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German Pages [304] Year 1991
VÔR
WOLFGANG STEGEMANN
Zwischen Synagoge und Obrigkeit Zur historischen Stituation der lukanischen Christen
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Textaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 152. Heft der ganzen Reihe
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Stegemann, Wolfgang: Zwischen Synagoge und Obrigkeit: zur historischen Situation der lukanischen Christen / Wolfgang Stegemann. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1991 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 152) ISBN 3-525-53816-2 NE: GT
© 1991 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen
Inhalt Vorwort
7
Einleitung: Zum Interesse und zur forschungsgeschichtlichen Einordnung der Untersuchung
9
§1 Ermahnung zum offenen Bekenntnis als Christ (Lk ll,53f; 12,1-12)
40
1. Kontext und vorlukanische Überlieferung
40
2. Die szenische Einleitung als situationsbezogene Anknüpfung an die Problemlage der Adressaten (Lk 11,53-54; 12,1a)
43
3. Kritik an der falschen Praxis des heimlichen Bekenntnisses (Lk 12,lb-3)
48
4. Theologische Kritik der falschen Furcht der Jünger (Lk 12,4-7)
55
5. Eschatologische Schicksale der Bekenner und ihrer Widersacher (Lk 12,8-10)
59
Exkurs: Das lukanische Verständnis der "Sünde wider den Heiligen Geist" am Beispiel des Stephanus
71
6. Zusage des heiligen Geistes als Beistand im Konfliktfall (Lk 12,llf)
77
Exkurs: Beistand des Geistes im Konfliktfall
85
§2 Die Rolle der Synagogen
91
1. Überblick über Maßnahmen gegen Christen von jüdischer Seite
91
2. Synagogen ohne forensische und disziplinarische Autorität bei Lukas
97
Exkurs: Adressaten und Ursachen synagogaler Disziplinarmaßnahmen 3. Die Distanzierung des Judentums der Diaspora von den Christen in der Öffentlichkeit der Polis
104 113
6
Inhalt
Exkurs: Διώκειν und διωγμός bei Lukas
114
4. Historische Einordnung
134
§3 Hintergründe der Konflikte zwischen Christen und Juden zur Zeit des Lukas
147
1. Strukturierung dieses Kapitels
147
2. Ein politisches Motiv: Die Gefährdung des Judentums der Diaspora durch das messianische Selbstverständnis der Christen
148
3. Ein soziales Motiv: Beeinträchtigung der Einflußsphäre der Synagoge
156
4. Ein religiöses Motiv: Beeinträchtigung der Identität des Judentums
163
§4 Gefährdung der Christen wegen der Verdächtigung mit Staatsverbrechen
187
1. Einleitung und Überblick
187
2. Konflikt in Ephesus (Act 19,23ff)
197
3. Jüdische Propaganda unter Römern (Act 16,19ff)
211
4. Antirömische Rebellion (Act 17,6f)
226
5. Propaganda gesetzwidriger Gottesverehrung (Act 18,12ff)
237
6. Historische Einordnung
248
Einige Ergebnisse der Untersuchung
268
Spezialliteratur
281
Ausgewähltes Sachregister
299
Register ausgewählter griechischer Begriffe
301
Ausgewählte neutestamentliche Bibelstellen
303
7
Vorwort Der hier vorgelegten Untersuchung liegt meine Heidelberger Habilitationsschrift zugrunde, die von der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg im Jahre 1983 angenommen worden ist. Die Veröffentlichung dieser Arbeit verzögerte sich, da ich schon bald nach meiner Habilitation an die Augustana-Hochschule Neuendettelsau berufen und dort als Prorektor und Rektor in meiner Arbeitskraft voll beansprucht wurde. Dadurch ergab sich allerdings die Gelegenheit, meine eigenen Thesen noch einmal gründlich zu überdenken und zu ergänzen. Das zentrale Interesse meiner Untersuchung an der Rekonstruktion der historischen Lage des Verfassers von Lukasevangelium und Apostelgeschichte scheint sich im übrigen in der Erforschung des lukanischen Doppelwerkes immer noch keiner besonderen Beliebtheit zu erfreuen. Dies ist durchaus auch verständlich, da diese Aufgabe mit besonderen methodischen Schwierigkeiten belastet ist und hinsichtlich der Objektivierbarkeit ihrer Ergebnisse nicht mit gleicher Evidenz rechnen kann wie eine unmittelbare Interpretation des Textsinnes. Denn es geht hier ja um nicht weniger als den Versuch, aus der erzählten Welt zweier antiker Schriften auf die Welt ihres Autors und die besonderen Erfahrungen seiner christlichen Zeitgenossen zu schließen. Lukas erzählt uns im Evangelium zunächst einmal die Geschichte Jesu und in der Apostelgeschichte etwas von den Anfängen der Ausbreitung des Evangeliums und des Zeugnisses von dem Auferstandenen, beginnend in Jerusalem bis hin nach Rom. Doch eben nicht diese Geschichte ist in meiner Studie Gegenstand der Analyse, sondern die Frage danach, welche spezifischen Erfahrungen Autor und Adressaten dieses Doppelwerkes am Ende des 1. Jahrhunderts gemacht haben. Oder anders ausgedrückt: Welche erkennbaren Akzentuierungen des lukanischen Doppelwerkes lassen auf eine besondere Lage und Aufgabe seines Autors schließen? Wegen der besonderen Schwierigkeiten dieser historischen Fragestellung habe ich die von mir analysierten Beziehungen der lukanischen Christenheit zum Judentum einerseits und zur heidnischen Obrigkeit andererseits im Kontext der hier relevanten übrigen neutestamentlichen Schriften und des uns darüber hinaus bekannten antiken Materials historisch eingeordnet. Ob der von mir vorgelegte Rekonstruktionsversuch einleuchtend ist, kann ich natürlich nur dem Urteil der Leserinnen und Leser selbst überlassen. Die Lektüre des Buches soll durch Zwischenüberschriften und ausgewählte Register erleichtert werden. Diesem Zwecke dient auch eine relativ ausführliche Darstellung der Ergebnisse, die nicht unbedingt erst am Ende des Buches zur Kenntnis genommen werden muß. Die Abkürzungen folgen, soweit das möglich ist, dem Verzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie, Berlin New York 1976 von S. Schwertner.
8 Den Herren Kollegen Prof. Dr. Gerd Theißen und Prof. Dr. Christoph Burchard, als den damaligen Gutachtern, habe ich für zahlreiche Hinweise und Gestaltungsvorschläge zu danken. Herrn Kollegen Prof. Dr. Wolfgang Schräge danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe der "Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments" und für seine Geduld. Für die Texterfassung bzw. das Layout habe ich Frau B. Kanzok und Frau A. Siebert zu danken, für Korrekturlesen cand. theol. J. Augenstein, stud, theol. S. Fischbach und stud, theol. B. Mutschier.
Neuendettelsau, im Juli 1990
Wolfgang Stegemann
Einleitung: Zum Interesse und zur forschungsgeschichtlichen Einordnung der Untersuchung Eine weitere Darstellung der Geschichte der Erforschung des lukanischen Doppelwerkes ist im Rahmen dieser Untersuchung weder nötig noch möglich.1 Freilich ist es notwendig und sinnvoll, das spezifische Interesse der nachfolgenden Untersuchung in das Spektrum der lukanischen Forschung einzuordnen. Die Fragestellung nach dem "Sitz im Leben" Grundsätzlich geht es mir hier um die Frage nach dem historischen Ort der lukanischen Schriften. Hier und dort wird in diesem Zusammenhang auch gern vom "Sitz im Leben"2 gesprochen, also ein Begriff der Formgeschichte auf ein literarisches Werk übertragen. Sofern man berücksichtigt, daß es dabei um einen analogen Gebrauch, nicht aber um einen identischen Sinn dieses terminus technicus geht, scheint mir die Begriffswahl durchaus sinnvoll zu sein. Allerdings wird im Unterschied zum formgeschichtlichen Gebrauch des Begriffes hier nicht der sozio-literarische Zusammenhang der Hervorbringung von bestimmten literarischen Formen und Gattungen mit einer "typische^) Situation oder Verhaltungsweise im Leben einer Gemeinschaft"3 eruiert. Aber auch in der Frage nach dem "Sitz im Leben" der lukanischen Schriften soll es nicht um einzelne, punktuelle historische Ereignisse im Leben des Autors bzw. seiner Adressaten gehen, die als solche genauer datier- und lokalisierbar wären und die Abfassung der lukanischen Schriften motiviert haben. In dieser Hinsicht besitzt die Exegese der neutestamentlichen Briefliteratur in der Analyse von deren "Anlaß" und "Zweck" eine zusätzliche Verstehensdimension, die auf die literarischen Großgattungen Evangelium bzw. Historiographie nicht unmittelbar übertragbar ist. Denn aus den neutesta1 Bibliographien und Forschungsberichte zum Lukasevangelium neuerdings bei W. RADL, Das Lukas-Evangelium, Darmstadt 1988, XIHf. Berichte zur Erforschung der Apostelgeschichte etwa von: E. GRÄSSER, Die Apostelgeschichte in der Forschung der Gegenwart, ThR 26 (1960) 93-167; ders., Actaforschung seit 1960, ThR 41 (1976) 141194.259ff; 42 (1977) 1-68; E. PLÜMACHER, Acta-Forschung 1974-1982, ThR 48 (1983) 1-56; 49 (1984) 105ff; vgl. auch ders., Art. Apostelgeschichte, T R E III 483-528. 2 Vgl. dazu schon G. BRAUMANN, Einführung, in: ders. (Hg.), Das Lukas-Evangelium. Die redaktions- und kompositionsgeschichtliche Forschung, Darmstadt 1974, VII-XXIV:XIII. R.J. KARRIS, The Lukan "itz im Leben" Methodology and Prospects, in: G. MACRAE (Hg.), Society of Biblical Literature 1976 Seminar Papers, Missoula 1979, 219-233; ders., Missionary Communities. A New Paradigm for the Study of Luke-Acts, CBQ 41 (1979) 80-97. 3 S. R. BULTMANN, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 19799, 4, zur Bestimmung des formgeschichtlichen "Sitz im Leben".
10
Einleitung
mentlichen Briefen sind teilweise sehr konkrete punktuelle Anlässe erkennbar, die auch deren Abfassungszweck bestimmt haben und sich im übrigen aus der dialogischen Kommunikationsform "Brief' sinnvoll ergeben. Doch damit kann für das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte nicht gerechnet werden, wenngleich in den Einleitungswissenschaften durchaus auch in diesem Zusammenhang von "Anlaß"4 und "Zweck"5 gesprochen wird. Vielmehr kann man wohl in dieser Hinsicht über unseren Untersuchungsgegenstand zu Recht sagen: "Als aussichtslos dürfte jeder Versuch gelten, die genaue Entstehungssituation des lukanischen Doppelwerkes zu erfassen."6 Doch gilt daneben auch: "Die allgemeinen Umrisse seines 'Sitzes im Leben' sind nichtsdestoweniger deutlich."7 Der Begriff "Sitz im Leben" kommt also m.E. dem Interesse an der Aufhellung des historischen Ortes der lukanischen Schriften entgegen, da er den Einfluß des wirklichen Lebens auf deren Abfassung nicht auf einzelne geschichtliche Ereignisse festlegt, über die wir im übrigen nichts wissen, sondern gleichsam mit einem allgemeinen "Klima" der Abfassung rechnet. D.h. es steht hier im gewissen Sinne eine typische Situation zur Debatte, die freilich ihre Konturen durch ein grundsätzlich historisch bestimmbares "Klima" gewinnt, nicht aber - wie in der klassischen Formgeschichte - durch die im Prinzip "soziologische" Typik in den "Verhaltungen einer Gemeinschaft". 8 Und während die formgeschichtliche Analyse allgemein die "Gemeinde" als den Produzenten der einzelnen Formen und Gattungen der synoptischen Tradition versteht, rechnen wir in unserem Fall mit einem bestimmten historischen Individuum, auch wenn wir über dessen Person keine Aussagen mehr machen können, sondern im Prinzip nur sein Werk kennen. Im Unterschied zur Formgeschichte geht es in unserer Fragestellung auch nicht um das Verständnis eines literarischen Produktes "auf dem Wege über die Gattung", sondern durchaus um die Frage, in welcher Weise "das wirkliche Leben seinen Niederschlag gefunden" 9 hat in den spezifisch inhaltlichen und redak4 Die von W. SCHMITHALS umrissene Situation der lukanischen Christen, die er als "Anlaß (sie!) der lukanischen Schriftstellerei und Redaktion" versteht, kommen einer solchen Anwendung von exegetischen Möglichkeiten der Briefliteratur auf die Apostelgeschichte nahe. S. dazu W. SCHMITHALS, Die Apostelgeschichte des Lukas, Zürich 1982,11. 5 Über den "Zweck" des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte hat sich eine weitgespannte Diskussion etabliert. Gerade diese zeigt aber, wie schwierig es ist, den Abfassungszweck einer nicht-brieflichen Gattung zu bestimmen. Dazu verweise ich hier nur auf R.T. MADDOX, The Purpose of Luke-Acts, Göttingen 1982. 6 M. TOLBERT, Die Hauptinteressen des Evangelisten Lukas, in: BRAUMANN, Lukas 337-353: 346. 7 Ebd. 8 BULTMANN 40: Die Frage nach dem "Sitz im Leben" zielt nicht auf den "Ursprung eines einzelnen Berichtes in einer einzelnen geschichtlichen Begebenheit". 9 Die klassische Formgeschichte BULTMANNS setzt dagegen zwar voraus, daß "das wirkliche Leben" in den Gattungen seinen "Niederschlag" gefunden hat, will aber das
Einleitung
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tionellen Eigenheiten dieses literarischen Werkes. Anders gesagt: Zunächst und vor allem die besonderen Inhalte, die erkennbar eigentümlichen Akzentuierungen bestimmter Aussagezusammenhänge im lukanischen Doppelwerk sollen daraufhin untersucht werden, ob sie aus ihnen zugrundeliegenden historischen Bedingungen - also im gewissen Sinne aus einer historischen Typik - des Autors und seiner Adressaten erklärbar sind. Methodisch gesprochen steht demgemäß der historisch-typische Hintergrund der redaktionellen Ebene von Lukasevangelium und Apostelgeschichte zur Debatte, also die nähere Analyse bestimmter Faktoren, die die Abfassung dieser beiden Schriften als Ganzer geprägt haben. In eben diesem Sinne geht es hier um RedaktionsGeschichte, d.h. um die Aufdeckung geschichtlicher Motive redaktioneller bzw. kompositioneller Gestaltung, die in diesem Falle nicht nur ein einzelnes Evangelium, sondern den "Makro-Kontext" lukanisches Doppelwerk betreffen.10 Damit ist schon angedeutet, daß die folgende Untersuchung an die redaktionsgeschichtliche Forschung anknüpft und - da sie sich programmatisch auf den "Makro-Kontext" des lukanischen Doppelwerkes bezieht - dabei die besondere Absicht verfolgt, den Aussagewillen des Verfassers von Lukasevangelium und Apostelgeschichte zu berücksichtigen.11 Allerdings stehen in dieser Untersuchung nicht direkt die kompositionellen und redaktionell-literarischen Mittel bzw. die verschiedenen theologisch-inhaltlichen Themen des lukanischen Doppelwerkes zur Debatte, die in der redaktionsgeschichtlichen Erforschung des dritten Evangeliums bzw. der Exegese der Apostelgeschichte zu Recht eine wichtige Rolle gespielt haben und noch spielen.12 Vielmehr geht es explizit um die ausführliche Erarbeitung der historischen Situation jener christlichen Gemeinschaft oder Gemeinschaften, die der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes vor Augen hatte und die wir abkürzend als lukanische Christenheit bezeichnen werden. Diese historische Situation der lukanischen Christenheit bzw. der "Sitz im Leben" des lukanischen Doppelwerkes ist von den Exegeten bisher eher nur als Schlußfolgerung oder thetisch als Voraussetzung für die Bestimmung des theologischen Profils des Lukas - und häufig auch nur implizit - in Anschlag gebracht worden. D.h. es wurde in der redaktionsgeschichtlichen Analyse des lukanischen Doppelwerkes gern eine bestimmte historische - zumal auch theologische - Situation für das analysierte theologische Proprium der zentralen Themen des lukanischen Doppelwerkes angeführt. Denn die Erkenntnis lukanischer Eigentümlichkeiten vorliegende literarische Produkt "zunächst nur auf dem Wege über die Gattung" vers t e h e n : BULTMANN 41.
10 Zu dem Begriff "Makro-Kontext" s. G. SCHNEIDER, Die Apostelgeschichte. I. Teil Freiburg - Basel - Wien 1980, 5. 11
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So auch SCHNEIDER, A p g I 5.
Einen Überblick über die Themen des Lukas-Evangeliums und ihre exegetische Bearbeitung gibt etwa RADL, Lukas 59ff.
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Einleitung
drängte ganz natürlich von selbst zur der Frage, welcher Wandel in der historischen bzw. theologischen Situation des Autors und seiner Adressaten die spezifische Akzentuierung bzw. Dominanz bestimmter Themen veranlaßt und beeinflußt haben kann. Doch gab es keine direkten Analysen des lukanischen "Sitz im Leben". "Trotz der Fülle erschienener Untersuchungen" zum lukanischen Doppelwerk bleibt darum "die Frage aktuell", welche Bedingungen den besonderen Richtungssinn des lukanischen Doppelwerkes hervorgebracht haben.13 Eine neue Methode - etwa "a socio-redaction criticism of LukeActs"14 - ist darum m.E. streng genommen nicht nötig, wenngleich natürlich die Berücksichtigung der "ideas and techniques drawn from the social sciences"15 eine sinnvolle und hilfreiche Ergänzung der weithin auf theologische Themen und literarische Techniken beschränkten Anwendung der Redaktionsgeschichte einbringt. Mir geht es um eine konsequente Anwendung der redaktionsgeschichtlichen Exegese, insofern hier explizit nach der historischen Lage der lukanischen Christenheit gefragt wird. Und darum geht es in diesem Zusammenhang auch um eine sozialgeschichtliche Ergänzung der traditionell literarisch-theologisch ausgerichteten Redaktionsgeschichte. In diesem Sinne geht es mir also redaktions- und sozialgeschichtlich um die Welt des Erzählers Lukas, nicht um die von ihm erzählte Welt. D.h. das lukanische Doppelwerk wird vor allem auf die eigene Situation seines Verfassers bzw. seiner Adressaten hin befragt und steht nicht als "Quelle" der in ihm berichteten "Geschichte" Jesu und seiner Jünger bzw. Apostel zur Debatte. Theologischer bzw. "kirchengeschichtlicher" Ort In der redaktionsgeschichtlich arbeitenden Lukasexegese hat sich im Zusammenhang der Frage nach dem historischen Ort des Lukas seit den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts vor allem ein Interesse an der "theologischen" Einordnung des Lukas herausgebildet.16 Dabei gelten als die äußersten Orientierungspunkte nach vorne und hinten die Briefe des Paulus und das Werk Justins.17 Dieses im gewissen Sinne "theologiegeschichtliche" Interesse läßt sich leicht etwa an Untersuchungen zum Thema des "Paulinismus" der Apostelgeschichte18 und der Auseinandersetzung um den angeblichen "Früh-
13
So zu Recht BRAUMANN, Lukas XXIV. PH. F. ESLER, Community and Gospel in Luke-Acts. The Social and Political Motivations of Lucan Theology, Cambridge 1987, 2. 15 Ebd. 5. 16 S. zuletzt nur RADL, Lukas 138ff. 17 Dazu nur J.C. O'NEILL, The Theology of Acts in its Historical Setting, London 19702; H. CONZELMANN, Der geschichtliche Ort der lukanischen Schriften im Urchristentum, jetzt in: BRAUMANN, Lukas 236-260. 18 S. hier nur PH. VIELHAUER, Zum "Paulinismus" in der Apostelgeschichte, in: ders., Aufsätze zum Neuen Testament, München 1965, 9-27. 14
Einleitung
13
katholizismus"19 des Lukas aufzeigen. Doch geht es dabei nicht nur um eine theologische Verortung des Lukas innerhalb des Spektrums der frühesten "christlichen" Theologie. Vielmehr hat sich dieses Interesse am theologischen Standort des Lukas auch "kirchengeschichtlich" ausgedrückt. Dafür steht schon das erwähnte Stichwort "Frühkatholizismus" und die mit ihm verbundene breite Diskussion, die sich etwa auch in dem Begriff "nachapostolisch"20 ausdrückt; dies zeigt sich gerade auch - im Kontext des Themas der "Heilsgeschichte" und der sogenannten "Parusieverzögerung" - etwa in der Rede von der "Zeit der Kirche"21 bzw. der "dritten Generation"22 als des geschichtlichen Ortes der lukanischen Theologie. In diesem Zusammenhang konnte ja geradezu grundsätzlich behauptet werden, daß "der Standort, von dem aus Lukas seine Geschichtsschau entfaltet", in der "Kirche" gesehen werden muß. 23 Denn eben darin entdeckte man das Besondere der lukanischen Schriftstellerei, daß hier schon aus der "Distanz der dritten Generation"24 geschrieben und zurückgeblickt wird auf die "Anfangszeit als Epoche sui generis"25. Entsprechend wurden einzelne theologische Themen des Lukas aus seiner besonderen Situation verstanden. So sei etwa in der lukanischen Eschatologie aufgrund des Ausbleibens der Parusie an die Stelle "der ursprünglichen Konzeption von der Nähe des Reiches eine sekundäre Konstruktion" getreten,26 die eine "Bereitschaft auf lange Sicht" fordere, sei das Reich Gottes "in die metaphysische Ferne gerückt"27. Überhaupt habe Lukas ein Bewußtsein von "Tradition" entwickelt, indem er sich zum Beispiel als deren "Sachwalter" verstehe und sich nicht damit begnüge, "diese weiterzugeben, sondern reflektiert über das Wesen der Tradition, indem er seinen eigenen Standort in der Traditionskette bestimmt"28. War damit auch der Grund gelegt für eine weitgespannte Diskussion über die lukanische "Historisierung" der Tradition, konnten über Lukas als "Historiker" und "Theologen" Aussagen gemacht werden, so wurde seine eigene Leistung im Gegenzug dazu aber auch relativiert und Lukas zu einem "sammelnden Redaktor der apostolischen Traditionen" erklärt.29 Der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes 19 E. KÄSEMANN, Neutestamentliche Fragen von heute, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen. 2 Bde., Göttingen 1965 4 ,1965 2 : II 11-31. Zur weiteren Literatur s. RADL, Lukas 139f. 20
21
F. HAHN, D a s P r o b l e m d e s Frühkatholizismus, E v T h 3 8 (1978) 340-357.
H. CONZELMANN, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, Tübingen 19645; ders., Zur Lukasanalyse, in: BRAUMANN, Lukas 43-63. 22
S. nur CONZELMANN, Ort 254.
23
E. LOHSE, Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, jetzt in: BRAUMANN, Lukas 64-90: 77; weitere Literatur bei RADL, Lukas llf. 24 25 26 27 28
CONZELMANN, CONZELMANN, CONZELMANN, CONZELMANN, CONZELMANN,
Ort 254. M i t t e 1%. M i t t e 88. M i t t e 104. Ort 250.
29 H. SCHÜRMANN, Das Lukasevangelium. Erster Teil, Freiburg - Basel - Wien 1969,16.
Einleitung
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als "begnadeter Kirchenmann"30, der die Kirche seiner Zeit auf die Basis einer "allzeit maßgebliche(n) apostolische(n) Paradosis" gründen wollte!31 D.h. nicht nur und nicht so sehr das Bewußtsein von der eigenen Zeit als "Zeit der Kirche", sondern im Grunde schon die Einflußnahme auf das kirchliche Selbstverständis seiner Zeit wird Lukas hier bescheinigt, sei es ihm doch um der "Einheit der Kirche willen" darum gegangen, einen Ausgleich zwischen der "judenchristlich-palästinensischen und heidenchristlich-paulinischen Traditionen" herzustellen.32 Man fühlt sich an die "Tübinger Schule" erinnert. Das Stichwort "Frühkatholizismus" ließ im übrigen nicht nur nach dem lukanischen Verhältnis zur Tradition überhaupt, sondern auch zu bestimmten kirchlichen Institutionen wie Amt und Priestertum, Sakrament und Sukzession fragen.33 Häufig ist ein systematisch-theologisches, manchmal schon dogmatisches Interesse an der lukanischen Theologie nicht zu verkennen, insofern die historische Rückfrage nicht selten durch die theologischen Interessen der Gegenwart beeinflußt scheinen. Diese - zum Teil auch mit unhistorischen Werturteilen verbundenen34 theologischen oder kirchengeschichtlichen Einschätzungen des Lukas, auf die ich hier nur ansatzweise eingehen konnte, ließen sich leicht vermehren. Allein im Kontext meiner Fragestellung ist ein anderer Aspekt dieser Diskussion wichtig, der sich zumal auch in der mehr "kirchengeschichtlichen" Verortung der lukanischen Theologie schon kundgibt. Denn indem grundsätzlich die "Kirche" als Standort der lukanischen Theologie verstanden wurde, wurde mehr oder weniger explizit auch nach deren Erfahrungen in der Lukaszeit etwa hinsichtlich ihres Verhältnisses zur "Welt" bzw. zum römischen Staat gefragt. Desgleichen drängte die Analyse der lukanischen "Auseinandersetzung" mit Israel bzw. dem Judentum zur Erörterung der Beziehungen der lukanischen Christenheit zu den Synagogen. Diese Rückfragen stellten sich umso mehr, je genauer einzelne theologische Konzeptionen des Lukas analysiert wurden, wie sich etwa daran zeigt, daß der Analyse der lukanischen Eschatologie, die durch das Bewußtwerden des Ausbleibens der Parusie geprägt sein soll, parallel ein Interesse des Lukas am sich Einrichten der Kirche
30
SCHÜRMANN, L k 17.
31
SCHÜRMANN, Lk 3. SCHMITHALS, Apg 18, hält Lukas für einen "engagierten Mann seiner Kirche"; vgl. auch KARRIS, CBQ 83: "pastoral theologian". 32
SCHÜRMANN, Lk 17.
33
CONZELMANN, Ort 249: "Alle (!) diese Merkmale fehlen bei Lukas bzw. finden sich nur in ersten Spuren". 34
W. ELTESTER, Lukas und Paulus, in: J. KROYMANN - E. ZINN, Eranion. FS für
H. Hommel, Tübingen 1961, 1-17, hat wohl mit gutem Recht in diesem Zusammenhang die Beeinträchtigung von historischer Forschung durch dogmatische bzw. theologische Werturteile kritisiert: 7. S. u.a. auch W. G. KÜMMEL, Lukas in der Anklage der heutigen Theologie, in: BRAUMANN, Lukas-Evangelium 416ff.
