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German Pages 319 Year 2001
CHRISTOPH GÖSSWEIN
Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 856
Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung? Überlegungen zur Möglichkeit und zur Bedeutung der Vergesetzlichung eines allgemeinen (Verwaltungs-)Rechts der administrativen Normsetzung
Von Christoph Gößwein
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gößwein, Christoph: Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung? : Überlegungen zur Möglichkeit und zur Bedeutung der Vergesetzlichung eines allgemeinen (Verwaltungs-)Rechts der administrativen Normsetzung / Christoph Gößwein. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 856) Zugl.: Würzburg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10288-6
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10288-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die Arbeit ist während meiner Zeit als Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht bzw. am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Umweltrecht und Verwaltungswissenschaften der Julius-Maximilians-Universität Würzburg entstanden. Sie wurde dort im November 1999 als Dissertation angenommen. Herrn Prof. Dr. Helmuth Schulze-Fielitz danke ich herzlich für die schöne und lehrreiche Zeit an seinem Lehrstuhl und für seine großzügige Unterstützung. Herrn Prof. Dr. Horst Dreier danke ich für die Anregungen seines Zweitgutachtens, die ich gerne aufgenommen habe. Von meinen Freunden und Kollegen habe ich vielfältige Hilfe erfahren; ich danke besonders Valentina Gioia, Stefan Lück, Alexander Schaal, Alexander Schmitt Glaeser, Michael Schuhmacher, Armin Surma, Rüdiger Usselmann und Henning Frankenberger sowie meinen Eltern und Schwiegereltern. Ein besonderer Dank geht an meine Frau und meinen Sohn Arthur. Höchberg, im Mai 2000
Christoph Gößwein
Inhaltsübersicht Vorbemerkung I. Die Kreationsmöglichkeit im Recht-die Unbestimmtheit des Kontexts der Rechtsfortbildung des allgemeinen Rechts II. Bezugsrahmen: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts
19 22
Erster Teil
Zur Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts für das Verfahrensrecht der administrativen Normsetzung A. Allgemeines Verwaltungsrecht und Reform der administrativen Normsetzung I. Öffentliches Recht im Wandel II. Folgerungen für die Entwicklung des allgemeinen Verwaltungsrechts B. Begriffe und Gegenstände I. Administrative Normsetzung, allgemeines Verwaltungsrecht und Verfahrensrecht II. »Allgemeines* Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung als Desiderat einer reformierten Verwaltungsrechtslehre? C. Problemebenen der Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung .... I. Rechtskulturelle Widerstände II. Politische Widerstände III. Faktische Normbildungsmacht IV. Strukturelle in Besonderheiten des Verfahrensrechts für Normsetzung gründende Widerstände der Verallgemeinerung und Verrechtlichung
26 28 35 41 41 51 60 60 63 65 69
Zweiter Teil
Allgemein-gültige* Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung durch Ergänzung der »allgemeinen* Verwaltungsverfahrensgesetze? A. Administrative Normsetzung und Verwaltungsrecht I. Administrative Normsetzung und ihr Ort in den Verwaltungsgesetzen II. Administrative Normsetzung und »allgemeine4 Verwaltungsverfahrensgesetze . III. Die Aufgabe der Kodifikation des .allgemeinen* Rechts B. Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein als Modell einer verwaltungsverfahrensgesetzlichen Regelung der administrativen Normsetzung? I. Hintergründe II. Einzelne Regelungen III. Bewertung C. Gesetzgebungsvorschlag zur allgemeinen Öffentlichkeitsbeteiligung für jeden Fall der Verordnungsgebung als Modell?
103 103 106 109 111 111 112 118 119
8
Inhaltsübersicht
D. Der Regelungsentwurf des japanischen VwVfG zu „Untersuchungsrichtlinien" und Richtlinien für belastende Verfügungen als Modell? 123 E. Inkurs zur Methodik der Rechtsvergleichung auf der Systemebene des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts 126 I. Die Unsicherheit der Begriffe des »tertium comparationis4 126 II. Rechtsvergleich der Rechts-und Verfahrensform von Rechtssätzen 130 III. Die Bedeutung der Binnenrechtsvergleichung für die Rechtsfortbildung des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts 132 E Der Gesetzentwurf des UGB-KomE als Modell und Maßstab für Rechtsvereinheitlichung und Verallgemeinerung zur administrativen Normsetzung? 133 I. Gesetzgebungssystematische Einordnung 133 II. Grundlagen des Umweltschutzes und das zugrundeliegende Rechtsverständnis 134 III. Verallgemeinerungsfähigkeit des Regelungsmodells des UGB-KomE zur Verordnungsgebung 139 IV. Verallgemeinerungsfähigkeit des Regelungsmodells des UGB-KomE zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften 169 V. Regelsetzende Bekanntmachungen sachverständiger Stellen und deren Rezeption durch das öffentliche Recht 179 VI. Zielfestlegungen, Selbstverpflichtungen, Verträge und Satzungen 189 VII. Anhang: Weitere Regelungen des UGB-KomE zur Recht- und Regelsetzung außerhalb des Dritten Abschnitts 202 Dritter Teil
Folgerungen zur Möglichkeit und zur Bedeutung eines »allgemein-gültig* kodifizierten Verwaltungs(verfahrens)rechts der administrativen Normsetzung A. Normsetzungsverfahrensrecht und .allgemeines4 Verwaltungsverfahrensgesetz I. Der politische Charakter von Nonnsetzungsverfahren und die Erwartung des Bürgers gegenüber verwaltungsverfahrensgesetzlichen Normen II. Organisationsrecht und Normsetzungsverfahrensrecht als Problem des »allgemeinen4 Verwaltungsverfahrensgesetzes III. Grenzen der Einheitsbildung für »organisationsbedingtes Verfahrensrecht 4 durch Gesetzgebung des »allgemeinen4 Verwaltungs Verfahrensgesetzes B. Gouvernementale Normsetzungsverfahren, »allgemeine4 Öfifentlichkeitsbeteiligung, »allgemeines4 Recht der Veröffentlichung von administrativen Normsetzungsprozessen C. »Allgemeines4 Verfahrensrecht der Satzungsgebung? D. »Allgemeines4 Recht zur Beschlußfassung von mit Normsetzung befaßten Kollegialorganen? E. Bürgerbegehren/Bürgerentscheid und Reform des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts der administrativen Normsetzung F. Ausblick
Thesen
217 217 218 223
225 227 229 231 236
243
Literaturverzeichnis
259
Sachwortverzeichnis
301
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung I. Die Kreationsmöglichkeit im Recht-die Unbestimmtheit des Kontexts der Rechtsfortbildung des allgemeinen Rechts II. Bezugsrahmen: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts
19 22
Erster Teil
Zur Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts für das Verfahrensrecht der administrativen Normsetzung A. Allgemeines Verwaltungsrecht und Reform der administrativen Normsetzung I. Öffentliches Recht im Wandel 1. Rechtlich-politische Grundvorstellungen im Wandel modemer Staatlichkeit 2. Handlungsformen, Rechtsformen, Rechtsnormen, Rechtsetzung - Entgrenzungstendenzen und Informalisierung, Unübersichtlichkeit 3. Insbesondere: Administrative Normsetzung II. Folgerungen für die Entwicklung des allgemeinen Verwaltungsrechts 1. Wahrnehmung des Wandels modemer Staatlichkeit und Dogmatik 2. Wahrnehmung des Wandels modemer Staatlichkeit und verwaltungsrechtliche Systembildung 3. Formungsauftrag des allgemeinen Verwaltungsrechts? 4. Konstruktion und Selektion als Gestaltungsprinzipien der Rechtsfortbildung des allgemeinen Verwaltungsrechts 5. Folgerungen für die Rechtsfortbildung des allgemeinen Verwaltungs(verfahrens)rechts der administrativen Normsetzung B. Begriffe und Gegenstände I. Administrative Normsetzung, allgemeines Verwaltungsrecht und Verfahrensrecht 1. Erscheinungsformen administrativer Normsetzung a) Der Fokus: Breitenwirksame Programmierung b) Ebenen und Wege rechtlicher Formung in der Verknüpfung des Verfahrens- mit dem Rechtsformgedanken c) Programmierende Verwaltungsentscheidungen 2. Das Recht der Rechtsetzung a) Insbesondere: Verfahrensrecht für Gesetzesnormen b) Insbesondere: Normsetzungsverfahrensrecht für Verwaltungsvorschriften II. .Allgemeines4 Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung als Desiderat einer reformierten Verwaltungsrechtslehre? 1. Normsetzungsverfahrens- und Normsetzungsorganisationsrecht
26 28 28 31 33 35 35 36 37 39 40 41 41 43 43 44 45 47 47 49 51 51
10
Inhaltsverzeichnis
2. Die Gestalt des Gesetzesstaats: Die system(at)ische Verschränkung von Normsetzungsorganisation, Normsetzungsverfahren und Normwirkungen .. 3. Der Zustand der Gesetzgebung: Normsetzung als (Staats-) Funktion im Wandel 4. »Allgemeine* Optimierungsnorm zu Oiganisation und Verfahren der Normsetzung? 5. Zusammenfassend zur Tendenz, die Lösung der Probleme der Normsetzung im Verfahrensrecht zu suchen C. Problemebenen der Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung .... I. Rechtskulturelle Widerstände II. Politische Widerstände 1. Vorherrschendes politisches Vorurteil 2. Das politische Vorurteil verfehlt die Besonderheit der rechtlichen Systemfortschreibung auf der Ebene des .allgemeinen' Teils III. Faktische Normbildungsmacht 1. Die Ausgangsfrage impliziert auch die Suche nach »allgemeinem' Recht für administrative Normanwendung 2. Die Trias: Normsetzung, Normanwendung, Nonnbildung 3. .Allgemeines' Recht für administrative Normsetzung als Einschränkung administrativer Freiheit bei der Normsetzung, Normanwendung, Normkonkretisierung, Normbildung IV. Strukturelle in Besonderheiten des Verfahrensrechts für Noimsetzung gründende Widerstände der Verallgemeinerung und Verrechtlichung 1. Allgemeinheit und Einheitsbildung durch Vereinfachung und Abstraktion .. a) Grenzen der Vereinfachung im Recht als Grenzen der Steuerung durch Recht b) Die systemformende Funktion der Abwägungsentscheidung über Einfachheit und Allgemeinheit im Recht c) Die Funktion des ,allgemein(er)en' Rechtsbegriffs, die Konkretisierungsprozesse zu konkreter Normativität »allgemein' zu verfassen: Vorund Nachteile der Abstraktion 2. Grenzen der »Allgemeinheit' einer Verfahrenslehre der administrativen Normsetzung und ihrer Verrechtlichung a) Funktionen von Verfahrensrecht aa) Instrumentelle Funktion bb) Expressive Funktion cc) Funktion reiner Verfahrensgerechtigkeit dd) Heteroteleologische Funktion b) Der Organisations- und Sachbezug des Verfahrensrechts als Problem eines gesetzlich »allgemein-gültig4 gesetzten Verfahrensrechts c) »Allgemeine' Verfahrenslehre und »allgemeine' Fehlerfolgenlehre d) Rechtsfortbildung des materiellen Rechts im Unterschied zur Rechtsfortbildung des Verfahrensrechts e) Die Allgemeinheit des Verfahrensrechts(gedankens) f) Grenzen der Steuerung durch Verfahrensrecht 3. Anforderungen an die Struktur und die Statik eines »allgemeinen' Verfahrensrechts der Normsetzung a) »Allgemeine' Verfahrensregelungen trotz Vielfalt der Verwaltungszwekke und Normgeber
53 54 56 57 60 60 63 63 64 65 65 66
68 69 69 69 71
72 73 74 75 76 76 77 78 79 80 82 83 85 85
Inhaltsverzeichnis b) Die Bedeutung der »allgemeinen4 Verfahrensform für die (Rechts-) Form des Staates 88 c) Die Bedeutung der Rechtsform für die Verfahrensform 89 d) Die Formorientierung der Verfahren und der experimentelle Charakter von Verfahrensrecht 91 e) Beteiligung und Verfahrensrechtsverhältnis 92 aa) Beteiligung bei der konkreten Verwaltungsentscheidung ,vor Fall und Ort4 vs. Beteiligung bei Entscheidungen über Normsetzung .. 93 (1) Die Gründe für die Verfahrensbeteiligung bei konkreten Verwaltungsentscheidungen 93 (2) Die Unverfügbarkeit des kategorialen Bedeutungsunterschieds zwischen Norm und Einzelakt 94 (3) Inkurs: Die Bedeutung der Gesetzesnorm 95 - Die Bedeutung der Gesetzesnorm im Grundmodell der Gesetzesanwendung 95 - Die Bedeutung der Gesetzesnorm für das Gesetzessystem der Rechtsordnung 96 bb) Die demokratische Bedeutungsdimension der Beteiligung an Normsetzungsverfahren 96 cc) »Allgemeine4 Öffentlichkeitsbeteiligung und die Unterscheidung zwischen Volkswillens- und Staatswillensbildung 99 dd) Ergebnis: Nichtübertragbarkeit der Gründe für die Beteiligung an konkreten Verwaltungsentscheidungen auf Normsetzungsverfahren 101 Zweiter Teil
,Allgemein-gültige* Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung durch Ergänzung der »allgemeinen* Verwaltungsverfahrensgesetze? A. Administrative Normsetzung und Verwaltungsrecht 103 I. Administrative Normsetzung und ihr Ort in den Verwaltungsgesetzen 103 1. Verwaltungsgesetze zur administrativen Normsetzung 103 2. Verwaltungsgesetze zur Regierungsgesetzgebung 104 3. Regelungsstruktur und -ebene ergeben sich aus tatsächlichen» rechtstatsächlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen 105 II. Administrative Normsetzung und »allgemeine4 Verwaltungsverfahrensgesetze . 106 1. Die Sondersituation der Gesetzgebung zum »allgemeinen4 Verwaltungs(verfahrens)recht 106 2. Verwaltungsverfahrensgesetze und Begriff des Verwaltungsverfahrens 107 3. Motive zur Erweiterung der Verwaltungsverfahrensgesetze um die Regelung der administrativen Normsetzung 109 III. Die Aufgabe der Kodifikation des »allgemeinen4 Rechts 109 B. Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein als Modell einer verwaltungsverfahrensgesetzlichen Regelung der administrativen Normsetzung? 111 I. Hintergründe 111 II. Einzelne Regelungen 112 1. Begriff der Rechtsverordnung 112
Inhaltsverzeichnis
12 2. 3. 4. 5.
C. D. E.
F.
„Landesverordnungen" 112 Kommunale Rechts Verordnungen 114 Regelung von Selbstverständlichkeiten 114 Form und Veröffentlichung von Rechtsverordnungen und Satzungen (nicht Venvaltungsvorschriften) 114 6. Verweisungen und Bewilligungsrichtlinien 116 III. Bewertung 118 Gesetzgebungsvorschlag zur allgemeinen Öffentlichkeitsbeteiligung für jeden Fall der Verordnungsgebung als Modell? 119 Der Regelungsentwurf des japanischen VwVfG zu „Untersuchungsrichtlinien" und Richtlinien für belastende Verfügungen als Modell? 123 Inkurs zur Methodik der Rechtsvergleichung auf der Systemebene des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts 126 I. Die Unsicherheit der Begriffe des »tertium comparationis4 126 II. Rechtsvergleich der Rechts-und Verfahrensform von Rechtssätzen 130 III. Die Bedeutung der Binnenrechtsvergleichung für die Rechtsfortbildung des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts 132 Der Gesetzentwurf des UGB-KomE als Modell und Maßstab für Rechtsvereinheitlichung und Verallgemeinerung zur administrativen Normsetzung? 133 I. Gesetzgebungssystematische Einordnung 133 II. Grundlagen des Umweltschutzes und das zugrundeliegende Rechtsverständnis 134 1. Bürgerverantwortung, Kooperationsprinzip, rechtliche Rahmensteuerung .. 135 2. Methodische Grundannahmen 137 3. Abwägung als allgemeines Rechtsprinzip 138 III. Verallgemeinerungsfähigkeit des Regelungsmodells des UGB-KomE zur Verordnungsgebung 139 1. Ausgangspunkt: Sachgeprägtheit des Allgemeinen Teils des UGB-KomE .. 139 2. Mögliche Ansatzpunkte für Verallgemeinerung 141 a) Materiell-rechtliche und formell-rechtliche Dimensionen der Verallgemeinerungsmöglichkeit - Einheitsbildung und Vereinheitlichung 141 b) Die Umweltkommission: Eine Form zwischen Mitwirkung und Beteiligung der Öffentlichkeit 142 aa) Das Konzept der in der Umweltkommission mediatisierten Öffentlichkeitsbeteiligung - Funktion und Motive 142 bb) Verfahrensrechtliche Gleichstellung der qualifizierten Verwaltungsvorschriften mit Rechtsverordnungen 145 cc) Institutionalisierte Mitwirkung oder Beteiligung der Öffentlichkeit - Staatlich organisierte Öffentlichkeit durch Institutionalisierung des Beteiligungsinteresses der Öffentlichkeit? 146 dd) Die erweiterte Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 20 UGB-KomE . 149 ee) Verfahrensrechtliche Absicherung der Bedeutung der Umweltkommission gegenüber Bundesrat und Bundestag 150 ff) Verallgemeinerungsfähigkeit des Modells der institutionalisiert-rekonstruierten Öffentlichkeitsbeteiligung für die administrative Normsetzung im allgemeinen und im besonderen? 151 (1) Zur Verallgemeinerungsfähigkeit des Vertrauens auf selbstregulatorische und verfahrenspraktische Rationalität 153 (2) Eigenwertige Funktionen des Normsetzungsverfahrensrechts 154
Inhaltsverzeichnis (3) Die .allgemeine' Zuständigkeit der Umweltkommission 156 (4) Zur Verallgemeinerungsfähigkeit der Idee, die Beteiligung der Öffentlichkeit in der Form des exekutivischen Dialogs mit einer .allgemein-zuständigen' Kommission zu denken 157 c) Verfahrensrechtliche Differenzierung nach unterschiedlicher Rechtswirkung der Verordnungsgebung 163 d) Zentrierung, Dezentrierung, Dezentralisierung bei der Verordnungsermächtigung zum Erlaß von Richtwerten 164 e) Gemeinschaftsrechtsakzessorische Verordnungsgebung und Parlamentsvorbehalt 164 0 Die Adressaten der Ermächtigung 165 g) Begründungs-, Öffentlichkeits-und Veröffentlichungspflichten 165 h) Mitwirkung von Bundesrat und Bundestag 166 i) Eilverordnungen 167 j) Normpflege: Implementation, Evaluation, Revision 168 IV. Verallgemeinerungsfähigkeit des Regelungsmodells des UGB-KomE zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften 169 1. Die umweltrechtliche Begründungssituation 169 2. Die Verwaltungsvorschrift als umweltrechtliche Handlungsform 170 a) Funktion ·. 170 b) Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift 172 c) Auswahlermessen bezüglich der Handlungsform, keine Pflicht zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften 173 3. Verbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften nach §§25, 26 UGB-KomE .. 174 4. Ermächtigung, Kompetenz und Mitwirkung 175 5. Verfahren im engeren Sinne und Veröffentlichungspflicht 175 6. Implementation, Evaluation, Revision von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften 177 V. Regelsetzende Bekanntmachungen sachverständiger Stellen und deren Rezeption durch das öffentliche Recht 179 1. Ausgangspunkt: Abhängigkeit des Staates von technischen Regelwerken für das Umwelt- und Technikrecht 179 2. Unmittelbare Rezeption durch exekutive Normsetzung: Verweisung auf technische Regelwerke 181 3. Amtliche Einführung von technischen Regelwerken 183 a) Voraussetzungen und Hintergründe 183 b) Verfahren 183 c) Normpflege: Änderung, Implementation, Revision 184 d) Rechtswirkung der amtlichen Einführung von technischen Regelwerken 185 e) Zusammenfassende Bewertung 188 VI. Zielfestlegungen, Selbstverpflichtungen, Verträge und Satzungen 189 1. Ausgangspunkt: Kooperationsbereich exekutiver Normsetzung und gesellschaftlicher Selbstregulierung 189 2. Neuere Steuerungsinstrumente im weiteren Zusammenhang der exekutiven Normsetzung 191 a) Zielfestlegungen 191 b) Selbstverpflichtungen 193
14
Inhaltsverzeichnis c) d) e) f) g)
Normersetzender Vertrag Verbindlicherklärung Öffentlich-rechtlicher Umweltschutzvertrag Private Umweltschutzverträge, Umweltschutzkartelle Recht- und Regelsetzung als Selbstverwaltungsaufgabe öffentlich-rechtlicher Umweltgebiets verbände 3. Zusammenfassende Bewertung VII. Anhang: Weitere Regelungen des UGB-KomE zur Recht- und Regelsetzung außerhalb des Dritten Abschnitts 1. Beteiligung von Verbänden a) Motive b) Das Beteiligungsrecht der anerkannten Verbände c) Verbandsklage 2. Gerichtliche Kontrolle a) Umweltschutz und Funktion der Rechtsprechung b) Insbesondere § 43 UGB-KomE: Überprüfung von Prognosen und Bewertungen 3. Drittschutz
195 196 197 197 198 200 202 202 202 204 206 207 207 208 216
Dritter Teil Folgerungen zur Möglichkeit und zur Bedeutung eines ,allgemein-gültig' kodifizierten Verwaltungs(verfahrens)rechts der administrativen Normsetzung A. Normsetzungsverfahrensrecht und »allgemeines' Verwaltungsverfahrensgesetz I. Der politische Charakter von Normsetzungsverfahren und die Erwartung des Bürgers gegenüber verwaltungsverfahrensgesetzlichen Normen II. Organisationsrecht und Normsetzungsverfahrensrecht als Problem des ,allgemeinen' Verwaltungsverfahrensgesetzes III. Grenzen der Einheitsbildung für »organisationsbedingtes Verfahrensrecht' durch Gesetzgebung des .allgemeinen' Verwaltungs Verfahrensgesetzes B. Gouvernementale Normsetzungsverfahren, .allgemeine' Öffentlichkeitsbeteiligung, .allgemeines' Recht der Veröffentlichung von administrativen Normsetzungsprozessen C. .Allgemeines' Verfahrensrecht der Satzungsgebung? D. .Allgemeines' Recht zur Beschlußfassung von mit Normsetzung befaßten Kollegialorganen? E. Bürgerbegehren/Bürgerentscheid und Reform des »allgemeinen' (Verwaltungs-) Rechts der administrativen Normsetzung F. Ausblick Thesen
217 217 218 223
225 227 229 231 236 243
Literaturverzeichnis
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SachWortverzeichnis
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Abkürzungen a. Α. a. a. 0. a. E. a. F. ABl. Abs. AG Ani. Anm. AöR Art. Aufl. Az. BAnz. BayOblG BayVBl. BB Bd. Bde. Bf. BFH BFHE BGBl. Β HO BImSchG Br.-Drs. BSG BSGE Bt.-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. d. h. ders. DJT DÖV Drs. DVB1. ebd. EuGH EuGRZ EuR
anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Amtsblatt Absatz Amtsgericht Anlage Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Aktenzeichen Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater Band Bände Beschwerdeführer Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundesgesetzblatt Bundeshaushaltsordnung Bundesimmissionsschutzgesetz Bundesrat-Drucksache Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestag-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise das heißt derselbe Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsche Verwaltungsblätter ebenda Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht
16 f. FAZ ff. FN gem. GenTG GeschO GG ggf. h. A. h. L. h. M. Halbbd. HdBVerfR Hrsg. hrsg. HS HStR i. d. F. i. d. S. i. S. i. S. d. i. V. m. insb. Jhg. JuS JZ Kap. KJ Krw-/AbfG LG LS LVwG m. N. m. w. N. m. ζ. N. m. z. w. N. NdsVBl. NJ NJW Nr. NVwZ NwVBl. NZZ ProfE Rn Rs. Rspr. S. s. s. a.
Abkürzungen folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fußnote gemäß Gentechnikgesetz Geschäftsordnung Grundgesetz gegebenenfalls herrschende Ansicht herrschende Lehre herrschende Meinung Halbband Benda, Emst/Maihofer, Werner/Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts Herausgeber herausgegeben Halbsatz Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts in der Fassung in diesem Sinne im Sinne im Sinne der/im Sinne des in Verbindung mit insbesondere Jahrgang Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kritische Justiz Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Landgericht Leitsatz Landesverwaltungsgesetz mit Nachweisen mit weiteren Nachweisen mit zahlreichen Nachweisen mit zahlreichen weiteren Nachweisen Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Züricher Zeitung Professorenentwurf, abgedruckt in UGB-AT1990 sowie UGB-BT 1994 (siehe im Literaturverzeichnis) Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Seite/Satz siehe siehe auch
Abkürzungen sog. SRU st. Rspr. StWuStP Tz. u. a. UGB-AT UGB-BT UGB-KomE Urt. UTR V. Verf. VG VO VVDStRL VwGO VwVfG z.B. zit. ZRP
sogenannte siehe im Literaturverzeichnis ständige Rechtsprechung Staatswissenschaften und Staatspraxis Teilziffer und andere/unter anderem siehe im Literaturverzeichnis siehe im Literaturverzeichnis siehe im Literaturverzeichnis Urteil Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts vom Verfasser Verwaltungsgericht Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik
Vergleiche im übrigen zu weiteren hier nicht aufgelösten Abkürzungen die Hinweise im Literaturverzeichnis sowie schließlich Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin 1993.
2 Gößwein
Vorbemerkung I. Die Kreationsmöglichkeit im Recht die Unbestimmtheit des Kontexts der Rechtsfortbildung des allgemeinen Rechts Gegenstand und Kreationsmöglichkeiten sind bei den Geistes- und Sozialwissenschaften - anders als bei mathematisch-logischen Wissenschaften - auf die Zeit bezogen. Sie finden in der Zeit eine logische Beschränkung ihrer Wahrnehmbarkeit, aber auch Grenzen ihrer Mitteilbarkeit: Gegenwart und Vergangenheit, ihre Daten und deren Wahrnehmung, legen den Stoff fest. Geisteswissenschaftliche Wahrnehmung ist zeitbezogen, Axiome und Funktionen in der Mathematik beschreiben ihren Gegenstand unabhängig von der Zeit ihrer Erkenntnis. Die Wahrheit oder Unwahrheit einer mathematischen Aussage ist theoretisch unabhängig davon, ob sie früher oder später entdeckt wird 1 . Die zeitabhängigen Gegenstände dagegen werden aus den Vorverständnissen der Gegenwart gelesen2, Zukunft erscheint als Perspektive dieser Gegenwart und ist wissenschaftlicher Behandlung nur zugänglich, soweit vorhandene Thesen, Themen, Temperamente und Materialien eine zukunftsgerichtete Kontinuität wahrscheinlich machen können, die Ableitungen und Prognosen rational erscheinen läßt3. 1
Auch wenn sie als Ergebnis menschlichen Verstandes als zeitgebundene Erkenntnis betrachtet werden kann, so existiert doch ihre Logik zeitentbunden, vgl. Winkler 1995, S. 462ff.; Würtenberger, Der Staat 37 (1998), 315 (316f.). Abgrenzung zu Thomas S. Kuhn: Die These hier bezieht sich auf die logische Struktur der wissenschaftlichen Ergebnisse, nicht auf den dynamischen Prozeß der wissenschaftlichen Erkenntnisfindung; vgl. Kuhn 1988b, S. 357. 2 Zu Wahrheit und Subjektivität der notwendig selbstbezüglichen Theoriebildung in den Sozialwissenschaften Müller-Koch 1991, S. 88 ff. Zum Vorverständnis als Möglichkeit des Verstehens Gadamer 1975, S. 250ff., 261 ff., 275 ff., 307 ff. zur „exemplarischen Bedeutung der juristischen Hermeneutik", 314f. Zur Akzeptanzthematik Lücke 1995, insb. S. 28 f. Zur Rechtswissenschaft als angewandte Normativ- und Entscheidungswissenschaft, als „Geisteswissenschaft" nicht treffend bezeichnet Müller 1997, Rn 191 f.:, Alles muß der praktische Jurist argumentierend entscheiden", das heißt also auf den Verständnishorizont einer verständigen Gegenwart Bezug nehmend, Abgrenzung zu Geisteswissenschaften dort Rn269f.; Eidenmüller, JZ 1999,53 ff.: Rechtswissenschaft als „Realwissenschaft". 3 Wissenschaft bearbeitet Zukunft in einer die Kreation (Imagination, Rationalität) begrenzenden Perspektivierung. Sie ist nicht das selbstinstituierende „Gesellschaftlich-Geschichtliche", nicht der „Zeit-Ort" freierund selbstschöpfender Kreation, vgl. Waldenfels 1991, S. 60 ff.; 64f. mit dem „Satz vom unzureichenden Grund" zur Geschichtsvorstellung von Castoriadis\ Hegel 1981, S. 27: „töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus"; Winkler 1995, S. 464: unabsehbare Fülle der Varianten und Ebenen rechtlich zeitgebundener Erzeugung und zeitgebundener Erzeugtheit. Husserl 1955, S. 12 ff. deutet die Reduk2*
20
Vorbemerkung
Diese Begrenzung in der Zeit und die Gegebenheit, daß ausschließlich deren Gegenstände analysiert, interpretiert und konzeptualisiert werden können, leitet solche Fragestellungen in Bahnen, die heute verstanden werden können. In diesem Rahmen ist Erkenntnis als Fortschritt möglich4. Die dabei zu leistende Argumentation soll logisch und darf nicht widersprüchlich sein. Logik kann aber, wenn es sich nicht um einen mathematischen oder naturwissenschaftlichen Gegenstand handelt, die entscheidenden Fragen und Antworten nicht geben, sondern höchstens vorbereiten 5. Bei der Suche nach Antworten können zureichende Begründungen nur unter Einbeziehung substantieller Argumentationsebenen gefunden werden. Substantielle Argumentation findet ihre Materialien nicht außerhalb der Zeit, sondern nur in der Zeit 6 . Unter diesem Vorbehalt zur Erkenntnis- und Erfindungsmöglichkeit finden in solchermaßen zeitbedingten Wissenschaften, wie dies auch für die Rechtswissenschaft zutrifft, Weiterentwicklungen statt. Der Bezug zur wirklichen Zeit gibt ihnen den Rahmen und trennt sie von Science Fiction 7. Eine weitere Begrenzung erfahrt eine Abhandlung auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft, sofern sie nicht ausschließlich logisch-rechtstheoretischer Art ist, durch Vorgaben, die ihr die zeitliche Dogmatik setzt und die als vorverstanden zum Ausgangspunkt genommen werden müssen8. tion von „Dingen des Rechts" auf ein „System von Sinneskernen" als „Entzeitung" des Rechts und Beleg für seine Allgemeingültigkeit. Zu „metaempirischen" objektiven Bedingungen wissenschaftlichen Wandels siehe Toulmin 1983, S. 284ff.; zur Bedingung der Kommunizierbarkeit Luhmann 1991, S. 7,23 f., 38 f.; vor diesem Hintergrund interessant Wieacker 1967, S. 43ff. zum Kontinuitätsbegriff als Begriff der Gesetzlichkeiten der europäischen Rechtsgeschichte. 4 Zu juristischen Entdeckungen vgl. die Beispiele bei Dölle 1958, Β 3ff., 7ff., lOff., 12ff., 15 ff., 19ff.; die Beispiele bei Zippelius 1994, S. 25: Stellvertretung, Gewaltenteilung, parlamentarisches Regierungssystem; Ehrlich 1925, S. 227ff.: neues Juristenrecht als Werk der Einbildungskraft, nie Ausfluß logischer Ableitung; von Hippel, JZ 1998, 529 (530ff.), Badura 1998, Rn 18 m. N. zur Entdeckung des spezifischen Verwaltungsverfahrens, hierzu auch Hagen 1971, S. 47; Pitschas 1990, S. 90ff. für das Verwaltungsverfahrensrecht. Zum Thema des Paradigmenwechsels der innerhalb eines disziplinaren Systems arbeitenden Forschergemeinschaft und der Umstände der „rechtsfortbildenden Regelbildung" Eidenmüller, JZ 1999, 53 (57 f.). Vgl. auch die im Abkürzungsverzeichnis von Wieackers Privatrechtsgeschichte vom Sachregister abgeschichtete Ordnung der geschichtlich erfundenen Begriffe, Institute und Materien (Sachgebiete) des Privatrechts, Wieacker 1967, S. 654ff. 5 Vgl. Neumann 1994, S. 299, 315 f. Als Beispiel für die Unerläßlichkeit problementscheidender substantieller Argumentation: Alexy, JZ 1986,701 (716); s. a. Kley-Struller 1995, S. 172 (Rn 28), 201 ff. 6 Holmes, The Common Law (1881), S. 1 : „The life of law has not been logic: it has been experience", zit. nach von Hippel, JZ 1998, 529 (531 in FN 21); in diese Richtung auch Ehrlich 1913, S.277. 7 Faber 1989, S. 291 : „Längerfristige Umbauten der Dogmatik setzen aber eine Theorie voraus, die, wenn sie der Entwicklung nicht wieder bloß nachhinken soll, ein Stück .Zukunftswissenschaft4 in sich aufnehmen muß". Der Begriff „Zukunftswissenschaft" geht auf Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 251 zurück. Zur „Organisation der Zeit durch Methodenwahl" Schuppen, AöR 120 (1995), 32 (72); Häberle 1983, S. 300ff.; Häberle 1998, S. 93ff. S. a. Raap 1999 sowie Goetz 1992, zit. unten in FN 372. 8 Vgl. zumrichterlichen und wissenschaftlichen Rechtsschöpfungsprozeß Di Fabio 1994, S. 461 f. m. Ν.; Müller 1997, Rn406: „Dogmatik das Reservoir der sich zurZeit durchsetzenden
Vorbemerkung
Die vorliegende Untersuchung bemüht sich um die Einführung und Erläuterung einer Fragestellung, die möglicherweise in dieser Zeit liegt: Das Erkenntnisinteresse besteht darin, Ansatzpunkte für die Rechtsfortbildung der administrativen Normsetzung i. S. d. Reform des allgemeinen Verwaltung(verfahrens)rechts zu suchen. Um diesen interpretatorisch offenen Rahmen zu begreifen und in ein Verstehen des Kontexts umzuwandeln9, geht die Arbeit auf eine Vielzahl der in diesem Zusammenhang relevanten Fragen ein und versucht so den Komplex einzukreisen10. Zu Beginn stand die von den Diskussionen zur Modernisierung des Verwaltungsrechts bzw. Öffentlichen Rechts allgemein inspirierte Idee eines Gesetzentwurfs über die administrative Normsetzung als Ergänzungs- und Änderungsgesetz der »allgemeinen4 Verwaltungsverfahrensgesetze. Daraus folgt die Begrenzung auf die Frage, inwieweit eine solche Regelung auf dieser gesetzgebungssystematisch allgemeinen Ebene sinnvoll wäre. Die Kodifikationsperspektive ist die des rechtsfortbildend gestaltenden Gesetzgebers: Sie provoziert die Suche nach »allgemein-gültigen* Problemlösungen der reformbedürftigen Gegenstände der administrativen Rechtsetzung: Ein Gesetz ist als umgekehrte Fallösung zu entwerfen, ausgehend von dem Versuch, eine umfassende i. S. v. verallgemeinerungsfähige und daher abstrakte Lösung der vielfältigen Fallprobleme in den vorgegebenen rechtlichen Kontext zu stellen. Je systematisch11 allgemeiner also die gesetzgeberisch angezielten Rechtsschichten sich darstellen, desto umfassender ist die wirkliche Menge der eingeschlossenen juristischen Bedeutungsfestsetzungen und Referenzfixierungen; also der Positionen zur Bedeutung und zur Art des Wirklichkeitsbezugs des ,geltenden Rechts4 (der Gesamtmenge der in Kraft befindlichen Normtexte)" (kursiv von Verf.); zum „Problem" der Dogmatisierung Albert 1975, S. 221 ff., 237ff.; Raap 1999, S. 118: wissenschaftliche „Mimikry". S. a. Kley-Struller 1997, S. 155 ff., 172, 197ff.; Beierstedt 1978, S. 260ff., 280; zur praktischen Orientierung juristischer Theoriebildung Luhmann 1993, S.9ff.; Wegge 1996, S. 15ff. 9 Auch i. S. Essers Begriff der „ E r k u n d u n g des vordogmatischen Problemfeldes", aufgenommen bei Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 167. Zur UnbestimmbarkeitAJnbestimmtheit des „Kontextes" vgl. Gamm 1994, S. 151 ff., 165 f., 235 ff., 153: „Einen Kontext aufrufen heißt: Eindeutigkeit aus unbestimmter Bestimmtheit zu schöpfen" (kursiv im Org.). 10 Vgl. Feyerabend 1976, These 3,5,7 im analytischen Inhaltsverzeichnis zur „Relativität aller Bewegung" und zum „Gesetz der Trägheit der Kreisbewegung"; lyrisch Kiwus 1997, S. 19: „Wenn Bilder zum Metacode der Kunst entgegenständlichen, seltsam, daß die unreifen gesellschaftlichen Visionen dem entsprechen, was wir wahrnehmen, das bodenlose oder bodennahe Personal einer Idee, sich selber bedeutende Bilder, in der Hierarchie der Jetzt- und Endzeit." Ersetzt man „Kunst" durch „Wissenschaft", entsteht aus dieser kunsttheoretischen eine aussagekräftige wissenschaftstheoretische Aussage: Die Ebene des allgemeinen (Verwaltungs-) Rechts involviert das disziplinare System als Ganzes, also auch dessen symbolisch-bildhafte Verallgemeinerungen und Werte, vgl. Kuhn 1970, S. 1 lOff.; Kuhn 1988 a, S. 446ff. zum Verhältnis Wissenschaft und Kunst; van Loon 1962, S. 172 zum Staat als auf soziale Deutungen verwiesenes Kunstwerk; zur Kunstnähe der „historischen Geisteswissenschaften" Gadamer 1975, XVIf.; s. a. Kubler 1982, S. 116 ff. 11 Im umfassenden Sinne, also nicht auf die mögliche, an der Formulierung gesetzgebungstechnischer Figuren orientierte, Unterscheidbarkeit „Allgemeiner Teile" in systematische (logische oder konstruktive) bzw. grundsätzliche (methodische oder rechtspolitische) bezogen,
22
Vorbemerkung
Fallprobleme und desto größer ist die verlangte Reduktionsleistung der rechtssystematischen Inklusion (,gesetzgeberische Lösung'). Neben den theoretischen (systematischen) Problemen könnte ein solcher Entwurf zu weit mehr als Verfahrensregelungen Stellung nehmen12. Die Ausgangsfrage wird deshalb als weitere thematische Eingrenzung wirksam: Sie leitet die Suche nach der abstrakt erreichbaren Allgemeinheit i. S. ν., Allgemein-Gültigkeit' des Verfahrensgedankens 13 in der administrativen Normsetzung. Abstraktion ist die Verlagerung auf den Schwerpunkt einer kontextbestimmten Aussage - gemeinhin akzeptiert als Reduktion der Wirklichkeit auf ihre Invarianten. Jeglicher Wandel im Rechtfindet in der (Zeit-) Dauer statt. Insoweit begründet „allgemeines" Recht seine »Allgemein-Gültigkeit* auch durch Abstraktion auf Varianten hin14: Die mit der Verrechtlichung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen bewirkte Gestaltung eines allgemeinen Rechts der administrativen Normsetzung ist Ausdruck »allgemein-gültig4 gesetzter Thesen zur Kreation des allgemeinen (Verwaltungs-) Rechts. Ihre Begründung ist zugleich die zeitbestimmt willkürliche Behauptung des Kontexts der Rechtsfortbildung des allgemeinen Rechts als Projektion in die Zeit15.
II. Bezugsrahmen: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts Die Frage nach Notwendigkeit, Möglichkeit und Bedingungen eines »allgemeinen4 Verfahrens- und Verwaltungsrechts der administrativen Normsetzung schließt an die seit einiger Zeit mit erheblichem Aufwand geführten Diskussionen um die Re-
vgl. Rödig 1976, S. 335 f. (Diskussionsbeitrag). S. a. Wieacker 1967, S. 488; Sendler 1999, S. 30f. 12 Auf einer darüberliegenden mittleren Abstraktionsebene halten die Verfasser des aktuellen Entwurfs für ein Umweltgesetzbuch (UGB-KomE 1998) 30 Paragraphen der angezielten Kodifikationsidee und gesetzgebungssystematisch auf der Ebene des „allgemeinen Teils " eines Umweltgesetzbuches für angemessen. Sie sind dort vier Unterabschnitten mit ζ. T. eingehenden Detaz/regelungen zugeordnet. Dazu kommen noch weitere wichtige, systematisch (auch) die Rechtsetzung betreffende Regelungen zur Beteiligung von Verbänden, zum Rechtsschutz und zur sachverständigen Beratung durch Kommissionen, die der Gesetzentwurf auf andere Gliederungsabschnitte verteilt. S. hierzu eingehend ab FN 594. 13 In der Offenheit und Weite der Begriffsverwendung von Pitschas 1990 (Vorwort), der diesen Begriff zur Beschreibung der Grundvorstellung und Intention seines , Jconsensualen" Verwaltungsrechts verwendet, S. 150ff., 152 bei FN 80 zur Einwirkung des „Evolutionsmechanismus" Verfahren auf die „Entwicklungsmodelle des Rechts"; umfassend aufgefaßt auch bei Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 87. 14 Sie ist deshalb in gegenüber dem herkömmlichen rechtsdogmatischen Arbeitsprogramm anderer, tendenziell thetischer Form auf die Begründung ihrer Urteile bzw. Behauptungen angewiesen. Vgl. auch von Savigny 1840, S. 44 (zit unten in FN 105) sowie Gamm 1994, S. 153 mit wörtlichem Zitat soeben in FN 9. 15 S. ergänzend und näher bei FN 124ff., 298 ff.
Vorbemerkung form des Allgemeinen Verwaltungsrechts an 16 . Dies gilt besonders für die Suche nach einem (Verfahrens-) Recht der Verwaltungsvorschriften 17, weil dadurch, rechtlich formend und fordernd, auch der staatliche Innenbereich zum Gegenstand außenrechtlichen Interesses gemacht wird. Eine solche Fragestellung entsteht aus dem Geist der Erkenntnis, daß sich Staat und Gesellschaft in einer Verfassung befinden 18, die kritische Fragen nach der Steuerungskraft des Rechts 19 , einer verfassungsgerechten Staatsaufgabenlehre 20, dem juristischen Verhältnis von Staat und Gesellschaft 21, der Einbeziehung von Empirie in juristische Systematik und Begriffsbildung, nach den Epistemen des Rechts 22 , dem 16
Vgl. Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400ff.; ders., DVB1. 1994, 1381 ff.; HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.) 1993; H offmann-Riem!Schmidt-Aßmann (Hrsg.) 1990a, 1990b, 1994, 1996, 1998; Schmidt-.Aßmann/ H offmann-Riem (Hrsg.) 1997; H offmannRiem! Schneider (Hrsg.) 1996,1998; Schmidt-Aßmann 1998 und dessen Literaturverzeichnis als Fundgrube. Zur Reform des Verwaltungsverfahrensrechts Blümeil Ρ itschas (Hrsg.) 1994,1997; Hoffmann-Riem, AöR 119 (1994), 590ff.; zur Handlungsformenlehre Becker-Schwarze!Köck! Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.) 1991; König!Dose (Hrsg.) 1993; zum Gesetz als (nach wie vor) zentralem Steuerungsinstrument des Rechtsstaates Schuppert (Hrsg.) 1998; vgl. weiter Bauer, Die Verwaltung 25 (1992), 301 ff.; Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 27 (1994), 277ff.; Trute, DVB1. 1996, 950ff.; zur Nonnsetzung Kloepfer! Eisner, DVB1. 1996, 964ff. Skeptisch Thieme, DÖV 1996, 757ff.; Rekonstruktion als „neuer Methoden- und Richtungsstreit" bei Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (197 ff.), siehe in diesem Zusammenhang auch Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 32 (1999), 241 (250ff., 270ff., 274ff.). 17 Vgl. zu den Konsequenzen des sich üblicherweise auf die Frage der Rechtsquelleneigenschaft konzentrierenden rechtswissenschaftlichen Interesses Schmidt-Aßmann 1998, Rn 75 S. 275; vgl. auch Di Fabio , DVB1. 1992,1338 (1342ff.); abweichender Ansatz schon bei Wittling 1991, die die Publikationspflicht von Verwaltungsvorschriften unabhängig von ihrer unmittelbaren rechtlichen Außenverbindlichkeit für möglich hält (S. 299f. Nr. 2, 9,11). 18 Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (189,191ff., 198:); zur Pluralisierung der Oiganisation der Gemeinwohlverwirklichung Trute, DVB1. 1996, 950 (962 m. ζ. N.); Dreier 1991, S. 211: „neue Problemdimension: Ausdifferenzierung", „vom hierarchischen Ministerialsystem zum Netzwerk verselbständigter Verwaltungseinheiten" mit der Folge prägender „institutionelle(r) Verschränkung von Staat und Gesellschaft" (S. 299). 19 Vgl. Schneider, VerwArch 87 (1996), 38 (45ff. m. N.); Schuppert 1993, S. 65 ff., 84ff., 91 ff., 96ff., 111 ff.: Bereitstellungsfunktion des Rechts; s. a. Grimm 1990a; Grimm (Hrsg.) 1990; Schuppert (Hrsg.) 1998. 20 Vgl. Schulze-Fielitz 1990a, S. 11 ff.; Bull 1990; Wahl 1990; Grimm (Hrsg.) 1994; Sobota 1998; Vaubel 1998. 21 Ehmke 1981, S. 300ff.; Böckenförde 1992, S. 209 ff.; Hesse, DÖV 1975,437ff.; Di Fabio , VVDStRL 56 (1997), S. 274 und These Nr. 27: Idee des sektoralen Staates Verfassungsgebot; Kempen 1989, S. 65; zurückhaltender Schulte 1995, S. 77 ff.; Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (197 ff.); bilanzierend Schmidt-Aßmann 1998, Rn44 S. 25: „moderne Gesellschaften - unbeschadet aller Kooperationsvorgänge - durch eine Trennung von ökonomischem und politischadministrativem System gekennzeichnet"; neuestens Rossen 1999; zur Grundwertediskussion aufschlußreich Gorschenek (Hrsg.) 1977. 22 Vgl. elwzTeubner 1990; Ladeur 1994; Grimm (Hrsg.) 1973.; Eidenmüller, JZ 1999,53ff. (54,60): von der Rechtsanwendungswissenschaft zur systemoptimierenden RechtsetzungsWissenschaft; zum Nutzen der Ökonomischen Theorie für das Öffentliche Recht: Morlok 1998, S. 5ff.; Kirchner 1998; Hesse/Wahl/Wille 1990, bes. S. 313ff.; Schwintowski, JZ 1998, 581 (587f.); Lepsius, Die Verwaltung 32 (1999), 429ff.
Vorbemerkung
24 23
Umgang mit Risiko , der Informationsverarbeitungs- und kommunikativen Kapazität des Rechts24, der Notwendigkeit und (Un-) Erträglichkeit von Informalität der staatlichen Handlungsformen 25 und dem Recht kooperativer Verwaltungsvorgänge26 - um nur einige zu nennen - stellen läßt. Die empirischen Staatswissenschaften berichten von „gesellschaftlichen Vorgängen und Erfahrungen", die auch die Vorstellung über die »Bedeutung4 und die Funktion des öffentlichen Rechts beeinflussen27. Die Rede ist von „mehr oder weniger gescheiterten Versuchen, gesellschaftliche Prozesse umfassend planen und steuern zu wollen. Der reformoptimistische »Wille zur Steuerung4, den ein ,zentralstaatlicher4 institutioneller Unterbau durchsetzungsfähig machen sollte, ist von einer »realistischeren4 Vorstellung abgelöst worden, die den,Staat4, der nunmehr als ein multipler (wenn nicht gar fragmentierter) Akteur betrachtet wird, in ein Netzwerk autonomer kollektiver Akteure eingebettet sieht, die kollektive (Selbst-) Steuerungsversuche als eine Art,Gemeinschaftsaufgabe 4 betreiben442«. Für die Rechtswissenschaft läßt sich daraus die gesteigerte Bedeutung des (Verwaltungs-) Verfahrens- und (Verwaltungs-) Organisationsrechts29 für die Bewältigung von Anforderungen, die die Gegenwart zumeist unter steuerungspraktischen Gesichtspunkten an das Recht als Steuerungsressource30 heranträgt, herleiten. Mit der Vorstellung vom „Staat des wohlgeordneten Verwaltungsrechts44 Otto Mayers 31 lassen sich die dabei aufscheinenden (Rechts-) Fragen nicht mehr ange23 Vgl. etwa Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484ff.; Di Fabio 1994; Diederichsen 1990, S. 167 ff. zur Anpassungsfähigkeit des Rechts. 24 S. Pitschas 1994; Pitschas 1990, S. 90ff.; Hill, DVB1. 1993, 973ff.; Schmidt-Aßmann 1998, Rn 3 S. 236: „Der Umgang mit Informationen in der Verwaltung und im Kontakt mit der Verwaltung besitzt eine Tiefendimension, in der das heutige Verwaltungsrecht über das ältere, ergebnisorientierte Entscheidungsdenken hinausgreifen muß". 25 Bohne 1981; Benz/Seibel (Hrsg.) 1992; Dreier, StWuStP4 (1993), 647ff.; Schulte 1995, S. 25 ff.; im übergreifenden Zusammenhang der Konfliktmittlung Hoffmann-Riem!Schmidt-Aßmann (Hrsg.) 1990a, 1990b. S. a. Lamb 1995, S. 175 ff. 26 Dose, Die Verwaltung 27 (1994), 91 ff.; Schulze-Fielitz, DVB1. 1994, 657ff.; Schräder, DÖV 1990, 326ff.; s. a. Trute, DVB1. 1996, 950 (951). 27 Vgl. Schulte 1995, S. 28 f.; Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (203 ff.). 28 Zit. bei Treiber 1994, S. 372f. S. a. vonBeyme 1997, S. 15,18,19ff.: positive Bewertung der Netzwerkanalyse als Hilfsmittel der Theorie; weiter Ladeur 1979, S. 339ff.; Voigt 1983,17 (37). 29 Unter Einbeziehung des Innenrechts des Staates, des Haushaltsrechts und des öffentlichen Dienstrechts, vgl. Schuppert 1993, S. 112ff.; s. a. Lange 1993, S. 307ff., 313ff.; weiter Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.) 1997. 30 S. den Untertitel von Treiber 1994: „Theoretische Überlegungen und empirisch fundierte Empfehlungen zur Herstellung/Steigerung von Flexibilität und Innovationsoffenheit von Verwaltungs organisation"; hierzu eingehend Schmidt-Aßmann/ H offmann-Riem (Hrsg.) 1997; zur Innovationssteuerung durch Instrumente des öffentlichen Rechts Schulze-Fielitz 1998 a, S. 291 ff.; Schulte (Hrsg.) 1997 (Vorwort) mit Forderung einer innovationsfreundlichen Organisation der Rechtsetzung. 31 Mayer 1924, S.58.
