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German Pages 246 Year 2015
Annette Geiger, Gerald Schröder, Änne Söll (Hg.) Coolness
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Annette Geiger, Gerald Schröder, Änne Söll (Hg.) Coolness. Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde
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Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Annette Geiger, Gerald Schröder, Änne Söll Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1158-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Coolness – Eine Kulturtechnik und ihr Forschungsfeld. Eine Einleitung Annette Geiger, Gerald Schröder, Änne Söll 7 Coolness – Zur Karriere eines Begriffs. Versuch einer historischen und analytischen Annäherung Gabriele Mentges 17
Das Kino als Medium des Cool Coole Typen. Eine Familienaufstellung Rüdiger Zill 39 Femmes fatales. Die verkörperte Coolness und der Tod Annika Reich, Laura Bieger 53 Coolness als fi lmischer Effekt. Cassavetes mit McLuhan Petra Löffler 67 Cool ist out. Warum James Bond heute weinen muss und die Avantgarde immer weniger Gefühle zeigt Annette Geiger 85
Coolness in der klassischen Moderne Avantgardisten im Schützengraben. Zur visuellen (Selbst-)Inszenierung soldatischer Coolness 1914-1918 Nils Büttner 105 Nach der Coolness. Lob der Kälte – Lob des Gartens: Bertolt Brechts Erneuerung der Literatur Franck Hofmann 127 Raumkälte. Architektur und Distanz in Anton Räderscheidts Porträts der 1920er Jahre Änne Söll 149
Coole Kunst nach 1945 »Birth of the Cool«. Jazz, Beat und Jackson Pollock Gerald Schröder 167 Kühle Kuben. Die Coolness der Minimal Art Sigrid Ruby 185 Touching from a distance. Coolness in den Arbeiten von Alex Katz, Andy Warhol, Barkley L. Hendricks Antje Krause-Wahl 201 Empörungsfreie Räume. Tontrennung als ›Kühlmittel‹ der jüngeren Kunst Christian Janecke 219 Dank 237 Zu den Autorinnen und Autoren 239
Coolness – Eine Kultur technik und ihr Forschungsfeld Eine Einleitung Annette Geiger, Gerald Schröder, Änne Söll
Cool – Eine Antwort, die immer zu passen scheint und im Jugendjargon zunächst nichts anderes meint als eine positive Zustimmung. Gerade die diff use Semantik des Begriffs bedingt offenbar seine Beliebtheit und Stärke, macht ihn jedoch auch ausgesprochen komplex. Die kulturwissenschaftliche Literatur hat, insbesondere seit den 1990er Jahren, die unterschiedlichsten Aspekte an der Kultur des Cool herausgearbeitet, ein einheitliches Bild des Begriffs und seiner Herkunft bzw. Tradition stellt sich dennoch nicht dar. Sicher ist nur: Coolness muss trotz aller Vagheit in der Definition als eine zentrale Kategorie des 20. und 21. Jahrhunderts betrachtet werden, die das kulturelle Selbstverständnis von der klassischen Moderne bis in unsere Gegenwart maßgeblich geprägt hat. Was aber soll darunter verstanden werden? Cool als Kulturtechnik berührt die Bereiche des Individuellen und Kollektiven, des Ästhetischen und des Psychischen, des Sozialen und Politischen, aber auch die Dimensionen der Ökonomie, d.h. der Medien und des Marktes, ebenso wie die der Geschlechter, Nationalitäten und Hautfarben. Das betroffene Forschungsfeld könnte also nicht weiter gefasst sein. Beginnen wir mit dem naheliegenden Verständnis des Begriffs, um davon ausgehend einen Überblick zur Bandbreite des Topos zu skizzieren: Coolness kann zunächst als eine individuelle Verhaltensstrategie beschrieben werden, die die strenge Kontrolle der eigenen Affekte anstrebt. Man sucht Verletzlichkeit und Schwäche, aber auch Wut und Aggression zu verbergen und stattdessen Macht und Stärke sowie Ruhe und Gelassenheit zu demonstrieren. Cooles Verhalten zeichnet sich somit durch eine 7
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gewisse emotionale Kälte aus, die traditionellerweise eher einem männlichen Verhalten zugeordnet wird. Dennoch ist die Kultur der Moderne reich an Frauentypen, die ebenfalls mit coolem Verhalten taktieren. Dies zeigt z.B. der Beitrag zur Femme fatale von Laura Bieger und Annika Reich in diesem Band. Ein bloß individualpsychologisches Verständnis coolen Verhaltens greift jedoch zu kurz, da Coolness oft erst als Reaktion auf soziale Ungleichheit zum Einsatz kommt. Es waren vor allem Vertreter gesellschaftlich unterdrückter Randgruppen, die sich durch cooles Verhalten vor Macht und Gewalt schützen und dabei neben ihrer eigenen sozialen Stellung auch diejenige der gesamten Gruppe stärken wollten. Insofern besitzt Coolness trotz einer stark individualistischen Ausrichtung paradoxerweise auch eine Gemeinschaft stiftende Funktion. Ein spezifisches Terrain für diese kollektive Funktion von cool bietet z.B. die Rassen- und Klassenproblematik in den USA. Sie wurde in den Medien des Alltags wie in der Kunst vielfältig thematisiert, ob in musikalischen Stilen von Jazz über Beat zu Hip Hop oder in epochenspezifischen Figuren wie Hipster, »white negro«, Beatnik oder den coolen Trägern des Afro-Looks, wie die Beiträge von Antje Krause-Wahl, Petra Löffler und Gerald Schröder detailliert ausführen. Kraft ihrer oppositionellen Haltung gegenüber bestimmten Formen der Macht, ist Coolness also mit dem Bereich des Politischen verbunden, selbst wenn damit nicht unbedingt ein direktes politisches Engagement verbunden sein muss.
Coolness als Ästhetik Als ein entscheidender Faktor von Coolness ist die ästhetische Dimension zu werten, denn bei den demonstrativen Formen von Selbstbeherrschung und Emotionslosigkeit handelt es sich stets um Inszenierungen – von Körper und Mode, von Habitus und Attitüde, von Stil und Stilbruch und dergleichen mehr. Schließlich geht es im Sinne einer Rhetorik darum, sein Gegenüber durch eine Fülle an visuellen Zeichen bzw. wahrnehmbaren symbolischen Praktiken von der eigenen Coolness zu überzeugen. Dies meint nicht nur die Posen und Gesten des einzelnen Akteurs, sondern kann spezifische Codierungen in Sprache, Musik, Tanz, Film, Bildender Kunst, Literatur und letztlich allen kulturellen Medien-, Design- und Alltagsphänomenen betreffen. Diese spezifisch ästhetische Grundlage von Cool wurde in der bisherigen Forschung noch nicht eigens untersucht. Der vorliegende Band möchte diese Lücke schließen und fokussiert daher auf das sinnlich Wahrnehmbare an der coolen Strategie. Der Ästhetik-Begriff ist hierbei umso angebrachter als es sich bei cooler Inszenierung in der 8
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Regel nicht um ein Streben nach kanonischer Schönheit handelt, sondern auch das Grausame und Sublime, das Göttliche als maskenhaft Kaltes und Starres sowie das Negative als Brüchiges, Dissonantes, Rebellisches oder auch Melancholisches einbezogen wird. Coolness inszeniert sich gern auf des Messers Schneide – einerseits als Zerstörung bis hin zur Todesnähe und andererseits aber auch als therapeutischer Effekt der Selbstbehauptung und des Widerstands. Gerade diese Ambivalenzen halten den Begriff so lebendig und historisch wandelbar. Wie die Beiträge des Bandes zeigen, sollte coole Inszenierung dabei nicht auf eine reine Warenästhetik reduziert werden, die über das konsumabhängige Ziel der Distinktion nicht hinausreicht. Zwar besitzt Coolness über jene Mode- und Epochenspezifi k auch eine »vergängliche« Seite, die stark in die Bereiche des Ökonomischen hineinragt, d.h. in eine Bedürfnisspirale des Aneignens und Fallenlassens. Aber es ist doch auff ällig, wie sehr auch die Akteure und Arbeiten der hohen Kunst von den epochenspezifischen ästhetischen Codes des Cool geprägt sind. Dies kann ihre Werke, ihre Sprache und Medien ebenso betreffen wie die Inszenierung der ausübenden Person. Wie sich dieser Zusammenhang schon in der klassischen Moderne bzw. seit dem Ersten Weltkrieg herausbildete, zeigen hier die Beiträge von Nils Büttner, Franck Hofmann und Änne Söll. Betrachtet man Coolness aus der Perspektive des Ästhetischen, bieten sich zwei Herangehensweisen an: Es können zum einen die inhaltlichen Motive selbst untersucht werden, so können einzelne Figuren als coole »Ikonen« identifiziert und auch mit einzelnen Schauspielern gleichgesetzt werden – wie z.B. Humphrey Bogart als Privatdetektiv, Marlene Dietrich als kühle Diva, James Dean als jugendlicher Rebell, Sean Connery als Geheimagent usw. Oder es lassen sich spezifische Narrationen als Mythenbildung des Cool analysieren wie z.B. der einsame, heimatlose Held im Western oder Kriminalroman, die selbstzerstörerische und Männer verschleißende Femme fatale, der überlegene Retter und Rächer von Kleists Michael Koolhaas bis zu Robin Hood oder der selbstverliebte Exzentriker und Dandy von Oscar Wilde bis zu Karl Lagerfeld und vielen anderen. Die Legendenbildung funktioniert bei fiktiven Figuren ebenso wie bei lebenden Personen, die Fortschreibung der Topoi wechselt vom Imaginären problemlos in die Wirklichkeit und umgekehrt. Gerade dem Kino und den audiovisuellen Medien kommt dabei eine prägende Rolle zu, wie hier das eigene Kapitel zur Coolness im Film zeigen wird. Die historische Zäsur um den Zweiten Weltkrieg ist in diesem populären Medium jedoch nicht so ausgeprägt wie in den anderen Künsten. Die coolen Typen der Leinwand zeigen im 20. Jahrhundert vielmehr eine beharrliche Kontinuität wie z.B. die »Familienaufstellung« solcher Ikonen des Cool von Rüdiger Zill, Petra Löffler sowie Laura Bieger und Annika Reich zeigen. Erst die Wende in 9
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das aktuelle Jahrtausend wirft gerade für das Kino die Frage auf, ob Coolness heute noch eine Überlebenschance hat, was der Beitrag von Annette Geiger über die medialen Bedingungen und den heute zu verzeichnenden Trend zur kulturellen Erwärmung zu beantworten sucht. Wie stark diese Figuren des überlegenen, coolen Helden in unserer kulturellen Vorstellung verankert sind, zeigt ihre Allgegenwart schon in der Literatur für die Allerkleinsten – z.B. von Asterix und Obelix über Tim und Struppi bis zu Pipi Langstrumpf und Harry Potter – sie alle scheinen nie Nerven zu zeigen bzw. wissen ihre Angst immer zu überwinden, wenn es die unglaublichsten Abenteuer zu bestehen gilt. Coolness wird hier zwar nicht als Gefühlskälte, aber doch als Gefühlsbeherrschung und damit als Heldenmut trainiert. In der Analyse des motivischen Cool überwiegt daher auch der Hang zur emotional kontrollierten Siegerpose. Diese inhaltlich orientierten Untersuchungen des Coolen werden ergänzt durch Herangehensweisen, die stärker die formalen und medialen Aspekte der Coolness fokussieren. Dabei geraten die Temperatur senkenden Faktoren bestimmter Inszenierungen in den Blick. Im Jazz wird die Abkühlung z.B. mit der Individualisierung und Isolierung der Instrumente bzw. Instrumentalisten im Solo oder in der Improvisation erzielt, in der Bildenden Kunst kann der Coolness-Effekt über Minimalisierung, Serialisierung und Anonymisierung der malerischen Geste bzw. Handschrift oder auch über die Farbtontrennung ausgelöst werden – wie es Sigrid Ruby anhand der Minimal Art und Christian Janecke in den jüngeren Kunstrichtungen bis heute nachweisen. Letztlich können in vielen Künsten und Alltagsmedien seit der Moderne solche Kälte-Strategien auf der formalen Ebene herausgearbeitet werden. Nicht zuletzt kann man auch schon Walter Benjamins einflussreiche Studie über »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (1936) als eine solche Analyse lesen 1: War das weit zurückliegende Zeitalter der Aura in Benjamins Darstellung noch ein Modus, der ohne Reproduktionsmedien und letztlich ohne mimetische Bildwiedergabe, sondern allein mit der »warmen« Authentizität des direkten Wahrnehmungserlebnisses auskam, so stellt er die Entwicklung der Medien von der Ausstellung des Bildes bis hin zu Fotografie und Film als einen Prozess des Erkaltens dar. Der Rezipient wird immer gewaltsamer von den Medien durchdrungen und sinnlich in Anspruch genommen – bis hin zur »Chocwirkung« (Benjamin) des in den Körper eindringenden Filmerlebnisses, das keine Distanznahme mehr erlaubt und somit das gesamte Bewusstsein durchdringt. Jede Form von Bild- und Medienwir1. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977.
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kung, so könnte man verallgemeinernd festhalten, die den Rezipienten direkt vereinnahmt und widerstandslos macht, lässt sich in diesem Sinne als abkühlend bzw. cool bezeichnen. Der Medieneffekt erzielt seinen Siegeszug, weil er das Publikum zur Passivität verurteilt – so wie schon die Gefangenen in Platons berühmter Höhle in Ketten lagen und den Blick starr auf das inszenierte Spektakel richten mussten. Dass die Moderne als erstes Zeitalter der Massenmedien von den Zeitgenossen als kalt empfunden wurde, muss daher nicht verwundern. Überhaupt lässt sich mit dieser medienästhetischen Begründung von cool gut argumentieren, warum gerade die Zäsur der Moderne so relevant ist für die Herausbildung von coolen Strategien – im Alltag, im Krieg, in der Kunst usw. Stellt man diese beiden Dimensionen der motivischen und der formalen Wirkweise als spezifisch ästhetische Topoi der Coolness in den Vordergrund, so ergibt sich eine nochmals erweiterte Diskussion über den Begriff. Die bisherigen Defi nitionsversuche erweisen sich als unzureichend, da sie die Verschiedenheit der sinnlichen Wahrnehmungsformen von Cool nicht ausreichend berücksichtig haben.
Coolness in der heutigen Forschung Dennoch sei an dieser Stelle zunächst ein Überblick gegeben zum heutigen Forschungsfeld über Coolness. Der anschließende Beitrag von Gabriele Mentges wird die Begriffsgeschichte noch detaillierter ausführen. Wie Tom Holert im »Glossar der Gegenwart« zum Stichwort Cool zusammenfassend festgestellt hat, besteht in der Forschung trotz unterschiedlicher Meinungen darüber, wie Coolness eigentlich zu defi nieren sei, doch Einigkeit darüber, dass der Begriff in der afroamerikanischen Kultur der USA geprägt worden ist.2 Wie wir sehen werden, greift diese Sicht zwar zu kurz, aber gerade mit der Coolness-Literatur der 1990er Jahre wurde jene Definition durchaus populär. Vor allem Richard Majors und Janet Mancini Billson haben die unterschiedlichen Ausprägungen einer »Cool Pose« aus soziologischer Perspektive analysiert und auf die besondere Situation afroamerikanischer Männer zurückgeführt.3 Für sie habe sich Coolness oftmals als die einzige Quelle von Stolz und Würde angeboten, die ihnen über andere materielle oder ideelle Statussymbole in der USamerikanischen Gesellschaft verwehrt blieben. Dies unterstreichen auch 2. Tom Holert: »Cool«, in: Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 42-48. 3. Richard Majors/Janet Mancini Billson: Cool Pose. The Dilemmas of Black Manhood in America, New York u.a.: Touchstone 1992.
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Dick Pountain und David Robins in ihrer Studie zu diesem Thema, die nicht nur den bisherigen Stand der Forschung bündig rekapituliert, sondern auch in methodischer Hinsicht dadurch zu überzeugen sucht, dass sie einen systematischen Zugriff auf den Gegenstand geschickt mit einer historischen Perspektive verbindet. 4 So führen die beiden englischen Autoren die Strategie coolen Verhaltens letztlich auf die Situation der Sklaven in den USA zurück, die gezwungen waren, ihre Wut und Verachtung gegenüber den weißen Machthabern zu verbergen, so dass ihnen Coolness als Schutz vor Strafe, aber auch als Form des passiven Widerstands diente. In ihrem Versuch, eine Genealogie coolen Verhaltens bis zu seinen Ursprüngen nachzuzeichnen, verfolgen Pountain und Robins die Spuren über den Sklavenhandel bis zu den Kulturen der Yoruba und Ibo zurück. Dabei stützen sie sich vor allem auf die Studien des Kunsthistorikers Robert Farris Thompson, der ein zentrales Konzept dieser westafrikanischen Kulturen – itutu – direkt mit cool übersetzt hatte.5 Vor allem junge Krieger streben mit itutu ein Ideal spezifisch männlichen Verhaltens an, das im religiösen Ritual seine prägnante visuelle Ausdrucksform erhält, wenn das Gesicht des Gläubigen – besessen von der spirituellen Macht der Götter – zur Furcht einflößenden Maske erstarrt. In den USA gewann die Situation der Sklaven bekanntlich zunächst über die Musik kulturellen Ausdruck. So zeigt sich auch im Blues die für Coolness so eigentümliche Beherrschung oder auch Unterdrückung aggressiver Impulse, die hier allerdings – im stark christlich geprägten Milieu – mit Schuldgefühlen verbunden sind, was neben der melancholischen Intonation auch viele Liedtexte explizit zum Ausdruck bringen. Insbesondere Lewis MacAdams hat die Bedeutung der Musikszene für die US-amerikanische Avantgarde untersucht.6 Auch die US-amerikanische Jugend der weißen Mittelschicht begeisterte sich für die entsprechende Musikentwicklung und übernahm in der Folge auch zunehmend coole Verhaltensweisen. Gerade für Heranwachsende wurde Coolness zur wichtigen Strategie, um sich gegenüber der Autorität ihrer Eltern zu behaupten und Akzeptanz in Bezugsgruppen Gleichaltriger zu finden. Denn auch hier kann cooles Verhalten nützlich sein, um die eigene Unsicherheit vor 4. Dick Pountain/David Robins: Cool Rules. Anatomy of an Attitude, London: Reaktion Books 2000. 5. Robert Farris Thompson: »An Aesthetic of the Cool«, in: African Arts VII, 5 (1973), S. 40-43, 64-67, 89-92; ders.: African Art in Motion, New York: University of Chicago Press 1979; ders.: Flash of the Spirit, New York: Random House 1984. 6. Lewis MacAdams: Birth of the Cool. Beat, Bebop and the American Avantgarde, New York u.a.: Free Press 2001.
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der Gruppe zu verbergen. Nicht nur der gemeinsame Musikgeschmack ist bekanntlich für den Zusammenhalt solcher peer groups wichtig, sondern ebenso alle begleitenden Modeerscheinungen, die oft auf provokante Art und Weise mit den Geschmacksvorstellungen der Eltern brechen. Von den Beatniks nach dem Zweiten Weltkrieg über Hippies, Punks bis zu Poppern und Yuppies oder Rap und Hip Hop haben seither alle Jugendkulturen ihre eigenen Codes des Cool hervorgebracht. Im Unterschied zu Peter Stearns, der cooles Verhalten vorrangig mit den veränderten Lebensbedingungen und Arbeitsverhältnissen der USamerikanischen Mittelklasse seit dem Viktorianismus in Verbindung bringt,7 betonen Pountain und Robins wohl zu Recht, dass es neben den Strängen weißer und afroamerikanischer Kultur in den USA auch spezifisch europäische Traditionslinien gibt. Dabei gehen sie allerdings nicht so weit wie Andreas Urs Sommer, der vor allem an den Wurzeln in der griechischen Antike interessiert ist und Coolness letztlich auf das Ideal stoischer Affektbeherrschung – die Ataraxie – zurückführt.8 Ist die Wirkung stoischer Philosophie in der europäischen Kulturgeschichte auch unbestritten, so scheint doch gerade für das Verständnis coolen Verhaltens in den Jugendkulturen des 20. Jahrhunderts eine andere kulturhistorische Erscheinung wichtiger und nahe liegender. Gemeint ist der Dandy des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, dessen ästhetische Selbststilisierung durch Mode und bestimmte Verhaltensweisen durchaus als frühe Ausprägung von Coolness beschrieben werden kann, die – ganz im Sinne einer dekadenten Lebensanschauung des Ästhetizismus – kaum Rücksicht auf bestehende moralische Werte nahm. Mit seinem betont aristokratischen Gebaren griff der Dandy nicht nur auf Regelwerke eines spezifisch höfischen Verhaltens in der Tradition Baldessare Castigliones »Hofmann« (1528) oder Baltasar Graciáns »Handorakel und Kunst der Weltklugheit« (1647) zurück, sondern reagierte auch auf das soziale Gefälle zwischen Bürgertum und Aristokratie, das sich im 19. Jahrhundert ganz anders darstellte als in den Jahrhunderten zuvor. So konnte sich der Dandy aus der Aristokratie durch entsprechende Formen der Inszenierung gegenüber einem wirtschaftlich und politisch erstarkten Bürgertum behaupten, während der Dandy aus dem Bürgertum der neuen sozialen Stellung seiner Klasse im Sinne einer Refeudalisierung auch symbolischen Ausdruck verlieh. Auch die Kultur der Weimarer Republik war von »Verhaltenslehren der Kälte« geprägt, wie Helmut Lethen in seiner gleichnamigen Studie 7. Peter N. Stearns: American Cool. Constructing a Twentieth-Century Emotional Style, New York, London: New York University Press 1994. 8. Andreas Urs Sommer: »Coolness. Zur Geschichte der Distanz«, in: Zeitschrift für Ideengeschichte I, 1 (2007), S. 30-44.
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zur Literatur der Neuen Sachlichkeit gezeigt hat.9 Reflektiert wurde dies vor allem in der zeitgenössischen Anthropologie, die sich wiederum an den Regelwerken höfischen Verhaltens orientierte. Dabei wurden höfische Distanz, Affektkontrolle und bewusste Verstellung nun zum Vorbild eines spezifisch bürgerlichen Verhaltens, um besser mit den neuen Anforderungen umgehen zu können, die ein beschleunigter sozialer Wandel und technischer Modernisierungsschub nach dem Ersten Weltkrieg an den Einzelnen stellten. Bereits Georg Simmel hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf die Blasiertheit des Großstädters hingewiesen, der aus Selbstschutz gegenüber der neuen Reizüberflutung und räumlichen Enge städtischen Lebens eine gewisse Reserviertheit und emotionale Kälte gegenüber seinen Mitmenschen an den Tag lege. 10 Dass auch die Mode dieser Zeit als Reflex auf solche Verhaltenslehren der Kälte verstanden werden kann, hat Gabriele Mentges am Beispiel der Leder- und Gummibekleidung des Motorsports anschaulich dargelegt.11 Für die besondere Ausprägung von Coolness wird seit den 1950er Jahren neben der eher subkulturell agierenden Jugendkultur auch die Kultur des so genannten Mainstream immer wichtiger. Insofern spiegelt sich auch in den jeweiligen coolen Inszenierungsweisen ein für die Jugendkulturen nach dem Zweiten Weltkrieg generell zu beobachtendes dialektisches Verhältnis, das die gesellschaftliche Gegenkultur zugleich zum integralen Bestandteil der kapitalistischen Konsumgesellschaft macht. Mit anderen Worten: Cool verkauft sich gut. Zunächst entdeckte Hollywood das Potential von Coolness für sich und schuf bereits in den 1950er Jahren so wichtige Ikonen coolen Verhaltens wie James Dean und Marlon Brando. Vor allem Thomas Frank hat auf den engen Zusammenhang von Coolness und Kapitalismus hingewiesen, der sich seit den 1960er Jahren zunehmend selbst im positiven Sinne als cool verstehe und sich mit diesem Image auch vor der Gesellschaft zu legitimieren versuche.12 Und auch Dick Pountain und David Robins schließen ihre Studie über Coolness mit einem recht negativen Fazit, weil Coolness ihrer Meinung nach im Laufe der letzten 9. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994. 10. Georg Simmel: »Die Großstädte und das Geistesleben« (1903), in: ders., Gesamtausgabe, hg. v. Otthein Rammstedt, Bd. 7/1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, S. 116-131. 11. Gabriele Mentges: »Cold, Coldness: Remarks on the Relationship of Dress, Body and Technology«, in: Fashion Theory 4, I (2000), S. 24-48. 12. Thomas Frank: The Conquest of Cool. Business Culture, Counterculture, and the Rise of Hip Consumerism, Chicago u.a.: University of Chicago Press 1997.
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Jahrzehnte seine oppositionelle Kraft verloren habe und zur Erfolg versprechenden Verhaltensstrategie im fortgeschrittenen Kapitalismus geworden sei, in dessen rationalisierten Formen des Wettbewerbs sich das Individuum behaupten müsse: »Cool may once have been an expression of rebellion but it is surely not any longer.«13
Fragestellungen Der hier skizzierte Forschungsstand zeigt, wie sehr die Literatur bisher doch wertend verfuhr – d.h. entweder politisch auf- oder ökonomisch abwertend in Bezug auf den als wertvoll gefeierten Widerstand oder die als schädlich verurteilte Warenlogik des Cool. Das Konzept dieses Bandes versucht aus diesen tendenziösen Darstellungen auszubrechen und über die Konzentration auf das Ästhetische differenziertere Kategorien zur Beschreibung von Coolness zu gewinnen. Dabei ermöglicht die Thematisierung unterschiedlicher Medien wie Literatur, Malerei, Fotografie und Film, wie auch Werbung und Populärkultur den vergleichenden Blick auf die medienspezifische Ausprägung und Repräsentation coolen Verhaltens. Mit der einleitenden Begriffsgeschichte bzw. Diskursanalyse stellt Gabriele Mentges eine Unterscheidung der gleichwohl miteinander verwandten Konzepte Coolness und Kälte vor und zeigt, dass cool erst seit den 1980er und 1990er Jahren zum Schibboleth der Jugendkultur wurde und interessanterweise zeitgleich auch die kulturwissenschaftliche Reflexion des Begriffs einsetzte, die sich, wie angedeutet, in Urteilen und Diskurskonstruktionen nicht zurückhielt. Um dagegen mit dem vorliegenden Buch eine spezifisch ästhetische Sichtweise zu entwickeln, gliedert es sich in zwei historische Bereiche, die den künstlerischen Ausdrucks- und Inszenierungsformen vor- und nach dem Zweiten Weltkrieg, d.h. grob datiert der Moderne und der Postmoderne gewidmet sind. Diese Zäsur um 1945 scheint uns gerade in den Künsten als zentral für die Unterscheidung einer spezifisch modernen Form der Kälte, die das Individuum bzw. das Individuelle stark zu negieren suchte. In ihrer Ästhetik war die klassische Moderne stark von den entemotionalisierenden Prozessen rund um Maschine, Großstadt, Industrialisierung, Medialisierung, Beschleunigung und nicht zuletzt den alle Dimensionen vereinenden, aber letztlich zerstörerischen und inhumanen Schubkräften der Kriege geprägt. Davon lässt sich das nicht nur europäische, sondern allgemein westliche Phänomen der Coolness nach dem Zweiten Weltkrieg abgrenzen, dessen Ästhetik sich in Kunst und Alltag weniger aus einer direkten existenziellen Bedrohung 13. D. Pountain/D. Robins: Cool Rules, S. 178.
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z.B. durch den Krieg ableitet, sondern im Gegenteil als Reaktion auf eben die Unmenschlichkeit der ersten Jahrhunderthälfte mit einer starken Tendenz der Individualisierung antwortet – vom Existenzialismus als Lebenshaltung über Mode- und Musikrichtungen, entsprechende Kultfi lme sowie die Pop- und Cool-Art-Bewegungen im weitesten Sinne. Für die Popularisierung von Coolness als Ästhetik muss, wie angedeutet, gerade Kino und Medien eine besondere Rolle zugesprochen werden: Motivisch über die Figuren wie formal über die abkühlende Wirkung des Mediums. Leinwand und Bildschirm, aber auch die Printmedien mit ihren Fotostrecken und erläuternden Berichten prägen als direkte Erzeuger jener Bilder des Coolen unser kollektives Bewusstsein. Heldenmuster werden mit jenem visuellen Fleisch gefüllt, das man für eine gelungene Nachahmung braucht. Die Ästhetik des Vorbilds – von der inszenierten Lebensgeschichte bis zur Art, wie man den Scheitel trägt oder den Martini trinkt – wird in höchster Anschaulichkeit erlebbar und kopierbar. Nur: Wie lange ist Coolness hierbei echt? Was ist Urbild, was Kopie? Woher wissen wir angesichts eines Inszenierungsversuchs, was wir als cool erachten sollen und was wir als peinlichen Modegag scheitern lassen? Jedes Nachdenken über Coolness setzt letztlich eine Definition davon voraus, aber – so das Paradox – diese bleibt trotz allem unmöglich. Man könnte sie vielleicht mit Kant dem Geschmack gleichstellen als eine unbegründbare Qualität des »je ne sais quoi«, die dennoch jeder versteht, wenn sie funktioniert. Über Cool lässt sich nicht streiten, wäre dann die Devise. Und hier schimmert wiederum die Machtdimension hindurch: Cool als Codierung zwingt jeden einzelnen, die entsprechenden Funktionen zu beherrschen – gleich einem Prozess der Alphabetisierung, dem Einüben einer Kulturtechnik. Kann eine solche Kategorie also untergehen, oder nimmt sie immer nur permanent neue Formen in neuen kulturellen Kontexten an? Einige, auch unterschiedlich ausfallende Antworten seien im Folgenden gegeben.
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Coolness – Zur Karr iere eines Begr iffs Versuch einer histor ischen und analytischen Annäherung Gabriele Mentges
»Coolness am Zug«, so lautet eine Mitteilung der österreichischen Bahn in ihrer Werbung für jugendliche Bahnfahrer im Dezember 2007. Glamouröse Coolness wird z.B. in Verbindung mit einem »metallic look« versprochen, oder es gibt sogar eine Focus-Titelgeschichte über »Was ist cool?«. 1 Als Definition für cool verweist die Süddeutsche Zeitung auf den Schauspieler »Steve McQueen ist nicht zu fassen«2 und verwendet auch sonst das Adjektiv cool in vieler und durchaus ernst gemeinter Hinsicht zur Charakterisierung von Personen, Beziehungen, Aussehen, Stimmungen, Situationen, gelegentlich auch mit einem wörtlichen Bezug: »Der coole Kämpfer«, gemeint ist der Klimaanlagenhersteller Carl-Heinrich Schmitt.3 Oder es wird geworben für »Coole Socken« mit dem Untertitel »Und Lässigkeit ist doch käuflich«. 4 Der Gebrauch des Wortes in alltagssprachlichen wie medialen Kontexten, in Zeitungen und Zeitschriften ist mittlerweile überwältigend: Er findet sich im Umfeld von Jugendkultur, Werbung, Politik, Mode, Verhaltensweisen allgemein, Design usw. und ist selbst in der seriösen Presse als attributive Zuschreibung durchaus etabliert und nobilitiert.5 Das Interesse an einer analytischen wie historischen Aufarbeitung des Begriffes resul1. http:// www.single-generation.de/kritik/debatte_coolsein.htm. Vgl. Focus 13 (2001). 2. Siehe SZ vom 22.2.2008. 3. Siehe SZ vom 25.2.2008. 4. Siehe SZ vom 15/16.3.2008. 5. Eine neue Konjunktur hat die Bezeichnung cool mit dem Antritt des US-
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Gabr iele Mentges
tiert aus meiner eigenen Untersuchung zur Coolness im Bereich der materiellen Kultur.6 Damals auf der Suche nach einer passenden englischen Übersetzung des Begriffes Lässigkeit, den Ernst Jünger für die Piloten des Militärs benutzte, habe ich ihn aus einem zeit- und materialspezifischen Kontext heraus entwickelt. Erst damit wurde mir bewusst, dass ich in ein sehr weites, aktuelles, wie unüberschaubares und fluktuierendes Begriffsfeld eingetreten bin.
Abbildung 1: »Coole Socken«. Aus: Süddeutsche Zeitung 15./16. 3. 2008 Gleichzeitig findet der Begriff in seiner substantivierten und begrifflich gefassten Form auch in Wissenschaft und Kultur offensichtlich verstärkte Aufmerksamkeit: »Apatheia – Besonnenheit – Coolness. Das ABC der reduzierten Gefühle«, so hieß jüngst eine Tagung des Einsteinforums und amerikanischen Präsidenten Barack Obama erfahren, der als ein »cooler« Präsident bezeichnet wird. 6. Vgl. Gabriele Mentges: »Cold, Cool, Coolness: Remarks on the Relationship of Dress, Body and Technology«, in: Fashion Theory 4, 1 (2000), S. 27-48.
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der Deutschen Kinemathek in Berlin im Dezember 2007.7 Kann Coolness damit den Status eines epochalen Schlüsselbegriffes beanspruchen?8 Diese Beobachtungen einer zunehmenden Etablierung, ja man könnte sagen Nobilitierung des Wortes cool als solides Attribut in der ernsthaften Berichterstattung der Medien und einer gewachsenen Aufmerksamkeit dem Phänomen Coolness von kulturell-wissenschaftlicher Seite her bilden den Ausgangspunkt meiner Fragen. Worauf deutet die jetzige Popularität des Begriffes cool – Coolness hin? Vor allem: Welche Beziehung besteht zwischen Wort und Gegenstand? Verdankt sich seine Beliebtheit der angloamerikanischen Sprachhegemonie? Lassen sich auch Begriffskonjunkturen feststellen? Wie verhält es sich mit der Rückprojektion auf historische Kontexte? Die holländische Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal hält die begriffsanalytische Annäherung für eine erste methodologische Voraussetzung der Kulturanalyse. Denn, so ihr Argument: »Begriffe sind niemals bloß deskriptiv. Sie sind programmatisch und normativ und daher auch Werkzeuge der Intersubjektivität. Begriffe bleiben jedoch nicht starr, sie wandern zwischen Fächern, einzelnen Wissenschaften sowie zwischen historischen Perioden und geographisch verstreuten akademischen Gemeinschaften.«9 Die begriffliche Transformation zieht dabei auch eine Änderung des bezeichneten Gegenstandsbereiches mit sich. Dabei ist der Schritt von dem Wort cool als einfachem Adjektiv hin zur substantivierten Form der Coolness als qualitative Unterscheidung zu verstehen: Coolness ist nicht nur das einfache Nomen, sondern bezeichnet bereits eine Disposition von Eigenschaften mit konzeptionellem Status. Der Begriff als Nomen bedeutet eine Verallgemeinerung. Um es mit den Worten von Aleida Assmann zu beschreiben, handelt es sich um einen Akt, in dem sich subjektive und an Gegenwart geschulte Erfahrung verallgemeinere, dadurch kontextunabhängig und für die allgemeine Kommunikation brauchbar wird und letztlich als erhärtetes Bedeutungsschema zur Verfügung stehe. 10 Entspre7. Die Publikation zur Tagung ist noch nicht erschienen, sie wurde organisiert von Rüdiger Zill; siehe auch seinen Beitrag in diesem Band. 8. Vgl. auch die Tagung: Wie cool ist Europa? Eine Idee sucht Nachwuchs. Evangelische Akademie Tutzing in Kooperation mit Kultur & Spielraum e.V. München, 21.-23. Januar 2005. 9. Vgl. Mieke Bal: Kulturanalyse, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, S. 10 –11. 10. Vgl. Aleida Assmann: »Externalisierung, Internalisierung und Kulturelles Gedächtnis«, in: Walter M. Sprondel (Hg.), Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Für Thomas Luckmann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 422-435, hier S. 426.
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chend scheint der Begriff sich mittlerweile für historische Rückprojektionen, z.B. auf die Figur des Dandys zu eignen. Für Cool lassen sich drei begriffliche Schritte unterscheiden: Erstens ist es ein fremdsprachiges Wort, das in eine andere Sprache wandert. Zweitens wird es von den Medien immer neu verhandelt und an neue Kontexte vermittelt. Und drittens wird Cool spezifischen Objekten und Praktiken zugeordnet. 11 Gerade die zuletzt genannte Beziehung zu Praktiken und Objektfeldern liefert der Begriffsanalyse eine Instanz, um die Konsistenz und Dauerhaftigkeit eines Begriffes zu prüfen. Diese Beziehung bildet einen entscheidenden, wenn nicht maßgeblichen Ort der Sinngebung, der Sinnverstetigung und der Vernetzung. Die gegenständliche Welt bietet uns nicht nur ein Gegenüber, sondern in der Auseinandersetzung mit ihr wird sie Teil unseres inneren Bildes, unserer Praktiken und Vorstellungswelten. Die mediale Vermittlung wiederum setzt den Begriff wie eine Art Joker ein, der auf diese Weise immer weitere Bedeutungsfelder assoziiert. Meine Quellen beruhen auf englischen wie deutschsprachigen Lexika und einschlägigen Publikationen, in denen der Begriff selbst zum Thema wird. Ich beziehe mich auch gelegentlich auf Veröffentlichungen, in denen der Begriff Cool oder Coolness im Titel Aufmerksamkeit erregt. Befasst sich mein Aufsatz zuerst mit der Spurensuche in den einschlägigen Lexika und der sich darin abzeichnenden begrifflichen Landschaft, so versuche ich im zweiten Teil die wissenschaftlichen Diskurse zur Coolness aufzuspüren und ihren Wegen nachzugehen. Beim Gang durch die Wörterbücher war eine strenge Systematik nicht konsequent anwendbar und vermutlich lässt meine kleine Untersuchung mehr Fragen offen, als sie zu beantworten imstande ist.
Begr if fsgeschichte Bei einer Begriffsgeschichte geht es konkret darum, wie Wörter und Dinge in Zusammenhang stehen. Der Historiker Joachim Radkau hat dies für die Geschichte der Nervosität griffig formuliert: Eine richtig verstandene Diskursgeschichte sei nicht nur eine Geschichte der Worte, sondern der
11. Vgl. Herbert Willems/York Kautt: Die Theatralität der Werbung. Theorie und Analyse massenmedialer Wirklichkeit. Berlin, New York: de Gruyter 2003, S. 214-216. Auch er betont die Zuschreibung bestimmter Materialien und Accessoires wie Sonnenbrille, allerdings hängt die von ihm bemerkte »geschlechterindifferente« Verwendung von Cool mit seiner in diesem Fall engen Einbettung in die Warenkultur zusammen.
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Erfahrungen. 12 Die inhaltliche Besonderheit der Coolness liegt u.a. darin begründet, dass sie als thermische Metapher auf Prozesse der Kühlung, Abkühlung, Erwärmung usw. verweist und damit auf sinnlich wahrnehmbare Phänomene. Die materielle Umgebung und die Einbettung des Begriffes sind also ebenfalls von Bedeutung. Denn die Begriffsgeschichte führt zeitgleich in die Periode der Frühen Neuzeit mit den ersten Ansätzen für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Messbarkeit und Prüf barkeit der Temperatur, die bislang vor allem als gefühlter Zustand, somit als subjektiver Befund wahrnehmbar und beschreibbar war. 13 Mit den Versuchen der Messung gerät auch die Temperatur unter die Herrschaft einer vermeintlich objektivierenden Technik. Cool als kalt müsste als binäre Entsprechung heiß gegenüber stehen. Doch spielt dieser Kontrast in der Begriffsgeschichte keine Rolle. Ein Blick zurück in die englische Sprachgeschichte bestätigt den frühen Zusammenhang zwischen Cool als thermischer Eigenschaft und Kennzeichnung des Charakters. So bringt bereits im Jahre 1730 das »Dictionarium Britannicum« von Nathan Bailex »a moderate state of cold« und »cool« als Charaktereigenschaft in einen Zusammenhang. Vorrang als Erstnennung besitzt zwar die thermische Bedeutung, aber auch andere folgende Lexika deuten Cool als charakterliche Eigenschaft im Sinne einer kühlen Distanz. (Herkunft laut »Dictionarium Britannicum« ist das sächsische Wort cuole). 14 Dies ist insofern bemerkenswert, als ein Wörterbuch ca. 50 Jahre früher, nämlich von 1671, den Begriff cool noch nicht auff ührt.15 Zum ersten Mal wird der Begriff cool dann in einer zu heute vergleichbaren Bedeutung 1836 bei Dickens verwendet. 16 Schlüsse aus diesen zeitlichen Sprüngen können allerdings nur mit größter Vorsicht gezogen werden, da die lexikalische Systematik noch nicht in der heutigen Gründlichkeit und Konsequenz beachtet wurde. Es lässt sich jedoch ein weiterer zeitlicher Konnex feststellen: Im 18. Jahrhundert, als der Begriff 12. Vgl. Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervösität, München: Propyläen Taschenbuch 2000, S. 14. 13. Vgl. Petra Lutz/Thomas Macho (Hg.): Das Wetter, der Mensch und sein Klima. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Hygienemuseum Dresden, Dresden 2008, S. 20. 14. Vgl. Nathan Bailey: Dictionarium Britannicum 1730, Hildesheim, New York 1969. 15. Vgl. Stephen Skinner: Etymolicon Linguae Anglicanae 1671, Hildesheim, New York: Georg Olms Verlag 1970. 16. Vgl. Dick Pountain/David Robins: Cool Rules. Anatomy of an Attitude, London: Reaktion Books 2000, S. 29. Ihnen zufolge wird er als negatives Pendant zu »good« eingesetzt.
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erstmals in die Wörterbücher aufgenommen wird, taucht um 1740 die erste, den Dandies vergleichbare Personengruppe auf, nämlich die englischen Makaronis, junge englische Adlige, die gelangweilt vom englischen Landleben, sich auf Reisen begeben, um ihrem Vergnügen nachzugehen, eine Form der conspicious consumption zu praktizieren und sich durch auff ällige Kleidung abzuheben. 17 Verfolgt man die Spur des Begriffes im angloamerikanischen Kontext bis in die Gegenwart, so wird weiterhin auf der Verbindung von Temperatur und Charakter bestanden, die um folgende zusätzliche Differenzierungen schließlich wesentlich erweitert wird wie »unaffected by passion, agitation, free from excitement, marked by deliberately judgement and temperate moderation, not retaining heat, light, casual and confident, full in amount.« Nur bei der Nennung von »calmness« und »composure« erfolgt der Verweis auf Slang. 18 Und – dies ist bemerkenswert – der Zusammenhang wird gelegentlich zusätzlich um »cool dress« erweitert. 19 In den USA 17. Vgl. PeterMcNeill: »Macaroni Masculinities«, in: Fashion Theory 4, 4
(2000), S. 373-403. Vorsicht ist hier auch geboten, weil einige Wörterbücher bereits auf Cool als Charaktereigenschaft im ausgehenden 16. Jh. (1593) und 17. Jh. (1647) verweisen wie: »The Shorter Oxford English Dictionary on Historical Principles«, 3. Ed., 1970, S. 389. Ein anderer Beleg wird zitiert in »The Random House Dictionary of American Slang«: Ein Eton-Schüler wird in einer satirischen Publikation »Spy« tituliert als »right cool (hence impudent, insolent, or daring fish)«, zit.n. Lewis McAdams: Birth of the Cool. Beat, Bebop, and the American Avant-Garde, London 2002, S. 14. 18. Oxford/American Dictionary, New York: Avon Books 1980, S. 140. 19. An American Dictionary of the English Language by Noah Webster, Vol. 1, New York, London 1828 (Johnson Reprint Corporation 1970). Vgl. Philip Babcock Gove (Hg.): Webster’s Third New International Dictionary, Vol. 1, Springfield Massachusetts, USA 1967, S. 500ff. Vgl. A dictionary of slang, jargon & cant, Detroit: The Ballatyne Press 1967: »Cool (common) used in reference to a large sum of money«. Vgl. Joseph Wright (Hg.): English Dialect Dictionary, Vol. 1, 1970: »cool…also in form of cule«. Vgl. Webster’s New Twentieth Century Dictionary of the English Language, 2 ed., Collins World 1977: Cool hat hier ähnliche Bedeutungen wie »without exaggeration«. Hier Hinweis auf slang: »very good, excellent«; auch »cool place, time«; Coolness wird verwendet auch in der üblichen Bedeutung für moderates Verhalten und Charakter. Vgl. Longman Dictionary of Contemporary English, völlige Neubearbeitung 1987; Vgl. Longman Dictionary of English language and culture, Essex (England) 1992. Ähnliche Bedeutung wie überall: Wärme, Charakter – aber keine Coolness wird erwähnt, auch nicht in Bezug zur Jugendkultur. Vgl. Erwähnungen in Langenscheid Longman: keine Coolness, cool in der üblichen Bedeutung. Vgl. Cobuild
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galt cool laut Trendforscher Matthias Horx als das meistbenutzte Adjektiv der 1990er Jahre.20 Der im Angloamerikanischen benutzte Begriff (CoolCoolness) ist also schillernd, er birgt viele Facetten bis hin zu negativen Konnotationen des Defizitären – wie die Abwesenheit von Begeisterung – aber er bleibt in seinem semantischen Feld relativ bedeutungsstabil und enthält sämtliche Sinnbelegungen, die im Deutschen wieder aufgegriffen werden. Insgesamt erstaunt jedoch, dass im angloamerikanischen Sprachraum selbst in den aktuellen Lexika der Zusammenhang zwischen Coolness und Jugendkultur nicht hergestellt wird.21 Dies ändert sich jedoch beim Blick in die deutschen Nachschlagewerke und Wörterbücher: Hier taucht der Begriff, soweit die bisherige Übersicht es mir gestattet, nicht vor den 1980er Jahren auf und wenn nur vereinzelt und nicht konsequent.22 Ausführlich heißt es im »Illustrierten Lexikon der Deutschen Umgangssprache« von 1983 »Cool (englisch ausgesprochen) 1. modern, jugendlich, meint im Englischen soviel wie »kühl, frisch, kaltblütig, leidenschaftslos«. 2. unübertrefflich, schwungvoll. 3. gelassen, selbstsicher, freud- und energielos.« Wer sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, gilt den jungen Leuten als langweilig, schwunglos und unsympathisch.23 Diese Nennung in den 1980er Jahren bleibt mehr oder weniger ein Einzelfall. Aber dennoch erstaunt es, dass selbst später in einschlägigen Wörterbüchern wie in »Neologismen der 90er Jahre im Deutschen«, obschon voll von Anglizismen wie daily soap, cybercaf usw., cool nicht erwähnt wird, auch nicht in »Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist« von 1989.24 Wenn cool genannt wird, betonen deutsche Lexika stets die Abstammung aus der Jugendkultur, einen Aspekt, den die angloamerikanischen nicht English Dictionary, Harper Collins Publisher 1995, S. 360-361: ausführliche Nennung einschl. »dress«. 20. Matthias Horx: Trendwörter von Acid bis Zippies, Düsseldorf u.a. (2. Aufl .): Econ-Verlag 1995, S. 50. 21. Vgl. Longman Dictionary of English language and culture, Essex (England) 1992. 22. Im Duden von 1978 ist Cool noch nicht genannt. Allerdings nehme ich den davon unabhängigen Begriff des Cool Jazz aus, der sehr wohl erwähnt wird. 23. Illustriertes Lexikon der Deutschen Umgangssprache von Dr. Heinz Küppers, Bd. 2, Stuttgart: Klett 1983. 24. Vgl. Dieter Herberg u.a.: Neuer Wortschatz. Neologismen der 90er Jahre im Deutschen, Bd. 11, Berlin, New York: De Gruyter 2004. Vgl. Gerhard Strauß u.a.: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch, Berlin, New York: de Gruyter 1989. Cool wird auch nicht erwähnt in: Gerhard Aust: Wortfamilienbuch der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen 1989.
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erwähnen. Der Duden versucht sich gar an einer Verdeutschung des Begriffes und spricht von Coolheit oder einem substantivierten Coolsein.25 Fast allen ist daran gelegen, cool stets in Zusammenhang mit dem Cool Jazz der 1950er Jahre zu bringen. Laut der Untersuchung »Kontroverse Begriffe« von Stötzel und Wengeler kommt cool weder in der Jugendsprache der 1950er noch der 1960er Jahre vor. Ihnen zufolge jedoch beansprucht die Jugendsprache nach ihrer zuerst abschätzigen Bewertung in den beiden zuvor genannten Jahrzehnten zunehmend eine kreative Rolle, indem sie zunehmend zur Entkonventionalisierung der Sprache beitrage.26 Im Sprachgebiet der ehemaligen DDR schien cool lange nicht als wichtiges Attribut zu taugen. Cool wird hier nur in Zusammenhang mit Cool Jazz namhaft gemacht.27 Die vergleichende Übersicht ergibt, dass im angloamerikanischen wie im deutschen Sprachgebiet zwar ähnliche semiotische Felder besetzt werden, die Herleitung jedoch unterschiedlich ausfällt. Die Ausführlichkeit der Bedeutungsbelegung nimmt seit den 1980er Jahren im Deutschen zu, bis es schließlich in den 1990er Jahren zu einer ausführlichen Bestimmung kommt: Coolness für »kühle Beherrschtheit, Gelassenheit, Zurückhaltung, Sachlichkeit, Nüchternheit, Übersicht, Überblick (im Handeln, in der Reaktion) (vgl. Routiniertheit –> Routine –> Professionalität), gleichzeitig auch abwertend für Langeweile, Gleichgültigkeit, Leere (1984, 1986)«28, auch »Überheblichkeit« (1983)29 . Dies steht zugleich als Hinweis dafür, 25. Duden. 3. neu bearbeitete und erweiterte Aufl age, Bd. 2, Mannheim u.a. 1999. 26. Georg Stötzel/Martin Wengeler: Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, New York: de Gruyter 1995, S. 224, S. 211, S. 239. Auf S. 24, hier Dieter Zimmer aus der Zeit (17.4.1981) zitierend: »Cool wird auch in Zusammenhang mit Drogen genannt und besitzt hier die Bedeutung sehr gut.« 27. Diese mündliche Mitteilung verdanke ich Christel Köhle-Hezinger, Jena. Vgl. Meyers Neues Lexikon 1972 VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 2. völlig neu erarbeitete Aufl age: Cool Jazz: »Erscheinungsform des snobistischen Jazz«. 28. Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluss des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, Bd. 1, Berlin/New York 1993, S. 808-810. Vgl. Duden. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache: Ausgaben 1993, Bd. 2, völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Aufl age, Ausgabe 2001; Vgl. Karl Peltzer/Reinhard von Normann: Das treffende Wort. Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke. 22. Aufl ., Thun: Ott 1992. 29. Illustriertes Lexikon der Deutschen Umgangssprache von Dr. Heinz Küpper, Bd. 2, Stuttgart: Klett 1983, S. 552-553. Deutsches Fremdwörterbuch.
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dass Coolness ein Terrain erobert hat, das früher dem Begriff Lässigkeit vorbehalten war. Dieser ältere für die Jugendkultur mit ihrem spezifischen Medienkonsum der 1950er Jahre zuverlässig reklamierte Begriff30 scheint mit diesem Eintrag endgültig ad acta gelegt zu sein. In einem der sicherlich meist genutzten Nachschlagewerke allerdings, dem Brockhaus, wird der Begriff bis in die jüngste Auflage (2006) – mit einer Ausnahme im Jahre 1987 (Brockhaus, 4. Bd.) – nur im Zusammenhang mit Cool Jazz erwähnt. In den konventionell normierten Sprachgebrauch hat der Begriff also offenbar nicht eindringen können. Der Eintrag von 1987 mag ein Ausrutscher sein oder Effekt einer Aufmerksamkeit gegenüber den damals sich immer stärker bemerkbar machenden Jugendkulturen. Als Ergebnis findet sich eine sprachkulturell geprägte zweigleisige Nutzung: Im Deutschen verharrt Cool eher im Bereich des Jargons, was auf die immer noch gültige Trennung zwischen einer E- und U-Kultur, zwischen einer high und low culture hindeuten könnte.31 In angloamerikanischen Lexika wird cool hingegen als respektable Vokabel geführt und nicht explizit auf die Jugendkultur bezogen. Die Überprüfung, wie Coolness in wissenschaftlichen Publikationen zur Analyse von Jugendkulturen fruchtbar gemacht wird – wie z.B. in »Coolhunters: Jugendkulturen zwischen Medien und Markt« – ergibt eine den Medien vergleichbare Nutzung. Der Begriff Cool wird hier geschickt um offene Assoziationsketten erweitert wie durch Experimentierfreudigkeit, Abenteuerlust, Stimmungsbild oder Tonbild.32 Cool kann daher vieles und manchmal sogar, wenn man die trendige Publikation von Ulf Poschardt Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler, 2. Aufl . völlig neu bearbeitet im Institut für deutsche Sprache, Bd. 3, bearbeitet von Gerhard Strauß u.a. Berlin, New York: de Gruyter 1997, S. 809. 30. Vgl. dazu Kaspar Maase: BRAVO Amerika. Erkundungen zur Jugendkultur in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, Hamburg 1992. Zur frühen Benutzung von Lässigkeit vgl. Brockhaus Ausgaben von 1885, 1920. Der Begriff fehlt bereits in der Ausgabe von 1932. 31. Dafür steht seine sehr diskontinuierliche Erwähnung im Brockhaus: 1987 Cool zum ersten Mal als eigenständiger Begriff. 1997, 2005 z.B. findet sich nur Cool Jazz. 32. Klaus Neumann-Braun/Birgit Richard (Hg.): Coolhunters. Jugendkulturen zwischen Medien und Markt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005. Er handelt ausschließlich von der Beziehung von Konsum und jugendlichen Verhaltensweisen. Cool Hunter sind jene Marketing Experten, die gezielt die Jugendkulturen auf ihre neuesten Trends hin ausspähen. In einer ähnlichen Weise verfahren die US-amerikanischen Autoren Tracey Skelton/Gill Valentine in ihrem Band »Cool
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betrachtet, geradezu alles umfassen und bedeuten.33 Allerdings werden durch diese offene Verwendung die Konnotationsvielfalt und Bedeutungsreichweite von Cool gestärkt und neue Sinngebungen und Bedeutungsfelder generiert. Wie eine solche Assoziationskette funktioniert, zeigt die Bezeichnung »Cool Britannia«, mit der der damalige englische Premierminister Tony Blair seine Vision eines neuen Großbritannien betitelte: »We want for Britain a new identity as a modern, forward looking nation«. »Cool Britannia« war 1967 noch ein Titelsong der Bonzo Dog Dooda Band, tauchte dann 1996 als Eiskremmarke wieder auf und fand von da aus Eingang in die politische Sprache von New Labour.34 »Cool Britannia« stellt eine Konnotation von Zukunft, Konsum und Technologie her – eine Vernetzung, die auch anderswo mit cool gut funktioniert.35 Die Konnotationskette ist längst nicht abgeschlossen, im Gegenteil, sie verspricht für die Zukunft eine weitgehend unkontrollierbare Offenheit: Cool dynamisiert seine Nutzer in dem gleichen Maße wie als Begriff sich selbst. Dies hängt auch zusammen mit dem permanenten Medienwechsel zwischen Text und Bild sowie Bild und Text, der eine scheinbar unendliche Rückkoppelung erlaubt. Anders verhält es sich mit der historischen Herleitung und Verwendungsweise des Begriffes, wie er jeweils in die verschiedenen wissenschaftlichen Diskurse eingebettet ist oder wie er selbst die einschlägigen Themenfelder strukturiert.
Die Klassiker Beim Blick auf die Coolness-Literatur fällt zunächst der spezifische Zeithorizont auf. Denn die wissenschaftliche Literatur zum Thema ist mehrheitlich seit den 1990er Jahren entstanden. Die einzige Ausnahme bildet Robert Farris Thompson mit »Flash of the Spirit«, das bereits 1983 erschie-
Places« (2000), in dem sie mit diesem Begriff eine transnationale Geographie jugendlicher Szenen umschreiben. 33. Ulf Poschardt: Cool, Hamburg 2000. 34. Vgl. dazu ausführlich Silke Meyer: »Cool Britannia. Zur Konstruktion des Nationalen im Millenium Dome, London«, in: Zeitschrift für Volkskunde 1 (2005), S. 49-68, hier S. 61, siehe auch Anmerkung 37. 35. So z.B. in einem Artikel über eine arabische Politikerin in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die über sich selbst sagt: »Viele Teenager nennen mich die coole Ministerin«. Neue Technologien und das Internet werden heute als »cool« angesehen. Geschlechtszuschreibungen erfolgen über die Zuordnung zu Objektfeldern bzw. Warenkulturen.
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nen ist.36 Dass diese Studie zunächst kaum rezipiert wurde, ist wohl der thematischen Insellage von Thompson geschuldet, der sich als Kunsthistoriker mit afrikanischer Plastik beschäftigt.37 Auch die genuin deutsche Entdeckung des Phänomens durch Helmut Lethen stammt aus dem Jahre 1994, also genau zeitgleich zu Peter Stearns eindrucksvoller »American Cool«-Studie38; beide sind unabhängig voneinander entstanden. Lethen sowie Stearns haben in den 1990er Jahren das Feld für eine theoretische Debatte der Coolness maßgeblich vorbereitet, indem sie die Argumentationsmuster, die entscheidenden Schneisen und historischen Scharniere aufgezeigt haben. Danach, also in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, bricht eine regelrechte Coolness-Konjunktur an, mit Titeln wie »The Birth of the Cool. Von Georgia O’Keefe bis Christopher Wool. Amerikanische Malerei« (1997), sowie Lewis MacAdams: »Birth of the Cool, Beat, Bebop, and the American Avantgarde« (zuerst 1997, dann 2001/2002), Thomas Frank: »The Conquest of the Cool« (1998) und schließlich ab 2000 Titel wie Dick Pountain/ David Robins: »Cool Rules. Anatomy of an attitude« (2000), »Cool Places« (2000) bis hin zu den Studien über Männlichkeit und Coolness usw. – und diese Aufzählung ist längst nicht vollständig.39 Schließlich folgen auch kürzere Essays zur Begrifflichkeit und ihren möglichen philosophischen Hintergründen, Deutungshorizonten 40 und nicht zuletzt gehört dazu auch
36. Die von mir benutzte Ausgabe: Robert Farris Thompson: Flash of the Spirit. African & Afro-American Art & Philosophy, USA Toronto (1983) New York 1998. 37. Es wäre interessant, aber in diesem Rahmen nicht realisierbar, zu prüfen, wie Thompson damals rezipiert worden ist, welchen Widerhall seine These in der Frühzeit der Coolness-Debatte gefunden hat. 38. Peter N. Stearns: American Cool. Constructing a 20th Century Emotional Style, New York, London: New York University Press 1994. 39. Z.B. Bell Hooks: We real cool. Black men and masculinity, New York, London 2004. Etwas außerhalb des Kontextes: Dan Lloyd: Radiant cool. A novel theory of consciousness, Cambridge Mass.u.a.: MIT Press 2004. Hier geht es um Cool im Kontext der Neurologie; also wird ein weiteres neues Feld geöffnet. 40. Vgl. Andreas Urs Sommer: »Coolness. Zur Geschichte der Distanz«, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 1 (2007), S. 30-44. Vgl. Jürgen Trabant: »Über Ruhm, Coolness und Wahrheit«, in: Jahrbuch der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft (2001), S. 163-181. Vgl. Tom Holert: »Cool«, in: Ulrich Bröckling u.a. (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 42-48.
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der Versuch, eine Variante des Asian Cool anhand indischer Musik zu definieren. 41 Was Helmut Lethen für den deutschen Sprachraum beschreibt, führt Peter Stearns für die US-amerikanische Gesellschaft durch: Beide beziehen sich auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, in denen sie die ersten Ausbildungen einer Coolness, sprich Kälte aufspüren – allerdings in unterschiedlichen kulturellen Feldern und mit anderen Methoden: Der eine, Lethen, indem er in der Literatur die sich abzeichnenden neuen Sensibilitäten, Mentalitäten und Attitüden aufspürt, der andere, Stearns, indem er die US-amerikanische Gesellschaft in ihrem Übergang vom viktorianischen Zeitalter ins 20. Jahrhundert akribisch und detailliert seziert. Lethens Verhaltenstechniken der Kälte finden sich eingebettet in eine Diskursgeschichte, die auf ältere Vorbilder wie die Verhaltenslehren der »kalten Persona« des spanischen Philosophen Balthasar Gracián (16011658) zurückgeht. Mit der neuen Kälte wird der Bruch mit älteren kulturellen Wahrnehmungs-, Denkstilen und Denkfiguren umschrieben, die – geprägt von neuen technischen, sozialen und ökonomischen Transformationsprozessen – den Menschen eine neue Zivilität lehren. Bilder und Metaphern von Wärme und Kälte, von der technischen Welt durchdringen Lethens Analyse. Unter Kälte versteht Lethen vorrangig die Panzerung des Subjekts: »Die ›Panzerung‹ ist vielmehr das Ergebnis eines zivilisatorischen Prozesses, der den Gedanken der Autonomie an den der Selbstdisziplinierung und ›Abkühlung‹ der Affekte knüpfte.« 42 Sie bedeute auch Schutz gegen eine zunehmend erkaltende Umwelt in der »Maske eines virilen Narzissmus«. Materielle Welten, Beschleunigungsmaschinen (Auto und Flugzeug), Mobilität, Taylorismus, das Anonymwerden, metallene Materialwelten, gleißendes elektrisches Licht – sie beschreiben die Umgebung des kühlen Mannes. In der Deutung der Coolness als Verhaltensform und Strategie des Überlebens ist Helmut Lethens Analyse mit der von Peter Stearns durchaus vergleichbar. Im Unterschied zu Lethen jedoch hat Stearns eine klare gesellschaftliche Zielgruppe vor Augen: Die (weiße) urbane Mittelschicht der USA, die mit den Normen des Viktorianischen Zeitalters gebrochen und eine neue Gefühlskultur, ein neues Management der Gefühle, ausgebildet hat. Coolness symbolisiert für ihn »our culture’s increased striving for restraint. […] Cool has become an emotional mantle, sheltering the whole personality
41. Virinder Kalra/John Hutnyk: »Brimful of Agitation: Authenticity and Appropriation: Madonna’s ›Asian Cool‹«, in: Postcolonial Studies 1, 3 (1998), S. 339-55. 42. Vgl. H. Lethen: Verhaltenslehren, S. 70.
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from embarrassing excess.« 43 Seine Studie versteht sich als Geschichte der Gefühlskultur, die eine Reaktion und Antwort bildet auf neu entstandene soziale Bedürfnisse der (weißen) US-Amerikaner. Der Wechsel von der viktorianischen Strenge hin zur Ventilation durch Coolness – man beachte wiederum die technisch-thermische Metapher – vollziehe sich im Kontext einer rasanten Urbanisierung der US-amerikanischen Gesellschaft und ihren gesteigerten und vervielfältigten Konsumpraktiken. Eine definitive und endgültige Konsolidierung der coolen Kultur geschieht für ihn erst in den 1960er Jahren. 44 Gleichzeitigkeit und Ähnlichkeit der Befunde von Lethen und Stearns bei unterschiedlicher Herangehensweise machen Coolness als sozial- wie kulturhistorisches Phänomen glaubwürdig. Dennoch ist der Begriff der Kälte nicht einfach durch Coolness zu ersetzen. 45 Dafür sprechen die geographisch-kulturellen Orte eine zu differente Sprache. Lethens Kältetechniken entstammen und begründen sich aus dem Umfeld von Krieg, Entbehrung, politischen Grabenkämpfen der Weimarer Republik; sie sprechen vom gesellschaftlichen Niedergang, in dem sich bereits die Zeichen der faschistischen Diktatur ankündigen. Stearns Coolness verdankt sich einem Modernisierungsprozess, dem zwar die Kriegserfahrung bekannt, aber für den sie nicht prägend wird. Urbanisierung, Intensivierung der Konsumgesellschaft und veränderte Familienstrukturen liefern für Stearns jene Bedingungen, die eine coole Gesellschaft einrahmen. Sie machen die unterschiedlichen und nur begrenzt vergleichbaren Standorte und Perspektiven der beiden Pionierstudien deutlich. Gemeinsam sind ihnen Entstehungskontext und die historische Bezugsepoche der 1920er Jahre. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Beide Studien entstanden Anfang der 1990er Jahre und reflektieren somit die spezifische Coolness dieser Zeit. Nur Stichwörter können an Rahmenbedingungen erinnern: Die 1990er Jahre mit den ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen des Neoliberalismus von Ronald Reagan und Margaret Thatcher und seiner Betonung von Konkurrenz, Härte, Flexibilität, Deregulierung, Reichtum, seinem Lob des privaten Unternehmertums als dominanter Sozialform und des Konsums als das Ergo des Seins. Es ist zugleich die Epoche, in der sich die Diversität der Jugendkulturen bestens im Medienkonsum einrichtet, gleichzeitig aufmerksam beobachtet und analysiert wird und 43. Vgl. P. H. Stearns: American Cool, S. 1. Bemerkenswert ist, dass Stearns ohne kulturelle (afroamerikanische) Differenzierung von der amerikanisch-städtischen Mittelschicht spricht. 44. Vgl. ebd., S. 1-15. Zur »Consumer Society« siehe S. 209-214. 45. Selbst wenn Helmut Lethen sich mit seiner Beteiligung an der Tagung »Apatheia« (s.o.) unter dem Dach der Coolness eingefunden zu haben scheint.
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in der nicht zuletzt der endgültige Zusammenbruch der sozialistischen Staaten der Ideologie der freien Marktwirtschaft zu neuem Erfolg verhilft, durch den die Sicht auf mögliche gesellschaftliche Alternativen – vorläufi g zumindest – preisgegeben wird. So mag nicht zuletzt die eigene Gegenwart den Blick auf historische Konstellationen und Kontinuitäten einer besonderen Gefühlskultur verstärkt haben, die in dem Begriff der Coolness beheimatet sind.
Ursprünge – Kontinuitäten – Projektionen Stearns bemüht sich im Unterschied zu vielen nachfolgenden Untersuchungen nicht um eine begriffliche Herleitung der Coolness. Lethen sucht die Kälte erfolgreich in der Sprachwirklichkeit der 1920er Jahre wie dem metallischen Subjekt von Ernst Jünger, den Wärmesphären der rechten wie linken Gemeinschaftsideologien, der männlichen Rüstung, dem metallisierten Körper. 46 Der Streit um die Herkunft wird hingegen in vielen späteren, nachfolgenden Untersuchungen zum entscheidenden und prägenden Topos. Der Anspruch auf die Herleitung beinhaltet immer zugleich einen Akt der Ermächtigung mittels der Sprache über die Sache, die sie bezeichnet. »Die Begriffsprägung ist«, so hat es Ralf Konersmann prägnant zusammengefasst, »ein Ereignis, eine Intervention im Gefüge der überlieferten Ordnung des Wissens, und ebenso eine Abstraktion von den Bedingungen ihres Auftauchens. Der Durchsetzungserfolg des Begriffs hängt nicht zuletzt davon ab, ob es ihm gelingt, die Spur dieser Genese erfolgreich zu verwischen«. 47 Im Fall der Coolness gewinnt die Frage nach dem wer und wo der Begriffsprägung eine besondere Brisanz. Denn mit dem Nachweis des geschichtlichen Orts wird in diesem Fall zusätzlich die kulturelle und geopolitische Hegemonie des Diskurses beansprucht. In den Argumentationssträngen zur Coolness zeichnen sich daher zwei kulturelle wie geographisch distinkte Sphären ab: die afrikanische bzw. afroamerikanische Herkunft und eine europäisch-westliche, sprich US-amerikanische. Die Entdeckung der Coolness als Haltung, Einstellung und Gefühl wird weitgehend unumstritten der afroamerikanischen Jazzkultur zugeschrieben und zwar bereits im Zeitraum vor dem Zweiten Weltkrieg. Mit der späteren Veröffentlichung seines bereits 1949 entstandenen Musikstückes unter dem Titel »Birth of the Cool« wird Miles Davis gerne die Autorschaft zu46. H. Lethen: Verhaltenslehren, S. 53. 47. Vgl. Ralf Konersmann: Der Schleier des Timanthes. Perspektiven der historischen Semantik, Frankfurt a.M.: Fischer 1994, S. 24.
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erkannt oder zumindest seine erste Erwähnung. Mit Robert Farris Thompsons Untersuchung »Flash of the Spirit« von 1983 hat diese Position eine entscheidende Argumentationsgrundlage erhalten. Thompson hat ein von ihm als Coolness beschriebenes Phänomen in den traditionellen Stadtkulturen der Yoruba in Nigeria beobachten können, die er als ästhetische Coolness bezeichnet. In Verbindung von ästhetischer Gestaltung wie Farbe mit Verhaltenspraktiken (character) bilde sich eine afrikaspezifische Coolness heraus. 48 Thompsons auf das Jahr 1983 datierte Untersuchung entsteht, als das Wort cool in seinen Deutungsfeldern bereits bekannt und etabliert ist, wenngleich es noch nicht die Popularitätsgrade der 1990er Jahre erreicht hat. Bei der Übertragung des afrikanischen Begriffs in die US-amerikanische Sprach- und Vorstellungswelt hat er willentlich oder unwissentlich eine Herkunftskette etabliert. Auf jeden Fall hat Thompsons Studie auf diese Weise entscheidend dazu beigetragen, den regelrechten Mythos einer afrikanischen Coolness zu kreieren. Denn was Thompson noch behutsam und anhand genauer Beobachtungen als Coolness beschreibt, wird in der sich auf ihn berufenden Literatur wiederum gesteigert zu einer mehrere Jahrtausende umfassenden afrikanischen Geschichte der Coolness, die schließlich zusammen mit dem Sklavenhandel in die USA gelangt sei und sich in der afroamerikanischen Kultur als charakteristischer Wesenszug erhalten habe. 49 Spätere Werke, die sich mit Coolness befassen, forcieren diese Mystifizierung, indem sie von einer »mystisch konnotierten Coolness in der afrikanischen Kultur sprechen.« Hier spiele der Körper eine Doppelrolle: »statisch und aktiv, er sei teils Energie, teils Verstand«.50 Dieser afrikanischen und afroamerikanischen Spurensuche auf der einen steht eine westlich-europäische auf der anderen Seite gegenüber. Sie macht sich das Argumentationsmuster von Lethen zu eigen – oft ohne ihn zu nennen – und verfolgt die Verhaltensweisen der Coolness bis hinein in die antike Philosophie des Stoizismus, ins christliche Mittelalter und in 48. R. F. Thompson, Flash of the Spirit (1998), S. 12-13. 49. Vgl. Richard Majors/Janet Mancini Billson: Cool Pose. The Dilemma of Black Manhood in America, New York 1992, S. 56. Sie argumentieren: »Cool philosophy may have been at work in Africa as early 3000-2000 BC.« Zit. nach D. Pountain/D. Robins: Cool Rules, S. 39. Vgl. D. Pountain/D.Robins: Cool Rules, S. 26. Sie definieren im übrigen Coolness als eine psychokulturelle Attitüde, die sie durch die letzten fünf Jahrzehnte verfolgen. Bewusst gehen sie assoziativ vor und bleiben in dieser Hinsicht zumindest überzeugend. 50. Birth of the Cool von Georgia O’Keefe bis Christopher Wool. Amerikanische Malerei, Köln: Dumont 1997, S. 10.
