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German Pages 186 [185] Year 1972
SCHRIFTEN UND QUELLEN DER ALTEN WELT HERAUSGEGEBEN VOM Z E N T R A L I N S T I T U T FÜR A L T E G E S C H I C H T E U N D A R C H Ä O L O G I E D E R D E U T S C H E N A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N
B A N D 12
CATULL GEDICHTE I.ATH1N1SCH UND
DEUTSCH
VON
RUDOLF HELM Zweite, durchgesehene Auflage besorgt von Fritz Jürß
AKADE M I E-VERLAG • BERLIN i 9 7 i
Redaktor der Reihe: Günther Christian Hansen Gutachter dieses Bandes: Franz Dornseiff f und Fritz Plagemann Redaktor dieses Bandes: Fritz J ü r ß
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1965 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/184/71 Offsetdruck und buchbinderische Weiterverarbeitung: V E B Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza/DDR Bestellnummer: 2066/12 • E S 7 M E D V 752 001 i
VORWORT zur zweiten Auflage
Rudolf Helm ist 1966 im Alter von fast 95 Jahren gestorben. Drei Jahre vorher war die 1. Auflage seines „Catull" erschienen. Schon zu dieser Zeit war seine Sehkraft so getrübt, daß er manches dem damaligen Redaktor überlassen hat. Daß nun dieser, vom Verlag mit der Besorgung der 2. Auflage betraut, auf ein Exemplar mit Verbesserungen noch von Helms Hand würde zurückgreifen können, war denn auch nur eine schwache Hoffnung. Sie hat sich nicht erfüllt. Der Bearbeiter hat sich entschieden, den Text so wenig wie möglich anzutasten. Nur Druckfehlerkorrekturen und einige spärliche Zusätze und Änderungen wurden vorgenommen, die dem Stand der Forschung und dem besseren Verständnis Rechnung tragen. Die Übersetzung ist unverändert. Sie wird sicher nicht überall jedermanns Gefallen gefunden haben. Aber ob man das Original in Ausdruck und Metrum getreulich wiedergeben oder frei bearbeiten soll, ist ein seit eh und je umstrittenes Problem. Helm hat sich weitgehend für die erste Möglichkeit entschieden, und er hat darin zuweilen Meisterliches geleistet, das auch den Menschen unserer Gesellschaft diese „Bruchstücke einer großen Konfession" nachempfinden läßt. Fritz Jürß
INHALT Einführung
1
Versmaße
16
Abkürzungen
17
Gedichte
18
Erläuterungen
162
Nachträge
171
Register
172
EINFÜHRUNG Gaius Valerius Catullus stammte aus einem angesehenen und begüterten Hause Veronas. Für die Achtung, welche die Familie genoß, spricht allein schon die Tatsache, daß Caesar, wenn er während des Gallischen Feldzugs sein Winterquartier in Oberitalien bezog, bei dem Vater des Dichters Wohnung nahm. Das Geburtsjahr des Dichters steht nicht fest, da es erst aus den Zusätzen des Kirchenvaters Hieronymus zu erschließen ist, die sich in dessen Übersetzung der griechischen Chronik des Eusebius finden; aber diese Zusätze aus der römischen Literaturgeschichte, die wohl aus Suetons Werk 'Über berühmte Männer* entlehnt sind, haben für die chronologische Fixierung nur da eine Bedeutung, wo sich bei dem Gewährsmann selber eine genaue Jahresangabe fand; und das ist nur sehr selten der Fall gewesen. Und auch dann ist noch mit Nachlässigkeit des Hieronymus zu rechnen. Das einzig Sichere ist vielleicht die Nachricht, daß er im 30. Lebensjahr gestorben ist. Die Angabe seines Todesjahres bei Hieronymus, 5 8 v. Chr., ist aber sicher falsch, da in seinen Gedichten spätere Ereignisse erwähnt werden; andererseits ist nach dem zweiten Consulat des Pompeius 5 5 v. Chr. und Caesars Britannischem Feldzug 55 und 54 keine Tatsache mit Sicherheit festzustellen, so daß man Catulls Ende 54 und danach seine Geburt 84 ansetzen kann, wenn man der Lebensdauer von nahezu dreißig Jahren Glauben schenkt. Jedenfalls fiel sein Leben in die bewegten Zeiten der moralischen Zersetzung und der politischen Wirren, die dem Ende der römischen Republik vorausgingen; den Aufstieg Caesars und den Beginn des Ringens zwischen ihm und Pompeius hat er erlebt, wenn er auch den Entscheidungskampf nicht gesehen hat. In seiner Heimat hat es ihm begreiflicherweise der Verona nahe gelegene Gardasee angetan; in Sirmio, dem heutigen Sermione, fühlt er sich zu Hause, und es ist wahrscheinlich, daß die Familie dort eine Sommervilla besessen hat und er von dort oft genug auf die im Sonnenlicht schimmernden Wellen geschaut und ihr leises Plätschern vernommen hat, das ihm wie ein lindes Lachen erschienen ist. Gerade Sirmio begrüßt er deshalb besonders, als er aus dem fernen Osten wieder in die Heimat zurückkehrt. Kaum erwachsen, kam er nach Rom, gewiß mit einem guten Wechsel ausgestattet. Sein Vater hatte sicherlich gedacht, daß er sich auf eine politische Laufbahn vorbereiten würde. Aber dazu fehlte es ihm ebenso an Neigung wie später einem andern Zögling der Musen, Ovid, der ja in seiner poetischen Lebensbeschreibung (trist. IV 10) offen bekennt, daß es ihm dazu an Kraft und Neigung und vor allem an jeglichem
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Einführung
Ehrgeiz gemangelt habe. Wohl hat Catull zu dem damals hochgeschätzten Redner Hortensius Hortalus, dem Rivalen Ciceros, Beziehungen aufgenommen, der im Jahre 69 als Consul auf der Höhe seiner Erfolge stand, wohl hat er auch Anschluß an die Schule des Valerius Cato gefunden; beide waren jedoch auch Dichter und für die Poesie in höchstem Maße interessiert. Cato hat eine große Anzahl begeisterter Schüler gehabt, von denen einer ihn zwar als zweiten Zenodot und Krates auf dem Gebiet grammatischer Forschung rühmt, zugleich aber auch als vortrefflichen Dichter; und gepriesen wird er als 'lateinische Sirene', weil er es wie keiner verstand, Poesien zu interpretieren und selbst zu poetischen Schöpfungen anzuregen. Mögen da auch ernstere Studien gepflegt worden sein, so tummelte sich der Jüngling doch mehr genußfreudig im Kreise Gleichgesinnter, die das literarische Interesse verband und die sich unter der Leitung des Valerius Cato vereinigt hatten, und ließ sich vom Strudel eines ziemlich lockeren Lebens dahintreiben. Die Freundschaft mit dem Redner Gaius Licinius Calvus und mit Helvius Cinna und andern hat in seinen Gedichten einen klaren Widerhall gefunden. Der Ton in diesem Kreis junger Männer war nicht immer sehr fein, selbst wo wir nahe Beziehungen voraussetzen müssen, vor allem, sobald die Eifersucht den Griffel regierte und jemand dem Dichter ins Gehege kam. Dann konnte die Freundschaft zerbrechen und die Entrüstung recht unflätige Worte finden, obwohl wir diese nicht immer gar zu ernst nehmen dürfen. Aber mehr bedeutete für Catull noch der Umgang mit der vornehmen, aber leichtfertigen römischen Gesellschaft und die Aufnahme im Hause des Metellus Celer, dem er wohl durch seinen Vater empfohlen war; denn hier lernte er dessen bezaubernde Gattin Clodia kennen, die lebenslustige, in allen Künsten der Koketteric erfahrene Schwester des berüchtigten Clodius, der als Führer einer Schar von Bravi im Kampf gegen Milo auf der Appischen Straße den Tod fand und Cicero als dem Verteidiger Milos den Anlaß zu einer seiner bekanntesten Reden gegeben hat. Catull war jung, kaum zwanzig Jahre alt, als er ihr zum ersten Mal gegenübertrat. Kein Wunder, daß er den Reizen der schönen, glutäugigen jungen Frau erlag, der es an Verehrern nie fehlte. Daß sie verheiratet war, störte ihn in seinen Hoffnungen nicht bei den damals in der Gesellschaft herrschenden Anschauungen; deshalb durfte er sich ruhig als fromm bezeichnen, wie er es in dem scheinbar von sittsamer Moral zeugenden Vers getan hat: 'Wohl geziemt es dem frommen Dichter, selber keusch zu sein, seine Verse brauchen's nimmer', — eine Maxime, die zwei Jahrhunderte später der Schriftsteller Apuleius sich angeeignet hat, um seine erotischen Verse zu verteidigen. Sehr schüchtern hat Catull sich zuerst der blendenden Schönheit genähert. Verse der Sappho mußten ihm helfen, seine Gefühle auszudrücken, und fast bereut er seine Verwegenheit, wenn er daran eine Schlußstrophe hängt, in der er sich selber zur Ruhe mahnt. So blieb es zunächst bei einem aussichtslosen Schmachten, da Clodia gewiß auf die Verehrung des unbekannten Jungen aus der Provinz mit einem mitleidigen Lächeln herabsah. Aber allmählich fand sein Schwärmen bei ihr Gnade, und damit wurde ein Bund geschlossen, der für Catull das höchste Glück und das schwerste Leid seines Lebens brachte. Ein Freund verschaffte den Liebenden die Möglichkeit, sich unauffällig zu treffen und in trautem Beisammensein die Welt um
Einführung
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sich her zu vergessen. Dieser Zeit verdanken wir die kleinen, trotz ihres tändelnden Charakters wirkungsvollen Gedichte, die Catull den Ruf des lyrischen Dichters eingetragen haben und sich etwa Heines: 'Du bist wie eine Blume' oder 'Klinge, kleines Frühlingslied' vergleichen lassen. Die Kußgedichte aus diesen Tagen der Seligkeit haben auch später lebhaften Anklang gefunden. Allein das zärtliche Verhältnis konnte bei Clodia nicht gar so lange dauern, und was bei Catull trotz aller Abschweifungen und Tändeleien mit Mädchen und Knaben eine tief ins Herz gegrabene unauslöschliche Liebe war, das war bei ihr nur ein vorübergehender Rausch; so kam der Bruch, und die glühende Liebe des Dichters wandelte sich in einen Haß, der nach der beii den Alten üblichen Art sich in den allergemeinsten Beschimpfungen der Treulosen nicht genugtun konnte; so wird sie ihm zur niedrigen Gassenhure, sie, die er vorher der griechischen Dichterin Sappho aus Lesbo.s gleichgestellt und als Lesbia besungen hatte. Aber dieses Übermaß von Galle war bei privater und politischer Feindseligkeit gebräuchlich, und wir dürfen nicht alles unbesehen glauben, was der verschmähte und schwer gekränkte Liebhaber sagt. So werden Caesar und seine Anhänger geschmäht, so wurde Cicero verunglimpft, indem man ihm unlautere Beziehungen zu seiner Tochter vorwarf, so hat Apuleius, als er wegen Zauberei angeklagt war, die Familie seiner Gegner aller möglichen Verbrechen bezichtigt, so hat auch Demosthenes von den Angehörigen seines Rivalen Aischines ein wahres Zerrbild entworfen. Ein Zufall wollte es, daß der Dichter aus der seelischen Qual über die zerstörte Liebe gerissen und in seine Heimat zurückgerufen wurde. Sein einziger Bruder, der offenbar das Geschäft des Vaters einmal fortsetzen sollte, war unerwartet auf einer Reise nach dem Osten in der Troas gestorben. Catull drängte es, da er bei der Bestattung nicht hatte zugegen sein können, wenigstens seine Grabstätte zu besuchen. Gelegenheit dazu fand sich, als er sich dem Praetor Memmius im Frühjahr 57 anschließen und mit diesem in die Provinz Bithynien gehen konnte. Ein Kreis gleichgesinnter und gleichaltriger junger Männer fand sich in dem Gefolge zusammen; vor allem aber war Helvius Cinna dabei sein Begleiter. Beide gedachten, wie das üblich war für die vornehmen Römer, die sich in das Gefolge eines Beamten hatten aufnehmen lassen, sich in der Provinz zu bereichern und den immer leeren Geldbeutel aufzufüllen. Daß sie keinen Erfolg hatten, und Catull noch weniger als Cinna, verrät uns das scherzhafte Gedicht 10. Aufatmend nach der verfehlten Expedition, zieht der Dichter nach dem Abschied von den Gefährten im heiteren Frühling durch die Gefilde Asiens, und jubelnd sieht er dann Sirmio und seinen geliebten Gardasee wieder. A u f dem Rückweg konnte er aber am Grab seines Bruders verweilen und ihm ein schmerzerfülltes Lebewohl nachrufen. Vergessen hatte er jedoch seine Liebe zu Clodia nicht, und als er heimgekehrt war, versetzte es ihn in die höchste Seligkeit, als sie selber sich ihm wieder antrug, den sie nun vielleicht schon als Dichter schätzen gelernt hatte. Da hält er sich für den glücklichsten aller Menschen, obwohl in seinem Innern ein leiser Zweifel auftaucht, ob er an die Verwirklichung ihrer Schwüre und an die Dauer dieser erneuten Liebe glauben dürfe. Seine trübe Ahnung war berechtigt, und nun nimmt er
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Einführung
