Theaterfestivals: Geschichte und Kritik eines kulturellen Organisationsmodells [1. Aufl.] 9783839413142

Theaterfestivals in Deutschland sind keine weitere Spielart des Events in einer übersättigten Erlebnisgesellschaft, sond

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German Pages 406 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Widmung
Einleitung
Organisationsmodell
Definitionsansätze
Etymologie und Semantik
Theaterfestivals in Deutschland
Internationale Gastspielhäuser als Wegbereiter und Nachfolger
Theater am Turm
Kampnagel Internationale Kulturfabrik
Sophiensæle und Hebbel am Ufer
Festspiele
Festspiel als literarisches Genre und Aufführungspraxis
Totalität und Nation
Vom Festspiel zu Festspielen als Organisationsmodell
Festspiele als Festrekonstruktion
Bayreuther Festspiele
Salzburger Festspiele
Fest, Gemeinschaft, Ereignis
Das Fest
Zum Festdiskurs
Ausdifferenzierung des Fests
Das Fest im Festival
Fest(ival)gemeinschaft
Verlässliche Präsenz
Netzwerken
Communitas
Grenzen von Communitas
Ereignis und Event
Erlebnisgesellschaft und Event
Das Event – Definitionen
Ereignis und Festival
Die Gabe
Vergleichendes Resümee
Prozess und Struktur
Präsentationsformat
Organisationsformat
Exkurs über Institutionskritik
Fazit
Das operationelle Gerüst
Die Basis des Festivals
Organisationsform und Finanzierung
Programmgestaltung und Leitung
Beteiligung am Entstehen von Produktionen
Die Ausgestaltung des Festivals
Inhaltliche Schwerpunkte
Interdisziplinarität
Diskurs
Methoden des Fests
Über das Festival hinaus
Bezug zum städtischen Raum
Verhältnis zum Nachwuchs
Traditionsbildung und Dokumentation
Die Zeiten des Festivals
Dimensionen der Zeitwahrnehmung
Alltag
Verdichtung und Gleichzeitigkeit
Ausnahmesituation und Pause
Zukunftsexpansion
Dauer und Tradition
Die Räume des Festivals
Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Raums
Stadtraum
Transräume
Zwischen Politik und Ökonomie
Festival und Kulturpolitik
Festival als Bühne und soziales Setting
Festival als Markt
Einzelanalysen
Berliner Theatertreffen
euro-scene Leipzig
Freischwimmer. Plattform für junges Theater
Neue Stücke aus Europa
Theater der Welt
THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover
Wiener Festwochen
Schlussbetrachtung
Interviews
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Personenregister
Festivals, Künstlergruppen, Theaterhäuser, kulturelle oder politische Organisationen
Sachregister
Recommend Papers

Theaterfestivals: Geschichte und Kritik eines kulturellen Organisationsmodells [1. Aufl.]
 9783839413142

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Jennifer Elfert Theaterfestivals

T h e a t e r | Band 16

2009-11-02 13-30-59 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0323225065886078|(S.

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) T00_01 schmutztitel - 1314.p 225065886086

Jennifer Elfert (Dr. phil.) arbeitet als Projektleiterin und Kulturmanagerin.

2009-11-02 13-30-59 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0323225065886078|(S.

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Jennifer Elfert Theaterfestivals. Geschichte und Kritik eines kulturellen Organisationsmodells

2009-11-02 13-30-59 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0323225065886078|(S.

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D.30

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Eingangsbereich der THEATERFORMEN, Braunschweig 2002: Ulrich Schwarz, Berlin Lektorat & Satz: Jennifer Elfert Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1314-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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) T00_04 impressum - 1314.p 225065886110

Inhalt Widmung ................................................................................ 9 Einleitung ............................................................................ 13 Organisationsmodell ............................................................ 21 Definitionsansätze ................................................................. 21 Etymologie und Semantik ..................................................... 23 Theaterfestivals in Deutschland ............................................ 25 Internationale Gastspielhäuser als Wegbereiter und Nachfolger ..................................................................... 32 Theater am Turm ............................................................. 36 Kampnagel Internationale Kulturfabrik ............................ 39 Sophiensæle und Hebbel am Ufer .................................... 41 Festspiele ............................................................................. Festspiel als literarisches Genre und Aufführungspraxis ...... Totalität und Nation ......................................................... Vom Festspiel zu Festspielen als Organisationsmodell ..... Festspiele als Festrekonstruktion .......................................... Bayreuther Festspiele ...................................................... Salzburger Festspiele .......................................................

47 48 52 53 56 57 64

Fest, Gemeinschaft, Ereignis ................................................ 71 Das Fest ................................................................................ 71 Zum Festdiskurs .............................................................. 72 Ausdifferenzierung des Fests ............................................ 75 Das Fest im Festival ......................................................... 78 Fest(ival)gemeinschaft ............................................................ 80 Verlässliche Präsenz ........................................................ 80 Netzwerken ...................................................................... 83 Communitas .................................................................... 86 Grenzen von Communitas ................................................ 88 Ereignis und Event ................................................................ 90 Erlebnisgesellschaft und Event ........................................ 90 Das Event – Definitionen .................................................. 92 Ereignis und Festival ........................................................ 95 Die Gabe .......................................................................... 99 Vergleichendes Resümee ................................................ 101 Prozess und Struktur .......................................................... 104 Präsentationsformat ....................................................... 105

Organisationsformat ...................................................... 107 Exkurs über Institutionskritik ....................................... 111 Fazit ............................................................................... 115 Das operationelle Gerüst ................................................... Die Basis des Festivals ........................................................ Organisationsform und Finanzierung ............................. Programmgestaltung und Leitung .................................. Beteiligung am Entstehen von Produktionen .................. Die Ausgestaltung des Festivals ........................................... Inhaltliche Schwerpunkte .............................................. Interdisziplinarität ......................................................... Diskurs .......................................................................... Methoden des Fests ....................................................... Über das Festival hinaus ..................................................... Bezug zum städtischen Raum ........................................ Verhältnis zum Nachwuchs ........................................... Traditionsbildung und Dokumentation ..........................

117 118 118 123 126 129 129 133 136 140 144 144 147 152

Die Zeiten des Festivals ..................................................... 157 Dimensionen der Zeitwahrnehmung ................................... 157 Alltag .................................................................................. 162 Verdichtung und Gleichzeitigkeit ........................................ 171 Ausnahmesituation und Pause ........................................... 179 Zukunftsexpansion ............................................................. 187 Dauer und Tradition ........................................................... 191 Die Räume des Festivals .................................................... 197 Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Raums ..................... 197 Stadtraum .......................................................................... 202 Transräume ........................................................................ 214 Zwischen Politik und Ökonomie ........................................ 227 Festival und Kulturpolitik ................................................... 227 Festival als Bühne und soziales Setting .............................. 238 Festival als Markt ................................................................ 250 Einzelanalysen .................................................................... 259 Berliner Theatertreffen ......................................................... 261 euro-scene Leipzig ............................................................... 267 Freischwimmer. Plattform für junges Theater ..................... 270 Neue Stücke aus Europa ..................................................... 274 Theater der Welt .................................................................. 279 THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover ..................... 285 Wiener Festwochen ............................................................. 290

Schlussbetrachtung ........................................................... 297 Interviews .......................................................................... 305 Literatur ............................................................................. 361 Abbildungsverzeichnis ..................................................... 385 Personenregister ............................................................... 387 Festivals, Künstlergruppen, Theaterhäuser, kulturelle oder politische Organisationen ........................ 391 Sachregister ....................................................................... 395

Widmung Eine Doktorarbeit ohne einen Doktorvater wird nur halb so gut, wie sie sein könnte. Prof. Dr. Hans-Thies Lehmann bin ich als akademische ›Amme‹ zu großem Dank verpflichtet. Seine intesive Betreuung, persönliche Anteilnahme und sein beständiges Interesse haben die Begeisterung für mein Thema nicht erlischen lassen. Prof. Dr. Susanne Komfort-Hein hat mich durch präzise Fragen und wichtige Hinweise in ausdauernden Gesprächen auf Abwege und Umwege geführt, die sich als äußerst produktiv erwiesen haben. Für ihren fachfremden Blick bin ich sehr dankbar. Prof. Dr. Patrick Primavesi, der die Entwicklung des Projekts ebenfalls von Beginn an mitverfolgt hat, hat durch bereichernde Gespräche mein Projekt ebenfalls unterstützt. Eine Doktorandin ohne liebevolle Familie ist nur halb so leistungsfähig, wie sie sein könnte. Meinen Eltern und meinem Bruder Dennis kann ich nicht genug für ihren Rückhalt und ihre Liebe danken. Inhaltlich bin ich allen Interviewpartnerinnen und -partnern zu großem Dank verpflichtet, insbesondere Christine Peters, die in vielfacher Hinsicht meinen Blick auf das Theater in Deutschland geprägt hat. Die Frankfurt Graduate School for the Humanities and Social Sciences hat mir für einige Monate kreativen Freiraum ohne Geldsorgen verschafft, die Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Johann Wolfgang Goethe-Universität hat mir ebenfalls finanzielle Spielräume eröffnet und mich in meinen Vorhaben bestärkt. Ein Projekt ist nur so gut wie seine Kritiker. Dr. Brigitte Biehl, Eva Holling, Nina Speyer, Sara Oertel, Martina Lehnhardt und Peter Bonn haben mit ihren strengen Korrekturen des Manuskripts einiges geradegerückt und Verständnislücken zu schließen geholfen. Außerdem waren sie in verschiedensten Situationen Berater und ›Kummerkasten‹ – kurz unverzichtbare Menschen. Im Dekanat des Fachbereichs 10 der Johann Wolfgang GoetheUniversität finden sich ebensolche Personen. Ich danke dem gesamten Team, das in uneingeschränkter Kooperationsbereitschaft, Anteilnahme und Hartnäckigkeit in der administrativen Umsetzung mehr als nur seine offiziellen Pflichten erfüllt hat. Vor allem in der Endphase dieses Forschungsprojekts war Philipp Florian Koch für mich nicht nur ein unentbehrlicher Partner, ein verständnisvoller, kluger Ratgeber und eine große Kraftquelle – er war und ist mein liebster Mensch. Gewidmet Hans Heinz Horst und Hildegard Paul

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»Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen«.1

1

Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1951, S. 428.

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Einleitung Die Kulturlandschaft Europas ist hochgradig ausdifferenziert, ausgerichtet auf individualisierte Zielgruppen und – trotz chronischer Unterfinanzierung durch die öffentliche Hand – in ihrem Status unbeeinträchtigt. ›Kultur‹ wird gar in Zeiten einer ins Wanken geratenen Europäischen Union zu einer neuen Bezugsgröße für die Herstellung oder vielmehr Wiederbelebung gemeinsamer Werte und damit verbundener Identität stilisiert. Auch die kulturelle Akzeptanz von Theaterfestivals ist ungebrochen. Zugleich zwingt deren Vielfalt diese zunehmend dazu, ihren Status zu behaupten. In Zeiten, in denen ihre ›Inflation‹ als ›Festivalitis‹ beklagt wird, scheint es immer drängender, Grundsätzliches über ihre Phänomenologie und ihr Wesen auszusagen, um haltbare Aussagen über ihre Relevanz für die deutsche und europäische Kulturlandschaft der Gegenwart treffen zu können. Wodurch ist diese Gegenwart gekennzeichnet? Zunächst ist die politische Situation des Kalten Krieges, in der die Etablierung internationaler Festivals künstlerischen Austausch über den Eisernen Vorhang hinweg ermöglichte, überwunden. Damit stellt sich dringender denn je die Frage: »Festivals – who needs ’em?«,1 wenn nur ihre außerästhetischen Funktionen betrachtet werden. Und es ist zu fragen »nach der künstlerischen Sinnhaftigkeit des zum Massenphänomen gewordenen Veranstaltungstypus Festival. Die Idee des Außergewöhnlichen, die konstitutiv mit dem Begriff Festspiel verbunden war, hat sich in einen alltäglichen Gebrauchsartikel verkehrt«.2 Inwiefern trifft dieser Vorwurf zu? Die vorliegende Studie entstand in einer Zeit, in der die Reflexion über das Festivalphänomen international und disziplinübergreifend deutlich zugenommen hat. Sie selbst reflektiert daher das gesteigerte Bedürfnis, sich die Häufung von Festivals zu erklären und zugleich in diesem Feld bisher unterbelichtete Aspekte zu berücksichtigen. Die Ausgabe des Contemporary Theatre Review (2003) zum Thema Festivals bemerkt einleitend: »the social, cultural and economic role that festivals have played in contemporary culture remains largely unexplored territory.«3 Und noch weitere Dimensionen gilt es, in den analytischen Blick zu bekommen. Die bisherige Rezeption blieb hingegen weitgehend anekdotisch bis feuilletonistisch, weshalb eine eingehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema überfällig schien. Es waren und sind in diesem Sinne 1

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3

Ritsaert ten Cate: »Festivals, who needs’ em?«, in: Tilmann Broszat/Gottfried Hattinger, Theater etcetera – zum Theaterfestival SPIELART, München: Spielmotor München e.V. 1997, S. 28–34. Franz Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, hg. vom Deutschen Musikrat, Bonn 2005, vgl. http://www.miz.org/static/themenportale/einfuehrungstexte_ pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 11. Frédéric Maurin (Hg.): Contemporary Theatre Review: Festivals, London u.a.: Taylor & Francis, 13 (2003), Heft 4, S. 1.

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Theaterfestivals

gegenwärtig diverse Arbeitsgruppen in Europa aktiv (das European Festival Research Project, die International Federation of Festival Research, das Teilprojekt Internationale Theaterfestivals in Europa an der Freien Universität Berlin sind hier zu nennen), die auf die genannten Fragen Antworten suchen. Der entscheidende Nachteil vorheriger Forschergruppierungen bestand in deren personeller Zusammensetzung. Sie bestehen meist aus Festivalleitern und Kunstschaffenden, die oft nicht ausreichend Abstand zu ihrem Gegenstand einnehmen konnten. Sie hinterfragten Festivals meist mit der Absicht, sie zu erhalten, zu rechtfertigen und vor Subventionskürzungen zu bewahren – und büßten darüber an kritischer Distanz ein. (Beispielsweise sei auf das Projekt Theatre/Festivals in Transition FIT hingewiesen, in dessen Rahmen im Laufe von zwei Jahren [2005-2006] auf acht Festivals in Europa Symposien veranstaltet wurden, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Lage von Theaterfestivals erörterten.) Einige neuere Forschergruppen scheinen produktivere Wege zu beschreiten. Zu den erkenntnisreichsten Resultaten dieser Aktivitäten gehört Festivals: Challenges of Growth, Distinction, Support Base and Internationalization (von Ugo Bacchella, Alessandro Bollo, Külli Hansen, Dragan Klaic und Elena di Stefano). Diese Studie einer Forschergruppe um den Theaterwissenschaftler Dragan Klaic von 2004 war ein erster Ansatzpunkt für die vorliegende Untersuchung, selbst wenn sie auf konkrete Festivals bezogen bleibt und einer breiten theoretischen Reflexion entbehrt. Der Vorteil einer anderen Monographie, Theatrical Events. Borders, Dynamics, Frames (2004) der Arbeitsgruppe »The theatrical Event: Production, Reception, Audience Participation and their Inter-relationship« des IFTR (International Federation of Theatre Research), ist die Diskussion der Stellung des Theaters im Kontext von Ereignis und Festival. Keiner der Beiträge dieses Sammelbandes konzentriert sich jedoch auf Festivals für das Theater, keiner argumentiert systematisch. Dieser Studie geht es vielmehr um die Erörterung der Frage, wie das Konzept der Theatralität auf verschiedene Spielformen und Äußerungen von Kultur angewendet werden kann. Das ebenfalls von dieser Gruppe um den Theaterwissenschaftler Willmar Sauter herausgegebene Festivalising! Theatrical Events, Politics and Culture konzentriert sich auch nicht auf ein Festivalgenre, sondern bespricht verschiedene Veranstaltungstypen, die unter der Bezeichnung Festival firmieren. 2007 publiziert, bestätigt die Aufsatzsammlung jedoch einige Thesen, die vorliegende Untersuchung vertritt: die Konstituierung von Communitas während eines Festivals (vgl. Kapitel »Communitas«), die besondere Rolle des Festivalleiters als Visionär (vgl. Kapitel »Leitung und Programmgestaltung«) und den engen Bezug zwischen Raum und Festival (vgl. Kapitel »Die Räume des Festivals«). Zuletzt hat das European Festival Research Project im Februar 2009 mit der Publikation The Europe of Festivals. From Zagreb to Edinburgh, intersecting viewpoints neue organisationstheoretische Erkenntnisse beigesteuert, während sich das Teilprojekt Internationale Theaterfestivals in Europa unter der Leitung von Professor Erika Fischer-Lichte und Dr. Matthias Warstat an der Freien Universität (Berlin) der kulturanthropologischen Fundamente des Festivals in der Anthologie Staging Festivity. Theater und Fest in Europa (Mai 2009) angenommen hat. Für den Zweck dieser Studie haben sich diejenigen Untersuchungen als unergiebig erwiesen, die rein deskriptiv einzelne Festivals vorstellen; auf sie 14

Einleitung

wird folglich nur in Einzelfällen Bezug genommen. Tatsächlich überwiegen derlei Beiträge in den bisher publizierten Sammelbänden. Von ihnen grenzt sich diese Untersuchung dezidiert ab, da sie das Bild von Festivals eher verunklären als erhellen. Die ›Grundhaltung‹ der vorliegenden phänomenologischen Analyse ist hingegen die Wachheit für Ambivalenzen, für Doppelbödigkeiten und Paradoxien des Festivalmodells. Der bisherige Mangel einer verbindlichen Definition von Festivals hat vermutlich dazu geführt, dass eine umfassende theoretische Auseinandersetzung mit diesem Thema noch aussteht. Die Untersuchungen von Teilaspekten des Phänomens können nicht darüber hinwegtäuschen, dass für eine allgemeine Theorie des Festivals bisher keine kohärente Basis gefunden werden konnte. Die vorliegende Arbeit wird diesen Befund bestätigen: Es gibt keine letztgültig verbindliche Festivaldefinition. Und das hat guten Grund, denn eines der Hauptmerkmale von Festivals ist ihre Weigerung, sich klar einordnen zu lassen, ist es beständig ›anders‹ zu sein. Ein Spannungsfeld zwischen Differenz und Kontinuität findet sich nicht nur auf allen Ebenen des Festivals, sondern auch im historischen Verhältnis zwischen Fest – Festspiel – Festival und Event. In Deutschland findet sich eine in Europa einzigartige Situation: Hiesige Theaterfestivals, traditionell verankert im Festspiel und unterstützt durch ein außergewöhnlich dichtes öffentliches Finanzierungssystem, hinken teilweise den Erfahrungen anderer europäischer Festivals hinterher (beispielsweise im routinierten Umgang mit Sponsoren), haben jedoch zugleich wie kaum andere Festivals in Europa beträchtliche Rückwirkungen auf den restlichen Theaterbetrieb ausgeübt. Mit ihrem Hang zur Selbstreflexion, Selbstthematisierung und Theoretisierung sind deutsche Theaterfestivals nicht nur eine weitere Veranstaltungsform, sondern eine neue Art des Nachdenkens über den Kulturbetrieb insgesamt. Festivals prägen – deutlicher als in den Jahrzehnten zuvor – nach 1990 den Diskurs, die Kritik, die Produktion und die Präsentation von Theater in Deutschland. Auch aus diesen Gründen liegt der Schwerpunkt dieser Untersuchung eindeutig auf Festivals im deutschen Kulturraum.4 Ziel dieser Untersuchung ist es, die Spezifik von Theaterfestivals sowie die sozialen, ökonomischen, politischen und künstlerischen Zusammenhänge, in denen sie stehen, aufzuzeigen. Hierfür wird ein Ansatz zu einer (Re-)Konstruktion der Kulturgeschichte von Theaterfestivals von organisationstheoretischer Seite aus verfolgt. Methodisch ist diese Arbeit interdisziplinär angelegt, verbindet Fragestellungen aus Soziologie, Kulturanthropologie, Theaterwissenschaft, Managementwissenschaften und Politikwissenschaft und unternimmt damit eine empirisch orientierte kulturwissenschaftliche Analyse des Phänomens. Theaterfestivals des 20. Jahrhunderts sind ein (seit den fünfziger Jahren) sich in ganz Europa neu herausbildendes Organisationsmodell zur Präsentation und Produktion von Theater. »Festivals arbeiten in der Regel oft mit einem Minimum an Verwaltung, agieren kunst- und projektorientiert, sind 4

Diese Schwerpunktsetzung artikulierte sich noch deutlicher im ursprünglichen Titel dieser Dissertation Theaterfestivals in Deutschland seit Beginn der neunziger Jahre. Zur Geschichte und Kritik eines kulturellen Organisationsmodells. Außerdem muss darauf hingewiesen werden, dass der ursprüngliche Umfang dieser Dissertation erheblich reduziert werden musste, um die Studie zu einem kompakten Kompendium über die Festivallandschaft der Gegenwart zu machen.

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Theaterfestivals

meist nur geringfügig institutionalisiert und haben oft wenig Planungssicherheit.«5 Vor 1945 existieren europaweit diverse andere Formen von Festivals, die verschiedene Äußerungen einer Kultur präsentieren sollen: regionale kulinarische Spezialitäten, Handwerkskunst, Weltmusik usw. Die Präsentation und Produktion von Theater im Rahmen eines Festivals rückt erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den Fokus. Zuvor dominieren Musikveranstaltungen im Sinne von Festspielen, selbst wenn diese außerhalb des deutschsprachigen Raums ebenfalls als Festivals firmieren. Doch die Beziehung zwischen Theater und Fest(ival) reicht bis in die Ursprünge des Theaters zurück, in die griechische Polis, in der Theater ebenfalls nur im Rahmen einer festivalähnlichen Veranstaltung stattfand. Wenn in den fünfziger Jahren Festivals verstärkt im Theaterbereich entstehen, handelt sich also in diesem Sinne auch um eine Rückwendung zu den Ursprüngen des Theaters. Deutschland ist insofern Brennpunkt der Zunahme an Festivalneugründungen zu Zeiten des Umbruchs im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, als hier einerseits Kultur ein besonderer Status beigemessen wird: Kultur ist als hohes Gut im Sinne von Kulturstaatlichkeit zu fördern. Andererseits herrscht in Deutschland ein stark ausgeprägtes Stadt- und Staatstheatersystem vor, ein Umfeld also, das seinerseits aus der spezifisch deutschen Wahrnehmung von Theater als Element der vom Staat zu fördernden Kultur resultiert. Es treten so deutlicher als in anderen europäischen Kulturräumen die Spezifik und das Weiterentwicklungspotential von Festivals als Organisationsmodell zutage. Das deutsche Kultursystem ist aus diesen Gründen eine besonders geeignete Folie für die Diskursivierung von Festivals. Zugleich zeichnet sich hier bereits eine eigene Traditionsbildung von Festivals ab (vgl. Kapitel »Dauer und Tradition«). Die neunziger Jahre markieren schließlich eine Zäsur im Verhältnis zwischen Kultur und Politik. Einerseits nimmt die gesetzlich legitimierte Einflussmöglichkeit auf kulturelle Veranstaltungen zu, Kompetenzen von regionaler Ebene werden auf die staatliche verlagert (beispielsweise durch die Etablierung der Funktionen eines Kulturstaatsministeriums 1998). Zeitgleich sinken die realen Ausgaben für Kultur stetig, was sich vor allem auf das Theatersystem auswirkt. Die Etablierung staatlich finanzierter Stiftungen wie des Hauptstadtkulturfonds (1999) oder der Kulturstiftung des Bundes (2002) sind Methoden, ›die Kultur‹ an die neuen Ansprüche des Sponsorings zu gewöhnen: Kultur muss seit den neunziger Jahren ihre Relevanz und Förderwürdigkeit unter Beweis stellen. Auch international nimmt die Einflussnahme auf kulturelle Belange zu, seitdem mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 neue Regelungen für die als europäisch apostrophierte Kultur in Kraft treten. Die Schwierigkeiten bei der Konsolidierung der EU werden seit Mitte der neunziger Jahre, beginnend mit den Regelungen zur Kultur im Vertrag von Maastricht von 1992, mit der Stärkung von ›europäischer‹ Kultur und Kunst beantwortet. Damit erhält auch die Analyse des europaweit verbreiteten Organisationsmodells Kulturfestival seit den neunziger Jahren eine neue Dringlichkeit. 5

»Vorankündigung zum Symposium Theaterfestivals als Motor europäischer Kulturvernetzung. Eine Initiative von acht Festivals aus acht Ländern«, München 2005 (im Programmheft zu SPIELART 2005 später in abgeänderter Version veröffentlicht).

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Einleitung

Es ist also kein Zufall, dass das Festivalmodell, trotz mitunter heftiger Kritik, immer noch existiert – und sich stetig ausbreitet. Festivals als Organisationsmodell von Kunst erfüllen nach 1989 offenbar signifikante Funktionen für die Kulturlandschaft. Die seit diesem Zeitpunkt einsetzende Ausdifferenzierung der Festivalszene in Form von Neugründungen vieler kleinerer, spezialisierter Festivals müsste ein Resultat von Bedürfnissen sein, die nach dem Fall der Mauer in Deutschland virulent werden. Festivals scheinen passende Antworten auf dringende Fragen zu finden, ihre Flexibilität und Differenziertheit entsprechen offenbar den gesellschaftlichen und künstlerischen Anforderungen der Gegenwart. Theaterfestivals lassen sich nur im Rahmen der gesamten Theaterlandschaft angemessen verstehen, sie beeinflussen diese und werden von ihr beeinflusst. Gegenwärtig aber stehen Festivals, wie sie sich nach 1989 entwickeln, erneut vor einer Wende. Es zeichnet sich sowohl ein organisatorischer als auch ein inhaltlicher Wandel, eine Umorientierung ab. Anfang des neuen Jahrtausends deutet sich eine Zuspitzung der im Festivalmodell bereits angelegten Idiosynkrasien, Positionen und Themenstellungen an, die eine Darstellung der Festivals seit den neunziger Jahren verlangt, um die gegenwärtigen qualitativen Verschiebungen richtig einordnen zu können, zu denen der verstärkte Bezug zum städtischen Raum oder die Konzentration auf klar abgegrenzte Präsentationsschwerpunkte ebenso gehören wie die Übernahme des Festivalmodells in den kontinuierlichen Theaterbetrieb. Inwiefern sind Festivals für die deutsche Theaterlandschaft seit den neunziger Jahren das führende Organisationsmodell? In welche kulturellen und gesellschaftlichen Kontexte sind Theaterfestivals in Deutschland eingebunden – von wem werden sie wie beeinflusst und wen beeinflussen sie? Um diese Fragen fundiert beantworten zu können, muss sowohl auf diachroner wie synchroner Ebene argumentiert werden und müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Festivals heutiger Ausprägung entstehen in Deutschland in den fünfziger Jahren und stehen zu diesem Zeitpunkt noch in Konkurrenz zu Festspielen, erfahren jedoch ihre spezifische Ausbildung in den neunziger Jahren. Die seit 1989 veränderte politische Situation bedeutet einen ästhetischen und organisatorischen Wendepunkt, der von neuen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen geprägt ist. So verlieren die alten Feste immer mehr an Relevanz, während das Event in der ›Erlebnisgesellschaft‹ fröhlichen Einstand feiert. Eine Analyse des Festivals muss spätestens seit diesem Zeitpunkt ohne die Reflexion von Event und Ereignis als gegensätzliche Kategorien des Erlebens unvollständig bleiben. Die deutsche Theaterlandschaft hingegen ist nach wie vor weitgehend traditionell organisiert und verfügt über einen relativ konstanten kulturpolitischen Rückhalt. Theaterfestivals müssen auf diese Situation reagieren und sich zu ihr verhalten, indem sie sich in einen Austausch begeben – mit dem bestehenden Theatersystem, der Kulturpolitik, dem Event wie dem Theaterpublikum. Zugleich reflektieren und befriedigen Festivals die unterschiedlichsten Bedürfnisse nach Gemeinschaft, nach Aufmerksamkeit, nach finanzieller Bereicherung, nach Selbstdarstellung im Dienste von Politik und Wirtschaft. Einerseits Objekte der Politik und der privaten Unternehmen, eingebunden in Rechtfertigungsketten und Sponsoringkonzepte, sind Festivals nicht mehr frei, allein das zu zeigen, was in ihr ästhetisches Konzept passt. Die Einwirkungen durch Theaterhäuser, Politik und Ökonomie müssten Spuren bei Festivals hinterlassen. Dass die Analyse eine so große Zahl von Verweisungszusammenhängen 17

Theaterfestivals

berücksichtigt, provoziert die Fragen danach, wie autonom Festivals als Organisationsmodell noch sein können und wie die vielfachen Bezüglichkeiten die Eigenständigkeit von Festivals befördern oder gefährden werden. Eine mögliche Antwort hierauf lautet, dass Festivals gut beraten sind, wenn sie sich nur mit Vorsicht diesen Bezügen verschreiben – ihrem politischen Anspruch, ihrem Fokus auf einen Autor et cetera – und ihr Profil darüber definieren. Und endlich: Welche Prognosen lassen sich über die künftige Entwicklung von Theaterfestivals im kulturellen Kontext Deutschlands machen? Da die Verschränkung von kontinuierlichem Theaterbetrieb und Festivals sehr weit vorangeschritten scheint, wird die Veränderung von Festivals auch den Rest des Theatersystems beeinflussen. Festivals werden sich selbst hingegen stärker von den an Theaterhäusern angesiedelten Konkurrenzformaten abgrenzen müssen, um sich zu legitimieren und die Frage »Festivals – who needs ’em?« auch weiterhin eindeutig beantworten zu können. Im ersten Teil der Untersuchung (Kapitel »Festival als Organisationsmodell« und »Festspiele als Vorläufer«) wird ein Überblick über die Entwicklung von Theaterfestivals in Deutschland gegeben. Diese diachrone Darstellung ermöglicht, Festivals historisch einzuordnen und erste qualitative Analyseergebnisse zu erhalten wie beispielsweise die Auseinanderentwicklung der Organisationsmodelle Festival und Festspiel oder die signifikante Rollenverschiebung und Modifikation des Selbstverständnisses von Festivals seit den neunziger Jahren im Vergleich zu ihren Vorläufern in den siebziger und achtziger Jahren. Anschließend wird eine Arbeitsdefinition des Terminus Festival gegeben. Im Kapitel »Festspiele als Vorläufer« wird die historische Perspektive erweitert und dargestellt, wie Festspiele und Festivals als voneinander unterscheidbare Organisationsformen nichtsdestotrotz in Verbindung stehen. Hierbei werden sowohl die literarisch-dramatische Gattung des Festspiels als auch die kulturelle Organisationsform ›Festspiele‹ untersucht. Der Rückblick auf die literarische Gattung zeigt vor allem soziopolitische Traditionen auf, die auch heutige Festivals – wenn auch in anderer Ausprägung (weniger Nationalgedanke) – grundieren. Im Zentrum stehen zwei bedeutende Beispiele von Festspielen als Organisationsmodell im deutschsprachigen Raum, die Bayreuther Festspiele und die Salzburger Festspiele. Der zweite Teil umfasst fünf Abschnitte, die sich mit den Aspekten Fest, Ereignis und Event im Festival, seinem operationellen Gerüst, seinem Verhältnis zu verschiedenen Zeit-Ebenen (Kapitel 5) und dem es umgebenden Raum sowie mit Festivals und ihrem Verhältnis zu Politik und Ökonomie befassen. Die systematische Basis der Untersuchung besteht in einer Verortung des Festivals im Begriffsfeld Fest – Ereignis – Event, hilft doch nur der Rückbezug auf das Fest zu verstehen, warum Festivals mehr sind als reine Aneinanderreihungen oder Übereinanderschichtungen von Theaterperformances. Es geht darum, Festivals im Kontext gegenwärtiger Entwicklung von Gemeinschaft und Freizeitverhalten zu verorten und ihnen darin eine ganz eigene Position zuzuschreiben. Das Fest ist kein willkürlich gewählter Bezugsrahmen, sondern gibt Raum für die Möglichkeit, Festivals sowohl als traditionsgebunden zu begreifen als auch als Ereignisse zu verstehen im Kontrast zum Erlebnis als dominanter Erfahrungsart der Gegenwart (vgl. Kapitel »Fest, Gemeinschaft, Ereignis«). Festivals können also als gemeinschaftlich erfahrene Ereignisse beschrieben werden. 18

Einleitung

Zwar erhebt diese Abhandlung nicht den Anspruch eines Vademekums und richtet sich nicht direkt an Festivalkoordinatoren. Nichtsdestotrotz dürfen auf dem theoretischen Fundament dieser wissenschaftlichen Studie auch Bemerkungen über praktische, organisatorische und pragmatische Aspekte der Festivalarbeit nicht fehlen. Im vierten Kapitel wird deshalb das operationelle Gerüst von Festivals vorgestellt, das bekannt sein muss, um das Funktionieren und die Basis von Festivalarbeit zu verstehen. Die Ausführungen in diesem Abschnitt der Arbeit sind daher handbuchartiger angelegt. Festivals sind temporal und lokal markiert, sie treten ins öffentliche Bewusstsein zunächst dadurch, dass sie seltener als die meisten kulturellen Veranstaltungen und zugleich regelmäßig – sowie in der Regel am gleichen Ort – stattfinden. Zwei Kapitel der Studie zeigen deshalb auf, inwiefern Zeit und Raum als Kategorien zur Bewältigung von Welt von und durch Festivals selbst thematisiert werden und wie sie ihrerseits Festivals heute prägen und verändern. Im fünften und sechsten Kapitel werden daher die Zeiten des Festivals und seine Räume mit Blick auf ihre besondere Signifikanz für Festivals in der Annahme analysiert, dass Zeit und Raum in vielfältiger Hinsicht Entscheidungen über und innerhalb des Festivals beeinflussen. Wie wichtig etwa ist die selten beachtete Zäsur der Pause für das Organisationsmodell, was leistet der Alltag für Festivals und wie ist die Zeitlichkeit nach dem Festival zu bewerten? Diese und weitere Fragen beantwortet das fünfte Kapitel. Das ihm folgende Kapitel legt den Akut auf zwei Aspekte, die miteinander verschränkt sind: den städtischen Raum und die als Transräume bezeichneten mentalen Räume der Begegnung und des ästhetischen wie ›kulturellen‹ Austauschs, die Festivals schaffen. Mit dem Begriffsfeld, das das Präfix ›trans-‹ eröffnet, werden Festivals als Mittler im ästhetischen, sozialen wie auch politischen Sinne gekennzeichnet. Zugleich sind sie vordringlich urbane Phänomene, in den Städten angesiedelt. Die Wechselbeziehung mit ihrem Veranstaltungsort ist ebenso relevant wie ihre Funktion als Orte für die Etablierung von transnationalen, transästhetischen, transkulturellen Beziehungen. Das siebte Kapitel fragt, in welchen sozialökonomischen Beziehungen Festivals stehen. Politik und Ökonomie, auch Aufmerksamkeit als eine Art von ›Währung‹ sind in diesem Analyseabschnitt die zentralen Themen. Festivals werden als Orte des ›Sehens und Gesehenwerdens‹ verstanden, das heißt als Erfahrungsräume, in denen Aufmerksamkeit spezifisch gelenkt wird und Wahrnehmungen verändert werden können. Die Metaphern der Bühne und des Markts fungieren als Brenngläser für die oft widersprüchlichen Absichten und Funktionen von Festivals im Zusammenhang mit außerästhetischen Interessen. Wie können Festivals ihre künstlerische Integrität aufrechterhalten, wenn sie zunehmend zu Agenten von ökonomischen und politischen Interessen – im Falle des Sponsorings oder auch des Stadtmanagements durch Großereignisse – gemacht werden? Auf diese Teilbereiche das Augenmerk zu lenken, erlaubt Rückschlüsse darüber, wie die verschiedenen Abhängigkeiten von Festivals sie in Zukunft verändern werden. Abschließend wird eine repräsentative Auswahl von Festivals analysiert und ihr jeweiliges Spezifikum dargestellt (Kapitel »Einzelanalysen«). Dieser Teil soll die vorwiegend theoretischen Reflexionen der vorherigen Abschnitte ergänzen. Er bietet auf kleinem Raum eine konzise Darstellung, die den State of the Art gegenwärtiger Theaterfestivals veranschaulicht. Ein so lebendiges Phänomen wie das Theaterfestival wäre nur unangemessen beleuchtet, würde 19

Theaterfestivals

man es in einer ausschließlich theoretischen Analyse stillstellen. Doch wird auch hier der Rückbezug auf die Systematik von Festivals hergestellt. In der Schlussbetrachtung werden die gewonnenen Erkenntnisse mit einer Prognose für die Zukunft von Festivals verbunden. Im Sinne besserer Lesbarkeit wird in dieser Untersuchung auf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet. Bei allen Personengruppen, die im Maskulinum genannt werden, sind Frauen ebenfalls gemeint.

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Organisationsmodell »Wir dürfen nie unterschätzen, was ein Wort uns sagen kann. Das Wort ist ja die Vorleistung des Denkens, die vor uns vollbracht worden ist.«1

Definitionsansätze Es gibt bislang keine tragfähige, hinreichende Definition des Terminus Festival. Zwar wurden diverse Versuche unternommen, Festivals in Kategorien einzuteilen und einwandfreie Typologisierungen aufzustellen, doch waren diese schnell wieder überholt. Wandel scheint das wesentlichste Merkmal dieses Organisationsmodells zu sein. Die Markierung einer Veranstaltung als Festival erfolgt weitgehend undifferenziert. Genauso berechtigt, so scheint es, wie es ein Festival der schön gedeckten Tische oder ein Festival der Küche geben kann,2 wird der Begriff mit den schönen Künsten in Verbindung gebracht. Angesichts dieser Bandbreite ist es relativ sinnlos, eine eindeutige Fixierung vornehmen zu wollen.3 Trotz erheblicher Schwierigkeiten bei der streng ›wissenschaftlichen‹ Kategorisierung existiert jedoch ein landläufiges Verständnis des Begriffs, ein common knowledge. Donald Getz’ Minimaldefinition »A festival is a public, themed celebration«4 scheint diesem am nächsten zu kommen. Es handelt sich beim Festival demnach nicht um ein Fest, um eine Messe, um eine Ausstellung, um ein Treffen – und meint doch all diese Komponenten zu gewissen Teilen. Als Arbeitsbegriff werden Festivals im Rahmen dieser Studie definiert als eine spezifische Konzeption künstlerischer Darbietungen innerhalb eines fest umrissenen Zeit-Raums vor einem speziellen Publikum, das neben künstlerischen Programmpunkten diskursive und unterhaltsame Angebote beinhaltet. Ein Festival legt auf eine oder mehrere der folgenden Komponenten seinen Schwerpunkt: 1. Aufführung, 2. Zeitlichkeit/Räumlichkeit, 3. sein Publikum und interaktives Rahmenprogramm, wobei Letzteres immer nur im Zu1 2

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Hans-Georg Gadamer: Die Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel, Symbol und Fest, Stuttgart: Reclam 2003, S. 15. Die aufgeführten Namen basieren auf der Recherche im OPAC der Deutschen Bibliothek. Tatsächlich ist der Bezug von Festivals zur Zubereitung und Vertilgung von Nahrung nicht zufällig, wenn man den Begriff des Festivals vom Lateinischen festum, dem feast, dem Festessen ableitet. Vgl. hierzu Kapitel »Etymologie und Semantik«. Die Eigenart, gleich mehrere Sachverhalte zu markieren, teilen Festivals mit Performances – beide Begriffe sind Wortgefäße, die jeweils verschieden gefüllt werden können. Donald Getz: Festivals, special events, and tourism, New York: Van Nostrand Reinhold 1991, S. 54.

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sammenhang mit einer der anderen Komponenten gedacht werden kann (ansonsten handelt es sich um ein Event, auf das im Kapitel »Das Event – Definitionen« genauer eingegangen wird). Ob ein Festival sich hauptsächlich als ästhetisches Ereignis, als Motor künstlerischer Innovationen, als Instrument für politische Ambitionen oder Imagebildung versteht, ob es als Bildungs-, Standort- oder Wirtschaftsfaktor wirken soll5 – die Grundvoraussetzungen sind stets dieselben und werden in den drei genannten Komponenten aufgehoben. Diese geben Festivals jedoch nicht nur ihren Rahmen, sondern begründen einen großen Anteil ihrer Selbstdefinition. Sobald eine Veranstaltung als Festival bezeichnet wird, begibt sie sich in den Verständniskontext, der durch diese drei Gesichtspunkte konstituiert wird. Ein Festival reiht sich immer in eine Traditionslinie ein, um nach außen hin gewisse Werte zu kommunizieren und Erwartungshaltungen abzurufen. Im Falle dessen, was gegenwärtig als Festival in der Kunst des Theaters verstanden wird, scheint der vorherrschende Selbstanspruch jedoch gerade das Infragestellen von Traditionen und Wahrnehmungsgewohnheiten zu sein. Das Selbstbekenntnis, ein Festival zu ›sein‹, birgt die Verpflichtung zur Stellungnahme gegenüber künstlerischen Gemeinplätzen sowie gegenüber den eigenen Traditionen. Während Festspiele hauptsächlich auf Tradierung und Stimmigkeit abzielen (vgl. Kapitel »Festspiele als literarisches Genre und Aufführungspraxis«), besteht ein Reiz am Festivalbesuch gerade darin, das eigene Vorverständnis tendenziell eher in Frage gestellt, als bestätigt zu finden. Während Festspiele gesellschaftliche Etikette zelebrieren, bewahren Festivals ihre Skepsis gegenüber Werten und Formenzwang. Nicht nur in diesem Sinne sind Festivals als Ansammlungen des Neuen zu verstehen. Längst sind aber auch bei dieser Trennung die Grenzen fließend geworden, das Abgrenzungsbedürfnis von Festspielen gegenüber Festivals, das in den fünfziger Jahren seinen Höhepunkt erlebt, ist heute einer Vermischung auch in den Selbstdefinitionen gewichen. Festspiele wenden zusehends Festivalstrategien an. So erstrecken sich etwa die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern (gegründet 1990) über das gesamte Bundesland und über fünfzig Spielstätten und geben damit die Idee eines einzigen auratischen und ›authentischen‹ Orts auf;6 so stellen sich die Händel-Festspiele (gegründet 1922) in Halle an der Saale zwar als »internationales Musikfest an authentischem Ort« dar, bezeichnen sich im gleichen Atemzug jedoch als Festival und wissenschaftliche Tagung; so werben die Nibelungen-Festspiele Worms (gegründet 2002) aktiv mit ihrer wirtschaftlichen »Erfolgsgeschichte«, die alle Register der Festspieltradition zieht und als Marketing-Trumpf ausspielt.7 5

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Vgl. F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/ static/themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 17. Die Gründe hierfür liegen vermutlich in der Absicht, das ehemals ostdeutsche Bundesland insgesamt als Land touristischer Anziehungskraft zu vermarkten. Nicht umsonst endet die Selbstbeschreibung dieser Festspiele mit dem Hinweis auf das »Urlaubsland Mecklenburg-Vorpommern« und der Bitte um Unterstützung des zugehörigen Vereins. In: »Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Sponsoren«, vgl. http:// www.festspiele-mv.de/index.php?menue=sponsoren vom 03. April 2008. Die als Medienereignis deklarierten und mit Staraufgebot lockenden Festspiele resümieren in ihrer Selbstdarstellung Komponenten des Festspielgedankens: »Mit den

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Tatsächlich führt bereits die Behauptung der Einzigartigkeit, auf die sich sowohl Festspiele als auch Festivals berufen, jegliche Vergleiche ad absurdum – was einzigartig ist, ist per definitionem unvergleichbar. Das identitätsstiftende Moment der Einzigartigkeit ist Teil einer letztlich politischen Argumentation, die den Repräsentationswert von Festivals wie Festspielen garantiert. Als solches sollte es verstanden werden – und wird es in der Regel auch von Festivalbesuchern, die bemerkenswerterweise Festspiele wie Festivals über die Jahre und Jahrzehnte hinweg relativ konsistent interpretiert haben. Ein Grund hierfür liegt sicherlich in deren indirektem oder auch direktem Bezug auf Sinn und Sinnhaftigkeit. Auf Festspielen wird Sinn erzeugt, werden Werte kommuniziert, die letztlich nicht einzigartig, sondern allgemeiner Natur sind.8 Festivals neueren Datums rekurrieren wiederum auf solche ›Sinnzentren‹ und Wertesysteme – allerdings weisen sie auf deren Brüchigkeit und Fragwürdigkeit hin und neigen zum Gestus der Verunsicherung. Trotz der oben beschriebenen Tendenz zur Grenzverwischung zwischen den Veranstaltungsformen sind Festivals untereinander vergleichbar und damit auch grundsätzlich definierbar geblieben. Angesicht dieser Tendenz ist jedoch zu prüfen, wie gewinnbringend eine definitorische Trennung sein kann und ob es nicht dringender wäre, die Prozessualität von Festivals als kulturellem Organisationsmodell zu würdigen und ihrer möglichst genauen Beschreibung den Vorzug zu geben (hierzu mehr in Kapitel »Prozess und Struktur«). Diese Herangehensweise entspräche der Erfahrung, dass in der Praxis der Festivalbegriff im neuen Jahrtausend eine Flexibilisierung zugunsten der Beschreibung einer besonderen Haltung und zuungunsten eher oberflächlicher Merkmale erfahren hat. Andeutungen über die Prozesshaftigkeit des Terminus Festival selbst finden sich bereits in dessen Etymologie.

Etymologie und Semantik In der Literatur über Festivals, Festspiele wie auch Feste wird gemeinhin ihre etymologische Quelle bemüht, um Rückschlüsse auf die Funktionen und die soziale Bedeutung dieser kulturellen Phänomene zu ziehen. Zunächst ist festzuhalten, dass festival im Englischen, das sich vom Französischen und dieses vom Lateinischen ableitet, ein Adjektiv meint. Festival bedeutet sowohl im Lateinischen festivus wie auch im Englischen festival zunächst die Art und Weise, wie nicht was vonstattengeht, nämlich »heiter«, »fröhlich« oder »an-

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Theater-Inszenierungen vor dem Dom wird das kulturelle Potential des Nibelungenerbes genutzt und in die städtische Entwicklung eingebunden. Das Open-Air-Ereignis hat der Stadt in kürzester Zeit einen erhöhten Bekanntheitsgrad und einen enormen Zuwachs bei den Besucher- und Übernachtungszahlen beschert. Der Imagegewinn wirkt damit auch positiv auf die städtische Wirtschaftskraft. Die Nibelungen sind ein unverwechselbares Markenzeichen für Worms und die Region.« In: »NibelungenFestspiele Worms: Eine Erfolgsgeschichte«, vgl. http://www.nibelungenfestspiele.de/ projekt/das_projekt.php vom 05. April 2008. Vgl. Dietz-Rüdiger Moser: »Patriotische und historische Festspiele im deutschsprachigen Raum. Ein Versuch in zehn Thesen und einer Vorbemerkung«, in: Balz Engler/Georg Kreis (Hg.), Das Festspiel (1988), S. 51.

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genehm«.9 Weiterhin ist zu konstatieren, dass in anderen europäischen Sprachen kein Äquivalent zum Begriff des Festspiels existiert. Was in Deutschland Festspiele genannt wird, ist in den angelsächsischen und frankophonen Teilen Europas ebenfalls ›festival‹. Die sprachliche Verengung dieses Begriffs zum Signifikant für einen spezifischen Sachverhalt erfolgt erst im Deutschland der fünfziger Jahre, in einer Zeit also, die vom Einfluss der Besatzungsmächte geprägt wurde. ›Festival‹ fungierte nun einerseits als Abgrenzungsterminus zum Festspielbegriff (der zu deutschtümelnd anmutet), setzte sich aber andererseits auch im direkten Erleben der Festivalgründungen von Edinburgh (1947), Aix-en-Provence (1948) und anderen nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Sein Ursprung im Adjektiv festival gerät dabei in Deutschland gänzlich aus dem Blick, Festivals werden hier nicht als undeterminiertes ›festliches‹ Ereignis, sondern schnell als spezielles Organisationsmodell von Kultur verstanden. Deutschsprachige Literatur zu dem Stichwort findet sich allerdings im größeren Umfang erst Anfang der siebziger Jahre, zu einer Zeit, als Festivals längst wieder als ›reaktionär‹ gelten. Dass der Begriff ab der Mitte des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland verstärkt benutzt wird, hat mehrere Implikationen. Erstens markiert es sprachhistorisch eine Verschiebung des Sprachgebrauchs zugunsten der englischen Variante. Zweitens verdeutlicht es die Bereitschaft, sich in einen europäischen Kontext einzugliedern und sich der Lingua franca anzunähern. Auf einer formalpragmatischen Ebene markiert diese Modifikation außerdem einen folgenschweren thematischen und teleologischen Wandel dessen, was früher Festspiel war.10 Zusätzlich ist der Begriff Festival offen genug, um eine wesentlich größere Bandbreite an Ereignissen zu erfassen, als es der Festspielbegriff vermochte – mit der Verbreitung der Bezeichnung ›Festival‹ geht somit auch eine Despezifizierung einher. Es handelt sich also um einen tendenziell flexibleren Terminus, der vielmehr auf eine Stimmung bezogen wird als auf einen Anlass oder ein Thema: Heiterkeit (vgl. das Lateinische festivus) ist nicht zwangsläufig mit dem Moment des Spielens verknüpft. Das Spielerische ist aber immer noch konstitutiv für das, was im deutschsprachigen Raum mit einem Festival der Kunst verbunden wird: sich zu präsentieren 9

Erich Pertsch: Langenscheidt Handwörterbuch Lateinisch – Deutsch, Berlin u.a. 2007. Diese etymologische Erklärung ist allerdings uneindeutig. Auch das Lateinische festum = Festessen kann als Ursprung des Begriffs gelten. Diese zusätzliche Variante erweitert das Spektrum der Deutungsmöglichkeiten. 10 Der Umstand, dass ›Fest‹ und ›Spiel‹ in dieser Bezeichnung wegfallen, legt nahe, dass sich auch etwas am Fest- und Spielcharakter solcher Veranstaltungen verändert hat. Wenn dem so ist, worin bestehen genau diese Veränderungen? Interessant ist, dass der Begriff des Festspiels, der deutschtümelnd anmutet, eine relativ junge Wortschöpfung ist. Die Tradition des Festivals ist, rein etymologisch gesehen, älter als das Festspiel. Jedoch ist ›Festspiel‹ letztlich ein präziserer Terminus beziehungsweise beschreibt zwei Komponenten, die heutigen Festivals im deutschen Sprachverständnis immer noch gemein sind: das Moment des Festlichen (als Außergewöhnliches, Aufwühlendes, auch Gefährliches) und das Moment des Ludischen. Spiel meint Spielregel ebenso wie das (vermeintlich) hemmungslose Spiel des Kindes und den spielerischen Wettkampf. Spiel bedeutet aber auch ein Vorspielen, ein Präsentieren. Zusammenfassend: Der Begriff des Fest-Spiels verdeutlicht den agonalen und ludischen Charakter eines Fests.

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(Preise und Wettbewerbe zu gewinnen), zu feiern, sich auszutauschen und zu vernetzen, Atmosphäre zu erfahren und sich inspirieren zu lassen gehören zum Gesamterlebnis des Festivals dazu. Fehlt eine dieser Komponenten, so fehlt auch das (Fest-)Spiel im Festival. Davon unabhängig ist bereits eine Abgrenzung des Festbegriffs von dem der Feier schwierig. »Ein Blick in die Etymologie von fest und feier zeigt, daß die Schwierigkeiten, sie gegeneinander abzugrenzen, bereits in ihrer Entstehung wurzeln. […] daß Fest mhd. vest dem Lat. festum = Fest(tag) entlehnt ist, einem substantivierten Neutrum des zum Stamm von lat. feriae (Festtage, Feiertage) gehörenden Adj. festus = festlich, feierlich.« 11 Von feriae wird später Feier abgeleitet. Feierabend bedeutet im Althochdeutschen »Vorabend eines Festes« und wird erst später zur Pause einer Werktätigkeit. Diese Ambiguität setzt sich beim Festivalbegriff fort. Schließlich lässt dieser sich auch vom Lateinischen festum, dem feast ableiten.12 Abschließend besehen ist die Rückführung des Festivalbegriffs auf seine etymologischen Ursprünge nur wenig ertragreich. Hauptsächlich weil diese Ursprünge nicht eindeutig auszumachen sind, andererseits weil die vermeintlichen Ursprünge wiederum zu viele hermeneutische Ansätze gestatten, um für den Istzustand aufschlussreich zu sein. Einerseits demarkiert die variable Verwendbarkeit des Terminus die Flexibilität und Spontaneität des Festivals als Organisationsform und seine Neigung zu Evolution und Prozesshaftigkeit. Andererseits greift er in der Beschreibung zu kurz und vermag nicht der mittlerweile höchst differenzierten Festivallandschaft gerecht zu werden. Der sich aus dem Gesagten ableitende Vorschlag muss daher lauten, Festivals und Festspiele einzeln und individuell zu deuten und zu verstehen. Als Voraussetzung hierfür muss die historische Entwicklung von Theaterfestivals in Deutschland bekannt sein.

Theaterfestivals in Deutschland Wann genau das Phänomen Festival erstmalig im deutschsprachigen Raum auftritt, ist nur schwer zu fixieren. Ganz sicher existiert das, was heute als kulturelles Festival im engeren Sinne bezeichnet wird, erst seit den frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine spezifische Abwandlung früherer kultureller Organisationsformen, sondern um ein Novum, wenn nicht gar die einflussreichste kulturelle Organisationsform nach dem Zweiten Weltkrieg. Als hauptsächliches Unterscheidungskriterium zwischen Festspielen und Festivals gilt landläufig die unterstellte Dichotomie zwischen Hochkultur und Populärkultur. Der Anspruch auf künstlerische Exzellenz, der begründet liegt in den Vorläufern in Bayreuth und Salzburg, wurde von Festspielen nach dem Zweiten Weltkrieg weiter tradiert. Der Typus Festspiele, der historisch in den Festformen des 18. und 19. Jahrhunderts verankert ist, wird nur im 11 Vgl. Ruth Koch: »Fest oder Feier? Eine Bedeutungsanalyse«, in: Richard Beilharz/Gerd Frank (Hg.), Feste. Erscheinungs- und Ausdrucksformen, Hintergründe, Rezeption, Weinheim: Deutscher Studien-Verlag 1991, S. 37. 12 IFTR (International Federation of Theatre Research): Theatrical Events. Borders, Dynamics, Frames, Amsterdam/New York: Rodopi 2004, S. 97.

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Deutschen deutlich vom Festival abgesetzt (vgl. Kapitel »Festspiele als Festrekonstruktion«). Doch eine begriffliche Differenzierung zwischen Festspielen und Festivals ist auch insofern notwendig, als dadurch eine Trendwende markiert wird. Sind Festspiele im 19. und frühen 20. Jahrhundert hauptsächlich performative Feierlichkeiten zum Zweck kollektiver Identitätsstiftung, erkennt Franz Willnauer im Wechsel der Begrifflichkeiten auch eine ökonomische Wende: »Festivals […] sind eine ›Erfindung‹ des 20. Jahrhunderts und werden ein kultureller Gebrauchsartikel des 21. Jahrhunderts sein.«13 Ideologisch steht diese »Erfindung« zunächst noch in der Traditionslinie der Festspiele. Diese werden nach dem Ersten Weltkrieg vor allem als Symbole einer überwundenen Krise verstanden. Ihnen wird der Rang von Wertezentren zugesprochen, die als Kristallisationspunkte des künstlerischen Lebens ethische und moralische Ideale vertreten. Doch statt Differenzen überwinden zu helfen, bleibt der Fokus von Festspielen nach 1945 noch eindeutig auf der Präsentation des Eigenen, sie sind die Manifestationen des eigenen Selbstbewusstseins gegen das Andere. Öffnung bleibt noch ein reines Postulat. Die Utopie, die Festspiele wie auch Festivals meinen, diese Un- und Noch-NichtOrte, werden nur von der eigenen Warte aus entworfen. In dieser Hinsicht sind wiederum die Festivals genannten Ereignisse (die nicht mit den Festivals der Gegenwart gleichzusetzen sind) auch in den fünfziger Jahren nicht der Beweis eines (nationalen) Umdenkens, sondern zunächst eine Fortsetzung des Alten mit anderen Mitteln. In Europa sind es die Festivals in Aix-en-Provence (wichtigstes Musikund Opernfestival in Südfrankreich seit 1948), Glyndebourne (gegründet 1934 als Opernfestival von einem Privatmann und Mäzen) und Edinburgh (seit 1947 zeigt das Edinburgh International Festival die Größen der klassischen Musik und Oper, des Theaters und des Tanzes), die als erste kulturelle Festivals der späten Moderne Maßstäbe setzen. Angesichts der brachliegenden Wirtschaft sind es kulturelle Leistungen, mit denen man sich im internationalen Vergleich hervortun und wenn nicht als Nation im engeren Sinne, so doch als ›Kulturnation‹ wahrgenommen werden will. Darüber hinaus und paradoxerweise geht es diesen ersten Festivals um die Demonstration einer neuen Bereitschaft zur Offenheit und der Apotheose von Demokratie und Rechtsstaat als Remedium für die Wunden, die das deutsche totalitäre Regime geschlagen hatte. Ein humaner Geist, der als Fundament von Demokratie verstanden wird, soll durch die Kunst wiederbelebt werden. Festivals erfüllen zu diesem Zeitpunkt also vorwiegend kompensatorische Funktionen. Mit diesem Ziel entstehen seit den späten vierziger Jahren so viele Festivalgründungen in Deutschland wie nie zuvor,14 wozu das Wirtschaftswunder und der wachsende Wohlstand ihren Teil beitragen. In Deutschland geht es jedoch auch darum, zu den Siegermächten kulturell aufzuschließen und durch Austausch von künstlerischen Spitzenleistungen das Gefälle zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern auszugleichen. So benennt im Geleitwort zu den ersten Berliner Festwochen 1951 (später bemerkenswerterweise umbenannt in Berliner Festspiele) der regierende Bür13 F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/static/ themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 2. 14 Ebd., S. 6f.

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germeister von Berlin Ernst Reuter als Motiv für die Gründung der Festwochen: »Deshalb die Berliner Festwochen, um der Welt des Westens und des Ostens zu zeigen, daß Not und Leid, Trümmer und Bedrängnis nicht vermochten, den ewig lebendigen und sprudelnden Quell zum Versiegen zu bringen, der in Theater, Musik und bildender Kunst den Berlinern einen Teil dessen ausmacht, das ihr Leben schön und liebenswert gemacht hat und machen wird.«15

Der bereits angesprochene Gründungs-Boom beruht demnach, wie Willnauer ausführt, auf der Hoffnung auf das »Heilmittel der Kunst« und dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung: »das waren ursprünglich die Antriebskräfte für die rasch und flächenbrandartig um sich greifenden Neugründungen von Festspielen in ganz Europa. So vollzog sich ein einzigartiger Gründungs›boom‹, der erst rund 25 Jahre später, etwa 1970, sein Ende fand.«16 Zu den Festivals dieser ersten Phase zählen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:17 • • • •

1946 Bregenzer Festspiele 1946 Festival der klassischen Musik Montreux 1946 Internationale Bachfeste (Schaffhausen) 1946 Prager Frühling

15 Reuter weiter: »Es scheint ein gewagtes Unterfangen, daß wir in Berlin, in dieser unserer bedrängten und noch an den Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit schwer leidenden und gespaltenen Stadt ›Berliner Festwochen‹ veranstalten. Ziemt es denn, so könnte man fragen, Feste zu feiern, wenn die Not der Zeit so unmittelbar auf einer Gemeinschaft und auf den einzelnen lastet? Die Antwort darauf ist ja, auch Festspiele sind nötig und gehören in das Leben unserer Stadt Berlin. Denn der Mensch braucht zum Leben nicht nur Brot und körperliche Nahrung. Er will auch einmal sich entspannen und sich ergehen. Berlins Arbeit und Bedeutung lag immer nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern gerade auch auf geistigem und künstlerischem Gebiet. Und alle Bedrängnis hat nicht den Willen in uns ersticken können, mit all unseren Kräften danach zu streben, unseren Platz auch im kulturellen Leben unseres Volkes zurückzugewinnen und wieder einzunehmen. Berlin, die Stadt der Kunst – das darf und soll nicht der Vergangenheit angehören, das muß wieder lebendige Wirklichkeit und Gegenwart werden. Für diesen Willen sollen die ›Berliner Festwochen‹ ein beredtes Zeugnis sein und zugleich dafür, daß neben dem Willen auch das Können und neben dem Können die Bereitschaft vorhanden ist, mitzuerleben und mitzugenießen. Die Kunst hat in Berlin eine Heimstätte, das wollen wir in unserem Berlin beweisen, das einst den Namen ›Spree-Athen‹ mit Selbstironie sich beilegte und das gerade heute in der harten und schweren Zeit nicht vergessen hat, daß es keine Aufgeschlossenheit geben kann, wenn nicht den Musen Zoll und Achtung gespendet wird.« In: Berliner Festspiele (Hg.): Die Berliner Festwochen 1951–1997. Eine kommentierte Chronik, Berlin: Berliner Festspiele 1998, S. 2. 16 F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/static/ themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 7. 17 Die Festivalliste ist eine abgewandelte Fassung der von Willnauer bereits vorgelegten, vgl. ebd.

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Theaterfestivals • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

1946 Ruhrfestspiele (Recklinghausen) 1947 Holland Festival 1947 Edinburgh International Festival 1947 London Music Festival 1948 Festival in Aix-en-Provence 1948 Aldeburgh Festival 1948 Internationales Festival der Musik in Besançon Franche-Comté 1948 Bath International Music Festival 1949 Dubrovnik Sommerfestival 1949 La Biennale di Venezia 1950 Berliner Festwochen 1950 Wiesbadener Maifestspiele 1950 Bad Hersfelder Festspiele 1950 Pablo Casals Festival (Prades) 1951 Bayreuther Festspiele (›Neubayreuth‹) 1951 Eutiner Festspiele 1951 Mozartfest Würzburg 1951 Wiener Festwochen 1951 Internationales Festival der Musik und des Tanzes (Granada) 1952 Bergen International Festival 1952 Schwetzinger Festspiele 1952 Händel-Festspiele Halle 1952 Internationales Festival Santander 1953 Festival de Luxembourg (Wiltz) 1953 Münchner Opernfestspiele 1955 Athen & Epidaurus Festival 1956 Menuhin Festival Gstaad 1957 Warschauer Herbst 1957 Gulbenkian Festival (Lissabon) 1957 Festival dei Due Mondi (Spoleto) 1957 Flandern Festival 1958 Osaka Tenjin Festival 1958 Wochen der religiösen Musik (Cuenca) 1961 Israel Festival (Jerusalem) 1961 Musicki Biennale (Zagreb) 1963 Festspiele in Barcelona 1968 Helsinki Festival 1968 steirischer herbst (Graz)

Gerade die Salzburger Festspiele werden Ende der vierziger Jahre durch die ›Förderung‹ der Siegermächte zu einem Ort weltoffener Kommunikation stilisiert.18 So steht der Festivalzuwachs der späten vierziger und fünfziger Jahre im Zeichen der Umkehrung politischer Ideologie in eine (manchmal auch zwanghafte) kulturelle Werteinstitution.

18 »Nach dem Kriegsende wird als erste gemeinsame Aktion der vier Besatzungsmächte ›Die Entführung aus dem Serail‹ Österreich weit ausgestrahlt.« In: »Salzburger Festspiele«, vgl. http://www.salzburg.com/wiki/index.php/Salzburger_Festspiele vom 30. März 2007.

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Ein weiteres Ziel der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Festivals besteht darin, eine neue ›westlich‹ geprägte Einheit zu evozieren. »Dass in der Zeit von 1949 bis 1955 so viele Festspielinitiativen wie niemals vorher oder nachher in der Bundesrepublik gegründet wurden, ist als deutliches Zeichen eines überwunden geglaubten Krisenzustands zu deuten.«19 Oder, so muss hinzugefügt werden, einer schwelenden Krise, eines vorerst erloschenen Krisenherdes: Eventuelle Beeinträchtigungen des kulturellen Schaffens durch den Zweiten Weltkrieg werden pauschal abgestritten.20 ›Kultur‹ wird nach der Gründung der BRD 1949 weitgehend als Projektionsfläche und Worthülse benutzt und gegen die ›Zivilisation‹ ausgespielt. Der Zusammenhalt der Kulturnationen wird sorgenvoll überbetont und als Indikator für ein funktionierendes europäisches Werte- und Kunstsystem gedeutet. Zugleich wird der Anteil ausländischer Besucher bei einem Festival zum Indikator für dessen Erfolg erklärt – welche Veranstaltung statistisch eine große Anzahl ausländischer Gäste vorweisen kann, wird pauschal als hochwertig gekennzeichnet. Dass die naive Fixierung auf derartige Statistiken auch heute nicht überwunden ist, zeigt sich in der gängigen Kennzeichnung von Festivals als ›internationale‹ Veranstaltungen (vgl. Kapitel »Transräume«). Bereits in den fünfziger Jahren öffnen sich Festspiele wie Festivals immer stärker dem westlichen ›Außen‹, reisen Künstler und Theatergruppen durch Europa, die zuvor auf ihre heimische Wirkstätte beschränkt geblieben waren. Dazu tragen auch die zunehmenden Vereinfachungen im Reiseverkehr und das wachsende internationale Interesse an Festivals bei, die die Basis für einen quantitativen und qualitativen Sprung legen, der Festivals zum Katalysator genuin neuer künstlerischer Arbeitsbeziehungen werden lässt. Tatsächlich sind es zu dieser Zeit Festivals, die globalen künstlerischen Austausch in großem Stil realisieren. Jedoch lässt das Label ›international‹ in den Fünfzigern das Kriterium der künstlerischen Leistungen teilweise in den Hintergrund treten. Das Abgrenzungsbedürfnis verschiebt sich damit von der nationalen Ebene auf die der Unterscheidung zwischen high und low culture, zwischen exklusiven Festspielveranstaltungen und gefälligen Festivals für eine weniger anspruchsvolle Klientel. Zugleich bilden sich in den Fünfzigern und Sechzigern bereits neue Formen heraus wie Festivals in Zelten und auf der Wiese, Festivals mit dezidiertem Spektakelcharakter und Ähnlichem, die das Potential zu einem neuen Festivalverständnis bergen und die gegenwärtige vorwiegend interdisziplinäre Ausrichtung von Festivals präfigurieren.21 Die unverändert konservative Haltung dieser ersten Nachkriegsfestivals wird später von der 68er-Generation denunziert, worauf sich auch die Zurückhaltung bei Festivalgründungen in den siebziger Jahren zurückführen lässt. Folglich wird in den siebziger und frühen achtziger Jahren der Festspielgedanke nicht ohne Grund als reaktionär, unpolitisch und konsumorien19 Vgl. Holger R. Stunz: Darsteller auf internationalen Bühnen: Festspiele als Repräsentationsobjekte bundesdeutscher Kulturpolitik, vgl. http://www.festspiel-forschung.de unter der Rubrik »Festspiel und Bundeskulturpolitik« vom 29. Juni 2007. 20 Die 68er-Generation wird sich gerade aus dem Ungenügen über die Blindheit des kulturellen Festivals der fünfziger Jahre heraus vom Festivalmodell weitgehend distanzieren. Ihr Bewältigungsmodell ist eher das der Situationistischen Internationale. 21 Zwei Beispiele seien an dieser Stelle genannt: die 1955 gegründete documenta in Kassel und die Experimenta in Frankfurt aus dem Jahr 1966.

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tiert abgewertet – ein Rückgang der Festspielgründungen stellt sich ein.22 Ab den späten Achtzigern ist wiederum der Emanzipationsprozess von den überkommenen Ansichten der 68er abgeschlossen, was eine Neudefinition der Festivalidee und eine Neuerfindung des Organisationsmodells ermöglicht sowie einen weiteren Festival-Boom sondergleichen auslöst. Die Reformansätze der Nachkriegsfestivals – Durchmischung künstlerischer Formen und direkterer Bezug zum jeweiligen Veranstaltungsort – werden radikalisiert und äußern sich in einer Betonung des Fest- und Spektakelcharakters des Festivalereignisses einerseits und in einem neuen Selbstbewusstsein andererseits:23 Festivals okkupieren neue Räumlichkeiten (Stichwort Hallenkultur), während die zu dieser Zeit maßgeblichen Künstler eine Diffusion künstlerischer Formen forcieren, die ihren Spiegel wiederum im Organisationsmodell der präsentierenden Festivals findet. High und low culture, zuvor durch die Termini ›Festspiel‹ oder ›Festival‹ markiert, werden zusehends nivelliert und Festivals damit gattungsdurchlässiger. Ebenso lässt sich der Festival-Boom im Deutschland der neunziger Jahre interpretieren: nicht als Symbol der ausgestandenen Krisensituation (Fall des Eisernen Vorhangs, Ende der atomaren Bedrohung), sondern als Reaktion auf den Gestaltungsnotstand, in dem sich der neue Hybridstaat der Bundesrepublik Deutschland durch die Wiedervereinigung befindet. Die Lösung des Problems, wie sich die demographischen, ökonomischen und politischen Differenzen der beiden wiedervereinigten Staaten überwinden oder zumindest überspielen lassen können, scheint erneut eine nationale Identitätsbildung qua Kultur zu sein. Dass das Verhältnis zwischen Ökonomie und Festivals seit den neunziger Jahren noch stärker als zuvor in den Vordergrund tritt – und zwar so deutlich, dass von einer ›ökonomischen Wende‹ gesprochen werden kann –, lässt sich mit Willnauer durchaus als typologische Veränderung parallel zur Ausweitung der Festivallandschaft begreifen, die sowohl die Substanz des Festivals betrifft als auch das Verhältnis zu seinem Außen. Es kommt zu einem »Wandel von den traditionell sich als Kunst- und Kulturleistung verstehenden Festspielen zu den als integrierte Wirtschafts- und Kunst›betriebe‹« konzipierten Festivals.24 Ein an ökonomischen Regeln und Methoden orientierter Strukturwandel setzt, zugespitzt gesagt, »Effizienz, Rentabilität, Synergieeffekte« 22 Vgl. F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/ static/themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 8. 23 Diese Tendenzen weist deutlich der 1968 gegründete steirische herbst auf, der sich von Beginn an selbstbewusst interdisziplinär positioniert und an der Gegenwartskunst orientiert oder auch noch neun Jahre später das Festival des Freien Theaters in München, das auf einem Zeltplatz stattfindet und verschiedenste Formen performativer Kunst – Puppenspiel, Zirkus, Performances, dramatisches Theater – mischt, vgl. Spielmotor München e.V. (Hg.): Annalen einer Initiative. Zwanzig Jahre Spielmotor, München: Spielmotor München e.V. 1999. Zum neuen Selbstbewusstsein kann in dieser Zeit jedoch auch eine dezidierte Konzentration und Rückwendung auf traditionelle Formate wie das Festival zu Ehren eines Künstlers gehören, wie es die Internationalen Schillertage in Mannheim von 1978 demonstrieren. 24 F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/static/ themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 8.

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als Leitmotive des eigentlich künstlerischen Ereignisses. »Da war es nur folgerichtig, dass man diese bisher im Kulturleben nicht beobachtete, wie eine Seuche sich ausbreitende Entwicklung als ›Festivalitis‹ bezeichnet hat.«25 (Es entstehen seit den Neunzigern keine Festivals größeren Formats mehr – dafür kleine, lokale und meist spezialisierte Festivals –, während die maßgeblichen Großveranstaltungen bereits seit den fünfziger und siebziger Jahren bestehen.) Veränderungen der sie umgebenden Strukturen und Systeme, Verschiebungen in den (politischen, sozialen, soziologischen) Verantwortlichkeiten und Kompetenzen verlangen Festivals mehr Anpassungsfähigkeit ab. Wertfrei gesprochen diversifiziert und spezialisiert sich die Festivallandschaft seit den neunziger Jahren also zusehends. Die seit dem ›Mauerfall‹ veränderten Bedingungen modifizieren die Aufgaben derjenigen Festivals, die bereits vorher existierten, und bieten neue kulturpolitische Ausgangspunkte für Neugründungen. Die neuen, meist kleineren und wendigen Festivals suchen sich spezifischere Themen (den jeweiligen Aufführungsort, den künstlerischen Nachwuchs, politische und ethische Fragen et cetera). Anders als ihre Vorläufer in den siebziger Jahren bieten sie nicht notwendigerweise Raum für experimentelle Theaterformen, sondern können sich durchaus auf traditionelleres Theater konzentrieren. Neue Leiter an ihrer Spitze (Studenten, Laien, Beamte und so weiter) verändern zusätzlich das Gesicht der Festivallandschaft. Alle Festivals dieser Epoche eint, abgesehen von ihrer verstärkten Ökonomisierung, ein Hang zur Selbstthematisierung als ein genreübergreifendes und dominantes Merkmal. Ihre Professionalisierung bedeutet strukturell-organisatorisch außerdem eine zunehmende Abkehr von der ernsthaften Institutionskritik der siebziger Jahre. Dabei nimmt Berlin nach wie vor eine Sonderstellung als Kulturkatalysator ein. Erschwerte finanzielle Rahmenbedingungen und der Abbau des Föderalismus bewirken eine Bündelung von Festivals in der Bundeshauptstadt Berlin und bringen parallel dazu ausgleichend mehr und mehr Festivals in den einzelnen Bundesländern und Städten hervor, die sich ihrer je eigenen Lokalität intensiv widmen. Inhaltlich treten seit den späten neunziger Jahren neue Themen in den Fokus, worunter Fragen nach dem Verhältnis zur Urbanität, neuen Finanzierungsmodellen von Kunst und nach veränderten Strukturen und politisch-sozialen Systemen und damit neuen Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der Kultur dominieren. Wo aber bleibt nach dieser ökonomischen Wende in der Festivalkonzeption der Gegenwart die Bereitschaft zum künstlerischen Experiment und zum Wagnis, unbekannte Künstler zu fördern? Kann man, ähnlich wie es Willnauer bei Musikfestivals konstatiert, auch von Theaterfestivals behaupten, dass »wirtschaftliche Stabilisierung und künstlerische Stagnation« Hand in Hand gehen?26 Wie freie Theaterhäuser in den achtziger Jahren diesen Grenzgang bewältigt haben und sich durch den Aufbau eigener Strukturen und Produktionsnetzwerke ihre künstlerische Unabhängigkeit sichern konnten, wird im Folgenden aufgezeigt. Die Historie dieser freien Häuser weist wichtige Wegmarken für die Entwicklung von Theaterfestivals seit den neunziger Jahren auf, da sie einerseits selbst einige Theaterfestivals begründet haben (wie das

25 Ebd. 26 Ebd., S. 3.

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Kampnagel Sommerfestival, Freischwimmer oder die diversen Kleinstfestivals des HAU) und andererseits mit ihnen strukturell verwandt sind.

Internationale Gastspielhäuser als Wegbereiter und Nachfolger Ähnlich einflussreich auf die Entwicklung der deutschen Theaterlandschaft wie Theaterfestivals ist es eine Gruppe international netzwerkender Produktions- und Gastspielhäuser der Freien Szene, die wiederum in Dialog mit dem Festivalmodell treten. In diesem Sinne ist die Entwicklung der deutschen Festivalszene vielfältig verschränkt mit der Entstehung und Ausweitung der Freien Produktions- und Gastspielhäuser. Sie alle vertreten eine Arbeitsphilosophie, die sich durch maximale Offenheit und Kooperationsbereitschaft auszeichnet und auf die Produktions- und Förderbedingungen in den jeweiligen Ländern und Städten reagiert. Entstanden als alternative Orte für zeitgenössisches und experimentelles Theater in den kulturellen Zentren Deutschlands (in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main), erheben sie die Arbeitsweisen der späteren deutschen Theaterfestivals zum Standard und etablieren die für deren Verbreitung nötigen Produktionsnetzwerke. Kurz gefasst könnte man sie als erste festivalisierte Theaterhäuser bezeichnen, die über die Spielzeit hinweg die flexible, offene und nicht hierarchische Arbeitsweise von Festivals als tragfähige Modelle auch für Freie Theaterhäuser realisieren. Mitte der achtziger Jahre formiert sich die deutsche Theaterszene neu. Die damals noch als Off-Theater bezeichneten Freien Gruppen27 gehen dazu über, sich den notwendigen Raum für ihre Arbeiten selbst zu suchen, und finden ihn überwiegend in leerstehenden Industriegebäuden. Die ehemalige Kranfabrik Kampnagel in Hamburg, die Mousonfabrik in Frankfurt am Main sowie das Theater am Turm, das ehemalige Elektrizitätswerk in München, genannt Muffathalle, und andere sind ehemalige industrielle Gebäudekomplexe, die für den Theaterbetrieb umfunktioniert werden. Sie werden später in den großen deutschen Städten zu den Spielorten, die die europäische Avantgarde präsentieren. »In Deutschland waren es neben den internationalen Festivals und einigen wenigen unabhängigen Produzenten, die den Festivalmarkt bedienten, in erster Linie die internationalen Gastspielhäuser wie Hebbel-Theater Berlin, Kampnagel in Hamburg und

27 Was ist die Freie Szene? Sie hat andere Organisationsformen, erforscht andere Ästhetiken und spricht ein eigenes Publikum an. »Die entstehenden Arbeiten sind dabei zunehmend in genau kalkulierte Kooperationen eingebunden. Deren Gesamtorganisation übernehmen zentrale Spielstätten und Festivals, die sich verstärkt um den Nachwuchs kümmern und bestimmte Gruppen und Regisseure über Jahre hinweg betreuen.« In: Dirk Pilz: »Die ganze Welt ist ein Projekt. Ein Versuch, in vier Thesen eine Antwort auf eine schwierige Frage zu finden: was ist die Freie Szene?«, in: Theater der Zeit 58 (2004), Heft 1, S. 26f.

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Organisationsmodell das TAT (Theater am Turm) in Frankfurt/Main, die zu dieser Entwicklung [gemeint ist die Internationalisierung von Theater und Tanz] beigetragen haben.«28

Diese Liste lässt sich heute um das ehemalige Podewil in Berlin, das Forum Freies Theater in Düsseldorf, das Theater in der Fabrik in Dresden, die Gessnerallee in Zürich, das Künstlerhaus mousonturm in Frankfurt am Main, das Radialsystem V Berlin, PACT Zollverein in Essen sowie das Theaterhaus Jena ergänzen. Erstes Verdienst dieser Häuser ist es, ästhetische Standards, die in Belgien und den Niederlanden, den damaligen Zentren der europäischen Avantgarde – entwickelt wurden, in Deutschland eingeführt zu haben. Durch sie wird für die deutsche Theaterlandschaft der Sektor »des internationalen Gastspielbetriebs, der sich im Rahmen von Festivals und internationalen Spielstätten für ein zeitgenössisches Theater in den achtziger Jahren entwickelte«,29 erschlossen. Die neuen ästhetischen Formen zeitgenössischen Theaters und die meist angespannte finanzielle wie produktionstechnische Situation der Künstler wie der sie unterstützenden Häuser, die selbst zu Anfang – wenn überhaupt – von Kommunen und Ländern nur geringfügig gefördert werden, machen zweckmäßigere organisatorische und rechtliche Modelle erforderlich. Mehr Freiheit findet sich in so genannten Kultur-GmbHs, die in Deutschland zuerst vereinzelt entstehen und die einen unbürokratischen Umgang mit Finanzen, weitgehende organisatorische Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit bedeuten.30 Mehr Freiheit reimt sich jedoch auf eine stets mangelhafte finanzielle Situation dieser Häuser, die weitere methodische Neuerungen nötig werden lässt. Einerseits stützen sich diese Häuser konzeptionell früh auf die Zusammenarbeit mit Sponsoren und legen so den Grundstein für die Akzeptanz kulturellen Sponsorings in Deutschland. Finanzielle Bedürftigkeit bei gleichzeitiger operationeller Freiheit erzwingt und erlaubt es diesen Häusern außerdem, früh mit internationalen Theaterhäusern zusammenzuarbeiten. Der Umstand, dass diese Häuser über keine eigenen Ensembles verfügen und ihre Kernteams in der Regel klein sind, macht andererseits die Favorisierung des Ensuite-Systems und von Produktionen ausländischer Häuser der Freien Szene sinnfällig. Der bald europaweit einsetzende Austausch von Gastspielen findet auf der Basis von Netzwerken statt, die schnell zum maßgeblichen Produktionswerkzeug werden. Netzwerke als flexible und prozessuale Strukturen, die auf freundschaftlichen Verbindungen beruhen, vereinfachen den regelmäßigen Dialog über ähnliche Interessen, Ansichten, Inhalte und Ästhetiken. Sie führen außerdem zur Praxis des Koproduzierens von Theaterperformances, deren Kosten zwischen den Produzenten geteilt werden und folglich länderübergreifend in den Häusern der Netzwerkpartner zu sehen sind. 28 Martin Roeder-Zerndt: »Vielfalt und Internationalisierung«, in: Michael Freundt/AnnElisabeth Wolff (Hg.), Neugier und Leidenschaft. Theater der 90er und internationale Festivals. Festivalschrift anlässlich der 10. euro-scene Leipzig, Leipzig 2000, S. 81. 29 Sponsorenmappe zu Theater der Welt 2002, S. 5. 30 Die Entstehung von Kultur-GmbHs im Theaterbetrieb verläuft sprungartig. In der Spielzeit 1990/91 verzeichnet der Deutsche Bühnenverein nur drei Theater auf GmbH-Basis, 1991/92 bereits 22 und in der Spielzeit 2006/07 schon 46. Vgl. die jeweiligen Ausgaben der vom Deutschen Bühnenverband herausgegebenen Theaterstatistik.

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Theaterfestivals »Dabei geht es keineswegs lediglich darum, möglichst viele Gelder in einen Topf zu werfen, um die Produktionskosten für ein Projekt zu bündeln. Das ist der (freilich nicht unerhebliche) unmittelbare Zweck von Koproduktionen. Dahinter steht in den allermeisten Fällen eine lange Phase der Beobachtung und des Austauschs von Kuratoren, Dramaturgen und Produzenten über künstlerische Ansätze, über Programme und Inhalte. Sich auf eine Koproduktion einzulassen, insbesondere im internationalen Austausch, hat immer auch mit genauer Kenntnis der Arbeitsweisen der Partner, mit Vertrauen in deren Zuverlässigkeit, mit gegenseitigem Verständnis künstlerischer Interessen und Programme und mit Überzeugungskraft zu tun.«31

Es geht beim Koproduzieren also immer auch um die Diskussion ästhetischer Perspektiven und den Wunsch nach produktiver Kontinuität in der Zusammenarbeit mit anderen Häusern und Künstlern. Angesichts ihrer strukturellen und organisatorischen Gemeinsamkeiten (En-suite-System, kleine Kerncrew, Abhängigkeit von Drittmitteln, Interesse an internationalem und postdramatischem Theater et cetera) sind es lange vor den staatlichen und städtischen Theaterhäusern zuerst Freie Gastspiel- und Koproduktionshäuser, die mit Festivals für einzelne Produktionen zusammenarbeiten.32 Insofern integrieren Freie Theaterhäuser früh festivalähnliche Programmpunkte oder kleine Themenfestivals in ihr Programm, um eine Bündelung der öffentlichen Aufmerksamkeit zu erreichen und thematische Kohärenz zu behaupten. Doch während bei den Freien Häusern der achtziger und frühen neunziger Jahre Festivals zumeist betonten Ausnahmecharakter haben, beispielsweise eine Spielzeit beenden oder einläuten, wird das Organisationsmodell Festival seit Ende der Neunziger weitaus flexibler und emanzipierter genutzt. Kleine, als Festivals deklarierte Themenveranstaltungen werden zunehmend als Ersatz von Spielzeitthemen in den Spielplan eingebaut und erlauben die Strukturierung und Kontextualisierung der gezeigten Produktionen. Diese Veranstaltungen werden in den regulären Spielbetrieb integriert und sind somit kein zusätzliches Angebot, keine Ausnahmeveranstaltungen mehr. Heute haben das Festivalmodell auch institutionalisierte städtische und staatliche Theaterhäuser für sich entdeckt. Es ändert sich damit nicht nur die Struktur, sondern auch die Aufgabe von Festivals. Ihre Wirkung als Zäsur, ihre fokussierende und bündelnde Kraft wird nun auch genutzt, um thematische Schwerpunktbildungen im Spielplan zu ermöglichen und weitere Publikumsgruppen über Themen außerhalb des regulären Spielbetriebs zu erreichen. Festivals werden damit zu einem Teil des Marketingkonzepts von Theaterhäusern. Waren internationale Produktionshäuser ursprünglich primär als Alternativen zu den Strukturen in den städtischen und staatlichen Theaterhäusern gedacht, als Räume für abseitige Interessen, Denkmodelle und Methoden, so haben sie selbst im Laufe der Zeit Institutionalisierungsprozesse durchlaufen. Diese Entwicklung resultiert vor allem aus der zunehmenden Professionali-

31 Thomas Frank: »Cross the Border, close the Gap«, in: Deuflhard (Hg.): Spielräume produzieren (2006), S. 73f. 32 Es wundert angesichts dieser Gemeinsamkeiten nicht, dass einige Leiter Freier Gastspielhäuser wie Nele Hertling und Hannah Hurtzig, Matthias Lilienthal, Res Bossart und Christine Peters selbst Festivalleiter waren.

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sierung der Arbeitsmethoden und daraus, dass der alte Gegensatz zwischen Freier Szene und Stadt- und Staatstheater selbst überholt ist. »Geht man schließlich von nichts anderem als der Produktion aus, dann scheint zumindest in Deutschland die Trennung von freien Theatern und Staatstheatern heute vollends obsolet geworden zu sein: Ein großer Teil des theatralischen und ästhetischen Vermächtnisses der freien Gruppen und ihrer Idole findet sich heute in den Staatstheatern, etwa in der Berliner Volksbühne, im Hamburger Schauspielhaus, im Frankfurter Ballett oder in der Stuttgarter Staatsoper, umgekehrt wurden die Präsentationsformen des freien Theaters der vergangenen Jahrzehnte von jüngeren Theatermachern […] ungeniert genutzt, um unter dem Segel der Revolte in den Hafen der Dramaturgie Gerhard Hauptmanns zurückzukehren«.33

Freie Produktionsstätten sind mittlerweile so weit professionalisiert, dass sie immer öfter mit deutschen Stadttheatern kooperieren können. Es geht Netzwerkhäusern heute also weniger darum, einen Gegensatz zu formulieren, als um die Ermöglichung guter Arbeitsbedingungen für experimentelle Projekte. Diese Zusammenarbeit mit staatlichen und städtischen Theatern ist andererseits erst dadurch praktisch umsetzbar geworden, dass sich Mitte der neunziger Jahre auch in den subventionierten Theatern die Arbeitsbedingungen verschlechtern und sich seither deren Leitungen ebenfalls um flexiblere und kostengünstigere Produktionsmethoden bemühen müssen. In mehrfacher Hinsicht haben die im Folgenden beschriebenen Theaterhäuser also eine Brückenfunktion innegehabt. Zuerst etablierten sie zusammen mit Festivals die internationale Avantgarde in Deutschland; später machten sie die Freie Szene salon- und konkurrenzfähig mit den Stadttheatern; zuletzt bereicherten sie den subventionierten Stadt- und Staatstheaterbetrieb mit ihren Arbeitsmethoden. Ihre Hauptcharakteristika lassen sich wie folgt resümieren:

33 Nikolaus Müller-Schöll: »Sehschlitze in die Zeit. Über ›Freies (d.h. freies) Theater‹«, in: Nikolaus Müller-Schöll/Saskia Reither (Hg.), Aisthesis. Zur Erfahrung von Zeit, Raum, Text und Kunst, Bd. 3, Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung, Schliengen: Edition Argus 2005, S. 84.

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Tabelle 1: Eigenschaften von Freien Theaterhäusern Arbeitssituation/Struktur • • • • •

Produktionsformen und dominante Formate

• • • • • • •

Selbstverständnis

• • •

Freie Produktionen beziehungsweise Produktionen der Freien Szene verstärkt internationale Partnerschaften und Künstler hauptsächlich projektbezogene Finanzierung typische Organisationsform: GmbH relativ unaufwändiger Produktionsapparat (meist offen für externe Vermietungen) En-suite-System kostengünstige Produktionsformate üblicherweise Koproduktionen wissenschaftliche und diskursive Formate interne kleinere Themenfestivals Reihen und Fortsetzungsveranstaltungen Projekte mit Bezug zum urbanen Umfeld autonom und unabhängig reflektorische Haltung (aus Rechtfertigungsnotstand) meist starker Fokus auf Förderung junger Künstler/›Talentschmiede‹/Impulsgeber publikumsnah beziehungsweise mit meist kleiner, aber ausgesuchter Zielgruppe

THEATER

AM

TURM

Das 1953 in Frankfurt am Main gegründete Theater am Turm (TAT)34 ist eines der ersten Theaterhäuser der Freien Szene, dessen Mischung aus Eigenproduktionen, europäischen Gastspielen und internen Festivals es zu einem der international bekanntesten Theater Deutschlands und zum Modell für die heute gängigen Arbeitsmethoden von Festivals wie Produktions- und Gastspielhäusern gleichermaßen machte. Die wohl wichtigste Phase in der Geschichte des TAT beginnt mit der Dramaturgie Tom Strombergs 1986. Mit einer festen Riege von Künstlern, die vornehmlich aus dem Bereich der Bildenden Kunst kommen und die neue Theateravantgarde bilden,35 etabliert sich unter Stromberg ein Theaterhaus, das weniger auf Präsentation als auf Prozesshaftigkeit und die Erforschung der Grenzen des Theaters ausgerichtet

34 Zuerst als Landesbühne Rhein-Main durch den Frankfurter Bund für Volksbildung gegründet und somit nicht die Gründung Freier Gruppen oder unabhängiger Künstler. 35 Die Leitung des TAT merkte, dass »es mehr Spaß macht, mit Künstlern zu forschen, die aus der Bildenden Kunst kommen und am Theater arbeiten wie Jan Lauwers und Jan Fabre oder mit Leuten wie der Wooster Group. Davon ausgehend, haben wir ein internationales Netz aufgebaut, zusammen mit dem Kaaitheater in Brüssel.« In: Arnd Wesemann: »›Künstler müssen frei sein‹. Gespräch mit Tom Stromberg«, in: Theaterheute 32 (1992), Heft 9, S. 31.

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ist. Das TAT ist damit vor allen Dingen der Prototyp eines Freien Theaterhauses, das internationales Netzwerken im großen Stil betreibt. Das Hauptwerkzeug dieser neuen Arbeitsmethode ist das Ermöglichen von Produktionen durch gemeinsame finanzielle Investitionen mehrerer Häuser. Die an diesem Produktionsnetzwerk vornehmlich beteiligten Häuser (die fünf wichtigsten europäischen Avantgardetheater dieses Jahrzehnts: das Felix Meritis in Amsterdam, das Hebbel-Theater in Berlin, das Kaaitheater in Brüssel, das TAT in Frankfurt am Main und die Wiener Festwochen als beteiligtes Festival) teilen »eine Struktur, die so offen ist, auf die jeweiligen Arbeitsbedingungen der Künstler einzugehen«.36 Die gemeinsamen ästhetischen und koordinatorischen Prinzipien dieser Häuser sind künstlerische Freiheit und Kontinuität. Diese zeigen sich auch im Umgang mit dem Nachwuchs, dem das TAT mit der Probebühne Daimlerstraße seit Anfang der Neunziger (unter anderem Stefan Pucher, Rene Pollesch, Helgard Haug und Daniel Wetzel) eine eigene Spielstätte zur Erprobung seiner Ideen gibt. Zugleich neigt das Netzwerk dazu, sich selbst theoretisch zu reflektieren. Die Schriftenreihe Theaterschrift,37 die ab 1992 im internationalen Verbund mit dem bezeichnenden Titel Jenseits der Gleichgültigkeit herausgegeben wird, soll ein Instrument sein, um »die Verbindung zwischen dem Künstler und dem Publikum und die europäische Annäherung an die künstlerische Arbeit zu erforschen und zu reflektieren.«38 Damals deklarieren die Partner: »Neue Arbeitsformen haben die beteiligten Theater, aber auch die Theaterlandschaft im allgemeinen, aktiviert, stimuliert und manchmal sogar in Frage gestellt. […] Aus ähnlich gelagerten Interessen für einige Künstler ist ein gemeinsames Engagement für deren künstlerische Arbeit gewachsen. Die daraus resultierende Zusammenarbeit kommt vor allem in Coproduktionen, langfristigen Verbindungen mit Künstlern und einem koordinierten Austausch von Vorstellungen zum Ausdruck.«39

Durch kontinuierliche Arbeit ›mit‹ statt ›an‹ einem Künstler die Individualität einer künstlerischen Handschrift zu fördern, ist auch heute noch eines der wichtigsten Ziele vieler derartiger Produktionsnetzwerke.40 Ein weiteres übergreifendes Merkmal dieser ersten Netzwerke ist die verstärkte Thematisierung und Analyse einer ›europäischen Kultur‹. Dieser Aspekt findet in der Theaterschrift selbst unmittelbare Entsprechung darin, dass alle Texte viersprachig, auf Deutsch, Englisch, Französisch und Niederländisch, publiziert werden. »Als internationales Projekt will sich die THEATERSCHRIFT ausdrücklich in die heutige, äußerst komplexe gesellschaftliche Realität (und des 36 Kulturgesellschaft mbH (Hg.): Theater am Turm Frankfurt, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, OFF-TAT Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm, November 1991. 37 Vgl. Kapitel »Exkurs über Institutionskritik«. 38 Kulturgesellschaft mbH (Hg.): Theater am Turm Frankfurt, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, OFF-TAT Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm, November 1991. 39 Kaaitheater (Hg.): Theaterschrift – Beyond indifference, Bd. 1, Brüssel u.a.: Kaaitheater u.a. 1992, S. 4. 40 Künstlerische Kontinuität bestand im Falle des TAT der späten achtziger und neunziger Jahre vor allem zu Jan Lauwers, Jan Fabre, Heiner Goebbels, Christof Nel, Peter Brook, der Wooster Group, LaLaLa Human Steps, Remote Control Productions, Rene Pollesch, Robert Lepage, Robert Wilson, Rosas und anderen.

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damit verbundenen Kulturbetriebs) einbetten.«41 Gemeint ist damit vor allem eine durch die einsetzende Europa-Euphorie veränderte Realität, die das Denken in größeren Zusammenhängen erforderlich macht. Für die genannten Theaterhäuser gilt es, eine künstlerische europäische Identität zu etablieren und zu diskutieren. So behaupten sie: »In bezug auf die darstellenden Künste läßt sich feststellen, daß kulturelle Zusammenarbeit innerhalb Europas bereits ein Faktum ist. In den letzten Jahren ist die Überschreitung der Grenzen zu einem wichtigen, sogar charakteristischen Element der Arbeit diverser Theater- und Tanzensembles geworden«.42 Die Gruppe geht hierbei so weit, ein neues Theatermodell für Europa zu entwickeln, eine europäische Dramaturgie schaffen zu wollen. Das beinhaltet auch, dass die Spielpläne der Partner gegenseitig in den Programmheften abgedruckt werden (vgl. die Publikationen der Kulturgesellschaft mbH Frankfurt am Main). Zugleich ist das TAT eines der ersten Freien Häuser in Deutschland, das das Organisationsmodell des Festivals auf verschiedenste Weise einsetzt. Die 1966 ins Leben gerufene Experimenta (ein typisches Beispiel für ein Festival innerhalb eines Gastspiel- und Produktionshauses), ein Sommertheaterfestival Freier Theater- und Musikgruppen oder thematische und auf einzelne Künstler zentrierte Showcases machen schon früh das Profil des Hauses aus. Außerdem bildet es zusammen mit der Kunsthalle Schirn (und seit 1989 zusätzlich mit dem Künstlerhaus mousonturm) eine der ersten bürgerlichen Trägergesellschaften für Kulturbetriebe in Deutschland, die Kulturgesellschaft mbh Frankfurt am Main. In verschiedener Hinsicht ist das TAT somit Vorbild für Festivals wie für Theaterhäuser, da es anhand von Festivals und internationalen Gastspielen verdeutlichen kann, dass einerseits Netzwerken für die Freie Szene ein essentielles Werkzeug ist, andererseits die Freie Szene selbst eine glaubwürdige, ästhetisch relevante und hochwertige Alternative zum Stadttheaterbetrieb darstellt. Es ist »ein Haus, das die Erforschung ästhetischer Zukunftsperspektiven kompromißlos und lustvoll vorangetrieben und dabei durch gute Produktionsbedingungen eine künstlerische Kontinuität geschaffen hat, die sonst im schnellebigen Festivalbetrieb nur zu leicht auf der Strecke bleibt.«43 Die Geschichte des TAT veranschaulicht jedoch auch beispielhaft das zwiespältige und von Misstrauen geprägte Verhältnis deutscher Kulturpolitik zu den neuen produktiven Zentren der Freien Szene. Schon 1994 zieht die Stadt Frankfurt in Erwägung, das TAT zu schließen oder mit dem Frankfurter Schauspielhaus zwangsweise zu fusionieren. Diese Forderung bringt das Schauspielhaus bereits 1988 vor, was damals noch von politischer Seite ab-

41 Kulturgesellschaft mbH (Hg.): Theater am Turm Frankfurt, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, OFF-TAT Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm, April 1992. 42 Marianne Van Kerkhoven: »Kulturelle Identität und die Identität der Kultur. Das Europa der 90er Jahre«, in: Kulturgesellschaft mbH (Hg.), Theater am Turm Frankfurt, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, OFF-TAT Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm, Januar 1991, S. 1. 43 Silvia Stammen: »Aus-gespart. Das international renommierte Theater am Turm verschwindet im Bermudadreieck Frankfurter Kulturpolitik«, in: Theaterheute 36 (1996), Heft 8, S. 57.

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gelehnt,44 1995 jedoch in die Tat umgesetzt wird und die Unabhängigkeit des TAT aufhebt. 2004 fällt das TAT endgültig finanziellen Kürzungen zum Opfer und wird geschlossen (womit die Stadt den verhältnismäßig unbedeutenden Betrag von 1,8 Millionen Euro pro Jahr einspart). K AMPNAGEL I NTERNATIONALE K ULTURFABRIK Die Nachfolger des TAT wie die Kampnagel Kulturfabrik in Hamburg können bereits von einer breiteren, wenn auch nach wie vor verhaltenen politischen Akzeptanz der Freien Szene ausgehen. Wie beim TAT wird erst durch den Vorstoß eines städtischen Theaters der Weg für die Etablierung einer festen Produktionsstätte für die Freie Szene eröffnet. 1981 beginnt die kulturelle Geschichte der ehemaligen Großmaschinenfabrik Nagel & Kaemp, die damals schon im städtischen Besitz ist, als das Deutsche Schauspielhaus aufgrund von Sanierungsarbeiten Ausweichspielstätten benötigt und diese in der ehemaligen Fabrik findet. Diese avanciert so nicht nur zu einem der ersten Beispiele für Industriebauten, die für die Zwecke von Kunst und Kultur entdeckt, besetzt und mobilisiert werden (neben den zuvor genannten sind weitere Beispiele hierfür in Köln: Stollwerck-Fabrik; München: Alabama-Halle; Bremen: Schlachthof). Noch heute findet sich das Phänomen der ›Hallenkultur‹ bei so unterschiedlichen Festivals und Häusern wie der RuhrTriennale, PACT Zollverein, den Sophiensælen oder dem Berliner Radialsystem V.45 Die Affinität zwischen solchen Räumlichkeiten und Festivals wird in Hamburg schnell offenkundig, als 1982 Freie Gruppen die erste »Besetzungsprobe«46 abhalten, ein Festival, das unabhängig vom Schauspielhaus organisiert wird und 1984 – auch nach dessen Rückkehr an seine ursprüngliche Spielstätte – als Internationales Sommertheater-Festival unter der Leitung von Dieter Jaenicke fortgesetzt wird. Schon früh wird außerdem das gesamte Gelände in den Spielbetrieb einbezogen und andere kulturelle Angebote werden integriert, die aus den Reihen der Freien Szene, der Galerien und Kunsthochschulen stammen. Es ist maßgeblich das Festival und seine große Akzeptanz, die nach der Zwischennutzung den bereits für 1985 vorgesehen Abriss der Gebäude verhindern helfen,47 allerdings unter der Bedingung, dass die Aufhebung des Abrissbeschlusses nur so lange gelten soll, wie der neue kulturelle Standort vom Publikum angenommen würde. 44 Vgl. Kulturgesellschaft mbH (Hg.): Theater am Turm Frankfurt, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, OFF-TAT Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm, März 1988. 45 Die Gründung der Kampnagel Internationale Kulturfabrik folgt einer Zeit der theaterästhetischen und -organisatorischen Aufbrüche. Nachhaltig politisiert durch die Diskussionen der 68er, ›besetzen‹ viele Theatermacher ab den siebziger Jahren leer stehende Fabrikgebäude und erklären ehemalige Orte der Warenproduktion zu künstlerischem Terrain. 46 Vgl. Julia Reichel: Kampnagel Hamburg – Veranstaltungszentrum oder Theaterforum? Eine soziologisch-kulturwissenschaftliche Analyse. Magisterarbeit an der Universität Lüneburg 2002, S. 18ff. 47 »Auch wenn das Festival in dieser Form inzwischen nicht mehr besteht, ist das hohe Ansehen, welches die Kampnagel-Fabrik in der internationalen Tanz- und Theaterszene genießt, ursprünglich wesentlich auf den Ruf des ISTFs und seinen stark international ausgerichteten Charakter zurückzuführen.« Ebd., S. 23.

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1986 kann mit dem ersten regulären Spielplan das noch heute gültige Profil der Kampnagel Kulturfabrik, bestehend aus Eigenproduktionen von mit dem Haus eng verbundenen Gruppen, Gastspielen und einem eigenen internationalen Festival (zuletzt LAOKOON), fundiert werden. Kampnagel ist also beides, permanent und kontinuierlich arbeitendes Haus und Ausrichter eines regelmäßigen Festivals. Dieses erste internationale Sommerfestival – bis in die Neunziger hinein unabhängig von der Kampnagel Kulturfabrik – hatte bereits die Rechtsform einer GmbH angenommen. Das Veranstaltungszentrum selbst machte sich erst viel später die beispielsweise in Frankfurt schon erprobte Gesellschaftsform der GmbH zunutze, um den Bedürfnissen der Produktionsformen und der Arbeit der Freien Szene besser entsprechen zu können, um flexiblere und offenere Arbeitsstrukturen zu ermöglichen. Diese Öffnung hin zu neuen organisatorischen Lösungen ist das Produkt eines Mangels: »In den Kulturbetrieben sind Rechtsformfragen in den letzten Jahren bedingt durch die finanziellen Engpässe zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses gerückt […]. In den 70er und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts war es selbstverständlich, dass ein Museum oder Theater Teil der Stadt- oder Landesverwaltung war […]. Heute ist das Spektrum der möglichen Rechtsformen deutlich größer, man trifft häufig auf Eigenbetriebe, Zweckverbände, eingetragene Vereine, GmbHs oder Stiftungen.«48

Zuerst noch einem Trägerverein überlassen, findet 1993 dessen Umwandlung in eine privatwirtschaftlich-gemeinnützige GmbH statt.49 Der eingetragene Name der gegründeten Kapitalgesellschaft lautete Kampnagel Internationale Kulturfabrik, ihre Aufgabe (wie im Gesellschaftsvertrag vorgesehen) besteht im Wesentlichen in der Gestaltung eines Spielplanmix, wie ihn schon das TAT aufgewiesen hatte: »Gegenstand des Unternehmens ist unmittelbar und ausschließlich die Förderung der Kunst […] sowie die Förderung und Durchführung von Theateraufführungen und verwandten Veranstaltungen (Lesungen, Vorträge, Konzerte, multimediale Veranstaltungen) in Gestalt von Eigenproduktionen, internationalen Gastspielen, Produktionen Freier Gruppen und ähnlichem.«50 Es soll sich also um ein Kulturzentrum im weitesten Sinne handeln, um einen interdisziplinär ausgerichteten Veranstaltungsort, nicht ausschließlich um eine Plattform für das Theater und theaternahe Formen.51 Wie schon in Frankfurt verhilft Kampnagel ein Leitungswechsel zu internationaler Reputation. Hatte schon das Festival den internationalen Charakter des Hauses verstärkt, so unternimmt Res Bosshart – ehemaliger Leiter 48 Petra Schneidewind: »Die Rechtsform«, in: Armin Klein (Hg.), Kompendium Kulturmanagement, München: Vahlen 2004, S. 159. 49 Hauptsächlich zwei Vorzüge vereint die Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung für Kulturbetriebe. Sie bedeutet eine im Vergleich zu städtischen oder staatlichen Kulturbetrieben vereinfachte Buchhaltung (kameralistische Buchführung ist nicht nötig) und sieht nur die Haftung mit dem Gesellschaftsvermögen, nicht mit dem Privatvermögen der Gesellschafter vor. Eine Beteiligung von mehreren Gesellschaftern ist somit unbürokratischer und risikofreier. 50 J. Reichel: Kampnagel Hamburg – Veranstaltungszentrum oder Theaterforum?, S. 45. 51 Es gab nicht nur Theater- und Probebühnen, sondern auch ein Kino (Alabama) und mehrere Ausstellungsräume.

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des Zürcher Theaterspektakels und in der Heranführung des Publikums an internationale Künstler versiert – ab 1994 intensivere Versuche, Kampnagel zu einer kontroversen Plattform für wichtige Theaterströmungen zu machen. Zu dieser Zeit ereignet sich auch ein Umschwung in der Geschichte der übrigen Häuser der Freien Szene. Das politische Misstrauen macht der Einsicht Platz, dass diese Häuser maßgeblich an der Erzeugung nachfolgender Künstlergenerationen beteiligt sind. Kampnagel wird von nun an stärker gefördert und ihm wird der Rang eines städtischen Theaters zugesprochen. Im Gegensatz zum TAT, dessen Eingliederung in den städtischen Kulturbetrieb mit seiner zunehmenden Abhängigkeit einhergeht, kann in Hamburg ein Fördermodell entwickelt werden, das ein ausreichendes Maß an Unabhängigkeit vorsieht. Diese Entwicklung ist nur möglich vor dem Hintergrund des allgemeinen Trends zu Europäisierung und Internationalisierung und der Erkenntnis, dass es Gastspielhäuser sind, die durch internationale Kooperationen und Netzwerke diese Prozesse auf kultureller Ebene ermöglichen. Es ist jedoch bezeichnend, dass erst zwanzig Jahre (2001) nach der ersten Nutzung des Geländes durch das Hamburger Schauspielhaus die Kulturfabrik einen einigermaßen gesicherten Status erlangen kann, indem ihr ein längerfristiger Mietvertrag (über 15 Jahre) zugestanden wird. Damit hängt erstmalig die Existenz Kampnagels nicht länger von der Akzeptanz des Publikums ab. 2007 wird dieser Vertrag erneut bis 2030 verlängert. 1989 beschreibt das Kampnagel-Team sein Haus noch als einen Ort »wie eine selige Insel des Chaos […] in einem Meer der Ordnung, umspült von deutscher Perfektionswut und postmodernem Design, ein trotziges Monument der Dauerkrise, das seine Pracht dem Verfall und seine Poesie dem Unzweckmäßigen verdankt«.52 So konsequent es 1989 noch ist, dass sich Kampnagel in einer Dokumentation der »sieben wichtigsten europäischen Tanz- und Theaterzentren«53 als alternativen und antibürokratischen Ort darstellt, so wenig ist diese Haltung Ende der neunziger Jahre nötig. Die Häuser der heutigen Freien Szene sind längst anerkannt, gefördert und an den Theaterbetrieb assimiliert. S OPHIENSÆLE

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Die zuletzt gegründeten Häuser der Freien Szene wie die Sophiensæle und das Hebbel am Ufer in Berlin verdanken ihre Existenz als einigermaßen gesicherte Institutionen ebenso wie Kampnagel der Vakanz ehemaliger Fabriken auf der einen Seite und der Duldung durch die städtische Politik auf der anderen. Aus der Idee einer temporären Zwischennutzung, die dem prozessualen Charakter der Freien Theaterarbeit grundsätzlich nähersteht, ergibt sich zusehends eine Erstarkung der Netzwerkhäuser zu ›Edel-Offs‹, zu bewährten Anlaufpunkten für Freie Theaterkunst. Die Aufbruchsstimmung der achtziger und frühen neunziger Jahre weicht zunehmender Professionalisierung, die diesen Häusern heute eine annähernd gleichberechtigte Position neben den Stadttheatern verleiht. Die Instrumente der Organisation, der rechtlichen Ba52 »Auszüge aus: Enzyklopädie der Kampnagel Gemeinplätze«, in: Internationales Kampnagel Sommertheater Festival (Hg.), Performing Europe, Hamburg 1989, S. 11. 53 »Vorwort«, in: Internationales Kampnagel Sommertheater Festival (Hg.): Performing Europe, Hamburg 1989, S. 3.

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sis (Verein, GmbH) sowie die Praxis des Vernetzens und Koproduzierens sind zu einer im Freien Theater mittlerweile standardisierten Praxis geworden; die Freie Szene selbst bedarf in ihrer ästhetischen Relevanz keiner Rechtfertigung mehr. Paradoxerweise wächst in dieser Situation wiederum der Druck auf die internationalen Gastspielhäuser, die immer weniger ein Ausnahmephänomen darstellen und daher auch einen Profilverlust erleiden: »Vernetzung mit koproduzierenden Theatern, Welttourneen und Festivals; Verknüpfung von Schauspiel, Tanz und Performance. Einige Theaterhäuser der Freien Szene, einst in umgewidmeten Fabriken, Kasernen und ähnlichem gegründet, sind heute Einrichtungen, die zwar vom allgemeinen ›Off ist in‹ profitieren und dennoch immer wieder um Förderung ringen müssen. Ihr Arbeitsfeld hat sich von den theoretisch motivierten Laborprogrammen des alternativen Theater früherer Jahrzehnte zu einer weiträumigen Produktionslandschaft geöffnet – bei vergleichsweise knappen Budgets und, in den großen Städten, wachsender Konkurrenz.«54

Folgerichtig müssen sich die Aufgaben der Freien Häuser sowie ihre Arbeitsmethoden und -ethiken verschieben und ausdifferenzieren, um noch unterscheidbar zu bleiben. 1996 von der Choreographin Sasha Waltz, dem Kulturunternehmer Jochen Sandig und dem Künstler Jo Fabian und seiner Gruppe LUBRICAT gegründet, werden die Sophiensæle, die zuerst ohne finanzielle Zuschüsse und wiederum in der Rechtsform der GmbH geführt werden, als interdisziplinäres Produktionshaus und Spielstätte konzipiert. Ähnlich wie Kampnagel verfügen die Sophiensæle für lange Zeit über keinen mehrjährigen Mietvertrag, erst 2002 kann ein Vertrag über zwei Jahre (mit zwei Jahren Mietoption) abgeschlossen werden. Im selben Jahr beginnt die Konzeptförderung des Hauses durch die Stadt Berlin, was ihm eine einigermaßen sichere Zukunft garantiert. Seit 2007 verfügen die Sophiensæle außerdem über einen Mietvertrag über zehn Jahre.55 Ihr Hauptgeschäft besteht in der Förderung richtungsweisender Nachwuchskünstler. Auch die Nutzung des Festivalmodells wird im Rahmen des Programms auf dieses Merkmal abgestimmt. Während das TAT Festivals veranstaltete, um europäische Standards durchzusetzen, wird das ›Werkzeug‹ Festival von Theaterhäusern der Gegenwart subtiler und spezifischer eingesetzt, um ein spezielleres und immer differenzierteres Zielpublikum anzusprechen (beispielsweise mit Interesse an einzelnen Ländern und deren Theaterkultur; an Kindertheater; an interdisziplinärer Projektarbeit, am Nachwuchs et cetera). Sie werden hauptsächlich zur Aufmerksamkeitsbündelung eingesetzt. Dies ist vor allem wegen des erhöhten Konkurrenzdrucks in der Freien Szene selbst unabdingbar geworden, der Bedarf der städtischen und staatlichen Theater sowie der internationalen Festivals nach neuen ›unverbrauchten‹ Künstlern hat außerdem zu einer zunehmend schwierigen ›Marktsituation‹ geführt. Zugleich erfährt das Netzwerkmodell im Falle der Sophiensæle insofern eine entscheidende Modifikation, als in diesem Fall die Hauptnetzwerkpartner zugleich Festivalpartner sind. Das Festival Freischwimmer, das den Zusatz Plattform für den Theaternachwuchs trägt, »wurde entwickelt, um ein 54 Frank Schmid: »Erste Adresse zwischen Festivals und Fördernot. Die Berliner Sophiensæle«, in: Theater der Zeit 54 (2000), Heft Dezember, S. 28. 55 Informationen direkt von der Verwaltung der Sophiensæle, Stand April 2007.

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[…] Format mit überregionaler Ausstrahlung auch für junge Theatermacher zu ermöglichen.«56 Die Teilnahme am Festival basiert auf einer offiziellen Bewerbung – ein relativ konventionelles Werkzeug zur Entdeckung interessanter Künstler. Zugleich beinhaltet das Konzept von Freischwimmer, dass die ausgewählten Künstler über einen längeren Zeitraum im ›geschützten Rahmen‹ arbeiten können. Deren Präsentation im Rampenlicht eines Festivals steht so nicht im Widerspruch zum Grundgedanken dauerhafter und nachhaltiger Zusammenarbeit mit ausgewählten Künstlern. Die Sophiensæle versuchen durch derartige Projekte, aber auch durch andere konkrete Fördermaßnahmen57 einer übermäßigen Vermarktung Freier Künstler entgegenzuwirken. »Einige wenige Gruppen binden sich für zwei, drei Jahre ans Haus und bekommen intensivere Unterstützung. Denn immer nur produzieren, produzieren und immer nur weiter, weiter, weiter, so funktioniert ja auch das Hebbel am Ufer (HAU) unter Matthias Lilienthal, das es damals in dieser Form noch nicht gab, und zu dem man sich jetzt verhalten muss.«58

In gewisser Hinsicht findet sich hier also eine bewusste Rückwendung zu den Vorbildern der achtziger Jahre. Im Unterschied zum ebenfalls in Berlin ansässigen Hebbel am Ufer (HAU) sehen die Sophiensæle ihre Aufgabe darin, die Förderung junger Künstler auf lange Sicht zu betreiben und deren Entwicklung als Prozess zu verstehen. Damit grenzen sich die Sophiensæle auch dezidiert vom Festivalbetrieb und seiner Schnelllebigkeit ab. »Die Sophiensæle definieren den Produktionsbegriff so umfassend wie kein anderes freies Theaterhaus in Deutschland. Neue Projekte werden begleitet von der Idee bis zur Realisierung. Wie es sonst eher beim Film üblich ist, kümmert sich das Haus um Finanzierung, Partner, Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, internationale Kontakte für jedes einzelne Projekt.«59 Dieses engere und beständigere Verhältnis zum Nachwuchs sowie zu bereits populäreren Künstlern haben Festivals von Häusern wie den Sophiensælen zunehmend übernommen.60 Denn auch hier wird die Bindung an einige

56 »Profil der Sophiensæle«, vgl. http://www.sophiensaele.com/profil.php vom 05. März 2008. 57 Projekte wie telling time, das sich »in bewusster Abgrenzung zum Festivalbetrieb durch Kontinuität, Ausdauer, Begleitung, Reflexion und Vermittlung« (in: »Profil der Sophiensæle«, vgl. http://www.sophiensaele.com/profil.php vom 05. März 2008) auszeichnet, oder Stückaufträge, die zusammen mit dem Staatstheater Stuttgart an einzelne Künstler vergeben und in den Sophiensælen uraufgeführt werden. 58 Renate Klett: »Eine ganz eigene Energie. Ein Gespräch mit Sasha Waltz und Jochen Sandig über die Gründung der Sophiensæle, die Magie der Räume und die Suche nach neuen Wegen«, in: Amelie Deuflhard (Hg.), Spielräume produzieren. Sophiensæle 1996–2006, Theater der Zeit Recherchen, Berlin 2006, S. 38. 59 »Profil der Sophiensæle«, vgl. http://www.sophiensaele.com/profil.php vom 05. März 2008. 60 »Kein ›Durchlauferhitzer‹ für gerade angesagte oder vom Kultursenat einmalig geförderte Gruppen, sondern eine Zusammenführung von Künstlern verschiedener Genres, die von der festen Basis ihres Hauses aus die Professionalisierung der eigenen

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wenige Künstler immer stärker zur Profilbildung genutzt, die kontinuierliche und nachhaltige Zusammenarbeit als Chance begriffen, ästhetische Konzepte zu entwickeln und damit die Bedeutung eines Festivals für die gesamte Theaterlandschaft zu unterstreichen. Man kann auch in dieser Beziehung von einer gegenseitigen Befruchtung zwischen Freien Produktionshäusern und der Festivalszene sprechen. Das 2003 in Berlin durch die Fusion dreier Theaterhäuser (HebbelTheater, Theater am Halleschen Ufer und dem Theater am Ufer) gegründete Hebbel am Ufer oder kurz und programmatisch HAU, markiert gewissermaßen einen Endpunkt in der Entwicklung von Freien Häusern in Relation zu Festivals als Organisationsmodell, während es sich konzeptionell um eine Rückbesinnung handelt. Dabei bricht es stärker die Grenzen zwischen Stadttheatern, Freien Häusern und Festivals auf, als es die zuvor genannten Häuser taten. Zwar setzt es die bewährte Mischung der Vorgängerhäuser – bestehend aus Eigenproduktionen, renommierten und ästhetisch wegweisenden Gastspielen und internen Festivals – fort (insofern unterscheidet es sich wenig von seinen Vorgängern und ähnelt darin dem in den neunziger Jahren aktiven Hebbel-Theater unter Nele Hertling mit seiner internationalen Ausrichtung). Doch sind es die Beschleunigung, die chaotischen Überschneidungen, die Methoden der Überforderung sowie die Spezialisierung des HAU, die es zu einem Novum machen. Das Arbeitsprinzip des HAU ist das Aufrechthalten eines hohen OutputLevels, die unentwegte Präsentation von neuen Produktionen, neuartigen Formaten und Künstlern. »335 Aufführungen von 120 Produktionen wurden in acht Monaten über drei Bühnen ausgeschüttet«.61 Im deutlichen Kontrast zu anderen Gastspiel- und Netzwerkhäusern der Szene ist die Verweildauer einer Produktion am HAU meist nur sehr kurz, weshalb es sich der Kritik ausgesetzt sieht, für die angemessene Rezeption einer Produktion durch die kritische Öffentlichkeit nicht ausreichend zu sorgen. Diese Position korrespondiert allerdings mit dem Selbstverständnis des Hauses, weniger als Förderer des Nachwuchses, denn als neutrale Plattform aufzutreten. Im Gegensatz zu vielen anderen Freien Häusern bietet es nicht den Luxus des schützenden Rahmens, in dem Nachwuchskünstler halbwegs sicher experimentieren können. Diese Haltung findet sich weder in der gängigen Praxis der Freien Häuser noch der heute aktuellen Theaterfestivals wieder. Während hier die Neigung überwiegt, sich fester an einige Gruppen zu binden und Nachwuchsförderprogramme anzubieten, setzt das HAU auf eine kurze und relativ unverbindliche Zusammenarbeit mit Künstlern. Hierfür bevorzugt es die organisatorische Form des thematischen Festivals, um verschiedene Theaterproduktionen zu kontextualisieren. Kontinuität ist bei diesem Produktivitätsprinzip zweitrangig. Dabei setzt die Leitung im Hauptprogramm auf Bewährtes, Produktionen und Künstler, die schon das ehemalige Hebbel-Theater unter Nele Hertling gezeigt wurden. Zugleich arbeitet das HAU mit verschiedenen Netzwerken unterschiedlichster Art (Repertoirehäuser, Freie Häuser, wissenschaftliche Gruppierungen, Festivals) zusammen und sorgt sich dabei nicht um definitoArbeit verfolgen und Kontakte zu nationalen wie internationalen Veranstaltern pflegen können.« In: F. Schmid, Erste Adresse zwischen Festivals und Fördernot, S. 29. 61 Eva Behrendt: »Prinzip Pferdewette«, in: Theaterheute Jahrbuch, 44. Jg. 2004, S. 78f.

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rische Abgrenzungen zum Stadt- und Staatstheater, wie es noch die Vorläufer der achtziger und neunziger Jahre taten. Die Energie, die bei den ersten Freien Häusern in Deutschland noch in die Abgrenzung gegenüber dem Repertoirebetrieb investiert wurde, wird hier für verschiedenste kleinere Festivals frei. Überforderung, Konzentrierung und Momente der Ausnahme, die Festivals idealiter auszeichnen, können und sollen zwar nicht permanent aufrechterhalten werden, doch setzt die Intendanz sie bewusst sein, um die Vitalität des HAU zu erhalten. Dazu kombiniert es die Arbeitsweisen der Freien Häuser mit den neueren Tendenzen der Festivalarbeit wie verstärkte Interdisziplinarität und die Fusion aus Wissenschaft, soziokulturellen Diskussionen und Bildender Kunst. Für den Einsatz von Festivals gibt es hingegen auch konservativ anmutende Gründe. »Auf Festivals und Themenkongresse ist das HAU schon deshalb angewiesen, weil es in der selbstverzapften Unübersichtlichkeit die Aufmerksamkeit wieder bündeln muss.«62 Wie Festivals benötigen Theaterhäuser im Stil des HAU zentrierende und deutlich fokussierende Programmteile. Seine traditionellen Züge zeigen sich darüber hinaus darin, dass das HAU seit seiner Gründung von der Stadt Berlin zumindest teilweise finanziert und folglich mit einem festgelegten Programmauftrag bedacht wurde, wie schon eines seiner Kombinatsbestandteile, das Theater am Halleschen Ufer, das die zentrale Spielstätte der Freien Szene sein sollte. Auch wenn die Subventionen relativ gering sind (4,3 Millionen Euro 2004), somit die vollständige finanzielle Unabhängigkeit von Sponsoren und Drittmitteln nicht gewährleistet ist und darüber hinaus kein Ensemble oder Repertoire vorhanden sind, ist die Akzeptanz des Modells des Freien Theaterhauses Anfang des 21. Jahrhunderts so weit gesichert, dass das HAU 2004 von der Fachzeitschrift Theaterheute zum ›Theater des Jahres‹ gekürt werden konnte. Die Arbeitsmethoden der Freien Häuser werden damit als zweckmäßige und angemessene Werkzeuge für die heutige Theaterlandschaft anerkannt. Der Fall des Hebbel am Ufer als eine Art vorläufiger Endpunkt der Entwicklungsfähigkeit von Freien Theaterhäusern zeigt, wie diese von Künstlern ursprünglich meist selbst organisierten und widerständigen Strukturen heute selbst zu Institutionen werden. Dies muss ihrer künstlerisch innovativen Kraft nicht abträglich sein, im Gegenteil demonstrieren das HAU wie auch die Sophiensæle ihre ästhetische Relevanz und Breitenwirkung immer noch und gerade durch ihre selbstinitiierten Festivals wie Freischwimmer oder 100°. Ihre Entwicklung liefert damit Anhaltspunkte für das zukünftige Wirken von Theaterfestivals in Deutschland. Die Organisationsform der Festspiele zeigt hingegen die Tradition auf, in der Theaterfestivals stehen. Sie werden im folgenden Kapitel vorgestellt.

62 Ebd., S. 80.

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Festspiele Obwohl in Europa der Terminus (Kultur-)Festival geläufig ist, um Ereignisse zu bezeichnen, die sich in einem verdichteten Zeitraum und meist mit einer gewissen Regelmäßigkeit der Präsentation (und der Generierung) von Kunst und kulturellen Äußerungen im weiteren Sinn widmen, wird im Deutschen nach wie vor eine – problematische – sprachliche Unterscheidung zwischen ›Festspielen‹ und ›Festivals‹ vorgenommen. Diese Differenzierung unterstellt zunächst, dass Festspiele wie Festivals je spezifische Funktionen erfüllen und keine identische Situation darstellen. Welche Funktionen es sind, die Festspiele erfüllen und mit welchen Konnotationen sie belegt sind, soll zunächst dargestellt werden. 1978 erscheint ein Erster Europäischer Festspielführer im Goldmann Verlag. Sein Klappentext verspricht: »Sie wissen, daß es viele Festivals gibt, von denen – besonders in den Sommermonaten – die europäische Fremdenverkehrswirtschaft lebt, aber Sie ahnen sicher nicht die Vielfalt und die Bedeutung der Festspiele, die einer Erwähnung wert sind; ihre Zahl liegt weit über 1000. Zum ersten Mal bringt der bekannte Musikwissenschaftler und Autor, Prof. Dr. Kurt Pahlen, hier aus der Fülle aller europäischen Festivals, von Lappland bis Sizilien, eine Zusammenstellung mit einem Überblick über die Geschichte und die Entwicklung sowie der Analyse über Sinn und Ziel eines Festivals. Nicht nur die bekannten Opernfestspiele, die in Salzburg, Bayreuth, München usw. stattfinden, sind erfaßt, sondern alles, was irgendwie als geistige Leistung auf der gesamten künstlerischen Szene, also auch Theater, Ballett, Konzert, Volksschauspiel, Folklore usw., zu sehen ist. Nicht nur eine Aufzählung, sondern weit mehr: Ein Stück europäischer Kulturgeschichte.«1

Hieran lassen sich einige zentrale Punkte verdeutlichen: Der Text nennt eine konkrete Zahl (über 1.000); er setzt Festspiel und ›Festival‹ in eins; er betont, dass nicht nur Opernfestspiele zu würdigen sind und erweitert damit explizit sein Blickfeld auf Festspiele der übrigen Künste (nicht behandelt werden also – wie auch in der vorliegenden Studie – Festivals der ›Zivilisation‹ wie das Festival der schön gedeckten Tische,2 das Schleswig-Holstein Gourmet Festival,3 Biker-Festivals, Bier-Festivals oder auch Popmusik-Festivals); er posi-

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Kurt Pahlen (Hg.): Erster Europäischer Festspielführer, München: Goldmann 1978, Klappentext (Herv. J.E.). Angela Francisca Endress: Festival der schön gedeckten Tische, Niedernhausen: Falken-Verlag 1993. Sabine Lietz/Susanne Plaß: Schleswig-Holstein isst lecker: 20 Jahre Schleswig-Holstein Gourmet Festival, Neumünster: Wachholtz 2006.

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tioniert diese ›Ereignisse‹4 in den Kontext einer gesamteuropäischen Kulturgeschichte. Außerdem benennt er Punkte wie die Zeitlichkeit von Festivals, den Konnex zwischen Tourismus und Festivals sowie ihre unterschiedlichen Konzeptionen und Ambitionen. All diese Aspekte gilt es dreißig Jahre später auf den Prüfstand zu stellen.5 Festivals und Festspiele werden bereits in früheren Publikationen synonym verwendet, der Terminus Festival ersetzt aber keinesfalls restlos den des Festspiels. Das Nebeneinander der Termini lässt sich jedoch nicht als eine rein sprachliche Angleichung an die Traditionen der Nachbarländer verstehen (wo es nur Festival als Bezeichnung für das Phänomen gibt). Es ist schon gar nicht allein auf die allgemeine Anglikanisierung des Sprachgebrauchs des besetzten Deutschlands in den fünfziger Jahren zurückzuführen. Vielmehr markiert es die Herausbildung zweier Schwerpunkte. Heute, dreißig Jahre später, bedeutet der Terminus ›Festspiel‹ zweierlei: einerseits die dramatische Form, beziehungsweise eine Gattung historischer Theatertexte, die heute nahezu in Vergessenheit geraten ist (vgl. das folgende Kapitel). Andererseits das Phänomen der populären Musikfestspiele, beispielsweise die Bayreuther Festspiele, die im Sinne von Festivals als Organisationsmodell rezipiert werden. Der Begriff ›Festival‹ hingegen denotiert ein weit gefasstes, offenes, postmodernes Konzept der Präsentation und Erzeugung von Kunst im Zeichen der Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Da die Basis für deren Entwicklung Festspiele sind, werden diese im Folgenden analysiert.

Festspiel als literarisches Genre und Aufführungspraxis 1987 veranstaltete die Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur eine Tagung mit dem Ziel, den Terminus Festspiel genau zu definieren. Mit zweifelhaftem Erfolg, denn »einig war man sich wohl nur in einem Negativum: dass damit nicht musikalische Festivals, nicht ›Festwochen‹ gemeint sein könnten.«6 Methodisch versuchte man somit zunächst die dialektische Annäherung an den Begriff über seinen vermeintlichen Gegensatz, die Organisationsform der Festspiele. Das Dilemma wurde 1987 dadurch gelöst, dass die Ursprünge des Begriffs in seiner literarischen und somit seiner künstlerischen Tradition als Fixpunkt herangezogen wurden: »Doch was heißt überhaupt ›Festspiel‹? In einer Zeit, in der das Wort als aktuelles Kulturereignis fast nur noch im Plural vorkommt und kaum eine Mittelstadt mit Ambitionen oder ein Kurort von Format ohne eigene Theatertage, Musikwochen oder eben ›Festspiele‹ bestehen kann, bedarf es einer historischen Erinnerung an die breite internationale Tradition der Gattung seit dem 16. Jahrhundert, um die Eigenart des Festspiels als dramatisch-theatralischer Mischform im Gegensatz zum bloßen Festival 4 5

6

Zum Begriff des Ereignisses vgl. Kapitel »Ereignis und Event«. Tatsächlich, so viel sei bereits angedeutet, hat sich beispielsweise die Involvierung von Theaterfestivals in internationale Argumentationen nur verstärkt, während die Instrumentalisierung von Festivals als Touristenattraktion selbstverständlich geworden ist. Balz Engler: »Das Festspiel: Perspektiven«, in: Engler/Kreis (Hg.), Das Festspiel (1988), S. 272.

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Festspiele und zugleich seine konstitutive Differenz gegenüber dem regulären Drama angemessen wahrzunehmen.«7

Das Festspiel als literarische, dramatische Gattung entsteht im Übergang zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert und erlebt seine Blütezeit im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.8 Es steht im engen Bezug und im Kurzschluss mit den sozialen, politischen und ökonomischen Veränderungen, präziser: Sein Hauptzweck besteht in der Rückbindung an die soziale Realität seiner Epoche. Tief verankert im Gefüge des deutschsprachigen (aber auch internationalen) Raums und dessen Erschütterungen (Staatenum- und -neubildungen, Ausdifferenzierung der Klassen insbesondere des Bürgertums, fortschreitende Säkularisierung) dient es im 16. Jahrhundert der Verherrlichung des Adels. Peter Sprengel legt in seiner Studie zur Inszenierten Nation9 den Schwerpunkt auf die festlichen, bereits eventartigen Rahmenbedingungen und die Situierung des Festspiels im soziopolitischen Umfeld und findet dessen Vorläufer in der Apotheose von Fürstenhäusern sowie im katholischen Mysterienspiel. Seit dem Spätbarock wird es zusehends stärker zum Agenten außerästhetischer Ideale umfunktioniert und hauptsächlich in den Dienst der Rekonstruktion und Darstellung historischer Begebenheiten gestellt. Dementsprechend standardisiert sind die ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten von Festspielen, die nicht darauf ausgerichtet sind, Individualschicksale und vielschichtige Persönlichkeiten zu zeichnen, sondern Typen und Situationen. Die Festspiele des 18. Jahrhunderts verstärken diese Merkmale und versuchen durch ästhetische Überhöhung und panoramaartige Breite die Sinnhaftigkeit historischer Begebenheiten zu illustrieren. Festspiele tragen hierbei allerdings nicht nur zur Glorifizierung belegter historischer Begebenheiten bei, sondern entwerfen auch Zukunftsmodelle und nationale Utopien. Eine monumentale Präsentation dieser Ideale ist ihr ästhetisches Merkmal. Hierfür wird eine in hohem Maße schematische, anschauliche Form der Präsentation gewählt, um dem Bedürfnis der Zuschauer nach Übersichtlichkeit, Zusammenschau und Kohärenz gerecht zu werden. Denn das Festspiel orientiert sich vor allem an der Disposition seiner Rezipienten, die am Festspiel als Historienspiel ein universelles Erinnerungsbedürfnis stillen wollen.10 Indem Vergangenheit und Gegenwart allegorisch verschränkt werden, ergibt sich eine (scheinbar) logische Ab- und Aufeinanderfolge von historischen Ereignissen innerhalb einer Gemeinschaft. Literarische Festspiele können damit als Inbegriff und Kristallisationspunkt von Sinnhaftigkeit gelten,11 weshalb sie typischerweise dann besonders relevant werden, wenn das Selbstverständnis einer Gemeinschaft, einer Nation oder Region in eine Krise gerät. Das Be7

Peter Sprengel: Die inszenierte Nation. Deutsche Festspiele 1813–1913, Tübingen: Francke 1991, S. 16. 8 Vgl. D.-R. Moser: Patriotische und historische Festspiele, S. 56–67. 9 P. Sprengel: Die inszenierte Nation, S. 16f. 10 Vgl. hierzu Jan und Aleida Assmanns Forschungen zur Erinnerungskultur und zum kulturellen Gedächtnis, beispielsweise: Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: Beck 1999. 11 Vgl. D.-R. Moser: Patriotische und historische Festspiele, S. 51.

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dürfnis nach Sinnstiftung ist nicht zu jeder Zeit gleich stark. Es ist bezeichnend, dass Festspiele zu Anfang desjenigen Jahrhunderts – nämlich des 19. – erneut an Relevanz gewinnen, indem die Industrialisierung das gesellschaftliche System umwälzt. Das Festspiel der Moderne – wie Am Rhein, Am Rhein! von Clemens Brentano (1813) oder Drei Kämpfer von Friedrich Hofmann (1872) – ist ein Krisenphänomen. Wie beim Kaiserpanorama, das sich im 19. Jahrhundert ebenfalls großer Beliebtheit erfreut, geht es beim literarischen Festspiel weniger um eine faktisch richtige Präsentation als um die Darstellung einer Utopie. Darstellung ist hier die korrekte Bezeichnung, weil das Festspiel viel eher eine Inszenierung aufstellt, als diese zu entwickeln und aus einer inneren Logik her abzuleiten. Die Handlung des klassischen Dramas wird ersetzt durch allegorische Bilderbogen, durch Tableaus, die sowohl erhaben als auch lehrreich wirken sollen. »Typisierung, Formalisierung, Symbolisierung sind [die] wichtigsten dramaturgischen Merkmale«12 von Festspielen wie etwa Franz Büttner-Pfänner zu Thals Der deutsche St. Michael (1897), das nur aus Szenenbeschreibungen ohne Dialoge besteht und als Personae des Festspiels unter anderem Germania, St. Michael sowie Europa, Austria, Britannia und weitere allegorische Staatenfiguren vorsieht.13 Ähnlich, jedoch dialogreicher, verfährt Julius Rodenbergs Die Heimkehr. Ein Festspiel zum feierlichen Einzug der Truppen in Berlin (1871), in dem die Gerechtigkeit, der Frieden und sogar Tages- und Jahreszeiten agieren. Wesentlich ist zudem, dass Festspiele Gelegenheitsdichtung sind, also zumeist zu einem speziellen Anlass bei einem Dichter in Auftrag gegeben werden und ein konkretes historisches Ereignis oder eine Identifikationsfigur zum Zentrum haben. Meist bieten nationale Feiertage und Siegesfeiern den Anlass für Festspieltexte, wie Goethes Des Epimendines Erwachen, das 1814 für die Berliner Siegesfeier der Allianz Preußens, Österreichs und Russlands gegen Napoleon verfasst wurde, oder Paul Heyses Festspiel Willehalm. Dramatische Legende in vier Bildern, das er 1897 zum Anlass der Centenarfeier Kaiser Wilhelms I. schrieb. Die Okkasionalität setzt sich fort in der Realisierung des Festspiels als einmalige Aufführung vor einem konkreten und speziellen Publikum. Denn Festspiele sind in der Regel für einen bestimmten Aufführungsort konzipiert – die demographischen, historischen, religiösen Hintergründe des Orts, an dem Festspiele veranstaltet werden, werden in überhöhter Form in das Spiel integriert und dort verhandelt. Außerdem thematisiert ein Festspiel in der Regel einen Wendepunkt in der Entwicklung und Historie seiner jeweiligen Publikumsgemeinschaft. Schließlich werden Festspiele nicht nur für einen Ort, sondern auf ein Publikum hin (und gleichsam aus ihm heraus) geschrieben. Dieses Zielpublikum wohnt der Aufführung in freier Natur bei, soll aber nicht in einer rein betrachtenden Rolle verharren, sondern zugleich aktiviert werden. Das spielerische Element des Festspiels ist somit zweifacher Natur. Einerseits werden Festspiele der kognitiven Kontemplation angeboten und wird damit dem Zuschauer der Inhalt ›vorgespielt‹. Andererseits benötigen die personalaufwendigen Veranstaltungen in der Regel eine große Menge an Statisten, die aus dem Publikum rekrutiert werden, es handelt sich 12 Louis Naef: »Festspiel als Theater der Laien. Dramaturgische Anmerkungen zu einer möglichen Praxis«, in: Balz Engler/Georg Kreis (Hg.), Das Festspiel (1988), S. 43. 13 Vgl. P. Sprengel: Die inszenierte Nation, S. 145–158.

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also in der Regel um Aufführungen von Laien.14 »Oft wird mit einer sehr grossen Zahl von Spielern gearbeitet (die über weite Strecken der Handlung beiwohnen); Laien werden beigezogen – aus der Gemeinschaft derer, welchen das Festspiel dienen soll. Die Spieler werden dabei nach Möglichkeit aus allen sozialen Bereichen und Schichten rekrutiert.«15 Durch das Einbeziehen des Publikums in das Handlungsgeschehen entsteht eine planvoll paradoxe Situation, in der der Zuschauer sich zugleich als Außenstehender und direkt Betroffener erfährt. Diese Involvierung soll sich auch außerhalb des eigentlichen Festspiels auf sein Handeln übertragen, das Handeln im Spiel implizit seine Fähigkeit zum politisch-sozialen Leben aktivieren. Die Statik der Tableaus, die das literarische Festspiel textimmanent vorgibt, wird durch die äußere und innere Bewegtheit des Publikums konterkariert. So gehen Festspielen einerseits in der Regel weitere Zeremonien voraus wie Festumzüge und Gottesdienste, die eine realphysische Mobilisierung bedeuten, andererseits sehen Festspiele auch die Möglichkeit zur spontanen Handlung der Zuschauer vor, wenn beispielsweise während der Vorstellung eines Bundesfeierspiels in der Schweiz die Erneuerung des Rütlischwurs durch alle Anwesenden vollzogen wird.16 Trotzdem handelt es sich (obwohl das Festspiel durch das Involvieren aller Anwesenden Züge des Rituals trägt17) um Theater, um die Kunst des Schauens also, und zwar auch im Sinne des antiken Vorbilds, in dem man im ausgehenden 19. Jahrhundert die Aktivierung des Bürgers in das theatrale Geschehen ideal realisiert sieht.18 Daraus ergibt sich ein konzeptioneller Bruch im Sujet dramatischer Festspiele. Thematisieren sie Tradition und das Bekannte in Tableaus, provozieren sie zugleich den Umbruch und das Neue in der Aktivierung der Anwesenden als handelnde Subjekte. Sie meinen die Wende. Engler konstatiert in Bezug auf das Publikum konsequenterweise zwei komplementäre Funktionen von Festspielen. Wird das griechische Theater in seiner Vorbildfunktion als Theater begriffen, »in dem das Volk sich selbst erlebt«,19 so stellt das Festspiel ein »Rollenspiel zur Einübung sozialen Verhaltens und zur Schaffung von Gemeinschaft«20 dar, eine »szenisch arrangierte Selbstreflexion«.21 Mit Bezug auf den Regisseur Richard Schechner und den Anthropologen Victor Turner findet Engler im Festspiel sowohl rites de passage als auch das ihnen eigentlich entgegengesetzte, konservative Zeremoniell (vgl. Kapitel »Ausdifferenzierung des Fests«). Damit bewegt sich das Festspiel zwischen den Polen von genormter Struktur und Umbruchsituation, die allerdings nur antizi14 Als religiöse Variante sind die Passionsspiele in Oberammergau noch immer populär, die bereits in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges entstehen, vgl. Lore Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, Regensburg: Bosse 1973, S. 24. 15 Balz Engler: »Text, Theater, Spiel, Fest: Was ist ein Festspiel?«, in: Engler/Kreis (Hg.), Das Festspiel (1988), S. 34. 16 Vgl. ebd. 17 Vgl. Victor Turner: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels, Frankfurt am Main: Fischer 1995, S. 178. 18 P. Sprengel: Die inszenierte Nation, S. 32. 19 Ebd., S. 34. 20 B. Engler: Text, Theater, Spiel, Fest, S. 33. 21 Balz Engler/Georg Kreis (Hg.): Das Festspiel: Formen, Funktionen, Perspektiven, Willisau: Theaterkultur-Verlag 1988, S. 14f.

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piert wird. Vor dem Neuen wird stets die Macht des normativen Regulativs zelebriert. Das Festspiel »verwandelt die Teilnehmer nicht, es verfrachtet sie aber auch nicht in eine andere Welt; sondern es bestärkt sie in bestimmten Vorstellungen und in der Betrachtung gewisser, in ihrer Gemeinschaft allgemeingültiger Regeln.«22 Das diffuse Wir-Gefühl der Gemeinschaften, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in einer Krise befinden, bezieht seine Stärke vor allem aus der Abgrenzung. Und das Festspiel als literarischer und inszenatorischer Ausdruck dieser Gemeinschaft spiegelt dieses Abgrenzungsbedürfnis wider, indem es die kollektive Willensbildung ausstellt. Am Festspiel zeigt sich im Angesicht der Krise des 19. Jahrhunderts somit ein hohes Maß an Ambivalenz und zugleich eine aggressive Absonderungstendenz. Diese gegenläufigen Tendenzen machen die Spannungen aus, unter denen das dramatische Festspiel steht und die es für propagandistische Funktionalisierungen anfällig machen. T OTALITÄT

UND

N ATION

Der ästhetische Eigenwert des literarischen Textes selbst ist beim Festspiel von untergeordnetem Interesse. Seine Ästhetik zielt allein auf die Erfahrung und das Erfahrbarmachen von Totalität ab. Hierbei geht das Konzept von Totalität über die Erfahrung von Gemeinschaft hinaus und betrifft sowohl Inhalt als auch Form des Festspiels sowie dessen Aufführung. Zusammenschau und Übersicht sind seine Hauptakzente, die maßgeblich auf die Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zielen und zumeist allegorisch kurzgeschlossen werden. Versinnbildlicht wird dies am augenfälligsten in Schillers Beitrag zur Festspieltradition, seinem Wilhelm Tell und dem darin enthaltenen Rütlischwur. In einem abgeschlossenen Zeit- und Erinnerungsraum soll sich das Individuum als historisches Subjekt erfahren und sein Handeln als traditionsgebunden verstehen. Es findet sich aufgehoben im kulturellen Gedächtnis, das seinerseits zumeist als total im spezifischen Sinn der Ganzheit einer Nation – das heißt national – verstanden wird. Die Veränderungen, die sich durch die Urbanisierung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert ergeben, werden in nahezu allen europäischen Staaten mit Festspielen beantwortet. Die Belebung und Instrumentalisierung der Festkultur ist somit ein gesamteuropäisches Phänomen der Jahrhundertwende. Es zeigt sich jedoch eine auffällige Diskrepanz zwischen Nationalgedanke/Nationalstolz und dem Postulat der Internationalität des Festspiels, das bemerkenswerterweise eine Konstante über die Jahrzehnte hinweg bleibt.23 Im deutschsprachigen Raum wird kulturelles Gedächtnis jedoch vorzugsweise mit der Idee des Erhalts von ›Nation‹ und ›Volk‹ verbunden. »Die Ausbildung der Festspielbewegung des 19. Jahrhunderts erscheint nicht denkbar ohne die Entdeckung des ›Volkes‹ als schöpferischer Quelle aller dichterischen Offenbarung«.24 In einer Zeit, in der nationale Einheit in den deutschsprachigen Staaten Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr ein Postu22 B. Engler: Text, Theater, Spiel, Fest, S. 32. 23 Das Paradoxon zwischen nationalem Selbstverständnis und internationaler Orientierung – nicht nur im Sinne des Werbens um zahlende Besucher aus dem Ausland – findet sich auch bei heutigen Festivals. 24 D.-R. Moser: Patriotische und historische Festspiele, S. 60.

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lat denn Realität ist, erscheint es nötig, diese Einheit zu beschwören, um die »fundamentale Differenz von Anspruch und Wirklichkeit« zu kaschieren: »In dieser Situation Einheit zu statuieren, hieß sie inszenieren.«25 Im Anspruch der Totalität lässt sich die Gattung Festspiel als eine sinnoder bedeutungshaltige Äußerung einer Gemeinschaft verstehen, »ohne dass damit eine bestimmte Darbietungs- oder Aufführungsform verbunden sein müsste. Sein Zweck bestünde dann gerade in dem Ziel, aus der Menge der Vielen, die zu seiner Verwirklichung zusammenkommen, eine Gemeinschaft, d.h. eine durch gleichgerichtete Erwartungen, Meinungen und Verhaltensweisen bestimmte Summe von Menschen, mithin eine substantielle Einheit, zu formen.«26

Bei Festspielen handelt es sich demnach um »Werte-Normen-Symbole«, die zu einem gemeinsamen und gesellschaftlich abgestimmten Verhalten verpflichten27 und die demgemäß kein differenzierendes Denken oder die Fähigkeit zur selbständigen Urteilsbildung vermitteln sollen. Dadurch erscheint es als »prinzipiell affirmative und zugleich konservative Gattung […], der es eher auf Einübung ein [sic!] bestehende Verhältnisse als auf eine Veränderung unbefriedigender Lebensbedingungen ankommt.«28 V OM F ESTSPIEL

ZU

F ESTSPIELEN

ALS

O RGANISATIONSMODELL

Einige Merkmale des literarischen Festspiels, seine Neigung zur Exklusion, zur ästhetischen Überhöhung und zur Aktivierung und Belehrung des Publikums, haben Eingang in das Organisationsmodell Festspiele gefunden. Es reicht also entgegen der These der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur nicht aus, sich darauf zu einigen, dass mit dem Begriff Festspiel »nicht musikalische Festivals, nicht ›Festwochen‹ gemeint sein könnten«.29 Es ist gerade der Umstand, dass sich das Organisationsmodell aus der literarischen Gattung ableitet, der deren Differenzen sichtbar macht. So wird das Ziel, beim Publikum ein erwünschtes Verhalten durch das Beiwohnen eines dramatischen Festspiels einzuüben, das mit den literarischen Werken verfolgt wurde, im ersten modernen Konzept von Festspielen als Organisationsmodell übernommen. Es wird jedoch in das Konzept der Schulung der ästhetischen Urteilskraft des Zuschauers transformiert. Für Festspiele als Organisationsmodell ist seit Richard Wagner, der ein erstes Festspielmodell als Organisationsmodell entwarf, das kommerzielle »Alltagstheater« Feindbild Nummer eins. Wagner ist es, der seinen persönlichen Überdruss an und seine Frustration über die Verflachung der Kulturlandschaft im Buhlen um die Gunst des Publikums in sein Gegenideal des ›weihevollen‹ Spieles transformiert. Die Abgrenzung gegen das Andere, die die 25 P. Sprengel: Die inszenierte Nation, S. 11. Dabei schränkt Sprengel für die Situation nach 1989 ein: »Weniger denn je stellt sich durch gemeinsames Feiern heute ein genuines Kollektiv her: Das nationale Fest ist heute primär ein Medienereignis, das dem isolierten Fernsehzuschauer eine imaginäre Teilhabe ermöglicht.« Ebd., S. 14. 26 B. Engler/G. Kreis: Das Festspiel: Formen, Funktionen, Perspektiven, S. 52. 27 Ebd., S. 70. 28 Ebd., S. 52. 29 B. Engler: Das Festspiel: Perspektiven, S. 272.

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literarische Gattung Festspiel prägt, wird in den ersten Festspielen umgemünzt in Institutionskritik. Während das literarische Festspiel zuerst rein affirmativ die Überbrückung gesellschaftlicher Klüfte durch die Beschwörung von gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft zu bewerkstelligen sucht, wendet sich das Organisationsmodell der Festspiele gegen das kulturell Gefällige, Pompöse und Schmeichlerische – kurz gegen das Theater als Betrieb und seine Betriebsamkeit. Dass in einer dialektischen Bewegung auch Wagners ›Gegen-Konzept‹, das er im Festspielprojekt verfolgt (vgl. Kapitel »Bayreuther Festspiele«), nicht gegen Inflationierung und Verflachung gefeit war, ist sein ironischer Kommentar. Kennzeichnet doch die gesamte Entwicklung von Festspielen als Organisationsmodell in der Nachfolge der literarischen Gattung die zentrale Sorge um ein Überangebot an Festspielen, das im 20. Jahrhundert pathologisierend als ›Festivalitis‹ bezeichnet wird. Die Klage über die Inflation von Festspielen, das Sprengler noch mit Blick auf den Unterschied zwischen Organisationsform und literarischer Form formuliert, schreibt diejenige Hermann Bahrs aus dem Jahr 1914 fort, der maßgeblich an der Einrichtung der Salzburger Festspiele beteiligt war: »das Ereignis soll jetzt in den ›Betrieb‹ eingestellt, die erhabene Stunde ins Haus geliefert, das Fest ins Repertoire gefügt, das Wunder alltäglich werden […] So besteht Wagners Erfüllung darin, daß auf einmal alles Festspiel heißt, […] und es nächstens Mode sein wird, auf dem Zettel für Sonntag ein Nachmittags- und ein Abendfestspiel der neuesten Operette zu finden.«30 Um dieser als bedrohlich empfundenen Tendenz Einhalt zu gebieten, schließen sich Mitte des 20. Jahrhunderts diverse Festival- und Festspielproduzenten zur Vereinigung der Europäischen Festspiele31 zusammen. Diese stellt 1957 in einer Umfrage zur Rolle von Festspielen im kulturellen Leben Europas eine absichtlich normativ formulierte Definition zur Diskussion – mit der Absicht, die Elite, die nun vom Feind- zum Freundesbild mutierten »Snobs« (eine Bezeichnung, die die Autoren selbst wählen), vor der zunehmenden Ausweitung der Zuhörerschaft (die in »einer fast beängstigenden Weise zugenommen«32 habe) zu schützen: »Ein Festspiel ist zunächst eine festliche Begebenheit, eine Gesamtheit künstlerischer Darbietungen, die sich über das Niveau der täglichen Programme erhebt, um das Niveau der ausserordentlichen [sic!] Feierlichkeit, in einem dazu auserwählten Ort zu erreichen. Daher stellt es sich in einem intensiven Glanz dar, der sich nur während einer begrenzten Dauer durchhalten lässt. Diese Besonderheit muss ihm nicht nur durch die hohe Qualität der dargebotenen Werke (seien sie klassisch oder von experimentellem Charakter) und das Streben nach Vollkommenheit in ihrer Ausführung verliehen werden, sondern auch durch den Ein30 L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 106. Man kann Ende des 20. Jahrhunderts von einer Anzahl von 300 bis 400 Festspielen im Musikbereich ausgehen. 31 Die Vereinigung der Europäischen Festspiele bezeichnet sich selbst als »freundschaftliche Gruppe, die sich spontan in einem Geiste europäischer Zusammenarbeit gebildet hat«. Gegründet wurde sie am 4. Dezember 1951 in Genf. Vgl. Europäisches Kulturzentrum (Hg.): Die Rolle der Festspiele im kulturellen Leben Europas. Umfrage, Genf: Europäisches Kulturzentrum 1957, S. 54. 32 Europäisches Kulturzentrum (Hg.): Die Rolle der Festspiele, S. 5.

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Festspiele klang dieser Werke mit der Umgebung wo sie gespielt werden, wobei auf dieser [sic!] Art eine besondere Atmosphäre geschaffen wird, zu welcher die Landschaft, der Geist einer Stadt, das Gesamtinteresse ihrer Einwohner und die kulturelle Tradition eines ganzen Gebietes beitragen.«33

Das Gütesiegel ›Europäisches Festspiel‹, verliehen von der Vereinigung der Europäischen Festspiele, soll die Spreu vom Weizen trennen. Friedrich Schramm bemerkt: »Nichts aber erhellt die Verwirrung, in der wir heute allerorts leben, mehr, als die Anpreisung so genannter ›Festspiele‹, denn den betreffenden Organisatoren kommt es meist gar nicht mehr auf die Festspiele als solche, sondern in erster Linie darauf an, mittels einer künstlerischen Veranstaltung möglichst viele Menschen an einen Ort zu ziehen. Die Sucht nach Festspielen um jeden Preis ist nicht mehr aufzuhalten. Sie wird und muss sich aber auch tot laufen.«34

Diese Meinung, die wohl der der Initiatoren der Umfrage entspricht, blieb aus den Reihen der Künstler und Festspielleiter nicht ohne Widerspruch. Claude Rostand, französischer Kunstkritiker und Autor, antwortet: »Es erscheint mir etwas trügerisch, den Titel ›Festspiele‹ durch die Kontrolle von einer Art internationaler Polizei untersagen zu wollen. Dies wäre ein zu totalitäres Vorgehen. Und was wäre das Kriterium, selbst wenn man als Grundlage die oben vorgeschlagene Definition benutzt? Denn ausser [sic!] dem grundlegenden Kriterium gibt es noch den Prüfstein der Anerkennung.«35

Er freue sich lieber an den »unbestreitbaren kulturellen und humanistischen Vorteilen« der Ausbreitung von Festspielen. Lakonisch äußert sich Benjamin Britten: »Interessiere mich nur für kleine lokale Festspiele aber natürlich alle Festspiele haben Existenzberechtigung stop Betrachte Jurisdiktion über Titel als lächerlich stop«.36 Auch was »europäisch« in diesem Kontext bedeutet, bleibt unklar, etwa wie viel ausländische Stücke beziehungsweise Inszenierungen ein Festspiel zeigen sollte, um als »europäisch« zu gelten.37 So haben der ästhetische Konservatismus und die Sehnsucht nach Ordnung und Orientierung, die die literarische Gattung prägten, durch die Hintertür doch wieder Eingang in das Konzept der Festspiele als Organisationsmodell gefunden. Aus all dem bisher Gesagten lässt sich für diese folgende Definition ableiten: »Festspiele […] sollen hier definiert werden als für eine Zeitspanne regelmäßig wiederkehrende Kulturveranstaltungen mit programmatischer Ausrichtung, die verschiedene Künste in einem anspruchsvollen Rahmen präsentieren, um sich Traditionen zu 33 34 35 36 37

Ebd., S. 10. Ebd., S. 22. Ebd., S. 24. Ebd., S. 27. Trotz dieser Ungereimtheiten führt die European Festival Association (EFA) mit Sitz in Brüssel diese Tradition fort, indem sie ein Netzwerk von ›anerkannten‹ Festspielen versammelt und durch implizites Ausschlussverfahren ebenfalls die Spreu vom Weizen zu trennen trachtet.

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Theaterfestivals versichern und sie als konsensuales Identitätsangebot lebendig zu machen; sie sind Institutionen mit Anspruch auf Exklusivität und Klassizität, haben nicht nur unterhaltende und ästhetische Funktionen, sondern sind Projektionsflächen für die Ideen der Zeit und sozialer Inszenations- und Distinktionsort.«38

Die Funktion von Festspielen als »Inszenations- und Distinktionsort« ist auch heute noch ihr prominentestes Argument, setzt man sie ins Verhältnis zu Festivals als Organisationsmodell. Die traditionellen inhaltlichen Schwerpunkte des Festspiels auf Nation, Erinnerungskonstitution und ästhetische Höchstleistungen haben trotz aller Flexibilisierungen und Anpassungen an die Anforderungen einer diversifizierten Kulturlandschaft kaum an Einfluss auf musikalische Festspiele verloren. Hierfür sind zwei Gründe zu nennen: erstens das anhaltende Bedürfnis von Festspielen als Musikgroßereignissen, sich durch ein ›Label‹ von ähnlichen Veranstaltungsarten im Kulturbetrieb abzuheben. Zweitens ist noch immer die vorherrschende Meinung, dass die Oper als höchste Form der Musik primärer Träger von Hochkultur ist. Es wird von Festspielen also auch erwartet, dass sie sich als Repräsentanten der ›höchsten Kultur‹ entsprechend gebärden und sich für die ›höchsten Werte‹ engagieren – und die meisten Festspiele entsprechen diesem Anspruch auch heute noch gerne.

Festspiele als Festrekonstruktion Die Bayreuther Festspiele und die Salzburger Festspiele als älteste deutschsprachige Musiktheaterfestspiele im engeren Sinne müssen als Zwischenstufen zwischen Fest und Festival verstanden werden. Obwohl es sich hierbei zunächst um eine Setzung handelt und keine strikt genetische Verbindung behauptet werden kann, so lassen sich doch an der Trias Fest – Festspiel – Festival entscheidende Kontinuitäten und Brüche aufzeigen. Festspiele als Organisationsmodell unternehmen den Versuch, die Brücke zwischen Fest und Theater zu erneuern. »Faßt man […] die prototypischen Festspiele des 19. und 20. Jahrhunderts, Bayreuth und Salzburg, genauer ins Auge, so wird darüber hinaus doch etwas anderes sichtbar: zumindest in der Absicht ihrer Gründer eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zusammenhangs von Theater und Fest mit allen dazugehörigen Phänomenen.«39 Die Bayreuther Festspiele (gegründet 1876) und die Salzburger Festspiele (gegründet 1920) bieten beide – trotz ihres Abstands von fast fünfzig Jahren – ideale Matrizen für die Darstellung der Entwicklungen, die Festspiele als Organisationsmodell hin zum Festival vor dem Hintergrund von Fest- und Theatertradition vollziehen.

38 Holger R. Stunz: Was sind Festspiele: Definitionen, Formen und Fragen, vgl. http:// www.festspiel-forschung.de unter der Rubrik »Festspiele und Geschichte« vom 29. Juni 2007. 39 Jürgen Kühnel: »Der Tod, das Fest und das Theater. Kultur- und theateranthropologische Überlegungen: Zum Thema ›Theater und Fest‹, ausgehend von den Totenfeiern der Dogon«, in: Csobádi u.a. (Hg.), ›Und jedermann erwartet sich ein Fest‹ (1996), S. 176.

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B AYREUTHER F ESTSPIELE 40 Richard Wagner verfolgte bei der Gründung der Bayreuther Festspiele 1876 zu keinem Zeitpunkt ein stringentes, konstantes Konzept. Die Bayreuther Festspiele sind vielmehr gezeichnet vom Lavieren zwischen künstlerischen Ambitionen und politischen Notwendigkeiten. Carl Dahlhaus argumentiert, dass ob der Wechselhaftigkeit und Inkohärenz der Festspielüberlegungen Richard Wagners über die Jahrzehnte hinweg gar nicht von einer einzigen Festspielidee auszugehen ist.41 Tatsächlich widerspricht Wagners bemüht diplomatisches Verhalten in der Umsetzung seiner Ziele einem unkomprimittierbaren ästhetischen Konzept. Wollte man dennoch das Wirken Richard Wagners als Theatertheoretiker und seine Motive für die Gründung der Bayreuther Festspiele auf einen Nenner bringen, so stünde die Restituierung des Fests im Theater an erster Stelle. Wagner thematisiert das Festspiel selbst in seinen Meistersingern von Nürnberg. In der Darstellung des Sängerwettkampfes (der ja auch immer mit einem Fest in Verbindung steht) ästhetisiert er das Organisationsmodell des Festspiels und visualisiert und vertont zugleich seine Vision von Theater. Das Vorbild für die Einheit von Theater und Fest liefert ihm die Antike. Die Idee eines »Bühnenweihfestspiels« ist für Wagner der zentrale Kulturgedanke, in ihr nahm er sowohl die Moderne vorweg als auch den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts.42 Wir konzentrieren uns auf drei Aspekte: die ästhetische Komponente des Außergewöhnlichen und Ephemeren; den Ort der Aufführung als Konstituens der Festspielidee; das Verhältnis der aufzuführenden Festspiele zu ihrem Publikum. Ästhetisch geht es Wagner, gerade in den Anfängen der Überlegungen zum »Bühnenweihfestspiel«, um das Ephemere und Außergewöhnliche. Problematisiert wird diese ästhetische Setzung an der Wahl des Aufführungsorts für die Festspiele. Doch im Zuge der Umsetzungen seiner Ideen, die in der Anfangszeit den Festspielort im Freien und als jederzeit abreißbares Brettertheater sehen, werden diese entschieden relativiert. Der Antagonismus zwischen dem intrinsischen Vergänglichkeitsanteil des Fest(spiel)ereignisses und der Notwendigkeit seiner Institutionalisierung stellt immer deutlicher den entscheidenden Zielkonflikt dar. Wagners Weg zu ›seinen‹ Festspielen zeigt also bereits wichtige Kontroversen, Diskussionen 40 Hauptsächlich die erste Phase der Festspiele kann skizziert werden. Die Vereinnahmung Wagners und seiner Festspiele durch die Nationalsozialisten ist zwar ein wichtiger Aspekt, hierfür sei jedoch nur auf gründliche Aufarbeitungen verwiesen: Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth, München: Piper 2002; Wilhelm Matthes: Was geschah in Bayreuth von Cosima bis Wieland Wagner?, Augsburg: Wißner 1996; Peter Sprengel: Die inszenierte Nation. Deutsche Festspiele 1813–1913, Tübingen: Francke 1991. 41 Vgl. Carl Dahlhaus: »Wagners ›Bühnenfestspiel‹ – Revolutionsfest und Kunstreligion«, in: Haug/Warning (Hg.), Das Fest (1989), S. 592. 42 Dies natürlich nur auf indirektem Weg: Der Begriff der Weihe erinnert an die Idee der Heiligkeit eines ›Volkes‹ und dessen Kunst, die in totalitären Ideologien wie der nationalsozialistischen Auskunft darüber geben soll, wie ›gottgleich‹ ein Volk ist. Hinzu kommt, dass sich charismatische Figuren wie Richard Wagner hervorragend dazu eignen, um von ihren Adepten zu idealen Menschen und Führerfiguren stilisiert zu werden.