Vorbemerkung messen abbilden 32 . Während dieses noch das Polizeirecht und den Verwaltungsakt als modellbildend für die Eigenart des öffentlichen Rechts identifizierte und danach weitere Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts zu gestalten suchte33, ist heute von zusätzlichen „Referenzgebieten" 34 auszugehen, namentlich dem Umweltverwaltungsrecht 35 und dem Sozialverwaltungsrecht 36, dem Wirtschaftsverwaltungsrecht und dem Wissenschaftsrecht 37. Bereichsspezifische Sonderentwicklungen sowie Dynamik, Eigenart und Besonderheiten der jeweils regelungsbedürftigen Lebensbereiche 38 scheinen typisch für den Verwaltungs- oder Umweltstaat 39 der Gegenwart zu sein und eine umfassend modernisierte Verwaltungsrechtslehre als reformierte (Ausdrucks-) Form eines »zeitgerechteren 4 Verwaltungsrechtsverständnisses 40 einzufordern.
32 Vgl. W. Schmidt, AöR 96 (1971), 321 (322ff.); Hoffmann-Riem, DVB1. 1994, 1381 (1381 f.); zu den Folgen der technischen und sozialen Realisation Forsthoff 1971 ; Vesting 1990; Horn, Die Verwaltung 26 (1993), 545 (559); Denninger 1990, S. 13 ff.; Schulte (Hrsg.) 1996; Brohm,, VVDStRL 30 (1972), S. 308 (LS 7); Hill 1994: Ökologisierung des Rechts- und Verwaltungssystems. Aus (rechts-) soziologischer Sicht interessant Hiller 1993, insb. S. 139ff. 33 Aufgaben- und zweckbezogene Betrachtungsweisen waren schon dem Verwaltungsrechtsverständnis der Weimarer Verfassung geläufig, Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (144); Meyer-Hesemann 1981, S. 77 ff. Zur paradigmatischen Bedeutung des Werkes Otto Mayers vgl. Meyer-Hesemann, Rechtstheorie 13 (1982), 496 ff.; zur Entstehung des, Allgemeinen Teils" des Verwaltungsrechts s. Stolleis, ZNR 11 (1989), 129 (141 ff.). 34 Für das Polizei-, Kommunal-, Bau-, Straßen- und Gewerberecht sowie das Beamtenrecht und Abgabenrecht als klassische Referenzgebiete Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (149); s. weiter Schmidt-Aßmann 1998, Rn 1 S. 106 und Rn 12ff. S. 8 ff.; Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 27 (1994), 277 (278). 35 Die Reformdiskussion ist auf das Umweltrecht konzentriert, vgl. Sendler, DÖV 1996,691 (693); Gusy 1995, S. 186; Hill, UTR 27 (1994), 91 ff.; Wahl 1993, S. 216f.; Kloepfer 1990; zu Reformperspektiven im Umweltrecht eingehend Roßnagel/Neuser (Hrsg.) 1996. Zur Entwicklung eines prozeduralisierten Gedankens der Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht bei Ladeur 1996, S. 171 ff. (177 ff.) in einer „stärker von Selbstmodifikation geprägten experimentellen Gesellschaft" (S. 189). 36 Schmidt-Aßmann 1998, Rn23ff. S. 118 ff.; s. a. Zacher, VVDStRL 48 (1990), S. 271. 37 Umfassend Trute 1994; zsf. Schmidt-Aßmann 1998, Rn 36ff. S. 125ff. 38 Vgl. etwa BVerfGE 49, 89 (133f., 137f.) - Kalkar; BVerfGE 49, 168 (181) - Ausländerrecht; BVerfGE 59,104 (114) - Betriebsverfassungsgesetz; BVerfGE 79,174 (195) - Verkehrslärm. 39 Für den Begriff „Umweltstaat" vgl. Gethmann 1995; Kloepfer/Reinert 1995. 40 Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989,533 (538 ff.). Die Kritik ist alt, vgl. Bachof VVDStRL 30 (1972), S. 199 ff.
Erster Teil
Zur Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts für das Verfahrensrecht der administrativen Normsetzung A. Allgemeines Verwaltungsrecht und Reform der administrativen Normsetzung Die Bemühung um ein zeitgemäßes Verständnis des Verwaltungsrechts ist eine Gemeinschaftsaufgabe 41. Die Verwaltungsrechtslehre entwickelt sich dabei zuneh41 Vgl. Voßkuhle, Die Verwaltung 38 (1999), 545 ff. und als Beleg und Spiegel dieser Entwicklung die Themen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, insb. VVDStRL 24 (1966): Gesetzgeber und Verwaltung {Vogel/ H erzog); VVDStRL 25 (1967): Verwaltung durch Subventionen (Ipsen/Zacher); VVDStRL 29 (1971): Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private {Ossenbühl/Gallwas) und VVDStRL 54 (1995): Privatisierung von Verwaltungsaufgaben {HengstschlägerlOsterloh/ Β auer/Jaag); VVDStRL 30 (1972): Grundrechte im Leistungsstaat {Martens/ Ηäberle) und: Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung {Bachof/Brohm); VVDStRL 31 (1973): Partizipation an Verwaltungsentscheidungen (Walter!Schmitt Glaeser); VVDStRL 33 (1975): Organisierte Einwirkungen auf die Verwaltung. Zur Lage der zweiten Gewalt {Schmidt, Walter/Bartlsperger) ; VVDStRL 34 (1976): Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit (,Scholz/Schmidt-Aßmann); VVDStRL 40 (1982): Gesetzgebung im Rechtsstaat {Eichenberger/Novak/Kloepfer) und: Selbstbindungen der Verwaltung {Scheuing/Hoffmann-Riem/Raschauer); VVDStRL 41 (1983): Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag (Wahl/ Pietzcker); VVDStRL 43 (1985): Der Verwaltungsvorbehalt {Maurer/Schnapp); VVDStRL 45 (1987): Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung {Gerster/Öhlinger/Krause); VVDStRL 46 (1988): Die Einheit der Verwaltung als Rechtsproblem (Bryde/Haverkate); VVDStRL 47 (1989): Gesetzesgestaltung und Gesetzesanwendung im Leistungsrecht {Mußgnug/Hufen/Hill); VVDStRL 48 (1990): Staatszwecke im Verfassungsstaat {Link/Ress) und: Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht (fpsen, Jörn/ Murswiek/ S chlink); VVDStRL 50 (1991): Verwaltungsrecht als Vorgabe für Zivil- und Strafrecht {Schröder!Jarass); VVDStRL 52 (1993): Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten {Burmeister/Krebs); VVDStRL 53 (1994): Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht-Wechselseitige Einwirkungen {ZuleeglRengeling); VVDStRL 55 (1996): Bürgerverantwortung im demokratischen Verfassungsstaat {Merten/Berka/Depenheuer) und: Kontrolle der Verwaltung durch Rechnungshöfe {Degenhart/Schulze-Fielitz/Schäffer/Ruch); VVDStRL 56 (1997): Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung {Schmidt-Preuß/Di Fabio); VVDStRL 57 (1998): Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informationsordnung {Schoch/Trute); VVDStRL 58 (1999): Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln? (Würtenberger/Haller/Riedel), hierzu die Tagungsberichte von Hain, JZ 1999,242 (246ff.) und Dietlein, AöR 124 (1991), 87 (97 ff.).
Α. Allgemeines Verwaltungsrecht
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mend zum Bestandteil einer einheitlichen Staats- und Verwaltungswissenschaft 42, die den Reformanstrengungen bei der Modernisierung des Staates zuarbeitet43. Die rechtswissenschaftliche Dogmatik bedient in ihrer handlungs- und entscheidungsanleitenden Funktion vordringlich die Bereiche (Referenzgebiete), in denen Rechtsprobleme erkennbar sind und gelöst werden müssen44. Lösungen werden zuerst in den tendeziell selbstreferentiellen Materien der besonderen Verwaltungsrechte von der Verwaltung situationsgerecht erarbeitet oder von der Rechtsprechung von Fall zu Fall durchgesetzt45. Eine solche sach- und zeitnahe Weiterentwicklung der Verwaltungsrechtslehre ist zwar unerläßlich46. Sie begünstigt aber ungleichzeitige und unausgewogene Entwicklungen der Verwaltungsrechtsdogmatik: Einerseits die einseitige Orientierung am Gesichtspunkt des individuellen Rechtsschutzes unter Vernachlässigung der umfassend ermittelten Folgen von rechtlichen Entscheidungen für das Recht als (Steuerungs-) System sowie die Unterbelichtung der Steuerungsperspektive des staatlichen (Innen-) Rechts47. In Fällen nicht unmittelbar individualrechtsgeschützter Interessen können sich andererseits einseitig an steuerungspraktischen Zwecken ausgerichtete Sonderentwicklungen ausbilden48. Man mag diesem Befund interesselos gegenüberstehen oder die Auflösung der »allgemeinen4 rechtlichen Struktur angesichts einer hybriden49 und chaotischen Postmoderne für unvermeidlich oder wünschenswert halten50. Die Ordnung im Recht liegt jedoch auch in der geordnet verlaufenden recht42
Hoffmann-Riem, VVDStRL 56 (1997), S. 291. S. a. Schuppert 1993, S. 111 ff.: funktionale Einheit von materiellem Verwaltungsrecht, Verwaltungsverfahrensrecht, Verwaltungsorganisationsrecht und öffentlichem Dienstrecht. 43 Vgl. nur die Materialien bei König/Miller 1995; weiter von Beyme 1997, S. 17: „Die praktische Politik zeigt, daß die fundamentalen Diskurse mit einiger Verspätung auch in der Politik selbst Eingangfinden"; Bullinger, DVB1. 1992, 1463 (1463); Lepsius 1999, S. 133 bei FN 36; Bonß 1993, S.445f. 44 Vgl. Schulze-Fielitz, Die Verwaltung (27) 1994, 277 (285); Luhmann 1993, S. 11. 45 Vgl. Brohm, DÖV 1987,265ff.; ders., NVwZ 1988,794ff.; Teubner 1989, S.21 ff., S. 36: Recht als adaptives, umweltoffenes und dennoch selbstbezogenes System. 46 Auch durch die Gesetzgebung. Zur wechselseitigen Entlastungsfunktion von Gesetzgebung und Dogmatik Häberle 1977, S. 77 m. N. in FN 128 und Brohm, DÖV 1987,265 (270f.). 47 Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 (1996), S. 231 (272) m. w. N.; ders., Die Verwaltung 27 (1994), 277 ff.; vgl. auch den Appell von Schuppert 1993, S. 113 f. 48 Vgl. Heyen 1993, S. 205. Zum sozialtechnologischen Steuerungsbegriff vgl. Voigt 1993, S. 293 ff. Zu den Grenzen des steuerungswissenschaftlichen Konzepts Schmidt-Aßmann 1998, Rn 38 f. 21 f. 49 Ζ. B. Ladeur, Europarecht 3 (1995), 227 ff. (245): „Die EU ist ein für die moderne Organisations- und Rechtsentwicklung charakteristische ,hybride * Form, die mehrere bisher getrennte Entscheidungsebenen miteinander verknüpft." (kursiv von Verf.); Ladeur 1996, S. 189: „Die Leistungsfähigkeit des die liberale Verwaltung charakterisierenden Denkens in Grenzbegriffen und seiner Remodellierung durch die pluralistische Verwaltung und ihre .hybride\ aber technokratisch begrenzte Verknüpfung von Öffentlichem und Privatem ist im Schwinden begriffen" (kursiv von Verf.). 50 Vgl. aber aus philosophischer Sicht zum „Faktum von Verbindungen inmitten der Heterogenität" Welsch 1995, etwa S. 50, 31 f., 48f., 464ff. (483f.), 593ff., 898ff.; dazu Figal 1995, S. 14. Zeitgenössisches Denken und seine Beschreibung neigt zu expressiven Methaphem: Kon-
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
liehen Entwicklung. Bearbeitungen auf »allgemeinerer 4 Ebene können deshalb als ihren legitimen Zweck ausweisen, „die Einheit der Rechtsordnung als eine ,idée directrice 4 nicht aus den Augen zu verlieren 4451 .
I. öffentliches Recht im Wandel 1. Rechtlich-politische Grundvorstellungen im Wandel moderner Staatlichkeit Der Gedanke der „idée directrice 44 ist eine idealistische Anforderung an die Allgemeingültigkeit und Einheit grundlegender rechtlicher Strukturen, die angesichts ihrer hohen Komplexität und andauernden Diversifizierung permanent gefährdet ist. Ihre Wirklichkeit ist in der Idee der Verallgemeinerung(sfähigkeit) begründet als eine Art methodischer Grundvorstellung über die Bedeutung des Gesetzessystems
52
für
die Steuerung der rechtlichen und anderen Systeme53. Das »Gesetzessystem4 ist über die Lehrsätze des allgemeinen (Verwaltungs-) Rechts, die ihre in ihrer verfassungsrechtlichen Ableitung 54 begründete grundsätzliche Beachtlichkeit bei der Entwicklung und Interpretation der besonderen Rechtsgenektionismus, Parallelismus, Assoziative Systeme, Fuzzy-Mathematiken, Chaos, verteiltes Verarbeiten, Immersion, Interaktivität, Hypermedien, Biocomputer, Vernetzen, smarte Technologien, Nanotechnologie, - „eine »intelligente Umgebung4 einer Reihe von Schnittstellen, die das Verhältnis zur Sprache, zum Körper, zur Ästhetik, Politik und Kommunikation neu definieren", zit. aus Druckrey 1996, S. 113. Neue Begriffe beeinflussen sicher die juristische Problemwahrnehmung und Begriffsbildung, vgl. nur Lepsius 1994, S. 369ff.; Rüthers 1968, S. 292f., 431 ff. Aber auch ein praktischer Leitfaden zur Modernisierung von Behörden zieht aus ihrer Verwendung einen edukatorischen Nutzen, siehe das Glossar: „Keine Angst vor neuen Begriffen" in Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.) Bd. 3 1997, S. 137 ff. 51 Vgl. Schulze-Fielitz, Die Verwaltung (27) 1994, 277 (278). Dieser Gedanke läßt sich zur Idee der öffentlich-rechtlichen Gesamtordnung weiterentwickeln. Die Rechtlichkeit einer solchen Forderung liegt in ihrer generalisierenden, allgemeine Gerechtigkeit anzielenden Tendenz, s. hierzu Canaris 1969, S. 11 ff., 16 (Folgerichtigkeit und Einheit), 155 These 2. 52 Vgl. zu dieser These die auf die Allgemeinheit des Gesetzes bezogenen Ausführungen von Krüger S. 296ff., 306f. Vgl. auch Hasso Hofmann 1998, S. 28ff., 52ff.; s. a. die Deutung von Luhmann 1993, S. 12: Normbegriff als Grundbegriffen Rechtsdogmatik und Rechtstheorie, d. h. „als durch sich selbst definierter Begriff, als kurzgeschlossene Selbstreferenz". 53 Systemtheoretisch formuliert: „Denn ist ein komplexes System erst einmal in handhabbare Subsysteme zerlegt und lassen sich Regelmäßigkeiten erkennen und ausnutzen, so wird das Gesamtsystem steuerbar und läßt sich zur Steuerung anderer Systeme einsetzen. Allerdings muß auch die kommunikative Integration der Subsysteme geleistet werden, um das Gesamtsystem vor Ausfaserungen zu schützen", König/Dose 1993 a, S. 25. 54 Zur verfassungsnormativen Basis des allgemeinen Verwaltungsrechts als ,allgemeines' Recht in Art. 1 Abs. 3,20 Abs. 2 und 3 und 19 Abs. 4 GG, Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (137). Im Kontext der Gewaltenteilung, Ossenbühl 1968, S.566ff.: „dynamisch, variabel, zukunftsoffen". Schmidt-Aßmann 1998, Rn64 S. 141: „Staatsziele denken ihre Realisierung und ihre Realisierungsbedingungen - prozeßhaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - mit".
Α. Allgemeines Vealtungsrecht
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biete beanspruchen, zum System des »gesetzesdirigierten 4 Verwaltungshandelns geformt 55 . Das Verständnis seiner sich aufgabenbezogen und dynamisch zu den Normenmassen der besonderen Verwaltungs-, Verwaltungsprivat- und Privatrechtssysteme ausdifferenzierenden Rechtsentwicklung fordert auch auf der Ebene seiner rechtssystematischen Allgemeinheit die Wahrnehmung der Wirklichkeitsbedingungen der (verwaltungs-) rechtlich dirigierten staatlichen Steuerungsbemühungen. Diese Steuerungswirklichkeit und ihre geänderte Wahrnehmung sind nicht ohne Auswirkungen auf grundlegende rechtliche Vorverständnisse und Begriffe. So ist etwa dem Tatbestandsmerkmal Staatsgewalt angesichts der zunehmenden Verstaatlichung 56 , der wechselseitigen Durchdringung und Vermischung gesellschaftlicher, individueller und staatlicher Sphären und angesichts der Pluralisierung der Organisation der Gemeinwohlverwirklichung 57, keine Eindeutigkeit mehr zu entnehmen, auch nicht hinsichtlich rechtsbegrifflich so grundlegender Vorstellungen wie »Legitimation 4 , »Gesetzesbindung4, »Kontrolle und Verantwortung 4 des staatlichen Handelns 58 . 55
Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 231,252: »Abwägen (...) als Essentiale gesetzesdirigierter Verwaltung"; ders. 1998, Rn40 S. 176: „Die Vorstellung einer durchgängig gesetzesdirigierten Verwaltung führt den Steuerungsanspruch des Gesetzes und die Eigenständigkeit der Verwaltung in einem einheitlichen Modell zusammen", weiter Rn 7 S. 6: „Beobachtungs- und Analyserahmen" (kursiv von Verf.). Diese Vorstellung mit der „Eigenständigkeit der Verwaltung" in Beziehung setzend Dreier, Die Verwaltung 25 (1992), 137 (145 ff., 152ff.): „Eigenständigkeit" als in den arbeitsteiligen Zwängen der modernen Industriegesellschaft funktional begründetes Konzept; s. a. Groß 1999, S. 190ff. 56 Zu den Gegensteuerungsversuchen „Schlanker Staat", Verfahrensbeschleunigung- und -Vereinfachung, (Verfahrens-) Privatisierung und Deregulierung vgl. Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.) 1997 (3 Bde.); Benz, Die Verwaltung 28 (1995), 337ff; Busse, DÖV 1996,389 ff.; Kloepfer/ Eisner, DVB1.1996,964 ff.; Trute, DVB1.1996,950ff.; Schuppert, DÖV 1995,761 ff.; Bauer, VVDStRL 54 (1995), S. 245 f. m. N. zu Geschichte und Gegenständen der Privatisierungsdebatte.; zu Regulierung und Privatisierung König!Benz 1997; zur „Staatsentlastung durch Verantwortungsteilung" Schuppert 1998b, S. 72ff., 102ff.; Schuppert 1997, bes. S. 565ff.; Stüer, DVB1. 1996, 847ff.; Leutheusser-Schnarrenberger, NJW 1995, 2441; König, DVB1.1997,239 (241 f.); ders., DÖV 1997,265 ff.: Verwaltungsmodernisierung im internationalen Vergleich; Werthebach, ZG 11 (1996), 270ff.; Meyer-Teschendorf/ Ήoffmann, DÖV 1998, 217 ff. S. zur Verfahrensbeschleunigung die Bilanzierung bei Schmitz/Olbertz, NVwZ 1999, 126 (130ff.); verfassungsrechtliche Untersuchung bei Steinbeiß-Winkelmann, DVB1. 1998, 809 ff. Kritisch gegenüber der juristischen Kritik Gawel, DÖV 1999,281 ff. (290): Beschleunigungsregelungen zum großen Teil dem traditionellen Ansatz „hoheitlicher" Beschleunigung verhaftet, ζ. T. Umwandlung längst gängiger Verwaltungspraxis in den Rang eines gesetzlichen Imperativs. S. a. Grimm 1994, S. 415: Die gegenläufige Tendenz der Privatisierung hält dem Zuwachs der Staatsaufgaben nicht annähernd die Waage. 57 Vgl. nur Horn, Die Verwaltung 25 (1993), 545 ff.; Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (200ff.); Schuppert 1981, S. 78 ff. zur dadurch bedingten zunehmenden Relativierung von privatem und öffentlichem Recht. S. a. Dreier 1991, S. 30ff. 58 Vgl. Dreier 1991, S. 283 ff.; Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (197ff. m. N.): „Das Tatbestandsmerkmal Staatsgewalt begibt sich auf den Rückzug und überläßt das Feld einer Gemengelage hoheitlicher und gesellschaftlicher Herrschaft", „ehemals eine Kategorie dogmatischer Gewißheit, dann eine solide Vermutungsregel, (...) (dient) vielleicht bald nur noch der Bezeichnung eines offenen, nach anderen Kriterien zu lösenden Problems".
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
Die weit fortgeschrittene Verrechtlichung bewirkt eine Bedeutungsänderung des Gesetzes und der Staatsfunktion »Gesetzgebung4: Staatsaufgabenkritik wird zur Funktion der Gesetzgebungskritik59. Andererseits ist die massenhafte Gesetzgebung in Strukturentscheidungen des Verfassungsrechts selbst angelegt: Die soziale Staatszielbestimmung bedingt ebenso eine ausgreifende rechtliche Steuerung wie Eigengesetzlichkeiten des konkurrenzdemokratischen parlamentarischen Regierungssystems für die übermäßige Produktion immer neuen Rechts mitverantwortlich sind60. Die Entwicklung des in funktionale Subsysteme ausdifferenzierten Systems der Gesellschaft und des Staates verwirklicht einen Verlust an staatlicher Souveränität und damit auch der staatlichen Gesetzgebung als zentralem Legitimations- und Steuerungsinstrument der „Regierung des Volkes für das Volk" 6 1 6 2 . Die Plattform des gesellschaftlich-politischen Gesamtkonsenses ist schmäler geworden. Der Staat wird durch Ansprüche gesellschaftlicher Gruppen gefordert, nicht selten überfordert. Das zur effektiven Steuerung der gesellschaftlichen und staatlichen Systeme notwendige Steuerungswissen ist unsicher und häufig nicht vollständig verfügbar. Die Effekte und Nebenfolgen staatlicher Intervention sind in Abhängigkeit von ökonomischen und internationalen Entwicklungen und der Dynamik des technisch-wissenschaftlichen Prozesses selten präzise voraussehbar63. Ihre Wirkungszusammenhänge lassen sich regelmäßig nicht in die einfachere Sinnstruktur alltagstheoretischer Vorstellungen über das Verhältnis von Ursache und Wirkung einstellen64. 59
Gesetzgebungskritik ist Staatsaufgabenkritik, denn „der Gesetzgeber definiert die Staatsaufgaben", vgl. Meyer-Teschendorf! H offmann, DÖV 1997, 268 ff. (270ff.). Zur Gesetzesbedürfnisprüfung Scholz/Meyer-Teschendorf, ZRP 1996, 404ff.. Gegen Gesetzgebungskritik als „neue Form der Parlamentarismus-Kritik" polemisiert Lepsius 1999, S. 128 ff. Vgl. auch Scharpf1970, S. 38; Seibel 1986, S. 256f.; allgemeine/er (Hrsg.) 1984; zum Begriff Teubner 1984. 60 Seibel 1986, S. 257 im Kontext der Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Steuerung; vgl. weiter Pitschas 1993, S. 223; Böckenförde, HStR 11987, § 22, Rn 99: „Die Affinität von Demokratie und Sozialstaat bewirkt eine Zunahme der Staatsaufgaben"; s. a. Schmidt-Aßmann 1998, Rn 36 S. 59; Zacher, HStR 1 1987, § 25 Rn 97:,»Recht als Medium des ,Sozialen'"; krit. Erichsen 1987, S. 39ff. 61 Abraham Lincoln, Gettysburg Adress vom 19.11.1863, zit. nach Lepsius 1999, S. 123 m. N. 62 Kriele, VVDStRL 29 (1971), S.49f.: Herrschaft des Volkes i. S. d. parlamentarischen Demokratie ist Herrschaft des Rechts; Bülow § 30 Rn72, S. 1497: „Gesetzgebung ist in Recht verwandelte Politikgestaltung"; Ossenbühl 1988 a, Rn 19: „Der demokratische Rechtsstaat ist Gesetzesstaat und Gesetzgebungsstaat. Die Herrschaft des Staates ist die Herrschaft seiner Gesetze"; vgl. auch Hufen, VVDStRL 47 (1989), S. 146ff.; Schulze-Fielitz 1988, S. 375 ff.; Lepsius 1999, S. 123ff. m. w. N. in FN 7. 63 Vgl.Benz 1994, S.43ff.;Schneider, VerwArch 87 (1996), 38 (45ff.);Schulze-Fielitz/Gößwein, Aus Politik und Zeitgeschichte 1997, Β 36-37, 18 (21 ff.); Röglin 1990, S. 35 ff., 41 ff.; Wingens 1988, S. 160ff.; Dreier 1986, S. 41 ff.; Teubner 1988, S.45: „Gesellschaftsordnung durch Gesetzgebungslärm?". 64 Zur Veränderung der Funktion von Erfahrung bei Risikowissen s. Ladeur 1994, S. 111 ff., 116ff., 124ff. S. a. Hill 1994, S. 209ff.; Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S. 227: „Der wissenschaftlich-technische Progreß-Prozeß ist derart umfassend, die ganze menschliche Lebenswelt
Α. Allgemeines Verwaltungsrecht
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Diese Umstände der Gesetzesrechtserzeugung übersteigen nicht selten die Informationsverarbeitungskapazität des politisch-rechtlichen Systems. Dennoch müssen die gegenwärtigen und zukünftig erwarteten Wandlungs- und Innovationsprozesse in den Formen demokratischer und rechtsstaatlicher Verfahren gesteuert werden65. Diese Verfahren sind ihrerseits komplex und Ausdruck eigener Funktionsgesetzlichkeiten: Der Gesetzgebungsprozeß des politisch-administrativen Systems kann zu Entscheidungsergebnissen tendieren, die weniger in legistischen, als in demgegenüber dominanten politisch-parlamentarischen Rationalitäten mitbegründet sind66.
2. Handlungsformen, Rechtsformen, Rechtsnormen, Rechtsetzung Entgrenzungstendenzen und Informalisierung, Unübersichtlichkeit Hochkomplexe und veränderliche Materien sperren sich detaillierten Regelungen und abschließenden abstrakt-allgemeinen Festlegungen in Gesetzesform 67. Praktische Lösungen müssen auf der Vollzugsebene dennoch gefunden werden. Insbesondere im Bereich der planenden und lenkenden Verwaltung werden »offene* Gesetzesnormen zu gesetzesnäher »nachvollziehenden4 oder offen die gesetzlichen Finalprogramme ausgestaltenden »planerischen1 Abwägungsentscheidungen konkretisiert68. Der damit verbundene Präzisionsverlust der das Verwaltungshandeln rechtlich anleitenden Handlungsmaßstäbe69 ist ebenso bemerkt worden wie die Ungenauigkeit der rechtsbegrifflichen Kategorien, die der idealtypischen Ordnung der Entscheidungstypen der »komplexen Verwaltungsentscheidung4 dienen sollen. Für die Abwägungsentscheidung in der Form der rechtsgebundenen Entscheidung etwa ist eine „Vielzahl von Zwischenformen abwägungsgeprägter Entscheidungstypen aufgezeigt überwältigend und in seinen unzähligen Facetten, Wirkungen und Wechselwirkungen so unüberschaubar komplex, daß das menschliche Erkenntnisvermögen heillos überfordert wäre mit der Aufgabe, die technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen als Gesamtprozeß auch nur annähernd zu erfassen. Die Bewältigung der technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen im Sinne ihrer zielorientierten Lenkung und umfassenden Beherrschung ist daher unmöglich. Wenn das Verwaltungsrecht den Versuch einer solchen Globalsteuerung gar nicht erst unternimmt, ist das kein Mangel des Rechts, sondern eine notwendige Konsequenz der Lage, in der wir uns befinden"; zustimmend Schuppert, VVDStRL 48 (1990), S. 273 f.; s. a. Seibel 1986, S. 258: „zwangsläufige Komplexitätsschranken staatlicher Steuerung"; gleichsinnig Weinreich 1995, S. 91 ff. 65 Angesichts der verbreiteten Steuerungsskepzis auch bei den Parlamentariern als Steuerung „Als ob" i. S. eines „Dennoch", vgl. von Beyme 1997, S. 360: demokratische Politik bescheidener im Steuerungsanspruch, unbescheidener im Umfang der Steuerungsbereiche, S. 319: „Gesetzgebung reguliert nicht die Gesellschaft, sondern Teilsysteme gehen selektiv mit der Gesetzgebung um"; vgl. auch die Matrix zum Politikzyklus S. 12. 66 Schulze-Fielitz 1994, S. 197 f. 67 Kritisch Lepsius 1999, S. 130ff. Unabhängig von allen erkenntnistheoretischen Konzeptionen und der ζ. T. mangelhaften empirischen Nachprüfbarkeit dieser Form von Gesetzgebungskritik dürfte diese Aussage realistisch sein, die bestätigende Einschätzung von Murswiek, VVDStRL 48 (1990), S.227 ist evidentrichtig;gleichsinnig Badura 1998, Rn4. 68 Vgl .Trute 1989, S. 288 ff. 69 Vgl. ζ. B. Schmitt Glaeser 1984, S. 80; Badura 1998, Rn 1.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
(worden), deren genauer Entscheidungsgehalt sich erst einer Analyse der Entscheidungsstruktur und des geregelten Sachbereichs erschließt" 70. In den besonderen Sachbereichen können hier viele Unterschiede aufgezeigt werden: „Die Mannigfaltigkeit, in der sich die einzelnen Verrichtungen der Verwaltung ausfächern, spottet der einheitlichen Formen" 71 . Die Rechts- und Handlungsformen des Verwaltungshandelns sind Zweckschöpfungen des Verwaltungsrechts 72. Die diffundierende Entwicklung zu kooperativen, konsensualen und informalen Formen des Verwaltungshandelns kann dann als systemgerecht anerkannt werden, wenn sie verwaltungsrechtlich anerkannten Zwecken, etwa der Disziplinierung und Effektivierung des Verwaltungshandelns, nicht widerspricht 73. Dynamische Entwicklungen unter dem Vorzeichen von Modernität und Modernisierung können freilich auch über solche Rahmensetzungen hinausschießen74. In diesen Kontext gehören die Klagen über die »Entgrenzung4 und »Auflösung 4 der rechtlichen Formen 75 , auch diejenigen der Gesetzgebung76, sowie die Warnung gegenüber 70 Trute 1989, S. 295 m. N.; vgl. zu Zwischenformen zwischen Verwaltungsakt und Rechtsnormen schon Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 310 (LS 13). S. a. Hoppe 1978, S. 297 ff. 71 Forsthoff 1973, S. 1. Zu Forsthoffs Vorstellung der Verwaltung als „den entscheidenden Ort originärer, gesellschaftsgestaltender Staatlichkeit" s. Dreier, Die Verwaltung 25 (1992), 137 (140 f.). 72 Di Fabio 1991, S. 48 f. : Bewahrung, Anpassung und Neuschöpfung verwaltungsrechtlicher Handlungsformen als traditionelle Domäne der Rechtsprechung und verwaltungsrechtlichen Fachwissenschaft; gesetzliche Fixierung von Handlungsformen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen steht der Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Handlungsformen nicht entgegen. Gleichsinnig für die Handlungsform, allerdings von der strikten Unterscheidung der instrumenteilen Handlungsform (= Verwaltungshandlung) und der Rechtsform (=, »Rechtskleid" der Handlungsform) ausgehend Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 207; vgl. weiter Pitschas 1994, S. 239ff. zur Entstehung von Handlungsfoimen; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 225 f. zu Handlungsformen und Steuerungstypen. S. a. H offmann-Riem, DVB1. 1994, 605 (607,610): „Von der Antragsbindung zum konzertierten Optionenermessen". 73 Vgl. Schmidt-Aßmann 1998, Rn 32 S. 18; ders., VVDStRL 48 (1990), S.275f. gegen die von Schlink, VVDStRL 48 (1990), S. 264 (These Nr. 12) vertretene These der „latente(n) katechontische(n) Funktion" des Verwaltungsrechts („Verhinderungsfunktion"). S. a. Badura 1998, Rn2. 74 Zum Begriff der „staatlichen Modernisierung" Hesse/Benz 1990, S. 12ff.; zu „informationstechnischen Realitäten und Visionen" beim „Neubau der Verwaltung" Reinermann (Hrsg.) 1995. S. a. Pitschas 1993, S. 222f. 75 Schmidt-Aßmann 1993, S. 41; Scheuing 1994, S. 331 .Denninger 1990, S.63, S. 98: zur Bedeutung von Gremien und Beauftragten bei der Rechtsetzung; vgl. hierzu auch Schulze-Fielitz 1994, S. 169,191. 76 Beispiele: Planung durch Gesetz - BVerfGE 95, 1 (17 ff.); verschiedene Formen der parlamentarischen Mitwirkung beim Rechtsverordnungserlaß, vgl. Ossenbühl, DVB1. 1999, 1 (3 f.): Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz als „neuer Gesetzestyp, der Nachfolge finden könnte: ein Grundlagen- und Grundsatzgesetz mit einer Vielzahl von Verordnungsermächtigungen, die das Gesetz nicht nur ergänzen, sondern mit dem Gesetz gewissermaßen eine unlösbare Regelungseinheit bilden, eine gleichsam kombinierte Sachregelung, an der Parlament und Regierung in Arbeitsteilung zusammenwirken" (kursiv von Verf.); weiter Ossenbühl 1998 a, S. 42: Neuorientierung der Rechtsquellen.
Α. Allgemeines Verwaltungsrecht 77
der in der Gesetzesflut und in den „gigantischen Normierungsbedürfnisse(n)" Staates liegenden Gefährdung des Rechtsetzungsmonopols des Parlaments.
33 78
des
Wo das formale Recht nicht formt, darf improvisiert werden? Die Verwaltung weicht jedenfalls in Teilbereichen des Verwaltungsrechts häufiger, als daß hierin nicht eine Akzentverschiebung ihrer Handlungsorientierungen gesehen werden könnte, auf informale Lösungen aus und vermeidet verbindliche Entscheidungsformen79. Dies wird bei außengerichtetem Verwaltungshandeln im Einzelfall besonders wahrgenommen, weil es der üblichen rechtswissenschaftlichen Orientierung am Einzelfall und auch der Perspektive der Verwaltungsverfahrensgesetze (§ 9 VwVfG) entspricht. Aber auch im Bereich der Rechtsetzung sind informale Verhaltensweisen in das Blickfeld rechtswissenschaftlichen Interesses gerückt80.
3. Insbesondere: Administrative Normsetzung Mit Ausnahme des schleswig-holsteinischen Landesverwaltungsgesetzes enthalten die »allgemeinen* Verwaltungsverfahrensgesetze keine Vorschriften über die administrative Normsetzung81. Diese gesetzgeberische Zurückhaltung und die Einordnung der administrativen Normsetzung in den systematischen Zusammenhang der Rechtsquellenlehre mag eine den Rechtsformen des Verwaltungsakts und des öffentlich-rechtlichen Vertrages (§ 9 VwVfG) vergleichbar dichte Dogmatik behindert haben82. Hier findet aber die die Einzelfallentscheidung programmierende generelle und generalisierende Steuerung in der Konkretisierung des Gesetzestexts ihre letzte und (zumindest mittelbare) außenwirksame Formung. Das gilt faktisch auch für die nur innenrechtlich wirksamen Verwaltungsvorschriften, die im administrativen Handlungssystem funktionell den Handlungsformen der Normsetzung zugeordnet 77 Vgl. Simitis 1970, S. 9-33: Informationskrise des Rechts; Holtschneider 1992, S. 31 ff., 43 mit informativer Aufbereitung des statistischen Materials: Vorschlag des Begriffs der „Rechtsvermehrung" bzw. „Verordnungsflut"; Schulze-Fielitz 1988, S. 9-21 zur „Gesetzesflut"-Kritik; s. a. von Beyme 1997, S. 56ff. Zum weiteren Begriff der Normenerosion s. Frommel/Gessner (Hrsg.) 1996; weiter Goerlich, SächsVBl 1995,249ff. (249); Lübbe-Wolff 1996, S. 83ff., 92ff. zu Normenfülle und -mangel (!) im Umweltrecht. 78 Eichenberger t VVDStRL 40 (1982), S. 22. 79 Vgl. Voigt 1986, S. 21 ff.; Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG Einleitung Rn31 skeptisch zur möglichen Entwicklung „nach dem Leitbild eines kommunikativen oder kooperativen Staates von einem formalen Verfahrensrecht zu einem informellen Verfahren"; zur Präventionsorientierung staatlichen Handelns Di Fabio 1994, S. 445; D enninger, Κ J 1988, 1 (2); Grimm 1994, S. 417 ff., S. 420; zur Aufweichung der Steuerungskraft auch des Verfassungsgesetzes Schuppert, AöR 120 (1995), 32 (60ff., 67). 80 Vgl. den Übeiblick bei Kloepfer! Eisner, DVB1.1996,964 (971 f.); »Anläufe zu einer Theorie und Dogmatik des informalen Verfassungsstaates" bei Schulze-Fielitz 1984, S. 99 ff. 81 Vgl. Foerster, Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz - LVwG - ) , Loseblatt 2 Bde., §§ 53-71; Badura 1998, Rn 14ff. 82 Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, 533 (536); Schmidt-Aßmann 1998, Rn75 S. 275; Ossenbühl 1998 b, Rn 30.
3 Gößwein
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts 83
werden . In der Handlungs- und Entscheidungsstruktur des Verwaltungshandelns und der Konkretisierungsbedürftigkeit fast jeden Normbefehls im konkreten Entscheidungsfall und im Vollzugsauftrag der Implementation von Gesetzesprogrammen liegt es begründet, daß diese Form des Handelns der Verwaltung weniger einfach in ihre Grundvorstellung als rein „vollziehende Funktion" einzugliedern ist84. Die Selbst- und Fremdprogrammierung 85 der Verwaltung aufgrund eigener Entscheidung ist wegen der Breitenwirksamkeit der Orientierung an abstrakt-generellen Regelungsformen ein Grundproblem einer demokratisch legitimierten, gewaltenteilenden Staatsorganisation, also auch der Organisation des verfassungsgeforderten erreichbaren Legitimationsniveaus86. Das richtige Verhältnis zur parlamentsgesetzlichen Leitentscheidung ist hier ebenso ein Problem wie die sachgerechte Ausdifferenzierung des Verhältnisses von gesellschaftlicher Selbstregulierung, gesellschaftlich-staatlicher Kooperation und staatlicher Regulierung. Betrachtet man die Normsetzung als staatliche Leistung, dann geht es hier auch um die optimale Leistungstiefe des staatlichen Sektors87, was zugleich Fragen nach der Legitimation und Legitimität, Effektivität und Effizienz der staatlichen Steuerung(sbemühungen) aufwirft 88. Die administrative Normsetzung formuliert unterhalb des parlamentarischen Gesetzes ergänzende Grundprogramme zur Steuerung des gemeinwohlkonkretisierenden Verwaltungshandelns. Die dabei drohende Verdunstung von Verantwortung bzw. Verdünnung von demokratischer Legitimation89 ist bei den administrativen Handlungsformen der Normsetzung besonders augenscheinlich, weil administrative Rechtssätze funktionell in der Konkurrenz zur parlamentsgesetzlich erlassenen oder unterlassenen Regelung steuern90. Zurecht wird vor einer administrativen Miniatur83
Vgl. Schmidt-Aßmann 1993, S.57. Vgl. Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 312 (LS 20), S. 310 (LS 13); Badura 1998, Rn 1; Groß 1999, S. 180 ff. Zur Wirksamkeit von Grundvorstellungen auf der Systemebene (»forum der Reflexion") vgl. Schmidt-Aßmann,, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (145 f.). 85 Zur Selbstbindung als Programmierungsmodus s. Scheuing, VVDStRL 40 (1982), S. 157 ff., zur Selbstbindung an Fremdprogramme S. 161 ff. (Beispiel DIN-Normen, VDI-Richtlinien); Dreier, Die Verwaltung 25 (1992), 137 (149ff.). 86 Zum Begriff Schmidt-Aßmann 1998, Rn 19 S. 215 (Begegnung des Rechtsstaatsprinzips mit dem Demokratiegebot in den Anforderungen des Oiganisationsrechts), weiter Rn 80 S. 80 f., Rn 11S. 211 ; ausgehend von BVerfGE 83,60 (72) etwas weniger anspruchsvoll Hoffmann-Riem 1997, S. 375f.: ausreichendes Legitimationsniveau. 87 Der Verantwortungsbegriff wird von Trute, DVB1. 1996, 950 (951) als SchnittsteUe zur Fruchtbarmachung der ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse über die optimale Leistungstiefe aufgefaßt. S. a. Bohret!Konzendorf 1995, S. 12,19,21 ff. für ein Konzept des fünktionalen Staates. Zur Verwaltungsverantwortung als dogmatischem Begriff s. Röhl, Die Verwaltung (Beiheft 2), 1999, 33 (53 ff.). 88 Zu dem Begriffspaar Legitimation/Legitimität in seinen sozial- und rechtswissenschaftlichen Bedeutungsgehalten Emde 1991, S. 26 ff., 29 ff.; H asso Hofmann 1977, S. 11 ff. 89 Pitschas 1990, S. 753: „Verdunstung" von Verantwortung; Emde 1991, S. 12: Verdünnung" von Legitimation; Schmidt-Aßmann 1998, Rn 35 S. 223:„Ausdünnung" von Legitimation (kursiv von Verf.). 90 Hierzu eingehender bei FN 164ff. und nach FN 227. 84
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gesetz91- oder Arkangesetzgebung92 gewarnt. Diese Warnung hat ihre Berechtigung vor dem Hintergrund der Einordnung der Verfahren und des Entscheidungsvorgangs der Rechtserzeugung in den administrativen Binnenbereich. Daher besteht die allgemeine Tendenz, Anforderungen an das Verfahren der Normerzeugung nur sehr zurückhaltend zu formulieren 93. Diese Tendenz setzt sich bei der Kontrolle der Normsetzung auf Verfahrensfehler durch die Rechtsprechung fort 94. Bei den Verwaltungsvorschriften stellt sich diese Problematik noch verschärft, insofern nach herkömmlicher Auffassung auch nicht das Ergebnis ihres normerzeugenden Verfahrens, also die Vorschrift selbst, außenrechtlich wirksam werden soll.
II. Folgerungen für die Entwicklung des allgemeinen Verwaltungsrechts 1. Wahrnehmung des Wandels moderner Staatlichkeit und Dogmatik „Schwankend und oft gegensätzlich sind die aus alledem gezogenen Konsequenzen"95. Die Diskussionen über den Reformbedarf des Verwaltungsrechts stellen die Leistungsfähigkeit der allgemeinen und besonderen Lehrsätze der Verwaltungsrechtsdogmatik offen in Frage. Zweifel an Dogmatik und System der Verwaltungsrechtslehre sind Ausdruck der Wahrnehmung des Wandels moderner Staatlichkeit. In Umbruchszeiten verliert Dogmatik an Überzeugungskraft: Dogmatik verarbeitet Erkenntnisse und Erfahrungen zum Gedächtnis der Rechtswissenschaft96. Wenn der Befund eines kategorialen (Wirklichkeits-) Wandels tatsächlich zutrifft, hat dies notwendig Auswirkungen auf solche in der juristischen Dogmatik gespeicherten Rechtserkenntnisse, die aus einer anderen Wirklichkeit in die Abstraktion rechtlicher Grundvorstellungen und Begriffe überführt worden sind97. Dies gilt in besonderer 91 Denninger 1990, S. 178 im Kontext der Beteiligung an administrativen Normsetzungsverfahren. S. a. Ossenbühl 1989, S. 102ff., 109ff. 92 Vgl. in diesem Zusammenhang die Warnung vor Arkanrecht bei Hoffmann-Riem 1993, S. 141; s.a.Bryde, JZ 1998,115ff. 93 von Beyme 1997, S. 53: Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien - Besonderer Teil (GGO II) - lasse noch wenig von einem „materialen Gesetzgebungsverständnis" erkennen; s. a. Groß 1999, S. 13 ff. 94 Vgl. Hill 1990, D 63. 95 Schmidt-Aßmann 1998, Rn9 S. 161 im Kontext von „Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen des Gesetzes"; s. a. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG Einleitung Rn30f.; weiter Pitschas 1990, S. 59; dazu Sachs, BayVBl. 1991, 479. 96 Zum hier nicht weiter zu vertiefenden vielschichtigen Dogmatikbegriff vgl. Alexy 1994, S. 22 ff. m. N.; Dreier 1990, S. 56 f. m. N.; zum Verhältnis „systematisches Denken" und Dogmatik Schmidt-Aßmann 1998, Rn5 S.5; anders Baller siedi 1978, S.257; zur Kehrseite einer unaufhaltsamen Verfeinerung der Dogmatik Bull, JZ 1998, 338 (341). 97 Zur „Modellbildung" im Verwaltungsrecht Pitschas 1993, S. 222ff.; s. a. Hesse 1990, bes. S. 162ff.: „Staatliches Handeln in der Umorientierung".
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Weise für die Grundsätze des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts, bei deren Interpretation zeitabhängige verfassungs- und staatstheoretische Vorverständnisse unmittelbar wirksam werden: „Das Recht als System hat keine sachlichen Grenzen (...) Fehlt es an einfachgesetzlichen Regeln oder erweisen sich diese als leer, schafft sich der Rechtsinterpret entweder autonom oder unter Rückgriff auf allgemeine Rechtsoder Verfassungsprinzipien die Maßstäbe selbst"98. Wenn die als ,allgemein-gültig 4 unterstellte Prämisse des aktuellen Wirklichkeitsbezugs rechtlicher Grundannahmen (,Grundvorstellungen4) zweifelhaft wird, verlieren diese selbst, als in der Rechtswirklichkeit begründete abstrakte Speicher richtigen Rechts, an Bedeutung. Eine geänderte Wirklichkeitswahrnehmung wirft deshalb auch die Grundfrage nach Funktion und Legitimation eines der Wirklichkeit immer noch zeitangemesssenen Verwaltungsrechts auf 99. Diese Auswirkung des Wandels ist als „Wandlung der Methode des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts44100 für die Vorstellung der juristischen Methodik des öffentlichen Rechts und seines Systems von grundlegender Bedeutung101.
