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German Pages 476 Year 2018
Volker Pietsch Verfolgungsjagden
Film
Volker Pietsch (Dr. phil.), geb. 1979, lehrt am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Hildesheim mit den Schwerpunkten Inter- und Transmedialität sowie Mediendidaktik des Deutschunterrichts und Mediensozialisation.
Volker Pietsch
Verfolgungsjagden Zur Diskursgeschichte der Medienkonkurrenz zwischen Literatur und Film
Zugleich: Diss., Universität Hildesheim, GutachterInnen: Prof. Dr. Toni Tholen, Prof. Dr. Elisabeth K. Paefgen; Datum der mündlichen Prüfung: 15.09.2014.
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Inhalt
Danksagung | 9 Einleitung | 11
1. FILM UND LITERATUR Bedingungen | 21 1.1 Intermedialität | 22 1.2 Transmediales Cross-Mapping | 41 1.3 Dialektik der Montage | 60 1.4 Filmsemiotik | 74 1.5 Filmnarratologie | 97 1.6 Sehen und gesehen werden/Lesen und gelesen werden | 120 1.7 Lenkung und Ablenkung des Blickes in der Bilderflut | 126 1.8 Ablenkung und Lenkung des Blickes im Bilderfluss | 134 1.9 Abmischung von Ton und Bild | 150 1.9.1 Die Dichotomie von Musik und Sprache in der Überlieferung | 150 1.9.2 Abmischung von Sprache und Bild im Film | 156 1.9.3 Abmischung von Musik und Sprache im Film | 161 1.10 Strategien der narrativen Domestizierung filmischer Simultaneität und Transgressivität | 172
2. FILM UND B ILDUNG Bedingungen | 185 2.1 Die Großaufnahme als Medium der Körpersprache | 186 2.2 Der Film als Medium der Globalisierung | 191 2.3 Bildungspolitische und deutschdidaktische Kriterien | 198 2.4 Film als Gegenstand der Konsumkritik | 208 2.5 Der Konsens der medienkritischen Kontrastierung | 212 2.6 Der Film als Medium der Gewalt | 216 2.7 Stereotype in Media Franchises | 220 2.8 Kriterien zur kanonischen Integration und Ausgrenzung des populären Films | 222 2.9 »Verdammt, die Zombies kommen« | 233
2.10 2.11 2.12 2.13 2.14 2.15 2.16 2.17 2.18 2.19 2.20 2.21 2.22 2.23 2.24 2.25
Die »Versprachlichung« des Filmerlebnisses | 243 Der Wandel der phantastischen Filmgenres zum Realismus | 249 Die entwicklungspsychologische Rehabilitierung des Genrefilms | 252 Der Film als Unterrichtsthema seit der Digitalisierung | 264 Der Film als Medium der Männlichkeit | 267 Synergieeffekte zwischen Politik und populärem Film jenseits der Bonner Republik | 275 Die literaturdidaktische Integration des phantastischen Films | 280 Diskontinuitäten des filmpädagogischen Diskurses | 285 Film und Schrift als Gegenstände des Diskurses – Ereignisse und Serien zwischen 1895 und 1977 sowie 1978 und 2014 | 292 Rezeptionsmodi als Gegenstände des Diskurses – Ereignisse und Serien zwischen 1950 und 1977 sowie 1978 und 1996 | 297 Filmgenres als Gegenstände des Diskurses – Ereignisse und Serien zwischen 1916 und 1977 sowie 1978 und 1990 | 303 Hollywood als Gegenstand des Diskurses – Ereignisse und Serien zwischen 1937 und 1977 sowie 1978 und 1990 | 316 Ereignisse und Serien zwischen 1978 und 2014 | 320 Der Film als philosophische und pädagogische Praxis | 328 Risiken einer primär an linearen Strukturen orientierten Filmdidaktik | 336 Perspektiven einer gleichberechtigenden Integration des Films als Differenzerfahrung | 339
3. LITERATUR IM FILM Bedingungen | 353 3.1 Konventionelle Darstellungen literarischer Werkgenese im Film | 353 3.2 Leser als Filmfiguren | 366 3.3 Die Unzulänglichkeit der Literatur | 371 3.4 Die Legitimation des Films durch die Literatur | 384 3.5 Bücher als filmische Motive | 390 Ergebnisse und Fazit | 403 Ein Vorschlag für die Praxis: Spuren in Filmen lesen und legen | 423 Literatur | 429
„Auf Grund einer freundlichen, stillen Übereinkunft zwischen Filmfabrik und Publikum bedeutet die blaue Farbe Nacht, während die rote die Katastrophe einer Feuersbrunst anzeigt, so daß es allen klar wurde, wie man in solch gefährlichen Stunden eines rettenden Lichtsignals des Bräutigams bedurfte. Mochte die Handlung durchsichtig sein, hier war das Leben, aber konzentriert. Wenn das Meer, wenn die Brandung an Felsen schlug, wenn der Vorplatz eines Hauses einen Augenblick frei blieb und man an den Zweigen sehen konnte, wie der Wind geweht hatte, der Augenblick war dahin, unwiederbringlich dahin... Wie beängstigend schön war es, wenn Eisenbahnzüge, lautlos, wie große Schatten erschienen, immer näher, größer – ein Kopf sah aus dem Fenster...“ Kurt Tucholsky: Rheinsberg
Danksagung
Die Beschäftigung mit Filmen macht einem im besonderen Maße deutlich, wie abhängig man von günstigen Umständen ist. Was die Entstehung dieser Dissertationsschrift betraf, konnte ich mich in mehreren Punkten glücklich schätzen. Die folgenden Personen trugen dazu bei, dass es keine Erfahrung wurde wie die von Taifunen, Krankheiten und Marlon Brando erschütterten Dreharbeiten zu »Apocalypse Now!« (oder die zu »D.N.A. – Experiment des Wahnsinns«, um die Fallhöhe meiner Arbeit etwas niedriger zu hängen). In jeder Hinsicht dankbar bin ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Toni Tholen. Sei es in fachlichen Fragen, sei es hinsichtlich meiner Arbeitsbedingungen, hat er mich so sorgfältig und zielführend betreut, wie ich es jedem Doktoranden nur wünschen kann. Nach jedem Gespräch mit ihm ist meine Motivation zu dieser Arbeit noch weiter gewachsen und hatte ich das Ziel in immer größerer Klarheit und Schärfe vor Augen – von meinen ersten noch grobkörnigen Projektskizzen bis zur HD-Auflösung. Viel verdanke ich auch Frau Prof. Dr. Elisabeth K. Paefgen, die das Zweitgutachten zu meiner Dissertation verfasst hat. Seit ich das Glück hatte, zum ersten Mal in einem Ihrer Seminare zu sitzen (die das Hungern nach der Fortsetzung schon entfachten, bevor HBO- und Netflix-Serien allgegenwärtig wurden), ist ihr Einfluss auf meine Arbeit immens gewesen und geblieben. Danken möchte ich meiner Familie, Anne-Katrin, Jürgen und Margarete Pietsch, Dr. Stefanie Pietsch und Ulrich Pietsch, für ihre logistische und moralische Hilfe, nicht zuletzt aber auch für die vielen Male seit meiner Kindheit, die sie mit mir ins Kino gegangen sind, so dass ich »2001« oder »Spiel mir das Lied vom Tod« zum ersten Mal auf der großen Leinwand sehen konnte (in Wiederaufführungen, gar so lange hat es mit der Dissertation dann doch nicht gedauert). Großen Dank schulde ich Christian Malycha und Jean-Paul Muller, die sich so oft so anregend mit mir über die Themen meiner Arbeit ausgetauscht haben. Und selbst wenn die Dissertation nie fertig geworden wäre, hätte ich dank ihnen
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wenigstens in meinem Leben schon mal den Wanderpokal des Filmtablequizzes im SO36 in Händen gehalten. Alle Freundinnen und Freunde, auch wenn ich sie hier nicht namentlich erwähnt habe, waren unverzichtbar für mich. In besonderem Maße aber während der Verschriftlichung der Arbeit haben mich Konstantin Bühler, Julia Ofenheusle, Vera Magdalena Voss und Ole Wienert moralisch unterstützt, denn sie kennen und schätzen nicht nur den Film, sie wissen vor allem auch, wann man einen solchen fährt. Ihnen danke ich ebenso wie Dr. Kerstin Böhm, Dr. Jennifer Clare und Kathrin Kazmaier. Die drei waren und sind großartige Kolleginnen auf demselben Weg, der durch sie um vieles leichter für mich wurde. Ich danke Ricky von http://wie-hund-und-katze.com/de/ und Doug von http://channelawesome.com. Julia Wieczorek vom [transcript]-Verlag danke ich herzlich für ihre kompente Beratung und ihre Geduld. Schließlich, aber nicht zuletzt danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen an der Universität Hildesheim für die exzeptionell gute Arbeitsatmosphäre dort (aber nicht auf eine unheimlich uniforme Weise gut, nicht wie in »Die Körperfresser kommen« oder »Die Firma«, sondern wirklich pretty prettyyy prettyyy prettyy good) Danke.
Einleitung
Donnie Darko, der Titelheld des gleichnamigen Films 1, ist ein 16-jähriger Schüler. Er lebt in der US-Kleinstadt Middlesex im Jahre 1988. Eine dreiminütige Sequenz beginnt damit, wie Donnie das Schulgebäude betritt, um am Literaturunterricht teilzunehmen. Die Kamera zeigt zunächst den sich öffnenden Schulbus. Dieses Bild ist jedoch um 90 Grad auf die rechte Seite gedreht: Die Schule liegt in einem anderen Kamerawinkel als in demjenigen, in dem die Kinder dort eintreffen. Sie müssen erst in unsere Perspektive beziehungsweise in die Perspektive der Schule gerade gerückt werden. Die Kamera dreht sich dazu um 90 Grad nach links und mit ihr drehen sich die SchülerInnen – wie auf einem Uhrzeiger, so als müssten sie erst in die Zeitrechnung des Stundenplans integriert werden. Schiefe Winkel, sogenannte »Dutch Angles«, werden in der filmischen Konvention (siehe Abb. 1 u. Abb. 2) oft eingesetzt, um Rauschzustände, Verrücktheit oder das Krankhafte zu markieren. In »Donnie Darko« scheint die Schule dennoch keineswegs der Ort zu sein, an dem die SchülerInnen in ein geordnetes Verhältnis zwischen Zeit und Raum überführt werden. Zwar gelingt es der beweglichen Kamera, das Gebäude in einer langen Plansequenz zu organisieren. Doch die Relativität der subjektiv wahrgenommenen Zeit bleibt dabei erhalten: Jede Figur hat verschiedene Tempi. Eine Lehrerin erstarrt im Angesicht des Schulrowdys zu einem Standbild, um dann im Zeitraffer die Flucht anzutreten. Der Rektor ignoriert in traumwandlerischer Zeitlupe den Drogenkonsum der Schüler, um dann wieder geschäftig zu beschleunigen. Auch die kausale Reihenfolge ist aufgehoben. Mehrfach ist die Reaktion einer Figur zu sehen, bevor die Kamera durch Reißschwenks deren Auslöser fokussiert. Die Zeit ist aus den Fugen, aber immerhin lassen sich die Figuren scheinbar rasch Stereotypen zuzuordnen: Da sind der sensible, melancholische Donnie und
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DONNIE DARKO (USA 2001, R: Richard Kelly).
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sein agressiver, rowdyhafter Gegenspieler mit dem ebenso sprechenden Namen Seth Devlin. Devlin wird beim Schniefen von Kokain gezeigt. Die Spindtür, die ihn dabei verdecken soll, trägt einen Aufkleber: »What would Satan do?« Auf einer anderen Spindtür betrachtet sich Gretchen, Donnies hübsche, zukünftige Freundin, im Spiegel. Die verhärmte Sportlehrerin mit ihrer defensiv erstarrten Hochfrisur, die kritische, junge Literaturlehrerin: Solche konventionellen Figuren des High-School-Filmgenres scheinen Orientierung zu schaffen, so wie das wiedererkennbare Personal eines alten Märchens. Zudem fängt die fließende Kamerabewegung das Nebeneinander subjektiver Zeitebenen beinahe harmonisch ein. Diese Kamerakomposition trägt zu dem Eindruck bei, dass es sich vielleicht nicht so sehr um perspektivische Zeitdarstellungen handeln mag, sondern vielmehr um eine auktoriale Erzählinstanz, die die Figuren zur Hervorhebung vor- und zurückspult. Doch es gibt noch mindestens eine weitere Erzählinstanz, die sich nicht durch die Kamera manifestiert. Auf der Tonebene ist nämlich der Song »Head over Heels« der Band Tears for Fears zu hören. Dieses Lied verdichtet gemeinsam mit den Kostümen und Frisuren der Darsteller das nostalgisch anmutende Panorama einer Jugend in den 80er Jahren. Aber jeder Sentimentalität zum Trotz wird auch im Lied die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen aufgedeckt: »I’m lost in admiration. Could I need you so much? Oh, you’re wasting my time, you’re just wasting my time.« Von in der Liebe verschwendeter Zeit wird da gesungen und von den Ansprüchen, welche die Familientradition dem Erzähler aufbürdet: »With one foot in the past now how long will it last? No, no, no, have you no ambition? My mother and my brothers used to breathe in clean air, and dreaming I’m a doctor.« Der Song endet mit der Zeile »funny how time flies«, und die Besetzung der Schauspieler trägt dazu bei, diese Feststellung zu stützen. Die Kinder- und Teeniestars der 80er Jahre tauchen hier als Lehrpersonal wieder auf: Drew Barrymore und Patrick Swayze. Doch sie konterkarieren die Rollen ihrer Vergangenheit, anstatt sie zu kultivieren. Drew Barrymore, die 1982 mit sieben Jahren als Gertie in »E.T.«2 bekannt wurde, litt unter den Karriereanforderungen ihrer Familie und der Öffentlichkeit und war schon im präpubertären Alter alkohol- und kokainabhängig.3 Sie spielt Mrs. Pomeroy und beäugt in dieser Sequenz mit kritischem Blick eine Tanzgruppe minderjähriger Mädchen. Diese Gruppe wird von dem Motivationstrainer Jim Cunningham zu einer sexualisiert aufgeladenen Performance verleitet. Der
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E.T. – DER AUSSERIRDISCHE (E.T. THE EXTRATERRESTRIAL, USA 1982. R: Steven
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Vgl. Seeßlen, Georg: Drew Barrymore, Berlin: Bertz 2001, S.7-15.
Spielberg).
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pädosexuelle Cunningham wird gespielt von Patrick Swayze, der 1987 noch als erotischer und gleichsam konservativer Frauenschwarm im Tanzfilm »Dirty Dancing«4 zu sehen war. Dieser Rückblick widersetzt sich einem homogenen Epochenbild der 1980er Jahre. Die Zeitwahrnehmungen eines »typischen Schultags« von 1988 sind disparat, unter dem nostalgischen Trugbild seiner Ikonographie lauern Untiefen. Gleichwohl und hier wird durchaus das Porträt einer Ära entworfen, sind die 80er Jahre in »Donnie Darko« eine Zeit, in der man nach einfachen Antworten sucht. Im Kalten Krieg werden eindeutige Zukunftsbilder entworfen, die von einer Entscheidung zwischen West und Ost abhängen (in Reagans Worten, zwischen den USA und dem »Evil Empire«5). Im Angesicht einer potentiellen Apokalypse macht sich dieser Dualismus auch in der Schule bemerkbar. Die Literaturlehrerin bemüht sich nach Kräften, ihm entgegenzuwirken. Die Lehrkräfte im Film »Donnie Darko« wie auch die Lehrkräfte in unserer Welt müssen sich an einem Balanceakt versuchen: Sie müssen Grundlagen für eine intersubjektive Verständigung schaffen, im ständigen Bewusstsein, dazu didaktisch reduzieren zu müssen und eventuell stereotype Vorstellungen zu verhärten. Sie müssen konstruktive Zugänge zu Werken finden, die oft genug vom Scheitern eindeutiger Weltentwürfe handeln. Und sie müssen zur Identitätsbildung der SchülerInnen beitragen, indem sie diese für neue Eindrücke öffnen, zumal in einer pluralistischen, multiperspektivischen und globalisierten Gesellschaft. An der obigen Sequenz zeigt sich beispielhaft, welche diversen Herausforderungen der Unterricht etwa bewältigen muss, hat er einen Spielfilm zum Gegenstand. Die formale Analyse einer einzigen Filmeinstellung könnte folgende Aspekte berücksichtigen: die Perspektive der Kamera, deren Einstellungsgröße, Schärfe, Bewegung und Geschwindigkeit, dazu die Kostüme, Requisiten und den Handlungsort, die Schauspieler, deren Gestik, Mimik, Frisuren und Choreographie im Raum, die Ausleuchtung und Farbgebung der Szenerie, Schrift und andere grafische Elemente, des Weiteren den Ton – Musik, Liedtexte sowie Geräusche – und nicht zuletzt die Montage der Einstellung in ihre Sequenz und in die makrostrukturellen Relationen des gesamten Films. Diese Vielfalt legt nahe, sich je nach Fachrichtung auf eine Auswahl jener im Film subsumierten Codes zu konzentrieren. So scheint sich der Literaturwissenschaft und -didaktik die lineare Struktur der Filmhandlung als Parallele zur li-
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DIRTY DANCING (USA 1987, R: Emile Ardolino).
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Reagan, Ronald: Address to the National Association of Evangelicals. 8. März 1983. http://voicesofdemocracy.umd.edu/reagan-evil-empire-speech-text/
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terarischen Erzählung anzubieten. Für den Film als Kunst ist jedoch die Gleichzeitigkeit ihrer Ausdrucksebenen ebenso maßgeblich. Filme vermitteln ihrer Mehrfachcodierung gemäß permanent verschiedener Perspektiven. Dies wird in »Donnie Darko« bereits an dem basalen Spannungsverhältnis zwischen Bild und Ton deutlich. Auch widersprüchliche Aussagen können innerhalb desselben Moments getroffen werden. Diese simultane Multiperspektivität grenzt den Film konstitutiv von der Vermittlung linearer Multiperspektivität durch die Literatur ab. In einer transmedialen Didaktik lässt sich gerade durch diesen Gegensatz das Potential beider Künste wechselseitig erhellen. Auch eine gleichzeitige und doch differenzierte Förderung von Schreib-, Lese- und Medienkompetenzen wird so ermöglicht. Nach wie vor richtet sich der Fokus der Lehre wie der Forschung jedoch primär auf Literaturverfilmungen. Weiterhin sollen solche Adaptionen oft zur Auflockerung eines an der literarischen Erzählung orientierten Unterrichts instrumentalisiert werden. Am Beispiel »Donnie Darko« zeigt sich aber auch, dass sich Bezüge zwischen den beiden Künsten nicht auf Adaptionen beschränken müssen. So verweist die Konstellation zwischen Donnie, Devlin und Gretchen auf Goethes »Faust«, worauf explizit allerdings nur die Namengebung einen Hinweis gibt. Es handelt sich bei dem Film auch nicht um eine durchgängige Variation des »Faust«-Stoffes. Vielmehr verarbeitet »Donnie Darko« Motive, die sich in diversen literarischen Texten wiederfinden, unter anderem das des Teufelspaktes. Dieses Buch wird also folgenden Fragen nachgehen: Welche Figurationen ergeben sich zwischen fiktionaler Literatur und Spielfilm, die über einen direkten adaptiven Medienwechsel hinausgehen? Und welche theoretischen Auffassungen über die beiden Künste sollten ergiebigen Vergleichen zugrunde liegen? In Teil 1 soll daher herausgearbeitet werden, wie die Filmtheorie ihren Gegenstand definiert, indem sie ihn zur Literatur in Kontrast setzt. Hier soll jedoch die Forschungsliteratur nicht allein unter diesem Gesichtspunkt zusammengefasst werden. Vielmehr wird der Versuch unternommen, aus den theoretischen Texten eine eigene Grundlage für einen Vergleich zu schaffen. Leitgedanke ist dabei die These, dass Film und Literatur sich weder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einer sprachlichen Einheit, noch auf den größten gemeinsamen Nenner einer Gattung bringen lassen. Zunächst müssen die beiden Künste sorgfältig voneinander abgegrenzt werden, um dann erst analoge Phänomene vergleichen zu können (etwa unter narratologischer Perspektive). In Teil 2 wird daraufhin untersucht, zu welchen Auffassungen über den Film die Medienpädagogik und -didaktik kommen, indem sie ihn an Auffassungen über die Literatur messen. Dabei soll es weniger darum gehen, mit welchen An-
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sätzen der Deutschunterricht sich in seiner Geschichte dem Film näherte. 6 Vielmehr wird der Frage nachgegangen, welches Bild des Films im medienpädagogischen Diskurs entworfen wird, unter welchen Bedingungen es zustande kommt und wie dieses sich mal verfestigende, mal wandelnde Bild die deutschsprachige Bildungslandschaft prägt. Ein Diskurs ist sowohl »Wissensordnung als auch Wissenspraxis, die in einem sachlich, zeitlich und sozial identifizierbaren Bereich methodisch abgrenzbar und wirkungsmächtig ist.«7 Der in Teil 2 abgegrenzte Zeitraum umfasst die Filmgeschichte von ihren Anfängen 1895 bis zur Gegenwart des Jahres 2014, wobei allerdings ein besonderer Schwerpunkt auf die Zeit zwischen den 1980er Jahren und der Gegenwart gelegt wird. Die 1980er Jahre erweisen sich nicht nur in dem Beispiel »Donnie Darko« als Jahrzehnt einer intensiven dichotomischen Zuspitzung. Beiträge der Fachdidaktik werden dabei ebenso berücksichtigt wie solche der bundesweiten und auswärtigen Bildungspolitik sowie journalistische Texte. Die Analyse soll nicht »die Diskurse als Gesamtheit von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte und Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken [...] behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. [...] Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben.«8
In Teil 3 soll schließlich untersucht werden, wie in konkreten filmischen Werken die Literatur reflektiert wird. An dieser Thematik bilden sich filmische Konventionen heraus. Aber auch alternative Darstellungen sollen Beachtung finden. Die Motive des Schreibens und Lesens, der Schriftsteller, Bücher und Bibliotheken werden stets auch Anlass einer Selbstreflexion der Filmkunst. So ergänzt Teil 3 die vergleichenden Beschreibungen und Bewertungen von Literatur und Film, die Kunsttheorie und Medienpädagogik vornehmen, um jene, die der Film selbst vornimmt.
6
Matthias Schönleber hat eine solche Geschichte der Filmdidaktik im Deutschunterricht bereits geschrieben. Vgl. Schönleber, Matthias: Schnittstellen. Modelle für einen filmintegrativen Literaturunterricht, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2012, S.19-114.
7
Diaz-Bone, Rainer: »Die interpretative Analytik als methodologische Position«, in: Brigitte Kerchner/Silke Schneider (Hg.): Foucault: Diskursanalyse der Politik. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag 2006, S.68-84, hier S.72.
8
Foucault, Michel: Archäologie des Wissens (L’Archéologie du savoir. Aus dem Französischen von Ulrich Köppen). Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1973, S.74.
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Literarische Reflexionen der Filmkunst finden hier keine Berücksichtigung. Zu diesem Komplex liegen bereits verschiedene Werke vor. Einige behandeln das Verhältnis einzelner Autoren zum Film9, andere den literarischen Diskurs10. Auch entsprechende Anthologien sind erschienen.11 An der filmischen Darstellung der literarischen Praktiken in Teil 3 sollen aber auch die distinkten Ausdrucksmittel der jeweiligen Künste beispielhaft verdeutlicht werden. Dabei wird ein Verfahren zur Anwendung kommen, das in den Teilen 1 und 2 bereits theoretisch und argumentativ vorbereitet werden soll. Es handelt sich dabei um die Inbezugsetzung von Filmen und literarischen Werken, ohne Adaptionen zum Anlass zu nehmen (wie oben bereits erwähnt). Dieses transmediale Verfahren wurde lange Zeit nur sporadisch angewendet. So haben beispielsweise Hannah Ahrendt und Parker Tyler Werke Kafkas mit Filmen Chaplins verglichen. Ahrendt sah Gemeinsamkeiten in Einflüssen der jüdischen Religion12, Tyler in der Gestaltung des Themas »Auswanderung in die Neue Welt«13. Aber erst Elisabeth K. Paefgen hat den Horizont transmedialer Vergleiche systematisch erweitert. In ihre Analysen hat sie zudem stets auch die formalästhetischen Unterschiede einbezogen, die bei früheren, meist eher inhaltlich orientierten Vergleichen selten Berücksichtigung fanden. Dieses Buch soll Paefgens Verfahren freilich nicht nur anwenden, sondern es auch aus einem umfassenden filmtheoretischen, -didaktischen und -historischen Kontext argumentativ ableiten. Zudem soll eine möglichst umfassende Systematik der Figurationen, die sich zwischen Literatur und Film ergeben, erarbeitet werden. Schließlich wird das Verfahren in einem Ausblick noch um den Vorschlag einer Unter-
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Vgl. z. B.: Zischler, Hanns: Kafka geht ins Kino. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1998./Zander, Peter: Thomas Mann im Kino. Berlin: Bertz + Fischer 2005.
10 Vgl. z. B.: Keppler-Tasaki, Stefan/Liptay, Fabienne (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film 1910 –1960. München: edition text + kritik 2010. 11 Vgl. z. B.: Zeller, Bernhard (Hg.): Hätte ich das Kino! Der Schriftsteller und der Stummfilm. Stuttgart: Ernst Klett 1976./Stempel, Hans/Ripkens; Martin (Hg.): Das Kino im Kopf. Eine Anthologie. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1989. 12 Vgl. Ahrendt, Hannah: »Die verborgene Tradition«, in: Wilfried Wiegand (Hg.), Über Chaplin. Mit 22 Fotos, Zeittafel, ausführlicher Filmographie und Bibliographie, Zürich: Diogenes 1989, S.149-180. 13 Vgl. Tyler, Parker: »Das Traum-Amerika von Kafka und Chaplin (The DreamAmerica of Kafka and Chaplin. Aus dem Englischen von Peter Naujack)«, in: Wilfried Wiegand (Hg.), Über Chaplin. Mit 22 Fotos, Zeittafel, ausführlicher Filmographie und Bibliographie, Zürich: Diogenes 1989, S.185-200.