Einleitung
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in dieser Welt entspreche.35 Und demgemäß untersuchte man die "politische Apologetik" des Lukas und dessen "Auseinandersetzung mit dem Judentum" nicht nur auf der inhaltlich-theologischen Ebene, obgleich vor allem hier, sondern auch im Blick auf die möglichen konkreten Erfahrungen der lukanischen Christen. Ebenso gab die ungewöhnlich breite Behandlung der sozialen Aspekte der Reich-Gottes-Verkündigung des lukanischen Jesus zu der Frage Anlaß, ob nicht eine spezifische Situation im Leben der lukanischen Christenheit diesen besonderen Akzent seiner Theologie hervorgerufen hat. So mußten sich zwangsläufig die Aussagen über den theologischen bzw. kirchengeschichtlichen Ort der lukanischen Schriften auf solche seines geschichtlichen bzw. historischen Ortes ausdehnen. Hierbei sind im Prinzip drei grundlegende Erfahrungsebenen der lukanischen Christenheit zu unterscheiden, deren Beziehungsgefüge den "Sitz im Leben" der lukanischen Schriftstellerei prägt:36 1. das Verhältnis der lukanischen Christen zur "Welt" (insbesondere zum römischen Staat bzw. seinen verschiedensten Repräsentanten, überhaupt zur heidnischen Umwelt); 2. ihr Verhältnis zu Israel bzw. überhaupt dem Judentum (insbesondere zu den Synagogen der Diaspora); 3. schließlich das Verhältnis der lukanischen Christen zueinander (insbesondere die soziologische Schichtung der Gemeindemitglieder einschließlich ihrer religiösen Herkunft). Während die ersten beiden Erfahrungsebenen zumal auch in der älteren redaktionsgeschichtlichen Analyse der lukanischen Schriften - wenigstens ansatzweise - immer schon eine Rolle gespielt haben, ist die "Gemeindesoziolo35 CONZELMANN, Mitte 128: "Durch die Dehnung der Zeit entstehen im Verhältnis der Kirche zu ihrer Umwelt Probleme, die am Anfang durch die Naherwartung überdeckt waren. Es handelt sich vor allem um das Verhältnis zum Judentum und um das zum Imperium." 36 Eine noch bis in die Gegenwart behauptete anti-häretische Position des Lukas kann m.E. nicht so überzeugend aufgewiesen werden, daß es sich lohnen würde, dafür eine eigene Erfahrungsebene zu untersuchen. S. dazu neuerdings v.a. SCHMITHALS, Apg 3.18.21.24 u.ö.; vgl. ders., Lukas - Evangelist der Armen, ThViat 12 (1975) 153168: 160-163. Ebenso gehe ich nicht ein auf jene Studien, die grundsätzlich die historisch-kulturelle Situation bzw. die literarischen Aspekte der lukanischen Schriftstellerei diskutieren; s. dazu nur H. CADBURY, The Book of Acts in History, New York 1955, der nach griechischen, römischen, jüdischen und christlichen Kultureinflüssen unterscheidet und wohl zu Recht sagt, daß die Apostelgeschichte "a first-rate source for an impression of what contemporary life under Romans was like" (58) sei. Vgl. auch E. PLÜMACHER, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, Göttingen 1972; C.H. TALBERT, Literary Patterns, Theological Themes, and the Genre of Luke-Acts, Missoula 1974.
16
Einleitung
gie" erst in jüngster Zeit näher diskutiert worden. 37 Das hängt natürlich auch mit der methodologischen Einschränkung der Redaktionsgeschichte auf theologische und literarische Aspekte zusammen. 38 Auf die genannten drei Erfahrungsebenen werde ich jetzt näher eingehen - zunächst auf die dritte, um dann auf die ersten beiden Erfahrungsebenen zu sprechen zu kommen. Gemeindesoziologie Schichtspezifische
Zusammensetzung
Bei der Diskussion der innergemeindlichen Probleme steht vor allem das für die lukanischen Schriften bedeutende Thema von Armut und Reichtum zur Debatte. 39 Denn in der Tat gilt: "In keinem anderen Evangelium spielen die Kritik und die Sorge gegenüber den Reichen (...), der Aufruf zu Besitzverzicht (...) und Wohltätigkeit (...) sowie die Verheißungen für die Armen (...) eine so bedeutsame Rolle wie bei Lukas... Dieser Befund ruft Fragen hervor, vor allem die nach dem historischen Hintergrund solcher Paränese."40 Wo man dem Thema nicht nur symbolische Bedeutung zuspricht,41 ist gerade auch zum historischen Hintergrund eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen worden, 42 die etwa hinsichtlich der lukanischen Forderungen und ihrer Adressaten eine Unterscheidung vornehmen, 43 oder aber insgesamt die "Großwetterlage" der lukanischen Christenheit, d.h. in besonderer Weise eine aktuelle "Verfolgungssituation" annehmen, die sich gerade auch in der Einziehung des Vermögens von Christen ausgewirkt haben soll.44 Am ehesten
37 Bezeichnend für die ältere Forschungslage ist noch der Forschungsbericht von GRÄSSER, der nur zwei Sätze dem Problem von arm und reich widmen kann: ThR 42,
66.
38 ESLER: "Somewhat surprisingly, admidst the battery of critical approaches to the New Testament there is none which is really suited to explicating the relationships between Luke's theology and his community" (2); vgl. aber den vorsichtigen Versuch von L.T. JOHNSON, OnJFinding the Lukan Community. A Cautious Cautionary Essay, SBL Seminar Papers, Missoula 1979,87-100. 39 S. bes. H.-J. DEGENHARDT, Lukas - Evangelist der Armen. Besitz und Besitzverzicht in den lukanischen Schriften. Eine traditions- und redaktionsgeschichtliche Untersuchung, Stuttgart 1965; J. ERNST, Das Evangelium nach Lukas - kein soziales Evangelium, in: ThGl 67 (1977) 415-421; L.T. JOHNSON, Sharing Possessions. Mandate and Symbol of Faith, Philadelphia 1981; R J . KARRIS, Poor and Rich. The Lukan "itz im Leben" in: C.H. TALBERT (Hg.), Perspectives on Luke-Acts, Danville - Edinburgh 1978,112-125; ; H.-J. KLAUCK, Die Armut der Jünger in der Sicht des Lukas, in: Ciar. 26 (1986) 5-47; L. SCHOTTROFF - W. STEGEMANN, Jesus von Nazareth - Hoffnung der Armen, Stuttgart 19903,89ff. 40 RADL, Lukas 122; dort auch weitere Literatur. 41 W.E. PILGRIM, Good News to the Poor. Wealth and Poverty in Luke-Acts, Min-
neapolis 1981, bes. 83f; JOHNSON; ERNST. 42
S. dazu RADL, Lukas 123ff; KLAUCK 32-39. So DEGENHARDT, der die radikale Forderung der Armut für Amtsträger, wandernde Missionare und Gemeindeleiter reserviert. 44 So SCHMITHALS, ThViat (passim) und Apg, 11. 43
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dürften wohl jene Interpretationen überzeugen, die die Thematik soziologisch deuten und auf eine schichtspezifische Lage der lukanischen Christenheit zurückführen, d.h. mit reichen und armen Mitgliedern in ihr rechnen.45 Dabei ist vor allem die Frage umstritten, in welcher Weise die soziologische Stratifikation der lukanischen Christenheit zu deuten ist, ob also "Luke's community contained members from either end of the socio-economic spectrum in the Hellenistic city in which it was located"46, oder ob nicht eher damit zu rechnen ist, daß Vertreter des äußersten Endes der Armut, also die πτωχοί, in der lukanischen Christenheit nicht zu finden sind.47 Religiöser Hintergrund Mit der schichtspezifischen Analyse hängt aufs engste die Frage nach der religiösen Herkunft der lukanischen Christen zusammen. Schon in der älteren Forschung war man der Meinung, daß das lukanische Doppelwerk vom Standpunkt eines Heidenchristen und für dominierend heidenchristliche Adressaten geschrieben worden ist. Mit überwiegend judenchristlichen Adressaten rechnet dagegen niemand, während einige Forscher eine mehr oder weniger große, jedoch theologisch signifikante Gruppe von Judenchristen annehmen, 48 ja, neuerdings wird sogar mit einer "balance of Jews and Gentiles 45 KARRIS, Poor and Rich, rechnet etwa damit, daß in der lukanischen Gemeinde reiche und arme Mitglieder sind und Lukas hauptsächlich damit beschäftigt sei, die durch die reichen Mitglieder verursachten Gemeindeprobleme zu lösen; zu ganz ähnlichen Vermutungen komme ich selbst (SCHOTTROFF - STEGEMANN), meine allerdings, daß es in der lukanischen Christenheit keine bettelarmen (πτωχοί) Mitglieder gibt, sondern vom Spektrum der Armen nur relativ arme Leute: πένητες; vgl. auch W. STEGEMANN, Das Evangelium und die Armen. Über den Ursprung der Theologie der Armen im Neuen Testament, München 1981, 26ff; vgl. auch F.W. HORN, Glaube und Handeln in der Theologie des Lukas, Göttingen 1983. H. MOXNES, The Economy of the Kingdom. Social Conflict and Economic Relations in Luke's Gospel, Philadelphia 1988, widmet neuerdings der lukanischen Gemeindesituation einige wenige Überlegungen (162ff) und kommt zu dem Schluß, daß die Begriffe "arm" und "reich" zu unpräzise seien, um die soziale Realität der lukanischen Zeit zu erfassen. Er will lieber von Zugehörigkeit zur "social elite" bzw. "nonelite" sprechen. Zur lukanischen Christenheit habe niemand von der sozialen Elite gehört, freilich sei die "nonelite" in sich sehr differenziert gewesen, so daß es unter ihr reiche und sogar so arme Mitglieder gegeben habe, die auf Almosen angewiesen gewesen seien (165). Eine ähnliche Struktur vermutet C. OSIEK, Rich and Poor in the Shepherd of Hermas, Washington 1983, 29ff, für die Gemeinde des Hermas. 46
47
ESLER 187.
ESLERS Hinweis (u.a.) auf Lk 14 (185f) als Beleg für die Anwesenheit der πτωχοί in der lukanischen Christenheit ("the feast is certainly an image for the Kingdom and, therefore, for the Christian community": 186) ist kaum überzeugend. In der Tat: den Bettelarmen (πτωχοί) gilt das Reich Gottes. Aber ist das Gottesreich ein Bild für die lukanische Gemeinde? 48 Vgl. etwa S.G. WILSON, Luke and the Law, Cambridge 1983, der für die kritische Auseinandersetzung mit der Tora in der Apostelgeschichte "an extremist Jewish Christian minority" verantwortlich macht (107). V.a. J. JERVELL, Das gespaltene Israel und die Heidenvölker. Zur Motivierung der Heidenmission in der Apostelgeschichte, StTh 19 (1965) 68-96; ders., T h e Law in Luke-Acts, H T h R 64 (1971) 21-36; ders., Paulus -
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in Luke's community" 49 gerechnet. Welche Aussagen im lukanischen Doppelwerk selbst sprechen denn für einen signifikanten Anteil messianischer Juden in der lukanischen Christenheit? Für einen - zumindest theologisch - signifikanten Anteil von Judenchristen innerhalb der lukanischen Christenheit lassen sich prima vista durchaus textliche Gründe anführen. 50 D o c h haben wirklich zur lukanischen Christenheit signifikant viele messianische Juden gehört, so daß sie in theologischer und sonstiger Hinsicht von zentraler Bedeutung für die lukanische Christenheit gewesen sind? M.E. besteht eine solche A n nahme gerade nicht die Nagelprobe einer Analyse, die jenseits von theologischen Konzeptionen im lukanischen Doppelwerk nach äußeren Indizien für das Vorhandensein judenchristlicher Mitglieder bzw. durch sie verursachte Probleme in der lukanischen Christenheit fragt. D e n n zwar berichtet Lukas uns in der Apostelgeschichte davon, daß im Zuge der paulinischen Mission in der Diaspora auch einige Juden zum Glauben an Jesus Christus g e k o m m e n und Mitglieder der außerhalb der Synagogen entstehenden christlichen Gemeinschaften geworden sind. D o c h wird von ihnen ansonsten nichts erzählt, geschweige denn irgendein Konflikt ihretwegen innerhalb der christlichen Gemeinschaften oder mit den Synagogen der Diaspora berichtet. Vielmehr
der Lehrer Israels. Zu den apologetischen Paulusreden in der Apostelgeschichte, NovTest 10 (1968) 164-190. Er rechnet mit einer kleinen, aber theologisch relevanten judenchristlichen Minorität in der lukanischen Gemeinde. Die Heidenmission werde zu einem Problem, weil Judenchristen wegen ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde aus der Synagoge ausgeschlossen worden sind. Deren jüdische Identität stehe nun zur Debatte. Neuerdings auch M. KLINGHARDT, Gesetz und Volk Gottes. Das lukanische Verständnis des Gesetzes nach Herkunft, Funktion und seinem Ort in der Geschichte des Urchristentums, Tübingen 1988. Er vermutet mehrere judenchristliche Gruppen in der lukanischen Gemeinde, deren radikalste (die Lukas als "Pharisäer" bezeichne) von den Heidenchristen die Beschneidung verlange. Lukas lehne die Forderungen aller dieser Gruppen ab; vgl. SCHNEIDER, Apg I 147: Lukas wende sich an Adressaten in einem "Milieu", "in dem die Judenchristen ein geachtetes und offenbar auch einflußreiches Element darstellten"; Lukas und seine Leser seien ehemalige Gottesfürchtige gewesen (146). J.T. SANDERS, The Jews in Luke-Acts, London 1987, setzt für Lukas eine judenchristliche bzw. jüdische Oppositon voraus. Zwischen beiden würde Lukas kaum unterscheiden: "Inasmuch as Luke knows of Jewish Christians in his own day who want to 'Judaize' Christianity and receives at the same time the Christian tradition that the Jewish leaders and Jerusalem killed Jesus which may already have become in Luke's tradition that 'the Jews' killed Jesus - he comes to the opinion that all Jews are equally, in principle at least, perverse (sic!); and he turns his attack on all together, without distinction" (317). SANDERS geht m.E. insgesamt unfair mit Lukas um, den er partout zu einem antisemitischen Schriftsteller machen will. 49
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ESLER 30ff.
Ich nenne hier nur einige Themen: das Aposteldekret; die Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen; die explizite Betonung des Judentums in der lukanischen Darstellung des Paulus; die Akzentuierung der jüdischen Identität der Jerusalemer Urgemeinde; es werden auch wenige Juden der Diaspora (!) während der Mission des Paulus für den Glauben an Jesus als den Messias gewonnen; die LXXMimesis zumal in Lk lf und Act 1-12; schon im Evangelium beginnt die irdische Geschichte Jesu im Tempel bzw. unter Mitgliedern des frommen Judentums; Jesu Judentum wird in der Vorgeschichte betont.
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kommt in diesem Zusammenhang ganz offenkundig den "Gottesfiirchtigen" eine bedeutendere Rolle zu. Doch kann man erwägen, ob dem sogenannten "Aposteldekret" bzw. überhaupt der lukanischen Darstellung des Apostelkonvents eine lukanisch-gegenwärtige Situation zugrundeliegt, in der Judenchristen "have been ostracized by their fellow-Jews for endangering Jewish ethnic identity by sharing table-fellowship with Gentiles" 51 . Doch gibt es auch hier gewichtige Gegengründe. Denn (1.) ist ja zunächst einmal bemerkenswert, daß in der lukanischen Darstellung des sogenannten Apostelkonventes die treibenden Kräfte des antiochenischen Konfliktes nicht als Vertreter des (nicht-messianischen) Judentums auftreten, also zweifellos keine "fellow-Jews" außerhalb der christlichen Gemeinschaft waren, 52 sondern iaàcnchristen aus Judäa! Und auch wenn hier nicht nur die besondere Situation der Christenheit in Antiochia selbst im Blick ist (vgl. aber Act ll,19ff), es vielmehr grundsätzlich um die Situation der Heidenchristen g e h t 5 3 so deutet gerade nichts darauf, daß Lukas hier ein Problem des Zusammenlebens von Juden- und Heidenchristen aufgreift, das in den entsprechenden Gemeinden selbst eine Rolle gespielt hat oder gar dort aufgekommen ist. Weder über Antiochia noch über irgendeine andere Gemeinde des paulinischen Missionsgebietes wird von Gemeinschaftsproblemen dieser Art in der Apostelgeschichte des Lukas irgendetwas berichtet. Vielmehr gewinnt man aus der Apostelgeschichte den Eindruck, daß es sich um ein Problem von Judenchristen in Judäa bzw. in Jerusalem (!) handelt, das von diesen in die antiochenische Gemeinde hineingetragen worden ist (Act 15,lf) bzw. dessen "Konsequenzen" im Aposteldekret von den Aposteln und Ältesten in Jerusalem den Gemeinden in Antiochia, Syrien und Kilikien verbindlich gemacht werden. Ebenso geht es (2.) in der Darstellung des Lukas - und darauf kommt es ja hier an, was immer Paulus uns in Gal 2,llff berichtet - in Antiochia nicht um das Problem der "table-fellowship with Gentiles". Vielmehr thematisieren die τ ί ν ε ς aus Judäa die Frage der Beschneidung (bzw. damit verbunden: der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk) wegen der eschatologischen Rettung (Act 15,1). Auch das Aposteldekret selbst läßt sich (3.) nicht auf die soziologischen Hintergründe einer "table-fellowship" zwischen Juden- und Heidenchristen reduzieren, wie das πορνεία-Verbot zeigt. 54 Vielmehr deutet Act 15,21 als Begründung 55 der vier Forderungen an die Heidenchristen - wie immer man diesen schwierigen Vers genauer deuten mag - nicht auf einen inner-
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ESLER 45; z u m A p o s t e l d e k r e t : ESLER 71ff; d a z u a u c h KLINGHARDT 158ff;
Auch wenn in Act 15 t l unbestimmt von τ ί ν ε ς gesprochen wird, ist aus deren Position (οϋ δ ύ ν α σ θ ε σωθηναι) nur auf JudencAráfen zu schließen; vgl. Act 15,5: Φ α μ σ α ι α πεταστευκότες; auch oí έ κ περαομ,ής in Act 11,2 sind doch wohl Judenchristen, wie sich auch aus Act 10,45 und Act 11,18 nahelegt. 53 Darauf läßt ja die Adresse des Jerusalemer Briefes schließen (Act 15, 23: christliche Gemeinden in Antiochien, Syrien und Kilikien; vgl. auch Act 21,25, wo allgemein von den π ε π ι σ τ ε υ κ ό τ ε ς ε θ ν η im Zusammenhang des Aposteldekretes gesprochen wird. Literarkritische Erwägungen über die Adresse des "Synodalschreibens" in Act 15,23, wie sie etwa schon CONZELMANN vorgenommen und als Beweis dafür genommen hat, daß Lukas hier "ein vorgefundenes Dokument zitiere", sind also wohl überflüssig: H. CONZELMANN, Geschichte, Geschichtsbild und Geschichtsdarstellung bei Lukas, ThLZ 85 (1960) 241ff: 247. 54 Vgl. Act 15,20.29; 21,25. Mit einem Hinweis auf das indische Kastenwesen wird das Verbot von πορνεία keineswegs zu einem Problem jüdischer "table-fellowship": so aber argumentiert ESLER 76. 55 Vgl. die Einführung des Satzes mit γάρ.
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christlichen, das Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen betreffenden Konflikt, sondern der Vers scheint gerade das Gegenüber von christlichen Gemeinschaften einerseits und Diasporasynagogen andererseits im Blick zu haben.56 Aus all dem läßt sich darum nach meiner Meinung eher schließen, daß das sogenannte "Aposteldekret" auf der lukanischen Erfahrungsebene entweder das Verhältnis der heidenchristlichen Gemeinden zum judäischen bzw. Jerusalemer Judenchristentum reflektiert,57 oder aber eine Problemlage zwischen dem Judentum der Diaspora und den heidenchristlichen Gemeinschaften aufgreift.58 Weniger einleuchtend scheint mir die These, daß das Dekret ein innerchristliches Problem des Zusammenlebens von Juden- und Heidenchristen in der εκκλησία regeln will. Vor allem aber ist bemerkenswert, daß die lukanische Schilderung der Konflikte des Paulus und seiner Begleiter mit Synagogen der Diaspora sich gerade darin von den Paulusbriefen unterscheidet, daß hier kein Fall berichtet wird, in dem gegen diese Judenchristen irgendwelche inner-synagogalen "Disziplinarmaßnahmen" stattfinden. Dies ist umso merkwürdiger, da ja Lukas allen Grund gehabt hätte, jedenfalls von Paulus, auf dessen Judentum er so viel Wert legt, solche Erfahrungen zu erzählen. 59 Überhaupt - und dies wird die nachfolgende Untersuchung noch näher begründen - reflektiert die Apostelgeschichte in der Darstellung der Konflikte zwischen Christen und Juden außerhalb des jüdischen Landes einen heidenchristlichen Erfahrungshorizont, der sich nach meiner Überzeugung gerade auch daran zeigt, daß Lukas keine disziplinarischen Beziehungen zwischen (Juden-)Christen und den Diasporasynagogen zu kennen scheint.
56 Beachte die doch offenkundig auf die Situation des Diasporajudentums abzielende Formulierung in Act 15,21: Mose hat έκ γενεών αρχαίων κατά πάλιν (!) seine Verkündiger, insofern er in den Synagogen an jedem Sabbat verlesen wird. Vgl. zu diesem Gegenüber auch die Beschneidung des Timotheus, die wegen "der Juden in jenen Gegenden" geschieht (Act 16); vgl. auch das Verhalten des Paulus, der sich wegen der Gerüchte über ihn dem Nasiräat anschließt: Act 21. 57 Vgl. dazu nur CONZELMANN in seinem zusammenfassenden Referat zu HAENCHENS Position im Acta-Kommentar: "Szene, Reden und Beschluß (der lukanischen Darstellung des Apostelkonventes, W.S.) entsprechen dem lukanischen Kirchenbegriff und Geschichtsbild. Sie begründen den Zusammenhang der 'heutigen Kirche' mit der ursprünglichen": CONZELMANN, Geschichte 247. Ich zitiere im übrigen folgende Ausgabe des Kommentars von E. HAENCHEN, Die Apostelgeschichte, Göttingen 19655. 58 S. STOWERS, The Synagogue in the Theology of Acts, Restoration Quarterly 17 (1974) 129-143, äußert in diesem Zusammenhang die Vermutung, Lukas wolle die Kirche aus Juden und Heiden den Heidenchristen als "younger brother" des Judentums empfehlen. Sie hätten demgemäß in Beziehung auf die Judenchristen den Status von "Gottesfürchtigen" einzunehmen, also die noachitischen Gebote des Aposteldekretes zu beachten (135.142f). 59 Aus den Paulusbriefen selbst gehen ja solche disziplinarischen Erfahrungen hervor: II Kor 11,24.
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Die lukanische Christenheit eine Sekte? Die Anwendung der "Sekten-Typologie" auf die lukanische Christenheit liegt in einer gewissen Logik der Forschung begründet. Sie ergibt sich einerseits aus der zunehmenden Bedeutung der Sektensoziologie in der modernen Exegese, 60 andererseits auch aus der Diskussion um die Frage nach der Kontinuität zwischen der "Kirche" und "Israel" bei Lukas.61 Seit einiger Zeit schon wird die ursprünglich auf die mittelalterliche Lage 62 bezogene "Sektentypologie" zur Erklärung des Urchristentums herangezogen. Sei es, daß man in der Jesusbewegung als einer innerjüdischen Erneuerungsbewegung den "Sektentypus" angelegt3 sieht, oder gar überhaupt das Urchristentum unter dieser so-
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So ESLER 46ff.