2. Wahrnehmung des Wandels moderner Staatlichkeit und verwaltungsrechtliche Systembildung Die Idee und die Notwendigkeit der verwaltungsrechtlichen Systembildung sind begründete Forderungen der wissenschaftlichen Behandlung des verwaltungsrechtlichen Stoffes. Die praktische Schwierigkeit der Umsetzung setzt bei der Bestimmung der Orientierung und der Ziele eines reformverwirklichenden Systemdenkens an 102 . Der Systembegriff kann zwar als Bezugsrahmen von empirischen, normativen und analytischen Aussagen vorgestellt werden, der einen Gesamtzusammenhang sinnhaft und intersubjektiv erklärend konstituiert. Aus seiner Offenheit und Flexibilität, neue Inhalte und Entwicklungen aufzunehmen, folgt sogleich aber die Schwierigkeit, diese Aufnahmefähigkeit für das Neue systemgerecht zu begrenzen oder die Entstehung des Neuen systementwickelnd zu gestalten103. 98
Di Fabio 1994, S. 460f.; weiter Teubner 1989, S. 52ff. zum „selbstreferentieUen Zirkel" der Selbstproduktion des Rechts. 99 Vgl. Schmidt-Aßmann 1993, S. 13: Fragwürdigkeit seines „Ordnungsmodells"; SchmidtAßmann 1982. 100 Badura 1966, S. 5. Zum Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft allgemein Meyer-Hesemann 1981; Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (197 ff.) versucht die Reformulierung eines „versteckten Grunddissenses" im öffentlichen Recht als „neue(n) Methodenund Richtungsstreit". 101 Vgl. Müller 1997, Rn 269 bei FN 439: Unterschiedenheit der fachgebietsspezifischen juristischen Methodiken; Bachof VVDStRL 30 (1972), S. 215f.: die juristische Methodik ziele auf das systematische Verständnis der einzelnen Rechtsinstitute. 102 Vgl. die Warnungen von Thieme, DÖV 1996, 757 ff. (759); s. a. Bachof VVDStRL 30 (1972), S. 230 ff. 103 Zur Systembildung etwa Burmeister 1997, S. 835 f.; zu unterschiedlichen Systembegriffen Bachof VVDStRL 30 (1972), S. 224ff.; zur systematischen Auffassung des Allgemeinen Verwaltungsrechts Schmidt-Aßmann 1982, 1998, Rn 1 ff. S. 1 ff.
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Sollte Systemdenken im Verwaltungsrecht etwa zum Destillat eines aus „konfektionierbaren Regelungskontexten in den Einzelgebieten (des) besonderen Verwaltungsrechts" abgeleiteten Grundbestandes an Strukturen und Elementen führen 104? Oder ist ein juristischer Systembegriff, der dem inneren Zusammenhang und der Herstellung von Einheit verpflichtet ist, selbst überkommen105? Ware eine Orientierung an einem so verstandenen Systembegriff unpassend, um das Verwaltungsrecht strukturell an den erreichten Grad gesellschaftlicher Komplexität heranzuführen? Doch was bedeutet konkret etwa die Forderung, es bedürfe einer „reformleitenden Systembildung, (die) den Um- und Ausbau des derzeitigen verwaltungsrechtlichen Normenzusammenhanges an den gegebenen Rationalisierungsprozessen von Staat und Gesellschaft zu orientieren" 106 versucht? Die erste Auffassung versucht das System eher nachvollziehend konservativ zu entwickeln. Ihr Nachteil liegt in der Gefahr der Fragmentierung des allgemeinen Verwaltungsrechts durch (allzu) selektive Konstruktion der (systembildenden) Transformation des »Besonderen4 in das systematisch »Allgemeine4. Die zweite Auffassung versteht sich demgegenüber progressiv und betont das Moment der Gestaltungsmöglichkeit durch systemleitende Modellbildung. Ihr Nachteil ist die Gefahr der übermotivierten (»allgemeinen4) Rechtsfortbildung zur Behebung von allgemeinen Mängeln, die nicht systematisch nachgewiesen sind107.
3. Formungsauftrag des allgemeinen Verwaltungsrechts? Die Bemühungen um die Reform des Verwaltungsrechts gelten der Stärkung der politischen und rechtlich dirigierten Steuerungsmöglichkeiten des Systems und damit der Stärkung der Steuerungskapazitäten des Rechts108. In der handlungs-, akteurs- und outputorientierten Perspektivierung einer eher technischen Steuerungsdis104
21 ff.
S. hierzu Pitschas 1993, S. 222 kritisch gegenüber Schoch, Die Verwaltung 25 (1992),
105 Vgl. hierzu Bachof VVDStRL 30 (1972), S. 224. Diese Frage bejahend Pitschas 1993, S. 222. Vgl. schon von Savigny 1840, S. 44: „Indessen entsteht durch die dem Stoff gegebene Form, welche seine inwohnende Einheit zu enthüllen und zu vollenden strebt, ein neues organisches Leben, welches bildend auf den Stoff selbst zurück wirkt, so daß auch aus der Wissenschaft als solcher eine neue Art der Rechtserzeugung unaufhaltsam hervorgeht" (kursiv von Verf.). 106 Pitschas 1993, S. 223; für einen „variablen" Systembegriff Zippelius 1994, S. 36. 107 In diese Richtung die allgemein skeptische Haltung von Thieme, DÖV 1996, 757 (760, 763). S. etwa zur von Jesch 1961, S. 233 behaupteten Verfassungsentwicklung kritisch Wittling 1991, S.201ff. Aufschlußreich Würtenberger 1991, S. 147ff., 157ff. zur Wirksamkeit des Zeitgeistes bei der Rechtsentwicklung. 108 Vgl. die schöne Formulierung von Badura 1966, S. 5: „Die Verwaltung und ihr Recht, eine höchst bewegliche und technische Rechtsmasse, kommen der Unselbständigkeit der einzelnen, die das privatrechtliche System einer der Gesellschaft überlassenen Bedürfnisbefriedigung nicht zu beheben vermag, zu Hilfe"; Voigt 1986, S. 14; Treiber 1994, S. 374; Schneider, VerwArch 87 (1996), 38 (46 f.) im Kontext kooperativer Verwaltungsverfahren; weiter Benz 1994, S. 305 f.; zu Grenzen und Alternativen der Steuerung durch Recht allgemein Schuppert 1990 a.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
kussion109 liegt die Gefahr eines übergewichtig praktischen Diskurses, um schnell und effektiv Innovation und Flexibilität zu ermöglichen110: Die Anerkennung der Notwendigkeit eines breiten, handlungstheoretisch orientierten Steuerungsbegriffs 111 begünstigt die Bereitstellung maßgeschneiderter Instrumente staatlichen Handelns unter Vernachlässigung von Gesichtspunkten rechtlicher Formung. In diesem technischen und praxisorientierten Zugang gründen Gefahren für den Selbststand des Rechts112 ebenso wie für die systematisch eigenwertige Ordnungsvorstellung des gesetzesdirigierten Verwaltungshandelns113. Nimmt man die Möglichkeit ernst, daß das Verwaltungsrecht in seinen Modernisierungsbemühungen „aufgaben- und bereichsspezifisch zu zerfallen" droht, leuchtet die Bemühung um die Bewahrung des »Allgemeinen4, zunächst auf bereichsspezifisch mittlerer Konkretisierungsebene114, unmittelbar ein. Das der Rechtswissenschaft als Wissenschaft aufgegebene Erkenntnisinteresse einer systematischen Einheitsbildung über die ausdifferenzierte Vielfalt des rechtlich Wirklichen fordert darüberhinaus, nach dem ,noch allgemeineren4, dem »Allgemeinsten4, zu fragen 115. Der Idee des allgemeinen Verwaltungsrechts liegt diese auf das System als Wissenschaft bezogene grundsätzliche Vorstellung als ,Systemvorstellung 4 zugrunde: Die Vorstellung, daß das wissenschaftliche Recht im allgemeinen nach rechtseigenen Kriterien zu behandeln sei116, ist eine Grundvorstellung, die in der Rechtskultur dieser Zeit verankert ist und „wegen ihrer unmittelbaren Anknüpfung an das Verfahren der Rechtsanwendung (...) im Kern ein spezifisches Anforderungsprofil der rechtsstaatlichen Methodik aufstellt 44117. Diese Vorstellung verfolgt also die Idee allgemein-rechtlicher yFormung 4 als zeitgegenwärtige Aufgabe, die „ständige Vermittlung jener letzten Anforderungen, der durchweg akzeptierten Grundwerte und Prin109 Hoffmann-Riem 1997, S. 358 ff., 371-376; vgl. weiter Schuppert 1993, S. 68 f.; Treiber 1994, S. 397ff. m. N.; weiter von Beyme 1997, S. 19ff., 313ff., 319ff.; Möllers, VerwArch 90 (1999), 187 (188): Diskussionsrahmen eher technischem Aigumentationsstil verpflichtet. 110 Zum SonderfaU des juristischen Diskurses Alexy 1991, S. 32ff., 263ff., 349ff.; Warnung in diese Richtung auch bei Hoffmann-Riem 1994, S. 59f. 111 Zum Steuerungsbegriff Schuppert 1993, S. 68 ff.; zum Verwaltungsrecht als Recht der Systemsteuerung Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (151 ff.). Zu unterschiedlichen Klassifikationsansätzen staatlicher Steuerung König/Dose 1993 a. 112 Zum Begriff Schmidt-Aßmann 1993, S. 16. 113 Schmidt-Aßmann 1982: Ordnungsidee; Schmidt-Aßmann 1998; Badura 1966, S. 5. 114 Vgl. Pitschas 1993, S. 280 m. w. N.; Wahl 1984, S. 19 ff. und neuer Blümel 1994, S. 24ff. 115 Wieacker 1967, S. 488: „(...) gehört der Aufbau eines AT zu den unverzichtbaren Aufgaben einer Rechtswissenschaft, sobald sie sich einmal als eine systematische versteht, wie die deutsche seit dem Beginn des vorherigen Jahrhunderts"; eingehender von Danwitz 1996, S. 27 ff. S. a. Sendler 1999, S. 30f. im Kontext der Gesetzgebung des allgemeinen Teils eines Umweltgesetzbuches. 116 Vgl. Luhmann 1974, S. 17 ff. im Kontext der Entstehungsbedingungen von Dogmatik. 117 vonDanwitz 1996, S.40. Vgl. auch Wegge 1996, S. 15 ff., Merten 1989 mit der Frage: „Optimale Methodik der Gesetzgebung als Sorgfalts- oder Verfassungspflicht?", differenzierende Antworten a. a. O. S. 89 ff., 94 ff. („verfassungsprozessuale Last"); demgegenüber weitergehend Schwerdtfeger 1977.
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zipien, sowohl mit der Fülle der »gegebenen4 Normen wie dieser - und damit letztlich der Prinzipien selbst-mit ihren »Anwendungen4 in mannigfachen und wechselnden Situationen44118 in der erreichbaren Allgemeinheit, jedenfalls allgemeiner als aufgaben- und bereichsspezifisch, zu begründen: In dieser zeitgegenwärtigen Systemvorstellung des Allgemeinen (Verwaltungs-) Rechts ist die Idee eines systematischen Selbststands des Rechts ausgedrückt. Vor diesem Hintergrund ist die Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts durch Impulse, die als europarechtliche Anreize oder Zwänge auf das nationale Verwaltungsrecht einwirken und dessen Öffnung oder Neugestaltung bewirken119, systemorientiert zu reflektieren 120. Das europäisierte allgemeine Verwaltungsrecht121 wird dabei auch in Zukunft seine „jeweiligen systemprägenden Eigenheiten und seine beherrschende Rolle zur Steuerung der internen Ordnungsvorgänge in den Mitgliedstaaten44122 behalten. Denn die Kompetenz für die Systemebene des Verwaltungsrechts ist bei den Mitgliedstaaten verblieben123.
4. Konstruktion und Selektion als Gestaltungsprinzipien der Rechtsfortbildung des allgemeinen Verwaltungsrechts Das System ist seine Konstruktion124. Systemdenken ist die Methode des analysierenden und synthetisierenden, vor allem aber konstruierenden Denkens. Die Ordnung der rechtlichen Stoffe in systematische Verhältnisse, diejenigen des allgemeinen Teils im Verhältnis zu denjenigen der besonderen Teile, ist ohne rechtlich-inhaltliche Bestimmung und Gewichtung nicht möglich125. Deshalb liegt in diesem Vor118 Larenz 1983, S. 223, dortLuhmann 1974, S. 17ff. folgend. S. a. oben nach FN 112 und unten nach FN 126. 119 S. hierzu Scheuing 1994, S. 290,330ff.; Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 207ff.; Classen, NJW1995,2457 (2460): letztlich andere Grundkonzeption des europäischen Verwaltungsrechts zum Verhältnis des Einzelnen, der Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. 120 Zur rezeptionsleitenden Funktion der verwaltungsrechtlichen Systematik Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (141 f.); Rengeling, VVDStRL 53 (1994), S. 222f.; von Danwitz 1996, insb. S. 194ff., 334ff. 121 Schock, JZ 1995, 109 (110): rechtsnormative Tiefenwirkung auf die Institute des allgemeinen Verwaltungsrechts. 122 Schwarze, DVB1. 1996, 881 (888); vgl. zur Konvergenz der mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen die Beiträge in Schwarze (Hrsg.) 1996. 123 Differenzierend Kahl, NVwZ 1996,865 (869); allgemein skeptisch Sommermann, DVB1. 1996, 889 (897); Breuer, VVDStRL 53 (1994), S. 250; Wieland, VVDStRL 53 (1994), S. 252; Schwarze 1996, S. 801 zur fehlenden Kompetenz der Gemeinschaft zur Einflußnahme auf die nationalen Verwaltungsstrukturen: „Verwaltungsorganisation spiegelt in besonderem Maße die Eigenart und Identität eines Staates wider", vgl. zum zusammenhängenden Thema der Rechtsvergleichung nach FN 556 ff. 124 Übersichtlich Dogmatik, Systembildung und Struktur(ierung) in Beziehung setzend Esser 1972, S. 89,91,97 ff., 131: „(...) daß das Urteil über die »Struktur4 vom Gestaltungswillen abhängt". S. hierzu auch weiter unten bei FN 298 ff. 125 Bestätigung der These der strukturellen Sachgeprägtheit des Rechts, auch des Verfahrensrechts, s. a. Morlok 1988, S. 101 ; aus diesem Tatbestand die Notwendigkeit bereichsspezifischen
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
gang auch eine Gestaltung des Rechts126: Das gestalterische Moment der Konstruktion bedingt eine Methode der Systembildung, die selektiv abstrahierend vorgeht und das Allgemeine des systematisch selektierten Kontexts in die Einheit rechtlicher Grundannahmen und Grundsätze zur grundsätzlichen ,Systemvorstellung 4 festsetzt. Konstruktion und Selektion auf der rechtssystematisch »allgemeinsten4 Ebene sind gleichwohl auch bezogen auf die rechtspraktischen Zwecke des Verwaltungsrechts. Sie müssen die dort bestimmenden eher technischen Anliegen mit berücksichtigen127. Soweit diesem Gesichtspunkt in der (Neu-) Gestaltung des allgemeinen Verwaltungsrechts Rechnung getragen wird, ist die Ordnung des allgemein-grundsätzlichen ein Rechtswert an sich. Der Verlust an Aktualitäts- und Wirklichkeitsbezug auf der Ebene des »allgemeinen4 Rechts kann dann nicht als Nachteil bewertet werden, sondern ist Ausdruck des Systemgedankens und die Konsequenz der Bemühung, das „kategoriale Rechtsgerüst44 insgesamt zusammenzuhalten128: Es geht dabei um die Qualität der rechtlichen Struktur. Die Idee des allgemeinen Rechts steht für den Anspruch der rechtseigenen systemischen Rationalität129. Die Auffassung seiner Allgemeingültigkeit im Bewußtsein der (Fach-) Öffentlichkeit ist eine Bedingung für die demokratische und Sonderentwicklungen distanzierende Fortbildung des Rechts130.
5. Folgerungen für die Rechtsfortbildung des allgemeinen Verwaltungs(verfahrens)rechts der administrativen Normsetzung Die Reform des ,allgemeinen 4 Verwaltungs(verfahrens)rechts der administrativen Normsetzung ist vor diesem Hintergrund der rechtsfortbildenden allgemeinen Rechtsentwicklung zu sehen. Ihre Grundlegung in den »allgemeinen4 Verwaltungsverfahrensgesetzen könnte ihre Anliegen, deren Gegenwärtigkeit und Repräsentativität, zum rechtsöffentlichen Allgemein-Gut befördern 131. Die mit der VerrechtliVerfahrensrechts folgernd Wahl, VVDStRL41 (1983), S. 171 f., 173 ff.; Pietzcker, WDStRL41 (1983), S. 194f., 215ff.; vgl. aber auch Trzaskalik, VVDStRL 41 (1983), S. 250ff. 126 Gleichsinnig Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (146). 127 Badura 1966, S. 5: „sozialverantwortliche Verwaltung"; vgl. auch Hirche 1999, S. 61. 128 Vgl. hierzu und zum Zitat Wahl 1993, S. 211 ff., 215. 129 Zur legitimatorischen Bedeutung der Rationalität im Verfassungsstaat Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 (1996), S. 233 m. N.; zur Unterscheidung normativer und soziologischer Steuerungsrationalitäten Weinreich 1995, S. 69ff. S. a. weiter oben nach FN 115. 130 Vgl. allgemein Bry de !H offmann-Riem (Hrsg.) 1988; darin Lücke 1988, S. 124f.: „versozialwissenschaftlichte konsentierte Werthaltungen als im Recht verdoppelter sozialer,common sense"4; zur Bedeutung des „Allgemeinen Teils" für eine gezielte Rechtsentwicklung Wieacker 1967, S. 488; Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, 533 (536f.); zu Zwischenschichten, ders., Die Verwaltung 27 (1994), 137 (151); zur Förderung der Orientierungssicherheit durch vereinfachtes und allgemeineres Recht Kindermann 1984b, S. 72,79f.; Häberle 1970, S. 562:, jedes Gesetz ein Stück Gestaltung der öffentlichen Ordnung im weiteren Sinne". Zum Zusammenhang Gesetzesflut/Rechtskenntnis/Normbefolgung (Verhaltenswirksamkeit) s. nur Röhl 1987, S. 259ff. m. N. 131 Vgl. Häberle 1977, S. 49f.: Verwaltungsverfahrensgesetz als ,3ürgergesetz" und „Grundgesetz" der zweiten Gewalt; vgl. auch Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG
Β. Begriffe und Gegenstände
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chung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vollzogene Gestaltung ist rechtsfortbildende Kreation im Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts. Sie müßte aus de Notwendigkeit einer grundlegenden,,allgemein-einheitlichen' Neuordnung von administrativen Verfahrensstrukturen im Zusammenhang der Normsetzung begründet werden132.
B. Begriffe und Gegenstände I. Administrative Normsetzung, allgemeines Verwaltungsrecht und Verfahrensrecht Sind allgemeine Verfahrensmodelle, Verfahrensanforderungen oder andere Lehrsätze von allgemein verfahrensrechtlicher Bedeutung erkennbar, die auf der gesetzgebungssystematischen Ebene der Verwaltungsverfahrensgesetze als Recht der administrativen Normsetzung einheitlich »allgemein-gültig* gesetzt werden sollten? Oder sollte ein solchermaßen vereinheitlichendes Rechtsregime rechtsfortbildend entwickelt werden? Der Begriff des Verwaltungsverfahrens und des allgemeinen Verwaltungsrechts sind Schlüsselbegriffe für die Beantwortung dieser Fragestellungen. Ihre Vielschichtigkeit und Entwicklungsoffenheit kommt vorzüglich in den beiden folgenden Zitaten zum Ausdruck. Danach sind „Verwaltungsverfahren (...) normativ strukturierte Vorgänge der Informationsgewinnung und -Verarbeitung. Sie dienen der Information, der Koordination, der Interessendarstellung und ihrem Ausgleich, sind Medium der Umsetzung des materiellen Rechts, dienen der Richtigkeitsgewähr der Entscheidung, der individuellen Rechtssicherung und der institutionellen Konsensbeschaffung. Über die weiterhin bedeutsamen älteren Schichten der Rechtswahrung, des Grundrechtsschutzes im und durch das Verfahren, ist dieses längst eingebettet in ein allgemeines Konzept der Prozeduralisierung, das Normsetzung wie -implementation als einen komplexen Interessenaushandlungs- und -ausgleichsprozeß von staatlichen und privaten Akteuren beschreibt"133. „Das Verwaltungsverfahren ist das Verfahren der Verwaltungsbehörden"134. Die grundsätzlichen Fragen seiner rechtlichen VerEinleitung Rn 13-17 oder Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn27: „gesetzliche Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts (...) rechtspolitischer Beitrag zur Fortentwicklung des1 öffentlichen Rechts" (kursiv von Verf.). 32 Also nicht nur symbolische Bedeutung haben. Für ein Verfassungsverbot symbolischen, Ineffektivität anzielenden Rechts Bryde 1993, S. 17 ff. Aufschlußreiche Unterscheidung zwischen symbolischer Gesetzgebung und symbolischen Gesetzen von Kindermann 1988, S. 225. 133 Trute, DVB1. 1996, 950 (960) m. w. N. zum Begriff des Verwaltungsverfahrens dort in FN 120f.; vgl. eingehender Hill 1986, S. 193 ff.; Pitschas 1990, S. 28 ff.; Wolff, Verwaltungsrundschau 1996, 367 (367). 134 Bettermann, VVDStRL 17 (1959), S. 118.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
faßtheit gehören deshalb in den Gegenstandskatalog des allgemeinen Verwaltungsrechts135. Als Allgemeines Verwaltungsrecht wird „jener Bestand von Gesetzen, Verfassungsbestimmungen, Rechtsinstituten und Rechtsgrundsätzen (bezeichnet), die für alle Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts durchgängige Geltung beanspruchen. (...) Neben exakten Definitionen und festen Dogmenfinden sich Aussagen, die nur als Prinzip wirken und jeweils bereichsspezifisch konkretisiert werden müssen. Neue Theorieansätze werden in seinem Rahmen diskutiert und erprobt. Unbestrittene Erkenntnisse, Präjudizien, herrschende Ansichten und zukunftsweisende Entwicklungsansätze gehen ineinander über. Das allgemeine Verwaltungsrecht ist folglich kein Gebiet der Statik, sondern der Flexibilität. Seine Fortentwicklung wird durch die Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie einerseits und durch die in den Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts wirksamen Zwecke und Aufgaben bestimmt, die die Staatsziele des Grundgesetzes aufnehmen" 136. Während dieses Zitat die Idee der Allgemeinheit des allgemeinen Verwaltungsrechts und seine daraus folgende Funktion abbildet, zeigt die folgende Zusammenstellung, wie sich die Gegenstände des allgemeinen Verwaltungsrechts zu einer umfassenden Vorstellung der an der Bedeutung des Gesetzesbegriffs ausgerichteten Verfaßtheit des rechtsstaatlich-demokratischen Verwaltungsstaats formieren: „Die Lehre von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung mit ihren Dogmen vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes sowie die Lehre von der administrativen Gesetzesanwendung (Ermessen, Beurteilungsermächtigungen, Abwägungsaufträge); die Lehre von den Bauformen und Entscheidungszusammenhängen der Verwaltungsorganisation; die Rechtsformenlehre (Verwaltungsakt, Verwaltungsverträge, Normsetzung der Verwaltung, Verwaltungsrealakte) unter Einschluß des privatrechtlichen Verwaltungshandelns; die Lehre von den Verwaltungsrechtsverhältnissen; die Elemente und Standards des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts; das Staatshaftungsrecht; die Grundlagen des Verwaltungsrechtsschutzes"137. Das verfahrensrechtlich aufgefaßte Thema der administrativen Normsetzung berührt allgemein alle diese Gegenstände und einige darüber hinaus (Gewaltenteilung138, Staatsorganisationsrecht139, Rechtsnormtheorie140, Demokratietheorie 141). 135 Schmidt-Aßmann, DVB1.1989,533 (537): Verwaltungsverfahren neben Formenlehre und Lehre von den Verwaltungsmaßstäben als dritter großer Systemteil des allgemeinen Verwaltungsrechts. 136 Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (137). 137 Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (138). 138 Abgrenzung parlamentarische und untergesetzliche Rechtsetzung; Verhältnis Judikative/ Exekutive als Problemrichterlicher Kontrolldichte und der Definitionsbefugnis nicht-gesetzlicher Maßstabsnormen. 139 Bundesstaatsprinzip, kommunale und funktionale Selbstverwaltung. 140 In der Grauzone der Rechtsetzung vor allem fraglich die außenrechtliche Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, weiter: Pluralisierung der Gesetzesrechtsquellen. 141 „Volksgesetzgebung" auf kommunaler Ebene durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid.
Β. Begriffe und Gegenstände
43
1. Erscheinungsformen administrativer Normsetzung a) Der Fokus: Breitenwirksame
Programmierung
Die vollziehende Gewalt ist an „Gesetz und Recht" gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Sie hat die Aufgaben zu besorgen, die ihr im Rahmen der Verfassung zugewiesen sind. Verwaltungshandeln ist gesetzesdirigiertes Handeln. Das Verwaltungshandeln erschöpft sich jedoch nicht in der bloßen Anwendung oder Ausführung der Gesetze. Die Exekutive selbst erzeugt in großem Umfang Rechtssätze, die auch als Gesetzesnormen binden142. Aus ihrem verfassungsrechtlichen Vollzugsauftrag kann sich die Pflicht zur „Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung"143 ergeben. Der Verwaltung stehen für die Rechtsetzung von Gesetzesrecht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG im wesentlichen die Rechtsformen der Rechtsverordnung und Satzung zur Verfügung. Das sind die i. S. d. Rechtsquellenlehre unproblematisch als Rechtsquellen anerkannten Formen administrativ erzeugter Rechtssätze unterhalb des parlamentarischen Gesetzes144. Für die öffentliche Verwaltung stellt „die Befugnis, selbst Rechtssätze zu erlassen (...) eine über die Regelung von Einzelfällen hinausgreifende, hochbedeutsame Steuerungsmöglichkeit dar, ohne die ein nach den Geboten der Durchschaubarkeit, Rechtmäßigkeit und Effektivität organisiertes Verwalten heute weniger als früher denkbar ist. Aufgabenerfüllung im Einzelfall bleibt Stückwerk, wenn sie nicht in einen Rahmen eingestellt und durch Vorgaben gesteuert wird" 145. Die Rechtserzeugung von Gesetzesrecht durch die Verwaltung ist also nicht nur unter dem Aspekt der Änderung der Rechtsordnung durch Gesetzgebung zu sehen. Wegen ihrer Bedeutung als Instrument der administrativen Aufgabenerfüllung und ihrer Funktion der Gewährleistung eines „programmgeleiteten"146 Verwaltungshandelns kann hier sinnvoll auch nach der Verwaltungstätigkeit durch Rechtsetzung gefragt werden: Die Rechtserzeugung von Verwaltungsnormen betrifft die Erzeugung von administrativen Rechts- oder Handlungsformen 147, die das öffentliche Recht der in den Formen des Rechts steuernden Verwaltung zur Verfügung stellt148. 142
Die Rechtsquellen hoheitlicher Umweltstandards etwa sind nur zu 6 % in der Form des Gesetzes, zu 74 % in der Form der Rechtsverordnung und zu 20 % in der Form der Verwaltungsvorschrift normiert; vgl. SRU1996, Tz. 748. S. a. im Handbuch des Staatsrechts Ossenbühl 1988 a, 1988 d, 1988 e, 1988 f. 143 Vgl. die gleichnamige Schrift von Schmidt 1969, die freilich der Rechtsetzung durch Verwaltungsvorschriften gewidmet ist. 144 Vgl. statt aller Maurer 1997, § 4 Rn 5 ff. 145 Schmidt-Aßmann 1981, S. 1; vgl. auch Hufen 1998 a, Rn446: besonders wichtiger Teil des Handlungs- und Regelungsinstrumentariums der Verwaltung. 146 Scheuing, VVDStRL 40 (1982), S. 157, vgl. zu diesem Aspekt noch Wittling 1991, S. 228 m. N.; Bull 1993, Rn 366; Lorenz 1974, S. 7. 147 Zur Frage der Bezeichnung als Rechtsform oder Handlungsform Pauly 1991, S. 31 ff., 34; Grupp 1994, S. 226 den Begriff der Handlungsformen auf solche einschränkend, die unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger entfalten; ähnlich Pitschas 1994, S. 231. 148 Unter dem Gesichtspunkt der Selbstverschaffung eines Steuerungsinstruments Hill 1990, D 12. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der Sinn der Unterscheidung des gerichtlichen
44
1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
Das Thema der administrativen Normsetzung läßt sich deshalb nicht auf die klassischen untergesetzlichen Rechtsquellen begrenzen: In der komplexen Rechtswirklichkeit gibt es eine Reihe normativer Phänomene zur Breitensteuerung des Verwaltungshandelns, deren Rechtserzeugung nicht in die Form der Verordnungs- oder Satzungsgebung gebunden und deren rechtliche Bedeutung nicht die der untergesetzlichen Gesetzesnorm sein kann149. Wie aber sollte die vom wirklichkeitsorientierten Gedanken rechtlicher Steuerung geforderte „Verknüpfung der normativen Ordnungsidee mit dem Realgeschehen"150 geleistet werden, wenn es dem Verwaltungsrecht nur um die verfahrensrechtliche Ordnung von rechtserzeugenden Handlungsformen ginge, deren Rechtsfolgen die Rechtsordnung als gesetzesrechtliche Wirkung (rechtssystematisch) definiert? Mit der perspektivischen Verengung auf die Rechtsfolgen gesetzesförmig normativer Handlungsformen begäbe sich das Recht der Möglichkeit, sein Steuerungspotential umfänglich zur Geltung zu bringen. Der „prospektive Gestaltungsauftrag" 151 des Rechts verlangt die Erstreckung des rechtlichen Verfahrens- und Formungsinteresses auf sämtliche Formen eigenadministrativer Steuerung durch Programme, deren effektive Breitenwirksamkeit auf die Form der abstrakt-generellen Regelung zurückgeführt werden kann, weil sie die Verwaltung zur Steuerung von administrativen Einzelfallentscheidungen verbindlich gesetzt hat152.
b) Ebenen und Wege rechtlicher Formung in der Verknüpfung des Verfahrens- mit dem Rechtsformgedanken Die Steuerungsperspektive des Innenrechts der Verwaltungsvorschriften kann deshalb nicht ausgeblendet werden, soweit sie auch für die Steuerung des Außenrechtskreises von Bedeutung ist. Dieser erweiterte Fokus ermöglicht die Verknüpfung 153 des Verfahrens- mit dem Rechtsformgedanken gerade in den formal entgrenzten und diffusen Bereichen der zukünftige Entscheidungen programmierenden VerwaltungsKontrollumfangs danach, ob die gesetzlichen Grundlagen der Verwaltung eher einen Auftrag zum Vollzug oder zur Gestaltung erteilen, vgl. dazu \on Danwitz 1989, S. 188 ff.; Starck 1989, S. 110ff. zum Zusammenspiel von Gesetzgebung und Rechtsdogmatik. 149 Vgl. etwa für den Bereich technischer Normung nur Ipsen, VVDStRL 48 (1990), S. 190 ff.; Lamb 1995. 150 Schock, Die Verwaltung 25 (1992), 22 (34). 151 Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, 533 (537); Schmidt-Aßmann 1998, Rn 8 S. 43; in diese Richtung auch Dreier 1991, S. 157. 152 Zur perspektivischen Enge der überkommenen Rechtsdogmatik Schulze-Fielitz, VVDStRL 55 (1996), S. 272; Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 22 (34); zur Veränderung des dem Rechtsbegriff zugrundeliegenden Konzepts durch die Steuerungsperspektive um den Aspekt der Bereitstellungsfunktion des Rechts Schuppert 1993, S. 68 ff.; zur Ergänzung um eine „Instandsetzungsfunktion" mit dem Ziel der Integration des Bürgers in das Verwaltungshandeln durch Herstellung „integrativer Resonanz" Hill, DVB1. 1993, 975 (976, 980f.). 153 Zur inneren Verbindung der Verfahrens- mit der Formenlehre s. unten bei FN 204.
Β. Begriffe und Gegenstände
45
entscheidungen154. Dies bedeutet nicht zwangsläufig Formalisierung all dessen, was zur Zeit gerade nicht rechtlichen Standards unterliegt155. Dies bedeutet auch nicht den Versuch einer Gesamtlösung, alles einem integrierend-flexiblen Aktionsmodell einzuverleiben und in den Griff zu bekommen156. Denn schon die Frage nach dem Recht des informell-administrativen Handelns, nach dem Verhältnis von Formalität und Informalität im Verfahren und dessen rechtserzeugender Wirkungen, auch die rechtlichen Begründungen der Förmlichkeit oder Nichtförmlichkeit eines Verfahrens ist als eine rechtliche Anforderungen bestimmende Frage im weiteren und allgemeinen Sinne rechtliche Formung. Die rechtliche Ordnung schon des Verhältnisses von Formalität-Informalität bei der Normsetzung als Handlungsform einer administrativen Aktivität wäre deshalb Formung der Rechtsform administrativer Rechtsetzung. Wenn dieser Aspekt rechtlicher Formung bisher auf allgemeiner Ebene weniger betont wird, so liegt das auch daran, daß Regeln des juristischen Sprachspiels nicht zuließen, anderes als Rechtsquellen in den rechtssystematischen Zusammenhang einer solchen Fragestellung zu stellen.
c) Programmierende
Verwaltungsentscheidungen
Das Immissionschutzrecht bietet reiches Anschauungsmaterial an Phänomenen administrativer Normsetzung. Hierfinden sich etwa Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen des Bundes157 und der Länder158. Andere Regelungen betreffen die administrative Vorschriftengebung in der Form von Verwaltungsvorschriften 159. Die Normsetzung durch Private bei der Erstellung technischer Regelwerke wird über Verweisungsnormen rezipiert und bestimmt den Verwaltungsvollzug160. Es sind weiter zu nennen: Pläne161, der in seiner rechtlichen Einordnung umstrittene Smog154 Vgl. nur Di Fabio 1994, S. 299: Trend zu Erscheinungsformen genereller Steuerung, „weil ansonsten die Vorverlagerung der Gefahrenabwehr über das konkret-individuell gebundene Wahrscheinlichkeitsurteil hinaus in den Präventionsbereich hinein nicht angemessen umgesetzt werden kann"; siehe schon die Überlegungen von W. Schmidt, AöR 96 (1971), 321 (323f., 336ff.): programmierende Entscheidung als neuer verwaltungsrechtlicher Grundbegriff. S. zu „Grauzonen" der administrativen Rechtsetzung auch Stern 1980, S. 660f. 155 Zu den Grenzen der „Judizialisierung" des Verwaltungsverfahrens durch dessen gerichtsähnliche Ausgestaltung (Formalisierung) Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 210ff. 156 Zur Gefahr von rechtlichen Gesamtlösungen siehe die Bemerkung zum Planungsrecht von Ossenbiihl 1974, Β 21. 157 §§ 4 Abs. 1 Satz 3; 5 Abs. 2; 7; 23; 37; 38; 39; 43; 48a; 53 Abs. 1 Satz 2 BImSchG. iss §§ 40; 44; 46 Abs. 1 Satz 3; 49 BImSchG. 159 §§ 45; 46 Abs. 1 Satz 5; 48; 51; 66 Abs. 2 BImSchG. Zur neuen TA Lärm 1998 und den Schwierigkeiten ihrer jahrzehntelang versuchten Novellierung Schulze-Fielitz, DVB1. 1999, 66ff.; zu den Technischen Anleitungen Luft und Lärm siehe die Beiträge von Böhm, Ludwig, Feldhaus, Schulze-Fielitz in Koch (Hrsg.) 1998, S. 161 ff.; 171 ff.; 181 ff.; 191 ff. 160 161
§3 Abs. 6 BImSchG. §§44ff. BImSchG. Hierzu Trute 1994; Trute 1988, S. 137ff.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts 162
alarm und Materien apokrypher Rechtsetzung wie etwa die sicherheitstechnischen Regeln des § 31 a Abs. 1 Satz 3 BImSchG163. Unter dem Aspekt der administrativen (Selbst-) Programmierung ist die Form des Programms als Gesetzesnorm des Außenrechts oder als (Verwaltungs-) Vorschrift des Innenrechts von untergeordneter Bedeutung, wenn dadurch tatsächlich das Verwaltungshandeln nach außen bestimmt wird 164. Diese Faktizität der Geltung von abstrakt-generellen Regelungen der ihr Handeln selbst programmierenden Verwaltung ist es, die Verfahrens- und Rechtsformfestlegungen der Normsetzung für die in staatliche und gesellschaftliche Verantwortungssphären und Teilrechtsordnungen ausdifferenzierenden Prozesse der Gemeinwohlkonkretisierung besonders wichtig erscheinen läßt165. Ihre Eigenart liegt in der funktionellen Konkurrenz zum parlamentarischen Gesetz. Die administrative Eigenprogrammierung erledigt sich nicht in der Regelung eines konkreten Verwaltungsfalles, sondern sie wirkt als Entscheidungsdirektiven generalisierende Maßstabsbildung in die Zukunft 166. Sie wird dadurch zu einem Problem des (Staats-) Organisationsrechts der Gesetzgebung: Die Rechtssätze der Satzungen und Rechtsverordnungen bewirken eine Änderung der durch förmliches Gesetzesrecht offengelassenen Bestimmung der abstrakten Rechtsordnung. Die »Bedeutung4 der Gesetzesdirigiertheit des Verwaltungshandelns bestimmt sich im konkreten Fall deshalb auch nach Maßgabe des rechtmäßigen Verwaltungsgesetzes. Die andere große Gruppe der Verwaltungsnormen, die nicht in der Rechtsform des materiellen Gesetzes erzeugt werden, die Verwaltungsvorschriften, steuern das Verwaltungshandeln tatsächlich und deshalb effektiv normativ den Gesetzesnormen weitgehend ähnlich167. Für administrative Konzepte oder 162 § 40 BImSchG. Ehlers, DVB1.1987,972 (977f., 979): Rechtsverordnung; Kluth, NVwZ 1987,960 (961): objektivierte Sachverhaltsfeststellung; Jarass, NVwZ 1987,95 (99): Verwaltungsakt; s. a. Schulze-Fielitz, in Koch/Scheuing (Hrsg.), BImSchG § 40 Rn97 ff. (101 ff.): überzeugend aufgrund der konkreten Gefahrensituation („letztlich entscheidend") für die Einordnung als Allgemeinverfügung m. N. auf den Meinungsstand in FN 108 f. 163 Vgl. Gusy 1994, S. 187; hierzu auch Frankenberger 1998, S. 267 f.; weitere Beispiele aus dem Umwelt- und Technikrecht mit Darstellung ihres oiganisations- und verfahrensrechtlichen Rahmens bei Breuer 1992, S. Β 74ff. 164 Vgl. Pietzcker 1990, S. 264; Kunig 1990, S. 65: Realanalyse als Grundlage der „gebotenen empirischen Gesamtbetrachtung" im Kontext der „Alternativen zu einseitig-hoheitlichem Handeln". Zu Notwendigkeit und Möglichkeit einer Außen- und Innenbereich abgrenzenden rechtlichen Denkvorstellung Burmeister 1984, S. 45 ff. 165 Für die Beziehung zum Prozeß der Rechtsetzung siehe W. Schmidt, AöR 96 (1971), 321 (324); schon jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat Schuppert (Hrsg.) 1999; Pitschas 1990, S. 48 ff.: „Verwaltungsstaat in der Krise"; zum Phänomen der Privatisierung der Rechtsetzung Schulze-Fielitz 1994, S. 187ff. S. a. weiter oben nach FN 84 und nach FN 145. 166 W. Schmidt, AöR 96 (1971), 321 (337): Rechtsfortbildung durch die vollziehende Gewalt, unabhängig von der Art der Programmierung etwa als Konditional- oder Zweckprogramm, eingehend zu dieser Luhmannschen Unterscheidung W. Schmidt, a. a. O., 331 ff.; R. Schmidt 1994, S.78ff. 167 Vgl. zur unbestrittenen faktischen Bedeutsamkeit der Außen Wirkung von Verwaltungsvorschriften Rogmann 1998, S. 34 m. N.; Wittling 1991, S. 268; W. Schmidt, AöR 96 (1971), 321 (323 f.); Lübbe-Wolff 1996, S. 92.
47
Β. Begriffe und Gegenstände
auf den konkreten Einzelfall bezogene „generelle Festlegungen" gilt diese normative Verselbständigung weniger168. Wahrend diese für die Verwaltungsvorschriften aus ihrer Subsumtionsfähigkeit als Rechtssätze folgt und sie damit den Gesetzesnormen funktionell gleichartig den normkonkretisierenden Entscheidungsprozeß des administrativen Rechtsanwenders anleiten, gilt dies nicht im gleichen Maße für die fallkonkreteren Konzepte und Modellfestlegungen, die aus dem Recht der Risikoverwaltung bekannt sind169.
2. Das Recht der Rechtsetzung Das Recht der Rechtsetzung170 betrifft die Rechtsfragen nach dem Normsetzungsverfahren, der Veröffentlichung, der Ermächtigung oder Normsetzungskompetenz, der Zulässigkeit der rechtssatzförmig bestimmenden Regelungsform, der Bedeutung der bestimmten Rechtsform eines administrativen Rechtssatzes und seiner rechtlichen Wirkung, den Voraussetzungen für die Recht- und Verfassungsmäßigkeit der konkret-inhaltlichen Regelung, somit auch die Lehre von den Fehlerfolgen, den Kontroll- und Änderungsmöglichkeiten und ihrer Institutionalisierung sowie nach der Reichweite und dem Umfang der gerichtlichen Kontrolle171.
a) Insbesondere: Verfahrensrecht
für Gesetzesnormen
Als administrativer Rechtssatz in der Form des Gesetzes wird hier ein Normtext bezeichnet, über dessen gesetzesrechtliche Geltung i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG von der Verwaltung beschlossen wurde172: Gesetzesnormen sind also Rechtssätze in einer 168
Zum tatsächlichen Funktionieren von Normtexten Müller 1997, Rn 202 ff. (207): „Der Normtext kann vielmehr nur dadurch zur Grundlage vielfältiger späterer Einzelentscheidungen werden, daß er von einer Determination durch den »Sender* (...) abgeschnitten ist". 169 Zu ihnen Di Fabio 1994, S. 299. 170 Dazu, daß Recht auf Recht angewandt wird und den dadurch bewirkten machtbegrenzenden und die rechtliche Bindungskraft steigernden Effekt Grimm 1990, S. 292. 171 Die Bezeichnung exekutive oder administrative Normsetzung kann synonym verwandt werden, möglich ist aber auch folgende differenzierende Begriffsverwendung: Danach fallen Rechtsverordnungs- und Satzungsgebung unter den Oberbegriff der administrativen Normsetzung. Der Begriff der exekutiven Normsetzung wäre dann speziell der Normsetzung durch die bürokratisch-hierarchisch organisierte unmittelbare Staatsverwaltung vorbehalten. Die Setzung autonomen Rechts durch verselbständigte Verwaltungseinheiten (Satzungsgebung) wäre demgegenüber nicht der exekutiven (in diesem engeren Sinne), wohl aber der administrativen Normsetzung zuzurechnen, s. zu dieser Einordnung auch Schmidt-Aßmann 1987, S. 261. 172 Die Normungsverfahren privatrechtlicher Normungsverbände sind trotz ihrer hohen Bedeutung für die Normkonkretisierung im öffentlichen Recht aus dem Begriff der administrativen Normsetzung auszuscheiden, vgl. den Überblick bei Kloepfer/ Eisner, DVB1. 1996, 964 (966 m. w. N.); eingehender Lamb 1995; zur Bedeutung privater Normgebung unter dem Gesichtspunkt der Staatsentlastung durch gesellschaftliche Selbstregulierung Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), S. 202.
1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
48
Form, der die Rechtsordnung eine grundsätzlich zweiseitig verbindliche Geltungskraft zuerkennt173. Administrative Gesetzesnormen sind deshalb Satzungen und Rechtsverordnungen, nicht dagegen Verwaltungsvorschriften 174. Der äußere Vorgang175 der Normerzeugung als einen in ein bestimmtes rechtliches Verfahren formell verfaßten Prozeß der Normerfindung oder -konkretisierung, durch den und in dem sich kognitive und volitive Momente in eine konkret norminhaltliche Entscheidung entwickeln, ist in den Verwaltungsverfahrensgesetzen nicht geregelt176. Spezialgesetzliche Regelungen finden sich, wenn überhaupt, zum äußeren Verfahren des Zusammenwirkens der an der Normsetzung beteiligten Akteure. Rechtliche Anforderungen an das innere Verfahren der Entscheidungsfindung, verstanden als Vorgang und Ausdruck eines gedanklichen Willens- und Argumentationsprozesses, können über den Umweg von Begründungs- und Dokumentationspflichten wirksam werden: Solche Pflichten wirken als „Verlängerung der Abwägung aus dem Innenbereich der Verwaltung hinein in den öffentlichen Bereich"177. Begründungspflichten dieser Art 178 oder auch die Pflicht zur veröffentlichten Begründung schon eines Verordnungsentwurfs sind gesetzlich bisher nicht allgemein angeordnet179. Schon für die parlamentarische Gesetzgebung gilt: „Das Bild der normativen Grundlagen für das Verfahren der Gesetzgebung ist durch ein erstaunliches Maß an Regelabstinenz geprägt"180. Für die Ausarbeitung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen und ihre Novellierung kommt eine die Verordnungsgebung in Deutschland mit derjenigen in Kanada vergleichende Arbeit zu dem Schluß: „Das in Deutschland zur Zeit praktizierte Verfahren zur politisch-programmatischen Gestaltung stellt sich als geschlossenes, intransparentes System dar, das den Bürgern keine Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet und daher in den Augen amerikanischer Kritiker nicht ausreichend demokratisch legitimiert ist"181. 173
Vgl. etwa Schulze-Fielitz, in Dreier (Hrsg.) 1998, GG Art. 20 (Rechtsstaat), Rn 84. Vgl. zur Problematik von Definitionen dieser Art von Danwitz 1989, S. 23 ff., 27 f. für die Abgrenzung von Rechtsverordnungen zu Verwaltungsvorschriften. 174 So betont etwa Herdegen, AöR 114 (1989), 607 (624) die besondere Bedeutung der Rechtsformenbestimmung durch den Gesetzgeber. 175 Zur Doppeldeutigkeit des Begriffs Verfahren Alexy, JZ 1986,701 (706); geraffte Darstellung des äußeren Gesetzgebungsverfahrens bei Hill, Jura 1986,286 (293 ff.). 176 Kritisch Schmitt Glaeser 1977, S. 31; Schmidt-Aßmann 1988, Rn 8; Hufen 1998 a, Rn446 m. N.; vgl. auch Hill 1987, S. 27 ff. 177 Frankenberger 1998, S. 292 ff. m. N. der Vertreter entsprechender Forderungen; vgl. weiter Alexy JZ 1986,701 (706); Lücke 1986, S. 5 ff., 11 ff., 28ff., 33ff. 178 Kritisch zur derzeitigen Begründungspraxis von Verordnungen des Bundes Frankenberger 1998, S. 292; vgl. auch Lücke 1986, S. 15 ff. 179 Zur Praxis der Verordnungsbegründung Schneider 1991, Rn 112; Schulze-Fielitz 1988, S. 464; zur Vorbereitungsphase nach den Bestimmungen der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerium - Besonderer Teil - (GGO II), deren Rechtsnatur, ΒindungsWirkung und tatsächlichen Wirkung Frankenberger 1998, S. 94 ff. ; zur Begründung nach GGO II und den „Blauen Prüffragen" S. lOOff. 180 Ossenbühl 1988 c, S.354. 181 Frankenberger 1998, S. 21 m. N.
