert werden, daß das deutsche Gedankengut für die Ostjuden immer eine starke Anziehungskraft besessen hat. Aus Deutschland kamen Vorstellungen von einer .künftigen Emanzipierung' in Gestalt der deutschen Aufklärung; aus Deutschland kam der Sozialismus in seiner marxistischen Form; ja selbst das Jiddische basiert auf dem Mittelhochdeutschen. Wenn auch die Kibbuzgründer von der Ideologie des Wandervogels stark beeinflußt wurden, war die Art, in der sie diese mit dem Sozialismus, dem Zionismus und einer Tolstoi nachempfundenen Betonung der Werte des Landlebens vereinten, sehr spezifisch ihre eigene." Der Begriff „Jugendbewegung" enthält aber in Israel auch noch mehr oder weniger die traditionellen Attribute der klassischen Jugendbewegung: Wandern, Pflege von Volkslied und Volkstanz, Zeltlager, Gruppenmitglieder in bündischer Kleidung, an die Stelle der Klampfe ist vielleicht der Kassettenrecorder getreten, Liebe zur Natur und Pflege der überkommenen Kulturgüter, einschließlich historischer Denkmäler, Leitung der Gruppen und Gruppenstunden durch jugendliche Führer, Sport und Spiel usw. Die Veränderungen, die sowohl aus der Entwicklung des Staates Israel seit 1948 als auch aus den großen anschließenden Einwandererwellen aus solchen Kulturkreisen abgeleitet werden können, die für die Kibbuzidee und Sozialismus kein Verständnis, dafür aber ein sehr ausgeprägtes Familien- und Sippenbewußtsein hatten, führten zur Notwendigkeit einer Neubesinnung auf neue Aufgaben. Aus diesen neuen Aufgaben leiteten die Jugendbewegungen für sich ein neues realistisches und praktisches Selbstverständnis ab. Eine wichtige Rolle bei dieser Veränderung spielte auch die erhöhte Nachfrage einer modernisierten Wirtschaft und Technik nach Spezialisierung, weiter entwickelter Ausbildung und höherer Bildung. Das Ergebnis war eine Statuserhöhung der akademischen Berufe zu ungusten des Kibbuzideals. Die aus dieser Umorientierung herrührende Krise in den Jugendbewegungen führte in den fünfziger Jahren zunächst zu einem starken Mitgliederschwund und daraus resultierend zu einem starken Konkurrenzkampf in der Mitgliederwerbung in den Reihen der Schulkinder. Dieser wurde als „Einführung von Parteipolitik in der Erziehung" in der Öffentlichkeit stark kritisiert. Daraufhin verbot die Regierung Ben Gurion allen Jugendbewegungen, mit Ausnahme der unpolitischen Pfadfinder, die Betätigung in den Schulen. Schließlich wuchs aber das Verständnis für den Bedarf an starken Jugendorganisationen in Israel. Das Nachlassen der idealistischen Einstellung in der Bevölkerung als ganzer unterstrich die Bedeutung eines Erziehungssystems, das auf einer freiwilligen Erfüllung von Idealen beruht. Die daraus resultierende Spontaneität in dem Leben der Jugendgruppen, wo sich der Jugendleiter mehr als älterer Bruder denn als Lehrer versteht, wurde umso mehr gebraucht, da im Schulsystem Formalität und autoritäre Disziplin sich immer breiter machten. Aus diesen und weiteren Gründen, nicht zuletzt wegen der nicht geringer gewordenen Notwendigkeit, junge Leute zur Ansiedlung in den weniger bevölkerten Bezir310

19 „Jugend

und Jugendarbeit

in Israel":

Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

ken des Landes zu ermuntern, sah sich die israelische Regierung 1959 zu einer Zusammenarbeit zwischen dem staatlichen Erziehungssystem und den Jugendverbänden veranlaßt und gestattete diesen die Mitgliederwerbung in den Schulen. Seit der Staatsgründung sind die Beziehungen zwischen staatlichen und kommunalen Behörden, Parteien, der Gewerkschaft und anderen Erwachsenenorganisationen auf der einen und den Jugendverbänden auf der anderen Seite stärker geworden. Immer mehr Erwachsene gewinnen Einfluß darauf, was mit der Jugend, den jungen Menschen, geschieht. Viele Leute, die heute verantwortungsvolle Posten in der Regierung, im Erziehungswesen, der Wirtschaft, der Kultur usw. bekleiden, kommen aus den Jugendbewegungen. Verständlicherweise interessieren sie sich immer noch für diese und versuchen teilweise, ihr Interesse durch Einflußnahme kundzutun. In den verschiedenen Städten und Gemeinden sind nicht immer alle der elf im Israelischen Jugendrat angeschlossenen Verbände vertreten, dafür gibt es dort manchmal andere Jugendorganisationen, die nicht dem Jugendrat angehören. Sie bilden oft einen eigenen Stadtjugendring, der von der städtischen Jugendabteilung unterstützt wird. In Jerusalem gehören diesem z. B. 14 Jugendverbände in der Stadt an. In Tel Aviv setzt sich der Stadtjugendring aus der Vertretung der Schüler, der Jugendclubs, der Straßengruppen und der Jugendbewegungen zusammen. Die Kommunalverwaltungen unterstützen die Jugendverbände durch Bereitstellung von Tagungsräumen und durch Beteiligung an gemeinsamen Projekten wie den Umzug am Nationalfeiertag, Wettbewerb junger Talente, Jugendfestival, Jugendlager usw. Heute werden die Jugendverbände oft sehr praktisch als Plattform für soziale Kontakte gesehen: ein natürlicher Rahmen für die Begegnung von Jungen und Mädchen; eine Quelle nützlicher Informationen, Verhaltensweisen und Normen für die bessere Integration in die Gesellschaft; ein Instrument, das Ideale und Motivation zur Einsatzbereitschaft für nationale Ziele vermitteln kann; eine Organisation für freiwillige Dienste zum Wohl der Neueinwanderer, Slum-Bewohner, usw.; ebenso wie eine Hilfsorganisation für die Kibbuzbewegung. Die Aktivitäten der Jugendverbände finden vor allem im Rahmen der „Gruppe" statt, die eine Art „soziale Zelle" darstellt. Gruppenveranstaltungen entwikkeln sich meist um Gespräche über politische und kulturelle Themen, Lieder, Spiele und Tänze. Die Aktivitäten der Altersstufen gruppieren sich um zentrale Ereignisse wie nationale Feiertage oder solche der Verbände, Wanderungen, Jugendlager, Sportwettkämpfe, Tanzveranstaltungen, usw. In der Regel finden jede Woche eine Veranstaltung für alle Mitglieder der selben Altersstufe und eine für jede Gruppe separat statt, d. h. zwei Veranstaltungen wöchentlich für jedes Mitglied. Diese werden vom Gruppenleiter im Zusammenwirken mit der Gruppe organisiert. Hin und wieder übernehmen die Jugendlichen selbst die Leitung der Diskussion und der Aktivitäten. Von den Mitgliedern gewählte Gremien übernehmen die Verantwortung für die gemeinsamen kulturellen Veranstaltungen. Die jugendlichen Gruppenleiter werden in311

Jugendaustausch

nerhalb ihrer Jugendbewegung geschult und erhalten für ihre Arbeit regelmäßig Handreichungen, wie Monatsprogramme, ausgearbeitete Gruppenstunden, Leitsätze, etc. Für die meisten Jugendbewegungen ist Koedukation selbstverständlich, d. h. es gibt sowohl gemischte Gruppen von Jungen und Mädchen als auch altersbedingt solche, wo diese jeweils unter sich sind. Die Altersgruppen umfassen jeweils zwei Jahrgänge: 10 (in Ausnahmen schon ab neun) bis 12Jahre, 12bis 14Jahre, 14bis 16Jahreund 16bis 18Jahre. Nach dem Militärdienst kehren die ehemaligen Mitglieder nicht zu ihren Jugendverbänden zurück. Nur als Jugendleiter sind über 18jährige noch in den Jugendorganisationen zu finden. Ein kleiner Teil — vor allem Mädchen — wird aufgrund eines Abkommens mit den Militärbehörden für ein Jahr von der Wehrpflicht befreit, um in dieser Zeit als Jugendleiter in ihrer Jugendorganisation eingesetzt zu werden. Andere arbeiten nach der Wehrdienstzeit als ehrenamtliche, oder als hauptamtliche Jugendleiter in den Jugend verbänden mit. Die Kibbuzbewegungen, deren Nachwuchs zum Teil aus den Jugendbewegungen kommt, stellen traditionell einen wichtigen Teil qualifizierter pädagogischer Jugendleiter (s. 4.5.1). 4.1.1

Rat der Jugendbewegungen in Israel (Israelischer Jugendrat) (Council ofYouth Movements in Israel) Anschrift: The Council of Youth Movements in Israel, 28 A Rashi Street, 63265 Tel Aviv Der Staat mißt dem israelischen Jugendrat und den in diesem zusammenwirkenden Jugendbewegungen große Bedeutung bei. Seit 1974 ist der Jugendrat, der vorher der Jewish Agency angegliedert war, als unabhängige Organisation von der Regierung gesetzlich anerkannt. Das Erziehungsministerium hat ein eigenes Referat zur Förderung der Jugendbewegungen, das 60 % des Haushalts des Jugendrats subventioniert. Sein Vertreter wird regelmäßig zu den Sitzungen des Jugendrats eingeladen. 10% des Jahresetats trägt die Jewish Agency, die ebenfalls mit einem Vertreter zu den Sitzungen geladen wird. Beide Vertreter sind beratende Beobachter ohne Stimmrecht. 20 % der Haushaltsmittel müssen von den Mitgliedsbewegungen aufgebracht werden. Die restlichen 10 % sind Zuwendungen aus anderen Quellen. Das höchste Gremium des Jugendrats ist die einmal im Jahr tagende Vollversammlung. In ihr haben der Verband der Arbeiter- und Schülerjugend drei, der Bund der Pfadfinder zwei, die übrigen neun Bewegungen je eine Stimme. Im Hauptausschuß, der einmal im Monat zusammentritt, sind die Sekretäre der elf Bewegungen gleichberechtigt vertreten. Er koordiniert die Arbeit der Referate, bzw. der Ausschüsse für die verschiedenen Sachgebiete. Neben dem hauptamtlichen Generalsekretär gibt es einen Schatzmeister, einen internationalen Referenten, einen Referenten für Erziehung, einen für die Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen und die Diaspora, einen für gemeinsame Projekte, einen für soziale Wohlfahrt und kommunale Behörden und einen für die Vorberei312

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

tung auf den Nahal. Diese leisten ihre Arbeit im und für den Jugendrat neben ihrer Tätigkeit in den entsendenden Organisationen. Die Büroarbeit wird von einer hauptamtlichen Bürokraft geleistet, bei besonderem Arbeitsanfall stellen die Mitgliedsbewegungen weitere Mitarbeiter für begrenzte Aktionen ab. Der Israelische Jugendrat hat zu allen westeuropäischen Jugendringen und zum US-Youth-Council Beziehungen und hat im Council of European National Committees, dem Europäischen Jugendrat, seit 1981 Beobachterstatus. Mit dem Deutschen Bundesjugendring steht er in sehr engem Kontakt und führt mit ihm und seinen Mitgliedsverbänden gemeinsame Seminare und eine ganze Anzahl von Austauschprogrammen durch. Im öffentlichen Rat für Jugendaustausch wirkt er sehr aktiv mit (s. 2.2). Seine parteipolitische Neutralität versteht der Jugendrat als Auftrag zum Schutz der Eigenständigkeit und der ideologischen Zielsetzung seiner Mitgliedsbewegungen, auch ihrer jeweiligen politischen Richtung. Im jugendpolitischen Bereich entwickelt er in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsbewegungen eigene Vorstellungen und steht im ständigen Dialog mit der israelischen Öffentlichkeit in allen Fragen, die die Jugend betreffen. Der Jugendrat bemüht sich, den Mitgliedsverbänden gemeinsame Dienste anzubieten. So gehört zum Büro eine komplette Vervielfältigungs- bzw. OffsetDruckeinrichtung zur Erstellung von Erziehungsmaterialien für alle angeschlossenen Jugendlichen. Die Maschinen können aber auch von den Verbänden für eigene Produktionen benutzt werden. Die elf dem Jugendrat angehörenden Jugendverbände haben zusammen über 260 000 Mitglieder zwischen 10 und 18 Jahren. Die Mitgliedsverbände spiegeln in ihrer jeweiligen politischen Richtung die breite Palette der politischen Parteien in Israel wider. Dabei lassen sich folgende Gruppierungen erkennen: Jugendbewegungen mit historisch-klassischer Tradition; vier Jugendverbände, die ideologische und politische Bindungen zu den Arbeiterparteien haben; Jugendbewegungen, die zu den religiösen Kibbuzbewegungen und in einem bestimmten Maße auch zu den religiösen Parteien tendieren; Jung-Makkabi, die Jugendorganisationen des Makkabi-Sportverbandes. Die Pfadfinderbewegung bezeichnet sich als unabhängig. Die jüdischen Pfadfinder sind auch stark von der Pionieridee der Kibbuzbewegung geprägt, dies gilt jedoch nicht für die ebenfalls zum Pfadfinderbund gehörenden sechs nichtjüdischen Verbände. Mit ihnen pflegt der Jugendrat über den Pfadfinderbund eine enge und gute Zusammenarbeit. Charakteristisch für die im Israelischen Jugendrat zusammengeschlossenen Jugendbewegungen ist, daß sie alle, mit Ausnahme der nichtjüdischen Pfadfinderverbände, ideologisch und politisch auf der Basis des Zionismus und des Pioniergeistes aufbauen. Nichtzionistische Bewegungen wie z. B. Agudat Israel, die orthodoxe Partei, sind nicht vertreten. Kriterien für die Aufnahme in den Israelischen Jugendrat sind: Die Gruppen in der Bewegung müssen von Jugendlichen geleitet werden. Der Verband muß wenigstens an 15 Orten aktive Gruppen und ein Programm zur Selbsterziehung 313

Jugendaustausch

haben. Ein wesentliches Ziel der Erziehung muß die Selbstverwirklichung, z. B. im Nahal oder im Kibbuz, sein. Die Ziele der sich um die Aufnahme bewerbenden Bewegung müssen im Einklang mit den Zielen des Israelischen Jugendrates stehen. 4.1.1.1

Verband der Arbeiter- und Schülerjugend (Hanoar Haoved Vehalomed) Anschrift: Hanoar Haoved Vehalomed, 91, Hahasmonaim Street, 67011 Tel Aviv Mit über 105 000 Mitgliedern ist der Verband der Arbeiter- und Schülerjugend der weitaus größte dem Jugendrat angeschlossene Verband. Er ist der Histadrut, dem Allgemeinen Verband der Arbeiter (Gewerkschaftsbund) angeschlossen. Gegründet wurde er 1924 als Gewerkschaft für junge Arbeiter; aber bereits 1931 wurde die Aufnahme von Schülern und die Umwandlung in eine Jugendbewegung beschlossen. Diese verschmolz 1959 mit der Jugendbewegung für Schüler „Vereinigte Jugend" und konstituierte sich unter dem jetzt gültigen Namen. Die Mitgliedschaft umfaßt heute ca. 40 000 berufstätige Jungen und Mädchen, 40 000 Schüler, 20 000 Jugendliche in Kibbuzim und Moshavim und 5 000 arabische Jugendliche. Er betreut ca. 80 % der organisierten berufstätigen Jugend in Israel. Der Verband ist in zwei Hauptabteilungen gegliedert: die Gewerkschaftsabteilung und die Abteilung Erziehung. Neben gewerkschaftlichen Zielen wie bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen, adäquate Löhne, bessere Urlaubsregelung, usw. verfolgt der Verband der Arbeiter- und Schülerjugend auch sehr stark die erzieherischen Ziele der Jugendbewegung, wobei besonderes Gewicht auf die ideelle Bedeutung der Arbeit und des Kibbuzlebens gelegt wird. Aus Pioniergeist und der Einsatzbereitschaft für eine neue, sozialistische Gesellschaft in Israel gründeten Gruppen der Arbeiter- und Schülerjugend eine ganze Reihe von Kibbuzim. Der Verband arbeitet überhaupt sehr eng mit den zentralen Organisationen der Kibbuzbewegung zusammen. Die meisten Jugendlichen kommen aus Kibbuzim. Der Generalsekretär muß satzungsgemäß Kibbuzmitglied sein. Publikationen: Bama'aleh — (Im Aufstieg) — Organ der Schulabteilung. 4.1.1.2 Bund der Pfadfinder (Hazofim) Anschrift: Hazofim, 49 Lochamei Galipoli Street, P. O. Box 9023,67068 Tel Aviv Dem 1919 gegründeten Bund der Pfadfinder gehören sieben Verbände mit insgesamt ca. 70 000 Mitgliedern an, d. h. 50 000jüdische Pfadfinderund 20 000 Mitglieder bei den sechs nichtjüdischen Verbänden: den katholischen, orthodoxen, protestantischen, drusischen und arabischen Pfadfindern sowie den Pfadfindern und Pfadfinderinnen an arabischen Schulen. Dem drusischen Pfadfinderverband gehören nur Jungen an, während die übrigen Verbände für Jungen und Mädchen offen sind. Allen sieben Verbänden gemeinsam ist das überall in 314

19 „Jugend undJugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB der Welt bekannte Pfadfinder-Leben (Wandern, Zeltlager usw.), das sie auch alle vier Jahre zu einem gemeinsamen nationalen Jamboree zusammenführt. Hinzu kommt die Teilnahme an internationalen Pfadfindertreffen und -aktivitäten. Bei den nichtjüdischen Verbänden spielen neben der allgemeinen außerschulischen Jugendbildung auch die von den erzieherischen Zielen ihrer religiösen Gemeinschaft geprägten Aktivitäten eine besondere Rolle. Bei den jüdischen sind dies der Pioniergeist und die Selbstverwirklichung in der Gemeinschaft beim Aufbau des Landes, z. B. im Kibbuz. Ein weiteres Ziel der Pfadfindererziehung ist, daß die Jugendlichen auf Aufgaben in der Leitung der Bewegung verpflichtet und vorbereitet werden. Der Bund der Pfadfinder ist parteipolitisch neutral und dem International Scout Movement angeschlossen. Publikationen: Heyeh Nachon (sei bereit) erscheint monatlich. 4.1.1.3 Söhne Akivas (Bnei Akiva) Anschrift: Bnei Akiva, 7 Dubnov Street, P. O.Box 40027,64732 Tel Aviv Diese nach dem berühmten Gesetzeslehrer Rabbi Akiva benannte Jugendbewegung wurde 1929 gegründet. Mit 30 000 Mitgliedern ist sie die größte religiöse Jugendbewegung in Israel. Sie fordert Pioniergeist zum Aufbau des Landes zusammen mit und als Folge einer strikten Befolgung religiöser Gesetzesvorschriften. Sie arbeitet eng mit der religiösen Kibbuzbewegung, der Nationalreligiösenpartei, der „Thora und Arbeit-Bewegung in der jüdischen Diaspora, sowie durch die internationale Bnei Akiva-Organisation mit Hapoel Hamizrahi (Religiöse Zionistische Arbeiterbewegung) zusammen. Mit der zur Hapoel Hamizrahi gehörenden Moshavbewegung erfolgt auch eine enge Zusammenarbeit. Bnei Akiva unterhält in zahlreichen Orten Israels religiöse Oberschulen und Fachschulen. Publikationen: Seraim (Saaten), erscheint monatlich, u. a. Publikationen für Jugendleiter. 4.1.1.4 Der junge Wächter (Hashomer Hazair) Anschrift: Hashomer Hazair, 7 Bezalel Jaffe Street, P. O.Box 14089, 65204 Tel Aviv Hashomer Hazair wurde 1916 in der Diaspora durch die Verschmelzung einer Jugendbewegung mit Pfadfindercharakter „Hashomer" mit einer stärker intellektuell ideologisch ausgerichteten namens „Zeirei Zion" gegründet und zählt heute 16 000 Mitglieder. Bei grundsätzlicher Unabhängigkeit identifiziert sich diese Jugendorganisation mit den Zielen der Kibbuzbewegung Ha'arzi-Hashomer Hazair, die von ihr 1927 gegründet worden ist, und arbeitet eng mit dieser zusammen. Die meisten Kibbuzmitglieder (s. 4.5.1.1.2) stammen aus den Gruppen des Hashomer Hazair, der zur Mapam-Partei gehört. Bemerkenswert ist, daß die beiden Erwachsenen315

Jugendaustausch Organisationen aus der Jugendbewegung herausgewachsen sind und nicht umgekehrt. Die Grundeinstellung des „Jungen Wächters" ist zionistisch-sozialistisch. Die zionistische Erfüllung wird durch Veränderung der Gesellschaft in einer eigenständigen israelischen Weise, nicht in Nachahmung ausländischer Modelle, zu erreichen versucht. Das Streben nach Frieden baut auf den guten Willen der Völker und auf Koexistenz durch volle Gleichberechtigung und gegenseitige Anerkennung zwischen J u d e n und Arabern. Zur arabischen Pionierjugend bestehen enge Beziehungen. In Givat Haviva unterhält Hashomer Hazair gemeinsam mit der Kibbuzbewegung Haarzi ein Bildungszentrum mit Dokumentationszentrale, in dem Seminare f ü r alle Mitglieder und besondere Veranstaltungen zur Fortbildung der Jugendleiter der Bewegung durchgeführt werden. Dort werden auch Programme und Handreichungen für die Jugendleiter entwickelt und herausgegeben. Alle fünfJahre versammeln sich die Mitglieder des Hashomer Hazair zu einer Shomria, einem nationalen Kongreß mit Festivalcharakter, jedesmal an einem anderen Ort in Israel. In fast allen Ländern der Welt, in denen jüdische Gemeinden existieren, gibt es auch Filialen des Hashomer Hazair-Weltverbandes, mit dem der israelische Hashomer Hazair eng zusammenarbeitet. Sein Zentrum ist in Israel. Allen, auch den Gruppen des Hashomer Hazair in der Diaspora, ist das Ziel gemeinsam, ihre Mitglieder zur Selbstverwirklichung im Kibbuz zu führen. 4.1.1.5

Verband der religiösen Arbeiterjugend (Hanoar Hadati Haoved Vehalomed) Anschrift: Hanoar Hadati Haoved Vehalomed, 108 Ahad Ha'am Street, P. O. Box 1354 Der Verband der religiösen Arbeiterjugend, 1951 gegründet, ist der Religiösen Zionistischen Arbeiterbewegung (Hapoel Hamizrahi) angeschlossen und zählt 15 000 Mitglieder. Er setzt als Schwerpunkte starke Betonung des religiösen Verständnisses des Judentums, des Staates Israel und eines Lebens der Arbeit, das auf den Grundsätzen der Thora aufbaut. Die Mehrzahl seiner Mitglieder sind junge Arbeitnehmer, für die er auch eine Art Gewerkschaft bildet. Zur Berufsausbildung trägt der Verband durch eigene Abendkurse und eigene Berufsschulen und ein eigenes Studienzentrum für die Berufsausbildung und Thorastudium bei. Die hauptsächlichen Wirkungsorte sind soziale Brennpunkte am Rand der Großstädte und Entwicklungsgemeinden, d. h. vor allem die Wohngebiete der Einwanderer aus orientalischen Ländern. Dort bietet er allen Jugendlichen, nicht nur den Mitgliedern, durch eigene Clubs zusätzliche Freizeitangebote (H. O. T.). Er unterstützt die Nahal und ermuntert seine Mitglieder, der Nahal beizutreten. Außerdem unterhält er eigene Erholungszentren, die den Mitgliedern zur Verfügung stehen. Publikationen: Masad (Fundament). 316

19 „Jugend und Jugendarbeit in IsraeV: Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

4.1.1.6 Nationale Arbeiterjugend (Hanoar Haoved Haleumi) Anschrift: Hanoar Haoved Haleumi, 23 Sprinzak Street, P. O. Box 7060, 64738 Tel Aviv Die Nationale Arbeiterjugend, 1949 gegründet, ist der Jugendverband des Nationalen Gewerkschaftsbundes und hat 10 000 Mitglieder. Wie bei d e r Arbeiter- u n d Schülerjugend gehen gewerkschaftlicher Einsatz f ü r die Mitglieder und erzieherische Funktion der Jugendbewegung Hand in Hand. Die Nationale Arbeiterjugend verteidigt das Prinzip der territorialen Unteilbarkeit des ganzen Landes Israel. Sie lehrt nationale Werte u n d bezieht sich in ihrer Arbeit auf die Geschichte des jüdischen Volkes, besonders auf die Ereignisse, die zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit im eigenen Land führten. Parteipolitisch steht die Bewegung der La'amgruppe im Likud nahe. Soziale Gerechtigkeit verlangt die Erhaltung des Prinzips der Wohlfahrtsgesellschaft innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Ziel der Organisation ist es in diesem Zusammenhang, eine junge Generation zu fördern, die stolz ist auf ihr nationales Erbe, und die eine Gleichheit und Gerechtigkeit ohne Diskriminierung von Nationalität, Religion und Rasse anstrebt. Die Bewegung ist besonders in Entwicklungsgemeinden u n d sozialen Brennpunkten aktiv. Publikationen: Yad'ad (Ziel) — Jugendmagazin.