Dazu F. BOVON, Israel, die Kirche und die Völker im lukanischen Doppelwerk, jetzt in: ders., Lukas in neuer Sicht. Gesammelte Aufsätze, Neukirchen-Vluyn 1985, 120-138: 128ff. 62 Erstmals umfassend von E. TROELTSCH, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. Gesammelte Schriften Band 1, 3. Neudruck der Ausgabe Tübingen 1922 (Aalen 1977), 362ff, ausgearbeitet. Trotz der ursprünglichen Beziehung der Unterscheidung der Sozialformen "Kirche" und "Sekte" auf die mittelalterliche Situation, ist interessant, daß TROELTSCH im Urchristentum selbst den "letzte(n) Grund" dafür sieht, daß es zu einer Ausbildung solcher "doppelten Struktur" kommen konnte (365). Im "Paulinismus" sei trotz seiner stark individualistischen und enthusiastischen Züge der Kirchen-Typ angelegt: indem er "die Welt für den Herrn erobern wollte, mit der staatlichen Ordnung sich als einer göttlichen Ordnung ... abfand, die Berufe und Lebensformen bestehen ließ und nur die Einigung in dem Besitz der Gnadenkräfte des Leibes Christi verlangte, die durch den Geist dann das neue Leben von selbst und von innen heraus wirken und damit das baldige Kommen des Gottesreiches ... vorbereiten sollten" (368). Doch schon neben dem "Paulinismus" habe ein "weltindifferenter oder gar weltfeindlicher Radikalismus bestanden in Gestalt des Liebeskommunismus der Urgemeinde und der chiliastisch-apokafyptischen Weltverwerfung" (359). Während dann die im "Paulinismus" angelegten Tendenzen in der "sozialen Entwicklung der alten Kirche" weiter bestanden, so der "Radikalismus" in den "montanistischen und donatistischen Sekten und vor allem im Mönchtum" (359). Auch wenn TROELTSCH nicht die Jesusbewegung selbst als eine Sozialbildung vom Typus Sekte versteht, so sieht er doch, daß die Sekten mit guten Gründen auf Predigt und Vorbild Jesu und das Muster des armen Lebens der Apostel zurückgreifen und den "vom Evangelium gepredigten religiösen Individualismus ... zur religiösen Genossenschaft" zusammenschließen konnten (376). 63 So G. THEISSEN, Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jesu im Urchristentum, jetzt in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 19832, 79ff: 104f. In der modernen soziologischen Exegese hat sich vor allem THEISSEN von TROELTSCH'S Unterscheidung der Sozialformen eines "Kirchen-" und "Sektentypus" bzw. der "Mystik" anregen lassen. Er hat entsprechende "Sozialformen" des Urchristentums im "Liebespatriarchalismus" der paulinischen Gemeinden, im "Wanderradikalismus" der Jesusbewegung und im gnostischen "Spiritualismus" gefunden: vgl. dazu THEISSEN, Studien 23f.67ff.104f.288. Schon der Begriff "Liebespatriarchalismus", auch wenn er so nicht bei TROELTSCH ZU finden ist, zeigt deutlich den Einfluß der "Soziallehren". TROELTSCH spricht ja vom 'Typus des christlichen Patriarchalismus, der seine Vorbereitung im spätjüdischen gehabt habe, aber durch die Wärme der christlichen Liebesidee, durch den Zusammenschluß aller im Leibe Christi, seine besondere Färbung erhält" (Soziallehren 67). Zur Diskussion der Sektensoziologie im Blick auf das frühe Christentum s. auch E. SCHÜSSLER
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ziologischen Kategorie versteht.64 Gerade auch die aus den Paulusbriefen erkennbare theologische Auseinandersetzung mit dem Judentum und speziell hinsichtlich der Bedeutung der Tora wird aus der Bestimmung der paulinischen Gemeinden als "sectarian movements" gedeutetet.65 Ebenso wird in dieser Weise der historische Hintergrund einzelner Schriften des NT gedeutet,66 neuerdings auch der des lukanischen Doppelwerkes.67 Die Kirche-Sekte-Distinktion Schon die ältere Kirche-Sekte-Distinktion 68 will jenseits von einer wertenden Beurteilung "Kirche" und "Sekte" als "zwei soziologische Typen" unterscheiden. Sie versteht die Sozialform Kirche als eine "überwiegend konservative, relativ weltbejahende, massenbeherrschende und darum ihrem Prinzip nach universale, d.h. alles umfassen wollende Organisation". Dagegen sind Sekten relativ "kleine Gruppen", deren Mitglieder eng miteinander verbunden sind und auf "Weltgewinnung" verzichten. Sie verhalten sich dem Staat und der Gesellschaft gegenüber "indifferent" (entweder tolerant oder feindlich). Hinsichtlich ihrer soziologischen Schichtung sollen sich die beiden Sozialformen dadurch unterscheiden, daß Sekten sich auf die "Unterschichten" oder auf gegen den Staat und die Gesellschaft eingestellte Schichten beziehen, während die Kirchen alle Schichten umfassen und zumal auch die "herrschenden Schichten" integrieren. Das Verhältnis zur Welt werde in der Kirche so gestaltet, daß "alle weltliche Ordnung als Mittel und Vorstufe auf den überweltlichen Lebenszweck" verstanden wird, während Sektenmitglieder sich "unmittelbar" auf "den überweltlichen Lebenszweck" beziehen. 69 Initiation in die Kirche geschehe durch Geburt, dagegen finde der Beitritt zu einer Sekte durch bewußte Konversion statt. Auch hinsichtlich der Organisationsmethoden - eine Kirche ist eine große, hierarchisch organisierte Institution, die Sekte dagegen eine kleine, weithin autonom organisierte Gruppe - seien Unterschiede erkennbar. 70 FIORENZA, Zu ihrem Gedächtnis... Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München - Mainz 1988,109ff. 64 R. SCROGGS, TTie Earliest Christian Communities as Sectarian Movements, in: Christianity, Judaism and other Greco-Roman Cults, Vol. 2 (FS M. Smith), in: J. Neussner (Hg.), Christ. Leiden 1975,1-23. 65 F. WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, Cambridge 1986, vertritt die These, daß Paulus' Thematisierung des Judentums und der Tora die soziale Realität der paulinischen Gründung heidenchristlicher Gemeinschaften in strenger Separation von den jüdischen Synagogen zugrundeliegt. Die theologische Reflexion des Paulus würde diese Situation legitimieren und sei aus der soziologischen Typik von Sekten erklärbar (1041). 66 J. H. ELLIOTT, A Home for the Homeless. A Sociological Exegesis of 1 Peter, its Situation and Strategy, Philadelphia 1981, will etwa mit Hilfe der Sekten-Soziologie die besondere Situation der Adressaten des 1. Petrusbriefes erklären. 67 S. dazu BOVON, Israel 128ff und ESLER 46ff; vgl. auch T.L DONALDSON, Moses Typology and Sectarian Nature of Early-Christian Anti-Judaism. A Study in Acts 7, Journal of the Study of New Testament (JSNT) 12 (1981) 27ff. 68 Ich meine damit zumal die Überlegungen von TROELTSCH, von denen ich hier einige Kriterien der Unterscheidung nach den "Soziallehren" (362ÍT) kurz skizziere. ^ T R O E L T S C H 362.
70 Die auf die mittelalterliche Lage bezogene Anschauung von TROELTSCH kommt in folgender Zusammenfassung gut zum Ausdruck: "Die Kirche ist die mit dem Er-
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In der modernen soziologischen Bestimmung der "Sekte"71 wurden einige gewichtigen Korrekturen vorgenommenen. Zumal der grundsätzliche Kontrast von Kirche und Sekte wird deutlich geringer beurteilt, da die modernen Sekten normalerweise nicht als schismatische oder Protest-Bewegungen innerhalb und gegen die Kirchen entstehen, sondern außerhalb der Kirchen sich entwickeln. Ebenso sei - anders als im mittelalterlichen Europa - der Protest moderner Sekten nicht gegen die Kirche, sondern gegen die säkulare Gesellschaft und den Staat gerichtet.72 Diese korrigierte Sekten-Typologie hat entsprechend den jeweiligen Charakter der Spannung ("tension") der "sectarian movements" mit der Welt als "response to the world" herausgearbeitet73 und auf diese Weise das Instrumentarium der soziologischen Exegese bereichert.74 Wendet man diese Einsichten auf die Situation der lukanischen Christenheit an, so ist sowohl nach deren Verhältnis zum Judentum als auch ihrer "response to the world" zu fragen. Anwendung der Sektentypologie auf Lukas Es kann wohl angenommen werden, daß die lukanische Christenheit eine autonome Minoritäten-Gruppe innerhalb der städtischen Gesellschaft war, die noch keine strenge hierarchische Leitungsstruktur besaß und im Gegenüber zum Judentum der Diaspora und der heidnischen Majorität existierte.75 Der Beitritt zu dieser Gemeinschaft fand als bewußte Konversion statt.76 "Als
gebnis des Erlösungswerkes ausgestattete Heils- und Gnadenanstalt, die Massen aufnehmen und der Welt sich anpassen kann, weil sie von der subjektiven Heiligkeit um des objektiven Gnaden- und Erlösungsschatzes willen bis zu einem gewissen Grade absehen kann. Die Sekte ist die freie Vereinigung strenger und bewußter Christen, die als wahrhaft Wiedergeborene zusammentreten, von der Welt sich scheiden, auf kleine Kreise beschränkt bleiben, statt der Gnade das Gesetz betonen und in ihrem Kreise mit größerem oder geringerem Radikalismus die christliche Lebensordnung der Liebe aufrichten, alles zur Anbahnung und in der Erwartung des kommenden Gottesreiches" (967). 71 Wie sie B. WILSON, Religion in Sociological Perspective, Oxford - New York 1982, vorgeschlagen hat; vgl. auch R. ROBERTSON, The Sociological Interpretation of Religion, New York 1970,115-149; er unterscheidet zwischen exklusiver und inklusiver Mitgliedschaft und "monistischer" und "pluralistischer" Legitimation. Die Sekte habe eine "monistische" Legitimation bei exklusiver Mitgliedschaft, die Kirche bei gleicher Legitimation aber eine inklusive Mitgliedschaft. 72 WILSON 91f. Zu beachten ist freilich, daß TROELTSCH seinerseits die Weltfeindlichkeit der Sekten thematisiert hat. 73 Vgl. dazu B. WILSON, Magic and the Millenium. A Sociological Study of Religious Movements of Protest Among Tribal and Third-World Peoples, London 1973, 18-26.
74 ESLER wendet ausdrücklich (50) in seiner Arbeit über die lukanischen Gemeinde eine Mischung der TROELTSCH'schen Sektensoziologie und der Typologie von WILSON auf die lukanische Christenheit an. 75 ESLER 53f (mit Hinweis auf Act 20,28 und Lk 12,32); vgl. BOVON, Israel: "Daß die damaligen Christen innerhalb der Gesellschaft als Minderheitsgruppe wie eine Sekte leben, steht auch außer Zweifel" (129). 76 BOVON, Israel: "Daß die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft für Lukas wichtig ist und daß noch nicht die Geburt, sondern die freie Entscheidung durch die μετάνοια die Zugehörigkeit bestimmt, bedarf keiner langen Erörterung" (129).
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Merkmale der Sekte könnten wir weiter bei Lukas die charismatische Leitung durch die ersten Führer, das totale Engagement der einzelnen Christen, die Überwachung der moralischen Haltung der Gemeindeglieder und sogar die Bestrafung ihrer Verfehlungen ansehen."77 Freilich ist zu fragen, ob das Verhältnis dieser christlichen Gemeinschaft zum Judentum einerseits und zur "Welt" andererseits wirklich in Kategorien der Sozialform Sekte zu fassen ist. Denn man wird beachten müssen, daß die für die christliche Situation des Hochmittelalters entwickelten Kriterien mutatis mutandis auf die Beziehungen der christlichen Gemeinschaften zum Judentum übertragen werden müßten. 'Εκκλησία und συναγωγή stehen sich aber nicht einfach wie Kirche und Sekte gegenüber. Man mag die sektenartigen Strukturen dieses Gegenüber noch prinzipiell für die judenchristlichen (besser: messianischen) Gemeinschaften im jüdischen Palästina selbst erkennen, also etwa der Jesusbewegung und ihren Nachfolgerinnen in Israel.78 Doch sind ja schon bald auch NichtJuden in diese jüdisch-messianischen "Sekten" integriert worden, ja, in der lukanischen Christenheit sind sie doch ganz offenkundig das prägende Element.79 Die Mitglieder der lukanischen Gemeinschaft stellen eben kein - aus welchen Gründen auch immer - ausgegrenztes Segment innerhalb des Judentums dar (wie etwa in der sektenähnlichen Gemeinschaft der Qumran-Essener),80 sondern stammen gerade von jenseits der ethnischen Grenzen Israels. Und mag man sich in der lukanischen Christenheit theologisch in der Tradition des Judentums wiederfinden, gar die eigene Gemeinschaft als Realisation von dessen prophetisch-messianischer Hoffnung verstehen, auch von den Heiden zum Judentum gerechnet werden und eine gewisse Form "jüdischer" Lebensweise besitzen (Beispiel: Aposteldekret), soziologisch gehört die lukanische Christenheit nicht zum Judentum, denn sie ist nicht nur in ethni-
77 BOVON, Israel 129. Diese Merkmale beziehen sich freilich auf die lukanische Darstellung der Urgemeinde. 78 Vielleicht gilt dies auch für die Jerusalemer Urgemeinde in ihrer lukanischen Darstellung: vgl. BOVON, Israel 130. Diese Deutung erscheint mir jedenfalls einleuchtender als die von ESLER, der in diesem Zusammenhang einen Vergleich mit "intra-church reform movements" für angebracht und die Jerusalemer Urgemeinde für eine "Jewish reform movement" hält: 65. 79 ESLER hilft sich hier mit seiner These von der "dual membership" von Judenchristen in der lukanischen Gemeinde (54ff). Gerade wenn man das oben erwähnte Kriterium von der inklusiven bzw. exklusiven Mitgliedschaft in Kirche und Sekte (ROBERTSON) mutatis mutandis auf die Beziehung der lukanischen Christenheit zum Judentum anwendet, so wäre die These von ESLER - der bei einer vorausgesetzten Trennung von Synagoge und Kirche eine doppelte Mitgliedschaft von Judenchristen unterstellt, die freilich aktuell von der Synagoge unterbunden wird - zur Kennzeichnung des synagogalen Verhaltens im Sinne der Sektentypologie geeignet, gerade aber nicht für die Situation der lukanischen Judenchristen. 80 Ein "intra-Jewish status" der lukanischen Christenheit ergibt sich - jedenfalls in einem soziologischen Sinn - auch nicht aus den Bezeichnungen Nazarener" (Act 24,5) oder ααρεσις (Act 24,5.14; 28,22) für die "Christen": so ESLER 68f. Denn es ist zu fragen, ob sich in diesen Bezeichnungen überhaupt die Sicht des zeitgenössischen Judentums formuliert.
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scher Hinsicht von ihm unterschieden, sondern auch ihre organisatorischen Ursprünge liegen jenseits des synagogalen Judentums. Ebenso ist zu beachten, daß das Judentum selbst die lukanische Christenheit nicht als einen Teil seiner selbst versteht, wie gerade auch an den Abgrenzungsmaßnahmen der Diasporasynagogen in den Acta deutlich wird, auf die später noch ausführlich eingegangen wird. Das Problem der lukanischen Christenheit besteht eben darin, daß sie sich auch nicht als Teil des "Heidentums" bzw. der nicht-jüdischen Welt versteht. Doch ist auch hier zu fragen, ob ihr Verhältnis zur "Welt" wirklich Formen der "sectarian responses to the world" realisiert.81 Hier wäre doch vor allem zu prüfen, ob die Konflikte der lukanischen Christenheit mit ihrer heidnischen Umwelt und in besonderer Weise auch mit obrigkeitlichen Instanzen aus den spezifischen "sektiererischen" Überzeugungen bzw. Verhaltensweisen der Christen resultierten, also gewissermaßen aus ihrem oppositionellen Weltverhältnis in Gedanken, Worten und Taten folgten. Davon kann m.E. keine Rede sein. Auch wenn das lukanische Doppelwerk eine kritische Einschätzung der römischen Weltherrschaft - wenigstens unterschwellig - offenbart,82 die Christenheit seiner Zeit zweifellos Konflikte mit der heidnischen Bevölkerung und auch vor obrigkeitlichen Instanzen erlebt, diese Erfahrungen sind keine Folgen des eigenen "sektiererischen" Weltverhältnisses der Christen. Vielmehr - und das soll noch näher gezeigt werden - sind die negativen Beziehungen der heidnischen Bevölkerung eher als Manifestierung von deren eigener xenophobischer Einstellung gegenüber den von ihnen zum Judentum gerechneten Christen zu verstehen, während die forensischen Konflikte von Christen mit den besonderen politischen Umständen zur Regierungszeit Domitians zusammenhängen. Auch schichtspezifische Indizien sprechen eher gegen die Anwendung der Sektentypologie auf die lukanische Gemeinde. Diese scheint doch gerade keine soziologisch homogene Gemeinschaft zu sein, sondern hat offenkundig Probleme wegen ihrer gemischten Zusammensetzung. Ja, es ist mit guten Gründen zu vermuten, daß zu dieser Gemeinschaft selbst Mitglieder aus der "herrschenden Schicht" gehörten.83 Die Sektentypologie ist also nach meiner Meinung aus verschiedenen Gründen kein "Schlüssel", der uns die Soziologie der lukanischen Christenheit erschließen könnte. Ich setze hier also hinsichtlich der "Soziologie" der lukanischen Christenheit voraus: Die lukanischen Christen sind schichtspezifisch differenziert in arme und reiche Mitglieder aus der Unter- und der Oberschicht. Allerdings gehören nicht die Ärmsten der Armen (πτωχοί) dazu. Und auch wenn nicht 81 So ESLER 58ff, der "three types of response, the thaumaturgie, the conversionist, and the revolutionist" gegeben sieht (59). BOVON, Israel 132, sieht freilich gerade eine Anpassungsstrategie vorherrschen. 82 S. dazu u. S. 232f. 83 STEGEMANN, Evangelium und die Armen 33f.
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auszuschließen ist, daß messianische Juden zur lukanischen Christenheit gehören, so sind diese nach meiner Überzeugung allenfalls die Ausnahme, veranlassen jedenfalls keine inner-gemeindlichen Probleme. Das "Sektenmodell" wirft m.E. für die soziologische Erhellung der lukanischen Situation nichts ab. Vielmehr muß die besondere Lage dieser überwiegend heidenchristlich geprägten Gemeinschaft(en) am Ende des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung aus den spezifischen politisch-sozialen Bedingungen während der Regierungszeit des Kaisers Domitian und der daraus resultierenden Problemlage des Diasporajudentums wie eben auch der Christenheit verstanden werden. Ich komme damit zu den Fragen, die in besonderer Weise Gegenstand auch dieser Untersuchung sind: das Verhältnis der lukanischen Christenheit zum Staat bzw. zum Judentum. Das Verhältnis zum Staat und zum Judentum Die folgende Formulierung bringt m.E. die Forschungslage auf den Punkt: "There is a broad scholarly consensus that the background of Luke-Acts is one of persecution, harassment, and distress. But when questioned about the details of this background, scholars who propose this appear shy and reticent."84 Und wenn ich richtig sehe, gibt es auch keine spezielle Untersuchung zu diesem Problemkreis,85 wenngleich in vielen redaktionsgeschichtlichen Studien und auch in den Einleitungen der Kommentare wenigsten thetisch auf spezifische geschichtliche Erfahrungen der lukanischen Christenheit verwiesen wird. Die Verfolgungshypothese Nach wie vor dominiert die Annahme einer "Verfolgungssituation", die die Kirche des Lukas als eine "ecclesia pressa" erleide.86 Unterschiedlich wird aber vor allem die Frage nach den Urhebern (römischer Staat oder Judentum oder beide - in manchen Untersuchungen wird dieser Unterschied nicht klar)
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KARRIS, C B Q 84f.
Auch G. BRAUMANN, Das Mittel der Zeit. Erwägungen zur Theologie des Lukas-Evangeliums, ZNW 54 (1963) 117-145, und F. SCHÜTZ, Der leidende Christus. Die angefochtene Gemeinde und das Christuskerygma der lukanischen Schriften, Stuttgart - Berlin - Köln - Mainz 1969, llff, können wohl dafür nicht gehalten werden; zur Diskussion um die Verfolgung s. auch PLÜMACHER, TRE III 5171; K. ALAND, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Frühzeit, ANRW II, 23.1, 60-246: bes. 210-215; SCHNEIDER, A p g I, 120f; MADDOX 91-99. D. LÜHRMANN, Superstitio - die Beurtei-
lung des frühen Christentums durch die Römer, ThZ (Basel) 42 (1986) 193-213, sagt mit Recht: "Es fehlt eine weitergehende Untersuchung des Verhältnisses zum römischen Staat in der Apg" (206). 86 S. schon CONZELMANN, Mitte passim; BRAUMANN, Mittel 145; dagegen etwa SCHNEIDER, Apg 1120; s. auch die später noch erwähnte Literatur.
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bzw. nach dem Grad des Verfolgungsdruckes eingeschätzt. Nur selten wird überhaupt zur Kenntnis genommen, daß das Stichwort "Verfolgung"87 derart belastet ist, daß eine einfache Übertragung auf die negativen Erfahrungen der lukanischen Christenheit mit dem römischen Staat nicht möglich ist. Dies gilt auch dann, wenn diese lukanischen Erfahrungen in die Regierungszeit Domitians fallen. Darauf werde ich später noch näher eingehen. Vor allem herrschen über die Rolle des Judentums im Zusammenhang des Verfolgungsthemas bzw. über das Verhältnis von "Kirche" und "Synagoge" zur Lukaszeit im Prinzip unklare Vorstellungen. Nicht selten wird angenommen, daß "die" Juden hinter der römischen Verfolgung der Christen standen.88 Und noch nicht wirklich überwunden ist ein älterer Forschungsstand, wonach Lukas sich darum bemühe, für seine Christenheit den gleichen Schutz zu erlangen, den das Judentum als "religio licita"89 genieße, obgleich längst gezeigt werden konnte, daß es sich dabei um eine unhistorische Konstruktion handelt.90 Die rechtlich-politische Praxis Roms gegenüber fremden religiösen Gemeinschaften, insbesondere auch die römische Religionspolitik gegenüber dem Judentum ist zwar insgesamt kompliziert, erlaubt aber in jedem Fall die Aussage, daß es zwar gewisse Zusagen für die religiöse Praxis des Judentums gegeben hat, doch keineswegs ein grundlegendes Privileg des Judentums als "religio licita". Diese Theorie ist also keineswegs brauchbar für die Bestimmung der lukanischen Situation und der vermeintlichen "apologetischen" Absicht des Autors.91 Kennzeichnend für die Behandlung des Verfolgungs-The-
87 Zur Problematisierung des "Verfolgungs"-Begriffes s. J. MOREAU, Die Christenverfolgung im römischen Reich, Berlin - New York 19712, 11 ff. KARRIS, CBQ 85f, macht in einem hübschen Vergleich darauf aufmerksam, daß das Hollywood-Bild von den Christen, die vor die Löwen geworfen werden, mit den Quellen nicht übereinstimmt; seine Meinung: "persecution during the first century A.D. was primarily unofficial and sporadic" (86). 88 KARRIS, CBQ 85f, meint, daß "persecution", "harassment" und "distress" der lukanischen Christenheit von zwei Seiten komme: "Jewish and Gentile". Er erwägt ("perhaps") in diesem Zusammenhang, daß die Juden auch engagiert waren "in the informal persecution of economic boycott and reprisal" - in Anlehnung an D.R.A. HARE, The Theme of Jewish Persecution of Christians in the Gospel According to St. Matthew, Cambridge 1967 (bes. 48-66). Nicht ganz klar CONZELMANN, Ort 243: Stellt Lukas nun "die Juden als Urheber der Verfolgung" nur dar, oder waren sie es wirklich? CONZELMANN scheint vorauszusetzen, daß es sich um Realität handelt. In CONZELMANN, Mitte 130f u.ö., bleibt das Verhältnis von Juden und Christen ebenfalls unsicher bestimmt. Die Juden werden als aufrührerisch, verleumderische Ankläger und ähnlich bezeichnet; vgl. etwa Mitte 134: "im Hintergrund steht immer wieder die Tatsache, daß die Juden dauernd öffentliche Unruhen erregen. Sie müßten von der Obrigkeit ins Auge gefaßt werden, nicht die Christen"; oder sie würden als "notorische Unruhestifter" beschrieben (Mitte 135). Aber welche Rolle spielen sie bei der Verfolgung? Auch PLÜMACHER, ThR 48, 24, rechnet mit einer Verfolgung der lukanischen Christen durch Juden. ' 89
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Vgl. d a z u PLÜMACHER, T h R 48, 51ff.
CONZELMANN, Geschichte 244f: Eine zur "wissenschaftliche(n) Legende gewordene Behauptung, die sich nicht aus den Texten begründen läßt". 91
Vgl. a u c h MADDOX 93.
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mas ist gerade auch die mangelnde Präzision der Terminologie92 und die damit unmittelbar zusammenhängende Unbestimmtheit der Argumentation. Zwar sind sich viele Autoren darin einig, daß die lukanische Christenheit unter einer mehr oder weniger schweren Verfolgung gelitten hat. Typisch sind dafür Aussagen, die das "Daß" der Verfolgung festhalten, d.h. grundsätzlich Verfolgung als die Situation der lukanischen Christenheit behaupten und ihren "Dauerzustand" für kennzeichnend halten.93 Doch wird selten versucht, den äußeren Druck auf die Lukaschristen hinsichtlich seiner Urheber, seiner Gründe, seiner Maßnahmen, überhaupt historisch zu verorten. Dies gilt insbesondere dann, wenn man "die" Juden als Urheber der Verfolgungen versteht. Zur Begründung der angenommenen Verfolgungssituation wird einerseits auf die Verschärfung bzw. spezielle Akzentuierung des Verfolgungsthemas im Lukasevangelium - im Unterschied zur ihm vorliegenden Tradition bzw. den Seitenreferenten - und dessen Behandlung in der Apostelgeschichte verwiesen, andererseits die zeitgeschichtliche Einordnung des Doppelwerkes in Anschlag gebracht, wobei meistens die (angebliche) Christenverfolgung unter dem Prinzipat Domitians zum Orientierungspunkt wird. So wird einerseits für eine Verfolgung der lukanischen Christenheit unter Domitian plädiert,94 aber es kann andererseits gerade auch umgekehrt die (angebliche) Verfolgung der Christen unter Domitian dafür geltend gemacht werden, daß das lukanische Doppelwerk (zumal die Apostelgeschichte) vorher entstanden sei, da es von der Situation einer römischen Verfolgung nichts erkennen lasse;95 zumal die Apostelgeschichte sei "in einer Zeit relativ ungestörten
92 Es begegnen neben dem Begriff "Verfolgung" solche wie "ablehnende Haltung", "Haß der Welt", "Martyrium", "Bedrängnis" (distress), "harassment", "Druck" (pressure), "ecclesia pressa" usf. 93 CONZELMANN, Mitte 195: "die Situation der Kirche in der Welt" ist "durch Verfolgung bestimmt"; 217: "neben der Gestaltung des Alltags geht es vor allem um die Haltung in der Verfolgung"; 90: Lk 8,13 "akzentuiert gegen Mc 4,17 den Dauerzustand der Kirchenverfolgung"; BRAUMANN, ZNW 120: "Die Kirche, in der Lukas lebt, ist eine verfolgte Kirche, die ecclesia pressa;" SCHÜTZ 11: die "Lage der Gemeinde in dieser Welt (ist) de facto durch θ λ ί ψ ε ι ς bestimmt"; gerade der Paulus-Teil der Apostelgeschichte (ab Act 13,50) schildere "die Geschichte der Mission" als "Geschichte der Verfolgungen." 94 Zuletzt etwa R.J. CASSIDY, Jesus, Politics, and Society. A Study of Luke's Gospel, New York 19834, der mit einer Abfassung des Lukasevangeliums in Zeit der Domitianischen Christenverfolgung rechnet; sie sei im Unterschied zur Verfolgung unter Nero sicher belegt: 5.133; SCHMITHALS, Apg 11: "Größere Verfolgungen sind unter Nero (54-68) und vor allem unter Domitian (81-96) und Trajan (98-117), also zur Zeit der Abfassung des lukanischen Doppelwerkes, bezeugt, so daß dessen apologetische Tendenz ohne weiteres verständlich wird". 95 Vgl. etwa SCHNEIDER, Apg 120f, der meint: weil es unter Domitian zu einer Verfolgung von Christen wegen der Steigerung des Herrscherkultes gekommen sei, muß die Apostelgeschichte vor dieser Zeit geschrieben worden sein (also zwischen 80 und 90).
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Friedens" 96 entstanden. Nach wie vor leidet die Lukasexegese auch daran, daß man ein optimistisches Bild, das Lukas von den römischen Behörden entwerfe, gegen ein pessimistisches vom Verhalten "der" Juden ausspielt. S o wird also zu fragen sein: Erduldeten nun die Lukas-Christen "Verfolgung" oder genossen sie relativen Frieden? Waren es nun die Römer, die die Christen verfolgten, oder waren es "die" Juden, 97 oder waren es beide? M.E. ist es sinnvoller, auf den kirchengeschichtlich zu sehr belasteten Terminus "Verfolgung" zu verzichten. Vielmehr spricht man sachgemäßer von einer "Gefährdung" der lukanischen Christen. U n d da wir keine außerchristlichen Zeugnisse für eventuelle Konflikte von Christen mit Vertretern der Staatsmacht in der Zeit zwischen N e r o und Domitian besitzen und die außerchristlichen Quellen der These von einer Christenverfolgung unter dem Kaiser Domitian nicht standhalten, 98 kommt es mehr denn je darauf an, jenseits des präjudizierenden Begriffes Verfolgung die lukanischen Hinweise auf eine mögliche Gefährdungssituation seiner Christenheit genauer zu untersuchen. Wir sind also zunächst auf "internal evidence" angewiesen, d.h. wir müssen aus d e m lukanischen Doppelwerk selbst erheben, welcher Art die negativen Beziehungen der lukanischen Christenheit zu den heidnischen Obrigkeiten gewesen sein können. Danach können wir die Ergebnisse in ein Verhältnis zu
96
97
PLÜMACHER, T h R 4 8 , 5 2 .