endgültig Abschied von dieser Leidenschaft, die das Glück, aber auch der Fluch seines Daseins gewesen war. Diese kleine Elegie (76) gehört zu dem Ergreifendsten, was er geschrieben hat, und sichert durch inniges Gefühl und den tiefen, herzzerreißenden Schmerz, der sich in schlichten Worten kundtut, ihm die Anerkennung, daß er wirklich ein Dichter war, dem ein Gott gegeben, zu sagen, was er litt. In dieser Zeit wird Catull auch zum politischen Dichter. Sein feuriges Temperament und die Anteilnahme an den öffentlichen Ereignissen treiben ihn dazu, seine Mißachtung gegen die Günstlinge der führenden Persönlichkeiten zu äußern; freilich spielten dabei Eifersucht und Antipathie wohl eine stärkere Rolle als die sittliche Entrüstung über ihr Treiben. Im Kampf gegen den Klüngel derer, die als Nutznießer der Verhältnisse anzusehen waren, machte er aber auch vor den Machthabern selber nicht halt und dehnte seine Angriffe auch auf Caesar und Pompeius aus. Caesar zeigte sich großmütig. Nachdem der Dichter eine entgegenkommende Entschuldigung, wohl auf Drängen seines Vaters, abgegeben hatte, lud er ihn zur Tafel ein und trug auch dem Vater die Ungezogenheiten des Sohnes so wenig nach, daß er weiter dessen Gastfreundschaft in Anspruch nahm. Die Verhöhnung von Caesars Günstling Mamurra scheint deshalb aber nicht aufgegeben zu sein, wenn sie später auch unter einem Pseudonym oder Spitznamen erfolgt. So vergingen in Liebe und Haß die wenigen Jahre, die das Schicksal dem Dichter noch vergönnt hatte. Sein Aufenhalt wechselte nach seiner Rückkehr aus dem Osten zwischen Verona und Rom. In der Nähe von Tibur hatte er eine Villa erworben, in die er sich zur Erholung zurückzog. Daß sie durch Schulden sehr belastet war, wie er mit einer Art Galgenhumor selber schildert (26), liefert ein Zeugnis für seine üppige Lebensführung. Wenn er sich dorthin begibt (44), um von einem schweren Husten Heilung zu suchen, so kann man vielleicht in dieser Erkrankung den Anfang eines Siechtums und damit den Grund seines frühen Todes in noch jugendlichem Alter erblicken. Im Jahre 54 etwa kleidet er die Entrüstung über die Zeit und über die politischen Verhältnisse in den Wunsch zu sterben (52); das scheint nach der Fassung der Worte darauf hinzuweisen, daß tatsächlich ein schweres körperliches Leiden ihn bedrückte und ihm den Gedanken an den Tod nahelegte. Über das Jahr 54 reichen keine Anspielungen hinaus. Die Poesie Catulls, die uns vorliegt, umfaßt vier verschiedene Gattungen; er liefert lyrische und Gelegenheitsdichtung, er erscheint als Elegiker, er schließt sich an die zeitlich nahestehenden griechischen Vorbilder an und wird zum hellenistischen Dichter, und schließlich wird er zum Pamphletisten und boshaften Epigrammenschreiber. Die erste Gattung hat ihm am meisten die Neigung der modernen Leser verschafft, sicherlich aber auch der antiken. Hieronymus nennt ihn jedenfalls im vierten Jahrhundert in einem Brief mit Simonides, Pindar, Alkaios und Horaz in einem Atem, um ihn dem Sänger David gleichzustellen, er hat also an den Lyriker gedacht; ob er ihn überhaupt gelesen hat und nicht nur einer ganz oberflächlichen Kenntnis folgt, kann freilich zweifelhaft bleiben, doch bezeichnet er ihn auch in der Chronik
Einfühlung
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als poeta lyricus, wenn auch im Anschluß an seine Quelle. Daß er ihm aber eine besondere Achtung zollt, beweist er auch dort dadurch, daß er es bei seiner Erwähnung für nötig hält, sowohl die Geburt wie den Tod anzugeben, was nur bei wenigen der von ihm genannten Schriftsteller der Fall ist. In dem Widmungsgcdicht an Cornelius Nepos bezeichnet Catull seine Sendung als Tändeleien, was sich unmöglich auf die jetzt vorliegende Sammlung beziehen kann; offenbar hat er eine kleinere Zusammenstellung seiner leichten Poesien einmal zusammengefaßt und dem Landsmann, dem längst bekannten Historiker und Dichter, überreicht. Wegen seines Inhalts ist dann dieses Gedicht an den Anfang der Gesamtausgabe gestellt worden. Bei dieser sind die in lyrischen Versmaßen verfaßten Gedichte in den ersten Teil gestellt, auch wenn sie schon stark aggressiven Charakter haben. Den Hauptbestand bilden aber die den Freundeskreis und seine eigene Liebe angehenden Gedichte; sie stellen in ihrer Eigenart und dem Eingehen auf das tägliche Leben des Verfassers etwas Besonderes in der römischen Literatur dar. Da wird in spaßiger Weise das Erlebnis mit einem Dämchen erzählt, das gern wissen möchte, was die Reise nach Bithynien dem Dichter eingebracht hat, und durch sein Fragen und Fordern seine Renommisterei zu Schanden macht (10), oder ein feuchtfröhliches Beisammensein mit dem Freund Calvus geschildert, wie sie wetteifernd leichte Verse geschmiedet (50), auch eine komische Lobpreisung berichtet, die dieser bei einem Plaidoyer vor Gericht durch einen Zuhörer erhalten hat (53). Ein Saturnaliengeschenk, zu dem der Spaßvogel eine Anzahl von schlechten Gedichten verwandt hat, beantwortet er, um sich zu rächen, mit einer Gegengabe von Schundliteratur (14). Eine Liebesszene seines Freundes Septimius, bei der angeblich Gott Amor durch Niesen den Eidschwur bekräftigt hat, gibt Anlaß zu einer netten Darstellung (45); so wird auch die Jagd auf einen andern, der sich lange nicht hat sehen lassen, und die scherzhafte Begegnung mit einer munteren Dirne ausführlich berichtet, die dem Fragenden keck zu antworten weiß (58). Ein Freiind, der sich den Witz macht, beim Gastmahl die Leinentücher zu entwenden, wird zum Entgelt mit zahllosen Schmähgedichten bedroht (12); ein anderer, dem man die Liebesnächte ansieht, soll den Namen seiner Liebsten bekennen (6). Von einem Dämchen, das irgendwie in den Besitz seiner Poesien gekommen ist, fordert der Dichter diese mit Schmähungen zurück, bis er einsieht, daß er damit nichts erreicht, und es nun lieber mit Schmeicheleien versucht (42). Harmlose Billets, in schlichter Sprache, nur durch den Rhythmus gehoben, verschaffen uns einen Einblick in den lustigen Verkehr des Dichters. So lädt er einen zum Essen ein, doch soll der Gast alles mitbringen, da der eigene Geldbeutel nur voll von Spinnweben ist (15); einen anderen bittet er, zum Gedankenaustausch nach Verona zu kommen, und preist dabei gleichzeitig dessen Geliebte und seine Dichtung über Kybele (35). Oder er berichtet in spöttischer Art, wie er in augenblicklicher Geldverlegenheit eine Hypothek auf seine Villa hat aufnehmen müssen, scheut sich aber auch nicht, in jungenhafter Unverfrorenheit ein bedenkliches Erlebnis oder seine Ungeduld in Erwartung seines Liebchens drastisch zu schildern; und dies Gedicht wird auch dadurch nicht schöner, daß es Orff in die Komposition seiner Carmina Catulliana eingereiht hat (j6. 32).
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-Einführung
In spaßiger Weise führt der Dichter seine Erkältung und seinen Husten auf die Lektüre einer frostigen Rede zurück, die er aus Höflichkeit hat lesen müssen, als er bei ihrem Verfasser zum Essen eingeladen war (44). Unter diesen alltäglichen, humoristisch aufgefaßten Erlebnissen hat auch ein harmloser Trinkspruch seinen Platz (27), aber auch Vorwürfe gegen die Freunde, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind oder ihn durch ihr Urteil gekränkt haben (30. 38. 60). Wenn er dabei zur Mythologie greift (60), so werden wir an dem Ernst schon zweifelhaft; wenn er aber die burschikosen Ausdrücke einer etwas rohen Jugend gebraucht (16), um sich gegen den Tadel zu großer Empfindsamkeit und Zärtlichkeit zu wehren, so müssen wir die durch den Kunstgriff der Wiederholung am Anfang und am Schluß des Gedichtes betonte Drohung nicht gar zu ernst nehmen und darin nichts als ein humoristisch gemeintes „Ihr könnt mir . . . " sehen. Eine Sonderstellung nimmt das Gedicht 4 ein, in welchem der Dichter durch eine Art Cicerone fremden Besuchern Auskunft geben läßt über die den Dioskurcn geweihte Jacht, die den Stifter danach bei seiner Rückreisc aus Asien über das Meer getragen hat. Das Gedicht hat wegen der Benutzung und Parodierung durch den jungen Virgil eine eigene Bedeutung gewonnen. Feierlich ernst ist das nach der N o r m der Hymnen geformte Lied auf Diana (34), das vielleicht auf Bestellung gemacht ist. Aber in diesem Teil steht auch das anmutige kleine Frühlingslied, das dem Abschied aus Phrygien gilt (46), und der wundervolle Gruß an Sermione und den Gardasee bei der Heimkehr (34), der in seiner Natürlichkeit ein Muster schlichter ergreifender Poesie ist, wenn er den Jubel ausdrückt, aller Sorgen ledig wieder im eigenen Bett ruhen zu können. Die Hauptrolle in diesem lyrischen Teil spielen aber die Gedichte, die Catulls eigenes Liebesleben enthüllen. Dahin gehören nicht nur die Verse, die dem Knaben Iuventius und seinen süßen Augen gelten, ihm, der Blüte aller luvender, die es jemals gab und geben wird (24), sondern vor allem die an Lesbia gerichteten. Mit jenem der Sappho entlehnten Gedicht begann er noch zaghaft (51). Aber dann zeugen die berühmten Gedichte: 'Laß uns, Lesbia, leben und uns lieben' (5) und 'Fragst du, Lesbia, wieviel deiner Küsse mir genügen' (7) von der höchsten Leidenschaft, zu der er sich offen bekennt ohne Rücksicht auf den Tadel der Mitwelt; er nimmt Anteil am häuslichen Leben der Liebsten, beneidet das Vögelchen, mit dem sie scherzt (2), und widmet ihm ein Trauergedicht, als es plötzlich gestorben ist (3). Allein das Glück findet stets weniger Widerhall als das Unglück. Eine vorübergehende Verstimmung hat sich zwar noch in einer Versöhnung aufgelöst, die scherzhaft geschildert wird (36); Lesbia hat gelobt, wenn der Dichter sich wieder mit ihr verstände, der Venus die erlesensten Verse des schlechtesten Dichters als Brandopfer darzubringen; gemeint war Catull selber mit seinen Angriffen auf sie; er jedoch wendet den Ausdruck von sich ab und nimmt des Volusius langweilige Annalen dafür, die er mit feierlicher Ironie ins Feuer wirft, um so das Gelübde der Liebsten für sie zu erfüllen. Da hat der Dichter sich noch zu einer harmlosen Beendung des Zwistes aufgeschwungen; aber das war nicht immer möglich. So sagt er Lesbia offen Lebewohl oder läßt es ihr durch zwei Freunde ausrichten und benutzt dabei wie zum Hohn dasselbe Versmaß, in dem er ihr zuerst seine Liebe gestanden ( n ) .
Einführung
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Dann finden wir den schmerzlichen Ausdruck der Verzweiflung über die Trennung; in Hinkiamben klagt er (8) und mahnt sich selber, standhaft das Leid zu überwinden, das ihn durch die Treulosigkeit der so heiß Geliebten zugefügt ist; das Gedicht verrät in seiner schlichten Ausdrucksweise und in der eindringlichen Wiederholung bestimmter Sätze die tiefe Empfindung des so schwer Gekränkten und seine Niedergeschlagenheit in wahrhaft poetischer Form: 'Catull, du Ärmster, laß die Torheit nun fahren' heißt es zu Beginn; aber dann taucht die Erinnerung an die Stunden des Glücks wieder lebhaft auf: 'Einst war die Zeit, da dir die Sonne hell strahlte', und er versichert: 'wie sie geliebt, wird keine je geliebt werden'; noch einmal wiederholt er es dann: 'Ja, damals war's, daß mir die Sonne hell strahlte'; aber er ruft sich gleich darauf zu: 'Doch festen Sinn's ertrag's und mach dein Herz hart jetzt', und damit schließt er auch: 'Doch du, Catull, mach festen Sinns dein Herz hart jetzt!' Man spürt in den Versen das innere Ringen, sich freizumachen von einem Gefühl, das ihn doch nicht loslassen will, und das Versmaß stimmt zu dem Seelenkampf aufs beste. Berührung mit diesen lyrischen Gedichten zeigt auch das umfangreiche Hochzeitslied für ein vornehmes Paar (61), wenngleich es den Übergang zu den hellenistischen Gedichten bildet. Mit einem Hymnus auf Hymenaeus, den Hochzeitsgott, beginnt es; dann schildert es im Anschluß an griechische Vorbilder, aber reichlich mit römischen Farben durchsetzt und den Hochzeitsbräuchen in Rom angepaßt, den Verlauf der Feier und den Einzug der jungen Gattin ins Haus des Bräutigams. Fingiert ist, daß sie von Chören begleitet wird, die in wiederkehrendem Refrain den Gott anrufen. Der Wirklichkeit entspricht das nicht; ja selbst, daß das Gedicht bei der Feier vorgetragen ist, kann man nicht als wahrscheinlich ansehen; es wird dem Bräutigam schriftlich überreicht sein. Die zurückhaltende Sittsamkeit des römischen Mädchens hat Catull nicht dargestellt, sondern eher das Verhalten der Frauen aus dem Kreis, in welchem er selber verkehrte; daher die etwas starke Betonung des sinnlichen Verlangens. Die Mahnung zur ehelichen Treue an den Gatten und die Erwartung eines rechtmäßigen Sprößlings am Schluß gleichen das etwas aus. Catull hat noch ein anderes Hochzeitsgedicht verfaßt (62), aber das ist nicht der Wirklichkeit ententnommen und mehr ein Wettgesang, wie ihn bei Theokrit die Hirten anstimmen. Ein Chor von Jünglingen und einer von Mädchen sitzen beim Festmahl an verschiedenen Tischen und erheben sich dann, um sich im Liede zu messen. E s sind im Grunde zwei Themen, zunächst der Abendstern, der die Braut den Ihren entführt und von den einen gescholten, von den andern gepriesen wird, sodann der Gegensatz: Jungfrau-Gattin. Mit der Mahnung an die Braut, ihre Jungfräulichkeit bereitwillig hinzugeben, und der etwas seltsamen Begründung durch die Dreiteilung ihres Besitzes, der ihr nur zu einem Drittel, zu zwei Dritteln aber den Eltern gehört, schließt das im Anschluß an Sappho und an hellenistische Poesie geschaffene Lied, das trotz des Mangels an Realität nicht der Anmut und des Reizes entbehrt. Bezeugt als hellenistisches Gedicht hat Catull selber das auf die Locke der Berenike verfaßte; die ägyptische' Königin hatte eine Flcchte ihres schönen Haares im Tempe.