4.1.1.7 Jung-Makkabi (Makkabi Hazair) Anschrift: Makkabi Hazair, Kfar Hamaccabia, P. O. Box 16345, 52105 Ramat Gan Die Bewegung „Jung-Makkabi" wurde 1929 gegründet und hat heute 7 000 Mitglieder. Sie ist die erzieherische Jugendabteilung der Makkabi Sport Organisation in Israel, die Teil der Makkabi Weltvereinigung ist - u n d der Liberalen Partei nahe steht. Jung-Makkabi verbindet allgemeine erzieherische Leitlinien der Jugendbewegungen in Israel mit sportlichen Ideen u n d Zielen unter dem Motto „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper". Ergänzt werden die Grundsätze der Arbeit mit Elementen der Pfadfinderbewegung nach Baden-Powell. Dabei wird größeres Gewicht auf die Entfaltung der Persönlichkeit als auf die Erziehung zum Kollektiv gelegt, d. h. auf die persönliche Verwirklichung in sämdichen Lebensbereichen nach den Erfordernissen der Stunde. Diese werden bei d e n alle zwei J a h r e stattfindenden nationalen Kongressen neu definiert. Schwerpunkte können z. B. die Entsendung von Mitgliedern in den Kibbuz, aber auch die J u gendarbeit in Entwicklungsstädten sein. Bei den nationalen Kongressen wird auch die Landesleitung von den Mitgliedern demokratisch gewählt. Publikationen: Modi'in (Information) — Monatszeitschrift.

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Jugendaustausch 4.1.1.8 Freiheit — Einwandererlager (Dror — Hamachanot Haolim) Anschrift: Dror — Hamachanot Haolim, 27 Soutine Street, P. O. Box 16040, Tel Aviv 1952 als Zusammenschluß eines Teils von Hamachanot Haolim gegründet, versteht sich die Organisation als sozialistische Pionierjugendbewegung und ist mit der Vereinigten Kibbuzbewegung verbunden. Sie ist Teil der internationalen jüdischen Dror-(Freiheits-)Bewegung und hat 4 500 Mitglieder. Zu den Grundsätzen der Arbeit von Dror gehören u. a. die Betonung des Pfadfindertums, des Sozialistischen Zionismus und die Vorbereitung auf das Kibbuzleben. Publikationen: Bamivhan (In der Bewährung). 4.1.1.9 Betar Anschrift: Betar, 38 King George Street, P. O. Box 23038, 63298 Tel Aviv 1923 gegründet und nach dem Helden der jüdischen Selbstverteidigung in der Mandatszeit, Josef Trumpeldor, benannt, gehört Betar zur Freiheitspartei (Cherut) und ist auf nationaler Ebene Teil der internationalen Betarbewegung. Diese nationale Jugendorganisation zählt 4 200 Mitglieder und hat 45 aktive Ortsverbände. Sie strebt die vollständige Rückkehr der Juden in das Land Israel in seinen historischen Grenzen an, bejaht dabei aber realpolitische Erfordernisse. So zeigt sie Bereitschaft, zugunsten der realen Grenzen Israels von heute auf die biblischen Gebiete östlich des Jordans zu verzichten. Sie verlangt menschliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Die erzieherischen Grundsätze von Betar sind die Einheit des Volkes, seine nationale Einzigartigkeit, die Kontinuität seiner geschichtlichen Kultur und die Disziplin, wie sie Zeev Jabotinsky verstand, sowie die Fähigkeit, als freie Menschen gemeinsam zu handeln. Im Gegensatz zur Kollektiverziehung betont Betar die Individualerziehung. 4.1.1.10 Esra Anschrift: Ezra-Organization of Orthodox Jewish Youth, 114 Allenby Street, P. O. Box 1204,65817 Tel Aviv Esra, 1919 in Deutschland gegründet und nach dem biblischen Schriftgelehrten benannt, ist der Jugendverband der orthodoxen jüdischen Arbeiterbewegung (Poalei Agudat Israel) und hat 3 500 Mitglieder. Zu den Hauptaufgaben von Esra gehören die Erziehung zur strikten Befolgung der jüdischen Religion und die Förderung des Pioniergeistes sowie die Gründung landwirtschaftlicher Ansiedlungen. Im Gegensatz zu den anderen jüdischen Jugendverbänden kennt Esra keine Koedukation, er führt nur gemeinsame Aktionen mit Jungen und Mädchen bei der Vorbereitung von Gruppen zur Besiedlung durch. Die höhere Schulbildung erhalten alle männliche Mitglieder in religiösen Schulen, in sogenannten Yeshivot. Die weiblichen Mitglieder leisten ein J a h r Arbeitsdienst in religiösen landwirtschaftlichen Siedlungen anstelle des Wehrdienstes, von dem die religiös praktizierenden Mädchen in Israel auf Antrag befreit sind. 318

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

Publikationen: Alonim (Hefte) — alle 6 Wochen, monatlich ein Heft für den Jugendleiter. 4.1.1.11 Zionistische Jugend (Hanoar Hazioni) Anschrift: Hanoar Hazioni, 48 King George Street, P. O. Box 23019, 64337 Tel Aviv Die Zionistische Jugend wurde 1932 gegründet. Sie ist Teil der Internationalen Zionistischen Jugend, hat Verbindungen zur Moshavbewegung Haoved Hazioni (s. 4.5.1.1.5), zur Zionistischen Arbeiterschaft und zur unabhängigen Liberalen Partei und zählt 2 000 Mitglieder. Die Zionistische Jugend versteht ihr Programm als fortschrittlich, jedoch nicht sozialistisch und mißt große Bedeutung der Vermittlung derjüdischen nationalen Werte und der Erziehung zur Bereitschaft zum Kibbuz- und Moshavleben bei. Publikationen: Batnua (In der Bewegung) - monatlich in Englisch, Französisch und Spanisch, Hefte für Gruppenleiter. 4.1.2 Jugendverbände und Jugendbewegungen, die dem Rat der Jugendbewegungen in Israel nicht angeschlossen sind 4.1.2.1 Noar le Noar — Jugend für Jugend Anschrift: Noar le Noar, Bnai Brith House, 10 Kaplan Street, Tel Aviv Noar le Noar in Israel ist ein Zweig der ca. 50 000 Mitglieder zählenden internationalen Dachorganisation Bnai-Brith-Youth-Organisation (BBYO), der Jugendorganisation von Bnai Brith, einer Artjüdischer Loge, die bisher neben Israel in Südamerika, in den USA, Kanada, England, Neuseeland und Australien vertreten ist. Die Gründung in Israel wurde 1953 durch eine Naturkatastrophe ausgelöst, durch die die primitiven Auffanglager der Einwanderer zerstört und ihre miserablen Lebensbedingungen offenbar wurden. Damals meldeten sich viele Jugendliche zu spontaner Hilfe. Allmählich nahmen die Hilfsaktionen institutionelle Formen unter dem Namen Noar le Noar, Jugend hilft Jugend, an. In den Städten wird Noar le Noar von den kommunalen Jugendämtern betreut und zu den meist nach kommunalen Bedürfnissen ausgesuchten Einsätzen aufgefordert. In Israel gehören ca. 3 000 Jugendliche, meist Real- und Gymnasialschüler, bis zu ihrem Eintritt in die Armee mit 18 Jahren der Organisation an. Alle verpflichten sich, mindestens einmal wöchentlich ihren sozialen Einsatz zu leisten und sich in ihrer Ortsgruppe zur Mitgliederversammlung und zu kulturellen Veranstaltungen einzufinden. Es wird von ihnen erwartet, daß sie sich parteipolitisch nicht engagieren. Finanziert wird die Organisation hauptsächlich von BBYO. Der freiwillige soziale Dienst der Jungen und Mädchen erfolgt — unentgeltlich, nach dem Unterricht — hauptsächlich in Krankenhäusern, Heimen für körperlich, geistig und sozial behinderte Kinder, für verwundete Soldaten, für Blin319

Jugendaustausch

de, in Altersheimen, in Jugendclubs usw., immer unter der Aufsicht des dort verantwortlichen Fachpersonals und in Zusammenarbeit mit diesem. Sie beaufsichtigen Schulaufgaben und geben Nachhilfeunterricht für bedürftige Schüler in den „Häusern des Schülers", in Wizzo Clubs usw. Sie kümmern sich um Einwandererfamilien, veranstalten Kleider-, Bücher- und Geschenksammlungen für Einwanderer, Soldaten usw. Während des Yom-Kippur-Krieges übernahmen Noar le Noar-Gruppen in Jerusalem und Tel Aviv spontan zeitweise öffentliche Dienstleistungen, die durch die schnelle Mobilmachung in ihrer Durchführung gefährdet waren: Milch- und Postzustellung, Brotversorgung, Straßenreinigung usw. 1976 wurden alle Gruppen von Noar le Noar aufgerufen, in einer nationalen Kampagne überall in Israel zusammen mit Kindern und Jugendlichen von Neueinwanderern Bäume zu pflanzen. Dies sollte sowohl der Aufforstung Israels als auch der Integration der Einwandererfamilien durch gemeinsames Tun dienen. Ein weiteres Thema für alle Gruppen in Israel ist die Beschäftigung mit der Minderheit der Drusen unter dem Motto „Lernt die Drusen besser kennen!". Noar le Noar-Mitglieder halten überall Vorträge und Diskussionen für ihre Mitschüler zu diesem Thema. Im Mittelpunkt der Bemühungen von Noar le Noar steht die Erziehung der 14- bis 18jährigen Schüler zu mehr Mitverantwortung für das soziale Wohlbefinden ihrer Mitmenschen in Israel durch den freiwilligen sozialen Einsatz. 4.1.2.2 Jugendbewegung für progressives Judentum in Israel Anschrift: Youth Movement for Progressive Judaism in Israel, King David Street 13, 94101 Jerusalem, Tel. (02) 23 24 44 auch: c/o Leo Baeck School, 20 Edmond Fleg Street, P. O. Box 6283, Haifa Die Jugendbewegung für progressives Judentum in Israel wurde offiziell 1977 auf Landesebene gegründet. Seit 1970 gibt es aber bereits Jugendgruppen, an das Leo-Baeck-Bildungszentrum in Haifa angeschlossen und als Teil der verschiedenen Gemeinden für progressives Judentum in Israel. Heute gibt es auch Jugendgruppen, die unabhängig von Gemeinden für progressives Judentum selbständig arbeiten. 1980 wurden im Leo-Baeck-Erziehungszentrum die ersten Pfadfindergruppen als Kern einer Pfadfinderbewegung des progressiven Judentums gegründet. Sie sind den Pfadfindern (Hazofim) angeschlossen. Im Dezember 1976 gründete diese Jugendbewegung im Negev, nicht weit von Eilath, ihren ersten Kibbuz, den Kibbuz Yahel. Die Zielsetzungen der Bewegung sind von denen der Weltvereinigung für progressives Judentum geprägt, die wiederum auf geistige Strömungen im deutschen Judentum vor der NS-Zeit aufbauen, wie sie z. B. im Philantropin, einer jüdischen Bildungsstätte in Frankfurt, maßgebend waren. Man bemüht sich um eine Synthese europäischen geistigen Lebens mit der Liebe zur jüdischen Vergangenheit und den moralischen Wertvorstellungen des Judentums. Die Kontakte über die Jugendbewegung hinaus sollen durch Dialog, gemeinsames Lernen, Leben und Erleben zu Toleranz, Verständnis für andere Völker und Religi320

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des ¡JAB onen führen. Sie haben bereits zur wirklichen Verständigung und vielen Freundschaften über Landes-, Volks- und Religionsgrenzen hinaus geführt. In Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut bemüht man sich vor allem um Verständnis des arabischen Nachbarn durch Studium der islamischen Kultur und der arabischen Sprache. Die Worte Leo Baecks (1873—1956) über das Bündnis zwischen den Generationen gelten auch f ü r diese Jugendbewegung: „Das Leben bringt historische Umwälzungen. Der alte Kurs gilt nicht mehr... Die neuen Probleme können — soweit man Probleme überhaupt lösen kann — nur gelöst werden durch ein festes Bündnis zwischen der alten und der jungen Generation. Die eine muß der anderen beistehen, die ältere soll der jüngeren helfen und die jüngere kann der älteren helfen ..., um so den Weg zu bauen f ü r die Erfordernisse von heute." Die Jugendbewegung f ü h r t Jugendaustausch-Programme mit den USA, mit England und der Bundesrepublik Deutschland durch. So wird z. B. im Rahmen des „Eisendrath International Exchange Programm" jedes Jahre eine Gruppe amerikanischer und israelischer Schüler (17jährige) f ü r 6 Monate ausgetauscht. Sie wohnen in Familien und besuchen die reguläre Schule. Im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustausches laufen Programme u. a. mit dem Evangelischen Jugendwerk Mannheim (seit 1968), dem Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf und der Chrisdichen Erwachsenenbildung in Merzig/Saar. 4.1.2.3 Experiment in International Living in Israel Anschrift: T h e Experiment in Israel, 98 Arlozoroff Street, Tel Aviv Das „Experiment in Israel" ist eine Sektion des „Experiment in International Living", das im Jahre 1932 in den USA gegründet wurde. Es versteht sich als überparteiliche Organisation, die sich f ü r die Abschaffung der Klassenunterschiede einsetzt, die weder rassische noch religiöse Unterschiede duldet, die tolerant und liberal denkt und handelt. Seine Mitarbeiter entfalten ihre Tätigkeit auf freiwilliger Basis. Das Hauptziel der Organisation ist es, einen Beitrag zum besseren Zusammenleben der Völker zu leisten. Daher fördert sie den Jugendaustausch in Gruppen und individuell. Als eine Organisation, die erzieherisch tätig ist, ist das Experiment korrespondierendes Mitglied der UNESCO. Um die Ziele in die Praxis umzusetzen, bemüht sich das Experiment, Gäste aus dem Partnerland bei Familien in Israel oder im gastgebenden Ausland unterzubringen. Sie sollen so das alltägliche Leben und Schaffen des Gastgebers miterleben. „Experiment in Israel" ist überzeugt, daß dies der kürzeste und richtigste Weg ist, enge Kontakte mit anderen Sitten, Meinungen, Traditionen, usw. aufrechtzuerhalten. Das Experiment in Israel ist seit 20 Jahren aktiv und ist Mitglied des öffentlichen Rates f ü r den Jugendaustausch. Der Jugendaustausch mit der Bundesrepublik Deutschland ist sehr rege. Deutsche Jugendorganisationen, kommunale Jugendbehörden, religiöse Organisationen besuchen Israel und sind Gastgeber f ü r israelische Gruppen in Deutschland. 321

Jugendaustausch In Städten, Dörfern und Kibbuzim hat „Experiment" ehrenamtliche Mitarbeiter. (...)

4.3 Die Jugendorganisationen

der politischen

Parteien

Auch in Israel bemühen sich die politischen Parteien, die junge Generation durch Jugendorganisationen, die ihnen nahestehen und von ihnen gefördert werden, an ihre Arbeit heranzuziehen. In ihnen finden ihre jüngeren Mitglieder oder Sympathisanten eine eigene Plattform der Mitarbeit f ü r die politischen Aussagen und ihre Willensbildung. Die Wechselbeziehung zwischen Jugend und politischen Parteien ist in Israel durch vielfältige Kontakte und Einfluß von beiden Seiten charakterisiert. Wie schon bei der Darstellung der Jugendbewegungen (siehe 4.1) erwähnt, sind diese zum großen Teil politisch engagiert. Viele der heute aktiven Parteipolitiker stammen aus den Reihen der Jugendbewegungen. Jugendbewegungen waren zum Teil sogar bei der Entstehung einiger politischer Parteien beteiligt. So ist Hashomer Hazair (siehe 4.1.1.4) stolz darauf, daß die MAPAM-Partei (siehe unten 4.3.5) von ihr gegründet worden ist, nicht umgekehrt. Parteipolitisches Engagement kann man auch in den Strukturen des Sports in Israel und der Kibbuz- und Moshavbewegung (siehe 4.5) feststellen. Wie in jeder demokratischen Gesellschaft macht sich auch in Israel der Generationskonflikt bisweilen in kritischen Stellungnahmen der Nachwuchsorganisationen zur Politik und Leitung der Mutterparteien bemerkbar. Die parteipolitische Landschaft Israels kann hier nur kurz vorgestellt werden („Tatsachen über Israel" informiert ausführlicher über die einzelnen Parteien und über ihre Zielsetzungen). In den Parteien in Israel und damit auch in ihren Jugendorganisationen finden die verschiedenen ideologischen, politischen und religiösen Strömungen, die zum großen Teil aus der Zeit vor der Staatsgründung, teilweise sogar aus der jüdischen Diaspora stammen, ihren Ausdruck. Sie lassen sich in drei Hauptströmungen zusammenfassen, die aber fließende Grenzen und Interdependenz haben: 1) Sozialistische und sozialdemokratische Tendenzen sind sowohl im Ma'arach, dem Bündnis der Partei der Arbeit (Mifleget Ha Avoda) mit der MAPAM (Vereinigten Arbeiterpartei) als auch in der zum Likud gehörenden Gruppierung La'am und dem seit 1956 zur Nationalreligiösen Partei gehörenden Hapoel Hamisrachi (Religiöse Arbeiterpartei) vertreten. Links vom Ma'arach stehen die Kommunisten, die vor allem von israelischen Arabern als Ausdruck ihrer Opposition zum Staat gewählt werden. 2) Nationale und liberale Tendenzen sind vor allem im Likud (Union), der selbst eine Koalition von drei Parteien und weiteren Splittergruppen ist, vertreten. Die Führung hat die „Cherut-"(Freiheits-)Partei, die 1948 von Menachem Begin gegründet wurde und von ihm seither geleitet und geprägt wird. Dazu gehö322

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB ren die Liberale Partei und La'am (für das Volk). Rechts vom Likud steht die aus der Cherutpartei wegen des Camp-David-Abkommens abgesplitterte Tehija (Auferstehung). Auch in der Nationalreligiösen Partei und in einigen Splittergruppen finden sich nationale und liberale Tendenzen wieder. 3) Religiöse Tendenzen prägen vor allem die Nationalreligiöse Partei MAFDAL, die orthodoxe, nicht-zionistische Agudat Israel und die 1981 von MAFDAL abgesplitterte TAMI, die vor allem unter den aus orientalischen Ländern stammenden sog. sphardischen Juden aktiv ist. Bei den Wahlen zur Knesset am 30. Juni 1981 erhielten: Likud 48, Ma'arach 47, MAFDAL 6, Agudat Israel 4, Rakah (Kommunisten) 4, Tehija 3, Tami 3, Telem (Gründung von Moshe Dajan) 2, Shinui (für politische Veränderung) 2 Sitze und die Bürgerrechtsliste einen Sitz. Die insgesamt 120 Sitze werden in Listenwahlen nach dem Verhältniswahlrecht vergeben ohne Mindestprozentklausel, daher die verhältnismäßig große Zersplitterung. Im folgenden werden die wichtigsten Jugendorganisationen der Parteien aufgeführt, vor allem die, die sich am deutsch-israelischen Jugendaustausch beteiligen. 4.3.1 Junge Garde der Arbeiterpartei Anschrift: Mishmeret Ha Zeira Schel Mifleget Ha Avoda, 110 Rechov Hajarkon, 63571 Tel Aviv Die junge Garde ist die Organisation der jüngeren Generation der Partei der Arbeit, die man in etwa als sozialdemokratisch charakterisieren kann. Unter den Jugendbewegungen steht ihr vor allem die Arbeiter- und Schülerjugend nahe (Hanoar Haoved Vehalomed, siehe 4.1.1.1), die größte Jugendbewegung in Israel, sowie die „Freiheit Einwandererlager" (Dror Hamachanot, siehe 4.1.1.8). Im deutsch-israelischen Jugendaustausch hat sie Beziehungen zu den Jungsozialisten in der SPD. 4.3.2 Junge Generation in der Nationalreligiösen Partei Anschrift: Ha Dror Hazair b'Mafdal, — MRP Young Generation —, 166 Rechov Ibn Givrol, P. O. Box 22233, Tel Aviv Die junge Generation der Nationalreligiösen Partei unterstützt ihre Partei bei deren Bemühen, die Gesetzgebung und das öffentliche Leben des Staates Israel nach den Grundsätzen der Halacha, der traditionellen religiösen Gesetzgebung zu gestalten. Von den Jugendbewegungen steht ihr vor allem die der Söhne Akivas (Bnei Akiva, siehe 4.1.1.3.) nahe. Im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustausches arbeitet sie mit christlichen Jugend- und Bildungsorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland zusammen. 4.3.3 Junge Generation in der Liberalen Partei des Likud Anschrift: Ha Miflaga Haliberalit b'Israel, The Liberal Party of Israel, — Young Generation - , Rechov Ibn Givrol 68, P. O. Box 16273, Tel Aviv 323

Jugendaustausch Die Jugend in der Liberalen Partei, die innerhalb des Likud-Blocks einerseits die Politik der Regierung Begin mitträgt, andererseits sich bemüht, vor allem im wirtschaftlichen Bereich liberale Grundsätze durchzusetzen, ist organisatorisch loser strukturiert als die beiden vorher erwähnten Organisationen. Von den Jugendbewegungen steht ihr Makkabi Hazair (siehe 4.1.1.7) nahe. Im deutsch-israelischen Jugendaustausch führt sie Begegnungsprogramme mit der J u n g e n Union durch. 4.3.4 Jugend der La'am Partei Anschrift: La'am Young Generation, 123 Rechov Yehuda Halevi, 65275 Tel Aviv La'am, zu deutsch „für das Volk", ist eine politische Gruppierung innerhalb des Likud-Blocks, der zur Zeit zusammen mit den religiösen Parteien die Regierungskoalition bildet. Sie ist bestrebt, eine arbeiterfreundliche Politik zu betreiben u n d diese auf der Basis von nationalen Elementen zu verwirklichen. Ihre junge Generation beteiligte sich mehrfach am deutsch-israelischen Jugendaustausch. 4.3.5 Die junge Generation in der Mapam Anschrift: Ha Dor Hazair b'Mapam — Mapam Young Generation — 7 Bezalel J a f f e Street, Tel Aviv Sie ist die Jugendorganisation der Mapam im Block der zur Zeit in Opposition stehenden Arbeiterparteien und vertritt, wie die Mutterpartei, eine stärker sozialistisch ausgerichtete Politik. Von den Jugendbewegungen steht ihr vor allem „Der j u n g e Wächter" (Hashomer Hazair, siehe 4.1.1.4) nahe. Im deutsch-israelischen Jugendaustausch bestehen Kontakte zu den Jungsozialisten in der SPD.

4.4 Jugendherbergen, Jugendbildungsstätten politische Jugendbildung

und Einrichtungen für die

Extracurriculare schulische Jugendbildung und außerschulische Jugendarbeit bedienen sich in Israel gerne der Bildungsstätten, um dort in einer vom alltäglichen Rahmen der Schule, des Jugendheims oder des Wohnviertels abgesetzten Umgebung nicht nur ergänzende Bildung in konzentrierter Form, sondern auch das Erlebnis und die Vertiefung des Gemeinschaftslebens zu ermöglichen. Ob es sich um Seminare der politischen Bildung, Jugendleiterschulung, musische Workshops, landeskundliche und geschichtliche Exkursionen oder auch Verbandstage u. ä. handelt, der Aufenthalt in Bildungsstätten bietet den jungen Teilnehmern über die angesprochene Thematik hinaus eine Reihe von wertvollen Erfahrungen. Das zeitweilige Ausbrechen aus der Familie, die auch in Israel oft von hierarchischen Strukturen geprägt ist, kann Spannungen und Konflikte mit ihr abbauen oder vermeiden helfen, es kann aber auch eine Vorbereitung auf die in Israel für die 18jährigen unausweichliche mehrjährige, manchmal auch endgültige Trennung von Zuhause sein. Das gemeinsame Leben mit Freunden 324

/ 9 „Jugend, und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

gleichen Alters fördert die Spontaneität, Kreativität und Sozialisation in einem informellen erzieherischen Rahmen. In Israel gibt es keinen Dachverband der Jugendbildungsstätten, im folgenden sind daher Einrichtungen aufgeführt, die bei deutsch-israelischen Begegnungsprogrammen in Israel bereits eine wichtige Rolle gespielt haben und auch in Zukunft dabei sinnvoll eingeplant werden können. Bei den meisten ist gemeinsame Unterbringung und Verpflegung möglich, d. h. Referenten müssen für die einzelnen Veranstaltungen von auswärts verpflichtet werden, einige bieten nur Informationen, Dokumentation und Experten zu bestimmten Themen, andere bieten beides. Nach den Jugendherbergen und Feldschulen folgen zunächst zwei Jugendbildungsstätten, die sowohl in der Aus- und Fortbildung von Jugendleitern, in der politischen und verbandlichen Bildung der israelischen Jugendbewegung, als auch als Programmpartner im deutsch-israelischen Jugendaustausch eine große Bedeutung haben. 4.4.5 und 4.4.6 sind Bildungsstätten zur Fremdbelegung ohne eigene Referenten; von 4.4.7 (Unterkunft nur in den Schulferien möglich) bis 4.4.10 sind Bildungsstätten aufgeführt, die sich u. a. auch um geistigen Brückenschlag zwischen Juden, Christen und Moslems und zwischen Israelis und Deutschen bemühen, die anschließenden 4.4.11 bis 4.4.14 konzentrieren sich auf die Auseinandersetzungen mit der traumatischen Epoche der NS-Zeit und Judenvernichtung, 4.4.15 auf das jüdische Leben in der Diaspora (4.4.12 bis 4.4.15 bieten keine Unterkunft und Verpflegung) und 4.4.16 weist auf zwei Bildungsstätten hin, die vor allem im Bereich der sportlichen Jugendbegegnungen aktiv sind. 4.4.1 Israelischer Jugendherbergsverband (Agudat Aksaniat Noar B'Israel) Anschrift: Israel Youth Hostels Association, 3 Dorot Rishonim, P. O.Box 1075, Jerusalem 1954 mit der Errichtung der ersten drei Jugendherbergen als Mitglied in den internationalen Jugendherbergsverband (IYHF) aufgenommen, hat der israelische Jugendherbergsverband heute ein Netz von 32 Jugendherbergen aufgebaut. Er arbeitet eng mit dem Deutschen Jugendherbergswerk in 4930 Detmold, Bülowstraße 26, Postfach 220, Tel. (05231) 3 10 91 zusammen. Von dort sind auch ausführliche Auskünfte über die Angebote des israelischen Jugendherbergswerkes zu erhalten bzw. direkte Vermittlung von Arrangements für Gruppen wie Einzelreisende möglich. Die Jugendherbergen in Israel sind keine Hotels, sondern entsprechen soliden Jugendherbergen in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei gibt es wie überall qualitative Unterschiede. Der Israelische Jugendherbergsverband hilft sowohl Gruppen als auch Einzelwanderern, ihre Israelreise „auf Jugendherbergsweise" zu gestalten. Für Einzelreisende gibt es ein attraktives Pauschalangebot: Übernachtung in Jugendherberge mit Frühstück und Abendessen, Netzkarte für unbeschränkte Reisen durch das Land mit Linienbussen (Egged), Halbtagstour mit Reiseführer, Ein325

Jugendaustausch trittskarte für 29 Nationalparks. Für Museen und Denkmäler verbilligten Eintritt. (...)