So etwa SCHÜTZ ( l l f f ) und PLÜMACHER. Typisch ist überhaupt die Argumentation von PLÜMACHER, der ich in vielerlei Hinsicht zustimmen könnte, die freilich einerseits den römischen Staat zu positiv und andererseits das Verhalten der Synagogen zu undifferenziert beurteilt (ThR 48, 24). PLÜMACHER hält zwar zu Recht den römischen Staat nicht für einen "Verfolger" der Christen, zieht daraus nun aber nicht den Schluß, daß vielleicht das Stichwort "Verfolgung" der Revision bedarf, sondern erklärt im Banne CONZELMANNS "die" Juden zu den Verfolgern. Die hätten sich "zur Durchsetzung ihrer antichristlichen Ziele allerdings gelegentlich an die Staatsbehörden" gewendet, wozu er auf Act 18,12ff; 24,Iff; 25,5 verweist. Vom römischen Staat heißt es dann wieder: "Von sich aus leitet der Staat keine Verfolgung ein, ist er doch nur an der Verfolgung von Unrecht, Verbrechen und Aufruhr interessiert (18,14), deren Christen als solche aber nicht verdächtig sind - was die Obrigkeit weiß (25,18.25...). Daß man auf den Rechtsstaat in der Regel vertrauen kann, beweist das Verhalten seiner Beamten (16,37ff.; 22,25-29; 25,12) ... Gewiß versichert Lk den Staat der Loyalität der Christen, mehr aber noch ermutigt er die Christen, ihre Hoffnung auf die Loyalität des Rechtsstaates zu setzen: Eine Einstellung, die in die Situation latenter Unsicherheit (hervorgerufen durch feindselige Stimmung und gelegentliche Übergriffe) paßt, nicht aber als Einübung in das Durchstehen harter Verfolgungszeiten verstanden werden kann." PLÜMACHER (53) sieht "Lk stets dergestalt argumentieren, daß er die Vertreter der römischen Behörden ihre Unzuständigkeit für ihnen im übrigen auch unverständliche religiöse Streitigkeiten erklären läßt; zuständig sind sie nur für Straftaten, wozu natürlich auch politische Iloyalität gehört. Straftaten haben die Christen als solche aber nicht begangen (vgl. 18,14f.; 23,29; 25,18-20.25-27; 26,32). So ist es wohl das einzig richtige, wenn man Lk die Absicht unterstellt, mit seiner in der Apg auf die Gestalt des Paulus konzentrierten Apologetik das Christentum von dem Verdacht reinigen zu wollen, staatsfeindlich und aufrührerisch gesonnen zu sein." 98 S. vorläufig MOREAU 37ff; s. u. S. 188ff.
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anderen neutestamentlichen und schließlich auch zu außerchristlichen Aussagen setzen. Politische Apologetik? Im Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis des Lukas zur Welt bzw. indirekt auch zum Judentum spielte lange Zeit das Thema der "politischen Apologetik" eine entscheidende Rolle.99 Rom bzw. die heidnische Obrigkeit werden als Adressaten dieses apologetischen Interesses verstanden, zumal wenn man für die lukanische Christenheit die Situation einer staatlichen Verfolgung voraussetzt. Doch noch jenseits der "Verfolgungshypothese" wird mit einer apologetischen Absicht des Lukas im Blick auf Rom gerechnet. Danach gehe es Lukas im Prinzip darum, den Vertretern Roms die Loyalität und Harmlosigkeit der Christen aufzuzeigen; er illustriere zumal am Beispiel des Paulus, eines römischen Bürgers (!), wie wenig die Verdächtigungen gegen die Christen zuträfen; dies würden recht denkende und handelnde Vertreter der Obrigkeit im lukanischen Doppelwerk selbst bestätigen, ja, Lukas würde gerade in den Acta die Vertreter Roms durchaus in einem günstigen Licht erscheinen lassen. Wird mehr damit gerechnet, daß "die" Juden 100 die Verfolger sind, so wird das Thema der politischen Apologetik dem lukanischen "Hauptinteresse, das Christentum vom (zeitgenössischen) Judentum zu distanzieren", eingefügt. 101 Hier ginge es dann Lukas vor allem darum, "die" Juden mit jenen Vorwürfen zu belasten, die diese in seiner Darstellung den Christen gegenüber vorbringen. Das Thema der Apologetik kann auch so variiert werden, daß als Adressaten die Mitglieder der "Kirche" selbst gedacht werden, insofern gerade die These von der Apologie gegenüber Rom daran scheitert, daß als Leser des lukanischen Doppelwerkes kaum römische Beamte zu vermuten sind.102 Vertreter dieser "ecclesial apologetic" des Lukas 99 Zur breiten Diskussion s. die Literatur bei RADL, Lukas 125; s. insbesondere P. WALASKAY, "And So We Came to Rome". The Political Perspective of St. Luke, Cambridge 1983, der auch einen Überblick über die Forschung gibt; R.J. CASSIDY, Society and Politics in the Acts of the Apostles, New York 1987, 145ff; s. auch ESLER 205ff. 100
PLÜMACHER, T h R 48, 24; SCHMITHALS, A p g 11, sieht in der lukanischen Dar-
stellung des pharisäischen Judentums, das Lukas "als das (mit dem Christentum im Prinzip identische) genuine Judentum" zeichne, einen apologetischen "Nebenzweck" angedeutet: "denn die pharisäische Richtung durfte nach der jüdischen Katastrophe ... mit römischer Billigung das Judentum ... sammeln." 101
102
PLÜMACHER, T h R 48, 53.
JERVELL, People 167Í, meint im Blick auf den Prozeß des Paulus, daß die Anklagen gegen Paulus eher religiös als politisch, vom jüdischen Interesse, nicht vom römischen bestimmt sei. Claudius Lysias und Festus könnten ja gar nicht erkennen, was die Anklagen beinhalten, sie brauchten dazu Juden (den Hohenrat bzw. Herodes Agrippa II.). Er kommt darum zu dem Schluß, nicht die Politik sei das Problem des Lukas. Dagegen wendet sich mit guten Gründen MADDOX, der die Argumente JERVELLS für überzogen hält. Er macht darauf aufmerksam, daß Paulus von Juden und Römern angeklagt wird wegen "civil disturbances" (Act 16,20; 17,6; 24,5) und unter
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sind der Meinung, "that Luke was concerned to explain the empire in favorable terms to his fellow Christians and to encourage them to adopt a positive stance toward the Roman authorities."103 Allerdings läßt sich auch diese Variation der Apologie-These kaum aufrechterhalten. Denn daß in der Apostelgeschichte (oder im Evangelium) die Vertreter Roms in einem günstigen Licht erscheinen, ist bei genauerem Hinsehen schwerlich richtig.104 Vor allem
dem Verdacht "of subversive activity" steht (Act 21,38). Die lukanische Betonung der religiösen Motive und des jüdischen Interesses seien ein Teil des Versuches, zu zeigen, daß die politischen Verdächtigungen gegen Paulus grundlos sind (94). Lukas liege freilich an der Betonung der Unschuld. So war die Einkerkerung und Geißelstrafe in Philippi illegal und ungerecht (Act 16,37), Gallio weise die Klage ab (Act 18,14f), Lysias behalte Paulus nur aus Rücksicht auf den Hohenrat im Gefängnis (Act 22,30; 23,10.30); Felix tue dasselbe - im übrigen auch in der Hoffnung auf Geld (Act 24,26). Festus wiederum erkläre Paulus für unschuldig in denselben "terms" wie Gallio (Act 25,180; vgl- auch Herodes Agrippa II. (Act 26,32). Dieses Interesse an der Unschuld der christlichen Delinquenten zeige schon der Prozeß gegen Jesus, der im übrigen auch den politischen Aspekt der Verdächtigungen betone. Mit einem Satz: "Luke found it important to emphasize that the great founders of the Christian movement were free of any guilty subversion" (95). So sei klar, daß es Lukas um eine günstige Darstellung der römischen Autoritäten gehe (95). Doch warum? Keineswegs im Interesse einer politischen Apologie gegenüber Rom (96), vielmehr sei das Interesse des Lukas in diesem Zusammenhang innerchristlich adressiert. Er wolle seine christlichen Zeitgenossen darüber informieren, daß "Jews, Romans and Greeks have been making accusations against us from the beginning, but they have never been correct or fair". Und wie die Dinge nun einmal liegen, hätten Christen mit falschen Anklagen und Verfolgung zu rechnen. Doch die richtige Antwort sei weder Vergeltung noch Groll ("resentment"). Lukas wolle gerade auch eine Martyriumshaltung bei seinen Adressaten vermeiden (96f). "Luke wishes to reveal to his fellow-Christians in his own day the nature of their life and calling in Christ. The proper business of Christians is to live at peace with the sovereign power, so far as possible, and not to play the hero" (97). 103 CASSIDY, Acts 156; s. als Vertreter dieser These v.a. auch WALASKAY. 104 Breit behandelt neuerdings etwa auch SCHMITHALS das Problem der Apologetik. Er meint, Lukas wolle die Christen "von dem Verdacht staatsgefährdender Absichten ... reinigen" (ThViat 14,160) bzw. ihre Loyalität gegenüber Rom darlegen (Apg 240). Dieser Nachweis sei sowohl an die Behörden bzw. die Christen selbst gerichtet (Apg 181f)· Auch SCHMITHALS unterstellt Lukas ein Interesse an der Distanzierung vom Judentum, zumal unter dem Eindruck des antirömischen Aufstandes der Juden (Apg 199f; ThViat 160); vgl. auch ESLER, der einen kurzen Abriß (auch der älteren) Forschungsgeschichte gibt: 205ff. Entsprechend seiner These von der juden- bzw. heidenchristlichen Zusammensetzung der lukanischen Christenheit geht nach seiner Meinung Lukas im apologetischen Thema auf Probleme der Heidenchristen ein. Darum sei besser von einem "legitimatorischen" statt einem "apologetischen" Interesse des Lukas zu reden. Lukas legitimiere den Heidenchristen gegenüber ihre christliche Identität, da sie wegen des Kreuzestodes Jesu und der forensischen Konflikte der frühen Christen - besonders des Paulus - sich die Frage stellen mußten, wie sie dennoch Christen bleiben könnten (217). Das Interesse des Lukas sei, zu zeigen, "that faith in Jesus Christ was not incompatible with allegiance to Rome. This context offers the best explanation for both the explicit and implicit political motifs in Luke-Acts; that is, for the various levels of interaction between Rome and Christianity in the text, and for the presentation of Christianity as an ancestral religion" (217). Doch wird man ernsthaft so argumentieren können? Haben denn die Heidenchristen erst nach ihrer Konversion von dem Kreuzestod Jesu unter dem römischen Präfekten Pontius Pilatus erfahren?
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aber wissen wir überhaupt nichts darüber, ob die Leser des Lukas eine negative Einstellung zu den heidnischen Obrigkeiten hatten. Besonderen Anhalt finden die verschiedenen Variationen der ApologieHypothese zumal an jenen Texten der Apostelgeschichte, in denen Anklagen gegen Paulus und andere Christen berichtet werden (Act 16;17;18;19;21ff). Doch geht es m.E. in diesen Texten nicht darum, die politische bzw. strafrechtliche Unschuld der Christen im Blick auf Rom darzulegen. Dies wird in der Detaildiskussion dieser Texte noch näher zur Sprache kommen. Und es ist auch schwerlich richtig, daß Lukas insgesamt eine günstige Darstellung der römischen Obrigkeit bietet. Zumal von einem "Rechtsstaat"105 kann in diesem Zusammenhang wohl kaum die Rede sein. Schon Pilatus läßt Jesus trotz seiner gegenteiligen Einsicht in dessen Unschuld kreuzigen, ja, er gibt - dem Volkswillen entsprechend - einen wegen στάσις und φόνος inhaftierten Rebellen frei (Lk 23,19)! Der Statthalter Felix ist bestechlich und scheint mit der Gerechtigkeit Probleme zu haben (Act 24,25f). Er verschleppt im übrigen den Prozeß des Paulus. Sein Nachfolger Festus arbeitet zwar schneller, will aber "den" Juden einen Gefallen tun und Paulus in Jerusalem richten lassen (Act 25,9f). Der daraus entstehenden gefährlichen Situation in seinem Strafprozeß kann Paulus nur mit Berufung auf den Kaiser entgehen, zu dem er schließlich auch auf den Weg gebracht wird, obwohl auch von Festus als unschuldig erkannt (Act 26,31f). Auch jene These, die im Aufweis eines innerjüdischen Hintergrundes der Konflikte eine apologetische Absicht vermutet, läßt sich kaum verifizieren. Denn die Texte selbst zeigen, daß durch eine Identifizierung der Christen mit den Juden für diese noch nicht viel gewonnen war. Auch das Gegenteil - d.h. ein Interesse an der Distanzierung der Christen vom Judentum - ist m.E. im lukanischen Geschichtswerk nicht zu entdecken. Vielmehr ist zunächst einmal damit Ernst zu machen, daß die christlichen Leser des lukanischen Doppelwerkes angesprochen sind.106 Ihnen gegenüber wird Lukas aber die Unschuld der christlichen Delinquenten bzw. deren Loyalität kaum eigens verteidigen und erweisen müssen. Vielmehr geht es m.E. darum, daß die christlichen Adressaten in der Darstellung der Konflikte von Jesus bzw. Paulus (zumal) ihre eigenen Erfahrungen entdecken können. Daß Lukas dabei "on the whole an optimistic view of the imperial government" vermittelt,107 ist so schwerlich richtig. Allerdings zeigt das Verhalten mancher Beamter, daß Anklagen gegen Christen nicht per se negativ ausschlagen müssen. Es geht hier also durchaus um eine Ermutigung der Christen, doch so weit kann man nicht gehen, daß Lukas diese dazu ermuntern
105
106
S o PLÜMACHER, T h R 4 8 , 2 4 .
So zu Recht in diesem Kontext etwa MADDOX, SCHMITHALS (teilweise) und
ESLER. 107 MADDOX 97; vgl. a u c h PLÜMACHER, T h R 4 8 , 2 4 .
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wolle, "ihre Hoffnungen auf die Loyalität des Rechtsstaates" zu setzen. 108 Rechtsstaatlichkeit setzt gerade auch Rechtssicherheit voraus. Doch davon ist in den von der Apostelgeschichte berichteten Konflikten von "Christen" mit staatlichen Instanzen nichts zu spüren. Vielmehr zeigt die Variation der Anklagen und des Verhaltens der richtenden Instanzen das Gegenteil. Hoffen können und sollen die gefährdeten Christen allein auf Gott, der noch nach der möglichen tödlichen Folge ihres Bekenntnisses als Christen die Macht hat, vor der ewigen Verderbnis zu retten (Lk 12, 5). U n d verlassen können sie sich auch darauf, daß der Heilige Geist ihnen im Konfliktfall Beistand leistet (vgl. nur Lk 12,llf). 1 0 9 Gerade Lk 12,Iff wird darum in der folgenden Untersuchung als ein "Schlüssel" zum Verständnis der lukanischen Situation ausführlich behandelt werden. 110 Verhältnis zum
Judentum
Das Verhältnis des lukanischen Doppelwerkes zu Israel hat zumal auf der theologischen Ebene eine breite Diskussion ausgelöst und ist nicht zu Un108
So wieder zu freundlich gegenüber Rom PLÜMACHER, ThR 48, 24. 109 Vgl. KARRIS, CBQ 8f, der als Strategie des Lukas gegenüber seinen verfolgten Adressaten festhält: Aus der Apostelgeschichte könnten die Christen lernen, daß dem Wachsen der Kirche Verfolgung folgt. Doch sollen sie nicht den Kopf verlieren: "persecution is to be expected". Lk 21,10-19 "comforts his persecuted Christan friend by assuring him that he is not fighting alone, for Jesus himself will give him an eloquence and a wisdom that none of his opponents will be able to resist or contradict"; vgl. neuerdings auch CASSIDY, Acts 158ff. 110 Die Bedeutung dieses Textes hat - so weit ich sehe - nur MADDOX 81 erkannt: Jesus warne seine Jünger hier vor kommender Verfolgung ("coming persecution"). Lukas bringe die Passage zu einem optimistischen Schluß mit der Verheißung des Heiligen Geistes. In der noch stärkeren Prophezeiung der Verfolgungen in 21,12-19 werde die Verheißung göttlichen Beistandes wiederholt. Gerade Lk 21,14f - die Gegner werden der Eloquenz und Weisheit nicht widerstehen können - finde sich nicht bei Mk und Mt. Mt 10 und 24 würden freilich ein alarmierenderes Bild der künftigen Verfolgungen als Lk 12 und 21 geben. Lukas betone die Verfolgungssituation der Jünger nicht stärker als seine Seitenreferenten, sondern er habe eine stärkere Hoffnung, daß die Verfolgung erfolgreich ausgehalten werden kann. Auch in den Acta sei dieses Vertrauen betont. Etwa in der Behandlung des Todes Pauli. Lukas berichte uns nicht seinen Tod. Im Vergleich mit II Kor 4 und 11 etwa sei deutlich, daß Paulus in den Briefen "falls into real distress, in which only God's grace can encourage and strengthen him. But in Acts even the worst that happens to him cannot seriously weigh him down" (81). Noch das gefährlichste Erlebnis - die Steinigung in Act 14,19f scheine Paulus nicht viel auszumachen. Schon am nächsten Tag geht er nach Derbe 100 km entfernt! Lukas habe zwar legendarische Tradition über Paulus verwendet (vgl. etwa Act 28,2-6), doch er porträtiere ihn in der Weise, daß seine Verfolgungen und Inhaftierungen die gegenwärtigen Christen warnen und ennutigen können (82). Die Christen müßten zwar durch viele Leiden in die βασιλεία eingehen, aber das Schlimmste, der Tod, sei exzeptionell. In den Acta sterben nur zwei Christen den Märtyrertod: Stephanus und Jakobus. MADDOX' Fazit: Die Kirche, für die Lukas schreibt, ist "under pressure, through theological argument as well as through physical assault and judicial processes: all that cannot be avoided. But the Holy Spirit ist working irresistibly". Und dies gebe den Christen Freude und Vertrauen, Zeugnis für Christus abzulegen, zu welchem der Heilige Geist die Kirche ruft.
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recht als ein "Schlüssel" zum Verständnis der lukanischen Theologie bezeichnet worden. 111 In unserem Zusammenhang interessiert die Frage nach den äußeren - wenn man so will: sozialen - Beziehungen zwischen εκκλησία und συναγωγή. Diese wird gern auch als Verfolgung bzw. als Beteiligung an staatlicher Verfolgung verstanden, wobei sich darin "das Konkretwerden der ablehnenden Haltung" des Judentums gegenüber der Botschaft der Kirche manifestieren soll.112 Darüber hinaus soll die Verfolgung sich auch in einer "ganz bestimmte(n) Situation" ausdrücken, nämlich im Synagogen-Ausschluß der Christen. 113 Für diese These wird zumal auf Lk 6,22 verwiesen.114 Aber auch jene Szenen der Apostelgeschichte, in denen Paulus Diasporasynagogen verläßt (Act 13,46ff; 18,6f; 19,9; vgl. auch 28,28) bzw. vertrieben wird (Act 13,50; vgl. 17,10), werden für die These vom Synagogen-Ausschluß in Anspruch genommen. Kollektiver Ausschluß aus der Synagoge? Ich werde in meiner eigenen Untersuchung noch näher begründen, daß Lk 6,22 und die erwähnten Texte aus der Apostelgeschichte weder im Sinne einer jüdischen Verfolgung noch aber einer Ausschlußerfahrung der lukanischen Christen interpretiert werden können. Gleichwohl ist der These von einer "Ausschlußerfahrung" der lukanischen Christen mit dem synagogalen Judentum eine mögliche textliche Evidenz nicht per se abzusprechen. Allerdings wirft diese Deutung zumal dann Probleme auf, wenn man sich darum bemüht, diesen angeblichen Synagogenausschluß konkret zu denken. Setzt er doch voraus, daß die lukanische Christenheit vor ihrem Ausschluß aus der Synagoge zu derselben gehört hat. Dagegen spricht freilich schon die im lukanischen Doppelwerk reflektierte Wirklichkeit der εκκλησία als einer autonomen Gruppe mit eigenen Leitungsorganen und separater Identität. 115 Gerade aus jenem Teil der Apostelgeschichte, in dem die Entstehung christlicher Gemeinschaften unter den Heiden, also außerhalb des jüdischen Landes und eben außerhalb der Diasporasynagogen, geschildert wird, geht die institutionelle Trennung von christlichen und jüdischen Gemeinschaften hervor. Dies hat m.E. zu Recht in der Forschung zu breiter Übereinstimmung darüber geführt, daß in der Lukaszeit die Trennung von Kirche und Synagoge schon vollzogen ist und diese Erfahrung für die Argumentation des auctor ad 111
Dazu PLÜMACHER, ThR 48,14. SCHÜTZ 11; vgl. auch B. DEHANDSCHUTTER, La persécution des chrétiens dans les Actes des Apotres, in: Les Actes des Apotres. Tradition, redaction, theologie, ed. 112
J. KREMER, G e m b l o u x - L e u v e n 1979, 5 4 1 - 5 4 6 . 113 S o e t w a SCHÜTZ 12. 114 W. HORBURY, The Benediction of the Minim and Early Jewish-Christian Controversy, JTS 33 (1982) 19-61, versteht etwa Lk 6,22 als Hinweis darauf, daß "ostracism" allgemein erwartet wird. 115 Dazu nur ESLER 53f. Er versteht im übrigen die Jerusalemer Urgemeinde soziologisch als eine "Reformbewegung" innerhalb des Judentums.
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Theophilum vorausgesetzt werden muß. Insofern ist eine "Auschlußerfahrung" der lukanischen Gemeinschaft als solcher aus dem institutionellen Verband der Synagogen textlich kaum zu begründen und vor allem auch historisch eher unwahrscheinlich. Individueller Ausschluß aus der Synagoge? Doch herrschte nicht wenigstens an den Rändern der lukanischen Gemeinschaft eine institutionelle Beziehung von Juden christen zur Synagoge, auch wenn die lukanische Gemeinschaft grundsätzlich als eine autonome Gruppe mit separater Identität im Gegenüber zum Judentum existiert hat? Gab es also so etwas wie "dual membership" von Judenchristen in Kirche und Synagoge, die eine "Ausschlußerfahrung" wenigstens dieses Teils der lukanischen Christenheit denkbar macht?116 Dann würde sich die vermutete Ausschlußerfahrung auf die sogenannten Judenchristen beziehen.117 Und diese negative Erfahrung hätte für die lukanische Christenheit insofern ein Problem hervorgerufen, als aufgrund der harschen antichristlichen Feindschaft des synagogalen Judentums eine Frequentierung der Synagogen bzw. eine doppelte Mitgliedschaft der Judenchristen unmöglich geworden sei. Hier sei auch die beste Erklärung für die "ambivalence in Luke's attitude to Judaism" zu finden.118 Freilich ist für diese These bezeichnend, daß sie ihren argumentativen Ausgangspunkt bei den άποσυνάγωγος-Stellen des Johannnesevangeliums nimmt und von daher die lukanische Wirklichkeit zu beschreiben sucht.119 Im lukanischen Doppelwerk sucht man allerdings vergeblich nach textlichen Belegen für diese These. Im Gegenteil - gerade die Apostelgeschichte schildert uns im Kontext der Darstellung der Entstehung christlicher Gemeinschaften außerhalb des Diasporajudentums nirgendwo irgendwie geartete "disziplinarische" Konflikte bzw. innersynagogale Beziehungen der Mitglieder der christlichen Gemeinschaften zu den Synagogen, auch dann nicht, wenn die Konversion von Juden in diesem Zusammenhang erwähnt wird. Auch Paulus erhält in den Acta nirgendwo "Synagogenverbot" oder die synagogale Geißelstrafe. Zu Konflikten zwischen Paulus bzw. neu gewonnenen Mitgliedern der christ116
Unter dieser Voraussetzung argumentiert ESLER 54ff. Er möchte zeigen, "that dual membership of a Christian community and the local synagogue had become very difficult, if not impossible for a Christian" (54); vgl. auch 56: "There is other evidence in Luke-Acts, however, to indicate that there had been a decisive enough break with Judaism to make the possibility of his Christian contemporaries also having frequented the synagogue most unlikely". Und das Resultat: "Luke's fellow-Christians would have found simultaneous membership of the church and the local synagogue difficult or impossible" (58). 117
ESLER 58. ITS E S L E R 5 8 . 119
ESLER 55; die Texte: Joh 9,22; 12,42; 16,2.
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liehen Gemeinschaften mit dem synagogalen Judentum kommt es bezeichnenderweise immer nur angesichts der heidnischen Öffentlichkeit bzw. deren "behördlichen" Instanzen. Die "feindliche" und ablehnende Haltung des synagogalen Judentums gegenüber den Christen, die sich durchaus im lukanischen Doppelwerk reflektiert, 120 kann also kaum aus einer aktuellen Exklusion von Judenchristen aus der Synagoge verstanden werden. Sie ist vielmehr im Kontext der im Paulus-Teil der Acta geschilderten Konflikte im Beziehungsdreieck christliche Gemeinde - Synagoge - heidnische Öffentlichkeit (Obrigkeit) zu suchen und läuft, wie ich in dieser Untersuchung begründen werde, auf die Erfahrung der Distanzierung des synagogalen Judentums von den Christen hinaus. Darauf weist auch Lk 6,22 voraus. Diese Distanzierungserfahrung ist im übrigen auch historisch wahrscheinlich zu machen, da sie sowohl die Trennung von Synagoge und Kirche voraussetzt und keine institutionellen Beziehungen von judenchristlichen Mitgliedern der lukanischen Christenheit zur Synagoge vermuten muß, als auch im historischen Kontext der spezifischen Situation des Diasporajudentums und der christlichen Gemeinschaften nach 70 - zumal während der Regierungszeit Domitians - Sinn macht. Und gerade auf diesem historischen Hintergrund wird dann auch die häufig behauptete "doppelte" Argumentation des Lukas gegenüber dem Judentum verständlich,121 die in Wahrheit gar keine doppelte ist. Vielmehr ist zu beachten, daß Lukas die heilsgeschichtliche Kontinuität der christlichen Gemeinschaft mit Israel (dies ist zu Recht erkannt worden) unter den Bedingungen der Distanzierungserfahrung formuliert. Also: nicht Lukas distanziert die Christen vom Judentum, geschweige denn, daß darin sein Hauptinteresse liegen würde, sondern sein Werk reflektiert die Erfahrung der Distanzierung von Diasporasynagogen von den Christen. Aus dieser Situation der Distanzierung lassen sich leicht die zumal in den Acta geschilderten konfliktreichen Beziehungen von Christen und Juden erklären, ohne dafür ein distanzierendes Interesse des Lukas verantwortlich machen zu müssen.