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richtsmethode ergänzt. Es ist somit sowohl Gegenstand als auch Methode dieses Buches. Der Forschungsstand wird zu Beginn von Teil 1 ausführlich dargelegt. Da die herangezogenen Werke umgehend auch kritisch in den Argumentationsstrang des Buches aufgenommen werden, sollen sie in dieser Einleitung nicht bereits aufgezählt werden. Zu erwähnen seien hier neben den Schriften Paefgens daher vorerst nur diejenigen Joachim Paechs. Besonders Paechs Grundlagenwerk »Literatur und Film«14 ist auch für die folgende Arbeit von basaler Bedeutung. Wenngleich Paechs Ansätze im Folgenden oft kritisch reflektiert werden, so verdankt sich der hier unternommene Versuch eines ausführlichen Vergleichs beider Künste seinem Vorbild. Der Korpus umfasst allerdings hauptsächlich Spielfilme sowie Romane und Erzählungen. Diese Auswahl ist auf die These zurückzuführen, dass gerade die epische Literatur als Referenz zum Film dominanten Einfluss ausgeübt hat – beziehungsweise ein mehr oder weniger differenziertes Bild, das von dieser Literatur im Diskurs entworfen wird. Inwiefern dies auch problematische Folgen zeitigte, soll in diesem Buch nicht zuletzt untersucht werden. Sowohl die Filme als auch die literarischen Texte, die hier Aufnahme finden, sind überwiegend europäische und US-amerikanische Veröffentlichungen. Auch wenn asiatische, südamerikanische, afrikanische und australische Werke natürlich in vielfältige Wechselbeziehungen mit europäischer und US-amerikanischer Literatur wie Filmkunst eintreten, so finden sie bislang relativ wenig Beachtung in der deutschsprachigen Filmdidaktik. Viele Werke werden nur anhand von Sequenzen beziehungsweise Passagen einbezogen. Dieses Vorgehen gründet einerseits darauf, dass grundlegende formale Eigenschaften der Künste durch isolierte Beispiele veranschaulicht werden können. Zu diesem Zweck muss nicht jeweils ein gesamtes Werk dar- und ausgelegt werden. Unter Bezug auf Alain Bergalas »Kino als Kunst« 15 wie auch anhand des von Paefgen vorgestellten Verfahrens lässt sich begründen, dass die Arbeit mit Ausschnitten bereits ergiebig sein kann. Thierry Kuntzel hat zudem an der Eröffnungssequenz von »Graf Zaroff – Genie des Bösen«16 aufgezeigt,
14 Paech, Joachim: Literatur und Film. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 1997. 15 Vgl. Bergala, Alain: Kino als Kunst. Filmvermittlung an der Schule und anderswo (L’hypothèse cinéma. Petit traité de transmission du cinéma à l’ecole et ailleurs. Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer). Hg. von Bettina Henzler/Winfried Pauleit, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2006, S.84-89. 16 GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN (THE MOST DANGEROUS GAME, USA, 1932, R: Ernest B. Schoedsack).
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wie sich, vom Beispiel weniger ausführlicherer behandelter Einstellungen ausgehend, der gesamte Film inhaltlich und formal erschließen lässt.17 Ein bestimmtes Modell des Lesens oder Zuschauens liegt dem folgenden Text nicht zugrunde. Die Perspektive des Publikums wird aber insofern berücksichtigt, als sich in den Werken Strategien der Aufmerksamkeitslenkung aufzeigen lassen, die von impliziten Rezeptionshaltungen ausgehen. Auch werden in den Diskursbeiträgen diverse Rezeptionsmodelle (sowie Klischees) entworfen. Diese sind jedoch eher als Gegenstände dieser Arbeit von Interesse, als dass sie sich auf eines von ihnen verlassen wollte. Das Bemühen darum, zwei Künste in den Kontexten ihrer Genese und Rezeption gegenüberzustellen, muss zu einem gewissen Grad »Flickwerk« bleiben. Hoffnung gibt dabei, dass der Film an sich ein ebensolches Flickwerk darstellt und das durchaus auch in einem positiven Sinne.
17 Vgl. Kuntzel, Thierry: »Die Filmarbeit, 2 (Le travail du film, 2. Aus dem Französischen von Sabina Lenk)«, in: montage 8/1/1999, S.24-84.
1. FILM UND LITERATUR
Bedingungen
Im folgenden Teil des Buches werden Texte der Filmtheorie daraufhin untersucht, wie sie die Filmkunst definieren, indem sie die Literatur zu Vergleichen heranziehen. Der Begriff der Literatur ist dabei allerdings selbst von wechselhafter definitorischer Schärfe. So ist mal die Schriftsprache gemeint, mal (und oft synonym) die Literatur als Kunstform, dann wieder eine bestimmte literarische Gattung oder auch nur eine literarische Gattung, wie sie als das Produkt eines bestimmten Zeitraums aufgefasst wird. Epische Literatur wird sich als von besonderer referentieller Bedeutung erweisen. Die Beiträge der Filmtheorie sowie der inter- beziehungsweise transmedialen Narratologie werden jedoch nicht allein unter dem Gesichtspunkt dieses Vergleichs zusammengefasst und in Bezug zueinander gesetzt. In einer kritischen Auseinandersetzung wird vielmehr der Versuch unternommen, über die bisherigen Texte hinauszugehen und auf deren Grundlage das Wesen der Filmkunst in einem erneuten Vergleich zur epischen Literatur zu erfassen. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die Differentiale der beiden Künste gerichtet. So werden in den Kapiteln 1.6 bis 1.10 vor allem die narrativen und nicht narrativen Verfahren des Films gegeneinander abgegrenzt. Gleichwohl werden Spielfilme zum Gegenstand des Vergleiches gewählt. Selbstverständlich werden Dokumentarfilme ebenfalls unter narrativen Gesichtspunkten gestaltet (ganz zu schweigen von Animationsfilmen). Spielfilme sollen hier aber gerade deswegen gewählt werden, weil sie dem Anschein nach die größten Ähnlichkeiten mit erzählender Literatur aufweisen. Auch in den Beiträgen der Filmtheorie sind Spielfilme zumeist der bevorzugte Gegenstand. Umso mehr stellt sich die Frage, inwiefern sich Termini und Kategorien der Literaturwissenschaften auf den Spielfilm anwenden lassen, ob sie lediglich abgewandelt oder erweitert werden müssen, oder ob ihre Anwendung irreführend ist oder zumindest Missverständnissen Vorschub leistet.
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1.1 I NTERMEDIALITÄT 1997 kritisiert Joachim Paech, die Literaturwissenschaft habe die zunehmende Bandbreite an Textadaptionen in diversen Medien lange vernachlässigt. 18 In seinen Arbeiten zur »Intermedialiät« bezieht sich Paech zu dieser Zeit primär auf den »Text-Transfer« im Sinne eines erweiterten Textbegriffes, also vor allem auf »Literaturverfilmungen«. Diese als Anlass eines Vergleichs zu wählen, ist in den späten 1990er Jahren zwar durchaus eine gängige Praxis. Matthias Schönleber hat herausgearbeitet, dass bereits in den 1980er Jahren eine »Didaktik der Adaption«19 überwog, wenn Filme in den Deutschunterricht integriert wurden. Doch fanden, wie Schönleber festhält, »die Bestrebungen, den Film als eigenständiges Medium dem Konkurrenzdruck des Buches zu entziehen [...] immer wieder dort Grenzen, wo prinzipiell Wahrnehmungsaktivität und phantasievolle Textverarbeitung des Filmsehenden negiert und damit kulturpessimistische bzw. bewahrpädagogische Traditionen aufgenommen werden.«20 Gegen die in diesen Traditionen vorherrschenden Hierarchien nimmt Paech Stellung, kehrt sie sogar teilweise um. Seine Gegenüberstellung von »Literatur und Film«21 – so auch der Titel seines monographischen Standardwerkes –, folgt vielmehr der Programmatik einer wechselseitigen Erhellung der Künste.22 Der von ihm gewählte Begriff der Kunst ist entscheidend, weil die bis heute oft unreflektierte Anwendung des Begriffes »Medium« diverse Fehlschlüsse implizieren kann: »Die Kunstform [...] Literatur wechselt aus einem Medium (Buch) zum Film, der offenbar im Unterschied zur Literatur als Kunstform sein (technisches) Medium ist.«23 Aus dieser Auffassung resultiert, dass Film oft eher als eine Wiedergabetechnik betrachtet wird (wie etwa die Projektion im Kino oder die DVD). Der Bedeutungswandel, dem Stoffe im Medientransfer zwangsläufig unterliegen, wird somit häufiger unter inhaltlichen Gesichtspunkten untersucht, während die medienspezifischen formalen Bedingungen vernachlässigt werden. Der Begriff der »Medien« wird noch in den zeitgenössisch wirksamen Curricula nicht durchgängig mit derselben Bedeutung angewendet. Zumeist ist nicht
18 Paech, Joachim: »Intermedialität«, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.), Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Phillip Reclam 1998, S.447-475, hier S.447. 19 M. Schönleber: Schnittstellen, S.57. 20 Ebd., S.63. 21 Vgl. J. Paech: Literatur und Film. 22 Vgl. J. Paech: Intermedialität, S.448. 23 Ebd., S.450.
1.1 I NTERMEDIALITÄT
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erkennbar, auf welcher Ebene der Medienbegriff angesetzt wurde, auf der einer kommunikativen (Sprache) oder künstlerischen Ausdrucksform (Literatur, Film) oder auf der eines Abspielgerätes oder technischen Sendeverfahrens (E-Mail, Buch, DVD...). Dies kann direkte Auswirkungen auf die Unterrichtspraxis haben: Literatur und Sachtexte werden als schutzbedürftige, also überkommene Formen der diffusen Vorstellung einer problematischen neuen Medienwelt gegenübergestellt (Filme und Hörmedien finden immerhin seit dem späten 19. Jahrhundert Verbreitung), anstatt als deren integrale Bestandteile gesehen und behandelt zu werden. So steht, um nur ein Beispiel zu nennen, im 2006 in Kraft getretenen niedersächsischen Kerncurriculum für das Gymnasium der Schuljahrgänge 5–10 unter der Sparte »Bildungsbeitrag des Faches Deutsch« zu lesen: »Die Vielfalt der modernen Medienwelt macht es unumgänglich, von einem erweiterten Textbegriff auszugehen, der Literatur, Sach- und Gebrauchstexte sowie [sic!] Produkte der Medien umfasst. Indem sich die SchülerInnen mit Texten unterschiedlicher medialer Vermittlung auseinandersetzen, machen sie Erfahrungen mit der Vielseitigkeit kulturellen Lebens.«24 Wenn der Textbegriff jedoch erweitert ist, sind demnach in der Kompetenzbezeichnung »Lesen – Umgang mit Texten und Medien«25 nicht Printtexte gegen andere Medienprodukte abgegrenzt. Stattdessen soll offenbar der Umgang mit Medienprodukten (= Texten) und ihren medialen Kanälen/Plattformen (= Buch, Website, Fernseher usw....) geschult werden. Unter anderem in der oben zitierten Passage werden Medienprodukte jedoch an sich in den Kontrast zu literarischen und pragmatischen Texten gesetzt. Entgegen dem übergeordneten Ziel der Medienkompetenz tragen solche scheinbar geringfügigen Inkohärenzen dazu bei, die Unterscheidung medienspezifischer Ausformungen von Inhalten zu verwischen, ebenso wie die definitorische Unterscheidung zwischen Kunst und Medium. Der Vergleich zwischen der Vorlage und der Adaption eines Erzähltextes erscheint Paech dagegen als geeignetes Mittel, um auf die jeweiligen ästhetischen und stilistischen Bedingungen aufmerksam zu machen, anstatt »die künstlerische Praxis auf ihre handwerklichtechnischen Bedingungen«26 zu reduzieren. Paech wählt daher erklärtermaßen
24 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5 – 10. Deutsch. Niedersachsen. Hannover 2006, S.7. 25 Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium (2006), S. 23-27. 26 J. Paech: Intermedialität, S.453.
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auch den Begriff des »Texttransfers« anstatt den des »Medienwechsels«27 und erfasst Intermedialität als formales Verfahren stilistischer Differenz.28 Dass dieses Verfahren bereits auf kulturgeschichtlich bedeutende Grundlagen in Bezug auf die »traditionellen« Kunstformen aufbauen kann, verdeutlicht er am Beispiel von Lessings Bestimmung der Differentiale zwischen bildender Kunst und Poesie. Lessing führt dazu einen Vergleich der Laokoon-Gruppe mit der entsprechenden mythischen Erzählung durch. 29 Paech begründet den Bedarf an einer solchen wechselseitigen Differenzierung für Literatur und Film nicht zuletzt anhand eines Missstandes in der Lehrerausbildung.30 Auch unter literaturdidaktischen Gesichtspunkten betrachtet er als bevorzugten Gegenstand der intermedialen Analyse Literaturverfilmungen. Der Film sollte dabei aber gegenüber der Literatur nicht mehr marginalisiert werden, auch hinsichtlich der Zeit, die ihm in der schulischen oder universitären Lehre zugestanden wird. Zwei Thesen sind für Paechs Ansatz grundlegend, die bei allen Unterschieden zwischen Literatur- und Filmästhetik die Grundlage des Vergleiches bilden. Erstens setzt Paech in den Jahren 1908 bis 1910 eine »Literarisierung des Films« an. Dieselbe besteht darin, dass die Filmkunst eigene Mittel herausbildet, um literarische Erzählungen zu adaptieren. Dabei rekurriert Paech auf den Filmschnitt, in dem er die Voraussetzung für die Entfaltung der filmischen Narration sieht. Dem ließe sich entgegenhalten, dass Filme auch schon vor dem genannten Zeitraum auf literarische und mythische Stoffe zurückgriffen oder auch eigene fiktionale Handlungen entwarfen. Auch Paech räumt ein, dass es bereits innerhalb derselben Einstellung bei statischer Kamera möglich ist, zu erzählen. Er weist sogar darauf hin, dass auch die einminütigen, scheinbar dokumentarischen Aufnahmen der Brüder Lumière, die 1885 am Beginn der Filmgeschichte stehen (z. B. »Arbeiter verlassen die Lumière-Werke«31), ihre Objekte nach erzählerischen Gesichtspunkten organisieren. In der Typologie narrativer Sequenzbildung, die Paech aufstellt, bezeichnet die »Simultaneität von Aktionen in derselben Einstellung« aber das niedrigste
27 Vgl. ebd., S.451-452. 28 Vgl. ebd., S.454. 29 Vgl. Lessing, Gotthold Ephraim: »Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie«, in: Georg Witkowski (Hg.): Lessings Werke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe. Vierter Band, Leipzig/Wien: Bibliographisches Institut o.J, S.7-318. 30 Vgl. J. Paech: Literatur und Film, S.VII. 31 ARBEITER VERLASSEN DIE LUMIÈRE-WERKE (LA SORTIE DES USINES LUMIÈRE, FR 1895, R: Louis Lumière).
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Niveau narrativer Komplexität. Paechs Sichtweise weist hier signifikante Ähnlichkeiten zu der Differenzierung der acht syntagmatischen Typen bei Christian Metz auf, auf die noch zurückzukommen sein wird (siehe Kapitel 1.4). Metz setzt die Entwicklung der »kinematographischen Sprache« etwas später an als Paech die »Literarisierung des Films«, nämlich in den Jahren 1910 – 1915,32 führt sie aber ebenfalls auf die Entwicklung des »abendfüllenden, romanhafte[n] Spielfilm[s]«33 zurück. Auch bei Metz stellt die autonome Einstellung gewissermaßen die niedrigste filmische Entwicklungsstufe dar, allerdings nicht des Erzählens, sondern der »Filmsprache«. Paech, der ja an einem Vergleich unter ästhetischen Gesichtspunkten interessiert ist, enthält sich weitgehend einer solchen Analogie zwischen Film und Sprache, außer in dem folgenden Absatz: »Grundsätzlich kann ein Text nur aus einem einzigen Satz bestehen, der filmische Text ebenso wie der literarische; und die Binnenstruktur dieses Satzes (bzw. der einen Einstellung) kann die Bedingungen für eine (Mini-)Erzählung erfüllen. Komplexere Erzählungen setzen jedoch auch kompliziertere syntaktische Strukturen voraus, d. h. daß die Verbindung zwischen den Sätzen (oder Einstellungen) zum entscheidenden Problem der Herausbildung größerer narrativer Strukturen in jedem (literarischen und filmischen) Text 34
wird.«
Dieser Vergleich, auch wenn er nur sinnbildlich gemeint ist, lässt erkennen, wie sehr Paech das narrative Potential der Einstellung dann doch unterschätzt. Zwar blieb die Kamera um die Wende zum 20. Jahrhundert noch statisch, so dass es nicht möglich war, die Topographie einer Erzählung durch Raumfahrten zu erschließen, wie etwa in »Russian Ark«35, der dreihundert Jahre der russischen Geschichte in 96 Minuten und nur einer Einstellung abhandelt. Doch selbst in einem statisch aufgenommenen Kurzfilm von Georges Méliès wird ein recht komplexer Handlungszusammenhang ausgebreitet. So etwa in »L’île de Calypso: Ulysse et le géant Polyphème«36 von 1905, einer dreieinhalbminütigen Einstellung, deren Gehalt sich kaum innerhalb eines Satzes formulieren ließe (selbst, wenn dieser Kleist’sche Dimensionen annäh-
32 Vgl. C. Metz: Semiologie des Films, S.133. 33 Ebd., S.132. 34 J. Paech: Literatur und Film, S.13. 35 RUSSIAN ARK – EINE EINZIGARTIGE ZEITREISE DURCH DIE EREMITAGE (RUSSKIY KOVCHEG,
RU 2002, R: Aleksandr Sokurov).
36 L’ÎLE DE CALYPSO: ULYSSE ET LE GÉANT POLYPHÈME (FR 1905, R: Georges Méliès).
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me). Das betrifft allein schon die Wiedergabe der äußeren Ereignisse, von deren Implikationen ganz zu schweigen, die Konflikte zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit, Verführung und Widerstehen, Illusion und Materie eröffnen. Der Krieger Odysseus bricht verzweifelt vor einer Grotte zusammen. Schlafend wird er von den Dienerinnen der Nereide Calypso gefunden und mit Tanz und Instrumenten umspielt. Calypso selbst tritt aus der Höhle hinaus. Als sie Odysseus entdeckt, weist sie ihre Gefährtinnen von hinnen. Sie weckt den Schlafenden und führt ihn auf die Öffnung der Grotte zu. Calypso verschwindet jedoch und an ihrer statt erscheint erst eine Hand, die nach Odysseus greift (siehe Abb. 3). Als dieser ausweicht, erscheint der Kopf Polyphems in der Öffnung. Nachdem Odysseus sich zuerst zurückzieht, stößt er einen Speer in das Auge des Zyklopen. Odysseus verlacht Polyphem, der daraufhin wieder verschwindet. Calypso kehrt aus der Grotte zurück und versucht nun Odysseus an seinem Mantel hineinzuziehen. Odysseus lässt sie mit seinem Mantel zurück, woraufhin Calypso sich weinend von ihren Dienerinnen trösten lässt. Paech behält die Analogie zwischen Einstellung und Satz auch im weiteren Verlauf seines Buches bei.37 Er erkennt weiterhin an, dass in einzelnen Einstellungen genuin filmische Darstellungsweisen wie etwa Doppelbelichtungen oder Stopp-Trick zur Anwendung kommen. Paech ordnet diese Mittel jedoch in die Tradition illusionärer Effekte im Theater ein, nicht in diejenige der spezifisch literarischen Erzählformen. Er ordnet sie allerdings zugleich einem begrenzt möglichen narrativen Komplexitätsniveau zu. Damit legt er auch nahe, dass die Tricktechnik des Films eine für die Filmnarrativik etwas zu vernachlässigende Größe ist. Somit aber werden, wenigstens für den intermedialen Vergleich zwischen Literatur und Film, einige konstitutive Merkmale der Filmkunst marginalisiert: Die Simultaneität filmischer Mittel innerhalb derselben Einstellung, die Ausschöpfung des dreidimensional suggerierten filmischen Raumes und schließlich die Metamorphose der Kameraobjekte vermittels Tricktechnik. Auch das nächsthöhere Komplexitätsniveau in Paechs Typologie narrativer Sequenzbildung greift weitgehend »nur« auf die Mittel der darstellenden Künste zurück: die »additive Reihung autonomer, inhaltlich aufeinander bezogener Einstellungen«38. Einige Filme von Méliès fallen unter diese Kategorie, weil sie, wie auf dem Theater, Szenen aneinanderreihen, ohne eine spezifisch filmische Art des Über-
37 Vgl. J. Paech: Literatur und Film, S.17. 38 J. Paech: Literatur und Film, S.9.
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ganges zu finden, wie Paech betont. Norbert Stresau zufolge schuf Mélìes so zwar »andere, aber in sich stabile Realitäten. Schnitte oder Kamerafahrten gab es bei ihm nicht, seine statische Kamera enthielt dem Zuschauer nichts vor, ließ den Raum intakt. Damit reduzierten sich die so wichtigen Zwischentöne auf ein reines Entweder/Oder: Ein leerer Raum, eine schnell verwehende Rauchwolke, und der Teufel stand da. Sehen oder Nicht39
sehen, Null oder Eins.«
Diese Bewertung berücksichtigt allerdings nicht, dass in diesen Effekten die Techniken bereits angelegt sind, die eine immer flüssigere Metamorphose der Formen im Film ermöglichen werden. Beziehungsweise ist eine solche bereits zeitgleich zu den Mélièsschen Filmen möglich, nämlich im »Frame-By-Frame«Verfahren des zweidimensionalen Animationsfilm. Dieses findet seine erste Anwendung wohl in »The Enchanted Drawing«40 von 1900, in dem die mimischen Reaktionen eines gezeichneten Gesichtes zu sehen sind, als der Zeichner ihm eine (ebenfalls gezeichnete) Zigarre entwendet. Im Happy Ending erhält es seine Zigarre zurück, nunmehr mit Feuer. Zu den hier suggerierten Transformationen von Linien und Figuren und dem so zu verwirklichenden auch narrativen Potential gibt es auf der Bühne keine adäquaten Entsprechungen. Im frühen Spielfilm hingegen entwickelt sich die »Stop-Motion«-Technik. Die für jedes Bild minimal veränderten Figuren erscheinen zwar aus heutiger Sicht relativ stockend. Gleichwohl wird Stop Motion bereits zu ihrer Zeit deutlich als eine andere Qualität der Bewegung und Verwandlung aufgefasst als vergleichbare Tricks in Theater und Varieté. Selbst Siegfried Kracauer erkennt bei aller Skepsis an: »Fantastische Ungeheuer in Filmen, die versuchen, sie als reale Figuren auszugeben – man denke an Frankenstein, King Kong, den Werwolf usw. – stellen ein Problem dar. Werden sie als ein gültiges Filmthema eingeführt, so gehören sie unstreitig zur [...] Möglichkeit [...] des unfilmischen Bühnenzaubers. Doch sie können so geschickt in Szene gesetzt und manipuliert werden, daß sie mit ihrer wirklichen Umwelt verschmelzen und die Illusion virtuell realer Wesen erwecken. Kann nicht auch die Natur Ungeheuer erzeugen?
39 Stresau, Norbert: Der Horror-Film. Von Dracula zum Zombie-Schocker. München: Wilhelm Heyne Verlag 1987, S.34. 40 THE ENCHANTED DRAWING (USA 1900, R: J. Stuart Blackton).
28 | V ERFOLGUNGSJAGDEN Ihre mögliche Naturtreue, ein dem Kamera-Realismus entrichteter Tribut, bringt sie 41
schließlich doch wieder in den Bereich des Kinos zurück.«
So gilt »Nosferatu, eine Symphonie des Grauens«42 nicht zuletzt deswegen als Markstein der Filmgeschichte, weil er seine Trick- mit Naturaufnahmen zusammenführt. Letztere wurden vor Ort gefilmt und nicht im Studio simuliert. Der Vampir erscheint somit weniger als Fremdkörper in einer an sich stabilen Realität (wie Stresau meint, der Trick- und Naturaufnahmen als jeweilige Ausdrücke zweier im Konflikt liegender Welten auffasst43), sondern als deren organischer Bestandteil, der Vampirismus als der Natur von Grund auf inhärentes Prinzip. Auch die Vergleiche, die im Film von dem Vampir zu Polypen und fleischfressenden Pflanzen gezogen werden, unterstützen diese Annahme. Wie der Filmregisseur und -journalist Jörg Buttgereit 2003 anmerkt: »Heute, mehr als achtzig Jahre nach seiner Entstehung, entfaltet der Film ein authentisch anmutendes, fast dokumentarisch wirkendes Flair: Man hat das angenehm ungute Gefühl, der Film sei ›echt‹.«44 Erst durch diese Synthese aus erkennbar natürlichen, nichtmenschlichen Bewegungen großer Mengen von Wind und Wasser und technisch bewerkstelligten Effekten gewinnt der Film seine spezifische Aussagekraft und Vieldeutigkeit hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Natürlichem und Übernatürlichem (er knüpft an romantische Topoi ebenso an wie an darwinistische Denkmuster). Seit der digitalen Revolution lassen sich Übergänge zwischen natürlichen und technisch erzeugten Bewegungen freilich noch ungleich fließender gestalten. Spielfilm und Animationsfilm gleichen sich hier einander an. So erreicht »Der Herr der Ringe – Die Gefährten«45 mit seinen Übergängen zwischen monumentalen Naturpanoramen und zum Teil (auch psychologisch) detailliert erschaffenen CGI-Figuren eine neue Qualität, die nicht zuletzt auch auf die intermediale Literaturdidaktik bedeutende Auswirkungen gezeitigt hat
41 Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit (Theory of Film. The Redemption of Physical Reality). Vom Verfasser revidierte Übersetzung von Friedrich Walter und Ruth Zellschan. Hg. von Karsten Witte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1985, S.127. 42 NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (DE 1922, R: F. W. Murnau). 43 Vgl. N. Stresau: Der Horror-Film, S.42. 44 Buttgereit, Jörg: »Only a Movie?« In: Hans Helmut Prinzler (Hg.): Friedrich Wilhelm Murnau. Ein Melancholiker des Films, Berlin: Bertz 2003, S.135-136, hier: S.136. 45 DER HERR DER RINGE – DIE GEFÄHRTEN (THE LORD OF THE RINGS: THE FELLOWSHIP OF THE RING, USA/NZ 2001, R: Peter Jackson).
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(siehe die Kapitel 2.11 und 2.16). Nicht von ungefähr werden visuelle Effekte daher in jüngerer Zeit auch in Hinblick auf die Literaturverfilmung ansatzweise aufgewertet, so von Andreas Blüml: »Die Romanvorlage, die sich auf die Vorstellungskraft des Lesers stützen kann, ist bezüglich der Darstellung bzw. Evokation nicht-realer Aspekte dem Film weit überlegen. Dort, wo bei einer Verfilmung Darstellungsprobleme früh beginnen, kennt die Fantasie des Lesers kaum Grenzen. Durch Spezialeffekte verliert diese »Darstellbarkeits-Schwelle« an 46
Bedeutung...«
Blüml setzt hier also die Spezialeffekte durchaus als konstitutiv für das filmische Vermögen, literarische Stoffe zu erzählen. Ein weiteres bedeutsames filmisches Mittel, das sich bereits im Beispiel der »Insel der Calpyso« vorfinden lässt, besteht in der Dynamisierung des filmischen Raumes durch die Ausnutzung seiner virtuellen (beziehungsweise bei den Drehaufnahmen tatsächlichen) Tiefe. Dies liegt etwa vor, wenn die Hand des Zyklopen aus der Grotte im Bildhintergrund herausgreift und im Bildvordergrund nach dem ausweichenden Odysseus langt. Zweierlei ließe sich nun anhand dieses Beispiels gegen die konstitutive Bedeutung der Raumtiefe für eine (in Paechs Worten) »Literarisierung« des Films einwenden. Erstens könnte es sich um einen Effekt handeln, den das Theater ebenso zu inszenieren vermag, zweitens um einen Effekt, der – entgegen der Annahme Stresaus über Méliès’ Werke – den filmischen Raum destabilisieren könnte. Damit könnte sie eine Immersion erzeugen, die ebenfalls auf die gemeinsame Räumlichkeit von Theater und Zuschauerraum verweist. Die übergroße Hand, die sich aus dem dunklen Bildhintergrund auf die Kamera zubewegt, darf durchaus als Horroreffekt betrachtet werden. Sie scheint andeutungsweise an die Grenzen zum Zuschauerraum vorzudringen, könnte also, so die Suggestion, auch in ihn eindringen. Um diesen Effekt zu erzielen, müssen die Zuschauer kein naives Verhältnis zur filmischen Wirklichkeitsebene haben. Selbst wenn die bekannte Anekdote von dem Premierenpublikum, das
46 Blüml, Andreas: »Lord of the Rings – The Fellowship of the Ring (J. R. R. Tolkien – Peter Jackson). Der Einsatz von Spezialeffekten bei Literaturverfilmungen«, in: Anne Bohnenkamp in Verbindung mit Tilman Lang (Hg.): Literaturverfilmungen, Stuttgart: Phillip Reclam 2005, S.230-238, hier: S.230.