4.4.2 Feldschulen der Naturschutz-Gesellschaft Anschrift: Ha Chevra Le Haganat Ha Tewa, 4 Haschpala Street, 66183 Tel Aviv Im Rahmen der Programme des Schelach (Dienst zur gesellschaftlichen Erziehung), der unter Aufsicht der Jugendabteilung im Erziehungsministerium durchgeführt wird, kommen israelische Oberschüler regelmäßig zu einem viertägigen Seminar in eine der 18 Feldschulen in Israel. Die Feldschule ist keine Landwirtschaftsschule, oder irgendeine Art von Schule, die sich mit theoretischem Unterricht im Klassenraum, mit Lesen und Schreiben über ein Thema begnügt. In der Feldschule lernt man den Gegenstand des Unterrichts durch unmittelbaren Kontakt im „Felde" kennen. Die Feldschule ist eine Bildungsstätte, die in ihrer Art einzig ist und die ihre Arbeit auf ein klar begrenztes Gebiet, einen bestimmten Teil des Landes konzentriert. „Feld" bedeutet in diesem Zusammenhang alles, was im jeweiligen Bezirk zu sehen ist: Tiere und Pflanzen, die Menschen, die dort leben, und ihre Ansiedlungen, Relikte der Vergangenheit, die noch zu erkennen sind, die Besonderheiten der Natur, in der man sich befindet, Berge, Bäche, Wälder, Küsten usw. In der Feldschule lernt man all diese Dinge kennen und „begreifen", indem man aufs „Feld" hinausgeht, es durchwandert, es aus der Nähe betrachtet und sich in die verschiedenen Naturerscheinungen vertieft. Jede Feldschule arbeitet in einem abgegrenzten geographischen Bezirk und spezialisiert sich auf das Studium aller dort vorkommenden Themen. In jeder Feldschule gibt es Unterrichtsräume, Ausstellungen von Funden und Tieren, die für diese Bezirke charakteristisch sind, eine Bibliothek und Gebäude für die Unterbringung und Verpflegung der Schüler. Zum Kollegium der pädagogischen Mitarbeiter gehören solche mit höherer akademischer Ausbildung aber auch Soldatinnen, die ihren Wehrdienst im pädagogischen Einsatz leisten und eine Ausbildung für Lehr- und Forschungsaufgaben erhalten haben. Obwohl die pädagogischen Mitarbeiter über umfangreiche fachliche Kenntnisse verfügen und Unterrichtserfahrung besitzen, sind sie doch keine Lehrer im herkömmlichen Sinn. Sie führen Exkursionen und erklären dabei die Phänomene der Natur, die Landschaft und die Menschen, die man unterwegs unvermittelt in einer kameradschaftlichen Weise trifft. Die Wehrdienst leistenden Jugendleiterinnen stehen den Schülern schon vom Alter viel näher und können sich daher auch mit den Schülern besser verständigen. Außer den Lehrwanderungen kann es im Programm der Feldschulen auch Aufgaben zur selbständigen Durchführung oder zur Arbeit in der Gruppe geben wie bei der Untersuchung von besonderen Erscheinungsformen der Natur, bei der Ausgrabung einer archäologischen Stätte, bei der Beobachtung von Vögeln, oder beim Spurenlesen usw. An den Abenden wird der abgelaufene Tag ausge326

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB wertet und werden die nächsten Vorhaben vorbereitet. Zur weiteren Vertiefung eines Themas werden auch Filme u n d Dias eingesetzt. Bevor eine Schulklasse in die Feldschule fährt, gibt es ein T r e f f e n mit einem der Jugendleiter in der Schule, aus d e r die Klasse kommt. Dabei werden die Schüler über die besonderen Bedingungen der ausgewählten Feldschule informiert sowie über das Gebiet, in das man fährt, und die Themen, auf die man sich vorbereiten soll. Es gibt auch einfache Regeln, die auf jede Feldschule zutreffen. Kleidung, Schuhe und die persönliche Ausrüstung d ü r f e n weder beim Wandern unbequem werden noch hinderlich beim Klettern und angestrengter körperlicher Tätigkeit. Bei der Gestaltung von deutsch-israelischen Jugendaustauschprogrammen ist es sehr empfehlenswert, im Programm der deutschen Gruppen in Israel einen mehrtägigen Aufenthalt in einer Feldschule vorzusehen. Am besten sollte er zusammen mit der gastgebenden israelischen Gruppe stattfinden. Wohl nirgends erlebt man Natur und Geschichte Israels so eng beieinander wie beim Aufenthalt in einer Feldschule, z. B. in Ein Gedi wo u. a. gleichzeitig Massada, d e r biblische Bericht von Saul und David, das Tote Meer und die Pflanzen und Tiere in der Oase, z. B. Steinböcke und Murmeltiere, betrachtet werden können. Der Kontakt zu der in Aussicht genommenen Feldschule sollte am besten über den israelischen Partner geschehen. Man kann sich auch über die Naturschutzgesellschaft an die Feldschule wenden oder notfalls auch über die Jugendabteilung der Erziehungsministeriums. (...)

4.4.3 Pinchas-Rutenberg-Institut für Jugendbildung Anschrift: T h e P. Ruthenberg Institute for Youth Education, 77 Sd. Hanassi, P. O. Box 6015, Haifa, 31060 Träger des Instituts ist die 1942 gegründete Pinchas-Rutenberg-Stiftung f ü r Jugenderziehung. Nach der Satzung der Stiftung ist das Rutenberg-Institut eine unabhängige Studien- und Begegnungsstätte zur Förderung der Jugendarbeit auf nationaler und internationaler Ebene und zur menschlichen Annäherung u n d Verständigung zwischen d e r Jugend Israels und d e r Jugend anderer Länder in der ganzen Welt. Die Schwerpunkte der Aktivitäten liegen in d e r pädagogischen Aus- und Fortbildung von Jugendleitern aus den verschiedensten Einsatzbereichen und Arbeitsfeldern, in der sozialpädagogischen Ausbildung sowie in der gesellschaftspolitischen Bildung f ü r Schüler der Mittelschulen und Gymnasien, um ihre Bereitschaft zum aktiven gesellschaftlichen Engagement zu wecken. Das Institut unterhält eine pädagogische Beratungsstelle f ü r hauptamtliche und ehrenamtliche Jugendleiter und f ü h r t kurzfristige Seminare und Studientage f ü r Jugendarbeiter im Rahmen der schulischen Erziehung, Weiterbildungsseminare f ü r engagierte Streetworker u n d Modellprojekte der Jugendarbeit durch. Die Kurse werden von Dozenten des Rutenberg-Instituts in Zusammenarbeit 327

Jugendanstausch mit d e r Jugendabteilung des Erziehungsministeriums, dem Rat d e r Jugendbeweg u n g e n in Israel u n d seinen angeschlossenen Verbänden, d e r Stadtverwaltung Haifa, der israelischen Armee-Ausbildung von Soldatinnen f ü r ihren pädagogischen u n d sozialen Einsatz im Rahmen des Wehrdienstes u n d a n d e r e n T r ä g e r n d e r J u g e n d a r b e i t vorbereitet u n d d u r c h g e f ü h r t . Grundsätzlich steht das Haus allen T r ä g e r n auch zur D u r c h f ü h r u n g von eigenen P r o g r a m m e n offen. Das Rutenberg-Institut übernimmt die Vorbereitung und die D u r c h f ü h r u n g von Seminaren im Rahmen von pädagogischen Studienfahrten in Israel f ü r J u g e n d g r u p p e n u n d G r u p p e n von Fachleuten d e r Jugendarbeit aus aller Welt. I m J a h r e 1965 sind die ersten Kontakte mit Verbänden und Organisationen in d e r Bundesrepublik Deutschland entstanden. Der U m f a n g d e r Zusammenarbeit hat sich inzwischen sehr ausgeweitet. Verbände u n d Einrichtungen d e r J u g e n d a r beit, die sich am deutsch-israelischen Jugendaustausch beteiligen, können ihr Programm entweder f ü r die ganze Zeit oder n u r f ü r die T a g e des Aufenthaltes im N o r d e n Israels in Kooperation mit dem Rutenberg-Institut gestalten. Theoretische Vorträge u n d Diskussionen in d e r Bildungsstätte werden d u r c h themenorientierte Exkursionen in das westliche u n d östliche Galiläa mit Fachbesuchen in Einrichtungen der Jugendarbeit veranschaulicht, d. h. stationäre Seminartage wechseln mit praxisbezogenen Informationen ab. Das Institut ist medientechnisch sehr gut ausgestattet und verfügt über vier Internatshäuser mit 150 Betten sowie über ein Gästehaus f ü r internationale Veranstaltungen mit 4 8 Betten. Es befindet sich auf d e m Karmel-Berg u n d ist auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. A u ß e r d e m ist das Rutenberg-Institut sehr aktiv an d e r Organisation u n d thematischen Vorbereitungen von israelischen J u g e n d - und Fachgruppen im Rahmen des internationalen Jugendaustausches beteiligt. Viele absolvieren vor ihrer Abreise ins Ausland im Institut Seminare zur Vorbereitung auf das zu besuchend e Land, d. h. vor allem die Bundesrepublik Deutschland. Praktisch ist das Rutenberg-Institut in den letzten J a h r e n zu einer zentralen Bildungsstätte f ü r d e n deutsch-israelischen Jugendaustausch geworden. 4.4.4 Studienzentrum Beit Berl Anschrift: Beit Berl, Kfar Saba 44905 Das Studienzentrum Beit Berl liegt im Herzen d e r Scharon-Ebene, nordöstlich von Tel Aviv. I h m hat die israelische Arbeiterbewegung, die es g r ü n d e t e u n d trägt, den N a m e n von Berl Katznelson (1885-1944) gegeben, eines ihrer großen Denker u n d Pioniere in der Zeit vor der Staatsgründung, u n d will damit sein Vermächtnis erfüllen: „Ich t r ä u m e von einem Studienhaus im Herzen des Bauernlandes, wo ich die besten unserer j u n g e n Leute versammeln u n d ihnen unser Erbe weitergeben kann. Dies ist wirklich das größte Bedürfnis, das mir von all meinem Dienst f ü r das Gemeinwohl bleibt." Am zweiten Jahrestag seines Todes wurde d e r Grundstein zu Beit Berl gelegt, das heute ein in Israel einzigartiges Studienzentrum ist, das zwanzig verschiedene pädagogische Einrichtungen u m f a ß t und sich auf viele unterschiedliche Arbeits328

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel" : Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

felder erzieherischer Aktivitäten erstreckt. Es sieht seine besondere Aufgabenstellung auf vier Gebieten: — Ein Bildungsangebot für Jugendliche aus Entwicklungsgebieten in Israel und von sozial unterprivilegierten Bevölkerungsschichten. — Die Schaffung einer Grundlage für soziale Mobilität vermittels allgemeiner und beruflicher Bildung für Jugendliche ab 14 Jahren. — Die Förderung von beiderseitigen Beziehungen zwischen jüdischen und arabischen Jugendlichen durch die Möglichkeit, in den gleichen Bildungseinrichtungen zu lernen. — Die Verbindung formeller Erziehung mit politischer Bildung durch ein großes Angebot extrakurrikularer Seminare, Sonderkurse, Symposien und Diskussionsgruppen, um ein besseres Verständnis sozialer, wirtschaftlicher und politischer Zusammenhänge zu entwickeln. Im Campus kommen Lehrer, Wissenschaftler und Studenten aus Israel und aller Welt zusammen, um Meinungsaustausch zu führen, Erfahrung und Wissen zu übermitteln und Antwort auf geistige und praktische Fragen zu suchen. Die älteste Institution in Beit Berl ist die Fachschule für Sozialpädagogen und Jugendleiter der Arbeiter- und Schülerjugend (siehe 4.1.1.1). Sie öffnete ihre Tore 1950 und bildete inzwischen mehr als 1 000Jugendleiter aus, die im ganzen Land mit Jugendlichen arbeiten. An das Jahr in der Fachschule schließt sich ein einjähriges Praktikum an. Für Kolleg-Absolventen gibt es einen speziellen Jugendleiterkurs. Im Rahmen eines anderen Kurses werden Neueinwanderer für die Beratung junger Leute bei der Einwanderung in Israel ausgebildet. An der Spitze der Pyramide der Bildungsangebote von Beit Berl steht das Kolleg mit über 1 000 Studierenden für schulische und außerschulische Pädagogik. Auf dem weiten Campus, in den Speisesälen, der Cafétéria, der Bibliothek mit 200 000 Bänden, dem Auditorium mit 1 200 Sitzen und den Freizeit- und Sportplätzen sowie dem Schwimmbad treffen die Studierenden auch mit jüdischen Jugendlichen aus der Diaspora, mit Arbeitern, vor allem Betriebsratsmitgliedern, für die die Gewerkschaft Arbeits- und Studientage veranstaltet, und vielen anderen israelischen und internationalen Teilnehmern zusammen. Dies macht u. a. das einzigartige Bildungsklima von Beit Berl aus. Die Forschungsabteilung, das Archiv der israelischen Arbeiterbewegung und der Verlag von Beit Berl ergänzen das breite Spektrum der Lern- und Leistungsangebote. Das Fortbildungszentrum für Jugendleiter in Jugendzentren und Gemeinschaftshäusern trägt durch seine Veranstaltungen zur Qualifizierung der Tätigkeit der Jugendleiter bçi. Im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustausches organisiert das Jugendzentrum für deutsche Gruppen, sowohl von Jugendleitern als auch von Jugendlichen, Programme in Beit Berl und Umgebung (Tel Aviv), aber auch in ganz Israel. Dies gilt für die ganze Aufenthaltsdauer in Israel, ist aber auch nur für ein zwei- bis dreitägiges themenorientiertes Fachseminar möglich. Wegen der Nähe zum Ben-Gurion-Flughafen Lod bietet es sich auch für Einführungs- oder Auswertungstage nach der Ankunft oder vor dem Heimflug an. 329

Jugendaustausch 4.4.5 Jerusalemer Wald — Jugendbildungs- und Erholungszentrum Anschrift: The Judean Hills Youth Récréation Centre Jerusalem Forest, P. O.Box 3353 Jerusalem Nur zehn Minuten mit dem Wagen vom Stadtzentrum Jerusalem entfernt, mit Blick auf das malerische Dorf Ein Karem, liegt das Erholungs- und Bildungszentrum Jerusalemer Wald. Seit März 1969 steht das Zentrum Jugendlichen aus Israel und der ganzen Welt f ü r Sport, Erholung, Studien und Begegnungen offen. Seine Kapazität umfaßt 240 Betten. In dem modernen Hauptgebäude gibt es Vortragsräume, einen Speisesaal, einen Lesesaal, eine Cafétéria, Schlafzimmer mit zwei, drei oder mehr Betten und Garderoben und Umkleideräume für die Benutzer des daneben liegenden Schwimmbades, der Sportflächen und Liegewiesen. Das Gebäude wird im Winter zentral beheizt. 4.4.6 Beit Yatziv Anschrift: 79 Rechov Haatzmaut, P. O. Box 7, Beersheba Die Bildungsstätte besteht aus einer großen Jugendherberge mit 250 Betten und einem Gästehaus mit 150 Zweibettzimmern. Im Gästehaus finden sich einfach eingerichtete Konferenz-, bzw. Klassenräume f ü r die dort stattfindenden Tagungen und Lehrgänge. Die Bildungsstätte stellt dafür nur die äußeren Voraussetzungen, die Kurse selbst werden von den Veranstaltern in eigener Verantwortung vorbereitet und durchgeführt, einschließlich der Einladung der Teilnehmer und der Verpflichtung der Dozenten. Das Haus liegt in einem relativ ruhigen Viertel am Stadtrand von Beersheba und verfügt über ein eigenes Freibad. Getragen wird das Haus von einem eingetragenen Verein, in dem neben anderen die Stadt Beersheba und die Histadrut (Gewerkschaft) Mitglied sind. Wer dort im Rahmen des Jugendaustausches Seminare veranstalten will, kann sich wegen Referenten entweder an das Stadtjugendamt oder auch an die Informationszentrale des Negev in Beersheba (Merkas Hanegev 057/3 38 50) wenden. 4.4.7 Leo-Baeck-Erziehungszentrum Anschrift: Edmont Fleg Str. 20, P. O. Box 6283, 31062 Haifa Das Leo-Baeck-Erziehungszentrum versucht die Arbeit des zwischen 1804 und 1941 in Frankfurt wirkenden Philanthropin fortzusetzen. Ein Schüler des Philanthropin, Rabbiner Dr. MaxElk, hat es in Haifa 1939 ins Leben gerufen. Seit der Gründung 1939 versucht das Leo-Baeck-Erziehungszentrum seine Schüler im Geist des Philanthropin zu erziehen. Dr. Elk schrieb 1958: „Das Philanthropin war nicht nur Ausdruck einer pädagogischen, sondern auch einer humanen Einstellung. Diese Einstellung ist es, zu der wir unsere Jugend erziehen wollen. Das Philanthropin vermittelte seinen Schülern die geistigen Werte Europas und gleichzeitig auch Liebe und Stolz auf unsere jüdische Vergangenheit. Die Synthese europäischen geistigen Lebens und moralischer Werte des Judentums ist das pädagogische Ziel, das vor meinen Augen schwebt. Dies ist das Ziel, das sich die Leo-Baeck-Schule unter völlig anderen Bedingungen in Israel zu ihrem Grundprinzip gemacht hat." 330

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Zum Leo-Baeck-Erziehungszentrum gehören neben der 12jährigen Gesamtschule, vom Pflichtkindergarten (ab fünf Jahren) bis zum Abitur, ein Gemeinschaftszentrum für jung und alt, ein großes Auditorium bzw. Theatersaal, Sportanlagen, eine reichhaltige Bibliothek usw. In den Schulferien werden Schulsäle zu Schlafräumen umfunktioniert, um Teilnehmer an Akademieveranstaltungen oder Jugendbegegnungen für einige Zeit aufzunehmen. Über die Jugendarbeit und die internationalen Kontakte siehe auch 4.1.2.2. Jugendbewegung für progressives Judentum in Israel. 4.4.8 Neve Shalom Anschrift: DN. Shimson Neve Shalom, zu deutsch „Friedensaue", liegt auf einem Hügel an der Straße von Tel Aviv nach Jerusalem, nicht weit vom Kloster Latroun. Es ist der Sitz einer Wohn- und Lebensgemeinschaft von Juden, Moslems und Christen, die sich das Ziel gesetzt haben, durch gezielte pädagogische Aktionen junge — und nicht mehr so junge — Juden und Araber einander näher zu bringen, Juden und Araber, die in der rauhen Wirklichkeit der gegenwärtigen Beziehungen zwischen beiden Gruppen in Israel leben. Dieses Ideal soll verwirklicht werden, obwohl sich die Mitglieder bewußt sind, daß dem noch viele Hindernisse im Wege stehen. Sie haben daher eine Herberge errichtet, die sie in die Lage versetzt, kulturelle und pädagogische Programme für Gruppen aus Israel und dem Ausland zu organisieren. Das Jahresprogramm der Bildungsstätte sieht u. a. folgende Aktivitäten vor: Sprachkurse für Arabisch und Hebräisch, Seminare und Workshops für jüdische und arabische Jugendliche, Besuchsprogramme für Gruppen aus dem Ausland, die sich f ü r soziale Projekte unter Arabern und Juden interessieren, und auch Studienprogramme für Erwachsene. Neve Shalom bietet in diesem Rahmen die Programmgestaltung für den ganzen Israelaufenthalt - bis zu drei Wochen — an. Möglich sind dabei ein Seminar von vier Tagen zum Thema der Beziehungen zwischen Arabern und Juden in Israel, fünf Tage Jerusalemaufenthalt, eine Woche im Süden Israels, dem Negev, und eine Woche Besuche in arabischen Dörfern und jüdischen Siedlungen in Nordisrael, in Galiläa. Das Programm kann jeweils auf die besonderen Interessen der Besuchergruppen abgestimmt werden. 4.4.9 HausPax Anschrift: Rehov Ein Gedi, 28 Jerusalem-Talpioth Die Zentrale der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (siehe auch 2.2.1) in Israel ist das „Haus PAX" in Jerusalem. Hier finden regelmäßig Seminare für die im Land arbeitenden Freiwilligen statt. Im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustausches kann das Haus PAX folgende Möglichkeiten der Zusammenarbeit anbieten: Gespräche mit hauptamtlichen Mitarbeitern und mit Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen über die Arbeit in Israel und über Erfahrungen als Deutsche in und mit dem Land, Hilfe bei der Vermittlung israelischer Gesprächs331

Jugendaustausch partner und Referenten aus dem gesamten Spektrum des gesellschaftlichen und politischen Lebens in Israel und die Durchführung spezieller Seminarprogramme f ü r Gruppen im Haus PAX, z. B. zu folgenden Themenbereichen: Nationalsozialismus, deutsch-jüdische Geschichte, Judentum, christlich-jüdischer Dialog, Nahost-Konflikt, Zionismus, sowie soziale Probleme in Israel. Für Gruppen, die im Haus PAX ein Seminar d u r c h f ü h r e n wollen, gibt es die Möglichkeit zur Unterbringung im einfachen Jugendherbergsstil (drei Zimmer mit j e 8-10 Betten) u n d Verpflegung im Haus. 4.4.10 Nes Ammim Anschrift: Nes Ammim, Doar Na Ashrat 25225 Nes Ammim ist ein „moshav shitufi", eine landwirtschaftliche kooperative Siedlung und liegt zwischen Akko und Nahariya in der Nähe des Kibbuz Lochamei Hagetaot. Sein T r ä g e r ist die „Nes Ammim AG" in Zürich (auch in Israel eingetragen) mit vier internationalen Mitgliedsvereinen, die je 25 % der Anteile halten, in Holland, der Schweiz, in den USA und der Bundesrepublik Deutschland (letzterer c/o Ursula Zaretzke, Akazienweg 20, 5300 Bonn 2). Die Bewohner d e r Siedlung sind Christen verschiedenen Bekenntnisses aus Holland, der Bundesrepublik Deutschland, Schweiz, England, Kanada, Schweden, USA und Belgien. In der gemeinsam betriebenen Landwirtschaft werden Weizen, Gemüse u n d Avocados angebaut. Der ganz auf den Export abgestellte Blumenbetrieb - d e r größte im Nahen Osten — mit sechs Gewächshäusern liefert täglich u. a. ca. 15 000 Exportrosen. Nes Ammim heißt „Zeichen der Völker" (Jesaja 11,10). Der Name soll die Bedeutung Israels f ü r die Völker der Welt betonen. Die Bewegung von „Nes Ammim" innerhalb der christlichen Kirchen, die im Dorf einen sichtbaren Ausdruck gefunden hat, will d e n Christen und ihren Kirchen deutlich machen, daß das Unrecht, das den J u d e n im Verlauf von fast 2 000 Jahren Kirchengeschichte durch Christen geschehen ist, wiedergutgemacht werden muß durch ein neues Verhältnis d e r Solidarität d e r Zweige (Christen) zum Stamm des Ölbaums Israel. Vater der Idee war Dr. Pilon, ein holländischer Arzt, der seit 1950 im Schottischen Krankenhaus in Tiberias wirkte. Durch Leben und Arbeit unter und mit dem jüdischen Volk in Israel will Nes Ammim den Dialog zwischen Juden und Christen fördern. Unter den Christen will man Verständnis f ü r die Identität der J u d e n und ihre Rückkehr ins „Verheißene Land" wecken und ihnen Gelegenheit geben, dem jüdischen Volk in seinem Land zu begegnen. Die Entstehungsgeschichte von Nes Ammim geht auf 1962 zurück, als die internationale Nes Ammim AG von dem Drusenscheich Abdullah Khayr 114 ha f ü r den Moshav erwarb. 1964 erhielt Nes Ammim AG die Genehmigung durch Minister Eshkol. Der Kibbuz Ayeleth Haschachar stellt eines seiner Mitglieder als ständigen technischen Berater beim Aufbau der Siedlung zur Verfügung. Bis 1968 durften keine Deutschen in Nes Ammim wohnen, da der benachbarte Kibbuz Lochamei Hagetaot („Die Kämpfer des Ghettos" — siehe auch 4.4.13) dagegen ein Veto eingelegt hatte. 1971 wurde dieses Veto aufgehoben. 332

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In Nes Ammim gibt es eine Jugendbegegnungs- und Jugendbildungsstätte, die über eine Jugendherberge mit 42 Betten und ein Gästehaus mit 96 Betten verfügt. Für interessierte Gruppen können Vorträge (mit oder ohne Film) über die Arbeit von Nes Ammim und das Problemfeld Juden/Christen/Deutsche sowie auch ganze Seminare organisiert werden. Im Gästehaus können auch Rollstuhlfahrer (Behinderte) untergebracht werden. Bei Seminaren in „Nes Ammim" kann auch das Haus Lochamei Hagetaot (siehe 4.4.13) in unmittelbarer Nachbarschaft thematisch einbezogen werden. 4.4.11 Massua-Gedenk- und Bildungsstätte Anschrift: Massua-Memorial To Members of Zionist Youth Movements in Holocaust and Uprising, Kibbuz Tel Yitzhak 45805 Massua heißt Leuchtfeuer. Die Gedenk- und Bildungsstätte Massua hat es sich zur Aufgabe gesetzt, für Jugendliche aus Israel und der ganzen Welt die schwierige Epoche der Judenverfolgung und des Widerstands gegen die NS-Gewaltherrschaft, die für die junge Generation meist im Dunkeln des Unbegreiflichen liegt, von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Massua ist ein unabhängiges Institut. Es erhält keine institutionelle Förderung, sondern muß seine Programme kostendeckend den Teilnehmern in Rechnung stellen. Für israelische Jugendliche zahlt die Jugendabteilung des israelischen Erziehungsministeriums 50 % der Teilnehmerkosten. Massua veranstaltet Seminare von drei Tagen und mehr, in denen die Vorgänge der Jahre 1933 bis 1945 dargestellt werden, um Jugendlichen ein besseres Kennenlernen und Verständnis dieses für das jüdische Volk tragischen Zeitraumes zu ermöglichen. Auf Wunsch unterbreitet die Leitung des Instituts verschiedene SeminarAngebote - u . a. zum Thema „Das Schicksal des deutschen Judentums im Dritten Reich" —, die mit Besuchen im Museum der jüdischen Diaspora in Tel Aviv und in der Gedenkstätte Yad Vashem verbunden sind. Nach den Gemeinsamen Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches sollen Programme in Israel u. a. die „Unterrichtung und Diskussion über die Geschichte und das Selbstverständnis des jüdischen Volkes und des Staates Israel mit besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ..." enthalten. Deshalb empfiehlt sich die Teilnahme deutscher Jugendgruppen mit ihren israelischen Partnern an einem Seminar in Massua besonders. Die gemeinsam mit den israelischen Gastgebern in Massua erlebten drei Tage können die beiden Gruppen zu einer sonst oft nicht erreichten Betroffenheit von diesem geschichtlichen Kernpunkt des deutsch-jüdischen Verhältnisses führen. Bei einem solchen Seminar, das möglichst in der ersten Woche des Aufenthaltes in Israel stattfinden soll, kann vieles aufgearbeitet werden, was sonst unausgesprochen noch schwerer einer echten Verständigung im Wege stehen würde. Massua kann zur Zeit 80 Jugendliche gleichzeitig in Vierbettzimmern unter333

Jugendaustausck bringen. Eine Erweiterung ist im Bau. Vortrags- und Gruppenarbeitsräume sowie eine Bücherei stehen zur Verfügung. Seminartage sind von Sonntag bis Freitag. In Erinnerung an die Judenverfolgung und -Vernichtung gibt es in Israel weitere Gedenk- und Besinnungsstätten, bei deren Besuch dieses so schwierige, aber für deutsche Gruppen in Israel verpflichtende Thema mit israelischen Jugendlichen und Fachleuten erörtert werden kann.