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und Schwierigkeiten, die Verblendungen, Kompromisse und Ideologien auf, die Festivals heute immer noch begleiten. Wagners konzeptionelle Entwürfe speisen sich aus diversen Quellen. Dazu gehören die mittelalterlichen Sängerfeste, die im Freien abgehalten wurden, und, noch wichtiger, das antike Theater, in dem Wagner die bestmögliche Realisierung eines Publikumkonzepts sieht. Es gibt hauptsächlich zwei Ziele, die Wagner erreichen will, sie betreffen die Kunst und die Bedingungen ihrer Rezeption. Wagners theoretische Überlegungen zur Praxis des Musiktheaters stehen zunächst in expliziter Oppositionen zu den vorherrschenden Verhältnissen im Theater- und Opernbetrieb seiner Zeit. Das Repertoiretheater ist das allgemeine Feindbild der ›ernsthaften‹ Künstler des 19. Jahrhunderts, die die Verflachung des Spielplans als kulturelle Verfallserscheinung interpretieren. Auch Wagner sieht sich dazu berufen, gegen diese Tendenzen neue ästhetische und pädagogische Konzepte zu setzen. Wie andere Künstler und Kunstkritiker seiner Zeit fordert er, soziale Probleme zum Gegenstand der Kunst zu machen, dem Theater die Position einer gesellschaftlichen Instanz, einer »Anstalt« zu verleihen. Der Text Bayreuth als ästhetische Utopie beschreibt in einer Art philosophischen Dialogs »[d]ie Festspiele als Äquivalent eines idealen Gemeinwesens. […] Wagners Theater in Bayreuth ist eine Enklave ästhetischer Kontemplation und eine Inspirationsquelle gesellschaftlicher Wirksamkeit des einzelnen.«43 Der konsequenteste Schritt in diese Richtung besteht für Wagner darin, sein künstlerisches Schaffen der Gesellschaft zu entziehen. »Mit dieser meiner Konzeption trete ich gänzlich aus allem Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus.«44 Diesen Absolutheits- und Rückzugsansprüchen liegt ein unerschütterter Glaube an die Kraft der Kunst zugrunde. Wagner ist überzeugt, dass Kunst, indem sie sich den Zugriffen durch die Gesellschaft entzieht, diese durch ihre inhärente Kraft verbessern könne – Wagner ist hauptsächlich Ästhet, ihm geht es nicht primär um eine nationale Idee, sondern um Kunst als Grundlage für das Gemeinwesen. Lore Lucas bemerkt hierzu, dass die Festspiele in Bayreuth und das ›Phänomen Festspiel‹ nicht nur ein Hauch Esoterik durchwehe. Diese liege »in der Idee schon begründet, eben weil sie die Loslösung von Repertoiretheater, Bühnenkonvention und Alltäglichkeit bedeutet und folglich den Überlegungen zu Festspielort, Aufführungsstätte und Publikum immanent ist.«45 Der Überhebung in Wagners gesellschaftlichen Ambitionen entspricht in letzter ästhetischer Konsequenz die Notwendigkeit zur Übermäßigkeit, zum Gewaltigen, zum Erhabenen: Musiktheater muss über sich selbst hinauswachsen. Konkret beinhaltet das ästhetische Programm dieser Heilsesoterik die Aufgabe des kontinuierlichen und pausenlosen Spielbetriebs im Theater, die das ästhetische Erlebnis zum Alltag werden lässt; die Abkehr von tradierten Stücken und die Einführung neuer Bühnenwerke; und eine Reduktion der Spieldauer dieser neuen Stücke, um sie nicht selbst wieder zur Konvention werden zu lassen. Die Einmaligkeit des Theatererlebnisses soll in jeder Hin43 Ulrike Kienzle/Thomas Lindner: »Bayreuth als ästhetische Utopie«, in: Programmheft zu den Bayreuther Festspielen 1998, S. 20. 44 L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 39. 45 Ebd., S. 95.

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sicht gestärkt werden. (Dieser Bruch mit den Theaterkonventionen ist für das Werk Wagners genauso kennzeichnend wie die gleichzeitige Überhöhung dieses Bruchs zu einer eigenen ästhetischen ›Gattung‹, zu einer Leitfigur – und endlich zu einer neuen Konvention.) Oberste Maxime ist hierbei vom produktionsästhetischen Standpunkt aus gesehen die künstlerische Höchstleistung. Die ästhetische Ideologie der Festspiele Wagners ist die der Perfektion und Musterhaftigkeit des Präsentierten.46 Diese soll durch eine Reform der Produktionsbedingungen erreicht werden, die das Theater seiner industriellen Komponenten entledigt. Wagners »Reformvorschlägen für die verschiedenen Bühnen des deutschen Sprachgebietes liegt der Gedanke zugrunde, daß das Theater den höchsten gemeinsamen Berührungspunkt eines öffentlichen Kunstverkehrs ausmachen kann, wenn es aufgehört hat, eine industrielle Anstalt zu sein, die um des Gelderwerbs willen ihre Leistungen so oft wie möglich anbietet.«47 Lange Probenphasen sollen die substantielle Auseinandersetzung mit dem Werk sicherstellen, talentierte Künstler die Darbietung auf höchstem Niveau garantieren. Wagner schwebt ein DarstellerSänger vor, der in der Lage ist, einen holistischen und möglichst lebhaften Eindruck seiner Figur zu transportieren.48 Dieser neue Darstellertypus muss über seine künstlerischen Fähigkeiten hinaus die kognitive und sinnhafte Ebene der Kunst begreifen und transportieren können. Die Architektur des Festspielhauses in Bayreuth, das 1876 fertig gestellt wird, ist die konkrete Manifestation dieser Ideen und zielt auf die Lenkung des Blicks und auf die perfekte Illusion im Sinne des Gesamtkunstwerks ab. Um multisensorisch zu wirken, verdunkelt Wagner den Zuschauerraum, um das gegenseitige ›Begaffen‹ der Zuschauenden zu verhindern, und versenkt das Orchester in einem uneinsehbaren Graben. Alles, was von der Darstellung und der künstlerischen ›Intention‹ ablenken konnte, soll von der Bühne verbannt werden. Die Ansätze, wie diese Absicht zu verwirklichen wäre, verändern sich im Laufe der Zeit und passen sich den äußeren Bedingungen an. So erfährt vor allem das Moment der Einmaligkeit und der Unwiederholbarkeit einer Aufführung, das neben der Einheit der Künste erst das Gesamtkunstwerk konstituiert, mehrere Umdeutungen. Ephemerität gerät bald in Konkurrenz zur Wagnerbühne als etabliertem Originaltheater in Bayreuth. Die Diskrepanz zwischen der Abkehr vom Kommerz, die Wagner postuliert, und der gleichzeitigen Überhöhung seiner eigenen Kunst kulminiert im Ort der Aufführung. Die auratische Wirkung der Festspiele, die sie zu einem einmaligen Ereignis machen soll, speist sich in allen Phasen der Konzeptionierung aus ihrem Ort und ihrer Verortung. Um sich räumlich zu distanzieren, sucht Wagner abseits der Metropolen nach dem Genius Loci als esoterische Kraftquelle. Er findet sie letztlich in Bayreuth, wo er sein Festspielhaus 46 Wagners explizites Ziel ist Stilbildung – Festivals der Gegenwart erheben solche Ansprüche nicht. Dennoch kommt es durch das Zeigen ›musterhafter‹ Künstler und Produktionen auch heute zu festen Referenzpunkten in der internationalen Theaterszene – nur ohne eine vergleichbare ideologische Verbrämung. 47 L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 28. 48 Warum dieser Punkt so zentral ist, veranschaulicht der Begriff des »Wort-TonDramas«, der den umfassenden Charakter von Wagners Stücken auf den Punkt bringt. Es zieht die Frage nach Sinnhaftigkeit und Hermeneutik nach sich, die die hauptsächlich affektiven Wirkungen des Tons, also der Musik, ergänzen.

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errichten lassen will. Während in den ersten Überlegungen noch die Hinfälligkeit des für die Festspiele zu errichtenden Theatergebäudes eine zentrale Rolle einnimmt, kollidiert dieses Ziel später mit dem Bedürfnis nach Planungssicherheit. Die Idee der flüchtigen, vergänglichen Etablierung eines Orts für Festspiele, eines Zwischen-Orts und einer Zwischen-Zeit, wird aufgegeben. Wagner rückt von der ursprünglichen Idee ab, ein »Brettertheater« zu schaffen, das leicht zu errichten wäre und sich damit der Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb entziehen könnte. »In der Idee, nur für die Tage der festlichen Aufführung ein provisorisches Bühnengebäude zu errichten, liegt ein äußerstes Kriterium der Unterscheidung von Alltagstheater und Festtheater.«49 Beibehalten hat Wagner den an die Festspieltradition erinnernden Bezug zur »Freien Natur«, als er 1876 sein Festspielhaus in Bayreuth errichten kann. Noch heute wird der Festspielbezirk als »Grüner Hügel« bezeichnet, in einem Begriff die Verbundenheit zur Natur und die ästhetische Überhöhung und Erhabenheit in eins setzend.50 In dieser Bezeichnung zeigt sich außerdem deutlich die doppelte Funktion des Orts für die Festspielkonzeption. Einerseits reihen sich die Bayreuther Festspiele in den Mythos des Theaters als Fest ein und suchen damit ihre Begründung in der Fortschreibung antiker Tradition. Als Pilgerstätte und als Ort, den man nur unter Mühen erreichen kann, erfährt andererseits Bayreuth als Hort Wagner’scher Kunst seine Rechtfertigung. Ein »Festspielraum […], der keinerlei Assoziationen mit bereits vorhandenen Aufführungsstätten zulässt«,51 enthebt die Bayreuther Festspiele des Vergleichs mit anderen Theaterhäusern. Mit diesem Kalkül lässt sich zu einem Teil die Beliebigkeit erklären, mit der Wagner bei der Wahl des Festspielorts vorgeht – Zürich, Weimar und München erwog er ebenfalls als Festspielort. Zuletzt erhält Bayreuth als diejenige Stadt den Zuschlag, die bereit ist, aus eigennützigen Motiven in Wagner zu investieren. Schwerer noch wiegt, dass sich Wagners Konzept schnell selbst boykottiert. Denn das Festspielhaus gerät durch die Konzessionen an den ›Mythos Wagner‹ und die Ambitionen der Austragungsstadt zur Kulisse, zur toten Natur, eben zur ›Einöde‹. »Die Aufführungsstätte als anmutiges Kunstatelier, das ist die Abwendung vom unmittelbaren Begegnungsort der Kunst mit dem lebendigen Lebensatem. Es ist weniger der Raum zum Experimentieren als zum festlichen Zelebrieren des Kunstwerks.«52 Der Rückzug aus den Städten des »Alltagstheaters« maskiert und markiert zugleich Wagners Aversion ge49 L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 38. 50 Die Rückkehr zur Natur, die im 19. Jahrhundert zum Leitmotiv einer umfassenden Bewegung wird, ist als Topos eine typische Folge der Industrialisierung, eine Form des Rückzugs in die Privatheit und der Verlagerung der Freizeit an einen alternativen Ort der Seklusion. Doch ist die revolutionäre Geste gemäßigt, da sie sich noch in den Grenzen des Bürgertums abspielt. Allerdings bewegt sich Wagner damit bereits aus dem ursprünglichen Wirkbereich von Festen, die im antiken Griechenland, das ihm maßgeblich als Vorbild dient, hauptsächlich auf der agora, dem Marktplatz stattfanden. Die Auslagerung des Fests vor die Stadtmauern ist erst eine Errungenschaft Roms für die Perversion und Eventisierung von Festen in Tierhetzen, Gladiatorenkämpfen et cetera. Bei Wagner kommt weiterhin die romantische Idee der Natur als Ressource freiheitlichen, ungekünstelten, ursprünglichen Lebens hinzu. 51 L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 40. 52 Ebd., S. 47.

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gen substantielle Kritik an seiner Ästhetik. Die ›schöne Einöde‹, die Wagner sucht, bedeutet schließlich die Konkurrenzlosigkeit der Festspiele, die noch nach Wagners Tod ihre Exklusivität zu wahren suchen. In den Städten herrscht Kritik, die Wagner nicht zu beeinflussen vermag. Die Raumkonzeption Wagners transportiert so deutlich die kontrapunktische Konstruktion seines Gesamtanliegens, die Kunst als Ganze durch seine eigene Kunst zu rechtfertigen. Hierbei dient der Ort in seiner Abgeschiedenheit dazu, die Orte der Kunst an sich zu rehabilitieren. Das Gesamtkunstwerk hat für Wagner allerdings auch außerästhetische, erzieherische Funktionen. 1868 erklärt er in dem Essay Deutsche Kunst und deutsche Politik: »In der theatralischen Kunst vereinigen sich, mit mehrerer oder minderer Betheiligung, sämtliche Künste zu einem so unmittelbaren Eindruck auf die Öffentlichkeit, wie ihn keine der übrigen Künste für sich allein hervorzubringen vermag. Ihr Wesen ist Vergesellschaftung mit Bewahrung des vollsten Rechtes der Individualität. Die ungemeine Wirkung ihrer Leistungen auf den Geschmack und die Sitten der Nation ist zu verschiedenen Zeiten von den Vertretern des Staates lebhaft erkannt worden«.53

Wagners Projekt basiert auf der Apotheose und der Stilisierung des Theaters zu einem Bildungsinstitut ersten Ranges. Damit rückt das Publikum ins Zentrum des Interesses, dessen Zusammensetzung es für Wagner zu kontrollieren gilt.54 Wen Wagner in der ›schönen Einöde‹ versammeln möchte, ist ein »Kreis von Freunden« und Bewunderern, die ausdrücklich nur wegen der Festspiele anreisen.55 Es ist das Interesse an seiner Kunst, nicht der Grad der Bildung oder die gesellschaftliche Stellung, die für Wagner den Ausschlag gibt, jemanden in diesen »Kreis von Freunden« aufzunehmen. Der neuen Bühne und dem neuen Aufführungsstil wird das Publikum als »künstlerischer Genosse« zur Seite gestellt. In großzügiger Geste möchte Wagner deshalb anfänglich sogar den erwünschten Gästen den Eintritt erlassen, um sein damals noch als Provisorium geplantes Theaterhaus mit ebendiesen Freunden zu füllen. Denn das »so schrecklich heterogene Publikum«56 ist Wagner ein Graus, da Heterogenität Unaufmerksamkeit und mangelnde Ehrfurcht gegenüber der Kunst verursache. Kondensierung und Zentrierung der Aufmerksamkeit auf sein Werk sollen dem Abhilfe schaffen. Der Zuschauer soll durch Anleitung und durch direkte Anschauung ›großer Kunst‹ ästhetisch mündig werden. Es handelt sich aber zu keiner Zeit um ein ›Volkstheater‹, das Wagner anstrebt. Das Festspiele-Projekt ist also nicht als sozial oder gemeinnützig im engeren Sinne zu verstehen. Denn Wagner legt den Akut auf das Gefühl, nicht auf analytische Fähigkeiten und Formulierung von kontroversen Positionen zu seinem Werk.57 53 Ebd., S. 17. 54 Ebd., S. 81. 55 Was auch deswegen bereits ein schwieriges Unterfangen gewesen sein dürfte, da Bayreuth zu dieser Zeit per Zug nur schwer zu erreichen ist. 56 L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 84. 57 Die ›Wahrnehmungsschulung‹ heutiger Festivals, die immer noch von Festivalmachern als eines der herausragendsten Ziele gegenwärtiger Festivals behauptet wird, unterscheidet sich von Wagners Konzept in ebendiesem Punkt (vgl. Christine Peters’

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Andacht und Sammlung für den Kunstgenuss sollen das tiefere ›Verständnis‹ für das Kunstwerk herbeiführen.58 Wagner will ein aktives und aufnahmebereites Publikum, aber er will es nur insofern, als es in dieser Haltung seine Botschaft empfangen kann. Um dies in größtmöglichem Umfang zu realisieren, fordert Wagner freien Eintritt für die Festspielgäste und erreicht damit zweierlei. Einerseits macht er sich damit ästhetisch unabhängig vom zahlenden Bürger und seinem Geschmacksdünkel, andererseits zieht er damit genau die Besucher an, die er leicht von seinen ästhetischen Vorstellungen zu überzeugen vermag. Dass diese Forderung in ihrem Gesamtumfang nur Ideal bleiben sollte, ist für die Entwicklung der Bayreuther Festspiele keineswegs zweitrangig. Denn selbst wenn Wagner stets auf seinem kulturdemokratischen Ansatz beharrt, geht er doch in diesem Punkt entscheidende Kompromisse ein, welche die Festspielkonzeption allein auf das Wagner’sche Streben nach ästhetischer Anerkennung zusammenschnurren lassen. »Das Phänomen Publikum, eines der wichtigsten Elemente innerhalb der Festspielidee, zeigt sich im Augenblick der Verwirklichung [dieser Idee] in seiner vielseitigen Problematik […]; weil die materiellen und ideellen, die politischen und soziologischen Aspekte unvereinbar sind, weil jeder Aspekt seine eigenen Bedingungen und Notwendigkeiten hat und seinen spezifischen, andere Möglichkeiten ausschließenden Raum.«59

Wagner sieht sich gezwungenen, von seinen ursprünglichen Ideen abzuweichen und sich auch in der Publikumsfrage, letztlich einem seiner zentralen Anliegen, anzupassen.60 Seine Schwankungen in dieser Frage sind besonders von den Realien abhängig, mit denen sich Wagner bei der Umsetzung seiner Ideen konfrontiert sieht. Insbesondere die finanziellen Einschränkungen der Anfangszeit sind Ursache für einige der ästhetischen wie organisatorischen Beschreibung von Theater der Welt, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 306). Die Diversität des Publikums ist heute kein ›bedauernswerter Fakt‹, sondern ein Selbstanspruch von Theaterfestivals. Ziel ist es immer mehr, möglichst viel Reibungsfläche zu bieten, sowohl auf ästhetisch-kritischer Ebene als auch soziologisch und politisch. Vor allem erfüllt sich die Lehrfunktion heutiger Festivals darin, den Zuschauer mit Instrumenten der kritischen Betrachtung auszustatten. 58 So spiegelt auch die Bühnenarchitektur das widersprüchliche Verhältnis Wagners gegenüber seinem Publikum wider: In Anlehnung an das Amphitheater rund gestaltet, wird doch dem Publikum das Sichtfeld empfindlich eingeschränkt – ganz unähnlich dem antiken Vorbild. 59 L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 90. 60 Wagners Fokus auf die Rolle des Publikums zeigt beispielhaft ein Verständnis des Publikums auf, das sich nicht nur quer durch die Theatergeschichte zieht, sondern auch für die Rechtfertigungsstrategien gegenwärtiger Festivals relevant ist. Um den epochenübergreifenden Konflikt über das Publikum einzudampfen, lassen sich zwei Pole beschreiben. Auf der einen Seite steht das Publikum, das gebildet, herangeführt und betreut werden muss. Ein Publikum, dem ästhetische Kompetenz vermittelt werden soll – durch das Theater und das Fest als Lehranstalten. Auf der anderen Seite findet sich ein Publikum, das viel weniger ästhetische Kompetenz erlernen muss, sondern dem Kritikfähigkeit von vorneherein zugestanden wird, das sich sein Urteil selbst bildet, ausgehend von einem aufgeklärten und kompetenten Bürgerbegriff.

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Entscheidungen. Die finanzielle Not, in der sich das Festspielprojekt während der ersten Jahre befindet, ist die Ursache für eines der ersten Beispiele von Public Private Partnership im Rahmen der Kultur.61 Um die Bayreuther Festspiele realisieren zu können, bedarf es nicht nur der Finanzierung durch die politische Führung Bayreuths, die die immense touristische Bedeutung der Festspiele schnell erkennt, sondern auch der Unterstützung durch Privatleute. Wagner bedient sich dieser privaten Gönner in verschiedener Hinsicht, wobei die Einsetzung von Patronatsvereinen den Kern der Unterstützungsversuche bildet. Wagner bietet über verschiedene Mittelsmänner 1000 Optionsscheine à 300 Taler zum Kauf an, die den Besitzern exklusive Plätze bei drei vollständigen Aufführungen eines Ring der Nibelungen-Zyklus garantieren sollen, und lässt diese durch das festspieleigene Publikationsorgan, die Bayreuther Blätter, und durch seine Bewunderer anpreisen. Regelrechte Fanclubs entstehen innerhalb kurzer Zeit, die die Werbung für das Projekt übernehmen. Es sind letztlich diese privaten Kräfte, die den ersten Bayreuther Festspielen zu ihrer Wirkung und vor allem auch ihrem Weiterbestehen verhelfen. Dennoch reichen diese Maßnahmen nicht aus, Wagner muss sowohl den Bayrischen König, seinen ehemaligen Mäzen, um Geld bitten als auch zuletzt Eintrittspreise verlangen. Erst 1888 können die Festspiele als wirklich etabliert gelten, sich finanziell selbst tragen und unabhängig von den Förderungen durch Patronatsvereine werden. Dafür muss Wagner, wie oben gezeigt, Konzessionen an entscheidenden Ideen hinnehmen (kein »Brettertheater«, keinen freien Eintritt). So kann auch erst 1882 die Stipendienstiftung ins Leben gerufen werden, deren Aufgabe darin besteht, »die Mittel zu beschaffen, um gänzlich freien Eintritt, ja nötigen Falles die Kosten der Reise und des fremden Aufenthaltes solchen zu gewähren, denen mit der Dürftigkeit das Los der meisten und oft Tüchtigsten unter Germaniens Söhnen zugefallen ist.«62 Tatsächlich vergeben noch heute verschiedene Vereine Stipendien für den Besuch der Bayreuther Festspiele und der Deutsche Gewerkschaftsbund erhält Karten für so genannte Gewerkschaftsvorstellungen.63 Dennoch muss das reguläre Publikum der Bayreuther Festspiele für einen Festspielbesuch auch heute noch viele Strapazen auf sich nehmen, auf ein Rahmenprogramm weitgehend verzichten und bis zu zehn Jahre auf eine Karte warten. Unzweifelhaft sind Richard Wagners erste Entwürfe zu den Bayreuther Festspielen ungleich revolutionärer als das tatsächliche ›Ereignis Bayreuth‹. Jedoch ist die Mäßigung der Festspielidee als Notwendigkeit für ihre reale Umsetzung und für die Funktion des Festspiels als Fest mit all seinen Implikationen zu bewerten. Die Architektur des Festspielhauses beziehungsweise dessen Lokalisierung in einer ›schönen Einöde‹, die Vorstellung von den Zu61 Vgl. L. Lucas: Die Festspiel-Idee Richard Wagners, S. 57. 62 Johanna Schweizer: »Finanzierung und Organisation der Bayreuther Festspiele bis 1914«, in: Ulrich Bartels (Hg.), ›Wandel und Wechsel‹. Zur Inszenierungsgeschichte des Ring der Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen, Hildesheim: Institut für Musik und Musikwissenschaft 2000, S. 12. 63 Vgl. Julian Rybarski: »… ›Hier gilt’s der Kunst‹ – Das Festspielpublikum in Bayreuth«, in: Ulrich Bartels (Hg.), ›Wandel und Wechsel‹. Zur Inszenierungsgeschichte des Ring der Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen, Hildesheim: Institut für Musik und Musikwissenschaft 2000, S. 202.

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schauern als revolutionäre Gruppe und der Zündstoff, der in der Idee steckt, Theater ohne finanzielle Gegenleistung anzubieten, sind hauptsächlich aufständischer Natur und stammen aus der Zeit um das Jahr 1848, in der Wagner noch auf die politische Revolution hofft. Doch die ästhetische Utopie einer neuen Gemeinschaft auf der Basis einer neuen totalitären Ästhetik steht gegen den Alltag wie gegen das Fest, sie will beides aushebeln. Zu Recht sieht Odo Marquard deshalb im Gesamtkunstwerk Wagners ein »Moratorium des Alltags«: »[D]ie Kraft der Kunst, Remedium gegen das totale Moratorium des Alltags zu sein, scheint dort aufzuhören, wo die Kunst selber zum totalen Moratorium des Alltags zu werden versucht: als Gesamtkunstwerk. […] das Gesamtkunstwerk ist jenes totale Fest und Moratorium des Alltags, das die vorhandene Wirklichkeit nicht mehr gelten läßt, und ist schließlich – ernst genommen – auf ästhetische Weise das, wogegen es gerufen wurde: der revolutionäre Ausnahmezustand.«64

Damit geht Wagners Konzept ursprünglich wesentlich weiter als die Ideen, die später anderen Festspiel- und Festivalgründungen zugrunde liegen. Doch Wagners Gegenkonzept zum Alltag ist nicht das Spiel, sondern der Ernst der Kunstbetrachtung. Im Festspiel kann er nur Ernsthaftigkeit erkennen und ignoriert damit seine eigentlich revolutionäre Spielkomponente. Das erste echte organisatorische Festspielkonzept bleibt somit hinter seinen eigenen Ansprüchen und den Fähigkeiten des Organisationsmodells zurück. S ALZBURGER F ESTSPIELE Die Salzburger Festspiele (gegründet 1920) markieren einen weiteren Entwicklungsschritt in der Herausbildung von Festspielen als Organisationsmodell. Sie weisen bereits Überformungen der Leitidee des (antikisierten) »völkischen Festes« durch konkrete ökonomische und politische Zielsetzungen auf. Das Salzburger Festspielhaus wird 1890 geplant,65 die Idee ist also bereits dreißig Jahre alt, bevor sie 1920 umgesetzt wird. Somit vereinen sich drei Jahrzehnte in einem Hybrid aus barocker Tradition und Nachkriegsepoche, der vor allem vom Kollaps des nationalen Selbstverständnisses der ›Verliererstaaten‹ des Ersten Weltkriegs gezeichnet ist. Im Folgenden wird herausgearbeitet, wie es den Salzburger Festspielen (im Blick auf Bayreuth) gelingt, an Traditionslinien anzuknüpfen und zugleich in die Zukunft zu wirken und mit einem offenkundigen Riss im Selbstverständnis des Festspiels selbst zu operieren. Die Salzburger Festspiele sind gleichsam gekennzeichnet von stetiger Expansion, aber auch vielfältigen künstlerischen und politischen Strömungen.66 Sie sind damit ein frühes Beispiel für die Fähigkeit des Orga64 Odo Marquard: »Kleine Philosophie des Festes«, in: Uwe Schultz (Hg.), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München: Beck 1988, S. 417. 65 Vgl. Michael P. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890– 1938, Salzburg/München: Pustet 2000, S. 50f. 66 Anders als bei den Festspielen in Bayreuth ist die Organisationsstruktur der Salzburger Festspiele nicht auf Erbfolge angelegt, mit dem Wechsel der Leitfiguren ändert sich der Anspruch der Salzburger Festspiele. So ist es in den fünfziger Jahren vor allem Herbert von Karajan, der mit Salzburg assoziiert wird. Im Oktober 1957 wird er

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nisationsmodells Festival, sich den neuen Herausforderungen durch ihr Umfeld zu stellen und sich selbst modifizierend auf diese zu reagieren. In ihrer Entstehungsphase sind die Salzburger Festspiele primär personenbezogen. Es sind vornehmlich der Dichter Hugo von Hofmannsthal und der Regisseur Max Reinhardt, die das Projekt initiieren. Letzterer reicht 1917 in Wien eine entsprechende Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn ein, Hofmannsthal veröffentlicht zwei Jahre später eine eigene Festspielprogrammatik. Diese benennt als künstlerischen Fokus der zu gründenden Festspiele drei Punkte: »Oper und Schauspiel, und von beiden das Höchste«; »Salzburg will dem klassischen Besitz der Welt dienen. Der Glaube an Europa ist das Fundament unseres geistigen Daseins.« Und »[d]ie Freuden Mozartscher Reinheit und Schönheit suchen wir, edelsten Genuß wollen wir bieten. Geistigen Frieden wollen wir bringen.«67 Richard Strauss, der Dirigent und Wiener Hofoperndirektor Franz Schalk und der Bühnenbildner Alfred Roller vervollständigen das Gründungsteam. Am 22. August 1920 finden die ersten Festspiele auf dem Salzburger Domplatz statt, bestehen aber ausschließlich aus Hugo von Hofmannsthals Moralität Jedermann in der Inszenierung von Reinhardt, die die allegorische Dimension der dramatischen Gattung des Festspiels aufnimmt. Die Salzburger Festspiele erfüllen damit in ihrer ersten Ausgabe inhaltlich die Kriterien der literarischen Ursprünge: Sie konzentrieren sich auf einen Sujetkorpus, der vor einer historischen und ›authentischen‹ Kulisse im Freien präsentiert wird. Die Idee beginnt nicht mit dem Genius Mozart als Leitheros, sondern mit einem Theaterstück, dem Jedermann, und der Idee eines festen wiederkehrenden Programms. Die Verbindung mit der Person Mozarts ist somit bereits zu Beginn eine planmäßige marktwirtschaftliche Maßnahme. Das Vorbild Bayreuth, in dessen Fall die Kopplung an eine Künstlerpersönlichkeit geglückt war, hatte gelehrt, wie durch einen solchen Leitstern das Renommee eines Festspiels begründet werden konnte. So erkennt man zwar früh die Nachteile, die der Massentourismus in Bayreuth mit sich geführt hat,68 doch handfeste ökonomische Überlegungen lassen die Ambitionen, ein gesamtkunstwerkartiges Ereignis zu formieren, nur wachsen. So wird auch in Salzburg das Festspielhaus zu einer ›Weihestätte‹ erklärt und ein Bild der Einheit, Schlüssigkeit und atmosphärischen Stimmigkeit präsentiert. Doch anders als im Fall Bayreuths klaffen die Abstände zwischen den konzeptionellen Zielen stärker auf, je mehr die Salzburger Festspiele als organisatorische Form den Festspielinhalt überlagern. Wie Michael P. Steinberg herausarbeitet, sind die Salzburger Festspiele seit ihrer ersten Konzeption wesentlich von Dichotomien geprägt: weltbürgerlich und national, aufklärerisch und konservativ, barock und volkstümlich zugleich. Dagegen ist die 1990 herausgegebene Wer-

zu dem künstlerischen Leiter, der die künstlerische Entwicklung der Festspiele maßgeblich vorantreibt und das zeitgenössische Theater in Salzburg zu neuer Geltung bringt. 67 Hans Widrich: Die Salzburger Festspiele und ihre Spielstätten, Salzburg: Salzburger Festspiele 1990, S. 4. 68 Vgl. M. P. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele, S. 68f.

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bebroschüre Die Salzburger Festspiele und ihre Spielstätten darum bemüht, ein Bild der Unzweideutigkeiten und Harmonie zu zeichnen.69 Im ästhetischen Selbstanspruch orientieren sich die Salzburger Festspiele klar am Modell Bayreuths – Perfektion ist die charakteristische Messlatte des Organisationsmodells Festspiele –, sind allerdings von Beginn an konzeptionell breiter angelegt.70 Bei den Salzburger Festspielen findet diese Ambition ihren Ausdruck in der Konzentration auf »künstlerische maßstäbliche Aufführungen«. »Künstlerisch maßstäbliche Aufführungen in den Sparten Oper, Schauspiel und Konzert anzubieten, die über einen komprimierten Zeitraum von fünf bis sechs Sommerwochen veranstaltet werden in einer Stadt, deren unversehrt erhaltene barocke Architektur selbst bereits die schönste Kulisse bildet: Dies ist die Idee der Salzburger Festspiele.«71 Der Ort, der bei Wagner noch vitale Funktionen erfüllt, ist Jahre später schon zur historischen und historisierenden Kulisse geworden, die eine werbewirksam authentische Atmosphäre heraufbeschwören soll. Was Wagner als Gesamtkunstwerk postuliert, will Salzburg auf die Organisationsform selbst übertragen: Das totale Werk findet sich erst in der gelungenen Beziehung zwischen Kunst, Landschaft und den Bewohnern des Festspielorts Salzburg. »Inbegriff des wiedererweckten nationalreligiösen Volks soll das Publikum der Salzburger Festspiele sein, das seine eigene österreichisch-katholisch-barocke Kultur im Spiegel der Mysterienspiele feiert, die Hofmannsthal für diesen Anlass schreiben will.«72 Dafür gibt Hofmannsthal die Idee der Homogenität des Publikums weitgehend auf. Während für Wagner die Kreation einer kulturellen Elite in einem homogenen und auserwählten Publikum oberstes Ziel ist, scheint dies für Hofmannsthal schnell obsolet – die Tatsache, dass die ersten Salzburger Festspiele weniger von Salzburgern und Österreichern selbst als von den Besuchern Bayreuths aufgesucht werden, veranlasst ihn zum Umdenken. »Er gibt die Idee eines unveränderlichen Salzburger Spielplans nicht auf, wohl aber den Versuch, ein geistig und kulturell homogenes Publikum heranzuziehen.«73 Ähnlich pragmatisch verfährt die Leitung der Festspiele in politischen und weltanschaulichen Fragen. Die Anknüpfung an die Tradition des literarischen Festspiels ist bei der ersten Festspielausgabe 1920 offenkundig dadurch motiviert, nach dem staatlichen Zerfall infolge des Ersten Weltkriegs nationale Einheit zu evozieren. Jedoch zeigt bereits Hofmannsthals Konzeption Jahrzehnte zuvor, dass Tradition und Progression Hand in Hand gehen, die Nation gleichberechtigt neben dem Internationalen stehen soll. »Die Fest69 Mit Überschriften wie »Der Festspielbezirk als Einheit« werden immer noch Totalisierung und Eintracht beschworen. So finden sich Selbstbekenntnisse wie »Die Salzburger Festspiele sind nicht nur ein großartiges Musikfest, sondern auch ein elegantes gesellschaftliches Ereignis von allerhöchstem Rang.« H. Widrich, Die Salzburger Festspiele, S. 11. 70 Offenbar sind die Mystik und das Streben nach Perfektion Tendenzen von Festspielen, die sich zwar nicht immer im gleichen Maße erhalten, aber doch Konstanten über die Jahrzehnte bilden. 71 »Salzburger Festspiele. Programmatik und Philosophie«, vgl. http://neutor.s-hotels. com/de-buehnen.htm vom 05. April 2008. 72 M. P. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele, S. 114f. 73 Ebd., S. 115.

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spiele feiern nicht einfach die Tradition, sondern sie suchen die Anknüpfung an eine zurechtgemachte, wenn nicht gar erfundene Vergangenheit, um die kulturellen, politischen Wunschvorstellungen zukunftsorientierter Konservativer zu befördern.«74 Deutlich wird die Tendenz des Salzburger Konzepts, auch soziale und allgemein gesellschaftliche Fragestellungen und Ambitionen zu integrieren, die über rein ästhetische und didaktische Absichten hinausgehen.75 Hierbei bietet das Festspiel als literarische Gattung einen zentralen Ansatzpunkt zur Lösung politischer Probleme, indem es erlaubt, wenn schon nicht auf eine einwandfreie und historisch stichhaltige Vergangenheit zu rekurrieren, diese viel eher mit dem Publikum zu kreieren. Nation wird geschaffen, indem sie gleichsam erinnernd konstruiert wird: »Die zur Aufführung kommenden Bühnenwerke sollen ein katholisches, deutschösterreichisches Publikum versammeln, das für die Nation als Ganzes steht. Dieses soll sich selbst – seine eigene ›Passion‹ – auf der Bühne gespiegelt sehen. Ab 1920 begreift das Publikum seinen Part und beweist dies häufig dadurch, dass es in Lodenanzug und Dirndl erscheint […]. Spricht man also von der theatralen Struktur, kann man das Bühnengeschehen als das Symbol und die Zuschauer als das Symbolisierte bezeichnen, eines der Spiegel des anderen. Allerdings hat das Symbol den Zweck, das Symbolisierte erst hervorzubringen.«76

Nicht nur in Hinsicht auf die Nation werden die Salzburger Festspiele bereits von ihren Gründern zu einem vielfältigen Symbol erklärt: für ›hochwertige‹ Theaterkunst, für die Identität Österreichs, für den deutsch-österreichischen Kulturraum. Gleichzeitig soll Europa am »österreichischen Wesen genesen« und sollen damit die Salzburger Festspiele zu einem Symbol der Überwindung des Krieges und einer Restitution von Sinn und Ordnung werden. »Die Salzburger Festspiele […] würden Salzburg wieder zur ›geistigen Brücke zwischen Ost und West‹ machen, als die sie traditionell galt, sowie zwischen Nord und Süd und damit zum kulturellen Angelpunkt Mitteleuropas.«77 Diese Ordnung findet man im Ritual. »Mit ihrem latent religiösen Anspruch sind Festspiele […] eine lebendige Brutstätte für Überschneidungen von Theater und Ritual; sie sind prädestiniert dafür, einen in hohem Maße ritualisierten Aufführungsrahmen auszubilden.«78 Am Ritual des dramatischen Festspiels wird von den Gründungsvätern der Salzburger Festspiele nachdrücklich dessen sinnstiftende und ordnungsschaffende Komponente betont. Religiosität wird in diesem Rahmen zweifach in seinem Ort und in seinem Spielplan wirksam gemacht. Einerseits finden die ersten Festspiele (wie alle folgenden in Ermangelung eines eigenen Festspielhauses) auf der Treppe des Doms statt. Zweitens will, mit den Folgen des Weltkriegs vor Augen, Max Rein74 Ebd., S. 47. 75 Diese mehrfache Prägung der Salzburger Festspiele ist allerdings relevant für ihr Selbstverständnis. Sie sind damit zugleich anfälliger für Instrumentalisierungen durch vielfältige Parteien und für soziale Statements. 76 M. P. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele, S. 48. 77 Ebd., S. 65. 78 Constanze Schuler: »Rituelles Spiel im sakralen Raum. ›Das Buch mit sieben Siegeln‹ bei den Salzburger Festspielen«, in: Hentschel/Hoffmann (Hg.), Theater – Ritual – Religion (2004), S. 203.

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hardt die Salzburger Festspiele zu einer Pilgerstätte machen, zu einem »Wallfahrtsort […] für die zahllosen Menschen, die sich aus den blutigen Greuel dieser Zeit nach den Erlösungen der Kunst sehnen. Gerade dieser Krieg hat bewiesen, daß das Theater nicht ein entbehrlicher Luxus für die oberen Zehntausend, vielmehr ein unentbehrliches Lebensmittel für die Allgemeinheit ist.«79 Der Bezug zu Religion und Ritual erfüllt ›volkshygienische‹ Funktionen der Purifikation und der Erlösung.80 Kunst trägt nun nicht mehr nur zur Hebung des Volkes bei, wie es Wagner noch postulierte, sondern wird zum Mittel erklärt, Völker zu bilden und Ordnung in einen mythischen Heilsprozess zu bringen.81 Zur Ordnung trägt auf ästhetischer Ebene weiterhin ein Kanon von Stücken bei, die entweder eigens für den Anlass der Salzburger Festspiele geschrieben oder aus dem Repertoire übernommen werden. Diese Stücke gewinnen an Symbolcharakter nicht nur durch ihre mehrmalige Aufführung in unveränderter Inszenierung, was sie bald zu einem Markenzeichen werden lässt. Die ausschließliche Existenz eines ›erhaltungswürdigen Repertoires‹ in Salzburg betont außerdem die Sonderstellung dieses ästhetischen Unternehmens. Die außerordentliche Weihe wird diesen Stücken wie Hofmannsthals Jedermann oder seinem Salzburger Großen Welttheater allerdings vor allem durch ihre Situierung im realen Kirchenraum, dem Domportal, zuteil. »Der sakrale Raum wird […] als Abbild einer kosmischen Ordnung, als verbindungsschaffendes Glied zwischen Himmel und Erde, aber auch als Ort festlich begangener Transformationserfahrung und sozial wie religiös konnotierter Sinnstiftung in Szene gesetzt.«82 Das Theaterpublikum wird zu einer Festgemeinde transformiert. Zugleich wird diese paradoxerweise zum Symbol österreichischer Hochkultur stilisiert. Während die Stadt Salzburg selbst erst seit 1816 unter österreichischer Herrschaft ist, soll sie kurze Zeit später bereits nationale Identität präsentieren und wird als »unentbehrliches Lebensmittel für die Allgemeinheit«83 deklariert. Diese Allgemeinheit wird im Bild des Welttheaters summiert. ›Welttheater‹ ist eine Metapher, die in der Denkweise des Barock wurzelt. ›Welt‹ bedeutet zur Zeit der Gründung der Salzburger Festspiele Übersichtlichkeit, Bewältigung der unüberschaubaren und unbeeinflussbaren Ereignisse des Weltkriegs. Zugleich ergänzt ›Welt‹ den Begriff der Nation. Steinberg bemerkt, dass sich »hinter jedem Begriffspaar – Toleranz und Intoleranz, Weltbürgertum und Nationalismus – eine starke innere Kontinuität verbirgt.«84 Der Charakter der Festspielprogrammatik ist also höchst widersprüchlich. Der ›Welt zu dienen‹ ist ein Anspruch, der sowohl als großzügig tolerant als auch als überheblich, selbstüberschätzend interpretiert werden 79 M. P. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele, S. 56. 80 Eine Debatte über die Unerlässlichkeit von Festivals beziehungsweise ihren Luxuscharakter, wie sie heute geführt wird, ist hier undenkbar, da die existentielle Notwendigkeit eines ›Lebensmittels‹ nicht in Frage gestellt werden kann. 81 Hier zeigt sich die noch vorherrschende, wenig differenzierte Verquickung der Begriffe Kunst und Kultur. Kunst als Teil von Kultur wird zu einem allgemeinen Symbol für die Werte ernannt, die erhaltenswert und human erscheinen. 82 C. Schuler: Rituelles Spiel im sakralen Raum, S. 204. 83 M. P. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele, S. 56. 84 Ebd., S. 91f.

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kann (wer der Welt dienen will, geht davon aus, dass die Welt seiner Dienste bedarf). Um diese Position für sich reklamieren zu können, bedarf es den Initiatoren der Salzburger Festspiele allerdings einer toleranten, kosmopolitischen Einstellung. Nur wer tolerant genug ist, kann der Welt Kultur ›beibringen‹, so ihre Überlegung. Indem sie allerdings diese Haltung exklusiv für sich beanspruchen, unterlaufen sie den Gedanken des Kosmopolitischen. Dass Weltbürgertum und die »Fähigkeit zum kosmopolitischen Dasein« außerdem als »deutsche Tugend« verstanden werden, relativiert zudem die Ambitionen der Salzburger Festspiele, vermittelnd zu wirken. Offenbar sind »Toleranz und Weltbürgertum […] für deutsche Denker intellektuelle Instrumente der Selbstdefinition qua Konfrontation mit der Außenwelt oder dem ›Anderen‹«.85 In Hofmannsthals Denken bildet Europa zwar eine Einheit – an der Spitze steht jedoch auch in seinem Denken nur eine ›Kulturgemeinschaft‹. Neben der idealistischen Absicht des »Wiederaufbaus des zerstörten Geisteslebens« der Kulturgemeinschaft Österreich gibt es weitere Gründe für das konkrete Eingreifen der städtischen Politiker in Salzburg. Die Hebung des Fremdenverkehrsaufkommens, die das Vorbild Bayreuth gezeigt hatte, lässt das Projekt finanziell lukrativ erscheinen – auch gegen die anfänglichen Zweifel der Einwohner – und Salzburg konnte anhand der Bayreuther Resultate realistische Prognosen über die eigenen Festspiele wagen. Daraus ergeben sich jedoch auch ästhetische Konsequenzen, die die Verstrickung der Salzburger Festspiele in außerästhetischen Überlegungen aufzeigen. So ist etwa die Wahl Mozarts als Leitfigur und künstlerisches Zentrum begründet durch ökonomische und marketingtechnische Überlegungen, die deutlicher noch als in Bayreuth in den Vordergrund des Festspiel-›Betriebs‹ rücken. Im Gegenzug bekennt sich die städtische Politik zu ihrer Verantwortung gegenüber dem Organisationsmodell Festspiele, indem zwei Gesetze erlassen werden, die den Standortfaktor schützen und den Sonderstatus der Festspiele sichern. 1926 wird das »Gesetz über die Bildung eines Fonds zur Förderung des Fremdenverkehrs im Land Salzburg« erlassen, das für eine wirtschaftliche Absicherung der Festspiele sorgt. Damit gewinnen die Salzburger Festspiele größere Planungssicherheit und Gestaltungsspielraum bei der Zusammenstellung des Spielplans. Neue, größere Produktionen werden ermöglicht. Ein weiteres Gesetz aus dem Jahr 1936, das vom Salzburger Landtag auf Anregung des Landeshauptmanns beschlossen wird, sieht vor, dass Veranstaltungen, die nicht im Rahmen der Festspiele, aber zur gleichen Zeit stattfinden, eine Sondergenehmigung durch die Landesregierung benötigen. Dieses »Gesetz zum Schutz der Salzburger Festspiele« untermauert ihren Sonderstatus – und das zumindest bis 1970. Das massive Eingreifen der Politik zugunsten der Kunst im Zeichen handfester außerkünstlerischer Überlegungen offenbart seine Kehrseite in der Zeit der nationalsozialistischen Okkupation. 1943 verbietet das Propagandaministerium den Titel »Festspiele« und lässt Veranstaltungen nur noch im Rahmen des so genannten Salzburger Theater-

85 Ebd., S. 92. Verschärft wird diese Dialektik durch die Kontrastierung mit dem Begriff des »Internationalismus«. Für diese Zeit ist er in deutschen sowie deutsch-österreichischen Landen ein Kampfbegriff, ein Schmähwort für den Westen Europas, hauptsächlich für Frankreich: Weltbürgertum = Internationalismus.

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und Musiksommers stattfinden.86 Die Namensänderung demonstriert eine neue Form der Manipulation zum Zweck psychologischer Kriegsführung: Die Salzburger Festspiele werden zum Mittel, um die durch Kriegssorgen zerrüttete Moral der Bevölkerung wieder aufzubauen. In Zeiten politischen Eskapismus werden die Salzburger Festspiele per Gesetz umfunktioniert. Zusammengefasst beinhaltet die Festspielidee Salzburgs bereits entscheidende neue Komponenten, die auf die Praxis von Festivals des späten 20. Jahrhunderts hinweisen. So werden ästhetische Ambitionen erstmals in bedeutsamem Maße durch marketingtechnische Überlegungen ergänzt, die aus den durch das große Vorbild der Bayreuther Festspiele gemachten Erfahrungen abgeleitet werden – Festspiele werden als Option erkannt, um Salzburg zu Anerkennung und Reichtum zu verhelfen. Zugleich kennzeichnet die Salzburger Festspiele eine bewusste konzeptionelle Rückwendung zur literarischen Gattung des Festspiels, indem das Spiel unter freiem Himmel, das das literarische Festspiel vorsieht, wieder aufgenommen wird und historische Monumente als Kulisse eingesetzt werden. Was die Bayreuther Festspiele und die Salzburger Festspiele trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede dennoch verbindet, ist die Idee von Konstanz. So wird bereits bei den ersten Ausgaben der Salzburger Festspiele ein Werkkanon aufgebaut, der eine verlässliche ästhetische Basis bildet, auf der sich später Experimente wagen lassen. Die fehlende Fixierung auf eine Künstlerfigur wie Wagner begünstigt dies. Der Fokus auf einen einzelnen Künstler wird zu großen Teilen substituiert durch die Betonung des ›weltbürgerlichen‹ Impetus der Festspiele. Daraus ergeben sich Gründungsmythen, die den Salzburger Festspielen eine deutlich politischere Färbung als den Bayreuther Festspielen verleihen: hier Konstruktion eines Nationalbewusstseins durch die Präsentation künstlerischer Höchstleistungen, dort ästhetische Perfektion im Zeichen des Gesamtkunstwerks.

86 Vgl. »Salzburger Festspiele«, vgl. http://www.salzburg.com/wiki/index.php/ Salzburger_Festspiele vom 30. März 2007.

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Fest, Gemeinschaft, Ereignis »Nul doute que l’art n’ait essentiellement le sens de la fête, mais justement, dans l’art comme dans la fête, une part a toujours été réservée à ce qui semble l’opposé de la réjouissance et de l’agrément.«1

Das Fest 1951 wird zum Anlass der ersten Berliner Festwochen vom damaligen Bürgermeister Ernst Reuter ein Anspruch formuliert, der seine Selbstkritik bereits beinhaltet: »Es scheint ein gewagtes Unterfangen, daß wir in Berlin, in dieser unserer bedrängten und noch an den Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit schwer leidenden und gespaltenen Stadt ›Berliner Festwochen‹ veranstalten. Ziemt es denn, so könnte man fragen, Feste zu feiern, wenn die Not der Zeit so unmittelbar auf einer Gemeinschaft und auf den einzelnen lastet?«2 Die Skepsis Reuters gegenüber dem Fest ist eine für die Nachkriegszeit verbreitete Position. Das Fest ist anrüchig geworden. Instrumentalisiert zur Volksaufheiterung in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, geraten Feste in den fünfziger Jahren in die Kritik, erscheinen völkisch und anachronistisch. Die Hinzufügung der Spiel-Komponente im ›Festspiel‹ vermochte zwar die Erhabenheit und Würde, die Emphase, mit denen das Fest in den Jahrzehnten zuvor bedacht wurde, oberflächlich zu relativieren, im Kern blieben diese jedoch erhalten. Wie aber steht es heute um die Selbstdeklaration von Festivals als Fest? Inwieweit haben sich Festivals von der ›Verpflichtung‹, Fest zu sein, emanzipiert und ihre Eigenheit als spezifisches Organisationsmodell und Veranstaltungsrahmen für Theater herausgearbeitet? Oder realisieren sie wirklich, wenigstens in Ansätzen, ›Feste‹? Werden Festivals tatsächlich der folgenden anspruchsvollen Beschreibung gerecht? »Sie sind imstande, unabhängig von ihrer jeweils eigenen Erscheinungsform ein neues Bewusstsein von der Qualität des menschlichen Lebens und eine neue Sensibilität für den Wert des menschlichen Zusammenlebens zu schaffen. Sie dienen der ›res publica‹

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Georges Bataille: »L’art, exercise de cruauté«, in: ders., Œuvres complètes, Bd. 11, Paris 1988, S. 480. Berliner Festspiele (Hg.): Die Berliner Festwochen 1951–1997. Eine kommentierte Chronik, Berlin: Berliner Festspiele 1998, S. 2.

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Theaterfestivals wie keine andere Einrichtung des öffentlichen Lebens. Festivals sind zugleich Traditionshüter und Trendsetter. Sie sind Teil der Kulturgeschichte, die sie schreiben.«3

Die Emphase illustriert das Anliegen, Festivals als gesellschaftlich relevante Werkzeuge und damit als mit einer sozialen Effizienzlogik konform darzustellen. Doch erst die historischen Differenzierungen, die Festivals von der grundsätzlichen Markierung als Fest abgrenzen, machen sie zu einem spezifischen Organisationsmodell. Um auf diese Unterschiede Rückschlüsse zu erhalten, muss im Folgenden das Fest beziehungsweise die Diskursivierung des Fests beleuchtet werden. Z UM F ESTDISKURS Das Fest ist zweifelhaft. Die Diskussion des Festbegriffs, die gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Renaissance erlebt,4 arbeitet sich größtenteils an zwei Themenkomplexen ab. Erstens an der Frage nach der Fixierung von Unterschieden zwischen Feier und Fest. Zweitens an der Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit von Festen in den westlichen Nachkriegsgesellschaften. Essays zum Fest sind am Ende des 20. Jahrhunderts überwiegend von einer Haltung des ›Moratoriums‹ geprägt, vom Überdruss an (vermeintlicher) Durchrationalisierung, Entfremdung und eines oft beklagten Sinnverlusts des Fests. Man kommt zu dem Schluss, dass »sich eine ›große‹, umfassende Philosophie des Festes als ebenso unmöglich wie verzichtbar«5 erweist. Und dass eine Nostalgie der hauptsächliche Impetus des Festdiskurses ist, »verstanden als eine bürgerliche Trauer, welche die verlorengegangenen Feste trotz ihres partiellen Zwangscharakters hinterlassen haben.«6 Davon unbeeindruckt werden dennoch Versuche unternommen, das verloren geglaubte Fest genauer zu definieren. Es wird meist zwischen den Extremen angesiedelt: zwischen Göttern und Menschen, Ernst und Entgleisung, Affirmation und Negation gesellschaftlicher Ordnung, Ritual und Spiel, 3

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F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/static/ themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 17. Von den daraus entstandenen Publikationen seien nur einige genannt. Richard Alewyn: Das große Welttheater: die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung, München: Beck 1985; Richard Beilharz/Gerd Frank (Hg.): Feste. Erscheinungsund Ausdrucksformen, Hintergründe, Rezeption, Weinheim: Deutscher Studienverlag 1991; Peter Csobádi u.a. (Hg.): ›Und jedermann erwartet sich ein Fest‹. Fest, Theater, Festspiele, Anif/Salzburg: Mueller-Speiser 1996; Winfried Gebhardt: Fest, Feier und Alltag: über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt am Main: Lang 1987; Walter Haug/Rainer Warning (Hg.): Das Fest, München: Fink 1989; Paul Hugger (Hg.): Stadt und Fest. Zur Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur, Unterägeri: W&H Verlags AG 1987; Gerhard M. Martin: Fest und Alltag: Bausteine zu einer Theorie des Festes, Stuttgart: Kohlhammer 1973; Josef Pieper: Über das Phänomen des Festes, Köln: Westdeutscher Verlag 1963; Patrick Primavesi: Das andere Fest. Theater und Öffentlichkeit um 1800, Frankfurt/New York: Campus 2008. Walter Haug/Rainer Warning (Hg.): Das Fest, München: Fink 1989, S. 692. Ebd.

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Fest, Gemeinschaft, Ereignis

Würde und Zügellosigkeit, Erbauung und Destruktion. Wenn es die Regeln aussetzt, so bestätigt es sie zugleich. In dieser Position wird das Fest zum Medium schlechthin, zum Vermittler und Übergangszeitraum. Die Matrize für alle aufgeführten Beschreibungsansätze ist die Tradition des Abendlandes, allen voran Demokrits Diktum, ein Leben ohne Feste gleiche einer weiten Reise ohne Einkehr.7 Der Argumentationsstrang, Feste seien notwendig, um das harte, rastlose Leben erträglich zu machen, nimmt hier seinen Ursprung. Von der eher pädagogischen Warte aus wird zumeist aus Platons Nomoi zitiert, in der dieser für das Fest eine Rolle als Lehrmittel vorsieht.8 Seine Funktion bestehe nicht darin, ästhetische und sinnliche Freuden zu spenden, sondern Vermittler einer höheren Ordnung zu sein. Indem die Götter den Menschen die Feste zur Entlastung von den Mühen des Alltags schenken und ihnen im Fest begegnen, verfolgen sie zugleich eine didaktische Strategie. Die Menschen, die im Alltagsgeschäft die Tugenden allmählich wie ungeübte Kinder verlernen, werden während der Feste wieder an ihre Sittsamkeit gemahnt und in ihr bestärkt.9 Der Kontrast zu Demokrit ist deutlich. Während dieser auf die notwendige physische und psychische Entlastung des Individuums hinweist, sind für Platon Feste Gelegenheiten zur moralischen Stärkung im Dienste der Polis. Damit sind letztlich Feste restituierende, beschränkende und an die Ordnung gemahnende Veranstaltungen, die die »Zustimmung zur Welt« (Josef Pieper) meinen – ob in der Antike in Verbindung zu den Göttern, ob im Humanismus mit Rückbindung an den rationalen Menschen.10 Feste bilden gerade in Krisenzeiten den Raum, in dem gesellschaftserhaltende Normen auf den Prüfstand gestellt und in aller Regel bestätigt werden. Seine ordnungsstiftende Funktion macht das Fest letztlich als Grundlage für das Zusammenleben für alle Gesellschaftsmitglieder verbindlich. In vormodernen Gesellschaften ist die Teilnahme am Fest praktisch Staatspflicht, deren Verweigerung Anarchie.11 Damit wird jedoch auch die Entlastung durch das Fest zur Pflicht – eine Entlastung, die auch Exzesse mit einschließen kann und sogar muss. Zwar waren und sind Feste auch immer Gelegenheiten für Austausch über und von profanen Dingen, zum Knüpfen von Kontakten, zum Handeltreiben. Doch ihr Zentrum liegt stets im Festgeschehen, im Aussetzen der Regeln um der Regel willen. Das Fest vermittelt Vorstellungen

bίος άνεόρτατος µαχρή δσός άπανσόχευτος, »Leben ohne Feste ist wie ein langer Weg ohne Rasthäuser.« In: Demokrit: Fragmente zur Ethik, Fragment 230, Stuttgart: Reclam 1996, S. 42f. 8 Dies natürlich auch vor dem Hintergrund, dass Platon viele ästhetische Praktiken (abgesehen von der Epik) nicht anerkennen und mitunter, wie das Schauspiel, gänzlich aus der Polis verbannen will (Polytheia, 10. Buch). Vgl. Platon: Nomoi. Griechisch und Deutsch, in: Sämtliche Werke Band 9, hg. von Karlheinz Hülser, Frankfurt am Main: Insel Verlag 1991, Nomos 654cff. 9 Vgl. Christian Meier: »Zur Funktion der Feste in Athen im 5. Jahrhundert vor Christus«, in: Haug/Warning (Hg.), Das Fest (1989), S. 575. 10 Vgl. Rüdiger Bubner: »Ästhetisierung der Lebenswelt«, in: Haug/Warning (Hg.), Das Fest (1989), S. 651–662. 11 Die Anarchie auch gegen die Anarchie des Fests. 7

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vom »guten Leben« durch die »›Auratisierung‹ des Augenblicks«12 und die kollektive Erfahrung von »Lebensintensität«.13 Mit anderen Worten findet im Fest eine Übersteigerung des Lebens an sich statt, die mehr als nur Spielerei ist. Dem Fest wird also die Fähigkeit zugeschrieben, Gemeinschaft auf höherer Ebene zu stiften und zu erhalten. Dies ist sein auratischer Zug. Demgegenüber steht die Feier mit ihrem privatistischen und pragmatischen Gepränge. Entscheidend für das Verhältnis von Fest und Feier ist der Bezug der Feier auf rein weltliche Belange, auf Diesseitigkeit. So könne man Feiern als Situationen begreifen, »die bestimmte hervorgehobene Inhalte, die im Dasein von Bedeutung sind, […] dergestalt überhöhen, daß sie den Alltag, seine Teilbereiche und Einzelzwecke rückwirkend bestätigen«, während Feste Aktivitäten darstellen, »die die Routinen hinter sich lassen, sie übersteigen und virtuell außer Kraft setzen.«14 So wird die Feier attribuiert mit dem Würdevollen, Getragenen, Glamourösen, das den Ernst des Lebens kennt, aber nicht selbst ernst macht, indem es dieses Leben verändert. Das Fest hingegen ist der Ernstfall15 per se, sowohl in seiner Unverantwortlichkeit im Exzess als auch in seiner Verpflichtung gegenüber der Instanz der Ordnung. Der Ernstfall markiert die Intensität des Fests und seiner auch gewalttätigen, ausschweifenden, nihilistischen, anarchistischen Züge. Der Ernstfall relativiert die Entleerungen, die sich im Alltag einstellen, und neben die manchmal scheinbar sinnlose Zerstörungswut des Fests tritt die Geste der Sinnrestitution, des erneuten Anreicherns von Sinn im Leben der Festteilnehmer. Dieser Sinn ist zugleich ein Gegen-Sinn, er formuliert sich zumeist als Sinn einer Gruppe – nicht primär des einzelnen Festteilnehmers – gegen eine andere. »Basal erscheint die Erkenntnis, daß Feste nur dann zu Festen werden, wenn der Inklusion einer Festgemeinde die Exklusion der zum Fest nicht Zugelassenen korrespondiert.«16 Der Sinngewinn im Festgeschehen bezieht seine Kraft demnach auch aus der Abwertung anderer Gemeinschaften, die die Regeln des eigenen Fests nicht teilen. Die vier elementaren Funktionen17 des Fests – Selbstvergewisserung, Gemeinschaftserfahrung, Orientierung und Unterhaltung – setzen eine enge Grenzziehung voraus, in der diese Attribute des Fests zur Wirkung kommen können. Das Fest beschreibt somit zwangsläufig einen relativ engen Kreis um sich, um sich selbst zu erhalten und seine Konturen nicht zu verlieren. Aus dieser Notwendigkeit heraus ergibt sich bisweilen ein aggressiver Gestus, der zwar hauptsächlich nach außen artikuliert wird, sich nach innen aber in Ausschweifung, Verschwendung und tatsächlichen Zerstörungsritualen entlädt. Gerade in seiner offenen Aggressivität, Ausschweifung und Vernichtungsgewalt vermag es die Fesseln der Gesellschaft und die Struktur der Effizienzlogik zu bre-

12 Angelika Berlejung: »Heilige Zeiten. Ein Forschungsbericht«, in: Ebner u.a. (Hg.), Das Fest: Jenseits des Alltags (2003), S. 8. 13 Ebd., S. 14. 14 Wolfgang Lipp: »Feste heute«, in: Haug/Warning (Hg.), Das Fest (1989), S. 664f. 15 Vgl. W. Haug/R. Warning: Das Fest, S. 694. 16 Hermann Danuser/Herfried Münkler (Hg.): Kunst, Fest, Kanon. Inklusion und Exklusion in Gesellschaft und Kultur, Berlin: Edition Argus 2002, S. 8. 17 Vgl. ebd.

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chen. Dem entspricht die »Theorieresistenz des Festes«18 – eine Eigenart, die es mit Festivals teilt. Doch auch das Fest ist seit Ende des 20. Jahrhunderts keine konsistente Größe mehr. A USDIFFERENZIERUNG

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Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist das Fest wieder in der Diskussion, die vor dem Hintergrund der soziologischen Veränderungen der so genannten Postmoderne entflammt.19 Hauptsächliches Merkmal der Feste der Postmoderne scheint ihre Polarisierung zu sein. Das zuvor beschriebene Vermitteln zwischen den Extremen wird radikalisiert, das Fest siedelt sich zusehends an einem der beiden Pole von ›Spiel‹ und ›Ernst‹ an. Dies geschieht im Zeichen der radikalisierten sozialen und politischen Verhältnisse. Das Fest strukturiert Zeit und wird vice versa von ihr strukturiert. Festkalendarien, Zyklen, Fastenzeiten und Ähnliches strukturierten den Raum, in dem sich der vormoderne Mensch aufhalten konnte. Vielmehr noch konnten sich Gesellschaften innerhalb dieser festgelegten Zeitabschnitte konsolidieren und konstituieren. Feste waren ein Anker im Zeitlauf einer Sozialität, die sich zu diesen festen Terminen selbst diskutierte und auf den Prüfstand stellte – gleichgültig ob vor der Instanz der Gottheit oder der des aufgeklärten Menschen. Paul Hugger diagnostiziert nun für die jüngste Vergangenheit und Gegenwart ein Fehlen zusammenhängender Sozialitäten: »Nicht die Kontinuität, sondern die Diskontinuität ist [beim modernen Massenfest] die Regel. Das soziokulturelle System ist ein anderes geworden. […] Das neue Fest ist nicht mehr Ausdruck einer geschlossenen Gesellschaft, sondern eher einer Massenkultur, die im Werden begriffen ist.«20 Ein »neues Fest« ist also nach wie vor denkbar, wenn auch nur in einer »Massenkultur«.21 Diese Kultur wäre jedoch nicht mehr auf die integrierende Funktion von Festen wirklich angewiesen. Die oben beschriebene verpflichtende Qualität des Fests scheint heute obsolet. »Offenbar sind moderne Gesellschaften in geringerem Maße auf die Integration durch Feste angewiesen, als dies in traditionalen Gesellschaften der Fall gewesen ist. Feste haben heute eher eine zusätzlich bestärkende als eine fundamental begründende Funktion.«22 Es ergibt sich demnach eine Teilung in allgemein verbindliche und unverbindliche Ereignisse, an denen die Mitglieder einer Gesellschaft teilhaben können, aber nicht mehr müssen. »Zumindest die Masse heutiger ›Festivals‹ sind Teil eines letztlich unver-

18 So Odo Marquard in: Elke Kaiser/Bernhard Teubner: »Diskussionsbericht. Vorlagen: Rüdiger Bubner, Wolfgang Lipp, Odo Marquard. Leitung: Rainer Warning«, in: Haug/Warning (Hg.), Das Fest (1989), S. 695. 19 Vgl. Fußnote 4. 20 Paul Hugger: »Das Fest – Perspektiven einer Forschungsgeschichte«, in: Hugger (Hg.), Stadt und Fest (1987), S. 17. 21 Viel eher könnte sich im Zusammenspiel zwischen einer neuen »Massenkultur« (zu vermuten wäre, dass Hugger auf die sich formierende Europäische Gemeinschaft anspielt) und neuen Kalendarien des Fests eine Nische für eine neue Festkultur eröffnen. Eine Festkultur, die gleichsam eine ›europäische Kultur‹ mit begründen könnte. 22 Herfried Münkler: »Fest-Kulturen. Politische Gemeinschaftserfahrung und gesellschaftliche Entwicklung«, in: Danuser/Münkler (Hg.), Kunst, Fest, Kanon (2004), S. 26.

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bindlichen Freizeitangebots.«23 Hiermit wird die eigentliche Neuerung der Festfunktion und der Positionierung des Fests deutlich: Seit den achtziger Jahren wird es in den Bereich der Freizeit verschoben. Seiner ursprünglichen sozialen Aufgaben verlustig gegangen, konkurriert es mit anderen Angeboten (und damit auch mit dem Festival). Und man kann mit Paul Hugger ergänzen: »Da diese Feste keiner sozialen Notwendigkeit im alten Sinne entsprechen, bekommen sie den Charakter des Experimentellen […]. Sie haben einen optionalen Charakter, indem ihre Zielsetzungen und das Zielpublikum frei gewählt werden können. […] Sie sind höchstens ein Versuch, eine Einheit, die an sich nicht mehr besteht, wieder herzustellen.«24 Diese Trennung in Notwendiges und frei Wählbares, Ernst und Spiel lässt sich im Anschluss an die Theorien des Ethnologen Victor Turner auch als eine in »liminale« und »liminoide« Phänomene beschreiben. Turner untersucht aus ethnologischer Perspektive die Verhaltenscodes kleiner Lebensgemeinschaften im Hinblick auf ihre stabilisierende und destabilisierende Wirkung auf die Gemeinschaft. Dreh- und Angelpunkt seiner Überlegungen sind die so genannten Übergangsphasen (Passagen) einer Gemeinschaft oder von Teilen der Gemeinschaft wie Geburt, Tod, Pubertät und so weiter, also Schwellenzustände im engeren Sinne. In traditionellen Stammesverbänden werden Grenzüberschreitungen und Regelbrüche in der Übergangsphase nicht nur sanktioniert, sondern sogar in besonderen Riten vorgegeben: »[A]lle diese Handlungen und Symbole sind Pflicht. Selbst das Überschreiten der Regeln ist während der Initiation vorgeschrieben. Gerade dieser Pflichtcharakter ist ein wichtiges Merkmal, das das Liminale vom Liminoiden unterscheidet.« Und weiter: »Liminoide Phänomene sind also durch Freiwilligkeit, liminale durch Pflicht gekennzeichnet. Das eine ist Spiel, Unterhaltung, das andere eine tief ernste, selbst furchterregende Sache.«25 Im Kern lassen sich Feste als Formen von Übergangsriten in zwei Gruppen differenzieren: in eine ernsthaft-verbindliche und eine spielerische. Turner bezeichnet sie als »liminale« und »liminoide« (also dem Liminalen ähnliche) »rites de passage«, wovon Letztere hauptsächlich in industrialisierten postmodernen Gemeinschaften dominieren. Entscheidend für die Gegenwart ist die Kopplung des Liminoiden an ökonomische Faktoren: Mit dem Partikularismus des Liminoiden, heute angeblich vorherrschenden Festgebaren, verbinden sich ökonomische Überlegungen. »Liminoide Phänomene sind eher idiosynkratisch, eigenartig, werden von ganz bestimmten, namentlich bekannten Individuen und in besonderen Gruppen […] hervorgebracht. Die müssen miteinander um allgemeine Anerkennung konkurrieren, und man hält sie zunächst für auf einem ›freien‹ Markt zum Kauf angebotene spielerische Darbietungen«. Weiter: »Das Liminoide ist eher einer Ware vergleichbar – tatsächlich ist es oft eine Ware, die man auswählt und für die man bezahlt –, während das Liminale Loyalitätsgefühle weckt und mit der Mitgliedschaft oder begehrten Mitgliedschaft in einer stark korporativen Gruppe verbunden ist.«26 Der Differenzierung der mo23 J. Kühnel: Der Tod, das Fest und das Theater, S. 176. 24 Paul Hugger (Hg.): Stadt und Fest. Zur Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur, Unterägeri: W&H Verlags AG 1987, S. 17. 25 V. Turner: Vom Ritual zum Theater, S. 65f. 26 Ebd., S. 86f.

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dernen Gesellschaften korrespondiert also laut Turner eine Aufspaltung des Rituals (das hier synonym für das Fest benutzt wird) in das Liminale, würdevoll Ernsthafte und das liminoide Festgebaren, das käuflich, spielerisch und willkürlich sein kann. Genau in dieser Eigenschaft erkennt Turner jedoch das eigentümliche Potential, den Vorteil des Liminoiden (Post-Fests) gegenüber dem Liminalen (alten Fests). Die entscheidende Wendung besteht darin, dass Turner die Fähigkeit zur Subversion gängiger Werte dem Liminoiden, also dem Käuflichen und Spielerischen, zugesteht. In ihm erkennt er den Freiraum für überraschende Veränderungen, während er dem Liminalen als streng vorgezeichnetem Geschehen in letzter Konsequenz nur eine affirmative Funktion zugesteht. Obwohl also beide Phänomene an den Grenzen der Gesellschaft operieren, ist nur das Liminoide kreativ genug, um diese wirksam zu transzendieren. Diese Überschreitung bedeutet wiederum einen Zuwachs für die Ausdrucksmöglichkeiten, Freiheit und Gestaltungsfähigkeit einer Gemeinschaft.27 So weit Turner. Die Gegenwart zeichnet ein differenzierteres Bild. Mit dem ›Einfallen‹ der Logik von Effizienz und Rentabilität in alle Lebensbereiche und längst auch in die ›freie Zeit‹, die die Generationen zuvor noch verteidigt hatten, verschieben sich auch die Grenzen des ›Grenzüberschreitenden‹: Arbeit und Freizeit werden sich immer ähnlicher, die Attribuierungen von Sinnhaftigkeit verlagern sich. Johan Huizinga etwa führt als wesentliches Merkmal der Moderne den zunehmenden Verlust des Rituellen und Spielerischen an: »Es hat sich eine weitreichende Verquickung von Spiel und ernsthafter Aktivität vollzogen. Die beiden Sphären vermischen sich […]. Das […] Spiel ist […] nicht mehr in der Lage, seinen eigentlichen Spielcharakter zu wahren, weil es zu ernst genommen wird und im technischen Sinne überorganisiert wird.«28 Die Trennung, die Turner noch aufrechterhalten will, wird laut Huizinga hinfällig, wenn ein neuer Ernst das Liminoide okkupiert. Mit anderen Worten werden in einer auf Events, das heißt auf durchorganisierte Ereignisse, ausgerichteten Gesellschaft die Gegensätze zwischen Arbeit und Feststimmung, die das Fest und das Ritual ermöglichten, nachhaltig getilgt und wird damit das alte Fest insgesamt verunmöglicht.29 Die Realität scheint sich zwischen beiden Polen – der Rettung des Fests im Liminoiden und des kompletten Verfalls des Fests durch zu starke Ernsthaftigkeit – einzupendeln. Denn es existieren immer noch Derivate des Fests, zu denen auch Festivals zu zählen sind. Diese (über-)modernen Feste haben sich (seit den achtziger Jahren) durchaus der allgemeinen gesellschaftlichen

27 Vgl. ebd., S. 61f. Dieses Potential zur Freiheit erfährt jedoch, und das sieht Turner nur zum Teil, seine eigene Begrenzung durch die Neigung des Liminoiden zum Käuflichen, durch seine Zugehörigkeit zum »Markt spielerischer Darbietungen«. 28 Johan Huizinga: Homo Ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek 1956 (zit. nach Jochen Köhler: »Von der Muße zum Marketing. Die Perfektionierung der Feiertage«, in: Kemper (Hg.), Der Trend zum Event [2001], S. 24). 29 Allerdings sind auch bei Turner Spiel und Ernsthaftigkeit zumindest in der ursprünglichen rituellen Communitas nie voneinander getrennt. Die Ernsthaftigkeit des Spielerischen im Ritual ist unabdingbar, um den Grenzübertritt herzustellen. Der zu transformierende Mensch muss unbedingt die Regeln brechen, damit er sie anerkennen kann.

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und ökonomischen Differenzierung angeglichen.30 Diese Anpassung markiert auch die Haupteigenschaft der Festphänomene der Gegenwart, die je nach Bedarf ihre unterschiedlichen Funktionen (Selbstvergewisserung, Gemeinschaftserfahrung, Orientierung, Unterhaltung) je neu und der Situation entsprechend gewichten. Das heißt, festliche Ereignisse werden selbst ausdifferenziert und reagieren variabler auf die Bedürfnisse der Feiernden, betonen stärker und entschiedener die Akzente. Hierbei bleibt die Minimalanforderung an ein ›Ereignis‹, das als Fest wahrgenommen werden will, alle vier Funktionen – Selbstvergewisserung, Gemeinschaftserfahrung, Orientierung und Unterhaltung – bis zu einem gewissen Grad zu erfüllen. Diese offene Definition erlaubt mehr Raum für Veränderungen im Festmodell und verschiebt den Fokus der Diskussion auf die Fähigkeit der heutigen Festderivate, sowohl stabil als auch luzide zu sein, womit sie auch dem Festival näher stehen. D AS F EST

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Auch wenn aus der oben beschriebenen Position heraus Festivals durchaus als Spielart des Fests begriffen werden können31 – ein Zusammenhang zwischen Fest und Kunstfestivals wird nur vereinzelt wissenschaftlich reflektiert beziehungsweise benannt. So behandelt zwar Wolfgang Lipp in seinem Aufsatz Feste heute kursorisch Musikfestivals wie Woodstock, kulturelle Festivals lässt jedoch auch er außen vor.32 Und mit der Aussage, dass Festivals der »Kategorie der modernen Mußegattung«33 angehören, ist auch nicht wesentlich mehr ausgesagt. Welche Komponenten des Fests existieren aber im Festival und verleihen ihm seine Besonderheit als Organisationsmodell, als Produktionsformat und Veranstaltungsrahmen? Das Fest, ontologisch und anthropologisch fundiert, mythologisch und emotional stark besetzt, kann nicht ins Festival hinübergerettet werden. Welche Rolle aber spielen seine Symptome im Festival? Von Theaterfestivals der Gegenwart selbst werden eher beiläufig Schlagwörter wie ›Fest‹, ›festlich‹, ›feierlich‹ in Programmhefte, Vorankündigungen und Pressemitteilungen eingestreut, ohne eingehend reflektiert zu werden. Festivals stellen sich damit eher oberflächlich in eine Tradition, die assoziativ wirkt, allerdings wenig über Festivals als Form, als Struktur, als System etwa als Nachfahren des Fests aussagt. Eher intuitiv denn reflektiert wird mit diesem Begriff geworben, hinterfragt wird er in aller Regel nicht. Dies zeigt allerdings auch, dass das Fest und das Festliche nach wie vor werbewirksame Argumente sind, die Bedürfnisse (nach Ordnung, Orientierung und Unterhaltung) stimulieren. Festivals als Derivate des Fests entsprechen in ihrer Differenziertheit der allgemeinen Diversifizierung der Welt, sie erfüllen 30 Münkler hingegen versteht das neue Fest ausdrücklich als Kontrast zur Effizienzlogik des Kapitalismus. »Das Festliche am Fest liegt, zumal in unseren Tagen, darin, daß es sich dem Prozeß der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, wie er als Indikator fortschreitender Modernität beobachtet werden kann, nicht unterwirft, zumindest nicht restlos anpaßt.« In: H. Münkler, Fest-Kulturen, S. 23. 31 Auch wenn Festivals nicht liminal im engeren Sinne sind, sondern liminoid: Sie sind weder verpflichtend noch bindend – selbst nicht in ihren Ausschweifungen. 32 Vgl. W. Lipp: Feste heute, S. 663–683. 33 V. Turner: Vom Ritual zum Theater, S. 66.

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aber als Organisationsmodell offenbar immer noch einige Funktionen des ›alten Fests‹.34 Indem sie einerseits alle vier oben beschriebenen Komponenten des Fests aufweisen, sind sie doch flexibel genug, sich sowohl zum Fest selbst als auch zu dem zugrunde liegenden Gesellschaftssystem zu verhalten. Selbst in ihrer unterhaltenden Qualität können Theaterfestivals kritische Distanz ermöglichen und eine liminoide Communitas begründen – also eine Communitas kritischer, selbstbestimmter, auf Einigung und Disput abzielender Individuen. Somit findet sich das gemeinschaftstiftende Element des Fests, das zugleich durch Verausgabung und Verkehrung der Verhältnisse diese Gemeinschaft infragestellt, ebenso, wenn auch in differenzierter Form, im Festival. Ausdruck dieser Ernsthaftigkeit des Spiels, die zuvor als Eigenheit (post)moderner Feste benannt wurde, ist im Festival eine merkliche Tendenz zur Re-Theoretisierung. Viele Festivals des Theaters verstehen sich nicht nur als unterhaltende Veranstaltungen, sondern als Arbeitstreffen der Fachszene der Festival- und Theaterproduzenten. Diese Tendenz zeigt sich vor allem bei Festivals, die in den achtziger und neunziger Jahren gegründet wurden. Seitdem ist das Festival eine Organisationsform, die verstärkt Arbeit mit Unterhaltung kurzschließt: in Workshops für Besucher und Künstler, in Gesprächsrunden und Kolloquien, in Live-Debatten im Fernsehen et cetera (vgl. Kapitel »Diskurs«). Die andere Seite ist der zunehmende Zwang des Festivals post festum, seine spielerischen Attribute stärker auszustellen. Als ein liminoides Phänomen unter vielen muss es seine festlichen Qualitäten ebenso stark machen wie seine ernsthaft-reflexiven. So wie die Ernsthaftigkeit des Fests nichts ist ohne die Ausschweifung im Spiel und im Rausch, so hängt auch das Festival von seinem Entertainment-Versprechen ab. Allerdings besteht ein entscheidender qualitativer Unterschied zwischen festlichem Versprechen und den Verheißungen der Festivals. Diese sind meist unzweideutig als ›Ziel‹ eines Fests angelegt, das Fest bezieht seine Funktion aus seinem zentralen Versprechen (beispielsweise Erlösung). Das Festival hingegen ist darauf angewiesen immer wieder Besucher anzuziehen, es darf sich nicht selbstgenügsam sein, ebenso wie das Theaterereignis nicht ohne die Erwartungen, die an es gekoppelt werden, funktionieren könnte. Gerade durch die Freiwilligkeit des Festivalbesuchs müssen Festivals immer wieder Argumente für sich finden. Sie sind, da sie in der Regel nicht durch starke Traditionen gestützt werden, ungeschützter und stehen unter den Zwängen von wirtschaftlicher Rentabilität und Profilschärfung. In ihrer Vielseitigkeit und Unverkrampftheit haben sich Festivals von einem oft hinderlichen Festpathos, das seine Faszination noch lange nicht eingebüßt zu haben scheint, befreit und ihre eigenen Nischen in der überfüllten »Erlebnisgesellschaft« (Schulze) der (Post-)Moderne gefunden. Mit ihren deutlichen Anleihen bei festlichen Ereignissen stehen sie zwar in einer gewissen Tradition – vor allem einer der Versprechen, der Ausbrüche und Infragestellungen –, nutzen diese aber für ihre eigenen Zwecke. Im Angesicht eines nicht zu leugnenden ›Festschwunds‹ können Festivals insbesondere für die Kunst des Theaters, das mit dem Fest genetisch verbunden ist, eine Ni34 Freilich nur in den Grenzen, die den Festen der Gegenwart selbst auferlegt sind. Denn heutige Feste realisieren selbst nur partiell die eigentliche Festidee mit ihrem befreienden und zerstörerischen Potential.

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sche besetzen und das Theater in seinen gegenwärtigen Positionen entscheidend beeinflussen. Der Rahmen, den Festivals auch als Ereignisse mit Festkonnotationen bieten, gewährt Entfaltungsmöglichkeiten und Experimentierräume für Theater, das sich zwar seiner Fesseln an das Fest gelöst weiß, die Wahlverwandtschaft deshalb aber um so berechtigter und befreiter eingeht – und in diesem Kontext neue ästhetische Formen ausbilden kann. Der liminoide Charakter, der Festivals trotz ihrer Anpassung an die Gegebenheiten der Postmoderne zugesprochen werden kann, eröffnet die heute entscheidenden Kontingenzräume.

Fest(ival)gemeinschaft Vor dem Hintergrund der ästhetischen und funktionalen Zusammenhänge zwischen Fest und Festival scheint es angebracht, detaillierter auf die Gemeinschaft und die Personengruppen einzugehen, die bei Festivals eine Rolle spielen, weil zum Fest wie zum Festival Gemeinschaft gehört. Bei der Verwendung des Begriffs Fest(ival)gemeinschaft wird von den Grundkonstanten von Gemeinschaft im Allgemeinen ausgegangen. Konzepte von Jürgen Habermas und Victor Turner werden dabei helfen zu definieren, wer wann und warum an welcher Gemeinschaft teilhat und wer nicht.35 Die Grundkonstante der Festgemeinde ist soziale, geteilte Zeit. Es ist weniger der Ort, der die Festivalgemeinde bestimmt, als die Entscheidung für die Investition von Zeit in eine Begegnung mit anderen zu einem bestimmten Anlass. Aus dieser Entscheidung für die gemeinsame Präsenz leitet sich die Verlässlichkeit der Festivalgemeinschaft ab. V ERLÄSSLICHE P RÄSENZ Paul Virilio hat in seinen Studien Revolutionen der Geschwindigkeit (1993) und Geschwindigkeit und Politik (1980) ausführlich dargelegt, welche Kräfte zwischenmenschlicher Begegnung in der Postmoderne entgegenstehen. Laut Virilio sind dies die zunehmende Beschleunigung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorgänge und die wachsende Entfremdung der Menschen durch das Wegfallen von fühlbaren Grenzen (Stichwort Digitalisierung). Angefangen habe diese Zersetzung der Gesellschaft und der zwischenmenschlichen Begegnungen mit der Einführung der Eisenbahn. Das Verhältnis zur Realität, das sich durch das Fortkommen zu Pferd, per Kutsche oder zu Fuß auf einer Reise wiederholt herstellen konnte, werde unterlaufen durch die Geschwindigkeit des Zugs. Statt Fixpunkte wahrzunehmen, zeigen sich dem Reisenden Striche, zerfließt das Außen zu einem undifferenzierten Feld. Begegnungen können in dieser disfigurierten Welt nicht mehr koordiniert stattfinden, woraus in letzter Konsequenz statt Begegnung ein Aufeinanderprallen resultiere. Alles Zwischenmenschliche reduziere sich daher auf feindselige Grundgesten. So stehen Feindschaft und Krieg für Virilio am Ende einer sich 35 ›Teilhabe‹ ist hier als Begriff gewusst gewählt, da diese Setzung einen wichtigen Grundzug der Gemeinschaften auf Festivals, das gemeinsame Haben statt eines Nehmens, beschreibt.

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stetig erhöhenden Beschleunigung, womit diese als zeitliche Konstituente letztlich politisch relevant wird: Wer über die Zeit bestimmt, hat reale gesellschaftliche Macht. »Demokratie heißt Teilung der Macht; Allgegenwart [die in der virtuellen Welt der Echtzeit laut Virilio entsteht, J.E.] aber ist ein Attribut des Göttlichen und damit des Autokratischen. So zeichnet sich ein gefährlicher Konflikt zwischen politischer Demokratie und technologischer Autokratie bereits ab.«36 Mit anderen Worten ist der (post)moderne Mensch, der durch die maximal beschleunigten Medien virtuell an jedem Ort und immer anwesend sein kann, allgegenwärtig, damit göttlich und im Sinne Virilios ein Alleinherrscher. Gründet sich Demokratie wiederum auf dem Zusammenkommen der Bürger (des demos) zwecks Teilung von Macht, so muss Virilio eine Bedrohung für diese politische Ordnung durch das zufällige und gewaltsame Zusammentreffen rasant beschleunigter Körper erkennen. Beschleunigung wird so zu einem staatsverändernden Faktor. Können sich die Erzeuger von politischer Macht im Sinne Hannah Arendts nicht mehr in einem Zeit-Raum begegnen, physisch und nicht nur in virtueller »Echtzeit« wahrnehmen, so ›bleiben‹ schlicht keine Zeit und kein Raum, in denen die Bürger ihre sozialen und politischen Anliegen verhandeln und Macht teilen können – und als Resultat eine Autokratie. Wenn »Entscheidungen mit Lichtgeschwindigkeit gefällt werden, kann es keine Demokratie mehr geben.«37 Beschleunigung sei folglich eine Ursache für die Zersetzung des Staats. Für Virilio ist die physisch reale Zusammenkunft unabhängig von reiner Simultaneität, die auch technisch erzeugt werden könnte, ein Faszinosum und emphatisch besetzt. Er steht mit dieser Haltung und seiner Interpretation der Gegenwart in der Tradition einer Kulturkritik, die Ursprünglichkeit als Fixpunkt ihrer Weltsicht nimmt, die Urbilder beschwört.38 Sie reflektiert das Paradoxon, dass »der Mensch, der eigentlich den ganzen technologischen Wirbel entfesselt hat, letztlich selbst zum Stillstand kommen wird«.39 Das Festival als Organisationsmodell widerspricht jedoch per se Virilios Diagnose. Denn für Feste wie Festivals gilt gleichermaßen, dass sie nur existieren, wenn jemand an ihnen teilhat. Es ist die Idee des ›Treffens‹ und der geteilten Zeit, die einem jeden Festival zugrunde liegt.40 Wer auf einem Festival anwesend ist, ob Künstler oder Zuschauer, ist es auch, um mit Gleichgesinnten und Angehörigen seiner ›Szene‹ in Kontakt zu kommen, und weniger, um konkrete, strategische Ziele zu verfolgen. Als Garant dieser Erwartung kann das Faszinosum individueller Liveness gelten. Die geteilte Präsenz realer Personen auf einem Festival steht im Kontrast zu dem von Virilio behaupteten Verschwinden von Interindividualität.

36 Paul Virilio: Revolutionen der Geschwindigkeit, Berlin: Merve 1993, S. 32. 37 Ebd., S. 37. 38 Skrandies extrahiert für den besonderen Fall Virilios den Gedanken der (religiösen und) »praktikablen Demut« als Denkfigur. Vgl. Timo Skrandies: Echtzeit – Text – Archiv – Simulation. Die Matrix der Medien und ihre philosophische Herkunft, Bielefeld: transcript 2003, S. 121ff. 39 P. Virilio: Revolutionen der Geschwindigkeit, S. 14. 40 Es ist kein Zufall, dass das Berliner Theatertreffen im Rahmen der Berliner Festspiele diesen Bestandteil eines Festivals so sehr betont.

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Philip Auslanders Beitrag zur Diskussion der Bedeutung von Liveness in den Darstellenden Künsten kann einen wichtigen Ansatz zur Klärung desselben Phänomens und der Frage nach Interindividualität auf Festivals beisteuern. Auslander bezieht sich auf die verbreitete Auffassung, dass die Sonderstellung der Darstellenden Künste auf ihrer Vergänglichkeit und ihrer Bindung an das unmittelbare Jetzt besteht, und exemplifiziert diese These anhand der Ausführungen Peggy Phelans. So referiert er: »performance’s devotion to the ›now‹ and the fact that its only continued existence is the spectator’s memory are what enable it to sidestep the economy of reproduction.«41 Das Moment der Auflehnung gegen die Reproduktionsmechanismen der Kulturindustrie (»economy of reproduction«) kann hier nicht erschöpfend diskutiert werden. Wichtig ist, dass Live-Künsten die Fähigkeit zur Umgehung dieser Mechanismen attestiert wird. Die konkrete Anbindung an das Hier und Jetzt unterläuft die Regeln der Marktwirtschaft und beansprucht ihre individuelle Wirksamkeit in der Erinnerung des Teilhabenden an eine Performance. Damit entzieht sie sich tendenziell einem auf Produktion einer Ware ausgerichteten Zugriff von außen.42 Doch die Kraft der Liveness speist sich, so Auslanders Referat weiter, nicht nur daraus, sich der kapitalistischen Reproduktionswirtschaft zu entziehen, sondern auch aus ihrer moralischen Qualität. Denn die reale Präsenz eines Menschen,43 das Attribut ›live‹ zu sein, sei belegt mit Deutungsinhalten wie Aufrichtigkeit, dem Wert des Einmaligen und Authentizität, der Durchdringung von Simultaneität. Diese Originalität als »pristine state uncontaminated by mediatization«44 sei zugleich die Utopie von Stabilität. Wohlgemerkt, eine Utopie. Auslander kritisiert – und das teilweise zu Recht – die nostalgischen Hoffnungen, die mit der Idee der Liveness verbunden werden, indem er konstatiert, dass mittlerweile auch die Live-Künste wie eben Performance, Theater, Oper und Tanz sehr wohl auf reproduzierende und reproduzierbare Technologien zurückgreifen und diese in ihre Inszenierungen integrieren. Tatsächlich bestehe zwischen »the live and the mediatized«45 statt einer Opposition vielmehr ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit und Beeinflussung. Darüber hinaus ist die Eigenschaft, ›live‹ zu sein, so Auslander, eine Kategorie, die kunsthistorisch erst denkbar ist, seitdem es vermittelte Präsenz gibt, also seit der Erfindung von Funk und Fernsehen. Die Idiosynkrasie der Live-Künste sei in dieser Logik also kein Wert an sich, sondern ein nachträglich ihnen attribuierter. So weit Auslanders Kritik.

41 Philip Auslander: »Liveness: Performance and the Anxiety of Simulation«, in: Elin Diamond (Hg.), Performance and Cultural Politics, London/New York: Routledge 1996, S. 196. 42 Aus der (von der Theaterwissenschaftlerin Peggy Phelan behaupteten) Randständigkeit und sozialen Marginalisierung von Künstlern entsteht ein Moment der Präsenz, der nicht hintergangen werden kann. Diese Position wird jedoch nicht durch eine Setzung bezogen, sondern ist das Resultat des »devotion to the ›now‹«, des Bezugs zum Chronotop. Doch es ist mehr als nur ein Bezug, es ist die Hingabe zum Jetzt, die Liveness ausmacht. 43 Im Theater, im Gerichtssaal, beim Meeting et cetera. 44 P. Auslander: Liveness, S. 199. 45 Ebd., S. 198.

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Festivals entkräften in ihrer konkreten Praxis Auslanders Kritik zumindest für sich als Organisationsmodell. Das Faszinosum der Liveness und die Bedeutung, die unvermitteltes gemeinschaftliches Erleben immer noch hat, gehen gerade hier keineswegs verloren, sondern werden nachgerade akzentuiert. Tatsächlich haben die Begegnungen ›authentischer‹ Personen während des Festivals stabilisierende Wirkung auf seine Struktur. Die zweifellos nostalgisch gefärbte Haltung zum Prinzip des Realen steht bei Festivals nämlich in enger Verbindung mit dem Grundgedanken des Vertrauens in den Gesprächspartner, der seinerseits auf der Präsenz der Person beruht. Nur ein Individuum gilt als Garant, kann haftbar und verantwortlich gemacht werden für Verletzungen dieses Vertrauensverhältnisses. Mit Liveness geht auf Festivals immer noch das unausgesprochene Versprechen einher, verlässlich zu handeln.46 Diese Integrität ist insbesondere in Hinblick auf die transnationale und interinstitutionelle Organisation von Kunst ausschlaggebend, die bei Festivals überwiegend in Form von Netzwerken stattfindet. Festivals als Orte zum Etablieren und Erneuern von Vertrauensbeziehungen geben damit auch eine Plattform ab für die verstärkte Vernetzung zwischen Künstlern und Kunstorganisatoren. N ETZWERKEN Netzwerke als eine Form der internationalen Organisation von Kunst sind in der Regel die Operationsbasis von Festivalproduzenten und liegen vielen Produktionsprozessen im Theatersystem zugrunde.47 Diese kooperativen Verbände ermöglichen zumeist informelle Begegnungen zwischen Kulturschaffenden und sind ein Fundament für weitere kooperative Begegnungen. Mit dem Modell des »kommunikativen Handelns« (Jürgen Habermas) lässt sich die Gruppe der professionellen Netzwerker innerhalb der Festivalgemeinde analysieren. Habermas stellt an den Anfang einer wohlgeordneten und sittsamen Gesellschaft das gemeinsame Abstimmen von Zielen durch Verhandlung und Verständigung und beschreibt diese Praxis als kommunikatives Handeln.48 Im Festivalkontext soll diese Art von Handlungsabstimmung, die idealiter in einem Raum der Gleichheit und der Gelöstheit stattfindet,49 auf künstlerische Kooperationen hinauslaufen, die aus dem Moment der Begegnung entstehen. Viele weiterführende Theaterprojekte und Koope46 Auch wenn dieses Versprechen systematisch beispielsweise von der Industrie gebrochen wird, um das System selbst zu stärken und zu bestärken. Siehe Auslanders Beschreibung dieses Mechanismus in der Musikindustrie und den Fall der deutschen Musikgruppe Milli Vanilli, die nach der Verleihung eines Grammys zum Sündenbock erklärt wurde, als bekannt wurde, dass das Duo nicht selbst sang. Die Musikindustrie opferte sich selbst, um den Liveness-Effekt zu stärken. 47 Vgl. Jennifer Elfert: Kulturelle Netzwerke für transnationales Theater in Europa. Magisterarbeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt 2005. 48 Sicherlich ist dieses philosophische Modell nur begrenzt auf unseren Kontext anwendbar. Allerdings kann damit gezeigt werden, unter welchen Vorzeichen und in welchem Kodex die professionelle Verständigung innerhalb der Festivalgemeinschaft funktionieren kann. 49 Man kann sich hier Situationen in der Festivalbar, im Loungebereich und so weiter vorstellen.

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rationen entstehen auf diesem Terrain des zwanglosen Kommunizierens, das seinerseits also Handeln generiert – ein Festival wird zum Ort der Aushandlung neuen Handelns. Dieses kommunikative Handeln im Abstimmen von Interessen, Kapazitäten, Möglichkeiten (und von Terminplänen) findet seine Zeit im Meeting, das zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort in regelmäßigen Abständen stattfindet. Während dieser Meetings wird das Gruppen- und Gemeinschaftsgefühl bestätigt und erneuert. Festivals bieten somit den Raum, um kontinuierliche professionelle Beziehungen zu eröffnen und zu pflegen. Im Innehalten während eines Festivals, in der Konzentration auf diesen Chronotop kann der Nährboden entstehen, der für kommunikatives Handeln im Sinne eines zukünftigen künstlerischprofessionellen Kooperierens nötig ist. Diese Zeit ist eine ›langsame‹, die zur Kontinuität der Beziehungen beiträgt und damit die beschleunigte Ausweitung von Kontakten kontrastiert und einschränkt. Noch interessanter als diese gelingenden kommunikativen Akte ist für unseren Kontext Habermas’ Hinweis auf die Ephemerität und die Hinfälligkeit der Kommunikation, die kommunikatives Handeln ermöglichen soll. »Stabilität und Eindeutigkeit sind in der kommunikativen Alltagspraxis eher die Ausnahme. Realistischer ist das […] Bild einer diffusen, zerbrechlichen, dauernd revidierten, nur für Augenblicke gelingenden Kommunikation, in der sich die Beteiligten auf problematische und ungeklärte Präsuppositionen stützen und von einer okkasionellen Gemeinsamkeit zur nächsten tasten.«50 Später beschreibt Habermas diese Art von Handlungen als orientiert an »Verständigung im Sinne eines kooperativen Deutungsprozesses.«51 Anders als das normativ regulierte Handeln, das dem Zweck dient, bestehende Werte und Normen zu bestätigen und zu erneuern, bietet das Modell des kommunikativen Handelns die Möglichkeit zum Widerspruch und zur Neuaushandlung von Einigungen, die kontinuierlich zu überprüfen sind. Vielmehr noch steht diese Form der kommunikativen Begegnung mit anderen unter dem Zwang, permanent neue Wege zu beschreiten, sich selbst zu thematisieren und infrage zu stellen. Somit wird das Festival auch zum Ort von Veränderungsprozessen. Innerhalb der ohnehin heterogenen Festivalgemeinschaft kristallisiert sich eine Gruppe von professionell orientierten Netzwerkern heraus, die sich in einem Prozess der wiederholten Begegnungen, des Annäherns und des Auslotens immer neuer Kontaktmöglichkeiten konstituiert. Diese Gruppe eignet sich das Festival als Werkzeug an und macht sich dessen Status als Organisationsform zunutze. Habermas versucht mit dem Entwurf eines Ideals kommunikativen Handelns seinen Beitrag zu einer an Kooperation und Verständigung orientierten Welt zu leisten und ist bemüht um das Finden von Verhandlungsmechanismen, die gewalttätige Auseinandersetzungen unnötig werden lassen. Insofern entspricht Habermas’ Theorem der Funktion von Festen im Sinne Marquards, Kriege als Form »totaler Feste« zu verunmöglichen. Bedeutet die Pflege von ›regulären‹ Festen (wie sie Marquard einklagt) ein Erträglichmachen des Alltags, so bedeutet sie auch Entspannung in gesellschaftlicher Hinsicht. Das Fest verhindert oder vertagt die gewalttätige Auseinandersetzung. Die Wie50 Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, Bd. 1, S. 150. 51 Ebd.

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dereinführung regelmäßiger Festlichkeiten wird zum Errichten einer Art Pufferzone, von Emotionsventilen. Festivals erfüllen als Orte von kommunikativem Handeln also festliche Funktionen, indem sie – dem Fest ähnlich – aggressive und kriegerische Konfrontationen zu vermeiden helfen beziehungsweise sie diesen friedlichen Ort praktizieren. Dieses Ideal bleibt freilich nicht unangefochten. Dezidiert kritisiert Andreas Dörner Habermas in seiner Beschäftigung mit dem, was er »virtuelle Vergemeinschaftung« in der medialen Erlebnisgesellschaft nennt.52 Er bemerkt: »Die blühende Rhetorik der Habermas’schen Theorie und die Breite der Textproduktion kann nicht verbergen, daß sich die theoretische Innovation darauf beschränkt, eine historisch-hermeneutische Sozialanthropologie und die Konstante des vermeintlich die Moderne charakterisierenden Konsensbedürfnisses zu entwickeln.«53 Dörner betont, dass in »posttraditionalen Gemeinschaften« der reale Kontakt in einer Gruppe physisch konkreter, real präsenter Menschen abgelöst werden kann durch die Möglichkeit sozialer Integration und Kontakts durch Medien. »›Posttraditionale Gemeinschaften‹ sind kontingent, offen, kurzfristig und weitgehend wählbar. Und gleichwohl haben sie große Relevanz als sinngebender Orientierungsrahmen des menschlichen Lebens.«54 Dörner wertet damit Virilios These ins Politische um. Im Gegensatz dazu wird hier die These vertreten, dass es gerade die realphysische Begegnung im Theater und auf seinen Festivals ist, die wesentliche Gruppenimpulse zu erzeugen vermag. Während Habitualisierung praktisch unbemerkt und subkutan ins Leben des Rezipienten eindringt, bedeutet kommunikatives Handeln eine Begegnung im Zeichen eines bewussten Konflikts. Es ist gerade die reale Begegnung einer konkreten menschlichen Gruppe – homogen oder heterogen in unterschiedlichen Graden –, die sich auf Festivals ereignet. Die Dominierung des Alltags durch Medien bietet Festivals eine neue Möglichkeit zur Stellungnahme – ob nun im kommunikativen Handeln oder in anderen Kritikformen. Wenn das Fest und die Derivate des Fests den Alltag immer noch – wenn auch in Grenzen – kontrastieren, Alltag heute aber vor allem Begegnung durch Medien bedeutet, so ergibt sich für Festivals die Chance, sich durch (relativ) unvermittelte Formen der Begegnung vom Alltag zu unterscheiden. Zwar zeigt sich auch bei Festivals immer stärker die Tendenz, Begegnungen zu vermitteln, durch Workshops, Publikumsgespräche, moderierte Gespräche. Doch auch Dörner gesteht ein, dass die Differenzqualität zwischen realer Zusammenkunft und virtueller Gemeinschaft dafür sorgen wird, dass »Versammlungsöffentlichkeiten aller Art, Feste und Feiern, Riten und Rituale, Theater- und Opernaufführungen auch in der Gesellschaft der Zukunft nicht verschwinden werden.«55

52 Auf den Begriff der Erlebnisgesellschaft wird im Kapitel »Erlebnisgesellschaft und Event« ausführlicher eingegangen. 53 Miguel Torres Morales: Systemtheorie, Diskurstheorie und das Recht der Transzendentalphilosophie. Kant – Luhmann – Habermas, Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, S. 385f. 54 Andreas Dörner: »Virtuelle Vergemeinschaftung. Integrationspotentiale in der medialen Erlebnisgesellschaft«, in: Danuser/Münkler (Hg.), Kunst, Fest, Kanon (2002), S. 36. 55 Ebd., S. 49.

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C OMMUNITAS Die Konstanz von Riten und »Versammlungsöffentlichkeiten«, die Dörner prognostiziert, weist auf die Persistenz quasi anthropologischer Grundbedürfnisse hin, die Victor Turner in seinen ethnologischen Forschungen umfassend beschrieben hat. Der Ausgangspunkt seiner Ritualtheorie, die nach wie vor nichts an ihrer Strahlkraft eingebüßt hat, ist der so genannte Passagenritus, rite de passage. Es handelt sich hierbei um einen Ritus, bei dem sich eine Statusveränderung der Ritualteilnehmer ereignet. Mit Bezug auf die Überlegungen van Genneps erkennt Turner drei Phasen im Prozess dieses Rituals: erstens eine Phase der Separation der am Ritual Beteiligten von ihrer alltäglichen Umgebung, danach eine Zeit der Seklusion, die drittens mit der Wiedereingliederung in den Alltag endet. Die mittlere Phase, in der der vorherige Status des am Passagenritus Teilnehmenden nicht mehr existiert, der neue Status allerdings ebenfalls noch nicht erreicht wurde, ist die für Turner entscheidende. Sie bezeichnet er als »liminal«, um die Grenzsituation im Erleben der Ritualteilnehmer zu kennzeichnen, beispielsweise wenn Jugendliche während eines Initiationsrituals in der liminalen Phase nicht mehr Kind und noch nicht Erwachsene sind. Liminale Situationen erachtet Turner als die Zeiträume, in denen sich Kreativität selbst in der Ordnung des Rituals entfalten kann. Als liminal begreift Turner also jene Konstellationen und Ereignisse, anhand derer die Gemeinschaft oder zumindest einer ihrer Teile einen qualitativen Sprung in eine andere ›Daseinsform‹ vollzieht. Liminalität bleibt jedoch auf einfache Gesellschaften beschränkt. Trotzdem findet Turner in der Gegenwart ähnliche Phänomene, die er, um die Differenz zum Ritual zu akzentuieren, »liminoid« nennt. Liminoide Phänomene haben dort ihren Ort, wo soziale Strukturen an Verbindlichkeit verlieren – für Turner sind dies die Orte des Theaters (mit Anlehnung an Schechner), des Sports und der anderen Künste. Liminoidität als Grenzphänomen innerhalb komplexer Gesellschaften bietet Raum für Kreativität und bleibt randständig, ohne jedoch die Gesellschaft als Ganzes umwälzen zu können. Um wiederum die Erfahrungen beschreiben zu können, die die an der liminoiden Situation partizipierenden Gruppen machen, wählt Turner den Begriff der Communitas. Den qualitativen Sprung in eine andere ›Daseinsform‹ findet Turner in der mittleren Phase des Rituals. Als ein solcher Sprung ins Ungewisse lassen sich aber auch Krisensituationen begreifen, also Erfahrungen, die ein Handeln der Gemeinschaft erfordern und die Energien aller Beteiligten freisetzen, die zur Bewältigung der Krise notwendigerweise erforderlich sind. Turner legt überzeugend dar, wie zumindest in Gesellschaften, die in hohem Maße auf Ritualen basieren, Communitas in Situationen entsteht, die diese Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Laut Turner restituieren Rituale, die eine Gesellschaft zur Abwehr kritischer, krisenhafter Situationen durchführt, jedoch nicht zwangsweise die ihnen zugrunde liegenden Normen. Zwar sind gerade diese Gesellschaften besonders auf eine gemeinsame Wertewelt angewiesen, doch vermag sich in Ritualsituationen, an denen in der Regel die gesamte Gemeinschaft teilnimmt, ein Potential auch der produktiven Kritik tradierter Werte und Handlungsrichtlinien entfalten. Diese Situation der kritischen Kommunikation und Gemeinschaft, die es nach wie vor in heutigen Gesellschaften gibt, ist Turners Communitas. Ihre Bedingung ist die Grenzsituation, an dieser vermag sie sich zu entzünden: »Ich habe die soziale Di86

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mension des Individuums als Communitas bezeichnet, die im wesentlichen eine liminoide, voluntaristische Beziehungsform zwischen totalen, vollständigen Menschen ist und die zur Klarheit des Bewußtseins und des Fühlens sowie manchmal zur spontanen Entstehung neuer Denk- und Seinsweisen führt.«56 Turner beschreibt einen Zustand des Einzelnen, eine Erfahrung, die im Kontakt mit anderen in einer Grenzsituation entsteht, die freiwillig geteilt wird. Im Terminus der Communitas bündelt Turner somit Aspekte menschlicher Gruppenbildungen, die sich auch an Festivals nachweisen lassen. Die schon benannten Merkmale dieser Festivalgemeinschaft (Teilen und Verdichten von Zeit, Liveness und Verlässlichkeit, Tendenz zum kommunikativen Handeln) findet Turner im grundlegenden Phänomen der Communitas bereits in reduzierter Form in vormodernen Gesellschaften. Turner unterscheidet hierbei drei Formen, wobei für ihn die erste, existentielle oder spontane Communitas genannt, die bedeutendste ist: »1. die existentielle oder spontane Communitas – etwa das, was die Hippies ›ein Happening‹ nennen würden und was William Blake vielleicht ›den geflügelten Augenblick‹ oder später ›gegenseitige Vergebung der Süden [sic!]‹ genannt hätte; 2. die normative Communitas, ein dauerhaftes soziales System, das sich im Laufe der Zeit aufgrund der Notwendigkeit, die Ressourcen zu mobilisieren und zu organisieren sowie die Gruppenmitglieder bei der Verfolgung dieser Ziele der sozialen Kontrolle zu unterwerfen, aus der existentiellen Communitas entwickelt; und 3. die ideologische Communitas, ein Etikett, das man für eine Vielzahl utopischer Gesellschaftsmodelle verwenden kann, die von der existentiellen Communitas ausgehen.«57

Es liegt auf der Hand, dass Festivals, die hier als Grenzraum und Grenzzeiten, als Zwischenort und Zwischenzeit (vgl. Kapitel »Die Zeiten des Festivals« und »Die Räume des Festivals«) und als Orte von Kunsterfahrungen verstanden werden, prädestiniert sind, den Raum für Communitaserfahrungen abzugeben. Als Organisationsformen von Kunst lässt sich ihnen (und gerade den Festivalneugründungen seit den achtziger Jahren) tatsächlich ein Potential attestieren, das aus dem »Keim der Unzufriedenheit«58 entsteht, der sich im Moment der Krise – und damit in der Zusammenkunft der Communitas – findet. Es ist nicht das strenge Zeremoniell (nicht zu verwechseln mit dem Ritual), das eine Gesellschaft fördert und qualitativ verändert, sondern die Momente vergänglicher Intensität und körperlich erfahrener atmosphärischer Dichte. Existentielle Communitas als ›reinste‹ Form der Gemeinschaft bietet so das Gefäß für alternative und kreative Entfaltung. Festivals auch als Orte von Communitas bieten also nicht nur durch Netzwerke, sondern bereits durch ihre intensive, aber vergängliche Präsenz als Ereignis den Raum für kreative Entfaltung und Progress. Hierfür sind Inklusion und Exklusion unerlässliche Voraussetzungen.

56 V. Turner: Vom Ritual zum Theater, S. 189. Wichtig ist an dieser Formulierung der Charakter des Spontanen, der die Communitas auszeichnet und sie damit auch unplanbar macht. 57 Vgl. V. Turner: Vom Ritual zum Theater, S. 129. 58 Ebd., S. 69f.

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G RENZEN

VON

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Jede Form von Gemeinschaft benötigt ein Gegenüber, gegen das ein ›Nein‹ ausgesprochen werden kann, damit am andern Pol ein ›Ja‹ zur Gemeinschaft entsteht: »Geselligkeit und Gemeinschaft nach innen, Abgrenzung nach außen. Die zusammenführende Wirkung der Festriten, Festmähler, Festsitten und Festgebräuche zeremonialisiert Gemeinsamkeit. Die Festteilnehmer wirken auf die ein oder andere Weise am Fest mit, bekunden sich selbst und stellen sich nach außen hin dar. Im Festkult vollzieht sich die Sakralisierung der Festgemeinschaft, was zur Stiftung und Stabilisierung von deren Identität beiträgt.«59

Festivalgemeinschaften haben – wie andere Gruppen auch – das Bedürfnis, sich nach außen zu profilieren und festzustellen und zu artikulieren, wer nicht an ihnen teilnehmen darf. Das Entscheidende an der Festivalgemeinschaft als Communitas besteht darin, dass der Zweifel an der eigenen Gemeinschaft unterschwellig erhalten bleibt. Als Theaterveranstaltungen wie auch als Organisationsmodell können Festivals, die sich stets an den Krisen und Kontrasten konstituieren, nicht nur den Erhalt von Werten und Stabilisierung bedeuten. Sie sind auch Communitas des produktiven Nichtverstehens im gegenseitigen Verstehen, der nicht erreichten Kompromisse in der unvermittelten Begegnung. Bei der Festivalgemeinschaft handelt es sich also nicht um eine traditionelle Festgemeinschaft im strengen Sinne, sondern um eine Gemeinschaft, die auf Verstehen, offener Begegnung und gemeinsamem Handeln fußt, jedoch auch mit ihrer ständigen Gefährdung und Hinfälligkeit konfrontiert ist und sich selbst konfrontiert. Es stellt sich so die Notwendigkeit zu Neuaushandlung und Selbstbefragung ein. Dieser Auslegung einer stets gefährdeten, gesprächsbereiten, spontanen Communitas auf Festivals widerspricht zugegebenermaßen die Erfahrung, dass Festivals gerade seit den neunziger Jahren in zunehmendem Maße als institutionalisiert, routiniert und durchgeplant erscheinen. Immer häufiger wird ein Programm erstellt, das sich weniger durch Spontaneität als durch Vermitteltheit auszeichnet. Diskussionsrunden, Panels und Foren scheinen die freien und weitgehend unstrukturierten Zeiten der Pause nachhaltig zu verdrängen (vgl. Kapitel »Ausnahmesituation und Pause«). Festivals sind seit den neunziger Jahren selbstreflexiver und diskursiver geworden. Kaum finden sich noch Theaterfestivals, die nicht in Diskussionsrunden, Publikumsgesprächen, »Plattformen«, Workshops oder ganzen Symposien ihren Status, ihre Funktion und ihre Kritik auf den Prüfstand stellen. Nicht selten ergeben sich aus diesen Diskussionen Gruppen, die sich für die jeweilige ›gemeinsame Sache‹ einsetzen wollen und eine Organisation gründen (beispielsweise das FIT-Netzwerk zwischen diversen Festivals in Europa60). Wie verhält sich diese Beobachtung zu dem oben geschilderten Communitasgedanken mit sei59 A. Berlejung: Heilige Zeiten, S. 9f. 60 FIT steht für Theatre/Festivals in Transition, eine Initiative von acht Theaterfestivals, die 2005 und 2006 Symposien veranstaltete, um die Vertreter aus Kultur, Politik und Wirtschaft zu versammeln und gemeinsam die Situation von Theaterfestivals in Europa zu analysieren.

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ner Betonung von Spontaneität, Unvermitteltheit und Unterdeterminiertheit?61 Tatsächlich ist die Erfahrung von Communitas nicht beständig aufrechtzuerhalten. »Wir begegnen daher dem Paradox, daß die Communitaserfahrung zur Communitaserinnerung wird – mit dem Ergebnis, daß Communitas, indem sie versucht, sich historisch zu reproduzieren, selbst eine Sozialstruktur entwickelt, in der anfänglich freie und innovative Beziehungen zwischen Individuen in normgeleitete Beziehungen zwischen sozialen Personen umgeformt werden.«

Und weiter: »Spontaneität und Unmittelbarkeit der Communitas – im Gegensatz zum rechtlich-politischen Charakter der Struktur – lassen sich selten über lange Zeit aufrechterhalten.«62 Für Turner unterliegt jede spontane Communitas der Notwendigkeit, sich in Struktur und Gesetz zu transformieren. Mit anderen Worten ersetzt Routine den ersten lebendigen Geist der Communitas, eine paradoxe Situation tritt ein. Im Bestreben, Communitaserfahrung immer wieder zu reproduzieren, institutionalisiert und thematisiert sich die Communitas und damit ein Festival selbst, wird selbstreflexiv und distanziert sich von sich im Anblick seiner selbst. In diesem Licht erhält das Verhandeln von Festivals als Organisationsmodell eine zusätzliche Virulenz. Denn indem sich Festivals seit den neunziger Jahren immer weiter formieren, modellieren sie die Organisation von Kreativität. Habermas’ Idee einer Gemeinschaft, die zum kommunikativen Handeln führen soll, wird zur »ideologischen Communitas«, die durch den Versuch, die spontane Begegnung der Festivalteilnehmer zu forcieren, diese verunmöglichen kann.63 Als Organisationsmodell von Kunst und Begegnungen sehen sich Festivals beständig mit der Aufgabe konfrontiert, sich zu thematisieren, ohne sich dabei selbst zum ideologischen Objekt der Kontemplation zu machen. Im folgenden Kapitel wird dieser Gemeinschaftsgedanke im Kontext der Debatte über Ereignis und Event als Kategorien für die Beschreibung von Festivals weiter verfolgt werden. Wie verhalten sich »Szenen«, »Erlebnisgesellschaft«64 und das Bedürfnis nach Selbstbespiegelung und Identitätssuche durch das Konstruieren von Gruppenzugehörigkeit zum Theaterfestival? Besteht das »Projekt des guten Lebens« auf Festivals nur noch darin »Identität zu gewinnen, indem [man] sich gruppenweise voneinander unterscheide[t]«?65 Und ist die wachsende Anzahl von Programmpunkten auf Festivals,

61 »Soziale Realität ist ›offen und unbestimmt‹, obwohl ›Regulierungsprozesse‹ und ›Prozesse situationaler Anpassung‹ […] Ausdruck des menschlichen Strebens nach ständiger Transformation der sozialen Realität in organisierte oder systematische Formen sind.« In: V. Turner: Vom Ritual zum Theater, S. 122. 62 Ebd., S. 73f. 63 Im Kapitel »Ausnahmesituation und Pause« wird weiterverfolgt, wo Communitas sich trotzdem auf Festivals entfalten kann – nämlich in Zeiten zwischen den einzelnen Programmpunkten, die für freie, zusammen verbrachte Zeit reserviert sind. 64 Beides Begriffe, die Schulze in die soziologische Diskussion eingeführt hat, vgl. Kapitel »Erlebnisgesellschaft und Event«. 65 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main/New York: Campus 2005, S. 338.

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die diskursiver Natur sind, tatsächlich nur als Selbstreferentialität, als Selbstthematisierung zu interpretieren?

Ereignis und Event Die Kategorien Ereignis und Event sind wesentlich für die Diskussion von Form und Inhalt eines jeden Theaterfestivals. Sie markieren elementare Pole, zwischen denen sich Festivals seit dem Fall der Mauer bewegen. Ein Ereignis wird hier verstanden als eine ästhetische, geschichtsbildende und phänomenologische Kategorie. Es ist als solches, während es sich ereignet sowie danach, nicht fassbar und nicht aktiv planbar. Deshalb widerfährt ein Ereignis denen, die es wahrnehmen. »Ereignisse sind Vorgänge, mit denen man (so) nicht rechnen konnte. Ereignisse sind umstürzende Veränderungen in der Welt und im Weltverständnis zugleich.«66 Das Event hingegen zeichnet sich primär durch seine Vermarkt- und Planbarkeit aus. Aufgrund seiner Fixierung auf das Erzeugen von ›Erlebnissen‹ bei denjenigen, die intentional daran teilnehmen, ist es zumeist an Marken, Produkte und an konkrete Interessen von Unternehmen gekoppelt. Die Orientierung an diesen Interessen erübrigt in der Regel den Bezug zu gesellschaftlichen und politischen Themen. Trotzdem handelt es sich beim Event um ein soziales Phänomen, das den Zustand der westlichen Gesellschaft repräsentiert. Theaterfestivals der Gegenwart sprechen sowohl die Sprache des Events als auch des Ereignisses, was wiederum Rückschlüsse auf den Inhalt und die Form von Festivals erlaubt. Ihr primäres Ziel ist zwar nach wie vor das Ermöglichen von Ereignissen. Dennoch greifen sie rhetorisch immer umfassender auf Lockvokabeln aus dem Eventbereich zurück, um unter anderem den Verpflichtungen gegenüber ihren Sponsoren und anderen Förderern nachzukommen. Die seit den neunziger Jahren zunehmende ökonomische Verstrickung von Festivals macht dies unabdingbar für ihre wirksame Außendarstellung, während es das ästhetische Ziel bleibt, Aufführungen und Situationen zu erzeugen, die das Festival nachhaltig im Gedächtnis der Besucher bleiben lassen und ihm substantielle Bedeutung verleihen. E RLEBNISGESELLSCHAFT

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Kaum ein Schlagwort ist in den letzten zwei Jahrzehnten fächerübergreifend so ausgiebig diskutiert worden wie das des Events. Kulturanthropologen, Ethnologen, Sozialwissenschaftler wie Kulturwissenschaftler beschäftigen sich mit diesem Phänomen, das einmal als uralt und ein anderes Mal als brandaktuell diskutiert wird.67 Wissenschaft und Praxis spornen sich gegen66 Martin Seel: »Ereignis. Eine kleine Phänomenologie«, in: Nikolaus Müller-Schöll (Hg.), Ereignis. Eine fundamentale Kategorie der Zeiterfahrung, Bielefeld: transcript 2003, S. 39. 67 Manifestiert wird diese umfassende und erschöpfende Analyse in mittlerweile einigen Standardwerken wie denen Goffmans, Schulzes und Hitzlers, die sich dem Event aus je unterschiedlicher Perspektive nähern. Ob in Beschreibungen einer »Erlebnisgesellschaft« oder einer »Festivalisierung der Stadtpolitik« – das Event nimmt breiten Raum

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seitig an und halten den Event-Begriff so beständig im öffentlichen Diskurs – bis hin zur zunehmenden Diskreditierung des Events. Tatsächlich ist der im Englischen wertfreie Event-Begriff in Deutschland derartig inflationär und marktschreierisch in die Waagschale geworfen worden, wenn es darum ging, Aufmerksamkeit zu steuern, dass ihm gegenüber gegenwärtig ein tiefes Misstrauen herrscht. »›Spaß‹, ›Fun‹, ›Kick‹ und ›Event‹ sind Beispiele für Schlagwörter und Lockvokabeln, die im Laufe der neunziger Jahre eine immer negativere Bedeutung bekommen haben: als Distanzierungszeichen einer populären Kulturkritik, die gerade nicht vom Ende der Erlebnisgesellschaft künden, sondern von ihrer Weiterentwicklung.«68 So resümiert Gerhard Schulze Anfang der neunziger Jahre in seinem mittlerweile zum Standardwerk avancierten Kompendium zur »Erlebnisgesellschaft«.69 Schulze unterscheidet »Spaßgesellschaft« von dem, was er Erlebnisgesellschaft nennt. Letztere entfalte sich vor dem Hintergrund des Schwindens traditioneller sozialer Ordnungen (unter anderem der Klassengesellschaft), die zuvor die Rahmenbedingungen für das ›Projekt‹ des Individuums waren. Die Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung wiederum seien durch das anhaltende wirtschaftliche Wachstum Deutschlands so stark expandiert, dass eine folgenreiche Diversifizierung der sozialen Gruppen eingetreten sei. Diese Ausdifferenzierung der Lebensformen erzeuge einerseits die Notwendigkeit, beständig Entscheidungen über den eigenen Lebensentwurf zu fällen, andererseits äußere sie sich in den achtziger und neunziger Jahren vor allem in einer Tendenz zu mehr Individualisierung. »Innenorientierte Lebensauffassungen, die das Subjekt selbst ins Zentrum des Denkens und Handelns stellen, haben außenorientierte Lebensauffassungen verdrängt.«70 Innerhalb von vierzig Jahren hat sich somit eine Umkehrung der Verhältnisse eingestellt. Während David Riesman in seinem 1950 veröffentlichten soziologischen Klassiker Die einsame Masse noch die »außen-geleitete Lebensweise« als gesellschaftliches Übel und als dominanten Charakterzug der (USamerikanischen) Gesellschaft beschrieb und sie in Verbindung zu Anpassung und Mitläufertum brachte, modifiziert Schulze Riesmans Begriffe und verwendet sie in entgegengesetzter Weise. Schulze begreift die Lebensphilosophie des heutigen Individuums primär als Realisierung des Projekts des »schönen Lebens«, selbst wenn daneben Gruppenbildungen nicht notwendigerweise rückläufig seien. »Der kleinste gemeinsame Nenner von Lebensauffassungen in unserer Gesellschaft ist die Gestaltungsidee eines schönen, interessanten, subjektiv als lohnend empfundenen Lebens.«71

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in Wissenschaft wie Praxis ein. Vgl. G. Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart (1992), und ders.: Kulissen des Glücks. Streifzüge durch die Eventkultur (2001); Winfried Gebhardt/Ronald Hitzler/Michaela Pfadenhauer: Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen: Leske + Budrich 2000. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. VII. Das Erlebnis selbst, das heißt nicht die Lockvokabel, hat dagegen selbstverständlich nichts von seiner Faszination eingebüßt. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 35. Ebd., S. 37.

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Das primäre Mittel zur Erfüllung dieses Ziels sieht auch Horst Kurnitzky in der beständigen Suche nach Erlebnissen.72 »Diese Wandlung der Arbeits- in eine erlebnisorientierte Freizeitgesellschaft hat naturgemäß von Anfang an auch den sogenannten kulturellen Bereich erfaßt, so daß endlich alles mit allem kommensurabel geworden ist, jede Finalität der Geschichte, gesellschaftliche Utopie und Moral sich vollständig in Gegenstände der Unterhaltung aufgelöst haben. […] Es ist der Zeitgeist der aktuellen Freizeitgesellschaft, in der der Wert der Waren nicht mehr durch ihre wenn auch oft scheinbare Brauchbarkeit, sondern allein durch ihren Unterhaltungswert in Inszenierungen der Unterhaltungsindustrie bestimmt wird. […] Die emotionale Bindung an die Objekte, ihre Brauchbarkeit, ursprünglich assoziiert mit Nutzen, Genuß, Ertrag, fructus, wird durch den Erlebnisrausch, in dem das Subjekt gleichsam verglüht, abgelöst.«73

Die eigentliche Krux der Suche nach Erlebnissen besteht demnach in der permanenten qualitativen Reduktion der Erlebnisse vor dem Hintergrund ihrer maximalen quantitativen Erweiterung. Außerdem, und noch gravierender, bleibt das Versprechen des Erlebnisses, so Schulze, stets ›leer‹, da Erlebnisse subjektgebunden sind und erst im Verarbeitungsprozess durch das Subjekt entstehen können. Ihre ›Erzeugung‹ durch Events ist also grundsätzlich unmöglich beziegungsweise muss unvollständig bleiben. D AS E VENT – D EFINITIONEN Typische Charakteristika des Events sind schwer zu fixieren.74 Peter Kemper zitiert den Deutschen Kommunikationsverband BDW, wenn er als Definition anbietet: »Unter Events werden inszenierte Ereignisse verstanden, die durch erlebnisorientierte Veranstaltungen emotionale und physische Reize darbieten und einen starken Aktivierungsprozess auslösen.«75 Abgesehen von dem Hinweis auf die Erlebnisorientierung von Events ist diese aus der Ethnologie stammende Definition so allgemein gehalten, dass sich daran noch keine Spezifika des postmodernen Events ablesen lassen. Die Events, um die es im Folgenden gehen soll, sind zwar keine Erfindungen der Postmoderne – dafür weisen sie zu viele Gemeinsamkeiten mit Festen, Feiern, Kaiserkrönungen, 72 So treten funktionale Kriterien beispielsweise für den Konsum weitgehend in den Hintergrund: Ein Waschmittel, das sich im Regelfall dank der Errungenschaften der Waschmittelindustrie nicht mehr qualitativ von den anderen Produkten auf dem Markt unterscheidet, wird nur deswegen gekauft, weil es ein besonderes Wohlgefühl verspricht, in auffällige Verpackungen gefüllt wird, kurz Erlebnisqualität verspricht. 73 Horst Kurnitzky: Der heilige Markt. Kulturhistorische Anmerkungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 121f. 74 Die hier aufgeführten, mehr oder minder unbesprochen aufgelisteten Charakteristika wurden hauptsächlich W. Gebhardt/R. Hitzler/M. Pfadenhauer: Events. Soziologie des Außergewöhnlichen (2000) entnommen. Da es hier nicht um eine Theoretisierung des Events gehen soll, kann an dieser Stelle nur auf dieses Standardwerk verwiesen werden. 75 Peter Kemper: »Nur Kult läßt keinen kalt. Veranstaltungsrituale im Medienzeitalter«, in: ders. (Hg.), Der Trend zum Event (2001), S. 188. Bemerkenswert ist der Widerspruch in sich, den die Wortzusammensetzung »inszeniertes Ereignis« erzeugt.

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Turnfesten, Rummelplätzen und so weiter auf. Gerade aber die Abgrenzungskriterien von postmodernen Events zu diesen traditionellen Festphänomenen sind für diese Untersuchung von Interesse. Wie Feste erheben Events der Postmoderne den Anspruch, einzigartig zu sein, etwas Unvergessliches zu präsentieren, zu erzeugen oder zu sein. Event wie Fest wollen das Neue – in Wiederholung. Die entscheidende Abweichung von den Festphänomenen, die vor dem Aufkommen von Events im gegenwärtig üblichen Sinne existierten, liegt im Fehlen von festen Bezugsgrößen wie religiösen Festkalendarien, sozialen Funktionen, Politik. Ein Event, anders als Feste oder auch Jahrmärkte, ist nicht an die kontinuierlichen Abläufe innerhalb einer Gesellschaft gebunden, bezieht sich nicht auf deren Regeln und Traditionen. (Die Ursachen hierfür sind freilich selbst sozial bedingt, da die Gesellschaften der Postmoderne dermaßen stark ausdifferenziert sind, dass diese sich als Gesamtheit nicht mehr darauf einigen können, was als ›neu‹ zu bewerten ist.) Aus dieser ›Verantwortungslosigkeit‹ und Losgelöstheit des Events lassen sich auch seine tendenziell unpolitische und anti-intellektuelle Orientierung und Zielsetzung verstehen. Selbstverständlich existieren Events wie der Christopher Street Day (CSD) oder Events von Tierschutzvereinen, politischen Aktivisten und religiösen Gruppierungen (Kirchentag), die dieser Tendenz nicht entsprechen. Doch die primär marktwirtschaftliche Motivation, die den Hintergrund eines Großteils von Events bildet, schließt derartige Motive üblicherweise aus und gründet das Event stattdessen auf ein klar formuliertes, marktwirtschaftlich motiviertes Thema. Geschuldet ist dieser monothematische Zug des Events dem Umstand, dass vom Event vor allem Menschen mit gleichen Interessen versammelt werden sollen, da diese als Zielgruppe einfacher zu erfassen und anzusprechen sind. Das Wir-Gefühl entzündet sich an diesem »single purpose«,76 den alle Teilnehmenden eines Events verfolgen, weshalb diese häufig nichts verbindet, was über diesen einen Interessenschwerpunkt hinausgeht. So adressieren beispielsweise die von Zigarettenfirmen veranstalteten Outdoor-Events und Abenteuerreisen (Marlboro Challenge oder Camel Trophy) eine Zielgruppe mit Interesse an extremen Erfahrungen in freier Natur und einem Hang zur Selbsterprobung. Die Aufsplitterung in Kleinstgruppen bewirkt wiederum eine Diversifizierung des Angebots an Events, die sich in der Folge beständig gegen konkurrierende Veranstaltungen behaupten müssen, da sich mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft auch die Möglichkeiten des Erlebens verbreitert haben. Ein Event muss sich in der Logik gegenseitiger Selbstüberbietung an einer Vielzahl von Konkurrenzevents messen lassen. Diese Kleinst-Interessengruppen lassen sich noch präziser als »Szenen« beschreiben. Für das Individuum in der ›klassenlosen‹ Gesellschaft wird die Szene, das heißt eine geschlossene, durch festgelegte, oft äußerlich sichtbare Codes kenntlich gemachte Gruppe, häufig zum zentralen Bezugspunkt. Denn auch in der Erlebnisgesellschaft schließt Individualismus das Bedürfnis nach Gemeinschaft nicht aus, die Gemeinschaften verlagern sich nur, differenzieren sich aus und positionieren sich jenseits von Traditionen. Nach wie vor 76 Hubter Knoblauch: »Das strategische Ritual der kollektiven Einsamkeit. Zur Begrifflichkeit und Theorie des Events«, in: Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer, Events (2000), S. 47.

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bleibt das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeitsgefühl erhalten und findet seinen Reflex im Event oder, wie es bei Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer pointiert heißt: »Ohne Szene keine Events, ohne Events keine Szene.«77 Auf diese paradoxe Situation antwortet das Event einerseits mit dem Versprechen eines individuellen ›Erlebnisses‹, andererseits mit dem Erzeugen eines WirGefühls. ›Szene‹ ist demnach ein anderer Begriff für eine postmoderne soziale Organisationsform von Interessen, die sowohl ein individuelles Image als auch Zugehörigkeitsgefühle generiert. Im engeren Sinne lassen sich Events also als soziale Situationen beschreiben, in denen sich einzelne Szenen formieren und sich ihrer selbst vergewissern, um wiederum dem Individuum einen Rahmen für Selbstpräsentation zu bieten. Gemeinschaft wird zur Matrize des Selbsterlebens und Events werden »vor-produzierte Gelegenheiten zur massenhaften Selbstinszenierung der Individuen auf der Suche nach einem besonderen (und besonders interessanten) ›eigenen Leben‹«.78 Dieses Verhältnis entspricht den Anforderungen »dynamischer Identitäten«,79 die zumeist keine dauerhafte und definitive Bindung zu ihrer jeweiligen Szene aufbauen, sondern diese mehrmals im Leben wechseln können. Schließlich unterliegen auch Szenen gewissen Moden, weshalb sie zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Zugkraft auf die Mitglieder der Gesellschaft ausüben können – man denke nur an die Technoszene in den neunziger Jahren oder die Öko- und Bioszene der Gegenwart. Das Individuum mit seinem auf Erlebnis ausgerichteten ›Lebensprojekt‹ bleibt Dreh- und Angelpunkt, selbst wenn sich seine spezifischen Interessen ändern. Entsprechend der relativ kurzen Lebensdauer einer Szene zeichnen sich Events durch ihre Episodenhaftigkeit aus. Für sich genommen stets ein perfektes, in sich schlüssiges Gebilde, verweisen sie selten über sich hinaus. Die Ausgestaltung eines Events ist markiert durch die Synthese verschiedenster spektakulärer ästhetischer Ausdrucksformen (Feuerwerk, aufwendige Dekorationen, Starkult, Drogen und so weiter). Durch sie soll ein totales Erlebnis ermöglicht werden, das alle Sinne und Emotionen aktiviert, um das versprochene Erlebnis zu provozieren und die Aufmerksamkeit einer Szene zu bündeln. So präsentiert sich das Event als ein abgeschlossenes Ganzes, das sich in seiner Gestaltung ›nach Fahrplan‹ gegenüber dem Zufall absichert. Denn auch wenn das Event nicht die Verbindlichkeit des Individuums gegenüber (s)einer Gruppe zu sichern sucht und dies auch nicht vermöchte, so soll doch gerade beim Marketing-Event eine dauerhafte Bindung zwischen Marke oder Produkt und potentiellem Käufer hergestellt werden. Damit sind der Rahmen und die Grenzen, die das Event für das Ausleben individueller Bedürfnisse vorgibt, wesentlich enger und stärker kontrolliert als bei Festen. Da zumeist veritable wirtschaftliche Interessen hinter einem Event stehen, sind Grenz-

77 W. Gebhardt/R. Hitzler/M. Pfadenhauer: Events, S. 12. 78 Ronald Hitzler: »›Ein bißchen Spaß muß sein‹. Zur Konstruktion kultureller Erlebniswelten«, Dortmund 1998 (unveröffentlichtes Manuskript zit. nach: Herbert Willems: Events: »Kultur – Identität – Marketing«, in: Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer, Events (2000), S. 59. 79 Vgl. H. Willems: Events: Kultur – Identität – Marketing, S. 56ff.

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überschreitungen tendenziell ausgeschlossen.80 Postmoderne Events lassen sich nun genauer definieren als »aus dem Alltag herausgehobene, raumzeitlich verdichtete, interaktive Performance-Ereignisse«. Sie »besitzen eine hohe Anziehungskraft für relativ viele Menschen. Diese Anziehungskraft resultiert […] wesentlich aus dem ›Versprechen‹ eines szenespezifischen, typischerweise verschiedene kulturelle Äußerungsformen und Handlungskomplexe übergreifenden hohen Erlebniswertes.«81 Doch das Event als solches hat eventuell bereits den Höhepunkt seiner Anziehungskraft überschritten, ebenso wie die Erlebnisgesellschaft, wenn sie sich schon nicht überlebt hat, so doch zumindest an Überzeugungskraft verloren hat.82 Die Ereignishaftigkeit spielt auch aus diesem Grund für die Geschehnisse auf Theaterfestivals eine substanziellere Rolle als das Event. Sie erst erlaubt, die besondere Attraktivität und Virulenz des Festivals zu begründen. E REIGNIS

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Event und Festival sind zweifelsfrei verwandte Organisationsformen. Der neuerliche Boom von Theaterfestivals in den neunziger Jahren fällt bezeichnenderweise mit dem Aufkommen des postmodernen Events zusammen. Sie als Phänomene derselben Lebenswelt zusammen zu diskutieren, eröffnet einen vergleichenden Blick auf ihre jeweiligen Eigenarten. Mehr noch verlangt die Bandbreite des anthropologisch verstandenen Events (Feste, Feiern, Karneval, Kirchentage und so weiter) regelrecht danach, dass sich Festivals zu ihnen auf eigene Weise verhalten – während in einer zweiten Perspektive der 80 Zwar sind auch bei Events nicht alle möglichen sozialen Situationen vorhersagbar und beeinflussbar. Die Interessen im Hintergrund verlangen allerdings oft eine noch strengere Tagesordnung, noch strengere Riten als bei zuvor gekannten Festen. 81 Winfried Gebhardt/Ronald Hitzler/Michaela Pfadenhauer: »Einleitung«, in: dies., Events (2000), S. 12. 82 Allgemein wäre hier, wollte man Schulze weiterhin folgen, die zunehmende Sehnsucht nach Ankunft zu nennen, die die beständige Suchbewegung des Erlebnisjägers ergänzt. Die Idee des Angekommenseins werde sich manifestieren in menschlicher Begegnung und in vitaler Ausschöpfung der bestehenden Möglichkeiten. Inhalt werde die Steigerungslogik ergänzen, weshalb Schulze einen gewaltigen Bedeutungszuwachs für Fragen der Kultur erwartet. Nachzulesen in Gerhard Schulze: Die beste aller Welten: wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert?, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2004. 83 Unterschieden werden muss zunächst zwischen dem ästhetischen Ereignis und dem gesellschaftlichen Ereignis. Beides findet sich im Festival zu ungleichen Teilen und funktioniert auf verschiedenen Ebenen: der ästhetischen und der soziologischen, wobei beide Sphären nur schwer zu trennen sind. So werden soziale Anlässe (Bälle, Preisverleihungen et cetera) häufig als gesellschaftliches Ereignis bezeichnet, sportliche Ereignisse finden sich in Sonderveranstaltungen wie Weltmeisterschaften, auch Festspiele werden als internationale Ereignisse deklariert. Es findet sich also wie beim Begriff des Events zuerst eine Uneinheitlichkeit in der Verwendung dieser Bezeichnung. An dieser Stelle wird das ästhetische Ereignis thematisiert werden, da die Entertainment-Aspekte des gesellschaftlichen Ereignisses bereits im Kapitel »Das Event – Definitionen« weitestgehend besprochen wurden.

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engere Begriff des postmodernen Events eine Folie bietet, von der sich Festivals kontrastreich abheben. Auch die seit den Neunzigern neu gegründeten Festivals konnten sich dem Trend der ›Eventisierung‹ nicht entziehen. Gerade Festivals, die aus der Initiative von (städtischen) Politikern heraus konzipiert wurden, meist zur Steigerung der Attraktivität eines Standorts für die Wirtschaft, weisen häufig die Züge des oben beschriebenen Event-Typus auf.84 Es entsteht die paradoxe Situation, dass der Terminus ›Event‹ mit Fug und Recht auf Festivals anwendbar scheint, im engeren Sinne jedoch gerade als Gegenbild fungiert. Schließlich bedienen sich Festivals bisweilen des Vokabulars der Eventkultur, sie grenzen sich jedoch in ihren Selbstbekenntnissen meist dezidiert von Events ab, indem sie ihre ästhetisch-kulturelle Signifikanz betonen. Dass sich Kulturfestivals mittlerweile zwar die Methoden des Events zunutze machen, ihrer Intention nach allerdings die Event-Ebene transzendieren, liegt in ihrer Anlage zum Ereignishaften begründet. ›Ereignis‹ bezieht sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit primär auf den Inhalt des Theaterfestivals (das Ereignis Theater), das als Präsentationsrahmen von Kunst wegen seines spezifischen Inhalts einen Ereigniskern aufweist. Dieser ist für kulturelle Festivals relevant, weil er die Ebene im Festival beschreibt, die sich gegen die Ansprüche, Erwartungen und vor allem die Idee der eventartigen Planbarkeit durchzusetzen vermag. Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt die theoretische Reflexion des Ereignisses vor allem in Frankreich eine Renaissance.85 Zu Anfang des 21. Jahrhunderts steigert sich das theoretische Interesse am Ereignis erneut: »Das Ereignis wird wieder erforscht. Als geistes- und geschichtswissenschaftliche Kategorie war es jahrzehntelang in den Fundus eines obsoleten Theorieinstrumentariums verbannt. Daraus ist es inzwischen mit großem Engagement wieder hervor geholt worden.« Man interessiere sich nun vor allem »für das Ereignis als nicht selten kontingentes Konstrukt kommunikativen, diskursiven oder rituellen Handelns.«86 So weist die wissenschaftliche Reflexion des Ereignisses nur Einigkeit in dem Punkt auf, dass Ereignisse auch durch exakte Beschreibung nicht handhabbar gemacht werden können. Die auf den ersten Blick vage erscheinende Definition als »kontingentes Konstrukt«, das durch Handlung entsteht, wirkt so durchaus treffend. »Ereignisse sind Vorgänge, die zu Ereignissen gemacht werden, denen eine besondere Signifikanz zugewiesen wird. Die Signifikanz hängt ab von der Perspektive, die man wählt. […] Es ist daher nicht objektiv zu bestimmen, was ein Ereignis ist und was nicht.«87 Das Ereignis kann faktisch also gar nicht existieren, ein Vorgang wird höchstens zum Ereignis erklärt, wenn er schon vorbei ist. Die Nachträglichkeit seiner Verarbeitung und die Ephemerität eines Vor84 Beispielsweise die wiederbelebten Nibelungen-Festspiele in Worms oder die RuhrTriennale. 85 Vgl. hierzu etwa Marc Rölli (Hg.): Ereignis auf Französisch. Von Bergson bis Deleuze, München: Fink 2004. 86 Thomas Rathmann (Hg.): Ereignis. Konzeptionen eines Begriffs in Geschichte, Kunst und Literatur, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2003, Schutzumschlag. 87 Egon Flaig: »Ein semantisches Ereignis inszenieren, um ein politisches zu verhindern. Die entblößten Narben vor der Volksversammlung 167 v. Chr.«, in: Rathmann (Hg.), Ereignis (2003), S. 184.

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gangs sind demnach die zeitlichen Voraussetzungen für das Ereignis. Laut Dieter Mersch »gehört [es] zu einem Ereignis, im Erscheinen sogleich wieder zu verlöschen.«88 Das Ereignis ist auf ein relativ kleines Zeitfenster beschränkt und büßt seinen Ereignischarakter ein, sobald es diesen angemessenen Rahmen überschreitet. Hierbei lässt sich weder verbindlich festlegen, ab wann dieser Punkt überschritten wird, noch im direkten Teilhaben am Ereignis erahnen, wann das Ereignis aufhört Ereignis zu sein. Der Zugriff auf das Ereignis kann so nie – weder vor noch während seines Ereignens – stattfinden, denn es steht während des Ereignisses selbst noch gar nicht fest, dass es als solches aufgefasst werden soll. »Daß es geschieht, geht sozusagen immer der Frage nach dem, was geschieht ›voraus‹. Denn daß es geschieht: das ist die Frage als Ereignis; ›danach‹ erst bezieht sie sich auf das Ereignis, das soeben geschehen ist. Das Ereignis vollzieht sich als Fragezeichen, noch bevor es als Frage erscheint.«89 Ein Ereignis ist also nur retrospektiv zugänglich. Hieraus ergibt sich ein Paradoxon: Das Ereignis, das in der Regel als ›einmalig‹ beschrieben wird, entsteht eigentlich erst durch seine Reproduktion und Übertragung. Das Sprechen über das Ereignis und dessen Verarbeitung lässt es erst existieren und damit erst für diejenigen relevant werden, die es ›verhandeln‹, wenn es vorbei ist. Die Kraft und die Provokation des Ereignisses bestehen demnach weder in seiner Einmaligkeit noch in seiner einschneidenden, Kontinuitäten durchbrechenden Kraft, die ihm oft nachgesagt wird. Egon Flaig weist darauf hin, dass es unmöglich ist »das historische Ereignis als einen Vorgang zu denken, der in die geschichtliche Kontinuität einbräche. Denn diese geschichtliche Kontinuität ist ein Phantasma«. Hingegen sei »Veränderung […] ein langweiliges Phänomen in der Geschichte, weil sie unentwegt und überall stattfindet, sie ist das Dauerphänomen schlechthin.«90 Trotzdem wissen alle, die je an einem Ereignis teilhatten, um die besondere und erschütternde Faszination des Ereignisses. Auch Flaig fügt hinzu: »Dennoch mag die Korrelierung des ›Ereignisses‹ mit der ›Veränderung‹ insofern sinnvoll sein, als Vorfälle oder Vorgänge die bisherigen sozialen Prozesse abstoppen, in eine andere Richtung lenken oder beschleunigen können.«91 Die Zugriffe des Ereignisses auf die Lebenswelt bestehen also vornehmlich im Anhalten, Rejustieren oder Beschleunigen. Der Lebensverlauf des Zeugens eines Ereignisses kann durch es nachhaltig beeinflusst werden, indem er entweder beendet wird oder eine Umdeutung und neue Ausrichtung erfährt. Setzt man sich also über die generelle Undefinierbarkeit des Ereignisses hinweg, so können drei Kriterien ausgemacht werden, die eine Handlungssequenz zu einem Ereignis werden lassen.92 Einerseits und erstens kann das Ereignis zwar erst nachträglich völlig erkannt werden, allerdings werden die Beteiligten schon während des Ereignisses damit konfrontiert, dass zweitens ihre Erfahrungswerte am Ereignis versagen und dessen Überraschungsmoment drittens das übliche Handlungsgeschehen kontrastiert. 88 Dieter Mersch: »Geschieht es?« Ereignisdenken bei Derrida und Lyotard, vgl. http:// www.momo-berlin.de/Mersch_Ereignis.html vom 01. Juli 2007. 89 Ebd. 90 E. Flaig: Ein semantisches Ereignis inszenieren, S. 185. 91 Ebd. 92 Vgl. hierzu Andreas Suter/Manfred Hettling (Hg.): Struktur und Ereignis, Göttingen 2001.

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Dieser Gedanke kann sich auf den Ereignisdiskurs in der Tradition Martin Heideggers berufen. Seine Vorstellung der Kehre (des Umschlags, der Peripetie) spricht dem Ereignis vor allem destruktive Kraft zu. Die Überraschung des Ereignisses muss so ernorm sein, dass die sich einstellende Veränderung existentielle Ausmaße annimmt. Durch die Abspaltung vom üblichen Erfahrungsraum entzieht es sich der Alltagslogik und enteignet zugleich seine Zeugen der Kategorien, mit denen es sich (und die Lebenswelt) fassen ließe. Bevor das Ereignis also in einem Akt der Wiederholung93 in Sprache gefasst wird, tritt es seinen Zeugen sprachlos gegenüber und bildet seine eigene (A-)Kategorialität. Hierin besteht seine Verwandtschaft mit der doppelten Natur des Fests. Wie zuvor bei der Bestimmung des Festzusammenhangs festgestellt wurde, wird das Fest durch den »Ernstfall« markiert, es ›macht Ernst‹ gerade in seiner Unernsthaftigkeit, es ist bedrohlich in seiner Verspieltheit. Ähnlich verhält es sich mit dem Ereignis, das gerade ob seiner eigentümlichen Zeitstruktur94 den Alltag durchbricht und unwirksam macht. Somit »haben Ereignisse im Unterschied zu bloßen Geschehen strukturverändernde Folgen, die von den Akteuren wahrgenommen werden (aber nicht hinreichend durchschaut werden müssen). […] Anders gesagt: Ereignisse fügen dem strukturellen Kontext, aus dem sie entstanden sind, etwas Neues hinzu.«95 Hierfür müssen sie aber erst einmal Erfahrungsgrundlagen enteignen – vor dem Neuen steht das Revidieren des Vertrauten. Heidegger spricht in diesem Zusammenhang vom »Aufleuchten der Welt«, von einer »Entweltlichung des Zuhandenen«, in dem das »Nur-Vorhandensein zum Vorschein kommt«. Bei diesem Ereignis, das die sachliche Alltagswelt als bedeutungslos erscheinen lässt (Heideggers »Zeug«), kommt es darauf an, Zeuge zu sein, dabei gewesen zu sein. Die soziale Situation, die körperliche Ko-Präsenz, die zweifelsohne auch beim Event von Bedeutung ist, erfährt hier eine konstitutive Verschärfung. »Entscheidend ist […], daß die Maßstäbe, an denen normale von ›erschütternden‹ oder ›überraschenden‹ Erfahrungen zu unterscheiden sind, kollektiver Natur sind: Der sozial geteilte Erwartungshorizont, an dem Überraschendes von Geschehen unterschieden wird, wird durch gemeinsame kulturelle Muster gebildet […]. Damit ist zugleich betont, daß die diskursive Verarbeitung oder Interpretation des […] Geschehens wichtig ist.«96

Ko-Präsenz ist hier keine zufällige Komponente eines Event-Gesamtkunstwerks, sondern unabdingbare Bedingung für das Ereignis. Sie ist es auch, die die Verbindung zwischen Theater und Ereignis augenfällig macht, denn mit »jedem wirklich ›freien‹ Theater […] gibt es den unerhörten Anspruch, […] den Wunsch, dem Publikum sein vermeintlich Eigenstes zu entreißen, es aus den Sitzen zu heben, ihm den Blick zurück als einen Blick in ein unbekannt 93 »Folglich unterliegt das Ereignis ›immer schon‹ der Struktur der Wiederholbarkeit: Es ›erscheint‹ im Modus des Perfekts.« In: Dieter Mersch: ›Geschieht es?‹ Ereignisdenken bei Derrida und Lyotard, vgl. http://www.momo-berlin.de/Mersch_Ereignis.html vom 01. Juli 2007. 94 Beispielsweise Plötzlichkeit, Momenterfahrung, Spontaneität und Prozessualität. 95 A. Suter/M. Hettling: Struktur und Ereignis, S. 25. 96 Ebd., S. 24.

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Gewordenes, ein Fremdes erscheinen zu lassen, seine Wahrnehmung zu ändern, sein Leben, ja seine Welt.«97 Das Ereignis ist darüber hinaus, etymologisch betrachtet, ein »Eräugnis«, ein in Augenschein genommenes, evidenzkräftiges Erlebnis, das – hierin religiösen Erfahrungen vergleichbar – im Gestus der »Plötzlichkeit« (Karl Heinz Bohrer) über die Menschen unversehens und gebieterisch hereinbricht – und dabei wahrgenommen wird, also erst ›wahr‹ wird. »Verlangt ist dazu die Aufmerksamkeit für das ›Vorkommnis‹, das ›Auftauchen‹, die occurence im Sinne des Zu-Fallenden«,98 so Mersch mit Bezug auf Lyotard. Gegenpart zum unerwarteten Vorgang wird so der aufmerksame Mensch, der sich für das Ereignis öffnet. Oder, wie Derrida sich ausdrückt, dem Ereignis, das stets ›im Kommen‹ ist, Gastfreundschaft gewährt. Derrida versteht das Ereignis als »Ankömmling«: »Der absolute Ankömmling darf nicht als geladener Gast erscheinen, auf dessen Erscheinen ich mich vorbereitet habe und den zu empfangen ich in der Lage bin. Vielmehr ist es jemand, dessen unerwartetes und unvorhersehbares Eintreffen, dessen Heimsuchung […] einen derartigen Einbruch bedeutet, dass ich nicht darauf vorbereitet sein kann, ihn zu empfangen. Wenn es wirkliche Gastlichkeit geben soll, darf ich auf die Ankunft des Ankömmlings nicht vorbereitet sein.«99

D IE G ABE An dem für Jacques Derridas Denken zentralen Begriff der Gabe lassen sich weiterhin Erkenntnisse über das Verhältnis von Theater, Festival und Ereignis gewinnen. Das Ereignis der Gabe definiert Derrida primär über dessen Unmöglichkeit. Dies bedeutet vereinfacht gesprochen, dass nur, wenn weder Gebender noch Empfänger einer Gabe den Vorgang des Gebens und Nehmens thematisieren oder sich ihn auch nur bewusst machen, die Gabe überhaupt statthaben kann. Eine Gabe, die im Bereich des Vorstellbaren und des Möglichen liegt, ist keine mehr, weil eine Gabe bedeutet, auch das Unverzeihliche zu verzeihen und das Unmögliche zu tun. Ansonsten wäre die Gabe überhaupt nicht erwähnenswert – kein Ereignis. So implodiert die Gabe – wir können nun sagen: das Ereignis – sobald sie als solche markiert wird, also als solche bezeichnet wird. »Was, um es kurz zu machen, bedeutet, dass die Gabe als Gabe nur möglich ist, wo sie unmöglich erscheint. Wenn die Gabe statt haben soll, darf sie nicht als solche in Erscheinung treten.«100 Und für das Ereignis gilt demnach gleichermaßen: »Diese Erfahrung des Unmöglichen ist Bedingung für die Ereignishaftigkeit des Ereignisses. Was als Ereignis eintritt, kann nur da eintreten, wo es unmöglich ist. Wenn es möglich oder vorhersehbar wäre, könnte es nicht eintreten.«101 Das ist gemeint, wenn Derrida eine Gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, behauptet. 97 N. Müller-Schöll: Sehschlitze in die Zeit, S. 83. 98 Dieter Mersch, »Geschieht es?« Ereignisdenken bei Derrida und Lyotard, vgl. http:// www.momo-berlin.de/Mersch_Ereignis.html vom 01. Juli 2007. 99 Jacques Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, Berlin: Merve 2003, S. 33. 100 Ebd., S. 28. 101 Ebd., S. 33.

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Derridas Hadern mit dem Versprachlichen von Ereignissen mag strittig sein, dessen ungeachtet beschreibt es plausibel eine ›Erfahrung‹, die geläufig sein dürfte – die Sprachlosigkeit angesichts eines Ereignisses, das per definitionem alle alltäglichen Erfahrungen kontrastiert und damit auch sprachliche ›Handhabung‹ verunmöglicht. Die Sprachlosigkeit vieler Festivalkoordinatoren über ihre Arbeit könnte mit dieser Sprachlosigkeit verwandt sein. Der Ausspruch ›Das kann man nicht beschreiben, das muss man erleben‹ ist sicher mehr als bloße Attitüde und Prahlerei. Er artikuliert relativ präzise die Angst davor, durch Sprache das Ereignis verschwinden zu machen, indem man es ›klein redet‹. Wir hatten bereits formuliert, dass das Ereignis stets überraschend hereinbricht, da es sich der Vorhersagbarkeit entzieht. Das bedeutet für die Zeugen, die das Ereignis versprachlichen, dass ein Übersetzen in Sprache zwar möglich ist, aber stets nur nachträglich, unvollständig und unzureichend bleiben muss. Dennoch bleibt die Zeugenschaft für das Ereignis existentiell und in diesem Punkt verschränken sich Ereignis, Theater und Festivals des Theaters. Christel Weiler setzt in ihrem Essay Performance als Gabe (mit Bezug auf Derridas Überlegungen) das Ereignis mit Performativität in Beziehung und führt damit das Theater mit dem Ereignis eng. Weiler überträgt die Erkenntnis, dass das Fassen von Ereignissen in Sprache und damit das Einordnen in eine kulturelle Struktur (den Logos) ein schwieriges und lückenhaftes Unterfangen ist, auf Performancekunst. Sie demonstriert, wie sich auf diesem Weg die Inszeniertheit von Performances zusammendenken lässt mit dem plötzlichen Aufscheinen von Unverständlichkeit, ›Sinnlosigkeit‹ und Unlogik während des je einmaligen Sich-Ereignens einer Aufführung. Obwohl, so ihre These, Performances erzeugt, hergestellt werden, obwohl sie über einen längeren Zeitraum entstehen und reifen, ergibt sich doch die Realisierung einer Show stets nur einmalig. Die Performance, die sich im Vorfeld ihrer Entstehung während eines Proben- und Konzeptionsprozesses der Produktionslogik einordnet, kann in ihrer Umsetzung vor und mit dem Publikum eine jähe Wende erfahren. Aus Logik kann Unverständlichkeit der gezeigten Vorgänge werden, das Gerüst des Performancetextes wird undurchsichtig und ist mit Bedeutung und Sinn nicht mehr besetzbar – das Konzept der Inszenierung wird unlesbar. »Performance-Kunst verweist mit Nachdruck auf die Ereignishaftigkeit ihrer selbst und unserer Teilhabe in dem Sinne, als sie eben nicht ein Anderes, Bestimmtes, außerhalb Existierendes bedeutet, sondern den Zeit-Raum vor dem Bedeuten schafft.«102 Indem sich Performances also des Sinns – aber nicht der Sinnlichkeit – entziehen, werden sie zur Gabe an den Zeugen. »Gabe auch im Sinne von Gegebenheit, daß es etwas, das es es, daß es das gibt, das in seiner Besonderheit anerkannt, angenommen sein will, etwas zu dem ich ›ja‹ sage, indem ich ihm eine eigene Regelhaftigkeit zugestehe, die mein Wissen vorübergehend suspendiert.«103 Dies setzt allerdings voraus, dass die anwesenden Zeugen eine gewisse Kenntnis von und eine Erwartungshaltung gegenüber künstlerischen Traditionen, also Erfahrungswerte, vorweisen können. Es kann schließlich auch der Fall eintreten, dass 102

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Christel Weiler: »Performance als Gabe«, in: Kulturen des Performativen, Paragma, internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, hg. von Erika Fischer-Lichte und Doris Kolesch, Bd. 7, H. 1, Berlin: Akademie-Verlag 1998, S. 162. Ebd., S. 155.

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sich ein Ereignis quasi unter dem Deckmantel des Altbekannten unbemerkt in eine Performancesituation ›einschleicht‹. Denn Ereignisse sind stets von dem gezeichnet und geprägt, was ihnen als gesellschaftliche Struktur zugrunde liegt. So kommt das Ereignis nicht nur überraschend und plötzlich über die Menschen, es kommt häufig im Gewand des zuvor Bekannten, des Gewohnten und ist doch neu, verändert, provokant. Performanz, die Kunst des Theaters, ist darüber hinaus auch aus dem Grund Gabe, weil sie nicht auf Tausch basiert, sondern auf einem reinen und plötzlichen Empfangen. Denn wer sich der Gabe bewusst wird, findet sich, folgt man weiterhin Derrida, im Kreislauf des ökonomischen Denkens, im Tauschverhalten, im Geben um des Wiedergebens willen. So folgert er: »Es gibt kein ereignishafteres Ereignis als eine Gabe, die den Tausch, den Gang der Geschichte, den Kreislauf der Ökonomie unterbricht.«104 Anders ausgedrückt spricht die Performance das Versprechen des Ereignisses aus, ohne auf eine Antwort und ein Wiedergeben zu hoffen.105 Auf Festivals als Orte verdichteter Erfahrung von (Theater-)Performances übertragen, bedeutet dies, dass sie im Gefüge von Performanz, Gabe und Ereignis folglich eine Sonderstellung innehaben. Aufgrund der erhöhten Dichte von Erfahrbarem und Attraktionen, die den Festivalbesucher in den sprichwörtlichen Bann schlagen können, sind Festivals prädestinierte Orte für das Aufscheinen des Ereignisses im Sinne einer Gabe, die zunächst nur angenommen und rezipiert wird, ohne sogleich subsumiert und kategorisiert werden zu müssen. Auf einem Festival zu sein bedeutet, sich dem Erfahrbaren auch ein Stück weit ungeschützt auszusetzen. Die glückliche Verbindung zwischen einer organisierten Verdichtung von fremden und bekannten Eindrücken und der an sich schon ereignishaften Kunstform des Theaters ist der doppelte Grund für die Affinität des Theaterfestivals zum Ereignis. V ERGLEICHENDES R ESÜMEE In Theaterfestivals finden sowohl das Event als auch das Ereignis ihren Platz. Denn Festivals sind zunächst Räume, die sich durch Offenheit für Veränderungen auszeichnen, selbst wenn sie im Regelfall lange Vorbereitungsphasen durchlaufen. Das Fest des Festivals ist so konzipiert, dass Ereignisse jederzeit stattfinden können, wenn sich der Raum öffnet für den ›rechten Zeitpunkt‹ (Kairós). Das Event weist diese Sollbruchstellen nicht auf, da seine Zeitstruktur durchrationalisiert ist und stets auf das Endprodukt, nämlich die Erlebnisbefriedigung des Eventteilnehmers, fixiert ist. Das Event, so wie es im deutschen Sprachgebrauch verstanden wird, als ein »Ergebnis« (es ›kommt heraus‹, exvenere), lebt davon, dass es kalkulierbar und planbar ist. Darin besteht gerade seine Funktion im Kontext von Vermarktungsstrategien, die, wenn auch in gemäßigter Form, auch für Festivals gelten. Allein der Umstand, dass beim Festival immer auch ökonomische Überlegungen eine tragende Rolle spielen, verunmöglicht die ›reine‹ Gabe des Ereignisses. Durch die Verquickung des Ereignisses mit Ko-Präsenz und Performativität, also 104 105

J. Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, S. 29. Wenn man Derrida weiter folgt, sind auch die Versprechen, die Festivals immer wie der erneuern, ein Ereignis, denn das Versprechen fällt für ihn in die Kategorie des performativen Sprechens und damit in ein Sagen, das selbst schon Ereignis ist.

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Gemeinschaftlichkeit und Ästhetik, wird das Festival des Theaters jedoch geöffnet für das Eintreten des Ereignisses der Begegnung zwischen den Teilhabenden. Festivals sind also einerseits Produkte von Planung, Kalkulation, Ordnung; andererseits bieten sie als potentieller Ort für Communitaserfahrung Raum für das Auftreten von Ereignissen, deren hauptsächliches Charakteristikum darin besteht, sich den Zugriffen von externen Interessen weitgehend zu entziehen. Das Ereignis ist hier freilich nicht zu verstehen als ein so genanntes gesellschaftliches Ereignis wie Opernbälle, Preisverleihungen oder sonstige prestigeträchtige Veranstaltungen, die landläufig als Ereignis deklariert werden. Auch Festivals und Festspiele schmücken sich zwar vor allem zum Zweck der Werbung mit diesem ›Label‹. Die Geselligkeit eines gesellschaftlichen Ereignisses, das das Festival auch meint, bezeichnet allerdings keinesfalls die Form des Zusammenseins, wie es zuvor im Kapitel zur Festgemeinschaft dargestellt wurde. Zwar teilen Event und Ereignis ihre Unwiederholbarkeit; Events sind allerdings als reproduzierbare Einmaligkeiten ›nach Fahrplan‹ gestaltet, während das Ereignis insofern auf Kontinuität angelegt ist, als seine strukturverändernde Wirkung die Welt nach dem Ereignis nicht unverändert lässt.106 Das Ereignis wirkt nach, ohne dass dessen Folgen prognostiziert werden könnten. Festivals teilen diesen Hang zur Unvorhersagbarkeit – denn ob das ästhetische Konzept einer Festivalausgabe funktioniert oder nicht, entzieht sich dem Zugriff von Marktanalysen und Produktforschung. Festivals tragen deshalb durch ihre Offenheit zur Ereignishaftigkeit ein hohes Risiko, haben so allerdings auch die Möglichkeit, tatsächlich auf Strukturen und Systeme (zumindest im Kunstbereich) einzuwirken und Fragen aufzuwerfen. Die dadurch eintretende Entlastung vom Zwang der Einmaligkeit gewährt das Aushalten von Planungsunsicherheiten und gibt Raum für relativ ›ungestaltete‹ Festivalbestandteile. Zufall, Plötzlichkeit und Spontaneität haben hier die Möglichkeit sich zu entfalten, dem Festivalteilnehmer wird der Raum für eigene Erfahrungen und Interpretationen gelassen. Diese ›ereignen‹ sich freilich in der Gruppe der Teilhabenden, die bei Event und Ereignis je eigen definiert ist als ›Szene‹ und als ›Zeugen‹. ›Event‹gemeinschaft beruht auf dem zeitlich begrenzten Gefühl des Events und bedeutet keine weitere und dauerhafte Bindung über den Anlass hinaus. »Es ist eben nicht mehr die Gemeinschaft, die ein Fest feiert, sondern das Fest konstituiert – für den Moment – eine Gemeinschaft.«107 Der Einzelne wird hier letztlich auf sich selbst zurückgeworfen, während das Fest wie das Ereignis sich stets (wenn auch nicht immer ausdrücklich) in ein Verhältnis zum Außen setzen, Gesellschaft ›reflektieren‹ und sie auch dekonstruieren.108 106

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Events können nicht als kulturelle Erinnerungsräume im Sinne Assmanns fungieren. Als einmalig angelegt, geht ihnen diese Fähigkeit notwendigerweise ab, denn nur in der Wiederholung kann Erinnerung entstehen. H. Knoblauch: Das strategische Ritual der kollektiven Einsamkeit, S. 28. Da aber das Ereignis als erschütternde Erfahrung nach Diskussion, Neuverhandlung und Neutarierung von Erwartungshorizonten verlangt, werden Zeugen vor komplexere kommunikative Anforderungen gestellt. So kann durch einen intensiven Verarbeitungsprozess ein Ereignis prinzipiell in einem Nein (etwa zu einer politischen Herrschaft oder sozialen Ungerechtigkeit) kulminieren, was beim Event ein untypisches und ungewolltes Ergebnis wäre.