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Einführung
der Aphrodite-Arsinoe für die glückliche Heimkehr ihres Gatten geweiht, der unmittelbar nach der Hochzeit gegen Syrien zu Felde zog; die Locke war verschwunden, und der Astronom Konon entdeckte sie am Himmel wieder. Nun klagt sie über die Trennung vom Haupte der Königin und wünscht sich wieder zu ihrer Herrin zurück, selbst wenn die Ordnung sämtlicher Sterne dadurch ins Wanken käme. Das mit einem gewissen Humor ausgestattete Gedicht (66) ist dem Hortensius Hortalus gewidmet, um einer von diesem gegebenen Anregung nachzukommen, und ihm mit einem Geleitgedicht (67) übersandt. Daß es die Bearbeitung eines Gedichtes des Kallimachos vonKyrene ist, sagt derDichtcr selbst, und ein Bruchstück daraus hat sich auch in einem ägyptischen Papyrus gefunden. Hellenistisch nach Inhalt und Form ist ebenfalls das Gedicht auf Attis (63), den Vertreter des Kybelekultes, der in religiösem Wahnsinn mit einer gleichgesinnten Schar die Heimat verläßt und sich ins Heiligtum der Göttin begibt. In seiner Raserei verstümmelt er sich dort; aber dann packt ihn die Reue, als er sich seiner Mannheit beraubt sieht; er möchte fliehen und in die Heimat zurückkehren, doch ein neuer Wahnsinnsanfall treibt ihn zurück ins Heiligtum der Göttin, wo er nun zeitlebens verbleibt. Der Schluß ist mythologisch gestaltet. Kybele stachelt ihren Löwen an, der wutschnaubend den Unglücklichen jagt und an jeglichem Zaudern hindert. Zweimal kommt Attis selber zu Wort, zuerst in der Mahnrede an die Gefährten, die er auffordert, ihn zu begleiten, dann in dem Monolog, in welchem er die grenzenlose Verzweiflung über seine Tat äußert und so über den Verlust von Heimat, Besitztum, Freunden und Eltern sowie über sein zerstörtes Dasein die ergreifendsten Klagen ausstößt; und hier wie in dem Jammerruf der Ariadne im nächsten Gedicht zeigt Catull sich als Vorgänger des Ovid, der ja gleichfalls hellenistische Poesie nach Rom verpflanzt. Den Dichter reizte der psychologische Stoff ebenso wie das Versmaß, das dem wilden orgiastischen Treiben entspricht und an das Können des Verfassers besondere Anforderungen stellte, wenn er der Schwierigkeiten Herr werden wollte. Es ist wahrscheinlich, daß auch hier Kallimachos das Vorbild gewesen ist; die Stimmungsmalerei, die Darstellung seelischer Vorgänge paßt zu einer Dichtung hellenistischer Zeit. Das Glanzstück aber dieser hellenistischen Poesie Catulls ist die Hochzeit des Peleus und der Thetis (64), ein kleines Epos, wie es dem Geschmack und der Mode der alexandrinischen Periode entsprach, für die ein großes Buch ein großes Übel war. Die römischen Nachahmer huldigten der gleichen Anschauung. Im Gegensatz zum alten, homerischen Epos zeichnen sich diese Werke dadurch aus, daß sie möglichst den gradlinigen Verlauf der Handlung vermeiden und der epischen Breite aus dem Wege gehen. Catulls Dichtung ist ein charakteristisches Abbild dieser Richtung, wenn er Abschweifungen, Einschaltungen oder nachträgliche Erklärungen bringt, mit Gelehrsamkeit prunkt, Schilderungen bietet, das Chronologische außer acht läßt und sich über Unwahrscheinlichkeiten kühn hinwegsetzt. Aber durch die Kunst der Darstellung und die poetische Formung reißt er den Leser mit sich fort. Die Erzählung beginnt mit der Abfahrt der Argo und der Helden, die hinausziehen, um das goldene Vlies zu holen; unter ihnen befindet sich Peleus. Auf der Fahrt, die von den
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aufgetauchten Meeresgöttinnen bestaunt wird, sieht er Thetis; er verliebt sich in sie, und von Zeus erhält er die Erlaubnis, sie zu seiner Gattin zu machen; daß der Gott sie selber umworben hatte, wird nur kurz angedeutet. Wir werden auch sofort in die Vorgänge am Hochzeitstage versetzt; von dem Argonautenzug ist nicht mehr die Rede, und daß Peleus mit den andern Helden doch in den Osten fuhr, ist vergessen. Die Feier im Thessalischen Herrscherpalast wird beschrieben, und dabei folgt der erste Exkurs mit der Schilderung des wundervollen Teppichs, der auf das Lager der Braut gebreitet ist. Er zeigt die Geschichte der Ariadne, ihre Liebe zu Theseus, die Rettung, die sie ihm im Labyrinth brachte, den Verrat, den er an ihr beging, ihre Erlösung durch den nahenden Bakchos und die Bestrafung des treulosen Helden durch den Tod seines Vaters. Daß die so bildlich dargestellte Seefahrt des Theseus der Angabe widerspricht, daß die Argo das erste Schiff gewesen sei, bleibt unberücksichtigt. Der Gang des Helden ins Labyrinth wird nur kurz beschrieben, aber ein packender Monolog der Verlassenen mit ausführlicher Seelcnma'erei geboten. Theseus' Abfahrt von Hause und sein Abschied vom Vater wird erst berichtet, als der Fluch Ariadnes seine Erfüllung findet durch den Tod des Aigeus. So verrät das Hin und Her der Darstellung das bewußte Vermeiden des logischen Fortgangs in der Erzählung, wie es die Alexandriner lieben. Von der Beschreibung des Teppichs kehrt der Dichter zu der Hochzeitsfeier zurück und erwähnt die Gäste mit ihren Geschenken. Aber ein neues selbständiges Stück der Dichtung folgt, das durch Kraft und Pathos wundervoll wirkende Parzenlied, dessen Feierlichkeit durch die Wiederkehr des Schaltverses verstärkt wird. Da wird dem Brautpaar der Heldensproß verheißen, der seine rühmlichen Taten durch den Kriegertod krönt. Damit ist das Epos zu Ende, aber der Dichter hält es für nötig, das Beisammensein von Göttern und Menschen in alten Zeiten zu begründen. Erst die Bosheit der Menschen und ihre Verbrechen haben die Himmlischen von der Erde verscheucht. So schließt das Gedicht mit einer Aufzählung von Freveln, wie sie eines der römischen Satiriker würdig wäre. Wohl mag es seltsam erscheinen, Catull als Sittenprediger auftreten zu sehen, wie in dem Hochzeitslied gerade bei ihm die Mahnung zur ehelichen Treue an den Bräutigam etwas seltsam klingt. Aber sieht man davon ab, so zeigen beide Gedichte den Verfasser auf der Höhe seines Könnens; sie sind Muster hellenistischer Poesie und haben mit Recht ihren Platz in der Mitte der Sammlung erhalten. Spärlicher ist die elegische Dichtung bei Catull vertreten. Als Elegie darf man das große Gedicht an Allius bezeichnen, und nicht nur, weil es in elegischem Versmaß, im daktylischen Distichon verfaßt ist. Es ist die Antwort auf einen Brief des Allius an Catull, der gerade nach dem Tode seines Bruders in Verona weilt; der Freund bittet ihn um ein tröstendes Erzeugnis seiner Muse und eine Beihilfe zu galanten Abenteuern. Er aber lehnt das ab, weil ihm zur Zeit der Sinn nicht danach steht, da ihn der Kummer bedrückt. Dann aber kommt ihm zum Bewußtsein, was er dem Allius verdankt, der ihm und seiner Liebsten Gelegenheit verschafft hat, sich zu treffen. Das weckt in ihm das Bild der Geliebten, die zu ihm kam wie einst Laodamia zu Protesilaus, ehe er nach Troja zog. Und bei der Nennung der Stadt taucht wieder die Vorstellung des dort ruhenden Bruders auf. Auch der Laodamia hat Troia den über
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Einführung
alles geliebten Gatten entrissen; mehrere Vergleiche müssen die Tiefe und Glut ihrer Neigung anschaulich machen. Darauf wendet der Dichter sich wieder zu seiner eigenen Liebe. Freilich ist ihm die Liebste nicht durch die Hand des Vaters anvertraut worden, sondern verstohlen in der Nacht erschien sie ihm, um ihm ihre Reize zu schenken. So darf er auch nicht erwarten, daß sie nur ihm gehört. Doch er will es verzeihen, wenn sie nur die mit ihm verlebten Stunden allein als Zeiten wahrhaften Glückes betrachten will. Und mit einem Dank an den Freund und Wünschen für ihn, der ihm selbst und der Liebsten die Stätte ihres Glückes gewährt hat, schließt der Brief, nicht ohne im letzten Distichon auch noch seiner heißen Liebe für die zur Zeit von ihm Entfernte zu gedenken. So ist aus der Antwort, die er dem Freunde sendet, doch ein Gedicht beträchtlichen Umfangs geworden. Die Art, wie hier die Gedanken aneinandergereiht und verflochten sind, immer neue eingeschaltet werden und dann wieder zurückgegriffen wird, dies wellenartige Aufundabwogen erinnert schon an die Weise Tibulls. Ein paar Gedichte kann man als Kurzelegien bezeichnen. Dahin gehört das kleine Gedicht an Iuventius., dem der Dichter, wie er gesteht, unversehens einen K u ß geraubt hat; der Knabe hat seine Entrüstung darüber gezeigt, und nun verspricht der Liebhaber, es nicht noch einmal zu tun (99). Mehr noch erinnern an den ursprünglichen Charakter der Elegie die Verse, welche Catull seinem Bruder widmet, als er an dessen Grab in der Troas steht. Trauernd bringt er ihm die gebräuchlichen Totenopfer dar und nimmt für immer Abschied von dem herzlich und treu Geliebten, der ihm so früh entrissen ist (101). Das Tiefste und Innigste aber, was wir von dem Dichter besitzen, ist jener Nachruf, den er der glücklichsten Zeit seines Lebens, seiner Liebe zu Lesbia, geweiht hat. Mit der Erinnerung an all sein Bemühen um ihre Neigung und die vielen Beweise aufrichtigster Leidenschaft, die er ihr gegeben, verbindet sich das schmerzliche Gefühl über ihre Untreue; so fleht er die Götter an, ihn von der Qual zu befreien. E r bittet gar nicht mehr, sie solle ihn wieder verehren, wie er trotz allem sie immer verehrt, oder sonst züchtig ihr Leben verbringen, er wünscht nur die eigene Genesung, ersehnt nur, befreit zu werden von dem Leid, das sein Dasein vergiftet (76). Die schwere, getragene Weise, die innige Schlichtheit des Ausdrucks, der seufzervolle Anruf der himmlischen Mächte zeugen aufs eindringlichste von dem inneren Ringen seines gemarterten Herzens, und wenn etwas, so zeigt dies Gedicht den vom Schmerz geadelten Dichter. Eine andere Seite des Dichters offenbart sich in dem gleichfalls in elegischem Versmaß, aber durchaus in satirischem, angriffslustigem Geist verfaßten Gedicht, dem die Form eines Dialogs mit der Tür eines Veroneser Hauses gegeben ist, die um Auskunft gebeten wird über den unsittlichen Lebenswandel der jetzigen Herrin in Verona und in ihrem früheren Wohnort Brixia. Ihr werden unlautere Beziehungen zu ihrem Schwiegervater und mehrfacher Ehebruch in Brixia vorgeworfen, und dies Treiben soll sie nach dem Umzug nach Verona fortgesetzt haben. Das Ganze bewegt sich in Andeutungen, die in vollem Umfang nur den Bewohnern Veronas verständlich waren. Während zwei der Liebhaber mit Namen genannt werden, ist der dritte nur nach seinem Steckbrief bezeichnet; ihm wird aber auch noch eine Kindesunter-
Einführung