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die Renaissance. Einigen gilt der spanische Jesuit und Philosoph Balthasar Gracián (1601-1658) als zentraler Bezugspunkt für eine sich anbahnende Coolness-Gefühlsstrategie, aber auch Baldassare Castiglione (1478-1529) wird als früher Zeuge für Coolness-Techniken aufgerufen. Die von Castiglione verkündete »sprezzatura« beinhalte sowohl die Grazie als auch das Maßhalten des modernen Höflings.51 Mir geht es nicht um den Nachweis der Plausibilität der jeweiligen Argumentationen, sondern um ihre Diskurswege, -orte und -vernetzungen. Die Herkunftsfrage übernimmt hier die Aufgabe, die Diskurse zu verknüpfen, sie wird, um Jürgen Links Begrifflichkeit hier nutzbar zu machen, als interdiskursives Mittel strategisch eingesetzt.52 So ist mit dem Begriff der Herkunft zugleich eine Bemühung um eindeutige Definition und eine normative Setzung von Inhalten verknüpft. Ausgehend von den auf diese Weise festgelegten Kennzeichen und Eigenschaften setzt dann eine neue Suche ein, nicht als Verfolgung von Spuren, sondern als eine nachträgliche Ermittlung von Zuschreibungen, die durch viele Zeiträume, Kulturen und Kontexte beobachtet werden können.53 Hier beginnt das, was gemeinhin als epistemologischer Zirkel bezeichnet wird. Oder wie es die Graphik aus »Cool Rules« anschaulich illustriert: Manche Begriffswege münden in eine Sackgasse.54
Abbildung 2: Historische Tabelle. Aus: Dick Pountain/David Robins, Cool Rules. Anatomy of an attitude. London 2000, S. 180-181 51. Zu Gracián vgl. auch H. Lethen: Verhaltenslehren. Vgl. A. U. Sommer:
Coolness. Zu Castiglione vgl. Trabant: Über Ruhm, Coolness und Wahrheit. 52. Jürgen Link: »›Einfluß des Fliegens! – Auf den Stil selbst!‹. Diskursanalyse des Ballonsymbols«, in: Ders. (Hg.), Bewegung und Stillstand, Stuttgart 1984, S. 149-163, 149. 53. Vgl. A. U. Sommer: Coolness. Vgl. T. Holert: Cool. 54. Siehe D. Pountain/D. Robins: Cool Rules, S. 180/181.
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In einer ähnlichen Weise, aber mit anderen Zielsetzungen, gehen jene Untersuchungen vor, die mit Hilfe des Begriffes Coolness/Cool eine kulturelle Stimmungslage andeuten. Coolness reicht hier von der Gangstersprache über Beat Culture bis hin zur modernen Designkultur. So bildet sich eine offene Assoziationskette, mit der man sich eine Positionierung im Diskursfeld der Coolness verschaff t. Die Beschäftigung mit Coolness scheint hier den Charakter eines Bekenntnisses anzunehmen: sich bekennen und sich gerieren als Insider des modernen trendigen Jargons und seiner Szenen. Die Beschäftigung mit dem Begriff gerät selbst zu einem Gestus oder zu einer Attitüde.55
Die Männlichkeit der Coolness Karl Krauss hat in seiner Kritik an Gracián eingewandt: »Das Handorakel konstruiert eine rein männliche Welt, in der die Polarisierung der Geschlechter bis zum Verstummen der weiblichen Stimme getrieben ist«.56 Bei Mariel-Luise Fleißer heißt es: »Sie (die Frau) war eine Wärme und keine Person«. »Der Mann bestimmte den Abstand«, so Lethens Folgerung.57 Anders gefragt: Warum ist Thomas Crown cool, Vicki Anderson jedoch nicht? Zumindest lautete so der Kommentar der Süddeutschen Zeitung in Bezug auf den Film THOMAS CROWN IST NICHT ZU FASSEN.58 Diese Charakterisierung kann ohne Übertreibung für die gesamte Coolness-Diskussion gelten. Coolness wie auch Kälte bleiben exklusiv männlich konnotiert und ausgerichtet. Coolness wird vor allem als männliche Eigenschaft par excellence zur Charakterisierung afroamerikanischer Männlichkeit herangezogen. So betont Marlene Kim Connor in ihrem Buch »What is cool? Understanding Black Manhood«: »Cool is perhaps the most important force in the life of a black man in America. For black men: Cool essentially defines manhood.«59 Coolness, so ihr kühles Eingeständnis, wäre bislang 55. Vgl. Diedrich Diedrichsen: »Coolness. Souveranität und Delegation«, in: Jörg Huber (Hg.), Person/Schauplatz, Wien, New York: Edition Voldemeer/ Springer 2003, S. 243- 254. Hier wird eine Verknüpfungskette zwischen Coolness als performativer Handlung und modernem Design hergestellt. 56. Karl Kraus zit.n. H. Lethen: Verhaltenslehren, S. 68. 57. Marie-Luise Fleißer: Ein Pfund Orangen, S 180, zit.n. ebd., S. 183. 58. Siehe SZ vom 22.2.2008. 59. Marlene Kim Connor: What is cool? Understanding Black Manhood, New York: Crown 1995. »Cool is the closest thing to a religion for him, and it is easily his most basic method of determining manhood. Cool cannot be taught,
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nicht auf Frauen bezogen gewesen, um dann als schlichte Begründung anzufügen, Frauen hätten bislang wenig davon Gebrauch gemacht. Erst mit der Veränderung des weiblichen Rollenverständnisses ließe sich ein Wechsel bemerken.60 Von einer Transformation der männlichen Coolness ist bei Stearns nicht die Rede.61 Nicht die Selbstverständlichkeit ist das Verblüffende bei dieser Annahme, sondern die Tatsache, dass sie weder darauf hin befragt wird, warum noch wie es dazu gekommen sei. Eine mögliche Erklärung könnte lauten, dass diese Annexion unter dem Einfluss der männlich besetzten Technologie steht, in deren Umgebung sich coole Attitüden zuerst entwickelt haben. Anders verhält es sich mittlerweile mit den Medien; insbesondere in der Werbung scheint offenbar der Durchbruch gelungen: Hier wird mit Cool wild jongliert, es wird zugeschrieben oder abgesprochen und einem Schnellball vergleichbar, addiert der Begriff immer wieder neue Zuschreibungen.
Fazit Für mich lassen sich drei distinkte und autonome Modelle der Coolness erkennen: Erstens die weiße nordamerikanische Variante von Stearns, der unter Coolness eine allgemeine gefühlskulturelle Verfasstheit versteht. Zweitens die westeuropäische Kälte, die von Helmut Lethen als kulturelle Stimmung und kulturelles Bild der 1920er und 1930er Jahre eingeführt wird und in der geistigen Tradition von Graciáns kalter Persona steht. Die dritte Variante handelt von der afroamerikanischen Coolness, die einen eigenen historischen Ort und eine andere gesellschaftliche Entwicklung beansprucht und in der sowohl ästhetische Momente als auch Strategien des Widerstands Eingang finden. Ein viertes Modell ist dabei sich herauszubilden: Es richtet sich ein zwischen Medien, Jugendkulturen, Technologien und Konsum und behält eine diskursive Offenheit. or handed down from one generation to generation.« Zit. nach L. MacAdams: Birth of the Cool, S. 19. 60. Vgl. D. Poutain/D. Robins: Cool Rules, S. 138. 61. Noch auf der zitierten Tagung »Apathaia« im Dezember 2007 bezeichnet Stearns Coolness als »durchgehende emotionale maskuline Hauptcharakteristik vieler Amerikaner im 20. Jahrhundert«.
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Coolsein bleibt permanenter Verhandlungsgegenstand in den Medien. Coolsein im Jahre 2008: Abkühlung der Kultur im Zeitalter globaler Erwärmung? Diese These von Ulf Poschardt überzeuge nicht, so meint zu Recht Andreas Urs Sommer.62 »Coolness ist ein Begriff, der heutzutage einen maximalen Grad an Entleerung erreicht hat«, sagt z.B. Diedrich Diedrichsen.63 Diesem Verdikt aus der Literatur möchte ich nicht unbedingt zustimmen. Die Bodenlosigkeit des Begriffs beschreibt vielmehr auch eine Fassungslosigkeit, nicht die des Begriffes, sondern der Zeitgenossen/innen, die ihn benutzen: In der neuen Komplexität der Welt scheinen auch die Begriffe zu entgleiten. Für die Coolness mag daher auch jene Kennzeichnung gelten, die der Historiker Osterhammel für die Globalisierung entworfen hat:64 Die allgemeine Beliebtheit von Coolness ist demnach mehr als das Symptom einer kollektiven Denkschwäche. – Sie gibt der Epoche einen Namen.
62. A. U. Sommer: Coolness, S. 30-31. 63. D. Dietrichsen: Coolness, S. 243. 64. Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung, München: Beck 2003, S. 7.
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Das Kino als Medium des Cool
Coole Typen Eine Familienaufstellung Rüdiger Zill
Prolog : Im Zeichen des Cool Eine Kamera schwenkt über die Champs Elysées: von der einen Seite, wo wir Jean Paul Belmondo gerade noch in die Unterwelt der Pariser Metro hinabsteigen sehen, auf die Straßenmitte, an deren Ende der Arc de Triomphe erscheint. Die Kamera verharrt, schwenkt dann weiter auf die andere Straßenseite – und plötzlich taucht dort aus dem gegenüberliegenden Ausgang der Metro Belmondo wieder auf, versonnen die Seiten einer Zeitung durchblätternd. Wir Zuschauer sind ihm bisher gefolgt, die Champs Elysées hinab, haben ihn beobachtet, zunächst im Gespräch mit Jean Seberg, die die New York Herald Tribune anpreist und seine plumpen Annäherungsversuche abweist, dann als Zeuge eines Autounfalls, den er nur desinteressiert begutachtet, schließlich im Reisebüro, wo er einen Freund triff t, der ihm noch Geld schuldet. Inzwischen ist ihm die Polizei auf der Spur, sie verpasst ihn nur knapp, verfolgt ihn, als er in der Metro-Station verschwindet. Belmondo scheint das nicht zu bemerken und doch schüttelt er seine Verfolger durch die unterirdische Passage ab. Unmittelbar am Ausgang der Metro-Station triff t Belmondo nun aber – Humphrey Bogart. Im Schaukasten eines Kinos hängt die Ankündigung zu Plus dure sera la chute. The Harder they Fall, wie der Film im Original heißt, war Bogarts letzter Auftritt, bevor er 1957 starb. Noch hängt sein Photo im Schaukasten der Pariser Kinos und blickt uns ernst ins Gesicht. Belmondo triff t Bogart, wechselt Blicke, imitiert seine Gesten. »Hm, Bogey« sagt Belmondo alias Michel Poiccard mit versonnenem Gesichtsausdruck und streicht sich mit dem Daumen über die Lippen, ganz so wie 39
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Bogart in The Maltese Falcon oder The Big Sleep. Diese unscheinbare, eher beiläufige Szene verdichtet den Habitus von Jean-Luc Godards A bout de souffle insgesamt. Es ist eine Hommage an den amerikanischen Film noir der 1940er Jahre und verweist damit gleichzeitig auf eine Dissemination des Cool. Nach dem Zweiten Weltkrieg sprangen seine Erfolgsmodelle nach Europa über und verstärkten die dort vorhandenen Ansätze. Das zentrale Medium dafür war – neben der Musik – der Film. Das Kino ist ein Laboratorium, die Filme die Petrischalen, um erfolgreich die Gefühlskulturen der Gegenwart anzulegen. Mit der Dissemination beginnt aber gleichzeitig eine Transformation im Habitus des Cool. Bogart war auch da, wo er das Recht außerhalb des Gesetzes verteidigte, immer tadellos gekleidet. Das Cool der 1940er Jahre hatte bürgerlichen Anstand, trug Krawatte und korrekte Frisur. Oder allenfalls den Trenchcoat, an dem alles abperlen soll: Sturm und Regen ebenso wie Sehnsucht und Betrug. Korrekt im Anzug tritt auch Belmondo noch auf, aber er kennt schon ein entscheidendes Utensil des Cool der späteren Jahre: die Sonnenbrille. Bald wird der korrekte bürgerliche Gestus insgesamt verdrängt und durch Lederjacke oder T-Shirt ersetzt. Wie bei kaum einer anderen Gefühlsattitüde sind es die Accessoires, die zählen und die Bedeutung tragen, nicht nur die Kleidung: So etwa die Zigarette, die Bogart oder Mitchum lässig im Mundwinkel hängen lassen und die zum Instrument zur Schau gestellter Verachtung wird – die gleichzeitig aber zum Mittler kühl arrangierter sexueller Provokation werden kann, wie bei Lauren Bacall, wenn sie Bogart in To Have and Have Not zum ersten Mal triff t und ebenso lasziv wie lässig im Türrahmen lehnend fragt: »Anybody got a match?« Schon Marlon Brando aber erträgt die Hitze der Südstaaten im Unterhemd. Mit der Zigarette in der Hand sieht man ihn selten, dafür öfter mit Kaugummi im Mund. 1 Was steht aber hinter diesen Zeichen des Cool? Woher beziehen sie ihre Energien?
Auf der Suche nach einem Begr if f des Cool Der Begriff »cool« hat im Laufe seiner kurzen Geschichte zwei große Bedeutungsverschiebungen erfahren. Die erste war eine Metaphorisierung, die eine Erfahrung sensorischen Fühlens auf eine des emotionalen projizierte. Kälte ist keine Eigenschaft der Dinge selbst, sondern etwas, das wir
1. Vgl. Marion Löhndorf: »Blick in die Werkstatt. Marlon Brandos Schauspielkunst«, in: Marli Feldvoß/Marion Löhndorf u.a., Marlon Brando, Berlin: Bertz 2004, S. 95.
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an ihnen subjektiv empfinden. So lässt sich der Ausdruck sachlicher Kälte leicht auf die Empfindung emotionaler Kühle übertragen. Cool erscheint uns zunächst als metaphorische Verdichtung erfolgreichen Affektmanagements. Es ist der Inbegriff der Selbstbeherrschung. Kühle dämpft die Bewegung. Weil wir die innere Bewegtheit eines Menschen nur an seinen äußeren Bewegungen wahrnehmen, gilt uns eine ruhige Erscheinung als Ausdruck großer Gelassenheit. Und so hat das englische cool zunächst dieselbe metaphorische Herkunft wie das deutsche »kühl«. Inzwischen hat cool eine weitere rhetorische Verschiebung durchlaufen und ist durch inflationären Gebrauch zum vagen Ausdruck allgemeiner Wertschätzung geworden.2 Dass wir cool aber als Wort aus dem Englischen separat importiert haben, stammt schon aus jener älteren Entwicklungsschicht, wo cool noch auf eine extreme Form der Gefühlsregulierung verweist. Der Historiker Peter Stearns hat unter dem Titel »American Cool« die Geschichte voranschreitender Selbstbeherrschung geschrieben.3 Cool wird hier zur Chiffre eines zivilisatorischen Prozesses, etwa so, wie ihn Norbert Elias verstanden hat. In der Terminologie der klassischen Philosophie wäre das die Besonnenheit: sophrosyne, temperantia. Damit wird der Begriff aber zur Deckadresse für eine Vielzahl im Geheimen wirkender Kräfte; er überspannt alle Formen verhinderten oder verdeckten Gefühls. Von derselben Intuition geht etwa auch der anonyme Autor des Wikipedia-Eintrags »Cool (aesthetic)« aus. 4 Er nimmt die tatsächliche Bedeutungsvielfalt des Begriffs als Lizenz, um darüber hinaus verwandte Verhaltensformen unter diesen Titel zu bringen, also ihm auch die Vielfalt der Sache zu subsumieren. So firmieren hier unter den »Begriffen des Cool« das »African Cool«, »East Asia«, »Europe«, »The Middle East« und »The Americas«. Das europäische 2. Vgl. Ulf Poschardt: Cool, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2002, S. 9 ff. Josef Früchtls Gebrauch von cool changiert zwischen beiden Nuancen des Begriffs, vgl. Josef Früchtl: »Helden stellen Helden dar. Coole Typen im Kino«, in: Klaus Herding/Bernhard Stumpfhaus (Hg.): Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten, Berlin, New York: de Gruyter 2004, S. 575-591. 3. Peter Stearns: American Cool. Constructing a Twentieth Century Emotional Style, New York: New York UP 1994. 4. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Cool_(aesthetic), Abruf 24.8.2007. Um den Artikel gibt es eine relativ umfangreiche Diskussion. Inzwischen (27.5.2009) ist ihm eine editorische Notiz vorangestellt worden, die die mangelnde Form des Eintrags beklagt: »This article is written like a personal reflection or essay and may require cleanup. Please help improve it by rewriting it in an encyclopedic style. (September 2008)«. Das vermeintlich Unprofessionelle macht gleichwohl den Charme dieser Version aus.
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Cool ist seinerseits noch einmal unterteilt in das aristokratische und artistische Cool, das europäische Cool der Zwischenkriegszeit, das Nachkriegscool und das polnische Cool. So entsteht ein wildes Gemisch, das allerhand in sich vereint: japanische Samurai-Ethik, das Freicorps-Bewusstsein der 1920er Jahre oder die Widerstandsmoral bestimmter polnischer oder tschechoslowakischer Jazz-Clubs während des Kalten Kriegs. Diese inflationäre Vereinnahmung ist nicht ganz unbegründet, weil das eigentliche Cool durchaus bei einigen dieser Formen bewusste Anleihen macht, zu anderen sogar in einem genealogischen Verhältnis steht. Die prominenteste Wurzel des Cool ist vermittelt über den Cool Jazz und die Kultur der amerikanischen Schwarzen. An dieser Stelle hat der Kunsthistoriker und Ethnologe Robert Farris Thompson eine gewisse Autorität erlangt. Seine Behauptung, das Cool wurzele ursprünglich in den westafrikanischen Yoruba- und Ibo-Kulturen des 15. Jahrhunderts, sei dann im emotionalen Gepäck der verschleppten Sklaven nach Nordamerika gekommen und habe sich dort als Gefühlshaltung voll entfaltet, um der Unterdrückung, der man nicht offen die Stirn bieten konnte, im Stillen Widerstand zu leisten und die Situation überhaupt erst erträglich zu machen. Der Gedankengang, so plausibel er klingen mag, ist bei Thompson allerdings eher thesenhaft.5 Beeinflussungen, Anleihen, Genealogien: Immer ist bei allem vorausgesetzt, dass die Formen der Gefühlszurückhaltung zueinander in einem Verhältnis der Ähnlichkeit stehen und somit zu einer Familie verwandter Formen gruppiert werden. Das Cool ist ein Zweig in dieser Genealogie. Wie fügt er sich aber in die Familie ein? Versuchen wir eine Art Familienaufstellung.
Zw ischen Apathie und Apatheia. Zur Vorgeschichte des Cool Die bedeutendste europäische Tradition, die in das Cool zu münden scheint, wird durch den stoischen Weisen repräsentiert. Dessen Ideal war die apatheia, eine Freiheit von allem Affektiven.6 Die Apatheia ist ein Verbindungs5. Vgl. Robert Farris Thompson: »An Aesthetics of the Cool«, in: African
Arts, 7, 1 (1973), S. 40-43; 64-67: 89-91, siehe auch ders.: African Art in Motion. Icon and Act, Los Angeles, Berkeley, London: University of California Press 1979, S. 43-45. 6. Andreas Urs Sommer hält den genealogischen Bezug des Cool auf die Stoa für eine einseitige Überschätzung. Er rekonstruiert zu Recht andere Strömungen der emotionalen Distanzierung in der europäischen Antike und im Mit-
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glied zwischen den beiden großen Bereichen: den Gefühllosen und den Gefühlsmaskierten. Der Begriff hallt im modernen Wort »Apathie« nach, hat hier aber eine entscheidende Bedeutungsverschiebung erfahren. Denn die Inkarnation der modernen Apathie ist nicht ein stoischer Weiser – wie beispielsweise Cato –, sondern Oblomow, die Hauptperson aus Iwan Alexandrowitsch Gontscharows gleichnamigem Roman von 1859. Er zeichnet sich durch einen »Mangel an Lebendigkeit sowohl des Gefühls, insbesondere der Affekte und Leidenschaften, als auch der körperlichen Bewegungen eines Individuums«7 aus. Apathie ist hier synonym mit Trägheit oder Phlegma. Die Haupteigenschaft des russischen Gutsbesitzers Ilja Iljitsch Oblomow ist seine Passivität und Antriebsarmut. Eine verwandte Form, die erst vor wenigen Jahrzehnten in der Medizin beschrieben wurde, ist die Alexithymie, eine pathologische Form der Gefühlsblindheit. Wer unter Alexithymie buchstäblich leidet, ist unfähig, Gefühle bei sich wahrzunehmen, sie zu unterscheiden und sie auszudrücken. Die stoische Apatheia ist hingegen, anders als Apathie, kein deskriptiver, sondern ein normativer Begriff. Er beschreibt ein bestimmtes, sehr weitgehendes Ideal der Affektbeherrschung, das ursprünglich von Zenon von Kition (ca. 333-264), dem Schulgründer der so genannten alten Stoa im dritten vorchristlichen Jahrhundert entworfen und von seinem Nachfolger Chrysipp (281/277-208/204) entscheidend weiter entwickelt worden ist.8 Phänomenologisch reichhaltiger präsentiert er sich – zumindest uns heute, da die Überlieferung für die ältere Stoa recht schlecht ist – in der jungen Stoa, zum Beispiel bei einem Autor wie Seneca. Apatheia ist ein Instrument, um dem Schicksal seine Macht zu rauben. Es ist Leidbekämpfung in vorauseilendem Gehorsam. Um sich keiner Enttäuschung und Frustration, vor allem keinem Verlust und keinem Schmerz auszusetzen, werden alle sonst begehrten Güter als unwesentlich eingestuft. Was uns normalerweise wichtig erscheint: Gesundheit und Intelligenz, körperliche Stärke und Schönheit, Reichtum und Ruhm telalter: von Aristoteles‘ unbewegtem Beweger über die Epikureer und Skeptiker, einige wenige Residuen im Christentum bis hin zu einzelnen Vertretern der Frühmoderne. Vgl. Andreas Urs Sommer: »Coolness. Zur Geschichte der Distanz«, in: Zeitschrift für Ideengeschichte I (2007), S. 30-44. Gleichwohl bleibt die Stoa bis weit in die Moderne in dieser Hinsicht die wirkmächtigste Tradition. 7. Artikel »Apathie« in Brockhaus‘ Konversationslexikon I, Berlin, Wien 1892, S. 728. 8. Vgl. Hans von Arnim (Hg.): Stoicorum Veterum Fragmenta, Leipzig: Teubner 1964; Karlheinz Hülser (Hg.): Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker, Stuttgart Bad Cannstatt: Frommann Holzboog, 1987 ff; Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Hamburg: Felix Meiner 1967, Bd. 2, S. 7-107.
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werden von den Stoikern als so genannte adiaphora bezeichnet, Güter, die weder gut noch schlecht sind; etwas, das uns mehr oder weniger gleichgültig sein sollte, weil es nicht zu dem Einzigen, was wirklich zählt, zur moralischen Tugend, beiträgt. Man muss also von solchen Vorzügen absehen können; denn sie sind exakt der Ort, an dem die Affekte entstehen. Affekte aber sind perturbationes animi: Geistesgestörtheiten. Die zentrale Idee dieser Konzeption ist, dass Affekte keine an sich körperlichen Triebe sind, sondern wesentlich Urteile, spezieller falsche Urteile. Etwas vereinfacht gesagt: Emotionen sind immer vermittelt durch Urteile. Wenn wir etwas lieben, oder wenn wir über etwas in Zorn geraten, dann liegt dem die Beurteilung einer Vorstellung zugrunde, die vor unserem geistigen Auge erscheint. Wir geraten zum Beispiel in Zorn, weil wir der Meinung sind, jemand habe uns beleidigt; wir sorgen uns, weil wir glauben, etwas schade unserer Gesundheit. Sobald wir aber unsere Beurteilung der Dinge ändern, können wir auch die Affekte eindämmen. Es gilt also eine Beleidigung umzuwerten, besser: eine vermeintliche Beleidigung als das zu entlarven, was sie wirklich ist: etwas Unwesentliches. Sich nicht beleidigen zu lassen, bedeutet, den Anderen nicht als Instanz möglicher Ehrabschneidung anzuerkennen. So wie man, was etwa Kinder sagen, nicht für bare Münze nimmt und daher durch ihre Worte auch nicht gekränkt werden kann, so betrachtet der stoische Weise seine Mitbürger. Die Einübung in die Stoa ist kein Kampf um Anerkennung, sondern einer um Aberkennung: »Der Weise aber lässt sich von niemandem verachten: seine Größe kennt er, und er sagt sich, niemandem sei so etwas ihm gegenüber gestattet und alle diese – nicht seelische Schmerzen möchte ich sie nennen, sondern – Verdrießlichkeiten überwindet er nicht, sondern bemerkt sie nicht einmal.«9 Die größte emotionale Gefahr ist dabei der Zorn, eine Leidenschaft, die im Laufe der Antike durchaus unterschiedlich bewertet wurde. Für die Stoa ist er die schlimmste überhaupt. Seneca bezeichnet ihn als »am meisten von allen widerwärtig und tollwütig«. »Den übrigen nämlich wohnt noch etwas Ruhiges und Gelassenes inne, diese ist ganz und gar leidenschaftlich erregt und steht unter dem Ansturm von Schmerz, in kaum noch menschlicher Gier nach Waffen, Blut, Hinrichtungen rasend«10; er ist ein zeitweiliger Wahnsinn, ohne Anstand, nicht Herr seiner selbst, von nichtigen Anlässen erregt und durch Vernunft nicht zu bremsen. Der stoische Weise hingegen erhebt sich über irdische Gefühlsstürme. Mauern, Städte, noch die stärksten Befestigungen können fallen, Seneca 9. L. Annaeus Seneca: De constantia, in: ders., Philosophische Schriften, Bd. 1, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995, S. 71. 10. L. Annaeus Seneca: De ira, in: ders., Philosophische Schriften, Bd. 1, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995, S. 97.
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aber ist überzeugt, dass »keine Vorrichtungen erfunden werden können, die eine gut gegründete Seele um ihre Ruhe bringen.« 11 Unrecht berührt ihn nicht, kein Vorfall erregt seinen Zorn. »Daher ist er so aufrecht und heiter, daher von beständiger Heiterkeit erhoben.« 12 Schließlich wird der stoische Weise sogar mit den Göttern verglichen, denen er unter allen Menschen am nächsten sei. Denn die Götter stehen so hoch über allen, dass sie nichts anficht, sie nichts verletzten kann, sie daher auch keiner Hilfe bedürfen. Das stoische Ideal ist uns zunehmend fremd geworden. Die Präsenz des Emotionalen hat generell eine Umwertung erfahren. Psychologisch wird aus der positiv gesehenen, als Selbstbeherrschung gepriesenen Zurückhaltung eine negativ konnotierte Verdrängung, moralisch und sozial aus dem Gestus der Tugend einer der Amoral. Psychologisch zeigt sich dieser Wandel unter anderem in Sigmund Freuds Begriff der Indifferenz, der keineswegs bloß – wie in der Apathie oder der Alexithymie – ein Fehlen von Gefühl meint 13, sondern dem Begründer der Psychoanalyse als aktiver Akt der Verdrängung gilt. Der Patient »verschanzt« sich unangreif bar »hinter einer Einstellung von gefügiger Teilnahmslosigkeit«. 14 Intelligenz und Triebleben scheinen völlig voneinander entkoppelt. Kann die Analyse bei einem ersten Erfolg doch die Brücke zwischen beiden schlagen, wird die Zusammenarbeit sofort eingestellt. Dabei kann der Patient auch lebhaft und scheinbar ohne Widerstand an der Analyse teilnehmen. »Die Analyse vollzog sich«, schreibt Freud über einen Fall, »fast ohne Anzeichen von Widerstand, unter reger intellektueller Beteiligung der Analysierten, aber auch bei völliger Gemütsruhe derselben. Als ich ihr einmal ein besonders wichtiges und sie nahe betreffendes Stück der Theorie auseinandersetzte, äußerte sie mit unnachahmlicher Betonung: Ach, das ist ja sehr interessant, wie eine Weltdame, die durch ein Museum geführt wird und Gegenstände, die ihr vollkommen gleichgültig sind, durch ein Lorgnon in Augenschein nimmt.«15
11. L. A. Seneca, De constantia, S. 59. 12. Ebd., S. 69. 13. Obwohl die Psychoanalyse offensichtlich dazu tendiert »Apathie« und »Indifferenz« synonym zu verwenden, so verweist das Register der Sigmund Freud-Gesamtausgabe unter dem Stichwort »Apathie« etwa auf den Begriff »Indifferenz«. Vgl. Sigmund Freud: Gesammelte Werke, Bd. XVIII, London: Imago 1946, S. 40. 14. Sigmund Freud: »Aus der Geschichte einer infantilen Neurose«, in: ders., Gesammelte Werke Bd. XII, Frankfurt a.M.: Fischer 1999, S. 33. 15. Sigmund Freud: »Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher
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Moralisch und sozial ist das Gefühl von einem Störfall der Tugend zu ihrer unabdingbaren Voraussetzung geworden. Selbst wer der Indifferenz noch ein partielles Recht einräumt, weil er sie als Gelassenheit betrachtet und sie – in einer Welt des Fanatismus – mit Ruhe und Gleichmut verbindet, muss anerkennen, dass sie heute als Charakterschwäche gilt und ihr Recht relativieren. Nicht umsonst kommt sie häufig in der pejorativen Wendung der »postmodernen Indifferenz« vor, und das ist durchaus tautologisch verstanden.16 Indifferenz oder Gleichgültigkeit gilt im Allgemeinen als verwerflich. Diese Entwicklung hat begonnen, spätestens seit das 18. Jahrhundert das Mitgefühl als zentrale ethische Kraft entdeckt hat. 17 Sie ist in den letzten Jahren auf die menschliche Emotionalität insgesamt ausgedehnt worden. 18 »Ohne moralisches Gefühl ist der Mensch sittlich tot«, schreibt Wolfgang Sofsky in seinem »Versuch über die Gleichgültigkeit«. »Dem Gleichgültigen indes fehlt bereits die Unlust angesichts verwerflicher Neigungen. Moralische Urteilskraft findet keinen sinnlichen Anlass. Skrupel, Bedenken, Zweifel fechten ihn nicht an. Von Scham oder Schuld bleibt er verschont. Einsichten in das Gebotene, geschweige denn in die Folgen eigenen Tuns prallen an ihm ab. Daher ist die Gleichgültigkeit – neben der Vulgarität – das breiteste Einfallstor für das Böse.« 19 Sofsky beschreibt den Gleichgültigen allerdings zunächst wie einen pathologischen Fall von Alexithymie, um ihm dann »moralische Verödung« zu diagnostizieren. Der Gleichgültige reagiere auf die größten Untaten nur mit einem Schulterzucken, man könne eh nichts tun. Zwar begründe das geforderte »moralisches Sensorium« noch kein moralisches Gesetz, allerdings sei es unabdingbare Voraussetzung dafür: Der Gute brauche ein emotionales Fundament. Dessen bedarf er auch für Zukunftsvisionen, die dem Gleichgültigen ebenfalls fehlen. Dabei ist der ethisch Indifferente nicht apathisch oder träge: Er wurschtelt vielmehr in Gewohnheiten vor
Homosexualität«, in: ders., Gesammelte Werke Bd. XII, Frankfurt a.M.: Fischer 1999, S. 291. 16. Vgl. Manfred Geier: Das Glück der Gleichgültigen. Von der stoischen Seelenruhe zur postmodernen Indifferenz, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1997. 17. Das zeigt sich auch sprachlich, wenn das ursprünglich neutrale »gleich gültig« eine negative Färbung annimmt. Vgl. ebd., S. 31. 18. Vgl. Rüdiger Zill: »Zivilisationsbruch mit Zuschauer. Gestalter des Mitgefühls«, in: Berliner Debatte INITIAL 1-2 (2006), S. 61-72. 19. Wolfgang Sofsky: »Am Nullpunkt des Sozialen. Ein Versuch über die Gleichgültigkeit«, in: Neue Zürcher Zeitung vom 10./11.11.2007, S. 28.
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sich hin. »Das Gegenteil der Gleichgültigkeit ist der wache Sinn, die Reizbarkeit der Nerven, die Courage des Urteilens.«20 Und scheint der Gleichgültige manchmal etwas schrecklich zu fi nden, ist das nur höflicher Schein. Interessanterweise bedient sich Sofsky der Metaphorik der Kühle hier, um das Gegenteil des Gleichgültigen zu beschreiben. Denn die Witze des kaltschnäuzigen Zynikers würden gerade von Betroffenheit zeugen. Der Zyniker will sich mit ihnen etwas, das ihn berührt, vom Leibe halten. »Dem Gleichgültigen indes fehlt die Kälte des wachen Beobachters. Ihm ist alles gleich.«21
Abwehr – Taubheit – Kanalisierung : Drei Typen des Cool Anders als bei Apathie oder Alexithymie, die von vornherein einen Mangel bezeichnen, ist die stoische Gemütsruhe das Endprodukt eines bewussten Akts des Affektmanagements, das Ergebnis erfolgreicher Askese. Sie ist Affektbeherrschung, Affektunterdrückung, die letztlich in Affektfreiheit, emotionaler Ruhe enden soll. Die normative Forderung verwandelt sich, ist der Prozess erfolgreich, in Faktizität. Hiervon ist der Coole weit entfernt. Er steht eher Sofskys kaltschnäuzigem Zyniker nahe. Das Cool entsteht jenseits der Opposition von Apathie und Apatheia. Coolness ist eine Gefühlsattitüde, eine Maskierung, hinter der in der Tat Emotionen lauern, die aber nicht zur Darstellung kommen dürfen. Auch der Coole unterliegt der Norm, sich von seiner Affektivität nicht beherrschen zu lassen. Doch endet seine Domestizierung nicht in stoischer Heiterkeit und auch nicht in apathischer Indifferenz. Der Coole erscheint ruhig, dennoch bleibt der Affekt virulent. Er tritt nicht an die Oberfläche und gleichzeitig bleibt er in seiner Unsichtbarkeit immer sichtbar. Coolness ist somit nicht nur eine Form des Affektmanagements, sondern auch, obwohl das paradox erscheint, eine Form des Gefühlsausdrucks. »Hören Sie«, sagt Marlon Brando in The Fugitve Kind22 zu Anna Magnani, »meine Temperatur liegt immer etwas über der normalen, genau wie bei einem Hund«, und man möchte es ihm auf den ersten Blick nicht glauben, agiert er doch die ganze Zeit nahezu lethargisch, ganz wie Schlangen, aus deren Haut sein Markenzeichen, die Jacke, die er immer trägt, gemacht ist. Und ganz wie Schlangen blitzschnell aus gefährlicher 20. Ebd. 21. Ebd. 22. THE FUGITIVE K IND, USA 1960, Regie: Sidney Lumet. Die deutsche Fassung lief unter dem Titel DER MANN IN DER SCHLANGENHAUT.
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Ruhe in gezielte Aktion wechseln können, ist auch der Coole stets handlungsbereit, wenn er es auch meist verbirgt. Anna Magnani spottet nur über das, was sie für Aufschneiderei hält, und verfällt ihm am Ende doch. Besonders gern verbindet sich das Cool mit Gewalt, ob gegen das Gesetz oder in seinem Namen, bisweilen sogar ganz außerhalb des Rechts; der Coole ist meist der Einzelgänger, der nach seinen und nur nach seinen Vorstellungen lebt. Ob Humphrey Bogart als Philip Marlowe oder Clint Eastwood als Dirty Harry, immer folgen die coolen Helden ihrem eigenen Rechtsbewusstsein und exekutieren es oft gleich selbst. Dabei müssen sie hart gegen sich selbst sein: Dass sie reichlich Prügel einstecken – und hinterher klaglos wieder aufstehen und zurückschlagen – gehört ebenso dazu wie der Gestus der Verächtlichkeit, wo Gefühl gefordert sein könnte. Ihr Misstrauen ist universell: den Regungen der anderen gegenüber ebenso wie den eigenen. Dabei zeigt sich an ihnen nicht selten die Dialektik der Aufklärung im Kleinen. Die Gewalt, die sie vor sich hertragen müssen, um sich zu behaupten, muss auch immer gegen sich selbst gerichtet werden: Die geliebte Frau ist das Wenigste, was der Coole am Ende zu opfern hat, nicht selten ist es sogar das eigene Leben. Cool ist jedoch – wie schon erwähnt – ein Sammelbegriff; es ist nicht nur ein Mitglied der Familie, sondern eine ganze Gruppe unterschiedlicher Geschwister. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht einfach emotionale Kälte schlechthin meinen, sondern die Unterdrückung und Verdrängung eines je bestimmten Gefühls und zwar auf je eine bestimmte Weise. Je nachdem, welches Gefühl hier dominant wird, unterscheidet sich das Cool: Es gibt ein Cool, das auf enttäuschte Liebe reagiert, aber auch eines, das aus dem Wunsch nach Rache geboren ist, und eines, das als Ausdruck tiefster Melancholie entsteht. Hinter der Maske des Cool verstecken sich aber auch verschiedene Haltungen zur Emotion generell. Man kann dabei im wesentlichen drei Varianten unterscheiden: die Affektabwehr, die Affekttaubheit und die Affektkanalisierung. Der Coole der Affektabwehr ist häufig eine im Grunde sentimentale Figur. Er will sich gegen das Gefühl immunisieren, das ihn einst enttäuscht hat. Humphrey Bogart ist in vielen seiner Rollen eine klassische Repräsentation des Abwehr-Coolen, sei es als Rick in Casablanca, sei es als Sam Spade in The Maltese Falcon. Stets will er seine Liebe, die ihn betrogen hat oder betrügen wird, wegdämmen, und dennoch droht sie wieder durchzubrechen. Er ist nicht von einer Person enttäuscht, sondern verdächtigt das Gefühl selbst – ohne dass er sich immer ganz dagegen wehren könnte, z.B. wenn Rick in Casablanca ein einziges Mal von seinem ehernen Prinzip abweicht, dass er sich selbst der Nächste ist, und ein junges Paar
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am Spieltisch gewinnen lässt, um ihm die Ausreise zu ermöglichen.23 Am Ende triumphiert das Gefühl hier allerdings und das Finale bringt nicht nur seine Liebe im Zeichen des Opfers zurück, sondern beschert ihm auch »den Beginn einer wundervollen Freundschaft«. Ein Jahr zuvor spielt Humphrey Bogart in The Maltese Falcon den Privatdetektiv Sam Spade.24 Hier beginnt der Film mit dem Verlust einer Freundschaft: Spades Partner Archer wird umgebracht. Spade will das Verbrechen aufklären und wird dabei in die Jagd nach einer wertvollen Skulptur verwickelt. Habgier dominiert das Geschehen, und für den begehrten Falken ist jeder bereit, jeden anderen zu betrügen. Am Ende sind in der Tat alle um alles betrogen. Der Falke, dem sie nachgejagt haben, ist eine Imitation. Schließlich steht Bogart nur noch seiner ursprünglichen Auftraggeberin gegenüber, die von Mary Astor gespielte Brigid O’Shaughnessy, mit der er eine kleine Aff äre hatte – oder die er sogar liebt? Eines hat er nun noch mit ihr zu regeln, denn inzwischen weiß er, dass sie es war, die seinen Partner umgebracht hat. Er will sie der Polizei übergeben, sie aber glaubt noch, entkommen zu können und zieht alle Register des Gefühls: Sie macht ihm eine Szene, scherzt, weint, appelliert an seine Aufrichtigkeit. Doch er bleibt hart und durchschaut ihre Tränen und ihre Worte als das, was sie sind: pures Theater. Gefühle, die sie in ihm hervorrufen könnte, die er vielleicht ohnehin hat, bemüht er sich wegzudämmen und benutzt dabei seinerseits verschiedene Attitüden. »Hier geht es gar nicht darum, wer wen liebt«, sagt er. Es sei schließlich nicht gut für einen Privatdetektiv, wenn sein Partner ermordet werde und er könne nicht herausfinden, von wem: keine Empfehlung, schlecht fürs Geschäft. Alles ist tangiert vom Prinzip der Ökonomie, der buchstäblichen wie der metaphorischen. Aber er ist vor allem der Enttäuschte, der seine Liebe niederringt. »Naja, dann wird’s mich vielleicht ein paar schlaflose Nächte kosten, wenn ich Dich der Polizei übergebe.« Cool ist hier Abwehr von Gefühlen – die der anderen und die der eigenen. Wo sich Emotionen als Täuschung erweisen, maskiert man sich am besten selbst und hält so Theater mit Theater in Schach. Im selben Jahr wie Casablanca erscheint ein weiterer John-HustonFilm mit Humphrey Bogart: Across the Pacific.25 Auch hier hört Bogart auf den Vornamen Rick – wie in Casablanca –, auch hier verliebt er sich in 23. C ASABLANCA, USA 1942, Regie: Michael Curtiz. 24. THE MALTESE FALCON, USA 1941, Regie: John Huston, deutsche Fassung: DIE SPUR DES FALKEN. 25. ACROSS THE PACIFIC, USA 1942, Regie: John Huston, deutsche Fassung: ABENTEUER IN PANAMA.
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Mary Astor – wie in The Maltese Falcon –, deren Name, Alberta Marlow, sich nur unwesentlich von Spades berühmtem Kollegen, Chandlers Philip Marlowe (den Bogart dann 1946 in The Big Sleep von Howard Hawks spielen wird) unterscheidet. Hier hat Bogart allerdings Glück: Astor alias Marlow ist nicht die Spionin, als die sie zunächst erscheint (und die er natürlich zu opfern bereit ist), und so steht einem Happy End ausnahmsweise nichts im Wege. Der Film spielt zu großen Teilen auf einem japanischen Frachter. In einer Szene liest Joe, ein amerikanischer Japaner der zweiten Generation, Dr. Lorenz, dem Erzbösewicht, der sich bald als Spion und Saboteur entpuppt, japanische Verse vor. Lorenz, ein Freund der japanischen Kultur und ihrer Sprache mächtig, übersetzt und sagt dann zu Bogart und Astor gewandt: »Ihre abendländischen Dichter beschreiben große Leidenschaften und heroische Ereignisse. Nicht so die Japaner, ihre Empfindungen werden durch ein winziges Fragment des Lebens angeregt, das die Eigenschaft der Schönheit besitzt. Und diese reduzieren, extrahieren und destillieren sie auf ihre reinste Essenz.« Alberta Marlow ist verblüfft: »Dann haben sie Empfindungen, ich meine, wie wir, ich meine, sie sind immer so ruhig und zeigen nie etwas.« »Das wird uns gelehrt«, erklärt ihr der japanische Kapitän daraufhin, »das ist unsere Lebensweise, wir dürfen nicht zeigen zuviel Traurigkeit und zuviel Freude. Wenn Sie loben, was wir haben, sagen wir, es ist nichts. Wenn Sie bewundern unsere Söhne, müssen wir sagen, sie sind unwürdig.« Es ist nicht ohne Ironie, dass gerade am Gegner hier jene Gefühlsmaskerade diagnostiziert wird, die der westlichamerikanische Held Bogart auf seine Weise repräsentiert. Es ist dann nur konsequent, dass bald ausgerechnet die japanische Gefühlsmaskierung zum Modell des westlichen Cool wird. Wenn Jean-Pierre Melville 1967 seinen Film über einen Profi-Killer Le Samouraï nennt 26, dann hat das metaphorischen Charakter. Denn nichts an dem Film erinnert an die japanische Kriegerkaste. Sie ist als Modell, wohl nicht zuletzt durch Akira Kurosawas Die sieben Samurai, dem allgemeinen Bewusstsein allerdings so präsent, dass ihre Erwähnung im Titel genügt, um als Chiffre den gesamten Film unter besondere Beleuchtung zu setzen. Alain Delon spielt darin einen Killer, der am Ende selbst gejagt wird. Er ist vielleicht die Inkorporation des Cool, die dem beschworenen japanischen Ideal – oder auch dem Stoiker – am nächsten kommt. Denn Delon zeigt während des gesamten Films nicht den Hauch eines Gefühls. Und doch ist es präsent: Es ist eine universelle Melancholie, die das Geschehen prägt und die paradigmatisch in der Schlussszene zum Ausdruck kommt, wenn Delon alias Jeff Costello eine westlich modernisierte Form des Harakiri macht. Er bedroht in einer Bar die einzige Zeugin seines letzten Mordes, eine Pianis26. Die deutsche Fassung lief unter dem Titel DER
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tin, mit einer ungeladenen Pistole. Die Polizei hat ihn schon erwartet und erschießt ihn im Glauben, so einen weiteren Mord zu verhindern. Melancholie ist für Freud missglückte Trauerarbeit. Die Libido, die sich einst an den jetzt Verlorenen gebunden hat, kann sich nicht von dem Vergangenen ablösen und an ein neues Objekt heften.27 So bleibt als letzte Konsequenz nur die Selbstzerstörung. Davon ist die dritte Art des Cool weit entfernt. Sie steht wie die Affektabwehr unter dem Zeichen der Selbstbehauptung, will das Gefühl aber nicht unterdrücken, sondern nur effizienter zur Entfaltung bringen: Sie kanalisiert den Affekt, um ihn auf diese Weise erfolgreicher ausleben zu können. Affektkanalisierungen sind vor allem Rachephantasien. In ihnen feiert der universalisierte Zorn sein Fest. Clint Eastwood ist in vielen Gestalten, etwa als Dirty Harry in dem gleichnamigen Film oder in den Western von Sergio Leone, zu seiner Inkarnation geworden. Am Anfang von Hang ‘em High, einem Western, der im selben Jahr entstanden ist wie Melvilles Samouraï, wird Eastwood alias Jed Cooper zum Beispiel das unschuldige Opfer eines Lynchmobs.28 In letzter Sekunde kann ihn ein vorbeireitender Marshal vom Strang schneiden. Nachdem sich seine Unschuld herausgestellt hat, tritt er selbst in die Dienste des Gesetzes und verfolgt seine Peiniger gnadenlos. Einen nach dem anderen bringt er tot oder lebendig zur Strecke, im finalen Showdown stellt er Captain Wilson, den Anführer der Meute, auf dessen Farm. Eastwood hat alle anderen bis auf ihn erschossen und dringt in das Haus ein, in dem Wilson sich verbarrikadiert hat. Der Rächer ist die Ruhe selbst. Langsam, aber unerbittlich setzt er Schritt vor Schritt, durchsucht Raum für Raum. Eastwood verzieht dabei kaum eine Miene, nur die Augen sind leicht zusammengekniffen und spiegeln seine bittere Entschlossenheit. Wilson, der das Unheil nahen hört, ist hingegen vor Angst nicht mehr Herr seiner selbst. Die Augen weit aufgerissen, die Stirn schweißbedeckt, die Hände zitternd, blickt er auf die Tür, durch die er den Rächer erwartet. Selbst als man ihn aufzuhängen drohte, war Jed Cooper nicht so sehr das Opfer seiner Gefühle. Wilson hält ihnen dann auch nicht stand: Er findet freiwillig das Ende, das er ursprünglich Cooper zugedacht hatte – als der ins Zimmer eindringt, hat sich der Captain selbst erhängt. Wilson ist ein Opfer des Cool, weil er es selbst nicht sein konnte. Hatte sich der stoische Weise einst mit den Göttern verglichen, so erlebt das Motiv hier auf verschobene Weise eine Wiederauferstehung. Der coole 27. Vgl. Sigmund Freud: »Trauer und Melancholie«, in: ders., Gesammelte Werke Bd. X, London: Imago 1940, S. 427-446. 28. HANG ’EM HIGH, USA 1967, Regie: Ted Post, deutsche Fassung: HÄNGT IHN HÖHER.
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Rächer ist auf seine Art göttlich. Er ist der allmächtige Gott der Rache, der Zornesblitze schleudern kann, aber auf berechnend-selbstbeherrschte Weise: Das heiße Herz behält einen kühlen Kopf. Als Zuschauer finden wir in den Rächerfiguren unsere Stellvertreter, durch die wir das ganze Ungemach, das wir in der Welt erfahren haben, abschütteln können. Wir inszenieren darin, was Peter Sloterdijk das halbernste Spiel mit dem racheromantischen Feuer genannt hat.29 Humphrey Bogart, Alain Delon, Clint Eastwood waren Schauspieler, die mit ihren Rollen verschmolzen. Sie repräsentierten auf je unterschiedliche Weise einen Typus. Von den vierziger bis zu den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte das Kino seine Hochzeit des Cool. Auch als in den sechziger Jahren eine fundamentale Verhaltensverschiebung stattfand, eine Informalisierung des Auftretens und des zwischenmenschlichen Umgangs, der der strenge Kleidungskodex der Anzugträger zum Opfer fiel, hat das Cool es verstanden, diesen Wandel zu überleben. Es hat sich transformiert: vom korrekt gekleideten Bogart zum Mann in Schlangenhaut oder Unterhemd. Inzwischen ist es aber einer anderen Konjunktur zum Opfer gefallen. Ohne dass das Cool ganz verschwunden wäre, scheint der Gipfel seines Erfolgszugs überschritten. Obwohl es einzelne coole Rollen gibt – und nun auch jenseits des Vamps coole Frauen, wie etwa Uma Thurman in Kill Bill –, ist doch der coole Typ, der Schauspieler, der in diesem Rollenklischee aufgeht, verschwunden. Wo er noch überlebt hat, parodiert er sich manchmal selbst. In dem Western Unforgiven kommt Clint Eastwood als alternder Kopfgeldjäger nicht mehr recht aufs Pferd.30 Der Niedergang des Cool hat wahrscheinlich mit einer generell veränderten Stellung des Gefühls seit den 1980er Jahren zu tun. Wie schon der Gleichgültige der Kritik verfallen ist, kann nun auch die Inszenierung der Zurückhaltung nicht mehr standhalten. Wo das öffentlich verhandelte Gefühl gefragt und das Eingeständnis, Angst zu haben, sogar manchmal geradezu gefordert ist, da scheint das Cool ein Auslaufmodell zu werden – vorerst jedenfalls.
29. Peter Sloterdijk: Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch, Frankfurt a.M. 2006, S. 82f. Sloterdijk bezeichnet dieses Spiel als ein Phänomen, das erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert und dem Bürgertum seinen Aufschwung genommen hat. Wenn diese Diagnose sich als richtig erweisen lässt, wäre das eine interessante Parallele zur Kultur des Mitleids, die ebenfalls zu dieser Zeit eine besondere Bedeutung erhält. 30. UNFORGIVEN, USA 1992, Regie: Clint Eastwood, deutsche Fassung: ERBARMUNGSLOS.
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Verdecken »Draußen ist ein Mädchen, das Sie sprechen möchte. Wonderly heißt sie.« »Eine Kundin?« »Sieht so aus. Sie werden sie aber auf jeden Fall sehen wollen: sie reißt Sie vom Stuhl!« »Immer herein mit ihr, mein Engel«, erwiderte Spade. »Immer herein.« […] Langsam, mit zögernden Schritten, kam sie näher und sah Spade aus kobaltblauen Augen mit schüchternem und zugleich prüfendem Blick an. Sie war groß und von schlanker, geschmeidiger Gestalt, die nirgendwo harte Kanten aufwies. Sie hielt sich sehr aufrecht, hatte hohe Brüste, lange Beine und schmale Hände und Füße. Ihre Kleidung zeigte zwei verschiedene blaue Farbtöne, passend zu ihrer Augenfarbe ausgesucht. Die unter ihrem blauen Hut hervorquellenden Haarlocken waren von dunklem, die vollen Lippen von etwas hellerem Rot. Weiße Zähne schimmerten in der halbmondförmigen Öffnung, die ihr schüchternes Lächeln bildete. […] Ihre Augen zeigten Unruhe. Sie saß auf der äußersten Stuhlkante. Die Füße hatte sie fl ach auf den Boden gesetzt, als wollte sie jeden Augenblick aufstehen. […] Spade wippte mit seinem Stuhl zurück und fragte: »Nun, was kann ich für Sie tun, Miss Wonderly?«1
1. Dashiell Hammett: Der Malteser Falke, Zürich: Diogenes 1974, S. 9-10.
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So lässt Dashiell Hammett seine Femme fatale in dem Roman »Der Malteser Falke« das erste Mal auftreten, und gleich haben wir Humphrey Bogart als Sam Spade in der legendären fi lmischen Inszenierung von John Hustons Die Spur des Falken2 vor Augen. Doch im Fokus unseres Interesses steht diesmal nicht der coole Mann, sondern die coole Frau: Miss Bridget Wonderly, die gerade mit spektakulärer Attitüde ihren ersten großen Auftritt absolviert hat. Die Szene ist so inszeniert, als hätte der vor sich hin dämmernde Privatdetektiv sie kraft seiner Phantasie herauf beschworen. Und damit zeigt sich gleich eines der zentralen Kennzeichen der Femme fatale: Sie ist von männlichen Wünschen und Begierden nicht loszudenken, oder besser: sie wird von ihnen auf die Welt gebracht – als Inkarnation des Verführerischen. Kennzeichnend in dieser Szene scheint auch das Spiel mit Enthüllung und Verdeckung. Hier zeigt der Film, was der Roman der Phantasie des Lesers überlässt: Miss Wonderlys Hut ist mit einem Schleier versehen, der einen Teil ihres Gesichts verdeckt, und der Pelz, den sie sich umgelegt hat, rutscht ihr von der Schulter. Femmes fatales sind nie nackt, ihr Dekolleté nie offenherzig, ihr Blick nie unverschleiert – ob mit oder ohne textile Hilfsmittel. Sie halten den Begehrenskreislauf in Gang und entblößen außer der kalten Schulter nichts, auch nicht wenn sie nackt sind. Dem männlichen Gegenspieler bleibt der ins Gesicht gezogene Hut, der aufgeklappte Kragen und der Zigarettenrauch, der den Blick aufs Gesicht vernebelt. Der coole Spade verdeckt seine Posen, die nichts anderes verraten als seine inszenierte Überlegenheit, und die coole Bridget verdeckt ihren Körper, als wäre ihre Haut mehr als nur eine Oberfläche, hinter die man nicht gelangen kann. Und typisch ist diese Szene auch, weil die Femme fatale hier zunächst in der Rolle der Femme fragile auftaucht. Sie schaut sich ängstlich um, ihre Stimme zittert, sie sitzt auf der vorderen Kante des Stuhls, errötet, gibt sich schutzbedürftig. Doch schon hier gibt es Hinweise darauf, dass ihre Zerbrechlichkeit ein Schauspiel, eine Pose ist. Zu gehaucht ist ihr »thank you«, zu insistierend sind die Blicke unter dem Schleier. Bis ins letzte Detail hat sie ihr Outfit durchdacht, die Mischung aus Keuschheit und Sexappeal dosiert, die Farben aufeinander abgestimmt – viel kühles Blau, weil es die Farbe ihrer Augen unterstreicht und ihr zugleich den Anschein der Seriosität verleiht, dazu ein rot geschminkter Mund, der einen Ton zu fordernd ist. Bis zur Perfektion werden Augenaufschlag, Stimmlage und Körpersprache eingesetzt. Sie beherrscht diese Rolle, und das durchscheinende Kalkül ihres Schauspiels ist ein erstes Indiz für ihre Gefährlichkeit. Sie nutzt die Effekte der Femme fragile und lässt dabei gezielt die Souveränität
2. DIE SPUR
DES
FALKEN (THE MALTESE FALCON), John Huston (Regie), USA 1941.
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und Abgeklärtheit des Mannes aufscheinen. Und damit bringt sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihn ins Spiel. Coolness wird bei der Femme fatale dann evoziert, wenn Leidenschaftlichkeit gleichzeitig angezeigt und verdeckt wird und sich diese Konstellation nie auflöst. Ihrem Gegenüber beschert sie so ein Wechselbad der Gefühle. Ihre Coolness unterscheidet sich grundlegend von der Coolness männlicher Ikonen, die gleichmäßiger temperiert sind als sie – gleichmäßig kühl. Die Femme fatale ist, wie Silke Binias in ihrem Buch zur Femme fatale in der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts »Symbol and Symptom« schreibt: »Too much (beauty, sex, appeal, power) and too little (heart, mind, soul, emotion connected therewith).«3 Oder, als Temperatur ausgedrückt: sie ist heiß und kalt, ohne dass diese beiden Zustände sich vermischen. Ein Film noir hat in seinem deutschen Titel genau diese Temperiertheit zum Thema gemacht: Heissblütig – Kaltblütig. 4 Die Femme fatale ist eine Erscheinung der Moderne. Sie stellt somit eine Reaktion auf eine veränderte Lebenswelt dar, insbesondere der Erschütterung von Geschlechterrollen. Im 19. Jahrhundert durch die Zusammenziehung zweier entgegengesetzter Festlegungen des Weiblichen – der Hexe und der Heiligen – entstanden, bleibt sie in der Literatur in diesem Spektrum von Dämonisierung und Idealisierung durch den männlichen Blick gefangen. Sie ist zugleich Vexierbild und Korrektiv der Männlichkeit, die sie hervorgebracht hat.5 Die Hoffnung auf Glück, das dieser Figur stets anhaftende utopische Moment, erscheint aufs Engste verbunden mit der männlichen Angst vor Selbstaufgabe, dem Verzicht auf bürgerliche Saturiertheit. Sie wird immer wieder in einer Reihe mit biblischen Skandalfiguren wie Salome, Judith und Dalila gesehen, die ihre Männer noch köpfen mussten, um sie um den Verstand zu bringen; doch gehen diese Zuschreibungen mit einem retroaktiven Blick vonstatten, der sie problematisch macht. Die Femme fatale markiert das Andere der Vernunft, und so schreibt sich die Frage fort, inwieweit sie dabei in vielen Aspekten dem patriarchalischen Diskurs verhaftet bleibt, wie fast in der gesamten Literatur behauptet, oder ihn vielmehr empfindlich unterwandern kann. Das Phänomen Femme fatale zu definieren, fällt schwer, will man nicht nur Klischees perpetuieren. Carola Hilmes schlägt deswegen fol3. Silke Binias: Symbol and Symptom. The Femme fatale in English Poetry
of the 19th Century and Feminist Criticism, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2007, S. 38. 4. HEISSBLÜTIG – K ALTBLÜTIG (BODY HEAT), Lawrence Kasdan (Regie), USA 1981. 5. Vgl. Elisabeth Bronfen: Liebestod und Femme fatale. Der Austausch sozialer Energien zwischen Oper, Literatur und Film, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004.
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gende Minimaldefinition vor: Sie ist »eine meist junge Frau von auffallender Sinnlichkeit, durch die ein zu ihr in Beziehung geratender Mann zu Schaden oder zu Tode kommt.«6 Sexuelle Attraktivität und Tod scheinen die beiden Motive zu sein, die bei der Femme fatale immer wieder aufgerufen werden. Interessant ist dabei, dass meist nicht oder nicht nur der Mann zu Tode kommt, sondern auch sie selbst. Die meisten Femmes fatales müssen sterben. Nur zu diesem Preis dürfen sie die (coole) Männerwelt betreten und in ihr einen ebenbürtigen Platz einnehmen. So hat die männliche Phantasie sie erdacht: Ihre Bedrohung ist zu groß, als dass sie am Leben bleiben könnten. Und so haben viele Filme den Tod mit im Titel: z.B. Sprung in den Tod, Murder, My Sweet, Der Kuss vor dem Tode, Todeskuss etc.7 In der Literatur wird die Femme fatale also durchgängig als männliche Projektionsfigur verstanden, der keinerlei emanzipatorische Kraft zugestanden wird, geschweige denn die Möglichkeit, männliche Projektionsmuster zu durchbrechen.8 Ihre Coolness ist so nur eine abenteuerliche Reibefläche für ihre männlichen Gegenspieler – mehr nicht. Dies hat mit einem einseitig verstandenen Begriff des männlichen Blicks zu tun, dem wir hier dezidiert widersprechen möchten. Wie Kaja Silverman gezeigt hat, kann die Blickdynamik des voyeuristischen Blicks nicht auf ein Geschlecht reduziert werden; vielmehr hat der männliche Blick eine doppelte Struktur (»inside-out structure«), die sich aus dem Lacanschen Verständnis des Spiegelstadiums ableiten lässt: »In oder for the child to continue to ›see‹ itself, it must continue to be (culturally) ›seen‹. Lacan compares this visual mediation to photography: […] in the scopic field, the gaze is outside, I am looked at, that is to say, I am a picture. This is the function that is found at the heart of the institution of the subject in the visible. What determines me, at the most profound level, in the visible, is the gaze that is outside. It is through the gaze that I enter life and it is from the gaze that I receive its effects. […] The subject sees itself being seen.«9
6. Carola Hilmes: Die Femme fatale. Ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur, Stuttgart: Metzler 1990, S. 10. 7. MURDER, MY SWEET (LEB‘ WOHL, L IEBLING), Edward Dmytryk (Regie), USA 1944; TODSÜNDE (LEAVE HER TO HEAVEN), John M. Stahl (Regie), USA 1945; TODESKUSS (K ISS OF DEATH), Henry Hathaway (Regie), USA 1947; DER KUSS VOR DEM TODE (A K ISS BEFORE DYING), James Dearden (Regie) 1991; SPIEL MIT DEM TODE (THE BIG CLOCK), John Farrow (Regie), USA 1947. 8. C. Hilmes: Die Femme fatale, S. Xiii. 9. Kaja Silverman: »Fragments of a Fashionalbe Discourse«, in: Shari Bens-
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Das heißt, dass das männliche und das weibliche Subjekt gleichermaßen abhängig vom Blick des anderen sind; dass also beide Geschlechter fundamental exhibitionistisch sind, und dem Mann nur eine andere Rolle in der Blickdynamik zukommt, nämlich die desjenigen, der Frauen anschauen muss. Der Blick ist also ein Effekt der symbolischen Ordnung und nicht des menschlichen und somit geschlechtlichen Sehens. Auf unsere Thematik zurückgewendet bedeutet das: Der coole Sam Spade ist für seinen Identifizierungsprozess genauso gezwungen, Bridgit Wonderly anzuschauen, wie die coole Femme fatale gezwungen ist, sich anschauen zu lassen bzw. sich selbst (mit dem internalisierten Blick des Anderen) anzuschauen. Und sie tut es auf eine Weise, die uns und ihrem Gegenüber signalisiert, dass sie eine ebenbürtige Spielerin ist, und ebenbürtig heißt hier: lebensgefährlich. So manch einer, der diesem Spiel nicht gewachsen ist, bleibt gleich auf der Strecke. Spades Partner Archer, beispielweise, soll die aufgewühlte Klientin beschützen und wird stattdessen tot aufgefunden. Was hat es zu bedeuten, dass sie in unmittelbarer Nähe war, als sich das Verbrechen ereignete? Hat sie etwas mit seinem Tod zu tun? Warum verlangt sie weiterhin nach Spades Hilfe? Kein Auftritt der Femme fatale ohne diese Doppelbödigkeit, ohne den Eindruck des Kalküls, der Manipulation. Ihre Affinität zum Verdecken, die sie umgebende Spannung von (vermeintlicher) Entblößung und Verschleierung ihrer Motive und Person sowie die Raffinesse, mit der sie dieses Spiel betreibt, legen auch die Genres nahe, in denen sie vorzugsweise auftaucht: Hardboiled Detective Fiction und Film noir. Beide sind Genres mit einer minutiös durchkomponierten Bildlichkeit der coolen Oberflächen, die es ihren Protagonisten erlaubt, Ambiguitäten auszuloten, ohne diese am Ende aufzulösen und sich in moralische Grauzonen zu begeben, ohne zu bewerten. Dafür beschwören sie eine fi ktionale Realität herauf, welche die Figur der Femme fatale konturiert, ohne sie zu temperieren. Insbesondere mit der fi lmischen Entwicklung dieser Ästhetik befinden wir uns mitten in der Zeit des »Birth of the Cool«, so der Titel des berühmten Albums des Jazztrompeters Miles Davis (1957). Kulturgeschichtlich gilt diese Zeit als Ausdruck einer existentiellen Krise, in der die geballten Erschütterungen von Weltwirtschaftskrise, Zweitem Weltkrieg, Holocaust und Atombombe ihren Niederschlag finden. Wie soll man in dieser Gesellschaft (über)leben? Der Ohnmacht dieser Krise entsteigen heroisierte Außenseiterfiguren, die sich mit cooler Attitüde über die abtötenden Mechanismen einer zur Zwangsanstalt verkommenen Gesellschaft hinwegtock/Suzanne Ferriss (Hg.), On Fashion, New Brunswick: Rudgers University Press 1994, S. 187.
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setzen. Norman Mailers Figur des hipsters ist die wohl eindrücklichste Manifestation dieser Überlebensstrategie. In seinem Aufsatz »The White Negro« wird der afroamerikanische Mann – in Mailers Phantasie hochgradig übersexualisiert, latent kriminell und moralisch hemmungslos – zum letzten Hoff ungsträger einer authentischen Existenz.10 In der Musik (Bebop), in der Malerei (Abstrakter Expressionismus), in der Literatur (Beat) und im Film noir wird Coolness als Geste des Protests und in Kombination mit individueller Expressivität zum Leitmotiv. Doch ihre einschlägigen Protagonisten – Miles Davis und Charlie Parker, Jackson Pollock, Jack Kerouac, William Burroughs und ihre Helden, Sam Spade und Philipp Marlow – sind durchweg Männer. 11 Nur die Femme fatale kann hier als weibliche Ikone der Coolness mitspielen.
Verkörpern Wer ist sie aber? Dass sie die Femme fragile nicht ist, als die sie sich ins Spiel bringt, ist sofort klar. Das gilt im Übrigen nicht nur für Bridgit, sondern auch für Elsa »Rosalie« Bannister (alias Rita Hayworth) in Die Lady von Shanghai12 . Mrs. Bannister lässt sich im unschuldigen Kleid gleich erst einmal von ihrem Gespielen, dem Seemann Michael O’Hara (alias Orson Welles) vor einer Entführung retten. Bis zum Schluss steht die Inszenierung dieser Szene im Raum und wirft Echos in ähnliche Szenen, in denen sie Fragilität auf die Bühne bringt. In einem weiteren Film Laura spitzt sich diese falsche Fährtenlegung des ersten Auftritts noch weiter zu: Man sieht die Femme fatale erschossen auf dem Boden liegen, doch, wie sich später herausstellt, war sie es gar nicht – der eigene Tod als Inszenierung. Worauf aber zielt nun ihr Kalkül? Was bewegt sie und treibt sie an? Wer ist sie? Versuchen wir, ihr ein wenig in die Karten zu schauen: 10. Norman Mailer: »White Negro« (1957), in: Robert F. Lucid (Hg.), The Long Patrol. 25 Years of Writing from the Work of Norman Mailer, New York 1971, S. 209-228. Zum kulturgeschichtlichen Umfeld vgl. Daniel Belgrad: The Culture of Spontaneity. Improvisation and the arts in postwar America, Chicago: University of Chicago press 1998; Michael Leja: Reframing Abstract Expressionism. Subjectivity and painting in the 1940s, New Haven, CT: Yale University Press 1993. 11. Vgl. in diesem Band den Beitrag von Gerald Schröder. 12. DIE L ADY VON SHANGHAI (THE L ADY FROM SHANGHAI), Orson Welles (Regie), USA 1947.
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1. Sie trägt ihre Schönheit zur Schau und spielt mit der Verdeckung und Enthüllung ihres Körpers. 2. Sie taucht auf, wo coole Männer sind. 3. Sie entsteht aus der männlichen Phantasie, dem männlichen Bild und entwickelt in dieser Imagination Dynamiken, die nicht zähmbar sind und die Coolness der Männer durchschaubar machen. 4. Sie beherrscht das Spiel der Posen, aber ihre eigentliche Kunst des Coolseins ist die Verkörperung. 5. Sie ist unergründlich und motivlos. Und genau das macht sie so gefährlich. 6. Ihre Coolness hat eine paradoxe Temperatur: heiß und kalt, heißkalt – aber nie kühl. Sie ist dem Leben so nah wie dem Tod, beide bedeuten ihr nichts und alles. 7. Männer, die sich auf sie einlassen, riskieren ihr Leben, und das unterwandert ihr Credo: Sterben ist uncool. 8. In ihrer Todessehnsucht entlarvt sie in der coolen Gleichgültigkeit ihrer Gegenspieler eine Sehnsucht nach Unsterblichkeit. 9. Sie ist die unwiderstehliche Verkörperung der verleugneten Todessehnsucht ihrer Gegenspieler, die Wiederkehr der verdrängten Sterblichkeit. 10. Und so wird in ihrer Gegenwart Coolness zur existentiellen Frage. Bridget und Sam sind zwei Figuren, die für den Bereich der Hardboild Detective Fiction und des Film noir eine geradezu prototypische Position einnehmen. Spades Coolness basiert vor allem auf Posen: seinem fortwährenden Rauchen und Trinken (hard liquor!), seiner selbst in dramatischen Situationen tadellos sitzenden Kleidung, seinem ausgestellten Verzicht auf Schusswaffen in einem Milieu, in dem sonst jeder (auch Bridget) mindestens eine Pistole trägt, seiner Schlagfertigkeit, seiner lässigen Sprache und seinem trockenen Humor, seiner immer wieder auf blitzenden Fähigkeit das Tempo zu wechseln und zu überraschen – und, last but not least, seiner herausragenden Schauspielfähigkeit. Hier triff t sich seine Coolness mit der der Femme fatale. Sie zeigt sich par excellence in der Szene, in der er das erste Mal auf Gutman trifft. Gutman ist eine der kriminellen Figuren, die auf der Jagd nach dem sagenumwobenen »schwarzen Vogel« sind, in die auch Spade durch seine Arbeit für Bridget und den Mord an seinem Partner hineingeraten ist, und zwar lange Zeit ohne zu wissen, worauf die sich gegenseitig ausspielenden Gangster es eigentlich abgesehen haben. Gutman ist derjenige, der Spade endlich erzählt, wonach alle so fieberhaft auf der Suche sind, und ihm dann vorschlägt, mit ihm gemeinsame Geschäfte zu machen. Spade zeigt sich interessiert an dem Angebot, suggeriert Gutman, er wisse, wo der Vo59
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gel sei, und bekommt einen unvermittelten Wutanfall, als dieser sich nicht auf seine Konditionen einlassen will. Am Ende der Szene stürmt der aufgebrachte Spade aus Gutmanns Hotelzimmer und stellt diesem, bevor er mit der Tür knallt, noch ein Ultimatum – um dann, sobald er außer Sichtweite ist, in den beschwingten Schritt eines Siegers zu verfallen und eine Handbewegung zu machen, die nur einen einzigen Zweck haben kann: dem Leser bzw. Zuschauer zu zeigen, dass sein Wutausbruch eine Finte war und er die ganze Zeit Herr der Lage. Wie cool Spade ist, wird uns immer wieder dadurch vermittelt, dass wir hinter seine Posen blicken dürfen und dazu angehalten sind zu bewundern, wie souverän und abgebrüht er ist. Text und Film verfahren hier übrigens innerhalb der ihnen eigenen Medialität praktisch auf identische Weise: der Roman liest sich wie ein Drehbuch. Es gibt prägnante Beschreibungen von Personen, Räumen, Situationen, aber keinerlei Introspektion. Die Visualität, die beide Medien erzeugen, evoziert seine Coolness als reine, performative Oberfläche. Und auch wenn wir in Szenen wie dieser mit aller Vehemenz auf jene Oberflächlichkeit und Posiertheit hingewiesen werden, so gewährt uns der vom Text oder der Kamera inszenierte Blick ›in seine Karten‹ doch keine tiefere Einsicht in ein mögliches Dahinter. Wie bei einem Taschenspieler sind wir zu sehr auf den Trick fokussiert, dessen Aufdeckung die Blickrichtung ändert, ohne dabei wirklich etwas preiszugeben. Bridgets Kunst ist dagegen die Verkörperung von Coolness. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kontrahenten ist ihre Schauspielkunst von dem rückhaltlosen Einsatz ihres Körpers geprägt: Sie errötet vor Scham, sie zittert vor Angst. Dasselbe Szenario wiederholt sich als beide sich das nächste Mal sehen. Spades Partner ist inzwischen ermordet und es ist klar, was vorher schon klar gewesen ist: dass die Geschichte, die Bridget den beiden Privatdetektiven am Tag zuvor aufgetischt hatte, ganz und gar erlogen war. Spade macht keinen Hehl daraus, dass er ihr ohnehin kein Wort geglaubt hat – und dass er nur bereit ist, ihr weiter zu helfen, wenn er weiß, worum es geht. Woraufhin sich Folgendes ereignet: »Sie ließ sich vor seinen Knien auf die Knie nieder. Sie schaute zu ihm auf. Ihr Gesicht war bleich, angespannt und angsterfüllt über den fest gefalteten Händen.«13 Interessant ist hier, wie sie ihr Gesicht benutzt, es ihm zum Beweis ihrer Bedürftigkeit hinhält und es dabei zugleich hinter ihren vorgehaltenen Händen verbirgt. »Ich habe kein gutes Leben geführt«, jammerte sie. »Ich bin schlecht gewesen – schlechter, als Sie sich denken können, aber ich bin nicht durch und durch schlecht. Sehen Sie mich an, Mr. Spade! Sie wissen, dass ich nicht von Grund 13. D. Hammett: Der Malteser Falke, S. 40.