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Das Festival pendelt sich zwischen beiden Polen ein. Als Organisationsmodell forciert es den kritischen Diskurs und die Kontroverse, während das reine Event darauf angelegt ist, möglichst reibungslos zu funktionieren und den Dissens zu vermeiden. So können Event wie Ereignis im Festival zusammengedacht werden: Als Aufführungsrahmen, Produktionsformat und Organisationsmodell können und müssen sich Festivals am Ende des 20. Jahrhunderts als Events positionieren, um Raum zu schaffen für die Möglichkeit von Ereignissen. Dies gilt doppelt für Festivals des Theaters. Entertainment bedeutet wörtlich ›dazwischenhalten‹ – also einen Zwischenzustand, der zwar einerseits Amüsement bezeichnet, aber auch ›sich überlegen‹.109 Der Unterhaltungswert von Festivals zieht also nicht zwangsläufig die ›Ernsthaftigkeit‹ des Spiels in Mitleidenschaft. Während Schulze eine gesteigerte und regelrecht aufgezwungene Selbstreflexivität des Ich in der Erlebnisgesellschaft lokalisiert, scheint auf Festivals mehr und mehr die Selbstvergewisserung von Gruppen im Zentrum des Interesses zu stehen. Das Theater als Kunst der (glückenden oder missglückenden) Begegnung verstärkt zusätzlich die Hinwendung zur Debatte innerhalb dieses Organisationsmodells. So bemerkt Lehmann, ein »Motiv der Moderne« sei der »Übergang des Theaters in Fest, Debatte, öffentliche Aktion und politische Manifestationen, kurz: ins Ereignis«.110 Aus der Begrenztheit der Gruppe an Theaterinteressierten, wie Lehmann sie konstatiert, ergibt sich auch die besondere Qualität von Theaterfestivals. Die Anteile des Events am Theaterfestival motivieren keine Zuschaueranstürme – trotz der Mobilisierungsversuche und Werbestrategien einiger Festivals hat sich die Gruppe der Zuschauer nicht wesentlich verändert oder erweitert.111 Je stärker also ein Festival auf Spontaneität setzt und Räume für ungeplante Begegnungen bietet, desto eher kann es Träger von Ereignissen werden. Und desto wahrscheinlicher kann es in ihm Kairós geben,

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»Unterhaltung! Das ist ein Schlüsselbegriff. Das englische Wort ›entertainment‹ bedeutet wörtlich ›dazwischenhalten‹, vom altfranzösischen entre, zwischen, und tenir, halten. Das heißt, es kann als das Herstellen der Liminalität, des Zwischenzustands gedeutet werden. Webster führt sowohl die spielerische als auch die ernste Bedeutung an, denn ›entertain‹ kann bedeuten 1. ›das Interesse aufrecht erhalten und Vergnügen bereiten; zerstreuen; amüsieren‹ oder 2. ›sich über etwas nachzudenken gestatten; im Sinn haben; sich überlegen‹.« In: V. Turner, Vom Ritual zum Theater, S. 194. Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater, Frankfurt am Main: Verlag der Autoren 1999, S. 179. Dies belegen die konstanten Besucherzahlen, die in Publikumsanalysen erfasst werden, vgl. etwa die Publikumsanalysen von Politik im freien Theater aus den Jahren 2000 und 2002 in: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Politik und Theater – Theater und Politik. Bilder und Texte zum 4. Festival ›Politik im Freien Theater‹, Stuttgart, Stuttgart 2000 und Veranstaltungsdokumentation (Oktober/November 2002) zum 5. Festival Politik im Freien Theater. Besucher- und Besucherinnenbefragung 2002 in Hamburg, vgl. http://www.bpb.de/ veranstaltungen/KB0QN2,0,5_Festival_Politik_im_Freien_Theater.html vom 22. April 2007.

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Theaterfestivals »den Augenblick, der sich in der Gegenwart erfüllt, der flüchtig ist, aber sich um seine Flüchtigkeit nicht mehr sorgt. Kairós ist ein Moment der Situation und Begegnung: ›Ein Beispiel für diesen Ereignischarakter der Zeit ist das Phänomen der Begegnung. Das Kennzeichen einer eigentlichen und echten Begegnung ist ihre Unberechenbarkeit. Sie überfällt uns gleichsam. Die Begegnung erschließt unsere Existenz in ihrer ganzen ausgefüllten Augenblicklichkeit. Aber diese Augenblicklichkeit ist eine gemeinsame, die wir mit dem Du teilen.‹ Für den einzelnen Teilnehmer kann es im Fest diesen Augenblick geben, in dem das Fest verdichtet erscheint. Solche Augenblicke in Riten festzuhalten, ist eine Unmöglichkeit, eben weil die Unberechenbarkeit ein Moment des Kairós ist.«112

In seiner Flüchtigkeit entspricht dieser Augenblick augenfällig einer Logik der Prozesshaftigkeit. Anhand von Turners Überlegungen zu Prozess und Struktur wird das Potential des Prozesses im Folgenden eingehender besprochen. Diese Zusammenhänge weisen weiterhin auf das Verhältnis zwischen Zeit und Ereignis hin, auf das in Kapitel »Die Zeiten des Festivals« eingegangen wird.

Prozess und Struktur Der Dualismus von Prozess und Struktur kennzeichnet Theaterfestivals der Gegenwart sowohl in einem funktionalen als auch intrinsischen Sinne. Wenn von Festivals als einem Organisationsmodell die Rede ist, so ist zweierlei gemeint. Erstens die Organisation von Arbeitsstrukturen, die Künstlern zur Verfügung gestellt werden, um in deren Rahmen ihre Kunst zu produzieren und/oder zu veröffentlichen (funktional); zweitens die Organisation von Kommunikation auf Festivals (wie bereits in den vorangehenden Kapiteln gezeigt wurde, spielen gerade soziale Phänomene [Fest, Communitas, Bereitschaft des Publikums für das Ereignis] neben den ästhetischen Ereignissen die wichtigste Rolle auf Festivals). Der Dualismus betrifft also die beiden Hauptanliegen von Theaterfestivals – Kunst zu ermöglichen und zu präsentieren und zugleich Kommunikation und Begegnung anzuregen. Anklänge an den Themenkomplex von Prozess und Struktur finden sich bereits im vorherigen Kapitel. Hier wurde das Ereignis mit der Struktur kontrastiert (vgl. Kapitel »Ereignis und Festival«), eine Konkurrenz zweier methodischer Ansätze, die hauptsächlich in der geschichtswissenschaftlichen Tradition angesiedelt ist.113 Gerade in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts sind sie »Kampfbegriffe«114 im Streit um die richtige Methode in der Historik. »In der Geschichtswissenschaft und in der historischen Soziologie wurde ›Ereignis‹ lange als polarer Gegenbegriff zu ›Struktur‹ gebraucht – 112

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Joachim Küchenhoff: »Das Fest und die Grenzen des Ich – Begrenzung und Entgrenzung im ›vom Gesetz gebotenen Exzeß‹«, in: Haug/Warning (Hg.), Das Fest (1989), S. 118. Der 2001 veröffentlichte Band Struktur und Ereignis versammelt einige wesentliche Diskussionsbeiträge zum Verhältnis beider Kategorien. Vgl. Ingrid Gilcher–Holtey: »›Kritische Ereignisse‹ und ›kritischer Moment‹. Pierre Bourdieus Modell der Vermittlung von Ereignis und Struktur«, in: Suter/Hettling (Hg.), Struktur und Ereignis (2001), S. 120.

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Strukturgeschichte versus Ereignisgeschichte.«115 In den unterschiedlichsten Disziplinen ist der Strukturalismus, also die Analyse, Zergliederung und Einbindung einzelner komplexer Phänomene in übergeordnete oder untergeordnete Strukturen, heute ein maßgebliches Verfahren, ob in Linguistik und Literaturwissenschaft (Saussure und Jakobson), Ethnologie (Lévi-Strauss oder Sozialwissenschaften (Luhmann). Allen Ausprägungen der strukturalistischen Analyse ist eine Konzentration auf synchrone Phänomene gemeinsam; Diachronie und damit das Denken in Prozessen steht dieser Methode prinzipiell fern. Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts werden jedoch Ansätze vertreten, die beide Methoden in wechselseitiger Bedingung sehen und damit den Dualismus, der die siebziger Jahre dominierte, auflösen. William H. Sewell etwa schlägt vor, Ereignis (als verändernder, plötzlicher und damit Veränderungsprozesse auslösender Vorfall) und Struktur als gegenseitige Voraussetzungen zu verstehen. »Das Ereignis kann von einem nichtereignishaften Geschehen nur in dem Maße unterschieden werden, wie es die von den kulturellen Strukturen erzeugten Erwartungen verletzt. Die Anerkennung eines Ereignisses als Ereignis setzt folglich Struktur voraus.«116 »Es bleibt daher notwendigerweise eine Frage der praktischen Urteilskraft, das transformierende Ereignis vom gewöhnlichen Vollzug der Struktur zu unterscheiden.«117 Diese dialektische Denkweise hilft, Festivals als gespaltene und doppelgesichtige Phänomene zu begreifen, die zugleich Phase und Zustand sind, luzide und stabil zugleich. Dieses Zusammenspiel wird im Folgenden auf zwei Ebenen – Präsentationsformat und Organisationsformat – erörtert werden. P RÄSENTATIONSFORMAT Theaterfestivals treten ihrem Publikum zunächst als ›soziale Ereignisse‹ und Präsentationsformate von Theaterkunst entgegen. Auf dieser Ebene geht es primär um ästhetische Entscheidungen, die die Macher eines Theaterfestivals treffen und dem Publikum kommunizieren. Wie sich mit Referenz auf Erika Fischer-Lichte behaupten lässt, beruht die Kunst des Theaters auf ihrer Veränderbarkeit.118 Dazu gehört die Neigung zu Kontingenz, Endgültigkeit und Ephemerität jeder einzelnen Performance. Da es sich beim Theater um ›live 115 116

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Reinhard Blänkner/Bernhard Jussen (Hg.): Institutionen und Ereignis, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998, S. 13. William H. Sewell jr.: »Eine Theorie des Ereignisses. Überlegungen zur ›möglichen Theorie der Geschichte‹ von Marshall Sahlins«, in: Andreas Suter/Manfred Hettling (Hg.), Struktur und Ereignis, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, S. 49. Und »[w]eil die Struktur mittels Handlungen reproduziert wird und weil die Situation, in der eine strukturell geformte Handlung stattfindet, niemals genau dieselbe ist wie die vorhergehende Situation, ist der Unterschied zwischen einem Akt der Reproduktion und einem Ereignis immer ein gradueller Unterschied und kein qualitativer. Es bleibt daher notwendigerweise eine Frage der praktischen Urteilskraft, das transformierende Ereignis vom gewöhnlichen Vollzug der Struktur zu unterscheiden.« Ebd., S. 61. Vgl. Erika Fischer-Lichte: »Transformationen«, in: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/ Christel Weiler (Hg.): Transformationen. Theater der neunziger Jahre, Berlin: Theater der Zeit 1999, S. 7–11.

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art‹ handelt, ist es permanent gefährdet und wird zugleich durch die Gefahr des Scheiterns angefacht. Man wird gerade dem Theater der neunziger Jahre also gerecht, wenn man dem Moment der Prozessualität großes Gewicht beimisst. Eine Bereitschaft dazu zeigt sich bei deutschen Theaterfestivals seit den neunziger Jahren im besonderen Maße. Historisch betrachtet widmet sich das Präsentationsformat Theaterfestival, wie es sich seit den fünfziger Jahren in Europa entwickelt und in den siebziger Jahren transformiert hat, von Anfang an vornehmlich der Präsentation und Produktion von experimentellem Theater. Die Verbindung zwischen alternativem Theater, Freien Theaterformen, Spektakel und Zirkus gerade bei diesen frühen Festivalgründungen deutet auf eine grundlegende Affinität zwischen prozessualen Theaterformen und Festivals hin, was die Folgerung erlaubt, dass sich diese Art des Theaters einen ihm analogen Produktionsrahmen suchte.119 Auf der anderen Seite hatte die Verbindung zwischen stark performativen Theaterkonzepten und Festivals zur Folge, dass sich jene prozessualen Regiekonzepte langsam, aber stetig auch über die Grenzen der Festivals hinaus etablieren konnten. Bekannte Beispiele für dieses Phänomen sind die spanische Gruppe La Fura dels Baus oder die italienische Gruppe Socìetas Raffaello Sanzio, die mit ihrem Projekt Tragedia Endogonidia eine Art großangelegte Studie zu den Urthemen des Theaters unternahmen, die sich über elf europäische Städte und über drei Jahre (2002 bis 2004) erstreckte.120 Langzeitprojekte wie dieses werden in Europa hauptsächlich durch Festivals ermöglicht, die sich auf ästhetische Risiken einlassen, Theater als Prozess und Forschungslaboratorium behandeln und das präsentierbare Resultat nicht als Hauptsächliches verstehen. Abgesehen von dieser Form ästhetischer Prozessualität weisen Festivals der letzten zehn Jahre verstärkt die Tendenz auf, die Zuschauer wie die konkrete Lokalität des Festivalorts stärker in die Performances einzubeziehen, zur Sprache zu bringen und damit die Produktion für ortsspezifische Prozesse zu öffnen (vgl. Kapitel »Stadtraum«). Herausragendes Beispiel der späten neunziger Jahre des 20. und ersten Jahre des 21. Jahrhunderts ist hierfür im deutschsprachigen Raum die Gruppe Rimini Protokoll, deren Bekanntheitsgrad im Besonderen durch ihr Erscheinen auf Festivals erstaunlich gewachsen ist. Merkmal dieser Performances und Regiestile ist zunächst eine räum119

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Hierbei ist der Verdacht, dass nur die ›konservativen‹, das heißt die etablierten und auf ein bürgerliches Publikum ausgerichteten Festivals diese Tatsache ignorieren und auf traditionelles Regietheater setzen, nicht ganz unbegründet, er greift jedoch zu kurz. So werden einige Programmteile selbst bei den ›konservativsten Festivals‹ exklusiv für den jeweiligen Ort neu konzipiert und prozessiert (siehe etwa die Neuinszenierungen des Rings der Nibelungen für die Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden). Und selbst bei den Festivals, die im allgemeinen Angebot des ›FestivalZirkus‹ einzelne Produktionen auswählen und nahezu identische Programme von anderen Festivals übernehmen, zeigt sich häufig die Qualität der gewählten Performances gerade in deren Anpassungsfähigkeit, deren Prozessualität. Es handelt sich hierbei um ein Projekt in elf Teilen über die Zukunft der Tragödie, das in Cesena, Avignon, Berlin, Brüssel, Bergen, Paris, Straßburg, London und nochmals in Cesena erarbeitet und jeweils vor Ort uraufgeführt wurde. Nach wie vor werden die entstandenen Episoden auf Festivals und in Theaterhäusern europaweit gezeigt.

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liche Determinante – sie öffnen sich ihrer Umwelt, den in einer Stadt beziehungsweise Region herrschenden Diskursen und Themen. Sie binden sich wieder an einen konkreten Ort und erfinden sich für diesen stets neu. Andererseits zeichnet sich ihre Arbeitsweise zwangsläufig und aufgrund dieses Ortsbezugs durch eine gewisse Langsamkeit aus, durch einen Prozess des Ankommens an dem jeweiligen Festivalort, an dem die Performance entstehen soll; durch Recherche vor Ort, durch Auswahl der »Laiendarsteller«121 und durch Einarbeitung von deren persönlicher Geschichte. Gerade solche Beispiele zeigen, wie die Offenheit von Theaterfestivals für neue Formen und unbetretene Wege neue ästhetische Entwicklungen befördern kann. Die Ästhetik der einzelnen Performances, die persönliche Handschrift eines Künstlers oder einer Künstlergruppe werden unter diesen Bedingungen schnell umgemünzt in ästhetische Standards, was nur durch die besondere Infrastruktur und Netzwerkarbeit von Festivals ermöglicht wird. Andererseits werden diese ästhetischen Prozesse durch festivaltypische Produktions- und Präsentationsstrukturen katalysiert. Die Entscheidungen über den Gesamtablauf eines Festivals betreffen nicht nur die Auswahl der Künstler, sondern das Arrangement der einzelnen Programmpunkte eines sich über mehrere Tage erstreckenden Festivals (Stichwort Festivaldramaturgie). Von den Entscheidungen über das Ausfüllen von Festivalzeit ist auch das Ausmaß an ungesteuerten Freiräumen, den Orten freier Entwicklung betroffen. Zusätzliche thematische Neben-Programmpunkte wie Diskussionsrunden oder Workshops beschränken oder erweitern diese bisweilen drastisch (vgl. Kapitel »Diskurs«). Der Grad der Lenkung der auf einem Festival stattfindenden ›Handlungen‹ verändert somit auch das Verhältnis zwischen dem Grad der Strukturierung und Prozessualität und weitet sich beispielsweise auf konkrete Fragen der Raumgestaltung aus. So werden planerische Entscheidungen etwa über die Unterbringung der Künstler (beispielsweise bei Theater der Welt in Stuttgart in einem Künstlercamp) oder über die Gestaltung von Orten des zwanglosen Zusammenkommens (Bars, Restaurants und anderen Treffpunkten auf dem Festivalgelände) zu Kriterien für die Gewichtung zwischen den beiden Polen. Gemeinsam aber ist den meisten gegenwärtigen Theaterfestivals eine meist sehr sorgfältige Reflexion dieser Gewichtung, da sich erst über sie das jeweilig einzigartige Profil eines Festivals herausbildet. O RGANISATIONSFORMAT Auf der organisatorischen Ebene eines Festivals ist der Übergang zwischen Prozess und Struktur schwieriger festzustellen. Zwar ist es korrekt, Festivals als Organisationsformate und Werkzeuge mit klaren Charakteristika zu beschreiben. Festivals sind dennoch auch auf dieser Ebene allein deswegen teilweise prozessual angelegt, weil sie meist über keinen umfassenden Managementapparat verfügen und sich die Organisation im Wesentlichen auf 121

Wobei Iris Laufenberg, Leiterin des Berliner Theatertreffens, richtigerweise darauf hinweist, dass es sich bei den Akteuren in den Performances Rimini Protokolls nicht um Laien, sondern Profis auf ihrem Gebiet handelt. Vgl. das Radiointerview zum Theatertreffen 2006, vgl. http://www.berlinerfestspiele.de/de/archiv/ festivals2006/03_theatertreffen06 /tt_06_audio/tt_06_audio.php vom 05. April 2008.

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Kernfiguren beschränkt, sich eine größere Struktur also nur über einen begrenzten Zeitraum herausbildet. Freiwillige Mitarbeiter ergänzen das meist kleine Team in Zeiten des tatsächlichen Festivalbetriebs, das Festivalteam ist also beständig im Entstehen begriffen und damit auch die organisatorische Struktur. Dieser Umstand und die oftmals großen Intervalle, in denen Festivals stattfinden, bergen Risiken für den Erhalt eines Festivals, da sich diese oftmals für jede Ausgabe neu legitimieren und positionieren müssen. Sie sind so über lange Zeiträume nur potentielle Struktur. Festivals haben als Antwort auf diese prekäre Lage neue Kooperationsformen entwickelt, die flexibel genug sind, den Schwebezustand zwischen Struktur und Prozess zu tragen. So vollziehen sich etwa die Propagierung und das Durchsetzen neuer Regiestile und eines am Prozess orientierten postdramatischen Theater nur auf der Basis von kontinuierlicher Zusammenarbeit zwischen Festivals und Künstlern.122 Es ist die Grundlage langfristig tragfähiger und auf Vertrauen basierender Kooperationen, auf der sich neue Formen des Theaters entwickeln können. Dies erfordert selbst wiederum Strukturen, die sich am genauesten als Netzwerke beschreiben lassen. Netzwerke sind ein seit den neunziger Jahren im Kulturbereich verstärkt genutztes organisatorisches Werkzeug. »Für die alltägliche Praxis der grenzüberschreitend arbeitenden Festivals sind die Netzwerke heute von wesentlicher Bedeutung. Sie eröffnen Zugang zu Informationen und persönlichen Kontakten. Sie ermöglichen den lebendigen Austausch, in dem sich Eindrücke, Einschätzungen und nachvollziehbare Bewertungen vermitteln, lassen schnell und gesichert jene Orientierung entstehen, an denen sich die eigenen Recherchen ausrichten. So wird die Arbeit professionalisiert und zugleich unaufwendiger.«123

Diese multinationalen Strukturen haben sich gerade in den neunziger Jahren im Zuge der Diskussion um eine ›europäische Kultur‹ als optimale (da bin ich aber sehr pro Festivals!) Werkzeuge abseits von Kulturpolitik und Stadttheaterstruktur herauskristallisiert. Festivals ihrerseits konnten sich erst mit diesem Werkzeug zu dem führenden Modell moderner Kulturorganisation und Projektarbeit entwickeln, denn Netzwerke wie Festivals sind potentielle Struktur. Die Manifestation der Vorreiterfunktion von Festivals in Bezug auf Netzwerkarbeit ist die bereits 1952 gegründete European Festival Association (EFA).124 Diese Netzwerke arbeiten häufig ›informell‹, also nicht als Unternehmen mit festen und dauerhaften Gremien und Leitungen. Doch können diese übergeordneten Strukturen ihren leichten und spontanen Charakter verlieren. »Aus informellen Beziehungen entstehen nach und nach durch gemeinsame ökonomische Interessen stabilisierte Strukturen. Das Fluidum der informellen Vernetzung verliert sich zu Gunsten kristallinerer Formen.«125 122

123 124

125

In diesem Sinne können Festivals zunehmend als ›Ersatz‹ oder Gegengewicht für die Instanz der Theaterkritik verstanden werden, die zuvor eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Theaterkünstlern spielte. M. Roeder-Zerndt: Vielfalt und Internationalisierung, S. 84. Andere übergeordnete, international operierende Netzwerke in der europäischen Theater- und Netzwerkszene sind das IETM (Informal European Theatre Meeting) und THEOREM (Théâtre de l’ Est et de l’Ouest Rencontres Européennes du Millénaire). M. Roeder-Zerndt: Vielfalt und Internationalisierung, S. 84.

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Mit anderen Worten etablieren Festivals durch ihre Vernetzung im Laufe der Zeit eine eigene Struktur und damit auch eine Marktsituation, die Konkurrenzdruck, Isolation und Entindividualisierung nach sich ziehen kann. Trotz dieser Gefahr besteht der wichtigste Gewinn von Strukturbildung in Netzwerken in der Abstimmung ökonomischer Ziele in Form von Koproduktionen und Langzeitprojekten, die finanzielle Entlastung für jeden einzelnen Kooperationspartner bedeutet. Das Teilen von (finanziellen) Risiken ist ein wesentliches Motiv für die Ausbildung weit reichender nationaler wie internationaler Arbeitsstrukturen. »In most cases, festivals, venues and companies engaged in international coproductions are in fact achieving a sort of international co-financing by pooling their resources and sharing the risks inherent to this sort of endeavours. When they bring together various artistic visions and talents […], when the co-production is of a multilateral rather than bilateral character, the risks raise considerably but the artistic opportunities as well.«126

Die damit verbundene Kontinuität in der Zusammenarbeit der Festivals selbst weitet sich zumeist auf die Zusammenarbeit mit bestimmten Künstlern oder Gruppen aus. Neben das Produktions- tritt das Künstlernetzwerk, das seinerseits das Profil eines Festivals wesentlich markiert und dem Programm Kohärenz und Glaubwürdigkeit verleiht. Herausragendes Beispiel für eine solche Künstlergruppe sind Forced Entertainment aus Sheffield, die regelmäßig auf mehreren europäischen, aber auch deutschen Festivals gastieren und deren Aufstieg zur Avantgarde des zeitgenössisch-postdramatischen Theaters sicherlich wesentlich durch die Kooperationsleistungen von Festivals herbeigeführt wurde. Andere Beispiele hierfür sind Künstler wie Alain Platel, Robert Lepage, Rimini Protokoll, Pina Bausch und andere. Doch so unabdingbar diese Arbeitsweise für das Selbstverständnis von Festivals und Künstlern sein mag, so problematisch wird dadurch die Position von Festivals. Wegen ihrer besonderen Eignung dazu, neue ästhetische Wege vorzuschlagen und diese durch Förderung von prozessual angelegtem Theater zu verbreiten, wird an Festivals zugleich die Forderung herangetragen, dies möglichst immer und auf einem gleich bleibenden Level zu tun. Aus dem Experimentierfeld kann die Pflicht zur Innovation werden, die die Programme von Festivals eintönig erscheinen lassen mag.127 Das Resultat ist ein Spagat zwischen Innovation und Kontinuität, der oft nur schwer durchzuhalten ist; Festivals kranken so nicht selten an der Diskrepanz zwischen ihren 126

127

Ugo Bacchella u.a.: challenges of growth, distinction, support base and internationalization. British Federation of Festivals for Music, Dance and Speech: Yearbook, Macclesfield, Cheshire SK, 1991 – 2001, S. 33. Der Vorwurf der ›Festivalitis‹ fußt unter anderem auf dieser falsch verstandenen Liebe zur (vermeintlichen) Innovation und hängt unmittelbar mit dem Verhältnis von Struktur und Prozess von Festivals auf organisatorischer Ebene zusammen. Denn wenn Innovation nur als Folge eines permanenten Prozesses verstanden wird, müssen sich Festivals zwangsläufig beständig selbst überbieten und immer wieder neue Blüten treiben, um dem Streben nach Neuem und ›Besserem‹ nachkommen zu können. Unter dieser Prämisse ist freilich kein Platz für die Herausbildung und die Pflege von Strukturen.

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Ansprüchen und ihren Bedürfnissen nach Absicherung und Kontinuität. »Wir klappern die Mühlen der Routine leer, ohne etwas zu bewegen außer rostigen Rädern nach nirgendwohin. Der Ruf nach Kontinuität, Beständigkeit, nach dem Gewohnten setzt sich der Forderung nach Erneuerung und Wandel entgegen, zwingt zur Entscheidung, zur genialen Lösung oder zum Kompromiß.«128 Ein weiterer Hinweis auf Victor Turner ist an dieser Stelle hilfreich.129 Turner identifiziert zwar Communitas, die ein Phänomen der Schwellen und des Übergangs, also der Bewegung und des Prozesses, ist, als Gegengewicht zu den gegebenen sozialen Strukturen. Trotzdem weist er in Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur darauf hin, dass der Verzicht auf Struktur das Entstehen von Geschichtlichkeit ausschließt und damit ästhetische Neuerungen verunmöglicht. Eine Gruppe, die sich keine ordnenden Kriterien aneignet, kennt keine Heimat, kennt keinen Rahmen und damit auch keine historische Dimension. »Aus alle dem schließe ich, daß für Individuen wie für die Gruppen das Leben eine Art dialektischer Prozeß ist, der die sukzessive Erfahrung von Oben und Unten, Communitas und Struktur, Homogenität und Differenzierung, Gleichheit und Ungleichheit beinhaltet.«130 Auf Festivals angewendet, bedeutet die Entwicklung hin zu mehr Struktur, Transparenz, Sesshaftigkeit, Zuordenbarkeit, Verantwortungsbewusstsein und Geschichtlichkeit eine Entscheidung, die mit Überlebensfragen des Festivals verbunden ist. »Communitas gehört dem Hier und Jetzt an; Struktur wurzelt aufgrund von Sprache, Gesetz und Brauch in der Vergangenheit und reicht in die Zukunft.«131 Ohne Strukturen sind also auf Festivals keine ästhetischen Kontinuitäten oder Innovationen mit zukunftsweisendem Charakter zu erreichen. Kontinuität und Struktur sind zugleich handfeste ökonomische Bedingungen, die Festivals die Motivation nehmen können, ihrer prozesshaft angelegten Natur zu folgen. Mit dem Wandel der Finanzierungsmodelle von starker staatlicher Förderung zu privatwirtschaftlichem Sponsoring und Mäzenatentum steht der Weiterbestand vieler kultureller Institutionen in Deutschland auf tönernen Füßen. So versuchen Festivals seit den neunziger Jahren sich als unabdingbaren Bestandteil der kulturellen Landschaft zu präsentieren, um sich als förderwürdig auszuweisen. Ob für private oder staatliche Förderer, Festivals sehen sich vor die Aufgabe gestellt, sobald sie eine gewisse Größe und Relevanz erreicht haben, mit einem Grad an Professionalität zu Werke zu 128 129

130 131

Matthias Renner 1991 (zit. nach Antje Oegel: »Theater in der Zeitenwende«, in: Freundt/Wolff (Hg.), Neugier und Leidenschaft (2000), S. 14). Einschränkend muss bemerkt werden, dass Turners Idee von Communitas nicht eins zu eins auf die menschlichen Begegnungen auf Festivals übertragen werden kann. So bedeutet Communitas für ihn »homogene Ganzheit« und »Macht der Schwachen« (Victor Turner: Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt am Main/New York: Campus 2005, S. 112). Beide Bezeichnungen treffen auf Festivalbesucher und -akteure wohl nur eingeschränkt zu. Gerade der ›typische‹ Festivalbesucher gehört in der Regel nicht den niederen Einkommensschichten an, er hat eine gute Ausbildung, ist im Zweifelsfall Akademiker. Die These, dass Communitas ein Gegengewicht zur Exklusivität bilden soll (vgl. V. Turner: Das Ritual, S. 113), trifft auf Festivals also nicht zu. V. Turner: Das Ritual, S. 97. Ebd., S. 111.

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gehen, der sich an Zahlen, an Strukturen und an Gremien festmachen lassen soll. Um der Transparenz willen werden so seit den neunziger Jahren vermehrt Rentabilitätsanalysen in Auftrag gegeben und Entscheidungsträger, »Gremien« sowie die Entscheidungskriterien eines Festivals offengelegt.132 So exponiert das Berliner Theatertreffen seine Strukturen beispielhaft routiniert, indem es im Programmheft jedes Treffens seine »Grundsätze« veröffentlicht – eine Liste von Satzungen, die bei der Gründung des Theatertreffens erlassen wurden. Nun handelt es sich dabei um keine völlig neuen Entwicklungen.133 Doch das Wechselspiel zwischen Prozess und Struktur gerät an seine Grenzen, wenn Festivals selbst ihre Unverantwortlichkeit zugunsten besserer Produktionsbedingungen ablegen und ihre Position abseits der Theaterbetriebe aufgeben, um selbst Institutionen zu werden. Anzunehmen ist, dass dadurch die identitätsstiftende Wirkung von Theaterfestivals für den gesamten deutschen Theatersektor, die entschieden zu dessen Dynamik beitragen, verlustig gehen würde. Es hat sich gezeigt, dass die strukturellen Komponenten von Festivals niemals abstrakt bleiben, sondern praktizierte Strukturen sind, die Regellosigkeiten ermöglichen. Ferner sind sie unabdingbar für den Selbsterhalt eines Festivals. Der strukturell aufgebaute Produktionsrahmen steht jedoch im Zeichen seiner Erweiterung – an den Rändern können sich immer neue Formen angliedern. Gerade die verstärkte Integration kleinerer ›Festivals im Festival‹ (Workshops, Konferenzen et cetera) in bestehende Theaterfestivals verdeutlicht den Willen, einerseits Strukturen zu erweitern und andererseits die Durchplanung des Festivals zu intensivieren. Somit ergibt sich eine zweiseitig gerichtete Wirkung: Festivals seit den neunziger Jahren stellen sich nach außen als kalkulierbare Strukturen dar und sichern sich damit Anerkennung und sorgen für ihren Erhalt. Nach innen bieten Infrastruktur, Organisation und Vernetzung verbesserte Produktionsbedingungen für die beteiligten Künstler, die durch ihren Hang zum Prozesshaften selbst das notwendige ästhetische Gegengewicht zur weit reichenden Durchstrukturierung bilden können. E XKURS

ÜBER I NSTITUTIONSKRITIK

Die Dialektik von Prozess und Struktur, von der Theater wie Theaterfestivals leben, hängt mit deren Fähigkeit zusammen, kritisch zu sein und Kritik zu kanalisieren. Festivals als Krisenphänomene bergen den Keim der Kritik bereits in sich. Sie sind in zweierlei Hinsicht kritisch – als Reaktion auf existente Krisen und als Ort kritischer Auseinandersetzung in der kommunikativen Begegnung (vgl. Kapitel »Communitas«). Sie sind verbunden mit Krisensituationen innerhalb einer Gesellschaft einerseits, und als ästhetische und soziale Ereignisse andererseits kritisch gegenüber ebendieser Gesellschaft. 132 133

So das Berliner Theatertreffen, das Festival euro-scene Leipzig und die Wiesbadener Neuen Stücke aus Europa. Wie gezeigt wurde, muss schon Wagner weitreichende Kompromisse eingehen, um sein Projekt zu ermöglichen. So kann er nicht verhindern, dass trotz seiner ursprünglichen Forderung Eintrittsgelder bezahlt werden müssen. Ironischerweise sind die Bayreuther Festspiele heute wohl der Inbegriff von Struktur und Institutionalisierung im Festivalwesen.

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Theaterfestivals

Wie manifestiert sich vor allem letztere Deutung im Verhältnis zu den Strukturen, die gemeinhin etwas unpräzise als Institutionen des Kulturbereichs bezeichnet werden? In der Soziologie werden Institutionen definiert als »Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln«, »die verbindliche Geltung beanspruchen«.134 Es handelt sich mit anderen Worten um Regelsysteme, die gesellschaftliche Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Sie müssen sich anfänglich legitimieren, ihr Standpunkt ist jedoch insofern gefestigt, als sie gerecht und richtig sind.135 Ihre Funktionen bestehen hauptsächlich darin, das Zusammenleben der Individuen innerhalb einer Gesellschaftsordnung zu erleichtern, indem sie Orientierung, Sinn und Schutz bieten. Die Leistungen von Institutionen für den Einzelmenschen fasst Esser folgendermaßen zusammen: »Entlastung von zu großem Entscheidungsdruck, Hilfe bei der Übernahme riskanter Alternativen, Schutz vor ihrer eigenen Unvernunft und die gerade für Initiative und Innovation nötige Festlegung und ›Definition‹ der Situation.«136 Von dieser gesicherten Position aus sind wiederum gesellschaftliche Veränderungen möglich, die auch eine Veränderung der Institution selbst mit einschließen können. »›Wirkliche‹ Innovationen sind selten, weil die Menschen ohne institutionelle Unterstützung nicht sehr wagemutig sind. Durchgreifende gesellschaftliche Neuerungen müssen daher stets von nachhaltigem institutionellem Wandel begleitet, […] durch ihn vorbereitet und abgesichert sein.«137 Diese Beobachtung stützt die These, dass eine reine Gegenüberstellung von Prozess und Struktur/Institution unzulänglich ist, da dabei UrsacheWirkungs-Relationen ausgeblendet werden. Mehr noch bergen Institutionen selbst Sollbruchstellen für Innovationen, da die ihnen zugrunde liegenden Gemeinschaften zu heterogen sind, als dass allen Mitgliedern eine Institution über lange Dauer gleichermaßen sinnvoll und verständlich sein könnte. Trotz dieses offensichtlichen Missverständnisses der Funktion von Institutionen herrscht in der Festivalszene noch immer eine Auffassung vor, die Institutionen als Gegenbild zur eigenen Festivalpraxis interpretiert. Der Künstler und Festivalinitiator Peter Sellars begreift Festivals seinerseits als »alternative Institutionen«: »Festspiele sind eine Ausnahme von der Regel. Ein Theater, ein Museum, das sind Institutionen, die jeden Tag die Türen öffnen müssen. Die Toiletten müssen funktionieren, die Air-Condition-Anlage muß funktionieren. Das sind Institutionen der Regierung, und Institutionen dienen sich selbst und nicht der Kunstform, nicht dem Volk, sondern nur den Menschen, die sie betreiben. Die Leute, die sie betreiben, tun alles, was sie können, um ihren Job zu behalten. […] Die Schönheit der Festspiele liegt darin, daß sie als Strukturen flexibel sind. […] hier geht es darum, daß es in der Kunst eigentlich um eine totale Umkehr geht. […] Ein Festspiel ist also ein Zeitpunkt, wo wir das Fest der Narren haben. […] Die offizielle Hierarchie wird umgedreht. Wir haben die

134

Hartmut Esser: Institutionen. Aus der Reihe ›Soziologie, spezielle Grundlagen‹, Bd. 5, Frankfurt am Main/New York: Campus 2000, S. 2. 135 Ebd., S. 9. 136 Ebd., S. 20. 137 Ebd., S. 17.

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Fest, Gemeinschaft, Ereignis Möglichkeit, neue Interaktionen zu schaffen und andere Relationen und Beziehungen, 138 etwas, das frei und offen ist.«

Ein weiteres Beispiel für diese anti-institutionelle Haltung findet sich in einem Netzwerk, das von einigen in den neunziger Jahren führenden GastspielTheaterhäusern in Europa initiiert wurde. Die Initiatoren dieses Versuchs einer ›Theoriebildung‹ von Gegenwartstheater sind die fünf Avantgardetheater Felix Meritis in Amsterdam, das Hebbel Theater in Berlin, das Kaaitheater in Brüssel, das TAT in Frankfurt am Main und die Wiener Festwochen. Sie deklarieren: »Neue Arbeitsformen haben die beteiligten Theater, aber auch die Theaterlandschaft im allgemeinen, aktiviert, stimuliert und manchmal sogar in Frage gestellt. […] Aus ähnlich gelagerten Interessen für einige Künstler ist ein gemeinsames Engagement für deren künstlerische Arbeit gewachsen. Die daraus resultierende Zusammenarbeit kommt vor allem in Coproduktionen, langfristigen Verbindungen mit Künstlern und einem koordinierten Austausch von Vorstellungen zum Ausdruck.«139

Was im Kern beschrieben wird, ist ein internationales Produktionsnetzwerk als eine der vielen heute gängigen Netzwerkformen. Das Bewusstsein, in einem internationalen Rahmen zu agieren, beinhaltet aber auch das Wissen um die marktwirtschaftlichen Dimensionen der Globalisierung. Dieser Realität begegnen die Partner dadurch, dass sie sich auf die Förderung derjenigen Künstler konzentrieren, die als nonkonformistisch gelten: »Wenn es einen gemeinsamen Nenner für jene Künstler gibt, die um die am Theaterschriftprojekt beteiligten Theater kreisen, dann, daß sie für die größtmögliche künstlerische Freiheit plädieren und ihre Vereinnahmung durch den ›laufenden Betrieb‹ ablehnen.«140

Es wird also gegen einen maschinellen Verwertungsbetrieb von Kunst opponiert, wie er in traditionellen Kulturinstitutionen erfahren wird. »Die Entscheidung, sich nicht in Institutionen zurückzuziehen, heißt aber auch, daß andere Mittel und Wege gefunden werden müssen, um jene Beständigkeit zu erreichen, die für die Arbeit dieser Künstler notwendig ist und auf die sie ein Recht haben.«141

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140 141

Peter Sellars: Festivals, vgl. http://www.festspielfreunde.at/deutsch/dialoge2001/ 15_Sellars.pdf vom 21. März 2008. Kaaitheater (Hg.): Theaterschrift, S. 4. Diese Absichtsformulierung und Arbeitsmethode findet sich heute im Netzwerk/Festival Junge Hunde ähnlich wieder. Besonders bemerkenswert ist das Selbstverständnis, mit dieser Schrift bei der Theoriebildung eine Rolle zu spielen. Hier versteht sich das Projekt als Vermittler zwischen Kunst und Wissenschaft: »Zwischen der Theorie und der Praxis des Theaters besteht eine große Distanz: Theaterpraktiker zeigen nicht selten einen unfruchtbaren, anti-intellektuellen Reflex; Theoretiker demonstrieren oft große Ungeschicklichkeit in Bezug auf die Theaterpraxis.« Ebd., S. 18. Ebd., S. 10. Ebd.

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Als internationales Projekt verorten sich die beteiligten Theater im komplexen Kontext des europäischen Kulturbetriebs, lehnen sich aber in diesem Rahmen gegen die dort vorherrschenden Mechanismen und Strategien auf. Die Kennzeichnung als Institution (der Terminus, wie er hier gebraucht wird, unterscheidet sich deutlich von seinem Gebrauch in der Soziologie) wird abgesetzt von prozessorientierten Festivals und Theaterbetrieben, die risikobereit neue ästhetische Experimente fördern wollen. Das Festival als Organisationsmodell stellt sich somit in kritische Distanz (wenn nicht gar Opposition) zu den vorgefundenen Theaterinstitutionen.142 So weist der, wenn auch streng genommen falsch benutzte, Begriff der Institution beziehungsweise AntiInstitution auf eine Funktion von Festivals hin, die sich vor allem aus ihrer Verbindung zu sozialen Krisensituationen speist. Als ›Alternativmärkte‹, abseits der Spielzeiten, zumeist lokalisiert außerhalb der üblichen Theaterhäuser, schaffen Festivals den Boden für Kritik an den vorgefundenen gesellschaftlichen wie kulturellen Traditionen. Doch die berechtigte Kritik am kontinuierlichen und subventionierten Theaterbetrieb stößt an ihre Grenzen, wenn sie ausblendet, dass sich auch Festivals als Organisationsmodell nicht gänzlichen den Regeln der Institutionen und des Markts entziehen können. Schließlich kann mittlerweile, mit Adorno gesprochen, keine kulturelle Äußerung ihre eigene Vermarktung hintergehen (vgl. auch Kapitel »Festival als Markt«). Diesem Faktum begegnen Festivals seit den Neunzigern – trotz anhaltender Vorurteile gegenüber Theaterinstitutionen – mit einer selbstreflexiven Haltung, die die eigene Verstrickung in die Regeln der Institutionen sichtbar machen soll. »Nachdenken ist Teil künstlerischer Arbeit. Aber im Produktionsalltag bleibt oft wenig Raum für Input. Gerade Festivals, diese OutputMaschinen, bieten dazu eine Möglichkeit.«143 Zeitgenössische Festivals werden so wesentlich von Programminhalten strukturiert, die auf die Partizipation von Publikum und Experten setzen. Dazu zählen vor allem Konferenzen und Symposien, die zum Selbstverständnis von Festivals gehören und die sich in die aktuelle Tendenz der Selbstreflexion neuer Theaterkunst einfügen (zu nennen sind hier so genannte Lecture Performances, Sommerakademien, thematische Reihen und so weiter). Dragan Klaic bemerkt zu dieser Tendenz:

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Die Kritik an Theaterhäusern ist heute in diesen selbst angekommen. So fand beispielsweise im Rahmen des Berliner Theatertreffens 1992 eine Diskussionsrunde zum Thema »Von der Kritik an den Theaterstrukturen« statt, die mit folgendem Text angekündigt wurde: »Das deutsche Stadt- und Staatstheatersystem wird kritisiert, auch in den eigenen Reihen. Steckt etwa das größere kreative Potential in der Szene der Off-Theater, für die auf dem Theatertreffen das Teatr Kreatur mit der Aufführung ›Das Ende des Armenhauses‹ steht? Auf der anderen Seite zeigen Musicals wie ›Starlight Express‹ oder auch das privat finanzierte Boulevardtheater, daß die Bühne keineswegs subventioniert werden muß, sondern sich kommerziell rechnen kann. Welche Veränderungen des öffentlichen Theatersystems sind vonnöten, welche durchsetzbar?« In: »Im ZDF: Theatertreffen Berlin 1992 mit Dietmar N. Schmidt«, in: Programmheft zum Berliner Theatertreffen 1992, S. 66. Gesa Ziemer/Florian Malzacher: »Das Lachen der Anderen«, in: steirischer herbst SH-Kulturveranstaltungs GmbH (Hg.), herbst. Theorie zur Praxis, Graz 2006, S. 68.

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Fest, Gemeinschaft, Ereignis »In my view it is one of the key functions of festivals [to reflect themselves]. Not only to present art but to advance and stimulate reflection and discourse for the artistic community. To organize opportunities for the discourse for the artistic community within the frame of the festival gets together to talk which often does not happen otherwise. […] So many festivals had been crucial platforms where the artistic community was able to recognize its real common interests, to articulate them at home and internationally. So, this reflective and analytical function of the festival I think is one of the key reasons to have all these festivals.«144

Festivals tragen seit Mitte der neunziger Jahre verstärkt konzeptuelle Züge des produktiven Selbstzweifels, der Selbstthematisierung und Verunsicherung, von der auch ihr Verhältnis zu den kulturellen Institutionen betroffen ist. Das anti-institutionelle Pathos der Festivals verliert so immer mehr an Bedeutung, selbst wenn es von Zeit zu Zeit zum Zwecke der Selbstvergewisserung reaktiviert wird. F AZIT Wenn man der zeitgenössischen Kunst »eine eigenwillige Verkettung von Innovativem und Konventionellem«145 attestieren mag, so lebt die ästhetische Dimension des Festivals von der Reibungsenergie zwischen beiden Polen. Festivals multiplizieren die Effekte dieser Konfrontation in ihrer Funktion als Präsentationsform von Kunst. Hieraus ergibt sich, dass der Inhalt von Festivals, so stark dramaturgisch er durchdacht sein mag, zwangsläufig in seiner Prozesshaftigkeit den Strukturen entgegensteuern wird. Einige Festivals wissen davon zu profitieren. Festivals als Organisationsmodell von Kunst zu verstehen, erfordert ebenfalls, Struktur und Prozess nicht als sich ausschließende Prinzipien zu begreifen, sondern in ihrem produktiven Zusammenspiel ein Hauptmerkmal dieses Präsentationsformats zu erkennen. Die am Prozess orientierten Eigenheiten des Festivals entheben es bis zu einem gewissen Grad der Logik der Institution Theater, wohingegen der Ereignisbegriff sie der Logik der Event- und Wirtschaftslogik entzieht. Der wichtigste Nutzen von Strukturen für Festivals besteht hingegen darin, sie als Werkzeuge zur Kommunikation ihrer Ziele im Verhältnis zu den Ansprüchen einer Umwelt einzusetzen, die andere Kriterien als ästhetische an Festivals anlegt. Als Strukturen mit Setzungen und Satzungen, mit Auswahlverfahren und Beurteilungskriterien bieten Festivals Sicherheit und Kontinuität. In diesem Sinne sind Festivals ein neuartiges und für die gesamte Theaterszene wichtiges Werkzeug im Umgang mit außerkünstlerischen, ökonomischen und politischen Interessen. Im Folgenden wird dargelegt, wie genau sich dieses Werkzeug zusammensetzt beziehungsweise welche einzelnen operationellen Elemente Festi144

145

»Short cuts des FIT-Symposiums vom 1. Oktober 2005 in Vilnius zu ›Festivals as Generators and Circulators of new Ideas, professional, laboratorial and Community Events‹,« vgl. http://www.theatre-fit.org/pdf/FIT_discussionNotes_full_sirenos.pdf vom 05. April 2008, S. 6. Irmela Schneider: »Von der Vielsprachigkeit zur ›Kunst der Hybridation‹. Diskurse des Hybriden«, in: Irmela Schneider/Christian W. Thomsen (Hg.), Hybridkultur. Medien, Netze, Künste, Köln: Wienand 1997, S. 47.

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vals seit den neunziger Jahren prägen. Wie etwa sieht die rechtliche Basis von Festivals aus? Wer fällt auf wessen Geheiß hin die relevanten Entscheidungen? Was sind gängige Modelle zur Entscheidung über Kompetenzen? Welche Aspekte im Festival nehmen heute den meisten Raum ein beziehungsweise aus welchen inhaltlichen und formalen Komponenten besteht das Ereignis Festivals? Und wie stellen Festivals sicher, dass sie Einfluss auf ihre Zukunft nehmen können?

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Das operationelle Gerüst Die folgenden zehn Aspekte (1. Organisationsform und Finanzierung, 2. Programmgestaltung und Leitung, 3. Beteiligung am Entstehen von Produktionen, 4. Inhaltliche Schwerpunkte, 5. Interdisziplinarität, 6. Diskurs, 7. Methoden des Fests, 8. Bezug zum städtischen Raum, 9. Verhältnis zum Nachwuchs und 10. Traditionsbildung und Dokumentation) sind als Koordinaten zu verstehen, anhand derer sich Festivals beurteilen und einordnen lassen. Sie zeigen die Gestaltungsspielräume auf, die Festivals bei der Gestaltung und Definition ihres Profils offenstehen. Dargestellt wird, welche Optionen für die organisatorische und inhaltliche Aufstellung eines Festivals denkbar sind und welche davon von Festivals der Gegenwart tatsächlich genutzt werden. Die genannten Kriterien finden sich – mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt – in den Konzepten aller Theaterfestivals, bestimmen jedoch nie ausschließlich ihre Profile. Darüber hinaus sind viele Festivalphänomene nicht ausschließlich einem Einzelaspekt zuzuordnen. Es zeigt sich vielmehr, dass beispielsweise festive Elemente aufs Engste mit Traditionsbildung verbunden sind, und dass Traditionsbildung wiederum ganz entscheidend von der organisatorischen und finanziellen Stellung eines Festivals abhängt.1 Diese Art der Analyse ermöglicht einen verallgemeinernden, aber auch detaillierten Blick auf das Phänomen und seine verschiedenen Ausformulierungen. Denn trotz aller Berührungspunkte sind Theaterfestivals beständig dazu genötigt, sich von anderen abzugrenzen. Diese Notwendigkeit hat unter anderem historische Hintergründe. Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs haben viele Theaterfestivals eine exponierte politische Funktion oder verhalten sich zumindest konkret politisch, indem sie den Austausch der Künstler aus den verfeindeten Blöcken herzustellen versuchen. Heute herrscht durch das Wegfallen eines gemeinsamen politischen Ziels – gegenseitiger Austausch beziehungsweise Kontaktaufnahme – eine größere Notwendigkeit, sich über andere als politische Ziele zu profilieren. Die Aufweichung traditioneller äußerer Grenzen (nicht nur der nationalen, sondern auch der Grenzen zwischen Theaterhäusern und Freier Szene, zwischen den Künsten, Event und Fest) nötigt Festivals dazu, sich innerhalb ihres Konkurrenzfelds neu zu positionieren, um ausreichend Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Längst sind die Aufgaben und Konturen von Festivals nicht mehr so eindeutig wie bis Mitte der Neunziger, womit die Vielfalt zur Notwendigkeit wird. Obschon dies auch zu der oft beklagten Unübersichtlichkeit an Festivalprofilen geführt hat, können doch nur durch die Entkoppelung vom dominierenden Ziel des OstWest-Austauschs neue Formate und Denkweisen entstehen, die gegenwärtig auch außerhalb von Festivals genutzt werden und für eine Veränderung der 1

In dieser Diversität und gegenseitigen Beeinflussung und Befruchtung der einzelnen Festivalbestandteile, in der Anpassungsfähigkeit der Festivals an ihre Bedingungen und ihr Umfeld besteht die Faszination dieses Organisationsmodells.

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Theaterfestivals

Theaterstruktur in Deutschland richtungweisend sind. Festivals sind nun dazu aufgefordert, flexibel, erfinderisch und dem Umfeld entsprechend mit ihren Rahmenbedingungen umzugehen. Wandelbarkeit und Konstanz, die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln und das Errichten und Ausloten der eigenen Grenzen und das Spielen mit ihnen sind die Herauforderungen, denen sich Theaterfestivals seit Beginn der neunziger Jahre zunehmend stellen müssen. Die hier aufgeführten übergeordneten Aspekte markieren diese Grenzen.

Die Basis des Festivals O RGANISATIONSFORM

UND

F INANZIERUNG

Hinsichtlich der Organisationsform eines Festivals sind zwei grundsätzliche Varianten denkbar. Entweder arbeitet ein Festival frei und wird von einem außerinstitutionellen Träger organisiert oder ein Theaterhaus übernimmt diese Aufgabe. Eine auffällig hohe Zahl von Festivals wird seit den 1990ern von Theaterhäusern organisiert oder ist zumindest finanziell an sie angebunden (beispielsweise die Internationalen Schillertage, die THEATERFORMEN, Freischwimmer, der Heidelberger Stückemarkt, Neue Stücke aus Europa, die Biennale Bonn, F.I.N.D. und andere). Während in den siebziger und achtziger Jahren die Abgrenzung zum Theaterbetrieb ein vordringliches Anliegen von Festivals ist, finden gegenwärtig immer mehr Festivals ihr organisatorisches Zentrum in den zuvor kristierten Strukturen (vgl. Kapitel »Prozess und Struktur«). Diese Anbindung kann die Arbeitsabläufe eines Festivals wesentlich erleichtern, indem zu einem Großteil die Mieten für Spielorte wegfallen und logistische Apparate des veranstaltenden Hauses mitbenutzt werden können. Wie der Bestand eines Festivals dadurch gefährdet werden kann, dass sich das jeweils städtische Theaterhaus (etwa aufgrund eines Wechsels in der Intendanz) aus der Kooperation zurückzieht, zeigt sich am Beispiel der euroscene Leipzig, die ab 2008 das Schauspielhaus Leipzig, zuvor Hauptspielort des Festivals, als Aufführungsort verliert.2 Wesentlich schwerer wiegt noch, dass einige Festivals aus dem Etat der Träger selbst finanziert werden. LAOKOON, das vorletzte Sommerfestival der Kampnagel Kulturfabrik, ist ein Beispiel für diese Situation, da beinahe der gesamte finanzielle wie logistische Aufwand vom Theaterhaus getragen wurde. Auch Politik im Freien Theater wird fast vollständig von seinem institutionellen Träger, der Bundeszentrale für politische Bildung, finanziert, was das Festival unabhängiger von Geldgebern aus der Wirtschaft werden lässt. Und selbst wenn ein Festival nicht gänzlich mit dem Budget eines Theaterhauses bewältigt werden kann, bedeutet doch die Anbindung üblicherweise ein hohes Maß an Sicherheit, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf die Kontinuität eines Festivals. Die Beispiele der Internationalen Schillertage, von LAOKOON und anderen zeigen, dass Theaterhäuser als Träger von Festivals ob ihrer eigenen Stabilität als Institutionen ihren Festivals ebenfalls Permanenz verlei-

2

Gisela Hoyer: »Verliert die Euro-Scene den Spielort Schauspielhaus?«, in: Leipziger Volkszeitung vom 11. März 2008.

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hen. Solche zumindest finanziell entlasteten Festivals sind allerdings auch an Theaterhäusern nach wie vor nicht die Regel. Festivals, die nicht von Theaterhäusern finanziert und veranstaltet werden, benötigen ihrerseits einen Träger, der sich eine Rechtsform geben muss, um wirtschaftlich und juristisch aktiv sein zu können. Während bei den im Kapitel »Internationale Gastspielhäuser als Wegbereiter und Nachfolger« beschriebenen festivalisierten Gastspielhäusern die übliche Rechtsform die Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist,3 organisieren sich die Träger von selbstständigen Festivals häufig als Vereine. Dies ist beispielsweise der Fall bei der euro-scene Leipzig, dem transeuropa Festival oder dem Spielmotor München e.V. des SPIELART Festivals. Bei anderen wie der RuhrTriennale findet sich diese Rechtsform bei den eigenen Fördervereinen wieder, die sie ideell wie materiell unterstützen sollen. Das Modell des Vereins bietet sich als Rechtsform besonders an, da es nicht nur die einfachste juristische Variante4 und deswegen weit verbreitet, sondern auch flexibel und breit anwendbar ist.5 Vor allen Dingen erhalten gemeinnützige Vereine einige steuerliche Begünstigungen, wovon der Umstand, dass finanzielle Zuschüsse in Form von Spenden vom Förderer steuerlich absetzbar sind, dieses Modell für Festivals besonders attraktiv macht.6 Nach wie vor werden zwar die meisten renommierten Festivals anteilig von staatlichen Stellen mitfinanziert. Seit den siebziger Jahren (in denen der Wahlspruch »Kultur für alle« galt) werden jedoch die Kulturetats von Kommunen und Bund drastisch reduziert. Mitte der neunziger Jahre7 beginnt sich die Situation so weit zu verschärfen, dass eine stärkere Finanzierung von Festivals durch Dritte unabdingbar wird. »Obwohl die Kulturetats von Bund, Ländern und Gemeinden insgesamt nominal bis zum Jahr 2000 gestiegen waren, blieben sie im Vergleich der allgemeinen Preisentwicklung deutlich zurück. Die Kulturausgaben sinken real bereits seit Jahren.«8 Immer häufiger verlegen sich Festivals daher auf eine Mischfinanzierung, deren Basis aus staatlichen und städtischen Zuwendungen besteht und um Beiträge von kulturzugewandten Stiftungen und Sponsoren ergänzt wird. Selbst diejenigen Festivals, die im Rahmen eines Theaterhauses stattfinden, sind zunehmend auf solche zusätzlichen Geldgeber angewiesen. Dies sind vor allem Stiftun3 4

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Allerdings sind Großfestivals wie die Wiener Festwochen oder die Berliner Festspiele ebenfalls (Teile von) GmbHs. »Die Bildung eines Vereins unterliegt […] keinen Beschränkungen. Aus diesem Grunde und wegen seiner vielseitigen Einsetzbarkeit ist der Verein die im Kulturleben sicherlich am häufigsten anzutreffende Organisationsform. Der Verein bildet mit der ›Gesellschaft‹ die Grundform von Personenvereinigungen.« In: P. Schneidewind, Die Rechtsform, S. 168. Auch so genannte NGOs, non-governmental organizations, die vor allem im Bereich der Europapolitik arbeiten und mitunter großen Einfluss ausüben, sind rechtlich gesehen Vereine. Andere steuerliche Erleichterungen betreffen Lohnsteuer, Grund- und Erbschaftsteuer, Umsatzsteuer, Körperschaft- und Gewerbesteuer. Die Schließung des Schiller Theaters in Berlin 1993 gilt als Fanal des Abbaus staatlicher und städtischer Zuwendungen zur Kultur. Armin Klein: »Kulturpolitik (in Deutschland)«, in: ders. (Hg.), Kompendium Kulturmanagement (2004), S. 92.

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gen, die in aller Regel keine Institutionen, sondern Projekte unterstützen, weshalb Festivals als vornehmlich projektbasierte Ereignisse besonders für Förderung in Frage kommen. Dies ist auch der Fall bei der 2002 gegründeten Kulturstiftung des Bundes,9 die als Substitut für das stagnierende beziehungsweise rückläufige kulturelle Engagement des Bundes konzipiert wurde. So erhalten Festivals wie Neue Stücke aus Europa oder die euro-scene Leipzig bereits seit mehreren Jahren finanzielle Unterstützung durch die Kulturstiftung des Bundes und kleinste Festivals wie transeuropa Zuschüsse vom Fonds Darstellende Künste, einer Sektion der Kulturstiftung des Bundes. Mittlerweile ist das Stiftungsnetzwerk ebenso unübersichtlich wie die Festivallandschaft. Nach wie vor kommt eine Förderung durch Stiftungen wie die Kulturstiftung des Bundes, die Kulturstiftung der Länder (seit 1988) oder durch den Fonds Darstellende Künste einer Qualitätsgarantie gleich: »Unsere Förderung hat einen Gütesiegel-Effekt. Wer durch uns gefördert wird, hat es auch bei anderen Stiftungen leichter.«10 Die Reichweite und das finanzielle Potential von gemeinnützigen Stiftungen sind häufig nicht ausreichend, um die Masse an Antragstellenden zu bewältigen.11 Meist ist die finanzielle Unterstützung durch staatliche Stiftungen außerdem sehr gering, da diese selbst nur über wenige Ressourcen beziehungsweise gar keinen eigenen Etat verfügen. Stiftungen sind darüber hinaus nicht unumstritten und werden häufig als falsches Substitut für staatliche Förderung kritisiert, als unzureichendes ›Trostpflaster‹ für den zunehmenden Rückzug der Politik aus der Verantwortung für Kultur. Außerdem stehen ihre Kriterien für die Auswahl der zu fördernden Projekte und Festivals in der Kritik: Dass »Stiftungen Bollwerke für unkonventionelle Kunst seien, ist nur eine der vielen Mythen, die sich bei näherem Hinsehen als porös erweisen.«12 Parallel zum Rückgang finanzieller Förderung durch die öffentliche Hand rückt das Thema Sponsoring Mitte der neunziger Jahre in den Vordergrund, während es zuvor fast ausschließlich im Bereich des Sports und der Forschung von Bedeutung war.13 »Definiert wird Sponsoring als Geschäft auf Gegenseitigkeit zwischen Sponsor und Gesponsertem nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung.«14 Es entspricht also keinesfalls der Idee des Mäzenatentums, das auf Gegenleistungen seitens der Geförderten verzichtet, 9

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Vgl. deren Satzung § 2, Absatz 3: »Die Stiftung soll ein eigenständiges Förderprofil entwickeln. Leistungen der Stiftung werden in der Regel als Projektförderung gewährt. Institutionelle Förderungen von Einrichtungen sind grundsätzlich ausgeschlossen.« In: »Satzung der Kulturstiftung des Bundes«, vgl. http://www.kulturstiftung-desbundes.de/main.jsp?categoryID=202841&articleCategoryID=202847&languageID=1 vom 12. September 2007. So die ehemalige Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Karin von Welck in: Henrike Thomsen: »Im Netzwerk des Geldes«, in: Theaterheute 43 (2003), Heft 3, S. 7. Ebd., S. 13. Ebd. Claudia Döpfner: Kunst und Kultur – voll im Geschäft. Kulturverträgliches Kunstsponsoring, Frankfurt am Main/London: Verlag für Interkulturelle Kommunikation 2004, S. 220. Cornelia Dümcke: »Sponsoring – Mehr Geld für die Kultur?«, in: Theater der Zeit 48 (1994), Heft 2, S. 38.

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und bedeutet für Festivals zusätzliche Verantwortung gegenüber weiteren Finanziers. Im Gegensatz zu Stiftungen verfolgen Sponsoren mit ihrer Unterstützung kultureller Veranstaltungen mindestens indirekt wirtschaftliche Interessen, die freilich mit den künstlerischen und sozialen Absichten von Stiftungen und staatlichen oder städtischen Förderern kollidieren können. Diese Situation zieht neue Anforderungen an Festivals und ihre Macher nach sich, sie macht einen geschickten Umgang mit den Absichten und Erwartungen der unterschiedlichen Förderer nötig. Durch die mittlerweile übliche Mischfinanzierung und die damit verbundenen Abhängigkeitsverhältnisse müssen Festivals zusehends in ästhetischer Hinsicht noch kompromissbereiter werden. Das Angewiesensein auf Finanzierung durch Dritte beeinträchtigt außerdem die Programmgestaltung eines Festivals. Erschwert wird die Zusammenstellung von potentiell interessanten Inszenierungen und Projekten nicht zuletzt durch die zeitliche Verzögerung, die sich durch die Antragstellung bei fördernden Institutionen ergibt und die nur wenig Planungssicherheit erlaubt. Viele Zusagen über Förderungen beziehungsweise deren Umfang werden häufig erst so spät mitgeteilt, dass ein Festival nur unter hohem Risiko Produktionen einladen und in Auftrag geben kann – oder auf einige Inszenierungen verzichtet. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass auch staatliche Stiftungen nicht bedingungslos freizügig, wie oben bereits ausgeführt, mit ihren Ressourcen umgehen können. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten sind zwar für Festivals nicht mehr ungewöhnlich, sie beeinflussen allerdings die Arbeitsabläufe und können die Qualität eines Festivalprogramms erheblich verändern. Beispielsweise kann die Spezialisierung der meisten Stiftungen und Sponsoren auf bestimmte Hauptakzente Festivals dazu verleiten, Projekte ausschließlich auf deren Förderkriterien hin einzuladen oder zu produzieren, beispielsweise sozialpolitisch engagierte Performances. So sind Festivals zwar bemüht zu betonen, dass Sponsoren keinen direkten Einfluss auf das Programm nehmen, die genannten Bedingungen der Zusammenarbeit mit zumindest einigen Geldgebern lassen jedoch vermuten, dass indirekte Beeinflussung üblich ist.15 Die mangelnde Finanzierung durch öffentliche Träger nötigt Festivals außerdem zu Koproduktionen und einer noch engeren Vernetzung, macht in manchen Fällen gar die Aufteilung von Festivals zwischen einzelnen Partnern nötig. Nicht nur die THEATERFORMEN (Braunschweig und Hannover) und Neue Stücke aus Europa (seit 2008 Wiesbaden und Mainz) demonstrieren dies, besonders die erst kürzlich gegründete RuhrTriennale ist das letzte zweifelhafte Resultat der Notwendigkeit zum Zusammenschluss. Schließlich wird erstens bei einer solchen Zweckgemeinschaft aus der Not eine Tugend gemacht, die der politischen Forderung nach weiteren Kürzungen im Kulturbereich nur Vorschub leistet. Zweitens beeinträchtigen in aller Regel mangelnde Verdichtung und Konzentrierung sowie das Fehlen einer festen Zuschreibung zu einem Festivalort das Gelingen eines Festivals beachtlich, wie Theater der Welt 2002 in Bonn, Duisburg, Düsseldorf und Köln gezeigt hat (vgl. S. 144f.).16 Zusätzlich stellt mangelnde Finanzierung Festivalmacher 15 Denkbar sind Szenarien, bei denen Sponsoren nicht mit besonders kontroversen Produktionen in Verbindung gebracht werden wollen, um ihrem Image nicht zu schaden. 16 Dass die RuhrTriennale trotz ihrer Aufteilung auf vier Städte publikumswirksam ist, hängt sowohl mit der atmosphärischen Anziehungskraft der Festivalorte in restaurier-

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immer vor die prekäre Entscheidung, in welchen Bereich mehr Geld zu investieren ist: in die Logistik, die das Festival überhaupt erst ermöglicht, oder in Produktionen, die inhaltlicher Kern eines Festivals sind.17 Abhängig vom jeweiligen Träger sind schließlich in der Regel auch die Komplexität und Größe des Verwaltungsapparates, der einem Festival zur Verfügung steht. Je nachdem, ob der Apparat eines Theaterhauses beansprucht werden kann oder nicht, muss sich die Festivalleitung selbst ein Team aufbauen, das zumindest im Zeitraum des Festivals zusammenarbeitet. Dementsprechend bestehen viele Festivalteams – nicht nur die der mittelgroßen und kleinen Festivals – aus nur wenigen festen Mitarbeitern,18 die auch zwischen den einzelnen Festivalausgaben engagiert bleiben und meist für Presse, Finanzen und die künstlerische Leitung verantwortlich sind. Der Großteil der für ein Festival angestellten Mitarbeiter arbeitet hingegen auf der Basis von Werkverträgen. Diese Profis (meist aus den Bereichen PR, Marketing und Sponsorenakquise19) werden relativ spät und meist nur für begrenzte Zeit hinzugeholt, um das Team während der entscheidenden Phasen vor und während eines Festivals zu verstärken. Es ist letztlich die üblicherweise große Zahl von freiwilligen Helfern, die das Gelingen eines Festivals ermöglicht. Dieses unbezahlte Festivalpersonal rekrutiert sich meist aus der Gruppe der ansässigen Studierenden oder theaterbegeisterten Personen, die teilweise über mehrere Editionen hinweg bei der Gestaltung eines Festivals mitwirken. Beispielsweise organisierte Theater der Welt 2005 zusammen mit dem Institut für Literaturwissenschaft der Universität Stuttgart ein Seminar zur »Medienpraxis«, bei dem allein fünfzig Studierende ein Praktikum beim Festival absolvierten.20 Die starke Mobilisierung von Freiwilligen bedeutet für Festivals jedoch auch eine erhöhte Abhängigkeit von deren Fähigkeiten. Beispiele wie Theater der Welt, das zusätzlich ob seiner Konstruktion als wanderndes Festival erschwerten logistischen und infrastrukturellen Bedingungen ausgesetzt ist, zeigen, dass das

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ten Fabriken zusammen als auch mit dem Programmangebot, das zum Großteil die renommierten Namen des Gegenwartstheaters und der Popkultur versammelt. Vgl. Stefan Schmidtke: »Wenn Sie drei oder vier Mitarbeiter ständig beschäftigen müssen, bedeutet das, dass die Lohnkosten höher und der Kunstbereich dadurch kleiner wird. Ein gutes Verhältnis, auf das ich gerne kommen würde, wäre 60 zu 40, das heißt, dass ich 60 Prozent in die Kunst stecken kann und 40 in den Apparat. Ich bin hier in der glücklichen Lage, dass meine Struktur dem Theater eingegliedert ist. Das heißt, dass ich keine Mieten bezahlen muss für die meisten Spielstätten. Wenn das Festival eine freie Struktur wäre, müsste ich das auch noch aufbringen und das würde sich sofort zu Ungunsten des Kunstetats auswirken.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 349. Die euro-scene Leipzig hat beispielsweise nur drei Mitarbeiter, die über das Jahr hinweg fest angestellt sind. Paradox wird die Situation vor allem dann, wenn speziell für die Akquise von Sponsorengeldern Personal eingestellt werden muss – in Anbetracht des Umfangs vieler Bewerbungsunterlagen keine Seltenheit – und somit das eingeworbene Geld sogleich wieder in den organisatorischen Apparat fließt und nicht für die Programmzusammenstellung genutzt werden kann. Vgl. Julia Alber: Studierende an ›Theater der Welt‹ beteiligt, vgl. http://www.unistuttgart.de/uni-kurier/uk96/studieren/sl34b.htm vom 22. April 2007.

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Fehlen von festen Angestellten die Qualität eines Festivals erheblich beeinträchtigt. Die Einschätzung, dass Festivals ob ihrer übersichtlichen Strukturen besonders flexibel und damit fortschrittliche Modelle für kulturelle Projektarbeit seien, ist vor dem Hintergrund regelrecht zynisch, dass die magere personelle Struktur vieler Festivals (die Wiener Festwochen und die RuhrTriennale zählen beispielsweise nicht dazu) in der Regel nicht selbst gewählt ist, sondern ein Resultat von mangelnder Finanzierung. P ROGRAMMGESTALTUNG

UND

L EITUNG

Die Fragen wer, nach welchem Auswahlmodus und auf welches Geheiß hin ein Festival gestaltet und für das Programm verantwortlich zeichnet, werden in der Gesamtheit der deutschen Theaterfestivallandschaft auf erstaunlich unterschiedliche Weise beantwortet. Mehrere Faktoren spielen hierbei eine Rolle. Welches ist die Zielgruppe, was ist das Thema und übergeordnete Ziel des Festivals, wer initiierte das Festival und wer richtet es aus? Denn diejenigen, die Festivals letztlich gestalten und formen, werden (wenn es sich bei ihnen nicht um die Gründer des Festivals handelt) von übergeordneten Stellen berufen. Die enge Kopplung an einen Träger (mit meist eigenen Zielen und Absichten) bedeutet in der Regel, dass die Entscheidungen über die Auswahl eines Festivalkurators mit den Zielen des Trägers übereinstimmen. Wer das Festival ausrichtet und damit den Leiter bestimmt, ist somit ausschlaggebend für die Festivalkonzeption. Die Position der künstlerischen Leitung wird üblicherweise entweder mit einem Mitarbeiter aus der jeweiligen Institution (so im Falle von Politik im Freien Theater oder bei transeuropa) oder einer externen Person besetzt.21 Die Berufungsverfahren selbst sind so vielfältig, dass sie hier nicht einzeln vorgestellt werden können. Die künstlerische Leitung und die Position des letztlich über das Programm entscheidenden Kurators werden bisweilen voneinander getrennt. Dieses Modell findet sich vor allen Dingen bei den traditionellen und größeren Festivals, die einen breiten Repräsentationsanspruch haben, wie Theater der Welt, das Berliner Theatertreffen oder die Wiener Festwochen. Dies trifft nicht auf Festivals zu, die von ihren Initiatoren geleitet werden. Die Auswahl des künstlerischen Leiters erübrigt sich freilich ebenfalls, wenn der Gründer und der Programmverantwortliche eines Festivals ein und dieselbe Person sind (so etwa bei SPIELART, prinzipiell auch bei der euro-scene Leipzig oder auch Freischwimmer). Diese Variante herrscht vor allem in den siebziger und achtziger Jahren vor, gegenwärtig werden allerdings immer mehr Festivals von Städten, Regionen oder Organisationen gegründet (RuhrTriennale, THEATERFORMEN), die Berufung von fachkundigem Personal ist in diesem Fall unumgänglich. Im Festivalbetrieb 21 Für die Programmgestaltung und Leitung ist natürlich auch entscheidend, ob der programmentscheidende Kurator zunächst eine andere Position in der Institution des Trägers innehat (etwa im Falle eines Dramaturgen). Die Herangehensweise an ein Festival mag in diesen Fällen dadurch beeinflusst werden, dass die Bindung an das Haus stark ist und mitunter auch der Wille, für die gesamte Spielzeit ein Fanal zu setzen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Weisungsungebundenheit der Programmleitung bei Hausmitgliedern beeinträchtigt ist und durch die Verpflichtung, die sonstigen Aufgabenbereiche ebenfalls abzudecken, zusätzlich tangiert wird.

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gibt es sowohl Künstler (wie Peter Sellars) und Wissenschaftler (die Leiter von transeuropa) als auch hauptberufliche Kuratoren (wie Veronica KaupHasler), die als künstlerische Leiter und Festivalkuratoren arbeiten. Obschon das oben beschriebene Verfahren die Regel bei der Findung einer Festivalleitung ist, definieren einige Festivalkonstruktionen bereits klar, wer ausschließlich künstlerischer Leiter werden kann. Bei Festivals wie Junge Hunde oder Freischwimmer sind es eindeutig die Leiter der am Festivalverbund teilhabenden Häuser (der Freien Szene), während bei LAOKOON eine der Grundideen des Festivals darin bestand, aus einem außereuropäischen Land stammende Kuratoren zu berufen. Derartige Vorgaben stecken die Grenzen des Festivals ab und geben ihm einen mehr oder minder strengen konzeptionellen Rahmen (abgesehen von anderen Koordinaten wie Finanzierung, Organisationsform und Situierung in der Stadt), der das Profil eines Festivals stärken kann. Die Glaubwürdigkeit eines Festivals wie beispielsweise transeuropa gründet sich darauf, dass Studenten ein Festival für Studenten organisieren und somit die Macher ebenbürtige Fachkundige sind. Diese Beispiele zeigen, wie der Auswahlmodus des Leiters das gesamte Konzept eines Festivals repräsentiert. Hinzu kommt, dass der Festivalleiter, zumindest für die kritische Öffentlichkeit, das Gesicht des Festivals ist und seine Berufung deshalb meist eine zentrale Aufgabe darstellt. Denn zumindest in der Vorberichterstattung ist die Festivalleitung beziehungsweise das Renommee eines neu berufenen oder noch tätigen Leiters für die Medien der einzige Anhaltspunkt für Voraussagen über die bevorstehende Veranstaltung. Festivalproduzenten repräsentieren gewisse Prinzipien, Interessen und Schwerpunktsetzungen, welche wiederum Rückschlüsse auf die Gestaltung eines Festivals sowie Prognosen über dessen Erfolg oder Misserfolg erlauben. Die bisherigen Tätigkeiten eines Festivalgestalters stimulieren zwangsläufig Erwartungshaltungen und fordern zum Vergleich auf. Das Aushängeschild ›Festivalleitung‹ verstellt somit nicht selten den Blick auf das eigentliche Potential eines Festivals, dessen überzeugendes und originelles Programm. Das ist vor allem der Fall, wenn die Berufung eines Festivalleiters in der Presse ausführlicher besprochen wird als das Festival selbst.22 Für das Festival ist außerdem ausschlaggebend, ob ein bestimmtes Intervall beim Wechsel des Festivalleiters in der Grundkonstruktion angelegt ist, und dementsprechend, wie häufig dieser Wechsel erfolgt. Die grundsätzliche Entscheidung darüber, ob es einen zyklischen Wechsel der Festivalleitung geben soll oder nicht, beeinflusst zwangsläufig nicht nur das jeweils einzelne Programm eines Festivals, sondern vor allem seine Fähigkeit zur Traditionsbildung, zu konzeptioneller Kontinuität und damit auch seinen Identifikations- und Wiedererkennungswert. Mit einer kontinuierlichen künstlerischen Leitung sind freilich die Chancen des Festivals, ein einheitliches und kohärentes Konzept (meist über einen längeren Zeitraum) zu entwickeln und zu vertreten, ungleich größer als unter stetig wechselnder Leitung. Jedoch, ob dies zum Vorteil oder Nachteil gereicht, hängt wiederum von anderen Kriterien ab, etwa ob es sich um ein ›wanderndes‹ Festival handelt und somit eine 22 So zumindest im Falle der RuhrTriennale, bei der die Leitung durch Gerard Mortier (vormals Salzburger Festspiele) oft wichtiger erschien als die Triennale selbst. Ähnlich hoch ist die Presseresonanz bei der Berufung Torsten Maß’ zum Kurator von Theater der Welt 2008 in Halle.

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einheitliche Handschrift sogar kontraproduktiv, weil wenig flexibel, wirken kann. Beim wandernden Festival Theater der Welt soll dessen Leitung im Idealfall bei jedem Zyklus eine andere sein, um zu garantieren, dass die jeweils gastgebende Stadt als Impulsgeber für die Programmgestaltung in den Vordergrund tritt, also kein Festivalleiter auf einem etablierten und eventuell uninspirierten Konzept aufbauen kann. Damit einher geht allerdings das Problem, dass gerade wandernde Festivals unter Umständen nur wenig Identifikationspotential für die gastgebende Stadt und dessen Bewohner bieten und damit (vgl. Kapitel »Bezug zum städtischen Raum«) das Festival auf lange Sicht deutlich an Glaubwürdigkeit und Attraktivität verlieren kann. Zu den Faktoren, die das Profil eines Festivals ausmachen, zählt außerdem dessen Programmierung, die es im Zusammenspiel mit dem Rahmenprogramm und seiner Situierung im urbanen Raum einzigartig werden lässt. Die Programmierung wiederum ist abhängig von der Erfahrung und der Vision seiner Macher – und davon, wie viele es sind. Für den Modus der Programmzusammenstellung gibt es eine Vielzahl von Varianten, wovon die beiden wichtigsten die Auswahl durch eine Jury oder durch Einzelpersonen, sind. Das bekannteste durch eine Jury kuratierte deutsche Theaterfestival ist das Berliner Theatertreffen. Zu dieser Kategorie zählen allerdings meist auch die Festivals für den künstlerischen Nachwuchs (vgl. Kapitel »Verhältnis zum Nachwuchs«), bei denen Objektivität der Auswahl und umfassende Recherche besonders angebracht scheinen. Die Beurteilung der getroffenen Entscheidungen durch die kritische Öffentlichkeit lässt sich durch die Anzahl der Personen und das Renommee der Auswählenden beeinflussen. Es gilt letztlich für den Auswahlmodus der einzuladenden Produktionen das gleiche Prinzip wie für die Auswahl des oder der Auswählenden: Je nachdem, welche Seriosität ein Festival ausstrahlen, welche übergeordnete Bedeutung ein Festival für sich beanspruchen will, legt es die Größe der Auswahlgremien fest. Jurymodellen wird größere Objektivität, umfassendere Recherche und unabhängigeres Urteil unterstellt, während man einem einzelnen Programmverantwortlichen das Potential zu einem einheitlichen, ingeniösen Konzept eher zutrauen mag. Der Charakter der Entscheidungen verändert sich im Verhältnis zur Anzahl der Entscheidenden in der Außenwahrnehmung des Festivals.23 Immer häufiger vertreten ist ein Mischmodell aus beiden Varianten, das mehrere Vorteile vereint: Trifft eine Jury die Vorauswahl, kann sich währenddessen der Kurator auf die Gestaltung des Rahmenprogramms konzentrieren und darauf, dem gesamten Festival eine Dramaturgie zu verleihen. Dieses Mischmodell findet sich etwa bei Neue Stücke aus Europa, das damit die Vorzüge beider Formen nutzt und auf dieser Grundlage sein Ansehen 23 Andererseits kann die absolute Subjektivität des Festivalleiters bei der Gestaltung des Programms auch das besondere Flair eines Festivals ausmachen. So liest es sich über die euro-scene Leipzig und die Auswahlpraxis ihrer Leiterin: »Was das Festival einzigartig und zugleich wenig repräsentativ für künstlerische Zeitströmungen macht, ist die absolute Subjektivität der Programmauswahl.« In: Frank Weigand: »Geografische Choreografien. 14. euro-scene in Leipzig. Das Festival des zeitgenössischen europäischen Theaters präsentiert einen Osteuropa-Schwerpunkt und offenbart konzeptionelle Schwächen«, in: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung vom 19. November 2004 (vgl. Pressespiegel der euro-scene Leipzig 2004, S. 134).

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aufgebaut hat. Tatsächlich entspricht dieses Modell einem Trend, der sich seit den letzten fünf Jahren abzeichnet und der anstelle des einzelnen visionären Festivalleiters auf Differenzierung und Spezialisierung setzt. Ob bei den Wiener Festwochen, beim Berliner Theatertreffen, bei THEATERFORMEN (2002 und 2004) oder anderen – immer häufiger werden kleinere Teams innerhalb der Festivalleitung aktiv, die sich um spezielle Programmelemente kümmern, auch wenn eine Einzelperson mit ihrem Namen für das Festival verantwortlich zeichnet. Diese Trennung darf allerdings nicht mit der Unterscheidung zwischen künstlerischem Leiter und Kurator (siehe oben) verwechselt werden; sie markiert nicht eine nur rein förmliche Benennung von Posten, sondern eine qualitative Veränderung der Programmgestaltung. Die Programmauswahl entfernt sich also nach und nach sowohl von der Mystifizierung des einzelnen Visionärs als auch von einer vermeintlich objektiven Jury hin zu spezialisierten Fachleuten, die einem Festival Kontur, Inhalt und Vielfalt verleihen sollen. B ETEILIGUNG

AM

E NTSTEHEN

VON

P RODUKTIONEN

Seit Mitte der neunziger Jahre gewinnt die Art und Weise, wie die auf Festivals präsentierten Produktionen zustande kommen, größere Bedeutung. Neben einem geschärften inhaltlichen Profil, ihrem Thema, kann für einige Festivals und deren Rezeption das ›Wie‹ nicht nur der Programmzusammenstellung, sondern der Programmerzeugung so relevant sein, dass eine spezielle Produktionsform sogar zum thematischen Schwerpunkt eines Festivals wird. Mehrere Grade der Involviertheit am Entstehen von Produktionen sind gegenwärtig bei Festivals anzutreffen. Erstens kann sich ein Festival gar nicht beteiligen und eine an einem anderen Ort entstandene Produktion einladen; zweitens kann es sich als Koproduzent beteiligen oder drittens eine Inszenierung unabhängig produzieren. Das präsentierte Genre ist dabei nicht ausschlaggebend für die Involviertheit von Festivals beim Entstehen ihres Programms. Festivals wie LAOKOON präsentieren überwiegend Gastspiele, während bei Freischwimmer alle Shows Koproduktionen sind – beide Festivals zeigen jedoch zeitgenössisches und experimentelles Theater.24 Gängig ist heute jedoch eine Mischform aus Programmanteilen mit und ohne Involvierung bei der Produktion, wobei seit Ende der neunziger Jahre eine Verstärkung der Produktionsseite zu verzeichnen ist. Bis zum Beginn der neunziger Jahre ist das Einladen von fremd produzierten Inszenierungen im deutschen Festivalbetrieb die Regel, gegenwärtig ist die Beteiligung von Festivals beim Entstehen von Produktionen ein hervorragendes Mittel, um sich als Impulsgeber für künstlerische Entwicklungen darzustellen. Festivals treten also immer stärker als Initiatoren und Produzenten von Theater in Erscheinung. Diese Tendenz ist freilich auch ein Resultat des verschärften Konkurrenzkampfes um Zuschauer, Sponsoren und die Gunst der Kritik. So verzeichnen mittlerweile selbst Festivals, die als Präsentationsfestivals konzipiert wurden (beispielsweise Theater der Welt oder die Internationalen 24 Das klassische Präsentationsfestival ist das Berliner Theatertreffen – selbst wenn dieses sich mittlerweile fast stärker über sein ›Nebengeschäft‹ profiliert als über sein ›Hauptgeschäft‹: die Präsentation der zehn »bemerkenswerten« Inszenierungen eines Jahres.

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Schillertage), einen beachtlichen Anteil an Eigen- und Koproduktionen. Eigenproduktionen haftet in besonderem Maße der Nimbus des Engagements und der ästhetischen Vision an, da sie allein das ›Produkt‹ eines einzigen Festivals sind. Eigenproduktionen haben fast immer einen deutlichen Bezug zu der Stadt, in der ein Festival veranstaltet wird.25 Durch ihren exklusiven Charakter üben sie einen starken Anreiz auf Besucher aus, bieten ein hohes Identifikationspotential für die Bewohner der gastgebenden Stadt und sind damit ein wirksames Mittel, um in Bezug zu ihrem Umfeld zu treten.26 Erfahrungsgemäß können diese Produktionen kostenarm gehalten werden, da ihre hauptsächliche Attraktion im Spiel mit dem Ort und dem Publikum besteht (beispielsweise bei Rimini Protokolls Projekt Deutschland II bei Theater der Welt 2002 in Bonn, bei dem die Besucher in den ehemaligen Räumlichkeiten des Bundestags eine Bundestagsdebatte in Berlin nachstellten). Im Vergleich zu internationalen Großprojekten vereinen sie den Vorzug der Exklusivität und der überschaubaren Kostenintensität. Sobald jedoch eine Produktion größere Ausmaße annehmen, prestigeträchtiger werden soll, verkehrt sich die Situation und die Eigenproduktion wird zur teuersten Form der Beteiligung am Entstehen von Produktionen. Ob und wie viele Eigenproduktionen ein Festival zum Programm beisteuern kann, ist somit zunächst von seiner finanziellen Situation abhängig.27 Koproduktionen als weniger lokalspezifische Produktionsformen vereinen mehrere Vorteile. Diese aus dem Bereich des Freien Theaters übernommene Praxis basiert auf dem Prinzip des Netzwerkens und der Synergie von Potentialen; inzwischen wirbt heute jedes renommierte Festival damit, dass es Koproduzenten hat, weil es damit belegt, dass es international relevant ist und den State of the Art kennt. In Anbetracht zunehmender Angewiesenheit auf die Finanzierung durch Dritte fusionieren Festivals nicht nur ihr Kapital, um zusammen eine Produktion realisieren zu können, sie machen sich dadurch auch attraktiver für Sponsoren und Stiftungen, die Förderung nicht selten an die Bedingung knüpfen, dass mehrere womöglich aus unterschiedlichen Ländern stammende Partner zusammenarbeiten sollen. In jedem Fall macht die Gemeinschaftsarbeit von Künstlern unterschiedlicher Nationalität Förderungen oft wahrscheinlicher. Mehrere Faktoren machen Koproduktionen also zu effizienten Werkzeugen für die Gestaltung eines Theaterfestivals. Koproduktionen sind werbewirksam, weil sie renommierte Partner vereinen, sparen mehr Kosten als manche Eigenproduktion und finden leichter Förderer in der Wirtschaft und im Stiftungswesen. 25 Von den zahlreichen Projekten seien nur einige benannt: Die Rächer von Dresden und Dedesnn nn rrrrrr für Theater der Welt in Dresden 1996; X-Wohnungen und Deutschland II bei Theater der Welt 2002; Ereignis-Expeditionen und Brunswick Airport während der THEATERFORMEN 2004; Walks in Progress während des steirischen herbst 2006 und 2007; PIMP THE CITY bei den Internationalen Schillertagen 2007. 26 So wurde bei Theater der Welt 2008 immerhin ein Drittel des Gesamtprogramms mit Eigenproduktionen gedeckt, so Torsten Maß, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 333. Das ästhetische Problem, dem sich diese Produktionen zu stellen haben, besteht freilich in der Gefahr zum reinen Dekor für den jeweiligen Festivalort zu werden. 27 Manfred Beilharz: »Es gibt mittlerweile eine Verschiebung in die Richtung, dass die Festivalausgaben zum Teil versuchen, mehr eigene Produktionen beizutragen, aber das ist natürlich eine Geldfrage.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 325.

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Es können sich nur wenige Festivals leisten, umfassend als Koproduzenten aufzutreten (beispielsweise die RuhrTriennale, die Wiener Festwochen oder Theater der Welt).28 Dieses Potential nutzen sie jedoch effektiv dazu, um sich von den mittelgroßen Festivals abzugrenzen,29 da diese – wie SPIELART in München oder die euro-scene Leipzig – es sich zumeist finanziell nicht erlauben können, eine große Anzahl an Koproduktionen mit zu verantworten. Da die Beiträge, die Festivals dieser Größenordnung zu internationalen Koproduktionen beisteuern können, sehr gering sind, lohnt sich eine Beteiligung für beide Seiten kaum. Für die Abgrenzung von anderen Festivals kleinerer Größenordnung sind Koproduktionen also durchaus effizient. Ein gravierender Nachteil dieser Methode besteht jedoch darin, dass für große Koproduktionen meist sehr viele Partner (fünf bis zehn sind keine Seltenheit) gefunden werden müssen, und so selbst das prestigeträchtigste Projekt letztlich wenig exklusiv erscheint, da jeder der Partner sein Recht auf Präsentation geltend macht. Der vermeintliche Prestigegewinn durch Koproduktionen kann ein Festivalprofil auf diesem Weg schwächen. Denn nach wie vor definieren sich größere Festivals über ihren Programmanteil an ›noch nie Gesehenem‹ und deshalb vermeintlich Originellem. »Dadurch, dass es mehr Festivals gibt, gibt es auch mehr Koproduktionen. Dadurch gibt es auch mehr Rangelei um Erstaufführungen, Uraufführungen et cetera. Die Konkurrenz ist gewachsen, auch die Konkurrenz um dieselben Gruppen und Künstler.«30 In Zeiten, in denen selbst die Präsentation von Produktionen aus den entferntesten Regionen der Welt keine Sensation mehr darstellt, verlegen sich einige Festivals darauf, ihre Unverwechselbarkeit durch deutsche Erstaufführungen zu sichern.31 Um den Nachteilen des Koproduzierens zu begegnen und zusätzlich ihre Relevanz zu beweisen, haben Festivals verschiedene Lösungen gefunden, die sowohl in der Modifikation der Festivaldramaturgie als auch in einer forcierten und kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einigen wenigen Künstlern liegen. Durch den Verlust des alleinigen Anrechts auf eine Uraufführung gewinnt einerseits die dramaturgische Verzahnung der präsentierten Produktionen an Bedeutung für das Profil eines Festivals, andererseits nimmt das Rahmenprogramm als Möglichkeit der übergeordneten Kontextualisierung der Theaterproduktionen einen breiteren Raum ein. Auf der Ebene der Produktion zeichnet sich ab, dass kontinuierliche, längerfristige Zusammenarbeit und eine Konzentrierung auf bestimmte Künstler(gruppen) aktuell wichtige

28 So etwa von den Wiener Festwochen, die 2006 immerhin fünf Koproduktionen zeigen konnten. 29 Kleinere Festivals wie transeuropa in Hildesheim hingegen stehen nicht unter dem Druck, große Produktionen zeigen zu müssen, ihr Beitrag zu Koproduktionen ist also mehr als ein Zusatzangebot, sie können Koproduktionen sogar zu einem Hauptteil ihres Profils machen. 30 So Christine Peters, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 310. 31 Vielfach ist darauf hingewiesen worden, dass es sich bei dem Anrecht auf die Uraufführung eines neuen Stückes wie auch bei dem Vorwurf der Vereinheitlichung des Festivalprogramms ausschließlich um Klagen der Fachleute handelt. Den Zuschauern ist es gleichgültig, ob sie ein Stück zuerst zu sehen bekommen, solange sie es überhaupt sehen können.

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Entwicklungen sind.32 Das vormals in den Häusern der Freien Szene übliche Format der Künstler-Residencies (praktiziert an Häusern wie dem Frankfurter Künstlerhaus mousonturm oder den Sophiensælen in Berlin) hat mit der stärkeren Konzentration der Festivaleigenproduktionen auf den eigenen städtischen Raum als ihr Umfeld Eingang in Festivals gefunden (Beispiele für diese Praxis sind transeuropa oder auch der steirische herbst). Die Präsentationsreihe Perform! Perform! des SPIELART Festivals oder auch einige Formate des steirischen herbst verdeutlichen, dass die Chancen zur Individualisierung eines Festivals immer stärker in der Ausdehnung der Produktionstätigkeit über den Zeitraum des Festivals hinaus gesehen werden.33 Nachhaltigkeit von Förderung besteht nicht allein darin, diverse Gruppen zu finanzieren und als Koproduzent aufzutreten, sondern ihnen auch Räume, Logistik und organisatorische Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Damit einher geht ein erhöhtes Bewusstsein für die Verantwortung, die Festivals als künstlerische Katalysatoren übernehmen.

Die Ausgestaltung des Festivals I NHALTLICHE S CHWERPUNKTE Sein Name ist die Visitenkarte eines Festivals und verkündet den vorherrschenden, wenn auch meist nicht ausschließlichen, thematischen Fokus und setzt entscheidende Akzente. Da kein Festival selbstgenügsam produziert wird, muss es mit einem ›Label‹ sein Publikum direkt gewinnen können. Oft ist es hilfreicher, einen klaren Fokus zu setzen, um damit eine vielleicht begrenzte, aber interessierte und engagierte Zuschauergruppe anzusprechen, zumal in Großstädten, die auch ohne Festivals über ein ausreichendes kulturelles Angebot verfügen.34 Im Falle von Theaterfestivals steht dieses Label in der Regel stellvertretend für die Kriterien, die der Auswahl der einzuladenden Inszenierungen und der Zusammenstellung der übrigen Programmpunkte zugrunde gelegt werden. Solche Eindeutigkeiten bei der thematischen Schwerpunktsetzung erleichtern die Orientierung der Besucher und binden sie stärker an das jeweilige Festival. Hierbei lassen sich zwei umfassendere 32 So koproduzieren die Wiener Festwochen seit Jahren regelmäßig Shows der Gruppe Forced Entertainment oder laden sie zum Festival ein; die euro-scene Leipzig verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Künstler Alain Platel; der steirische herbst 2007 arbeitete anderthalb Jahre mit der Gruppe International Festival an der Entwicklung des Projekts The Theatre; transeuropa bot in Hildesheim 2006 ein Artists-in-Residence-Programm für CampLand3006 an. 33 Dass Festivals ihre Aktivitäten ausweiten, ist nicht neu. Auch die Szene der Salzburger Festspiele unternahm bereits Anfang der neunziger Jahre diverse Vorstöße über den üblichen Festivalrahmen hinaus, indem sie außerhalb des Festivals in einem Theaterhaus internationale Produktionen zeigte. 34 Ein gutes Beispiel hierfür ist das Berliner Theatertreffen, das zwar seit seiner Gründung diverse Elemente der Nachwuchsförderung (wie das Internationale Forum junger Bühnenangehöriger oder den Stückemarkt) integriert, dessen hauptsächliche Funktion dennoch die Präsentation der deutschen Theaterelite geblieben ist.

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Themenkomplexe voneinander unterscheiden, erstens die Benennung eines räumlichen Themenkonzepts (transeuropa, Neue Stücke aus Europa) und zweitens die Kennzeichnung des Festivals als Ort von speziellen ästhetischen oder außerästhetischen Positionen (Freischwimmer, Heidelberger Stückemarkt, Politik im Freien Theater). Zwei der wichtigsten Faktoren für die Herausbildung eines Themenschwerpunktes sind der Ort und die Verortung des Festivals. Die Ausrichtung auf die Präsentation von internationalen Produktionen hat das deutsche Theaterfestivalgeschehen besonders stark geprägt. Mit nur wenigen Ausnahmen, wie den deutschen Nachwuchs fördernde Festivals und das Berliner Theatertreffen, setzen sich die Programme aller größeren Theaterfestivals in Deutschland mit unterschiedlicher Gewichtung aus einer Mischung von ausländischen und einheimischen Produktionen zusammen. Ein Grund für dieses Phänomen besteht darin, dass die Festivalgründungen der frühen Nachkriegszeit im deutschsprachigen Raum – allen voran die Wiener Festwochen – im Geiste der Völkerverständigung stehen und von der Idee gespeist werden, sich wieder international zu behaupten und zu rehabilitieren. Zugleich stellen internationale Produktionen gerade vor dem Fall der Mauer und vor der Entstehung des »globalen Dorfes« eine Hauptattraktion für das Publikum dar. Denn Festivals ermöglichten nahezu als einzige Veranstaltungen die Begegnung mit der Theaterszene hinter dem Eisernen Vorhang. Und obschon gegenwärtig der Kulturtourismus floriert und die Bevölkerung wesentlich mobiler geworden ist, sind internationale Produktionen von renommierten Regisseuren noch immer das Zugpferd für viele Festivals. Die Prominenz der Internationalität des Festivalprogramms manifestiert sich in Bezeichnungen wie transeuropa, euro-scene Leipzig, Neue Stücke aus Europa und Theater der Welt. Nach wie vor bedeutet Internationalität für Festivals jedoch hauptsächlich das europäische Ausland, nur wenige Festivals sind wirklich außereuropäisch orientiert (Theater der Welt, Wiener Festwochen). Das allerdings ist im Wesentlichen ein Resultat der budgetären Unterschiede, denn nur wirklich prestigeträchtige Festivals können es sich in der gegenwärtigen schwierigen finanziellen Situation noch leisten, das Hauptprogramm mit außereuropäischen Produktionen zu bestreiten.35 Dem gegenüber steht die Konzentration auf eine bestimmte Region beziehungsweise die Austragungsstadt eines Festivals (unter anderem bei der RuhrTriennale). Beispiele wie die euro-scene Leipzig oder die Internationalen Schillertage zeigen, dass sich beide möglichen räumlichen Ausrichtungen eines Festivals nicht widersprechen müssen. Tatsächlich ist seit Mitte der neunziger Jahre das Bewusstsein für die regionalen und urbanen Bedingungen eines Festivals deutlich gestiegen, weshalb mittlerweile auch die Rückbesinnung auf Nationales beziehungsweise Lokales salonfähig geworden ist. Eine Thematisierung des eigenen Umfelds ist auch deswegen erforderlich, da die Frage, ob ein Thema in eine Region, in eine Stadt passt, dort auf Interesse stößt oder nicht, über das Gelingen oder Scheitern eines Festivals entscheidet. Beispielsweise hing das Damoklesschwert lange über den THEATERFORMEN, da man sich in deren Gründerstadt Braunschweig in der »Theater35 Stattdessen geht ein Trend in Richtung Eigenproduktionen, die mit dem jeweiligen Festivalort arbeiten, um sich zu profilieren, vgl. Kapitel »Beteiligung am Entstehen von Produktionen«.

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Diaspora«36 befand und die Braunschweiger anfänglich nur wenig Interesse am Festival aufbrachten. Die Aufteilung des Festivals auf zwei Städte sicherte zuletzt sein Weiterbestehen (vgl. Kapitel »THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover«). Auch bei der Gründung der RuhrTriennale erhoben nicht nur die Theaterhäuser NRWs Widerspruch, auch Kulturpolitiker äußerten große Skepsis und Missfallen angesichts der desolaten finanziellen Lage des Bundeslandes, so etwa der Leiter des Kultursekretariats NRWs Dietmar N. Schmidt. Er bemerkt 2001: »Während all diese Katastrophen [Halbierung von Ensembles, Schließung von Theatern, Streichung von Sparten] ihren Lauf nehmen, von den Städten allein nicht aufgehalten werden können, während all das also geschieht, plant das Land ein Renommierfestival. Da darf man sich doch ärgern.«37 Die zweite größere Gruppe thematischer Schwerpunkte ist im Vergleich zur ersten uneinheitlicher, versammelt aber ästhetische Spezialisierungen im weitesten Sinne. Das bereits zuvor erwähnte Neue Stücke aus Europa findet beispielsweise sein Thema im Genre der (neuen) Dramatik, das Berliner Theatertreffen in der Präsentation der künstlerischen Elite. Besonders prominent in dieser Gruppe ist die Bekenntnis zur Avantgarde beziehungsweise zur ästhetischen und formalen Vielfalt, wie es Namen wie THEATERFORMEN, SPIELART, Neue Stücke aus Europa andeuten. Auch auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung engagieren sich viele der zuletzt gegründeten Festivals, während nur wenige mit explizit politisch-sozialem Impetus ihr Profil entwickeln oder sich auf einen Werkkanon beziehungsweise einen einzelnen Künstler beziehen (wie beispielsweise die Internationalen Schillertage). Doch bei einem Festival, das bereits durch seinen Namen sein Thema als »Politik im Freien Theater« ausweist, wird deutlich, dass sich Festivals seit den (späten) neunziger Jahren auch Gegenständen außerhalb des Kunstsektors zuwenden (vgl. Kapitel »Diskurs«). Korrekter gesagt, sind kulturelle Festivals seit dieser Zeit immer stärker als Aufmerksamkeit bündelnde Maßnahmen in außerkünstlerischen Bereichen eingesetzt worden, weshalb bisweilen der Name eines Festivals wie Politik im Freien Theater unklar lässt, welche Determinante den Akut setzt: »Politik« oder das »Freie Theater«. Andererseits veranschaulichen Festivals, die schon in ihrem Namen zwei Schwerpunkte behaupten, auch den wachsenden Konkurrenzkampf innerhalb der Branche. Hauptursache dafür ist die (in den meisten Regionen Deutschlands) rückläufige finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand,38 die Festivals einen neuen Umgang mit potentiellen Förderern abnötigt. Die Taktik, mehrere thematische Schwerpunkte auf sich zu versammeln, zielt so zwar hauptsächlich auf die Erweiterung des eigenen Publikumssegments ab sowie auf die Bereicherung und erweiterte Kontextualisierung des ästhetischen Inhalts, andererseits wird dadurch ein Festival für Geldgeber unterschiedlicher 36 Ludwig Zerull: »Wagnisse am falschen Ort«, in: Theaterheute 35 (1995), Heft 8, S. 37. 37 Franz Wille: »Die Luftnummer? Ein Gespräch mit Dietmar N. Schmidt«, in: Theaterheute 41 (2001), Heft 2, S. 1. 38 Eine Entwicklung, die Mitte der neunziger Jahre einsetzt und offensichtlich gegenläufig ist zu der wachsenden Bedeutung, die Festivals von politischer Seite beigemessen wird, vgl. A. Klein, Kulturpolitik (in Deutschland), S. 92. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel wie bei den THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover, vgl. Kapitel »THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover«.

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Art attraktiver. Diese Taktik bietet allerdings gleichzeitig den Nährboden für die Kritik, derartige Festivals operierten mit Wahllosigkeit und Beliebigkeit, präsentierten alles und nichts und erreichten damit gar die Auflösung der Kontexte.39 Tatsächlich funktioniert eine breite Themenvielfalt selbst bei groß angelegten Festivals wie den Prestigeobjekten Wiener Festwochen oder Theater der Welt nur bedingt.40 Festivals müssen sich als kohärente Gefüge mit starkem Profil präsentieren, um von ihrem Publikum und an ihrem jeweiligen Festivalort auf Akzeptanz zu stoßen. Trügerisch sind Festivalnamen, wenn ein Festival mit langer Tradition (wie die Wiener Festwochen) Modifikationen an seinen thematischen Interessenlagen vornimmt, diese allerdings im Namen nicht kommunizieren kann, ohne sein Renommee zu gefährden. Für diesen Fall legen einige Festivals durch von Ausgabe zu Ausgabe wechselnde Mottos ihre Interessen und Themen offen. Dieses Modell hat sich nur bei wenigen Festivals fest durchgesetzt, wird aber von einigen Festivalleitern mal mehr, mal weniger stringent dazu genutzt, einer einzelnen Festivalausgabe mehr Kontur zu verleihen.41 Diese Leitgedanken sind meist nicht so bindend, dass sie bei jeder Edition als strukturierendes Prinzip beibehalten werden müssten (beispielsweise bei der euro-scene Leipzig), können es aber sein wie bei SPIELART, das sich mit seinen Schwerpunkten ein eigenes Gesicht in der Theaterlandschaft erarbeitet hat. Diese Strategie stößt allerdings bei nur wenigen Festivalmachern auf Gegenliebe, da »Kunst und Wissensproduktion […] zu vielgestaltig und unübersichtlich [sind], als dass wir ein einziges Thema behaupten könnten.«42

39 Vgl. Roeder-Zerndt: »Die um sich greifende Resignation in Bezug auf die Alltagskost der Weltfestivals sollte dennoch wirklich ernst genommen werden, als Aufforderung, die gängigen Programmansätze und Festivalkonzepte grundsätzlich zu überdenken. […] Welche Bezüge herstellen und welche Beziehungen hervorheben – zwischen eigenen inhaltlichen Positionen, eigenen Themen und dem, was die Kontexte prägt?« In: M. Roeder-Zerndt, Vielfalt und Internationalisierung, S. 85. 40 Theater der Welt 2002 war vor allem deshalb ein nur geringer Publikumserfolg, weil der vielfältige thematische Ansatz aus wissenschaftlichen Formaten, urbanen Interventionen und anspruchsvollen neuen Theaterformen zusammen mit der Aufspaltung des Festivals auf mehrere Städte für das Publikum keine ausreichende Orientierung bieten, kein Wiedererkennen ermöglichen und so keine Vertrauensbasis schaffen konnte. 41 Beispiele hierfür sind die letzten Ausgaben des Berliner Theatertreffens unter der Leitung von Iris Laufenberg mit den Mottos »Letzte Tankstelle vor der Wüste« (2004), »Vereinsheimat« (2005), »TT Konzil« (2006); bei der euro-scene Leipzig gab es regelmäßig Mottos wie »Leibesvisitationen« (2001), »Wurzeln und Visionen« (2002), »Die Liebe = Chancen der Unmöglichkeit« (2003), »Das Eigene im Gefüge« (2004), »Wahlverwandtschaften« (2005), »Konsonanzen – Dissonanzen« (2006). Das LAOKOON Festival der Kampnagel Internationale Kulturfabrik setzte ebenfalls kontinuierlich Mottos ein, die das Thema Globalisierung variierten: »Cyborgs against the Empire« (2003), »Körper-Spiegel-Welt« (2005). 42 So Veronica Kaup-Hasler in: Georg Schöllhammer: »›Wo dockt man an Geschichte an?‹ Georg Schöllhammer spricht mit einer ehemaligen und der jetzigen herbstIntendantin, Christine Frisinghelli und Veronica Kaup-Hasler, über Chancen und Risiken eines Festivals, über Zeitgenossenschaft und Mainstream, über Gralshüter und

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Kritisiert wird, dass Mottos die Kontextualisierung und Zusammenschau limitieren und einzelne Produktionen und deren eigentümliche Qualität unter dem dominierenden Gesichtspunkt verflachen. Festivals – ob mit oder ohne Motto – haben mit Themensetzungen jedoch einen Weg gefunden, um bestimmte Anliegen, Inhalte oder ästhetische Leitlinien besser zu kommunizieren und sich in der immer stärker ausdifferenzierten Festivallandschaft Aufmerksamkeit zu sichern. I NTERDISZIPLINARITÄT Am Begriff der Interdisziplinarität lässt sich eine Akzentverschiebung in der Festivalszene seit 1990 hin zu einem forcierten theoretisch-praktischen Diskurs einerseits und zu intensiverem Dialog zwischen den Kunstgenres andererseits verdeutlichen. Der Begriff selbst ist dem akademischen Diskurs entlehnt und bedeutet zunächst eine hermeneutische Methode, die die Grenzen des eigenen Fachgebiets überschreitet, um die Überlegungen anderer Wissenschaftszweige verwendbar zu machen. Interdisziplinär angelegte Wissenschaften nutzen die Ansätze, Betrachtungsweisen oder Methodik anderer Fachrichtungen für ihre eigenen Fragestellungen. Es geht hierbei um eine umfassende Problembetrachtung, die die Begrenztheit des eigenen wissenschaftlichen Rahmens nicht nur aufscheinen, sondern hinter sich lässt. Seit den achtziger Jahren spielt der Interdisziplinaritätsbegriff im Bereich der Performance und in anderen theatralischen Produktionen und deren Reflexion durch Künstler, Kuratoren und Präsentatoren eine zunehmend größere Rolle. Auf Theaterfestivals angewandt, bezeichnet er die Eigenschaft eines Festivals, verschiedene Kunstsparten zugleich zu präsentieren und nicht nur eine Form (das Theater, die Bildende Kunst) zu seinem Zentrum zu machen. Vorbildfunktion auch für die Festivalpraxis hatten hierfür in den achtziger Jahren die Freien Produktionszentren Kampnagel Internationale Kulturfabrik in Hamburg, das Künstlerhaus mousonturm in Frankfurt am Main oder auch das Hebbel-Theater in Berlin, wo interdisziplinäres Arbeiten seit jeher einen hohen Stellenwert genoss. Diese wiederum hatten die Praxis des vernetzten Arbeitens und des Gedankens, verschiedene künstlerische Teilbereiche zusammen zu präsentieren und sich gegenseitig bereichern zu lassen, aus der Bildenden Kunst übernommen. Gerade auf großen Biennalen der Bildenden Kunst oder auch auf der documenta in Kassel wird bereits in den siebziger Jahren dieses Modell praktiziert. So hat die Interdisziplinarität durch den Einbezug wissenschaftlicher Beiträge in die Festivalgestaltung und durch die Verschränkung verschiedener künstlerischer Disziplinen im Programm Eingang in die Festivalpraxis gefunden. Allerdings ist das Theater bereits eine wesentlich interdisziplinäre Kunst: Die Ästhetik des Theaters entsteht nur aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Künste. Das gilt umso mehr für das postdramatische Theater. »In diesen [interdisziplinären] Spielformen ist die Reflexion auf die Möglichkeit des Interagierens verschiedener Künstler im Rahmen einer Performance zentral. […] es geht um die Interaktion der Performer und nicht der abstrakten

die Sehnsucht nach Neuem«, in: herbst. Theorie zur Praxis, hg. von steirischer herbst SH-Kulturveranstaltungs GmbH, Graz 2006, S. 64.

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Kunstprinzipien«.43 Bezeichnenderweise nehmen die Protagonisten des postdramatischen Theaters wie Jan Fabre, Jan Lauwers, Heiner Goebbels oder Robert Wilson ihren Ausgang von den anderen Künsten und verstehen sich nicht im strikten Sinne als Theaterkünstler. Auf inhaltlicher Ebene besteht also bereits eine erhöhte Bereitschaft von Theaterfestivals, interdisziplinär zu arbeiten. Dies zeigte sich im kleineren Rahmen schon in den siebziger Jahren, wo es gerade bei den nicht-institutionellen Theaterfestivals üblich war, unterschiedliche theatrale Genres wie Puppenspiel, Zirkus, dramatisches Theater und Pantomime nebeneinanderzustellen. Diese ersten Versuche von Interdisziplinarität sind damals zwar noch weitgehend auf performative Künste beschränkt, entsprechen allerdings schon der Fähigkeit des Festivalmodells zur Zusammenschau, bei der einzelne Künste nicht nivelliert, sondern enggeführt werden.44 Heute sind es hauptsächlich interdisziplinär ausgerichtete Festivals, die neben der Präsentation künstlerischer Produktionen gesteigerten Wert auf Theoretisierung legen und für sich beanspruchen, Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis zu sein. Statt von einem ›spartenübergreifenden‹ Festival zu sprechen, ist es bei dieser Art von Festival umso zutreffender, von Interdisziplinarität zu reden, da der wissenschaftlich-theoretische Tonfall des Begriffs noch stärker auf die Verschränkung zwischen Praxis und Theorie hinweist. In diesem Bereich ist der steirische herbst sicherlich der gegenwärtig wichtigste Impulsgeber, der schon bei seiner Gründung 1968 seinen inhaltlichen Schwerpunkt auf das Zusammenwirken von Wissenschaft und Kunst legt. Festivals adaptieren die Grundidee von Interdisziplinarität durch die Mobilisierung vielfältiger methodischer Herangehensweisen, ein Problem ganzheitlicher zu beleuchten und zu erfassen. Die übergeordnete Fragestellung steht also stärker im Zentrum als die Konzentration auf eine künstlerische Form, es werden vielmehr für ein bestimmtes Thema jeweils passende oder passend erscheinende Genres herangezogen. (Beispielsweise veranstaltet LAOKOON 2006 ein Rahmenprogramm mit dem Schwerpunkt auf Mazedonien mit Filmen, einem Konzert und einer Ausstellung; die euro-scene Leipzig 2006 stellt unter dem Motto »›Konsonanzen – Dissonanzen‹ – Musik in Theater und Tanz des alten und neuen Europa« den Film les ballets de ci de là zum zwanzigjährigen Jubiläum der Gruppe Les Ballets C. de la B. aus Gent und ein A-cappella-Konzert einer Leipziger Musikgruppe nebeneinander.) Dafür ist es freilich weniger entscheidend, dass die Grenzen einer Sparte eingehalten werden, als dass alle hilfreichen und erfolgversprechenden Wege zur Beleuchtung des Themas beschritten werden. Es sind jene Theaterfestivals, die sich selbst als Arbeitsplattform oder Diskussionsforum verstehen und neben ihrer künstlerischen Qualität einen meist sozialpolitischen Impetus haben, die sich mit der Praxis des interdisziplinären Arbeitens in besonderem Maße identifizieren können.45 Beispiele hierfür sind die Wiener Festwochen, 43 H.-T. Lehmann: Postdramatisches Theater, S. 201, 203. 44 Als Beispiel für ein auf dem Prinzip der Interdisziplinarität gegründetes Festival sei die RuhrTriennale genannt, die nicht nur verschiedene Künste präsentiert, sondern durch so genannte »Kreationen« eine neue interdisziplinäre Produktionsform zu etablieren und für sich zu reklamieren sucht. 45 Dem tut es keinen Abbruch, dass selbst hauptsächliche Präsentationsfestivals wie die Wiener Festwochen zumindest zu einem gewissen Anteil interdisziplinäre Projekte

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Theater der Welt, THEATERFORMEN, die RuhrTriennale. Festivals wie transeuropa und SPIELART führen diese Ideen mit unterschiedlichen Akzenten fort.46 Den theoretischen Anspruch interdisziplinärer Festivals ergänzt das praktische Bedürfnis der Künstler, sich mit Kollegen aus anderen Sparten und Kunstformen über deren Arbeitsweisen auszutauschen. Künstler aus Bildender Kunst, Medienkunst, Film und Architektur geben somit nicht nur Input zu theoretischen und gesellschaftlichen Fragestellungen, sondern bereichern sich gegenseitig im Idealfall über Genregrenzen hinweg. Interdisziplinäre Festivals üben deshalb einen stärkeren Reiz auf Künstler aus als genreverhaftete Festivals, da sie ihnen Gelegenheit bieten, sich mit ihnen bisher unbekannten Kollegen vertraut zu machen und neue Einflüsse zu erfahren.47 Bei interdisziplinär ausgerichteten Festivals steht also auch die künstlerische Weiterentwicklung im Vordergrund und nicht nur Präsentation und Entertainment im weitesten Sinne. Damit bietet Interdisziplinarität ähnlich wie Diskursivität (vgl. Kapitel »Diskurs«) die Möglichkeit für ein Festival, nachhaltig zu wirken, indem es über den eigenen Aktionsrahmen hinaus Akzente setzen und seinen Einzugsbereich über das eigentliche ästhetische Objekt des Theaters erweitern kann. Bei all diesen Strategien wird jedoch die Kondensation eines Festivals, seine Verdichtung, entzerrt, wodurch die produktive Spannung und die ereignishafte Atmosphäre des Festivals verloren gehen können. Programmatisch bewusst interdisziplinär ausgerichtete Festivals sind jedoch immer noch Nischenfestivals. Gegenläufig dazu ist sogar eine sich zusehends verstärkende Entwicklung zu bemerken, bei der einige Festivals (Neue Stücke aus Europa, F.I.N.D., Freischwimmer) dezidiert auf Spezialisierung setzen und damit vielleicht keine sehr breite Publikumsschicht (wie beim interdisziplinären Festival, das Ansatzpunkte für ein vielfältiges Publikum bietet) ansprechen, dafür aber eine besonders interessierte und ebenfalls spezialisierte Gruppe von Fachkundigen. Beide Formen des Umgangs mit anderen Sparten – Spezialisierung und interdisziplinäres Arbeiten – bieten unterschiedliche Vorzüge und Spielräume für die Entwicklung des Festivals wie für Künstler.

vorweisen können (beispielsweise Lecture Performances und literarische Projekte). Diese finden sich hauptsächlich in der 2002 gegründeten Programmreihe forumfestwochen ff versammelt. 46 Beispielsweise gibt Tilmann Broszat, künstlerischer Leiter des SPIELART Festivals, am Münchner Institut für Theaterwissenschaft nicht nur Seminare, die Studierenden werden auch durch fördernde Modelle (vgl. Kapitel »Verhältnis zum Nachwuchs«) in das Programm des Festivals einbezogen. 47 Christine Peters: »Wenn man bei einem Festival auftritt, das von vornherein interdisziplinär angelegt ist, so ist vielleicht die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich dort Künstler stärker füreinander interessieren. Wenn inhaltliche Schnittmengen da sind, dann sollte sich ein Festival bemühen, auch zeitliche Schnittmengen herzustellen, um diese Potentialität zu fördern.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 308.

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D ISKURS »Denken in der Kunst steht hoch im Kurs. Kaum ein Theater, Festival oder Museum, das sich nicht ab und an ein laboratory gönnen würde, eine Akademie, ein educational oder research program; Manifesta, documenta, Sommerakademien, Bildung überall. Dabei ist es selbstverständlich geworden, Theorie ohne klare Unterscheidung der Sphären an die Praxis zu binden, Orte und Formate für Vertreter von Kunst, Theorie und Alltag zu finden und Gemeinsames zu erarbeiten – mit dem hohen Anspruch, Theorie nicht nur zu vermitteln, sondern auch zu produzieren.«48

Theaterfestivals der Gegenwart, durchaus auch Festivals, die eine lange Tradition vorzuweisen haben, verstehen sich zunehmend nicht als ›Lieferanten‹ neuester innovativer Theaterkunst, sondern als Stimulatoren von Diskussion und Disput. Sie werden zu Foren des Gesprächs zwischen Theaterschaffenden selbst sowie zwischen ihnen und dem Publikum. Mit diskursiven Rahmenprogrammanteilen positioniert sich ein Festival damit einerseits als wichtiger künstlerischer Multiplikator (für Veranstaltungen, die Künstlern vorbehalten sind) und andererseits als relevanter und kritisch reflektierender Teil der Gesellschaft. Hierbei lässt sich eine grundsätzliche Unterscheidung treffen zwischen reflexiven beziehungsweise diskursiven Programmteilen, die für Publikum zugelassen sind, und solchen, die nur für die Künstler und für Festivalkoordinatoren selbst gedacht sind. Letztere sind auf die Tradierung von Wissen und intensiver Diskussion der eigenen Situation ausgerichtet und gehören zur Natur des Festivalbetriebs, der die Begegnung nutzt, um sich selbst zu thematisieren und die eigene Position zu analysieren. »In my view it is one of the key functions of festivals [to reflect themselves]. Not only to present art but to advance and stimulate reflection and discourse for the artistic community. To organize opportunities for the discourse for the artistic community within the frame of the festival gets together to talk which often does not happen otherwise. […] So many festivals had been crucial platforms where the artistic community was able to recognize its real common interests, to articulate them at home and internationally. So, this reflective and analytical function of the festival I think is one of the key reasons to have all these festivals.«49

Diese Introspektion, so sehr sie ein wichtiger Bestandteil des Festivalgeschehens ist, trägt allerdings nicht zum öffentlichen Auftreten und zur Profilbildung eines Festivals bei, im Unterschied zu den nach außen getragenen Diskussionsformaten, die in der Regel das Theater im Verhältnis zur Gesellschaft reflektieren und für alle sind. 48 G. Ziemer/F. Malzacher: Das Lachen der Anderen, S. 67. 49 »Short cuts des FIT-Symposiums vom 1. Oktober 2005 in Vilnius zu ›Festivals as Generators and Circulators of new Ideas, professional, laboratorial and Community Events‹«, vgl. http://www.theatre-fit.org/pdf/FIT_discussionNotes_full_sirenos.pdf vom 05. April 2008, S. 6.

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Zu den üblichen diskursiven Formaten gehören Podiumsdiskussionen, bei denen nach den moderierten Gesprächen das Publikum zu einem vorgegebenen Thema an die anwesenden Spezialisten Fragen stellen oder Gehörtes kommentieren kann. Publikumsgespräche zählen ebenfalls zu diesen Formaten beziehungsweise sind eine der ersten Wege, um das Publikum in einen Diskurs über künstlerische Arbeit zu involvieren. Bei Vorträgen sind meist keine Beiträge des Publikums vorgesehen, während das Panel den Vortrag (der am Anfang der Veranstaltung steht) mit der Podiumsdiskussion verbindet und so üblicherweise am Ende Zeit für die Beteiligung des Zuschauers vorsieht. Elaboriertere Formate sind Symposien, die diverse Gesprächs- und Diskussionsformate verschränken und manchmal den Charakter eines kleinen ›Festivals im Festival‹ annehmen können. Einige Festivals wie die Ausgaben der THEATERFORMEN von 2002 und 2004,50 der steirische herbst oder Politik im Freien Theater erheben gar Diskussion und Gespräch zu einem eigenen Themenschwerpunkt ihres Programms (vgl. Kapitel »Verlässliche Präsenz«) und stellen es auf eine Stufe mit der Präsentation von Kunst. Derlei diskursiv geprägte Festivals bieten zudem Sommerakademien und thematische Reihen an, für die allerdings Anmeldungen erforderlich sind und die somit für die Öffentlichkeit nur begrenzt zugänglich sind. Gerade kleinere oder mittelgroße Festivals nutzen diskursive Formate, um ihr Profil zu schärfen und ihre Position gegenüber der Konkurrenz zu stärken. So sind gerade Tagungen und Symposien in Zusammenarbeit mit übernationalen Netzwerken oder NGOs öffentlichkeitswirksam und illustrieren die Relevanz des betreffenden Festivals auf internationaler Ebene. So veranstaltete beispielsweise SPIELART 2005 ein Symposium des europäischen Festivalnetzwerks FIT (Theatre Festivals in Transition) zum Thema »Festivals – A Luxury Article or a Generator for Culture« (mit den Unterthemen »Festival and City«, »Artists and Festival« und »Festivals and their national and european cultural Perspective«). Die euro-scene in Leipzig richtet sowohl Veranstaltungen des weltweit größten Theaternetzwerks IETM aus als auch des deutschen Zentrums des Internationalen Theaterinstituts (ITI) 2003 mit Themen wie »Die UNESCO-Konvention zur Kulturellen Vielfalt« oder »Recherche im Theater«.51 Diese Anbindung an übernationale Institutionen und Organisationen als ›Aushängeschild‹ für ein Festival ist häufig ebenso bedeutend wie seine Diskursbereitschaft. Denn politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger machen ihre Unterstützung auch davon abhängig, wie ein Festival international aufgestellt ist. Unabhängig davon haben diskursive Programmpunkte hauptsächlich die Funktion von Zusatzangeboten. Als über die Jahre hinweg konstante Themen der besonders für das Publikum angebotenen diskursiven Formate haben sich erstens das Theater und zweitens Theaterfestivals als solche erwiesen. Das ist gerade vor dem Hintergrund verständlich, dass einerseits Festivals die Gelegenheit bieten, in konzentrierter Form Theater zu präsentieren und zu rezipieren und dementsprechend mit den anwesenden Künstlern und dem eigens dafür eingefundenen Publikum darüber zu sprechen. Andererseits können Fes50 Etwa bei REpublicACTION der THEATERFORMEN 2004 war die Diskussion über Politik und Theater ein der Präsentation gleichwertig zugeordneter Programmteil. 51 Vgl. »13. Festival 2003. Gesamtprogramm mit Kurztexten«, vgl. http://www.euroscene.de/v2/de/festivals/2003/programm/uebersicht/ vom 25. September 2008.

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tivals damit ihren gesellschaftlichen Nutzen demonstrieren und insofern sind Diskussionsrunden, Symposien und Podiumsdiskussionen auch Lobbyveranstaltungen der Festivalmacher selbst. Im Verlauf gerade der letzten zehn Jahre wurde das Spektrum der Themen jedoch wesentlich bereichert und ausgeweitet, der Diskurs der Festivals wendet sich mehr und mehr sozialen Problematiken zu – auch aus der Überzeugung heraus, dass das Publikum dies von ihnen erwartet. Theaterfestivals beanspruchen damit auch die Berechtigung, als sozial wirkende Kraft in Erscheinung zu treten und durch die Öffentlichkeit, die sie generieren, ihren Teil zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion beizutragen.52 Besonderes Augenmerk liegt hierbei in den letzten Jahren auf Debatten über Migration und Stadt, Globalisierung und das Verhältnis zwischen Staat und Individuum. Es seien einige Veranstaltungstitel genannt: euro-scene Leipzig 2002: »Stadt – Bühne – Bauwerk« (Podiumsdiskussion); 2003: »Love is all you need? Das unheimlich Fremde«; 2004: »Das Eigene im Gefüge – Risiko oder Chance?«. SPIELART Symposium 2003: »Grotowski, Kantor – und weiter? Perspektiven des polnischen Theaters in einem erweiterten Europa«. Berliner Theatertreffen 2004: »Diskussionen I – Der unerklärte Krieg« und »Diskussionen III – Das internationale Echo. Wie politisch ist das deutsche Theater?«; 2006: »Dogmen des alten Theaters: Oder die Rückeroberung der Wirklichkeit?« und »Dogmen der neuen Bürgerlichkeit: Wie wollen wir leben?«. THEATERFORMEN 2004: mehrere Dialoge wie »E statt U« (über Möglichkeiten des politischen Theaters); »Reden statt Handeln statt Reden« (über Küsse, Kapitalismus und Krise); »Politik statt Theater« (über die Ohnmacht der Kunst); »Ost statt West« (über den Luxus politischer Debatten). Und 2006 veranstaltet der steirische herbst gar eine ganze Akademie und ein ›Camp‹ zu den Themen »Kontrollwissen, Wissenskontrolle, globale Kontrolle, Selbstkontrolle«. Bei derartigen Angeboten gibt es unterschiedliche Grade der Partizipationsmöglichkeiten des Publikums, die vom reinen Zuhören (Vortrag) bis zur ›gleichberechtigten‹ Gesprächsposition (Foren) reichen können. Doch auch wenn Festivals auf der Idee basieren, Publikum und Experten in Konstellationen zusammenzubringen, die außerhalb des Festivals nicht möglich oder wahrscheinlich wären, ist der Kommunikationsweg in der Regel einseitig und darauf ausgelegt, dass das Publikum in der Position des Rezipienten verweilt. Um diese Fronten aufzubrechen oder zumindest zu verdeutlichen, dass die Gleichberechtigung der Diskussionspartner nur illusionär ist, haben Künstler Formate entwickelt, die Diskursivität und ›Kunst‹ verbinden, Mischformen aus Entertainment und Vortrag. So kündigen die THEATERFORMEN 2004 ihre Veranstaltungsreihe REpublicACTION als Format an, das »in lockerem Rahmen das Gespräch mit Künstlern, Wissenschaftlern, Journalisten und Zuschauern [sucht] – zwischen theoretischem Diskurs und easy talk.«53 Ein weiteres mittlerweile kanonisiertes Format ist die so genannte Lecture Perfor-

52 Letztlich basiert das Festival Politik im Freien Theater auf den Prämissen, dass erstens Theater politisch sein kann, und zweitens, dass Festivals der Ort sind, um diese politischen Statements wiederum zu kanalisieren. 53 »Dialoge«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 47.

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mance.54 Diese neuen diskursiven Formate arbeiten mit der Partizipation des Publikums und spiegeln zugleich das Bedürfnis der Künstler wider, über sich selbst nachzudenken. Die Verbindung zwischen Festival und Diskussion ist schließlich nicht zufällig, sondern leitet sich auch aus eben diesem Bedürfnis ab – und unterstützt es zugleich, indem es solchen Formaten Raum gibt. Die Initiative zur erhöhten Reflexivität und Verschränkung von Ästhetik und Wissenschaft geht also auch von einigen Künstlern selbst aus, die nicht nur ihren Weg in die Häuser der Freien Szene, sondern auch in den regulären Theaterbetrieb gefunden haben und dort vor allem als Attraktionen eingesetzt werden, um auf die seit Mitte der neunziger Jahre einsetzende »Krise des Theaters« zu reagieren.55 Im Rahmen einer ganzjährig geöffneten Theaterinstitution werden allerdings Modifikationen vorgenommen, die die diskursiven Veranstaltungen an die Bedingungen eines Theaterhauses anpassen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Frankfurter Dialoge, Salons, die unter der Intendanz Elisabeth Schweegers am schauspielfrankfurt regelmäßig stattfanden und philosophische Fragestellungen aufwarfen. Auch thematische Reihen, wie sie etwa Matthias von Hartz an mehreren Theatern kuratiert hat,56 und Themenwochenenden zu sozialpolitischen Themen wie am Hebbel am Ufer führen diese Entwicklung von Theaterfestivals weiter. »[Das HAU] ist interdisziplinär nicht nur in dem Sinne, dass sich hier Sprechtheater, Tanz, Musik und bildende Kunst […] vereinen. Man strebt auch sonst ständig über die Grenzen der klassischen Bühnenkunst hinaus. Das Theater, wie es […] Matthias Lilien-

54 Dazu liest man auf der Homepage von Unfriendly Takeover: »Seit Jahren, Jahrzehnten geht die Rede von der Vermischung künstlerischer Praxis und ihrer Theorie, vom Überschreiten der Gattungsgrenzen, von selbstreflexiver Kunst und kreativer Wissenschaft. Kein Wunder, dass spätestens seit Xavier Le Roys ›Product of Circumstances‹ von 1999 ein Format, das performativ und diskursiv zugleich funktioniert, für viele Choreografen, Performer, Regisseure, aber auch Theoretiker zu einem äußerst reizvollen Medium und in seinen scheinbar formalen Begrenztheiten zu einer besonderen, oft sehr komplexen Herausforderung geworden ist: die lecture performance. Der Vortrag als Aufführung, die Reflexion als Selbstreflexion, der Inhalt als Form, die Sprache als Akt.« In: »Performing Lectures. Eine Reihe von Unfriendly Takeover mit Marten Spangberg, Pirkko Husemann, Xavier Le Roy, Frankfurter Küche (Leipzig) u.v.a.«, vgl. http://www.betacity.de/mailingliste/2976.html vom 24. März 2007. 55 Unter diesem Schlagwort werden seit ungefähr 1993 schrumpfende Zuschauerzahlen und rückläufige finanzielle Förderungen summiert. Inwiefern es sich um »mehr herbeigeredete […] als reale Krisen« handelt, ist im Nachhinein schwierig abzuschätzen (Rolf Bolwin: »Vorwort Theaterstatistik 1993/94«, in: Deutscher Bühnenverein (Hg.): Theaterstatistik 1993/94, Köln: Deutscher Bühnenverein 1995, S. 3). Zumindest der Deutsche Bühnenverein vermerkt in seiner jährlich veröffentlichten Theaterstatistik seit 1993 bis Ende der neunziger Jahre einen stetigen Publikumsanstieg. 56 Für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg konzipierte er beispielsweise die Reihe go create™ resistance über die Folgen neoliberaler Globalisierung. Beteiligt waren diverse Künstler, Aktivisten und Wissenschaftler. Seit 2008 zeichnet er für das neue Sommertheater-Festival auf Kampnagel verantwortlich.

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Theaterfestivals thal versteht, ist auch eine hippe Volkshochschule oder ein Club mit Fortbildungsmöglichkeit. Typisch dafür ist die ›Mobile Akademie‹«.57

Oder auch solche Programmpunkte wie »›Neue Kriege: Imperialismus reloaded?‹ – Podiumsdiskussion mit Katja Diefenbach und Robert Kurz – danach Cocktails und Musik im Foyer (Eintritt frei).«58 M ETHODEN

DES

F ESTS

Neben reflexiven und diskursiven Elementen ist es immer noch das Moment des Fests, mit dem sich Festivals vom regulären Theater- und Repertoirebetrieb abzuheben versuchen. Darauf, dass sich nicht wenige Festivals durchaus selbst als »Fest der Künste« (RuhrTriennale) bezeichnen und verstehen, ist oben bereits ausführlicher eingegangen worden. An dieser Stelle soll hingegen dargestellt werden, dass die Spuren des Fests im Festival – auch unter zunehmendem Profilierungsdruck und der Suche nach weiteren Einnahmequellen – seit den neunziger Jahren neue ästhetische Formate angenommen haben beziehungsweise wie Festivals durch ihre besonderen Rahmenbedingungen dazu beigetragen haben, dass sich diese neuen Formen entwickelt haben. Verständlicherweise wird das ästhetische Ereignis der Aufführungen intensiver besprochen als das Rahmenprogramm – nichtsdestotrotz sind Feste und festive Programmteile für Festivalbesucher, ob aus privaten oder beruflichen Gründen, oft ebenso anziehend wie die präsentierten Kunstwerke. Keines der oben analysierten Festivals verzichtet auf sie beziehungsweise das, was korrekter als Methoden des Fests zu bezeichnen ist.59 Darunter sind Festivalprogrammpunkte zu verstehen, die Anlass zum Fest geben, also Angebote an das Publikum, die eine festliche Stimmung hervorrufen sollen.60 Ähnlich wie bei den diskursiven Formaten haben sich die Methoden des Fests auf Festivals gerade seit Mitte der neunziger Jahre stark ausdifferenziert. Die Spielarten des Fests bei Festivals werden auf die jeweilige Situation und zumeist entsprechend den Vorlieben der jeweiligen Leitung kombiniert. Darunter lassen sich so unterschiedliche Formate wie Tanzabende verstehen; so genannte Künstlercamps, die speziell für die auf dem Festival anwesenden Künstler errichtet werden (Theater der Welt in Stuttgart 2005); Konzerte populärer Bands; Festessen; Festreden oder auch Merchandisingprodukte. Alle diese Formate verbindet die Idee, einen Höhepunkt im alltäglichen Ablauf zu 57 Matthias Heine: »Berlin feiert das Theater des Jahres«, in: Berliner Morgenpost, 11. September 2004, vgl. http://www.hebbel-am-ufer.de/de/tdj.html vom 02. Februar 2008. 58 »ACT! PRÄSENTIERT – NEUE KRIEGE: IMPERIALISMUS RELOADED!? – PODIUMSDISKUSSION MIT KATJA DIEFENBACH UND ROBERT KURZ«, vgl. http://www.hebbel-am-ufer. de/archiv_de/kuenstler/kuenstler_1883.html vom 22. April 2007. 59 Die auf Festivals anzutreffende Palette an Festivitäten umfasst Feste, die sich selbst genügsam sind, sich nicht einfach erzeugen lassen und der Sinn- und Zweckgebundenheit entbehren – man könnte sie ›echte‹ Feste (vgl. Kapitel »Fest«) nennen – und eben die so genannten »Methoden des Fests«. 60 Hierbei handelt es sich freilich um eine schwierige Gratwanderung, die die Planung des Gesamtfestivals mit der Unplanbarkeit des Fests zusammenzudenken erfordert und Festivals in die Nähe des Events rücken lässt.

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Das operationelle Gerüst

setzen. Nach wie vor ist es bei einigen Festivals Brauch, als Auftakt oder abschließend ein Fest im wortwörtlichen Sinne zu organisieren, um damit den Rahmen des Festivals abzustecken und ein Fanal zu setzen. Festkomponenten ermöglichen außerdem die Abgrenzung zum laufenden Spielbetrieb, wenn Festivals innerhalb eines Theaterhauses situiert sind. Sie setzen das Signal zum Festival. Ob als (S)chill-Out-Party (Internationale Schillertage) oder als großes prestigeträchtiges Ereignis, das die ganze Stadt affiziert wie bei den Wiener Festwochen, die ein rauschendes Tanzfest auf dem Rathausplatz veranstalten – Feste setzen einen klaren Kontrapunkt im Theateralltag und üben im besten Fall darüber hinaus Anziehungskraft auf tendenziell theaterferne Publikumsschichten aus. Gerade das Eröffnungsfest der Wiener Festwochen ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie einerseits Feste durch ihren ritualartigen Charakter die Position des Festivals in der Stadt stärken können; andererseits zeigt es, dass die Methoden des Fests nicht notwendigerweise dem sonstigen künstlerischen Charakter eines Festivals entsprechen müssen. So ist das Programm der heutigen Wiener Festwochen in hohem Maße auf (experimentelles) Theater der Gegenwart ausgerichtet, während ihr Eröffnungsfest traditionell und konservativ gehalten ist. Es zeigt sich hieran, dass Feste auch im Rahmen von Festivals ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen und nicht vollständig vereinnahmbar sind. Ihre Randposition meist zu Anfang oder Ende des Festivals oder zum Abschluss eines Festivaltages markiert diese Sonderstellung und demonstriert, dass ihre Intention zunächst nicht darin besteht, sich in die Abfolge von ästhetischen Ereignissen nahtlos einzureihen. Festliche Momente reklamieren ihren eigenen Bruch im Ablauf. Von diesen explizit als Fest gekennzeichneten Anlässen lassen sich grundsätzlich zwei Arten unterscheiden, Künstlerfeste im internen Rahmen oder Zuschauerfeste für alle Besucher. Beide verfolgen unterschiedliche Ziele. Die für Künstler vorbehaltenen Feierlichkeiten (wie sie etwa die Wiener Festwochen dreimal während des Festivals veranstalten), die nicht öffentlich sind und bei denen der ausgrenzende Zug des Fests in den Vordergrund tritt, sind gewissermaßen Arbeitstreffen. Sie werden vor allem zum Zwecke des gegenseitigen Kennenlernens und Netzwerkens veranstaltet. Diese ›pragmatisch‹ motivierten Feste spielen keine unwesentliche Rolle für das Funktionieren des Festivalbetriebs in einem intern produzierenden und sich reproduzierenden Sinne. Denn festliche Anlässe sollen neue ästhetische Zusammenarbeiten stimulieren und somit auch die Grundlage für nachfolgende Festivals bilden.61 Diese Methode des Fests ist gleichsam auf die Selbsterhaltung des Festivals ausgelegt. Doch sind es vor allem die für die Öffentlichkeit zugänglichen Feste, die das Gesicht eines Festivals ausmachen. Diese zielen hauptsächlich darauf ab, die Identifikation der Gäste mit dem Festival zu befördern und ein Wir-Gefühl zu stärken. Ob Konzerte ein neues Publikum anziehen sollen oder gemeinsame Essen (während der euro-scene Leipzig wurde pro Eintrittskarte eine Portion Suppe spendiert, transeuropa veranstaltete Festessen mit typischen Speisen aus seinen Gastländern) an Familienfeiern erinnern – immer geht es bei festlichen Programmteilen einerseits um die Betonung des Ereignischarakters des Festivals, andererseits um das Evozieren von Ver61 Eine erweiterte Form dieser Art von Festen sind Künstlercamps, wie eines zuletzt bei Theater der Welt in Stuttgart 2005 errichtet wurde. Diese Camps weiten die Zusammenkunft der Künstler über den eigentlich festlichen Rahmen hinaus aus.

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Theaterfestivals

bundenheitsgefühlen. Nicht zuletzt entscheidet sich das Fortbestehen eines Festivals in einer Region über die Fähigkeit, durch festliche Komponenten ein Publikum zu binden und zum wiederholten Besuch zu motivieren. So lässt sich beispielsweise der Erfolg der euro-scene Leipzig stark von dem bis 2005 jährlich, ab 2007 biennal veranstalteten Wettbewerb um das beste deutsche Tanzsolo ableiten, bei dem bei der Verleihung der Preise für die überzeugendsten Arbeiten das Publikum seine Vorlieben artikuliert und sich damit nicht zuletzt auch selbst feiert (vgl. Kapitel »euro-scene Leipzig«). Selbst solch theorieintensive Festivals wie der steirische herbst oder Politik im Freien Theater sind auf Feierlichkeiten angewiesen. Andere festive Elemente sprechen hauptsächlich ein theaterfernes Publikum an und sind darauf hin konzipiert, die Attraktivität des Festivals auch für eigentlich festivalferne Zielgruppen zu erhöhen. Dies geschieht häufig durch Musikveranstaltungen, die mittlerweile wohl den größten Anteil an festiven Rahmenprogrammen für sich beanspruchen können. Doch auch hier wurden bereits Formate entwickelt, die die Kunst des Theaters in das Musikprogramm zumindest ansatzweise einflechten. So fand während des LAOKOON Festivals in Hamburg das Prinzip des »Invite to invite« Anwendung, bei dem die eingeladenen Theaterkünstler Musikgruppen für das Rahmenprogramm vorschlagen konnten.62 Ein weiteres sicher nicht auf den ersten Blick als solches zu identifizierendes festives Element an Festivals sind Merchandisingprodukte, ohne die mittlerweile kein Festival auskommt. Sie werden hauptsächlich verwendet, um ein Festivalimage zu entwickeln. Dennoch zählen sie zu den Anteilen eines Festivals, die feierlich wirken, weil sie im besten Fall ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl forcieren, da sie als Erkennungsmerkmal für alle Festivalteilnehmer fungieren. So gründeten die Internationalen Schillertage 2003 in Mannheim einen eigenen Fanclub FC Schiller mit Ansteckern, Annähern und einem eigens dafür kreierten Corporate Design. Auch transeuropa verkaufte bei zwei Editionen Buttons und Aufnäher mit dem Festivaldesign, ebenso Freischwimmer 2005, das wiederum 2008 mit Brausepulver gefüllte Werbeflyer einsetzte. Auch das Berliner Theatertreffen setzt auf solche Produkte und bietet eine breitere Merchandisingpalette an als üblich (Wimpel, T-Shirts, Kugelschreiber und Schreibblöcke, auch Kurioses wie einen »Original Gretchenzopf einer unbekannten Schauspielerin. Talisman für garantierte Hauptrollen«). Merchandising ersetzt jedoch keinesfalls die gängigeren Formen des Festlichen während des Festivals, denn Merchandisingprodukte verlängern im Grunde das Fest(ival) nur und fallen daher viel eher in den Bereich der Traditionsbildung. Merchandising bedeutet die Erinnerung an das Fest, nicht das Fest an sich, aber es kann Gemeinsamkeitsgefühle, Nostalgie und Kultfaktor generieren. Es transportiert und reaktiviert so die auf dem Festival erfahrene festliche Verbundenheit.63

62 LAOKOON bot meist ein Musikprogramm nahtlos im Anschluss an die Aufführungen an, um die Gäste durch dieses Angebot direkt nach einer Veranstaltung weiterhin an das Haus zu binden. 63 Es ist davon auszugehen, dass Merchandising in dem meist geringen Ausmaß, wie auf Festivals üblich, finanziell nicht lukrativ ist. Wirtschaftliches Kalkül für den Einsatz von Merchandising ist demnach eher zweitrangig.

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Das operationelle Gerüst

Dass das Fest nachhaltigeren Eingang in die ästhetische Produktion selbst gefunden hat, bedeutet wiederum einen qualitativen Veränderungsschritt für den Status des Fests im Festival. Die Methoden des Fests sind nicht mehr nur Bonus, sondern Teil, wenn nicht gar Voraussetzung für das künstlerische Ereignis. Mittlerweile entscheidet der Grad, in dem ein Festival auf spielerische Weise festliche Elemente in den künstlerischen Programmteil integrieren kann, über seine Position in der Festivalszene. Diese Integration findet heute zumeist über eine als traditionell zu bezeichnende Involvierung des Theaterbesuchers/Festteilnehmers statt – über gemeinsame Festumzüge, Festessen und Ähnliches – und wird ergänzt um neue Wege zur Entdeckung des städtischen Lebensraums. Zu den Methoden des Fests gehört bei diesen Projekten noch stärker als bei üblichen Theatersituationen das Publikum als Gegenpart des Künstlers beziehungsweise als Mitgestalter. Inwiefern es gelingt Kontakt zum Publikum herzustellen, ist letztlich die Messlatte, an der sich der Erfolg eines Festivals, das sich dem Fest widmet, ablesen lässt. So verwundert es wenig, dass seit den späten neunziger Jahren verstärkt darauf gesetzt wird, durch Projekte mit dem Publikum und in ihrem jeweiligen Umfeld in Interaktion zu treten. Die hierbei entstehenden ästhetischen Formen sind zwar sehr unterschiedlich, immer aber ist es eine Mischung aus Unterhaltung und intellektueller Projektarbeit, die die Künstler anstreben.64 Somit wird dem Festbedürfnis, das immer auch im Entertainment besteht, Genüge getan und zugleich dem Publikum vermittelt, dass es als Partner verstanden wird. Künstler und Künstlergruppen, die sich in diesem Feld erfolgreich bewegen, sind beispielsweise Rimini Protokoll, die mit diversen Produktionen auf Festivals vertreten waren (System Kirchner beim SPIELART Festival 2001; Deutschland II bei Theater der Welt 2002; Brunswick Airport. Weil der Himmel uns braucht THEATERFORMEN 2004), oder auch die Briten Lone Twin, die mit Projekten wie WALK WITH ME WALK WITH ME WILL SOMEBODY PLEASE WALK WITH ME die Tradition der Festprozession durch die Stadt wiederbeleben. Diese Prozessionen werden aus dem Konzept generiert, sich den städtischen Raum zu eigen zu machen und das Festival als Teil der Stadt zu definieren (vgl. Kapitel »Bezug zum städtischen Raum«). Damit ist nicht nur das Spielen an ungewöhnlichen urbanen Orten gemeint, sondern tatsächlich mobile (Fest-)Prozessionen durch die Stadt durch Stadtführungen und Stadterkundungstouren (etwa das Projekt X-Wohnungen bei Theater der Welt 2002, Ereignis-Expeditionen während THEATERFORMEN 2004, Walks in Progress während des steirischen herbst 2006 oder das Projekt kurz nachdem ich tot war von matthaei & konsorten während Politik im Freien Theater 2008). Diese Tendenz ist allerdings an bestimmte Künstler gebunden, die mit diesen Formaten arbeiten und assoziiert werden. Deutlich wird anhand dieser Beispiele, dass die Methoden des Fests im Festival Produkte des Veranstaltungsorts und integral davon abhängig sind, ob für sie Raum reserviert wird. Die Festivalleitung kann zum Fest beitragen, indem sie gesonderte festliche Elemente konzipiert oder indem sie Raum lässt, der zur Nutzung in jeder Form freigegeben ist. Zwar sind Festzelte (Neue Stücke aus Europa), künstliche Strandlandschaften (Theater der Welt 64 Diese Projekte tragen jedoch auch zur Intellektualisierung und Theoretisierung des Festivals bei, da sie meist ein Nachdenken über Kunst und Gesellschaft anregen wollen – noch stärker als Theateraufführungen selbst.

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Theaterfestivals

2005, Internationale Schillertage 2007) und Cafés zuerst als Orte für das Fest vor und nach dem Theatererlebnis konzipiert, ob sie dafür genutzt werden, ist allerdings eine Frage auch der Akzeptanz durch die potentiell Feiernden. Das Fest sucht sich seinen Raum und das Gespür der Festivalleitung für diesen Raum ist letztlich entscheidend für das Gelingen der festlichen Elemente eines Festivals.

Über das Festival hinaus B EZUG

ZUM STÄDTISCHEN

R AUM

Die Stadtgrenzen sind nach wie vor die Grenzen des Theaterfestivals. Nachdem Festivals vor allem in den siebziger Jahren ihren Ort außerhalb der Stadt gesucht hatten (vgl. Kapitel »Stadtraum«), definieren sich zeitgenössische Festivals deutlich über ihren urbanen Hintergrund und das jeweilige städtische Gefüge. Schließlich ist die Stadt ein sehr spezifischer Impulsgeber und markiert eine der Besonderheiten, durch die jedes Festival sein Profil zu entwickeln und sich von anderen Festivals abzusetzen vermag. Dementsprechend haben zeitgenössische Festivals Wege und Formate entwickelt, die die Verankerung eines Festivals in seiner städtischen Gemeinschaft zur Geltung bringen und diese stärker involvieren (vgl. Kapitel »Bezug zum städtischen Raum«). Publikumsanalysen zeigen einhellig, dass der größte Teil der Besucher immer noch aus der das Festival ausrichtenden Stadt oder der unmittelbaren Umgebung stammt.65 Da die Attraktivität eines Festivals für Besucher nicht durch die ohnehin vorhandene städtische Kulisse als solche gesteigert wird, sind nicht wenige Festivals dazu übergegangen, selbst Kontrapunkte in ihrem urbanen Umfeld zu setzen und mit ihm in eine neue Interaktion zu treten. Dass das städtische Umfeld und der Charakter einer Stadt für das Gelingen eines Festivals ausschlaggebend sein können, zeigen gerade die Beispiele, bei denen versucht wird, das Festival auf zwei oder mehrere Städte aufzuteilen. Dies ist der Fall bei THEATERFORMEN (mit den Städten Braunschweig und Hannover), der Ausgabe 2002 von Theater der Welt (Köln, Bonn, Düsseldorf und Duisburg) sowie der RuhrTriennale (Bochum, Duisburg, Dortmund, Gladbeck, Essen, Bottrop, Gelsenkirchen, Mülheim, Hamm und Wuppertal). Alle genannten Festivals werden dadurch in ihrer Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit eingeschränkt, dass sie dem grundsätzlichen Festivalprinzip der Zentrierung zuwiderlaufen. In der Aufteilung auf mehrere Städte verlieren Festivals ihr Zentrum, ihren Fokus und opfern damit auch ihre aufmerksamkeitsbündelnde Qualität. Wie problematisch die Verbindung 65 Das zeigen festivalübergreifend die Publikumsanalysen der euro-scene Leipzig von 1996, 1999 und 2006, von Kampnagel Hamburg (vgl. J. Reichel, Kampnagel Hamburg – Veranstaltungszentrum oder Theaterforum?) und von Politik im Freien Theater 1999 (vgl. »Veranstaltungsdokumentation [Oktober/November 2002] zum 5. Festival Politik im Freien Theater. Besucher- und Besucherinnenbefragung 2002 in Hamburg«, vgl. http://www.bpb.de/veranstaltungen/KB0QN2,0,5_Festival_Politik_im_Freien_ Theater.html vom 22. April 2007).

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Das operationelle Gerüst

zwischen urbanem Raum und Festivals sein kann, zeigen gerade jene Festivals, die nicht dauerhaft über diesen Raum verfügen. Wandernde Festivals wie Theater der Welt und Politik im Freien Theater müssen immer wieder neu mit ihrer Gastgeberstadt umzugehen lernen und sich dort etablieren. Dass das Gelingen des gesamten Festivals entscheidend von der Akzeptanz der Stadtbewohner abhängt, verdeutlichen insbesondere einige der Ausgaben dieser Festivals. (Die Ausgabe von Theater der Welt in Dresden 1996 findet beispielsweise kaum Anklang bei den Dresdnern und kann nur eine geringe Platzauslastung vorweisen.66 Ebenso ergeht es Theater der Welt 2005 in Berlin.) Doch die Verknüpfung von Stadt und Festival ist nicht nur problematisch, sondern birgt auch insofern veritable Chancen für den urbanen Raum wie für das Festival, als sich beide Seiten gegenseitig bereichern können. Hierfür haben sich in den letzten Jahren verschiedene Arten der Intervention herausgebildet. Die einfachste (und älteste der urbanen) Interaktionsform besteht in der Auslagerung von eingeladenen Aufführungen an Orte in der Stadt und somit der Belebung der Stadt durch ihre außergewöhnliche Nutzung. Deklariert wird diese Praxis zumeist als Präsentation an »ungewöhnlichen Orten in der Stadt« und ist seit Ende der neunziger Jahre ein Festivalstandard. Hierzu gehören auch die Methoden des Fests wie Prozessionen durch die Stadt in Form von Ereignis-Expeditionen oder Walking-Performances. Andere Wege, sich im urbanen Raum zu etablieren, sind das Eingreifen in das Stadtbild durch das Errichten einer markanten Festivalarchitektur (eine aufblasbare Installation der Architects of Air beim LAOKOON Festival 2006; Skulpturen von Dresdner Bürgern in der Fußgängerzone während Theater der Welt 1996; riesige rote Treppen bei den THEATERFORMEN 2002). Das Festivalzentrum als Ort für Diskussionen, Feiern und andere Programmpunkte hat als architektonische Intervention eine Sonderstellung inne (so bei Theater der Welt 2005 die so genannten Hafenbars am Teich des Stuttgarter Stadtparks; das Bretterbudendorf bei Theater der Welt 1996; Cafés in leerstehenden Gebäuden wie beim transeuropa Festival). Die zuvor üblichen Zelte als Orte der Begegnung werden zunehmend abgelöst durch diese spektakulären temporären Architekturen, die ob ihrer Vergänglichkeit den Interventionscharakter eines Festivals unterstreichen. Am gefragtesten sind gegenwärtig allerdings Projekte, bei denen die Einwohner selbst zum aktiven Teilnehmer werden: Rimini Protokolls Projekt Deutschland II im leeren Bundestagsgebäude in Bonn während Theater der Welt 2002 oder X-Wohnungen während des gleichen Festivals; Ereignis-Expeditionen oder das musikalische Projekt Into the City der Wiener Festwochen in Cafés der Stadt – alle diese Projekte teilen das Potential der Irritation der Stadtbewohner, die absichtlich oder zufällig dem Ereignis beiwohnen. Festivals zeichnen sich durch die besondere Chance aus, durch ihren Ereignis- und Interventionscharakter den einheimischen Besuchern ihre Stadt aus neuen Perspektiven näherzubringen. Diese Praxis lässt sich auch als indirekte Diskursivierung beschreiben (vgl. Kapitel »Diskurs«), der Umgang mit der Stadt wird zur Theoretisierung der Stadt, was darauf hinweist, dass das Interesse von Festivals an ihrer Stadt nicht allein auf rein pragmatischen und 66 Vgl. Franz Wille: »Mit der Gießkanne im Regen stehen. Eine kleine Pflanzenkunde vom ›Theater der Welt‹ in Dresden«, in: Theaterheute 36 (1996), Heft 8, S. 16-23.

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Theaterfestivals

marketingtechnischen Überlegungen basiert, sondern auch ästhetischer Natur ist. Die Auseinandersetzung mit Fragen der Urbanität gerät sogar seit Ende der neunziger Jahre zu einem der bevorzugten Themen der Künstler, die mit städtischen Projekten die Grenzen des Theaters befragen, »sei es im Rekurs auf ihre Umgebung, durch den Auszug aus dem Theater in den städtischen Raum oder durch den Versuch, das Theater insgesamt als Spielort zu gebrauchen und auch die Zuschauer in Bewegung zu setzen, auf einen Parcours zu schicken. Als temporäre Aneignung öffentlicher Räume ist Gehen zum Modell für eine veränderte Auffassung von Theater geworden, wie 1997 die Reihe ›Theaterskizzen‹ bei der documenta X in Kassel gezeigt hat.«67

Theaterfestivals haben seit den Neunzigern entscheidend zur Entwicklung dieser ästhetischen Formen beigetragen, da sie als außergewöhnliche Ereignisse mit eigenen Rahmenbedingungen dazu neigen, den Rahmen der Institution Theater zu verlassen – die Vereinnahmung des urbanen Raums entspricht also den Prämissen des Festivalmodells und prägt so folgerichtig immer stärker einzelne Festivalprofile. In den siebziger Jahren lag das Hauptaugenmerk der Festivalproduzenten auf der Präsentation internationaler Künstler – diese in einem in gewisser Weise wertfreien und uncharakteristischen Ort wie kleineren Provinzstädten zu präsentieren, machte also durchaus Sinn, da sie dort konkurrenzlos blieben. Nachdem einige Festivals jedoch Ende der Neunziger begannen, sich wieder für deutsche Produktionen und Künstler zu interessieren, stand auch der Rückkehr in die urbanen Räume nichts mehr entgegen. Diese Neuorientierung basierte auch darauf, dass auf die Gesamtheit Europas gesehen eine Zielkorrektur vorgenommen wurde. Nach der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht 1992 wird zunehmend deutlich, dass die Komplikationen bei Kompromissfindungen innerhalb der EU einem schnellen Zusammenwachsen Europas stärker entgegenstehen werden als ursprünglich angenommen. Desillusionierend wirken außerdem die Ablehnung der EU bei mehreren Verfassungsreferenden 2005 und ihr weiterhin bestehendes Demokratiedefizit. Nach der überschwänglichen Zelebrierung des interkulturellen Dialogs (vgl. Kapitel »Transräume«) stellte sich im Zuge der allmählichen Ernüchterung ein Anerkennen der eigenen Grenzen ein, das sich auch auf den urbanen Raum bezieht. Konzepte wie die Globalisierung sind dem Konzept der »Glokalisierung« gewichen, das verdeutlicht, dass weder Individuen noch Institutionen, noch Kunst je ihren lokalen Hintergrund hinter sich lassen können und ihre Beziehung zum internationalen Raum stets aus ihrem ursprünglichen Kontext ableiten müssen.68 Festivals als Spiegel ihrer Gesellschaft reagieren auf diese veränderte Situation und ziehen ihre eigenen Schlüsse für Programmierung und gestalterische Konzepte. Grenzen werden heute weniger als Beschränkungen denn als produktive Herausforderungen begriffen, mit denen man sich in den oben genannten speziellen Projekten und flexiblen 67 Patrick Primavesi: »Weiter gehen«, in: steirischer herbst SH-Kulturveranstaltungs GmbH (Hg.), herbst. Theorie zur Praxis, Graz 2006, S. 92. 68 Vgl. Annette Grigoleit: »Europa im Museum. Zur sozialen Konstruktion transnationaler Identität«, in: Merz-Benz/Wagner (Hg.), Kultur in Zeiten der Globalisierung (2005), S. 171ff.

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Produktionsformen auseinanderzusetzen versucht. Es ist diese produktive Einstellung gegenüber dem urbanen Raum, die Festivals für eine Stadt weit wichtiger macht, als es durch wirtschaftliche Erhebungen der Umwegrentabilität zu ermessen wäre (vgl. Kapitel »Festival als Bühne und soziales Setting«). V ERHÄLTNIS

ZUM

N ACHWUCHS

Der oberflächlich positiv besetzte Begriff Nachwuchsförderung wirft im Festivalkontext mehrere heikle Fragen auf, die von Festival zu Festival unterschiedlich beantwortet werden und dementsprechend auf die Defizite oder Vorzüge der Idee von Nachwuchsförderung aufmerksam machen. Die Entwicklung von Theaterfestivals in Deutschland hat verschiedene Formen und Grade von Nachwuchsförderung gezeitigt und die Vielfalt dieser Optionen ist mittlerweile sehr differenziert. Während lange Zeit und im Besonderen vor den neunziger Jahren nur einzelne Festivals wie der Heidelberger Stückemarkt ihr Profil über Nachwuchsförderung definierten, haben diesbezüglich seit Mitte der neunziger Jahre der Wandel der Erwartungen an das Theater selbst sowie die vermehrten Impulse aus der Freien Szene Veränderungen in der Festivallandschaft bewirkt. Gegenwärtig ist hier Nachwuchsförderung nicht mehr wegzudenken.69 Grundsätzlich lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden. Erstens diejenigen Festivals, die sich auf den Nachwuchs und seine Förderung spezialisiert haben und deren Programmgestaltung auf diesen einen Themenschwerpunkt (vgl. Kapitel »Schwerpunkte«) ausgerichtet sind. Zu diesen expliziten Nachwuchsfestivals zählen das F.I.N.D. Festival der Berliner Schaubühne, das mittlerweile (zumindest in Deutschland) inaktive Junge Hunde Festival mit seinem Hauptinitiator Res Bosshart, das auf einem gleichnamigen Netzwerk von Theaterkünstlern basiert, oder das 2004 gegründete Freischwimmer Festival für die Freie Theaterszene. Diese expliziten Festivals der Nachwuchsentdeckung, zu denen im Bereich der Förderung neuer Dramatik auch der Heidelberger Stückemarkt, die Autorentheatertage in Hamburg (früher Hannover) und die Mühlheimer Theatertage zählen, basieren auf dem Prinzip der Ausschreibung. Zweitens finden sich (immer mehr) Festivals, die Nachwuchsförderung in ihr Rahmenprogramm integrieren und somit am Rande ihres sonstigen Programms veranstalten. Zumeist findet diese Förderung im Rahmen von ausgeschriebenen Workshops, Seminaren oder unter der Bezeichnung Forum statt, die während des Festivals angeboten werden. Vorreiter für diese Praxis sind etwa die Schillertage mit ihrem Stipendiatenprogramm für theaterwissenschaftliche und praktische Seminare, die THEA69 An dieser Stelle seien nur einige wenige Festivals mit Fördercharakter aufgeführt: Neue Stücke aus Europa: Workshops und Preisverleihung; transeuropa: Residencies und eigene studentische Projekte; Berliner Theatertreffen: Forum junger Bühnenangehöriger, Stückemarkt, Festivalzeitung; Internationale Schillertage Mannheim: seit Beginn Seminarprogramm für Studierende; THEATERFORMEN Braunschweig/ Hannover: Theaterwerkstatt; Wiener Festwochen: ff forumfestwochen. Festivals mit Schwerpunkt auf Förderung: F.I.N.D. Festival (Berlin), Freischwimmer (Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Wien), Junge Hunde, ARENA (Erlangen), Diskurs (Gießen), Heidelberger Stückemarkt, Mühlheimer Theatertage, Autorentheatertage (Hamburg).

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TERFORMEN mit ihrer 2007 eingeführten Internationalen Theaterwerkstatt oder auch der Heidelberger Stückemarkt mit seinem Forum junge Regie. Ein weiteres grundsätzliches Unterscheidungskriterium bei der Förderung von neuen Künstlern ist die Form ihrer Organisation. Die Spannbreite liegt hierbei zwischen dem Anspruch, während des Festivals selbst in Workshops neue und unbekannte Talente zu entdecken (wie etwa bei Neue Stücke aus Europa), und der üblicheren Form, neue aber bereits aktive junge Künstler durch die Präsentation ihrer Arbeiten im Rahmen eines Festivals im Theater- und Festivalbetrieb zu etablieren. Beide Sichtweisen auf den Theaternachwuchs sind von der Ambition geprägt, Neues als erstes Festival zu präsentieren. Gleichgültig, ob die Festivalmacher selbst oder eigens für Workshops angestellte Fachkundige die Auswahl des zu fördernden Nachwuchses treffen – es geht um das Prestige des Entdeckers und Förderers. Entgegengesetzt wiederum verhält es sich freilich bei Festivals wie transeuropa (Hildesheim), Diskurs (Gießen) oder ARENA (Erlangen). Hier organisiert sich der Nachwuchs selbst, macht sich zum Thema und verschafft sich durch die Organisationsform Theaterfestival Gehör und Aufmerksamkeit. Diese Festivals, die zumeist im Rahmen wissenschaftlich-pädagogischer Institutionen verortet sind, überlassen die Beurteilung junger Künstler und neuer Konzepte keinen Außenstehenden, sondern generieren ihre eigenen Kriterien und bieten dementsprechend eine Plattform für ihresgleichen. Hinzu kommt ein drittes Kriterium, das vor allem nach 1989 und seit dem Bedeutungszuwachs der EU an Relevanz gewinnt. Gemeint ist die Herkunft des zu fördernden Nachwuchses. Trotzdem sich zunehmend absehen lässt, dass sich sowohl die expliziten Förderfestivals als auch die auf Präsentation ausgerichteten Festivals für internationale junge Künstler öffnen, ist damit keine grenzenlose Förderung gemeint. Denn die Auswahlkriterien darüber, wer gefördert werden soll, determinieren die Verantwortung, aber auch die Entscheidungshoheit, die ein Festival mit Fördercharakter für sich beansprucht. So ernennt etwa der Heidelberger Stückemarkt, vormals ein Festival ausschließlich für deutschsprachige neue Dramatik, seit 2001 jeweils ein europäisches Gastland, aus dem ebenfalls junge Autoren teilnehmen können. Die Herkunft eines Nachwuchskünstlers kann so unter Umständen seine tatsächliche künstlerische Leistung überdecken beziehungsweise seinen Erfolg befördern oder behindern.70 Allein anhand dieser drei Kriterien lässt sich bereits ermessen, wie komplex das Thema der Nachwuchsförderung im Festivalrahmen ist.71 Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass der gesamte Bereich der Nachwuchsförderung beziehungsweise der Entdeckung des Nachwuchses im verschärften Konkurrenzkampf der Festivals untereinander ein bedeutender Faktor ist.