Β. Begriffe und Gegenstände
49
Denn für die Masse des Rechts soll schon der allgemeine demokratische Willensbildungsprozeß die Forderung nach verfahrensrechtlich gesteuerter Rechtsentwicklung befriedigen können. Die Notwendigkeit ausgleichsvorbereitender Vorschaltverfahren könne sich demgegenüber aus den Grundrechten ergeben182. Die eigenständige Bedeutung des Verfahrens für die Qualität der Rechtsnorm und der Möglichkeit einer rationalen Kontrolle wird durchaus anerkannt183. Die naheliegende Standardisierung und Formalisierung des Normsetzungsverfahrens hatte de lege lata aber nicht ihre allgemein einheitliche Verrechtlichung zur Folge, wiewohl in einzelnen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts die Satzungs- oder Verordnungsgebung detaillierteren, auch gesetzlichen, Regelungen unterliegt184. b) Insbesondere: Normsetzungsverfahrensrecht für Verwaltungsvorschriften Sieht man von einzelnen Regelungen in Spezialgesetzen zur Beteiligung von beteiligten Kreisen, Gremien usw. ab 185 , ist das Verfahrensrecht der Rechtserzeugung von Verwaltungsvorschriften gesetzlich nicht geregelt: Einzelne Vorschriften des besonderen Verwaltungsrechts ermächtigen zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften 186 oder gelten Teilbereichen ihres Erlaßverfahrens. Soweit solche Regelungen die Modalitäten des Verfahrens näher gestalten, handelt es sich zumeist um Normen, die dem Vorschriftengeber die Beteiligung der von der Norm betroffenen gesellschaftlichen Gruppen oder die Anhörung von sachverständigen Personen oder Gremien vorschreiben. Nach § 114 Abs. 1 BSHG etwa sind sozial erfahrene Personen anzuhören. Die Vorschriftengebung nach § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG und § 48 BImSchG ist mit der Pflicht zur Anhörung der „beteiligten Kreise" verbunden. Was darunter zu verstehen ist, wird in den § 60 KrW-/AbfG und § 51 BImSchG nahezu wortgleich als „Kreis von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Wirtschaft, des beteiligten Verkehrswesens und der (...) zuständigen obersten Landesbehörden" definiert. § 30 Abs. 5 GenTG ordnet vor Erlaß der allgemeinen Verwaltungs Vorschriften die Anhörung der „Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit" gemäß § 4 GenTG an, die aus Sachverständigen sowie sachkundigen Personen besteht. Diese Form der Vorbereitung des Inhalts von wichtigen Verwaltungsvorschriften wurde nicht in allen neueren einschlägigen Gesetzen übernommen187. § 20 UVPG verzichtet 182
Lerche 1984, S. 107,108 ff. Zum inneren Gesetzgebungsverfahren Schwerdtfeger 1977; Hill, Jura 1986,286 (292) mit Begründung von Kontrollanforderungen an das innere Gesetzgebungsverfahren als Methodik der Entscheidungsfindung; in Bezug auf Verwaltungsvorschriften Schröder 1991, S. 21. S. a. Burmeister 1984, S. 16 zur üblichen Orientierung nur am Ergebnis der Gesetzesrichtigkeit. 184 Zu den Verfahrensanforderungen bei der Verordnungsgebung etwa Ossenbühl 1988d, Rn 24-71 ; Frankenberger 1988, S. 92 ff. ;/////1986, S.65ff., zum Verfahren der Satzungsgebung a.a.O. S.77ff. 185 Siehe die Beispiele bei Grupp 1994, S. 219. 186 Ζ. B. § 5 BHO; § 104 AuslG. 187 Vgl. Grupp 1994, S. 219. 183
4 Gößwein
50
1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
auf die Verrechtlichung eines solchen Anhörungsmodells. Art. 84 Abs. 2; 85 Abs. 2, 86 S. 1; 129 GG ermächtigen zu intersubjektivem Vorschriftenerlaß. Die verwaltungsintern bei der Vorschriftengebung zu beachtenden Regelungen betreffen vornehmlich formelle und redaktionelle Aspekte: Bezeichnung, Gestaltung, Kennzeichnung des Verhältnisses zu anderen Vorschriften, regelmäßige Überprüfung ihrer Notwendigkeit188. Dieser Befund ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, daß sich die Vorschriften für die Verwaltung regelmäßig an Adressaten innerhalb der Verwaltungsorganisation richten.Zwar ist die konstitutionalistische Lehre vom impermeablen Binnenbereich des Staates der Lehre vom Innenrecht der rechtlich verfaßten Staatsorganisation gewichen. Der grundlegende Gegensatz von Rechtskategorien zur Regelung der Beziehungen von Organisationseinheiten untereinander und der Rechtsbeziehungen dieser als Einheit gedachten Staatsperson nach außen ist aber dadurch nicht aufgehoben 189. Die auch heute noch nicht überwundene Einordnung der Sonderverordnungen in den Phänomenalbegriff der Verwaltungsvorschriften begünstigte die Vorstellung einer rein staatsinternen Angelegenheit der Vorschriftengebung. Die Anstaltsordnungen, die ein bestimmtes Nutzungsverhältnis reglementieren, beziehen sich auf besondere verwaltungsrechtliche Näheverhältnisse, etwa die durch Haus-, Schul-, Friedhofs-, Prüfungs-, Versetzungsrichtlinien geregelten Rechtsverhältnisse. Ihre faktische und rechtliche Wirkung bleibt deshalb in dem durch die Eigenart des besonderen Näheverhältnisses bestimmten Bereich, der durch die Anstaltsunterworfenheit des Benutzers eine entsprechende Ausrichtung erhalten hat. Die den Verwaltungsvorschriften eigentümliche Problematik des Auseinanderfallens von rechtlicher Gerichtetheit i. S. v. Adressierung und tatsächlicher Wirkung tritt hier deshalb nicht auf 90 . Fortwirkungen der überkommenen Impermeabilitätslehre und die ergebnisorientierte Beurteilung des Verwaltungshandelns wirken jedoch widerständig gegenüber dem Gedanken der Verrechtlichung der innenrechtlichen Verfahren zur Erzeugung des Innenrechts191. Abgesehen von der möglichen Einbuße an Flexibilität und innovationsfreundlicher Intransparenz durch administrativ freie(re) Eigenprogrammie188 Vgl. Wurzel!Dette-Koch 1991, S.50. Etwas anders die §§63 ff. GGO II; zur Reduzierung der Normenflut durch qualifizierte Bedürfnisprüfung Sachverständigenrat „Schlanker Staat u (Hrsg.) 1997, S. 59ff., zum Abbau von Verwaltungsvorschriften und Standards vgl. S. 15 ff., 74ff. In Bayern regelt eine Verwaltungsanordnung aufgrund Art. 43 Abs. 1 Bayerische Verfassung die Geltungsdauer unveröffentlichter Verwaltungsvorschriften der Staatsregierung und der Staatsministerien und die Modalitäten der Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften der Staatsregierung und der Staatsministerien (Ziegler-Tremel Nr. 603 und 862). Zu § 71 Schleswig-holsteinisches LVwG weiter unten nach FN 513. 189 Burmeister 1983, S. 47ff., 50; Grupp 1994, S. 215; weiter Ossenbühl 1968, S. 146ff.; Groß 1999, S. 17f. 190 Siehe die überzeugende Aigumentation von Ossenbühl 1988 e, S. 428; hierzu auch Grupp 1994, S. 217; indirekte Bestätigung bei Schmidt 1969, S. 18. 191 Als Beispiel die Argumentation von Grupp 1994, S. 215 (einleitender Absatz), 221, 225 (unten), 226,227 f. Beispiele für Innenrechtssätze in der Form klassischer Gesetzesnormen etwa bei Seewald 1995, Rn 78.
Β. Begriffe und Gegenstände
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rung wäre auch mit einer gewissen Verselbständigung der programmatischen Gehalte einer solchen Positivierung von Verfahrensrecht zu rechnen. Die vom Bürger erwartbare Erwartung in dessen Rechtsbeständigkeit und Rechtshaltigkeit (Gerechtigkeit) läßt die Unwägbarkeit des Verrechtlichungseffektes befürchten, die berechtigten Anforderungen aus der innenrechtlichen Regelungskategorie gegenläufig sein kann192: Das Innenrecht würde durch Verrechtlichung der Normsetzungsverfahren nach außen gewendet, ohne daß die überschießenden Folgen einer solchen Außenverrechtlichung einfach überschaubar wären. Naheliegend ist deshalb die Forderung, eine Verrechtlichung des Verfahrens mit einem zugrundeliegenden gesetzgeberischen Willen der besonderen außenrechtlichen Bedeutung solcher Vorschriften zu verknüpfen 193.
II. ,Allgemeines' Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung als Desiderat einer reformierten Verwaltungsrechtslehre? 1. Normsetzungsverfahrens- und Normsetzungsorganisationsrecht Normsetzung erzeugt Regeln, Grundsätze und Prinzipien194 zur Steuerung der in konkreten Verfahren sich entwickelnden, vielfältig unterschiedlichen Prozesse der Gemeinwohlverwirklichung. Staatliche Normsetzung ist politisch verantwortete Programmsteuerung. Private Normsetzung bindet staatliche Verantwortung195. Die zentrale Bedeutung der Normsetzung für die demokratische und rechtsstaatliche Qualität des staatlichen Handelns steht außer Frage. Deshalb sollten Organisation und Verfahren mindestens der staatlichen Normsetzung so ausgestaltet sein, daß ihre größtmögliche Klarheit und Transparenz, Legitimation, Legitimität, sachliche Richtigkeit, Kostengünstigkeit und Rechtsstaatlichkeit gewährleistet wird 196. Dennoch sind administrative Normsetzungsverfahren uneinheitlich und unübersichtlich: Das gilt ebenso für die Praxis der Anwendung des äußeren Verfahrensrechts wie für die 192
Zum Entstehen von Distanz durch Positivierung von Recht Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), S. 65; Lerche 1961, S. 54, 59f.: Verengung der Distanz durch das Näherriicken von Normgeber und Normadressaten in der vielfachen Verschränkung von Staat und Gesellschaft. 193 So etwa Grupp 1994, S. 225,227 f. Breuer 1992, Β 72ff., 111 f. verknüpft mit seiner Forderung nach gesetzlichen Grundlagen gerade die rechtliche Außenverbindlichkeit der Verwaltungsvorschriften. 194 Zu diesem Dreiklang Schulze-Fielitz, in Dreier (Hrsg.) 1998, GG Art. 20 (Rechtsstaat) Rn39ff. m. N. 195 Vgl. nur Marburger/Gebhard 1993, S. 37ff., 41 ff.; Trute 1997, S. 290ff.: „legitimatorische Vorwirkungen". 196 Schmidt-Aßmann 1998, Rn59 S. 138: materiell verstandener Gemeinwohlbegriff als regulative Idee. Pünder 1995, S. 22 ff., S. 285 f. reduziert auf Legitimation, sachliche Richtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Kostengünstigkeit, dort auch zu unterschiedlichen Modellen kurzfristiger und langfristiger Kostenvermeidung; vgl. weiter Häberle 1970, S. 562f. zum Zusammenhang von Öffentlichkeit, Rechtsnorm, Verfassung und öffentlichen Interessen. 4*
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
unterschiedliche Dichte und Herkunft ihrer formell rechtlichen Direktiven. Die Praxis informeller Verfahrenseinflüsse und ihre Bedeutung für die Gesetzesdirigiertheit der Normsetzung ist schwierig einzuschätzen. Sie trägt jedenfalls zu dem Eindruck der Uneinheitlichkeit, Uneinsichtigkeit und Unübersichtlichkeit bei. So läßt sich auch die Situation der privaten Normsetzung beschreiben, die etwa bei der Setzung technischer Standards auch für das öffentliche Recht von großer, wenigstens faktischer Bedeutung ist 197 . Die Vielfalt der Normen und normativen Phänomene, ihre Entstehungsbedingungen und Wirkungen sind derart unübersichtlich, daß sich die Frage nach der Konsistenz des zugrundeliegenden Konzepts aufdrängen kann. So ist bemängelt worden, daß Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen funktional äquivalent verwendet würden 198 . , f ü r den Einsatz der verschiedenen Erscheinungsformen der Normsetzungsdelegation durch den Gesetzgeber fehlt es in Theorie und Praxis an einem überzeugenden Konzept" 199 . Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, daß die noch klarere Erfassung administrativer Normsetzungsverfahren, häufig in Verbindung mit der Forderung ihrer verstärkten Formalisierung, als Desiderat der Verwaltungsrechtslehre bezeichnet wird 2 0 0 .
197 Vgl. Endres/Schwarze 1993, S. 82f.: Normen als „gesellschaftliche Zielfestlegungen"; Marburger 1979, S. 151 ff., 166 ff., 297 ff.; 327 ff.; Kloepfer /Eisner, DVB1. 1996, 964 (966 m. N.); Wimmer 1998, S. 11; siehe aber auch Frankenberger 1998, S. 264f. m. N.: „gegenüber dem Verfahren der Verordnungsgebung offenere(n) Strukturen der Mitwirkung und Beteiligung und (...) wesentlich transparenter". 198 In den Fällen der §§ 7,48 BImSchG und §§ 7, 30 Abs. 1-3,5 GenTG, vgl. Schulze-Fielitz 1994, S. 185. 199 Schulze-Fielitz 1994, S. 184. Vgl. auch Ipsen, VVDStRL 48 (1990), S. 191 f. mit Zweifeln an der Steuerungswilligkeit der rechtsetzenden Organe, nicht an der Steuerungsfähigkeit des Rechts; vgl. weiter Wolf 1986, S. 257ff.; Bemühungen in diese Richtung für das Umwelt- und Technikrecht bei Denninger 1990; Lamb 1995; Frankenberger 1998. 200 Vgl. Schmidt-Aßmann 1993, S. 57; Schmidt-Aßmann 1998, Rn 75ff. S. 274ff.; Frankenberger 1998, S. 264, 266f., 269 m. N.; jeweils ohne gesetzgebungssystematische Einordnung auch Hoffmann-Riem 1993, S. 159: „Das Verfahren der Normbildung ist in der Verwaltungsrechtsordnung deutlich vernachlässigt worden. Dies gilt (...) auch für privat gesetzte, aber staatlicherseits konsentierte Normen"; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 218 f. für technische Normung unter Betonung der grundrechtsverwirklichenden Bedeutung des Verfahrens, hier nicht durch individuelle Einwirkung, sondern Kanalisierung und Chancengleichheit des Verbandseinflusses, also für Ordnung des Einflusses der oiganisierten Interessen; Liibbe-Woljf, ZG 6 (1991), 219 (247 f.) für umweltrechtliche Ausführungsvorschriften; hinsichtlich der systematischen Einordnung nicht eindeutig Hufen, VVDStRL 47 (1989), S. 164 f. mit der Forderung nach gesetzgeberischer „Bereitstellung sachgerechter Normsetzungsverfahren" (also sachbereichsspezifischer?, kursiv von Verf.). S. a. SRU 1996, Tz. 848 mit der Forderung einer den §§ 145 ff. ProfE entsprechenden („ohne Unterschied in der Sache") Regelung aller Verfahrensfragen in dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Nicht eindeutig Schulze-Fielitz 1994, S. 191 f.: einerseits Defizit des VwVfG bzw. des Rechtsstaats, andererseits Erprobung allgemeiner Verfahrensregeln in einem Fachgesetze und „formalisierte Befassungspflichten und Überprüfungsverfahren durch staatliche Instanzen (,u. U. auch das Parlament4)".
Β. Begriffe und Gegenstände
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2. Die Gestalt des Gesetzesstaats: Die system(at)ische Verschränkung von Normsetzungsorganisation, Normsetzungsverfahren und Normwirkungen Diese Perspektive auf das Normsetzungsverfahren greift jedoch zu kurz. Das Verfahrensrecht der untergesetzlichen Normgeber ist wesentlich von der Bedingung der eingerichteten und (verfassungs)rechtsrichtigen Organisation der Normsetzung im Verwaltungsstaat abhängig: Die Problematik der rechtserzeugten Wirkungsbedingungen rechtlicher Steuerung, nämlich die Typenvielfalt der eingesetzten Organisationseinheiten201, die Zuordnung und Abgrenzung der vielfältigen normativen Erscheinungsformen im Verwaltungsrecht (Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen, Pläne, informelle Empfehlungen usw.)202 unter Berücksichtigung auch der Fähigkeiten des konkreten Normgebers zur Setzung richtigen Rechts203, kann von ihrer verfahrensrechtlichen Behandlung rechtlich nicht getrennt werden, wenn man der Erkenntnis folgt, daß das rechtserzeugende Verfahren und seine organisierten Realbedingungen nicht ohne Auswirkung auf den Rechtswert einer Verwaltungsentscheidung bleiben können. Ihr Produkt ist die administrativ erzeugte Verwaltungsnorm 204. Je komplexer die Realität der Interessenfelder, die auf die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der Vorschriftengebung einwirkt, desto eher kommen Verwaltungsorganisations- und Verfahrensrecht an die Grenzen eines auf Abstraktion und Vereinheitlichung abzielenden, einseitig verfahrensrechtlich ausgerichteten und daher vereinfachenden Verständnisses. „Das Verwaltungsorganisationsrecht vermittelt zwar den Eindruck, ein rein abstraktes Zurechnungsrecht zu sein. Im Grunde aber geht es ihm darum, bestimmte Strukturen der Interessenverarbeitung festzulegen" 205. Auch die Verfahrensrechte müssen auf die Komplexität der Realbedingungen der Normsetzung eingestellt sein: Sie sind je nach dem Gegenstand der Normsetzung und den dadurch betroffenen gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren und ihren Interessen unterschiedlich. Die Ermittlung, Analyse und Bewertung von betroffenen 201 Schmidt-Aßmann 1998, Rn43 S. 129: gemeinsame Auffälligkeit der neueren Referenzgebiete (Umwelt-, Sozial- und Wissenschaftsrecht). 202 Schulze-Fielitz 1994, S. 183. Weiter: technische Standards, übrige Standardsetzung, Verwaltungsvorschriften in allen ihren Varianten, zu Konzepten und Modellfestlegungen siehe oben nach FN 167. 203 Hoffmann-Riem 1993, S. 133: „.Richtigkeit4 im Sinne der auch im übrigen angemessenen, optimierenden Wahrnehmung des Handlungsauftrags"; Hoffmann-Riem 1998, S. 30, 38ff.: Effizienz als Element der „Richtigkeit" des Verwaltungshandelns; weiter Herdegen, AöR 114 (1989), 607 (628). 204 Vgl. Manfred Schröder 1991, S. 21, wonach sich die Rechtswirkungen von Verwaltungsvorschriften in erster Linie aus der Bewertung des Verfahrens ihrer Setzung ergeben sollen; zur inneren Verbindung der Verfahrens- mit der Formenlehre Pitschas 1994, S. 237,239; zum Entwicklungspotential des Verfahrensgedankens im öffentlichen Recht eingehend Schmidt-Aßmann 1998, Rn99ff. S. 289f. 205 Schmidt-Aßmann 1998, Rn53 S. 134 m. N.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
privaten und öffentlichen Interessen und ihre Verarbeitung im Abwägungsprozeß der Normsetzung zur abstrakt-generell programmierenden Entscheidung ist „Rechtsarbeit"206. Die administrativen Entscheider sind vor die Aufgabe gestellt, Informationen, Interessen und Rechtstexte auf einer mittleren bzw. höheren Konkretisierungsebene zu neuem Recht zu verarbeiten. Dies ist eine im Vergleich zur Einzelfallentscheidung anspruchsvollere Anforderung nach Reduktion von Komplexität. Denn sie gilt nicht der konkreten Entscheidung des Falles ,vor Ort' 207 . Es ist die konstruktive Aufgabe der Funktion yNormsetzung', aus den komplexen (Wirklichkeits-) Verhältnissen und den Direktiven gesetzlicher Programme ein konkreteres, dennoch in die Form eines abstrakt-generellen Rechtssatzes gegossenes, gesetzesdirigiertes Modell einer normativen Wirklichkeit(svorstellung) im Entscheidungswege neu zu erfinden. Die Organisation dieser strukturell komplexen Entscheidung stellt vor die Aufgabe der Organisation des zukünftigen Rechts. Sie schließt die Steuerungsressourcen des Organisations- und Verfahrensrechts sowie das Recht der Handlungsformen mit ein 208 . Je ausdifferenzierter die Aufgabenverteilung zwischen Staat, Gesellschaft und Individuen und je pluralisierter die hintergründige Vorstellung vom richtigen (gerechten, rationalen) Prozeß der Gemein Wohlkonkretisierung ist, desto unauflösbarer ist der Bedingungszusammenhang zwischen legitimierten, rechtsstaatlichen und inhaltsrichtigen Normwirkungen und der Organisation und den Verfahren ihrer Normsetzung.
3. Der Zustand der Gesetzgebung: Normsetzung als (Staats-) Funktion im Wandel Die rechtliche Programmsteuerung unterliegt - eine der Auswirkungen der Globalisierung, der Europäisierung und der Informationalisierung des Rechts der Gesellschaft - in nicht überschaubarem Ausmaß Prozessen der Dynamisierung und Ausdifferenzierung 209. Das förmliche Gesetz ist unterschiedlich geeignet, das Ver206 Für den plastischen Begriff der „Rechtsarbeit" vgl. Müller 1997, etwa Rn 530: „Der Status der Priorität von Sprachdaten vor den Realdaten ebenso wie der Status der Präferierung jeweils normtextnäherer Elemente im methodologischen Konflikt ist damit der einer diskurswidrigen, aber normativ angeordneten, von der verfaßten Staatsgewalt postulierten Disziplinierung der Rechtsarbeit", weiter Rn 16 f., 118,288,301 : „(...) daß die Rationalität praktischer Rechtsarbeit auch von den Entscheidungen abhängt, welche der politische Souverän in Gestalt der methodenbezogenen Normen des Verfassungsrechts und anderer Gesetze getroffen hat", 395 ff., 401 f., 428,443,516 („rechtspositivistische Methodologie der Rechtsarbeit"), 529 (Jurist als „Rechtsarbeiter"), 554, s. a. Rn 226 mit FN 385. 207 S. eingehend zum Unterschied des Entscheidungstypus zur Regelung der ,Fälle vor Ort* gegenüber demjenigen der Entscheidung über Normsetzung weiter unten bei FN 412 ff. 208 Zur Relevanz institutioneller Rahmenbedingungen („Does Organization Matter?") Schuppert 1994, diese Frage S. 649 f. m. N. natürlich bejahend. 209 Vgl. Mußgnug 1989, S. 26ff.; Pitschas 1993, S. 238 zum Prozeß der Informationalisierung; Häberle, JöR n. F. 47 (1999), 79 (95 f.).
Β. Begriffe und Gegenstände
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waltungshandeln bei der Bewältigung der Aufgaben, die der jeweilige Sachbereich stellt, tatsächlich steuern zu können210. Die empirische Vielfalt untergesetzlicher Rechtsnormen läßt sich nicht nur mit der Qualität und Quantität ihrer gesetzlichen Direktiven oder ihrem Mangel (Unternormierung) erklären 211. Die Ursachen hierfür sind nicht ausschließlich in Sachzwängen und gesetzgeberischem Unvermögen zu suchen. Eigengesetzlichkeiten des politischen Prozesses der Gesetzgebung führen zu einer Hypertrophie förmlichen Gesetzesrechts, die der Wirkung der Gesetze gegenläufig sein kann212. In anderen Fällen stößt der Gesetzgeber an faktische Grenzen der Normierbarkeit, die ein Ausweichen auf flexiblere und weichere Formen der Programmsteuerung zweckmäßig erscheinen lassen213. Auch der (Rechts-) Staat als Funktion erfindet sich die Steuerungsformen, deren er bedarf 214. Unter diesem Aspekt ist die dogmatische Bestimmung einer Rechtsnorm im Sinne der Erkenntnis ihres normenhierarchischen Status oder ihres Charakters als autonom, originär, delegiert, akzessorisch usf. gesetzter Rechtssatz nicht allein weiterführend. Die Funktion der Normsetzung als Instrument staatlicher Steuerung läßt speziell nach der Eignung der Normfragen, die staatlichen Steuerungsbedürfnisse innovativ, flexibel, effizient, effektiv und rechtmäßig durch die bestimmte Form des Rechtssatzes zu befriedigen. In der Perspektive dieser Fragestellung interessiert die Möglichkeit, die Rechtsform des administrativen Rechtssatzes als ziel- und zeitgenau steuerndes, gesetzesdirigiertes Handlungsinstrument einzusetzen, weil dynamisch sich wandelnde Situationen eineflexible, anpassungs- und lernfähig programmierte Gesetzesanwendung und Gesetzgebung verlangen. Unter diesem funktionell-instrumentellen Aspekt ist dann auch nach der,Zeitoffenheit der Organisation der Gesetzgebung und Gesetzesanwendung4 zufragen und diese mit der (Auswahl-) Entscheidung über die richtige Form der Normsetzung in Beziehung zu setzen. Für eine solche Entscheidung wären neben der Notwendigkeit und Erreichbarkeit parlamentsgesetzlich bestimmter demokratischer Legitimation auch der unterschiedliche Verfahrensaufwand, das Ausmaß rechtlicher Drittbetroffenheit, die Bindungsintensität der Norm und ihre tatsächlichen oder verwaltungsprozessualen Angriffsmöglichkeiten wesentliche Kriterien: „Tendenziell zeitoffen erscheinen Normen und Normen werke, die abstrakt formuliert, verfahrensrechtlich mit geringem Aufwand erarbeitbar 210 Vgl. nur Dreier 1991, S. 178 ff.: „kooperative Konkretisierung von Rechtsetzungsakten"; Lamb 1995, S. 217f. im Kontext dynamischen Grundrechtsschutzes. 211 Plastisch zum Normenmangel im Umweltrecht Lübbe-Wolff 1996, S. 92 ff. 212 Zur Gesetzesflut Schulze-Fielitz 1988, S. 17 ff., S. 20 zu empirischen Defiziten der juristischen Diskussion; weiter Weinreich 1995, S. 91: Bedeutungsverlust parlamentarischer Gesetze wegen ihrer zunehmenden Unbestimmtheit bei gleichzeitiger quantitativer Verrechtlichung aufgrund der gesellschaftlichen Komplexitätssteigerung; Ossenbühl 1998 b, Rn 7; zur problematischen Normenfülle im Umweltrecht Lübbe-Wolff 1996, S. 83 ff.; vgl. auch oben bei FN 77. 213 In diese Richtung Lamb 1995, S. 219. 214 Vgl. Heyen 1993, S. 205: „Das Recht, in seiner technologischen Dimension, erfindet gewissermaßen die Formen, unter denen es für den Staat Steuerungskraft entfaltet. Es kann daher diese Steuerungskraft auch beliebig dosieren. Rigidität und Flexibilität stehen ihm gleichermaßen offen".
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
und veränderbar, schließlich für Dritte weniger verbindlich und nur begrenzt justiziabel sind. Verwaltungsvorschriften scheinen deshalb im Vergleich mit Rechtsverordnungen leichter veränderlich und zeitoffener zu sein"215.
4. ,Allgemeine' Optimierungsnorm zu Organisation und Verfahren der Normsetzung? Daraus ließe sich die Idee einer »allgemein-gültigen* Optimierungsnorm für die Gesetzgebungslehre folgern, die die konkret-inhaltliche Norm auf der verfahrenstechnisch optimalen Ebene erarbeiten läßt und dabei die Anwendungsbedingungen des Vollzugs und der gerichtlichen Kontrolle mit einbezieht: Das »bedeutet* die gesetzgeberische Bewältigung programmatischer Konflikte nicht durch gesetzliche Durchnormierung, sondern durch organisatorisch-institutionelle Planung der Normformulierung auf der in Bezug auf die Steuerungsgegenstände jerichtigenNormierungsebene. Die rechtsstrukturelle Offenheit und Verfahrensabhängigkeit eines solchen, die Grenzen zwischen Gesetzgebung und Gesetzesanwendung tendenziell einebnenden Modells könnte zwar allgemein mit dem „gestiegenen Flexibilitäts- und Revisionsbedarf(s) - dem auch Innovationsbedarf zugrundeliegen kann"216, begründet und gerechtfertigt werden217. Ihre Bedeutung als die Normsetzungsoiganisation allgemein optimierende Norm würde aber durch die verfassungskräftig bestimmenden Anforderungen des Gesetzesvorbehalts218, besonderer grundrechtlicher und rechtsstaatlicher Standards und staatsorganisationsrechtliche Festlegungen (Bundesstaatprinzip, eingerichtete Verwaltungsorganisation) stark relativiert 219. 215 Schulze-Fielitz 1994, S. 184 und zum vorstehenden. Zum Organisationsproblem zeitoffener Gesetzgebung s. a. weiter unten nach FN 421. 216 Hoffmann-Riem 1994, S. 60; vgl. auch Pitschas 1990, S. 551 ff., 553, im Anschluß an das von Brohm, DÖV 1987,265 (268) eingeführte Bild der „polyzentrischen Rechtsschöpfung"; in diese Richtung dezidiert auch schon Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 163 m. N.; weiter Breuer 1992, S.B 30. 2,7 S. zur Verbindung der theoretischen, pragmatisch-dogmatischen und gesetzgebungssystematischen Ebene für die im Kontext dieser Arbeit (s. hierzu oben bei FN 8 ff. und nach FN 130) aufgerufene Vorstellung der »Allgemeinheit* des Verfahrensrecht(sgedankens) bei FN 356ff., 217, 345, 594ff., 1012. 218 Namentlich in der Form des Parlaments- und Rechtssatzvorbehalts. Zu den verschiedenen Vorbehaltsbegriffen Staupe 1986, S. 31 ff. S. a. Hill, Jura 1986, 286 (288); Kloepfer, JZ 1984, 685 (693 f.); Maurer, VVDStRL 43 (1985), S. 138; Erichsen, DVB1. 1985,22 (26ff.). 219 Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 173 ff.: zu starke Betonung des allgemeinen Verfahrensrechts, deshalb „Generalisierung, daß die allgemeinen Generalklauseln des Verfassungsrechts - das Verhältnismäßigkeitsgebot, die Abstufung nach der Bedeutung der Grundrechte, das Prinzip des schonensten Ausgleichs - in einem beträchtlichen Umfang als dogmatische Mittel erforderlich sind, um überhaupt Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Sachbereichen zu erzwingen. (...) ist jetzt im Verfahrensrecht nach der Erarbeitung des allgemeinen Teils, der seine bleibende Bedeutung hat, die Aufmerksamkeit auf die Ausdifferenzierung von bereichsspezifischem Verfahrensrecht zurichten.Dort kann der Gesetzgeber den Konflikt zwischen Effizienz und Rechtswahrung einige Schritte weiter und in der Sache entschiedener lösen (...) Vor allem kann das Spezialgesetz bei der Regelung des Verfahrens direkt die Interessenbe-
Β. Begriffe und Gegenstände
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Diese Wahrnehmung des Problems der zeitangemessen zeitoffenen Gesetzgebung(slehre), der zunehmenden Verrechtlichung und Entstaatlichung des Rechts wie auch die Diskussion über Grundlagengesetze220 und neue Mischformen zwischen Gesetz und Verordnung sind Spielarten eines grundsätzlichen Zweifels am »Gesetzessystem4 des parlamentsgesetzlich sich legitimierenden Gesetzesstaates221. Das System des Gesetzes betrifft die Rechtsanwendungs- und Rechtsetzungsebene. Die Rechtsetzungsebene wird ausgeformt durch die Organisation der Rechtsetzung und die danach einzuhaltenden Verfahren. Hier hängt alles mit allem zusammen. Der Zweifel am systematischen Gesetzesbegriff betrifft ebenso das Verfassungsrecht: Ungereimtheiten im Recht des Rechts (der Rechtsetzung) haben notwendig Auswirkungen auf die rechtlich lückenlos gedachte Vorstellung222 der verfassungsrechtlich konstituierten Systemgerechtigkeit223. Die Gesetzessystemkritik, insbesondere wenn ihr die Annahme lückenhafter gesetzlicher Regelung zugrundeliegt, mündet im Rechtsstaat in Gesetzesreformvorschlägen 224.
5. Zusammenfassend zur Tendenz, die Lösung der Probleme der Normsetzung im Verfahrensrecht zu suchen Die Problematik der administrativen Normsetzung in der Form der materiellen Gesetzgebung (Rechtsverordnung, Satzung) oder der Vorschriftengebung durch Verwaltungsvorschriften wurde bisher überwiegend im Kontext der Rechtsquellenlehre behandelt. Diese Perspektive greift zu kurz: Administrative Rechtssätze bestimmen einerseits politisch und rechtlich über die »effektiv normative4 Steuerungskraft des Wertungen des konkreten materiellen Rechts aufnehmen" (kursiv von Verf.). Vgl. etwa die vorsichtigen Stellungnahmen von Schulze-Fielitz 1990b, S. 73 ff., 86 zum Problem der Verrechtlichung der Konfliktmittlung, sowie ders. vorher schon (a. a. O. S. 66) für bereichspezifisch experimentierende Kodifikation; s. a. unten in FN 259f. 220 Vgl. Hufen 1998b, insb. S. 13 ff., 21 ff.; Ossenbühl, DVB1. 1999,1 (4). 221 Vgl. etwa den Anspruch von Zubke-von Thünen 1999, S. 832ff., 955 ff. oder von Bogdandy 1999, S. 23ff., 41: „neue Konzeption", 47: neues Modell, „das schlagwortartig die Rechtsetzung als kooperative Tätigkeit unter gubemativer Hegemonie versteht". 222 Müller 1997, Rn 146: „Die Rechtsordnung ist von außen gemessen am gesellschaftlichen Regelungsbedarf unvollständig; aber von innen zugleich vollständig, weil nur der normativ anerkannte Regelungsbedarf der Gesellschaft juristisch relevant ist und dierichterliche Entscheidung immer nur am geltenden Recht gemessen werden kann". Im Falle rechtsfortbildenden stillen Verfassungswandels und generell auf der Prinzipienebene des Verfassungsrechts ist diese These entweder zurigideoder eliminiert den Begriff der Lücke durch die Tautologie der systematisch lückenlosen Geltung des geltenden (Verfassungs-) Rechts. S. a. Larenz 1991, S. 375 f. zur weiter möglichen Unterscheidung Gesetzeslücke/Rechtslücke; zum Verfassungswandel Lerche 1971; Böckenförde 1993. 223 Vgl. zum Zusammenhang Normsetzung/Systemgerechtigkeit Wittling 1991, S. 228 bei FN 409f. m. N. 224 Als Beispiele die Entwürfe für ein Umweltgesetzbuch allgemeiner Teil und besonderer Teil: UGB-AT 1990 und UGB-BT 1994 sowie UGB-KomE 1998. S. a. die Gesetzesvorschläge von Pünder 1995, S. 293f.; Frankenberger 1998, S. 301 f.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
förmlichen Gesetzes und sollen (andererseits) dennoch die systemintegrative Idee einer gesetzesdirigierten Verwaltung rechtlich in die Rechtswirklichkeit übersetzen. Die administrative Normsetzung ist deshalb als Teil des Prozesses der Gesetzgebung aufzufassen: Der dynamische und hochkomplexe Verwirklichungsprozeß von Normsetzung und -anwendung im exekutiven, legislativen und judikativen Handlungsverbund225 ist die (Rechts-) Wirklichkeit der staatlichen Programmsteuerung. Administrative Normsetzung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung des Ideales einer »wirklich4 gesetzesdirigierten Leistung administrativer Normkonkretisierung. Im modernen Verwaltungsstaat ist sie unverzichtbares Instrument der administrativen Fein- und Eigensteuerung. Das Recht des administrativen Rechts ist deshalb auch rechtlich unter den Gesichtspunkten der Steuerungsrichtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit zu gestalten. Das rechtliche Gestaltungsinteresse sucht die rechtstechnische Lösung der Staatsaufgabe der zugleich demokratisch legitimierten, kostengünstigen, steuerungstechnisch richtigen und rechtsstaatlichen Normsetzung zu verwirklichen 226. Es ist unbestritten, daß der parlamentarische Gesetzgeber diese Aufgabe nicht alleine bewältigen kann. So wird staatliche Normsetzung durch selbstregulative gesellschaftliche Normsetzung entlastet und kann etwa durch die Verwendung rechtsbegrifflicher Generalklauseln in die staatlich gesteuerten Prozesse der Normsetzung und -anwendung einbezogen werden227. Die gesetzesnormkonkretisierende Funktion der staatlichen Normsetzung unterhalb des förmlichen Gesetzes ist allgemein anerkannt. Ihre Problematik liegt in ihrer rechtlich-politischen Gestaltungsfunktion in der Konkurrenz zur parlamentarischen und unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebung. Der Ausbau verfahrensrechtlicher und judikativer Kontrollsysteme soll die Relevanz dieses Mangels kompensieren helfen 228: Die Steuerung des »Gesetzessystems4 nur über rechtlich bestimmende Vorgaben des Parlamentsgesetzes und das vorwiegend ergebnisorientierte gerichtliche Kontrollsystem ihrer Einhaltung ist eine rechtstechnisch untaugliche Lösung zur Verwirklichung eines gesamtoptimalen Systems gesetzesdirigierter Programmsteuerung. Diese Funktion einer ganzheitlich richtigen Gesetzgebung kann die Rücknahme des gesetzlichen Regelungsanspruchs rechtfertigen. Der Verzicht auf materiell-rechtliche Durchnormierung und die Vorgabe eines bloßen Verfahrensrahmens erhöhen aber den Einfluß nicht rechtlicher Faktoren229. 225
Dreier 1991, S. 159ff.: Legislative und Exekutive im Handlungsverbund. Vgl. oben bei FN 196. 227 Vgl. Breuer 1992, B 59ff. m. Ν., Β 63; Schmidt-Aßmann 1998, Rn77 S. 276ff. 228 Hierzu kurz und prägnant Breuer 1992, Β 62; zur staatsrechtlichen Legitimationsproblematik Denninger 1990, Rn 38 ff., 111 ff.; zur Struktur von Politik und Verwaltung und „abweichendem" Verwaltungshandeln Seibel 1992, S. 330 ff., 336 ff. „Politikinduzierte .Abweichungen4 des Verwaltungshandelns44 bei der Normsetzung sind in der Struktur des parlamentarischen Regierungssystems selbst angelegt. 229 Vgl. Schulze-Fielitz 1994, S. 178 m. N. 226
Β. Begriffe und Gegenstände
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Die formellrechtliche Ausgestaltung der Normsetzung ist für ihre materiellrechtliche Wirksamkeit von großer Bedeutung: Denn sie erzeugt mit dem Rechtssatz ein auf Normativität im Einzelfall ausgerichtetes Modell einer verallgemeinerbar gerechten Wirklichkeitsvorstellung, das in späteren (wiederkehrenden) Entscheidungsverfahren noch in konkrete (konkretisierte) Normativität überführt werden muß230. Die Steuerung der Programmsteuerung ist auch deshalb als Prozeß zu denken: Sie ist die ganzheitliche Struktur des Vorgangs der Wirkung von abstrakt-generell programmierenden, staatlich verantworteten Normen in der Zeit 231 . Ihre richtige Organisation bedingt das Ineinandergreifen materiell-rechtlicher, organisations- und verfahrensrechtlicher Steuerungsansätze. Der Steuerungs- und Verfahrensgedanke im zeitgenössischen Rechtsdenken fordert die Organisation rechtlicher Kontrolle schon im Stadium der Normerzeugung232. An dieser Stelle setzt die Frage nach Notwendigkeit und Möglichkeit ihrer rechtsfortbildenden Verrechtlichung233 nach »allgemein-gültigen4 Kriterien für den Gegenstand der administrativen Normsetzung ein. Der erreichbare Abstraktionsgrad i. S. v. Verallgemeinerbarkeit rechtlicher Modellbildung234 bestimmt über die gesetzgebungssystematisch »richtige4 Ebene. Der rechtliche Rahmen der administrativen Normsetzung könnte auf der fachgesetzlichen, der bereichsspezifisch-abstrakten (mittleren) oder der noch allgemeineren Ebene etwa der »allgemeinen* Verwaltungsverfahrensgesetze bereitgestellt werden235. Die Regelung auch der materiellen Regierungsgesetzgebung unter Beteiligung von Verfassungsorganen (Bundesrat und Bundestag) in den Verwaltungsverfahrensgesetzen würde deren Charakter als Gesetze des »reinen* Verwaltungsrechts sicherlich verändern: Die administrative Normsetzung wird nicht als offenes Problem des Verwaltungsverfahrensrechts der Verwaltungsverfahrensgesetze gesehen236. Das gilt 230
Zur Bedeutung von Rechtssatz und Norm im Unterschied zum Einzelakt siehe Ipsen 1980, S. 177ff., insb. S. 185f.; ähnlich Morlok 1988, S. 106. S. eingehend weiter unten bei FN419ff. 231 Vgl. oben nach FN 163 ff., 200ff. und soeben nach FN 224. 232 Zu strukturellen Schwierigkeiten bei der verfahrensgerechten Erzeugung von gemeinwohlrichtigem Technik- und Umweltrecht Denninger 1990, Rn29ff.; zum hier zugrundegelegten weiten Kontrollbegriff Schulze-Fielitz 1988, S. 292 ff.; Überlegungen zur „Vereinheitlichung des organisations- und verfahrensrechtlichen Rahmens exekutiver Gesetzeskonkretisierung" von Breuer 1992, Β 72 ff. ; weiter Goer lieh 1981, S.21,209: materielles und formelles Recht (Verfahrensgestaltung) als „Extreme eines kontinuierlichen Spektrums rechtlicher Normierung". 233 Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn27: „gesetzliche Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts (...) rechtspolitischer Beitrag zur Fortentwicklung des öffentlichen Rechts" (kursiv von Verf.). S. a. im Zusammenhang oben bei FN 131 f. 234 Zur System- und Modellbildung im Verwaltungsrecht siehe oben bei FN 102 ff. 235 Zur (auch gesetzgebungssystematischen) Unentschiedenheit der die weitergehende Verfahrensverrechtlichung anmahnenden Auffassungen in Bezug auf den Ort der Kodifikation s. oben in FN 200. 236 Vgl. etwaßcwfc, in Stelkens/Bonk/Sachs 1993 (1998 nicht mehr aufgenommen), VwVfG § 1 Rn5: Im Katalog der „offenen verfahrensrechtlichen Probleme" ist die administrative Normsetzung nicht erwähnt; nicht eindeutig Ehlers 1998, Rn 91; anders die anfängliche Kritik von Schmitt Glaeser 1977, S. 31, 39.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
erst recht für die Erlaßverfahren der Verwaltungsvorschriften 237: Die allgemeine' Vergesetzlichung des Normsetzungsverfahrens sei wegen der nicht unmittelbar außenrechtlichen Bedeutung ihrer Rechtssätze nicht notwendig. Der Gesetzgeber müsse bestimmte Modalitäten der Normsetzung gesetzlich nur dann festlegen, wenn es ihm auf eine bestimmte Gestaltung des Normsetzungsverfahrens ankäme238. Solche Auffassungen, die gesetzliche Verfahrensanforderungen an die Bedingung ihrer außenrechtlichen Relevanz binden239, verfehlen die Idee der (gesetzes-) rechtlichen Systemsteuerung durch parlamentarische Gesetzgebung.
C. Problemebenen der Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung Das Vorhaben der Vergesetzlichung eines rechtsfortbildenden allgemeinen Verwaltungs» und Verfahrensrechts der administrativen Normsetzung hat mit Widerständen zu rechnen240. Sie erwachsen aus gängigen rechtskulturellen und politischen Vorurteilen oder gelten der Abwehr des Eingriffs in gefestigte Strukturen der Normsetzungspraxis, der in der gesetzlichen Anordnung von als unpraktisch empfundenen rigideren Verfahrenstrukturen liegen könnte. Begrenzungen der Verrechtlichung administrativer Normsetzungsverfahren ergeben sich auch aus sachlichen, in sachstrukturellen Besonderheiten des Verfahrensrechts für administrative Normsetzung liegenden Gründen.
I. Rechtskulturelle Widerstände Das Denken in verwaltungsverfahrensrechtlichen Kategorien der Normsetzung hat keine Tradition: Ein Beleg dafür ist, daß die Verwaltungsverfahrensgesetze in ihrer Bedeutung als „Grundgesetz(e) der Verwaltung"241 die administrative Normsetzung nicht in ihren Regelungsbereich mit aufgenommen haben242. Die systematische Einordnung als Gegenstand des allgemeinen Verwaltungsrechts ist nicht gesichert: In den wichtigsten Fällen der Normsetzung durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften handelt es sich um Regierungsgesetzgebung unter Beteiligung von 237 Wegen ihres überwiegenden Verständnisses als Rechtssätze des Innenrechts, siehe z.B. Grupp 1994, S. 221 f., anders, aber ohne gesetzgebungssystematische Festlegung Schmidt-Aßmann 1998, Rn 76 S. 275f.; Breuer 1992, Β 72ff., Β 111 f. 238 Grupp 1994, S. 226f. 239 Grupp 1994, S. 226 verneint deshalb auch die Frage, ob die Verwaltungsvorschrift eine Handlungsform der Verwaltung sei. Handlungsformen im verwaltungs verfahrensrechtlichen Sinne seien nur die gegenüber dem Bürger unmittelbar rechts wirksamen. 240 In diese Richtung auch Lübbe-Wolff,\ ZG 6 (1991), 219 (247). 241 Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn 1; Häberle 1977, S. 77 f. 242 Kritisch Schmitt Glaeser 1977, S. 31 f.; Schmidt-Aßmann 1984, S. 22ff. m. w. N.
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
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Verfassungsorganen. Gouvernementale Normsetzung ist auch ins Handlungssystem der Staatsleitung einzuordnen. Diese staatsrechtliche Problematik distanziert das Denken in den überwiegend verwaltungsrechtlichen Kategorien der Verwaltungsverfahrensgesetze 243. Ein weiterer Grund liegt in der Praxis der Rechtsanwendung von Verfahrensrecht. Verfahrensrecht gilt als unpraktisch, der Sache untergeordnet (multifunktionell dienend) und wird seinem Geltungsanspruch nach unklar 244 . Die in den dichotomischen Kategorien der Rechtswidrigkeit/Rechtmäßigkeit, Begründetheit/Unbegründetheit, Subsumtion unter Tatbestandsmerkmal möglich oder nicht möglich usf. vorgestellte Anschauung der praktischen Rechtsanwendung begünstigt eine ergebnis- und nicht verfahrensorientierte Ausrichtung der Gesetzesanwendung245: Die Ergebniskontrolle am Maßstab des materiellen Rechts entspricht dieser einfacheren Struktur. Die Gemeinwohldienlichkeit staatlichen Handelns legitimiert sich besonders am Ergebnis 2 4 6 , weniger an den verfahrensgesteuerten Verwirklichungsbedingungen der Gemeinwohlkonkretisierung 247. Der Topos der Organadäquanz ist an der zu erwartenden Ergebnisrichtigkeit staatlicher Entscheidungsprozesse orientiert: Das Ziel inhaltlich gemeinwohlrichtiger Entscheidungen rechtfertigt die Dynamisierung des Gewaltenteilungsprinzips und der Funktionenordnung 248. Die Abwägung im Recht 243
Vgl. Kunig 1992, S. 162; Frankenberger 1998, S. 23 f.: Rechtsverordnung „rechtsdogmatisch am Schnittpunkt der Kreise des Verfassungs- und des Verwaltungsrechts angesiedelt"; weiter von Danwitz 1989, S. 38 f. in seiner Abgrenzung zum Verwaltungsermessen', staatsrechtliche Ausrichtung auch bei Pünder 1995; Busch 1992. Vgl. auch Pitschas 1990, S. 544: „läßt sich der verwaltungsbehördliche Konkretisierungsprozeß (...) kategorial vom Gesetzgebungsverfahren abgrenzen: Das administrative Verfahren zielt prinzipiell auf die Einzelentscheidung bzw. auf einzelfallorientiertes Verwaltungshandeln" (kursiv im Org.). 244 Vgl. hierzu Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG Einleitung Rn 24 ff., besonders 27-29,31,33: „Verfahrensrechtliche Weiterentwicklungen sollten - trotz der Gefahren der Spezialisierung - zunächst nur befristet in Spezialgesetzen erprobt und nicht sofort durch einen Ausbau des VwVfG erfüllt werden"; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), S. 221: „Aus der Handlungsperspektive der Verwaltung ist das Verfahrensrecht zu wenig eindeutig, als daß sich das richtige Verfahren ex ante klar bestimmen ließe" (kursiv von Verf.). 245 Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 234: „Verwaltungsrichterliches Denken ist Denken vom Recht her, ist Bemühen, den Sachverhalt mit dem speziellen rechtswissenschaftlichen Instrumentarium in den Griff zu bekommen. Richterliches Handeln bedeutet methodengeprägtes Handeln" (kursiv von Verf.); siehe hierzu auchKley-Struller 1995, S. 155 ff.: „Rechtsschutz durch Methodensicherheit?"; vgl. auch von Danwitz 1996, S. 69. 246 Schmidt-Aßmann DVB1. 1996, 533: „Staatliche Institutionen legitimieren sich in der Wahrnehmung der Bevölkerung durch ihre Aufgaben und Leistungen"; Luhmann 1993, S. 19 zur unter Juristen verbreiteten Beurteilung von „Rechtskonstruktionen nach ihren Folgen her, also mit der Frage ,was dabei herauskommt4". 247 Siehe aber zu deren Bedeutung Horn, Die Verwaltung 26 (1993), 545 (547f. m. N.); rechtsgeschichtlich zur Entwicklung des Verfahrensgedankens Frenzel, Der Staat 18 (1979), 592ff.; weiter Kopp 1971, S. 131 ff. (Vorhersehbarkeit, Meßbarkeit); s. a. Schmidt-Aßmann 1984, S. 22: Gemeinwohlkonkretisierung als Ergebnis von Abklärungsprozessen; Pitschas 1990, S. 154ff., 158ff. S. a. BVerfGE 83,60 (72). 248 Vgl. etwa BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 49, 89 (138) anerkennend zum Zusammenhang zwischen Normstruktur und den Besonderheiten eines Regelungsgegenstandes; s. a. Schulze-
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
hat für viele zwar den schlechten Beigeschmack „evident juristisch unexakt" zu sein. Sie ist aber hinzunehmen, weil sie den „Entscheidern Spielräume (gibt), um zu sachlich richtigen Urteilen zu kommen"249. Gespeist wird dieses Paradigma auch durch die normative Konzeption des Grundgesetzes in seiner Systementscheidung250 für Individualrechtschutz und die alle Staatsgewalt bindenden Grundrechte, die ihrem Ursprung nach auf die Abwehr ergebnisfehlerhafter hoheitlicher Eingriffe in den materiellen Rechtskreis eines subjektiv-rechtlich geschützten Rechtsträgers gerichtet sind251. Die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Verfahren und (Grund-) Rechtsschutz ist demgegenüber neueren Datums und deutlich geworden in Situationen, die auf eine Einzelfallentscheidung der Verwaltung gegenüber dem Bürger zuführen 252. Die größeren Verfahrensrechtskodifikationen beschränken sich auf den Entscheidungstyp der konkreten Fallentscheidung253. So ist der Verwaltungsakt als Verfahrensbegriff eine rechtsschutzorientierte Zweckschöpfung 254. Normen sind dagegen regelmäßig nicht selbstvollziehend und bedürfen ihrer Vollziehung im Verwaltungsverfahren 255. Eine der exekutivischen Spezifika wird seit jeher in der Herrschaft über den Fall gesehen. Die Möglichkeit zu Spontaneität und sachangemessenen Reaktionsformen sind Bedingungen einer effektiven und effizienten Verwaltungstätigkeit. Ein Höchstmaß an rechtlicher Bindung gilt nicht als verfassungsrechtlich gefordertes Optimum256. Die Idee der rechtlichen Steuerung von Verfahrensergebnissen überwiegend durch Verfahren strapaziert die Vorstellung der ,einen richtigen4 Entscheidung und
Fielitz 1988, S. 387 ff. zu der noch weitergehenden Funktionsverschiebung durch Privatisierung der Rechtsetzung; Pitschas 1990, S. 553 f.: „Erst aus diesem Zusammenspiel ergibt sich die Steuerungskapazität des politischen Gemeinwesens insgesamt mit der erforderlichen Aktionsund Reaktionsfähigkeit (kursiv von Verf.); krit. hierzu Wegge 1996, S. 237. 249 Thieme, DÖV 1996, 757 (762) (kursiv von Verf.); aufschlußreich Ladeur, Leviathan 7 (1979), 339 (339 f., 343, 347 ff.). 250 Vgl. nur Krebs, in von Münch/Kunig (Hrsg.) 1992, GG Art. 19 Rn 58 m. w. N. 251 Art. 1 Abs. 3 GG, 19 Abs. 4 GG; krit. z. B. Hoffmann-Riem y DVB1.1994,605 (607f.); zu gemeinschaftsrechtlichen Einwirkungen im Umweltrecht Schoch, NVwZ 1999, 457 (466f.); Winter, NVwZ 1999,467 (472ff.). 252 Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 86ff.: „Was grundrechtliche Freiheit praktisch bedeutet, entscheidet sich nur noch zum Teil durch Normen mit,fertigen* Tatbestands- und Rechtsfolge-Konstruktionen: es konkretisiert sich oft über vielgliedrige Verfahren mit Direktiven oder Rahmenbestimmungen - kurz: in procès su". 253 Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs 1998, S. 2111 ff. zu den Landesverwaltungs- oder Landesverwaltungsverfahrensgesetzen: Ausnahmen § 10 LVwVfG Rheinland-Pfalz (Verwaltungsvorschriften); zu den §§ 53 ff. LVwG Schleswig-Holstein siehe Klappstein/von Unruh 1987, S. 182ff. sowie weiter unten bei FN 493 ff. 254 Schoch 1994, S. 222ff.; Thieme, DÖV 1996, 757 (758). 255 Beispiele für selbstvollziehende Normen (seif executing): Legalenteignung, Zwangsmitgliedschaft, nach Schenke, in GG Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn 254. 256 Vgl. § 10 S. 2 VwVfG, hierzu Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 10 Rn25; s. a. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (364f.).