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1896 vor dem »auf die Kamera zufahrenden« Zug geflohen sein soll47, keine bloße Erfindung gewesen wäre, hätte der durchschnittliche Kinozuschauer in den zehn Jahren seit den ersten Vorführungen der Brüder Lumière sicher Vertrauen zur Stabilität der »vierten Wand«, der Leinwand gefasst. Dennoch ist es auch im aktuellen 3D-Kino sicher noch möglich, das Reiz-Reaktionssystem wenigstens durch einen vorübergehenden Schock zu überwältigen. Gleichwohl stellt ein solcher Reflex aber nicht langfristig die Stabilität des filmischen Raums an sich in Frage und somit auch nicht den narrativen Zusammenhang an sich. Der (erwachsene, »zurechnungsfähige«) Theaterzuschauer wird bei einer vergleichbaren Penetration des Zuschauerraums zwangsläufig auf die Fiktion der Inszenierung zurückgeworfen und dies eben nicht nur im epischen Theater. Der Filmzuschauer dagegen kann von einer »nach der Kamera« tastenden Hand gemeint sein, aber er muss im selben Moment nicht gemeint sein. Dem Film ist es möglich, sein Publikum einschüchternd, verführerisch oder mitleidheischend »anzusehen« und »nach ihm zu greifen«, ohne dabei die Erzählung zu unterbrechen beziehungsweise ohne sie zur Metafiktion zu erweitern oder sie antiillusionistisch zu verfremden (obgleich er auch all dies durch die explizite Ansprache des Publikums vermag). Alles, was sich aus der Tiefe des Raumes (eigentlich also dem Bildhintergrund) heraus auf die Kamera hinzubewegt, kann auch etwas anvisieren, dass sich jenseits der Kamera und doch diesseits der Diegese befindet. Der filmische Raum ist jenseits seines Frames potentiell unendlich beziehungsweise war es zum Zeitpunkt seiner Aufnahme durch die Kamera. Eben weil der Film also hinter die wortwörtlich raumgreifenden Möglichkeiten des Theaters oder des Vergnügungsparks zurückfällt, fällt er in eine (für viele Zuschauer offenbar komfortable) Position zurück, die zwischen diesen performativen Kunstformen und den narrativen der Literatur liegt. Auch im 3D-Film wird das Erbe Méliès’ somit berücksichtigt, sowohl implizit als auch explizit in der Literaturadaption »Hugo Cabret«48, in der Méliès selbst und sein Werk zum Movens der Handlung werden. Wenn Blüml die Aufholleistung des Films gegenüber der Literatur auf solche und andere visuelle Effekte zurückführt, dann bezieht er sich am Beispiel »Der Herr der Ringe« auf das Genre der Fantasy. Paech hingegen billigt der populären Literatur ihre historische Bedeutung für die Literarisierung des Films
47 Nämlich bei der Aufführung von: DIE ANKUNFT EINES ZUGES AUF DEM BAHNHOF IN LA CIOTAT (L’ARRIVÉE D’UN TRAIN A`LA CIOTAT, FR 1896, Regie: Auguste Lumière/Louis Lumière). 48 HUGO CABRET (HUGO, USA 2011, Regie: Martin Scorsese).
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nur auf den niedrigeren Ebenen der narrativen Sequenzbildung, sprich der narrativen Komplexität zu: »Ersetzt man das kulturkritische Verdikt ›Schundliteratur‹ durch ›populäre Literatur‹ [...], dann trifft die Vorstellung von einer ›Brücke‹ zwischen dieser Literatur und dem frühen Film genau das Richtige. Die ungeheure Popularität dieser Erzählungen machte es möglich, daß sich Bilder der verschiedensten Medien, darunter des Films, im Imaginären dieser Romane einnisten konnten, bis die Filme in der Lage waren, selbstständig eigene Ge49
schichten zu erzählen.«
Paech geht somit also bei den frühesten Filmpionieren eher von motivischen Anleihen aus, die sich auch nur innerhalb additiver Aneinanderreihungen verwirklichen lassen. Um aber komplexere syntaktische Strukturen zu entwickeln, musste der Film seine populärkulturellen Wurzeln hinter sich lassen. Somit erreicht er das dritte Niveau der narrativen Sequenzbildung nach Paech, nämlich »Prinzipien der raum-zeitlichen narrativen Verbindung zweier Einstellungen«.50 Diese Verbindungen könnten mit verschiedenen filmischen Mitteln erzeugt werden. Sie können direkte Kontinuität herstellen oder Brüche durch Ellipsen, Rückblenden und andere Mittel erzeugen. Entscheidend ist dabei, dass die Einstellungen aufeinander verweisen, sich die Kupplungen innerhalb der jeweiligen Einstellung erkennen lassen. Um eine solche Komplexität herauszubilden, orientierte sich der Film, so Paech, an der bürgerlichen, realistisch erzählenden Literatur des neunzehnten Jahrhunderts.51 Diese Orientierung führt er auf kommerzielle Interessen zurück, weil der Film sich darum bemühen musste, den bürgerlichen Mittelstand zu erreichen und seine dubiose Jahrmarktsherkunft hinter sich zu lassen. Dieser Zusammenhang erscheint plausibel. Aus Paechs Begründung lassen sich weitere Schlüsse ableiten. So mussten spektakuläre Effekte schon deswegen diegetisch motiviert werden, um Zensurmaßnahmen vorzubeugen. Es musste dem Bürgertum die Gelegenheit gegeben werden, eine Distanz zum eigenen Voyeurismus aufzubauen. Die Effekte trafen das Auge somit scheinbar nicht mehr direkt, sondern vermittelt über Stellvertreter-Figuren. Wenn etwa eine Figur beim sich Umziehen oder Sterben zu sehen ist, erfolgt im Gegenschuss das Bild eines diegetischen Betrachters oder Täters. Die Aufgabe dieser Figur ist es, eine Distanz zwischen dem Rezipienten und dem affektiv aufgeladenen Bild zu schaffen. Der
49 J. Paech: Literatur und Film, S.12. 50 Vgl. ebd., S.13. 51 Vgl. ebd., S.IX.
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Protagonist ist sozusagen der Schuldige, er sorgt dafür, dass Signifikat und Signifikant nicht pornographisch zusammenfallen (dementsprechend werden etwa in der westdeutschen Sexfilmwelle der 1960er und 1970er Jahre auffallend häufig nackte Frauen oder Sexualakte durch die Repoussoir-Figur eines Voyeurs beobachtet52). Man könnte zu dieser Sichtweise Paechs freilich auch eine Gegenthese (oder besser eine ergänzende These) aufstellen: Gerade, weil die technischen Verfahren des Bildschnitts und der Kamerafahrten entwickelt werden, das Raum-ZeitKontinuum also formal zerstückelt oder in Geschwindigkeit aufgelöst wird, müssen Filme umso stärkere Signale einer inhaltlichen Kontinuität setzen. Er muss dem Publikum Gründe für und Rezepte gegen die Auflösung anbieten, zum Beispiel verbindliche Liebesgeschichten, persönliche Entwicklungsgeschichten, kurz: traditionell bürgerliche Stabilisatoren gegen die Kontingenzerfahrung der Moderne (gerade in den Katastrophen- und Horrorfilmen, die Zeit und Raum besonders in Frage stellen, überleben zum Schluss konventionell weiße, mittelständische, heterosexuelle Liebespärchen). Paech sieht nun in der neuen narrativen Struktur ausdrücklich »die alte des literarischen Erzählens der realistischen Literatur des 19. Jahrhunderts«53, die ihm zufolge durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist: die Dominanz der Zeit gegenüber dem Raum, die Kontinuität des Erzählens und die Etablierung des diegetischen Horizontes als imaginärem Referenten filmischen Erzählens.54 Paechs erstes Theorem ist also die Literarisierung des Films durch das Verfahren des Filmschnitts um 1910. Diese Literarisierung ist für ihn gleichbedeutend mit Narrativierung. Sein zweites Theorem ist die Verbürgerlichung des Films durch diese Literarisierung. Als wesentliche Referenz im Vergleich zwischen Film und Literatur stellt sich ihm somit die bürgerlich-realistische Epik des 19. Jahrhunderts dar, ihre Geschichte wird zur literarischen Vorgeschichte des Films.55 Vergleiche zu Lyrik und Dramatik sucht er nicht, hingegen nimmt
52 Vgl. Miersch, Annette: Schulmädchen-Report. Der deutsche Sexfilm der 70er Jahre. Berlin: Bertz 2003, S.221. 53 J. Paech: Literatur und Film, S.30. 54 Vgl. ebd., S.29. 55 Auch in diesem Punkt baut Paech auf der Arbeit von Christian Metz auf, vgl. den expliziten Bezug in: Paech, Joachim: »Dispositionen der Einfühlung. Anmerkungen zum Einfluß der Einfühlungs-Ästhetik des 19. Jahrhunderts auf die Theorie des Kinofilms«, in: Knut Hickethier/Eggo Müller/Rainer Rother (Hg.): Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF-Tagung, Berlin: Edition Sigma Rainer Bohn Verlag 1997, S.106-S.119, hier: S.119.
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er Bezug auf jene Phänomene, die sich im 19. Jahrhundert über die Veränderung der Wahrnehmung sowohl auf die epische Literatur als auch mittelbar auf den Film ausgewirkt haben: der Eisenbahnbau, die Architektur des Panoramenausblicks, das Warenhaus und die Fließbandarbeit. 56 Durch diese Einflüsse konnten sich, so Paech, somit auch »filmische Schreibweisen« in der bürgerlichrealistischen Literatur etablieren, die bereits vor dem Film von einer »Hypertrophie des Sichtbaren«57 geprägt gewesen sei (etwa bei Fontane oder Zola). Auch diese Vorwegnahmen sieht Paech in »Montageverfahren« verwirklicht, etwa im Erzählen paralleler Handlungsstränge bei Dickens oder dem alternierenden Wechsel der Erzählperspektiven bei Flaubert. Die wechselseitige Erhellung der Künste unter Anerkennung ihrer Differentiale trägt somit bei Paech dann doch dazu bei, grundlegende Gemeinsamkeiten zutage zu fördern. Über vergleichbare Verfahren erreichen beide letztlich dieselben Ergebnisse: differenzierte Erzählungen, in denen die Wahrnehmung des raumzeitlichen Zusammenhangs multiperspektivisch und mit psychologischen Mitteln offengelegt wird. Paech begründet den literaturwissenschaftlichen und – didaktischen Bedarf an einem Vergleich demgemäß auch mit den Adaptionen literarischer Werke, die sich bis zu einem gewissen Grad in die Tradition des bürgerlichen Realismus einreihen lassen, z. B. »Effi Briest«, »Buddenbrooks« und »Mephisto«.58Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ist Paechs Standardwerk nun in folgenden Aspekten maßgeblich: Erstens propagiert Paech, dass der Vergleich verstärkt auch unter formalästhetischen Gesichtspunkten vollzogen werden muss. Zweitens betrachtet er die Filmkunst als der Literatur nicht nachrangig, eben weil sie mit eigenen Mitteln dasselbe erzählerische Potential verwirklichen kann. Um diese Angleichung der traditionellen Hierarchien zu verdeutlichen, wählt er als abschließendes konkretes Beispiel daher auch nicht die filmische Adaption eines Romans. Vielmehr vergleicht er »Die Ehe der Maria Braun«59 mit dem gleichnamigen Roman60 zum Film, der erst nach dem Drehbuch verfasst wurde. Damit sich die filmischen Ausdrucksmittel im Vergleich behaupten können, weicht Paech also bereits mit didaktischer Zielsetzung von der im Deutschunterricht üblichen Reihenfolge ab. Drittens ist es erhellend, dass Paech als entscheidenden literarischen Einfluss auf den Film und somit auch als dessen vorrangige Referenz die Epik des neun-
56 Vgl. J.: Paech: Literatur und Film, S.64-84. 57 J. Paech: Literatur und Film, S.61. 58 Vgl. ebd., S.VIII. 59 DIE EHE DER MARIA BRAUN (BRD 1979, R: Rainer Werner Fassbinder). 60 Vgl. Zwerenz, Gerhard: Die Ehe der Maria Braun. München: Goldmann Verlag 1985.
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zehnten Jahrhunderts betrachtet. Nicht nur ist diese Sichtweise dort nachhaltig wirksam, wo von nun an Literaturverfilmungen wissenschaftlich oder didaktisch behandelt werden. Michael Staiger etwa folgt in seinem Buch »Literaturverfilmungen im Deutschunterricht« explizit Paech, wenn er den Film als den legitimen Erben der literarischen Erzähltradition des 19. Jahrhunderts bezeichnet.61 Auch in der Einführung zur Mediendidaktik Deutsch von Frederking, Krommer und Maiwald findet sich diese Einordnung mit dem Verweis auf Paech.62 Wie die hier vorliegende Arbeit erweisen wird, ist bereits vor Paechs Werk häufig die epische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts gemeint, wenn im Film-Diskurs von Literatur die Rede ist, beziehungsweise die Literatur, die in der Tradition des psychologisch-realistischen Romans verortet wird. Das kann ausdrücklich oder implizit der Fall sein und je nach Beitrag dazu dienen, den Film (oder Filme) im Vergleich zur Literatur positiv oder negativ zu bewerten. Dass der populäre Film und mit ihm die populäre Literatur – wie bereits angedeutet – ab dem 21. Jahrhundert im Vergleich zu Paechs Sichtweise aufgewertet werden, stellt an sich noch keinen Wendepunkt dar. Wie sich zeigen wird, gleichen sich Filme und Romane auch der populären Genres immer mehr jener Erzählstruktur an, die Paech auf die realistische Literatur des 19. Jahrhunderts zurückführt. Diese Erzählstrukturen werden zudem auch in älteren Genrewerken nun erst entdeckt und positiv hervorgehoben, weil die Leseförderung sich vom Erfolg des »Fantasy-Booms« Synergieeffekte verspricht. Die Vergleichsmomente, die Paech sowohl erkennt und ausformuliert als auch propagiert, wirken sich jedoch in ihrer Dominanz problematisch aus. Erstens wird die Vielfalt der Literatur im intermedialen Vergleich auf eine bestimmte Gattung in einer bestimmten Zeit verengt. Dies gilt insbesondere in der polemischen Zuspitzung gegen und für die psychologisch-realistische Epik. Erstere findet sich vor allem in den Manifesten und theoretischen Arbeiten der filmischen Avantgarde, letztere in medienpädagogischen und bildungspolitischen Veröffentlichungen. Wenn nur ein bestimmtes Ideal von Literatur gemeint ist, wo in didaktischer oder polemischer Reduktion von der Literatur allgemein die Rede ist, bleibt auch an der Literatur ein konservatives und gesellschaftsstabilisierendes, »pädagogisch wertvolles« Image haften. Das wird schon den im Bürgerlichen Realismus zusammengefassten einzelnen Werken nicht gerecht. Ganze Strömungen, Gattungen und schließlich die irritierenden und manipulati-
61 Vgl. Staiger, Michael: Literaturverfilmungen im Deutschunterricht. München: Oldenbourg Schulbuchverlag 2010, S.25. 62 Vgl. Frederking, Volker/Krommer, Axel/Maiwald, Klaus: Mediendidaktik Deutsch. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2008, S.183.
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ven Anwendungen der Sprache selbst werden so aber oft im Vergleich außer Acht gelassen. Zweitens werden umgekehrt filmische Ausdrucksformen nivelliert oder abgewertet, die scheinbar weniger der Linearität eines realistischen und psychologisch motivierten Erzählzusammenhangs dienen. Diese Tendenz erstreckt sich von Makrostrukturen wie bestimmten Genres über Spezialeffekte bis auf filmische Eigenschaften wie die suggerierte Raumtiefe und die Simultaneität, die für diese Kunst doch ebenso konstitutiv sind wie der Filmschnitt. Zudem tragen auch diese Eigenschaften dazu bei, Geschichten zu erzählen. In der Deutschdidaktik wird aber oft prioritär die Montage von Einstellungen und Sequenzen als Mittel visuellen Erzählens vermittelt.63 Drittens wird der Film überwiegend als eine narrative Kunst wahrgenommen und vermittelt: »Die epische Dimension des Mediums Film stellt die evidenteste Verbindung zur (Buch-)Literatur her...«64 Obwohl er natürlich zweifellos narrativ sein kann, so hat der Film – auch der Spielfilm – doch auch Gemeinsamkeiten mit den bildenden und darstellenden Künsten sowie der Musik und nicht zuletzt mit den Attraktionen der Vergnügungsparks, nicht nur, weil er sie alle als .Motive der Kamera (beziehungsweise als Motive auf der Tonspur) integrieren kann. Wenn der Film erst als »literarisierter« Film bedeutend wird, zieht das tendenziell eine Reihe von Verkürzungen und Fehlschlüssen nach sich. Das zeigt sich schon bei Paech, der selbst schreibt: »Daß der Film eine Sprache sei, ist fester Bestandteil der metaphorisierenden wie der umgangssprachlichen Rede über den Film. Im Zusammenhang mit der Beziehung des Films zur Literatur kann diese linguistische Definition außer Acht bleiben, denn eine ›Sprache‹ des Films wäre von der Sprache der Literatur zu sehr verschieden, so daß sich auf dieser 65
Ebene keine Beziehung herstellen ließe...«
Und doch verfällt auch Paech gelegentlich in irreführende Vergleiche wie jenen der filmischen Einstellung mit dem schriftsprachlichen Satz. In diversen Publikationen ist immer wieder von einer »Alphabetisierung von Schülerinnen und Schüler[n] in der Sprache des Films«66 oder bereits im Buchtitel von einer
63 Vgl. Ulf Abraham: Film im Deutschunterricht, S.51. 64 Ebd., S.51. [Abraham weist aber auch auf die lyrische Dimension des Films hin, vgl. S.52.] 65 J. Paech: Literatur und Film, S.173. 66 Holighaus, Alfred: »Vorwort«, in: Alfred Holighaus (Hg.): Der Filmkanon. 35 Filme, die Sie kennen müssen, Berlin: Bertz + Fischer 2005, S.9-11, hier S.9.
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»Filmsprache«67 die Rede. Andere Autoren erkennen an, dass ein wörtliches Verständnis solcher Wendungen problematisch ist, betrachten diese aber als metaphorisch erhellend.68 Eine ursprünglich sinnbildliche Intention dürfte in der Praxis aber leicht übersehen werden. Auch als Metapher droht der Begriff der »Filmsprache« zu überlagern, was in der Filmwissenschaft längst anerkannt ist: Der Film ist keine Sprache. Er besteht aus mehreren ikonisch-visuellen und auditiven Codes, zu denen auch solche gehören können, die im engeren Sinne Sprachen sind. Aber ein »Lexikon ›Bildsprache – Deutsch, Deutsch – Bildsprache‹ kann es nicht geben«69, obschon zur Funktionalisierung des Films im Deutschunterricht manche Handbücher als eben solche Lexika »missbraucht« werden könnten. Paech seinerseits vermeidet zwar den Begriff der Filmsprache, setzt anstelle dessen jedoch den der »filmischen Schreibweise«70. Da er den Film, recht eigentlich die Montage71, als Schrift auffasst, gewinnt in seiner Arbeit auch die Handschrift des Regisseurs an Bedeutung. Das Konzept des Regisseurs als Autor »seiner« Filme, geht auf die politique des auteurs zurück, wie sie seit 1954 von den Filmjournalisten der »Cahiers du cinéma« propagiert wurde.72 Die künstlerische Verantwortlichkeit des Regisseurs wurde gegenüber dem Studiosystem aufgewertet, wenn es jenem gelang, möglichst viel Kontrolle über die Konzeption des Films zu erlangen (vor allem, indem er auch das Drehbuch schrieb und/oder die letztgültigen Entscheidungen über die Schnittfassung traf). Die individualistische Autorentheorie trägt freilich »den romantischen Künstlermythos nach Hollywood...«73 und lässt leicht in Vergessenheit geraten, dass Filme Kollektivwerke bleiben. Alfred Hitchcock etwa setzte sich mit Hilfe Truffauts und Chabrols sowie einer eigenen PR-Agentur effektiv als Pate der Autorenfilmer in Szene. Doch selbst in seinem Werk machten sich deutliche Qualitätseinbußen bemerkbar, als bewährte Mitarbeiter in den frühen 1960er Jahren verstarben (der
67 Bienk, Alice: Filmsprache. Einführung in die interaktive Filmanalyse. Marburg: Schüren 2008. 68 Vgl. V. Frederking, A. Krommer, K. Maiwald: Mediendidaktik Deutsch, S.182./Vgl. auch U. Abraham: Film im Deutschunterricht, S.29. 69 I. Müller: Filmbildung in der Schule, S.15. 70 Vgl. J. Paech: Literatur und Film, S.173-174. 71 Vgl. ebd., S.175. 72 Vgl. Frisch, Simon: Mythos Nouvelle Vague. Wie das Kino in Frankreich neu erfunden wurde. Marburg: Schüren 2010, S.136-181. 73 Jerslev, Anne: David Lynch. Mentale Landschaften (David Lynch i vore ontje. Aus dem Dänischen von Lise V. Smidth). Wien: Passagen Verlag 1996, S.19-20.
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Cutter George Tomasini, der Kameramann Robert Burks) oder ihn im Streit verließen (der Komponist Bernard Herrmann). Nicht zuletzt wurde selbst in der Literaturwissenschaft kurz darauf der Tod des Autors konstatiert. 74 Gleichwohl hatte die Autorentheorie auf die Filmrezeption großen, auch kanonischen Einfluss,75 der sich unter anderem in der Forschungsliteratur zur Literaturverfilmung bemerkbar macht.76 Auch diese bei einer Verabsolutierung oder Vereinfachung nicht unproblematische Analogie findet sich bei Paech. Er kontrastiert zwei filmische »Textsorten«. Die eine, der »klassische realistische Text« verbleibt in der Tradition des 19. Jahrhunderts, er wird bei Paech weitgehend mit dem kommerziellen Kino der Hollywood-Studios synonym gesetzt: »Das Vergnügen am klassisch-realistischen Roman- oder Filmtext ist der Genuß dieser Illusion von Macht gegenüber einer Fiktion erzählter Ereignisse. Darin ist der realistische Film – noch heute der Normalfall des Films im Kino und im Fernsehen – der direkte 77
Nachfolger des Romans des bürgerlichen Realismus.«
Diesem »Normalfall« wird eine »filmische Schreibweise« gegenübergestellt, die auf sich selbst verweist. Auch sie steht in der Tradition von Flaubert oder Dickens, schreibt aber die Brüche und Entfremdungen der Moderne in die Erzählkontinuität ein. Die filmische Montage, welche die sinnfälligen Lücken und Sprünge zwischen den Einstellungen eher betont, als sie im Handlungsfluss zum Verschwinden zu bringen, wirkt sich ihrerseits auf die moderne, urbane Epik eines Döblin, eines Joyce oder Dos Passos aus. Im Kino wird sie von radikalen Autorenfilmern wie Jean-Luc Godard auch über die Einführung des Tonfilms hinaus lebendig gehalten. Das dialektische Verhältnis der Bilder zueinander wird hier, wie bei Eisenstein gefordert (siehe Kapitel 1.3), auch vermittels des Ton-
74 Vgl. Barthes, Roland: »Der Tod des Autors (La mort de l’auteur. Aus dem Französischen von Matías Martínez)«, in: Jannidis Fotis/Gerhard Lauer/Matías Martínez/Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorenschaft, Stuttgart: Phillip Reclam 2000, S.185-193. 75 Vgl. S. Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S.181. 76 Vgl. z. B. die durchgängige Gegenüberstellung von Schriftstellern und Regisseuren in den Überschriften der Beiträge in: Bohnenkamp, Anne in Verbindung mit Tilman Lang (Hg.): Literaturverfilmungen, Stuttgart: Phillip Reclam 2005./Vgl. auch den biographisch-psychologischen Deutungsansatz in: Dettmering, Peter: Literatur- und Filmanalyse. Würzburg: Königshausen & Neumann 2012. 77 J. Paech: Literatur und Film, S.177-178.
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schnittes zwischen Bild und Tonspur etabliert. Bereits bei Gilles Deleuze kommt den Autorenfilmern wie Godard, Jean-Marie Straub oder Marguarite Duras das Verdienst zu, Bild und Ton in ein einander inkommensurables Verhältnis zu setzen.78 Bilder und Töne sind einander rhythmisch und »inhaltlich« asynchron, ohne dass ihr Bezug beliebig würde. Sie gewinnen vielmehr ein hohes Maß an Vieldeutigkeit hinzu. Aus dieser Gegenüberstellung von Hollywoodfilm und vor allem europäisch geprägtem Autorenfilm resultieren einige Probleme: Beide scheinen einander als statische Blöcke gegenüberzustehen. Schon die Anwendung des Autorenbegriffs auf die »systemimmanenten« Hollywood-Regisseure, die von den französischen Filmjournalisten betrieben wurde, betrachtet Paech als problematisch. 79 Tatsächlich aber wurden die Erneuerungsströmungen des europäischen Nachkriegsfilms in vieler Hinsicht durch das US-amerikanische Kino inspiriert. Oft setzten sich diese kritisch damit auseinander, zugleich aber integrierten sie auch zahlreiche Elemente und setzten sie in andere Kontexte, von kleinen schauspielerischen Gesten (Jean-Paul Belmondos Bogart-Imitation in »Außer Atem«80) bis hin zu den Konventionen von Subgenres (der US-Gangsterfilm und der Film Noir in den Werken Godards und Jean-Pierre Melvilles). Diese Aneignungen wirkten sich ihrerseits auf die Filmschaffenden des New Hollywood in den späten 1960er bis frühen 1980er Jahren aus, die das je nach Akzentuierung postklassisch81 oder auch postmodern genannte Kino begründeten. Paech berücksichtigt aber allein den »klassisch realistischen Text« der klassischen Studioepoche Hollywoods, den er am Beispiel der Werke John Fords einführt und auch für die Gegenwart der 1990er Jahre als wirksam erklärt. Selbst in Hinblick auf die Werke dieser Studioepoche ließe sich hinterfragen, ob diese en bloc in sich stabile Gegenwelten ohne selbstreflexive Verweise und Illusionsbrüche realisierten. Die Western John Fords geben in dieser Hinsicht jedenfalls Extrembeispiele weitgehend intakt gehaltener filmischer Räume, die vor allem durch Rahmungen und Positionierungen von Schauspielern und Objekten innerhalb der Einstellungen
78 Vgl. G. Deleuze: Das Zeit-Bild, S.309-333. 79 Vgl. J. Paech: Literatur und Film, S.172. 80 AUSSER ATEM (À BOUT DE SOUFFLE, FR 1960. Regie: Jean-Luc Godard). 81 Vgl. Elsaesser, Thomas: »Augenweide am Auge des Maelstroms? – Francis Ford Coppola inszeniert BRAM STOKER’S DRACULA als den ewig jungen Mythos Hollywood«, in: David Bordwell, Thomas Elsaesser, Mike Sandbothe, Ernst Schreckenberg, Georg Seeßlen: Die Filmgespenster der Postmoderne. Hg. von Andreas Rost/Mike Sandbothe. Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren 1998, S.63-105.