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auf schlecht bin, nicht wahr? Können Sie mir nicht ein wenig vertrauen? Oh, ich bin so allein und hab solche Angst, und ich habe niemanden, der mir hilft, wenn Sie’s nicht tun. […] Wenn ich meinte, irgend jemand anders könnte mich retten, würde ich dann so auf Knien vor Ihnen liegen? Ich weiß, ich bin nicht fair zu Ihnen. Aber seien Sie großzügig, Mr. Spade, verlangen Sie das nicht von mir. […] Helfen Sie mir! Ich habe kein Recht zu verlangen, dass Sie mir gleichsam mit verbundenen Augen helfen, und dennoch bitte ich Sie darum. […] Helfen Sie mir!«14
Ohne, dass der Text es weiter kommentieren müsste, hören wir das Zittern ihrer Stimme, sehen wir die Tränen in ihren Augen funkeln. Sie fordert ihn auf, sie anzusehen, denn sie weiß um ihre Wirkung. Spade (der während ihres ›Geständnisses‹ die Luft angehalten hat, um sie sich auf Abstand zu halten), lässt sie auflaufen. Zynisch kommentiert er ihr überzeugendes Schauspiel und versichert ihr, sie sei so gut, dass sie auf keine Hilfe angewiesen sei. Sie sprang auf. Ihr Gesicht wurde rot vor peinlicher Verlegenheit, aber sie behielt den Kopf hoch und blickte Spade gerade in die Augen. »Das habe ich verdient«, sagte sie, »Ich hab es verdient, aber – oh! – ich wünschte doch sehr Ihre Hilfe! Ich wünschte und brauchte sie so sehr! Und die Lüge lag mehr in der Art, wie ich sie erzählt habe, als darin, was ich Ihnen vorgesponnen habe.« Sie wandte sich ab, nun nicht mehr in aufrechter Haltung. »Ich hab ja selbst schuld, dass Sie mir jetzt nicht mehr glauben können.« Spade bekam ein rotes Gesicht und zu Boden blickend murmelte er: »Jetzt sind Sie gefährlich!«15
Dieses zweite Geständnis ist nicht weniger Schauspiel als das erste. Und es macht eines klar: Es gibt kein ›Hinter‹ ihrer Rolle, sondern nur Facetten ihres Schauspiels. Sie füllt sie mit ihrem ganzen Sein und ihrem ganzen Körper aus. Als Spade das begreift, erkennt er das volle Ausmaß an Gefahr, das diese Frau birgt – und kann sich weniger als zuvor von ihr abwenden. Das ist der zweite Schritt ihrer Verkörperung. Der Kuss, zu dem es in dieser Szene kommt, bringt seine Irritation darüber zum Ausdruck. Es wirkt fast grob, so als wolle er mit ihm und in der Berührung ihres gefährlichen Körpers seine coole Souveränität wieder herstellen, die zuvor ins Wanken geraten war. Eine fast identische Szene gibt es auch in Lady from Shanghai und zwar in einem ähnlichen Stadium der Handlung: Michael ist Elsa gefolgt, obwohl er bereits erkannt hat, dass Gefahr von ihr ausgeht. Wie gefähr14. Ebd., S. 41. 15. Ebd., S. 42.
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lich sie ihm werden kann, begreift er erst in dieser Szene. Sie beginnt mit einem Kopfsprung Elsas von einem schwindelerregend hohen Felsen und ihrem Auftauchen an der Reling des Gaunerschiffs, auf dem Michael inzwischen angeheuert hat. Elsa trägt einen hinreißenden schwarzen Badeanzug, der nur mit einem kleinen diagonal über Dekolleté und Schulter verlaufenden Riemchen gehalten wird, und ihre platinblonden Haare sitzen selbst nach diesem ›Todessprung‹ perfekt. »Können Sie mir helfen«, fragt sie ihn und meint damit: beim Abtrocknen – aber auch: mit meinem Leben. »Lassen Sie uns gemeinsam fortgehen«, wird sie gleich zu ihm sagen. Hat die Kamera Elsa bisher in ihrer ganzen Badeanzugschönheit präsentiert, so ist von dem Moment des Abtrocknens an bloß noch ihr Gesicht zu sehen, so nah, dass es den gesamten Bildausschnitt erfüllt. Wir schauen mit der Kamera über Michaels Schulter, sie sieht ihm leicht von unten und doch herausfordernd in die Augen und sagt mit unwiderstehlicher Stimme: »Seit ich Sie im Park getroffen habe, versuche ich mir das Rauchen anzugewöhnen. Würden Sie mir bitte Feuer geben?« Vielleicht überinterpretiert man diese Szene, wenn man aus heutiger Sicht sein Anzünden ihrer Zigarette als Einwilligung in ihre Todessehnsucht auslegt, vielleicht war es auch damals eher ihr sozialer Tod (die in der Öffentlichkeit rauchende, verruchte Frau) als ihr klinischer, mit dem Elsa hier kokettiert. Auff ällig ist, dass sie nicht nur Michael mit diesem Mechanismus verschwörerischer Verbindlichkeit ein Stück näher an sich heranholt – in diesem Fall so nah, dass es Michael definitiv zu heiß wird: Als sie versucht, ihn zu küssen, weist er sie zurück und wirft ihr vor, sie würde mit ihm spielen. Verletzt wendet sie sich ab, ihre Augen glänzen, die Lippen beben, bevor sie ihr Gesicht (wieder maximal groß im Bild) mit Rauch verhüllt. Wie Bridget bittet auch sie um Hilfe und muss hören, dass sie ihr Spiel so gut beherrscht, dass sie keine Hilfe benötigt. Auch sie versichert mit zitternder Stimme, dass sie nicht ist, was er zu meinen glaubt, doch wer oder was sie ist, bleibt im Dunkeln. Doch anders als in der entsprechenden Szene zwischen Sam und Bridget im Malteser Falken markiert der Kuss, zu dem es auch hier in einem zweiten Anlauf kommt, keinen Versuch der Rehabilitierung einer coolen Pose, sondern vielmehr sein Begreifen, dass er sie nicht ergründen und sich nicht vor ihr retten kann. Von vornherein war Michaels Coolness bestenfalls brüchig und seine Motivation eher von Faszination und Neugier geprägt als von dem kalkulierten Eigennutz typischer Noir-Helden. Und dadurch kann ihre Coolness umso stärker strahlen. In diesem Film steht nicht ein männlicher Held im Mittelpunkt, der auf eine Femme fatale triff t und sich an ihr beweist, sondern die Frau selbst. Wie sehr ihre Unergründlichkeit in ihrem rückhaltlosen Einsatz ihres Körpers liegt, wird mit der unmittelbar anschließenden Szene bebildert, in der Elsa in knap62
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pem schwarzem Top und Shorts bekleidet in der Dunkelheit auf Deck liegt und die ganze Szene ohne Handlungen und ohne Worte dominiert. Die Kamera gleitet immer wieder über ihre golden schimmernde Haut, wobei die Verkörperung von Coolness durch das nächtliche Sonnenbaden noch verstärkt wird: Es geht nur um die Wirkung – ob die Verkörperung konsistent ist, spielt dabei keine Rolle. Im Roman »Der Malteser Falke« gibt es eine Szene, die diese Eigenschaft in einem dritten Schritt noch weiter dramatisiert (eine Szene, die in dem Film, vermutlich wegen der vollständigen Nacktheit der Frau, nicht vorkommt). Spade zwingt Bridget sich zu entkleiden, um herauszufinden, ob sie einen 1000-$-Schein an ihrem Körper versteckt trägt. Als sie dann nackt vor ihm steht, wird klar, dass es hier um mehr geht als um die Suche nach dem Geldschein und die Frage, ob sie Spade mit dessen Verstecken hintergangen hat (sie hat es nicht). Es handelt sich um seinen brachialen Versuch, ihr Spiel aufzudecken, ihre Motive zu ergründen, herauszufi nden, auf wessen Seite sie steht. Doch selbst nackt hat sie sich nicht entblößt – ihre Coolness ist keine Maskerade, die sich ablegen lässt, sondern eine Verkörperung, die nicht nur unter die Kleidung geht, sondern auch unter die Haut. 16 Und damit befindet sich ihre Coolness auf einer gänzlich anderen Ebene. Fritz Lang hatte es in einem expressionistischen Vorläufer des Film noir Genuine von 1922 in ein treffendes Bild gefasst: Er ließ seiner Femme fatale die Kleider teilweise direkt auf den Körper malen. Und zwingt damit beide Geschlechter in die oben beschriebene doppelte Blickdynamik.
Den Tod versprechen Die Femme fatale des Film noir und ihre Vor- und Nachfolgerinnen spielen also mit der Erwartung des männlichen Blicks, sie manipulieren ihn und werfen ihn zurück. Denn dadurch, dass sie den Tod mit ins Spiel bringen – und zwar als etwas gleichermaßen Bedrohliches und Begehrenswertes 16. Interessant, aber hier zu weit führend, wäre eine Diskussion des Maskeraden-Charakters der Femme fatale. Denn wenn man davon ausgeht, dass sie nicht nur die Femme fragile, sondern auch die Femme fatale als Maske einsetzt und dahinter nichts anderes als nur wieder eine Maske verborgen ist, dann könnte man argumentieren, dass sie eine Frau-zu-Frau-Stilisierung ist und somit das Maskeradesein der Weiblichkeit parodiert und so in Frage stellt. Damit wäre die Femme fatale der Hysterikerin in ihrer Funktion ähnlich, nur dass sie auf anderen medialen Ebenen auftauchen. Vgl. hierzu die Thesen von Christina von Braun: Nicht-Ich. Logik, Lüge, Libido, Frankfurt a.M.: Verlag Neue Kritik 1985.
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– wird die Coolness ihrer männlichen Gegenspieler zu einem Vexierbild von Leben und Tod. Was verbirgt sich hinter seinen Posen? Was liegt hinter ihren glatten Oberflächen? Die Todessehnsucht der Femme fatale erlaubt uns einen Blick dorthin. Mit ihrer Gegenwart zeigt sich in dem Souveränitäts-Spektakel seiner Coolness, in seiner ausgestellten Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben, eine verdeckte Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Die Femme fatale kann durch ihre Verkörperung der Coolness den kühlen Kopf dieser Helden als einen entlarven, der weder leben noch sterben kann. Sie tut dies zum Preis der Fortführung von Klischees (Verkörperung und Tod sind im westlichen Denken traditionell und problematisch mit dem Weiblichen verbunden) und erreicht dabei doch eine empfindliche Erschütterung der (männlich konnotieren) Glaubenssätze ihrer Gegenspieler. Ihr erster Auftritt wirkt meist so stark, dass er sich stärker als erwünscht in das Auge dessen brennt, der ihn erst hervorgebracht hat. Der erste Auftritt der Femme fatale ist natürlich zu nichts anderem da, als ihr Gegenüber Schachmatt zu setzen; gleichzeitig muss sie aber alles dafür tun, nicht gleich zu einem Bild zu gerinnen, das weder leben noch sterben kann – ein Prozess, dem sie nur ihren sterblichen Körper entgegenhalten kann. Eine Spielart der Femme fatale hat diesen Einsatz bereits verloren: der Vamp. Der weibliche Vampir hat seine Sterblichkeit verspielt. Wenn sie ihre Rolle blutsaugend ausfüllt, dann wird die Sterblichkeit dieser Figur von einem männlichen Blutsauger genommen und seine Unsterblichkeit ihr übergestülpt. Sie ist eine männliche (Alp)traum-Figur, weil sie das einlöst, was als größter Wunsch und größter Fluch im Raum steht: die Unsterblichkeit. Der Vamp ist die ihres Körpers beraubte Femme fatale, er ist die zum Bild geronnene Femme fatale, die weder das Leben noch den Tod mehr fürchten muss. Bridgit und Elsa hingegen haben Angst vor dem Leben und Angst vor dem Tod. Und sie zeigen es – echt gespielt. 17 Wenn Coolness verkörpert und nicht posiert ist, dann wird sie zu einer existentiellen Frage. Dann steht sie der männlich codierten Coolness gegenüber, die unter einer glatten Oberfläche von todesmutigen Gesten, jeglicher Lebensgefahr gegenüber gleichgültigen Posen vor allem eine Strategie des Überlebens ist. Von der Wortbedeutung her wäre Coolness ein Konzept, das weder mit dem Tod noch mit dem Leben zu assoziieren wäre – denn der menschliche Körper ist warm, wenn er lebt, und kalt, wenn er stirbt, kühl ist er eigentlich nicht. Kühl kann also nur seine nicht-menschliche bzw. unempfindsam gemachte Oberfläche sein. Die Todessehnsucht 17. Diana Fuss hat Modephotographien analysiert, welche die Frauen zugleich als Femme fatale und vampiristisch inszenieren. Vgl. dazu Diana Fuss: »Fashion and the Homospectatorial Look«, in: S. Benstock/S. Ferriss, On Fashion, S. 211-232.
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der Femme fatale und deren Veräußerung hingegen berührt auch ihren Gegenspieler – und verändert dessen Temperatur. Das Spiegelkabinett, in dem der Film Die Lady von Shanghai seinen finalen Showdown findet, bringt diese Dynamiken kaleidoskopisch auf den Punkt. Elsa und ihr Mann multiplizieren sich, ihre Spiegelbilder wechseln sich ab, man weiß nicht, wer wo steht und ob man gerade die Person oder nur ein Bild von ihr vor sich hat. In Michaels Gegenwart bringen Elsa und ihr Mann sich in ihren eigenen Spiegelungen um. Am Ende liegt sie tödlich verwundet am Boden, die Spiegel sind zerschossen. Abgelöst von ihren Bildern ist sie noch immer wunderschön, und doch scheint ihre Macht, einen Mann an ihr schwindendes Leben zu binden, gebrochen. Ihre Todesangst kann sie sich genau so lange vom Leib halten, bis Michael sich von ihr abwendet und sie ihrem Sterben überlässt; und in dem Moment, als nicht nur das Leben, sondern auch die Lebensversicherung aus der Projektion aus ihr weichen, hat man das erste Mal den Eindruck, dass sie nicht spielt. Und Michael? Was wird aus ihm, wenn er sie dort zurückgelassen hat und in den Tag hinaustritt? Ist er ihrem Bann entkommen? Man kann es sich kaum vorstellen. Coole Männer haben Motive: Mal ist es ein Ehrenkodex, mal der Wunsch, ein Spiel zu gewinnen, mal die Lust, Fäden zu entwirren oder eine Frau zu verführen. Die Femme fatale erscheint dagegen merkwürdig motivlos. Sie gleicht einem Spieler, der gewinnen will, um alles wieder zu verlieren. Diese Frauen sind Meisterinnen der Manipulation, doch haben sie überhaupt etwas zu gewinnen? Sie setzen ihre weiblichen Reize rückhaltlos ein – aber ist es allen Männern gegenüber das gleich abgebrühte Kalkül? Oder hat Bridget doch Gefühle für Spade? Und Elsa und Michael? Warum sind sie überhaupt dort, wo sie uns begegnen? Eine deutliche Spur, die sich hier auftut, ist ihre Affinität zum Tod statt zur Unsterblichkeit. Ist es nicht möglich, dass sie der Temperiertheit der ihr zugeschriebenen Rolle als Frau kein Leben abringen können und so einen heißkalten, todesmutigen Weg einschlagen, um ins Leben zu kommen? Mit Sicherheit lässt sich eines sagen: Ihre Todessehnsucht stellt die Coolness ihrer männlichen Kontrahenten auf die Probe und macht sie dabei als Überlebensstrategie sichtbar. Die vermeintlich coole, draufgängerische Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben entlarvt sich in ihrer Gegenwart als männliche Unsterblichkeitsphantasie, die am Leben hängt und in der das Leben doch zu abgesicherten Posen gerinnt. Indem sich in der Gegenwart der Femme fatale Coolness und Tod kurzschließen, ruft sie unweigerlich die existentielle Verunsicherung auf den Plan, der das Konzept als soziokultureller Reflex auf die großen Erschütterungen der 1930er und 40er Jahre entsprungen war. Die Unentrinnbarkeit dieser Krise ist genau der Moment, an dem Orson Welles uns in Lady von Shanghai entlässt. Denn in Michaels flucht65
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artigem Austritt aus dem todbringenden Wahnsinn des Spiegelkabinetts ist sein Überleben alles andere als ein Trumpf. Zwar scheint draußen die Sonne, und nach der labyrinthischen Enge der vorherigen Räume ist man für einen Moment versucht, erleichtert aufzuatmen. Aber die Stadt, in die der angeschlagene Held hinaustritt, ist fast nur Straße, menschenleer, karg und unwirtlich, und die leichte Schräglage der Kamera ist ein untrügliches Indiz für die Nachhaltigkeit einer Erschütterung, die sich nicht so einfach abschütteln lässt. Am Ende steht, jedenfalls in diesem Film, die monumentale Abgründigkeit der Krise, gegen die Coolness sich als Überlebensstrategie aufgeschwungen und als Todessehnsucht entgegengeworfen hatte – und dabei in beiden Varianten zerbrochen ist.
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Professionalität ist eine Form von Passivität – etwas, wovor man sich hüten muss.«1
»Cool stiftet paradoxe Gemeinschaften erklärter Individualisten,«2 schreibt Tom Holert im Versuch, die Widerstände des Begriffs auf den Punkt zu bringen: Coolness unterscheidet, ist ein Instrument der Abgrenzung und Individualisierung; coole Gemeinschaften erscheinen daher widersprüchlich in sich, ihr Scheitern vorprogrammiert. Diese Prognose wirft jedoch eine ganze Reihe von Fragen auf: Wie entstehen dann überhaupt coole Gemeinschaften »erklärter Individualisten«? Wie können sich diese gemeinsam nach außen abgrenzen, ohne ihre Eigenständigkeit nach innen einzubüßen? Wie ist also das Wechselspiel zwischen gewollter Exklusion und notwendiger Inklusion in der Gemeinschaft des Cool, zwischen »Distanz und Distinktion« einerseits und »Evidenz und Autonomie« andererseits geregelt und vor allem wie zeigt sich das prekäre »Verhältnis zur Gemeinschaft, in der das Wissen des Cool zirkuliert«?3 Ausgehend von diesem Fragenkatalog soll im Folgenden zunächst John Cassavetes’ Filmdebüt Shadows zum Anlass genommen werden, um über Unterschiede und Gemeinsamkeiten ›schwarzer‹ und ›weißer Coolness‹ in 1. Ray Carney (Hg.): John Cassavetes über Cassavetes, Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren 2003, S. 534. 2. Tom Holert: »Cool«, in: Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, Thomas Lemke (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 42-48, hier S. 44. 3. Ebd.
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den USA der 1950er Jahre nachzudenken, die der Film explizit verhandelt. Anschließend sollen die spezifischen Mittel des Mediums herausgearbeitet werden, die Coolness als fi lmischen Effekt hervorbringen. Dabei wird es nicht nur darum gehen, wie Vorstellungen von Coolness durch fi lmische Darstellungen zirkulieren, sondern es wird vielmehr zu zeigen sein, wie Coolness als Kinogefühl beim Publikum wirkt. Cool impliziert in dieser Perspektive ein Wissen um die empathische Wirkung von ›kalten‹ Leidenschaften, die Konventionen der fi lmischen Darstellung von Expressivität gezielt vermeiden und damit insbesondere gegen die Empathievorstellungen des Hollywoodkinos opponieren.
Coolness als Lebensstil Cassavetes’ mit einer geborgten 16mm-Kamera in mehreren Anläufen und zwei Fassungen zwischen 1957 und 1959 gedrehter grobkörniger SchwarzWeiß-Film Shadows lässt sich in vielerlei Hinsicht als ein Bild- und Diskursraum begreifen, der zentrale Fragen des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft, der Inklusions- und Exklusionsmechanismen des Cool verhandelt. Es ist ein Film, der die Erfahrungen der so genannten »Unlost Generation« 4 im New York der 1950er Jahre auf die Leinwand bringt – und ein Film, der zudem die Unterschiede zwischen weißer und schwarzer Coolness in den Kamerablick nimmt. Eine erste Fassung hatte Cassavetes bereits Ende 1957 im New Yorker Paris Theater präsentiert, wo der Filmemacher und Kritiker Jonas Mekas den unabhängig gedrehten und produzierten Film trotz seiner äußerst schlechten Tonqualität mit Begeisterung sah.5 Er verlieh Shadows 1959 nicht nur den ersten Independent Film Award, sondern schrieb auch in Sight and Sound, der damals wichtigsten englischen Filmzeitschrift, eine hymnische Kritik, in der er besonders Cassavetes’ Ansätze zu einem spontanen Kino lobte.6 Trotzdem überarbeitete Cassavetes den Film im Frühjahr 1959 noch einmal, drehte Szenen 4. U.a. Caroline Bird prägte mit ihrem Essay »Born 1930: The Unlost Generation« diesen Begriff. John Cassavetes, 1929 geboren, gehört dieser Generation ebenso an wie Norman Mailer, der 1923 geboren wurde. 5. Carney rekonstruiert die komplizierte Entstehungsgeschichte von SHADOWS. Auf seine Darstellung der Ereignisse und Erläuterungen beziehe ich mich im Folgenden (vgl. R. Carney: Cassavetes über Cassavetes, S. 78-145). 6. Mekas erkannte in den Filmen von Altman, Brakhage, Cassavetes, Frank und Leslie »a new american wave«, ein gegenüber Hollywood respektloses junges Kino, das mit neuen Gesichtern und realitätsnahen Themen die Fragen und den Rhythmus ihrer eigenen Generation aufgreift; vgl. Jonas Mekas: »New York
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nach und veränderte den Schnitt, um seine Charaktere lebensnäher erscheinen zu lassen. Diese neue, auf 35mm-Format aufgeblasene Version hatte am 11. November 1959 in der Reihe The Cinema of Improvisation im New Yorker Fashion Industries Auditorium vor geladenen Künstlern und Kritikern Premiere, wo er euphorisch aufgenommen wurde. Albert Johnson, Mitglied der Programmkommission des San Francisco Film Festivals schrieb eine begeisterte Kritik in der Zeitschrift Film Quarterly. Wie Mekas in seinem »New York Letter: Towards a Spontaneous Cinema« lobte auch er Shadows als »einen der besten Filme seiner Zeit.«7 Aufgrund dieser äußerst positiven Resonanz erhielt Cassavetes’ Filmdebüt Zugang zu Underground-Filmfestivals. Er wurde zum Beispiel auf dem The Beat Square and Cool Festival in London gezeigt. Dort lief Shadows im Juli 1960 neben Stan Brakhages Reflections on Black und Gumbasia von Art Clokeys. In einer anderen Reihe liefen Cry of Jazz von Ed Bland und Pull my Daisy von Robert Frank und Alfred Leslie. In seiner zweiten Fassung wurde Shadows 1960 auch auf den Filmfestspielen in Venedig aufgeführt und mit dem Pasinetti Award ausgezeichnet. Cassavetes’ Film wurde also vor allem in einem bestimmten Milieu, der Undergroundfi lmszene, rezipiert und durch positive Kritiken und Preise zumindest in Europa ein großer Publikumserfolg. Die genannten Stationen der Wirkungsgeschichte belegen, dass Shadows von Anfang an von einem milieuspezifischen Kinopublikum als innovativer Film aufgenommen wurde, der dem Lebensgefühl der Beat Generation, von Avantgardefi lm- und Jazzfans bestens entsprach. Wie der Titel des Londoner The Beat Square and Cool Festival belegt, bildeten Beat und Cool Ende der 1950er Jahre eine verschworene Diskursgemeinschaft. Sie stellte durch ihre Wertschätzung von Spontaneität und Improvisation den idealen Lebensstil dieser Generation dar – Ideale, die insbesondere das Kinopublikum angesprochen haben, das die Premiere von Shadows begeistert beklatschte. 8 Nicht von ungefähr hatte Cassavetes im Abspann versichert, der Film sei eine Improvisation (s. Abb. 1). In seinem Zentrum stehen drei Geschwister, die gemeinsam in einem New Yorker Apartment leben: die Brüder Hugh und Ben sowie ihre jüngere Schwester Lelia, die auf sehr unterschiedliche Weise das Drama von Letter: Towards a Spontaneous Cinema«, in: Sight and Sound, 28, 3-4 (1959), S. 18-21, hier S. 18. 7. R. Carney: Cassavetes über Cassavetes, S. 135. 8. Ray Carney hat jedoch betont, dass diese Rezeption des Films Missverständnissen und Fehlinformationen aufsitzt, die Cassavetes zum Teil gezielt gestreut hat, um den Film interessant zu machen (vgl. R. Carney: The Films of John Cassavetes, S. 139f).
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Hautfarbe und Identität erleben oder besser: durchleiden. Denn während Hugh, der Älteste, aufgrund seiner dunklen Hautfarbe eindeutig als Farbiger erkannt wird, haben seine jüngeren Geschwister Ben und Lelia sehr helle Haut und gehen deshalb oft als ›Weiße‹ durch. Ihre Hellhäutigkeit stellt aber genau den Ursprung ihrer prekären Identität und damit der existentiellen Frage dar, welcher Gemeinschaft sie angehören oder angehören wollen.9 Lelia fühlt sich im Kreis der liberalen New Yorker Schriftstellerund Künstler-Boheme zu Hause, wo sie zudem von ihrem Mentor und Freund David beschützt wird. Dort triff t man sich in Cafés oder Salons, philosophiert über Sartre und diskutiert die neuesten literarischen Veröffentlichungen. Gegen diese intellektuelle Gemeinschaft rebelliert Ben, der sich als Jazztrompeter ausgibt und am liebsten mit seinen ›weißen‹ Freunden durch Bars und Klubs zieht und versucht, Mädchen aufzureißen.
Abbildung 1: Shadows US 1957/59, DVD: Koch Media 2006, Screenshot der Autorin Die Gemeinschaften, in der die drei Geschwister leben, definieren sich vorrangig über Freundschaften und ihre Zugehörigkeit zum offenen Künstlermilieu der Boheme, das durch lose Beziehungen gekennzeichnet ist – unabhängig von Hautfarbe und ethnischer Identität. Nicht von ungefähr ist New York als Metropole der Individualisten Schauplatz des Films. Wie bereits Georg Simmel Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem Essay »Die Großstädte und das Geistesleben«10 erkannt hat, individualisiert das großstädtische Leben und fördert dadurch die Bildung von »paradoxen Ge9. Zum Drama des »white negro« vgl.: Petra Löffler: »Photogénie« in: Joanna Barck, Petra Löffler u.a., Gesichter des Films, Bielefeld: transcript 2005, S. 215-227. 10. Vgl. Georg Simmel: »Die Großstädte und das Geistesleben« (1903), in:
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meinschaften erklärter Individualisten« (Tom Holert) jenseits von Religion und Familie. Lelia und Ben haben sich für unterschiedliche Milieus und Gemeinschaften entschieden. Während sich die künstlerisch ambitionierte Boheme durch ihre vermeintlich liberale Offenheit sowohl gegenüber Einflüssen von außen als auch gegenüber ethnischen Fragen auszeichnet, setzen Ben und seine Freunde auf coole Distanz und Distinktion: Sie wollen in erster Linie als notorische Rebellen ihre Autonomie bewahren. Ihre Haltung ist zugleich antiintellektuell und das heißt insbesondere gegen die Vereinnahmung durch andere gerichtet. Der Soziologe Pierre Bourdieu deutet den Begriff des Milieus topologisch und versteht darunter einen »Raum der Lebensstile«, in dem sich Individuen durch Übereinstimmung in Geschmack, Essgewohnheiten und Interessen zusammenfinden und z.B. ihre Vorlieben für eine bestimmte Musik oder Mode als Distinktionsmerkmal einsetzen. 11 Diese Unterschiede im Habitus sind für ihn entscheidend in der Auseinandersetzung um symbolisches Kapital im sozialen Raum. In diesem Raum ringen verschiedene Milieus um Anerkennung und Wertschätzung. Shadows arbeitet solche konfrontativen Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Milieus in vielen Szenen heraus. Das verleiht dem Film eine Grundspannung, die ihn unterschwellig skandiert. Notorisch sind etwa die verbalen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Szenen, aber auch innerhalb der einzelnen Milieus: Davids Philosophie des Dialogs prallt am Fatalismus der Beat Generation ab; Hughs Wunsch nach künstlerischer Anerkennung scheitert am Profitdenken der Klubbesitzer – Shadows spitzt diese und andere Konstellationen ein ums andere Mal zu und lässt ihre Aporien offen zu Tage treten. Was als vermeintlich harmloses Streitgespräch im Café beginnt, entpuppt sich als Demonstration antagonistischer Lebensentwürfe; der Versuch, Mädchen in einer Bar anzubaggern, endet in einer Schlägerei, in der Ben und seinen Freunden die Lust an provozierenden Sprüchen vergeht – Coolness erweist sich als nicht verhandelbar, sondern muss immer wieder behauptet und eingefordert werden. Konfrontationen werden deshalb geradezu gesucht: Cool ist (nur), wer einen Unterschied zwischen sich und den anderen setzen kann, wer die anderen übertriff t – kurz: cool ist, wer cooler ist. Deshalb geht es in jedem verbalen Schlagabtausch immer auch um ders., Das Individuum und die Freiheit, Frankfurt a.M.: Fischer 1993, S. 192204. 11. Ich beziehe mich hier auf Pierre Bourdieus Studie »Die feinen Unterschiede« (frz. 1979, dt. 1982), in dem er den Begriff des »Raums der Lebensstile« geprägt hat. Auf die weit verzweigte Forschung zum Milieu-Begriff kann ich hier nicht eingehen.
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wirkungsvolle Gesten und Posen der Abgrenzung. Dies lässt sich an einer eher harmlosen Szene aus Shadows demonstrieren, in der Lelia, David, Ben und seine Freunde gemeinsam im Café sitzen. Die Kamera wechselt hier permanent zwischen Aufnahmen der ganzen Gruppe aus größerer räumlicher Distanz und isolierten Nahaufnahmen von Lelia und Ben, zwischen denen sich der Streit hauptsächlich abspielt. In dieser Szene wird die Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Milieus, denen sich Lelia und Ben zugehörig fühlen, durch Wortgefechte und Gesten eher inszeniert als tatsächlich ausgelebt. Die Reaktionen sind spontan, und eine witzige Bemerkung kann alle zum Lachen bringen. Der von Ben und seinen Freunden provozierte Ausschluss wird im gemeinsamen Lachen wieder aufgefangen. Coole Gemeinschaften, so steht zu vermuten, bilden sich deshalb zumeist spontan durch die gemeinsame Konfrontation mit einem als feindlich angesehenen Milieu und definieren sich durch flüchtige Beziehungen. In diesem Fall attackieren Ben und seine Kumpane den Intellektualismus in der toleranten Variante Davids ebenso wie in der ironisch-kritischen Variante Lelias. Coolness wird demnach von der Gemeinschaft der Opponenten ausgeübt. Besonders die Spontaneität ihrer Handlungen, die im Verständnis der Zeit eine Gegenhaltung zu den eingeübten Verhaltensweisen der bürgerlichen Gesellschaft darstellt, sticht hervor: Von Lelias Vorurteil angestachelt, brechen Ben und seine Freunde kurzerhand zum Museum of Modern Art auf. Die nur lose Verbundenheit in der paradoxen Gemeinschaft des Cool garantiert zugleich, dass die Individualität ihrer Anhänger nicht kassiert wird. Trotzdem Ben ständig von Menschen umgeben ist, mit seinen Freunden durch die Gegend zieht, zeichnet Cassavetes’ Film gerade ihn im Unterschied zu seinen Geschwistern als einsame Figur. Er bleibt trotz aller Versuche, sich zu einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen, »the refrigerator ruler of his own ice kingdom of cool«, 12 wie Ray Carney Bens Haltung charakterisiert hat. Ausdruck findet diese Coolness besonders in der Inszenierung seines Äußeren: Er trägt bei Tag und Nacht eine Sonnenbrille mit tiefschwarzen Gläsern, eine ebenso dunkle Lederjacke und Jeans. Seine Kleidung signalisiert Distanz, ja Unnahbarkeit. Besonders auff ällig ist die Verhüllung der Augen durch die dunkle Brille, um vermeintlich aufdringliche Blicke abzuwehren (s. Abb. 2). Gilles Deleuze hat in seinem ersten Kinobuch, »L’image-mouvement«, betont, dass Gestik, Gang und Haltung den sozialen Gestus einer Figur bestimmen, und herausgearbeitet, dass die unterschiedlichen Verhaltensweisen schwarzer und weißer Gemeinschaften in der Figur des »white Negro« 12. Ray Carney: The Films of John Cassavetes. Pragmatism, Modernism, and the Movies, Cambridge: Cambridge Univ. Press 1994, S. 40.
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kollabieren: »Ausgehend von den Verhaltensweisen der Schwarzen und der Weißen arbeitet Shadows den sozialen Gestus heraus, der sich am Verhalten des weißen Negers festmacht, der, geworfen in die Unmöglichkeit der Wahl, einsam ist bis an die Grenze der Selbstauflösung.« 13 Das Paradox des »weißen Negers« entfaltet sich für Deleuze in dieser fundamentalen Unentscheidbarkeit der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft als existentielle Not, die im Fall von Ben in die Isolation führt.
Abbildung 2: Shadows US 1957/59, DVD: Koch Media 2006, Screenshot der Autorin Auff ällig ist jedoch an Cassavetes’ Film, dass die Frage der Hautfarbe und der Zugehörigkeit für die drei Geschwister im privaten Raum keine Rolle zu spielen scheint. In ihrem Apartment treffen sich Ben und seine weißen Freunde ebenso zum Kartenspiel wie Hughs und Lelias Freunde zu einer Jazzparty. Bezeichnend für die Brüchigkeit ihres Lebensstils ist jedoch die prekäre finanzielle Lage der drei Geschwister, die der Film thematisiert: Einzig der Älteste, Hugh, verdient seinen Lebensunterhalt als mittelmäßiger Sänger, indem er durch drittklassige Nachtklubs tingelt. Von ihm sind seine Geschwister fi nanziell abhängig, was insbesondere zu Konflikten mit dem jüngeren Ben führt. Die Konkurrenz der Lebensstile ist also auch im privaten Raum nicht ausgeschaltet. Deshalb verwehrt Hugh auch Lelias weißem Freund Ray den Zutritt, dessen Rassenproblem bemerkbar wird, als er feststellt, dass Lelia einen dunkelhäutigen Bruder hat (s. Abb. 3). Besonders in solchen Momenten wird offensichtlich, wie unsicher die eingenommenen und für selbstverständlich gehaltenen sozialen Rollen sind 13. Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1997, S. 248.
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– es sind Momente, in denen die Maske fällt: »Tony’s macho-man cool gives way to rascist panic when he discovers that Lelia is black.«14 Ray Carneys Interpretation wirft die Frage auf, worin sich schwarze und weiße Coolness unterscheiden. Shadows arbeitet verschiedene Formen männlicher Coolness heraus und macht deutlich, dass Rassenzughörigkeit immer dann Distinktionsprozesse in Gang setzt, wenn sie explizit zum Thema wird und nicht länger implizit diskriminiert. Tonys Coolness basiert auf völlig anderen Voraussetzungen als Hughs oder auch Bens, auch wenn sie sich in ähnlichen Verhaltensweisen zum Beispiel gegenüber Frauen äußert. Seine Hautfarbe verschaff t ihm eine Selbstgewissheit, die Ben als »white negro« und Hugh als »Neger«, wie Tony ihn beschimpft, nie besitzen werden. Genau genommen lässt sich sein »macho-man cool« als eine Haltung verstehen, die bürgerlichen Vorstellungen von Männlichkeit in den USA der 1950er Jahre exakt entspricht. Er tritt auf als verführter Verführer – eine Rolle, die einzunehmen Hugh gar nicht erst versucht und Ben und seinen Hipster-Freunden regelmäßig misslingt.
Abbildung 3: Shadows US 1957/59, DVD: Koch Media 2006, Screenshot der Autorin Cassavetes’ Film veranschaulicht das Paradoxon cooler Gemeinschaften als permanentes Kräftespiel widerstreitender Impulse und Handlungen, das eine prozessuale Logik als ständiges Hin und Her zwischen Anziehung und Abstoßung organisiert. Shadows überführt dieses Kräftespiel in ein Gleiten der Räume. Der Ort der Handlung wechselt permanent zwischen Innen- und Außenraum, Exterieur und Interieur. Nicht von ungefähr sind die Protagonisten des Films ständig unterwegs – in der schnelllebigen Großstadt sind alle Räume Passagen, jeder Halt nur ein kurzer Zwischen14. R. Carney: The Films of John Cassavetes, S. 41.
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stopp. Deshalb verwundert es nicht, dass sich die Geschwister häufig in Cafés und Bars treffen, zu jeder Tageszeit Straßen und Parks durchstreifen, gern ins Kino gehen und nachts in Klubs auftreten. Der häufige Wechsel der Schauplätze und der Tageszeiten wird zum Grundrhythmus des Films. Die Stadt selbst – der vorbeirauschende Verkehr ebenso wie zufällig in den Kamerablick tretende Passanten, bekannte Wahrzeichen der Stadt wie der Central Park, der Skulpturengarten des Museum of Modern Art oder der nächtliche, von unzähligen Leuchtreklamen erhellte Broadway – wird dabei zum Protagonisten. Bereits der Vorspann inszeniert dieses Kräftespiel (s. Abb. 4). In auffälliger Weise umreißt er den ständigen Wechsel zwischen Exklusion und Inklusion: Zur Musik der Weißen, dem Rock’ n’ Roll, findet Ben keinen Zugang; trotz der räumlichen Enge und der unumgänglichen Nähe tanzender Körper, die ihn umgibt, bleibt er für sich und zieht sich in den hintersten Winkel des überfüllten Raums zurück. Bezeichnenderweise tanzen und klatschen auf dieser Party Weiße und Schwarze gemeinsam zum Rock’ n’ Roll-Rhythmus. Die Kamera schweift über die Tanzenden, die in der Musik und der Gemeinschaft aufgehen, und erfasst das Gedränge sich rhythmisch bewegender Körper in nahen Ausschnitten. Rock’ n’ Roll und Jazz galten in den 1950er Jahren gleichermaßen als Ausdruck eines alternativen Lebensstils, der eine bestimmte Form von Expressivität hervorbringt. Wie Peter Stearns betont hat, stellten beide Musikrichtungen für die junge Generation leicht zugängliche Freizeitvergnügen dar, die auf eine unanstrengende Art überwältigend waren: »Aspects of jazz, and even more of rock and roll, celebrated intensity with no explicit emotional strings, and the addictive popularity of the new styles suggested an audience search for leisure forms that could overwhelm, that were exciting but did not require elaborate emotional expression.«15 Einzig der »weiße Neger« Ben ist nicht Teil dieser zugleich ausgelassenen und in sich versunkenen Gemeinschaft; er beäugt von seinem zurückgezogenen Platz aus distanziert die tanzende Menge. Auch das Schlussbild des Films wird ihn wiederum als einsame Figur zeigen, die allein durch das nächtliche New York streift (s. Abb. 1). Vorspann und Abspann von Shadows bilden einen Bildrahmen, in dem die Auseinandersetzung um Coolness als Lebensstil verhandelt wird. Der Vorspann exponiert den Grundkonflikt des Films und leitet bruchlos zur ersten Spielszene über, 16 15. Vgl. Peter N. Stearns: American Cool. Constructing a Twentieth-Century Emotional Style, New York/London: New York University Press 1994, S. 280. 16. Das heißt, es gibt in SHADOWS keine scharfe Trennlinie zwischen extradiegetischem und innerdiegetischem Raum, zwischen filmischer und vorfilmischer Realität. Durch das Stilmittel des direkten Übergangs signalisiert Cassavetes
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in der Ben seine Freunde auf der Straße triff t und im Besitz von zwanzig Dollar zum Anführer dieser vergnügungssüchtigen Truppe wird. Einer jedoch ist zuviel; er wird von Ben mit einem Boxschlag in die Magengrube aus der Gemeinschaft der Trinkkumpane ausgeschlossen. Wiederum wandelt sich das Bild mit der nächsten Einstellung. Die Freunde suchen eine Bar auf, Jazzmusik empfängt sie, für einen kurzen Moment sitzen sie einträchtig zusammen mit drei Frauen um einen Tisch herum. Kurz darauf hat sich ihre Gemeinschaft schon wieder aufgelöst. Nun sitzen drei Paare an separaten Tischen. Die Kamera gleitet von Separée zu Separée und zeigt, wie sie miteinander flirten und alle das gleiche individuelle Ziel verfolgen: Wenn es um Sex geht, hat ihre Gemeinschaft ein Ende.
Abbildung 4: Shadows US 1957/59, DVD: Koch Media 2006, Screenshot der Autorin Es liegt nahe, Bens Flucht vor Intimität, seine Abwehr von Gefühlen als Schutz vor emotionaler Verletzung zu interpretieren. Ray Carney hat zudem betont, dass für Cassavetes die Maske in Shadows das zentrale Problem gewesen sei: »Cassavetes’ central characters are revealed to be wearing masks in a much more general sense: They strike poses, assume stances, and play with their identities and expressions, and their role-playing is one of the most interesting and complex aspects of their identities.«17 Tatsächlich verwendet Shadows in auff älliger Weise Masken als Indizien, etwa wenn Ben im Skulpturengarten des Museum of Modern Art einer afrikanischen Maske ins Gesicht blickt. Dennoch ist seine Coolness nicht nur eine das enge Verhältnis zur Wirklichkeit der 1950er Jahre, das der Film seiner Meinung nach unterhält. 17. R. Carney: The Films of John Casavetes, S. 49.
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Maske, hinter der er seine Identität zu verbergen sucht, sondern zugleich ein sozialer Habitus. Denn cool zu sein, bedeutete gerade in den USA der 1950er Jahre auch, wie Tom Holert unterstrichen hat, »sich den Zumutungen der Disziplin zu entziehen oder zu widersetzen. Cool stand für das Gegenteil von Routine, wenn nicht gar von Produktivität überhaupt.«18
The »White Negro« In seinem 1957 in der Herbstnummer der Zeitschrift Dissent veröffentlichten Aufsatz »The White Negro« beschreibt Norman Mailer Coolness als Verhaltenskodex seiner Generation und zugleich eines bestimmten Milieus. Mailer bezieht sich in seinem Essay zunächst auf den Hipster in seiner Rolle als jugendlichen Rebellen. Seinen eigenen Ausführungen ist ein längeres Zitat aus Caroline Birds Essay »Born 1930: The Unlost Generation« vorangestellt, der kurz zuvor, im Februar 1957, in Harper’s Bazaar erschienen war. Dort schreibt Bird: »The hipster is an enfant terrible turned inside out. […] his main goal is to keep out of a society which is, he thinks, trying to make everyone over in its own image. […] The hipster may be a jazz musician; he is rarely an artist, almost never a writer.«19 Bird charakterisiert den Hipster als unkreativen Outsider, der über keine besondere Begabung verfügt und dessen Leben kaum den gängigen Regeln folgt, für den aber genau dies eine Haltung der Rebellion gegen konventionelle Lebensentwürfe darstellt. Deshalb verbinde den Hipster auch so viel mit dem Lebensstil und der Musikkultur des Jazz – schließlich galt der »Erfinder« des Bebop, Charlie Parker, als »der absolute Hipster«.20 In deutlich abwertendem Gestus behauptet Bird, der Hipster sei oft Kleinkrimineller, Free-lancer, höchstens Fernsehkomiker oder Filmschauspieler. Der späte James Dean wird von ihr zum »hipster hero«21 erklärt und als infantil bezeichnet. Diese vermeintliche Infantilität, die Verweigerung, erwachsen zu werden, macht Bird als verbindende Charaktereigenschaft aller Hipster aus. Sie lokalisiert ihn zugleich in einem bestimmten sozialen Milieu, in dem Coolness zum Ausdruck einer antinormativen Haltung wird. Norman Mailer legt in seinem eigenen Essay die Meßlatte ungleich höher an. Anstatt auf die psychische Ausstattung eines bestimmten Typus 18. T. Holert: Cool, S. 46. 19. Norman Mailer: »The White Negro«, in: Dissent, IV, 3 (1957), S. 276293, hier S. 276. 20. Robert Reisner: Bird. The Legend of Charlie Parker, London: Quartet Books 1962, S. 13. 21. N. Mailer: The White Negro, S. 276.
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bzw. sozialen Milieus hebt er auf den Erfahrungshorizont einer ganzen Generation ab. Mailer stellt einen Zusammenhang zur Erfahrung dieser Generation mit dem Zweiten Weltkrieg her, seinem maßlosen Grauen und sinnlosen Sterben, das die Zivilisation selbst in Frage gestellt habe: » […] our psyche was subjected itself to the intolerable anxiety that death being causeless, life was causeless as well, and time deprived of cause and effect had come to a stop.«22 Im Unterschied zu Caroline Bird, die vor allem die Ausschlussmechanismen des coolen Hipster-Milieus betont hatte, arbeitet Mailer die doppelte Beziehung dieses Milieus zur bürgerlichen Gesellschaft heraus: Es teilt mit ihr die traumatische Erfahrung des Zweiten Weltkrieges sowie des Kalten Krieges, insofern ist es in die Gesellschaft inkludiert. Seine Reaktion auf diese Erfahrungen fällt allerdings grundverschieden aus. Hipster lehnen es nach Mailer ab, Normalität zu fi ngieren, und haben in dieser Hinsicht eine eigene Ethik ausgebildet. Die Problematik von Coolness als Identitätsentwurf wird durch den »white Negro« als Bezeichnung für einen hellhäutigen Afroamerikaner zum Paradoxon gesteigert. In seiner prekären Identität über- und durchkreuzen sich ethnische Klassifizierungen der Hautfarbe mit kulturellen Zuschreibungen an ein bestimmtes soziales Milieu bzw. an bestimmte Gruppenmentalitäten und Verhaltensmuster. Mailers Essay beschreibt fortführend die Aneignung und Umdeutung schwarzer Strategien der Rebellion durch eine weiße Jugend, deren gesellschaftliches Auf begehren bereits in den 1950er Jahren mit einer Kritik am Konformismus der Konsumgesellschaft einherging. »White negro« bezeichnet für ihn einen Weißen, der sich schwarze Überlebensstrategien als »eine höhere Form von Authentizität«23 im Zeitalter der Konsum orientierten Massenkultur angeeignet hat. Diese Verhaltensweisen verbinden die coolen Individualisten trotz aller ethnischen Unterschiede miteinander. Ihre Musik ist zweifellos, wie nicht zuletzt Cassavetes’ Film nahe legt, der Jazz als »die städtische Artikulationsform der schwarzen Kultur«,24 genauer gesagt der Cool Jazz, der sich aus dem Swing seit den 1930er Jahren unter dem (erneuten) Einfluss des Blues entwickelt und im Bebop seine erste Blüte erfahren hat. Die Entwicklung zum Cool Jazz trat ein, als der Jazz Ende der 1930er Jahre durch die Vormachtstellung großer Swingorchester zu erstarren drohte. Cool wurde der Jazz durch Improvisation und komplexe Rhythmen – Innovation von Charlie Parker bis Lester Young und Miles Davis. Er gilt als Ursprung des Modern Jazz, der wiederum individuelle Stile und Richtun22. Ebd., S. 277. 23. T. Holert: Cool, S. 45. 24. Ben Sidran: Black Talk. Schwarze Musik – die andere Kultur im weißen Amerika, Hofheim: Wolke Verlag, 2. Aufl . 1993, S. 49.
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gen ausgebildet hat. Die großen Orchester wurden von Combos mit kleiner Besetzung abgelöst, die zumeist in Nachtklubs auftraten. Dort galten Musiker und Zuhörer gleichermaßen als Individualisten. Mit dem Bebop wurde allerdings aus der populären Unterhaltungsmusik für die Masse eine Kunstform für Kenner. Er erforderte zugleich ein hohes Maß an persönlicher Beteiligung. Dies führte, wie Ben Sidran betont hat, zu einer »Abspaltung eines musician’s jazz vom people’s jazz«.25 Auf den exklusiven, von Clans geprägten Cool Jazz triff t Tom Holerts Rede von der »paradoxen Gemeinschaft erklärter Individualisten« zu. So verwundert es nicht, dass die Einsamkeit, die Ben in Shadows trotz aller Unrast umhüllt, in den begleitenden Jazzrhythmen von Bassist Charles Mingus und Saxophonist Shafi Hadi eine akustische Entsprechung findet. »Der Jazz verbindet sich unauflöslich mit der Haltung Bens zu einem Stil, einem Lebensgefühl, das nicht von Verschmelzung und Aufgehen in der Menge, sondern von Ausschluss, Einsamkeit und Anspannung bestimmt ist«, hat auch Anja Streiter in ihrer Analyse des Films betont.26 Der Rock’ n’ Roll wird in Cassavetes’ Film leitmotivisch als Gemeinschaft stiftende Musik der Weißen gegen den Jazz als vereinzelnde Musik der Schwarzen eingesetzt. Von daher erscheint es notwendig, Bens Verhalten und seine Identifi kation mit dem Cool Jazz direkt zu beleuchten – genauer gesagt: die systematische Beziehung zwischen Jazz und Film herauszuarbeiten.
Coolness als medialer Ef fekt Ein aufschlussreiches Schlaglicht auf die Problematik von Coolness und ihrer Darstellung in Cassavetes’ Film werfen Marshall McLuhans medientheoretische Überlegungen. McLuhan gilt neben Harold Innis als Begründer der amerikanischen Medientheorie. Beide wirkten in Toronto, wo McLuhan 1963 das Institute for Culture and Technology gründete. Seinen Ruhm verdankt er Publikationen wie »The Gutenberg Galaxy« (1962) und »Understanding Media« (1964). In dem letztgenannten Werk entwirft er eine umfangreiche Klassifizierung unterschiedlichster Medien von der Zahl bis zur Schreibmaschine, von der Uhr bis zum Telefon, von der Kleidung bis zum Film. McLuhans viel gelesene universalistische Medientheorie ist häufig auf Formeln reduziert worden wie z.B. die These, Medien seien »Extensions of Man«, Erweiterungen des Menschen. Für die Frage nach einer medientheoretischen Reflexion des gesellschaftlichen Phäno25. Ebd., S. 101 26. Anja Streiter: Unmögliche Leben. Filme von John Cassavetes, Berlin: Vorwerk 8 1995, S. 29.
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mens Coolness jedoch bietet sich McLuhans Unterscheidung »heißer« und »kalter« Medien geradezu an.27 In dieser Unterscheidung fasst McLuhan das grundsätzliche Verhältnis von Medien und Gesellschaft bzw. Medien und Zivilisation. Die Entwicklung der westlichen Zivilisationen vergleicht er mit Stammeskulturen, die bis heute von oraler Kommunikation geprägt sind. Die Entwicklung von Gemeinschaft stiftender Oralität hin zu individualisierender Schriftkultur bildet den roten Faden seiner Argumentation, die auch die gesellschaftliche Wirkung von Medien untersucht. Ein »heißes« Medium wie die Fotografie erweitert für McLuhan nur einen Sinn und gibt sehr detailreiche Informationen, die im Unterschied zu »kalten«, detailarmen Medien wie etwa dem damals niedrig aufgelösten Fernsehbild nicht vom Nutzer vervollständigt werden müssen. Von daher erfordern »heiße« Medien wiederum im Unterschied zu »kalten« Medien nur wenig Beteiligung vom Publikum: »Denn der Zustand höchster Entwicklung ist per definitionem arm an Möglichkeiten aktiver Beteiligung und strikt in seiner Forderung nach Spezialisierung und Aufteilung an jene, die ihn unter Kontrolle halten wollen.«28 Das Problem, das technologisch weit entwickelte Kulturen demnach haben, ist, dass sie ebenso individualisierte wie passive Mediennutzer anstatt aktive Mediengemeinschaften hervorbringen. McLuhan interessiert sich, wie das Beispiel zeigt, vorrangig für die zivilisatorischen bzw. gesellschaftlichen Bedingungen von Medienrezeption und -wirkung. Ob also ein Medium »heiß« oder »kalt« ist, hängt zwar einerseits von seiner technischen Ausstattung und mithin seinem Potential ab, die menschlichen Sinne zu erweitern, wird aber andererseits von den gesellschaftlichen Rezeptionsbedingungen im Prozess der Zivilisation entscheidend überformt. Es ist für ihn in erster Linie der zivilisatorische Wandel vom mechanischen zum elektrischen Zeitalter, der für die Aufheizung bzw. Abkühlung von Medien sorgt. Entscheidend in dieser Perspektive ist, dass »heiße« Medien eine Spezialisierung der menschlichen Sinne vornehmen, also exkludierend wirken, während »kalte« Medien inkludieren und gemeinschaftliche Aktivität fördern. McLuhan untersucht die Wechselwirkung von Gemeinschaft stiftenden und individualisierenden Prozessen auch am Beispiel der Beziehung zwischen Film und Jazz. Erst im Verbund mit dem »heißen« Medium Film entwickelt sich der Jazz für ihn vom Hot zum Cool Jazz als einer »lässigen
27. Vgl. für die folgende Argumentation Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understanding Media, Dresden/Basel: Verlag der Kunst, 2. Aufl . 1995, S. 44-61. 28. Ebd., S. 55.
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Form der Zwiesprache im Tanz«.29 Cool wird der Jazz für McLuhan also aufgrund seiner Affinität zur oralen Sprache, die im Kontrast zum »heißen« Medium Film einen hohen Grad an Gemeinschaftlichkeit schaff t. »Das Wort ›Jazz‹ kommt«, wie er unterstreicht, »vom französischen Wort jaser, plappern. Jazz ist tatsächlich eine Form des Zwiegesprächs zwischen Musikern und auch Tänzern.«30 McLuhans Unterscheidung »heißer« und »kalter« Medien macht also nur Sinn, wenn man mediale Entwicklungen im Licht gesellschaftlich-zivilisatorischer Prozesse – in den Worten McLuhans: des »emotionalen Klimas«31 von Kulturen – begreift. Potential entfaltet sie vor allem durch Abstoßungsbewegungen und Kontrastwirkungen – Wirkungen, die bis zur »Umkehrung des Schemas«32 reichen: Das »heiße« Medium Jazz kühlt sich demnach erst durch seine Einbettung ins »heiße« Medium Film ab. Erst in dieser medialen Umgebung, so McLuhan, kann der Jazz seine Coolness entfalten. Diese Entfaltung von Coolness hängt für ihn mit der Affinität zur Mündlichkeit zusammen: »Wenn Jazz als Bruch mit dem Mechanischen auf dem Weg zum unsteten, dem Miterleben, Spontanen und Improvisierten betrachtet wird, kann man ihn auch als Rückkehr zu einer Art mündlicher Dichtungsform verstehen […] Jazz ist lebendig, wie das Gespräch […].«33 Das Gespräch ist in dieser Perspektive auf eine undogmatische Art Gemeinschaft stiftend und von daher für die Individualisten des Cool attraktiv. Man kann diese Zusammenhänge zum Beispiel an einem Film wie Pull my Daisy (USA 1959) von Robert Frank und Alfred Leslie verdeutlichen, der nach dem 1957 geschriebenen Theaterstück »The Beat Generation« von Jack Kerouac gedreht wurde. Sein Soundtrack wird von Jazzimprovisationen dominiert. Besonders auff ällig ist jedoch Kerouacs StegreifErzählung, die den Film begleitet. Sie erinnert an die improvisierte Prosa, für die sein Roman »On the Road« berühmt geworden ist, ebenso wie an Jazzsoli und entspricht damit genau der Coolness, die McLuhan im kalten, Gemeinschaft stiftenden Medium der mündlichen Sprache entdeckt hat.34 Kein Zufall ist zudem, dass die Auff ührung von Pull my Daisy ins gleiche 29. Ebd., S. 52. 30. Ebd., S. 424. Ben Sidran verweist darauf, dass sich der Begriff ›Jazz‹ durch den Erfolg der aus weißen Musikern bestehenden Original Dixieland Jazzband durchsetzte, die die Musik der schwarzen Marching Bands von New Orleans kopierten, 1917 mit großem Erfolg in New York auftraten und daraufhin millionenfach ihre Platten verkauften (vgl. B. Sidran: Black Talk, S. 68). 31. Ebd., S. 54. 32. Ebd., S. 57. 33. Ebd., S. 425. 34. Jonas Mekas hebt besonders Kerouacs spontane Redeweise hervor, die
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Jahr fällt wie die Premiere der zweiten Fassung von Shadows – beide Filme prägten das New American Cinema. Robert Frank, der vor allem als Fotograf tätig war und durch sein Projekt »The Americans« weltweit Aufmerksamkeit erregt hat, und der abstrakt-expressionistische Maler Alfred Leslie siedelten ihren Film im Künstlermilieu der Lower East Side an: Er wurde in Leslies Atelier unter Beteiligung von Alan Ginsberg, Gregory Corso und Peter Orlovsky aufgenommen. Wie Cassavetes drehten auch sie weitgehend ohne Drehbuch und mit Amateuren, verwendeten aber im Unterschied zu ihm lange Aufnahmen von Innenräumen, die durch zumeist horizontale Kameraschwenks durchmessen werden, außerdem kaum Naheinstellungen. Für Frank und Leslie stand die Akkumulation der Bilder, nicht ihre Selektion im Vordergrund.35 Auch durch diese formalen Mittel wird das »heiße« Medium Film »abgekühlt«. Durch die Trennung von Bild und Ton, durch den spannungsarmen Fluss der Bilder erzeugt der Film genau jene Coolness, die Cassavetes durch den Einsatz des Cool Jazz, die Spielweise seiner Darsteller und durch die Verwendung von Alltagssprache erreicht36 – die Spannung zwischen einem »kalten« Medium wie der oralen Sprache oder dem Cool Jazz und dem »heißen« Medium Film, die sich auf das Publikum überträgt. Dadurch, so lässt sich schlussfolgern, kühlt sich der Film auf ein Wärmeniveau ab, auf dem das Publikum zur aktiven Teilnahme am Film motiviert wird und das genau jene Begeisterung erklären kann, die ein von einem notirischen Individualisten wie John Cassavetes gedrehter Low-Budjet-Film wie Shadows gebraucht hat, um Beachtung zu erlangen. Die vielfach monierten technischen Mängel und die amateurhafte Regie müssen in dieser Perspektive nicht bedauert, sondern geradezu als notwendig erachtet werden, um das Publikum zu jener aktiven Rolle zu zwingen, die Begeisterung auszulösen vermag. Cassavetes selbst hat das Raue und Imperfekte als notwendig erachtet, damit der Film beim Publikum Emotionen weckt: »Ich will es ein wenig unscharf, ein wenig verwackelt. Die Zuschauer sollen nicht die Optik bewundern. Man hört nicht auf hinzuschauen – deshalb fühlt man.«37 Sowohl Cassavetes als auch Frank und Leslie haben jeder auf seine Weise versucht, den Film aus der Erstarrung in Konventionen zu befreien, zu »in a sort of drunken trance« dem Fluss der Bilder folgt (J. Mekas: New York Letter, S. 120). 35. Vgl. Ebd. 36. Bezeichnenderweise bedeutet für den Regisseur Cassavetes Schauspielen »die Fähigkeit zum Gespräch« (vgl. R. Carney: Cassavetes über Cassavetes, S. 212). 37. Ebd., S. 210.
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dem das klassische Hollywoodkino in den 1950er Jahren geführt hat. Dieser Impuls wurde nicht nur vom Szenepublikum des Undergroundfi lms beachtet – in Europa, besonders in London, erreichte Cassavetes’ Film ein weitaus größeres Publikum. Deshalb kann man sagen, dass Shadows aufgrund seiner gelungenen Kombination filmischer und musikalischer Mittel das Dilemma cooler Gemeinschaften narrativ entwickelt, filmästhetisch gestaltet und medial wirksam macht. Die Schlussszene des Films, über den bereits der Abspann läuft, macht als Pendant des Vorspanns noch einmal diese Zusammenhänge deutlich. In ihrem Zentrum steht wiederum Ben, der beschlossen hat, sein Leben zu ändern, mit seinen weißen Freunden gebrochen hat und nun etwas unschlüssig in die Nacht hinausgeht (s. Abb. 1). Die Kamera zeigt ihn wieder als Einzelgänger, diesmal aus großer Distanz, umgeben von großstädtischer Architektur. Hier ist es der coole Jazz, der das heiße, geradezu emblematische Schlussbild des Films abkühlt und den Körper des Zuschauers noch dann rhythmisch bewegt, wenn er das Kino verlässt.
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Cool ist out Warum James Bond heute weinen muss und die Avantgarde immer weniger Gefühle zeigt Annette Geiger
Als Daniel Craig 2006 in Casino Royale als neuer James-Bond-Darsteller debütierte (s. Abb. 1), sahen Zuschauer und Kommentatoren darin nicht nur einen weiteren Action-Film des üblichen 007-Formats. 1 Der neue Bond löste bei Liebhabern wie Gegnern des Genres die unterschiedlichsten Reaktionen aus, auch die renommierten Feuilletons hielten sich mit Analysen nicht zurück.2 Denn Bond war nicht nur erstmals blond, sondern hatte über das Re-Design der Figur einen neuen Charakter erhalten. Der wohl bekannteste Geheimagent, so die zentrale Beobachtung, fungiert nun nicht mehr als Ikone der Coolness, als ewig überlegener Held im stets gut sitzenden Anzug, der auch in den gefährlichsten Situationen noch darauf achtet, dass man ihm den Martini gerührt und nicht geschüttelt serviert. Der neue Bond zeigt Nerven und, schlimmer noch, echtes Gefühl. Die Frauen an seiner Seite werden nicht mehr als Vor- und Nachspeise der Handlung vernascht, sondern ›Die Eine‹, in die sich der Held heiratswillig verliebt, bildet das Herz der Geschichte und den Motor seines Handelns. 1. Es handelt sich dabei um die Neuverfilmung (Regie: Martin Campbell) des ersten James-Bond-Romans »Casino Royale« (1953) von Ian Fleming. In Anlehnung an weitere Kurzgeschichten Flemings entstand eine Trilogie, die 2008 mit EIN QUANTUM TROST/QUANTUM OF SOLACE als zweiter Folge weitergeführt wurde. Casino Royale war der 21. Film der James-Bond-Reihe und Daniel Craig der sechste Bond-Darsteller. 2. Als Zusammenstellung der wichtigsten Film-Besprechungen in der deutschsprachigen Presse siehe: http://www.film-zeit.de/Film/18033/CASINOROYALE/Presse/ Abruf 28.7.2009.
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Dennoch wird aus der seit 1962 währenden Bond-Film-Saga kein märchenhafter Liebesfi lm. Das Format wurde nur soweit umgeschrieben, dass der Held als Typus Mann bzw. Held zu den Bedürfnissen und Empfindlichkeiten seiner Zeit passt. Insofern kann er uns hier als Indikator für das veränderte Temperaturempfinden in den kulturellen Produktionen der Gegenwart dienen. Coolness, so der sich aufdrängende Verdacht, ist heute out. Wenn sogar Bond als eherne Trutzburg des Cool gefallen ist, so scheint auch die alte Kulturtechnik der Kühle ihren Abgang aus dem Welttheater der Fiktionen zu vollziehen.
Abbildung 1: Daniel Craig in CASINO ROYALE. Aus: http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/JamesBond Ich möchte zunächst den heute zu verzeichnenden Temperaturanstieg näher betrachten, die Breite der betroffenen Phänomene aufzeigen und nach einigen Ursachen forschen, warum Coolness seinen Kult- und Modestatus so sehr einbüßen musste. In diesem Rahmen gilt es auch definitorisch zu vergleichen, was unter der alten Konzeption des Cool zu verstehen war. Anschließend sei die Situation in jenem zentralen Medium des Cool, dem Kino, eingehender untersucht. Wie ich zeigen möchte, ist bezüglich der heutigen Entwicklung eine differenzierte Betrachtung nötig. Denn Mainstream und Avantgarde unterscheiden sich in ihrer Behandlung von Coolness erheblich. Während das Bond-Design emotionaler wurde, hat der Autorenfi lm weiterhin Figuren hervor gebracht, die jene alte Funktion der Coolness weiterschreiben. Dies sei an den beiden Filmen Ghost Dog (1999) und The Limits of Control (2009) von Jim Jarmusch beispielhaft erläutert. Aber auch die spezifische Emotionalität des neuen Bonds wirft Fragen auf: Zusammen mit dem zweiten Craig/Bond-Film Ein Quantum Trost von 2008, der Fortsetzung jener als Trilogie angelegten Geschichte, gilt es zu zeigen, welches kulturelle Muster die neue Bond-Figur als Gegen86
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pol zur Coolness inszeniert. Wie ich zeigen möchte, lässt sich das Psychogramm mit den Konzepten thymos und eros, die Peter Sloterdijk jüngst in seinem Buch »Zorn und Zeit« (2008) beschrieb, ausgesprochen gut fassen. Betrachten wir aber zunächst die kulturelle Wärmeleistung des heutigen Umfelds.
Postmoderne Er wärmungen Wie Coolness zu einer prägenden Kulturtechnik der Klassischen Moderne avancieren konnte, hat Helmuth Lethen in seiner Studie zu den »Verhaltenslehren der Kälte« umfassend gezeigt.3 Davon können wir die Gegenwart offenbar als eine Zeit ›nach der Moderne‹ bzw. ›nach der Kälte‹ abgrenzen, denn der Hang zu Emotionalisierung und Moralisierung, zu Mitgefühl und Ethik, zu neo-bürgerlichen Werten und Engagement ist heute unübersehbar. Political Correctness, Gender Mainstreaming, Natur- wie Kulturschutz usw. bilden Formen stark gefühlsgesteuerter Anteilnahme. Empathie wird zur Grundlage von Politik; und der Diskurs verlangt, dass nicht nur die verwendeten Codierungen (z.B. im Sprachgebrauch), sondern auch das tiefere Bewusstsein von Wärme geprägt werden soll. Die neue Empfindlichkeit erfasst aber nicht nur das Politische und Soziale, sondern die gesamte Alltags- und Kulturproduktion sowie, spätestens seit der Wirtschaftskrise 2008, die Emotionalisierung des Ökonomischen (z.B. als Gerechtigkeitsdiskussion zu Leistung und Entlohnung). Wann genau dieser postmoderne Temperaturanstieg einsetzte, ist schwer zu datieren. Eine erste Wärmewelle brachte freilich die 68er-Bewegung mit sich: Gegen die kalte Rationalität von Establishment wie Spießertum setzten z.B. die Hippies auf eine Durchdringung des Lebens durch das Gefühl. Die Propheten dieses ersten Tauwetters zahlten für ihre Ideale aber einen hohen Preis – vom Außenseiterdasein bis hin zum Tod, wie wir z.B. aus dem Musical Hair (1979) wissen oder auch aus dem Road-Movie Easy Rider (1969). Denn Peter Fonda und Dennis Hopper sahen mit Sonnenbrille und Chopper zwar cool aus, standen als Helden aber für die Suche nach authentischer Empfindung. Dieser Erwärmungsschub drang über Mode- und Design-Trends durchaus in den Alltag aller vor. Dank wuscheliger Flokati-Teppiche und der Auflösung des steifen Sofas in der gemütlichen Wohnlandschaft profitierten letztlich auch die bürgerlichen Wohnzimmer vom Umdenken der Temperatur. Wer den Durchbruch des Warmen erst später datieren will, könnte sich 3. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994.
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auch erst an den Siegeszug eines Barack Obama halten. So stellte z.B. das Zeit-Magazin Ende 2008 eine Ausgabe zu den Nuller Jahren unseres Jahrhunderts zusammen mit der Überschrift: »Das ›kalte Jahrzehnt‹ beginnt mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 und endet mit dem Zusammenbruch des Finanzsystems«. 4 Tatsächlich resümiert das Heft alle Negativphänomene der letzten Jahre unter dem Stichwort der Kälte und stellt dem eine neue Ära der Wärme entgegen, die mit der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten der USA begann.5 Diesen Gedanken kann man auch umkehren: Politiker, die versuchen coole Männlichkeit darzustellen, geraten heute in Gefahr sich lächerlich zu machen – so denke man z.B. an die Reaktionen der westlichen Presse auf die Bilder von Wladimir Putin mit nacktem Oberkörper beim Angeln oder von Nicolas Sarkozy als reitendem Cowboy im karierten Hemd. Die Inszenierung von traditionell cooler Attitüde liegt nicht mehr im Trend, gefragt sind vielmehr Männer, die Gefühle haben und diese auch zeigen – so z.B. die echten Tränen bei der Fußball-WM o. ä. Für die Frauen gilt dies letztlich ebenso: Zu verzeichnen ist derzeit eine Rücknahme emanzipatorischer Codierungen, weder eiserne Ladies, noch coole Vamps geben den Ton an, sondern der kindlich gestylte Körper kehrt zurück. Wie einst, als Twiggy im Hängerkleidchen und mit emotionsgeladenen Kulleraugen die damenhafte Frauenrolle der 1950er Jahre beendete, stand jüngst Heidi Klum mit einem fransig-frechen Kinderpony im Rampenlicht. Zöpfe und Pünktchenballerinas, hoch abgebundene Taillen und Ballonröcke (derzeit auch zu sehen an First Ladies wie Michelle Obama oder Carla Bruni) tragen ihrerseits zur Verniedlichung der Frau bei. Das Kindliche scheint 4. Die Zeit vom 11.12.2008 Nr. 51 sowie http://www.zeit.de/2008/51/ Inhalt-51. 5. So wird in der Einleitung des Hefts folgender Bogen geschlagen: »Der Philosoph Claude Lévi-Strauss […] hat einmal zwischen ›kalten‹ und ›warmen‹ Kulturen unterschieden. Kalte Kulturen nannte er solche, die mechanisch weiterlaufen und die sich bemühen, ›den historischen Wandel einzufrieren‹. So eine Ära haben wir erlebt: Zwischen 2001 und 2008 wurde ein letzter Versuch unternommen, die großen Veränderungen, die die Welt erlebt und vor denen die Welt steht, einzufrieren. Dazu passt, dass ausgerechnet die oft unterkühlt anmutende bildende Kunst die prägende Kultur dieser Jahre war. Mit der Wahl Obamas, mit dem Scheitern eines Finanzsystems, das Hypothekenschulden in Anlagechancen umzuwidmen versucht, mit der Klimakatastrophe als Herausforderung vor Augen könnte in diesen Tagen eine neue Wärmeperiode begonnen haben, und so kommt es, dass das Jahrzehnt kürzer ist als zehn Jahre.« Zitiert nach http://www.zeit.de/2008/51/Inhalt-51 Abruf 28. 3. 2009.
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heute aber weniger für Naivität zu stehen, als vielmehr für die neue Gefühlsbetontheit, die letztlich Frauen wie Männer betriff t. Ob und wie die tatsächlich gelebten Geschlechterrollen diesen äußerlichen Wandel der Outfits und Attitüden reflektieren, wäre eigens zu untersuchen. Denn Moden dieser Art bedeuten nicht unbedingt das, was sie ikonographisch zitieren. Sie bilden allem voran ein Mittel der stil- und trendbewussten Abgrenzung gegenüber allem Vorigen. Sicher ist also nur, dass cool out ist: Nicht die kalt gezirkelte Männlich- bzw. Weiblichkeit, sondern eine sanft fließende Androgynität bestimmt die Styleguides, nicht die eisern versteinerte Mine des Harten und Aggressiven, sondern der zartbittere Hauch von Melancholie – passiv, selbstverliebt und schwermütig – liegt über den Gesichtern der Schönen in den Journalen. Kurzum: Wer die alten Accessoires der Coolness heute noch zitiert, hat sich schlichtweg im Ton vergriffen. Die negative Konnotation des Cool geht aber noch weiter, die Gründe sind nicht nur im Wandel der öffentlichen (Körper-)Oberflächen zu suchen, sondern liegen in der schmerzhaften Erfahrung begründet, dass Coolness auch pathologische Folgen haben kann. Gefühlslose Egozentriker, Dandys und auch sinnlos mordende Killer hatten wir in der Literatur von Bret Easton Ellis’ »Amercian Psycho« (1991) zu Michel Houellebeqs »Elementarteilchen« (2001) als Opfer ihrer inneren Leere und Depressionen kennengelernt. Die Helden sind krank und wirklich arm dran, sie umweht nicht mehr die Coolness vom Typ Bogart-Mitchum-Brando, sondern eher der Hauch des Todes bis hin zum Schicksal eines Curt Cobain. Auch der intellektuelle Diskurs suchte seine Figuren eines coolen Widerstands vergeblich zu retten – z.B. mit einem Helden wie »Bartleby – Der Schreiber« (1853) von Hermann Melville.6 Mit der Verweigerungstaktik »I would prefer not to« sollte die Bartleby-Strategie für den ultimativen Widerstand im Spätkapitalismus stehen, nicht durch aktive Politik, sondern durch passive Kälte und Verweigerung würde sich die Klasse der Herrschenden bekämpfen lassen. Man übersah offenbar das tragische Ende der Geschichte, die ihrerseits nur den Tod des Helden zu bieten hat. Auch Bartleby war nicht mehr als ein gegen sich selbst gewendeter, d.h. »umgekehrter« Selbstmordattentäter. Diese Coolness, so die schmerzhafte Einsicht, macht krank. Die Unfähigkeit zu Gefühl und Moral muss also klinisch z.B. als Alexithymie bzw. seelisches Defizit behandelt werden. Echter Charme und wahres Charisma, so der Schluss, müssen also authen-
6. Siehe z.B. Giorgio Agamben: Bartleby oder die Kontingenz, Berlin: Merve 1998, oder Gilles Deleuze: Bartleby oder die Formel, Berlin: Merve 1994.