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
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damit auch diejenige über die Bedeutung von Gesetzgebung257: Denn ein entscheidungswilliger Gesetzgeber müßte auch selbst ergebnisrichtig entscheiden können. Schließlich ist der verallgemeinernden Verrechtlichung der Normsetzungsverfahren auch die spezialistische Kultur der Praxis widerständig: Ein Zu viel an verfahrensrechtlicher Reglementierung kann die Erfindung praktischer Lösungen behindern 258 . Gerade hinsichtlich des einzuhaltenden Verfahrensrechts könnte sich die Feinabstimmung der Regelungen im Hinblick auf die praktischen und sachlichen Strukturen und deren experimentelle Erprobung empfehlen 259 . Deshalb hat hier bereichsspezifisches, von den Sachstrukturen her geprägtes Denken seine Berechtigung und eine natürliche Dominanz 260 .
II. Politische Widerstände 1. Vorherrschendes politisches Vorurteil Überlegungen zur Vergesetzlichung eines bisher weitgehend von gesetzlicher Durchnormierung frei gebliebenen Bereiches werden in der politischen Umwelt des Rechts, der Festlegung des Zeitgeists folgend, auf wenig Verständnis stoßen. Die sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Realitäten sind gegenläufig: Als Gegenwartsaufgaben gelten Beschleunigung, Deregulierung, Kostengünstigkeit und
257 Vgl. Pitschas 1990, S. 28ff., 91 f., 158 ff. Der Realprozeß des Verfahrens muß sich entwickeln können, darf rechtlich nicht erstickt werden, nicht alles hat Rechtsbezug und kann geregelt werden. Zum realen Entscheidungsablauf und dem normativen Modell des Verwaltungsverfahrens Hufen 1998 a, Rn 46 ff.; vgl. Wahl 1993, S. 179. Zur „onerightanswer" These s. unten die Nachweise in FN 346. 258 S. a. weiter unten bei FN 370ff. 259 S. etwa Schulze-Fielitz 1990 b, S. 60 zur Frage der Institutionalisierung des Konfliktmittlers im Verwaltungs verfahren: „Der Einsatz von Konfliktmittlern und der jeweils angemessene Typ des Konfliktmittlers können nur differenziert nach der Eigenart von Konflikten bzw. von Sach- und Rechtsbereichen erfolgversprechend erprobt und empfohlen werden; sein Einsatz erfolgt fakultativ und soll eher Ausnahme bleiben" (kursiv im Orig.). 260 S. a. Schulze-Fielitz 1990 b, S. 65 f. zur Frage der bereichspezifischen oder alternativ in den allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzen zu regelnden gesetzlichen Institutionalisierung der Konfliktmittlung im Verwaltungsverfahren: „Praktisch spricht allerdings viel für eine bereichspezifische Lösung (...) Der (...) experimentelle Charakter einer Einführung des Konfliktmittlers spricht dafür, erst einmal (... bei Standortkonflikten um Abfallentsorgungsanlagen oder Kraftwerke...) Erfahrungen zu sammeln. Auch rechtssystematische Gründe sprechen für jene Bereiche, wenn sie, wie oft in besonderen Fachplanungsgesetzen selbständig geregelt sind, denen gegenüber die §§ 72 ff. VwVfG nur subsidiär eingreifen. Die politischen Schwierigkeiten einer im Interesse der Rechtseinheit gebotenen einheitlichen Novellierung (...) seien nur erwähnt", folgerichtig ders. a. a. O. S. 86 für die Realisierung einer „gesetzlichen Experimentierklausel" (kursiv im Org.). Vgl. weiter die konservative Argumentation von Thieme, DÖV 1996, 757 (760, 763); s. aber auch Hufen 1998 a, Rn41ff., 45: „Verfahrensrecht ist »Grundlagenrecht4".
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
Entformalisierung 261. Die Komplikation im Verfahrensbereich widerstreitet dem politischen Postulat nach selbstregulativen gesellschaftlichen und politischen Steuerungsmodi. Der Trend geht derzeitig zu weniger Recht: Gefordert ist im Zweifel dessen ersatzlose Streichung. Die allgemein anerkannte Aufgabe dieser Zeit liegt im Abbau, nicht im Neubau des Rechts. Dies alles bezieht sich vor allem auf Verwaltungsverfahren, die auf eine konkrete Fallentscheidung hinführen, etwa Genehmigungen oder wirtschaftsstandortbezogene Planungen. Aus dem politischen Vorurteil erwächst aber ein überschießendes allgemeines Ressentiment gegen jegliche staatliche Formalisierung: Jede Form von Reglementierung kann als unbedachte Übersteigerung staatlicher Steuerungserwartungen262 diffamiert und mit dem pathologischen Befund der rechtlichen Überkomplizierung263 assoziiert werden. Die Verrechtlichung der Normsetzung ist mit ökonomischen, sozialen und politischen Vor- und Nachteilen verbunden, die in einem unsicheren Kosten-Nutzen Verhältnis stehen264. Eine Vergesetzlichung kann diesbezüglich als Risiko aufgefaßt werden. Insoweit ist zu bedenken, daß hinsichtlich der wenig regulierten Normsetzungsverfahren ein realer Änderungsdruck kaum spürbar ist265.
2. Das politische Vorurteil verfehlt die Besonderheit der rechtlichen Systemfortschreibung auf der Ebene des »allgemeinen' Teils Diese rechtspolitischen Bedenken sind nicht durchgreifend: Die Gründe für eine Rechtsfortbildung des »allgemeinen4 Rechts der administrativen Normsetzung müssen sich auf die abstrakte Systemebene beziehen lassen. Ihre Verrechtlichung würde dem Komplex der »Steuerung im Recht durch Recht' gelten und nicht die Reglementierung eines bestimmten Politikbereiches mit dem Ziel der sachspezifischen Steuerung des konkret-erfolgsorientierten Verwaltungshandelns bezwecken266. Das Ziel 261
Vgl. die Erfolgsberichte zum Vorschriftenabbau in Baden-Württemberg in Sachverständigenrat „Schlanker Staat" (Hrsg.) 1997, Bd. 2 S. 187. Zur Beschleunigungsgesetzgebung und Umgestaltung der Exekutive nach betriebs- und volkswirtschaftlichen Maßstäben Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG Einleitung Rn 23ff. S. a. oben die Nachweise in FN 56. 262 Hierzu Schmidt-Aßmann 1993, S. 29; Wahl 1993, S. 179. S. aber auch Bohne 1999b, S. 19. 263 Vgl. Türk 1976, S. 112 ff. zum Phänomen der Überkomplizierung mit dem Hinweis auf die unvermeidliche Komplexitätssteigerung beim Übergang von autoritären zu kooperativen Strukturen, S. 122ff. zum Phänomen der Übersteuerung. 264 Zum Kostenargument im Kontext der exekutiven Normsetzung Pünder 1995, S. 107 f., 229f., 288; vgl. auch Frankenberger 1998, S. 261 f. m. N. zur Unsicherheit der Ermittlung der zeitlichen Kosten von institutionalisierten Verfahren der Verordnungsgebung; Schräder 1999, S. 366 ff. 265 Siehe aber Frankenberger 1998, S. 262: „Lehrreich an den kanadischen Erfahrungen ist, daß gerade von außerstaatlichen Akteuren die stärkere Führung bzw. Durchformung von Beteiligungsverfahren durch das Umweltministerium gefordert wird". 266 Siehe zu einer argumentativen Parallele bei der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit Kley-Schuller 1995, S. 49 ff. („demokratische Gesetzgebung als Garantie prozeduraler Freiheit"), S. 51: „Postulat der strikten Gesetzesbindung des Richters sollte der Exekutive die Ein-
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
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der rechtsfortbildenden Verrechtlichung des »allgemeinen* Verwaltungs(verfahrens)rechts ist die zukunftsgerichtete Systemfortschreibung. Ein solches Unternehmen birgt neben rechtlichen auch außerrechtliche Unwägbarkeiten267. Sie liegen vor allem in der Etablierung der Öffentlichkeit als Gegenmacht verwaltungsverfahrensrechtlicher Entscheidungsbildung268. Eine verstärkte politische Teilhabe der Öffentlichkeit kann als sichere Konsequenz der Verrechtlichung von Normsetzungsverfahren angesehen werden, unabhängig davon, ob und wie die gesellschaftliche Beteiligung organisiert wird. Denn die Verfahrensanforderungen, die gesetzt werden, miißten auch eingehalten werden. Positiviertes Recht löst sich von seinem Setzer269: Es ist allgemeinverbindlich. Jeder kann Gesetzestexte nachlesen. Diesen Zusammenhang kennt auch die politische Logik.
I I I . Faktische Normbildungsmacht 1. Die Ausgangsfrage impliziert auch die Suche nach ,allgemeinem' Recht für administrative Normanwendung Die Ausgangsfrage nach der Reformbedürftigkeit des »allgemeinen* Rechts der Normsetzung, verstanden als rechtliches Kreationssystem und Grundvoraussetzung eines demokratisch und rechtsstaatlich verfaßten »Gesetzessystems*270, betrifft ganzheitlich den Gegenstand des Systems der administrativen Rechtsschöpfung durch Normbildung. Das Regelsystem für die administrative Rechtschöpfung könnte im allgemeinen nicht ausreichend ausgebildet sein. Sollte dieses System allgemein lükkenhaft sein, muß dies »allgemein* gelten, also »abstrakt* von bereichspezifischen Sondersituationen der besonderen Verwaltungsrechte. Den ganzen Gegenstand der administrativen Rechtsschöpfung abdeckend, ist der Ausgangsfrage auch die Fragestellung zu entnehmen271, ob das für die Kreation von abstrakt-generell programmierenden Normen aus dem Verantwortungsbereich der Verwaltung (administrative Normbildung) geltende Recht lückenhaft sei und durch gesetzlich ,allgemein-gültig* führung der Verwaltungsgerichtsbarkeit politisch näherbringen. Später verselbständigte sich dieses ursprünglich politische Argument und wurde zu einem Ansatz der juristischen Methodenlehre" (kursiv im Orig.). 267 Siehe schon oben bei FN 191 ff. sowie Thieme, DÖV 1996,757 (763): „Um es vorweg zu sagen: Allgemeine Teile zu kodifizieren ist nicht einfach und steckt voller Risiken. Das mag noch gehen beim BGB und StGB mit kodifizierten Besonderen Teilen. Aber es wird zweifelhaft beim Verwaltungsrecht, das eine unübersehbare Menge von »Besonderen Teilen* hat und immer neue .Besondere Teile4 produziert". 268 Vgl. Schmidt-Aßmann 1993, S. 55:, Auf dem Felde von Steuerung und Kontrolle wird damit ein neuer Akteur sichtbar". S. a. Frankenberger 1998, S. 275f., 279f. 269 Siehe dazu Wittling 1990, S. 125. 270 Zum »Gesetzessystem4 siehe oben bei FN 52ff., 220ff., 227 ff. sowie weiter unten nach FN419. 271 Vgl. zum .Kontext4 der im Titel gestellten Frage oben nach FN 8, bei FN 131 f. und bei FN 233 f. 5 Gößwein
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zu setzende Regeln zu einem rechtsfortgebildeten System der administrativen Gesetzesbindung (»Gesetzessystem4) ergänzt werden könnte. In dieser Fragerichtung muß die faktische Macht der Verwaltung über die Rechtsnorm als möglicher Widerstand gegenüber »allgemeinem4 Recht für administratives Recht aufgefaßt werden: Die Normanwendung der Verwaltung kann, soweit sie normvermeidend, normergänzend, normersetzend oder in anderer Weise selektiv und über Programme gesteuert ist272, als informalisierter Modus der Normsetzung durch Normbildung verstanden werden. Die gesetzesdirigierte Verwaltung dirigiert selbst die Gesetze, die das Verwaltungshandeln dirigieren sollen273.
2. Die Trias: Normsetzung, Normanwendung, Normbildung Die Problematik der „faktischen Normbildungsmacht44 gehört in den Gegenstand der Gesetzesanwendungslehre: Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung läßt sich nicht im Sinne eines strikten Gesetzesvollzugsmodells deuten. Die administrative Gesetzesanwendung ist vor allem auch274 die Funktion der administrativen Aufgabenerfüllung. Gestalterische, abwägende und aktive Elemente des Vorgangs der gesetzlich angeleiteten Gemeinwohlkonkretisierung sind schon deshalb unvermeidlich. Siefinden ihren Niederschlag in der Struktur unterschiedlich »offener 4 gesetzlicher Vorprogrammierung. Die Verwaltung implementiert gesetzliche Programme in faktischer Prärogative 275. Eine realistische Betrachtung der Gesetzesanwendung problematisiert deshalb auch die Funktionsbedingungen der gesetzesanwendenden Verwaltung: Es ist auch 272 Verwaltungsvorschriften, verfestigte Verwaltungspraxis, Konzepte. Vgl. von der Norman wendung zur Nonnsetzung Esser 1956, S. 121 : „Die Rechtsfindungsregeln gehören dann zum »Verfassungsrecht* judizieller Normsetzung, wie die Regeln der politischen Verfassung über den Gang der Legislative und namentlich die ,Grundrechte* die Basis der parlamentarischen Normsetzung bilden". 273 Vgl. etwa Hoppe 1978, S. 298 ff. zu den Merkmalen „komplexer Verwaltungsentscheidungen"; Lamb 1995, S. 212f., 223 zur Selektivität der Interessenberücksichtigung bei der kooperativen Normsetzung; vgl. auch Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 225 im Kontext komplexer Verwaltungsentscheidungen, „die komplex eben auch deshalb erscheinen, weil die entflechtende Wirkung parlamentarischer Leitlinien zu gering ist", weiter S. 232 f. (Entfaltungs-, Programmverwirklichungs-, VerrechtlichungsVerantwortung); Dreier, 25 (1992), 137 (149ff.); siehe aber auchftwug, VerwArch 83 (1992), 351 (368 ff.): situative Normbildung als verfassungsrechtliches Gebot exekutiver Effizienz gegen „judikativ verzerrte" Bewertungsmaßstäbe im Prüfungsrecht. 274 Vgl. Dreier 1991, S. 165 ff. m. ζ. N. zu den hier nicht weiter ausgeführten rechtstheoretischen Aspekten; Ossenbühl 1968, S. 551 : legislative Gewalt, die der Exekutive durch die enorme Ausweitung der Verwaltungstätigkeit aufgrund des Sozialstaatsprinzips faktisch erwächst, Übergang staatlicher Ordnungsbefugnis kraft „Rechtsnotwendigkeit". S. a. Hoppe 1978, S. 297 ff. zum „Entscheidungstyp" der komplexen Verwaltungsentscheidungen. 275 Ygi y 0 ig t i983 t S. 18 f. m. N.: 3 Grundtypen der Verrechtlichung: Parlamentarisierung als Vergesetzlichung, Justizialisierung und Bürokratisierung als Kompetenzzuwachs der Verwaltung durch Schöpfung eigenen Rechts.
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
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eine Funktion des Verwaltungshandelns, aus komplexen Normenprogrammen das Normenmaterial zusammenzustellen, das vollzogen werden soll. Das kann zur Normbildung durch selektive Gesetzmäßigkeit führen. „Die Überfülle von Feinstvorschriften führt unter Umständen zur Selbstfreistellung der Verwaltung durch selektiven Gesetzesgehorsam"276. In besonderen Fällen, in denen das Verwaltungshandeln durch widersprüchliche Rechtsmassen dirigiert wird - auch eine Auswirkung der Vergesetzlichung, die nicht immer durch einheitliche Rechtspolitiken motiviert ist - kann dies unvermeidlich sein277. Gesetzesvollzug läßt sich regelmäßig nicht als einfache Applikation gesetzlicher Programme auf den Einzelfall vorstellen: Dies bringen die bereits bei der Sachverhaltfeststellung unvermeidlich einfließenden dezisionären Momente der Ermittlung und Einschätzung der entscheidungs- und handlungserheblichen Tatsachen mit sich278. Entscheidungs- und Abwägungsspielräume können auch bei gebundenen Entscheidungen nachgewiesen werden279, so daß gesetzliche Programme in ihre Anwendung, unabhängig von einer gesetzlichen Konkretisierungsermächtigung, die fallbezogen zweckhafte Konkretisierungsleistung ihres Anwenders zur Entscheidung eines Falles mit einschließen280. Der normative Rahmen für dieses Entscheidungsverhalten ergibt sich aus der formelles und materielles Recht verbindenden Gesetzesanwendungslehre, letzlich im Verständnis des letztverbindlich entscheidenden Anwenders. Die Gesetzesanwendung wird also durch Verwaltungsverfahrensrecht wesentlich mitgesteuert. Verwaltungsverfahrensrecht ist deshalb mehr als reines Vollzugsrecht des materiellen Rechts281.
27 6 Dreier 1991, S. 173 m. w. N. in FN 62; s. a. ders. y Die Verwaltung 25 (1992), 137 (148 if.); Schmitt Glaeser 1984, S. 39: Grundphänomen, daß sich die Verwaltung der Herrschaft der Gesetze entziehe. Vgl. auch Schneider, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 15 (1996), 82 (89). 277 Vgl. Lerche, in Maunz/Dürig, GG Art. 83 Rn61: neuartige Vollzugsdimensionen, die untereinander kollidieren können, die Vollzugssphäre vermehrfachen und dadurch für die Verwaltung einen „Eigenraum der Konfliktbewältigung" erzeugen. In anderen Verwaltungsbereichen besteht demgegenüber eine zu große Distanz zwischen den gesetzlichen Programmen und der Einzelanwendung. 278 Hierzu Pitschas 1990, S. 28; eindringlich Hoppe 1978, S. 297 ff. 279 Vgl. nur Alexy, JZ 1986, 701 (710f. m. N.); Schneider, VerwArch 87 (1996), 38 (51); Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 252ff. 280 Vgl. zur Luhmannschen Unterscheidung zwischen Final- und Konditionalprogrammen W. Schmidt, AöR 96 (1971), 321 (331). Auch bei Konditionalprogrammen ist der Umgang mit dem Zweck meist unvermeidlich, vgl. Esser 1972, S. 145 ff.; R. Schmidt 1994, S. 79f. 281 Vgl. Pitschas 1990, S. 57 ff., Kopp 1978, S. 391 zur Funktion der Beteiligung im Verfahren; Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 207: „Öffentlichkeits- und Privatinteresse verbindende Sinnrichtung" der Beteiligung im Verwaltungsverfahren; Schmidt-Aßmann 1978, S. 570 m. N. für die rechtsstaatliche Bedeutung von Verfahrensrationalität: Rechtsklarheit als Verfahrensklarheit; Zimmer 1979, S. 268 ff. zur Bedeutung der organisatorischen, verfahrensmäßigen und situativen Entscheidungs Voraussetzungen für Begriffe wie Legitimation, Verantwortung, Sanktion.
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3. ,Allgemeines4 Recht für administrative Normsetzung als Einschränkung administrativer Freiheit bei der Normsetzung, Normanwendung, Normkonkretisierung, Normbildung »Allgemein-gültig* festgesetzte rechtliche Anforderungen an die Normsetzung können sich auf allen Stufen der administrativen Gesetzesnormkonkretisierung in unterschiedlicher, einschränkender Weise auswirken. Sie können Zweckmäßigkeit und Beweglichkeit des den wirklichen Lebensverhältnissen angemessenen, zweckmäßigen Verwaltungshandelns behindern282. Das gilt unmittelbar für den Prozeß der Normsetzung als solchen: Denn die Reglementierung von Verfahren betrifft die Freiheit im Verfahren zur Verwirklichung der Gesetzesbindung283. Sie enthierarchisiert und entmachtet, indem sie die administrative Herrschaft über die (normativen) Alternativein) durch verfahrensmäßige Kontrolle begrenzt284. Selbst »weiche4 Kontrollformen (Begründung, Beteiligung, Veröffentlichung, Dokumentation) könnten deshalb aus der Perspektive der Verwaltung als gegen die Verwaltung gerichtet aufgefaßt werden285: Für die Normanwendung in konkreten Entscheidungsverfahren werden den verfahrensrechtlichen Bedingungen der Normerzeugung unterschiedliche Bindungsintensitäten entnommen, an die die Stufung der gerichtlichen Kontrollintensität anschließt286. Bei den Verwaltungsvorschriften schließlich entscheidet die gerichtliche Kontrolle ihrer Anwendung über die Form der eigenadministrativen Aformbildung: In den Fällen, in denen das Gericht die konkrete Verwaltungsentscheidung am Maßstab der Verwaltungsvorschrift mißt, erhält der in den Normtext gefaßte Rechtssatz der Verwaltungsvorschrift unmittelbar außenrechtliche Bedeutung. In den anderen Fällen, in denen dagegen das Programm in der Verwaltungspraxis maßstäblich gestellt wird, wird das Verwaltungshandeln nach der Norm in der Fassung der gerichtlichen Erkenntnis der tatsächlichen Verwaltungspraxis, gleichsam ex post „programmiert". Die Bedeutung, die die Rechtsordnung der Anwendung von Verwaltungsvorschriften 282
Hierzu Schmidt-Aßmann 1994, S. 407 und dort das Zitat Lorenz von Stein 1868, S. 61: „Die freie Beweglichkeit ist das Lebensprinzip des eigentlichen Verwaltungsrechts", „eigentliches" Verwaltungsrecht als das den „wirklichen Lebensverhältnissen" zweckmäßige (besondere) Verwaltungsrecht. 283 Vgl. etwa Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 21 (42ff.) im Kontext der Kritik der Judikatur zu den Verfahrensrechten der Beteiligten: „Das zu beobachtende Defizit ist ein strukturelles, weil das normative Potential des Verfahrensgedankens bei der Gesetzesinterpretation nicht zur Entfaltung gebracht wird" (kursiv von Verf.). 284 Zimmer 1979, S. 224: „Die Vollzugskompetenz bedeutet Herrschaft über die Alternative" (kursiv im Org.); Bartlsperger, VVDStRL 33 (1975), S. 249; Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 214 in FN 268 folgend; siehe auch Treiber 1993, S. 397: zunehmende Enthierarchisierung in den Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft. 285 Als sich selbst tragende Organisation hat die Verwaltung auch ihre politische Perspektive, s. etwa Walter, VVDStRL 31 (1973), S. 157f.; vgl. auch Leisner, DVB1. 1981, 849 (852). 286 Vgl. nur Ossenbühl 1988 d, Rn 37ff., 79; von Danwitz 1989, S. 215 (Nr. 18c); Manfred Schröder 1991, S. 21 für Verwaltungsvorschriften.
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
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nach außen hin gibt, läßt sich so als verfahrensrechtliche Anforderung an den Verwirklichungsprozeß der Gesetzesbindung im Vorgang der Gesetzesanwendung formulieren287.
IV. Strukturelle in Besonderheiten des Verfahrensrechts für Normsetzung gründende Widerstände der Verallgemeinerung und Verrechtlichung Die Verrechtlichung der Verfahren der administrativen Handlungspr&xis stößt auf Grenzen, die in der Handlungsperspektive der Verwaltung begründet sind: „Das Verfahrensrecht ist nicht nur aus guten Gründen wenig formalisiert, ihm kommt auch im Vergleich zum materiellen Recht die Aufgabe zu, das Handeln im Zeitablauf zu lenken. Die Entlastung, die die Verengung des rechtlichen Urteils auf die Momentaufnahme der Entscheidung bietet, fehlt hier" 288. Dies gilt sowohl für Verwaltungsverfahren, die durch eine konkrete Fallentscheidung abgeschlossen werden, wie auch für Normsetzungsverfahren. Die Begründung von Verfahrensrechtsverhältnissen der Normsetzung in die Bürgersphäre hinein wirft zusätzliche verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Probleme auf, die in dieser Form bei der konkreten administrativen Fallentscheidung nicht auftreten können. Je systematisch allgemeiner verfahrensrechtliche Gestaltungsinteressen in das (Gesetzes-) System der adminstrativen Normbildung eingeführt werden sollen, desto schwieriger ist die damit angesprochene Problematik.
1. Allgemeinheit und Einheitsbildung durch Vereinfachung und Abstraktion a) Grenzen der Vereinfachung
im Recht als Grenzen der Steuerung durch Rec
Der auf die Ebene des Gesetzessystems bezogene Gedanke eines allgemein(er)en (Verfahrens-) Rechts der administrativen Normbildung zielt auf Gestaltung durch Einheitsbildung und Vereinfachung 289. Vereinfachung wird man in dem das Recht interessierenden Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit prinzipiell positiv bewerten können. So tritt etwa bei einer überschaubaren Ordnung und verständlichen Fassung von Gesetzen und Verordnungen der praktische Effekt der Verbesserung des Rechtsvollzuges ein 290 . Problematisch ist nur die Bestimmung des optimalen Grades der Ver287 S. a. weiter unten bei FN 401 und dort das Zitat von Martens 1982, S. 166f., sowie weiter unten nach FN 1077 ff. 288 Pietzcker, VVDStRL 41 (1982), S. 221 f. 289 S. ergänzend oben bei FN 115. 290 Vgl. etwa UGB-KomE 1998, S. 74; Lübbe-Woljf 1996, S. 139ff.; Burghart 1996, S. 115: „Die Pflicht zu dogmatisch klaren, stimmigen und übersichtlichen Gesetzen, in denen die Zahl der Rechtsinstitute auf ein notwendiges Minimum reduziert bleibt, ist ein Bestandteil der Pflicht
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
einfachung und Vereinheitlichung durch Abstraktion im Recht 291 . Denn es gibt keinen eindeutigen Begriff der Einheit und Einfachheit des Rechts. Abstraktion oder Vereinfachung als konstruktive Wege zur rechtlichen Einheitsbildung sind mehrstellige Relationenbegriffe 292: Sie bezeichnen das (Gesamt-) Verhältnis sowohl der Ziele der juristischen Modellbildung als auch ihrer Wirklichkeitsbedingungen im Medium ihrer rechtlichen und außerrechtlichen Prämissen 293, die im abstrakten Rechtsbegriff vorgestellt werden 294 : Die begrifflich vermittelte Einheitsbildung muß regelungstechnischen Sachzwängen gerecht werden. Sie ist dadurch auch Form und Ausdruck der Technizität des Systems ,Recht' 295 . Ein weiteres Ziel der Einheitsbildung durch vereinfachende Allgemeinheit ist die Ermöglichung von rechtlicher Kommunikation in allgemein(er)en Begriffen. Insofern kann in Einfachheit und Allgemeinheit rechtlicher Modellbildung auch ein Rechtswert an sich gesehen werden 296 . Die Möglichkeit zur intersubjektiven Verständigung über rechtliche Erkenntnis ist die Bedingung für Vorhersehbarkeit und Beeinflußbarkeit demokratisch verantworteter Rechtsentwicklung und -entscheidung: Das Staat-Bürger Verhältnis ist auf die Gewißheit grundsätzlich einfacher begrifflicher Verständigung insbesondere auch im Medium der Rechtsbegriffe angewiesen 297 .
zum verständlichen Gesetz, die gebietet, Normen für die Anwender erkennbar zu gestalten"; s. a. Breuer 1992, S.B40. 291 Vgl. Werner Weher 1962, S. D48f.; Fritz Werner 1960, S.24ff., S. 35 ff.: kritisch zu Versuchen, die besonderen Verwaltungsrechte im allgemeinen Verwaltungsrecht aufzulösen, skeptisch auch zur Möglichkeit des Vereinfachungseffekts; vgl. demgegenüber die Differenzierung bei Spanner 1960, S. 51: kodifizierbare allgemein geltende Grundsätze für das materielle Verwaltungsrecht „sehr schwierig", demgegenüber allgemeine Verfahrensregelungen eher möglich, aber auch S. 37: „Es ist wohl Merkl auch darin beizupflichten, daß sich allgemeine, für alle Verwaltungsrechtsordnungen gültige Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts überhaupt kaum aufstellen lassen" (kursiv im Org.); in diese Richtung auch Sendler, NVwZ 1999, 132 (133 f. insb. in FN 8, 135), zit. mit weiteren Nachweisen unten in FN 612. 292 Vgl. zum Relationenbegriff KochJRüßmann 1982, S. 254; vgl. zu seiner Problematik auch Müller 1997, Rn 116 am Beispiel des Relationenbegriffs „eigenständig". 293 Vgl. etwa Schmidt-Aßmann 1998, Rn 30 S. 219f. zu den Aufgaben des Gesetzes im Organisationswesen: „komplizierter Bewertungsvorgang, der in der Komplexität der Regelungsstruktur und in einer spezifischen Zeitoffenheit begründet ist". 294 Vgl. Heyen 1993, S. 208: Problem der Steuerbarkeit durch Recht häufig eher ein Problem der Steuerungskraft der im Recht mit beherbergten und transportierten fremden und somit „eigensinnigen" Normativität. 295 Zur zweckrationalen Ausrichtung der Gesetzgebung als Normalfall der modernen Industriegesellschaft Breuer 1992, S. Β 37 ff. im Kontext: „Grundsätzliche Hindemisse für eine ganzheitliche Kodifikation im Zeitalter derfinalen Gesetzgebung". S. a. oben bei FN 214. 296 Zum Nutzen des systematischen „Vor-die-Klammer-Ziehens" zum Zwecke der zusammenfassenden Verallgemeinerung und inneren Harmonisierung durch Rechtsbereinigung und Vereinheitlichung, dabei gegen ein „idealistische(s) auf,Ewigkeit* und ,reine* Wertgerechtigkeit zielende(s) Kodifikationskonzept'* Breuer 1992, S. Β 39 f., kritisch zu den Beispielen des Wirtschaftsverwaltungs- und Sozialrechts. 297 Vgl. hierzu die theoretische Überhöhung bei Teubner 1990, S. 117ff.: „epistemische Falle" des rechtlichen Diskurses; optimistischer Schuppert 1990 a, S. 224 ff.; Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137 (147): edukatorische Funktion des allgemeinen Verwaltungsrechts;
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b) Die systemformende Funktion der Abwägungsentscheidung über Einfachheit und Allgemeinheit im Recht Die gesetzgeberische Festsetzung rechtsbegrifflicher Allgemeinheit, die in der Kodifikation des »allgemeinen4 Rechts liegen kann, ist eine Entscheidung über die »Form4 des (Rechts-) Systems selbst. Denn die Festsetzung der allgemeinen Begriffe begründet rechtsinstitutionelle Allgemeinheit. Diese Entscheidung ist in gewissen Grenzen willkürlich 298: Sie konstruiert die - im Falle der Kodifikation gesetzgeberisch festgesetzte - Relation der rechtliche Allgemeinheit bezweckenden (Rechts-) Formen auf ein selektiertes Zielebündel hin, indem sie Ziele und Zwecke (Unter-Ziele) untereinander und im Hinblick auf das Gesamtziel der Allgemeinheit und Einheit des Rechts abwägt299. »Allgemeines* Recht der administrativen Normsetzung hat von der selektiven Festlegung des gesamtoptimalen Maßes an Vereinfachung und Einheitsbildung auszugehen. Den bestimmten „richtigen Vereinfachungsgrad" kann es nicht geben - über das Maß der Abstraktion im Recht muß entschieden werden. Es bleibt insoweit immer ein Rest an Ungewißheit darüber, ob die konkret festgesetzte (abstrahierte) »Allgemeinheit4 dem Recht als praktisches System tatsächlich dient. Denn die »Allgemeinheit4 des (Rechts-) Begriffs ist eine der konkreten Rechtspraxis dienende Funktion, die durch seine übermäßige Entdifferenzierung und begriffliche Inhaltsentleerung nicht gefördert wird 300. Eine solche über die Gestalt des Systems abwägende Entscheidung ist nicht allein auf verwaltungspraktische Zwecke bezogen301. Als Entscheidung über die Form des Rechts ist sie ebenso Ausdruck des die Zeit prägenden rechtskulturellen Vorverständnisses und hat die Funktion rechtskultureller Gestaltung. Ihre Bedeutung liegt deshalb weniger darin, ob sie unter steuerungspraktischen Gesichtspunkten geeignet ist, die Ziele eines Fachgesetzgebers zu erreichen, als im praktisch entscheidenden Verständnis der gesetzgeberischen Willkürlichkeit, die in der verfassungspolitischen, am politisch und philosophisch Gerechten orientierten, rechtsfortbildenden Entscheidung über die Systembildung wirksam wird 302.
s. a. Schaefer 1999, S. 68 im Diskussionsbericht zu Hirche: hinter Vereinfachung und Vereinheitlichung stünden die Zwecke der Übersichtlichkeit und mehr Verständlichkeit. 298 Vgl. hierzu Perelman 1967, S. 73 f.; s. a. Schmidt-Aßmann 1998, Rn 30 S. 220 zum besonders weiten Gestaltungsspielraum des Organisationsgesetzgebers. 299 Vgl. zur Selektivität und Konstruktivität des „Systemdenkens" siehe oben bei FN 124 ff. 300 Vgl. Larenz 1991, S. 456f.; siehe auch Wahl 1993, S. 215. 301 Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Fachgesetzgebung, die die Aufeinanderbezogenheit von Verwaltungspraxis und Verwaltungsrechtswissenschaft zu beachten hat; vgl. auch Voßkuhle, VerwArch 85 (1994), 567ff.; Schulze-Fielitz 1979, S. 104ff. 302 Vgl. Perelman 1967, S. 74f., 146ff. S. a. Kriele 1979, S. 50ff.
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c) Die Funktion des ,allgemein(er)en' Rechtsbegriffs, die Konkretisierungsprozesse zu konkreter Normativität, allgemein zu verfassen: Vor- und Nachteile der Abstraktion
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Die Gefahr der Selektivität und Konstruktivität ist jeder abstrahierenden Gestaltungsentscheidung immanent. Sie schließt Fehlermöglichkeiten bei der Erkenntnis der außerrechtlichen Prämissen, die als rechtliche Wirkungsfaktoren von Bedeutung sein werden, wie auch solche des Ergebnisses der gesetzgeberischen Wertungen mit ein 303 . Sachbedingte Grenzen des Rechts, insbesondere der Normierbarkeit von Verfahren, können leicht verfehlt werden304. Auch die theoretische Vorstellung über die Bedeutung von Staatsaufgaben und Verwaltungszwecken für die verwaltungsrechtliche Begriffsbildung auf der Ebene des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts wirkt sich an dieser Stelle aus: Die Auffassung, die einen Ableitungszusammenhang zwischen Aufgaben und Begriffen proklamiert, tendiert zur optimistischen Erwartungshaltung gegenüber der prospektiven Gestaltungsmöglichkeit rechtlicher Regelungen. Die Gefahr der Überstrapazierung des rechtsbegrifflich Allgemeinen ist vom umgekehrten Standpunkt, nachdem „die das innere System verklammernden und überhaupt erst als System konstituierenden Begriffe 44305 nicht aufgabenspezifisch sind, weniger zu erwarten 306. Die zugrundeliegende Grundproblematik läßt sich jedenfalls nicht auflösen: Das allgemeine Problem des Begriffs ist seine Funktion der Verallgemeinerung. So liegt auch die Grundproblematik bei der Rechtsetzung wie auch der Rechtsanwendung im unvermeidlichen Abstand zwischen der allgemein begriffenen Norm und der konkreten Wirklichkeit des Falles, also der Konkretisierungsbedürftigkeit des Rechtsbegriffs bei der Herstellung konkreter Normativität307. Diesen Abstand kann man auf 303 Vgl. Heyen 1993, S. 208 zur Bedeutung sekundärer Normativität; H offmann-Riem 1994, S. 26 zur Aufgabe eines modernen Verwaltungsrechts „Problemlösungskapazitäten bereitstellen zu helfen, die es ermöglichen, auch die im realen Entscheidungsverhalten wichtig werdenden »außernormativen4 Entscheidungsprämissen offiziell wahrzunehmen, auf ihre Legitimität zu befragen und die von ihnen ausgehenden Steuerungsimpulse diskutierbar zu machen". 304 Wahl 1993, S. 199. 305 Bachhof, VVDStRL 30 (1972), S. 225 ff., auch zum „äußeren" System und der didaktischen und kritischen Funktion einer an Zwecken und Aufgaben orientierten Darstellung. 306 Zum vorstehenden Wahl 1993, S. 180ff., 183: „Der Aufgabenbezug legt den Blick von der Innensicht des Rechts auf die Außenperspektive, in der eine Mehrzahl von Mitteln in ihrem Zusammenwirken die Aufgabenerfüllung determinieren. (...) Neben und vor einermöglichen verwaltungsrechtsinternen (dogmatischen) Bedeutung des Aufgabenbezugs ist - (... verwaltungsrechtsextem...) - (...) zu fragen, welche Herausforderungen bestimmte Aufgaben an die Verwaltung insgesamt (...) stellen und wie von daher die Rolle des Verwaltungsrechts in einem bestimmten Aufgabenbereich näher und spezifisch bestimmt wird"; für das allgemeine Verwaltungsrecht verbleiben danach nur „elementar und kategorial festzulegende Themen und Gegenstände (...) Wegen dieser Funktion muß die Abstraktheit des Allgemeinen Verwaltungsrecht immer hoch bleiben", a. a. O. S. 215 f. 307 S. hierzu schon Engisch 1935, S. 7 ff. S. a. Luhmann 1974, S. 17: „Gäbe es keine Differenz von Struktur und Prozeß, könnte ein Rechtssystem nicht ausdifferenziert werden".
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unterschiedliche Weise »richtig* stellen: Nicht nur dadurch, daß die Norm weniger allgemein und damit konkreter begriffen wird. Möglicherweise würde gerade eine allgemeiner gefaßte Norm zu weniger Abstand führen, indem sie die zugrundeliegende Differenz zwischen Normativität und Wirklichkeit angemessener begreift m. Diese Unsicherheit in der richtigen Richtung der Lösungsbemühungen ist abstrakt nicht aufzulösen und daher hinzunehmen. Das gleiche gilt also auch für die Nachteile und Gefahren der Abstraktion309.
2. Grenzen der,Allgemeinheit' einer Verfahrenslehre der administrativen Normsetzung und ihrer Verrechtlichung Grenzen der Normierbarkeit von Verfahrensrecht ergeben sich aus seiner Gliederungsfunktion für einen sich in der Zeit entwickelnden und informationsverarbeitenden Entscheidungsprozeß, den es nur äußerlich zu steuern vermag310. Seine zu weit getriebene oder auch verallgemeinernde Gliederung durch »äußeres*311 Verfahrensrecht würde diesem geistigen Willensbildungsprozeß zuwiderlaufen 312: ,,Allgemeinem* Verfahrensrecht der Normsetzung i. S. v. durchgängig zu beachtenden verfahrensrechtlichen Anforderungen könnte gerade sein Zweck entgegengehalten werden, »allgemein-gültige* Verfahrensmodelle unabhängig (»abstrakt*) von der konkreten (i. S. v. bereichsspezifischen) Situation eines Normsetzungsvorhabens leisten zu wollen. Denn Verfahrensrecht ist vor allem auch Verwirklichungsmodus des materiellen 308 Dagegen eindimensional Breuer 1992, B S. 81 f.: Allgemeinheit wird als „Vor-die-Klammer-Ziehen" wesentlich als Problem der systematischen Abstraktion, erschwerter Verständlichkeit, zerrissener Lebenssachverhalte, „an der Oberfläche der rechtlichen Struktur- und Entscheidungsprobleme" angesehen, ein „kodifikatorisches Aushängeschild", das „geradezu dazu einladein), umweltpolitische Kontroversen mit scheinjuristischen Argumenten auszutragen"; siehe dagegen Hufen 1998 a, Rn 43-45. 309 Vgl. Engisch 1953, S.97, 128ff., 75: Mischformen („konkretes Ordnungsdenken" [Carl Schmitt]: das Konkrete als das Besondere und das Konkrete als das Reale nebeneinander) und Mehrdeutigkeiten, s. hierzu Rüthers 1968, S. 292 ff.; mehrdeutig auch Wahl 1993, S. 216: allgemeines Verwaltungsrecht sowohl „zeitlos, elementar", aber auch: „Repräsentativität seiner Regeln für die Gesamtheit des lebenden Verwaltungsrechts (sollte) hoch sein und gegenwärtig gesteigert werden". S. a. Bohne 1999b, S. 21 zur Kodifizierbarkeit des Umweltrechts. 310 Die Entscheidung selbst wird am Maßstab des materiellen Rechts, ggf. mit Hilfe der zu Abwägungsspielräumen (Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit, Abwägungsfehleinschätzung, Abwägungsdisproportionalität) entwickelten Raster, erarbeitet und kontrolliert, vgl. Morlok 1988, S. 120f.; Schulze-Fielitz 1978, S. 302ff., 320ff. (krit. zu diesem Kontrollkonzept); Schmidt-Aßmann 1998, Rn48f. S. 181 ff. 311 Zu diesem Begriff s. oben bei FN 175. 312 Trute 1989, S. 89f.: „Das Verfahren stellt einen Verfahrenszusammenhang verschiedener Instrumente dar, ein System der Kommunikation, daß insgesamt auf seine Wirksamkeit hin zu beurteilen ist Schmidt-Aßmann 1984, S.41 folgend; weiter Morlok 1988, S.99ff., lOOf.: „Das Geschehen in einem Verfahren produziert erst dessen Ergebnis. Die Entscheidung ist das Schlußstück der laufend zur Verfahrensgeschichte geronnenen gesteigerten Beziehungen zwischen den Beteiligten des Verfahrens".
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Rechts . Soweit materielles Recht - wie regelmäßig - von den spezifischen Sachstrukturen der jeweiligen Regelungsbereiche geprägt ist, werden sich auch die jeweiligen Verfahrenszwecke nur differenziert nach Sachbereich und Handlungsform über gesetzliche Verfahrensregelungen steuern lassen314. Zur Beurteilung der Chancen und Risiken der Vergesetzlichung von »allgemeinen4 Verfahrensregeln für die Normsetzung ist es daher notwendig, sich über die verschiedenen verfahrensrechtlichen Funktionen Klarheit zu verschaffen. Dies schließt die Vergewisserung über die allgemeinen Grenzen der Steuerung von Verfahren durch Verfahrensrecht mit ein.
a) Funktionen von Verfahrensrecht Die Funktionen von Verfahrensrecht sind vielfältig. Auf seine Multifunktionalität ist eingehend hingewiesen worden315. Verfahrensrecht rationalisiert Entscheidungsprozesse nicht nur, sondern hat auch durch die Selektion und zeitliche Steuerung der möglichen Beteiligtenbeiträge eine beachtliche Relevanz für das Entscheidungsergebnis. Auf das Eigengewicht von Organisation und Verfahren als Entscheidungsprämissen und zur Darstellung316 von rechtsstaatlich-demokratisch orientierter Verfahrensgerechtigkeit baut der Verfahrensgedanke auf. Erst vor dem Hintergrund der realen Gestaltungs- und Darstellungsmöglichkeit von Entscheidungsergebnissen durch Verfahrensrecht sind dessen eigenständige Funktionen denkbar und kann die Frage nach der rechtlichen Möglichkeit oder Notwendigkeit einer gerechten und inhaltsrichtigen (Rechts-) Ordnung durch Verfahrensrecht sinnvoll gestellt werden. „Im Vetfahrensgedanken als Ordnungsmodell spiegelt sich die vielfältige Funktionsveränderung und Annäherung, wechselseitige Durchdringung und Abhängigkeit von Staat und Gesellschaft, die nicht auf Punktualität und Isolierung von einzelnen Problemfeldern, sondern auf Dauer, Kontakt, Kooperation, Ausgleich, Information und Gespräch zielt"317. Die rechtliche Bedeutung der Steuerung durch Verfahren ist in komplexen, entwicklungsoffenen Sachbereichen, die durch eine abnehmende materielle Steuerungskraft des Gesetzes gekennzeichnet sind, insoweit offenkundig: Es besteht dort sowohl Bedarf nach einer eigenständigen, objektiv-rechtlich orientierten Vgl. etwa Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 153 f.; Trute 1989, S. 90; siehe auch Morlok 1988, S. 93 mit rechtsgeschichtlichen Hinweisen zur Entwicklung des instrumentellen Verfahrensgedankens; aber auch S. 119: „in erster Linie (...) als Arrangements zur Gewährleistung von sachlichrichtigenund (auch deshalb) rechtmäßigen Entscheidungen". 314 Trute 1989, S. 90; Morlok 1988, S. 101 f. 315 Vgl. nur Morlok 1988, S. 94 m. N. in FN 27; Trute 1989, S. 86 ff. m. N. 316 Vgl. Zacher 1997, S. 406: „Noch schrecklicher als ihre Inhalte war die völlige Negation menschenwürdiger Institutionen und Verfahren der Auseinandersetzung, der Klärung und der Vergewisserung - vor allem der Vergewissserung" (kursiv von Verf.). 317 Trute 1989, S. 87 (kursiv von Verf.).
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
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Rechtswahrung und Abarbeitung komplexer öffentlicher 318 und nicht nur subjektivrechtlich geschützter Interessenfelder, wie an der Nutzbarmachung des Verfahrens, um der administrativ , verantworteten Konkretisierung erhöhte Akzeptanz und darüberhinaus zusätzliche Legitimation zu verschaffen 319. Mit Morlok können idealtypisch vier Primärfunktionen von Verfahrensvorschriften unterschieden werden: (aa.) als Mittel auf die Qualität der zu fertigenden Entscheidung bezogene Funktion (instrumentelle Vorschriften), (bb.) expressive Funktion bei Vorschriften mit Selbstzweckcharakter, (cc.) Vorschriften, die mangels verfahrensunabhängiger Kriterien untrennbar mit der Erzielung eines Verfahrensergebnisses bestimmter Güte verbunden sind (Vorschriften reiner Verfahrensgerechtigkeit), (dd.) Verfahrensvorschriften, die auf Zwecke jenseits des konkreten Verfahrens bezogen sind (heteroteleologische Funktion)320. Diese Unterscheidung ist an einem 4-Felder-Schema orientiert, das aus den Gliederungspunkten verfahrensinterner/verfahrensexterner Zwecke und der instrumenteilen/expressiven Funktionswertigkeit der Verfahrensregelungen gezeichnet werden kann321. aa) Instrumentelle Verfahrensvorschriften dienen der Qualitätssicherung der rechtlichen Entscheidung: Die Bedingung qualitativ hochwertiger Entscheidungen ist ihre informationelle, möglichst zuverlässige Unterfütterung hinsichtlich aller für das Entscheidungsergebnis potentiell relevanten Größen. In diese Kategorie gehören Verfahrensvorschriften, die der Informationssuche, Informationseinbringung, ihrer Beurteilung und schrittweisen Verdichtung (Abklärung) dienen: Beteiligungsrechte, Informationspflichten (Auslegung, Erläuterung), Anhörungsrechte, Begründungspflichten und nachfolgende Anhörung sowie Vorschriften, die der Gestaltung der zeitlichen Ordnung des Verfahrensablaufs dienen. Solche Vorschriften haben die Funktion, die Qualität der Entscheidung unter dem Aspekt ihrer sachlichen Angemessenheit und inhaltlichen Richtigkeit als Ergebnis eines rechtlich gesteuerten Vorganges der Informationsverarbeitung zu gewährleisten. Die Möglichkeit, die in diesem Kontext unterlaufenen Verfahrensfehler nicht mittels der Nichtigkeits- oder Vernichtbarkeitsfolge zu sanktionieren, setzt voraus, daß Zweck und Mittel, also die in318 Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 164: öffentliche Interessen als „generalisierte und aggregierte Privatinteressen": „Zu ihrer effizienten Verwirklichung trägt das Verwaltungsverfahren dadurch in spezifischer Weise bei, daß es alle berührten öffentlichen Stellen am Verfahren beteiligt und damit den Ort abgibt, an dem ,das Gemeinwohl· aus den Auseinandersetzungen zwischen den sektoral interpretierten Gemeinwohlsvorstellungen der einzelnen Ressorts der pluralisierten Verwaltung erarbeitet wird". 319 Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 164f.: Effizienz durch Beteiligung, Ermöglichung von Konsensbildungsprozessen und dadurch Erhöhung von Akzeptanzchancen. 320 Morlok 1988, S. 119ff., 123ff., 127ff., 133ff. Die Klassifizierung dient der Bestimmung der Bedeutung eines Verfahrensfehlers. 321 Vgl. hierzu Morlok 1988, S. 139f. m. N. bei FN 196 zu den Achsen des AGIL-SCHEMAS der von T. Parsons entlehnten Konstruktionsprinzipien seines Modells. Vorschriften reiner Verfahrensgerechtigkeit sperren sich gegen dieses Schema, indem sie weder rein selbstzweckhaft (expressiv-konsumatorisch) noch instrumentell in Bezug auf ein abstrakt vom Verfahren feststehendesrichtigesVerfahrensergebnis verstanden werden können.