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organisiert werden.82 Aber selbst, wenn »der postklassische Film dem klassischen nicht direkt entgegengesetzt [ist], sondern [...] ihn vielmehr auf emphatische Weise [re-zentriert], indem die Ausnahmen des Klassischen zur Regel des Postklassischen erhoben werden«83, so ist doch dieser Umstand signifikant genug, um nicht mehr von einer nahtlosen Weiterführung zu sprechen. Elsaesser nennt als diese Ausnahmen allgemein eine ungewöhnliche zeitliche Struktur, einen neuartigen Einsatz des Tons und einen expressiven visuellen Stil84 und statt »mit zeitlicher und motivationspsychologischer Kontinuität aufzuwarten, konfrontiert postklassisches Kino den Zuschauer mit metamorphotischen Serienmördern, vor Gier strotzenden Vampiren oder zeitreisenden Terminatoren, während es immer noch versucht, den Begriffen von Identität, Person und Handlungsträger beizukommen.«85 Brüche und Selbstreflexionen der »filmischen Schreibweise« vollziehen sich nicht oder nicht mehr allein durch eine dialektische, ellipitische oder asynchrone Montage, sondern zum Beispiel auch durch intertextuelle motivische oder stilistische Zitation. In Elsaessers Worten: Das Klassische wird dekonstruiert, indem es bis zum Exzess vergegenwärtigt wird (so etwa in den Filmen unter der Regie David Lynchs oder Quentin Tarantinos). Ein weiteres Mittel ist das der Überakzentuierung eines Motivs, etwa durch eine surreal intensive »High-Key«-Beleuchtung und Farbgebung, wie sie in den Filmen unter David Lynchs Regie zu sehen ist. In »Planet Terror«86 unter der Regie von Robert Rodriguez »reißt« sogar der Film (im Film), weil die Filmrolle bei einer »heißen« Sexszene Feuer fängt – just, als das Publikum »nackte Tatsachen« erwarten darf –, um dann an einer »späteren« Stelle der Handlung wiedereinzusetzen, in der sich wichtige Koordinaten völlig verschoben haben. Solche und andere medienreflexive Effekte finden sich aber eben nicht nur in den Filmen der US-amerikanischen »Autorenfilmer«, sofern diese von der Kritik auch als solche rezipiert werden. Vielmehr sind sie spätestens seit den 1980er Jahren auch Merkmale des kommerziellen »High-concept«-Kinos. 1981 ging mit MTV der erste Musikvideosender auf Sendung, unter seinem Einfluss wurde das Tempo der Bild- wie Tonmontage extrem beschleunigt. Bereits 1975 wurde für die Dreharbeiten von »Krieg der Sterne«87 Industrial Light & Magic gegründet,
82 Vgl. R. Khouloki: Der filmische Raum, S.83-85. 83 T. Elsaesser: Augenweide am Auge des Maelstroms?, S.92. 84 Vgl. ebd., S.92. 85 Ebd.., S.90. 86 PLANET TERROR (USA 2007, R: Robert Rodriguez). 87 KRIEG DER STERNE (STAR WARS, USA 1977, R: George Lucas).
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die erste Firma, die sich auf Tricktechnik für Filme spezialisierte und unter anderem in der digitalen Technologie Pionierarbeit leistete. Seither erhielten visuelle Effekte einen mitunter strukturbildenden Stellenwert im »Eventfilm«. Beide Entwicklungen lösen den Erzählzusammenhang zwar nicht auf, verlagern aber in einem Ausmaß die Priorität zugunsten der Form, dass sich kaum noch von einem realistischen Kino in Paechs Sinne sprechen lässt. Der Vergleich literarischer Vorlagen und filmischer Adaptionen (oder der umgekehrten Fälle), auch wenn es sich um Werke der Moderne des 20. Jahrhunderts handelt, kann nun eher dazu beitragen, diese Diffenzierungen zu überblenden. Dies ist nicht allein der Fall, weil in den Adaptionen kanonisch anerkannter Werke durch kanonisch zumeist anerkannte Autorenfilmer diverse filmische Mittel schon aus Gründen des Budgets kaum zum Einsatz kommen können. Entscheidender ist, dass, auch wenn Paech die ästhetischen Differentiale hervorfördern möchte, der Fokus allein auf der narrativen Linearität des Films und der Literatur liegt, auch und eben da noch, wenn diese unterbrochen oder gebrochen wird. Die Linearität des Films soll hier natürlich ebenso wenig bestritten werden wie das narrative Potential des Spiel- und auch des Dokumentarfilms. Wenn aber die Termini der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie auf den Film konstruktiv angewendet werden sollen, ist vorab das grundlegende Bewusstsein darüber wichtig, dass Filme sich damit eben nicht gänzlich erfassen lassen. Der Film als Kunstform und als einzelnes Werk ist auch eine darstellende, ja in der Rezeption sogar bis zu einem gewissen Punkt ephemere Kunst, ist sowohl linear als auch simultan. Er geht nie vollständig in seiner Narration auf. Diese Ansicht wird an späterer Stelle dieser Arbeit noch ausführlich argumentativ begründet. An diesem Punkt ist festzuhalten, dass selbst dort, wo die Narratologie als intermediales Projekt der Literatur- und Filmwissenschaften (und ihrer Didaktiken) betrieben wird, die dominante Stellung des Adaptionsvergleiches nicht unangefochten ist. Einige Stimmen erheben sich nicht nur wider die Literaturverfilmung sondern auch zugunsten eines Vergleiches einzelner, aus dem Handlungskontext gezogener Sequenzen und Textpassagen, um den Blick für die formalästhetischen Differentiale zu schärfen.
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1.2 T RANSMEDIALES C ROSS -M APPING 1952 erscheint André Bazins Plädoyer für die Literaturverfilmung, »Für ein unreines Kino«88. Darin konstatiert er, die Filmkunst habe sich seit 1938 durch den Bezug auf die Literatur weiterentwickelt. Freilich habe es bereits zuvor Literaturverfilmungen gegeben. Diese hätten sich aber bei Stoffen und Motiven bedient, die von ihrem literarischen Ausdruck weitgehend unabhängig seien, etwa bei den Geschichts- und Abenteuerromanen eines Dumas oder Victor Hugo. Soweit folgt Joachim Paech89 Bazin in der Einschätzung einer »Brückenfunktion« der populären Literaturgenres für den Stummfilm (Hugos Werke sind dafür sicher ein literarisch recht gehobenes Beispiel). Habe sich der frühe Film hingegen bei nichttrivialen Werken der Literatur und Dramatik bedient, so vergleicht Bazin diese Bemühungen mit »der heidnischen, naiven Interpretation der katholischen Liturgie durch einen wilden Stamm, der seine Missionare auffraß.«90 In dieser Zeit habe sich die formale Entwicklung der filmischen Ausdrucksmittel konsolidieren müssen. Die Regisseure seien eher Rhetoriker gewesen, die durch die Einführung des Tonfilms seit 1927 noch einmal eine letzte große Herausforderung zu bewältigen hatten. Seit 1938 aber habe, so Bazin, der Bezug zwischen den Künsten eine neue Qualität erreicht: »Die Beziehung zwischen Inhalt und Form hat sich umgekehrt. Nicht etwa, daß die Form gleichgültig gewesen wäre, ganz im Gegenteil – sie war wohl noch nie so strikt vom Stoff bestimmt, nie so notwendig und subtil –, aber all dieses Wissen tendiert dazu, zurückzutreten und sich durchsichtig zu machen für das Sujet, das wir heute um seiner selbst willen 91
schätzen und an das wir immer mehr Ansprüche stellen.«
Der Film könne sich nun endlich um Werktreue gegenüber seinen literarischen Vorlagen bemühen, weil er seine eigenen ästhetischen Strukturen begriffen ha-
88 Bazin, André: »Für ein unreines Kino. Plädoyer für die Literaturverfilmung«, in: André Bazin: Was ist Film? (Qu’est-ce que le cinéma? Aus dem Französischen von Robert Fischer und Anna Düpee). Hg. von Robert Fischer. Mit einem Vorwort von Tom Tykwer und einer Einleitung von François Truffaut, Berlin: Alexander Verlag 2009, S.110-138. 89 Vgl. J. Paech: Literatur und Film, S.166. 90 A. Bazin: Für ein unreines Kino, S.115. 91 Ebd., S.137.
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be.92 Gerade daher könne er nun auch auf komplexere epische Texte zurückgreifen, bei denen sich Inhalt und Stil nicht mehr voneinander trennen ließen. 93 Bazins Ideal von Werktreue ist dabei nicht als wörtliche Übersetzung zu verstehen, sondern als Übersetzung des wesentlichen Gehaltes in die entsprechenden filmischen Mittel.94 Diese Aufgabe wiederum würde die Kreativität der Regisseure beflügeln und somit zur Verfeinerung der Filmkunst beitragen. Das Theater betrachtet Bazin hingegen aufgrund seiner scheinbar augenfälligen Ähnlichkeiten zum Film als irreführendes Vorbild, das in eine künstlerische Sackgasse führe.95 Er geht allerdings davon aus, dass gelungene Filme nach originären Drehbüchern gelungenen Literaturadaptionen prinzipiell überlegen seien.96 Bazin betrachtet Literaturverfilmungen als Tatsachen, die schon aufgrund ihrer Verbreitung nicht zu ignorieren seien. Die Filmkritik könne ihnen gegenüber also gleich eine konstruktive Einstellung einnehmen. Die Überlegenheit der Filme nach originären Stoffen führt Bazin jedoch nicht etwa auf einen schädlichen Einfluss zurück, den die Literatur als unterlegene Kunst auf ihre Verfilmungen habe. Vielmehr betrachtet er die Literatur als dem Film grundsätzlich weiterhin überlegen: »Der Roman, viel weiter entwickelt und für ein relativ gebildetes, anspruchsvolles Publikum bestimmt, stellt dem Kino vielschichtigere Figuren zur Verfügung und – eine Strenge und Subtilität in den Beziehungen zwischen Inhalt und Form, die wir auf der Leinwand nicht gewohnt sind.«97 Die oft geringere Qualität der Literaturverfilmung verortet Bazin in unzureichenden Übersetzungsleistungen, für die sich aber eben eine Entwicklung zum Besseren abzeichne. Dieser positiven Entwicklung ist offenbar ein Kino förderlich, in dessen Beschreibung sich bereits der Autorenfilm ankündigt. Die industriellen und ökonomischen Bedingungen des Films erschweren sein Vordringen zu einer der Literatur adäquaten Ästhetik.98 Gelöst seien alle Problem hingegen, wenn mehr oder gar alle Filmregisseure Genies wären, in Bazins Beispiel also jedem Edgar Allan Poe ein Charles Baudelaire als kongenialer Übersetzer nachfolgen würde beziehungsweise jedem Flaubert ein Jean Renoir als »Verfilmer«.99
92 Vgl. ebd., S.131. 93 Vgl. ebd., S.111. 94 Vgl. ebd., S.127. 95 Vgl. ebd., S.112. 96 Vgl. ebd., S.132. 97 Ebd., S.124. 98 Vgl. ebd., S.122-123. 99 Vgl. ebd., S.126.
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Bazin propagiert also einen Film, der sich in seinen Produktionsbedingungen so weit wie möglich der Literatur annähert und auf diesem Wege auch innerhalb relativ kurzer Zeit den jahrhundertealten Entwicklungsvorsprung aufholen kann. Das wäre die Verwirklichung »eines Kinos, das es nicht gibt, des idealen Kinos, das der Romanautor machen würde – wenn er Filmemacher wäre; der Einfluß einer imaginären Kunst, auf die wir noch warten.«100 Bazin hat nicht nur als Gründer der »Cahiers du cinéma« und Mentor der späteren Nouvelle-Vague-Regisseure, die als Mitarbeiter seiner Redaktion anfingen, beträchtlichen Einfluss ausgeübt. Sein Plädoyer ist auch ein Grundlagentext, auf den sich seither Forschungsarbeiten zur Literaturverfilmung regelmäßig beziehen, offenbar zustimmend wie Paech, abwägend kritisch wie Anne Bohnenkamp101, aber auch konfrontativ wie Matthias Schönleber, der ein Gegenplädoyer wider die Literaturverfilmung und für eine reine Filmdidaktik formuliert hat.102 Schönleber richtet sich damit gegen die Fortführung einer »Didaktik der Adaptionen«103, die sich im Deutschunterricht der 1980er Jahre herausbildete. Die westdeutsche Literaturwissenschaft wirkte an dieser Tendenz in derselben Zeit übrigens durch verschiedene Publikationen konstitutiv mit. 104 Auch diese Werke heben regelmäßig die Verflechtungen zwischen literarischen Werken und dem »Autorenkino« des Neuen deutschen Films als Qualitätsmerkmal hervor. In seiner kurzen Geschichte der deutschen Literaturverfilmung kommt ChristianAlbrecht Gollup zu dem Schluss, die zwanzig Jahre vor Schlöndorffs MusilAdaption »Der junge Törless«105, einem Pionierwerk des Neuen Deutschen Films, seien durch Realitätsflucht und Wirklichkeitsferne geprägt gewesen. Negativ abgegrenzt werden jene Adaptionen populärer Literatur, die »cum grano salis« als Literaturverfilmungen bezeichnet werden: Edgar-Wallace- und Karl-
100 Ebd., S.121. 101 Vgl. Bohnenkamp, Anne: »Vorwort«, in: Anne Bohnenkamp in Verbindung mit Tilman Lang (Hg.): Literaturverfilmungen, Stuttgart: Phillip Reclam 2005, S.9-38, hier S.25. 102 Vgl. M. Schönleber: Schnittstellen, S.180-185. 103 Vgl. ebd., S.57-66. 104 Vgl. Bauschinger, Sigrid, Susan L. Cocalis/Henry A. Lea (Hg.): Film und Literatur. Literarische Texte und der neue deutsche Film. Bern/München: Francke Verlag 1984./Rentschler, Eric (Hg.): German Film and Literature. Adaptations and Transformations. New York/London: Methuen 1986./Weber, Alfred/Bettina Friedl (Hg.): Film und Literatur in Amerika. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1988. 105 DER JUNGE TÖRLESS (BRD 1966, R: Volker Schlöndorff).
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May-Filme, die »dem etablierten Geschmack und der passiven Schaulust«106 nachgegangen seien. Besonders zu nennen und auch für Paech eine wichtige Bezugsgröße ist Franz-Josef Albersmeier, der zu Beginn der 1980er Jahre eine Literaturgeschichte des Films begann107 und sich in seinen Arbeiten von da an besonders auf den romanischen Sprachraum bezog, also auf die Adaptionen französischer108 und spanischer109 Literatur. In diversen Publikationen der 1980er Jahre bleibt nicht unbemerkt, dass der Vergleich zwischen Vorlage und Adaption weiterhin regelmäßig von Skepsis und Enttäuschung geprägt ist – eben jene Rezeptionshaltungen, die Bazin durch sein Plädoyer verändern wollte: »Erfahrungsgemäß stellt für den Leser [...] bereits die Zweitlektüre eine eigentümliche Erfahrung dar, zu der Sicherinnern und Wiedererkennen ebenso gehören wie Neuentdeckung und Korrektur der Erinnerungen. In noch stärkerem Maße stoßen Bekanntes und Unbekanntes aufeinander, wenn der Leser dem Gegenstand in dem anderen Medium des Films begegnet. Durch den Medienwechsel wird mitunter auch das Wohlbekannte verfremdet und kann zumindest so lange irritierend wirken, wie der Betrachter an die ihm vertraute erste Version des Gegenstandes denkt und sich nicht vorbehaltlos auf die Bedin110
gungen des zweiten Mediums einläßt.«
106 Gollub, Christian-Albrecht: »Deutschland verfilmt. Literatur und Leinwand 18801980«, in: Sigrid Bauschinger/Susan L. Cocalis/Henry A. Lea (Hg.): Film und Literatur. Literarische Texte und der neue deutsche Film, Bern/München: Francke Verlag 1984, S.18-49, S.35. 107 Vgl. Albersmeier, Franz-Josef: Die Herausforderung des Films an die französische Literatur. Entwurf einer ›Literaturgeschichte des Films‹. Band 1: Die Epoche des Stummfilms (1895-1930). Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1985. 108 Vgl. Albersmeier, Franz-Josef: Theater, Film und Literatur in Frankreich. Medienwechsel und Intermedialität. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992. 109 Vgl. Albersmeier, Franz-Josef: Theater, Film, Literatur in Spanien. Literaturgeschichte als integrierte Mediengeschichte. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2001. 110 Goetsch, Paul: »Thesen zum Vergleich von literarischen Werken und ihren Verfilmungen«, in: Alfred Weber/Bettina Friedl (Hg.): Film und Literatur in Amerika, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1988, S.43-64, hier S.46.
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Ob der Betrachter dies kann, macht Goetsch von subjektiven Vorbedingungen abhängig: Lese- und Sehgewohnheiten, Alter, Bildung und Mediensozialisation.111 Da Schönleber von einem didaktischen Standpunkt aus argumentiert, gewinnt diese rezeptive Dimension umso mehr an Bedeutung: »[S]o verschärft sich die Wertungsproblematik in schulischen Kontexten um ein Vielfaches, da für SchülerInnen die Abstraktionsleistung, den eigenen Bezug von Vorlage und Adaption aufzulösen, schlicht eine Zumutung ist – nicht zuletzt, weil sie sich dazu aus der (didaktisch gewollten) Verstrickung aus den beiden medialen Texten lösen müssen.«112 Den Parameter der »Angemessenheit« gilt es für Schönleber aber auch schon deswegen zu überwinden, weil er die Hierarchie zugunsten der Literatur als überholt ablehnt, die Bazin immer noch deutlich setzte. Bazin und nach ihm Paech haben beide zwar aus ihrer Perspektive versucht, die filmspezifischen Ausdrucksmittel aufzuwerten. Sie taten dies aber beide noch von dem Standpunkt aus, der Film habe erst evolutionär jenes Ziel erreichen müssen, an dem die Literatur bereits auf ihn wartete: Ein komplexes Niveau der Narrativität. Schönleber fasst den Film allerdings seinerseits vor allem als narrative Kunst ins Auge. Er vertritt, dass sich dort für den Deutschunterricht fruchtbare Schnittmengen und -stellen zwischen Film und Literatur ergeben, wo beide Künste vergleichbare »Erzählprobleme« angehen.113 Insofern widerspricht er der narratologisch evolutionären Sichtweise zumindest nicht explizit. Bazin argumentiert jedoch mit dem Blick auf das Nachkriegskino, der Film sei noch auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe befangen, und deutet den nächsten Sprung in der dialektischen Beziehung der Künste bereits vage als unabhängigen Autorenfilm an. Als Inspiration für die Unterrichtspraxis ist das Plädoyer daher für Schönleber historisch überholt. Er sieht Film und Literatur gleichauf in ihren erzählerischen Möglichkeiten (ob nun »längst« oder »schon immer«). Um aber die Wertungshierarchien zugunsten einer intermedialen Differenzierung zurückzustellen, seien leichte Verschiebungen in der Unterrichtspraxis nicht ausreichend (also die Behandlung des Films derjenigen der Vorlage vorzuziehen oder die literarische Adaption eines Filmes zu behandeln, wie dies Paech vorgenommen hat). 114 Das Spannungsverhältnis zwischen Fabel und Sujet müsse vielmehr verlagert werden, damit die SchülerInnen sich
111 Vgl. ebd., S.45. 112 M. Schönleber: Schnittstellen, S.182. 113 Ebd., S.184. 114 Ebd., S.182.
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stärker auf das Sujet konzentrieren können115 – nicht zuletzt zum Erwerb einer Medienkompetenz, durch die Medien nicht länger als austauschbare Behälter derselben Fabel wahrgenommen werden. Bereits bei Bazin finden sich nicht nur Hinweise darauf, dass sich ein filmisches Schreiben in der Literatur und eine entsprechende Ausschöpfung der filmischen Mittel nicht über die Literaturverfilmung begegnen. Im Gegenteil, Bazin zufolge wird das sogenannte filmische Schreiben in der Moderne in der Filmkunst selbst gar nicht umfassend verwirklicht. Auch hier erscheint die Literatur dem Film selbst da noch überlegen, wo sie sich von seinen Verfahren inspirieren lässt. Allerdings stellt Bazin schon die Bedeutung dieser Inspiration infrage. Vielmehr scheint die Literatur durch die Herausforderung der Moderne zu dem Film vergleichbaren, »ultrafilmischen« Mitteln zu finden. »Die Frage ist, ob die Kunst eines Dos Passos, Caldwell, Hemingway oder Malraux sich vom Kino herleitet. In Wirklichkeit glauben wir das nicht. Zweifellos, und wie könnte es auch anders sein, hat die vom Kino eingeführte neue Art der Wahrnehmung, etwa in Großaufnahmen zu sehen beispielsweise oder die Erzählstrukturen wie die Montage, dem Romanautor geholfen, sein Instrumentarium zu erneuern. [...] Doch bei näherem Hinsehen wird man bemerken, daß die angeblich filmische Erzähltechnik von Greene [...] vom Film selbst in Wirklichkeit nicht verwendet wird. [...] So hat sich der Film in seinem Rückgriff auf den Roman auch meist nicht, wie es logisch erschiene, von den Werken inspirieren lassen, in denen manche Leute filmische Einflüsse entdecken wollen, sondern in Hollywood von der viktorianischen Literatur und in Frankreich von den Herren Henry Bourdeaux und Pierre Benoit. Mehr – oder schlimmer noch: Wenn ein amerikanischer Filmemacher sich ausnahmsweise einmal ein Werk von Hemingway [...] vornimmt, verwendet er dafür einen traditionellen Stil, der für jeden x-beliebigen Abenteuerroman genauso pas116
send wäre.«
Bazin zieht daraus jedoch nicht den Schluss, dass man, ohne den direkten Bezug zwischen Literaturvorlage und Adaption herzustellen, lieber nach einzelnen Filmen oder Filmsequenzen suchen sollte, die stilistisch der modernen Epik wenigstens partiell gerecht würden. Dabei nimmt er diese Entsprechungen jenseits der direkten Adaption durchaus zur Kenntnis: »bestimmte Episoden von PAISÀ etwa verdanken Hemingway (die Sümpfe) oder Saroyan (Neapel) sehr viel mehr
115 Vgl. ebd., S.181-183. 116 A. Bazin: Für ein unreines Kino, S.118-120.
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als Sam Woods FOR WHOM THE BELL TOLLS (WEM DIE STUNDE SCHLÄGT).«117 Bazin richtet aber seine Hoffnungen an diesen Aspekten vorbei auf die Zukunft und prognostiziert, dass die filmische Avantgarde vermittels der Literaturverfilmungen zu dieser Ästhetik aufschließen könne. Schönleber knüpft daher – gewissermaßen in einem Befreiungsschlag für Neapel und die Sümpfe aus der sie umklammernden Fabel – an die wissenschaftlichen und didaktischen Arbeiten Elisabeth K. Paefgens an. Paefgen schlägt Vergleiche intermedialer Wechselbeziehungen auch jenseits des adaptiven Transfers vor und führt solche auch durch. Sie ist im deutschsprachigen Raum diejenige Autorin, die dieses Verfahren nicht nur sporadisch, sondern systematisch vertritt und betreibt. Dabei hebt sie gerade die Differenzen der beiden Künste hervor und arbeitet diese an verschiedenen gemeinsamen Berührungspunkten heraus. Ihre Ausgangsthese (die sie durch diese diversen analytischen Konfrontationen belegt) ist, »dass es gerade die indirekten, nicht bewussten oder versteckten Bezüge zwischen filmischen und schriftlichen Erzählungen sind, die den Deutungsraum erweitern und zu neuen Auslegungsperspektiven nicht zuletzt für die ›vor-filmische‹ Literatur führen.«118 Maßgebliches Ziel ist dabei ein differenzierter Erkenntnisgewinn darüber, was die jeweiligen Künste mit den ihnen eigenen Mitteln vermögen, was sie aber auch einander voraushaben. Dieser letztere Gesichtspunkt wird sonst entweder, wie bei Bazin, doch eher zugunsten der Literatur behandelt, oder, wie bei Paech, eher verwischt, indem die distinkten Mittel funktional in den Dienst desselben Ergebnisses gestellt werden – der Erzählung. Auch Paefgen arbeitet das narrative Potential des Films heraus, macht dabei aber zwei entscheidende Aspekte deutlich: Erstens, dass sich der Film nicht umstandslos den erzählenden Künsten zuordnen lässt, seine Gemeinsamkeiten mit den darstellenden Künsten also auch im Vergleich mit epischen Texten nicht vergessen werden sollten. 119 Zweitens und daraus folgernd, dass sich Filme auch nicht im eigentlichen Sinne lesen lassen. Allerdings stellt sie fest, dass die Filmrezeption sich durch die Digitalisie-
117 Ebd., S.122. 118 Paefgen, Elisabeth K.: Einleitung. Produktive Einflussnahme. In. Wahlverwandte. Filmische und literarische Erzählungen im Dialog. Berlin: Bertz + Fischer 2009, S.7-11, hier S.9. 119 Vgl. Paefgen, Elisabeth K.: Einführung in die Literaturdidaktik. Weimar: J. B. Metzler 2006, S.176.
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rung potentiell der Rezeption schriftlicher Texte angenähert hat 120: Filme lassen sich zwar nicht »wortgetreu« zitieren, aber zielgenauer zurück- und vorspulen und in Standbildern anhalten. Sie lassen sich schriftlich mit derselben Apparatur kommentieren, mit der sie angesehen werden können. Nicht zuletzt ermöglicht die Digitalisierung den Rückgriff auf ein breites Angebot an paratextuellen Formaten, wie Audiokommentaren oder auch Untertiteln, die nicht nur übersetzen, sondern den Film auch wie Fußnoten erläuternd kommentieren können. Diese Entwicklung lässt sich in ihrer Bedeutung für den Film durchaus der Bedeutung vergleichen, die der Buchdruck für die Literatur hatte. Durch diese veränderten technischen Bedingungen lassen sich nun auch freiere Vergleiche zwischen literarischen Texten und Filmen anstellen. Es ist nicht mehr von derselben Bedeutung wie früher, die gemeinsame Fabel zweier Werke zu erinnern und als Makrostruktur auch des analytisch-detaillierten Vergleiches zu nutzen. Dies war noch in der Zeit der Fall, in der Filmwissenschaftler ebenso wie SchülerInnen auf Filmrollen in Archiven, die Programmgestaltung des Fernsehens und der Kinos oder auf Videoaufzeichnungen angewiesen waren. Dieser Zeit verdanken sich auch Verfahren, deren Ziel es ist, die Gesamtstruktur des Films festzuhalten, und die sich eben auch im besonderen Maße auf die Sequentialität der Einstellungen und Sequenzen konzentrierten. In tabellarischen Sequenzprotokollen oder empirischen Spannungskurven ließen sich schon aus Platzgründen die zahlreichen Schichten der Mise en Scène in der virtuellen Raumtiefe des Films nur begrenzt wiedergeben. Eher möglich ist das bei differenzierten Einstellungsprotokollen, die Schönleber befürwortet. 121 Diese Konzentration auf die kleinen Einheiten, die sich gegebenenfalls wiederholen und in Standbildern anhalten lassen, wird durch die Digitalisierung erst möglich, zumal im schulischen Umfeld. Demgemäß lassen sich Sequenzen und Textpassagen aus ihren narrativen Gesamtzusammenhängen lösen, um bestimmte gemeinsame Aspekte präzise zu vergleichen. Das bedeutet nicht, dass der gesamte Erzählzusammenhang eines Werkes vernachlässigt werden muss. Vielmehr wird der Umgang damit flexibler. Kurze Beispiele lassen sich etwa heranziehen, um nach der Gesamtlektüre oder -ansicht eines Werkes oder eben beider Werke die gemeinsame Schnittmenge beispielhaft zu erhellen. Es lässt sich aber auch durchaus allein mit Kurzfilmen oder Ausschnitten arbeiten, was unter den zeitlichen Rahmenbedingungen der Lehre in Universität und Schule von Vorteil sein kann.