70 »Der Wettbewerb ist geöffnet für Einreichungen von Theatertexten durch Theaterverlage aus dem deutschsprachigen Raum sowie Theaterverlage des Gastlandes, das nationale Kulturinstitut des Gastlandes, staatliche Ausbildungsstellen für Szenisches Schreiben sowie den jeweiligen Gastland-Scout des Heidelberger Stückemarkts.« In: »Ausschreibungskriterien Heidelberger Stückemarkt 2007«, vgl. http://www. theaterheidelberg.de/servlet/PB/menu/1156390_l1/index.html vom 22. April 2007. 71 Abgesehen von der Schwierigkeit, die sich bereits bei der Festlegung dessen ergibt, wer zum Nachwuchs zählt und wie dieser gefördert werden sollte.

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Zwar finden sich nach wie vor Förderer, die sich im Hintergrund engagieren, wie das SPIELART Festival, das durch die enge Zusammenarbeit mit der ortsansässigen Theaterwissenschaft in Seminaren die Praxis des Festivalkuratierens vermittelt und seit 2005 durch eine eigene Festivalzeitung dem schreibenden Nachwuchs Raum zur Erprobung gibt. Viel populärer ist allerdings die werbeträchtige Förderung durch ausgeschriebene Workshops und Foren. Die Tradition dieser Formate reicht bis in die sechziger Jahre zurück, wobei auch hier das Berliner Theatertreffen die Vorreiterrolle für sich beanspruchen kann. Es etablierte bereits 1965 das so genannte Internationale Forum junger Bühnenangehöriger, das sich zu Beginn hauptsächlich als Diskussionsforum gestaltete. Progressiver waren bereits 1979 bei ihrer Gründung die Internationalen Schillertage, indem sie die Förderung des (überwiegend) theaterwissenschaftlichen Nachwuchses in Seminaren zu einer ihrer tragenden Säule erklärten. Das gemeinsame Merkmal dieser Art von Nachwuchsworkshops ist ihre Abgeschlossenheit. Sie werden in der Regel von eigens dafür vorgesehenen Kuratoren gestaltet und zusammengestellt beziehungsweise Jurys treffen die Auswahl der Bewerber. Es zeigt sich hier das Bedürfnis von Festivals, Eliten herauszubilden. Das Prinzip der ›Leistungsschau‹, das immer noch einige Festivals verfolgen, findet auf der Ebene der zukünftigen Theatergeneration seine Fortsetzung, auch wenn das Konzept der Elite offenkundige Einseitigkeiten birgt, die dadurch verstärkt werden, dass die Kriterien für die Auswahl des als förderungswürdig befundenen Nachwuchses durch Workshopleiter und die Jurys der zu vergebenden Preise zumeist nicht transparent sind. Hauptsächlich wird immer noch der eher konventionelle Texttheaterbetrieb gefördert. Neuere Dramatik steht gegenwärtig im Fokus, besonders bei Festivals wie Neue Stücke aus Europa und F.I.N.D., den Autorentheatertagen in Hamburg (seit 2001), beim Heidelberger Stückemarkt und dem Stückemarkt des Berliner Theatertreffens.72 Es hat über die Jahrzehnte jedoch Verschiebungen in der Förderzielgruppe gegeben, vor allem in Bezug auf Nachwuchsförderung von Kritikern und Wissenschaftlern sind Ende der neunziger Jahre neue Impulse zu verzeichnen. So organisieren sich einerseits seit Mitte der neunziger Jahre Theaterwissenschaftler selbst (siehe die bereits erwähnten Festivals im Rahmen von Theaterwissenschaftsstudiengängen in Hildesheim, Gießen und Erlangen), andererseits werden ungefähr zum gleichen Zeitpunkt Nachwuchskritiker verstärkt in den Blick genommen. Ihre Förderung erfolgt hauptsächlich durch Festivalzeitungen, wie sie nicht nur transeuropa, die Internationalen Schillertage und das Theatertreffen vorweisen können. Es lässt sich also bei der Förderung eine Verschiebung zugunsten derjenigen bemerken, die Theater reflektieren (– nicht zuletzt wohl auch deswegen, weil sich die Freie Szene mittlerweile so gut organisiert hat, dass sie auch ohne Hilfe von Theaterhäusern und Festivals Talente durchzusetzen vermag.) Abgesehen von den aufgeführten Differenzen ist allen Fördermaßnahmen im Grunde die Absicht der Festivalproduzenten gemeinsam, die Reputation 72 Interessant ist dies vor allem deshalb, da Festivals lange Zeit vorgeworfen wurde, sie zeigten nur Inszenierungen mit hohem gestischem, musikalischem und tänzerischem Anteil, um die auf internationalen Festivals vorhandenen ›Sprachbarrieren‹ zu umgehen.

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des Festivals als innovative Talentschmiede zu befördern. Festivals demonstrieren durch Nachwuchsförderung, dass sie am Puls der Zeit sind und dass ihre Kuratoren als ›Scouts‹ Gespür für Qualität und Trends haben. Schließlich gelten Jungstars, die über das Festival, in dem sie entdeckt wurden, hinaus bekannt werden, auch als Aushängeschild für ihre Entdecker. Damit verfolgen nicht wenige Festivals die Absicht, sich für Sponsoren attraktiver zu machen und die Aufmerksamkeit der Zuschauer und Medien auf sich zu lenken. Besonders Wettbewerbe und Preisverleihungen bieten sich hierfür an. So ist der traditionsreiche Heidelberger Stückemarkt als Wettbewerb73 konzipiert und Festivals neueren Gründungsdatums wie Neue Stücke aus Europa bieten nicht nur Workshops für Autoren und Übersetzer an, sondern kombinieren die Verleihung eines Preises74 mit der Präsentation der während des Workshops entstandenen Texte.75 So profitiert ein Festival von Nachwuchsförderung auch in Form eines zusätzlichen werbewirksamen Ereignisses: der Präsentation der für das Festival produzierten Workshopresultate. Dass das Generieren von Karrieren immer stärker als Subventionsargument fungiert und Nachwuchsförderung als pädagogische Maßnahme legitimierende Kraft entfalten soll, lässt sich auch daran ablesen, dass Festivals mit ihrer Nachwuchsförderung seit Anfang des 21. Jahrhunderts intensiver an die Öffentlichkeit herantreten. So wird eine Institution wie das Internationale Forum junger Bühnenangehöriger des Berliner Theatertreffens, das jahrzehntelang nicht in das Licht der Öffentlichkeit getreten war, zum neuen Anziehungspunkt erklärt und durch weitere Förderelemente bereichert (nicht nur wurde der Stückemarkt 2003 für internationale Autoren geöffnet, seit 2005 gibt es auch ein Forum für Jungjournalisten). Nachwuchsförderung ist also auch immer ein selbstzentrierter Akt, gleichgültig ob es sich um die werbekräftige Präsentation von Jungstars oder die Herausbildung einer Elite von Theaterkritikern handelt. Nachwuchsförderung bei Festivals wird nicht nur durch ihre Instrumentalisierung zu einem bedenklichen Unternehmen. Gerade bei Festivals, die nicht hauptsächlich auf Nachwuchsförderung ausgerichtet sind, bleibt zweifelhaft, wem mit der Entdeckung und Förderung neuer Ta73 »Im Forum junger Autoren, das in diesem Jahr seinen elften Geburtstag feiert, wetteifern sechs deutschsprachige Autoren um den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarktes 06, den neuen Innovationspreis sowie den Publikumspreis, der nun Preis des Freundeskreises heißt.« In: »Heidelberger Stückemarkt 06. Das Uraufführungsfestival und Forum junger Autoren 3.–14. Mai 2006«, vgl. http://www. theaterheidelberg.de/servlet/PB/menu/1155943/index.html vom 22. April 2007. 74 »NEUE STÜCKE AUS EUROPA ist das einzige internationale Autorenfestival, das immer auch die Arbeit der Übersetzer gewürdigt hat und einen Preis für die beste Übersetzung des Festivals vergibt.« In: »Geschichte der Biennale NEUE STÜCKE AUS EUROPA THEATERBIENNALE des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden 15.–25. Juni 2006«, vgl. http://new.heimat.de/staatstheaterwiesbaden/biennale/home/geschichte.php?id_lan guage=1 vom 21. Mai 2008. 75 »Das FORUM JUNGER AUTOREN EUROPAS bietet 20 jungen Dramatikern aus ganz Europa Gelegenheit, in einem englisch- oder deutschsprachigen Workshop zu arbeiten, die zum Festival eingeladenen Produktionen zu besuchen, Ideen und Erfahrungen mit anderen Autoren auszutauschen und an zahlreichen Diskussionen teilzunehmen. […] Die Ergebnisse des FORUMS werden der Öffentlichkeit am 21. Juni 2008 vorgestellt.« Ebd.

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lente und Hoffnungsträger hauptsächlich gedient ist – dem Festival oder den Künstlern. Schließlich ist diese Art von Förderung überlebenswichtig für die Theaterszene selbst und dazu ein Mittel, um das System Festival zu perpetuieren und aufrechtzuerhalten. Nachwuchsförderung ist folglich im Kern konservativ, nicht innovativ. Diese immanente Widersprüchlichkeit hat Folgen für Nachwuchskünstler, die sich in einem vielfältigen Abhängigkeitsverhältnis zu den fördernden Festivals befinden. Erstens profitieren geförderte Gruppen davon, dass Festivals geradezu prädestiniert sind, um neuen Künstlern ein neues und zahlreiches Publikum zu sichern, das durch Interesse am allgemeinen Programm ›zufällig‹ auf neue Künstler stößt, was im regulären Repertoirebetrieb unwahrscheinlicher wäre. Schwierig an dieser Situation ist, dass zwangsläufig auch die Produktionen der Newcomer auf Festivals mit denen bereits etablierter Gruppen verglichen werden – wenngleich darin zweifellos auch eine Chancen bestehen mag. Für Künstler aber, die gerade im Begriff sind, eine eigene Sprache zu finden und sich ästhetisch zu entwickeln, können diese (unangemessenen) Vergleiche plötzlichen Ruhm ebenso wie das berufliche Aus bedeuten. Diese Gefahr erkennend, versucht das Modell des reisenden Festivals, wie es etwa Freischwimmer und Junge Hunde vertreten, junge Künstler an mehreren Theaterhäusern vorzustellen. Da die Performances jedoch nur an jeweils einem Haus erarbeitet und betreut werden, kann der Theaternachwuchs in einem relativ geschützten Produktionsrahmen experimentieren und sich ob dieser Geschütztheit auch Fehlentscheidungen leisten. Insofern werden bei Festivals wie Freischwimmer etwaige Fehler weniger stark sanktioniert als im üblichen Festivalrahmen, in dem, wer einmal von Kritik und Öffentlichkeit nicht sofort gebilligt wird, selten eine weitere Chance erhält.76 Zweitens scheinen auch Workshops nicht wirklich geeignet, einen geschützten Raum für freie Entfaltung zu bieten, da auch hier zumeist das Prinzip des Wettbewerbs zwischen den Workshopteilnehmern dominiert. Hilfreicher scheint ein überschaubarer Arbeitszusammenhang, der den Vergleich zwischen verschiedenen Theatergruppen erlaubt, aber genügend Raum für die eigene und selbstständige Weiterentwicklung gibt. Außerdem gereichen die Bündelung von Aufmerksamkeit und die erhöhte Kritikerdichte während eines Festivals nicht notwendigerweise zum Vorteil eines noch nicht durchgesetzten Künstlers oder einer Gruppe. Vor allem dadurch, dass Festivals nicht selten explizit durch ihre Nachwuchsförderung den Gedanken einer kulturellen Elite perpetuieren, wirken sie als Meinungsmacher und stilbildende Foren, die damit zugleich wesentlichen Einfluss auf die ästhetischen Entwicklungen in der Theaterszene – ganz abgesehen von Einzelkarrieren – ausüben können. Die Verantwortung gegenüber dem Nachwuchs ist also von Festivals nicht en passant zu übernehmen und noch viel weniger ein reines Zusatzangebot, das das Zuschauerinteresse weckt.

76 Dass der Nachwuchs von Festivals mit breitem thematischem Spektrum (also nicht expliziten Nachwuchsfestivals) nachhaltig gefördert wird, gilt oft nur für jene Gruppen, die nicht allzu deutlich aus dem Tenor des restlichen Programms fallen. Damit bleiben diese Festivals hinter ihrem eigenen Anspruch, Neues zu fördern, zurück, wenn das Widerständige, das aus dem Rahmen Fallende, letztlich keinen Platz findet.

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T RADITIONSBILDUNG

UND

D OKUMENTATION

Traditionsbildung ist notwendig für jedes Festival, das längerfristig erfolgreich bleiben und sein Publikum an sich binden will. Es geht hierbei um das beschränkte Gedächtnis der Besucher, das es zu mobilisieren gilt, da ein Festival, das in seiner Veranstaltungspause aus dem Blick der Öffentlichkeit gerät und damit meist nur wenig für seine Außenwirkung tun kann, vor allem auf loyale Besucher angewiesen ist. Traditionsbildung erfolgt primär durch Dokumentation. Hierfür eigenen sich Publikationen, Archive und ähnliche Sammlungen. Ein aufmerksamer Umgang der Mitarbeiter mit erhaltenswerten Dokumenten und ›Relikten‹ ist hierfür die Basis. Aus diesem Grund – und auch weil es aus Prestigegründen notwendig scheint – liegen zumindest von den großen und traditionsreichsten Festivals Publikationen zu ihren Jubiläen vor, in denen in der Regel die Entwicklung des Festivals in zusammenfassenden Beiträgen und übergreifenden Essays reflektiert und kontextualisiert wird und außerdem historische Dokumente wie Plakate, Probenfotos und Eröffnungsreden zusammengetragen werden. Von den Wiener Festwochen beispielsweise liegen bis dato drei größere Publikationen vor,77 vom Berliner Theatertreffen beziehungsweise den Berliner Festwochen als dessen Trägerinstitution ebenfalls drei.78 Angesichts der geringen Anzahl an Beispielen wird allerdings deutlich, dass Festivals sich erst seit einigen Jahren intensiv um eine schriftliche und publizierbare Dokumentation bemühen. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass zumindest die prestigeträchtigen und gut situierten Festivals ihrer permanenten Dokumentation lange Zeit wenig Bedeutung beigemessen haben.79 Diese Gedächtnislücke findet sich weniger bei Festivals seit den neunziger Jahren und vor allem nicht bei Festivals, die konzeptionell eher wissenschaftlich-diskursiv und interdisziplinär (vgl. Kapitel »Interdisziplinarität«) ausgerichtet sind.80 Die Bedeutung, die Dokumentationen beigemessen wird, scheint sich proportional zu den diskursiven Elementen des Festivalprogramms zu verhalten und so 77 Wiener Festwochen (Hg.): Almanach der Wiener Festwochen 1969, Wien: Verlag für Jugend und Volk 1969; dies. (Hg.): Wiener Festwochen 1992–1996. 5 Jahre europäische Theaterarbeit, Wien: Wiener Festwochen 1996.; dies. (Hg.): Wiener Festwochen 1951–2001. Ein Festival zwischen Präsentation und Irritation, Wien: Residenz Verlag 2001. 78 Berliner Festspiele (Hg.): Die Berliner Festwochen 1951–1997. Eine kommentierte Chronik, Berlin: Berliner Festspiele 1998; dies. (Hg.): 50 Jahre Berliner Festwochen. Eine kommentierte Chronik 1951–2000, Berlin: Berliner Festspiele 2000; Ulrich Eckhardt/Börries von Liebermann (Hg.): 25 Jahre Theatertreffen Berlin 1964–1988, Berlin: Argon-Verlag 1988. 79 Bestes Beispiel für mangelnde Dokumentation ist Theater der Welt, von dem – von zusammenfassenden Publikationen ganz abgesehen – bisher wesentlich weniger Materialien archiviert worden sind, als man in Anbetracht seines Status vermuten würde. Erst seit 2008 wird ein Online-Archiv aufgebaut, das die Programme des Festivals von 1981 bis 2005 zugänglich macht. 80 Hierzu zählen transeuropa, die euro-scene Leipzig, Politik im Freien Theater, aber auch der steirische herbst, für deren Einzelausgaben entweder umfassende Archive angelegt werden oder durch Publikationen öffentlichkeitswirksam dokumentiert worden sind.

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neigen Festivals mit hohem diskursivem Anteil dazu, die Resultate dieser Programmbestandteile schriftlich zu fixieren und zugänglich zu machen. Das Münchner SPIELART Festival stellt seinen einzelnen Festivaleditionen nicht nur Publikationen voran, sondern veröffentlicht auch die Ergebnisse und Gesprächsprotokolle von Symposien und Podiumsdiskussionen in einzelnen Publikationen. Politik im Freien Theater, das konzeptionell einem gesellschaftswissenschaftlichen Festival im engeren Sinne am nächsten kommt, hat zu fast allen Ausgaben ausführliche Publikationen veröffentlicht. Gerade dieses Festival ist wegen seines hohen sozialwissenschaftlichen Anteils nicht nur prädestiniert für eine erhöhte Dokumentationsbereitschaft, seine Fundierung in einer politisch-wissenschaftlichen Institution ist auch die Grundlage für seine dokumentarische Aufarbeitung, da innerhalb der institutionellen Strukturen entsprechend ausgebildetes Personal beschäftigt ist. Ähnlich verhält es sich mit Festivals, die aus einem universitären Kontext stammen und deren Macher, wie im Fall des transeuropa Festivals, des ARENA- oder des Diskurs Festivals, bereits aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ausbildung der Datensicherung hohe Priorität beimessen. Solche Festivals verstehen Traditionsbildung und Dokumentation als integralen Teil ihrer Arbeit. Aber auch Festivals wie der steirische herbst mit deutlichem Schwerpunkt auf interdisziplinärer Arbeit legen Wert auf eine umfassende Aufbereitung ihrer Einzelausgaben. Die Konservierung und archivarische Aufarbeitung der Festivalarbeit ermöglicht nicht nur die Erforschung eines Festivals und seiner Geschichte durch die Wissenschaft, sondern erleichtert den Festivalverantwortlichen selbst den Vergleich mit vorherigen Editionen und damit Kontextualisierung, Abgrenzung und Neuorientierung. Wichtig ist dieses Potential vor allem für die Programmgestaltung, da wenig ein Publikum enger an ein Festival bindet als Programmpunkte, die regelmäßig wiederkehren und somit verlässliche Höhepunkte in einem Theaterjahr darstellen. Da Festivals in regelmäßigem Turnus stattfinden, kann über solche Programmteile ein Wiedererkennungsund Identifikationsmoment begründet werden, das viele andere Freizeitformate entbehren. Tradition bedeutet aus der Sicht des Publikums Verlässlichkeit und die Vorfreude auf ein ersehntes Ereignis. Schließlich basiert das Gesamtereignis Festival auf seiner regelmäßigen Wiederkehr zu einem festgelegten – traditionellen – Zeitpunkt im Theaterjahr. Ein gutes Beispiel hierfür ist der seit 1997 regelmäßig veranstaltete Wettbewerb um das beste deutsche Tanzsolo der euro-scene Leipzig, bei dem junge Tänzer selbst erarbeitete Choreographien präsentieren, aus denen eine Jury sowie das Publikum Gewinner kürt. Auch der Dramatikersalon oder der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens fungieren als gesonderte Attraktionen und Motivation für ein speziell interessiertes Publikum und gestatten es dem Theatertreffen, eigene Traditionslinien herauszuarbeiten. Sie werden zum Markenzeichen des betreffenden Festivals. Dazu zählen auch Vorstellungen im Rahmenprogramm wie etwa Konzertreihen oder auch Partys von bekannten DJs, die ein größtenteils jugendliches Publikum ansprechen und, wenn sie wiederholt werden, eine Tradition eigener Art darstellen. In diese Richtung zielen auch Attraktionen wie etwa der Transport zum Festivalgebäude durch einen

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Dampfer beim Hamburger LAOKOON Festival, der auch heute bei dessen Nachfolgefestival angeboten wird.81 Wie die genannten Beispiele verdeutlichen, tragen traditionsreiche und traditionsevozierende Programmpunkte deutlich festive Züge, sie haben meist partizipatorischen und das Publikum integrierenden Charakter. Festive Elemente sind in höchstem Maße traditionswirksam. So beziehen etwa die Wiener Festwochen ihren (repräsentativen Sonder-)Status auch aus der Fortsetzung der Tradition des Fests vor öffentlichen Gebäuden wie Rathäusern und Kirchen, die noch aus der Zeit der Salzburger Festspiele stammt. Gemeint ist das Tanzfest vor dem Wiener Rathaus, das stets durch eine Eröffnungsrede des Bürgermeisters und eine eigens komponierte Fanfare eröffnet wird.82 Dieses motiviert die Bürger der Stadt, die nicht zwangsläufig Produktionen während der Festwochen besuchen, zur Teilnahme und erreicht damit Publikumswirksamkeit über den Kreis der Besucher des Festivals hinaus. Ebenso zählt die Verleihung von Preisen als medienwirksame und aufmerksamkeitserregende Maßnahme zu dieser Kategorie. Auch dezidierte Marketingmaßnahmen können traditionsbildend wirken. So vermag ein Corporate Design, das das Festival über längere Zeit begleitet, den Wiedererkennungs- und Identifikationswert eines Festivals erheblich zu steigern, wie im Falle der THEATERFORMEN, die ihr ursprüngliches, einprägsames Logo ab 2007 wiederbelebten und damit an ihre eigene Tradition anknüpften, um eine programmatische und konzeptionelle Rückbesinnung zu vermitteln. Außenkommunikation hat immer etwas mit dem Bilden von einem treuen Publikum zu tun, das das Festival kontinuierlich verfolgt und sich – wie in jeder anderen Szene auch – über bestimmte Merkmale erkennt. Dies gelang beispielsweise im Falle des LAOKOON Festivals, das sein Logo auf T-Shirts und andere ›Fan‹-Artikel drucken ließ und damit eine Gemeinschaft von Eingeweihten kreieren konnte. Ähnlich verfahren seit Mitte der neunziger Jahre Festivals wie die Mannheimer Schillertage, die 2003 als Marketingidee den eigenen Fanclub FC Schiller ins Leben rufen, oder auch das Berliner Theatertreffen unter Iris Laufenberg, bei dem es seit 2005 Wimpel und Vereinsabzeichen gibt. »Eine solche Verwurzelung ist für ein Festival […] eine zwar zuweilen etwas anstrengende, vor allem aber unvergleichbare und unschätzbare Situation.«83 Dies gilt umso mehr in Regionen, in denen die Rezeption eines Festivals erschwert ist, wie beispielsweise im Falle der THEATERFORMEN und ihrer Festivalstädte Braunschweig und Hannover. Gerade solche Festivals, die in engen Kontakt mit ihrer Veranstaltungsstadt treten und dessen Gesicht und Atmosphäre mitzugestalten trachten, erhalten durch diese Art der Traditionsbildung ihre besondere Legitimation. Tradition steht nur vordergründig im Gegensatz zu der von Festivals proklamierten und reklamierten innovativen Kraft. Trotzdem blieben traditions81 An mehreren Tagen verkehrte ein Festivaldampfer auf der Alster zwischen Jungfernstieg und Kampnagel-Gelände, der die Gäste zu den Performances fuhr. Damit schuf sich LAOKOON nicht nur eine eigene Tradition, sondern rekurrierte auch auf die Tradition der alten Eisenfabrik Nagel & Kaemp als Standort des Festivals. 82 An diesem Tag ist die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel für alle kostenfrei und so erlangt das Festival Bedeutung für alle Bürger Wiens. 83 Veronica Kaup-Hasler: »Vorwort«, in: Programmheft zum steirischen herbst 2006, S. 4.

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Das operationelle Gerüst

schaffende Maßnahmen bei Festivalproduzenten lange ein marginalisiertes Thema, mit der Begründung, dass allein das transitorische Ereignis, das das Festivalgeschehen selbst ausmacht, von wirklicher Aussagekraft sei. So behauptet Manfred Beilharz von Neue Stücke aus Europa exemplarisch: »[…] für mich ist Theater live, und wer nicht dabei war, hat Pech gehabt.«84 Diese Haltung ist recht kurzsichtig, wenn die Vorteile der Innovation und des permanenten Prozesses gegen die Nachteile fehlender Publikumsbindung durch Traditionen aufgewogen werden. Es geht bei Traditionsbildung nicht um eine Entscheidung für Geschichtsschreibung und gegen das Ereignis des Festivals, sondern um eine Maßnahme, die das Ereignis erst ermöglicht. Mit der zunehmenden Angewiesenheit auf Sponsoring und der damit nötigen Dokumentation wird dieser Tatsache von Festivals zunehmend Rechnung getragen. Sponsorenakquise erfordert eine Sammlung von vorzeigbaren Resultaten und Publikationen, Zeitungsartikeln und Ähnlichem, die das Profil des Festivals konkretisieren und für Geldgeber nachvollziehbar machen. So hat zumindest ein größerer Teil der hier untersuchten Festivals mittlerweile ein mehr oder minder umfassendes Online-Archiv eingerichtet, das einen Überblick über Profil und Programmatik des Festivals erlaubt. Festivals mit kleinen Budgets wie transeuropa demonstrieren jedoch, dass Dokumentation weitgehend unabhängig von der Finanzlage eines Festivals ist, sondern vielmehr von der Bereitschaft abhängt, sich transparent, zugänglich und kritisierbar zu machen. Bisher sind die Positionen von Festivals in den aktuellen Debatten um die Begriffe Fest, Festspiel, Ereignis und Event aufgezeigt, also die ästhetischen Dimensionen des Festivals erörtert worden. Auch soziale Phänomene wie das Ausbilden von Festivalgemeinschaften sind zur Sprache gekommen, selbst wenn diese noch im Zusammenhang mit dem Festphänomen betrachtet wurden. Damit ist für diese Untersuchung die ästhetische Sondierung von Theaterfestivals seit den neunziger Jahren abgeschlossen. Auch die historische und definitorische Fundierung des Festivalphänomens in Abgrenzung zu Festspielen als organisatorischen Vorläufern wurde geleistet. In diesem Abschnitt wurde hingegen ihr operationelles Skelett aufgezeigt und wurden anhand der wichtigsten Eckpunkte die Funktionsmechanismen von Festivals verdeutlicht. Sowohl das rein praktische als auch das ästhetische Funktionieren von Festivals ist bis hierhin somit auf die wichtigsten Begriffe gebracht und analysiert worden. Die folgenden Kapitel behandeln im weitesten Sinne gesellschaftliche Rückbindungen des Festivals, selbst wenn diese selbstverständlich auch ästhetische und organisatorische Konsequenzen zeitigen. Zeitliche und räumliche sowie politische und ökonomische Determinanten sind die Einflussgrößen, die Festivals der Gegenwart wesentlich kennzeichnen und ihre gesellschaftliche Rolle als kulturelle Veranstaltungen zu verdeutlichen helfen.

84 So Manfred Beilharz, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 326.

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Die Zeiten des Festivals »Time out of Time. Essays on the Festival«1

Dimensionen der Zeitwahrnehmung ›Zeit‹ ist ein sprachliches Zeichen für diverse, recht unterschiedliche Sachverhalte und Phänomene, die es an dieser Stelle nicht einzeln zu erhellen gilt. Auch die Reflexion darüber, dass Zeit und ihre ›objektive‹ Messung gesellschaftliche Konventionen und Formen der Ausübung von Macht und Kontrolle sind, kann nur ansatzweise in unsere Analyse einfließen.2 Und das gerade obwohl das Festival wie kaum ein anderes Organisationsmodell von Kunst seit der Moderne ihre eigenen Zeitkoordinaten so eingehend reflektiert. Wenn ein erhöhtes Zeitbewusstsein das spezifische Moment der Kultur des Abendlandes seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist,3 dann erfährt dieses Bewusstsein am Ende dieses Jahrhunderts seinen präzisen Ausdruck in einer so zeitintensiven und zeitreflexiven Form wie dem Festival.4 Denn Raum und Zeit sind keine beliebigen Koordinaten, sondern Determinanten des Festivalkonzepts, die ihm jeweils ganz spezielle Züge verleihen. Mehr noch, sind Festivals vor allem seit den neunziger Jahren konzeptionell auf ihre je eigene Diskussion von Raum und Zeit angewiesen. Man könnte überspitzt formulieren: ohne Infragestellung und spezifische Setzung von Raum und Zeit kein Festival. Kulturelle Festivals als zeitliche und gezeitete Erscheinungen zu untersuchen, bedeutet, sie ins Verhältnis zu gesellschaftlichen Zeitwahrnehmungskonzepten zu setzen. Denn, so Kaschuba: »Raum und Zeit sind grundlegende Koordinationssysteme menschlicher WeltAnschauung: Dieses Gesetz gilt wohl nach wie vor. Trotz aller Beschleunigungs-, Verdichtungs- und Verschwindenstheorien agieren wir kognitiv wie mental noch in konkreten Räumen und Zeiten. […] Diese Räume und Zeiten haben sich in der Vergangenheit zwar verändert, physikalisch wie gedanklich, aber sie haben sich damit keineswegs aufgelöst.«5

1 2 3 4 5

So der bezeichnende Titel der Publikation von Alessandro Falassi (Hg.): Time out of time. Essays on the Festival, Albuquerque: University of New Mexico Press 1987. Vgl. hierzu die kanonisierten Ausführungen von Norbert Elias, Klaus Laermann, Michel Foucault und anderen. Vgl. Annette Simonis/Linda Simonis (Hg.): Zeitwahrnehmung und Zeitbewußtsein der Moderne, Bielefeld: Aisthesis-Verlag 2000, S. 9. Vgl. etwa U. Bacchella: Festivals, S. 39f. Wolfgang Kaschuba: Die Überwindung der Distanz. Zeit und Raum in der europäischen Moderne, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2004, S. 9.

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Die Kategorien von Raum und Zeit sind demnach kontinuierliche und relevante Bestandteile von Lebenswelt. Dem gegenüber steht die Utopie der Trennung und des Divergierens von Zeit und Raum in der Moderne.6 Zeit ist soziale Realität7 und jede Veränderung ihrer Konzepte geht mit der Veränderung der Organisationsformen von Gesellschaft einher. Auch Festivals können sich der Reflexion von Zeit, verstanden als die »kulturelle Dimension von Sinn«,8 nicht enthalten. Die verstärkte Auseinandersetzung mit Zeit und Zeitlichkeit, die Festivals der Jahrtausendwende betreiben, legt binäre Strukturen frei, die sich zu den bereits aufgezeigten Binarismen (Struktur und Prozess, Ereignis und Event und so weiter) gesellen. So zeigen sich paradoxe zeitliche Konstellationen in den diversen Orientierungen des Festivals. Linear, zyklisch und dauerhaft zugleich, sehen sich Festivals verschiedensten Ansprüchen und Bedürfnissen ausgesetzt, die wirksam in die Gestaltung von Festivals eingreifen. Wie wirken sich die Zeitbedürfnisse und Zeitvorstellungen einer Gesellschaft auf Festivals und ihre konkrete Erscheinung als Ereignis aus? Und welche Kompromisse gehen Festivals ein, um sich zu Zeitbedürfnissen und Zeitkrisen sinnvoll zu verhalten? Da sich Festivals seit den neunziger Jahren zunehmend mit ihren eigenen zeitlichen Dimensionen beschäftigen, liegt der Verdacht nahe, dass sie schließlich auch auf diese Einfluss zu nehmen und sie individuell und unverwechselbar zu gestalten versuchen. Der Terminus Organisationsmodell erhält aus dieser Perspektive eine weitere Wendung und kann auf gesamtgesellschaftliche, soziale Phänomene und Fragen ausgeweitet werden. Wie organisieren Festivals Zeit und Raum? Und wie stark wirken sie auf die Konzeption beider Größen in den neunziger Jahren ein? Wie veranschaulichen Festivals die Veränderungen in der Wahrnehmung von Zeit und Raum beziehungsweise wie revitalisieren Festivals eventuell verschwunden geglaubte Zeit- und Raumvorstellungen? Das gesteigerte Zeitbewusstsein von Festivals steht in einer langen Tradition. Die Kontemplation von Zeit und der eigenen Zeitlichkeit ist disziplinübergreifend das Paradigma der Moderne. Die Auseinandersetzung mit Fragen von Zeit und Zeitlichkeit erhält jedoch neue Brisanz am Ende des Zweiten Weltkriegs und intensiviert sich wiederum in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts.9 Seit Ende der achtziger Jahre – dem Beginn des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit – wird die Diskussion zunehmend gekoppelt an das Problemfeld des städtischen Raums und seiner Kultur. Fragen nach dem Nutzen von Kultur in der Stadt und der Bedarf nach einem neuen Zeitverständnis werden dringender im zusammenwachsenden Deutschland wie in ganz Europa und den USA. Der Zeit werden neue ›Qualitäten‹ zugesprochen: politisch als Machtfaktor, ökonomisch als Gut beziehungsweise Ware und in der Therapeutik etwa in der Form von ›Qualitätszeit‹. Mit der zunehmenden Spezialisierung der unterschiedlichen Disziplinen geht eine kaum überblickbare Auffächerung von Zeitwahrnehmungen und Zeitbeschreibungsmethoden 6 7 8 9

Vgl. J. Köhler: Von der Muße zum Marketing (2001), S. 23. Auf weitere Ebenen des Phänomens ›Zeit‹ – zum Beispiel die so genannte »natürliche« und »individuelle« Zeit – kann hier nicht eingegangen werden. Gabriela Muri: Pause! Zeitordnung und Auszeiten aus alltagskultureller Sicht, Frankfurt am Main/New York: Campus 2004, S. 286. Vgl. Rainer Zoll (Hg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988, S. 18.

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einher. Es ergeben sich hieraus für die Debatte von Festivalzeit eine Schwierigkeit und eine Chance. Festivals als markante Formen von Kulturorganisation seit den neunziger Jahren sind unter unterschiedlichen Aspekten der Zeitbetrachtung zu studieren. Zugleich jedoch kann es nicht darum gehen, eine ›Zeitphilosophie‹ von Festivals zu entwerfen. Seit den späten achtziger Jahren wird vor allem der Verdichtung von Zeit und der Beschleunigung der Lebensabläufe erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Eine um sich greifende »Zeit-Raum-Kompression« ziehe alle vorher geltenden Wahrnehmungen und Erfahrungen von Zeit auf einen Punkt zusammen, nihiliere in einer Art Sog die mannigfachen Dimensionen der Zeit und auch des Raums, wovon vor allem Distanz und Dauer betroffen seien – so der Diskurskonsens. »Durch Geschwindigkeit [werde] dabei das integrierte Prinzip von Entfernung und Dauer außer Kraft gesetzt«10 mit dem Resultat, dass man »allerorten […] von schrumpfenden Räumen und von beschleunigten Zeitabläufen«11 spricht. Wie apokalyptisch solche Prognosen scheinen mögen, evident bleibt die qualitative Neudefinition von Zeit im 20. Jahrhundert. In seiner überzeugenden Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse Modernisierung und Folgelasten weist Hermann Lübbe auf ein grundlegendes Phänomen hin: »Mit der Dichte der uns, individuell wie institutionell, verbindenden Netze wächst zugleich die Menge der kooperativen oder kommunikativen Beziehungen […] und mit der Fülle und der Großräumigkeit dieser Beziehungen wird Zeit als explizit organisationsbedürftiges Medium der Handlungskoordination aufdringlich.«12

Zeit wird zunehmend als organisationsbedürftig begriffen. Ob in Konzepten von Subjektzeit, Objektzeit, Universalzeit (als Absolutes), historischer Zeit, physikalischer Zeit, Dauer, Eigenzeit – man seziert Zeit und versucht dadurch, sie handhabbar zu machen. Die Benennung verschiedener Erfahrungsdimensionen von Zeit hat jedoch die soziale Überforderung nicht verringern können. Baumgartner definiert Zeit gar als »Erfahrung des Risses im Kontinuum«,13 also als auf der Krise basierend. Die Überforderung des Einzelnen durch die Krise der Zeit und durch ihre vielfältigen gesellschaftlich oktroyierten Organisierungsbedürfnisse tritt in einer verschärften Weise auf Festivals zutage. Die hauptsächliche zeitliche Erfahrung auf Festivals besteht zuerst in einem Mangel. Es gibt nicht ›genügend Zeit‹, um alles zu sehen, um an allem teilzuhaben – das Ganze bleibt für jeden (selbst den Festivalkoordinator) unübersichtlich und unerfahrbar. »Festival: Das ist ja immer verpassen, gerade gesehen und doch nicht erfasst haben, noch mal sehen wollen, flüchtig, heute hier und morgen dort.«14 Zeit begriffen als Ressource und Gut offenbart also ihre Knappheit gerade in der 10 W. Kaschuba: Die Überwindung der Distanz, S. 234. 11 Martin Bergelt/Hortensia Völckers (Hg.): Zeit-Räume. Zeiträume – Raum-zeiten – Zeitträume, München: Hanser 1991, Schutzumschlag. 12 Hermann Lübbe: Zeit-Erfahrungen. Sieben Begriffe zur Beschreibung moderner Zivilisationsdynamik, Mainz/Stuttgart: Steiner 1996, S. 19. 13 Hans Michael Baumgartner (Hg.): Zeitbegriffe und Zeiterfahrung, Freiburg/München: Alber 1994, S. 211. 14 »Bilder des Festivals«, in: Programmheft zum steirischen herbst 2007, S. 9.

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Überdeterminiertheit des Festivals und seines Programms, gerade weil es sich ›Zeit nimmt‹ und über das Zeitmaß hinausgeht. Mangel und Überfluss als polare Erfahrungen finden ihre Zentrierung in ästhetischer Gestalt auf Festivals. Schnell wird an dieser Stelle deutlich, dass ›Individualzeit‹ nicht ausreicht, um den eigenen Festivalbesuchsplan auszuarbeiten – ganz zu schweigen von den zeitlichen ›Problemfällen‹ wie dem Zufall, Spontaneität oder plötzlichen Pausen, Verzögerungen, Ausfällen, die den Ablauf zum Erliegen bringen und die Zeitplanung als Chimäre enttarnen. Welche ästhetischen Konsequenzen ergeben sich aus dieser Wahrnehmung von Zeit als knappem Gut? Die Übereinstimmung zwischen Festivalzeit und allgemein gesellschaftlicher Zeitwahrnehmung besteht zunächst in dem Anspruch, Zeit sinnvoll zu füllen und zu bündeln. Dieser Anspruch zeigt sich einerseits an der Verdichtung der Festivalprogramme, andererseits an einem immer pragmatischeren Umgang mit den Zeiten des Festivals. Und das nicht erst auf Seiten des Festivalbesuchers (Festivalteilnehmers), sondern bereits prä eventum bei den Festivalkoordinatoren, die die Taktung des Festivals festlegen und den Gesamtzeitplan entwerfen. Ziel und Ergebnis dieser utilitaristischen Haltung gegenüber der Zeit ist ihre maximale Ausnutzung. Vor allem seit den neunziger Jahren findet sich auf Festivals recht häufig ein Überangebot an Aktivitäten, um die dort verbrachte Zeit möglichst sinnvoll und ›gewinnbringend‹ zu nutzen: Panels, Publikumsgespräche, Vorträge oder Expertentreffen, die dem Netzwerken dienen sollen, zählen hierzu. Die Komplexität der zeitorganisatorischen Tätigkeit steigert sich noch, wenn man berücksichtigt, dass die Zeiten verschiedener sozialer Systeme auf international ausgerichteten Festivals zusammengebracht und somit unterschiedliche Erfahrungshorizonte des Subjekts in der globalisierten Welt zusammengedacht und synchronisiert werden müssen.15 Um diese Aufgabe zu bewältigen, haben Festivals seit den neunziger Jahren erfolgreich nach Methoden der Komplexitätsbewältigung gesucht. So kann Veronica Kaup-Hasler vom steirischen herbst zwar noch fragen, wie man »den verdichteten Zeitraum des Festivals, den man für sich als Ausnahmesituation definiert, erfahrbar machen«16 kann. Dies täuscht aber nicht darüber hinweg, dass extreme Formen von Zeitlichkeit wie der hier genannte »Ausnahmezustand« oder der Anti-Alltag für das Festival immer weiter an Relevanz einbüßen. Seit den neunziger Jahren werden Festivals nur noch selten als Zeit-Raum des radikalen Anderen, des Exzesses deklariert, im Gegenteil werden der Alltag als komplexitätsbewältigendes Element und das Alltagsgeschäft freimütiger und pragmatischer in das Organisationsmodell integriert. Immer präsenter werden beispielsweise Netzwerktreffen wie bei der euro-scene Leipzig, die Meetings des ITI und des IETM veranstaltet, oder auch 15 Vgl. Marie Zimmermann: »Davon jedoch erzählen die Kulturen in einer unterschiedlichen Ausrichtung auf der Zeitachse. Auch in unterschiedlichen Verwandtschaftsverhältnissen der Zeitebenen untereinander. Die Brüche und Kontinuitäten zwischen einer europäischen linearen Zeit, die immer nach vorne zielt, und kreisförmigen Vorstellungen des Wiederkehrens, die andere Kulturen kennen, kann man an einem so merkwürdig unzeitgemäßen Ort wie Stuttgart gut verknüpfen«. In: »Über Stock und Stein. Marie Zimmermann und Peter Kelting über ›Theater der Welt‹ in Stuttgart – über den Bedeutungswandel eines Festivals und den Versuch, eine Enzyklopädie der Theaterformen aufzuschlagen«, in: Theaterheute 45 (2005), Heft 6, S. 19. 16 G. Schöllhammer: »Wo dockt man an Geschichte an?«, S. 63.

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beim Münchner SPIELART Festival, das sich an Treffen des Netzwerks Theatre/Festivals in Transition beteiligte und selbst abhielt. Dadurch, dass diese Treffen zum Teil für Publikum geöffnet sind, machen Festivals auf ihre organisatorischen Bedingungen aufmerksam. Auch Diskussionsforen wie die vom Theatertreffen seit Bestehen des Festivals veranstalteten Debatten zum Status quo der deutschen Theaterlandschaft veröffentlichen die Probleme des Festivalalltags – nicht des Spektakels. Auf der anderen Seite wird die Vervielfältigung der Zeitwahrnehmungen und -dimensionen von Festivals nicht nur als Faktum akzeptiert, sondern forciert. Es ist eines der wichtigsten Ziele von Festivals, Raum und Zeit zu vervielfältigen. Festivals eröffnen damit nicht zwangsläufig alternative und politisch aufgeladene Räume und Zeiten des Abseitigen, dennoch sind die Multiplikation von Zeit und Raum nicht nur Symptome der Postmoderne, sondern einer ihrer Katalysatoren – zumindest auf künstlerischer und organisatorischer Ebene. Entgegen dem Bestreben, Zeit vorwiegend pragmatisch zu nutzen und damit zugleich den Alltag in das Festival zu integrieren, steht nach wie vor die Utopie einer Intervention in den gewohnten Lauf der Zeit durch Festivals. Sie sollen auch und gerade durch ihre eigentümliche Zeitökonomie Abschweifungen im und vom Alltag schaffen. Es sind gerade die Pausen, die diese Funktion formal erfüllen, auch wenn diese zunehmend zersetzt werden. Die ästhetischen und pragmatisch-organisatorischen Zeitdimensionen eines Festivals widersprechen sich also gegenseitig bisweilen in hohem Maße. Letztlich bleiben Kulturfestivals Zeit-Räume, in denen verschiedene Zeitkonzepte,17 Zeitkritiken und Zeitreflexionen zusammenlaufen und sich damit gegenseitig kurzschließen. Denn auch die diskontinuierlichen Merkmale des Festivals wie zeitliche Ausnahmen und Pausen sind endlich auch Agenten von Selbsterhalt und Zukunftsgestaltung. Diese Rückbindung an die Idee von Erhalt und Kontinuität ist ein Gegenbild zu dem, was Paul Hugger als moderne Massenfeste beschreibt: »Nicht die Kontinuität, sondern die Diskontinuität ist [beim modernen Massenfest] die Regel. Das soziokulturelle System ist ein anderes geworden. Der Begriff ›Fest‹ überhaupt ist kein einheitlicher, und das lässt sich anhand der modernen Beispiele erhärten. Das neue Fest ist nicht mehr Ausdruck einer geschlossenen Gesellschaft, sondern eher einer Massenkultur, die im Werden begriffen ist.«18

17 Beispielsweise lassen sich die Ideen einer objektiven, subjektiven und einer geschichtlichen Zeit zusammendenken. Der dramaturgische Spiel›plan‹ eines Festivals funktioniert natürlich auf der Grundlage eines objektiven Zeitplans. Entscheidend an der Zeit im Festival ist jedoch, dass sie in hohem Maße personalisiert ist. Genau genommen kann das Festival nur in der Personzeit erfahren werden, da sich erstens einzelne Programmpunkte ausschließen, da sie zeitgleich stattfinden und damit eine doppelte Teilnahme verunmöglichen (Stichwort zeitliche Überforderung), zweitens sich ein Festival›erlebnis‹ nur in der eigenen Zeiteinteilung konstruieren lässt (Festivalbesuch als eigenes Konstrukt). Dennoch eint alle Teilnehmer in ihrer eigenen Personzeit eine Art Geschichtszeit – die Zeit des Ereignisses, an dem alle teilhaben, die sich in den Zeitraum des Festivals begeben und damit sich für diesen entscheiden. 18 P. Hugger: Stadt und Fest, S. 17.

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Festivals steuern ihren Teil dazu bei, wenn nicht weitreichende, gesellschaftlich aktive Traditionen zu begründen, diese jedoch zumindest im kleinen Rahmen als Methode zu restituieren. Pragmatismus prägt schließlich auch die Dimension des Festivals, die eigentlich dem Transfer vorbehalten ist, also dem Übergang. Denn ein Festival bedeutet für alle Teilhabenden das Überschreiten von Grenzen in zeitlicher, räumlicher und persönlicher Hinsicht. Festivals befinden sich demgemäß in einer Zwischenzeit und an einem Zwischenort, sie formulieren sich »entlang den Bruchlinien unserer Gesellschaft«19 und Kulturen, welche die Spannungen zwischen den heterogenen Lebensentwürfen der Gegenwart markieren. Festivals lassen Zeit in ihren verschiedenen Dimensionen konkret erfahrbar werden. Denn an der Bruchstelle, die das Festival im Kontinuum des Theaterjahres zuerst bedeutet, wird unter richtigen Bedingungen der Boden für Karrieren gelegt, die – zeitlich gefasst – als Zukunftsexpansion beschrieben werden können. Künstlerische Zukunft (wenn auch nicht immer die Zukunft der Kunst) wird hier angedacht und ›beschritten‹. Festivals als explizite und implizite Zwischenorte sind paradigmatisch für die Diversifizierung des Zeitverständnisses in der Postmoderne und illustrieren und kommentieren, in ihrem Bezug zu Raum und Ort, spezifische Probleme eines Europas nach 1989 wie die Schwierigkeit, Divergierendes zusammenzubringen und mit den sich auflösenden Grenzen produktiv zu arbeiten. Verschiedene Zeitebenen, die für Festivals in dieser Hinsicht besonders relevant sind, sollen in den nächsten fünf Unterkapiteln diskutiert werden.

Alltag »Nach dem Festival, wenn FD [der Festivaldirektor, J.E.] ins Große Schwarze Loch fällt, das Publikum erschöpft zusammensackt, die Kritiker mißmutig sind, weil sie Hymnen geschrieben haben, statt Verrisse, wenn alle feststellen, daß wieder Alltag ist – dann streicht man sich nachdenklich über die Stirn und fragt sich, was da mit einem eigentlich los war.«20

Alltag und Festival zusammenzudenken, wirkt gerade vor dem Hintergrund der im Kapitel »Fest« geführten Festdebatte paradox, sind es doch gerade Festivals, denen man eine außeralltägliche Atmosphäre zuschreibt und an die das Bedürfnis nach festiver Auszeit herangetragen wird. Nichtsdestotrotz ist im Festivalkonzept eine Stelle für den Alltag vorgesehen, an die konkrete Funktionen gekoppelt sind. Die emphatische Deklarierung des Festivals als Anti-Alltag ist vor diesem Hintergrund somit nochmalig zu relativieren. Um die Zusammenhänge zu erhellen, müssen zunächst zwei Aspekte voneinander unterschieden werden: der Theater- und Spielzeitalltag abseits von Festivals 19 Hermann Bausinger: »›Ein Abwerfen der grossen Last …‹. Gedanken zur städtischen Festkultur«, in: Hugger (Hg.), Stadt und Fest (1987), S. 264. 20 Renate Klett: »Das Schönste am Festival ist das Reisen«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 15 des Inlays.

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und der Alltag der Festivalplanung zwischen den einzelnen Ausgaben eines Festivals selbst. Dieser soll hier primär analysiert werden. Der Terminus ›Alltag‹ wird im allgemeinen Sprachgebrauch tendenziell problematisierend beziehungsweise als Präfix pejorativ verwendet. Denn Alltag steht, von der kulturkritischen Warte aus betrachtet, vordergründig für die Unterjochung und Enteignung des Individuums. »Die Fremdbestimmung, der die Arbeitszeit seit der Periode der Manufakturen unterliegt, ist die Grunderfahrung des Alltags. In dem Maße, wie sie hingenommen wird, tritt eine für den Alltag charakteristische Vergleichgültigung der Zeiterfahrung ein.«21 Durch die kontinuierliche Wiederholung alltäglicher Handlungsabläufe entwickelten sich eine oft als qualvoll erfahrene, ereignislose Monotonie und Gleichförmigkeit, die in ihrer Kopplung an Arbeit hauptsächlich als belastend empfunden würden, so zunächst Klaus Laermann. »Zum Alltag gehört das Beschränkte und Endlose, das Langweilige und Aufreizende, das Offensichtliche und nicht Erkannte, das Unauffällige und eigentlich nicht Wissenschaftswürdige. Der Alltag scheint normierend unser Leben zu beherrschen, ohne offenbar selbst einer Norm zu gehorchen.«22 Laermann beschreibt Alltag primär als sozialen Zwang, erkennt jedoch in einem zweiten Schritt die doppelgesichtige Natur des Alltags, seine Brüchigkeit und sein Selbstzersetzungspotential an. »Der Alltag hat die Tendenz, sich selbst aufzuheben. Darin besteht sein verborgener, schwer zu beschreibender Grundwiderspruch.«23 Der Schluss liegt nahe, dass sich Festivals gerade ob seiner unkreativen und potentiell zerstörerischen Seite vom Alltag umso mehr distanzieren (was zu Werbezwecken durchaus geschieht). Im Gegenteil, so die hier vertretene These, ist der Alltag des Festivals gerade wegen seines Potentials zur Komplexitätsbewältigung die vitale Grundlage des Festivalgeschehens. Der Alltag ist im Bereich des Festivalmachens beziehungsweise Festivalplanens anzusiedeln. Wenn im Folgenden der Alltag des Festivals thematisiert wird, dann also hauptsächlich aus der Perspektive derjenigen, die ein Festival in seiner Vorlaufzeit begleiten, sodass sie einen Alltag mit ihm erfahren können. Hierfür ist es nötig, die andere Seite des Alltags, seine stabilisierende, konturierende und klärende Funktion, in Erinnerung zu rufen. Die Ordnung des Alltags ist nicht nur Zwang, sondern auch eine wirksame Strategie zur Bewältigung einer oft hochkomplexen Wirklichkeit. Sie gewinnt üblicherweise dann an Relevanz, wenn das Ereignis des Festivals bereits vorbei ist.24 Während das Festivalereignis gerade durch seine große Dichte an Erlebnisangeboten und Möglichkeiten des intellektuellen Austauschs besticht und damit das Kalkül der Selbstüberbietung verfolgt – eine Entwicklung, die seit den neunziger Jahren immer auffälliger wird – ist sein Kontur und Halt verleihender Rahmen jedoch auf einen Wissensstand angewiesen, der Komplexität zu reduzieren hilft und im Alltag wurzelt. Alltag wird zum Werkzeug für die Aufrechterhaltung von Organisation, auf die das Festival im hohen Maße

21 Klaus Laermann: »Alltags-Zeit. Bemerkungen über die auffälligste Form sozialen Zwangs«, in: Zoll (Hg.), Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit (1988), S. 321. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Vgl. das Anfangszitat von Renate Klett.

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angewiesen ist. Auch hier gilt: »Gewöhnlich setzt sich auch im scheinbar ›Nicht-Alltäglichen‹ eine Fülle der etablierten Selbstverständlichkeiten wieder durch.«25 Die Zeit des Alltags zwischen den Festivalausgaben ist für die Öffentlichkeit zunächst nicht transparent, weshalb die Aktivitäten der Festivalproduzenten in diesem Zeitraum in der Regel aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten.26 Jene ›Zwischenzeit‹, die konstitutiv für Festivals ist und in der der Alltag sein Recht erhält, wird vom Festivalbesucher gewöhnlich als unproduktiv wahrgenommen (weil er nicht an ihr teilhat). Für die Produzenten aber finden in ihr die Konzeptualisierung, die Recherchen und dramaturgischen Eingriffe, die kreative Arbeit des Kuratierens statt. Es ließe sich folglich mit Fug und Recht behaupten, dass der Alltag am Festival mehr Anteil hat als die relativ kurze Zeit seiner eigentlichen Realisierung. So lassen sich die wenigen Wochen des tatsächlichen Festivals sehr wohl auch für seine Macher als ›Zwischen-Zeit‹ verstehen, die die Planungen und Organisationen des Alltags durchbricht, der die conditio sine qua non des Festivals ist. Verschiedene Zeitebenen lassen sich ausmachen, die im Alltag des Festivals (vor dem Festival) langfristig und unentwegt verschränkt und koordiniert werden müssen. Hierzu zählen etwa die Tourzeiten von Künstlern, die verschiedenen nationalen Zeitverständnisse, Förderantragsdeadlines, Pressetermine und vieles mehr. Rechtzeitige Planungen, oft schon Jahre im Voraus getätigte Recherchereisen und Verträge mit Theatergruppen ermöglichen erst die Kreation eines kohärenten Festivalprogramms. So müssen beispielsweise tourende Theaterproduktionen, die Jahre zuvor ihre Premiere hatten, koordiniert und in ihrem dramaturgischen Zusammenspiel mit Neuproduktionen gesehen werden, die Festivals in Auftrag geben. Gegen Ende der Vorbereitungen stellt sich gewöhnlich eine Beschleunigung der Ereignisse ein, die ihre Zuspitzung im Festival selbst findet. Zuvor handelt es sich jedoch um oft langwierige und langsame Prozesse, die dem Festival vorausgehen. Diese tatsächlich für den Festivalleiter ›alltäglichen‹ Abläufe, die sich zweifelsohne auf einem routinierten Verhaltenswissen (wie die Konventionen von Vertragsverhandlungen) gründen, sind auf eine Zeit jenseits ihrer selbst ausgelegt. Der Alltag des Festivals arbeitet somit permanent an seiner Selbstdemontage und antizipiert sein Ende. Die bereits angesprochene allgemeingesellschaftlich diagnostizierte Beschleunigung der Lebensabläufe, wie sie etwa der Medientheoretiker Paul Virilio anhand seiner »Dromologie«27 darzustellen versucht, wird auf breiter gesellschaftlicher Ebene reflektiert. In Österreich findet sich etwa ein »Ver25 Peter Alheit: »Alltagszeit und Lebenszeit. Über die Anstrengung, widersprüchliche Zeiterfahrungen ›in Ordnung zu bringen‹«, in: Zoll (Hg.), Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit (1988), S. 375. 26 Projekte wie das Münchner Perform! Perform! unter der Federführung von Tilmann Broszat sind auch Versuche, den Alltag des Festivals in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu holen. Indem Produktionen, die auf dem SPIELART Festival gezeigt wurden, sowie weitere Arbeiten der mit dem Festival verbundenen Künstler in dieser Reihe in größerer Regelmäßigkeit gezeigt werden, wird die Methode des Festivals in den Spielzeitalltag transportiert. 27 Vgl. etwa Paul Virilio: Geschwindigkeit und Politik: ein Essay zur Dromologie, Berlin: Merve 1980.

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ein zur Verzögerung der Zeit« und auch das Schauspielhaus Hamburg setzt sich mit einer eigenen Themenreihe im Jahr 2008 für Entschleunigung ein.28 Doch diese allenthalben befürchtete und bekämpfte Beschleunigung steht in bemerkenswerter Diskrepanz zu der Langsamkeit und Langwierigkeit bei der Planung von Festivals. Virilio kritisiert das prinzipielle Zurücktreten aller menschlichen Vorgänge hinter die universelle Qualität von Geschwindigkeit und Beschleunigung, in deren Einzugsbereich alles entqualifiziert werde. Substanz wird für Virilio zu einem Sekundären, Kommunikation und Inhalte werden gleichsam durch zunehmende Beschleunigung in ein analytisches Abseits gedrängt.29 Leiten sich laut Virilio aus der Beschleunigung einerseits Linearität und vor allem Geradlinigkeit von Wahrnehmung und damit Homogenität ab, bewerten Gilles Deleuze und Felix Guattari diesen Umstand mit direktem Rekurs auf Virilio positiv: »Macht nie Punkte, sondern Linien! Geschwindigkeit verwandelt den Punkt in eine Linie! Seid schnell, auch im Stillstand!«30 Deleuzes und Guattaris Forderung zielt darauf ab, zu ›schnellerem‹ Denken und Weiterentwicklung »auch im Stillstand« anzuregen, um Stagnation und Verfestigung von Grenzen und Werten zu verhindern. Sie setzen auf Flexibilität der Wahrnehmung und schnelle Verknüpfungen von Heterogenem. Virilio beschreibt den gleichen Umstand als Verlust, weil er nur den entfremdenden, identitätsschädigenden Charakter dieser Delokalisierung wahrnimmt. Seine Kritik ist im Grundgedanken nicht neu, sie steht in einer langen Tradition kulturkritischen Denkens, das hier exemplarisch am Begriff der »Gegenwartsschrumpfung« referiert werden soll. In der Diskussion dieses Begriffs werden in Hermann Lübbes Zeitanalysen die Grenzen von Virilios Kritik deutlich. Tatsächlich verlaufen beschleunigte Prozesse und deren Erfahrung nicht wie in der Mathematik ins Unendliche, sondern stoßen innerhalb einer realen Gesellschaft an Grenzen. Auf Festivals übertragen bedeutet diese Erfahrung, dass diese immer auch Fixpunkte, die Zeit für persönliche Entscheidungen und die Möglichkeit der Konzentration auf einen bestimmten Aspekt gestatten. Das Suchen nach stabilen, konsistenten und geschlossenen Strukturen ist ein zeitliches Phänomen der Moderne und Postmoderne, das Virilio weitgehend ausblendet. Seine Kulturkritik vernachlässigt, dass es bei aller Auflösung von gesellschaftlichen Konturen immer stabile Strukturen in einem Gemeinwesen gibt, zu denen auch der Alltag gehört. Unabhängig davon erkennen andere eine Chance dort, wo Virilio ausschließlich Gefahr argwöhnt.31 »Wenn nämlich die ›Entfernungen‹ schwinden […], dann müssen 28 Vgl. http://www.zeitverein.com und »Entschleunigung! Veranstaltungsreihe des Schauspielhaus Hamburg«, vgl. http://www.schauspielhaus.de/spielplan/detail.php? id_event_cluster=260797 vom 17. Mai 2008. 29 Bereits Victor Hugo stellt unter dem Eindruck der Wahrnehmung in den ersten Personenzügen 1837 fest: »Die Schnelligkeit ist unerhört […] KEINE PUNKTE MEHR, NUR NOCH STRICHE.« (Aus einem Brief vom 22. August 1837, zit. nach: Paul Virilio: Fahren, Fahren, Fahren …, Berlin: Merve 1978, S. 168.) Um in diesem Bild zu bleiben und es auf die Entwicklung von Sozialität zu übertragen, verunmöglicht Beschleunigung also das Fixieren, die Konzentration auf feste Punkte, Werte, Leitbilder. 30 Gilles Deleuze/Félix Guattari: Rhizom, Berlin: Merve 1977, S. 41. 31 Zu den Grenzen von Virilios Kritik vgl. Skrandies: Echtzeit – Text – Archiv – Simulation (2003).

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auch die ›Grenzen‹ schwinden, und zwar nicht nur die politischen der Nationalstaaten zugunsten neuer föderaler oder konföderaler Gebilde, sondern auch die ästhetischen ›Grenzen‹«.32 Beschleunigung führt also (im Idealfall) weder zu Homogenisierung in der Praxis der Festivals noch ist sie verantwortlich für einen anderen Nebeneffekt, den Virilio als Immobilität beschreibt. Paradoxerweise übertrage sich, so Virilio, die Beschleunigung in der Echtzeit nicht auf den real-physischen Körper, sondern versetze ihn in Starre: Der maximal beschleunigte Körper werde selbst immobil. Diese zweite These Virilios greift wiederum Rudolf Wendorff auf und kontrastiert: »Die Synchronisierung, die Vernetzung, die somit auch zeitliche Abhängigkeit steigert sich. Es gibt immer mehr ›soziale Zeit‹.«33 Werden Festivals als Momente von Communitas, von Kooperationen und von kommunikativem Handeln verstanden, so stehen sie zwar im Zeichen der Postmoderne, werden damit aber zugleich zum Raum für Wendorffs »soziale Zeit«. Im Begriff der Entschleunigung, die beinahe ebenfalls zu einem Synonym für Modernität geworden ist, findet sich in Festivals der direkte Gegenpart zur gesellschaftlichen Beschleunigung – in der hier geteilten Zeit als einer langsamen Zeit.34 So sehr Festivals also im Zeichen gesellschaftlicher Beschleunigung im Sinne Virilios stehen, so stellen sie doch ebenso Momente des Anhaltens und der Verlangsamung dar. Festivals changieren also zwischen Langsamkeit und Beschleunigung und gewinnen daraus ihre Vitalität. Der größtenteils umständliche (langsame und nicht unendlich beschleunigbare) Apparat von Festivals ist also weniger Hindernis als Bereicherung: Die Umständlichkeit, das nicht reibungslose Ablaufen ermöglichen erst die Zeitbrüche und Spontaneitäten, die Kreativität und Erfindergeist bedingen können. Zum Alltag des Festivalleiters gehört es folglich, eine bestimmte Haltung gegenüber ›dem Alltag‹ einzunehmen. Ausgeprägter als bei manch anderer Berufsgruppe nimmt der Festivalleiter auf den Alltag Bezug, reflektiert ihn und nimmt die problematische Situation des Alltäglichen zur Kenntnis. Der beschleunigte und zugleich langsame Alltag des Festivalgestaltens erfordert ein ständiges Anpassen der Wahrnehmungsmechanismen, eine erhöhe Flexibilität. Diese besteht einerseits in einer gesteigerten Mobilität, andererseits in der Bereitschaft für die Aufnahme von nicht-alltäglichen Eindrücken und Erfahrungen (vor allem Seherfahrungen von Theaterproduktionen, die potentiell für ein Festivalprogramm infrage kommen könnten). Flexibilität muss demnach auch in einer erhöhten Bereitschaft für das steuerbare Aussetzen der Komplexitätsbewältigung durch Alltagsverhalten bestehen. In diesem Zustand der Empfänglichkeit und des (ungeschützten) Sich-Aussetzens gegenüber neuen Eindrücken hat die Intuition ihren Platz, die eigentlich nicht zum Repertoire des Alltags gehört, da dieser üblicherweise Struktur und bereits erprobte 32 Paul Virilio: »Belichtungsgeschwindigkeit«, in: ders., Revolutionen der Geschwindigkeit, Berlin: Merve 1993, S. 56. 33 Rudolf Wendorff: »Zur Erfahrung und Erforschung von Zeit im 20. Jahrhundert«, in: Hannelore Paflik (Hg.), Das Phänomen Zeit in Kunst und Wissenschaft, Weinheim: VCH Acta Humaniora 1987, S. 69. 34 Das Theater als soziale Kunst ist Teil des sozialen Phänomens Zeit, es arbeitet mit seinen Idiosynkrasien und untersteht ebenfalls einem heutigen Zeitverständnis – keine Aufführung ist zeitlos, jede Aufführung ist geteilte Zeit und damit auch Raum für Dialog.

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Handlungsmuster zur Verfügung stellt. Da alltägliche Handlungen meist routiniert und eingespielt sind, wird intuitives Handeln und Entscheiden im Alltag nur selten abgefragt. In der Konfrontation mit dem Neuen greifen diese Muster jedoch nicht, oder anders ausgedrückt: Der Alltag des Festivals muss aus einer hohen Bereitschaft zum Nicht-Alltäglichen bestehen. Das alltägliche Arbeiten des Festivalteams beruht auf der Fähigkeit, das Unplanbare situativ und intuitiv zu meistern – gleichgültig ob es sich um die Entdeckung eines neuen Theaterstars auf einer Recherchereise oder den Ausfall einer eingeladenen Produktion handelt. »Angesichts dieser ›Zeit des permanenten Wechsels‹ muß jede Dauerorientierung immer wieder neu beschlossen und begründet werden. Jede Konstanz, jede Kontinuität, jeder Bestand muß mühsam hergestellt werden.«35 Die Haltung des Festivalleiters besteht also im Idealfall darin, von Konstanz und Kontinuität abzusehen und damit Freiräume für Kontingenz zu schaffen. Diese Haltung lässt sich auch als Lebensstilfigur beschreiben. Hörning (und andere) bezeichnen diese Figur als »Spieler«, der über seine Eigenzeit frei, eben spielerisch, verfügt, auf Flexibilität und Kontingenz setzt und Unwägbarkeiten und Unplanbarkeiten nicht als Bedrohung wertet, sondern deren Potential erkennt und umsetzt. Dieser Lebensstil ist als eine Anpassung an die vielfältigen Anforderungen des Festivalgestaltens zu verstehen, an die Notwendigkeit, unterschiedliche Zeitebenen sowie lokale Parameter wenn nicht zu planen, so doch zu ordnen. »Wenn mit Sicherheit nur noch Veränderungen erwartet werden können, muß man lernen, Nichtplanbares, Nichtvorhersehbares einzuplanen.«36 Eine Beschreibung des Spielers als Repräsentant für den anpassungsfähigen Umgang mit den Zeitdimensionen des Alltags – und damit dessen Rehabilitierung – formuliert Bernhard Waldenfels. Ihm ist daran gelegen, das Verdikt der Minderwertigkeit, das lange Zeit über die Alltagskultur gesprochen wurde, zu revidieren. Statt im Alltag nur sozialen Zwang oder lähmenden monotonen Handlungslehrlauf zu erkennen, stellt für Waldenfels der Alltag ein Ferment für Innovationen und Wandlungen dar. Dies freilich unter der Bedingung, dass der Alltag nicht nur einer einzigen Rationalität untersteht, sondern als eine Art prozessualer Schmelztiegel gelebt wird. Für Waldenfels muss sich der Alltag permanent selbst übersteigen und durchdringen, um sich selbst gerecht zu werden.37 Dementsprechend ist sein Beschreibungsansatz prozessorientiert: »Den Alltag gibt es nicht einfach, er entsteht vielmehr aus Prozessen der Veralltäglichung, denen gegenläufige Prozesse der Entalltäglichung gegenüberstehen.«38 Das bedeutet auch, dass die Lebensstilfigur des Spielers mit ihren Implikationen (Bewältigung des Unvorhergesehenen, beständige Offenheit für neue Entwicklungen, Mobilität und Integrationsbereitschaft), die dem Außenstehenden als außeralltäglich erscheinen, gerade für Festivalleiter durchaus zum Alltäglichen wird. Ihrer Wirklichkeit entspricht auch Waldenfels’ Wahrnehmung, dass es keinen verabsolutierbaren ›Alltag‹ geben kann, sondern immer die Position, von der aus von Alltag ge35 Karl H. Hörning/Daniela Ahrens/Anette Gerhard: Zeitpraktiken. Experimentierfelder der Spätmoderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 168. 36 Ebd. 37 Vgl. Bernhard Waldenfels: Der Stachel des Fremden, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 203. 38 Ebd., S. 191.

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sprochen wird, den Ausschlag für den Diskurs über Alltag gibt. Tatsächlich handelt es sich beim Alltag des Festivals und dessen Machern streng genommen nicht um Alltag im Sinne des »Gewöhnlichen, Ordentlichen, Vertrauten«39 – der Alltag des Organisierens lebt von seiner Unordentlichkeit und dem Umgang mit Unvertrautem. Die alltägliche Arbeit des Festivals ist also durchweg paradox, denn sie besteht darin, beständig die Grenzen des Alltäglichen zu transzendieren, und ist zugleich auf stabilisierende Prozesse und Orientierungspunkte angewiesen. Diese Art von Alltag, wie ihn unter anderem Festivalleiter leben und Waldenfels beschreibt, birgt in ihrer Komplexität den Kern für die eigentliche Ereignisfähigkeit des Festivals. Der Alltag des Festivals ist immer auf dem Sprung, auf dem Weg zu seiner Aufhebung im Festivalereignis (und damit ist das Fest im Festival praktisch nur als Abwesendes zu denken). Das Alltägliche des Festivals ist somit am treffendsten in einer temporalen Grenzzone anzusiedeln. Im Zentrum des Festivalalltags steht die Zukunft beziehungsweise die zukünftige Realisierung des Festivalereignisses. Dadurch, dass die hauptsächliche Zeiterfahrung des Alltags (des Festivalleiters) die Zukunftsprojektion ist, verlässt der Alltag das Jetzt und wendet sich permanent einem imaginierten Noch-Nicht zu. Alles im Alltag ist Vorbereitung auf das Außeralltägliche. Dies unterscheidet den Alltag des Festivals vom Alltag, wie er üblicherweise definiert und gelebt wird. Der Spieler, der im Begriff des Scouts oder Entrepreneurs (als Koordinator von Festivalfaktoren) widerhallt, der sich durch unwegsames und teilweise riskantes Gelände schlägt, ist stets dem Projekt verbunden, das es zu realisieren gilt. Daraus folgt auch, dass das protestantische Arbeitsethos, dessen Maxime die Vermeidung von Zeitverschwendung ist, besonders bei Festivalvorbereitungen nur begrenzt sinnvoll sein kann. Denn das intuitive (meist auf Empfehlungen von Netzwerkpartnern und Vertrauenspersonen fundierte) Reisen zu den auf der Landkarte eines Festivalproduzenten noch ›weißen Flecken‹ stellt sich oft als ertragreich heraus.40 Mobilität wird hier ernst genommen als eine Form des Grenzübertritts in ein Ungewisses. Die Flexibilität des Festivalproduzenten im Umgang mit dem Alltag besteht demnach auch darin, dem vordergründig Sinnlosen Raum zu gewähren. Dies läuft aus organisatorischer Sicht auf eine Negation von routinierten und berechenbaren Prozessen hinaus. Aber nicht nur – schließlich gehen Festivals auch Verbindungen ein, die sich auf ein hohes Maß an Verlässlichkeit gründen. Verantwortung besteht sowohl gegenüber den kooperierenden Künstlern41 als auch gegenüber den anderen am Festival Beteiligten – den Sponsoren, Medienpartnern und Besuchern. Diese tragen heterogene Ansprüche an ein Festival heran, was den Festivalproduzenten wiederum ein hohes Maß an Integrationsfähigkeit abver39 Ebd., S. 193. 40 Vgl. etwa Renate Klett: »Manchmal bin ich auch einfach ›nach Bauch‹ gereist, aus einer Intuition heraus, wie 1992 nach Südafrika, gleich nachdem Mandela freigelassen wurde. Da kannte ich niemanden und wusste nichts, fuhr zum großen Festival in Grahamstown, wo ich die einzige Europäerin war und das große Glück hatte, gleich William Kentridge zu entdecken und ihn erstmals nach Europa zu bringen.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 355. 41 Für Künstler bedeutet diese Zukunftsprognose mitunter auch eine Zukunftsexpansion, vgl. hierzu das Kapitel »Zukunftsexpansion«.

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langt. Die strategische und pragmatische Seite des Festivalorganisierens erfordert dementsprechend ein ›Haushalten‹ mit Zeit und die Fähigkeit, die Zeitmodelle der Umwelt idealiter in Deckung beziehungsweise zumindest in Korrespondenz mit der eigenen Zeitgestaltung zu bringen.42 Man muss sich mit anderen Worten im Festivalalltag auf Zeitkonzepte und Zeitpläne einigen, um zukünftige Kooperationen zu ermöglichen, was folglich ganz konkrete Entscheidungen über Programminhalte bedeuten und damit die ästhetische Dimension des Festivals nachhaltig beeinflussen kann. Von der Warte der Künstler aus gesehen sind die Verantwortlichkeit und das Verantwortungsbewusstsein des Festivalalltags geradezu unabdingbar, da ihr finanzielles und künstlerisches Überleben nicht selten von Festivals abhängt. So argumentiert etwa Matthias Lilienthal: »Jetzt hat man als Festivalmacher auch eine Verantwortung das Theater in anderen Ländern über bestimmte Krisen mitzutragen.«43 Ähnliches gilt für die von den ›Scouts‹ entdeckten unbekannten Künstler, deren Etablierung in der Theaterszene und nachhaltige Förderung seit den neunziger Jahren immer öfter in den Händen von Festivalproduzenten liegen. Deren Verantwortungsgefühl für eine bestimmte Anzahl von Künstlern – die sie entdecken oder als künstlerische Partner protegieren – spielt eine tragende Rolle für das Vorantreiben von künstlerischen Entwicklungen im Theater. Dies geschieht nicht nur über finanzielle Förderung, sondern vor allem dadurch, dass Künstlern auf Festivals die Möglichkeit geboten wird, sich einem breiten (Fach-)Publikum vorzustellen, und sie damit in die Situation versetzt werden, einen ›günstigen Moment‹ für sich zu entscheiden beziehungsweise Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Insofern ist der Alltag des Festivals sogar wichtiger für die Kunst des Theaters als das Fest des Festivals, da er durch seine Kontinuität erst die Grundlage für die nachhaltige Entwicklung von künstlerischen Strömungen legt. Die ästhetischen Impulse, die Festivals geben können, müssen in institutionalisierteren Zusammenhängen zunächst ihre Relevanz unter Beweis stellen. Es lässt sich somit fragen, inwiefern das Feuerwerk des Fests den organisatorischen Funktionen, die Festivals verstärkt seit den neunziger Jahren übernehmen, sogar abträglich ist. Wären Festivals heute reine Spektakel, die weitgehend unreflektiert den Moment zelebrieren, ginge ein wichtiger Impulsgeber für das Vorantreiben der Theaterkunst verloren, da die Wirkungen des Festivals mit dem Spektakel schnell verpuffen würden. Es muss Festivals also, um als ästhetische Instanz auftreten zu können, daran gelegen sein, ihren Beitrag zur (Theater-)Kultur kontinuierlich zu leisten, vordringlich durch die Zusammenarbeit mit unbekannten Künstlern auch außerhalb des Fests des Festivals. Festivals reagieren seit den neunziger Jahren mit einer Stärkung ihrer diskursiven, praktischen und karrierefördernden Komponenten auf die Forderung nach größerer Verantwortlichkeit gegenüber den Künstlern. Das zieht nicht zwangsläufig nach sich, dass festliche Elemente getilgt werden – diese existieren nach wie vor und sei es nur zu Marketingzwecken und um neue, 42 Hierbei kann es sich beispielsweise um konkret praktische zeitliche Fragen handeln, die den internationalen Transport von Bühnenbildern ebenso betreffen wie die Fristen für die Abgabe von Rechenschaftsberichten für die Sponsoren. 43 In: »Am Anfang war das Telefon. Gespräch mit Matthias Lilienthal«, in: Theaterheute 42 (2002), Heft 4, S. 37.

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kulturferne Zielgruppen anzusprechen. Festivals als Organisationsmodell stärker durchzusetzen bedeutet aber auch, dem Alltag des Festivals mehr Raum und Relevanz beizumessen.44 Es zeichnet sich also ab, dass der Gegensatz, der traditionell zwischen Fest und Alltag aufgemacht wird, spätestens für Festivals, die sich seit den neunziger Jahren entwickelt haben, nicht mehr tragfähig ist. Während das erste Theaterfestival in München (gegründet 1977) oder auch das erste Kampnagel Sommerfestival (seit 1986) ihr Selbstverständnis auf ihre Funktion als Fest gründen, hat seit den neunziger Jahren diese Funktion an Relevanz verloren – der Alltag selbst ist bereits so durchsetzt von Festivalderivaten (vgl. Kapitel »Ereignis und Event«), dass es naiv ist zu glauben, dass eine Trennung noch dem realen Erleben entspricht. Tatsächlich entfalten sich erst durch die Flexibilität im Umgang mit beiden Polen – Fest und Alltag – das Potential und der Reiz von Theaterfestivals der Gegenwart, oder anders gesagt: Festivals fungieren sogar als Vorreiter für einen zeitgemäßen Umgang mit den verschiedenen Anforderungen und Bedürfnissen des Menschen der Gegenwart nach Alltag und nach dem Festlichen. Dass der Verlust der universellen Gültigkeit des alten Gegensatzes entgegen allen Bedenken und »Moratorien« auf den Alltag45 sogar positive Effekte hat, erkennt Schüle: »Was auch immer durch die Auflösung der Festkultur verloren wird – es könnte sein, daß es sich hierbei eben um eine Entwicklung handelt, die jenseits des Alltags eine evolutionäre Dynamik und Anpassungsfähigkeit eröffnet, die gerade für moderne, ›unübersichtliche‹ Gesellschaften wichtig ist. Unabhängig davon, wie man diese Entwicklung also bewerten möchte: deutlich ist zunächst, daß sich die Unterscheidung von ›Alltag und Fest‹, die für vor- oder nicht-moderne Gesellschaften charakteristisch erscheint, zu einem sehr viel unschärferen Gegenüber von ›Alltag‹ und ›NichtAlltäglichem‹ hin verschoben hat. Dem Alltag steht ein nicht bezeichnetes ›Anderes‹ gegenüber, das nicht nur für sich genommen unbestimmt ist, sondern das auch in seinen Rückwirkungen auf die Alltagswelt unklar bleibt.«46

Somit setzt sich der Alltag des Festivals auf verschiedenen Ebenen durch beziehungsweise werden festliche Elemente mit dem Alltag auf Festivals beständig kurzgeschlossen. Darauf verweist bereits die Praxis des Netzwerkens (vgl. Kapitel »Netzwerken«), die, selbst wenn sie eigentlich zum Alltagsgeschäft des Kunstproduzenten gehört, auf Festivals weiter und noch forcierter exerziert wird. Die Grundlagen, die das Festival als kondensierter Zeitraum von Kunst unbedingt benötigt, liegen allesamt im Alltag. Festivals sind zunehmend in immer vielfältigere Aufgaben und Zusammenhänge verstrickt als noch vor dreißig Jahren: Die Ansprüche von Sponsoren, die sich beständig ausweitenden Koproduktionsverbindungen zu anderen Festivals und Theatern 44 So unternimmt etwa das Festival SPIELART mit der Reihe Perform! Perform! Versuche, die Verdichtung der Theaterzeit während des Festivals auch auf die Zeit zwischen den Festivals auszuweiten. 45 Vgl. hierzu Odo Marquards Ausführungen in Anlehnung an Helmuth Plessner in: O. Marquard: Kleine Philosophie des Festes, S. 414–420. 46 Andreas Schüle: »Ereignis versus Erinnerung. Gibt es eine moderne Festkultur?«, in: Martin Ebner u.a. (Hg.), Das Fest: Jenseits des Alltags. JBTh, Bd. 18, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2003, S. 354.

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müssen im Alltagsgeschäft des Festivalgestaltens koordiniert werden. Diesem Faktum Rechnung tragend, kann es heute nicht mehr ernsthafter Anspruch von Festivals sein, den Alltag zu suspendieren – sie sind meist wesentlich taktischer und praktischer orientiert und bemühen sich um die Demystifikation ihrer selbst, indem sie ihre Alltäglichkeit thematisieren und für die Öffentlichkeit zumindest teilweise sichtbar machen.

Verdichtung und Gleichzeitigkeit »Wenn das Telefon nicht klingelt – ist es für mich!« Elias Canetti

Die Zukunftsprojektion des Festivalalltags mündet in die zeitliche Verdichtung aller Abläufe zum Zeitpunkt der Festivaleröffnung. Die langwierige Zeit der Vorbereitung geht in eine zuvor antizipierte Gegenwart über, in der die vorherigen zeitlichen Regelungen aufgehoben zu sein scheinen und Tempo und Ereignispotentialität sich voll entfalten sollen. Zeit ›verdichtet‹ sich für die am Festival Teilhabenden während des Festivals. Zeitverdichtung bedeutet beim Festival – anders als bei dem von Zeitkritikern wie Karlheinz A. Geißler bemängelten Simultantentum als Lebenspraxis, bei der alle Arbeitsund Lebensabläufe synchronisiert werden47 – nicht nur Zeitnot und Zeitknappheit, sondern Bündelung, Sammlung, Konzentration, vielleicht auch ein kreatives Übermaß. Von manchen Festivals wie dem Berliner Theatertreffen oder der RuhrTriennale wird diese Konzentration seit den letzten fünf bis zehn Jahren systematisch verstärkt, indem sie ihre Dauer bei gleicher Anzahl an Produktionen verkürzen.48 Die Gleichzeitigkeit verschiedener Programmangebote – Inszenierungen, Diskussionsrunden, Ausstellungen oder Projekte außerhalb des Festivalgebäudes – ist ein weiterer Teil der Verdichtung des Festivals und bedeutet zunächst Überforderung, ist jedoch geplant beziehungsweise von Festivalleitern inszeniert. Die paradoxe Situation eines quasi gesteuerten Chaos, in dem wiederum Neues entstehen kann, ist nicht nur unerwünschter Nebeneffekt, sondern häufig Ziel der Konzentration, in der es sich durch Aufmerksamkeitssteuerung und Selektion selbst wieder zu konzentrieren gilt. Simultaneität und Verdichtung erfordern Entscheidungen. Sowohl ein bewusstes Schaffen von Pausen in der eigenen Besuchsplanung des Festivals als auch die Praxis des Netzwerkens (schon die Netzmetaphorik veranschaulicht das gesteuert Chaotische) sind Möglichkeiten, um ordnend 47 Vgl. etwa Karlheinz A. Geißler: Alles. Gleichzeitig. Und zwar sofort: Unsere Suche nach dem pausenlosen Glück, Freiburg: Herder Verlag 2007 oder ders.: Wart’ mal schnell: Wie wir der Zeit ein Schnippchen schlagen, Freiburg: Herder Verlag 2005. 48 Vgl. das Gespräch mit Iris Laufenberg, der Programmverantwortlichen des Berliner Theatertreffens: »Sie sagten vorhin, dass das Festival etwas anderes als ein Treffen ist – beides widerspricht sich doch gar nicht. Nein, gar nicht. Die vorherigen Macher des Theatertreffens beharrten nur stets darauf, dass es sich nicht um ein Festival handelt, sondern um ein Tref-fen. Deswegen wurde es bewusst linear hintereinander und wenig verbunden gedacht und war auch länger. Ich dagegen versuche es so kurz wie möglich zu machen, früher dauerte das Theatertreffen über drei, jetzt nur noch zwei Wochen.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 312.

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aktiv zu werden. Verdichtung und Simultaneität sind seit den neunziger Jahren nicht nur zwei der traditionsreichsten Merkmale von Festivals, sondern insofern zeitgemäß, als sie die verstärkte soziale Notwendigkeit zur Aufmerksamkeitslenkung illustrieren und kommentieren. Um sich Verdichtung und Simultaneität auf dem Festival theoretisch zu nähern, bietet sich also der Zugang über das Problem der Aufmerksamkeit an. Aufmerksamkeit hat einen mehrpoligen, diffusen Charakter. »Die Aufmerksamkeit gehört zu den nomadischen Begriffen, die nirgends recht seßhaft werden. Sie hat mehr von einem Syndrom als von einer Synthese. […] Ist Aufmerksamkeit ein Geschehen, ein Ereignis, ein Akt, eine Disposition, ein Können, eine Pflicht, ein Geschenk?«49 Beim Festival scheinen alle genannten Deutungsvarianten zuzutreffen. Dass es für das Entstehen und Erregen von Aufmerksamkeit allerdings ein prädestinierter Ort ist, wird umso augenfälliger, wenn man das Festival als Zwischenraum und -zeit begreift, die zwischen Nicht-Alltäglichem und Nicht-Fest oszilliert. Denn auch die Aufmerksamkeit »erscheint […] als ein Schwellenphänomen. Sie tritt dort auf, wo der endlose Strom unmerklicher Perzeption in eine bewußte Apperzeption übergeht.«50 Also dort, wo Blick und Ohr in der Situation der Verdichtung von Wahrnehmungsangeboten vor die Entscheidung für ein Objekt gestellt werden, dem sie ihre alleinige Beachtung schenken. Nach Franck bedeutet Aufmerksamkeit im Deutschen sowohl attention als auch awareness. »›Awareness‹ ist der Zustand der wachen Achtsamkeit, ›attention‹ das gezielte Achtgeben.«51 Der Begriff bezeichnet also eine Bereitschaft und eine zielgerichtete Zuwendung, jedoch in beiden Fällen eine erhöhte Bereitschaft zur geistigen Aktivität. Zuwendung beschreibt den Vorgang recht präzise, denn dieser Begriff veranschaulicht die physische und psychische Anstrengung, die mit Aufmerksamkeit verbunden ist. Im übertragenen wie im konkreten Sinne ist mit der Hin- oder Zuwendung die Bereitschaft gemeint, seine eigene Position (im Raum) zu wechseln, seine Aufnahmebereitschaft auf einen Gegenstand zu zentrieren – oder sich auch von ihm anziehen zu lassen.52 Im Überangebot der Attraktionen ist die Entscheidung für die Anwesenheit auf einem Festival ein Akt des Verzichts auf alternative Optionen. Es wird unter diesen Bedingungen deutlich, dass Aufmerksamkeit wie Zeit begrenzte Güter sind. »Aufmerksamkeit, Zeit und Raum sind konstitutive Letztbestandteile der subjektiven Erlebnissphäre. Raum und Zeit sind die Dimensionen, Aufmerksamkeit ist, wenn man so will, die Substanz mensch-

49 Bernhard Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, S. 9. 50 Ebd., S. 21. 51 Vgl. Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München/Wien: Hanser 1998, S. 28. 52 Die erotische Dimension des Begriffsfelds, in das man sich hier begibt, ist unverkennbar. Attention, awareness und Aufmerksamkeit reimen sich auf Affekt, auf affection. Christel Weilers Überlegungen zur Performance als Gabe (C. Weiler, Performance als Gabe, S. 155–163) legen nahe, auch bei der Aufmerksamkeit von einem Geschenk auszugehen, das das Publikum im Theater den Performern macht. Im Theater ist Aufmerksamkeit die Währung schlechthin.

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lichen Erlebens.«53 Die Maßeinheit der Aufmerksamkeit ist Zeit, sie ist die übergeordnete Ressource, Zeit ist das Maß für die Ressource Aufmerksamkeit. Und als Ressource lässt sich Aufmerksamkeit als Währung verstehen, so Franck. Diesem Gedankengang folgend, ließen sich Festivals als Kreditinstitute für Aufmerksamkeit beschreiben, die die von ihnen ›eingenommene‹ Aufmerksamkeit, die die Medien und Besucher ihnen schenken, den auf ihnen präsentierten Künstlern zur Verfügung stellen.54 Und das nicht nur im Sinne von »symbolischem Kapital« (Pierre Bourdieu), sondern in einem konkret monetären:55 »Die Kapitalisierung der Beachtlichkeit ist ein Masseneffekt. Nur mit großen Mengen an Beachtung wird der Eindruck gemacht, der sich selbst trägt. Große Mengen an Beachtung kommen freilich nicht von selbst zusammen. Damit die Leute sehen, daß viele andere Leute Augen machen, müssen erst einmal viele Leute zusammenkommen. Damit viele Leute überhaupt zusammenkommen, müssen Anlässe des Zusammentreffens und müssen Anlagen bestehen, die ein großes Publikum fassen.«56

Und auf die Situation des Theaterfestivals angewendet bedeutet dies: Wer die Chance bekommt, als Neuling auf einem Theaterfestival aufzutreten, erhält einen Kredit an gesicherter Beachtung.57 Veranschaulicht werden diese Zusammenhänge von Franck im Bild des ›Reden-über‹, das den gesamten Kulturbereich durchzieht. »Die geschäftsmäßige Organisation des Kulturbetriebs erschöpft sich nicht darin, daß Versammlungsstätten unterhalten und Einrichtungen aufrechterhalten werden, daß das Veranstaltungswesen gepflegt und Literatur verlegt wird, daß die Kunstkritik und der Kunsthandel florieren. Zu einem geschäftsmäßigen Kulturbetrieb gehört, daß Talente rekrutiert werden, daß Veranstaltungen in der Öffentlichkeit besprochen und gewertet werden, daß Verleger erfolgversprechende Autoren entdecken und ihnen ein Forum bieten, daß sich die Kunstkritik mit Fragen des Rangs der Werke und der Einordnung der Künstler beschäftigt, daß ein Ausstellungswesen funktioniert, um Begabungen zum Durchbruch zu verhelfen, die wiederum das künftige Renommee der Institution begründen.«58

Bernhard Waldenfels, der bei seiner Aufmerksamkeitsanalyse phänomenologisch argumentiert, denkt die auch von Franck diskutierten Begriffe des Schuldens und des Schenkens von Aufmerksamkeit nicht auf der ökonomischen Ebene, sondern auf der ethischen. Er beschreibt Aufmerksamkeit als weitgehend passiv. »Daß wir anderen Aufmerksamkeit schulden, bezieht sich in der Tat darauf, daß das, was uns auffällt, unseren Eigenleistungen zuvorkommt. Wir leben immer schon auf Kredit, und zwar, bevor wir Verträge 53 Georg Franck: »Aufmerksamkeit, Zeit, Raum. Ein knapper Ausdruck für das Veränderungspotential der neuen Informationstechniken und Kommunikationsmedien«, in: Bergelt/Völckers (Hg.), Zeit-Räume (1991), S. 77. 54 Vgl. G. Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 134ff. 55 Vgl. ebd., S. 72ff. 56 Ebd., S. 135. 57 Vgl. ebd., S. 135f. 58 Ebd., S. 136f.

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schließen, die uns Aufmerksamkeitspflichten auferlegen.«59 Das Zuwenden von Aufmerksamkeit ist nur scheinbar ein aktiver Vorgang. »Wir sollten uns hüten, das Aufmerksamkeitsgeschehen alten Autarkie- und Autonomieidealen zu unterwerfen.«60 Denn wem oder was wir Aufmerksamkeit zukommen lassen, ist uns immer schon entgegengekommen, uns zuvorgekommen. Diese Erkenntnis ist hilfreich bei der Beurteilung der Attraktion, die Festivals ausüben. Die Festivalzeit zieht in ihren Bann, bietet einen Zeitraum, in dem sich der Zuschauer in einem speziell dafür vorgesehen Rahmen von den Dingen – den Inszenierungen, Installationen und Kunstwerken – ansprechen lassen kann. Kunst, die der Inhalt des Festivals ist, potenziert außerdem die Praxis des Festivals, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Denn sie gehört zu den Praktiken, »die durch Verformung, Verdichtung, Beschleunigung oder Verlangsamung Gegeneffekte erzeugen und dazu beitragen, daß der gewohnte Blick und das eingeübte Ohr nicht nur finden, was sie kennen oder suchen.«61 Aufmerksamkeit müsste also – im Kontrast zu Francks Analyse – verstanden werden als ein hauptsächlich passiver ›Akt‹ oder der Zustand, der sich bewusster Steuerung weitgehend entzieht, im Empfangen und Entgegennehmen realisiert und sich nur nachträglich als aktiver Auswahlprozess darstellt.62 Dass dies überhaupt möglich ist, gründet sich auf der Simultaneität von Optionen, der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«. Niklas Luhmann entlehnt diese Formulierung Ernst Bloch und erfasst damit die Kontingenz der Systeme. Dadurch, dass alles gleichzeitig ist, wenn auch nicht gleichzeitig genutzt werden kann und jeweils nur eine Option aktualisierbar ist, bestehen doch alle Möglichkeiten für Entscheidungen – und Kurswechsel. Plötzlichkeit und das Eintreten von Unvorhergesehenem als Irritation lassen zwei Optionen offen: Resignation oder Kreativität.63 Künstlern, Kuratoren und Organisatoren bietet sich im Festival ein Möglichkeitsreservoir, das je nach eigenen Fähigkeiten und Methoden der Aufmerksamkeitslenkung ausgeschöpft werden kann. Das Festival in seiner räumlichen und zeitlichen Verdichtung 59 60 61 62

B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, S. 276. Ebd., S. 276f. Ebd., S. 285. Wichtig ist seine ›Passivität‹ auch für die Arbeit des Festivalmachers, der gezielt auf Hinweise seiner Informanten und Netzwerkpartner hin Reisen an unterschiedliche Orte unternimmt. Festivalübergreifend sind sich aber die Macher darüber einig, dass der Zufall beziehungsweise die Bereitschaft, sich von Unvorhergesehenem ansprechen zu lassen, erst die Grundlage für Neuentdeckungen beziehungsweise Innovationen bietet. So Torsten Maß: »Die Reisetätigkeit der Festivalmacher ist ja auf Entdeckungen ausgerichtet, auf das Neue, das Junge, das Unbekannte, und das trifft man nicht zufällig.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 336; Stefan Schmidtke: »Ein Programm entsteht bei Festivalmachern erstmal aus einem größeren Block an Reisen, die man zu absolvieren hat, weil man sich in verschiedenen Ländern umtun und schauen muss, was gerade produziert wird.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 347; Renate Klett: »Manchmal bin ich auch einfach ›nach Bauch‹ gereist, aus einer Intuition heraus, wie 1992 nach Südafrika, gleich nachdem Mandela freigelassen wurde. Da kannte ich niemanden und wusste nichts, fuhr zum großen Festival in Grahamstown, wo ich die einzige Europäerin war«. Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 354f. 63 Vgl. Niklas Luhmann: Soziologische Aufklärung, Band 5, Opladen: Verlag für Sozialwissenschaften 1990, S. 110.

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und Bündelung stellt diesen Kontingenzraum des Gleichzeitig-Ungleichzeitigen aus, auf den sich die Beteiligten jeweils neu einlassen müssen. Wer seine Möglichkeiten nutzen möchte, muss auf Festivals also vor allem spontan, das heißt schnell und flexibel, handeln können. Spontaneität wird von Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft definiert als genuine Äußerung des menschlichen Denkens und Wollens, als Symptom seiner Freiheit. Spontaneität bedeutet also zunächst Souveränität über die eigene Zeitgestaltung. Sie sperrt sich der Synchronisierung von Handlungen und damit der Disziplinierung durch Zeitpläne und dem Planvollen der Theaterspielpläne. Spontaneität bleibt ein Moment des Ungehorsams im Zugriff auf die Zeit des Einzelnen und findet ihren Fluchtpunkt in der Zeitverschwendung, in der wiederum der Schlüssel für die Entdeckung des Neuen liegt. Einige Festivals mit Avantgardeanspruch wie der steirische herbst befördern diese Haltung, indem sie ihre eigenen Grenzen methodisch infrage stellen und durch neue ästhetische Konzepte Wahrnehmungs- und Verhaltensgewohnheiten herausfordern. Beispiel hierfür mag das Projekt The Theatre sein, das 2007 zu erleben war: »The Theatre hat längst begonnen, in Form von internationalen Workshops, Treffen, Diskussionen – und nun auch auf dem Karmeliterplatz in Graz: Bevor das eigentliche Gebäude steht, wird The Theatre mit einer Reihe kleinerer Ereignisse und Interventionen sichtbar. […] Zahlreiche Events werden zudem spontan oder mit kurzfristiger Ankündigung stattfinden.«64 Solche Projekte führen die Begrenztheit der zeitlichen Kapazitäten des Festivalbesuchers vor Augen, verdeutlichen jedoch ebenso, dass sich das Festival (als Ereignis, nicht der Alltag seiner Vorbereitung) weitgehenden zeitlichen Konzepten und Bewältigungsstrategien entziehen sollte. Unter dieser Bedingung kann Spontaneität als eine Kraft wirken, die die Zeit auf Festivals zu maximieren, aufzufächern und zu vervielfältigen vermag.65 Ein in diesem Sinne der Spontaneität verwandter Begriff ist der des Kairós. Er bezeichnet den »Kreuzungspunkt zwischen Absicht und Gelegenheit, virtú und fortuna. Es geht darum, für wirksames Handeln die qualitativ ›richtige‹ Zeit in einem okkasionellen kontextuellen Rahmen zu ermitteln, bzw. umgekehrt

64 »The Theatre Events«, in: Programmheft zu steirischer herbst, Graz 2007, S. 8. 65 Die Erfahrung der Spontaneität als Quelle von ›besonderen Momenten‹ lässt sich durch Vokabeln des Theaters beschreiben. Dieses ist markiert durch den Moment seiner Vergänglichkeit, seiner strikten Zeitlichkeit und Neigung zum Zerfall nach dem Ereignis. »Theater passiert immer in der Gegenwart […]. Theater passiert jetzt, in diesem Moment, und dann ist es vorbei […]. Das ist das Altmodische und das Großartige am Theater […] und die Menschen mit ihrem Bedürfnis, zusammen zu sein und gemeinsam etwas zu erleben, brauchen das Theater dringender denn je.« (In: Michael Merschmeier: »Endstation Sehnsucht. Das deutschsprachige Theater ist besser als sein Ruf – doch wie lange noch? Anmerkungen, Aufregungen, Anregungen«, in: Theaterheute Jahrbuch 34 (1994), S. 13–19.) Trotzdem eine Inszenierung ein Gemachtes und weitgehend Geplantes ist, unterscheidet sich jede Aufführung nicht nur durch die je unterschiedlichen Aktionen der Darsteller, sondern primär durch die Unvorhersagbarkeit des Publikums. Die Faszination, die Theater ausüben kann, ergibt sich stets aus den vielfältigen Spannungsverhältnissen zwischen Auditorium und Bühne und der Ephemerität und Fragilität ihrer Beziehung.

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die der aktuellen Situation angemessene Handlungsform zu finden.«66 Entscheidend am Kairós ist, dass sein Auftreten, das heißt seine Zeitlichkeit, nicht vorhersagbar ist. Er entzieht sich der Zeitstrukturierung durch Festivalprogramme und bietet als eine Art wild wuchernde Zäsur in seinem kurzen Aufscheinen die Möglichkeit für die Vervielfältigung, für die Auffaltung von Zeit (vgl. Kapitel »Zukunftsexpansion«) – gesetzt den Fall, er wird erkannt. Ist dies der Fall, so ist der Kairós, wie ihn Mau beschreibt, »ein Moment der Situation und Begegnung […]. Der Augenblickscharakter der Begegnung in einem Fest kann […] das Fest zu einem kreativen Raum machen, zu einem ›Übergangsraum‹, durch den neue Interaktionsformen und Symbole entstehen können.«67 Die Begegnung ist wiederum an die real-physische simultane Anwesenheit der Akteure gekoppelt, die den Optionsumfang des Kairós realisieren müssen, damit er als solcher in Erscheinung treten kann. Die gleichzeitige Präsenz der Festivalteilhabenden basiert auf einem Ausschluss von Alternativen, bedeutet die Entscheidung für die Präsenz auf dem Festival und den Verzicht auf andere Wahrnehmungsmöglichkeiten.68 Gleichzeitigkeit bezeichnet an dieser Stelle also nicht die durch technische Neuerungen ermöglichte Gleichzeitigkeit, vor der Virilio warnt, sondern die real-physische, durch Liveness gekennzeichnete Situation, die das Schenken und Nehmen von Aufmerksamkeit erst ermöglicht. (Natürlich kann auch die Abwesenheit bekannter Künstler auf einem Festival für Aufmerksamkeit sorgen; unbekannte, junge Künstler leben jedoch von ihrer Präsenz im Präsens.) An dieser Stelle sei noch einmal auf die Überlegungen zur Liveness in den Darstellenden Künsten verwiesen, die, auf Festivals übertragen, vor allem die Situation der Simultaneität erhellen können. Liveness ist konstituiert durch ein »devotion to the ›now‹«,69 den Bezug zur Jetzt-Zeit. Doch es ist nicht nur ein Bezug, sondern die ›Hingabe‹ – devotion – zum Jetzt, die Liveness ausmacht und ihr zugleich eine moralische und soziale Komponente verleiht. Nur wer real präsent ist, so die These, kann als authentische, aufrichtige und stabile Entität gelten. Ein Vertrauensverhältnis aufzubauen ist gegenüber real präsenten Personen, die sich auf Festivals begegnen, leichter. Kooperationen

66 Aleida Assmann: Zeit und Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer, Köln/Weimar/ Wien: Böhlau 1999, S. 20. 67 J. Küchenhoff: Das Fest und die Grenzen des Ich, S. 119. 68 Die Idee der Präsenz schlägt die Brücke zwischen Theater und Festival. Beide Arbeitsformen (im weitesten Sinne) erfordern prinzipiell die Präsenz von Akteuren und Zeugen, das Ereignis existiert nicht ohne Zeugen, so wie das Theater sich erst in der thea, dem Schauen, konstituiert. So wie sich also im Theater der Gegenwart die Präsenz der Körper in den Vordergrund drängt, erinnert auch die Begegnungsform, das ›meeting‹, des Festivals an eine viel längere Tradition als die des Textes, nämlich die des Agierens und des dabei Beobachtetwerdens. Diese Art von Simultaneität steht nicht im Kontrast zum ›Währenddessen‹, den Kai van Eikels aufmacht, wenn er Gleichzeitigkeit als »Leitwort eines Relativismus« begreift und nur dem Zeitadverb ›währenddessen‹ eine Verbindung zur Situierung und »zeitlichen Wahrheit«eines Vorgangs zugesteht. Vgl. Kai van Eikels: »währenddessen«, in: dramaturgie. Zeitschrift der Dramaturgischen Gesellschaft 25 (2008), Heft 1, S. 7. 69 P. Auslander: Liveness, S. 196.

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aber leben von diesem Vertrauen, das auch das Versprechen beinhaltet, sich berechenbar und kooperativ zu verhalten. Vertrauen, das an Liveness gekoppelt ist, ist ebenfalls die Grundlage für die bereits an anderer Stelle erwähnte organisatorische Praxis des Netzwerks, die wiederum den Alltag der Akteure vor und nach dem Festival – wir haben diese Zeitspanne den Alltag des Festivals genannt – strukturiert. Das Festival als Aufmerksamkeit heischendes Ereignis ist als ein Nicht-Alltägliches beständig an den Alltag rückgekoppelt. Festivalkoordinatoren schaffen demgemäß auf ihren Festivals häufig abgesehen von den beiläufigen und zufälligen Begegnungsmöglichkeiten gezielt Orte, an denen sich das ›Reden-über‹ mit einem ›Reden-mit‹ verbinden kann. Kritiker wie Kunstschaffende treffen sich beispielsweise auf Partys, die etwa von den Wiener Festwochen systematisch und nur für diese Verdichtung so gestaltet werden, dass dort genetzwerkt werden kann.70 Festivals werden so auch als Formen einer gesteuerten Auseinandersetzung und als Orte von Vertrauensbeziehungen nutzbar, die über die Zeit eines Festivals hinaus andauern, und münzen so Beschleunigung und Verdichtung in produktive Handlungsformen um, die über das Festival hinaus Einfluss auf kulturelle Entwicklungen zeitigen können. Christine Nippe definiert das Kulturelle als »Resultat akkumulierter Interaktionsbeziehungen«.71 Demnach lebt Kultur immer von ihrer Aktualisierung, ist also in ständiger Bewegung und auf die Handlungen ihrer Akteure angewiesen. Ein wirksamer Ort für die Aktualisierung dieser Beziehungen findet sich in Netzwerken: »Unter einem sozialen Netzwerk soll daher eine eigenständige Form der Koordination von Interaktionen verstanden werden, deren Kern die vertrauensvolle Kooperation autonomer, aber interdependenter (wechselseitig voneinander abhängiger) Akteure ist, die für einen begrenzten Zeitraum zusammenarbeiten und dabei auf die Interessen des jeweiligen Partners Rücksicht nehmen, weil sie auf diese Weise ihre partikularen Ziele leichter realisieren können als durch nicht-koordiniertes Handeln. Eine derartige Bündelung von Ressourcen ermöglicht Lernprozesse und damit die Durchführung innovativer Projekte, deren Risiko für jeden der Partner allein zu groß wäre.«72

Diese Methoden sind feste Bestandteile der Festivalgestaltung in ganz Europa und darüber hinaus. Roeder-Zerndt äußert sich ähnlich:

70 Vgl. hierzu Marie Zimmermann von den Wiener Festwochen: »Man kann keine siebenwöchige Party feiern. Wir haben eine relativ schlanke Form gefunden: für jede Gruppe eine kleine intime Premierenfeier meistens hinter der Bühne und dreimal Feste wie anlässlich der gestrigen Opernpremiere. Das sind Künstlerfeste, zu denen alle Künstler, die in der Stadt sind, eingeladen werden. Gestern war es sehr schön zu sehen, wie sich Musik- und Theaterproduktionen untereinander mischten.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 317. 71 Christine Nippe: Kunst der Verbindung. Transnationale Netzwerke, Kunst und Globalisierung, Berlin: Lit-Verlag 2006, S. 12. 72 Johannes Weyer: »Einleitung«, in: ders. (Hg.), Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, München: Oldenbourg 2000, S. 11.

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Netzwerke sind demnach biografische Lösungen für systemische Probleme im Kulturbetrieb. Durch die rückläufige Verlässlichkeit zuvor gängiger Förderstrukturen müssen Festivalproduzenten wie Netzwerker – und beide zusammen – sich zunehmend als Unternehmer verstehen, die Kapital akkumulieren. Doch monetäres Kapital wird auf Festivals hauptsächlich umgemünzt in soziales wie kulturelles Kapital, denn Festivalleiter sind angewiesen auf ihre Kooperationspartner und freundschaftlichen Berater im Netzwerk. Diese Position erfordert ein hohes Maß an Selbstbeobachtung und Selbstreflexivität, was sich auch in der Selbstthematisierung von Festivals während und über das Festival hinaus manifestiert.74 Festivalleiter bleiben sich ihrer prekären Position bewusst. Somit verwundert es nicht, dass der größte Teil der heute existierenden kulturellen Netzwerke von den Produzenten von Kunst initiiert wurde, also von den organisatorischen Entscheidungsträgern, und nicht von Künstlern selbst.75 Die Methode des Netzwerkens beinhaltet jedoch durchaus problematische Aspekte. Unter der Überschrift Questions for today and tomorrow fasst Frédéric Maurin die Innovationsproblematik von Festivals zusammen: »Indeed, if festivals tend to produce shows – or even to recycle the same shows – instead of encouraging experimentation, if they promote circulation over creation, consecration over discovery, and follow what is being done rather than anticipate what can be done, if they aim to satisfy the hunger for rapid consumption at the expense of the urge towards aesthetic communication and human communion, what remains of their ideals?«76

Netzwerken als für das Festival relevante Praxis birgt somit auch die Gefahr einer Verarmung des Programms im vertrauten Konsens des Netzwerks. Tatsächlich ist die Programmgestaltung vieler Theaterfestivals am Prinzip der 73 M. Roeder-Zerndt: Vielfalt und Internationalisierung, S. 83. 74 So häufen sich seit den neunziger Jahren die selbstbezüglichen Programmpunkte auf Festivals wie etwa im Falle des FIT-Projekts. Dezentral organisierte Diskussionsrunden dienen den Festivalmachern dazu, die eigene Position und kulturelle Funktion gemeinsam zu klären. 75 »The first European networks were founded in the early 80s. New structures and work methods were developed explicitly as new forms of cooperation which differ from the older forms of networking […]. [T]hey were presumably intended in particular to enable direct cooperation or exchange between producers of culture, operate in a practical fashion and provide organization in a way unlikely to lead to hierarchies or institutional rigidity.« In: Raimund Minichbauer/Elke Mitterdorfer: European Cultural Networks and Networking in Central and Eastern Europe, Wien: IG Kultur Österreich 2000, S. 3. 76 F. Maurin: Festivals, S. 11.

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shared risks ausgerichtet, das heißt, um möglichst ökonomisch zu handeln, finanzieren Netzwerkpartner gemeinsam eine Produktion, die in der Folge auf den Festivals der Partner präsentiert wird. Durch Festivals wird somit eine europaweite Zirkulation von Regieansätzen befördert, die ohne sie nicht denkbar wäre. Dies kann auf künstlerischer Ebene eine Kanonisierung zur Folge haben, was nicht gleichbedeutend sein muss mit Verarmung ästhetischer Konzepte. Schließlich ist einigen Künstlern aus vertretbaren Gründen eine Vorreiter- und Innovatorenrolle einzuräumen. Die künstlerischen Risiken der finanziellen Risikominimierung bleiben nichtsdestotrotz augenfällig. Die Auswirkungen dieser Praxis können für Festivals als Orte des Netzwerkens jedoch dann nachteilig sein, wenn diese von der Öffentlichkeit zunehmend als reine ›Expertenveranstaltungen‹ rezipiert werden und als für den ›nur‹ am reinen Kunstereignis Interessierten unzugänglich erscheinen. Tatsächlich zeigen Publikumsuntersuchungen, dass ein nicht geringer Teil der Anwesenden mit ihrem Festivalbesuch berufliche Interessen verbindet77 (vgl. Kapitel »Festival als Markt«). Wenn darunter aber die Heterogenität des Publikums leidet, sind dann Überlegungen wie die folgende von Veronica KaupHasler vom steirischen herbst nur scheinheiliges Selbstbekenntnis, ein Vortäuschen des Besonderen in Anbetracht der profanen ›Künstlerschieberei‹ der ›mafiosen‹ Machenschaften von Kunstproduzenten? »Wie kann man den verdichteten Zeitraum des Festivals, den man für sich als Ausnahmesituation definiert, erfahrbar machen?«78 Lassen sich Kalkül und Taktieren zusammendenken mit dem Ereignis Festival, und wenn ja wie? Mit anderen Worten, wie berechtigt ist die Kennzeichnung von Theaterfestivals als Ausnahmesituation? Tatsächlich geben Festivals und ihre Leiter den Glauben an die Fähigkeit zur Ausnahme nicht gänzlich auf, insistieren aber auch nicht naiv auf ihre Position als alleinigem Ort der Ausnahme. Die Ausnahmesituation als Ganzes scheint unerreichbar, Momente der Ausnahme auf Festivals jedoch möglich und sogar notwendig, um die Attraktivität von Festivals für alle Besucher zu erhalten. Wie diese Momente generiert werden können, wird im Anschluss an dieses Unterkapitel erörtert.

Ausnahmesituation und Pause Die temporalen Kategorien Ausnahmesituation, Pause und Spontaneität lassen sich dem abstrakteren Begriff der freien Zeit zuordnen. Festivals sind für viele Besucher immer noch Orte der in freier Planung verbrachten Zeit und die meisten Festivals kehren in ihren Außendarstellungen ihren nichtalltäglichen und ausnahmehaften Charakter gezielt hervor. Sie tun dies beispielsweise durch architektonische Eingriffe in das Stadtbild (wie riesige rote Treppen bei den THEATERFORMEN 2004 oder die Installation The Theatre beim steirischen herbst 2007), durch andere publikumswirksame Irritationen an ihrem Austragungsort oder schlicht durch die öffentliche Behauptung, ein außergewöhnliches ›Ereignis‹ darzustellen. Die vermeintliche Freiheit in der 77 Stadt Oberhausen (Hg.): Publikumsbefragung bei den 39. Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen 1993, Oberhausen: Stadt Oberhausen, Amt für Statistik und Wahlen 1993, S. 16. 78 G. Schöllhammer: »Wo dockt man an Geschichte an?«, S. 63.

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Ausnahme wird jedoch zusehends eingeschränkt von Kalkülen und pragmatischen Überlegungen, die die scheinbare Angewiesenheit des Festivals auf seinen Ausnahmecharakter und seine Ventilfunktion relativieren. Die oben zitierte Selbstbefragung von Veronica Kaup-Hasler, wie man die Ausnahmesituation des Festivals erfahrbar machen kann, sollte demnach mit der Frage korrigiert werden, ob Festivals überhaupt noch als Ausnahmesituationen markiert werden müssen beziehungsweise ob sie eine Wirkung im Sinne einer solchen entfalten können – und endlich ob ein Verlust der Ausnahmesituation für das Festival gravierende Folgen hätte. Um diese Fragen zu beantworten, liegt es nahe, zunächst den Zusammenhang zwischen Ausnahmesituation und Fest zu eruieren. Ausnahmesituation wie Fest sind idealtypische Konstruktionen, die nie in Reinform existieren. Nichtsdestotrotz erfüllt ihre Utopie wichtige gesellschaftliche Funktionen. Ob Lebensbewältigungsfunktion beim affirmativen Fest, ob Ventilfunktion bei der Ausnahmesituation – beide Formen des Anderen haben vordergründig befreienden Charakter. Zugleich attestiert man einen zerstörerischen Zug sowohl auf ästhetischer als auch soziopolitischer Ebene ausschließlich dem ›Ausnahmezustand‹. Unterschieden werden muss zwischen dem politischen Ausnahmezustand, wie er von Carl Schmitt beschrieben wird und in seiner Nachfolge von Giorgio Agamben, für den der zum Regelfall gewordene politische Ausnahmezustand in seinem Essay Homo sacer79 zur Angstvision wird, und dem Ausnahmezustand im Sinne von Exzess und Selbstüberschreitung im Rausch, wie er vor allem von Georges Bataille theoretisiert wird. Peter Hodina stellt einen kritischen Vergleich der Positionen von Bataille, Caillois und Maffesoli an und definiert in Anlehnung an alle drei den Ausnahmezustand als »kollektives Aufbrausen«.80 Der Bataille entlehnte Begriff meint vor allem Verausgabung, die in einem antithetischen Verhältnis zum Prinzip rationalen Haushaltens und ökonomischen Kalkulierens steht. Bataille interpretiert den verschwenderisch leidenschaftlichen Ausbruch als Bereinigung eines polarisierenden ökonomischen Systems, das trotz Überproduktion Armut und Reichtum nur im krassen Kontrast kennt. Die Theoretisierung des Ausnahmezustands erfüllt bei Bataille die Funktion der Kritik an einer auf Funktionalität ausgerichteten Gesellschaft. Wie das Fest scheint die Ausnahmesituation insgesamt jedoch an Relevanz eingebüßt zu haben. Rüdiger Bubner diagnostiziert in seinen Ansätzen zu einer Theorie der Ästhetisierung der Lebenswelt für das Zeitalter, »wo die Götter abgeschafft sind und der alte Glaube gestorben«, das er als Nachfolgephänomen des Fests begreift, »die Aufhebung ästhetischer Vergegenwärtigung des Lebens in Ausnahmesituationen. An die Stelle tritt nach und nach eine Ästhetisierung der unmittelbaren Alltagsvollzüge selber.«81 Die Ausnahme feiert mit anderen Worten immer mehr den Einzug in den Alltag selbst. Die Kontraste zwischen den ›Mühen des Alltags‹ und der Entlastung durch das Fest haben sich verschoben beziehungsweise sind unmerklicher 79 Giorgio Agamben: Ausnahmezustand. Homo sacer II.2, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004. 80 Peter Hodina: »Das Fest als Ausnahmezustand. Zur Aktualität der ›Dionysischen‹ Festtheorien von Bataille, Caillois und Maffesoli anlässlich der ›anschwellenden Bocksgesänge‹«, in: Csobádi u.a. (Hg.), ›Und jedermann erwartet sich ein Fest‹ (1996), S. 185. 81 R. Bubner: Ästhetisierung der Lebenswelt, S. 655.

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geworden. Damit ist auch gesagt, dass Festivals heute nicht die Verbindlichkeit von Festen aufweisen und auch deren vielfältige Funktionen nicht erfüllen können. Zugleich versucht Bubner den Ausnahmezustand zu retten, indem er auf die ›ästhetische Erfahrung‹ rekurriert. In ihr und ihrem Agenten, der selbstbezüglichen und nur einen Selbstzweck verfolgenden Kunst, erkennt er eine Durchbrechung der Funktionszusammenhänge des Alltags und der ästhetisierten Lebenswelt. Indem die Kunst, so Bubner, ausschließlich sich selbst genüge und keine anderen Zwecke als ihre eigenen verfolge, könne sie den Menschen seiner Fixierung auf das Funktionieren der Lebenswelt entbinden, eine Auszeit ermöglichen. Wolfgang Lipp verlegt sich wiederum auf eine ökonomische Lesart, um die Möglichkeit von Ausnahmesituationen zu eruieren, und kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Bubner. Er konstatiert, dass der Ritualcharakter, der das Fest deutlich ausmacht, weitgehend verloren sei. Feiernde »zelebrieren den Kult des Diesseitigen längst heute unbekümmert, und sie zelebrieren ihn weithin frei von Ritualistik […]. Sie [Feste heute, J.E.] fallen unter den Imperativ von Bedürfnissen, die der Alltag selbst mit sich führt, sind verquickt mit Geld und Macht«.82 Doch wenn das Fest in seiner Radikalität als Ausnahmezustand obsolet geworden ist, welche Position nehmen dann Festivals als Festderivate und kondensierte Orte der Kunst trotz ihrer Profanisierung gegenüber dem Ausnahmezustand ein? Auch Hodinas Revision der oben genannten Theoretiker des Ausnahmezustands, die eine Reinigung der Gesellschaft durch die Verschwendung im Ausnahmezustand des Fests propagieren, verdeutlicht einmal mehr, dass dieser Begriff auf Theaterfestivals heute nicht ernsthaft anzuwenden ist. Selbst in den Anfängen des Festival-Booms in den achtziger Jahren ging es keineswegs um ein Fest der Revolte (dagegen spricht schon die Tendenz des Festivals, sich zu institutionalisieren); diese Gründungen bestanden nicht in der reinen Verausgabung als ›sinnlosem‹ Akt, sondern waren bereits Kalkül gegen die an den Theatern herrschenden Bedingungen. Die Kritik, die auch Festivals zu dieser Zeit üben wollten, entfaltete also und entfaltet auch heute nicht die zerstörerisch-beißende Kraft eines Bataille’schen Ausnahmezustands, sondern wird in einträglicher Nachbarschaft zum Kritisierten vorgebracht. Die Kennzeichnung als Ausnahmezustand, auf die sich Festivalleiter bisweilen berufen, mystifiziert Festivals folglich als etwas, das sie niemals sein konnten. Wenn Festivals sich heute insistierend auf ihn berufen, dann also in Sinne eines oberflächlichen Missverständnisses des Begriffs.83 Anders etwa als Festspiele geben Festivals keine äußerlichen Merkmale, keine Trigger, keine Codes und keine Insignien vor, die den Ausnahmezustand eindeutig markieren.84 Das, was ein Teilha82 W. Lipp: Feste heute, S. 665. 83 Zuletzt beruft sich Theater der Welt 2008 explizit auf den Ausnahmezustand in seinem Festivalreport »18 Tage Ausnahmezustand: Das Festival-Tagebuch«, in: Torsten Maß/Christoph Werner (Hg.), Komm! Ins Offene. Das Buch. ›Theater der Welt‹ 2008 in Halle an der Saale, Halle: Mitteldeutscher Verlag 2008, S. 57–74. 84 Auf Festspielen finden sich nach wie vor einige Formen der »Beachtlichkeit« (Franck), etwa das Anlegen von Sonntagskleidung und die Investition in Champagner (in Bayreuth etwa kostete 2006 ein Glas Sekt 9,50 Euro), der rote Teppich und das ›Pilgern‹ zum Aufführungsort. Mitunter ist es gerade die Pause, in denen das eigentliche Anliegen dieser Festspielbesucher erfüllt wird.

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bender an Ausnahmesituationen zu finden hat, wird beim Festival gesellschaftlich nicht mehr vorgeschrieben – was Ausnahme ist, hängt vielmehr von der Setzung des Einzelnen ab und ist nicht eindeutig denotiert. »Die echte Ausnahme ist nicht spezifizierbar und daher nicht regelbar.«85 Es scheint also viel richtiger, statt vom Ausnahmezustand von der Ausnahme als Möglichkeitsreservoir im Festival zu sprechen, die sich einmal entfaltet, ein andermal nicht, aber nie zu einem echten Zustand im Sinne eines ›FestStehenden‹, eines Manifesten wird. Pause und Spontaneität sind im Festival zunächst die Momente, die dessen Zwischenzeit als einen Bruch im Zeitgefüge, sein Ausnahmepotential am deutlichsten markieren. Denn die Pausenzeit im Festival birgt die seltenen Möglichkeiten des gemeinsamen Inne-Haltens, des Dazwischen-Haltens.86 Die Pause ist damit die Zäsur im alltäglichen, gleichförmigen Ablauf der Dinge. Verschiedene Arten von Pausen wirken im und am Theaterfestival beziehungsweise werden von ihm gestört. Sie sind somit in einem Rückkopplungssystem verknüpft, das sowohl ästhetische als auch organisatorische Konsequenzen hat. Zu den festivalrelevanten Pausen sind zu zählen: 1. die Pause im Verhältnis zur Theaterspielzeit, 2. die Pause als Programmbestandteil des Festivals, 3. die Pause im ästhetischen Gefüge einer Theaterproduktion. Auf Letztere kann nicht ausführlich eingegangen werden. Es muss der Hinweis genügen, dass Theaterkünstler seit den neunziger Jahren verstärkt die Pause thematisieren, indem sie sie gänzlich (durch eine Verkürzung der Inszenierungsdauer auf standardisierte neunzig Minuten) aussparen oder sie als Stilmittel gezielt einsetzen.87 Auch ›Marathonformate‹ wie die Arbeiten von Robert Lepage oder von Forced Entertainment, die ihre Existenz nicht selten Festivals als deren Produzenten verdanken, bringen die Pause zum Aufscheinen, indem sie gleich drei in den Ablauf des Theaterabends einplanen (wie etwa bei The Dragon Trilogy oder den Seven Streams of the River Ota, die beide sechs bis sieben Stunden dauern) oder es die Inszenierung dem Publikum freistellt, zu kommen und zu gehen, wann es beliebt.88 Wie verhält es sich aber mit dem Status der Pause des Festivals im Festival und im Verhältnis zum regulären Theaterbetrieb? Im Verhältnis zum Theaterbetrieb ergibt sich für Festivals in den neunziger Jahren ein grundlegendes Paradoxon. In Anbetracht einer breiten Vielfalt von Festivalangeboten während der Spielzeitpausen der Theater im Sommer kann sich jeder einigermaßen mobile und betuchte Theaterbegeisterte bestän85 Günther Ortmann: Regel und Ausnahme. Paradoxien sozialer Ordnung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 77. 86 Aber sie ist auch ein Moment, um die Zeit außerhalb des Festivals zu beschleunigen – durch das Machen von Karrieren, deren Grundlagen in Kooperationsgesprächen während der Pausen gelegt werden können. 87 Wie etwa zuletzt das Nature Theatre of Oklahoma in ihrer Produktion No dice, bei der die Darsteller einen skurrilen Tanz als Pausenfüller deklarieren und danach eine tatsächliche Aufführungspause einlegen, um den Gästen selbst geschmierte Brote anzubieten. 88 Arbeiten wie die Lepages sind zwar in der zeitgenössischen Situation der Theaterund Performancekunst eine Ausnahme, sie markieren aber die besondere Gelegenheit von Festivals, genügend Raum zu gewähren, um derartige Marathoninszenierungen als Ganzes zu zeigen. Festivals sind Orte des Übermaßes.

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dig ein neues Festivalangebot aussuchen und damit auch während der eigentlichen Theaterpause kontinuierlich Theaterproduktionen auf hohem Niveau sehen. Festivals werden damit – entgegen ihrer ursprünglichen Funktion – zum Agenten der Pausenlosigkeit im Alltag des Theaters, der sich in den Theaterhäusern abspielt. Das Festival, das ursprünglich die Pause im Theateralltag akzentuieren soll, indem es Theater zeitlich bündelt und in einen Ausnahmezusammenhang zu stellen sucht, durchbricht die Spielzeitpause und füllt sie aus – die Zäsur in der ästhetischen Präsentation wird so zunichtegemacht. Damit restituieren Festivals die alltägliche Erfahrung der Möglichkeit täglichen Theaterkonsums – die Grenzen zwischen Routine und Auszeit sind nicht mehr zu identifizieren. Dass diese Ununterscheidbarkeit auch von Festivalleitern als problematisch wahrgenommen wird, könnte eine Erklärung dafür sein, dass einige Festivals ihre Dauer mittlerweile verkürzt haben (vgl. S. 171) – wohl auch um sich dem ursprünglichen Rhythmus wieder anzunähern.89 Festivalleiter verringern die öffentliche Präsenz ihres Festivals innerhalb der Theaterszene nicht nur aus Kostengründen, sondern um auf ihre Sonderstellung erneut aufmerksam zu machen und immer wieder die Neugierde des Publikums zu stimulieren. Die Ausnahme – oder korrekter das Ausnahmepotential – des Festivals soll auf diesem Weg revitalisiert werden. Ob die Kontinuisierung des Spielbetriebs durch derlei Maßnahmen langfristig umkehrbar ist, scheint jedoch zweifelhaft angesichts der zunehmenden Festivalvielfalt in Deutschland. Doch längst verlängern Festivals seit den neunziger Jahren nicht nur den Theateralltag, sondern werden auch während der Spielzeit als Programmpunkte in die Spielzeiten integriert – sie stehen nicht mehr außerhalb der Theaterinstitutionen, sondern werden zu deren Bestandteil. Immer häufiger werden die Leerstellen des Theaters von Kleinstfestivals und Themenreihen gefüllt. Theaterintendanten erhoffen sich von dem Einsatz von Festivals eine deutlichere und besser nach außen kommunizierbare Struktur ihrer Theaterhäuser und eine Profilschärfung im Konkurrenzfeld. Kleinstfestivals sollen das Interesse der Theaterschaffenden an gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen suggerieren und verdeutlichen, dass die Theaterhäuser am Puls der Zeit sind und extravagante Angebote machen können. Die Folgen dieser Entwicklung sind noch nicht absehbar. Es liegt ihr jedoch ein schweres Missverständnis dahingehend zugrunde, dass staatliche und städtische Theaterhäuser mangels eigener Profilierungsideen festivalähnliche Spielplanelemente als einzig starkes Argument für ihr Weiterbestehen begreifen. Es wäre freilich unsinnig, staatliche und städtische Theaterhäuser auf ihren kulturellen Auftrag verpflichten zu wollen, wenn diese Position auch von einer auf Attraktion und Exklusivität ausgerichteten Kulturpolitik unterstützt und sogar eingefordert wird. Auch Theaterhäuser sind Teil ihres kulturellen Umfelds und können sich ihm nicht entziehen. Es lohnt aber die Überlegung, ob nicht eine sinnfälligere Handlungsoption für Theaterhäuser 89 Darüber hinaus ist mir kein Fall bekannt, bei dem ein Festival sein Intervall – Annuale, Biennale oder Triennale als die gängigsten – reduziert hätte. Im Gegenteil, Theater der Welt wird seit 1996 als Triennale veranstaltet und nicht wie vorher als Biennale. Eine einmalige Ausnahme wird für dieses Festival allerdings 2010 gemacht, wenn es biennal stattfindet, um Teil des Angebots zum Kulturhauptstadtjahr im Ruhrgebiet sein zu können.

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darin bestünde, den pausenlosen Betrieb im Theater zu unterbrechen und sich dem selbst auferlegten Zwang zur permanenten Bereitstellung von Theaterkunst zu entziehen. Abzuwarten bleibt, ob sich diese Fehlentwicklung längerfristig selbst korrigieren wird – gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass sich die ›Erlebnisgesellschaft‹ zusehends überlebt hat. Der Umstand, dass der Theateralltag mehr und mehr von Festivals durchsetzt ist, entspricht zweifellos einer allgemein zunehmenden »Überakkumulation« von Kulturgütern.90 Doch darf man sich nicht darüber täuschen, dass das Organisationsmodell Festival mittlerweile von einigen Theaterhäusern als reines Instrument interpretiert und genutzt wird und damit seiner weiteren Qualitäten verlustig geht. Dass die Pausenlosigkeit nicht nur ein dem Theateralltag immanentes Problem ist, beweist sich ein weiteres Mal bei der Pause im Festival. Gemeint ist die Pause als ästhetische und organisatorische Qualität von Festivals – die Pause als Zeit sozialer Kommunikation und Leerstelle zwischen den einzelnen Programmpunkten. Gerade anhand dieser Form der Pause lässt sich aufklären, warum Pausenlosigkeit sowohl im Theaterbetrieb als auch im Festival zunimmt. Seit den neunziger Jahren werden die im Festivalablauf entstehenden Pausen zusehends von, die eigentlichen Kunstproduktionen ergänzenden und kommentierenden, Programmpunkten gefüllt. Dies widerspricht entschieden der Erfahrung von Theaterinszenierungen, wo die Pause eine zentrale Situation der Inszenierung ist, ein gestaltendes Element und keine Zufälligkeit.91 Es handelt sich hierbei um eine Entwicklung, die erst seit den neunziger Jahren virulent wird und mit einer umfassenden zeitlichen Umstrukturierung der Gesellschaft in Verbindung steht, die das Postulat maximaler Zeitnutzung durchsetzt und die Bedeutung von Regeneration und schöpferischer Auszeit marginalisiert. Im Zuge des Anfüllens von ›leerer‹ Zeit geht die Möglichkeit nach und nach verloren, diese Zeitspanne als Moment der Entlastung zu nutzen.92 Begründen ließe sich diese auffällige Entwicklung mit einer »verinnerlichten Selbstdisziplinierung«, die in der Zwischenzeit des Festivals ebenso greift wie im Alltagsleben. Denn der »Umgang mit Pausen ist bestimmten institutionell und mental bedingten zeitstrukturellen und sozialen Verhaltensregeln unterworfen und impliziert kulturelle Deutungsmuster, die im Sinne einer verinnerlichten Selbstdisziplinierung dem zeitlichen Balancesystem des Kollektivs dienen.«93 Will sagen, die als freie Zeit apostrophierte Pause im Festival wird im außerästhetischen Kontext immer stärker

90 Vgl. Renate Bozic: »Wider den Produktionsprozess ›musikalischer Kulturware‹. Festspiele zwischen Kunst- und Konsumanspruch«, in: Csobádi u.a. (Hg.), ›Und jedermann erwartet sich ein Fest‹ (1996), S. 236. 91 Etwa im Sinne der Selbstinszenierung des Publikums. Vgl. hierzu die Ausführungen Erving Goffmans oder G. Muri, Pause!, S. 260f. 92 »Das griechische Verb paúein wird in der deutschen Sprache mit ›aufhören‹ und als gr. pausis mit der substantivierten Form ›Aufhören‹ übersetzt. Damit verwandt sind lateinisch pausa und altfranzösisch pose, die beide mit ›Zwischenzeit, Rast‹ übersetzt werden. Die etymologische Herleitung des Begriffs Pause als Aufhören, als Unterbrechung [einer Tätigkeit] beziehungsweise als kurze Zeit des Ausruhens, Rastens weist auf eine vielschichtige, von kollektiven, subjektiven wie situativen Deutungsmustern gleichermaßen beeinflusste Bedeutungszuschreibung hin.« In: G. Muri, Pause!, S. 10. 93 Ebd., S. 68.

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an Prinzipien wie Funktionalität und Nutzenoptimierung gekoppelt und wird somit letztlich unfrei. Auch die bereits festgestellte Tendenz von Festivals seit den neunziger Jahren, eine Theoretisierung der Gesellschaft wie der Kulturlandschaft voranzutreiben, steht unter dem Verdikt des sinnvollen Füllens von ›leerer‹ Zeit.94 Muri resümiert diese Situation treffend als »paradoxale Ausgangslage der Pause als eine mit Handlung aufgefüllte, intendierte Nicht-Handlung«.95 Anders ausgedrückt stößt die Andersartigkeit der Pause beständig an ihre eigenen Grenzen: »Die Pause ermöglicht das Austreten aus dem Zeitsystem nur scheinbar […]. Die Absicht, während Pausen die ›Zeit anzuhalten‹ oder sie als ›freie Zeit‹ zu nutzen, muss aufgrund dahinter liegender Einstellungsmuster zu Arbeit und Nicht-Arbeit, aber auch zu Zwang, Freiheit und Glück im Alltag relativiert werden.«96 Der Mensch in der Pause boykottiert sie selbst, um sein an Arbeit und Effizienz gekoppeltes Wohlbefinden aufrechtzuerhalten. Der Raum des Anderen im Alltag, den Festivals durch ihre Pausen eröffnen können, wird von Festivals selbst somit zusehends bedrängt. Die Pause als ›Ausnahme‹ und als Rahmenbedingung für das Auftreten von Plötzlichkeit und Spontaneität wird ersetzt durch effizient genutzte Zeit. Dies ist einer der zeitlichen Konflikte, in die die Teilhabenden des Festivals verstrickt sind und die der Festivalbetrieb selbst generiert. Dass Pausenzeiten weiter zurückgedrängt werden, lässt sich außerdem mit dem Misstrauen gegenüber Irritationen erklären. Schließlich muss die Pause auch verstanden werden als verunsicherndes Moment. Pausenzeiten bringen Momente der Scham mit sich, das Individuum wird plötzlich sichtbar für die anderen Festivalteilhabenden, ist sich seiner exponierten Situation mit einem Mal bewusst. Dass immer mehr Pausenzeiten mit Aktivitäten, die wiederum auf einer Bühne fixiert sind (Podiumsdiskussionen sind nur ein Beispiel) und erneut eine Grenze zwischen Schauenden und Beschauten etablieren, gefüllt werden, zeugt auch von der Überspielung der Tatsache, dass die Pause peinlich berührt. Wenn man diesen Wesenszug der Pause negiert, indem man ihn mit pragmatischen Strategien überdeckt und mit Netzwerkarbeit zu übergehen sucht, wird man einer wesentlichen Qualität der Pause nicht gerecht. Sie muss dagegen in ihrer oftmals peinlichen, passiven Leere geltend gemacht werden. Auch die Kommunikation in der Pause ist nicht vordringlich ein aktiver Zeitvertreib. Im Gegenteil ist die Zeit der Pause eine dialogische Zeit im Sinne vor allem von gegenseitiger Abhängigkeit – das Gespräch beruht auf dem Dialogpartner, der sich nicht nur für die eigenen Zwecke manipulieren lässt. Das Schenken von Aufmerksamkeit während der Pausen bedeutet also das Schenken, Teilen und Empfangen von Zeit. In ihrer Passivität ist die Pause somit ähnlich der Aufmerksamkeit. 94 Dass allerdings Festivalbesucher diese Tendenz unterminieren, ist keine Seltenheit. Die Autorin hat bei der Teilnahme an diversen Programmpunkten wie Publikumsgesprächen und Gesprächsrunden zu außerästhetischen Themen auf diversen Festivals feststellen können, dass das Interesse an diesen Angeboten nicht zwangsläufig kongruent mit der Angebotsmenge ist. Die Option, die Pausen antifunktional also antitaktisch zu nutzen, in Geselligkeit oder allein zu verbringen, wird vom Publikum weiterhin wahrgenommen. 95 G. Muri: Pause!, S. 68. 96 Ebd., S. 16.

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In dieser an das Chaos grenzenden Passivität muss sogar ein wesentliches Potential des Festivals erkannt werden, das nicht nur im Lenken und Erzeugen von Aufmerksamkeit besteht, sondern im Schaffen von Räumen für Spontaneität als Kraft der kreativen Neuverknüpfung. Trotz ihrer »paradoxalen Ausgangslage« ist die Pause ein geeigneter Zeitraum für spontanes, das heißt mit der Kraft der Plötzlichkeit ausgestattetes, Verhalten. Denn selbst im Fall, dass die Pause zunehmend besetzt wird, ist eine offenbar beständige Erfahrung von Festivalteilhabenden, dass gerade in der Pause (auch als Halt gebendem Element) die Sollbruchstellen zum Vorschein kommen, die Innovativität und Unverwechselbarkeit abseits des eigentlichen künstlerischen Treibens eines Festivals freilegen. Oder wie es Bruce Mau formuliert: »The space between people working together is filled with conflict, friction, strife, exhilaration, delight and vast creative potential … Coffee-breaks, cab rides, green rooms. Real growth often happens outside of where we intend it to. In the interstitial spaces that Dr. Seuss calls ›the waiting places‹.«97 Es sind also die Pausen und ihre Orte, in denen Kontingenz aufscheint und im besten Fall nutzbar gemacht werden kann. Die Pause im Festival ist somit im Grunde keine Zeit des Wartens, vor allem keine des aufgezwungenen Wartens,98 sondern ein Ort für das Entstehen von plötzlichem Wachstum, um das Bild Maus nochmals aufzugreifen. Durch die Anfeindung der Pause als schöpferische Zäsur werden somit der Rhythmus und die Sequenzierung von Festivals gestört, und das nicht nur im Verhältnis zu dem sie umgebenden Theatergeschehen, sondern auch bezogen auf ihre interne Struktur. Die Koordinaten Pause und Ausnahme illustrieren daher am deutlichsten die zeitlichen Konflikte, denen Festivals seit den neunziger Jahren ausgesetzt sind. Beide markieren die Zwiegespaltenheit von Festivals, die sich in Abhängigkeit zu den sie umgebenden gesellschaftlichen Entwicklungen befinden und dennoch ihre eigenen Charakter behaupten wollen. Die Angst vor der Unkontrollierbarkeit der wahren Ausnahmesituation und die Erfahrung einer allgemeinen Banalisierung der inflationierten Ausnahme lassen Festivals von ihr abrücken. Zugleich sind Festivals intrinsisch und nicht nur in ihren Selbstdeklarationen auf die Spontaneität der Ausnahme angewiesen. Simultan ist das Verhältnis zur Pause, die ebenfalls beständig – und nicht immer zum Nutzen von Festivals – von ihnen selbst relativiert wird. Ausnahme wie Pause sind für Festivals somit konfliktreich, bieten jedoch nach wie vor ihre kreativsten zeitlichen Potentiale, wenn sie nicht von Zweckmäßigkeiten substituiert werden.

97 Bruce Mau: An Incomplete Manifesto for Growth, S. 2ff. (zit. nach: Hans-Ulrich Obrist: »As one big coffee-break. Dialogue with Christine Peters, Florian Malzacher, and Mårten Spångberg«, in: Künstlerhaus Mousonturm (Hg.): True Truth About the Nearly Real. 4th International Summer Academy. A Reader, Frankfurt am Main: Künstlerhaus Mousonturm 2002, S. 20). 98 Vgl. G. Muri: Pause!, S. 252ff.

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Zukunftsexpansion »Von den Festivalbetreibern selbst darf man erwarten, dass sie in der Förderung des Nachwuchses, in der Sicherung der künstlerischen Qualität und in der Stärkung von Innovation ihre vordringliche Aufgabe sehen werden.«99

Spontaneität und Aufmerksamkeits›lenkung‹ sind zwei sich bedingende Bewältigungsstrategien für die Überforderung, die das Festival bedeutet. Zugleich sind sie Dispositionen des Individuums, die nicht nur Komplexität spielerisch zu reduzieren suchen, sondern auch Kontingenzen eröffnen beziehungsweise erweitern. Denn so wie der Festivalalltag auf einen Zeitraum jenseits seiner selbst ausgerichtet ist, so ist die Praxis des Netzwerkens auf Festivals auf einen Punkt jenseits des Festivals ausgerichtet, das heißt auf zukünftige Projekte, auf gemeinsam zu entwickelnde Ideen. Aufmerksamkeit und Spontaneität schlagen die Schneisen für diesen Prozess, Verantwortung(sbewusstsein) und Dauer sind seine Basis. Das Festival kann als ›passiver Generator‹ von Zukunft verstanden werden, es ist das Gefäß, das von seinen Akteuren mit Kontingenz gefüllt wird. Die verdichtete Zeit des Festivals hält für die Teilhabenden verschiedene Zukunftsversionen bereit und inmitten des Zeitmangels, den das Festival kennzeichnet, entsteht zuweilen ein Mehr an Zeit – das sich, konkreter formuliert, als Karriere bezeichnen lässt. Zukunft als eine Richtung von Zeitwahrnehmung spielt gesamtgesellschaftlich eine immer größere Rolle. Die Beschleunigung der Lebensabläufe, wie oben ausgeführt, hat Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen eigener Biografie, dem, was hinter dem Individuum liegt, und dem, was ihm bevorsteht. Lebensläufe werden brüchig und verlieren ihre Kohärenz. »Manches spricht nun dafür, daß in einer Gesellschaft, in der viele Strukturen sich in relativ kurzen Zeitabständen ändern, die Bedeutung der Differenz von Vergangenheit und Zukunft zunimmt; denn es ist unter solchen Bedingungen unübersehbar, daß die Zukunft nicht so sein wird wie die Vergangenheit.«100 Der beschleunigte Zeitraum erlaubt jedoch keine Prognose über die Ausgestaltung der Zukunft, die sich enorm von der Vergangenheit unterscheidet. Dazu Luhmann weiter: »Dann muß man sich die Zukunft als ›offene‹ Zukunft vorstellen. Sie ist nicht mehr nur unbekannt (aber schicksalhaft vorentschieden), sondern sie hängt davon ab, was in der Gegenwart – also gleichzeitig mit eigenem Handeln – geschieht. Die Gesellschaft stellt sich von Divination auf Technik um, das heißt: vom Deuten der Zeichen auf Ausschließung des Gleichzeitigen.«101 Die Zukunft muss somit entscheidbar sein, wenn man sie nicht auf sich zukommen lässt. Sie wird auf Festivals konstruierbar und kann durch konkretes Handeln und Verhandeln in der Gegenwart aktiv gestaltet werden, auch wenn diese Gegenwart zunehmend von der Zukunft eingeholt wird. 99 F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/static/ themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 11. 100 N. Luhmann: Soziologische Aufklärung, S. 113. 101 Ebd.

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Diesen Umstand beschreibt der Begriff der Gegenwartsschrumpfung präzise als Symptom einer weit reichenden Veränderung der Zeitgestaltung und -wahrnehmung seit der Moderne. Zu ihm analog verhält sich der Terminus Zukunftsexpansion. Die zunächst positiven Konnotationen dieses Begriffs und das Bedürfnis, das er beschreibt, werden an Festivals von ihrem Umfeld herangetragen. Festivals sollen die Reichweite und die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten von Zukunft vergrößern. Nach Hermann Lübbe bedeutet der Begriff der Zukunftsexpansion »die Verringerung der chronologischen Distanz […], die uns vom künftigen Neuen trennt.«102 Allerdings soll er im Zusammenhang mit kulturellen Festivals in einer entscheidenden Modifikation verwendet werden. Lübbe geht davon aus, dass die Prognostizierbarkeit zukünftiger Lebensverhältnisse im Allgemeinen immer schwerer werden wird, gerade weil der relativ ›unveränderliche‹ Zeitraum der Gegenwart schrumpft und damit der Standpunkt für verhältnismäßig sichere Prognosen entzogen wird. Diesen Schwund von Zukunftsgewissheit wertet er als eine der »Mißbefindlichkeitsunkosten, die wir für die historisch singulären Wohlfahrtserträgnisse der modernen Zivilisation zu zahlen haben.«103 Hier soll der Begriff jedoch wörtlich verstanden werden – weder aus einer philosophischen Perspektive noch aus einer ökonomischen – als Ausweitung von Zukunft als Möglichkeitsreservoir. Diese Kontingenz wird hauptsächlich durch die Aufnahme in transnationale Netzwerke erzeugt. Wie bereits gezeigt wurde (vgl. Kapitel »Verdichtung und Gleichzeitigkeit«), dient der Eintritt national operierender Künstler, Produzenten und Theaterhäuser in transnationale Netzwerke dem Austritt aus einer künstlerischen und finanziellen Isolation. Indem sich das Individuum in einen transnationalen Rahmen begibt, ergeben sich in der Regel neue Perspektiven der Arbeit und Zusammenarbeit, die in dieser Form wahrscheinlich nicht zustande gekommen wären, wenn sich die Partner nicht auf dem Forum (im Sinne auch des Marktplatzes) des Festivals begegnet wären. Das Zusammentreffen verschiedener künstlerischer Biografien multipliziert kreative Energien und führt im Idealfall zu einer Synergie dieser Impulse. Das »künftig Neue«, das auch Innovationen meint, ist idealiter das Resultat dieser Kooperationen. Wenn es stimmt, dass »Künstler […] sich nicht als Artisten [verstehen], sondern als Kommunikatoren«,104 dann auch in dem Sinne, dass durch wechselseitigen Austausch künstlerische Leistungen besonders befördert werden. Zu den wesentlichen künstlerischen Folgen der Teilhabe an einem Festival ist also die Zukunftsexpansion durch Netzwerke zu zählen, die zwar keine konkreten Aussagen über die Zukunft erlaubt, also keine konkrete Hilfe und keine Gewissheit gewährt – allerdings erahnen lässt, was die auf Festivals vertretenen Künstler erreichen könnten. Das Festival eröffnet dem professionellen Besucher Zuversicht gegenüber seiner Zukunft, da sich aus dem verdichteten Erfahrungswissen des Arbeitens im Netzwerk Prognosen über die Zukunft des Einzelnen ableiten lassen.105 Es ergibt sich daraus eine

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H. Lübbe: Zeit-Erfahrungen, S. 17. Ebd. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 506. Diese sind allerdings wenig mit Inhalt gefüllt, da im kulturellen Feld jedes einzelne

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ungewisse Gewissheit darüber, dass etwas, aber nicht genau was sich ergeben mag, keine Zukunft freilich »als Projekt, als Entwurf [,…] als Wahl, als Entscheidung.«106 Selten wird Zukunftsexpansion so greifbar wie bei den genuinen Produktionsnetzwerken, die sich hauptsächlich um den Theaternachwuchs kümmern.107 Dieses Netzwerkmodell hat verschiedene Effekte. Wie das Netzwerk Junge Hunde bemerkt, bedeutet der Eintritt eines Künstlers in den Produktionsrahmen des Netzwerks eine spezifische Art der Beschleunigung – die der Karriere: »The participation in JUNGE HUNDE reveals to some extent an acceleration in the artists/companies careers and opens up diverse opportunities throughout Europe.«108 Beschleunigung ist in diesem Kontext eine sehr praktische und meint wesentlich auch Zeit, die dezimiert wird, bevor ein Künstler in einem internationalen künstlerischen Rahmen eingeführt wird. Ebenso wird Beschleunigung zu einem praktischen Kriterium, wenn die Prozesse der Aneignung professioneller Arbeitsformen beschleunigt werden, die im Festival- und Koproduktionsrahmen generiert und dort vom Individuum erprobt werden können. Handlungsabstimmung über Länder- und Sprachgrenzen hinweg, Koordinierung aufwendiger multilateraler Projekte, das Formulieren einer Haltung gegenüber anderen ästhetischen Traditionen und das Lernen der Umgangsformen im Kontakt mit Geldgebern und Kulturpolitik – dies alles sind Lerneffekte, die im Rahmen eines Festivalproduktionsnetzwerks relativ schnell erzielt werden können. Mit dem Eintritt in ein Festivalnetzwerk geht somit eine im positiven Sinne verringerte Voraussagbarkeit individueller Zukunft einher – da sich die Möglichkeiten dieser Zukunft potenziert haben. Es öffnet sich durch sie »die Zukunft als solche, nämlich durch die Fähigkeit zur Reflexion, zur Imagination und damit auch zur Antizipation. […] es ermöglicht die Vorstellung möglicher Ziele, Projekte und Verläufe, erzwingt aber auch Entscheidungen.«109 Durch den Eintritt in ein Netzwerk wird nicht nur die Entscheidung für einen Austritt aus der Isolation gefällt, sondern auch für eine gemeinsame Zukunft, auch wenn sie sich nicht in Form von gemeinsamen Projekten ereignen muss – trotzdem wird das Mitglied Teil einer Zukunft des Netzwerks an sich. Dieser Aspekt hängt eng mit einer von Netzwerkmachern häufig im Kontext der EU-Politik beschriebenen Schwierigkeit der Zeitabstimmung zwischen Netzwerken und ihren Förderinstanzen zusammen, die Lipski folgendermaßen formuliert: »Schrecken weckt der Gedanke, daß die subtilen organischen Strukturen der Kulturen dem Druck formalisierter und bürokratisierter Tätigkeiten durch diese Formalisierung ausgesetzt werden könn-

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Projekt, auf das sich mehr oder minder hauptsächlich die Zukunft eines Mitglieds bezieht, eine besondere Eigenart aufweist und bestimmten Gesetzen folgt, unterschiedlich risikoreich, teuer, arbeitsintensiv und so weiter ist. Thomas Fuchs: »Biographie und Zukunft«, in: Cristian Kupke (Hg.), Zeit und Zeit lichkeit, Würzburg: Königshausen und Neumann 2004, S. 45. Hierzu sind etwa Junge Hunde, mit Einschränkung das mittlerweile inaktive Festival reich & berühmt und Freischwimmer zu zählen. »Junge Hunde Network«, vgl. http://www.ladanse.com/auto/wlduk.mv?showcat+ decompag vom 01. April 2008. T. Fuchs: Biographie und Zukunft, S. 44.

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ten.«110 Tatsächlich nehmen Netzwerke in ihrer Ausweitung auf transnationale Bereiche oft unüberschaubare Dimensionen an, sowohl in räumlicher als auch in temporaler Hinsicht. Übersichtlichkeit und Transparenz, die wesentlichen Ansprüche und Voraussetzungen der finanziellen Förderer von Netzwerken nicht nur auf EU-Ebene, lassen sich nur schwer mit der relativ unkonkreten Zukunftsexpansion im Netzwerk vereinbaren. Die Angewiesenheit auf Fördergelder macht weites Vorplanen erforderlich. »Eine zunehmende Zeitperfektionierung entwickelte sich in Wirtschaft, Organisation und öffentlichem Leben«111 – und Kultur. Zeitperfektionierung ist beinahe zum Gemeinplatz in einer modernisierten Welt geworden und ist die Kehrseite der Erfahrung von Zukunftsexpansion – wenn die Zukunft nicht vorbestimmt und »schicksalhaft gegeben« (Luhmann) ist, muss sie für die politischen Entscheidungsträger und Förderinstanzen zumindest schnell verfügbar und geplant werden, damit sie handhabbar wird. Diese Erwartungshaltung an Netzwerke widerspricht der Eigenart von Kunst und ihren Organisationsformen, langsam zu sein, denn sie kommen immer in gewisser Zeitverzögerung zum Zuge, ihre Wirkungen entfalten sich selten stante pede. Mit dem Wunsch nach maximaler räumlicher Ausdehnung sind an Netzwerke auch immer zeitplanerische Forderungen gestellt. »Modernisierungsprozesse sind, unter anderem, Prozesse großräumig wachsender wechselseitiger Abhängigkeiten, und das läßt […] die chronologischen Dimensionen der Zukunft wachsen, auf die wir uns bereits gegenwärtig explizit zu beziehen haben.«112 Hinzu kommt der oben beschriebene zunehmende Druck langfristiger Planung, unter dem europäische Festivalnetzwerke stehen. Das hauptsächliche Dilemma, in dem sich Festivals in Bezug auf ihre Förderer befinden, besteht in der prinzipiellen Unmöglichkeit, diesen Forderungen nachzukommen. Dabei wird von den politischen Entscheidungsträgern zumeist ausgeblendet, dass sich kulturelle Prozesse im Allgemeinen »durch eine bedeutende Spontaneität und im allgemeinen eine hohe Widerstandskraft gegenüber Planung«113 auszeichnen. Netzwerke, die zunächst die Investition von Zeit voraussetzen, werden zu Aussagen genötigt, die sie gar nicht tätigen können. Zukunftsexpansion wird von Politik und Wirtschaft skeptisch beäugt, Zukunft wahrgenommen als bedrohliche Ungewissheit, die quasi objektiviert werden und prognostizierbar sein muss. Dagegen ist die Erfahrung der Zukunftsexpansion von Künstlernetzwerken eine positive – die Potenzierung von Möglichkeiten von individueller Zukunft. Festivals sind für die Förderung von Künstlern ob der genannten Unwägbarkeiten internationaler Netzwerke also eine notwendige Ergänzung, da sie um die Unbestimmtheit der Zukunftsexpansion wissen und in ihrer Planungsphase selbst davon ›betroffen‹ sind. Deshalb bieten sie auch stets die Option, verschiedenste Wege der Zukunftsexpansion zu beschreiten. Denn es finden und entwickeln sich auf Festivals verschiedene denkbare informelle Netzwerkformen. Auch private Relationen zwischen Festivalbesuchern las-

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Jan Józef Lipski: »Neue Bereiche und Möglichkeiten der europäischen Kulturpolitik«, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 42 (1992), Heft 1, S. 48. R. Wendorff: Zur Erfahrung und Erforschung von Zeit, S. 66. H. Lübbe: Zeit-Erfahrungen, S. 17. J. J. Lipski: Neue Bereiche und Möglichkeiten der europäischen Kulturpolitik, S. 47.

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sen sich schließlich als soziale Netzwerke114 beschreiben, gerade wenn es sich bei diesen um professionelle Theaterschaffende handelt, die sich begegnen.

Dauer und Tradition Sowohl die Verdichtung von Zeit als auch das Konzept der Ausnahme(situation) sind extreme zeitliche Situationen, die in Opposition zu Konzepten von Dauer und Tradition stehen, welche wiederum Beständigkeit und Verlässlichkeit bedeuten. Auch diese haben jedoch Eingang in die Festivalpraxis gefunden. Die zyklische Rhythmik des Festivals wird ergänzt durch Dauer als konservatorisches, lineares und geschichtsbildendes Zeitphänomen. So hat beispielsweise die zuvor dargestellte Zukunftsexpansion ihre Grundlage in der Orientierung von Festivals an Dauer, Tradition und Kontinuität. Wie gravierend sich deren Einfluss auf den Bestand und die Lebendigkeit von Festivals (wie von Kultur im Allgemeinen) auswirken kann, soll hier dargestellt werden. Muri charakterisiert Dauer als »Sicherheit vermittelnder Zeithorizont«115. Vordergründig steht sie damit im Kontrast zur fast gewalttätigen »überfallartige[n], verblüffende[n] ›Theatralisierung einer Stadt‹«116 und ihrer sonstigen Umgebung, die von einigen Festivals nach wie vor behauptet wird. Dennoch setzen Festivals immer öfter auf Formen von Dauer, was genreübergreifend primär gesellschaftliche Motive zu haben scheint, wie den zunehmenden Überdruss an der Erlebnisgesellschaft und ihren auf kurzfristige Bedürfnisbefriedigung ausgelegten Events oder auch das Bedürfnis nach Stabilität in finanziell unsicheren Zeiten. Damit zusammen hängt nicht selten die je spezifische Rückbindung eines Festivals an seine Stadt, sein Veranstaltungsumfeld. Diese Qualität tritt zwar zumeist nur bei den Großfestivals des Formats der Wiener Festwochen und des Berliner Theatertreffens ins Bewusstsein, die nicht zuletzt als kulturelle Institutionen wahrgenommen werden. Als identifikationsträchtige Zeiträume sind jedoch auch kleinere Festivals besonders in ihrer Dauerhaftigkeit relevant für ihren Standort. Einen Festivalort zu ›überfallen‹ scheint für diesen nur dann Sinn zu machen, wenn damit zugleich in Aussicht gestellt wird, dass sich nur dieser Ort jenes spektakulären und einzigartigen Zugriffs rühmen kann, das heißt wenn damit geworben werden kann. Andererseits zeugt die Neigung zur Dauer auch von der prekären Lage einiger Festivals, die durch ihren eigenen Erfolg verursacht wurde. Denn längst machen sich Theaterinstitutionen das Festival als organisatorisches Erfolgsmodell zunutze. Von einer außeralltäglichen Praxis werden sie mehr und mehr zu festen Komponenten des Theaterbetriebs. Gerade die seit den neunziger Jahren einsetzende Rückbindung von Festivals an Theaterhäuser und damit auch die Ausweitung des Organisationsmodells als breite Praxis machen eine Neupositionierung der freien Festivals nötig. Hieraus ergibt sich 114 115 116

Vgl. hierzu Johannes Weyer (Hg.): Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, München/Wien: Oldenbourg 2000. G. Muri: Pause!, S. 285. Ivan Nagel: »Wie entstand THEATER DER WELT«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 4f. des Inlays.

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eine paradoxe Situation. Festivals, die eigentliche ›Ausnahme‹, schützen sich durch die Etablierung zunehmender Kontinuität gegen die neuen ›Ausnahmen‹ der theaterinternen Festivals und Veranstaltungsreihen, wie die Frankfurter Dialoge am schauspielfrankfurt, die diversen Kleinstfestivals am HAU in Berlin oder die von Matthias von Hartz kuratierten thematischen Programmreihen wie go create™ resistance am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Mögen innerhalb von Theaterhäusern einmalige Festivals noch Sinn ergeben – außerhalb dieser scheint das einmalige Festivalereignis gerade auch deswegen immer weniger sinnvoll, da einerseits Theaterfestivals selbst immer mehr kulturpolitische Verantwortung übernehmen, andererseits aber an Geldgeber gebunden sind, die die Nachhaltigkeit und Fruchtbarkeit ihrer Investition auch auf lange Sicht einfordern. Wenn freie Festivals ihre Dauer also zunehmend akzentuieren, dann um ihre Nachhaltigkeit gegenüber den theaterhausinternen Festivals unter Beweis zu stellen und um ihre Kredibilität gegenüber Fördern zu erhöhen. Bisher hat sich gezeigt, dass die Strategien von Dauer bei Festivals primär praktische Motive zur Ursache haben (Stabilisierung, Stärkung des Bezugs zum Umfeld, Konkurrenzbewältigung). Dauer ist darüber hinaus auch eine Bedingung für Progress im künstlerischen Kontakt. Gemeinhin ist es das Bestreben von Festivalleitern, den auf ihrem Festival präsentierten Künstlern untereinander Austausch zu ermöglichen. Dies wird bereits durch eine ausreichende Verweildauer erreicht, die sicherstellt, dass Künstler auch die Arbeiten und Projekte ihrer Kollegen sehen können. Judith Huber bemängelt etwa das Fehlen solcher Möglichkeiten, wenn sie über den Auftritt ihrer Performancegruppe Die Bairishe Geisha beim SPIELART Festival 2005 bemerkt: »If you are there […] you have to work so much you can’t really see what is going on during the festival.«117 Es lässt sich ebenfalls aus den Diskussionsprotokollen des Netzwerks Theatre/Festivals in Transition schließen, dass auch einheimische Künstler nur selten die Gelegenheit nutzen, die Arbeiten ihrer ausländischen Kollegen zu rezipieren.118 Zeitdruck und Praxis

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»Protokoll des Symposiums ›Festivals – A Luxury Article or a Generator for Culture‹, zweiter Teil ›Artists and Festivals‹ vom 3. Dezember 2005 in München«, vgl. http:// www.theatre.lv/old_theatre-fit.org/results_all_festivals.html vom 11. Oktober 2008, S. 7. Christine Peters: »Festivals behaupten von sich, dass sie Künstler zusammenführen – was ja im Prinzip stimmt, weil diese theoretisch die Möglichkeit haben, die Arbeiten anderer zu sehen. War das Realität bei Theater der Welt? Bot Theater der Welt 2005 Künstlern die Möglichkeit, sich länger vor Ort aufzuhalten? Es gab einige Produktionen, die länger in Stuttgart gezeigt wurden, aber das waren Uraufführungen oder Installationen. Die Künstler jedoch sind eigent-lich nicht unbedingt losgezogen und haben sich die Arbeiten der anderen an-geguckt. Aber es gab zusätzlich noch das so genannte ›Künstlerdorf‹, in einer neu gebauten Siedlung, für die das Festival ein Erstnutzungsrecht hatte und dort alle Künstler untergebracht wurden. Dort gab es auch ein Künstlerzelt, in dem gefrühstückt wurde. Man lebte also in diesem Dorf zusammen und abends gab es noch Veranstaltungen, so dass hier Begegnungen in jedem Fall möglich waren. Die Künstler waren oft abends einfach zu erschöpft, um noch ins Festivalzentrum zu gehen, wo sich das Publikum gemischt hat. Es ist je-doch in jedem Fall gut, dass man überhaupt Begegnungen

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des Tourens von Festival zu Festival – also Probleme der Zeitabstimmung – sind die häufigsten Gründe hierfür. Dauer als Gegengewicht ist also ein nicht unwesentlicher Faktor für den Erhalt von Kreativität und Innovation beziehungsweise gegenseitiger künstlerischer Befruchtung. Ähnliches gilt für die Partys, die im Kapitel »Verdichtung und Gleichzeitigkeit« angesprochen wurden: Nur wer über ausreichend Zeit für die Teilnahme an solchen Veranstaltungen verfügt, kann mit möglichst vielen potentiellen zukünftigen Kooperationspartnern in Kontakt treten. In diesem Licht erhält auch der verstärkte Einbezug von theoretischen und theoretisierenden Programmpunkten in den Ablauf eines Festivals eine neue Qualität. Denn Diskussionsreihen und Symposien, für die häufig Gelder separat akquiriert werden, sind Gelegenheiten für Künstler, länger an einem Ort zu verweilen, um dort ihren Kollegen zu begegnen. Wie Tilmann Broszat, Leiter des SPIELART Festivals, betont, ist es taktisch klüger, von Sponsoren Förderung für eine Konferenz zu beantragen als für die Einladung einer Theaterperformance.119 Es leuchtet ein, dass mit dieser Methode weit mehr als durch das einmalige Präsentieren von neuen, innovativen Projekten die Entwicklung von künstlerischen Strömungen befördert werden kann. Dauer und Innovation sind demnach Vorder- und Rückseite derselben Medaille. Die Hybridisierung der Gesellschaft »beinhaltet immer beides: den Versuch, in zeitlicher Dimension different zum Vorhergehenden zu sein; in sozialer Dimension läßt sich gleichzeitig der Versuch beobachten, neben den differenten auch solche Elemente zu verwenden, die zumindest bei einigen Konsens erwarten lassen.«120 Dauer entzündet sich an der ›selbstgenügsamen‹ Innovation und vice versa. So transzendiert sich das Festivalmodell als Innovationsgenerator beständig selbst. Assmann bezeichnet diesen Vorgang als Ko-Evolution und als eine für gesellschaftliche und künstlerische Entwicklung notwendige Pendelbewegung zwischen dem Bekannten und dem Neuen.121 Das Bekannte spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle im Blick auf die Identität und künstlerische Integrität eines Festivals, die im Überangebot von Festivals entgegen der unablässigen Forderung nach Innovation mittlerweile unerlässlich geworden sind. Hierzu zählen ritualisierte Feierlichkeiten und wiederkehrende Programmpunkte wie Preisverleihungen und Ähnliches. Dabei übersieht die Kritik an traditionellorientierten Festivals wie den Wiener Festwochen oder dem Berliner Theatertreffen, wie bedeutsam diese Identitätssicherungsmodelle im Vergleich zum innovativen Mehrwert von Festivals sein können. Festivals sind nicht nur als ästhetische Impulsgeber bedeutend, sondern auch als kulturelles Organisationsmodell allein deshalb durch den weitgehend gleichförmigen und kontinuierlichen Theaterbetrieb nicht zu substituieren, da sie verschiedene Zeiterfahrungen bündeln und exponieren: Die Pausen auf

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durch Künstlerzel-te, Künstlerdörfer, Festivalzentren schafft, damit man die Gelegenheit hat, sich kennen zu lernen.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 307f. Vgl. »Short cuts des FIT-Symposiums vom 1. Oktober 2005 in Vilnius zu ›Festivals as Generators and Circulators of new Ideas, professional, laboratorial and Community Events‹«, vgl. http://www.theatre-fit.org/pdf/FIT_discussionNotes_full_ sirenos.pdf vom 05. April 2008, S. 6. I. Schneider: Von der Vielsprachigkeit zur ›Kunst der Hybridation‹, S. 47. Vgl. A. Assmann: Zeit und Tradition, S. 158.