120 Darauf weist ESLER immer wieder und zu Recht hin, wenngleich Formulierungen wie "extreme antagonism from the local synagogue" oder "feelings of intense antipathy between his Christian contemporaries and the local Jewish community" m.E. überdeutlich pointieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Reaktion, die der Antrittspredigt Jesu in Nazareth in Lk 4,28-30 folgt. Sie wird durchaus auf die Gegenwart der lukanischen Gemeinschaft zielen: so ESLER 56ff; vgl. D.L. TIEDE, Prophecy and History in Luke-Acts, Philadelphia 1980, 43; vgl. ders., Luke, Minneapolis 1988, lOlff. 121 S. nur CONZELMANN: Lukas argumentiere einmal heilsgeschichtlich, für den innerkitvhlichen Gebrauch; hier zeige er die heilgeschichtliche Kontinuität von Israel und Kirche auf. Ein andermal aber aktuell-polemisch; hier sei der Adressat das Imperium; er distanziere in diesem Zusammenhang die Kirche von "den" Juden (Geschichte 245; aber auch Mitte, passim).
Einleitung
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Zur Textbasis Einen direkten Hinweis auf Konflikte der lukanischen Christenheit mit obrigkeitlichen Instanzen gibt im Lukasevangelium nur Lk 12,11, da der andere hier in Frage kommende direkte Hinweis in Lk 21,12 nicht - wie noch dargelegt werden wird - auf die lukanische Gegenwart abzielt. Erst wenn Lk 12,11 näher untersucht ist, können andere Textpassagen des Evangeliums, in denen weniger spezifisch auf die Gefährdungssituation der lukanischen Christen angespielt wird, berücksichtigt werden. Ich meine hier zumal Lk 8,13.15. Hier verwendet Lukas im Unterschied zu Markus, der von θλϊψις und διωγμός 8ur τον λόγον spricht, den Term πειρασμός.122 Das sogenannte "Schwertwort" Lk 22,36 spricht noch unbestimmter von der Zukunft bzw. den Erfahrungen der Christen, so daß es für eine Analyse der lukanischen Erfahrungen nicht in Frage kommt.123 Vergleichbares gilt von den Worten vom "Kreuztragen": Lk 9,23 14,17.124 Auch sie sprechen so allgemein und metaphorisch von einer Bedrückungserfahrung, daß man zunächst einmal aus den konkreteren Texten die lukanische Situation erheben muß, um dann zu fragen, in welcher Weise die weniger konkreten Formulierungen sich dazu verhalten. Neben den genannten Texten aus dem Lukasevangelium schildert uns allerding die Apostelgeschichte eine Reihe von Konflikten des Paulus (und anderer Christen) mit obrigkeitlichen Instanzen bzw. in der Öffentlichkeit der heidnischen Polis (Act 16;17;18;19;21ff), die in besonderer Weise als Ausdruck der Konflikte zu sehen sind, die die lukanische Christenheit selbst mit obrigkeitlichen Instanzen erleben mußte. In diesem Zusammenhang wird auch begründet angenommen, daß gerade der lukanische Paulus als Repräsentant und Symbol der 122 CONZELMANN, Mitte 90, zieht hier viel zu weitgehende Schlüsse, indem er Lukas an dieser Stelle ein Interesse an der Akzentuierung des Dauerzustands der Kirchenverfolgung unterstellt; SCHÜTZ meint, der Term decke nicht Versuchungen allgemeiner Art ab, sondern es ginge Lukas um Präzisierung: "θλΐψις und διωγμός, soweit sie in Glaubensbedrängnis führen, werden zur Versuchung" (13). D.W. RIDDLE, Die Verfolgungslogien in formgeschichtlicher und soziologischer Beleuchtung, ZNW 33 (1934) 271ff: 274, rechnet hier mit "typische(r) Martyriumsterminologie". 123 SCHÜTZ deutet diesen Vers folgendermaßen: Es wird "Auseinandersetzung und Kampf geben" (14); vgl. CONZELMANN, Mitte 74f; doch welche historisch-konkrete Situation ist mit dieser Prophetie gemeint? Der jüdisch-römische Krieg? Die Zeit des Lukas? M.E. kommt dieser Text überhaupt nicht als Bestimmung einer konkreten Erfahrung in Frage. Tatsächlich hat er seinen Sinn im redaktionellen Kontext des Lukas. Er soll für die spätere Verhaftungsszene, in der Jesus wie ein anti-römischer Rebell gefangengenommen wird, gleichsam den Schein des Rechtes liefern. 12 SCHÜTZ meint zu Recht im Blick auf diese Worte: "von einer martyriumsbereiten Haltung als der Form, in der die Nachfolge sich zu bewähren hat, ist zunächst nicht die Rede" (16). Was ist dann gemeint? Wiederum SCHÜTZ: Nachfolgen "heißt in eine Grenzsituation des Lebens geraten und durch diese hindurch 'Jünger' sein" (17). Dies sei der Regelfall christlicher Existenz der Lukaszeit (18), sei täglich (Lk 9,23) zu gewärtigen. Denn Nachfolge sei Nachfolge im Haß (19) der anderen. Das Fazit von SCHÜTZ: ES zeigt sich, "die Situation der Gemeinde, aus der bzw. für die Lukas schreibt, ist wesentlich kritischer als die des Markus. Sie ist viel stärker von Haß und Verfolgung bestimmt" (20).
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Christenheit dargestellt wird.125 Die erwähnten Texte der Apostelgeschichte sind auch in dieser Untersuchung Basis der Rückfrage nach dem Charakter der lukanischen Konflikte mit Vertretern der Staatsmacht und sollen daraufhin untersucht werden, welcher Gefährdung wegen vermeintlicher Staatsverbrechen die lukanischen Christen unterlagen. Gleichzeitig spielen sie aber auch eine Rolle hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis der lukanischen Christenheit zum Judentum. Fragestellungen und Gliederung der Untersuchung In § 1 werde ich ausführlich die Ermahnung zum offenen Bekenntnis (Lk 12,1-12) exegesieren. Ihre kompositionelle und inhaltliche Gestaltung soll im "Makro-Kontext" des lukanischen Doppelwerkes interpretiert und hinsichtlich der in ihr erkennbaren Erfahrungen der lukanischen Christenheit analysiert werden. Dazu dient auch ein synoptischer (zumal mit Mt 10) und innerlukanischer (etwa mit Lk 21,12) Vergleich. Ich verstehe Lk 12, Iff geradezu als einen "Schlüsseltext" zur Erhellung der aktuellen Situation der lukanischen Adressaten. In einem ersten Exkurs wird das lukanische Verständnis der "Sünde wider den Heiligen Geist" gedeutet, während in einem zweiten Exkurs der Inhalt der Beistandszusage des Heiligen Geistes für den Konfliktfall auf ihre mögliche forensische Bedeutung untersucht wird. Die in Lk 12,11 erkennbare Gefährdungssituation der lukanischen Christen zwischen Synagoge und heidnischer Obrigkeit soll dann die Richtung der weiteren Untersuchungen vorgeben. In § 2 wird die Rolle der Synagogen im Gefährdungszusammenhang der lukanischen Christen näher analysiert. Auch hier soll ein innerlukanischer Vergleich jene Texte des Evangeliums bzw. der Apostelgeschichte gegenüberstellen, die für die Bestimmung der lukanischen Situation selbst in Frage kommen. Anschließend wird dann danach gefragt werden, ob Lukas überhaupt forensische bzw. disziplinarischer Kompetenz von Synagogen über Christen seiner Zeit kennt. Die negative Antwort stellt dann das Problem, wie die Konflikte der lukanischen Christenheit mit Synagogen zu deuten sind. In diesem Zusammenhang wird die lukanische Variante der Seligpreisung der verfolgten Jünger (Lk 6,22), die im Sinne des Lukas als Seligpreisung der geschmähten Christen und der verschmähten Gemeinschaft mit ihnen zu verstehen ist, im Kontext des Doppelwerkes als "vaticinium ex eventu" auf die aktuelle Distanzierungserfahrung der Lukaschristen interpretiert. Abschließend
125
So etwa MADDOX 80; SCHÜTZ: "Die lukanische Sicht wird gerade in der Apostelgeschichte recht deutlich ... die Geschichte der Mission ist die Geschichte der Verfolgungen" (gemeint ist der Paulus-Teil der Acta ab 13,50). Ähnliches ist für andere Gestalten der Apostelgeschichte - etwa Stephanus - überlegt worden.
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soll die Rolle der Synagogen im lukanischen Erfahrungshorizont historisch eingeordnet werden. In § 3 werden dann die Hintergründe der Konflikte zwischen Juden und Christen thematisiert. Mir ist gerade dieser Aspekt besonders wichtig, weil eine unhistorische Betrachtung des distanzierenden Verhaltens der Synagogen allzu leicht einem antijüdischen Ressentiment Vorschub leistet. Darum sollen hier drei mögliche Faktoren - ein politisches, ein soziales und ein religiöses Motiv - den historischen Hintergrund der negativen Erfahrungen des Lukas mit Diasporasynagogen aufhellen und das Verhalten des Judentums verstehbar machen. Der § 4 wird schließlich die Gefährdung der Christen durch den Verdacht von Staatsverbrechen zur Sprache bringen, also die Konfliktebene lukanischer Christen mit der heidnischen Obrigkeit analysieren. Dabei soll anhand von vier in der Apostelgeschichte geschilderten Konflikten des Paulus und anderer Christen - in Ephesus, Philippi, Thessaloniki und Korinth - die rechtliche bzw. politische Dimension dieser Konflikte im Verhältnis der Christen zur heidnischen Öffentlichkeit aufgezeigt und aus der besonderen historischen Situation von Christen unter dem Prinzipat Domitians erklärt werden. In einem Vergleich mit anderen christlichen Texten wird schließlich die Gefährdung der lukanischen Christen wieder historisch eingeordnet.
§ 1 Ermahnung zum offenen Bekenntnis als Christ (Lk ll,53f;12,l-12) 1. Kontext und vorlukanische Überlieferung Kontext Im Anschluß an die Wehe-Rufe gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten (ll,37ff) bietet Lukas eine größere Rede Jesu an die Jünger und eine riesige Volksmenge (12,Iff). Diese Jesus-Rede kommt streng genommen erst in 13,9 zum Abschluß; denn in 13,10 findet wiederum ein deutlicher Szenenwechsel statt (Jesus lehrt und heilt am Sabbat in der Synagoge).1 Thematisch läßt sich freilich durchaus der Kontext über 13,9 hinaus fortschreiben. In der Feldrede (6,17ff) und im lukanischen Reisebericht finden wir noch einmal eine ähnliche Redekomposition mit wechselnden Adressaten (15,1-17,10). Nach den Wehe-Rufen (ll,37ff) findet ein Szenenwechsel statt, der eine Reaktion auf die vorhergehende Antipharisäer-Rede bietet und auch eine Überleitung zur folgenden Rede darstellt: Jesus verläßt das Haus des Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte (11,37), und wird draußen von den Pharisäern und Schriftgelehrten hart bedrängt (ll,53f). Lukas erweitert dann aber sofort den Kreis der Jesus umringenden Menschen (12,1a). Zu den Pharisäern, Schriftgelehrten und Jüngern Jesu stoßen nunmehr Tausende (!) von Menschen hinzu. In dieser Situation ermahnt Jesus seine Jünger zum offenen Bekenntnis. Die Abgrenzung unserer Perikope nach vorne hin ist also etwas schwieriger. Tatsächlich muß wohl zu einem besseren Verständnis der Ermahnung die Überleitung von ll,53f mit zur Einleitung der Ermahnung gerechnet werden. Dagegen läßt sich das Ende unserer Perikope deutlich in 12,12 erkennen, da - hervorgerufen durch eine Frage aus der Volksmenge - in 12,13 szenisch und inhaltlich ein neuer Redeabschnitt beginnt. In 12,22 kehrt die Rede wieder zu den Jüngern als direkten Adressaten zurück. Ab 12,54 wendet sich Jesus wiederum direkt an die Volksmassen (ελεγεν δέ καί τοϊς δχλας). In 13,1 verändert sich noch einmal das Szenarium. Es kommen namenlose τίνες hinzu, die Jesus von dem blutigen Schicksal einiger Galiläer berichten. Jesus nimmt diese Nachricht zum Anlaß für eine nachdrückliche Ermahnung zur Umkehr, die alle nötig haben. Danach findet dann der erwähnte grundlegende Szenen-Wechsel statt (13,10). Während die matthäische Parallele der 1 1.H. MARSHALL, The Gospel of Luke. A Commentary on the Greek Text, Exeter 1978, 508, sieht einen Zusammenhang von 12,1-13,21; vgl. auch G. SELLIN, Komposition, Quellen und Funktion des lukanischen Reiseberichts (Lk IX,51 - XIX,28), NovTest 20 (1978) 100-135. Zur näheren Analyse dieser großen Jesus-Rede in 12,113,9 s. auch R.C. TANNEHILL, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation. Vol. 1: The Gospel according to Luke, Philadelphia 1986, 240ff.
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Ermahnung (Mt 10,26-33) sich im größeren Kontext der "Aussendungsrede" findet und von daher auch in ihrer Aussage klar einzuordnen ist, ist die lukanische Version durch ihren Kontext zwar als ein an die Jesusjünger gerichteter Teil einer größeren Rede Jesu (12,1-13,9) vor einer riesigen Volksmenge zu orten, doch ist ein einheitliches Thema der Rede insgesamt nicht einfach zu erkennen. Allerdings kreisen die meisten Aussagen der Rede um den Zusammenhang des irdischen Verhaltens der Menschen mit ihrem zukünftigen (postmortalen) Schicksal. Die Ermahnung bringt dieses Thema im Blick auf das furchtlose Bekennen der Jünger zur Sprache, während am Beispiel eines Bauern die kurzsichtige Daseinsvorsorge eines Reichen geschildert wird, der seine Rechnung ohne Gott macht, stirbt und offenkundig keine weitere Hoffnung hat (12,13-21). Dieses Schicksal soll den Jüngern erspart bleiben. Darum werden sie ab 12,22 vor falscher Sorge gewarnt und zur richtigen angehalten, um dann ab 12,35 zu einer Stets-Bereitschaft des Herrn ermahnt zu werden. Ab 12,49 geht es um die Einschätzung der eschatologischen Zeitzeichen, woran ab 13,1 das Thema der notwendigen Umkehr aller Menschen sinnvoll anknüpft. Von daher leitet dann der weitere Zusammenhang über in die direkte Frage danach, wer gerettet wird (13,22ff). Diese Frage bleibt in den folgenden Ausführungen Jesu unter verschiedenen Aspekten das Thema. Die hier zu behandelnde Perikope vom furchdosen Bekenntnis der Jünger ist also bei Lukas Teil einer größeren eschatologischen Mahnrede, die das gegenwärtige Verhalten in ein Verhältnis zum (postmortalen) Schicksal der Menschen stellt. Vorlukanische Überlieferung Die vorlukanische Herkunft einzelner Bestandteile unserer Perikope ist differenziert. Stellt man einmal die detaillierte lukanische Bearbeitung der einzelnen Traditionselemente zurück, so ergibt sich im Prinzip folgendes Bild: Lukas übernimmt den Grundbestand seiner Version von Jesu Ermahnung zum offenen Bekenntnis aus der Überlieferung der Logienquelle (12,2-9/Mt 10,26-33). Markus bietet zwar zu V.2 und V.9 jeweils eine parallele Überlieferung (Mk 4,22; 8,38), doch wird diese ebenfalls durch Lukas - und zwar in einem anderen Zusammenhang (8,17.38) - rezipiert. An der Herkunft des mit der matthäischen Parallele zum Teil wörtlich übereinstimmenden Grundbestandes von Lk 12,2-9 aus der Logienquelle ist mithin kaum zu zweifeln.2 Daneben verknüpft Lukas mit diesem Grundbestand aus Q noch andere Überlieferungselemente (12,10-12), auf deren vorlukanischen Hintergrund noch genauer einzugehen sein wird. Gleichwohl kann man hier schon festhalten, daß offenbar markinische 2 S. dazu nur D. LÜHRMANN, Die Redaktion der Logienquelle, Neukirchen-Vluyn 1969,49.
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Überlieferung mit paralleler Tradition aus der Logienquelle auf die lukanischen Formulierungen Einfluß ausgeübt haben. 3 Ebenso greift die programmatische "Überschrift" der Ermahnung in 12,1b auf markinische Überlieferung zurück (Mk 8,15). Schließlich verbindet der dritte Evangelist durch eigene über- und einleitende Formulierungen diese "zusammengesetzte" Tradition mit dem Kontext und schafft auf diese Weise für seine Version der offenen Ermahnung so etwas wie eine szenische Einleitung (ll,53f; 12,1a). Dieser hier nur grob gekennzeichnete vorlukanische Hintergrund unserer Perikope läßt sich etwa so darstellen: Lukas
Matthäus
Markus
ll,53f; 12,1a 12,1b 12,2-9 12,2 (8,17) 12,9 (9,26) 12,10 12,llf (21,14f)
_ (16,6) 10,26-33 10,26 (16,27) 12,32 10,19f (24,9)
_ 8,15 -
(4,22) (8,38) 3,29 (13,11)
Durch diese Komposition bzw. durch erkennbar detaillierte Bearbeitung der Tradition schafft Lukas für die im Prinzip aus der Logienquelle übernommene Ermahnung Jesu einen eigenständigen und konsistenten Aussagezusammenhang. Es läßt sich darum nicht nur vordergründig, sondern in einem qualifizierten Sinn von einer lukanischen Version der Ermahnung zum furchtlosen Bekenntnis sprechen. Ja, man kann auch sagen, daß diese lukanische Version der Ermahnung zum offenen Bekenntnis - literarisch und sachlich - als ein integraler Bestandteil des dritten Evangeliums ausgelegt werden kann und muß. Somit haben Rückfragen nach der vorlukanischen Überlieferung vor allem dann Sinn, wenn sie dazu beitragen, die lukanische Aussage zu profilieren. Formgeschichtliche Überlegungen kommen streng genommen nur für die vorlukanischen Einzelelemente - zumal den Grundbestand aus der Logienquelle - in Betracht. Wenn man so will und den formgeschichtlich geprägten Terminus hier heranziehen darf, so wird der "Sitz im Leben" der lukanischen Version in den Erfahrungen der lukanischen Christenheit zu suchen sein. Und in der Tat wird sich erweisen, daß der (in dem von Lukas geschaffenen komplexen kompositorischen Gefüge entstandene) inhaltliche Sinn der Ermahnung zum offenen Bekenntnis seine besonderen Konturen gewonnen hat, weil der Verfasser des dritten Evangeliums mit dieser Ermah3 Das Urteil von G. SCHNEIDER, Das Evangelium nach Lukas. Kapitel 11-24, Gütersloh - Würzburg 1977, wonach der "gesamte Abschnitt" aus Q-Stoff bestehe, ist zu pauschal (277).
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nung auf eine spezifische Situation seiner Adressaten eingeht. Unsere Auslegung wird zeigen, daß Lk ll,53f; 12,1-12 an eine Grunderfahrung der lukanischen Adressaten weist, nämlich an deren potentielle Gefährdung als Christen im Spannungsfeld zwischen Synagoge und heidnischer Obrigkeit. Ich verstehe die Ermahnung zum furchtlosen Bekenntnis in Lk 12 also als einen "Schlüsseltext", von dem her das eigentümliche Beziehungsgeflecht zwischen Synagoge und Obrigkeit, durch das die Lage der lukanischen Christenheit entscheidend geprägt wurde, aufgeschlossen werden kann. In diesem Paragraphen soll zunächst die Transparenz der lukanischen Version von Jesu Ermahnung zum offenen Bekenntnis für die Erfahrungen der lukanischen Christenheit bzw. deren Gefährdungssituation überhaupt aufgezeigt werden. Er wird jeweils - entsprechend meinem Gliederungsvorschlag für die Perikope - die Unterabschnitte der Ermahnung auslegen. Ich gliedere die Ermahnung in fünf Teile: 1. 2. 3. 4. 5.
ll,53f; 12,1a 12,lb-3 12,4-7 12,8-10 12,llf
Szenische Einleitung Kritik des heimlichen Bekennens Kritik der falschen Furcht Schicksal der Bekenner und ihrer Widersacher Beistandsverheißung für den Konfliktfall
2. Die szenische Einleitung als situationsbezogene Anknüpfung an die Problemlage der Adressaten (Lk 11,53-54; 12,1a) Die "szenische" Einleitung der Ermahnung Der vorangehende Kontext wird in 12,1 durch die präpositionale Wendung έν οίς ins Spiel gebracht. 4 Dieser Rückbezug verknüpft 12,1a mit den Versen ll,53f, die als Überleitung zwischen der voraufgehenden Antipharisäerrede (ll,37ff) und der nun folgenden Ermahnung dienen. Diese Überleitung schildert inhaltlich die Reaktion von Schriftgelehrten und Pharisäern auf die kritische Rede Jesu im Hause eines Pharisäers. Die kunstvolle Verschränkung 4 Zu έ ν οίς s. Act 26,12; vgl. auch Lk 24,18. E. KLOSTERMANN, Das Lukasevangelium, Tübingen 1929 , versteht diese Wendung als "lukanische Übergangsbildung" (133). Schon B. WEISS, Die Evangelien des Markus und Lukas, Göttingen 1901 9 , deutet έ ν οίς auf die vorhergehende Situation und paraphrasiert: "während die Gegner so gegen ihn intrigierten" (483); A. PLUMMER, The Gospel According to S.Luke, Edinburgh 1953 s , überträgt: "In the midst of which, in the meantime" (317). Auch TANNEHILL, Narrative Unity 244, weist daraufhin, daß έ ν οίς 12,1 mit dem Schluß von Lk 11 verbindet.
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dieser Reaktion mit der in 12,1a skizzierten Hörersituation der großen Rede von Kapitel 12f weist sich durch sich selbst und aus sprachlichen Gründen als lukanische Redaktion aus. Formal geurteilt bilden die Verse ll,53f und 12, la zusammen eine "szenische Einleitung" in die Ermahnung, die dann in 12,1b beginnt.5 Diese Art der Einleitung einzelner Perikope durch die Schilderung einer typischen oder auch spezifischen Situation entspricht einer lukanischen Vorliebe. 6 Diese situativen Einführungen können durchaus ein eigenständiges Interesse an der (lukanischen) Deutung Jesu haben, also auf ihre Weise zur lukanischen Konturierung der irdischen Wirksamkeit Jesu beitragen (etwa 9,51; 15,1; 19,11). Daneben finden sich aber auch Beispiele von Einführungen, in denen die dargestellte Situation entweder gar nicht auf ein Verhalten Jesu oder gegenüber Jesus eingeht (14,7; 22,24), oder aber solche, die eine typische Szene schildern und darüber hinaus keinen besonderen Akzent in der lukanischen Konzeption der irdischen Wirksamkeit Jesu setzen (ll,1.37f). Diese schildern zwar eine Begebenheit im "Rahmen" der von Lukas dargestellten Geschichte Jesu, doch sie sind über eine Typisierung hinaus nicht unmittelbar am Schicksal Jesu bzw. seiner lukanischen Deutung interessiert. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, anhand einer "Rahmenhandlung" in den Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen situativ einzustimmen. Man könnte darum davon sprechen, daß diese situativen Einführungen eine "ideale Szene" für die folgenden Ausführungen schaffen. Ihr Sinn besteht darin, durch die Schilderung dieser "idealen Szene" die jeweiligen Ausführungen Jesu transparent zu machen für die Situation der Leser bzw. Hörer des Lukasevangeliums. Zu dieser Art von situativen Einführungen gehört auch die szenische Einleitung unserer Ermahnung. Sie umfaßt die Verse ll,53f; 12,1a. Denn zu der auf den Inhalt der Ermahnung bezogenen Einstimmung gehört nicht nur die Schilderung einer riesigen Volksmenge (12,1a). Diese hat vielmehr nur ihren Sinn zusammen mit der vorher geschilderten Absicht, Jesus bei einem falschen Ausspruch zu fangen. Insofern wird man die Verse ll,53f bei der Einleitung der Ermahnung mit berücksichtigen müssen, wenngleich sie zugleich auch als Überleitung fungieren und also zurückgebunden sind an die Situation der Antipharisäerrede. Anders ausgedrückt: Durch die Verknüpfung des in 12,1a geschilderten Zulaufs einer riesigen Menschenmenge zu Jesus durch die präpositionale Wendung έν οίς mit dem in der Überleitung (ll,53f) dargestellten Verhalten wird deren besonderer Akzent hinübergenommen in die neue Szene. Dieser Akzent besteht in einem auflauernden Achtgeben auf Jesus, um ihn bei einem (falschen) Ausspruch zu fassen. Die Überleitung in 77,53/ schildert nämlich, daß, nach Jesu Weggang aus dem Hause des Pharisäers, Schriftgelehrte und Pharisäer ihm hart zusetzen 5 Vgl. im selben Kapitel 12,13-15 (als szenische Einleitung von 12,16-21); 13,1 (als szenische Einleitung von 13,2-9); vgl. etwa auch 15,lf (als szenische Einleitung zu 15,310 bzw. 15,1 Iff). JA. FITZMYER, The Gospel According To Luke (X-XXIV), New York 1985, 953, versteht 12,1 als "isolated comment on the leaven of the Pharisees ..., which serves as a transition from the subject matter at the end of chap. 11." 6 Grundsätzliches dazu schon bei BULTMANN 359-361; vgl. auch M. DIBELIUS, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 19614, 161-164; G. SELLIN, Lukas als Gleichniserzähler: Die Erzählung vom barmherzigen Samariter (Lk 10, 25-37), ZNW
6 5 (1974) 166-189; 66 (1975) 19-60: 19.