120 Vgl. E. K. Paefgen: Einleitung, S.8. 121 Vgl. M. Schönleber: Schnittstellen, S.148.
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Auch unter kanonischen Gesichtspunkten wird die Wahl nicht beliebiger, aber freier.122 Einerseits können etablierte Klassiker der Filmgeschichte zu ebensolchen Klassikern der Literaturgeschichte in Bezug gesetzt werden, während es bis dahin nicht gerade die Regel war, dass Literaturverfilmungen einen vergleichbaren Rang erreichten wie ihre Vorlagen (worauf, wenn auch rückblickend, schon Bazin verweist). Das ist umso mehr von Bedeutung, als auch das kulturelle Erbe der deutschen Filmgeschichte im Bildungskontext immer noch wenig überliefert wird. Die international bis heute einflussreichen Werke des deutschen Stumm- und frühen Tonfilms etwa finden in deutschen Schulbüchern und Curricula erst in jüngerer Zeit Berücksichtigung. Auch in der außerschulischen Filmkultur bleiben Namen wie Karl Freund, Lotte Reiniger oder Michael Ballhaus Spezialwissen, auf die Verkündung eines Fritz-Lang-Jahres bleibt zu warten und erst 35 Jahre nach Erich Pommers Tod wurde nach ihm in seiner Geburtsstadt Hildesheim eine Straße benannt. Die Flexibilisierung von der Intermedialität und Intertextualität hin zur Transmedialität und Transtextualität kann aber ebenso auch mehr Selbstständigkeit gegenüber einer kanonischen Vorauswahl ermöglichen. 123 So lassen sich durchaus plausible Überleitungen zwischen Goethes »Die Leiden des jungen Werthers«124 und »Independence Day«125 finden, so bizarr diese Verwandtschaftsbeziehung auch erscheinen mag: In dem Roman »Tschick« 126 sorgt die Nennung des Science-Fiction-Filmtitels angesichts eines Wolkenphänomens für ähnliche Verbundenheit wie die Nennung Klopstocks in »Die Leiden des jungen Werthers«127. Auch im weiteren Verlauf schaffen gemeinsame Erinnerungen an Alieninvasions-Filme wie »Starship Troopers«128 Momente besonderer Intimität zwischen Tschick und seinem Freund Maik, die ihren Außenseiterstatus auf die Aliens projizieren.129
122 Vgl. E. K. Paefgen: Einführung in die Literaturdidaktik, S.187. 123 Vgl. ebd./Vgl. auch: M. Schönleber: Schnittstellen, S.184-185. 124 Goethe, Johann Wolfgang von: »Die Leiden des jungen Werthers«, in: Wilhelm Voßkamp/Waltraud Wietholter unter Mitarbeit von Christoph Brecht (Hg.): Goethes Werke. Jubiläumsausgabe. Vierter Band. Die Leiden des jungen Werthers. Wilhelm Meisters Lehrjahre, Frankfurt a.M./Leipzig: Insel 1998, S.7-102. 125 INDEPENDENCE DAY (USA 1996, R: Roland Emmerich). 126 Vgl. Herrndorf, Wolfgang: Tschick. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2014, S.111. 127 J. W. v. Goethe : Die Leiden des jungen Werthers, S.25-26. 128 STARSHIP TROOPERS (USA 1997, R: Paul Verhoeven). 129 Vgl. W. Herrndorf: Tschick, S.120.
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In jedem Fall aber lassen sich auch die Wünsche und aktuellen Interessen der SchülerInnen leichter berücksichtigen, lassen sich ihre medialen Erfahrungen einbringen und weiter entfalten, wenn der hermeneutische Horizont erweitert wird. Dabei bleibt in Paefgens Arbeiten von Bedeutung, dass der Digitalisierung zum Trotz das Sehen und Hören eines Films gänzlich anders funktioniert als das Lesen eines Textes im engeren Sinne. Die Aktivität des Filmzuschauers erhält bei ihr einen weit größeren Stellenwert als dies besonders im medienpädagogischen Diskurs zum Film traditionell üblich ist und als in vielen Werken der inter- und transmedialen Narratologie, die nicht auch von einem didaktischen Standpunkt aus denken. Dabei erscheint sie durchaus nicht selbstverständlich als eben dies – eine Aktivität, weil es der Zuschauer ist, der die vielfältigen audiovisuellen Codes des Films narrativ und perspektivisch zueinander ins Verhältnis setzt: »Ein »Bewußtsein bei der Arbeit zeigen« bedeutet eben auch Arbeit für das Bewusstsein desjenigen, der sieht: Ein solch ›denkendes‹ Sehen [...] ist uns so selbstverständlich geworden, dass wir es nicht mehr als besondere Rezeptionsleistung registrieren, aber es ist kennzeichnend für den Film, dass der Zuschauer sowohl den Sehenden als auch das Gese130
hene unablässig interpretieren muss.«
So wird, wie Matthias Lorenz zu Paefgens Ansatz schreibt, der Blick für die Möglichkeiten der filmischen Verfahren gerade durch den Blick auf die Beschränkungen der literarischen Verfahren geschärft und umgekehrt. 131 Elisabeth Bronfen hat 2004 ein Interpretationsverfahren unter der Bezeichnung »cross-mapping« vorgestellt,132 das sich in eine wechselseitig ergänzende Beziehung zu Paefgens Ansatz setzen lässt. Bronfen zeigt sich dabei von Stephen Greenblatt beeinflusst, wenn sie die Frage formuliert, wie kulturelle Gegenstände, Ausdrucksformen und Praktiken ihre treibende Kraft erhalten,
130 E. K. Paefgen: Dem Bewusstsein bei der Arbeit zusehen, S.116./Vgl. auch: E. K. Paefgen: Einführung in die Literaturdidaktik, S.179. 131 Lorenz, Matthias N.: »Filmnarratologie und Literaturdidaktik. Neue Ansätze zum filmischen Erzählen für den Unterricht«, in: Film im Literaturunterricht. Von der Frühgeschichte des Kinos bis zum Symmedium Computer, Freiburg im Breisgau: Filibach Verlag 2010, S.7-15, hier 14. 132 Vgl. Bronfen, Elisabeth: Liebestod und Femme fatale. Der Austausch sozialer Energien zwischen Oper, Literatur und Film, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004, S.10.
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über ihre Entstehungszeit hinaus wirksam zu bleiben. 133 Unter dieser Fragestellung vergleicht sie die Werke verschiedener Künste, auch wenn deren Genese sich in verschiedenen historischen Zeiträumen ereignet hat. 134 So verfährt der Vergleich anhand des adaptiven Transfers häufig auch, Paefgens und Bronfens Arbeit ist jedoch gemein, dass sie für andere, auch partikulare Vergleichsmomente sensibilisiert sind und sensibilisieren. Im Unterschied zu Paefgen wiederum widmet sich Bronfen vollständig einer transmedialen und -textuellen Motivforschung. Gegenüber den kulturgeschichtlichen Kompendien, die ihrerseits mittlerweile auch den Film miteinbeziehen, zeichnen sich ihre Arbeiten durch eine stärker achronologische Vorgehensweise aus. Allerdings deutet sie die Verarbeitung der Motive nicht durchgängig im unlösbaren Zusammenhang mit deren medienspezifischer Gestaltung. Im Vergleich zu Paefgens Arbeit sind die formalästhetischen Differentiale zwar auch durchaus präsent, aber werden stärker in den Dienst der vergleichenden Motivforschung gestellt. Bei Paefgen geben die Motive oft den Anlass dazu, die medienspezifische Bewältigung grundlegender Herausforderungen des Erzählens herauszuarbeiten. Sie sind dabei nicht beliebig gewählt, sondern im Gegenteil besonders dazu geeignet, ebensolche »Erzählprobleme« (so Schönlebers Begriff) zu veranschaulichen (so etwa 2003 die männliche Initiation im Akt des heimlichen Beobachtens bei E.T.A. Hoffmann und David Lynch).135 Wie Bronfen 2004 das »cross-mapping« beschreibt, weist dieses immerhin prinzipielle Parallelen zu Paefgens Ansatz auf: »Ich bezeichne damit das Aufeinanderlegen oder Kartographieren von Denkfiguren. Bei solch einer Lektüre sollen Ähnlichkeiten zwischen ästhetischen Werken aufgezeigt und festgehalten werden, für die keine eindeutigen intertextuellen Beziehungen im Sinne eines
133 Vgl. ebd., S.9. 134 Vgl. Bronfen, Elisabeth: »Männliche Halluzinationen und weibliche Vernunft«, in: Christine Rüffert, Irmbert Schenk, Karl-Heinz Schmidt, Alfred Tews, Bremer Symposium zum Film (Hg.): wo/man. Kino und Identität, Berlin, 2003, S.15-32./Vgl. auch Bronfen, Elisabeth: Tiefer als der Tag gedacht. Eine Kulturgeschichte der Nacht, München: Carl Hanser Verlag 2008. 135 Vgl. Paefgen, Elisabeth K./Reichelt, Ulla: »Seh-Schule und lecture-Kanon. Überlegungen zu einer Film-Literatur-Kanonbildung«, in: ide – Informationen zur Deutschdidaktik. Heft 4 (2003), S.36-44./Vgl. auch Paefgen, Elisabeth K.: »»Der Zweikampf war unvermeidlich« Männliche Initiationen in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann und in David Lynchs BLUE VELVET«, in: Elisabeth K. Paefgen: Wahverwandte. Filmische und literarische Erzählungen im Dialog, Berlin: Bertz + Fischer, 2009, S.36-52.
52 | V ERFOLGUNGSJAGDEN explizit thematisierten Einflusses festgemacht werden können. Dabei geht es auch um die Transformation, die sich durch die Bewegung von einer historischen Zeit in eine andere ergibt, und ebenso auch um die Bewegung von einem medialen Diskurs in einen anderen. [...] Dabei läßt sich sowohl das Zeitgenössische eines historischen Textes erkennen wie auch die Brisanz der Umschrift. [...] Vom medialen Überleben bestimmter Denkfiguren auszugehen erlaubt einem auch weniger gängige Entwicklungsbögen innerhalb unserer Kulturgeschichte nachzuziehen, Akzente anders zu setzen, und somit Figuren – personal 136
wie rhetorisch – in Texten zu entschlüsseln, die sonst keine Beachtung finden würden.«
Andere Akzente setzt Bronfen nicht nur mit den Begriffen der »Lektüre« oder der »Umschrift«, deren allgemeine Anwendbarkeit auf »Texte« in verschiedenen Medien Paefgen in Frage stellt. Bronfen interessiert sich verstärkt für Distanzund Näheverhältnisse zwischen Werken in einer kulturhistorischen Dimension. Diese Dimension wird bei Paefgen freilich auch vielerorts ausführlich berücksichtigt. Aber man darf sagen, dass bei ihr den Distanz- und Näheverhältnissen zwischen Werken in einer ästhetischen Dimension ein besonderes Interesse zukommt. Paefgen berücksichtigt aufgrund ihrer auch didaktischen Forschungen zudem stärker die Perspektive der Rezipienten, während Bronfen unter Rückgriff auf Greenblatt die sozialen Energien untersucht, die sich kulturhistorisch refigurieren. Beide Verfahren ergänzen sich also durch ihre Schwerpunktsetzungen und können voneinander profitieren, um sowohl die historische Distanz als auch die medienspezifisch ästhetische Distanz der Werke zueinander genau auszuloten. Bronfens Erkenntnisinteresse zu berücksichtigen, eröffnet zudem auch unter didaktischer Perspektive großes Potential für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Literatur- und Geschichtsdidaktik: »Dabei läßt sich sowohl das Zeitgenössische eines historischen Textes erkennen wie auch die Brisanz der Umschrift. Denn es zwingt einen zu fragen, warum eine bestimmte Refiguration im Laufe eines kulturellen Transfers unternommen wurde, bzw. was an der Refiguration für die Frage nach zeitgenössischer Wirkungskraft wichtig ist.«137 Seit dem späten 20. Jahrhundert wird Geschichtskultur selbst zum Gegenstand der historischen Forschung. In dieser entwickelte sich eine Tendenz, »die traditionelle Unterscheidung von seriöser und trivialer oder nicht-fiktionaler und fiktionaler Historie für irreführend«138 zu halten, sowie »immer weniger die so-
136 E. Bronfen: Liebestod und Femme Fatale, S.10-11. 137 Ebd., S.11. 138 Füßmann, Klaus: »Historische Formungen. Dimensionen der Geschichtsdarstellung«, in: Klaus Füßmann/Heinrich Theodor Grütter/Jörn Rüsen (Hg.): Historische
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zialen und gesellschaftlichen Strukturen der Vergangenheit, sondern deren kulturelle Manifestationen«139 zu beschreiben. Die postmoderne Verbindung einst sorgfältig voneinander getrennter Bereiche gilt auch für die historische Erinnerung: »Es sind gerade die visuellen Medien […], die […] durch die zeitgleiche Präsenz aller Räume und Epochen eine Verfügbarkeit über die Vergangenheit suggerieren, die jede Zeitdifferenz nivelliert. Eben diese scheinbare Gegenwärtigkeit und Verfügbarkeit negiert aber den Entwicklungszusammenhang und die Kontinuitätsvorstellung von Geschichte 140
und nimmt ihr jede Verbindlichkeit und damit letztlich den Sinn.«
Dennoch läuft der Geschichtsunterricht traditionell Gefahr, dort, wo er auf Spielfilme zurückgreift, häufig allein die »Fehler« der Fiktion gegenüber den historischen Daten aufzulisten. Diese Tendenz ist analog zu derjenigen des Deutschunterrichtes, die »Fehler« in der Adaption eines literarischen Textes zu suchen. Das Freiburger Filmcurriculum hat neben dem Deutschunterricht die musischen Fächer Kunst und Musik berücksichtigt, 141 es ließe sich diesbezüglich erweitern.142 Nicht zuletzt werden literarische Texte und auch Filme im Deutschunterricht häufig in Hinblick auf historisch und sozial relevante Sujets behandelt und diskutiert. Die gesellschaftspolitische Enkulturation vermittels literarischer Diskurse (z. B. Literatur zu Krieg und Nationalsozialismus, Strafverfolgung oder Außenseitertum) ist offensichtlich ein Kriterium der Lektüreauswahl und curricularen Empfehlung. Das gilt auch für die fachliche Integration des Films: So finden sich zum Rahmenthema »Filmisches Erzählen« im Niedersächsischen
Faszination. Geschichtskultur heute, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1994, S.27-44, hier S.27. 139 Grütter, Heinrich Theodor: »Warum fasziniert die Vergangenheit? Perspektiven einer neuen Geschichtskultur«, in: Klaus Füßmann/Heinrich Theodor Grütter/Jörn Rüsen (Hg.): Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1994, S.45-60, hier S.50. 140 Ebd., S.48. 141 Vgl. Fuchs, Mechthild/Klant, Michael/Pfeiffer, Joachim/Staiger, Michael/Spielmann, Raphael: »Freiburger Filmcurriculum. Ein Modell des Forschungsprojekts »Integrative Filmdidaktik« (Pädagogische Hochschule Freiburg)«, in: Der Deutschunterricht 3, 2008, S.84-90. 142 Erste Vorschläge macht: Müller, Ines: Filmbildung in der Schule. Ein filmdidaktisches Konzept für den Unterricht und die Lehrerbildung, München: KoPäd 2012, S.137/S.207-219.
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Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe von 2009 folgende Wahlpflichtmodule: »Der Erste Weltkrieg in Film und Literatur«, »Zum Umgang mit Macht und Ohnmacht – Verfolgung und Vernichtung in der NS-Zeit« und »Unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben in der DDR«143. Ostdeutsche Literatur zwischen 1949 und 1989 findet sich in diesem Curriculum etwa maßgeblich im Wahlpflichtmodul »Abschied von der DDR«144 und eher punktuell auch unter anderen Gesichtspunkten wieder (Plenzdorfs Adoleszenzroman »Die neuen Leiden des jungen W.« ist solch eine Ausnahme145). Auch im Sinne einer literaturgeschichtlichen Zuordnung oder einer Medienkritik als Ideologiekritik, ob nun bezogen auf aktuelle oder vergangene Ereignisse, kann es aber hilfreich sein, Beziehungen zwischen diesen Ereignissen und Kunstwerken nicht nur über die gemeinsame Fabel zu suchen. Geschichte im Spielfilm kann dem Publikum auf sechs verschiedenen Wegen begegnen, die sich freilich untereinander ebenso überschneiden können wie mit den Wegen der Geschichte durch die fiktionale epische Literatur. Da sind erstens Filme, die keine geschichtlichen Sujets haben, jedoch Quellen ihrer Entstehungszeit sind. Auch ein Science-Fiction-Film wie »2001 – Odyssee im Weltraum«146 von 1968 behandelt mehr oder weniger verschlüsselt Themen wie den Kalten Krieg und deutlich ist die Innenausstattung der Raumschiffe vom Möbeldesign der 60er Jahre geprägt. Es gibt keinen Grund, warum man sich nicht auf historisch-kritische Art mit solchen Filmen in der Forschung auseinandersetzten sollte. Es kann unter diesem Aspekt auch fruchtbar sein, die Rezeptionsgeschichte eines solchen Films zu untersuchen, wie im Fall des Films »Eins, zwei, drei«147, einer Komödie über das geteilte Berlin, die kurz nach dem Mauerbau anlief und in der Bundesrepublik zunächst kein Erfolg war, dort in den 1980er Jahren dagegen zum Kultfilm avancierte. Zweitens suchen Filme mitunter rein ästhetische Anleihen in der Geschichte. Unter diese Kategorie dürften vor allem die phantastischen Genres fallen, da hier die Verpflichtung zur milieu- und zeitgenauen Akkuratesse nicht gegeben ist. So
143 Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für das Gymnasium – gynmasiale Oberstufe, die Gesamtschule – gymnasiale Oberstufe, das Fachgymnasium, das Abendgymnasium, das Kolleg. Deutsch, Hannover 2009, S.54-58. 144 Vgl. ebd., S.43. 145 Vgl. ebd., S.41. 146 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM (2001 – A SPACE ODYSSEE, USA 1968, R: Stanley Kubrick). 147 EINS, ZWEI, DREI (ONE, TWO, THREE, USA 1961, R: Billy Wilder).
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gemahnen im »Star-Wars«-Franchise148 die braune Uniform des Schurken Tarkin und der schwarze Mantel seines Verbündeten Darth Vader an die Uniformen und Gestapomäntel des Nationalsozialismus, Vaders Helm und sein Kriegerethos dagegen an die japanischen Samurai, während die Physiognomie des weisen Yoda Winston Churchill nachempfunden ist. So ist der »Krieg der Sterne« fortwährend mit Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg durchsetzt. Hier ist die Geschichte tatsächlich ein reiner »Variety Pool«149. Historische Erinnerung funktioniert dabei für das Publikum weitgehend unterbewusst. Allerdings sind die Referenzen nicht beliebig, da bestimmte, leicht verfremdete historische Symbole auch bestimmte Assoziationen erzeugen, die der Charakterisierung der Figuren dienlich sind: Der braun uniformierte Tarkin, der ganze Planeten auslöscht, ist ein Technokrat des Genozids, der »SS-Samurai« Vader ein Elitekämpfer des Bösen, Yoda auf seinem verregneten Sumpfplaneten (England) ist die kleine, aber tapfere Hoffnung der Galaxie. Filme der dritten Kategorie spielen in Zeiträumen, die vom Standpunkt ihrer Herstellungszeit aus betrachtet bereits historisch geworden sind. Die Handlungen sind aber abgesehen von diesem Zeitkolorit völlig fiktional. Die meisten Western etwa sind nicht im eigentlichen Sinne Historienfilme, weil Handlung und Figuren frei erfunden sind. Dennoch stellen sie eine deutliche Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her, indem sie Konflikte, die für eine frühere Zeit typisch waren (oder stereotyp), mit Konflikten der heutigen Zeit vergleichen. Der Erfolg der Karl-May-Verfilmungen etwa in der Bundesrepublik der 1960er Jahre rührte auch von folgendem immer wiederholten Muster her: Weiße Verbrecher schikanieren die Indianer, einige gute Weiße dagegen stellen die Harmonie wieder her, indem sie die Verbrecher bestrafen und das Ansehen der weißen Rasse vor den Indianern retten. Die den deutschen Zuschauer entlastende
148 KRIEG DER STERNE/DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK (THE EMPIRE STRIKES BACK, USA 1980, R: Irvin Kershner)./DIE RÜCKKEHR DER JEDI-RITTER (RETURN OF THE JEDI, DUNKLE
USA 1983, R: Richard Marquand)./STAR WARS – EPISODE I: DIE
BEDROHUNG (STAR WARS – EPISODE I: THE PHANTOM MENACE, USA
1999, R: George Lucas)./STAR WARS – EPISODE II: ANGRIFF DER KLONKRIEGER (STAR WARS – EPISODE II: ATTACK OF THE CLONES, USA 2002, R: George Lucas)./STAR WARS – EPISODE III: DIE RACHE DER SITH (STAR WARS – EPISODE III: REVENGE OF THE SITH, USA 2005, R: George Lucas). 149 Vgl. Bolz, Norbert: »Das Happy End der Geschichte«, in: Rosmarie Beier (Hg.): Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2000, S.53-69, hier S.67.
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Wirkung des Happy Ends verstärkt sich noch dadurch, dass die Verbrecher meist US-Amerikaner sind, der übliche Held Old Shatterhand dagegen ein deutscher Abenteurer150. Der Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern relativiert die eigenen Schuldgefühle gegenüber den Opfern der erst kurz zurückliegenden NS-Diktatur. Die vierte Kategorie von Filmen lässt historisch belegte Personen auftreten oder stellt historisch belegte Ereignisse dar, rückt sie jedoch nicht in den Mittelpunkt der ansonsten frei erfundenen übrigen Handlung des Films. So tritt in »Indiana Jones und der letzte Kreuzzug«151 zwar kurz Adolf Hitler auf und eine Bücherverbrennung wird gezeigt, doch geht es in erster Linie um die fiktionalen Abenteuer der Titelfigur. Die historischen Ereignisse haben hier die Funktion, durch ihre weltpolitischen Konsequenzen Jones’ Reisen quer über die Kontinente in Gang zu bringen. Zudem bieten die Nationalsozialisten, deren fatale Rolle in der Geschichte dem (auch deutschen) Kinopublikum mehrheitlich bewusst ist, ideale Bösewichte, gegen die der Held umso strahlender aussieht. Sein Einsatz von Gewalt – für das Gelingen eines Actionfilms beinahe unumgänglich – wird durch die Tragweite der nationalsozialistischen Verbrechen von vielen Zuschauern akzeptiert. Die fünfte Kategorie bilden jene Filme, die historische Ereignisse ins Zentrum ihrer Handlung stellen. Diese Ereignisse können dabei mehr oder weniger exakt nachgestellt werden. Falls sich ein Film inhaltlich sehr genau an den derzeitigen Forschungsstand hält oder sich sogar in den Dialogen auf Originalprotokolle beruft, wie in »Der Totmacher«152 oder »Sophie Scholl – Die letzten Tage«153, sind hier dennoch ästhetische Momente zu beachten, die es so bei Dokumentationen nicht oder anders gibt. Abgesehen von der Frage, welche Ereignisse ausgewählt und wie diese angeordnet werden, wird der Gehalt des Werkes durch eine spezifisch filmische Form erzeugt. Dabei sind Musikuntermalung, Kameraeinstellungen, Schnittfolge, schauspielerische Gestaltung und Beleuchtung entscheidend dafür, wie das historische Ereignis interpretiert und bewertet wird. Die Interpretation kann dramaturgisch motiviert sein – wie die Entscheidung, Andreas Baader am Ende von »Baader«154 im Kugelhagel der Polizei sterben zu lassen und nicht wie die historische Person in einer Gefängniszelle –, dabei aber
150 Z. B, in: OLD SHATTERHAND (BRD/FR/IT/JUG 1964, R: Hugo Fregonese). 151 INDIANA JONES UND DER LETZTE KREUZZUG (INDIANA JONES AND THE LAST CRUSADE, USA 1989, R: Steven Spielberg). 152 DER TOTMACHER (DE 1995, R: Romuald Karmaker). 153 SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE (DE 2005, R: Marc Rothemund). 154 BAADER (DE 2002, R: Christopher Roth).
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politische Konsequenzen haben – in diesem Fall etwa die Romantisierung der RAF. Im Übrigen gilt auch hier, dass diese Interpretation der Vergangenheit natürlich aus der multiplen Perspektive erfolgt, aus der heraus dieser Film entstanden ist: Welchem Milieu/System/Geschlecht/politischen Lager gehört die Filmcrew, beziehungsweise das Zielpublikum an, in welchem Staat zu welcher Zeit wird der Film produziert? Die sechste Kategorie von Filmen schließlich weist das Publikum meist explizit auf die Brüche hin, die zwischen der Gegenwart und der im Film heraufbeschworenen Epoche liegen, indem sie diese Brüche auf irritierend direkte Weise aufheben. Die Rede ist von Geschichtsparodien, die meist mit betonten Anachronismen arbeiten. Insofern täuschen sich die christlichen Kritiker von »Monty Pythons ´Das Leben des Brian`«155, da der Film sich nicht über das Christentum in der Antike lustig macht, sondern über die zersplitterte linke Szene, das esoterische Sektierertum und die fortschreitende sexuelle Revolution der 1970er Jahre, wobei der Kontrast zwischen der historischen und religiös-mystischen Szenerie einerseits und den zeitgenössischen Dialogen andererseits für einen großen Teil der Komik sorgt. An diesen verschiedenen Erscheinungsformen historischer Erinnerung im Spielfilm erweist sich somit, dass sich auch die geschichtlichen und ideologischen Dimensionen der fiktionalen Literatur vermittels des Spielfilms auch dann erschließen lassen, wenn ein zeitlicher Abgrund zwischen den jeweiligen Werken klafft, der nicht über den direkten adaptiven Transfer überbrückt wird. Wenn ein jüngerer Film zum Beispiel im Deutschunterricht eingesetzt wird, um einen älteren Erzähltext zu erschließen (oder umgekehrt), musst das nicht nur eine Motivationshilfe für die SchülerInnen darstellen, deren Erfolgsgarantie ohnehin nicht gegeben wäre.156 Ein solches cross-mapping bezieht seine Relevanz vielmehr in Bronfens Worten aus dem Wechselspiel zwischen der Gesetzmäßigkeit des kulturellen Erbes und den symbolischen Gesetzen, die dieses tradieren und reformulieren.157 Um dieses Verfahren theoretisch zu begründen und einzuordnen, gilt es im Folgenden zurückzuverfolgen, wie die Filmkunst in Abgrenzung zur Literatur definiert und bewertet wurde. In der kritischen Auswertung dieser Vergleiche soll aber gerade das Trennende zwischen Literatur und Film herausgearbeitet werden – auch dort, wo die Forschungsliteratur bisher tatsächliche oder ver-
155 MONTY PYTHON’S ›DAS LEBEN DES BRIAN‹ (MONTY PYTHON’S LIFE OF BRIAN, GB 1979, R: Terry Jones/Terry Gilliam). 156 Vgl. M. Schönleber: Schnittstellen, S.184-185. 157 Vgl. E. Bronfen: Liebestod und Femme Fatale, S.19.