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tisch, warmherzig und gefühlsreich sein. Coolness als etwas Hergestelltes, Künstliches, Konstruiertes hat hingegen seine besten Zeiten hinter sich. Fragen wir uns noch kurz, bevor wir uns dem neuen James Bond zuwenden, was aus dem alten 007 wurde. Er sitzt, so zeigte eine Louis-VuittonWerbung kürzlich (s. Abb. 2), als zufriedener Rentner auf den Bahamas. Fotografiert von Annie Leibovitz, hat Sean Connery als Inkarnation des Ur-Bond-Mythos zwar keine Gespielin an seiner Seite, aber er scheint seinen Ort der Ruhe gefunden zu haben. Die Reisetaschen sind endgültig abgestellt. Der existentialistisch in Schwarz gehaltene Pullover deutet zwar noch an, dass der Spion aus der Kälte kam. Aber dank Panama-Hut und verschmitztem Lächeln ahnen wir, dass das Eis um Ex-007 nun schmilzt. Einen coolen Bond könnte die Werbung uns heute nicht mehr verkaufen. Um sicher zu gehen, dass diese Botschaft auch ankommt, wird im Kleingedruckten der Anzeige auch nicht die Qualität der Reisetaschen beschrieben, sondern vermerkt, dass Sir Sean Connery und Louis Vuitton »The Climate Projekt« von Al Gore tatkräftig unterstützen. Aus der kalten Lizenz zum Töten wird warmes Engagement und Ehrenamt.
Abbildung 2: Sir James Connery in einer Reisetaschen-Werbung von Louis Vuitton. Aus: http://www.viply.de/?p=8310 Die heutige Interpretation der Kälte als gesellschaftlicher wie psychischer Sackgasse entspricht als Deutung aber nicht dem, was Coolness einst bedeutete. Unsere nachmoderne Epoche hatte die coolen Attitüden und Strategien verkommen sehen, sie waren zu Mode-Attributen degeneriert oder gingen z.B. in den Lebenskunst- und Meditationstechniken eines westlich verwässerten Wellness-Buddhismus auf. Damit geht eine alte Kulturtechnik verloren, die zunächst nicht mit ästhetischen Attributen verbunden war. In der Antike beispielsweise lagen Aufstieg und Fall nahe beieinander, der Weg in die Verbannung, der verordnete Griff zum Giftbecher oder andere Freitod-Urteile trafen das Individuum meist willkürlich. Der Wei90
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se war im Sinne der Stoa also gut beraten, den Herausforderungen des Schicksals standzuhalten, indem er sich in Selbstbeherrschung und Affektkontrolle übte, um Gelassenheit und Seelenruhe in allen Lebenslagen zu bewahren. Die empfohlene Trias der gezügelten Leidenschaft (Apathie), Selbstgenügsamkeit (Autarkie) und Unerschütterlichkeit (Ataraxie) bildete eine notwendige Überlebenstechnik und keine Glücksformel für beruflich Gestresste. Man könnte innerhalb der Coolness-Definitionen demnach eine Trennlinie ziehen zwischen Formen, die auf eine tatsächliche Bedrohung antworten – wie auch im Fall der Sklaverei, die für die USA als Ursprung der spezifisch schwarzen Tradition des Cool genannt wird, oder für die von den Weltkriegen gekennzeichnete europäische Moderne, wie sie Lethen beschrieb.7 Existentielle Bedrohung verlangt nach Techniken des Selbst, die innere Ruhe nicht nur zeichenhaft simulieren, sondern in der Tradition von Platons »Charmenides«-Dialog die Besonnenheit (Sophrosyne) als ein ethisch Gutes definieren – für Sokrates war sie daher gleichbedeutend mit echter Selbsterkenntnis. Dieser psychotechnischen Gefühlsbeherrschung wären Taktiken gegenüber zu stellen, die sich eher dem persönlichen Machtgewinn z.B. im politischen Gefüge oder gegenüber dem anderen Geschlecht widmen. Sie sind anders motiviert und werden eher in künstlichen Attitüden, Masken und modischen Attributen sichtbar. Ihr Beginn lässt sich wohl in der Frühen Neuzeit datieren, als das Hofzeremoniell theatralisches Benehmen und listiges Taktieren offen begünstigte. Erst mit diesem ersten Schub der Moderne wurde die Coolness also zu einem visuell-ästhetischen Phänomen in Auftreten und Benehmen. Wie sehr es sich dabei auch um Machttechniken handelt, zeigt z.B. die Lektüre von Baldessare Castigliones »Hofmann« (1528) oder Baltasar Graciáns »Handorakel und Kunst der Weltklugheit« (1647). Zurück zum heutigen Kino: Das Filmtheater hatte die Coolness nicht erfunden, aber im Bewusstsein der Moderne wirkungsmächtig und vor allem massenwirksam umgesetzt. Die Figuren und Fiktionen lassen sich auf der Leinwand ebenso visuell-ästhetisch wie psycho-programmatisch inszenieren. Welcher Tradition von Coolness könnte nun der neue Bond entspringen? Wie ich zeigen möchte, sprengt er das Konzept, er ist nicht mehr cool.
7. Als Überblick zur Begriffsdefinition von Coolness siehe den Beitrag von Gabriele Mentges in diesem Band.
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Das Bond- (Mit-)Gefühl Die Entwicklung der Bond-Saga zeigt, so meine These, dass das heutige Mainstream-Kino kein Interesse mehr hat an cool inszenierter Männlichkeit mit entsprechender Lizenz zum Töten. Im alten Format war der Spion eine universell einsetzbare Wunderwaffe des British Empire; er rettete die Welt eher aus Zeitvertreib und blieb beim Prügeln stets sauber und unverknittert, um in der nächsten Szene ein weiteres Bond-Girl nonchalant zu verführen. Perfekt inszenierte Selbstbeherrschung und stoische Ruhe in jeder Gefahrensituation auf der einen Seite, Ironie und Charme auf der anderen – so das Rezept. Als Agent des Westens war 007 die Inkarnation des Kultivierten und daher dem Bösen immer überlegen. Von dieser Tradition des Cool unterscheidet sich die Neuinterpretation erheblich. Betrachtet man die bisherigen Teile Casino Royale und Ein Quantum Trost, ergibt sich ein vermenschlichtes Psychogramm, gegenüber dem sich der alte Bond fast als blutleere Attrappe ausnimmt. Der neue Held hat Stärken und Schwächen, nahbar und verständlich bildet er die perfekte Identifi kationsfigur für den Zuschauer. Um das neue Bond-Muster zu erschließen, sei hier nicht die gesamte Handlung wiedergegeben, denn die wichtigsten Charakterzüge werden über die Nebenschauplätze erzählt. Die Herstellung von Glaubwürdigkeit bildet in den neuen Folgen das Ziel der Inszenierung: Der Beruf des Agenten wird als hart und schmutzig dargestellt. Es wird blutig gemordet und mit vollem Körpereinsatz gekämpft. Galante Sprüche bleiben aus, die Agenten unterhalten sich untereinander eher über ihre Schlaf- und Alkoholprobleme. Die Filmkritik von SpiegelOnline folgert daher, es werde »aus dem alten Salonlöwen Bond wieder eine gefährliche Bestie. […] Auf die nett gemeinte Frage eines Kellners, ob er seinen Martini gerührt oder geschüttelt haben möchte, erwidert Bond mit gefährlichem Unterton: ›Sehe ich so aus, als ob mich das interessiert?‹ Die alten Gags sind Geschichte. Endlich.« 8 Die Kritik in der Zeit sieht in diesem Paradigmenwechsel sogar das »gloriose Ende der Tradition Bond«: »Craig gewinnt an emotionaler Wucht und physischer Präsenz, was er an Glamour verliert; aber seine Bond-Figur wechselt damit auch das fi lmische Genre, er ist Bruce Willis in Die Hard näher als Sean Connery in Goldfinger – von der Lässigkeit Roger Moores ganz zu schweigen.«9 Neben
8. Andreas Borcholte: »Der neue Bond: Lizenz zum Menscheln«, in: SpiegelOnline vom 10.11.2006. 9. Jens Jessen: »Die Bond-Symphonie«, in: Die Zeit, Nr. 46 vom 06.11.2008. Hier zitiert nach http://www.zeit.de/2008/46/Bond Abruf 28.7.2009.
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dieser zentralen Änderung rundet eine Vielzahl an narrativen Details die neue Bond-Persönlichkeit ab, so z.B.: 1. Bond macht Fehler In der Eingangsszene zu Casino Royale verfolgt Bond einen Bombenleger über die abenteuerlichsten Locations. Ein wirklich cooler Sportler ist aber nur der Verfolgte, dargestellt von dem französischen Extremsportler Sébastien Foucan, der die schwierige Disziplin des Parcours exzellent beherrscht. Bond dagegen wirkt tollpatschig und definitiv schwächer als der Gegner. Um die Situation aufzulösen, muss er unpassende Waffen am falschen Ort einsetzen und bringt damit den hoheitlichen Geheimdienst international in Verruf. Überhaupt kommt er durch seine Fehler immer wieder in Konflikt mit seinem Arbeitgeber. Die Chefin »M« muss ihm wiederholt Grenzen setzen, Kreditkarten und Pässe sperren oder gar mit Suspension drohen. Nicht zuletzt kommt er durch seine draufgängerische Art selbst in Todesgefahr, wird nackt gefoltert und gedemütigt. Der Held agiert also keinesfalls mehr souverän. 2. Bond will heiraten Der anfangs nur an schnellen Abenteuern interessierte Agent will heiraten und seinen Dienst quittieren, als er sich in eine ihm zugewiesene Mitarbeiterin, Vesper Lynd, verliebt. Mit dem Absenden der Kündigung verliert er jedoch die Geliebte, eine eigentlich vom Feind erpresste Doppelagentin, auf tragische Weise. Der Rest der Geschichte baut auf diesem Trauma auf. So verzichtet er im zweiten Teil, Ein Quantum Trost, gänzlich auf die Damenwelt und unterhält eine rein platonische Beziehung zu einer Leidensgenossin, die ebenfalls Rache zu üben hat. Diese Ebene der persönlichen Betroffenheit ist es, die maßgeblich zur emotionalen Aufladung der Figur beiträgt. All sein Handeln wird nun aus diesem Empfinden heraus erklärt. 3. Bond braucht Familie In den Auseinandersetzungen mit »M«, deren Passwort er stiehlt bzw. in deren Wohnung er sich einschleicht, verhält sich Bond gegenüber seiner Chefin wie ein kleiner Junge zur Mutter. Eine Assoziation, die sich über den Altersunterschied und die Namensgebung »M« natürlich aufdrängt. Sie vermag zu strafen und zu belohnen, er buhlt um ihre Anerkennung und Liebe. Vor allem aber hat sie ihm eine Lektion in Coolness zu erteilen: Immer wieder muss sie ihm erklären, dass ein guter Agent seine Gefühle aus dem Spiel hält. Sie bittet ihn inständig »kühl und distanziert zu bleiben«. Aber, wie gesehen, gelingt es ihm nicht. Die Herkunft Bonds gab stets Anlass zu Spekulation, bislang hatte der 93
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Held jedoch keine echte Familiengeschichte. In Casino Royale wird ihm von seiner Filmpartnerin Vesper eine solche Geschichte angedichtet. Sie spricht ihre Einschätzung laut aus und er widerspricht nicht: Er sei ein Waisenkind aus armen Verhältnissen, habe dank wohlhabender Gönner studiert und sei nun voller Komplexe, die er über den Dienst für das Vaterland zu kompensieren suche. Der britische Geheimdienst suche just solche jungen, gestörten Männer wie ihn, die sich ohne Hemmungen opferten. Auch wenn der Zuschauer keine Gewissheit hat, ob dies der Wahrheit entspricht, trägt die Szene stark zur Zeichnung des neuen Charakters bei. Bond verfügt nicht mehr über eine »naturgegebene« Stärke und Coolness, sondern hat sich die raue Schale aus Bedürftigkeit heraus antrainiert. Er muss sich erst noch beweisen. 4. Bond hat keine Manieren Von dem einst so kultivierten 007 bleibt nach der Überarbeitung kaum etwas übrig. Er hat Wutanfälle gegenüber dem Personal oder wird auf dem Parkplatz mit einem Bediensteten verwechselt. Poloshirt und Fliegerjacke passen zu seinem Muskelauf bau deutlich besser als das feine Tuch der Abendgarderobe. Bond versucht zwar noch mitzuhalten, bei allem was Stil und Klasse hat, z.B. durch die ausgewählte Herrenmode von Tom Ford. Aber er kann es nicht mehr richtig: Wie Vesper feststellt, trägt er seinen Anzug nicht mit genug Nonchalance, man merkt, dass er ein Aufsteiger ist. Für den wichtigen Auftritt im Spielcasino braucht er ebenfalls ihre Hilfe, um das richtige Dinnerjackett zu wählen. Die visuell-ästhetische Attitüde, einst die Stärke des Agenten, bildet nun seine Achilles-Verse. Kurzum, der neue Bond agiert aus dem Trauma heraus: Er hat so viel erlitten, dass er verbittert ist und blind vor Wut. Sein Dauerzustand heißt Rache. Die Figur erklärt sich damit aus Trieben, sie ist nicht mehr cool, sondern Mensch. 007 ist nicht mehr die Stilikone der Lässigkeit, sondern ein gewöhnlicher Mann, der sich der Geschlechterrolle entsprechend nicht für modischen Firlefanz interessiert. Das Psychogramm ermöglicht nur einen Schluss: Der hier durch traumatische Erfahrungen aktivierte Zorn bildet das Gegenteil von Coolness. War Senecas »De ira« ein erstes Brevier zum Erlernen der Affektbeherrschung, auf dem sich auch die humanistische und christliche Tradition gründete, so kehrt Bond zurück zur Unkultur des »Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn«. Ihm fehlt die reflektierte Innerlichkeit der Neuzeit, er schlägt los wie die Helden der vor-homerischen Antike, die Peter Sloterdijk in »Zorn und Zeit« als vom thymos inspiriert beschreibt:10 10. Peter Sloterdijk: Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008, S. 24.
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Thymos, der Zorn, und eros, bilden als gegensätzliche Pole eine wesentliche Triebkraft des menschlichen Handelns. Thymos sei stolzgetrieben, eros hingegen entsteht aus einem Gefühl des Mangels, das nach Befriedigung sucht. Wie Sloterdijk zeigt, hatte die Moderne das Augenmerk nur auf die Libido gerichtet: Eros bildete daher die ebenso universelle wie monokausale Erklärungsleistung der Psychoanalyse. Diese Vernachlässigung des Zorns sei symptomatisch für unsere thymos-vergessene Zeit. Die Austreibung der Wut habe auch die guten Qualitäten dieser Gefühlsregung vernichtet. Denn Zorn bildet, wie Sloterdijk zeigt, eine wichtige Quelle für das Streben nach Erfolg, Ansehen und Selbstachtung. Die Ideen von Würde, Ehre und das Verlangen nach Gerechtigkeit vermögen entsprechend kämpferisch-rächerische Energien hervorzurufen. Thymos liefert also nicht nur schädliche Willkür und Cholerik, sondern auch eine fruchtbare Kulturtechnik. Dies alles passt bestens zum Fall Bond – seinem privat angestauten Zorn sei Dank weiß er die Welt immer wieder von Terroristen und anderen Übeln zu befreien. Der zornige, genius-gelenkte Held darf alles; er kennt, wie jeder gute Action-Held, weder Reue, noch Scham, noch Grenzen. Dieser Furor alten Stils passt aber nach Sloterdijks Analyse nicht mehr in unsere heutige bürgerlich-urbane Welt. Er muss, so können wir anfügen, daher in das Kompensationsmedium des Kinos verbannt werden. Nur dort darf er als streng geregelte Katharsis nachempfunden werden. Auch Sloterdijk zitiert in seiner Liste der großen zornigen Rächer gerne aus dem Kino, jenem wichtigen »Bildschirm des modernen Imaginären«: »vom edlen Räuber Karl Moor bis zum wütenden Veteranen John Rambo, von Edmond Dantès, dem geheimnisvollen Grafen von Monte Christo, bis zu Harmonika, dem Helden von Spiel mir das Lied vom Tod, der sein Leben einer privaten Nemesis verschrieben hat, von Juda Ben Hur, der sich am Geist des imperialen Rom mit seinem Sieg in dem ominösen Wagenrennen revanchierte, bis zu ›The Bride‹ alias ›Black Mamba‹, der Protagonistin von Kill Bill, die ihre Tötungsliste abarbeitet.« 11 Diese Aufstellung wirft natürlich die Frage auf, was denn die zornigen von den coolen Helden überhaupt unterscheidet? Denn die angeführten Protagonisten könnten auch auf einer fi lmischen Hitliste des Cool stehen. Sloterdijks Unterscheidung von stolz- und mangelgetriebenem Bewusstsein könnte eine geeignete Sortierung ermöglichen. Handlungen, die zornige Rächer zeigen, deren Motiv aus dem stolzen thymos resultiert, so wie Sloterdijk es vorsieht, haben durchaus das Potential, ihren Rachefeldzug als coole Helden zu vollziehen. Die Wurzel der Tat ist zwar emotional und 11. Ebd. S. 83.
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damit warm angelegt, aber die Durchführung kann nach allen Regeln der Kälte erfolgen. Die uns durch das Kino zugängliche Coolness-Kultur, so sollte man definitorisch berücksichtigen, stellt dabei ein Mittel zum Zweck dar. Sie entspricht also nicht dem antiken Modell der Stoa und ihrer Nachfolger, sondern der oben angedeuteten modernen Variante der inszenierten Machttechnik und Attitüde. Der neue Bond fällt aus diesem rein thymos-inspirierten Muster jedoch heraus bzw. er inkarniert es nur zum Teil. Denn seine Persönlichkeit wird allem voran als mangelgetrieben konstruiert. Er ist kein stolzer Rächer, der kontrolliert vorzugehen vermag, sondern einer, der aus dem realem Verlust von Heimat, Mutterbrust und Geliebter – also lauter eros-besetzten Motiven – blindwütig um sich schlägt und keineswegs Herr der Lage ist. Sein Sieg ist am Ende mehr Zufall bzw. Glück als Kalkül und Verdienst. Der neue Bond will nicht stolz sein auf seine Leistung, er will die verlorene familiäre Wärme um Herd, Heim und Bettstatt wieder spüren. Er fühlt sich nicht als Missionar der britischen bzw. westlichen Weltordnung, sondern spiegelt das Individuum im Zeitalter ›nach der Politik‹. Für Staat, Freiheit und Frieden würde er sein Leben schon gar nicht mehr einsetzen. Diese erotische Bedürftigkeit macht den neuen Bond so emotional und letztlich uncool. Und diese Qualität mangelgetriebenen Sehnens macht die Figur offenbar zum passenden Identifi kationsmodell für den heutigen Zuschauer. Nach Sloterdijk leben wir mit dem Kapitalismus in einem »gierdynamischen System«12 , es brauche keine stolzen Untertanen mehr, sondern ewig bedürftige. Ihr permanentes »Habenwollen« bilde letztlich ein gefährliches Ungleichgewicht, das einen Ausgleich durch den Zorn bräuchte. Letzteres wäre beim neuen Bond sogar vorhanden. Er vereint die beiden Pole recht gut in einer Brust. Aber mit dem Erhitzen der Figur mag ein noch so realistischer Mensch entstanden sein, als neues Männlichkeitsmodell bildet er dennoch keine erfreuliche Alternative. Verlassen wir also den Mainstream, um im Avantgarde-Kino nach anderen Helden zu suchen. Die von Sloterdijk eingeforderte Helden-Thymotik, wie wir sehen werden, lässt sich dort noch in Reinform, d.h. ohne Spuren von Mangel, finden.
Coole Götter bei Jim Jarmusch Das Kino Jim Jarmuschs scheint dem Thema der Coolness geradezu gewidmet zu sein. Seine Helden sind meist Außenseiter, Ausgestoßene oder Verweigerer. Als Fremde, Entwurzelte, Geflohene oder Suchende wie z.B. in Down By Law (1986), Dead Man (1995), oder Broken Flowers (2005) 12. Ebd. S. 294ff.
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scheinen sie in eigentümlichen Parallelwelten zu leben. Die in der Regel männlichen Einzelgänger begeben sich auf Lebensreisen, deren symbolisch aufgeladene Selbstfindungsprozesse dennoch mysteriös bleiben und häufig scheitern – bis hin zum Tod. Beide Welten, das bizarre Universum des Protagonisten wie auch die scheinbare Normalität, an der sich die Helden reiben, erweisen sich als grotesk. Die Filme haben dadurch zwar eine humorvolle Wärme, tatsächlich komisch sind sie aber nie. Zu tiefgründig, zu philosophisch ist die Seite des Absurden angelegt. Dieses Geworfensein des Individuums als Leitthema Jarmuschs bildet eine ideale Kulisse für die Entwicklung cooler Helden. Psychologisch nachvollziehbare Motive, wie im Fall des Mainstream-Bonds, benötigen seine Figuren nicht. Auf die Kriterien von Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit verzichtet Jarmusch bereitwillig. Er muss keine schlüssigen Geschichten erzählen und verfügt daher über die Freiheit, Charaktere nach allen Regeln der Coolness zu inszenieren. Unter den jüngeren Arbeiten stechen in dieser Hinsicht Ghost Dog – der Weg des Samurai (1999) und The Limits of Control (2009) heraus. Beide sind über diverse Motive miteinander verbunden und referieren die kinematographische Ikonographie des Cool. In Ghost Dog wird dies allem voran über die Figur des Samurai geleistet, jenes durch rituelle Meditation, perfekte Selbstbeherrschung und absoluten Gehorsam trainierten Kriegers des japanischen Feudalsystems, der hier über einen schwarzen Helden (namens »Ghost Dog«) in das verarmte New Jersey des heutigen Amerika übertragen wird. Dass fi lmgeschichtlich damit auch ein Link zu Jean-Pierre Melvilles Meisterwerk des Cool Le Samouraï (1967) 13 gelegt ist, war natürlich Jarmuschs Absicht. Aber er nennt auch Don Quijote als ein Vorbild zur Figur des Ghost Dog. Denn der »Ritter von der traurigen Gestalt« unterwarf sich ebenfalls einem Codex der Ehre und Selbstbeherrschung, der zu seiner Lebzeit eigentlich schon verschwunden war.14 Aus diesem Aufeinanderprallen der Kulturen erzielt Jarmusch den gewünschten Effekt des Grotesken. Während Ghost Dog noch über solche buchstäblichen Referenzen an die Tradition des Cool anknüpft, erhebt sich Limits of Control in eine andere Sphäre des Bedeutens. Der Film spielt zwar offen mit den Motiven der Coolness – Killer, Boten, Fahrer, Gespielinnen und weitere Protagonisten scheinen einem aus der Kinotradition bekannt (natürlich auch über das Aufgebot an Stars dieses Genres: Bill Murray, Tilda Swinton, Gael García Bernal u.a.). Aber die Metaphorik bleibt bei Jarmusch unaufgelöst bzw. un13. Deutscher Titel: Der eiskalte Engel. 14. So Jarmusch in einem Interview geführt von Susanne Weingarten im Spiegel 1 (2000), S. 161f.
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auflösbar. Der Filmemacher befreit sich hier von dem Zwang eine Kriminalgeschichte nachvollziehbar erzählen zu müssen, sein Auftragkiller ist vielleicht gar keiner. Es bleibt unklar, für wen, weshalb und wozu er tötet. Die Rahmenhandlung ist sekundär geworden, denn der Zuschauer erlebt vielmehr die Geschichte eines Kriegers oder Mönchs, der durch sein Training nicht nur gezielt zu töten weiß, sondern zu einer Art Übermensch wird – einem geheimnisvollen Gott der Coolness. Beide Filme sind über ihre zitatreiche Art des Erzählens dem anspruchsvolleren Avantgarde- bzw. Autorenkino zuzuordnen. Gerade wenn die Referenzen sich oft nicht entschlüsseln lassen, sondern mit vagen Bedeutungsräumen spielen, bedarf es eines Zuschauers, der dies ›erträgt‹ bzw. Freude daran hat, wenn er Dinge erkennt oder assoziiert. In Limits of Control geht es von Rimbaud über Kafka zu Burroughs, aber auch ins Museum vor die Bilder von Picasso, Dalí und andere Größen der Hochkultur. Ghost Dog hingegen schöpft aus der schwarzen Musiktradition von Jazz (»Bird«/Charlie Parker) Hip Hop und Rap (RZA tritt höchstpersönlich auf), Zeichentricksequenzen (Felix the Cat, Itchy and Scratchy) sowie Gangster-, Mafia-, Kung-Fu- und B-Picture-Filmen. Dennoch ergibt das reichhaltige Zitieren aus High & Low keine traditionelle Erzählform, Jarmusch ist vielmehr ein Meister eines »anti-hermeneutischen« 15 Kinos. Er appelliert an das gefühlte Verstehen und an die freie Auslegung. Mit welchen Strategien gelingt Jarmusch also heute die überzeugende Darstellung von Coolness? Für beide Filme wurden schwarze Hauptdarsteller gewählt. Ghost Dog alias Forest Whitaker (s. Abb. 3) und der namenlose Held in Limits of Control alias Isaach De Bankolé (s. Abb. 4) sind coole Killer und dabei recht eigenartige Meister ihres Fachs. Die treffsichere Unfehlbarkeit beruht auf geheimnisvollem Training und ungewöhnlichen Verhaltensregeln. Wie Fremdkörper in ihrer Umwelt unterwerfen sie sich Regeln, die niemand nachvollziehen kann. Sie benutzen z.B. beide keine Handys sondern archaische Kommunikationsmittel wie verschlüsselte Botschaften in Streichholzschachteln oder Brieftauben. Die Zettel mit den Botschaften werden von beiden Protagonisten aus unbekannten Gründen aufgegessen – als wären es ritualisierte Oblaten mit übersinnlichem Inhalt. Innerhalb des babylonischen Sprachgewirrs der heute globalisierten Welt entwickeln sie keine Anpassungsstrategien, sondern scheren über konsequent gelebte Anti-Identitäten aus. Sie entmenschlichen sich absichtlich. Sie verweigern sich der sozialen Vernetzung und gewinnen dadurch Freiheit vom Zwang der Selbstdarstellung und -definition. Bei beiden Charak15. Z.B. im Sinne von Hans-Ulrich Gumbrecht: Diesseits der Hermeneutik. Über die Produktion von Präsenz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004.
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teren spielen aber der Look und die Bekleidung eine wichtige Rolle: Ghost Dog trägt ein rotes Emblem auf seinem mönchischen Kapuzenpulli, der sein Gesicht stets unheilvoll verdeckt. Als er zum großen Schlag gegen die gegnerische Mafia ausholt, schlüpft er aber in einen metallisch glänzenden blauen Anzug – gewissermaßen um der Aufgabe entsprechenden Respekt zu erweisen. Dieselbe Strenge und Korrektheit des Dresscodes wiederholt sich in Limits of Control, Anzug und Hemd sind auch beim finalen Marsch durch ein wüstenartiges Gelände perfekt abgestimmt.
Abbildung 3: Forest Whitakter in GHOST DOG. Aus: http://www.flixster.com/actor/forest-whitaker Beide Killer werden von Jarmusch als streng Meditierende dargestellt, die offenbar auch versuchen menschliche Grundbedürfnisse wie Essen und Schlafen zu überwinden. Sie leben zudem in einem steten Gedenken an den Tod: Ghost Dog grüßt z.B. die Toten auf dem Friedhof und der andere Held wird immer wieder mit der Botschaft konfrontiert, dass das Leben eine Handvoll Staub sei. Dennoch ruhen sie in sich. Ihr Weg besteht aus Warten, sie scheinen die Ereignisse nicht beeinflussen zu wollen. Überhaupt haben sie offenbar keinen eigenen Willen, keine Wünsche. Sie gehorchen, wenn es einen Auftrag gibt. Sie meditieren oder töten, beides ist für sie dasselbe. Ihre Coolness resultiert also aus der bedingungslosen Hingabe an eine als sinnlos erkannte Sache. Denn gerade in dieser ver99
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innerlichten Gleichgültigkeit liegt der Kern ihres Trainings. Wer versucht, in diesen Praktiken einen höheren Sinn oder gar den klassischen Wertekanon des Humanen zu erkennen, wird die Filme nicht mögen; denn es geht weder um Gesellschaftskritik, noch um die Konstruktion positiver Vorbilder. Coolness ist hier cool, weil sie keinen Sinn macht und kein Motiv hat.
Abbildung 4: Isaach De Bankolé in THE LIMITS OF CONTROL. Aus: http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostre cke-42928.html Von Ghost Dog zu Limits of Control lässt sich außerdem eine Steigerung der Coolness-Faktoren verzeichnen: Während Ghost Dog noch einen zornigen Rachefeldzug unternimmt, da dies in seiner Lektüre des »Hagakure« von Yamamoto Tsunetono beschrieben ist, bleiben wir in Limits of Control in völliger Unkenntnis der Hintergründe. Wir wissen weder warum, von wem, noch wofür das Opfer eigentlich getötet wird. Man ahnt nur, der eine muss böse, der andere gut sein. Gerade dieses Fehlen von nachvollziehbaren Motiven erlaubt Jarmusch die Konstruktion eines unberechenbaren Gottes der Kälte. Ghost Dog erreicht sein Ziel, indem er sich seelenruhig von seinem Meister erschießen lässt und damit die absolut höchste Form des Gehorsams demonstriert. Er stirbt, weil es die Nichtigkeit der Welt so vorsieht, die er damit stilvoll überwindet. Trost braucht er dafür nicht, aber ein Quantum Trotz, als letzter Überrest von Emotion, ist seiner Geschichte nicht abzusprechen. Von dieser kaum wahrnehmbaren Ebene des Gefühls ist der Held in Limits of Control gänzlich befreit. Es kommt dafür eine philosophische Dimension ins Spiel: Die Verortung der Rahmenhandlung erfolgt nicht mehr über eine benennbare religiöse Richtung, sondern über allgemeine esoterische Leitbilder wie z.B. den wiederkehrenden Slogan »Use your Imagination and your skills. Everything is subjective.« Man ahnt (ohne es je zu wissen), dass es hier um einen spirituellen Weg geht, der den coolen Killer über das Absolvieren diverser Stufen aus der Zivilisation entfernt, 100
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um ihn für die härteste aller Aufgaben bereit zu machen: Er muss sich qua Imagination, also allein über seine Vorstellungskraft, in einen Hochsicherheitstrakt einschleusen, um dort den Gegner zu töten. Auf diesem Weg erscheint alles bedeutungsschwanger, aber nichts ergibt Sinn. Manche Motive oder Figuren tauchen immer wieder auf, holen ihn ein, bis er auch sie überwunden hat. So z.B. eine nackte Frau, die ihn immer wieder »heimsucht«, der er aber erfolgreich widersteht. Echt coole Helden, so dürfen wir hier folgern, haben keinen Sex, bewegen sich immer in derselben Geschwindigkeit, geraten also nie aus der Fassung und fahren daher auch nicht selbst Auto, sondern nutzen fremdgesteuerte Verkehrsmittel wie Taxi, Zug, Flugzeug, was Jarmusch in langen Einstellungen zeigt. Dieser Killer hat nicht mehr das Problem, dass er sich gegen ein ihm auferlegtes Schicksal wappnen muss. Er ist weder mangel- noch stolzgetrieben, sondern erhebt sich göttergleich über alles und jeden. Der Held tötet mit dem Satz »Die Realität ist beliebig«. Tut er dies für jemand anderen oder für sich selbst? Wer ist eigentlich der oder das Böse? Was war hier Illusion und was Realität? Jarmusch lässt all dies offen. Und erst dadurch gelingt die perfekte Motivlosigkeit des Auftrags und die gänzliche Gefühlsentleerung des Helden. Der Zuschauer findet keinen Platz für kathartisches Mitgefühl. Diese Konstellation aus emotionaler Ursachelosigkeit und der moralischen Beliebigkeit der Tat bildet die perfekte Voraussetzung für die Kino-Coolness. Kälter geht es nicht mehr. Und dies muss man mögen. Die Masse der Zuschauer will solche Helden offenbar nicht mehr sehen, je mehr Gefühl hinter den Oberflächen gärt, desto glaubhafter und beliebter ist der Star. Emotional aufgeladene Figuren, wie fiktiv sie auch seien mögen, werden daher auch eher als Rollenmodelle und Vorbilder akzeptiert. Als Diskurse wirken sie stärker in die Gesellschaft hinein und verdienen daher unbedingt die Aufmerksamkeit der Theorie. Nur wäre es erfreulich, wenn man auch in Zukunft noch auf coole Heroen treffen würde, und sei es an den Rändern des Mainstream, wo man sich nicht zwangsweise mit dem Protagonisten identifizieren muss, um ihn nach den Mustern von Gut und Böse zu beurteilen. Denn Coolness ist abstrakter Genuss, ohne Zwang zur Interpretation.
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Coolness in der klassischen Moderne
Avantgardisten im Schützengraben Zur v isuellen (Selbst-)Inszenierung soldatischer Coolness 1914-1918 Nils Büttner
Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunder ts Indem Thomas Mann seinen Helden Hans Castorp in einem Sturmangriff verschwinden ließ, fand er damit einen passenden Schlusspunkt für seine »hermetische Geschichte«.1 Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, während er noch an seinem »Zauberberg« arbeitete, stand für den Autor bereits fest, dass er dieses historische Ereignis in die Handlung seines Romans integrieren würde. »In die Verkommenheit meines ›Zauberberges‹ soll der Krieg von 1914 als Lösung hereinbrechen, das stand schon fest, von dem Augenblick an, wo es los ging«, schrieb er noch im ersten Kriegsjahr an seinen Verleger Samuel Fischer. Erst später begann sich abzuzeichnen, dass der Krieg auch in übertragenem Sinne als Schlusspunkt geeignet war. Jene Welt nämlich, in der Manns Roman angesiedelt war, hatte in jener Zeit zu existieren aufgehört. Und die Schlachten des Ersten Weltkrieges bezeichneten zugleich das Ende einer Epoche.2 Was im August 1914 begonnen hatte, war ein Krieg von nie gekannter Grausamkeit, der Europa zutiefst erschütterte.3 Strategen und Ideologen aller kriegführenden Parteien waren von einem kurzen Krieg und ihrem 1. Thomas Mann: Der Zauberberg [Gesammelte Werke in Einzelbänden, Frankfurter Ausgabe], Frankfurt a.M.: Fischer-Verlag 1981, S. 1002-1006. 2. Thomas Mann, der die Arbeit an seinem Roman über mehrere Jahre ruhen ließ und sich erst im April 1919 zur Weiterarbeit entschloss, war diese Tatsache durchaus bewusst. Vgl. ebd., S. 1022f. 3. Zum Kriegsbeginn sowie seinen literarischen und publizistischen Folgen
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schnellen Sieg ausgegangen, der sich in offener Feldschlacht entscheiden sollte. »Daheim, wenn das Laub fällt«, lautete in Deutschland die Devise, – doch daraus wurde nichts. Nach dem brutalen Überfall auf Belgien und dem schnellen Eindringen nach Frankreich kam der deutsche Vormarsch an der Marne zum Stehen. Es begann sich eine Frontlinie zu verfestigen, die dann während des gesamten Krieges bis zum Jahr 1918 in ihrem Verlauf beinahe unverändert blieb. Die Schrecken, die der sich nun entwickelnde Grabenkrieg mit sich brachte, lassen sich mit Worten kaum schildern. Das unbeschreibliche Grauen hatte ein europäisches Trauma zur Folge, das bis auf den heutigen Tag fortwirkt. 4 Warum das Trauma dieses Grabenkrieges so lange zu wirken vermochte, erscheint schon mit Blick auf die Zahlen der getöteten oder an Leib und Seele verstümmelten Menschen, die er hervorbrachte, verständlich.5 Der Erste Weltkrieg wurde vgl. Jeffrey Verhey: The Myth of the »Spirit of 1914« in Germany 1914-1945, Cambridge u.a.: Cambridge Univ. Press 1997. 4. So rief die Bild-Zeitung am 1. April 2003, als nach dem Überfall des Irak der US-amerikanische Vormarsch erstmals ins Stocken geriet, die kollektive Erinnerung an den Stellungskrieg des Ersten Weltkrieges auf. Vgl. »Stellungskrieg: Wird es wieder so schrecklich wie im 1. Weltkrieg?«, in: Bild vom 1.4.2003, S. 2. 5. Im so genannten zweiten Irak-Krieg rief beinahe jedes britische oder US-amerikanische Opfer ein weltweites Medienecho hervor. Zumindest auf Seiten der Invasoren war der Verlust einzelner Menschenleben eine Meldung wert, und nicht ohne ein gewisses Entsetzen meldete die US-amerikanische Nachrichtenagentur CBS-news am 14. April 2003, einen Tag vor dem offiziellen Ende des Krieges, 123 tote US-Amerikaner und 30 tote britische Soldaten. Vgl. zu diesen Zahlen die URL: http://www.cbsnews.com/stories/2003/04/14/iraq/ main549266.shtml vom 20. Mai 2009. Eine hohe Zahl, gemessen an den 13 Soldaten der Bundeswehr, die in den letzten 16 Jahren bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen sind. Für die Zahlen vgl. Süddeutsche Zeitung vom 4.6.2008, Nr. 128, S. 6. Im Vergleich dazu wirken die Opferzahlen des Ersten Weltkrieges beängstigend: Allein am 1. Juli 1916, dem Tag, an dem in Frankreich die Schlacht an der Somme begann, wurden 60.000 englische Soldaten getötet oder schwer verwundet, davon 30.000 in der ersten halben Stunde einer Schlacht, die noch über viereinhalb Monate andauern sollte. Zum Ende dieser Offensive war die französisch-englische Front um ganze acht Kilometer vorgerückt, ein Geländegewinn, den 1.300.000 Soldaten auf beiden Seiten der Front mit ihrem Leben bezahlten. Bis heute lässt sich die Gesamtzahl der Opfer des Ersten Weltkrieges nur annähernd schätzen. Für die deutsche Seite bezifferte ein Generalleutnant der Heeresleitung die stündlichen Verluste des deutschen Heeres bei einer Gesamtkriegsdauer von 1623 Tagen, mit 46 Toten und 109 Verwundeten. So starben allein auf deutscher Seite über mehr als vier Jahre an jedem ein-
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aber nicht allein durch die Vielzahl seiner Opfer zum Trauma, sondern auch durch den hemmungslosen Einsatz neuer Tötungsmaschinerien von bislang nicht gekannter Perfidie und einer nicht geahnten Grausamkeit. Flammenwerfer und Giftgas zählten dazu, aber auch das so genannte Trommelfeuer, bei dem die Geschosse von unzähligen Geschützen aller Kaliber über Stunden auf einen winzigen Abschnitt der Front konzentriert wurden.6 Es waren diese »Materialschlachten« des Stellungskrieges, die einen von Zeitgenossen und Historikern in gleicher Eindringlichkeit beschriebenen Epochenwechsel bedeuteten und jenen Krieg charakterisierten, den der amerikanische Diplomat George F. Kennan 1979 als »die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« bezeichnete.7
Im Spiegel der Bilder Der planvolle massenhafte Verschleiß von Menschen und Material wurde zum bezeichnenden Merkmal dieses ersten modernen Krieges, genau wie der erstmalige gezielte Einsatz sämtlicher Medien. 8 Medien, die zumeist erst seit wenigen Jahren oder Jahrzehnten in Gebrauch waren, wurden in größtem Umfang militärstrategisch und politisch genutzt. So wurden nicht mehr allein die »klassischen« Gattungen Literatur und bildende Kunst zu Propagandazwecken verwandt, die, zumeist in ihren trivialen Gebrauchsformen wie Pamphlet und Plakat, schon frühere Kriege begleitet hatten.9 Erstmals wurden nun auch in breitem Umfang der Film und zelnen Tag 1114 Menschen, während 2616 mehr oder weniger schwer verwundet wurden. Für diese Zahlen vgl. die Statistik von Generalleutnant a.D. D. v. Altrock, in: Mit Gott für Kaiser und Vaterland: Erlebnisse deutscher Proletarier während der »Grossen Zeit« 1914-1918, Berlin: Vereinig. Internat. Verl.-Anst. 1924, S. 4. 6. Vgl. Rolf Spilker/Bernd Ulrich (Hg.): Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914-1918. Eine Ausstellung des Museums Industriekultur Osnabrück, Bramsche: Rasch 1998. 7. George F. Kennan: The Decline of Bismarck’s European Order: Franco-Russian Relations, 1875−1890, Princeton, NJ: Princeton Univ. Press 1979, S. 3. Vgl. auch Aribert Reimann: »Der Erste Weltkrieg – Urkatastrophe oder Katalysator?«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 29/30 (2004), S. 30-38. 8. Vgl. dazu Helmut Korte: »Die Mobilmachung des Bildes – Medienkultur im Ersten Weltkrieg«, in: Matthias Karmasin/Werner Faulstich (Hg.): Krieg – Medien – Kultur, München: Fink 2007, S. 35-66, mit weiterführender Literatur. 9. Zum vielfältigen propagandistischen Einsatz der Fotografie vgl.: Rainer Rother: »Die bittere Wahrheit hinter dem propagierten Schein. Bilder des Ersten
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vor allem die Fotografie auf allen Ebenen eingesetzt. 10 Letztere einerseits aus strategischen Gründen, um den Frontverlauf, die feindlichen Stellungen und das Gelände zu dokumentieren, andererseits aber auch zu propagandistischen Zwecken. 11 Dabei umfasste das, was man seinerzeit »Kriegsphotographie« nannte, nicht allein die militärischen Geländeaufnahmen oder die gezielt in Auftrag gegebenen Bilder gelernter Fotografen, sondern auch schlichte Aufnahmen fotografischer Laien, Bilder ohne jeden künstlerischen Anspruch. 12 Damit wurde erstmals ein Krieg nicht nur im Auftrag der Mächtigen visuell dokumentiert, sondern auch durch eine große Zahl unterschiedlich professioneller Augenzeugen. Etliche, die damals in den Krieg zogen, hatten eine mehr oder weniger handliche Kamera dabei.13 Weltkriegs«, in: ders. (Hg.): Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkriegs. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, Berlin u.a.: Das Historische Museum 1994, S. 9. Dieter Vorsteher: »Bilder für den Sieg. Das Plakat im Ersten Weltkrieg«, in: ebd. S. 149-162. Jean-Claude Montant: »Propagande et guerre subversive«, in: Paul-Marie de la Gorce (Hg.): La Première Guerre mondiale, Paris: Flammarion 1991, Bd. 2, S. 323-339. Peter Grupp: »Voraussetzungen und Praxis deutscher amtlicher Kulturpropaganda in den neutralen Staaten während des Ersten Weltkrieges«, in: Wolfgang Michalka (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München u.a.: Piper 1994, S. 799-824, bes. S. 799. 10. Klaus H. Kiefer: »Die Beschießung der Kathedrale von Reims. Bilddokumente und Legendenbildung – Eine Semiotik der Zerstörung. Photographic Documentation and the Formation of Legends − A Semiotics of Destruction«, in: Thomas F. Schneider (Hg.), Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des »modernen« Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film/The Experience of War and the Creation of Myths. The image of »modern« war in literature, theatre, photography, and film (=Beiträge zum gleichnamigen Symposion, Erich-Maria-Remarque-Zentrum, Universität Osnabrück, 4. – 8. März 1998), S. 115-153. Thomas Flemming: »Zwischen Propaganda und Dokumentation des Schreckens. Feldpostkarten im Ersten Weltkrieg«, in: Matthias Karmasin/Werner Faulstich (Hg.): Krieg – Medien – Kultur, München: Fink 2007, S. 67-88. 11. Zum Stichwort »Kriegsphotographie« vgl. Ulrich Steinhoff (Hg.): Kriegstaschenbuch. Ein Handlexikon über den Weltkrieg, Leipzig/Berlin: Teubner 1915, S. 239. 12. Vgl. Josef Rieder: »Die Photographie im Kriege«, in: Photographische Rundschau und Mitteilungen 52 (1915), S. 158-160. Max Frank: »Photographie im Kriege«, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt vom 06.10.1914, S. 277, 1. Morgenblatt, S. 1-2. 13. Als beinahe beliebigen Beleg vgl. Franz Seldte: Dauerfeuer, Leipzig: Koehler 1930, S. 269, der nicht nur die Mitnahme einer Kamera bezeugt, son-
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Das motivische Spektrum ihrer Aufnahmen ist dank der großen Zahl erhaltener Fotos erstaunlich breit. Dabei treten zu den Bildern persönlich bedeutsamer Orte, von kriegszerstörten Städten und Landschaften, sowie von Stellungen und Schützengräben, eher selten Abbildungen von besonderen Ereignissen. Die meisten dieser privat gefertigten Aufnahmen sind dabei allerdings nicht unbedingt von dem Bemühen getragen, das Gesehene und Erlebte umfassend optisch zu fi xieren. Vielmehr scheint es vordringlich darum gegangen zu sein, die militärische Gemeinschaft im Bild festzuhalten und das aufzuzeichnen, was man Kameradschaft nannte. So sind wohl die bei weitem meisten Aufnahmen, die entstanden, nicht mehr als ein der privaten Erinnerung gewidmetes Porträt einer einzelnen Person oder einer größeren oder kleineren Gruppe. Ganz nebenbei dokumentieren diese Bilder spezifische Formen der Selbstinszenierung, die im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen sollen. 14 Um aus der Vielzahl der überlieferten Bilder eine begründbare Auswahl zu treffen, sollen im Folgenden vor allem die Bilder und Selbstbilder von Künstlern untersucht werden, die in großer Zahl mehr oder weniger aktiv am Ersten Weltkrieg teilgenommen haben. Die hier vorgestellte Auswahl kann dabei nur einzelne Facetten aufgreifen und illustrieren, denn eine Untersuchung der kollektiven Biographie der europäischen Künstler jener Tage ist bis heute ein Desiderat.15 Im Folgenden soll es vor allem um dern zugleich die unter deutschen Offizieren und Offiziersanwärtern verbreitete Praxis eines bebilderten »Kriegstagebuches« dokumentiert. 14. Der Verfasser bereitet hierzu eine größere Untersuchung vor. 15. Zumal in komparatistischer Perspektive ist hier noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten, denn der Tatsache, dass die Vertreter der europäischen Avantgarde sich bald nach Kriegsausbruch an den verschiedenen Fronten in den Schützengräben gegenüberlagen, ist bis jetzt nur in Ansätzen Rechnung getragen. Und die Frage, welchen Einfluss diese Tatsache auf ihre Biographie und ihre Werke hatte, ist in vielen Fällen noch gar nicht gestellt. Seinen Grund hat das nicht zuletzt in dem hartnäckigen Schweigen der überlebenden Künstler über diesen Ausschnitt ihrer Biographie und in einer Kunstgeschichte, die sich für dieses finstere Kapitel europäischer Kunst- und Künstlergeschichte wenig interessierte, weil sie sich nur in wenigen Werken sichtbar niedergeschlagen hatte, die auch nach dem Krieg noch als bedeutend angesehen wurden. Die im Dienste nationaler Propaganda entstandenen Arbeiten von Künstlern wie von Kunsthistorikern verschwanden im Dunkel der Geschichte. Übrig blieben vor allem pazifistische Stellungnahmen gegen den über alle Maßen schrecklichen Krieg, die im kollektiven Bewusstsein die teils völlig anders gearteten Äußerungen vom Beginn des Krieges überblendeten, in denen eine ganz andere Haltung dem Krieg und dem Soldatsein gegenüber dominierte.
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die Untersuchung einer in künstlerischen Werken und Fotos dokumentierten Haltung gehen, die sich, das sei hier als These formuliert, im Sinne der Ausführungen Helmut Lethens zur Kultur der 1920er Jahre als »Verhaltenslehre der Kälte« umschreiben lässt und als Vorläufer moderner Coolness gelten kann. Im Kontext einer spezifisch soldatischen Kälte, die als Schneid und Lässigkeit noch genauer gefasst werden kann, gewinnt der Begriff Coolness seine historische Spezifizierung. 16 Unter den ersten, die sich in den Kreisen der Münchener Avantgarde freiwillig zum Dienst mit der Waffe meldeten, war der Maler und Dichter Joachim Ringelnatz. Seine später unter dem Titel »Als Mariner im Krieg« herausgegebenen Erinnerungen überliefern eine lebendige Momentaufnahme jener Stimmung, die im August 1914 in der bayerischen Metropole herrschte, denn auch die Schwabinger Szene war in Aufregung: »Ich war der erste in der Tischgesellschaft dort, der in den Krieg zog. Alle staunten mich an, und der Anarchist Mühsam führte mich zu Frank Wedekind und sagte begeistert: ›Du, Wedekind, der geht morgen in den Krieg!‹«17 Wie bei den meisten, die bei Ausbruch des Krieges dem Ruf zu den Waffen folgten, war auch für Ringelnatz die erste Zeit beim Militär weniger dem aktiven Kriegsdienst gewidmet, als vielmehr einer von den meisten als so aufreibend wie stumpfsinnig empfundenen militärischen Grundausbildung. Der etatmäßige Drill, die Kasernenhofatmosphäre und nicht selten als sadistisch geschilderte Unteroffiziere von niederer Herkunft, die sich darin gefielen, besonders Rekruten mit höherer Bildung zu quälen, gehören zum wiederkehrenden Repertoire der aufgezeichneten Kriegserinnerungen. Allerdings trug dies alles dazu bei – und auch das ist ein wiederkehrendes Motiv in Egodokumenten und literarischen Bearbeitungen des Themas – eine als dem Militärischen angemessen geltende Haltung zu entwickeln, die sich mit dem heute gebräuchlichen Begriff der Coolness mit seinen vielfältigen Facetten zwar recht treffend beschreiben lässt, jedoch auch einer historischen Spezifizierung bedarf. Das mag ein Foto aus dem Jahr 1915 illustrieren, das Joachim Ringelnatz und seinen − wegen der verblüffenden Ähnlichkeit »Scherzbruder« genannten − Freund zeigt, den Furier Petersen (s. Abb. 1). »Gebrüder Petersen sehen mit beispielloser Kaltblütigkeit dem Herannahen einer englischen Flotte auf dem Exerzierplatz in Cuxhaven entgegen«, lautet die von Ringelnatz verfasste Bildunterschrift. 18 16. Vgl. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994. 17. Joachim Ringelnatz: Als Mariner im Krieg, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1965, S. 7. 18. Vgl. Indina und Frank Woesthoff: »›Ich bin nur ein Matrose‹: Ringelnatz
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Die Bildunterschrift ironisiert dabei nicht allein den in Kriegszeiten als unwürdig empfundenen Kasernenhof- und Exzerzierplatzalltag, sondern auch jene Kälte, die ein zentrales Ziel des militärischen Drills war.
Abbildung 1: Joachim Ringelnatz und der Furier Petersen auf dem Exerzierplatz in Cuxhaven, Fotografie 1915. Aus: Frank Möbius u.a. (Hg.): Joachim Ringelnatz: Ein Dichter malt seine Welt, Göttingen 2000, Abb. 39.
Eine Frage der Haltung Die in der humoristischen Beischrift des Ringelnatz-Fotos beschworene kaltblütige Gelassenheit im Angesicht des Feindes war erklärtes Ziel der soldatischen Ausbildung, denn Gelassenheit und Nervenstärke galten als Inbegriff soldatischer Tugenden. Einen Eindruck davon vermag »Transfeldts Dienstunterricht für Kriegsrekruten der deutschen Infanterie« zu vermitteln, wo unter dem Begriff »Mut« die Tugendhaftigkeit soldatischer Affektkontrolle abgehandelt wird: »Der alte Blücher hat gesagt: ›Jeder Mensch hat einen Schweinehund im Leibe, er muß ihn nur nicht herauslassen.‹ An dieses Kraftwort erinnere sich der Soldat, wenn ihn ein Angstund die (un)christliche Seefahrt«, in: Frank Möbus/Friederike Schmidt-Möbus/ Frank und Indina Wösthoff (Hg.): Joachim Ringelnatz. Ein Dichter malt seine Welt, Göttingen: Wallstein 2000, S. 24-50, hier: S. 38f.
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gefühl beschleichen, er vor dem Gefecht ›Kanonenfieber‹ bekommen sollte. Die vielfache Erfahrung des großen Krieges lehrt, da sich unsere Soldaten an das Sausen der Geschosse, das Einschlagen der Granaten, an das Krachen der zerspringenden Schrapnells, an den Anblick von Blut und Verstümmelung als etwas Selbstverständliches gewöhnt haben. Unter den schwersten Eindrücken des heutigen Kampfes, im Trommelfeuer der feindlichen Artillerie, haben sie ihren Mut, ihre Ruhe, ihren Gleichmut, ihre gute Laune, vor allem ihr Pflichtgefühl gewahrt.«19 Für die als soldatische Tugend empfohlene Gelassenheit gab es im dienstlichen Verkehr ritualisierte Formen des militärischen Ausdrucks. In den Dienstreglements waren, zumal im deutschen Heer, alle – auch die allerkleinsten! – Details genau geregelt. So war zum Beispiel genau vorgeschrieben, was der Soldat bei der Begegnung mit einem Offizier mit seiner Mütze zu machen hatte: »Hat er umgeschnallt, so behält er die Kopf bedeckung auf. Sonst nimmt er die Mütze ab, Futter nach Innen.«20 Wichtig war es bei dieser Begegnung, soldatische Tugend auch in der Körperhaltung zum Ausdruck zu bringen: »Der Soldat hat dem Vorgesetzten gegenüber ein bescheidenes, strammes, offenes, unbefangenes Benehmen zu beobachten.«21 Um dieses alle persönlichen Regungen unterdrückende Benehmen, das einerseits »stramm«, andererseits »unbefangen« zu sein hatte, auch körpersprachlich zu kommunizieren, wurde auch die Körperhaltung genau geregelt, die der Soldat dem Offizier gegenüber zu beachten hatte. Im Verkehr mit höheren Dienstgraden muss, so schrieb es das Reglement vor, der Soldat in »dienstlicher«, also »strammer Haltung stehen, bis der Vorgesetzte ihn davon entbindet«.22 Der Befehl zum Einnehmen dieser strammen und dienstlichen Haltung hieß »Still gestanden!«, wobei in bestimmten Momenten auch der Ruf »Achtung!« genügte. Wie der Mann dann zu stehen hatte, war schon im Dienstreglement der preußischen Infanterie aus dem Jahr 1812 geregelt: »Der Mann steht gerade und sieht seinen Vorgesetzten frei an. Die Absätze sind geschlossen, die Fußspitzen sind gleichweit auseinandergedreht und bilden einen rechten Winkel. Die Hände liegen glatt an der Hosennaht.«23 Der Befehl »Rühren!« entband den Soldaten von dieser Zwangshaltung, wobei das Exzerzierreglement 19. Transfeldts Dienstunterricht für Kriegsrekruten der deutschen Infanterie, 52. Aufl., Kriegsausgabe. Auf Grund der Erfahrungen im Weltkrieg vollständig neubearbeitet von mehreren Kriegsteilnehmern, Berlin: Mittler 1917, S. 8. 20. Ebd., S. 49. 21. Ebd. 22. Ebd. 23. Exerzier-Reglement für Infanterie der Königlich-Preußischen Armee 1812, §1 Ausbildung des einzelnen Infanteristen (ohne Gewehr), Absatz 1, in:
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ausführt, dass »jede Haltung des Körpers auf die Dauer ermüdend ist, so wird den Soldaten während der Übungen von Zeit zu Zeit erlaubt sich zu rühren.«24 Auch die vorgeschriebene entspannte Standhaltung war geregelt, denn auf das Kommando »Rührt Euch!« wurde, »der linke Fuß (weg vom »stillgestanden«) nach links wegbewegt«. Dabei galten selbstverständlich auch weiterhin die grundsätzlichen Anweisungen über die aufrechte soldatischen Haltung: »Der Leib muß senkrecht auf den Hüften stehen, weil nur dadurch der Mann ein gehöriges Gleichgewicht bekommen kann. […] Die Arme müssen längs dem Leibe hängen – und Ellenbogen und Hände, auf oben beschriebene Art gehalten werden, weil dies sowohl um das Gewehr vollkommen nach den Regeln tragen zu können, als auch um im Gliede nicht mehr Raum einzunehmen, als eine leichte und ungehinderte Führung derselben erfordert, höchst nöthig ist. Das passende Anschließen der Ellenbogen am Leibe befördert das Zurücknehmen der Schultern. Der Kopf muß gerade und zwanglos gehalten werden, weil die Steifheit des Kopfes sich dem ganzen Oberleibe mittheilen, dessen Bewegung hindern, und diese Stellung mühsam und beschwerlich machen würde. Der Blick muß frei vor den Mann hingerichtet sein, weil diese Art den Kopf zu tragen und den Blick zu richten, das sicherste Mittel ist, die Schultern winkelrecht zu erhalten.«25 Da es hier ausschließlich um die körperliche Erholung des Soldaten ging, war auch nach Einnehmen dieser verordneten ungezwungenen Haltung absolute Ruhe geboten: »Auch während des Rührens darf im Gliede nicht gesprochen werden.«26 Die in diesem Kontext vom Soldaten zu wahrende Haltung, die auch nach Erteilen des Befehls »Rührt Euch!« einzunehmen war, begegnet auf zahlreichen fotografischen Soldatenporträts, die damit eine kodifizierte Form entspannten Stehens dokumentieren, die durchaus auf eine lockere Haltung schließen lassen sollte. Der körpersprachliche Ausdruck des entspannten und zugleich kontrollierten Stehens wird dabei nicht selten durch eine außerordentlich schlecht sitzende Uniform noch unterstrichen. Genau wie Drill und Kasernentristesse zählen auch die schlecht sitzenden Uniformen, die dem militärischen Nachwuchs in der Regel zugeteilt wurden, zu den immer wiederkehrenden Motiven der Kriegsliteratur. Erich Maria Remarque beispielsweise beschreibt eindringlich, wie sehr die schlecht sitzende Uniform die jungen Soldaten verwandelt: »Ich blicke URL: http://www.ucr-ev.de/Colberg1813/colberg-ausruestung/reglement.htm vom 20.5.2009. 24. URL: http://www.kurmaerkische-landwehr.de/html/body_reglement.html vom 20.5.2009. 25. Ebd. 26. Transfeldts Dienstunterricht, S. 49.
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auf meine Stiefel. Sie sind groß und klobig, die Hose ist hineingeschoben; wenn man aufsteht, sieht man dick und kräftig in diesen breiten Röhren aus. Aber wenn wir baden gehen und uns ausziehen, haben wir plötzlich wieder schmale Beine und schmale Schultern. Wir sind dann keine Soldaten mehr, sondern beinahe Knaben, man würde auch nicht glauben, daß wir Tornister schleppen können. Es ist ein sonderbarer Augenblick, wenn wir nackt sind; dann sind wir Zivilisten und fühlen uns auch beinahe so.«27 Und doch ließ sich der schlecht sitzende martialische Aufzug nicht allein mit Würde tragen. Soweit erhaltene Bilder, Fotos und Selbstzeugnisse solche Rückschlüsse zulassen, trugen viele Künstler ihre Uniformen mit einem gewissen Stolz. Es schlägt sich in einem locker skizzenhaft gezeichneten Selbstbildnis von Max Beckmann aus dem Jahr 1915 genauso nieder wie in dem martialisch wirkenden Selbstbildnis mit Artilleriehelm, das Otto Dix im Jahr zuvor gemalt hatte.28 Als besonders eindringliche Beispiele erscheinen mehrere fotografische Selbstporträts Ernst Ludwig Kirchners, der sich mehrfach in Uniform abgelichtet hat (s. Abb. 2).29 Die verwackelt wirkenden Gesichter und das Verschwimmen der Physiognomie auf diesen Fotos erscheinen fast als kritische Distanznahme zur inszenierten Pose. Doch werden dadurch zugleich die militärische Haltung und die locker in der Hand gehaltene Zigarette zum eigentlichen Gegenstand des Bildes. Die Inszenierung wirkt distanziert und »cool«.
27. Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues, Berlin: Propyläen 1929,
S. 34. 28. Zu Beckmanns Selbstbildnis vgl. Thomas Döring/Christian Lenz: Max Beckmann − Selbstbildnisse: Zeichnung und Druckgraphik, Heidelberg: Braus 2000, S. 23, Nr. 23. Max Beckmann: Zeichnungen und Druckgraphik aus der Sammlung Hegewisch in der Hamburger Kunsthalle, Teil 1: Max Beckmann und der Krieg, Bremen: Hauschild 2005, S. 8. Zum Selbstbildnis von Otto Dix vgl. Johann-Karl Schmidt: Otto Dix. Bestandskatalog Galerie der Stadt Stuttgart. Gemälde, Aquarelle, Pastelle, Zeichnungen, Holzschnitte, Radierungen, Lithographien, Stuttgart: Cantz 1989, S. 87, 341, Nr. 3. Diether Schmidt: Otto Dix im Selbstbildnis, Berlin: Henschel 1981, S. 30. 29. Roland Scotti: Ernst Ludwig Kirchner − the photographic work, Göttingen: Steidl 2006, S. 74f., Kat. 41, 42 und 242. Karlheinz Gabler: E. L. Kirchner. Dokumente: Fotos, Schriften, Briefe, Aschaffenburg: Das Museum 1980, S. 144.
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Abbildung 2: Ernst Ludwig Kirchner, fotografisches Selbstbildnis, 1915. Aus: Roland Scotti, Ernst Ludwig Kirchner − the photographic work, Göttingen 2006, Abb. 41 Kirchner hatte sich in der Zeit seiner Grundausbildung als Fotograf betätigt und beispielsweise zahlreiche Porträts seiner Dienstvorgesetzten gefertigt.30 Sie dokumentieren nicht selten die damals allgemein etablierten Posen militärisch inszenierter Männlichkeit. So zum Beispiel, wenn der Offizier seiner Stellung und seinem Dienstrang dadurch sichtbar Ausdruck verleiht, dass er sich zu Pferd abbilden lässt. In der klassischen Porträtmalerei eine dem Adel vorbehaltene Pose, die schon durch die so erzwungene Untersicht des Fotografen und der Kamera zur Würdeformel wird. Wie sehr man die Pose des berittenen Triumphators auch in Kreisen jener zu schätzen wusste, die in der Alltagswirklichkeit ihrer militärischen Existenz von solchen Gesten weit entfernt waren, vermag ein Foto zu illustrieren, das Max Ernst von sich anfertigen ließ (s. Abb. 3).31 Der nach dem Krieg als »Dada Max« bekanntgewordene Maler inszeniert sich im bewussten Aufgreifen der aus tausenden von Offiziersfotos bekannten Pose. Max Ernst wurde zu der Zeit, als das Foto entstand, zwar als Artillerist im Umgang mit Pferden geschult, doch war er von allen Offizierswürden noch weit entfernt. Man mag die Inszenierung als Herrenreiter deshalb als 30. R. Scotti: Ernst Ludwig Kirchner, Kat. 36. 31. Jürgen Pech u.a.: Max Ernst: Fotografische Porträts und Dokumente, Brühl: Stadt Brühl 1991, S. 27, Nr. 12.
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Ironisierung deuten, doch bleibt selbst in deren spielerischem Aufgreifen ein tief empfundenes Bewusstsein für den unterkühlten Stolz dieser so beliebten Form der Selbstdarstellung.
Abbildung 3: Max Ernst als Soldat, Fotografie, 1915. Aus: Jürgen Pech u.a.: Max Ernst: Fotografische Porträts und Dokumente, Brühl 1991, Abb. 12.
Uniform Die Uniform bot denen, die sie trugen, die Möglichkeit sich vestimentär zu inszenieren und zum Beispiel ihre Einstellung zum Militärdienst oder ihre Dienstauffassung auch über die Art des Aufzugs zu kommunizieren.32 Wie das aussehen konnte, schildert Joachim Ringelnatz in seinen Kriegserinnerungen. Dort schreibt er nicht ohne ein gewisses Maß an Bewunderung über einen seiner Kameraden: »Dieser Signalgast war ein Drückeberger, aber ein flinker, geschmeidiger Bursche. Ein ›Schlenkpäkchen‹, nannten wir solche Leute, die in allem eine gewisse Gerissenheit hatten 32. Vgl. dazu Ute Frevert: »Das Militär als ›Schule der Männlichkeit‹. Erwartungen, Angebote, Erfahrungen im 19. Jahrhundert, in: dies. (Hg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart: Klett-Cotta 1997, bes. S. 145-173; dies.: »Männer in Uniform. Habitus und Signalzeichen im 19. und 20. Jahrhundert«, in: Claudia Benthien/Inge Stephan (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln: Böhlau 2003, S. 277-295. Für den Hinweis auf diese Texte danke ich Änne Söll, Berlin, der ich auch für die gründliche Durchsicht und Redaktion des Textes zu Dank verpflichtet bin.
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und sich, obwohl nachlässig, doch mit einem charmanten Schmiß kleideten. Dieser Signalgast trug seinen Mützendeckel schief, hatte ein schräges Gesicht und schöne Tätowierungen.«33 Das Gegenteil dieser fast nachlässigen Form einer besonders von den niederen Diensträngen gepflegten Individualisierung und Persiflierung des uniformierten Auftretens begegnet in der ebenfalls auf eine Haltung der Distanz abzielenden Uniformierung der Offiziere. Nicht ohne Stolz führte zum Beispiel Ringelnatz seine privat in Auftrag gegebene maßgeschneiderte Offiziersuniform aus, die schon wegen ihrer Seltenheit im Münchener Weichbild ihm die Aufmerksamkeit vor allem der weiblichen Bevölkerung garantierte. Wenn es um die Uniformen ging, so kam, neben der zumal von Mannschaftsdienstgraden gern zur Schau gestellten Lässigkeit, unter den Angehörigen des Offizierscorps auch ein anderer Aspekt der »Coolness« zum tragen, der sich in der Sprache der Zeit mit dem Wort Schneidigkeit beschreiben lässt. Mit diesem Begriff charakterisierte man seinerzeit das auch von den Corps-Studenten eifrig kopierte Ideal des kaiserlichen Garde-Offiziers, den schon der »Simplicissimus« karikiert hatte. Er trug eine scharf taillierte Uniform, vielleicht gar ein Korsett, brachte seine aufwändige Barttracht in aufrechte Form und hatte nicht selten ein Monokel im Auge. Er stammte aus gutem Haus und war – entsprechend seiner sozialen Herkunft – Offizier in einem der angesehenen und entsprechend teuren Kavallerie-Regimenter. Der Offiziersdienst galt nämlich zu Kaisers Zeiten als Ehrendienst und war mit keiner Besoldung verbunden, die auch nur annähernd gereicht hätte, die der sozialen Stellung verbundenen ökonomischen Verpfl ichtungen monetär zu kompensieren. Wer Offizier werden wollte, musste deshalb – sogar in Kriegszeiten – den Nachweis eines ausreichenden Vermögens erbringen, was beispielsweise Joachim Ringelnatz vor nicht geringe Probleme stellte.34 Der schneidige Garde-Offi zier wurde innerhalb des preußischen Generalstabes gleichsam prototypisch durch den Thronfolger des Kaisers vertreten. Kronprinz Wilhelm trug mit Vorliebe die stark taillierten Uniformen der Kavallerie, besonders die »seines« Regiments, des in Danzig stationierten Leib-Husarenregiments No. 1.35 Selbst als das so genannte Feldgrau allgemein eingeführt war, die einheitliche und auf Tarnung 33. Joachim Ringelnatz: Als Marine im Krieg, Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt 1965, S. 43. 34. Ringelnatz behauptete vor seiner anstehenden Beförderung, dass er eine Erbschaft von einer Tante erwarte, »das war völlig gelogen« und lieh sich Geld, um sich eine angemessene Uniform schneidern zu lassen. Vgl. ebd. S. 191, 242. 35. Wilhelm von Preußen: Erinnerungen des Kronprinzen Wilhelm. Aus den
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abzielende Uniformierung, nutze der Kronprinz jede sich bietende Gelegenheit, in der Gala-Uniform seines Husarenregiments aufzutreten. Auch die in großer Stückzahl gedruckten Feldpostkarten mit deutschen Heerführern zeigen ihn zumeist in genau dieser Uniform.36 Eine starke Wirkung auf das medial reproduzierte Heldenbild dürften in Deutschland auch die Fotos der berühmten Fliegerhelden gehabt haben, die ebenfalls auf offi ziellen Fotos meist stark taillierte Uniformen tragen, da die Fliegertruppe aus der Reiterei hervorgegangen war. Doch auch im Leder der beim Feindflug getragenen Kluft wurden die Flieger gleichsam zum Inbild unterkühlter Lässigkeit, die durchaus als frühe Ausprägung von »Coolness« verstanden werden kann. Das vermögen die zeitgenössischen Kriegsanleihe-Plakate genauso zu dokumentieren wie die unzähligen Fotos der »Fliegerhelden«.37 Zumal in seiner schon während des Krieges sehr aktiv betriebenen literarischen Stilisierung bedeutete das Fliegerleben eine ideale Verbindung einer relativ gepflegten, schlammund schmutzfreien Etappenexistenz mit einem literarisch zum ritterlichen Kampf Mann gegen Mann stilisierten Kriegseinsatz. Hier waren ruhmvolle militärische Erfolge zu erringen. Denn in einer hochgradig militarisierten Gesellschaft zählte vor allem der etwas, der sich auf dem Schlachtfeld bewährt und »dem Feind ins Auge gesehen« hatte. Die spektakulären Luftkämpfe, die über den Schützengräben ausgetragen wurden, sicherten schon deshalb den Ruhm der Piloten, weil sie – von nur wenigen ausgefochten – von abertausenden Infanteristen aufmerksam beobachtet wurden. Der Maler Franz Marc beschreibt, genau wie viele andere, die ihre Erlebnisse zu Papier brachten, die Faszination, mit der man die beinahe als sportliches Schaustück und Spektakel erlebten Luftkämpfe wahrnahm.38 Aufzeichnungen, Dokumenten, Tagebüchern und Gesprächen, Stuttgart: Cotta 1922, S. 128. 36. Christine Brocks: Die bunte Welt des Krieges. Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg 1914−1918, Essen: Klartext 2008. Vgl. auch URL: http://www. flickr.com/photos/mrsfujita/3401408751/sizes/o/vom 20.5.2009. Man mag vermuten, dass die Nachwirkung seiner Heldenposen noch in den Selbstinszenierungen der SS-Offiziere Hitlerdeutschlands nachwirkt. 37. Vgl. dazu Gabriele Mentges: »Cold, Coldness, Coolness: Observacores sobre a Relacao entre Traje, Corpo e Tecnologia«, in: Fashion Theory: A Revista da Moda, Corpo e Cultura. Edicao brasileira 1 (2002), S. 27-49, bes. S. 30. 38. Franz Marc: Briefe aus dem Feld, Berlin: Rembrandt-Verl. 1940, S. 22: »Sonntag, 25. X. 14. […] Das Beschießen der Flieger mit unseren Steilfeuergeschützen ist sehr interessant und aufregend; einen regelrechten Kampf von Flugzeug gegen Flugzeug hab ich noch nicht erlebt. Die deutschen drücken den
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Nicht uniform Durch aktive Beteiligung an den Kampfhandlungen Ruhm zu erwerben, war auch das Ziel des Dichters Ringelnatz, der in seinem Tagebuch immer wieder sein Bemühen beschreibt, eine Versetzung an die Front zu erreichen.39 Da der Einsatz unmittelbar »am Feind« besonders ehrenvoll war, bemühten sich aktive Frontoffiziere auch in der Etappe oder auf Heimaturlaub ihr Heldentum zu inszenieren, indem sie die von den Spuren des Grabenalltags und der Kämpfe gezeichneten Uniformen trugen. 40 Die gezielte Verweigerung des ansonsten in Offizierskreisen gepflegten »Casinochiques« wurde zum bewusst eingesetzten Merkmal sozialer Distinktion. Zumal in der späteren Kriegsliteratur der 1920er und 1930er Jahre wurde mit der allgemeinen Verbreitung der »Dolchstoßlegende«, der zufolge der Krieg nur wegen des Versagens von Politik und Hinterland verloren worden sei, die gepflegte Erscheinung der Etappenoffiziere besonders von rechtskonservativen Autoren zum Gegenbild der wettergegerbten Grabenkämpfer stilisiert. Als bewusst inszenierter vestimentärer Ausdruck einer inneren Haltung erscheint die mit Stolz getragene, verblichene und verwitterte Uniform des »Frontschweins« gleichsam als das cool-lässige Gegenbild des schneidigen Aufzugs der Generalstabsoffiziere, dem man in der Etappe nacheiferte. Deren Aufrechterhaltung der vor dem Krieg gültigen Konventionen des gesellschaftlichen Miteinanders stilisierte die Kriegsliteratur zum Gegenbild der »Frontkämpfer«, für die alle einst gültigen Regeln im Hagel der Granaten ihre Gültigkeit verloren hatten. Dass der Krieg alle Regeln der Bekleidung, des Anstandes und der Hygiene außer Kraft gesetzt hatte, dokumentieren auch all die Fotos und Beschreibungen der kriegsüblichen Bedürfnisanstalten. Sowohl die Kriegsliteratur als auch unzählige Fotos inszenieren den so genannten »Donnerbalken« und die Frontlatrine für ein bürgerliches Publikum, dem – will man dem Dichter Hans Fallada glauben – vor dem Krieg noch das Wort »Beine« als für die gepflegte Konversation unpassend und anstößig erschienen war. 41
feindlichen Flieger noch von seiner Bahn ab und suchen ihn in die Batteriebereiche zu drängen.« Ebd. S. 75, erwähnt Marc am »25. V. 15. (…) die Fliegerkämpfe, (deren wir jetzt täglich Zeugen sind).« 39. J. Ringelnatz: Als Marine im Krieg, S. 63, 220. 40. Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Ein Kriegstagebuch (Deutsche Hausbücherei Hamburg, 18. Jahresreihe, Bd. 6), Hamburg: Deutsche Hausbücherei [1930], S. 283. 41. Hans Fallada: Damals bei uns daheim: Erlebtes, Erfahrenes und Erfundenes, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1965, S. 136.