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und ihn über immer mehr Dinge zu Antworten provozieren (άποστοματίζειν αυτόν περί πλειόνων) bzw. ihm auflauern, um etwas aus seinem Munde zu erjagen. 7 Es fällt allerdings auf, daß hier im Unterschied zu Lk 20,20 (wo eine vergleichbare Situation dargestellt wird) keine weitere Absicht dieses auflauernden Verhaltens mitgeteilt wird (20,20: man will Jesus dem Statthalter vorführen können). Und während der Erzählfaden von Lk 20,20 in der Anklage Jesu durch den Hohenrat wieder aufgenommen wird (23,2),8 bleibt das ll,53f dargestellte Verhalten für den Verlauf der Geschichte Jesu ohne Folgen. Vielmehr wird es unmittelbar durch έν ctç aufgegriffen und so mit der Hörersituation der nachfolgenden Rede zu einer spezifischen Situation für die Ermahnung in Anspruch genommen: In eben jener Lage, in der man in besonderer Weise auf Jesu Äußerungen acht gab, versammelte sich eine riesige (!) Volksmenge, in deren Gegenwart sich Jesus zunächst (πρώτον)9 an seine Jünger wendet. Und trotz der bedrohlichen Absichten der Pharisäer und Schriftgelehrten, scheut sich Jesus nicht, in dieser Öffentlichkeit zu reden - und zwar zunächst zu seinen Jüngern (wie in der Feldrede). Er gibt die folgende Jüngerermahnung also nicht heimlich oder privatim, sondern gerade in dieser Situation vor einer riesigen Volksmenge. Die Transparenz für die Situation der Leser Es ist deutlich, daß dieses von Lukas geschaffene Szenarium kein bestimmtes Interesse am Schicksal Jesu selbst aufweist. Vielmehr wird hier eine typische "Hörersituation" im Evangelium übertrieben gezeichnet (Myriaden; man trat einander schon auf die Füße). 10 Und zwar versammelt sich diese rie7 Die lukanische Redaktion dieser Verse - nach dem Vorbild von Lk 20,20 (Mk 12,13) - ist evident. Die Wendung άποστοματίζειν αυτόν meint: zu einer Antwort provozieren (s. PLUMMER 316); ένεδρεύειν mit Akkusativ nur noch Act 23,21; θηρεύειν ist ein Hapaxlegomenon; dazu notiert schon PLUMMER (316) eine Parallele bei Platon, Gorgias 489B: "auf Worte Jagd machen" (ονόματα θηρεύων) ; vgl. auch W. BAUER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur, Berlin 19635, 713. Der Vorgang des Auflauerns wird von Lukas also sehr plastisch beschrieben. 8 Der Hoherat behauptet vor Pilatus, für den Leser des Lukasevangeliums klar als Verdrehung der Tatsachen durchschaubar, das Gegenteil von dem, was Lk 20,20ff von Jesus gesagt wird (s. Lk 23,2, wo an Lk 20,20ff angeknüpft wird). 9 Eine Beziehung von πρώτον auf προσέχετε erscheint mir gekünstelt (so etwa KLOSTERMANN 133; Lk 10,5 kann hier nicht als Beleg dienen); vgl. dagegen auch den Aufbau der Feldrede: Lk 6,17-19 ist ihre "szenische" Einleitung, in der die "Hörersituation" geschildert wird. Aus der hier vorgestellten Menge der Zuhörer wird zunächst (6,20ff) nur der όχλος πολύς der Jünger angeredet, während ab 6,27ff das πλήθος πολύ τοϋ λαοϋ (die versammelten Vertreter Israels insgesamt) angesprochen wird. 10 Zu den hyperbolischen "Myriaden" s. auch Act 21,20; A. SCHLATTER, Das Evangelium des Lukas aus seinen Quellen erklärt, Stuttgart 1931 (I9602), 254, macht auf eine ähnliche Vorliebe für diese Übertreibung bei Josephus aufmerksam. Zu vergleichen wäre auch Ps 3,7 (LXX): ού φοβηθήσομ,αι από μυριάδων λαοϋ τών κύκλω συνεπιτιθεμένων μ.α. D.h. auch Lukas stellt sich wohl vor, daß die riesige Menge Je-
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sige Volksmenge just in jener Situation, in der Pharisäer und Schriftgelehrte besonders auf Jesu Äußerungen acht gaben. Damit bildet aber diese situative Einführung an einer Erfahrung Jesu eine Problemlage ab, die dann in der Ermahnung selbst eine Rolle spielt. Denn in ihr ist von Heimlichkeit und Offenheit, von einer direkten Aufforderung zu einem Bekenntnis zu Jesus vor den Menschen und von gefährlichen Folgen dieses Bekennens die Rede. Die lukanische Einleitung schafft also so etwas wie eine exemplarische Szene für die folgende Ermahnung. Jesu eigenes Verhalten selbst ist beispielhaft im Sinne der Ermahnung. Denn er kümmert sich nicht um die Bedrohung, sondern redet in größtmöglicher Öffentlichkeit frei heraus. Diese Szene ist transparent für die gegenwärtigen Erfahrungen des Autors und der Adressaten des Lukasevangeliums. In den Jüngern spricht die Ermahnung in Wahrheit die christlichen Zeitgenossen des Lukas an; denn auf der Ebene der Erzählung selbst ist den Jesusjüngern weder das kritisierte heimliche Bekenntnis zu Jesus möglich (sie ziehen mit ihm gemeinsam nach Jerusalem, können also kaum ihre Zugehörigkeit zu Jesus verheimlichen; die spätere Verleugnung durch Petrus - 22,55ff - schildert beispielhaft ein Versagen, ist aber keineswegs die erzählerische Fortsetzung von 12,Iff), noch bezieht sich die dann in 12,11 beschriebene Konfliktsituation auf die Erfahrungen der ersten Jesusjünger. Diese lukanische Gestaltung der szenischen Einleitung der Ermahnung zum furchtlosen Bekenntnis macht vielmehr Sinn, wenn sie an Erfahrungen der Adressaten des Evangeliums anknüpft. Diese können und sollen in der im Text geschilderten bedrohlichen Lage Jesu ihre eigene Situation - mutatis mutandis - wiedererkennen. Diese Transparenz unserer Perikope für die lukanischen Adressaten legt auch der bemerkenswerte Unterschied des Lukastextes und seiner "Situation" zur matthäischen Parallele nahe. Grundlegender Unterschied zur matthäischen Parallele Der hier bisher nur grundsätzlich skizzierte "Sitz" der Ermahnung im Leben der lukanischen Christen ist bisher nicht genügend beachtet worden. Stattdessen hat die matthäische Parallele (10,26ff) auch die Interpretation von Lk 12,Iff beeinflußt und grundsätzlich an eine Verkiindigungs-Situation unter dem Druck von Verfolgung denken lassen. In der Tat steht die matthäische Version der Ermahnung zum furchtlosen Bekenntis im heutigen Kontext der Aussendungsrede an die "Zwölf' (10,5ff). In den damit vorgegebenen Rahmen einer Verkündigungs-Situation fügt sich auch der hier interessierende Redeabschnitt, wie vor allem Mt 10,27 zeigt: δ λέγω ύμ.ϋν έν τη σκοτία είπατε sus umringt und die Menschen beim Drängeln einander auf die Füße treten ( κ α τ α π α τ ε ϊ ν im Sinne von "treten" auch Lk 8,5). Die plastische Schilderung von Lk ll,53f setzt sich hier fort {Anschaulichkeit muß also nicht immer ein Zeichen älterer Traditon sein). Zum lukanischen Motiv des Zulaufs der Volksmassen zu Jesus s. auch J. JEREMIAS, Die Sprache des Lukasevangeliums. Redaktion und Tradition im NichtMarkusstoff des dritten Evangeliums, Göttingen 1980,129f.
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έν τώ φωτί, και δ εις το ους άκούετε κηρύξατε επί των δωμάτων. Die "Zwölf' werden hier also zu einer öffentlichen Verkündigung dessen aufgefordert, was sie von Jesus heimlich oder privatim gehört haben. Es regiert ein Gegensatz zwischen heimlicher Erfahrung und öffentlicher Verkündigung des Erfahrenen. Das Subjekt des heimlichen Redens ist Jesus, das Subjekt der öffentlichen Verkündigung sind die Jünger (Zwölf). Die besondere Problematik der Verkündigung besteht offenkundig darin, daß die Verkündiger mit ihrer "Verfolgung" rechnen müssen (vgl. v.a. Mt 10,17.23). In der matthäischen Version der Aufforderung zum furchtlosen Bekenntnis geht es also durchaus um die Aufforderung zur öffentlichen Verkündigung trotz Verfolgungsgefahr. Doch diese Situation darf nicht auf die lukanische Version übertragen werden. Schon der lukanische Kontext zeigt, daß es hier nicht um eine Sendung der Jünger zu Verkündigung geht. Wir haben ja oben darauf hingewiesen, daß die lukanische Ermahnung im Zusammenhang einer umfassenderen Rede Jesu steht, in der das irdische Verhalten und das eschatologische Schicksal in Relation zueinander gestellt werden. Jedenfalls bietet Lukas die Ermahnung nicht im Zusammenhang einer Aussendungsrede. Und auch an Jesus selbst - obwohl er öffentlich redet - soll hier nicht die Rolle des Verkündigers dargestellt werden (er redet im übrigen hauptsächlich - mit Ausnahme von 12,13-21 - zu seinen Jüngern). D.h. aus dem lukanischen Kontext kann nicht auf die Situation von Verkündigung im eigentlichen Sinne geschlossen werden. Dazu paßt auch ein erster Vergleich von Mt 10,27 (dieser Vers schlägt im matthäischen Text zur durch den Rahmen vorgegebenen Verkündigungssituation den Bogen) mit Lk 12,3. Denn er zeigt deutlich, daß es Lukas hier nicht um den (matthäischen) Gegensatz von heimlicher Instruktion durch Jesus und deren öffentliche Verkündigung durch die "Zwölf' geht. Denn in der lukanischen Fassung sind die angeredeten Jünger selbst (nicht Jesus!) das Subjekt des heimlichen Redens, umgekehrt sind nicht sie es, die das heimlich Gesagte publik machen. Vielmehr: Was die Jünger heimlich sagen, das wird öffentlich bekannt werden. Die lukanische Version geht also auf das Problem der Verheimlichung von etwas ein - dessen Subjekt sind die Jünger. Die matthäische Version geht auf das Problem der Veröffentlichung von etwas ein - dessen Subjekt sollen die Zwölf sein. Die gewichtige lukanische Einleitung und die spezifische Fassung von Lk 12,3 raten mithin dazu, Jesu Ermahnung zum offenen Bekenntnis im dritten Evangelium nicht durch eine Übertragung der für Matthäus kennzeichnenden Verkündigungs-Situation auf den lukanischen Text dieser Kurzrede Jesu zu belasten. 11
11 Auch FITZMYER (956) weist daraufhin, daß Lukas seiner Tradition im Unterschied zu Matthäus "a different setting" gegeben habe. Er meint ebenfalls, daß etwa Lk 12,2f nichts mit der öffentlichen Proklamation des Gotteswortes zu tun hat, das die Jünger privatim empfangen haben. Bei Lukas "it refers much more to a persons's inner makeup". Am Ende wird das Geheimste vor Gott offenbar werden (957).
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Dies gilt auch unabhängig davon, ob Matthäus die ursprüngliche Situation der Ermahnung im Kontext der Logienquelle selbst bewahrt hat. 12 Es bleibt darum zunächst festzuhalten: Lukas versieht die Ermahnung zum furchtlosen Bekenntnis mit einer szenischen Einleitung (ll,53f; 12,1a), die die Ermahnung gleichsam als "ideale Szene" transparent macht für die Bekenntnissituation der lukanischen Christen. Diese situative Einleitung macht deutlich, daß die lukanische Version der Ermahnung sich nicht wie die matthäische auf eine Verkündigungs-Situation bezieht. Vielmehr geht es um ein öffentliches Bekenntnis zu Jesus. Doch muß die spezifische Situation der Adressaten der Ermahnung noch genauer erschlossen werden.
3. Kritik an der falschen Praxis des heimlichen Bekenntnisses (Lk 12,lb-3) Warnung der Jünger vor
ύπόχρισις
Die eigentliche Rede Jesu beginnt bei Lukas nahezu programmatisch mit einer Warnung (V.lb) 1 3 : προσέχετε έαυτοϊς άπό της ζύμης ητις έστίν 12 Ob Matthäus den ursprünglichen Sachzusammenhang bewahrt hat, läßt sich natürlich nicht sicher entscheiden, aber doch mit guten Gründen vermuten. Denn Matthäus setzt nicht nur im größeren Kontext (Aussendungsrede), sondern auch in dem mit Lukas gleichen Traditionsstück (Mt 10,26-33/Lk 12,2-9) eine "Verkündigungs"-Situation voraus. Die Entscheidung, ob Matthäus die Situationsbeziehung dieser Verse in der Logienquelle getreu überliefert, hängt damit u.a. davon ab, ob auch Mt 10,27 in dieser Hinsicht die Vorlage getreuer überliefert, nicht aber Lk 12,3. LÜHRMANN (49) setzt ungeprüft voraus, daß es auch im lukanischen Text um die "Verkündigung der Jünger" geht (vgl. 51). Und obwohl P. HOFFMANN, Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 1972, 156 und passim, seinerseits Lk 12,2f für ursprünglicher hält, plädiert er für die Logienquelle auf "Verkündigungstätigkeit" als "Sitz im Leben", während er für Lukas selbst an die Missionssituation denkt (2781). Auch S. SCHULZ, Q. Die Spruchquelle der Evangelisten, Zürich 1972,461ff, denkt für die Logienquelle (und offenbar auch für Lukas) an die "Missions- und Verkündigungsarbeit der Jünger"; ebenso J. ERNST, Das Evangelium nach Lukas, Regensbure 1977, 392; WEISS 485; W. GRUNDMANN, Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1961*, 253f; H. RENGSTORF, Das Evangelium nach Lukas, Göttingen 19629, 141f; vgl. auch G. BORNKAMM, Das Wort Jesu vom Bekennen, in: ders.; Geschichte und Glaube I, Gesammelte Aufsätze III, München 1968, 25ff. (hier: 29). Wie nachhaltig der matthäische Kontext hier auch die Auslegung der parallelen Verse bei Lukas beeinflußt, zeigt unfreiwillig H. CONZELMANN, Art. φως κτλ., ThW IX 302ff (hier: 336). Er paraphrasiert Lk 12,3 so: "Was ihr im Geheimen gehört (sie!) habt, wird öffentlich gesagt werden." Neuerdings bezieht auch TANNEHILL, Narrative Unity 244, unseren Text wiederum auf eine Verfolgungssituation der verkündigenden Jünger-Apostel (mit Verweis auf 11,49). 13 Vgl. die programmatische Warnung an den δχλος im folgenden Redeteil, der ebenfalls nach einer "szenischen" Einleitung (Lk 12,13f) mit einer Warnung (Lk 12,15) beginnt.
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ύπόκρισις των Φαρισαίων. Die spezifische Formulierung dieser Warnung geht auf das Konto lukanischer Redaktion, 14 wenngleich Lukas die Warnung selbst aus Mk 8,15 aufnimmt. Er versieht dann den bildhaften Vergleich (ή ζύμη των Φαρισαίων) des Markus mit einer eingeschlossenen Explikation15. Mit der ζύμη der Pharisäer meint Lukas hier also ύπόκρισις.16 Es ist nun aber besonders darauf zu achten, worauf bzw. auf wen sich diese Warnung bezieht. Kaum auf die zuvor erwähnte Absicht der Schriftgelehrten und Pharisäer. Denn deren Bedrohung richtet sich ja gegen Jesus. Und wollte dieser seine Jünger vor den Nachstellungen der Pharisäer warnen, so würde er jetzt selbst mit schlechtem Beispiel vorangehen, da er sich offensichtlich nicht darum schert, daß man ihn bei einem Ausspruch fassen will. Und wenn Lukas zwischen Jesus und seinen Jüngern unterschieden wissen wollte - Jesus kümmert sich nicht, seine Jünger aber warnt er -, dann wäre nicht zu verstehen, daß er hier von der ζύμη der Pharisäer spricht. Dieser bildliche Vergleich hat ja nur einen Sinn, wenn er auf ein Verhalten anspielt, das die Jünger selbst vermeiden sollen (beachte auch das Reflexivpronomen έαυτοϊς!). Also nicht: die Jünger sollen sich vor den ihnen auflauernden Pharisäern hüten, sondern: die Jünger sollen sich davor hüten, daß der "Sauerteig" der Pharisäer auch sie "durchsetzt".17
14
Zur lukanischen Verbindung von προσέχειν mit dem Dativ des Reflexivpronomens s. 17,3; 21,34; Act 5,35; 20,28. Lukanisch ist auch die Konstruktion (ηρξατο) λ έ γ ε ι ν πρός mit folgendem Akkusativ (s. JEREMIAS 33). Ich rechne auch das abundante ηρξατο auf das Konto des Lukas (gegen JEREMIAS 211; 105f); denn Lukas nimmt in Lk 12,1b markinische Tradition auf (Mk 8,15), las aber dort gerade nicht ηρξατο λ έ γ ε ι ν προς κτλ. Aus der Logienquelle kann ηρξατο (wie überhaupt Lk 12,1b) nicht stammen (gegen z.B. JEREMIAS 105). Der Vers fehlt in der matthäischen Parallele der Ermahnung zum furchtlosen Bekenntnis, während er in der matthäischen Parallele zu Mk 8,15 im Kontext der Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer (Mk 8,14-21) - nämlich Mt 16,6 - zu finden ist. Lukas dagegen bietet keine Parallele zu dieser markinischen Warnung, sondern nimmt im Prinzip nur Mk 8,15 auf, stellt diesen Vers nunmehr aber in den Kontext der Ermahnung zum furchtlosen Bekenntnis. FITZMYER (953) u.a. führen 12,1 etwas hilflos auf das lukanische Sondergut zurück. 15 Zu einer solchen Form der Explikation vgl. auch Lk 2,11. 16 U. WILCKENS, Art. υποκρίνομαι κτλ., ThW Vili 558ff, hält das Stichwort ύπόκρισις an dieser Stelle für einen Nachtrag aus der Überlieferung der "Weherufe" (Lk ll,37ff): 566. Immerhin fällt auf, daß Lukas an dieser Stelle überhaupt expliziert, andererseits in den "Weherufen" - anders als Matthäus - kein Wort vom Stamm ύποκρ- bietet. Das markinische Vorbild dieser Formulierung - Mk 8,15 - macht darauf aufmerksam, daß Lukas den Ton auf die zwischen die beiden Genetive eingeschlossene Explikation (ητις εστίν ύπόκρισις) legt, so daß ein Verständnis des Genetivs των Φαρισαίων als epexegetisch (so PLUMMER 318) die Aussageintention verschiebt. 17 Es geht in dem bildlichen Teil des Vergleiches wohl nicht um das "Aufgehen" eines durchsäuerten Teigs, sondern um die Fermentation eines neuen Teigs mit Hilfe des aufbewahrten "Sauerteigs"; dieser Vorgang kann positiv (Lk 13,21/Mt 13,33) und negativ (Mk 8,15/Mt 16,2/Lk 12,1) attribuiert werden. S. C.L. MITTON, Leaven, ET 84 (1972/73) 339-343.
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Was meint Lukas mit dem "Sauerteig" der Pharisäer? Er hält diesen bildlichen Vergleich hier offenkundig selbst für explikationsbedürftig, da er ihn durch ύπόκρισις erläutert. Dem Ausleger ist durch diese Erläuterung freilich noch nicht unmittelbar geholfen, im Gegenteil, er neigt eher dazu, sich gerade durch dieses Stichwort dem Verständnis des bei Lukas Gemeinten zu entziehen. Denn diese enge Verknüpfung von ύπόκρισις und Φαμσαϊα verleitet geradezu, in der ύπόκρισις auch bei Lukas eine den Pharisäern angeblich wesenseigene (religiöse) Fehlhaltung auf den Begriff gebracht zu sehen. 1 8 Doch nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, sondern weil Lukas nur hier ausdrücklich eine Beziehung zwischen Pharisäern und dem Wortstamm ύποκρ- herstellt, ist ein solcher Rückschluß problematisch. Tatsächlich verschiebt sich durch die lukanische Explikation also zunächst die Fragestellung. D.h. die Frage lautet nicht mehr, was Lukas mit dem "Sauerteig" der Pharisäer meint, sondern: Was meint er hier mit υπόκμσις? Immerhin kann diese Verschiebung auch davor warnen, die zweifellos im Lukasevangelium vorhandene antipharisäische Kritik (ll,39ff; 16,15; 18,9-14 wird sie gleichsam vorausgesetzt und exemplifiziert) auf einen Punkt zu bringen, für den ύπόκρισις den sprachlichen Ausdruck leiht. Denn wenn nur an dieser Stelle eine ausdrückliche Beziehung zwischen einem Wort dieses Stammes und Pharisäern hergestellt wird (vgl. das lukanische Vorkommen des Wortstammes im jeweiligen Kontext: 6,42; 12,56; 13,15; 20,20), kann auch nicht umgekehrt eine Kongruenz der antipharisäischen Kritik des Lukas mit ύποκρ- unterstellt werden. Unzweifelhaft ist jedoch, daß in 12,1 - aber eben nur hier - eine Identifizierung des "Sauerteigs" der Pharisäer mit ύπόκρισις erfolgt (und zwar durch Lukas). Zunächst muß darum die Antwort auf die Frage, was
18
Aus den entsprechenden Interpretationen von ύπόκρισις in Lk 12,1 hier nur einige Beispiele: RENGSTORF 140: "religiöse Unwahrhaftigkeit und Schauspielerei"; GRUNDMANN 253: "Der Sauerteig ist die Heuchelei der Pharisäer; ihre Lebensweise ist Verstellung, insofern ihr wirkliches Sein der äußeren Gestalt nicht entspricht"; ERNCT 393 spricht von der ύπόκρισις των Φαμσαίων als Heuchelei im Sinne einer typischen "Geisteshaltung" der Pharisäer; SCHNEIDER, Lk I 278: "'Heuchelei' qualifiziert den 'Sauerteig' (geistige und religiöse Haltung, die sich wie ein Sauerteig ausdehnt sie! -) negativ. Die ύπόκρίσις ist nicht schlechthin Schauspielerei und Verstellung, sondern eine grundlegende Fehlhaltung der Frömmigkeit, wie sie in den Weherufen... zur Sprache kam." K. BERGER, Die Gesetzesauslegung Jesu. Ihr historischer Hintergrund im Judentum und im Alten Testament, Teil I: Markus und Parallelen, Neukirchen-Vluyn 1972, 500, interpretiert Lk 12,1 von Lk 20,20 her: "Nicht das Verhältnis von außen und innen wird hervorgehoben, sondern das von jetziger Verborgenheit und einstiger Erkennbarkeit. Der Begriff wird offenbar verwendet, wenn ein bestimmter Anspruch erhoben wird, der ohne objektive Grundlage ist, auch bei subjektiver Gutwilligkeit." Lk 20,23 wird allerdings von Lukas selbst das vorher (20,20) mit der Wendung ύποκρινομ,ένους εαυτούς δικαίους είναι umschriebene Verhalten der Provokateure als πανουργία gedeutet, also als ein subjektiv böswilliges Verhalten (s. WILCKENS, ThW VIII 567). Es geht also auch Lk 20,20 um "Maskerade", "Schauspielerei", gewiß nicht, wie auch BERGER zu Recht unterstellt, um einen Wesenszug der Provokateure, doch gerade hier um ein subjektiv böswilliges Verhalten.
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als hypokritisches Verhalten im lukanischen Sinne zu gelten hat, aus dem unmittelbaren Zusammenhang selbst erhoben werden.