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Festivals werden intensiver erfahren, das Intervall des Festivals wird deutlicher wahrgenommen, das Festivals als Veranstaltung innerhalb eines begrenzten Zeitraums als zeitliche Zäsur erkannt. Unterschiedliche Zeitpostulate der (Post-)Moderne – die Knappheit von Zeit, Zeit als Währung oder auch der überproportionale Zuwachs an freier Zeit – werden hier gleichzeitig erfahrbar. Dieses Vermögen macht sie notwendigerweise zu paradoxen Phänomenen: Einerseits bieten sie einer Gesellschaft als traditionsreiche Gebilde (Zyklizität, Communitas) Richtung und Rückblick. Andererseits entsprechen sie den linearen Zeitanforderungen, das Zukünftige zu antizipieren und die Avantgarde zu präsentieren. Dies sollen sie wiederum nicht nur für den eigenen Standort oder eine spezifisch nationale Kultur tun, sondern zunehmend auf internationaler Ebene. In Zeiten, in denen Internationalität als Merkmal der meisten Kulturfestivals die Unwirksamkeit von räumlichen Grenzen suggeriert,122 sind zeitliche Restriktionen bei Festivals scheinbar aktiver, wirksamer und präsenter. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts bilden sich jedoch bei einigen Festivals nach und nach Widerstände gegen diese Grenzen heraus. Festivals wie SPIELART, der steirische herbst oder Formate wie spielzeit’europa versuchen, das Festival über seinen Rahmen auszudehnen und damit dauerhafter zu wirken, selbst wenn sie ihre eigentliche Dauer paradoxerweise verkürzen. Das heißt, selbst wenn das Kernereignis des eigentlichen Festivals zeitlich verkürzt wird, regen einige Festivals auch während ihrer eigentlichen Absenz Produktionen, Nachfolgediskussionen und Touren einzelner Produktionen an. So können Ausnahme und Dauer zusammengedacht werden. Denn die Begrenzung von Festivals auf einen bestimmten, sich nicht selten länger als über einen Monat ausdehnenden Zeitraum hat vor allem wesentliche (nicht nur praktische) Gründe und ist ebenso berechtigt wie ihr Streben nach Dauer. Die Ausnahme entsteht nur über eine strikte zeitliche Reglementierung oder wie sich Michael Freundt von der euro-scene Leipzig ausdrückt: »Die euro-scene über das ganze Jahr zu verteilen, macht keinen Sinn. Das Festival soll ein Rausch sein, soll euphorisch machen. Deshalb werden die meisten Produktionen innerhalb einer Woche im November gezeigt.«123 Im Sinne Assmanns schlägt das Pendel jedoch sogleich zurück in Richtung Dauerhaftigkeit, und das gerade in Anbetracht neuer kultureller, finanzieller und politischer Herausforderungen und Aufgaben, denen Festivals sich ausgesetzt sehen. Denn mit dem Erfolg des Organisationsmodells Festival und mit der Erfahrung, dass sich dieses auch in anderen Kontexten als tragfähig erweist, geht seit den neunziger Jahren ein funktionaler Wandel einher, der Festivals durch die Übernahme vielfältiger Aufgaben in Hinblick auf die gesamte Theaterkunst in Deutschland gesehen ihres Sonderstatus als Ausnahme beraubt. Oben wurde auf die stabilisierende Funktion von Dauer auf Gesellschaft hingewiesen. Nachhaltigkeit und Dauer sind in einem spezielleren Rahmen betrachtet außerdem Elemente, die kulturbildend wirken. »Die Kategorie ›Kultur‹ erfüllte ihre Funktionen als soziales Ordnungs- und Verortungsinstrument massgeblich [sic!] durch die Verknüpfung mit spezifischen Zeit122 123

Zum Begriff des Raums und seiner Spezifik später ausführlicher, an dieser Stelle sei der Terminus eher intuitiv, landläufig gebraucht. Michael Freundt/Ann-Elisabeth Wolff: »Das Festival soll ein Rausch sein«, in: Freundt/Wolff (Hg.), Neugier und Leidenschaft (2000), S. 124.

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und Raumkonzeptionen.«124 Wie kann die Zeitverwendung und Zeiterfahrung auf Festivals dazu im Besonderen beitragen? Eine Antwort hierauf mag Hans-Georg Gadamers Essay über die Aktualität des Schönen geben. Gadamer entfaltet in aller Kürze ein Konzept von »Eigenzeit«: »Die normale pragmatische Erfahrung von Zeit ist ›Zeit für etwas‹, d.h. die Zeit, über die man disponiert, die man sich einteilt, die man hat oder nicht hat oder nicht zu haben meint. Es ist ihrer Struktur nach leere Zeit, etwas, was man haben muß, um etwas hineinzufüllen. Extremes Beispiel der Erfahrung dieser Leere der Zeit ist die Langeweile. Da wird Zeit gewissermaßen in ihrem gesichtslosen Wiederholungsrhythmus als eine quälende Präsenz erfahren. Gegenüber der Leere der Langeweile steht die andere Leere der Geschäftigkeit, d.h. nie Zeit zu haben und immerfort etwas vorzuhaben. […] Die Extreme der Langeweile und der Betriebsamkeit visieren Zeit in der gleichen Weise an: als etwas, das mit nichts oder mit etwas ›ausgefüllt‹ ist. Zeit ist hier als das erfahren, was ›vertrieben‹ werden muß oder vertrieben ist. Zeit ist hier nicht als Zeit erfahren. – Daneben gibt es eine ganz andere Erfahrung von Zeit, und sie scheint mir sowohl mit der des Festes wie mit der der Kunst aufs tiefste verwandt. Ich möchte sie, im Unterschied zu der auszufüllenden, leeren Zeit, die erfüllte oder auch die Eigenzeit nennen.«125

Gadamer findet diese Zeit vor allem im Fest realisiert. Wollte man nun zumindest die zyklische Struktur von Festivals als Rudiment des Fests begreifen, so ließe sich zu Recht behaupten, dass auch Festivals Raum für die Entfaltung von Eigenzeit gewähren, gerade weil sie darüber hinaus künstlerischen Inhalts (siehe Gadamer) sind. Beide Prämissen, festlicher Charakter und Kunst als Inhalt, fallen im Theaterfestival zusammen. Die schon zuvor genannten festivalinternen Strategien sowohl gegen Langeweile (Steuerung der freien Zeit in der Pause) als auch gegen Betriebsamkeit (Spontaneität in der Pause) könnten in der Eigenzeit ihren Gegenpart finden. Denn diese ›Form von Zeit‹ erfordert primär, dass man sich ihr aussetzt, sich ausliefert und in ihr aufgeht. Die Eigenzeit auf Festivals regt zum Verweilen in der Zeit an. Eigenzeit, Dauer und Traditionsbildung sind zeitliche Strategien, die die Erfahrung von Zäsur im Festival konterkarieren und ergänzen. Sie sind nicht nur als Profilierungsmittel wirksam, sondern auch die Grundlage von Innovationen und damit unabdingbar für die Entwicklung einzelner Künstler und für die Festivalszene als Ganzes. Dauer und Traditionsbildung gehören zu den sinnstiftenden Elementen des Festivals. Wäre das Festival ausschließlich schnell vergangenes Spektakel, würde es nur ›überfallen‹, theatralisieren und überraschen, wäre seine Rolle in der Herausbildung der deutschen Theaterlandschaft nach 1989 nicht dermaßen herausragend gewesen. Es ist das dem Festival eigentümliche Zusammenspiel aus Grenzsetzung und Grenzüberschreitung, aus Konservierung und Experiment, das es als Organisationsmodell für die heterogenen westlichen Gesellschaften unabdingbar macht. Die Analyse der zeitlichen Struktur von Festivals hat aufgezeigt, dass sie nicht nur ihre eigenen Zeiten reflektieren, sondern auch Wege gefunden haben, 124 125

Regina Bormann: Raum, Zeit, Identität. Sozialtheoretische Verortungen kultureller Prozesse, Opladen: Leske + Budrich 2001, S. 165. H.-G. Gadamer: Die Aktualität des Schönen, S. 55.

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disparateste Ansätze miteinander in Einklang zu bringen. Festivals bringen sich damit gleichsam in Kontakt mit gesellschaftlich brisanten Bereichen und Fragestellungen und entwickeln daraufhin Taktiken, die die verschiedensten Zeitformen integrieren können. Den Bedürfnissen der Festivalbesucher nach dem Nicht-Alltäglichen, der Ausnahme, der Pause wie nach dem ordnungsstiftenden Alltag kann bei Festivals gleichsam nachgekommen werden. Ähnliches gelingt ihnen in Bezug auf den Raum. Die derzeit wichtigsten ›Lokalitäten‹ – die Heimat, figuriert in der Stadt als Lebenskonzept, und das Fremde, manifest im transnationalen Raum – werden als wichtigste Aspekte der Raumdebatte im Zusammenhang mit Festivals im Folgenden vorgestellt.

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Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Raums So wie die Zeit ist Raum eine Relation des Seins, deren Wahrnehmung nicht stabil bleiben kann, wenn sich ihr gesellschaftlicher Bezugsrahmen verändert. Da außerdem Raum und Zeit zwei untrennbare Relationen des Seins sind, hat die Veränderung von Zeitverhältnissen auch Auswirkungen auf den Raum. Über ihre eigene Beziehung zum Sein hinaus dienen Zeit und Raum aber auch als semantische Instrumente und klassifikatorische Termini, die die Verhältnisse der Dinge erhellen, das Schaffen von Ordnung erlauben und ›aufräumen‹ im Sinne Heideggers. Diese Funktionen sind nicht nur von allgemein gesellschaftlicher Relevanz, sondern entfalten auf Festivals bezogen eine je eigene Kraft und Virulenz. Während die Kategorie Zeit seit dem 20. Jahrhundert von Überdefinition gekennzeichnet ist,1 soll der Raum von Homogenisierung und Einebnungsbewegungen betroffen sein. Zunehmende Globalisierungsprozesse und das Zusammenrücken der EU-Staaten verschärfen diese Tendenz auf der Ebene nationalen Raums: die Vereinheitlichung des übernationalen Raums bedingt die Vereinheitlichung des nationalen Raums. Diese politischen Vorgänge lassen ein Bewusstsein über den Verlust eines klar definierbaren Raums und von räumlichem Erleben entstehen. Bernd Guggenberger etwa zeichnet ein apokalyptisches Bild der »Auflösung der alten Raumordnung« und der »Verwischung der traditionellen Raumverhältnisse«,2 ein konturloses Bild der Indifferenz gegenüber dem Raum. Der Blick dieser Studie richtet sich hingegen auf die sehr konkret erfahrbare Situation, dass Festivals Vehikel und Motoren von Reterritorialisierungsbestrebungen3 sind und damit ein notwendiges Gegengewicht zu den Enträumlichungstendenzen in Europa seit den 1990er Jahren bilden. Einerseits treiben sie die Homogenisierungsprozesse von Räumen voran (Thema Globalisierung), zugleich behaupten sie das Eigene, machen das Homogene wieder zu einem beschreitbaren und als eigentümlich erfahrbaren Terrain. Damit finden sich Festivals in einer Grenzzone, in einem Dazwischen, das heißt, ihr Raum – oder ihre Räume – sind 1

2 3

Vgl. Mike Sandbothe: Die Verzeitlichung der Zeit. Grundtendenzen der modernen Zeitdebatte in Philosophie und Wissenschaft, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, S. 1. Bernd Guggenberger: »Unterwegs im Nirgendwo. Von der Raum- zur Zeitordnung«, in: Bergelt/Völckers (Hg.), Zeit-Räume (1991), S. 62. Der Begriff der Reterritorialisierung wird hier nicht im Sinne Deleuzes und Guattaris verwendet, steht also nicht im Kontext ihrer Kapitalismuskritik. Reterritorialisierung wird vielmehr in einem allgemeinen, landläufigen Verständnis verwendet.

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unsicher und mehrdeutig. Diese unsicheren Räume zwischen Fremdem und Eigenem markieren die Politik des Festivals und sind die Topoi, an denen ein jedes Festival unter Beweis stellen kann, dass es mehr ist als ein kommerzielles Event. In der Thematisierung des Raums werden Festivals zu Zentren des Nachdenkens über Kunst und Sozialität. Wie genau aber wenden Festivals den beschriebenen Verlust von Eindeutigkeit in eine kreative und produktive Kraft? Und wie demonstrieren Festivals in Deutschland nach dem Fall der Mauer als narbenartiger Grenze, dass der Raum, und zumal der sozial konstruierte Raum, keinesfalls grenzenlos ist, sondern sich immer noch an Grenzen abarbeitet, »dass die Bedeutung des Raumes mit der Aufhebung räumlicher Schranken eben nicht abnimmt«?4 Als Ereignisse lassen sich Festivals bevorzugt in speziellen Räumen nieder. Das städtische Umfeld scheint dafür prädestiniert, Ereignisse nicht nur als fundamentale Kategorie der Zeiterfahrung5 in sich aufzunehmen, sondern auch zu stimulieren und zu reflektieren. Städte als Orte der zunehmenden »Überakkumulation«6 von Kulturgütern sind auch die Räume, in denen sich Außeralltägliches ansammelt und in Form von Events den Alltag allmählich zersetzt. Die Rückbindung von Festivals an den urbanen Raum ist demnach zugleich durch ihre Zeitlichkeit motiviert (vgl. Kapitel »Die Zeiten des Festivals«). An wenigen Orten gerät Zeit als ästhetische Kategorie und als Erfahrungsproblem so stark in den Blick wie im urbanen Raum. Die zentrale Erfahrung des Urbanen ist der Verlust, der Mangel an und das reine Zutagetreten von Zeit und Gegenwart. Somit sind Festivals als ›Zeitmedien‹ (sie verschränken verschiedene Zeitebenen) hauptsächlich an die Stadt als Erlebnisort gebunden. Diesem Umstand wird in der Entwicklungsgeschichte kultureller Festivals nicht immer entsprochen. Während sich in den siebziger Jahren Festivals in die Randbezirke der Stadt zurückziehen, um der Zeit beziehungsweise der Vergangenheit (von Festivals als reine Weiterführung des Festspielmodells) zu entfliehen, kehren Festivals ab den Neunzigern wieder in dessen Kern zurück (was nicht selten auch mit einer Rückbindung an das zentrale städtische Theater zusammenfällt, wie etwa im Falle der euro-scene Leipzig oder der THEATERFORMEN in Braunschweig und Hannover). Sie setzen sich zu den Städten neu in Beziehung und entziehen sich nicht länger den Herausforderungen und Ansprüchen des urbanen Raums, die sie selbst inhärent betreffen. Denn die Rückkehr ins Zentrum, in den Nukleus der städtischen Agglomerationen scheint symptomatisch für die zwei hauptsächlichen Modi, in denen Festivals – rein strukturalistisch gesehen – funktionieren, nämlich die von Konzentration und Trennung. Die Stadt beziehungsweise das, was heute gemeinhin als Stadt bezeichnet wird, bedient sich ähnlicher Verfahrensweisen, um sich selbst zu gestalten, sie verdichtet sich mancherorts und errichtet anderenorts Grenzen zwischen ihren Bewohnern. In diesem Sinne ist Festivalpolitik zugleich Arbeit am sozialen Körper der Stadt, da die Kategorie Raum jenseits ihrer klassifikatorischen Funktionen ein Medium sozialer Strukturierung ist. Sie ist ein »›Kürzel‹ für Probleme und Möglichkeiten der Handlungsverwirklichung und der sozialen Kom-

4 5 6

Regina Bittner: »Die Stadt als Event«, in: Bittner (Hg.), Die Stadt als Event (2002), S. 17. Vgl. N. Müller-Schöll (Hg.): Ereignis (2003). R. Bozic: Wider den Produktionsprozess ›musikalischer Kulturware‹, S. 236.

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munikation«.7 Räume entfalten sich also nur im gemeinschaftlichen Verhandeln über Struktur und Ordnung von Lebens-Raum. Raum ist primär an Handeln und Praxis gekoppelt, er ist Praxis (des Orts). »Räume sind keine neutralen Arenen, in denen gleichberechtigte Begegnungen stattfinden. Sie existieren nicht per se, sondern werden durch konkurrierende Nutzungen und Symboliken immer wieder neu hergestellt und codiert.«8 Henri Lefèbvres (La production de l’espace, 1974), Pierre Bourdieus (La distinction. Critique sociale du jugement, 1979) und Michel de Certeaus (Arts de faire, 1980) Studien bilden den theoretischen Grundstock für die Analyse des Raums in diesem Sinne. Sie beschreiben ihn nicht länger als ›Container‹ für anderes, das ihn füllt, sondern zugleich als Medium und Produkt sozialen Agierens. Er ist nicht a priori existent, sondern wird konstituiert. Somit gilt gleichsam, dass die Räume des Festivals in der Stadt ebenfalls zur Praxis des Festivals werden, ein Festival ist praktizierter urbaner Raum. Zugleich sind die Orte des Festivals tendenziell die ›fremden‹ Orte in der Stadt, das Festival ist der Ort des Anderen. Diese vorgefundenen Räume, die schon eine Zuschreibung erfahren haben, werden nicht selten systematisch überschritten und besetzt. Das Festival vereinnahmt die fremden Räume für eine gewisse Zeitspanne, verfremdet sie wiederum selbst und umspielt ihre Grenzen, die es zum Aufscheinen bringt und manchmal zu überschreiten vermag. Absichtlich wurde zunächst nicht von ›Orten‹ des Festivals gesprochen. Vor der oben explizierten Unterscheidung zwischen Raum und Räumlichkeit steht zunächst die zwischen Ort und Raum. Diese wurde bereits von Maurice Merleau-Ponty, Michel de Certeau, Marc Augé und anderen vorgenommen.9 Hier sei kurz daran erinnert, dass erst die Besetzung und Nutzung eines Orts ihn zu einem Raum machen. Für Festivals hieße das, dass ihre räumliche Praxis darin besteht, Orte zu Räumen zu machen. Dies wird zumindest von den Festivalkoordinatoren für die verfallenen, verlassenen, verleugneten Bereiche der Stadt und der Region, die den sozial Ausgegrenzten zugewiesen werden, angestrebt. Ob Festivals damit tatsächlich eine gestalterische, kulturpolitische Funktion für den urbanen Raum übernehmen (können), sei zunächst dahingestellt. Dennoch scheinen sie über das Potential zu verfügen, wenn nicht die sozial schwierigen, so doch die gesichtslosen urbanen Orte zu identifizierbaren Räumen zu machen. Diese nicht besetzten urbanen Orte beschreibt Henri Lefèbvre als »abstrakte Räume«. Sie sind von Gleichzeitigkeit, Homogenisierung und Fragmentierung charakterisiert.10 »Dieser Raum ist homogen, weil darin alles äquivalent, weil darin alles austauschbar und auswechselbar ist […]. Dieser Raum ist aber ebenso zersplittert, weil er 7

Benno Werlen: »Kulturelle Räumlichkeiten: Bedingung, Element und Medium der Praxis«, in: Brigitta Hauser-Schäublin/Michael Dickhardt (Hg.), Kulturelle Räume – räumliche Kultur. Zur Neubestimmung des Verhältnisses zweier fundamentaler Kategorien menschlicher Praxis, Münster/Hamburg/London: Lit-Verlag 2003, S. 7. 8 Klaus Ronneberger/Stephan Lanz/Walther Jahn: Die Stadt als Beute, Bonn: Dietz 1999, S. 207. 9 Vgl. etwa Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt am Main: Fischer 1994, S. 95ff. 10 Vgl. Henri Lefèbvre: »Die Produktion des städtischen Raums«, in: AnArchitektur, Material zu: Lefèbvre, Die Produktion des Raumes, vgl. http://www.anarchitektur. com/aa01_lefebvre/aa01_lefebvre.pdf vom 09. Februar 2008, S. 9.

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durch Grundstücke oder Parzellen gebildet wird. Und er wird Grundstück für Grundstück oder Parzelle für Parzelle verkauft, er wird also fortwährend zersplittert und fragmentiert, mehr noch: pulverisiert.«11 Die Frage ist nun, ob Festivals alternative Räume schaffen können, wie sie Lefèbvre vorschlägt,12 die der Fragmentierung und Homogenisierung entgegenwirken können. Räume, die Disparates zusammenführen und Gemeinschaft begründen können, ohne selbst wiederum zu standardisieren und zu vereinheitlichen – Räume des offenen Dialogs. Tatsächlich sind Theaterfestivals exponierte Beispiele dieser alternativen Räume. Michel Foucaults Gedanken zur »Epoche des Raums« können zur eingehenderen Beantwortung dieser Frage ein wichtiger Ansatzpunkt sein. Mit dieser Wendung meint Foucault nicht eine schlichte Dominanz des Raums, sondern eine Verschiebung des Denkens hin zu räumlichen Kategorien. Sie bedeutet das Denken in vernetzten Zusammenhängen und folgt der Idee, dass die Dinge, Menschen, Nationen, Häuser in Relation zueinander stehen und dies unabhängig von zeitlichen Kategorien wie Geschichte, Tradition und Ziel. Diese Orte (oder in unserem Verständnis Räume) stehen alle miteinander in Beziehung und durchdringen sich gegenseitig. »Orte [werden] zunehmend phantasmagorisch […]: das heißt, lokale Schauplätze sind von Grund auf durchdrungen und geformt von weit entfernt liegenden sozialen Einflüssen […], die ›sichtbare Form‹ eines Ortes verbirgt die entfernten Verbindungen, die eigentlich seine Eigenart bestimmen.«13 Der städtische Raum, verfremdet und seinen Bewohnern unbekannt, kann durch die Intervention von Festivals, die ihre Austragungsorte mit anderen Räumen vernetzen und in Beziehung setzen, eine neue Ausrichtung erhalten – heterotopisch werden. Utopien versteht Foucault im Wesentlichen als unwirkliche Räume. Als einen zweiten Typ von Räumen, »die mit allen anderen in Verbindung stehen und dennoch allen anderen Platzierungen widersprechen«, stellt er die Heterotopie vor: »Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien.«14

Im Zusammenhang mit den kulturellen Entwicklungen in Europa ist es jedoch richtiger statt vom Raum von Räumlichkeit zu sprechen. Benno Werlen etwa plädiert für diese Korrektur: »Das heißt nicht, dass ›Räumlichkeit‹ für kulturelle Praktiken keine Rolle mehr spielt. Doch ›Raum‹ scheint nicht mehr das umfassend greifende Medium der Praxisgestaltung zu sein. Das Territori11 Ebd., S. 14. 12 Ebd., S. 16. 13 Anthony Giddens: Konsequenzen der Moderne, S. 9 (zit. nach C. Nippe, Kunst der Verbindung, S. 96). 14 Michel Foucault: »Andere Räume«, in: Wentz (Hg.), Stadt-Räume (1991), S. 68.

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alprinzip des Kulturellen wird in zahlreichen Bereichen sozial-kultureller Wirklichkeiten durch wähl- und gestaltbare Lebensstile überlagert.«15 Diese Begriffsverschiebung erlaubt es, das Praxisfeld, den Ort der Praxis, nicht als ein Gegebenes zu beschreiben, sondern als ein Geformtes und somit Formbares. ›Raum‹ wird unter dieser Prämisse als soziale Projektion erkennbar. Diese Verschiebung erlaubt außerdem, die Fixierung von Kultur (wie im so genannten »Dialog der Kulturen« oder in der »kulturellen Vielfalt« im Sinne nationaler Kulturen) auf geographische Kategorien aufzubrechen. Raum in Europa ist gegenwärtig ein weniger geographisch denn sozial geformter Raum, ein ›mentaler Raum‹ gar. Gerade an diesem Punkt verdeutlicht sich die Sonderstellung von Festivals: Als Organisationsformen von sozialen Begegnungen bilden sie einen alternativen Raum, in dem sich soziale Praxis entfalten kann. Sie bilden damit zugleich den Austragungsort von Netzwerkbeziehungen, die sich über formale Ländergrenzen hinweg multiplizieren und den Raum ›Europa‹ immer luzider machen beziehungsweise auf Festivals als mentalem Raum aufscheinen lassen. Sie können als eine Art lokale ›Keimzelle‹ für die Ausweitung der Grenzauflösungen gelten. Wer von einem zusammenwachsenden Europa sprechen will, muss in Kategorien von Räumlichkeit denken, wer die Grenzen beschreiben will, an denen Festivals sich reiben, bleibt beim Raum als Verständniskontext. Wie im Fall der Zeitlichkeit des Festivals findet sich bei dessen Räumlichkeit und Räumen also eine zweiseitig gerichtete Orientierung. Einerseits verändern Festivals Räume und lösen ein traditionelles Verständnis von Raum gerade im Zusammenhang mit Vernetzung und transnationaler Kommunikation auf. Andererseits ist ihnen an einer Restitution des Raums gelegen, an einer neuen Diskussion des Raums, an dem das Publikum teilhat. Damit können Festivals Diskurse über das Fremde anstoßen und zugleich ästhetische Optionen eröffnen, denn was Festivals im öffentlichen (urbanen) Raum veranstalten, ist nicht notwendigerweise Theater, sondern zunächst Intervention. Dies gilt letztlich sowohl für Festivals am See (Zürcher Theaterspektakel), in der Kleinstadt (steirischer herbst und transeuropa) oder für solche, die über mehre Städte verteilt sind (Theater der Welt 2002 oder die RuhrTriennale).

15 B. Werlen: Kulturelle Räumlichkeiten, S. 2.

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Stadtraum »Inzwischen existiert in Deutschland kaum eine Großstadt, die nicht wenigstens ein herausragendes internationales Theaterereignis im Jahr zu bieten hat, kaum eine Stadt in der Provinz, die sich nicht durch internationale Festspiele oder wenigstens ein internationales Sommerprogramm in Schlossruinen, Landschaftsparks oder Industriebranchen profiliert.«16

Ein gleichgültig dreinblickender Reporter streckt einem Mann ein Mikrophon entgegen. Dieser zeigt erste Anzeichen von Verwahrlosung, seine Hose ist geflickt, das Gesicht bewuchert von einem Dreitagebart, während im Hintergrund über der Silhouette einer Stadt Dampfwolken stehen, die alles andere als harmlos wirken. Die Lösung für diesen offensichtlich elenden Ort spricht der Mann (ein Stadtverordneter, ein Stadtbewohner, ein Künstler, ein Festivalmacher?) in einer Sprechblase in das Mikrophon, deutlich und simpel: »What our village needs now is a biennial!« Abbildung 1: Festival und Stadtmarketing

Quelle: Olav Westphalen

16 M. Roeder-Zerndt: Vielfalt und Internationalisierung, S. 81.

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Dieser humoristische Kommentar zur Festivallandschaft bringt die noch immer anhaltende Konjunktur von Festivals als Teil einer Politik des Raums auf den Punkt, die zum Teil ausschließlich unter dem Vorzeichen stadterneuernder, sozialer und monetärer Ambitionen steht. Zugleich veranschaulicht er die Krise der postindustriellen Stadt, die hauptsächlich durch zwei große Problemkomplexe gekennzeichnet ist: erstens durch den Verlust ihrer urbanen Integrität und Identität und zweitens durch den erschwerten Umgang mit internen und externen Grenzen und Umfriedungen. Es zeigt sich, dass Festivals vor allem seit den neunziger Jahren in Deutschland Versuche unternehmen, sich mit eben diesen Problemen auseinanderzusetzen und Lösungsansätze zu präsentieren, die auf die spezifische Situation einer Stadt zugeschnitten sind. Gerade über diese je eigene Annäherung an ihr Umfeld schärfen Festivals ihr Profil und behaupten das Eigene gegenüber anderen Festivals, die zur Selbstdefinition ebenfalls auf das Format der ›urbanen Expeditionen‹ setzen. Festivals definieren sich seit jeher im Verhältnis zum Ballungsraum, zur Urbanität im weitesten Sinne. Ende der siebziger Jahren, nachdem das Misstrauen gegenüber Festivals im Allgemeinen abgebaut war (vgl. Kapitel »Theaterfestivals in Deutschland«), führt die Unwirtlichkeit der Städte (Mitscherlich) Festivalgründer in die Suburbs, in die Seklusion am Rand der Großstädte.17 Damit verbunden ist eine deutlich nach außen getragene Verweigerungshaltung: »In den sechziger und siebziger Jahren, als das Wort ›Kulturpolitik‹ öffentliche Karriere machte, entwickelte sich als Gegenprinzip zur kulturellen Erbschaftsverwaltung die Distanzierung von der traditionellen Hochkultur. Äußeres Signal dafür war eine manchmal verbissen wirkende Zwanglosigkeit.«18 Sich zur Stadt und ihrer Hochkultur zu verhalten, bedeutet in dieser Zeit Rückzug. Seit den Neunzigern hat sich diese Position buchstäblich umgekehrt, Festivals treten in einen neuen Dialog mit dem städtischen Umfeld und beziehen einen großen Teil ihrer Lebendigkeit aus ihm. Der Bezug von Festivals zur Stadt läuft im Wesentlichen auf drei größere Komplexe hinaus. Erstens auf das Schaffen neuer Identitäten; zweitens (aus Sicht der Politik) auf das Erzeugen neuer Vermarktungsmöglichkeiten der Stadt und drittens auf ein Verschwinden der Räume selbst. Festivals kehren zu der Zeit in die Städte zurück, in der einerseits die Bewohner Suburbias diese verstärkt aufsuchen, um ihr Erlebnisbedürfnis19 zu befriedigen, andererseits sich ein traditionelles Verständnis von Stadt zusehends auflöst. Ende der achtziger Jahre »zeichnet sich ein Umbruch ab, der dazu zwingt, unsere Vorstellungen von Stadt und vom richtigen Stadtleben neu zu formulieren.«20 Ob Flussers Prognose, dass die Städte ein Auslaufmodell und mittlerweile funktionslos geworden sind, zutreffend ist, sei dahingestellt.21 17 Beispielsweise das 1977 gegründete Theaterfestival München oder das Zürcher Theaterspektakel von 1980. 18 G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 539f. 19 Insofern stehen sie in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung neuer, selektiver Ansprüche an den städtischen Raum und sind eine der Wahlmöglichkeiten für Bedürfnisbefriedigung. 20 Hartmut Häußermann/Walter Siebel: Neue Urbanität, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 7. 21 Vgl. Vilém Flusser: »Raum und Zeit aus städtischer Sicht«, in: Wentz (Hg.), StadtRäume (1991), S. 19–24.

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Eine entscheidende Trennung zweier zuvor untrennbar gedachter Phänomene markiert allerdings – so der breite Konsens zwischen Sozialwissenschaftlern, Architekten und Stadtplanern – eine existenzielle Veränderung der Stadt, die ihre Identität und Integrität nachhaltig beeinträchtigt. Gemeint ist das Auseinanderfallen des Begriffsfelds ›Stadt und Urbanität‹. Beide Begriffe sind von nun an nicht mehr synonym. »Unter Urbanität (engl. civility) wird die erprobte und gefestigte zivilisierte Kommunikation des distanzierten, aber nicht unhöflichen, vielmehr interessiert-neugierigen Stadtbewohners mit dem ihm begegnenden fremden Stadtbewohner verstanden«.22 Urbanität als Symbol der »Selbstkultivierung des Bürgers«23 und als Haltung zu kulturellen Äußerungen in der Stadt werde entwertet und ersetzt durch Homogenität und Partikularisierung, dieweil die Begriffe Stadt, Urbanität und Stadtkultur als Worthülsen ihren emphatischen Klang beibehalten.24 Die Utopie der Moderne, sich durch die Kultur der Stadt – der Hochkultur, siehe oben – von der Natur des Dorfes abzugrenzen und eine zivilere Form des Zusammenlebens zu erfinden, wird hinter Einzelinteressen gestellt. Diese Einzelinteressen ziehen von nun an Grenzen durch die Stadt hindurch, die zuvor ihre Geschlossenheit durch Grenzen nach außen hin wahrte. Unter dem Begriff der »Verinselung« wird diese Partikularisierung zusammengefasst, die die Aufteilung des städtischen Raums (und der umliegenden Region) in verschiedene Funktionsbereiche, die nur für die Nutzung der einzelnen Funktion besucht werden, bedeutet. Überfülle, zuvor Merkmal des heterogenen Urbanen, wird eingeschränkt durch Standardisierungsbewegungen und Gleichmachungsbestrebungen und wird so zu einer homogenen Überfülle. Die einzelnen Inseln sind im Kern an wirtschaftliches Kalkül gekoppelt, das heißt, ihre Zurichtung orientiert sich an der Kosten-Nutzen-Bilanzierung privater Interessen. In diesem Kontext spielt seit den (späten) neunziger Jahren das Bereitstellen von Erlebnisangeboten eine prominente Rolle. Die Stadt scheint »nicht mehr in erster Linie als Raum der Produktion, des Verkehrs oder der Verwaltung, sondern wird um des Erlebnisses willen aufgesucht.«25 Festivals reagieren zunächst durch ihre Programmierung auf die funktionale Aufgliederung der Stadt. Vor allem die ›neuen Öden‹ werden als Räume von Künstlern in Performances und Live Art ins Spiel gebracht.26 Sie tun dies 22 Volker Kirchberg: »Kulturerlebnis Stadt? Money, Art and Public Places«, in: Göschel/ Kirchberg (Hg.), Kultur in der Stadt (1998), S. 91. 23 Albrecht Göschel/Volker Kirchberg: »Kultur der Stadt – Kultur in der Stadt«, in: dies. (Hg.), Kultur in der Stadt (1998), S. 7. 24 »Die Thesen vom Verlust der Urbanität und der Auflösung einer proletarischen Gegenkultur sind gewiß nicht neu. Neu ist aber die Radikalität, mit der sie heute vertreten werden müssen«. In: H. Häußermann/W. Siebel, Neue Urbanität, S. 242. 25 R. Bittner: Die Stadt als Event, S. 15. 26 Vgl. hierzu die Arbeit von Eva Holling zu Formen neueren Theaters, die im Stadtraum situiert sind: Eva Holling: Ist alles gespielt? Blicke auf den Stadtraum im neuen Theater, Marburg: Tectum 2007. Festivals kehren seit den Neunzigern wieder in die Städte zurück, weil die Ungestörtheit und Trautheit des Abseits-der-Stadt Einzug gehalten hat in den städtischen Raum selbst: Die Ruhe und Ordnung, gesichert durch Überwachung und Sicherheitskräfte, hat den urbanen Raum ausgehöhlt und sein Skelett, seine standardisierte Architektur als Artefakt zurückgelassen. Deswegen können Festivals die Ruhe des Menschen seit den Neunzigern wesentlich wirkungsvoller in der

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im Sinne Michel de Certeaus durch die Inbesitznahme des Orts durch Handeln, Anschauung und Begehung: Sie gehen in die Caféhäuser (während der Wiener Festwochen 2006 mit dem Projekt 5000 Liebesbriefe) ebenso wie in die Randbezirke (beispielsweise beim Projekt X-Wohnungen, das während Theater der Welt 2002 gezeigt wurde). De Certeau bezeichnet diese Besetzung und Infiltrierung der Stadt als Taktik des Konsumenten, der sich im Fremden seine eigenen Wege bahnt. »Die Taktik hat nur den Ort des Anderen. Sie muß mit dem Terrain fertigwerden, das ihr so vorgegeben wird, wie es das Gesetz einer fremden Gewalt organisiert.« Diese Abhängigkeit bedeutet für Kunst in der Stadt auf den zweiten Blick einen veritablen Vorteil, da Ortlosigkeit Spontaneität begünstigt: »Dieser Nicht-Ort ermöglicht ihr zweifellos die Mobilität […], um im Fluge die Möglichkeiten zu ergreifen, die der Augenblick bietet.«27 Von dieser Mobilität wird auch der Festivalbesucher erfasst und mit solchen Festivalprojekten an die Grenzen seines alltäglichen Erlebens geführt, die zunehmend durch Aufwertungsmaßnahmen städtebaulich errichtet werden. Hinter die Fassaden der Einkaufspassagen, die Wohlstand und Sauberkeit bedeuten und für die meisten Stadtbewohner fester Bestandteil der eigenen Lebenswelt sind, kann durch diese theatralen Interventionen geblickt werden. Festivals widersetzen sich bis zu einem gewissen Grad den Maßnahmen, die das Leben in der Stadt für die erwünschten Bürger verschönern sollen, und illustrieren sie, beispielsweise zeigen die Schillertage 2003 die szenische Installation SCHILLER BY NIGHT/ Landscapes in einer verlassenen Fabrikhalle abseits der Innenstadt mit ihren Erlebnisangeboten. Produktionen wie X-Wohnungen, bei der die Zuschauer in den unterschiedlichsten Gegenden der Stadt in Privatwohnungen gelotst wurden und dort kleine inszenierte Performances erlebten, die Projekte Der Kölner Norden des Festivals Politik im Freien Theater 2008 oder die Stadtbegehungen Rimini Protokolls oder der Lone Twins sind symptomatisch für das Anliegen von Festivals des neuen Jahrtausends, sich mit der Möglichkeit von Re-Urbanisierung auseinanderzusetzen und die Mechanismen städtischer Entwicklung zu hinterfragen.28 Diese und ähnliche Festivalprojekte sind freilich nicht die ersten Versuche, die Stadt zu revitalisieren – die städtische Kulturpolitik hat ihre eigenen Methoden entwickelt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die rein auf wirtschaftliche Erneuerung und Wachstum setzenden politischen Konzepte zur Begegnung der Desintegration der Städte (Errichten von architektonischen und kulturellen Prestigeobjekten, Renaturalisierungen von Flussläufen und Ähnliches) wenig erfolgreich waren, ja dem sozialen Leben und selbst der Wirtschaft geschadet haben.29 »Genauso wenig gern hörte man, dass die Region, obwohl sie eindeutig schöner, ökologischer und kulturell differenzierter wur-

Stadt als außerhalb ihrer stören. Lässt sich die Praxis von Festivals also primär als subversiver Störungsversuch beschreiben? 27 Michel de Certeau: Kunst des Handelns, Berlin: Merve 1988, S. 89. 28 In diesem Sinne sind Festivals also mindestens in zweifachem Sinne transzendierend: intern in den städtischen Raum hinein und extern in den internationalen Raum hinein. 29 Vgl. »Ausstellungszeitung zu ›Schrumpfende Städte‹ im DAM Frankfurt«, 8. Dezember 2007 bis 17. Februar 2008.

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de, immer mehr Arbeitsplätze und Menschen verlor.«30 So Arnold Voß über die politischen Maßnahmen, die zur Wiederbelebung des Ruhrgebiets seit den 1980er Jahren ergriffen wurden. Auch der Kulturtourismus in der Region, wie er etwa durch die RuhrTriennale forciert wird, vermochte keine »grundsätzliche Gegenbewegung«31 auszulösen. Dennoch ist das Problem der Auflösung der Städte ins Bewusstsein von Theaterfestivals getreten beziehungsweise werden Festivals mit Zeitverzögerung (erst ab dem neuen Jahrhundert reagieren Festivals auf die Desurbanisierung) als eine Art kulturelles Remedium eingesetzt (neben der RuhrTriennale etwa auch Theater der Welt in Halle 2008). Gemeinsame Absicht dieser Art von Festivals ist die Vervielfältigung des städtischen Raums als Kontrapunkt zu dessen Verödung. Die letzte Ausgabe von Theater der Welt 2008 in Halle ist ein signifikantes Beispiel dafür, wie ein Festival seine Veranstaltungsstadt erforscht und daraufhin die Programmgestaltung ausrichtet. Die Festivalleitung adressierte direkt die unterschiedlichen demographischen Bevölkerungsteile der Stadt, analysierte die kulturelle Situation in Halle an der Saale, errichtete an den kulturellen Zentren und an ungewöhnlichen Orten (auf dem Flughafen mit dem Projekt AusFlugHafenSicht, im Fußballstadion et cetera) seine Spielstätten und baute auf dem engen Bezug zur Stadt seine gesamte Kommunikationsstrategie auf. Hierfür wählten Künstler wie die Big Art Group oder Jos Houben Bewohner Halles als ihre Akteure: »14 Uraufführungen entstehen, 10 Erstaufführungen gastieren, 8 artists in residenceGruppen recherchieren, casten und proben vor Ort und verankern das Festival in Halle. Deshalb steht auch das Emblem der Stadt im Mittelpunkt unseres Logos. […] Eine ganze Stadt wird zur offenen Bühne, verwandelt sich, legt die eigenen Fundamente offen und macht uns zu Teilnehmern, Forschern und Entdeckern. […] Internationale Künstler erforschen die bewegte Geschichte der alten Hansestadt und ihrer Bewohner und entwickeln gemeinsam mit Hallenser Schauspielern neue Ausdrucks- und Spielformen, Aktionen und Happenings. Die ganze Stadt spielt mit, ist Teil der Handlung, ist Bühne und Laboratorium. Jeder ist angesprochen, jeder kann mitmachen, jeder entdeckt diese Stadt und das Theater neu.«32

Fasst man das zuvor Gesagte unter der Prämisse zusammen, dass der Raum des Festivals seine Praxis ist, so besteht diese darin, zu beobachten, zu sezieren, zu produzieren und zu kommunizieren. Festivals versuchen, einen neuen Blick auf bekannte und unbekannte städtische Orte zu provozieren und damit neue Räume zu produzieren. Sie machen sie zu aktiv genutzten Räumen und setzen sie in Beziehung zu ihrer Umgebung. Einige Festivalproduzenten (wie Stefan Schmidtke von den THEATERFORMEN 2007 und 2008 oder Torsten Maß von Theater der Welt 2008) und Festivalkünstler betrachten verstärkt die spezifische Natur der Austragungsstätte des Festivals und stellen über einzelne künstlerische Projekte im städtischen Raum einen diskursiven Rah30 Arnold Voß: »Internationale Bauausstellung Emscher Park. Ein zukunftsweisendes Modell?«, in: »Ausstellungszeitung zu ›Schrumpfende Städte‹ im DAM Frankfurt«, 8. Dezember 2007 bis 17. Februar.2008, S. 7. 31 Ebd. 32 Vgl. »Das Festival«, vgl. http://www.theaterderwelt.de/2008/das-festival/deutsch/ vom 02. August 2008.

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men her, in dem über den aufgedeckten Raum verhandelt werden kann. So etwa bei der Produktion Small Metal Objects der australischen Gruppe Back to Back Theatre, die die THEATERFORMEN 2007 in Hannover zeigten und bei der die Akteure, mit kleinen Kopfmikrophonen ausgestattet, in einer öffentlichen und belebten Einkaufspassage agierten. »Es handelt sich um neue Modi der Integration in die Stadt mittels der symbolischen Besetzung von Räumen, einer Besetzung, die angesichts der zunehmenden Enträumlichung sozialer Beziehungen nur umso dringender geboten ist. Es geht um nichts Geringeres als um Identität: Menschen konstruieren Orte, um sich wiedererkennen zu können.«33 Festivals können also neue Räume schaffen, indem sie die bereits bestehenden okkupieren und umdeuten – sie machen die Stadt. So gestaltet transeuropa leer stehende Kaufhäuser in Festivalcafés um oder kann Theater der Welt 2005 Stuttgart kurzerhand als Hafenstadt uminterpretieren.34 Ziel solcher Umdeutungen vorhandener Infrastruktur ist nicht nur ihre Nutzung als atmosphärischen Identifikationsort für das jeweilige Festival, sondern in der Regel eine nachhaltige Veränderung des Blicks auf die Stadt beziehungsweise Teile der Stadt. Die Modi, die bei diesen Prozessen zum Tragen kommen, lassen sich in vier Gruppen aufteilen. Erstens machen Festivalprojekte in der Stadt das Fremde und den fremden Blick stark und stellen damit Blick- und Erfahrungsebenen zur Disposition; zweitens versuchen diese künstlerischen Produktionen, die Verhältnisse zwischen den Zonen der Stadt umzuwerten;35 dabei integrieren sie drittens die Stadt als Mitspieler und regen damit viertens nicht selten kreative Potentiale in der Stadt selbst an, die durch Vernetzungen zwischen zuvor unverbundenen städtischen Entitäten (Institutionen, Theaterhäuser, Firmen oder selbst ganze Städte) ermöglicht werden. Zusammengefasst sind die Produktionen des ›neuen Theaters‹ im Stadtraum darauf angelegt, nicht die Stadt neu zu entdecken beziehungsweise zu lesen, sondern sie neu zu schreiben.36 Zur Ordnung der Stadt bemerkt Bernhard Waldenfels: »Die auf vielfache Weise ausgeschlossenen und reduzierten Erfahrungsgehalte treten aus dem Schatten, sobald die natürliche Welt ihre Selbstverständlichkeit einbüßt.«37 Damit dies geschieht, muss ein fremder und verfremdender Blick auf die Stadt geworfen werden. Diese Leistung erbringen Künstler und Festivalleiter seit Ende der neunziger Jahre forcierter, wie an den beiden Beispielen von Theater der Welt in Stuttgart 2005 und dem Hildesheimer transeuropa Festival bereits bemerkt wurde. Dieser Blick hilft beim Umdenken der Stadt, der Raum wird in dieser Praxis des verfremdenden Beobachtens luzide und neu erfahrbar. Das Spannungsverhältnis zwischen der Nutzung von Räumen wie Wohnungen, ehemaligen Industriekomplexen, Einkaufszentren und deren ästhetischer ›Bespielung‹ kann derartige kontingente Raumwahrnehmungen ermöglichen. Von Stadtprojekten dieser Art profitieren somit hauptsächlich 33 R. Bittner: Die Stadt als Event, S. 23. 34 Vgl. die Marketingstrategie von Theater der Welt 2005, dokumentiert im so genannten ›Logbuch‹ zu Theater der Welt 2005. 35 Oder anders ausgedrückt: »Within a modern metropolis, a festival could be seen as a tool to rephrase centre/periphery polarisations and dichotomies.« In: U. Bacchella, Festivals, S. 34. 36 Vgl. E. Holling: Ist alles gespielt? 37 B. Waldenfels: Der Stachel des Fremden, S. 248.

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die Bewohner der Stadt, die ihren eigenen Erfahrungshorizont hinterfragt finden und ihn so überschreiten können. Dies kann die passive Haltung der Bürger angesichts der Gleichmachung von öffentlichen und privaten Räumen aufbrechen, die das Entstehen von politischer Öffentlichkeit verunmöglicht und dem zuvor öffentlichen Raum seinen Status als Stätte des ausgleichenden Kontakts zwischen Fremdem und Eigenem abspricht. Stattdessen werden seit den neunziger Jahren erneut die und das sozial Unterwünschte(n) in die Randgebiete der Stadt zurückgedrängt und das Fremde38 durch konkrete stadtplanerische Eingriffe wie etwa bewachte Einkaufszonen, no-go areas, Deästhetisierung von Lebensräumen sozial Unerwünschter (Ghettoisierung) und so weiter von den Konsumstätten ferngehalten. Die Ungleichheit zwischen den Nutzern der Stadt wird durch derartige Akte symbolischer Machtartikulation (Bourdieu) zementiert und erfolgreich zum räumlichen Alltag erklärt, gerade weil diese Macht »in ihren subtilsten Formen als symbolische Gewalt zweifellos weitgehend unbemerkt bleibt.«39 »Gegenwärtig wird die Distinktionspolitik der Mittelschichten, die sich noch in den achtziger Jahren vor allem durch eine (horizontale) Abgrenzung unterschiedlicher Geschmacksmilieus auszeichnete, mehr und mehr von Vermeidungsstrategien überlagert, die auf eine Minimierung der Kontakte und eine räumliche Distanzierung zu den ›unteren‹ Klassen hinauslaufen.«40

Diejenigen, die in der neuen Stadt nicht am Wohlstand teilhaben können, werden aus dem Bild der Stadt nicht nur ausgeschlossen, sondern sie »werden unsichtbar, nicht nur ins Abseits gedrängt.«41 Damit werden auch weite Teile der Stadt fremd für ihre Bewohner, verlegen sich Politiker auf die Behübschung der Konsumzonen, statt sich um eine neue Diskussion der innerstädtischen Grenzen und das Fortschreiben der Idee von Stadt als einer »Toleranzschule«42 zu bemühen. Es entsteht eine Situation, in der die Aufwertung und der Niedergang von Raum nebeneinander stehen und die »Teilkulturen sich wechselseitig bedrohen und ausschließen, [da] sie für einander unverständlich bleiben und die Stadt nicht zur Heimat sondern zum Angstraum werden lassen […]. Stadt als unentzifferbarer Text stellt keine Kultur der Öffentlichkeit sondern der Hysterie her.«43 Die Grenzverunsicherungen bewirken neben dem Verlust der Identität der Städte im Sog der Globalisierung also auch den Verlust individueller Identität, der Identifizierung der Stadtbewohner mit ihrem Umfeld und ihrer Selbstdefinition als Stadtbewohner.44 38 Vgl. hierzu das Kapitel »Law and Order in den Städten«, S. 126–184 in K. Ronneberger/S. Lanz/W. Jahn, Die Stadt als Beute. 39 Pierre Bourdieu: »Ortseffekte«, in: A. Göschel/V. Kirchberg (Hg.), Kultur in der Stadt (1998), S. 21. 40 K. Ronneberger/S. Lanz/W. Jahn: Die Stadt als Beute, S. 199. 41 A. Göschel/V. Kirchberg: Kultur der Stadt, S. 9. 42 Hanno Rauterberg: »Wohnzimmer ist überall«, in: Die Zeit, 03/2002, vgl. http://www. zeit.de/2002/03/Wohnzimmer_ist_ueberall?page=all vom 13. Februar 2008. 43 A. Göschel/V. Kirchberg: Kultur der Stadt, S. 10. 44 Der Diagnose eines Verlusts in vielfältiger Hinsicht soll hier nicht das Wort geredet werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die alleinige Definition der letzten städtischen Entwicklungen als Rückgang, Verlust und Mangel den Blick auf neue

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Das Fremde, das in der ›neuen Stadt‹ zurückgedrängt und ausgeblendet wird, erhält in der künstlerischen Umdeutung einen neuen Wert, wird zu einem Erwünschten. Festivals lehren, das Fremde in seiner Fremdheit auszuhalten und neutral zu beobachten, ohne es sogleich zu annektieren. Gerade die Vielheit der fremden Eindrücke, die Verdichtung fremdländischer Theaterproduktionen an einem Ort verhindern eine allzu schnelle und voreilige Assimilation des Anderen. Somit restituieren Festivals gewissermaßen die alte urbane Lebensweise, die von Toleranz gegenüber dem Fremden im Eigenen geprägt war. Mit der zumindest tentativen Reintegration des Fremden und des fremden Blicks wird nicht nur die Raumordnung, sondern nicht selten auch die damit einhergehende soziale Ordnung hinterfragt. Denn »Räume sind keine neutralen Arenen, in denen gleichberechtigte Begegnungen stattfinden. Sie existieren nicht per se, sondern werden durch konkurrierende Nutzungen und Symboliken immer wieder neu hergestellt und codiert.«45 Dies geschieht vor allem bei Theaterprojekten, die in ›fremde‹ städtische Gegenden führen, in denen die von der Konsumgesellschaft Ausgeschlossenen leben. Dies ist mittlerweile auch auf Festivals Praxis, die hauptsächlich vom »Niveaumilieu«46 besucht werden, wie die Wiener Festwochen. Es bestehen hierbei erstaunliche ästhetische Parallelen zwischen dem Umgang der Künstler mit dem städtischen Raum in der Moderne und der Gegenwart. Künstler beider Epochen beschäftigen sich intensiv mit der Erfahrung und der Aktivität der Stadt als Akteur (vgl. hierzu Holling), hinterfragen die Möglichkeiten und die Regeln des städtischen Raums. Denn die Kultur selbst ist wesenhaft an die urbane Lebensform gekoppelt: »Kulturbetrieb und Urbanität gehören in ähnlicher Weise zusammen wie Marktwirtschaft und Stadtwesen.«47 Doch während die Erfahrung des zeitlichen und räumlichen Chaos von den Modernen praktisch unfreiwillig gemacht wird (Baudelaire ist hier Kronzeuge), sehen sich die Künstler der Gegenwart in die Verantwortung genommen, Chaos und Irritation in eine homogenisierte Stadt zuerst hineinzutragen.48 Die ästhetischen Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von deplaziert wirkenden Wandergruppen wie bei der britischen Gruppe Lone Twin bis zu Audioguides wie bei System Kirchner und ›unsichtbaren‹ Performances an öffentlichen Orten wie bei Small Metal Objects des Back To Back Theatres. Diese neue Form der Performance ebenso wie die Art von

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Formen städtischer Alltagspraxis verstellen mag. Für gewisse Phänomene der »alten Stadt« existieren die ökonomischen und sozialen Grundbedingungen schlicht nicht mehr. K. Ronneberger/S. Lanz/W. Jahn: Die Stadt als Beute, S. 207. Hierbei handelt es sich um einen von Gerhard Schulze verwendeten Terminus für ein soziales Milieu gebildeter, älterer, beruflich erfolgreicher Kulturkonsumenten. G. Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 135. Beispiel hierfür mag die Produktion Karneval der Tiere der Gruppe LIGNA während der Internationalen Schillertage 2007 sein, bei der durch offensichtliches Fehlverhalten die Regeln des Städtischen gezielt gebrochen wurden. Die Performer-Zuschauer zogen sich, den Anweisungen aus Kopfhörern folgend, Tiermasken auf, legten sich auf den Asphalt, verfremdeten durch tierartige Fortbewegungsmodi ihre Bewegungen in einer stark frequentierten Einkaufszone und begrüßten sich durch bestimmte Erkennungsrituale, die nur ihnen bekannt waren. Die unwissenden Bewohner der Stadt, die Stadt selbst wurden so unweigerlich und ungewollt Teil der Performance.

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Festivals, sich den urbanen Raum zu eigen zu machen, treten praktisch einen Rückschritt an: hinter die Erfahrung der Beschleunigung, die die Zeit auf den Augenblick hin kondensiert. Während im Impressionismus die Erfahrung dieses Augenblicks gerinnt und ästhetisch gefeiert wird, wird die Bewegung der Festivalperformances langsamer. Man geht in Gruppen, bleibt stehen, wenn es die Stimme aus dem Walkman sagt, entschleunigt den Blick und betrachtet seine Umwelt genauer. Das beschleunigte Blicken, das der Alltag der postindustriellen Stadt gelehrt hat, wird außer Kraft gesetzt.49 Der entschleunigte Blick kann die verloren geglaubte Qualität des Akteurs Stadt als Lebenswelt zum Vorschein bringen. Bei allen Festivalprojekten im städtischen Raum scheint es darum zu gehen, die »Lücken zwischen Lebenswelten und Systemwelten zugunsten der Lebenswelten zu schließen.«50 Das bedeutet auch, die Stadt wieder als Lebenswelt mit ihren diversen Möglichkeitsräumen auf den Plan zu bringen. Anders gewendet bedeutet dieses Zutagetreten der Optionen, die beim Festival realisiert werden, eine zunehmende Vernetzung innerhalb der Städte, womit die räumliche Praxis des Festivals auch als Verflechtungspraxis beschrieben werden kann. Die Segregation der neuen Urbanität wird ausgeglichen durch die Auslagerung von Produktionen an andere Spielstätten in der Stadt, wodurch ein vielfältiger Verweisungszusammenhang entsteht: die einzelnen Spielstätten verweisen alle auf das Zentrum des Festivals. Damit entsteht ein vernetzter Raum von Bedeutung und Verweisen, die einen neuen Text in die Stadt einschreiben. Durch diese Neubesetzung des städtischen Raums bilden sich urbane Netzwerke heraus zwischen städtischen Institutionen und diesen ›anderen‹ Räumen, die nicht selten andere Städte sind. Gerade im letzten Jahrzehnt werden vermehrt Festivals gegründet, die städteübergreifend funktionieren. Hierzu zählen nicht nur die THEATERFORMEN in Braunschweig und Hannover, die symptomatisch 1990 aus der Taufe gehoben werden, sondern auch die RuhrTriennale,51 Theater der Welt 2002 oder auch das Freischwimmer Festival.52 Dieser Umgang mit dem städtischen Raum bewirkt mitunter die »die überfallartige, verblüffende Theatralisierung einer Stadt«53, wie es vollmundig über Theater der Welt heißt.54 49 Oder ins andere Extrem gekehrt, nämlich in die Überbietung des Festivals selbst. Das Berliner 100°-Festival etwa versucht diese Steigerung, indem an vier verschiedenen Orten der Stadt über die Stadt verteilt 150 Seherfahrungen während eines Wochenendes angeboten werden und sich damit das Festival an Gleichzeitigkeiten selbst überbietet. 50 Andrea Haase: Soziale Stadt – Schrumpfende Stadt: Verflechtungsräume und Schnittstellen, vgl. http://ah.raumstruktur.de/pdf/publikation_sozialestadt-schrumpfende stadt.pdf vom 11. Februar 2008. 51 Treffenderweise wird Essen stellvertretend für das gesamte Ruhrgebiet mit 53 Städten Kulturhauptstadt Europas 2010. 52 Ein gutes Beispiel für die Praxis, Städte zu verbinden und mit einem Kunstprojekt zu vernetzen, ist das Wanderprojekt Our Way zwischen Braunschweig und Hannover des Schweizer Performers San Keller bei den THEATERFORMEN 2004. 53 I. Nagel: Wie entstand THEATER DER WELT, S. 5 des Inlays. 54 Viele Festivalmacher sehen ihr Festival in einem bedeutenden Zusammenhang mit der Veranstaltungsstadt, vgl. etwa Marie Zimmermann: »Ich verstehe es als Aufgabe von Festivals, die Stadt, in der sie stattfinden, als Resonanzraum zu nutzen.« Vgl. Ka-

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Doch angesichts dieser hohen Ansprüche lässt sich auch eine Reihe von Kritikpunkten anführen. Erstens: Die Praxis der Theatralisierung und Besetzung der Stadt durch theatrale Aktionen im Rahmen eines Festivals rekurriert im Grunde nur auf Festumzüge, also auf die Ursprünge des Theaters. Sie verfügt damit zwar über einen ästhetischen ›Mehrwert‹, ist aber nicht wirklich innovativ. Zweitens: Dass der Einfluss von Festivals auf die Räume der Stadt wirklich so groß ist, wie gemeinhin angenommen und propagiert wird, ist empirisch bisher nicht belegt. Es lässt sich gar darüber spekulieren, ob die Stadtprojekte der Festivals Segregation sogar verstärken. Drittens: Festivalleiter wie Künstler setzen sich mit der Stadt und ihrer Sozialität nur deswegen auseinander, weil sie so für mehr Fördermittel kompatibel sind. Sie machen diese damit sogar der lokalen Freien Szene streitig und können so der kulturellen Szene einer Stadt schaden.55 Hierbei geraten Festivals nicht selten in die Schusslinie ortsansässiger Künstler, die ihre fehlende Integration in den Festivalspielplan beklagen und Einbußen an finanzieller Förderung befürchten. Die lokale Szene werde durch die allzu gut funktionierenden Kanäle der Festivals, die das Fremde bevorzugen, trockengelegt. Das politische Engagement für experimentelles und Freies Theater konzentriere sich einzig auf

pitel »Interviews«, S. 317; Christine Peters: »Kleinere, biennale Festivals wiederum müssen sich gezwungenermaßen immer originell positionieren und den Dialog mit der Stadt als öffentlichem und kulturellem Raum, als Begegnungsbasis jeweils neu suchen, weil sie ja in der Zwischenzeit für die Öffentlichkeit nicht präsent sind.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 311; Manfred Beilharz: »Wichtig ist ja immer wieder, dass man das Festival nicht nur an eine interessierte Stadt und deren Kulturinstitutionen vergibt, sondern man verbindet damit immer die Vorstellung, dass sich eine Internationalisierung des Klimas für diese Kulturgemeinde einstellt, diese sich international öffnet.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 325f. 55 Historisch gesehen fällt auf, dass bereits so traditionsreiche Großfestivals wie die Salzburger Festspiele ungewöhnliche, im öffentlichen Raum befindliche Örtlichkeiten für ihre Inszenierungen wählten. Der Konnex zwischen Stadtraum und Festival ist also keinesfalls eine wirkliche Innovation im engeren Sinne. Im Gegenteil sind das Verlassen des Theaterraums während eines Festivals und die Eroberung des urbanen Raums im Grunde Rückbewegungen zu den Ursprüngen sowohl des Theaters als auch des Fests. Die Schau des Theaters, die thea, ist an die Bewegung in der Stadt (aber auch aus ihr heraus) gekoppelt. Das erste Theater und das Theater des Mittelalters finden auf fahrenden Karren und unter freiem Himmel statt und sind nicht an ein Theaterhaus gebunden. Das Fest wiederum ist eine genuin urbane Leistung. Wenn Festivals seit den neunziger Jahren verstärkt in den öffentlichen Raum eintreten, werden sie also nicht nur beweglicher und spektakulärer, sondern auch politischer. Indem das städtische Fest den Tabubruch sanktioniert und so für kurze Zeit die Verhältnisse umkehren kann und Optionen sichtbar werden lässt (denkbare Welten zugesteht), ermöglicht es das neue Aushandeln gesellschaftlicher Realität. Es ist der städtische Bürger in der industrialisierten Welt, der zwar keines liminalen Erlebnisses mehr fähig ist, aber in seiner Wahlfreiheit Feste als liminoide Phänomene mit Möglichkeitspotential erlebt. Wenn also Festivals ihren Bezug zum städtischen Raum gegenwärtig verstärken, so ist dies nicht nur Teil einer Marketingstrategie, sondern auch das veritable Erinnern an Ursprünge des Fests und deren Funktion, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu befragen.

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das Festival, während es kaum eine kontinuierliche Förderung der lokalen Freien Szene gäbe.56 Tatsächlich muss die Warnung vor der Begrenztheit des Einflusses von Festivals und deren Produktionen in der Stadt ernstgenommen werden. Zwar lässt sich zustimmen, dass sie die Bildung einer Festgemeinschaft anregen: »Bringing the public to an unknown, previously unfrequented space stresses the festive character of the festival and the formation of a special festival community, as short lived as it might be.«57 Durch die ideologische Brille scheint jedoch das Folgende gesehen zu werden: »In this perspective, festivals are scouts, precursors of a new artistic infrastructure that, once launched, could benefit new groups of users and positively affect the surrounding neighbourhood, bringing attention, media, public, frequent visitors, investment and visitors spending on a daily basis. Festival is thus potentially a symbolic reclaiming gesture, an initial deed of urban regeneration in social, economical and cultural sense. […] With some good will and imagination, one can see festivals as an urban guerrilla tactics to revalidate written off urban zones through ennoblement.«58

Dass Festivals geächtete Gebiete der Stadt den Besuchern erschließen und verständlich machen, diesen Raum in den sozialen Raum integrieren sollen und können, ist zuerst eine Behauptung, die eines unmittelbaren Beweises entbehrt. Es lässt sich sogar konträr behaupten, dass bei vielen der Stadtraumprojekte zuerst nicht das Integrieren des verfemten Raums steht, sondern der Hinweis auf seine Unintegrierbarkeit. Die Faszination, die solche Räume auf Künstler ausüben mögen, wird nicht notwendigerweise von einem sozialen Impetus gestützt. Im Gegenteil ließe sich argumentieren, dass Festivals zuerst einen fremden und anderen Raum konstituieren und zuallererst unzugänglich machen. Tatsächlich: Als Organisationsmodell von Kunst beziehungsweise Theater sind Festivals primär keine sozialen Institute oder Strukturen, sondern Kunstzeiträume besonderer Art. Sie sind Brenngläser von Aufmerksamkeit – aber nicht notwendigerweise auf politische, soziale, ökologische Themen. Noch schwerer wiegt jedoch der Zweifel daran, ob Versuche, disparate Stadterfahrungen und Lebenswelten in der Stadt zusammenzuführen, grundsätzlich fruchten können. »Es liegt […] nahe, eine gängige Auffassung in Frage zu stellen, nach welcher sich schon allein durch die räumliche Annäherung von im Sozialraum sehr entfernt stehenden Akteuren ein gesellschaftlicher Annäherungseffekt ergeben könnte. Ganz im Gegenteil:

56 »[S]ometimes I have the feeling that the local scene looks at SPIELART as competition that takes away funding from the independent scene, and this is why these artists distance themselves from SPIELART.« In: »Protokoll des Symposiums ›Festivals – A Luxury Article or a Generator for Culture‹, zweiter Teil ›Artists and Festivals‹ vom 3. Dezember 2005 in München«, vgl. http://www.theatre.lv/old_theatre-fit.org/results_all_ festivals.html vom 11. Oktober 2008. 57 U. Bacchella: Festivals, S. 36f. 58 Ebd., S. 37.

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nichts ist unerträglicher als die als Promiskuität empfundene physische Nähe sozial fernstehender Personen.«59 Im Grunde ließe sich Festivals damit der Vorwurf machen, dass sie mit künstlerischen Projekten in der Stadt im Prinzip nur an der Strategie der Stadtpolitik seit den neunziger Jahren partizipieren, die auf die Verschmelzung von Kultur, Konsum und Erlebnis hinausläuft und eine Narration der Stadt zu konstruieren sucht.60 Projekte im Stadtraum könnten sogar als reine Anbiederung an städtische Entscheidungsträger interpretiert werden, die für zusätzliche Geldeinnahmen durch ihren lokalen Bezug sorgen, indem sie ein Festival für städtische Fördertöpfe qualifizieren.61 Und tatsächlich liegt es auf der Hand, dass unterhaltsame, spielerische Erkundungen des Stadtraums Attraktionen für Zugereiste wie gerade für die eigentlichen Stadtbewohner darstellen. »There is no better way for a festival to generate a sense of business NOT as usual than to stage some of its programs on unusual, unexpected spaces, on sites previously unused for performances.«62 Mit diesen Projekten lassen sich sogar die festivalmüden Habitanten zu einem Festivalbesuch bewegen und deren Blick auf ihre eigene Umgebung verändern. Es kann all den genannten Zweifeln und Einwänden ihre Berechtigung nicht abgesprochen werden. Doch auch sie sind nicht vor Zweifel gefeit, sind letztlich statistisch oder wissenschaftlich nicht einwandfrei nachgewiesen, auch sie sind zu relativieren. Viel eher sind sie versteh- und für Festivals nutzbar als Warnung, den städtischen Raum als ihr genuines Umfeld nicht als Kulisse zu verwenden und damit seine problematischen Aspekte zu bestätigen, sich nicht allein vom finanziellen Kalkül und von Rentabilitätsanalysen leiten zu lassen. Selbstredend verfolgen Festivals nicht hauptsächlich soziale, sondern künstlerische Ziele, sind existentiell davon abhängig, Zuschauer zu mobilisieren, und nutzen dazu ebenfalls den städtischen Raum und die Möglichkeiten, ihn zu verfremden. Es wäre naiv zu glauben, sie befänden sich außerhalb einer kapitalistischen und selbsterhaltenden Logik. Einigermaßen selbstreflexive Festivals, die ihre enge und genetische Koppelung an die Stadt ernst nehmen und bewusst machen, vermeiden jedoch die Fallstricke der Eventisierung der Stadt und ihre ausschließliche Nutzung als Projektionsfläche und als Spielplatz für fremde Interessen – dies gilt zumindest für die in dieser Studie analysierten Festivals. Unter den Bedingungen beständiger Reflexionsbereitschaft und einer selbstkritischen Haltung im Umgang mit dem 59 P. Bourdieu: Ortseffekte, S. 24. Zu bedenken ist, ob es nicht sinnvoller wäre, Randgruppen dadurch in das Festivalgeschehen zu integrieren, indem die Hemmschwellen, die einen Festivalbesuch sonst vereiteln, abgebaut werden. 60 Vgl. hierzu die Ausführungen von R. Bittner: Die Stadt als Event, S. 22f. 61 Ähnliches gilt für viele städtische und staatlich finanzierte Theaterhäuser, die durch Projekte mit Künstlern aus der Freien Szene mittlerweile mit den frei arbeitenden Künstlern selbst in Wettbewerb treten: »Die Stadttheater haben den Wert von Impulsen aus der Freien Szene erkannt mit der Folge, dass ihre zur Auffrischung der Spielpläne ins Leben gerufenen Sonderreihen nun losgelöst vom eigenen Hausbudget mit freien Projekten um dieselben Fördertöpfe konkurrieren.« In: Constanze Klementz: »Feiern, bilden, agitieren. Heike Albrecht und Jan-Philipp Possmann, die künftigen Leiter der Berliner Sophiensæle, stehen in den Startlöchern«, in: Theater der Zeit 61 (2007), Heft 6, S. 29. 62 U. Bacchella: Festivals, S. 35.

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urbanen Veranstaltungsort ist die Verbindung von Festivals zu ihrer Veranstaltungsstadt ein Mehrwert für beide Parteien, können Festivals den Blick auf die Stadt tatsächlich verändern. Das Verhältnis zwischen Stadt und Festival ist somit letztlich das einer gegenseitigen Angewiesenheit – die Stadt wird bereichert durch die festlichen, chaotischen Komponenten des Festivals, während das Festival seit den neunziger Jahren die Stadt als Spiel-Raum nutzt und sich aus diesem neue Impulse holt.

Transräume Festivals als Transräume zu beschreiben, bedeutet, sie als begrenzte und Grenzen transzendierende kulturelle Phänomene zu erfassen, und stellt sie als Organisationsmodell von Kunst zugleich in den Kontext einer auf europäischer Ebene geführten kulturpolitischen Debatte. Die Grenzen im Inneren und gegen das Außen des Festivals sind deren Interface, durch das sich künstlerische Prozesse generieren und kommunizieren. Verhandelt werden im Folgenden zwei wesentliche Grenzen, die Festivals thematisieren und überschreiten: zunächst die Erfahrung kommunikativer und ästhetischer Grenzen, hier wird Festivals vor allem die Rolle eines Mittlers zuteil. Und zweitens konkrete nationale Grenzen, deren Auflösung und Erstarkung für Festivals nicht nur organisatorische Herausforderungen darstellen, sondern auch ihr Potential als mentale Räume unterstreichen. Festivals als kommunikative kulturelle Veranstaltungen werden hauptsächlich vom Transfer konstituiert. Dieser Umstand tritt seit den neunziger Jahren verstärkt ins Bewusstsein von Festivalproduzenten und Künstlern. Dementsprechend ist der Anteil von Transferleistungen an Festivalprogrammen seit den letzten zehn Jahren signifikant angestiegen – Publikumsgespräche, Einführungen, begleitende Filmprogramme zu thematischen und ästhetischen Schwerpunkten sind einige der vielen Möglichkeiten, die Festivals ergreifen, um einen thematischen Kern und eine (theoretische) Fragestellung zu transportieren. Sie tragen damit dem Umstand Rechnung, dass die unterschiedlichen Positionen und Intentionen ihrer Besucher aktiv vermittelt werden müssen, wenn Kommunikation gelingen soll. »Wenn nämlich Handelnde, die verschiedenen Lebenswelten mit ihren eigenen Typisierungen, Sinnund Bedeutungsstrukturen angehören, aufeinander treffen, dann gelingt dies nur kraft des kommunikativen Handelns, das diese Unterschiedlichkeiten gewissermaßen überbrückt.«63 Als diskursive Räume, in denen verhandelt und vernetzt wird, sind Festivalräume somit in erster Linie mentale Räume, die sich im Gespräch und in der Begegnung mit den anderen Festivalteilhabenden entfalten. Als diskursive Instanzen machen Festivals zwar auch die Grenzen der individuellen und persönlichen Kommunikations- und Begriffsfähigkeit deutlich, die nicht notwendigerweise durch die nationale Herkunft des Einzelnen erklärbar sind,64 erlauben aber durch ihre kommunikative, diskussionsanregende Struktur die Transzendierung dieser Grenzen. 63 Hubert Knoblauch: Kommunikative Lebenswelten. Zur Ethnographie einer geschwätzigen Gesellschaft, Konstanz: Universitäts-Verlag Konstanz 1996, S. 17. 64 Andererseits werden auf einigen Festivals die kommunikativen Grenzen deutlicher als bei anderen an Nationalitäten festgemacht und markiert beziehungsweise themati-

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Diese Erfahrung von mentalen Grenzen wird dadurch kontrastiert, dass sich durch den fortschreitenden Globalisierungsprozess mittlerweile andere bedeutende Grenzen, nämlich lokale Grenzen, aufgelöst haben – mit zum Teil drastischen Folgen für Individualität und biografisches Bewusstsein. »Wir erleben […] auf eine neue und überaus verunsichernde Weise den Verlust von bislang biografisch und lebensweltlich dauerhaft fixierten Raumund Zeit-Punkten.«65 Ein bekanntes Beispiel für diese Entwicklung ist beispielsweise die Ausbreitung des Phänomens der Pendlerexistenzen, das vom demographischen Wandel und der Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation begünstigt wird. Gesteigerte Mobilität ist längst nicht mehr nur Segen, sondern auch ein Gemeinschaften und Beziehungen gefährdendes Element. Festivals sind Teil dieses Entgrenzungsprozesses und repräsentieren beziehungsweise befördern diese Vorgänge sogar. Sie öffnen jedoch zugleich und komplementär dazu Zwischenräume, in denen eine Selbstfindung des Einzelnen gelingen kann und in denen Positionsbestimmungen im Vergleich mit dem Anderen möglich sind. Im Sinne von Transiträumen, in denen sich die Wege der Akteure kreuzen, sind sie ›produktive Nicht-Orte‹, Zwischenstationen: als statische Festivals an einem Standort im Sinne eines Netzwerkpunktes oder als wandernde Festivals wie Freischwimmer oder Theater der Welt, die ihren Austragungsort beständig verlagern.66 Denn Festivals sind primär Anlass zum Versammeln – so die reale Erfahrung auf Festivals – einer divergenten Gruppe von mobilen Menschen an diesem einen Ort ihres Interesses für eine gewisse Zeitspanne. Festivals werden durch die Fähigkeit zur Bindung von Besuchern an ihren Veranstaltungsort zu Zwischenzonen, in denen sich die flüchtigen Existenzen aufhalten können. Es findet also durch Festivals eine Entschleunigung und zugleich Verräumlichung der Lebensabläufe statt. Von diesem sicheren, umgrenzten Raum aus sind Grenzüberschreitungen erst wieder denkbar und durchführbar – Kommunikation kann stattfinden. Grenzüberschreitung wird aber nicht nur als bereichernd erfahren, sondern verdeutlicht dem Individuum auch sein eigenes Unvermögen und bringt es mit der Angst vor dem unbekannten Anderen, dem Fremden, das jenseits der Grenze liegt, in Kontakt. »Das Eigene, das Andere, das Besondere in den vielen nationalen Kulturen Europas zu entdecken und dafür ein interessiertes Publikum zu gewinnen, ist eine genuine Aufgabe von Theaterfestivals.«67 So siert, indem etwa fremdsprachige Inszenierungen durch Simultanübersetzungen oder Übertitelungen den deutschen Besuchern zugänglich gemacht werden (besonders signifikant tritt dieser Aspekt bei der euro-scene Leipzig oder bei Neue Stücke aus Europa hervor). Die Grenzen des Individuums sind von der sprachlichen Seite betrachtet primär Resultate der nationalen Herkunft des Einzelnen. 65 W. Kaschuba: Die Überwindung der Distanz, S. 238. 66 Theater der Welt gastierte bisher in Köln (1981), Frankfurt am Main (1985), Stuttgart (1987), Hamburg (1989), Essen (1991), München (1993), Dresden (1996), Berlin (1999), Köln/Bonn/Düsseldorf/Duisburg (2002), Stuttgart (2005) und Halle (2008), 2010 wird es in Essen veranstaltet. Freischwimmer tourt mit seinen Produktionen durch alle beteiligten Koproduktionshäuser in Hamburg, Düsseldorf, Zürich und Wien. 67 Hortensia Völckers: »Das Eigene, das Andere, das Besondere«, in: Programmheft zum Festival Neue Stücke aus Europa 2004, S. 21.

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Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes. Das Andere, Fremde und damit auch die Angst vor beidem sind demnach integraler Bestandteil des Raums, den Festivals abdecken. Fremdheit hat seinen ursprünglichen Ort in der Stadt und ist hier nicht nur ein soziales, sondern auch ein ästhetisches Phänomen – fremd können nicht nur die Stadtmenschen und ihr Habitus wirken, sondern auch die architektonische Gestalt einer Stadt, ihre Atmosphäre, ihr baulicher Entwurf und so weiter.68 Das Zulassen des Fremden und seine Integration in die Stadtgesellschaft waren seit jeher jedoch auch Impulsgeber für Innovationen in technischer, künstlerischer und sozialer Hinsicht.69 Fremdheit ist somit auch und trotz der Angst, die sie auslöst, eine wichtige Chance zur Weiterentwicklung von Kunst und Gesellschaft. Dass befremdende Ästhetiken auf Theaterfestivals aus diesem Grund bevorzugt präsentiert werden, ist Usus seit den siebziger Jahren: »Auf die Phase der ersten Begegnungen des deutschen Theaters mit dem Welttheater in den späten siebziger Jahren folgte eine Zeit der Entdeckungen und der Konfrontation des Publikums mit gesteigerter Fremdheit, gesucht in der unmittelbaren Nähe ebenso wie in den fernsten Kulturen.«70 Von welcher anhaltenden Aktualität das Fremde für Festivals der Gegenwart ist, belegt die neuerliche Beschäftigung der RuhrTriennale 2008 mit »unterschiedlichsten Erfahrungen des Fremdseins […]: Sei es Emigration, sei es der fremde Blick von außen oder auch die Distanz, mit der man gelegentlich sich selbst oder anderen gegenüber steht«71 unter dem Motto »Aus der Fremde«. Oder dem entgegengesetzt die Beschäftigung einiger Festivals mit dem Begriff der Heimat wie zuletzt Politik im Freien Theater in Köln 2008 unter dem Motto »Willkommen zuhause«.72 Es ist an dieser Nahtstelle zwischen Eigenem und Anderem, an der die Doppelgesichtigkeit des Festivals in aller Deutlichkeit aufscheint. Bernhard Waldenfels sieht so etwa die Aufgabe und die Schwierigkeit bei der Auseinandersetzung mit dem Fremden im Aushalten des »Grenzspiels zwischen Eigenem und Fremdem«.73 Anstatt die Wege der Aneignung oder Enteignung zu beschreiten, die beides Reaktionen auf die Bedrohung durch das Fremde sind, proklamiert er ein Agieren und Reflektieren auf der Grenze. Festivals versuchen diesen Grenzgang, den Waldenfels einfordert: Einerseits fördern Festivals durch das beständige Touren der präsentierten Gruppen das 68 Wie Volker Kirchberg zeigen kann, reduziert die zunehmende Privatisierung öffentlichen Raums durch die Ökonomie der Symbole die Kompetenz (des Städters), sich der zivilisierten Konfrontation mit dem Fremden zu stellen, was durch zunehmende Segregation verstärkt werde. Vgl. V. Kirchberg: Kulturerlebnis Stadt?, S. 81–99. 69 Vgl. Sako Musterd: »Die europäische Stadt als Ort der Integration? Das Beispiel Amsterdam«, in: Walter Siebel (Hg.), Die europäische Stadt, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, S. 219–222. 70 M. Roeder-Zerndt: Vielfalt und Internationalisierung, S. 82. 71 »Pressemitteilung vom 05.03.2008: RuhrTriennale 2008 – 22. August bis 5. Oktober«, vgl. http://www.theaterkanal.de/promo/ruhrtriennale-2008--22.-august-bis-5.oktober/ vom 05. März 2008. 72 So begrüßen Milena Mushak von der Bundeszentrale für politische Bildung und Kurator Rainer Hofmann ihre Festivalgäste, vgl. Programmheft zu Politik im Freien Theater 2008, S. 3. 73 B. Waldenfels: Der Stachel des Fremden, S. 68.

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Auflösen der räumlichen Bezüge der Künstler zu ihrer Heimat. Mobilität auf Festivals entkoppelt zunächst Bindungen. Andererseits schaffen Festivals an ihrem Standort starke Bezüge zum sie umgebenden Raum und sorgen dafür, dass Künstler sich in einem gemeinsamen mentalen Raum begegnen und ästhetisch bereichern können. Der Transraum, der sich auf Festivals manifestiert, ist so kontingenter Produktiv-Raum, in dem Fremdes verhandelt wird und Neues entstehen kann. Die Auflösung des traditionellen Raums und seiner Grenzen ermöglicht somit auch auf künstlerischer Ebene und auf der Ebene der Organisation von Kunst eine Refokussierung und einen veränderten Umgang mit Grenzen, Grenzerfahrungen und deren ästhetischer Reflexion. Die Erfahrung größerer Durchlässigkeit hat zuletzt auch das Entstehen luzider, offener und grenzgängiger Ästhetiken begünstigt, für die Festivals als Durchgangsräume, als Zwischenorte und Zwischenstationen gedient haben. Wegweisende Performancegruppen wie Forced Entertainment und ihre Ästhetik sind nicht zu verstehen ohne diesen Kontext.74 Dass diese Rückbindung von neuen Ästhetiken an Theaterfestivals nicht unproblematisch ist, wird in der bekannten Behauptung resümiert, dass Festivals als Transräume eine Vereinheitlichung der Ausdrucksmittel befördern, also eine klare Favorisierung von Geste, Bewegung und Tanz zeitigen. »Festivals der Darstellenden Künste sind heute deshalb mehr und mehr Festivals internationalen Theaters als internationale Theaterfestivals«, so liest es sich. Dieses Theater sei ein Typus, »der nicht adressiert ist und der sehr wenig von ursprünglichen Kontexten transportiert. Seine Charakteristika sind Körperlichkeit (plus Musik), technisches Raffinement, Universalität der theatralen Sprache (Geste eher als Rede), die Tendenz, alle Sinne anzusprechen, zu bewegen, zu unterhalten und zu gefallen.«75 Es bilde sich eine gesichtslose Ästhetik heraus. In diesem Verständnis werden die ästhetischen Folgen des Transit-Räumlichen von Festivals als Entgrenzung im Sinne eines Verlusts von künstlerischer Identität beschrieben. Selbst das Fremde würde vollständig getilgt unter dem Verdikt allgemeiner Verständlichkeit.76 74 Hierbei geraten Festivals nicht selten in die Kritik ortsansässiger Künstler, die ihre fehlende Integration in den Festivalspielplan beklagen und Einbußen an finanzieller Förderung befürchten. Die lokale Szene werde durch die allzu gut funktionierenden Kanäle der Festivals, die das Fremde bevorzugen, trockengelegt. Ähnliches äußerte Audronis Imbrasas auf einem Meeting des FIT-Netzwerks. Vgl. »Short cuts des FITSymposiums vom 1. Oktober 2005 in Vilnius zu ›Festivals as Generators and Circulators of new Ideas, professional, laboratorial and Community Events‹«, vgl. http://www.theatre-fit.org/pdf/FIT_discussionNotes_full_sirenos.pdf vom 05. April 2008, S. 12. 75 Martin Roeder-Zerndt: »Der Überlauf-Effekt. Ein Plädoyer für Internationalität – doch gegen die Verwischung kultureller Differenzen«, in: Theaterheute 37 (1997), Heft 1, S. 1. 76 So sehr diese Vermutung bis Mitte der neunziger Jahre eine empirische Grundlage hatte, entwickeln sich doch seit Ende des 20. Jahrhunderts Festivalformate, die sich dezidiert dem Theatertext und den schwer zugänglichen Ästhetiken zuwenden und damit der Vereinheitlichung vorbeugen. So etwa Neue Stücke aus Europa, F.I.N.D. oder der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens, der seit 2003 für Europa geöffnet ist.

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Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass Festivals als Multiplikatoren von Innovationen dazu beitragen, wichtige Regiestile und ästhetische Formen zu verbreiten. So werden in der Hochzeit der späten siebziger und frühen achtziger Jahre nicht nur Gruppen aus Europa zu deutschen Festivals eingeladen, es sind Robert Wilson, die New Yorker Wooster Group, Robert Lepage und andere Künstler der Avantgarde, die die Festivallandschaft wie auch den ästhetischen Diskurs wesentlich prägen. »Das Bewusstsein von der Notwendigkeit der Grenzüberschreitung – im ästhetischen Sinne wie politischen – war in den späten 70er und frühen 80er Jahren weit verbreitet«77 und äußerte sich hauptsächlich in der Kunst des Theaters. Festivals wollen zu diesem Zeitpunkt neue, interessante, innovative Arbeiten und Ästhetiken präsentieren, ohne dadurch jedoch eine einheitliche grenzüberschreitende europäische Festivalästhetik zu begründen.78 Diese Neigung zur Überschreitung von ästhetischen Grenzen hat seitdem nicht abgenommen, sondern sich sogar verstärkt.79 Für Künstler, Festivalschaffende und Besucher, die diese Zwischenzone des Fremden bevölkern, bedeutet dies vor allem einen Zuwachs an »transnationalem Kapital«, ein Begriff, den Christine Nippe in Anlehnung an das Bourdieu’sche Kapitalensystem80 einführt. Transnationales Kapital generiere sich »durch die Mobilitätsfrequenz und durch das internationale Spektrum der Arbeit« eines Künstlers, Festivalproduzenten oder Festivalbesuchers.81 Dieser Terminus weist bereits darauf hin, dass bei Festivals neben der Thematisierung von kommunikativen und ästhetischen Grenzen das Neudenken nationaler Grenzen eine bedeutende Rolle spielt beziehungsweise die ästhetische Praxis von Festivals durch ihre Weltläufigkeit besticht. Festivals lassen sich als Orte zwischen den Bewegungen beschreiben, als Kondensationsräume von Handeln, die auch auf die Entgrenzungen in der europäischen Gesellschaft hinweisen. Denn auch die politischen, nationalen Grenzen spielen gerade nach dem ›Grenzfall‹ von 1989 im zusammenwachsenden Europa für Theaterfestivals eine immer wichtigere Rolle. Es finden sich zwei große Brüche in der Entwicklung von Festivals in den 1990er Jahren. Der Epochenbruch um die Jahre 1989 und 1990 markiert den Beginn der Aufhebung von politischen Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa, die zuvor eine bedeutende Reibungsfläche für Theaterfestivals abgaben.82 Die Präsentation von Kunst aus dem öst77 M. Roeder-Zerndt: Vielfalt und Internationalisierung, S. 81. 78 So bezeichnet die bereits zuvor zitiere Hortensia Völckers noch 2003 die Standardisierung von Theaterproduktionen durch Festival- und Netzwerkpraxis als »EU-Gurke«, vgl. C. Nippe, Kunst der Verbindung, S. 69. Die Inszenierungen folgten den Mechanismen des internationalen Markts. 79 Dies verdeutlicht sich beispielsweise anhand von Nachwuchsfestivals, die neue Ästhetiken vorstellen und neben Festivals, die das exotische Fremde präsentierten (wie Theater der Welt), heute zunehmend an Bedeutung gewinnen. Sie sind scheinbar noch präziser als Festivals der siebziger und achtziger Jahre auf die Grenzen zwischen den künstlerischen Generationen geeicht. Aus ästhetischer Sicht hat sich die Erfahrung des Fremden somit höchstens verlagert und hat nicht abgenommen. 80 Dieses sieht das ökonomische, das kulturelle, das soziale und das symbolische Kapital vor. 81 C. Nippe: Kunst der Verbindung, S. 98. 82 Vgl. ebd., S. 30.

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lichen Europa zum Zwecke der Demonstration ›fremder‹ Ästhetiken verliert ob dieser Grenzaufhebungen ihre unmittelbare Brisanz für Festivals. Die Zeit bis Mitte der 1990er ist folglich von der Ambition geprägt, das neu Zugängliche kennen zu lernen und einzugliedern, das nach wie vor (und sogar in noch gesteigerter Form als zuvor, was Festivalprogramme, Themenschwerpunkte und Festivalneugründungen direkt nach der Öffnung der Grenze belegen83) aus dem europäischen Osten kommt. »[The] end of the Cold War in 1989 created a cultural-political constellation in which international festivals could prosper and operate with more autonomy from the political and ideological agendas of the national governments. In most cases, the international orientation of a festival came from the needs and aspirations of cultural operators and was adopted, modified and supported by the interests of public authorities.«84

Ziemlich genau in der Mitte dieses Jahrzehnts findet sich die zweite Zäsur, als der ästhetische Annäherungsprozess zwischen Ost und West weitgehend abgeschlossen ist und eine neue Positions- und Funktionsbestimmung von Festivals nötig wird, da der politische Fokus auf die zuvor deutlichste Grenze durch Europa obsolet geworden war. Der Bezug zum gesamten politischen Gebilde ›Europa‹85 gehört seit diesem Zeitpunkt und nach dem Vertrag über die Europäische Union (Maastricht 1992) zum festen argumentatorischen Instrumentarium von Festivals.86 Mit zunehmender Verlagerung politischer, ökonomischer und sozialer Entscheidungen auf staatliche (2001 wird die Stelle des Kulturstaatsministers eingerichtet; die Bundesregierung unter Angela Merkel ruft ein »Staatsziel Kultur« aus) und europäische Ebene (durch Kulturförderprojekte wie Culture 2000 und dessen Nachfolger) wird die städtische und kommunale Kompetenz für Kulturpolitik erheblich dezimiert. Die Konsequenz für Festivals seit dem neuen Jahrtausend besteht darin, ihr Profil noch ›europäischer‹ zu gestalten, um weiterhin als zeitgemäße Formen kultureller Äußerung zu gelten und sich damit als förderbar zu qualifizieren. Allerdings beruht die Inflation von ›internationalen Festivals‹ in Europa ab Mitte der neunziger Jahre nicht ausschließlich auf ökonomisch-politischem Kalkül (vgl. Kapitel »Festival als Markt«). Der Großteil der Festivalproduzenten (beispielsweise beim transeuropa Festival) glaubt an die Möglichkeit inter83 So Ann-Elisabeth Wolff von der euro-scene Leipzig: »Es gab von Anfang an drei Hauptziele: europaweit zu arbeiten, spartenübergreifend zu sein und sehr stark Osteuropa einzubeziehen.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 327; des Weiteren bemerkt Manfred Beilharz zur Gründung von Neue Stücke aus Europa: »Das Festival wurde kurz nach der Wende gegründet, deshalb interessierten wir uns besonders für den Osten Europas.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 322. 84 U. Bacchella: Festivals, S. 30. 85 Erst im 18. Jahrhundert entsteht allmählich »ein übergreifendes Selbstbild Europas, das sich ganz wesentlich aus der Gegenüberstellung von ›Eigen‹ und ›Fremd‹ speist. Dabei verkörpert Fremdheit im europäischen Blick deutlich kulturelle Minderwertigkeit.« In: W. Kaschuba: Die Überwindung der Distanz, S. 60. 86 Unter dem Label ›interkultureller Dialog‹ können viele Projekte realisiert und kofinanziert werden. Insofern kann diese Art der Argumentation ein sehr hilfreiches Instrument sein.

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kulturellen Verständnisses, hat genuines Interesse an deren Mitgestaltung und begreift die Auflösung nationaler Grenzen als Chance – diese Hoffnungen scheinen nicht unbegründet. »Oft unterschätzt wird die Schlüsselfunktion internationaler Theaterfestivals sowohl in ihren Heimatländern als auch auf überregionaler und internationaler Ebene. Sie sind für die Mobilität der darstellenden Künste in Europa, für den Austausch künstlerischer Ideen und Konzepte, für die transnationale Kooperation von Künstlern und Theatern, als internationaler ›Marktplatz‹ von Theatergruppen und Künstlern und als Forum eines europäischen Kunstdiskurses von entscheidender Bedeutung.«87

Unterfüttert wird dieses Selbstverständnis durch die soziologischen Konzepte der Multikulturalität und der Interkulturalität, die als Modelle zur Klärung postmoderner Gesellschaftsverhältnisse davon ausgehen, dass ein Verständnis der ›anderen‹ Kultur erstrebenswert und erreichbar ist. Die internationale Qualität von Festivals und ihre selbst angenommene Aufgabe als Vermittler zwischen den Kulturen, oder besser den Nationalitäten, formulierte sich in den achtziger Jahren im Bild des »Fensters zur Welt«. Und auch wenn diese Metaphorik immer weniger ins Feld geführt wird, hat sich das darin ausgedrückte Selbstverständnis weitgehend erhalten.88 Dass Festivals seit jeher die Reisetätigkeit von Künstlern gefördert haben, harmoniert auf den ersten Blick mit den Zielen der EU, die Kultur als den Kern des europäischen Projekts deklariert. Auf kultureller Ebene sind für die EU zunächst zwei Paradigmen leitend: das Ziel des Erhalts ›kultureller Vielfalt‹ und die Förderung ›interkulturellen Dialogs‹ als Vermittler zwischen der Vielfalt. Der Vertrag von Amsterdam von 1997 und dessen Artikel 151 sind die derzeit gültige rechtliche Grundlage für die Umsetzung dieser

87 »Theatre Festivals in Transition (FIT). Theaterfestivals als Motor europäischer Kulturvernetzung. Eine Initiative von acht Festivals aus acht Ländern«, in: Programmheft zu SPIELART 2005, S. 30. Und neuerdings liest man von der European Festival Association zum Anlass des Europäischen Jahrs des interkulturellen Dialogs 2008 in der Arts Festivals’ Declaration on Intercultural Dialogue vom 8. Januar 2008: »European arts festivals initiated a vital process of circulating and giving visibility to the different cultural streams of European arts and cultures, which represented a significant step toward the development of intercultural competences. Festivals, while respecting and promoting the regional and national diversity of the local communities, cultures, values and traditions, have at the same time been highlighting a common European heritage by promoting a culture of mutual exchange and respect for cultural diversity. Disadvantaged people, youth and minorities living in this more open and complex society must be given, like all other people who are temporarily living in the EU, the possibility of accessing active citizenship.« In: »Arts Festivals’ Declaration on Intercultural Dialogue«, vgl. http://new.efa-aef.eu/FestivalsDeclaration/the-declaration.lasso vom 01. März 2008. 88 Zuletzt reaktiviert dieses Bild das FIT-Netzwerk auf seiner Konferenz 2005 in München, vgl. Theatre Festivals in Transition (FIT). Theaterfestivals als Motor europäischer Kulturvernetzung. Eine Initiative von acht Festivals aus acht Ländern, in: Programmheft zu SPIELART 2005, S. 30.

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Ziele auf europäischer Ebene89 sowie für die Unterstützung von künstlerischer Mobilität. Spezielle Förderprogramme wie Culture 2000 und dessen Nachfolger Culture 2007–2013 sind seine exekutiven Organe.90 So hofft die EU, die den Erhalt und die Förderung kultureller Vielfalt als Garant für soziale Kohäsion als eines ihrer vordringlichsten Ziele erachtet, dass Künstler durch ihre Reisetätigkeit zu Agenten von Kunst und Kultur werden und als Kulturvermittler und -katalysatoren die Vielfalt der ›europäischen Kultur‹ fördern. Doch was ist mit diesen Begrifflichkeiten genau gemeint? Im Oktober 2005 wird auf der Generalkonferenz der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur das Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen verabschiedet. Hier wird Vielfalt folgendermaßen definiert: »Die kulturelle Vielfalt zeigt sich nicht nur in der unterschiedlichen Weise, in der das Kulturerbe der Menschheit durch eine Vielzahl kultureller Ausdrucksformen zum Ausdruck gebracht, bereichert und weitergegeben wird, sondern auch in den vielfältigen Arten des künstlerischen Schaffens, der Herstellung, der Verbreitung, des Vertriebs und des Genusses von kulturellen Ausdrucksformen, unabhängig davon, welche Mittel und Technologien verwendet werden.«91

89 Im Wortlaut: »Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes.« »Die Gemeinschaft fördert durch ihre Tätigkeit die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und unterstützt und ergänzt erforderlichenfalls deren Tätigkeit […].« »Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten fördern die Zusammenarbeit mit dritten Ländern und den für den Kulturbereich zuständigen internationalen Organisationen, insbesondere mit dem Europarat.« »Die Gemeinschaft trägt bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen dieses Vertrags den kulturellen Aspekten Rechnung, insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen.« In: Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung, Brüssel am 10.5.2007, vgl. http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi! prod!DocNumber&lg=en&type_doc=COMfinal&an_doc=2007&nu_doc=0242&model= guicheti vom 01. März 2008, S. 4. 90 »Die Europäische Kommission hat im Juli 2004 ein neues Programm der kulturellen Zusammenarbeit für den Zeitraum 2007–2013 mit drei Prioritäten vorgeschlagen: Mobilität von Künstlern und Kulturschaffenden, Mobilität der Werke und interkultureller Dialog. Für dieses neue Programm wurde eine Mittelausstattung von etwas mehr als 400 Millionen Euro vorgeschlagen.« In: »233 europäische Kulturprojekte sollen dieses Jahr mit Mitteln aus dem Programm ›Kultur 2000‹ unterstützt werden«, vgl. http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/04/1502&format=HTM L&aged=1&language=DE&guiLanguage=en vom 05. März 2008. 91 Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur: Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, vgl. http://www.unesco.de/konvention_kulturelle_vielfalt.html?&L=0 vom 01. März 2008.

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Das Charakteristikum des europäischen Projekts besteht laut Europäischer Kommission gerade im Respekt gegenüber der Vielfalt der Geschichte Europas und seiner Kulturen, die jedoch durch gemeinsame Werte (Menschenrechte und Grundfreiheiten) geeint werden. »Die kulturelle Vielfalt und der interkulturelle Dialog sind weltweit zu einer großen Herausforderung geworden für eine globale Ordnung, die auf Frieden, dem gegenseitigen Verständnis und dem Respekt gemeinsamer Werte mit der Wahrung und Förderung der Menschenrechte und dem Schutz der Sprachen beruht.«92 Diese Verbindlichkeit in der Vielheit meint das »Europamotto« »in varietate concordia« (deutsch: Eintracht in Vielfalt).93 Neben dem Schlagwort der kulturellen Vielfalt kursiert auch das Interkulturalitätskonzept in den Debatten der Europapolitik. Angesichts der Erfahrung kultureller Differenzen in einer globalisierten Welt wird es in den 1950er Jahren entworfen und erfährt ebenfalls in den neunziger Jahren seine Hochkonjunktur.94 Die daran gekoppelte Idee interkulturellen Dialogs, die von den Protagonisten der EU ebenso wie der Schutz kultureller Vielfalt regelmäßig eingeklagt wird (letztes Resultat der europäischen Bemühungen in dieser Hinsicht ist die Auslobung des Jahres 2008 als Europäisches Jahr des Interkulturellen Dialogs), beinhaltet das Bewusstwerden der Gebundenheit an die je eigene Kultur und damit einhergehend das Ziel, Konflikte zu verhindern, die aus kulturellen Differenzen entstehen. Interkultureller Dialog muss jedoch angeregt und vermittelt werden, er stellt sich nicht von selbst ein, sondern muss unter anderem durch kulturelle Veranstaltungen befördert werden. Theaterfestivals scheinen dafür prädestiniert. Und tatsächlich bedienen sich einige Theaterfestivals des Begriffs des interkulturellen Dialogs, was vor allem als Teil einer taktischen Argumentations- und Rechtfertigungskette verstanden werden muss. In Zeiten finanzieller Engpässe und zunehmender Zurückhaltung von Sponsoren gehört es zur Imagepflege von Festivals, ihr interkulturelles Profil in den Vordergrund zu stellen. Belegt werden soll es durch Besucherzahlen und Statistiken, die nachweisen sollen, dass ein Festival von Festivalbesuchern aus dem Ausland nachgefragt wird, die so zur »symbolischen Zielgruppe«95 werden. Ähnliche Hoffnungen auf Vermittlungspotential werden freilich nicht nur an Festivals 92 Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung, Brüssel am 10.5.2007, vgl. http://eur-lex.europa.eu/smartapi/ cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!DocNumber&lg=en&type_doc=COMfinal&an_doc =2007&nu_doc=0242&model=guicheti vom 01. März 2008, S. 4. 93 Tatsächlich kehrt die Idee kultureller Vielfalt kontinuierlich auch in den Deklarationen und theoretischen Erzeugnissen diverser Festivals wieder, der Gedanke scheint weitgehend ungebrochen und erstaunlich resistent gegen Zweifel. 94 Vgl. Britta Kalscheuer: »Einleitung«, in: Allolio-Näcke/Kalscheuer/Manzeschke (Hg.), Differenzen anders denken (2005), S. 221ff. 95 Wie Besucherstatistiken dahingehend zumindest bei Musikfestspielen manipuliert werden, weist Holger R. Stunz nach. Vgl. Holger R. Stunz: Darsteller auf internationalen Bühnen: Festspiele als Repräsentationsobjekte bundesdeutscher Kulturpolitik, vgl. http://www.festspiel-forschung.de unter der Rubrik »Festspiel und Bundeskulturpolitik« vom 29. Juni 2007.

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als Organisationsmodell von Kunst herangetragen. Schon Victor Turner sah Grund zu der Annahme, dass das Theater als »Grundlage für eine mittels Darstellung zu erreichende neue transkulturelle kommunikative Synthese« dienen könne. Turner hegte die Hoffnung, dass »wenn wir aber die sozialen Dramen, Rituale und Theaterstücke der jeweils anderen im vollen Bewußtsein der Besonderheiten ihres ursprünglichen soziokulturellen Kontextes aufführen«,96 andere Weisen der Wahrnehmung übernommen werden, eine andere Realität erfahrbar wird. Eine Gleichung, die allzu leicht aufgeht. »Der Begriff ›Interkulturalität‹ sollte mehr politische Zweifel hervorrufen, als es gewöhnlich der Fall ist. Zwar ist er dem noch fragwürdigeren des Multikulturalismus vorzuziehen, der die gegenseitige Abschottung und aggressive Selbstaffirmation kultureller Gruppenidentitäten mehr begünstigt als das urbane Ideal gegenseitiger Beeinflussung. Aber Fragen stellen sich auch hier: Es begegnen sich ja gar nicht ›Kulturen‹ als solche, sondern konkrete Künstler, Kunstformen, Theaterarbeiten.«97

Die Phantasmagorie des interkulturellen Austauschs verstellt den Blick darauf, dass durch solche Konzepte kulturelle Dominanten und damit auch die Diskriminierung von Staatengemeinschaften gefestigt werden. Verschärft wird diese prekäre Dimension des Interkulturalitätskonzepts im Zusammenhang mit der Kunst des Theaters. Wenn interkulturelle Praxis im Theater ausschließlich darauf hinauslaufen soll, dass eine allseitige Durchdringung zwecks besseren Verständnisses erreicht wird, so wird das Potential produktiven Un- und Missverständnisses per se ausgeschlossen. An Festivals des Theaters als kommunikativer Kunst par excellence konkretisiert sich somit umso mehr das Scheitern der (missverstandenen) Idee unbegrenzten interkulturellen Austauschs. »Even though the notion of the national state has been significantly eroded in the last few decades, there is still the tendency to see international cultural cooperation as an engagement of nations and states and not primarily as a relationship of artists among themselves. […] For some sophisticated festival directors in the role of presenters and producers, the programming choice is made on the basis of the artists and companies involved and not countries of origin.«98

Zwar ist die Kommunikationssituation auf Festivals durch das Zusammentreffen unterschiedlicher Intentionen und sozialer Hintergründe markiert, doch die Grenze des Individuums bleibt unhintergehbar, beziehungsweise sind es letztlich Individuen und nicht Kulturen, die miteinander auf Festivals in Kontakt treten. Anders als bei den von Gisela Welz beschriebenen kulturellen Festivals tragen Theaterfestivals in der Praxis – gleichgültig, ob sie sich als Mittler interkulturellen Dialogs deklarieren – dem Umstand Rechnung, dass Kultur nicht von Einzelpersonen oder Gruppen repräsentiert werden kann. Die Stärke von Theaterfestivals besteht genau darin, Vielfalt zu zeigen, ohne generalisierend und pauschalisierend zu wirken. »Tatsächlich ist

96 V. Turner: Vom Ritual zum Theater, S. 26. 97 H.-T. Lehmann: Postdramatisches Theater, S. 454. 98 U. Bacchella: Festivals, S. 32.

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das Festival als Genre besonders geeignet, Vielfalt zu repräsentieren.«99 Aber nicht im Sinne von »staged authenticity« (Welz), sondern als Orte, an denen das Kunstwerk als künstlerisches Ereignis an sich wahrgenommen werden kann. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass Programmhefte in der Regel zunächst die Titel der Performances beziehungsweise die Namen der Künstler ausweisen und nur im Kleingedruckten oder in Klammern die Nationalität der Künstler benennen.100 Es ist also einigermaßen naiv, davon auszugehen, dass Festivals »Europa« vergegenständlichen könnten, wie es etwa Wolfgang Schneider am Beispiel von Neue Stücke aus Europa tut: »Was Europa ist, das zeigt seit ein paar Jahren die ›Biennale‹, zunächst in Bonn, zur Zeit in Wiesbaden. […] Das europäische Denken findet in den Theatern statt, könnte eine der Erkenntnisse sein, die ein solches Festival zu offenbaren hat. […] Die kulturpolitische Bedeutung der ›Biennale‹ ist deshalb nicht hoch genug zu bewerten.«101 Hinzu kommt, dass alle Schlagworte des Begriffsfelds Kultur den Makel von nur vermeintlicher Eindeutigkeit tragen. Sie geben vor, Kultur auf einen Nenner bringen beziehungsweise konkret beschreiben zu können. »Tatsächlich aber handelt es sich meist um theoretische Konstruktionen, die sich in der konkreten Projektarbeit als ungenügend, da als irreführend und gefährlich erweisen können.«102 Max Fuchs bemängelt, dass die ›Begriffsakrobatik‹ von Modewörtern wie dem der kulturellen Vielfalt bisher im Leeren agiert. So ist nicht nachgewiesen, dass die kulturellen Ziele der EU realisiert werden, da bisher keine ausreichenden Beurteilungsmaßstäbe gesetzt wurden: »Um zu entscheiden, ob ein kulturpolitisches Förderinstrument oder eine andere Regelung […] das Konventionsziel der Vielfalt erfüllt, braucht man handhabbare Kriterien.«103 Außerdem impliziere der Terminus Normierung und Entscheidungen über das, was als schützenswert zu gelten hat und was nicht. »Wie ist also umzugehen mit dem täglich anwachsenden ›Kulturerbe‹, das einerseits Dokument des Menschseins ist, das aber auch die Handlungsmöglichkeiten der jetzt Lebenden einschränkt – eben weil es Vorgaben über ›richtige‹ Lebensweisen enthält?«104 Es wäre eine vordringlichere Aufgabe, die entscheidenden Widersprüchlichkeiten dieses Diskurses aufzudecken und zu verhandeln. Hierzu gehört auch die Thematisierung der Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und dem rechtlichen Eingreifen der EU in nationales Recht 99 Gisela Welz: Inszenierungen kultureller Vielfalt. Frankfurt am Main und New York City, Berlin: Akademie-Verlag 1996, S. 299. 100 Anders verfährt Neue Stücke aus Europa, bei dem die Nationalität der Künstler entscheidend für ihre Auswahl für das Festival ist beziehungsweise aus einem Land jeweils nur ein Künstler ausgewählt werden kann. 101 Wolfgang Schneider: »Theater (be-)lebt Europa. Die Kulturpolitik der Dramatischen Kunst mittels Koproduktionen, Festivals und Netzwerken«, in: Bernd Wagner/Norbert Sievers (Hg.), Jahrbuch für Kulturpolitik 2007, Bd. 7, Essen: KlartextVerlag 2007, S. 308f. 102 Hans-Georg Knopp: »Kunst im interkulturellen Dialog. Pragmatisch anwendbare Verbindung von Kunst, Politik und Gesellschaft«, in: politik und kultur 5 (2007), Heft 3, S. 19. 103 Max Fuchs: Kulturpolitik, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2007, S. 82. 104 Max Fuchs: »Herausforderung Kulturelle Vielfalt. Das UNESCO-Übereinkommen vor der Umsetzung in Deutschland«, in: politik und kultur 5 (2007), Heft 3, S. 18.

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Die Räume des Festivals

in Fragen der Kultur und ihrer tatsächlichen Fürsorge für die ›europäische Kultur‹. Die Rolle der EU in diesen Belangen ist mehr als ambivalent: »On the one hand, the actual levels of funding provided by the EU to the culture sector through the new EU Culture Programme are meager: its ca. 57 million € annual budget (same as the annual budget of the Dresden Opera House) is to be shared among the 36 countries included in the Programme. […] On the other hand, the influence of the EU on national economic and legal frameworks cannot be underestimated and has led to, for example, changes in national film funding schemes.«105

Es ergeben sich für Theaterfestivals aus dem oben Gesagten somit triftige Argumente gegen die Adaption der in der Europapolitik kursierenden Begrifflichkeiten. Ergiebiger scheint hingegen eine Befragung der Fähigkeiten von Festivals, keine Räume zwischen den Kulturen, sondern Räume durch sie hindurch zu begründen, im wahrsten Sinne Transräume, die sich allen Binarismen entziehen. Wolfgang Welschs Kritik am Multikulturalitäts- und Interkulturalitätskonzept kann hierzu fruchtbar gemacht werden. Welsch zweifelt die Möglichkeit eines Dialogs zwischen den Kulturen grundlegend an, der auf einem Verständnis von Kultur basiert, bei dem diese als ein inselartiges, abgeschlossenes Gebilde deklariert wird, das hauptsächlich durch seine Andersartigkeit erfahren wird: »Denn je mehr die andere Kultur anders ist, desto mehr wird das Verstehen bloß ein scheinbares sein können und in Wahrheit Akte der Aneignung, der Umsetzung ins Eigene darstellen – also just das, was man nicht will.«106 Welsch plädiert folglich für das Denken von Kultur als heterogenes, vielfach durchdrungenes Gemisch von Kulturen und führt dafür den Begriff der Transkulturalität ein. Dieser Terminus »soll darauf hinweisen, dass die heutigen kulturellen Determinanten über den herkömmlichen Kulturbegriff hinaus- und durch die alten Kulturabgrenzungen wie selbstverständlich hindurchgehen.«107 Das Konzept der Transdifferenz favorisiert wiederum den Erhalt der Differenzen zwischen dem Fremden und dem Eigenen entgegen dem Verdikt des gegenseitigen kulturellen Verstehens und Verstehen-Wollens und betont, dass Unverständnis grundsätzlich konstitutiv bleibt, es »kann jedoch temporär ins Oszillieren geraten und eine Verschie-

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ERICarts Institute (Bonn) (Hg.): Arts and Artists in Europe: New Challenges. A briefing paper about trends, issues and questions for arts policy in Europe commissioned by the International Federation of Arts Councils and Culture Agencies (IFACCA) for a Meeting of its European Members and its Board in Athens, Greece, on 2–3 November 2007, Bonn Oktober 2007, S. 1, vgl. http://www.labforculture.org/en/content/download/36957/295825/file/ArtsandArtistsinEurope_newch allenges.pdf vom 01. Oktober 2008. 106 Wolfgang Welsch: »Transkulturelle Gesellschaften«, in: Merz-Benz/Wagner (Hg.), Kultur in Zeiten der Globalisierung (2005), S. 46. Welsch sieht in diesem Kreislauf des Scheiterns mehr als nur den irrigen Glauben an die Quadratur des Kreises. Vielmehr seien die mangelnden Erfolgsaussichten des interkulturellen Dialogs die bedeutendste Grundlage für das beständige Einwerben von Stiftungsgeldern und EU-Förderung, also eine argumentatorische Finte zur Umlenkung finanzieller Mittel. 107 Ebd., S. 47.

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Theaterfestivals

bung der zuvor bestehenden Differenz bewirken.«108 Transdifferenz propagiert das produktive Nichtverstehen zugunsten einer Kommunikation, die die Eigenheiten einer Kultur unterstreicht, statt sie zu nivellieren. Wichtig an beiden Konzepten – dem der Transkulturalität und dem der Transdifferenz – ist, trotz ihrer konträren Ausgangsthese, dass der unbedingte Wille zum Verstehen des Anderen und damit die Annahme einer kohärenten kulturellen Entität aufgegeben wird zugunsten der Bewegung zwischen den Kulturen wie den Differenzen. Kultur wird verstehbar als Durchgangsraum und nicht als ›angeborene‹ Determinante des Individuums. Mit einer so verstandenen Kultur sind Festivals vereinbar.109 International ausgerichtete Theaterfestivals sind somit gut beraten, ihr transräumliches Potential nicht leichtfertig dem einen oder anderen Konzept von Inter- und Multikulturalität oder des kulturellen Dialogs zu unterstellen, um sich werbewirksam als konsensuell mit politischen Instanzen darzustellen. Dass diese Konzepte selten mehr als reine Worthülsen sind, illustriert das bisherige Scheitern der EU bei ihrer Umsetzung. Dagegen überzeugt die konkrete Praxis von Festivals aus sich selbst heraus: Ihre Fähigkeit, durch die Präsentation fremd wirkender künstlerischer Erfahrungen die Toleranz und die Neugier der Besucher zu steigern und einen mentalen Raum in der Begegnung zwischen Angehörigen fremder Erfahrungszusammenhänge zu etablieren, ist Transfer. Festivals sind somit kein »Fenster zur Welt« mehr – dieses Bild ist überholt. Aber sie sind Räume, in denen eine gewählte, gezielte und respektvolle Auseinandersetzung mit dem Anderen stattfinden kann.

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Britta Kalscheuer: »Die raum-zeitliche Ordnung des Transdifferenten«, in: AllolioNäcke/Kalscheuer/Manzeschke (Hg.), Differenzen anders denken (2005), S. 71. Zuletzt zeichnet sich dementsprechend eine neue Entwicklung bei Festivals ab. Zwar ist der Zwang zum Bekenntnis gegenüber einem kulturellen und multikulturellen Europa beziehungsweise die damit einhergehende Argumentationsweise nicht gänzlich gewichen. Diese tritt neuerdings jedoch merklich in den Hintergrund zugunsten kleinerer, spezifischerer Fragestellungen, die nicht den Anspruch haben, Europa als Ganzes behandeln zu wollen, sondern bescheidener auf lokale Probleme und Situationen zu reagieren. Die selbst gestellten Aufgaben reichen von der gezielten Förderung junger Künstler in Deutschland wie bei Freischwimmer und Junge Hunde bis hin zum Wiederaufbau einer ganzen Region, wie es im Ruhrgebiet die RuhrTriennale versucht.

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Zwischen Politik und Ökonomie Festivals stehen in verschiedenen politischen und ökonomischen Verweisungszusammenhängen. Dass sie auf vielfältige Weise in die sozialpolitische Entwicklung der Städte eingebunden sind, wurde im Kapitel »Stadtraum« bereits angesprochen. Ihre politischen Verstrickungen und das Wechselverhältnis zwischen Kulturpolitik und Festivals werden im folgenden Kapitel eingehender thematisiert. Auch die Unstimmigkeiten und Inkohärenzen der Argumente für und von Kulturpolitik werden angesprochen und ins Verhältnis zur Festivalpraxis gesetzt. Die Förderungslogik von kulturellen Großereignissen wie Festivals und das Argument von Rentabilität und Rücklaufeffekten für die regionale Ökonomie und die Lebendigkeit einer Region werden behandelt. Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Geldgebern stellt Festivals seit den neunziger Jahren außerdem vor neue Herausforderungen. Ihre Fähigkeit, für verschiedene Gruppen innerhalb der Festivalgemeinschaft als eine Art Bühne zu fungieren, antwortet auf das Repräsentationsbedürfnis dieser Gruppen, zu denen vor allem Sponsoren gehören. Doch nicht nur sie nutzen die Bühne des Festivals, auch die Rolle des Zuschauers – oder besser des Festivalteilhabers – im Gefüge des ästhetischen Ereignisses Festival kann durch die Bühnenmetaphorik beschrieben werden. Festivals als Bühne zu verstehen erlaubt, die Dimensionen der Beteiligung aller während des Festivals Anwesenden besser zu verstehen. Der Markt dient als weitere Metapher zur Beschreibung von Festivals, die auf mehr als die rein ökonomischen Funktionen des Festivals abhebt und die Verschränkung von ökonomischen und kulturellen Motiven meint. Gezeigt wird, dass Festivals trotz aller Selbstproklamationen nicht ernsthaft als Anti-Markt zu verstehen sind, sondern durchaus mit den Werkzeugen und Regeln des Markts operieren und ihre Marktposition gewinnbringend für die Kunst einsetzen können.

Festival und Kulturpolitik »Daß jede größere, jede kleinere Stadt, die einigermaßen auf sich hält, heute Festivals veranstaltet, braucht kaum dokumentiert zu werden«.1 Aber es muss kommentiert werden, denn es handelt sich hierbei keinesfalls um einen naturgegebenen Zustand, sondern vor allem um ein Resultat politischen Kalküls. Das Aufblähen des Festivalfelds ist nur im idealisierenden Blick das Resultat überbordender künstlerischer Aktivität. Nüchtern betrachtet, existiert kaum ein Festival und kein Festspielprojekt, »das seine symbolische Existenz

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W. Lipp: Feste heute, S. 666.

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nicht einem politischen Willen verdankt«.2 Der Einfluss der Kulturpolitik auf Festivals ist im Laufe der neunziger Jahre sogar noch angestiegen, was sich nicht nur bei den von Politikern initiierten Festivals manifestiert (beispielsweise an den THEATERFORMEN oder der RuhrTriennale). Der übrige Festivalbetrieb ist ebenfalls auf Kulturpolitik angewiesen und mit ihr wohl oder übel verbunden. Schulze nennt vier Motive des kulturpolitischen Handelns, denen man allgemeingültigen Charakter zusprechen kann. Es handelt sich um das so genannte Hochkulturmotiv, das Demokratisierungsmotiv, das Soziokulturmotiv und das Ökonomiemotiv.3 Selbst wenn sich in der Regel die Beweggründe überschneiden und erst in ihrer Gesamtheit die Grundlage für kulturpolitische Maßnahmen bilden, gewinnt doch das letztgenannte Motiv in den Neunzigern und dem neuen Jahrtausend besonders an argumentativer Schlagkraft. Dies hängt unter anderem mit dem Aufkommen eines verstärkten Kulturtourismus Ende der achtziger Jahre, der Globalisierung4 und der rückläufigen finanziellen Unterstützung der Länder durch den Bund zusammen. Kulturelle Veranstaltungen werden als Mittel erkannt, um Städte konkurrenzfähiger zu machen.5 Es ergeben sich so im Grunde zwei wesentliche Argumentationslinien für kulturpolitische Interventionen: eine, die das Wohl der Stadt/der Gemeinde/des Bundeslands im Blick hat und immer mehr an Raum gewinnt, und eine zweite, die sich an der Förderung von Kunst und Kultur im weiteren Sinne orientiert (hierzu später mehr). Die Förderung von kulturellen Veranstaltungen durch städtische Institutionen wird heute wesentlich als Promotion betrieben, also als mediengerichtete Inszenierung einer Stadt und ihrer Politiker. Kultur als genuinem Produkt des Städtischen und eigentlichem Inbegriff der Stadt wird seitens der Politik eine Sonderposition zugeschrieben, denn über kulturelle Großereignisse wie Festspiele, Festivals, Messen oder die Auszeichnung als Kulturhauptstadt Europas lässt sich die Aufmerksamkeit der Wähler, der Medien und der Kulturtouristen bündeln und lenken. Zusammengefasst wird diese Situation im Begriff der Festivalisierung der Stadtpolitik:6 »Als ›Festivalisierung‹ wird die seit den 80er Jahren anhaltende Strategie von Städten bezeichnet, sich gezielt als Veranstaltungsorte großer Ereignisse oder ›Events‹ in Szene zu setzen. Kennzeichen dieses neuen Typus von Stadtentwicklungspolitik sind die kampagneartige Mobilisierung von Geldern, Menschen und Medien sowie die räumli-

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Holger R. Stunz: Von Äpfeln und Birnen – Festspiele in der Nachkriegszeit als Beispiel für Chancen und Risiken historischer Komparatistik, vgl. http://www.festspielforschung.de/pdf/festspiel-vergleich.pdf vom 21. Februar 2008, S. 2. Vgl. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 499f. Vgl. Sharon Zukin: »Städte und Ökonomie der Symbole«, in: Göschel/Kirchberg (Hg.), Kultur in der Stadt (1998), S. 27–40. Neben dem internationalen Wettbewerb stehen Städte immer in einem kommunalen Wettbewerb. Dies bewirkt, dass jede Stadt sich quasi dazu verpflichtet fühlt, ein eigenständiges, individuelles kulturpolitisches Konzept zu verfolgen. Sie demonstrieren damit ihre Eigenverantwortlichkeit und ihre Sonderstellung im Föderalismus. Die Währung der Gegenwart, vgl. Georg Francks Argumentation.

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Zwischen Politik und Ökonomie che, zeitliche und inhaltliche Bündelung der stadtpolitischen Maßnahmen und Energien auf ein Ziel: auf das jeweilige Großereignis hin […].«7

Diese Maßnahmen sollen dem Wohl der Stadt dienen. Hinter den politischen Absichtserklärungen verbirgt sich jedoch ein Krisenkern. »Planung durch Projekte ist ein Kind von ökonomischer Stagnation, öffentlicher Finanzkrise und Deregulierung.«8 Die Ursache für die Festivalisierung der Politik liegt also im Niedergang der Städte seit den achtziger Jahren (vgl. Kapitel »Stadtraum«). Das Großereignis ist somit nicht das Ziel, sondern Mittel, um neue Impulse für die Region oder die Stadt zu setzen und damit die Krise zu überwinden. Hauptziele sind hierbei das Konstanthalten der Einwohnerzahlen und das Verhindern weiterer Abwanderungen (Problem der shrinking cities), das Schaffen neuer Arbeitsplätze durch den Kulturbetrieb und Kulturtourismus, das Anlocken von Anlegern und Unternehmen (Stichwort kulturelle ›Leuchttürme‹ als weiche Standortfaktoren) und die Mobilisierung staatlicher Gelder für die chronisch unterfinanzierten Gemeinden und Städte. Das Motto der Bewerbung des Ruhrgebiets um den Titel der Kulturhauptstadt Europas 2010 »Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel«9 fasst werbewirksam die Gründe für eine Beteiligung der Stadtpolitik an Festivals und anderen Großereignissen zusammen. Die Reihenfolge von »Wandel« und »Kultur« lässt keinen Zweifel daran, dass an erster Stelle Kultur dem Wandel dienlich sein soll. Dieses Verhältnis entwickelt sich bereits in den achtziger Jahren. »Kultur wurde auf einmal zu einem Mittel, die an anderer Stelle, etwa im Wirtschaftsleben, erzeugten Probleme zu lösen. So wurden auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages 1973 mit dem bezeichnenden Titel ›Wege zur menschlichen Stadt‹ ausdrücklich ›Bildung und Kultur als Elemente der Stadtentwicklung‹ begriffen.«10 Das ganze gipfelt in der etwas zynischen Bemerkung: »Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich ein hochqualifiziertes Arbeitskräftepotenzial nur dorthin locken lässt, wo das kulturelle Angebot zufrieden stellt. Aus diesem Grunde ist es so wichtig, dass auch kleinere Städte versuchen, ein für sie charakteristisches, für ihre Bürger identitätsstiftendes kulturelles Umfeld zu schaffen. […] Der Einfluss der Kultur auf die Stadtentwicklung wird in einer amerikanischen Untersuchung sogar als so stark angenommen, dass für die bislang geläufige Frage, was denn die Wirtschaft für die Kunst tun könne, eine 180 Grad Kehrtwendung vorgeschlagen

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Susanne Frank/Silke Roth: »Die Säulen der Stadt. Festivalisierung, Partizipation und lokale Identität am Beispiel des Events ›Weimar 99‹«, in: Gebhardt/Hitzler/ Pfadenhauer, Events (2000), S. 206. 8 Hartmut Häußermann/Walter Siebel: »Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik«, in: dies. (Hg.), Festivalisierung der Stadtpolitik (1993), S. 14. 9 Vgl. Bewerbungsbüro Kulturhauptstadt Europas 2010 ›Essen für das Ruhrgebiet‹, WANDEL DURCH KULTUR – KULTUR DURCH WANDEL. Bewerbung ›Essen für das Ruhrgebiet – Kulturhauptstadt Europas 2010‹. Kurzfassung Dezember 2005, vgl. http://en.kulturhauptstadt-europas.de/downloads/Kurzschrift_D_offset.pdf vom 21. Februar 2008. 10 A. Klein: Kulturpolitik (in Deutschland), S. 99.

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Theaterfestivals wurde. Man sollte besser umgekehrt fragen: Was kann die Kunst für die Wirtschaft tun?«11

Von dieser Warte aus gesehen lassen sich beispielsweise die Gründungen von Festivals wie Movimentos oder der RuhrTriennale interpretieren. Das vom Autohersteller VW gegründete Movimentos Festival ist als Mittel zur Imagehebung von Wolfsburg sowie des Unternehmens selbst zu verstehen. Auch die RuhrTriennale wird auf politischer Ebene konzipiert, um den Bewohnern des Ruhrgebiets eine Perspektive zu bieten.12 Abgesehen von der ökonomischen Perspektive, die die Diskussionen dominiert, fungiert Kulturpolitik der Städte als Maßnahme zur politischen Legitimation. Die Vorteile von Eventisierung und Festivalisierung bestehen für die städtische Politik in der Bündelung von Ressourcen und der Kondensierung der Kräfte auf einen Punkt hin. Durch diese räumliche und zeitliche Komprimierung lassen sich Großereignisse wesentlich mediengerechter inszenieren. Zugleich suggerieren sie Dynamik, geben neue und erreichbare, klare Ziele vor, zu deren Verwirklichung Bürger leichter mobilisiert werden können. Außerdem geben sie einen festen Zeitpunkt an, zu dem Resultate sichtbar werden und sich Arbeit und Mühen als lohnenswert herausstellen. Über diese motivatorischen Vorteile hinaus lässt sich Gemeinsinn leichter beschwören als durch das frustrierende »Verwalten von Problemen«.13 Außerdem sind stadtpolitische Maßnahmen mit geringer Werbewirksamkeit für den Wähler weitgehend unsichtbar und können also nicht auf breiter Front die Loyalität der Stadtbewohner mobilisieren. »Festivalisierung also, um eine für ihre Bürger identifikationsfähige Stadt zu bewahren.«14 Kulturelle Großveranstaltungen sollen also sowohl das Image der Politik in der Auseinandersetzung mit den Bürgern als auch das Image gegenüber den Konkurrenzstädten und -gemeinden erhöhen. Diese Politik zeitigt jedoch gravierende Nebeneffekte. Einerseits wird in den meisten Fällen nach Ablauf eines kulturellen Großereignisses nicht in dessen Nachhaltigkeit investiert. »Es ist immer wieder bedauerlich, zu erleben, daß Städte und Länder große finanzielle Anstrengungen unternehmen, um ein solches Festival wie THEATER DER WELT auf die Beine zu stellen, aber keinerlei langfristige Konsequenzen aus dem temporären Kulturangebot ziehen.«15 Kulturelle Großereignisse bleiben auf sich allein gestellt, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Außerdem bedeutet ihre Gründung zumeist den Abzug finanzieller Förderung von basalen kulturellen Einrichtungen – Bibliotheken, kleinen örtlichen Theatergruppen, Museen oder auch Schwimmbädern –, der mit der Politik der Großereignisse einhergeht. Bei der 11 Ingrid Gottschalk: »Kulturökonomik«, in: Klein (Hg.), Kompendium Kulturmanagement (2004), S. 249. 12 Vgl. Peter Landmann: »Wie alles begann … Die Gründungsgeschichte der RuhrTriennale«, in: Kultur Ruhr GmbH (Hg.): RuhrTriennale 2002–2004, Essen: KlartextVerlagsgesellschaft 2004, S. 174. 13 H. Häußermann/W. Siebel: Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik, S. 10. 14 Ebd., S. 15. 15 Börries von Liebermann: »Theater der Welt – Essen 1991«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 16 des Inlays.

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Festivalisierung der Stadtpolitik handelt sich also um eine Situation, die längerfristig gesehen die alltägliche Versorgung mit Kultur weiter erschweren wird und Bürger, die nicht an elitären Großereignissen interessiert sind, in ihren Rechten beschneidet. Einer kulturellen Grundversorgung wird damit graduell das Wasser abgegraben. Zusätzlich gehen durch die Umlenkung von Geldern für Großereignisse Arbeitsplätze verloren, die nur unzureichend durch den meist saisonalen Einstellungsschub durch Großereignisse ausgeglichen werden können.16 Gerade vor dem Hintergrund, dass nicht alle Großereignisse – Weltausstellungen, Kulturhauptstädte Europas, Fußballweltmeisterschaften – zwangsläufig wirksam für die Entwicklung einer Stadt als Ganzes sind, scheint es angemessener, eine die gesamte Stadt permanent integrierende Politik zu verfolgen. Dieser Situation haben sich auch von der Politik geförderte Festivals zu stellen, die als Großereignisse nicht per se legitimiert sind, sondern ihre finanzielle Unterstützung erst dadurch rechtfertigen, dass sie – unter den zuvor aufgeführten Bedingungen – einen Mehrwert für ihre Umgebung darstellen. In Festivals wird richtigerweise investiert, wenn es ihnen gelingt, eine für ihre Stadt identifikationsfähige kulturelle Institution zu werden. »So gesehen, gehören Festivals, sparsam genossen und sorgsam gehütet, zu dem Luxus, der lebensnotwendig ist.«17 Als wie wichtig Kultur in Deutschland im Allgemeinen eingeschätzt wird, zeigt der im Dezember 2007 vorgelegte Bericht der gleichnamigen Enquete-Kommission. Die 500 Seiten starke Analyse richtet über 400 Handlungsempfehlungen an Bundestag, Länder und Kommunen, um die Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur zu verbessern. Denn Kultur sei »Lebensmittel« und eine gemeinsame Kultur ein »europäisches Lebenselixier«.18 Diese Schlagworte sind eindeutig dem von Schulze als »Hochkulturmotiv« bezeichneten Diskurs zuzuordnen, der Kunst und Kultur als besonders schützenswertes Gut darzustellen bemüht ist. Kultur ist von dieser Warte aus betrachtet ein Produktionssystem, das sich durch Marktversagen und mangelnde Information der Bürger nicht selbst am Leben zu halten vermag. Diese zwei Faktoren allein erklären jedoch nicht die Notwendigkeit von städtischer (und staatlicher) Kulturpolitik. Erst die Idee von Kulturstaatlichkeit19 rechtfertigt politische Eingriffe in die Vorgänge auf dem Kulturmarkt. Hierbei ist die deutsche Situation in Europa einzigartig, denn hier konnte sich diese Idee besonders ausprägen. Kulturstaatlichkeit als Synonym für die staatliche Übernahme von Verantwortung für Kunst im engeren Sinne wurde etwa durch Theodor W. Adornos Kritik an der Kulturindustrie, die die Diskussion von Kultur auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägt, zusätzlich unterstützt und hat als Argument für die Intervention der Politik in kulturelle Belange nach wie vor nicht an Aktualität eingebüßt. 16 Vgl. ebd., S. 18. 17 F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/static/ themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 22. 18 Vgl. Steffen Reiche: »Europa macht Kultur. Kultur macht Europa. Gemeinsame Kultur als europäisches Lebenselixier«, in: politik und kultur 6 (2008), Heft 1, S. 21. 19 Im Einigungsvertrag vom 31.8.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik wird zum ersten Mal Deutschland als Kulturstaat bezeichnet, vgl. A. Klein: Kulturpolitik (in Deutschland), S. 90.

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Doch bereits die definitorischen und sozialen Grundlagen zur Rechtfertigung von Kulturpolitik weisen Schwachstellen auf. »Kulturpolitische Kommentare formulieren vom Beginn der 50er Jahre bis in die Gegenwart den Anspruch, Kulturpolitik sei die Realisierung des Kulturstaats, obwohl dieser Begriff weder im Grundgesetz, noch in den Landesverfassungen explizit verwendet wird.«20 Ganz abgesehen von den Schwierigkeiten bei der Definition dessen, was unter Kulturstaatlichkeit als Begründungsmoment zu verstehen wäre, kann dieses Schlagwort Teil einer Strategie sein, die von sozialpolitischen Schwierigkeiten von Stadt und Region ablenken soll. »Festivalisierung ist auch das organisierte Wegsehen von sozialen, schwer lösbaren und wenig spektakuläre Erfolge versprechenden Problemen.«21 Soziale Fragen werden so eher kaschiert als thematisiert und Großereignisse unter Umständen zu Agenten von weiterer Segregation. »Die Realität der Kulturpolitik scheint also eher den vermuteten Entwicklungen neuer Ausschließungen zu folgen.« Dies betrifft auch die Kunst, da nur das mit »erheblichem Aufwand gefördert wird […], was sich vermutlich gerade auch im globalisierten Markt ohne öffentliche Förderung behaupten könnte«.22 Kulturförderung scheint in vielen Belangen also nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich für Kultur, für die Gesellschaft und die Entwicklung neuer ästhetischer Formen. Diese Vermutung wird gestützt durch den seit den neunziger Jahren feststellbaren allgemeinen Rückgang der staatlichen Förderung. »Die Finanznot der öffentlichen Haushalte nahm drastisch zu und mit ihr die Sparzwänge der Kulturetats. […] Die prekäre Situation der öffentlichen Kulturausgaben und der Theaterförderung hat mit der Wende zum neuen Jahrhundert eine neue Stufe erreicht, weil es nicht mehr – wie in den neunziger Jahren – allein die Kommunen sind, denen vielfach ein rigoroser Sparzwang auferlegt ist, sondern auch die Länder bei ihren Haushaltsplanungen von erheblichen Finanzkürzungen ausgehen.«23

Ein paar Zahlen: Zwischen 2001 und 2004 sinken die Ausgaben der öffentlichen Hand für Kultur von 8,4 Milliarden Euro auf 7,88 Milliarden Euro. Dabei haben die Länder 250 Millionen Euro weniger ausgegeben, die Kommunen 230 Millionen Euro.24 Bereits die nach der Wende einsetzende Stagnation öffentlicher Förderung bei gleichzeitig steigenden Lohnkosten zieht etwa im Theaterbetrieb einen massiven Personalabbau nach sich: »Unter betriebswirtschaftlichen Aspekten ist das sicher ein erfreuliches Ergebnis, unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten nicht. Zudem mehren sich die Anzeichen, daß vielerorts Einsparungen nur auf Kosten der künstlerischen Qualität

20 Albrecht Göschel: »Kultur in der Stadt – Kulturpolitik in der Stadt«, in: Göschel/ Kirchberg (Hg.), Kultur in der Stadt (1998), S. 230. 21 H. Häußermann/W. Siebel: Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik, S. 28. 22 A. Göschel: Kultur in der Stadt, S. 248. 23 Bernd Wagner: »Theaterdebatte – Theaterpolitik«, in: ders. (Hg.), Jahrbuch für Kulturpolitik 2004, Bd. 4, Essen: Klartext-Verlag 2004, S. 21f. 24 Alle Angaben entnommen: Hans-Joachim Otto: »Jetzt oder nie: Staatsziel Kultur. Ein vernehmbares Zeichen für die Kultur setzen«, in: politik und kultur 4 (2006), Heft 6, S. 19.

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erzielt werden können.«25 Darüber hinaus wurden auf gesamtsstaatlicher Ebene entscheidende rechtliche Modifikationen für die Gestaltung von Kulturpolitik bisher nicht unternommen. So ist das Staatsziel Kultur trotz einer neuerlich entbrannten Diskussion und Promotion führender kultureller Organisationen wie dem Deutschen Kulturrat noch nicht im Grundgesetz verankert worden.26 In Anbetracht der Tatsache, dass die sozialen Ziele von Kulturstaatlichkeit offenbar nicht erreichbar sind, lassen sich als Motivation für städtische Kulturpolitik letztlich nur ökonomische Ziele anführen. Der Aspekt der ökonomischen Rentabilität von Großereignissen für Städte und Gemeinden hat seit jeher eine zentrale argumentatorische Funktion. Der ökonomische Reiz von Großereignissen wie Festivals ist trotz der oben aufgeführten Widersprüchlichkeiten für die städtische Politik ungebrochen, die in Festivals die Chance ihrer Profilierung im Wettbewerb der Städte und die Hebung der Prosperität ihrer Region erkennt. Um dies zu erreichen, nehmen Städte und Gemeinden einschneidende Veränderungen in ihrer kulturellen Landschaft in Kauf. Großereignisse wie Festspiele und lokalspezifische Festivitäten gründen einen beachtlichen Teil ihrer Attraktivität auf der ›Authentizität‹ ihres Austragungsorts. Als hierfür unverzichtbar erachtet Thomas Heinze die Authentizität der Angebote sowie den Einbezug der einheimischen Bevölkerung. Kulturmarketing und Kulturtourismus benötigen die Zustimmung der Bevölkerung. Als deren Resultat prognostiziert Heinze eine »große Wertschöpfung für die Region« durch die »hohe Kaufkraft der Kulturtouristen«.27 Tatsächlich zähle der Kulturtourist zur wichtigsten, »weil kaufkräftigsten touristischen Zielgruppe«.28 Es handle sich beim Kulturtourismus um einen relativ stabilen Markt, der auf der Beliebtheitsskala von Reisearten immerhin an fünfter Stelle rangiere.29 Um diesen Markt zu erschließen, werden unter anderem infrastrukturelle Veränderungen (durch den Bau von mehr Zufahrtsstraßen, den Ausbau des Autobahnnetzes und damit Zurückdrängung ganzer Wohngebiete oder durch die Verkehrsberuhigung der Innenstadt) von Stadt und Land in Kauf genommen und Projekte eingegangen, die riskant sind, weil sich ihr Erfolg oder Misserfolg auf ein einziges konzentriertes Ereignis gründet. Das Bild der ›authentischen Schauplätze‹ stellt sich aus der Perspektive Marc Augés merklich anders dar. Augé beklagt die zunehmende Musealisierung der Städte und ihres Umlands und damit das Entstehen von Nicht-Orten, gekoppelt an die Entvölkerung der Stadt.30 Anstelle des Konservierens von kulturellem Erbe und der Förderung neuer ästhetischer Positionen tritt, so Augés Diagnose, die »Behübschung« der Stadt durch architektonische Ein25 Rolf Bolwin: »Vorwort Theaterstatistik 1994/95«, in: Deutscher Bühnenverein (Hg.): Theaterstatistik 1994/95, Köln: Deutscher Bühnenverein 1996, S. 3. 26 Der Bundesrat entscheidet sogar am 10.10.2008, laut Meldung des Deutschen Kulturrats, den vom Land Berlin vorgeschlagenen Gesetzentwurf für ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz nicht in den Deutschen Bundestag einzubringen. 27 Thomas Heinze: Kultursponsoring, Museumsmarketing, Kulturtourismus, Opladen: Westdeutscher Verlag 2002, S. 126. 28 Ebd., S. 125. 29 Vgl. ebd., S. 124. 30 Vgl. M. Augé: Orte und Nicht-Orte, S. 88.

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griffe in das Stadtbild in den Vordergrund städtebaulichen Interesses. Der Umbau innerstädtischer Straßen in Fußgängerzonen, das Errichten prestigeträchtiger architektonischer Extravaganzen bei gleichzeitiger Aufwertung von Altstädten durch Neubauten im alten Stil oder das schlichte Ausleuchten von Monumenten – die Liste an Maßnahmen kann lange fortgesetzt werden – sollen die Identifikation des Standorts erleichtern und seinen Originalitätswert steigern, behindern dabei jedoch genuine Äußerungen und Entwicklungen der Habitanten und ihrer Lebenswelt. Tatsächlich ist eine allmähliche Vereinheitlichung des Stadtbilds verschiedenster Städte verteilt über den ganzen Kontinent feststellbar. Immer weniger Architekten bauen immer mehr Räume für städtisch verordnete Großereignisse wie die besonders prestigeträchigen Kulturhauptstädte Europas31 und entwerfen somit ein homogenes Gefüge des deklarierten ›Anderen‹, das Kulturtouristen suchen. Damit wird das Ziel der Einzigartigkeit ad absurdum geführt.32 Und auch wenn diese Beschreibung scheinbar nur auf die Großereignisse zutrifft, die von der Politik selbst inszeniert und organisiert werden (hierzu zählen neben den eben genannten Kulturhauptstädten auch Stadtjubiläen oder Fußballweltmeisterschaften), so können sich selbst Festivals mit eigenem Anspruch und unabhängigeren Organisatoren und Kuratoren nur bedingt dem Leitstern der Einzigartigkeit und des Mehrwerts für Stadt und Region entziehen. Längst schon haben diese Deklarationen Eingang in die Selbstdarstellungen selbst der unabhängigsten Festivals gefunden. Doch wie rentabel kann der Kulturtourismus für eine Region überhaupt sein? Alfred Kyrer untersucht 1985 die wirtschaftlichen Effekte der Salzburger Festspiele und präsentiert Zahlen, die den Schluss nahelegen, dass es sich beim Festspieltourismus um eine »sehr hochwertige Form von Tourismus«33 handelt und derartige Events eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz aufweisen – somit eine Investition der öffentlichen Hand rentabel sei. Tatsächlich lassen sich durchaus andere Untersuchungen anführen, die genau das Gegenteil belegen. Die Fallstudien in dem von Häußermann und Siebel herausgegebenen Sammelband zur Festivalisierung der Stadtpolitik (etwa Hellsterns Studie zur documenta 9) verdeutlichen sogar, dass »der Streit über Kosten und Nutzen des großen Ereignisses gleichsam emotional wie sinnlos [ist], denn er ist prinzipiell unentscheidbar.« Und viel wesentlicher: »Eine hieb- und stichfeste und vollständige Bilanz aller Kosten und Nutzen ist im Vorhinein unmöglich 31 Allein für Essen als Kulturhauptstadt 2010 werden das RuhrMuseum, das Museum Folkwang und fünf Besucherzentren neugebaut, das Museum Küppersmühle und das Dortmunder U werden umgebaut. Außerdem werden, so die Verantwortlichen, zahlreiche »städtebauliche Projekte, die mit den Namen internationaler Stararchitekten wie Norman Foster, Rem Koolhaas, David Chipperfield, Herzog & de Meuron und anderen verbunden sind, […] 2010 fertig gestellt sein und den Besuchern eine ungewöhnliche Stadtlandschaft präsentieren, die den atemberaubenden Wandel von Europas legendärer Kohle- und Stahlregion zur Kulturmetropole neuer Art touristisch erlebbar macht.« In: Ruhr.2010 GmbH (Hg.): Flyer, vgl. http://www.kulturhauptstadteuropas.de/downloads/RUHR2010_Flyer0802.pdf vom 22. Juli 2008. 32 Der Strategie der Stadtverschönerung können Festivals tatsächlich entgegenwirken, indem sie diese neuen Räume ummünzen in eigenes Territorium. 33 Alfred Kyrer: Der wirtschaftliche Nutzen von Festspielen, Fachmessen und Flughäfen am Beispiel der Region Salzburg, Regensburg: Transfer-Verlag 1987, S. 117.

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und im Nachhinein noch nie versucht worden.«34 Der Zweifel an der wirtschaftlichen Rentabilität von Festivals und anderen Großereignissen ist jedoch tiefgründiger und komplexer, wie Schulze zeigt. In seiner mittlerweile zum soziologischen Standardwerk avancierten Untersuchung zur Erlebnisgesellschaft bemerkt er: »Entsprechen die tatsächlichen Wirkungen der Kulturpolitik ihren Ambitionen? Es ist üblich, diese Frage mit Hoffnungen zu verbinden. Daß sich in diese Hoffnungen so wenig skeptische Untertöne und Befürchtungen mischen, wo es doch nicht gerade um Bagatellen geht, erklärt sich zum Teil aus der unausgesprochenen Vermutung, daß die Ansprüche der Kulturpolitik doch immer nur Utopien bleiben werden, die keinen großen Schaden anrichten können. Zu sehr ist Kulturpolitik aber aus der ursprünglichen Marginalität herausgewachsen, als daß man sie folgenlos träumen lassen könnte, soviel sie will; zu sehr wird ihr inzwischen Verantwortung nicht nur zugestanden, sondern zugeschoben. Ein Rechtfertigungskonsens hat sich etabliert: Kulturpolitik ist gut. Kulturpolitik verdient jedoch dieselbe skeptische Distanz wie jeder andere Versuch, in das Alltagsleben oder in die Natur einzugreifen.«35

Es gibt mehrere Parameter, an denen sich der Erfolg von städtischer und regionaler Kulturpolitik messen lassen muss: Einerseits die wirtschaftliche Rentabilität von Großereignissen; andererseits die rechtliche, soziale und definitorische Grundlage kulturpolitischer Maßnahmen. In beiden Fragen ergeben sich folgenschwere Paradoxien. Erstens: »Wirksam ist Kulturpolitik gewiß […], aber oft anders als sie will.«36 Schulze macht plausibel, dass kulturpolitische Bemühungen in der Regel in zweifacher Richtung Wirkung hervorrufen können: Sie können gestaltend wirken oder Nebenfolgen hervorrufen, die entweder erwünscht oder unerwünscht sind. Zweitens sind die Spielräume direkter Einflussnahme gering und die Messlatten für Erfolg oder Misserfolg einer Unternehmung sind weder standardisiert noch werden sie je wirklich angewandt. »Man diskutiert über die gesellschaftspolitischen Ansprüche der Kulturpolitik, doch mißt man sie kaum einmal daran.«37 Was entsteht, ist ein argumentatorisches Vakuum für Kulturschaffende, die messbare Resultate ihrer Arbeit selten anführen können. Zudem ist der Erfolg von Kulturpolitik nie unabhängig von anderen Parametern, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. »Kulturpolitik kann nicht nach Belieben steuern. Sie ist lediglich ein Vektor in einem sozialen Zusammenhang, dessen Gesamtdynamik erst bei Berücksichtigung der Eigenrationalitäten aller Beteiligten verständlich wird.«38 Vor diesem Hintergrund sinken die Hoffnungen für einen Nachweis der Rentabilität von städtisch organisierten Großereignissen.

34 H. Häußermann/W. Siebel: Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik, S. 17. 35 G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 496. Für eine weitere umfassende und differenzierte Kritik vgl. Hartmut Häußermann/Walter Siebel: Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte, Opladen: Westdeutscher Verlag 1993. 36 G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 502. 37 Ebd., S. 497. 38 Ebd., S. 502.

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Tatsächlich zeigt Sonja Clausen aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive auf, dass sich Kulturförderung von kulturellen Großprojekten, den kulturellen ›Leuchttürmen‹, finanziell nicht zwangsläufig lohnt und darüber hinaus auch ideologisch nicht zu rechtfertigen ist. Die unterschiedlichen Motive öffentlicher Kulturförderung wie die Fürsorgepflicht des Staates, Marktversagen oder die Stimulierung der Wirtschaft durch kulturelle Projekte werden von ihr nach und nach widerlegt. Subventionen, so ihr Schluss, lassen sich in dem meisten Fällen weder durch die Fürsorgepflicht des Staates39 noch durch das Argument der Korrektur von Marktversagen legitimieren. Die sozialpolitischen Argumente, die üblicherweise vorgebracht werden, entbehren gar der rechtlichen Grundlage. Auch das Argument, durch Subventionen die Preise für Festivalkarten zu minimieren und damit Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen Zugang zum Festival zu ermöglichen – das so genannte Soziokulturmotiv – ist bei näherer Betrachtung nicht haltbar, ja die Preissenkung schadet nachweislich sogar den ärmeren Besuchergruppen.40 Sogar die Stimulierung der lokalen Wirtschaft durch Kultur, die so genannte Umwegrentabilität, wird von ihr als Chimäre entlarvt. Die Datenlage lasse es im Regelfall nicht zu, wirklich relevante wirtschaftliche Effekte der Subventionierung von Kultur zu ermitteln und exakte Zahlen zu erhalten. Die Erhebung wirtschaftlicher Effekte von Festivals und anderen Großereignissen entbehre völlig der (statistischen) Grundlage und erübrige sich somit. Hiermit dekonstruiert Clausen allerdings das zentrale Argument, das von der Kulturpolitik als Rechtfertigung ihrer Bemühungen und Entscheidungen vorgebracht wird. »Die Aussagen, die über den wirtschaftlichen Nutzen der Kulturförderung abgeleitet werden, sind erheblich zu relativieren.«41 Dieses Ergebnis überrascht nur mäßig, wenn man berücksichtigt, dass dem Argument der wirtschaftlichen Rentabilität von Kultur bereits ein grundlegenderes Missverständnis zugrunde liegt. Es fußt in der Ignoranz der Kulturpolitik gegenüber der Unkalkulierbarkeit von Kunst und jeglicher kultureller Äußerung. Sind Events als durch und durch inszenierte kommerzielle Großereignisse (wie Konzerte, die von Softdrinkherstellern veranstaltet werden, beispielsweise der »Coca-Cola Soundwave« in Berlin 2007 oder Adventurereisen, die von Zigarettenproduzenten angeboten werden wie das »Marlboro Abenteuer Team«, das bereits seit 1983 existiert) in ihren Wirkungen relativ voraussagbar (vor allem weil sie meist keine anderen als ökonomische Ziele verfolgen und deshalb relativ planungssicher sind), so zeichnen sich

39 Begründet auf Art. 5 (3) GG: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.« 40 Vgl. Sonja Clausen: Regionalwirtschaftliche Implikationen öffentlicher Kulturförderung, Frankfurt am Main u.a.: Lang 1997, S. 54ff. Da Kultursubventionen von Steuergeldern gedeckt werden, die ärmeren Bevölkerungsschichten statistisch gesehen Theater und andere kulturelle Angebote jedoch weit weniger nutzen als besser verdienende, sind vor allem die »Bezieher höherer Einkommen die Nutznießer der Förderung«, ebd., S. 54. Hellstern kommt zu dem gleichen Schluss, vgl. Gerd-Michael Hellstern: »Die documenta: Ihre Ausstrahlung und regional-ökonomischen Wirkungen«, in: Häußermann/Siebel (Hg.), Festivalisierung der Stadtpolitik (1993), S. 322. 41 S. Clausen: Regionalwirtschaftliche Implikationen öffentlicher Kulturförderung, S. 103.

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Festivals durch ihre relative Unplanbarkeit aus.42 Die Beschreibung von Festivals muss demnach hauptsächlich berücksichtigen, von wem die Motivation dafür ausgeht, wer der Initiator und der Träger der Vision ist, die jedem Festival zugrunde liegen muss. Festivals, die quasi von Beginn an institutionalisiert sind, indem sie von städtischen Funktionären erfunden werden, um die obigen politischen und ökonomischen Ziele zu verfolgen, wie beispielsweise die RuhrTriennale oder die ersten Ausgaben der THEATERFORMEN, fallen in den Bereich, den Häußermann und Siebel unter dem Stichwort der Stadtentwicklung durch große Projekte erfassen.43 Wie verhält es sich aber bei denjenigen Festivals, die von ›Privatleuten‹, theaterbegeisterten Individuen getragen, erdacht, strukturiert und geleitet werden, wie transeuropa oder Freischwimmer? Diese können sich größtenteils erfolgreich der politischen Instrumentalisierung entziehen. Doch selbst die THEATERFORMEN, die bei ihrer Gründung von der Politik als Leuchtturm für die Region konzipiert wurden, haben sich mittlerweile selbst positionieren und eigenständig entwickeln können, was unmittelbar mit einem deutlicheren Eingehen auf die Bedürfnisse und Präkonditionen der beiden Austragungsstädte Braunschweig und Hannover zusammenhängt. Erst wenn die Initiatoren und Leiter eines Festivals wie beispielsweise im Falle von SPIELART in München ihrer Stadt explizit dienen, sie bereichern und »theatralisieren«44 wollen, besteht ein reales wechselseitiges und fruchtbares Interesse zwischen Festival und Stadt. Erst hier zeigen sich noch die übrigen sozialen und ästhetischen Funktionen von Festivals, die primär Politik und Ökonomie außer Acht lassen. Sicherlich ist die Einflussnahme von Festivals auf die Entwicklung von Städten und Regionen begrenzt. Ein »Beispiel dafür, daß die Entwicklungsrichtung einer Region oder Stadt durch ein einmaliges Großspektakel umgekehrt worden sei, ist […] nicht bekannt. Große Ereignisse bahnen keinen Weg für Innovation, können aber die Durchsetzung fördern.«45 Es entsteht sogar der Eindruck, »als sei der rhetorische und theoretische Aufwand, der immer noch um Kulturpolitik getrieben wird, ein letzter Widerschein deutscher Überschätzung von Kunst (und Kultur)«.46 Dem ist entgegenzuhalten, dass gerade die unabhängig gegründeten Festivals durchaus eigene Wege beschreiten können. Es ist also zu einseitig, ob der Schwierigkeiten bei der Erhebung von Effekten der kulturellen Großereignisse, diese pauschal abzuurteilen. Ist es denkbar unterhalb der Verstrickungen zwischen Politik und Kunst, in der Allianz der Interessen, Kreativität durchzusetzen, die nicht unmittelbar in die Absichtserklärungen und wirtschaftlichen Interessen der Entscheidungsträger integrierbar ist? Im Falle von Theaterfestivals seit den neunziger Jahren lautet die Antwort ja. Das Verhältnis zwischen Stadt und Festivals ist komplexer und verworrener. Die Beziehung zwischen Festival 42 »Kulturentwicklungsplanung« erscheint hierbei nur als eine Hoffnung, die zur Realität erklärt wird. 43 Vgl. den Untertitel ihrer Studien »Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte«, Opladen 1993. 44 Ivan Nagel: »Die Kunst der Stunde. Zur Eröffnung von Theater der Welt ‘89 in Hamburg«, in: Theaterheute 29 (1989), Heft 8, S. 4. 45 H. Häußermann/W. Siebel: Die Politik der Festivalisierung und die Festivalisierung der Politik, S. 20. 46 A. Göschel: Kultur in der Stadt, S. 249.

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und Stadt besteht icht zwangsläufig nur in der besseren Vermarktbarkeit einer Stadt durch kulturelle Ereignisse, sondern beruht auf einer generellen Affinität zwischen beiden (vgl. Kapitel »Stadtraum«). Der Charakter des Festivals wird durch das urbane Umfeld wesentlich geprägt und vice versa. Es hat sich gezeigt, dass die Kopplung von Festivals an Politik und Ökonomie bereits Realität bei Festspielen ist, den organisatorischen Vorläufern heutiger Festivals (vgl. Kapitel »Vom Festspiel zu Festspielen als Organisationsodell«). Diese Bindung verschärft sich jedoch deutlich seit dem Fall der Mauer und prägt die heutige Gestalt von Festivals entscheidend. Städtische Politik setzt seit den neunziger Jahren immer umfassender auf Stadtmanagement und Imageverbesserung durch Projekte und Großereignisse, zu denen auch Theaterfestivals zählen. Damit befinden sie sich in Verweisungszusammenhängen, die auch ihre problematische Rolle im Kontext der deutschen Kulturlandschaft zum Vorschein bringen. Denn die Motive der Politik zur Intervention in das kulturelle Geschehen sind ebenso wenig stichhaltig und eindeutig wie die Argumente für eine Politik der Großereignisse. Untersuchungen zeigen, dass den negativen Resultaten einer stark intervenierenden Politik mehr Wirkung zu attestieren ist als den positiven. Gravierender noch basiert die Verschränkung von Politik und Festivals auf einem Krisenkern, das heißt dem Verfall der Städte und einer Unterfinanzierung fast aller Gemeinden in Deutschland. Dieser Krise müssen sich Festivals bewusst sein, um das Engagement der Politik richtig einordnen und deuten zu können. Kulturpolitik kann nur dann sinnvolle Verbindungen mit Festivals eingehen, wenn sie deren Prozesshaftigkeit, ihre relative Unplanbarkeit anerkennt. Statt Festivals wie Events zu behandeln, die genau konstruierte Veranstaltungen mit klaren Resultaten sind, gilt es, das Ereignispotential von Festivals für die Stadtpolitik zu entdecken. Entscheidend für Festivals ist wiederum, dass sie ihrer politischen Dimension gewahr werden und offensiv mit dieser Rolle umgehen und arbeiten, statt sich schlichtweg instrumentalisieren zu lassen. Das Bewusstsein über die vielfältigen Verschränkungen mit staatlicher und städtischer Kulturpolitik ist für Festivals unerlässlich, wollen sie ihre Idiosynkrasien und Glaubwürdigkeit erhalten. Ähnliches gilt für das Verhältnis zu Sponsoren und anderen (Personen-)Gruppen, die ihre Interessen durch ihre Präsenz auf Festivals verfolgen wollen.

Festival als Bühne und soziales Setting Verschiedene Personengruppen tragen ihre Interessen an Festivals heran und nutzen den Zeitraum ihrer dortigen Präsenz, oder im Sonderfall auch ihrer Absenz, als Gelegenheit, ihre Ziele durch und auf Festivals zu erreichen. Die dahinter stehenden Motive decken ein weites Spektrum von sozialen Bedürfnissen bis hin zu ökonomischen Überlegungen ab. Von besonderem Interesse für diesen Abschnitt der Untersuchung sind jedoch die Gruppen der Besucher und der Sponsoren. Anders als bei Künstlern und Festivalproduzenten ist die entscheidende Ressource für diese Festivalteilhabenden nicht Zeit; Zuschauer und Sponsoren nehmen hauptsächlich Einfluss auf den Raum, der für sie zum Aktionsrahmen wird. Ein Sponsor will sein Logo auffallend im Raum platziert haben oder gar seine eigenen architektonischen Ideen auf einem Festival realisiert sehen. Ein Festivalbesucher wiederum benötigt vor allem einen gu238

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ten Platz, eine gute Bühne, von der aus er betrachtet werden kann und andere betrachtet. Er fügt sich damit einem allgemeingesellschaftlichen Code, denn: »Vom Fernsehen bis zur Zeitung, von der Werbung bis zu all den Epiphanien der Waren unterliegt unsere Gesellschaft einer Wucherung des Sehens; sie bewertet jede Realität nach ihrem Vermögen, sich zur Schau zu stellen oder zur Schau gestellt zu werden, und verwandelt jede Kommunikation in ein Wandern des Auges.«47 Sichtbarkeit wird zum Schlüsselmotiv und das Festival als Raum wird zu einer Bühne der Selbstdarstellung. Konkret und haptisch auf den Leib des Menschen sowie den Leib der anderen als Gesamtkörper bezogen, lässt sich in diesen Räumen eine Steigerung der Leiblichkeit (im Sinne von Waldenfels) notieren. Der Leib als erster Ort des Menschen gerät in das Blickfeld der anderen und wird in seiner eigenen symbolischen Funktion bedeutsam. Er nimmt sich wiederum ›seinen Raum‹. Georg Simmels richtungweisender Aufsatz über Die Großstädte und das Geistesleben lässt sich auch im Hinblick auf Festivals als Bühnen der Selbstdarstellung lesen. Selbst wenn dessen Fokus auf der Charakterstudie des ›neuen Stadtmenschen‹ liegt, gibt er auch heute noch Aufschluss über die Art und Weise, wie Menschen miteinander physisch in Kontakt treten. Simmel skizziert in seinem Essay einen Einzelmenschen, der zu grotesken Mitteln der Selbstdarstellung und Selbststilisierung greifen muss, um die durch das städtische Gewirr beständig abgezogene Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen auf sich zu lenken. Da sich das Leben »mehr und mehr aus […] unpersönlichen Inhalten und Darbietungen« zusammensetzt, rette sich das Persönlichste dadurch, dass es »ein Äußerstes an Eigenarten und Besonderung« aufbietet; »es muß dieses übertreiben, um nur überhaupt noch hörbar, auch für sich selbst, zu werden.«48 Es handelt sich bei diesem Verhalten mit anderen Worten um Strategien der Erregung von Aufmerksamkeit im Sinne der bereits referierten Ökonomie der Aufmerksamkeit bei Künstlern (vgl. Kapitel »Verdichtung und Gleichzeitigkeit«). Auch Sponsoren und Zuschauer, die in diesem Abschnitt der Studie zentral sein werden, suchen ein Parkett, um Sichtbarkeit zu erreichen. Zwar ist es beispielsweise nicht unerheblich, ob auf einem Festival eine spezielle Zielgruppe von Sponsoren erreicht wird oder nicht, doch die dem Selbstdarsteller geschenkte Aufmerksamkeit ist zunächst ›reine‹ Aufmerksamkeit und schöpft ihren Wert aus sich selbst. Die aus der Anordnung der Sichtbarkeiten entstehenden Festivalräume sind ein exzellentes Beispiel für die soziale Praxis von Räumen als symbolische Form. In ihnen lassen sich Distanz- und Nähebeziehungen regulieren. Als räumliche Strukturierungen sind sie zugleich kulturelle Strukturierungen, die eine Restituierung von Gesellschaft und Ordnung zulassen und befördern. Sie erlauben Positionierung, Annäherung, Distanzierung und fungieren somit auch als Zeichensystem über ihre offensichtlich konkrete Räumlichkeit hinaus. Das Ereignis des Festivals wird zum Rahmen, auf den sich soziale Handlungen beziehen, dieser »bietet Orientierung für das Verfolgen von Strategien, das Verarbeiten von Informationen, die Normalisierung der Überraschungen, für Kontingenzreduktionen, Gestaltungen und Anpassungen.«49 47 M. de Certeau: Kunst des Handelns, S. 26. 48 Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 41. 49 H. Willems: Events: Kultur – Identität – Marketing, S. 84.