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Abbildung 4: Leopold Biermann und seine Abteilung, 1915. Archiv des Verfassers. Den inszenierten Konventionsbruch kommunizierten auch Fotos von Frontsoldaten, deren Haltung und Aufzug nicht mehr den Forderungen der strengen Kasernenhofdisziplin zu genügen vermochten. Dass an der Front andere Regeln galten als in der Etappe oder gar auf dem Kasernenhof, gehört zum festen Motivrepertoire der literarischen Kriegsdarstellung. Visuellen Ausdruck findet die Vorstellung vom rauen Frontalltag in den Fotos schlecht rasierter Soldaten, die in »Rührt Euch«-Haltung in heruntergekommenen und verschmutzten Uniformen posieren. In Tausenden von Fotoalben begegnet die mit Stolz getragene verlotterte Uniform als Sinnbild der unter den Bedingungen der vordersten Linie sinnlos gewordenen Vorstellungen von einem angemessenen äußeren Aufzug. Als beinahe beliebiges Beispiel sei hier ein Foto der dem Unteroffizier (und Maler) Leopold Biermann zugeordneten Schützen gezeigt, das dieser mit der Aufschrift »Nette Gesellschaft, was?« versehen nach Hause gesandt hatte (s. Abb. 4). Von Uniformität kann mit Blick auf den von Mann zu Mann höchst verschiedenen Aufzug kaum mehr die Rede sein, der nurmehr bei genauem Hinsehen den gemeinsamen Truppenteil offenbart. So bemerkenswert wie bezeichnend an diesem für derartige Aufnahmen typischen Foto ist auch das zur Schau gestellte Rauchen, denn Zigarette, Zigarre oder Pfeife sind ein durchgängig begegnendes Motiv cool-lässiger Inszenierung.
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Rauchen Otto Dix zeigt sich 1917 auf einer Zeichnung Zigarette rauchend, die Zähne fest zusammengebissen. 42 André Mare gibt seinem Selbstbildnis als Soldat beinahe attributiv die Pfeife bei, mit der Picasso den als »Guillaume de Kostrowitzky« bezeichneten Artilleristen abbildet, seinen Freund Guillaume Apollinaire. 43 Die Arme verschränkt, raucht August Macke, augenscheinlich von den Ereignissen des Frontalltages innerlich distanziert, auf einem 1914 entstandenen Foto ein Pfeifchen, wie es in malerischer Verfremdung auch Fernand Léger 1916 auf seinem »soldat à la pipe« zeigt. 44 Das Rauchen war schon mit Beginn des Krieges auf allen Seiten der Front zum festen Attribut des Soldaten geworden und zu einem auch literarisch stilisierten Sinnbild soldatischer »Coolness«. Im Kontext der unzähligen überlieferten Bild- und Textzeugnisse, die mit dem Motiv des Rauchens spielen, scheint auch die locker im Mundwinkel hängende Zigarette auf Ernst Ludwig Kirchners berühmtem Selbstporträt als Soldat aus dem Jahr 1915 jenem Gestus lässig-distanzierter Kälte verpflichtet, der schon die fotografischen Selbstbildnisse prägte. 45 Dass die soldatische Lässigkeit sich den Daheimgebliebenen als Sittenverfall darstellte, erweist nichts deutlicher als das ostentativ zur Schau gestellte Rauchen in der Öffentlichkeit. Zumal in Anwesenheit von Damen verbot sich das Rauchen, das sich auch im Kasernenalltag nicht überall geziemte. Im Dienst wurde selbstverständlich nicht geraucht und auch außerhalb der Dienstzeit galt ein strenges Reglement: »Raucht der Soldat, so nimmt er, solange der Vorgesetzte mit ihm spricht, die Pfeife oder Zigarre aus dem Munde.« 46 Zigarre, Zigarette oder Pfeife weder im Dienst 42. D. Schmidt: Otto Dix im Selbstbildnis, S. 42ff., Abb. 22. 43. Vgl. URL http://www.art-ww1.com/d/texte/008text.html und URL http://www.art-ww1.com/d/texte/003text.html vom 20.5.2009. 44. Für eine Abbildung des Fotos von August Macke vgl. URL: http:// www.medienwerkstatt-online.de/lws_wissen/vorlagen/showcard.php?id= 689 vom 20.5.2009. Zu Fernand Léger vgl. Volkmar Essers: Einblicke. Das 20. Jahrhundert in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Kunstsammlung NRW 2000, S. 550-553. 45. Zu Kirchners Selbstbildnis vgl. ausführlich Peter Springer: Hand und Kopf: Ernst Ludwig Kirchners Selbstbildnis als Soldat, Delmenhorst: Aschenbeck 2004. Tatsächlich wird gerade durch dieses Motiv der Ausdruck des Bildes »des verletzlichen und verletzten Individuums, das offenbar angesichts der Schrecken des Krieges die Selbstzerstörung einer Epoche und Kultur an sich selber vorwegnimmt«, noch einmal gesteigert. 46. Transfeldts Dienstunterricht, S. 50.
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noch während des Gespräches aus dem Mund zu nehmen, verstieß gegen den im Frieden gültigen Comment und konnte – zumal im Gefecht – zum Sinnbild des lässig Coolen werden. Ein literarischer Beleg dafür findet sich in Ernst Jüngers Roman »In Stahlgewittern«: »Am nächsten Morgen griff der Engländer nach kurzer Artillerievorbereitung mit fünfzig Mann den Abschnitt der Nachbarkompanie an […] Unsere Leute empfingen sie indessen so meisterlich, daß nur ein einziger in den Graben gelangte. […] Den Draht zu überspringen, gelang nur einem Leutnant und einem Sergeanten. Der Leutnant wurde, obwohl er unter der Uniform einen Panzer trug, erledigt, da ihm eine von Reinhardt auf nächste Entfernung entgegengesandte Pistolenkugel eine ganze Panzerplatte in den Leib jagte. Dem Sergeanten wurden durch Handgranatensplitter beide Beine fast abgerissen, trotzdem behielt er mit stoischer Ruhe seine kurze Pfeife bis zum Tode zwischen den zusammengebissenen Zähnen. Auch hier hatten wir wieder wie überall, wo wir Engländern begegneten, den erfreulichen Eindruck kühner Männlichkeit.« 47
Abbildung 5: Otto Dix, „So sah ich als Soldat aus“, Zeichnung, 1924. Aus: Diether Schmidt: Otto Dix im Selbstbildnis, Berlin 1981, Abb. 59. Dieses in zahlreichen Auflagen und Bearbeitungen erschienene Buch Ernst Jüngers basierte auf den Fronterlebnissen des Autors vom Januar 1915 bis zum August 1918. Die literarische Inszenierung besteht dabei vor allem in einem lakonisch dargebotenen Nacherzählen, das ohne übergreifende 47. E. Jünger: In Stahlgewittern, S. 143f.
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Gedankengänge dargeboten wird. Grundlage des Textes waren die noch im Verlauf des Krieges stark überarbeiteten Tagebücher, die stilistisch auf Unmittelbarkeit und Einfachheit gestimmt sind. Bei allem Patriotismus schien die Schilderung Ernst Jüngers von einer Sachlichkeit geprägt, die als Erzählhaltung auch in den beiden meistgelesenen Antikriegsbüchern jener Tage begegnet, in Ludwig Renns Roman »Krieg« und in Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues«. Der Bataillonskommandeur und Stabsoffizier Arnold Friedrich Vieth von Golßenau, der sich hinter dem Pseudonym Ludwig Renn verbarg, schildert den Krieg aus der Perspektive eines einfachen Gefreiten, wobei nicht zuletzt die vermeintliche Identität des realen mit dem epischen Erzähler dem Buch dokumentarischen Charakter verleiht. Renn zählt kühl konstruierend und genau registrierend Ereignisse auf, ohne sie zu kommentieren. Das bescherte Renns Buch nicht nur auf Seiten der pazifistischen Linken zahlreiche begeisterte Leser, sondern auch unter den Rechten. »Unsere Soldaten müssen davon wissen, was die feldgrauen Vorfahren geleistet haben, darum gebe man ihnen dieses Buch«, lobte die »Reichswehr-Fachschule« und in der nationalistischen Zeitschrift »Deutsche Wehr« wurde Ludwig Renn in einem Atemzug mit Ernst Jünger als treuem Augenzeugen der schweren Zeit gehuldigt. 48 Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, dass ein dem Militär zugeneigter Bellizist wie Ernst Jünger und ein »militanter Pazifist« wie Remarque sich der gleichen literarischen Stilmittel bedienten, doch tatsächlich führt die von beiden Autoren aus unterschiedlichen Gründen gepflegte Sachlichkeit zu einer staunenswerten Nähe im Detail. 49 Dass Remarque die Werke Jüngers gleichsam als vorbildlich empfand, dokumentiert eine Rezension, die Remarque im Sommer des Jahres 1928 für die Zeitschrift »Sport im Bild« verfasste. Dort heißt es über zwei Bücher Jüngers, »In Stahlgewittern« und den später mit guten Gründen nie wieder aufgelegten Band »Das Wäldchen 125«, diese Werke seien »von einer wohltuenden Sachlichkeit, präzise, ernst, stark und gewaltig, sich immer weiter steigernd, bis in ihnen wirklich das harte Antlitz des Krieges, das Grauen der Materialschlacht und die ungeheure, alles überwindende Kraft der Vitalität und des Herzens Aus-
48. Klaus Hammer: »›Einmal die Wahrheit über den Krieg schreiben‹. Ludwig Renns Krieg im Urteil der Zeitgenossen«, in: Thomas F. Schneider (Hg.): Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des »modernen« Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film, Osnabrück: Universitätsverlag Rasch 1999, S. 283-290, hier: S. 288. 49. Vgl. hierzu Wojciech Kunicki: »Erich Maria Remarque und Ernst Jünger. Ein unüberbrückbarer Gegensatz?«, in: ebd., S. 291-308, bes. den Textvergleich S. 301-303.
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druck gewinnen.«50 Genau darum bemühten sich auch Autoren von AntiKriegsbüchern, wie beispielsweise Remarque selbst oder Ludwig Renn. Die Übereinstimmungen beschränken sich dabei nicht auf die Erzählhaltung einer distanzierenden Sachlichkeit, sie bezieht sich auf einzelne gleichsam symbolisch konnotierte Motive, wie die kameradschaftlich geteilte (letzte) Zigarette oder den im Dunkel einer feuchtkalten Nacht mattschimmernden Stahlhelm.51
Stahlhelm Schon im Verlauf des Krieges war auf deutscher Seite der 1916 eingeführte Stahlhelm zum Symbol stilisiert worden.52 Der neue Helm bedeutete nicht nur einen praktischen Schutz vor Granatsplittern und feindlichen Kugeln, er sprach – will man Zeitzeugenberichten glauben − auch ästhetische und magische Bedürfnisse an, indem ihm eine Schutzfunktion zugeschrieben wurde, die über den tatsächlichen Nutzen weit hinausreichte.53 Nicht ohne Grund bildet deshalb »Transfeldts Dienstunterricht« neben der markigen Behauptung, dass der Angriff von jeher die Hauptkampfweise der Deutschen gewesen sei, das Bild eines deutschen Soldaten »in Sturmausrüstung mit Stahlhelm« ab.54 Der neue Helm wurde zum Sinnbild für den »heroischen Deutschen, der an nicht mehr zu verheimlichenden Schwierigkeiten wächst«.55 In diesem Sinne setzte ihn Fritz Erler auf einem 1917 produzierten Werbeplakat für die sechste Kriegsanleihe des deutschen Reiches ein, das zu den am häufigsten reproduzierten seiner Art wurde.56 Ent50. Ebd. 51. Zur Stilisierung der nach dem Krieg sich zunehmend herausbildenden Idee der »Kameradschaft« im Motiv der geteilten (letzten) Zigarette vgl. Thomas Kühne: Kameradschaft: Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2006, S. 48f. 52. Zu dieser Ikone und ihrer Fortschreibung bis in die 1930er Jahre siehe Detlef Hoffmann: »Der Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun. Fritz Erlers Plakat zur sechsten Kriegsanleihe 1917«, in: Berthold Hinz u.a. (Hg.): Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus, Gießen: Anabas-Verlag 1979, S. 101-114. 53. Gerhard Hirschfeld: Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen: Klartext 1993, S. 68. 54. Transfeldts Dienstunterricht, S. 145. 55. D. Hoffmann: Der Mann mit dem Stahlhelm, S. 105. 56. Christian Koch: Bildpropaganda für die deutschen Kriegsanleihen im 1. Weltkrieg, München: Grin 2006, S. 31.
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sprechend der Bedeutung des Stahlhelm-Motivs als Sinnbild soldatischer Tugend, von Sieges- und Durchhaltewillen wurde der Stahlhelm auch zum zentralen Motiv der Schutzumschläge der ersten Buchpublikationen Ernst Jüngers, die den Krieg zum Gegenstand haben. Der Schutzumschlag des Bandes »Feuer und Blut« (1925) zeigt ein Foto, das den in imaginäre Fernen gerichteten Blick des Soldaten auf Erlers Kriegsanleihe-Plakat aufgreift, während der Umschlag des Bändchens »Der Kampf als inneres Erlebnis« (1926) das nämliche Motiv stilisierend variiert, angereichert um Blitze, die auf den schützenden Helm niedergehen. Der Stahlhelm wurde nicht zuletzt durch die mediale Omnipräsenz zum Sinnbild deutschen Soldatentums. Als die beiden Frontkämpfer Franz Seldte und Theodor Duesterberg am 25. Dezember 1918 in Magdeburg eine Interessenvertretung der Frontheimkehrer ins Leben riefen, nannten sie diesen »Bund der Frontsoldaten« »Stahlhelm«.57 In Adolf Hitlers 1925 publiziertem Buch »Mein Kampf« steht der Stahlhelm für die Kriegserinnerung schlechthin: »Mögen Jahrtausende vergehen, so wird man nie von Heldentum reden und sagen dürfen, ohne des deutschen Heeres des Weltkrieges zu gedenken. Dann wird aus dem Schleier der Vergangenheit heraus die eiserne Front des grauen Stahlhelms sichtbar werden, nicht wankend und nicht weichend, ein Mahnmal der Unsterblichkeit.«58 Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg, der in seinem 1930 erschienenen »Mythus des 20. Jahrhunderts« eine bizarre »Metaphysik« der »Rasse« entwarf, verstieg sich gar zu der Behauptung, man werde nach Wiedererringung der Lehren Meister Eckhardts erleben, dass der mittelalterliche Mystiker und »der feldgraue Held unterm Stahlhelm ein und derselbe sind«.59 Vermittelt durch derartige Äußerungen, vor allem aber durch die mediale Darstellung der von 57. »Bis zum Sommer 1919 hatte er nur regionale Bedeutung. Um den Stahlhelm auf ganz Deutschland auszudehnen, gründete eine Frontsoldatenversammlung in Magdeburg am 20./21. September 1919 die offizielle Reichsorganisation des Bundes.« Christoph Hübner, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http:// www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44618 vom 20.5.2009. 58. Adolf Hitler: Mein Kampf, München: Eher 1933, S. 182. 59. Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München: Hoheneichen-Verlag 1937 (Erstaufl age 1930), hier zitiert nach Werner Ritter, in: Kunst im Dritten Reich 3, 7 (Juli 1939), S. 357. Dieses Motiv kann man bereits kurz nach Kriegsende in einem Aufsatz des Malers Fritz Erler antreffen, jenes Künstlers, der im Jahr 1916 das erfolgreichste und einflussreichste deutsche Kriegsplakat geschaffen hatte (s.o.). Rückblickend sah Erler den deutschen Soldaten verstrickt in einem Konflikt mythischen Ausmaßes, aus dem, einer nordischen Götterdämmerung gleich, er dann als moderner Sturmtruppler, als »Mann mit dem
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der Reichsregierung beauftragten Niederschlagung der Revolution in den Anfangsjahren der Weimarer Republik wurde der Stahlhelm in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zum reaktionären Symbol und zu einer Ikone der »Konterrevolution«. Doch auch für die politische Opposition dieser rechtskonservativen Strömungen blieb der Stahlhelm ein verbindliches Symbol für Grabenkrieg und Fronteinsatz. Ein Beispiel dafür liefert eine 1924 entstandene Selbstdarstellung von Otto Dix, die er mit spitzer Feder auf den Vorsatz der Mappe mit den zweiten Probedrucken seines radierten Zyklus »Der Krieg« gezeichnet hatte (s. Abb. 5).60 Das Maschinengewehr im Arm, Handgranaten am Gürtel, in einer verschlissenen Uniform, die Zigarette im Mundwinkel, verkörpert er – nicht ohne Selbstironie – den martialisch forschen Soldaten, der auch in der literarischen Aufarbeitung des Kriegserlebnisses seine Spuren hinterlassen hat.61 Die Interdependenz zwischen literarischen Zeugnissen und visuellen Chiff ren ließ Zigarette und Stahlhelm zu Sinnbildern soldatischer Selbstbehauptung im Sinne von Lässigkeit und Kälte als Vorform moderner Coolness werden. Gerade die lange Nachwirkung dieses Motivs vermag dabei auch noch einmal die internationale und bis heute wirkende Gültigkeit der hier vor allem an deutschen Beispielen illustrierten Sprache der Coolness zu verdeutlichen. Der rauchende Stahlhelmträger blieb nämlich, was die google-Bildersuche leicht erweist, ein in der medialen Inszenierung von Kriegsereignissen bis heute lebendiges Image.
Stahlhelm vor Verdun«, reinkarniert wurde. Fritz Erler hier zitiert nach Fritz von Ostini: Fritz Erler, Bielefeld u.a.: Velhagen und Klasing 1921, S. 134. 60. D. Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, S. 91ff., Abb. 59. Otto Conzelmann: Der andere Dix. Sein Bild vom Menschen und vom Krieg, Stuttgart: KlettCotta 1983, S. 145f. 61. Vgl. Matti Münch: Verdun. Mythos und Alltag einer Schlacht, München: m-press 2006, S. 219f.
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Nach der Coolness Lob der Kälte – Lob des Gar tens : Ber tolt Brechts Erneuerung der Literatur Franck Hofmann
»Von der Erde voller kaltem Wind Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind. Fast ein jeder hat die Welt geliebt Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.«1
Coolness – was kommt nach dem Humanismus? Den Coolen erkennen wir von weitem: Abgeklärt, entschieden, kontrolliert scheint er und stets auf der Höhe der Zeit zu sein. Keine Frage, was cool ist, meinen wir zu wissen. Der Begriff hat Karriere gemacht – aus dem Jugendjargon ist er in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Doch mit dieser Konjunktur war die Bindung von Coolness an eine zentrale Dimension der historisch-ästhetischen Anthropologie der ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts verloren gegangen: an das Lob der Kälte. Dieses Kältelob war wesentlich vielschichtiger als es die alltagskulturellen Codes der Coolness, ihrerseits nur noch Schrumpfformen kalten Verhaltens, vermuten lassen. Auf eine Temperierung der Emotionen ist die Kälte nicht zu reduzieren, sie geht auch nicht in Distanzbildung auf, durch die der heutige Coole in seinem kalkulierten und kalkulierenden Rollenverhalten insbesondere auf Abstand geht zu einer Sphäre des Natürlichen, die ihm als scheinbar 1. Bertolt Brecht: »Von der Freundlichkeit der Welt«, in: ders., Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band, Frankfurt a.M. 1981, S. 205.
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voraussetzungslos und unmittelbar gegeben scheint. Auch in dieser kulturalistischen Einstellung begegnen sich der coole und der kalte Charakter. Doch wo ersterer in Opposition zur gesellschaftlichen Sphäre gebildet wird, die als medioker erscheint, wurde der zweite gerade aus ihr heraus entwickelt. Allerdings scheinen auch Konzepte der Abkühlung als einer ästhetischen Verhaltensweise, mit der den Herausforderungen des Menschen durch moderne Urbanität angemessen zu begegnen wäre, heute nur noch von antiquarischem Interesse – nichts als ein Stück Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, in der die kalte persona Konjunktur hatte.2 Begegnen wir ihr heute, wirkt sie – in angenehmer Weise – unzeitgemäß. Sollte die als Verhaltensnorm generalisierte »Coolness« alles sein, was von ihr übrig bleibt? Neben diesem globalisierten Code scheint im Zeichen einer neuen Qualität des Urbanen auch ein anderer grundsätzlich städtischer Habitus Konjunktur zu haben, der in seiner Ausbildung dem Lob der Kälte verbunden ist: Ein Lob des Gartens ist allgegenwärtig und der Gärtner, eine prominente Figur in der Typologie der Moderne, gerät wieder zum Modell einer den Herausforderungen der Gegenwart angemessenen Verhaltenslehre. Seinen Garten zu bestellen, ist längst mehr als eine saisonale Modeerscheinung, wie eine ausufernde Ratgeber-Literatur anzeigt. Gärten sind nicht nur prominenter Gegenstand von Design und Künsten; die Landschaftskunst, in der die Welt z.B. als ein jardin planétaire beschreiben wird, gewinnt einen neuen Stellenwert. So kann als Indiz für diese Verschiebung im Gefüge der Künste gelten, dass sie 2008 erstmals Teil der ArchitekturBiennale in Venedig war und seit einigen Jahren zu einem prominenten Gegenstand der Geisteswissenschaften geworden ist, mit einer eindrucksvollen Theorieproduktion.3 In all diesen Entwürfen ist von Empfindsamkeit, die die Naturemphase im 18. und frühen 19. Jahrhundert bestimmte, kaum mehr eine Spur und auch als Residuum unmittelbarer Empfindung in einer umfassenden Theoretisierung der Lebensverhältnisse taugt die hier aufgerufene Natur nicht – wie schon bei den künstlerischen Avantgarden der Moderne kaum mehr, auch wenn romantische Naturanrufung bisweilen deren Naturbezüge noch grundierte.
2. Vgl. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994. 3. Hier ist nicht der Ort eines Forschungsberichts. Aus einer Vielzahl möglicher Arbeiten möchte ich nur zwei herausgreifen: Augustin Berque (Hg.): Mouvance, Cinquante mots pour le paysage, Paris: Editions de la Villette 1999; ders.(Hg.): Mouvance II, Paris: Editions de la Villette 2006. Die Konzeption des Weltgartens geht zurück auf Gilles Clement: Le jardin planétaire, Paris: Albin Michel 1999.
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Nach der Coolness. Lob der Kälte – Lob des Gar tens
In einem »landschaftlichen Denken«, das Lebensform und Haltung zur Welt ebenso ist wie ein Prozess der Erkenntnis, scheinen die Charakteristika des Lobs der Kälte aufgehoben. 4 Die hier behauptete Konstellation ist nicht neu, sondern in der historischen Ausbildung von Strategien der Abkühlung selbst begründet: Die kalte Stadt, auf die diese reagieren, steht zur Sphäre der Natur nicht in einer einfachen Opposition. Kälte- und Gartenlob sind in ihrer umfassenden Konzeptionalisierung – darin über Spielarten im Verismus der neuen Sachlichkeit hinausweisend – eine Dimension der Frage nach dem Menschlichen jenseits des Essentialismus, die als Reaktion auf den Bruch des humanistischen Menschenbildes in der technischen Modernisierung Europas – nicht nur als Antwort auf den Ersten Weltkrieg – gestellt worden war. Die antiken Vorbildkulturen, in denen ein humanistisches, in der Mediterranée zentriertes Menschenbild begründet war, wie es etwa in Jägers »Paideia« studiert werden kann, hatten spätestens mit dem Ersten Weltkrieg, recht eigentlich aber schon um 1900, ihre normative Kraft für die Selbstreflexion des modernen Städtebewohners eingebüßt. Im Spiegel der Antiken erkennt sich dieser nicht mehr ungebrochen wieder und nicht zuletzt in den Künsten und Literaturen selbst wird dieser Bruch, nicht zuletzt als Sprachkrise wahrgenommen, verhandelt. Reagieren die einen, konservativ optierende Vertreter einer literarischen Neuklassik auf den Niedergang des philosophischen Idealismus mit einer Metaphysik der Kunst, die so zu einem Residuum einer unter Druck geratenen Wertebindung gerät, plädieren andere in ihren Antworten auch auf solche neuhumanistischen Bemühungen für eine radikale Kritik des idealistischen Erbes. Ein nachgerade auf essentialistische Konzeptionen und empfindsam gestimmte Wahrnehmungen von Natur bezogenes Lob der Kälte ist eine der prominentesten Spielarten dieser Anstrengung. Dieses geht nicht in einer Apologie des coolen Charakters auf, sondern führt in Konstellation mit einem Lob des Gartens zu Verhaltensstrategien des Gärtners, die denen der kalten persona zur Seite gestellt werden können: Jüngers »Arbeiter« steht Borchardts »Leidenschaftlicher Gärtner« gegenüber und auch Brecht – um das Spektrum der politischen Antipoden hier exemplarisch zu markieren – arbeitet nicht nur am Typus des »Boxers« und des »Städtebewohners« sondern bereits in den 1920er und 1930er Jahren an der neuen Physiognomie eines landschaftlichen Menschen. Gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tritt die Diskussion des humanistischen Erbes Europas, forciert etwa durch die französischen »Cahiers du Sud«, in eine neue Phase ein, in der die bereits in der Zwischenkriegszeit begründete, heute erst zum Tragen kommende Aktualität der Landschaft als einer theoretischen Kategorie 4. Der Begriff des landschaftlichen Denkens ist hier geborgt von Augustin Berque: La pensée paysagère, Paris: archibooks 2008.
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der Beschreibung eines zeitgenössischen Menschenbildes weiter entfaltet wird. In ihr ist die mediterrane Welt und das in ihr vor Augen tretende antike Erbe nicht mehr der einzige Fluchtpunkt: Wurde doch das in retrograder Perspektive in den Blick genommene Mittelmeerbecken als geistiger Orientierungsraum – wie es Borchardt noch ins Zentrum stellen konnte – bereits etwa von Brecht durch eine Verschiebung auf die atlantische Welt ersetzt und mit Blick auf die Städte Nordamerikas gestaltet: »Wir sind gesessen ein leichtes Geschlecht In Häusern, die für unzerstörbar galten (So haben wir gebaut die langen Gehäuse des Eilands Manhattan Und die dünnen Antennen, die das Atlantische Meer unterhalten).«5
In »Vom armen B.B.« überschriebenen Versen fi ndet sich diese Landschaftsbeschreibung, die als die Szene eines kalten Menschen gelesen werden kann, der in der Fülle der Mediterranée nicht mehr beheimatet ist. Beiläufig ist sie gezeichnet, in Klammern gesetzt, und frei von jeder emphatischen Aufladung des Naturerlebnisses. Vielmehr begegnet uns das atlantische Meer als der Sprach- und Handlungsraum eines abwesenden Menschen, der in der Natur, die hier nicht zu Gehör gebracht wird, keine Gewissheit mehr findet. Mit den »großen Gebäude(n) der Stadt New York« bilde sich, so Brechts Diagnose an anderer Stelle, ein »neuer Typus Mensch« heraus. Ein Mensch, der, auch wenn er nicht so sei, wie der alte ihn sich gedacht habe, doch stets »wie ein Mensch« aussehen werde.6 Seine Physiognomie wird gerade in Landschaftsbeschreibungen gezeichnet, die das Lob der Kälte zur Voraussetzung haben und die dem urbanen Menschen anempfohlenen Verhaltensweisen der Kälte in solche des Gärtners überführen. Erst aus der seismographisch registrierten Wirklichkeit der großen Städte heraus erfolgt ein Rückbezug auf mythologische Stoffe, die in der Gestalt ihrer (neu-)klassischen Überlieferung als Leitbilder nicht mehr dienen können. In diese Konstellation von urbaner Wirklichkeit und kulturellem Erbe zielt Brechts literarische Arbeit, mitten in einem durch sie noch forcierten Bruch des humanistischen Menschenbildes angesetzt, jedoch auf weit mehr als auf eine Erneuerung der Sprache. Ihr Gegenstand ist ein, dieser konstitutiv verbundenes, neues Bild des Menschen.
5. Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hg. v. Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei und Klaus Detlef Müller, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988, Bd. 11, S. 120. 6. Ebd., Bd. 21, S. 208.
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Die Kälte der Stadt als Schule des Menschen Der Horizont ist skizziert, in dem die Frage nach Charakteristik und Aktualität von Coolness gestellt werden soll. Versuche, ihre Tradition als eine Geschichte kühlen Verhaltens zu beschreiben, finden in Bertolt Brecht sicher einen ihrer prominentesten Gewährsmänner. Wie bei kaum einem zweiten Autor ist die hier skizzierte Konstellation zu studieren: In den Gedichtsammlungen »Lesebuch für Städtebewohner« (1930) und »Hauspostille« ebenso wie in dem bereits 1923 in einer ersten Fassung fertiggestellten Drama »Im Dickicht der Städte« (1927) erscheint Kälte zunächst als eine Chiffre für eine spezifisch urbane Wirklichkeit, der mit angemessenen Strategien zu antworten sei, um lebensfähig zu bleiben.7 Das Lob der Kälte ist in diesen Texten Teil der Diagnose eines urbanen Zeitalters, der Forderung nach diesem angemessenen Verhaltensweisen und auch der Begründung von Brechts eigener Autorschaft, die der expressionistischen Überhitzung des sprachlichen Ausdrucks ebenso gegenläufig ist wie jeder Form eines empfindsamen Sentimentalismus in den neuromantischen und symbolistischen Strömungen um 1900. Pointiert formuliert Brecht diese Perspektive mit Blick auf Berlin, November 1921, in den Tagebüchern: »Es ist eine graue Stadt, eine gute Stadt, ich trolle mich so durch. Da ist Kälte, friß sie! Esse mittags bei Warschauer, abends Wurstbrot. Mache Balladen. Bin allein.«8
Ein cooler Charakter, wie ihn der inflationär gesetzte Begriff heute bezeichnet, sieht anders aus. Doch alles, was das Lob der Kälte ausmacht ist hier in nuce formuliert – gerade in der Lakonie und Verknappung dieser Zeilen. Die Aufforderung, Kälte zu fressen, kann als eine poetologische Abbreviatur gelesen werden, der Brecht selbst in seinem Schreiben folgt. Pointiert gesprochen: Nicht Brechts Protagonisten sind zunächst coole Charaktere, sondern die Welt, in der sie leben, wird als eine kalte beschrieben. Neben der Kälte stehen als Elemente urbanen Lebens im »Dickicht der Städte« das Chaos – der Sprachverwirrung etwa und einer nicht möglichen Ver7. Hans-Thies Lehmann: »Das Subjekt der Hauspostille. Eine neue Lektüre des Gedichts Vom armen B. B.«, in: Brecht-Jahrbuch 1980, hg. v. Reinhold Grimm und Jost Hermand, Frankfurt a.M. 1981; ders. und Helmut Lethen (Hg.): Bertolt Brechts »Hauspostille«. Text und kollektives Lesen, Stuttgart 1978. Susanne Winnacker: »Provisorien über Brechts Dickicht«, in: Das Brecht-Jahrbuch, Madison 1993, S. 59-71. 8. Bertolt Brecht: Tagebücher 1920-1922. Autobiographische Aufzeichnungen 1920-1954, hg. v. Herta Ramthun, Frankfurt a.M. 1978, S. 174.
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ständigung – und das Nichts. Das Chaos sei aufgebraucht, bemerkt Garga am Ende seiner Erziehung zum Städtebewohner. Auf dem Weg von Chicago nach New York kommentiert er lakonisch: »Es war die beste Zeit.«9 Doch New York ist nicht weniger kalt, der Winter die einzige Jahreszeit des urbanen Lebens: »Frühjahr, Sommer und Herbst – wie ich euch sagte, sind den Städten ein Nichts, aber der Winter ist merkbar.«10 Das Nichts steht in den Städten – wie hier in den Versen von »Über den Winter« – neben der kalten Jahreszeit. Kälte verweist auf den Tod, auf wenig anderes sonst und auf die Notwendigkeit, am Leben zu bleiben. Auch Garga hat im Kampf mit Shlink, der in seiner Herausforderung auf dessen Vernichtung und Freundschaft zugleich zielt, seine Lektion gelernt. Zog es ihn bei der Eröffnung des Kampfes zweier Männer ins Warme, nach Tahiti, trägt er nun sein »rohes Fleisch in die Eisregen« hinaus. 11 Sein Gesicht ist am Ausgang des »Dickichts«, da er den Sieg über Shlink davon trägt, verwandelt. Hatte der Provinzler zu Beginn noch seine Erinnerung an die Landschaften der Kindheit als Bild vor sich, das in seinem Antlitz zu lesen war, ist am Ende des Kampfes diese Erinnerung ebenso aufgebraucht wie das Chaos und das Nichts, in dem die familiären Bindungen des Städters aufgelöst sind. Es bleiben: Gargas Gesicht – ein durchsichtiger Bernstein, in dem Tierleichen eingeschlossen sind –, das den Tod des feindlichen Freunds ankündigende »Geheul der Lyncher«12 , die bald nach diesem Gespräch die Szene eines Eisenbahner-Zelts in der Peripherie der großen Stadt betreten, um mit Shlink ein Ende zu machen, und eine Stille, in der eine von Brecht anvisierte neue Sprache als Gespräch zwischen den beiden in einem Kampf verbundenen Männer zu studieren ist: »Das immerwährende Geräusch Chicagos hat aufgehört. Siebenmal drei Tage sind die Himmel verblaßt, und die Luft ist graublau geworden wie Grog. Jetzt ist die Stille da, die nichts verbirgt.«13
– So eröffnet Shlink die Szene, in der Garga, dessen Antlitz keine charakteristischen Züge mehr zu erkennen gibt, die Maximen seines neuen Lebens ausstellt: »[…] Ich werde schwimmen, Gras zerstampfen, jagen, rauchen vor allem. Getränke trinken wie kochendes Metall. Ich werde mich ins Leben mengen, ge9. B. Brecht: Werke, Bd. 1, S. 497. 10. Ebd., Bd. 3, S. 389. 11. Ebd., Bd. 1, S. 494. 12. Ebd., S. 480. 13. Ebd., S. 490.
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rettet sein. – Was für Dummheiten! Worte, auf einem Planeten, der nicht in der Mitte ist! Wenn sie längst Kalk über sich haben, durch die natürliche Ausscheidung des Veralteten, werde ich wählen, was mich unterhält.«14
Brecht, der hier aus Adolf Christians Übertragung von Rimbauds »Une saison en enfer« zitiert 15, entwirft mit Garga einen Typus des Städtebewohners, dessen kaltes Verhalten jedoch zugleich mit einem Vitalismus verbunden ist, den er in frühen Stücken wie »Baal« bereits aufgerufen hatte. Es ist ein Vitalismus, der gleichsam durch eine Schule der Abkühlung hindurchgegangen ist, befreit von expressivem Pathos und Lebendigkeitsemphase. Die hier in Anschlag gebrachten Strategien zur Reaktivierung der Sinne sind auf Rimbauds Forderung nach einer umfassenden Ausschweifung bezogen, die darauf zielt, in der Erziehung zur Autorschaft die Seele ungeheuerlich zu machen, und in der, wie in Brechts Dichtung, dem Visuellen eine besondere Bedeutung zukommt.16 Wie werden diese der kalten Wirklichkeit angemessenen Verhaltensweisen, von einem solchen gegenwärtigen Genuss ausgehend, weiter konkretisiert? Insbesondere durch eine Auszeichnung des Vergessens: »Denn wovon lebt der Mensch?«, lässt Brecht im Refrain des zweiten Dreigroschenfinales fragen und gibt zur Antwort: »Indem er stündlich Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt. Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.«17
Die Forderung dieser Verse, die nach den Bedingungen menschlicher Existenz fragen, kann keineswegs auf eine sozialkritische Intervention reduziert werden, in der Vergessen als eine Form von Enthumanisierung erscheint: Vielmehr ist das Vergessen – bereits im »Dickicht der Städte« eine der prominentesten Strategien der Arbeit an einem neuen Menschen – dem Lob der Kälte und der Auszeichnung des Gartens durchaus verbunden: Gargas Schwester Mae ist am Ende des Kampfes im Dickicht sogar »aus der Erinnerung verschollen, sie hat kein Gesicht mehr. Es ist ihr abgefallen, wie 14. Ebd., S. 492f. 15. Vgl. ebd., S. 605f. 16. Zu Rimbaud und Brecht vgl v. Verf.: »Literatur des Vergessens. Brechts Strategien für Städtebewohner und die Kritik der Erinnerung«, in: Mémoire et progrès dans la littérature et l‘histoire des idées allemandes au début du XXième siècle, Germanica 33 (2003), hg. v. Fabrice Malkani, Lille: Université Charles-de-Gaulle 2003. 17. B. Brecht: Werke, Bd. 11, S. 144.
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ein gelbes Blatt.«18 In den vier Zeilen des Dreigroschenfinales werden verschiedene Begriffe des Menschen aufgerufen: Mit der Frage danach, wovon der Mensch lebe, ist auch die Frage gestellt: Was ist, wer ist der Mensch? Eine idealistische Perspektive wird in der ersten Antwort umgekehrt. Der Mensch, der hier in Rede steht, ist nicht gut und wird durch einen vitalen Elan gekennzeichnet. In dieser Umkehrung wird der hier befragte Mensch nicht zuletzt von den Forderungen einer in Werten begründeten Ethik des Verhaltens entlastet. Auf Ebene des geistigen Entwurfs wird ein Vergessen des idealistischen Menschenbildes propagiert. Dieses Vergessen, und darauf verweist das »doch«, wird allerdings selbst als eine Aufgabe der Literatur realisiert, die nach dem Leben des Menschen fragt. Deren Sprache kommt sachlich daher und verzichtet auf jegliche normative Wertbegründung oder Idealisierung. Nur in dieser Dimension, so scheint es, ist der Mensch doch Mensch – als Effekt seiner erneuerten Sprache, die genau dieses Paradox zu fassen in der Lage ist, dass ein Absehen vom Menschen die Voraussetzung für einen Fortbestand des Menschlichen ist. Die Überlebensstrategien des Städtebewohners, der durch die Schule der Kälte hindurchgegangen ist, hat mit dem, was mit dem Begriff der Coolness bezeichnet wird, wenig gemein: Gegenwärtiger Vitalismus und Auszeichnung des Vergessens sind ihre Grundlagen. Nicht Abgeklärtheit, Gefühlsarmut und kalkuliertes Auftreten, denen das eigene Image über alles geht und zu dessen Stabilisierung insbesondere auf Distanzbildung gesetzt wird. Das, was als kaltes Verhalten charakterisiert werden kann, ist die Summe von Strategien zur Reaktivierung der Sinne und der Suche nach einer angemessenen, in der Wirklichkeit der Städte und der Natur selbst angelegten Sprache, die Teil hat an Brechts Entwurf eines sachlichen Menschenbildes. »Bidis Ansicht über die großen Städte« schließt mit einer Empfehlung: »5 Also auch ist Schon vergangen die Große Stadt Was auch an ihr frißt Es wird nicht mehr satt. 6 Sie steht nicht mehr lang da Der Mond wird älter. Du, der sie sah Betrachte sie kälter.«19 18. Ebd., Bd. 1, S. 489. 19. B. Brecht: Gedichte, S. 129.
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Diese Kälte eines registrierenden Blicks, der ein zentrales Element eines kühlen Menschen ist, wird in »Ein pessimistischer Mensch« deutlich und um weitere Merkmale ergänzt: »Ein pessimistischer Mensch Ist duldsam. Er weiß die feine Courtoisie auf der Zunge zergehen zu lassen Wenn ein Mann eine Frau nicht totgeprügelt Und die Aufopferung einer Frau, die ihrem Geliebten Kaffee kocht Mit weißen Beinen unter dem Hemd Rührt ihn. Die Gewissensbisse eines Mannes, der seinen Freund Verkauft hat Erschüttern ihn, der die Kälte der Welt kennt Und wie weise es ist Laut und selbstbewußt zu reden In der Nacht.«20
Neben einer Auszeichnung erkennender Wahrnehmung werden Duldsamkeit, Rührbarkeit und Klugheit hier als Verhaltensweisen eines Menschen angeführt, der die Dinge realistisch einzuschätzen weiß, der die »Kälte der Welt« kennt. Diese Merkmale sind verbunden mit der Absage an feste Überzeugungen und wertbegründete Haltungen zugunsten einer bestimmten Wendigkeit – die Destabilisierung Gargas im »Dickicht« beginnt damit, dass ihm seine Überzeugungen abgekauft werden sollen, die zu leisten er sich noch in der Lage glaubt – und der Aufforderung, seine Spuren zu verwischen, wie es im ebenso berühmten wie enigmatischen Eröffnungsgedicht des »Lesebuchs« empfohlen wird, um nicht fassbar zu sein.21 Dem steht in derselben Sammlung ein Plädoyer für das Mittlere zur Seite: »Ich esse vorsichtig; ich lebe Langsam; ich bin Für das Mittlere.«22
Durch den Zeilenumbruch, also auf Ebene der lyrischen Form, wird das Mittlere hier als neue conditio humana eingeführt. In dieser gewinnt schließlich die Dimension der Handlung in Verbindung mit der Sprache 20. Ebd., S. 117. 21. Ebd., S. 267f. 22. Ebd., S. 271.
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eine besondere Bedeutung. So wird 1926 die Vergänglichkeit der Stadt unter der Überschrift »Behauptung« hervorgehoben und zugleich mit einer Dimension der Tätigkeit verbunden. Diese kann so neben das Schreiben, das Sprechen und die Lektüre gesetzt werden, die in den Anweisungen zum Gebrauch der »Hauspostille« durch den Leser unterstrichen sind: »DIE STÄDTE, DIE WIR DA BAUEN Dauern nicht lange Wenn mit dem bauen aufgehört Wird Fallen sie ein Wir sind nur für diesen Abend«23
Tätigkeit – hier des Bauens – ist auch im »Dickicht« ein bestimmendes Element. Kann doch – Paul Ricœur folgend – neben Interaktion, Kooperation und Wettbewerb auch der Kampf, dessen Zeugen der Leser in Brechts Drama wird, eine Form der Handlung sein.24 Auch indem in der Literatur Brechts diese Dimension betont wird, ist der Akzent auf ein Vorverständnis der Welt des Handelns gesetzt, in deren Präfiguration die Fabelkomposition – Ricœurs Modell der dreifachen Mimesis entsprechend – verwurzelt ist. In der Anstrengung, zu einer neuen Form des Erzählens zu gelangen, wird zum einen Literarizität der Welt als Handlungszusammenhang, zum anderen ein Bezug zum Mythos aufgewertet, der im Wortsinn der aristotelischen Poetik als eine »Zusammensetzung der Handlungen« verstanden werden kann. Dieser wird herausgearbeitet in einer Aufmerksamkeit für archaische Muster in der Verfassung des urbanen Lebens und für epische Traditionen in den literarischen Formen ihrer Beschreibung ebenso wie in der Arbeit an einer neuen Verbindung von Natur und Kultur in der Ordnung der großen Städte selbst. In ihr ruft Brecht ein mythisches Gedächtnis der Dauer auf, das einer Auszeichnung des Vergessens gegenläufig ist und den Städtebewohner an Dimensionen der Natur bindet, die Brecht in seine urbanen Szenerien integriert: »Von den Wäldern nehme ich das Schweigen mit. Aber von den Wiesen die Aufwärtsbewegung und die Gelassenheit von den Äckern, die unter der Sichel wachsen für die Novembernächte.«25 23. B. Brecht: Werke, Bd. 13, S. 336. 24. Paul Ricoeur: Zeit und Erzählung, München 2007, S. 104. 25. B. Brecht: Werke, Bd. 11, S. 29.
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Nicht zuletzt solche Landschaften, in denen der durch die Schule der Abkühlung gegangene Mensch sich erkennt, tragen dazu bei, eine neue Epik der großen Städte zu konstituieren. Sie wird zu einer neuen Dichtung der Landschaft führen, in die deren hier kursorisch versammelten Elemente überführt werden. Wie die Städte im Kontext der Naturelemente in ihrer Vergänglichkeit und Dauer registriert werden – der Wind frisst etwa an ihnen und ist das einzige, was von ihnen bleiben wird – werden diese Landschaften, die auf die Städte folgen wie sie ihnen vorausgingen, konstituiert durch die den Städtebewohner als kalte persona bildenden Verhaltens- und Sprachformen. Der coole Mensch, könnte man pointieren, ist der, dem es gelingt, im Durchgang durch die Kälte der Welt zu einer neuen Auffassung von Landschaft zu gelangen und sich in dieser zu erkennen. Brecht zeichnet seine Physiognomie und verleiht ihr nicht zuletzt auch seine eigenen Züge.
Eine Allegor ie des Menschlichen – Brecht beim Fotografen Rudolf Schlichters Porträt von 1926 präsentiert Brecht als eine Ikone der neuen Sachlichkeit – seine Intensität erhält es durch den Blick, der den Betrachter in einer spezifischen Aufmerksamkeit zu fi xieren scheint und einer auf den Porträtierten verweisenden Handgeste – die auf den Autor deutet oder auf die Lederjacke, in der er sich vorstellt.26 Das den Bildraum nahezu vollständig ausfüllende Künstlerporträt, das Brecht als Nachdenklichen gibt, zeigt den Körper in einer Fabrikszenerie, in der Stahl und Metall bestimmend sind – durch die Farbakzente, Lichtreflexe und Linienführung auf die Lederjacke bezogen. Doch sollte die Arbeit Schlichters nicht nur vor dem Hintergrund der Charaktere gelesen werden, die Brecht in seiner Großstadtliteratur entwirft – in »Vom armen B.B.« und seiner Selbstinszenierung als paradigmatische Figur nicht zuletzt –, sondern in Verbindung mit Hinweisen auf seine eigene Autorschaft. In seinem Journal berichtet Brecht 1921 über die Entstehung des »Dickichts« in Augsburg: »Ich arbeite jetzt auf ganz kleinen, dünnen Papierblättchen, im Gehen in der Allee; keine Zeile im geschlossenen Raum. Es ist gutes Wetter, ich gehe stundenlang zwischen niederklatschenden Kastanien. Dabei gehe ich ganz lässig vor, indem ich mich nicht zu früh festlege.«27
26. Vgl. Götz Adriani (Hg.): Rudolf Schlichter. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen 1997. 27. B. Brecht: Tagebücher, S. 147.
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Abbildung 1: Rudolf Schlichter, Bildnis Bert Brecht, 1926, Öl auf Leinwand, 75 x 46 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München. Aus: Staatliche Kunsthalle Berlin (Hg.), Rudolf Schlichter 1890-1955, Berlin 1984, S. 91 Der Hintergrund, den Schlichter keine fünf Jahre später für sein Künstlerporträt wählt, ist ein anderer als in Brechts Selbstbeschreibung als Autor des »Dickichts« – auch wenn die Verbindung des Habitus’ der Lässigkeit mit der Weigerung sich im Schreiben festzulegen durchaus auf die Verhaltensweisen verweist, die im Stück als Teil der Überlebensstrategien in den großen Städten propagiert werden. Der Autor begegnet in diesen Zeilen, anders als bei Schlichter, der ihn als Inkarnat einer urbanen Szenerie entwirft, als ein Spaziergänger auf dem Stadtwall im beschaulichen Augsburg. Die Karriere, die Schlichters Gemälde gemacht hat, ist nicht zu trennen von der Karriere, die Brechts Großstadtliteratur verzeichnet, mit der es sich in der Affinität zu einem neusachlichen Verismus zu treffen scheint. Doch des Künstlers Arbeit zu erfassen, gelingt dem Porträt nur teilweise. Und als Künstlerporträt verfehlt es eine zentrale Dimension von Brechts Großstadtliteratur: den Umgang mit Bildern. »Wer seine Unterschrift nicht gegeben hat, wer kein Bild hinterließ« heißt es im »Lesebuch«
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zur selben Zeit, als auch Schlichters Gemälde entstand, »wie soll der zu fassen sein! Verwisch die Spuren!«28 Schlichters Gemälde steht auch in Kontrast zu einer Serie fotografischer Porträtstudien Brechts (Abb. 2), die ein Jahr später als das Gemälde, 1927, im Augsburger Atelier Konrad Reßlers entstehen, im Jahr des Erscheinens von »Im Dickicht der Städte« und der »Hauspostille«.29
Abbildung 2: Konrad Reßler: Bertolt Brecht, Fotografien 1927, Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum. Aus: Michael Koetzle (Hg.), Bertolt Brecht beim Photographen – Photographien von Konrad Reßler, München 1998, Abbildungen XVII, XXXI und VI Wenn Schlichter das Porträt eines Künstlers fertigt, zielen Brechts Selbstinszenierungen vor der Kamera Reßlers darauf – ähnlich zu der Weise, in der er auch mit seinem Namen als literarischer Figur in der Dichtung arbeitet –, die eigene Physiognomie als Typus des neuen Städtebewohners zu inszenieren, in den das Künstlerporträt eingeht. Die Aufnahmen der Fotoserie bezeugen gerade keine Authentizität mehr, die Schlichters Porträt suggeriert, sondern verwischen die Spuren bewusst, indem sie ein Bild des Dichters verweigern. Auch wenn, oder gerade weil, der spielerische Aspekt dieser Inszenierungen des jungen Autors beim Fotografen offensichtlich ist, sind die Aufnahmen doch mehr als Nebenprodukte einer künstlerischen Produktion. Brecht sucht vielmehr nach den seinem philosophischen Programm entsprechenden Gesten und Ausdrucksweisen, die ihn als Vertreter eines spezifischen Habitus ausweisen sollen, der durch die Kälte der Städte hindurch gegangen, in ihr zu leben in der Lage ist. 28. B. Brecht: Gedichte, S. 267f. 29. Vgl. hierzu: Michael Koetzle (Hg.): Bertolt Brecht beim Fotografen. Porträtstudien von Konrad Reßler, Berlin 1989.
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Mit Schreib- und Rauchzeug versehen, die den Dargestellten in der Tradition berufsständischer Porträts in seiner Tätigkeit kenntlich werden lassen sollen: der Arbeit an der Sprache, die mit gegenwärtigem Genuss, Teil der Strategien zur Reaktivierung der Sinne ist. Das wichtigste Utensil der Porträts, neben ostentativ präsentiertem Schreib- und Rauchzeug, ist jedoch der Ledermantel. Nicht als ein Mittel der Distanzbildung zu lesen, steht er vielmehr pars pro toto für die die kalte persona charakterisierenden Eigenschaften. Wie die Kleidung in traditionellen Porträts über den sozialen Rang der dargestellten Personen Auskunft gibt, ist auch Brechts Ledermantel ein Indiz für dessen Stellung in der Welt – wie an anderer Stelle die Schuhe, die das Schicksal des Migranten ebenso bündeln wie sie auf eine spezifische Art des In-der-Welt-seins weisen können und den Ledermantel der frühen Jahre ablösen werden. Dass Brecht die Haltungen, die er durch sein literarisches Personal entwickelt, dem er hier seine Physiognomie leiht, wie seinen Namen in »Vom armen B. B.«, nicht zuletzt auch auf sich selbst bezogen wissen will, macht 1921 eine kleine Notiz deutlich, die seinen Berichten über die Arbeit am »Dickicht« verbunden ist: »Gewiß, ich kann kalt sein und zynisch gegen das Verwandte. Ich ziehe vieles in den Staub, und wie fordere ich viel! Aber mitunter werde ich nur traurig, nicht zornig, noch rachsüchtig, noch verächtlich. Heute ist ein Mädchen, das mich vor Jahren liebte, unhöflich gewesen. Sie wolle fotografieren und ließ mich warten. Mir sind ihre Gefühle gleichgültig, aber die Unhöflichkeit stimmte mich traurig, als läge etwas daran!«30
Wieder wird hier Kälte – auf emotionale Indifferenz gründend – als Verhaltensstrategie eingeführt in einer Weise, die mit den Codes der Coolness wenig gemein zu haben scheint. Insistiert der Autor doch zugleich auf Höfl ichkeit – auch wenn er eine emotionale Aufwallung, Traurigkeit, bedauert, als sentimentalen Rest abtut, der nicht mehr von Bedeutung ist. Was hier auf Brechts eigenes Verhalten bezogen ist, wird von ihm in seinen Texten ausbuchstabiert. Ganz wie in diesen Fotografien, in denen von Aufnahme zu Aufnahme verfolgt werden kann, wie er sich als paradigmatische Figur zu inszenieren bemüht ist, das Persönlich-Biographische zugunsten des Typologischen abstreifend. Anders als das Gemälde Schlichters gibt diese Serie von Fotografien kein reines Künstlerporträt mehr, sondern zielt darauf, einen neuen Typus Mensch zur Darstellung zu bringen. Wie Brechts Literatur ist auch diese Fotoserie in Form und Ausdruck extrem versachlicht: Dekortapeten, wie sie die Atelierfotografie der Zeit bestimmen, sind zugunsten eines neutralen hellen oder dunkel 30. B. Brecht: Tagebücher, S. 164.
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abgeschatteten Hintergrunds gestrichen. In diesem reduzierten Rahmen ist die Bedeutung des Blicks von besonderer Relevanz. Brecht, wie er sich hier als ein Versonnener oder Betrachtender präsentiert, gerät selbst zu einer Allegorie, die er sich in seinen Texten nicht mehr gestattet: zu einer Allegorie des Menschlichen.
Nach der Kälte – die Verhaltenslehre des Gär tners Die aus der Anamnese einer kalten Wirklichkeit der großen Städte abgeleiteten Verhaltensweisen, die nicht nur literarisch und fotografisch zur Darstellung gebracht werden, sondern konstitutiv mit der Arbeit an einer neuen Sprache verbunden sind, gehen nicht in der Charakteristik einer kalten persona auf. Das Lob der Kälte als einem spezifischen Verhalten gegenüber der Realität ist nichts als eine Durchgangsstation zu einer Verhaltenslehre des tätigen Gärtners. Die bestimmenden Elemente dieses Lobs des Gartens sind solche, die bereits in Brechts Lob der Kälte identifiziert werden konnten, das ja gerade nicht in einer einfachen Entgegensetzung von Stadt und Natur, sondern in deren neuartiger Verschränkung begründet ist, die eine Erneuerung des Mythos als versachlichte Landschaftssprache ermöglicht.
Abbildung 3: Bertolt Brecht. Suhrkamp Verlag, Bildarchiv, Frankfurt. Aus: Birgit Lahann/Ute Mahler, Auf Bertolt Brechts Spuren, Hamburg 1999, S. 47
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Abbildung 4: Bertolt Brecht, Oktober 1946. Bildbestand Berlau im Bertolt-Brecht-Archiv, Berlin. Aus: Grischa Meyer, Ruth Berlau – Fotografin an Brechts Seite, München 2003, S. 123 Doch mit dem jungen Brecht der Fotoserie Reßlers scheint der Autor, der sich in Buckow als aufmerksam wahrnehmender Gärtner inszeniert, nur noch wenig gemein zu haben: Aus dem Städtebewohner ist ein anderer Cicero geworden, in der ländlichen Abgeschiedenheit fern der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Das Lob der Kälte bildet die Grundlage des Buckower Gartenlobs, das gerade aufgrund dieser stets implizit gehaltenen Verbindung in keiner Weise eskapistisch ist, sondern gerade in Fortsetzung der frühen Literatur unter veränderten Bedingungen hochpolitisch. Die spätere Aufmerksamkeit für den Garten ist bereits Bestandteil jener in der Erneuerung der Literatur angestrebten Änderung des Menschen im Zeitalter der großen Städte. Sie wurde etwa in »Diese babylonische Verwirrung« gefordert von einer Generation Nachgeborener, der dieses, und mit ihm eine dem Urbanen angemessene Kälte, nur noch eine Sage aus ferner Zeit ist. »Diese babylonische Verwirrung der Wörter Kommt daher, weil sie die Sprache Von Untergehenden sind. Daß wir sie nicht mehr verstehen Das kommt daher, daß es Nichts mehr nützt, sie zu verstehen. Was nützt es den Toten
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Zu erzählen, wie man besser Gelebt hätte. Bewege doch nicht Den Erkalteten dazu Die Welt zu erkennen. Streite nicht Mit dem, hinter dem Schon die Gärtner warten Gedulde dich lieber.«31
Der Erkaltete ist hier in der Doppelbedeutung der Tote, aber eben auch der auf die Kälte der Welt angemessen reagierende Mensch. Einer Anamnese der kalten Wirklichkeit steht im weiteren Verlauf der Verse das Ideal des dolce vita – des guten Lebens – entgegen, verbunden mit den Modi der Erzählung, das durch die Siebenzahl an die religiösen Schichten des Mythos gebunden wird, dem Streben nach Welterkenntnis und der Duldsamkeit. Wie der Erkaltete hier in einer Doppelbedeutung aufgerufen ist, scheint auch der Gärtner nicht nur als Grabpfleger zu lesen zu sein, sondern eben als Typus, der auf den Erkalteten nachfolgt, wenn dieser mit den Städten untergegangen sein wird. Die bei Brecht zu studierende Konstellation von Lob der Kälte und Lob des Gartens, die bereits in seiner Großstadtliteratur der zwanziger Jahre zu neuen Landschaftsbeschreibungen führt, wird insbesondere in der späteren Lyrik, etwa den »Buckower Elegien« entwickelt.32 Erst vor deren Hintergrund, und nicht nur als zeitpolitischer Kommentar etwa mit »Der Radwechsel«, gewinnen sie ihre volle Bedeutung. In den Elegien, denen die Themen der Großstadtliteratur implizit eingezogen sind, findet sich auch ein Rückblick formuliert auf die Wahrnehmung der Landschaft, wie sie in den Texten der zwanziger Jahre studiert werden kann: »Tannen« sind Verse überschrieben, in denen Brecht auf das programmatische »Vom armen B. B.« in seiner »Hauspostille« zurückverweist, in denen er sich als ein Mensch inszeniert, der die Kälte der Wälder mit in die Asphaltstadt trägt, um sich in dieser zu behaupten. Werden die Tannen dort einer urbanen Szenerie verbunden, Teil der Städte, von denen nicht mehr bleiben werde als der Wind, sind sie in den Elegien, da das eigene Leben nicht mehr als exemplarisch in mythologischen Zeitläufen, sondern auf einen Tagesablauf reduziert in den Blick genommen wird, zu Statthaltern eines neuen Bezugs zur Landschaft des Menschen: 31. B. Brecht: Gedichte, S. 149. 32. Sebastian Kleinschmidt (Hg.): Das Angesicht der Erde – Brechts Ästhetik der Natur, Berlin 2008. Peter Bödeker: »Das Ende der Naturlyrik? Brechts Gedichte über das Verhältnis von Natur und Gesellschaft«, in: Norbert Mecklenburg (Hg.): Naturlyrik und Gesellschaft, Stuttgart 1977.
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»In der Frühe Sind die Tannen kupfern. So sah ich sie Vor einem halben Jahrhundert Vor zwei Weltkriegen Mit jungen Augen.«33
Dem Anbruch des Tages antwortet das Alter des Lebens, der Präsenz des morgendlichen Naturbildes die Erinnerung an einen Modus der Wahrnehmung und der Verweis auf eine politische Wirklichkeit, der in dessen Evokation eingeschlossen ist. Aus dieser Spannung von Bild und Wahrnehmungsprozess, von Tagesablauf, Lebenszeit und historischen Prozessen ergibt sich eine extrem versachlichte Auffassung der Natur als Landschaft, der jede Spur von Romantik ausgetrieben worden ist. So ist sie auf ein einzelnes Wort reduziert: Eine Tanne ist eine Tanne und verweist auf nichts sonst. Der hier aufmerksam Wahrnehmende in der Morgenstunde und am Abend seines Lebens – es seien die Augen, notiert Brecht 1954 an anderer Stelle, die das erste »untrügliche Zeichen des Alters« gäben, einfach durch das Gefühl, dass sie nicht mehr jung seien – wird, in einer anderen Elegie als Gärtner gezeichnet, der auf die Bestände des Gartens wie die der Kunst bezogen ist.34 »DAS GEWÄCHSHAUS Erschöpft vom Wässern der Obstbäume Betrat ich neulich das kleine aufgelassene Gewächshaus Wo im Schatten der brüchigen Leinwand Die Überreste der seltenen Blumen liegen. Noch steht aus Holz, Tuch und Blechgitter Die Apparatur, noch hält der Bindfaden Die bleichen verdursteten Stengel hoch Vergangener Tage Sorgfalt Ist noch sichtbar, mancher Handgriff. Am Zeltdach Schwankt der Schatten der billigen Immergrüne Die vom Regen lebend nicht der Kunst bedürfen. Wie immer die schönen Empfindlichen Sind nicht mehr.«35
33. B. Brecht: Gedichte, S. 1012. 34. B. Brecht: Tagebücher, S. 238. 35. B. Brecht: Gedichte, S. 1023.
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Zentrale Elemente, die das Lob der Kälte ausmachen, sind auch in diesen Versen zu finden, in denen der eng umschriebene Raum des Gewächshauses an die Stelle der Stadt tritt, der Fruchtgarten an die der Wälder. Empfindlichkeit hat in beiden keine Chance – Tätigkeit und Aufmerksamkeit sind ebenso zu konstatieren wie drohendes Vergessen und eine spezifische Konstellation von Natur und Kultur. Der für die sinnlichen Dimensionen seines Körpers – in Gestalt der Erschöpfung, nicht der Vitalität– aufmerksame Gärtner löst den Typus des Städtebewohners ab. In den »Buckower Elegien« arbeitet Brecht an seiner Sprache, wie er in den zwanziger Jahren, sich um eine Sprache bemühte, die dem Leben in den großen Städten angemessen sein sollte: Etwa in einer Liste, die »Vergnügungen« überschrieben ist, die allerdings in diesen beiläufig die Summe eines Lebens zieht: »Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen Das wiedergefundene alte Buch Begeisterte Gesichter Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten Die Zeitung Der Hund Die Dialektik Duschen, Schwimmen Alte Musik Bequeme Schuhe Begreifen Neue Musik Schreiben, Pfl anzen Reisen Singen Freundlich sein.«36
Von fern her klingt in diesen Versen, in sprachlich ungleich radikalerer Fassung, Brechts Gedicht »An die Nachgeborenen« an, in dem gefragt wird, was es für Zeiten sind, in denen »Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt […].«37 Der pessimistischen Diagnose jedoch, dass diejenigen, die »den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit«38 selbst freundlich nicht sein konnten, wird hier eine andere Wendung gegeben: Wahrnehmungs- und Körperbewusstsein, Begreifen, Schreiben und Pflanzen werden als Ver36. Ebd., S. 1022. 37. Ebd., S. 723. 38. Ebd., S. 725.
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haltensweisen anempfohlen, die in der Auszeichnung der Freundlichkeit – allen Widrigkeiten zum Trotz – ihre Summe finden. Wenn Brecht in den Versen »An die Nachgeborenen« eine Unduldsamkeit gegenüber der Natur als Merkmal des Lebens in den großen Städten konstatiert, wird hier nun ein Gespräch über Bäume in einer diesen angemessenen Sprache angesetzt, in dessen Zentrum die menschliche Aktivität steht. Durch diese wird, im Bündnis mit der Sprache, Natur in Landschaft verwandelt: Ihr Denkzeichen ist der – für die folgenden Zeilen titelgebende – Rauch: »Das kleine Haus unter Bäumen am See. Vom Dach steigt Rauch. Fehlt er Wie trostlos dann wären Haus, Bäume und See.«39
In der ersten Zeile sind die Elemente, die diese Landschaft konstituieren, noch räumlich situiert und charakterisiert. Klein ist das Haus, das wir am Ufer des Buckower Sees unter den Bäumen uns denken mögen.
Abbildung 5: Der Garten in Buckow. Aus: Brecht-Zentrum der DDR (Hg.), Bertolt Brecht und Helene Weigel in Buckow, Berlin 1977, o.S. Ein Detail wird eingeführt, das diese Szene erst lebendig macht: Rauch als Zeichen menschlicher Aktivitäten, die das Haus beleben. Wie die Radiowellen zwischen den dünnen Antennen, die in »Vom armen B. B.« das atlantische Meer unterhalten, ist der Rauch entscheidendes Element, das Natur zu Landschaft formt, indem er deren Gestaltetsein erinnert. Zugleich ist der Rauch ein instabiles Element, auf das nicht immer zu rechnen ist. Sein Fehlen gerät auf Ebene des Gedichts zu einem Ausfall der räumlichen Situierung: Unterhalb dieser Zeile werden Haus, Bäu39. Ebd., S. 1012.
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Nach der Coolness. Lob der Kälte – Lob des Gar tens
me, See als eine Aufzählung gegeben – dass sie so ortlos, trostlos wären, korrespondiert dem aufsteigenden Rauch, der dieser ländlichen Szenerie ihre Lebendigkeit verleiht. Das Lob des Gartens – hier ist es eine auf den Weltbezug des Menschen zielende Landschaftsbeschreibung, die geprägt ist durch eine Konstellation von Aufmerksamkeit und Tätigkeit, wie auch das Lob der Kälte von diesen bestimmt war. In die hier ausgesprochenen Verhaltensweisen des Gärtners ist eingegangen, was einst die kalte persona auszeichnete, in die sinnentleerten Schrumpfformen der Kälte jedoch nicht: Darin liegt ihre Aktualität für eine neue Intensität mondialer Urbanität begründet. – »Nach der Kälte« scheint für einen Städtebewohner, der ein »landschaftliches Denken« übt, folgende Maxime zu gelten: Den Gärtner, der durch die Kälte der Welt stets aufs Neue hindurchgeht, müssen wir uns als einen freundlichen Menschen denken.
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Raumkälte Architektur und Distanz in Anton Räderscheidts Por träts der 1920er Jahre Änne Söll
Braucht die Verkörperung von Coolness einen bestimmten Raum oder kann sie überall stattfinden? Bildet sich Coolness eher in einer feindlichen, »un-coolen« Umgebung aus? Oder braucht die coole Selbstdarstellung einen ebenso coolen Raum? Und wenn ja, wie ist dieser beschaffen? In welchem Verhältnis steht »Coolness« als eine – wie Tom Holert es in Anlehnung an Michel Foucaults Terminologie formuliert – »Technologie des Selbst« zu ihrer Umgebung?1 Mit diesen Fragen sollen im Folgenden keine konkreten Räume, sondern die gemalten Räume Anton Räderscheidts der 1920er Jahre untersucht werden. Dabei soll der Begriff der Coolness historisch als Kälte spezifiziert werden, ganz im Sinne der Thesen Helmuth Lethens. Vor allem Räderscheidts Sport-, Stadt- und Atelierräume bieten sich für eine Untersuchung an, weil sie regelrecht als eine visuelle »Verhaltenslehre der Kälte« verstanden werden können. Anton Räderscheidt galt spätestens seit seiner Teilnahme an der 1925 von Gustav Hartlaub organisierten Mannheimer Ausstellung mit dem Titel »Neue Sachlichkeit« als ein wichtiger Vertreter der auch damals schon umstrittenen neuen Stilrichtung. Unter dem Label »Neue Sachlichkeit« wurden die Tendenzen in der Malerei subsumiert, die als Gegenreaktion auf den Expressionismus eine Betonung 1. Tom Holert: »Cool«, in: Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 42-48.
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wirklichkeitsnaher Darstellung, eine alt-meisterliche Malweise und eine Hinwendung zu alltäglichen Themen aufwiesen.2 Räderscheidts so unterschiedliche künstlerische Vernetzung in Köln, die eine Zusammenarbeit mit der konstruktivistisch arbeitenden Kölner Künstlergruppe der »Kölner Progressiven« ebenso beinhaltete wie den Kontakt mit Max Ernsts Kölner Dada-Zirkel, wird für Räderscheidts Bildproduktion der 1920er Jahre zwar als grundlegend angesehen. Räderscheidts Werke der 1920er Jahre werden jedoch als »eigenständige« ästhetische Schöpfungen gewertet, die auf Grund ihrer strengen Formensprache, mannequinartigen Figuren, geschlossenen Farbflächen und feiner Oberflächenstrukturen mittlerweile zu den Ikonen der Neuen Sachlichkeit gehören. Dementsprechend sind Räderscheidts Werke in der kunsthistorischen Forschung als geometrisiert, kalt und entfremdend beschrieben worden.3 Sie stehen mit ihren isolierten Paaren oder puppenhaften Einzelfiguren für den Versuch, eine Ordnung zu etablieren, die jedoch keine endgültige Stabilität, geschweige denn Orientierung bietet. Betrachtet man Coolness als eine Verhaltensstrategie, die auf krisenhafte Situationen reagiert und in diesen auf eine Entemotionalisierung und damit auf eine souveräne Erscheinung und autonomes Verhalten setzt, dann bieten Räderscheidts Bilder einen Schatz an visuellen Konfigurationen, die besonders die Ambivalenz und die Widersprüche cooler oder genauer: kalter Inszenierungsstrategien aufscheinen lassen. Räderscheidts Bilder sind Versuchsanordnungen, in denen die »Verhaltenslehren der Kälte« – so der von Helmuth Lethen geprägte Begriff – wie auf einem Reißbrett visuell abgesteckt werden, und das auch im geschlechterpolitischen Sinne. Bei Räderscheidts Bildern haben wir es natürlich nicht, wie in den Beispielen Lethens, mit Schriften zu tun, die, direkt oder indirekt, ironische oder ernst gemeinte Anleitungen zum Überlebenskampf in einer modernisierten Nachkriegswelt geben. Diese Bilder haben 2. Dass das Schlagwort »Neue Sachlichkeit« nicht alle Aspekte der heterogenen Gruppe von Malern und Malerinnen ausdrückt, zeigen die alternativen Bezeichnungen wie z.B. »Magischer Realismus« und »Verismus« (auch »rechter« und »linker« Flügel genannt), die ebenfalls im Umlauf waren und die teilweise noch heute verwendet werden, um die Bildproduktion der Neuen Sachlichkeit zu differenzieren. Siehe dazu Uwe Fleckner: »Die Gefrorene Wirklichkeit der Neuen Sachlichkeit. Geschichte, Theorie und Bildsprache einer Kunst zwischen sozialer Kritik und ästhetischem Ideal«, in: ders./Dirk Luckow (Hg.), Das wahre Gesicht unserer Zeit. Bilder vom Menschen in der Zeichnung der Neuen Sachlichkeit, Ausst.-Kat. Kiel 2004, S. 12-25. 3. Vgl. z.B. Joachim Heusinger von Waldegg: »Zur Ikonographie der ›einsamen Paare‹ bei Anton Räderscheidt«, in: Pantheon 39, 1 (1979), S. 59-88.