Der Sinn von ύπόχρισις ergibt sich aus dem Kontext Die einleitende Warnung muß in enger Beziehung zu der positiven Absicht der Ermahnung - nämlich der Aufforderung, sich offen vor den Menschen zu Jesus zu bekennen: V.8 - gesehen werden. Freilich kann diese Warnung nicht einfach das Gegenteil des öffentlichen Bekennens - nämlich hier die Verleugnung Jesu: V.9 - meinen. Denn einerseits wird vor der Verleugnung ja schon durch Hinweis auf ihre eschatologische "Vergeltung" gewarnt (άπχρνήσεται ενώπιον των αγγέλων τοϋ θεοϋ), andererseits setzt der Gebrauch von ύπόκρισις voraus, daß dieses Fehlverhalten undurchsichtiger ist, seinem Außenaspekt auch ein Innenaspekt entspricht. D.h. die Verleugnung Jesu vor den Menschen wäre nur ein Aspekt des inkriminierten Verhaltens, der für sich genommen nicht als ύπόκρισις prädiziert werden könnte (was immer man auch darunter versteht: Schauspielerei; Maskerade; Heuchelei). Ist aber soviel richtig, daß diese Warnung ein Verhalten der Angeredeten meint und als solches im Zusammenhang des offenen Bekenntnisses zu Jesus steht, so liegt es nahe daran zu denken, daß das gemeinte hypokritische Verhalten weder das eine (offenes Bekenntnis) noch das andere (aktive Verleugnung) tut. Die Warnung würde also auf ein Verhalten eingehen, das als aktives Verhalten nicht die Verleugnung Jesu vor den Menschen ist, aber eben zugleich auch eine Unterlassung des offenen Bekenntnisses zu ihm. Um es konkret und vorweg zu sagen: Der lukanische Jesus warnt vor der ΰπόκρισις eines nur heimlichen Bekenntnisses zu Jesus. Dieses ist zwar keine aktive Verleugnung Jesu vor den Menschen, doch in dem, was die Angeredeten tun (sich nur heimlich zu Jesus bekennen), unterlassen sie zugleich das, was von ihnen erwartet wird (offenes Bekenntnis). Das heimliche Bekenntnis "maskiert" die Unterlassung des offenen. Diese Deutung wird sich in der nachfolgenden Interpretation von V.2f bestätigen. Von ihr her wird aber auch plausibel, warum Lukas in seiner Warnung einen Zusammenhang zwischen den Pharisäern und ύπόκρισις herstellt. Denn die vorhergehende antipharisäische Kritik des Lukas lief ebenfalls darauf hinaus, daß auch sie - die Pharisäer - in dem, was sie tun, zugleich etwas anderes unterlassen: Die Pharisäer verzehnten zwar Minze, Raute und jegliches Gartengewächs, aber sie übergehen die κρίσις und die άγάπη τοϋ θεοϋ (Lk 11,42: ταύτα δέ εδει παησαι κάκεϊνα μ.ή παρεϊναι). In diesem Sinne ist auch ihr Verhalten hypokritisch. Sie sind keine "Heuchler", die nach außen hin eine Scheinwirklichkeit unterhalten, innerlich aber derselben überhaupt nicht entsprechen. Denn das, was sie tun, wird hier nicht getadelt und auch nicht unterstellt, daß sie es nur um ihrer eigenen Wirkung nach außen hin
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tun. Getadelt wird vielmehr, daß sie in dem, was sie tun, sich selbst verschleiern, daß sie etwas anderes unterlassen.19 Im unmittelbaren Kontext der Warnung vor dem "Sauerteig" der Pharisäer kommt Lukas in 12,2f nun auch inhaltlich auf das hypokritische Verhalten der Angeredeten zu sprechen. Wie V.3 deutlich unter Beweis stellt, sind weiterhin die Jünger angeredet (είπατε/έλαλήσατε). Und nichts deutet darauf hin, daß wenigstens V.2 sich noch zu einem Fehlverhalten der Pharisäer ausspricht.20 V.2 ist eine Sentenz, die mit Hilfe der lukanischen21 Attractio Relativi ανθ' ών auf die angeredeten Jünger attribuiert wird. Um die Jünger geht es in (προσέχετε έαυτοϊς) und seit der Warnung - nicht um die Pharisäer. D.h. für Lukas bedeutet V.2f keine "Antithese gegen die Pharisäer"22, sondern V.3 (in erster Linie) kommt nun auf ein Verhalten der Jünger zu sprechen, das zu der Warnung von V.lb Anlaß gibt. Selbst wenn man also die Sentenz V.2 auch auf die Pharisäer bezieht, so kann man dies eben nur auch tun, aber nicht nur und nicht zuerst.23 Wenn man also V.2f als "Antithese" bezeichnet, so sind diese Verse eine Antithese gegen jenes falsche Verhalten, vor dem die Jünger - mit Verweis auf die Pharisäer - gewarnt werden. Nimmt man demnach ernst, daß seit V.lb die Jünger angeredet sind, so kann sich die kritische Spitze von V.2 ebenfalls zunächst nur auf die Jünger beziehen. Selbst wenn sie auch auf die Pharisäer passen würde, so steht dies jetzt nicht zur Debatte. Ist in 12,3 nicht doch eine "missionarische" Situation im Blick? Ich hatte oben dargelegt, daß die lukanische Kontextbeziehung der Ermahnung (ll,53f; 12,1a), im Unterschied zur matthäischen, nicht von einer Verkündigungssituation ausgeht. Ebenfalls war in einem ersten Vergleich von Mt 10,27 mit Lk 12,3 angedeutet worden, daß gerade auch die bei Matthäus in diesem Vers vorliegende Beziehung der Ermahnung auf die im Kontext überhaupt vorausgesetzte Verkündigungssituation im lukanischen Parallelvers fehlt. Dieser Vergleich muß noch vertieft bzw. problematisiert werden. Denn wird nicht in Lk 12,3b von Verkündigung gesprochen, da dort zu lesen ist: 19 Es geht also in dem Stichwort ύπόκρισις um eine formale Analogie, nicht um eine Warnung vor dem religiösen Verhalten der Pharisäer. 20 LÜHRMANN 49 weist zu Recht zurück, daß Lk 12,2ff/Mt 10,26f (Q) "noch gegen die Pharisäer gerichtet" ist. Gegen T.W. MANSON, The Sayings of Jesus. As Arranged in the Gospels Acc. to St.Matthew and St.Luke with Introduction and Commentary, London 19492 (Nachdruck 1964), 106; vgl. aber auch G. FRIEDRICH, Art. κηρύσσω, ThW III 695ff, der Lk 12,1-3 noch gegen die Pharisäer gerichtet sieht (703021
22
Vgl. 1,20; 19,44; Act 12,23 und JEREMIAS 211.
Gegen LÜHRMANN 49, der für Lukas eine Antithese annimmt, die er bei Q nicht findet. 23 TANNEHILL, Narrative Unity 244, meint: "Jesus had exposed the Pharisees' hypocrisy in 11:39-41,44, and now this attack on hypocrisy is applied to the disciples." Man müßte dann damit rechnen, daß Lukas in 12,1 das vorher getadelte Verhalten der Pharisäer auf den Begriff ΰπόκρισις bringt.
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κηρυχθήσεται έπί των δωμάτων? Diese Formulierung könnte durchaus Assoziationen zu einer Verkündigungssituation wecken. Wenn dem so wäre, so hätte V.3 insgesamt die Praxis einer missionarischen "Flüsterpropaganda" im Auge, deren bessere eschatologische Zukunft (έν τω φωτί άκουσθήσεται/ κηρυχθήσεται έπί των δωμάτων) über die bescheidene Gegenwart (δσα έν τω σκοτί είπατε/ο προς το ούς έλαλήσατε έν τοις ταμείοις) trösten soll. V.2 würde dann wohl von einer gegenwärtig heimlich-verborgenen im Gegensatz zu einer eschatologisch-offenbaren Verkündigung reden, wie die Ausleger weithin übereinstimmend annehmen. 24 Doch warum werden dann die Jünger vor ύπόκρισις gewarnt, wenn ihre "Flüsterpropaganda" gar nicht tadelnswert ist, sondern durch Verheißung der eschatologisch-offenbaren Verkündigung über die traurige Gegenwart getröstet werden soll? Das heimliche Bekenntnis ist ύπόχρισις Die lukanische Aussage in 12,2f erschließt sich besser, wenn beachtet wird, daß diese Verse durchaus einen Gegensatz von heimlich und öffentlich zur Sprache bringen, diesen aber weder in bezug auf Verkündigung im eigentlichen Sinne des Wortes (religiöse Propaganda), noch aber auch als Gegensatz von Gegenwart und eschatologischer Zukunft thematisiert. D.h. das Verbum κήρυσσαν, das hier allein dazu raten könnte, an eine Verkündigungssituation zu denken - und dazu, von dieser Voraussetzung her die futurischen Verbformen eschatologisch, d.h. als Passiva divina zu verstehen -, hat hier profanen Sinn.25 Κηρόσσειν meint hier nicht die solenne Verkündigung des Evangeliums, sondern die öffentliche (έπί των δωμάτων) Bekanntmachung eines (unkerygmatischen) Sachverhaltes. Dieser im Neuen Testament an sich unspezifische Sinn von κηρύσσειν legt sich auch durch den bei Lukas verstärkten Gegensatz nahe, der V.3 beherrscht. Was die Jünger ins Ohr geflüstert haben, und zwar in den inneren, geheimen Räumen eines Hauses (! έν τοίς ταμείοις), das wird auf den Dächern ausgerufen werden. Äußerster Heimlichkeit steht größte Öffentlichkeit gegenüber. Und dieser Gegensatz will sagen: Selbst die größtmögliche Form der Geheimhaltung ist sinnlos: Die Spatzen werden es von den Dächern pfeifen. Gleiches gilt nun nicht nur für V.3a (was sie - die Jünger - im Dunkeln, d.h. heimlich, gesagt haben, das wird im Licht, d.h. in der Öffentlichkeit 26 , gehört werden), sondern auch für V.2: Nichts ist so völlig verhüllt, was nicht enthüllt werden wird, und verborgen, was nicht bekannt werden wird. Diese 24 Vgl. dazu nur SCHULZ 464f; LÜHRMANN 50f; HOFFMANN 132.156 u.ö.; A . OEPKE, Art. κρύπτω κτλ.; ThW III 959ff (hier: 974); H. CONZELMANN, Art. σκότος
κτλ., ThW VII 424ff (hier: 442). 25
26
Vgl. FRIEDRICH, T h W III 703f.
Zur übertragenen Bedeutung von φως s. CONZELMANN, ThW IX 336; in gleicher Weise ist auch σκοτία hier im übertragenen Sinn zu verstehen.
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Aussage ist im Sinne unseres Sprichwortes: "Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen" zu verstehen. 27 Nach dem Willen des Lukas zieht aber nun V.3 ein Fazit ad discípulos aus dieser Sentenz.28 Da bei Lukas die Jünger das Subjekt des heimlichen Redens sind, V.2f im Kontext der vorhergehenden (12,1b) Warnung an die Jünger verstanden werden muß und schließlich hier auch nicht an eine missionarische Situation zu denken ist, sprechen diese Verse bei Lukas von einer Praxis der Jünger, die die vorstehende Warnung im Blick hat. Aus dem Zusammenhang der Ermahnung insgesamt, die ja als Ermahnung das offene Bekenntnis zu Jesus thematisiert, ist zu schließen, daß V.2f auf ein Verhalten eingeht, das ein nur heimliches Bekenntnis zu Jesus praktiziert. Dieses heimliche Bekenntnis ist aber nicht nur sinnlos, wie aus V.2f hervorgeht, sondern es ist ύπόχρισις. Denn in dem, was es tut, unterläßt es zugleich, was nach Ausweis der Ermahnung eigentlich getan werden soll: nämlich sich offen - vor den Menschen - zu Jesus zu bekennen. Lk 12,2f enthält also Kritik einer falschen Praxis des (heimlichen) Bekenntnisses zu Jesus und wendet sprichwörtliche Erfahrungsweisheit auf das Verhalten der Angeredeten an. Zuvor schon wurde dieses Verhalten in 12,1b als ύπόχρισις entlarvt und in einen Zusammenhang mit dem Verhalten von Pharisäern gestellt, die in der vorhergehenden Rede scharf kritisiert wurden. Insofern zieht also diese Kritik am falschen Verhalten der Jünger die Schärfe der Antipharisäerpolemik von ll,37jf auf sich und vermittelt so den Eindruck eines intensiven Interesses von Lukas an der Kritik dieses Fehlverhaltens. Der folgende Abschnitt der Ermahnung argumentiert stärker theologisch (eschatologisch) und appelliert an spezifische Glaubensüberzeugungen der Adressaten.
27 S. dazu schon BULTMANN 99f; OEPKE, ThW III 559; SCHULZ 464; beachte auch die lautgleichen Endungen im griechischen Wortlaut von V.2. 28 Ich sehe nicht, was Lk 12,3 als die ursprünglichere Formulierung ausweisen kann, wie neben vielen anderen etwa E. PERCY, Die Botschaft Jesu. Eine traditionskritische und exegetische Untersuchung, Lund 1953, 212ff, behauptet; dagegen zu Recht schon A. v. HARNACK, Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament. II. Sprüche und Reden Jesu, Leipzig 1907, 60; G. STRECKER, Der Weg der Gerechtigkeit, Göttingen 19662, 190. Denn: Α ν θ ' &v ist lukanisch; ebenso ΧαΧειν πρός und έ ν τοις τ α μ ε ί α ς bzw. οσα (dazu s. nur SCHULZ 462 und die dort angegebene Literatur). Gegen die Ursprünglichkeit von Lk 12,3 spricht nicht nur der Sprachgebrauch, sondern u.a. der offenkundige Gegensatz von Lk 12,2f zu Lk 12,8. Dieser Gegensatz entsteht bei Matthäus gerade nicht, da Mt 10,27 zur offenen Verkündigung auffordert, während Mt 10,32 zum offenen Bekenntnis ermahnt.
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4. Theologische Kritik der falschen Furcht der Jünger (Lk 12,4-7) Redaktionelle
Akzente in V.4f
Mit V.4 beginnt ein neuer Abschnitt der Ermahnung, der bis einschließlich V.7 reicht. Er ist durch ein einleitendes λέγω δέ ύμϊν (wie V.8 als Beginn des dann folgenden Abschnittes) abgehoben und hier durch den Zusatz τοϊς φίλ ο ς μου deutlich als lukanische Redaktion identifizierbar.29 Aus der Logienquelle kann gerade dieser Zusatz nicht erklärt werden. Matthäus bietet überhaupt nur einmal den Begriff φίλος (11,19; vgl. Lk 7,34), während die Vorliebe des Lukas für diesen Begriff nur noch annähernd von Johannes geteilt wird. Neben diesen redaktionellen Zusätzen weisen die Verse 4 und 5 weitere Spuren der lukanischen Handschrift auf. Wichtig sind hier vor allem die rhetorischen Wendungen (υποδείξω δέ ύμϊν; vai λέγω ύμϊν) 30 zu Beginn und am Ende von V.5, die die Aussage im Dienste der lukanischen Absicht strukturieren. Diese Absicht will herausstellen: Gott ist zu fürchten, nicht aber die, die nur den Leib töten können.31 Lukas relativiert damit keineswegs die Gefahr, getötet werden zu können, er relativiert vielmehr die Furcht davor bzw. vor denen, die töten, insofern er - rhetorisch kunstvoll - auf Gott als jene Instanz hinweist, die nach dem Getötetwerden noch Macht besitzt und in Wahrheit zu fürchten ist. Diese Akzentuierung der Furcht (als Furcht vor Gott) entspricht einem auch sonst aus dem lukanischen Doppelwerk zu entnehmenden Interesse an der Furcht als dem Gott gegenüber angemessenen Verhältnis. Auch und gerade als Furcht vor dem Richter-Gott ist sie Lukas wichtig.32 Ob Lukas schon zwischen der Furcht vor Gott und der Ehre für den Caesar bzw. dessen Repräsentanten unterschieden hat (vgl. I Petr 2,17)33, ist eher unwahrscheinlich. Denn gerade auch V.llf im Kontext der Ermahnung wird ja keineswegs ein differenzierender Umgang mit den staatlichen Repräsentanten empfohlen.
29 30
Anders G. STÄHLIN, Art. φίλος κτλ., ThW IX 144ff (hier: 161). Vgl. JEREMIAS 212; s. auch Lk 6,47; 11,51; 12,5. Lukanische Redaktion: μ ε τ ά
τ α ΰ τ α ( L k 5,27; 10,1; A c t 7,50^ 13,20; 15,16; 18,1); z u ε ^ ε ι ν έ ξ ο υ σ ί α ν A c t 9,14; d i e
Wendung insgesamt (μετά ταύτα μή εχόντων περισσοτερόν τι ποιήσαι) ist nach SCHLATTER (527) literarisches Griechisch; zu περισσοτερόν τι s. auch II Kor 10,8; z u m G a n z e n HARNACK 60. 31
32
Vgl. auch JEREMIAS 212.
Lk 1,50; 18,2.4; 23,40; Act 10,2; 13,16.26; 22,35. Gericht Gottes: Lk 18,2.4; 23,40; Act 5,11. ERNST 393 deutet auf den strafenden Richter-Gott; s. auch H. BALZ Art. φοβέω κτλ., ThW IX 186ff (hier: 206.208f). 33 Zu I Petr 2,17 vgl. W. SCHRÄGE, Zur Ethik der neutestamentlichen Haustafeln, NTS 21 (1974/75) Iff (hierll); Ν. BROX, Der erste Petrusbrief, Zürich usf. 19893, 123, hält eine "gezielte ideologiekritische Tendenz gegen damaliges kaiserliches Selbstverständnis" nicht für ausgemacht. Zur Unterscheidung der Furcht vor Gott und der Ehre für den Kaiser s. nur Acta Scilitanorum 9.
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Warum werden die Jünger als φίλοι angeredet? Was will Lukas mit der Anrede der Jünger als "Freunde" ausdrücken? Daß die Jünger hier von Jesus in Analogie zum hellenistischen Hofstil als seine φίλα angesprochen werden, halte ich für sehr unwahrscheinlich.34 Dann wäre die Bezeichnung φίλοι viel zu niedrig gegriffen (es sei denn, man versteht sie hier in Analogie zu dem Titel φιλόκαισαρ für die Vasallen der römischen Caesaren 35 ). Im übrigen werden in 12,4 alle Jünger angesprochen. Die Herrschaft in der βασιλεία Jesu (Lk 22,29f) wird dagegen an die Apostel (22,14) delegiert, d.h dieser Text kommt hier nicht als Argument in Betracht. Möglich ist durchaus, daß hier eine Assoziation zum Klienten-Verhältnis vorliegt, wonach etwa freigelassene Sklaven als Klienten ihres ehemaligen "dominus" auf dessen Schutz (und gegebenenfalls auch Rechtsbeistand vor Gericht) rechnen dürfen (gleiches gilt für politische Anhänger als Freunde). Eine ähnliche Schutz- und Rechtsbeistandsfunktion vor Gericht kann aber auch aus der Assoziation zum "Freundschaftsideal" geschlossen werden. In jedem Fall liegt der Sinn der Anrede τοϊς φίλοις μ,ου darin, daß Jesus seine Jünger als seine "Schützlinge" anspricht, die von ihm Beistand erwarten können. 36 Diese Deutung der Anrede der Jünger als Freunde Jesu fügt sich auch in den weiteren Kontext sinnvoll ein. Sie nimmt offenkundig schon das Thema von V.llf hier vorweg (Beistand im Konfliktfall), insofern V.4 auf die äußerste Konsequenz des offenen Bekenntnisses zu Jesus eingeht. Gott ist zu ßrchten - nicht irdische Machthaber Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Verfasser des dritten Evangeliums allein schon durch seine rhetorische Akzentuierung hervorhebt, daß allein Gott zu fürchten ist, nicht aber die, die (nur) den Leib töten können. Diese in V.4 umschriebenen Instanzen, die nicht mehr als den Leib töten können, danach aber keine Macht mehr besitzen, sind zweifellos Menschen. Doch im näheren Kontext - zumal aus V . l l - ergibt sich, daß die, die den Leib töten können, nicht unbestimmt "die Menschen" 37 im Unterschied zu 34
A. DEISSMANN, Licht vom Osten, Tübingen 19234, 324 (mit Blick auf Joh 15,140Der höchste Ehrentitel ist σ υ γ γ ε ν ή ς , φίλος der zweitletzte (Mitregentschaft kommt für φ ί λ α nicht in Frage); vgl. nur STÄHLIN, ThW IX 146 (dort weitere Literatur). Zu φιλόκαισαρ vgl. Tacitus, Annales 11,31; Plinius, Ep VIII, 10; Philo, Flacc 40. S. auch W. BAUER, Johannes, Tübingen 1912,170. 36 Zum Verständnis von φίλος als "Klient" s. nur STÄHLIN, ThW IX 145; zum Klientenstatus auch T. MOMMSEN, Abriß des römischen Staatsrechts, Darmstadt 1974 (Nachdruck), lOff. Schon WEISS (485) hat erkannt, daß es um eine Schutzzusage geht; zu unspezifisch ERNST 393: "Atmosphäre des Vertrauens"; gründlich verkannt hat GRUNDMANN diese Aussage (253): "weil sie die Vertrauten seines Geheimnisses und die Täter seines Willens sind". 37 So muß man ja im Parallelvers Mt 10,28 sinngemäß aus dem Kontext (10,17.26) ergänzen. Allerdings meint auch Matthäus aufzeigbare Instanzen. W. FOERSTER, Art. ε ξ ε σ τ ι ν κ τ λ . , ThW II 557ff (hier:563), versteht εξουσία in diesem Zusammenhang in 35
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Gott sind. Denn zwar ist eine Ergänzung von εξουσία (aus V.5) in der Wendung: και μετά ταύτα μή εχόντων περισσότερόν τι παήσαι (V.4) aus grammatischen Gründen unnötig. 38 Doch liegt sie dem Sinn nach nahe. D.h. aus V . l l bietet sich an, die (nur) bis zum Töten reichende Macht bei den Instanzen zu suchen, vor die die Bekenner (als Folge ihres Bekennens) geführt werden können: αί συναγωγαί και αϊ άρχαί και ai έξουσίαι. Die jeweiligen Inhaber dieser "Macht", die nur zum Töten reicht, mögen sich durchaus unterscheiden, und nicht alle besitzen auch die Verfügungsgewalt über Leben und Tod. Allerdings geht es Lukas hier nicht um die juristische Präzisierung der "Schwertgewalt", sondern um die potentielle Möglichkeit, getötet werden zu können. Aus dieser realistischen Perspektive haben dann auch noch die "Synagogen" diese nur bis zum Töten reichende Macht, obgleich sie ihnen de iure nicht zukommt, sondern nur in einem abgeleiteten Sinn für sie gelten kann: Wenn sie nämlich einen Bekenner an staatliche Instanzen überstellen (dazu nachher mehr). Lk 12,4f stellt also prägnant die εξουσία Gottes der potentiellen Macht der V . l l genannten irdischen Instanzen gegenüber. Deren Macht reicht - im äußersten Fall! - bis zum Töten, Gottes Macht geht darüber hinaus, denn er kann in die γεέννα werfen. 39 Die rhetorisch-kunstvolle Argumentation stellt gerade diesen Gegensatz heraus und zielt auf Überzeugung der Adressaten. Und im Unterschied zu der parallelen Formulierung in Mt 10,28, die m.E. die Tradition der Logienquelle getreuer widergibt, vermeidet Lukas hier eine anthropologische Differenzierung der Aussage (zwischen ψυχή und σώμα).40 Allerdings steht hier nicht im Vordergrund, daß Lukas auch in diesem Fall die ihm eigene Überzeugung von der Leiblichkeit der Auferstehung bewahren will.41 Denn das Thema von V.4f ist "Furcht" bzw. das negative postmortale Schicksal im Hades (nicht die Hoffnung auf Auferstehung). Erst V.6f kommt das postmortale Schicksal in einem positiven Sinn zur Sprache. Lukas vermeidet vielmehr diese anthropologische Differenzierung in diesem ZuAnalogie zu Act 1,7 als Gottes unwidersprechbare Freiheit zu handeln. Diese Deutung scheint mir zu unspezifisch zu sein im Kontext von Lk 12,11 und 12,4f. s
S o richtig KLOSTERMANN 133. CONZELMANN, Mitte 169, versteht
εξουσία hier im Sinne von "εξουσία der Gegenmacht", womit im Kontext seiner Ausführungen der Satan gemeint ist; so auch LÜHRMANN 50; s. dagegen schon PLUMMER mit überzeugenden Argumenten für die Deutung auf Gottes εξουσία (319); vgl. auch FITZMYER 959. Zum Gebrauch von γεέννα s. nur FITZMYER 959f. 40 Für ursprüngliche Tradition in Mt 10,28 spricht m.E. auch Lk 12,22 par (an dieser Stelle behält auch Lukas den vordergründigeren anthropologischen Dualismus bei). Zur Deutung im Sinne der Logienquelle verweise ich auf SCHOTTROFF - STEGEMANN, Jesus 61. 41 So E. SCHWEIZER, Art. ψυχή κτλ. (Neues Testament), ThW IX 635ff, 646. HARNACK fragt (60): "War den Hellenen das Töten der Seele ein Ungedanke?" Dagegen J.-W. TAEGER, Der Mensch und sein Heil. Studien zum Bild des Menschen und zur Sicht der Bekehrung bei Lukas, Gütersloh 1982,21. 39
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sammenhang, weil sie eine andere, ihm an dieser Stelle besonders wichtige Differenzierung, gestört hätte, nämlich die Differenzierung zwischen der Macht Gottes und der Macht der tötenden Instanzen. Lukas will gerade vor letzteren die Furcht nehmen, sie gewissermaßen umlenken auf das allein angemessene "Objekt" der Furcht. V. 6f: Das Schicksal des Bekenners ist bei Gott nicht vergessen Die Verse 6 und 7 bleiben in der eschatologischen Dimension, vermitteln nun aber Hoffnung auf ein positives Schicksal nach dem Tode. Lukas bringt gegenüber Mt 10,29 eine wichtige Korrektur an der Vorlage von V.6 ein. Denn während bei Matthäus - metaphorisch umschrieben - gesagt wird, daß selbst der mögliche Tod eines Verkündigers nicht ohne Gottes Willen geschieht (και εν έξ αυτών οΰ πεσεϊτou. έπί την γην άνευ του πατρός ύμ.ών), hebt Lukas das positive Schicksal der Bekenner nach dem Tode hervor: και εν έξ αυτών ούκ εστίν έπιλελησμ,ένον ενώπιον του θεοϋ.42 Gott, der in Wahrheit zu fürchten ist, ist zugleich derjenige, in dessen Gedächtnis noch die Zahl der billigsten Vögel haften bleibt. Ja, mehr noch (άλλά): Auch die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. Der in V.6 angefangene Gedankengang wird dann mit einem Schluß a minore ad maius fortgesetzt: πολλών στρουθίων διαφέρετε. Zwischeneingestellt ist die Absicht des doppelten Schlußverfahrens: μ.ή φοβεΐσθε. D.h. wir haben es eigentlich mit zwei ineinander verwobenen Schlußverfahren vom Geringeren aufs Größere zu tun. Grundlegend für diesen Schachtelschluß ist der Rückschluß von den praktisch wertlosen Vögeln auf die Jünger. Doch soll nicht der höhere Wert der Jünger hervorgehoben werden, sondern von ihrem höheren Wert gegenüber den Vögeln wird darauf geschlossen, daß sie erst recht nicht bei Gott "vergessen" sind. Darum brauchen sie sich auch nicht zu fürchten. Der Ton liegt also auf έπιλελησμ,ένον. Vergleichbar ist etwa Jes 49,14f: So wenig wie eine Mutter ihren Sohn vergißt (έπιλήσεται:ίΧΧ), so wenig vergißt Gott Zion. Umgekehrt ist das Erinnern (μ.ιμ.νησκομ.αι) Jesu und Gottes bei Lukas ein aktiver Akt zugunsten des postmortalen Heils, nicht nur ein zufälliges SichErinnern an jemanden. Einer der Mitgekreuzigten Jesu bittet ihn darum, sich seiner zu erinnern, wenn Jesus in seine βασιλεία kommt (Lk 23,42: μ,νήσθητί μ,ου). Jesus soll ihn also in die Königsherrschaft nachziehen (vgl. auch Gen 40,14.23: μ,νησθητί μ,ου; οϋκ έμνησθη ... άλλα έπελάθετο αύτοϋ). In Act 10,31 wird der "Almosen" des Hauptmanns Cornelius bei Gott gedacht (αΐ έλεημ,οσυναι σου έμ,νησθησαν ένώπιον του θεοϋ). Auch hier ist das "Gedenken" ein aktiver Akt zugunsten des postmortalen Heils des Heiden.
42 RENGSTORF (141) übersieht die lukanische Korrektur und interpretiert Lukas von der matthäischen Parallele her. Zur lukanischen Redaktion dieses Verses s. die positive Formulierung des Motives in Act 10,31.
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Der Abschnitt Lk 12,4-7 ist in seinem Gedankengang klar gegliedert. Der Furcht vor den "irdischen" Instanzen stellt Lukas betont die Furcht vor Gott gegenüber. Die Macht der irdischen Instanzen reicht äußerstenfalls zum Töten, Gott dagegen entscheidet über das postmortale Schicksal. Er ist in Wahrheit zu ßrchten, doch er ist zugleich auch der, in dessen Gedächtnis das Schicksal eines Bekenners haften bleibt. Darum ist Furcht vor den irdischen Instanzen (V. 11) nicht nur unangebracht, sondern auch überflüssig. Indem der Furcht ihr wahrer "Gegenstand" gegeben wird, soll die falsche Furcht und somit der äußersten Konsequenz des offenen Bekenntnisses zu Jesus der Schrecken genommen werden. Es geht also nicht darum, den Angeredeten Furcht vor Gott einzuflößen, sondern ihnen ihre falsche Furcht zu nehmen. Nicht einer der Bekenner ist bei Gott vergessen.