4.4.12 JadVaShem Anschrift: J a d Va Shem, P. O.Box 84, Jerusalem J a d Va Shem, auf Deutsch „Denkmal und Name" (Nach Jesaja 56.5) ist die zentrale Gedenkstätte und das zentrale Forschungsinstitut des israelischen Staates für die Zeit der Judenverfolgungen und der Widerstandsbewegung in der Nazizeit. Die Idee, ein Institut zu gründen, das die Erinnerung an die Opfer und Helden des jüdischen Leidensweges in den von den Nazis besetzen Staaten Europas während des Zweiten Weltkrieges festhält, entstand bei den Überlebenden gleich nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands. Der Staat Israel machte sich diese Absicht in einem Gesetz „Zum Andenken an die Märtyrer und Helden J a d Va Shem", das am 19. August 1953 von der Knesset verabschiedet wurde, zu eigen. „Gedenkinstitut J a d Va Shem: 1. Hiermit wird in Jerusalem ein staatliches Institut — genannt J a d Va Shem — errichtet zum Gedächtnis 1) an die sechs Millionen Juden, die den Märtyrertod durch die Nazis und ihre Helfer erlitten; 2) an die jüdischen Familien, die durch die Unterdrücker ausgerottet wurden; 3) an die Gemeinden, Synagogen, Bewegungen und Organisationen und die kulturellen, erzieherischen, religiösen und wohltätigen Institutionen, die in der Absicht vernichtet wurden, den Namen und die Kultur Israels auszulöschen; 4) an den Heldenmut der Juden, die ihr Leben für ihr Volk hingaben; 5) an das Heldentum jüdischer Soldaten und Untergrundkämpfer in Städten, Dörfern und Wäldern, die ihr Leben im Kampfe gegen die Naziverbrecher, ihre Helfer und Helfershelfer einsetzten; 6) an den heroischen Widerstand der Gefangenen und Kämpfer der Ghettos, die sich erhoben und die Flamme des Aufstandes entfachten, um die Ehre ihres Volkes zu retten; 7) an das mutige und hartnäckige Ringen der Massen des jüdischen Volkes, die — die Vernichtung vor Augen — um menschliche Würde und jüdische Kultur kämpften; 8) an die verzweifelten Bemühungen der Bedrohten, das Land Israel trotz aller Hindernisse zu erreichen, und an den Einsatz und das Heldentum ihrer Brüder, die auszogen, die Überlebenden zu retten und zu befreien; 9) an die Edlen aller Völker, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, um Juden zu retten. 334

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

Aufgabe und Zuständigkeit von Jad Va Shem: 2. Es ist die Aufgabe von Jad Va Shem, dokumentarisches Material in Israel über jene Juden zu sammeln, die ihr Leben im Kampf und im Aufstand gegen die Nazis und deren Helfer hingaben, und das Andenken der Opfer zu erhalten, wie auch das der Gemeinden, Organisationen und Institutionen, die zerstört wurden, weil sie jüdisch waren. Für diesen Zweck soll Jad Va Shem zuständig sein: 1) aus eigener Initiative und in eigener Verwaltung Institutionen zum Zwecke der Erinnerung zu errichten; 2) Material über die Vernichtung und das Heldentum der Juden zu sammeln, zu prüfen und zu veröffentlichen und es damit dem Volke zu eigen zu machen; 3) den Tag, der durch die Knesset als Gedenktag für den Kampf und die Vernichtung des europäischen Judentums festgesetzt wurde, in Israel und im Bewußtsein des ganzen jüdischen Volkes als nationalen Trauer tag zu verwurzeln und der Opfer und Helden gemeinsam zu gedenken; 4) denjenigen Angehörigen des jüdischen Volkes, die in den Tagen der Katastrophe und des Widerstandes umkamen, die symbolische Staatsbürgerschaft Israels zu verleihen; 5) die Einrichtungen, die zum Gedächtnis an die Opfer und Helden der Katastrophe geschaffen wurden, offiziell anzuerkennen und sie mit Rat und Tat zu unterstützen; 6) bei internationalen Unternehmungen zum Gedächtnis der Naziopfer und der im Kriege Gefallenen Israel zu vertreten; 7) jede andere Tätigkeit zu entfalten, die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig sind." Auf dem „Berg des Gedenkens" im Westteil Jerusalems, neben dem Herzlberg mit dem Grabmal des Begründers des Zionismus, wurden die Gedenkstätten und Institute von Jad Va Shem errichtet. Im Zentrum von Jad Va Shem steht die Halle der Erinnerung, in deren Mosaikboden die Namen von 21 Konzentrations- und Vernichtungslagern eingelassen sind. Gruft mit der Asche von Opfern, ewige Flamme. Darunter eine Dauerausstellung über Vorgeschichte und Durchführung der Judenvernichtung in der NS-Zeit. Zu ihr führt eine Allee der „Gerechten aus den Völkern", wo zum Gedenken an Nichtjuden, die unter Gefährdung ihres eigenen Lebens jüdische Menschen — ob einzeln oder auch zu Hunderten und Tausenden — gerettet haben, Bäume gepflanzt sind, die ihren Namen tragen. Ein Zentralarchiv ist für alle historischen Dokumente bestimmt, die von jüdischen Institutionen für Jad Va Shem gesammelt wurden. Hauptbestandteil sind die Listen und Schriftstücke der NS-Vernichtungsmaschinerie. Die Bibliothek von Jad Va Shem sammelt alle erreichbaren einschlägigen Publikationen. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Dokumentationszentrums sind zu einem Gespräch über die Aufgaben von Jad Va Shem und die dort angesprochenen Themen bei rechtzeitiger Terminvereinbarung bereit. Öffnungszeiten sind Sonntag bis Donnerstag 9.00-17.00 Uhr und Freitag 9.00-14.00 Uhr. 335

Jugendaustausch Der Besuch von Jad Va Shem wird in den Gemeinsamen Bestimmungen f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch als besonders geeignet zur Unterrichtung über die Geschichte der Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erwähnt. 4.4.13 Beit Lochamei Hagetaot Anschrift: „Ghetto Fighters House", Kibbuz Lochamei Hagetaot, 25220 Doar Na Ashrat Die Gedenk- und Studienstätte zu Ehren der Ghettokämpfer liegt im gleichnamigen Kibbuz an der Straße von Akko nach Naharya. Der Kibbuz wurde 1949 von Mitgliedern der Jugendbewegung „Freiheit-Einwandererlager" (DrorHamachanot Haolim, siehe 4.1.1.8) von Jugendlichen aus Polen und Litauen gegründet. Darunter waren Mitkämpfer der Widerstandsbewegung in den Ghettos und Lagern, Partisanen und Soldaten der Befreiungsarmeen, Überlebende der Konzentrationslager und Flüchtlinge aus der Sowjetunion. Die Kibbuzmitglieder wollten mit der Errichtung des Dokumentationszentrums die J u d e n vernichtung während der Jahre der Nazibesetzung Europas und die jüdische Widerstandsbewegung gegen die Judenvernichtungspläne der Nazis vor dem Vergessen bewahren. Das Haus ist nach YitzhakKatznelson, einem Freund aus der Widerstandsbewegung im Ghetto von Warschau und Dichter des Holocaust, benannt. Den Mittelpunkt des großen Hauses bildet das Museum, in dem mit Originalfotos, Dokumenten und Modellen der Plan der „Endlösung" und deren verschiedene Stationen in den besetzten Ländern Europas dargestellt sind. Ebenfalls dokumentiert sind sowohl der Widerstand einzelner J u d e n als auch die gemeinsame Gegenwehr der jüdischen Bevölkerung in Ghettos, Lagern und Wäldern. Ein besonderer Raum ist dem großen Pädagogen Yanusz Korczak gewidmet, der bei seinen Kindern im Ghetto Warschau blieb, andere dem Leben jüdischer Gemeinden in Osteuropa, z. B. in Wilna, dem „Jerusalem Litauens", vor der Eroberung durch die Nazis, usw. Dem Museum sind Vortrags- und Studiersäle angegliedert. Seine Archive und die Bibliothek stehen Lesern und Studierenden zur Verfügung. Wer den, in den „Gemeinsamen Bestimmungen" geforderten, Besuch einer Gedenkstätte dort durchführen will, sei darauf hingewiesen, daß bis jetzt Führungen nur in Englisch, nicht in Deutsch, gehalten werden. Der Eintritt ins Museum ist frei. Die Öffnungszeiten sind Sonntag bis Donnerstag 9.00 bis 16.00 Uhr, Freitag und an Tagen vor Feiertaggen 9.00 bis 13.00 Uhr, Samstag und an Feiertagen 10.00 bis 17.00 Uhr. 4.4.14 Jad Mordechai Anschrift: Kibbuz Jad Mordechai, Hof Ashkelon M. P. Der Kibbuz, 1944 gegründet, in dem auch Überlebende des Warschauer Ghettos Aufnahme fanden, gehört zur Hakibbuz-Haarzi-Bewegung (siehe 4.5.1.1.2.). Er ist benannt nach dem Anführer der jüdischen Widerstandskämpfer im Ghetto von Warschau. 336

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Jad Mordechai wurde 1948 von den Ägyptern erobert und zerstört. Nach dem Ende des Befreiungskrieges 1948 wurde der Kibbuz wiederaufgebaut. Zur Erinnerung an die Vernichtung der Juden durch die Nazis, den Widerstand im Warschauer Ghetto und die Verteidigung 1948 gegen die Ägypter hat der Kibbuz ein Museum eingerichtet. 4.4.15 Beit Hatfuzot Anschrift: Beit Hatfuzot, Kiriat Ha Universita, 61392 Ramat Aviv Beit Hatfuzot heißt „Haus der Zerstreuung". Es ist das israelische „Museum der jüdischen Diaspora" und liegt im Campus der Universität Tel Aviv in Ramat Aviv. Wer aber in diesem „Museum" wertvolle originale Kunstwerke aus der jüdischen Diaspora sucht, könnte enttäuscht werden. Es ist vielmehr ein großangelegtes, umfassendes Dokumentations-, Darstellungs- und Lehrhaus zur Geschichte der jüdischen Diaspora an den verschiedenen Ländern der Welt. In Grafiken, Schaubildern, Modellen, Diafolgen und Filmen wird die 2.500jährige Geschichte des Überlebens des jüdischen Volkes außerhalb seiner Heimat dargestellt — von der Zerstörung des ersten Tempels bis zur Gründung des Staates Israel. Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert. In dem fünfstökkigen Haus geht man durch sieben Tore. Sechs Tore führen zu den Räumen, in denen die Themen „Familie, Gemeinde, Glaube, Kultur, Zerstreuung und Rückkehr des jüdischen Volkes" aufgearbeitet werden. Das letzte (siebente) führt zu einer halbstündigen Multi-Media-Show, die nochmals diejüdische Völkerwanderung zusammenfaßt. Für alle Gruppen, die den kulturellen und historischen Hintergrund des heutigen israelischen Volkes und seiner Integrationsbemühungen besser kennenlernen und verstehen wollen, ist ein Besuch in diesem Haus sehr zu empfehlen, für den mindestens 2 1/2 Stunden eingeplant werden sollten. Wegen einer deutschsprachigen Führung empfiehlt sich eine rechtzeitige Anmeldung. Öffnungszeiten: Sonntag, Montag, Donnerstag 10.00 bis 17.00 Uhr, Dienstag und Mittwoch 14.00 bis 21.00 Uhr. An diesen Tagen müssen Eintrittspreise entrichtet werden. Freitag geschlossen. Am Samstag ist das Haus bei freiem Eintritt von 10.00 bis 14.00 Uhr offen. 4.4.16

Sportliche Bildungsstätten: Das Wingate Institut und Kfar Ha Makkabia Anschrift: Wingate Institut for Physical Education and Sport, 42902 Wingate Post Office; Kfar Ha Makkabia, 52109 Ramat Gan Bei den Jugendbildungsstätten empfiehlt sich der Hinweis auf zwei sportliche Bildungsstätten. Das Wingate Institut ist das nationale Institut für Leibeserziehung und Sport. Es ist auf Anfrage bereit, bei Jugendbegegnungs- und Fachprogrammen in Israel mitzuwirken sowohl in fachlicher Hinsicht beim Informationsaustausch über sportliche Jugendbildung als auch - soweit Kapazitäten frei sind — durch Bereitstellung von Unterkunft, Verpflegung und Sportanlagen. Ähnliches gilt für Kfar Ha Makkabia, die zentrale Sport- und Bildungsstätte des Makkabisportverbandes. (...) 337

Jugendaustausch

4.5 Jugend auf dem Lande Die Jugend, die vom Lande in die Großstädte kommt, muß in einigen Ländern sehr oft gegen negative Einstellungen oder Vorurteile ankämpfen. Wenn auch das Schimpfwort „Kaffer" aus dem Semitischen („Dörfler") wahrscheinlich über das Jiddische ins Deutsche gelangt ist, so gilt diese Auffassung nicht für das heutige Israel. Zumindest in der aus dem europäisch/amerikanischen Kulturbereich stammenden, von zionistischen Ideen beeinflußten sogenannten askenasischen Bevölkerung gehört es zum guten Ton, wenigstens für einige Zeit in einem Kibbuz oder Moshav gelebt und so bei der Rekultivierung, beim Aufbau des Landes selbst mit Hand angelegt zu haben. Wenn auch heute nur ca. 3 % der Bevölkerung Israels im Kibbuz lebt, hört man doch viele heutige Stadtbewohner von ihrer Kibbuzzeit schwärmen. Die Jugendbewegungen (siehe 4.1) erziehen zu Pioniergeist und eigener körperlicher Arbeit, die sich am ursprünglichsten in der Landarbeit verwirklichen. Da die aus orientalischen Ländern stammenden Spharden mit der zionistischen Ideologie kaum etwas zu tun hatten, sind sie in Kibbuzim nur selten, in Dörfern und Moshavim jedoch gut vertreten. Kibbuzim und Moshavim verfügen über ein reiches Kulturleben, das sich in keiner Weise hinter den Angeboten der Städte verstecken muß. Das geistige Kapital, das die Pioniere bei der Gründung investiert haben, wird durch die geistige Auseinandersetzung im Kibbuz und durch die intensive eigene Kulturarbeit lebendig erhalten. 4.5.1 Jugend im Kibbuz Im Staate Israel gibt es 229 Kibbuzim, in denen 101.400 Menschen (ca. 3,3 % der Gesamtbevölkerung) arbeiten und wohnen. 151 dieser Kibbuzim wurden bereits vor der Gründung des Staates Israel geschaffen, hauptsächlich von zionistischen Jugendbewegungen in der Diaspora. Noch heute bestehen starke Beziehungen zwischen der Jugendbewegung im allgemeinen (siehe 4.1.1), den verschiedenen Jugendbewegungen (siehe 4.1.1.1—4.1.1.11) und der Kibbuzbewegung. Die Jugendbewegungen wollen den Jugendlichen das Ideal des Kibbuz vermitteln, fordern sie auf, neue Kibbuzim zu gründen oder bestehende zu verstärken. Viele ihrer Jugendleiter kommen aus den Kibbuzim. Bei der größten Jugendbewegung, der Arbeiter- und Schülerjugend beispielsweise, muß der Generalsekretär satzungsgemäß Kibbuzmitglied sein. Zwischen der Kibbuzideologie — „zurück zur körperlichen Arbeit" — und der heutigen Situation der Kibbuzim hat sich im Laufe der Jahre eine spürbare Verschiebung ergeben. Die schnell voranschreitende Mechanisierung der Landwirtschaft und der Industrie erfordert mehr Sachkenntnis in den Kibbuz-Betrieben. Die Zahl der landwirtschaftlichen Maschinen in den Kibbuzim stieg zwischen 1947 und 1959 um 250 % und die Erträge der Landwirtschaft um das Dreifache. Von 1969 bis 1973 nahm die Ertragsfähigkeit um 7 % pro Jahr zu, während die Industrieproduktion durchschnittlich um 17 % wuchs. Heute tragen die 3,3 % 338

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

der israelischen Bevölkerung im Kibbuz 12 % zum Bruttosozialprodukt des ganzen Staates bei. Die Kibbuzim produzieren 30 % der landwirtschaftlichen und 7 % der industriellen Gesamtproduktion. Diese Zahlen spiegeln eine Tendenz wider, die für den gesamten Zeitraum nach der Staatsgründung typisch ist. Der neue Wohlstand verändert zwei Aspekte der Kibbuz-Ideologie: a) Der Wert der Arbeit wurde am wirtschaftlichen Erfolg und seiner begrüßenswerten Auswirkung auf den Lebensstandard in den Kibbuzim gemessen; b) das neue technologische Zeitalter führte dazu, daß sich die Ausbildung zunehmend außerhalb der Kibbuzim vollzog. Auch die Rolle der Familie hat sich in den Jahren nach der Staatsgründung gewandelt. Die Familiengemeinschaft wurde bewußter in den Vordergrund gestellt. Sie konzentrierte sich auch mehr auf die Kinder. Die Wohnung der Familie wurde zum Ausdruck des individuellen Geschmacks in den Möbeln und Gebrauchsgegenständen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß die früher praktizierte Gleichheit aller durch ein neues Prestigebewußtsein beeinflußt wurde. Der Status des Einzelnen wurde eher durch seinen Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlstande des Kibbuz als durch seine Dienste für dessen Mitglieder oder Kinder aufgewertet. Aus diesem Grund bot die Familie denen einen Rückhalt, deren Gefühl der Gleichwertigkeit plötzlich beeinträchtigt war. Die Veränderung im Status der Familie in vielen Kibbuzim spiegelte sich vor allem in der Erziehung der Kinder im Kleinkind- oder Vorschulalter wider. Früher lag die Erziehung dieser Kinder fast ausschließlich in den Händen einer ausgebildeten Erzieherin, der Metapelet. Sie begann an dem Tag, an dem die Mutter nach der Entbindung in ihr Heim zurückkehrte. Während des ersten halben Jahres beschränkten sich die Kontakte zwischen Mutter und Kind ausschließlich auf die Stillzeiten. Der Kontakt zwischen dem Vater und seinem Kind war ebenfalls auf diesen Zeitraum begrenzt. Mit zunehmendem Alter des Kindes wurde der Kontakt mit den Eltern von eineinhalb Stunden im Säuglingshaus auf fast vier Stunden im Kindergartenhaus ausgedehnt. Auf Beschluß des Erziehungskomitees der Kibbuzim sollten sich die Eltern lediglich auf eine beratende Rolle in der Erziehung beschränken, während die Hauptverantwortung der professionellen Metapelet, die die erzieherischen Normen und Verhaltensregeln für das Kind festlegte, übertragen wurde. Zugleich mit dem Anstieg der Wertschätzung der Familie vollzog sich in vielen Kibbuzim in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie den Eltern und der Metapelet ein durchgreifender Wandel. In manchen Kibbuzim nimmt die Mutter ihr neugeborenes Baby für mehrere Wochen nach Hause mit, bevor sie es im Säuglingshaus bei seiner Metapelet abgibt. In einigen Kibbuzim essen die Kinder mit ihren Eltern entweder im Gemeinschaftsspeisesaal oder aber in der elterlichen Wohnung. Diese radikalen Veränderungen im Familienleben innerhalb der Kibbuzim gipfelten in der Mitte der 60er Jahre darin, daß zahlreiche, der größten Kibbuz-Bewegung angeschlossenen Kibbuzim — Ihud Hakvuzot Vehakibbuzim — dafür stimmten, die Kinder bei den Eltern anstatt im Kinderhaus 339

Jugendaustausch

übernachten zu lassen. Die vorher in der Kindererziehung dominierende Rolle der Metapelet wurde dadurch geschwächt. In der Grundschulstufe waren alle erzieherischen Maßnahmen auf die Gemeinschaftsräume konzentriert. Auch der Schulunterricht fand hier statt. Die Lehrer und die Metapelet waren ständig mit den Kindern zusammen. Sie spielten, arbeiteten und machten die Schulaufgaben mit ihnen. Die Beziehung zwischen den Lehrern, die von den Kindern mit ihrem Vornamen angeredet wurden, und den Kindern gründeten sich auf Hilfsbereitschaft und Freundschaft. Die Kinder lernten sowohl durch ihr soziales Umfeld im Kibbuz als auch durch den Schulunterricht. Diese auch heute noch in vielen Kibbuzim gültige Methode wurde bis zur 5. oder 6. Klasse fortgesetzt. Danach stand dann der Unterrichtsstoff im Vordergrund. In einigen Kibbuz-Einheiten erlaubt aber die geringe Kinderzahl ein solch aufwendiges Erziehungssystem nicht. Hier wird die regionale Kibbuzschule als Lösung angeboten. Diese Lösung hat jedoch das klassische Muster der Beziehungen in den Kibbuzim zunehmend zersetzt: Die Metapelet fehlt in der Schule, die Lehrer kommen nicht in das Kinderhaus im Kibbuz, und die Gruppe von Schulkindern ist nicht dieselbe wie die homogene Kindergruppe im Gemeinschaftsraum. 52 % der Kibbuzim, die der Ihud Hakvuzot Vehakibbuzim-Bewegung angeschlossen sind, schicken ihre Kinder jetzt in die regionalen Kibbuz-Grundschulen. Die Kibbuzim der Kibbuz Hameuchad- und Kibbuz Hadati-Bewegung beteiligten sich zu einem wesentlich kleineren Prozentsatz, während die Kibbuzim der Kibbuz Ha'arzi (Hashomer Hazair) weiterhin ihren Kindern eine eigenständige Grundschulausbildung bieten. Diese Bewegung löst das Problem der geringen Anzahl von Kindern in einer Altersstufe damit, daß sie Unterrichtsstunden eingerichtet hat, an denen mehrere Altersgruppen gleichzeitig teilnehmen. Die Kibbuzschulen kannten früher keine Noten, kein Sitzenbleiben und keine Abschlußprüfungen. Letzteres hat sich mittlerweile geändert. Das wichtigste Merkmal der Kibbuzerziehung ist der Jugendverband für Kinder der sechsten oder siebten Klasse. Diese Altersgruppe der 10- bis 14jährigen stellt einen Miniatur-Kibbuz innerhalb der Kibbuzim dar und hat wahrscheinlich den größten Einfluß auf die Ausformung der Persönlichkeit und das soziale Verhalten eines Kindes dem anderen Geschlecht gegenüber. Die Kinder werden behutsam in den Arbeitsprozeß des Kibbuz integriert. Erst vom 12. und 13. Lebensjahr an wird eine systematische Mitwirkung bei einem leichten Arbeitsprogramm von bis zu zwei Stunden täglich erwartet. Sie werden dadurch mit den verschiedenen Arbeitsbereichen des Kibbuz vertraut gemacht, ohne daß dies bei der fortgeschrittenen Mechanisierung von besonderer produktiver Bedeutung wäre. Ihre soziale und ideologische Erziehung erhält die Kibbuz-Jugend im Jugendverband des Kibbuz oder in den nationalen Jugendbewegungen, denen die Kibbuzim angeschlossen sind. Aus diesen kamen Einflüsse, die zu einem tiefgreifenden Umbruch in den Normen der Kibbuzim führten. Es wird jetzt öfter als früher offene Kritik an den Kibbuzim geäußert. In Anpassung an die Gesell340