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keinen wie auch immer geschaffenen Aufforderungs- oder Ratgebercharakter, sondern sind »strategisch angelegte Selbstinszenierungen«, deren »Ziel das Training eines funktionalen Ichs [ist].« 4 Räderscheidts Figuren befinden sich in einem Bildraum, der, wie Lethen für die Literatur der Neuen Sachlichkeit feststellt, »unter agonaler Spannung steht und mit Personen bevölkert ist, die ihn ohne Kompass passieren müssen und darum auf äußere Stimmen angewiesen sind. Und diese Stimmen raten: suche Distanz, betrachte Unterkünfte als Provisorien, trenne dich von deiner Kohorte, zerschneide die Familienbande, meide übertriebene Individualisierung, ziehe den Hut tief in die Stirn, und entferne dich von allen Wärmequellen.«5 Die Werke Räderscheidts der Neuen Sachlichkeit können in diesem Sinne als »cool« verstanden werden, da sie in der Definition von Dick Pountain und David Robins einen »emotionalen Stil« 6 verkörpern, der auf die Umwälzungen durch den Ersten Weltkrieg als grundsätzliche Erschütterung der bürgerlichen Werte des 19. Jahrhunderts mit Distanzierung, Skeptik und einem »klirrenden Schematismus«7 reagiert. Räderscheidts Menschenbilder sind auch deshalb »cool«, weil sie, um erneut Helmut Lethen zu zitieren, »den Menschen als Bewegungsmaschine, seine Gefühle als ›motorisches Gebaren‹ und die Charaktere als Masken« zeigen. 8 Diese Strategien fielen natürlich auch schon den Zeitgenossen Räderscheidts ins Auge. So schreibt Franz Roh in einem kurzen Aufsatz zu Räderscheidts Gemälde »Akt am Barren« (1925) im Kunstblatt von 1930: »Alles Organische geschweige Atmosphärische scheint längst erloschen. Nirgends Vegetation auf dieser Fläche, nirgends Bewegung im glasigen ›Himmelsstreifen‹. Metallische Verfestigung jeglicher Lebensregung. Letzte Menschen auf längst erkaltetem Gestirn, in absoluter Einsamkeit gegen sich selber und gegen ›jenen‹ Boden, der nie zur Tragfl äche wird. […] Das manches mit gewissem Schematismus erkauft ist, mag zugestanden werden, doch bleibt reizvoll, wie hier ›warmes Leben‹ mal gekältet, direkte Wirklichkeit restlos geometrisiert wurde.«9
4. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 36. 5. Ebd., S. 171. 6. Dick Pountain/David Robbins: Cool Rules. Anatomy of an Attitude, London: Reaktion Books 2000, S. 55. 7. H. Lethen: Verhaltenslehren, S. 10. 8. Ebd., S. 29. 9. Franz Roh: »Räderscheidt: ›Zwei Menschen‹«, in: Das Kunstblatt XIV (1930), S. 100-103, hier S. 103.
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Auch die heutige kunsthistorische Forschung ist sich einig, dass in Räderscheidts Räumen durch die Mischung unterschiedlicher Perspektiven, mit Hilfe von aneinander gefügten, monochromen Flächen und durch das diffuse Licht, das keine Schatten wirft, die vermeintliche »Wirklichkeitstreue« der Bilder untergraben und ein Gefühl der Distanz und »Unsicherheit« produziert wird.10 Dieses Unsicherheitsgefühl überträgt sich auf die dargestellten Paare und damit auf das Geschlechterverhältnis, das integrales Thema vieler Arbeiten Räderscheidts der 1920er Jahre ist. Gerade für Räderscheidts so genannte »Sportbilder« ist dieses Thema ausführlich diskutiert worden. 11 Es ist auf die Verdinglichung der Frau im Gegensatz zur »Panzerung« des Mannes, die Präsentation der Frau als Objekt für den Betrachter und die voyeuristische Passivität des Mannes hingewiesen worden.12 Die Sportbilder sind auch als Räderscheidts Kritik an der Pseudo-Emanzipation der Frau gedeutet worden, die laut Hans-Jürgen Maes durch Räderscheidts Schematisierung der Frauenkörper zu einem »sportlichen Ideal« auf die erneute Typisierung der Neuen Frau in den 1920er Jahren hinweisen soll.13 Auch der Fakt, dass es sich bei den Männern in den Bildern der 1920er Jahre um indirekte Selbstporträts und bei den Frauen um Räderscheidts Ehefrau Marta Hegemann handelt, die als Sport- und Kunstlehrerin ausgebildet wurde und wie er als freie Malerin tätig war, hat Eingang in die Interpretation der Bilder gefunden. Räderscheidts Bilder wurden dementsprechend als sein Teil eines ehelichen »Geschlechterkampfes« interpretiert.14 Das Augenmerk soll hier jedoch nicht primär dem Geschlechterverhältnis gelten, sondern den Orten des Sports und wie diese Orte in Räderscheidts abgekühlten Inszenierungen erscheinen. Bekanntlich stellt die Weimarer Republik den Zeitraum dar, in dem Sport und gerade auch der Frauensport zum Massenphänomen wurde. 15 Sport wurde zudem als Bewältigungsstra10. Z.B. Hans-Jürgen Maes: »Identitätsbeschaffung in einer totalitären Gesellschaft. Perspektive, Horizonte und Balance in den Sportbildern Anton Räderscheidts«, in: Werner Schäfke/Michael Euler-Schmidt (Hg.), Anton Räderscheidt, Köln 1993, S. 9-19, hier S. 10 und 14. 11. Ulrich Gerster: »›…und die hundertprozentige Frau‹ Anton Räderscheidt 1920-30«, in: kritische berichte 4 (1992), S. 42-62. und H.-J. Maes: Identitätsbeschaffung. 12. Vgl. U. Gerster:…und die hundertprozentige Frau. 13. H.-J. Maes: Identitätsbeschaffung, S. 13. 14. Silke Schultz: »Das Einsame Paar«, in: Marta Hegemann 1894-1970, Ausst.-Kat. Verborgenes Museum Berlin 1998, S. 26-32. 15. Gabriela Wesp: Frisch, Fromm, Fröhlich, Frau. Frauen und Sport zur Zeit der Weimarer Republik, Königstein: Helmer 1998.
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tegie und Ausgleich für die »Belastungen der Moderne« propagiert und zur Gesunderhaltung der arbeitenden Massen institutionalisiert. Zudem diente, so Jost Herrmann, der »Sport […] nicht nur der völkischen Gesundung oder der Regenerierung«, sondern wurde auch als Metapher für ein alternatives Geschlechtermodell gehandelt: »er, [der Sport] schaffe endlich ein neues, sachliches Verhältnis der Geschlechter zueinander«16 – so die weitverbreitete Rhetorik der Weimarer Republik. Strukturell verweisen Räderscheidts Sportbilder auf die stark normierende und rationalisierende Funktion des Sports: Die Linien und Geräte scheinen beide Protagonisten von Räderscheidt regelrecht einzuspannen, bzw. aufzuteilen und zu zerteilen. Dies gilt für beide Geschlechter; im Falle der Frau wird diese Technik jedoch auf die Spitze getrieben, und sie gerät in Kombination mit ihrer Nacktheit und ihrer Funktion als Schauobjekt dadurch noch stärker unter Spannung. Besonders eklatant wird dieses Verfahren in den Gemälden, in denen Räderscheidt die sportliche Performance in das Artisten- und Zirkusmilieu versetzt, wie zum Beispiel im Gemälde »Drahtseilakt« von 1929 (s. Abb. 1). Die sportliche Performance ist hier mit einem großen Risiko verbunden. Das Verlassen des Trapez’ oder des Seils bedeutet den Verlust der Stabilität mit potentiellem Sturz in den Abgrund. Dieser Effekt wird durch das Versetzen der Aktion in eine urbane Umgebung noch gesteigert, und die Stadt wird zum Ort des sportlichen Auftritts der Frau, der jedoch nicht mit Beifall sondern mit Risiko verbunden ist. Seien es der Tennisplatz oder die Hochhauskulisse – der Sport dient in Räderscheidts Darstellungen besonders gut zur Inszenierung von Kälte. Im Sport werden konkrete Körpertechniken reproduziert, die Körper gegen Anstrengung und Exzess immun machen sollen. Am Barren, auf dem Tennisplatz und am Trapez herrschen Regeln, die eingeübt werden, um Souveränität und Selbstbeherrschung im Angesicht des Überlebensund Geschlechterkampfes zu erproben. Räderscheidts Darstellungen verschreiben sich jedoch nicht der Glorifizierung dieses coolen Potentials des Sports. Vielmehr lässt Räderscheidt die Ambivalenzen der Sportstätten deutlich werden, indem er diese mit Hilfe von Reduktion und Schattenlosigkeit zu undefinierten »Nicht-Orten« werden lässt. Zusätzlich werden die Räume durch Rasterung und das Aneinanderfügen von Farbflächen so flach, dass seine Akteure praktisch aus ihnen »herausfallen« und dort keine Verankerung erfahren. Sport ist nicht nur, wie Hans Jürgen Maes meint, ein Requisit, sondern wird von Räderscheidt als Schauplatz des Geschlechterkampfes gewählt.17 Die Sportstätten werden mit den gleichen 16. Jost Hermand/Frank Trommler: Die Kultur der Weimarer Republik, Frankfurt a.M.: Fischer 1988 (1979), S. 80. 17. H.-J. Maes: Identitätsbeschaffung, S. 17.
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Mitteln wie alle anderen Orte (Stadt, Innenraum etc.) inszeniert und dadurch nicht als positive Alternative privilegiert. So sind diese Bilder eine klare Absage an die zur Zeit der Weimarer Republik in Mode kommende Idee der »Kameradschaftsehe«, die mit Hilfe von »sportlichen« Regeln und damit einer Versachlichung als eine Alternative zur traditionellen Ehe gehandelt wurde. 18 Die »coolen« Orte und Techniken des Sports und damit auch das Geschlechterverhältnis werden durch Räderscheidt somit nicht positiv besetzt, vielmehr stehen diese hier zur Disposition.
Abbildung 1: Anton Räderscheidt, Drahtseilakt, ca. 1929, Maße unbekannt, verschollen. Aus: Werner Schäf ke / Michael Euler-Schmidt (Hg.), Anton Räderscheidt, Köln 1993, S. 16
18. Birthe Kundrus: »Geschlechterkriege. Der erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik«, in: Karin Hagemann u.a. (Hg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnis im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M. 2002, S. 171-187, hier S. 177-180.
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Stadtraum und Kälte Der nächste Abschnitt ist nun der Darstellung der Strasse bzw. den öffentliche Plätzen gewidmet, die sich im Falle von Räderscheidt in ihrer Gestaltung auf die pittura metafisica Giorgio de Chiricos und Carlo Carras sowie auf die konstruktivistischen Konzepte der Kölner Progressiven beziehen. 19 Räderscheidt nutzt diese Kulisse für die Darstellung einzelner Männer ebenso wie für Paardarstellungen (s. Abb. 2).
Abbildung 2: Anton Räderscheidt, Begegnungen, 1921, Maße unbekannt, verschollen. Aus: Günter Herzog, Anton Räderscheidt, Köln 1991, S. 21 Entscheidend für alle diese Darstellungen der 1920er Jahre ist die in den Bildern eklatante Leere: Kein Grashalm, kein Gullideckel, kein Dreck, keine Plakate. Von angedeuteten Gardinen und der ein oder anderen Jalousie abgesehen herrscht hier beklemmende Leere. Es fehlt diesen Räumen alles, was Stadtszenen eigentlich auszeichnet: eine Fülle von Menschen, 19. Vgl. dazu J. Heusinger von Waldegg: Zur Ikonographie der »einsamen Paare«, S. 61.
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von Fahrzeugen; es fehlt an Bewegungen ganz allgemein. Die Stadtbilder Räderscheidts der 1920er Jahre stimmen also nicht in das damals allgemein übliche Lamento über die »Vermassung« der Gesellschaft mit ein, sondern beschwören die Isolation des Einzelnen oder der Paare, ohne die Masse aufrufen zu müssen. Diese Strategie kann in unserem Zusammenhang als Strategie der Kälte gewertet werden, legt doch die Inszenierung von Kälte – auch gemäß der Beobachtungen Georg Simmels zum Geistesleben in der Großstadt – wert auf Individualismus, der es anstrebt sich eben von der Masse abzuheben oder massenhafte Versatzstücke individualistisch zu deuten.20 In Räderscheidts Fall haben wir es jedoch nicht mit einer positiv besetzten Form von Individualismus, sondern mit einer Schematisierung des Einzelnen zu tun, und so führen hier unterkühlte Inszenierungsstrategien zu einer Abschirmung bis hin zur Isolation. Übrig bleibt die »unklärbar zwischen bezugsfertig und leer stehend« kulissenhafte Architektur, die sich in Räderscheidts Stadträumen »als Trakte, Blöcke und Komplexe wie neu-gebaute Ruinen« ins Bild, beziehungsweise ineinander schiebt (s. Abb. 3). 21
Abbildung 3: Anton Räderscheidt, Mann mit steifem Hut, 1922, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm, Museen der Stadt Köln. Aus: Günter Herzog, Anton Räderscheidt, Köln 1991, S. 23
Abbildung 3a: August Sander, Anton Räderscheidt, 1927, Rheinisches Bildarchiv. Aus: Günter Herzog, Anton Räderscheidt, Köln 1991, S. 25
20. Georg Simmel: »Die Großstädte und das Geistesleben« (1903), in: ders., Gesamtausgabe, Bd. 7, Frankfurt a.M. 1995, S. 116-131. 21. H.-J. Maes: Identitätsbeschaffung, S. 10.
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Vergleicht man die Architekturversatzstücke in Räderscheidts Gemälden mit dem Porträt Räderscheidts von August Sander (Abb. 3a), ist zu erkennen, dass wir es in den Stadtbildern Räderscheidts nicht mit bürgerlich-wilhelminischen Wohnhäusern zu tun haben, sondern mit von Ornamentik befreiten Mietskasernen.22 Diese Wohnblöcke bilden durch ihre Positionierung im Bild den einzigen Anhaltspunkt für Räumlichkeit und Tiefe. Im »Mann mit steifem Hut« wird dieser Effekt auf die Spitze getrieben. Das graue Raster der Architektur schiebt sich in Richtung des Mannes, er wird in das Raster eingepasst und vermessen. Im Vergleich von Fotografie und Gemälde erschließt sich der Unterschied zwischen dem Verhältnis von Figur und Architektur. In der Fotografie wirkt Räderscheidts dandyhafter, flaneurartiger Auftritt in formeller Garderobe mit Melone, Handschuhen, steifem Kragen und Mantel im Einklang mit den wilhelminischen Fassaden wie ein Rückgriff auf die traditionelle Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts, die im Jahre 1927 als »retro«, oder wenigstens als exzentrisch empfunden werden musste. Im Gemälde hingegen lässt der Hut den Kopf puppenhafter und die männlichen Figuren nicht individualistisch bzw. exzentrisch aussehen. Die Figur wirkt nicht nur wie aus einer vergangenen Welt, sondern insgesamt standardisiert und ent-individualisiert. Die Melone symbolisiert hier, wie Fred Miller Robinson ausführt, ein ambivalentes Verhältnis zur Moderne. Steht der Hut im 19. Jahrhundert noch für Leichtigkeit, Sportlichkeit, Fortschritt und den Triumph des Bürgertums, so fungierte er nach dem Ersten Weltkrieg mehr als eine Ikone und als Kostümierung. Der Hut ist immer noch ein Zeichen für »Modernität«, die aber nicht mehr ausschließlich positiv besetzt ist.23 So entsteht im Gemälde »Mann mit steifem Hut« eine Spannung zwischen »modernisierter« Architektur, d.h. standardisiertem Massenwohnungsbau, und standardisiertem bürgerlichen Outfit. Der durch die Architektur definierte gerasterte Raum wirkt mit dem »Mann mit steifen Hut« nicht nur zusammen. Die Architektur ist kein Hintergrund, sondern schiebt sich wortwörtlich an die Oberfläche des Bildes und ist konstruktiver Teil des Mannes. Kälte als Technologie des Selbst findet hier also ihre kongeniale Umgebung, die Ästhetik der Architektur wird zum Partner, wenn nicht zum dominanten Partner der männlichen Selbstinszenierung. Die Architektur ist auch in Räderscheidts anderen Bildern der 1920er 22. Die Assoziation von Räderscheidts Bildbauten mit den Gebäuden des
italienischen Architekten Guiseppe Terragni (z.B. des Casio del Fascio geplant als Palazzo Communale in Como) liegt zwar auf einer ästhetischen Ebene nahe, diese Gebäude können Räderscheidt jedoch nicht als Vorbild gedient haben, da sie erst nach den Bildern Räderscheidts entstanden sind. 23. Fred Miller Robinson: The Man in the Bowler Hat. His History and Iconography, Chapell Hill: University of North Carolina Press 1993, S. 89f.
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Jahre immer mehr als nur Kulisse. Durch die unterschiedlichen Blickrichtungen, die steife Körperhaltung und durch ihre undefinierbare Stellung im Raum beziehen sich Räderscheidts Protagonisten nicht aufeinander. Die Figuren sind zwar im gleichen Bildraum, befinden sich jedoch jeweils an einem eigenen Ort, der sich nicht mit dem des anderen überschneidet. So steht das Zusammentreffen der Gebäude im Gemälde »Begegnungen« von 1921 (s. Abb. 2) natürlich symbolhaft für die »Begegnung« des Paares. Wir haben es mit einer Doppelung von Architektur und Figuren zu tun, und die Beziehung zwischen Mann und Frau erscheint durch die Architektur als »geregelt«. Das »sachliche« Verhältnis von Mann und Frau wird dadurch – ähnlich wie in den Sportbildern – als hoffnungslos abgekühlt beschrieben und gleichzeitig auf Kollisionskurs gezeigt. Die Architektur fungiert in »Begegnungen« nicht als dominanter Partner, sondern regelt die Bewegung und Begegnung des Paares verkehrsgerecht aus dem Hintergrund heraus und ist somit integrativer Bestandteil unterkühlter Geschlechterkonfrontation. Räderscheidt selbst beschreibt seine, wie er es nennt, »Vorliebe für Wagerechte und Senkrechte [als] eine verkehrstechnische Angelegenheit…«24 Mit dem Begriff des »Verkehrs« bedient sich Räderscheidt einem in der Weimarer Republik beliebten Vergleich, der jedoch in Anbetracht der Statik seiner Bilder befremdlich wirkt. Hier geht es weniger um »Zirkulation« als um eine »Regulation«. Das Bild des »Verkehrs« fungiert in diesem Vergleich als mechanisches System, das Distanz und »funktionsgerechtes Verhalten« garantiert: »Der Verkehr verwandelt Moral in Sachlichkeit und erzwingt funktionsgerechtes Verhalten. Teilnahme am Verkehr ist ein Provisorium (das einen, im Gefühl der Freiheit, in die vorgeschriebenen Ströme einbettet). Kein Ort an dem ein Mensch Wurzeln schlagen kann. Die Ausdrucksgebärden der Verkehrsteilnehmer sind nur als Gesten interessant.«25
Innenraum Neben den Sport- und Straßenbildern produzierte Räderscheidt eine Reihe von Atelierbildern, in denen – verankert in eine lange Tradition des Selbstbildnis’ an der Staffelei – das Selbstverständnis als Maler und seine Vision des Schaffensprozesses verhandelt wird.26 Wie in den Sport- und Stadtbil24. Zitiert nach Hans Richter: »Einleitung«, in: ders. (Hg.), Anton Räderscheidt, Recklinghausen: Monographien zur rheinisch-westfälischen Kunst der Gegenwart, Bd. 44, 1972, S. 7-31, S. 22. 25. H. Lethen: Verhaltenslehren, S. 45. 26. Auch hier ist ausführlich über die Geschlechterdynamik der Bilder geschrieben worden. Dabei wird das Selbstbildnis von 1928 als »Endpunkt« gese-
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dern sind die Räume auf ein Minimum reduziert. Graue Wände, dunkler Boden, ein angeschrägtes Dachfenster, wenige Linien, große, einheitliche Farbflächen dominieren die Bilder und produzieren den rudimentären Eindruck eines Innenraumes (s. Abb. 4). Räderscheidts Atelier sei ähnlich reduziert eingerichtet gewesen, und so wird in der Literatur zu Räderscheidt »Leben und Werk« klassischerweise kurzgeschlossen: »Anton Räderscheidt lebte, wie er malte. Noch kurz vor seinem Tod wusste Gert Arntz von der kargen Eleganz und Modernität der Atelierwohnung zu berichten, die Räderscheidt im Jahre 1927 in Köln-Bickendorf bezog und die Hans Schmitt-Rost beschrieben hat: ›Die Wohnung entsprach genau der von Räderscheidt in der Malerei praktizierten Neuen Sachlichkeit, wie sie etwa früher schon in dem Bild Junge Ehe von 1922 sichtbar geworden ist. Es gab nur wenig Mobiliar und überhaupt keine schmückenden Utensilien. Als Beleuchtung diente eine simple Kugellampe.‹«27
Abbildung 4: Anton Räderscheidt, Selbstbildnis, 1928, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm, Privatbesitz. Aus: Günter Herzog, Anton Räderscheidt, Köln 1991, S. 41 hen, an dem sich der Maler vollständig von der Frau »als Modell« emanzipiert, indem er sich ihr angleicht und damit das »Bedrohungspotential der Frau« bricht. Die Verbildlichung der Frau zieht ganz klar seine kreative Ermächtigung als Maler nach sich. Vgl. U. Gerster, »…und die hundertprozentige Frau«, S. 56-7. 27. Diese Beschreibung stammt von Hans Schmitt-Rost, zitiert nach H. Richter: Einleitung, S. 7-31, S. 23.
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Räderscheidt war offensichtlich nach den Ideen des Neuen Bauens eingerichtet, die eine Reinigung des Innenraums von lästigen Erinnerungsstücken, überflüssigen Tapeten und Nippes vorsah und einen Raum entwarf, der laut Le Corbusier »rein, fleckenlos, klar, sauber, gesund« sein sollte, um »auf weißem Grund denken« zu können.28 Noch anschaulicher wird diese Devise, wenn man sich Le Corbusiers Anweisungen zur Verwendung weißer Wandfarbe in L’art decoratif d’aujourd’hui von 1925 vergegenwärtigt: »Versuchen Sie, die Wirkungen des Gesetzes des Ripolins [weiße Wandfarbe, ÄS] zu begreifen. Jeder Bürger ist dazu angehalten, seine Behänge, Damaststoffe, Tapeten, Schablonen durch einen reinen Anstrich von weißem Ripolin zu ersetzen. Man reinigt bei sich [in der Wohnung]: Es gibt keinen unsauberen oder dunklen Winkel mehr: Alles zeigt sich so, wie es ist. Sodann reinigt man in sich selbst, da man sich auf den Weg begibt, all das zurückzuweisen, was auf irgendeine Art nicht gestattet, zugelassen, gewollt, gewünscht, konzipiert ist: Man handelt nur dann, wenn man [bewusst] konzipiert hat. Wenn Schatten und dunkle Ecken Sie umgeben, sind Sie […] nicht Herr in ihrem Haus.«29
Das Neue Bauen hatte also auch, wie Lethen es formuliert, »Verhaltenslehren der Distanz.«30 Ein Ziel dieser Bestrebungen ist »die Reinigung und Läuterung der gebauten Umwelt, die die geistige Reinigung und Selbstbeherrschung [gestattet].«31 Diese Reinigung und Selbstbeherrschung ist wiederum z.B. in den Augen Le Corbusiers die Voraussetzung für die Kreativität des modernen Menschen.32 So ist es auch nicht verwunderlich, dass in 28. Uwe Bernhardt: Der Bruch mit der Innerlichkeit. Zum Projekt der Mo-
derne bei Le Corbusier, Wien: Salon Verlag 2004, S. 65. 29. Le Corbusier: L’Art decoratif d’aujourd’hui, Paris 1925, S. 191, zitiert nach U. Bernhardt: Der Bruch mit der Innerlichkeit, S. 59. 30. Vgl. H. Lethen: Verhaltenslehren, S. 164: »Auch das Bauhaus hatte seine Verhaltenslehre der Distanz. Sie versah die Architekten mit der Aufgabe, eine Umwelt zu bauen, in der die Schwüle des symbiotischen Zusammenlebens, die durch verstellte Räumlichkeiten gefördert wird, nicht entstehen kann. Die Architektur des Neuen Bauens forderte, Räume zu bauen, die funktionsgerechte Bewegungsabläufe und Transparenzen ermöglichten und gleichwohl das opake Volumen des privaten Körpers schonten. (Hygiene etc.).« 31. U. Bernhardt: Der Bruch mit der Innerlichkeit, S. 58. 32. »Dass der moderne Lebensstil an den Idealen von Klosterzelle und Fabrikraum ausgerichtet wird, deutet wiederum auf den Dualismus von Aktivität und Meditation hin, die für Le Corbusier die (einzigen?) sinnvollen Beschäftigungen des modernen Menschen darstellen. […] Hierbei wird der Meditation grundsätzlich der höhere Wert zugeordnet: Da die moderne Inneneinrichtung
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den Fotos von Räderscheidts Atelier, die ihn bei der Arbeit zeigen, nicht viel mehr als weiße Wände, Farbe, eine Staffelei und das Produkt seiner Arbeit, sowie sein Modell und der Fotograf Hannes Maria Flach zu sehen sind.33 In der Inszenierung im Bild, z.B. im Selbstbildnis von 1928 (Abb. 4) fällt jedoch auf, dass von der positiven Idee der gereinigten Zelle der Kreativität des Neuen Bauens nicht viel übrig geblieben ist. Der Raum ist zwar (fast) leer, es dringt jedoch kein Licht von außen hinein, die Wände sind nicht weiß, sondern grau abgetönt, die Atmosphäre beklemmend und eng. Hier funktioniert sie nicht, die von Le Corbusier gefordert Vermischung von Innen- und Außensphäre, die Öffnung hin zu einer »Außenwelt, [bei der es sich] um eine gereinigte, auf die Naturelemente reduzierte Welt handelt.«34 Figur und Raum bilden bei Räderscheidt ein geschlossenes System, in das das Modell (bzw. die Frau) eingefügt und über die damit auch bestimmt wird. Der Raum »cooler« Kreativität ist in Räderscheidts Atelierbildern ein »closed-circuit«, eine selbstbezügliche Welt. Die Schatten und dunklen Ecken, die Le Corbusier durch den reinigenden, weißen Farbanstrich endgültig beseitigen will, drohen sich trotz Leere wieder einzuschleichen. Deutlich wird dieser Unterschied auch an einem Vergleich mit dem Entwurf für ein Atelierhaus von 1926, den der Kölner Architekt Willi Kleinertz für Räderscheidt und seine Frau Marta Hegemann anfertigte (s. Abb. 5). Hier finden sich die Forderungen Le Corbusiers umgesetzt. Das Haus öffnet sich durch große Fenster hin zu einer idealisierten, parkähnlichen Umgebung, die durch ein Flugzeug indirekt mit der urbanen Welt des Forschritts verbunden wird. Hier soll der ideale Ort neu-sachlicher Kreativität entstehen. Die gemalten Atelierbilder zeigen hingegen, dass Räderscheidt nicht daran gelegen war, die ideale Vorstellung neu-sachlicher Kreativität eins zu eins umzusetzen; vielmehr wird das Atelier ein unheimlicher Ort, eine Zwischenwelt, die zwar »leer« ist, in der die Figuren jedoch wie Fremdkörper wirken und keinen Ort haben. Le Corbusiers Vorstellung von der positiv-erzieherischen Funktion der Architektur, deren Aufgabe darin besteht, dem Menschen es zu ermöglichen, sich auf sich selbst zu konzentrieren35 und »[a]uf der körperlichen Ebene […] den Menschen zur Aktivität zu erziehen, zu Ökonomie und Effizienz seiner Gesten«36, scheint sich in Räderscheidts Fall in ihr Negativ umgekehrt zu haben. Architektur ist bei die Arbeit kürzer und effizienter gestalten würde, hätte der Mensch mehr Zeit für die geistige Arbeit, die Meditation, die künstlerische Kreation.« Ebd., S. 61. 33. Vgl. Abbildung in Herzog, S. 44. Zur Interpretation des dort verschollenen Atelierbildes siehe U. Gerster: »…und die hundertprozentige Frau«, S. 58f. 34. U. Bernhardt: Der Bruch mit der Innerlichkeit, S. 67. 35. Ebd., S. 60. 36. Ebd., S. 58.
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Räderscheidt zwar im Sinne Le Corbusiers ein »Organon«; sie ermächtigt den Menschen, den Mann und Künstler jedoch nicht, sondern reguliert ihn und damit auch seine Kreativität.
Abbildung 5: Willi Kleinertz, Entwurf eines Atelierhaus für Anton Räderscheidt und Martha Hegeman, 1926. Aus: Kölnischer Kunstverein. Zweite Ausstellung, Ausst. Kat. Köln 1926, ohne Seitenzahl Räderscheidts neu-sachliche Bildproduktion macht den Effekt und das Risiko kalter Verhaltenstechnik zwischen den Weltkriegen offensichtlich: Der gereinigte Raum der Kreativität, der die kühle Pose in sich aufnimmt, ermöglicht nicht zwangsmäßig Souveränität, sondern zeugt vom destruktiven Charakter einer solchen Technologie des Selbst in Beziehung zu ihrer Umgebung. In Räderscheidts Bildern, so kann man mit den Worten Helmut Lethens sagen, sind die »neu-sachlichen Verhaltenslehren an einem Nullpunkt angelangt.«37 Durch die Kombination von kühler Selbstinszenierung und entleerten, blinden Räumen wird hier die Ambivalenz kalter Ästhetik deutlich, werden die Kosten einer unterkühlten Moderne als negative Form der Selbstermächtigung offenbar.38 So entstehen in Räderscheidts Bildern Raum und Figur gleichermaßen aus Konstruktionsprinzipien: Wie der Raum erst geschaffen, d.h. konstruiert werden muss, 37. H. Lethen: Verhaltenslehren, S. 172. 38. Vgl. Lethens Interpretation von Brechts Handorakel für Städtebewohner: ebd., S. 173.
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Raumkälte. Architektur und Distanz
wird auch der Mensch bzw. der Mann neu konzipiert und neusachlichen, »coolen« Regeln unterworfen, die ihn zum Schema machen. Der konstruierte und zugleich undefinierte Raum verortet den Künstler in einer isolierenden, selbstbezüglichen Umgebung. Damit wird der Raum mehr als ein »Rahmen«39 für die Räderscheidtschen Figuren; er ist vielmehr die existentielle Voraussetzung für die Erschaff ung der cool-männlichen Selbstbilder, die mit den Konsequenzen von Selbstregulierung, Entemotionalisierung und Abschottung konfrontiert werden.
39. J. Heusinger von Waldegg: Zur Ikonographie der »einsamen Paare«, S. 62.
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Coole Kunst nach 1945
»Bir th of the Cool« Jazz, Beat und Jackson Pollock Gerald Schröder
Am 8. August 1949 erschien im New Yorker Life-Magazine ein Artikel über Jackson Pollock, der den Künstler über Nacht bekannt machte und sein öffentliches Image nachhaltig geprägt hat (s. Abb. 1). 1 Schließlich handelte es sich bei Life um das Fotomagazin mit der größten Auflage in den USA, das in jener Zeit als das Fernsehen noch nicht so verbreitet war ein Publikum von ungefähr 20 Millionen Lesern pro Woche erreichte.2 Auf der Grundlage eines Fotos, das Arnold Newman von Pollock gemacht hatte, wurde das Layout des doppelseitigen und farbigen Aufmachers mit Bedacht gestaltet. Denn Textblöcke und Bildelemente sind suggestiv miteinander verzahnt. So posiert der Künstler vor einem seiner Bilder, das hier als »Number Nine« vorgestellt wird und mit seinem ungewöhnlichen Format wie ein Fries die gesamte Doppelseite überspannt und nach oben hin abschließt. Vor der Weite und am Rand seines eigenen Bildes wirkt der Künstler etwas verloren. Visuellen Halt bekommt er jedoch durch ein weiteres Bild, das ihn von unten abstützt und mittig regelrecht auf einen Sockel hebt. Auf diesen Ef1. »Jackson Pollock. Is he the greatest Living Painter in the United States?«, in: Life vom 8.8.1949, S. 42-43 u. 45. Das Magazin selber nennt keinen Autor für diesen Artikel. Ellen Landau vermutet, dass es sich um Dorothy Sieberling handeln könnte, die zu dieser Zeit für den Kunstteil von Life zuständig war. Vgl. Ellen Landau: Jackson Pollock, New York: Abrams 1989, S. 182. Vgl. auch Jane Frances Healey: Painting Pollock. The Creation of a Cultural Hero in Post-World War II America, Ann Arbor: Univ. Microfilms International 1991, S. 122. Zur Bedeutung des Life-Magazine für die Rezeption von Jackson Pollock vgl. Mary Lee Corlett: »Jackson Pollock: American Culture, the Media and the Myth«, in: The Rutgers Art Review 8 (1987), S. 71-106. 2. Vgl. J. F. Healey: Painting Pollock, S. 121.
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fekt spielt auch die Überschrift an, die danach fragt, ob Jackson Pollock der größte lebende Maler in den Vereinigten Staaten sei. Dabei durchbricht die aufgesockelte Figur des Künstlers das Schriftbild ganz sinnfällig nach dem Wort »greatest« und schießt visuell wie ein Ausrufezeichen empor. Der fett gedruckte Eigenname korrespondiert mit dem Porträt des Künstlers und unterstreicht somit die Individualität des künstlerischen Ausdrucks.
Abbildung 1: Life vom 8.8.1949, S. 42-43 Die direkte Überblendung von Porträt und Bild ist optisch zweideutig und kann sowohl als Kontrast wie auch als visuelle Einheit aufgefasst werden. Einerseits hebt sich die Figur des Künstlers mit ihrer dunklen Kleidung als gegenständliche Form radikal vom abstrakten Hintergrund des Bildes ab, auf dem sich schwarze Linien und bunte Flächen zu einem zunächst chaotisch anmutenden Geflecht verdichten, das auf den zweiten Blick jedoch über visuelle Akzente verfügt und somit wie eine Arabeske zwar stark bewegt aber eben auch rhythmisch gegliedert ist. Der Kontrast zwischen Porträt und Bild wird noch durch die Pose des Künstlers unterstrichen, der im Unterschied zu den offenen und weit ausladenden Schwüngen des Bildes seinen Körper nach außen hin schließt, indem er die Beine überkreuzt und die Arme vor der Brust verschränkt. Hebt sich die Figur Jackson Pollocks also einerseits vom Hintergrund ab und wirkt als Zäsur im Bild, so fügt sie sich andererseits doch auch in die bewegte Bildstruktur ein. Die geschlossene Körperhaltung erscheint zwar stabil und strahlt damit eine gewisse Ruhe aus. Doch wirkt sie keinesfalls starr. Im Gegenteil: Der leicht zur Seite geneigte Kopf, die fallenden Schultern und die Kurven der Beinsilhouette lassen die Figur in ihrer Ruhe zugleich bewegt erscheinen. In der Körpersprache Jackson Pollocks scheint die unruhige und geradezu nervöse Bewegung des Bildes nur noch in einer kontrollierten und beherrschten Art und Weise mitzuschwingen. Selbst seine Kleidung 168
»Bir th of the Cool«. Jazz, Beat und Jackson Pollock
erscheint mit den hellen Farbflecken auf der dunklen Jeans und Jacke wie ein schwaches Echo der Bildstruktur. Die Zigarette im Mundwinkel unterstreicht das Bild des angeregt inspirierten Künstlers, der seine Nervosität zugleich im Griff hat.3 Im Folgenden soll die These entfaltet werden, dass das hier lancierte populäre Image Jackson Pollocks als Ausdruck und Inszenierung von Coolness zu verstehen ist, selbst wenn weder Jackson Pollock als Person noch seine Bilder jemals direkt als cool bezeichnet wurden. Dies gilt sowohl für die populäre Berichterstattung im Life- oder Time-Magazine als auch für die eigentliche Kunstkritik dieser Zeit. 4 Ein Zusammenhang zwischen Jackson Pollock und dem Konzept der Coolness besteht allerdings über den kulturellen Kontext, in dem seine Bilder geschaffen und rezipiert wurden und in dem erstmals cooles Verhalten auf den Begriff gebracht und theoretisch reflektiert wurde. Denn – wie Lewis MacAdams in seiner breit angelegten Studie über die Genese von Coolness dargelegt hat – entstand das Konzept der Coolness in New York und zwar genau zu der Zeit, als Jackson Pollock seine neue Malweise entwickelt hat, mithin in den späten 1940er Jahren: »But cool as we know it was made in New York.«5 Dabei betont MacAdams zu Recht, dass für die Genese von Coolness das kulturelle Milieu der New Yorker Jazz-Szene ganz entscheidend gewesen ist. Vor allem durch den Sprachgebrauch afroamerikanischer Jazz-Musiker wie Lester Young sei das Adjektiv »cool« in den 1940er Jahren populär geworden. Auffallend ist also zunächst die zeitliche und räumliche Nähe zwischen der neuen Malweise Jackson Pollocks und der Ausbildung neuer Formen des Jazz, zu denen vor allem der Bebop gehört, der in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre in New York seine Hochphase erlebte und dessen Protagonisten Dizzy Gillespie und Charly Parker waren. In den Jahren 1949 und 1950 fanden auch die später legendär gewordenen Aufnahmen von Miles Davis und seinem damaligen Ensemble statt, die allerdings erst 1957 unter dem Titel »Birth of the Cool« als Langspielplatte veröffentlicht wurden. Dabei geht der Titel des Albums, der rückblickend einer ganzen Richtung des Jazz seinen Namen gab, bekanntlich nicht auf Miles Davis selbst zurück, 3. Zum Topos des rauchenden Künstlers vgl. Patricia G. Berman: »Edvard Munch’s Self-Portrait with Cigarette: Smoking and the Bohemian Persona«, in: The Art Bulletin 75 (1993), S. 628-646. 4. Im Life-Artikel heißt es lediglich, dass Jackson Pollock launisch neben seinem Bilde stehe: »Jackson Pollock stands moodily next to his most extensive painting.« Life vom 8.8.1949, S. 43. 5. Lewis MacAdams: Birth of the Cool. Beat, Bebop & the American AvantGarde, London: Free Press 2002, S. 28.
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sondern wurde von der Plattenfirma Capitol und namentlich von Pete Rugolo nicht zuletzt aus werbestrategischen Gründen erfunden. Doch nicht nur die räumliche und zeitliche Nähe zwischen der neuen Malweise von Jackson Pollock und bestimmten neuen Richtungen der Jazz-Musik wie Bebop oder Cool-Jazz ist auffallend. Zur gleichen Zeit formierte sich nämlich in New York auch die Gruppe junger weißer Dichter und Schriftsteller, die kurze Zeit später unter dem Etikett beat bekannt werden sollten. Jack Kerouac, William Burroughs und Allen Ginsberg hatten wiederum engen Kontakt zur Jazz-Szene und übernahmen in ihren literarischen Werken den dort bereits verbreiteten Sprachgebrauch. In ihrem Umfeld wurde das Verständnis von cool auch schriftlich reflektiert, wobei es programmatisch mit dem Konzept des Beat kurzgeschlossen wurde.
Cool w ird zum Begr if f Bevor nun jedoch die spezifische Coolness von Jackson Pollock untersucht werden kann, die wiederum bedingt ist durch sein Verhältnis zu Jazz und Beat, muss nach dem zeitgenössischen Begriffsverständnis von cool gefragt werden. Dafür bieten sich zwei Texte an, die zwar nicht direkt von den genannten Beat-Poeten stammen, jedoch in ihrem Umfeld verfasst wurden. Der zeitlich früher entstandene Text stammt von John Clellon Holmes und wurde am 16. November 1952 unter dem Titel »This is the Beat Generation« im New York Times Magazine veröffentlicht. Holmes war selbst Schriftsteller und stand in direktem Kontakt zu Kerouac, Burroughs und Ginsberg, deren Lebensphilosophie er mit diesem Artikel zur Charakterisierung einer ganzen Generation in Anschlag nahm. Der zweite Text ist fünf Jahre später entstanden und stammt vom Schriftsteller Norman Mailer. Er übernimmt in seinem Essay »The White Negro. Superficial Reflections on the Hipster« zentrale Thesen von Holmes und führt diese weiter aus. Dabei war auch Mailer, der damals im Greenwich Village in New York lebte, direkt mit Allen Ginsberg befreundet.6 Zwar steht der Begriff cool weder bei Holmes noch bei Mailer im Zentrum, doch ist er zentraler Bestandteil der Lebensphilosophie, die sie mit ihren jeweiligen Texten umreißen. Für Holmes steht der Begriff »beat« im Zentrum seiner Überlegungen. Dieser solle die Jugend der Nachkriegszeit jedoch weniger als »geschlagene Generation« charakterisieren, im Sinne von leidend oder ermüdet. Beat 6. Allen Ginsberg wollte Norman Maler 1960 beim Wahlkampf für seine Kandidatur zum Bürgermeister von New York unterstützen. Vgl. Klaus Hegemann: Allen Ginsberg. Zeitkritik und politische Aktivitäten, Baden-Baden: Nomos 2000 (=Diss. Univ. Bonn 1999), S. 42.
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müsse vielmehr verstanden werden als »nakedness of mind, and ultimately, of soul; a feeling of being reduced to the bedrock of consciousness. In short, it means being undramatically pushed up against the wall of oneself.«7 Die Nachkriegsgeneration sei deshalb auf ihre eigene nackte Existenz zurückgeworfen, weil die Gemeinschaft stiftenden Werte und Normen jeglicher Gesellschaftsform nicht zuletzt durch die jüngste Vergangenheit des Nationalsozialismus und die historische Gegenwart des Stalinismus diskreditiert worden seien. Kennzeichnend für die US-amerikanische Jugend sei somit eine natürliche Individualität (»instinctive individuality«), die mit einem Argwohn gegen jede Form von Kollektivität einhergehe. Ihr Streben nach Freiheit gleiche einer sinnlichen Begierde (»lust for freedom«), die Drogenkonsum und sexuelle Promiskuität ebenso einschließt wie die Musik des Bebop und die Lektüre der Schriften Jean-Paul Sartres. Typisch für die Lebensführung der Beat Generation seien Intensität und Geschwindigkeit, die jedoch auch selbstzerstörerische Züge annehmen können: »the ability to live at a pace that kills«. 8 Dabei seien Promiskuität und Drogenkonsum nicht Ausdruck von Enttäuschung, sondern zeugen vielmehr von Neugierde, neue Möglichkeiten individueller Erfahrung zu erschließen.9 Diese zielen letztlich auf neue Formen von Spiritualität, die in ihrer individualistischen Ausprägung mit den institutionalisierten Weisen des Glaubens brechen. 10 Geradezu idealtypisch werde die hier skizzierte Lebensauffassung der Beat Generation durch den »hipster« verkörpert, den eine mystische Verklärung von Bebop, Drogen und Nachtleben auszeichne. 11 In diesem Zusammenhang spricht Holmes auch von »coolness« und meint damit den Rückzug (»withdrawal«) des Hipsters aus der bürgerlichen Gesellschaft. Dabei macht Holmes aber deutlich, dass Coolness nicht nur Rückzug aus der Gesellschaft, sondern zugleich Einkehr ins innere Selbst bedeutet, wo letztlich ein spiritueller Halt gefunden werden soll: »What the
7. John Clellon Holmes: »This is the Beat Generation«, in: The New York Times Magazine vom 16.11.1952. 8. »Their own lust for freedom, and the ability to live at a pace that kills (to which the war had adjusted them), led to black markets, bebop, narcotics, sexual promiscuity, hucksterism and Jean Paul Sartre.« Ebd. 9. »Their excursions into drugs or promiscuity come out of curiosity not disillusionment.« Ebd. 10. »Not content to bemoan his [God’s] absence, they are busily and haphazardly inventing totems for him on all sides.« Ebd. 11. »For the wildest hipster, making a mystique of bop, drugs and the night life, there is no desire to shatter the ›square‹ society in which he lives, only to elude it.« Ebd.
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hipster is looking for in his ›coolness‹ (withdrawal) or ›flipness‹ (ecstasy) is, after all, a feeling on somewhereness, not just another diversion.«12 An dieser Stelle setzt Norman Mailer mit seinen Überlegungen ein, wenn er den Hipster und damit den Begriff »hip« ins Zentrum rückt: »One is Hip or one is Square (the alternative which each new generation coming into American life is beginning to feel), one is a rebel or one conforms, one is a frontiersman in the Wild West of American night life, or else a Square cell, trapped in the totalitarian tissues of American society, doomed willy-nilly to conform if one is to succeed.«13 Hip – so wird an dieser Stelle bereits deutlich – ist somit derjenige, der gegen den Konformismus der US-amerikanischen Gesellschaft rebelliert, die in den Augen Mailers bereits totalitäre Züge angenommen hat. Wie der Pionier, der vormals wagemutig in den wilden Westen gezogen ist, erobert sich der Hipster nun neue Erfahrungsräume im Nachtleben der Großstadt, die jenseits der bürgerlichen Welten mit ihrer geregelten Arbeit und Kleinfamilie liegen. Dabei lautet der Gegenbegriff zu hip nicht ohne Grund square. Denn, wie Mailer im Folgenden deutlich macht, ist die Sprache des hip eine Sprache voller Energie – »language of energy« –, die sich gegen den unbeweglichen Quadratschädel des Spießers, eben Square, richtet. Zu dieser »language of energy« gehören Begriffe wie »go«, »make«, »groove« und vor allem »swing«. Aber auch cool gehört in dieses Umfeld und wird von Mailer folgendermaßen umschrieben: »[…] to be in control of a situation because you have swung where the Square has not, or because you have allowed to come to consciousness a pain, a guilt, a shame or a desire which the other has not had the courage to face.«14 Folgt man dem Verständnis von Mailer, so ist Coolness mithin weniger eine Strategie der Täuschung und Maskerade, als vielmehr das Resultat von Authentizität, die auf Selbsterfahrung und Selbstbewusstsein basiert. Cool ist man dann, wenn man Kontrolle über eine Situation behält, mit anderen Worten, nicht fremdbestimmt agiert. Dabei handelt es sich jedoch weniger um eine intellektuelle Kontrolle, die mit klaren rational reflektierten Entscheidungen einhergeht. Vielmehr verdanke sich diese Kontrolle dem energetisch konnotierten swing: »because you have swung where the Square has not.« Und swing beschreibt Mailer wiederum als intuitive Art der Kommunikation, die sich eher auf der Ebene nonverbal vermittelter 12. Ebd. 13. Norman Mailer: »The White Negro. Superficial Reflections on the Hipster« (1957), in: ders., Advertisement for Myself (1961), London: Panther Books 1970, S. 269-289, hier S. 272. Zu Mailers Essay siehe Joseph Wenke: Mailer’s America, Hanover: Univ. Press of New England 1987, S. 69-91. 14. N. Mailer: The White Negro, S. 284.
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Gefühle, Stimmungen und Atmosphären abspielt: »For to swing is to communicate, is to convey the rhythm of one’s being to […] an audience, and […] to be able to feel the rhythms of their response.«15 Dabei beschreibt Mailer swing auch als Lernprozess, in dem kreative Potentiale freigesetzt werden: »So to swing is to be able to learn, and by learning take a step towards making it, towards creating.«16 Wenn Coolness also als Kontrollvermögen beschrieben wird, das sich von einem Ort aus vollzieht, zu dem der Spießer keinen Zutritt hat, dann sind damit weniger konkrete äußere Räume des großstädtischen Nachtlebens gemeint, als vielmehr innere Räume, die durch emotionale Erfahrung erschlossen werden. Und zu diesen Erfahrungen gehört eben auch, dass man sich mit Mut den eigenen Bedürfnissen wie auch negativen Gefühlen und Schwächen wie Schmerz, Schuld und Scham stellt. Für Mailer besitzt diese Art des Selbstbewusstseins, die der Coolness eine individualistische, kreative und energetische Ausrichtung verleiht, letztlich einen therapeutischen Wert. Denn sie ermöglicht die Stärkung und sogar Erneuerung des Nervensystems, das durch den Verfall bürgerlicher Werte und durch die Beschleunigung des historischen Wandels unter Stress stehe.17 Dass die nervöse Unruhe durch bestimmte historische Bedingungen auch generationsspezifisch ist, macht Mailer bereits mit dem ersten Satz seines Essays deutlich, in dem er von der psychischen Verwüstung spricht, die durch das Konzentrationslager und die Atombombe im Unterbewusstsein der Menschen seiner Zeit angerichtet worden sei. 18 Die Angst vor der radikalen Auslöschung von Individualität, die mit dem KZ und dem Abwurf der Atombombe auf Japan bereits historische Wirklichkeit geworden ist, wird zur Motivation coolen und hippen Verhaltens. Deren Ursprünge sieht Mailer im Jazzmilieu, das von der Kultur des Afroamerikaners, des »Negro« geprägt ist. 19 Der Bezug zum Jazz ist in die15. Ebd., S. 282. 16. Ebd. 17. »And so the nervous system is overstressed beyond the possibility of such compromises as sublimation, especially since the stable middle-class values so prerequisite to sublimation have been virtually destroyed in our time, at least as nourishing values free of confusion or doubt. In such a crisis of accelerated historical tempo and deteriorated values, neurosis tends to be replaced by psychopathy […].« Ebd., S. 277. 18. »Probably, we will never be able to determine the psychic havoc of the concentration camps and the atom bomb upon the unconscious mind of almost everyone alive in these years.« Ebd., S. 270. 19. »So it is no accident that the source of Hip is the Negro for he has been living on the margin between totalitarianism and democracy for two
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sem Zusammenhang aufschlussreich, weil in der Musik Coolness gleichsam sinnlich wahrnehmbar wird. Denn gerade in den kleineren Ensembles des Bebop und Cool-Jazz, die nur aus wenigen Musikern bestanden, kam es vor allem bei den improvisierten Passagen darauf an, sich rhythmisch auf das Zusammenspiel mit den anderen Instrumenten einzustellen, im Sinne des swing mit ihnen zu kommunizieren, ohne dabei die Kontrolle über die musikalische Situation im Ganzen zu verlieren. Dabei ist der Hinweis auf den »Negro« für Mailer auch deshalb wichtig, weil er – ähnlich wie der Bohemien, Kriminelle oder Psychopath – zu den Außenseitern der weißen bürgerlichen Gesellschaft gehört. Durch die Erfahrungen von Sklaverei und Rassendiskriminierung habe er gelernt, nicht nur mit äußerer Gewalt, sondern auch mit inneren Gefühlen wie Hass, Schmerz und Scham umzugehen. Wie jedoch bereits der Titel von Mailers Essay deutlich macht, ist der Hipster eher ein Vertreter der weißen Gesellschaft, der sich an der Kultur und am Verhalten des Afroamerikaners orientiert und deshalb von Mailer auch als »White Negro« bezeichnet wird. Für ihn ist auch die aktuelle europäische Kultur von Belang. So nennt Mailer den »White Negro« auch »American existentialist«. Und in der Tat scheint der coole Hipster den Prämissen existentialistischer Philosophie zu folgen, wenn er – ganz im Sinne Jean-Paul Sartres – seiner Existenz durch selbstbewusstes und eigenverantwortliches Handeln erst noch einen Sinn und Wert verleihen möchte und sich dabei in ständiger Revolte befindet, wie Albert Camus betont hat.20 Im Unterschied zum Nihilismus der französischen Philosophen stellt Mailer jedoch im Anschluss an Holmes die spirituelle Suche des Hipsters heraus. Angestrebt werde nämlich letztlich ein Zustand der Gnade (»grace«), der jedoch nicht im Rahmen traditioneller Institutionen der Kirche erfahren werden könne, sondern eher durch die vermeintlich Bewusstsein erweiternde Kraft von Sexualität oder auch fernöstlichen Yoga-Praktiken. Sie ermöglichen Momente intensiv erlebter Gegenwart und somit eine Annäherung an die kosmisch überhöhte Lebensenergie eines ominösen »It«.
centuries. But the presence of Hip as a working philosophy in the sub-world of American life is probably due to jazz, and its knifelike entrance into culture, its subtle but so penetrating influence on an avant-garde generation – that post-war generation of adventurers who (some consciously, some by osmosis) had absorbed the lessons of disillusionment and disgust of the twenties, the depression, and the war.« Ebd., S. 272. 20. Albert Camus: Der Mensch in der Revolte (1951), Hamburg: Rowohlt 2003.
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Visuelle Äquivalente des Cool Die im Umfeld der Beat-Literaten erfolgte begriffliche Bestimmung von Coolness kann nun für eine Interpretation der Malerei Jackson Pollocks sowie der eingangs beschriebenen Inszenierung seines Künstler-Images im Life-Magazine fruchtbar gemacht werden. Dabei erweist sich Coolness als eine zentrale Kategorie für das Verständnis von Pollocks Arbeit, die unterschiedliche Aspekte wie die formale Qualität seiner Bilder, ihre produktions- und rezeptionsästhetische Ebene sowie das öffentliche Image des Künstlers im gesellschaftspolitischen Kontext umfasst. In formaler Hinsicht erscheint ein Bild wie »Number Nine«, vor dem Pollock im Life-Magazine posiert, als cool, weil es als visuelles Analogon zur Sprache der Energie – »language of energy« – aufgefasst werden kann, die nach Norman Mailer charakteristisch für den Hipster ist. Und in der Tat sind die zentralen Kategorien, welche die Kunstkritik jener Zeit für die Malerei Jackson Pollocks verwendet: »energy«, »vitality«, »movement« und »violence«.21 Darüber hinaus kann die eigentümliche Form des Bildes im Sinne von Coolness als »Kontrolle über eine Situation« beschrieben werden. Denn in die zunächst chaotisch und unbeherrschbar anmutende Struktur des all-over ist ein polyfokaler Rhythmus eingeschrieben, der durch gleichmäßige Ponderierung der drei Primärfarben Gelb, Blau und Rot eine gewisse Ruhe in die bewegte Struktur bringt. Die formale Kontrolle der Bildstruktur führt somit nicht zu Erstarrung, sondern ist selbst energetisch, indem die chaotische Unruhe nun rhythmisch gebändigt erscheint. Folgt man der Programmatik Jackson Pollocks, der die formale Struktur des Bildes als Ausdruck emotionaler Befindlichkeit versteht, so kann die chaotisch und unruhig erscheinende Form auch als visueller Ausdruck innerer Nervosität verstanden werden, die jedoch emotional beherrscht und in kontrollierte Bewegung umgesetzt wird. Pollock selbst hat die Art der Gefühle, die er mit seinen Bildern zum Ausdruck bringen möchte, nie genauer bestimmt. Jedoch wurde seine Bildsprache von der zeitgenössischen Kunstkritik durchaus mit Nervosität in Beziehung gesetzt. So ist von »the nervous, if rough, calligraphy«22 die Rede wie von »a demonically nervous energy, full of individual pride and power«.23 Indem Nervosität in den Bildern von Jackson Pollock nicht nur aufscheint, sondern gleich21. J. F. Healey: Painting Pollock, S. 45. 22. Parker Tyler: »Nature and Madness Among the Younger Painters«, in: View (Mai 1945), S. 30. Zit. n. J. F. Healey: Painting Pollock, S. 104. 23. Parker Tyler: »Hopper/Pollock: The Loneliness of the Crowd and the Loneliness of the Universe. An Antiphonal«, in: Art News Annual (1957), S. 197, zit.n. J. F. Healey: Painting Pollock, S. 184/185.
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sam kontrolliert und beruhigt wirkt, entspricht dies dem therapeutischen Potential, das Norman Mailer für die Coolness in Anschlag nimmt. Die Bilder suggerieren in dieser Hinsicht, dass sich Pollock auch den negativen Seiten seines Gefühlslebens gestellt habe, um diese im Sinne von cool beherrschen zu können. Zugespitzt formuliert, kann Coolness in diesem Zusammenhang als rhythmisch gebändigte und damit beherrschte Nervosität verstanden werden.24 Der emotionale Wert des Bildes mag sich insofern auf den Betrachter übertragen als auch unser Blick vor einem Bild wie »Number Nine« in Bewegung versetzt wird. Schon allein durch sein Format mit einer Länge von 5,50 m entzieht sich das Bild einem beherrschenden Blick, der die gesamte formale Struktur von einem Standpunkt aus betrachten könnte. Unser Blick springt nervös hin und her, bis er den unterschwelligen Rhythmus der Bildstruktur wahrnimmt, wobei er gelenkt wird durch die Bogenführung der schwarzen Linien und immer wieder Halt findet in den polyfokal gesetzten Farbflächen. Dabei wird mit dem Blick auch unser Körper in Bewegung gesetzt. Denn zumindest müssen wir den Kopf wenden, um das gesamte Bild betrachten zu können, wenn wir es nicht sogar regelrecht abschreiten müssen.25 Der performative Charakter cooler Beherrschung wird noch deutlicher, betrachtet man den Herstellungsprozess der Bilder Jackson Pollocks. Wie schon erwähnt, wurde bereits im Life-Magazine davon berichtet. Zwar soll die energetische Bildsprache letztlich Ausdruck emotionaler Bewegtheit sein, doch wird diese eben über die Körperbewegung zum Ausdruck gebracht, wie schon die Konfrontation von »Number Nine« mit dem ganzfigurigen Einzelporträt des Künstlers andeutet. Die Fotografien und vor allem die beiden Filme, die Hans Namuth im Jahr 1951 über Jackson Pollock gedreht hat, haben den Herstellungsprozess noch stärker ins Zentrum gerückt, was schließlich mit dazu führte, dass der Kunstkritiker Harold Rosenberg ein Jahr später den Begriff »action painter« geprägt hat.26 In gewisser Weise gleicht das malerische Verfahren Pollocks auch dem swing, 24. Was den Zusammenhang von Coolness und Nervosität anbelangt vgl. Joachim Radkau: »Amerikanisierung als deutsches Nervenproblem. Von der nervösen zur coolen Modernität«, in: Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischenkriegszeit: Siedlung, Stadt, Raum, Berlin: Stiftung Bauhaus Dessau 1995, S. 106-123. 25. Zur körperlichen Fundierung unseres Blicks in der Moderne vgl. Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert (1990), Dresden, Basel: Verlag der Kunst 1996. 26. Harold Rosenberg: »The American Action Painters«, in: Art News (Dezember 1952), S. 22-23 u. 48-50.
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das Norman Mailer als Voraussetzung von Coolness nennt und das wiederum eng mit der Musikalität des Jazz verbunden ist. Wie ein Life-Artikel von 1959 betont, war Pollock ein begeisterter Jazz-Fan.27 Zwar agiert Pollock mit seiner Malerei als einzelner Künstler nicht im kommunikativen Austausch mit anderen, wie dies bei den Improvisationen des Bebop und Cool-Jazz der Fall ist. Doch auch seine Kunst basiert auf der Improvisation, insofern als seinen Bildern keine Vorzeichnungen zu Grunde liegen wie dies in der akademischen Tafelmalerei üblich war.28 Die formale Struktur des Bildes entsteht erst im und durch den Prozess der Herstellung. Für ihn wird das Bild selbst zum Dialogpartner, auf den er im Prozess des Malens immer wieder neu reagieren muss, ohne dabei im Sinne von swing und cool die Kontrolle über die malerische Situation zu verlieren. Dass es sich dabei um einen kreativen Prozess handelt, wie Mailer dies für die kommunikative Form des swing einfordert, ist evident. Pollock selbst spricht im Life-Artikel von 1949 davon, dass er im Prozess des Malens erst immer wieder mit dem Bild selbst bekannt werden müsse: »get acquainted«.29 Dieser spontane Akt des Kennenlernens, der zugleich durch ritualisierte Formen in die Bewegung des Körpers eingeschrieben ist und somit kontrolliert wird, ist vergleichbar mit ganz konkreten Formen der Begrüßung, wie sie in der Jazz-Szene üblich waren. Dies demonstriert ein anderer Artikel im Life-Magazine, der wenige Monate vor dem ersten Pollock-Feature am 11. Oktober 1948 über Bebop und dessen Protagonisten Dizzy Gillespie veröffentlicht wurde. Gillespie wird hier explizit als cool bezeichnet und zwar aus dem Grund, weil er es verstehe, seine Trompete im Sinne von »hot« zu spielen und dabei »gone« sei, mit anderen Worten: »lost in his music«.30 Dies wird in der ganzseitigen Schwarzweißaufnahme anschaulich, die den Jazz-Musiker mit nach oben verdrehten Augen zeigt, so als würde er wie in Trance ganz in seiner Musik aufgehen. Dass diese Art innerer Versenkung die Kommunikation mit anderen Musikern gerade nicht ausschließt, sondern im Sinne des swing befördert, suggeriert ein wei27. »An addict of jazz, he sometimes kept the same record playing for a week, generally at full volume.« Dorothy Seiberling: »Baffling U.S. Art: What it is about. Life presents a two-part series on the abstract expressionists, world’s dominant artists today«, in: Life vom 9.11.1959, S. 68-80, hier: S. 80. 28. Vgl. Andrew Kagan: »Improvisations: Notes on Jackson Pollock and the Black Contribution to American High Culture«, in: Arts Magazine (März 1979), S. 96-99; Chad Mandeles: »Jackson Pollock and Jazz: Structural Parallels«, in: Arts Magazine (Okt. 1981), S. 139-141. 29. Life vom 8.8.1949, S. 45. 30. »Bebop. New Jazz School is led by trumpeter who is hot, cool and gone«, in: Life vom 11.10.1948, S. 138-142.
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teres Foto auf der gegenüberliegenden Seite, das Gillespie bei einer Jam Session im Zusammenspiel mit seiner Band zeigt. Am unteren Rand der Seite ist nun in einer Fotosequenz die Begrüßungsszene abgebildet (s. Abb. 2).
Abbildung 2: Life vom 11.10.1948, S. 139 Wie auch die Unterschriften der Fotos suggerieren, scheint hier die rhythmische Musikalität des Jazz in die Körperbewegung der Musiker übergegangen zu sein.31 Dies scheint auch bei Jackson Pollock der Fall zu sein, wenn er sich in geradezu tänzerischen Bewegungen um sein Bild herumbewegt und mit rhythmischen Gesten Kontakt zu ihm aufnimmt. In diesem Zusammenhang erscheinen auch die von ihm verwendeten Arbeitsinstrumente in neuem Licht. Wie schon erwähnt, benutzte er neben traditionellen Pinseln auch einfache Stöcke, die hier mit Trommelschlegeln verglichen werden können. Dabei berührten jedoch weder seine Stöcke oder gar seine Hände die Fläche direkt, wie dies die Abbildung des Bongo spielenden Schlagzeugers Chano Pozo im Life-Artikel über Bebop zeigt (s. Abb. 3). Bei Pollock ist es die Farbe, die auf die Leinwand triff t und dabei keinen akustischen, sondern einen visuellen Akzent setzt. Drip und drum stehen hier in einem Analogieverhältnis (s. Abb. 4). Indem Pollock also in gewisser Weise die spezifisch afroamerikanische Tradition des Jazz aufgreift, kann er im Sinne Norman Mailers als »White Negro« bezeichnet werden. Dazu passt auch, dass die formale Struktur seiner Bilder nicht nur mit den schnellen Rhythmen und disharmonischen Kadenzen des Bebop in Zusammenhang gebracht werden kann, der ausschließlich von Afroamerikanern gespielt wurde. Gerade die weiten und lockeren Schwünge eines Gemäldes wie »Number Nine« können aber auch 31. So wird der Begrüßungsruf direkt mit der Notenfolge des Bebop verglichen: »The shout ›Eel-ya-dah!‹ which sounds like bebop triplet notes, is next.« Ebd., S. 139.
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in Analogie zum Cool-Jazz gesehen werden, der sich zwar Ende der 1940er Jahre aus dem Bebop entwickelt hat, jedoch ruhiger klingt und auch verstärkt von weißen Musikern gespielt wurde wie beispielsweise Lennie Tristano.32 Dass die Bilder Pollocks nicht nur als nervös, sondern auch als beruhigend wahrgenommen werden konnten, deutet der bereits erwähnte spätere Life-Artikel über den Abstrakten Expressionismus von 1959 an. Er stellt zunächst heraus, dass die abstrakten Bilder wie Musik rezipiert werden können und fügt dann hinzu: »provided the viewier just relaxes and enjoys it.«33 Nicht von ungefähr nannte Pollock selbst sein Gemälde »Number Nine« später auch »Summertime« und spielte damit implizit auf das Wiegenlied aus George Gershwins Oper »Porgy and Bess« (1933-35) an: »Summertime and the living is easy« lauten die ersten Zeilen dieser Arie und geben somit auch die Stimmung des Bildes wieder. Zugleich entwickelte sich diese Opernarie in den 1940er Jahren zu einem beliebten Jazzstandard, d.h. zu einem musikalischen Thema, das im Jazz zur Improvisation diente. In gewisser Weise erscheint Pollocks Bild als malerisches Äquivalent einer Cool-Jazz-Improvisation zum bekannten musikalischen Thema »Summertime«. So wie der Cool-Jazz sich musikalisch außerdem dadurch vom Bebop unterscheidet, dass er Elemente der klassischen und modernen europäischen Musik mit einfließen ließ, so orientierte sich freilich auch Jackson Pollock neben der Jazz-Musik an der Tradition moderner europäischer Malerei. Entscheidend ist dabei, dass als Resultat ein neues und originelles malerisches Idiom entstanden ist, das von der Kunstkritik unter spezifisch US-amerikanischen Vorzeichen verbucht wurde. Mit anderen Worten, erstmals gab es so etwas wie eine US-amerikanische und speziell New Yorker Avantgarde der Malerei, die das alte europäische Kunstzentrum Paris ablöste und als deren Speerspitze Jackson Pollock galt.34
32. Zu den kulturpolitischen und rassenideologischen Rahmenbedingungen von Bebop und Cool-Jazz vgl. Eddie S. Meadows: Bebop to Cool. Context, Ideology, and Musical Identity, Westport, Ct.: Praeger 2003. 33. »Even though a painting may not appear to say anything, though its technique may seem wildly unorthodox, it can still reveal harmonies of color and intricacies of form that are beguiling or stimulating to look upon. These qualities can be experienced in much the same way as the chords and themes of music – provided the viewer just relaxes and enjoys it.« Life vom 16.11.1959, S. 86. 34. Vgl. Serge Guilbaut: How New York stole the Idea of Modern Art. Abstract Expressionism, Freedom, and the Cold War, Chicago, London: The University of Chicago Press 1983.
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Abbildung 3: Life vom 11.10.1948, S. 140 Mit seinem Bild »Summertime« scheint Pollock direkt an bestimmte Arbeiten Piet Mondrians anzuknüpfen, der sich seinerseits mit dem Analogieverhältnis von Malerei und Jazz-Musik auseineinander gesetzt hat, wovon seine Klebestreifenbilder mit dem Titel »Broadway Boogie-Woogie« (1942-43) oder »Victory Boogie-Woogie« (1943-44) Zeugnis ablegen. Wie das Klebebild Mondrians ist auch »Summertime« nicht mehr im traditionellen Sinne gemalt und greift mit seinen übereinander gelagerten Linien das Flechtwerk auf, dass Mondrian mit seinen Klebestreifen hergestellt hat. Auch die für Mondrian typischen – freilich oft abgetönten – drei Primärfarben finden sich in »Summertime« wieder. Doch während Mondrian auch mit diesen viel stärker rhythmisierten Bildern seiner Spätphase noch der Tradition kubistischer Malerei verhaftet bleibt, übersetzt Pollock das streng geometrische Vokabular im Anschluss an die halb automatistischen Verfahren des Surrealismus in eine spontan anmutende gestische Struktur, die wiederum mit ihrem impliziten Bezug zum Jazz spezifisch US-amerikanisch konnotiert ist.
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Abbildung 4: Life vom 16.11.1959, S. 74 Auch Jackson Pollocks Porträt im Life-Artikel von 1949 muss in diesem Kontext gesehen werden. So unterstreicht die Vereinzelung der Figur zusammen mit dem prominent platzierten Eigennamen die individualistische und kreativ-originelle Ausrichtung von cool, die Norman Mailer hervorgehoben hat. Und es überrascht nicht, dass sich gerade das moderne Künstlerindividuum in besonderem Maße dafür eignete, diese subjektivistische Ausrichtung von Coolness zu verkörpern. Doch reicht das Künstlerindividuum allein eben nicht aus. Denn es muss noch eine nationale, spezifisch US-amerikanische Note hinzukommen, wie ein Vergleich mit dem Porträt Piet Mondrians aus dem Jahr 1926 deutlich macht (s. Abb. 5). Ähnlich wie später Pollock vor seinem Bild, greift auch Mondrian mit seiner Körperhaltung die formale Struktur der Gemälde auf, die ihn im Atelier umgeben. Dabei korrespondiert die Geste des ausgestellten Ellbogens jedoch nicht nur mit der Form des diagonal gewendeten Bildes. Denn diese Geste steht in einer langen Tradition des höfischen Porträts und ist damit aristokratisch konnotiert.35 Mondrian posiert hier in der Rolle des 35. Vgl. Joaneath Spicer: »The Renaissance Elbow«, in: Jan Bremmer/Her-
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Dandys, der sich im Zeitalter bürgerlicher Konformität durch ein dezidiert aristokratisches Gebaren von der breiten Masse abheben wollte, um sich dadurch in seiner Individualität zu behaupten. Nicht von ungefähr hatte Charles Baudelaire die Figur des Dandys deshalb in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Vorbild für den modernen Künstler erhoben.36 Von der spezifisch europäisch geprägten Eleganz, die Piet Mondrian auch durch seinen dunklen Anzug unterstreicht, setzt sich Jackson Pollock radikal ab. Sein cooles Image entspricht nicht dem »Kult der Kälte«, der landläufig mit dem aristokratischen Modell der Affektkontrolle in Zusammenhang gebracht wird, die für das Verhalten des Dandys maßgeblich war.37 Zwar ist auch Pollocks Form der Coolness individualistisch ausgerichtet, insofern er hier als Künstler posiert. Doch setzt er dem aristokratischen Modell Europas ein eher vulgäres und dezidiert US-amerikanisches Image entgegen, indem er sich hier in der Pose des Cowboys oder Pioniers in Szene setzt mit schmutziger Jeans, Zigarette im Mundwinkel und einer lässigen Körperhaltung, die in ihrer dynamischen Bewegtheit zugleich ruhig wirkt.
Abbildung 5: Piet Mondrian, Fotografie, Den Haag, Gemeentemuseum. Aus: Susanne Deicher, Piet Mondrian, 1872-1944, Konstruktion über die Leere, Köln 1994, S. 72 man Roodenburg (Hg.), A Cultural History of Gesture. From antiquity to the present day, London: Polity Press 1991, S. 84-128. 36. Charles Baudelaire: »Der Maler des modernen Lebens« (1863), in: ders., Der Künstler und das moderne Leben. Essays, ›Salons‹, intime Tagebücher, Leipzig: Reclam 1990, S. 290-320. 37. Vgl. Hiltrud Gnüg: Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur, Stuttgart: Metzler 1988.