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Das Festival ist also zunächst ein kulturelles und soziales Setting. Doch bietet es kein soziales Skript im Sinne Erwin Goffmans, sondern ist ein relativ offenes Gefüge ohne deutlich markierten Anfang und Ende. »Viele soziale Anlässe bieten nur einen sehr allgemeinen Rahmen für die typischen Situationen, die im Handlungsprozeß vorkommen können und dürfen.«50 Auch Festivals zeichnen sich als Rahmen zunächst durch Regellosigkeit, Unsicherheit und Vieldeutigkeit aus. Der gemeinsame Nenner, der sich für alle auf Festivals freiwillig Anwesenden pauschal finden lässt – das Interesse an der Inszenierung beziehungsweise an dem Programmbestandteil, für den man Eintritt gezahlt hat –, beinhaltet allerdings einen Verhaltensvertrag, in dem bestimmte Codes festgelegt sind, die den allgemeinen Regeln der menschlichen Interaktion entsprechen. So werden etwa in der exponierten Situation des Betrachtens die Regeln des Blickkontakts und der »höflichen Gleichgültigkeit«51 beachtet, die Begegnungen und Interaktionen regulieren. Die relativ offene Bühnensituation des Festivals ist außerdem an Gruppenzugehörigkeiten orientiert. So verhält sich jeder Festivalteilhaber – egal welche Absichten er darüber hinaus verfolgt – den Regeln seiner Gruppe gegenüber konform. »Er kann sich auch absichtlich und bewußt in bestimmter Weise darstellen, weil die Traditionen seiner Gruppe oder seines sozialen Ranges diese Art der Selbstdarstellung vorschreiben. […] Diese oberflächliche Übereinstimmung, die den Anstrich von Einigkeit hat, wird ohne Schwierigkeiten aufrechterhalten, wenn jeder seine eigenen Bedürfnisse hinter der Verteidigung von Werten verbirgt, denen sich alle Anwesenden verpflichtet fühlen.«52

Es hieße jedoch die Metaphorik der Bühne und des Settings überzustrapazieren, wollte man das Festival in seiner Struktur wie in seiner Prozessualität als Verlängerung einer Theaterinszenierung ausgeben. Zwar spielt in unserem Fall das Theater als eigentliche Thematik des Festivals eine maßgebliche Rolle; zwar haben sich bereits Turner und Goffman dieser Metaphorik bedient, um soziale Zusammenhänge und Wirkungsweisen zu analysieren; und tatsächlich bieten einige räumliche Gegebenheiten auf Festivals einen hervorragenden Rahmen für Selbstinszenierungen, zum Beispiel Pausenräume und Bars.53 Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Theater und Festivals findet sich dennoch zunächst nur in der Erfahrung von Ko-Präsenz: Akteure wie Zuschauer finden sich in der Situation des gemeinsamen ›In-der-SituationSeins‹, sie teilen einen bewusst gewählten gemeinsamen Zeitraum. Die Teilhabe an diesem Zeitraum wird erkauft, und das sowohl durch einen finanziellen Beitrag als auch durch den Einsatz von Aufmerksamkeit für die anderen Teilhabenden. Eine Ko-Präsenz wiederum, die niemanden ausschließt, der 50 Ebd., S. 85. 51 Erving Goffman: Verhalten in sozialen Situationen. Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum, Gütersloh: Bertelsmann-Fachverlag 1971, S. 84ff. 52 Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München: Piper 2003, S. 10, 13. 53 Dennoch soll dieser Terminus nur in einem spielerisch-kritischen Sinn verstanden werden. Behauptet wird nicht, dass Theaterfestivals eine besondere Bühnensituation abgeben, die sich von anderen kulturellen Veranstaltungen grundsätzlich unterscheidet.

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sich in der Situation befindet, wird Öffentlichkeit genannt54 – Festivals lassen sich also zunächst als Öffentlichkeiten beschreiben. Es handelt sich zwar nicht um Öffentlichkeit als soziopolitische Kategorie im engeren Sinne, sehr wohl existiert auf Festivals jedoch eine Art von Öffentlichkeit, eine TeilÖffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit diverse Personengruppen auf Festivals auf sich ziehen wollen. Denn wer den Raum des Festivals als Bühne nutzen will, muss einen Einsatz leisten, muss diesen Raum gleichsam ›mieten‹ – das gilt für Künstler, Sponsoren, Politiker wie auch für Zuschauer.55 Unter einem Zuschauer soll jemand verstanden werden, »der eine bewußte (häufig mit einigen Kosten verbundene) Entscheidung trifft, ein Ereignis zu beobachten […]. Die Entscheidung des Zuschauers impliziert, daß er zu einer bestimmten Zeit zu einem bestimmten Ort gehen muß. Außerdem werden häufig Mittel benötigt, um den Zugang zu dem Ereignis zu bekommen.«56 Diese Definition besagt jedoch noch nichts über die Idiosynkrasien des Zuschauers, der auf Theaterfestivals zu erwarten ist. Es liegen zwar nur wenige spezifische Studien zu Theaterfestivalzuschauern vor,57 demographische Analysen von Theaterpublika lassen jedoch auf das Besucherprofil eines überdurchschnittlich gebildeten, vorwiegend jungen, studentischen und professionellen Publikums schließen, das zum wiederholten Male (Stammpublikum) kommt und sich »für Kultursparten interessiert, die als modern, progressiv bzw. alternativ gelten […] und eher linke/alternative politische Orientierungen zeigt. Starke individualistische Tendenzen sind beobachtbar.«58 Der Theaterbesucher (der Theaterfestivalbesucher) konstruiert seine soziale Identität also einerseits aus dem Zusammengehörigkeitsgefühl mit Seinesgleichen – »Kulturveranstaltungen mobilisieren meist Menschen mit sehr ähnlichen sozialstrukturellen Merkmalen«59 –, andererseits aus einem ausgeprägten individualistischen Bedürfnis, sich positiv abzugrenzen und sich als progressiv zu erfahren. Gerd-Michael Hellstern findet auf der documenta drei übergeordnete Besuchertypen: »der Fachbesucher, der eher traditionelle Bildungsbürger bzw.

54 Vgl. etwa die Selbstbeschreibung des SPIELART Festivals in München: »SPIELART ist kommunikativ. Das Live-Ereignis Theater ermöglicht einen der wenigen Momente direkter Öffentlichkeit und unmittelbarer Kommunikation. Und auch nach den Aufführungen diskutiert das Publikum mit den Künstlern. Theaterfachleute und Studenten tauschen sich auf Fachsymposien und in informellen Gesprächen über die Fragen des Genres und der Theater-Community aus. Und am Abend wird mit den Künstlern und den Gästen des Festivals gefeiert.« In: »Was ist Spielart?«, vgl. http://www.spielart. org/spielart/profil/ vom 02. Januar 2008. 55 Insofern handelt es sich bei Theaterfestivals als Bühnen sehr wohl um Räume, die von Barrieren umsäumt sind. 56 James T. Tedeschi/Nawaf Madi/Dimitri Lyakhovitzky: »Die Selbstdarstellung von Zuschauern«, in: Bernd Strauß (Hg.), Zuschauer, Göttingen u.a.: Hogrefe, Verlag für Psychologie 1998, S. 94. 57 Vgl. die Erhebungen der euro-scene Leipzig oder Kyrers und Populorums Forschungen zum Besucherprofil der Salzburger Festspiele. 58 Rainer Dollase: »Das Publikum in Konzerten, Theatervorstellungen und Filmvorführungen«, in: Strauß (Hg.), Zuschauer (1998), S. 153. 59 Stadt Oberhausen (Hg.): Publikumsbefragung, S. 25.

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Kunstfreund und der eher erlebnisorientierte Kulturbesucher.«60 Gerade die erste und dritte Gruppe sind im Kontext der vorliegenden Untersuchung relevant. Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Zuschauerbefragung bei den 39. Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen 1993, die ein sehr umfassendes Bild vom ›Kulturkonsumenten‹ zeichnet, das hauptsächlich durch Homogenität und Kontinuität geprägt ist. Über vierzig Prozent der Befragten hatten mit dem Medium Film beruflich zu tun, wobei gerade die Besucher aus dem Ausland aus beruflichen Beweggründen nach Oberhausen kamen. Bei dieser Gruppe finden vor allem Symposien und Kontaktgelegenheiten auf diskursiver Ebene Anklang. »Sie alle suchen eine Drehscheibe zum Austausch von Informationen, Meinungen und Ideen. Man versucht, Kontakte zu knüpfen, beobachtet den Mitbewerber und will natürlich auch gesehen werden.«61 Ähnliches lässt sich vom Kulturtouristen behaupten, der einen der gegenwärtig wichtigsten Reisendentypen darstellt.62 »Specific cultural tourists sind mehr als doppelt so oft in der Kulturbranche (Museen, darstellende Kunst, visuelle Kunst) beruflich tätig als general cultural tourists.«63 Wollte man die Besucher des Festivals wiederum als Szene beschreiben, entspräche ihr in Schulzes Kategorisierungssystem am ehesten die der »Neuen Kulturszene«.64 Spontan und komplex zugleich, ist sie offener für Individualisierung, klagt jedoch gewisse Verhaltensregeln ein. »Deutlichstes Merkmal der Neuen Kulturszene ist Zwanglosigkeit, manchmal gesteigert bis zur Zwanghaftigkeit. Es gibt zwar keine eingeschliffenen Kleidungstraditionen wie in der Hochkulturszene, aber frei ist die Wahl der Kleidung doch nicht ganz, denn wer ›spießig‹ nach dem jeweiligen Geschmack der Saison angezogen ist, ohne dies durch Accessoires oder Habitus zu ironisieren, wird zum Gegenstand unbehaglicher Seitenblicke.«65

Vor allem am Beispiel der Kleidung lässt sich die Position der »Neuen Kulturszene« veranschaulichen. »In Bayreuth ist auch der Zuschauer anschauenswerth, es ist kein Zweifel«66 – so schon Nietzsche über die Besucher der Bayreuther Festspiele. Während viele Besucher der Salzburger Festspiele in den Umfragen von 1992 und 1993 die fehlende Festbekleidung bemängelten – bis hin zu Rufen nach einer neuen Kleiderordnung67 – sind solcherlei Reak-

60 G.-M. Hellstern: Die documenta, S. 319. 61 Stadt Oberhausen (Hg.): Publikumsbefragung, S. 23. 62 Vgl. Stephan Enser: »Kulturtourismus. Historische, typologische und identitätsbildende Aspekte«, in: Merz-Benz/Wagner (Hg.), Kultur in Zeiten der Globalisierung (2005), S. 185–207. 63 Ebd., S. 192. 64 Vgl. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 479–483. 65 Ebd., S. 481. 66 Friedrich Nietzsche: Unzeitgemässe Betrachtungen. Viertes Stück. Richard Wagner in Bayreuth (1875–1876), in: ders. Gesammelte Werke, Bd. 7, München: Musarion Verlag 1922, S. 248. 67 Unter weiteren vergleichbaren Äußerungen forderten allein drei Teilnehmer der von Kyrer und Populorum durchgeführten Befragung des Publikums der Salzburger Festspiele einhellig »Sollte Kleidervorschriften geben«, in: Alfred Kyrer/Michael A. Populo-

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tionen auf Festivals kaum vorstellbar.68 Ohne Zweifel sind Festivals ästhetisch reduziertere Orte der Selbstdarstellung – auch weil die Selbstverständigung der festivaltypischen Besucher (junge oder mittelalte Intellektuelle) in der Regel über andere Signale verläuft als solche, die allein den Lebensstandard anzeigen.69 Während auf Festspielen eine der Besuchsmotivationen sicherlich darin besteht, dass die einzuhaltenden Rituale unhinterfragbar sind und die Selbstdarstellungsmöglichkeiten daher in den sicheren Rahmen eines Verhaltensskripts gefügt sind, sind die Verhaltensformen auf Festivals weit weniger begrenzt.70 Festivalbesucher – gerade wegen der relativen Unverbindlichkeit des Festivalbesuchs – sind in ihrem Verhalten weitaus ungebundener und können kaum gegen ein fest gefügtes Skript verstoßen. Auch das Wir-Gefühl ist damit schwächer ausgeprägt, da die zwar demographisch relativ homogene Zuschauergruppe in verschiedene Untergruppen zerfällt und sich Zusammengehörigkeits- und Loyalitätsgefühle nur auf einen gewissen Teil der Besuchergruppe beziehen. Die Anwesenheit auf einem Festival bietet die Möglichkeit, durch Vergleichsprozesse die eigene soziale Identität zu konstruieren, das eigene Selbstbild zu überprüfen und sich innerhalb seines sozialen Milieus, seiner Szene zu platzieren. Denn die Gemeinschaft bietet nicht nur die Gelegenheit zum Vergleich mit den ›anderen‹ Untergruppen, sondern auch den Vergleich mit den ›anderen‹ innerhalb der Gruppe und befriedigt damit das Individualisierungsbedürfnis des Einzelnen. Laut Willems »bietet die Gemeinschaft im Rahmen einer umfassenden ›AnlaßPerformance‹ eine Bühne für die performative Selbstinszenierung eigener Individualität, speziell individuellen Ausdrucksvermögens (unter anderem im Hinblick auf den Körper auch im Sinne von Kapital).«71 Innerhalb dieser Identifikationsgruppen werden wiederum ein spezifisches Rollenverhalten und Repertoires abgerufen, die auch den Raum des Festivals gliedern und strukturieren. Denn Kultur beziehungsweise dessen

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rum: Strukturen einer Festspiellandschaft. Das Besucherprofil der Salzburger Festspiele in den Jahren 1992 und 1993, Regensburg: Transfer-Verlag 1995, S. 220. Gebhardt und Zingerle kennzeichnen den Theater- oder Opernbesuch als Zwangsveranstaltung, die durch Etikette reguliert werde: »Der Zwang zur Selbstrepräsentation, die Anstrengungen, den erreichten sozialen Status zu bewahren und zu sichern, die Rücksichtnahme auf Freunde, Bekannte und Geschäftspartner, die sich oftmals in zwangsjackenähnlichen physischen wie verbalen Stilisierungen niederschlägt«, in: Winfried Gebhardt/Arnold Zingerle: Pilgerfahrt ins Ich. Die Bayreuther Richard Wagner-Festspiele und ihr Publikum. Eine kultursoziologische Studie, Konstanz: UniversitätsVerlag Konstanz 1998, S. 124. Ähnliches gilt für Sponsoren, die zumeist eher auf eine dezente Repräsentation im Festival setzen, um nicht als okkupierend zu wirken, sondern als uneigennützige Mäzene im Hintergrund. In der Terminologie Goffmans kann man das Publikum von Festspielen als ein Ensemble verstehen. Vom Ensemblemitglied wird erwartet, dass es nicht aus der Rolle fällt und damit die Gruppe verrät. Um dieses Ensemble erfolgreich zu inszenieren, bedarf es der Loyalität, Disziplin und Sorgfalt. Vgl. E. Goffman, Wir alle spielen Theater, S. 208. Zuschauer von Festivals scheinen idealtypisch an Zweifeln und Selbstzweifeln interessiert – im Gegensatz zu Festspielbesuchern, die tendenziell ihre Weltsichten und ihren Lebensstandard bestätigt finden wollen. H. Willems: Events: Kultur – Identität – Marketing, S. 89.

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Nutzung fügt sich immer noch in das System der »feinen Unterschiede« (Bourdieu). »Lebensstilistisch bedingte bzw. milieuspezifisch erworbene Formen der Sozialdifferenzierung im Sinne Bourdieus dürften bereits bei Kleidung, Schmuck und Habitus eine symbolische Strukturierung des Pausenraums und entsprechende gegenseitige Zuordnungsmuster hervorrufen.«72 So wie Sponsoren ihr Engagement für Kultur als Instrument der Selbstdarstellung nutzen, attestiert Tedeschi (und andere) Zuschauern die Fähigkeit zum »Management der Eindrücke«, die andere von ihnen haben.73 Habitus und die genannten äußeren Merkmale tragen trotz der relativen Regellosigkeit in der »Neuen Kulturszene« ihren Teil dazu bei. Dabei sind Anbindung und Macht die zwei grundlegenden Ziele der Selbstdarstellung. Anbindung sucht Zuneigung und Billigung, Macht sucht die Möglichkeit sozialer Beeinflussung und Dominierung und damit der Individualisierung gegenüber der Gruppe. Soziale und antisoziale Absichten können somit gleichsam auf der Bühne des Festivals verfolgt werden. Die bisher beschriebenen Selbstpräsentationsbedürfnisse können durch aktives Handeln befriedigt werden: durch die Einhaltung eines Systems von Blicken und Gesten, durch das Befolgen der Kleiderordnung, durch das Annehmen eines gewissen Habitus, durch das Meiden bestimmter Gruppen innerhalb der Festivalgemeinschaft und durch die Wahl einer bestimmten Bühne innerhalb des Ensembles von Bühnen im Festivalraum (Bar, Diskussionsforum, Publikumsgespräch im Foyer oder im Zuschauerraum, vor dem Festivalgebäude auf einer Wiese et cetera). Doch schon die passive Teilnahme an einem Ereignis wie dem Festival kann der Selbstdarstellung und damit der Selbstbestätigung eines Individuums innerhalb seiner sozialen Gruppe dienlich sein. Denn Festivals als Orte der (intellektuellen, bildungsbürgerlichen und damit sozialen) Distinktion sind vor allem außerhalb ihrer selbst wirksam. Tedeschi (und andere) bezieht sich auf Cialdini (und andere), wenn sie den Terminus »basking in reflected glory« für derartige Situationen verwenden. »Eine Person könnte über einfache Assoziation mit einem Ereignis einen gewissen Status in den Augen anderer erlangen. Beispielsweise könnte jemand behaupten, Zuschauer bei einem außergewöhnlichen Ereignis gewesen zu sein.«74 Sozialpsychologisch gesehen sichert der Besuch eines Festivals und bestimmter, distinguierter Shows »Aufmerksamkeit und Anerkennung für Erlebnisschilderungen, die oftmals an den Aktualitätsvorsprung gekoppelt sind […] oder an den Authentizitätsvorteil.«75 Deswegen hat sich die Ambition von Theaterfestivals, Uraufführungen und deutsche Erstaufführungen zu zeigen, über die Jahre merklich erhöht. Für Zuschauer hat nach außen hin dementsprechend ein ›Ich-war-da-Effekt‹ hohen Wert, weshalb die Teilnahme an einem Theaterfestival der Öffentlichkeit außerhalb des Festivalrahmens durch auf dem Festival erworbene Merchandisingartikel demonstriert wird, die auch für die anderen Besucher als (Wieder-)Erkennungszeichen fungieren. 72 G. Muri: Pause!, S. 260. 73 Vgl. J. Tedeschi/N. Madi/D. Lyakhovitzky: Die Selbstdarstellung von Zuschauern, S. 97. 74 Ebd., S. 103. 75 R. Dollase: Das Publikum in Konzerten, Theatervorstellungen und Filmvorführungen, S. 146.

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Das Bedürfnis der Festivalbesucher nach Selbstpräsentation kann von Festivalkoordinatoren gelenkt beziehungsweise unterstützt werden durch eine je unverwechselbare »Dramaturgie des Zuschauers« (Roeder-Zerndt). Die Leitfrage für das Arrangieren von Aktion und Bühne lautet, wie man Situationen schafft, durch die das Gesamtereignis Festival (und nicht nur die eigentlichen Theaterproduktionen) zu einem ästhetischen Ereignis wird. Das soziale Ereignis Festival muss sich als Bühne ›rentieren‹, weswegen auch die verschiedenen Selbstdarstellungsbereiche zusehends spezialisiert werden müssen. Hierzu zählen Bars oder Cafés als Treffpunkte; Symposien für die Profilierung der Fachleute; Workshops für den ambitionierten Nachwuchs; Eröffnungsreden von Politikern auf der Bühne vor dem Festivalgebäude. Diese Einzelbühnen begründen wiederum den Ausschluss anderer, womit die Bühne des Festivals sich in mannigfacher Weise als segregiert herausstellt. Das Festival als Bühne bleibt ein soziales Setting, das von Brüchen und von Schranken geprägt ist, und schafft keine heilige und heile Öffentlichkeit im Sinne sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit. Die Gestaltung vor allem des Pausenraums ist der sicherste Weg, um dem Selbstdarstellungsbedürfnis aller Festivalteilhabenden entgegenzukommen, denn er ist das Herz der Geselligkeit. Über ihn gewinnt ein Festival, abgesehen von einer individuellen Programmierung, seine atmosphärische Signatur. Einen Pausenraum der besonderen Art versuchen deshalb die meisten Festivals zu bieten, so transeuropa 2006 in einem ausrangierten Möbelhaus in Hildesheim oder bei den THEATERFORMEN 2004 in Braunschweig und Hannover, wo überdimensionale rote Treppen vor dem Theater aufgebaut wurden, über die die Zuschauer in die Eingangshallen gelangten. Die Performance endet nicht beim Applaus, sie geht in den Pausenräumen weiter und hat schon längst unbemerkt begonnen, sobald man als Gast den Raum betritt. Die Dramaturgie des Zuschauers basiert jedoch nur selten auf einer Analyse des Festivalzuschauers. Weitgehend beruhen die oben beschriebenen Maßnahmen auf dem eher intuitiven Verständnis dessen, was Zuschauer wollen könnten, und den eigenen Vorlieben der Festivalleiter. Umfassende Zuschauerumfragen sind diesbezüglich nicht bekannt. Das seit den neunziger Jahren gesteigerte ›Bedürfnis nach Geselligkeit‹ des Publikums ist jedoch keine reine Unterstellung der Festivalleiter. Die umfassende neuere soziologische Literatur, die Szenenentwicklungen und das Auflösen traditioneller Sozialverbindungen beschreibt und für die Gerhard Schulzes Analyse der so genannten Erlebnisgesellschaft ein Kronzeuge ist, bestätigt die Intuition der Festivalproduzenten, dass Festivalbesucher einen Ort zur Selbstdarstellung wünschen. Dass Festivals nichtsdestotrotz wenig Interesse daran haben, ihr Publikum erforschen zu lassen, bleibt dennoch auffällig. Nicht nur der Umstand, dass sich besonders Großereignisse wie das Berliner Theatertreffen, die Wiener Festwochen, die RuhrTriennale oder spezialisierte Festivals wie Neue Stücke aus Europa bisher nicht um ihre Publikumsauslastung sorgen müssen, erklärt diesen blinden Fleck. Eine aufwändige Zuschaueranalyse scheint nicht angezeigt, solange das Festival an sich nicht nachhaltig in seiner Berechtigung in Zweifel gezogen wird und ausreichende Zuschauerzahlen oder Einnahmen vorweisen kann. Ein gewichtigerer Faktor scheint allerdings dafür verantwortlich zu sein, dass selbst kleinere Festivals wie SPIELART oder transeuropa keine Besucherbefragungen durchführen lassen. Zu vermuten ist, dass mit Absicht in einer Art affirmativer Ignoranz das Publikum 245

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nicht analysiert werden soll, um nicht in die Versuchung zu geraten, es zu manipulieren. Das Festival entzieht sich damit einer Rentabilitätslogik, die Besucheranalysen als Messlatte an Festivals anlegen könnte. Auf diesem Weg widersetzt sich ein Festival im Zweifelsfalle der Instrumentalisierung durch Parteien und Gruppierungen, die ein bestimmtes Zielpublikum ansprechen wollen. Zu diesen Gruppen gehören paradoxerweise letztlich auch Sponsoren, auf deren Unterstützung Festivals seit den neunziger Jahren immer stärker angewiesen sind. Kunstsponsoring wird in den 1980er Jahren in Deutschland erstmals systematisch betrieben und gewinnt für Theaterfestivals in den neunziger Jahren an Bedeutung.76 Für die Darstellenden Künste engagieren sich in Deutschland zurzeit etwa die Unternehmen Siemens, BMW, Lufthansa und Daimler.77 Unter Sponsoring wird generell die Bereitstellung von Geld oder nichtfinanziellen Mitteln von Unternehmen an kulturelle Veranstalter verstanden. Im Gegensatz zum Mäzenatentum ist hieran eine Gegenleistung gekoppelt, die im Falle von Kunstorganisationen darin besteht, den Sponsoren eine Bühne für ihre meist kommunikativen Ziele zu bieten. Damit zählt Kunstsponsoring zu den zahlreichen Maßnahmen der Public Relations eines Unternehmens, die den Aufbau einer Corporate Identity, einer Unternehmensidentität, und die Pflege der Reputation des Unternehmens anvisieren.78 Die Unternehmens-PR will Dialogbereitschaft mit der Öffentlichkeit, aktives Engagement sowie die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung demonstrieren. Der Dialog mit der Öffentlichkeit muss allerdings unbedingt »glaubwürdig, gegenseitig, empfängnisorientiert und dabei gleichzeitig in der Lage sein, eine gewisse Distanz zum Eigeninteresse zu wahren«,79 um erfolgreich zu sein. Schließlich, so zumindest Gregor Schürmann, ist ein Unternehmen immer Teil einer Öffentlichkeit, deren Werte und Ziele dem Unternehmen übergeordnet sind. PR und Sponsoring als deren Werkzeug sind somit stets auch ethischen, sozialen und politischen Ansprüchen unterzuordnen. Das ökonomische Unternehmensziel, das durch derartige Kommunikationsstrategien verfolgt wird, ist freilich die positive Profilierung gegenüber der Konkurrenz, die nicht durch Produktvergleich und Produktverbesserung erfolgen soll, sondern über den Vertrauensgewinn der Kunden, also über emotionale Attraktion. Den Zugang über Emotionen zu gewinnen, scheint letztlich ein Grund für viele Unternehmen zu sein, in kulturelle Projekte zu investieren und die Förderung von Festivals zu übernehmen. »Die emotionale Seite ist im Kultursponsoring mehr als die Hälfte eines herausfordernden und faszinierenden Ganzen.«80 Auch Schürmann misst Emotionalität eine bedeutende 76 Vgl. C. Döpfner: Kunst und Kultur – voll im Geschäft, S. 193. 77 Vgl. ebd., S. 341f. 78 Wie relevant Sponsoring für die Firmenpolitik ist, beweist der Umstand, dass für besonders innovative Sponsoringkonzepte ein internationaler Sponsoring Award vergeben wird. Vgl. http://www.faspo.de./. 79 Gregor R. Schürmann: »Öffentlichkeitsarbeit als Instrument strategischer Unternehmensführung. Kommunikationsfähigkeit entscheidet über Marktposition«, in: Theo Bungarten (Hg.), Selbstdarstellung und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, Tostedt: Attikon-Verlag 1994, S. 110. 80 Elisa Bortoluzzi Dubach: »Kultursponsoring«, in: Klein (Hg.), Kompendium Kulturmanagement (2004), S. 345.

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Rolle zu. »Emotionen und Begriffe, die einem Unternehmen zugeordnet werden, übertragen sich von selbst auf Produkte und Dienstleistungen«.81 Dabei legen fördernde Unternehmen verstärkten Wert darauf, sich nicht als Gönner, sondern als Partner der kulturellen Veranstaltungen darzustellen.82 Mehrere Ziele lassen sich gleichzeitig durch Kunstsponsoring verfolgen. Am gängigsten sind die Erhöhung des Bekanntheitsgrades des Unternehmens, die Förderung der Kundenbindung, Motivation der Unternehmensmitarbeiter und Neukundengewinnung.83 Es handelt sich also um interne und externe Kommunikationsziele: »Erfolgreich agieren kann nur der, der sich die Bedürfnisse seiner internen und externen Öffentlichkeit zu eigen macht.«84 Unternehmen nutzen für die Realisierung ihrer Kommunikationsziele hauptsächlich den Imagetransfer von der geförderten kulturellen Veranstaltung. So soll das positive Bild des kulturell Hochwertigen Rückschlüsse auf die Qualität des Unternehmens erlauben. Außerdem offenbart die Entscheidung für oder gegen die Förderung von Kunst und Kultur einen Blick auf dessen Selbstverständnis und Philosophie. Schon über dreißig Jahre fördert etwa die BMW Group kulturelle Projekte und versteht dieses Engagement als Einsatz für die eigenen Werte: »Im Rahmen der KulturKommunikation der BMW Group ist die Darstellende Kunst ein geeignetes Medium, vielfältige Botschaften zu transportieren. […] Mit ihrem Engagement auch im Bereich der Darstellenden Kunst setzt sie sich zum Ziel, diejenigen Aktivitäten zu unterstützen, die den interkulturellen Dialog voranbringen und gleichzeitig die spezifischen Werte des Unternehmens in jedem einzelnen Land zu verkörpern vermögen.«85

Um die »Imagewirkung der Kulturveranstaltung auf die unmittelbare örtliche Bevölkerung«86 zu steuern, stehen einem Unternehmen mehrere Wege offen, wobei das gängigste Modell die Präsenz des Unternehmens durch gut sichtbar platzierte Logos und Schriftzüge ist. Zu dieser Strategie gehört es ebenfalls, dass Mitglieder der Unternehmensleitung Posten in den Leitungsgremien von kulturellen Einrichtungen und damit auch künstlerisch-kuratorische Verantwortung übernehmen. Damit kann ein Unternehmen, abgesehen von 81 G. R. Schürmann: Öffentlichkeitsarbeit als Instrument, S. 107. 82 Vgl. Richard Gaul: »Grußwort«, in: Programmheft zum Berliner Theatertreffen 2002, S. 4. 83 Vgl. E. B. Dubach: Kultursponsoring, S. 330f. 84 G. R. Schürmann: Öffentlichkeitsarbeit als Instrument, S. 107. 85 »Kultur. Darstellende Kunst. Sponsoringtätigkeiten der BMW Group«, vgl. http:// www.bmwgroup.com/d/nav/index.html?http://www.bmwgroup.com/d/0_0_www_b mwgroup_com/verantwortung/kultur/darstellende_kunst.html vom 12. März 2008. Und als Begründung der konkreten Förderung des Berliner Theatertreffens 2002 heißt es von BMW: »Denn es entspricht unserem Selbstverständnis, uns aktiv mit aktuellen gesellschaftlichen Strömungen und fremden Kulturen auseinanderzusetzen. […] Der interkulturelle Dialog ist für alle Beteiligten ein Motor für Ideen und Kreativität. Sie sind zukunftweisend. Und deswegen engagieren wir uns auch in Zukunft für Kunst und Kultur.« In: R. Gaul, Grußwort, S. 4. 86 Jürgen Friedrichs: »Soziale Netzwerke und die Kreativität einer Stadt«, in: Göschel/ Kirchberg (Hg.), Kultur in der Stadt (1998), S. 151.

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Logos und anderen Repräsentanten des Corporate Designs, der Firma ein Gesicht verleihen und auf dem Festival präsent sein, mit dem es in Zukunft assoziiert werden wird. Auch das Festival wird mit einem Unternehmen stärker in Verbindung gebracht werden, wenn die Kooperationsbeziehungen personalisiert und persönlich gehalten und für die Zuschauer und potentiellen Kunden sichtbar werden. Gerade das langjährige Begleiten und Unterstützen eines Festivals erhöht die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens als Teil einer ganzheitlichen Kommunikationsstrategie. Eine dauerhafte ›Partnerschaft‹ mit kulturellen Veranstaltungen wie Festivals greift außerdem das Bedürfnis der Kunden des Unternehmens auf, sich als kultivierte, gebildete Individuen zu präsentieren. Das Unternehmen bringt sich auf eine Augenhöhe mit den Kunden, deren Wertvorstellungen und soziale Charakteristika affirmiert und unterstützt werden. Damit wird eine dauerhafte Identifikation mit dem betreffenden Unternehmen unterstützt und werden durch Kultursponsoring auch Zielgruppen erreicht, die von Werbung im üblichen Sinne nicht angesprochen werden. Unternehmensintern kann mit einem Auftritt auf der Festivalbühne ebenfalls Werbung betrieben werden, da Engagement nicht nur schwierig zu erreichende Kunden anspricht, sondern auch die Mitarbeiterzielgruppe mit hohen Ansprüchen an ihre soziale und kulturelle Infrastruktur von einem Unternehmen überzeugen kann. »Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich ein hochqualifiziertes Arbeitskräftepotenzial nur dorthin locken lässt, wo das kulturelle Angebot zufrieden stellt.«87 Ein Unternehmen, das in sein kulturelles Umfeld investiert, unterfüttert seine Attraktivität für innovative Kräfte außerdem, indem Firmenangehörige zur Gelegenheit des Festivals zu Aufführungen eingeladen werden können. Engagement für die Kunst schlägt sich für den Sponsor außerdem in vielfältigen Netzwerkeffekten nieder, die Kunden, Mitarbeiter, aber auch Politiker und andere Firmen umfassen, die sich informell und ungezwungen auf dem ›kultivierten‹ Terrain des Festivals begegnen können. Ob und wie sehr sich Sponsoring – in konkreten Zahlen ausgedrückt – jedoch tatsächlich rentiert, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Zumindest unterstützen Unternehmen selbst diese These: »Siemens verweist auf eine eigene Studie, laut der sich der Bekanntheitsgrad des Unternehmens vor und nach den Festspielen signifikant verbessert hätte. Der Versicherungskonzern Uniqa führt an, sich 30 bis 40 Prozent seines Werbebudgets durch das Kultursponsoring nicht nur in Salzburg zu ersparen. Nicht zu vergessen: Auch steuerlich haben die eingesetzten Mittel eine positive Wirkung.«88

Mit zwanzig Jahren Verspätung hat sich mittlerweile eine gewisse Gewöhnung an die finanzielle Unterstützung durch Unternehmen im Kulturbereich eingestellt. Heikel wird diese Unterstützung jedoch, wenn sie zur Abhängigkeit wird.

87 I. Gottschalk: Kulturökonomik, S. 249. 88 Martin R. Niederauer: »Hey, Big Spender«, in: Festspiele Magazin 23 (2006), Heft 2S, S. 124.

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Ob angesichts dessen eine neue Ära der Subvention von Theaterfestivals durch die öffentliche Hand einsetzen wird, ist allerdings fraglich. Dennoch wollen auch Politiker von der Bühne des Festivals profitieren. Wie bereits oben ausgeführt, werden Festivals seit geraumer Zeit von der lokalen Politik zu Werkzeugen der Stadtentwicklung umfunktioniert. Doch sie werden auch als Bühnen für das Umwerben der Wähler genutzt, zur allgemeinen Sympathiewerbung. »Wie es heute in der Politik heißt, ist die Präsentation alles.«90 Weit häufiger als durch physische Präsenz auf Festivals erfolgt diese durch Vorworte und Widmungen in den zum Festival veröffentlichen Programmbüchern. Die Positionierung der Textbeiträge von Politikern an prominenter Stelle solcher Publikationen gewährt ihnen (wie auch Sponsoren) den Platz im ›Scheinwerferlicht‹. Das erste, was der Leser über das Festival erfährt, ist die Meinung der Politik. Widmungen und Vorworte bieten die Gelegenheit, das Verhältnis städtischer Politik zum Festival, das Selbstverständnis des Kulturpolitikers und seine weiteren Ziele in Bezug auf die kulturelle Entwicklung der Region zu formulieren und der Leseröffentlichkeit zu präsentieren. Zur »Ästhetisierung der Politik«91 gehört es weiterhin, das politische Engagement durch Liveauftritte, die medial übertragen werden können, zu demonstrieren: bei den Bayreuther Festspielen marschiert die Politikprominenz in der Premierenwoche auf; der Bürgermeister der Stadt Wien eröffnet mit einer großen Feier die Wiener Festwochen, Konzerte von Musikstars und Freifahrt auf allen Strecken der öffentlichen Verkehrsmittel inbegriffen. »Politik ist auf Aufführungen angewiesen, d.h. sie muss sich immer wieder in einem strukturierten Programm von Aktivitäten konkretisieren, das zu einer fest terminierten Zeit an einem bestimmten Ort von einer Gruppe von Akteuren vor einer Gruppe von Zuschauern vorgeführt wird.«92 Festivals mit langer Tradition oder ausgeprägter Public Relations geben hierfür einen konvenablen Rahmen ab. Dies gereicht jedoch nicht ausschließlich und immer zu ihrem Vorteil. Zuletzt zeichnet sich eine Tendenz ab, die Festivals noch stärker an ihre Grenzen zum Event führt beziehungsweise gänzlich auf ihre Funktion als Repräsentationsort reduziert. Ein Festival wie Movimentos, 89 F. Willnauer: Festspiele und Festivals in Deutschland, vgl. http://www.miz.org/static/ themenportale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007, S. 22. 90 Jim McGuigan: »Die kulturelle Öffentlichkeit«, in: Gerald Raunig/Ulf Wuggenig (Hg.), Publicum. Theorien der Öffentlichkeit, Wien: Turia + Kant 2005, S. 143. 91 Walter Benjamin: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, in: ders., Gesammelte Schriften, Band I.2, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 467. 92 Christian Horn/Matthias Warstat: »Politik als Aufführung. Zur Performativität politischer Ereignisse«, in: Fischer-Lichte/Horn/Umathum/Warstat (Hg.), Performativität und Ereignis (2003), S. 395.

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das vom VW-Konzern allein für Wolfsburg konzipiert und finanziert wird, geht weit über den üblichen Nutzen eines Festivals als Bühne hinaus und weist darauf hin, dass Konzerne (aber auch politische Instanzen) immer deutlicher ihr ›Anrecht‹ auf das Gestalten von Festivals für ihre Zwecke behaupten. Zusammenfassend gesagt, werden Festivals, wenn sie als soziales Setting und als Bühne im weitesten Sinn verstanden werden, vor allem als Raum genutzt, um sich Aufmerksamkeit zu sichern – das gilt für alle Anwesenden, gleich welche spezifischen Interessen verfolgt werden: Bei Sponsoren sind diese wesentlich ökonomischer Natur, beim Zuschauer geht es eher unspezifisch um die Befriedigung des Bedürfnisses nach Gruppenzusammengehörigkeit und Individualisierung, bei der Politik steht die Bürgerwerbung im Mittelpunkt. Voraussetzung hierfür ist Ko-Präsenz, in der soziale Vorgänge ablaufen können. Anders als Festspiele sind Festivals jedoch relativ offene Bühnensituationen; wenn also von einem Setting gesprochen werden kann, dann von einem geringfügig regulierten, das genügend Raum bietet, um eine Vielzahl von Positionen aufzunehmen. Festivals sollten sich jedoch nicht vollends als Präsentationsorte verstehen, selbst wenn die Bühnensituation zu den festlichen Elementen des Festivals zählt und einen Teil des Reizes ausmacht, den es ausübt. Ein richtiges Maß an Steuerung und Freiheit ist auch hier wichtig, um die Eigenständigkeit von Festivals zu wahren. Ähnliches gilt für die Kennzeichnung von Festivals als Markt – ein erhöhtes Bewusstsein über die eigene Konstitution ist unabdingbar für ihre Autonomie. Dieser Aspekt wird im Folgenden verhandelt.

Festival als Markt Wie gezeigt wurde, bedeuten Festivals zunehmend einen Raum für die Selbstdarstellung von Besuchern, Sponsoren, Politikern und Künstlern und sind damit auch für die Zentrierung von Aufmerksamkeit als einer neuen Währung im Sinne Georg Francks zuständig. Während der Raum der Selbstdarstellung zuvor vorläufig als Bühne bezeichnet wurde, lässt er sich auch handfester ökonomisch im Bild des Markts fassen. Dieser hat vielfältige Konnotationen. »Der Marktplatz ist ein Raum, in dem das eigene Verhalten den Blicken eines unbestimmten Jedermann jederzeit ausgesetzt ist.«93 Die selbst gewählte Bühne wird zum Ausgesetztsein gegenüber den Zugriffen beziehungsweise den Blicken der anderen, deren Verhalten wenig kontrollierbar ist. Der Markt ist Öffentlichkeit, auf dem die Beziehungen der Marktordnung unterliegen, an die sich die Teilnehmer des Marktraums allein schon aus Selbstschutz halten. Der Markt ist außerdem Teil der Stadt, er zentriert und strukturiert sie. Nimmt man also an, dass Festivals ein primär städtisch orientiertes Phänomen sind, dann befinden sie sich in einer spannungsreichen Beziehung zum Markt. Zwar ist unbestreitbar, dass der traditionell städtische Marktplatz als Warenumschlagplatz hinter den vielfältigen Möglichkeiten des Warenaustauschs zurücktritt (über Internet, Fernsehen und so weiter), die heute zur Verfügung stehen und hauptsächlich delokalisiert und globalisiert 93 Walter Siebel: »Urbanität«, in: Hartmut Häußermann, Großstadt. Soziologische Stichworte, Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 267.

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sind. Auch hat der tatsächlich räumlich erfahrbare Markt an seinem Ort in der Stadt an Relevanz für die Identifikationsbildung des Stadtbewohners eingebüßt.94 Dennoch behält er in der Ordnung der Symbole seine Funktion als Reibungsfläche für Kulturschaffende wie für Festivalproduzenten. Zumeist ist der Markt in deren Abgrenzungsversuchen negativ besetzt. Dass die Beziehung zwischen Festival und Markt jedoch vielgestaltig und im Kern ambivalent ist, wird im Folgenden aufgezeigt. Der Konnex zwischen Fest(ival), Theater und Markt ist zunächst genetischer Natur. Monetärer Austausch und Handel finden in Europa traditionell an Weihestätten statt, an Versammlungsorten im Umfeld von Heiligtümern und Kirchen, die zum Fest bestimmt waren und später zum Austausch profaner Dinge genutzt werden. Auf der einen Seite besteht also eine Affinität des Handelns zum Festlichen. Auf der anderen Seite hat der Marktplatz eine Funktion in der Geschichte des abendländischen Theaters, nämlich in der agora (der antiken griechischen Versammlungs- und Markstätte), die zugleich Ort für das Theater ist, bevor die Dionysien in die heiligen Bezirke verlegt werden. Die agora ist »religiöses, wirtschaftliches, politisches, juristisches, administratives und kulturelles Zentrum der Polis«.95 Die gewichtige Funktion des Marktplatzes im Leben des Atheners entspricht der Funktion, die das Festspieltheater innehat. Die Dionysien sind »das bedeutendste Staatsfest der Polis, in dem sich, wie bereits Organisationsform und Programm zeigten, religiöse, kulturelle und politische Aspekte unauflöslich miteinander verbinden.«96 Im Bild des Marktplatzes kondensieren somit sowohl die künstlerische, ökonomische als auch politische Aktivität des Bürgers. Die Dionysien sind so zentral, dass die Organisation der Festivitäten dem höchsten Beamten der Stadt, dem Archon Eponymos, überlassen und jeder Bürger auf die ein oder andere Weise in die Festspiele gestalterisch als Teil der »Demonstration von Macht und Reichtum der athenischen Polis«97 eingebunden wird. Dieses Fest des Bürgertums ist jedoch in der Antike noch an einen fixen Ort gebunden: Die agora wechselt nur einmal ihren Standort und ist ein städtisches Phänomen. Die Basis dieser Macht ist das Opfer, das die abhängigen Kolonien den Athenern erbringen und das von diesen an die Götter weitergereicht wird. Die Kunst des Theaters als Teil der Opferveranstaltungen (und damit des Markts) steht also innerhalb einer Opferlogik, die nie ganz durchbrochen wird, selbst wenn sie relativiert wird. Damit einher geht ein Konkurrenzbewusstsein, das sein Äquivalent im Handeltreiben findet. Das Theater verkörperte »als zentrale Institution der Gesellschaft Elemente, die auch den Markt konstituieren: es hatten alle Gesellschaftsmitglieder teilzunehmen, sich zu beteiligen an einer Veranstaltung […] und die Stücke wurden im Wettbewerb vorgeführt. […] Wie jeder Sport

94 Vgl. Peter Bendixen: »Der Markt als Regulator kultureller Leistungen«, in: Heinze (Hg.), Kulturmanagement II (1997), S. 18. 95 Manfred Brauneck/Gérard Schneitin (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühne und Ensembles, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1986, S. 53. 96 Ebd., S. 75. 97 Hans-Thies Lehmann: Theater und Mythos. Die Konstitution des Subjekts im Diskurs der antiken Tragödie, Stuttgart: Metzler 1991, S. 72.

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Theaterfestivals war auch Theater eine Wettkampfdisziplin, die ihren zivilisierenden Beitrag zur Internalisierung allgemeinen Konkurrenzbewußtseins leistete.«98

Damit ist die Verschränkung von Kunst und Markt zumindest mehrdeutig. Der Markt ist Inbegriff des beständigen Vermischens kultureller und ›marktwirtschaftlicher‹ Dimensionen.99 Er ist die Verschränkung von Kultur als vertrauensbildendem Referenzsystem und Ökonomie im Bild der Messe als »eine Leistungsschau, [die] vereinigt und trennt zugleich.«100 Festivals erfahren einen neuerlichen Boom in Zeiten relativer Prosperität im Deutschland der neunziger Jahre und stehen im Zeichen zunehmender Freizeit und veränderter Freizeitnutzung. Der Typus des Kulturtouristen bildet sich heraus (vgl. Kapitel »Festival als Bühne und soziales Setting«).101 Festivals geraten damit zwangsläufig in neue Verhaltenskontexte und werden mit neuen ökonomischen Maßstäben gemessen, die an den Regeln der Events und sonstigen Großereignissen herausgebildet werden. Die Praxis des Events wiederum ist streng an der Logik des Markts orientiert. Und tatsächlich bedienen sich Festivals seit den neunziger Jahren vermehrt der bereits erörterten Elemente des Events. Ein Beispiel für diese Angleichung, die einige Festivals vollzogen haben, sind die so genannten »vernetzten Angebote«: »So bot […] eines der besten Salzburger Hotels während der Festspielsaison im Sommer 1997 anläßlich der Neuinszenierung von Alban Bergs Wozzek eine inhaltlich auf diese Oper abestimmte Menuefolge an, in deren Mittelpunkt, wie im Leben des Protagonisten, Hülsenfrüchte, hier allerdings in exquisiten Kreationen standen.«102

Eine vergleichbare Praxis findet sich bei Festivals wie der RuhrTriennale und den Wiener Festwochen. Gerade also in Hinblick auf Sponsorenakquise und die Sicherstellung und Demonstration der Einzigartigkeit (vgl. Kapitel »Festival als Bühne und soziales Setting«) eines Festivals und unter dem Druck von Subventionskürzungen ist das Verfolgen der Marktlogik scheinbar eine seit den neunziger Jahren angebrachte Handlungsmaxime. Ökonomie funktioniert auf Festivals jedoch sowohl materiell als auch ›ungreifbar‹. Nicht nur die gut sichtbare Positionierung von Firmenlogos und anderen Werbeartikeln von Sponsoren verweist auf ökonomische Realien; nicht nur vernetzte Angebote und Merchandisingartikel stellen den Marktwert eines Festivals her; es ist die Anwesenheit von Theater- und Festivalproduzenten auf Festivals, die sicherstellt, dass Künstler, wenn auch nur prospektiv, von ihrer Präsenz auf dem Markt als Ware und Händler zugleich profitieren können. Von Festivalleitern wird heute offen verhandelt, dass die Teilnahme an einem Festival gerade unbekannten, jungen Künstlern Eintritt in die Stadt- und Staatstheater verschaffen kann, wenn sie dort von Intendanten und Dramaturgen entdeckt werden. Die Festivals Junge Hunde oder Freischwimmer sind hierfür besonders exponierte Beispiele, deren Profile auf die 98 H. Kurnitzky: Der heilige Markt, S. 51. 99 Siehe Bendixens scharfsinnige Analyse in: ders.: Der Markt als Regulator kultureller Leistungen, S. 11–47. 100 H. Kurnitzky: Der heilige Markt, S. 93. 101 Vgl. S. Enser: Kulturtourismus, S. 185–207. 102 W. Gebhardt/A. Zingerle: Pilgerfahrt ins Ich, S. 238.

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Nutzung des Markts als Messe angelegt sind. Der Begriff der Messe benennt die Realien deutlich: Neue Waren werden auf Festival präsentiert und können als neue Marke, als Label, als Produkt auch für andere Theater- und Festivalproduzenten interessant werden. Experten nutzen diese Möglichkeit des Festivals, um die ›Marktlage‹ zu sondieren und neue Talente zu entdecken, und üben damit nachhaltigen Einfluss auf die ökonomische Position eines Ensembles oder Künstlers aus, ohne notwendigerweise gleich vor Ort mit diesen in Verhandlung zu treten. Für das Funktionieren dieses Markts bedarf es zunächst nur der kurzzeitigen Aktivierung von Vernetzungen und des Einwerbens von Kontakten. Damit wird ebenfalls deutlich, dass der Markt der Kunst, selbst wenn er seine temporäre Manifestation im Festival findet, doch im Wesentlichen ein ortloses, flüchtiges Gebilde bleibt. Die Besonderheit des Marktplatzes eines Festivals ist die Flüchtigkeit seiner Existenz – er besteht stets nur für eine gewisse Zeitspanne. Als Ort der Entschleunigung bietet dieser Marktplatz kurzen Halt, bis er wieder in die allgemeine Beschleunigung übergeht. »Der Markt ist, wie er hier verstanden wird, ein Netz von Beziehungen, gesehen aus der jeweiligen Perspektive eines Beteiligten, sei er Anbieter oder Käufer«103 – und damit im Prinzip ein ortloses Gebilde des Reaktivierens von Netzwerkbeziehungen. Martin Roeder-Zerndt findet dafür deutliche Worte: »Unsere Festivals sind heute häufig wenig mehr als Marktplätze für das internationale Gastspielgeschäft. Es ist fast, als sei mit ihnen ein extraterritorialer Sektor der Darstellenden Künste entstanden, dessen Produkte wie jede andere Ware auch frei zirkulieren und von Marktplatz zu Marktplatz dem warmen Strom des Kapitals folgen. Was sich hier entwickelt hat, ist nicht internationale Kooperation und interkultureller Austausch, sondern Interfestivalismus – das Resultat eines immer effizienteren Netzwerkens der Produzenten, Agenten und Festivalorganisatoren. […] Der gleiche Überlauf-Effekt ist in vielen internationalen Gastspielhäusern und alternativen Theaterräumen der europäischen Großstädte wahrnehmbar. Unsere internationalen Kompagnien spielen ihre Produktionen auf den großen Festivals, solange sie frisch sind, um dann in den internationalen Gastspielbetrieb ein- bzw. herabzusteigen, oder sie nutzen diesen Betrieb für Zwischenstationen auf dem Weg zu weiteren Festivalauftritten.«104

Diese harsche Bilanz ist nicht die Meinung eines Einzelnen. Dass Festivals innerhalb einer Marktordnung stehen, hat ihnen seit jeher viel Kritik eingebracht,105 die von Festivalleitern in der Regel vehement zurückgewiesen wird. Irrtümlicherweise, denn damit wird das Dilemma von Festivals, die sich in Produktionen ›einkaufen‹ müssen, um die Rechte an einer Aufführung zu erhalten, zum Nachteil der Festivals selbst bagatellisiert. Denn die Vereinheitlichung von Festivalprogrammen und damit des ›Warenangebots‹ auf dem Festivalmarkt, wie Roeder-Zerndt sie beklagt, ist eine real drohende Folge von mangelnder öffentlicher Finanzierung von Kunst. Festivals werden in dem Maß in die Logik des Markts integriert, wie sie von Förderung durch die öffentliche Hand ausgeschlossen werden. 103 P. Bendixen: Der Markt als Regulator kultureller Leistungen, S. 36. 104 M. Roeder-Zerndt: Der Überlauf-Effekt, S. 1. 105 Zum Beispiel würden Produktionen von der Stange in so genannten ›Kaufhausfestivals‹ kontext- und beziehungslos nebeneinander gestellt.

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Allerdings trifft es nicht den Kern der Kritik, wenn man Festivalmarktplätze in der oben beschriebenen Form nur als Orte des soft selling versteht. Bei all ihrer Berechtigung ignoriert die obige Darstellung eines pervertierten Marktverhaltens von Festivals beziehungsweise der alleinigen Fixierung auf taktisches Handeln die dialogische Qualität des Markts. Diese lässt sich erneut im Rekurs auf den Begriff des Städtischen und des Orts beziehungsweise des Territoriums veranschaulichen. Ausgangspunkt ist zunächst die oben beschriebene Rückläufigkeit des städtischen Raums. Den negativen Symptomen der Deterritorialisierung, wie sie etwa Guggenberger (vgl. S. 197) beschreibt, können Festivals im Bild des Markts sowohl ihre real geteilte Zeit entgegensetzen als auch wieder einen real physischen Raum bieten, eine Reterritorialisierung in Gang setzen. Es handelt sich hierbei eher um ein Bild, denn um eine Theorie. »Die Stadt ist zunächst eine Festung. Im Mittelpunkt der griechischen Stadt liegt die agora, und von dort aus führen verschiedene Wege zu den Toren, an denen die Stadt verteidigt wird.«106 Virilio erkennt die letzte Form eines Orts in der Stadt: »Der Stadt, die einen Ort im Raum hatte, also einen topischen Charakter besaß, diese Stadt, in der sich die freien und gleichen Bürger auf dem öffentlichen Platz versammelten«.107 Der Akt des Versammelns auf der agora im Zentrum entschleunigte die Bewegung der Individuen in der Stadt, ihre Bewegungen kondensierten also an einem Ort, der gleichzeitig eine neue Zeitlichkeit für alle Anwesenden bedeutete. Für Virilio konnte an diesem Ort echte Wahrnehmung des anderen vonstattengehen, die Sinne wurden für Reales geöffnet. Die folgenschwere Veränderung tritt dadurch ein, dass die Stadt der erste Ort eines neuen Umgangs mit Zeit wurde, Geschwindigkeit wird zuerst in der Stadt manifest.108 Den Markt sieht Virilio somit zunehmend in Auflösung begriffen – »diese Stadt, in der sich die freien und gleichen Bürger auf dem öffentlichen Platz versammelten, wird bald ein teletopischer Ballungsraum werden«, so Virilio weiter –, weil durch maximale Beschleunigung kein Innehalten mehr möglich sei. Für ihn entspringt aus der nur scheinbaren menschlichen Nähe ein fundamentales Übel für die Gesellschaft, für den »ethos of reality, the highly vulnerable public space where individuals responsively interact.«109 Dieser öffentliche Ort, an dem Individuen verantwortungsvoll interagieren, ist der Marktplatz, der Bazar, das Forum. Wenn es aber stimmt, dass Festivals als Orte der Begegnung und des kommunikativen Handelns begriffen werden können, als Orte, an denen sich Communitas entzündet (vgl. Kapitel »Communitas«), dann schaffen sie sehr wohl noch diesen Ort verantwortungsvoller Interaktion. Indem auf Festivals die realphysische Kommunikation eben nicht durch die der lichtgeschwinden Medien substituiert wird, wirken sie den von Virilio bemerkten Tendenzen entgegen. Der Begriff des Markts gewinnt so für Festivals eine weitere Bedeutung, wenn man ihn sowohl in seiner sakralen als auch kommunikativ-sozialen Funktion begreift. Er wird zum Symbol für ein soziales Miteinander. Horst Kurnitzky geht es in diesem Sinne darum, den Markt nicht nur als ökonomischen Faktor und Standort des Konsums zu beschreiben, sondern seine weite106 107 108 109

P. Virilio: Revolutionen der Geschwindigkeit, S. 24. P. Virilio: Belichtungsgeschwindigkeit, S. 65. Vgl. R. Wendorff: Zur Erfahrung und Erforschung von Zeit, S. 68. James Der Derian (Hg.): The Virilio Reader, Massachusetts: Blackwell 1998, S. 5.

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Zwischen Politik und Ökonomie

ren lebenserhaltenden Funktionen zu verdeutlichen und ihn als Geburtsort von Öffentlichkeit zu charakterisieren. Markt bedeutet nicht nur Messe, also eine primär religiös motivierte Situation, er bedeutet vor allem eine Versammlung von Menschen, die sich austauschen, verhandeln und auch um eine Lösung streiten. Auf einem für alle zugänglichen Terrain sollen selbstbewusste und emanzipierte Gesellschaftsmitglieder auf der Grundlage der Marktordnung zusammenkommen, um ihre eigensten Anliegen zu verhandeln. Die zentrale Funktion des Markts für die Gesellschaft fasst Kurnitzky deshalb bündig als Kristallisationspunkt der Selbstvergegenwärtigung einer Gesellschaft, auf dem »alle für das Fortbestehen und den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtigen Dinge und Veranstaltungen ihren Ort hatten.«110 Mit dem Markt verbunden ist also die Utopie eines geregelten, sozial ausgehandelten Verkehrs und einer Kommunikation, die auf Einigung ausgerichtet ist. Der Markt wird unter dieser Prämisse zum öffentlichen Raum, »ein Raum, in den sich die Kunstproduktion des Festivals immer wieder begeben hat, um ihn zu markieren, sichtbar werden zu lassen oder umzuschreiben.«111 Doch reicht es für die Anwendung des Marktbegriffs auf Festivals aus, diese als Situationen zu erfassen, in denen Menschen zusammengeführt, zu Beisammensein und Diskussionen angeregt werden? Wie öffentlich können Festivals sein? Jürgen Habermas definiert Öffentlichkeit – die freilich auch für ihn nur ein Ideal ist – hauptsächlich als offene Situation. »Öffentlichkeit ist dann garantiert, wenn die ökonomischen und sozialen Bedingungen jedermann gleiche Chancen einräumen, die Zulassungskriterien zu erfüllen.«112 Hieraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Der Öffentlichkeits-Markt des Festivals ist im Grunde keiner, denn er schließt trotz aller Integrationsbemühungen eine große Gruppe von Bürgern aus. Zweitens ist der Kunst-Markt des Festivals nur scheinbar zugänglich, da die Arbeitsform des Netzwerkens und Kooperierens eine privatisierte Praxis des Zwischenmenschlichen ist. Im Gegensatz zum Verhalten auf einem Markt (in seinem liberalen Idealbild), wo sich die Käufer jedem Verkäufer zuwenden sollen und können, erlaubt das Netzwerk durch subtile Bindungen unterschwellig, aber wirksam die Lenkung des Marktverhaltens aller Beteiligten. Die Öffentlichkeit des Festivalmarkts ist also von vorneherein eingeschränkt beziehungsweise ambivalent, die reine Utopie des Markts nicht haltbar. Ähnliches gilt für die Utopie städtischer Öffentlichkeit im Allgemeinen. »Der öffentliche Raum als jederzeit für Jedermann zugänglicher Raum hat ebenfalls noch nie in irgendeiner Stadt existiert. Er ist immer auch exklusiver Raum.«113 Doch Kurnitzky geht in seinem Essay Der heilige Markt in einem weiten kulturanthropologischen Bogen nicht nur auf die Verschränkung von Fest, Öffentlichkeit und Markt ein, das revolutionäre Potential, den kommunikativen Aspekt des Markts, sondern leitet die Ambivalenz des Handelns und des Markts sowohl kulturgeschichtlich als auch mythologisch ab. Der Schutzgott 110 H. Kurnitzky: Der heilige Markt, S. 106. 111 Reinhard Braun: »Sanktionierter Ausnahmezustand?«, in: steirischer herbst festival gmbh (Hg.): herbst. Theorie zur Praxis, Graz 2007, S. 75. 112 Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1990, S. 157. 113 Walter Siebel: »Einleitung: Die europäische Stadt«, in: ders. (Hg.), Die europäische Stadt (2004), S. 27.

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Theaterfestivals

des Handels ist zugleich der Schutzpatron der Diebe – Hermes steht sowohl ein für Handel wie für Händel, Tausch und Täuschung; er meint den Trieb sowie den Verzicht auf ihn und die Kompensation infolge des Verzichts. Um diese Ambivalenzen und die dadurch entstehenden zerstörerischen Spannungen einzugrenzen, wird eine Marktordnung etabliert.114 »Jeder Markt bedarf einer Marktordnung um des sozialen Friedens willen, um den archaischen, vom immer noch mächtigen Triebwunsch geleiteten Sinn des Habens zu bändigen, zu disziplinieren. Darum ist es bis heute noch auf jedem Wochenmarkt in Stadt und Land einem einzelnen verwehrt, alle Marktstände zu pachten. Denn damit würde die soziale Funktion des Marktes unterhöhlt, der Markt als lebendiger, Leben vermittelnder Ort ausgetrocknet werden.«115

Wichtiger noch als diese Ordnung scheint hingegen ein Unterlaufen der Regeln im Fest. Wenn das Fest auf dem Marktplatz als Zentrum der zivilisatorischen wie der ökonomischen Entwicklung stattfindet, dann gehört es zu seinen Regeln und sogar Pflichten, die Regeln des Markts zu brechen. Diebstahl und Verausgabung gehören als extreme und regelgerecht geahndete Verhaltensweisen zum Fest und unterminieren ihren Standort, den Marktplatz. Wenn man so Festivals als Markt und Messe bezeichnet, assoziiert man sie nicht nur mit dem von der Warte der Hochkultur aus verachteten Kommerz, sondern gesteht ihm ein kommunikativ-utopisches Potential zu. Im Sinne des Aushandelns und des Kommunizierens, im verträglichen Umgang miteinander ergibt sich das Bild eines Anti-Markts, das zumindest gemeint scheint, wenn sich Festivals abgrenzen von der reinen Fixierung auf Kommerz. Festivals artikulieren diese Haltung in dem Bemühen, sich vom Üblichen, vom Gängigen, vom tagtäglichen Handeln mit Aufführungen in den Theatern zu unterscheiden – genau darin besteht ihre ureigenste Berechtigung, hierin erfahren sie ihre Rechtfertigung in der ausdifferenzierten deutschen Kulturlandschaft. Schon die Festspiele in Bayreuth und Salzburg definieren sich darüber, höchste Qualität zu zeigen, musterhafte Aufführungen und Unikate speziell für das Ereignis des Festspiels zu produzieren, die sich über die üblichen Theaterproduktionen erheben (vgl. Kapitel »Festspiele als Festrekonstruktion«). Schon hier markiert der Begriff des Anti-Markts eine Abkehr von der Kommerzialisierung des Theaters und der mittelmäßigen Kulturindustrie. Den Kontrapunkt zum kommerziellen Markt bieten außerdem einige Festivals, die im Sinne nachhaltiger Förderung bestimmte Künstler unter ihre Fittiche nehmen und mit ihnen eine langfristige künstlerische Bindung eingehen.116 Diese Praxis unterläuft die streng ökonomische Orientierung des Marktplatzes. Festivals bieten somit einen Schutzraum für die Entwicklung von Künstlern und ästhetischen Formen, auch ohne auf schnell verkaufbare Resultate zu insistieren. 114

115 116

Es handelt sich bemerkenswerterweise um ein analoges Phänomen zu dem des Fests: Damit die Grenzverletzungen des Fests (der Händel-Handel) nicht über die Grenzen des Fests hinaus zersetzend wirken können, wird es von rituellen Handlungen gerahmt (der Marktordnung). H. Kurnitzky: Der heilige Markt, S. 36. Bei den Wiener Festwochen etwa die Gruppe Froced Entertainment, bei der euroscene Leipzig der belgische Choreograph Alain Platel et cetera.

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Zwischen Politik und Ökonomie

Es ist von dieser Warte aus also verständlich, dass Festivals sich als AntiMarkt präsentieren. Dies gehört zumal zum argumentatorischen Repertoire von Kultur- und Festivalschaffenden, um ihre Sonderstellung zu behaupten; auch das Ablehnen des Erfolgskriteriums des Anteils am Zuschauermarkt gehört zu diesem Verteidigungsinstrumentarium. »Was sagt die Kultur zum Marktanteil? Im besten Fall ignoriert, im schlechtesten Fall bekämpft sie ihn. Es gibt einen feuilletonistischen Reflex, die Verachtung des Marktanteils mit elaborierten Stilmitteln öffentlich zu inszenieren.«117 Damit versuchen sich Festivals den marktwirtschaftlichen Ambitionen der Kulturpolitik zu entziehen. Die Haltung des Anti-Marktwirtschaftlichen scheint allerdings zunehmend fragwürdig angesichts der relativen Arbitrarität und ›Chaotik‹ des kulturpolitischen Treibens. Tatsächlich verfügt die Kulturpolitik selbst über keine einheitlichen Erfolgskriterien für ihre Tätigkeit, selbst sie legt längst nicht mehr die wirtschaftliche Rentabilität und den Marktanteil als einzige Messlatten an Kunst an. »Da gesellschaftspolitische Erfolge nicht eindeutig empirisch identifizierbar sind, steht es der Kulturpolitik frei, sich von ihrem Erfolg durch die bloße Versicherung zu überzeugen, daß sie ihn habe.«118 Tatsächlich befinden sich Festivals also formal gar nicht mehr beständig in einem Rechtfertigungsnotstand – die Agenten der Kulturpolitik entscheiden längst selbst über ihren Erfolg oder Misserfolg. Die Selbststilisierung als AntiMarkt wird somit zusehends zu einer überflüssigen Verteidigungsgeste. Damit steht es Theaterfestivals wiederum frei, sich zu ihrer Marktförmigkeit zu bekennen – was nur vorteilhaft sein kann. Die Beschreibung von Festivals als Markt veranschaulicht die ihnen eigene Verschränkung von Zukunft (Karrieren, gemeinsamen Projekten und Zukunftsexpansion) und Tradition, von Be- und Entschleunigung, von Ent- und Besinnung und zugleich ihre ökonomische Gebundenheit. Außerdem ist der Markt ein treffendes Bild für die kommunikative Struktur von Festivals, er ist der Ort von Öffentlichkeit – selbst wenn es sich bei Öffentlichkeit stets um eine Utopie handelt, die nie ganz eingelöst wird, da der Raum des Festivals immer begrenzt ist und definiert, wer teilhaben darf und wer nicht. Die Praxis des Festivals ist marktlogisch organisiert, hinter diese Tatsache ist nicht zurückzugehen. Im Gegenteil müssen Festivals diese Position aktiv nutzen, um sich möglichst gewinnbringend für die Entwicklung der Kunst des Theaters einzusetzen und damit verantwortungsvoll umzugehen. Unter dieser Bedingung können Festivals sowohl von den Vorteilen des Markts – seiner gesteigerten Öffentlichkeit, seiner Ordnung, seiner »Heiligkeit« – profitieren als auch seine Nachteile – Verramsch von Künstlern, mafiose Machenschaften, Standardisierungen – anerkennen, nutzen und opponieren.

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G. Schulze: Kulissen des Glücks, S. 51. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, S. 510.

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Einzelanalysen »Kleiner Exkurs. Theaterfestivals lassen sich wie Ständegesellschaften klassifizieren. Da gibt es den Adel, alteingesessen, berühmt, mit Neigung zu Degeneration und Verkalkung (Avignon, Edinburgh, Wien), dann das kunstsinnige, aufgeschlossene Großbürgertum (KunstenFestivaldesArts Brüssel, Theater der Welt, Zürcher Theaterspektakel), die aufstrebenden Kleinbürger, nervös auf den Absprung in die höhere Klasse hoffend (SPIELART München, TheaterFormen Hannover, euro-scene Leipzig) und das Proletariat, dem bekanntlich mal die Zukunft zugehörte (von net Moskau bis time festival Gent). Alle diese Festivals würde ich jederzeit besuchen, und es würde sich gewiss lohnen. Aber es gibt auch das Beamtentum – Funktionärsfestivals, wie sie besonders in Ost-Europa und im Nahen Osten vertreten sind, Merkmale: Inkompetenz, Lieblosigkeit und die Verwechselung von Quantität mit Qualität. Oder, noch schlimmer: die Parvenüs (Kunstfest Weimar, Ruhrfestspiele Recklinghausen), die mangelndes Kunstverständnis durch Geld ersetzen und fehlende Auswahlkriterien durch RundumShopping nach dem Motto: wenn’s berühmt und teuer ist, dann kaufen wir’s. Exkurs Ende.«1

Es wurde bisher das phänomenologische, historische und theoretische Skelett von Theaterfestivals als spezifisches Organisationsmodell aufgezeigt. Festivals sind beschrieben worden als gemeinschaftstiftende Ereignisse mit deutlichen Anleihen bei der Festtradition, die sich den gegenwärtigen sozialen, finanziellen und künstlerischen Umständen gemäß neue Strategien der Selbstdarstellung und Komplexitätsbewältigung angeeignet haben und heute offensiver mit den außerästhetischen und ästhetischen Interessen ihres Umfelds umgehen. Sie haben eigene luzide Strukturen herausgebildet, sich die kooperativen Praktiken der Freien Theaterhäuser angeeignet und zu eigenen diskursiven Schwerpunkten ausgearbeitet, was sie zu wegweisenden Formen der Präsentation, Produktion und Diskussion von Theater gemacht hat. Die Theorie des Festivals muss jedoch konkret ausformuliert und umgesetzt werden, um Wirkungen zu zeitigen – die Praxis des Festivals erst legitimiert eine Systematisierung des Festivals. Diese Praxis wird im Folgenden anhand von sieben Beispielen dargestellt und gedeutet werden, wobei gilt, dass, auch wenn das obige Zitat provokant die Möglichkeit einer Festivalklassifizierung nahelegt, Festivals nicht bewertet, sondern nach ihren wichtigsten Eckdaten und Charakteristika erfasst werden. Es ist notwendig, einerseits ein breites Spektrum von Festivalmodellen anhand von Beispielen zu präsentieren, andererseits deutlich zu machen, dass jedes Festival nicht nur ein Exempel, sondern ein individuelles Exemplar ist, dessen eigenes Profil nicht zum Zwecke der Verallgemeinerung verlustig gehen darf. Zugleich muss der Rahmen für 1

Renate Klett: »Von Herzblut und anderen Säften«, in: Freundt/Wolff (Hg.), Neugier und Leidenschaft (2000), S. 69.

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Theaterfestivals

Stichproben eingegrenzt werden. An dieser Stelle werden Festivals präsentiert (andere, ebenfalls bedeutende nur am Rande angesprochen), die für die neunziger Jahre besonders prägend oder bezeichnend sind und die auch von der kritischen Öffentlichkeit als bedeutsam beschrieben werden. Diese Wahl hat methodische und pragmatische Gründe: Es gibt in der Regel wesentlich mehr gesicherte Daten über die populären Festivals als über kleine unbekannte Veranstaltungen. Dennoch wurde die Auswahl so vorgenommen, dass eine große Bandbreite deutschsprachiger Theaterfestivals abgedeckt wird. Jeder detaillierten Beschreibung wird eine stichwortartige Liste vorangestellt, die die wichtigsten Eckdaten eines jeden Festivals abfragt und eine schnelle Orientierung ermöglicht. Es handelt sich um vierzehn Aspekte: • • • • • • • • • • • • • •

Vollständiger Name Gründungsjahr Initiator/Leitung Veranstaltungsort Situierung (Theater, Freie Bühne, andere Orte) Veranstaltungsintervall Dauer und Zeitpunkt Programmschwerpunkt Finanzierung Nachwuchsförderung Diskursive und zusätzliche Programmpunkte (Workshops, Diskussionen, Publikumsgespräche und Ähnliches) Bezug zur Region (Anteil nationaler oder lokaler Produktionen) Formen der Selbstreflexion, Verbindung zu forschenden Institutionen Sonstiges (spezielle Rituale, Namensänderungen, Krisen et cetera)

Die folgenden Analysen arbeiten bei jedem Festival einen Kern heraus, der es von anderen vergleichbaren Festivals unterscheidet. So variieren die Schwerpunkte der Darstellung, um den Idiosynkrasien Rechnung zu tragen. Die folgenden Einzelanalysen bieten zum einen eine möglichst konkrete Darstellung, zum anderen kristallisieren sich übergeordnete Aspekte heraus, die es erlauben, eine abstraktere Sicht auf die exemplarischen Festivals wie auf die gegenwärtige deutschsprachige Festivallandschaft zu öffnen. Damit wird in zweifacher Hinsicht eine Forschungslücke geschlossen, denn umfassende Analysen, Chroniken und andere Forschungsarbeiten zu einzelnen Festivals sind bislang spärlich gesät.2 Zugleich ist es der Anspruch dieses Abschnitts der Studie, die zuvor gewonnenen systematischen und theoretischen Kenntnisse an entsprechenden Stellen wieder aufzunehmen, und die Argumentationen und Thesen der vorherigen Kapitel dort zu belegen und am Beispiel zu erhellen.

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Festivals ausreichend zu dokumentieren, ist ein Phänomen, das mit der einsetzenden Konsolidierung und Institutionalisierung von Festivals Ende der neunziger Jahre zusammenfällt. Gemäß Assmann wird in der europäischen Schriftkultur nur das dauerhaft fixiert, was als kulturelles Erbe erkannt und dem Relevanz für die Zukunft zugesprochen wird.

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Einzelanalysen

Berliner Theatertreffen • • •

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Vollständiger Name: Berliner Theatertreffen Gründungsjahr: 1964 Initiator: Ideengeber: Harry Buckwitz (Frankfurt am Main), erster Intendant: Nicolas Nabokov, erster organisatorischer Leiter: Gerhard Hellwig, hauptsächlich gefördert durch den Berliner Senator Joachim Tiburtius Veranstaltungsort: (West-)Berlin Situierung: Spielstätten in diversen Theaterhäusern (Berliner Ensemble, Sophiensæle, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz), zu Beginn hauptsächlich im ehemaligen Schiller-Theater und in der Freien Volksbühne; seit 2001 ist das Haus der Berliner Festspiele (ehemals Freie Volksbühne) Hauptspielort; andere Theater Berlins Veranstaltungsintervall: Annual Dauer und Zeitpunkt: Jeden Mai für ungefähr zwei Wochen, zuletzt immer ab dem ersten Freitag im Monat Programmschwerpunkt: Die (zumeist zehn) »bemerkenswertesten« Inszenierungen eines Jahres an deutschsprachigen Theatern Finanzierung: Staatlich, seit 2004 Regelförderung durch die Kulturstiftung des Bundes Nachwuchsförderung: Durch den Stückemarkt, das Internationale Forum junger Bühnenangehöriger, die Festivalzeitung und das tt talentetreffen Zusätzliche Programmpunkte: Dramatikersalon, Lesungen, Diskussionen und Gespräche, Preisverleihungen, Publikumsgespräche im Anschluss an die Vorstellungen, Partys Bezug zur Region: Alle gezeigten Inszenierungen kommen aus Deutschland, der Schweiz oder Österreich Formen der Selbstreflexion: Symposien, diverse Publikationen zu Jubiläen des Theatertreffens wie der Berliner Festspiele. Keine nennenswerte Zusammenarbeit mit der theaterwissenschaftlichen Forschung Sonstiges: 1964 einmalig veranstaltet unter dem Namen Berliner Theaterwettbewerb; Eröffnungsrede durch Spitzenpolitiker oder führende Persönlichkeiten; Verleihung des Theaterpreises der Stiftung Preußische Seehandlung, des Alfred-Kerr-Darstellerpreises und des 3sat Preises des Theatertreffens; Live-Übertragungen und Inszenierungsmitschnitte im Fernsehen (seit 1996 auf 3sat); regelmäßige Verkündung des Spielplans im Februar eines Jahres

Mit seinem über vierzigjährigen Bestehen hebt sich das Berliner Theatertreffen deutlich von der restlichen Festivallandschaft ab. Mehr als nur Medienereignis und Zankapfel des deutschen Theaterbetriebs, hat es seit seiner Gründung im westlichen Teil Berlins 1964 mal mehr, mal weniger das (west-)deutsche Nachkriegstheaters stimuliert und für den Festivalbetrieb wegweisende Formate entwickelt. Das heißt genauer für das deutsche Theater, da das Theatertreffen – wie nur noch wenige Festivals der Gegenwart (Mühlheimer Theatertage, Freischwimmer) – ausschließlich Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert.

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Theaterfestivals »Der Vorschlag, jährlich einen Wettbewerb der deutschen Schauspiel- und Opernbühnen zu veranstalten, kam auf in den Tagen, als man für die noch in Hamburg ansässige neugegründete Akademie der Darstellenden Künste nach Aufgaben und Bestätigung suchte. Harry Buckwitz, der Frankfurter Intendant, brachte sie ein. 1959 faßten die Akademiemitglieder den Beschluß, einen solchen Wettbewerb für Schauspiel und Oper zu veranstalten.«3

Berlin kommt, maßgeblich befördert durch den Berliner Senator Tiburtius, Frankfurt zuvor und gründet 1964 (noch unter dem Namen Berliner Theaterwettbewerb) das Berliner Theatertreffen, das seitdem von der Berliner Festspiele GmbH veranstaltet wird.4 Die zeitliche Nähe seiner Gründung zum Mauerbau 1961 ist nicht zufällig. Mit der Präsentation ästhetischer Höchstleistungen im westlichen Teil des geteilten Berlins verfolgt man auch von Seiten der Politik die Absicht, als »theaterpolitisch mit Panzerglas gerüstetes Schaufenster des Westens«5 die gesellschaftliche Relevanz und die ästhetischen Maßstäbe »westdeutschen« Theaters zu demonstrieren. Folglich besteht die Aufgabe der ersten Theatertreffen darin, Standards zu formulieren und eine repräsentative Übersicht über das deutschsprachige Theater zu liefern, an der sich der westdeutsche Theaterbetrieb orientieren kann. »Das deutsche Theater braucht die Demonstration der Qualität, ein Forum, auf dem Maßstäbe gebildet werden können. Den Nachteilen des Kulturförderalismus [sic!], der Provinzialisierung, muß entgegengewirkt werden.«6 Der Vergleich der künstlerischen Stile in einer »Leistungsschau« scheint hierfür der beste Weg. Die politische Aufgabe des Theatertreffens verliert mit dem Wegfall der »Inselversorgung« West-Berlins durch den Fall der Mauer jedoch nicht an Relevanz, sondern wird sogar verstärkt. Nach der Wiedervereinigung versteht es dessen Jury als ihre Aufgabe, Produktionen aus dem östlichen Teil Deutschlands zu sichten und wenn möglich, einzuladen. Gewürdigt wird diese politische Leistung durch die langjährige Finanzierung des Festivals vom Staatsministerium für Kultur, welche allerdings 2004 durch eine Regelförderung der Kulturstiftung des Bundes in Höhe von 1,5 Millionen Euro abgelöst wird.7 Auch aufgrund der entschiedenen Förderung durch politische Instanzen ist das Theatertreffen von hohen ästhetischen Ansprüchen gekennzeichnet, die es durch ein einzigartiges Auswahlverfahren – eine in einem speziellen Turnus wechselnde fünf- bis teilweise zehnköpfige Jury namhafter Theaterkritiker nominiert die einzuladenden Inszenierungen – zu erfüllen sucht. Die 3 4

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Günther Rühle: »Die ersten und die nächsten 25 Jahre«, in: Eckhardt/Liebermann (Hg.), 25 Jahre Theatertreffen (1988), S. 22. Die Berliner Festspiele umfassen weitere zehn internationale Veranstaltungstypen. Zusammen mit dem Haus der Kulturen der Welt, dem Martin-Gropius-Bau und der Berlinale sind die Berliner Festspiele Teil der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH (KBB). Ulrich Schreiber: TT-Almanach 1989 (zit. nach Dieter Kranz: »Festival im Umbruch. Das Theatertreffen gewinnt ein neues Selbstverständnis«, in: Programmheft zum Berliner Theatertreffen 1992, S. 8). Rolf Michaelis: »Das Berliner Theatertreffen: eine politische Tat. Festspiele – die keine sind«, in: Eckhardt/Liebermann (Hg.), 25 Jahre Theatertreffen (1988), S. 17. Vgl. Iris Laufenberg, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 314.

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Prozedur wird durch eine »Verfahrensordnung« (die in jedem Programmheft veröffentlicht wird) geregelt. Sie sieht vor, dass zehn oder mehr Inszenierungen in einer Abstimmung innerhalb der Jury aufgrund ihrer »bemerkenswerten« Qualität für rund drei Wochen nach Berlin eingeladen werden. Seit 1965 ist der traditionelle Zeitpunkt des Festivals im Mai (üblicherweise beginnend am ersten Freitag des Monats), während die öffentliche Bekanntgabe der ausgewählten Inszenierungen stets im Februar erfolgt und damit rund acht Wochen Vorbereitungszeit für das Festival verbleiben. Der Hauptaustragungsort ist seit 2001 das Gebäude der ehemaligen Freien Volksbühne, ergänzt durch die größeren Bühnen in ganz Berlin, um den Inszenierungen entgegenkommende Aufführungsbedingungen zu ermöglichen.8 Hierbei spielt die technische Realisierbarkeit einer eingeladenen Inszenierung für die Auswahl ebenso wenig eine Rolle wie thematische Leitlinien oder andere außerästhetische Kriterien. Einzige Einladungsvoraussetzung bleibt die Bewertung einer Inszenierung als »bemerkenswert« – eine Kennzeichnung, die immer wieder Anlass zum Zweifel an der ›Entscheidungshoheit‹ des Theatertreffens wie zur Selbstreflexion gegeben hat. So wird unter anderem mit dem elitären Anspruch, der mit dem Prädikat bemerkenswert verbunden ist, der Aspekt der Förderung junger Künstler über lange Zeit in den Hintergrund gerückt. »Doch«, so befinden selbst ehemalige Jurymitglieder, »war nicht das Theatertreffen auch in der Vergangenheit immer dann am spannendsten, wenn es sich nicht nur als Olympiade des längst Durchgesetzten verstand, sondern als Ort produktiver Wechselwirkung zwischen den Generationen? Jedenfalls beabsichtigt die Jury keinesfalls, mit der Nominierung irgend welche ›Jung-Stars‹ oder ›Hoffnungsträger‹ zu kreieren«.9 Die Jury des Theatertreffens ist aufgrund der Anfeindungen um die Offenlegung ihrer Entscheidungen bemüht. So werden in jedem Programmheft auch diejenigen Inszenierungen aufgeführt, die in die engere Auswahl gekommen sind. Des Weiteren wird in der Verfahrensordnung die Auskunftspflicht der Jury auf öffentlichen Veranstaltungen des Festivals festgestellt. Die Konzeption des Theatertreffens, die auf Selektion und Wettbewerb ausgerichtet ist und deswegen immer auch subjektiv sein muss, bekennt sich damit zur Anfechtbarkeit der Auswahl. Die Entwicklung des Theatertreffens und seiner Bedeutung für die deutsche Theaterlandschaft lässt sich besonders an der Deutung seines Namens nachvollziehen. In ihrem Bestreben, ihr Festival von anderen abzugrenzen, haben die künstlerischen Leiter des Theatertreffens in ihrer je eigenen Vehemenz und abhängig von der gerade vorherrschenden Rezeption des Festivalbegriffs unterschiedlichen Wert auf die Bezeichnung »Treffen« gelegt. Um sich vom Ruf der Beliebigkeit, der Festivals bisweilen anhaftet, zu distanzieren, sucht man gerade in den achtziger Jahren seinen Sonderstatus als kritische Instanz durch die Assoziation mit der Seriosität eines »Arbeitstreffens« 8

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»Rund 20.000 Zuschauer haben die 50 Veranstaltungen besucht. Den größten Teil notierte vor allem das Haus der Berliner Festspiele mit 11.000 Besuchern.« In: Jagoda Engelbrecht: »Das Theatertreffen 2006 geht zu Ende. Überwältigende Beteiligung der jungen Zuschauer«. Presseinformation zum Abschluss des Berliner Theatertreffens 2006. In der Regel liegt die Platzauslastung des Theatertreffens bei 100 Prozent, wobei ein großes Kontingent der Karten an VIPs vergeben wird. D. Kranz: Festival im Umbruch, S. 8.

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zu untermauern. Tatsächlich fordern 1980 diverse Theaterschaffende, an der Jurystruktur und der Machart des Theatertreffens entschiedene Modifikationen vorzunehmen, um das Festival zu einem Treffen der Theaterschaffenden zu machen, was allerdings der damalige Leiter Ulrich Eckhardt mit folgenden Worten zurückweist: »Das Theatertreffen ist anders strukturiert, das ist eine ziemlich rabiate Veranstaltung, da wird auf Grund des Austauschs von harten Argumenten, auf Grund sehr unterschiedlicher Positionen in einem strengen Verfahren ein Beschluß gefällt […]. Das ist natürlich etwas vollkommen anderes als ein Theaterfestival, wie es Ivan Nagel in Hamburg gemacht hat und Thomas Petz in München macht. […] Die Strenge des Theatertreffens soll erhalten bleiben, und aus diesem Grund bleibt es auch bei der Struktur der Auswahl.«10

Diese Argumentation behält ihre Gültigkeit bis Mitte der achtziger Jahre, in denen man das Theatertreffen an erster Stelle als Ort der kritischen Auseinandersetzung und der Entwicklung von ästhetischen Maßstäben verstanden wissen will.11 Ab 1990 haben sich die Maßstäbe verkehrt und vom Feuilleton werden von nun an Komponenten des Fests und Gestaltungselemente von anderen fortschrittlichen Festivals, etwa ein erweitertes Rahmenprogramm und öffentliche Feierlichkeiten, stärker eingeklagt.12 Spätestens seit 2003 unter der Leitung von Iris Laufenberg ist ein entschiedener Wandel hin zu mehr ›Festivalisierung‹ zu verzeichnen. Die neue Leitung versucht, die Charakterzüge des Festivals und des Events stärker zu betonen, indem sie auf ein Marketing mit hohem Identifikationspotential setzt (durch Merchandisingartikel, die die Position und Funktion des Theatertreffens humoristisch kommentieren), aber auch eine verstärkte Identifikation aller deutschen Theater mit dem Theatertreffen evozieren will.13 Dagegen hat sich der Gedanke des (Arbeits-)Treffens zusehends auf das Rahmenprogramm verlagert: »Das eigentliche Treffen beim Theatertreffen, […] findet hinter den Kulissen statt. Dann nämlich, wenn sich rund hundert Nachwuchstalente während unseres dreiwöchigen Traditionsfestivals in Berlin begegnen: Autoren des Stückemarkts, Theater10 C. Bernd Sucher: »Kein Anlaß zu grundsätzlichen Veränderungen. Ulrich Eckhardt äußert sich zur Kritik am Berliner Theatertreffen«, in: Süddeutsche Zeitung vom 19. Mai 1980, in: Eckhardt/Liebermann (Hg.), 25 Jahre Theatertreffen (1988), S. 37. 11 Das Berliner Theatertreffen sei ein Festival, das »so ganz anders ist als andere Festivals, schon eher ein Fest und eine Instanz des Theaters« (in: Ulrich Eckhardt/Börries von Liebermann: »Vorwort der Herausgeber«, in: dies. [Hg.]: 25 Jahre Theatertreffen [1988], S. 4) und »Kein Festival also, sondern ein Fest des Theaters im spielerischen Wettstreit. Ein kritischer Kampf um Stücke, um Inszenierungen – um die Zuschauer« (in: R. Michaelis, Das Berliner Theatertreffen: eine politische Tat [1988], S. 14). 12 »Im übrigen ist der Euphemismus, mit dem das Theatertreffen als Festival bezeichnet wird, zunehmend unangemessen, da selbst der Kleintierzüchterverband der DDR ein aufregenderes Rahmenprogramm für sein Jahrestreffen zu bieten hat.« In: »Voller Betroffenheit: Berliner Theatertreffen 1990« (Verfasserkürzel es/kno), in: TAZ vom 25. April 1990 (zit. in: Theaterheute 30 [1990], Heft 6, S. 70). 13 Hierfür wurde ein Quartettspiel konzipiert, in dem sich 40 deutschsprachige Theater mit ihren wichtigsten Eckdaten vorstellen.

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leute vom Internationalen Forum – und neuerdings auch die Macher der Festivalzeitung.«14 Insgesamt gliedert sich das Rahmenprogramm in zwei umfangreiche Teile, die entweder frei zugänglich sind oder dem Theaternachwuchs vorbehalten bleiben. Letzteres ist die beim Theatertreffen bedeutendere Komponente, da im Bereich der Talentförderung über die Jahrzehnte hin Formate entwickelt wurden, die zum besonderen Merkmal des Theatertreffens geworden sind. Hier widmet sich das Festival den Problemen und Bedürfnissen der Theaterschaffenden selbst und versucht, Erfahrungen zu vermitteln und Informationsaustausch zu ermöglichen. Eine erste Maßnahme hierfür ist das 1965 gegründete Internationale Forum junger Bühnenangehöriger (bis 1973 noch unter dem Namen Begegnung junger Bühnenangehöriger), das darauf abzielt, einen bewusst als solchen deklarierten elitären Nachwuchs zu generieren und Theorie und Praxis zu verbinden. Im Forum15 werden über einen Zeitraum von zwei Wochen traditionell die beruflichen Schwierigkeiten der Bühnenmitarbeiter wie Regieassistenten, Bühnenbildner, Dramaturgen mit erfahrenen Theatermachern diskutiert und seit 1975 Workshops als Fortbildungsmaßnahmen angeboten. Hierbei wurden die Workshops zuletzt – wie das Theatertreffen selbst auch – unter Mottos gestellt. 1978 wird ein Stückemarkt ergänzt, »um die Versammlung zahlreicher Theatermacher dazu zu nutzen, jungen Autoren mit unveröffentlichten Theaterstücken Aufmerksamkeit zu verschaffen.«16 Sechs Stücke werden von einer weiteren Jury ausgewählt und in szenischen Lesungen präsentiert. Auch hier lässt sich die Öffnung des Theatertreffens zu einer stärkeren Internationalisierung ablesen, da 2003 der Stückemarkt für Einsendungen (2006 etwa 557, 303 Einsendungen waren es 2009) aus allen Teilen Europas geöffnet wird. 2005 kommt eine eigenständige Festivalzeitung hinzu, die von Nachwuchskritikern verfasst wird und über mindestens fünf Ausgaben hinweg das Festival dokumentieren soll. Hierfür werden zwölf junge (nicht älter als 35 Jahre), aber bereits erfahrene Kulturjournalisten und Fotografen gesucht, die in workshopähnlicher Betreuung geschult werden. 2008 wird die Zeitung internationalisiert, 2009 gar ersetzt durch den zeitgemäßeren TheatertreffenBlog. Ähnlich wie SPIELART versucht das Theatertreffen, eine neue Riege von Kritikern zu fördern, die sich mit den neuen Theaterformen adäquat auseinanderzusetzen vermag. Zu diesen drei Formen der Eliteförderung tritt das Element der eigentlichen Ehrungen durch ausgelobte Preise. Seit 1988 wird der Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung für eine künstlerische Gesamtleistung vergeben.17 Der Fernsehsender 3sat zeichnet eine der zum 14 Iris Laufenberg: »tt talente – Ein hellsichtig machender Rausch im Jugendkonzil«, in: Programmheft zu Berliner Theatertreffen 2006, S. 44. 15 Das Forum kann erst in den achtziger Jahren seinem internationalen Anspruch gerecht werden, da die deutschen Botschaften in den jeweiligen Ländern der Teilnehmer die Kosten tragen müssen. Zuletzt zählt das Forum 54 Teilnehmer aus 19 Ländern. 16 U. Eckhardt/B. v. Liebermann: Vorwort der Herausgeber, S. 5. 17 Ein Schritt, der interpretiert wird als »eine höchst sinnvolle Ergänzung des Theatertreffens, das sich selbst prinzipiell von Einzelehrungen, Gesamtwürdigungen, Preisen, Auszeichnungen oder wettbewerborientierten Rangfolgen innerhalb des Tableaus ausgewählter Inszenierungen« distanziert hatte. Ebd., S. 6.

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Theatertreffen ausgewählten Inszenierungen für ihre künstlerischen Innovationen aus und der 1991 erstmals vergebene Alfred-Kerr-Darstellerpreis, dessen Preisträger von einer von den Stiftern berufenen Persönlichkeit des Theaterlebens ausgesucht wird, prämiert die Leistung eines Nachwuchsdarstellers, der auf dem Festival in einer Inszenierung zu sehen ist. Insgesamt treffen sich in diesem Rahmen ungefähr hundert junge Theaterschaffende, die sich selbst als Talente verstehen dürfen und sollen, gebündelt in dem zuletzt eingerichteten tt talente als Plattform für den künstlerischen Nachwuchs im Bereich Schauspieltheater.18 Diese – nicht neue, aber betonte – Konzentration auf den Nachwuchs verschiebt den Festivalakzent von der Präsentation zum Arbeitstreffen und verstärkt zugleich die festivaltypischen Elemente wie das Zusammentreffen Gleichgesinnter. Der Fokus verschiebt sich von einem Treffen in Berlin auf das tatsächliche Treffen Theaterinteressierter, die sich konzentriert austauschen sollen, weshalb zuletzt eine Verkürzung der Festivaldauer auf etwas mehr als zwei Wochen und damit eine stärkere dramaturgische Zuspitzung vorgenommen wird. Fazit: Das Theatertreffen ist ein Kronzeuge für die Veränderungen, die die Ereignisse des Mauerbaus 1961 wie des Mauerfalls 1989 für die Festivallandschaft bedeuten. Im Bewusstsein über seine enge Koppelung an politische Motive ist das Festival stets bemüht, seine Legitimation als wichtigstes Festival deutschen Theaters aus seiner speziellen Auswahlform heraus zu generieren. Problematisch ist dieser elitäre Selbstanspruch deshalb, weil einerseits das Prinzip der Präsentation der Elite kaum einen umfassenden Überblick über das tatsächliche Geschehen auf deutschen Bühnen zu leisten vermag. Andererseits hat das uneinheitliche Selbstverständnis der Kritikerjury – mal als reine Begutachter, mal als Förderer neuester Tendenzen – das Profil des Festivals verwässert und den Anspruch des repräsentativen Überblicks selbst infrage gestellt. Mit der zunehmenden Internationalisierung des Rahmenprogramms wird zusätzlich der Profilumbildung des Theatertreffens als Festival des deutschen Theaters Vorschub geleistet. Festivals wie reich & berühmt (1996 bis 2003) oder die 2001 in Frankfurt veranstaltete Experimenta 719 sind der Kommentar der jüngeren, bei der Auswahl unberücksichtigten Künstler zu diesen Widersprüchlichkeiten. Allerdings wird die extreme Anfechtbarkeit des Theatertreffens durch seine Grundkonstruktion bedingt und damit in Kauf genommen, um den hohen Maßstab des »Mustergültigen« nach außen aufrechterhalten zu können. Andere Festivals ohne Kritikerjury setzen sich zwar weniger der öffentlichen Aufmerksamkeit und Kritik aus, fungieren aber auch weniger als Medium der Kritik selbst. Denn beinahe ersetzt die Auswahl zum Theatertreffen und damit die Kennzeichnung einer Inszenierung (und ihrer Beteiligten) als bemer18 Unter dem Namen tt talente werden die drei Bereiche der Talentförderung – Stückemarkt, Internationales Forum, Festivalzeitung – publikumswirksam zusammengefasst. 19 Als Fortführung des experimentellen Theaterfestivals gedacht, das 1966, 1967, 1969, 1971, 1975 und zuletzt 1990 veranstaltet wurde. Die Initiatoren der Experimenta 7 wollten diese jedoch offiziell nicht als Gegen-Theatertreffen verstanden wissen.

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kenswert die eigentliche, öffentliche Kritik an dieser Inszenierung. Das Festival selbst wird so in problematischer Weise nicht selten zum vereinheitlichenden und plakativen Gütesiegel oder wird als solches rezipiert.

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Vollständiger Name: euro-scene Leipzig Gründungsjahr: 1991 Initiator: Michael Renner Veranstaltungsort: Leipzig Situierung: Bis 2008 im Schauspielhaus Leipzig, aber auch an kleineren Freien Bühnen und Orten in der Stadt Veranstaltungsintervall: Annual Dauer und Zeitpunkt: Jedes Jahr im November, circa eine Woche (zumeist für sechs Tage) Programmschwerpunkt: Zeitgenössischer Tanz und Theater Finanzierung: Staatlich und städtisch Nachwuchsförderung: Nur Förderung durch die Veranstaltung des Wettbewerbs Das beste deutsche Tanzsolo Zusätzliche Programmpunkte: Seit 2005 regelmäßigere und häufigere Publikumsgespräche nach den Aufführungen; seit Beginn Lecture Demonstrations, Workshops, Panels; seit 1995 Integration von Filmvorführungen Bezug zur Region: Immer mindestens eine Produktion des Gastgeberhauses; starker Einbezug der Stadt Formen der Selbstreflexion: Eine Publikation zum Jubiläum (herausgegeben 2000), darüber hinaus keine nennenswerten Verbindungen zur Forschung Sonstiges: Tod Michael Renners 1993; Änderung des Namenszusatzes von Theaterfestival europäischer Avantgarde in Theaterfestival zeitgenössischen europäischen Theaters 1995; seit 1997 Wettbewerb Das beste deutsche Tanzsolo, finanzielle Krise im Jahr 2002

Die euro-scene Leipzig, die sich in ihrem Gründungsjahr 1991 den Namenszusatz Theaterfestival europäischer Avantgarde gibt (Namensänderung 1995 zu Theaterfestival zeitgenössischen europäischen Theaters), ist ein vornehmlich lokal verankertes Festivals, das sich künstlerisch international orientiert. Sie ist im doppelten Sinne ein Produkt der politischen Veränderungen des Epochenbruchs 1989/1990. Einerseits sollte damals das Festival auf künstlerischer Ebene die Unterschiede zwischen Ost und West ausgleichen, andererseits sah es sich mit neuen Ansprüchen gegenüber Theaterfestivals konfrontiert (Präsentation von Avantgardekunst, Einbindung des Publikums, Bezug zum urbanen Umfeld). Personell (und finanziell) geht das Festival aus den 1979 gegründeten und biennal veranstalteten Werkstatt-Tagen des DDRSchauspiels hervor, einem Festival mit Schwerpunkt auf neuer Dramatik, das zum letzten und siebten Mal von Matthias Renner geleitet wird.20 Renner fasst 1990 den Entschluss, daraus ein neues Festival zu machen, das sich vor20 Vgl. A. Oegel: Theater in der Zeitenwende, S. 14.

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nehmlich international orientieren soll. Ein Jahr später wird für ungefähr eine Woche im November die erste euro-scene veranstaltet, die seitdem ohne Unterbrechung jedes Jahr circa zwanzig Inszenierungen vorstellt. In den Anfangsjahren versucht das Festival mit teilweise reißerischen Schlagwörtern zu überzeugen, man findet noch relativ wahllose Kategorien, in die sich das Festival einordnen lassen soll. So beharrt die Leitung einerseits darauf, alle Inszenierungen ins Deutsche übersetzen zu lassen, andererseits versteht sie die euro-scene als internationales Festival; sie verpflichtet sich der Avantgarde, hält aber an einem eher traditionellen Verständnis von Theater und seiner Aufgabe als emotionalisierende Kunst in der Gesellschaft fest.21 Diese und ähnliche Brüche prägen nach wie vor die euro-scene. Um sich auf möglichst breiter Ebene zu positionieren, wird der Sächsische Verein zur Förderung des kulturellen Austauschs nationaler und internationaler Tanz- und Theatergruppen e.V. gegründet, der alle förderwürdigen Komponenten bereits im Titel vereint und der Veranstalter des Festivals ist. »Die Festivalmacher suchten sich Erfahrungen aus dem Westen, konsultierten zum Beispiel Dieter Jaenicke, damals Macher des Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg. Von dort holte man sich Ratschläge zu Struktur und Förderung.«22 Seit dem Tod Renners 1993 ruhen die Programmverantwortung und Festivalleitung in den Händen seiner ehemaligen Assistentin Ann-Elisabeth Wolff. Unter ihrer Leitung hat es die euro-scene Leipzig verstanden, sich lokal zu etablieren, finanzielle Sicherungen zu erhalten und sich darüber hinaus medienwirksam zu vernetzen. Seit 2004 wird das Festival, das durch die Stadt Leipzig, den Freistaat Sachsen und den Deutschen Bühnenverein (Landesverband Sachsen) finanziert wird, von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. In der Begründung für diese Förderung heißt es, es handle sich um »eines der ehrgeizigsten Festivalprojekte der 90er Jahre.«23 Hauptsächlicher Partner aus der privaten Wirtschaft war von 2004 bis 2008 das ortsansässige BMW-Werk. Mit diesem neuen Partner konnte eine finanzielle Krise, die 2002 die Existenz des Festivals bedrohte, abgewendet werden. Das Festival ist Mitglied diverser internationaler Netzwerke, seit 1992 im IETM (Informal European Theatre Meeting, Sitz in Brüssel), dem wichtigsten Netzwerk für freies Theater in Europa; im ITI (Internationales Theaterinstitut) sowie einer der elf Co-Partner des Deutschen Produzentenpreises für Choreografie. Diese Kontakte werden bis dato allerdings nicht für die Förderung neuer Tendenzen und Künstler genutzt, sondern hauptsächlich zu Recherche- und Lobbyzwecken. Die Festivalleitung zieht für die Zusammenstellung des Festivalprogramms Berater aus der europäischen Theater- und Festivalszene zu Rate. Besonders bemerkenswert an der Programmgestaltung ist die Einrichtung eines künstlerischen Beirats, der 1995 offiziell eingeführt wird, um die Erfah21 »Immer sollte es um politisch-soziale Themen gehen, es sollte weniger abstraktes Theater eingeladen werden. Also Dinge, die uns berühren und schockieren, die eine Diskussion anregen können.« So die Leiterin Ann-Elisabeth Wolff, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 327. 22 Michael Freundt: »Wohin tanzt die euro-scene?«, in: Kreuzer, das Leipziger Stadtmagazin, November 2005, S. 14–17 (vgl. Pressebeiträge zur euro-scene Leipzig 2005, S. 2). 23 Hortensia Völckers: »Grußwort«, in: Programmheft zur euro-scene Leipzig 2004, S. 5.

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rungen und Fähigkeiten anderer Theaterkuratoren für das Festival fruchtbar zu machen. Bisher gehörten ihm renommierte Festival- und Theaterleiter an wie Tilmann Broszat, Nele Hertling, Frie Leysen, Gordana Vnuk, Maria Magdalena Schwaegermann, Elisabeth Schweeger und andere. Der Beirat ermöglicht es dem Festival, sich international abzustimmen und die Programmauswahl und ästhetische Urteile der Festivalleitung abzusichern. Die euro-scene bekennt sich offen zu ihrer Fokussierung auf ›große Namen‹, was sonst im Festivalbereich eher unüblich ist, und sieht darin die Chance, qualitativ hochwertiges und anerkanntes Theater präsentieren zu können. Angesichts der Forderung nach einer sehr individuellen künstlerischen Handschrift und Perfektion bei den gezeigten Darbietungen, ist für Experimente und Künstler, die sich noch in der Entwicklung befinden, wenig Platz. Das Festival versteht sich deshalb auch nicht als Koproduktionspartner oder als ausdrücklicher Förderer des Nachwuchses. Die Kriterien seiner Programmgestaltung sind immer wieder infrage gestellt worden, zumal seit 1993 die Festivaldirektion nicht gewechselt hat. Zwar wurde das Programm über die Jahre erweitert, so dass die Schwerpunkte (zeitgenössische Tanz- und Theaterproduktionen) durch Filmveranstaltungen und Podiumsdiskussionen ergänzt wurden, allerdings werden diese bisher eher unvermittelt nebeneinander gestellt. »Die euro-scene Leipzig wählt seit einigen Jahren jeweils ein Motto oder thematische Schwerpunkte, um die Gastspiele zu konzentrieren und das Angebot eines ›Gemischtwarenladens‹ zu vermeiden.«24 Die Mottos, die dem Festival eine transparente und klare Struktur verleihen sollen,25 beziehen sich meist auf als gesellschaftlich brisant erachtete Inhalte und zielen auf die Involvierung des Publikums ab. Dieses soll emotional aufgerüttelt werden, um anschließend in Publikumsgesprächen in einen Metadiskurs mit den Theaterkünstlern zu treten. Es ist offenkundig, dass hier das Festival seine Rolle als Kulturvermittler verwirklichen will und sich deshalb mit seinem Publikum gewissenhaft und intensiv auseinandersetzt. In den drei bisher durchgeführten Publikumsbefragungen (1996, 1999 und 2006) zeigt sich zwar das gängige Bild des bildungsbürgerlichen, mittelständischen und studentischen Festivalpublikums (die Mehrheit sind Frauen; der weitaus größte Teil kommt aus der jeweiligen Stadt oder Region und hat Abitur- oder Hochschulabschluss und arbeitet entweder als Angestellter oder ist Student, vgl. Publikumsanalyse von 2006), es offenbart sich aber auch die enge Bindung der Bürger Leipzigs an die euro-scene, die den Hauptanteil der Besucher ausmachen. Hierzu trägt eine bewusste Anstrengung zur Traditionsbildung bei,26 die sich am eindrucksvollsten bei der Veranstaltung (seit 1997) 24 »euro-scene Leipzig. Festival zeitgenössischen europäischen Theaters«, vgl. http:// www.leipzig-online.de/euro-scene/ vom 22. April 2007. 25 Vgl. auch das Gespräch mit Ann-Elisabeth Wolff: »Ich behaupte, dass ein Festival eine für das Publikum gut nachvollziehbare Struktur haben muss. […] Das bedeutet eine Vereinfachung für das Publikum, man muss sich in den Informationen kurzhalten.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 327f. 26 Das Festival wird äußerst gewissenhaft dokumentiert. Von allen Festivalausgaben wurden Programmhefte, Pressemitteilungen und Pressespiegel archiviert – eine bei anderen Festivals eher unübliche Praxis. Außerdem haben sich die Anfangszeiten der Veranstaltungen seit 1991 nicht verändert. Das Publikum kann sich blind auf seine bisherigen Erfahrungen verlassen.

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des Wettbewerbs Das beste deutsche Tanzsolo zeigt. Er wird mehr oder weniger biennal veranstaltet und das Publikum wird zum aktiven Kunstrichter über neue Tanzproduktionen, die in relativ kleinem Rahmen präsentiert und gekürt werden. Das trägt zu der untypisch starken Identifikation der Besucher mit dem Festival bei. Die lokalen und regionalen Voraussetzungen beeinflussen also deutlich die Programmgestaltung und lassen das Festival zu einem Projekt der ganzen Stadt werden, bei dem die Freie Theaterszene und deren Spielstätten ebenso einbezogen werden wie das ansässige Schauspiel- und Opernhaus (zumindest bis 2008 – in diesem Jahr kündigt die neue Schauspielintendanz die Zusammenarbeit mit der euro-scene auf.). Fazit: Die euro-scene Leipzig, zeitnah zur politischen Wende in Deutschland gegründet, versucht seinem Publikum neueste Formen von Tanz- und Texttheater näherzubringen. Allerdings bleibt ihr ästhetischer Spielraum durch eine Fixierung auf Bewährtes und die internationale Theaterelite beschränkt. Während es thematisch auf die führende Avantgarde setzt, bleibt das Festival konzeptionell eher traditionell. Das Konzept der euro-scene Leipzig ist trotzdem erfolgreich, weil es sein Potential und seine Wurzeln in seiner Gründungsstadt erkennt und auf die Unterstützung einer theaterfreundlichen Umgebung bauen kann. In dieser deutlichen Konzentration auf die Region (obwohl in den Publikationen des Festivals immer wieder Vergleiche mit der internationalen Szene gewagt werden) besteht das eigentlich Besondere. Die hier angewandte Strategie bezieht den Festivalbesucher in die Überlegungen ein und reagiert auf seine Bedürfnisse (durch Simultanübersetzungen oder durch die grundsätzliche und ausnahmslose Übersetzung alles Fremdsprachlichen im Programm ins Deutsche). Das Festival hat es geschafft, ein kulturelles Ereignis für die Bevölkerung Leipzigs zu sein, wenn es auch keine ästhetischen Innovationen bietet, die über seinen unmittelbaren Wirkungskreis hinausreichen. In dieser Hinsicht illustriert die euro-scene besonders die möglichen gemeinschaftlichen und gemeinschaftstiftenden Wirkungen eines Festivals. Die in Feuilletons vielfach geäußerte Bemängelung einer fehlenden ästhetischen Vision und eines transparenten, innovativen Konzepts ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Die euro-scene leistet aber neben der Schaffung einer Gemeinschaft gerade auch aus historischer Perspektive ihren Teil an der Annäherung zwischen den östlichen und westlichen Bundesländern der neuen BRD. Nicht Belehrung des ›Ostens‹, sondern Heranführung an etablierte zeitgenössische Formen bei gleichzeitiger Möglichkeit der Verhandlung über das Gesehene war und ist das Konzept der euro-scene Leipzig.

Freischwimmer. Plattform für junges Theater • • • •

Vollständiger Name: Freischwimmer. Plattform für junges Theater Gründungsjahr: 2004 Initiator/Leitung: Amelie Deuflhard, Anja Dirks, Kerstin Evert, Niels Ewerbeck, Christian Holtzhauer, KathrinTiedemann Veranstaltungsort: Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Zürich, Wien

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Situierung: Theaterhäuser der Freien Szene: Sophiensæle (Berlin), Forum Freies Theater (Düsseldorf), Kampnagel (Hamburg), Gessnerallee (Zürich), seit 2008 brut (Wien) Veranstaltungsintervall: Annual Dauer und Zeitpunkt: Beginn: Ende Oktober oder Anfang November; Dauer abhängig vom Spielort sechs bis neun Tage; Festival erstreckt sich über mehrere Monate zeitversetzt, Beginn immer in den Sophiensælen (Berlin) Programmschwerpunkt: Präsentation der jüngsten Generation von Theaterkünstlern Finanzierung: Hauptsächlich über Drittmittel, variierend abhängig von der Spielstätte Nachwuchsförderung: Hauptziel des gesamten Festivals Zusätzliche Programmpunkte: Publikumsgespräche, Abschlusspartys Bezug zur Region: Alle Produktionen kommen aus dem deutschsprachigen Raum beziehungsweise kommen zumeist aus den Städten der kooperierenden Freien Theaterhäuser Formen der Selbstreflexion: Bisher nicht stark ausgeprägt, etwa durch Dokumentationen Sonstiges: Änderung des Rahmenkonzepts: Anfänglich wurde zu einem bestimmtem Thema die Teilnahme ausgeschrieben, dabei Vorgabe eines festen Bühnenbildes. Beides revidiert nach der ersten Edition. Vorläufer ist 2003 die Regieplattform AUSSER ATEM zwischen den Sophiensælen und den att/Hamburg

Das 2004 gegründete Festival Freischwimmer kann als stellvertretend für eine neue Generation von kleineren Festivals gelten, die einzelne Aspekte des Organisationsmodells Festival isolieren und für ihre Zwecke potenzieren. Zumeist angesiedelt im Bereich der Freien Szene und fixiert auf die neueste Generation von Nachwuchskünstlern, gehen sie spielerisch mit den Komponenten des Festivals um und verwandeln Zwänge und Nöte (wie Unterfinanzierung und fehlende Räumlichkeiten) in Tugenden, die im Rahmen eines Festivals wiederum zur Geltung kommen können. Sie verstehen sich zumeist als so genannte Plattformen: Das Frankfurter Plateaux Festival, das ehemalige reich & berühmt in Berlin (bis 2003) oder Junge Hunde auf Kampnagel zählen dazu. Ihnen wie auch dem Festival Freischwimmer liegt das Prinzip der Ausschreibung zugrunde, sodass einerseits ein Wettbewerbsdenken gefördert wird, zugleich aber Bewerbungen einigermaßen gleiche Chancen und thematische Rahmenbedingungen erhalten. »Sechs Theaterformationen aus dem deutschsprachigen Raum präsentieren Projekte, die sie unter gleichen organisatorischen Bedingungen und im Rahmen der inhaltlichen Programmatik der vier [mittlerweile fünf, J.E.] Gastgebertheater entwickelt haben.«27 Hinter diesem Prinzip steht der Gedanke, möglichst realistische Produktionsbedingungen für junge Künstler (Teilnahme in der Regel bis zum dreißigsten Lebensjahr möglich) zu schaffen, um sie auf die Arbeitsbedingungen im Freien Theaterbetrieb vorzubereiten. Zu diesem Zweck tun sich zunächst vier Spielstätten der Freien Szene des deutschsprachigen Raums, die Sophiensæle 27 »Freischwimmer. Plattform für junges Theater«, vgl. http://www.freischwimmerfestival.com/freischwimmer.php vom 21. Februar 2008.

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in Berlin, Kampnagel in Hamburg, das Forum Freies Theater in Düsseldorf sowie die Gessnerallee in Zürich, zusammen, während 2008 die Spielstätte brut in Wien hinzustößt. Aufgrund dieser besonderen Konstruktion besteht eines der wichtigsten Merkmale von Freischwimmer darin, dass die ausgewählten Produktionen in allen Spielstätten zu sehen sind – und zwar zwischen Ende Oktober und Dezember eines Jahres, teilweise sogar bis zum Mai des Folgejahres für sechs bis neun Tage. Es handelt sich also um ein Festival on tour. Begonnen wird gewöhnlich in den Sophiensælen (Ende Oktober/Anfang November), einem der Initiatoren, die schon 2003 für das Vorläuferfestival AUSSER ATEM (zwischen Berlin und Hamburg) verantwortlich zeichnen. Mit der Konstruktion als reisendes Festival wird der Absicht entsprochen, junge Künstler schon zu Beginn ihrer Karriere an das Touren zu gewöhnen und zugleich ihren lokalen künstlerischen Horizont zu erweitern. Einen weiteren Vorteil ziehen die kooperierenden Häuser aus dem Festival, indem sie sich durch die eingehenden Projektvorschläge und durch gemeinsame Auswahlsitzungen einen Überblick über gegenwärtige Entwicklungen im Theaterbereich verschaffen können. Die informative Komponente ist essentiell für diese Spielstätten, die weitgehend auf den Wissensvorsprung um den Theaternachwuchs angewiesen sind. »Wir wollen […] kein Nachwuchslieferant für das Stadttheater sein. Wir wollen die Bandbreite der Freien Szene präsentieren.«28 Das Festivalmodell wird damit zu einem Werkzeug der Informationsweitergabe und des Eruierens von Trends. Zu diesem Konzept gehört, dass sich das Festival seit seiner ersten Ausgabe 2004 selbst Rahmenbedingungen gibt, die sowohl für Egalität sorgen als auch die Künstler auf die Probe stellen sollen. Zu ihnen gehört die minimalistische Formel der ersten Festivalausgabe »Sechs Produktionen. Vier Städte. Ein Raum.« Zumindest die zwei letzten Aspekte sind mittlerweile revidiert: Wien wird 2007 als fünfte Stadt dazu geholt. Das Prinzip eines Einheitsraums, das sich 2004 noch in einer Bühne aus verschiedenen verstellbaren Modulen und 2005 in einem einheitlichen Lichtkonzept manifestiert, wird ebenfalls bereits 2006 aufgegeben. Um die Beweglichkeit des Festivals beizubehalten, wird sich an der Anzahl der Produktionen jedoch nichts ändern.29 Auch am geringen Etat, der für die einzelnen Produktionen gestellt wird, wurde nichts verändert: 7000 Euro Produktionsgeld werden jeder Gruppe zur Verfügung gestellt (2006 wurde das Akquirieren von zusätzlichen Drittmitteln zugelassen), während zugleich nur kurze Probenzeiten gewährt werden (Bühnenendproben von anderthalb Tagen) und eine Stunde als maximale Inszenierungsdauer vorgegeben wird. Um zusätzlich die Vergleichbarkeit zwischen den Produktionen zu gewährleisten, wird in – jeweils von Edition zu Edition mehr oder minder strenger Form – eine thematische Leitlinie vorgegeben (2009 ist es das Thema »Schock«), die dem Anspruch auf gesellschaftliche oder politische Virulenz genügen soll. Da Festivals mit sozialem und politischem Anspruch größere Chancen auf Förderung haben, funktioniert Freischwimmer die im Festivalbetrieb gängige Praxis der thematischen Bün28 Christian Holtzhauer im Gespräch mit Dirk Pilz, in: Dirk Pilz: »Alles außer Stadttheater. Die Sophiensæle geben ausgesuchtem Regie-Nachwuchs eine Plattform und ein Thema: Amerika«, in: Pressespiegel zu Freischwimmer 2004. 29 Amelie Deuflhard: » Ja, es bleibt bei sechs Produktionen, weil das Festival sonst zu schwerfällig und überladen wäre.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 341.

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delung für seine Zwecke um und verschafft sich – zumindest oberflächlich – ein Profil, das sich den noch vorhandenen Fördertöpfen und deren Bedingungen zuordnen lässt. Hier hat die neueste Generation Freier Theaterkünstler die Möglichkeit der Präsentation, auch wenn sie noch nicht Publikumsmagnete sind, die auf den großen Bühnen der Häuser spielen können. Damit reagiert Freischwimmer auf die verschlechterte Situation im Bereich der staatlichen wie städtischen Förderung junger Gruppen des Freien Theaters.30 Anders als bei größeren Präsentationsfestivals, die im Spielplan renommierte Künstler häufig als Attraktionen in eine Reihe unbekannter Künstler platzieren, um diese für Publikum potentiell interessanter zu machen, stellt Freischwimmer das Festivalmodell ausschließlich in den Dienst von Nachwuchskünstlern: »Mit der Kombination aus Produktionsauftrag und Präsentationsforum erfüllt Freischwimmer eine Doppelfunktion, die ihres gleichen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft sucht.«31 Um dieser Funktion zu entsprechen, werden zumindest seit 2005 die ausgewählten Produktionsvorschläge, die hauptsächlich von Absolventen oder Studierenden aus den einschlägigen Regieschulen/Theaterwissenschaftsstudiengängen in Berlin, Hamburg, Gießen und Zürich stammen, von Kuratoren betreut. Somit wird das Risiko nicht ausgereifter Produktionen – zuvor Ziel der Kritik an Freischwimmer – minimiert, während die »Bandbreite […] vom fertigen Stück über erarbeitete Texte bis zu performativen Formen« erhalten bleibt.32 Um den genannten Ansprüchen sowie der Grundidee des minimalen Aufwands bei maximalem Resultat gerecht zu werden, opfert Freischwimmer viele ›festliche‹ Komponenten des Festivalmodells zugunsten von Bündelung und Lenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit.33 Mehr oder minder ein Insider-Festival, bietet es nur ein sehr reduziertes Rahmenprogramm an (im Wesentlichen Partys und Publikumsgespräche) und verzichtet auf aufwändiges Merchandising. Der Ereignischarakter, eine wichtige Komponente von Festivals im engeren Sinn, verliert an Relevanz gegenüber dem Zweck, die Ergebnisse der Suche nach neuen Talenten in der Freien Szene einem kleinen Fachpublikum zu präsentieren – was auch mitten in der Spielzeit erfolgen kann und nicht auf die Zwischenzeit des Fests angewiesen ist. 30 Amelie Deuflhard » Wir versuchen sehr lose und weite Themensetzungen zu machen. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass es in Berlin sehr schwierig ist, für ein Festival eine kontinuierliche Förderung zu erhalten. Somit fand ich es strategisch schlauer, thematische Anträge zu schreiben. Zudem finde ich es bei sechs Produktionen auch künstlerisch sinnvoll, einen gewissen Themen-rahmen zu stecken, um dem Zuschauer die Möglichkeit der Vergleichbarkeit zu geben.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 342. 31 »Vorwort«, in: Programmheft zu Freischwimmer 2004, S. 1. 32 Kerstin Evert im Interview mit dem Hamburger Abendblatt, in: »Plattform für den Theater-Nachwuchs auf Kampnagel (Verfasserkürzel -itz)‹, in: Hamburger Abendblatt vom 04. Mai 2006. 33 Amelie Deuflhard: » Bei Freischwimmer war es so, dass unser Spielplan immer dichter wurde und es damit zunehmend schwieriger wurde, junge Künstler einzuführen und sie gleich im großen Saal spielen zu lassen. Deshalb haben wir jungen Künst-lern im Foyer die Möglichkeit gegeben, ihre Projekte zu präsentieren. Für die zwei Premieren in der Woche reichte jedoch die Medienaufmerksamkeit nicht.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 340.

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Fazit: Freischwimmer ist eine der nach 2000 entwickelten Plattformen, auf denen jüngere Theaterkünstler sich und ihre Themen präsentieren können. Dies wird möglich durch einen Verbund führender Theaterhäuser, die das Festivalmodell als Medium zur Informationsweitergabe und zur Sichtung des Nachwuchses im deutschsprachigen Raum nutzen. Hierbei reagieren sie mit klaren Rahmenvorgaben und finanziellen Beschränkungen auf die verschärfte finanzielle Situation der Freien Szene. Zwar hat Freischwimmer seine endgültige organisatorische Struktur noch nicht gefunden und befindet sich in einem permanenten Modifikationsprozess, damit erhält es sich jedoch die Möglichkeit, schnell und flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren, und bleibt ob seiner geringen Größe wendig. Da auch das Festival seine eigenen Grenzen noch erforscht und damit experimentiert, scheint es besonders geeignet für die sich erprobenden Künstler, deren Förderung in einem derartigen Rahmen besser aufgehoben zu sein scheint als in einem der großen Präsentationsfestivals. Dass Freischwimmer immer auch mit weniger perfekten Inszenierungen zu rechnen hat, ist freilich einkalkuliert.

Neue Stücke aus Europa • • • • • • • • •

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Vollständiger Name: Neue Stücke aus Europa Gründungsjahr: 1992 Initiator: Manfred Beilharz, Tankred Dorst, Ursula Ehlers Veranstaltungsort: Bis einschließlich 2002 in Bonn, ab 2004 in Wiesbaden, seit 2008 auch Mainz Situierung: Staatstheater Wiesbaden, Staatstheater Mainz (seit 2008) und Orte in der Stadt Veranstaltungsintervall: Biennal Dauer und Zeitpunkt: Elf Tage im Juni (so schon beim Standort Bonn) Programmschwerpunkt: Neue Stücke von (Jung-)Autoren aus ganz Europa Finanzierung: Bis 2002 durch den Bund, seit 2004 hauptsächlich durch Land und Stadt, Unterstützung durch Bundeseinrichtungen sind erhalten geblieben (Kulturstiftung des Bundes), Förderung durch die EU (indirekt) Nachwuchsförderung: Hauptziel des Festivals (durch Präsentation); Übersetzer- und Autorenworkshops seit 1998 Zusätzliche Programmpunkte: Lesungen, Symposien, Round Tables, Konzerte, Publikumsgespräche, Partys im Festivalzelt Bezug zur Region: Der Großteil der gezeigten Produktionen ist international, meist zwei Eigenproduktionen des Staatstheaters Wiesbaden Formen der Selbstreflexion: Das ausführliche Programmheft bietet einen breiteren Reflexionsrahmen; bisher nur eine Stückeedition Sonstiges: Ehemalige Biennale Bonn mit Untertitel Neue Stücke aus Europa, Krise durch Kürzungen des Bonner Schauspieletats 2000, der zum Weggang Manfred Beilharz’ nach Wiesbaden führt

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In Bonn im Pathos des Europajahrs34 1992 als Biennale Bonn mit dem Namenszusatz Neue Stücke aus Europa gegründet, zog das Festival mit dem damaligen Intendanten und Initiator Manfred Beilharz (seit Beginn leiten Beilharz, der Dramatiker Tankred Dorst und Ursula Ehlers das Festival) 2004 nach Wiesbaden, wo es nach wie vor biennal stattfindet.35 Damit ist Neue Stücke aus Europa eines der wenigen Fälle von Festivals in Deutschland, die dermaßen personengebunden sind, dass sie von ihrem Initiator in eine andere Stadt transponiert werden konnten.36 Das Konzept von Neue Stücke aus Europa ist stark an die Vision der Festivalinitiatoren gebunden. Sein Name resümiert konzis den Fokus des Festivals auf das Genre des zeitgenössischen textbasierten Theaters und verbindet diesen mit dem Anspruch, europäische Nachwuchsautoren als »weltweit größtes Festival der Gegenwartsdramatik« vorzustellen und zu fördern. Die Grundüberzeugung ist hierbei, dass in einem sich erweiternden Europa das »Eigene und Authentische wieder an Bedeutung gewinnt« und dass das Drama im Besonderen dazu geeignet ist, »kulturelle und soziale Identitäts- und Lebensentwürfe«37 zu transportieren. Um eine dementsprechende Vielfalt zu präsentieren, werden bei jeder Edition 25 bis 30 Inszenierungen aus 20 bis 25 Ländern Europas für eine Dauer von elf Tagen nach Wiesbaden und seit 2008 auch nach Mainz eingeladen. Der Anspruch ist, vor allem Theaterlandschaften, die in der Öffentlichkeit wenig präsent sind, vorzustellen, wobei bisher besonderes Augenmerk auf den Osten Europas gelegt wurde. Nicht nur aus diesem Grund gilt Neue Stücke aus Europa als Musterfall für Festivals, die ihre Aufgabe auch in kulturpolitischer Vermittlungsarbeit sehen. »Das Festival in Wiesbaden steht […] für ein offenes, selbstbewusstes Miteinander von Theaterschaffenden in Europa, denen der gegenseitige Austausch und ein künstlerisch anspruchsvoller Wettbewerb wichtig sind.«38 Seit seiner Gründung versteht sich Neue Stücke aus Europa ausdrücklich als »Autorenfest«, insofern, als internationale Autoren nicht nur am Festival teilnehmen, sondern es mitgestalten sollen. Hierfür werden zusätzlich zu den Theatergruppen alle Autoren während der gesamten Festivaldauer zusammengeführt und zu Gesprächen angeregt, wodurch das Festival den Charakter eines Arbeitstreffens erhalten soll. Stets sind so 60 bis 70 Autoren präsent (inklusive der Paten, siehe unten), »die in theoretischen Diskursen, Lesungen und Vorträgen zu Wort kamen und Fragen des Schreibens und des Theaters in 34 Vgl. Gespräch mit Manfred Beilharz, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 321. 35 In Bonn ersetzte daraufhin die Biennale Bonn mit gänzlich anderem Profil und Orientierung das Festival. Der Schwerpunkt liegt bei ihr nicht mehr auf Theater und der Produktion neuer Stücke, die Biennale Bonn ist eines der eher üblichen internationalen Festivals. Es profiliert sich jedoch durch seine jeweiligen Länderschwerpunkte, wie zum Beispiel 2006 Indien, das umfassend in diversen künstlerischen Sparten präsentiert wird. 36 Ein weiteres Beispiel ist das Junge Hunde Festival, das Res Bossart von Hamburg mit nach Meiningen nimmt. 37 Manfred Beilharz: »Wir haben nicht gesucht, wir haben gefunden«, in: Programmbuch zu Neue Stücke aus Europa 2004, S. 12. 38 Und weiter: »Arbeiten, Lernen, Vergleichen, Erleben verbinden sich in einem schöpferischen Prozess, wie er dem Theater gemäß ist.« In: H. Völckers: Das Eigene, das Andere, das Besondere, S. 21.

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den verschiedenen europäischen Ländern reflektierten.«39 Autoren- und Übersetzerworkshops auf Deutsch und Englisch (Forum junger Autoren Europas) ergänzen seit 1998 das Programm. Durch sein besonderes Auswahlverfahren mit einem europaweiten Netzwerk von so genannten Paten (für jedes Land einen, insgesamt ungefähr 38) versucht das Festival einen umfassenden Überblick über die europäische Theatersituation zu vermitteln. Alle von der Leitung ausgesuchten Paten haben die Möglichkeit, Stücke heimischer Autoren vorzuschlagen, die anschließend von der Leitung des Festivals in ihren Inszenierungen beurteilt werden40 – ein Verfahren, durch das die Programmgestaltung auf der Basis eines hohen Informationsstands vorgenommen werden kann. Die Auswahl ist jedoch erklärtermaßen subjektiv. Schließlich ist im Auswahlverfahren durch Paten bereits ein Interessenkonflikt inbegriffen – beispielsweise könnte einem Pate daran gelegen sein, befreundete Autoren oder gar sich selbst für die Auswahl vorzuschlagen41 –, der zu Einseitigkeiten führen kann, die selbst die spätere Kontrolle durch die Festivalleiter nicht immer auszugleichen vermag. Auf der anderen Seite stellt dieses System, das in Deutschland nur von Neue Stücke aus Europa angewandt wird, einen dezidierten Kontrast zum Wettbewerbsprinzip dar, das bei Festivals mit Schwerpunkt auf neue Dramatik üblicherweise maßgeblich ist: Dieser »Gedanke ist der Kunst fremd. Wir haben nicht gesucht, wir haben gefunden.«42 Die Absage an den Wettbewerbsgedanken, den etwa der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens oder der Heidelberger Stückemarkt verfolgen, verleiht dem Festival eine demokratische Patina. Es versteht sich als offensiver Katalysator für Theaterkarrieren, wobei Autoren wie Lars Norén, Dejan Dukovski oder Biljana Srbljanović über die einzelnen Festivalausgaben hinweg kontinuierlich begleitet werden. Eine nachhaltige Wirkung auf die deutsche Theaterszene kann Neue Stücke aus Europa jedoch erst zeitversetzt erzielen, insofern die vorgestellten Stücke in Übersetzungen auch auf den Spielplan anderer deutscher Theater gesetzt werden. (Durch Nachinszenierungen einzelner Stücke wird zumindest das Wiesbadener Publikum auch während der Spielzeit an neue Stücke von europäischen Autoren herangeführt.) Neben der Vermittlungsarbeit zwischen den Autoren verwirklicht Neue Stücke aus Europa seine (selbst gewählte) Vermittlerrolle gegenüber dem 39 »Geschichte der Biennale NEUE STÜCKE AUS EUROPA THEATERBIENNALE des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden 15.–25. Juni 2006«, vgl. http://new.heimat.de/ staatstheaterwiesbaden/biennale/home/geschichte.php?id_language=1 vom 21. Mai 2008. 40 Manfred Beilharz: »Die Auswahl findet so statt, dass wir Übersetzungen von den empfohlenen Stücken oder nur von Teilen anfertigen lassen, um ein Bild von der Qualität zu erhalten, denn es geht ja um das Theaterstück. Wenn wir der Überzeugung sind, dass es interessant ist, schauen wir uns auch die Aufführung an, wovon etwa 30 letztendlich zum Festival eingeladen werden.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 323. 41 Vgl. Manfred Beilharz’ Ausführungen: » Zunächst hat daran keiner geglaubt, man nahm an, dass die Auswählenden Freunde begünstigen würden, aber das hat sich als unzutreffend erwiesen. Bei heute 42 Paten hat es bei neun Festivals ein- oder zweimal die Situation gegeben, dass sich ein Pate selbst vorschlagen wollte.« Vgl. Kapitel »Interviews«, S. 323. 42 M. Beilharz: Wir haben nicht gesucht, wir haben gefunden, S. 12.

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Publikum durch Simultanübersetzungen der Aufführungen und ein Programmbuch mit Kompendiumscharakter, das es zusätzlich zu einem umfassenden Rahmenprogramm anbietet.43 Während das Prinzip, die Aufführungen simultan übersetzen zu lassen und damit ein Spiel in Originalsprache zu ermöglichen, dem Konzept des internationalen Dialogs zu entsprechen und die Vielfalt europäischer Kultur zu zeigen beabsichtigt, bietet das sorgfältig recherchierte Programmheft einen Überblick über das zeitgenössische textbasierte Theater und erweitert damit den Anspruch des Festivals als Präsentationsforum hinein in den chronistischen Bereich. Neben kurzen oder ausführlicheren, bebilderten Portraits zu den ausgewählten Autoren werden Zusammenfassungen ihrer Stücke und Auszüge aus diesen auf mehreren Seiten zweisprachig (Deutsch und Englisch) aufgeführt. Teilweise ergänzen kurze Essays und Auszüge aus Kritiken zu den Aufführungen, aus Interviews und Reden die Darstellung, die seit 2004 auch Kurzinformationen zu Regisseuren oder den eingeladenen Theatergruppen beinhaltet. Eine Aufführung der Paten mit Kurzbiografie, Auszügen aus Reden oder Interviews rundet das Autorenfeld ab, während den Übersetzern eine Liste mit Kurzbiografien am Ende des Heftes gewidmet wird. Dieses Programmheftkonzept geht deutlich über das für Festivals übliche Informationsmaterial hinaus und erübrigt weitere Publikationen.44 Das Rahmenprogramm ist seinem informativen Selbstanspruch gemäß gleichermaßen umfassend und auf Informationsvermittlung ausgerichtet. Ein Festivalzelt bietet den Raum für Lesungen, Podiumsdiskussionen, Round Tables und Symposien sowie für die festlichen Elemente wie Konzerte und Partys.45 Einführungen zu jeder Aufführung und Publikumsgespräche im Anschluss an jede zweite ergänzen das Programm. Das Festival erfährt ob dieser intensiven Vermittlungsmaßnahmen einen großen Publikumszuspruch und mit einer Platzausnutzung von rund 90 Prozent und circa 8.000 Besuchern46 positioniert es sich im Mittelfeld der Festivalszene. Auch in der Finanzierung des Festivals spiegelt sich dessen übernationale Würdigung wider. Von circa 1,1 Millionen Euro Gesamtkosten, wobei sich die Kosten seit seiner Gründung erstaunlicherweise nur unwesentlich erhöht haben, steuert das Land 43 Auch die Leiterin der Kulturstiftung des Bundes Hortensia Völckers hebt diese Funktion des Festivals besonders hervor: »Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich neue Publikumskreise außerhalb der Theaterfangemeinde oder des angestammten Theaterpublikums gewinnen lassen, gehört nicht unbedingt zum Kerngeschäft eines Festivals. Aber auch im Vermittlungsgeschäft haben Theaterfestivals eine wichtige, vielleicht sogar eine Vorreiterfunktion: Wenn es ihnen gelingt, Theater als Form in seiner ursprünglichen Bedeutung als ›Versammlungsort‹ zu präsentieren, ist das eine große Chance für Begegnungen von Menschen unterschiedlicher intellektueller, sozialer und kultureller Herkunft.« In: Hortensia Völckers: »Zusammenarbeit über Sprachgrenzen hinweg als Selbstverständlichkeit«, in: Programmbuch zu Neue Stücke aus Europa 2006, S. 17. 44 Abgesehen von einer im Jahr 2000 herausgegebenen Stückeedition. 45 Vgl. »Geschichte der Biennale NEUE STÜCKE AUS EUROPA THEATERBIENNALE des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden 15.–25. Juni 2006«, vgl. http://new.heimat.de/ staatstheaterwiesbaden/biennale/home/geschichte.php?id_language=1 vom 21. Mai 2008. 46 Ebd.

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Hessen 630.000 Euro bei,47 150.000 kommen von städtischer Seite, während die Kulturstiftung des Bundes seit 2004 mit 52.000 Euro beteiligt ist und die Europäische Theaterkonvention (ETC) die Workshops unterstützt. Schon 1992 steuern das Innenministerium, die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes und die Kommission der EU Finanzmittel bei, was die politische Anerkennung des Projekts unterstreicht.48 Fazit: Bei Neue Stücke aus Europa handelt es sich um ein Festival mit deutlich kulturpolitischen Zielen und einem ausgeprägten Willen zur Vermittlung. Mit der Ambition, zum gegenseitigen kulturellen Verständnis im sich erweiternden Europa beizutragen, gibt sich das Festival einen klar gesteckten Rahmen und sichert sich mit seinem Auswahlverfahren seinen Ruf als integere und politisch korrekte Veranstaltung. Mit seinem Schwerpunkt auf Dramatik ist es darüber hinaus Vorreiter für eine gegenwärtige Entwicklung in der Theaterlandschaft, neben postdramatischen Ansätzen auch wieder dramatische Konzepte zu kultivieren. Zwar widmen sich auch andere Festivals in Deutschland neuer Dramatik wie etwa der Heidelberger Stückemarkt, der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens (seit 2003 für Europa geöffnet) oder auch das F.I.N.D. Festival der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin, doch unterscheidet sich Neue Stücke aus Europa von jenen durch sein komplexes Auswahlverfahren sowie durch die Ausweitung des Einzugsraums auf ganz Europa und die fehlende Wettbewerbsstruktur. Diese Art von Nachwuchsfestival birgt dennoch Risiken für die jungen oder bisher unbekannten Autoren, da starke Diskrepanzen zwischen Textqualität und Inszenierungsqualität bestehen können, worunter die Rezeption der Stücke leiden kann oder auch qualitativ weniger überzeugende Stücke über Gebühr aufgewertet werden. Aufgrund des engen Konzepts von Neue Stücke aus Europa muss das Festival dieses Risiko in Kauf nehmen und sich damit arrangieren, dass viele Stücke und Inszenierungen nur angemessen in ihrem nationalen Kontext und in ihrem eigenen politischen Resonanzraum beurteilt werden können. Daran, wie bewusst Neue Stücke aus Europa mit dem Nichtverstehen umgeht, lässt sich letztlich sein Erfolg messen. Denn obwohl das Festival selbst erst möglich wurde, nachdem politische Grenzen im Osten und Südosten Europas gefallen waren, zeigt es nach wie vor durchaus ästhetische, mentale und kulturelle Grenzen auf, die durch den Vergleich der Stücke und Aufführungen sichtbar werden können. Es akzentuiert damit die Eigenart aller Festivals, Grenzen freizulegen und zu reflektieren.

47 Laut Manfred Beilharz ist diese Fördersumme bis 2014 zugesichert, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 322. 48 Übernommen aus dem Programmheft von 1992. Alle Daten für das Festival 2006 stammen aus dem Gespräch mit Manfred Beilharz, vgl. Kapitel »Interviews«, S. 323.

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Vollständiger Name: Theater der Welt Gründungsjahr: 1981 (als Pendant zum 1979 in Hamburg veranstalteten Theater der Nationen) Initiator: Ivan Nagel beziehungsweise das International Theatre Institute Veranstaltungsort: Erste Ausgabe in Hamburg, seitdem wechselnd Situierung: Wird stets von einem oder mehreren Theatern der Gastgeberstadt ausgerichtet; seit Anfang der neunziger Jahre Projekte im Stadtraum Veranstaltungsintervall: Triennal Dauer und Zeitpunkt: Im Sommer, zwischen zehn Tagen und dreieinhalb Wochen Programmschwerpunkt: Präsentation der »besten Theaterkünstler der Welt« bei gleichzeitiger Betonung des städtischen Umfelds Finanzierung: In der Regel finanzieren Bund, Bundesland und Austragungsstadt zu gleichen Teilen Nachwuchsförderung: Workshops des ITI für junge Künstler Zusätzliche Programmpunkte: Symposien, Ausstellungen, Kinderprogramme, Publikumsgespräche Bezug zur Region: Seit 1981 deutschsprachige Produktionen, bis 1996 verhältnismäßig wenige nationale und regionale Produktionen, seitdem eine größere Anzahl Eigenproduktionen mit Bezug auf das städtische und regionale Umfeld Formen der Selbstreflexion: Bisher keine größeren Publikationen zum »bedeutendsten internationalen Theaterfestival in Deutschland«, seit 2008 Online-Archiv der Festivalprogramme von 1981 bis 2005, zwei Festivalbücher für die Jahrgänge 2005 und 2008 Sonstiges: Zuerst Theater der Nationen 1979, ab 1981 Theater der Welt, zuerst biennal, seit 1996 triennal (Ausnahme: Ausgabe 2011 vorverlegt auf 2010 im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres in Essen)

Angesichts dessen, dass das Hauptmerkmal des Festivals Theater der Welt letztlich in seiner ephemeren und ständig neu zu erfindenden Struktur besteht, scheint es nahezu unmöglich, ein kohärentes und in sich geschlossenes Festival zu skizzieren. Vom deutschen Sitz des International Theatre Institute (ITI, in Deutschland seit 1957) wird es 1981 erstmalig in Anlehnung an das tourende Festival Theater der Nationen (Theatre of Nations) veranstaltet, das seit 1957 vom weltweiten ITI in verschiedenen Städten Europas ausgerichtet wurde. Nach der ersten deutschen Edition von Theater der Nationen 1979 in Hamburg wird das Konzept in Deutschland unter dem Namen Theater der Welt weitergeführt. Das ITI selbst wird 1948 im Auftrag der UNESCO ins Leben gerufen, um zum interkulturellen Dialog beizutragen. »Ihm wurde unter dem Eindruck der Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs in die Verfassung geschrieben, sich für die bessere Verständigung der Völker und der Kulturen einzusetzen.«49 Die ersten Ausgaben des deutschen Pendants des Festivals Theater of Nations, das sich selbst als das »größte und wichtigste internationale Theaterfestival der Bundesrepublik«50 bezeichnet, präsentierten 49 Sponsorenmappe zu Theater der Welt 2002, S. 4. 50 Sponsorenmappe zu Theater der Welt 2008, S. 2.

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demgemäß kulturelle Vielfalt im Sinne seiner zugewiesenen Erziehungsaufgabe51 und sollten zugleich belebend auf die erlahmte deutsche Theaterszene wirken. Aus diesem Ursprung bezieht Theater der Welt nicht nur seinen Selbstanspruch, sondern auch seine Struktur. Das Konzept des Festivals sieht seit 1993 in einer Art Satzung folgende Prinzipien vor: »Autonomie der künstlerischen Leitung, d.h. keine Einflussnahme der Veranstalterorganisation auf das künstlerische Programm, Universalität ohne Länderproporz, Verzicht auf thematische Vorgaben, von Zyklus zu Zyklus wechselnde Spielorte, wechselnde künstlerische Leiter und wechselnde Ansätze, Vielfalt in der Auswahl wie in der Konzeption.«52 Theater der Welt ist demnach grundsätzlich ein ›wanderndes‹ Festival, das vom ITI Deutschland jedes Mal an eine neue Stadt vergeben wird, und dient »der Verbindung des zeitgenössischen nationalen und internationalen Theaterschaffens, fokussiert auf eine Stadt. […] Theater der Welt findet alle zwei oder drei Jahre in wechselnden deutschen Städten statt, die mit ihrer Geschichte und Gegenwart den Veranstaltungen einen jeweils unverwechselbaren Charakter verleihen.«53 Um dieses Ereignis ausrichten zu können, müssen sich interessierte Städte beim ITI bewerben. Denn Theater der Welt ist ein Musterfall von einem Festival, das als internationales Prestigeobjekt vor allem als Aushängeschild einer Stadt dienen und wie ein Motor für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen soll. Bisher haben sich Köln (1981), Frankfurt am Main (1985), Stuttgart (1987), Hamburg (1989), Essen (1991), München (1993), Dresden (1996), Berlin (1999), Köln/Bonn/Düsseldorf/Duisburg (2002), Stuttgart (2005), Halle (2008) und Essen, als Vertretung für das Ruhrgebiet als europäische Kulturhauptstadt ausnahmsweise biennal 2010, erfolgreich beworben. Diese relative ›Ortlosigkeit‹ hat gravierende Konsequenzen für das Gesamtkonzept des Festivals. »THEATER DER WELT ist ein Reisefestival. […] Doch ist gerade dieses Charakteristikum ein wesentlicher Grund für den durchschlagenden Erfolg des Festivals. Es stimmt, daß die Kontinuität der künstlerischen Organisation nicht gesichert ist, vielmehr mit jedem Zyklus ein Team wieder neu aufgebaut werden muß. Es stimmt, daß nicht jedes Team von der gesicherten Basis langfristig entwickelter internationaler Kontakte durchstarten konnte.«54 51 »Jene Bestimmung, dass ein internationales Theaterfestival das ›Neue‹ und ›Fremde‹ importiert und für ein Publikum vermittelt, die funktioniert heute nicht mehr. In den ersten Jahren von THEATER DER NATIONEN 1979 und THEATER DER WELT 1981 gab es einen Überraschungseffekt. Was damals gezeigt wurde, war hierzulande völlig unbekannt. Das ist heute absolut anders. Die Sachen sind bekannt, werden auch auf anderen, großen Festivals gezeigt.« In: Michael Freundt: »Theater der Welt im Rückblick. Gespräch mit Matthias Lilienthal«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 2002, S. 39. 52 Martin Roeder-Zerndt: »THEATER DER WELT – Ein Festival des Internationalen Theaterinstituts (ITI)«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 3 des Inlays. 53 Torsten Maß: »Was genau ist Theater der Welt?«, in: Sponsorenmappe für Theater der Welt 2008, S. 5. 54 M. Roeder-Zerndt: THEATER DER WELT, S. 3 des Inlays.

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Erschwerend kommt hinzu, dass die jeweiligen Leiter von Theater der Welt die Verhältnisse vor Ort meist nicht genau kennen und somit zusätzlich zur fehlenden Infrastruktur mit anderen Unvorhersehbarkeiten umzugehen haben. Diese Planungsunsicherheiten haben teilweise starke Auswirkungen auf die Programmierung eines Festivalzyklus.55 So ist es nicht verwunderlich, dass das Festival immer wieder zu vormaligen Austragungsstädten zurückkehrte, wohl auch weil hier die Infrastruktur und das Publikum bekannt waren. Obgleich dieses Manko vom ITI als entscheidender Vorteil ausgelegt wird, gibt es seit 1996 Bemühungen, zumindest das organisatorische Knowhow, das während der Vorbereitung und Durchführung erworben wird, für spätere Festivalausgaben nutzbar zu machen. »Es war seit vielen Jahren Wunsch des ITI, die Kontinuität des von Ort zu Ort wandernden Festivals, das in jedem neuen Zyklus organisatorisch wieder bei Null anfangen mußte, besser zu gewährleisten.«56 Damit reagiert das ITI zumindest auf die tatsächlichen Nachteile des Modells, die hauptsächlich in dem Verlust organisatorischen Könnens, aber auch im Fehlen von Traditionsbildung im herkömmlichen Sinne bestehen. Denn bisher gab es keine größeren Bemühungen des ITI, das traditionsreiche Festival wissenschaftlich und dokumentarisch aufarbeiten zu lassen. Zwar wurde eine Publikation zum zwanzigjährigen Jubiläum realisiert, doch ein weiterführender Erhalt des Festivals im kollektiven Gedächtnis, etwa durch die Zusammenarbeit mit traditionssichernden Forschungseinrichtungen, ist bisher nicht in Angriff genommen worden, auch wenn seit 2008 ein Online-Archiv aufgebaut wird, das die Festivalprogramme von 1981 bis 2005 aufführt. »Unsere Tradition besteht […] allein im erinnerten Erlebnis. Wir wissen noch, daß dieses Festival nicht die feine Gesellschaft einer Stadt zieren, sondern versuchen soll, eine Stadt mit Theater zu überfallen, ihre Viertel und ihr Volk für zwei Wochen zu ›theatralisieren‹.«57 Tatsächlich ist das wichtigste Kapital des Festivals seine (prinzipielle) Einmaligkeit an einem Ort und das Theatralisieren, das Mitreißen einer Stadt. »Das spezielle ›Lebensgefühl‹ des Festivals bildet das Fundament, auf dem 55 »Wenn eine wichtige Produktion in einem Jahr nicht kommen kann, versucht man sie schon fürs nächste Mal einzuladen. Wenn ich mit den Planungen für ›Theater der Welt‹ anfange, sind die etablierten Festivals schon fast fertig und kümmern sich um das darauffolgende Programm.« In: Franz Wille: »Theater der Welt 1993, vom 12.–27. Juni in München. ›Trotz aller Krisen: es wird toller denn je!‹ Gespräch mit Renate Klett über Glück und Elend einer Festivalmanagerin und ihr Programm«, in: Theaterheute 33 (1993), Heft 4, S. 22. 56 »Theater der Welt 1996 Dresden«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 1996, S. 28. Dort heißt es weiter: »Es wurden in der Zeit der Vorbereitung des Dresdner Zyklus’ mehrere Lösungsmodelle durchgespielt, die sämtlich darauf zielten, das ITI und die Festivalorganisation stärker zu verzahnen […]. Bereits 1994 fiel die Entscheidung für das von den Zuwendungsgebern vorgeschlagene Modell des Theater-der-WeltBeauftragten, der als Mitarbeiter des ITI und in dessen Auftrag in der Festivalorganisation, vorzugsweise in der Organisationsleitung, mitarbeiten und aus dieser Position heraus den Informationsfluß und die Koordination zwischen Festival und ITI gewährleisten soll.« Diese Stelle ist bis heute nicht realisiert worden. 57 I. Nagel: Die Kunst der Stunde, S. 4.

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letztlich auch der finanzielle Erfolg des Festivals fußt.«58 Doch ist von der notwendigen Aufmerksamkeit der Einwohner nicht selbstverständlich auszugehen, da Theater der Welt als reisendes Festival naturgemäß keine enge Verbundenheit mit seinem Publikum aufbauen kann. Diese kann es höchstens durch planvolles Marketing und ein entertainmentlastigeres Rahmenprogramm erzeugen, weshalb auf dem Festival bisher alle gängigen Spielarten von Zusatzangeboten (Symposien, Ausstellungen, Kabarett, Kinderprogramm, Workshops und so weiter) vertreten waren. Durch die fehlende Kontinuität von Ausgabe zu Ausgabe werden jedoch mit jedem neuen Kurator immer wieder andere ästhetische Akzentsetzungen möglich. Um zumindest auf der Ebene der Programmgestaltung eine konstante Qualität zu erreichen, wurden erfahrene und bedeutende Größen des deutschen Theaters als Leiter gewonnen.59 »Die Festivalmacher sind bei der Auswahl ihres Programms an keinen Proporz (nach Ländern, Kontinenten) gebunden. Sie sind in der Wahl der Sparten (Sprechtheater, Musiktheater, Tanz, Multimediales) völlig frei.«60 Dennoch wird von Theater der Welt erwartet, dass es in seiner repräsentativen Funktion exemplarische Theateraufführungen aus aller Welt, also nicht nur aus Europa, zeigt. Wie unterschiedlich die Rahmenbedingungen und finanziellen Spielräume eines jeweiligen Zyklus auch sein mögen, wird doch der Großteil der Produktionen eingeladen und nicht koproduziert. Doch während sich Theater der Welt in den achtziger Jahren hauptsächlich als »Leistungsschau« und »Theater-Messe«61 versteht, haben der Bezug zum Austragungsort und das Einbeziehen von Site-SpecificWork und interdisziplinären Projekten in den letzten Jahren zugenommen. Die programmatische Marschrichtung bleibt jedoch typisch für Festivals dieser Größenordnung und basiert auf dem in diesem Bereich lange praktizierten ›Dampflokprinzip‹, das darin besteht, Nachwuchskünstler und befremdendes, unbekanntes Theater von »Wegmarken des großen, etablierten Theaters«62 als Dampflok mitziehen zu lassen. Dabei fällt die Gewichtung in der Regel zugunsten der Großproduktionen und prestigeträchtigen Europa- und Deutschlandpremieren aus, mit denen sich das Festival zu profilieren sucht, während kleinere Eigen- und Koproduktionen mit Bezug auf die Gastgeberstadt erst ab Mitte der neunziger Jahre merklich mehr Raum einnehmen. Noch 2002 fordert Matthias Lilienthal, das Festival entschiedener als zuvor zu einem Produktionsfestival zu machen und mehr Auftragsarbeiten zu vergeben, die Kommentare zur lokalen Situation der Gastgeberstadt formulieren können. »Ich glaube, man muss bei diesem Festival immer mehr den Weg fort vom Einladungsfestival hin zum (Ko-)Produzentenfestival einschlagen. […] Natürlich ist es dann klasse, wenn die Leute [das heißt Theaterkünstler, J.E.] von außen kommen und sich mit der Realität, in der wir leben, ausei58 »Theater der Welt 2005«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 2005, S. 31. 59 Dem Initiator Ivan Nagel folgten Renate Klett, Nele Hertling, Hannah Hurtzig, Maria Magdalena Schwaegermann, Matthias Lilienthal, Marie Zimmermann, zuletzt Torsten Maß und für 2010 Frie Leysen. 60 Manfred Beilharz: »THEATER DER WELT«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 8. 61 Thomas Petz: »Vorwort«, in: Programmheft zu Theater der Welt 1985, S. 5. 62 F. Wille: Theater der Welt 1993, S. 23.

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nandersetzen«.63 Gerade die Edition 2008 setzt zumindest auf lokaler Ebene stärker auf Koproduktionen, auch wenn sich daraus keine Regel für die Zukunft ableiten lässt, da das Konzept von Theater der Welt eine immer neue Anpassung an die Voraussetzungen am jeweils neuen Festivalort beinhaltet. Abgesehen von den Einschränkungen beziehungsweise Freiheiten, die die Satzung erlaubt, variieren die Eckdaten des Festivals von Ausgabe zu Ausgabe beachtlich. Zwischen 20 und 40 Projekte werden verteilt auf zehn Tage bis zu mehr als drei Wochen Spieldauer und erreichen dabei (bei stark schwankenden Zuschauerzahlen) zwischen weniger als 20.000 und mehr als 50.000 Besucher (2008 waren es 56.000 Besucher bei einer Platzauslastung von 97 Prozent.64) Dennoch spielen für Theater der Welt wie für kaum ein anderes Festival Zahlen und Kalkulationen eine wichtige Rolle, da sie das ständig frei schwebende ›Phantomfestival‹ zumindest für den Augenblick konkretisieren können. Das betrifft auch die finanzielle Bilanzierung, die für das Festival insofern ein besonders kritischer Punkt ist, als die Satzung des Festivals eine Verteilung der Kosten für einen Zyklus zu gleichen Teilen auf die Stadt, das Land und den Bund vorsieht. Diese Finanzierungsart hat sich nicht selten in der Geschichte des Festivals als überaus problematisch erwiesen und verdeutlicht die gesteigerte Abhängigkeit des Gelingens des eigentlich künstlerischen Ereignisses von materiellen und politischen Faktoren. Seit 1996 unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, hat Theater der Welt versucht, durch diese politische Unterstützung seine Argumente für die Beteiligung potentieller Sponsoren zu unterstreichen, um die Folgen des selbst auferlegten Finanzierungsproporzes abzumildern.65 Schließlich ist es Selbstanspruch von Theater der Welt ein Großereignis zu sein, weshalb auch in der finanziellen Größenordnung des Festivals und im Aufwand, den es betreibt, kaum Kompromisse eingegangen werden können. Mit einem Budget von 2 bis 4,5 Millionen Euro befindet sich das Festival allerdings noch im finanziellen Mittelfeld der Festivallandschaft, was nicht selten zu einer Diskrepanz zwischen Selbstanspruch und Realität führen kann und den Spielraum für eventuelle Koproduktionen erheblich einschränkt. Ein entscheidender Einschnitt in das Profil von Theater der Welt bedeutet jedoch schon die Umwandlung von einer Biennale in eine Triennale 1996, was vor dem Hintergrund wachsender Geldnöte der öffentlichen Hand geschieht. (Eine erste Kapitulation vor der mangelnden Bereitschaft der Geldgeber und politischen Stellen, dem Festival herausragende Bedeutung beizumessen.66) Erschwerend kommt hinzu, dass das ITI selbst einen Teil des

63 »Am Anfang war das Telefon. Gespräch mit Matthias Lilienthal«, in: Theaterheute 42 (2002), Heft 4, S. 41. 64 Diese Zahlen relativieren die Größe des Festivals gerade im Vergleich zu anderen Großfestivals neueren Typs wie der RuhrTriennale oder traditionellen Formaten wie den Wiener Festwochen. Das eigene Segment, das Theater der Welt bei seiner Gründung in den achtziger Jahren etabliert, ist mittlerweile von anderen Festivals besetzt und erweitert worden. 65 So hilft 1999 sogar das Bundespräsidialamt bei der Beschaffung von Sponsorengeldern mit, damit das Festival überhaupt stattfinden kann. 66 Bei Theater der Welt wird der Grundsatz, dass sich Festivals abseits von Institutionen positionieren, deutlich relativiert. Davon abgesehen gibt es auch Festivals gerade

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Budgets für seine Zwecke beansprucht. Schließlich ist Theater der Welt offiziell ein »Festival des Internationalen Theaterinstituts«, auch wenn es von einem Theater in der jeweiligen Stadt ausgerichtet wird. So beansprucht das ITI immerhin einen kleinen Anteil der offiziellen Gelder für Workshops, die seit Beginn hauptsächlich für junge ausländische Bühnenkünstler veranstaltet werden. »Die Satzung des Festivals THEATER DER WELT sieht vor, 3 Prozent der öffentlichen Gelder eines jeden Festivalzyklus in ein künstlerisches Begleitprogramm des ITI zu investieren, mit dem besonders die Zwecke des Veranstalters ITI im engeren Sinne verfolgt werden sollen, d.h. Austausch, Fortbildung und professionelle Entwicklung, internationale Werkstätten, Besuchsprogramm und Künstlerstipendien, etc.«67

Somit ist Theater der Welt beständig Diener zweier Herren – des ITI und seiner jeweiligen Austragungsstadt – und so künstlerisch nur bedingt frei. Fazit: Theater der Welt ist das traditionellste internationale Theaterfestival in Deutschland. Mit seiner über 25-jährigen Geschichte hat es ab den neunziger Jahren wichtige Entwicklungen im Theater präfiguriert und geformt. Wie alle Großfestivals ist auch ihm mehrfach ein jähes Ende prognostiziert worden, was zu den Gemeinplätzen der Festivalkritik zu gehören scheint. Ende der Siebziger sicher ein, wenn nicht der Vorreiter, kommen doch immer mehr die problematischen Aspekte des Modells zutage, da die Begeisterung der Einwohner der Gastgeberstädte nicht immer gewährleistet ist, die Finanzierung immer schwieriger wird und die Aufmerksamkeit für Großereignisse immer mehr sinkt. Zugleich verdeutlicht die Notwendigkeit, sich für die Ausrichtung des Festivals zu bewerben, die enormen Erwartungen und Hoffnungen, die mit Theater der Welt von Städten/Regionen verbunden werden. Diese Erwartungen bedeuten allerdings immer eine Hypothek, da das Gelingen eines Festivals hauptsächlich von der Akzeptanz des jeweiligen Publikums abhängig ist. Alle zuvor bemerkten Inkongruenzen haben bisweilen gravierende Widersprüche verursacht, die dem Festival nicht den Ruf eingebracht haben, ein Großereignis zu sein, das seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird. So waren die Positionen der Programmverantwortlichen mehrfach von denselben Theaterpersönlichkeiten besetzt (allein Renate Klett kuratierte vier Zyklen: 1981, 1987, 1989 und 1993) und auch der Wechsel der Spielorte als prinzipiell verbindliche Vorgabe ist nicht stringent durchgehalten worden (allein Stuttgart, Hamburg und Köln waren zumindest zweimal ausrichtende Städte), was das konzeptionelle Selbstverständnis des Festivals unterwandert. Das ambitionierte Konzept der permanenten Selbsterneuerung konnte also nicht vollends eingelöst werden. Auch seiner (selbst beanspruchten) Vorreiterrolle kann Theater der Welt nicht immer gerecht werden. So wird etwa der in der deut-

neueren Datums, die im Umfeld von Theaterinstituten entstehen (vgl. das Diskurs Festival in Gießen oder auch transeuropa in Hildesheim). 67 »Theater der Welt 1999 in Berlin«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 1999, S. 60.

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schen Festivalszene übliche Standard eines zweisprachigen Programmhefts (deutsch/englisch) erst 1999 bei der Ausgabe in Berlin eingeführt. Theater der Welt ist in mancher Hinsicht kein Vorreiter, beispielsweise was das Einführen neuer ästhetischer Formen oder die Praxis des Koproduzierens betrifft. Es erfüllt allerdings seinen repräsentativen und prestigeträchtigen Zweck, der in der Präsentation bekannter Regiestars besteht. Interessant bleibt Theater der Welt, da für jede Edition verschiedene Grundbedingungen herrschen. Durch die – zumindest prinzipiell – von Ausgabe zu Ausgabe wechselnde künstlerische Leitung hält sich das Festival offen, immer neue Akzente zu setzen. Dennoch muss sich Theater der Welt die Frage gefallen lassen, was unter ›Welt‹ zu verstehen ist. Bringt das Festival ›Welt‹ vor Augen und ist das Konzept der Leistungsschau im Sinne von Zuschauerpädagogik (das Festival ermöglicht Vergleiche und damit Verständnis) noch haltbar? Man muss fragen, ob die Selbstwahrnehmung des Festivals der Realität und dem Vergleich mit anderen Festivals noch Stand hält. Sicherlich wird der zukünftige Erfolg des Festivals am Grad seiner selbsterneuernden Kraft gemessen werden müssen. Hierbei könnten zunehmende Tätigkeiten als Koproduzent eine wichtige Rolle spielen.68

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Vollständiger Name: THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover Gründungsjahr: 1990 Initiator: Stiftung Niedersachsen (unter Bernd Kauffmann) Veranstaltungsort: Braunschweig und Hannover (Braunschweig ist Gründungsort) Situierung: 1990, 1991 und 1995 in Braunschweig, seit 1998 gleichzeitig in Braunschweig und Hannover, seit 2007 Aufteilung auf die zwei Städte im Wechsel; seit 1998 Projekte im Stadtraum Veranstaltungsintervall: Zuerst annual konzipiert; ab 1998 biennal; seit 2007 wieder annual (verteilt auf Braunschweig und Hannover im Wechsel) Dauer und Zeitpunkt: Regulär zehn Tage; 1990 und 1991 im November; seit 1995 in der Regel im Juni Programmschwerpunkt: Anfänglich internationale Großproduktionen; seit 1998 experimentelles Theater und selbst produzierte Formate Finanzierung: Anfänglich finanziert durch die Stiftung Niedersachsen; seit 1995 Trägerschaft des Landes; finanziert zu ungefähr gleichen Teilen durch Land und beide Austragungsstädte

68 Die »Internationalisierung der Theaterszene«, die Theater der Welt Ende der siebziger Jahre in Deutschland bewirken soll, »hat sich in den letzten 20 Jahren – vor allem in den Neunzigern – durch viele Festivals und internationale Koproduktionen allerdings ohnehin ergeben. Braucht es jetzt noch die Vitaminspritze? Welche Aufgabe hat ›Theater der Welt‹ in der jetzigen Situation noch oder wieder? Lilienthal: In mancher Hinsicht hat sich diese Vitaminspritzen-Funktion umgedreht: Jetzt hat man als Festivalmacher auch eine Verantwortung das Theater in anderen Ländern über bestimmte Krisen mitzutragen.« In: »Am Anfang war das Telefon. Gespräch mit Matthias Lilienthal«, in: Theaterheute 42 (2002), Heft 4, S. 37.

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Nachwuchsförderung: 1998 und 2000 Sommerakademie für junge Theaterinteressierte mit internationalen Künstlern, 2004 Workshop zu sozialpolitischem Thema Zusätzliche Programmpunkte: Lesungen, Vorträge, Gespräche, Konzerte, Ausstellungen, Filmprogramm, Podiumsdiskussionen, Workshops im Rahmen der Sommerakademie Bezug zur Region: Nur wenige Produktionen der eigenen Bühnen, Projekte internationaler Künstler in der Stadt Formen der Selbstreflexion: 2002 und 2004 verstärkte Verschränkung kleinerer Produktionsformate mit politischen und sozialkritischen Themen, Vorträge namhafter Wissenschafter, 2004 intensive Zusammenarbeit mit künstlerischen Studiengängen Sonstiges: 1995 Bühnenunfall, der das Festival fast verhindert hätte; von Beginn an Anfeindungen durch die Braunschweiger Politik, Finanzierung damit stets unsicher, lange Zeit (vor allem in den ersten Jahren) mangelndes Publikumsinteresse

Das Festival THEATERFORMEN unterliegt seit seiner Gründung 1990 heftigen Schwankungen in organisatorischer, konzeptionell-ästhetischer, finanzieller wie rezeptiver Hinsicht. Die Wechselfälle in der Geschichte des Festivals, das seinerzeit von einer Unternehmerinitiative bestehend aus 50 führenden Unternehmern des Landes, der so genannten Stiftung Niedersachsen, in Braunschweig ins Leben gerufen wird, beruhen auf diversen Fehlentscheidungen bei der Organisation des Festivals, die erst Anfang des 21. Jahrhunderts ansatzweise ausgeglichen werden können. Von 1998 bis 2004 stellte sich zumindest eine gewisse rhythmische Kontinuität her, da in diesem Zeitraum erstmalig eine biennale Struktur etabliert werden konnte.69 Seitdem werden während des meist zehn bis 17 Tage (Ausnahme 2000: 33 Spieltage) dauernden Festivals, das bei den ersten zwei Editionen in Braunschweig und Wolfenbüttel im November, seit 1998 jedoch zeitgleich in Hannover und Braunschweig im Juni veranstaltet wird, durchschnittlich 15 bis 20 internationale Künstler(gruppen) präsentiert (Ausnahme 2000: 30 Produktionen). Seit jeher wird ein beachtlicher Anteil dieser Produktionen eigen- oder koproduziert. Hierfür steht je nach der Funktion und Bedeutung, die dem Festival von der jeweiligen städtischen und regionalen Regierung beigemessen wird, ein komfortabler oder geringer Etat zur Verfügung (zwischen 800.000 und 1,7 Millionen Euro, 2000 sogar 2,4 Millionen Euro) – eine finanziell unsichere Situation, die für den Stabilisierungsprozess des Festivals über die Jahre in den beiden Veranstaltungsstädten hinderlich war. Durch die Zusammensetzung der Finanzierung – ungefähr die Hälfte des Etats stellt das Land Niedersachsen zur Verfügung, die Städte Hannover und Braunschweig erbringen einen identischen Betrag, und die Braunschweig Stiftung sowie die Niedersächsische Lottostiftung steuern kleinere Anteile bei – wird darüber hinaus der Zwist zwischen den ungleichen Partnerstädten nicht wesentlich entschärft. Denn seit seiner Gründung wird das Festival von politischen Querelen und Intrigen affiziert, worunter auch das künstlerische Profil gelitten hat. 69 Die allerdings schon nach 2004 aus finanziellen Gründen unterbrochen wird. In 17 Jahren fanden so nur acht THEATERFORMEN statt: 1990, 1991, 1995, 1998, 2000, 2002, 2004 und 2007.