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meintliche Analogien gesucht hat. Im Bestreben, über die bisherigen Vergleiche hinauszugehen, wird dabei ein filmischer Nullpunkt der Narration gesucht. Diese Suche soll sich aber eben nicht auf avantgardistische, »totale Filme« erstrecken, sondern auf Spielfilme, die sich unbestritten durch ihren narrativen Anteil auszeichnen. Die Anwendung und Ausweitung literaturwissenschaftlicher Termini auf den Spielfilm kann an sich konstruktiv sein, wie nicht zuletzt Paefgen zum Beispiel in ihrer (film-)narratologischen Analyse des Romans »Mutmaßungen über Jakob«158 und des Films »Hiroshima, mon amour«159 aufzeigt.160 Solche und andere Vergleiche setzen aber das Bewusstsein voraus, dass es im Spielfilm einen Überfluss gibt, der sich nicht restlos in der Erzählung auflösen kann. Dieses Bewusstsein ist aber, wie sich zeigen wird, bei anderen Autoren keineswegs immer gegeben. Und dort, wo es vorhanden sein dürfte, wird es zu sehr vernachlässigt, um durchzudringen (insbesondere durchzudringen bis hin in einen berufspraktischen Umgang mit dem Film im Bildungskontext). Aus diesem Grund wird auch der Begriff der »Erzählprobleme«, den Schönleber einer themenzentrierten Kontextualisierung literarischer und filmischer Werke zugrunde legt,161 im Kontext der vorliegenden Arbeit nicht übernommen. Damit bleibt unbestritten, dass die Klärung solcher Probleme ein Hauptinteresse des Deutschunterrichtes darstellt. Eine Systematik transmedialer Erzählprobleme beziehungsweise -herausforderungen wäre insofern hilfreich, als sie (nicht nur) für Schule und Universität bereits einen Großteil an Fragestellungen grundieren könnte. Vorgeschlagen sei hier aber, über eine solche Systematik hinauszugehen. So hat Joachim Paech die Hoffnung geäußert, es könne »einer künftigen Theorie der Intermedialität als transformatives Verfahren gelingen [...], analog etwa zu den Figuren der Intertextualität [...], und anknüpfend an die Darstellung ›intermedialer Konfigurationen‹ [...] eine historisch begründete Systematik der Figurationen der Intermedialität, zum Beispiel im Film, aber auch in anderen medialen Konstellationen herauszuarbeiten.«162Um dieser Vorgabe nachzukommen – wenn auch nur in Bezug auf Film und Literatur, dafür aber unter transmedialen und nicht allein interme-
158 Johnson, Uwe: Mutmaßungen über Jakob. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1959. 159 HIROSHIMA, MON AMOUR (FR/JP 1959, R: Alain Resnais). 160 Vgl. Paefgen, Elisabeth K.: »Was für ein Erzähler?! Versuch einer (film-) narratologischen Analyse von Uwe Johnsons Roman Mutmassungen über Jakob«, in: Elisabeth K. Paefgen: Wahverwandte. Filmische und literarische Erzählungen im Dialog. Berlin: Bertz + Fischer 2009, S.21-35. 161 Vgl. M. Schönleber: Schnittstellen, S.184. 162 J. Paech: Intermedialität, S.469.
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dial adaptiven Gesichtspunkten –, muss also der nur allzu evident scheinende Zusammenhang zwischen literarischem Erzähltext und Spielfilm zunächst aufgebrochen werden. Aufgebrochen werden muss also auch auf einer abstrakteren Ebene der Zusammenhang zwischen Erzählung und Darstellung, ja, zwischen Linearität und Simultaneität. Von diesem Nullpunkt aus lassen sich Literatur und Film dann wieder einander annähern, hinsichtlich der doch zahlreichen Berührungspunkte, die sie miteinander auf den verschiedensten Ebenen aufweisen. Begonnen wird dieses Unterfangen an dieser Stelle mit einem historischen Zeitraum, in dem sich Filmtheoretiker und -praktiker besonders vehement von der Tradition des »bürgerlichen«, psychologisch-realistischen Romans abgesetzt haben. Die Rede ist von der Gründungsphase der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, um das Jahr 1922.
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1.3 D IALEKTIK
DER
M ONTAGE
Soll die Maschine Film Fahrt aufnehmen, ist Literatur für Dsiga Wertow nur Sand im Getriebe. Im Vorbeistürmen bedankt er sich im Manifest der »Kinoki« bei den für ihn 1922 schon wieder überkommenen Strömungen des Kinos, wie dem amerikanischen Abenteuerfilm, für die Beschleunigung der Schnittfrequenz und die Einführung der Großaufnahmen.163 Sie sind jedoch noch nicht schnell und selektiv genug, um die Psychologie abzuhängen, die aus den älteren Künsten herrührt und den Film und somit auch den Zuschauer daran hindert, zu der ihm gemäßen, reinen Form zu finden: »Wir säubern die Filmsache von allem, was sich einschleicht, von der Musik, der Literatur und dem Theater; wir suchen ihren nirgendwo gestohlenen Rhythmus und finden ihn in den Bewegungen der Dinge. Wir fordern auf: Weg Von den süßdurchfeuchteten Romanzen, vom Gift des psychologischen Romans, aus den Fängen des Liebhabertheaters, 164
mit dem Rücken zur Musik!«
Mit der Suche nach dem Filmalphabet, auf welche die Kinoki sich Wertow zufolge begeben sollen,165 ist somit keineswegs der Versuch gemeint, den Film linguistisch oder semiologisch zu erforschen und seine Zeichen zu definieren und systematisieren. Stattdessen strebt Wertow eine ästhetische Vervollkommnung an, die sich nur in der Absage an eine fiktionale Handlung und an den Menschen als Handlungsträger verwirklichen könne. Wertow grenzt sich namentlich nur von der Epik ab, die als Ausdrucksform des »langen« 19. Jahrhunderts und des sich darin »herumwälzenden Bürger[s]«166 betrachtet wird. Er sitzt dabei jedoch nicht einer reduzierten Auffassung der Literatur an sich auf, da der
163 Wertow, Dsiga: »Wir. Variante eines Manifestes [Aus dem Russischen von Hermann Herlinghaus]«, in: Dsiga Wertow. Aufsätze. Tagebücher. Skizzen (Dsiga Wertow/Statji/Dnewniki/Samysly). Zusammengestellt und eingeleitet von Sergej Drobaschenko. Auswahl und Redaktion der deutschen Ausgabe: Hermann Herlinghaus/Mitarbeit: Rolf Liebmann, Berlin: Institut für Filmwissenschaft 1967, S.53-57. 164 Ebd., S.54. 165 Ebd., S.56. 166 Ebd., S.55.
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Spielfilm der Stummfilmzeit seine Stoffe maßgeblich aus den Erzähltexten (und Dramen) dieser Zeit bezieht. Auch weiterhin wird die Epik des neunzehnten Jahrhunderts eine maßgebliche Referenz für Vergleiche zwischen den beiden Künsten bleiben, von der Theorie der sowjetischen Formalisten bis zur Fernsehkritik im Jahre 2014 und – darauf wird dieses Buch an späterer Stelle näher eingehen – gerade im Diskurs der deutschsprachigen Filmpädagogik durchaus darum bemüht, den Film durch das Aufzeigen von Analogien aufzuwerten. Wertow hingegen lehnt eine Synthese aus Film und psychologischem Roman ab, weil eine inhaltliche Entsprechung beider nicht in einem rein filmischen Rhythmus getaktet werden kann. Die Maschine hingegen stellt ein ideales Objekt des Films dar, weil der Film selbst mit technischen Apparaten und Verfahrensweisen geschaffen wird; Wertow bedient sich jedoch durchaus der Begriffe der Metrik, um den Rhythmus dieser Maschine zu beschreiben, so schreibt er wiederholt vom »Jambus«167 der vier Dimensionen des Films (Linie, Fläche, Raum und Zeit). Unter formalen Gesichtspunkten wird der Film somit noch mit literarischen Termini erfasst beziehungsweise stellt die Maschine das Vorbild eines neuen Menschen dar, der nach rhythmischen Gesetzen organisiert ist wie ein einem Versmaß folgendes Gedicht. Der Roman und das romanhafte Erzählen im Film sind nach Wertows Auffassung demgegenüber nicht (oder nicht mehr) dazu geeignet, das Wesentliche aus dem Chaos der Wahrnehmungen herauszuarbeiten. Gerade die Reduktion verhilft dem Zuschauer also zur Orientierung, freilich im Sinne der Blicklenkung durch die kontrollierenden Filmemacher. Mit fortschreitender Souveränität des Filmschnitts über das Kameraobjekt Mensch ist es insofern auch nicht länger notwendig, sich auf die Darstellung von Traktoren und Sägemaschinen anstelle etwa menschlicher Tanzvergnügen zu konzentrieren, wie Wertow 1922 noch fordert.168 Bereits 1923 erläutert er das Prinzip des gelungenen Filmschnitts am Beispiel einer Ballettsequenz: »Ich lasse den Zuschauer so sehen, wie es mir für dieses oder jenes visuelle Phänomen am geeignetsten scheint. Das Auge unterwirft sich dem Willen der Kamera und wird von ihr auf jene folgerichtigen Handlungsmomente eingestellt, die auf knappstem und deutlichstem Wege die Filmphrase zur Höhe oder Tiefe ihrer Lösung führen. [...] Das System der aufeinanderfolgenden Bewegungen erfordert eine Aufnahme der Tanzenden [...] mit einer
167 Ebd., S.54/S.55. 168 Ebd., S.54.
62 | V ERFOLGUNGSJAGDEN gewaltsamen Verlagerung der Augen des Zuschauers auf jene Abfolge von Details, die man unbedingt sehen muß.
169
Wertow verkündet weiterhin, das Kino brauche »von heute ab keine psychologischen und keine Detektivdramen mehr. [...] Von heute ab keine Inszenierungen Dostojewskis und auch nicht Nat Pinkertons.«170 Schon da Wertow den Spielfilm zugunsten dokumentarischer Formen ablehnt, findet seine puristische Radikalität bei den im Folgenden zitierten Autoren der sowjetischen Filmtheorie keine Entsprechung (umso mehr, als das Konzept der permanenten Revolution und mit ihr auch die künstlerisch-revolutionäre Avantgardebewegung nach Stalins Wechsel an die Spitze des Zentralkomitees nach und nach verworfen wurde171). Dennoch bleibt ein wesentlicher Aspekt seiner Äußerungen in Hinblick auf Literatur und Film auch bei ihnen evident: Analogien zwischen dem künstlerisch hochwertigen Film und der Literatur werden eher in Bezug auf Lyrik als auf Epik gesehen, da die Grundlage der Filmkunst in der Montage verortet172 und diese mit Bauformen der Metrik verglichen wird. Victor B. Šklovskij unterschied 1927 die Gattungen des Films der Prosa und des Films der Poesie, wobei im letzteren »eine ganze Reihe semantischer Lösungen durch eine rein formale geometrische Lösung ersetzt«173 werde. Šklovs-
169 Wertow, Dsiga: »Kinoki-Umsturz«, in: Dsiga Wertow. Aufsätze. Tagebücher. Skizzen (Dsiga Wertow/Statji/Dnewniki/Samysly). Zusammengestellt und eingeleitet von Sergej Drobaschenko. Auswahl und Redaktion der deutschen Ausgabe: Hermann Herlinghaus/Mitarbeit: Rolf Liebmann, Berlin: Institut für Filmwissenschaft,1967, S.65-75, hier S.69-70. 170 Ebd., S.75. 171 Vgl. Bullock, Alan: Hitler und Stalin. Parallele Leben. (Hitler and Stalin. Parallel Lives. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber und Helmut Ettinger). Berlin: Wolf Jobst Siedler Verlag 1991, S.541-544./Hildermeier, Manfred: Geschichte der Sowjetunion. 1917-1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates. München: C. H. Beck 1998, S.563-580./Figes, Orlando: Natasha’s Dance. A Cultural History of Russia. London: Penguin Books 2002, S.451-478. 172 Vgl. Pudowkin, Wsewolod I.: »Filmregie und Filmmanuskript. Einführung zur ersten deutschen Ausgabe«, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart: Phillip Reclam 1998, S.70-73, hier S.70. 173 Šklovskij, Victor B.: »Poesie und Prosa im Film«, in: Wolfgang Beilenhoff (Hg.): Poetika Kino. Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus (Aus dem
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kij macht freilich deutlich, dass die Unterschiede zwischen Poesie und Prosa fließend sein können. Insofern könnte beispielsweise das Versepos (beziehungsweise das russische Poem) als eine passende literarische Entsprechung des Films betrachtet werden, jedoch geht Šklovskij so weit, den vershaften Film als sujetlosen Film zu bezeichnen.174 Es genügt daher nicht als Distinktionsmerkmal, wenn der narrative Zusammenhang rhythmisch organisiert ist, vielmehr muss der Rhythmus des Filmschnitts den narrativen Zusammenhang dominieren oder auch dekonstruieren. Dafür ist auch hier das Tempo maßgeblich, wenn die Einstellungen »nicht dazu kommen, sich voll zu verwirklichen«175. Anders als in Wertows filmischen Ideal gehen jedoch Bedeutung und Bewegung nicht ineinander auf. Vielmehr trägt die Schnittgeschwindigkeit unter anderen filmischen Mitteln zur Vieldeutigkeit der Bilder bei. Zu diesen weiteren Mitteln gehören Doppelbelichtung, symbolische Bezüge der Bilder zueinander oder auch repetitive Einstellungen. Šklovskij kritisiert an Wertow ein Jahr zuvor, dass dieser seine Bilder aus ihrem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang schneiden, sie somit also enthistorisieren würde.176 Er bemängelt, dass Wertow die Verbindung mit den Massen (vor und hinter der Kamera) nicht mehr herstellen würde177 – beides keine leichtwiegenden Vorwürfe im Zeichen von Stalins Machtzunahme. Zwar bezeichnet auch Šklovskij den Roman als sterbende Kunstform, 178 lehnt jedoch den Grad der Abstraktion in Wertows Werken ab, weil sie sich nicht mehr als Ideologieträger eignen.179Dementsprechend ist die »Filmsprache«180 Šklovskijs Auffassung zufolge auch unter Stummfilmbedingungen keine international voraussetzungslos verständliche Weltsprache, anders als etwa in Béla Ba-
Russischen von Wolfgang Beilenhoff), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2005, S.130-133, hier S.131. 174 Ebd., S.133. 175 Ebd., S.132. 176 Šklovskij, Victor B.: »Wohin schreitet Dziga Vertov?«, in: Wolfgang Beilenhoff (Hg.): Poetika Kino. Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2005, S.285-288, hier S.287. 177 Ebd., S.288. 178 Ebd., S.285. 179 Ebd., S.288. 180 Šklovskij, Victor B.: »Über die Filmsprache«, in: Wolfgang Beilenhoff (Hg.): Poetika Kino. Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus. (Aus dem Russischen von Wolfgang Beilenhoff), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2005, S.203207, S.206.
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lázs’ »Der sichtbare Mensch«181 (siehe Kapitel 2.1 und 2.2 dieser Arbeit). Je nach kulturellem und politischem Kontext können durchaus Hindernisse darin erwachsen, die »Filmdialekte«182 zu verstehen, wie besonders das Genre der Komödie mit dem ihm eigenen Brüchen von Seherwartungen erweist. Ein Publikum, »dass die Literatursprache nicht kennt, [...] [sei auch ein Publikum, das] die Komik einer Abweichung von dieser Sprachnorm nicht wahr[nimmt].«183 Die Bedeutungshaftigkeit der einzelnen Einstellungen sollten die Regisseure nicht ignorieren, denn der Preis wäre die Kommunikation mit dem Publikum; sie erfolgt maßgeblich aus der suggerierten Tiefe des filmischen Raums heraus in den Zuschauerraum.184 Ungeachtet dieser vertieften räumlichen Dimension vergleicht Šklovskij den Film als Kommunikationssystem mit der chinesischen Kalligraphie, der er in seiner Position zwischen Zeichnung und Wort ähnele. Gleichwohl kommt aber auch hier der Montage die entscheidende Rolle der Syntax und Etymologie zu, um diese Sprache erlernen und die Bilder in ihrer bedeutungshaften Tiefe aufeinander beziehen zu können.185 Die Bedeutung des Filmschnitts erweitert sich hier also hinaus über den einer nicht näher differenzierten »Metrik«, die im Grunde jeden Inhalt in eine bestimmte Form zwingen kann. Nun wird ihr auch die inhaltliche Organisation weitgehend überantwortet. Diese hat in der Syntax der indoeuropäischen Sprache allerdings nur im übertragenen Sinne eine Entsprechung, da etwaige elementare Zeichen des Films bei Šklovskij doch eher vage als konventionelle Motive erscheinen, die offenbar auch kulturell verschieden und historisch gewachsen sind (er nennt etwa das Beispiel eines Afroamerikaners, der Würfel spielt, und der dem US-Publikum alltäglich, dem russischen Publikum jedoch exotisch erscheine186). Die sprach- und literaturbezogenen Termini bleiben letztlich weitgehend metaphorisch, da stets nur von einem bestimmten Idealbild des Films aus argumentiert wird, das eine bestimmte Kommunikation mit dem Publikum verwirklichen soll: »Der Film bedarf der Handlung, bedeutungshafter Bewegung genauso wie die Literatur des Wortes
181 Vgl. Balázs, Béla: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenössischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kästner, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2001. 182 V. B. Šklovskij: Über die Filmsprache, S.206. 183 Ebd., S.206. 184 Ebd., S.204-205. 185 Ebd., S.205. 186 Ebd., Über die Filmsprache, S.206.
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[...]. Die Kinematographie bedarf einer Anhäufung von Konventionen, die die Stelle der Kasusendungen in der Sprache einnehmen.«187 Auch ein handlungsorientierter Spielfilm kann freilich innerhalb derselben längeren Einstellung nicht nur Bedeutung generieren, sondern auch einem internationalen Publikum zugänglich bleiben. Dazu muss man nicht unbedingt Hitchcocks »Cocktail für eine Leiche«188 bemühen, der aus acht je zehnminütigen Einstellungen besteht (allerdings tatsächlich kein großer Publikumserfolg war); auch die langen Plansequenzen, die sich mit einer immer beweglicheren Kamera verwirklichen ließen, von »Im Zeichen des Bösen«189 bis hin zu »The Player«190 und »Boogie Nights«191 legen davon Zeugnis ab. Die »entfesselte Kamera« war zwar bereits entwickelt, als Šklovskijs Text über die Semantik des Films veröffentlicht wurde. Dies sollte jedoch nicht dazu verleiten, in ihm eine gescheiterte linguistische Forschungsarbeit zu sehen. Er hat weit mehr den Charakter einer Poetik. Gleichwohl könnte der Vergleich zwischen der Rhythmik von Montage und in einem weiteren Sinne lyrischer Sprache weiterhin tragfähig bleiben. Es bliebe aber zu beachten, dass die Rhythmik des Films sich parallel dazu eben auch der Geschwindigkeit der Kamerabewegung, der Choreographie der Schauspieler und Objekte sowie Techniken wie der Zeitlupe und des Zeitraffers verdankt, nicht zu vergessen der Filmmusik – all dies Mittel, die etwa im »westlichen« Kino der 1980er Jahre unter dem Einfluss der Clipästhetik der Musik- und Werbevideos zu Synthesen in bis dahin ungekannter Verdichtung gediehen, aber kaum dem Montagekonzept der sowjetischen Filmtheoretiker entsprachen (dann schon eher noch der impressionistischen Filmbewegung im Frankreich der 1920er Jahre). In der sich konsolidierenden Sowjetunion durfte der Film in seinen Eigenschaften als Massenmedium und als Komposition von Bewegung zunächst als die dem Marxismus-Leninismus adäquate Kunstform gelten (»Aber ich schreibe einen Artikel und schaue mich um: Wo sind meine Leser? Ach, sie
187 Šklovskij, Viktor B.: »Die Semantik des Films«, in: Wolfgang Beilenhoff (Hg.): Poetika Kino. Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus (Aus dem Russischen von Wolfgang Beilenhoff), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2005, S.231-234, hier S.232. 188 COCKTAIL FÜR EINE LEICHE (ROPE, USA 1948, R: Alfred Hitchcock). 189 IM ZEICHEN DES BÖSEN (TOUCH OF EVIL, USA 1958, Regie: Orson Welles). 190 THE PLAYER (USA 1992, R: Robert Altman). 191 BOOGIE NIGHTS (USA 1997, R: Paul Thomas Anderson).
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sitzen im Kino!« schließt Boris Ėjchenbaum seinen Text über die Frage, ob der Film als Kunst gelten dürfe.192). Die Montagetheorie war entsprechend dialektisch und dialektisch auch die Perspektive auf die Literatur, dort wo sie wertvolle Bezugsgröße sein konnte. Sowohl Wsewolod I. Pudowkin als auch Sergei Eisenstein griffen in ihren Schriften auf literarische Beschreibungen als Beispiele zurück, so Pudowkin 1928: »Schlage ich ein Buch auf und lese: »das zarte Grün einer jungen Buche«, so braucht das nicht unbedingt gute Prosa zu sein, kann aber als Beispiel dienen für den Unterschied zwischen der Bedeutung des einzelnen Wortes und des Wortgefüges, in welchem der Begriff »Buche« keine bloße Tatsache, sondern Teil einer bestimmten literarischen Idee geworden ist. Das tote Wort ist durch die Kunst zum lebendigen Begriff geworden. Ich behaupte, daß jeder Gegenstand, der nach einem bestimmten Gesichtspunkt aufgenommen [...] wird, tot ist, auch wenn er sich vor der Kamera bewegt hat. [...] Nur wenn der Gegenstand zwischen andere Einzelobjekte gesetzt wird, um zusammen mit ihnen eine Bildsynthese 193
zu bilden, gewinnt er filmisches Leben.«
Eigentlich ist das hier angeführte Beispiel also allgemein die Syntax der Schriftsprache. Damit dieser Vergleich in Pudowkins Sinne fruchtbar wird, muss er aber von einem literarischen, wenn auch nicht originellen Satzbeispiel ausgehen, denn andernfalls führt er nicht weit: Einerseits ist der Begriff »Buche« eben auch isoliert nicht unbedingt »tot«, wenn man seine lexikalische Semantik nicht ignoriert. Dasselbe gilt für einen Gegenstand – etwa eine Buche – vor der Kamera, umso mehr, wenn sie bewegt wird, etwa durch Wind. Worum es Pudowkin eigentlich geht, ist, die (scheinbar) bloße Kopie eines natürlichen Motivs zu überwinden, also ein Hauptanliegen von Künstlern aller Bereiche in der Moderne. Die Besonderheit gegenüber etwa der modernen Malerei liegt freilich im Film darin, dass das Motiv sich nun bewegt, nicht mehr nur als Modell, sondern noch als Gegenstand des Kunstwerkes, und somit auch in seiner Bewegung abstrahiert werden muss. Dies lässt sich durch die Montage kontrollierter vornehmen als während der Dreharbeiten:
192 Ėjchenbaum, Boris: »Ist der Film eine Kunst? Diskussionsbeitrag«, in: Wolfgang Beilenhoff (Hg.): Poetika Kino. Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus (Aus dem Russischen von Wolfgang Beilenhoff), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2005, S.186-188, hier S.188. 193 W. I. Pudowkin: Filmregie und Filmmanuskript, S.71.
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»Dem Filmregisseur dient jede Szene des gedrehten Films in der gleichen Weise wie dem Dichter das Wort. Er steht vor den einzelnen Aufnahmen, prüft, wählt, weist zurück und nimmt wieder auf, und durch die bewußte künstlerische Gestaltung dieses Rohmaterials entstehen die »Montage-Sätze« [...].
194
Die Filmkunst durchläuft hier in der sowjetischen Avantgarde sozusagen in kurzer Zeit eine Entwicklung, die jener Abgrenzung der Malerei von den realistischen Bildern des neunzehnten Jahrhunderts ähnelt. Auch die Literatur wird nicht um ihr Potential beneidet, in epischen Zusammenhängen eine Fülle an Details auszubreiten, wohl aber um ihr Vermögen, Begriffe aus verschiedenen Feldern auf originelle Weise miteinander zu verbinden – ein Verfahren, dass der Dialektik von These und Antithese verglichen wird, so von Eisenstein 1929: »Denn was ist eigentlich, sprachlich genommen, eine genaue Charakterisierung des Menschen? Sein rabenschwarzes Haar... Die Wellen seiner Haare... Seine himmelblauen, Blitze schleudernden Augen... Seine stählerne Muskulatur... Selbst nicht so hypertrophiert bildlich genommen, wird doch jede Beschreibung, jede wörtliche Darstellung eines Menschen [...] zu einer Anhäufung von Wasserfällen, Blitzableitern, Landschaften, Vögeln, usw. Warum soll nun das Kino in seiner Form dem Theater und der Malerei folgen und nicht der Methodik der Sprache, die aus der Verbindung zweiter konkreter Bezeichnungen, 195
konkreter Gegenstände, ganz neue Begriffe und Vorstellungen entstehen läßt?«
Es sind somit Metaphern, Vergleiche und Synekdochen, die als Tropen für Eisenstein von Interesse sind und die er durch den Filmschnitt zu erzeugen sucht. Allerdings lehnt er konventionelle, harmonische Kombinationen ab, die keinen Konflikt ergeben und daher auch keine emotionale Dynamisierung des Stoffes: »Dann verkalkt es zu leblosem literarischen Symbolismus und stilistischem Manierismus. [...] Die zuckersüßen Friedensgesänge der Menschewiki auf dem 2. Rätekongreß [...] wer-
194 Ebd., S.70. 195 Eisenstein, Sergei: »Dialektische Theorie des Films«, in: Dieter Prokop (Hg.): Materialien zur Theorie des Films. Ästhetik, Soziologie, Politik. München: Carl Hanser Verlag 1971, S.65-81, hier S.78.
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den mit harfenspielenden Händen zusammenmontiert [im Beispielfilm »Oktober «
].