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Coolness und Kalter Kr ieg Das vom Life-Magazine popularisierte coole Image Jackson Pollocks war schließlich mitbedingt durch den gesellschaftspolitischen Kontext des Kalten Kriegs und des propagierten Antikommunismus der USA. Somit kann abschließend auch Coolness in gewisser Weise als Produkt des Kalten Krieges beschrieben werden, zumindest was die Popularisierung des Konzepts in dieser Zeit anbelangt. Zwar scheint sich Coolness auf den ersten Blick gerade gegen die traditionellen Werte des weißen protestantischen Bürgertums in den USA zu richten, wovon ihre Genese im afroamerikanischen Jazz-Milieu und ihre spätere Adaption im weißen Umfeld der BeatLiteratur Zeugnis ablegt. Doch auf den zweiten Blick wird deutlich, dass die individualistische Ausrichtung coolen Verhaltens, verbunden mit einer letztlich apolitischen Haltung und nationalistischen Note wiederum gut zur Doktrin des Antikommunismus passte. Coolness bot ein Verhaltensrepertoire an, das es erlaubte, mit den diff usen Ängsten atomarer Bedrohung umzugehen und war somit auch für eine breite Gesellschaftsschicht in den USA relevant. Dabei schien gerade die energetische Ausrichtung coolen Verhaltens einen Handlungsspielraum individueller Freiheit zu suggerieren, der zwar primär gegen den bürgerlichen Konformismus im eigenen Land gerichtet war, sich aber auch radikal vom staatlich verordneten Konformismus der Sowjetunion unterschied. Der bewegliche und agile Körper, der scheinbar gelassen mit innerer Unruhe und Anspannung umgehen konnte, war das Gegenbild zum militärisch überformten Stahlkörper totalitärer Regime, der vermeintlich nur fremdbestimmt – im Truppenverband und in Reih und Glied – agieren konnte. Insofern unterscheidet sich Coolness auch von den so genannten »Verhaltenslehren der Kälte«, die – wie Helmut Lethen gezeigt hat – die Ideale der totalitären Regime in Europa mit geprägt haben, wenngleich sie ihren Ursprung bereits in den Debatten der 1920er Jahre haben.38 Zwar streben beide Verhaltensstrategien eine Kontrolle von Mimik, Gestik und Körperbewegung an, die über innere Unruhe, Angst, Nervosität oder auch Scham hinwegtäuschen soll. Auch propagieren beide Verhaltensstrategien dezidiert männlich konnotierte Eigenschaften wie Mut, Tatendrang aber auch Gewaltbereitschaft sowie sexuelle Potenz.39 Doch während die »Verhaltenslehren der Kälte« auf einer Disziplinierung von Geist und Körper 38. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994. 39. Die sexuell männliche Konnotation der Malerei Jackson Pollocks wird besonders deutlich, vergegenwärtigt man sich seine Rezeption seit den 1960er Jahren, wobei die Drip-Technik gleichsam entsublimiert und direkt mit Urinieren
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basieren, die eine Typisierung des Individuums anstrebt, so dass es sich wie ein genormtes Rädchen ins Gefüge größerer Organisationen einfügen kann, betont Coolness gerade die individualistische und kreative Ausrichtung der Affektkontrolle. Nicht von ungefähr ist es gerade das KünstlerImage, das in den USA coole Verhaltensmuster in den 1950er Jahre prägte, während sich die »Verhaltenslehren der Kälte« am Typus des Arbeiters, Soldaten oder kommunistischen Kaders orientierten. Nur unter diesen gesellschaftspolitischen Prämissen wird verständlich, warum ein Magazin wie Life, das sich an die breite Masse der weißen Mittelschicht richtete, trotz einer offensichtlichen ironischen Distanz letztlich doch wohlwollend über kulturelle Phänomene wie Jazz, Beat-Literatur und eben auch die Malerei Jackson Pollocks berichten konnte und somit an der Popularisierung coolen Verhaltens in den späten 1940er und 1950er Jahren beteiligt war. 40
oder Ejakulieren in Zusammenhang gebracht wurde. Vgl. Rosalind E. Krauss: The Optical Unconscious, Cambridge Mass., London: MIT Press 1994, S. 243-308. 40. Zum durchaus positiven Verhältnis von Life zu den Malern des Abstrakten Expressionismus vgl. Bradford R. Collins: »Life Magazine and the Abstract Expressionists, 1948-51. A Historiographic Study of a Late Bohemian Enterprise«, in: Art Bulletin 73 (1991), S. 283-308.
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Die amerikanische Minimal Art heute eine »coole Kunst« zu nennen, scheint keineswegs gewagt. Eine solche Kennzeichnung dürfte breite Zustimmung finden, denn die Metallquader von Donald Judd, die rechteckigen Stahlplatten von Carl Andre und die Maschendrahtobjekte von Robert Morris muten in mehrfacher Hinsicht »cool« an. Im Vordergrund steht hier vor allem ein materialästhetisches Moment: die Verwendung kühler Materialien, deren (aus konservatorischen Gründen verbotene) Berührung die Empfindung von Kälte verspricht. Und es ist auch – in einem eher umgangssprachlichen Sinne – eine »coole«, in den 1960er Jahren allerdings nicht wirklich neue Geste, offensichtlich industriell gefertigte, formal schlichte und ästhetisch langweilige Objekte in eine Galerie zu stellen und zu behaupten, das sei Kunst. Als »cool« erscheint hier also zum einen eine künstlerische Haltung bzw. Strategie, mit der eine bestimmte Rezeptionsanordnung einhergeht, und zum anderen eine den Objekten aufgrund ihrer formalen und materialen Eigenschaften zugesprochene Qualität. Nun ist zu fragen, ob und inwiefern diese ersten, eher oberflächlichen Beobachtungen für die historische Situation, also für die New Yorker Kunstszene der 1960er Jahre, Relevanz haben. Dabei geht es mir weniger um eine neue Sicht auf die Minimal Art als um eine Präzisierung des Begriffs »cool« und seines semantischen Potenzials im konkreten topographischen und zeitlichen Kontext.
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Against Abstrac t Expressionism In der amerikanischen Kunstkritik der 1960er Jahre wurde der Terminus »cool« relativ häufig verwandt und nicht selten mit einer Beiläufigkeit, die der heutigen Ubiquität des Wortes ähnelt. Gleichwohl gab es Verdichtungen und Verschiebungen. Wie »minimalism«, »minimal art« und andere Bezeichnungen war auch »cool« bzw. »cool art« in dieser Zeit ein »shifting signifier whose meanings altered depending on the moment or context of its use.«1 Die Studien von James Meyer und Margit Brinkmann machen eindrucksvoll deutlich, dass das Label »Minimal Art« als Kennzeichnung einer bestimmten künstlerischer Richtung am Ende eines wechselhaften, vielschichtigen und kontrovers verhandelten Prozesses stand und dass es heute lohnend sein kann, diese für die Kunstgeschichte so handliche Etikettierung durch einen differenzierenden Blick auf die New Yorker Kunstszene der 1960er Jahre wieder etwas aufzuweichen.2 Laut Meyer gab es noch im Frühjahr 1963, also nach der viel beachteten »New Realists«-Ausstellung in der Sidney Janis Gallery, »no ›minimalism‹ that could be opposed to ›pop‹. Pop itself was hardly an established venture […] As Larry Poons later recalled, during the early sixties ›there weren’t any distinctions made between the abstractions of, say, Stella, and Lichtenstein’s and Warhol’s work … For the moment, everything existed on the same walls, and it was fine‹.«3 Erst in der zweiten Hälfte der Dekade schälte sich auf Ebene des Ausstellungsbetriebs und der Kunstkritik ein »harter Kern« von fortan (und auch hier) so genannten »Minimal artists« heraus – also das Set von durchweg männlichen Künstlern, die heute vor allen anderen mit dieser Kunstrichtung in Verbindung gebracht werden und, insofern, Kunstgeschichte schrieben: Donald Judd, Robert Morris, Carl Andre, Dan Flavin und Sol Lewitt. 4 Ein für diesen Ausdifferenzierungsprozess von Künstler1. James Meyer: Minimalism. Art and Polemics in the Sixties, New Haven: Yale University Press 2001, S. 3. 2. Vgl. Meyer: Minimalism 2001; Margit Brinkmann: Minimal Art – Etablierung und Vermittlung moderner Kunst in den 1960er Jahren, Diss. Bonn 2006 (URL: http://hss.ulb.uni-bonn.de/diss_online/phil_fak/2006/brinkmann_margit; gedruckte Ausgabe: VDM Verlag 2008). 3. Meyer: Minimalism 2001, S. 45. Zur Ausstellung »The New Realists«, die am 31.10.1962 in der Sidney Janis Gallery eröffnet wurde, vgl. Bruce Altshuler: The Avant-Garde in Exhibition. New Art in the 20th Century, New York: Harry N. Abrams 1994, S. 214-219. 4. Zur Zusammensetzung dieses »harten Kerns« und »exzentrischeren« Positionen jenseits davon sowie zur Begriffs- und Publikationsgeschichte der
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gruppen und künstlerischen Tendenzen in New York besonders wichtiges Jahr war 1966. Im Februar bekam Donald Judd eine viel beachtete Einzelausstellung in der marktmächtigen Leo Castelli Gallery (s. Abb. 1).5 Bald darauf, Ende April 1966, eröffnete die von Kynaston McShine kuratierte Ausstellung »Primary Structures« im Jewish Museum. Gezeigt wurden Arbeiten von »jüngeren amerikanischen und britischen Bildhauern«, darunter Flavin, Andre, Lewitt, Morris und Judd, die beiden letzteren mit einer konzentrierten Werkpräsentation in dem großen Ausstellungsraum in der ersten Museumsetage (s. Abb. 2).6 Die in dem Jahr bereits mit Einzelausstellungen von Lewitt und Michael Steiner hervorgetretene Dwan Gallery zeigte schließlich im Herbst 1966 die von Ad Reinhardt und Robert Smithson konzipierte Gruppenausstellung »10« mit Arbeiten von Andre, Flavin, Judd, Lewitt, Morris, Smithson, Steiner, Reinhardt, Agnes Martin und Jo Baer.7
»Minimal Art« siehe: Gregor Stemmrich: »Vorwort«, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden/Basel: Verlag der Kunst 1995, S. 11-30. Der Terminus »Minimal Art« geht auf einen 1965 von dem englischen Kunstphilosophen Richard Wollheim veröffentlichen Aufsatz gleichen Namens zurück, der aber eigentlich auf allgemeine Entwicklungen in der Kunst des 20. Jh. abzielte. Vgl. Richard Wollheim: »Minimal Art« (Arts Magazine, Januar 1965), in: Gregory Battock (Hg.), Minimal Art. A Critical Anthology, New York: E.P. Dutton & Co. 1968, S. 387-399. 5. »Donald Judd«, Leo Castelli Gallery, New York, 5.2.-2.3.1966. Leo Castelli, der zuvor u.a. Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, James Rosenquist und auch Frank Stella vertreten hatte, übernahm Donald Judd 1965 von der Green Gallery. Wenig später gehörte auch Robert Morris zu den Künstlern in Castellis Galerie, wo er im Februar 1967 eine erste Einzelausstellung bekam. Vgl. hierzu Brinkmann: Minimal Art 2006, S. 106-110; Meyer: Minimalism 2001, S. 167. 6. »Primary Structures. Younger American and British Sculptors«, The Jewish Museum, New York, 27.4.-12.6.1966. Ausgestellt wurden insgesamt 51 Arbeiten von 42 Künstlern. Das Jewish Museum unter dem Direktorat von Sam Hunter (1964ff.) fungierte damals vor allem als Ausstellungsraum bzw. Kunsthalle und galt als ein ausgewiesener »showcase« für neue künstlerische Tendenzen in New York. – Zu der »Primary Structures«-Ausstellung vgl. Meyer: Minimalism 2001, S. 12-30; Altshuler: The Avant-Garde 1994, S. 220-235; Brinkmann: Ainimal Art 2006, S. 125-130. 7. »10«, Dwan Gallery, New York, 4.-29.10.1966. Vgl. Brinkmann: Minimal Art 2006, S. 103-106.
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Abbildung 1: Donald Judd, Einzelausstellung in der Leo Castelli Gallery 1966, Installationsansicht. Aus: James Meyer: Minimalism. Art and Polemics in the Sixties, New Haven 2001, S. 168 Wenngleich vor allem die »Primary Structures«-Ausstellung immer wieder als Durchbruch der »Minimal Art« bezeichnet wird, so steht doch außer Frage, dass auch hier noch eine gewisse Vielfalt zeitgenössischer Skulptur zu sehen war und dass die Kunstkritik das auch so wahrnahm.8 Dem Kurator und den Kritikern galten die 1966 in »Primary Structures« gezeigten Objekte als markante Beispiele einer neuen künstlerischen Qualität eher allgemeiner Natur. Und diese neue Qualität bzw. Sensibilität wurde Mitte der 1960er Jahre wahlweise als »minimal«, »impersonal«, »ABC«, »reduced«, »primary«, »literalist« oder eben als »cool« bezeichnet. Kynaston McShine kommt in seiner Katalogeinführung kurz auf diese flottierenden Begriffe zu sprechen und unterstützt die ablehnende Haltung der Künstler gegenüber solchen Etikettierungen, die der Erfahrung im Umgang mit der Kunst widersprächen und nur bedingt deren Mittel beschrieben. Gemeinsam sei den in der Ausstellung vorgestellten Künstlern, so McShine, die Kritik an der unmittelbaren Vergangenheit, also an der Kunst des Abstrak8. So schrieb Dore Ashton in einer Kritik zu »Primary Structures«: »At best the show offers an index of what younger sculptors are up to lately.« Dore Ashton: »The Anti-Compositional Attitude in Sculpture. New York commentary«, in: Studio International 172, Heft 879 (1966), S. 44-47, hier S. 44.
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ten Expressionismus, und die Überzeugung, dass die Skulptur gegenüber der Malerei nun einen Führungsanspruch erheben könne.9
Abbildung 2: Primary Structures, Jewish Museum 1966, Installationsansicht mit Arbeiten von Judd und Morris. Aus: James Meyer: Minimalism. Art and Polemics in the Sixties, New Haven 2001, S. 18 Vor allem am vermeintlichen Widerspruch zum Abstrakten Expressionismus wurde gerade der Begriff »cool« in der ersten Hälfte der 1960er Jahre festgemacht. Dabei standen weniger formalästhetische oder medienbezogene Argumente im Vordergrund als die Beobachtung einer neuen Herangehensweise seitens der Künstler – und zwar sowohl der später so genannten Pop artists wie auch der Vertreter des Minimal und anderer zeitgenössischer Tendenzen. So nannte Samuel Wagstaff, Jr., der Anfang 1964 die Ausstellung »Black, White, and Grey: Contemporary Painting and Sculpture« im Wadsworth Atheneum in Hartford kuratierte, die dort mit Werken versammelten Künstler »cool«. Gezeigt wurde ein repräsentativer Querschnitt aktueller New Yorker Kunst, unter anderem minimalistische Skulpturen von Morris, Flavin und Tony Smith, Prä-Pop-Arbeiten 9. Vgl. Kynaston McShine: »Introduction«, in: Primary Structures. Younger American and British Sculptors (Ausst. Kat.), New York 1966, o.S.; hier referiert nach Brinkmann: Minimal Art 2006, S. 127 und 129.
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von Jasper John und Robert Rauschenberg, Siebdrucke von Andy Warhol und streng abstrakte Gemälde von Agnes Martin.10 An der »coolen«, das hieß in dem Zusammenhang: an der ostentativ unbeteiligten Haltung dieser und anderer Künstler machte der Kunstkritiker Brian O’Doherty, Kolumnist der New York Times, einen »neuen Nihilismus« fest. Ihre Werke seien absichtsvoll ohne Inhalt, ihre Lebenseinstellung »one that is antiemotion, anti-human, anti-art.«11 Nach den auf das Gefühl und individuelle Befindlichkeiten setzenden Abstrakten Expressionisten käme nun »a cool, hip generation that has gone beyond angst to indifference.«12 Ähnliche Beobachtungen machte in dieser Zeit, 1963/64, auch Irving Sandler, damals Kritiker bei der New York Post. Er veröffentlichte sie im Frühjahr 1965, in einem Aufsatz für die Kunstzeitschrift Art in America, unter dem bezeichnenden Titel »The New Cool-Art«. 13 Unter diesem 1965 nicht mehr neuen, aber so explizit und prominent bis dahin zumindest in New York noch nicht ins Spiel gebrachten Oberbegriff14 fasste Sandler die heute als sehr 10. »Black, White, and Grey: Contemporary Painting and Sculpture«, Wads-
worth Atheneum, Hartford, Conn., 9.1.-9.2.1964. Vgl. Meyer: Minmalism 2001, S. 76-81; Brinkmann: Minimal Art 2006, S. 115-117. Die Ausstellung wurde von Donald Judd für Arts Magazine (März 1964) besprochen. Vgl. Donald Judd: »Schwarz, Weiß und Grau«, in: Stemmrich: Minimal Art 1998, S. 195-201. 11. Brian O’Doherty: »Frank Stella and a Crisis of Nothingsness«, in: New York Times 19.1.1964, Sek. 2, S. 21. 12. Brian O’Doherty: »The New Nihilism: Art versus Feeling«, in: New York Times, 16.2.1964, Sek. 2, S. 15. 13. Irving Sandler: »The New Cool-Art«, in: Art in America 53 (1965), S. 96101. 14. Allerdings hatte schon 1964 in Kalifornien, also in damals entlegener topographischer Position, Philip Leider, der Herausgeber der Kunstzeitschrift Artforum, den Begriff »Cool School« in Umlauf zu bringen versucht. Die Artforum-Redaktion befand sich bis 1967 in Los Angeles bzw. San Francisco und zog erst dann nach New York um. In der Sommerausgabe von Artforum 1964 publizierte Leider einen Aufsatz mit dem Titel »The Cool School«. Darin profilierte er die vor allem von der Ferus Gallery in Los Angeles ausgestellte WestküstenAvantgarde gegenüber sowohl dem Abstrakten Expressionismus als auch der Pop art, also gegenüber den an der amerikanischen Ostküste dominierenden künstlerischen Bewegungen, wobei er Minimal nicht erwähnte. Leider charakterisierte in diesem kurzen Text die »Cool School« von Los Angeles als eine Kunst der Reduktion, Kälte und Distanz: »[…] [a] hatred of the superfluous, a drive toward compression, a precision of execution which extends to the production of any trifle, an impeccability of surface, and, still in reaction, a new distance between artist and work of art, between artist and viewer […]; where
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verschieden wahrgenommenen Positionen von Frank Stella, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Larry Poons und Donald Judd zusammen. 15 Der Kritiker prognostizierte, dass die neue »Cool-Art« als Kunst der sechziger Jahre in die Geschichte eingehen werde – so wie der Abstrakte Expressionismus der Kunst der vierziger und fünfziger Jahre seinen Stempel aufgeprägt habe. »Action painters« wie Jackson Pollock, Willem de Kooning und Philip Guston hätten versucht, ihrer intensiven Gefühlswelt künstlerischen Ausdruck zu verschaffen, und von Sandler »romantisch« genannte Künstler wie Mark Rothko, Barnett Newman und Clifford Still hätten »pictorial equivalents for their visions of the sublime« erprobt. 16 Während die Künstler des Abstrakten Expressionismus auf exzessive Weise mit ihrer individuellen Subjektivität und deren Manifestation oder Veräußerlichung auf der Leinwand beschäftigt waren, beobachtete Sandler nun, zu Mitte der 1960er Jahre, eine gänzlich neue künstlerische Herangehensweise, eine ganz neue Auffassung von der Praxis des Kunstmachens und auch von der Rolle des Künstlers. Das Ergebnis sei eine Kunst »so deadpan, so devoid of signs of emotion, that I [i.e. Sandler] have called it cool-art.«17 Was Sandler wie auch Wagstaff und O’Doherty als das wesentliche Merkmal einer neuen »coolen« Kunst herausstellten, war die Dissoziation von Künstlersubjekt und Werk durch eine radikal mechanistisch, emotionslos und konzeptuell gefasste Art der puren Objektproduktion. Sandler referierte in seinem Beitrag Frank Stella mit der Aussage, es würde ihm als Künstler reichen eine gute Idee zu haben, und er – Stella – wäre zufrieden, wenn jemand anderes, am besten eine Maschine, diese Idee für ihn ausführte. Auch die von Andy Warhol in einem Interview mit Gene Swenson 1963 gemachte Äußerung »I want to be a machine« zitierte Sandler als Beleg für eine programan Abstract Expressionist canvas begs to be touched, a construction of Larry Bell’s, for example, cries: ›Hands Off!‹ (This quality of distance, coldness, austerity has become a trademark of Ferus Gallery installations.)« Philip Leider: »The Cool School«, in: Artforum 2, Heft 12 (Sommer 1966), S. 47-52, hier S. 47. – Siehe auch den Dokumentarfilm »The Cool School« über die Künstler der Ferus Gallery und die Kunstszene in Los Angeles in den 1960er Jahren von Morgan Neville auf einer Textgrundlage von Neville und Kristine McKenna, 2007. Für den größeren Zusammenhang der kalifornischen Kunstszene siehe auch Elizabeth Armstrong (Hg.): Birth of the Cool: California Art, Design and Culture at Mid-Century, München: Prestel 2007. 15. Als Vorreiter und Inspiratoren dieser neuen künstlerischen Entwicklung in New York nannte Sandler Ad Reinhardt und Jasper Johns, außerdem den Musiker John Cage. 16. Sandler: The New Cool-Art 1965, S. 96. 17. Ebd.
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matisch angelegte Entpersonalisierung der künstlerischen Praxis und der daraus resultierenden Artefakte. 18 Auf die gleichen Umstände hob auch der »coolness«-Begriff von Susan Sontag ab. In ihrem 1965, also im gleichen Jahr wie Sandlers Artikel erschienenen Essay »One culture and the new sensibility« schrieb sie: »Many of the serious works of art of recent decades have a decidedly impersonal character. The work of art is asserting its existence as ›object‹ (even as manufactured or mass-produced object, drawing on the popular arts) rather than as ›individual personal expression‹. […] a reaction against what is understood as the romantic spirit dominates most of the interesting art of today. Today’s art, with its insistence on coolness, its refusal of what it considers to be sentimentality […] is closer to the spirit of science than of art in the old-fashioned sense.«19 Der Kontrast zwischen einer so definierten neuen »Cool-Art« und dem Abstraktem Expressionismus war eklatant und aus der Perspektive von Sandler, Sontag und anderen Zeitgenossen entscheidend. Doch lassen sich heute auch Kontinuitäts- oder Entwicklungslinien aufzeigen, zumal im Hinblick auf die Verfahrensweisen. Jackson Pollocks »action painting« gründete in dem surrealistischen Konzept der »écriture automatique«. Demnach sorgt ein vom Unterbewusstsein gesteuerter und beständig vorangetriebener Automatismus dafür, dass der Maler in direkter körperlicher Auseinandersetzung mit Farbe und Leinwand sukzessive sein Bild hervorbringt. Das Gemälde ist somit ein idealiter ganz spontan oder eben automatisch hervorgebrachtes Zeugnis von individueller Vitalität, Energie und Gefühlstiefe. In der von Sandler so genannten »Cool-Art« wird dieser Automatismus – bei Andy Warhol – auf die Massenmedien oder aber – bei 18. Warhol: »The reason I’m painting this way is that I want to be a machine, and I feel that whatever I do and do machine-like is what I want to do.« Interviews von Gene R. Swenson, »What is Pop Art? Part I« (Art News, November 1963), zitiert nach: Steven Henry Madoff (Hg.), Pop Art. A Critical History, Berkeley/London: University of California Press 1997, S. 103-111, hier S. 104. – Zu diesem in der amerikanischen Kunstszene der 1960er Jahre zu beobachtenden, auch diskursiv herbeigeführten Umschlag von einem einsam in seinem Atelier und ganz aus sich heraus arbeitenden Künstlerindividuum hin zum Unternehmer-Künstler, der einen »Mann von Welt« darstellt, vgl. die brillante Studie von Caroline A. Jones: Machine in the Studio. Constructing the postwar American Artist, Chicago: The University of Chicago Press 1996. 19. Susan Sontag: »One culture and the new sensibility« (1965), in: Against Interpretation and Other Essays, New York 1966, S. 293-304, hier S. 297. Sontag erkannte in der von ihr diagnostizierten »new sensibility« die Möglichkeit zu einem Brückenschlag zwischen »high and low« bzw. zwischen Hoch- und Populärkultur.
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Donald Judd – auf die industrielle Produktion verlagert bzw. ausgelagert. Wenn Pollock das ausführende Medium seiner aus und mit dem eigenen Körper hervorgebrachten Kunst war, so wäre Warhol am liebsten eine lediglich reproduzierende Maschine gewesen. Judd wiederum lieferte spröde Objektideen, die er von anderen maschinell herstellen ließ. Das bedeutete auch eine von Irving Sandler 1965 eher am Rande bemerkte Akzentverschiebung hinsichtlich der künstlerischen Autorität. Die »cool-artists«, so Sandler, verwandelten das bange »I don’t know« der »action painters« in ein vorsätzliches »I know«.20 Auf die egozentrische Hysterie der Abstrakten Expressionisten folgte die zerebrale Disziplin der »cool-artists«. Der nun von Maschinen übernommene Kunstherstellungsprozess war in jeder Phase kontrollierbar, das Ergebnis perfekt bezüglich der Umsetzung der künstlerischen Idee und ohne sichtbare Spuren einer Handanlegung von Seiten des Künstlers. Die Verlagerung der Automatismus-Idee vom Körper des Künstlers in die maschinelle oder industrielle Fertigung war in den frühen 1960er Jahren ein Bruch mit dem Gegebenem, kann aber auch als dessen konsequente Weiterentwicklung bewertet werden. Ähnlich verhielt es sich mit der modernistischen Theorie, die weniger in der Pop Art, umso mehr aber in der Minimal Art fortlebte und darin womöglich ihre ganze »coolness« offenbarte. Clement Greenberg, der Kritikerpapst des amerikanischen Modernismus und maßgebliche Beförderer der New York School, war zwar ein erklärter Gegner der Minimal Art und ihres »Nicht-Kunst-Look«. Die Minimal Art sei, so Greenberg sehr luzide in einem Katalogbeitrag 1967, »zu sehr etwas Ausgedachtes und zu wenig etwas anderes.«21 Gleichwohl und unumwunden ist der Kunsthistorikerin Anna Chave zuzustimmen, wenn sie 1990 resümiert, dass Minimal nur die logische Konsequenz der von Greenberg propagierten modernistischen Theorie war, also der Forderung nach bedingungsloser Werkautonomie, resultierend aus der Konzentration auf die bildnerischen Mittel und dem Verzicht auf jegliche Referenz auf Außerkünstlerisches, schließlich auch auf den Künstlerkörper: »[E]rst jene Darstellung der Geschichte der modernen Kunst, die von Greenberg als ihre wahre Geschichte eingeschrieben wurde, hatte es möglich gemacht, 20. »In so doing, they [i.e. the cool-artists] have changed the anxious ›I don’t know‹ of the action painters to a calculated ›I know‹.« Sandler: The New Cool-Art 1965, S. 96. Ähnlich formulierte es Battock: »The Minimal artist no longer questions – he challenges and observes.« Gregory Battock: »Introduction«, in: Battock: Minimal Art 1968, S. 19-36, hier S. 32. 21. Clement Greenberg: »Neuerdings die Skulptur« (»Recentness of Sculpture«, 1967), in: Stemmrich: Minimal Art 1998, S. 329. Zu Greenbergs Bewertung der Minimal Art siehe auch Meyer: Minimalism 2001, S. 211ff.
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dass diese Objekte am Rande der Nicht-Kunst [i.e. die Arbeiten der Minimal Künstler] zu Kunstwerken höchsten Ranges hochgeredet wurden.«22 Das von Chave so genannte »Hochreden« der minimalistischen Objekte bemerkte schon früh der amerikanische Kunstkritiker Peter Schjeldahl. Schjeldahl begeisterte sich nach eigener Aussage für die ersten Arbeiten des Minimal, erinnert sich aber in einem 1984 publizierten Essay auch an seine Irritation wegen der »esoterischen Kritik, die auf eine fast komische Art um die stumme Einfalt der Arbeiten herumsummte«. Es habe eine »irritierende Lücke zwischen den stummen Objekten und dem Gewimmel der Wörter« gegeben. Schjeldahl deutet diese »Lücke« als das »Ergebnis einer allzu erfolgreichen Strategie des Unterdrückens der künstlerischen Persönlichkeit« und führt sie auf einen bis ins Absurde betriebenen »Kult des Unpersönlichen« zurück.23 Die vorsätzlich entpersonalisierten, vom Künstlerkörper abgelösten und deshalb in ihrer Zeit als »cool« wahrgenommenen Objekte waren offenbar besonders kommentarbedürftig. Und zu dem »Gewimmel der Wörter« trugen die Künstler eifrig bei. Während die Abstrakten Expressionisten verbale Erläuterungen ihrer Werke weitgehend vermieden oder sogar aktiv verweigert hatten,24 pflegten die Künstler des Minimal, insbesondere Judd und Morris, ein apodiktisches, betont distanziert und unpersönlich anmutendes Theoretisieren, das weniger ihren eigenen Arbeiten als der Kunst im Allgemeinen galt. Der propagierte Rückzug des Künstlers oder, in der damaligen Formulierung von Roland Barthes, der »Tod des Autors« war insofern nur ein partieller bzw. ein lediglich behaupteter.25 Über die Bereitschaft zu Interviews, die Publikation kunst22. Anna Chave: »Minimalismus und die Rhetorik der Macht« (»Minimalism
and the Rhetoric of Power«, 1990), in: Stemmrich: Minimal Art 1998, S. 647677, hier S. 650. 23. Peter Schjeldahl: »Minimalismus« (»Minimalism«, 1984), in: Stemmrich: Minimal Art 1998, S. 556-588, hier S. 558 und 583. 24. Vgl. hierzu Peter Schneemann: Von der Apologie zur Theoriebildung. Die Geschichtsschreibung des Abstrakten Expressionismus, Berlin: Akademie Verlag 2003. 25. Roland Barthes‘ Aufsatz »The Death of the Author« (in: Roland Barthes, Image – Music – Text, New York: Noonday Press 1977, S. 142-148) erschien erstmalig, übersetzt von Richard Howard, in einer »The Minimalism Issue« genannten Doppelausgabe der Zeitschrift Aspen im Herbst 1967. Die Ausgabe enthielt multimediales Material, darunter ein Essay von Susan Sontag, eine phonographische Aufnahme von einem Samuel Beckett-Stück, das »Realistische Manifest« von Gabo & Pevsner und Musik von Morton Feldman und John Cage, ein konzeptuelles Gedicht von Dan Graham, ein »Serial Project« von Sol Lewitt und »MazeModule« aus Pappe zum Zusammensetzen durch die Leserschaft.
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theoretisch ambitionierter Kommentare und Kritiken, den ausgeprägten Individualstil der führenden Minimal artists, eine von Künstlerseite reglementierte Auflagenpolitik und die auch für »coole« Objekte geltenden Anforderungen des Kunstmarktes waren Autorschaft und Authentizität weiterhin gegeben.26 Der »Kult des Unpersönlichen« war eine Maske, hinter der sich die Autorität des Künstlers nur schlecht verbarg.
»Coolness« des Minimal Wenn der Begriff »cool« bis Mitte der 1960er Jahre wiederholt dazu diente, die Gemeinsamkeiten von Pop und Minimal in der vermeintlichen Abgrenzung vom Abstrakten Expressionismus hervorzuheben, so scheint er im weiteren Verlauf der Dekade an Prägnanz verloren zu haben und gegen Ende des Jahrzehnts schon stark abgenutzt gewesen zu sein.27 Zugespitzt formuliert, ließe sich sagen, dass man sich in den fortschreitenden 1960er Jahren, nach der Diagnose einer neuen, als »cool« empfundenen künstlerischen »Sensibilität«, wieder vermehrt auf formalistische Kriterien konzentrierte und so die Ausdifferenzierung von Pop und Minimal vorantrieb. Auch für die Kennzeichnung eines bestimmten »look« war der Begriff »cool« brauchbar, wurde aber erstaunlich selten bemüht und dann kaum präzisiert. So bemerkte Hilton Kramer angesichts der Judd-Ausstellung 1966 in der Castelli Gallery (s. Abb. 1), »Mr. Judd represents only the beginning of a development that, given the current interest in cool, cerebral esthetics, is certain to accelerate.«28 Dass hier mit »kühler, zerebraler Ästhetik« auf die streng abstrakte Formensprache der minimalistischen Kunstobjekte und ihre nüchterne Präsentationsweise im sterilen Ausstellungsraum angespielt wurde, ist zu vermuten. Eine ausgesprochene Verknüpfung von »cool esthetics« und bestimmten formalen Eigenschaften des Minimal bot Kramer aber nicht. Tatsächlich, und im Unterschied zur Pop Art, waren der Einsatz harter, glatter Materialien, ein drastisch reduziertes Formenvokabular und der Verzicht auf Narration kennzeichnend für die Mehrzahl der minimalisti-
26. Siehe auch Jonathan Flatley: »Allegories of Boredom«, in: Ann Gold-
stein (Hg.), A Minimal Future? Art as Object 1958-1968 (Ausst. Kat.), Los Angeles: The Museum of Contemporary Art 2004, S. 51-75, hier S. 64f. 27. »By the late sixties, the concept of a Cool generation had come to seem tiresome to say the least.« Meyer: Minimalism 2001, S. 148. 28. Hilton Kramer: »Art: Constructed to Donald Judd’s specifications«, in: The New York Times, 19.2.1966, S. 23.
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schen Arbeiten, die Judd 1965 »spezifische Objekte« nannte.29 Der Industrie-»Look« des Minimal resultierte nicht aus der Referenz auf ubiquitäre Güter des Konsums und der Massenmedien, sondern aus der formalen Ähnlichkeit bzw. Identität mit Halbzeug und Bauteilen und den damit evozierten Fertigungsweisen. Mit Vorliebe wählte vor allem Judd kühle Materialien wie Aluminium, Stahl und Plexiglas, die gemäß seinen Anweisungen zu einfachen geometrischen Formen verarbeitet wurden. Die glatten Oberflächen dieser Objekte weisen keine Spuren des Herstellungsprozesses bzw. der Formgebung und erst recht keine künstlerische Handschrift im herkömmlichen Sinne auf. Judds Künstlerkollege Dan Flavin arbeitete seit 1963 ausschließlich mit Leuchtstoffröhren, also mit einem fertigen, in Formgebung, Größe und Leistungsvermögen standardisierten Industrieprodukt, das ein kühles, gleichmäßiges Licht verströmt. Vielfach griff Flavin für seine Lichtobjekte auf die gebräuchlichste, im Handel so genannte »Cool White lamp« zurück und betitelte seine Arbeiten entsprechend.30 Carl Andre wiederum verwandte neben Stahlplatten vor allem Backsteine und Holz für seine zumeist seriell angelegten Arbeiten. Solcherart »naturbelassene« oder industriell gefertigte Materialien bzw. – bei Flavin – Industrieprodukte beanspruchten Objektivität in dem Sinne, dass ihre Herkunft erkennbar und nicht durch eine symbolisch oder zeichenhaft wirksame Bearbeitung von Künstlerseite transformiert worden war. Die daraus entstehenden Artefakte existierten lediglich und verwiesen auf nichts als sich selbst und den sie umgebenden Raum, der so für den Rezipienten intellektuell und körperlich erfahrbar werden sollte. Anna Chave hat – erneut zu Recht – darauf hingewiesen, dass eine häufig enigmatische Titelgebung bei den Arbeiten einiger Minimal Künstler gleichwohl Verwirrung stiftet, weil dadurch das Publikum von den vermeintlichen Fakten und der ausgestellten Langeweile abgelenkt wird. Eines ihrer Beispiele ist Dan Flavins »The Diagonal of May 25, 1963 (to Robert Rosenblum)«, die erste ganz aus fluoreszierendem Licht bestehende Arbeit des Künstlers (s. Abb. 3). Durch den gewählten Titel wird, so Chave, »eine solche ganz offenkundig nicht-erzählende Kunst durch ›Assoziationen‹ ›verkompliziert‹«. Während eine panegyrische bzw. modernistische Kritik dazu tendiert, solche ›Assoziationen‹ zugunsten einer Betonung 29. Donald Judd: »Specific Objects«, in: Arts Yearbook 8 (1965), S. 74-82;
deutsche Übersetzung in: Stemmrich: Minimal Art 1998, S. 58-73, 30. Z.B. »daylight and cool white (for Sol Lewitt)«, 1964. Flavin publizierte 1965 auch eine im Titel auf dieses Material Bezug nehmende »autobiographische Skizze«. Vgl. Dan Flavin: »… ›in daylight or cool white.‹ an autobiographical sketch«, in: Artforum 4, 4 (Dezember 1965), S. 21-24; deutsche Übersetzung in: Stemmrich: Minimal Art 1998, S. 162-170.
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des Reinen, Primären und Unmittelbaren der Minimal Art zu übersehen, geht es Chave genau darum diese Assoziationen zu benennen. Sie deutet Flavins »The Diagonal« nicht nur als phallisch, sondern als technologischen Fetisch, in dem die Impotenz des Künstlers und seine Abhängigkeit von der Technik aufscheine.31 Ich würde hinzufügen, dass hier – mit der Widmung an den Kunsthistoriker Robert Rosenblum – auch homosoziale bzw. homoerotische Assoziationen im Sinne von »male bonding« gegeben sind.32
Abbildung 3: Dan Flavin, »The Diagonal of May 25, 1963 (to Robert Rosenblum)«, 8-ft-Leuchtstoffl ampe in Cool White, ca. 244 x 9,5 cm. Aus: Thomas Crow, Die Kunst des Sechziger Jahre, Köln 1997, S. 143
Mit Blick auf die visuellen Strategien und ästhetischen Merkmale der Minimal Art ist jenseits des Materialcharakters vor allem das serielle Prinzip hervorzuheben. Die einmal gefundenen Formen bzw. Objekte wurden häufig in Wiederholung hinter-, über- oder nebeneinander präsentiert. Es ging um die Allgemeingültigkeit einer einmal entwickelten Idee, deren materielle Umsetzung sich jedem räumlichen Zusammenhang anpassen können und eher prozesshaft flexibel als abgeschlossen gedacht werden sollte. Hier gab es durchaus Berührungspunkte mit dem Abstrakten Ex31. Vgl. Chave: Minimalismus 1998, S. 651f. 32. Flavin widmete die meisten seiner Arbeiten anderen Künstlern, Sammlern und Kritikern, also in der Regel Männern.
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pressionismus. Was aber in der Minimal Art durch das Prinzip der Serie und die Materialästhetik zudem sichtbar oder doch zumindest assoziierbar wurde, waren die industrielle Fertigung und die Fließbandproduktion und damit auch die damalige Realität massenhaft produzierter Güter. Unübersehbar, und als solches gewollt, waren die Analogien zur durchrationalisierten Welt der Technologie und Großindustrie, also zu einer mit handfester Macht ausgestatteten Instanz der amerikanischen Gesellschaft. In der »heißen Zeit« des Vietnam-Krieges und der amerikanischen Frauen- und Bürgerrechtsbewegung kam mit der Minimal Art in New York eine »coole« Kunst auf, die den Machtinstanzen des amerikanischen Staates und insbesondere den vom Krieg profitierenden Industrieunternehmen noch zu sekundieren und aus dieser Assoziation ihrerseits Souveränität und Macht zu beziehen schien.33 Demgegenüber hat Jonathan Flatley zuletzt für die Kunst Judds – und auch Warhols – eine andere Dimension von Zeitgenossenschaft herausgestellt.34 Er erkennt in den absichtsvoll sinnlosen Artefakten dieser beiden Künstler eine Kritik am Kult des Immerneuen im Zeitalter des Massenkonsums. Die amerikanische Wohlstandsgesellschaft der 1960er Jahre war mit einer ständig erneuerten Flut von überdeterminierten, Glücksgefühle versprechenden Konsumgütern konfrontiert.35 Nach Flatley ging es Judd und Warhol gleichermaßen darum Kunstwerke zu machen, die Gefühle nicht repräsentierten, sondern dadurch, dass sie Langeweile provozierten, den zuvor abgestumpften Betrachter erst in die Lage versetzten, Interesse, Emotionen und mentales Engagement zu entwickeln.36 So scheint es zumindest dem hier schon einmal zitierten Peter Schjeldahl gegangen zu sein, der sich an seine euphorische Reaktion auf eine Carl Andre-Ausstellung 1966 in New York (s. Abb. 4) erinnert: »Die Minimal Art genannte Bewegung […] traf mich wie ein Blitz, als ich im März 1966 in die Tibor de Nagy 33. In einem Überblicksartikel zur Entwicklung von Kunst und Kultur seit den 1920er Jahren markierte die Kritikerin Dore Ashton sowohl Minimal (vertreten durch Robert Bladen) als auch Pop Art (vertreten durch Tom Wesselman) als »current cool alternatives« zur Neuen Linken und deren Revolutionsbegehren. Vgl. Dore Ashton: »The Distance from 1926 to 1966«, in: Arts Magazine 41 (Dezember 1966), S. 28-33 34. Vgl. Flatley: Allegories 2004. 35. Siehe hierzu auch Sara Doris: Pop art and the contest over American culture, Cambridge: Cambridge University Press 2007, insb. Kap. II. 36. Flatley 2004, S. 53: »[…] Judd’s and Warhol’s task was to create work that did not promise to distract, nor claim to represent repressed feelings (like Abstract Expressionism), but instead create a space in which one’s affective experience of everyday life could come into being.«
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Gallery kam und auf dem Boden Ziegelsteine liegen sah: acht säuberliche niedrige Packen. Bauarbeiten, dachte ich, und wollte schon wieder gehen. Da ergriff mich ein anderer Gedanke: Und wenn es Kunst ist? Ich wagte kaum, auf etwas so Wundervolles zu hoffen (vielleicht hielt ich die Luft an), doch dann fragte ich jemanden, und mir wurde versichert, ja, das ist eine Skulpturenausstellung von Carl Andre. Ich war in Ekstase. Von einem Gefühl des Triumphs erfüllt, studierte ich die Ziegel bis ins kleinste Detail. Warum? Das hätte ich damals nicht erklären können. […] Die Wurzel dieser Epiphanie war das jugendliche Bedürfnis nach Anerkennung, zu wissen, dass man nicht völlig daneben steht oder verrückt ist; und hier war Kunst (wenn es Kunst war!), die in einer Beziehung zu mir stand und die ich in einem gewissen Sinn erschaffen hatte.«37 Will man dieser nachträglichen Erlebnisschilderung Glauben schenken, dann war die kühle Ästhetik des Minimal also durchaus in der Lage, hitzige Reaktionen hervorzurufen.
Abbildung 4: Carl Andre, Einzelausstellung in der Tibor de Nagy Gallery, Installationsansicht 1966. Aus: James Meyer: Minimalism. Art and Polemics in the Sixties, New Haven 2001, S. 190
37. Schjeldahl: Minimalismus 1998, S. 556f.
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Epilog 1968 gab es einen letzten, abermals erfolglosen Versuch, das Label »Cool Art« zu setzen. Das von dem mäzenatisch ambitionierten Textilunternehmer Larry Aldrich betriebene Aldrich Museum for Contemporary Art in Ridgefield zeigte zu Anfang des Jahres die Ausstellung »Cool Art – 1967« mit Arbeiten unter anderem von Andre, Judd, LeWitt, Reinhardt, Smithson, Steiner und Christopher Wilmarth.38 In seiner Katalogeinführung wies Aldrich verblüffend selbstbewusst darauf hin, dass es für »the ›cool‹« noch keine adäquate Bezeichnung gäbe, »no really adequate descriptive title has been found yet.« Sein Vorschlag lief auf einen Schulterschluss zwischen Kunst, Technologie und Wirtschaft hinaus: »COOL ART might be described as that art which specifically embraces space, science and technology. It is impersonal, sophisticated, intellectual […] The cool artist cooperates with modern technology. He may send his drawing or model to a fabricator who will make the piece for him. He readily uses plastics, fiberglass, aluminium, formica, extruded alloys, and new methods of shaping and forming materials.«39 Aldrichs Vorstellungen muten wie ein fernes Echo von Gedanken der Arts-and-Crafts-Bewegung und des Bauhaus an. Hier war ein Unternehmer, der in der neuen »coolen« Kunst und ihren Machern nicht nur die Empfänger seines mäzenatischen Großmuts, sondern auch potenzielle Verbündete erkannte. Dass der dilettierende Textilmagnat Larry Aldrich für die New Yorker Kunstszene als Ausrufer einer neuen Kunstbewegung namens »Cool Art« nicht akzeptabel war, versteht sich von selbst. Im Jahr seiner Ausstellung, 1968, erschien die von Gregory Battock besorgte Anthologie »Minimal Art: A Critical Anthology«, die wesentliche Texte zu dieser künstlerischen »Bewegung« versammelte, sich um die Begriffsdefinition nicht weiter scherte und maßgeblich zur Etablierung des Labels beigetragen haben dürfte. 40 Dass Minimal heute nicht »Cool« heißt, liegt letztendlich auch an solchen publizistischen Entscheidungen.
38. »Cool Art – 1967«, 7.1.-17.3.1968, Aldrich Museum of Contemporary Art, Ridgefield, Conn. Die Ausstellung wurde in etwas veränderter Zusammensetzung wenig später (27.5.-29.9.1968) als »Cool Art: Abstraction Today« im Newark Museum, Newark, NJ, gezeigt. 39. Larry Aldrich: Cool Art – 1967 (Ausst. Kat. Aldrich Museum of Contemporary Art), Ridgefield 1968, o.S. 40. Vgl. Battock: Minimal Art 1968. Battocks Anthologie gilt heute noch als Basislektüre zum Thema.
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1967 verschickten Irving Sandler und Barbara Rose im Auftrag von Art in America einen Fragebogen an Künstler, in dem sie Auskunft darüber haben wollten, ob es eine Erlebnisweise (»sensibility«) der 1960er Jahre gäbe und wenn ja, welche. 1 Unter den Antwortenden waren einige, die den Begriff cool ins Spiel brachten. So war Gene Davis der Auffassung, dass »coolness, passivity and emotional detachment seem to be in the air. Pop, op, hard-edge, minimal art and colour painting share it to some degree.« 2 Oder Allan Kaprow antwortete wie folgt: »The last half-dozen years have been a period of cool detachment, irony and what we may call the fl ip-hip. Object’s bland, empty expanses and silences where hyped up in the psychadelic dissolves of op, with both sharing in a quasitechnological sensibility that excluded handwork and individualized personality.« 3 Mit diesem Fragebogen griff Irving Sandler seine bereits 1965 in Artforum unter dem Titel »The New Cool Art« dargelegten Überlegungen auf. Hier beschrieb er, wie Frank Stella, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Larry Poons oder Donald Judd in ihren reduzierten, mechanischen, minimalistischen Erfindungen die Ideen des Abstrakten Expressionismus von sich gewiesen hätten und eine Kunst entstanden sei, bar jeglicher Zeichen von
1. Barbara Rose/Irving Sandler: »The Sensibility of the Sixties«, in: Art in America 55 (Jan.-Feb. 1967), S. 44-49. 2. Vgl. ebd., S. 44. 3. Vgl. ebd., S. 45.
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Emotion.4 Aber auch andere nutzen den Begriff cool: Susan Sontag spricht von einem »insistent cool« und einem »refusal of sentimentality«5 in der Pop Art und Linda Nochlin vergleicht Pop mit Hard-Edge Abstraction wie folgt: »Pop scale, coolness of tone and pictorial handling, its emphasis on surface and brilliant color, its flatness of form and emotion, and its use of ready-made imagery rather than direct perception made it assimilable to the modernist aesthetic position. Indeed, many of the qualities of POP have been correctly, if at times grudgingly, equated with those of cool or hard-edge abstraction.«6 Kühle wird also als ein charakteristisches Kennzeichen verschiedener Kunstformen der 1960er Jahre genannt, das sich in deren formalen Eigenschaften zeigt. Allerdings hat sich cool als klassifizierender Begriff in der Kunstgeschichte nicht durchgesetzt. Folgt man Tom Holert, so ist eine Definition von Cool an sich bereits problematisch, da in cool widersprüchliche Anwendungen enthalten sind.7 Cool ist eben nicht nur eine Oberflächenqualität sondern beschreibt zudem einen Habitus, dessen Semantik, folgt man den verschiedenen Genealogien, unterschiedlich geprägt ist. So hat für den US-amerikanischen Raum Peter N. Stearns in »American Cool. Constructing a Twentieth–Century Emotional Style« die Entstehung von Cool als distinkte amerikanische emotionale Verhaltensweise der amerikanischen Mittelschicht rekonstruiert,8 oder in »Cool Pose: The Dilemmas of Black Manhood in America« haben Richard Majors und Janet Mancini Billson Coolness als entscheidende Komponente afroamerikanischer Männlichkeit beschrieben.9 Ausgehend von der augenscheinlichen Relevanz des Coolen im Kunstdiskurs der 1960er Jahre und den genannten Genealogien werde ich im Folgenden drei Positionen in den Blick nehmen, die historisch und aktuell mit Cool assoziiert werden: Alex Katz, der als »cool painter« bezeichnet wird, Andy Warhol, Inbegriff des coolen Künstlers, der in keiner Überblicksdarstellung zu Cool fehlt, und Barkley L. Hendricks, der afroamerikanische Maler, dem 2008 unter dem Titel »Birth of the Cool« eine Retrospektive ge4. Irving Sandler: »The New Cool Art«, in: Art in America 52 (Februar 1965), S. 96-100. 5. Susan Sontag: »On Culture and the New Sensibility«, in: dies., Against Interpretation, New York: Delta 1966. 6. Linda Nochlin: »Realism Now«, in: Gregory Battcock (Hg.), Super Realism. A Critical Anthology, New York: Dutton 1975, S. 113. 7. Tom Holert: »Cool«, in: Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.), Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 42-48. 8. Peter N. Stearns: American Cool. Constructing a Twentieth-Century Emotional Style, New York: New York Univ. Press 1994. 9. Richard Majors/Janet Mancini Billson: Cool Pose. The Dilemmas of Black Manhood in America, New York: Lexington Books 1992.
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widmet wurde. Ausgehend von jeweils einem Selbstportrait, für das sich die Künstler mit den Insignien des Cool ausgestattet haben, wird dargestellt, wie in unterschiedlichen Diskursen cool inhaltlich akzentuiert wird bzw. werden kann. In der Konzentration auf drei Selbstportraits der 1960er Jahre, und indem die Genealogien des Coolen in den jeweiligen Arbeiten selbst verfolgt werden, stellt sich anknüpfend an die Untersuchung von Thomas Franks »The Conquest of Cool« zudem die Frage, inwieweit cool als künstlerischer Habitus Ende der 1960er Jahre zu einem medialen Produkt wird, mit dem Märkte erschlossen werden.10
Alex Katz 1969 malte Alex Katz das Bild »Self-Portrait with Sunglasses« (s. Abb. 1). Auf diesem trägt der mit einem T-Shirt bekleidete Künstler eine Sonnebrille, im Hintergrund des close-up ist eine stilisierte Landschaft zu sehen. Durch die dunklen Gläser sind die Augen noch nicht einmal zu erahnen. Auf dem linken Brillenglas markieren die ausgearbeiteten Lichtreflexe, dass es die Oberflächen sind, für die sich Katz interessiert. Die reduzierte Farbigkeit und farbliche Korrespondenzen fallen ins Auge, die sich zwischen Ufer und Lippen, den grauen Haaren und Spiegelreflexen entfalten. In seiner Autobiografie »Erfundene Symbole« erinnert sich Alex Katz an ein für seine Kompositionsprinzipien einschneidendes Erlebnis: »Als ich ungefähr zwölf war, saß ich mit meinem Vater auf der Veranda, und wir sahen ein paar meiner Freunde auf der Straße, alle in ihren besten Sonntagssachen. Einige von ihnen trugen Filzhüte und Anzüge. Mein Vater fragte: ›Welcher Junge ist am besten angezogen?‹ Ich wusste es nicht. Es war eine merkwürdige Frage. Ich weiß noch, wie unbehaglich ich mich fühlte. Ich dachte, er meint den Kerl, der am besten angezogen ist. Also nannte ich einen von denen mit Filzhut und Anzug. Er widersprach; er fand, der mit dem Pullover sehe am besten aus. Ich betrachtete mir diesen Jungen und merkte sofort, dass er recht hatte. Es war etwas ganz anderes. Der Pullover war beige und lilafarben, dazu ein Hemd und ein Schlips, Haarschnitt und Schuhe – alles passte zusammen. Da habe ich begriffen, was Stil ist, einfach so.«11 10. Thomas Frank stellt dar, wie Cool in den 1960er Jahren nicht mehr
Habitus einer kulturellen Avantgarde ist, sondern von Marketing und Werbung entdeckt wird, um für Konsumgüter neue Märkte zu öffnen. Thomas Frank: The Conquest of Cool. Business Culture, Counterculture, and the Rise of Hip Consumerism, Chicago/London: Univ. of Chicago Press 1997. 11. Vincent Katz (Hg.): Alex Katz. Erfundene Symbole, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 1997, S. 25.
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Abbildung 1: Alex Katz, Self-Portrait with Sunglasses, 1969, Öl auf Leinwand, 243,8 x 172,7 cm. Aus: Irving Sandler, Alex Katz, New York 1979, S. 44 Das Kompositionsprinzip seiner Bilder, sein Stil, der sich laut Katz aus einem modischen Zusammenspiel generiert, wird in der Rezeption bereits früh mit dem Begriff cool verschränkt. 1966 bezeichnet Frank O’Hara in einem Artikel für »Art and Literature«12 Katz als »Cool Painter«. Der Literat und Kurator des MoMA stellt fest, dass Katz in seiner realistischen Malerei ein abstraktes Schema zu finden suche und dafür die Technik des post-painterly verwende – ein von Clement Greenberg geprägter Begriff, mit dem er das homogene, klare Erscheinungsbild der neuen abstrakten Malerei von den malerischen Oberflächen der Abstrakten Expressionisten abgrenzt. Dieser Auffassung ist auch David Antin, der 1971 im ersten umfas12. Frank O’Hara: »Alex Katz«, in: Art and Literature 9 (Sommer 1966), S. 91-101; wiederabgedruckt in: Frank O’Hara, Art Chronicles 1954-1966, New York: George Braziller 1975.
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senden Katalog über Katz zudem schreibt, dass der Maler sich weder von der »Schönheit der Farbe hinreißen lasse, noch von der Intensität seiner Gefühle.«13 Cool wird bei Antin als »›personal style‹ of loaded restraint, relying on minimal gesture« 14 beschrieben und eine Parallele zur Jazzmusik gezogen. Katz selbst beschreibt sein Interesse am Jazz als Faszination an der technischen Brillianz, dem Lyrischen (Stan Getz) und an der linearen strengen Komposition, in der dennoch ein »wilder« Rhythmus vorhanden ist (Miles Davis). 15 Aber nicht nur die formale Gestaltung, auch der Habitus der gemalten Personen wird in der Kritik als Cool beschrieben. 16 Pointierter noch als im Selbstportrait kann dies anhand des Bildes »Cocktail Party« von 1965 gezeigt werden, auf dem Katz die Mitglieder seines Freundeskreises (Sheila Lima mit ihrem Mann, dem Dichter Frank Lima, Yvonne Burckhardt, der Maler Joe Fiore, Ada Katz, Donald Droll von der Fischbach Galerie, Bill Bergson, der Maler Al Held, der Fotograf und Maler Rudolph Burckhardt, und Edwin Denby) in mannigfaltigen Gesprächskonstellationen gemalt hat (s. Abb. 2). Das Heranzoomen und die Anschnitte lassen die Szene als Ausschnitt einer Party erscheinen, in die der Betrachter durch das tradierte Mittel der Rückenfigur, aber auch durch den auf den Betrachter gerichteten Blick eines der Protagonisten einbezogen wird. In den 1950er Jahren beginnt in den USA die Veröffentlichung einer Vielzahl von soziologischen Untersuchungen, die darlegen, wie die Äußerungen von subjektiven Emotionen und das persönliche Engagement in den Hintergrund treten, um einen gesellschaftlich angemessenen Eindruck zu hinterlassen. David Riesman stellt in seinem Beststeller »The Lonely Crowd« (1953) die These auf, dass in der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft der Einzelne »außen-geleitet« werde, d.h. er sich Aufgaben gegenübersehe, die aus dem Umgang mit Menschen und Beziehungen entstünden. Er sei für die Erwartungen und Wünsche anderer empfänglich, wodurch eine Verhaltenskonformität erzeugt würde. Erwin Gofmann beschreibt in »The Presentation of Self in Everyday Life« (1959) das gesellschaftliche Handeln mithilfe von Theaterterminologien und Christopher Lasch beklagt 1965 in seinem Buch 13. David Antin: »Alex Katz and the Tactics of Representation«, in: Irving Sandler/Bill Berkson (Hg.), Alex Katz, New York: Praeger Publishers 1971, S. 1018 (auch in: David Antin: »Alex and the Tactics of Representation«, in: Art News 70 (April 1971), S. 44-47, 75-77). 14. Ebd., S. 13. 15. Dazu ausführlich: Jochen Potter: »Something Hot Done in a Cool Way. Zu den synkopischen Kompositionen von Alex Katz«, in: Alex Katz, American Landscape, Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle, Baden-Baden 1995, S. 8-25. 16. Robert Storr: »Die Regeln des Spiels«, in: ebd., S. 26-41.
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»The New Radicalists in America« den Niedergang des kritischen Engagements der Linken aufgrund eines neues Lifestyles. Im Kontext dieser Diskurse wird »Cocktail Party« zu einem Tableau der zeitgenössischen Gesellschaft und ihrer Verhaltenskonventionen: Bei den Protagonisten sind keine auffälligen individuellen Emotionsäußerungen zu bemerken, vielmehr wird ein kontrolliertes Gesprächsverhalten mit distinguierten Posen, beispielsweise bei dem Paar am linken Bildrand, festgehalten.
Abbildung 2: Alex Katz vor Alex Katz, The Cocktail Party, 1965, Öl auf Leinwand, 182.9 x 243.8 cm. Aus: Newsweek, 13. Dez. 1965, S. 88, Fotografie: Robert R. McElroy Allerdings beziehen Alex Katz’ Tableaus keine eindeutige Position, was ein Blick auf die inspirierenden Quellen verdeutlicht, die der Maler für seine Bilder nutzte. Katz’ Kompositionsprinzipien sind durchaus mit den distanzierten Halbtotalen und dem Arrangement der Figuren bei Antonioni vergleichbar, mit denen der Regisseur Einsamkeit im filmischen Raum umzusetzen suchte. Gleichzeitig war jedoch Katz auch von großformatigen Werbeplakaten inspiriert, die unter anderem sein Freund Rudy Burckhardt fotografierte.17 Indem sich seine Ästhetik aus diesen zwei Bildsprachen speist, setzt sich Katz nicht nur mit Antonioni in eine kritische reflektieren17. Dazu auch L. Nochlin: Realism Now. »Not only in the function of details, but in the more general areas of tone and attitude, the contemporanity of the New Realists is akin to that of today’s avant-garde cinema. Visual directness and emotional distancing are inherent to the aesthetic structure of both. […] in both the new realism and the avant-garde cinema, the literalness of the imagery make the art object dense and opaque.«
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de Distanz, sondern er wirbt in kühler Malweise auch für die distinguierte Form des coolen Miteinanders als einem erstrebenswerten Stil. In den Darstellungen von Katz in der zeitgenössischen Presse zeigt sich eine noch etwas andere Ambivalenz. 1962 wird Katz in einem Artikel in Art News unter dem Titel »Alex Katz Paints a Picture« als häuslicher Maler portraitiert. 18 Eine Fotografie zeigt Katz malend in seinem Wohnzimmer. Auf den Zeitungspapieren, die den Boden vor Farbe schützen, sitzt sein Sohn Vincent, von dem ebenfalls im Text berichtet wird. Die fotografierte Vater-Sohn-Idylle korrespondiert mit einem Gemälde im Hintergrund, das mit Ehefrau Ada, Sohn Vincent und Katz selbst ein Motiv zeigt, das den Maler immer wieder beschäftigt. Anlässlich der Ausstellung von »Cocktail Party« bezeichnet ihn Jack Kroll 1965 in Newsweek als einen »domesticated Hipster«, der eine distanzierte Malweise wählt »as if to protect the vulnerable warmth of his affections and appetites.«19 Überblickt man die Selbstdarstellungen von Katz, so stellt man fest, dass ein Wandel der coolen Pose stattgefunden hat. In seinem Selbstportrait »Passing« (1962-63) malte er sich in weißem Hemd und schwarzen Hut in der Pose des Hipsters der 1950er Jahre. In seinem Portrait mit Sonnenbrille hat 1969 Katz den coolen Habitus, den die Gesellschaft der »Cocktail Party« aufweist, angenommen und ist endgültig zu einem »contemporary Dandy« geworden.
Andy Warhol 1964 nutzte Andy Warhol Aufnahmen aus einem Fotoautomaten, um mit diesen im Siebdruckverfahren ein Selbstportrait zu erstellen (s. Abb. 3). Auf den vier montierten Einzelbildern ist er bei einer Tätigkeit zu sehen: Wenn man der Bildanordnung des Automatenstreifens folgt, löst er auf dem ersten Bild seine Krawatte, um sich auf dem letzten Bild, etwas derangiert, erneut in Positur zu rücken. Auch Andy Warhols Kunstwerke wurden von Irving Sandler mit dem Begriff cool belegt. In dem bereits erwähnten Artikel »The New Cool-Art« zitiert Sander die bekannte Äußerung Warhols, dass er eine Maschine sein wolle, und beschreibt, wie durch seine Technik eine emotionslose Kunst entstünde.20 18. James Schuyler: »Alex Katz Paints a Picture«, in: Art News 60 (Februar 1962), S. 38-41, 52. 19. Jack Kroll: »Domesticated Hipster«, in: Newsweek vom 13.12.1965. 20. I. Sandler: The New Cool Art.
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Abbildung 3: Andy Warhol, Self-Portrait, 1964, Siebdruck auf Acryl auf Leinwand, Vier Tafeln, jeweils 50,8 x 40,6 cm. Aus: Kynaston McShine (Hg.), Andy Warhol Retrospektive, München 1989, S. 80 Gleichzeitig allerdings wird in Bezug auf die Warholschen (Selbst)Darstellungen bei verschiedenen Anlässen immer wieder betont, dass seine Kunst nicht mit einer Entemotionalisierung einhergehe. In der Ankündigung der Ausstellung in der Staple Gallery 1964 beispielsweise war ein weiteres Automatenfoto zu sehen, das Warhol mit Fliege und Anzug zeigt. Unter dem Titel »The Personality of the Artist« wird darauf hingewiesen, dass zwar Persönlichkeit, die im Allgemeinen für Ausdruck und Kreativität stehe, unterdrückt werde, aber eben nicht das Gefühl. Denn das, was kreiert werde, sei in der Lage, Emotionen zu erwecken und habe nichts zu tun mit »seiner blassen Haut«.21 In den zahlreichen Biografien und Aufsätzen – und das gilt bis heute – wird Warhols sensible Persönlichkeit herausgestrichen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In dem Klappentext von Vic21. Abbildung in Dietmar Elger (Hg.): Andy Warhol. Selbstportraits/SelfPortraits, St. Gallen u.a.: Hatje Cantz 2004.
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tor Bockris’ Biografie wird damit geworben, dass man Warhols Kühle als Maskerade erkennen könne: »Warhol emerges as shy, nervous, vulnerable man who hides his nervousness behind a carefully constructed facade of cool detachment.«22 Otto Hahn spricht von Katharsis: »Le tragique de Warhol réside dans cette absence délibérée de tragique, dans ce refus de toute émotion. Pour conjurer la mort, il se fait mort lui-meme. Volontairement installé dans cette froideur, la vie déshumanisée n’est plus qu’une présence sans commentaire […] C’est là qu’Andy Wahol trouve sa seule exaltation, dans cette froideur et cet anonymat qui tue le bien et le mal, qui dégrade sadiquement le monde où prolifère l’emotion, qui tue la chaleur humaine, l’enfance.«23 In Bezug auf das Selbstportrait von 1964 hat Hubert Butin die coolen Aspekte des Bildes wiederum in Hinblick auf Warhols Persönlichkeit differenziert. Es gäbe eine technische und emotionale Distanz zwischen Warhol und seinem Portrait; der Künstler kreiere eine Distanz zwischen sich und der Öffentlichkeit. Die dunkle Sonnenbrille verberge seine Augen und damit werde der Kontakt unmöglich: »One can read this as yet another expression of Warhol’s self doubt and defiance, of course, except that here the sense of distance looks remarkably like a significant coolness and casualness.«24 Allerdings greift es zu kurz, cool allein als Technik der individuellen Distanznahme zu verstehen.25 Im Vergleich mit den weiteren Automatenbildern, die sich in den »Time Capsules« befinden, zeigt sich, dass Andy Warhol auf diesen die Möglichkeiten der Selbstdarstellungen ausprobiert. Er ist in unterschiedlichen Outfits und in den verschiedensten Posen zu sehen: Mit Schal und Mantel, in Smoking und Fliege, so unterschiedlichste Images erzeugend.26 Für die Sammlerin Francis Barron, die das »SelfPortrait« in Auftrag gegeben hatte, wurde ein Streifen gewählt, auf dem der Look – Trenchcoat und Lederkrawatte – an Humphrey Bogart oder Robert Mitchum denken lässt, die coolen Hollywood-Charaktere der 1940er. Warhol präsentiert sich als Star, der in der Unordentlichkeit seines Aufzu22. Victor Bockris: Andy Warhol, London: Penguin Books 1989, Klappen-
text. 23. Otto Hahn (Hg.), Andy Warhol, Paris 1972, S. 5-26, hier: S. 19. 24. Hubert Butin: »Andy Warhol in the Picture. Self Portrait and Self Pro-
motion«, in: Eva Meyer-Hermann (Hg.), Andy Warhol. A Guide to 706 Items in 2 Hours 56 Minutes, Rotterdam: NAI Publ. 2007, S. 51. 25. Solche pauschalen Aussagen finden sich auch in Bezug auf Alex Katz. J. Kroll: Domesticated Hipster. 26. Matthew Wrbican (Hg.): Andy Warhol’s Time Capsules, Ausst.-Kat. MMK, Frankfurt a.M. 2003.
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ges den dominierenden Vorstellungen von cool nicht entspricht und lotet mit diesem Bild Vorstellungen von Männlichkeit aus. Dass coole Stars in der performativen Befragung von Männlichkeit eine besondere Rolle einnehmen, zeigt ein weiteres Produkt der Factory: Die Zeitschrift Inter/VIEW. 1969 als Filmmagazin konzipiert, berichtete Inter/ VIEW von den neuesten Produktionen aus Hollywood, Europa, von Andy Warhol und der Factory selbst.27 Ihre Abbildungen allerdings entstammen zum Teil aus Andy Warhols Fotosammlung; unter ihnen finden sich Fotografien von denjenigen Stars, die Warhol als Motive für seine Siebdrucke verwendete. Die männlichen Stars sind Persönlichkeiten, die in den einschlägigen Publikationen als cool bezeichnet werden: Elvis Presley, James Dean oder Marlon Brando, Stars, die die Hollywood-Männlichkeit in den 1950er Jahren neu artikulierten. Inter/VIEW zeigt nicht nur die typischen Starschnitte, sondern eine Vielzahl von Abbildungen, in denen coole heterosexuelle Männlichkeit konterkariert wird und Männer als begehrenswerte Objekte erscheinen, beispielsweise wenn Elvis Presley als Lawrence von Arabien posiert. Filmen wie Viscontis Tod in Venedig oder Fellinis Satyricon werden ausführliche Bildstrecken gewidmet. Zwischen diese reihen sich die Stars der alten Hollywoodfabrik, häufig in Verbund mit den queeren Stars der Factory. In der Bildkultur von Inter/VIEW ist eine Ästethik auszumachen, die 1964 von Susan Sontag als Camp bezeichnet wurde. Im Camp, so Sontag, werde die Welt als ästhetisches Phänomen betrachtet; Camp sei die Liebe zum Unnatürlichen, zum Trick und zur Übertreibung, eine Vision der Welt in der Terminologie des Stils. Seine Sujets sind unter anderem alte Stars, Filme und Mode, Leitbilder der Camp-Sehweise Androgynie aber auch die Vorliebe für die Übertreibung sexueller Merkmale.28 Mit Camp beschreibt Sontag ein Model für eine ironische und ästhetische Übernahme der Massenkultur und gleichzeitig die Kommunikationsform einer Gruppe. In Inter/VIEW geht Cool mit Camp eine Verbindung ein (s. Abb. 4): Die Fotografien in Inter/VIEW, auf denen männliche Stars zu begehrenswerten Objekten werden, lassen umgekehrt auch Andy Warhols Selbstporträt als eines erscheinen, in dem coole Männlichkeit umgeschrieben wird.29 27. Vgl. dazu ausführlich Antje Krause-Wahl: »Superstars, Culture Heroes and Rude Boys – making things popular with artist’s magazines«, in: Ursula Frohne/Anne Thurmann-Jajes (Hg.), Art ›In-Formation‹-Communication Aesthetics and Network Structures in Art from the 1960s to the Present, Dartmouth: University Press of New England, 2010. 28. Vgl. Susan Sontag: »Anmerkungen zum Camp«, in: dies., Kunst und Antikunst, Reinbek: Rowohlt 1968, S. 322-341. 29. Vgl. Zu den Begehrensstrukturen in Warhols Siebdrucken männlicher
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Abbildung 4: Doppelseite aus »Inter/VIEW« Allerdings verändert sich auch Inter/VIEW und der coole Habitus erhält eine andere Ausrichtung. Nachdem im Mai 1972 Inter/VIEW in Andy Warhol’s Interview umbenannt wurde, das Projekt, das vorher wechselnde Mitarbeiter hatte, eine stringente Richtung erhielt und sich zunehmend zu einem Society Magazine entwickelte, formulierte einer der Herausgeber, Bob Colacello, das neue Ziel: »We’re trying to reach high-spending people. The train in our society is towards self-indulgence and we encourage that. We don’t want to give the whole picture. We leave out the things we don’t like. We’re not interested in journalism so much as taste setting. We’re the Vogue of entertainment.«30 Andy Warhol wirbt nun nicht mehr nur für seine Filme und Bücher, sondern auch für Firmen wie Pioneer. Die Mode beginnt eine zunehmende Rolle zu spielen und Warhol selbst wird als Trendsetter inszeniert, wie es 1973 in Interview im sogenannten Tagebuch von Colacello zu lesen war: »Andy Warhol in his chestnut DeNoyer velveteen jacket, Levis, boots by Belutti di parigi, Brooks Brothers shirt, red and Grey Brooks Brothers tie, brown wool V-neck, Yves St Laurent pullover.«31 Stars aber auch in den »Thirteen Most Wanted Men« ausführlich Richard Meyer: Outlaw Representation: Censorship & Homosexuality in Twentieth-Century American Art, Boston, Mass.: Beacon Press, 2003, S. 128-153. 30. V. Bockris: Andy Warhol, S. 450. 31. Andy Warhol’s Interview (Nov. 1973).