19 „Jugend und Jugendarbeit in Israel": Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

schaft herrscht eine größere Liberalität in bezug auf Kleidung und Haartracht, musikalischen und künstlerischen Geschmack, sexuelles Verhalten, usw. Die Einstellung zur Arbeit hat sich ebenfalls geändert. Das frühere Einheitsmuster der Kibbuz-Erziehung hat sich durch die verschiedensten Einflüsse von außen gewandelt: Die Einführung des Fernsehens in Israel, durch das die Jugendlichen andere Lebensgewohnheiten kennenlernten, die weiterführenden Schulen auf regionaler Ebene, der Kontakt mit den Jugendbewegungen in den Städten, der Zustrom von ausländischen Freiwilligen für einen Sommer oder ein ganzes Jahr, der Einfluß der Familie — all diese Faktoren trugen zu einer größeren Differenzierung des Erziehungsmodells in den Kibbuzim bei. Im Gegensatz zu der älteren Generation, für die die Zugehörigkeit zu einem Kibbuz eine kontinuierliche Beziehung von Einzelpersonen zu der spezifischen Lebensweise im Kibbuz bedeutet, erwartet die jüngere Generation, daß Anwärter auf die Mitgliedschaft — und auch ihre Altersgenossen —besondere Fähigkeiten aufzuweisen haben, um einen wesentlichen Beitrag zum Leben im Kibbuz leisten zu können. Einige junge Leute äußerten sogar den dringenden Wunsch, nach Beendigung des Militärdienstes den Kibbuz für ein Jahr zu verlassen und sich mit einer gänzlich anderen Lebensweise außerhalb der Kibbuzim vertraut zu machen, ehe sie die Mitgliedschaft im Kibbuz beantragen. Ein gravierendes Problem tritt auf, wenn die jungen Männer von ihrem dreijährigen Militärdienst zurückkommen: Wird der Kibbuz sie als Persönlichkeit anerkennen, die einen gewissen Status in ihrer Militärzeit erworben hat—junge Männer aus dem Kibbuz zeichnen sich gewöhnlich im Vergleich zu ihren Kameraden beim Militär besonders aus — oder sind sie als Anfänger zu behandeln? Sobald sie das Gefühl haben, daß dies zutrifft, verlassen ungefähr 30 % den Kibbuz. Es ist ganz offensichtlich, daß sich der Kibbuz den neuen Realitäten anpassen muß, um sinnvoll weiterbestehen zu können. Er muß den richtigen Ausgleich zwischen alten und neuen Verhaltensweisen finden, sei es das neue Schwergewicht auf der Art und Intensität des Familienlebens, die schulische und berufliche Dimension, im Jugendverband, die Integration der regionalen und der Kibbuz-Schulen, ein stärkerer Zusammenschluß der Kibbuz-Bewegungen für die fachliche Ausbildung, ganz zu schweigen von den politischen und ökonomischen Interessen, oder eine flexiblere Lebenseinstellung und ein befriedigenderer Status für junge Menschen, die geeignet sind, sie im traditionellen Kibbuz-System festzuhalten. Innerhalb des Jugendaustausches haben die Kibbuzim vor allem eine Rolle als Arbeitsplatz für viele Freiwillige gespielt, ob sie nun einzeln oder als Gruppen nach Israel zum Kibbuzeinsatz kamen. In einigen Kibbuzim — auch in den Zentralverbänden — wird die Aufnahme von Freiwilligen zur Zeit zurückhaltend beurteilt. Dies ist aus den oben geschilderten Umwälzungen im Selbstverständnis der Kibbuzim zu verstehen.

341

Jugendaustausch 4.5.1.1 Verband der Kibbuz-Bewegungen Anschrift: Federation of Kibbuz-Movements, 8 Shaul Hamelech Boulevard, P. O. Box 33210, Tel Aviv Der Verband wurde 1963 als Zusammenschluß aller Kibbuz-Bewegungen gegründet. Er versteht sich als Dachorganisation und versucht, sowohl in der Vertretung nach außen — z. B. Eintreten für die Kibbuz-Idee in der israelischen Öffentlichkeit u n d Werbung f ü r sie unter den J u d e n der Welt, vor allem in den Reihen der Jugend — als auch in der Organisation gemeinsamer Unternehmungen innerhalb der Kibbuzim zu koordinieren und Impulse zu geben. Diese gemeinsamen Aktivitäten sind nicht nur im wirtschaftlichen und industriellen Bereich sichtbar — Management, politische Vertretung, Forschung, etc. — sondern vor allem auch auf dem Gebiet der Kultur und Erziehung. Der Dachverband bemüht sich, das hohe Niveau, das die Kibbuzim gerade im Bereich der Kultur und Erziehung erreicht haben, zu halten und nach Möglichkeit Verbesserungen zu erzielen. Dadurch ist in Israel das übliche Kulturgefälle zwischen Stadt und Land eher umgedreht worden. Beispiele sind das KibbuzTheater, das Kibbuz-Kammerorchester, das Kibbuz-Jugendorchester, der Kibbuzchor, das Kibbuz-Tanzstudio, Literaturzirkel, Galerien f ü r die darstellenden Künstler in den Kibbuzim, etc. Die Kibbuzim setzen die Arbeitsverpflichtungen innerhalb des Kibbuz f ü r ihre Mitglieder, die als Künstler an einem der o. a. Ensemble mitwirken, so herab, daß sie jede Woche genügend Zeit (zwei bis drei Tage) haben, um an einem der über das ganze Land verteilten Workshops üben zu können. Die folgenden fünf Kibbuzbewegugen sind im Verband zusammengeschlossen: „Ihud Hakvuzot — Vehakibbuzim", „Ha Kibbuz Haarzi — Ha Shomer Hazair", „Hakibbuz Hameuchad", „Hakibbuz Hadati" und „Haoved Hazioni". 4.5.1.1.1 Ihud Hakvuzot — Vehakibbuzim Anschrift: 10 Dubnow Street, Tel Aviv Der größte Kibbuzverband — der Arbeiterpartei nahestehend — hatte 1978 in 78 Siedlungen 17.000 Mitglieder sowie 10.500 Kinder und Jugendliche. Der Kibbuzverband unterhält neben gemeinsamen Unternehmungen auf landwirtschaftlichem und industriellem Gebiet vor allem ein ausgebautes Erziehungssystem mit Schulen, Oberschulen, Erziehungsberatungskliniken, etc. Die Schulen sind auch offen für Externe und Jugendliche der Youth Aliya. In den Kibbuzim bilden sich Kerngruppen der Jugendbewegungen, die sich darauf vorbereiten, bestehende Kibbuzim zu verstärken oder neue zu gründen. Ungefähr 200 Kibbuz-Mitglieder sind als Ausbilder und Erzieher tätig. Die fünf Kibbuzim des „Haoved Hazioni" (Zionistischer Arbeiter) und 13 Kibbuzim des „Hakibbuz Hadati" (Der religiöse Kibbuz) haben enge Beziehungen zu den IhudInstitutionen. Ihud Hakvuzot-Vehakibbuzim und Hakibbuz Hameuchad haben 1981 den Zusammenschluß der beiden Bewegungen beschlossen. Publikationen: „Igeret Lachinuch" (2-Monatsmagazin über Erziehung), 342

19 „Jugend undJugendarbeit in IsraeV: Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

„Aleh" (Jugendzeitschrift) und „Shadmot Lamadrich" (Hefte für die Jugendleiter). 4.5.1.1.2 Hakibbuz Haarzi — Hashomer Hazair Anschrift: 15 Leonardo-da-Vinci-Street, 64733 Tel Aviv Der Verband der Hashomer Hazair-Kibbuzim wurde 1927 in Haifa gegründet. Er entstammt der jüdischen Jugendbewegung Hashomer Hazair, die 1913 gegründet wurde und vor allem in Polen und Österreich Jugendgruppen für die Ansiedlung in Israel vorbereitete. Der Verband gehört zur Mapam im Block mit der Arbeiterpartei. Seine Leitlinien sind Sozialismus, Zionismus und Kibbuzideologie. Die 76 Kibbuzim haben zusammen 35 100 Einwohner einschließlich Mitglieder, Kinder, Jugendliche, Freiwillige etc. Innerhalb der Kibbuzim dieses Verbandes, der sich früher für die ursprüngliche Kibbuzideologie in der Kindererziehung besonders engagierte, begann nun auch die Bewegung zurück zur Familie. Junge Eltern bemühen sich, ihre Kinder immer länger im Haus und im Kreis der Familie zu halten. Die Arbeiter-Bücherei der Bewegung hat bereits einige Tausend Bücher publiziert und hat Abonnenten in allen Städten und Dörfern. Publikationen: „Alon Hachinuch Hameshutaf' zu Problemen der Gemeinschaftserziehung. 4.5.1.1.3 Hakibbuz Hameuchad (Der vereinigte Kibbuz) Anschrift: 27 Soutine Street, 64684 Tel Aviv Hakibbuz Hameuchad wurde 1927 in Petach-Tikva vom Kibbuz Ein Harod gegründet. Beteiligt waren an der Gründung insbesondere Einwanderer der 2. und 3. Aliya. Während des Zweiten Weltkrieges und bis zur Staatsgründung war der Kibbuz Hameuchad der Mittelpunkt des Aufbaus der Palmach-Truppen. Er zeichnete sich aus durch die Mitwirkung an Aktionen gegen die britische Militärverwaltung und durch die Hilfe zur illegalen Einwanderung. Ende 1977 hatte der Verband 26 900 Einwohner in 56 Kibbuzim. Er steht der Arbeiterpartei nahe. Gute Kontakte hat der Verband zu den Jugendbewegungen, besonders zur Arbeiter- und Schülerjugend (siehe 4.1.1.1) und zum Freiheit-Einwandererlager (siehe 4.1.1.9) Hakibbuz-Hameuchad und Ihud Hakvuzot —Vehakibbuzim haben 1981 den Zusammenschluß der beiden Bewegungen beschlossen. 4.5.1.1.4 Hakibbuz Hadati (Der religiöse Kibbuz) Anschrift: 7 Dubnow Street, 61400 Tel Aviv Zu diesem Verband gehören 11 Kibbuzim von Hapoel Hamizrachi (zur Nationalreligiösen Partei zuzuordnen) und zwei von Poalej Agudat Israel (orthodoxe Arbeiterpartei) mit insgesamt 6 000 Einwohnern. 343

Jugendaustausch In diesen Kibbuzim wird das Gemeinschaftsleben der Siedlung von den religiösen Traditionen des Judentums geprägt, wobei dies in den beiden der religiösen Arbeiterpartei angehörenden besonders stark zum Ausdruck kommt. Jede besitzt ein rituelles Bad, eine streng koschere Küche und Synagogen mit Talmudunterricht. Die Kinder gehen zu Schulen, die zum staatlich religiösen Erziehungssystem gehören. In den übrigen Kibbuzim kann es natürlich auch religiöse Einwohner geben, ihr öffentliches Leben ist jedoch nicht so stark von den religiösen Gesetzen geprägt. Zu dieser Kibbuzbewegung gehört z. B. auch der Kibbuz Kfar Etzion, der nach seiner totalen Zerstörung 1947 durch die Araber und nach der Eroberung im Sechstagekrieg 1967 von den Kindern der früheren Siedler wiederaufgebaut worden war. Für die Mitglieder des Kibbuzes und für die Bewegung gilt der Etzion-Block nicht als „besetztes Gebiet", über das verhandelt werden könnte, sondern als zurückgewonnenes Eigentum. Zwischen dem Hakibbuz Hadati und der Jugendbewegung Bnei Akiva (siehe 4.1.1.3) besteht eine enge Zusammenarbeit. 4.5.1.1.5 Haoved Hazioni (Zionistischer Arbeiter) Anschrift: 48 King-George-Street, Tel Aviv Die dem Haoved Hazioni angehörenden fünf Kibbuzim wurden von der Zionistischen Jugendbewegung gegründet (siehe 4.1.1.11), die von 1928 an in Osteuropa entstand, und haben insgesamt 1 700 Einwohner. Sie und die mit ihr zusammenarbeitenden 13 Moshavim und sechs kollektiven Moshavim (siehe 4.5.2) sind nicht sozialistisch, gehören zur liberalen Arbeiterbewegung und stehen der Liberalen Partei nahe. 4.5.2 Jugend im Moshav Anschrift: Moshav-Movement, 19 Leonardo-da-Vinci-Street, Tel Aviv Außer dem Kibbuz spielt in Israel der Moshav eine immer größere Rolle. Der Moshav ist ein auf genossenschaftlicher Basis arbeitendes Dorf. In dem sehr verbreiteten kooperativen Moshav besitzt jede Familie ihren eigenen Hof. Der Boden ist, wie bei den Kibbuzim, Nationaleigentum und wird auf 49 Jahre gepachtet. Der Verkauf der Produkte und der Einkauf der Geräte erfolgt durch zentrale Genossenschaften. Die Vollversammlung des Moshav wählt den Gemeinderat, der über die Übertragung von landwirtschaftlichem Besitz und die Aufnahme neuer Mitglieder entscheidet. In den 382 Moshavim arbeiten rund 141 800 Menschen, d. h. 4,6 % der Gesamtbevölkerung. Es gibt zwei Formen von Moshavim (Mehrzahl von Moshav): a) Die 30 kollektiven Moshavim sind ähnlich organisiert wie die Kibbuzim, nur der Familienhaushalt bleibt individuell. Auch hier beginnt man, sich eigene Industriebetriebe aufzubauen; b) Die Moshavot (Mehrzahl von Moshava) sind die ursprüngliche Form des Dorfes, wie sie Ende des vorigen Jahrhunderts entstand. Die Moshava beruht auf 344

19 „Jugend und Jugendarbeit

in Israel':

Auszüge aus einer Broschüre des IJAB

privatem Grundbesitz und individueller Bewirtschaftung. Viele Städte Israels sind aus Moshavot entstanden. Die Popularität des Moshav begann mit der Masseneinwanderung nach der Unabhängigkeit. Nur wenige der Überlebenden der NS-Verfolgung und nur sehr wenige der großen Familien aus dem Maghreb und dem Nahen Osten waren von der sozialistischen Gemeinschaftsform der Kibbuzim begeistert, doch stellte sich bald heraus, daß sie sich der Struktur genossenschaftlicher landwirtschaftlicher Siedlungen auf Basis des familiären Besitzes einfügen konnten und wollten. Anfangs wurden Versuche unternommen, die Neuankömmlinge aus den verschiedenen Ländern — z. B. rumänische und marokkanische Juden - im Geiste des Schmelztiegel-Prinzips im gleichen Moshav anzusiedeln, doch die Gemeinschaften setzten dieser Entwicklung zu starken Widerstand entgegen. Seither siedelt man nur homogene Gruppen, bzw. mehrere verwandte Gruppen im gleichen Moshav an. Offensichtlich jedoch verschmelzen die verschiedenen Kulturen leichter in der zweiten Moshav-Generation. Die Idee der Moshavim ist in Afrika, Asien und Lateinamerika auf Interesse gestoßen. Israelische Fachleute haben weltweit in Entwicklungsländern Moshavim angelegt, und Tausende von Vertretern der Dritten Welt haben in Israel selbst Ausbildung und praktische Anleitung erfahren. Etwa 20 % der Moshavim sind „religiös", d. h. von den religiösen Traditionen der Juden wird auch das Gemeinschaftsleben des Dorfes geprägt (z. B. Sabbatruhe). In den anderen „nicht religiösen" Moshavim gibt es natürlich auch religiöse Familien und Einwohner. Eine Reihe von Moshavim führen auf partnerschaftlicher Basis seit Jahren mit deutschen Städten regelmäßig Jugendaustauschprogramme durch. Darüber hinaus bietet sich die Moshav-Bewegung an, die Lücken zu schließen, die durch den Aufnahmestopp von Freiwilligen in einigen Kibbuzim entstanden sind. In den Moshavim werden als Freiwillige Personen im Alter von 18 bis 35 Jahren angenommen. Die Freiwilligen müssen mindestens einen Monat im Moshav bleiben und ein ärztliches Zeugnis vorlegen, das die körperliche Gesundheit sowie die Fähigkeit, unter den in Israel herrschenden klimatischen Bedingungen zu arbeiten, bescheinigt. Die Freiwilligen werden von der Moshavbewegung gegen Zahlung eines vorher festgelegten Beitrages für die Zeit ihres Aufenthaltes versichert und erhalten ein ihrer Leistung entsprechendes monatliches Taschengeld. Das Wechseln eines Freiwilligen oder einer Gruppe von einem Moshav in den anderen ist möglich, erfordert jedoch eine Genehmigung der Zentrale. Der Freiwillige muß jedoch einen Empfehlungsbrief des Moshav vorweisen, in dem er gearbeitet hat. Der Freiwillige arbeitet sechs Tage in der Woche, sieben bis acht Stunden täglich. Wenn ein Freiwilliger länger als zwei Monate in einem Moshav tätig war, wird ihm ein drei- bis viertäiger Ausflug organisiert. Wenn das nicht möglich ist, erstattet der Moshav einen bestimmten Betrag. 345

Jugendaustausch

Es ist erwünscht, daß sich der Freiwillige an den kulturellen und gesellschaftlichen Ereignissen im Moshav beteiligt. Die Moshavim sind angewiesen, Vorträge für die Freiwilligen zu veranstalten und mit ihnen über Themen zu diskutieren, die in Verbindung stehen sowohl mit dem betreffenden Moshav als auch mit den Problemen Israels überhaupt. (...)

346

20 Auszüge aus dem Bericht des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit über Maßnahmen der internationalen Jugendarbeit (1985)

1.

Einführung

Mit diesem Bericht kommt der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit einer Bitte des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit nach, über die Aktivitäten der internationalen Jugendarbeit zu berichten. Der Bericht will einen Überblick über die Maßnahmen und Initiativen des BMJFG zur Förderung des internationalen Jugendaustausches geben. Er beschränkt sich auf den außerschulischen Bereich und bezieht den Schul- und Hochschulaustausch nicht ein. Er geht auch nicht auf die internationale Jugendarbeit ein, soweit sie durch die Landesregierungen und durch die Kommunen gefördert wird. Im einzelnen stellt der Bericht Grundlagen, Ziele und Schwerpunkte der internationalen Jugendarbeit und internationalen Jugendpolitik dar. Die Entwicklung des deutsch-amerikanischen Jugendaustausches wird auf Wunsch des Ausschusses in einem besonderen Kapitel ausführlich dargestellt.

2.

Grundlagen

2.1 Begriff, Träger Die Förderung der internationalen Jugendarbeit umfaßt vor allem den Jugendaustausch sowie den Austausch von Fachkräften der Jugendarbeit. Unter Jugendaustausch versteht man Begegnungen von Jugendlichen verschiedener Nationalität im In- und Ausland auf bilateraler oder multilateraler Ebene, die bestimmte pädagogische Ziele anstreben und über den reinen Tourismus hinausgehen. Die Zielgruppe umfaßt Jugendliche und junge Erwachsene in der Regel im Alter von 14 bis 25 Jahren aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Üblicherweise vollzieht sich der Austausch in der Form des Gruppenaustauschs. Internationale Jugendbegegnungen finden auf allen Arbeitsfeldern der Jugendarbeit statt, insbesondere im Bereich der politischen, kulturellen, sportlichen und sozialen Jugendarbeit. Eine Vielzahl von Arbeits- und Veranstaltungsformen sind möglich, wie etwa Seminare, work camps, Sportbegegnungen, Sozial- und Gemeinschaftsdienste, kulturelle work shops, Studienfahrten u. a. m. Der Austausch von Führungskräften, Mitarbeitern und Fachkräften der Jugendarbeit dient der Anbahnung von Kontakten, dem Erfahrungsaustausch und der Zusammenarbeit zwischen Experten in den verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe (z. B. in den Fragen Jugendarbeitslosigkeit, Drogenbekämpfung, Ju347

Jugendaustausch

gendkriminalität, Integration junger Ausländer, Behindertenarbeit, Jugendforschung u. a.) Diese Fachprogramme sollen helfen, Probleme zu vergleichen und von den Lösungsansätzen anderer Länder zu lernen. Jugendbegegnungen und Fachprogramme der internationalen Jugendarbeit werden in der Regel nicht von staatlicher Seite, sondern von den freien Trägern der Jugendarbeit durchgeführt, vor allem von Jugendverbänden, Bildungsstätten sowie anderen Organisationen und Institutionen der Jugendbildung und der Jugendsozialarbeit Die Jugendpolitik des BMJFG ist auch im Bereich der internationalen Jugendarbeit bestimmt vom Grundsatz des partnerschaftlichen Zusammenwirkens zwischen dem Staat als Förderer und den freien Trägern. Die Programminhalte und Programmformen werden deshalb von den freien Trägern weitgehend selbst gestaltet, die Programmpartner werden von ihnen frei ausgewählt. 2.2

Ziele

Internationale Jugendarbeit soll durch persönliche Begegnung junger Menschen aus verschiedenen Länder, durch gemeinsames Erleben, Lernen und Arbeiten einen Beitrag zur besseren Verständigung und zur Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg erbringen. Sie soll Kenntnisse und Erfahrungen anderer Völker, ihrer Kulturen und Gesellschaftsordnungen, ihrer Werte und Lebensweisen vermitteln und auf diese Weise den Willen und die Fähigkeit des einzelnen und der gesellschaftlichen Gruppen zur internationalen Verständigung stärken. Sie soll zur Toleranz gegenüber dem anderen, zum Abbau von Vorurteilen sowie zur Einsicht über den eigenen Standort beitragen. Internationale Jugendarbeit soll jungen Menschen bewußt machen, daß sie für die Sicherung und demokratische Ausgestaltung des Friedens und f ü r mehr Freiheit und soziale Gerechtigkeit in der Welt von morgen mitverantwortlich sein werden. Zu diesen allgemeinen Zielen treten im Verhältnis zu einzelnen Ländern noch besondere Anliegen hinzu, die zum Teil aus den jeweiligen geschichtlichen, zum Teil aus anderen spezifischen Gegebenheiten erwachsen. So stand im Verhältnis zu Frankreich der Gedanke der Versöhnung im Vordergrund, als 1963 das Deutsch-Französische Jugendwerk gegründet wurde. Dieser Gedanke spielt auch heute noch eine bedeutende Rolle in den Beziehungen zu Israel, zum Teil auch zu den Niederlanden und zu Polen. Der Jugendaustausch mit den europäischen Nachbarstaaten soll bewirken, daß sich die Jugend mit Europa befaßt, daß sie ein europäisches Bewußtsein gewinnt und zu einer europäischen Identität findet. Der Austausch mit den osteuropäischen Staaten soll dazu beitragen, daß der Dialog zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Systemen von der Jugend fortgeführt wird. Im Austausch mit Ländern der Dritten Welt soll jungen Menschen die Mög348

20 Auszüge aus dem Bericht über Maßnahmen der internationalen Jugendarbeit

lichkeit gegeben werden, praktische Solidarität mit den benachteiligten Völkern zu üben und sich in sozialen Projekten zu engagieren. Mit zahlreichen Ländern verfolgt der Jugendaustausch auch das Ziel, Jugendlichen Hilfestellung bei der Organisation von Verbänden und beim Aufbau eigener Jugendstrukturen zu leisten. Die im Rahmen der internationalen Jugendarbeit angestrebten allgemeinen und besonderen Ziele sind teils jugendpolitischer, teils außenpolitischer Natur: Unter jugendpolitischem Blickwinkel geht es um die individuelle Entwicklung des Jugendlichen in der Gemeinschaft, um die Beteiligung der Jugendlichen und ihrer freiwilligen Zusammenschlüsse am politischen, sozialen und kulturellen Leben und um die Lösung jugendrelevanter Probleme. In außenpolitischer Sicht geht es um die internationale Zusammenarbeit der Regierungen und der Träger der Jugendarbeit, insbesondere im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik. Die internationale Jugendarbeit muß sich stets bemühen, die jugendpolitischen und die außenpolitischen Aspekte miteinander zu verbinden und — falls sie nicht dekkungsgleich sind — zu einem Austausch zu bringen. Das bedeutet einerseits, daß internationale Jugendpolitik immer auch die außenpolitischen Gegebenheiten berücksichtigen muß, andererseits daß Jugendpolitik sich nicht völlig der Außenpolitik unterzuordnen hat. Häufig wird aus rein außenpolitischen Erwägungen gefordert, Jugendaustausch mit bestimmten Ländern oder Regionen zu initiieren oder auszubauen. Solche Beziehungen gewinnen erst Sinn, wenn die Jugend selbst sie mitträgt und wenn neben den außenpolitischen Gesichtspunkten auch die jugendpolitischen Anliegen berücksichtigt werden. 2.3