197
Rein literarischer Parellelismus, der den Stoff keineswegs dynamisch belebt.«
In seinem deutsch verfassten Text nutzt Eisenstein also den Begriff »literarisch« synonym zu einer latent spätbürgerlich und dekadent besetzten Redundanz. Von Interesse ist dagegen die Überwindung von Zeit und Raum, die freilich in der Literatur nicht nur im uneigentlichen Sprechen leicht vollzogen werden kann.198 Für sie ist im Film (nicht nur) der Stummfilmzeit die Montage das bedeutendste Verfahren (weitere sind Überblendungen, surreale Anachronismen innerhalb derselben Einstellung sowie ab den 1980er Jahren CGI-Effekte). Die Montage kann hier »die rein negative Rolle des unvermeidlichen Ausschließens in einer überreichten Wirklichkeit«199 spielen, aber auch eine »Bedeutung [erschaffen], die die Einzelbilder objektiv nicht enthalten«200. Über die Ellipse hinaus, die nicht nur längere raumzeitliche Distanzen, sondern im Grunde jeden linearen Zusammenhang zwischen zwei Einstellungen ausspart, gehen in Eisensteins Worten die »nichtlogische« künstlich geschaffene Bewegungsvorstellung auf räumlichem Gebiet und die Assoziations-Montage psychologischer Assoziationsreihen.201 Dem Zuschauer kommt dabei die Aufgabe zu, zwischen den Einstellungen die Synthese herzustellen, wobei dieser Deduktionsprozess jedoch je nach Beispiel sowohl emotionale als auch intellektuelle Beteiligung erfordern kann. Auch die Regisseure der klassischen Studioära Hollywoods griffen zu vergleichbaren Verfahren, etwa unter dem Einfluss der Selbstzensur der Filmindustrie: Wenn zum Beispiel George Tomasini in »Der unsichtbare Dritte«202 von einem Lie-
196 OKTOBER – 10 TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN (OKTYABR, UdSSR 1928, R: Grigori Aleksandrov und Sergei M. Eisenstein). 197 S. Eisenstein: Dialektische Theorie des Films, S.77. 198 Vgl. auch Pudowkin, Wsewolod I.: »Über die Montage«, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Phillip Reclam 1998, S.74-96, hier S.92. 199 Bazin, André: »Die Evolution der Filmsprache« (L’évolution du langage cinématographique Aus dem Französischen von Barbara Peymann), in: Dieter Prokop (Hg.): Materialien zur Theorie des Films. Ästhetik, Soziologie, Politik, München: Carl Hanser Verlag 1971, S.85-99, hier S.88. 200 Ebd., S.87. 201 Vgl. S. Eisenstein: Dialektische Theorie des Films, S.75-76. 202 DER UNSICHTBARE DRITTE (NORTH BY NORTHWEST, USA 1959, R: Alfred Hitchcock).
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bespaar im Schlafwagen auf eine Außenaufnahme des Zuges schnitt, der gerade in einen Tunnel fährt. Eisenstein propagierte aber auch einen »rein intellektuellen Film, der, befreit von traditioneller Bedingtheit, ohne jede Transition und Umschreibung direkte Formen für Gedanken, Systeme und Begriffe erzielen würde. Und damit zur SYNTHESE VON KUNST UND WISSENSCHAFT« werden kann.« 203 Doch auch für eine emotionelle Dynamisierung des Stoffes war es im Sinne der Dialektik eine wesentliche Voraussetzung, dass die jeweilige Einstellung möglichst eindeutig sein muss, damit der Konflikt mit ihrem visuellen Kontrapunkt für den Zuschauer erst lösbar wird. Ablenkende Details – also stilistische Mittel wie Ornamente des Dekors oder nuanciert psychologisches Schauspiel können diesen Lernprozess behindern. Auch unter diesem Aspekt wird die Literatur durchaus als geeignetes Vorbild empfunden, da sie mit (relativ) klar definierten Begriffen operieren kann, aber poetische Lebendigkeit erst aus der (im Idealfall revolutionären) Abweichung einer Formulierung innerhalb des regulären Sprachsystems gewinnt204: »Sie [die Literatur] steht dem Film viel näher als z. B. die Malerei, in der aus abstrakten Elementen (Linie, Farbe) die Form entsteht. Im Film [...] [besteht in der] stofflichen Konkretheit des Bildausschnitts, als Element, die größte Schwierigkeit des Formens. Warum sich dann nicht eher an das Sprachsystem anlehnen, wo derselbe Mechanismus im Ge205
brauch der Wörter und Wortkomplexe existiert?«
Die Möglichkeit einer relativen begrifflichen Klarheit wird also durchaus als Vorteil der Literatur betrachtet. Die Reduktion von Weltfülle erscheint nicht als Defizit, sondern als Voraussetzung von Kunst und nicht zuletzt der marxistischleninistischen Vermittlung (als auch didaktische Reduktion). Andererseits hat der Film der Literatur gerade im Sinne einer solchen Vermittlung die audiovisuelle Konkretisierung voraus: »Die direkte Deckung von Literatur und Sprache dient gleichzeitig der grandiosen Erweiterung der Möglichkeiten der Literatur in der Vollständigkeit der Denkensvermittlung im Vergleich zu Malerei, Musik und Bildhauerei, gleichzeitig jedoch schränkt das Fehlen
203 S. Eisenstein: Dialektische Theorie des Films, S.80. 204 Vgl. ebd., S.68. 205 Ebd., S.78.
70 | V ERFOLGUNGSJAGDEN sichtbarer Bilder die Möglichkeiten der Literatur im Bereich der unmittelbaren, sinnlichen 206
Vermittlung des Dargestellten an den Leser oder Hörer ein.«
Das Theater zumindest in seiner damals zeitgenössischen Form leistet in der Auffassung Pudowkins oder Boris Ėjchenbaums nicht Vergleichbares, da es zwar vom Wort getragen wird, die Literatur aber »viele ihrer Mittel und Möglichkeiten ein[büßt] (Episoden, Abschweifungen, Beschreibungen, Details, Parallelismen usw.)«207, die dem Film prinzipiell offenstehen. Damit der Film aber darüber hinausgeht, den Eindruck des Nachträumens einer Romanhandlung zu hinterlassen, wie Ėjchenbaum formuliert,208 muss das transmentale Wesen des Photogenen mit seiner halbwirklichen Atmosphäre in den primären Ausdruck des Films verwandelt werden, den Schnitt.209 Mit der Einführung der gesprochenen Sprache in den Film allerdings droht sich die dialektische Rhetorik der Montage zu verunklaren, wenn der Ton nicht kontrapunktisch verwendet wird, »denn jegliche ÜBEREINSTIMMUNG zwischen dem Ton und einem visuellen Montage-Bestandteil schadet dem Montagestück, indem es dieses von seiner Bedeutung löst.«210 Der Effekt wäre andernfalls ein pleonastischer, wahrscheinlicher aber würde der Ton, da er nicht exakt dieselbe Aussage treffen kann wie die Bilder, eine dem Montage-Satz abträgliche Vieldeutigkeit bedingen. Beide Effekte ließen sich vermeiden, wenn der Ton seinerseits in einem dialektischen Gegensatz zum Bild stünde, wie etwa in verschiedenen Filmen Stanley Kubricks, wobei diese jedoch gewissen Deutungsspielraum zulassen: Wenn in »Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben«211 zu einer Montagesequenz von Atompilzen
206 W. I. Pudowkin: Über die Montage, S.87. 207 Ėjchenbaum, Boris: »Literatur und Film«, in: Wolfgang Beilenhoff (Hg.): Poetika Kino. Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus (Aus dem Russischen von Wolfgang Beilenhoff), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2005, S.179185, hier S.180. 208 Vgl. B. Ėjchenbaum: Literatur und Film, S.180. 209 Vgl. ebd., S.181. 210 Eisenstein, Sergei/Wsewolod I. Pudwokin/Grigorij W. Alexandrow: »Manifest zum Tonfilm« (Aus dem Russischen von Dieter Prokop), in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Phillip Reclam 1998, S.54-57, hier S.55. 211 DR. SELTSAM ODER WIE ICH LERNTE DIE BOMBE ZU LIEBEN (DR. STRANGELOVE OR HOW
I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB, UK/USA 1964, R:
Stanley Kubrick).
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etwa das tröstliche britische Propagandalied »We’ll meet again« von 1939 ertönt, ist das ein ironischer Gegensatz, weil aus diesem Dritten Weltkrieg eben kein Soldat mehr zurückkehren wird. Oder wird dem Publikum eine Wiederbegegnung mit der Wasserstoffbombe in naher Zukunft verheißen? Wenn die Montage in der russischen Filmtheorie als das wichtigste Mittel des filmischen Ausdrucks erscheint, so ist damit also nicht eine distinkt filmische Form gemeint. Es handelt sich hier trotz der häufig angewandten Termini nicht um die linguistische oder semiologische Bestimmung einer Filmsprache, sondern um die ästhetische Programmatik einer Filmrhetorik in hegelianischmarxistischer Tradition. Analogien des Montage-Verfahrens zur Sprache und zur Literatur werden dabei durchaus gesucht. Auch in einem engeren Sinne wäre das Prinzip Filmschnitt übrigens bereits aus Fotocollagen und -romanen bekannt. Der Film wird allerdings in dieser Hinsicht als die überlegene Kunstform angesehen, auch von dem Literaturwissenschaftler Ėjchenbaum, der zwar schreibt, der Film habe seine Konkubine, die Literatur, inzwischen geehelicht, habe in dieser Ehe aber deutlich die Rolle des Mannes inne.212 »Die Natur der Montage ist allen Künsten eigen und im Film hat sie lediglich vollkommenere Formen bekommen...«213 Von einer Säuberung des Films oder auch nur der Filmtheorie kann daher keine Rede sein. Abgelehnt wird lediglich eine Orientierung an dem, was als realistischer Roman mit einer überkommenen bürgerlichen Epoche zusammengedacht wird, ebenso wie der Ästhetizismus der »spätbürgerlichen« Literaten. Mit der Hinwendung der sowjetischen Kulturpolitik zum Sozialistischen Realismus gelangten realistische und romantische Strömungen des 19. Jahrhunderts jedoch bald schon zu neuer Geltung, auf Kosten der filmtheoretischen und praktischen Avantgarde (die in wichtigen Personen deckungsgleich war). Mythen, persönlich nachvollziehbare Entwicklungsgeschichten und kontinuierliche Heldenreisen im Sinne des Zentralkomitees waren nun gewünscht, auch um kommerziell mit dem westlichen Kino in Konkurrenz treten zu können. 214 Der Fünf-Jahres-Plan sah in einer sich quantitativ dem Hollywoodsystem angleichenden Kollektivarbeit einen Ausstoß von 500 Filmen allein 1932 vor. Nicht vor sah er hingegen den Konflikt zwischen Segment und Regelsystem, den Eisenstein als Grundlage jeder Kunst aufgefasst hatte. Als Karl Radek 1934 auf dem ersten Sowjetischen Schriftstellerkongress die Frage stellte: »James Joyces oder Sozialistischer Realismus?«, stellte er vermeintliche Parallelen des »Ulys-
212 Vgl. B. Ėjchenbaum: Ist der Film eine Kunst?, S.179/S.184. 213 W. I. Pudowkin: Über die Montage, S.94. 214 Vgl. O. Figes: Natasha’s Dance, S.476-477.
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ses«215 mit der Kinematographie heraus. Dabei hob er auf die umfassende, aber angeblich wahllose Detailgenauigkeit der Beobachtung ab, die er Joyce vorwarf – eigentlich also eine »Gefahr«, die Eisenstein durch die gezielte Isolation von Objekten in der Montage bannen wollte. Doch Radek sah gerade in der Fokussierung von Details, etwa in der filmischen wie »literarischen« Großaufnahme, eine Nivellierung übergreifender Ideen und Programme. So beschrieb er »Ulysses« als einen von Maden überzogenen Misthaufen, der von einer Filmkamera durch ein Mikroskop aufgenommen sei.216 Es war Eduard Tisse gewesen, der unter Eisensteins Regie 1925 in »Panzerkreuzer Potemkin«217 madendurchsetztes Fleisch in der Vergrößerung gefilmt hatte. Zur Propagierung des Sozialistischen Realismus wurde nun eine scheinbare stilistische Verwandtschaft mit Joyce genutzt, um Eisenstein und den avantgardistischen Film an sich zu diskreditieren. Der kulturpolitische Druck blieb nicht ohne Einfluss: Ab Mitte der 1930er Jahre rückten Eisensteins Filme Führungsfiguren wie Alexander Newski218 und Iwan den Schrecklichen219 in den Mittelpunkt von Nationalepen, begleitet von Leitmotiven an Stelle eines kontrapunktischen Tons. Den Bewusstseinsstrom im »Ulysses« wertete Eisenstein 1945 eher kritisch als einen Versuch, in Konkurrenz zu den filmischen Ausdruckformen zu
215 Vgl. Joyce, James: Ulysses. A Critical and Synoptic Edition. Volume One – Three. Prepared by Hans Walter Gabler with Wolfhard Steppe and Claus Melchior, New York/London: Garland Publishing 1984./Joyce, James: Ulysses (Aus dem Englischen von Hans Wollschläger). Hg. und kommentiert von Dirk Vanderbeke, Dirk Schultze, Friedrich Reinmuth und Sigrid Altdorf in Verbindung mit Bert Scharpenberg, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004. 216 Zitiert nach: O. Figes: Natasha’s Dance, S.479, in der englischen Übersetzung aus dem Russischen: »a dung heap swarming with maggots and photographed by a movie camera through a microscope«. 217 PANZERKREUZER POTEMKIN (BRONENOSETS POTEMKIN, UdSSR 1925, R: Sergei M. Eisenstein). 218 Vgl. ALEXANDER NEWSKI (ALEKSANDR NEVSKIY, UdSSR 1938, R: Sergei M. Eisenstein). 219 Vgl. IWAN DER SCHRECKLICHE I (IVAN GROZNYY, UdSSR 1944, R: Sergei M. Eisenstein)./IWAN DER SCHRECKLICHE II (IVAN GROZNYY. SKAZ VTOROY: BOYARSKIY ZAGOVOR, UdSSR 1958, R: Sergei M. Eisenstein).
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treten.220 Dieses und andere literarische Stilmittel der Moderne nahm er nunmehr als letztlich unzureichende Vorstöße in die eigene Domäne wahr.
220 Vgl. Eisenstein, Sergej: »Eine nicht gleichmütige Natur. Musik der Landschaft und die Geschicke des Montage-Kontrapunkts auf einer neuen Entwicklungsstufe«, in: Sergej Eisenstein: Eine nicht gleichmütige Natur. Hg. von Rosemarie Heise. Aus dem Russischen von Regine Kühn. Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1980, S.13-202, hier S.50./Vgl. auch: J. Paech: Literatur und Film, S.140-141. Eisenstein: Eine nicht gleichmütige Natur. Hg. von Rosemarie Heise. Aus dem Russischen von Regine Kühn. Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1980, S.13-202, hier S.50./Vgl. auch: J. Paech: Literatur und Film, S.140-141.
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1.4 F ILMSEMIOTIK Die sowjetischen Theoretiker der 1920er bis 1940er Jahre trennten Literatur und Sprache zumeist nicht scharf voneinander, wenn sie beide zu Vergleichen mit dem Film heranzogen. Dementsprechend gehen auch die Auffassungen von Filmsprache und Filmkunst fließend ineinander über. Für die Filmsemiotik der 1960er Jahre hingegen war eine Differenzierung zwischen Kommunikation und künstlerischer Kommunikation eigentlich eine Voraussetzung. Wie Christian Metz 1968 vermerkte, »könnte man eher dazu neigen, die Grammatik des Kinos als Rhetorik zu betrachten, da ihre kleinste Einheit (die Einstellung) ja nicht festgelegt ist und sich folglich die Kodifizierung nur auf große Einheiten erstrecken kann. [...] Aber gerade hier taucht die größte Schwierigkeit in der Semiologie des Kinos auf. Denn diese Rhetorik ist von einem anderen Blickwinkel aus zugleich eine Grammatik. [...] Weil diese Anordnungen nicht nur die filmische Konnotation organisieren, sondern und vor allem, weil sie die Denotation organisieren. Das spezifische signifié der alternierten Montage bezieht sich auf die genaue Temporalität der Handlung, die primäre filmische Nachricht, selbst wenn die alternierte Disposition zwangsläufig verschiedene Konnotationen nach sich zieht. [...] das, was das Funktionieren der filmischen Anordnungen kennzeichnet, ist die Tatsache, daß der Zuschauer in erster Linie mit ihrer Hilfe den genauen Sinn des Filmes versteht. Von einem diachronen Blickwinkel aus sind dagegen die filmischen Anordnungen in erster Linie zu Zwecken der Konnotation und nicht der Denotation kodifiziert worden. Es ist immerhin möglich, »eine Geschichte zu erzählen« einzig und allein durch die ikonische Analogie. Und genau das taten auch die ersten Filmemacher (wenn sie z. B. ein Boulevardstück in einer music-hall photographierten) in der Zeit, wo noch keine spezifisch »kinematogra221
phische Sprache« existierte [...].«
Metz setzt also seiner Definition der Filmsprache voraus, dass sie nicht zwangsläufig Bestandteil eines Films sein muss, sie sich aber allein mit filmischen Mitteln realisieren lässt. Wie die sowjetischen Formalisten und Konstruktivisten sah auch Metz diese spezifisch filmische Sprache in der Montage realisiert. Um sie zu erfassen, unterschied er acht syntagmatische Typen 222:
221 Metz, Christian: Semiologie des Films [Aus dem Französischen von Renate Koch]. München: Wilhelm Fink Verlag 1972, S.161-163. 222 Vgl. ebd., S.171-182.
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Autonome Einstellungen (I) I. die autonomen Einstellungen I.I die Sequenz-Einstellung (eine vollständige Szene wird innerhalb derselben Einstellung aufgenommen) I.II Einfügungen I.II.I die nicht-diegetische Einfügung (ein außerhalb der Handlung stehendes Bild mit rein komparativem Wert) I.II.II die subjektive Einfügung (ein Bild, das nur die geistige Vorstellung einer beziehungsweise mehrerer der Figuren darstellt) I.II.III die diegetisch versetzte Einfügung (ein Bild, das aus einem auf der Handlungsebene realen, aber anderen räumlichen Zusammenhang in die es umgebende Sequenz eingefügt wird) I.II.IV die explikative Einfügung (eine Detailvergrößerung, die ein Objekt aus seinem räumlichen Kontext löst) Achronologische Syntagmen (II – III) II. das parallele Syntagma (eine Parallelmontage von Einstellungsserien, die in sich und miteinander einen motivischen Zusammenhang ergeben, aber raumzeitlich weder in sich, noch miteinander zusammenhängen müssen) III. das Syntagma der zusammenfassenden Klammerung (eine Einstellungsserie, die in sich einen motivischen, aber nicht raumzeitlichen Zusammenhang bildet)
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Chronologische Syntagmen (IV – VIII) IV. das deskriptive Syntagma (eine Einstellungsserie, deren motivischer Zusammenhang sich allein aus ihrem raumzeitlichen Zusammenhang ergibt, z. B. die Darstellung einer Landschaft in mehreren Einstellungen) V. das alternierte narrative Syntagma (eine Parallelmontage von Einstellungsserien, die auf der Handlungsebene gleichzeitig ablaufen) VI. das kontinuierliche narrative Syntagma (die Rekonstruktion eine raumzeitlichen Einheit (= Szene, ähnlich der Szene im Theater) in verschiedenen Einstellungen) VII. das diskontinuierliche narrative Syntagma der gewöhnlichen Sequenz (unregelmäßige Zeitsprünge zwischen den Handlungsmomenten) VIII. das diskontinuierliche narrative Syntagma der Sequenz durch Episoden (regelmäßig organisierte Zeitsprünge zwischen den Handlungsmomenten) Das, was in diesen Syntagmen gezeigt wird, also der Drehort, die Requisiten, Kostüme, Maske, Spezialeffekte und die Schauspieler, sind bei Metz signifiès, während die spezifisch filmischen Kodes, also Bild- und Tonschnitt sowie die Kamera, die sie in Syntagmen organisieren, die signifiants darstellen. Die Beziehungen zwischen diesen signifiants und signifiés sind nicht arbiträr, da die Objekte der Kamera und der Montage intentional ausgewählt werden, in jedem Fall aber bereits eine kulturelle (evtl. kulturspezifische) Denotation innehaben. »Der kreative Filmemacher hat einen Einfluß auf die diachrone Entwicklung der kinematographischen Sprache, den der kreative Schriftsteller nicht hat in bezug auf die Entwicklung der Sprache [idiome], da diese auch ohne Kunst existieren würde, wohingegen das Kino eine Kunst sein muß, um obendrein auch noch eine Sprache [langage] mit einem partiellen Kode der Denotation zu sein.«223 In Anbetracht dieser Konstruktion stellt sich allerdings die Frage, ob sich die Bezeichnung als Sprache überhaupt anbietet. Metz räumt zwar ein, dass es sehr viele mögliche Konstellationen zwischen signifiants und signifiés gäbe, führt aber ins Feld, dass letztlich nur eine begrenzte Zahl von Konstellationen durch das Kino
223 Ebd., S.158.
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tatsächlich konventionell eingesetzt werde – eben, weil diese jedem »filmsprachkundigen« erwachsenen Zuschauer zugänglich seien. Aus diesem Umstand leitet er eine Arbitrarität der Grammatikalisierung im Kino ab, die jener der Lexikalisierung in der Semantik entspräche. Wenn von einem sozusagen natürlichen Verständnis dieser Konventionen ab einem bestimmten Alter und einer generellen Vertrautheit mit dem Kino ausgegangen wird, ergibt sich daraus zwar eine Ausblendung jener Faktoren, die diese Konventionen bewirken. Diese können zum Beispiel ökonomisch, parteipolitisch oder auch künstlerisch motiviert sein, weshalb Werner Faulstich die Filmsemiotik auch als politisch affirmativ verurteilte. 224 Das allein ist allerdings noch kein Grund, die Auffassung von einer Filmsprache abzulehnen; auch sprachliche Konventionen können einem politischen Habitus zugehörig sein. Fraglich erscheint aber die Annahme, die anderen im Film enthaltenen »außerfilmischen« Codes ließen sich von einer spezifischen Filmsprache 225 trennen, es seien ikonologische, perzeptive und andere in jedem Fall kulturelle Codes, deren Wirkung zum großen Teil unterhalb der photo- und phonographischen Analogie läge. Erstens lässt sich einwenden, dass die diversen visuellen und auditiv aufgenommenen Objekte eine spezifisch filmische Qualität haben: Musik im Film ist zum Beispiel nicht einfach nur Musik, sondern Filmmusik geworden. So bedingen sich Filmschnitt und Musik etwa rhythmisch. Bernard Herrmann setzte als Filmkomponist etwa häufig auf repetitive, rhythmische Zellen, die nicht in einer Melodik aufgingen226. Dieser minimalistische Stil ergänzte sich mit der Fragmentierung des Bildzusammenhangs durch die Montage. Die Motive lassen sich flexibel anordnen, was wiederum Regisseuren wie Orson Welles und Alfred Hitchcock eine größere Kontrolle über das Filmmaterial erlaubte (weil sie im Gegensatz zu den gefürchteten Studioabgeordneten das Puzzle wieder zusammenzusetzen wussten). Sergio Leone wiederum ließ bei den Dreharbeiten zu »Spiel mir das Lied vom Tod«227 die Filmmusik Ennio Morricones abspielen, um die Schauspieler zu choreographieren. 228 Auch das Film-
224 Faulstich, Werner: Einführung in die Filmanalyse, Tübingen: Gunter Narr Verlag 1980, S.57. 225 Vgl. C. Metz: Semiologie des Films, S.154-156. 226 Russell, Mark/Young, James: Filmkünste. Filmmusik (Film Music. Aus dem Englischen von Ulrich Kriest), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2001, S.11. 227 SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD (C’ERA UNA VOLTA IL WEST, IT/USA 1968, R: Sergio Leone). 228 Vgl. Medding, Gerhardt: »Melodien für Halunken. Fünfzig Jahre Filmmusik von Ennio Morricone«, in: epd Film 40 (2014), S.27-30, hier S.27-28.
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schauspiel unterscheidet sich ebenso vom Theaterschauspiel wie von der nicht künstlerisch gestalteten Körpersprache. Schon in der Frühzeit des Stummfilms macht Siegfried Kracauer die Entwicklung eines schauspielerischen Gespürs für filmische Mittel aus, zu der Asta Nielsen mit ihrem Sinn für Details besonders beigetragen habe.229 In der Filmtheorie von Béla Balázs nehmen die Bedingungen des Schauspielers in der Großaufnahme eine zentrale Stellung ein, auch hier wegen der Möglichkeit, über Details einen psychologisch natürlicheren Ausdruck anzunehmen: »In solcher sichtbaren Verborgenheit eines tieferen Gesichtes liegt auch die moralische Bedeutsamkeit der Physiognomie. Denn einfach mit gut und böse ist der Mensch auch im Film nicht abgetan. In der Dichtung kann aber das moralische Inkognito des Menschen nur gezeigt werden, indem man seine Maske lockert oder fallen läßt. Das Rührende und Aufregende bei der Physiognomie ist aber auch hier die Gleichzeitigkeit, daß wir im Ausdruck des Bösen selbst das Gute erkennen können.«
230
Balázs und Kracauer, von denen der erste sich eine Errettung des sichtbaren Menschen und der zweite der Realität durch den Film verspricht, betonen beide die größere Naturtreue des Filmschauspiels. Tatsächlich würden subtile Mittel, wie das ironische Augenzwinkern, das Anthony Hopkins in seinen Filmen wiederholt einsetzt (z. B. in »Das perfekte Verbrechen«231 und »Noah«232), sich auf der Bühne allenfalls den ersten Reihen im Parkett vermitteln. Auch das gelegentliche Nuscheln eines Marlon Brando ist im Film potentiell akustisch besser zu verstehen, als es auf so mancher Theaterbühne gewesen sein mag. Zugleich gibt es aber einen spezifisch filmischen Schauspielstil, der dem Rhythmus einer rasanten Schnitttechnik und Kamerabewegung entspricht und deutlich von den mal »unnatürlich« fließenden, mal »unnatürlich« abrupten Bewegungen der Figuren im Animationsfilm beeinflusst ist. So etwa bei Jerry Lewis: »Wie im Cartoon unterliegt Jerrys Körper nicht den Gesetzen der Physik, sondern der inneren Logik der Situation und der Dehnbarkeit seiner Psyche, der exhibitionierten Emotion. [...] Die auffälligste Manifestation seiner Subjektivität im Rahmen einer Cartoonfigur sind seine physisch-psychischen Zusammenbrüche, die immer mit einer gewissen Verzögerung gegenüber dem äußeren Ereignis erfolgen, ein slowburn von ausgesprochen psy-
229 S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S.33. 230 B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.47. 231 DAS PERFEKTE VERBRECHEN (FRACTURE, USA/DE 2007, R: Gregory Hoblit). 232 NOAH (USA 2014, R: Darren Aronofsky).
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chologischer Art, das langsam in Fermaten sich entwickelt wie die Einzelbilder eines Cartoons. Wenn Jerry einen tödlichen Schlag versetzt bekommt, physisch oder psychisch, macht sein Organismus erst einmal eine Pause; er reagiert so heftig, daß er gar nicht reagiert; erst danach setzt der Zusammenbruch ein, überdimensional und disproportioniert, mit den Mitteln des Films, der auf die Projektion einer Folge von Bildern reduziert ist, de233
ren Fluß in Phasenbilder zu regredieren scheint.«
Während Jerry Lewis das Erleiden der Zeichentrickfigur als Opfer in den Spielfilm integriert hat, so hat Jim Carrey seine Mimik und Gestik derjenigen der Zeichentrickfiguren als energischen Akteuren angeglichen, offenbar vor allem jenen der (auch sexuell) aggressiven Cartoons von Tex Avery. Zwischen den Extremen von Hopkins’ Augenzwinkern und Carreys kontrollierten ganzkörperlichen Zuckungen liegt freilich noch eine große Bandbreite. »Das spezifische Repertoire der schauspielerischen Repräsentation im filmischen Medium ist bis heute ein blinder Fleck in der Theorie des Films. [...] Christan Metz’ Semiologie lässt den Darsteller in einem hochabstrakt konzipierten Zeichensystem, letztlich in der Syntax des Films und seinen konnotativen und denotativen Bausteinen verschwinden 234
[...].«
Selbst, wenn man die spezifisch filmische Form dieser und weiterer Objekte der Gestaltung durch Schnitt und Kamera abstreiten oder marginalisieren würde, so ist das »Minimum von photographischer Treue«235, das Metz voraussetzt (»In den Trickaufnahmen sind die einzelnen Fragmente nicht auch noch trickartig [...].«236), doch durch die neuen Bedingungen und Möglichkeiten der digitalen Revolution obsolet geworden. Aber auch für den nicht oder nicht vollständig digital erzeugten Film gilt, dass seine syntagmatischen und paradigmatischen Relationen zwar nicht zufällig, aber jeweils einmalig sind. Exakt dieselbe Kombination lässt sich nur kopie-
233 Brandlmeier, Thomas: Filmkomiker. Die Errettung des Grotesken, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1983, S.174-175. 234 Kreimeier, Klaus: »Notorisch anders: Conrad Veidt. Zur schauspielerischen Repräsentation der Devianz«, in: Christine Rüffert, Irmbert Schenk, Karl-Heinz Schmid, Alfred Tews, Bremer Symposium zum Film (Hg.): Unheimlich anders. Doppelgänger, Monster, Schattenwesen im Kino, Berlin: Bertz + Fischer 2005, S.69-76, hier S.70. 235 C. Metz: Semiologie des Films, S.192. 236 Ebd., S.192.