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Andy Warhols Look, wie Modezeitschriften dieser Zeit zeigen, ist genau der neue coole Look für den erfolgreich kreativen Mann.32 Warhols Erfolg manifestiert sich auch räumlich: Aus der Produktionsgemeinschaft der Factory, die sich in Schwarzweißbildern als Gegenmodell zur etablierten Gesellschaft präsentierte, wurde mit dem Umzug 1974 zum Union Square Andy Warhols Enterprise. Bob Colacello leitete Interview hauptverantwortlich in einem kleinen, eleganten Büro. Dort waren es vor allem Andy Warhols Interviews, nun mit Mitgliedern der High Society, die das Magazin erfolgreich machten. Er entwickelte eine spezielle Taktik, in der er kurze knappe distanzierte Fragen stellte, die scheinbar nebensächlich waren, irgendetwas vorher Gesagtes aufgriffen, aber dem Interviewten ganze Geschichten entlockten. Wiederum bemüht sich Bockris, dieses Gesprächsverhalten als coole Fassade des eigentlich sensiblen Warhol zu erklären, wenn er eine dieser Situationen wie folgt beschreibt: »On the surface, they represented the model of sophistication, an elegant artist’s salon, but beneath the glamorous facade, the guests were nervous and on guard, as was Andy, who often as not would sit speechless while Colacello or Huges kept the conversation going.«33 Diese Situationsbeschreibung kann allerdings auch als ein Verhalten verstanden werden, das von Peter N. Stearns als typisch für eine in den 1960er Jahren einsetzende Entwicklung beschrieben wird. Der coole Charakter korrespondierte zunehmend mit demjenigen des Geschäftsmannes. In Managerschulungen trat die Frage, wie man mit ärgerlichen Kunden umgehen soll, in den Hintergrund und man wurde intolerant gegenüber emotionaler Intensität.34 Das resultierte darin, dass für die neuen Manager die sorgfältige Kontrolle von Emotionen zentral wurde, sowohl im Leben als auch im Geschäftsverhalten: »no attacking or defending behaviours« lautete eine Devise, die bis heute an Gültigkeit nicht verloren hat.35
Barkely L. Hendr icks 2008 initiierte das Nasher Museum of Art eine Retrospective des Malers Barkley L. Hendricks. Der Kurator Trevor Schoonmaker wählte den Titel 32. Für den neuen Look vgl. John T. Molloy: Dress for Success, New York:
Warner 1976. 33. V. Bockris: Andy Warhol, S. 459-460. Weiter heißt es noch »Before the guest arrived, Andy, anxiously adjusting his wig and putting on make-up, sometimes started to shake all over.« 34. P. N. Stearns: American Cool, S. 246. 35. Ebd., S. 310. Dazu auch T. Frank: Conquest of Cool.
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»Birth of the Cool«, um einen figurativ arbeitenden afroamerikanischen Maler in die bekannte Jazz-Genealogie einzuschreiben. Hendricks Portraits von Afroamerikanern wurden in den 1970er Jahren mit »cool realism« oder »cool representationalism« beschrieben, wobei hier die Oberflächenqualität seiner realistischen Malweise gemeint war.36 Auch Hendricks betont seine Nähe zur Jazzmusik mit einem Konzertbesuch bei Miles Davis. Im Unterschied zu Alex Katz zeigt er sich allerdings weniger an den formalen und strukturalen Analogien zwischen Musik und Malerei interessiert, sondern es war das Ziel dieses Besuchs, den Musiker mit schwarzer Trompete und goldenem Shirt zu fotografieren.37 Wie Katz und Warhol bedient sich Barkley L. Hendricks in seinen Selbstportraits der Insignien des Coolen (s. Abb. 5): 1969 malte er »Icon for My Man Superman (Superman Never Saved any Black People)« auf dem er mit Sonnebrille und Afrolook nur mit einem Superman T-Shirt bekleidet. In den späten 1960er Jahren gewinnt in der afroamerikanischen Kultur der Look an politischer Bedeutung. Der Afro mit seiner charakteristischen runden Form wurde zu einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung. Gerade die Dreidimensionalität verlieh dem Afro seinen Status, denn diese Morphologie ging mit einer bestimmten Pose einher; wenn man einen Afro trug, dann musste man den Kopf stolz in die Höhe halten. Dunkle Gläser waren das Stilmerkmal der urbanen Guerillas, mit denen Identität verborgen werden sollte.38 Gleichzeitig jedoch machte die Kleidung, so Richard Powell, die afroamerikanische Bevölkerung sichtbar. Neben der politisch konnotierten »Uniform« der Black Panther – schwarze Lederjacke, Rollkragenpullover, Jeans – wurden theatrale Kombinationen, bestimmte Materialien, starke oder zur dunklen Hautfarbe komplementäre Farben als Möglichkeit des Selbstausdrucks genutzt und es entstand ein »Player Chic« entlang des neuen Mottos »Black is Beautiful«.39 Barkley L. Hendricks, den Powell als 36. Edith DeShazo: »Hendricks’s Cool Realism on View«, in: Sunday News Journal (Wilmington, DE) vom 11.2.1979. 37. Barkley L. Hendricks: »Palette Scrapings«, in: Trevor Schoonmaker (Hg.), Barkley L. Hendricks. Birth of the Cool, Durham NC: University Press 2008, S. 89-113, hier: S. 90. 38. Kobena Mercer: »Black Hair/Style Politics«, in: ders., Welcome to the Jungle. New Positions in Black Cultural Studies, New York, London: Routledge 1994, S. 97-128. 39. Vgl. Richard J. Powell: »Sartor Africanus«, in: Susan Fellin-Yeh (Hg.), Dandies Fashion and Finesse in Art and Culture, New York, London: Routledge 2001, S. 217-242. Ausführlicher zu Barkley L. Hendricks Richard J. Powell: Cutting a Figure. Fashioning Black Portraiture, Chicago, London: University of Chicago Press 2008.
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Beispiel nennt, ist ein Chronist dieses neuen selbstbewussten Stils, wenn er in seinen Portraits auf die ausgearbeitete Kleidung und die modischen Details besonderen Wert legt.
Abbildung 5: Barkley L. Hendricks, Icon for My Man Superman, 1968, Öl, Acryl und Aluminium auf Leinwand, 149.9 x 121.9 cm. Aus: Richard J. Powell, Cutting a Figure. Fashioning Black Portraiture, Chicago 2008, S. 127 In Hendricks Selbstportrait entfaltet sich ein ganzes Bedeutungsspektrum von Cool: Mit dem Afro, der Sonnenbrille und durch das Zitat von Bobby Searle, einem der Mitbegründer der Plack Panther im Titelzusatz in der Klammer, wird auf den Chic der Guerilla angespielt. Hendricks hat die Arme vor der Brust verschränkt, eine Pose, die an das ikonische coole Portrait von Jackson Pollock im Life Magazine denken lässt, 40 dabei ist er umgeben von einer Bildfläche, die an ein cooles Hard-Edge Painting erinnert. Ganz im Kontext von »Black is Beautiful« setzt Hendricks sich mit diesem Portrait selbstbewusst in Szene; gleichzeitig ist das Gemälde aber auch ein Kommentar über coole Malerei: »Icon for My Man« arbeitet mit der Kombi40. Vgl. in diesem Band den Beitrag von Gerald Schröder.
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nation von Realismen und Abstraktionen, sichtbar in der Behandlung von Figur und Grund, aber auch der Figur selbst, deren Gesicht, Sonnenbrille, Afro und braune Haut ausgearbeitet sind, das blaue Shirt allerdings bis auf eine leichte Andeutung des Brustkorbes, zu einer Fläche reduziert ist. Hendricks Malerei wird zu einem Statement, das einen Realismus gegenüber den dominierenden Kunstströmungen Pop Art und Hard-Edge ausspielt. Indem der schwarze, realistisch gemalte Körper gegenüber den abstrakten Flächen in den Vordergrund rückt, lässt er auch über die Sichtbarkeit afroamerikanischer Künstler und ihrer Produktion nachdenken. Superman, darauf verweist der Titel, war nicht der Held für alle Amerikaner. Indem sich Hendricks das für einen weißen Körper angefertigte Shirt überstreift, weist er auf diese Tatsache hin. Allerdings ist »Icon for My Man Superman« nicht ein einfaches Reklamieren eines eigenen Heldenstatus’: Da Hendricks nur das T-Shirt trägt und unweigerlich der Blick auf den nackten Teil seines Körpers fällt, ironisiert er die Potenz Supermans, die dieser in seinem engen Anzug verbirgt. Mit dieser Aneignung und Umschreibung des Comic-Helden ist Hendricks durchaus vergleichbar mit Andy Warhol, der sowohl Superman in seinen Arbeiten thematisiert, sich als auch im Batman-Kostüm gemeinsam mit Nico als Robin ablichten lässt, um damit das Queer der amerikanischen Comic-Helden aufzugreifen. 41 Dass Hendricks mit seinen Bildern im Kunstdiskurs Anerkennung findet, aber seine Betonung der schwarzen Körper den Kunstkritikern nicht ganz geheuer ist, zeigt sich in der Rezeption durch Hilton Kramer. Anlässlich einer Ausstellung hat er Hendricks als »Brilliantly Endowed Painter« bezeichnet, 42 eine Bemerkung, die der Künstler mit dem Gemälde »Brilliantly Endowed (Self-Portrait)« (1977) konterte. Hier zeigte er sich in cooler Pose, mit Ballonmütze, Zahnstocher im Mund und Schmuck aber vor allem nackt, mit seinem Daumen seine »gute Ausstattung« betonend. Er spielt mit den allgemeinen Klischees (und Ängsten) gegenüber afroamerikanischen Männern, 43 und potenziert und konterkariert diese zugleich, indem er die Farben der afrikanischen Befreiungsbewegung als Muster auf den Tennissocken zeigt.
41. Sasha Torres: »The Caped Crusader of Camp: Pop, Camp, and the Bat-
man Television Series«, in: Jennifer Doyle u.a. (Hg.), Pop Out. Queer Warhol, Durham, London: Duke University Press 1996. 42. Hilton Kramer: »Art: To the Last Detail«, in: The New York Times vom 17.6.1977. 43. Kobena Mercer: »Fear of a Black Penis«, in: Artforum International 32, 5 (April 1994).
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Barkley L. Hendricks malt in seinen Arbeiten ein Cool der Afroamerikaner, das als Technologie des Widerstandes beschrieben worden ist. 44 Allerdings geht Hendricks in seinen vielschichtigen Portraits differenziert mit den Konnotationen des Coolen um. Dies zeigt sich auch in seinem Beitrag für den Katalog 2008, der mit einem Nachdenken über Cool beginnt. Er weis, dass er in einer spezifischen Genealogie verortet wird und stellt diese erst einmal in Frage: »How cool is that? Find your spot and sit like Carlos Castaneda did when he wrote several decades ago. Like Cezanne did when he painted his beloved Mont Sainte-Victoire. December and January are perhaps Jamaica’s coolest month […] I’m almost certain that wasn’t the cool curator Trevor Schoonmaker had in mind when he ran the title for this exhibition past me.«45
Fazit Katz, Warhol und Hendricks – alle drei Künstler werden als cool rezipiert. Ihre figurativen Positionen geben bereits in den 1960er Jahren Anlass, cool sowohl zur Beschreibung der Oberflächenqualität als auch zur Charakterisierung des Habitus’ der Dargestellten zu nutzen. Cool eignet sich daher wenig als klassifizierender Begriff. Er kann zwar malerische Eigenschaften, wie die Zurücknahme der gestischen Pinselführung oder die Arbeit mit klar voneinander abgegrenzten Farbflächen beschreiben, in Kombination mit dem Habitus der dargestellten Personen, verschiebt sich jedoch seine Bedeutung in Abhängigkeit von den jeweiligen Diskurskontexten. Wenn Publikationen, wie diejenige von Lewis McAdams, versuchen, Cool und Avantgarde engzuführen, indem der Habitus in den verschiedenen Künstlermilieus verortet wird, 46 hat sich allein anhand dieser drei Beispiele gezeigt, dass in den 1960er Jahren verschiedene Coolnessvorstellungen nebeneinander existieren, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern differieren. Alex Katz’ Malereien, seine Oberflächen und Kompositionsprinzipien, werden als cool beschrieben. Im Verbund mit der Darstellung der menschlichen Figur gerinnt diese Ästhetik im Kontext der upper class zu einem Abbild einer gesellschaftlichen Verhaltensweise, in der die emotionale Distanz ein grundlegendes Moment darstellt. Auch Andy Warhols Malerei mit 44. Vgl. dazu auch Bell Hooks: We real cool. Black men and masculinity, New York: Routledge 2004. 45. B. L. Hendricks: Palette Scrapings, S. 89. 46. Lewis McAdams, Birth of the Cool, Beat, Bebop, and the American Avantgarde, New York, NY u.a.: Free Press 2001.
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ihrem fehlenden individuellen malerischen Gestus gilt als cool. Ebenso wie bei Katz kann im Hinblick auf die Selbstpräsentation Warhols festgestellt werden, wie wichtig die Betonung eines emotionalen Kerns ist. Bei Warhol wird so die coole Fassade zur strategischen Entemotionalisierung. Warhol nutzt den coolen Look, um tradierte Vorstellungen von Männlichkeit zu befragen. Dies wird offensichtlich in der Zeitschrift Inter/VIEW, in der cool durch camp ersetzt wird; eine Ästethik die letztendlich jedoch auch wieder den Status von cool erhält. Hendricks steht, anders als Katz und Warhol, nicht im Zentrum der »Cool Art«. Die coolen Posen seiner Figuren sind exemplarisch für das neue Selbstbewusstsein der afroamerikanischen Bevölkerung, das in einem spezifischen Kleidungsstil nach außen getragen wird. Hendricks selbst allerdings entzieht sich einem dezidierten politischen Statement, indem diese neuen coolen Posen immer wieder ironisch gebrochen werden und verkompliziert so die Bedeutung eines schwarzen cool.
Abbildung 6: Dewar’s Profiles, Werbung 1976. Aus: Richard J. Powell, Cutting a Figure. Fashioning Black Portraiture, Chicago 2008, S. 127
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Neben der Ausdifferenzierung von cool in Abhängigkeit der unterschiedlichen Felder, in denen die Künstler sich bewegen und rezipiert werden, ist allen gemein, dass sich in der kommerziellen Verwertung der Bildwerke und Künstler zeigt, wie cool sich als allgemeiner Lifestyle etabliert. Ende 1969 dienten Katz’ »Cut Outs« in der Vogue als Hintergrund für eine Modepräsentation. 47 Andy Warhol wurde ein gefragter Werbeträger für die verschiedensten Produkte, sein Habitus Ausdruck und Vorbild eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Barkley L. Hendricks warb in populären afroamerikanischen Magazinen für Dewar’s »White Label« (s. Abb. 6), eine Anzeigenkampagne, in der erfolgreiche zumeist afroamerikanische Männer gezeigt wurden. 48 Im März 1958 schrieb Jack Kerouac für Esquire einen Artikel, in dem er beklagt, dass die Hipster der Beat Generation nun endgültig verschwunden seien. 49 Im Mai 1969 stellte der Esquire sein Heft unter das Motto »Final Decline and Total Collapse of the American Avant-Garde«. Das berühmte Cover mit Andy Warhol, der in der Campells-Suppendose verschwindet, visualisiert die Behauptung, dass die Avantgarde nun von der kommerziellen Kultur aufgesogen worden sei, Kunst und Moden sich vermischt haben, um eine neue Verbindung von Kunst und Gesellschaft zu feiern. Wenn Pollocks Coolness noch als existenzieller Ausdruck wahrgenommen werden konnte, ist Cool nun zu einem umfassenden Lifestyle geworden.
47. Vgl. Vogue vom 15.9.1968, S. 142-45. 48. Vgl. Dazu auch R. J. Powell: Sartor Africanus, S. 154. 49. Jack Kerouac: »Aftermath: The Philosophy of the Beat Generation«, in: Esquire (März 1958), Vgl. http://archive.tc/kerouac/beat.html.
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Empörungsfreie Räume Tontrennung als ›Kühlmittel‹ der jüngeren Kunst Christian Janecke
Stellt man sich heute ein cool wirkendes Bild einmal spontan vor, so wird man vielleicht ein motivisches Sammelsurium aus smarten Mobilfunknutzern in schicken Sportwagen vor makellosen Pools assoziieren. Bei wem dieses Motivpaket eher Übelkeit auslöst, der wird an Schallplatten, junge Menschen in Clubsituationen denken. So ließe sich munter fortfahren, was Motive, Habitus und Outfit des jeweiligen Bildpersonals beträfe, ohne dass man über ein partikulares, alsbald überholtes Ensemble an Klischees hinaus käme. Allerdings würden die meisten ziemlich ähnliche Vorstellungen hinsichtlich der Art hegen, wie das Bild gemalt sei: Weder wäre es im Wölfflin’schen Sinne »malerisch«, noch würden Linien sich als Ausdrucksmittel in den Vordergrund drängen; vielmehr wäre unser Bild durch Tontrennung bestimmt. Dabei werden gemalte Übergänge getrennt in abgegrenzte, jeweils einfarbige Teilstücke, ohne dass ihnen jedoch verwehrt wäre, Illusionen von Körperlichkeit, Raumtiefe und zu einem gewissen Grade sogar charakteristische Materialität oder Oberfläche darzustellen. Man denke z.B. an computergenerierte Bildwelten, allerdings ohne die dort notorisch wie zum Beweis naturalistischen Vermögens eingesetzten kontinuierlichen Übergänge: an Bilder also, die wie ältere Plakate betören durch fotografische Reize ohne Fotografie; Bilder, die wir gerne immer wieder anschauen, weil sie unser Begehren und Mitfühlen anstacheln, obgleich doch bei näherer Betrachtung alles an ihnen sich auflöst und entmischt in binnenhomogene Farbfelder, z.B. getrennt durch Konturen.
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Dabei handelt es sich allerdings nicht nur um eine Eigenart der Malerei von Alex Katz bis Tim Eitel, sondern um ein verbreitetes Phänomen der jüngeren Kunst. Warum und wie es in der Lage ist, Coolness zu signalisieren, ist Thema dieses Aufsatzes. Einige systematische und historische Überlegungen skizzieren zuvor, auf welche Dispositionen von Coolness das Prinzip Tontrennung seit den späteren 1990er Jahren überhaupt treffen konnte.
Strukturen der Coolness in der jüngeren Kunst Unter dem umbrella term »Coolness« und erst recht unter dem noch breiter eingesetzten Adjektiv »cool« versteht man je nach historischem Szenario und je nach Kontext etwas anderes. Zwar ist beispielsweise Gefühlskontrolle ein Wert sowohl der älteren Kälte als auch der neueren Coolness, aber sogar dieser Wert scheidet sich bei näherer Betrachtung in verhärtete, stoische, souveräne, lässige, elegant vornehme, apathische, entspannte, gleichgültige und weitere Haltungen. So versteht Lethen 1 aus dem Blickwinkel unserer Zeit unter Kälte im literarischen Ausdruck der 1920er Jahre etwas anderes als Plessner2 , der 1924 als Zeitgenosse zivilisierte Distanz und ein Ideal der Gesellschaft gegen stickige (post)expressionistische Gemeinschaftskulte in Anschlag bringt. Von der späteren, populärkulturell verhandelten Coolness haben wir gelernt, dass eine Antwort oder Anrede in dem einen Milieu cool, in einem anderen schnippisch und in einem dritten uncool sein kann. Allerdings können im nämlichen Milieu wiederum Gruppen- und Altersunterschiede für inkommensurable Coolness-Vorstellungen sorgen – und vermutlich gilt dasselbe diesbezüglich auch für unterschiedliche Dispositionen der Geschlechter und mutatis mutandis für weitere Kategorien. Die Hitzigkeit (sic!), mit der nicht allein über abweichende Vorstellungen von Coolness, sondern insbesondere über deren konkrete (Selbst)Zuschreibung diskutiert wird, hängt damit zusammen, dass es sich um ein symbolisch vergleichbar umkämpftes Terrain wie dasjenige der Mode handelt, nur dass es im Unterschied zur Mode gerade keine öffentlich gültigen Standards gibt. Wer sich Gesetzen der Mode unterwirft, ist modisch – wer sich kursierenden Kriterien von Coolness unterwirft, gilt wahrscheinlich kaum als 1. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994. 2. Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus (erstm. 1924 Bonn), Frankfurt a.M. 2002.
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cool. Zur Coolness bedarf es, wie es scheint, immer auch eines größeren individuellen Einsatzes, der jedoch nicht in offenen Ehrgeiz ausarten darf, weil der wieder uncool wäre. Konzentriert man sich statt auf den Habitus der Künstler eher auf deren Werke, so lässt sich zeigen, wie die ältere von Lethen untersuchte Kälte schrittweise infiziert bzw. verdrängt wird von einer eher populärkulturellen Coolness. In spätmoderner Kunst dominiert eine Strategie, die in kältetechnischer Metaphorik als ›Kälte durch Wärmeabzug‹ erfassbar wäre, also eine Form von Reduktionismus und so ein programmatischer Verzicht auf alles Warme, Lebendige, mithin auf Inhalt, auf Engagement, ja schließlich auf Symbolik. »Buchstäblichkeit«3 als Insistieren solcher Werke auf ihrem So- und Selbst- und Nichts-darüber-hinaus-sein gehört, wie Rainer Metzger zeigte, ganz allgemein zum Selbstverständnis der Moderne und speziell zur Programmatik Konkreter Kunst und Minimal Art. Doch könnte man erstens einwenden, noch im vermeintlich kalten Raster glühe Anderes nach 4 und strenger Verzicht auf die Figur evoziere eben diese noch im Stumpfschmerz5 – womit das Kälte-Credo relativierbar bliebe; zweitens könnte man treffl ich darüber streiten, ob nicht die Ausschlussdogmatik solch reduktionistischer Kunstrichtungen einen alles andere als coolen, nämlich wachsamen Konsequenzialismus und Purismus herauf beschwor, ob es also nicht doch eher umgekehrt die Öff nung solcher Richtungen zur Popkultur und mithin zu einer hedonistischen Lesart rigider Geometrie war, die für eine kurze Zeit Mitte der 1960er Jahre
3. Rainer Metzger: Buchstäblichkeit. Bild und Kunst in der Moderne, Köln: Walther König 2004. 4. So die weitere Argumentation von Rosalind E. Krauss, aus deren berühmtem Essay »Raster« (in dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam, Dresden: Verlag der Kunst 2000, S. 51-66) meist nur das probate Anfangsargument – der Raster würde Inhaltlichkeit ausmerzen – kolportiert wird. 5. Dem korrespondiert ja auch der Fried’sche Vorwurf der Theatralik gegenüber der Minimal Art, insofern gerade die semantische Leere entsprechender Werke anthropomorphen Wendungen zur Selbstthematisierung der Betrachter (und mithin all ihrer ›warmen Inhalte‹, ihrer Idiosynkrasien usw.) Tür und Tor öffne. Vgl. Michael Fried: »Kunst und Objekthaftigkeit«, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden, Basel: Verlag der Kunst 1998, S. 334-374.
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Coolness beanspruchen durfte. Pop Art6 und namentlich Andy Warhol7 waren denn auch Ausgangspunkte der von Bice Curiger initiierten Ausstellung »Birth of the Cool« 8, die gerade das Undogmatische, jenseits der Grabenkämpfe zwischen gegenständlich und ungegenständlich, in seiner leidenschaftslosen Haltung als Coolness verortete.9 Programmatisch postmodernen Kontur gewann Coolness in den 1980er Jahren: Die Entlassung der Kunst aus dem föderalistischen, konzeptuellen und kunstdidaktischen Weltverbesserungsanspruch der 1970er Jahre wurde besiegelt mit dem Aufbäumen der Neuen Wilden sowie den – freilich ganz anders gelagerten – großpolitischen Aktionen von Joseph Beuys. Jenseits dieser Anticoolness hier wie dort war der Weg frei für die selbstzentrierte Melancholie des New Wave oder neuerliche Sehnsüchte nach Maschinenwerdung in der Musik10, für Philip Taaffes anti-expressive, vielmehr bewusst ornamentalisierende Rückbezüge auf Barnett Newman, für das neuerliche Pathos der Einschüchterungsmonochromie eines Gerhard Merz. Cool waren aber auch Anschlüsse an heroisch-elitäre Selbstverständnisse der Weimarer Zeit, Renaissancen Nietzscheanischer Ästhetik wie Ethik in Gestalt eines koketten Amoralismus. Helmut Lethen11 hat in einem Aufsatz bereits 1987 sehr genau dargelegt, dass die Postmoderne sich zwar generell gegen eine als kalt erachtete Moderne etabliert, dabei 6. Vgl. Beat Wyss: »Kunst aus der Kühle«, in: Bice Curiger (Hg.): Birth of the Cool. Amerikanische Malerei von Georgia O’Keeffe bis Christopher Wool, Ausst.-Kat. Deichtorhallen Hamburg, Kunsthaus Zürich, Ostfildern-Ruit: Cantz 1997, S. 130-137. 7. Vgl. Ulf Poschardt: Cool, Hamburg: Rogner & Bernhard 2000, S. 94ff. Bei Poschardt auch die interessante Differenzierung, statt Warhol, Lichtenstein, Rosenquist sei eher Jasper Johns cool gewesen, indem er die stereotype Makrostruktur (z.B. einer Zielscheibe) mit Handschriftlichkeit verbunden habe. S. 85ff. 8. Vgl. B. Curiger (Hg.): Birth of the Cool. Problematisch ist die pauschale Zuweisung des Coolen an US-amerikanische Malerei – dies erzwingt anderweitige Fehldeutungen. 9. In diese Richtung weist auch ein kluger Essay gegen die beliebte Diagnose der vermeintlich anticoolen ›68er‹ von Dirck Linck: »Désinvolture und Coolness. Über Ernst Jünger, Hipsters und Hans Imhoff, den ›Frosch‹«, in: Kultur & Gespenster 3 (Winter 2007), S. 36-55. 10. Vgl. U. Poschardt: Cool, S. 100f. 11. Helmut Lethen: »Lob der Kälte. Ein Motiv der historischen Avantgarden«, in: Dietmar Kamper/Willem van Reijen (Hg.): Die unvollendete Vernunft. Moderne nach der Postmoderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987, S. 282-324, hier S. 283.
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aber selbst neuerlichem Kälte-Kult frönt. Diedrich Diederichsen forderte damals die Angehörigen der Subkultur auf, sich der umgebenden Kälte zu stellen; und zur seinerzeit gern beschworenen »subversiven Affirmation« passte es trefflich, zu glauben, es sei »schockierender und wirkungsreicher geworden, einverstanden zu sein« – nämlich etwa mit Gefahren der Atomkraft. Cool war jetzt – hier überlebte der popkulturelle Impetus – der lässig vorgetragene Glücksverzicht eines dandyistischen Falco-Habitus und die von der Hauptdarstellerin in Ilona Baltruschs Film Flug durch die Nacht (1980) wiederholt skandierte Frage: »Und die Kälte des Herzens, wird sie mich nie verlassen?«, oder in der Kunst eines Rockenschaub, Büttner und Kippenberger das notorische Understatement. Seither tritt auch durch Insignien der Kälte vermehrt die ikonographische Variante des Themas in Erscheinung. Im genauen Gegensatz zu den skizzierten Purismen der Spätmoderne adressieren dabei Sujets oder Symbole buchstäbliche Kälte (im Sinne niedriger Temperatur), wobei die Grenzen zur uns interessierenden Kälte übertragenen Sinnes verfl ießen können: Man denke nur an alle Arten von Kühltechnik 12 als Bildmotiv seit der Pop Art oder in künstlerischen Installationen bis hin zu Carsten Nicolai, an das Kokettieren mit Caspar David Friedrichs »Eismeer« in spitzigen Schollen anderen Materials bei Thomas Scheibitz. Wir fi nden Anklänge an eine Ästhetik des Kristallinen, des Anorganischen, sodann Nordisches als Motiv, vornehmlich in der Malerei oder Landschaftsfotografie einer Natalie Grenzhaeuser, wo uns Eisschollen, rauhe Küsten, erhabene Gletscher und dergleichen sympathetisch mitfrösteln lassen. Das ›lange Jahrzehnt‹ nach 1990 läutete hinsichtlich des Topos der Kälte in Techno, Genetik- und Cybersex-Euphorie, Literatur und Film zwar eine Ära des »Posthumanen« ein, ein »futuristische[s] Cool«, welches im Unterschied zu einem nostalgisch souverän kodierten Cool »die Preisgabe der Subjektstrukturen und die Herausbildung der hybriden Menschmaschine bejaht« 13 . Und auf künstlerischem Feld könnte man Matthew Barney und Damien Hirst als Belege für mortifizierende, Lebendes sublimierende Momente der Kälte nehmen 14 , begäbe sich damit allerdings in das Kielwasser eines sehr alten und in seiner Polarisierung eher problematischen, kulturkritischen Topos: der Befürchtung, durch 12. Vgl. Harald Kimpel: »Der Kühlschrank in der Kunst. Eine Inventur«,
in: Unter Null. Kunsteis, Kälte und Kultur, Ausst.-Kat. Museum Industriekultur Nürnberg, Münchner Stadtmuseum, 4.5.1991-29.12.1991, S. 200-215; sowie ders.: »Am Schmelzpunkt der Kunst. Eis als Material und Thema ästhetischer Konzepte«, in: ebd., S. 232-249. 13. U. Poschardt: Cool, S. 131ff. 14. Ebd., S. 159ff.
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Darstellung, durch Repräsentation überhaupt entweiche das warme Leben ins kalte Bild. 15 Stattdessen muss man sehen, dass für die bildende Kunst der 1990er Jahre eher eine Zeit sozial engagierter, auf Minderheiten, Postkolonialismus und die Aporien des Eurozentrismus versierte Projekt- und Videokunst anbrach. Coolness konnte nicht länger sozial arrogant auftreten (weshalb Barney von den Diskurslinken stets als manieristischer Revanchist beäugt wurde). Cool war es damals, z.B. in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, gemeinsam mit anderen jüngeren Kunstinteressierten »Sozial Pudding« zu löffeln und für sich selbst dabei in der Schwebe zu halten, ob man die sozialeudämonistische Transsubstantiation glauben oder sie doch lieber stillschweigend als sublimiert in der Zusammenkunft mit Gleichgesinnten erachten wollte. Hier liegen die Wurzeln für heutige Kunst-Coolness, für Strategien, die nicht ausschließlich subtrahierend und puristisch verfahren, sondern zunächst durchaus figürlich, inhaltsreich, u.U. sogar engagiert – jedoch so, dass diese Aspekte zugleich an Schwere verlieren. Die ältere subtraktive Strategie (Kälte durch Wärmeabzug) gibt sich nun überformt durch populär-, sub- bzw. jugendkulturelle Paradigmen. Die Werke verweisen auf Künstler, die Hagestolz, Dandy und Hipster zugleich sein wollen.
Tontrennung I. – Von der Notlösung zur ästhetischen Option Tontrennung wird eigentlich erst dort nötig, wo die Kontinua zwischen Farben oder Lichtwerten erwartet, also prinzipiell mitgedacht werden, aber technisch nicht oder nur sehr aufwandsreich einlösbar wären – beispielsweise im Bereich des Comic, der Druckgrafik und Plakatkunst sowie im Kunsthandwerk bei Stein- oder Holzeinlegarbeiten oder früher bereits in der Glasmalerei oder Emaillekunst. Anfänglich galt es einen Ersatz zu fi nden für Farbverläufe und Farbvielfalt, ebenso für Verläufe von Licht zu Schatten und vice versa. Homogene Binnenflächen waren mithin über die längste Zeit eher eine Notlösung – freilich eine reizvolle. Denn Kunsthandwerker wie Künstler verstanden es, aus der Not eine Tugend zu machen, indem gelungene Beispiele die Betrachter entweder vergessen ließen, dass Tontrennung zum Einsatz kam, oder gerade zwischen der Hervorkehrung dieses Ef15. Vgl. hierzu im Überblick die Einleitung bei Christian Janecke (Hg.): Performance und Bild/Performance als Bild, (FUNDUS 160), Berlin: Philo & Philo Fine Arts 2004, S. 11-113, dort Abschnitt III. (»Erstarrung zum Bild – ältere und neue Befürchtungen«), S. 39-77.
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fekts und dem mosaizierend fl ächenbezogenen, übergegenständlichen Nebeneinander von Farben ein wechselvolles Spiel entstand. Übrigens genau in diesem Sinne könnte man McLuhans Unterscheidung »heißer« (detailreicher) und »kalter« (detailarmer, folglich rezeptiv zu ergänzender) Medien 16 auch als ein Plädoyer für tongetrennte Darstellung lesen: »Netzseidenstrümpfe sind viel sinnlicher als glatte Nylons, weil das Auge wie eine tastende Hand mithelfen muss, das Bild wie beim Mosaik des Fernsehbildes auszufüllen und zu ergänzen«. 17 Ein weiterer Vorzug der Tontrennung ist die mit der Bildreduktion einhergehende enorme Übersichtlichkeit – unabdingbar bei Plakaten, bei Sujets oder Figuren, von denen man hohen Wiedererkennungswert verlangt. Mit dem Siegeszug der Fotografie zunächst im Schwarzweiß-, später im Farbbereich und mit der Verbesserung der Druckgraphik sowohl lithografischer als auch weiterer Verfahren zur Umsetzung und Verbreitung farbig nuancierter Vorlagen wurde Tontrennung allerdings zunehmend eine Sache ästhetischer Entscheidung. Die Nachteile der Tontrennung wurden nun zur Herausforderung virtuoser Lösungen in Bildstellen bei Edgar Degas, in Spielarten des Symbolismus oder im Cloisonnismus. Die naturalistische Referenz blieb gewahrt, trat aber auf im Gewande gegenstandsübergreifender Flächenschönheit bildlicher Anordnung von Farben (oder Lichtwerten). Einem Künstler wie Edward Hopper gelang es, mittels Tontrennung die Welt so zu malen, dass wir seine besondere Verehrung für die ernste und deutliche Sprache der Dinge wahrnehmen. Eine Tankzapfsäule von Hopper lässt uns zurückdenken an die gebrauchsgrafi schen Erfahrungen des Künstlers, und doch erstaunen wir über das Stück Malerei, das sich anschickt, diese sachliche Andeutung zu durchbrechen. Noch bei Alex Katz, dessen Vorbild Matisse blieb, bewundert man – jedenfalls wenn man die gelungensten seiner Bilder zum ersten Mal oder nach langer Zeit wieder sieht – seine raffinierten, ja delikaten Effekte der Tontrennung, insbesondere weil dadurch eine berückende Disproportion zwischen minimaler Andeutung und maximaler gegenständlicher Konnotierbarkeit lanciert wird.
16. Herbert Marshall McLuhan: »Heiße Medien und kalte«, in: ders., Die magischen Kanäle, Düsseldorf u.a.: ECON 1992, S. 35-47. 17. Ebd., S. 43. McLuhans Sentenz ist geradezu prophetisch mit Blick auf Sarah Morris‘ Bild »Fishnets (legs crossed)«, 1996; vgl. Sarah Morris. Modern Worlds, Ausst.-Kat Museum of Modern Art, Oxford, GfZK Leipzig, Le Consortium, Dijon 1999, S. 3.
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Tontrennung II. – Über flexibel einsetzbare Ef fekte Einiges spräche dafür, direkt von Alex Katz zu heutigen Malereien eines Tim Eitel überzugehen – jedoch bin ich der Ansicht, Eitels Bilder profitierten implizit gerade von einer Ablösbarkeit der Tontrennung von Malerei bzw. vom bildlichen Medium. Tontrennung tritt heute als flexibel einsetzbarer Effekt auf den Plan und lässt sich daher genauso bei installativ arbeitenden KünstlerInnen finden. Angela Bulloch ist seit der Jahrtausendwende hervorgetreten mit ihren Pixelbox-Installationen (s. Abb. 1). Zu einer Wand im bildlichen oder fi lmischen Querformat verbaute Kuben von jeweils ca. einem halben Meter Kantenlänge können auf ihrer Vorderseite per Illumination völlig binnenhomogen beliebig wählbare Farben beliebig lange zeigen – nämlich durch die Lichtmischung aus drei per Computer ansteuerbaren RGBLeuchtstoff röhren. 18
Abbildung 1: Angela Bulloch, Z Point, 2001, Ausstellungsansicht Modern Art Oxford, 48 plastic dmx modules, dmx controller, soundtrack, sound equipment, 300 x 400 x 50 cm. Aus: Wiener Secession (Hg.), Prime Numbers Angela Bulloch, Köln 2006, S. 122 Im Rhythmus von knapp einer Sekunde wechselt die Farbe, so dass man den Eindruck gewinnt, wahlweise ein extrem verpixeltes, also informationsarmes Bild respektive Essenzen eines Bewegtbildes im Sinne des 18. Technische Details bei Dominic Eichler: »Primzahlen und Anmerkungen zu ausgewählten Arbeiten von Angela Bulloch«, in: Prime Numbers Angela Bulloch, Ausst.-Kat. Secession Wien, Modern Art Oxford, De Pont Tilburg, The Power Plant Toronto, 15.9.2005 – 4.9.2006, S. 114-227.
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»Retrofuturismus der Pixelästhetik der 1980er Jahre« 19 vor sich zu haben, oder doch eher nur einen extrem grob gerasterten Rapport dekorativer Buntfarben, der an die jüngste Renaissance des Rubik’s Cube20 denken lässt. Bullochs Farblichtspiele rekurrieren häufig auf Kinofi lme und zwar auf sehr kurze Ausschnitte in überdies extrem heruntergerechneter Bildinformation. Inspiriert durch cineastische Werktitel hat sich die Kunstkritik bereitgefunden, uns zu erklären, was beispielsweise von einem Film wie »Zabriskie Point« in der Adaption durch Bulloch übrigbleibt 21 – es ist beim besten Willen nicht viel. Eine Möglichkeit, die schemenhaft vagen Anmutungen von Horizont(alität), Licht oben, Dunkel unten, oder unbestimmter Figuration interpretativ doch wieder aufzuwerten, besteht darin, Fehlendes entweder zur Hypothek der Betrachter und ihrer ergänzenden respektive rekonstruierenden Phantasie zu erklären 22 , oder gerade der Vakanz zwischen Sound-unterlegter, Ambient-tauglicher Atmosphäre und Restbedeutung künstlerischen Status zu attestieren. So sieht Juliane Rebentisch die Oberfl äche der Pixelflächen »durchzogen von unseren fi lmischen Erinnerungen und deren affektiv gesättigten semantischen Horizonten. Wie an der Buchstäblichkeit eines minimalistischen Kubus gleitet jedoch jeder Versuch, diese tatsächlich an die abstrakten Farbflächen zu heften, an deren Glätte ab.« 23 Ganz ähnlich argumentiert Helmut Draxler, der eine »Remediation von Film in digitale und installative Sprache« am Werke sieht, wobei freilich die »Narrative der Filme verschwinden« würden. Nur die Werktitel verhinderten, dass es bei einem »formalen Spiel der pulsierenden Pixel bleibt«.24 Die Frage ist natürlich, wie man dieses Changieren bewertet: Ob man in einem das bloß Inhaltliche verwehrenden Moment wirklich die ästhetische Qualität der Arbeiten und darin ihren Kunstcharakter erkennen sollte25; ob das Verhältnis zwischen »autonomer Installation und dekora19. Helmut Draxler: »Gestaltung zeigen. Situation und Referenz bei Angela Bulloch«, in: ebd., S. 10-26, hier: S. 24. 20. Vgl. Matthias Stolz: »Die Rückkehr des Zaubers«, in: Zeit Magazin vom 15.1.2009, S. 10-15. 21. Vgl. Branden W. Joseph: »Erinnerungen aus der Zukunft. Geschichte und Spekulation in der Arbeit von Angela Bulloch«, in: Prime Numbers, S. 32-85. 22. Vgl. Branden W. Joseph, der sich gar an die Frühzeit des Fernsehens als eines im Sinne McLuhans »Kalten Mediums« erinnert fühlt. Ebd., S. 54. 23. Juliane Rebentisch: »Angela Bullochs digitale Reduktionen«, in: Parkett 66 (2002), S. 20-27, hier: S. 22. 24. H. Draxler: Gestaltung zeigen, S. 26. 25. Vgl. J. Rebentisch: Angela Bullochs digitale Reduktionen, S. 23.
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tivem Arrangement«, wenn es sich als »vielfach gebrochen« 26 darstellt, gerade darin als kunstnah aufzufassen wäre – oder ob nicht vielmehr in genau dieser kultivierten Unentschiedenheit zwischen Dekoration und Sinnanmutung die Prada- und Firmentauglichkeit einer schicken Gestaltung mit Glamourfaktor liegt. Denn es wurde durchaus bereits gesehen, dass Angela Bullochs Pixelbox-Arbeiten in »milchglascooler Hipness« 27 daherkommen und dass es in ihnen darum geht, »wie die Utopien der Moderne in den Clubs und Lounges dieser Welt angekommen sind, und wie cool ihre Entmächtigung wirken kann«.28 Wie dies indes bei Bulloch geschieht, nämlich auf dem Wege gigantisch hochgezogener Tontrennung, gilt es hervorzuheben: Da Tontrennung, wie wir bereits erfuhren, zunächst mit größerer Übersichtlichkeit des durch sie Vermittelten einhergeht, erzeugen Bullochs konturierte Farbquadrate ein unablässiges Szenario vermeintlicher Akkuratesse und Klarheit, welches aber immer nur eingedenk der per Titel (und über unser Hintergrundwissen als Kunstbesucher) mobilisierten Aufforderung, uns »ein nichtsichtbares Mehr zu denken«29, transgressiv wird. Bulloch bevorzugt – mit Brecht zu sprechen – epische Qualitäten, indem sie uns jeden einzelnen Pixel zeigt, und ihn sogar lange genug zeigt, um uns ostentativ von jeglichem Illusionismus divisionistischer Verschmelzung zu verschonen. Die Darbietung etwaiger Inhalte verläuft über derart große Pixel, dass wir ein fetischisiertes Verhältnis ausgerechnet zu ihnen – die doch nicht in objektiver (indexikalischer30) Verbindung zum Referenten stehen – aufbauen. Sozusagen an ihnen bereits lösen wir jene Befriedigung ein, die doch eigentlich erst aus dem Film zu gewinnen wäre. Vielleicht erscheint heute in der Kunst nichts cooler als diese chiastische Bewegung: Während große und möglicherweise emotional bewegende Inhalte auf spektakuläre Atmosphäre mit einlullendem Ambient-Soundtrack zurücksinken, gewinnt im Gegenzug, nämlich formal gesehen, alles in etwa Diff use Kontur, formiert es sich zur rektangulär gerasterten Kristallisation von Anliegen. Damit aber spielt Bulloch nur in aufwandsreicher und buchstäblich mehrdimensionaler Weise durch, was Tontrennung in nuce 26. H. Draxler: Gestaltung zeigen, S. 26. 27. J. Rebentisch: Angela Bullochs digitale Reduktionen, S. 23. 28. H. Draxler: Gestaltung zeigen, S. 12. 29. Diedrich Diederichsen: »Who lives in the Black Hole?«, in: Angela Bulloch. The Space That Time Forgot, Ausst.-Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München 16.2. – 18.5.2008, S. 10-22, hier: S. 11. 30. Vgl. John Miller: »UNITED COLORS OF BBC. Angela Bulloch in der Galerie Schipper & Krome, Berlin«, in: Texte zur Kunst 47 (September 2002), S. 153155.
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bereitstellt: die paradoxale Verbindung von intensivierter und sublimierter Inhaltsanmutung. Der britische Künstler Liam Gillick ist weniger in seiner Heimat, denn vielmehr hierzulande der kritischen Kunstszene liebstes Kind – er darf sogar den deutschen Pavillon der Biennale Venedig 2009 bespielen. Nicht zuletzt durch seine ferneren Aktivitäten als Kritiker, Herausgeber, Essayist, Kurator exemplifiziert er mustergültig die von Nicolas Bourriaud für die Kunst seit den 1990er Jahren reklamierte esthétique relationelle. In diesem Sinne konzediert man ihm, mit »seinen Rauminstallationen, Wandtexten, Objekten und Büchern, die sich zwischen Kommunikationskonzepten, Fiktion und Narration bewegen, […] aufgrund von Interventionen im Raum diskursive Plattformen [zu initiieren], die kommunikativen Austausch und raumbildende Abläufe in Gang setzen«31 . Beispielsweise wird eine baldachinartig schwebende Konstruktionen aus farbigem Plexiglas mit dem komplizierten Titel: »(The What if? Scenario) Discussion Platform« (s. Abb. 2) in der Londoner Galerie Robert Prime gezeigt, montiert in einer Raumecke, stabilisiert durch eine dünne Außenstütze. Vielfarbige, projektionsbedingt verzerrte Schatten auf der Wand nehmen, wie es etwas euphemistisch heißt, »auf den Ausstellungsraum unmittelbar Einfluss«32 . Zweifelhaft ist indes, ob sich der Betrachter wirklich ›veranstalten‹ lässt. So hat der Künstler die Frage, ob die Betrachter entsprechende Titel ernst nehmen und unter einem solchen Plexi-Baldachin tatsächlich debattieren sollen, eher vage beantwortet. Die Decken-Paneelen und Plattformen defi nierten demnach »das Umfeld in einer Weise, wie es bei einer normalen Skulptur nicht möglich ist. Wenn man ihnen am nächsten ist, sind sie aus dem Blickfeld verschwunden. Stattdessen tauchen sie über deinem Kopf auf und verbreiten eine subtile Präsenz, die die Farben der Schatten verändert. Sie funktionieren auf eine sehr zurückhaltende Art. Die Arbeit entfaltet wichtige Nebeneffekte. Alles spielt sich in einem fl irrenden Gemisch aus Funktion, Ideologie und Kunst ab.«33
31. Lilian Haberer: Prinzip Raumbildung. Parallele Strukturen im Werk von
Liam Gillick, (= Diss. Univ. Köln 2004), Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst 2006, S. 11. 32. Ebd., S. 160. 33. »Über die Gestaltete Welt. Ein Gespräch zwischen Liam Gillick und Jan Estep«, in: New Art Examiner 5 (Mai/Juni 2002), vgl. www.publicaffairs.ch/gillick_liam.html Abruf: 1.2.2009.
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Abbildung 2: Liam Gillick, (The What if? Scenario) Discussion Platform (London), 1996, Aluminium, Plexiglas, verchromte Messinghalterungen, 200 x 200 x 200 cm, Galerie Robert Prime, London. Aus: Lilian Haberer, Prinzip Raumbildung. Parallele Strukturen im Werk von Liam Gillick, Nürnberg 2006, S. 121 Diese Halbherzigkeit hat Einwände provoziert: »There is a trend towards attitudes that stay vague, and oscillate between nonsense and decorated conceptualism. Their most important point is that they are consumed as cool«34 , heißt es in einer frühen Kunstkritik Mitte der 1990er Jahre, und der Berliner Kritiker Harald Fricke sah den Künstler Anfang des Jahrtausends auf der Suche nach den »Wohlfühlfarben der Globalisierung«, erblickte hier nachgerade einen »kulturelle[n] Platzhalter für das blairsche ›Cool Britannia‹«35 . Der Berliner Kurator und Kritiker Hans-Jürgen Hafner bemängelt, es lasse sich der diskursive Anspruch »an kaum einer Stelle aus den Objekten selbst ableiten«, wie auch umgekehrt des
34. G. Emmerich in: ThingReviews, NYC, 12.10.1995 vgl.: http://old.thing. net/ttreview/decrev.03.html 35. Harald Fricke: »Per Buntstift durch die Galaxis«, in: taz vom 4.11.2002, vgl. www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2002/11/04/a0158
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Betrachters getreuliche Gillick-Lektüre »sich nur unter Mühen mit dem Sehrlebnis in der Ausstellung« verbinde.36 Wenn es also naiv wäre zu glauben, Gillicks Werke dienten tatsächlich »for the enactment of the Habermasian notion of communication without constraints«, wo sie uns doch aufgrund ihrer Materialien eher als »absurd sitcom sets«37 erscheinen, so könnte man, dies ist Gregor Stemmrichs wackerer Rettungsversuch, Gillicks Darbietungen attestieren, sie inspirierten uns nicht allein zu einem Nachdenken »über Planung, Strategie, Einflussnahme und Kontrolle«, sondern »auch zu einem Nachdenken über diese Form des Nachdenkens«38 . Statt von solcher Metareflexivität wäre angemessener wohl von einem Reflexifitätsaroma auszugehen, welches auf die Betrachter alias Nutzer einwirkt. Dass das durch farbige Scheiben auf die darunter Stehenden fallende Licht »won’t provide church window epiphanies«39, wie ein Kritiker spottete, glauben wir sofort, und doch scheint die Melange aus postminimalistisch sparsamer Setzung und kargen Einschlüssen geometrisierten, farbüberschneidungsfreien Durchscheinens die bereits bei Bulloch diagnostizierten Effekte freizusetzen: nämlich die Kommunion von Akkuratesse und atmosphärischer Virulenz. Im Grunde funktioniert Gillicks Vorgehen wie ein modisches Accessoire, vielleicht eine eckige, farbig getönte Sonnenbrille, die Intellekt mit Sexiness vermählt, sprich: über geringe Eckdaten Coolness signalisiert. Nur dass der Träger dieser ›Sonnenbrille‹ keine Person, sondern eine räumlich akzentuierte Situation im Kunstkontext ist: Wer diskursmunitioniert einen von Gillick verzauberten Raum betritt, dem genügen diese beiläufig asketischen und doch delikat sortimentierten Zeichen tongetrennter Transluzenz. Ihre Entmischung buchstäblichen Farblichts ist ihm Diskursversprechen ohne hitzige Debatten. Sarah Morris malt gerasterte, teils verspiegelte Ausschnitte von Hochhausfassaden US-amerikanischer Metropolen des Films wie der Politik (s. Abb. 3). Bereits dies macht es wahrscheinlich, dass wir rechte Winkel und Rechtecke in Rastern, bei Querstellung zur Bildfläche auch Diagonalen und rautenförmige Binnenflächen sehen, dass wir all dies in einer36. Hans-Jürgen Hafner: »Spielarten des Minimalen«, in: artnet vom
3.1.2006, vgl. www.artnet.de/magazine/reviews/hafner/hafner01-03-06.asp 37. Jörg Heiser: »Disco Discontent. Liam Gillick«, in: Frieze 51 (März-April 2000), vgl. www.frieze.com/issue/print_article/disco_discontent 38. Gregor Stemmrich: »Liam Gillick – ›Eine Debatte übers Debattieren‹«, in: Parkett 61 (2001), S. 64-68, hier: S. 67. 39. J. Heiser: Disco Discontent.
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seits Raum suggerierenden Perspektivfluchten bzw. Tiefe erzwingender Überschneidung, wie auch andererseits Raum nivellierender Flächigkeit der Parzellen vorfi nden. Diese Art Sujet ist bereits per se – also genauso bei Malern wie Torben Giehler oder dem Fotografen Todd Eberle – prädestiniert für sowohl tongetrennte, als auch geometrisierte Darstellung. Es ist aber Morris’ Option, solche Entsprechungen noch gezielt zu verstärken: erstens durch Verwendung einer den Duktus nahezu tilgenden Lackfarbe, zweitens durch völlig variationsfreie, Nuancierung bzw. Zwischentöne meidende Wiederholung bestimmter Farben (weshalb alle von einer solchen Farbe bedeckten Partien ohne Rücksicht auf ihre übrige Einbindung in Tiefenillusion auf einer bildfl ächenparallelen Ebene als kopräsent erscheinen), schließlich drittens durch strikten Verzicht auf Binnenzeichnung, was zu einem regelrecht kristallin oder wabenartig dekorativen Zusammenschluss der Rasterbänder führt und sie gänzlich von perspektivisch konstruierender respektive konturierender Funktion entkoppelt. Dadurch erinnern uns Morris’ Bilder an jenen ›Marsch durch die Institutionen‹, welchen die einst rigide Konstruktiv-Konkrete Kunst im Zuge eines durch Pop Art erheiterten, durch Op Art rhythmisierten Hard Edge Painting einschlagen konnte. 40 So schwankt man als Bildbetrachter zwischen der angenehmen Überwältigung durch schöne, dekorative Buntfarben in schicken, kristallin verschachtelten Rastern, in denen architektonische Verortbarkeit des Gezeigten lustvoll wegbricht und dem Restgefühl universalisierbarer Nachvollziehbarkeit. Autoren, die sich bei der Rehabilitation von Mode und Modischem im Kunstfeld hervortaten, haben sich vor der Künstlerin verbeugt: Ulf Poschardt 41 , indem er ihr konzediert, längst überfällig für die Kunst zu personifizieren, was es im Film schon gebe, die gelungene Verbindung von Glamour und Engagement; Isabelle Graw, indem sie der Künstlerin attestiert, nicht allein affi rmativ auf der Seite der Macht, nämlich ihrer blickabweisenden Fassaden zu stehen, nicht allein ein konsumptives Begehren durch ›leckere‹ Farben anzustacheln, sondern auch »von jener schwindelerregenden Leere und jenen Abgründen« zu handeln, »die sich immer dann auftun, wenn man dem Begehren nachgibt« 42 . 40. Vgl. hierzu Arbeiten zwischen 1989-1999 in: Sarah Morris. Modern
Worlds. 41. Ulf Poschardt: »Dekoration als Vorspiel der politischen Kunst«, in: Welt am Sonntag Online vom 27.4.2008, vgl. www.welt.de/wams_print/article 1942047/Dekoration_als_Vorspiel_der_politischen_Kunst.html 42. Isabelle Graw: »Das Kapital lesen. Über die neuen Bilder von Sarah Morris«, in: The Mystery of Painting, Ausst.-Kat. Sammlung Goetz, München 29.10. 2001 – 5.4.2002, S. 71-75, hier: S. 73.
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Abbildung 3: Sarah Morris, Gateway West (Los Angeles), 2004, Household Gloss auf Leinwand, 214 x 214 cm. Aus: Galerie Max Hetzler, Berlin (Hg.), Sarah Morris. Bar Nothing, Berlin 2004, Nr. XI., o.S. Hinzu kommt eine die Rezeption grundierende fi lmbezogene Lesart der Bilder von Morris, bei der das, was in Bullochs Pixelbox-Arbeiten hinein phantasiert werden muss, nun auf wirkliche Filme der Künstlerin rekurriert 43, Filme, die in melancholisch elegischem Abgesang den Alltag einer Finanzmetropole oder die vielen ungesicherten, abseitigen Backstage-Momente von Hollywood-Events zeigen, und zwar in einer sich betont teilnahmslos gebenden, in Wahrheit freilich sehr nach den hier und da auftauchenden oder auch nur en passant erhaschten Prominenten sich streckenden Weise. In Art eines Prestigetransfers können so auch die gemalten Bilder aufgeladen werden mit dem Odeur eines internationalen Jet Set, sei es in ökonomischer, politischer oder cineastischer Duftnote. Uncool erschiene diese Malerei, würde sie tatsächlich nahtlos anschließen an die o.g. Fortentwicklungen Konstruktiv-Konkreter Kunst; uncool wäre sie, würde sie dringliche Botschaften vermitteln, würde sie also zu einem Panorama der Leidenschaften oder via Architekturfassaden wenigstens 43. Vgl. ebd., S. 74f.; Sarah Morris. Bar Nothing, Ausst.-Kat. Galerie Max Hetzler, Berlin 11.9. – 16.10.2004, dort die Elogen von Martin Herbert und Douglas Coupland; Anke Kempkes: »Sarah Morris. Hamburger Bahnhof«, in: Frieze 62 (Oktober 2001), vgl. www.frieze.com/issue/print_back/sarah_morris1/; Themenheft (anteilig) zu Bulloch, in: Parkett 61 (2001).
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der Urbanität. Die über Tontrennung prozessierte (und aufgrund des Sujets ja bestens prozessierbare) Reinigung der Bildfl äche von allem, was nicht in das Vexierbild aus Fassade, dynamisch gerasterter Abstraktion und cineastischen Einschlüssen sich fügt, triff t hingegen ein Cool. Denn Sehnsucht und Begehren, der Abglanz von Luxus und Macht, werden hier nicht als neureiche Seifenoper in Szene gesetzt, sondern inkrustativ versiegelt in einer unverständlich und damit neuerlich mythisch gewordenen modernistischen Akkuratesse, deren Geheimnis gerade nicht Vermischung, sondern polyphone Entmischung ist, deren Anrufung mithin umschlägt in eine Art abstrakter Heraldik des Kapitalismus.
Fazit mit Tim Eitel In Tontrennung bekundet sich ein preisgünstiger Zugang zu dem, was formalistische Bildtheoretiker seit Imdahl als »Ikonische Differenz« dachten (und seit Boehm explizit so bezeichnen). Denn dem Naturalismus der Überzeichenbildung, demzufolge wir recht eingängige, meist fotografisch inspirierte oder sogleich aus Fotos abgeleitete Figuren sehen respektive imaginativ ergänzen, korrespondieren völlig abstrakte Grenzverläufe etlicher Binnenflächen – nur dass der Sprung von einem zum anderen heute per Bildbearbeitungsprogramm erzeugt werden kann, mittlerweile sogar im Bewegtbild in Echtzeit. Für Künstler wie Tim Eitel oder Norbert Bauer, aber im Weiteren auch Frank Nitsche oder Eberhard Havekost und stellenweise Wilhelm Sasnal ist Tontrennung zum Geschmacksverstärker einer Malerei geworden, die – wie es die Werbung verheißt – »Genuss ohne Reue« verspricht. Wer heute schlemmen, aber nicht dick werden, MTV gucken, aber nicht verblöden und wer fremdgehen, aber dennoch im Innersten treu sein will, der fi ndet hier ein Pendant auf dem Feld der Malerei. Auf Bildern Tim Eitels (s. Abb. 4) wird Tontrennung dahingehend eingesetzt, dass sie erstens im Kleinen alles betriff t: die gelangweilten Gesichter, die Kleidung, das pittoresk in Schwarz und Grün aufgeteilte Laubwerk, und dass sie zweitens auf der Ebene der durch Flächenklappung rektangularisierten großen Hinter- und Mittelgrundflächen nochmals wiederkehrt. Die blassen, aber attraktiven Gestalten in ihrem geleckten Ennui sind Exempel jener sozialen und intellektuellen Arroganz, von der alle Emotion abperlen soll. Ihre Unberührbarkeit und ihre Nichteinlassung setzen nicht auf den von Lethen untersuchten metallenen Panzer der Zeit Ernst Jüngers, sondern auf digitale Wappnung. Der Atomismus der Pixel springt bei ihnen über in die Meso-Dimension sichtbarer Elemente: Man ertappt sich bei der Überlegung, ob die Sonnenbrillen von Eitels Bildfiguren nötig 234
Empörungsfreie Räume
sind, damit – bei Wahrung naturalistischer Glaubwürdigkeit – etwas so individuelles wie die Augenpartie verschwinden kann hinter insektoiden dunklen Scheiben. Die vornehme, exklusive Präsenz seiner Bildgestalten in Interieurs, deren Geometrie alles – Ausstattung, Besucher, Bilder an den Wänden – inkorporieren will, ist hedonistischer als die von Lethen untersuchte, antiplebejisch, antiexpressiv und zynisch sich gebende moderne Kälte; und ihre Leidenschaftslosigkeit ist kommunikativer als die von Jugendkulturen seit jeher beanspruchte Coolness. Hier sind Leute im Bild angekommen: tongetrennt gemalte, eigenschaftslose und doch so anspruchsvoll verfeinerte Avatare des Kunstbetriebs, wählerische, niemals sich verausgabende Prototypen eines Lebens als ständiger Vernissage, die wie Edelgas mit nichts sich einlassen, mit nichts sich vermählen außer mit der geometrischen Akkuratesse der Bildwelt Eitels, der sie entstammen.
Abbildung 4: Tim Eitel, Büro, 2002, Öl auf Leinwand, 120 x 180 cm, Sammlung Kaufmann, Berlin. Aus : La nouvelle peinture allemande. Carré d’Art – Musée d’Art contemporain de Nîmes, Nîmes 2005, S. 71 Die Vorstellung, der White Cube sei selbst bereits ein Kühlinstrument der Modernen Kunst 44 , ist verführerisch, zumal Brian O’Doherty ja selbst 44. So die suggestive, aber nicht stichhaltige Argumentation Poschardts, der just zuvor über Weißheit, Weißnis, Schnee und dergleichen schreibt und
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Chr istian Janecke
sehr genau als Hauptqualität angegeben hatte, die »ideale Galerie [halte] vom Kunstwerk alle Hinweise fern, welche die Tatsache, dass es ›Kunst‹ ist, stören könnten«. 45 Diese Ausschlussqualität ist zweifellos rigide, aber sie ist nicht zwangsläufi g ›kalt‹ oder ›kühlend‹, denn sie fördert zunächst nur die Konzentration der Betrachter auf etwas, das diesen nun in Unbedingtheit entgegentritt – und das kann auch ein ›heißes‹ Werk des Abstrakten Expressionismus sein. Weder der Rezeptionsakt, noch der Rezeptionsgegenstand im White Cube muss also kalt sein! Tim Eitel freilich illustriert gleichsam das hier widerlegte Klischee, indem der White Cube seinen Bildgestalten gerade kein Ort gesteigerter Auseinandersetzung, sondern eigener Bildwerdung ist: Eitels Protagonisten fi gurieren im White Cube, als wäre bereits er ihr Bildgrund. Und darin symbolisieren sie unfreiwillig heutige Angehörige der Kunstwelt, die so narzisstisch wie leidenschaftslos auf Teilhabe drängen, die also – metaphorisch ausgedrückt – ›Bildteilnehmer ohne Palettendreck‹ werden wollen. Dank ihres einerseits auf Filmisches, Gegenständliches, Inhaltliches, gar Engagement bezogenen Einsatzes, der doch andererseits zurückgenommen wird durch das Prinzip der Tontrennung, gelingt es den Arbeiten von Eitel, Morris, Gillick oder Bulloch, eine zunächst befeuerte Subjektivität in Schach zu halten, sie abzukühlen. Der Genuss daran ist ein Stück weit auch Genuss an Entfremdung.
meint, »im Verlauf der modernen Kunstgeschichte« sei der White Cube »zum Kühlschrank« geworden. U. Poschardt: Cool, S. 259. 45. Brian O’Doherty: In der weißen Zelle/Inside the White Cube, Berlin: Merve 1996, S. 9.
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Dank Der vorliegende Sammelband fasst die Beiträge des interdisziplinären Kolloquiums »Coolness – Zur Ästhetik einer kulturellen Verhaltensstrategie und Attitüde« zusammen, das im Juni 2008 an der TU Darmstadt stattfand. Die Tagung wurde im Rahmen der Wella-Stiftungsprofessur für Mode und Ästhetik veranstaltet, die Annette Geiger damals inne hatte. Wir möchten uns bei Wella/Procter & Gamble für die großzügige Unterstützung herzlich bedanken. Es freut uns, dass es gelungen ist, die Ergebnisse der Tagung zu veröffentlichen. Für die Finanzierung der Publikation möchten wir uns bei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften bedanken, sowie bei der Hochschule für Künste Bremen (Fachbereich Kunst und Design), der Universität Potsdam und dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam Prof. Dr. Andreas Köstler. Annette Geiger, Änne Söll, Gerald Schröder
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Zu den Autor innen und Autoren
Laura Bieger und Annika Reich denken, schreiben und lehren seit Jahren gemeinsam. Laura Bieger ist Juniorprofessorin für Amerikanistik am John F. KennedyInstitut der Freien Universität Berlin. Publikationen u.a.: Ästhetik der Immersion: Raum-Erleben zwischen Welt und Bild. Las Vegas, Washington und die White City. Bielefeld 2007; »Schöne Körper, hungriges Selbst. Über die moderne Wunschökonomie der Anerkennung.« In: A. Geiger (Hg.): Der schöne Körper: Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft. Köln 2008; »Belonging and Transnational American Studies: Reflections on a Critical Approach and Reading of Richard Powers’The Echo Maker.« In: Transnational American Studies, The University Press of New England 2009. Nils Büttner ist Professor für Kunstgeschichte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Publikationen u.a.: Die Erfindung der Landschaft. Landschaftskunst und Kosmographie im Zeitalter Bruegels. Göttingen 2000; Geschichte der Landschaftsmalerei. München 2006; Herr P. P. Rubens. Von der Kunst, berühmt zu werden. Göttingen 2006; Rubens. München 2007; Gemalte Gärten. München 2008. Annette Geiger, Kunst- und Kulturwissenschaftlerin, ist Professorin für Theorie und Geschichte der Gestaltung an der Hochschule für Künste Bremen. Publikationen u.a.: Urbild und fotografischer Blick. Diderot, Chardin und die Vorgeschichte der Fotografie in der Malerei des 18. Jahrhunderts. München 2004; Hg. u.a.: Spielarten des Organischen in Architektur, Design und Kunst. Berlin 2005; Hg. u.a.: Wie der Film den Körper schuf – Ein Reader zu Gender und Film. Weimar 2006; Hg. u.a.: Imaginäre Architekturen – Raum und 239
Coolness – Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde
Stadt als Vorstellung. Berlin 2006; Hg.: Der schöne Körper. Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft. Köln 2008. Franck Hofmann ist Komparatist, er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im SFB »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« an der Freien Universität Berlin. Publikationen u.a.: Hg. u.a.: Sprachen der Freundschaft. Rudolf Borchardt und die Arbeit am ästhetischen Menschen. München 2004; Hg. u.a.: Form. Zwischen Ästhetik und künstlerischer Praxis. Berlin 2009; »Marseille und seine Landschaft. Die Stadt der Cahiers du Sud als Laboratorium neuer Urbanität.« In: D. Läpple, M. Messling, J. Trabant (Hg.): Stadt und Urbanität im 21. Jahrhundert. Berlin 2009; Hg. u.a.: Notationen von Bewegung. Freiburg 2010; Hg. u.a.: Die Erfahrung des Orpheus. München 2010; Raum in den Künsten. Bewegung Konstruktion Politik. (Tranversale 3) München 2010. Christian Janecke ist Professor für Kunstgeschichte der HfG Offenbach. Publikationen u.a.: Zufall und Kunst, Analyse und Bedeutung. Nürnberg 1995; Johan Lorbeer. Nürnberg 1999; Tragbare Stürme. Von spurtenden Haaren und Windstoßfrisuren. Marburg 2003; Hg.: Performance und Bild/Performance als Bild. Berlin 2004; Hg.: Haar tragen – eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Köln 2004; Hg.: Gesichter auftragen. Argumente zum Schminken. Marburg 2006. Antje Krause-Wahl promovierte in Kunstgeschichte und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie für Bildende Künste in Mainz. Publikationen u.a.: Hg. u.a.: Erblätterte Identitäten. Mode – Kunst – Zeitschrift. Marburg 2006; Konstruktionen von Identität – Renée Green, Tracey Emin, Rirkrit Tiravanija. München 2006; »Absorption/Reflexion – Oberflächen bei Kerry James Marshall und Glenn Ligon.« In: FrauenKunstWissenschaft 43, 2007; »Between Studio and Catwalk – Artists in Fashion Magazines.« In: Fashion Theory 13 (1), 2009; »Superstars, Culture Heroes and Rude Boys – Making Things Popular with Artist’s Magazines.« In: U. Frohne u.a. (Hg.): Art ›In-Formation‹-Communication Aesthetics and Network Structures in Art from the 1960s to the Present. Hanover N.H. 2010. Petra Löffler ist Universitätsassistentin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Publikationen u.a.: Hg. u.a.: Medientheorien 1888-1933. Texte und Kommentare. Frankfurt a.M. 2002; Affektbilder. Eine Mediengeschichte der Mimik. Bielefeld 2004; mit Joanna Barck: Gesichter des Films. Bielefeld 2005; »Schwindel, Hysterie, Zerstreuung. Zur Archäologie massenmedialer Wir240
Zu den Autor innen und Autoren
kungen.« In: M. Hahn, E. Schüttpelz (Hg.): Trancemedien und Neue Medien um 1900. Bielefeld 2009; »Licht, Spur, Messung. Kritik des fotografischen Bildes.« In: B. Dotzler (Hg.): Bild/Kritik, Berlin 2009. Gabriele Mentges ist Professorin für Kulturanthropologie des Textilen am Institut für Kunst und Materielle Kultur der TU Dortmund. Publikationen u.a.: Hg. u.a.: Schönheit der Uniformität. Körper, Kleidung, Medien. Frankfurt a.M. 2005; Kulturanthropologie des Textilen. Berlin, Dortmund 2005; Hg. u.a.: Textil-Körper-Mode. Dortmunder Reihe zu kulturanthropologischen Studien des Textilen. 5 Bd. seit 2005; Hg. u.a.: Uniformierung in Bewegung. Vestimentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade. Münster, New York 2007; »When pictures become a text. Remarks on fashion texts.« In: G. Buxbaum (Hg.): Fashion in Context. Wien 2009. Annika Reich ist freie Schriftstellerin, Essayistin und Dozentin. Publikationen u.a.: Teflon (Erzählung). Frankfurt a.M. 2003; Durch den Wind (Roman). München 2010. Gemeinsame Publikationen mit Laura Bieger: »Grundlos weinen: Der Schmerz der Sterblichkeit im Schreiben von Dietmar Kamper.« In: Schmerz. Kunst + Wissenschaft, Köln 2007; »In Bed with Madonna. Wie wir und der Rest von ihr träumen.« In K. und S. Grether (Hg.): Madonna und wir. Frankfurt a.M. 2008. Sigrid Ruby promovierte und habilitierte in Kunstgeschichte und ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Justus-Liebig-Universität Gießen. Publikationen u.a.: Have We An American Art? – Präsentation und Rezeption amerikanischer Malerei im Westdeutschland und Westeuropa der Nachkriegszeit. Weimar 1999; »Feminismus und Geschlechterdifferenzforschung.« In: Kunsthistorische Arbeitsblätter. Zeitschrift für Studium und Hochschulkontakt 04/2003; Hg. u.a. (En)gendered: Frühneuzeitlicher Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen. Marburg 2004; »Mutterkult und Femme fatale: Frauenbilder.« In: H. Kohle (Hg.): Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Bd. 7: Vom Biedermeier zum Impressionismus. München 2008; Mit Macht verbunden. Bilder der Favoritin im Frankreich der Renaissance. Freiburg 2010. Gerald Schröder promovierte und habilitierte in Kunstgeschichte, er ist Akademischer Oberrat am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Publikation u.a.: Der kluge Blick. Studie zu den kunsttheoretischen Refl exionen Francesco Bocchis. Hildesheim 2003; »Less is more. Charlotte 241
Coolness – Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde
Posenenske im Kontext US-amerikanischer Minimal Art.« In: Charlotte Posenenske, Ausst.-Kat. Innsbruck/Siegen, hg. v. S. Eiblmayr u.a. Frankfurt a.M. 2005; »Der Schmerzraum von Joseph Beuys – Zur räumlichen Dimension großer Gefühle.« In: Kunst und Politik. Jahrbuch der GuernicaGesellschaft, Bd. 10, 2008; »Weinkrampf – Tränen im gespaltenen Selbstbildnis von Arnulf Rainer.« In: B. Söntgen u.a. (Hg.): Tränen. München 2008; Schmerzensmänner – Trauma und Therapie in der westdeutschen und österreichischen Kunst der 1960er Jahre. München 2010. Änne Söll, Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam. Publikationen u.a.: Hg. u.a.: Material im Prozess, Strategien ästhetischer Produktivität. Berlin 2000; Arbeit am Körper. Pipilotti Rists Videos und Videoinstallationen. München 2004; »An die Schönheit. Selbst, Männlichkeit und Moderne in Otto Dix Selbstbildnis von 1922.« In: A. Geiger (Hg.): Der schöne Körper. Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft. Köln 2008; »Pollock in Vogue: American Fashion and Avant-garde Art in Cecil Beaton’s 1951 Photographs.« In: Fashion Theory, März 2009. Rüdiger Zill, Philosoph, ist wissenschaftlicher Referent am Einstein Forum, Potsdam. Publikationen u.a.: Meßkünstler und Rossebändiger. Zur Funktion von Modellen und Metaphern in philosophischen Affekt-Theorien. Berlin 1994; Hg. u.: Hinter den Spiegeln. Zur Philosophie Richard Rortys. Frankfurt 2001; Hg.: Gestalten des Mitgefühls. Schwerpunktthema von Berliner Debatte Initial, I/II 2006. Hg.: Ganz Anders? Philosophie zwischen akademischem Jargon und Alltagssprache. Berlin 2007; Mitherausgeber der Reihe Erbschaft unserer Zeit in der edition suhrkamp.
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Kultur- und Medientheorie Matthias Bauer, Christoph Ernst Diagrammatik Einführung in ein kulturund medienwissenschaftliches Forschungsfeld Juni 2010, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1297-4
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