Förderungskompetenz

Eine Zuständigkeit des Bundes für die Förderung der internationalen Jugendarbeit ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten: Die internationale Jugendarbeit stellt sich einerseits als ein Teil der Jugendhilfe dar, andererseits als Pflege auswärtiger Beziehungen im Bereich der Jugendpolitik. Für beide Aufgabenbereiche kann sich der Bund jeweils auf eine gesonderte Kompetenzgrundlage stützen. Die Befugnis des Bundes, auf dem Gebiet der Jugendhilfe anregend und fördernd tätig zu werden, stützt sich auf § 25 des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG). Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1967 (BVerfGE 22,180) die Verfassungsmäßigkeit des § 25 JWG bejaht; es hat festgestellt, daß die Förderung der Jugendarbeit eine staatliche Aufgabe im Sinne des Artikels 30 GG ist, die dann in die Kompetenz des Bundes fällt, wenn es sich um Bestrebungen auf dem Gebiet der Jugendhilfe handelt, die der Aufgabe nach eindeutig überregionalen Charakter haben. Das Gericht zählt die Aufgaben beispielhaft auf, deren Förderung durch den Bund jedenfalls zulässig ist; hierzu gehören u. a. auch die internationalen Aufgaben der Jugendhilfe. Für die Pflege auswärtiger Beziehungen im Bereich der Jugendpolitik ist der Bund gemäß Art. 52 GG zuständig. Internationale Jugendarbeit stellt sich als Pflege auswärtiger Beziehungen dar, wenn die Bundesregierung durch Abspra349

Jugendaustausch

chen mit ausländischen Regierungen den Rahmen für die internationale Tätigkeit freier und öffentlicher Träger der Jugendarbeit schafft, wenn sie sich an den jugendpolitischen Aktivitäten supra- und internationaler Organisationen aktiv beteiligt oder wenn sie die Begegnung junger Menschen, die Zusammenarbeit von Jugendverbänden und den Erfahrungsaustausch von Fachleuten der Jugendarbeit über die nationalen Grenzen hinweg ermöglicht und damit zum Verständnis der Völker und zum Frieden in der Welt beiträgt. In diesem Bereich arbeitet das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eng mit dem Auswärtigen Amt zusammen. 2.4

Förderungsrichtlinien

Die Förderungsprinzipien (Voraussetzungen, Sätze, Verfahren) sind in den Allgemeinen Richtlinien zum Bundesjugendplan sowie den jährlichen Durchführungserlassen, die den sich ändernden Erfordernissen angepaßt werden, festgelegt. Sie bilden den Rahmen, innerhalb dessen die Träger in weitgehender Eigenverantwortung ihre Programme gestalten. Die Förderungsrichtlinien zum Bundesjugendplan wollen sowohl die Qualität der Maßnahmen wie eine zweckentsprechende Mittelverwendung sicherstellen und setzen hierfür folgende Bedingungen: — Die Maßnahmen müssen von gemeinnützigen Trägern der Jugendhilfe durchgeführt werden, die die Befähigung für das Fachgebiet besitzen, für das ein Austauschprogramm beantragt wird. — Die Träger müssen Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit sowie für eine sachgerechte zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel bieten. — Ein Programm muß zwischen dem in- und ausländischen Partner vereinbart worden sein, das neben der gemeinsamen Tätigkeit genügend Zeit zum Kennenlernen der Lebensverhältnisse des Gastlandes einräumt. — Die Maßnahme muß eine Mindestdauer von 6 Tagen aufweisen. — Eine ausreichende Vorbereitung der Teilnehmer muß sichergestellt sein. — Die verantwortlichen Leiter der Veranstaltung müssen qualifiziert sein, d. h. sie müssen über Erfahrung in der internationalen Jugendarbeit, Sprachkenntnisse und die Fähigkeit verfügen, die Teilnehmer zur Mitarbeit und zu eigener Initiative zu veranlassen. — Das Zahlenverhältnis zwischen den deutschen und ausländischen Teilnehmern soll möglichst ausgeglichen sein. — Grundsätzlich muß die Gegenseitigkeit bei Vereinbarung der Träger über die Durchführung internationaler Programme gewahrt sein. — Die Teilnehmer bzw. Träger der Veranstaltung müssen eine angemessene Eigenleistung erbringen. — Maßnahmen, die überwiegend der Erholung oder der Touristik dienen oder agitatorische Zwecke verfolgen, können nicht gefördert werden. 350

20 Auszüge aus dem Bericht über Maßnahmen der internationalen Jugendarbeit

Die finanzielle Förderung geht von dem Prinzip aus, daß das Entsendeland einen finanziellen Beitrag zu den Fahrtkosten, das Aufnahmeland zu den Aufenthaltskosten leistet. Bei Programmen im Inland wird ein Tagessatz pro Kopf der inund ausländischen Teilnehmer (z. Zt. je nach Programmart IS - 28 DM) und bei Programmen im Ausland ein Zuschuß zu den Fahrtkosten (z. Zt. je nach programmart 60 — 75 %) gewährt. Soweit erforderlich können auch Zuschüsse für Dolmetscher gewährt werden. Das Förderungsverfahren unterscheidet zwei Kategorien von Programmen: - Programme, über deren Förderung das BMJFG im Wege der Einzelbewilligung entscheidet. Die Form der Einzelbewilligung wird schwerpunktmäßig bei Programmen praktiziert, die aufgrund von bilateralen Regierungsabsprachen vereinbart worden sind. Auf diese Weise können fachliche und regionale Akzente gesetzt werden. — Programme, für die das BMJFG Globalmittel an bundeszentrale Träger der Jugendarbeit und die obersten Jugendbehörden der Länder gibt. Die Zuwendungsempfänger können diese Mittel nach eigenen Prioritäten einsetzen, müssen dabei allerdings die Vorgaben durch die Richtlinien und den Durchführungserlaß zum Bundesjugendplan beachten. Der überwiegende Teil der Förderung von internationalen Jugendbegegnungen aus dem Bundesjugendplan erfolgt über die globale Zuweisung von Mitteln an zentrale Träger der Jugendarbeit sowie an die Bundesländer. Darin spiegelt sich einerseits der Grundsatz der Jugendpolitik der Bundesregierung wider, die Autonomie der freien Träger zu respektieren, andererseits würde eine Abwicklung der gesamten Förderung internationaler Jugendbegegnungen aus dem Bundesjugendplan im Wege des Direktverfahrens durch Einzelbewilligung bei jährlich ca. 3 200 Programmen einen unvertretbaren Verwaltungsaufwand erfordern (z. Zt. wird die gesamte internationale Jugendarbeit und internationale Jugendpolitik im BMJFG von einem Referat mit acht Mitarbeitern betreut). 2.5

Förderungsmittel

Im Haushalt 1985 des BMJFG stehen insgesamt 42,912 Millionen DM zur Förderung der internationalen Jugendarbeit zur Verfügung. Hiervon entfallen 18,5 Millionen DM auf den deutschen Beitrag zum Deutsch-Französischen Jugendwerk, das von beiden Regierungen zu gleichen Teilen getragen wird. Dem Auswärtigen Amt steht im Bereich der für die auswärtige Kulturpolitik bestimmten Mittel ein Betrag für die Förderung von Einzelmaßnahmen des internationalen Jugendaustausches zur Verfügung, der unter außenpolitischen Gesichtspunkten vergeben wird (1985: 1 235 000 DM). Außerdem werden aus Mitteln des Auswärtigen Amtes über den Deutschen Musikrat in begrenztem Umfang auch Konzertreisen deutscher Jugendmusikensembles in das Ausland gefördert. Der deutsche Beitrag für das Europäische Jugendwerk und das Europäische Jugendzentrum beim Europarat in Straßburg ist ebenfalls im Haushalt des Auswärtigen Amtes enthalten. 351

Jugendaustausch

Zusätzlich werden von den Ländern und Kommunen erhebliche Mittel zur Förderung von internationalen Jugendbegegnungen ausgegeben. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt mit diesem Förderungsvolumen, zumal wenn auch der Förderungsaufwand der Länder und Kommunen für die internationalen Jugendbegegnungen hinzugezählt wird, im Vergleich zu den übrigen europäischen und außereuropäischen Staaten eine herausragende Stellung in der öffentlichen Förderung internationaler Jugendarbeit ein. 2.6 Bilaterale Regierungsabsprachen Bilaterale Regierungsabsprachen über Jugendaustausch zwischen der Bundesregierung und ausländischen Regierungen zur Intensivierung und gemeinsamen Förderung des bilateralen Jugendaustauschs und des Austauschs von Fachkräften der Jugendarbeit bestehen z. Zt. — abgesehen von dem Sonderfall des Deutsch-Französischen Jugendwerks — mit den folgenden Staaten: Westeuropa:

Arabische Länder: Osteuropa:

Großbritannien (seit 1966), Niederlande (seit 1961), Finnland (seit 1967), Belgien (seit 1966), Italien (seit 1971), Spanien (1978 Neubeginn) Israel (seit 1972) Ägypten (seit 1974), Marokko (seit 1967), Tunesien (seit 1967), Syrien (seit 1979) und Sudan (seit 1977) Ungarn (seit 1978) und Rumänien (seit 1972).

Grundlage sind in der Regel die Kulturabkommen, im Einzelfall auch Protokollabsprachen zwischen den zuständigen Fachressorts. Den Fachausschüssen für den bilateralen Jugendaustausch gehören in der Regel auf deutscher Seite das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, das Auswärtige Amt sowie Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden und der Jugend verbände an. Im Rahmen der von der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung beschlossenen Ausweitung der bilateralen kulturpolitischen Zusammenarbeit, insbesondere der Ausweitung des Jugendaustauschs sowie des Schüler- und Studentenaustauschs, finden seit zwei Jahren zwischen dem BMJFG und einer neugegründeten Jugendaustauschabteilung bei der United States Information Agency Abstimmungsgespräche über die gemeinsame Finanzierung ausgewählter Jugendaustauschprogramme statt. (...)

352

20 Auszüge aus dem Bericht über Maßnahmen der internationalen Jugendarbeit

2.7 Internationaler Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland e. V. (IJAB) (Mittelansatz 1984: 1.865.000.- DM) Der IJAB ist eine Fachorganisation, die überwiegend im Auftrag des BMJFG qualifizierte Austauschprogramme für Fach- und Führungskräfte der Jugendarbeit aus dem In- und Ausland durchführt. Er nimmt Aufgaben der Information und Partner Vermittlung sowie der sprachlichen Verständigung in der internationalen Jugendarbeit wahr. Der IJAB wurde vor 17 Jahren auf Initiative des BMJFG von den freien und öffentlichen Trägern der Jugendarbeit in der Bundesrepublik gegründet und hat sich aufgrund seiner Kompetenz zu einem unerläßlichen Fachinstrument der jugendpolitischen Zusammenarbeit mit den Partnerstaaten der Bundesrepublik entwickelt. In der Geschäftsstelle des IJAB arbeiten gegenwärtig 24 Mitarbeiter unter Leitung eines Direktors. Die Geschäftsstelle wird voll aus Mitteln des Bundesjugendplans unterstützt. Mitglieder des IJAB sind die folgenden Organisationen: Arbeitsgemeinschaft der obersten Jugendbehörden der Länder Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Arbeitskreis zentraler Jugendverbände Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk Bundesvereinigung kultureller Jugendbildung e. V. Bundeszentrale Träger der politischen Jugendbildung Deutsche Sportjugend Deutscher Bundesjugendring Deutschesjugendherbergswerke. V. Gemeinnützige bundeszentrale Jugendreisedienste Kommunale Spitzenverbände Ring Politischer Jugend Zentrale Jugendgemeinschafts- und Sozialdienste Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist Vertragspartner des IJAB. Der IJAB führt die übertragenen Aufgaben in enger Kooperation mit dem BMJFG und den Mitgliedern durch. 3. Regionale Schwerpunkte Im folgenden werden ausgewählte Länderbeziehungen sowie bestimmte Förderungsbereiche dargestellt. Geht man von der Zahl der aus Mitteln des BMJFG geförderten in- und ausländischen Teilnehmer aus, so ergibt sich für das Jahr 1983 im Hinblick auf die verschiedenen Länder nachstehende Reihenfolge:

353

Jugendatistausch

Geförderte Teilnehmer Großbritannien Israel Italien USA Niederlande Österreich Schweden

15 6 5 4 4 3 2

400 870 430dto. 450dto. 040 390 330

Finnland UdSSR Ungarn Dänemark Jugoslawien Polen Spanien

1 1 1 1 1 1 1

970 600 590 320 300 180 180

(...)

3.4 Israel und die arabischen Staaten 3.4.1 Israel 1983: 328 Programme (davon 128 in D.) 6 965 Teilnehmer (davon 2 041 Israeli in D.) Bundesjugendplanmittel:

3 649 000,- DM

Dem deutsch-israelischen Jugendaustausch kommt eine herausragende Rolle zu. Im Hinblick auf die finanziellen Aufwendungen des Bundes steht er an zweiter Stelle nach dem deutsch-französischen Jugendaustausch (DFJW): Auch eine Reihe von Bundesländern (insbesondere Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg) stellt zusätzliche Landesmittel für diesen Zweck zur Verfügung. Eine Vielzahl von Städten ist ebenfalls auf diesem Gebiet besonders engagiert. Der deutsch-israelische Jugendaustausch ist politisch besonders sensibel. Sowohl die Vergangenheit wie die aktuelle politische Entwicklung in Nahost und das gegenwärtige Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Israel wirken auf den Jugendaustausch ein. Seit Mitte der 60er Jahre ist die Bundesrepublik Deutschland mit Abstand der wichtigste Partner Israels im Bereich der internationalen Jugendbeziehungen. Der Dialog zwischen der von den Verbrechen des Dritten Reiches nicht unmittelbar belasteten Jugend hatte Vorreiterfunktion und hat der Entwicklung des deutsch-israelischen Verhältnisses insgesamt wesentliche Impulse gegeben. So haben Jugendorganisationen und Jugendgemeinschaftsdienste aus der Bundesrepublik noch vor Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel ihre Verbindungen zu Jugendgruppen in Israel geknüpft und Austauschprogramme durchgeführt. Die Motivation der deutschen Teilnehmer hat im Laufe der beiden Jahrzehnte seit Beginn desjugendaustauschs Änderungen erfahren: Stand früher die Beschäftigung mit der Vergangenheit im Vordergrund, so richtet sich in jüngster Zeit das Interesse vermehrt auf die aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklung Israels sowie das Verhältnis Israels zu seinen arabischen Nachbarstaaten. Durch die jüngsten Ereignisse (Libanon-Krieg, Siedlungspolitik) ist der Jugendaustausch zwar etwas abgekühlt, aber insgesamt von keiner Seite jemals in Frage gestellt worden. 354

20 Auszüge aus dem Bericht über Maßnahmen

der internationalen

Jugendarbeit

Das Austauschprogramm erstreckt sich mittlerweile auf fast sämtliche gesellschaftliche Bereiche (insbesondere Jugendgruppen der evangelischen und katholischen Jugend, der Sportjugend, der Gewerkschaftsjugend sowie der Jugendorganisationen der Parteien, aus dem Bereich der kulturellen Jugendbildung, junger Musiker und Behinderter sowie der Jugendsozialarbeit). Als Hauptträger sind auf deutscher Seite neben den traditionellen Jugendverbänden die Jugendgemeinschaftsdienste zu nennen, Bildungsstätten, kommunale Jugendämter, „Arbeit und Leben" und IJAB; auf israelischer Seite: der Städteverband und die großen Städte Jerusalem, Tel Aviv, Haifa, die Histadrut, die israelischen Sportorganisationen sowie die Mitgliedsorganisationen des israelischen Jugendrates, die Moshav- und Kibbuz-Bewegung sowie das Rutenberg-Institut. Die langfristigen Einsätze der Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen, die vom Haus PAX in Jerusalem betreut werden, sind Beispiele besonderen sozialen Engagements deutscher Jugendlicher in Israel. Ein gemeinsamer deutsch-israelischer Fachausschuß für den Jugendaustausch unter Federführung des BMJFG auf deutscher und des Public Council or International Youth Exchange auf israelischer Seite (Vorsitz bei einem KnessethAbgeordneten) tritt im Abstand von ein- bis zwei Jahren zusammen, um gemeinsame Empfehlungen zur Qualifizierung und Weiterentwicklung der deutsch-israelischen Austauschprogramme zu beschließen und für einen Teil der Programme (ca. ein Drittel der insgesamt stattfindenden Austauschprogramme mit Israel) eine Förderung aus Sondermitteln zu vereinbaren. Ein wesentliches Ergebnis dieser inhaltlichen Weiterentwicklung der jugendpolitischen Zusammenarbeit stellen die vom Gemischten Fachausschuß erarbeiteten „Gemeinsamen Bestimmungen für die Durchführung und Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches" dar. Zur Vorbereitung der deutschen Teilnehmer steht eine umfangreiche Informationskassette zur Verfügung, die die Deutsch-israelische Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung und mit Unterstützung des BMJFG vorbereitet hat.

355

21

21.1

Israelische Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland 1986

Israelische Schüler in Bonn

14 Tage verbrachten Schüler aus Tel Aviv bei ihren Gästen vom Aloisiuskolleg in Bonn. Während ihres Aufenthaltes nahmen die israelischen Schüler am Unterricht ihrer deutschen Altersgenossen teil. Da sie auch das Gastland kennenlernen sollten, hatte man eine Fahrt ins Bergbaumuseum nach Bochum, eine Reise in die Domstadt, München und Heidelberg sowie den Besuch des jüdischen Friedhofs in Worms und den Besuch des Konzentrationslagers in Dachau in das Programm mit aufgenommen.

21.2

Gymnasiasten aus Kiriat Chaim in Mannheim

34 Jugendliche und vier Begleiter bildeten die dritte Gruppe aus Israel die vom Tulla-Gymnasium in Mannheim begrüßt wurde. Bei der Programmgestaltung konnte von daher auf die Erfahrungen zurückgegriffen werden, die bei den zwei Besuchen von Mannheimer Schülerinnen und Schülern in Kiriat Chaim gewonnen worden waren. In Mannheim tragen Stadt und das baden-württembergische Kultusministerium dazu bei, daß die Mittel für diese Begegnungen reichen. Für die Osterferien ist wieder ein Gegenbesuch der Mannheimer Schüler in Israel geplant.

21.3

Junge Israelis in Freiburg

Henning Wellbrock, Stadtrat und Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Freiburg, empfing im Oktober Jugendliche aus Kiriat Jam. In seiner Begrüßungsansprache sagte Wellbrock, der Jugendaustausch sei besonders wichtig, da diese Kontakte und das Lernen aus der Geschichte helfen könnten, Brücken zu bauen, um gemeinsam für Liberalität und Humanität im Sinne einer Demokratie einzustehen. Die 19 Jugendlichen, die an einem deutsch-israelischen Jugendaustausch teilnahmen, zu dem das Evangelische Jugendwerk eingeladen hatte, wohnten bei Freiburger Gastfamilien. 356

22

Einweihung der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz

Am 7. Dezember 1986 wurde in der Nähe des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz eine Jugendbegegnungsstätte, ein Jugendzentrum eingeweiht. Schon V o r j a h r e n hatte die Aktion „Sühnezeichen" die Initiative f ü r dieses Projekt ergriffen. Auf polnischer Seite ist der „Verbund der Kämpfer f ü r Freiheit und Demokratie" an dem Projekt beteiligt. Die Kosten dafür, 4,2 Mio DM, wurden von deutscher Seite aufgebracht. In diesem Haus werden vom 23. Januar 1987 an stets 70 Jugendliche aus der Bundesrepublik Deutschland, aus Polen sowie aus anderen Ländern an Seminarprogrammen teilnehmen können. Die Errichtung dieses Zentrums war bereits geplant worden, als zwischen der Bundesrepublik Deutschland u n d Polen der Vertrag unterzeichnet wurde. Dann stieß das Projekt auf die Vorbehalte der polnischen Regierung. Das hat sich geändert: Etliche polnische Zeitungen haben zum Ausdruck gebracht, daß sie es ausdrücklich begrüßen, daß eine hochrangige deutsche Delegation mit Vertretern aller Bundestagsparteien zu der Einweihung gekommen war. Die Bundesministerin f ü r Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Prof. Dr. Rita Süßmuth, sprach f ü r die Bundesregierung: „Hier, auf einem Stück polnischer Erde, das von menschlichem Entsetzen und Leid, von den T r ä n e n der Verzweifelten und der Gemordeten getränkt ist, fällt es mir schwer zu sprechen — zu sprechen gerade in d e r Sprache derjenigen, die hier Unrecht taten. Ich will es dennoch tun. Wir müssen unsere H o f f n u n g auf die Zukunft richten. Dazu möchte ichJanuszKorczak zitieren. Er schrieb in den .Regeln des Lebens': ,Wer aber n u r träumen kann und abwartet, daß alles sich von selber ergibt und ins Geleise kommt—der wird sich vielleicht bitter beklagen, wenn alles anders kommt und schwerer wird.' Und wenige Wochen vor seiner Deportation im Kreise d e r ihm anvertrauten Waisenkinder nach Treblinka schrieb Korczak\ ,Es gibt Probleme, die wie blutgetränkte Lappen mitten auf dem Wege liegen. Die Menschen gehen auf die andere Straßenseite hinüber oder wenden sich ab, um nichts zu sehen.' Wir haben angesichts dieser warnenden Worte die Pflicht, unsere Augen zu öffnen und den jungen Menschen zu helfen, sich nicht abzuwenden, sondern hinzublicken. Wir haben heute in Erschütterung und T r a u e r der Millionen O p f e r der NaziHerrschaft gedacht. Ihr Schicksal bleibt uns lebende Mahnung. Doch wir dürfen nicht verharren bei der T r a u e r und dem Erinnern an das Unfaßbare, denn die O p f e r selbst verpflichten uns auf die Zukunft. Ihre Mahnung kann n u r dann in neue Humanität einmünden, wenn wir in der Gegenwart mit diesem Ziel f ü r die Zukunft wirken. Deshalb erfüllt uns der Anlaß, d e r uns Deutsche u n d Polen hier zusammenge357

Jugendaustausch führt hat, auch mit H o f f n u n g . In unmittelbarer Nähe des Ortes der Zerstörung und des unmenschlichen Leides ist ein Haus f ü r die Jugend unserer beiden Länder und darüber hinaus aus ganz Europa entstanden: eine Stätte der Begegnung, des gemeinsamen Erlebens u n d Erfahrens, eine Stätte des Lebens und der Hoffnung auf eine Zukunft in Frieden und Menschlichkeit am O r t der Vernichtung und Menschenverachtung. Daß die Einweihung dieser Begegnungsstätte heute, am 7. Dezember 1986 geschieht, hat symbolhafte Bedeutung: Denn heute jährt sich die Unterzeichnung des Vertrages von 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen. Dieser Vertrag erinnert in seiner Präambel an das schwere Leid, das der Zweite Weltkrieg über Polen und die Völker Europas gebracht hat. Er stellt fest, daß in beiden Ländern inzwischen eine neue Generation herangewachsen ist, d e r eine friedliche Zukunft gesichert werden soll. Er will eine dauerhafte Grundlage f ü r ein friedliches Zusammenleben in Europa schaffen. Das Haus, das wir heute seiner Bestimmung übergeben, ist ein Ort, an dem der Geist dieses Vertrags Wirklichkeit wird und unser beiderseitiger Wille zur Erweiterung unserer Zusammenarbeit sichtbaren Ausdruck findet. Ich danke den Verantwortlichen der Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste e. V. und des polnischen Verbandes der Kämpfer f ü r Freiheit und Demokratie (Zbowid) f ü r d e n Mut und das Engagement, dieses Projekt zu verwirklichen. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen deutsch-polnischer Verständigung und Versöhnung, daß diese Jugendbildungsstätte unter gemeinsamer polnisch-deutscher Verantwortung ihre Tätigkeit entfalten wird. Ein solcher Ort der Jugendbegegnung kann geschehenes Unrecht nicht auslöschen, aber e r kann Gelegenheiten eröffnen, um die Erinnerung daran wachzuhalten, damit es nie wieder geschieht und e r kann mithelfen, den mühsamen Prozeß der Versöhnung zu ermöglichen. Wir Deutsche d ü r f e n das Vergangene weder relativieren noch als zufälliges historisches .Ausgleiten' begreifen, noch gar dem Vergessen anheim fallen lassen. Junge Menschen haben einen Anspruch darauf, daß wir ihnen erklären: Hier liegt die Wurzel f ü r unser schwieriges nationales Selbstverständnis, hier ruht der Kern unserer besonderen Verpflichtung f ü r eine Politik der Versöhnung, des Friedens und der Menschenrechte. Die Völker, die durch uns so unsäglich gelitten haben — allen voran Juden, Polen u n d Russen - sollen wissen, daß wir dies nicht verdrängen und ihre O p f e r nicht vergessen werden. Unsere J u g e n d muß erfahren, daß sie eingebunden ist in die Geschichte ihres eigenen Volkes und daß sie diese Geschichte in ihren Höhen und Tiefen annehmen muß. Sie erlebt an diesem Ort eindringlich die eigene historische und politische Identität und wird sich bewußt, daß wir unser nationales Selbstbewußtsein nach Auschwitz allein aus den besseren Traditionen unserer nicht unbesehen, sondern kritisch angeeigneten Geschichte schöpfen können — wie diesJürgen Habermas kürzlich zum Ausdruck gebracht hat (,Die Zeit' Nr. 46 vom 7. November 1986). 358