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
haltliche Entscheidung als Zweck des Verfahrens von diesem selbst getrennt und die Kausalität eines bestimmten Verfahrensfehlers in Bezug auf das Entscheidungsergebnis beurteilt werden kann322.
bb) Selbstzweckhafte Verfahrensvorschriften dienen nicht unmittelbar der Qualität des Verfahrensergebnisses. Sie verkörpern einen eigenständigen verfahrensrechtlichen Rechtswert, der so auch nur im Verfahren selbst ausgedrückt werden kann. Sie sind expressiv bedeutsam gerade in der Gegenwart des Verfahrens als Ereignis, ihre Funktion wird im Verfahren erfüllt. Selbstzweckhafte Vorschriften werden deshalb auch als expressiv-konsumatorisch bezeichnet323. Insbesondere die Grundrechte können die Bedeutung einzelner Verfahrensbestimmungen als expressiv-selbstzweckhaft erscheinen lassen. Dies versteht sich von selbst für Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürdegarantie, „Objekt-Formel"324). Zahlreiche Beteiligungsvorschriften erfüllen selbstzweckhafte Funktionen325. Der Funktionswert solcher Vorschriften erschöpft sich nicht in der Beibringung der technischen Information. Entscheidungsstabilisierend und integrierend wirkt vor allem der Ausdruck der dahinterstehenden rechtskulturellen Werthaltung: Es wird beteiligt, was wertvoll erscheint. Und was beteiligt ist, wird als wertvoll angesehen326. Auch im Öffentlichkeitspostulat, das in zahlreichen verfahrensrechtlichen Einzelregelungen konkretisiert wird, kommt der selbstzweckhaft-expressive Charakter solcher Vorschriften zum Ausdruck: Die sich in Entscheidungsverfahren verwirklichende demokratisch-rechtsstaatliche staatliche (Verfahrens-) Form bedarf regelmäßig auch ihrer expressiven, symbolischen Darstellung gerade und gegenwärtig schon im Verfahren 327. cc) Die Vorschriften seiner Verfahrensgerechtigkeit' sind aus der Eigenart bestimmter Entscheidungsgegenstände verständlich, die diese spezielle Verfahrensfunktion als notwendig erscheinen läßt. Solche Verfahrensvorschriften können weder überwiegend instrumentell noch rein selbstzweckhaft gedeutet werden, weil ihre (Verfahrens-) Funktion nicht abstrakt vom Zweck des konkreten Verfahrens vorgestellt werden kann: Eine verfahrensunabhängige Beurteilung des Verfahrensergebnisses wäre nicht oder nur unvollständig möglich. Als Beispiele: Nach dem Zufalls322
Morlok 1988, S. 119-122. Angelehnt an Morlok 1988, S. 123 bei FN 130. Dürig, in Maunz/Dürig, GG Art. 1 Abs. 1 Rn28ff., 34f.; vgl. damit die „Subjektformel" von Häberle 1987, Rn52. 325 Beispiele nach A/orM 1988, S. 124: für das gerichtliche Verfahren Art. 103 Abs. 1 GG; für die Bauleitplanung § 3 BauGB; für das Verwaltungsverfahren § 28 Abs. 1 VwVfG. 326 Vgl. Dienel, Die Verwaltung 4 (1971), 151 (152): „Die Umgestaltung der vorhandenen Konstruktionen zur Verwaltung von Macht in sinnvolle Gesellschaftsspiele für viele erweist sich als ein Grundproblem unserer Zeit", weiter S. 154,156ff., 165; s. a. Pünder, ZG 13 (1998), 242 (252 f.); Wey reuther 1991, S. 192: .Anhörung (...) mindestens mittelbare(n) Teilhabe an der so produzierten Entscheidung" (kursiv im Org.). 327 Angelehnt an Morlok 1988, S. 123-127; Morlok a. a. O., S. 125 bei FN 145 spricht, inspiriert von Häberle 1983, von „rechtskultureller IdentitätsVerteidigung". 323 324
C. Verfahrens verrechtlichung der administrativen Normsetzung
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prinzip organisierte Losentscheidungen oder formalisierte, materiell unterdeterminierte Entscheidungsverfahren. Es handelt sich also um Verfahrensrecht, das den Mangel inhaltlicher Maßstäbe zum Teil substituieren (planerische, normsetzende Gestaltungsfreiheit; Beurteilungen/Prüfungen) soll oder denjenigen Entscheidungen einen rechtlichen Rahmen gibt328, die überwiegend durch Verfahrensrecht gesteuert werden sollen (Prioritätsprinzip, demokratisches Mehrheitsprinzip, Minderheitenschutz, geistige Freiheitsrechte, Gleichbehandlungsregelungen), weil nach inhaltlichen Maßstäben zurückhaltend geurteilt werden soll329. Normsetzung und Planung sind zwei herausgehobene Beispiele solcher Entscheidungstypen, die regelmäßig weniger strikt vorprogrammiert sind. Die Einhaltung des Verfahrens zur Steuerung des Vorgangs der Entscheidungsbildung ist sowohl für die begleitende Kontrolle ihrer inhaltlichen Qualität als auch für die Möglichkeit ihrer Rechtmäßigkeitskontrolle von ausschlaggebender Bedeutung. Auch Verfahrensvorschriften, die der Kompensation einer im Wege der nachträglichen gerichtlichen Kontrolle unzureichend erscheinenden Grundrechtsverwirklichung dienen, indem sie möglicherweise betroffene Grundrechtspositionen rechtzeitig und dynamisch in Szene setzen, können der Funktion reiner Verfahrensgerechtigkeit verpflichtet sein. Dies betrifft insbesondere die diffusen Gefährdungs- und Prognosesituationen des Umwelt- und Technikrechts, die durch die Vielzahl der betroffenen Rechtsgüter und Grundrechtspositionen und die Unmöglichkeit ihrer statischen Zuordnung (im bipolaren Grundrechtsmodell) auf ihre verfahrensmäßige Entfaltung, auch zum Zwecke ihrer grundrechtssichernden Entwicklung in die Zeit hinein, angewiesen sind330. dd) Heteroteleologische Verfahrensvorschriften dienen demgegenüber verfahrensexternen, nicht sachentscheidungsbezogenen Zwecken. Als Beispiele: Die Rechtsmittelbelehrung, die den gerichtlichen Rechtsschutz gegen die ergangene Entscheidung ermöglichen oder effektuieren soll. Die Begründungspflicht einer Entscheidung gilt dieser Funktion. Sie sichert durch ihren expressiven Darstellungswert zugleich aber auch die Legitimität und Akzeptabilität einer Entscheidung und zwingt zusätzlich mittelbar zu einem sorgfältig begründenden Vorgang der Entscheidungsfindung 331. Auch die Entscheidungszuständigkeiten regelnden Vorschriften einschließlich des Ausschlusses bestimmter Personen können in ihrer Funktion nicht nur instrumenteil, der Qualitätssicherung der Entscheidung dienend, vorgestellt werden. Neben ihren selbstzweckhaften Funktionsgehalten sind sie Folge der schlichten Notwendigkeit, die staatliche Produktion von Entscheidungen rational rechtsstaatlich organisieren zu müssen. Zuständigkeitsvorschriften gelten damit sowohl der in328 Vgl. Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 174ff., 179ff.; Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 251 ff., 257 f. 329 Hierzu eingehender Morlok 1988, S. 129. 330 Zu diesem Absatz ausführlicher Morlok 1988, S. 127-132. 331 Winter 1999, S. 314: „Funktion von Bürgerbeteiligung (nach der diskurstheoretischen Auffassung bei realistischer Fassung auch zur) Sicherung der Akzeptabilität, nicht der Akzeptanz der Entscheidung - unausgeschöpft. Verfassungsrechtlich wäre sie wohl eher beim Demokratieprinzip als bei den Grundrechten anzusiedeln".
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1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
haltlichen Qualität staatlicher Herrschaft (Legitimität) als auch der Rechtfertigung staatlicher Herrschaft im Ausdruck332 einer rational strukturierten Entscheidungsorganisation (Legitimation)333.
b) Der Organisations- und Sachbezug des Verfahrensrechts als Problem eines gesetzlich ,allgemein-gültig' gesetzten Verfahrensrechts Die Beispiele zu heteroteleologischen Verfahrensfunktionen zeigen, daß zahlreiche Verfahrensvorschriften gleichzeitig verschiedene Funktionen erfüllen sollen334. Auch die Vorschriften reiner Verfahrensgerechtigkeit dienen, gerade wenn man der verfassungstheoretischen Systemvorstellung einer durchgängig gesetzesdirigierten Verwaltung folgt und daraus die regulative Idee wenigstens des Verfahrensversuchs der optimal rechtsrichtigen Entscheidung folgert, zugleich (instrumentell) dem Zweck der Optimierung von im Normbereich begründeten Entscheidungsergebnissen335. Die Funktionsanalyse der Beteiligung belegt ihren multifunktional instrumentellen, expressiven und ,rein verfahrensgerechten 4 Wert. Die Multifunktionalität des Verfahrensrechts bedeutet seine systematische Bezogenheit auf die jeweilige Sachstruktur der verwaltungsrechtlichen Aufgaben und Zwecke336. Die sektorale Ordnung des jeweiligen Sachbereichs und ihre Normativität(sbedingungen) bilden den Grund der Entscheidung über das Arrangement der ,Multi-Funktionen' des Verfahrensrechts, das der jeweils optimal richtigen Aufgabenerlediung angemessen ist337. Wenn inhaltsrichtige Normsetzung die Staatsaufgabe der gemeinwohlrichtigen Steuerung durch das Instrument der konkret-inhaltlichen rechtssatzförmigen Regelung ist338, dann muß das bereitzustellende Verfahrensrecht den konkret wirklichen 332 Vgl. Zacher 1997, S. 406: „Institutionen und Verfahren der Auseinandersetzung, der Klärung und der Vergewisserung"; s. a. Hasso Hofmann 1977, S. 66f. 333 Zu diesem plastischen Verständnis des Verhältnisses Legitimation/Legitimität SchmidtAßmann, AöR 116 (1991), 327 (327 m. N. in FN 1); s. a. auch Hoffmann 1992, S. 158 ff., 165. Dieser Absatz angelehnt an Morlok 1988, S. 133-140. 334 Beachte die kritische Anmerkung zu Zweck- und Funktionszuschreibungen bei Morlok 1988, S. 119,125: Diese seien immer analytischer Natur, nicht objektivierbar, letztlich ins Belieben des Betrachters gestellt. 335 Vgl. etwa Scholz, VVDStRL 34 (1976), S. 178 f.: „Wirksamer ist dagegen das verfahrensrechtliche, also rechtsfolgenunabhängige Kriterium der maximalen Zweck- und Rechtskonkretisierung" (kursiv von Verf.). 336 Dies schließt rechtserzeugte Organisationsstrukturen mit ein; vgl. etwa Schmidt-Aßmann 1998, Rn90 S. 88: „Staatliche Herrschaft und gesellschaftliche Interessen können in bestimmten Bereichen institutionell so ineinander verschränkt sein (...)" (kursiv von Verf.); zum rechtserzeugten Normbereich siehe Müller 1997, Rn232, 241. 337 Vgl. Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 174f., s. a. Hagen 1971, S. 48: Verfahrenseinrichtungen funktional danach zu bewerten, was sie im Hinblick auf ein gesetztes Ziel leisten. 338 Vgl. den Titel von Frankenberger 1998: „Umweltschutz durch Rechtsverordnung" (kursiv von Verf.).
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
79
Organisations- und Sachstrukturen angemessen sein. Aus diesen Gründen fehlt es nicht an skeptischen Bemerkungen zur Möglichkeit einer »allgemeinen4 Theorie der Gesetzgebung339 oder einer »allgemeinen4 Verfahrensfehlerlehre für untergesetzliche Normen 340. Eine »allgemeine4 Verfahrensfehlerlehre gehört systematisch in den Zusammenhang einer,allgemeinen' Verfahrenslehre, weshalb sich solche Einschätzungen erst recht gegen die Möglichkeit ihrer Allgemeinheit gerichtet verstehen lassen3 4 1 .
c) Allgemeine ' Verfahrenslehre
und allgemeine ' Fehlerfolgenlehre
Die Allgemeinheit einer Verfahrensfehlerlehre ist jedoch nicht als kehrseitig-identisch zur Allgemeinheit einer möglichen Verfahrenslehre vorzustellen. Die Unterschiede der Verfahrenslehre und der Fehlerlehre liegen im Gegenstand wie in der Methodik ihrer Konstruktionsprinzipien. Der Gegenstand der Verfahrensfehlerlehre ist das System des Verfahrensrechts unter dem Aspekt der Sanktion einer fehlerhaften Yertahrensrechtsanwendung. Die Fehlerlehre beschäftigt sich gegenständlich mit Fragen der juristischen Methodik der Rechtsanwendung, auch wenn es sich um Verfahrensrecht für Rechtsetzung handelt. Ihr Interesse gilt dem System der Kontrolle der Rechtsanwendung des positiven (Verfahrens-) Rechts342. Eine allgemeine Verfahrensrechtslehre hätte dagegen primär nicht nach den Bedingungen der Rechtsanwendung von Verfahrensrecht zu fragen. In ihr Erkenntnisinteresse müßte sie umfassend das Entwicklungspotential des Verfahrens(gedankens) und die Frage nach den Aufgaben des Rechts bei der rechtsrichtigen Steuerung der vielschichtigen Realität von Verfahren einbeziehen. Methodisch wäre eine allgemeine Verfahrenslehre in der Entwicklungsperspektive der Rechtsetzung zu denken (prospektiv-rechtliche Gestaltung durch Verfahrensrecht) 343. Ihre Aufgabe wäre es, aus der Weite möglicher Verfahrensorientierungen eine rechtliche Ordnung konstruktiv festzusetzen, die das Verhalten der Verfahrensakteure in der allgemein 339
Hans Schneider 1991, VI (Vorwort zur ersten Auflage). OssenbühU NJW 1986,2805 (2812); Morlok 1988, S. 101 f. 341 So ttwdi Morlok 1988, S. 102 bei FN49 gegen Hagen 1971, dessen Gegenstand nicht eine „Allgemeine Fehlerlehre", sondern „Allgemeine Verfahrenslehre" ist. Zu einem möglichen Verständnis der Allgemeinheit siehe Hagen 1971, S. 50: „Ihrer Aufgabe entsprechend, nämlich umfassende Aussagen über variable Verfahrensformen unter Einbeziehung ihrer Grundlagen und Voraussetzungen zu ermöglichen, verlangt eine Allgemeine Verfahrenslehre - im Gegensatz zu einer innerprozessualen Theorie - ein äußeres Bezugsystem. Als solche Bezugkategorien werden hier prozessuale Funktionen und Determinanten, davon insbesondere materiell rechtliche Implikationen und Verfassungspostulate, institutioneller Verfahrenszweck und Verfahrenstruktur vorgestellt". 342 S. hierzu v. a. Hill 1986; Hufen 1998 a. 343 Vgl. Eidenmüller, JZ 1999, 53 ff. (54, 60): von der Rechtsanwendungswissenschaft zur systemoptimierenden Rechtsetzungswissenschaft. 340
80
1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
(rechtlich) gebotenen Weise steuert344. Die »allgemeine4 Verfahrenslehre umgreift hypothetisch also jeden denkbaren Entwurf auch virtueller Verfahrensrealitäten und hat dabei die implizite Aufgabe rechtlicher Gestaltung durch rechtsfortbildende Erfindung allgemeingültiger Standards für Verfahren, die sie im Vollzug des Auftrags rechtlicher Formung selektiv allgemeinverbindlich, d. h. ,allgemein-gültig4 setzt345. d) Rechtsfortbildung des materiellen Rechts im Unterschied zur Rechtsfortbildung des Verfahrensrechts Die Rechtsfortbildung des materiellen Rechts versucht die Fortentwicklung des Rechts zur Begründung des gerechtesten und steuerungsrichtigen Entscheidungsergebnisses346. Die maßgebliche Orientierung für die Weiterentwicklung des Verständnisses materieller Rechtmäßigkeit liegt damit in der dichotomischen Unterscheidung richtig/unrichtig bzw. gerecht/ungerecht. Dies setzt sich bis in den Vorgang der herkömmlich als Gesetzesauslegung oder -anwendung bezeichneten Rechtskonkretisierung des positivierten Rechts fort: Sowohl die (Steuerungs-) Idee des Syllogismus, aber auch die Vorstellung der Gesetzesanwendung als Vorgang der Normkonkretisierung347 beurteilt am Normtext der materiellen Gesetzesnorm das Ergebnis einer rechtlichen Entscheidung als begründet oder unbegründet. Im Entwicklungsbereich des Verfahrensrechts verfängt die dichotomische Reduktion auf richtig/unrichtig bzw. gerecht/ungerecht so nicht348. Die Rechtsfortbildung des Verfahrens der Entscheidungsbildung wird hier überwölbt durch eine weitere Form der normativen Ori344 Vgl. Hoffmann-Riem, DVB1.1994,605 (608): „Recht, das (...) nicht in erster Linie als Verhaltensmaßstab, sondern als materieller Kontrollmaßstab formuliert ist, hat einen Modernitätsrückstand bei seiner Tauglichkeit zur Bewältigung der Entscheidungsprobleme im Umweltstaat". 345 Zum Formungsauftrag des Verwaltungsrechts sowie zur Selektivität der rechtsfortbildenden Konstruktion siehe oben bei FN 108 ff., 124 ff., 298 ff. ; für den Verwaltungsakt vgl. SchmidtAßmann 1998, Rn 85 S. 153; für die Normsetzung nimmt Hufen 1998 a, Rn452ff., 473 die Möglichkeit der, Allgemein-Gültigkeit4 rechtlicher Standards offensichtlich an, ohne mit einem dem Verwaltungsakt rechtssystematisch analogen Begriff des Normsetzungsakts operieren zu können. In diese Richtung geht letzlich auch der Hinweis von Hufen 1998 a, Rn465: „Kreis der ,Normbetroffenen 4 in aller Regel sehr viel schwerer abzugrenzen, als dies beim VA - auch bei der Allgemeinverfügung, der Fall sein dürfte", hinzutritt die Bedeutung der administrativen Normsetzung für das Gesetzessystem, insb. das System gesetzesrechtlich vermittelter demokratischer Legitimation des Verwaltungshandelns, hierzu eingehend unten bei FN 421 ff., zentral bei FN 425-433. Zur im Kontext dieser Arbeit (s. hierzu oben bei FN 8 ff. und nach FN 130) aufgerufenen Vorstellung der »Allgemeinheit4 des Verfahrensrecht(sgedankens) s. bei FN 356ff., 217, 1012 sowie nach FN 590. 346 Vgl. zur „oneright answer44 These Eidenmüller, JZ 1999,53 (58 f. m. N.): zwar nicht im ontologischen Sinne Dw or kins, aber doch als regulatives Prinzip im Sinne Kants; eingehender Alexy, JZ 1986, 701 (715). 347 Müller 1997, Rn 97: „Normähnlichkeit schöpferischer Konkretisierung44. S. a. Bydlinski 1991, S. 11 ff. 348 Als Beispiel die Schwierigkeit, die Bedeutung der Akzeptanz als Ziel des Verfahrens normativ einzufangen, vgl. etwa Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 21 (31 m. N.).
C. Verfahrensverrechtlichung der administrativen Normsetzung
81
entierung: Entscheidend geht es ihr um die Zweckmäßigkeit und Geeignetheit des fortentwickelten (Verfahrens-) Rechts, die »Gerechtigkeitsvorstellungen' in der Rechtswirklichkeit der Entscheidungsverfahren optimal zur Geltung zu bringen349. Der Gerechtigkeitswert des Verfahrens kann nicht durch die inhaltliche Diskussion der Richtigkeit/Gerechtigkeit oder Unrichtigkeit/Ungerechtigkeit eines Entscheidungsergebnisses des materiellen Rechts ermittelt werden. Die Diskussion des Verfahrensrechts ist stattdessen vor dem Hintergrund materiellrechtlicher Rechts- und Gerechtigkeitsbegriffe zu entfalten 350. Die Rechtsfortbildung des Verfahrensrechts ist auch diejenige des materiellen (besser: materialen) Rechts auf der allgemeinen Systemebene der Diskussion der prinzipiell gerechtesten Entscheidungs/orm351. Denn der im Grund der (Rechts-) Form eingefangene Gerechtigkeitswert muß substantiellf 352 letzlich in der (Grund-) Vorstellung der Rechte der Person gegenüber den Anderen und dem Staat (also ,in der Person4 substantiell aufgefaßt und materiell-normativ) begründet werden. Nach den »allgemeinsten4 materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen bestimmt sich also die Begründung der Fortentwicklung des allgemeinen Verfahrensrechts: Sie setzt voraus, daß eine Veränderung der verfahrensrechtlichen Verwirklichungsbedingungen des Rechts zum Zwecke der Annäherung an das Ideal optimaler Gerechtigkeit eingefordert werden kann353. Recht vertextet die materiellen Gerechtigkeitsanforderungen an Verfahren zu Verfahrensrecht. Die Rechtsfortbildung des Verfahrensrechts ist also materiell-rechtlich als Fortentwicklung der Gerechtigkeit des Rechts zu substantiieren. Die Richtigkeit dieser These zeigt sich in dem Klassifikationsmodell der Verfahrensfunktionen 354: Alle diese Funktionen wären ohne den hintergründigen allgemeinen Auftrag zur optimalen Rechtsverwirklichung des materiellen Rechts ohne eigentlichen rechtlichen Sinn355. 349
Diese Orientierung liegt offensichtlich jenseits des Verhältnisses von Wert- und Zweckrationalität, siehe zu dieser Problematik im Kontext der „zweckrationalen Finalisierung" von Gesetzgebung Breuer 1992, S. Β 37 ff. m. N. 350 Hoffmann 1992, S. 158: „Prozedurale Gerechtigkeit ist keine »andere* Gerechtigkeit, sondern ein spezifisches Anwendungsfeld der materialen Gerechtigkeit". 351 S. a. Hoffmann 1992, S. 39ff., 165, 160: „Verfahrensgerechtigkeit (...) nicht nur (...) prozeduraler Reflex der Idee der universalen Gerechtigkeit (...). (...) vielmehr eigenes Anwendungsfeld materialer Gerechtigkeit in der ethischen Ausgestaltung des Verfahrens selbst". 352 Im Sinne seines materialen und formalen Funktions-Werts für das Rechtssystem als einer geordneten materiellen Vorstellung über Gerechtigkeit. 353 Zur Rechtsfortbildung auf der Systemebene des »allgemeinen4 Rechts s. a. oben nach FN 130 und FN 265. 354 Siehe zu den Verfahrensfunktionen oben bei FN 315 ff. 355 Die Besonderheit der Rechtsfortbildung des formellen Rechts in Abhängigkeit und im Übergang zum materiellen Recht ist deshalb der Rede wert, weil diese Funktion der Rechtsfortbildung umgekehrt nicht gilt. Die Vorstellung des „verschwimmenden Unterschieds zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht" (Morlok 1988, S. 218) oder des Verhältnisses materielles/formelles Recht als „Extreme eines kontinuierlichen Spektrums rechtlicher Normierung" (ri, DÖV 1998,897 (905 ff.); Dreier, in Dreier (Hrsg.) 1998, GG Ait. 20 (Demokratie) Rn 122; Groß 1999, S. 233: „kann nur bereichsspezifisch beurteilt werden, welche Legitimationsformen angemessen sind. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Prinzip der funktionsgerechten Gestaltung der Verwaltungsorganisation kann ebenfalls nur bereichsspezifisch konkretisiert werden". 445 Wegen dieser Allgemeinheit wird hier auf die (zu) allgemeine Problematisierung des „Kernbereichs der Exekutive", in den durch die gesetzliche Regulierung der administrativen Verfahren oder durch die Öffnung des administrativen Innen- und Entscheidungsbereichs gegenüber gesellschaftlicher (begleitender) Kontrolle eingegriffen werden könnte, verzichtet. Vgl. etwa die Ausführungen von Frankenberger 1998, S. 269ff.; sehr allgemein, nur zum Verhältnis Legislative/Exekutive Kühl 1993, zu terminologischem S. 15 f., 146ff.; vgl. auch Bökkenförde 1981, S. 387 f. 446 S. oben bei FN 422ff. S. a. Müller 1997, Rn 175; weiter Frankenberger 1998, S. 273 f. 442
102
1. Teil: Bedeutung des allgemeinen Verwaltungsrechts
nungsvorstellung - ist der wesentliche Grund für die Nichtübertragbarkeit der Gründe für die Beteiligung von außerhalb der staatlichen Organisation stehenden Rechtsoder Interessenbetroffenen an Verwaltungsverfahren für die Entscheidung konkreter »Fälle vor Ort4 auf den Entscheidungstypus der Normsetzungsverfahren 447. Die Rechtsfortbildung eines »allgemein-gültigen4 Rechts der Normsetzungsverfahren, insbesondere in die Richtung ihrer Öffnung für gesellschaftliche Einwirkungsprozesse etwa durch »allgemein-gültige4 Regelungen, die den Vorgang der Normsetzung begleitend und nicht erst ergebnisbezogen kontrollieren sollen (etwa eine »allgemeine4 Öffentlichkeitsbeteiligung), müßte deshalb spezifisch für die Funktion Normsetzung begründet werden. Im folgenden wird dem anhand konkreter Gesetzgebungsvorschläge nachgegangen.
Die Fragestellung wird eingeschränkt auf die Notwendigkeit oder Möglichkeit, ein solchermaßen allgemein und einheitlich reformiertes Rechtsverständnis zur Verfahrensform der administrativen Normsetzung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen ,darzustellen 4 und dadurch yäiigemcm-guitig' festzusetzen 44*. Es ist zu fragen, ob eine gesetzgebungssystematisch »allgemeinste4 Regelung der administrativen Normsetzung »in der Ausdrucksform der Verwaltungsverfahrens gesetze' als Aufgabe einer 449 zeitgerechten Verwaltungsgesetzgebung anzusehen ist .
447 S. oben die zentralen Thesen bei FN 425 ff. Zur Partizipation an Einzelfallentscheidungen Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), S. 211 ff.» 220ff., 230ff. 448 Vgl. zur Bedeutung der .allgemeinen* Verfahrensformen für die Rechts- und Verfahrensform des Staatshandelns oben bei FN 391 ff. Vgl. weiter Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn 27: „gesetzliche Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts (...) rechtspolitischer Beitrag zur Fortentwicklung des öffentlichen Rechts" (kursiv von Verf.); skeptisch zur „normativen Kraft der kodifizierten Handlungsformen" am Beispiel der Zusage („pauschale Zuordnungsversuche") Fiedler, AöR 105 (1980), 79 (103 ff.). 449 Dazu, daß eine Reformaufgabe dieser Bedeutung zuerst von der Bundesgesetzgebung aufgenommen werden müßte, Klappstein 1994, S. 150 f.
Zweiter Teil
,Allgemein-gültige' Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung durch Ergänzung der ,allgemeinen' Verwaltungsverfahrensgesetze? A. Administrative Normsetzung und Verwaltungsrecht I. Administrative Normsetzung und ihr Ort in den Verwaltungsgesetzen 1. Verwaltungsgesetze zur administrativen Normsetzung Die Verwaltungsverfahrensgesetze haben ihren Anteil daran, daß wir heute vom Desiderat administrativer Normsetzungsverfahren sprechen können, jedenfalls dann, wenn man optimistisch davon ausgeht, daß von solchen allgemeinen und grundlegend gedachten Gesetzen eine Kodifikationswirkung ausgehen kann, die eingehendere Bearbeitungen auf der rechtssystematisch »allgemeinsten4 Ebene herausgefordert hätte450. In Übereinstimmung mit der gängigen thematischen Zuordnung zu den Rechtsquellen und nicht der Lehre von den Handlungsformen ist die Normsetzung durch die Verwaltung nicht in den Begriff des Verwaltungsverfahrens nach § 9 VwVfG aufgenommen 451, sondern der Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze auf Verfahren beschränkt, die auf den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet sind452. Gesetzliche Regelungen zum Verordnungs- oder Satzungserlaßfinden sich in den Fachgesetzen zum besonderen Verwaltungsrecht: Die kommunale Rechtsetzung etwa ist Gegenstand verwaltungsgesetzlicher Regelung in den Kommunalgesetzen oder vornehm450 Vgl. dazu Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn 1. Zur Kodifikationsskepsis in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft UGB-KomE 1998, S. 74 m. N. in FN 11. Zur „Vitalität der Kodifikationsidee" für das Privatrecht Stürner, JZ 1996,741 (750f.). Zum hier zugrundegelegten Verständnis des rechtlich Allgemeinsten siehe oben bei FN 115,125,352, insb. 356ff., 393 und nach 407. Zur Verknüpfung dieses Gedankens mit der Ausdrucksform der Gesetzgebung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts s. oben bei FN 448. 451 Vgl. zu den Gründen dafür, daß dies in Schleswig-Holstein anders gehandhabt wurde Klappstein/v. Unruh 1987, S. 182ff. Zur frühen Kritik Schmitt Glaeser 1977, S. 31 f. Zur Kritik am Formendualismus des § 9 VwVfG (Verwaltungsakt und -vertrag) die Nachweise bei Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG §§9Rn6inFN3. 452 Vgl. Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 9 Rn 86 sowie dies., a.a.O., § 1 Rnl41 m.w.N.
104 2. Teil: Allgemein-gültige4 Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
lieh in den die Satzungsgebung betreffenden Fachgesetzen (Straßen- und Wegerecht, Baurecht, Abgabenrecht)453. Demgegenüber finden sich Regelungen zum lokalen Verordnungserlaß vor allem auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts und des Umweltschutzes454. Im Falle der kommunalen Rechtsetzung handelt es sich unproblematisch um Regelungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts. Auch die Einordnung der Verordnungsgebung bis zur mittleren Aufbauebene (Regierung) in den reinen Gegenstand des Verwaltungsrechts ist unproblematisch.
2. Verwaltungsgesetze zur Regierungsgesetzgebung Bei Regierungsverordnungen, die hinsichtlich Funktion und Eignung zur breitenwirksamen Steuerung den parlamentarischen Gesetzen gleichstehen und gegebenenfalls unter Mitwirkung des Parlaments oder des Bundesrates erlassen werden, scheinen sich verwaltungsrechtliche mit staatsorganisationsrechtlichen Aspekten zu vermengen455. Angesichts der Orientierung, die allgemeine Gesetze wie die Verwaltungsverfahrensgesetze auch anbieten456, sperrt sich die Vorstellung dagegen, hierin eine reine Problematik des allgemeinen Verwaltungsrechts zu sehen, die durch die Regelungen der besonderen Verwaltungsgesetze zum verwaltungsrechtlichen Thema wird. Diese Schwierigkeit der gegenständlichen Einordnung betrifft auch die Verwaltungsvorschriften, denen eine qualifizierte Bedeutung für die großflächige Steuerung der Gesetzesanwendung im Bundesgebiet zukommt. Das ist beispielsweise bei den Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG der Fall. Auch solche Rechtssätze sind, unabhängig von ihrer nicht gesetzesrechtlichen Form, in Recht überführte politische Willensentscheidungen457. Die materielle Regierungsgesetzgebung ist politische Steuerung durch Rechtsetzung: Die Rechtsquellen hoheitlicher Umweltstandards etwa sind nur zu 6 % Gesetze, zu 74 % Verordnungen und zu 20 % Verwaltungsvorschriften 458. Solche administrative Vorschriftengebung ist nicht,reiner* Gegenstand des Verwaltungsrechts, sondern vor allem Gegenstand des (Staats-) Rechts der politisch453
Siehe zum Recht der kommunalen Rechtsetzung mit Beispielen Schmidt-Aßmann 1981, zum kommunalen Rechts verordnungserlaß S. 25 ff., zu inneradministrativen Rechtsetzungsakten (Geschäftsordnungen, Geschäftsverteilungspläne, Flächennutzungspläne, Infrastrukturund Entwicklungspläne, Anstaltsordnungen) S. 31 ff. 454 Zahlreiche Beispiele für Rechtsverordnungen und Satzungen bei Ziekow, in Sodan/Ziekow (Hrsg.) 1998, VwGO § 47 Rn 114f. 455 Vgl. Hoffmann-Riem, VVDStRL 56 (1997), S. 291 : „Verwaltungsrecht Teil einer einheitlichen Staats- und Verwaltungswissenschaft". 456 Vgl. Hill 1987, S. 35ff., 45 ff.; Bt-Drs. 7/910, S. 28ff., 42: „allgemeine Bedeutung". 457 Siehe etwa die Mahnung von Feldhaus, DVB1. 1981, 165 (171) „Die verbindliche Konkretisierung und die laufende Anpassung an die wissenschaftliche und technische Entwicklung sollten deshalb möglichst nicht der Verwaltung und damit den Gerichten überlassen bleiben, sondern vom Normgeber vorgenommen werden. Ob hierfür die Form des Gesetzes, der Rechtsverordnung oder der allgemeinen Verwaltungsvorschrift gewählt wird, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit" (kursiv von Verf.); s. a. Pietzcker 1990, S. 264. 458 Vgl. SRU 1996, Tz. 748.
Α. Administrative Normsetzung und Verwaltungsrecht
105
459
programmatischen Steuerung . Die Problematik der verordnungsgeberischen Gestaltungsfreiheit zeigt dies deutlich460. Es geht hier um die Aufteilung gesetzgeberischer Funktionen zwischen Parlament und Regierung461. Die verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Brisanz462 der gouvernementalen Normsetzungsverfahren wird deutlich, wenn das Bundesverfassungsgericht fordert, daß in der Verordnungsgebung „niemals originärer politischer Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck kommen"463 dürfe. Inwieweit die dahinter stehende Vorstellung, die Exekutive zum „weiterdenkenden Gehorsam"464 in der Rechtsetzung verpflichten zu können, mit Theorie und Praxis von Normkonkretisierungsprozessen übereinstimmen kann, darf in Frage gestellt werden465.
3. Regelungsstruktur und -ebene ergeben sich aus tatsächlichen, rechtstatsächlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen Verwaltungsfachgesetzliche Regelungen folgen jeweils den Regelungsanforderungen, die sich aus der Struktur und der auch rechtlich vorgegebenen Organisation des Sachbereichs ergeben. Das Ziel der fachgesetzlichen Normsetzungsermächtigung ist die zweck- und aufgabenbezogene instrumentelle Eignung der Handlungsform des Untergesetzesrechts und die Sicherstellung inhaltsrichtiger und rechtsstaatlich unbedenklicher Normsetzung466. Die Einordnung in die rechtssystematischen Kategorien des Verwaltungsrechts oder in ein möglicherweise davon abgesetztes be459 Vgl. zum Begriff Frankenberger 1998, S. 21 m. N.; weiter Dreier 1991, S. 159ff.: Legislative und Exekutive im Handlungsverbund; s. a. Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonn/Sachs 1998, § 1 Rn 169 f.: „vollziehende Gewalt nach Grundsatz der Gewaltenteilung alle Tätigkeit der Regierung außerhalb ihrer Mitwirkung bei der Gesetzgebung und Normsetzung" (kursiv von Verf.) mit Zitat Scheuner 1953, S. 277: „zählt zur Regierung die politische Entscheidung, die Festlegung der Richtlinien"; s. a. Breuer, UTR 45 (1998), 161 (184). 460 S. die Nachweise in FN 243. 461 Vgl. Grimm, ZParl 1 (1970), 448 ff.: „Aktuelle Tendenzen in tei Aufteilung gesetzgeberischer Funktionen zwischen Parlament und Regierung" (kursiv von Verf.); von Bogdandy 1999, S. 47, 55ff., 449ff. 462 Schneider 1991, Rn 237 zu Art. 80 GG: soll nicht in erster Linie die Voraussehbarkeit der Normsetzung durch den Bürger, sondern die Sicherung der parlamentarischen Gesetzgebung durch Bundestag und Bundesrat gewährleisten. Ähnlich Hansen 1971, S. 90ff.: verfassungsrechtliche Problematisierung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf der Ebene des Gewaltenteilungsprinzips und seinem Verhältnis zum Demokratieprinzip. Vgl. BVerfG, Beschluß des Zweiten Senats vom 8.6.1988 - 2 BvL 9/85, 3/86-, DVB1. 1988,952 (954f.) = BVerfGE 78,249 (273), das diese Formel wörtlich von Starck 1970, S. 288 (dort nicht kursiv) übernommen hat. 464 Dreier 1991, S. 181. 465 Zu der Schwierigkeit der Anwendung von Kontrollmaßstäben Henseler, ZG 1 (1986), 76ff. (80ff.); Schneider 1991, Rn236: „Das Bestimmtheitsgebot hat dazu geführt, daß manche Gesetze Dutzende von kleinen Verordnungsermächtigungen enthalten, aber alle zusammen ergeben ein dunkles Dickicht". 466 Vgl. den Titel „Umweltschutz durch Rechtsverordnung", Frankenberger 1998 (kursiv von Verf.). Eingehender oben bei FN 194ff., 226 ff.
106 2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
sonderes Normsetzungsorganisationsrecht der gouvernementalen Normsetzung ist für den Erlaß des Fac/igesetzes nicht von praktischem Interesse467.
II. Administrative Normsetzung und ,allgemeine' Verwaltungsverfahrensgesetze 1. Die Sondersituation der Gesetzgebung zum,allgemeinen' Verwaltungs(verfahrens)recht Anders ist dies bei einem Regelungssystem, das seinem Selbstverständnis nach als Grundgesetz der Verwaltung m beansprucht, die Vielgestaltigkeit der administrativen Handlungspraxis auf allgemein einheitliche Typen und Standards zurückzuführen, um die Rechts- und Verfahrensform des administrativen Staatshandelns in der (Ausdrucks-) Form der Gesetzgebung des »allgemeinen* Verwaltungsrechts einheitlich und »allgemein-gültig* darzustellen. Homogenität, Typenstrenge, Klarheit und Entschiedenheit des gesetzgebungssystematischen Kontexts sind Forderungen, die sich mit der Kodifikationsidee eines allgemeinen Teils verbinden lassen469. Die Erweiterung der Gegenstände der Verwaltungsverfahrensgesetze um wesentlich staatsorganisationsrechtliche Regelungen kann in der verwaltungsverfahrensrechtlichen Perspektive fragwürdig erscheinen: Die Verwaltungsverfahrensgesetze versuchen das Staat-Bürger Verhältnis auf der Verwaltungsebene zu profilieren 470. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß sie das Innenrecht des Organisationsrechts weitgehend nicht zum Gegenstand ihrer Regelungen machen471. Die Abgrenzung zu ge467 Siehe aber die Kritik von Redeker, NJW1977,1183 f. an Esser 1977, S. 13 ff.; s. a. Kubier, JZ 1969,645 (649ff.). 468 Häberle 1977, S. 49; Bonk y in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn 1; Hill 1987, S. 11 ff., 29 spricht vom „Rahmen eines Verfahrensgesetzes"; S. 41: „Gegenwärtig werden weder das Verhältnis der Verwaltung zu den anderen Staatsfunktionen noch ihr eigenständiger Funktionsauftrag und ihre Legitimation im VwVfG ausreichend deutlich" (kursiv von Verf.). S.a. Bt-Drs. 7/910, S. 28 f., 41. 469 Vgl. Pitschas 1990, S. 627: „Die auf Typenstrenge bedachte rechtswissenschaftliche Kategoralisierung der staatlichen Gemeinschaftsprozesse trennt deshalb das (legislative) Normsetzungsverfahren nach Maßgabe der zur Richtschnur genommenen Entscheidungstypen von Norm und Einzelakt strikt vom verwaltungsbehördlichen Konkretisierungsprozeß". Vgl. allgemein zu rechtskulturellen Widerständen der Verrechtlichung von Normsetzungsverfahren oben bei FN 241 ff. 470 Zur Bedeutung des VwVfG und der Beamtengesetze für das Selbstverständnis des Amtswalters (etwa §§ 20 f. VwVfG, §§ 35 f. BRRG) als wichtigen Realfaktor der „personell-organisatorischen Legitimation** s. Schmidt-Aßmann 1998, Rn 87 S. 85. Stelkens, in Stelkens/Bonk/ Sachs 1998, VwVfG Einleitung Rn 13: VwVfG als Gesetz für den Staatsbürger. Entsprechend die Perspektive, die Ule, VSSR 8 (1980), 283 (287 ff.) beim Vergleich des Verwaltungsverfahrens nach dem Sozialgesetzbuch mit demjenigen nach dem VwVfG einnimmt. 471 Vgl. Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn215, 138. Ausnahmen: die Regelungen zur Amtshilfe (§§4-8 VwVfG, vgl. Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 4 Rn 3: Adressat alle Staatsorgane, Behörden und Gerichte, »Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Verwaltungs(verfahrens)rechts** [„Verwaltungs(verfahrens)-
Α. Administrative Normsetzung und Verwaltungsrecht
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richtsförmigen Verfahren ist ebenso erkennbar: Den Berührungspunkten des Verwaltungsverfahrensrechts zum Verwaltungsprozeß gelten Regelungen zur Rechtsstellung des Bürgers gegenüber der Verwaltung 472 . Deshalb könnte am bisherigen »gesetzgeberischen Ausdruck 4 der Abgrenzung zu administrativen, erst recht gouvernementalen Normsetzungsverfahren auch weiter festzuhalten sein 473 : Es mögen sich zwar durchaus Verbindungslinien zwischen parlamentarischen Normsetzungsverfahren und administrativer Normsetzung ziehen lassen 474 . Die gesetzgeberische Ordnung der Verfahrensgestalt der Verwaltung gegenüber dem Bürger hat mit solchen Verbindungslinien aber gerade nichts zu tun 475 . Solche Verbindungslinien sind vielmehr in der Funktion der (staats-) Verfahrens- und (staats-) organisationsrechtlichen Vorsorge für die rechtstatsächliche Gestalt (der gesetzesrechtlichen Vermittlung) der demokratischen Legitimation des Verwaltungshandelns begründet 476.
2. Verwaltungsverfahrensgesetze und Begriff des Verwaltungsverfahrens Dem gesetzgeberischen Willen, die Normsetzung durch die Verwaltung nicht zum Gegenstand einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Kodifikation zu machen, folgt eine verbreitete Auffassung in Lehre und Praxis, die die Vorschriften der §§ 9ff. V w V f G auch nicht als Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken auf die rechtsetzende recht 44 im Org.]); zur Tätigkeit der Ausschüsse (§§ 88-93 VwVfG, vgl. Bonk, in Stelkens/Bonk/ Sachs 1998, VwVfG § 88 Rn2: „Grundsätze der organschaftlichen Willensbildung [...] als annexe Materien des Verwaltungsverfahrensrechts 44), das Mitwirkungsverbot für ausgeschlossene und befangene Amtswalter (§§ 20f. VwVfG, vgl. hierzu Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn41), §§ 83-87 VwVfG zur Rechtsstellung des ehrenamtlich Tätigen; siehe auch § 3 VwVfG zur örtlichen Zuständigkeit. 472 Vgl. die §§ 50, 79f. VwVfG; Badura 1998, Rn 9f. zur materiellrechtlichen und zugleich verfahrensrechtlichen Doppelgesichtigkeit zahlreicher Vorschriften in den Verwaltungsverfahrensgesetzen; s. a. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG Einleitung Rn42. 473 S. etwa Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn273 zur Verordnungs- und Satzungsgebung: „Solche Regelungen enthielten auch Elemente des Verwaltungsorganisationsrechts (...) Insoweit ist ein Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung bisher nicht ersichtlich. Im übrigen müßten Regelungen über die Fehlerfolgen abstrakten Verwaltungshandelns aufgenommen werden; dazu gibt es bisher noch keine Fehlertypologie44 (die allgemein anerkannt wäre, so ders., a. a. O. Rn 142); vgl. auch Hill 1987, S. 28. 474 Vgl. Schmidt-Aßmann 1984, S. 24; Unterschiede betont Pietzcker, VVDStRL 41 (1981), S.225. 475 Häberle 1977, S. 49: „Das neue Verwaltungsverfahrensgesetz ist ein ,Bürgergesetz' in dem Sinne, daß es potentiell jeden Bürger und aktuell unzählig viele Bürger (nicht nur in »Massenverfahren 4) betrifft, weil sie im .allmächtigen4 Eingriffs- und Leistungstaat mit der Verwaltung viel zu tun haben44 (kursiv im Org.); fragwürdig insoweit die Übertragung der „das ordentliche Gesetzgebungsverfahren charakterisierenden Elemente des grundgesetzlichen Demokratiegebots44 auf die „Ausübung der exekutiven Normsetzung44 bei Pünder, ZG 13 (1998), 242 (254). 476 Zur Begründung s. oben bei FN 425 ff.
108
2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
Tätigkeit von Behörden anwendet477. Eine Regelung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen müßte also den Wortlaut des § 9 VwVfG bzw. entsprechender Landesgesetze ändern oder die Verwaltungsverfahrensgesetze um bestimmte Regelungen zur administrativen Normsetzung ergänzen. § 1 VwVfG ist eine Beschränkung der Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze über den Begriff der „Verwaltungstätigkeit" auf den reinen Gesetzesvollzug jedenfalls nicht zu entnehmen478. Es ist deshalb möglich, die verwaltungsverfahrensgesetzlichen Regelungen der „öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit der Behörden" (§ 1 Abs. 1 VwVfG) um diejenige des normsetzenden Verwaltungshandelns zu erweitern 479. Die kodifikatorische Wirkung der Verwaltungs Verfahrensgesetze auf das »allgemeine4 Verwaltungsverfahrensrecht als Rechtsform der „Verwaltung in Aktion"480 würde dadurch verstärkt. Diese Ausweitung der Kodifikationswirkung würde der weiten Auffassung zu den Gegenständen des Verwaltungsverfahrens als die „Tätigkeit der Verwaltungsbehörden im Blick auf die Art und Weise der Ausführungen der Gesetze einschließlich ihrer Handlungsform, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf 4481 , eher gerecht.
477 Vgl. Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn 141,136 ablehnend dazu, daß es sich bei den verwaltungsverfahrensgesetzlichen Regelungen um auf die Normsetzung übertragbare allgemeine Rechtsgedanken handele; s. a. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG Einleitung Rn 49. Dagegen Kopp 1991, VwVfG Vorbem. § 1 Rn40: für analoge Anwendung der §§ 17,19,20, 23, 71 und „wohl auch" 28 VwVfG auf Verordnungen und Satzungen, die örtlich-konkrete Regelunen treffen; gleichsinnig Hufen 1998 a, Rn452ff.; s. a. Kopp 1978, S. 390ff.; Kopp, BayVBl. 1980,97 (lOOf.). Zurückhaltend dagegen Kopp 1996, VwVfG Vorbemerkung § 1 Rn40, 22. 478 So, aber nicht überzeugend Birk, NJW 1977, 1797 (1798); wie hier Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn 118, wohl auch Scherer, DÖV 1991,1 (4). 479 Der weite Begriff des Verwaltungsverfahrens i. S. d. Art. 84 Abs. 1 GG läßt dies ohne weiteres zu, vgl. nur Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn21, 272f.; weiter Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs 1998, VwVfG § 1 Rn 118f.: „ Z u r Verwaltungstätigkeit zählt, wie Art. 84 Abs. 2 GG zeigt, auch der Erlaß von Verwaltungsvorschriften", Rn 141 : keine Einschränkung des Begriffs „öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit" durch § 9 VwVfG; s. a. dies., a. a. O., § 9 Rn 83ff. Zu den verschiedenen Begriffen des Verwaltungsverfahrens vgl. nur Hill 1986, S.5ff. 480 Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 153. 481 BVerfGE 75, 108 (152). Vgl. Pitschas 1990, S. 23 f. zum materiell-funktionalen Verfahrensbegriff: Erstreckung auf konkretes und abstraktes, externes und internes Verwaltungshandeln; Ehlers, Die Verwaltung 31 (1998), 53 (56) folgert aus der geringen Zahl von neueren veröffentlichten Gerichtsentscheidungen die „relativ geringe Relevanz des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts".