Schiebung vorgeworfen. Daß die Anschuldigungen völlig berechtigt waren, mag man billigerweise bezweifeln bei der Leichtfertigkeit, mit der man im Altertum derartige Anklagen erhob, um dem eigenen Haß zu genügen. So hat vielleicht auch Catull die Eifersucht oder die Entrüstung über eine Absage, die er erfahren, zu diesem giftigen, in die Form einer Elegie gekleideten Pamphlet veranlaßt. Die vierte Gattung von Poesie, die Catulls Sammlung aufweist, ist die epigrammatische, und als Epigrammendichter reiht ihn Martial stets unter seine Vorbilder. Freilich, so wenig wie bei Martial sind alle Gedichte, die unter den Epigrammen stehen, boshaften Charakters, und nicht alle mit aggressiver Tendenz stehen unter den Epigrammen. Wenn er einem Landsmann, der sein junges Weib nicht hütet, den Sturz von der Brücke ins Moor wünscht (17) — noch dazu in kunstvollstem Versmaß —, einen Nebenbuhler, der sich an seinen Lieblingsknaben machen will, bedroht (21), vielschreibende Dichterlinge verhöhnt (22. 36) oder über jemand wegen seiner Armut spottet (23. 24), wenn er einem Dieb alle möglichen Sottisen sagt, Vater und Sohn wegen ihrer Verbrechen und Laster brandmarkt (33), so sind das dunkle Punkte in dem Blütenflor der Liebes- und Freundschaftslieder, bei denen nur der Rhythmus ihre Aufnahme in diesen ersten Teil rechtfertigt. Hier wird auch die treulose Lesbia beschimpft (37) und als Gassenhure gezeichnet (58), wie ebenso einer ihrer Verehrer, ein Spanier, mit den gemeinsten Vorwürfen bedacht wird. Offenbar aus Eifersucht bezichtigt er auch eine Frau der Unsittlichkeit und des Friedhofsdiebstahls (59). J a , auch Caesar und seine Günstlinge, besonders Mamurra, werden schon hier mit Schmutz beworfen (29. 41. 43. 54. 57). Selbst der echt epigrammatischen, zugespitzten Gegenüberstellung von Worten ermangelt der erste Teil der Sammlung nicht völlig; liest man doch in dem an Cicero gerichteten Dank die charakteristischen Schlußverse, in denen Catull sich als den schlechtesten aller Dichter, den Redner aber als besten aller Anwälte bezeichnet. Andererseits sind in dem Epigrammenteil nicht nur spottende oder durch ihre Form witziger Gegensätze hierher gehörige Verse zu finden; auch hier ist das Versmaß der Disticha für die Einordnung maßgebend gewesen. Wohl werden körperliche Mängel (69. 71) zur Zielscheibe genommen und in widerlichster Weise ausgemalt (97), wohl wird der gezierte Geck, der durch besondere Sprache seine Feinheit beweisen will (84), wohl wird auch ein Redner (108), ein Schwätzer (98), ein Kuppler (103) zum Gegenstand des Spottes gemacht, wohl wird Aufilena beschimpft ( 1 1 0 . 1 1 1 ) , weil sie ihr Versprechen nicht hält, sich aber trotzdem beschenken läßt, und Gellius muß manchen Angriff über sich ergehen lassen (74. 80. 91), da ihm unlautere Beziehungen zu Mutter und Schwester vorgeworfen werden. Der Dichter sucht so ein Ventil für die ihn verzehrende Eifersucht. E r verhöhnt auch Caesar (93), und dies Distichon ist eines der wenigen, die vielleicht im Sinne Martials als Epigramm zu betrachten sind; das gilt auch für die folgenden auf Mamurra, dessen Lebensweise (94) und dilettantische poetische Versuche (IOJ) drastisch abgekanzelt werden, während in den Versen auf die Größe seines Gutes und seine Verschwendungssucht die zum Schluß angebrachte Pointe zwar obszön, aber doch matt ist ( 1 1 4 . 115). Der Undank und die Treulosigkeit eines Freundes bieten in anderen Versen den Stoff (73. 77). Das alles ist zwar inhaltlich für ein Epigramm *
Catull, Gedichte
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geeignet, aber in der Form fehlt ihm meist das Pointenreiche, das wir für ein Epigramm erwarten. Daneben stehen aber Lobgedichte auf Cinnas Werk 'Smyrna' (9 5), auf Calvus' 'Quintilia' (96). Vor allem aber spielt auch hier Lesbia eine Rolle, im Guten wie im Schlechten. Das Wiederfinden der Geliebten wird freudig begrüßt (107. 109), wenn auch in etwas gedämpftem Ton, weil sich schon der Zweifel an ihrer Treue einmischt, wie auch sonst der Wert ihrer Versicherungen gering angeschlagen wird (72). D e m steht die Beteuerung der eigenen unverbrüchlichen Liebe gegenüber (87), wirksam auch durch die hier durch Gegensätze ausgezeichnete Form. Von tiefer Menschenkenntnis zeugt das Epigramm, in welchem es als Kennzeichen ihrer Liebe angesehen wird, daß Lesbia vor ihrem Manne stets schlecht von dem Dichter redet (83); der Gedanke ist dann noch einmal prägnanter und in echt epigrammatischer Form durch zwei Distichen ausgedrückt, die durch die Gegenüberstellung in den Pentametern ihn noch wirksamer werden lassen (92). Es findet sich auch der Preis der Schönheit, die Lesbia vor andern besitzt (86). Als Gegenstück dazu haben wir aber die Beschimpfung der Geliebten, die unsauberen Verhaltens zu ihrem Bruder geziehen wird (79). Aus all diesen zum Teil nicht gerade rühmlichen Epigrammen hebt sich das eine schließlich hervor, das uns in unvergleichlicher Kürze und Schlichtheit mit einer zu Herzen gehenden W i r k u n g die innere Qual des Dichters, sein Schwanken zwischen Liebe und Haß zeichnet (85). Im ganzen ist jedoch dieser Teil der Catullischen Dichtung der mäßigste. In Catull wohnen zwei Seelen; er ist der gelehrte Dichter, der sich an die voraufgegangene Literatur anschließt und auch zeigt, daß er in der Mythologie zu Hause ist, aber er ist vor allem der natürliche Dichter, der frei und ungebunden schreibt, wie ihm ums Herz ist, seine Tageserlebnisse zum Gegenstand der Poesie macht, ehrlich und ungeschminkt sein Gefühl zum Ausdruck bringt, ebenso in zarten Tönen als edler Sänger wie oft auch in recht groben und unflätigen als ungezogener Naturbursche, ebenso tändelnd und in glühender Liebe wie schmähend und in grimmigstem Haß. Dieses lebendige Empfinden unterscheidet ihn von dem Anempfundenen des Horaz. Die Sprache ist dabei, wie es angemessen ist, dem Volkstümlichen nahe. So wird der K u ß durch das vulgäre basium und nicht durch osculum bezeichnet, und ein Adjektiv wie mellitus (honigsüß) zeigt in seiner Übertreibung das gleiche Streben; vor allem gehören auch die Deminutive in diese Klasse, bei denen ja der Übergang in die romanischen Sprachen deutlich beweist, daß sie zum Vulgärlatein gehörten. Mag diese Neigung, sich der gewöhnlichen Umwelt anzupassen, auch zu rohen Auswüchsen geführt haben, so hat gerade dies Gepräge der Sprache die Mit- und Nachwelt f ü r Catull begeistert. E r geht nicht auf Stelzen, obwohl auch er in den Schriften der Alten und in allen Mitteln der Kunst bewandert ist. Nicht nur die Kenntnis der verschiedenenVersmaße, selbst der schwierigsten wie der Galljamben im Attisgedicht, liefert den Beweis, sondern vor allem auch die feinsinnige Benutzung der Wiederholung, mit der er die gewünschte Stimmung des Lesers zu erwecken weiß. Dazu gehört natürlich in erster Linie der Schaltvers, der die Hochzeitslieder (61. 62) stimmungsvoll gliedert und auch im Parzenlied (64)
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1}
wesentlich zur Erhaltung der feierlichen Stimmung beiträgt. Harmlos ist die Wiederholung in dem Gedicht, das die Liebe des Septimius und der A k m e schildert, wenn dort den G o t t A m o r angeblich bei den Schwüren der beiden Liebenden jedesmal das Niesen ankommt, was als Bekräftigung von Seiten des göttlichen Zeugen zu gelten hat (45); aber es wird dadurch der idyllische Charakter der Szene und das Gemütvolle wesentlich verstärkt. D i e Vorstellung von der Seligkeit, welche Lcsbias K ü s s e dem Verliebten schenken, kann nicht lebhafter im Hörer oder Leser erweckt werden als durch die V e r w e n d u n g der gleichen Worte in Frage und A n t w o r t (7), und die Versicherung der Liebe des Paares in einem andern Gedicht (92) nicht eindringlicher gegeben werden als durch das zweimalige 'Will ich des Todes gleich sein'. Rhetorisch freilich, doch nicht minder wirksam ist die Wiederaufnahme des gleichen Ausdrucks inmitten eines Satzes ( 1 0 7 ) ; da zeichnet der Dichtcr die Glut seines Verlangens nach A u s s ö h n u n g mit der Treulosen durch dieses Kunstmittel so lebhaft, daß auch wir sie mitfühlen müssen. Das ist dieselbe tiefe Ergriffenheit, die ihn in der Erinnerung an jene glückliche Zeit der jungen Liebe sein Empfinden zweimal zum Ausdruck bringen läßt mit den Worten, daß damals den Liebenden die Sonne hell strahlte (8), die ihn jedoch ebenso die Mahnung zum standhaften K a m p f gegen diese als töricht erkannte Leidenschaft wiederholen läßt, weil er sich von ihr losringen möchte, um wieder frei zu sein. E r verfällt aber auch in verschiedenen Gedichten, die so gleichsam verknüpft sind, in den gleichen A u s d r u c k , wenn es sich um den Gegenstand seiner Liebe handelt; die Bezeichnung der Geliebten durch die Worte: 'die ich geliebt, wie keine wird geliebt werden', benutzt er zwar nicht in dem gleichen Gedicht zweimal, er wiederholt sie aber an anderer Stelle (8,4 und 37,12), und dem Sinne nach kehrt der Gedanke auch sonst wieder (58,2 und 87,1), wenn auch nur mit leisem Anklang. Die Wiederholung dient jedoch nicht allein dazu, die Innigkeit der Zuneigung zu erweisen. K o m i s c h mutet es an, wenn die A u f f o r d e r u n g an das Mädchen, das sich weigert, dem Dichter seine Schreibtafeln mit Gedichten zurückzugeben, mit der beschimpfenden Bezeichnung der Betreffenden zweimal gebracht und beim drittenmal zum Schluß die schmähende Charakteristik in der Anrede in eine lobende umgewandelt wird (42). Catull wiederholt aber auch Worte, um wirklich seinem G r o l l das rechte G e w i c h t zu verleihen. Z w a r bei der burschikosen D r o h u n g an die Freunde Furius und Aurelius (16), die seine Poesie für zu schwärmerisch und weichlich, f ü r zu sentimental gehalten haben oder zu sinnlich, kann man zweifeln; daß mit ihr das Gedicht beginnt und schließt, macht sie gewichtiger; immerhin, auch wenn man sie komisch auffaßt, gewinnt sie durch die Wiederholung an Bedeutung. In andern Fällen äußert sich klar die E m p ö r u n g . Die Armseligkeit des Furius hebt in einem kurzen Gedicht die dreimalige Benutzung der gleichen boshaften Worte (24) energischer hervor, und die Entrüstung über Mamurras Schlemmerci und Spiclwut äußert sich lebhafter in der doppelten Betonung dieser Laster, zumal noch der Stammvater R o m s , R o m u l u s , zweimal dabei beschworen wird (29). Wirksamer aber ist es noch, wenn in dem Schmähgcdicht auf denselben Mamurra und zugleich auf Caesar, die der gemeinsamen Unzucht geziehen werden, die herabsetzenden Worte des A n f a n g s am E n d e wiederholt werden (57).