22 Einweihung der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz Er schreibt weiter: ,Wir können einen nationalen Lebenszusammenhang, der einmal eine unvergleichliche Verzehrung der Substanz menschlicher Zusammengehörigkeit zugelassen hat, einzig im Lichte von solchen Traditionen fortbilden, die einem durch die moralische Katastrophe belehrten, j a argwöhnischem Blick standhalten. Sonst können wir uns selbst nicht achten u n d von anderen nicht Achtung erwarten.' Ich habe den Eindruck, daß die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte erst beginnt. So spüren wir bei vielen jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, daß sie als Suchende auf dem Weg zu ihrer eigenen Vergangenheit sind, indem sie sich verstärkt d e r eigenen Familien- und Lokalgeschichte während der Nazi-Herrschaft widmen. Die E r f a h r u n g in dieser Begegnungsstätte kann das Gewissen schärfen u n d die Bereitschaft zum Engagement f ü r eine gerechtere u n d friedliche Zukunft stärken. Janusz Korczak hat einmal treffend mit Blick auf unser Zusammenleben mit Kindern u n d j u n g e n Menschen gesagt: ,Wir geben euch eins: Sehnsucht nach einem besseren Leben, welches es nicht gibt, aber doch einmal geben wird, ein Leben der Wahrheit und Gerechtigkeit.' Es ist diese Sehnsucht, die uns alle verbindet. Ich hoffe, daß es gelingt, in diesem Sinne in dieser Internationalen Jugendbildungsstätte zu wirken. Es gilt in der persönlichen Begegnung, dem Kennen- und Schätzenlernen der jungen Menschen die Chancen zu nutzen, über die Grenzen hinweg die eigene wie die gemeinsame Vergangenheit als Aufgabe zu begreifen, um einen neuen Weg in der Gegenwart f ü r eine Zukunft zu finden, die von Frieden, Ausgleich und Gerechtigkeit geprägt sein wird. Dies ist ein hohes Ziel und ein großer moralischer Anspruch, dem wir uns alle verpflichtet fühlen. Jugend neigt dazu, kompromißlos ihre Wertvorstellungen von einer besseren Welt, von mehr Freiheit u n d sozialer Gerechtigkeit, m e h r menschlicher Wärme, einer lebenswerten Umwelt zum Ausdruck zu bringen. Wir sollten ihr Toleranz entgegenbringen und sie dabei unterstützen. Ich wünsche diesem Haus d e r Begegnung, daß seine T ü r e n offen stehen — f ü r Jugendliche aller gesellschaftlichen Schichten, Gruppen und Regionen, f ü r Schüler, Studenten und j u n g e Berufstätige, — f ü r Jugendliche aus Polen u n d aus beiden deutschen Staaten sowie aus ganz Ost- und Westeuropa, — f ü r j u n g e J u d e n aus Israel u n d anderen Teilen der Welt, — f ü r die J u g e n d und das Leben der Stadt Auschwitz. Der Stadt Auschwitz danke ich herzlich, daß sie sich f ü r die Idee dieser Stätte eingesetzt und sie gefördert hat. Ich wünsche diesem Haus, daß es ein Ort wird f ü r das vorurteilslose Gespräch über alle ideologischen, religiösen und nationalen Grenzen hinweg, das das Verstehen der Vergangenheit und Gegenwart fördert. Ich wünsche diesem Haus eine pädagogische Arbeit, die die jungen Menschen in ihrem ganzen Wesen anspricht und ihre Verantwortung für die Zukunft stärkt. Ich wünsche diesem Haus, daß es zu einem Ort des Brückenschlags zwischen 359

Jugendaustausch der J u g e n d unserer beiden Länder wird, zu einem Ort, von dem Impulse der internationalen Verständigung und mutigen Initiativen zur Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft ausgehen. Den zukünftigen Besuchern dieser Jugendbegegnungsstätte aus der Bundesrepublik Deutschland wie aus anderen europäischen Staaten wünsche ich, daß sie über die Erfahrungen in diesem Hause hinaus die Chancen suchen und finden, die menschliche Wärme des polnischen Volkes u n d die regionale u n d kulturelle Vielfalt Polens zu entdecken. Seit etwa 20 J a h r e n haben Freiwillige der Aktion Sühnezeichen durch ihre Arbeit in den Gedenkstätten ihren Beitrag zur Aussöhnung geleistet u n d Vertrauen geschaffen; viele Jugendliche haben sich im deutsch-polnischen Austausch engagiert, zwischen Jugendorganisationen, kirchlichen Gruppen, Schulen, Universitäten und Gemeinden sind Verbindungen entstanden, die über menschliche Kontakte unsere staatlichen Beziehungen mit Leben gefüllt haben. Noch fehlt das breite Fundament. Das Interesse und die Bereitschaft zur Ausweitung der Kontakte unter der Jugend unseres Landes sind jedoch groß. Für die Bundesregierung hoffe ich, daß es uns in Zukunft gelingt, den deutsch-polnischen Jugendaustausch auf einer breiteren Grundlage und auf Gegenseitigkeit zu entwickeln und damit dem Prozeß der Versöhnung mit dem polnischen Volk zu einer dem Frieden dienenden Zusammenarbeit zu öffnen. Mit dieser Stätte der H o f f n u n g setzen wir gemeinsam einen wichtigen Meilenstein auf dem Wege zu einer zukünftigen guten deutsch-polnischen Geschichte. Es ist an uns und unserer Jugend, diesen Weg weiter zu beschreiten." Für die Fraktion der Sozialdemokraten nahm der Vorsitzende Hans-Jochen Vogel das Wort: „Dem, was schon gesagt wurde, habe ich als einer, der vor fünfJ a h r e n im Auftrage des damaligen Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, des damaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Richard von Weizsäcker, und des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, an d e r Grundsteinlegung dieser Begegnungsstätte mitgewirkt und das Projekt seitdem kontinuierlich begleitet hat, nur Weniges hinzuzufügen; nämlich einige Wünsche und ein Wort des Dankes. Ich wünsche u n d hoffe, daß die Jugendbegegnungsstätte, die wir heute einweihen, mithilft, eine schreckliche Vergangenheit zu überwinden. Wo, wenn nicht hier im Angesicht d e r Lager von Auschwitz und Birkenau, in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem vier Millionen Menschen ermordet wurden, könnte der jüngeren Generation deutlicher zum Bewußtsein gebracht werden, wohin menschen verachtender Fanatismus, wohin inhumane Vergötzung der Macht und die absolute Negierung jeglicher Menschenwürde führt? Denn: Die Vergangenheit überwinden, heißt j a nicht, sie zu vergessen, sie zu verdrängen oder gar zu versuchen, sie im Zuge einer sogenannten Normalisierung ihrer Schrecken und ihrer Einmaligkeit zu entkleiden. Es heißt vielmehr, d e n Opfern, soweit Menschen das vermögen, Genugtuung wider360

22 Einweihung derJugendbegegnungsstätte in Auschwitz fahren zu lassen und aus den Leiden zu lernen. Dazu gehört auch die Art und Weise, in der wir denen begegnen, die noch immer auf eine Geste des guten Willens zur Linderung ihrer individuellen Not warten. Ich wünsche und hoffe, daß diese Stätte das Bemühen um die deutsch-polnische Aussöhnung in einem ganz Europa umschließenden Sinne voranbringt. Einen Prozeß, der vor zwei Jahrhunderten von mutigen Männern und Frauen in unseren beiden Völkern, darunter von Repräsentanten der christlichen Kirchen und von einzelnen Jugendverbänden vorbereitet und angestoßen und dann im Zuge der Ostpolitik Willy Brandts in Gang gesetzt worden ist, und der noch immer von Rückschlägen bedroht wird. Und wiederum ist es wichtig, daß dies hier in Auschwitz geschieht: Im Angesicht der Katastrophe, zu der der Haß zwischen unseren beiden Völkern, zu der die Verbrechen des nationalsozialistischen Gewaltregimes geführt haben. Wichtig ist auch der europäische Aspekt, die Offenheit der neuen Stätte für die Jugend aller Völker, gerade alle europäischen Völker. Denn unsere Aussöhnung soll sich im Geiste von Helsinki gegen niemanden richten, sie soll auf ganz Europa ausstrahlen und ganz Europa einbeziehen. Und ich bin sicher: Im Zeichen dieser Aussöhnung wird die junge Generation über die ewig Gestrigen hinwegschreiten, die alte Feindbilder aufs Neue beleben oder aufs Neue die politische Endgültigkeit der Grenzen in Frage stellen. Unsere Haltung zur Grenzfrage ist eindeutig. Ich wünsche und hoffe schließlich, daß von dieser Stätte Impulse für gemeinsame Anstrengungen der jungen Generation zur Sicherung des Friedens ausgehen. Und zwar quer durch alle Völker und quer durch alle Gesellschaftsordnungen und alle Bündnisse. Von wo, wenn nicht von hier, und von wem, wenn nicht von der Jugend, die hier in Zukunft zusammentrifft, sollte der Ruf nach einer Beendigung des wahnwitzigen Rüstungswettlaufs dringender und überzeugender erhoben werden? Und auch der Ruf, nicht Milliardensummen für die Stationierung neuer Waffensysteme im Weltall zu verwenden, sondern sie hier a u f unserer alten Mutter Erde für die Überwindung von Not und Elend einzusetzen. Täusche sich keiner: Die Ungeduld der Völker und vor allem der Jugend wächst. Mein Dank gilt denen, die das Werk mit Beharrlichkeit zum Erfolg geführt haben. Wenn ich dabei neben dem Verband ehemaliger polnischer Widerstandskämpfer vor allem die Aktion Sühnezeichen nenne, dann deshalb, weil sie ein Beispiel dafür gesetzt hat, was eine Gruppe von Menschen bewirken und verändern kann, die nicht redet, sondern handelt, die sich nicht duckt oder gängeln läßt und die die Friedensbotschaft des Evangeliums ernst nimmt. In diesem Sinne wünsche ich der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz Erfolg bei ihrem Bemühen um Frieden und Verständigung und eine gute Zukunft. Möge es ein gutes Zeichen sein, daß wir sie exakt an dem T a g e einweihen, an dem sich die Unterzeichnung des Warschauer Vertrages durch den damaligen Vorsitzenden des Ministerrates der Volksrepublik Polen Jozef Cyranfuewic und den damaligen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Willy Brandt zum 16. Mal jährt. Und mögen ihr an anderen Orten — so etwa in Dachau — weitere Jugendbegegnungsstätten dieser Art folgen." 361

Jugendaustausch Heinz Galinski, Vorsitzender d e r Jüdischen Gemeinde zu Berlin, selbst ehemaliger Häftling in Auschwitz, war zu der Einweihung d e r internationalen Begegnungsstätte nach Auschwitz gekommen. Mehrere Millionen deutscher Fernsehzuschauer erlebten ihn vor einem Gedenkstein, wo dieser Mann, d e r d o r t seine ganze Familie verloren hatte, tief gebeugt seine Ansprache hielt: „Der Weg, der mich h e u t e h e r g e f ü h r t hat, an die ehemalige Stätte des Grauens, wo Millionen von Menschen kaltblütig e r m o r d e t wurden, es ist ein schwerer Weg f ü r mich. I n diesem Augenblick wird in mir, im ehemaligen Häftling mit d e r eintätowierten N u m m e r 104412, die Vergangenheit wieder wach. Zwei R a m p e n gibt es in meinem Leben, die ich nie vergessen werde. Die eine am Bahnhof BerlinGrunewald, von wo ich zusammen mit meinen Familienangehörigen nach Auschwitz abtransportiert wurde. Die zweite hier in Auschwitz, die Rampe, an d e r die Selektionen stattfanden. Hier w u r d e ich getrennt von meinen Angehörigen, die ich d a n n nie wieder sah. Es war damals d e r letzte Blick, den ich ihnen zuwenden konnte. H e u t e befinde ich mich zum zweiten Mal seit meiner B e f r e i u n g am 27. J a n u a r 1945 hier an dieser Stätte, u n d es erfüllen mich E m p f i n d u n g e n , die m a n mit Worten nicht ausdrücken kann. Allen voran wird wieder das Wissen zum Gefühl, daß man hier als ehemaliger KZ-Häftling, als Zwangsarbeiter, unter d e m unmenschlichen Regime gefoltert wurde, d a ß man gelitten hatte, daß m a n seine Angehörigen in den Lagern verloren hatte. Kein N a m e ist so sehr zum Symbol des nationalsozialistischen I n f e r n o s geworden wie Auschwitz. Mit Auschwitz verbindet sich die Vorstellung von Verbrechen, die bis dahin unvorstellbar waren. Auschwitz — das ist ein Synonym f ü r den von einer Staatsführung kaltblütig und von langer H a n d vorbereiteten u n d von ihren gewissenlosen Helfershelfern über J a h r e hinaus begangenen Völkermord. Auschwitz — dieser N a m e steht f ü r Untaten einer bis dahin unbekannten Dimension, f ü r Verbrechen nicht allein gegen die Menschlichkeit, sondern f ü r Verbrechen an d e r Menschheit, die n u r unter Mißbrauch m o d e r n e r technischer und wissenschaftlicher E r r u n g e n s c h a f t e n sowie unter Zuhilfenahme eines bis zur Perfektion durchorganisierten Verwaltungsapparates verübt werden konnten. Auschwitz — das war d e r Ausdruck nationalsozialistischer Theorie u n d Praxis, war die d u r c h nichts m e h r zu überbietende Konsequenz rassistischer Irrlehren und bodenloser Menschenverachtung. Das, was in Auschwitz geschehen ist, darf nicht in die Akten des Vergessens gelegt werden. Wir haben die in Auschwitz Ermordeten nicht vergessen, nicht unsere Familienangehörigen u n d Freunde, und nicht die Millionen d e r Namenlosen, die vor unseren Augen in den Tod getrieben w u r d e n . Worte zu i h r e m Ged e n k e n könnten leicht leer klingen oder zur Phrase erstarren. T r o t z d e m fühlen wir uns verpflichtet, als Angehörige d e r Gemeinschaft, die u n t e r d e r Unmenschlichkeit besonders zu leiden hatte, die die größten O p f e r bringen mußte, unsere Stimme zu erheben, d e n n wir haben mit u n s e r e m Überleben Verpflichtungen auf uns genommen. Wer, wenn nicht wir, war b e r u f e n , das 362

22 Einweihung der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz

Vermächtnis derer zu erfüllen, die in Auschwitz und an all den anderen Stätten nationalsozialistischen Völkermordes ihr Leben lassen mußten?! Wenn heute schon wieder Menschen, die sich Historiker nennen, bemüht sind, die Geschichte zu verfälschen, mit Zerrbildern der Vergangenheit ausgestattet die Flucht in die Geschichtslosigkeit zu ergreifen, wenn schon wieder Stimmen laut werden, die Auschwitz leugnen, die behaupten, es habe nie Vergasungen gegeben, dann treibt es einem gerade an diesem Ort die Zornesröte ins Gesicht. Scham und Entsetzen wäre doch das mindeste, womit das Gefühl eines Menschen auf die Schrecken dieses Ortes reagieren müßte. Aber diesen Menschen, die sich heute vor der Verantwortung für die Vergangenheit zu drücken versuchen, ist jedes menschliche Gefühl abhanden gekommen, ja sie haben es nie besessen. Was auch endlich angebracht wäre, Gerechtigkeit allen Opfern zuteil werden zu lassen, die viel zu lange schon auf ihr Recht warten. Niemals mehr darf es ein Auschwitz geben, und nirgendwo darf man sich mit Zuständen abfinden, die jemals an irgendeinem Ort ein neues Auschwitz möglich machen könnten. Die Erfahrung kennt keine nationalen oder territorialen Einschränkungen. Das geschichtliche Erleben eines Volkes oder einer Generation birgt in sich Lehren für die gesamte Menschheit. Alles, was ich hier empfinde, fügt sich zu dem Wort zusammen — Mahnung. Deshalb richte ich als einer der wenigen Überlebenden von Auschwitz heute an alle, die die Vision einer humaneren, gerechteren, friedlicheren Zukunft, die Vision eines wahrhaft menschenwürdigen Lebens in ihren Herzen tragen, den Appell, sich über alles Trennende hinweg der gemeinsamen Werte bewußt zu bleiben, aus denen jegliche menschliche Zivilisation erwachsen ist. Kein Ort auf der Welt ist als Stätte einer solchen Mahnung zur Gemeinsamkeit besser geeignet, als Auschwitz. Vor allem zu derjungen Generation möchte ich sprechen, die für die Vergangenheit keine Verantwortung trägt, wohl aber dafür, daß die Zukunft nicht von Vorurteilen, von Menschenverachtung und vom eingeschläferten Gewissen bestimmt wird. Nur wer um die Schrecken der Vergangenheit weiß und sie nachzuempfinden vermag, wird in der Lage sein, die Anzeichen einer neuen drohenden Barbarei rechtzeitig zu erkennen und ihre Gefahr abzuwenden. Auschwitz muß eine Warnung bleiben. Und wenn hier nun eine Jugendbegegnungsstätte entsteht, so möge sie letztlich dazu dienen, der jungen Generation diese ihre Verantwortung bewußt zu machen. Ich rufe Sie und alle, die guten Willens sind, dazu auf, in steter Erinnerung an die Schrecken der nationalsozialistischen Vergangenheit mitzuwirken an der Gestaltung einer freiheitlichen Gesellschaft in einer friedlichen Welt."

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„Bewältigung der Zukunft - Erinnerung an die Vergangenheit - Zukunft für unsere Jugend": Der Vortrag von Vizepräsident Westphal bei der Frankfurter Loge von B'nai-B'rith am 24.2.1987

Etwas zu den Zusammenhängen zwischen Zukunft und Vergangenheit, Vergangenheit und Zukunft zu sagen, ist der Auftrag, den Sie mir mit dem von Ihnen formulierten Thema dieses Abends gegeben haben. Lassen Sie mich mit einem Beispiel beginnen, das ich dieser Tage las und das sich überall in Deutschland wiederholen könnte: Der Bürgermeister des Ahrstädtchens Dernau wollte eine Gedenktafel für die Opfer der Dependance des Konzentrationslagers Buchenwald anbringen lassen; und er glaubte aufgrund der klaren Mehrheitsverhältnisse im Rat, der aus zehn CDU-Mitgliedern und fünf Mandatsträgern freier Wählergruppen besteht, hierüber schnell Einigkeit erzielen zu können. Aber das war ein Irrtum. Ein Sturm ging los in seiner eigenen Fraktion und bei den anderen. Da hörte man Stimmen wie „40 Jahre haben wir ohne Tafel gelebt, warum muß das jetzt sein" oder „man muß die Vergangenheit doch einmal ruhen lassen". Wieder andere befürchteten die Identifikation des Weinstädtchens mit einem Arbeitslager der Nazis. Das „Dachau-Syndrom" überall in Deutschland ... Da steht auf der einen Seite der Bürgermeister, der sich für das Bewußtmachen unserer Geschichte auch in ihren furchtbarsten Zeiträumen einsetzt. Eine solche Gedenktafel hat ja nicht nur den Zweck, den Opfern ein ehrendes Gedenken zu bewahren, sondern auch kommenden Generationen das Wissen zu erhalten, daß hier in der Mitte Europas von Deutschen unsägliche Verbrechen an der Menschheit begangen worden sind und die freiheitlich-demokratische Grundordnung unserer Republik die Konsequenz aus der Erkenntnis ist, daß so etwas nie wieder geschehen darf. Für nachgeborene Generationen geht es dabei nicht um Schuld oder Mitschuld, sondern um die Bürde der Verantwortung, eine Wiederholung des Schrecklichen bei uns und in der Welt zu verhindern. Und dazu gehört, daß man das einmalig Schreckliche kennt und der „Einebnung" zu anderem Schlimmen, was in der Welt geschah, entgegentritt. Es ist heute soweit, daß es Leute gibt, die mir entgegenhalten, ich würde dies alles zu einseitig sehen. Natürlich bin auch ich — wie jeder von uns — von einer bestimmten Zeit vornehmlich geprägt. Und der familiäre Einfluß sowie die eigene Erlebniswelt bestimmen den eigenen Standpunkt mit. Ich selbst bin, als ich als 20jähriger halbwegs heil aus dem Krieg zurückkam, in die Sozialdemokratische Partei, die Partei meiner Eltern, gegangen. 364

23 Vortrag von Vizepräsident Westphal bei der Frankfurter Loge von B'nai-B'rith Ein entscheidendes Motiv war, dabei mitzuhelfen, daß so etwas, was wir soeben überlebt hatten, nie wieder geschehen darf. Für mich galt es, in einem neuen Deutschland das Wiederaufleben faschistischer und rechtsextremistischer Tendenzen ein f ü r alle Mal zu verhindern. Für mich galt es, mit den Widerstandskämpfern, zu denen ich mich leider nicht rechnen darf, mit den Rückkehrern aus dem Exil, aber auch vor allem mit den jungen Menschen, die verführt worden waren und in tiefer Enttäuschung zunächst ratlos abseits standen, eine Gesellschaft aufzubauen, die Frieden will, die sich solidarisch zeigt mit allen politisch und rassisch Verfolgten auf dieser Welt und die freiheitlich, demokratisch und sozial gestaltet ist. Vielleicht hatte ich es da einfacher als andere, weil ich anknüpfen konnte an Kindheitserlebnisse im antifaschistischen Elternhaus. Doch es war auch eigene Einsicht, daß das Wissen um die fabrikmäßige Ausrottung von Menschen, also Menschenrechtsverletzungen in höchster Potenz in einem noch nie gekannten, unvorstellbaren Ausmaß, hierin Deutschland f ü r alle Zeiten den Weg in eine entgegengesetzte, in eine humane Gesellschaft weisen muß. Ich habe damals ähnlich e m p f u n d e n , wie es Elte Wiesel in seiner Rede in Oslo ausdrückte: „Nach dem Krieg dachten wir, es genüge, über eine einzige Nacht in Treblinka zu berichten, von der Grausamkeit, der Sinnlosigkeit der Morde zu erzählen, die aus der Gleichgültigkeit anderer hervorgingen. Es genüge, dachten wir, im angebrachten Augenblick das richtige Wort zu sagen, die Humanität in ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln u n d die Folterer daran zu hindern, jemals wieder zu foltern." Dies — so könnte man sagen — waren auch meine Gedanken, und ich bin sicher, so dachten auch viele andere. Manche Historiker sprechen von einem antifaschistischen Konsens, der damals geherrscht hatte zwischen denen, die sich in unterschiedlichen demokratischen Lagern f ü r den Neubau der Gesellschaft engagierten. Nachdem die Weimarer Demokratie sich nicht als widerstandsfähig gegen Nationalismus und Chauvinismus erwiesen hatte u n d die Mehrheit ihrer Bürger sie nicht trug, hielt auch ich eine neue Demokratie n u r für lebensfähig, wenn in Deutschland Übereinstimmung herrschen würde, daß aus diesem totalen Versagen von uns Deutschen Lehren f ü r die Zukunft gezogen würden. Dieser Auffassung bin ich noch heute. Dieser Auffassung scheint auch der Dernauer Bürgermeister zu sein. Aber da gibt es auch die andere Denkrichtung im Dernauer Rat: Hiernach muß „nach 40 J a h r e n Schluß sein. Wir sind die Generation der Enkel und Urenkel. Wir verbauen uns die Zukunft, wenn wir n u r auf die dunklen Stunden unserer Geschichte schauen". Man hört diese Meinung jetzt oft in Deutschland. Deutet sich hier eine Änder u n g des common sense an oder beruht etwa meine Vorstellung von den Fundamenten dieses Staates auf einem Irrtum? Da gibt es nun also in unserem Land sogar Historiker, die den Holocaust rela365

Jugendaustausch tivieren durch Aufrechnung mit von anderen Völkern begangenen Verbrechen oder Greueltaten. Wer so rechnet, hat nichts begriffen; wer so vergleicht, zerstört haltfähige Grundlagen für ein demokratiesicheres Staatswesen. Er trägt also nicht nur zur Verharmlosung des Holocaust bei und er reduziert nicht nur dieses Verbrechen in seiner Einmaligkeit auf eines der vielen schlimmen Ereignisse, von denen die Geschichte der Menschheit leider überreich ist, sondern er macht Politik, zumindest bewirkt er Politik, indem er Kräften Auftrieb gibt, die gern verdrängen möchten. Ich muß vor diesem Kreis nicht ausführen, daß wir nicht allein deshalb dieser Geschichtsbetrachtung entgegentreten müssen, weil sie die Opfer gering achtet. Nein, von ihr geht Gefahr für unsere Gesellschaft aus, denn ich fürchte, es gibt inzwischen eine Strategie, die in dieser Grundfrage unsere politische Kultur verändern will. Und diese Strategie bekommt durch die Maßstab-Verschiebung einiger Wissenschaftler eine Stütze. Richard von Weizsäcker suchte in seiner Rede vom 8. Mai 1985 eine Erklärung dafür, warum es 40 Jahre nach dem Ende des Krieges zu so lebhaften Auseinandersetzungen über die Vergangenheit gekommen ist und verwies auf die Bedeutung des 40-Jahreszeitraums im Alten Testament. Ich weiß nicht, ob er damit recht hat. Mir scheint, daß die Verdrängungsstrategien, die es ja von Anfang an gab, jetzt Einzug gehalten haben in die Denkweisen anderer Personenkreise, in Kreise, die die politische Relevanz durchaus begriffen haben und — hart gesprochen wissen, daß man daraus Stimmen machen kann. Es gibt auch deutsche „Waldheim-Wähler"! Ich räume ein, daß ich noch im vorigen Jahr dem Abgeordneten Fellner seine Entschuldigung für seine antisemitischen Äußerungen abgenommen habe. Die Häufung von Entgleisungen und die Reaktion von konservativen Spitzenpolitikern haben mich eines anderen belehrt. Nehmen wir als Beispiel die Rede des Fraktionsvorsitzenden Dregger zum Volkstrauertag am 26. November 1986 oder die nachträgliche Kritik von sogenannten „Stahlhelmern" in der Union an der Weizsäcker-Rede, oder auch die Äußerungen von Franz Josef Strauß und anderen Meinungsführern innerhalb der Unionsparteien, daß das deutsche Volk „aus dem Schatten der Vergangenheit heraustreten" soll; nehmen wir den blamablen Vorgang um Bitburg und den Goebbels-Vergleich. Sie zeigen leider deutlich, daß hier ein Aufbruch zu anderen Ufern vorsichgeht und der antifaschistische Konsens als einer der tragenden Pfeiler unserer gesellschaftlichen Ordnung ersetzt werden soll durch eine andere, durch eine deutsch-nationaler klingende Position. Es wäre wohl zu einfach, dies nur taktischen Überlegungen für einen Wahlkampf zuzurechnen, dem Fischen am rechten Rand, um das ganze Wählerpotential auszuschöpfen. Die Zielrichtung geht nach meiner Ansicht wesentlich weiter: die Alten, die das Dritte Reich selbst miterlebt haben, sollen aus ihrer Verstrikkung „erlöst" und die Jungen gegen neutralistische, pazifistische und radikalökologische Gefährdungen durch eine nationale Spritze immunisiert werden. 366