Α. Administrative Normsetzung und Verwaltungsrecht
109
3. Motive zur Erweiterung der Verwaltungs Verfahrensgesetze um die Regelung der administrativen Normsetzung Für den Bürger ist die Einheit des Staates die »Gestalt der Verwaltung*. Seine Vorstellung vom Verwaltungsstaat als an Gesetz und Recht gebundene Form eines Prozesses der Gemeinwohlfindung 482 wird durch die (Nach-) Lesbarkeit von Rechtssätzen, die in der Perspektive des Grundlagengesetzes verfaßt sind, gefestigt 483. Umgekehrt ist die Unmöglichkeit der Orientierung in der Vielfalt der verwaltungsrechtlichen Spezialgesetze und die Grenzenlosigkeit der Formen, in denen die Verwaltung dem Bürger gegenüber auftritt, eine von der unförmigen Gestalt der Verwaltung ausgehende Beunruhigung484. Möglicherweise bedarf es deshalb wirklich eines vervollständigten »Grundgesetzes4 für die aus Bürgersicht so übergewichtige und ihm den Staat vorstellende (Staats-) Gewalt der Verwaltung: Die Verwaltungsverfahrensgesetze würden die Gestaltungsaufgabe des »allgemeinen* Verwaltungs(verfahrens)rechts vollständiger darstellen, wenn sie die Verwaltungsverfahren zur Erzeugung solcher administrativer Grundprogramme in ihren Anwendungsbereich mitaufnehmen würden, die die abstrakt-generelle Steuerung des Verwaltungshandelns leisten sollen485. Dann könnte umfassend von einem Grundgesetz für die Verwaltung gesprochen werden, weil auch die die Einzelfallentscheidung grundlegend vorbereitenden, programmierenden Verwaltungsentscheidungen verwaltungsverfahrensrechtlich gestaltet würden. Es würde sich um eine Art Organisations gesetz des Verwaltungshandelns handeln, das mehr darstellt als ein Organisationsgesetz der Verwaltung486.
I I I . Die Aufgabe der Kodifikation des ,allgemeinen' Rechts Wesentliche Voraussetzung für eine Kodifikation ist die Abgrenzbarkeit ihres Rechtsgebiets. Die Hauptaufgabe moderner Kodifikationen ist dann darin zu sehen, einen möglichst dauerhaften und auch auf Flexibilität angelegten Ordnungsrahmen 482 Vgl. Lerche 1961, S. 61 ff., 162; Häberle, Rechtstheorie 14 (1983), 257 (272ff.): „Die 2. Gewalt ist Gemeinwohlverwaltung"; Häberle 1987, Rn55; Horn, Die Verwaltung 27 (1994), 545 (548 f.). 483 S. hierzu oben bei FN 418 ff. Zum Grundlagengesetz vgl. Hufen 1998 b, insb. S. 13 ff., 21 ff.; Ossenbühl DVB1. 1999,1 (4). 484 Vgl. das Forsthoff-Ziizi oben bei FN 71 ; weiter Hill 1987, S. 49: „Das Verhältnis des Bürgers zur Verwaltung formt sein Bild vom Staat"; vgl. auch Bt-Drs. 7/910, S. 29. 485 Zum Begriff des Verwaltungsverfahrens Bettermann, VVDStRL 17 (1959), S. 118 ff.; Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 153 ff.: „Das Verwaltungsverfahren ist die Verwaltung in Aktion. (...) Das öffentliche Recht ist (...) in seinem überwiegenden Teil verfahrensabhängig (...)". 486 S. a. SRU 1996, Tz. 848 mit der Forderung einer den §§ 145ff. ProfE entsprechenden („ohne Unterschied in der Sache") Regelung aller Verfahrensfragen in dem Verwaltungsverfahrensgesetz.
110 2. Teil: , Allgemein-gültige4 Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
für zukünftige Entwicklungen zu schaffen. Die Aufgabe der Kodifikation eines »allgemeinen* Teils des Rechts ist besonders kompliziert487. Die Möglichkeit der thematischen Begrenzung der Gesetzgebung an den Steuerungszwecken einer bereichsspezifischen Ordnungsvorstellung entfällt hier. Der Gesetzgebung eines allgemeinen Teils steht die finale Orientierung am abgrenzbaren Sachgebiet gerade nicht zur Verfügung: Ihre kodifikatorische Aufgabe besteht in der Leistung rechtlicher Allgemeinheit, die über die instrumenteile Aufgaben- und Zweckorientierung des Fachrechts hinausweisen soll. Also ist die Abgrenzbarkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit des gesetzgeberischen Gegenstandes unter rechtsund gesetzgebungssystematischen Gesichtspunkten entscheidend488. Die Entscheidung darüber, was aus Gründen seiner systematischen Allgemeinheit durch Gesetz ,allgemein-gültig* festgesetzt und gesetzesrechtlich in der (Ausdrucks·) Form eines bestimmten Gesetzgebungswerks dargestellt werden soll, stellt andere Anforderungen an ihre Begründung als die Entscheidung darüber, was bei einem konkreten Sachgebiet geregelt werden sollte oder wenigstens könnte. Den zweiten Fall entscheidet der Gesetzgeber vor allem nach sachpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen. Die Kodifikation eines »Allgemeinen Teils* des Rechts bedeutet demgegenüber den Vollzug einer rechtspolitischen Gestaltungsentscheidung auf der allgemeinen Systemebene des Rechts489. Die damit verbundene Abstraktionshöhe seiner Regelungen bedingt weitgehende Generalisierungen490. Auch deshalb ist ein gestalterisches Moment die Konsequenz jeder allgemeinen Kodifikation. Zugleich liegt hierin das Motiv der rechtspolitischen Bemühung um allgemeine Gesetzgebung491: Denn die bloße Zusammenfassung und gesetzesrechtliche Verfestigung von allgemein anerkannten Lehrsätzen ist angesichts der möglichen Behinderung der 487
Vgl. UGB-KomE 1998, S. 73 f.; Kloepfer, DÖV 1995, 745 (747ff.); s. a. Sendler 1999, S. 26ff.; Hansmann 1992, S. Ν 9ff.; Dolde 1992, S. Ν 33 ff. 488 Die verwaltungs(verfahrens)rechtliche Abgrenzbarkeit ist bei einem wirklich allgemeinen Rechtsetzungs(organisations)recht der untergesetzlichen Normsetzung wegen des fließenden Übergangs ins Staatsrecht zweifelhaft, siehe näher oben bei FN 468 ff. 489 Näher dazu oben bei FN 298 ff. 490 Vgl. etwa Hill, Jura 1986, 57 (64). 491 Vgl. Sendler 1999, S. 27: „bereits in der systematisierenden Vereinheitlichung kann man Innovation sehen, weil auch die einmalige Einbettung in einen Systemzusammenhang innovativ die durch das System geprägten Vorschriften und deren Auslegung beeinflußt. (...) Im Umweltrecht kann man sich allerdings mit der gleichsam bescheidenen Methode des bloßen Abschreibens und allenfalls Neuordnens des verstreuten Rechts nicht begnügen44; Kloepfer, DÖV 1995, 745 (750) zum Anliegen des allgemeinen Teils des UGB (,»Professorenentwurf') durch die Akzentuierung der indirekten Steuerung und Präventionsorientierung eine Modernisierung des umweltrechtlichen Steuerungsinstrumentariums zu erreichen sowie ders. in Podiumsdiskussion UGB-KomE 7999, S. 403 f.; aus Sicht der Wirtschaft Kreklau 1999, S. 351: „Anforderungen müssen (...) der Fähigkeit ihrer Adressaten angemessen sein. Sie müssen über das bisherige Maß hinaus motivierend wirken (...)44; interessant der Hinweis aus Sicht der Politik von Merkel, wörtlich aufgenommen unten in FN 730. Aufschlußreiche Systematisierung von 15 Kodifikationskriterien einer Gesetzgebung des UGB-KomE bei Storm, NVwZ 1999, 35 (36ff.).
Β. Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein
111
Rechtsfortbildung durch Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, die von einer Kodifikation ausgehen kann, kaum gerechtfertigt 492.
B. Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein als Modell einer verwaltungsverfahrensgesetzlichen Regelung der administrativen Normsetzung? Das Land Schleswig-Holstein hat die administrative Normsetzung zum Gegenstand seiner Gesetzgebung zum allgemeinen Verwaltungsrecht erhoben493. Die §§ 53-71 LVwG Schleswig-Holstein sind systematisch der Regelung des „Verwaltungshandelns" und dort im „Abschnitt I" den „Allgemeinen Vorschriften" zugeordnet. Die übrigen Landesverwaltungsverfahrensgesetze sind dem Beispiel dieses Gesetzes ebensowenig gefolgt wie das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz.
I. Hintergründe Das LVwG Schleswig-Holstein sollte den Formenreichtum der untergesetzlichen Rechtsvorschriften auf zwei klar definierte Formen der Satzung und der (Rechts-) Verordnung zurückführen. Der Begriff der Verordnung wird der ermächtigungsabhängigen Rechtsetzung vorbehalten (Art. 80 GG bzw. Art. 38 Landesverfassung Schleswig-Holstein), um die ermächtigungsunabhängige materielle Gesetzgebung der Verwaltung durch Verwaltungsverordnungen oder sonstige Mischformen auszuschließen. Deshalb hielt der historische Gesetzgeber die Begriffsverwendung der Rechts- Verordnung für entbehrlich. Satzung und Rechtsverordnung waren in Schleswig-Holstein selbstverständlich auch schon vor Erlaß des LVwG eingeführte Formen der Rechtsetzung. Ihre Bestandsaufnahme soll ein „buntes Bild von Einzelregelungen in verschiedenen Rechtsgebieten, (mit) viele(n) Lücken und Unsicherheiten" ergeben haben. Für den Landesgesetzgeber stand deshalb die Bemühung um Rechtsklarheit und Publizität im Vordergrund 494. Ein Blick auf die einzelnen Regelungen dieses Gesetzes zeigt, daß seine Formungsleistung hinsichtlich der heute wahrgenommenen Defizite der administrativen Normsetzung als relativ bescheiden bewertet werden muß495. Dies ist nicht weiter 492 Vgl. die Bedenken gegenüber der Ausweitung der Regelungsstände eines VwVfG in BtDrs. 7/910, S.41. 493 §§53-71 Landesverwaltungsgesetz (LVwG) Schleswig-Holstein. 494 Vgl. zum vorstehenden und für das Zitat Klappstein/von Unruh 1987, S. 182ff. m. N., die dem LVwG in diesen Bemühungen wohl Erfolg bescheinigen; weiter Klappstein 1994, S. 1 ff.; Schwarz 1987, S. 22ff.; Erichsen 1987, S. 33ff. S. a. Hill 1987, S. 10. 495 Stichworte: Zeitoffenheit von Rechtsetzung und Rechtsanwendung, demokratische Legitimationsstörung durch Entstaatlichung der Normsetzung, wenig transparente Formen der Beteiligung Privater, parlamentsgesetzlich weitgehend nicht determinierte unteigesetzliche Normsetzung, normgeberisches Ermessen und Fehlerfolgenlehre, Implementations- und Evaluations-
112 2. Teil:, Allgemein-gültige4 Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
verwunderlich: Das LVwG Schleswig-Holstein trat am 1.1.1968, also knapp zehn Jahre vor dem Bundesverwaltungsverfahrensgesetz, in Kraft. Die Regelungen des LVwG können als Textstufe der Entwicklung eines administrativen Normsetzungsrechts dennoch von Interesse sein.
II. Einzelne Regelungen 1. Begriff der Rechts Verordnung § 53 LVwG definiert den Begriff der Verordnung (gemeint ist die Rechts Verordnung496) als „eine Anordnung an eine unbestimmte Anzahl von Personen zur Regelung einer unbestimmten Anzahl von Fällen, die auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung von Landesbehörden oder Behörden der Gemeinden, Kreise und Ämter in den ihnen zur Erfüllung nach Weisung übertragenen Angelegenheiten getroffen wird". Diese Vorschrift begrenzt den Anwendungsbereich der Verordnungsgebung auf zweifelhafte Weise dadurch497, daß die gesetzesdefinierte Form der Rechtsverordnung nur als abstrakt-generelle Ausdrucksform einer rechtsverbindlich inhaltlichen Anordnung in Betracht kommt. Die Definition des Begriffs der Rechtsverordnung erscheint heute generell überflüssig 498.
2. „Landesverordnungen" § 54 LVwG regelt „Landesverordnungen", die als Rechtsverordnungen499 von den Landesbehörden erlassen werden, gesondert500: Die Rechtsetzung von Landesbehörden auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit soll nur im Benehmen mit dem fachkontrolle. Siehe dazu oben bei FN 224 ff. Vgl. auch Erichsen 1987, S. 34: „im LVwG verwirklichte Konzept (...) durchaus nicht vom ,Mut zur Zukunft* und Gestaltungswillen geprägt". 496 Diese Begrifflichkeit entspricht der deutschen Praxis, vgl. Schneider 1991, Rn230: Allgemein verbindliche Festlegungen - zumeist Regelungen - als „Verordnungen". 497 Vgl. Foerster, LVwG, § 53, unter 2, dort auch Hinweise zum Verständnis der Allgemeinverbindlichkeit zur Abgrenzung der „sonstigen allgemeinverbindlichen Anordnungen nach § 64 LVwG Schleswig-Holstein"; siehe zu § 64 LVwG auch Klappstein/von Unruh 1987, S. 184. 498 Schmidt-Aßmann 1998, Rn75 S. 274 f. zu Rechtsverordnungen und Satzungen: „Ihre äußeren Merkmale, ihr Verhältnis zum Gesetz und die Fragen ihrer gerichtlichen Kontrolle können unbeschadet einzelner Streitfragen für den Augenblick als geklärt gelten"; s. aber auch Heckmann 1997, S. 1 f. bzw. Schilling 1994. Zum Begriff der Rechtsverordnung von Danwitz 1989, S. 22ff., 26ff., zum Rechts(norm)begriff pragmatisch Heckmann 1997, S. 23 ff., 27 ff. 499 Die Rechtserzeugung von Verordnungen koppelt das LVwG Schleswig-Holstein an die Ermächtigung nach Art. 34 LS Schleswig-Holstein. Die schleswig-holsteinischen „Verordnungen" sind deshalb als Rechtsverordnungen im Sinne des Art. 80 GG zu verstehen. Ermächtigungsunabhängige Verwaltungsverordnungen und Mischformen sollte die gewählte Regelungstechnik für die Zukunft ausschließen, vgl. Klappstein/von Unruh 1987, S. 183, die als Beispiel für eine solche Mischform die DVO zur Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein v. 12.9.1959 - GVOB1. SH S. 177 - anführen. 500 Vgl. Foerster, LVwG, § 54, unter 1.
Β. Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein
113
lieh zuständigen Minister und dem Innenminister möglich sein, „soweit nichts anderes bestimmt ist". Immerhin handelt es sich hierbei um das Beispiel einer Vorschrift, die mittels einer Verfahrensregelung, nämlich der Anordnung eines verwaltungsinternen Mitwirkungserfordernisses, den Rechtsetzungsprozeß steuert. Ihre Funktion ist die Gewährleistung einer politisch einheitlichen Rechtslage auf dem für besonders wichtig erachteten Politikfeld der Sicherheitspolitik. Diese Regelung mag als Verfahrensregelung zur Organisation der (Landes-) Verwaltung in Aktion501 eine sinnvolle Generalisierung darstellen. Dennoch dürfte ihr Ort in einer dem Sicherheitsrecht gewidmeten Kodifikation, also auf gesetzgebungssystematisch mittlerer Abstraktionsebene besser gewählt sein: Dort ist der jeweiligen sicherheitsrechtlichen Aufgabenstellung durch die Anordnung von internen Mitwirkungspflichten und -kompetenzen gesondert Rechnung zu tragen. Ihre konkrete gesetzliche Bestimmung muß im Fachgesetz geleistet werden und kann dort zusammen mit der Ermächtigung auch übersichtlicher (nach)gelesen502 werden. Die kodifikatorisch formale Ausdrucksform des allgemeinen Rechts hat hier angesichts der materialen Prägung des Fachrechts keinen eigentlichen Wert der gesetzesrechtlich allgemein-einheitlichen Ordnung und Darstellung des Rechts: Denn es kommt eben darauf an, ob „nichts anderes bestimmt ist": Organisationsrecht konstituiert die Organisation der Verwaltung aufgaben- und zweckbezogen. Die Organisation des Staates durch Organisations recht ist die rechtlich allgemeine Struktur, die für das ganze Staatshandeln gilt. Diese Eigenart drückt das Benehmenserfordernis „soweit nichts anderes bestimmt ist" rechtlich aus. Es betont die politische Verantwortlichkeit der Staatsleitung für die Gesetzeslage auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts. In dieser verantwortungsbetonenden Deutung kommt dem Benehmenserfordernis die weitere Funktion der politischen Einheitsbildung zu, dem Bürger die Verwaltung rechtspolitisch einheitlich »vorzustellen*503. Denn die vom Benehmen des Ministers abhängige Gesetzesrechtserzeugung durch Verwaltungsbehörden betont gegenüber dem Bürger, daß alles Verwaltungshandeln in den politisch-rechtlich bestimmten Rahmen einer durch die Wahlentscheidung des Volkes einheitlich legitimierten Staatsorganisation gestellt ist. Interessant ist § 54 Abs. 3 LVwG 504 : Die Norm begründet ein umgekehrtes Mitwirkungsrecht des Parlaments an der Verordnungsgebung. Die zuständige Behörde ist auf Verlangen des Landtags zur Kassation der Rechtsverordnung verpflichtet. Die Vorschrift befindet sich auf mittlerem Abstraktionsniveau (Fachrecht der öffentlichen Sicherheit, Bergrecht) und hat offenbar „bisher keine praktische Auswirkung erlangt". Aufgrund der jederzeitigen Möglichkeit eines nachträglichen Eingriffs des 501
Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 153. Vgl. zur Bedeutung der (Nach-) Lesbarkeit von Rechts Sätzen oben bei FN 483 und FN418ff. 503 Vgl. Schulze-Fielitz 1997, S. 230ff. eher skeptisch zur Einheit der Verwaltung: „Einheit der Verwaltung als Mythos"; Groß 1999, S. 173. S. a. oben bei FN 482. 504 ,Landesverordnungen über die öffentliche Sicherheit mit Ausnahme der Verordnungen der Bergbehörden sind auf Verlangen des Landtages aufzuheben". 502
8 Gößwein
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2. Teil:, Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
Landtags dürfte dieser Regelung aber indirekt der Effekt vorgängiger und begleitender Kontrolle zukommen505.
3. Kommunale Rechts Verordnungen § 55 LVwG behandelt „Kreis-, Stadt-, Gemeinde- und Amts Verordnungen". Neben der Bestimmung des zuständigen kommunalen Organs, wird eine Vorlagepflicht vor Erlaß gegenüber der jeweiligen kommunalen Vertretungskörperschaft oder gegenüber dem Amtsauschuß oder Magistrat angeordnet. Rechtsverordnungen über die öffentliche Sicherheit der Kreise und der Städte mit mehr als 20000 Einwohnern bedürfen der Genehmigung des Innenministers, die der übrigen Verwaltungsträger derjenigen des Landrats, § 55 Abs. 3 LVwG. Die Vorschrift behandelt Zuständigkeitsund aufsichtliche Verfahrensfragen im Kontext des Kommunalrechts und des Rechts der öffentlichen Sicherheit, die ihren richtigen Regelungsort in den entsprechenden Spezialgesetzen haben. § 63 LVwG behandelt eine Spezialität: die Wirkung von Gebietsänderungen auf die Geltung von Rechtsverordnungen. Doch auch hier gilt: „Abweichende Regelungen durch Gesetz bleiben unberührt"506.
4. Regelung von Selbstverständlichkeiten Einige Vorschriften befassen sich mit Selbstverständlichkeiten: § 57 „Verbot des Widerspruchs mit anderen Rechtsvorschriften"; § 58 Abs. 1: „Verordnungen müssen in ihrem Inhalt bestimmt sein"; § 67 Abs. 1: „Satzungen dürfen keine Bestimmungen enthalten, die mit Gesetzen oder Verordnungen im Widerspruch stehen" bzw. Abs. 2: „Satzungen müssen in ihrem Inhalt bestimmt sein"507 oder Abs. 3: „Geldbußen oder Zwangsgeld dürfen in Satzungen nur angedroht werden, soweit dies durch Gesetz zugelassen ist".
5. Form und Veröffentlichung von Rechts Verordnungen und Satzungen (nicht Verwaltungsvorschriften) Es bleiben Bestimmungen, die in der Tat für alle Normen beachtliche Anforderungen formulieren. Sie sind wenig spektakulär. Ihre praktische Bedeutung sollte im wesentlichen darin bestehen, „daß allgemein gültige Mindestanforderungen an (...) die Form (...) festgelegt werden und die Veröffentlichung an allgemein gültige gleich505 vgl Foerster, LVwG, § 54, unter 3. 506 § 63 Abs. 4 LVwG Schleswig-Holstein. 507 An der Schwierigkeit, dasrichtigeMaß inhaltlicher Bestimmtheit angesichts je unterschiedlicher Eigenarten des zu ordnenden Lebenssachverhalts und unterschiedlicher Normzwecke zufinden, führt diese Norm nicht vorbei. Vgl. zu letzterem nur Hill 1990, D91; zum weiteren Kontext der Determinationskraft von Gesetzen Schulze-Fielitz 1988, S. 136ff.
Β. Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein
115
508
mäßige Bekanntmachungsformen gebunden wird" . Dennoch kann auf den Zusatz „abweichende Vorschriften bleiben unberührt" häufig nicht verzichtet werden.
Als Beispiele: § 56 „Form der Verordnungen"509 (1) Verordnungen müssen 1. als Landes-, Stadt-, Gemeinde-, Kreise- oder Amtsverordnungen in der Überschrift gekennzeichnet sein, 2. die Gesetzesbestimmungen angeben, welche die Ermächtigung zum Erlaß der Verordnung enthalten. 3. auf die erteilte Genehmigung, Zustimmung oder das Einvernehmen mit anderen Stellen hinweisen, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist; im Falle des § 55 Abs. 4 S. 2 ist darauf hinzuweisen, daß es sich um eine dringliche Verordnung handelt, 4. das Datum angeben, unter dem sie ausgefertigt sind, und 5. die Behörde bezeichnen, die die Verordnung erlassen hat. (2) Verordnungen sollen 1. in der Überschrift ihren wesentlichen Inhalt kennzeichnen und 2. den örtlichen Geltungsbereich angeben; ist der Geltungsbereich nicht angegeben, so gelten die Verordnungen für den gesamten Bezirk der erlassenden Behörde. § 60 Amtliche Bekanntmachung510 (1) Landesverordnungen sind im Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein zu verkünden. (2) Stadt-, Gemeinde-, Kreis- und Amtsverordnungen sind örtlich zu verkünden. (3) Bei Gefahr im Verzuge kann die Verkündung durch Bekanntmachung in Tageszeitungen, im Rundfunk, im Fernsehen, durch Lautsprecher oder in anderer, ortsüblicher Art ersetzt werden (Ersatzverkündung). Die Verordnung ist sodann unverzüglich nach Abs. 1 oder 2 bekanntzumachen. Hierbei sind der Zeitpunkt und die Art der Ersatzverkündung anzugeben. § 61 Inkrafttreten (...)
508 Ygi Foerster, LVwG, § 65, unter 1. Das Zitat ist auf Satzungen bezogen, so? Die entsprechende Vorschrift für Satzungen lautet: § 66 „Form der Satzungen": ,Abs. 1: Satzungen müssen 1. in der Überschrift als Satzung gekennzeichnet sein, 2. die Rechtsvorschriften angeben, welche zum Erlaß der Satzung berechtigen, 3. auf die erfolgte Beschlußfassung, Genehmigung, Zustimmung oder das Einvernehmen mit anderen Stellen hinweisen, soweit diese durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben sind, 4. das Datum angeben, unter dem sie ausgefertigt sind, und 5. den Träger der öffentlichen Verwaltung bezeichnen, der die Satzung erlassen hat. Abs. 2: Satzungen sollen 1. in der Überschrift ihren wesentlichen Inhalt kennzeichnen und 2. bei Gemeinden, Kreisen und Ämtern den örtlichen Geltungsbereich angeben; ist der Geltungsbereich nicht angegeben, so gelten die Satzungen für deren gesamten Bezirk". 510 Die entsprechende Vorschrift für Satzungen lautet: § 68 „Amtliche Bekanntmachung": „Satzungen sind bekanntzumachen. Sofern sich ihr Geltungsbereich auf das ganze Land erstreckt, sind sie im Amtsblatt für Schleswig-Holstein bekanntzumachen. Beschränkt sich der Geltungsbereich auf einen Teil des Landes, so genügt eine örtliche Bekanntmachung; abweichende Rechtsvorschriften bleiben unberührt. § 60 Abs. 3 gilt entsprechend". 8*
116 2. Teil: »Allgemein-gültige4 Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung? § 62 Geltungsdauer (1) Verordnungen sollen, soweit der Gegenstand der Regelung es zuläßt, ihre Geltungsdauer angeben. (2) Verordnungen über die öffentliche Sicherheit dürfen ihre Geltungsdauer nicht über zwanzig Jahre hinaus erstrecken. Verordnungen, die nicht für eine kürzere Geltungsdauer erlassen sind, verlieren zwanzig Jahre nach Inkrafttreten ihre Gültigkeit. §67 Abs. 4: Satzungen der Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts dürfen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur innere Organisationsregeln sowie Benutzungs- und Abgaberegelungen enthalten. § 62 LVwG berührt das moderne Thema der Vorschriftenbereinigung und Revision von Rechtsvorschriften. Die maximale Geltungsdauer der Rechtsverordnungen von zwanzig Jahren ist aber so außerordentlich lang gewählt, daß die praktische Bedeutung und disziplinierende Funktion dieser Vorschrift zu vernachlässigen sein dürfte 511 . Die Vorschrift des § 67 Abs. 4 LVwG grenzt den möglichen Satzungsinhalt nicht sehr wirkungs- und bedeutungsvoll ein, denn es kommt eben generell auf die anderweitige gesetzliche Bestimmungen zur Satzungsautonomie512 an. Sie will für sich auch nicht zur Regelung der eingeschlossenen Tatbestände ermächtigen. Bemerkenswert ist allerdings die implizite Entscheidung des schleswig-holsteinischen Gesetzgebers, daß die Außenwirkung nicht begriffswesentlich für die Satzung ist 513 .
6. Verweisungen und Bewilligungsrichtlinien Zwei Vorschriften des LVwG äußern sich zu auch heute noch als besonders problematisch wahrgenommenen Themenkreisen 514 . Zu nennen sind die §§58 Abs. 2 und 3 sowie 71 LVwG. § 58 Abs. 2 und 3 LVwG widmet sich der Regelungstechnik der Verweisung, § 71 LVwG äußert sich zu einem Teilproblem der Verwaltungsvorschriften. 511
Vgl. dagegen die Prüfungsintervalle des UGB-KomE 1998, weiter unten bei FN 753 und FN 830. 512 In § 44 und 45 LVwGfinden sich zusätzlich Regelungen. Vgl. Foerster, LVwG, § 68 unter 6. 513 Vgl. dazu m. N. Foerster, LVwG, § 68, unter 6; vgl. Schmidt-Jortzig, ZG 1987,193(196f.) mit Beispielen für Satzungsarten des Innenrechts. 514 § 64 LVwG: „Sonstige allgemeinverbindliche Anordnungen44 lautet: „Soweit auf Grund von Rechtsvorschriften Behörden allgemeinverbindliche rechtswirksame Festsetzungen, Bekanntmachungen oder sonstige Anordnungen erlassen dürfen, gelten § 56 Abs. 1 Nm. 3,4 und 5 und Abs. 2 sowie § 58 Abs. 1 und 2 entsprechend. Sie müssen auf die Rechtsvorschriften Bezug nehmen, die die Ermächtigung enthalten. Für die Bekanntmachung gilt § 60 Abs. 2 und 344, siehe dazu Klappstein/von Unruh 1987, S. 184: Normentyp sei vom Bundesrecht damals vorgegeben gewesen; Unklares zum Rechtsinstiut in der Abgrenzung zur Rechtsverordnung und Allgemeinverfügung bei Foerster, LVwG, § 64.
Β. Das Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein
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§ 58 „Inhalt der Verordnungen" (DC·.) (2) Verweisungen auf Bekanntmachungen, Festsetzungen oder sonstige Anordnungen außerhalb von Gesetzen und Verordnungen sind unzulässig, soweit diese Anordnungen Gebote oder Verbote von unbeschränkter Dauer enthalten. (3) Soweit Verordnungen der obersten Landesbehörden oder der Landesoberbehörden bauliche sowie sonstige technische Anlagen oder Geräte betreffen, kann in ihnen hinsichtlich der technischen Vorschriften auf Bekanntmachungen besonderer sachverständiger Stellen hingewiesen werden. Solche Bekanntmachungen werden mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt für Schleswig-Holstein rechtsverbindlich. Auf die Veröffentlichung ist im Gesetzund Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein hinzuweisen. §71,3ewilligungsrichtlinien" Für Anordnungen einer Behörde, die für eine unbestimmte Anzahl von Fällen Voraussetzungen und Umfang der Leistungen eines Trägers der öffentlichen Verwaltung an den Einzelnen festlegen (Bewilligungsrichtlinien), gilt § 68 515 entsprechend. Die zuletzt zitierte Regelung 516 soll sich in der Praxis nicht durchgesetzt haben. Bei ihrem Erlaß ist in erster Linie an Subventionen gedacht worden. Die Praxis der Veröffentlichungen betrifft regelmäßig nicht die Leistung selbst, sondern, zum Teil sogar ausschließlich, mit ihr zusammenhängende Verfahrensregeln. Zur Frage der rechtlichen Bedeutung solcher Bewilligungsrichtlinien sollte nicht Stellung genommen werden. Die Bedeutung dieser Regelung soll darin bestehen, diesen sensiblen Bereich des Verwaltungshandelns einem Publizitätszwang zu unterwerfen, der eine bürgernahe und bürgerfreundliche Verwaltung verwirklichen helfen soll 517 . Der Beitrag dieser Vorschrift in diese Richtung wird als gering eingeschätzt, denn sie ist seit Erlaß des Gesetzes nicht oft angewandt worden 518 . 515
Für den Text der Vorschrift siehe oben in FN 510. Vgl. zum folgenden Foerster, LVwG, § 71. 517 Foerster, LVwG, § 71 unter 2.: „Das ist für die Auslegung des Begriffs der (veröffentlichungsbedürftigen) Bewilligungsrichtlinien zu beachten (...) Publizität der Bewilligungsrichtlinie solle dem Bürger zugute kommen und es ihm ermöglichen, die Entscheidung der Verwaltung nachzuprüfen und auch ggf. vor Gericht sein Recht besser suchen zu können. (...) Es sei bisher eine unerfreuliche Lage für den Bürger, wenn er vor Gericht um eine Subvention kämpfe, auf die er nach dem Gleichheitssatz Anspruch habe, und dabei den Inhalt der maßgeblichen Richtlinien nicht kenne und nicht beweisen könne. Deshalb müßten Bewilligungsrichtlinien für Subventionen veröffentlicht werden. Die Bestimmung verpflichte die Verwaltung jedoch nicht, Richtlinien zu erlassen, und es bleibe ihr auch unbenommen, der Behörde in den Richtlinien einen Ermessensspielraum oder Beurteilungsspielraum einzuräumen (...)". Dieses gesetzgeberische Ziel hätte auch durch Einräumung eines Akteneinsichtsrechts erreicht werden können. Foerster bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit solcher Bewilligungsrichtlinien unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehalts, führt aber weiter aus: „Auf der anderen Seite bringt diese Vorschrift aber für die Behörde eine neuartige und unter Umständen auch aufwendige Methode, weil veröffentlichte Regelungen erfahrungsgemäß starrer sind und nicht so leicht geändert und damit den Verhältnissen angepaßt werden können. Es bleibt der Verwaltung überlassen, ob sie (...) Richtlinien solcher Art überhaupt erläßt. Insofern könnte die Bestimmung im Ergebnis auch zum Nachteil des rechtssuchenden Bürgers ausschlagen" (kursiv im Org.). Anders Rogmann 1998, S. 55: Bekanntgabe- bzw. Veröffentlichungsinteresse des Staates bei Subventionsrichtlinien („um damit Betroffene zu dem gewünschten Verhalten zu motivieren"). 518 Foerster, LVwG, § 71, unter 4. 516
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2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
III. Bewertung Das LVwG Schleswig-Holstein stellt zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung einige Grundregeln zur administrativen Normsetzung unter dem Titel „Verwaltungshandeln" in den Regelungszusammenhang eines allgemeinen Verwaltungsgesetzes. Bis auf die vereinzelte Normierung von Vorlage-, Anzeige- und Genehmigungspflichten lassen sich hier keine Verfahrensregelungen im eigentlichen Sinne nachweisen519. Die interne Mitwirkung staatlicher Stellen ist staatsorganisationsrechtlich motiviert. Ihr geht es um die kompetenzrechtliche Sicherstellung politisch-rechtlicher Verantwortlichkeiten. Die Mitwirkung wird nicht angeordnet, um eine funktions- und organadäquate Organisation der Normsetzung und dadurch möglichst optimal ergebnisrichtige Entscheidungen über Normsetzung zu gewährleisten520. Die Bedeutung der formellen Organisation des Entscheidungsverfahrens für die materielle Qualität der Entscheidung selbst hat das LVwG Schleswig-Holstein für die exekutiven Normsetzungsverfahren nicht thematisieren wollen521. Diese Sichtweise prägt auch noch ein dem Entstehungsprozeß des LVwG gewidmetes Werk mit dem Titel „Rechtsstaatliche Verwaltung durch Gesetzgebung" von 1987522: Dort wird das Verfahrensrecht erst nach dem Recht der Verordnungs- und Satzungsgebung behandelt. Das entspricht auch systematisch dem Gesetzesaufbau des LVwG. Das „Verwaltungsverfahren" wird dort unter der Ziffer (II.) 523 systematisch innerhalb des vierten Titels: „Verwaltungshandeln durch Verwaltungsakt und öffentlich-rechtlichen Vertrag" in den §§ 74-105 LVwG geregelt. Das LVwG zeigt sich gegenüber dem Verfahrensgedanken nicht aufgeschlossen: Die Möglichkeit eines Verfahrensrechts, das den progressiv-sequentialistischen Charakter von Verfahren zu einem Entscheidungsformungsrecht ausbaut und dabei auf die unterschiedlichen Herstellungsbedingungen und normativen Wirkungsebenen der untergesetzlichen Normsetzung eingeht, ist in die gesetzgeberische Vorstellung über administrative Normsetzung nicht eingegangen. Dies gilt auch für den feinsinnigen Gedanken der staatlichen (Vor-) Sorge für eine dem konkreten Entscheidungsgegenstand angemessene Verfahrenskultur, was gestufte Entscheidungsverfahren und insgesamt ein Arrangement multifunktioneller und interdependenter Verfahrensnormen nahelegen kann524. Das 519
Vgl. oben das Zitat von BVerfGE 75,108 (152) bei FN481; s. zu einem moderneren Verfahrensrechtsverständnis unten die Nachweise in FN 1065 f. 520 S. oben bei FN 503. 521 Insofern überschätzt Schmitt Glaeser 1977, S. 31 ff., 39 den von ihm angenommenen Nachteil, daß die Bundesgesetzgebung dem Beispiel des LVwG Schleswig-Holstein hinsichtlich der Normsetzung nicht gefolgt ist. 522 Klappstein/von Unruh 1987. 523 Vorher: „I. Allgemeine Grundsätze": § 72: „Grundsatz der Gesetzmäßigkeit" und § 73: „Ermessen". 524 Siehe etwa AforM 1988, S. 215 f. und oben bei FN 337 ff., 364,388. Weiter Pünder, ZG 13 (1998), 242 (251 ff.); Schmidt-Aßmann 1993, S. 57f.: „Für alle Arten administrativer Normen beachtlich ist femer die Verarbeitung jener Vorstufen, in denen der Entwurf unter Einbeziehung der Öffentlichkeit oder Interessen- oder Sachverständigengruppen erarbeitet wird. Eine ange-
C. Öffentlichkeitsbeteiligung für jeden Fall der Verordnungsgebung als Modell?
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komplexe Thema der Öffentlichkeitsbeteiligung und sachverständigen Beratung ist ganz ausgespart. Die Regelungen des LVwG im zweiten Abschnitt sind Vorschriften zur Normsetzung ohne eigentliches Verfahrensrecht. Verfahrensanforderungen mit ihrer notorisch525 hohen Fehleranfälligkeit werden nicht in Kraft gesetzt, so daß sich die Frage der Notwendigkeit einer ergänzenden Regelung ihrer Fehlerfolgen nicht stellt. Die Behandlung der Verwaltungsvorschriften in § 71 LVwG Schleswig-Holstein ist unsicher und auf eine Detailfrage beschränkt. Die Vorschriften des LVwG Schleswig-Holstein sind eine historische Leistung des schleswig-holsteinischen Landesrechts. Sie haben die allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetzgebung eingeleitet. Ihre Regelungen sind aber angesichts des erreichten Standes von Wissenschaft und Praxis nicht geeignet, als Modell einer gesetzlichen Regelung des administrativen Normsetzungsrechts zu dienen.
C. Gesetzgebungsvorschlag zur allgemeinen Öffentlichkeitsbeteiligung für jeden Fall der Verordnungsgebung als Modell? Hermann Pünder 526 hat in Anlehnung an das amerikanische Regelungsmodell des rulemaking einen Gesetzgebungsvorschlag für die deutsche Rechtsordnung präsentiert, der sich allerdings (nur) auf den Verordnungserlaß bezieht und dabei ausschließlich auf das Thema der Öffentlichkeitsbeteiligung zugeschnitten ist527: „(1) Jeder Interessierte kann sich am Erlaß einer Verordnung beteiligen. (2) Der Verordnungsgeber muß einen Verordnungsentwurf in einem amtlichen Publikationsorgan veröffentlichen. Er muß dabei die Bedeutung der vorgesehenen Regelung erklären und mitteilen, aufgrund welcher Ermächtigungsnorm er den Verordnungserlaß plant, wie sich Interessierte am Verordnungserlaß beteiligen können, welchen Inhalt die Verordnung haben soll und auf welche sachlichen Grundlagen er den Verordnungsentwurf stützt. (3) Jeder Interessierte kann dem Verordnungsgeber innerhalb einer angemessenen Frist Informationen zum Regelungsproblem übermitteln und Vorschläge und Stellungnahmen zum Verordnungsentwurf vortragen (Eingaben). In der Regel erfolgt die Beteiligung schriftlich. Der Verordnungsgeber kann eine öffentliche Anhörung durchführen.
messene Verfahrenslehre für diese vorlaufenden Verfahren ist eine wichtige Aufgabe des Verwaltungsrechts, die auch Erscheinungen konsensualer Normsetzung mit einzubeziehen hat". 525 Hierzu Morlok 1988, S. 25ff., 97ff. m. N., sowie Hill 1990, D23 in FN 9; Gaentzsch, DVB1. 1985, 29ff.; s. a. oben das Zitat von Bonk in FN 473. 526 Pünder 1995, S. 293f. 527 Pünder, ZG 13 (1998), 242 (250, 253f.). Zustimmung zur gegenständlichen Begrenzung bei Lübbe-Wolff,\ NVwZ 1998, 598 (598). Frankenberger 1998, S. 28 hält den Rechtsvergleich mit Kanada für fruchtbarer: ein „Deutschland verwandteres System als die USA", s. a. dies., a. a. O., S. 111. Zu US-amerikanischen Verwaltungsverfahren, Verordnungsgebung und Einzelfallentscheidung einführend Brugger 1993, S. 190ff.
120 2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung? (4) Alle Eingaben sind der Öffentlichkeit zugänglich. Der Verordnungsgeber muß sie bei der Entscheidungfindung berücksichtigen. (5) Die Verordnung ist mit Gründen zu versehen. Der Verordnungsgeber soll in der Begründung auf die wichtigsten Eingaben inhaltlich Bezug nehmen." Der Vorschlag regelt, daß ( 1.) jeder Verordnungsgeber bei jeder Rechtsverordnung die Öffentlichkeit vor ihrem Erlaß zu beteiligen hat, daß (2.) jeder Verordnungsgeber jeden Verordnungsentwurf in einem amtlichen Publikationsorgan veröffentlichen muß und formuliert dabei Mindestanforderungen an den Inhalt der Entwurfsbegründung, (3.) die Öffentlichkeit der Eingaben und die Pflicht zur Berücksichtigung durch den Verordnungsgeber und (4.) die Begründungspflicht jeder Verordnung 528 . In dieser Lesart bedeutet 529 diese Vorschrift das »allgemeine* Modell einer allgemeinen Öffentlichkeitsbeteiligung ohne Differenzierung nach Verordnungsgebern, nach Regelungsgegenständen, nach der Bedeutung und den Gründen für die Verfahrensbeteiligung der Öffentlichkeit im Hinblick auf das konkrete Regelungsvorhaben 5 3 0 . Das Verhältnis der Öffentlichkeitsbeteiligung zum verfahrensrechtlichen Ablauf der Mitwirkung etwa des Bundesrates regelt der Entwurf nicht 531 . Man stelle sich diese Regelung (unabhängig von Fragen der Gesetzgebungskompetenz) einmal in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vor: Von der Altautoverordnung bis zur Gemeindeverordnung, von der räumlich konkreten Landschaftschutz- oder Wassergebietsverordnung zum innengerichteten Organisationsakt durch Rechtsverordnung, von der Bundesregierung bis zum Bürgermeister (gemeindliche Notverordnungen) 528 Zur Möglichkeit der Einschränkung auf bestimmte Fälle der Verordnungsgebung, etwa durch eine Formulierung wie „Ist ein Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung angeordnet, so gelten die folgenden Vorschriften (...)", siehe die die verschiedenen Modelle zur Öffentlichkeitsbeteiligung vergleichende Bewertung unten in FN 1020. 529 Die Allgemeinheit dieses Modells dürfte der Grund dafür sein, daß sich Pünder zum Regelungsort seines Gesetzgebungsvorschlags ausschweigt. Der Formulierungsvorschlag von Frankenberger 1998, S. 301 f. ist demgegenüber als Abänderung des Professorenentwurfs zu einem Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuches gekennzeichnet und dort eingearbeitet, s. a. Frankenberger a. a. O. in FN 190. 530 Das Buch ist in verfassungsrechtlicher und rechtsvergleichender Perspektive geschrieben und hat deshalb die ganze Breite untergesetzlicher Normsetzung nicht im Blick. Selbst skeptisch Pünder 1995, S. 294: „Vor Euphorie muß allerdings gewarnt werden. Eine vollständige Übernahme amerikanischer Regelungsvorstellungen ist weder verfassungspolitisch sinnvoll noch verfassungsrechtlich möglich. Der Vergleich hat gezeigt, daß den Erfordernissen sachgerechter, demokratisch legitimierter, rechtsstaatlicher und kostengünstiger Normsetzung nicht gleichgewichtig genüge getan werden kann. Die Berücksichtigung des Zielekanons vollzieht sich, bildlich gesprochen, in einem .magischen Viereck'". Dem Gesetzgebungsvorschlag ist denn auch eine einleitende salvatorische Formel vorangestellt: „Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen und rechtskulturellen Vorgegebenheiten können die amerikanischen Regelungsvorstellungen und -erfahrungen in der deutschen rechtspolitischen Diskussion um die optimierende Funktionenzuordnung in einem gewaltenteilenden Staat nutzbar gemacht werden". Vgl. in diesem Zusammenhang die Begründung zur inhaltlichen Begrenzung ihrer Rechtsvergleichung auf die umweltrechtliche Verordnungsgebung bei Frankenberger 1998, S. 27. Zur Problematik der Rechtsvergleichung auf der (System-) Ebene des »allgemeinen4 Rechts s. unten bei FN 557 ff. 531 Siehe hierfür etwa § 153 ProfE in der Fassung von Frankenberger 1998, S. 302.
C. Öffentlichkeitsbeteiligung für jeden Fall der Verordnungsgebung als Modell?
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als mögliche Normgeber soll die Öffentlichkeit zu beteiligen sein532. Der Abs. 3 des Entwurfs regelt das Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung und läßt dabei im Prinzip (Form, Frist, Begründung, Kostenerstattung, Eingrenzung des Verfahrensermessens zur öffentlichen Anhörung) alles offen. Die Vorschrift ist ein Beispiel für die grundsätzliche Problematik von »allgemeinen4 Verfahrensregelungen zur administrativen Normsetzung: Die Beteiligung an Normsetzungsverfahren tendiert zu »allgemeinen4 Beteiligungsmodellen, deren Ausdruck sich rechtstechnisch nur in hochabstrakten Verfahrensbestimmungen bewältigen läßt. Denn der konkretere Beteiligungsgedanke bei Entscheidungsverfahren »vor Fall und Ort4 ist auf den komplexeren Entscheidungstypus der Normsetzungsverfahren nicht übertragbar. Die Gründe für die »Allgemein-Gültigkeit4 der (Grund-) Vorstellung, den Einzelnen am Vorgang der Entscheidungsfindung zu beteiligen, liegen bei Verwaltungsentscheidungen ,vor Fall und Ort4 in der Möglichkeit der individualisierenden Perspektive auf die von der Entscheidung betroffenen individuellen Rechtsgüter oder rechtlich anerkannten Interessen. Das Ziel des Rechtsgüterschutzes durch Verfahrensbeteiligung an konkreten Entscheidungsverfahren ist mit den Zielen der Normsetzung und ihrer Bedeutung für die Gestalt (eines funktionsadäquat demokratisch legitimierten) Gesetzesstaats nicht vergleichbar533: Die im individualisierenden Kontakt mit dem administrativen Entscheidungsgegenstand befangene Begründung der allgemein-gültigen Beteiligungsnotwendigkeit eines von der Entscheidung konkret betroffenen Rechtssubjektes steht der Möglichkeit eines allgemeinsten Beteiligungsgedankens, Normsetzungsverfahren und Verfahren zur Verwaltungsentscheidung „vor Ort44 in der Vorstellung ihrer Gründe für die Notwendigkeit der Beteiligung in jedem Fall gleichzustellen, entgegen534. Diese These kann nicht mit dem Hinweis widerlegt werden, daß die Abgrenzung zwischen Norm und Verwaltungsakt immer zufälliger geworden sei535. Denn darauf ließe sich diese theoretisch allgemeinste verfahrensrechtliche Gleichstellung der Beteiligungsnotwendigkeit des Bürgers in allen staatlichen Entscheidungsverfahren (einschließlich denjenigen der administrativen Normsetzung) wegen des bestehenden rechtlichen Bedeutungsunterschieds zwischen Gesetzesnorm und Einzelakt gerade nicht gründen536. Die Festsetzung einer »allgemeinen4 (Öffentlichkeits-) Beteiligung in jedem Fall eines exekutiven NormsetzungsVerfahrens würde »allgemein-gültig4 auch die (Grund-) Vorstellung der rechtlichen Bedeutung der exekutiven Normsetzung be532
Vgl. nur Maurer 1997, S. 63f., 331 f. Einen Begriff über die tatsächliche Vielfalt von Rechtsverordnungen vermitteln die zahlreichen Beispiele bei Ziekow, in Sodan/Ziekow (Hrsg.) 1998, VwGO § 47 Rn 104 ff. 533 Vgl. hierzu eingehender oben bei FN 421 ff. (insb. 423 ff.) sowie bei FN 445 ff. 534 S. ergänzend oben bei FN 426 bis 431. 535 So schon Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 281 ff., 310 (LS 13), 312 (LS 20). 536 Vgl. Pünder, ZG 13 (1998), 242 (255 m. N. in FN 104).; s. a. Groß 1999, S. 191.