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Dies alles obgleich die THEATERFORMEN zumindest aus Sicht der Landesregierung die Funktion eines kulturellen ›Leuchtturms‹ für Niedersachsen übernehmen. Ursprünglich werden die THEATERFORMEN als annualer Event von der Münchner Agentur Hahn & Molitor Produktion als Auftragsarbeit konzipiert. Auftraggeber ist die zuvor genannte Stiftung Niedersachsen. »Die Stiftung Niedersachsen […] hat die Aufgabe, Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur zu fördern und damit zur Entwicklung des Landes im Interesse des Gemeinwohls beizutragen.«70 Dieses gemeinnützige Projekt, das von den Machern später selbst als »Zwangsbeglückung«71 bezeichnet wird, hat sein Fundament im Stadttheaterbetrieb und ist demnach kein völlig unabhängiges Projekt oder Unternehmen. In diesem Sinne soll es zuerst die Funktion eines regionalen Prestigeobjekts erfüllen. Lehrbuchhaft liest es sich 1992: »Anspruch des Festivals ist es Anstoß für den Kulturbetrieb einer Region Niedersachsens zu geben, die aus dem Randbereich einer Region Deutschlands in den Mittelpunkt Europas gerückt ist. Es soll Neugier dafür geweckt werden, Ungewohntes kennen zu lernen und sich neuen Ansprüchen und Sichtweisen zu öffnen.«72 THEATERFORMEN wird somit wie nicht wenige Festivals dieser Dekade als belehrende, ›aufklärerische‹ Einrichtung konzipiert. Hierfür bieten sich anfänglich (etwas wahllos anmutende) Themen als Rahmen an wie »Shakespeare across cultures« (1990) und das merklich selbstkritische »Irrtum und Zweifel« (1991). Selbstkritik scheint aufgrund einer mehr als zurückhaltenden Publikumsresonanz von Beginn an angemessen und die Veranstalter müssen früh erkennen, dass man sich zu dieser Zeit in Braunschweig in der »Theater-Diaspora«73 befindet. Die mangelnde Identifikation des Publikums mit dem Festival, ein Problem, das das Festival bis 2007 begleitet, manifestiert sich in Zuschauerzahlen, die bis 2004 beharrlich hinter den Erwartungen zurückbleiben und ausgabenübergreifend eine Platzauslastung von nur rund 70 Prozent ergeben (2000: sogar nur 62 Prozent).74 Unter anderem aus diesem Grund legen die Verantwortlichen sowohl nach 1995 als auch nach 2004 das Festival ad acta und lassen die Bestände und Büros vollständig auflösen. 1998 lässt es noch Tom Stromberg, der Kulturmanager der in Hannover gastierenden EXPO 2000, wieder aufleben und schlägt vor, THEATERFORMEN parallel in Hannover und Braunschweig stattfinden zu lassen, also das Festival aufzuteilen.75 Doch führt 2000 das finanzielle Defizit

70 »Stiftung Niedersachsen«, vgl. http://www.stnds.de/de/ vom 22. April 2007. 71 »Man spricht Deutsch? Braunschweigs ›Theaterformen‹ starten neu«, in: Theaterheute 44 (1994), Heft 5, S. 70. 72 Vgl. Ingeborg Pietzsch: »›Irrtum und Zweifel‹. ›Theaterformen‹ – ein Theaterfestival in Braunschweig«, in: Theater der Zeit 46 (1992), Heft 1, S. 71. 73 L. Zerull: Wagnisse am falschen Ort, S. 37. 74 »Die Einwohner der kulturell armen niedersächsischen Stadt, zu deren gefälliger Horizonterweiterung das teure Unternehmen gebeten war, hatten sich kaum interessiert.« In: Detlef Friedrich: »Düster-trauriger Abgesang«, in: Theater der Zeit 46 (1992), Heft 1, S. 72. 75 Das Festival wird erst 1995 unfreiwilligerweise auf Hannover ausgeweitet, weil durch einen Schaden der großen Schauspielbühne in Braunschweig Produktionen anderweitig untergebracht werden müssen, damit das Festival überhaupt stattfinden kann.

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der EXPO beinahe erneut das Ende des Festivals herbei.76 Unter der Leitung von Marie Zimmermann (1998 und 2000) und von Veronica Kaup-Hasler (2002 und 2004) kann das Festival allerdings an Stabilität gewinnen und es werden Maßnahmen ergriffen, die THEATERFORMEN stärker im Stadtbild wie im Bewusstsein der Einwohner verankern sollten. Nach einer dreijährigen Pause findet THEATERFORMEN mit verringertem Budget und veränderter Struktur wieder regelmäßig im Wechsel zwischen den beiden Städten statt: »nach bewegter Geschichte gibt es THEATERFORMEN ab 2007 jedes Jahr. Hannover und Braunschweig sind von nun an im Jahresrhythmus abwechselnd Festivalstädte. […] Der finanzielle Beitrag zur Grundförderung durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur ist bis zum Jahr 2010 gesichert.«77 Dass das Festival doch weitergeführt werden wird, beruht vor allem auf dem Erfolg der von Zimmermann und Kaup-Hasler veranlassten Modifikationen im Programm, die von der hauptsächlichen Einladungspraxis und Präsentationsleistung der Anfangsjahre abrücken und partizipatorische Formate und Projekte in und mit der Stadt einführen. Die Intention, durch Theater zu belehren und kulturell zu bilden, verliert nach und nach an Bedeutung, während man zuletzt versucht, dem Titel des Festivals stärker Rechnung zu tragen und experimentellere Projekte an den Schnittstellen zwischen Theater und den anderen Künsten zu präsentieren. Vor allem in den jüngeren Publikumsschichten sucht das Festival nun seine Besucher und versucht diese durch spezielle Formate – abgesehen von Lesungen, Vorträgen, Konzerten und Ausstellungen – anzusprechen. Die hierfür ergriffenen Maßnahmen lassen sich auf vier Aspekte verdichten: eine stärkere Betonung des Ereignis- und Festgedankens; eine sowohl architektonische als auch aktionistische Aneignung und Involvierung der Stadt und der Einwohner für die Dauer des Festivals; die Einführung theorielastiger und gesellschaftskritischer Formate; eine Ausweitung des Wirkfelds des Festivals durch Nachwuchsförderung und Zusammenarbeit mit künstlerischen Studiengängen. Beispielsweise sollen 2004 so genannte Ereignis-Expeditionen durch den Stadtraum, geführt von Künstlern, Wissenschaftlern und Philosophen, die Einwohner dazu einladen, ihr eigenes Umfeld oder die jeweilige Partnerstadt neu kennenzulernen und eigene Grenzen zu überschreiten.78 Dementspre76 »Obwohl Publikum und kritische Öffentlichkeit den THEATERFORMEN künstlerischen Erfolg bescheinigten, ist die Zukunft des Festivals ungewiss. Der Minister für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen Thomas Oppermann hat noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob die THEATERFORMEN im Jahr 2002 fortgesetzt werden sollen.« In: Hortensia Völckers: »Vorwort«, in: Pressespiegel zu THEATERFORMEN 2000, S. 1. 77 Stefan Schmidtke: »Das internationale Festival THEATERFORMEN 2007 vom 14. Juni bis 24. Juni in Hannover«, in: Spielzeitheft des Schauspiel Hannover 2006/2007, S. 36. 78 »Ein Ereignis verändert die Wahrnehmung und damit den Blick auf die Welt. Es ist einzigartig und gleichzeitig verbindet es und stellt Kommunikation her. […] Mehrtägige Ereignis-Expeditionen bieten die einmalige ›unmögliche Möglichkeit‹ (Jacques Derrida), etwas über Ereignisse zu erfahren. Eine Gruppe von jeweils zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern unternimmt mit dem Philosophen Christoph Menke, der Theologin Petra Bahr oder den britischen Performern Lone Twin eine Forschungsreise an

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chend wird das Logo der THEATERFORMEN modifiziert und durch Signalfarben in der Optik eines schwarz-gelben Absperrbandes ergänzt, um das grenzüberschreitende Profil des Festivals zum Ausdruck zu bringen und die Identifikation durch Verbreitung des auffälligen Logos in der Stadt zu steigern. Hierzu diente auch das architektonische Konzept, überdimensionierte rote Treppen vor die Theaterhäuser bauen zu lassen, um einen ungewöhnlichen Zugang zu den Städten zu finden und dem Publikum über die Aufführungen hinaus ein besonderes Zentrum für Austausch und Erholung zu bieten. Außerdem wurde der Zuschauer zum zentralen Thema des Festivals gemacht und in so genannte Spielfeldforschungen involviert,79 so dass teilweise die Auseinandersetzung mit und die Diskussion über Zuschauer neben Theaterprojekten zu gleichwertigen Programmbestandteilen wurden. Als Beispiel sei das Projekt REpublicACTION angeführt, bei dem Filmreihen, Vorträge bekannter Intellektueller und internationale Workshops die gesellschaftliche Wirksamkeit des Theaters erhellen sollten. Für den Workshop zu »Politik, soziale Praxis statt Theater« wurde eine Kooperation mit der Internationalen Sommerakademie am Frankfurter Künstlerhaus mousonturm eingegangen, womit eine möglichst interdisziplinäre und weite Vernetzung erreicht wurde. Schon in den Jahren zuvor werden Sommerakademien mit internationalen Künstlern angeboten und Kooperationen mit gestalterischen Studiengängen in Hannover, Braunschweig und Hildesheim eingegangen. Zuletzt gibt es einen mit 10.000 Euro dotierten Wettbewerb des Vereins zur Förderung der Gesellschaftsgestaltung e.V. (FINGER), bei dem Vorschläge zur Gestaltung der Gesellschaft eingereicht werden können: »Damit ist das Festival Ausgangspunkt eines gesellschaftlichen Engagements, das weit über die Festivaldauer hinaus einen Nachhall finden und Entwicklungen und Veränderungen auslösen wird.«80 Trotz des Vorwurfs des Diskurs-Aktionismus haben die THEATERFORMEN auf diesem Wege doch zu ihrem Publikum gefunden. So kann bei der Edition 2008 in Braunschweig sogar ein Besucherrekord von 5.700 Gästen verzeichnet werden, was einer Platzauslastung von 76 Prozent entspricht. Fazit: Die THEATERFORMEN zeigen exemplarisch, dass sich als Prestigeobjekte konzipierte Festivals nicht ohne weiteres an jedem Ort etablieren lassen, wenn ihr identifikatorisches Potential für die Einwohner zu gering ist. Die Abhängigkeit des Festivals vom Zuschauer wird hier sinnfällig demonstriert, aber auch die Formate, auf die Festivals seit den neunziger Jahren zurückgreifen, um sich in einer Stadt zu verankern, werden an diesem Beispiel sichtbar. Alle partizipatorischen und site-spezifischen Projekte zielen darauf ab, das Festival präsenter zu machen, Grenzen zu überschreiten und die Relevanz von Kunst für die Einwohner augenfällig zu machen. Die Binsenweisverschiedene Orte, die unter Ereignisverdacht stehen, um gemeinsam zu reflektieren, zu plaudern, zu schlendern.« In: »Ereignis-Expeditionen«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 48. 79 Vgl. Veronica Kaup-Hasler: »Vorwort«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 1. 80 »›Wie gestalten Sie Ihre Gesellschaft?‹ Evolutionäre Zellen 2004«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 53.

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heit, dass die Profilentwicklung eines jeden Festivals unabdingbar auf den Rückhalt des Festivalorts angewiesen ist, bewahrheitet sich umso mehr, als die THEATERFORMEN auch die enge Verstrickung des Festivalbetriebs mit den ortsansässigen und überregionalen politischen Entscheidungsträgern aufzeigen.

Wiener Festwochen • • • • • • • • • • • •

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Vollständiger Name: Wiener Festwochen Gründungsjahr: Vorläufer des Festivals 1920; erste Veranstaltungen unter dem Namen zwischen 1927 und 1937, ab 1951 wieder annual Initiator: Stadtrat der Stadt Wien (1951 unter Hans Mandl) Veranstaltungsort: Wien Situierung: 15 bis 20 Spielorte, auch in der Stadt (Into the city), Hauptsitz ist das Museumsquartier Veranstaltungsintervall: Annual Dauer und Zeitpunkt: Fünf bis sechs Wochen ab der zweiten Maiwoche Programmschwerpunkt: Musik, Theater, Ausstellungen Finanzierung: Städtisch, bis 2003 geringer Beitrag des Bundes, seitdem vermehrt Sponsoring Nachwuchsförderung: Unregelmäßig durch Projekte wie forumfestwochen ff, abhängig von der Leitung Zusätzliche Programmpunkte: Regelmäßige Publikumsgespräche erst seit 2003, keine regelmäßigen Workshops für Besucher oder Künstler Bezug zur Region: Gering, hauptsächlich Produktionen aus dem Ausland.; dennoch starke Verankerung des Festivals in der Stadt durch lange Tradition Formen der Selbstreflexion: Wenig ausgeprägt Sonstiges: Großes Eröffnungsfest auf dem Rathausplatz mit Tanz und regelmäßig ungefähr 50.000 Besuchern; Veröffentlichung des nächstjährigen Programms immer im Dezember der Vorjahres; seit 2003 gesamte Streichung der Bundesmittel; Freitod der Schauspieldirektorin Marie Zimmermann 2007

Nur wenige Festivals sind heute noch in dem Maße auf Zeremonien und nationale Kontinuitäten gegründet wie die Wiener Festwochen. Sie heben sich somit nicht nur durch ihr langes Bestehen (die Wiener Festwochen finden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg statt und werden 1951 wiederbelebt81) aus 81 »8.1.1951: ›Unsterbliches Wien‹ – unter diesem Titel berichtete die RathausKorrespondenz laufend über die Vorbereitungen der Wiener Festwochen 1951. Die ›Wiener Festwochen‹ sind keine neue Erfindung. Sie fanden zum ersten Mal 1927, zum letzten Mal 1937, somit insgesamt elfmal statt. Im Jahre 1938 waren sie zwar wieder vorbereitet worden, die Pläne wurden aber wegen der gewaltsamen Annexion Österreichs nicht mehr ausgeführt. Auch in den folgenden Jahren konnten die ›Wiener Festwochen‹ als Veranstaltungen mit besonderer Wiener Note nicht abgehalten werden: sie mussten vielmehr militärischen Paraden und Parteifeiern der NSDAP weichen. Unmittelbar nach Kriegsschluss wäre es vom künstlerischen Standpunkt aus an und für sich möglich gewesen, wieder ›Wiener Festwochen‹ zu veranstalten, aber mit

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der Masse von Festivals ab, sondern vertreten einen Festivaltypus, der während des letzten Jahrzehnts immer weniger als zeitgemäß empfunden wurde, seit Kürzerem aber eine Renaissance in veränderter Form erfährt (etwa bei den Nibelungen-Festspielen in Worms oder der RuhrTriennale). Gemeint ist das primär städtische Festival, das darum bemüht ist, seinen jeweiligen Standort als Kulturmetropole darzustellen. Wien soll durch die Festwochen nach dem Zweiten Weltkrieg international rehabilitiert werden. Dies suchen sie bis 1956 durch österreichische Theater- und Musikproduktionen, später durch Gastspielbetrieb mit zunächst hauptsächlich musikalischen Inszenierungen aus dem Ausland zu erreichen. Die außerordentliche Relevanz der Wiener Festwochen für Wien beruht im Besonderen darauf, dass ein beachtlicher Teil der Wiener Bevölkerung gerade an den zeremoniellen Handlungen großen Anteil nimmt. Denn die Festwochen sind nicht nur ein beliebiges Großstadtfestival, sondern ein Hauptstadtfestival, an das vornehmlich zwei Erwartungen herangetragen werden: Präsentation und Repräsentation. Letzteres leistet am augenfälligsten die offizielle Eröffnung der Wiener Festwochen durch den Bürgermeister (mit eigens von Werner Pircher komponierter Fanfare) während einer Massenveranstaltung (mit bis zu 50.000 Menschen) auf dem Rathausvorplatz, die von diversen europäischen Rundfunkanstalten übertragen wird. Die Wiener Festwochen sind ein Fest primär für Wien,82 durch das es sich internationales Flair zu verleihen sucht, obwohl tatsächlich nur schätzungsweise zwölf Prozent der Besucher aus dem Ausland nach Wien kommen. Im neuen Jahrhundert befindet sich das Festival in einem weiteren Entwicklungsstadium. »Das Bild der Festwochen hat sich am Anfang des 21. Jahrhunderts stark gewandelt. Sie haben nicht mehr allein das Ziel, sich an die Wienerinnen und Wiener zu wenden, sondern zeigen verstärkt mehr elitären Anspruch. Auch die Interessen des Fremdenverkehrs gewannen seit den 1970er-Jahren immer mehr Einfluss auf den Charakter der Festwochen.«83 Gerade letztgenannter Aspekt verweist auf die kontroverse Position des Festivals, das sich vielfältigen politischen und ökonomischen Ansprüchen 235 Hotelbetten und 850 Kalorien täglich konnte weder für einen internationalen Fremdenverkehr noch für ›Wiener Festwochen‹ geworben werden. Nach Behebung der ärgsten Kriegsschäden und mehr als fünf Jahren Wiederaufbau von Wien stellt nun die Unterbringung in- und ausländischer Gäste kein unlösbares Problem mehr dar. Aus diesem Grunde wurde auch für die Festwochen des Jahres 1951, die ersten nach vierzehnjähriger Unterbrechung, die Devise ›Unsterbliches Wien‹ geprägt. Als Termin für die Festwochen 1951 wurde die Zeit von 26. Mai bis 17. Juni 1951 festgelegt. Sie sind nicht als Konkurrenz für Veranstaltungen ähnlicher Art in den Bundesländern geplant. Die Veranstaltungen der Wiener Festwochen werden ausschließlich von Wiener Künstlern bestritten. Das Programm steht derzeit noch nicht endgültig fest, doch sollen viele Veranstaltungen kostenlos oder zumindest zu äußerst niedrigen Preisen zugänglich sein.« In: Ingeborg Bauer-Manhart: Zur Geschichte der Wiener Festwochen, vgl. http://www.wien.gv.at/kultur/chronik/festwochen.html vom 22. April 2007. 82 »Die Festwochen des Jahres 1951 waren als Festwochen für die Wienerinnen und Wiener gedacht. In diesem Sinne gab es ein großes, die ganze Stadt umfassendes Eröffnungsfest.« In: ebd. 83 Ebd.

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ausgesetzt sieht. Als prominente kulturelle ›Institution‹ mit hohem Prestigewert und folglich unter intensiver Beobachtung durch die kritische Öffentlichkeit haben die Wiener Festwochen im Laufe ihrer Entwicklung organisatorische und ästhetische Entscheidungen getroffen, die diesen Ansprüchen entsprechen sollen. Sie positionieren sich mittlerweile selbstbewusst als städtischer Wirtschaftsfaktor. Mit jährlich insgesamt rund 200.000 (2008 allerdings nur 178.000) Besuchern (auf der Eröffnungsfeier, Aufführungen, Konzerten, Ausstellungen und so weiter) liegt der Werbewert für Wien – so die Selbstdarstellung des Festivals – bei über 20 Millionen Euro und bringt jeder einzelne subventionierte Euro der Wiener Wirtschaft 2,50 Euro an direkten Einnahmen ein.84 Der Eigner des Festivals ist die Stadt Wien (Überführung des Vereins Wiener Festwochen in die Wiener Festwochen GmbH unter der Geschäftsführung von Wolfgang Wais im Jahr 2000), die die Festwochen mit einem Budget von rund 15 Millionen Euro pro Jahr ausstattet und damit finanziell zu 90 Prozent trägt. Davon werden in der Regel über 30 Theater- und Musikproduktionen finanziert, wovon der größere Teil dem Sprechtheater zuzuordnen ist und in den ehemaligen Messehallen des Museumsquartiers präsentiert wird. Die Auslastung beträgt in der Regel rund 90 Prozent – ein Hinweis darauf, dass trotz aller Kritik seitens der Fachpresse das Festival eine vitale Rolle für die Wiener Bevölkerung spielt. Dennoch hat sich 2003 der Bund (der mehr als 360.000 Euro stellte) aus der finanziellen Förderung des Festivals vollständig zurückgezogen, weshalb die Festivalleitung in die Offensive gehen musste, um neue Sponsoringpartner zu finden und das Defizit auszugleichen. Trotz der modernen Gesellschaftsform der GmbH sitzt den Wiener Festwochen traditionell ein Präsident vor, der den jeweiligen Intendanten bestimmt, der wiederum zwei Programmverantwortliche für Theater und Musik an seine Seite holt.85 Gemäß dieser eher untypisch strengen Struktur legen die Wiener Festwochen gesteigerten Wert auf ausführliche Abschlussberichte und -evaluationen. So wurden unter anderem ein Online-Archiv mit Presseartikeln zu Inszenierungen und ein Inszenierungsarchiv eingerichtet. Auch die analytische Dokumentation wird in einem Rechenschaftsbericht zusammengefasst, der außerdem Publikumsanalysen und Forschungen zur Rentabilität des Festivals enthält. Im Gegensatz zu anderen Festivals, die nicht selten wirtschaftliche Aspekte in den Hintergrund rücken und ihre Legitimation allein aus der inhaltlich-ästhetischen Qualität heraus gerechtfertigt sehen wollen, gehen die Festwochen offensiv und selbstbewusst mit Kalkulationen und Statistiken um. Schließlich werden in der Verbindung zwischen der Stadt als Eigentümer, dem Festival selbst sowie den zahlreichen Sponsoren die Wiener Festwochen nicht nur zu einem Politikum, sondern auch zu einer Interessengemeinschaft. 84 Vgl. »Wiener Festwochen. Profil«, in: Profilbeschreibung der Wiener Festwochen 2006, S. 3f. 85 Dr. Ursula Pasterk ist lange Präsidentin der Wiener Festwochen (1987–1997) und zwischen 1984 und 1987 ihre Intendantin. Seit 1991 ist Klaus Bachler Intendant. Zwischen 1998 und 2001 unterbricht das Dreierdirektorium unter Hortensia Völckers (Tanz, Crossover-Projekte), Luc Bondy (Schauspiel) und Klaus Peter Kehr (Musiktheater) das Intendantenmodell. Seit 2002 ist Bondy wieder alleiniger Intendant (verlängert bis 2010) mit zwei Programmverantwortlichen für Musik und Theater.

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Deren Grundideen fasst der ehemalige Intendant Ulrich Baumgartner (1965–1977) 1969 in den Begriffen der Repräsentation, Gegenwartsnähe und kulturellen Konfrontation zusammen.86 Die Festwochen sollen »Feste als gemeinschaftsbezogene Aufgaben«87 verwirklichen. Der klare Bezug zur Stadt Wien wird hiermit ergänzt durch den Auftrag, festliches Flair in die Stadt zu bringen, um die Gemeinschaft zu stärken. Somit lassen sich die Festwochen als Wille der Gemeinschaft verstehen, die von ihnen die Präsentation von internationalen Spitzenleistungen aus dem Bereich der Darstellenden Künste erwarten kann. Und bis heute hat sich an diesem Anspruch, der vor allem die Programmgestaltung des Festivals beeinflusst, nur wenig geändert – abgesehen von dem Zeitgeist geschuldeten Modifikationen bei Marketingstrategien. Der Auftrag der Wiener Festwochen besteht darin, ein theatergeschultes, informiertes Publikum mit den neuesten Großproduktionen in einem feierlichen Rahmen zu konfrontieren. »Sie produzieren jene Musiktheateraufführungen, die sich die Wiener Staatsoper nicht leisten kann und/oder will; sie geben jenen internationalen Off-Produktionen eine Bühne, für die es in anderen Städten eigene Häuser (TAT, Marstall, Hebbeltheater) gibt; und natürlich holen sie auch die großen Festivalmarkenprodukte, die an einer Metropole nicht vorbeigehen dürfen, nach Wien.«88

Diese Fixierung auf Höchstleistungen im Programm – das traditionell während der ersten Pressekonferenz im Dezember des Vorjahres bekannt gegeben wird – hat mehrere Entscheidungen bedingt, die im Festivalbereich seit den neunziger Jahren unüblich sind. So gibt es erstens bis zuletzt kein dezidiertes Motto der einzelnen Festivalausgaben, lediglich Themenschwerpunkte und Hauptinteressen, die allerdings nur am Rande kommuniziert werden. Mit dem Ziel, möglichst viele Bürger anzusprechen, werden so eventuell einschränkende, abschreckende oder unbequeme Mottos und Label vermieden. Zweitens ist die Positionierung des Festivals im Theateralltag grundsätzlich ungünstig, da die Spielzeit noch nicht beendet ist, wenn das Festival im Mai beginnt. Das Festivalgefühl, das sich durch die Qualität des Außeralltäglichen üblicherweise transportiert, stellt sich somit nicht automatisch ein und wird durch repräsentative Festlichkeit ersetzt, die unabhängig von den Festwochen auch die Bürger motiviert und erreicht, die eventuell das Festival selbst nicht besuchen. Unüblich ist drittens die Dauer von fünf bis sechs Wochen (ähnlich wie acht Wochen bei der RuhrTriennale), die den Eindruck entstehen lässt, dass es sich bei den Wiener Festwochen viel eher um eine eigene kleine internationale Saison handelt, die die lokale Spielzeit abrundet, als um ein Festival. Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, es deutlicher als Ausnahmeveranstaltung zu markieren und im Bewusstsein der Stadt zu verankern, werden seit Beginn des 21. Jahrhunderts Großprojekte im städtischen Raum durchgeführt (beispielsweise die Projektreihe Into the city 2006).

86 Vgl. Wiener Festwochen (Hg.): Almanach der Wiener Festwochen, S. XVIIf. 87 Ebd., S. XIX. 88 Wolfgang Kralicek: »Es geht ums Ganze – und manchmal um alles«, in: Theaterheute 35 (1995), Heft 8, S. 11f.

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Am auffälligsten an den Wiener Festwochen ist hinsichtlich der Rahmenveranstaltung sicherlich die starke Betonung des Festgedankens. Abgesehen davon zeichnet sich die Entwicklung der Wiener Festwochen durch eine insgesamt verhaltene Einstellung gegenüber der Vermittlung künstlerischer Programme oder neuer ästhetischer Konzepte durch Symposien und Foren aus. Erst 2003 werden Gespräche zwischen Künstlern und dem Publikum arrangiert und Publikumsgespräche nach jeder zweiten Aufführung eingeführt. Abgesehen von dieser Verhaltenheit gegenüber intensiver Publikumseinbindung werden die Feierlichkeiten von Künstlern und Besuchern getrennt. Bei speziell arrangierten inoffiziellen Künstlerfesten, die die offiziellen Premierenempfänge ergänzen, werden Kontakte geknüpft und Netzwerke ausgeweitet, wofür ein so prestigeträchtiges Festival wie die Wiener Festwochen ein ideales Terrain darstellt. »Als innovatives und internationales Großstadtfestival stellen die Wiener Festwochen herausragende künstlerische Ideen und Leistungen vor, thematisieren gesellschaftsrelevante Inhalte, beleben die künstlerische Kreativität in Wien und bieten ein vielfältiges und auch vielsprachiges Programmangebot auf höchstem Qualitätsniveau.«89 Die Förderung künstlerischer Kreativität hat sich bislang allerdings in nur kleineren Projektreihen von kurzer Dauer (beispielsweise zeit-zonen), einem Regiewettbewerb (2000) und Workshops bemerkbar gemacht. Letzter Versuch in diese Richtung ist das 2002 ins Leben gerufene forumfestwochen ff, das jungen Künstlern vor allem aus Osteuropa einen geschützten Raum zur Entfaltung und Arbeit bieten soll.90 Dennoch sind die Wiener Festwochen nach wie vor keine »Experimentalspielwiese und artistische[r] Truppenübungsplatz«91. Um dem Vorwurf des ›von der Stange‹ zusammengekauften Programms entgegenzutreten, setzt das Festival seit den neunziger Jahren (beginnend unter der Intendanz Klaus Bachlers 1991–1996) auf kontinuierliche Zusammenarbeit mit einigen Künstlern und Koproduktionen mit Theaterhäusern.92 Fazit: Als klassisches Großereignis mit ausdrücklicher Bindung an die Stadt und deren Bürger spielen die Wiener Festwochen hauptsächlich eine repräsentative Rolle im Stadtgeschehen, was sich deutlich auf die Gestaltung des Festivals auswirkt. Der Untertitel »zwischen Repräsentation und Irritation« der Publikation zum fünfzigjährigen Bestehen der (Nachkriegs-) Wiener Festwochen resümiert treffend diese beiden Hauptfunktionen. Vor Diskussionen, 89 »Wiener Festwochen. Profil«, in: Profilbeschreibung der Wiener Festwochen 2006, S. 3f. 90 Auch dieses Format ist bereits in die Kritik gekommen als »künstlerisch nicht sonderlich aufregende Ethno-Ecke«. In: Karin Cerny: »Hart, aber herzlich. Die Wiener Festwochen zeigen intellektuell sperriges Schauspielprogramm, aber auch müde alte Männer«, in: Theater der Zeit 59 (2005), Heft 9, S. 38. 91 Ulrich Weinzierl: »Die Wiener Festwochen unter Klaus Bachler«, in: Wiener Festwochen (Hg.), Wiener Festwochen 1992–1996. 5 Jahre europäische Theaterarbeit, Wien: Wiener Festwochen 1996, S. 15. 92 Für die Festivallandschaft sind solche Arten von Festivals zumindest deswegen wichtig, weil sie als finanzstarker Koproduzent einige Produktionen erst ermöglichen, die in der Folge bei kleineren Festivals gezeigt werden können und dort oft wesentlich sinnvoller platziert sind.

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Symposien, Workshops und Nachwuchsförderung – Programmpunkte, auf die kaum ein Festival der Darstellenden Künste heute verzichtet – steht die klare Fixierung auf die eingeladenen Gastspiele. Doch die Andersartigkeit der Wiener Festwochen, auch im Vergleich zu den bis hierhin bereits analysierten Festivals, besteht hautsächlich in ihrer Funktion, abgesehen von ästhetischen auch übergeordnete Aufgaben zu erfüllen. Die Wiener Festwochen als Festival mit Weltruhm sind ein offenbar lange noch nicht ausgestorbenes Modell von kulturellen Großereignissen, die ihrem Standort exquisites Flair verleihen und ins Verhältnis zu den Metropolen Europas setzen sollen. Aus genannten Gründen ist diese traditionelle Festivalform angreifbarer als andere und steht ob ihrer zentralen Position in der Öffentlichkeit unter einer kritischeren Begutachtung als andere Festivals. Spätestens seit den neunziger Jahren werden die Wiener Festwochen regelmäßig von der Kritik grundsätzlich in Frage gestellt, wobei sich die vorgetragenen Kritikpunkte nur geringfügig ändern.93 Die entscheidende Frage ist, wie (gut) ein Festival mit dem öffentlichen Druck und der außerordentlichen Aufmerksamkeit umzugehen weiß. Wie schafft es ein Festival, ästhetisch und konzeptionell glaubwürdig zu bleiben und trotzdem massenkompatibel zu sein? Dieses Dilemma, vor dem letztlich alle ambitionierten Festivals stehen, veranschaulichen die Wiener Festwochen in besonderem Maße.

93 Dies lässt den Verdacht entstehen, dass Kritik an den Festwochen gewissermaßen zum Profil dieser Art von Festival gehört (ähnlich wie beim Berliner Theatertreffen oder Theater der Welt).

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Schlussbetrachtung Theaterfestivals in Deutschland sind seit Beginn der neunziger Jahre eine zentrale kulturelle Kraft. Ihre flexible Arbeitsweise, ihre vielfältigen thematischen Ausrichtungen und ihr zugleich verdichtendes Potential sind Antworten auf die Anforderungen an eine diversifizierte Kulturlandschaft nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Auch im Wissen um alle Fragwürdigkeiten, die zu Recht von der Kritik an Festivals moniert werden, konnten Festivals in dieser Studie als wesentlicher Impulsgeber für die Entwicklung des Theaters in Deutschland nach dem Epochenbruch der Wiedervereinigung dargestellt werden. Zugleich wurde festgestellt, dass sich Festivals seit der Jahrtausendwende immer entschiedener mit einem drohenden Profilverlust auseinandersetzen und darauf – sich selbst modifizierend – reagieren. Der Status dieses kulturellen Organisationsmodells ist also heute bedroht wie zu keiner Zeit in seiner Entwicklungsgeschichte und wird auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Um Theaterfestivals in Deutschland seit Beginn der neunziger Jahre angemessen zu diskutieren, war eine kulturwissenschaftliche Herangehensweise im Vergleich zu einer rein bilanzierenden Bestandsaufnahme unerlässlich. In einem weiten interdisziplinären Bogen wurden so auch Themengebiete in die Analyse einbezogen, die den Einfluss von Festivals nicht nur auf die kulturelle Landschaft, sondern auch auf das soziale, politische und ökonomische Gesicht der deutschen Gesellschaft erhellt haben. So diente die Diskussion des Festbegriffs dazu, die anthropologische Fundierung des Festivals zu ergründen und den Bedeutungswandel vom Festspiel zum Festival auf dieser Grundlage nachzuzeichnen. Es ließen sich Theaterfestivals heute von ihren Ursprüngen im Festspiel her denken und gleichzeitig als ein Anderes identifizieren, das sich nicht von den postmodernen Lebensverhältnissen abgelöst beschreiben lässt. Die Thematisierung von Struktur und Institution und vom Ereignis als Erfahrungskategorie konnte hingegen die Verweisungszusammenhänge und Attraktionen des Festivals deutlich aufzeigen und ihre Einbindung in die heutige Lebenswelt verdeutlichen. Es konnte über diese Wege die Frage geklärt werden, was genau Festivals zu einem derartig anziehenden Veranstaltungstypus macht – für Zuschauer als festlicher Anlass und Ort der Gemeinschaft, für Sponsoren als Bühne der Selbstdarstellung, für Politiker als Mittel zur Behebung gesellschaftlicher Krisen und vor allem für die Kulturschaffenden selbst als Generator von Innovationen und Karrieren. Dennoch bleiben Fragen offen, die, basierend auf den hier erhaltenen Ergebnissen, die Geschicke von Festivals in Deutschland beeinflussen werden. Als Arbeitsgrundlage wurden Festivals definiert als eine spezifische Konzeption künstlerischer Darbietungen innerhalb eines fest umrissenen, sich regelmäßig wiederholenden Zeit-Raums vor einem speziellen Publikum, die neben künstlerischen Programmpunkten diskursive und unterhaltsame Ange297

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bote beinhaltet. Festivals sind ein weit gefasstes, offenes, postmodernes Konzept der Präsentation und Erzeugung von Kunst und repräsentieren und erfüllen die kulturellen Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Der einleitend festgestellte bisherige Mangel an einer kohärenten Definition des Terminus Festival hat sich weniger hinderlich als erkenntnisreich erwiesen – dieser Mangel signalisiert die prozesshafte Anlage von Festivals, ihre Tendenz zur permanenten Veränderung bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Beschreibbarkeit als Festival. Dass sich die Forschung dem kulturellen Festival bisher wenig systematisch genähert hat, ist also nicht allein durch dieses definitorische Vakuum zu erklären. Schließlich wird nie eine ganz eindeutige Definition des Begriffs vorgenommen werden können, die zugleich der höchst spezialisierten und sich permanent ausdifferenzierenden Festivallandschaft gerecht werden kann. Die etymologische Analyse des Begriffs hat diese Erkenntnis unterstützt. Bei dem, was gegenwärtig als Festival in der Kunst des Theaters verstanden wird, scheint der vorherrschende Selbstanspruch das Infragestellen von Traditionen und Wahrnehmungsgewohnheiten zu sein. Das Selbstbekenntnis zum ›Festival-Sein‹ beinhaltet die Notwendigkeit zur Positionierung gegenüber künstlerischen Gemeinplätzen wie auch gegenüber den eigenen Traditionen und Ursprüngen. Zu den Profilierungsstrategien von Festivals gehören vor allem ihre seit den neunziger Jahren erhöhte Diskursivität und Diskursbereitschaft. Festivals sehen sich beständig mit der Aufgabe konfrontiert, sich zu thematisieren und auf den Prüfstand zu stellen, um zu erörtern, wie zeitgemäß sie noch sind. Indem sie als sich selbst und Gesellschaft reflektierende und diskursive Instanzen auftreten, können sie sich gegenüber den deutschen Theaterhäusern behaupten und von ihnen abgrenzen. Zwar beziehen sich Festivals neueren Datums auch auf die künstlerischen ›Sinnzentren‹ der Stadt- und Staatstheater – allerdings weisen sie meistens auf deren Fragwürdigkeit hin und können sich in kritischer Distanz zu ihnen positionieren. Sie sind somit doppelt kritisch – als Reaktion auf existente Krisen in einer Gesellschaft sowie als Ort kritischer Auseinandersetzung in und mit ebendieser Gesellschaft. Ihre Wirksamkeit im Ausgleichen von Krisen wird bereits am Ende des Zweiten Weltkriegs evident – Festivals werden als kulturelles Remedium verstanden und sollen durch den Krieg verloren geglaubte humane Werte durch die Kraft der Kunst restituieren. Während Festivals als Organisationsmodell in den fünfziger Jahren somit konzeptionell nichts vom Festspiel als Organisationsmodell unterscheidet, steht der neuerliche Festival-Boom in den neunziger Jahren unter veränderten Vorzeichen. Gerade im Kontext der Freien Theaterhäuser, die den Nährboden für die ersten Avantgardefestivals in Deutschland legen, werden Festivals als etwas radikal anderes als Festspiele gedacht. Damit ist nicht nur ihre verstärkte ökonomische Verstrickung gemeint, sondern eine Neupositionierung von Festivals gegenüber dem Kulturbetrieb; das Krisenphänomen wird zum kritischen Phänomen. Dieser Funktionswandel lässt Theaterfestivals der neunziger Jahre erst derartig einflussreich für die kulturelle Landschaft Deutschlands werden, da sie sie institutionskritisch in Frage stellen und weil sie sich für neue Ästhetiken und für den Diskus über sie einsetzen. Dass Festivals dies wie keinem anderen kulturellen Organisationsmodell gelingt, liegt in ihrer eigenen Wandelbarkeit begründet, da sie als Grenzphänomene selbst beständig gefährdet sind, zu Institutionen, zu Events, zu Bühnen der Eitelkeiten zu werden. Dass die ersten Theaterfestivals der neun298

Schlussbetrachtung

ziger Jahre denjenigen Positionen so nahe stehen, die sie kritisieren, ist ein weiterer Grund für ihren Einfluss auf die Kulturlandschaft Deutschlands. Gleichzeitig beanspruchen Theaterfestivals auch die Berechtigung, als sozial wirkende Kräfte in Erscheinung zu treten und durch die Öffentlichkeit, die sie generieren, ihren Teil zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion beizutragen. Damit geht ein erhöhtes Bewusstsein für die Verantwortung einher, die Festivals als künstlerische Katalysatoren auch international übernehmen, was sich besonders an der seit dem Jahrtausendwechsel merklich verstärkten Förderung des Nachwuchses manifestiert. Zeitgleich lässt sich eine Erweiterung des thematischen Spektrums von Festivals feststellen: Kompaktere und wendigere Festivals als die renommierten Großveranstaltungen wie Theater der Welt oder das Berliner Theatertreffen, die in den sechziger und siebziger Jahren gegründet werden, suchen sich spezifischere Themen (den jeweiligen Standort, Jugend und Nachwuchs, politische und ethische Fragen und andere) und adressieren entsprechende Zielgruppen. Anders als ihre Vorläufer in den siebziger und achtziger Jahren widmen sie sich nicht zwangsläufig der experimentellen Avantgarde, sondern können sich durchaus auf traditionellere Theaterformen wie das dramatische Theater konzentrieren und darüber ihre individuelle Signatur gewinnen. Das ästhetische Profil von Theaterfestivals seit den neunziger Jahren erfährt also gerade in der Auseinandersetzung mit dem sie umgebenden kulturellen Feld verschiedenste Ausformulierungen und Erweiterungen. Die sozialen und sozial-kreativen Aspekte von Festivals konnten hingegen in Rückbezug auf anthropologische Modelle der Communitas und des Fests erhellt werden. Festivals mit Victor Turner als liminoide Phänomene zu verstehen, gestattet sie als grenzgängig zu begreifen und zugleich als Orte von kreativen Impulsen. Selbst wenn Communitas und das ›alte Fest‹ im Sinne Turners gegenwärtig nicht mehr zu erreichen sind, nur Utopien bleiben müssen, dient ihre Theorie als Richtschnur für die Beurteilung von Festivals. Anders als Events, die einzig auf ihren Effekt beim Zielpublikum, beim Konsumenten angelegt sind und sich durch maximale Geplantheit auszeichnen, öffnet die Applikation der Ideen von Communitas und Fest auf Festivals den Blick für Spontaneitäten und das Unvorhergesehene im Festivalmodell. Das Konzept des Ereignisses steht in ihrer Tradition, als Gabe und als das genuin Unplanbare, dem man nur passiv begegnen kann, das ›über einen kommt‹ – auf das Festival angewendet, wäre es richtiger zu sagen, das sein Umfeld ›theatralisiert‹. Das Ereignis (als Kategorie des Erfahrens von Welt) allein kann in der Wahrnehmung der Festivalteilhabenden Brüchigkeiten erzeugen und damit den Raum öffnen für ein Umdenken, für neue Entwicklungen, für den Kairós. Festivals als Ereignisse zu denken, erlaubt sie als randständige Phänomene zu begreifen, die aufgrund ihrer Position zwischen den Grenzen (zwischen Ernst und Spiel, zwischen Struktur und Prozess, zwischen Markt und Anti-Markt und so weiter) diese nicht nur zu illustrieren, sondern zu transzendieren vermögen. Die Praxis des Netzwerkens als eines der wichtigsten Operationswerkzeuge des Theaterfestivals unterstützt die Auflösung dieser Grenzen. Künstlerische Netzwerkbeziehungen bestehen in Europa nicht erst, seitdem sich die ersten internationalen Theaterhäuser in den achtziger Jahren etablieren, nehmen aber seit diesem Zeitpunkt erhöhten Einfluss auf die gesamte kulturelle Szene in Deutschland und insbesondere auf die Festivalszene. Heute ist die 299

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Kooperationstätigkeit zwischen Freien Theaterhäusern und Festivals Usus, allgemeine Praxis. Sie bezieht seit dem neuen Jahrtausend jedoch auch die Stadt- und Staatstheater mit ein, die sich nicht nur verstärkt des Festivalmodells bedienen, sondern immer häufiger in bestehende Netzwerke einsteigen und Koproduktionen mit Festivals und Freien Theaterhäusern eingehen. Das frühere Novum des Netzwerkens hat heute theaterweit Selbstständigkeit und Selbstverständlichkeit erreicht. Die Öffnung dieser Praxis für die institutionellen Theaterhäuser bedeutet zugleich eine Verschiebung im Verhältnis zwischen ihnen und Festivals. Anders als in den siebziger und achtziger Jahren, wo Institutionskritik einen breiten Raum in der Selbstwahrnehmung und -darstellung von Festivals einnimmt, tragen Festivals heute dem Umstand Rechnung, dass Innovation und Weiterentwicklung nicht ohne Institutionalisierung zu erreichen sind. Sie werden infolgedessen immer deutlicher selbst zu Institutionen. Die gesamtkulturelle Leistung von Theaterfestivals besteht im Gegensatz zu den siebziger und achtziger Jahren nicht mehr allein in einer Kritik der Theaterinstitutionen, sondern in deren bestmöglicher Integration in ihr Arbeitsfeld. Diese Akzentverschiebung verdeutlicht sich auch in der zeitlichen Struktur von Festivals. Eingehender als andere kulturelle Modelle reflektieren Festivals ihre zeitlichen Strukturen, was vor allem mit ihrer zeitlichen Auffälligkeit zu begründen ist: Festivals finden in bestimmten Abständen regelmäßig statt, dauern in der Regel nur wenige Tage und haben einen enormen zeitlichen Vorlauf für den Höhepunkt der Ereignisse in einer Art künstlerischen ›Feuerwerks‹. Tatsächlich werden Festivals jedoch weit mehr als durch Eruption durch ihre Alltäglichkeiten gekennzeichnet. Elemente des Bruchs wie Ausnahme und Pause gehören immer weniger zum Selbstverständnis von Festivals – Pausenzeiten etwa werden zunehmend im Sinne der Rentabilitätslogik ›produktiv‹ gefüllt, die Ausnahmesituation wird umgedeutet zur Ausnahme als Möglichkeit. Dies deutet, gerade im Vergleich zu den achtziger Jahren, auch auf eine größere Verunsicherung im Selbstverständnis von Festivals hin. Dennoch gewähren die zeitlichen Determinanten von Gleichzeitigkeit und zeitlicher Verdichtung immer noch Momente für spontane Handlungen. Das zeitlich komprimierte ästhetische und soziale Überangebot auf Festivals eröffnet Raum für eigene Entscheidungen und für den produktiven Kollaps. Zeitliche Elemente wie Zukunftsexpansion und Alltag verdeutlichen hingegen das Wechselspiel, dem Festivals ausgesetzt sind: einmalig, schnell vergänglich und ›festlich‹ zu sein und zugleich Künstler zu fördern, Kontinuitäten zu vermitteln und durch Planung die Ereignisfähigkeit des Festivals zu steigern. Die Erforschung der zeitlichen Ordnung von Festivals verdeutlicht somit um ein weiteres Mal die Verschiebung der Festivalpraxis von anarchistischen zu restituierenden Tendenzen. Ihre zeitliche Praxis zeugt jedoch auch von der Verantwortung, die Festivals zunehmend gegenüber der gesamten kulturellen Landschaft Deutschlands übernehmen. So räumen sie ihren kontinuierlichen, erinnerungs- und traditionsbegründenden Elementen seit den späten neunziger Jahren einen immer größeren Stellenwert ein. Ähnliches ist festzustellen, betrachtet man die Räume des Festivals. Das Ziel von Festivals in räumlicher Hinsicht besteht darin, immer mehr Einfluss auf das konkrete Festivalumfeld zu nehmen, Orte zu Räumen zu machen und Räume zu vervielfältigen. Hauptbezugspunkt ist traditionell die Stadt, die seit den Neunzigern immer mehr zum Mitspieler im Festivalgeschehen wird. 300

Schlussbetrachtung

Theaterfestivals begeben sich in ihr städtisches Umfeld, erkunden es und besetzen ihre je eigene Position innerhalb dieses Raums. Das Verhältnis zwischen städtischem Raum und Festival beruht jedoch zunächst auf einer Krise: Der urbane Raum ist seit Ende der achtziger Jahre in Auflösung begriffen, wird immer homogener, dabei aufgeteilt in Parzellen und sozial ungerechter. Der verfremdende Blick, den Festivals auf diesen Raum werfen, bedeutet nicht nur für sie, sondern auch für die Bewohner wie für das Stadttheater einen Zugewinn an ästhetischem und sozialem Spiel-Raum. In der Verortung im städtischen Raum finden Festivals einen für sie prädestinierten Rahmen, der ihren Ambitionen und Fähigkeiten entspricht. Gerade aber im Kontext der Frage nach den transräumlichen Eigenschaften von Festivals stößt man auf vielfältige Abhängigkeiten und begriffliche Verwirrungen. Denn entgegen der von der EU-Politik eingeforderten Hilfe bei der Umsetzung solcher Konzepte wie ›interkulturellem Dialog‹ oder ›kultureller Vielfalt‹ eröffnen Festivals zunächst einen mentalen Raum, in dem primär interindividuelle Begegnungen möglich sind. Der Praxis von Festivals entsprechend wird der Besucher eines Festivals freilich mit dem ›Fremden‹, dem ›Anderen‹ in Kontakt gebracht – das ästhetisch Andere ist eine wichtige Attraktion für den Festivalteilhabenden –, ohne dass damit notwendigerweise Konzepte von Kultur zu verbinden wären. In die europapolitische »Begriffsakrobatik« (Fuchs) mit den Schlagworten von interkulturellem Dialog und kultureller Vielfalt einzustimmen, bringt Festivals in ein Fahrwasser, in dem ihre produktiven Missverständnisse und Reibungsflächen, ihr schöpferisches Nichtverstehen eingeebnet, verleugnet und sie damit ihrer eigentlichen Kräfte beraubt werden. Im Kapitel »Zwischen Politik und Ökonomie« wurden weitere prekäre Verstrickungen von Festivals seit den neunziger Jahren und Auswege aus diesen aufgezeigt. Ein Großteil der zuvor erörterten Veränderungen – erhöhte Bereitwilligkeit zur Dokumentation von Festivals, Etablierung von Traditionslinien, unter anderem durch rekurrierende Programmpunkte, gesteigerte Selbstreflexivität, Verstärkung des Anteils an Eigen- und Koproduktionen – sind dem Rückgang der finanziellen Förderung von Festivals geschuldet. Es lässt sich nicht bestreiten, dass politische Instanzen gegenüber ›der Kultur‹ doppelmoralisch handeln. Denn die staatliche Subvention des Kultursektors ist seit den neunziger Jahren nachweislich stetig gesunken, während keine weiteren rechtlichen Maßnahmen unternommen wurden, um die Förderung von Kultur ausgleichend zu unterstützen. Zugleich werden Großveranstaltungen wie Theaterfestivals seit diesem Zeitpunkt immer deutlicher in die Pflicht der Politik genommen, sollen die Attraktivität eines Standorts für Touristen und Unternehmen erhöhen und sogar soziale Krisen zu beheben helfen. Ein folgenschweres Missverständnis des Festivalmodells, da einerseits die ökonomische und gesellschaftliche Rentabilität von Festivals für ihren Standort nicht eindeutig nachweisbar und deshalb unerheblich ist, andererseits Festivals primär ästhetische Ereignisse sind und keine planbaren Events. Beim Einsatz der Politik für kulturelle Veranstaltungen wie Theaterfestivals muss unter den derzeitigen Vorzeichen also eher von einer Enttäuschung für alle Beteiligten ausgegangen werden als von gegenseitigem Nutzen. Anders verhält es sich, wenn Festivals als Bühnen für die Selbstdarstellung der an ihnen Beteiligten betrachtet werden. Die Bühne des Festivals ist zugleich eine Metapher für die soziale Qualität des Festivals – auf ihm werden gesellschaftliche (ökonomische und künstlerische) Beziehungen begrün301

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det, ausgehandelt und erneuert. Hier finden nicht nur Sponsoren und Politiker ihren Platz, die für ihre Konzepte werben können, sondern auch die Zuschauer, die ihr Bedürfnis nach Geselligkeit befriedigen. Festivalbesucher profitieren von der Öffentlichkeit auf Festivals – die nur eine uneigentliche, weil nicht allen zugängliche Öffentlichkeit ist – und nutzen das gesellschaftliche Ereignis für das Restituieren von Zusammengehörigkeits- und Gruppengefühl. In ähnlicher Weise funktioniert das Bild des Festivals als Markt. Wehren sich Festivals zunächst reflexartig gegen diese Metapher aus Furcht, als reine Produktionsmaschinen von Kultur und als Kunstlieferanten wahrgenommen zu werden, trägt das Bild doch den realen Vorgängen Rechnung – denn als Markt erfüllen Festivals zunächst kulturelle Funktionen, tragen zum Diskurs und zum Aushandeln im Sinne eines kommunikativen Handelns (Habermas) bei. Davon abgesehen sind auch die tatsächlich ökonomischen Aspekte des Festivalmarkts nicht nur negativ zu interpretieren, sondern ein wichtiges Mittel zur Verbreitung von neuen künstlerischen Positionen: Festivals als Markt können ihren Teil dazu beitragen, Innovationen im Theatersektor durchzusetzen, und können so auf die Theaterlandschaft insgesamt positiven Einfluss ausüben. Sich dem Markt zu sperren und die eigene Marktfunktion zu leugnen, lässt Festivals hinter ihr Potential zurücktreten. So werden zum Schluss der systematischen Analyse nochmals die Möglichkeiten der Instrumentalisierung von Festivals aufgezeigt und wird verdeutlicht, in welchem Rahmen eine Einflussnahme von Politik und Wirtschaft auf ein kulturelles Phänomen wie das des Festivals sinnvoll sein kann. Im Lauf der Untersuchung wurde an verschiedenen Stellen sichtbar, dass gerade aufgrund ihrer vielfältigen Rückgebundenheit an und Beeinflussung durch externe wie auch interne (Netzwerke, Künstler) Kräfte Festivals einen großen Stellenwert in den verschiedensten künstlerischen und sozialen Kontexten einnehmen. Ob als für die städtische Politik relevantes Mittel zur Hebung von urbaner Lebensqualität und Beseitigung von Verödungsgebieten, ob für Sponsoren als Werbeveranstaltung für die zu erreichende Zielgruppe – aus Theaterfestivals ziehen die verschiedensten Interessengruppen ihren Nutzen. Die Ursprungsfrage nach dem Einfluss von Festivals auf die kulturelle Landschaft Deutschlands war demzufolge unterkomplex – jede Einwirkung auf Kultur ist beim Festival notwendigerweise gebunden an soziale, politische, ökonomische Dimensionen. Um dennoch die zentrale Frage nach der Brisanz des Festivals als Organisationsmodell für die deutsche Theaterlandschaft zu beantworten, lässt sich am Ende dieser Untersuchung eine breite Vielfalt nennen, die der mannigfachen Rückgebundenheit von Festivals entspricht – unumstößliche Antworten können bei einem derart flexiblen Organisationsmodell nicht erwartet werden. Dennoch seien abschließend einige Punkte aufgeführt. Die Vervielfältigung dessen, was unter dem Terminus Festival zu verstehen ist, hat seit den neunziger Jahren auch dazu beigetragen, die vormals an der begrifflichen Unterscheidung von Festspiel und Festival festgemachte Trennung zwischen Hoch- und Populärkultur aufzuheben. Diese anachronistische Perspektive wird zusehends aufgegeben zugunsten einer interdisziplinären Sicht auf die Kunst des Theaters. Durch die intensivierte Verschränkung von Diskurs und Theater auf Festivals wird ihnen außerdem gesamtgesellschaftlich ein neuer Stellenwert zuteil: Kunst und künstlerische Produktionen werden in ihrer Relevanz für die Gesellschaft auf ihnen wieder 302

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sichtbar. Das geschieht ebenfalls seit den letzten zehn Jahren verstärkt über neue Theaterformate, die sich in Verbindung mit den Bürgern der Austragungsstadt eines Festivals setzen und deren Wahrnehmung dessen, was Stadt, aber auch was Theater ist, thematisieren und verändern. Nicht wenige Festivals übernehmen für ihre Besucher dabei eine Mittlerfunktion, indem sie neue Theaterformen in einem ereignishaften und unterhaltsamen Rahmen präsentieren, die für manchen Zuschauer ohne das Festival nicht zu erleben wären. Festivals spielen für neue Theaterformen und vor allem für den künstlerischen Nachwuchs die Rolle des Vermittlers und Promotors. Ihr Marktplatz ist das Begegnungszentrum für Künstler und Kunstfördernde und damit Plattform für das Ausweiten künstlerischer Kontakte und die gegenseitige Einflussnahme auf die eigenen Ästhetiken und deren Bereicherung. Das mittlerweile gut organisierte Kooperationsnetzwerk, das Festivals bereitstellen, sorgt für eine weite Streuung dieser neuen Künstlergruppen und die Verbreitung richtungweisender Regieansätze. Nachwuchskünstler stammen bei Festivals immer häufiger nicht aus dem Repertoirebetrieb, sondern aus der Freien Szene, weshalb die kooperativen Beziehungen von Festivals zu Freien Theaterhäusern beinahe als traditionell zu bezeichnen sind. Neu ist, dass auch die Grenzen zum Stadttheaterbetrieb durch die Koproduktionspraxis zusehends luzider werden. Immer mehr Stadt- und Staatstheater binden entweder ein Festival ganz an ihr Haus (so der Fall bei den THEATERFORMEN oder auch bei Neue Stücke aus Europa) oder bauen das Festivalformat als einen Aufmerksamkeit erregenden Programmbestandteil unter vielen in ihre Spielpläne ein. Nicht jedes dieser Ergebnisse hat sich für Festivals als vorteilhaft erwiesen. Zuletzt sind negative Veränderungen durch ihre zunehmende Integrierung in die Programme städtischer und staatlicher Theaterhäuser spürbar geworden. Nachdem Festivals die Grenzen zwischen sich und den Theaterinstitutionen bereitwillig transzendierten, wird es heute für sie existentiell, diese Grenzen erneut zu restituieren, um ihre Kontur erhalten zu können. Dieser Diagnose entsprechend, soll abschließend noch ein Ausblick auf das Phänomen deutscher Theaterfestivals unternommen werden, der wesentliche, bereits in der Studie angedeutete Tendenzen zusammenfasst. Prognosen über die Entwicklung von Theaterfestivals in Deutschland abzugeben, ist zweifelsfrei gewagt, allerdings zeichnen sich seit den letzten fünf Jahren durchaus deutlich Trends ab, die zumindest tentative Aussagen zulassen. Es lässt sich folgende, in Deutschland relativ einheitliche Dynamik von Ereignissen bemerken. Längst ist nicht nur der Bestand von Theaterhäusern durch die seit Beginn der neunziger Jahre einsetzende Finanzkrise gefährdet, auch Festivals sind von ihr betroffen. Schon jetzt ziehen sich außerdem einige Sponsoren aus der Förderung von Festivals zurück (so etwa geschehen bei der RuhrTriennale, die ihren Hauptsponsor RAG [heute: Evonik] verlor) – Festivals werden aus der verschärften finanziellen Lage Konsequenzen ziehen und ihr Programm sowie ihre Dauer einschränken müssen. Die Folgen könnten aber nicht nur nachteilig, sondern auch vorteilhaft sein und werden schon heute positiv gewendet in Form von Vermehrung kleiner Eigenproduktionen in den deutschen Festivalprogrammen. Diese beziehen sich immer stärker auf die urbane Umgebung des Festivals und gewinnen hieraus ihre

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Attraktivität.1 Auch diskursive und damit kostensparende Formate werden weiter an Relevanz gewinnen. Alle diese Maßnahmen stehen im Zeichen zunehmenden Konkurrenzdrucks und Profilierungsnotstands. Noch stärker als zuvor werden Festivals also durch die sonstige Theater- und Festivallandschaft geformt werden. Das Abgrenzungsbedürfnis zum üblichen Theaterbetrieb wird sich weiter zuspitzen, wird noch andere Profilierungsmethoden notwendig machen, um die Sonderstellung von Festivals zu markieren. Die Einbindung des städtischen Umfelds in ihre Programmgestaltung wird hierbei auf Dauer nicht ausreichen. Insgesamt zeichnet sich das Bild einer graduellen Rückwendung zu den Ursprüngen des Festivalmodells in den siebziger Jahren, einer Neubesinnung auf das ureigenste Potential von Festivals als diskursanregende, aufstörende, direkte und gesellige Formate der Präsentation von Theaterkunst. Doch wird diese Rückwendung gelingen und zu welchem Preis?

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Ein hierfür gutes Beispiel zum Ende des Untersuchungszeitraums dieser Studie ist die Ausgabe von Politik im Freien Theater im November 2008, bei der die lokalen Produktionen deutlich größeren Stellenwert einnehmen als bei den Ausgaben zuvor und eine Rückkopplung an das Gefühl von Heimat stattfindet unter dem Motto »Willkommen zuhause«, vgl. Programmheft zu Politik im Freien Theater 2008, S. 3.

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Interviews Alle folgenden Interviewtranskripte stellen nur Auszüge aus den geführten Gesprächen dar.

Christine Peters, Freie Festivalkuratorin, 16. Dezember 2005, Frankfurt am Main Fällt dir für mein Forschungsprojekt ein Festival ein, das ich unbedingt untersuchen sollte? Ich möchte dabei in jedem Fall im deutschsprachigen Raum bleiben. Das Zürcher Theaterspektakel etwa. Oder der steirische herbst, der eines der ältesten Festivals ist. Es ist sogar älter als Theater der Welt. Theater der Welt hatte seine erste Ausgabe 1981, und der erste steirische herbst war 1967 und wird damit knapp 40 Jahre alt. Ich hatte auch das KunstenFestivaldesArts in Brüssel in Betracht gezogen oder das Edinburgh International Festival. Mit diesen Festivals werde ich mich natürlich auch befassen, sie aber aus konzeptuellen Gründen nicht in die Arbeit aufnehmen können. Grundsätzlich gefragt: Meinst du, dass Festivals überhaupt noch nötig sind? Als Ergänzung zu Spielplänen von Häusern mit festen Ensembles sind das die Plattformen, die das, was im Moment an aktuellen Positionen oder gelungenen Projekten weltweit kursiert, koproduzieren beziehungsweise präsentieren. Aber ob sie sinnvoll sind? – Letztendlich ist das eine Frage der Häufung und abhängig von mehreren Parametern: ob ein Festival es schafft, eine gewisse Unverwechselbarkeit, Profilschärfe und Kontinuität in die Arbeit zu bringen; ob es Publikumsanbindung über bestimmte Künstler, die wiederkehren, herstellen kann. Und damit auch eine Art Bildungsfunktion zu übernehmen. Ich glaube schon, dass es die Qualität der Wahrnehmungsschulung nachhaltig prägt, wenn ein Festival das Weltgeschehen substantiell bearbeitet und dazu ergänzend Reflexionsschienen für alle Beteiligten anbietet. Würdest du das als Hauptaufgabe oder als primäres Ziel von Festivals sehen, etwas beim Publikum zu verändern und nicht nur zu präsentieren? Und gibt es deiner Kenntnis nach Festivals, die ohne diese zusätzlichen Programmbestandteile noch auskommen? Ziel von Festivals sollte es zumindest potentiell sein, das Publikum in seiner geistigen Beweglichkeit herauszufordern. Zu deiner zweiten Frage muss ich sagen, dass ich gerade die Festivals, die du dir vornimmst, zu wenig kenne. Klassisch sind ja Einführungsveranstaltungen, in denen die Dramaturgen den Inszenierungsansatz vorstellen und mit den Regisseuren im Anschluss an die 305

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Aufführung diskutiert wird et cetera – um diese Vermittlungsebene kommt man heute nicht mehr herum – Vermittlung ist das neue Zauberwort – und hier werden neue Standards gesetzt, die Festivals auch bedienen (müssen). Aber bei der Ausgabe von Theater der Welt, bei der du mitgearbeitet hast, hattet ihr doch wesentlich mehr zusätzliches Programm, oder? Gab es Workshops, Seminare et cetera? Es gab mehrere Workshops vom ITI, der Trägerorganisation des Festivals. Dann gab es einen Workshop »Last Call for Scheherazade« nur mit Frauen aus vorwiegend arabischsprachigen Ländern. Es gab ein Forum für Kuratoren und Künstler auf der Akademie Schloss Solitude über Arbeitsmethoden und Vernetzungsfragen et cetera, das ich geleitet habe. Es gab außerdem jede Menge öffentliche Talks: zum Beispiel Künstler-Frühstücke, bei denen öffentlich Fragen gestellt werden konnten. Da wurden meist zwei bis vier verschiedene Inszenierungen zusammengefasst. Da kamen alle Künstler, alle Beteiligten und man konnte seine Fragen an die jeweiligen Inszenierungen loswerden. Nach etwa jeder zweiten Inszenierung gab es ein Publikumsgespräch. Es gab Journalistengespräche, bei denen Journalisten Regisseure speziell zu ihren Inszenierungen und zu einem Thema – beispielsweise »Amerika heute« – befragt haben. Es gab öffentliche Rundfunkveranstaltungen, die live übertragen wurden, was mehr ›Plauderstundencharakter‹ hatte, bei denen der SWR mobil im Festivalzentrum live sendete oder Gäste im Sender hatte. Dazu gab es noch eine Menge Rahmenprogramm: Spiele für Erwachsene und Kinder, zahlreiche Aktivitäten im Park, wo Kinder bauen und basteln konnten. Für das sehr große Rahmenprogramm gab es eigens einen Veranstaltungsmanager, der nur dieses organisierte. Wurde sogar zu viel angeboten? Das Programm war wirklich für die Bewohner der Stadt gedacht, für die Familien, damit sie regelmäßig dorthin kamen. Die hatten auch spezielle Karten, mit denen sie verbilligte Tickets und jede Menge Vergünstigungen bekommen konnten. Statt auf den Spielplatz oder ins Kino ist man zu Theater der Welt gegangen und hat sich auf der Wiese oder im Festivalzentrum meist an den Wochenenden vergnügt. Das hatte natürlich einen Multiplikatoreneffekt, weil die Leute ihren Freunden erzählten »Ich gehe heute zu Theater der Welt, da ist was für Kinder« oder so ähnlich, und so wurde es zu dem öffentlichen Sommer-Treffpunkt. Das hat dem Festival viele Sympathien gebracht, so viel ist sicher. Das »Logbuch« zum Festival bestätigt und dokumentiert dieses Publikumsverhalten ganz anschaulich. Ja, das Wetter war ausgezeichnet, die Lage war sehr günstig und auch veranstaltungstechnisch hat es bestens funktioniert. Das Festivalzentrum war mitten im Park umgeben von den wichtigsten Veranstaltungshäusern: vom Schauspiel, von der Oper und vom Kunstverein (in dem das Festivalzentrum war) sowie vom Kunstmuseum. Da hat sich streckenweise das öffentliche Leben abgespielt. Hat man sein Ziel schon damit erreicht, dass die Einwohner ›einfach so vorbeischauen‹? Kann es allein schon das Ziel von Festivals sein, dass die 306

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Stadtbevölkerung involviert wird? Ein häufiger Kritikpunkt lautet ja »Da kommen nur Leute von außerhalb, die sich ohnehin schon auf anderen Festivals die Shows angesehen haben« und der Ort ist letztlich beliebig. Außer wenn es darum geht bei Verhandlungen über finanzielle Unterstützung nachzuweisen, dass man ein Ereignis für die Stadt veranstaltet, in der ein Festival angesiedelt wird. Bei Theater der Welt war das nicht so? Nein, das war schon ein städtisches Festival, das wirklich von der Stadt und durch den Zusammenschluss von 16 verschiedenen Spielstätten getragen wurde. Hinzu kamen Seminare, die im Vorfeld des Festivals an der Universität gegeben wurden. Die unterschiedlichen Festival-Abteilungen haben im Vorfeld in diesen Seminaren ihre Arbeiten vorgestellt: Presse- und Öffentlichkeitsabteilung, Management, Betriebsbüro, Produktionsbüro und die Leitung. Dass darüber die ganzen Praktikanten rekrutiert wurden, hat noch mal zu einer Verstärkung der öffentlichen Wahrnehmung gesorgt. Zudem war die Festivaldirektorin, Marie Zimmermann, Jahre zuvor Chefdramaturgin am Schauspiel Stuttgart, und ihr Mann, Friedrich Schirmer, der Intendant des Hauses, der sich mit dem Festival von seiner Intendanz verabschiedete – es war also für die Macher auch von hohem symbolischen Wert und verbunden mit einer großen Nähe zur Stadt und ihren Bewohnern. – Sicherlich eine Ausnahmesituation bei einem Wanderfestival wie Theater der Welt. Kann man das als einen allgemeinen Trend ansehen? War das auch deine Verfahrensweise beim Plateaux Festival am Künstlerhaus mousonturm in Frankfurt, diese starke Einbindung des Publikums? Plateaux als jährliches, reines Nachwuchsfestival mit einer Dauer von zwei Wochen Laufzeit ist nicht vergleichbar mit einem Festival wie Theater der Welt, das nur alle drei Jahre stattfindet, noch dazu jeweils in einer anderen deutschen Stadt und über einen längeren Zeitraum. Bei Plateaux haben wir immer auf eine passende Dichte und Verschaltung der Veranstaltungen Wert gelegt. Dass man also möglichst über Preissteuerung mindestens zwei Veranstaltungen an einem Abend sehen konnte und zusätzlich alles, was es später am Abend noch an Bar- und Clubveranstaltungen gab, zu freiem Eintritt war, so dass ein Publikum ein Maximum an Angeboten hatte und sich damit länger im Haus aufhalten konnte. Dazu kamen zwar auch Künstlergespräche, selten jedoch Einführungen. Bei Plateaux handelt es sich ja um einen stark experimentellen Ansatz, wo die Künstler noch nicht so lange im Geschäft sind, und man will junge Künstler nicht stundenlang über ihre Inszenierungsmethoden befragen, wenn sie doch gerade erst dabei sind, eine Methode zu entwickeln. Festivals behaupten von sich, dass sie Künstler zusammenführen – was ja im Prinzip stimmt, weil diese theoretisch die Möglichkeit haben, die Arbeiten anderer zu sehen. War das Realität bei Theater der Welt? Bot Theater der Welt 2005 Künstlern die Möglichkeit, sich länger vor Ort aufzuhalten? Es gab einige Produktionen, die länger in Stuttgart gezeigt wurden, aber das waren Uraufführungen oder Installationen. Die Künstler jedoch sind eigentlich nicht unbedingt losgezogen und haben sich die Arbeiten der anderen angeguckt. Aber es gab zusätzlich noch das so genannte ›Künstlerdorf‹, in einer neu gebauten Siedlung, für die das Festival ein Erstnutzungsrecht hatte und dort alle Künstler untergebracht wurden. Dort gab es auch ein Künstlerzelt, in 307

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dem gefrühstückt wurde. Man lebte also in diesem Dorf zusammen und abends gab es noch Veranstaltungen, so dass hier Begegnungen in jedem Fall möglich waren. Die Künstler waren oft abends einfach zu erschöpft, um noch ins Festivalzentrum zu gehen, wo sich das Publikum gemischt hat. Es ist jedoch in jedem Fall gut, dass man überhaupt Begegnungen durch Künstlerzelte, Künstlerdörfer, Festivalzentren schafft, damit man die Gelegenheit hat, sich kennen zu lernen. Ich behaupte, dass das Zusammentreffen der Künstler zwar Potentialität für Zusammenarbeit hervorbringt, dass es dafür aber auch keine Garantie gibt und es letztlich auch nicht vorderstes Ziel eines Festivals sein kann, diese zu erzeugen. Wenn man bei einem Festival auftritt, das von vornherein interdisziplinär angelegt ist, so ist vielleicht die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich dort Künstler stärker füreinander interessieren. Wenn inhaltliche Schnittmengen da sind, dann sollte sich ein Festival bemühen, auch zeitliche Schnittmengen herzustellen, um diese Potentialität zu fördern. Was würdest du als geeignetere Möglichkeit sehen, um die Begegnungen von Künstlern zu ermöglichen, als Festivals? Zum einen research-basierte Produktionen, bei denen man längerfristig eine Gruppe von Künstlern einlädt und diese wiederum gezielt Leute einladen, mit denen sie über eine bestimmte Strecke arbeiten wollen. Aber, wie gesagt, die Spielplangestaltung sollte bei Festivals ein wichtiges Kriterium sein, sprich, man sollte auf eine sinnvolle Spielplandramaturgie achten, um auch aus der Perspektive der Künstler zu überlegen, welche Produktionen man zeitlich verzahnen kann, und dann ist auch eine produktive Begegnung möglich. Wurde darauf auch bei Theater der Welt geachtet? Gesamttechnisch nicht. Es gab in dreieinhalb Wochen und bei 16 Spielstätten dafür viel zu viel Programm, das wäre gar nicht gegangen. Aber was das Forum betraf, das ich auf Schloss Solitude gemacht habe und in dem es um Arbeitsmethoden und -praktiken ging: Das wurde so gelegt, dass in dem Zeitraum viele der Künstler, die ich kuratiert hatte, gleichzeitig in der Stadt waren und tagsüber daran teilnehmen konnten. Was sie auch getan haben. War das Festival vielleicht sogar zu groß? Für den Ticketverkauf eigentlich nicht. Für den internationalen Profi, der maximal zweimal anreisen konnte, war es bestimmt zu viel. Das Verhältnis von Experten und Laien interessiert mich. Es besteht ja das Vorurteil, dass Festivals elitäre Veranstaltungen sind. Ist es überhaupt schlimm, elitär zu sein? Lässt sich das vermeiden? Sollte man das vermeiden? Den Vorwurf könntest du Literaturveranstaltungen, Neue-Musik-Veranstaltungen, der Oper et cetera genauso machen – vor allem aber auch all denjenigen, die es noch nicht zu einem breiteren Publikum geschafft haben, weil sie bestimmte populäre Kriterien nicht erfüllen. Der Begriff ›elitär‹ ist nicht produktiv, und ich unterstelle mal, dass er von denjenigen genutzt wird, die eine gewisse Quote nicht erfüllt sehen. Jede seriöse Arbeit, die über eine gewisse 308

Interviews

Zeitdauer durchgehalten wird, wird irgendwann zu mehr Publikum führen. Man müsste einfach schauen, wie es mit bestimmten Festivals war. Bei Theater der Welt ist es so, bei der documenta, bei bestimmten Veranstaltungen, die einmal anfingen und Jahr für Jahr ihr Publikum vermehren. Ich habe den Eindruck, dass es eher kontraproduktiv ist, wenn man sich darauf versteift, ein anderes Publikumssegment zu erreichen. Warum sollte man Leute, die nie an Theater oder kulturellen Veranstaltungen interessiert waren, zu einem Festival bringen? Würdest du das als ein direktes Produkt des Festival-Booms verstehen? Das hat natürlich was mit Städte- und Ländervergleichen, mit Städtetourismus zu tun. Ein Festival erhöht den Wert einer Stadt als Kulturstadt, und gleichzeitig gehen die Kulturhaushalte runter. Um ein Festival langfristig zu erhalten, werden diese Städte- und Ländervergleiche angestellt, um herauszufinden, wie andere Städte ihr Publikum oder Touristen anziehen. Da wird knallhart gerechnet und die Frage kommt an die Macher gnadenlos zurück. Natürlich sind Zahlen und Statistiken von Seiten der Politik mittlerweile das mächtigste Instrument. Deswegen muss es auch ernst genommen werden. Aber warum sollte man nicht versuchen, Leuten, die nie ins Theater gehen, Lust auf Kunst zu machen? Je mehr ein Festival in der Lage ist, sein Ohr an die Bedürfnisse der Bewohner zu legen, desto aufregender kann es werden. Es verlangt viel Kreativität von den Machern, dies zu leisten, nicht nur, was die Gestaltung der Programmarbeit betrifft, sondern auch die Einbindung städtischer Ressourcen, Vermittlung, Preispolitik etc. Wenn man beispielsweise in einer Region wirklich nicht das Publikum hat und es zwangsweise schaffen will, ist es vielleicht doch besser zu kapitulieren und einen anderen Standortfaktor zu schaffen. Es geht doch umgekehrt eher darum die Politik davon zu überzeugen, warum es nicht ständig um Quotensteigerung gehen kann, sondern warum es darum gehen muss, über eine Jahr für Jahr sich vollziehende Qualitätssteigerung nachzudenken, also einen langen Atem zu haben und ein Interesse daran zu entwickeln, bestimmte Communities auch weiterhin nachhaltig mit bestimmten Angeboten zu versorgen. In vielen Städten ist es so, dass es zwar ein Stadttheater gibt und ansonsten eine interessierte und gebildete Öffentlichkeit, die aber nicht versorgt wird. So mobil sind die Leute aber doch noch nicht, dass sie ständig von Mannheim nach Frankfurt und zurück in der Nacht fahren. Im Ballungsraum Rhein-Main zum Beispiel pendeln viele doch schon tagsüber, und wollen abends irgendwo ankommen. Es ist keine Alternative, zu sagen, dass man ein Sportzentrum vergrößert, aber das Theater oder Festival abschafft. Es muss eine andere Balance, ein anderes Bewusstsein geschaffen werden, dass man mit bestimmten Programmen – wenn man auch an den Themen Wahrnehmungsschulung und -bildung, Heranführung an den zeitgenössischen Diskurs substantiell arbeiten will – zunächst nur eine bestimmte Publikumsgröße erreichen kann. Diese fehlende Risikobereitschaft ist fatal, weil sie ein symptomatischer Ausdruck von geistiger und kultureller Kapitulation ist. Festivals werden häufig präsentiert als eine Bastion gegen die Restabilisierung nationalen Denkens. Ist das übertrieben oder findet tatsächlich eine 309

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Verteidigung interkultureller Verständigung gerade auch bei den Künstlern statt? Was kann ein Festival tatsächlich dazu beitragen eine fremde Kultur zu verstehen, wenn nur eine Künstlergruppe aus dieser Kultur eingeladen wird? Ich glaube schon, dass das, wenn man es so definiert, großer Kitsch ist. Ich glaube überhaupt nicht, dass Festivals Verstehensgrenzen erweitern oder erklären, wie andere Kulturen funktionieren. Ich glaube eher, dass es bei so einer Frage wieder nur um substantielle Formate, die das Transkulturelle ins Zentrum ihrer Arbeit stellen, gehen kann. Man muss strukturell dazu beitragen, dass vor Ort Dinge entstehen können, die einen Bestand mit einer mittelfristigen Perspektive haben. Das läuft dann eine Weile unsichtbar, bis es in welchem Format auch immer zu einer Sichtbarkeit kommt und man einem Publikum diese Vielschichtigkeit dann vermitteln muss, damit ein größeres Bewusstsein für globale Zusammenhänge entsteht. Also dass ein Festival über seinen punktuellen Standpunkt hinaus weiterdenkt, aber es an sich nicht leisten kann, in den Zeiten zwischen den Festivalausgaben für Verständigung und Vermittlung zu sorgen. Ich glaube, dass die Festivals, die jährlich stattfinden und langfristig planen, alles bedenken müssen. Dass diese Festivals ein bestimmtes Budget reservieren können, um ein Projekt X in einem Land Y anzustoßen, und in drei Jahren die Ergebnisse vorstellen. Oder auch in der Zeit der Abwesenheit Sichtbarkeit schaffen können. Das ist der Vorteil eines fest verorteten Festivals, und die Potentiale sind längst noch nicht ausgeschöpft. Gibt es Vergleichbares beim steirischen herbst, wo du arbeiten wirst? Konkret kann ich dir dazu noch nichts sagen, aber auch das KunstenFestivaldesArts [in Brüssel] plant über zwei, drei Jahre hinaus. Die Bundeskulturstiftung hat auch mehrjährige Projekte gefördert, bei denen bestimmte Künstler an verschiedenen Orten forschen, um nach zwei Jahren ihre Ergebnisse in Form einer Ausstellung, einer Publikation, eines Symposions, Lectures et cetera vorzustellen. Was hat sich deiner Meinung nach auf der ästhetischen Ebene und auf der Ebene der Produktionsformen verändert? Dadurch, dass es mehr Festivals gibt, gibt es auch mehr Koproduktionen. Dadurch gibt es auch mehr Rangelei um Erstaufführungen, Uraufführungen et cetera. Die Konkurrenz ist gewachsen, auch die Konkurrenz um dieselben Gruppen und Künstler. Das hat stellenweise dazu geführt, dass die Konfektionierung gewachsen ist und gleichzeitig der Zwang, etwas Originäres zu machen. Dass man sich etwas ausdenkt, was nur für dieses bestimmte Festival und diese bestimmte Stadt gezeigt wird. Da geht die Nachfrage ebenfalls immer wieder an dieselben Künstler, die site-specific arbeiten, führt also in gewisser Weise auch zu Konfektionierung, weil der Verschleiß solcher Arbeitsansätze enorm hoch ist. Schließlich können Künstler nicht unendlich kreativ sein und greifen dann oft auf erprobte Formeln zurück. Würdest du das Format der Lecture Performance als Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis als ein Resultat von Festivals sehen? Von Festivals alleine nicht. Das hat eher was mit bestimmten Arbeitsweisen und einer Generation zu tun, die ihre Arbeit auch in anderen Medien reflek310

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tiert wissen will. Es ist ein wachsender Bereich, der auch damit zu tun hat, dass sich bestimmte Künstler nicht mehr in dem Maße in dem Medium Theater zu Hause fühlen, sondern nach transmedialen Ausdrucksmöglichkeiten suchen. Thema site-specific Art: Definieren sich Künstler durch Festivals anders, bilden sich größere, weitere Dimensionen des künstlerischen Denkens heraus? Bildet sich durch Festivals ein größeres Bewusstsein für den Ort heraus? Ich glaube es ist eher umgekehrt: Aus den Begehrlichkeiten bestimmter Festivals und Häuser entsteht ein Format. Und hier sind Festivals nicht von Theaterhäusern zu trennen. Man entwickelt dieses Format, weil es gut läuft und weil es angefragt wird. Glücklicherweise aber wehren sich Künstler auch oft gegen die Vorschläge der Festivals und bestehen auf bestimmte Kriterien und die Schaffung von Voraussetzungen, in denen sie optimal arbeiten können. Ich freue mich immer über jeden künstlerischen Widerstand, der meine kuratorische Ambition unterläuft und mich zu mehr Flexibilität zwingt. Einige Festivalmacher vertreten die These, dass die Homogenität von Festivals rückläufig ist und sich stattdessen Profile einzelner Festivals herausbilden und dafür auch die Stadt und die Spezifika einer Region benutzt werden. Oder ist es im Prinzip doch nur neuer Wein in alten Schläuchen? Der steirische herbst ist definitiv ein positives Beispiel. Aber insgesamt ist das schwer zu verallgemeinern, weil es zum Beispiel klassische, jährliche Festivals gibt, die über die großen internationalen Player funktionieren, wie z.B. das Festival d’Automne in Paris. Festivals wie Theater der Welt sind zu Gast in einer Stadt für einen gewissen Zeitraum und müssen also auch die Stadt mobilisieren und stadtspezifische Strategien entwickeln. Kleinere, biennale Festivals wiederum müssen sich gezwungenermaßen immer originell positionieren und den Dialog mit der Stadt als öffentlichem und kulturellem Raum, als Begegnungsbasis jeweils neu suchen, weil sie ja in der Zwischenzeit für die Öffentlichkeit nicht präsent sind. Aber mir erscheint das Problem der Konfektionierung dennoch nach wie vor ein vorherrschenderes zu sein und im Zuge damit bleibt die Frage, wie stark und mit welchen Mitteln sich ein Festival als Produktionsstandort in einer Stadt verankern kann und will. Man könnte unterstellen, dass durch die Vermehrung von Festivals in Deutschland die Theaterszene orientierungslos geworden ist. Alle versuchen permanent innovativ zu sein – und laufen damit den Moden hinterher und verlernen dabei, Position zu beziehen und sich auf ästhetische Leitlinien festzulegen. Die Frage nach den Kriterien wird immer öfter gestellt, weil die Austauschbarkeit von Festivals durch die immergleichen Namen, über die man sich profilieren will, gewachsen ist. Man befragt sie deshalb nach ihren Themen, nach ihren Schwerpunkten, ob sie Schwerpunkte haben, wie sie ihre Schwerpunkte setzen, wie sich Festivals voneinander unterscheiden. Man befragt sie nach ihren Auswahlkriterien und über diese müssen sich Festivals immer stärker profilieren. Aber andererseits: Warum soll man als Festival nicht sagen, dass man sich auf Osteuropa konzentriert, nicht nur, weil es dafür finanzielle Unterstützung gibt, sondern die Szene auch interessant ist. Man kann 311

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als Festival in jedem Fall dahingehend stärker Position beziehen, indem man mehr Wert auf Produktionen als auf Gastspiele legt. Oder dass man mehrjährig denkt, Strukturen unterstützt und Gelder in Dinge investiert, die erst ein paar Jahre später sichtbar werden. Ich glaube, dass in diesem Punkt Festivals mehr Risikobereitschaft zeigen müssten.

Iris Laufenberg, Leiterin des Berliner Theatertreffens, 08. Mai 2006, Berlin Mich interessiert, was für Sie dieses Festival bedeutet, was Ihre Motivation war, hier zu arbeiten. Ich habe vorher ein internationales, europäisches Festival der Gegenwartsdramatik, die Bonner Biennale, geleitet und war gleichzeitig Dramaturgin am Schauspiel Bonn. Als ich das Theatertreffen übernommen habe, wollte ich, obwohl es ›Theatertreffen‹ heißt und als solches immer behandelt worden war, daraus wieder ein Festival machen. Das heißt, dass es nicht in einer lockeren Abfolge hintereinander Gastspiele gibt, sondern dass diese sich überschneiden können, man auch zwei Aufführungen an einem Tag sehen kann. Das macht für mich ein Festival aus, dass man nicht 17 Tage vor Ort sein muss, um alles gesehen zu haben, sondern dass man in fünf Tagen schon eine Menge mitnehmen kann. Das bedeutet auch, dass im Rahmenprogramm noch einiges angeboten wird, dass man ein ›Festival im Festival‹ plant. Dass zu den Themen, die in den Inszenierungen stecken, Diskussionen angeboten werden. Dass es Merchandisingartikel zur Identifikation gibt, mit denen alle rumlaufen. Sie sagten vorhin, dass das Festival etwas anderes als ein Treffen ist – beides widerspricht sich doch gar nicht. Nein, gar nicht. Die vorherigen Macher des Theatertreffens beharrten nur stets darauf, dass es sich nicht um ein Festival handelt, sondern um ein Treffen. Deswegen wurde es bewusst linear hintereinander und wenig verbunden gedacht und war auch länger. Ich dagegen versuche es so kurz wie möglich zu machen, früher dauerte das Theatertreffen über drei, jetzt nur noch zwei Wochen. Das ist zu lang und läuft der Idee des Treffens eigentlich zuwider, meinen Sie? Genau. Damals sollte es ein Treffen in Berlin sein. Aber was ich meine ist, dass sich alle treffen, Gastspiele sehen, sich austauschen und reden können – im Sinne eines internationalen Netzwerks. Wie würden Sie sich und Ihr Festival heute positionieren? Als was verstehen Sie das Theatertreffen heute? Die internationale Wahrnehmung des deutschsprachigen Theaters ist sehr stark gewachsen. Es gibt zum Glück das Goethe-Institut, das Festivalleiter aus dem Ausland für das Theatertreffen nach Berlin schickt, um sich die Gastspiele anzuschauen. Es kommt immer mehr Presse aus den skandinavischen Ländern, aus Südamerika et cetera. Kein Land hat so ein Theatersys312

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tem wie Deutschland, und wenn man davon ausgeht, dass das Theatertreffen den Querschnitt eines Jahres zeigt, ist das natürlich für diese Leute interessant. Das ist auch ein Resultat der Globalisierungsbewegung, weil Flüge immer billiger werden und man viel flexibler geworden ist. Aus diesem Grunde auch die Verstärkung des Internationalen Forums oder gab es dafür noch andere Gründe? Das Internationale Forum ist schon seit mindestens 26 Jahren ›international‹ und es gibt es schon seit über 40 Jahren. Jetzt kommunizieren wir dessen Existenz nur mehr nach außen, das ist der einzige Grund, warum Ihnen das Forum so gewichtig scheint. Die Begrifflichkeit des Konzils als Motto für das diesjährige Festival ist relativ problematisch. Wie kommen Sie zu den Mottos für das Theatertreffen? Die entstehen schon im Jahr zuvor. Es hat mit Stimmungen im Land zu tun. Auch in den Inszenierungen, die ich mir angucke, suche ich nach Themen. Wie die Wertedebatte zur neuen Bürgerlichkeit, die zurzeit geführt wird, oder andere Dinge, die die Medien bewegen. Im Theater werden diese Dinge hinterfragt – die Frage nach Sinn ist im Theater zentral. Vor einem Jahr habe ich gedacht, dass mich diese Fragen interessieren, und so ist das Motto ›Konzil‹ geworden, weil das Theatertreffen eigentlich immer ein Konzil ist, denn hier kann man immer etwas ausrufen, was man überprüfen will und muss. Mir geht es dabei natürlich nicht um Kirche. Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Theater und Kirche und das Theater kommt aus der Religion, die Ursprünge und Parallelen liegen auf der Hand. Bei unserem Konzil werden nicht Kirchenväter aufgerufen, sondern Theaterleute. Und dieses Mal finde ich es sichtbar, dass die nicht nur aus den Metropolen kommen, sondern dass sie aus der Provinz hierher ›pilgern‹. Das Motto ist natürlich auch ironisch gemeint. Was noch zum Konzilgedanken gehört, ist ein kleines Kartenspiel, das wir entworfen haben. Dabei haben wir alle Theater in Deutschland gebeten, kleine wie große Städte, uns ihre Eckdaten zu schicken: Gründungsjahr, wie viele Intendanten seitdem et cetera. Die ersten 40, die sich gemeldet haben, kamen in das Kartenspiel, das dennoch ganz repräsentativ für das deutschsprachige Theater geworden ist. Große sind dabei, ganz kleine und welche, die man gar nicht kennt. Es geht darum, auch alle anderen Theater mitzuzählen, auch wenn sie nicht zum Theatertreffen eingeladen sind. Auch wenn man nicht mit einer Inszenierung eingeladen ist, soll man sich willkommen fühlen, denn es gibt genügend Gründe, hierher zu kommen: um sich auszutauschen, um zu schauen, was Berlin macht und wer sich hier trifft, um mitzumischen. Und wie war das vor Ihrer Leitung, wie muss ich mir das vorstellen? Früher habe ich mir das Theatertreffen nicht so genau angeschaut, weil ich wie viele andere gegen das Theatertreffen war. Wenn man nicht eingeladen war, fand man das Festival und die Auswahl indiskutabel. In dem Moment, wenn man als Dramaturgin mit einer Produktion eingeladen wird oder eine Produktion des eigenen Theaters, dann reist man hin und findet es auf einmal ganz prima. Ich bemühe mich am Image so zu arbeiten, dass es auch Leute gut finden können, die nicht eingeladen sind. Dass man Foren sucht, in denen

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man mitreden kann, bei von uns angebotenen, öffentlichen Diskussionen oder vielleicht auch beim Stückemarkt. Finden Sie denn das ›Networking‹ im deutschsprachigen Theater, gerade auch im europäischen Vergleich, zu unterentwickelt? Es ist schon so, dass im deutschen Theater Vereinsmeierei herrscht. Aber man trifft hier ja auch internationale Festivalmacher und internationale Presse, Leute vom Internationalen Forum. Es gibt ganz viele Ebenen, auf denen man wie bei keinem anderen Festival Ideen vorstellen kann und Kontakte knüpft. Und es ist Berlin – man kann immer noch in die anderen vielen Theater hier gehen und sich dort Produktionen anschauen. Gibt es Probleme, die mit Ihrem neuen Konzept verbunden sind? Gerade auch politisch gesehen, schließlich beziehen Sie hier ja auch ganz klar Stellung? Die [Kulturpolitiker] reagieren fast überhaupt nicht. Bei Christina Weiss [Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien von 2002 bis 2005] gab es schon Reaktionen, weil sie sehr präsent war, aber seit der neuen Regierung gibt es keine direkte Reaktionen mehr auf das, was wir tun, auch kaum noch persönliche Präsenz bei den Veranstaltungen. Wie verhält es sich hingegen mit der Finanzierung des Theatertreffens, läuft die nicht über den Bund? Nein, gänzlich über die Kulturstiftung des Bundes. Wir haben 1,5 Millionen Euro von der Kulturstiftung des Bundes und damit müssen wir haushalten. Mit der Hilfe von BMW können wir noch die Festivalzeitung machen, wobei die Sponsorengelder immer neu akquiriert werden müssen. Welche Rolle spielt für Sie das Publikum und wie sieht Ihr Publikumskonzept aus? Wen wollen Sie erreichen? Man stellt sich diese Frage beim Theatertreffen nicht tiefgründig, da es immer ausverkauft ist. Sobald wir das Programm bekannt geben, können wir uns vor Anfragen kaum retten. Aber natürlich will ich nicht, dass es nur die alten, reichen Wilmersdorfer bleiben, sondern dass auch der Osten und die Jugend von überall her kommen. Wir blockieren auch Karten für universitäre Gruppen, weil diese Leute das Theatertreffen auf einem hohen Niveau diskutieren und als Multiplikatoren wirken. Wir achten darauf, dass es nicht bei den Alteingesessenen bleibt. Der Begriff der Elite wurde seit jeher mit dem Theatertreffen verbunden – ist das schlimm oder will das Theatertreffen genau das leisten? Das ist genau richtig! Angefangen bei den Gastspielen – wenn man zum Theatertreffen eingeladen wird, ist das auf jeden Fall eine Auszeichnung und ein Gütesiegel. Dazu befördert es hier und da Karrieren. Wenn wir beim Internationalen Forum oder bei der Festivalzeitung junge Leute auswählen, dabei zu sein, ist das ein Privileg und damit sind sie erst einmal ›Elite‹ – ob sie es bleiben, ist jedem individuell überlassen. Aber erst einmal ist das so gesetzt und es ist auch so gewollt. Damit es nicht so aussieht, als ob ich mir widerspreche: Die Ausgewählten sind Elite. Aber jeder kann kommen, um an der Diskussion teilzunehmen. 314

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Mich interessiert beim Festival vor allem das Moment der Gemeinschaft, die gleichzeitige Präsenz. Gibt es diese große Gemeinschaft Ihrer Erfahrung nach oder bleibt es bei kleinen Grüppchen? Ich glaube es gibt sie schon. Natürlich gibt es Foren, die man so nicht direkt sieht. Gerade komme ich vom Goethe-Institut-Treffen der Festivalleiter, wo von Neu Delhi über Buenos Aires und Brasilien Festivalleute sitzen und zusammen reden. Wir werden nie mehr so zusammenkommen, aber wenn wir uns in den nächsten Tagen wieder begegnen, wissen wir voneinander, wer wer ist, und beraten uns, tauschen Informationen und Meinungen aus et cetera. Dies sind Momente, die man nur bei Festivals schaffen kann, weil man sich sonst nie treffen würde. Der Vorwurf an diese Situation ist häufig, dass man immer wieder nur die gleichen Leute trifft … Ja, weil der Mensch immer da hin will, wo er sich heimisch fühlt. Man geht ja nicht zu Leuten, die man nicht kennt und die auch alleine herumstehen. Bei einem Festival gibt es eben die Möglichkeit, dass derjenige wiederum einen anderen mitbringt und man diesen dann so kennen lernt, viel größer, als wenn man nur mit jemandem ins Theater geht, den man kennt. Auf den Bierbänken im Garten [das Festspielhaus hat einen kleinen Garten, in dem man sich setzen und essen kann] sitze ich mit meinen Leuten zu später Stunde und auf einmal reden wir mit den Leuten, die neben uns sitzen, weil das Theater uns verbindet. Und das Festival ist wiederum so bekannt, dass man keine Hemmschwelle hat, mitzureden. Theater ist das alle verbindende Element. Auch die Jury ist stets ein Zankapfel gewesen. Wird dieses System unter Ihrer Leitung beibehalten? Unbedingt! Das Theatertreffen funktioniert so seit über 40 Jahren und ist deswegen immer angefochten worden. Aber es wäre längst tot, wenn es ein Festival wäre wie alle anderen und ich die Auswahl machte. Dann wäre es überhaupt nicht mehr umstritten und alle würden sagen, dass die Frau Laufenberg eben diese zehn Inszenierungen bemerkenswert findet. Das machen ganz viele Festivals so, dass einer oder zwei etwas subjektiv gut finden und es deshalb auswählen. Und worin besteht Ihre Rolle? Ich muss das Ganze in erster Linie moderieren und reise natürlich auch den Juroren beziehungsweise den Ja-Stimmen nach und bin also in die Diskussion eingebunden. Ich gebe dem Ganzen eine Festivaldramaturgie. Ich habe in den letzten vier Jahren sehr unterschiedlich gearbeitet in Bezug darauf, welche Themen oder Formate ich nach vorne bringen wollte. 2006 war es mir wichtig, die tt talente zu betonen, damit wir eine Plattform ähnlich der auf den internationalen Filmfestspielen haben. Das gibt es bei uns zwar auch schon sehr lange, ist nun aber reformiert: Stückemarkt, Internationales Forum und Festivalzeitung zusammen sind ein bisschen wie ein ›Talent-Campus‹. Es war mir wichtig, dass dieser Programmpunkt bekannt gemacht wird, damit er größere, auch internationale Strahlkraft bekommt.

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Sagen Sie doch noch einmal etwas zu den anderen Themen und Mottos der vorherigen Theatertreffen. 2005 war ›Vereinsheimat‹, davor ›Letzte Tankstelle vor der Wüste‹ und davor wiederum ›Gold‹ zum vierzigjährigen Jubiläum des Theatertreffens. Aber die Überschriften sind nicht so wichtig. Es kommt darauf an, mit was das Festival beginnt und mit was es aufhört, denn die dadurch erzeugte Stimmung bleibt hängen. Der Anfang ist stets programmatisch. Wo sehen Sie das Festival in zehn Jahren? Ich kann die nächsten Jahre gar nicht voraussagen. Was mir wichtig war, ist die Aufforderung an die Juroren, nicht nur auf die Metropolen zu schauen, sondern auch am Rand und in den neuen Bundesländern. Wir, Herr Sartorius und ich, haben einen Juror eingeladen, der sich sehr gut im ostdeutschen Theaterraum auskennt, Hartmut Krug. Der hat auch die anderen Juroren dazu gebracht, nach Leipzig zu fahren, nach Halle, Weimar und Dresden. Ist der ›Gegensatz‹ zwischen Ost und West denn immer noch ein Thema? Es ist wirklich immer noch schwierig. Ich habe Fähnchen in eine Karte gesteckt und den Kritikern so gezeigt, wo sie sich überhaupt in Deutschland Theater anschauen [Laufenberg zeigt eine Deutschlandkarte, in der verstreut verschiedenfarbige Fähnchen stecken]. Das war meine Vision, zu sagen »Das ist euer Gebiet, da müsst ihr aus dem Zug aussteigen, da müsst ihr hingucken. Und wenn ihr nicht hinfahrt, dann nehmt einen Hörer in die Hand und informiert euch, was so läuft.« Das haben die Kritiker dieses Jahr auch großartig und mustergültig gemacht. Jetzt geht es mir darum, den Standard zu halten, auch den Standard zu halten, was die Talente betrifft, unter anderem dass die Festivalzeitung, die der Berliner Zeitung in hoher Auflage beiliegt, am Leben bleibt. Natürlich müssen die Inhalte stimmen, die Gastspiele auf einem hohen Niveau bleiben und gut getaktet sein.

Marie Zimmermann, ehemalige Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen, 04. Juni 2006, Wien Frau Zimmermann, das ist für Sie das siebte Festival, das Sie betreuen. Ja, zweimal THEATERFORMEN, viermal Wiener Festwochen und einmal Theater der Welt. Was waren die verschiedenen Herausforderungen bei diesen Festivals? THEATERFORMEN war die Wiederbelebung eines zuvor erstickten, komplizierten Projekts: Zwei Städte, die nicht viel miteinander zutun haben, teilen sich ein Festival und beleben es wieder im Vorfeld der EXPO. Die Wiener Festwochen sind letztendlich das traditionsreichste Festival, eher eine große internationale Saison, die seit 55 Jahren am Ende der Spielzeit die lokale Theatersaison, die schon auf einem sehr hohen Niveau ist, abschließt. Theater der Welt ist ein temporäres Projekt, das auf die jeweiligen Bedingungen des Orts Bezug nimmt und in diesem Sinn keine Tradition haben kann, da es sich an jedem Ort selbst begründen und rechtfertigen muss. Wenn es schiefgeht, geht es schief, und wenn es gutgeht wie in Stuttgart, kann man sich freuen. 316

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Soweit ich weiß, ist das städtische Leben ein Thema, dem Sie dauerhaft im Rahmen von Festivals nachgehen, stimmt das? Nein, das kann man so nicht sagen. Ich verstehe es als Aufgabe von Festivals, die Stadt, in der sie stattfinden, als Resonanzraum zu nutzen. Das habe ich bei THEATERFORMEN noch wenig getan, bei den Wiener Festwochen immer mehr und bei Theater der Welt hat diese Herangehensweise einen Höhepunkt erreicht. Die Energieentfaltung eines festen Repertoirebetriebs, der sich innerhalb von zehn Monaten entfaltet und dann nach drei bis fünf Jahren rezipiert ist, folgt anderen Aufträgen und Gesetzmäßigkeiten. Festivals aber, die das Fest einschließen, müssen viel schneller mit ihren Offerten präsent sein, was im diesjährigen Programm mit dem Projekt 5000 Liebesbriefe oder im Musikbereich mit Into the City versucht wird. Das hat einerseits ästhetische, andererseits pragmatische Gründe. Dass man solche Festivals nutzen muss, um ein Fenster aufzumachen für Menschen, die sich nicht regelmäßig oder selbstverständlich für Theater interessieren. Strömen zu den Wiener Festwochen nicht fast automatisch die Besucher? Nein, automatisch kommt niemand. Ich glaube, dass Festivals eine gezielte ästhetische und kommunikative Offerte sein müssen, damit jemand kommt. Das ist auch in Wien nicht selbstverständlich. 75 Prozent der Besucher kommen aus Wien und das heißt, dass – da jeder Wiener mindestens in einem Theater der Stadt ein Abonnement hat – die Wiener zusätzliches Geld am Ende einer Saison für die Wiener Festwochen ausgeben. Deshalb müssen die Festwochen eine präzise Signatur aufweisen, damit deutlich wird, warum man auch hierher kommen sollte. Mit einem Motto etwa wäre das ja am einfachsten … Ich finde Mottos albern, denn es gibt kein Publikum, das so eigensinnig ist wie das Theaterpublikum, das im Zweifelsfalle selbst die innovativeren und interessanteren Überschriften erfindet. Dieses Festival ist eine Einladung an die Stadt und ich vertraue darauf, dass, wenn man als Macher präzise formulieren kann und auf allen Ebenen durchkommuniziert, warum man bestimmte Dinge für interessant hält, es eine hinreichend große Gruppe gibt, die sich an diesem Interesse reibt, ihm zustimmt oder wissen will, was es damit auf sich hat. Von mir aus können die Leute gerne rauslaufen, Hauptsache sie kommen wieder. Das funktioniert nur über einen Begriff von Interesse, denn sieben Wochen sind ein Marathon, der sich nicht jedes Jahr aus sich selber heraus rechtfertigt. Und wo genau sehen Sie das Fest in diesem Festival – und wo nicht? Man kann keine siebenwöchige Party feiern. Wir haben eine relativ schlanke Form gefunden: für jede Gruppe eine kleine intime Premierenfeier meistens hinter der Bühne und dreimal Feste wie anlässlich der gestrigen Opernpremiere. Das sind Künstlerfeste, zu denen alle Künstler, die in der Stadt sind, eingeladen werden. Gestern war es sehr schön zu sehen, wie sich Musik- und Theaterproduktionen untereinander mischten. Dann gibt es natürlich die große öffentliche Eröffnung mit 50.000 Personen auf dem Rathausplatz, mit Direktübertragung über die europäischen Rundfunkstationen und anschließend die generöse Einladung des Bürgermeisters der Stadt Wien an die Mitarbeiter, Künstler und die kulturinteressierte Öffentlichkeit zu einem großen Fest 317

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auf dem inneren Rathaushof. Das hat etwas mit der kommunikativen Resonanz zu tun, die so ein Festival entfalten muss. Nach all Ihrer Erfahrung bei verschiedenen Festivals: Wie haben Festivals die Theaterszene in Deutschland verändert? Auch gerade im internationalen, europäischen Dialog? Es ist viel simpler, als man sich das aus der akademischen Vogelperspektive vorstellt. Diese Art von Festivals, wie sie in der Tradition der Wiener Festwochen noch lebendig sind, sind Anfang der fünfziger Jahre in ganz vielen Städten von Bürgermeistern gegründet worden, die darauf reflektiert haben, dass durch die elende Abschottung durch das Naziregime und den Krieg ganz viel, was auf internationaler Kunstebene stattfand, für ihre Bürger nicht zugänglich war. Deshalb hat man beschlossen, zusätzlich zu dem, was während des Jahres ohnehin an Kultur geboten wurde, das Fenster zu öffnen, um zu schauen, was andere Länder machen. Das hat sich inzwischen geändert; bei Theater der Welt ist uns das geglückt, dies erstmals nicht als ›Einbahnstraße‹ zu zeigen, sondern auch das internationale Fenster in Beziehung zu Künstlern aus der Region zu stellen, die Projekte machten, die sie ohne Hilfe dieses Festivals nicht hätten machen können. Wenn Sie so wollen, sind Festivals Brandbeschleuniger. Deswegen meide ich meistens den Ehrgeiz, nur Novitäten zu zeigen, denn ich finde, Arbeiten wie Goschs Macbeth oder Wer hat Angst vor Virginia Woolf? kriegen von diesem erfahrenen Wiener Publikum eine andere Energie mit, in der sie sich behaupten müssen, als zuhause oder beim Berliner Theatertreffen. Worin sehen Sie den Unterschied zum Theatertreffen? Die Festwochen sind einfach gelassener. Das Theatertreffen ist geprägt von der Hysterie um das Wort »bemerkenswert« und davon, dass es Kritiker sind, die die Auswahl treffen. Hier steht Macbeth in einem anderen Kontext: Wir hatten zwei Tage vor der Macbeth-Premiere eine Arbeit frisch aus London, ein neues Stück von Simon Stephens, ein junger 28-jähriger Autor, der über einen Irakkriegsteilnehmer geschrieben hat. Für mich war dieses Programm immer das Gelenk, Motortown [Stephens Stück], Macbeth und Botho Strauss’ Schändung – drei Einmischungen zeitgenössischer Positionen zum Einbruch des Krieges in unser aller Lebenswelt. Das kann man in einem Festival viel fahrlässiger zusammen auftreten lassen als im Spielplan eines Repertoiretheaters, wo man alles zehn- oder zwölfmal spielen lassen muss. Hier scheint jedes Stück drei oder fünfmal auf und ist dann wieder weg und vielleicht erinnert sich der Zuschauer bei der nächsten Begegnung an das, was in der Vorstellung davor passiert ist. Wie würden Sie Ihre Festivaldramaturgie beschreiben? Es gibt verschiedene Stränge. Ich habe dieses Jahr nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht und das war der Begriff der Intimität. Den dekliniert das Schauspielprogramm in seinen verschiedenen Farben und Aggregatszuständen durch. Etwa in der sehr aggressiven und gewalttätigen Ausformulierung in Motortown und Macbeth und Schändung. Es gibt Aufführungen, wie die Zirkusproduktion aus Stockholm, Nico and the Navigators aus Berlin und die Schweizer Gruppe Plasma, die eine neue Form von Intimität, ein zeitgenössisches Empfinden über die Körper, die Musikalität und 318

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Rhythmik und das gestische Repertoire hineinbringen. Über den Begriff der Intimität ergeben sich so verschiedene Prismen, die von mir aus jeder Zuschauer drehen und schütteln kann, wie er will. Was aber ist Ihr Interesse an der Arbeit an einem Festival, gerade auch im Kontrast zur Arbeit an einem festen Haus? Worin besteht Ihre Motivation? Ich war ja sehr lange an sehr verschiedenen und interessanten Schauspielhäusern engagiert. Ich begreife es als sehr privilegierte Aufgabe, mit öffentlichen Mitteln einen öffentlichen Platz der Begegnung über Theater und Kultur in ihren verschiedenen Ausprägungen zu ermöglichen und Spannungslinien im Programm zwischen Aufführungen, die man in dieser Konstellation woanders nicht sehen kann, und Erfahrungsräume aufzumachen, die dem Publikum noch einen neuen Zugang ermöglichen. Ich sehe an der Resonanz hier in Wien, dass das offenbar wahrgenommen wird. In der Verdichtung, die das Festival bieten kann, entzünden sich nochmals andere Diskussionen. Richtig. Die kritische Öffentlichkeit spielt während Festivals nur eine solistische Rolle: der Klassensprecher, der mit einer bestimmten Haltung einer Produktion gegenübersteht. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Aufführungen von der kritischen Öffentlichkeit und vom Publikum beurteilt werden. Welche Fragen werden Ihrer Meinung nach Festivals zu selten gestellt? Was sollte mehr hinterfragt, betont werden? Ich finde, Festivals sind öffentliche Räume, in denen Künstler und Programmmacher ein Statement abgeben und ihre Positionen auf der künstlerischen wie auf der sozialen und kommunikativen Ebene so vertreten, dass möglichst viel Echo zurückkommt. Je vielstimmiger die Resonanz, desto nachhaltiger ist die Erfahrung. Ich habe beispielsweise noch nie ein Programm gemacht, was monochrom nur meinen Theatergeschmack widerspiegelt, weil mich das langweilen würde. Ich habe aber noch nie etwas eingeladen, was mich nicht interessiert hat. Es kann zum Beispiel mich auch nur interessieren, in der Reibung mit meinem heimischen Publikum etwas über einen Aufführung herauszufinden, was ich ohne den Beistand dieses Publikums und die Resonanz des Orts, dem ich vertraue und den ich kenne, nicht herausfinden könnte. Man muss neugierig sein, auf die Kunst und auf Menschen und ein wenig streitlustig sein, aber auch ein wenig vergnügungssüchtig. Das ist eine Energie, die ein Festival sehr gut freisetzen kann. Ein Festival ist eigentlich der kalkulierte theatralische Ausnahmezustand. Und was wird die Herausforderung bei Ihrem neuen Festival, der RuhrTriennale sein? Dieses einzig erfolgreiche Kind bundesdeutscher Kulturpolitik hat innerhalb von sechs Jahren Singen, Tanzen, Sprechen und Laufen gelernt und ich muss es jetzt durch die Adoleszenzphase begleiten – und wie wir alle wissen, ist das die schwierigste Phase. Es ist nun etabliert und es soll etwas Neues kommen, aber nicht um jeden Preis. Da interessiert mich der vollkommen andere Ort im Kontrast zu Wien, keine selbstgewisse, repräsentationslustige Stadt, sondern ein sehr kontrastreicher Raum aus einem Ensemble verschie319

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dener urbaner Konglomerate, eine ganz einzigartige Landschaft. Was kann man mit künstlerischen Interventionen und Angeboten da machen? Wie sehen Sie die Zukunft der Wiener Festwochen? Da mache ich mir keine Sorgen drum, die Zukunft ist blendend! Sind vielleicht irgendwelche grundlegenden Änderungen absehbar, etwa verstärkte Förderung junger Künstler? Das machen wir doch schon seit ein paar Jahren. Schulungen, Workshops? Darauf habe ich überhaupt keine Lust, das sollen andere machen. Das ist öffentliches Geld, das ausgegeben wird, um Kunst zu produzieren, die Zuschauern präsentiert wird. Dass am Rande Workshops angeboten werden, haben wir auch schon gemacht, für Übersetzer, Autoren und Schauspieler, aber das ist die Petersilie. Das Brötchen, das Hauptgeschäft, muss gut belegt sein. Das ist für die Bürger und nicht für Künstler. Wenn wir eine pädagogische Einrichtung wären, hießen wir »Wiener Theaterakademie« oder ähnlich. Mit anderen Worten, das Geld kommt von den Steuerzahlern und soll für sie ausgegeben werden. Exakt. Man kann zwar an den Rändern Dinge tun, um Künstlern Erfahrungsräume zu eröffnen. So haben wir in den fünf Jahren, die ich hier arbeite, das Verhältnis zwischen etablierten Namen und unbekannten Namen exakt gedreht. Statt 60 zu 40 Prozent ist es jetzt genau umgekehrt und das Publikum fragt auch danach. ›Jung‹ ist in der Kunst eine ausgesprochen dumme Kategorie … … da gerade ›alte‹ Künstler eben noch sehr unbekannt sein können. Genau. Es muss interessant sein, aber es muss auch die Begegnung mit diesem sehr gut ausgebildeten Wiener Publikum aushalten. Ich habe oft interessante Theaterarbeiten nicht eingeladen, weil das Ensemble nicht adäquat war. Ich kann in einer Stadt, die, wenn sie etwas kann wie keine zweite deutschsprachige (dahinter kommt gleich Stuttgart und nicht Berlin), nämlich Schauspieler beurteilen, keine Produktion zeigen, deren Ensemble außer zwei passablen Hauptdarstellern eine Qualität hat, die hier auf einer Mittelbühne, wie es hier genannt wird, nicht mehr durchgehen würde. Der Ehrgeiz, einfach etwas gefunden zu haben, reicht für Wien nicht. Unter ›top‹ geht nicht? Nicht ›top‹, ›interessant‹! Top ist für mich keine Kategorie. Interessant und handwerklich gut. Oder aus der Improvisation erstaunlich. Aber es muss einem Qualitätsmaßstab, der entscheidend vom Publikum in Bezug auf die Schauspieler ausgeht, standhalten. Die interessanteste Hamlet-Inszenierung mit dem avantgardistischsten Konzept, aber mit einem Hamlet-Darsteller, der schlecht ist, muss ich in Wien nicht zeigen.

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Wie ich Sie einschätze, führen Sie, um herauszufinden, was das Publikum verlangt, keine Publikumsbefragungen durch, richtig? Ich mache keine Publikumsbefragungen; ich führe Gespräche und sorge dafür, dass die textliche und visuelle Schiene so breit ist, dass niemand das Gefühl hat, er sei nicht gemeint. Demographische Analysen macht unsere Marketingabteilung und deren Ergebnisse interessieren mich nur in Grenzen. Zuletzt, ein Motto, unter dem Sie arbeiten? Ich habe kein Motto. Mich reizt es einfach jedes Jahr aufs Neue zusammen mit meinem Wissen über Theater und mit den Menschen um mich herum, den Künstlern, dem Publikum diese Räume auszuschreiten und zu gucken, ob sich Neuentdeckungen für Künstler und Publikum ergeben. Zu schauen, ob die Temperatur stimmt, auch des Widerspruchs, denn auch Widerspruch ist ein Reaktion, die von Lebendigkeit zeugt. Ich will nicht langweilen – schon aus eigenem Interesse.

Manfred Beilharz, Leiter von Neue Stücke aus Europa, 10. November 2006, Leipzig Beschreiben Sie doch bitte Ihr Festival, das ja recht einzigartig in Deutschland ist. Das Festival ist das weltweit größte Festival, das ausschließlich zeitgenössische Dramatik zeigt und ausschließlich neue Autoren in der Originalsprache zur Aufführung bringt – simultan übersetzt in die Sprache des Publikums. Es ist das einzige internationale große Festival, das den Autor ins Zentrum des Interesses stellt. Es gibt auf nationaler Ebene die Mühlheimer Theatertage, aber da geht es nur um deutschsprachige Texte. Es gibt auch in zwei, drei anderen Ländern nationale Festivals: die Goldene Maske in Moskau versucht stark neue Stücke, aber eben nur russische, zu fördern. In der Summe der 30 Schauspielproduktionen, die wir beispielsweise 2006 aufgeführt haben, zeichnet sich sehr stark ab, in welchem Umbruch sich der Kontinent Europa befindet. Ohne dass die Autoren unbedingt politische Theaterstücke schreiben wollten, haben sie Theaterstücke über Konflikte zwischen Menschen geschrieben, die unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen leben. Insofern ist es auch ein politischer Seismograph über den Zustand des Kontinents. Was ist Ihre persönliche Motivation gewesen, das Festival ins Leben zu rufen? Das Festival ist im Europajahr 1992 gegründet worden. Es gab damals das Europa-Pathos, Europa wenn nicht als politische, so doch als eine kulturelle Einheit zu sehen. Ich war skeptisch gegenüber diesem Grundsatz, weil wir sehr oft festgestellt haben, dass man sich auf die unterschiedlichen Kulturen beruft, auf unterschiedliche Sprachen, Religionen, um daraus politische Konflikte zu konstruieren. Es ging uns auch darum, die Unterschiede in Europa festzuhalten: thematische und ästhetische Unterschiede. Das war im Kurzen gesagt die Motivation, die Tankred Dorst und mich dazu bewegte, das Festival zu gründen. Wir wollten herausfinden, was eigentlich das europäische Theater ist, und veranschaulichen, dass es sich nicht um eine einheitliche 321

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Thematik und Ästhetik handelte. Das Festival sollte möglichst informativ sein. Wir haben eisern daran festgehalten, und das ist nach wie vor das Konzept, die Vorstellungen in der Originalsprache zu zeigen und simultan übersetzen zu lassen. Das Festival wurde kurz nach der Wende gegründet, deshalb interessierten wir uns besonders für den Osten Europas. Ist der europäische Osten immer noch ein Schwerpunkt? Nein, es gab nie eine Quote. Wir haben immer den ganzen Kontinent ins Auge gefasst, Island genauso wie die Türkei, Portugal genauso wie Petersburg. Es war nur so, dass man nach der Wende verstärkt das Augenmerk auf die Produktionen richtete, die aus dem Osten kamen. Wenn wir gerade bei der Europa-Frage sind: Wird das Festival von der EU gefördert? Von der EU wurde es einmal mit 30.000 DM gefördert, was ein bescheidener Beitrag ist angesichts der Tatsache, dass das Festival zwei Millionen DM kostete, heute 1,1 Millionen Euro. Es gibt eine Organisation, die EU-Gelder bezieht und diese mittelbar in unser Festival einfließen lässt, die Europäische Theaterkonvention, deren Mitglied ich bin. Diese bezahlt üblicherweise Beiträge zur Förderung der Workshops für junge Autoren. Das Forum junger europäischer Autoren im Rahmen der Festivals führt einen englischsprachigen und einen deutschsprachigen Workshop durch. Hierfür zahlt die Theaterkonvention die Aufenthaltskosten der Teilnehmer und die Workshopleiter. Gab es diese Art der Nachwuchsförderung von Anfang an? Nicht von Anfang an, aber bereits in Bonn. Den ersten Workshop gab es 1996. Soll die Nachwuchsförderung in Zukunft ausgebaut werden? Auf jeden Fall ist der Workshop ein fester Bestandteil. Die Zukunft des Festivals ist perspektivisch in Wiesbaden angesiedelt. Mit meinem Vertrag ist verbunden, dass das Land Hessen und die Stadt Wiesbaden das Festival nicht nur akzeptieren, sondern dass die Förderungssumme bis 2014 festgeschrieben ist. Das Festival hat ein einzigartiges Auswahlverfahren, bei dem Sie Paten, also Theaterautoren, bitten, eine Vorauswahl zu treffen. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Ich war der Meinung, dass es genügend Festivals gibt, bei denen Kritiker die Auswahl vornehmen, und wollte, dass die Auswahl persönlicher und im eigenen Metier vorgenommen wird. Mir war wichtig, dass es ein Festival für die Autoren wird, die ja zu dem Zeitpunkt, als wir das Festival gegründet haben, nicht gerade Hochkonjunktur hatten. Im Theater der achtziger Jahre spielte Multimedialität eine Rolle, Bildertheater, Regietheater. Aber die Autoren waren in den Hintergrund geraten. Ich habe aus dieser Situation heraus reagiert. Die multimedialen, teilweise für den Festivalmarkt produzierten Stücke wurden von der dramaturgischen Substanz her manchmal recht dünn. Der theatralische Effekt war oft wichtiger als das, was verhandelt wurde. Auf der anderen Seite war mir wichtig, dass so etwas wie ein Zunftgedanke, wie bei den Handwerkszünften im Mittelalter, wiederbelebt wird. Dieser Gedanke 322

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sollte wieder in das Metier des Theaters eingeführt werden: die Zunft der europäischen Autoren. Das hat sich als sehr segensreich erwiesen. Wie genau geht der Auswahlprozess vonstatten? Wir treffen aufgrund der Vorschläge der Paten unsere Auswahl, aber wir sind nicht daran gebunden. Wenn ein Pate ein Stück haben will, von dem ich nicht denke, dass es in das Festival passt, bin ich nicht gezwungen es zu nehmen. Aber ich weiß kein besseres Verfahren, um umfassende Informationen über verschiedene Länder zu erhalten, die nicht im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Man braucht lokale Experten, denen man vertraut und die einen auf die Fährte führen. Zunächst hat daran keiner geglaubt, man nahm an, dass die Auswählenden Freunde begünstigen würden, aber das hat sich als unzutreffend erwiesen. Bei heute 42 Paten hat es bei neun Festivals ein- oder zweimal die Situation gegeben, dass sich ein Pate selbst vorschlagen wollte. Und Sie reisen allen Produktionen dann nach? Ja, es gibt keine eingeladene Produktion, die wir nicht gesehen haben. In drei Monaten reise ich mit den anderen Selektoren (Tankred Dorst, Ursula Ehlers und Markus Bothe) 80.000 Kilometer über den ganzen Kontinent. Wie wird das Festival vom Publikum in Wiesbaden, auch im Kontrast zu Bonn, aufgenommen und welchen Stellenwert hat es in der Stadt? Es wird vielleicht noch ein bisschen enthusiastischer aufgenommen als in Bonn. Nach meiner Kenntnis ist es das einzige Festival, das mit seinem Intendanten umgezogen ist, und ich bin froh darüber, dass das Land Hessen die Chance aufgegriffen hat und das Festival im Rhein-Main-Gebiet etablieren und auch das Geld dafür zur Verfügung stellen wollte. Inzwischen hat sich für 2008 das Land Rheinland-Pfalz mit seinem Staatstheater in Mainz hinzugesellt und trägt 200.000 Euro bei. Die Kulturstiftung des Bundes ist auch an der Finanzierung beteiligt? 650.000 Euro kommen vom Land Hessen, 150.000 Euro von der Kulturstiftung des Bundes und 150.000 Euro kommen von der Stadt Wiesbaden. Der Rest sind Kleinsponsoren. Was waren die größten Herausforderungen, die das Festival über die Jahre zu meistern hatte? Ich dachte anfänglich, es sei ein maßgeschneidertes Festival für die Europäische Union. Die größte Enttäuschung war, dass Brüssel kaum Geld zu Verfügung gestellt hat, auch die Bundeskulturstiftung, auf deren Förderrichtlinien dieses Festival genau passt, ist immer wieder wankelmütig. Das zu den finanziellen Herausforderungen. Natürlich ist es jedes Mal eine künstlerische Herauforderung, aus 120 Stücken eine Auswahl zu treffen, wovon wir mindestens 100, manchmal mehr anschauen. Die Auswahl findet so statt, dass wir Übersetzungen von den empfohlenen Stücken oder nur von Teilen anfertigen lassen, um ein Bild von der Qualität zu erhalten, denn es geht ja um das Theaterstück. Wenn wir der Überzeugung sind, dass es interessant ist, schauen wir uns auch die Aufführung an, wovon etwa 30 letztendlich zum Festival eingeladen werden. Wir schauen uns deswegen die Inszenierungen an, weil 323

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sich die Qualität eines Textes bei der Aufführung beweist und ein Text, der sich glänzend liest, nur dann eingeladen werden sollte, wenn er zugleich durch eine gute Aufführung beglaubigt ist. Denn das Publikum kann bei einem Stück in einer fremden Sprache nicht unterscheiden, ob es an der schlechten Aufführung oder am schlechten Text liegt, wenn ihm die Produktion missfällt. Nur mit einer guten Aufführung wird einem Autor und seinem Werk gedient. Welchen Stellenwert hat für Sie das Publikum und wie hat sich dieses über die Jahre verändert? Ich bin glücklich darüber, dass das Publikum hier in Wiesbaden so enthusiastisch wie in Bonn reagiert hat, wir haben normalerweise eine Auslastung von 90 Prozent. Das Publikum des Festivals kommt aus der Rhein-Main-Region, aus Deutschland und aus dem Ausland, hier meist Kritiker, Theatermacher. So wie man, wenn man sich für schwere Tenöre interessiert, nach Bayreuth reist, um den Siegfried zu hören, so kommen nach Wiesbaden die, die sich über neuere Dramatik informieren wollen. Das hat, wenn man es nur lokal betrachtet, auch die Folge, dass das Publikum aufgeschlossener wird und sich auch in internationalen Zusammenhängen zu orientieren lernt. Wir geben eine Broschüre heraus über das, was an den anderen Theatern passiert. Wenn wir Elchtest von Jaan Tätte auf Estisch beim Festival aufgeführt haben, kommt anschließend die deutschsprachige Erstaufführung an unserem Theater raus. Oder wir spielen von Biljana Srbljanović Heuschrecken im Laufe der Spielzeit mit unserem Ensemble auf Deutsch nach. So kommen unsere regulären Theaterbesucher auch außerhalb des Festivals in den Genuss der europäischen Dramatik. Wer oder was sind Inspirationen für Ihr Festival? Natürlich versuche ich, mit weit geöffneten Augen und Ohren zu gucken, zu lernen und Verbesserungen zu machen. Natürlich sind wir offen für das, was anderswo gemacht wird, und versuchen neue Tendenzen aufzugreifen. Wenn sich beispielsweise in Russland eine neue Generation von Theaterautoren artikuliert, wollen wir möglichst gleich diese anarchischen Youngster vorstellen, ihnen eine Öffentlichkeit schaffen. Es geht also auch darum, neue Schwerpunkte zu setzen, um neuere Tendenzen direkt aufgreifen zu können? Ja, wobei wir kein Newcomer-Festival sind. Wir haben zwar sehr viele Leute unter 40 Jahren, das ist aber nicht Programm, sondern hat sich durch die Vorschläge der Paten ergeben. Wenn nur Leute von 80 Jahren an aufwärts vorgeschlagen worden wären, hätten wir uns mit diesen befasst. Es ist eine Folge des Festivals, dass auch der junge Autor plötzlich Chancen hat, aufgeführt zu werden. Wir wollen den Autoren nützen. Wir wollen sie bekannt machen, ihnen eine internationale Plattform bieten, und manches, was bisher nur in einer nationalen Nische ein wenig bemerktes Leben führte (aber Qualität hat!), versuchen wir hervorzuholen und zu präsentieren.

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Das ist natürlich eine Frage von Kontinuität und Nachhaltigkeit. Gibt es eine ›dokumentarische‹ Version des nachhaltigen Wirkens? Was wird in fünf Jahren an Analyse und Dokumentation Ihres Festivals zu finden sein? Das überlassen wir den Hochschulen. Ein wichtiges Arbeitsinstrument ist selbstverständlich der Katalog, den wir erstellen, der sehr vielfältig ist und eigentlich das einzige Konvolut, das alle zwei Jahre einen Überblick über das bietet, was in Europa von wem geschrieben wird. Wir porträtieren die Autoren, beschreiben den Inhalt der Stücke mit Auszügen aus den Stücken und wir porträtieren die Paten. Man findet darin immerhin 70 derzeitig in Europa erfolgreich arbeitende Autoren. Es ist ein Informationsmaterial auf Deutsch und Englisch. Aber es gibt natürlich die dokumentarischen Ablichtungen von 3sat und ARTE und vom Theaterkanal, die – je nachdem – mal einen Themenabend von drei Stunden machen oder ein Feature. Aber es gibt keine nachbereitenden Publikationen außer der riesigen internationalen Presseschau, die wir machen. Wie würden Sie die Festivallandschaft zurzeit beschreiben, und was hat sich aus Ihrer Sicht nach dem Mauerfall verändert? Eine globale Aussage darüber ist fast gar nicht möglich. Es gibt heutzutage mehr Festivals als früher und es gibt manche, die diesen Namen füglich nicht verdienen. Aber selbst unter denen, die den Namen Festival, Festspiele oder Ähnliches durchaus zu Recht führen, gibt es eine gewaltige Vielfalt. Es ist eine unübersichtliche Landschaft, aber es ist zu erkennen, dass viele Geldgeber eher Events finanzieren als kontinuierliche Arbeit. Es gibt natürlich Festivals, die kontinuierlich und nachhaltig arbeiten, wir sind eines davon und wir besetzen in dieser Vielfalt ein ganz bestimmtes Segment, was sonst fast keiner besetzt. 80 Prozent aller Festivals kümmern sich um die Interpreten und höchstens 20 um die originalen Schöpfer. Diese Mischung hat sich nicht verändert. Besonders im Bereich der Musik gehen klassische Interpretationen und Touristik Hand in Hand. Selbst wenn Mozart-Jahr ist, steht die geistige Auseinandersetzung mit dem, was geboten wird, nicht im Vordergrund, sondern das angenehme Beisammensein. Ich will das nicht verteufeln, das war schon zu Mozarts Zeiten so. Aber es gibt auch Festivals, die sich sehr um die Durchdringung dessen, was sie anbieten, bemühen, und ich freue mich, dass es auch da inzwischen mehr Anstrengungen gibt. Als Präsident des deutschen ITI ist Theater der Welt für Sie ein zweites Festival-Projekt. Wie stark sind Sie in dieses Festival involviert? 2002 habe ich in Bonn, Düsseldorf, Duisburg und Köln dieses Festival als künstlerischer Leiter zusammen mit dem Kurator Matthias Lilienthal gemacht. Das ITI macht im Rahmen des Festivals auch immer eigene Programme, die vom Festival mitfinanziert werden. Es gibt mittlerweile eine Verschiebung in die Richtung, dass die Festivalausgaben zum Teil versuchen, mehr eigene Produktionen beizutragen, aber das ist natürlich eine Geldfrage. Was erwarten Sie von Halle als nächstem Austragungsort von Theater der Welt? Wichtig ist ja immer wieder, dass man das Festival nicht nur an eine interessierte Stadt und deren Kulturinstitutionen vergibt, sondern man verbindet 325

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damit immer die Vorstellung, dass sich eine Internationalisierung des Klimas für diese Kulturgemeinde einstellt, diese sich international öffnet. So wie in der Stadt Essen 1991, die natürlich eine riesige Großstadt war, aber deren Theater doch zunächst ein sehr eng gestaltetes Stadttheaterprogramm machte, ohne eigenes spannendes Theatergebäude. Man hat im Vorgriff auf das Festival ein neues Theater gebaut, das Aalto-Theater, was ein toller Raum ist – das Festival hat also diese Stadt und die Region geprägt. Das sind die Hoffnungen, die werden mal mehr, mal weniger erfüllt, aber es gibt auch Städte wie Berlin: Die brauchen dieses Festival nicht, um international zu sein. Wie dokumentieren Sie Theater der Welt? Es gibt das Programmheft im Vorfeld. Die Programme, die herausgegeben werden, sind ausführlich und genau. Dokumentation ist eine Frage der Finanzierung, aber für mich ist Theater live, und wer nicht dabei war, hat Pech gehabt. Theater ist ein ephemeres Kunstprodukt, das im Moment entsteht und danach weg ist. Das ist die Chance des Theaters, macht es aber auch angreifbar, weil in unserem Medienkapitalismus alles, was nicht in eine verkaufbare Form gebracht und beliebig vervielfältigt wird, es wesentlich schwerer hat, als nützlich und sinnvoll wahrgenommen zu werden. Was sponsern die Banken? Natürlich ein Bild, das sie ins Direktorenzimmer hängen können und eine Wertsteigerung erfährt, keine Opern- oder Schauspielaufführung, von denen man am Ende außer der Erinnerung nichts mehr in Händen hat. Und zuletzt: Was wird zu oft und zu wenig zu Festivals gefragt? Wo müsste es ein Umdenken in den Kriterien geben? Bezogen auf die Biennale wird oft gefragt »Was ist typisch für das europäische Theater?« So eine Frage hat mit der Medienlandschaft zu tun und mit dem engen Interesse für das, was man in einen Satz gießen kann. Nur das, was plakativ und einfach ist, hat in den Medien eine Chance, und alles, was ausdifferenziert ist, eben nicht. Das Festival wurde gegründet, um die Differenzen zu beschreiben und nicht um einen platten Satz zu bebildern, der da lautet »Das europäische Theater ist folgendermaßen …«. Das Anliegen der Kunst insgesamt muss sein, nicht mit Simplizität zu werben, sondern für Differenziertheit. Wir müssen lernen, unterschiedliche Situationen von unterschiedlichen Standpunkten aus zu betrachten.

Ann-Elisabeth Wolff, Festivaldirektorin der euro-scene Leipzig, 13. November 2006, Leipzig Wie würden Sie Ihr Festival positionieren, was ist die euro-scene Leipzig? Unser Festival für zeitgenössisches Theater und innovativen Tanz wurde 1991 nach der Wende gegründet und beruht auf einem früheren Leipziger Festival, der Leipziger Schauspielwerkstatt. Sie wurde alle zwei Jahre als Festival zeitgenössischer Dramatik vom Theaterverband der DDR veranstaltet und zeigte sowjetische, deutsche und osteuropäische Dramatik. Das wurde zwar sehr stark vom Publikum angenommen, aber mit der Auflösung des Theaterverbandes war abzusehen, dass auch das Festival eingestellt werden würde. Ein Mann aus dem Theaterverband, der Theaterwissenschaftler Mat326

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thias Renner, wollte mit dem Restkapital aus der Auflösung ein neues Festival initiieren. Und so hat Renner die euro-scene Leipzig mit den damaligen Intendanten von Schauspiel und Oper und dem damaligen Kulturdezernenten initiiert. Es gab von Anfang an drei Hauptziele: europaweit zu arbeiten, spartenübergreifend zu sein und sehr stark Osteuropa einzubeziehen. Das war eine Weile schwierig, weil anfangs das Interesse für den westlichen Teil Europas wegen des Nachholbedarfs viel größer war. Bei den Künstlern sollten berühmtere Namen neben ganz unbekannte gestellt werden. Immer sollte es um politisch-soziale Themen gehen, es sollte weniger abstraktes Theater eingeladen werden. Also Dinge, die uns berühren und schockieren, die eine Diskussion anregen können. Sperrige und ausschließlich zeitgenössische Stücke sind einzuladen. Wenn mal ein Klassiker dabei ist, dann nur in einer Form, die extrem ungewöhnlich ist. Diese Mischung hat sich bewährt und ist zunehmend das Markenzeichen der euro-scene Leipzig geworden. Dann gibt es noch seit ein paar Jahren jährlich ein Motto, Themenschwerpunkte. Ich persönlich liebe das bei Festivals, wenn man die Konzentration auf etwas erkennt, also kein großes Warenhausangebot präsentiert. Das Publikum muss doch erfahren, was die Kriterien für die Einladung einer Inszenierung sind. Es hat sich also bewährt, dass man es irgendwie thematisch fasst. Ob man nun das Festival alle Jahre unter so ein Motto stellt, möchte ich offenlassen. Und was sind Ihre generellen Auswahlkriterien? Welche Ansprüche stellen Sie an die Produktionen, die Sie einladen? Erstmal europäisches, hochprofessionelles Theater auf Topniveau. Zweitens sind die Kriterien natürlich thematisch: Wenn wir schon ein Thema haben, sollen die Produktionen dazu passen. Das muss aber nicht zu weit gehen, sonst wird es zu eng. Im Grunde müssen Produktionen nicht nur unterhaltsam sein, sondern auch sperrig und Fragen aufwerfen. Außerdem muss man ganz klar die Handschrift eines Regisseurs erkennen. Ich möchte die Fragestellung, die sich der Regisseur oder Choreograf stellt, umgesetzt sehen. Koproduzieren Sie? Das würde ja erlauben, gezielt die Handschrift eines Künstlers zu fördern? Nein. Das ist eine Entscheidung, die mit dem Budget zusammenhängt. Sobald man auf dem Niveau koproduziert, wie es der euro-scene Leipzig angemessen wäre, brauche ich dreimal so viel Geld. Da ist unter 50.000 bis 80.000 Euro nichts zu machen. Andererseits: Warum? Es entstehen ja viele Stücke und alle sind froh, wenn sie eingeladen werden, also warum noch mal was Neues, nur damit wir es zwei- oder dreimal zeigen können? Schon zwei große Vorstellungen sind in Leipzig aufgrund der Einwohnerzahl problematisch. Wir sind mit circa 500.000 Einwohnern keine Metropole wie Berlin, Paris oder London. Man muss mit dem Geld verantwortungsvoll umgehen. Wir haben es ein paar Mal versucht mit kleineren Produktionen aus Leipzig. Wir haben drei Jahre lang kleinere Tanzproduktionen unterstützt, um das Tanzleben der Stadt zu beleben. Ich behaupte, dass ein Festival eine für das Publikum gut nachvollziehbare Struktur haben muss. Wir haben beispielsweise seit 1991 die gleichen Anfangszeiten und so weiß man eben, dass um fünf, um halb acht und um zehn die Vorstellungen beginnen. Schon wenn es im Rahmenprogramm Verschiebungen gibt, kommen die Leute zu spät. Das 327

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bedeutet eine Vereinfachung für das Publikum, man muss sich in den Informationen kurzhalten. Worin sehen Sie die Rolle der euro-scene Leipzig beim ›Zusammenwachsen‹ Europas? Was tragen Festivals zu einem gemeinsamen Europa bei? Und als Kontrast: Wie beurteilen Sie das Verhältnis des Festivals zur Stadt? Festivals tragen sehr stark zu einem Zusammenwachsen bei. Wir hier sind in der Mitte Europas, zwischen den Fronten und, lokal gesehen, auf der Achse zwischen Paris und Warschau. Wir verbinden Europa. Das Festival ist ein Fest mit dem Ziel, Europa weiter zu vereinigen und durchaus auch die Unterschiede zu zeigen. Die Vereinigung soll das Ziel sein, aber dabei unbedingt die nationalen Unterschiede, das Eigene zu bewahren und nicht Produktionen aus Russland zu zeigen, bei denen man den Eindruck hat, dass sie eigentlich auch in Frankreich hätten entstehen können. Das ist mir sehr wichtig. Und nun zur Positionierung: Das SPIELART Festival in München ist ähnlich. Das hat mit der Größe, der Dauer und auch mit der Stadt zu tun. SPIELART findet alle zwei Jahre statt, dauert länger, lässt sich jedoch mit uns durchaus vergleichen, zeigt aber mehr Theater als Tanz. Das Sommerfestival von Kampnagel kann man auch vergleichen, findet jedoch im Sommer statt und präsentiert auch außereuropäische Produktionen. Die Konzentration auf Europa bei unserem Festival ist mir sehr wichtig, weil es so viele Kulturen in Europa gibt, die uns teilweise noch immer unbekannt und fremd sind. International würde ich uns im Mittelfeld sehen zwischen den kleineren regionalen Festivals – und wie die ganz großen ›Hochglanzfestivals‹ wollen wir auch gar nicht sein. Sobald man in die andere Liga kommen möchte, braucht man einen Millionenetat, dann muss man koproduzieren, aber auch Uraufführungen machen. Außerdem dauert unser Festival eine knappe Woche, länger funktioniert es in Leipzig nicht, doch in dieser Zeit kann man einen Rausch, einen Theatertaumel auslösen, das ist in unserer Stadt, in der man die meisten Wege zu Fuß gehen kann, wunderbar. Das Publikum ist sehr neugierig und offen, wir sind sehr gut ausgelastet, aber auch klar strukturiert. Ich habe gesehen, dass Sie dieses Jahr eine Publikumsbefragung durchgeführt haben, ist diese die erste? Es ist die dritte. Die letzte ist aber sehr lange her und so war es an der Zeit, dass wir wieder eine durchführen. Es ist mir wichtig, das eigene Publikum zu kennen. Und was bedeutet das Publikum für Sie? Welche Konzepte haben Sie, um sich diesem zu nähern, und was bedeutet der städtische Rahmen für Sie? Ich bin in Leipzig aufgewachsen, kenne die Stadt und das Publikum gut und weiß es einzuschätzen. Wir haben das große Glück, dass das Publikum von Anfang an neugierig, aufgeschlossen, kritisch, vielleicht manchmal ein wenig naiv war. Egal, ob man mit super Namen kommt oder eine völlig unbekannte Company aus Kaliningrad einlädt, die gucken sich alles an. Am Anfang war es die Neugier und jetzt ist es Vertrauen, denn das Publikum weiß, dass die Stücke sorgsam ausgewählt und sehenswert sind. Deshalb ist die Stadt für mich immens wichtig. Wir haben das große Glück, dass unser Festival kein eigenes Theater hat, sondern die ganze Stadt mit einbeziehen kann. Wir spielen jährlich an circa neun bis zehn verschiedenen Orten, von Schauspielhaus 328

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und Oper bis hin zu den kleinen Freien Theatern. Und wir suchen auch andere Spielorte, das macht es abwechslungsreicher. Wir haben uns schon unter das Rathaus begeben, da sind die Katakomben der alten Leipziger Pleißenburg. Das war schon extrem, wir hatten dort ein Stück aus Österreich über Arbeitslosigkeit unter der Stadtverwaltung. Das kannten viele nicht und wollten kommen, um das mal kennen zu lernen oder auf Türme zu steigen, ins Werk unseres Hauptpartners BMW-Werk Leipzig zu gehen, in Fabriken, in einen Güterbahnhof et cetera. Sie erwähnten gerade Ihren Sponsor, das BMW-Werk Leipzig, darf ich fragen, wie das Festival finanziert wird? 630.000 Euro beträgt seit einigen Jahren der Gesamtetat: für das Festival, also alle Personalkosten, die technischen Anmietungen, die allein schon circa 100.000 Euro betragen, alle Companykosten, das Büro und so weiter. Das ist ein Mini-Etat, und wenn darin jährlich circa zwei Produktionen der ganz großen Künstler Europas wie Alain Platel, Romeo Castellucci oder Josef Nadj enthalten sind, wird das Jonglieren mit dem Geld schon zum Kunststück. Es ist das Glück, dass fast ein Drittel des Etats vom BMW-Werk Leipzig kommt – es war ungefähr drei Jahre Arbeit, bis dieses Sponsoring zustande kam. Sie kamen auf den künstlerischen Auswahlprozess zu sprechen. Sie haben einen künstlerischen Beirat, ein Modell, das ich von Festivals nicht kenne. Wie funktioniert das genau? Wir haben natürlich durch das Informal European Theatre Meeting [IETM], das größte Netzwerk für Freies Theater in Europa, überall Kollegen, ich könnte also überall anrufen, um meine Informationen zu einzelnen Stücken zu bekommen. Aber ich finde es schön, ein paar Kollegen zu haben, mit denen man den Kontakt intensiver pflegt. So hatte ich 1995 die Idee, eine Gruppe von Menschen aufzubauen, mit denen man sich öfter trifft. Dies ist konzeptionelle Arbeit im Austausch. Die meisten Festivalchefs machen das, sie nennen es nur nicht so. Man hat immer Partner, die zwar die gleiche Wellenlänge, aber einen anderen ästhetischen Blick haben. Es ist wichtig, vor allem, wenn man so lange das Programm alleine bestimmt, dass man einen Stachel durch den anderen Blick erhält. Der Beirat, dessen Mitglieder natürlich von Zeit zu Zeit wechseln, stand immer etwas im Hintergrund und war gar nicht so bekannt. Da dachte ich mir, dass es nach dem fünfzehnten Jahr doch ganz schön wäre, jährlich ein Mitglied auch stärker nach außen zu bringen, unter anderem durch eine Carte blanche für jeweils ein Gastspiel. 2007 wird es Rolf Dennemann sein, künstlerischer Leiter des Festivals off limits in Dortmund. Aber die Produktionen, die Sie einladen, haben Sie auch immer persönlich gesehen? Theater kann nur live beurteilt werden, auch wenn ich mir natürlich über DVDs vorher einen Überblick verschaffe. Man muss aufgeschlossen sein gegenüber ganz unbekannten Künstlern, da fühle ich eine gewisse Verantwortung, allen eine Chance zu geben, aber zeitlich ist es sehr schwierig, sich alles anzuschauen. Ich bemühe mich, vor allem auf Festivals zu fahren, denn da kann man meist mehrere Vorstellungen an einem Tag sehen. Für eine einzige

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Aufführung irgendwohin zu fahren, ist zeitlich und finanziell schwierig, muss jedoch ab und zu auch sein. So ein anderer Blick entsteht ja auch durch die Integration theoretischer Beiträge in das Festivalprogramm. Wie gehen Sie damit um, hat sich über die Jahre in dieser Hinsicht etwas verändert und welchen Stellenwert haben solche Programmbestandteile für Sie? Wir veranstalten seit Beginn des Festivals täglich nachmittags Veranstaltungen des Rahmenprogramms, also Filme, Publikumsgespräche, Podiumsdiskussionen. Ich halte es übrigens für einen ganz wichtigen Punkt, dass ein Festival einen Ort hat, wo sich die Menschen treffen können, die Künstler ebenso wie das Publikum. Zwar war es eine große Arbeit, unser Festivalzentrum für das Publikum zu schaffen, dass man dort noch essen und trinken kann bis tief in die Nacht und auch die Gruppen nach den Vorstellungen ihr Essen erhalten – hier kann sich jeder Zuschauer unter Vorlage seiner Eintrittskarte kostenlos eine warme Suppe mit Brot geben lassen – eine finanzielle und zeitliche Investition, die sich am Ende sehr gelohnt hat und die Leute anzieht. Nun zum theoretischen Anteil. Ich will es mal überspitzt formulieren: Ich habe den Eindruck, dass es in Deutschland so viele Konferenzen und Symposien gibt, es wird geredet und geredet, aber wir sind doch ein Theaterfestival und wollen Aufführungen zeigen. Das ist jetzt alles überspitzt, aber ich bin ein bisschen müde von diesem ganzen Gerede über Theater, ich möchte es vor allem sehen und anschließend, wenn es sich lohnt, darüber reden. Und wer sind Ihre Vorbilder, wer und was beeindrucken Sie? Ich bemühe mich, das ganze Jahr über zu schauen und zu prüfen. Ich reise zu Festivals und halte die Augen offen, ich beobachte sehr aufmerksam. Ich merke mir die positiven, aber vor allem auch die negativen Sachen. Was gefällt mir und was nervt mich, wenn ich woanders bin? Ich denke, dass ich dadurch die weniger optimalen Aspekte an unserem Festival abstellen konnte. Das geht hin bis zu fehlenden Wegmarkierungen, nichts ist schlimmer, als im Dunkeln umherzuirren und eine Spielstätte nicht zu finden. Aber meinten Sie Ihre Frage bezogen auf die Struktur oder auf die gezeigten Künstler? Die Frage ist bewusst offen formuliert. Ich wollte nur wissen, was Ihnen als Erstes beim Stichwort Vorbild einfällt. Avignon. Dieses ›Festival der Festivals‹ ist natürlich eine ganz andere Sache als die euro-scene Leipzig, doch es ist eins der besten Festivals europaweit. Avignon ist total anders, weil der Tourismus mit hineinspielt, die wunderbare Landschaft Südfrankreichs im Sommer, tausende Leute, die dort Urlaub machen, und die Franzosen, die in der Gegend ihre Häuser haben. Und das Nebeneinander des großen Festivals mit den berühmten Namen und des OffFestivals, bei dem circa 950 Companies die ganze Stadt besetzen, bei dem man zwischen elf Uhr morgens bis nach Mitternacht Entdeckungen machen kann, man ist wie in einem Strudel. Und diesen Strudel will ich hier auch für ein paar Tage herbeiführen, diesen Theatertaumel. Auch die Wiener Festwochen sind fantastisch, aber das ist auch ein anderes Kaliber und manchmal auch glatt, weil meist nur etablierte Namen da sind. Ich sehe am liebsten Stücke im Heimatort der Gruppen, um die Atmosphäre mit deren Publikum nachvollziehen zu können. Ein russisches Stück 330

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in Italien zu sehen, entzieht den Künstlern ihren Boden, es ist ein anderes Publikum, doch manchmal ist es zeitlich nicht anders einzurichten. Die Frage nach der Originalsprache liegt mir am Herzen, sie ist Bestandteil der Identität, Englisch kann nur ein Hilfsmittel zur Verständigung sein. Ich finde es wirklich nicht gut, wenn für ein Publikum nicht übersetzt wird, auch beim Englischen. Die Schwedin Charlotte Engelkes präsentierte ihr Stück bei uns auf Englisch, wir haben es nicht übertitelt, und es gab viele Beschwerden vom Publikum. Die Dänen haben bei uns Dänisch gesprochen mit deutscher Übertitelung, so konnte ich ihre eigene Sprache hören. Auch die Titel der Stücke geben wir in Originalsprache und Deutsch an, und nicht, wie es sich eingebürgert hat, ein tschechisches Stück auf Englisch, das halte ich für sinnlos. Das Festival Neue Stücke aus Europa in Wiesbaden, geleitet von Manfred Beilharz, ist ebenso konsequent, ein Festival, auf dem man große Entdeckungen machen kann. Beschreiben Sie mir doch zum Abschluss noch eine ernsthafte Krise, die Ihr Festival zu meistern hatte, und wo Sie es in fünf Jahren sehen? Die erste Krise war, als Matthias Renner starb. Ich war damals seine Stellvertreterin, wir waren nur zu zweit. Er ist drei Wochen vor dem Festival 1993 ganz überraschend verstorben. Ich hatte als junge Frau nie die Hauptverantwortung getragen und nie mit den Finanzen und der Bühnentechnik zu tun. Meine Aufgabe war ein Teil der künstlerischen Auswahl und die Öffentlichkeitsarbeit. Natürlich war ich kurz davor, das Festival abzusagen. Das waren die schlimmste Krise und die schwierigste Entscheidung, das Festival anschließend zu bewahren. Und dann gab es nochmal eine, als sich mein langjähriger Kollege Michael Freundt anders orientieren wollte. Wir haben sieben Jahre zusammengearbeitet, er hatte mit Pressearbeit angefangen und traf am Ende mit mir die künstlerische Auswahl. Ich dachte damals, dass er irgendwann in 20 Jahren vielleicht mein Nachfolger werden würde, denn er war jünger als ich. Doch er wollte in Berlin arbeiten und es war hart, den Hauptpartner zu verlieren. Ich dachte, dass dies das Ende des Festivals wäre, und steckte in einer echten Krise. Die Krisen hingen also jeweils mit einer Person zusammen. Jetzt ist das Festival auch finanziell auf einem guten Weg, denn die Verlängerung des Vertrages durch das BMW-Werk Leipzig bis 2012 zieht auch die Verpflichtung der öffentlichen Partner, vor allem der Stadt Leipzig und des Freistaates Sachsen, nach sich. Und wie ich die Zukunft sehe? Es gibt noch Künstler, die ich nach Leipzig holen möchte, zum Beispiel Christoph Marthaler. Nun fangen langsam auch die Überlegungen für das zwanzigste Jahr an. Unser Tanzwettbewerb ist auch ein großes Thema, der Wettbewerb Das beste deutsche Tanzsolo ist inzwischen ein Markenzeichen der euro-scene Leipzig. Wir veranstalten ihn seit 1997 und jetzt biennal, denn die Begeisterung war so groß, dass mir das zu viel wurde, denn er stellt nur einen Punkt des Festivals dar. Es ist eine sehr besondere Sache, die Konzeption stammt von Alain Platel, der ihn dreimal in Gent veranstaltete und mir die Genehmigung gab, ihn für Deutschland auszutragen. Jeder kann sich bewerben, Amateure und Professionelle, mit einem Solo auf einem runden Tisch, einzigartig! Jede Stilrichtung ist zugelassen, was das Ganze sehr populär macht. Es ist wie ein Festival im Festival mit einer Live-Vorauswahl, einer Jury und Preisen. In nächster Zeit total etwas zu

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verändern, dafür sehe ich keinen Grund. Der euro-scene Leipzig geht es gut und ich hoffe, dass es so weitergeht. Eine letzte Frage: Welche Frage wird Ihnen zu häufig über die euro-scene Leipzig gestellt und welche würden Sie viel öfter hören wollen? Häufig wird mir die Frage gestellt, wie sich dieses Festival über die Jahre hin halten konnte, die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis – vor allem wollen dies jüngere Kollegen wissen. Was kommt zusammen, damit man das schafft? Ich kann nur sagen, wenn man selbst fürs Theater brennt und sich für seine eigene Sache gnadenlos einsetzt, klappt das. Und was ich gerne gefragt werden würde? Ich würde immer gerne mehr erzählen über meine Auswahl der Stücke. Wie ich auf die Idee zu einem Künstler, zu einem Stück gekommen bin, unter welchen Umständen ich es gesehen habe, über den ersten Moment, an einer Company Interesse gefunden zu haben. Aber das ist am Ende auch nicht so wichtig; wichtig ist nur, dass das Gastspiel dann stattfinden kann, und die Reaktionen des Publikums: das Verständnis für andere Kulturen, für eine uns oft fremde Ästhetik, andere künstlerische Handschriften zuzulassen und sich über die eigenen Grenzen klar zu werden. Und sich am Theater immer wieder neu zu wundern, zu reiben, aufzuregen und zu begeistern.

Torsten Maß, Kurator von Theater der Welt 2008, 14. November 2006, Halle an der Saale [Torsten Maß präsentiert zuerst eine Infobroschüre zu Theater der Welt 2008, die für Sponsoren gemacht wurde.] Wir haben hier, 20 Monate vor Festivalbeginn, etwas im Vorfeld formuliert. Wer hat diese Broschüre bekommen? Das ist Informationsmaterial für potentielle Sponsoren. In Halle herrscht eine für das bedeutendste internationale Theaterfestival Deutschlands sehr ungewöhnliche, schwierige Situation, die sich von den zehn vorausgegangenen Theater der Welt-Editionen unterscheidet. Normalerweise ist die Finanzierung von Anfang an gesichert, es steht fest, dass der Bund, das Land und die Stadt paritätisch jeweils ein Drittel des Festivaletats einbringen. In Halle ist alles anders, da die Stadt vor der finanziellen Zwangsverwaltung steht. Das Theater der Welt-Team muss die Stadt finanziell entlasten und von deren Pflichtanteil über die Hälfte in der regionalen Wirtschaft und bei den Bürgern akquirieren. Wenn uns das nicht gelingt, findet das Festival in Halle nicht statt. Das ist ein echtes Handicap. Bei den bisherigen Festivaleditionen war akquiriertes Geld ein zusätzlicher Anreiz. Von uns wird diese Zusatzleistung als Startkapital verlangt – und wir reden hier von etwa 500.000 Euro. Und war das schon bekannt, bevor entschieden wurde, dass Halle der neue Standort sein wird? Das Internationale Theaterinstitut (ITI) vergibt die Festspiele in der Regel alle drei Jahre an eine andere, meist westdeutsche Metropole. Wer die neue Ausschreibung gewonnen hat, wird am letzten Tag des gerade laufenden 332

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Theater der Welt-Festivals verkündet. In unserem Fall war das 2005 in Stuttgart. Im ITI hatte ein Umdenken stattgefunden. Theater der Welt sollte kein reines Metropolen-Festival mehr sein; auch mittelgroße Städte erhielten plötzlich eine Chance. Es sollte derjenige gefördert werden, der bereit ist, sich selbst zu fördern. So hat Halle 2005 Hannover besiegt, das die Finanzierung nicht zuwege brachte. Halle hatte selbst kurz zuvor eine Niederlage bei der Bewerbung zur Kulturhauptstadt einstecken müssen und wollte daher um jeden Preis Theater der Welt 2008 gewinnen. Es liegt jetzt an mir, diesem Wunsch eine reelle Chance zu geben. Deswegen ist diese Broschüre so wichtig, wir müssen die Sponsoren überzeugen. Theater der Welt 2008 muss ein Festival der ganzen Region werden. Das drückt sich in dem Motto aus, unter das wir unser ästhetisch-politisches Konzept stellen. Es ist ein Aufruf Hölderlins, der Halle 1795 besuchte. Darin fordert er seinen Freund Landauer auf: »Komm, ins Offene…« um, wie es vier Zeilen später heißt, »zu entfliehen der bleiernen Zeit«. Dieser Aufruf prägt die Bildsprache unserer Broschüre. Da öffnen sich prächtige uralte Hallenser Türen und Fenster, und dahinter sehen wir keine muffigen Kammern, sondern Theaterszenen aus aller Welt. Sie finden ›im Offenen‹ statt, es weht ein frischer Wind durch die 1200-jährige Kulturstadt. Die Tür, die sich für uns am weitesten öffnen wird, ist die der Kulturinsel Halle. Das wird unsere Begegnungsstätte. Allein 3 von 18 Spielstätten werden sich dort befinden, aber auch unser Organisationsbüro und unsere Presselounge. Wie wichtig für ein Theaterfestival so eine Begegnungsstätte ist, hat Theater der Welt 2002 im Rheinland gezeigt. Damals fanden die Festspiele in vier benachbarten Städten statt, es gab kein Zentrum, und das Publikum hat sich verlaufen. Das wäre also ein wichtiger Teil Ihres Konzepts, mit dem Publikum … … zu kommunizieren, ja. Und dafür brauchen wir einen idyllischen Ort, ein Festivalzentrum. Theater der Welt gastiert hier im Sommer 2008 18 Tage lang. Ein Teil unserer circa 25 verschiedenen Programme kann also draußen, ›im Offenen‹, stattfinden. Ein Drittel der internationalen Gastspiele, die Säule A, steht für große Namen und klassische Formen des Theaters. Das zweite Drittel, Säule B, sind neue Spielformen und ungewöhnliche Spielorte. Da verlassen wir den Mutterleib Theater und spielen beispielsweise in einem Fußballstadion. Und der dritte Teil, Säule C, besteht aus Projekten, mit denen wir das Festival lokal verankern. Die werden von internationalen Künstlern in Residence-Gruppen zusammen mit Hallenser Künstlern entwickelt. Halle ist also nicht nur die Hülle, die dieses Festival beherbergt, sondern auch sein Herz; das Festival wird für diese Stadt konzipiert. Das ist entscheidend, da dem Hallenser Publikum internationale Festivalerfahrungen und damit Vergleichsmöglichkeiten fehlen. In Metropolen wie Berlin ist das anders, dort ist quasi täglich Festival, und jede neue Aufführung bezieht sich auf ein Gastspiel, das eine Woche oder ein halbes Jahr vorher gezeigt wurde. Deswegen ist der Anteil an großen Namen in Halle groß und der Anteil neuer Spielformen etwas kleiner. Es macht ja nur Sinn, neue Ästhetiken aufzuzeigen, wenn es eine Basis gibt. Und vor allem ist der Anteil an Projekten, die sich auf Halle beziehen, größer als anderswo, denn gerade diese Uraufführungen erzeugen Offenheit und Neugier, und die braucht es, damit die 20.000 Zuschauer, die angestrebt werden, auch kommen. Das sind drei Grundgedanken, wie sich Theater der Welt 2008 in Halle von den Vorgängern unterscheidet. Auch der 333

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Festivaletat unterscheidet sich, Halle wird circa 50 Prozent des Budgets von Stuttgart haben. Auch das beeinflusst die Programmgestaltung. Wie weit sind Sie in Ihrer Planung, wie viele Produktionen stehen schon fest? Ich habe ja in meinem dreißigjährigen Berufsleben die halbe Welt bereist, um Theater zu sehen und tausende ›Seherfahrungen‹ und Kontakte mitgebracht. Allein 25 Jahre war ich als Kurator bei den Berliner Festspielen tätig, sowohl für das Theatertreffen als auch für die Internationalen Festwochen. Wenn bereits in zwei Monaten Theater der Welt begänne, könnte ich sofort 25 Gastspiele zusammenstellen. Zur Stunde, also 20 Monate vor Festivalbeginn, habe ich mich für sieben entschieden, die ich auf alle Fälle machen möchte, und die ich schon verpflichtet habe. Es sind, wie die Eröffnung, alles internationale Uraufführungen und europäische Erstaufführungen. Diese Künstler gehören in die erste Kategorie der großen Namen, die muss man zwei Jahre im Voraus buchen. Gleichzeitig bin ich offen, die Reisetätigkeit beginnt erst. Zum Vergleich: Theater der Welt in Stuttgart hat 2005 300 Reisen abgerechnet – das ist viel. Wir werden allenfalls 100 Reisen machen. Ich fahre seit über 20 Jahren regelmäßig zum Festival nach Avignon, und komme gerade aus Shanghai, was ganz großartig war; ich besuche die Festivals in New York und Buenos Aires und bin häufig in Paris und London. Einige Wege sind also vorgezeichnet. Sie haben gerade »wir reisen« gesagt: Wie sieht Ihr Team aus und werden Sie Mitarbeiter des vorherigen Festivals übernehmen? Und wie kommt Ihre Auswahl zustande? Schauen Sie sich alles an, was Sie einladen? Die Festivalstruktur Theater der Welt ist einzigartig, denn alle drei Jahre wird ›das Rad neu erfunden‹. Das hat Vor- und Nachteile. Jedes Mal zerstreuen sich unmittelbar nach dem Festival die Mitarbeiter in alle Winde und der neue Kurator beginnt wieder bei null. Er steht natürlich durch seine bisherige Tätigkeit in einem sozialen und ästhetischen Kontext, er bringt seine Kontakte mit, Menschen, mit denen er zusammenarbeitet und denen er vertraut, und gewachsene Arbeitsbedingungen. Auf dieser Basis baut er sich das neue Team am neuen Ort. Es arbeiten ja immer nur gute Leute bei Theater der Welt mit, und die können nicht für jedes Festival eingeflogen und ›umgepflanzt‹ werden, sondern kommen aus dem Einzugsgebiet vor Ort. Ich hatte mein Augenmerk auch auf ein paar Mitarbeiter von Stuttgart gerichtet, aber die sind längst wieder anderwärtig engagiert, und ich könnte sie auch gar nicht bezahlen, da Stuttgart wie gesagt 50 Prozent mehr Geld hatte, und das drückt sich auch in der Bezahlung der Mitarbeiter aus. Zur Stunde bin ich Solist, seit meiner Nominierung am 06.06.2006 bis zum Jahresende, aber ab Januar werde ich ein kleines Team haben. Dieses ist sehr klein, aber effektiv. Und diese Mitarbeiter werden auch reisen und Sie dann informieren? Ja. Sie haben vorhin Erstaufführungen erwähnt – Koproduktionen spielen ja in der Festivallandschaft eine große Rolle, werden Sie welche machen? Und wenn ja wie viele? Nun, es sind ungefähr 25 Programme und davon werden vielleicht sieben internationale Koproduktionen sein. Die Eröffnung ist auf jeden Fall eine. Na334

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türlich sind bei der Säule C, bei den Hallenser Produktionen, nur Koproduktionen mit Hallenser Institutionen möglich. Diese Aufführungen werden von internationalen Künstlern in Residence-Gruppen gemeinsam mit Hallenser Künstlern für Halle entwickelt und auch nur hier gezeigt. Aber in den Abteilungen A und B gibt es von etlichen Orten Koproduktionsanfragen. Beispielsweise möchte sich ein europäisches Festival an einer unserer Uraufführungen beteiligen, und die könnte so von Halle aus weitergegeben werden. In der Abteilung C stelle ich mir nicht nur Theaterproduktionen vor. Ist das richtig? Ja, die Gattungsbezeichnung Theater muss für die Bereiche B und C erweitert werden. Es entstehen neue Spielformen und Spielorte, und natürlich wird das Theater auch in Europa längst nicht mehr mit der Guckkastenbühne gleichgesetzt. Das Einbeziehen der Bildenden Künste und der Neuen Medien hat die Vorstellung, was alles unter ›Theater‹ zu verstehen ist, erweitert. Im internationalen Kontext war Theater nie auf den klassischen ›roten Vorhang‹ begrenzt. Und gerade Theater der Welt hat die Aufgabe, Impulse aus möglichst vielen Ländern und unterschiedlichsten Kulturen zu geben. Wird es auch theoretisierende Programmelemente geben? Vielleicht ist es ja in Halle besonders wichtig, mit dem Publikum zu arbeiten und das Theater dem Publikum auch auf diese Weise näherzubringen? Es wird wissenschaftliche und theaterpädagogische Begleitveranstaltungen geben, die abhängig von der Programmgestaltung sind. Alle Projekte bei Theater der Welt in Halle werden einen eindeutigen Bezug zur Stadt haben und sich mit ihren Problemen und Gegebenheiten auseinandersetzen. Das wird sich auch in den Symposien und Seminaren widerspiegeln. Das Phänomen der schrumpfenden Städte ist in Halle beispielsweise ein besonders relevantes Thema, mit dem sich die Künstler auseinandersetzen. ›Explodierende‹ und ›implodierende‹ Städte, also Megastädte wie Shanghai und shrinking cities wie in Ostdeutschland, sind ja ein zentrales Problem des 21. Jahrhunderts. Sie haben schon darauf hingewiesen, wie groß der Kontrast zu Stuttgart sein wird. Gibt es auch Dinge, die Sie übernehmen wollen, wie etwas das Künstlerdorf? Was für Anregungen haben Sie aus den Vorläufern ziehen können? Jede Festivaledition arbeitet mit den spezifischen Gegebenheiten vor Ort. In Stuttgart war Theater der Welt zum zweiten Mal, es gab also eine Basis, auf die zurückgegriffen werden konnte. Aber Stuttgart hat einen ganz anderen Charakter als Halle, diese 1200-jährige Hanse- und Kulturstadt an der Saale, die Stadt des »weißen Goldes«, mit ihrem unterirdischen Vulkan, den Schlachtfeldern, Burgen und diesem zusammengebrochenen Industriekombinat. Entscheidend ist immer die lokale Verankerung des Festivals, wir müssen die Schönheit des Austragungsorts ins rechte Licht rücken. Aber Stuttgart hat gezeigt, wie man heutzutage ein Festival macht. Es gibt so etwas wie eine allgemeingültige Grundstruktur. Da werden andere Bereiche der Kunst und Kultur genauso einbezogen wie das Regionale und Populäre. Und es wäre töricht, wenn man das anders machen würde.