23 Vortrag von Vizepräsident Westphal bei der Frankfurter Loge von B'nai-B'rith Eine nationale Ausrichtung der Gesellschaft, in der die natürliche Bindung an die Heimat ideologisch überhöht wird, ist der wieder hervorgeholte, alte, haltbare, wirkungsvolle Kleister f ü r rechtskonservative Politik. Auch Reagan hat es in Amerika so gemacht, um die Amerikaner auf konservative Weise aus dem Tief nach dem gescheiterten Vietnam-Engagement und dem moralischen Politik-Tief von Watergate herauszuholen. Es gibt sicher Länder auf diesem Globus, deren Völker ein unproblematisch gewachsenes Verhältnis zum Nationalen haben; ich kann nur sagen: f ü r uns Deutsche trifft das nicht zu. Deshalb ist Vorsicht und Gegenposition geboten! Dieser angestrebte neue deutsch-nationale „Konsens" läßt sich offensichtlich nach Einschätzung von Konservativen dadurch erreichen, daß man die Belastungen, die aus derjüngeren Geschichte auf unserem Volk liegen, nach und nach aus dem Wege räumt, wegdrängt. Ich habe bereits gesagt, daß ich diesen Weg für falsch und gefährlich halte. Er ist falsch aus politischen Gründen. Denn wie das weltweite positive Echo auf die Weizsäcker-Rede deutlich gemacht hat, ist gerade das Bekenntnis zum Antifaschismus als Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung das Bindeglied zu den westlichen Demokratien, das zu gefährden geradezu abenteuerlich wäre. Der Weg ist aber auch aus moralischen Gründen falsch. Er wäre ein Sich-Hinausstehlen aus der Verantwortung für das Geschehene und bedeutet damit eine Schwächung unserer Kraft zur Demokratie-Verankerung im Denken unseres Volkes. Und ich möchte einen weiteren Gedanken zur Prüfung anbieten, der darauf abzielt, aus Gründen der politischen Kultur nicht in national bestimmte Denkweisen zurückzufallen. Aus meiner Sicht ist Nationalismus eine Form von GruppenEgoismus, die überwunden werden muß. Das triebbestimmte Verhalten, die eigene Gruppe, in die man hineingeboren ist, wichtiger zu nehmen als jede andere, f ü h r t allzu leicht dazu, sich besser zu dünken als die anderen mit all den aus gerade unserer Geschichte bekannten negativen Folgen. Es ist eine wichtige Aufgabe, eine Kulturleistung erster Größenordnung, den Nationalismus zu überwinden, ihn auf sein positives Element, die Heimatliebe, einzugrenzen und die anderen Menschengruppen mit anderen Heimaten gleich zu achten. Für eine dauerhaft friedliche Entwicklung ist dies eine grundlegende Voraussetzung! Nun steht leider fest, daß all die hohen Kulturleistungen, die zu einer menschenwürdigen Gesellschaft, die Frieden mit den Nachbarn hält, gebraucht werden, eben nicht mit der Muttermilch an die nächste Generation weitergegeben werden, nicht vererbbar sind. Achtung der Menschenrechte, keine Rassendiskriminierung, Friedensbereitschaft, demokratisches Verhalten, Nationalismus-Überwindung, Toleranz und Solidarität — das sind alles Tugenden, die eingeübt, gelernt werden müssen, die 367

Jugendaiistausch im Grunde jede Generation sich neu durch Bildung erwerben und durch Erziehung weitergeben muß. Vielleicht kann lange Gewöhnung dabei helfen, aber es bleibt eine Aufgabe, eine Daueraufgabe der politischen Bildung und Erziehung, die — wie alle Erziehung — am ehesten erfolgreich ist durch gute Vorbilder. Die erste Frage, ob wir unseren Teil der gestellten Aufgabe gegenüber den nachwachsenden Generationen gut erfüllen, ist also, ob wir gute Vorbilder sind. Da habe ich meine Zweifel. Um überhaupt von jungen Menschen im politik-lernfähigen Alter „angenommen" zu werden, bei ihnen Gehör zu finden, muß man fast befürchten, daß meine Generation ziemlich chancenlos geworden ist. Die Belastung mit Verhaltensweisen, bei denen nicht einmal die Maßstäbe einer einfachen Moral eingehalten sind, sind leider zahlreich und gewichtig. Aber es ist wohl erforderlich, auch auf diesem Feld den Verallgemeinerungen entgegenzutreten. Nicht jeder Politiker muß sich sagen lassen, er habe Geld von Flick genommen oder sei in den Skandal bei der „Neuen Heimat" verstrickt. Schließlich wissen wir auch um die großartigen Vorbild-Wirkungen der meisten der von uns gewählten Bundespräsidenten. Im übrigen geht es ja nicht nur um Politiker, sondern genauso auch um Lehrer, Professoren, Journalisten, Väter, Vorgesetzte. Aber besser — das muß zugegeben bleiben — könnten wir schon sein. Auch bei denjenigen, um deren Bildung und Erziehung es geht, warne ich vor leichtfertigen Verallgemeinerungen. Zunächst ist es ja so, daß wir nach dem Ende der Hitler-Zeit schon mehrere Jugendgenerationen mit unterschiedlichen hervorstechenden oder uns charakteristisch erscheinenden Eigenschaften hatten. Man kann heute schon über 40 Jahre alt sein, ohne den Krieg und Hitler auch nur als Kind erlebt zu haben. Und andererseits sind auch in jeder Jugend-Generation die unterschiedlichsten Verhaltensweisen repräsentiert (Mir geht es dabei — um eine für das Hineinwachsen in Mitverantwortung für die Gesellschaft entscheidende Altersgruppe abzugrenzen — um die ungefähr 16- bis 25jährigen). Es wäre reizvoll, den ständig wiederkehrenden Aufgliederungen einer jungen Generation einerseits und andererseits den sich ändernden Einstellungen von Teilgruppen der gleichen Generation, die wir als prägend oder typisch ansehen, nachzugehen. Doch das ist nicht mein Thema heute. Ich nutze nur die Berührung dieses Fragenbereichs, um Ihnen meine Ansicht zu sagen, daß in allen jungen Generationen der Nachkriegszeit bei uns die generationsprägenden Gruppen eben nicht nationalistisch gesonnen waren, sondern im Gegenteil eigentlich internationalistisch engagiert mit eigenem Tun dabei waren, um internationale Verständigung, Frieden, Abrüstung voranzubringen. Gewiß, auch nationalistische, nazistische, militaristische Jugendgruppierungen tauchten auf der anderen Seite des Gesamtspektrums auf, sind — wie mir scheint — aber niemals prägend oder typisch für eine Jugend-Generation gewor368

23 Vortrag von Vizepräsident Westphal bei der Frankfurter Loge von B'nai-B'rith den (was nicht heißt, d a ß wir diese P h ä n o m e n e unbeachtet lassen u n d als ungefährlich abtun d ü r f e n ) . Auf d e r Suche nach hilfreichen Wegen u n d Methoden, die Lehren unserer Vergangenheit f ü r die folgenden j u n g e n Generationen fruchtbar zu machen u n d dabei auch uns selbst fähig f ü r diese Aufgabe zu halten, komme ich zu einem mir wichtigen weiteren Element, das erzieherisch wirksam ist: Wir müssen u n r u h i g bleiben! So haben es einige L e h r e r des Kurt-HuberGymnasiums in Gräfelfing bei München t r e f f e n d formuliert. Sie haben ein beachtenswertes Buch in Zusammenarbeit mit ihren Schülern über d e n zur G r u p p e der „Weißen Rose" gehörigen, mit d e n Geschwistern Scholl umgebrachten Professor Huber herausgegeben. Die U n r u h e als Gegensatz zu bequemem Verharren u n d Schweigen m u ß von Generation zu Generation weitergetragen werden. Große Museen d e r deutschen Geschichte einzurichten darf kein Anlaß sein, die Geschichte insgesamt ins Museum zu stellen. Geschichte darf keine museale R u h e haben. U n r u h e entsteht, wenn die Vergangenheit punktuell an tausend u n d abertausend Einzelfällen aufgearbeitet wird. Das Einzelschicksal r ü h r t an u n d rüttelt auf. W e n n ein Mensch stirbt, so hat es — glaube ich — Winston Churchill einmal gesagt, sei es eine Tragödie; wenn hunderttausend sterben, sei es eine Statistik. Das darf nicht gelten! Die Zahl von sechs Millionen O p f e r n übersteigt das konkrete Vorstellungsvermögen. I h r Ausmaß wird erst d a n n faßbar, wenn m a n sie an einer Vielzahl von Einzelschicksalen darstellt. U n r u h e entsteht d a h e r in Dernau, wenn dort eine Gedenktafel f ü r KZ-Opfer aufgestellt werden soll. U n r u h e entsteht a m Apostelgymnasium in Köln erst, wenn durch Veröffentlichungen zutage tritt, d a ß die heilige katholische Welt in Köln in d e r Nazi-Zeit eben doch nicht so heilig war. U n r u h e entsteht, wenn — wie in einer erschütternden Reportage im „Spiegel" zu lesen war — d e r Enkel im Rahmen eines Schulprojekts das Stadtarchiv durchforstet u n d dabei feststellt, daß er in einem Hause lebt, aus d e m unter d e r Verantwortung seines Großvaters J u d e n vertrieben wurden. U n r u h e entsteht in d e r Beg e g n u n g mit d e n O p f e r n u n d ihren Kindern, im U m g a n g mit jüdischen Mitbürgern. U n d U n r u h e entsteht, wenn einer sich fragt — wie es kürzlich Dieter Hildebrandt, d e r Kabarettist u n d damit Gesellschaftskritiker wirksamster Art, tat — „Der Gedanke läßt mich nicht los, ich hätte, o h n e mich zu wundern, ein überzeugter Nazi-Bonze in d e n besetzten Ostgebieten werden k ö n n e n . O d e r Referent f ü r deutsches Liedgut in d e r schlesischen Gauleitung? Der Gedanke, daß Gesinnungen stark von Geschichtsabläufen abhängig sein könnten, beschäftigt mich." Das Gespräch d a r ü b e r geht an die Nieren. Es ermöglicht Betroffenheit. Hieraus können lebenslang wirksame Einsichten, Erkenntnisse wachsen, die das eigene Verhalten immer wieder bestimmen, die wie ein Gewissen anschlagen, wenn 369

Jugendaustausch

ein Abweg droht. Dies ist es, was wir brauchen, und wir brauchen es bei den Vielen, nicht nur bei einer schmalen Bildungsschicht. So suche ich noch nach einem in die Breite wirkenden Mittel, das intensiv genug ist, um prägende Wirkungen zu erzielen. Mir scheint, es ist gegeben in dem Angebot an alle, also nicht nur an junge Menschen, sich für eine Sache zu engagieren, bei der man in Gemeinschaft, also als Glied einer Gruppe, anderen Menschen, die Unterstützung brauchen, hilft. Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig, sind fast unbegrenzt. Ich brauche das hier nicht aufzufalten. In einer Gemeinschaft Alten und Kranken zu helfen, Behinderte zu integrieren, mit den türkischen Nachbarn zu feiern, sich mit Amnesty International für die Freilassung von Gewissensgefangenen einzusetzen usw. usw. Dort gibt es auch das Erlebnis des Erfolgs und die gemeinsam verkraftete Niederlage. Dort findet der Einzelne die Selbstbestätigung und auch die Anerkennung seiner Leistung, die wohl jeder braucht. Toleranz und Solidarität, die nicht einmal — möchte ich etwas sarkastisch sagen — durch Gen-Manipulation zu bewirken sind, können dort eingeübt und begriffen werden, so daß sie zur persönlichen Verhaltens-Leitlinie werden. Ich habe über Vorbild-Wirkungen, Betroffenheit bewirkende Unruhe und über gemeinsame Engagements für andere gesprochen als Elemente eines breitwirkenden Bildungs- und Erziehungs-Bemühens, um ein Volk, um unser Volk in seinen sich ablösenden Generationen für eine Zukunftsgestaltung zu befähigen, die die vorhin genannten Tugenden in einer menschenwürdigen und friedensbereiten Gesellschaft ständig reproduziert. Ist dies nun auch die Antwort auf die Frage, ob Versöhnung möglich ist, ob die Nachfolge-Generationen der Opfer und der Täter miteinander leben, sich akzeptieren, sich schätzen und friedlich, freundschaftlich zusammenwirken können? Ich meine: Ja! Wenn es um die Begegnung von Einzelpersonen geht, dann liegt es auf der Hand, daß das, was die Beteiligten sich sagen und was sie tun und wie dies beides zusammenstimmt, zur Meßlatte wird. Da stellt sich bald heraus, was ehrlich gemeint ist und wo Freundschaft möglich wird. Geht es aber um die Herstellung der Beziehung zwischen Völkern, ist es schwieriger, und meine frühere Warnung vor Verallgemeinerungen gilt auch hierfür. Am besten läßt sich das Problem abhandeln am Beziehungsverhältnis zwischen den Israelis und den Deutschen. Ich bin davon überzeugt, daß politisch verantwortliche Stellen in Israel richtig gehandelt haben, als sie Anfang der sechziger Jahre die Türen aufgemacht haben für deutsche Jugendgruppen, damit in Israel die Begegnung mit jungen Israelis möglich wurde. Zu Beginn der siebziger Jahre gelang es dann, auch für den „Gegenverkehr", also die Reise israelischer Jugendgruppen und Jugendleiter zu uns in die Bundesrepublik, die israelische Zustimmung zu erhalten. Das nach dem deutsch370

23 Vortrag von Vizepräsident Westphal bei der Frankfurter Loge von B'nai-B'rith französischen größte Austauschprogramm hat sich bewährt u n d wird - bei von Zeit zu Zeit kritischer P r ü f u n g u n d Verbesserung seiner Inhalte — fortgeführt. Die nachwachsenden Generationen d e r israelischen Staatsgründer, auch beteiligt am Kampf, d e r das jüdische Volk aus d e r Rolle d e r Unterdrückten herausf ü h r t e , treffen auf die nachwachsenden Generationen aus d e m „Täter-Land", die Beteiligte an einem schnellen wirtschaftlichen Aufwuchs u n d einer beachtlich stabilen Demokratie-Entwicklung sind. Eigentlich gibt es auf beiden Seiten Fragen genug, die die Gegenwart u n d Zuk u n f t betreffen. Aber diese Begegnung ist nicht denkbar ohne die Fragen nach d e r Vergangenheit u n d der Einstellung dazu. Ich las gerade in diesen T a g e n eine hierher passende B e m e r k u n g von Martin Gregor-Dellin, d e m Lektor des Buchenwald-Romans „Nackt u n t e r Wölfen" von Bernd Apitz. Er schrieb: „Nur endet die Vergangenheit nicht an einem bestimmten T a g , sie stirbt nie, sie e n t f e r n t sich n u r , u n d jedes Wort r u f t sie zurück." U n d damit ist eines ganz klar — u n d darauf k o m m t es an — wer Vergangenheit verdrängt, d e r verhindert Versöhnung! Es geht nicht u m ,Sack u n d Asche'! Wer zeigen kann, daß er um die deutsche Vergangenheit weiß u n d daraus f ü r sich u n d sein Verhalten in unserer Gesellschaft Lehren gezogen hat, die er befolgt, der kann ein durchaus selbstbewußter Partner f ü r das Volk d e r O p f e r sein, weil beide in d e m B e m ü h e n zusammenwirken, eine Welt ohne Verfolgung Andersdenkender, o h n e Diskriminierung anderer Rassen oder Völker zu gestalten. Ich wünschte mir, daß unsere demokratischen Parteien, die in einer meist inhaltsleer erscheinenden Weise das Wort „Zukunft" auf ihre Wahlplakate geschrieben hatten, sich dabei wenigstens einiges von d e m gedacht hätten, was ich hier als meine Gedanken vorgetragen habe!

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24 Tagung des Gemischten Fachausschusses für den deutsch-israelischen Jugendaustausch

Vom 30.11. bis 3.12.1987 tagte in Bad Urach der gemischte Fachausschuß f ü r den deutsch-israelischen Jugendaustausch unter dem zeitweisen Vorsitz des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Anton Pfeifer. Der Ausschuß, der alternierend einmal jährlich in Israel bzw. der Bundesrepublik Deutschland zusammentritt, beriet über Schwerpunkte des Austauschprogramms 1988 sowie Fragen der inhaltlichen Fortentwicklung: „Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Qualifizierung d e r Austauschprogramme. Das große Engagement aller am Austausch Beteiligten, der Verantwortlichen, ist nach wie vor unvermindert. Es besteht jedoch die Gefahr, daß Programme routinemäßig abgewickelt und neue gesellschaftliche Entwicklungen übersehen werden. Die Gegenwart, die heute das Leben der Jugendlichen bestimmt, ist eine andere als die der ersten Gruppen vor zwanzig Jahren. Der Abstand zum Holocaust wird zeitlich größer, die Generation der unmittelbaren Zeitzeugen stirbt aus. Gesellschaftspolitische Veränderungen zu berücksichtigen und Erkenntnisse über Bedingungen f ü r einen gelungenen interkulturellen Austausch einzubeziehen, ist die Aufgabe f ü r die Gestaltung von zukünftigen Begegnungsprogrammen. Der Anspruch auf ein besseres Kennen- und Verstehenlernen der anderen gesellschaftlichen Realität u n d der in ihr lebenden Menschen muß erfüllt werden. Die vom Gemischten Fachausschuß festgelegten .Gemeinsamen Bestimmungen f ü r die D u r c h f ü h r u n g u n d Förderung des deutsch-israelischen Jugendaustausches' sind nicht so sehr erneuerungsbedürftig. Problematisch ist es, sie in die Praxis umzusetzen. Zur Qualifizierung des deutsch-israelischen Jugendaustausches wurde beim Internationalen Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland eine Bildungsreferentin eingestellt, deren Aufgabe es unter anderem ist, Konzepte f ü r die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung deutsch-israelischer Jugendbegegnungsmaßnahmen sowie f ü r die Qualifizierung der Leiter solcher Programme zu erarbeiten. Das besondere Interesse d e r Bundesregierung an dem deutsch-israelischen Jugendaustausch wird auch durch den Einsatz eines Jugendattaches an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Israel deutlich. Die deutsche Seite bat eindringlich um Unterstützung und Bereitschaft auf israelischer Seite, die Arbeit des Jugendattaches anzunehmen. Das T h e m a 40 fahre Bestehen des Staates Israel wurde auf Initiative des Unterzeichners ausführlich im Ausschuß behandelt. Das Ergebnis ist vor dem Hinter372

24 Tagung des Gemischten Fachausschusses für den deutsch-israelischen Jugendaustausch g r u n d d e r im vergangenen J a h r m e h r f a c h angekündigten Initiativen israelischerseits im Hinblick auf d e n speziellen Aspekt d e r deutsch-israelischen J u gendbeziehungen letztlich etwas enttäuschend. O f f e n b a r möchte die israelische Seite aus innerpolitischen G r ü n d e n die M a ß n a h m e n u n d Feierlichkeiten aus Anlaß des 40jährigen Bestehens des Staates Israel nicht mit einem besonderen deutsch-israelischen Schwerpunkt versehen. Trotz mehrmaligen Nachfragens wies die israelische Seite zunächst n u r auf einen umfangreichen Katalog von Projekten u n d Maßnahmen hin, die in Israel koordiniert von einem speziellen Ausschuß u n t e r Vorsitz eines Knesseth-Abgeordneten d u r c h g e f ü h r t werden. Ein großer Teil dieser Veranstaltungen ist f ü r die Teilnahme deutscher J u g e n d g r u p pen o f f e n . Ein herausragendes Ereignis ist u. a. d e r f ü r die Zeit vom 13. bis 20. März 1988 vorgesehene Weltkongreß der Partnerstädte in Jerusalem. Hier werden drei- bis f ü n f t a u s e n d Teilnehmer aus d e r ganzen Welt mit Schwerpunkt Europa erwartet. Am 15. März ist u. a. eine Podiumsdiskussion u n d Arbeitsgruppensitzung ü b e r d e n Jugendaustausch im R a h m e n von Städtepartnerschaften vorgesehen. Es k a n n davon ausgegangen werden, daß eine größere Delegation deutscher Kommunalvertreter an d e m Kongreß teilnehmen wird. A u ß e r d e m sind die deutschen Mitglieder des Fachausschusses f ü r d e n Jugendaustausch eingeladen. I m Fachausschuß sind auf deutsche Initiative aus Anlaß des 40-jährigen Bestehens vor allem die folgenden Maßnahmen vereinbart worden: - Ein Grundsatzseminar mit Vertretern d e r wichtigsten Organisationen u n d Institutionen, die im israelischen Jugendaustausch tätig sind zum T h e m a .Erzieh u n g zur Demokratie in zwei j u n g e n Demokratien, nationale Identität vor dem H i n t e r g r u n d der Geschichte (Arbeitstitel, 1988 40 J a h r e Israel, 1989 40 J a h r e Bundesrepublik Deutschland)' voraussichtlich Mitte J a n u a r 1989 in Israel. - Eine Dokumentation ü b e r die Wirkung des Jugendaustauschs sowie bestimmte Modellprogramme. - Drei- bis sechsmonatige Praktika f ü r j u n g e Fachkräfte d e r J u g e n d - u n d Sozialarbeit in der Bundesrepublik Deutschland (als G e g e n p r o g r a m m zu d e m vielfältigen langfristigen Einsatz deutscher Freiwilliger in Israel). Der Deutsche Bundestag, dessen Präsident Dr. Jenninger Schirmherr f ü r die deutschen Beiträge aus Anlaß des 40jährigen Bestehens des Staates Israel ist, beabsichtigt insbesondere die folgenden Initiativen: - A m 21. April 1988—Jahrestag d e r G r ü n d u n g Israels —eine kurze Ansprache von Präsident Jenninger im Verlauf des Sitzungstages (Sitzungswoche). - I m J u n i 1988 (voraussichtlich 2. oder 3. Juniwoche) Einladung an eine größere Delegation aus Israel sowohl aus d e r Knesset wie aus Gesellschaft, Wissenschaft u n d Wirtschaft zu einer besonderen Feierstunde in d e r Redoute. Hierzu hat RL 217 mit Dr. Schwueppe, Sekretär des außenpolitischen Ausschusses, vereinbart, d a ß BMJFFG eine Liste der aus seiner Sicht einzuladend e n israelischen Persönlichkeiten d e m Bundestag zur V e r f ü g u n g stellen wird sowie, d a ß nach Möglichkeit die Feierstunde von einem israelisch-deutschen 373

Jugendaustausch Musik-Ensemble, das in einem musikalischen work-shop gemeinsam Werke einstudiert hat, dort auftritt. - Je eine Delegation des Deutschen Bundestages von je ca. 12 Parlamentariern im Frühjahr und Frühherbst 1988 nach Israel. — Zur-Verfügungstellung von 2 bis 3 Stipendien für junge Wissenschaftler (Fachbereiche und Zielrichtung noch zu definieren, sodaß Anregungen von Frau Ministerin gegenüber Präsident Jenninger möglich wären, z. B. Einbeziehung von Sozialwissenschaftlern oder Historikern mit Schwerpunkt deutschisraelischer Beziehungen oder etwa empirische Forschung über historische Spurensuche von einzelnen und Jugendgruppen in der Bundesrepublik Deutschland). Außerdem sollen — wie aus dem Bundestag zu erfahren — eine Reihe von deutschisraelischen Medizinkongressen zu ausgewählten Themen stattfinden, die z. T. über das BMFT unterstützt werden, über die jedoch Abteilung 3 des BMJFFG bisher keine Kenntnisse hat. 217 hat von Dr. Schwueppe eine Liste der vorgesehenen Kongresse erbeten. Außerdem sind eine Reihe von kulturellen Veranstaltungen in Israel mit deutschen Musik-, Theater- und Ballet-Ensembles mit Unterstützung des Kulturfonds des Auswärtigen Amtes vorgesehen. Der israelische Botschafter bemüht sich seit kurzem auch darum, daß junge Preisträger des Wettbewerbs des Deutschen Musikrates noch 1988 in Israel auftreten können. (Das Jugend-Symphonie-Orchester Israels wird im Rahmen der Duisburger Jüdischen Kulturtage 1988 in der Bundesrepublik auftreten.)

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Namensregister Abeliovich 8: 149 Abramson, J. H. 8:156, 157 Abu-Shokor, Abdelfattah 8:214, 215 Achenbach, Ernst 6: 95,96 Adam-Schwätzer, Irmgard 8:245 Adenauer, Konrad 6: 53, 70,71, 80, 109, 110,126, 127, 136,266, 331, 332, 333, 386,420,429 7: 126, 2 6 3 , 3 6 3 8:4,6, 7, 8, 11, 12, 15, 20, 25, 28,40, 42, 80, 228, 229 Adenauer, Max 8:251,260 Adler, D.