122 2. Teil: Allgemein-gültige4 Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
stimmen537. Ihre Bewertung verlangt deshalb, ein solches Regelungsmodell »allgemein4 mit der demokratischen Bedeutungsdimension der untergesetzlichen staatlichen Normsetzung in Beziehung zu setzen. Dieser demokratischen (Bedeutungs-) Dimension der administrativen Normsetzung entspricht das Modell einer »allgemeinen4 Beteiligung in allen Fällen eines exekutiven Normsetzungsvorhabens, bei denen die Öffentlichkeit beteiligt werden soll m. Daß die gesamte interessierte Öffentlichkeit aber in jedem Fall der exekutiven Normsetzung beteiligt werden muß, kann aus ihrer demokratischen Bedeutungsdimension ,allgemein-gültig4 nicht abgeleitet werden: Denn im parlamentsgesetzlich geführten Gesetzessystem wird die demokratische Legitimation der exekutiven Normsetzung grundsätzlich im System der administrativen Gesetzesbindung vermittelt. Die Partizipation des Volkes an exekutiven Normsetzungsverfahren kann die demokratische Legitimation der Normsetzung deshalb nur ergänzen, nicht ersetzen539. Dann aber darf die Funktion der Ergänzung nicht für jeden Fall der exekutiven Normsetzung allgemein angeordnet werden (d. h. »allgemein-gültig4 sein), sondern muß solchen besonderen Fällen vorbehalten sein, in denen die Legitimationsgrundlage allein im System der Gesetzesbindung (durch parlamentarische Leitentscheidung) nicht ausreichend erscheint540. Nur unter dem Vorbehalt der besonderen Fällen der untergesetzlichen Normsetzung vorbehaltenen ergänzenden Öffentlichkeitsbeteiligung wird der parlamentarische Gesetzgeber im übrigen allgemein zur inhaltlichen Auseinandersetzung um die gesetzlich bestimmende Direktive und damit zur (Vor-) Sorge um ein parlamentsgesetzlich »rechtswirklich4 geführtes System von Gesetzesbindungen gezwungen541: Es ist auch die Aufgabe des Gesetzgebers, seine Verantwortung für die (Nach-) Lesbarkeit des Rechts (der abstrakten Rechtsordnung) in der Form der inhaltlich bestimmenden Gesetzgebung wahrzunehmen542. 537
Zur Begründung s. oben bei FN 381 ff., insb. bei FN 391 ff. zur Bedeutung der »allgemeinen4 Verfahrensformen für die (Rechts-) Form des Staates. 538 So auch das amerikanische Modell, vgl. Pünder, ZG 13 (1998), 242 (250). 539 Bis dahin gleichsinnig Pünder, ZG 13 (1998), 242 (246, 254ff.). Dem Regelungsvorschlag Pünders allgemein zustimmend Lübbe-Woljf, NVwZ 1998,598 f. S. ergänzend oben bei FN 427 ff. 540 Das kann als Asymetrie des Beteiligungsgedankens in der exekutiven Normsetzung gedeutet werden: Die allgemeine demokratische Betroffenheit jeden Staatsbürgers und die korrespondierende sachbereichsbestimmte Legitimationsverantwortung des Gesetzgebers für das System des Untergesetzesrechts steht der .allgemein-gültigen4 Ergänzung des Systems der gesetzesvermittelten Legitimation durch eine allgemeine Beteiligungsmöglichkeit der bereichsinteressierten (Fach-) Öffentlichkeit(en) entgegen. Diese Einschränkung ist bei Pünder, ZG 13 (1998), 242 (252-255) argumentativ zwar vorbereitet, aber nicht vollzogen. 541 Zur Bedeutung, Zulässigkeit und u. U. Notwendigkeit der besonderen Fällen der administrativen Normsetzung vorbehaltenen Öffentlichkeitsbeteiligung s. oben bei FN 427 ff., 441 f. 542 Nicht bis zu dieser Konsequenz Pünder, ZG 13 (1998), 242 (255 f.). Zur Bedeutung der Gesetzesnorm für die (Nach-) Lesbarkeit der abstrakten Rechtsordnung siehe oben nach FN418ff.
D. Der Regelungsentwurf des japanischen VwVfG zu „Untersuchungsrichtlinien"
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Die Auseinandersetzung im Parlament um bestimmende Gesetzgebung hat zugleich die wichtige politische Einheit stiftende Funktion der in der (Rechts-) Form der parlamentarischen Gesetzgebung sich artikulierenden und aktualisierenden Darstellung der gesetzgeberischen Hauptverantwortung für die »Gestalt des Gesetzesstaats4. Es ist die grundsätzlichste Aufgabe des Parlaments, sich der eigenen Bedeutung des unmittelbarsten demokratisch legitimierten Verfassungsorgans in der Form des (die späteren administrativen und judikativen Normkonkretisierungsprozesse) möglichst inhaltlich bestimmenden Normtextes zu vergewissern. Der Ernstfall der demokratischen Gesetzgebung ist deshalb grundsätzlich durch die inhaltlich bis an die Grenze der Bestimmbarkeit bestimmende Gesetzesnorm auszudrücken543.
D. Der Regelungsentwurf des japanischen VwVfG zu „Untersuchungsrichtlinien" und Richtlinien für belastende Verfügungen als Modell? Der Entwurf eines allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes in Japan544 regelt die Verpflichtung der Behörden zum Erlaß von Richtlinien zur Untersuchung und Bescheidung. Die Bemühung der japanischen Staatsrechtslehre um ein Verwaltungsverfahrensgesetz geht bis in die frühen 80er Jahre zurück. Der von der staatlichen Bürokratie erhobene Vörwurf, ein solches Gesetz werde die Effektivität der Verwaltungstätigkeit erheblich behindern, scheint dieses Gesetzgebungsvorhaben selbst effektiv behindert zu haben545. Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel der rechtsstaatlichen Disziplinierung des Verwaltungshandelns. Er versucht die Rechtssphären von Verwaltung und Bürger bei der Verwaltungstätigkeit zuzuordnen: Der Rechtsschutz des Bürgers soll durch Bereitstellung einheitlicher Regeln zur Gewährleistung einer gerechten und transparenten Verwaltungstätigkeit verstärkt werden546. „Teil II: Bescheidung von Anträgen 1. Abschnitt: Richtlinien zur Untersuchung von Anträgen Art. 4 Erlaß und Bekanntgabe von Untersuchungsrichtlinien (1) Für die Bescheidung von Anträgen erläßt die Behörde Richtlinien zur Untersuchung und Bescheidung. 543 Insoweit wieder gleichsinnig Pünder, ZG 13 (1998), 242 (256): „Auch in den Vereinigten Staaten deutet sich in den letzten Jahren eine Gegenbewegung hin zum materiellen Recht an". Zur Bestimmtheit als normative Aufgabe der Bestimmbarkeit siehe Müller 1997, Rn 166,298. S. a. Wegge 1996, S.244f. 544 Entwurf der Regierungskommission zur Verwaltungsreform vom 12. Dezember 1991 abgedruckt in VerwArch 84 (1993), 56ff., übersetzt von Lorenz Ködderitzsch. 545 So Ohashi, VerwArch 82 (1991), 220 (242 f.). Zur Vorgeschichte s. Shiono, VerwArch 84 (1993), 45 (45 f.). 546 Vgl. Art. 1 Abs. 1 des japanischen VwVfG: „Dieses Gesetz hat zum Ziel, die Rechte der Bürger zu schützen, indem es einheitliche Regelungen zur Gewährleistung einer gerechten und transparenten Verwaltungstätigkeit bereitstellt". Siehe zum VwVfG-Entwurf Japan Bullinger, VerwArch 84 (1993), 65 ff. Es sollte 1993 verabschiedet werden.
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2. Teil:, Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
(2) Die Behörde ist beim Erlaß der Untersuchungsrichtlinien im Sinne des Absatzes 1 verpflichtet, diese möglichst konkret zu fassen. Ist es beim Erlaß einer Untersuchungsrichtlinie wegen der Natur der Verfügung schwierig, diese konkret zu bestimmen, so muß die Behörde zumindest angeben, nach welchen Grundsätzen und Gesichtspunkten der Abwägung der Antrag beschieden wird. (3) Erläßt oder ändert eine Behörde Untersuchungsrichtlinien, ist sie verpflichtet, diese bekanntzugeben, es sei denn, daß dies zu außenpolitischen Schwierigkeiten führt oder sonstige unvermeidbare Hindemisse vorliegen. 4. Abschnitt: Begründung ablehnender Bescheide Art. 8 Begründung ablehnender Bescheide (1) Lehnt die Behörde einen Antrag ab547, ist sie verpflichtet, dem Antragsteller die Gründe mitzuteilen, es sei denn, daß aus dringender Notwendigkeit hierzu keine Zeit besteht oder der Bescheid sich exakt auf die zuvor erlassene Untersuchungsrichtlinie stützt. Konnte die Behörde aus dringender Notwendigkeit keine Begründung erteilen, ist sie verpflichtet, innerhalb einer angemessenen Frist nach Erlaß der Verfügung dies nachzuholen. (2) Die Begründung im Sinne des Absatzes 1 ist in Schriftform zu erlassen, es sei denn, daß die Verfügung mündlich erlassen worden ist."
Unter Untersuchungsrichtlinien sollen „solche Richtlinien zu verstehen (sein), die die Behörde in Auslegung der Gesetze erläßt und welche bestimmen, ob die Erteilung einer Genehmigung notwendig ist und ob der Antrag den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht548". Untersuchungsrichtlinien sind demnach mehr oder etwas anderes als nur das Verfahrensermessen lenkende Verwaltungsvorschriften. Aus Art. 4 Abs. 2 S. 2 VwVfG-Entwurf Japan ergibt sich, daß die Richtlinien eine materielle Selbstprogrammierung der Verwaltung leisten sollen, in die auch eine materielle Abwägung nach „Grundsätzen und Gesichtspunkten" eingehen soll. Danach scheint es sich um außenwirksame funktionelle Normsetzung zu handeln. Für die eigenständige rechtliche Bedeutung spricht auch die Regelung des Art. 4 Abs. 3 VwVfG-Entwurf Japan: Denn aus dem Vorschrifteninhalt kann die Besorgnis außenpolitischer Schwierigkeiten erwachsen. Daß der Begriff der Untersuchungsrichtlinie wohl Verwaltungsvorschriften zur inhaltlichen Regelung des Rechts einer Verfügung beinhaltet, ergibt sich weiter aus Art. 8 Abs. 1 S. 1 des Entwurfs. Anders ist die Formulierung, daß „der Bescheid sich exakt auf die zuvor erlassene Untersuchungsrichtlinie stützt", nicht zu verstehen. Damit kann man nicht davon ausgehen, daß der japanische Entwurf eines VwVfG eine Regelung von Verwaltungsvorschriften im Sinne der unter dem Grundgesetz herrschenden Auffassung der nicht unmittelbaren rechtlichen Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften enthält549. Durch Verwaltungsvorschriften könnten unter der Geltung des Grundgesetzes nicht die Voraussetzungen für die Entscheidung, ob 547 Eine ablehnende Bescheidung ist nach Ködderitzsch, VerwArch 84 (1993), 56 (59) „eine Verfügung, mit der der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung abgelehnt wird". 548 Vgl. Ködderitzsch, VerwArch 84 (1993), 56 (58). 549 Grupp 1994, S. 220.
D. Der Regelungsentwurf des japanischen VwVfG zu „Untersuchungsrichtlinien"
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eine Genehmigung notwendig ist, bestimmt werden550. Trotz der Funktionsähnlichkeit zu verfahrensanleitenden Verwaltungsvorschriften sind die Grenzen der Übertragbarkeit dieser Regelung für eine deutsche Kodifikation also recht deutlich551. Verallgemeinerungsfähig erscheint aber die in Art. 4 Abs. 2 S. 1 VwVfG-Entwurf Japan vorgeschriebene Pflicht, die Richtlinien möglichst konkret zu fassen bzw. falls dies nicht möglich sein sollte, die Grundsätze und Gesichtspunkte der Abwägung anzugeben (Art. 4 Abs. 2 S. 2) und weiter die grundsätzliche Veröffentlichungspflicht des Art. 4 Abs. 3 VwVfG-Entwurf Japan. Auch für belastende Verfügungen findet sich eine Vorschrift, die Ähnlichkeiten zur deutschen Verwaltungsvorschrift aufweist. Teil III: Belastende Verfügungen 1. Abschnitt: Richtlinien für den Erlaß von Verfügungen Art. 12 Erlaß und Bekanntgabe von Richtlinien für den Erlaß von Verfügungen (1) Die Behörde soll für den Erlaß belastender Verfügungen Richtlinien erlassen und hat diese der Natur der Verfügungen entsprechend möglichst konkret zu fassen. (2) Erläßt oder ändert eine Behörde eine Richtlinie für den Erlaß einer Verfügung im Sinne des Absatzes 1, soll die Behörde diese Richtlinie bekanntgeben.
Der Erlaß solcher Richtlinien betreffe Maßstäbe, „die die Behörde in Auslegung der Gesetze erläßt und welche bestimmen, ob die Verfügung den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht, ob die Verfügung erforderlich ist und mit welchem Inhalt und in welchem Ausmaß die Verfügung zu erlassen ist"552. Die Erläuterung beschreibt die Rechtsform einer Richtlinie, die kaum mit dem grundgesetzlichen Prinzip des Gesetzesvorbehalts für die Eingriffsverwaltung in Einklang zu bringen wäre. Zwar ist über die Rechtswirkung der Richtlinie in diesem Artikel unmittelbar nichts ausgesagt. Eine Formulierung wie diejenige des Absatzes 1 wäre aber schon deswegen für ein deutsches Verwaltungsverfahrensgesetz abzulehnen, da sie den Eindruck erweckt, daß die Verwaltung ihren Eingriff unmittelbar auf ihre Richtlinie stützen könnte553. 550
Selbst wenn man an Verwaltungsvorschriften denkt, denen eine qualifizierte rechtliche Außenwirkung eigen wäre, dürfte die Formulierung auch in ihrer Art und Weise zu weit gehen. Zum Begriff der „qualifizierten" Verwaltungsvorschrift Jarass BImSchG § 48 Rn 15; Beispiel aus der Rechtsprechung: BVerwG, Beschl. vom 22.10.1996 - 7 Β 132.96-, UPR 1997, 103. 551 Vgl. zum Problemkreis Ohashi, VerwArch 82 (1991), 220ff.; Fuji ta, NVwZ 1994,133ff. 552 Ködderitzsch,, VerwArch 84 (1993), 56 (60). 553 Diese Konzeption verträgt sich nicht ohne weiteres mit der Darstellung von Ohashi, VerwArch 82 (1991), 220 (insb. 225f.: abstrakt-generelle Regelung ohne Rechtsnormcharakter, S. 227: keine Außen Wirkung, keine Notwendigkeit gesetzlicher Grundlage, keine Publikationspflicht). S. 235: Lehre vom Eingriffsvorbehalt sei für die japanische Verwaltungs- und Gerichtspraxis beherrschend. Nur für klassische Eingriffsmaßnahmen müsse eine gesetzliche Grundlage bestehen. Klassische Eingriffsmaßnahmen seien aber selten, weil die Beamten dem informellen Verwaltungshandeln den Vorzug geben würden. Deshalb verliere das Gesetz im japanischen Rechtssystem an Bedeutung (S. 235 f.). „Aus der Sicht des Bürgers kann die Forderung nach Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns nicht erfüllt werden, wenn der von dem Gesetz verfolgte Zweck nur sehr abstrakt formuliert ist und daneben lediglich die Voraussetzungen der - regel-
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2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
Festzuhalten bleibt, daß der japanische Entwurf die abstrakt-generelle Vorschriftengebung der Verwaltung unterhalb des Gesetzes regelt. Diese Vorschriftengebung soll das Verwaltungshandeln nach außen steuern. Der Entwurf beschränkt sich dabei auf drei Aussagen: erstens die Pflicht zum Erlaß, zweitens die grundsätzliche Publikationspflicht und drittens die Pflicht, die Richtlinien möglichst konkret zu fassen. Das Verfahren, das diesen Richtlinien erst ihren konkreten Inhalt gibt, wird nicht geregelt 554. Die Regelungen sind zwar allgemein, aber von geringer Determinationskraft 555. Sie sind auf einen rechtstatsächlichen japanischen Kontext hin konzipiert, der weit mehr als in der Bundesrepublik Deutschland durch eine Verwaltungskultur des Informellen gekennzeichnet ist556.
E. Inkurs zur Methodik der Rechtsvergleichung auf der Systemebene des ,allgemeinen' (Verwaltungs-) Rechts I. Die Unsicherheit der Begriffe des ,tertium comparationis' Die Alternative zur Beibehaltung des Rechts ist seine Änderung. Eine rechtliche (Gestaltungs-) Alternativen aufzeigende Quelle für die Rechtsfortbildung ist der internationale Rechtsvergleich. Jüngere Untersuchungen zur exekutiven Normsetzung arbeiten rechtsvergleichend, „um durch die Gegenüberstellung mit den Regelungen und der Praxis in einem anderen Staat Erkenntnisse für das eigene System zu gewinnen und dadurch Alternativen zu entwickeln"557. Der Wert des Vergleichs mit dem Fremden und Anderen wird hier nicht in Frage gestellt: „kreativitätsfördernd ist der gezielte, sachbereichsspezifisch differenzierende Blick auf Länder mit dem Ruf besonders fortschrittlicher oder mutiger Lösungen"558. mäßig gerade nicht vorgenommenen - Eingriffsmaßnahmen gesetzlich geregelt sind". Möglicherweise wird der Rechtsschutz des Bürgers deshalb in einer Aufwertung der Rechtswirkung der Verwaltungsvorschriften (Leitlinien) gesucht; s. a. Bullinger, VerwArch 84 (1993), 65 (68 f.). 554 Vgl. Shiono, VerwArch 84 (1993), 45 (54): „Die Verwaltungsreformkommission hat (...) die politische Bedeutung der Regelung der Verwaltungsnormgebungs- und Planungsverfahren zum Ausdruck gebracht, jedoch daraufhingewiesen, daß zunächst eine grundsätzliche Auseinandersetzung erfolgen müsse, bevor man diese Regelungsbereiche im Rahmen eines allgemeinen Gesetzes zum Verwaltungsverfahrensrecht aufnehmen könne". 555 Art. 4 Abs. 2: „möglichst konkret zu fassen", „wegen der Natur der Verfügung schwierig, konkret zu bestimmen, dann zumindest Grundsätze und Gesichtspunkte angeben". Art. 4 Abs. 3: „außenpolitische Schwierigkeiten, sonstige unvermeidbare Hindemisse". Art. 12 Abs. 1: „Richtlinien der Natur der Verfügungen entsprechend möglichst konkret". 556 Siehe hierzu Ohashi, VerwArch 82 (1991), 220 (234ff.); s. a. Bullinger, VerwArch 84 (1993), 65 (66, 68 f., 71); Fujita 1990, S. 289: „(...) kooperatives Handeln für uns allzu selbstverständlich. (...) das Hauptmittel dazu stellt das berühmte Gyoseishido (adminstrative guidance) dar"; Llompart, Rechtstheorie 14 (1983), 285 (300f.). 557 Als Beispiel und für das Zitat Frankenberger 1998, S. 33; weiter Pünder 1995, S. 19 m. N. 558 Schulze-Fielitz 1988, S. 487 (kursiv von Verf.). Zur Rechtsvergleichung zum Zwecke der Analyse der verschiedenen Mittel zur Zielerreichung (Maßnahmenfindung) Hill, JURA 1986,
E. Inkurs zur Methodik der Rechtsvergleichung
127 4
Der rechtsvergleichenden Methode sind auf der Ebene des »allgemeinen Rechts aber Grenzen gesetzt559: Die Gestaltung der verwaltungsrechtlichen und verfahrensrechtlichen (Basis-) Anforderungen an die Rechtsquellen der abstrakt-gültigen Rechtsordnung (das sind die Rechtssätze des geltenden Gesetzesrechts) bedeutet auf der »allgemeinsten4 Abstraktionsebene des rechtlichen (Kommunikations-) Systems eine Aussage zur Grundvorstellung des Staates als Rechts- und Verfahrensform 560. Die Rechtsformung des »Rechts der Gesellschaft und ihres Staates4 vollzieht sich im konkret-geschichtlich bestimmten Rechtssystem der Gesellschaft und ihrer Verfassung561. Die Argumentation zur Begründung der rechtsfortbildenden Grundformung des Staates ist von empirischen und meta-empirischen Voraussetzungen abhängig, die sowohl einmalig (nicht-vergleichbar) als auch der Verfassungs-Rechtsordnung und ihren Steuerungsmöglichkeiten »voraus4gesetzt sind562. Dies gilt besonders für die Verallgemeinerungen des Verfahrensrechts zu »allgemeinen4 Modellen des Staats- und Verwaltungsrechts. Denn die realen Verfahrensformen sind in besonderer Weise auf den konkreten Kontext ihrer Verwirklichungsbedingungen bezogen: Ihre rechtliche Formung ist sowohl der theoretische als auch praktische Versuch ihrer (Be-) Deutung563. Die außerordentliche Schwierigkeit der Rechtsvergleichung besteht deshalb darin zu »bezeichnen4564, was verglichen werden soll. Denn auf der Abstraktionsebene des »allgemeinen4 Rechts geht es um die Bestimmung des Verhältnisses des »besonderen4 zum »allgemeinen4 Recht auch zum Zwekke der (Entwicklungs-) Steuerung der evolutionären, sprachlich bezeichneten (Be-) Deutung von Grundvorstellungen und Basisannahmen des ,Rechts4. Es geht also um mehr und anderes als die Suche nach alternativen praktischen Verfahrensmodellen oder die Untersuchung ihrer praktisch rechtlichen, rechtstechnologischen Ausgestal57 (61); von Hippel, JZ 1984, 953 (955 bei FN 30). S. a. Drobnig/Dopffel, RabelsZ 46 (1982), 253 ff.; Heyen 1993, S. 205; Haltern, Der Staat 35 (1996), 551 (555); Starck, JZ 1997,1021 ff.; Nolte , DÖV 1999, 363 (365 f.). 559 Vgl. Pünder 1995, S. 294. Aufschlußreich die Entwurfsbegründung zum Verwaltungs verfahrensgesetz in Bt-Drs. 7/910, S. 32. 560 S. hierzu eingehend oben bei FN 391 ff. und FN 398 ff. 561 S. hierzu oben bei FN 407 ff. 562 Merten, VVDStRL 55 (1996), S. 37 unter Bezugnahme auf Böckenförde bei FN 176, S. 46 These 15; Depenheuer, VVDStRL 55 (1996), S. 109f. S. eingehend oben bei FN 349ff. und FN 399 ff. 563 Vgl. Heyen 1993, S. 204: „Staats- und Rechtsvergleichung empfiehlt sich auch bei der Herausarbeitung einer Typologie rechtlicher Steuerungsformen. Über Rechtsformen des Staatshandelns kann einigermaßen inhaltsvoll nicht ohne Bezug auf die konkrete Ausgestaltung des jeweiligen Staates und seiner Rechtsordnung gesprochen werden. Man kann zwar staatsübergreifend von Gebot und Verbot (...) sprechen. Aber schon das Gesetz ist keine rechtliche Handlungsform a priori, vielmehr historisch-empirisch gesättigt". S. a. Häberle 1998, S. 28 ff. 564 Goldschmidt 1998, S. 257: „Ein Buch, das unübersetzbar ist, weil es zwischen den Sprachen stets unaufhaltsame, ja unüberwindbare Verschiebungen gibt"; vgl. auch Großfeld 1989, S. 659ff.; von Lersner 1991, S. 259: „Rechtsbegriffe sind die Chiffren der juristischen Kommunikation".
128
2. Teil: .Allgemein-gültige' Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
tung sowie ihrer Prüfung daraufhin, ob sich ihr .Rechtsimport' rechtspraktisch empfiehlt. Für die Empfehlung ihrer Übernahme wird man das Zeugnis ihrer praktischen Bewährung565 im rechtsverglichenen Fremdsystem verlangen müssen. An welchem Maßstab aber soll auf systematisch allgemeinster Ebene verglichen werden? Das »tertium comparationis' müßte als theoretisch-analytischer Begriff zugleich .allgemein-gültiges4 und angesichts der rechtsdogmatisch vorverstandenen (Begriffs-) Wirklichkeit des .rechtsimportierenden4 Systems empirisch und normativ .Wirkliches4 konkret bezeichnen können566. Die allgemeinen Begriffe eines konkreten Rechtssystems entstehen aus dem unvergleichlichen Schmelz der Verbindung und des Verhältnisses dieser begrifflichen Funktionen zur Bezeichnung grundlegend allgemeiner rechtlicher Vorstellungen567: Die allgemeinsten systematischen und rechtsdogmatischen Begriffe sind als Bezeichnungen deshalb allgemein verständlich und allgemein verständig nur für das jeweilige .konkrete4 (Rechts-) System. In diesem Sinne ist das System des allgemeinen Verwaltungsrechts geschlossen-auch angesichts seiner Rezeptionsoffenheit für die Einwirkung fremden Rechts. Denn die Bereitschaft zur Rezeption gilt nur im selbst definierten Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen und vom Rechtssystem zugelassenen Rezeptionsoffenheit. Dieser normative Anspruch seiner selbstreferentiellen Geschlossenheit ist eine weitere Variante der Vorstellung des system(at)ischen Selbstands des allgemeinen (Verwaltungs-) Rechts in seiner zeitkonkreten, staats- und verfassungsgeformten Gestalt568. Wenn es richtig ist, daß die begrifflichen Vorstellungen des »allgemeinen4 Rechts sich in den konkreteren Ausdrucksformen der Begriffe der Rechtsdogmatik mitteilen 565 Aufschlußreich zum „Diagnoseproblem" Fürst 1987, S. 261 f.; Feick 1987 zur vergleichenden Staats- und Verwaltungsforschung. 566 Zum Ausgangspunkt einer vorverstandenen Dogmatik s. oben bei FN 8. S. a. Müller 1997, Rn 157: „Was eine Rechtsnorm .ist', hängt entscheidend von der Struktur des Sozialverbands (der »Gesamtgesellschaft') und der Rolle der Institutionen der Normtexterzeugung, Normsetzung und -umsetzung, Normenkontrolle und Normtextrevision ab. Eine Norm ,ist' weder im Sinn der Allgemeingültigkeit noch in dem einer verdinglichten Vorgegebenheit etwas Bestimmtes". 567 Vgl. Ossenbühl 1968, S. 154: »Jeder nationalen Rechtsordnung ist eine »eigene' Rechtswissenschaft .zugeordnet', die der Erklärung und Weiterentwicklung des nationalen Rechts dienen soll. Insofern ist jeder juristische terminus gebunden an die jeweilige konkret-positive Rechtsordnung; seine Inhaltsgeltung ist für sie bestimmt und reicht deshalb nicht über sie hinaus"; Schulze-Fielitz, VVDStRL 58 (1999). S.238f.; Llompart, Rechtstheorie 14 (1983). 285 (301): „Mögen diese Beispiele genügen, um zu zeigen, daß ein Rechtssystem nicht verstanden und bewertet werden kann ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen und geschichtlichen Vorgegebenheiten, die das Verantwortungsgefühl eines Volkes bestimmen". 568 Zu dieser Vorstellung s. oben nach FN 118; zu der in seiner Allgemeinheit und seinen »allgemeinen' begrifflichen Festlegungen wirkenden Willkürlichkeit s. oben bei FN 301 f. S. a. Kriele 1979, S.49ff.
E. Inkurs zur Methodik der Rechtsvergleichung
129
(können müssen), damit die allgemein-rechtlichen (Grund-) Vorstellungen des (Rechts-) Systems auch konkret rechtswirklich sein können, dann müssen auch die allgemeinen Vorstellungen am konkreten System der Dogmatik und des Verfassungsrechts entwickelt und darauf rückbezogen werden. Die über ein konkretes (Rechts-) System hinausgehende Abstraktion ist dagegen ,rein4 mit theoretischen, aber nicht mehr mit rechtlich dogmatischem (Begriffs-) Inhalt gesättigt569. Denn die rechtsdogmatisch »allgemeinste4 Allgemeinheit ist notwendig die in den Grundvorstellungen des konkreten Rechtssystems aufgehobene570. Als Beispiel und zur Verdeutlichung eine kurze Analyse der von Pünder für die Rechtsvergleichung herangezogenen Begriffe für das ,tertium comparationis': Das ,tertium comparationis* soll aus dem vierfachen Zielekanon aus Sachgerechtigkeit und Sachrichtigkeit571, demokratischer Legitimation572, Rechtsstaatlichkeit573 und Kostengünstigkeit574 bestehen, „seinen einzelnen Elementen und seiner Gesamtheit"575. Diese Ziele sind schon jeweils für sich genommen: interpretationsoffen, hochabstrakt, miteinander verbunden, multifinal und multidimensional. Das Abstraktionsniveau erhöht sich noch durch ihre Zusammenfassung zu dem ein systematisches Verhältnis unbestimmt ausdrückenden Begriff des „magischen Vierecks"576. Auch was den nationalen Begriffsinhalt von „rechtsstaatlich", „sachrichtig", noch schwieriger: „sachgerecht", „demokratisch-legitimiert", erst recht „kostengünstig" (ökonomische Bewertung auch unter Berücksichtigung demokratie- und rechtstaatlicher Güter?) angeht, bestehen Unsicherheiten des Begriffs und der Wertung. Jeder einzelne dieser Begriffe ist in der rechtsverglichenen fremden Staats- und Gesellschaftsordnung ebenso ein unbestimmt offener, vager Begriff. Alle diese Begriffe haben ihre eigene theoretische Bedeutung und sind auf das überwölbende Vorverständnis verfassungs- und staatstheoretischer (Grund-) Vorstellungen bezogen. Rechtsvergleichung, die auf der Höhe des Verfassungsrechts von konkreten Sachfragen des Verwaltungsrechts abstrahiert, also nicht an der Gewinnung rechtlicher Lösungen für 569
Für die Bedeutung der Verfassungsrechtsvergleichung zur Fortentwicklung der Verfassungstheorie Hennis y JZ 1999, 485 (492). Überblick zur Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht bei Starck, JZ 1997, 1021 ff. 57 0 Ossenbühl 1968, S. 154f. referiert die rechtstheoretische Unterscheidung zwischen Rechtsform- und Rechtsinhaltsbegriffen: Zu den Rechtsformbegriffen (Rechtswesensbegriffen, juristischen Grundbegriffen, Rechtsvoraussetzungsbegriffen) zählen auch die Begriffe der Rechtsnorm und der Rechtsquelle. In diesen Begriffen sollen theoretisch keine Merkmale einer bestimmten Rechtsordnung verbleiben. Der Möglichkeit dieser Unterscheidung kann mit der Argumentation im Text nicht gefolgt werden. 57 1 Pünder 1995, S. 22f. Siehe zu seinem am US-amerikanischen rulemaking entwickelten Gesetzgebungsvorschlag schon oben bei FN 569 ff. 57 2 Pünder 1995, S.23f. 57 3 Pünder 1995, S. 25 ff. 57 4 Pünder 1995, S.27f. 57 5 Pünder 1995, S. 19ff. 57 6 Pünder 1995, S. 294. 9 Gößwein
130 2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
konkrete Steuerungsprobleme interessiert ist, gerät leicht in Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Die sinnlich-konkrete Anschauung der Angemessenheit des Vergleichs ist aber unmöglich: Theoretische Begriffe lassen sich nicht schmecken.
II. Rechtsvergleich der Rechts- und Verfahrensform von Rechtssätzen Der internationale Vergleich der Rechts- und Verfahrensform von Rechtssätzen ist deshalb besonders problematisch. Die Rechtssätze der Rechtsquellen sind zugleich Form und Inhalt der sprachlich bezeichneten und »abstrakt-gültig4 vorgestellten Ordnung einer konkreten Rechtsordnung. Die Formung des Verfahrensrechts von Rechtssätzen bestimmt die Bedeutung ihrer Rechtsform selbst577. Der Vergleich von Verwaltungsvorschriften ist besonders schwierig: Der Begriff der Verwaltungsvorschrift ist schon für die nationale Rechtsordnung des Grundgesetzes unsicher. Im Vergleich dazu ist die Gesetzesnorm international,begriffen'. Sie kann eher zum Gegenstand eines Gemeinsamkeiten und Unterschiede verstehenden Rechtsvergleichs gemacht werden578. Demgegenüber ist die Bedeutung der Verwaltungsvorschriften auch der feinsinnige, in der nationalen Verwaltungskultur aufgehobene Unterschied eines administrativen Rechtssatzes , nicht in der Form des Gesetzesrechts4 im Vergleich zur Bedeutung der gesetzesrechtlichen Norm 579. Die informale(re)n Bedeutungsgehalte der Verwaltungsvorschriften müssen deshalb im Binnenvergleich zu den Bedeutungsgehalten der Rechtssätze des Gesetzesrechts ermittelt werden580. Ein »allgemein4 rechtsfortentwickeltes Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung müßte seinen Formungsauftrag auch für die Handlungsform der Verwaltungsvorschriften wahrnehmen581: Das Recht der verwaltungsrechtlichen Rechtserzeugung kann ohne die Form der Verwaltungsvorschrift als Rechtssatz »nicht in der Form des Gesetzesrechts4 nicht allgemein-gültig vorgestellt (und damit auch nicht rechtssystematisch »beschrieben4) werden582: Die Systemvorstellung des 577
Siehe oben bei FN 391 ff. sowie soeben bei FN 560 ff. Als Beispiel für eine Regelung, die dies nicht leistet: § 71 LVwG Schleswig-Holstein, s. hierzu bei FN516ff. 578 Die geschichtliche Entwicklung der Gesetzesherrschaft oder der „rule of law" ist der Grund für die Möglichkeit der internationale Verständigung, vgl. MacCormick, JZ 1984, 65 ff. Die inter-nationale Vergleichbarkeit von Grundrechten liegt angesichts der internationalen Verständigung über die Existenz von Menschenrechten ebenfalls näher, vgl. Schulze-Fielitz, in Dreier (Hrsg.) 1998, GG Art. 20 (Rechtsstaat) Rn 32f. 579 Als historisches Beispiel für die Probleme der Rezeption über die Anpassung einer fremden Rechtsbegrifflichkeit an die politische Wirklichkeit und ihrer Institutionen siehe die Rezeptionsgeschichte des Begriffes Oberkeit/Obrigkeit, dazu Sellin 1994, S. 395 ff. S. zur Bedeutung der Gesetzesnorm oben bei FN 418 ff. 580 Ihre Wirkungen werden dadurch in,formalisiert 4. Vgl. Kloepfer /Eisner, DVB1.1996,964 (972) zum „Witz" informaler Handlungsformen. 581 Zur Begründung s. oben bei FN 214ff., 226ff. und nach FN 286. 582 Als Beispiel für die Wechselbezüglichkeit der .allgemeinen* Systembegriffe s. Hill 1990» D21: „(...), daß die Frage nach der Reichweite der eigenverantwortlichen Gestaltungsfreiheit
E. Inkurs zur Methodik der Rechtsvergleichung
131
Rechtssatzes ist seine allgemeine Bedeutsamkeit im Recht als rechtlich umfassend vorgestellten und begriffenen Kontext. Die Bedeutung des Rechtssatzes ,in der Form des Gesetzesrechts* muß deshalb auch zu seinen Rändern hin, also im (Binnen-) Vergleich zur Bedeutung des Rechtssatzes ,nicht in der Form des Gesetzesrechts4, abgegrenzt werden. Die Änderung des »allgemeinen' Verwaltungs(verfahrens)rechts vollzieht sich im weitgehend unbestimmten Kontext 583 der »grundlegend allgemeinen4 Vorstellungen des an der konkreten (Staats- und Gesellschafts-) Wirklichkeit abstrakt Begriffenen und über diesen Kontext hinaus nicht gleichartig begrifflich Bezeichneten584. Die Rechtsfortbildung des »allgemeinen4 (Verwaltungs-) Rechts ist deshalb weniger eine Angelegenheit der Erfindung von praktischen Steuerungsinstrumenten, als vielmehr der (rechtssystem-) immanenten Begründung von rechtsändernden (Grund-) Vorstellungen über die zeitgerechteste staatliche Rechts- und Verfahrensform. Die Rechtsfortbildung des »allgemeinen4 Rechts stellt daher die Aufgabe, die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Bedeutungsänderung der »allgemeinen rechtlichen4 Grundvorstellungen zu erklären und zu begründen. Die Änderung der »allgemeinen4 Bedeutung von Rechtsquellen, die durch die rechtsändernde Formung ihres Verfahrensrechts bewirkt wird, muß deshalb in letzter Konsequenz nur für die konkrete gesellschaftliche und staatliche Ordnung erklärt und gedeutet werden585. Die Untersuchung, wie unterschiedliche nationale Rechtsordnungen auf vergleichbare Sachfragen im Sinne konkreter rechtlicher Steuerungsprobleme unterschiedliche rechtliche Antworten zu geben versuchen, und der Ver-
des Satzungsgebers einerseits und der gerichtlichen Kontrolldichte andererseits nur aufgrund einer Gesamtschau der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Grundlagen, von Legitimation und Entscheidungsstruktur des rechtsetzenden Organs sowie der Funktion der gemeindlichen Rechtsetzung und des Normcharakters der Regelung innerhalb eines bestimmten Sachbereichs 583 beurteilt kann" (kursiv von Verf.). S. a. von 1989, S. 211 S.werden oben zur Unbestimmtheit des Kontexts derDanwitz Rechtsfortbildung desff. allgemeinen (Verwaltungs-) Rechts in FN 9 und 10. 584 Zustimmungswürdig daher die These von Teubner, Quaderni Fiorentini 13 (1984), 109 (112): „(...) Begriffe des Rechts sind juristische inteme Modelle von Recht - in - Gesellschaft, deren Hauptfunktion darin besteht, daß sie die Identität des Rechts dazu benutzen, Kriterien für dessen Transformation zu entwickeln". Diese These bezieht sich auf allgemeinste Begriffe zu (Grund-) Vorstellungen des Rechts als formales, materiales, expressives, reflexives, instrumentelles, prozedurales usf. - diese hochabstrakten theoretischen Begriffe sind für die Ausführungen dieses Textes ohne konkrete Relevanz. Die These Teubners dürfte aber auch für die durchaus konkreteren ,allgemeinen' Rechtsbegriffe (z. B. die Vorstellung der „Gesetzesnorm") richtiges ausdrücken. S. a. Alexy 1995b, S. 69f. 585 Für diese These spricht auch das Abstraktionsniveau der rechtsvergleichenden Methode eines kulturwissenschaftlich interessierten „Textstufenparadigmas" bei Häberle, Europäische Zeitschrift des öffentlichen Rechts 1993,9 (11 ff.); vgl. hierzu auch Häberle 1992 a, b und Häberle 1992c, insbesondere S. 130f.; s. a. Esser 1956, S. 15f. zur jurisprudentiellen Rechtsneubildung, deren Ähnlichkeit und internationalen Uniformität und der nur in Kenntnis der realen Funktion zu bestimmenden Vergleichbarkeit ihrer „immanenten, problembedingten Prinzipien". 9*
132 2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
gleich ihrer Lösungstechniken reichen hierfür nicht aus. Auch hierin kommt die gesteigerte Distanz (und Abstraktion) des allgemeinen (Verwaltungs-) Rechts gegenüber den praktischen Verwaltungsaufgaben und -zwecken zum Ausdruck, die für sich genommen weit eher einer bereichsspezifisch international vergleichenden Empirie zugänglich sind.
I I I . Die Bedeutung der Binnenrechtsvergleichung für die Rechtsfortbildung des ,allgemeinen' (Verwaltungs-) Rechts Die Fortbildung des Rechts der administrativen Normsetzung(sverfahren) ist die Bedeutungsänderung des Rechtssatzes und der Rechtsquellen im Kontext der staatlichen Steuerungsinstrumente586. Die Änderung der Rechts- und Verfahrensform der Normsetzung ist grundlegend für das systematische Verständnis der »allgemeinen4 Rechtsbegriffe als „die das innere System verklammernden und überhaupt erst als System konstituierenden Begriffe 44587. Die rechtssystematische Anforderung der ,Allgemein-Gültigkeit4 der Vorstellungen und Lehrsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts zwingt deshalb die Begründung einer solchen rechtsfortbildenden Bedeutungsänderung in das bestimmtere (Binnen-) Vergleichssystem der die Bedeutung der »allgemeinen4 Begriffe 588 einheitlich bestimmenden (Verfassungsrechts-) Ordnung589. »Allgemeine4 Rechtsbegriffe können, das liegt in der Natur ihres das Ganze anzielenden Zweckes, nicht oder nur in eingeschränkterem Maße zweck- und aufgabenspezifisch, dafür aber verfassungsrechtlich und konkret rechtsdogmatisch bestimmt werden590. Der Gesetzgebungsvorschlag des UGB-KomE eignet sich für eine solche Binnenrechtsvergleichung. Er stellt ein Modell eines >allgemeinen\ vor die Klammer 586
Die Änderung des Rechts der Nonnsetzung in Richtung der Veröffentlichung der normsetzenden Öffentlichen Verwaltung in die gesellschaftliche Sphäre hinein kann als Änderung der allgemeinen strategischen Verwendung von Recht in Richtung einer prozeduralisierten, kulturellen Rahmensteuerung gedeutet werden, s. a. Pitschas 1993, S. 265 ff.; Voigt 1986, S. 29ff. 587 Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 225. 588 Siehe als Beispiel einer fragwürdigen Überdehnung der allgemeinen Begriffe des tertium comparationis oben nach FN 570. 589 Vgl. Kriele 1979, S. 51 f. zur Schwierigkeit von Konsens in Verfassungsfragen; SchmidtAßmann 1993, S. 16f.: „Das Verfassungsrecht ist es auch, das neuere Entwicklungsanforderungen aufnimmt und sie dem verfassungskonkretisierenden Gesetzesrecht weiter vermittelt. Das Verfassungsrecht ist folglich für das verwaltungsrechtliche System nicht nur ein stabilisierendes, sondern auch ein erneuerndes, flexibilitätssicherndes Element. Es geht bei dem Rückgriff auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen also immer zugleich um Rahmensetzung, Zielvorgabe und Entwicklungsperspektive für das allgemeine Verwaltungsrecht, um den Rückgriff auf ein Begründungspotential, das seinerseits nicht statisch verstanden werden kann, sondern dazu verpflichtet, neuere Entwicklungen in einem allgemeinen Rahmen zu reflektieren 44 (kursiv im Org.). 590 Bachof, VVDStRL 30 (1972), S. 225 f.: „Die Begriffe und Institute des allgemeinen Verwaltungsrechts (...) sind unspezifisch. Sie liegen auch (.··) als unspezifische der Gesetzgebung, also dem »objektiven4 System, zugrunde44.
F. Der Gesetzentwurf des UGB-KomE
133
gezogenen, Rechts der umweltrechtlichen Recht- und Regelsetzung in der ^Ausdrucks-) Form gleichende
592
4
des ,Großen Gesetzeswerkes
4
vor 5 9 1 . Der folgende binnenrechtsver-
Blick auf dieses Regelungsmodell soll Aufschluß darüber geben, in-
wieweit über diese Abstraktionsstufe hinaus ,noch allgemeineres4 Rechts der administrativen Normsetzung für eine Kodifikation in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgeschlagen werden könnte 593 .
F. Der Gesetzentwurf des UGB-KomE als Modell und Maßstab für Rechtsvereinheitlichung und Verallgemeinerung zur administrativen Normsetzung? I. Gesetzgebungssystematische Einordnung Der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (UGB-KomE) 5 9 4 widmet seinem allgemeinen Teil einen „sehr umfangreichen, aus vier Unterabschnitten bestehenden Dritten Abschnitt(s)44 zur Recht- und Regelsetzung im Umweltrecht 595 . Diese Regelung zur exekutiven Normsetzung ist einer gesetzgebungssystematisch mittleren Abstraktionsebene zuzuordnen 596 : Das Umweltgesetzbuch bezweckt den Schutz der Umwelt und des Menschen, seiner Gesundheit und seines Wohlbefindens (§ 1 Abs. 1 UGB-KomE). Dies kommt sowohl in den or591 Zur Besonderheit der (Ausdrucks-) Form der Gesetzgebung des »allgemeinen* Rechts s. oben bei FN 468 ff., 488 ff. S. a. die Nachweise unten in FN 726 sowie Sendler 1999, S. 28 zum Kommissionsentwurf eines UGB: „einigermaßen einheitliches Ganzes und insoweit Großes". 592 Binnenrechts vergleichend ist etwa das methodische Vorgehen in UGB-KomE 1998, S.515 bei FN318f.: Dort orientiert sich der Gesetzgebungsvorschlag zu Umweltgenossenschaften an den bestehenden Systemen der gewerblichen Berufsgenossenschaften oder der bestehenden Wasser- und Bodenverbände, um an bestehende rechtliche Strukturen anschließen zu können. 593 S. zur Verbindung der theoretischen, pragmatisch-dogmatischen und gesetzgebungssystematischen Ebene für die im Kontext dieser Arbeit (s. hierzu oben bei FN 8 ff. und nach FN 130) aufgerufene Vorstellung der »Allgemeinheit4 des Verfahrensrecht(sgedankens) bei FN 356ff., 217, 345, 594ff., 1012. 594 Zur Arbeitsweise, den Leitvorstellungen und dem Verhältnis zu den Entwürfen der sog. Professorenkommissionen (ProfE) vgl. UGB-KomE 1998, S. 86 sowie Sendler 1999, S. 28 ff.; zur Ausweitung des Arbeitsauftrages gegenüber den Vorentwürfen UGB-KomE 1998, S. 86; zur Einbeziehung von weiteren im ProfE nicht geregelten Bereichen UGB-KomE 1998, S. 97; zur Diskussion um ein Umweltgesetzbuch UGB-KomE 1998, S. 71 m. N. in FN 1. S. a. Umweltbundesamt 1994, S. 18 ff. Zum ProfE s. UGB-AT 1990 und UGB-BT 1994. 595 Auch der Vierte Abschnitt weist Berührungspunkte mit Rechtsetzungsverfahren auf: Dort wird die Beteiligung von Verbänden in Verwaltungs- und Rechtsetzungsverfahren geregelt, vgl. UGB-KomE 1998, S.431 (Vorbemerkungen); s. hierzu weiter unten bei FN 922ff. 596 Die Entwurfsbegründung selbst kennzeichnet die (8) Abschnitte des ersten Kapitels als „gleichsam (...) den Allgemeinen Teil des Allgemeinen Teils", vgl. UGB-KomE 1998, S. 431. S. a. Storm , UTR5 (1988), 49 (66ff.) mit Überlegungen zur Kodifikationsstruktur; Sendler, UPR 1997, 381 (382): „gleichsam als allgemeinster Teil des Allgemeinen Teils".
134
2. Teil: Allgemein-gültige Vergesetzlichung der administrativen Normsetzung?
ganisations- und verfahrensrechtlichen als auch in den inhaltlichen Vorgaben für die untergesetzliche Normsetzung zum Ausdruck597. Und es ist eine weitere Besonderheit beachtlich598: Die Recht- und Regelsetzung auf dem Gebiet des Umwelt- und Technikrechts ist zu einem großen Teil Standardsetzung. Der sachstrukturellen Prägung des UGB-KomE entspricht, daß der Gesetzentwurf vom Besonderen zum Allgemeinen hin konzipiert wurde: Seine Verfasser haben zuerst die Vorschriften des Besonderen Teils erarbeitet 599. Die Vorschriften zur Recht- und Regelsetzung können als Lösungsversuch des Organisationsproblems der Normsetzung ,für das Umweltrecht' und als bereichsspezifisch ,feingestelltes' Normsetzungsoiganisationsrecht gedeutet werden600. Seinem Regelungsmodell könnten dennoch Ansatzpunkte für Verallgemeinerungen zu entnehmen sein: Bereichsspezifische Teilkodifikationen können über ihren Anwendungsbereich hinaus eine Tendenz zur ,allgemein-gültigen' Rechtsentwicklung ausdrücken oder anschieben601.
II. Grundlagen des Umweltschutzes und das zugrundeliegende Rechtsverständnis Das den Regelungen des UGB-KomE zugrundeliegende Rechtsverständnis ist in der Perspektive der modernen Reformdiskussion entwickelt. In den „Grundlagen des Umweltschutzes"602 begegnen uns eine Reihe moderner Topoi, die als Themen der Diskussion über die Modernisierung des Verwaltungsrechts bekannt sind603. 597 Für eine Übersicht zu den Regelungsgegenständen der Verordnungsgebung vgl. UGB-KomE 1998, S. 463 f. Zur Begrenzung der Regelungen des UGB-KomE auf die Ebene unterhalb des formellen Gesetzes s. Kloepfer 1999, S. 162. 598 Zur Erweiterung der Regelungsgegenstände des UGB-KomE 1998 über den Kernbereich des überkommenen Umweltrechts hinaus UGB-KomE 1998, S. 90f. S. a. Storm , UTR5 (1988), 49 (56 ff.) zur Kodifikationsreife eines UGB; zur Notwendigkeit der Kodifikation Sendler, NJ 1997,506 (507 ff.). 599 UGB-KomE 1998, S. 89: Bezeichnung als induktives Vorgehen. Zur Verbindung induktiver und deduktiver Methodiken bei der verwaltungsrechtlichen Systembildung Schmidt-Aßmann 1998, Rn 12f. S. 8 f. m. N. in FN 24, zur Entwicklung von „gleitenden Übergänge(n) und Lehrsätze(n) einer .mittleren Abstraktionshöhe4" auch für das Umweltrecht Rn 16 S. 10. S. a. Koch, NVwZ 1991,953 (953 f.) zu den „Geltungsansprüchen44 des Allgemeinen Teils des ProfE. 600 Hierzu eingehender weiter unten nach FN 1000. S. a. Schiette , DVB1. 1997, 993 (994f.). 601 Vgl. Hennecke nach Schunda 1999, S. 214: Rechtsetzungsrecht des UGB-KomE habe weit über das Umweltrecht hinaus Bedeutung; Hirche 1999, S. 61: „Impulswirkungen für die Behördenorganisation44; Bohne 1999 a, S. 5: „Schaffung eines Umweltgesetzbuches (...) vor allem ein Problem der gesellschaftlichen Konsensbildung44; Bohne 1999b, S. 20f.: „Funktional betrachtet ist ein Umweltgesetzbuch ein neuer Gesellschaftsvertrag für den Bereich des Umweltschutzes44; krit. aus Sicht der Unternehmen Dienes 1999, S. 206: „mehr fortentwickelnd als harmonisierend". Demgegenüber Storm, NVwZ 1999,35 (40): UGB als „