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14
In diesen letzten Gedichten zeigt sich also der Kunstgriff, durch die Aufnahme der zu Beginn gebrauchten Worte ein Gedicht auch zu schließen und so gleichsam zu umrahmen, ein Mittel, das Catull in dieser Art mehrfach angewandt hat (16. 36. 52. J7) und das auch im Distichon ( 1 1 2 ) , wenn auch nicht in vollendeter Form, einmal vorkommt. Wenn aber in der Mitte des Satzes die Worte wiederholt werden wie im Distichon 107, so spricht sich da die innere Erregung aus. Ähnlich ist die Äußerung des Temperaments, wenn der Dichter den Begriff 'alle' steigert durch Beziehung nicht nur auf Gegenwart und Vergangenheit, sondern auch selbst auf die Zukunft: 'alles dessen, was gewesen und was ist und in künftigen Jahren sein wird' (21,2; 24,2; 49,2).! Z u diesen Eigeritümlichkeiten gehört auch die Steigerung durch ein 'oder was sonst noch* ( 1 3 , 1 0 ; 22,14; 2 3 , 1 3 ; 42,14; 82), die vielleicht am wirksamsten uns entgegentritt in der zuletzt genannten Stelle, wo der einmal geprägte Ausdruck aus Vers 2 wieder aufgenommen wird in Vers 4: 'was ihm teurer als Augenlicht selber oder wenn sonst etwas noch teurer als Augenlicht ist'. Z u den poetischen Kunstmitteln gehört es auch, das Gedicht mit einem Bilde zu schließen, mag es auch, entsprechend dem Inhalt, nicht oft angewandt werden, weil es mehr zu dem rein Lyrischen paßt als etwa zu dem Aggressiven so vieler Gedichte. Aber der Vergleich der durch die Treulosigkeit der Geliebten zerstörten Liebe mit dem Blümchen am Wiesenrain, das vom Pfluge des achtlosen Landmanns getroffen worden ist, hat etwas Ergreifendes ( 1 1 ) , das in der Seele des Lesenden noch nachwirkt. Weniger geschickt ist es, wenn im Gedicht, das einem indolenten Ehemann seine Arglosigkeit vorwirft, diesem der Sturz von der Brücke gewünscht wird (17), damit er im Schlamm seine Gleichgültigkeit gegen die Abwege seiner Frau verliert, wie das Maultier im Moor sein Hufeisen einbüßt. Aus der Welt der Fabeln stammt der Hinweis darauf, daß wir die eigenen Fehler nicht sehen, weil sie in dem Sack auf unserm Rücken verborgen sind, während diejenigen anderer uns vor Augen liegen (22); das Bild ist freilich natürlicher als in der griechischen Fabel, in der von zwei Säcken die Rede ist, während es sich bei dem Römer um einen einzigen Sack handelt, der über die Schulter geworfen wird und in dem die Fehler verteilt sind, wie etwa in einer alten zweigeteilten Börse einst auf der einen Seite das Silber, auf der anderen das Kleingeld untergebracht war. Daß er durch dieses Bild, in dem er die gleiche Schwäche allen Menschen zuschreibt, den Geschmähten eigentlich entschuldigt, hat der Dichter nicht beachtet. Auch die Drohung, welche der Dieb erhält, der ihm Mantel und' Tücher gestohlen hat, schließt mit einem Bild (25); es wird ihm vorgestellt, er könne Geißelhiebe erhalten, bis er vor Schwäche schwankt wie ein Kahn, den der Sturm auf offenem Meere gepackt hat. Nur in einer Andeutung wird das aus der Mythologie geschöpfte Bild von dem goldenen Apfel geboten (2a), den Hippomenes beim Wettlauf mit Atalante zu Boden wirft, um sie zu verlocken, ihn aufzuheben; sie tut es, bleibt deshalb zurück und verliert den Sieg, an den die Ablehnung des Freiers geknüpft war. So muß sie, die an Freiheit Gewöhnte, sich denn bequemen, das 1
Hat Gtillparzer an Catull gedacht, als er im Gedicht 'Der Schiffer und sein Sohn auf der Höhe
der Insel St. Helena im Jahre 2 3 1 v o n Napoleon schrieb: „ V o n allen, die jetzt sind und die je waren, und die je kommen werden auch vielleicht, im Großen wie im Schlimmen unerreicht"?
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Joch der Ehe auf sich zu nehmen. Der Dichter ist dabei sehr knapp an Worten; denn zum Vergleich dient ganz allein das Verlockende, Reizvolle des goldenen Apfels. So zeigt die Dichtung Catulls im einzelnen oft gute Ansätze; und was ihm seine eigenartige Stellung in der römischen Literatur gibt und ihn über Horaz erhebt: er ist nicht allein abhängig von dem literarischen Erlebnis, sondern sein eigenes Erleben spiegelt sich in seinen Versen wider, und in der Seligkeit erhörter Liebe wie in der Verzweiflung über das zerstörte Glück hat er Töne gefunden, die uns auch heute noch zu Herzen gehen. Blickt man jedoch auf das Ganze seines Lebenswerkes, so befriedigt es nicht. J u n g noch, wahrscheinlich zu jung, war er als Sohn reicher Eltern in das Getriebe der Großstadt geraten und von dem moralischen Sumpf dort verschlungen worden; der Ernst des Lebens ist nicht an ihn herangetreten. Die wenigen großen Gedichte zeigen, was er leisten konnte. Früh schon ist er dahingesiecht — man möchte glauben, durch die Schuld seines Lebenswandels —, und wir fragen uns zweifelnd, ob er mehr und Rühmenswerteres geschaffen haben würde, wenn ihm ein längeres Leben beschieden gewesen wäre. In dem uns Erhaltenen stört zudem — man kann es kaum noch jungenhaft nennen — das Rüpelhafte einer schamlosen, hemmungslosen Jugend, die vor nichts zurückschreckt. So bleibt er trotz seiner hohenBegabung neben Lukrcz, Horaz und Virgil doch nur ein Stern zweiter Ordnung am Himmel der römischen Poesie. Die uns vorliegende Sammlung verrät von selber die bewußte Ordnung, nach welcher die kleineren, in verschiedenen Versmaßen verfaßten und die in daktylischen Distichen die großen Gedichtc einrahmen, die in die Mitte gestellt sind. Im einzelnen bemerkt man mehrfach, daß inhaltlich sich berührende Gedichte durch anders geartete um der Abwechslung willen getrennt sind. Ob der Dichter selbst noch vor seinem Tode die Gesamtausgabe besorgt hat oder sie erst später erfolgt ist, ob das Widmungsgedicht (i) unsere Sammlung angeht oder irgendeine kleinere, die vorausgegangen war und dann zweckmäßig bei der Veröffentlichung dem Ganzen vorangesetzt wurde, das ist und bleibt eine Frage. Es ist selbstverständlich, daß der Dichter in bestimmten Abständen seine Verse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; dann würde der bescheidene Ausdruck in der an Cornelius Nepos gerichteten Widmung seine Erklärung finden, der zum Umfang des Ganzen unmöglich passen kann. So sehr Catull auch in den ersten Jahrhunderten nach seinem Tode sich der Beliebtheit erfreut und als Vorbild gedient hat, fast hätte es geschehen können, daß er, wie viele andere, uns für immer verloren gegangen wäre. Ein einziges Exemplar seiner Gedichte hat sich aus dem Altertum gerettet, aus ihm hat eine Anthologie im 5 / J h . das Hochzeitsgedicht (62) entnommen. Vollständig lag der Catull im 10. Jh. dem Bischof Rather von Verona vor, der von ihm so begeistert war, daß er, wie er sich vorwarf, Tag und Nacht sich nicht von ihm trennen konnte. Aber dann war das Exemplar wieder verschollen, bis es im 14. J h . aufs neue entdeckt wurde, um darauf, nachdem Abschriften davon angefertigt waren, endgültig zu verschwinden. Auf dieser einzigen Handschrift beruht im Grunde der Catull, den wir haben; da sie nicht nur durch Lücken, sondern auch durch zahllose Schreibfehler entstellt und also
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E i n f ü h r u n g - Versmaße
höchst mangelhaft war, bedurfte es der rastlosen Bemühungen vieler Gelehrter, um einen lesbaren Text zu schaffen. Schon die ersten Abschreiber haben sich an Verbesserungen versucht, aber dadurch die Überlieferung nur verdunkelt. Als Zeugen des Veronensis dienen der Codex Sangermanensis G in der Nationalbibliothek zu Paris vom Jahre 1375 und aus gleicher Zeit der Oxoniensis (Bodleianus) O, wozu der im Jahre 1896 durch den Amerikaner Haie entdeckte Romanus (Vat. Ottobon.) kommt. Im kurzen kritischen Apparat dieser Ausgabe ist — einem Gebot der Gerechtigkeit folgend — derer gedacht worden, die dazu beigetragen haben, dem Text eine verständliche Form zu geben. An Ausgaben, die nach der 'Aldine (Venedig 1502) zahlreich erschienen sind, seien hier die deutschen von E. Baehrens (mit lat. Kommentar), Leipzig 1876 und i88j G. Friedrich (mit Erklärungen), Leipzig 1908, Th. Heyse (mit Übersetzung), Berlin 1855, und W. Kroll (mit Erklärungen), Leipzig 1929, genannt, was die Verdienste der einfachen Textausgaben, wie der von L. Schwabe, Berlin 1886, nicht schmälern soll. Auch das Ausland hat reiche und anerkennenswerte Arbeit geleistet, um nur die Ausgaben von Benoist-Thomas-Rostand (mit Übersetzung), Paris 1890, Lafaye, Paris 1922, Stuttaford (mit Übersetzung), London 1912, Lenchantin de Gubernatis, Torino 1928, und die Prachtausgaben von Owen, London 1893, und Phillimore, London 1 9 1 1 , zu erwähnen.
VERSMASSE Daktylischer Hexameter (62. 64) —
I —OO | —OO | — OO | —w ^ | — w
Daktylisches Distichon (65—116) = Hexameter und Pentameter — O O | — O O | — II —
w |—
Iambischer Trimeter (4. 29) w—
— w — w —w — w
Archilochischer iambischer Trimeter (52)
/
/
/
t
w — w —• w —
/
—
Hinkiambus (8. 22. 31. 37. 39. 44. 59. 60)
/
/
/
/
t
t
'
— v-/ w
/ /
'
Iambischer Septenar (25) t
j
r
f
/
PhalaekeischerElfsilber(1-3. 5-7. 9. 10. 1 2 - 1 6 . 21. 23. 24. 26-28. 32. 33. 35. 36. 38. 40-43. 4J—50. $3—58a) ' w ' . . . . ' , . ' . , ' .—; W
Versmaße - Abkürzungen
17
Sapphischc Strophe ( 1 1 . 51) dreimal: — w — O — w w — dann: —
— w
O (Adoncus)
Glykoncus und Phcrckratcus 1. (34), 2. (61) 1. dreimal:
w w —w—
dann: - ¿ w — w — w 2. viermal: dann: Priapeus ( 1 7 )
(Glykoncus) (Phcrckratcus)
Glykoncus Phcrckratcus
/ — /
/
— w —
w — —
/ 1 /
/
/ —
—^ —
w — ^
Asklcpiadcus (der größere) (30) —-
—w w — | —
—|—w w
— w
Galliamben (63) im Deutschen nicht wiederzugeben w —^ |—w — 1 ^ —^ |—w ^ Vier Ionici mit Quantitätsvcrtauschung der letzten und ersten Silbe bei Fuß 1 und 2 sowie 3 und 4 und Fortlassung der letzten Silbe. Außerdem durch Auflösung der Längen in zwei Kürzen variiert.
ABKÜRZUNGEN V
= Vcronensis, aus G und O rekonstruiert, nach 1300 bezeugt, dann verschollen G = Sangermanensis, Paris. 1 4 1 3 7 , 14. J h . O = Oxoniensis (Bodlci. Canon. Lat. 30), 14. J h . f = Jüngere, vielfach stark interpolierte Handschriften Die von V abweichenden und von den Editoren allgemein (vulgo) angenommenen Lesarten sind im kritischen Apparat nicht besonders vermerkt. ed. princ. = editio prineeps verb. = verbessert . .) = Ergänzung [• • •] = Tilgung
CATVLLI VERONENSIS LIBER i Cui dono lepidum novum libellum arida modo pumice expolitum? Corneli, tibi: namque tu solebas meas esse aliquid putare nugas, 5 iam tum, cum ausus es unus Italorum omne aevum tribus cxplicare cartis, doctis, Iupiter, et laboriosis. quare habe tibi, quicquid hoc libelli, qualecumque; quod, mihi, bone Egnati. si urbanus esses aut Sabinus aut Tiburs aut fartus Umber aut obesus Etruscus aut Lanuvinus atcr atque dentatus aut Transpadanus, ut meos quoque attingam, aut quilubet, qui puriter lavit dentes, tarnen renidere usque quaque te nollem: nam risu inepto res ineptior nulla est. nunc Celtiber : Celtiberia in terra, quod quisque minxit, hoc sibi solet mane dentem atque russam defricare gingivam, ut quo iste vester expolitior dens est, hoc te amplius bibisse praedicet loti.
10
1i
20
40
5
Quaenam te mala mens, miselle Ravide, agit praecipitem in meos iambos? quis deus tibi non bene advocatus vecordem parat excitare rixam? an ut pervenias in ora v u l g i ? quid v i s ? qua lubet esse notus optas? — ens, quandoquidem meos amores cum longa voluisti amare poena!
41
;
Ameana, puella defututa, tota milia me decem poposcit, ista turpiculo puella naso, decoctoris amica Formiani. propinqui, quibus est puella curae, amicos medicosque convocate: non est sana puella; nec rogate, qualis sit, solet esse imaginosa.
3 9 , 9 te ergänzt Matblj l i parcusV veri. Venator pastus Voß 17 es ergänzt de Allio verb. Piianuj 4 1 , 7 rogare V veri. Scbwabe 8 et imaginosum V verb. Schwabe
2 1 lotus V
Gedicht 39. 40. 41 Darum, Egnatius, Bester, muß ich dich mahnen: Wärst Römer du, Sabiner oder aus Tibur, Ein feister Umbrer oder fetter Etrusker, Wärst Lanuviner, dunkelhäutig, starkzahnig, Vom Land jenseits des Po, daß mein Land auch drankommt, Auch sonstwer, der die Zähne immer sich reinwäscht, Doch wünscht' ich nicht, daß du nur immerfort lachtest; Denn nichts ist alberner, als albern stets lachen. Nun bist du Spanier, und im span'schen Land reibt man Mit dem, was jeder pißte, dann sich frühmorgens Die Zähne und das rote Zahnfleisch, wie's üblich. Darum, je blanker deine Zähne sind, desto Mehr an Urin nahmst du dann offenbar zu dir.
40.
Eifersucht
Ärmster Ravidus, welch ein böses Sinnen Treibt dich jählings hinein in meine Iamben? Welch ein Gott, den du riefst zu deinem Unheil, Will dir sinnlosen Streit heraufbeschwören? 3 Denkst du so in der Leute Mund zu kommen? Was begehrst du? Gleich wie, bekannt zu werden? Ja, das wirst du, da du ja meine Liebste Zu gewinnen versuchst; lang wirst du's büßen.