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Welche Netzwerke sind für Sie denn relevant? Bei den Berliner Festspielen habe ich diverse Netzwerke gegründet, beispielsweise THEOREM. Das ist ein Theaternetzwerk für den Ost-WestAustausch; die französische Abkürzung steht für »Théâtres de l’Est et de l’Ouest – Rencontres Européennes du Millénaire«. Zu den circa zehn Gründungsmitgliedern gehörten Ende der achtziger Jahre das Festival von Avignon, das Theater von Antwerpen, die Biennale von Lyon oder das Loft in London. Wir sind gemeinsam gereist, etwa nach Litauen, ins Baltikum oder auf den Balkan, um die neuesten Inszenierungen zu sehen. Wenn sich ein Mitglied für eine Uraufführung aus Vilnius oder aus der Türkei entschied, übernahm es die Rolle der ›Lokomotive‹ und die Erstaufführung im eigenen Land. Wer wollte, konnte sich hinten dranhängen, und die Produktion machte dann auch dort Station. Solche Netzwerke sind das eigentliche Kapital von Festivalmachern. Im Laufe der Jahre hat sich jeder von uns mindestens 50 Kollegen zusammengesucht, deren Urteil verlässlich ist. Wenn man eine Empfehlung, beispielsweise vom Kollegen aus Avignon erhält, weiß man, dass die Einschätzungen ähnlich sind, trifft eine Vorauswahl und macht dann, sofern das möglich ist, nochmals ein Cross-Checking. THEOREM ist also ihr Hauptnetzwerk. Gibt es noch andere Netzwerke? Auch die Europäische Festivalvereinigung habe ich aktiv mitgestaltet, beim fünfzigsten Jubiläum sogar als Konzeptmacher und Zeremonienmeister. In der Europäischen Festivalvereinigung sind ungefähr 200 Festivals eingetragene Mitglieder, aber das darf man sich nicht als einen ›geschlossenen Kreis‹ vorstellen. Es bilden sich immer wieder neue Zweckbündnisse. Die Reisetätigkeit der Festivalmacher ist ja auf Entdeckungen ausgerichtet, auf das Neue, das Junge, das Unbekannte, und das trifft man nicht zufällig. Konstellationen bilden sich, Ideen tauchen auf, haben eine gewisse Zeit Bedeutung, und dann zerfällt die Gruppe und schließt sich in einer neuen Formation wieder zusammen. Theater der Welt ist ein Name, der auf die Frage der Globalität und Globalisierung anspielt. Was bedeutet dieser Name heute, was er vielleicht früher bei der Gründung nicht bedeutet hätte? Theater der Welt wurde 1981 in Anlehnung an Theater der Nationen gegründet. Beide Festivals gehören zum weltweiten Netzwerk des Internationalen Theaterinstituts, das seit 60 Jahren unter der Schirmherrschaft der UNESCO tätig ist, inzwischen in über 90 Ländern. Zu deren Charta gehört es, den Austausch und die Verständigung der Kulturen zu fördern und dabei zwischen den Fronten zu vermitteln, also auch Brückenbauer in Zeiten des Kalten Krieges zu sein. Das ITI schützt die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und Theatertraditionen besonders dort, wo sie aus politischen, ökonomischen, religiösen oder kulturellen Gründen an den Rand gedrängt, isoliert oder verboten werden. Das bedeutet auch, den kulturellen Reichtum der Menschheit gegen marktwirtschaftliche Interessen und Mächte zu verteidigen. Das sind Themenstellungen, die durch die Globalisierung immer radikaler und existentieller werden. Sie betreffen immer seltener einzelne Nationen, sondern die eine Welt. Insofern ist auch der Namenswandel vom Theater der Nationen zum Theater der Welt symptomatisch. Die Welt ist zusammengerückt. Das ist Chance und Fluch zugleich. Entfernungen sind kein Problem mehr. 336

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Ich wollte zwar nicht über die Inhalte von konkreten Projekten sprechen, aber wenn Sie so präzise fragen, gebe ich Ihnen doch ein Projektbeispiel. Nicht jeder und nicht alles, was aus Halle kommt, ist bekannt. Man kennt Händel und man kennt den Gründer der Franckeschen Stiftung, August Herrmann Francke. Der war Pfarrer und hat Ende des 17. Jahrhunderts damit begonnen, in Halle ein ›Imperium‹ aufzubauen, das so phänomenal war, dass die Franckeschen Stiftungen in das Weltkulturerbe eingegangen sind. Für den Anschauungsunterricht im Waisenhaus baute Francke auch eine ›Kunst- und Wunderkammer‹. Seine Missionare sammelten für das »theatrum naturae et artis«, wie es seinerzeit genannt wurde, in der ganzen Welt kuriose Erzeugnisse der Kunst, Religion und Wissenschaft. Das Staunen und Wundern diente damals als Impuls der Erkenntnis. Für Theater der Welt 2008 soll jetzt eine globale Wunderkammer des 21. Jahrhunderts entstehen. Noch ist es nur eine Idee, es gibt eine erste Projektskizze. Aber wir haben 25 Ensembles und jedes Ensemble besteht circa aus 20 Mitgliedern. Diese schätzungsweise 500 Künstler, die wahrscheinlich aus allen fünf Kontinenten kommen werden, erhalten die Aufgabe, drei Dinge mitzubringen: Das könnte etwas sein, das ihnen besonders wichtig und ans Herz gewachsen ist. Dann etwas, das Fundamentales über die Kultur aussagt, aus der jeder Einzelne kommt, sei es ein Gedicht, ein Lied, ein Geräusch. Und drittens etwas, von dem die Künstler glauben, dass es technisch bedeutsam ist für das 21. Jahrhundert. Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Worüber wundert sich die Welt heute? Vielleicht wird in diesem Projekt sichtbar, wie die Welt heute zusammenwächst. Vielleicht werden sich auch einzelne Kulturkreise stärker um Abgrenzung von der ›großen Welt da draußen‹ bemühen. Vielleicht wird aber auch eher die Alltagswelt im Vordergrund stehen – wer will das voraussagen? Sie arbeiten in einer Förderinstitution. Sagen Sie mir doch, warum Ihr Festival gefördert werden sollte? Warum würden Sie Ihr Projekt fördern? In Deutschland herrschen nahezu paradiesische Verhältnisse in Bezug auf Kunst und Kultur. Heute stand in der Zeitung, dass unser Kulturminister den Etat dafür um 3,5 Prozent erhöht hat. Zur Stunde wird die Kultur mit circa 1,1 Milliarden Euro gefördert. Staat, Land und Kommune tragen die Verantwortung dreifach. Allein die Stadt Berlin gibt für die Kulturförderung so viel aus wie das gesamte Land Italien oder das United Kingdom an Fördermitteln für Kunst und Kultur bereitstellen. Die Ausgangssituation ist bei uns schlichtweg großartig. Der deutsche Staat hat akzeptiert und mehr oder weniger im Grundgesetz festgeschrieben, dass Kultur und Theater Bildungssache sind. Deshalb gibt es bei uns über 200 Staats- und Stadttheater mit Repertoiresystem. Das heißt, der Bürger soll hierzulande die Möglichkeit haben, in seiner Stadt, wenn er will, jeden Abend ins Theater zu gehen, und in größeren Städten kann er sogar jeden Abend ein anderes Stück sehen. Schon August Everding hat in den achtziger Jahren gefordert, unser Repertoiresystem sollte zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Vater Staat hat entschieden, Kunst und Kultur ist etwas für die Seele und die Bildung des Menschen, und somit keine freiwillige Leistung, sondern genauso notwendig wie das Gesundheitswesen oder die Müllabfuhr. Darüber hinaus fördert der Staat auch noch die deutsche ›Festivallandschaft‹. Städte und Regionen, die eigene Festspiele ausrichten, werden kulturell aufgewertet, aber das dient nicht nur der Bildung, sondern ganz wesentlich auch der Wirtschaft. Das Schlüsselwort ist die so genannte 337

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Umwegrentabilität. Es ist erwiesen, dass jeder Euro, den der Staat in ein Festival investiert, mindestens zwei Euro an direkten und indirekten Steuern zurückbringt. Ein Idealfall! Kommerz und Kultur unterstützen sich gegenseitig; dem Steuerzahler kann nichts Besseres passieren. Das ITI richtet Theater der Welt aus und bestimmt als Veranstalter die Vergabekriterien. In den letzten 30 Jahren hat es die Festspiele ausschließlich an finanzstarke Metropolen vergeben, aber zunehmend treten andere Förderkriterien in den Vordergrund. Halle ist eine kulturell reiche Stadt, aber hat kein Geld. Trotzdem stellt Halle über zehn Prozent seines Gesamthaushalts für die Kulturförderung bereit; damit gehört die Stadt deutschlandweit zu den Spitzenreitern in Sachen kulturelles Engagement. Das kann sich Halle schon heute nicht mehr leisten. Aber internationale Festspiele von der Größenordnung Theater der Welt könnten hier Wunder wirken, zumal die Stadt lange isoliert und daher in der Kulturarbeit rückwärtsgewandt war und durch das Erbe Franckes und Händels auch eher retrospektiv arbeitet. Halle hat das Festival verdient – und deswegen muss es auch gefördert werden. Kommen wir zu der vorletzten Frage, nach Ihrer Einschätzung, was sich durch Theaterfestivals in Deutschland verändert hat. Was haben sie bewirkt und wo sehen Sie Epochen in ihrer Wirkung? Kunst ist dafür da, unser Leben täglich aufs Neue auf den Prüfstand zu stellen. Wer schon ein paar Jahre im Geschäft ist, darf sich aber nicht scheuen, auf Ideen, Konstellationen und Fragestellungen zurückzugreifen, von denen man sicher ist, sie bereits vor 20 Jahren beantwortet zu haben. Denn das Publikum ändert sich laut wissenschaftlichen Analysen alle 15 oder 20 Jahre radikal. Ein Festival kann keine Probleme lösen, aber Mauern in den Köpfen abbauen. Und wenn 500 Künstler aus aller Welt nach Halle kommen und sich mit den Problemen der Menschen hier auseinandersetzen, dann ist das eine Schubkraft. Vorhin sprach ich von Türen, die sich öffnen und Durchzug ermöglichen, damit ein frischer Wind durch die Stadt fegt. Visionen, Motivationen, jeder Aufschwung beginnt letztlich in den Köpfen. Theaterfestivals bieten Irritation, Fremdes, Perspektivwechsel, es sind Triebfedern. Und welche Fragen werden zu viel und zu wenig zu Festivals gestellt? Fragen und Aussagen wie »Das habe ich schon gesehen. Das kenne ich schon« kann ich nicht leiden. Kunst kommt von Können und wird nicht wie die Mode durch den Dernier Cri bestimmt. Diese Tendenz des Kulturbetriebs, immer nach dem Neuesten, Provokantesten, Trendigsten zu fragen, ist riskant. Zumal wenn es um ein Festival wie Theater der Welt geht. Andere Kulturen haben andere Wertmaßstäbe und Sichtweisen. Wir würden uns den Zugang versperren, wenn wir ständig Neues einfordern und hinter den Modeströmungen herlaufen.

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Amelie Deuflhard, damalige Leiterin der Sophiensæle, 14. Februar 2007, Berlin Wie würden Sie kurz und präzise die Sophiensæle beschreiben? Die Sophiensæle sind eine Produktionsstätte, die spartenübergreifend im Bereich Performance, Tanz, Theater und zeitgenössische Musik arbeitet. Das wichtigste Merkmal der Sophiensaele ist, dass der Produktionsbegriff sehr umfassend definiert und angewendet wird. Die Sophiensaele zeigen nicht nur Arbeiten, sondern produzieren und entwickeln sie von der Idee bis zur Premiere, kümmern sich um die Geldakquise beziehungsweise beraten die Künstler nachhaltig bei der Drittmittelakquise. Dafür haben wir am Haus zwei Produktionsleiter, die für mehrere Kompanien das Produktionsmanagement übernehmen. Das ist eine Dienstleistung, die die Künstler viel näher an das Haus bindet, als wenn sie nur Vorstellungen zeigen würden, und somit den Sophiensælen die Möglichkeit gibt, im engeren Kontakt mit den Künstlern zu stehen. Den Geldgebern wiederum gibt dieses System die Sicherheit, dass die Produktionen professionell abgewickelt werden, da die Sophiensaele genau für dieses Know-how stehen. Außerdem sind verschiedene freie Produktionsbüros von mehreren Companien an die Sophiensæle angegliedert, ohne dass deren Mitarbeiter bei den Sophiensaelen angestellt sind. Eines davon gehört zu Nico and the Navigator, ein anderes zu Constanza Macras. Zudem arbeitet das Büro der Tanztage in den Sophiensælen, das als Festival unabhängig ist und gleichzeitig zeitgenössische Tanzprojekte produziert. Das sind die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zu den wenigen Häusern, die es in diesem Segment im deutschsprachigen Raum gibt. Wie beispielsweise beim 100° Festival… Das mir Matthias Lilienthal als gemeinsames Projekt vorschlug, noch bevor er am HAU angefangen hat. Und wie viele Mitarbeiter arbeiten direkt für die Sophiensæle? Wir haben vier bis fünf angestellte Mitarbeiter und ungefähr fünf feste ›freie Mitarbeiter‹. Ausschließlich für die Sophiensæle arbeiten sechs bis sieben Personen, dazu zwei Produktionsleiter; außerdem mehrere Produktionsbüros. In dem Büro von Constanza Macras arbeiten immer ein oder zwei Leute, in dem der Tanztage immer einer – wenn das Festival gerade stattfindet drei bis vier Leute; bei Nico and the Navigators immer einer. Für Großprojekte baue ich für eine bestimmte Zeit ein Großbüro auf, das nach beispielsweise fünf Monaten wieder verschwindet. Wir arbeiten also nicht nur temporär, indem wir zeitlich begrenzt in Räumen der Stadt spielen, sondern haben flexible Arbeitsstrukturen, die man beliebig hoch- und wieder runterschrauben kann. Außerdem arbeiten in den Sophiensælen noch zwei fest angestellte technische Leiter und freiberufliche technische Mitarbeiter. Und woher kommt das Geld für die Mitarbeiter? Wir bekommen für die Sophiensæle vom Land Berlin Strukturgelder. Es handelt sich um 700.000 Euro im Jahr.

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Und was waren für Sie als Leiterin die größten Schwierigkeiten? Die größten Schwierigkeiten waren eigentlich, dass ich anfangs immer dachte, wir würden Bankrott gehen. Als ich 2000 die Spielstätte als Leiterin übernommen habe, bekamen wir 150.000 Mark Förderung. Davon mussten wir die Miete und die Techniker bezahlen sowie die Werbung machen. Es war damals klar, dass wir Strukturkosten haben würden, die weit über der Förderung lagen und das obwohl wir die Büromitarbeiter gar nicht bezahlen konnten – keiner hat damals eigentlich Geld verdient. Im Moment liegt unser Jahresbudget bei ungefähr 1,3 Millionen Euro ohne die Gelder für die Großprojekte. Wenn ich diese dazurechnen würde, wäre es wesentlich mehr. Davon sind 500.000 Euro Senatsförderung, der Rest wird durch Projektgelder akquiriert. Dazu kommt aber noch einmal eine größere Summe aus von den Künstlern selbst akquirierten Geldern. Und wie entscheiden Sie, was Sie produzieren? Ich entscheide mich für künstlerische Projekte und für Künstler, die ich interessant finde, und versuche dann, die Projekte zunächst an Geldgeber zu vermitteln. Ich selbst schaue mir viel Theater in Deutschland, im deutschsprachigen Raum sowie international an. Nur in Einzelfällen produziere ich etwas, das ich noch nicht gesehen habe, weil mir das Konzept einleuchtet oder weil das Gespräch mit einem Künstler so interessant ist, dass man eine Produktion riskieren kann. Und Ihre Netzwerkpartner sind dann hauptsächlich die Partner des Festivals Freischwimmer? Nein, nicht hauptsächlich. Es ist ein völlig altmodisches Netzwerkverständnis, wenn man glaubt es genüge, wenn man vier Partner habe mit denen man ein Festival macht, das man dann durch den deutschsprachigen Raum reisen lässt. Früher hat man so etwas gemacht: Fünf Partner schließen sich zusammen und zeigen eine Produktion im Kreis. Das sind jene Netzwerke, die Anfang der neunziger Jahre entstanden sind, für die Nele Hertling im HebbelTheater für ganz Deutschland die Vorreiterin war. Heutige Netzwerke sind keine geschlossenen Kreise, sondern offen für beliebig viele Partner. Ein Netzwerk ist für mich ein offenes Netz, in dem es verschiedene Knoten gibt, die zumeist für Häuser stehen, aber auch für erfolgreiche Kompanien, die viele Kontakte haben. Ich baue die Netzwerke nicht um das Haus herum, sondern um die einzelnen Projekte. Das heißt, ich baue für jedes Projekt ein neues Netzwerk auf. Für die Sophiensaele potenzieren sich dadurch die möglichen Partner. Bei Freischwimmer war es so, dass unser Spielplan immer dichter wurde und es damit zunehmend schwieriger wurde, junge Künstler einzuführen und sie gleich im großen Saal spielen zu lassen. Deshalb haben wir jungen Künstlern im Foyer die Möglichkeit gegeben, ihre Projekte zu präsentieren. Für die zwei Premieren in der Woche reichte jedoch die Medienaufmerksamkeit nicht. Die Idee war von Anfang an, ein Nachwuchsfestival für mehrere Städte zu veranstalten. So habe ich mich mit einer Produzentin aus Hamburg, Andrea Tietz, zusammengeschlossen und AUSSER ATEM gegründet, das auf Kampnagel stattgefunden hat. Es war so erfolgreich, dass die Kollegen vom FFT in Düsseldorf und die Gessnerallee, die ich schon seit vielen Jahren kenne, einsteigen wollten. Wir kooperieren aber auch viel in Berlin, zum Bei340

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spiel mit den HAU, das gleichzeitig unser Konkurrent ist. Wir kooperieren außerdem seit vielen Jahren mit Festspielen wie Tanz im August und den Berliner Festspielen sowie mit Festivals wie UltraSchall und Märzmusik. Also wurde Freischwimmer gegründet, um Aufmerksamkeit für junge Künstler zu bündeln? Auch. Aufmerksamkeit für junge Künstler zu generieren, ist heute viel schwieriger als noch vor sechs Jahren. Als der Berlin-Boom herrschte und neue Fördertöpfe entstanden, war es einfacher junge Künstler durchzusetzen. Das war inhaltlich der wichtigste Grund dafür, das Festival zu gründen. In diesem Verbund von fünf Partnern, denn Wien ist mittlerweile auch eingestiegen, sichten wir, da wir in jeder Stadt Ausschreibungen machen, flächendeckend den Nachwuchs aus dem deutschsprachigen Raum. Das ist ein riesiger Vorteil. Freischwimmer ist eine großartige Gelegenheit, denn wir beschäftigen uns ja nicht nur mit den sechs Produktionen, die wir am Ende produzieren, sondern wir lesen die 150 Bewerbungen, die eingehen. Dadurch bekommt man einen sehr guten Überblick darüber, was es an neuen Entwicklungen gibt und was die Themen sind, die junge Künstler interessieren. Was genau hat sich an der Förderung junger Künstler denn verschlechtert? Die Förderungsbedingungen haben sich gar nicht verschlechtert, aber der Hauptstadtkulturfonds, 1999 entstanden als neuer Topf für Berlin mit zehn Millionen Euro, war für freie innovative Projekte ausgeschrieben. Nun hat sich eine bestimmte Anzahl Künstler durchgesetzt, die jetzt das meiste Geld kriegen. Die jüngeren Künstler haben nun diese Künstler als Konkurrenten sowie die großen Häuser, die ebenfalls Gelder beantragen. Außerdem hat sich die Konkurrenz im Segment des zeitgenössisches Theaters und Tanzes in den letzten fünf Jahren extrem verschärft. In Berlin gibt es mit dem HAU ein Haus, das in drei Spielstätten im gleichen Segment operiert wie wir, abgesehen von den internationalen Gastspielen, das können wir in den Sophiensælen gar nicht leisten und dafür haben wir auch keinen Auftrag. Außerdem gibt es das Ballhaus Ost, den Theaterdiscounter sowie das Radialsystem – also mittlerweile fünf Orte, die sich teilweise überschneiden. Zu Freischwimmer: Wenn Wien nun dazugestoßen ist, bleibt es dann noch bei sechs Produktionen? Und wie findet die Auswahl statt? Ja, es bleibt bei sechs Produktionen, weil das Festival sonst zu schwerfällig und überladen wäre. Es gehen Bewerbungen in allen Städten ein, üblicherweise 30 oder 50 in jeder Stadt, die in den einzelnen Häusern vorgestellt werden. In mehreren gemeinsamen Sitzungen treffen wir dann als Kollektiv eine Auswahl – es gibt also nicht jeder einfach nur eine Produktion hinein. Nach dieser Auswahl organisieren wir gemeinsam die Treffen mit den Künstlern wodurch eine sehr intensive Zusammenarbeit zwischen den Leitern und den Kuratoren der Häuser entsteht. Dieses ist auch deshalb praktisch, weil man dabei auch noch andere Dinge bespricht. Für Freischwimmer treffen wir uns mindestens fünf Mal jährlich.

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Mir ist kein weiteres Beispiel bekannt, das mit der Struktur dieses Festivals vergleichbar wäre. Haben Sie Vorbilder? Nein, es gibt keine Vorbilder. Die Idee, ein Festival zu machen, das man direkt mit einem Partner veranstaltet, war zunächst nicht nur eine strategische Idee, sondern kam ursprünglich aus der intensiven Zusammenarbeit mit Andrea Tietz, die sich in Hamburg sehr gut mit der jungen Theaterszene auskennt. Man kann ja bekanntermaßen nicht überall sein – nicht in jedem Bundesland, jeder Stadt und international die Szene scannen. Also braucht man vertraute Partner. Aus dieser Idee ist der Gedanke entstanden, dass man sich am besten mit Partnern zusammenschließt, weil man den ganzen Bereich des Nachwuchses im deutschsprachigen Raum nicht alleine durchforsten kann. Steht auch der Gedanke dahinter zu zeigen, was im deutschsprachigen Raum passiert im Vergleich zum restlichen Europa? Künstlerförderung heißt auch, dass man die Künstler aus der eigenen Stadt herausbringt. So sehr auch alle nach Berlin kommen wollen, auch international – wenn man nur in Berlin arbeitet, ist man quasi verloren. Die Arbeit muss auch raus und das ist für mich ein ganz entscheidender Antrieb beim Produzieren einer Arbeit – sie auch anderswo spielen zu können. Bei Freischwimmer planen wir das eben vorab. Ist der Gedanke, einen Einheitsraum vorzugeben, damit die Künstler alle gleiche Bedingungen haben, auch ein Resultat der Überlegung, dass so die einzelnen Produktionen an allen fünf Häusern die gleichen Chancen haben? Der Einheitsraum, den wir übrigens wieder abgeschafft haben, ist keine wirklich neue Idee, da ja der Prater [Spielstätte der Volksbühne] mit einem Einheitsbühnenbild für jede Spielzeit seit Jahren arbeitet. Es gab durchaus pragmatische Gründe dafür. Ursprünglich hielt ich es für eine interessante Aufgabe – auch für Bühnenbildner – modulare Systeme zu entwickeln, die flexibel und vielfältig nutzbar sind. Das ist zum einen praktikabel und zum anderen sind diese Systeme für die Künstler inspirierend. Auslöser waren für mich die Tanztage, ein Nachwuchstanzfestival, bei dem es auch nur einen Tanzboden gibt. Und meine Überlegung war, wie man so etwas Einfaches machen kann, wie man einen Tanzboden auf das Theater übertragen kann. Abgeschafft haben wir es, weil die Künstler unzufrieden waren. Es war irgendwann klar, dass sie lieber nur einen Stuhl und einen Tisch auf die Bühne stellen wenn sie wenig Geld haben, als sich mit einem vorgegebenen System zu beschäftigen, da sie es als Einschränkung empfunden haben. Beim ersten Festival gab es ja noch Auftragsarbeiten zum Thema Amerika – das gab es bei den letzten Ausgaben nicht mehr trotz der thematischen Schwerpunkte? Wir versuchen sehr lose und weite Themensetzungen zu machen. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass es in Berlin sehr schwierig ist, für ein Festival eine kontinuierliche Förderung zu erhalten. Somit fand ich es strategisch schlauer, thematische Anträge zu schreiben. Zudem finde ich es bei sechs Produktionen auch künstlerisch sinnvoll, einen gewissen Themenrahmen zu stecken, um dem Zuschauer die Möglichkeit der Vergleichbarkeit zu geben. Wir versuchen die Themenstellungen inzwischen mehr aus den

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Fragestellungen heraus zu entwickeln, von denen wir wissen, dass sich die jungen Künstler damit beschäftigen. Und was sind die entscheidenden Themen in den Sophiensælen? Wir sind ein freies Kunsthaus und Künstler, mit denen wir lange zusammenarbeiten und die wir gut kennen, kommen mit ihren eigenen Projekten. Natürlich interessieren mich Künstler, die sich politisch verhalten und sich mit der Gesellschaft auseinandersetzen, welche sich in den letzten zehn Jahren rapide gewandelt hat in einem Globalisierungsprozess, dessen Ende weiterhin offen ist und der unsere Lebens- und Arbeitswelt komplett verändert. Mich interessiert eigentlich die Gesellschaft mehr als die Kunst. Demzufolge interessieren mich auch jene Künstler mehr, die sich damit beschäftigen. Gleichzeitig habe ich persönlich ein großes Interesse an der Thematik Stadt, den Veränderungen der Stadt und was es für künstlerische Auseinandersetzungen mit ihr gibt. Eine Reihe von Künstlern, mit denen ich gearbeitet habe, beschäftigt sich mit politischen oder politisch kontaminierten Orten. Wir haben die ersten Wohnungsprojekte veranstaltet, in Bussen Fahrten durch die Stadt gemacht sowie ein Projekt, bei dem über eBay Wohnungen versteigert wurden. Zudem haben wir den Palast der Republik über Jahre bespielt. VOLKSPALAST war das größte und wichtigste sowie sicherlich auch bekannteste Projekt in dem Bereich. Für mich ist die Stadt insofern interessant, als sie natürlich eine unabdingbare Voraussetzung für ein Festival ist, weil ein Festival nur funktioniert, wenn es seine Stadt kennt. Theater hat immer etwas mit der Stadt zu tun, in der man lebt, und ich finde, man muss den Stadtraum und die Stadt, in der man arbeitet, kennen. Ich gehe nächste Spielzeit nach Hamburg und finde es interessant, mich mit einer neuen Stadt auseinanderzusetzen, die vollkommen anders funktioniert als Berlin. Kann man in Hamburg also eine Fortsetzung Ihrer Arbeit an den Sophiensælen erwarten? Ich verspreche mir natürlich von Hamburg, dass ich meine Erfahrungen, die ich hier in Berlin gesammelt habe, sowohl im Stadtraum wie im Palast der Republik als auch in den Sophiensælen, neu bündeln und systematisieren kann. Es wird sicher Dinge geben, die ich weiter machen werde, wie beispielsweise das Produzieren. Natürlich werde ich mehr internationales Programm machen. Da wir in Hamburg der einzige Ort sind, der dafür den Auftrag hat, wird es eine stärkere Internationalisierung des Programms geben. Ich werde, da es schon immer mein Spezialgebiet war, weiterhin Nachwuchsarbeit machen und in die Stadt hineinarbeiten. 2009 wird es ein großes Festival in Hamburg geben, Hamburg Triennale heißt es als Arbeitstitel, bei dem es um Stadtbespielung gehen wird. Und wie steht es um das Festival LAOKOON? Wird es ein Sommerfestival unter Ihnen geben? Ja, das Sommerfestival war von Anfang an das Highlight der KampnagelSpielzeit. Wir werden es nicht LAOKOON nennen – ob wir es ›Sommerfestival‹ nennen werden, weiß ich noch nicht. Da die Leitung Matthias von Hartz übernehmen wird, wird sich einiges verändern. Er ist selbst Regisseur und hat 343

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bereits politische Themenwochenenden in verschiedenen Stadttheatern veranstaltet. Mit Matthias von Harz arbeite ich schon lange zusammen und wir haben uns gemeinsam für Hamburg beworben. Ich fand die Idee spannend, dass die Leitung ein neuer Akteur übernimmt, der bisher noch keine Festivals programmiert hat, der von einem anderen Hintergrund kommt und anders darüber nachdenkt, was ein Festival heute sein kann. Festivals heute sehen eigentlich aus wie immer, auch wenn sich die Zeiten massiv im Vergleich zu den achtziger Jahren verändert haben. Kampnagel ist riesig, viel zu groß für das Segment, für das wir den Auftrag haben. Matthias von Hartz geht beispielsweise gerne mit dem Arbeitsbegriff »andere Art von Volkshochschule« an Projekte ran. Er denkt über die zeitgemäße »Volkshochschule« nach, sprich über heutige Formen der Vermittlung. Und ich über die Kulturzentren, die in den siebziger Jahren ganz erfolgreich waren, aber mittlerweile von den aktuellen kulturellen Entwicklungen abgehängt worden sind. Man kann wieder darüber nachdenken, wie man ein Künstlerhaus in ein Kulturzentrum verwandeln kann. Sie hatten ja bereits erwähnt, dass Festivals eine relativ alte Erfindung sind, vielleicht auch schon ein alter Hut … Das Problem ist, als Festivals oder auch Kampnagel Anfang/Mitte der achtziger Jahre entstanden sind, waren sie wirklich eine neue Entdeckung. Es gab in Deutschland nur das Stadttheater – welches einige Leute schon musealisieren wollten. Und plötzlich tauchten in Deutschland internationale Projekte auf, die innovativ waren und eine völlig andere Struktur hatten. Damals war das völlig neu, es gab noch kein Internet und keine globale Kommunikation wie heute. Und jetzt machen es alle, jetzt wird überall festivalisiert, auch die Stadttheater laden freie Projekte ein. Man muss sich somit neu fragen, was man mit einem internationalen Festival noch erreichen will. Denn zu zeigen, dass es in Afrika auch tolles Theater gibt, reicht heute nicht mehr aus und befriedigt auch nicht mehr, da einen die Informationen von überall her überschwemmen. Würden Sie sagen, dass eine wichtige Marschrichtung heute die verstärkte Theoretisierung ist? Es gibt im Moment klare Ansätze der Theoretisierung. Der steirische herbst in Graz ist ein sehr gutes Beispiel hierfür. Die Großfestivals sind eigentlich immer gleich, man lädt die großen Namen ein und das ist es dann. Das finde ich konzeptionell nicht befriedigend. Die ganz großen Triennalen oder die Salzburger Festspiele produzieren, da sie noch mehr Geld zur Verfügung haben, zusätzlich meist Opernprojekte. Die entscheidende Frage ist jedoch, was man wirklich sinnvoll mit dem Geld machen kann, statt nur ein weiteres Superevent entstehen zu lassen. Gäbe es ein Projekt, das Sie kennen, das Sie in dieser Hinsicht überzeugt? Was wir im Palast der Republik gemacht haben, geht in eine Richtung, die ich auch im Sinne des Nachdenkens über Kunst sehr interessant finde: Projekte, die kollektiv entstanden und auch durchgeführt worden sind. Es gab die Idee eines kollektiven Widerstands einer Generation und daraus entstand das Projekt VOLKSPALAST, das nicht nur Kunst zeigte, sondern auch eine Community schuf. Viele der Künstlerbeziehungen, die im Palast entstanden sind, 344

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sind zu tagfähigen interdisziplinären Zusammenarbeiten gewachsen. Viele der damals beteiligten Künstler machen gemeinsame Projekte. Das finde ich interessant, da es natürlich den Horizont enorm erweitert. Es entsteht darüber hinaus ein realer Kulturaustausch, um den es eigentlich geht. Projekte, wie sie Shermin Langhoff am HAU macht, ihre Migrationsfestivals, in denen es tatsächlich nicht darum geht, dass deutsche Regisseure auch mal mit Migranten arbeiten, sondern dass die Migranten zu Akteuren des gesamten Festivals werden, finde ich interessant. Es geht darum, wie man Relevanz erzeugen kann, mit dem, was wir tun. Was ist Ihr Publikumskonzept beziehungsweise was wünschen Sie sich für ein Publikum? Ich wünsche mir kein spezielles Publikum. Ich gehe erstmal davon aus, dass man das Publikum beliebig erweitern kann, also nicht, dass es eine feste Menge an Publikum gibt. Natürlich haben wir eher ein Publikum zwischen 25 und 40 Jahren, die Teil der Szene oder im weitesten Sinne Teil einer kulturellen oder künstlerischen Gruppe sind, Studenten et cetera. Aber zu uns kommen auch Leute, die normalerweise nicht ins Theater gehen sowie ein ganz normales bürgerliches Publikum. Ich sehe immer wieder, dass man mit neuen Projekten auch neue Publika erschließen kann. Wenn man beispielsweise ein Projekt macht, bei dem alte Laien mitspielen, wie beispielsweise in Lubricats Café Dutschke, dann kommen auch ältere Leute. Das geht nicht mit allen Projekten, aber ich finde es interessant, Projekte zu realisieren, die anders in die Welt hineinarbeiten. In dem Moment, in dem man Probleme aufwirft, die auch andere beschäftigen, kommen diese Personen, wenn auch nicht wegen der Kunst, dann wegen des Inhalts. Mein Ideal wäre, wenn ich 50 Prozent Stammpublikum hätte und die zweiten 50 Prozent würde man über die Einzelprojekte ins Theater holen. Also quasi nicht nur Präsentation, sondern Partizipation? Und wie könnte man das auf Festivals ummünzen? Die entscheidende Frage ist für mich, wie man an verschiedenen Punkten mit Beteiligung arbeiten kann. Natürlich kann man nicht nur Programmpunkte mit Beteiligung machen, sodass am Ende ein reines Event entsteht. Für ein gutes Festival muss es auf jeden Fall gelingen, eine Community zwischen den Künstlern und dem Publikum zu generieren. Und natürlich und vor allem ist ein Festival ein Fest. Wie halten Sie die Dinge, an denen Sie arbeiten, auch traditionsbildend fest? Gibt es beispielsweise Publikationen? Wir haben zum Volkspalast-Projekt ein Buch gemacht. VOLKSPALAST. Zwischen Aktivismus und Kunst. Zu zehn Jahren Sophiensælen haben wir ebenfalls ein Buch veröffentlicht: Sophiesaele. Spielräume produzieren. »Spielraum produzieren« beschreibt mein Credo in der kürzesten Form. Spielräume produzieren im Sinne von Spielraum produzieren. Raum zu produzieren, aber in der Doppeldeutigkeit auch, Spielräume für Künstler, um sich zu entwickeln. Gleichzeitig ist in diesem Motto mein Schwerpunkt der Produktion enthalten.

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Was findet man in 25 Jahren von den Sophiensælen? Die Sophiensæle sind ja ein Kind der Zwischennutzung der neunziger Jahre, das sich etabliert hat. Sie haben eine außerordentlich wichtige Funktion in der Stadt und stehen für die nächsten zehn Jahre auf sicheren Beinen. Und welche Fragen hören Sie zu oft und welche würden Sie gerne mal gestellt bekommen? Es gibt zwei Fragen, die man oft gestellt bekommt, die ich aber deswegen nicht gleich uninteressant finde. »Wie macht ihr euer Programm und nach welchen Kriterien wählt ihr aus?« Das sind durchaus richtige Fragen und wenn ich sie ganz kurz beantworte, müsste ich sagen, dass es immer eine Mischung aus Bauch, Kopf und Erfahrung ist. Neben der Arbeit, die die Künstler hier machen, hat es auch viel mit dem persönlichen Gespräch zu tun. Mich interessieren die Fragestellungen, die Künstler beschäftigen, viel mehr, als die Antworten, die sie finden. Das Wichtigste für mich ist mit Menschen zu arbeiten, die eine fundamentale Neugier auf die Welt haben und auf neue Erfahrungen. Diese Wachheit suche ich bei Künstlern. Und was würden Sie gerne mal gefragt werden? Eine Frage, die man sich ruhig öfter stellen könnte, ist, wie es eigentlich dazu kommt, dass genau der Bereich, für den die Sophiensæle, Kampnagel, das HAU, das FFT in Düsseldorf, das Künstlerhaus mousonturm, die Gessnerallee in Zürich zuständig sind, nicht besser gefördert wird und nicht höher angesehen ist. Wir machen den größten Teil der Forschungs- und Entwicklungsarbeit auch für die großen Stadttheater. Sie ziehen erst nach, wenn etwas gut funktioniert. Warum wir keine ordentliche Strukturförderung bekommen, warum wir jedes Projekt einzeln beantragen müssen, warum es kein Vertrauen gibt, dass unsere Arbeit wichtig ist. Warum wird in uns nicht mehr Geld freiwillig investiert? In der Wissenschaft ist das anders, da gibt es Geld für Innovationsforschung. Anscheinend wurde von der Politik noch immer nicht ausreichend erkannt, dass wir die Generatoren und Mediatoren für neue Entwicklungen sind. Warum müssen nicht die Stadttheater ein Prozent ihrer Förderung für Entwicklungsarbeit ausgeben? Warum gibt es nicht in jedem Bundesland wenigstens ein Produktionshaus, so dass der Austausch besser klappt? Das sind kulturpolitische Fragen, die man aufwerfen muss.

Stefan Schmidtke, damaliger Leiter der THEATERFORMEN, 01. März 2007, Hannover Herr Schmidtke, wie werden sich Ihre Ausbildung und Ihre bisherigen Erfahrungen im Festivalbereich auf die Gestaltung der THEATERFORMEN 2007 auswirken? Ich habe Regie studiert und eine ganze Weile Regie geführt, komme also aus dem produzierenden Bereich des Theaters. Das heißt, wie Proben sind, wie große Organismen im Theater funktionieren, wie Systeme innerhalb des Theaters funktionieren, ist mir wohl bekannt. Ich bin während meiner Ausbildung an einer russischen Schule gewesen und für mich stehen prinzipiell der Theatertext, die Schauspieler und die Regie im Mittelpunkt und im Besonde346

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ren die Schauspieler. Denn das Wesentliche an der Kunst des Theaters besteht für mich darin, dass der Moment des Theaters eine Jetztzeit-Aktion ist. Später bin ich aus ganz persönlichem Interesse in die Dramaturgie gewechselt und habe von Marie Zimmermann eine Einladung bekommen, hier bei den THEATERFORMEN 2000 eine so genannte Sommerakademie zu entwickeln. Das war eine Reihe, die kleinere Theaterproduktionen in einen dramaturgischen Rahmen stellt und dazu jungen Menschen Workshopangebote macht. Ich bin danach mit Marie Zimmermann zu den Wiener Festwochen gewechselt und habe dort sowohl als Kurator als auch als Dramaturg am Programm gearbeitet und habe dort ein eigenes Programm geleitet, das forumfestwochen ff hieß. Dann bin ich nach Hannover berufen worden. Von wem genau sind Sie berufen worden? Berufen wird man vom Kulturminister. Das Festival heißt »Ein Festival der Staatstheater Hannover und Braunschweig«, die Berufung selber findet aber durch den Kulturminister statt. Es gibt ein Gremium an beratenden Mitarbeitern, die Vorschläge gesammelt haben, und aus den Bewerbenden oder Vorgeschlagenen wurde die Auswahl getroffen. Sie haben »Ein Festival der Staatstheater Hannover und Braunschweig« als Beinamen des Festivals genannt – ist das mittlerweile die offizielle Reihenfolge? Nein, die offizielle Reihenfolge ist alphabetisch und richtig heißt es »Festival THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover«. Hannover kommt nur bei mir als Erstes, weil die Konstruktion geändert wurde. Bisher war das Festival THEATERFORMEN ein biennales Festival, das leicht zeitversetzt gleichzeitig in beiden Städten stattgefunden hat. Die neue Konstruktion besteht darin, dass das Festival jedes Jahr stattfindet, aber die beiden Städte voneinander getrennt wurden und die Ausgabe 2007, die ich zu verantworten habe, in Hannover stattfindet, die Ausgabe 2008 in Braunschweig und so weiter. Und Sie sind für alle diese Ausgaben engagiert worden? Mein Vertrag umfasst fünf Jahre, das heißt, ich hatte ein Vorbereitungsjahr und werde vier Ausgaben des Festivals verantworten. Aber die organisatorische Zentrale bleibt hier in Hannover? Wir ziehen, wenn das Festival hier vorbei ist, ab Juni nach Braunschweig und werden dort eigene Büros beziehen. Man kann nicht von einer anderen Stadt aus ein Festival machen. Das ist wohl eine der Lehren, die aus den Vorgängereditionen gezogen wurden. Erzählen Sie mir doch noch etwas zu der Sommerakademie, für die Sie hier verantwortlich waren. Es war ja eine ›Akademie‹, wie waren also die Gewichtungen zwischen Inszenierungen und Workshops? Und wie konnte man teilnehmen, hat man sich bewerben müssen und wer wurde ausgewählt? Ein Programm entsteht bei Festivalmachern erstmal aus einem größeren Block an Reisen, die man zu absolvieren hat, weil man sich in verschiedenen Ländern umtun und schauen muss, was gerade produziert wird. Außerdem ist man ja ein hellhöriger Zeitgenosse – es passiert viel in der Politik, viel in der Welt, viel in den Ländern selbst, und aus dem Panorama, das man zu sehen 347

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bekommt, kann man Schlüsse ziehen. Der Reiz eines Programms besteht darin, in einen Fokus zu stellen, was aus Amerika, Afrika oder Asien kommt, und damit ein Thema zu haben, das offensichtlich im Moment virulent ist. Wir haben uns überlegt, dass wenn wir die Künstler schon mal hier haben und sie ihre Gastspielreihe hier zeigen, es durchaus Sinn macht, deren Anwesenheit dazu zu nutzen, junge Menschen einzuladen, mit den Künstlern an verschiedenen Themen in Workshops zu arbeiten. Wir haben zum Beispiel Regisseure gebeten, Workshops zu machen, wir haben Autoren gefragt, Performancekünstler und Bühnenbilder. So erhält man einen Querschnitt aller Theaterberufe. Es handelte sich aber nicht um Schüler … Das waren Leute, die ihre ersten professionellen Schritte schon gemacht hatten und durch die Arbeit mit einem durchgesetzten Künstler Weiterentwicklung erfahren haben. Das nennt man einen ›geschützten Rahmen‹, denn diese Workshops finden hinter verschlossenen Türen statt, es darf gemacht werden, was beliebt. Wenn man im Beruf steht und auf ein Produkt hinarbeitet, ist der Druck einfach ein anderer und den muss man aus solchen Workshops rausnehmen. Wird THEATERFORMEN unter Ihrer Leitung ein Thema, ein Motto haben? Komischerweise waren in den achtziger Jahren Mottos sehr aktuell. Davon hat man sich Ende der neunziger Jahre letztlich verabschiedet. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Welt viel fragmentierter wahrgenommen wird und wir in einer anderen historischen Zeit stehen. Der Einbruch der Globalisierung ist nicht mit einem Thema zu fassen und Theater ist etwas, das letzten Endes regional entsteht und auch regional wirkt. Wenn man aus allen Kontinenten etwas zu einem Festival holt, fällt es manchmal schwer, alles unter ein Thema zu pressen, die Arbeiten sollten einzeln stehen und einzeln wirken, ein Thema drüberzusetzen, wäre schwierig. Nochmals zurück zur Akademie – wird es etwas in der Art beim nächsten Festival auch geben? Ich habe mich dieses Mal dazu entschlossen, keine Akademie zu machen, weil Akademie immer bedeutet, zu sitzen und Vorlesungen zu hören et cetera Ich mache ein großes Projekt unter dem Titel ›Internationale Theaterwerksatt‹ und das setzt von vorneherein einen anderen Kontrapunkt, denn in einer Werkstatt wird ›gewerkelt‹, während in einer Akademie eher gesprochen und gedacht wird. Es wird eine Serie von Aufführungen geben, die unter dem Titel der Werkstatt laufen, da diese Inszenierungen speziell für diese entstehen. Und diese Inszenierungen werden von internationalen Künstlern erarbeitet? In jedem Fall, wir sind ein internationales Festival, das ist die Programmaufgabe.

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Allerdings ist es auch ein regionales Festival, und das scheint auch das Problem dieses Festivals zu sein. Die Verhältnisse bei der Gründung 1990 in Braunschweig müssen desaströs gewesen sein. Wie werden Sie versuchen, das Festival noch stärker in Hannover und Braunschweig zu verankern? Ich werde drei große Workshops veranstalten, die direkt an die Projekte, die ich einladen werde, angekoppelt sind. Das heißt, es ist wieder das Modell und das Prinzip, dass die Künstler, die hierherkommen, nicht einfach nur etwas zeigen, sondern sie hinterlassen ihre Spuren bei Menschen, die sie hier finden. Es wird so groß wie die Sommerakademie 2000, aber nicht ganz so groß wie REpublicACTION, meiner Vorgängerin. Es wird unter dem Titel ›Internationale Theaterwerkstatt‹ zusammengefasst. Sie trägt im Moment den Arbeitstitel Culture is Our Weapon. Und wie viele Produktionen wird es geben? Wir sind im Moment dabei, den Rahmen zu ziehen, es kann sein, dass es 12 oder auch 16 werden. Der Rahmen des Festivals ist verkleinert worden, es dauert jetzt nicht mehr drei Wochen, sondern zehn Tage und das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil besteht darin, dass man ein konzentrierteres Programm machen und übereinanderstapeln kann, so dass man jeden Tag zwei oder drei Angebote hat. Das führt aber wiederum dazu, dass die Strukturen der Häuser stärker beansprucht werden und es einen ganz anderen Zugang auf die Zuschauer braucht, weil man in diesen zehn Tagen viel mehr Energie entwickeln muss, so dass jeden Tag tausend Leute kommen. Die Serien der Aufführungen sind auch kürzer – große Festivals wie die Wiener Festwochen zeigen jede Produktion vier, sieben oder zehn Mal. Ein Festival wie dieses hier zeigt bei 15 oder 16 Produktionen ungefähr die Hälfte des Wiener Festwochen-Programms in zehn Tagen. Hat sich denn auch der Etat dementsprechend reduziert? Es gibt eine neue Konstruktion. Dadurch, dass das Festival jedes Jahr stattfindet, ist die Länderförderung halbiert worden und die jeweilige Veranstalterstadt verdoppelt die bisherige Summe und die mitarbeitenden Stiftungen bleiben mit denselben Beträgen dabei. De facto gibt es also zwischen einem Viertel und einem Drittel weniger Geld als vorher pro Ausgabe. Insgesamt gibt es aber mehr Geld (auf zwei Jahre gerechnet). Wenn Sie eine Biennale machen, bedeutet das, dass im Jahr der Vorbereitung im Prinzip nur ein einziger Mensch unterwegs ist und reist und die Stäbe, die alles organisieren, als freie Mitarbeiter nur für einen kurzen Zeitraum eingestellt werden. Wenn Sie drei oder vier Mitarbeiter ständig beschäftigen müssen, bedeutet das, dass die Lohnkosten höher und der Kunstbereich dadurch kleiner wird. Ein gutes Verhältnis, auf das ich gerne kommen würde, wäre 60 zu 40, das heißt, dass ich 60 Prozent in die Kunst stecken kann und 40 in den Apparat. Ich bin hier in der glücklichen Lage, dass meine Struktur dem Theater eingegliedert ist. Das heißt, dass ich keine Mieten bezahlen muss für die meisten Spielstätten. Wenn das Festival eine freie Struktur wäre, müsste ich das auch noch aufbringen und das würde sich sofort zuungunsten des Kunstetats auswirken. Ob ich ein Festival mache, das drei Wochen dauert, oder eines, das zehn Tage dauert – der Apparat ist genau derselbe. Man hat dieselben Druckkosten für Hefte, Postkarten oder sonst was, für Telefon und Ähnliches. Da verschiebt

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sich das Verhältnis schnell zuungunsten der Kunst, je kürzer das Festival dauert. Wird das Theater denn auch der Hauptspielort sein? Die Frage ist ja immer, wie man das Festival auch im städtischen Raum situiert. Wir haben Außenspielorte und wir nutzen die Spielorte des Staatstheaters. Ich habe versucht, so weit wie möglich in der Stadt präsent zu sein, damit das Festival auch an anderen Orten so gut wie möglich zur Kenntnis genommen wird. Die Formel heißt aber immerhin ›Ein Festival der Staatstheater‹ – das heißt, dass das Festival THEATERFORMEN im Besonderen dem ›Mutterhaus‹ unterstellt ist, obwohl ich künstlerisch eigenständig handle. Wird es 2007 eine Brücke nach Braunschweig geben? In diesem Jahr nicht, denn ich habe mir deutlich vor Augen geführt, dass die beiden Städte sehr unterschiedlich sind. Das war auch eines der wesentlichsten Argumente, um die Trennung herbeizuführen, weil sonst das Programm aus dem Fokus gerät. Und der Gedanke ist, ein Programm speziell für Hannover zurechtzuschneiden und dann ein wahrscheinlich völlig anderes Programm für Braunschweig zu entwickeln, und deswegen lasse ich das eine beim einen und das andere beim anderen. Sagen Sie doch mal etwas zu den beiden Städten, ich kenne Braunschweig gar nicht. Hat sich vielleicht etwas am Publikum verändert, denn Sie waren ja schon 2000 hier? Es wäre vermessen, dazu etwas zu sagen, denn ich sehe hier zwar die Produktionen am Staatstheater, könnte aber eine Einschätzung zum Publikum nur treffen, wenn ich richtig ein Jahr jede Woche ein- oder zweimal ins Theater gehen würde. Ich bin aber in Bezug auf das Publikum sehr optimistisch, denn mir fällt auf, dass mir gegenüber die Leute in der Stadt sehr aufgeschlossen sind. Das heißt, wo auch immer ich hinkomme, sind die Leute sehr neugierig und man freut sich, dass das Festival wieder stattfindet. Ich bin bei vielen Stiftungen und potentiellen Sponsoren sehr herzlich aufgenommen worden. Mein Eindruck ist, dass es hier sehr konkrete Menschen gibt, mit denen man sehr weit kommt, wenn man klar spricht. Und in Braunschweig? Ich habe noch keinen Schritt in die Stadt getan. Ich habe zwar das Direktorenkollegium kennen gelernt und das ist der Sache gegenüber auch sehr aufgeschlossen, denn es waren die Braunschweiger, die die Hauptinitiative ergriffen hatten, um das Festival neu aufzulegen, indem die Stadt Braunschweig ihren bisherigen Finanzsatz für das Festival verdoppelt hat. Sie müssen auch wissen, dass es eine Braunschweiger Gründung ist und dass die Braunschweiger im Besonderen mit dem Umzug der THEATERFORMEN nach Hannover für die EXPO 2000 wohl nicht glücklich waren. Nach 2004 … … war vollkommen Schluss, es war tot und viele der vorhandenen Gerätschaften wurden damals noch verkauft, weil man so wenigstens noch ein bisschen Geld dafür bekommen konnte.

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Ich muss nochmals auf einen vorher schon erwähnten Punkt zurückkommen – den Auftrag des Festivals. Wie würden Sie das Festival prägnant beschreiben und wie grenzen Sie sich von anderen Festivals ab? Ich werde mich erstmal nicht von anderen Festivals abgrenzen, das tut es sicher von ganz alleine, wenn das Programm erstmal feststeht. Die erste Präambel ist, dass das Festival international ist und dass es, seinem Namen entsprechend, der Formenvielfalt des zeitgenössischen Theaters verpflichtet ist. Das heißt sowohl, dass ich mich um zeitgenössische Stücke kümmere, auch um zeitgenössische Interpretationen von Klassikern und modernen Klassikern, als auch einen gewissen Teil an Projekten laufen lasse, die zuerst einen Projektanspruch haben, wo etwas in der Workshopreihe entwickelt wird, das nicht unbedingt in eine große Aufführung münden muss. Es gibt auch Projekte, die sich mit der Stadt ganz direkt auseinandersetzen und von dorther kommen, also nicht aus dem interpretatorischen Bereich. Können Sie schon etwas zu der Gewichtung von Präsentationen und Eigenproduktionen beim nächsten Festival sagen? Ich bin etwas beschränkt bei dem, was ich eigens produziere, und musste mir für fast jedes Projekt – ob es eine Einladung war oder selbst produziert – einen Partner suchen. Das heißt, an jedem Projekt hängt noch jemand dran, mit dem die Kosten geteilt werden. Das Verhältnis wird so sein, dass ich höchstwahrscheinlich zwei oder drei Uraufführungen habe, alles andere sind eingeladene Produktionen, die entweder erstmalig in Deutschland oder erstmalig in Europa gezeigt werden. Und sind Programmpunkte mit einem stärker theoretisch-wissenschaftlichen Anteil vorgesehen? Ich habe mich entschlossen, die Theorie aus der Kunst herauszuhalten, weil ich denke, dass ein Festival ein Ort ist, an dem man was erlebt und sich entspannt, und in erster Linie ein Fest der Kunst ist. Akademische Bestandteile sind nicht unbedingt publikumswirksam. Und wie lautet dann Ihr Publikumskonzept, Ihre Leitlinie? Ich biete Vorstellungen an, die man besuchen kann, und ich biete jungen Menschen, die arbeiten wollen, Workshops an. Und es wird einen ganz eng geführten Dialog mit den Zuschauern geben, denn zu jeder Produktion wird es Begegnungen mit den Künstlern geben. Und wie wird sich das Festival nach seiner ›Wiedergeburt‹ neu zu etablieren versuchen und ein Gesicht gewinnen? Wir haben wie jedes Festival eine Werbestrategie. Ich gehe offen in die Stadt und bin natürlich präsent auf allen möglichen Veranstaltungen und mache mich bekannt. Es ist ein ganz normaler Prozess, wenn man neu in der Stadt ist, dass man Schritt für Schritt die Leute kennen lernt. Hannover ist eine Stadt, in der es nur eingeschränkt Kunststudiengänge gibt. Es wurde gerade letzten Sommer einer der Kunststudiengänge geschlossen. Hannover ist eher eine Stadt, in der Technik- und Medizinstudenten unterwegs sind. Hannover hat meiner Meinung nach auch nicht so eine ausgeprägte Theaterszene, wie man das von woandersher kennt. Sie ist in jedem Fall sehr fragmentiert, nicht

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wirklich ins Staatstheater eingebunden. Deswegen muss ich mit dem Festcharakter die Weichen legen, anders kann man das nicht machen. Würden Sie darin, Feste in die Stadt zu tragen, das erkennen wollen, was Festivals in der Theaterlandschaft seit 1990 verändert haben? Letztlich haben alle Festivals in Deutschland, abgesehen vom Berliner Theatertreffen, internationale Anteile. Es trägt schon dem Zustand Rechnung, dass man mehr reist, mehr von anderen Ländern weiß – andere Länder rücken einfach näher. Das macht es auf der einen Seite möglich, dass Dinge in verschiedene Städte hineingetragen werden, die dann, wenn sie dort sind, nicht mehr als exotisch betrachtet werden – das ist ein positiver Effekt. Festivals haben bewirkt, dass die Theaterleute untereinander erstmal sehr neugierig geworden sind und Grenzen sprengen wollten. Letzten Endes haben Festivals für verschiedene Häuser durch das so genannte Koproduzieren sehr viel möglich gemacht, denn das heißt, dass Festivalgelder in den Staatstheaterbetrieb einfließen und dort Produktionen möglich machen, die dann im Repertoire lange laufen und ohne das Festival nicht möglich gewesen wären. Auf der anderen Seite haben Festivals einen Beschleunigungseffekt, der bewirkt, dass immer schneller nach immer neuen Künstlern gesucht wird, aber die gibt es auch nur begrenzt. Dass jedes Theater gerade sein eigenes Autorenprojekt macht und jedes seinen eigenen Autor entdecken muss, ist meiner Meinung nach ein negativer Nebeneffekt, der durch Festivals noch beschleunigt wurde. Wen würden Sie als Ihr Vorbild im Theaterbereich oder auch im Bereich der Festivals bezeichnen wollen? Ich habe sowohl von Luc Bondy, von Marie Zimmermann als auch von Stefanie Carp, mit der ich anderthalb Jahre zusammengearbeitet habe, eine ganze Menge gelernt. Auch von Friedrich Schirmer, bei dem ich am Stuttgarter Staatstheater engagiert war, und auch von Thomas Ostermeier an der Baracke in Berlin habe ich viel gelernt, aber ich würde davon keinen als Vorbild ansehen. Denn letzten Endes muss man alles aus sich selbst schöpfen. Und auf das Festival bezogen? Sie lassen sich ja vielleicht auch von Festivals inspirieren, die Sie selbst besuchen. Die Perlen des europäischen Festivalbetriebs – die Salzburger Festspiele, die Wiener Festwochen und die Festivals in Edinburgh und Avignon – werden mit sehr viel Geld in die Lage versetzt, sehr komfortabel mit Kunst umzugehen. Das heißt, da gibt es Geldpolster, die dazu führen, dass eine hohe Qualität in der Arbeit möglich ist. Da bin ich mit meinem schmalen Budget viel mehr unter Druck, denn ich muss eigenständig entscheiden und viel genauer die Fäden alleine zusammenknüpfen. Es gibt aber auch Beispiele von Festivals, Neue Stücke aus Europa etwa, bei denen immerhin auch Dramaturgen die Reisearbeit mit übernehmen. Neue Stücke aus Europa hat es einfacher, es hat in jedem Land einen so genannten Paten und der reicht dann einmal im Jahr die Liste rüber, wo alle guten Sachen draufstehen, und dann schaut man sich die drei ersten in einem Land an. Ich kuratiere völlig anders, ich reise nicht nur zu Festivals, sondern vor allem in den Repertoirebetrieb hinein.

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Dass ein Festivalmacher so viel Wert auf den Repertoirebetrieb legt, ist mir bisher noch nicht begegnet. Ich bin eben jemand, der im besten Sinne des Wortes aus einer psychologisch-realistischen Schule kommt. Ich gucke erstmal, wie Häuser sind und wie sie funktionieren, denn letztlich hat ein in sich funktionierendes Schauspielhaus ein ganz anderes Gewicht, als wenn man eine Projektcompany einlädt, die aus einer sich ständig ändernden Konstellation besteht. Die übertragen eine ganz andere Energie. Das will ich nicht positiv oder negativ werten, aber damit erreicht man ganz andere Leute. Festivals sind manchmal auch ein bisschen täuschend. Da verliebt man sich manchmal in Dinge, die gut wirken, weil sie innerhalb des Festivals wirken, und die aber innerhalb des Stadttheaters gar keinen Bestand hätten. Wie werden Sie das Festival dokumentieren? Das überlegen wir uns. Ich persönlich bin niemandem verpflichtet, am Ende eine Dokumentation abzuliefern. Meine Vorgängerin hat das gemacht, die hatte eine DVD produzieren lassen, die Die Bilder des Festivals heißt. Das ist manchmal ganz wirksam, wenn man Sponsoren besucht. Aber ich bin nicht jemand, der das unbedingt zum konzeptionellen Bestandteil des Festivals macht. Theater ist und bleibt, wenn der Vorhang aufgeht. Da kann noch so eine coole Lounge, noch so ein toller Videoschnipsel sein – das ist Beiwerk und nimmt die Konzentration aus dem Wesentlichen, nämlich Schauspieler auf einer Bühne zu sehen. Das erübrigt wohl die Frage, wo Sie Ihr Festival in fünf Jahren sehen. Das ist eine Frage, die davon abhängig ist, wie der Zuschauerzulauf ist. Ich muss nun, da das Festival eingeführt und die Freude groß ist, dass es wieder da ist, versuchen es mit einem großen Paukenschlag wieder auf die Beine zu stellen, damit es präsent ist. Es gibt nächstes Jahr Theater der Welt in Halle, es gibt Neue Stücke aus Europa in Wiesbaden, Marie Zimmermann arbeitet an der RuhrTriennale – das neue Jahr mischt das Feld noch mal völlig auf. Und für Braunschweig muss ich überlegen, was für die Stadt stimmt. Welche Frage wird Ihnen zu oft gestellt und welche würden Sie gerne mal in Bezug auf Ihr Festival beantworten? Die erste Frage, die mir immer gestellt wird, zielt darauf ab, welche großen Namen dabei sein werden. Das ist auch unter den Festivalleuten so, denn es gibt ja einen Run auf besondere Projekte mit großen Namen. Die zweite Frage ist die nach dem Budget. Schwierig ist es immer, wie schnell man auf den Punkt kommt, wenn man nach dem Programm gefragt wird, denn dafür ist der Platz in der Presse immer sehr klein bemessen. Dazu würde ich gerne am meisten erzählen, denn jedes Programm erzählt eine gut dramaturgisch gebaute Geschichte. Und das gut rüberzubringen oder in einem Schwung erzählen zu können, das wünsche ich mir.

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Renate Klett, ehemalige Festivalkuratorin und Journalistin, 07. April 2007, Berlin »Kleiner Exkurs. Theaterfestivals lassen sich wie Ständegesellschaften klassifizieren. Da gibt es den Adel, alteingesessen, berühmt, mit Neigung zu Degeneration und Verkalkung (Avignon, Edinburgh, Wien), dann das kunstsinnige, aufgeschlossene Großbürgertum (KunstenFestivaldesArts Brüssel, Theater der Welt, Zürcher Theaterspektakel), die aufstrebenden Kleinbürger, nervös auf den Absprung in die höhere Klasse hoffend (SPIELART München, THEATERFORMEN Hannover, euro-scene Leipzig) und das Proletariat, dem bekanntlich mal die Zukunft zugehörte (von net Moskau bis time festival Gent). Alle diese Festivals würde ich jederzeit besuchen, und es würde sich gewiss lohnen. Aber es gibt auch das Beamtentum – Funktionärsfestivals, wie sie besonders in Ost-Europa und im Nahen Osten vertreten sind, Merkmale: Inkompetenz, Lieblosigkeit und die Verwechselung von Quantität mit Qualität. Oder, noch schlimmer: die Parvenüs (Kunstfest Weimar, Ruhrfestspiele Recklinghausen), die mangelndes Kunstverständnis durch Geld ersetzen und fehlende Auswahlkriterien durch Rundum-Shopping nach dem Motto: wenn’s berühmt und teuer ist, dann kaufen wir’s. Exkurs Ende.« Das haben Sie 2000 in der Festivalschrift anlässlich der zehnten euro-scene Leipzig geschrieben. Würden Sie an dieser Beschreibung heute etwas modifizieren wollen? Das war ja damals mehr eine Spielerei, ein Insider-Joke. Aber es handelt sich schon um eine Ständegesellschaft, auch wenn sich seit dem Artikel einiges geändert hat. Der Adel ändert sich nie, der stirbt nicht aus, aber bei den anderen gibt es natürlich eine Dynamik. Da ist es nicht so zementiert, es ist mehr ein Prozess. Es gibt ja auch immer wieder neue Festivals, und die Gewichtung der Festivals ändert sich derzeit sehr, was manchmal recht erschreckend ist. Die Entwicklung vom Festival zum Event ist zum Beispiel so ein Trend, den ich ziemlich schrecklich finde. Nennen Sie ein paar Beispiele dafür. Na ja, das schlimmste Beispiel, geradezu klassisch, sind die AidaAufführungen vor den Pyramiden – das versteht sich auch als Festival und wird andernorts auch schon fleißig kopiert. Solche Festival-Events sind jetzt richtig in Mode gekommen. Sie finden also alles heute zu kommerziell … Nicht alles – es gibt ja immer noch rühmliche Ausnahmen. Aber der Trend zur Kommerzialisierung ist unübersehbar, und er hängt auch damit zusammen, dass man heute immer mehr Sponsoren braucht. Damals, als ich Theater der Welt machte, war das noch nicht so verbreitet, wir haben uns eher schwer getan, zusätzliches Geld aufzutreiben. Meine Festival-Programme waren immer sehr subjektiv, sie hatten viel mit meiner persönlichen Optik zu tun, mit meinem Geschmack und mit meiner Neugier auf Welt. Ich bin nun mal ein Mensch, der gerne reist und am liebsten in Länder, wo andere nicht unbedingt hinfahren – und das hat sich im Festival gespiegelt. Ich hatte viele Kontakte überall, meine ›Spione‹, die mich auf Dinge hingewiesen haben, von denen andere nichts wussten. Manchmal bin ich auch einfach ›nach Bauch‹ gereist, aus einer Intuition heraus, wie 1992 nach Südafrika, gleich 354

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nachdem Mandela freigelassen wurde. Da kannte ich niemanden und wusste nichts, fuhr zum großen Festival in Grahamstown, wo ich die einzige Europäerin war und das große Glück hatte, gleich William Kentridge zu entdecken und ihn erstmals nach Europa zu bringen. So was gibt’s heute gar nicht mehr – heute haben doch alle die gleichen Informationen aus dem Internet und fahren zu den gleichen Festivals, das finde ich so langweilig, so austauschbar. Mein Bestreben war immer, dass man beim Festival neue, aufregende Sachen entdecken kann. Aber die fallen ja nicht vom Baum – das ist harte Arbeit, so was zu finden. Heutzutage hat jeder seine Europapremiere im Programm, aber das sind oft Sachen, bei denen ich das Gefühl habe, dass der einzige Grund, weshalb sie eingeladen sind, das Attribut Europapremiere ist. Sie finden also, dass das verstärkte Netzwerken innerhalb der Festivalszene große Nachteile hat? So kann man das nicht sagen. Aber meiner Meinung nach sind offizielle Netzwerke etwas für faule Leute. Man macht es sich einerseits sehr leicht damit und andererseits kann das zu einer richtigen Mafia werden. Denn so ein Netzwerk hat viel Macht, es kann Künstlern zum Beispiel anbieten – ich phantasiere – auf fünf seiner acht Festivals zu gastieren, aber zum halben Preis. Zu meiner Zeit war das anders, ich hatte meine Spione, das waren Freunde, das war nichts Organisiertes, da gab’s keine Rundmails und Koordinationstreffen. Aber jedes Ding hat zwei Seiten. Es gab in den achtziger, neunziger Jahren ein Netzwerk oder eher einen Freundeskreis – das HebbelTheater unter Nele Hertling, das Kaaitheater in Brüssel – wer war noch dabei … Das TAT in Frankfurt am Main. Sie meinen die Häuser, die die Theaterschrift herausgegeben haben. Auch das, ja, aber vor allem haben sie Inszenierungen ausgetauscht, und sie haben die Wooster Group vor dem Bankrott gerettet. Denn dadurch, dass sich diese Häuser zusammentaten und gemeinsam das Produktionsgeld auftrieben, nur dadurch konnte Wooster damals überleben. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Theater der Welt kuratiert haben? Ich habe eine Zeit lang in Paris gelebt, dann in London und später zwei Jahre in Rom, und dabei habe ich immer viel Theater geguckt und zum Teil auch darüber geschrieben. Als ich aus Rom zurückkam, Ende der siebziger Jahre, arbeitete ich als Dramaturgin am Schauspiel Köln. Ich war glühende Feministin und machte dort das erste internationale Frauentheaterfestival in Deutschland. Als dann die Idee aufkam, das Festival Theater der Nationen, das 1979 in Hamburg stattgefunden hatte, als Theater der Welt weiterzuführen, und zwar 1981 in Köln, da war klar, dass ich nach dem Riesenerfolg des Frauenfestivals und in meiner Eigenschaft als ›Spezialistin fürs Internationale‹ dabei sein würde. Eigentlich sollte ich nur ›ein bisschen rumreisen‹, aber schließlich machte ich das ganze Programm. Für Theater der Welt 1987 in Stuttgart wurde ich dann richtig als Programmdirektorin engagiert. Hätte ich damals schon gewusst, dass ich Hamburg 1989 auch mache, hätte ich ganz anders planen können, aber so war die Struktur von TdW einfach nicht. Dann hab ich’s 1993 in München noch einmal gemacht, also insgesamt vier Mal, das reicht auch – so verrückt war sonst niemand. Meine Überzeugung war 355

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immer, dass Theater der Welt über eine Stadt herfallen muss wie ein Sturm, der alles mitreißt. Warum hat das bei Ihnen so gut funktioniert? Ich habe mich immer sehr bemüht, das Programm so überraschend und aufregend wie möglich zu machen. Keine Kompromisse, nie. Und ich habe viele flammende Reden gehalten und die Leute mit meiner Begeisterung angesteckt. Es klingt pathetisch, aber ein Festival muss man mit Herzblut und mit Leidenschaft machen, dann ist es ansteckend. Ein Festival spiegelt immer das Temperament des Festivalmachers wider. Ein Festival ist im Idealfall also nicht von der Vision seiner Macher abzulösen? Im Idealfall, ja. Es gibt ja genug Festivals, die völlig gesichtslos sind. Mein Lieblingsfestival, das KunstenFestivaldesArts hat natürlich viel mit der Person von Frie Leysen zu tun, mit ihrer Vision, ihrem Temperament und ihrer Überzeugungskraft. Was würden Sie sagen, waren die größten Probleme, denen Sie in Ihrer Festivalarbeit begegnen mussten? Das größte Problem bei diesem Wanderfestival war immer, dass die Vorbereitungszeit zu kurz war. Damals wurde das Festival einfach immer zu spät vergeben – das ist heute anders, Gott sei Dank! Ich hatte meist nur ein Jahr, um die neue Stadt kennenzulernen, das Büro aufzubauen und außerdem noch per Schnellschuss das Programm zu machen – das war verdammt wenig Zeit für ein Festival dieser Größenordnung. Das Programm war immer dicht geballt, es gab bis zu sieben Vorstellungen am Tag. Das braucht eine enorme Logistik in der Vorbereitung wie in der Ausführung, und immer können unvorhergesehene Probleme entstehen: Ein Künstler sagt kurzfristig ab, ein anderer will plötzlich einen neuen Spielort und schmeißt damit die ganze Planung über den Haufen. Aber natürlich versucht man, es möglich zu machen, wenn es sinnvoll ist. Was aber war überhaupt Ihre Motivation, Festivals zu machen? Ich fand es einfach eine Herausforderung, und es hat mir Spaß gemacht, weil ich mich ja auch ganz gut auskannte im internationalen Theater. Ich habe nie thematische Festivals gemacht, sondern habe mir vieles angesehen und daraus ein Mosaikbild geschaffen, aus dem sich dann jeder seine Steinchen herausfischen konnte. Oft bin ich intuitiv genau dorthin gefahren, wo ich fand, was ich suchte. Und ich habe mich immer bemüht, auch etwas zu finden, das nicht aus Europa oder Amerika stammt – schließlich heißt es ja Theater der Welt. Das war manchmal schwierig, denn bei einem so großen Festival, das eine gewisse Messlatte hat, ungeschützt etwas aus einer fremden Kultur zu zeigen, braucht viel Fingerspitzengefühl, denn es wird sofort verglichen – und das meist unsensibel und stur eurozentrisch. Ich wollte immer die Aufführungen schützen, deshalb habe ich nur eingeladen, was ich von der Qualität her verteidigen konnte, auch wenn die Qualität vielleicht anders aussah, als wir es gewohnt sind. Mein oberstes Prinzip war immer, nichts einzuladen, hinter dem ich nicht stehe – denn wenn etwas floppt, dann muss ich es ja verteidigen können. 356

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Und wenn Sie es auf die Freie Szene bezogen sehen, die immer stärker von Festivals in Anspruch genommen wird, um auf ihnen maßgeschneiderte Produktionen zu machen, und teilweise wahllos herumgereicht wird – sind Festivals für die Freie Szene eher Fluch oder Segen? Das kann man nicht so entweder-oder sagen, es ist aber sicher oft ein Fluch. Andererseits ist der Hype um die Freie Szene manchmal auch gerechtfertigt. Die große Aufmerksamkeit, die Rimini Protokoll derzeit hat, finde ich durchaus gerechtfertigt. Da könnte man eher umgekehrt fragen: warum erst jetzt, warum nicht schon früher? Man soll sich da nichts vormachen, Festivals folgen Trends und Moden genauso wie Theater, und im Moment ist bei beiden alles das angesagt, was jung ist und noch unentdeckt. Alle wollen ja unentwegt Entdeckungen machen, aber am liebsten vom Sessel aus. Und im Überblick und aus Ihrer reichen Erfahrung heraus betrachtet, gibt es etwas, das deutsche Festivals gegenüber anderen Festivals auf der Welt besonders auszeichnet? Es ist schwierig, Festivals aus unterschiedlichen Ländern zu vergleichen. Wenn man aber beispielsweise nach Südamerika schaut, wo es Festivals gibt, die den europäischen in Vielem ähnlich sind, dann kann man schon sagen, dass deutsche Festivals tendenziell viel kopflastiger sind. Bei uns gibt es immer mehr Drumherum, mit Vorbereitung, Nachbereitung, theoretischem Überbau und am liebsten noch ein Symposium über Sinn und Unsinn von Festivals. So was gibt es in Frankreich auch, aber in Deutschland und Österreich grassiert das am meisten. Basiert diese Tendenz zur theoretischen Reflexion, beispielsweise auch der Trend, Festivalzeitungen zu machen, auf dem Bedürfnis nachzuweisen, dass man über das Festival hinaus noch einen gesellschaftlich relevanten Beitrag leistet? Gerade im Bewusstsein über eine nicht gerade geringe Konkurrenz auf dem Festivalmarkt? Das kann durchaus sein. Es ist eine neue Entwicklung, die es zu meiner Zeit noch nicht gab. Damals hat man ein Festival gemacht, und das so gut wie möglich, Schluss! Es gab Künstlergespräche und ein Nachtprogramm und vielleicht noch einen Workshop, aber das war’s dann auch. Die große Theoriekiste, das ist was Neues. Aber ist das nicht sogar auch sehr problematisch, da ja Festivals durch ihre zunehmende Selbstvergößerung durch Tagungen und sonstige theoretische Vernetzungen – also durch das Aufgeben ihres Status als konzentriertes Ereignis – auch in Konkurrenz mit Häusern wie den Sophiensælen und dem HAU treten? Das SPIELART Festival beispielsweise hat mit der Reihe perform! perform! versucht, über das Festival hinaus weitere Shows in München regelmäßig zu präsentieren. Das ist einfach ein anderes Konzept von Festival, und das ist nun nicht so neu: Rose Fenton und Lucy Neal vom Londoner LIFT Festival haben das schon vor Jahren gemacht. Man kann ein Festival übers ganze Jahr strecken, nur finde ich, dass es dann kein Festival mehr ist. Im Begriff Festival steckt das Wort Fest, und ein Fest ist ein intensives und zeitlich begrenztes Erlebnis. So einen Ausnahmezustand, in dem eine ganze Stadt dem Festivalfieber verfällt, den finde ich immer noch toll. Aber diese Art von Festivals gibt es nicht 357

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mehr, die sind auch nicht mehr gewünscht. Das Dionysische, das Verschwenderische, diese Kraft, die natürlich noch aus den 68ern stammte, dass man einfach alles verpulvern will – so was ist heute altmodisch und uncool. Hängt das vielleicht damit zusammen, dass man sich vor dem Fall der Mauer noch wirklich dafür einsetzen musste, Künstler vor allem aus den Ostblockstaaten nach Deutschland zu holen? Und dass man heute eben alles problemlos ›einkaufen‹ kann? Es kommt mir eher so vor, als ob die Quantität die Qualität ersetzt hat. Auch da gibt es Ausnahmen, aber oft fragt man sich doch, was die groß angekündigte Europapremiere eigentlich soll. Das meine ich mit Eventisierung. Jeder schmückt sich gerne mit so einem Prädikat, aber viel wichtiger ist doch die Aufführung, die sich dahinter verbirgt. Nur weil eine Inszenierung in Europa schon mal gezeigt wurde, wird sie doch nicht schlechter, und andererseits wird sie durch den Titel ›zum ersten Mal in Deutschland‹ auch nicht besser. Sagen Sie doch noch mal was zu den Sophiensælen und dem HAU, die Sie offenbar gut kennen. Das HAU ist ein permanentes Festival und innerhalb des permanenten Festivals machen sie auch noch Themenfestivals wie zuletzt beyond belonging. Dann mal ein brasilianisches Tanzfestival, ein Festival zu China usw. – und fast immer ist es toll. Matthias [Lilienthal] hat den Ehrgeiz und den Willen, ein Theater aufzubauen, über das ganz Berlin staunt und jubelt. Und das ist ihm mit der allerersten Spielzeit schon gelungen. Das war ein sehr attraktives Programm, alles ging rasend schnell, und schon brach der absolute Hype aus. Ich habe damals gedacht, dass es in der zweiten Spielzeit dann sehr schwer für sie würde, aber sie haben auch das souverän bewältigt, und es geht jetzt auch nicht mehr ganz so hektisch zu. Jeder kennt und liebt das HAU. Ich finde die Mischung sehr gut: Einerseits machen sie Kiezkultur und andererseits spart man sich manche Reise, weil sie so viele gute Künstler aus dem Ausland zeigen, für die man sonst zu einem Festival reisen müsste. Genau, also praktisch ein Festivalersatz? Na ja, diese Leute sind eben sehr gut und man freut sich, wenn man sie öfter sehen kann. Abgesehen davon gibt es ja auch noch die kleinen Themenfestivals … … die aber durchaus auch kritisiert wurden, denn diese Festivals sind sehr kurz, junge Künstler werden dort präsentiert und gehen eventuell schnell unter, weil sie durch das Label des Festivals zu einseitig präsentiert werden. Werden so nicht viele Künstler auch ›verheizt‹? Das passiert sicher oft, und nicht nur im HAU – es ist aber auch die Quadratur des Kreises. Bei manchen Aufführungen würde man sich wünschen, dass sie länger laufen würden, aber das ist natürlich ein finanzielles Problem. So verpuffen dann die weniger bekannten Gruppen, die ich mir besonders gerne anschaue, weil ich dem HAU und seiner Auswahl vertraue. Aber ehe die Stadt gemerkt hat, dass sie da sind und dass sie gut sind, sind sie schon wieder weg – so schnell kann keine Mundpropaganda sein.

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Wo würden Sie einen Unterschied zwischen den Häusern wie dem HAU und Festivals sehen? Gute Frage! Natürlich könnte man sagen, dass das, was das HAU macht, ein Festival ist, das das ganze Jahr über dauert. Das bedeutet aber auch, dass es kein Festival sein kann, so wie ich’s vorhin beschrieben habe, kein Feuerwerk, denn niemand schafft ein Jahr lang Feuerwerk. Aber die Grenzen sind fließend, und keiner kann sagen, wo das eine aufhört und das andere anfängt. Aber das ist ja vielleicht auch gar nicht so wichtig. Es ist die alte Frage nach der Henne und dem Ei. Denn diese Häuser wirken auf die Festivals zurück, die ihrerseits ganz vieles nicht mehr machen können, weil es bereits in diesen Häusern gemacht wurde. Heißt das nun, dass es keine Festivals mehr geben kann? – Wäre schade! Heißt es, dass Festivals sich völlig anders orientieren müssen? – Könnte sein. Oder wäre ein Austausch denkbar, dass das HAU Theater der Welt macht? Ich weiß es nicht. Gleichzeitig fängt der Staat an, Festivals zu machen, wie France en Scène, das ist eine Unternehmung des französischen Außenministeriums. Das ist auch etwas Neues und vielleicht eher mit Vorsicht zu genießen. Ein wenig erinnert mich das an das von der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltete Politik im Freien Theater. Sie saßen einmal in der Jury einer Festivalausgabe. Wie haben Sie denn dieses Festival erlebt? Das Festival gibt’s ja schon lange – wobei die Bundeszentrale das nicht selbst macht, sondern jeweils einen Festivaldirektor engagiert. Das Problem bei diesem Festival ist der Begriff Freies Theater. Der ist heutzutage einfach zu unscharf, wie sich zeigt, wenn sie die Freie Gruppe Rimini Protokoll einladen mit ihrer tollen Aufführung Mnemopark, die sie aber am Stadttheater in Basel gemacht haben – und natürlich gewinnen sie prompt den ersten Preis! Da sagen die Freien Gruppen zu Recht, dass das nicht fair ist. Das Festival sollte einfach ›Politik im Theater‹ heißen, dann könnten sie alles einladen, was sie wollen – und es ist ja nicht ausgemacht, dass es immer die reichen Stadttheater sind, die dann gewinnen. Gibt es denn so etwa wie eine allgemeine Tendenz, die Sie für Festivals der letzten Jahre bemerkt hätten? Die Tendenz in die Breite zu gehen: dass die Festivals, wenn auch nicht alle, immer länger werden. Und dass sie sich theoretisch und thematisch präziser definieren als früher. Festivals haben heute einen anderen Aggregatszustand: nicht mehr das Anarchistische und Spontane, sondern alles sehr überlegt und geplant. Ich meine das gar nicht negativ, das hat ja auch Vorteile. Die Zeiten sind halt anders, der Geist der siebziger Jahre ist verweht – das ist ein normaler Prozess – die Gesellschaft ist auch nicht gerade von Leidenschaft und Anarchismus gepeitscht. Festivals spiegeln immer den Zeitgeist, wie die Theater auch. Dann kommen wir auch schon zum Schluss mit der Frage, welche Fragen man zu Festivals häufiger stellen sollte und welche einfach viel zu häufig gestellt werden. Ich kann nur von meiner Festivalzeit sprechen, die schon ein Weilchen her ist. Damals wurde immer die ›Festivalitis‹ angeprangert und behauptet, alle Festivals zeigten dasselbe. Das stimmte zwar nicht, aber ein Journalist 359

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schrieb es vom anderen ab, und schließlich glaubten es alle. Natürlich gab es Aufführungen, die so spektakulär waren, dass mehrere Festivals hintereinander sie präsentierten – na und, ist das schlimm? Mir ging das damals furchtbar auf den Geist, diese Vorrechnerei. Und je weniger ein Journalist vom Welttheater wusste, desto ungnädiger war er. Wenn die Drei Schwestern von Nekrosius bei Theater der Welt in Dresden waren, vorher aber schon in Brüssel und hinterher auch noch irgendwo, dann ging es nicht mehr darum, wie toll sie waren, sondern nur noch darum, ob sie damit ›verbrannt‹ sind. Aber das ist ein Journalistenproblem, das Publikum interessiert so was nicht, mich auch nicht. Das war damals meine meist gehasste Frage – heute wäre es vermutlich: »Brauchen wir noch Festivals?«

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Theaterfestivals

Zoll, Rainer (Hg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. Zukin, Sharon: »Städte und Ökonomie der Symbole«, in: Göschel/Kirchberg (Hg.), Kultur in der Stadt (1998), S. 27–40. A RTIKEL

IN

Z EITSCHRIFTEN

UND

S CHRIFTENREIHEN

»Am Anfang war das Telefon. Gespräch mit Matthias Lilienthal«, in: Theaterheute 42 (2002), Heft 4, 37–41. Beilharz, Manfred: »THEATER DER WELT«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 7f. Behrendt, Eva: »Prinzip Pferdewette«, in: Theaterheute Jahrbuch, 44. Jg. 2004, S. 77–82. Braun, Reinhard: »Sanktionierter Ausnahmezustand?«, in: steirischer herbst festival gmbh (Hg.): herbst. Theorie zur Praxis, Graz 2007, S. 73–77. Cerny, Karin: »Hart, aber herzlich. Die Wiener Festwochen zeigen intellektuell sperriges Schauspielprogramm, aber auch müde alte Männer«, in: Theater der Zeit 59 (2005), Heft 9, S. 36–39. Dümcke, Cornelia: »Sponsoring – Mehr Geld für die Kultur?«, in: Theater der Zeit 48 (1994), Heft 2, S. 38–39. Eikels, Kai van: »währenddessen«, in: dramaturgie. Zeitschrift der Dramaturgischen Gesellschaft 25 (2008), Heft 1, S. 7–10. Friedrich, Detlef: »Düster-trauriger Abgesang«, in: Theater der Zeit 46 (1992), Heft 1, S. 72f. Fuchs, Max: »Herausforderung Kulturelle Vielfalt. Das UNESCOÜbereinkommen vor der Umsetzung in Deutschland«, in: politik und kultur 5 (2007), Heft 3, S. 18. Klementz, Constanze: »Feiern, bilden, agitieren. Heike Albrecht und JanPhilipp Possmann, die künftigen Leiter der Berliner Sophiensæle, stehen in den Startlöchern«, in: Theater der Zeit 61 (2007), Heft 6, S. 28f. Klett, Renate: »Das Schönste am Festival ist das Reisen«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 10–15 des Inlays. Knopp, Hans-Georg: »Kunst im interkulturellen Dialog. Pragmatisch anwendbare Verbindung von Kunst, Politik und Gesellschaft«, in: politik und kultur 5 (2007), Heft 3, S. 19. Kralicek, Wolfgang: »Es geht ums Ganze – und manchmal um alles«, in: Theaterheute 35 (1995), Heft 8, S. 11–15. Liebermann, Börries von: »Theater der Welt – Essen 1991«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 16 des Inlays. Lipski, Jan Józef: »Neue Bereiche und Möglichkeiten der europäischen Kulturpolitik«, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 42 (1992), Heft 1, S. 46– 52. »Man spricht Deutsch? Braunschweigs ›Theaterformen‹ starten neu«, in: Theaterheute 44 (1994), Heft 5, S. 70. Merschmeier, Michael: »Endstation Sehnsucht. Das deutschsprachige Theater ist besser als sein Ruf – doch wie lange noch? Anmerkungen, Aufregungen, Anregungen«, in: Theaterheute Jahrbuch 34 (1994), S. 13–19. Nagel, Ivan: »Die Kunst der Stunde. Zur Eröffnung von Theater der Welt ’89 in Hamburg«, in: Theaterheute 29 (1989), Heft 8, S. 4. 372

Literatur

Ders.: »Wie entstand THEATER DER WELT«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 4f. des Inlays. Niederauer, Martin R.: »Hey, Big Spender«, in: Festspiele Magazin 23 (2006), Heft 2, S. 124. Otto, Hans-Joachim: »Jetzt oder nie: Staatsziel Kultur. Ein vernehmbares Zeichen für die Kultur setzen«, in: politik und kultur 4 (2006), Heft 6, S. 19. Pietzsch, Ingeborg: »›Irrtum und Zweifel‹. ›Theaterformen‹ – ein Theaterfestival in Braunschweig«, in: Theater der Zeit 46 (1992), Heft 1, S. 71–74. Pilz, Dirk: »Die ganze Welt ist ein Projekt. Ein Versuch, in vier Thesen eine Antwort auf eine schwierige Frage zu finden: was ist die Freie Szene?«, in: Theater der Zeit 58 (2004), Heft 1, S. 25–28. »Plattform für den Theater-Nachwuchs auf Kampnagel« (Verfasserkürzel itz)‹, in: Hamburger Abendblatt vom 04. Mai 2006. Primavesi, Patrick: »Weiter gehen«, in: steirischer herbst SHKulturveranstaltungs GmbH (Hg.): herbst. Theorie zur Praxis, Graz 2006, S. 90–94. Reiche, Steffen: »Europa macht Kultur. Kultur macht Europa. Gemeinsame Kultur als europäisches Lebenselixier«, in: politik und kultur 6 (2008), Heft 1, S. 21. Roeder-Zerndt, Martin: »Der Überlauf-Effekt. Ein Plädoyer für Internationalität – doch gegen die Verwischung kultureller Differenzen«, in: Theaterheute 37 (1997), Heft 1, S. 1f. Ders.: »THEATER DER WELT – Ein Festival des Internationalen Theaterinstituts (ITI)«, in: Fiebach (Hg.), Theater der Welt 1999 in Berlin (1999), S. 3 des Inlays. Schmid, Frank: »Erste Adresse zwischen Festivals und Fördernot. Die Berliner Sophiensæle«, in: Theater der Zeit 54 (2000), Heft 12, S. 28–31. Schöllhammer, Georg: »›Wo dockt man an Geschichte an?‹ Georg Schöllhammer spricht mit einer ehemaligen und der jetzigen herbst-Intendantin, Christine Frisinghelli und Veronica Kaup-Hasler, über Chancen und Risiken eines Festivals, über Zeitgenossenschaft und Mainstream, über Gralshüter und die Sehnsucht nach Neuem«, in: steirischer herbst SHKulturveranstaltungs GmbH (Hg.): herbst. Theorie zur Praxis, Graz 2006, S. 60–65. Stammen, Silvia: »Aus-gespart. Das international renommierte Theater am Turm verschwindet im Bermudadreieck Frankfurter Kulturpolitik«, in: Theaterheute 36 (1996), Heft 8, S. 57. Sucher, C. Bernd: »Kein Anlaß zu grundsätzlichen Veränderungen. Ulrich Eckhardt äußert sich zur Kritik am Berliner Theatertreffen«, in: Süddeutsche Zeitung vom 19. Mai 1980, in: Eckhardt/Liebermann (Hg.), 25 Jahre Theatertreffen (1988), S. 35–37. Thomsen, Henrike: »Im Netzwerk des Geldes«, in: Theaterheute 43 (2003), Heft 3, S. 4–13. »Über Stock und Stein. Marie Zimmermann und Peter Kelting über ›Theater der Welt‹ in Stuttgart – über den Bedeutungswandel eines Festivals und den Versuch, eine Enzyklopädie der Theaterformen aufzuschlagen«, in: Theaterheute 45 (2005), Heft 6, S. 18–21.

373

Theaterfestivals

»Voller Betroffenheit: Berliner Theatertreffen 1990« (Verfasserkürzel es/ kno), in: TAZ vom 25. April 1990 (zit. in: Theaterheute 30 [1990], Heft 6, S. 69f.). Weigand, Frank: »Geografische Choreografien. 14. euro-scene in Leipzig. Das Festival des zeitgenössischen europäischen Theaters präsentiert einen Osteuropa-Schwerpunkt und offenbart konzeptionelle Schwächen«, in: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung vom 19. November 2004 (vgl. Pressespiegel der euro-scene Leipzig 2004, S. 133f.). Wesemann, Arnd: »›Künstler müssen frei sein‹. Gespräch mit Tom Stromberg«, in: Theaterheute 32 (1992), Heft 9, S. 31f. Wille, Franz: »Theater der Welt 1993, vom 12.–27. Juni in München. ›Trotz aller Krisen: es wird toller denn je!‹ Gespräch mit Renate Klett über Glück und Elend einer Festivalmanagerin und ihr Programm«, in: Theaterheute 33 (1993), Heft 4, S. 22–25. Ders.: »Mit der Gießkanne im Regen stehen. Eine kleine Pflanzenkunde vom ›Theater der Welt‹ in Dresden«, in: Theaterheute 36 (1996), Heft 8, S. 16–23. Ders.: »Die Luftnummer? Ein Gespräch mit Dietmar N. Schmidt«, in: Theaterheute 41 (2001), Heft 2, S. 1f. Zerull, Ludwig: »Wagnisse am falschen Ort«, in: Theaterheute 35 (1995), Heft 8, S. 37–40. Ziemer, Gesa/Malzacher, Florian: »Das Lachen der Anderen«, in: steirischer herbst SH-Kulturveranstaltungs GmbH (Hg.): herbst. Theorie zur Praxis, Graz 2006, S. 67–71. I NTERNETRESSOURCEN

MIT

A UTORENANGABE

Alber, Julia: Studierende an ›Theater der Welt‹ beteiligt, vgl. http://www.unistuttgart.de/uni-kurier/uk96/studieren/sl34b.htm vom 22. April 2007. Bauer-Manhart, Ingeborg: Zur Geschichte der Wiener Festwochen, vgl. http://www.wien.gv.at/kultur/chronik/festwochen.html vom 22. April 2007. Bewerbungsbüro Kulturhauptstadt Europas 2010 ›Essen für das Ruhrgebiet‹ (Hg.): WANDEL DURCH KULTUR – KULTUR DURCH WANDEL. Bewerbung ›Essen für das Ruhrgebiet – Kulturhauptstadt Europas 2010‹. Kurzfassung Dezember 2005, vgl. http://en.kulturhauptstadt-europas. de/downloads/Kurzschrift_D_offset.pdf vom 21. Februar 2008. ERICarts Institute (Bonn) (Hg.): Arts and Artists in Europe: New Challenges. A briefing paper about trends, issues and questions for arts policy in Europe commissioned by the International Federation of Arts Councils and Culture Agencies (IFACCA) for a Meeting of its European Members and its Board in Athens, Greece, on 2–3 November 2007, Bonn Oktober 2007, vgl. http://www.labforculture.org/en/content/download/36957/ 295825/file/ArtsandArtistsinEurope_newchallenges.pdf vom 01. Oktober 2008. Haase, Andrea: Soziale Stadt – Schrumpfende Stadt: Verflechtungsräume und Schnittstellen, vgl. http://ah.raumstruktur.de/pdf/publikation_soziale stadt-schrumpfendestadt.pdf vom 11. Februar 2008.

374

Literatur

Heine, Matthias: »Berlin feiert das Theater des Jahres«, in: Berliner Morgenpost, 11. September 2004, vgl. http://www.hebbel-am-ufer.de/de/tdj.html vom 02. Februar 2008. Hoyer, Gisela: »Verliert die Euro-Scene den Spielort Schauspielhaus?«, in: Leipziger Volkszeitung vom 11. März 2008, vgl. http://www.euroscene.de/v2/de/festivals/2009/pressespiegel/extras/080311--lvz-schau spiel.php vom 12. März 2009. Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung, Brüssel am 10. Mai 2007, vgl. http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi! prod!DocNumber&lg=en&type_doc=COMfinal&an_doc=2007&nu_doc =0242&model=guicheti vom 01. März 2008. Lefèbvre, Henri: Die Produktion des städtischen Raums, in: AnArchitektur, Material zu: Lefèbvre, Die Produktion des Raumes, vgl. http://www. anarchitektur.com/aa01_lefebvre/aa01_lefebvre.pdf vom 09. Februar 2008. Mersch, Dieter: ›Geschieht es?‹ Ereignisdenken bei Derrida und Lyotard, vgl. http://www.momo-berlin.de/Mersch_Ereignis.html vom 01. Juli 2007. Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Hg.): Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, vgl. http://www.unesco.de/konvention_ kulturelle_vielfalt.html?&L=0 vom 01. März 2008. Rauterberg, Hanno: »Wohnzimmer ist überall«, in: Die Zeit, 03/2002, vgl. http://www.zeit.de/2002/03/Wohnzimmer_ist_ueberall?page=all vom 13. Februar 2008. Ruhr.2010 GmbH (Hg.): Flyer, vgl. http://www.kulturhauptstadteuropas.de/downloads/RUHR2010_Flyer0802.pdf vom 22. Juli 2008. Sellars, Peter: Festivals, vgl. http://www.festspielfreunde.at/deutsch/ dialoge2001/15_Sellars.pdf vom 21. März 2008. Stunz, Holger R.: Von Äpfeln und Birnen – Festspiele in der Nachkriegszeit als Beispiel für Chancen und Risiken historischer Komparatistik, vgl. http://www.festspiel-forschung.de/pdf/festspiel-vergleich.pdf vom 21. Februar 2008. Ders.: Was sind Festspiele: Definitionen, Formen und Fragen, vgl. http://www.festspiel-forschung.de unter der Rubrik ›Festspiele und Geschichte‹ vom 29. Juni 2007. Ders.: Darsteller auf internationalen Bühnen: Festspiele als Repräsentationsobjekte bundesdeutscher Kulturpolitik, vgl. http://www.festspielforschung.de unter der Rubrik ›Festspiel und Bundeskulturpolitik‹ vom 29. Juni 2007. Willnauer, Franz: Festspiele und Festivals in Deutschland, hg. vom Deutschen Musikrat, Bonn 2005, vgl. http://www.miz.org/static/themen portale/einfuehrungstexte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/willnauer.pdf vom 30. Juni 2007.

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Theaterfestivals

I NTERNETRESSOURCEN

OHNE

A UTORENANGABE

»13. Festival 2003. Gesamtprogramm mit Kurztexten«, vgl. http://www.euroscene.de/v2/de/festivals/2003/programm/uebersicht/ vom 25. September 2008. »233 europäische Kulturprojekte sollen dieses Jahr mit Mitteln aus dem Programm ›Kultur 2000‹ unterstützt werden«, vgl. http://europa. eu/rapid/pressRelesesAction.do?reference=IP/04/1502&format=HTML& aged=1&language=DE&guiLanguage=en vom 05. März 2008. »ACT! PRÄSENTIERT – NEUE KRIEGE: IMPERIALISMUS RELOADED!? – PODIUMSDISKUSSION MIT KATJA DIEFENBACH UND ROBERT KURZ«, vgl. http://www.hebbel-am-ufer.de/archiv_de/ kuenstler/kuenstler_1883.html vom 22. April 2007. »Arts Festivals’ Declaration on Intercultural Dialogue«, vgl. http://new.efaaef.eu/FestivalsDeclaration/the-declaration.lasso vom 01. März 2008. »Ausschreibungskriterien Heidelberger Stückemarkt 2007«, vgl. http://www. theaterheidelberg.de/servlet/PB/menu/1156390_l1/index.html vom 22. April 2007. »Das Festival«, vgl. http://www.theaterderwelt.de/2008/das-festival/deutsch/ vom 02. August 2008. »Entschleunigung! Veranstaltungsreihe des Schauspielhaus Hamburg«, vgl. http://www.schauspielhaus.de/spielplan/detail.php?id_event_cluster=260 797 vom 17. Mai 2008. »euro-scene Leipzig. Festival zeitgenössischen europäischen Theaters«, vgl. http://www.leipzig-online.de/euro-scene/ vom 22. April 2007. »Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Sponsoren«, vgl. http://www. festspiele-mv.de/index.php?menue=sponsoren vom 03. April 2008. »Freischwimmer. Plattform für junges Theater«, vgl. http://www. freischwimmer-festival.com/freischwimmer.php vom 21. Februar 2008. »Geschichte der Biennale NEUE STÜCKE AUS EUROPA THEATERBIENNALE des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden 15. – 25. Juni 2006« vgl. http://new.heimat.de/staatstheaterwiesbaden/biennale/home/ geschichte.php?id_language=1 vom 21. Mai 2008. »Heidelberger Stückemarkt 06. Das Uraufführungsfestival und Forum junger Autoren 3.–14. Mai 2006«, vgl. http://www.theaterheidelberg.de/ servlet/PB/menu/1155943/index.html vom 22. April 2007. »Junge Hunde Network«, vgl. http://www.ladanse.com/auto/wlduk.mv? showcat+decompag vom 01. April 2008. »Kultur. Darstellende Kunst. Sponsoringtätigkeiten der BMW Group«, vgl. http://www.bmwgroup.com/d/nav/index.html?http://www.bmwgroup.co m/d/0_0www_bmwgroup_com/verantwortung/kultur/darstellende_kunst. html vom 12. März 2008. »Nibelungen-Festspiele Worms: Eine Erfolgsgeschichte«, vgl. http://www. nibelungenfestspiele.de/projekt/das_projekt.php vom 05. April 2008. »Performing Lectures. Eine Reihe von Unfriendly Takeover mit Marten Spangberg, Pirkko Husemann, Xavier Le Roy, Frankfurter Küche (Leipzig) u.v.a.«, vgl. http://www.betacity.de/mailingliste/2976.html vom 24. März 2007.

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Literatur

»Pressemitteilung vom 05.03.2008: RuhrTriennale 2008 – 22. August bis 5. Oktober«, vgl. http://www.theaterkanal.de/promo/ruhrtriennale-2008--22. -august-bis-5.-oktober/ vom 05. März 2008. »Profil der Sophiensæle«, vgl. http://www.sophiensaele.com/profil.php vom 05. März 2008. »Protokoll des Symposiums ›Festivals – A Luxury Article or a Generator for Culture‹, zweiter Teil ›Artists and Festivals‹ vom 3. Dezember 2005 in München«, vgl. http://www.theatre.lv/old_theatre-fit.org/results_all_ festivals.html vom 11. Oktober 2008. »Salzburger Festspiele«, vgl. http://www.salzburg.com/wiki/index.php/ Salzburger_Festspiele vom 30. März 2007. »Salzburger Festspiele. Programmatik und Philosophie«, vgl. http://neutor.shotels.com/de-buehnen.htm vom 05. April 2008. »Satzung der Kulturstiftung des Bundes«, vgl. http://www.kulturstiftung-desbundes.de/main.jsp?categoryID=202841&articleCategoryID=202847& languageID=1 vom 12. September 2007. »Short cuts des FIT-Symposiums vom 1. Oktober 2005 in Vilnius zu ›Festivals as Generators and Circulators of new Ideas, professional, laboratorial and Community Events‹«, vgl. http://www.theatre-fit.org/pdf/FIT_ discussionNotes_full_sirenos.pdf vom 05. April 2008. »Stiftung Niedersachsen«, vgl. http://www.stnds.de/de/ vom 22. April 2007. »Veranstaltungsdokumentation (Oktober/November 2002) zum 5. Festival Politik im Freien Theater. Besucher- und Besucherinnenbefragung 2002 in Hamburg«, vgl. http://www.bpb.de/veranstaltungen/KB0QN2,0,5_ Festival_Politik_im_Freien_Theater.html vom 22. April 2007. »Was ist Spielart?«, vgl. http://www.spielart.org/spielart/profil/vom 02. Januar 2008. G RAUE LITERATUR Noch nicht veröffentlichte Magisterarbeiten

Elfert, Jennifer: Kulturelle Netzwerke für transnationales Theater in Europa. Magisterarbeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt 2005. Reichel, Julia: Kampnagel Hamburg – Veranstaltungszentrum oder Theaterforum? Eine soziologisch-kulturwissenschaftliche Analyse. Magisterarbeit an der Universität Lüneburg 2002. Materialien zu einzelnen Festivals

»Ausstellungszeitung zu ›Schrumpfende Städte‹ im DAM Frankfurt«, 8. Dezember 2007 bis 17. Februar 2008. Beilharz, Manfred: »Wir haben nicht gesucht, wir haben gefunden«, in: Programmbuch zu Neue Stücke aus Europa 2004, S. 11–13. Engelbrecht, Jagoda: »Das Theatertreffen 2006 geht zu Ende. Überwältigende Beteiligung der jungen Zuschauer«. Presseinformation zum Abschluss des Berliner Theatertreffens 2006. »Ereignis-Expeditionen«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 48.

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Theaterfestivals

Freundt, Michael: »Wohin tanzt die euro-scene?«, in: Kreuzer, das Leipziger Stadtmagazin, November 2005, S. 14–17 (vgl. Pressebeiträge zur euroscene Leipzig 2005, S. 2–5). Ders.: »Theater der Welt im Rückblick. Gespräch mit Matthias Lilienthal«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 2002, S. 38–40. Gaul, Richard: »Grußwort«, in: Programmheft zum Berliner Theatertreffen 2002, S. 4. Kaup-Hasler, Veronica: »Vorwort«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 1. Dies.: »Vorwort«, in: Programmheft zum steirischen herbst 2006, S. 4. Kienzle, Ulrike/Lindner, Thomas: »Bayreuth als ästhetische Utopie«, in: Programmheft zu den Bayreuther Festspielen 1998, S. 14–25. Kranz, Dieter: »Festival im Umbruch. Das Theatertreffen gewinnt ein neues Selbstverständnis«, in: Programmheft zum Berliner Theatertreffen 1992, S. 5–8. Laufenberg, Iris: »tt talente – Ein hellsichtig machender Rausch im Jugendkonzil«, in: Programmheft zu Berliner Theatertreffen 2006, S. 44. Maß, Torsten: »Was genau ist Theater der Welt?«, in: Sponsorenmappe für Theater der Welt 2008, S. 6. Petz, Thomas: »Vorwort«, in: Programmheft zu Theater der Welt 1985, S. 5f. Pilz, Dirk: »Alles außer Stadttheater. Die Sophiensæle geben ausgesuchtem Regie-Nachwuchs eine Plattform und ein Thema: Amerika«, in: Pressespiegel zu Freischwimmer 2004. Programmheft zu Politik im Freien Theater 2008. Schmidtke, Stefan: »Das internationale Festival THEATERFORMEN 2007 vom 14. Juni bis 24. Juni in Hannover«, in: Spielzeitheft des Schauspiel Hannover 2006/2007, S. 36. Schreiber, Ulrich: »TT-Almanach 1989« (zit. nach Dieter Kranz, Festival im Umbruch. Das Theatertreffen gewinnt ein neues Selbstverständnis, in: Programmheft zum Berliner Theatertreffen 1992, S. 8). Sponsorenmappe zu Theater der Welt 2002. Sponsorenmappe zu Theater der Welt 2008. »Theater der Welt 1996 Dresden«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 1996, S. 28–40. »Theater der Welt 1999 in Berlin«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 1999, S. 32–62. »Theater der Welt 2005«, in: Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.: Geschäftsbericht des ITI Deutschland 2005, S. 26–33. »The Theatre Events«, in: Programmheft zu steirischer herbst, Graz 2007, S. 8. Völckers, Hortensia: »Vorwort«, in: Pressespiegel zu THEATERFORMEN 2000, S. 1. Dies.: »Das Eigene, das Andere, das Besondere«, in: Programmheft zum Festival Neue Stücke aus Europa 2004, S. 21. Dies.: »Grußwort«, in: Programmheft zur euro-scene Leipzig 2004, S. 5.

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Literatur

Dies.: »Zusammenarbeit über Sprachgrenzen hinweg als Selbstverständlichkeit«, in: Programmbuch zu Neue Stücke aus Europa 2006, S. 16f. »Vorwort«, in: Pressespiegel zu THEATERFORMEN 2000, S. 1. »Vorwort«, in: Programmheft zu Freischwimmer 2004, S. 1f. Voß, Arnold: »Internationale Bauausstellung Emscher Park. Ein zukunftsweisendes Modell?«, in: »Ausstellungszeitung zu ›Schrumpfende Städte‹ im DAM Frankfurt«, 8. Dezember 2007 – 17. Februar 2008, S. 6–8. »Dialoge«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 47. »Im ZDF: Theatertreffen Berlin 1992 mit Dietmar N. Schmidt«, in: Programmheft zum Berliner Theatertreffen 1992, S. 66. »Vorankündigung zum Symposium Theaterfestivals als Motor europäischer Kulturvernetzung. Eine Initiative von acht Festivals aus acht Ländern«, München 2005 (im Programmheft zu SPIELART 2005 später in abgeänderter Version veröffentlicht). »Theatre Festivals in Transition (FIT). Theaterfestivals als Motor europäischer Kulturvernetzung. Eine Initiative von acht Festivals aus acht Ländern«, in: Programmheft zu SPIELART 2005, S. 30. »›Wie gestalten Sie Ihre Gesellschaft?‹ Evolutionäre Zellen 2004«, in: Programmheft zu THEATERFORMEN 2004, S. 53. »Wiener Festwochen. Profil«, in: Profilbeschreibung der WIENER FESTWOCHEN 2006.

Weiterführende Literatur M ONOGRAPHIEN Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: Beck 1999. Autissier, Anne-Marie (Hg.): The Europe of Festivals. From Zagreb to Edinburgh, intersecting viewpoints …, Toulouse: editions de l’attribut 2009. Bausinger, Hermann/Brückner, Wolfgang (Hg.): Kontinuität? Geschichtlichkeit und Dauer als volkskundliches Problem, Berlin: Schmidt 1969. Beneke, Jürgen/Jarman, Francis (Hg.): Interkulturalität in Wissenschaft und Praxis, Hildesheim: Universitäts-Verlag 2005. Benjamin, Walter: Erfahrung und Armut, in: ders., Illumationen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 291–296. Bormann, Regina: »Urbane Erlebnisräume als Zonen des Liminoiden«, in: Bittner (Hg.), Die Stadt als Event (2002), S. 99–108. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007. Breinig, Helmbrecht/Gebhardt, Jürgen/Lösch, Klaus (Hg.): Multiculturalism in Contemporary Societies: Perspectives on Difference and Transdifference, Erlangen: Universitätsbibliothek 2002. Burkert, Walter: »Die antike Stadt als Festgemeinschaft«, in: Hugger (Hg.), Stadt und Fest (1987), S. 25–44. Crawford, Iain: Banquo on Thursdays: the inside story of fifty Edinburgh Festivals, Edinburgh: Goblinshead 1997. Debord, Guy: Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin: Edition Tiamat 1996. 379

Theaterfestivals

Depenheuer, Otto: Selbstdarstellung der Politik. Studien zum Öffentlichkeitsanspruch der Demokratie, Paderborn: Schöningh 2002. Deuflhard, Amelie (Hg.): Spielräume produzieren. Sophiensæle 1996–2006, Berlin: Theater der Zeit 2006. Deutscher Bühnenverein (Hg.): Theaterstatistik 1993/94, Köln: Deutscher Bühnenverein 1995. Ders.: Theaterstatistik 1994/95, Köln: Deutscher Bühnenverein 1996. Deutscher Bundestag (Hg.): Schlussbericht der Enquete-Kommission ›Kultur in Deutschland‹, Drucksache 16/7000, Berlin: Deutscher Bundestag 11. Dezember 2007. Fabian, Imre: »›Festivalitis‹: Bereicherung oder Verflachung?«, in: Csobádi u.a. (Hg.), ›Und jedermann erwartet sich ein Fest‹ (1996), S. 269–289. Fesel, Bernd/Söndermann, Michael (hg. von der Deutschen UNESCOKommission e.V.): Culture and Creative Industries in Germany, Bonn: Grafische Werkstatt Druckerei und Verlag Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG 2007. Fondazione Fitzcarraldo: How Networking Works. IETM Study on the Effects of Networking, Brüssel: Arts Council of Finland 2001. Fuchs, Max: Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe, Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1998. Gebhardt, Winfried: Fest, Feier und Alltag. Über die Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt u.a.: Lang 1987. Ders.: »Feste, Feiern und Events. Zur Soziologie des Außergewöhnlichen«, in: Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer, Events (2000), S. 17–31. Gürtler, Sabine: Spontaneität und Prozess. Zur Gegenwärtigkeit Kritischer Theorie, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1992. Haberl, Horst Gerhard/Strasser, Peter (Hg.): Nomadologie der Neunziger. steirischer herbst. Graz 1990 bis 1995, Ostfildern: Cantz 1995. Habermas, Jürgen: »Hannah Arendts Begriff der Macht«, in: ders., Politik, Kunst, Religion. Essays über zeitgenössische Philosophen, Stuttgart: Reclam 1978, S. 103–126. Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter: Stadtsoziologie, Frankfurt am Main: Campus 2004. Heidegger, Martin: Beiträge zur Philosophie, Frankfurt am Main: Klostermann 1989. Hentschel, Ingrid: »Zum Verhältnis von Ritual und Theater«, in: Hentschel/Hoffmann (Hg.), Theater – Ritual – Religion (2004), S. 107–112. Herrmann, Hayo/Niese, Michael/Peschel, Karin: Ökonomische Effekte des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals: ausgewählte Ergebnisse eines Gutachtens des Instituts für Regionalforschung der Universität Kiel, Kiel 1998. Hohendahl, Peter Uwe u.a. (Hg.): Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffs, Stuttgart/Weimar: Metzler 2000. Keim, Stefan: »Freiheitsspiele. Die Kreationen der RuhrTriennale – Schöpfungsakte mit hohem Risiko«, in: Kultur Ruhr GmbH (Hg.), RuhrTriennale 2002–2004 (2004), S. 184f. Kirchberg, Volker: Kultur und Stadtgesellschaft, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1992.

380

Literatur

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Theaterfestivals

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IN

Z EITSCHRIFTEN

UND

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MIT

A UTORENANGABE

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Literatur

download.php?file=uploads%2Fmedia%2FKurzschrift_D_offset.pdf vom 11. September 2008. W EITERFÜHRENDE I NTERNETSEITEN Compendium cultural Policies and Trends in Europe: www.culturalpolicies.net Deutscher Kulturrat: www.kulturrat.de Deutsches Informationszentrum Kulturförderung: www.kulturfoerderung.org/de European Festival Association: www.efa.org Fachverband für Sponsoring: www.faspo.de Festivalnetzwerk alternativer Festivals: www.ifn-online.de Festspielseiten – Festspielgeschichten: www.festspiel-forschung.de Initiative »Europa eine Seele geben«: www.berlinerkonferenz.eu Internetplattform für Stadtumbau, Regenerierung und Wissen über schrumpfende Städte: www.schrumpfende-stadt.de Kulturpolitische Gesellschaft: www.kultur-macht-europa.eu Kulturstiftung des Bundes: www.kulturstiftung-des-bundes.de News-Seite des Theaterkanals/ ZDF: www.theaterkanal.de/news/Festivals Theater und Fest in Europa. Zur Inszenierung von Identität und Gemeinschaft: www.theater-und-fest.de Theatre/Festivals in Transition (FIT): www.theatre-fit.org The Festival Network: www.festivalnetwork.com Verein zur Verzögerung der Zeit: www.zeitverein.com

383

Abbildungsverzeichnis Titel: Eingangsbereich der THEATERFORMEN, Braunschweig 2002 © Ulrich Schwarz, Berlin Abb. 1: »What our village needs now is a biennial«, © Olav Westphalen

385

Personenregister

Adorno, Theodor W. 114, 231 Agamben, Giorgio 180 Arendt, Hannah 81 Assmann, Aleida 193f., 49 Assmann, Jan 49, 102, 260 Augé, Marc 199, 233 Auslander, Philip 82f.

Deleuze, Gilles 165, 197 Demokrit 73 Derrida, Jacques 99ff., 288 Deuflhard, Amelie 270, 272, 339ff. Diefenbach, Katja 140 Dirks, Anja 270 Dörner, Andreas 85f. Dorst, Tankred 274f., 321, 323 Dukovski, Dejan 276

Bachler, Klaus 294 Bahr, Hermann 54 Bataille, Georges 180f. Baudelaire, Charles 209 Baumgartner, Hans Michael 159 Baumgartner, Ulrich 293 Bausch, Pina 109 Beilharz, Manfred Berg, Alban 252 Blake, William 87 Bloch, Ernst 174 Bohrer, Karl Heinz 99 Bosshart, Res 40, 147 Bourdieu, Pierre 173, 199, 208, 218, 244 Brentano, Clemens 50 Britten, Benjamin 55 Brook, Peter 37 Broszat, Tilmann 193, 269, 135, 164 Bubner, Rüdiger 180f. Buckwitz, Harry 261f. Büttner-Pfänner zu Thal, Franz 50

Eckhardt, Ulrich 264 Ehlers, Ursula 274f., 323 Eikels, Kai van 176 Elias, Norbert 157 Engler, Balz 51 Esser, Hartmut 112 Evert, Kerstin 270 Ewerbeck, Niels 270 Fabian, Jo 42 Fabre, Jan 36f., 134 Fenton, Rose 357 Fischer-Lichte, Erika 14, 105 Flaig, Egon 97 Flusser, Vilém 203 Foster, Norman 234 Foucault, Michel 157, 200 Franck, Georg 172ff., 181, 250 Fuchs, Max 224, 301 Gadamer, Hans-Georg 195 Gebhardt, Winfried 94, 243 Geißler, Karlheinz A. 171 Gennep, Arnold van 86 Getz, Donald 21 Goebbels, Heiner 37, 134 Goethe, Johann Wolfgang 50 Goffman, Erwin 90, 240, 243 Grotowski, Jerzy 138

Caillois, Roger 180 Canetti, Elias 171 Certeau, Michel de 199, 205 Chipperfield, David 234 Cialdini, Robert 244 Clausen, Sonja 236 Dahlhaus, Carl 57 387

Theaterfestivals

Guattari, Felix 165, 197 Guggenberger, Bernd 197, 254

Kurz, Robert 140 Kyrer, Alfred 234, 241f.

Habermas, Jürgen 80, 83ff., 89, 255, 302 Hartz, Matthias von 139, 192, 343f. Haug, Helgard 37 Hauptmann, Gerhard 35 Häußermann, Hartmut 234, 237 Heidegger, Martin 98, 197 Heinze, Thomas 233 Hellstern, Gerd-Michael 234, 241 Hellwig, Gerhard 261 Hertling, Nele 44, 269, 340, 355 Heyse, Paul 50 Hitzler, Ronald 90, 94 Hodina, Peter 180f. Hofmann, Friedrich 50 Hofmann, Rainer 216 Hofmannsthal, Hugo von 65f., 68f. Holling, Eva 9, 204, 209 Holtzhauer, Christian 270 Hörning, Karl H. 167 Houben, Jos 206 Huber, Judith 192 Hugger, Paul 75f., 161 Hugo, Victor 165 Huizinga, Johan 77

Laermann, Klaus 157, 163 Laufenberg, Iris 107, 132, 154, 171, 264, 312ff. Lauwers, Jan 36f., 134 Lefèbvre, Henri 199f. Lehmann, Hans-Thies 103 Lepage, Robert 37, 109, 182, 218 Lévi-Strauss, Claude Gustave 105 Leysen, Frie 269, 282, 356 Lilienthal, Matthias 34, 43, 169, 282, 325, 339, 358 Lipp, Wolfgang 78, 181 Lipski, Jan Józef 189 Lübbe, Hermann 159, 165, 188 Lucas, Lore 58 Luhmann, Niklas 105, 174, 187, 190 Maffesoli, Michel 180 Marquard, Odo 64, 84 Maß, Torsten 124, 127, 174, 206, 282, 332 Mau, Bruce 186 Maurin, Frédéric 178 Menke, Christoph 288 Merleau-Ponty, Maurice 199 Mersch, Dieter 97, 99 Mitscherlich, Alexander 203 Mortier, Gerard 124 Münkler, Herfried 78 Muri, Gabriela 185, 191 Mushak, Milena 216

Imbrasas, Audronis 217 Jaenicke, Dieter 39, 268 Jakobson, Roman 105 Kant, Immanuel 175 Kantor, Tadeusz 138 Karajan, Herbert von 64 Kaschuba, Wolfgang 157 Kauffmann, Bernd 285 Kaup-Hasler, Veronica 124, 160, 179f., 288 Keller, San 210 Kemper, Peter 92 Kirchberg, Volker 216 Klaic, Dragan 14, 114 Klett, Renate 168, 174, 282, 284, 354ff. Koolhaas, Rem 234 Kurnitzky, Horst 92, 254f.

Nabokov, Nicolas 261 Nagel, Ivan 264, 279, 282 Nel, Christof 37 Nietzsche, Friedrich 242 Nippe, Christine 177, 218 Norén, Lars 276 Pahlen, Kurt 47 Peters, Christine 9, 34, 135, 192, 211, 305ff. Petz, Thomas 264 Pfadenhauer, Michaela 94 Phelan, Peggy 82 Pieper, Josef 73 388

Personenregister

Pircher, Werner 291 Platel, Alain 109, 129, 256, 329, 331 Platon 73 Pollesch, Rene 37 Populorum, Michael A. 241f. Pucher, Stefan 37

Turner, Victor 51, 76f., 80, 86f., 89, 104, 110, 223, 240, 299 Virilio, Paul 80f., 85, 164ff., 176, 254 Vnuk, Gordana 269 Völckers, Hortensia 216, 218, 277, 292 Voß, Arnold 206

Reinhardt, Max 65 Renner, Michael 267, 327, 331 Reuter, Ernst 27, 71 Riesman, David 91 Rodenberg, Julius 50 Roeder-Zerndt, Martin 177, 245, 253 Roller, Alfred 65 Rostand, Claude 55

Wagner, Richard 51, 53f., 57ff., 66, 68, 70, 111 Wais, Wolfgang 292 Waldenfels, Bernhard 167f., 173, 207, 216, 239 Waltz, Sasha 42 Warstat, Matthias 14 Weiler, Christel 100, 172 Welsch, Wolfgang 225 Welz, Gisela 223f. Wendorff, Rudolf 166 Werlen, Benno 200 Wetzel, Daniel 37 Willnauer, Franz 26f., 30f. Wilson, Robert 37, 134, 218 Wolff, Ann-Elisabeth 219, 268f., 326ff.

Sandig, Jochen 42f. Saussure, Ferdinand de 105 Sauter, Willmar 14 Schalk, Franz 65 Schechner, Richard 51, 86 Schiller, Friedrich 52 Schmidtke, Stefan 206, 346ff. Schmitt, Carl 180 Schneider, Wolfgang 224 Schramm, Friedrich 55 Schüle, Andreas 170 Schulze, Gerhard 79, 89ff., 95, 103, 209, 228, 231, 235, 242, 245 Schürmann, Gregor 246 Schwaegermann, Maria Magdalena 269 Schweeger, Elisabeth 139, 269 Sellars, Peter 112, 124 Sewell, William H. 105 Siebel, Walter 234, 237 Simmel, Georg 239 Sprengel, Peter 49 Srbljanović, Biljana 276, 324 Steinberg, Michael P. 65, 68 Strauss, Botho 318 Strauss, Richard 65 Stromberg, Tom 36, 287

Zimmermann, Marie 160, 177, 210, 282, 288, 290, 307, 316ff., 347, 352f.

Tedeschi, James T. 244 Tiburtius, Joachim 261f. Tiedemann, Kathrin 270 389

Festivals, Künstlergruppen, Theaterhäuser, kulturelle oder politische Organisationen

100° 45, 210, 339 3sat 261, 265, 325

Camel Trophy 93 Christopher Street Day 93 Culture 2000 219, 221

Alabama-Halle 39 Aldeburgh Festival 28 Architects of Air 145 ARENA 147f., 153 Athen & Epidaurus Festival 28 att/Hamburg 271 AUSSER ATEM 271f., 340 Autorentheatertage 147, 149

Daimlerstraße 37 Deutscher Bühnenverein 33, 268 Deutscher Kommunikationsverband (BDW) 92 Deutscher Kulturrat 233 Deutsches Schauspielhaus Hamburg 39, 164 Die Bairishe Geisha 192 Diskurs 147f., 153, 284 documenta 29, 133, 136, 146, 234, 241, 309 Dubrovnik Sommerfestival 28

Back to Back Theatre 207, 209 Bad Hersfelder Festspiele 28 Bath International Music Festival 28 Bayreuther Festspiele 18, 28, 48, 54, 56ff., 60, 62f., 70, 111, 242, 249 Bergen International Festival 28 Berliner Ensemble 261 Berliner Festspiele 26, 81, 119, 261ff., 334, 336, 341 Berliner Festwochen 26ff., 71, 152 Berliner Schaubühne 147 Berliner Theatertreffen 81, 107, 111, 114, 123, 125f., 129ff., 132, 138, 142, 147, 149f., 152ff., 161, 171, 191, 193, 217, 245, 247, 261ff., 276, 278, 295, 299, 312ff., 318, 334, 352 Berliner Theaterwettbewerb 261f. Biennale Bonn 118, 274f. Big Art Group 206 BMW 246f., 268, 314, 329, 331 Bregenzer Festspiele 27 Brut 271f.

Edinburgh International Festival 24, 26, 28, 305, 352 Europäische Theaterkonvention (ETC) 278, 322 European Festival Association (EFA) 55, 108, 220 European Festival Research Project 14 euro-scene Leipzig 111, 118ff., 122f., 125, 128f., 130, 132, 134, 137f., 141f., 144, 152f., 160, 194, 198, 215, 219, 256, 259, 267ff., 326ff., 354, Eutiner Festspiele 28 Experimenta 29, 38, 266 F.I.N.D. 118, 135, 147, 149, 217, 278 FC Schiller 142, 154 Felix Meritis 37, 113

391

Theaterfestivals

Festival d’Aix-en-Provence 24, 26, 28 Festival de Luxembourg 28 Festival dei Due Mondi 28 Festival der klassischen Musik Montreux 27 Festspiele in Barcelona 28 Festspiele MecklenburgVorpommern 22 Flandern Festival 28 Fonds Darstellende Künste 120 Forced Entertainment 109, 129, 217 Forum Freies Theater (FFT) 33, 271f., 340, 346 Frankfurter Schauspielhaus 38 Freie Volksbühne 261 Freischwimmer 32, 45, 124, 126, 142, 147, 151, 189, 210, 215, 226, 252, 271ff., 340f.

Internationales Festival der Musik und des Tanzes Granada 28 Internationales Festival (Santan der) 28 Internationales Theaterinstitut (ITI) 160, 268, 279ff, 283f., 325, 332f., 336, 338 Israel Festival (Jerusalem) 28 Junge Hunde 113, 124, 147, 151, 189, 226, 252, 271, 275 Kaaitheater 36f., 113, 355 Kampnagel Internationale Kulturfabrik 32, 39ff., 118, 132f., 139, 144, 271f., 328, 340, 344 Kampnagel Sommerfestival 32, 40, 118, 170, 268, 328, 343 Kulturgesellschaft mbH Frankfurt am Main 38 Kulturhauptstadt Europas 210, 228f., 234, 280, 333 Kulturstiftung des Bundes 16, 120, 216, 261f., 268, 274, 277f., 310, 314, 323 KunstenFestivaldesArts 259, 305, 310, 354, 356 Kunstfest Weimar 259, 354 Kunsthalle Schirn 38 Künstlerhaus mousonturm 33, 38, 129, 133, 289, 307, 346

Gessnerallee 33, 271f., 340, 346 Gulbenkian Festival 28 Hahn & Molitor Produktion 287 Händel-Festspiele Halle 22, 28 Hauptstadtkulturfonds 16, 341 Hebbel am Ufer 41, 43ff., 139 Hebbel-Theater 32, 37, 44, 133, 340, 355 Heidelberger Stückemarkt 118, 130, 147ff., 276, 278 Helsinki Festival 28 Holland Festival 28

La Biennale di Venezia 28 La Fura dels Baus 106 LaLaLa Human Steps 37 LAOKOON 40, 118, 124, 126, 132, 134, 142, 145, 154, 343 Les Ballets C. de la B. 134 LIGNA 209 London Music Festival 28 Lone Twin 143, 205, 209, 288 LUBRICAT 42, 345

Informal European Theatre Meeting (IETM) 108, 137, 160, 268, 329 International Federation of Festival Research 14 Internationale Bachfeste 27 Internationale Kurzfilmtage OberHausen 242 Internationale Schillertage MannHeim 30, 118, 127, 130f., 141f., 144, 147, 149, 154, 205, 209 Internationales Festival der Musik in Besançon Franche-Comté 28

Maifestspiele Wiesbaden 28, 106 Marlboro Challenge 93 Marstall 293 Menuhin Festival Gstaad 28 Mousonfabrik 32 Movimentos 230, 249 392

Festivals, Künstler, Theaterhäuser, kulturelle oder politische Organisationen

Mozartfest Würzburg 28 Muffathalle 32 Mühlheimer Theatertage 147, 261, 321 Münchner Opernfestspiele 28 Museumsquartier 290, 292 Musicki Biennale (Zagreb) 28

56, 64ff., 124, 129, 154, 211, 234, 241f.344, 352 Salzburger Theater- und MusikSommer 38 schauspielfrankfurt 139, 192 Schauspielhaus Leipzig 118, 267 Schiller-Theater 261 Schlachthof 39 Schleswig-Holstein Gourmet Festival 47 Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur 48 Schwetzinger Festspiele 28 Socìetas Raffaello Sanzio 106 Sophiensæle 39, 41ff., 45, 129, 261, 271f., 339ff., 357f. SPIELART 16, 119, 123, 128f., 131f., 135, 137f., 143, 149, 153, 161, 164, 170, 192ff., 212, 220, 237, 241, 245, 259, 265, 328, 354, 357 Spielmotor München e.V. 119 spielzeit’europa 194 Staatstheater Mainz 274 Staatstheater Wiesbaden 274 steirischer herbst 28, 30, 127, 129, 134, 137f., 142f., 152f., 160, 175, 179, 194, 201, 305, 310f., 344 Stiftung Niedersachsen 285ff. Stollwerck-Fabrik 39

net Moskau 259, 354 Neue Stücke aus Europa 118, 120f., 125, 130f., 135, 143, 147ff., 150, 155, 215, 217, 219, 224f., 245, 274ff., 303, 321ff., 352f., Nibelungen-Festspiele Worms 22, 96, 291 Niedersächsische Lottostiftung 286 Osaka Tenjin Festival 28 Pablo Casals Festival (Prades) 28 PACT Zollverein 33, 39 Plateaux 271, 307 Podewil 33 Politik im Freien Theater 103, 118, 123, 130f., 137f., 142f., 144f., 152f., 205, 216, 304, 359 Prager Frühling 27 Radialsystem V 33, 39, 341 reich & berühmt 189, 266, 271 Rimini Protokoll 106f., 109, 127, 143, 145, 205, 357, 359 Remote Control Productions 37 Rosas 37 Ruhrfestspiele Recklinghausen 28, 259, 354 RuhrTriennale 39, 96, 119, 121, 123f., 128, 130f., 134f., 140, 144, 171, 201, 206, 210, 216, 226, 228, 230, 237, 245, 252, 283, 291, 293, 303, 319, 353

Theater am Halleschen Ufer 44f. Theater am Turm (TAT) 32f., 36ff., 113, 293, 355 Theater am Ufer 44 Theater der Nationen 279f., 336, 355 Theater der Welt 62, 107, 121ff., 130, 132, 135, 140f., 143ff., 152, 181, 183, 192, 201, 205ff., 210, 215, 218, 230, 259, 279ff., 283, 285, 295, 299, 305ff., 316ff., 325f., 332ff., 353ff. Theater in der Fabrik 33 THEATERFORMEN Braunschweig/Hannover 118, 121, 123, 126f., 130f., 135, 137f., 143f., 147, 154, 179,

Sächsischer Verein zur Förderung des kulturellen Austauschs nationaler und internationaler Tanz- und Theatergruppen e.V. 268 Salzburger Festspiele 18, 28, 54, 393

Theaterfestivals

198, 206f., 210, 228, 237, 245, 259, 285ff., 299, 316f., 346ff. Theaterhaus Jena 33 Theaterschrift 37, 113, 355 Theatre/Festivals in Transition (FIT) 14, 88, 137, 161, 178, 192, 217, 220 time festival Gent 259, 354 transeuropa 119f., 123f., 128ff., 135, 141f., 145, 147ff., 152f., 155, 201, 207, 219, 237, 245, 284 Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen 221 Uniqa 248 Vereinigung der Europäischen Festpiele 54f. Verein zur Förderung der Gesellschaftsgestaltung e.V. (FINGER) 289 Volksbühne am Rosa-LuxemburgPlatz 261 Warschauer Herbst 28 Werkstatt-Tage des DDRSchauspiels 267 Wiener Festwochen 28, 37, 113, 119, 123, 126, 128f., 130, 132, 134, 141, 145, 147, 152, 154, 177, 191, 193, 205, 209, 245, 249, 252, 256, 283, 290ff., 316ff., 330, 347, 349, 352 Wochen der religiösen Musik (Cuenca) 28 Wooster Group 36f., 218, 355 Zürcher Theaterspektakel 41, 201, 203, 259, 305, 354

394

Sachregister

agora 60, 251, 254 Alltag/alltäglich 13, 19, 53f., 58, 60, 64, 72ff., 84ff., 95, 98, 100, 108, 114, 132, 136, 140f., 160ff., 175, 177, 179ff., 187, 191, 196, 198, 205, 208, 209f., 231, 235, 293, 300, 337, 356 Alternative/alternativ 32, 34, 38, 41f., 60, 87, 106, 112, 114, 161, 172, 176, 200f., 241, 253, 309 Ambivalenz/ambivalent 15, 52, 225, 251, 255f. Anarchie/anarchisch 73f., 300, 324, 259 Andere, der/das 26, 53, 69, 100, 160, 170, 180, 185, 199, 205, 209, 215f., 226, 234, 297, 301 anthropologisch 78, 86, 95, 297, 299 Antike/antik 51, 57f., 60, 62, 73, 251 Anti-Markt 227, 256f., 299 Arbeitstreffen 79, 141, 263, 266, 275 Archiv/archiviert 152f., 155, 279, 281, 292, 269 Atmosphäre/atomsphärisch 25, 55, 65f., 87, 121, 135, 154, 162, 207, 216, 245, 330 Aufmerksamkeit 17, 19, 34, 42, 45, 61, 91, 94, 99, 117, 131, 133, 144, 148, 150f., 159, 161, 169, 171ff., 185ff., 212, 228, 239ff., 244, 250, 265f., 273, 282, 284, 295, 303, 323, 340f., 357 Aura/auratisch 22, 59, 74

Ausdifferenzierung 17, 49, 51, 75, 91, 93 Ausschweifung 74, 78f. Authentizität/authentisch 22, 65f., 82f., 176, 233, 244, 275 Autonomie/autonom 18, 36, 174, 177, 249f., 280 Avantgarde 32f., 35ff., 109, 113, 131, 175, 194, 218, 267f., 270, 298f. Beschleunigung 44, 80f., 157, 159, 164ff., 174, 177, 187, 189, 210, 253f., 352 Besucher 23, 29, 52, 62, 66, 79, 90, 101, 103, 110, 127, 129, 140ff., 152, 154, 160, 164, 168, 173, 175, 179, 181, 185, 188, 190, 196, 205, 212, 214f., 218, 222, 226, 234, 236, 238, 241ff., 250, 263, 269f., 277, 283, 288ff., 294, 301ff., 317, 324 Bewältigungsstrategie 175, 187 Biografie/biografisch 178, 187f., 215, 277 Boom 27, 30, 95, 181, 252, 298, 309, 341 Brisanz/brisant 158, 196, 219, 269, 302 Bruch 51, 59, 141, 182, 211, 218, 267, 297, 300 Budget 42, 118, 130, 155, 213, 225, 248, 283f., 288, 292, 310, 327, 334, 340, 352f. Bündelung 31, 34, 42, 151, 171, 175, 177, 229f., 273 Camp 107, 138, 140f. 395

Theaterfestivals

Chance 44, 85, 124, 129, 132, 138, 145, 151, 159, 165, 173, 216, 220, 233, 255, 269, 271f., 277, 323f., 326, 329, 333, 336, 342 Chaos 12, 41, 171, 186, 209 Charismatisch 57 Code 76, 93, 181, 239f. Communitas 14, 77, 79, 86ff., 102, 104, 110f., 166, 194, 254, 299 Corporate Design/Corporate Identity 142, 154, 246, 248

Elite/elitär 54, 66, 129, 131, 149ff., 231, 263, 265f., 270, 291, 308, 314 Engagement/engagiert 37, 56, 96, 113, 120ff., 127, 129, 131, 149, 211, 238, 244, 246ff., 289, 319, 334, 338, 347, 352, 55, 259 Entertainment 79, 95, 103, 109, 135, 138, 143, 182, 217, 282 Entfremdung/entfremden 72, 80, 165 Entgrenzung 215, 217f. Entlastung 73, 102, 109, 112, 180, 184 Erinnerung 48f., 52, 56, 82, 89, 102, 142, 163, 300, 326, 361 Europäische Union 13, 323 Exklusion 53, 74, 87 Extrem/extrem 72, 75, 93, 160, 191, 195, 210, 256, 266, 327, 329, 341 Exzess 73f., 160, 180

Dauer 16, 41, 54, 112, 159, 171, 183, 187, 191ff., 260f., 267, 271, 274f., 279, 285, 288, 290, 293f., 303f., 307, 328 Debatte 68, 79, 89, 103, 127, 138, 155, 159, 161f., 196, 214, 222, 249, 313 Demokratie/demokratisch 26, 62, 81, 146, 228, 276 Derivat 77., 85, 170, 181 Dialektik/dialektisch 48, 54, 69, 105, 110f. Dialog/dialogisch 32f., 50, 58, 133, 138, 146, 166, 185, 200f., 203, 211, 219ff., 221ff., 225f., 246f., 254, 277, 279, 301, 311, 318, 351 Dilemma 48, 190, 253, 295 Diskrepanz 52, 59, 109, 165, 224, 278, 283 Distanz/distanzieren 14, 29, 59, 79, 89, 91, 113f., 159, 163, 188, 203f., 208, 216, 235, 239, 246, 263, 265, 298 Diversifizierung 78, 91, 93, 162 Dokumentation/dokumentieren 41, 117, 152f., 155, 207, 224, 227, 260, 265, 269, 271, 281, 292, 301, 306, 325f., 353 Dreißigjähriger Krieg 51 Drittmittel 34, 45, 271f., 339 Dynamik 111, 170, 230, 235, 303, 354

Fachleute 126, 128, 241, 245 Faszination 79, 91, 97, 117, 175, 212 Festivalisierung der Stadtpolitik 90, 228, 231, 234 Festivalitis 13, 31, 54, 109, 359 Festivalleiter/-leitung 14, 34, 122, 124ff., 132, 143f., 164, 166ff., 171, 178, 181, 183, 192, 206f., 211, 245, 252f., 268f., 276, 292, 312, 315 Feuerwerk 94, 169, 300, 359 Flair 291, 293, 295 Fortbildung 140, 265, 284 Forum/Foren 33, 88, 129, 134ff., 147ff., 161, 173, 188, 220, 244, 254, 261f., 265f., 271ff., 276f., 290, 294, 306, 308, 313ff., 322, 347 Freies Theater/Freie Szene 32ff., 57, 106, 117f., 124, 127, 129, 131, 133, 139, 147, 149, 211ff., 259f., 267, 270ff., 298, 300, 303, 329, 357, 359 Freizeit 18, 60, 76f., 92, 153, 252

Einmaligkeit/einmalig 43, 50, 58f., 82, 97, 100, 102, 183, 192f., 237, 261, 281, 288, 300

396

Sachregister

Fremde/fremd 63, 99, 101, 126, 138, 165, 196, 198ff., 204f., 207ff., 21ff., 215ff., 225f., 247, 276, 280, 301, 310, 324, 328, 332, 338, 356

Impuls 36, 85, 125f., 134, 144, 147, 149, 169, 188, 193, 213f., 216, 229, 297, 299, 335, 337 Individualität 37, 61, 81f., 215, 243 Industrialisierung 50, 52, 60 Inflation/inflationär 13, 54, 91, 186, 219 Infrastruktur/-ell 107, 111, 122, 207, 233, 248, 260, 281 Inklusion 74, 87 Innovation/innovativ 22, 45, 85, 89, 109f., 112, 115, 136, 150f., 154f., 167, 174, 177ff., 186ff., 193, 195, 211, 216, 218, 237, 246, 248, 266, 270, 294, 297, 300, 302, 311, 317, 326, 341, 344, 346 Instanz 58, 74f., 108, 169, 189f., 214, 226, 250, 262ff., 198, 301 Institution/-ell 16, 28, 31, 34, 37, 41, 45, 54, 56f., 83, 88f., 110ff., 118, 120f., 123, 134, 137, 139, 146, 148, 150, 152f., 159, 169, 173, 181, 183f., 191, 207, 210f., 228, 231, 251, 260, 292, 297f., 283, 300, 303, 325, 335, 337 Institutionalisierung 34, 57, 111, 260, 300 Integration 75, 85, 111, 143, 167f., 207, 211, 216f., 255, 267, 300, 330 Interaktion 112, 133, 143ff., 176f., 240, 254 Interdisziplinarität/interdisziplinär 15, 29f., 40, 42, 45, 117, 133ff., 130, 152f., 282, 289, 297, 302, 308, 345 Interkulturalität/interkulturell 146, 219ff., 225, 247, 253, 279, 301, 310 Intervall 108, 124, 183, 194, 260f., 267, 271, 274, 279, 285, 290 Intervention 145, 161, 175, 200f., 205, 228, 231, 238, 320 Intuition 166, 168, 174, 245, 354 Investition 37, 80, 181, 190, 192, 234, 330

Gabe 99ff., 172, 299, 371 Gegenwartsschrumpfung 165, 188 Gemeinschaft 17f., 27, 49ff., 64, 69, 71, 74, 76ff., 83ff., 93f., 102, 112, 121, 127, 221, 243f., 259, 270, 292f., 297, 315 Genre 14, 22, 31, 43, 48, 126, 131, 133ff., 191, 224, 241, 275 Gesamtkunstwerk 59, 61, 64ff., 70, 98 Geschwindigkeit 80f., 159, 165, 254 Geselligkeit 88, 102, 185, 245, 302 Glaubwürdigkeit/glaubwürdig 38, 109, 124f., 238, 246, 248, 295 Globalisierung/globalisiert 113, 132, 138f., 146, 160, 197, 208, 215, 222, 228, 232, 250, 313, 336, 343, 348 Glokalisierung 146 GmbH 33, 36, 40, 42, 262, 292 Habitus 216, 242, 244 Hallenkultur 30, 39 Heimat 110, 132, 196, 208, 216f., 220, 304, 316, 330 Heterotopie 200 Hochkultur 25, 49, 56, 68, 203f., 228, 231, 242, 256, 49 Höchstleistung 56, 59, 70, 262, 293 Höhepunkt 22, 95, 140, 153, 300, 317 Homogenität/homogen 66, 85, 110, 165f., 197, 199f., 204, 209, 234, 242f., 301, 311 Identifikation 50, 124f., 127, 141, 153f., 207, 230f., 234, 243, 248, 251, 264, 270, 287, 289, 312 Ideologie 28, 57ff. Image 22f., 94, 121, 142, 222, 230, 238, 247, 313 397

Theaterfestivals

Irritation 145, 174, 179, 185, 209, 294, 338 Isolation/isoliert 53, 108, 188f., 271, 336, 338

86ff., 111, 114, 138f., 158f., 169, 203, 229, 238, 260, 267f., 274, 285, 297f., 301, 303, 331 Kristallisationspunkt 26, 49, 255 Kulisse 60, 65f., 70, 144, 213, 264 kulturelles Gedächtnis 49, 52 Kulturindustrie 82, 231, 256 Kulturpolitik/-politisch 17, 31, 38, 108, 131, 183, 189, 192, 199, 203, 205, 214, 219, 222, 224, 227f., 230ff., 249, 257, 275, 278, 314, 319, 346 Kurator/kuratorisch 34, 123ff., 133, 149f., 174, 234, 269, 273, 282, 306, 311, 325, 334, 341, 347, 216

Jury 125f., 149, 153, 262ff., 315, 331, 359 Kairós 101, 103f., 175f., 299 Kapital/-ismus 40, 78, 82, 127, 138, 173, 178, 197, 213, 218, 243, 253, 281, 326f., 332, 336 Karriere 150f., 162, 169, 182, 187, 189, 203, 257, 272, 276, 297, 314 Katalysator/katalysieren 29, 31, 107, 129, 161, 221, 276, 299 Kommerz/kommerziell 53, 59, 114, 198, 236, 256, 338, 354 Kommunikationsstrategie 206, 246, 248 Kommunikatives Handeln 83ff., 87, 89, 96, 166, 214, 254, 302 Komplexität 122, 160, 163, 166, 168, 187, 259 Kompromiss 58, 62, 88, 111, 121, 146, 158, 283, 356 Konfrontation 69, 85, 115, 167, 216, 293 Konkurrenz 17f., 35, 42, 59, 61, 93, 104, 108, 117, 126, 128, 131, 137, 146, 148, 183, 192, 228, 230, 246, 251f., 291, 304, 310, 341, 357 Konnotation/konnotiert 47, 68, 80, 188, 250 konservativ 29, 45, 51, 53, 65, 67, 106, 141, 151 Kontextualisierung 34, 128, 131, 133, 153 Kontingenz 80, 105, 167, 174f., 186ff., 239 Konvention/-ell 43, 58f., 115, 120, 137, 149, 157, 164, 224, 278, 322 Kosten-Nutzen-Bilanz 204, 234 Kreativität 86, 89, 166, 174, 193, 237, 247, 294, 309

Label 29, 56, 102, 129, 253, 293, 358 Langsamkeit/langsam 84, 106f., 164ff., 174, 190, 210, 331 Lebensmittel 68, 231 Lebensstil 167, 201, 244 Lebenswelt/lebensweltlich 95, 97f., 158, 180f., 205, 210, 212, 214f., 234, 297, 318 Lecture Performance 114, 135, 138f., 267, 310 Legitimation 154, 230, 266, 292 Leistungsschau 149, 252, 262, 282, 285 Leuchtturm/-türme 236f., 287, 229 Liminalität/Liminoidität/ liminar/liminoid 76ff., 86f., 103, 211, 299 Linearität/linear 158, 160, 165, 171, 191, 194, 312 Liveness 81ff., 87, 176f. Logo 154, 206, 238, 247f., 252, 289 Lokalität 31, 106, 196 Luxus 44, 68, 138, 231 luzide 78, 105, 201, 207, 217, 259, 303 Macht 52, 81, 110, 157f., 181, 208, 244, 251, 355 Mangel/mangeln/mangelhaft 15, 33, 40, 61, 121, 123, 152, 159f., 183, 187, 198, 208, 225,

Krise 26, 29f., 41, 49f., 52, 73, 398

Sachregister

231, 253, 259, 283, 286f., 298, 254 Markenzeichen 23, 68, 153, 327, 331 Marketing 22, 34, 43, 69f., 94, 122, 146, 154, 169, 202, 207, 211, 233, 264, 282, 293, 321 Markt 19, 22, 32, 42, 60, 65, 76f., 82, 90ff., 101f., 108, 113f., 178f., 188, 203, 209, 215, 218ff., 227, 231ff., 236, 238, 250f., 256, 299, 302f., 336, 357 Maßstab 266, 320 Mäzen/-atentum 26, 63, 110, 120, 243, 246 Medium 73, 159, 198ff., 242, 247, 266, 274, 311 Messe 21, 228, 252f., 255f., 282, 292 Migration 138, 345 Milieu 208f., 243f. Mobilität/mobilisieren/mobil 39, 51, 87, 103, 122, 130, 134, 140, 143, 152, 166ff., 182, 205, 213, 215, 217f., 220f., 228ff., 241, 306, 309, 311 Modifikation 18, 24, 42, 128, 132, 139, 188, 233, 264, 274, 288, 293 Monotonie 163 Moratorium 64, 72

Nicht-Ort 26, 205, 215, 233 Nichtverstehen 88, 246, 278, 301 Nische 75, 80f., 135, 324 Offenheit 26, 32, 101f., 107, 167, 333 Okkupieren 30, 77, 207, 243 Ordnung 12, 41, 55, 67f., 72ff., 78, 81, 91, 102, 112, 163f., 194, 196f., 199, 204, 207, 209, 222, 239, 242, 244, 250f., 253, 255ff., 263, 300 Panel 88, 137, 160, 267 Paradoxon/paradox 15, 26, 42, 51f., 68, 81, 89, 94, 96f., 122, 158, 162, 166, 168, 171, 182, 185f., 192, 194, 235, 246 Partizipation 114, 138f., 345 Party 141, 153, 177, 193, 261, 271, 273f., 277, 317 Pathos 79, 115, 274, 321 Pause 19, 25, 58, 88, 152, 160f., 171, 179, 181ff., 193, 195f., 240, 244f., 288, 300 Perfektion/Perfektionierung/ perfekt 41, 59, 66, 70, 94, 190, 269, 274 Performance 18, 21, 30, 33, 42, 82, 95, 100f., 105ff., 114, 121, 133, 145, 151, 154, 172, 182, 192f., 204f., 209f., 213, 217, 224, 243, 245, 339, 348 Pilgerstätte/pilgern 60, 68, 181, 313 Planbarkeit 90, 96, 140, 167, 237f. Planungssicherheit 16, 60, 69, 121 Plattform 40f., 44, 83, 88, 134, 148, 266, 271, 274, 303, 305, 315, 324 Plötzlichkeit 98f., 102, 174, 185f. Polis 16, 73, 251 populär 25, 43, 48, 51, 91, 140, 149, 260, 302, 308, 331, 335 Präsenz 80ff., 87, 98, 101, 137, 176, 183, 195, 238, 240, 247, 249f., 252, 314f. Praxis 22f., 33, 42, 44, 48, 58, 70, 83f., 90f., 108, 112f., 122, 125, 127, 129, 133f., 136, 139,

Nachwuchs 31f., 37, 42ff., 117, 125, 129ff., 135, 147ff., 187, 189, 218, 245, 260f., 264ff., 271ff., 278f., 282, 286, 288, 290, 295, 299, 303, 307, 322, 340ff. Netz/Netzwerke 16, 25, 31ff., 35f., 37f., 41ff., 55, 83f., 87f., 107ff., 111, 113, 120f., 127, 133, 137, 141, 147, 159ff., 166, 168, 170f., 174, 177ff., 185, 187ff., 200f., 207, 210, 214f., 218, 220, 233, 248, 252f., 255, 268, 276, 289, 294, 299f., 302f., 306, 312, 329, 336, 340, 355, 357 Neue Kulturszene 242, 244 399

Theaterfestivals

145, 147, 149, 166, 170f., 174, 177ff., 187, 191f., 199ff., 205ff., 209ff., 218, 223, 226f., 239, 252, 255ff., 259, 265, 269, 272, 285, 288f., 299ff., 310 Prestige/prestigeträchtig 102, 127f., 130, 132, 141, 148, 152, 205, 234, 280, 282, 285, 287, 289, 292, 294 Professionalisierung/professionell 31, 34f., 41, 43, 83f., 108, 110, 188f., 191, 241, 284, 327, 331, 339, 348 Profil/Profilierung/profilieren 18, 38, 40, 42, 44, 79, 88, 107, 109, 117, 120, 124ff., 128, 130ff., 136f., 140, 144, 146f., 155, 183, 195, 202f., 219, 222, 233, 241, 245f., 252, 259, 266, 273, 275, 282f., 286, 289f., 295, 297ff., 304f., 311 progressiv 149, 241 Promotion 228, 233 Provinz 146, 202, 262, 313 Prozession 143, 145

Rhythmus/Rhythmik 183, 186, 191, 195, 286, 288, 319 Risiko 40, 102, 114, 121, 138, 177, 179, 189, 273, 278, 309, 312 rites de passage 51, 76, 86 Ritual/rituell 51, 67f., 72, 74, 77, 85ff., 96, 110, 141, 181, 193, 209, 223, 243, 256, 260 Schwelle 76, 110, 172, 213, 315 Scout 148, 150, 168f., 212 Selbstdarstellung 17, 22, 27, 234, 239f., 243f., 245, 250, 259, 292, 297, 301 Selbstvergewisserung 74, 78, 103, 115 Selbstverständnis 18, 36, 44, 49, 52, 64, 67, 109, 113f., 170, 220, 247, 249, 266, 284, 300 Selbstwahrnehmung 285, 300 Selektion 171, 263 shrinking cities 229, 335 Sichtbarkeit 239, 310 Signatur 245, 299, 317 Simultaneität 81f., 171f., 174, 176 site-specific 282, 310f. soziales Setting 147, 238, 240, 245, 250, 252 Spannung 15, 52, 84, 135, 162, 175, 207, 256, 319 Spektakel 29f., 41, 106, 161, 169, 195, 237 Spezialisierung 44, 121, 126, 131, 135, 158 Spielraum 69, 270, 283, 345 Spielzeit 32ff., 114, 123, 162, 164, 182f., 194, 273, 276, 293, 316, 324, 342f., 358 Sponsor/Sponsoring 90, 110, 119ff., 126f., 150, 155, 168f., 170, 193, 222, 227, 238f., 241, 243f., 246ff., 252, 283, 290, 292, 297, 302f., 314, 323, 329, 332f., 350, 353f. Spontaneität/spontan 25, 51, 54, 87ff., 98, 102f., 108, 160, 166, 175, 179, 182, 185ff., 190, 195, 205, 242, 299f., 359 Stabilität/stabil/stabilisieren 31,

Rand/randständig 82, 86, 111, 141, 147, 198, 203, 205, 208, 213, 287, 293, 299, 316, 320, 336 Rausch 79, 92, 180, 194, 265, 328 Reflexion/Selbst- 13ff., 17, 19, 43, 51, 96, 107, 114, 133, 139, 157f., 161, 189, 213, 217, 260f., 263, 267, 271, 274, 279, 286, 290, 305, 357 Regelmäßigkeit/regelmäßig 19, 33, 40, 47, 55, 84f., 109, 129, 132, 139, 153, 164, 222, 249, 261, 267, 288, 290, 295, 297, 300, 306, 317, 334, 357 Renommee 65, 124f., 132, 173 Rentabilität 30, 77, 79, 110, 147, 213, 227, 233, 235f., 246, 257, 292, 300f. Repertoire 44f., 54, 58, 68, 140, 151, 166, 243, 257, 303, 317ff., 337, 352f. Reputation 40, 149, 246 Reterritorialisierung 197, 254 400

Sachregister

76, 78, 82ff., 88, 105, 108, 118, 163, 165, 168, 176, 191f., 194, 197, 233, 286, 288 Stadttheater/Staatstheater 35, 38, 41, 43ff., 108, 114, 213, 252, 272, 274, 287, 298, 300f., 303, 309, 326, 337, 344, 346f., 350, 352f., 359 Stagnation 31, 165, 229, 232 Standortfaktor 69, 229, 309 Stellenwert 133, 300, 302, 304, 323f., 330 Stiftung 16, 40, 63, 88, 119ff., 127, 225, 261, 265, 285ff., 337, 349f. Strategie 22, 62, 73, 101, 103, 113, 132, 135, 163, 175, 185, 187, 192, 195, 206ff., 211, 213, 228, 232, 234, 239, 246ff., 259, 270, 293, 298, 311, 351 Subvention/subventioniert 14, 35, 45, 114, 150, 236, 249, 252, 292, 301 Symbol/symbolisch 26, 30, 50, 53, 67f., 76, 173, 176, 199, 204, 207ff., 216, 218, 222, 227, 239, 244, 251, 254, 307 Symposium/Symposien 14, 88, 114, 137f., 153, 193, 241f., 245, 261, 274, 277, 279, 282, 294f., 310, 330, 335, 357

Transparenz/transparent 110, 149, 155, 164, 190, 269f. Treffen 21, 81, 111, 160f., 173, 175, 188, 263f., 266, 312, 315, 341, 355 Trend 26, 41, 72, 96, 126, 130, 150, 272, 303, 307, 338, 354, 367 Überakkumulation 184, 198 Überforderung 44f., 159, 161, 171, 187 Übermaß 171, 182 Überproduktion 180 Umfeld 16, 36, 49, 65, 117f., 127, 129f., 143f., 183, 188, 191f., 198, 203, 208, 213, 229, 238, 248, 251, 259, 267, 279, 284, 288, 299ff., 304 Umwegrentabilität 147, 236, 338 Unterhaltung 74, 76, 78f., 92, 103, 143 Unübersichtlicheit/unübersichtlich 45, 49, 68, 117, 120, 132, 159, 170, 325 Unvorhersagbarkeit 102, 175 Unwiederholbarkeit 59, 102 Urbanität/urban 19, 31, 36, 52, 125, 130, 132, 143ff., 198f., 201, 203ff., 209ff., 212, 214, 223, 238, 267, 301ff., 320 Utopie 26, 49f., 58, 64, 82, 92, 158, 161, 180, 200, 204, 235, 255, 257, 299

Tagung 22, 48, 137, 357 Taktik 131f., 196, 205 Talent/talentiert 36, 59, 148ff., 173, 253, 261, 264ff., 273, 315f. Team 33, 41, 65, 108, 122, 126, 167, 236, 280, 332, 334 Theoretisierung/theoretisieren 15, 79, 92, 134, 143, 145, 180, 185, 193, 335, 344 Toleranz/tolerant 68f., 208f., 226 Tourismus/touristisch 22, 48, 63, 65, 130, 206, 228f., 233f., 242, 252, 301, 309, 325, 330 Transdifferenz 225f. Transfer 162, 214, 226, 247 Transkulturalität/-kulturell 225f., 310

Veranstaltungsort 19, 30, 40, 143, 214f., 228, 260f., 267, 270, 274, 279, 285, 290 Verantwortung 63, 93, 110, 120f., 129, 148, 151, 168f., 187, 192, 209, 231, 235, 246f., 254, 257, 285, 299f., 327, 329, 331, 337 Verarmung 178f. Verausgabung 79, 180f., 256 Verbundenheit 60, 142, 282 Verdichtung 101, 121, 135, 157, 159ff., 170ff., 177, 188, 191, 193, 209, 239, 300, 319 Verein 22, 40, 42, 69, 119, 132, 154, 268, 289, 292, 316, 383 401

Theaterfestivals

Vereinheitlichung 128, 197, 200, 217, 234, 253, 267 verfremden 199f., 207, 209, 213, 301 Vergänglichkeit/vergänglich 57, 60, 82, 87, 145, 175, 300 Verhaltensskript 243 Verlässlichkeit/verlässlich 70, 80, 83, 87, 137, 153, 168, 178, 191, 336 Vermarktung 43, 101, 114, 203 Verräumlichung 215 Versprechen 79, 83, 92, 94f., 101, 177 Vertrag über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) 16, 146, 219 Vertrag von Amsterdam 16, 220 Vertrauen 34, 83, 108, 132, 168, 176f., 246, 252, 328, 346 Vielfalt 13, 47, 117, 126, 131f., 137, 147, 182, 188, 201, 220ff., 275, 277, 280, 301f., 325, 336, 351 Virulenz/virulent 17, 89, 95, 184, 197, 272, 348

Zielgruppe 13, 36, 93, 123, 142, 149, 170, 222, 233, 239, 248, 299, 302 Zirkus 30, 106, 134, 318 Zukunft 19f., 38, 42, 49, 52, 54, 64, 85, 106, 110, 116, 161f., 168, 187ff., 247f., 257, 259f., 283, 320, 322, 331, 354 Zukunftsexpansion 162, 168, 176, 187ff., 257, 300 Zweiter Weltkrieg 16, 24f., 29, 158, 279, 290f., 298 Zwischen/-Ort/-Zeit 87, 162, 164, 182, 184, 211, 217, 273, 311 Zyklus/zyklisch 63, 75, 124f., 158, 191, 194f., 280ff.

Wandel/-barkeit 17, 21, 24, 30, 110, 112, 118, 147, 160, 194, 215, 229,234, 264, 297f., 336 Ware 34, 39, 76, 82, 92, 158, 239, 250, 252f., 327 Werbung 63, 102, 239, 248ff., 340 Wettbewerb 25, 142, 148, 150f., 153, 213, 228, 233, 251, 262f., 265, 267, 270f., 275f., 278, 289, 294, 331 Widerstand 190, 311, 344 Wort-Ton-Drama 59 Zäsur 16, 19, 34, 176, 182f., 186, 194f., 219 Zentrierung 61, 144, 160, 250 Zentrum 18, 40, 50, 61, 69, 73, 91, 103, 118, 133f., 137, 144f., 168, 192, 198, 210, 251, 254, 256, 289, 306, 308ff., 321, 330, 333 Zeremonie/zeremoniell 51, 87, 290f., 336 402

Theater Miriam Drewes Theater als Ort der Utopie Zur Ästhetik von Ereignis und Präsenz Januar 2010, ca. 434 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1206-6

Friedemann Kreuder, Michael Bachmann (Hg.) Politik mit dem Körper Performative Praktiken in Theater, Medien und Alltagskultur seit 1968 Dezember 2009, 294 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1223-3

Hajo Kurzenberger Der kollektive Prozess des Theaters Chorkörper – Probengemeinschaften – theatrale Kreativität Oktober 2009, 252 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1208-0

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3) ANZ1314.p 224715089574

Theater Bettine Menke Das Trauerspiel-Buch Der Souverän – das Trauerspiel – Konstellationen – Ruinen Februar 2010, ca. 236 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN 978-3-89942-634-2

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Wolfgang Schneider (Hg.) Theater und Schule Ein Handbuch zur kulturellen Bildung Juli 2009, 352 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1072-7

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Theater Uta Atzpodien Szenisches Verhandeln Brasilianisches Theater der Gegenwart

Kati Röttger, Alexander Jackob (Hg.) Theater und Bild Inszenierungen des Sehens

2005, 382 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-338-9

März 2009, 322 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-706-6

Gabi dan Droste (Hg.) Theater von Anfang an! Bildung, Kunst und frühe Kindheit Mai 2009, 260 Seiten, kart., inkl. Begleit-DVD, 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1180-9

Jan Deck, Angelika Sieburg (Hg.) Paradoxien des Zuschauens Die Rolle des Publikums im zeitgenössischen Theater 2008, 114 Seiten, kart., 15,80 €, ISBN 978-3-89942-853-7

Julia Glesner Theater und Internet Zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert 2005, 386 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-389-1

Nic Leonhardt Piktoral-Dramaturgie Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899) 2007, 392 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-89942-596-3

Christine Regus Interkulturelles Theater zu Beginn des 21. Jahrhunderts Ästhetik – Politik – Postkolonialismus

Ulf Schmidt Platons Schauspiel der Ideen Das »geistige Auge« im Medien-Streit zwischen Schrift und Theater 2006, 446 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-461-4

Franziska Schössler, Christine Bähr (Hg.) Ökonomie im Theater der Gegenwart Ästhetik, Produktion, Institution Juli 2009, 370 Seiten, kart., farb. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1060-4

Natascha Siouzouli Wie Absenz zur Präsenz entsteht Botho Strauß inszeniert von Luc Bondy 2008, 214 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-891-9

Stefan Tigges Von der Weltseele zur Über-Marionette Cechovs Traumtheater als radikale avantgardistische Versuchsanordnung Februar 2010, ca. 350 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1138-0

2008, 296 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1055-0

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