5. Eschatologische Schicksale der Bekenner und ihrer Widersacher (Lk 12,8-10) Das Thema "Furcht" ist abgeschlossen, ebenso die Kritik an der hypokritischen Praxis des heimlichen Bekennens. Mit λέγω δέ ύμίν setzt Lukas neu ein. Ab jetzt geht es um die richtige Praxis des offenen Bekenntnisses zu Jesus und deren eschatologisch-forensische Folgen für die, die sich an diese Praxis halten, und für die, die sich ihr versagen (V.8f). Der V.10 kommt auf das Verhalten der Widersacher und dessen eschatologisch-forensische Folgen zu sprechen. Im letzten Unterabschnitt ( V . l l f ) werden dann die möglichen "irdischen" Konsequenzen des offenen Bekennens behandelt und eine Beistandsverheißung für den Konfliktfall gegeben. Der literarische Rezeptionsvorgang von Lk 12,8-10 Die Herkunft von V.8f aus der Tradition der Logienquelle ist evident (vgl. Mt 10,32f). Hier kann es literarkritisch bzw. redaktionsgeschichtlich nur um eine Diskussion der jeweiligen redaktionellen Anteile der beiden Referenten und den ursprünglichen Bestand der Logientradition gehen. 4 3 Komplizierter 43 Auf lukanische Redaktion geht gewiß die Partizipialkonstruktion (V.9) zurück, ebenso ενώπιον: JEREMIAS 214.116.212f. Lukanisch ist auch die Verwendung des Kompositum (άπ)-αρνεϊσθαι entsprechend seiner Vorliebe für Komposita. Problematischer und umstrittener sind die Fragen, ob ò υιός του άνθρωπου, das Passivum (divinum?) άπαρνηθήσεται, und die Erwähnung des "Gerichtshofes" auf das Konto der lukanischen Redaktion gehen. - Zur Diskussion s. SCHULZ 66ff; neuerdings auch MCDERMOTT, Luke XII,8-9: Stone of Scandal, RevBibl 84 (1977) 523ff; ders., Luc XII, 8-9: Pierre angulaire, RevBibl 85 (1978) 381ff; er hält die Lukasfassung für ein authentisches Jesuswort. Zur formgeschichtlichen Diskussion ("Sätze heiligen Rechts") s. nur E. KÄSEMANN, Sätze heiligen Rechts im Neuen Testament, NTS 1 (1954/55) 248ff; zur Kritik: K. BERGER, ZU den sogenannten Sätzen heiligen Rechts, NTS 17 (1970/71) lOff; ders., Die sog. "Sätze heiligen Rechts" im N.T. Ihre Funktion
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ist der Überlieferungshintergrund von Vers 10. Auf die traditionsgeschichtliche Problematik von Lk 12,10; Mt 12,32f; Mk 3,28f gehe ich hier nicht ein. 44 Sie stellt ein eigenes Thema dar und ist m.E. nicht von ausschlaggebender Bedeutung für das lukanische Verständnis der in V.10 aufgenommenen und von Lukas bearbeiteten Tradition. Auf der E b e n e der lukanischen Rezeption würde der traditionsgeschichtliche Hintergrund erst dann ins Gewicht fallen, sofern erkennbar wäre, daß sich der Redaktor ausdrücklich zu ihr verhalten will. D i e s ist nicht erkennbar. 45 Allerdings erlaube ich mir hier einige Bemerkungen zum literarischen Rezeptionsvorgang durch Lukas, dessen Ergebnis im heutigen V.10 der Ermahnung zum offenen Bekenntnis vorliegt. D.h. ich stelle hier die Frage, auf welche literarische(n) Vorlage(n) die lukanische Formulierung von V.10 zurückgeht. Dazu ist eine Synopse von Lk 12,10/Mt 12,32/Mk 3,29 hilfreich. 1) 2) 3)
Lk: Mt: Lk: Mt: Lk: Mt: Mk:
και π α ς δς έρεϊ λόγον εις τον υίόν του άνθρωπου και δς έ ά ν εΐ'πη λόγον κατά του υίοϋ του άνθρωπου άφεθήσεται αύτω αφεθήσεται αύτω τω δ ε εις το αγιον πνευμ,α βλασφημιήσαντι ος θ' αν εϊπτ) κατά του πνεύματος τοΰ αγίου ος δ' αν βλασφημ.ήστ) εις το πνεϋμ,α το αγιον
und ihr Sitz im Leben, T h Z 28 (1972) 305ff. Ich halte die lukanische Formulierung in 12,8f im Unterschied zur matthäischen Parallele für ursprünglich (unter Berücksichtigung der eben erwähnten redaktionellen Änderungen; sekundär ist vielleicht auch der Genetiv τοϋ θεοϋ: JEREMIAS 213f. 2080- Daß Lukas die Identität Jesu mit dem Menschensohn voraussetzt, ist unzweifelhaft: E. LOEVESTAM, Spiritus Blasphemia. Eine Studie zu Mk 3,28f par Mt 12,31f, Lk 12,10, Lund 1968, 69. 44 Die umfangreiche Literatur kann hier nicht detailliert aufgeführt werden. S. dazu nur SCHULZ 247; grundlegend bleibt H.E. TÖDT, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh 19632, 109ff.282ff.; s. auch M.E. BORING, The Unforgivable Sin Logion Mark III 28-29/Matt XII 31-32/Luke XII10: Formal Analysis and History of the Tradition, NovTest 18 (1976) 258ff. Im markinischen Kontext dient das Wort von der Sünde wider den Geist dazu, "die Schriftgelehrten ... ewiger und unvergebbarer Sünde zu überführen, weil sie Jesu Macht über die bösen Geister auf Beelzebub, den Dämonenfürsten, statt auf den in Jesus mächtigen heiligen Geist Gottes zurückführen", so zu Recht H. THYEN, Studien zur Sündenvergebung im Neuen Testament und seinen alttestamentlichen und jüdischen Voraussetzungen, Göttingen 1970, 253. THYEN bestimmt den "Sitz im Leben" des markinischen Logions aus der "Missionyram" der Missionare als " θ ε ί α άνδρες": Wer sich ihren "Zeichen" widersetzt, begeht die "unverzeihliche Blasphemie des Geistes" (254). TÖDTS Deutung der Q-Fassung des Logions, die von der "Periodisierung der Geschichte" ausgeht (111), sieht in der Lästerung des "Menschensohnes" (das ist: des irdischen Jesus) eine vergebbare Sünde, dagegen sei die Abweisung der geisterfüllten Jüngerpredigt unverzeihlich (109ff)· Einen knappen Überblick über verschiedene Deutungen der "Sünde wider den Geist" gibt FITZMYER 964f. 45 S. dazu schon H. v. BAER, Der Heilige Geist in den Lukasschriften, Stuttgart 1926,139f.
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ούκ άφεθήσετοα oúx άφεθήσεται αύτώ ούκ εχει αφεσιν εις τον αίωνα ούτε εν τούτω τω αίωνι οΰτε έν τω μέλλοντι άλλα ενοχός έστιν αιωνίου οψ.αρτήμ.ατος
Die nahezu wörtlichen Übereinstimmungen von Matthäus und Lukas in Zeilen 1,2 und 4 bei gleichzeitiger Fehlanzeige für Markus (Zeile 4 sinngemäß; Mk 3,28 in seiner heutigen, literarisch faßbaren Gestalt ist keine Entsprechung zu den Zeilen 1 und 2) einerseits, die auffälligen Übereinstimmungen von Lukas und Markus in Zeile 3 (βλασφημ.εϊν εις) 46 und von Matthäus und Markus zumal in Zeilen 3 und 5 andererseits, lassen die Annahme am plausibelsten erscheinen, daß Matthäus und Lukas hier auf eine Doppelüberlieferung bei Markus und in der Logienquelle zurückgreifen. Die lukanischen Abweichungen von Zeile 3 und 1 (πας; Partizipialkonstruktion) erklären sich aus redaktioneller Tätigkeit des Lukas (in Angleichung an V.8f). Fazit: Lukas diente als literarische Vorlage von V.10 vor allem die Logienquelle, doch er hat auch Markus47 gekannt und aufgenommen. Schwieriger ist die Entscheidung darüber, in welchem ursprünglichen Zusammenhang der Logienquelle Matthäus und Lukas diese Parallelversion zum markinischen Spruch von der Sünde wider den Geist gelesen haben. Eher unwahrscheinlich scheint mir, daß der heutige lukanische Kontext ursprünglicher ist. Denn dagegen sprechen vor allem die gleich noch zu behandelnden Spannungen, die V.10 im heutigen Kontext bei Lukas verursacht. Dagegen spricht auch, daß Matthäus den Spruch nicht in diesem Zusammenhang bietet. Eine ursprüngliche Überlieferung des Logions von der vergebbaren Rede wider den Menschensohn und der unvergebbaren Sünde wider den Heiligen Geist ist wohl am ehesten durch den matthäischen Kontext gegeben.48 Ich gehe jetzt zunächst auf V.8f ein und versuche die Frage zu beantworten, was im lukanischen Kontext Bekennen (bzw. Verleugnen) heißt.
46 47
Vgl. Lk 22,65: βλασφημοϋντες ελεγον είς αυτόν.
Darauf deutet gerade βλασφημεϊν είς; vgl. F. HAHN, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, Göttingen 19642, 229. 48
S o s c h o n BULTMANN 138; TÖDT 110; G. BAUMBACH, D a s Verständnis d e s B ö s e n
in den synoptischen Evangelien, Berlin 1963, 100; anders etwa SCHULZ 247; v. BAER 138, der aus der matthäischen Kontamination den umgekehrten Schluß zieht; HOFFMANN 138. Zur Doppelüberlieferung s. J.C. HAWKINS, Horae Synopticae. Contributions to the Study of the Synoptic Problem, Oxford 19682, 67ff; s. auch LÜHRMANN 32ff.
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Es geht nicht um ein Bekennen vor forensischen Instanzen Die Verse 8 und 9 setzen im lukanischen Zusammenhang nicht zwingend eine forensische Konfliktsituation voraus,49 für deren speziellen Fall das offene Bekenntnis zu Jesus erwartet würde. Dies stellt allein schon der lukanische Sprachgebrauch von όμολογεϊν bzw. (άπ-) αρνεϊσθαι und von έμπροσθεν bzw. dem lukanischen Vorzugswort ενώπιον unter Beweis. Dieser Sprachgebrauch ist nicht auf den spezifischen Sinn des status confessionis vor Tribunalen oder tribunalen Instanzen festgelegt.50 Auch aus den offenkundig auf das eschatologische Gericht hinweisenden zweiten Spruchhälften von V.8f (και ò ϋίός τοϋ άνθρωπου ομολογήσει έν αύτω έμπροσθεν των αγγέλων του θεού/ άπχρνηθήσεται ενώπιον των αγγέλων τοϋ θεοϋ) muß keine forensische Situation für die ersten Spruchhälften zwingend gefolgert werden.51 Denn der lukanische Argumentationszusammenhang läßt ja vermuten, daß der forensische Konfliktfall vor allem erst die befürchtete Folge des offenen Bekenntnisses zu Jesus ist (V.llf). 52 Sollte also in V.8f in erster Linie an den status confessionis vor Tribunalen oder tribunalen Instanzen gedacht sein, so hätte nahe gelegen, V.llf vor V.8f zu piazieren. Der heutige Duktus der Ermahnung - Warnung vor bzw. Kritik an der falschen Praxis der Verheimlichung, Kritik der Furcht vor irdischen Instanzen, Darlegung der erwarteten Praxis und ihrer eschatologischen Vergeltung, Beistandszusage für den eventuell aus ihr resultierenden forensischen Konfliktfall - spricht gegen eine Einschränkung der Bekenntnissituation auf den forensischen Konfliktfall. Für diese Interpretation spricht schließlich auch die einzige "Illustration" einer Bekenntnissituation im Lukasevangelium: Die Verleugnung Jesu durch Petrus (22.54ff). Die Verleugnung Jesu durch Petrus geschieht gerade nicht vor einem tribunalen Forum, sondern vor Menschen (beachte auch das betonte όίνθρωπε W.58.60). Und zwar geschieht sie aus Furcht vor forensischen Folgen des Bekenntnisses zu Jesus. Dies geht einerseits aus der Situation der Verleugnung im Zusammenhang der Verhaftung Jesu, andererseits aber auch aus der lukanischen Vorbereitung der Verleugnungsszene (22,31-34; besonders V.33) hervor. Denn aus ihr muß man 49 So schon richtig BORNKAMM, Bekennen 33. Anders O. MICHEL, Art. όμολογέω κ τ λ . ThW V 199ff (hier: 2070; vgl. auch H. CONZELMANN, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 19682,155. 50 Ein eindeutig forensischer Sinn von έμπροσθεν nur Lk 21,36; von όμολογεϊν: Act 24,14; beachte auch Act 18,17, wo έμπροσθεν in einer forensischen Stituation lokale Bedeutung hat. Dagegen hält auch Ph. VIELHAUER, Gottesreich und Menschensohn in der Verkündigung Jesu, in: ders., Aufsätze zum Neuen Testament, München 1965,55ff, den Sprachgebrauch für eindeutig forensisch: 78f. 51 Dies setzen LÜHRMANN 52 und VIELHAUER 78 voraus. 52 Vgl. auch V.2f; diese Verse antizipieren ja offenkundig diese befürchtete Folge des offenen Bekennens und kritisieren die falsche Praxis des heimlichen Bekenntnisses, das diese Folge umgehen will.
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schließen, daß Petrus entgegen seinem Versprechen nunmehr im Bewährungsfall aus Furcht vor "Gefängnis und Tod", wohin er eigentlich seinem Herrn folgen wollte, versagt. Diese vorbereitende Reflexion auf die Verleugnung zeigt im übrigen, daß für Lukas Petri Versagen ein exemplarischer Fall ist, der Anlaß bietet, künftige zu vermeiden (vgl. V.32). Bezieht sich also V.8f nicht auf den Sonderfall eines offenen Bekenntnisses zu Jesus vor einem tribunalen Forum, so bleibt davon freilich unberührt, daß Lukas nicht damit rechnet, daß der Bekenner vor einem solchen Forum sein Bekenntnis widerruft. Denn V.llf behandelt das Problem der "Verteidigung" in der forensischen Situation, setzt Standhaftigkeit und nicht Abfall vom Bekenntnis voraus. Und daß auch gegebenenfalls im forensischen Konfliktfall das offene Bekenntnis wiederholt werden kann, ändert nichts daran, daß der lukanische Zusammenhang zu einem offenen Bekenntnis zu Jesus trotz möglicher forensischen Folgen (also das Bekenntnis ist gerade zeitlich und sachlich vorher gelegen) auffordert. όμ,ολογέω meint hier vielmehr das öffentliche Bekenntnis als Christ
Doch worum geht es inhaltlich im offenen Bekenntnis zu Jesus? Die Wendungen όμολογεΐν έν έμοί έμπροσθεν των ανθρώπων bzw. άπαρνεϊσθαι. με ενώπιον των ανθρώπων geben mit dem präpositionalen Objekt έν έμοί bzw. dem Akkusativobjekt με zwar einen grundsätzlichen Hinweis und damit die Richtung vor, in welcher Antwort gesucht werden muß. Doch sie ermöglichen noch keine eindeutige Antwort. Größere Aufschlüsse sind aber aus der Verleugnungsszene (Lk 22,54ff) zu erwarten: Behauptung
Verleugnung des Petrus
V.56f:
και ούτος συν αύτω ήν
(ήρνήσετο λέγειν) ουκ οίδα αυτόν
V.58:
καί σύ έξ αύτών εί
(Ò δέ Πέτρος εφη) άνθρωπε, οϋκ ειμί
V.59f:
έπ' αλήθειας καί ούτος μετ* αΰτοϋ ήν, και γαρ Γαλιλαίος έστιν
(είπεν δέ ό Πέτρος) άνθρωπε, ουκ οίδα όί λέγεις
Petrus wird also zweimal die Zugehörigkeit zu Jesus und einmal die Zugehörigkeit zur Jüngergemeinschaft Jesu unterstellt. Er leugnet ab, Jesus zu kennen, zu seiner Jüngergemeinschaft zu gehören, weiß schließlich nicht, wovon die Rede ist. Es geht also nicht nur darum, ob Petrus Jesus kennt, son-
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dem ob er zu ihm bzw. seiner Jüngergemeinde gehört Ρ Im Bekenntnis zu Jesus bekennt sich der Bekenner zu seiner Zugehörigkeit zu Jesus bzw. zu dessen Jüngergemeinde. Entsprechend ist die Verleugnung der Zugehörigkeit zu Jesus bzw. seiner Jüngergemeinde die Verleugnung Jesu. 54 Petrus wird nicht über Jesus gefragt, sondern es wird eine Beziehung zwischen ihm und Jesus bzw. der Jüngergemeinde Jesu hergestellt. Diese leugnet er ab und verleugnet somit Jesus.55 Umgekehrt gibt Paulus vor seinem Richter Felix - hier also in einer forensischen Stituation - zu (ομολογώ 8έ τοϋτό σα), daß er κατά τήν όθόν dem "Gott der Väter" dient (Act 24,14). Die Explikation von την Ò8óv durch ην λέγουσιν αϊρεσιν zeigt deutlich, daß hier nicht nur eine Aussage über die Art und Weise der Gottesverehrung gemacht wird, sondern zugleich die Zugehörigkeit zur "christlichen" Gemeinschaft impliziert und zugegeben wird.56 Grundsätzlich geht es also im Bekenntnis zu Jesus um die Zugehörigkeit zu ihm bzw. die Gemeinschaft mit ihm. Für einen Jünger, der zu Jesu Lebzeiten mit ihm zusammen war (vgl. Act l,21f), bedeutet dieses Bekenntnis zu Jesus zunächst nur: mit ihm gewesen zu sein (συν αύτώ είναι; μ,ετ' αύτοϋ είναι; σύν τω Ίησοϋ είναι). Dieses Bekenntnis der Zugehörigkeit zu Jesus oder seiner Gemeinschaft (έξ αυτών είναι) ist freilich erst einmal zu unterscheiden von den verschiedenen Möglichkeiten, Jesus zu vekündigen. Für einen Jünger, der nicht zu Jesu Lebzeiten mit ihm zusammen war, bedeutet das Bekenntnis zu Jesus, zur "christlichen" Gemeinschaft zu gehören (vgl. Paulus) bzw. "Christ" zu sein.57 Schon der Begriff χριστιανός selbst drückt dieses Beziehungsverhältnis zwischen seinem Träger und dem Geber des Namens aus. Das Beziehungsverhältnis aber manifestiert sich in der (Jünger-) Gemeinde (Act 11,26; vgl. 26,28 und I Petr 4,16). Es geht also in dem Bekenntnis zu Jesus nicht um credoartige Glaubensaussagen, die mehr oder weniger feierlich eine "fides quae creditur" proklamieren, deren Inhalt "christologische" Aussagen sind. Petrus ist kein "Irrlehrer", der irgendein "Credo" negiert. Im übrigen bekräftigen die jeweils zweiten Spruchhälften von V.8f die hier vorgetragene Deutung von όμ.ολογεΐν έν τω Ίησοϋ. Denn das Bekenntnis des "Menschensohnes" zu dem, der sich zu Jesus bekennt, ist ja seinerseits kein "Credo", sondern Zeugnis für den Bekenner vor dem himmlischen Gerichtshof: Der Bekenner gehört zum Menschensohn. Und umgekehrt versteht man von hierher auch den Sinn von 53 Vgl. BORNKAMM, Bekennen 31 und H. SCHLIER, Art. άρνέομιαι, ThW I 468ff (hier: 469). 54 Siehe dazu BORNKAMM, Bekennen 31ff. Als außerneutestamentlichen Beleg von όμ,ολογεϊν in diesem Sinne vgl. II Makk 6,6: ουτε απλώς Ίουθαϊον άμ,ολογεϊν είναι. 55 Lukas mildert offensichtlich Mk 14,71; dazu s. auch BORNKAMM, Bekennen 34. 56 Vgl. dazu auch J. ROLOFF, Die Apostelgeschichte, Göttingen 1981, 337, der allerdings überinterpretiert, wenn er hier ein Bekenntnis zum endzeitlichen Gottesvolk vermutet. 57 Vgl. dazu etwa Martyrium Polykarpi 12,1: Πολύκαρπος όμολόγησεν εαυτόν Χριστιανόν είναι.
§ 1 Ermahnung zum offenen Bekenntnis
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άρνεϊσθαι. Denn es bedeutet hier doch wohl, daß die Zugehörigkeit des Verleugners zu Jesus nicht bekannt ist bzw. bestritten wird (vgl. die Verleugnung Jesu durch Petrus; vgl. auch Lk 13,25ff).58 Im Bekenntnis zu Jesus vor den Menschen geht es um das offene Bekenntnis der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft, deren spezifische Überzeugungen mit dem Namen Jesu verbunden sind. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft sind offenkundig gefährdet. Denn eben diese Gefährdung - wie immer sie genauer zu beschreiben sein wird - scheint Furcht vor einem offenen Bekenntnis zu dieser Gemeinschaft zu bereiten. Und diese Furcht ist insofern begründet, als das Bekenntnis, zur christlichen Gemeinschaft zu gehören, forensische Folgen nach sich ziehen kann. Lk 12,8 fordert also dazu auf, sich öffentlich als Christ (qua Angehöriger der christlichen Gemeinschaft) zu bekennen und sagt dafür das Zeugnis des Menschensohnes für den Confessor vor dem Gerichtshof Gottes zu. Lk 12,9 bedroht dagegen den Negator mit der Versagung des Zeugnisbeistandes vor diesem eschatologischen Forum. Lk 12,10 bezieht sich nicht auf ein Verhalten der "Jünger" Lk 12,8f bringt im Kontext der Ermahnung zum offenen Bekenntnis ein confessorisches bzw. negatorisches Verhalten zur Sprache, das die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Christen voraussetzt und betrifft. Auf diesen "status confessionis" bzw. dessen eschatologische "Vergeltung" können nur Jünger bzw. Angehörige der christlichen Gemeinschaft angesprochen werden. Wie steht es nun aber mit Lk 12,10? Gerade die lukanische Kombination dieses Verses mit V.8f wirft einige Probleme auf, wenn man auch in V.10 ein Jüngerverhalten angesprochen sieht. Dies ist m.E. nicht der Fall. Vor einer ausführlichen Begründung dieser These schicke ich einen Vergleich von V.8f mit V.10 voraus. Stellt man nämlich die jeweils parallel konstruierten Verse bzw. Versteile (8 und 10a; 9 und 10b) gegenüber, so fällt direkt ins Auge, daß die einander entsprechenden Ausssagekomplexe nahezu in jedem Aussageelement differieren: 58
Anders etwa SCHULZ (für die Logienquelle): "Der Kontext der ältesten Q-Stoffe läßt keine Zweifel daran, daß mit 'bekennen' und 'verleugnen' der radikale Gehorsam gegenüber der eschatologisch-charismatischen Toraverschärfung Jesu gemeint ist" (71); PLUMMER sieht zwar den Unterschied zwischen der Bekenntnisaufgabe der Jünger und der des Menschensohnes im Gericht, doch kann auch er sich nicht davon lösen, die Bekenntnisaufgabe der Jünger credoartig zu verstehen (320: "their - seiet, der Jünger - confession being that He is the Messiah, and His that they are His loyal disciples"); ähnlich FITZMYER 958; SCHNEIDER versteht unter dem Bekenntnis richtig eine "öffentliche Stellungnahme" zu Jesus, qualifiziert freilich die Bedeutung dieser Stellungnahme nicht näher (Lk 279); LÜHRMANN rechnet mit einem Bekenntnis in der Situation der "Verfolgung", die er sich offenbar forensisch vorstellt. Er erwägt allerdings auch, "daß mit diesem Bekennen die Reaktion der Hörer auf die Verkündigung der Jünger gemeint ist, die Heilszusage also auch jenen gilt, die sich auf ihre Verkündigung hin zu Jesus bekennen"(52).
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§ 1 Ermahnung zum offenen Bekenntnis
V.8 ρ ά ς δς αν όμολογήση έ ν έμοί έμπροσθεν των ανθρώπων και ò υιός τοϋ άνθρωπου ομολογήσει έ ν αύτω έμπροσθεν των α γ γ έ λ ω ν τοϋ θεοϋ V.9 ò δ έ άρνησάμενός μ ε ενώπιον των ανθρώπων άπαρνηθήσεται ένώπιον των ά γ γ έ λ ω ν τοϋ θεοϋ
V.lOa π ά ς δς έρεϊ λόγον εις τον υίόν του άνθρωπου
άφεθήσεται αύτω
V.lOb τω θέ εις το αγιον πνεϋμα βλασφημήσαντι οϋκ άφεθήσεται
D e m auffallend gleichen formalen Aufbau von V.8f und V.10 (V.8/10a: konditionale Relativsätze, futurische Hauptsätze; V.9/10b: Partizipialkonstruktionen in einem futurischen Aussagezusammenhang) steht eine inhaltliche Divergenz der entsprechenden Elemente gegenüber. U n d während jeweils V.8 und V.9 bzw. V.lOa und V.lOb durch die Partikel δέ adversativ aufeinander bezogen sind, werden V.8a und V.8b durch καί nebeneinander gestellt. 12,10 ist keine Präzisierung oder Erläuterung von 12,8f Von einer Präzisierung 5 9 bzw. Erläuterung der Verse 8f durch V.10 kann also kaum die Rede sein. In diesem Fall hätte man gerade im lukanischen Kontext einen deutlicheren grammatisch-logischen Hinweis erwartet. 60 Und von der formalen Angleichung von V.8 und V.lOa bzw. V.9 und V.lOb her geurteilt, müßte also V.lOa das präzisierende oder erläuternde Pendant zu V.8, V.lOb jenes zu V.9 sein. Dann aber ist erstaunlich, daß V.10 insgesamt nur von einem negativen Verhalten spricht, das jeweils einen anderen "Gegenstand" und eine andere Folge nach sich zieht. D.h. V.lOa als Pendant zu V.8 würde ein negatives Verhalten (Reden gegen den Menschensohn) als Präzisierung von V.8 nennen - also V.8 unter Voraussetzung des Versagens des Bekenntnisses erläutern. V.lOb würde entsprechend den Versagensfall erläutern. So gesehen könnte V.10 insgesamt nur als Erläuterung von V.9 in Frage kommen, doch dagegen spricht wiederum der formal gleiche Aufbau von V.8f einerseits und V.10 andererseits.
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S o LOEVESTAM 79.
Vgl. die kunstvolle Rückbeziehung und Verknüpfung von 12,1a mit ll,53f: έ ν