41.
Abgeblitzt
Ameana, das abgenutzte Mädchen, Hat mir ganze zehntausend abgefordert, Mit der häßlichen Nase jenes Mädchen, Des Verschwenders von Formiae Geliebte. 5 Ihr Verwandten, die ihr das Mädchen hütet, Ruft die Freunde und Ärzte doch zusammen! Denn das Mädchen ist krank. Und fragt nicht erst noch, Wie. Sie leidet ja klar an Wahngebilden.
C a r m e n 4 1 . 4}
42 Adeste, hendecasyllabi, quot estis omnes undique, quotquot estis omnes 1 iocum me putat esse moecha turpis et negat mihi nostra reddituram 5 pugillaria, si pati potestis. persequamur earn et reflagitemus ! quae sit, quaeritis? ilia, quam videtis turpe incedere, mimice ac moleste ridentem catuli ore Gallicani. 10 circumsistite earn et reilagitate: 'Moecha putida, redde codicillos, redde, putida moecha, codicillosI' non assis facis? o lutum, lupanar, aut si perditius potest quid esse! if sed non est tamen hoc satis putandum. quodsi non aliud potest, ruborem ferreo canis exprimamus ore. conclamate iterum altiore voce: 'Moecha putida, redde codicillos, 20 redde, putida moecha, codicillos!' sed nil proficimus, nihil movetur. mutanda est ratio modusque nobis, si quid proficere amplius potestis: 'Pudica et proba, redde codicillos!'
43
j
4 2 , 4 uestra V verb. f
Salve, nec minimo puella naso nec bello pede nec nigris ocellis nec longis digitis nec ore sicco nec sane nimis elegante lingua, decoctoris amica Formiani. ten provincia narrat esse bellam? tecum Lesbia nostra comparatur? o saeclum insapiens et infacetum!
G e d i c h t 42. 4 j
42. Rückforderung
von Versen
Kommt, Elfsilbcr, so viel ihr irgend sein mögt. Alle, sei es, woher, wieviel auch, alle! Denkt die schändliche Dirn', ich sei zum Spotten? Meine Täfelchen mir zurückzugeben, Weigert sie sich, wenn ihr's vermögt zu dulden. Nein, verfolgen wir sie und fordern's dringend. Wer sie ist, wollt ihr wissen? Ihr erkennt sie: Häßlich geht, affektiert und albern lacht sie, Sperrt das Maul dabei auf wie welsche Köter. Stellt euch um sie und ruft die Fordrung dringend: 'Garst'ge Dirne, o gib die Verse wieder! Gib mir, garstige Dirn', die Verse wieder!' Achtest du's keinen Deut? Du Dreck, du Miststück Oder was es Verderbt'rcs noch kann geben! Doch du darfst noch nicht glauben, das genüge. Geht es also nicht anders, dann erpressen Wir der eisernen Hundestirn die Röte. Ruft drum wieder mit lautrer Stimme alle: 'Garst'ge Dirne, o gib die Verse wieder! Gib mir, garstige Dirn', die Verse wieder!' Doch wir schaffen ja nichts; nichts, was sie rührte. Also muß man die Art und Weise ändern, Ob ihr so vielleicht mehr erreichen werdet: 'Keusche, Brave du, gib die Verse wieder!'
43. Beschimpfung
der Geliebten
Mamurras
Heil dir, Mädchen mit nicht grad' kleiner Nase Und nicht reizendem Fuß, nicht dunklen Augen, Nicht mit Fingern, die lang, noch trock'nem Munde, Auch nicht gerade sehr feiner Redeweise, Des Verschwenders aus Formiae Geliebte! Du, so sagt die Provinz, wärst eine Schönheit? Meine Lcsbia wird mit dir verglichen? O wie töricht und abgeschmackt die Zeit ist!
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C a r m e n 44. 4;
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5
10
ij
20
O funde noster, seu Sabine seu Tiburs — (nam te esse Tiburtem autumant, quibus non est cordi Catullum laedere: at quibus cordi est, quovis Sabinum pignore esse contendunt); sed seu Sabine sive verius Tiburs, fui libenter in tua suburbana villa malajnque pectore expuli tussim, non inmerenti quam mihi meus venter, dum sumptuosas appeto, dedit, cenas. nam, Sestianus dum v o l o esse conviva, orationem in Antium petitorem plenam veneni et pestilentiae legi. hie me gravedo frigida et frequens tussis quassavit usque, dum in tuum sinum fugi et me recuravi otioque et urtica. quare refectus maximas tibi grates ago, meum quod non es ulta peccatum. nec deprecor iam, si nefaria scripta Sesti recepso, quin gravedinem et tussim non mi, sed ipsi Sestio ferat frigus, qui tunc vocat me, cum malum librum legi.
45
5
10
A c m e n Septimius suos amores tenens in gremio: 'Mea', inquit, 'Acme, ni te perdite amo atque amare porro omnes sum assidue paratus annos, quantum qui potè plurimum perire, solus in Libya Indiaque tosta caesio veniam obvius leoni, hoc ut dixit, A m o r , sinistra ut ante, dextra sternuit approbationem. at A c m e leviter caput reflectens et dulcis pueri ebrios ocellos ilio purpureo ore saviata
4 4 , 7 aliamquc V | cxpulsus sim V verb. Avanci p r o b a t i o n V verb. Scaligli
8 mens ucrtur V verb. Vaerno
1 0 ad hac me V verb. Calfurnìo
4 5 , 9 ap-
G e d i e h t 44. 45
44. Wirkung einer frostigen
Rede
Mein Gut — ob im Sabin'schcn, ob im Raum Tiburs —, Zu Tibur ziehn dich, die Catull nicht gern kränken, Dagegen alle, die es gerne tun, schwören Stets Stein und Bein, Sabinerland allein seist du. Doch, ob Sabinisch oder richt'ger in Tibur, In deiner Villa weilt' ich gern, der Stadt nahe, Und sucht', daß ich den bösen Husten los würde, Den mir — ich hab's verdient — mein gicr'ger Bauch zuzog, Als ich auf das verschwenderische Mahl ausging. Weil ich des Sestius Tischgenosse sein wollte, Las ich die Rede voller Pest und Gift vorher, Die er bei Antius* Bewerbung vorbrachte. Da kam es, daß mich eiskalt ein Katarrh packte Und ständ'ger Husten, bis bei dir ich Trost suchte Und mich mit Muße und mit Nesseln ausheilte. Drum hergestellt will ich dir herzlich Dank zollen, Daß du für mein Vergehn dich nicht an mir rächtest. Nicht bitt' ich nun, krieg' ich von Sestius Schandschriften, Sie möchten mir nicht Husten und Katarrh bringen, Nein, daß sie Sestius selber Fieberfrost schaffen, Der mich nur einlädt, las ich vorher sein Schundwerk.
45. Ein glücklich
Paar
Akme, seine Geliebte, auf dem Schöße, Sprach Septimius: 'Meine liebe Akme, Wenn ich dich nicht entsetzlich lieb' und weiter All die Jahre zu lieben fest entschlossen, 5 Wie nur einer vor Lieb' vergehn kann, will ich, Sei's in Libyen, sei's in Ind'schcn Gluten, Dem grimm blickenden Leu allein begegnen!' Also sprach er, und wie zuerst zur Linken, Niest denn Amor zur Rechten seinen Beifall. 10 Aber Akme, den K o p f lcicht rückwärts beugend Und des lieblichen Jungen trunkne Augen Mit den purpurnen Munde küssend, sagte:
C a r m e n 4). 46. 47
'Sic', inquit, 'mea vita, Septimille, huic uni domino usque serviamus, ut multo mihi maior acriorque ignis mollibus ardet in medullis.' hoc ut dixit, Amor, sinistra ut ante, dextra sternuit approbationem. nunc ab auspicio bono profecti mutuis animis amant amantur. unam Septimius misellus Acmen mavult/quam Syrias Britanniasque, uno in Septimio fidelis Acme facit delicias libidinesque. quis ullos homines beatiores vidit, quis venerem auspicatiorem ?
46 Iam ver egelidos refert tepores, iam caeli furor aequinoctialis iocundis Zephyri silescit auris. linquantur Phrygii, Catulle, campi Nicaeaeque ager uber aestuosae: ad claras Asiae volemus urbes! iam mens praetrepidans avet vagari, iam laeti studio pedes vigescunt. o dulces comitum valete coetus, longe quos simul a domo profectos diversae varie viae reportant.
47 Porci et Socration, duae sinistrae Pisonis, scabies famesque mundi, vos Veraniolo meo et Fabullo verpus praeposuit Priapus ille? vos convivia lauta sumptuose de die facitis? mei sodales quaerunt in trivio vocationes?
Gedieht 45. 46. 47
63
'Ach, Septimiusherz, mein süßes Leben, So gewiß, wie in meinem weichen Herzen i j Sehr viel größer und stärker jetzt die Glut brennt, Laß uns ständig dem einen Herren dienen!' Also sprach sie, und wie zuerst zur Linken, Niest dann Amor zur Rechten seinen Beifall. Unter günstigen Zeichen lieben beide 10 Jetzt den andern und ernten Gegenliebe. Mehr als Syrien und Britannisch Land wünscht Sich Septimius Akme nur, der Ärmste. An Septimius nur hat ihr Vergnügen, Stillt auch all ihre Lust die treue Akme. 1 j Wer hat sel'gere Menschen je gesehen, Wer je Liebe mit bess'rer Vorbedeutung!
46.
Heimkehr
im
Frühling
Schon bringt lauliche Luft der Lenz jetzt wieder, Schon verstummen vor Zephyrs süßem Hauche An dem Himmel des Frühlings tolle Stürme. Laß die Phrygischen Felder nun, Catullus, j Und des heißen Nicaea reich Gefilde I Möcht' zu Asiens lichten Städten fliegen! Schon eilt hastend der Geist und wünscht zu wandern, Schon bewegen sich froh vor Lust die Füße. Leb' denn wohl, du geliebter Kreis der Freunde, 10 Die, zusammen von Haus weither gekommen, Auf verschiedene Art getrennt nun heimziehn.
47.
Schmähung der Konkurrenten
seiner
Freunde
Dich, Sokration, zog der schmutz'ge Lustmolch Nebst dem Porcius, beide Pisos Linke, Gier und Räude der Menschheit, meinem Freunde, Dem Veranius, vor und dem Fabullus? 5 Ihr gebt prächtige Schmäuse mit viel Aufwand . Noch bei Tage, doch meine Freunde müssen, Daß zum Mahl man sie lädt, am Kreuzweg warten?
64
C a r m e n 48. 49. j o
48
$
Mellitos oculos tuos, Iuventi, si quis me sinat usque basiare, usque ad milia basiem trecenta, nec numquam videar satur futurus, non si densior aridis aristis sit nostrae seges osculationis.
49
j
Disertissime Romuli nepotum, quot sunt quotque fuere, Marce Tulli, quotque post aliis erunt in annis: gratias tibi maximas Catullus agit, pessimus omnium poeta, tanto pessimus omnium poeta, quanto tu optimus omnium patronus.
50
j
10
15
48,4
numquam V
Hesterno, Licini, die otiosi multum lusimus in meis tabellis, ut convenerat esse delicatos. scribens versiculos uterque nostrum ludebat numero modo hoc, modo illoc, reddens mutua per iocum atque vinum. atque illinc abii tuo lepore incensus, Licini, facetiisque, ut nec me miserum cibus iuvaret nec somnus tegeret quiete ocellos, sed toto indomitus furore lecto versarer cupiens videre lucem, ut tecum loquerer simulque ut essem. at defessa labore membra postquam semimortua lectulo iacebant, hoc, iocunde, tibi poema feci, ex quo perspiceres meum dolorem. nunc audax cave sis precesque nostras,
verteidigt LoefsteJt
umquam f | inde corsater V
verb. Guarim
Gedicht 48. 49. 50
48.
luventius
Ach, luventius, deine süßen Augen, Wär's gestattet, sie immerfort zu küssen, Bis zu dreihunderttausend Malen küßt' ich, Und doch würd' ich mir selbst nicht satt erscheinen, Selbst nicht, wenn auch die Saat von meinen Küssen Dichter war' als ein Feld voll reifer Ähren. 49.
Cicero
Du, von Romulus' Enkeln der beredtste, Marcus Tullius, die da sind und waren, Und soviel noch in spätem Jahren kommen, Dir sagt herzlichen Dank hiermit Catullus, Er, der mäßigste unter allen Dichtern, Ja, der mäßigste Dichter, wie du selber Der vortrefflichste aller Advokaten. Der Dichter
und sein Freund L.icinius
Calvus
Viel, Licinius, haben wir, weil müßig, Gestern auf meiner Tafel hingeworfen, Locker, wie wir es beide abgesprochen. Beide trieben wir unser Spiel in Versen, Bald in diesem und bald in jenem Versmaß, Wechselweise bei Scherz und Wein erwidernd. Und, Licinius, als ich fortging, war ich Ganz von deinem Humor und Witz begeistert, Daß mich Ärmsten das Essen gar nicht reizte, Auch kein Schlaf mir die Augen schloß beim Ruhen. Nicht bezwang ich die Glut, ringsum im Bette Wälzt* ich mich in dem Wunsch, erst Licht zu sehen, Um zu reden mit dir, bei dir zu weilen. Aber als meine Glieder, müd' vom Leide, Fast halbtot, auf dem trauten Bette lagen, Hab' ich, Trauter, dir dies Gedicht ersonnen, Daß du doch meinen Kummer draus ersähest. Jetzt erdreist dich nicht etwa und mißachte,
Carmen jo. 51. J2. j j
66
20
oramus, cave despuas, ocelle, ne poenas Nemesis reposcat a te. est vemens dea : laedere hanc caveto !
51
lile tni par esse deo videtur, ille, si fas est, superare divos, qui sedens adversus identidem tc spectat et audit j dulce ridentem, misero quod omnis eripit sensus mihi: nam simul te, Lesbia, aspexi, nihil est super mi (vocis in ore) lingua sed torpet, tenuis sub artus 10 flamma demanat, sonitu suopte tintinant aures, gemina teguntur lumina nocte. — otium, Catulle, tibi molestum est: otio exultas nimiúmque gestis. i j otium et reges prius et beatas perdidit urbes.
52
Quid est, Catulle? quid moraris emori? sella in curuli struma Nonius sedet, per consulatum peierat Vatinius: quid est, Catulle? quid moraris emorir
53
;
Risi nescioquem modo e corona, qui, cum mirifìce Vatiniana meus crimina Calvos explicasset, admirans ait haec manusque tollens : U i magni, salaputtium disertum!'
5 1 , 8 ergänzt Ritter 52,1 u.4 moti V pantium V veri. Seneca contr.'VÌI 4, 7
2 nouius V verb. Pfíniuj ». b. 37, 81
5 3 , 5 tala-
Gedieht ;o. j i. 5 J- J3 Du mein Augenstern, fleh' ich, meine Bitten, Daß nicht Nemesis Buße von dir fordert, Eine grimmige Göttin, kränk' sie ja nicht!
20
5/. Lesbias
Lob (nach Sappbo)
Ach, der, scheint mir, müßt' einem Gottc glcich sein, J a , wär's möglich, seliger als die Götter, Wer dein Antlitz, dir gegenüber sitzend, immerfort schaun kann, j Und dein süßes Lachen vernimmt, mir Ärmstem Raubt es alle Sinne. Sowie ich dich nur Immer anschau', Lesbia, so vermag ich Nichts mehr zu sagen. Meine Zunge ist wie gelähmt, es rinnt mir 10 Feine Glut die Glieder entlang, die Ohren Klingen mir von eigenem Klang, und Dunkel Deckt mir die Augen. — Müßiggang, Catull, ist allein dir schädlich, Müßiggang nur treibt dich, verzückt zu schwärmen. 1 j Müßiggang hat Könige schon und reiche Städte vernichtet.
¡2.
Politische
Verzweiflung
Was ist, Catull? Was hält vom Tode dich noch ab? Auf hohem Amtssitz thront der Kielkropf Nonius. 'So wahr ich Consul werd', schwört falsch Vatinius. Was ist, Catull ? Was hält vom Tode dich noch ab ?
53. Calvus im
j
Vatiniuspro^eß
Lachen mußt' ich doch eben über einen Aus dem Kreise, der, als mein Calvus trefflichst Des Vatinius Schuld erläutert hatte, Staunend und mit erhobnen Händen ausrief: 'Große Götterl Wie kann 'das Dingel' reden!'
67
68
C a r m e n 54. JJ
54
5
Otonis caput oppido est pusillum, Neri rustica semilauta crura, subtile et leve peditum Libonis, si non omnia, displicere vellem tibi et Sufficio, seni recocto — irascere iterum meis iambis inmereritibus, unice imperator.
55 -Oramus, si forte non molestum est, demonstres, ubi sint tuae tenebraci te campo quaesimus in minore, te in circo, te in omnibus libellis, s te in tempio summi Iovis sacrato, in M a g n i simul ambulatione femellas omnes, amice, prendi, quas vultu vidi tamen sereno, te vel has sic ipse flagitabam: 10 'Camerium mihi, pessimae puellae!' quaedam inquit, nudum reclusa (pectus): ' E m I hie in roseis latet papillis.' Sed te iam ferre Herculei labos est. tanto ten fastu negas amico? 15 die nobis, ubi sis futurus, ede audacter, committe, crede luci! num te lacteolae tenent puellae? si linguam clauso tenes in ore, fructus proicies amoris omnes: 20 verbosa gaudet Venus loquella. vel si vis, licet obseres palatum, dum nostri sis particeps amoris. 5 4 , 1 est tilgt vulgo 2 et eri V verb. L. Mueller 5 5 , 3 quaesiuimus V verb. Birt 4 tabernis f 9 a vel te V ac te vel Klot% verb. Helm 1 1 reduc . . . V recludens Riese reclude Friedrich reclusa pectus Helm
verb. £
1 4 te in V ten Muret
| amice V verb. j
1 6 lucet V lucei Scaliger
1 7 nunc V
Gedieht 54. 5 5
Günstlinge
Caesars
Otos Kopf, der so ungeheuer winzig, Und des Nerius schmu tz'ge Bauernbeine, Libos Winde, die fein und Icicht ihm abgehn, Wenn sonst nichts, sollten dich doch ekeln, und auch Er, der Alte, den Zauber wohl verjüngt hat, Der Sufficius, — doch nun zürnst du wieder Meinen harmlosen Iamben, einz'ger Kriegsherr.
55. Verstohlene
hiebe
Bitte, wenn es dich nicht gerad' belästigt. Dann verrate uns, w o du dein Versteck hast! Suchten wir dich doch auf dem kleinen Felde, In dem Zirkus, bei allen Bücherläden, Auch in Juppiters Heiligtum, des Hohen, Hab' auch in des Pompeius Wandelhalle Alle Dämchen, mein Bester, angehalten, Sah ich, daß sie ein lächelnd Antlitz zeigten. Ach, ich forderte selbst dich dreist von ihnen: 'Gebt Camerius mir, ihr schlimmen Mädchen!' Eine sagte mit nackt entblößtem Busen: 'Schau doch, hier in den ros'gen Brüsten steckt er.' — Müßt* schon Herkules sein, die Müh' zu tragen! So voll Hochmut entziehst du dich dem Freunde? Sag', wo soll man dich künftig finden? Offen Künd' es! Teile es m i t ! Vertrau's dem Taglicht! Fesseln Mädchen, die weiß wie Milch, dich derart? Hältst du fest im verschloßnen Mund die Zunge, Wirst du ganz den Erfolg der Liebe opfern. Wenn man wortreich sich brüstet, freut sich Venus. Aber willst du, so halt' den Mund verschlossen, Wenn du nur meine Freundschaft teilen möchtest.
Carmen 56. 57. 58. j8a
7o
56
;
O rem ridiculam, Cato, et iocosam dignamque auribus et tuo cachinno, rido, quicquid amas, Cato, Catullum: res est ridicula et nimis iocosa. deprendi modo pupulum puellae trusantem: hunc ego, si placet Dionae, protelo«rigida mea cecidi. 57
Pulchre convenit improbis cinaedis, Mamurrae pathicoque Caesarique. nec mirum: maculae pares utrisque, urbana altera et illa Formiana, 5 impressae resident nec eluentur: morbosi pariter, gemelli utrique, uno in lectulo | erudituli ambo, non hic quam ille magis vorax adulter, rivales socii et puellarum: 10 pulchre convenit improbis cinaedis. 58 Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa, illa Lesbia, quam Catullus unam plus quam se atque suos amavit omnes: nunc in quadriviis et angiportis 5 glubit magnanimi Remi nepotes. 58 a Non non non non
custos si fingar ille Cretum, si Pegaseo ferar volatu, Rhesi niveae citaeque bigae; Ladas ego pinnipesve Perseus,
5 6 , 5 in puella Schwabe 6 crisantem t; 5 7 , 7 lecticulo O 5 8 a ein Fragment aus dem Nachlaß CatuUs in 5 $ nach V. 14 eingereiht von Froeh/ich, nach V. 13 von Lachmann. 3 vor 2 Mürel 4 vor 3 Helm niuca citaquc biga . Hand
G e d i c h t ¡6. J7. 58. ;8a
)6.
Ertappt
O wie lächerlich, Cato, und wie spaßig, Wert, daß du es vernimmst und herzlich mitlachst! Cato, lache, so sehr Catull dir lieb ist! Wirklich lächerlich ist es und sehr spaßig. Eben traf ich das Bübchen meines Mädchens Bei der Arbeit, da hab' mit Venus' Beistand Ich ruck-zuck ihn besorgt mit meinem Steifen.
j 7. Caesar
und
Mamurra
Trefflich stimmen die beiden schlimmen Hurcr, Der Mamurra als Weibchen und der Caesar; Ist kein Wunder; sie haben gleichen Makel, Der in Rom und in Formiae der andre; Eingeprägt sitzt er fest und ist untilgbar. Krankhaft beide und beide darin Brüder, Ausgebildet sie beid' auf einem Lager, Buhler, einer nicht gicr'gcr als der andre. Bei den Mädchen Genossen und Rivalen, Trefflich stimmen die beiden schlimmen Hurer.
¡8.
Lesiias
Entartung
Meine Lesbia, Caclius, o denke! Jene Lesbia, die Catull geliebt hat, Einzig, mehr als sich selbst und all die Seinen, Diese Lesbia — hurt auf Platz und Gasse Offen jetzt mit des stolzen Remus Enkeln.
58a.
Auf
der Suche
nach
Camerius
Nicht, wenn ich zu dem Wächter Kretas würde, Nicht, wenn Pegasus mich im Fluge trüge, Rhesos' Schimmelgespann mit raschen Rossen, Nicht als Ladas noch als beschwingter Peneus,
C a r m e n $8a. 59. 60. 61
72
5
10
adde huc plumípedas volatilesque, ventorumque simui require cursum, quos iunctos, Camcri, mihi dicares: defessus tamen ómnibus medullis et multis langoribus peresus essem te mihi, amice, quaeritando.
59
j
Bononiensis Rufa Rufulum fellat uxor Meneni, saepe quam in sepulcretis vidistis ipso rapere de rogo cenam, cum devolutum ex igne prosequens panem ab semiraso tunderetur ustore.
60
5
Num te leaena montibus Libystinis aut Scylla latrans infima inguinum parte tam mente dura procreavit ac taetra, ut supplicis vocem in novissimo casu contemptam haberes, a, nimis fero corde?
61 Collis o Heliconii cultor, Uraniae genus, qui rapis teneram ad virum virginem, o Hymenaee Hymen, o Hymen Hymenaee,
IO
5 9 , 1 ruf u m V vert. Valladlas
cinge tempora floribus suave olentis amaraci, flammeum cape, laetus huc huc veni niveo gerens luteum pede soccum,
Gedicht j8a. J9. 60.61 j
10
Nimm, was Schwingen am Fuß hat, was geflügelt, Such die eilenden Winde auch zusammen, — Wenn, Camerius, du mir alle gäbest, War' ich doch bis aufs Mark zuletzt ermüdet Und vor tiefer Erschlaffung ganz vergangen Von dem ewigen Suchen, Freund, nach dir nur.
59.
Ein
Pampbiet
Bolognas Rufa spielt bei Rufulus Flöte, Menenius' Frau, die ihr gar oft in Grabmälern Saht, wie vom Holzstoß sie die Speisen sich wegholt, Wo sie der halbgeschorne Sklave fortprügelt, Weil sie dem Kuchen, der vom Brande glitt, nachjagt.
60.
Hartherzig
War's eine Löwin, die auf Afrikas Bergen, War's Skylla gar, die tief aus ihrem Schoß, bellend, So harten, grausen Sinnes dich hervorbrachte, Daß du aus tiefstem Leide meine Notrufe Mit ach! so ungerührtem Herzen mißachtest?
61.
j
Hocb^eitslied
Der du Helikons Höh' bewohnst, Sprößling du der Urania, Der zum Mann führt die zarte Maid, Hymen, o Hymenaeus du, Hymen, o Hymenaeus,
Kränz' die Schläfen mit Blüten dir Des süß duftenden Majorans, Nimm das flammende Tuch und komm Fröhlich her mit dem roten Schuh 10 A n dem schneeweißen Fuße!
C a r m e n 6i
excitusque hilari die nuptialia concinens voce carmina tinnula pelle humum pedibus, manu pineam quate taedam! namque Vinia Manlio, qualis Idalium colens venit ad Phrygium Venus iudicem, bona cum bona nutet alite virgo, floridis velut enitens myrtus Asia ramulis, quos Hamadryades deae ludicrum sibi rosido nutriunt humore. quare age hue aditum ferens perge linquere Thespiae rupis Aonios specus, nympha quos super irrigat frigerans Aganippe, ac domum dominam voca, coniugis cupidam novi mentem amore revinciens, ut tenax edera hue et hue arborem implicai errans. vosque item simul, integrae virgines, quibus advenit par dies, agite in modum dicite 'O Hymenaee Hymen, o Hymen Hymenaee', ut lubentius, audiens se citarier ad suum munus, hue aditum ferat dux bonae Veneris, boni coniugator amoris.
Gedicht 61
15
Und entboten am heitern Tag, Heb* mit klingender Stimme nun Deine Lieder zur Hochzeit an I Stampf den Boden der Fuß, die Hand Schwing' die Pinienfackel I
Freit doch Vinia, Venus gleich, Wie des Phrygiers Spruch ihr ward Auf dem Ida den Manlius Unter herrlichen Zeichen da, 20 Sie, die herrliche Jungfrau.
25
Gleichwie Asiens Myrte hell Mit den blühenden Zweigen strahlt, Die die Nymphen — ein Spiel für sie — Mit dem tauigen Naß zur Ehr' Für die Göttin ernähren.
jo
Darum auf! und beeil' den Schritt! Die Aonische Grotte laß An dem Thespischen Felsen jetzt, Die von droben die Nymphe netzt, Kühlend, die Aganippe.
3;
Ruf die Herrin ins Heim, die schon Nach dem Bräutigam heiß sich sehnt Bind in Liebe gar fest ihr Herz, Wie am Baum sich der Efeu hält, Hier- und dorthin sich windend.
Reine Jungfraun, auch ihr wohlan t, Denen nah ist der gleiche Tag, Stimmet ein in die Melodie. 'Hymen' ruft, 'Hymenaeus du, 40 Hymen, o Hymenaeus',
4j
6 Catull. Gedichte
Daß er lieber, wenn er vernimmt, Wie man ihn an sein Amt beruft, Seine Schritte hierher beeilt. Der die gütige Venus führt, Stifter glücklicher Liebe.
75
C&imen 61
76
50
quis deus magis est amatis petendus amantibus? q u e m colent homines magis caelitum? o Hymenaee H y m e n , o Hymen Hymenaee.
5j
te suis tremulus parens i n v o c a t , tibi virgines zonula soluunt sinus, te timens cupida n o v o s capiat aure maritus.
60
tu fero iuveni in manus floridam ipse puellulam dedis a g r e m i o suae matris, o H y m e n a e e H y m e n , o Hymen Hymenaee.
65
nil potest sine te V e n u s , fama q u o d b o n a c o m p r o b e t , c o m m o d i capere: at potest te v o l e n t e , quis huic deo compararier ausit?
70
nulla quit sine te d o m u s liberos dare, nec parens stirpe nitier: at potest te v o l e n t e , quis huic deo compararier ausit?
75
quae tuis careat sacris, n o n queat dare praesides terra finibus: at queat te v o l e n t e , quis huic d e o compararier ausit?
80
claustra pandite ianuae! v i r g o ades. v i d e n , ut faces splendidas quatiunt comas? (ecce lampada noctifer tollit Hesperus O e t a ,
6 1 , 4 6 amatis est V verb. Bergk 6 8 uicier G verb. Avanci 79ff. ergänzt Wilamowitz; die Lücke ist handschriftlich nicht bezeichnet
7 7 adest V verb. Schräder
Gedieht 61 Welchcn Gott sollten mehr erflehn Sie, die liebend Geliebte sind, Wen der Himmlischen ehrt man mehr? Hymen, o Hymenaeus du, 50 Hymen, o Hymenaeus.
55
Dich ruft für sein Geschlecht als Greis Jeder Vater, dir folgt die Maid, Löst den Gürtel sie vom Gewand. Angstlich lauscht mit begier'gem Ohr Dir der eben Vermählte.
Du gibst selber das ros'ge Kind Aus dem Schoß ihrer Mutter fort In des stürmischen Mannes Arm, Hymen, o Hymenaeus du, 60 Hymen, o Hymenaeus.
6'
65
Nichts, was preisend der Leute Mund schön heißt, kann ohne dich an Lust Venus haben; doch wenn du willst, Kann sie's. Wer könnte jemals sich Diesem Gotte vergleichen!
70
Kein Haus kann ohne dich gerecht Kinder schenken, kein Vater sich Stützen auf seinen Stamm. E r kann's, Willst du's. Wer könnte jemals sich Diesem Gotte vergleichen!
75
Das Land, dem deine Weihe fehlt, Kann nicht Führer verleihn dem Volk, Die's zu schützen bereit. E s kann's, Willst du's. Wer könnte jemals sich Diesem Gotte vergleichen!
80
Macht den Riegel am Tor nun auf! Jungfrau, komm! Wie die Fackeln hell — Schaust du? — schütteln ihr glänzend Haar! Schau, Nacht kündend weist Hesperus. seine Leuchte vom Oeta,
77
78
Carmen 6i
«5
virginem ut Venus e domo excitct bona, neu pedem) tardet ingenuus pudor: quem tarnen magis audiens flet, quod ire necesse est.
90
flere desinel non tibi, Aurunculeia, periculum est, ne qua femina pulchrior darum ab Oceano diem viderit venientem.
95
talis in vario solet divitis domini hortulo stare flos hyacinthinus. sed moraris, abit dies: prodeas, nova nupta.
ioo
prodeas, nova nupta, si iam videtur, et audias nostra verba. vide, ut faces aurea;» quatiunt comas: prodeas, nova nupta.
IOJ
non tuus levis in mala deditus vir adultera probra turpia persequens a tuis teneris volet secubare papillis,
lenta qui velut adsitas vitis implicat arbores, implicabitur in tuum complexum. sed abit dies: IIO prodeas, nova nupta. o cubile, quod omnibus (gaudiis aderis mariti, o quam saepe simul bonum patrat munus, id argues) candido pede lecti, 61(95 ergänzt Aldus
106 que
(q;)
lich nicht bezeichnet; ergänzt Friedrich
G
sed (s;)
O
qui Aldus quin
?
112ff. Lücke handschrift-
Gedicht 61
Daß die gütige Venus nun Führt vom Hause die Maid und ihr Scheu nicht mädchenhaft hemmt den Fuß, Doch sie hört noch zu sehr darauf, Weint drum, soll sie nun scheiden. Laß das Weinen I Und hab' nicht Angst, Jemals, Aurunculeia, könnt' Noch ein schöneres Weib es sehn, Wie der leuchtende Tag erscheint Aus des Ozeans Fluten! So steht nur in des reichen Herrn Bunt mit Blumen geschmücktem Park Prangend die Hyazinthe da. Doch du zauderst. Es rinnt der Tag. Komm, du neu jetzt Vermählte! Komm, du neu jetzt Vermählte doch, Wenn's beliebt, und vernimm nun auch Unsre Worte! Die Fackeln schau', Wie sie schütteln ihr golden Haar! Komm, du neu jetzt Vermählte! Nicht wird niedriger Buhlerin Leichten Sinnes der Mann sich weihn, Folgend schändlicher Unzucht nur, Ruhen wollen, getrennt von dir, Fern dem zärtlichen Busen; Nein, gleichwie eine Rebe eng An den Baum neben ihr sich schmiegt, Wird er auch sich in deinen Arm Immer fügen. Doch weicht der Tag. Komm, du neu jetzt Vermählte! O du Lagerstatt, all des Glücks, Das die Gatten vereint, wirst du Zeuge sein und der Seligkeit, Bebt beim Liebesspiel erst das Bett Mit den schimmernden Füßen.
8o
Carmen 61
120
quae tuo veniunt ero, quanta gaudia, quae vaga nocte, quae medio die gaudeat! sed abit dies: prodeas, nova nupta.
iij
tollite, pueri, faces: flammeum video venire, ite, concinite in modum 'io Hymen Hymenaee io, io Hymen Hymenaee'.
ne diu taceat procax fescennina iocatio, nec nuces pueris neget desertum domini audiens I jo concubinus amorem.
13$
da nuces pueris, iners concubine! satis diu lusisti nucibus: lubet iam servire Talasio. concubine, nuces dal
140
sordebant tibi vilicae, concubine, hodie atque heri: nunc tuum cinerarius tondet os. miser a, miser concubine, nuces da!
145
diceris male te a tuis unguentate glabris marite abstinere: sed abstine! io Hymen Hymenaee io, (io Hymen Hymenaee.)
150
scimus haec tibi quae licent sola cognita: sed marito ista non eadem licent. io Hymen Hymenaee io,
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Die ich Ärmste, o weh!, aus tiefster Seele, gezwungen, Hilflos, glühend und blind vor rasender Wut, jetzt erhebe! Da sie ehrlich empfunden und tief aus dem Innersten stammen, O, so duldet nun nicht, daß mein Kummer in nichts sich verflüchtigt, Nein, wie mich Theseus roh allein in der Öde zurückließ, Bring' er — ihr Göttinnen, gebt's! — auch sich und den Seinen nur Unheil!' Als sie so diesen Fluch aus trauerndem Herzen geschleudert, In ihrer Not für grausame Tat die Sühne verlangend, Winkte der Himmlischen Herrscher unwandelbar fest die Gewährung, Und- bei dem Nicken erbebte so Erde wie stürmische Meerflut, Und es erzitterten auch am Himmel die blinkenden Sterne. Theseus selber jedoch, die Sinne von Blindheit umnebelt,. Ließ aus vergeßlicher Brust die Mahnungen alle entschwinden, Die er zuvor doch beharrlich und fest im Sinne behalten, Zog das erfreuliche Zeichen nicht auf für den traurigen Vater, Ihm zu zeigen, er kehre gesund in den Attischen Hafen. Denn, so heißt es, als Aigeus den Sohn den Winden vertraute, Damals, wie er zu Schiff die Stadt der Göttin verlassen, Hab' er den Jüngling umarmt und ihm folgende Weisung gegeben: 'Sohn, du einziger, mir weit teurer als selber mein Leben, Der mir jüngst erst am äußersten Schluß meines Alters gegeben, Sohn, den ich wieder nun ziehn lassen soll in ein zweifelhaft Schicksal, Da ja mein Los und dein feuriger Mut dich wider mein Wünschen Jetzt mir entreißt, dem doch längst noch nicht die ermüdeten Augen An der teuren Gestalt des Sohns sich völlig gesättigt, Nicht entlass' ich dich gern, und nicht mit fröhlichem Herzen Mag's auch nicht sehn, daß am Schiff die Zeichen des Glücks dich entführen, Nein, ich werde zuerst in Gedanken viel Klagen erheben Und mein greises Haupt mit Staub und Erde bestreuen, Dann ein gefärbtes Linnen am schweifenden Mäste emporziehn, Daß das Segel mein Leid und das brennende Weh meines Herzens Künde dadurch, daß es dunkel gemacht mit Iberischem Farbstoff. Wenn die Herrin jedoch des heil'gen Itonos es zuläßt,. Die unsern Stamm und den Sitz des Erechtheus zu schirmen versprochen, Daß du dir deine Rechte bespritzt mit dem Blute des Stieres, Dann, dann sorge dafür, daß fest sich in deinem Gedächtnis Folgende Weisung erhält und daß keine Zeit sie verlösche: Gleich, sobald deine Augen nur unsere Hügel erblicken, Mögen die Rahen ringsum die Trauerbekleidung verlieren
Catull, Gedichte
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candidaque intorti sustollant vela rudentes, quam primum cernens ut laeta gaudia mente agnoscam, cum te reducem aetas prospera sistet.' haec mandata prius constanti mente tenentcm Thesea ceu pulsae ventorum flamine nubes aerium nivei montis liquere cacumen. at pater, ut summa prospectum ex arce petebat anxia in assiduos absumens lumina fletus, cum primum inflati conspexit lintea veli, praecipitem sese scopulorum e vertice iecit amissum credens immiti Thesea fato. sic funesta domus ingressus tecta paterna morte ferox Theseus, qualem Minoidi luctum obtulerat mente immemori, talem ipse recepit. quae turn prospectans cedentem maesta carinam multiplices animo volvebat saucia curas. — at parte ex alia florens volitabat Iacchus cum thiaso Satyrorum et Nysigenis Silenis te quaerens, Ariadna, tuoque incensus amore.
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quae turn alacres passim lymphata mente furebant, euhoe, bacchantes, euhoe, capita inflectentes. harum pars tecta quatiebant cuspide thyrsos, pars e divolso iactabant membra iuvenco, pars sese tortis serpentibus incingebant, pars obscura cavis celebrabant orgia cistis, orgia, quae frustra cupiunt audire profani; plangebant aliae proceris tympana palmis aut tereti tenuis tinnitus aere ciebant, multis raucisonos efflabant cornua bombos barbaraque horribili stridebat tibia cantu.
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talibus amplifice vestis decorata figuris pulvinar complexa suo velabat amictu. quae postquam cupide spectando Thessala pubes expleta est, sanctis coepit decedere divis. hie, qualis flatu placidum mare matutino horrificans Zephyrus proclivas incitat undas Aurora exoriente vagi sub limina Solis, quae tarde primum dementi flamine pulsae procedunt leviterque sonant plangore cachinni,
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6 4 , 2 5 3 et V te s verb. Bergk
In der Lücke nach 2 5 3 müssen die Bakcbantinnen erwähnt worden sein
2 6 3 multi V verb. Pisanus
2 5 4 qui V
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Und die gewundenen Taue hell leuchtende Segel nur tragen, Daß ich so schnell wie möglich die Freudenbotschaft mit Augen Schauend erfasse, wenn dich eine glückliche Stunde zurückbringt.' Während Theseus zuvor diese Weisung fest im Gedächtnis Hatte, entschwand sie ihm nun, wie, getrieben vom Wehen des Windes, 240 Wolken vom luftigen Gipfel des schneeumhüllten Gebirges. Aber sowie der Vater, der hoch von der Burg ja den Fernblick Immer sich suchte, voll Angst die Augen beständig in Tränen, Jetzt das Linnen erblickte des aufgeblasenen Segels, Stürzte er sich kopfüber hinab vom Gipfel der Felsen; 24J Glaubte er doch, durch ein böses Geschick sei ihm Theseus verloren. So hat Theseus, der Held, den Kummer, den sein Vergessen Minos' Tochter gebracht, dann selber empfunden beim Eintritt In den Palast, der durch Tod des Vaters in Trauer versetzt war, Sie aber schaute betrübt her hinter dem schwindenden Kiele, 250 Wälzte gar vielfach Leid in ihrem verwundeten Herzen. Doch von der anderen Seite erschien der blühende Bakchus Eilend mit Satyrnchor und den Nysa entstammten Silenen, Der, Ariadne, dich suchte, zu dir in Liebe entglommen. 253 b