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ren, aber nicht wiederholen – selbst wenn man denselben Film mit denselben Schauspielern und derselben technischen Ausstattung erneut drehen wollte, wäre all dies schlicht älter. Derselbe Satz lässt sich hingegen mit denselben Worten immer wieder neu bilden. Eine Sprache des Films würde somit allenfalls als Sprechen (langage) existieren. Sie ist die Summe der in ihm enthaltenen Sprachen und zugleich mehr als die Summe ihrer Teile. Er lässt sich nicht normativ, nur analytisch erschließen, wobei die Zeichensysteme der jeweiligen Codes – eine unendlich anmutende Vielfalt in unendlich anmutenden Kombinationen – in Bezug zueinander gesetzt werden müssen. Eine ihnen allen gemeinsame Grammatik kann es dabei nicht geben. Es wäre insofern tatsächlich sinnvoller, von einer Rhetorik oder Ästhetik als von einer Sprache des Films zu reden. Andernfalls müsste man auch die frühen Filme zwischen 1895 und 1900 beziehungsweise teilweise noch bis 1915, denen Metz eine kinematographische Sprache abspricht, ausklammern – eine fragwürdige Selektion, nicht zuletzt, da schon sie spezifisch filmisch rezipiert wurden, etwa im medienkritischen Diskurs. Umberto Eco versuchte demgegenüber, den Film ikonographisch zu erschließen.237 Die im Ikon des Einzelbildes enthaltenen kinesischen Figuren werden in seinem Modell erst durch ihre diachronische Bewegung zu kinesischen Zeichen, zu Kinemorphemen. Erst mehrere Einzelbilder nacheinander lassen sich beispielsweise als ein sich verneinend schüttelnder Kopf identifizieren. Eco vernachlässigt wie Metz die eventuelle filmspezifische Beschaffenheit des Ikons an sich, in jedem Fall aber berücksichtigt er nicht die Tonspur. Das Kinemorphem wäre demnach nur die kleinste bedeutungstragende Einheit des Stummfilms. Gleichwohl bemühten sich in den 1960er Jahren noch weitere Autoren um die Differenzierung originär filmischer und nicht originär filmischer Sprachen. Mit der Betonung des Momentes der Originalität könnte man immerhin tatsächlich annehmen, dass in der sprachlichen Mehrcodierung des Films bestimmte Codes erst durch den Film selbst entstanden sind, andere hingegen für den Film »lediglich« abgewandelt wurden (wie etwa die Mimik und Gestik der Schauspieler). Jan Marie Peters sah 1962 als originär filmisch die Montage und die Kamerapositionierung an: »Der Ausdruck der Hochachtung, der beispielsweise durch eine Aufnahme aus der Froschperspektive, der Ausdruck der Geringschätzung,
237 Vgl. Eco, Umberto: »Einige Proben: Der Film und das Problem der zeitgenössischen Malerei [Aus dem Italienischen von Jürgen Trabant]«, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Phillip Reclam 1998, S.305-320.
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der durch eine Einstellung von erhöhtem Kamerastandpunkt hervorgerufen werden kann, sind Beispiele für die echte Bildsprache und Bildmetaphorik des Films.«238 Wie bereits erwähnt, wandte die Photographie beide Verfahren jedoch bereits zuvor an, so dass allein die Kamerabewegung nur im Film zur Geltung kommen kann. Zudem spielen auch hier das Objekt, die Beleuchtung und Farbgebung im Zusammenspiel mit der Perspektivik entscheidende Rollen für das Verständnis der Einstellung beziehungsweise für die Bildmetaphorik (die Hochachtung kann bei der Froschperspektive je nachdem einem Gefühl von Bedrohung oder Belustigung weichen, wenn etwa die Figur sich mit gefletschten Zähnen über die Kamera beugt beziehungsweise wenn ihre raumgreifende Korpulenz betont wird). Dieses Zusammenspiel räumt Peters durchaus ein: »Jede Einstellung hat neben ihrem eigenen Sinn auch noch einen ›expressiven Wert‹, einen ›Gefühlswert‹, der vergleichbar ist mit dem expressiven Wortklang in der Dichtkunst. Dieser ›expressive Wert‹ entsteht meist dadurch, daß der Zuschauer das Dargestellte assoziiert mit persönlichen Ideen, Erfahrungen und Vorstellungen. Schließlich stellt die Systematik der Filmsprache keine Gefahr für die ›künstlerische Freiheit‹ dar, weil der Regisseur seine Vorstellungen nicht nur in der Filmsprache ausdrückt, sondern auch mit anderen Mitteln, wie Rhythmus, dramaturgischem Bau, Symbolik u.ä. [...] Es dürfte deutlich geworden sein, daß zwischen Filmsprache und Filmkunst ein ähnliches Verhältnis besteht 239
wie zwischen Wortsprache und Dichtkunst.«
Peters geht demnach davon aus, dass es einerseits die emotionale und individuell gedankliche Beziehung zum Rezipienten ist, die einem Werk seine künstlerische Qualität verleiht. Diese Beziehung wird bei Peters wesentlich durch die Perspektive der Kamera und ihre Bewegung gestiftet. Peters geht davon aus, dass die Identifikation des Zuschauers proportional zur »Subjektivität« der Kamera ansteigt. Der deduktive Prozess, den Eisenstein etwa durch die Montage im Zuschauer einleiten möchte, führt insofern zu einer emotional neutralen Position, sie wird als rein intellektuelle Informationsverarbeitung gewertet. Peters nennt als Beispiel eine Sequenz in »Oktober – Zehn Tage, die die Welt erschütterten«, in der auf eine Einstellung des als ruhmsüchtig typisierten Kerensky die Einstellung einer Statue mit Lorbeerkranz folgt. Dass dieser »denunziatorische« Vergleich vielleicht auch im Publikum eine emotionale Ablehnung der Figur veran-
238 Peters, Jan Marie: »Die Struktur der Filmsprache«, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Phillip Reclam 1998, S.371-388, hier S.381. 239 J. M. Peters: Die Struktur der Filmsprache, S.387.
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kern könnte, dem Kontrast in der Montage also ein eigenes Pathos innewohnen kann, spielt für Peters jedoch keine Rolle. Er ordnet diese Perspektive als »Position I« einer Außenseiterperspektive des Zuschauers zu, während in »Position II« der Zuschauer innerhalb derselben Einstellung eine Information erhält, die ihn zu einer Wertung veranlassen kann, beispiels- und im Sinne einer reinen Filmsprache vorzugsweise über die Kamera selbst, etwa durch ihren Aufnahmewinkel zum Objekt. In Position III begibt sich die Kamera und mit ihr der Zuschauer zwischen die Menschen und Dinge, während in Position IV die Kamera den subjektiven Standpunkt einer Figur einnimmt und somit eine vollständige optische Identifikation erzielt. Peters verfolgt den Vergleich zwischen den Künsten nicht weiter, indem er etwa diese Perspektiven mit denen der Erzählperspektive in der Literatur parallel setzen würde. Wenn er aber von einem »Gefühlswert« der Filmeinstellung und des expressiven Wortklangs in der Dichtung schreibt, wäre demnach ein Höchstmaß der auch emotionalen Identifikation mit der personalen Erzählform erreicht. Die (scheinbar) an den Standort des Schauspielers gebundene subjektive Kamera sagt demnach nicht nur »Ich« sondern überträgt diese virtuelle Identität auch auf den Zuschauer, er ist »nun nicht mehr nur im Bild [wie in Position III], er ist Mitspieler geworden.«240 Ein direkter Rückschluss von der Erzählperspektive auf die identifikatorische Anteilnahme des Rezipienten ist jedoch weder für die Literatur noch für den Film haltbar. Ebenso fragwürdig ist es, darauf zu schließen, dass der Rezipient sich in eine Figur hineinversetzt, weil ihm eine Übernahme von deren rein physischer Sichtweise suggeriert wird. Warum sonst etwa haben sich Experimente wie jene in dem (an den Kinokassen erfolglosen) Film »Die Dame im See«241, der konsequent eine »subjektive« Kameraperspektive einsetzt, nicht im kommerziellen Kino durchgesetzt, insbesondere nachdem Garrett Browns Entwicklung der Steadicam in den 1970er Jahren weit fließendere Bewegungen ermöglichte? Markus Kuhn weist zwar angesichts dieses klassischen Beispiels darauf hin, dass es seither sehr wohl diverse Filme gibt, die künstlerisch durchaus erfolgreich und über einen längeren Zeitraum eine »subjektive« Kamera einsetzen.242 Es handelt sich dabei aber – neben dem zeitgleich zu »Die Dame im See« entstandenen Film Noir »Die schwarze Natter«243 – um Filme, die nicht als
240 J. M. Peters: Die Struktur der Filmsprache, S.380. 241 DIE DAME IM SEE (THE LADY IN THE LAKE, USA 1947, R: Robert Montgomery). 242 Vgl. Kuhn, Markus: Film-Narratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell, Berlin/New York: Walter de Gruyter 2011, S.182-183. 243 DIE SCHWARZE NATTER (DARK PASSAGE, USA 1947, R: Delmer Daves).
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Genreunterhaltung für ein breites Publikum konzipiert wurden,244 beziehungsweise um die nur 24-minütige Episode einer TV-Serie245. Das 3D-Kino der Gegenwart liefert kein Gegenargument. Hier scheinen weit mehr Objekte aus der suggerierten Raumtiefe in den Zuschauersaal vorzudringen. Auch die »subjektive« Kamera dringt zumeist erst dann in den filmischen 3D-Raum ein, wenn körperliche Aktionen der Figuren nachvollzogen werden (etwa schwindelerregende Sprünge in die Tiefe von Abgründen). Diese Konventionen sprechen dafür, dass die Dissonanzen zwischen der Übernahme der Kameraperspektive und dem eigenen emotionalen Bezug zum Filmgeschehen eher einen desillusionierenden Effekt zeitigen (jedenfalls, wenn sie über einen Point-of-View-Shot hinausgetrieben werden, der noch über den Filmschnitt mit der Außenansicht der vermeintlich sehenden Figur verknüpft ist). »[...] die 3D-Brille ruft die Künstlichkeit der Filmwelt nur etwas subtiler ins Bewusstsein als Jack Hills performative Kinovorführungen in den 1960er Jahren mit vibrierenden Sitzen und über die Zuschauerköpfe hinweg gezogenen Plastikskeletten.«246 Die »subjektive Kamera« dürfte einer Identifikation des Zuschauers zudem im Wege stehen, weil, anders als in der Literatur, die differenzierten inneren Vorgänge der Figuren maßgeblich durch andere Mittel vermittelt werden müssen, als durch deren verbale Beschreibung. Freilich kann unter anderem auch die »subjektive« Kamera dazu beitragen, einen Eindruck von subjektiver Befindlichkeit zu erzeugen, wenn etwa Unschärfe oder ein Schwenk um 360° Schwindelgefühle signalisieren können. In jedem Fall genügt aber die Positionierung der Kamera allein nicht für »das überzeugende und glaubhafte Einfangen von subjektiven Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen, Stimmungen der handelnden Figuren. Während die Darstellung von Subjektivität für die schriftliche Literatur kein Problem darstellt, ist die Vermittlung der In247
nenperspektive für filmische Bilder eine Herausforderung.«
244 Auch einen Splatterfilm wie »ALEXANDRE AJAS MANIAC« (MANIAC, FR/USA 2012, R: Franck Khalfoun) wird man kaum darunter rechnen. 245 M*A*S*H*: GENUG DES IRRSINNS! (M*A*S*H*: POINT OF VIEW, SE7 EP10, USA 1978, R: Charles S. Dubin). 246 Pietsch, Volker: »Das Fenster zum Nichts./The Window to Nothingness«, in: Christian Malycha (Hg.): Es gibt.../There is.. Reflexionen aus einem beschädigten Leben?/Reflections from a damaged Life?, Bielefeld: Kerber Verlag 2012. o.P. 247 Paefgen, Elisabeth K.: »Dem Bewusstsein bei der Arbeit zusehen. Alfred Hitchcocks REAR WINDOW und Ilse Aichingers Das Fenster-Theater«, in: Wahlverwandte. Filmische und literarische Erzählungen im Dialog, Berlin: Bertz + Fischer 2009, S.110-122, hier S.110.
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Mimik und Gestik der handelnden Figur bleiben bei der subjektiven Kamera etwa unsichtbar, so dass die Position des Zuschauers weit eher derjenigen eines in einem fremden Körper Gefangenen gleicht, der auf die Absichten seines »Wirtes« erst durch seine verbalen Äußerungen oder die Reaktionen der Außenwelt schließen muss. »Die Außenperspektive ist für den Film konstitutiv; ohne das ›Außen‹ zu kennen, lässt sich ein ›Inneres‹ filmisch nicht vermitteln.«248 Es wäre insofern naheliegend, eher von einer situativ empathischen Beteiligung des Publikums auszugehen, die unter anderem auf die Mimik und Gestik eines Gegenübers angewiesen wäre, als von einer identifikatorischen Beteiligung, die sich Peters zufolge am Grad der optischen Distanz zum Geschehen messen lässt: »Es ist kein Zufall, daß sich auch die Wortsprache oft bestimmter Ausdrücke bedient, die dem räumlichen Erleben entnommen sind, um damit geistige Beziehungen wiederzugeben. ›Man nimmt von etwas Abstand‹, um es objektiv beurteilen zu können, ›man wahrt Distanz‹, wenn man mit einer Person nichts zu tun haben will, oder ›man hält einen in angemessener Entfernung‹. Wie die Sprache der Bewegung im Bilde ist auch die Sprache der Kamera-Perspektive [...] eine Gefühlssprache. In Position IV schließlich bekommt auch der Zuschauer die Dinge zu sehen, die der betreffende Schauspieler sieht, und er erlebt sie so, wie dieser sie sieht. Der Zuschauer wird damit zum Subjekt oder Objekt eines Film-›Satzes‹.«249
Die Annahme einer Übereinstimmung zwischen Kamera- und Zuschauerperspektive ist auch insofern problematisch, als sie zu verallgemeinernden politischen Annahmen bezüglich der Filmrezeption verleitet. Laura Mulvey geht in ihrer für die feministische Filmtheorie grundlegenden Arbeit davon aus, dass, um die gesellschaftlich vorherrschende Dominanz der männlichen Perspektive auf die Frau aufzuheben, auch die Zerstörung dessen nötig sei, was sie »the voyeuristic-scopophilic look that is a crucial part oft traditional filmic pleasure«250
248 Ebd., S.110-122, hier S.110. 249 J. M. Peters: Die Struktur der Filmsprache, S.382. 250 Mulvey, Laura: »Visual Pleasure and Narrative Cinema«, in: Leo Braudy/Marshall Cohen (Hg.): Film Theory and Criticism: Introductory Readings, New York: Oxford University Press 1999, S.833-844, hier S.844. »Ein Anfang ist es, den voyeuristischen, skopophilischen Blick an sich zu zerstören, der ein Grundbestandteil des traditionellen Filmvergnügens ist.« (deutsche Übersetzung zitiert nach: Mulvey, Laura: »Visuelle Lust und narratives Kino« (Visual Pleasure and Narrative Cinema. Aus dem Englischen von Karola Gramann), in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Phillip Reclam 1998, S.389-408, hier S.407.)
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nennt: »The camera becomes the machinism for producing an illusion of Renaissance space, flowing movements compatible with the human eye, an ideology of representation that revolves around the perception of the subject; the camera’s look is disavowed in order to create a convincing world in which the spectator’s surrogate can perform with verisimiltude.«251 Mulvey bezieht sich hier anhand von Beispielen der klassischen Hollywoodära allerdings nur auf den konventionell narrativen Film, bei dem die vermittelnde Funktion der Kamera möglichst unauffällig bleiben soll, um die filmische Illusion zu stabilisieren (in Peters’ Sinne kann das durchaus auch der Position IV entsprechen, wenn die Kamera durch eine »partielle Identifikation« einen Over-the-shoulder-shot vornimmt). In einer stark vereinfachenden Ableitung führt jedoch die These von der Identifikation des Zuschauers mit dem Kamera-Auge zu einer Einschränkung filmischer Ausdrucksformen in der politischen Praxis. Wenn etwa unter der Begründung des Jugendschutzes Zensurmaßnahmen gefordert werden, so geht dies nicht zuletzt auf die Annahme zurück, der Film schreibe sich, anders als die Literatur, über die Simulation räumlicher Teilhabe in die Reiz-Reaktions-Systeme der Zuschauer ein.252 Beispiele aus dem davon besonders betroffenen Genre des Thrillers können aber dazu beitragen, das Verhältnis zwischen dem Blickwinkel der Kamera und der Einbeziehung des impliziten Zuschauers zu differenzieren. Alfred Hitchcock ging davon aus, dass sich gerade aus der Distanz zu den Figuren eine besonders intensive Anteilnahme des Publikums ergibt, nämlich dann, wenn eine asymmetrische Informationsvergabe in einer Gefahrensituation für die Protagonisten vorliegt. Hitchcock gibt François Truffaut im Interview das Beispiel einer Figur, die unerlaubterweise das Zimmer einer anderen durchsucht, ohne zu wissen, dass der Bewohner gerade die Treppe hinaufkommt. 253 Das Pub-
251 L. Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema, S.844. »Die Kamera wird zu einem Mechanismus, der die Illusion des Renaissance-Raumes herstellt, fließende Bewegungen, die dem menschlichen Auge angepaßt sind, eine Ideologie der Repräsentation, die mit der Wahrnehmung des Subjekts zu tun hat; der Blick der Kamera wird unterdrückt, um eine Welt zu schaffen, in der der Stellvertreter des Zuschauers überzeugend handeln kann« (deutsche Übersetzung zitiert nach: L. Mulvey: Visuelle Lust und narratives Kino, S.407.) 252 Vgl. Hroß, Gerhard: escape to fear. Der Horror des John Carpenter, München: Belleville 2000, S.198. 253 Vgl. Hitchcock, Alfred zitiert nach: Truffaut, François in Zusammenarbeit mit Helen G. Scott: Mr. Hitchcok, wie haben Sie das gemacht? (Hitchcock/Truffaut. Aus dem Französischen von Frida Grafe und Enno Patalas). Hg. von Robert Fischer, München: Wilhelm Heyne Verlag 2003, S.63.
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likum ist jedoch über eine Parallelmontage darüber informiert. Hitchcock bezieht sich auf seine praktischen Erfahrungen und geht davon aus, dass die Situation so stark sei, dass Sympathie oder Antipathie für die Empathie des Publikums nicht nötig seien. Bei einer als sympathisch etablierten Figur (bei Hitchcock gern durch einen alltäglichen, eher mittelständischen Erfahrungshorizont ausgezeichnet) sei die Empathie allerdings umso stärker. »Psycho«254 etwa ist so konstruiert, dass die Anteilnahme des Publikums wechselnd auf opponierende Figuren verteilt werden soll, wobei die situative Projektion von Schuldgefühlen den Ausschlag gibt. Die Parallemontage ist dabei als Verfahren keineswegs erforderlich, auch eine »autonome« Einstellung kann mit Suspense aufgeladen werden, vorausgesetzt, ein Mehrwissen des Zuschauers verleiht ihr eine andere Bedeutung (die natürlich auch erfreulicher oder trauriger Natur sein kann, etwa wenn die Offenbarung einer heimlichen Liebe bevorsteht oder unterdrückt wird). Adrian Weibel verschränkt diese »Suspense«-Theorie nun mit Überlegungen über die Erzählperspektiven des Films. Er entwickelt dabei den Begriff des »auktorialen Suspense«: »Diese durch die selektive Verwendung der Kameraführung vermittelte Form der Wissensverteilung verschafft dem Zuschauer [...] einen Wissensvorteil vor den Akteuren und erlaubt ihm durch einen privilegierenden point of view eine auktoriale Übersicht über das handlungsrelevante Geschehen.«255 Weibel arbeitet hier mit Analogien zur literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie und bezieht sich auf Stanzels Typologie der Erzählsituationen.256 In der Tat findet sich das Verfahren der Spannungserzeugung durch das Mehrwissen des Rezipienten auch häufig in der Literatur: »Da ging auf einmal die Türe auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam herausgeschlichen. Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, daß sie fallen ließen, was sie in den Händen hielten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopfe und sprach: »Ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierhergebracht? Kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid.« Sie faßte beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward ein gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse. Hernach wurden zwei schöne Bettlein weiß gedeckt, und Hänsel und Gretel legten sich hinein und meinten, sie wären im Himmel. Die Alte hatte sich nur freundlich angestellt, sie war aber eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte, und hatte das Brothäuslein bloß gebaut, um sie herbeizulocken. Wenn eins in ihre Gewalt kam, so machte sie es tot, koch-
254 PSYCHO (USA 1960, R: Alfred Hitchcock). 255 Weibel, Adrian: Spannung bei Hitchcock. Zur Funktionsweise des auktorialen Suspense, Würzburg: Königshausen und Neumann 2008, S.134. 256 Vgl. ebd., S.132.
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te es und aß es, und das war ihr ein Festtag. Die Hexen haben rote Augen und können nicht weit sehen, aber sie haben eine feine Witterung, wie die Tiere, und merken’s, wenn Menschen herankommen. Als Hänsel und Gretel in ihre Nähe kamen, da lachte sie boshaft und sprach höhnisch: »Die habe ich, die sollen mir nicht wieder entwischen!«« Früh morgens, ehe die Kinder erwacht waren, stand sie schon auf, und als sie beide so lieblich ruhen sah, mit den vollen roten Backen, so murmelte sie vor sich hin: »Das wird ein guter Bissen werden.««
257
Mladen Dolar weist freilich darauf hin, dass der Überschuss an Wissen im Rezipienten auch einen Mangel an Wissen produziert, nämlich um den Ausgang des Geschehens.258 Dies gilt für den literarischen Erzähltext ebenso wie für den Spielfilm. Weibel hält allerdings den Film für prädestiniert für die auktoriale Erzählsituation, wobei dies gegenüber der Literatur eher als Defizit erscheint: »Aufgrund der unmittelbaren optischen und akustischen Darstellung des Erzählgeschehens wird die Möglichkeit einer epischen Ich-Erzählung, bei welcher der Wissensstand der Erzählinstanz stets mit jenem des Akteurs zusammenfällt, [...] [im Film]bereits anfänglich erschwert. Die Kameraführung ist als narrative Vermittlungsinstanz der erzählten Welt der Akteure stets übergeordnet und ist deshalb [...] besonders geeignet, den objekti259
vierenden Anspruch eines unpersönlichen, auktorialen Erzählers zu verwirklichen.«
Die Kamerapositionierung wäre demnach für die Einbeziehung des Zuschauers insofern konstitutiv, als sie seinen Informationsstand organisiert. Das Phänomen, das Weibel »auktorialen Suspense« nennt, stellt nach Hitchcocks Auffassung die optimale Strategie der Spannungserzeugung dar. Folglich wäre die intensive emotionale Beteiligung des Publikums nicht auf die »subjektive« Kamera ange-
257 Brüder Grimm: »Hänsel und Gretel«, in: Hans-Jörg Uther (Hg.): Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Erster Band. Märchen Nr. 1-60. Nach der Großen Ausgabe von 1857, textkritisch revidiert, kommentiert und durch Register erschlossen, München: Eugen Diederichs Verlag 1996, S.81-89, hier S.86-87. 258 Vgl. Dolar, Mladen: »Der Zuschauer, der zuviel wußte (The spectator who knew too much. Aus dem Englischen von Isolde Charim)«, in: Slavoj Žižek, Mladen Dolar, Alenka Zupančič, Stojan Pelko, Miran Božovič, Renata Salecl: Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten (Everything you always wanted to know about Lacan [but were afraid to ask Hitchcock]. Aus dem Englischen von Isolde Charim, Thomas Hübel, Robert Pfaller, Michael Wiesmüller), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2002, S.126-134, hier S.132. 259 A.Weibel: Spannung bei Hitchcock, S.132.
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wiesen. Wie aber gestaltet sich das Verhältnis zwischen Informationsstand, Anteilnahme, Figur und Rezipient in dieser Kameraposition (also in Peters’ Worten in der Kameraposition IV)? Die Informationsvergabe scheint hier kongruent zu sein, wenn der Zuschauer, wie Peters schreibt, zum »Mitspieler«260 geworden ist. Als Beispiel sei hier eine Filmsequenz gewählt, die zu Beginn von »Halloween – Die Nacht des Grauens«261 steht: Durch die subjektive Kamera vermittelt beobachtet jemand durch ein Fenster ein junges Liebespaar. Er (oder sie) verschafft sich Zutritt zur Küche, ergreift ein Messer, beobachtet, wie sich der junge Mann verabschiedet und steigt die Treppe hinauf, dem Gesang der alleingelassenen jungen Frau nach, setzt sich eine Halloween-Maske auf (die subjektive Kamera zeigt nur noch den Ausschnitt der Sichtschlitze) und sticht die Frau nieder. Peters zufolge wäre der Zuschauer hier in der Gefühlssprache der Kameraperspektivik das Subjekt »eines Film-»Satzes«.262 Trotz der scheinbaren formalen Umkehrung des Hitchcockschen Prinzips hat sich jedoch an der Verteilung von Empathie nicht notwendigerweise etwas verändert, weil sich an der Verteilung von Informationen nichts Wesentliches verändert zu haben scheint. Die Situation des Liebespaares, vor allem der jungen Frau, könnte – je nach Standpunkt des impliziten Zuschauers – einer alltäglicheren Erfahrung entsprechen als die Situation des Voyeurs und Mörders. In jedem Fall aber besitzt eine »Filmfigur [...] im internen Kommunikationssystem kein Gefährdungsbewusstsein...«263 Dieser Umstand scheint also kein Unterscheidungsmerkmal eines »auktorialen suspense’« zu sein, da sich durchaus eine andere Figur und der Rezipient auf demselben Informationsstand befinden. Die Annahme einer zumindest situativen Identifikation zwischen Rezipient und subjektiver Kameraperspektive muss auch in diesem Fall nicht falsch sein (auch wenn Hitchcock in der Regel nicht erwartet, der implizite Zuschauer könne ein sadistisches Verhältnis zu den gefährdeten Filmfiguren entwickeln). Umgekehrt ist nicht davon auszugehen, dass die vollkommene optische Identifikation mit dem »Kamera-Auge« auch die emotionale Nähe des Zuschauers klar zuweist (wie Peters nahelegt). In Bezug auf das Verhältnis zwischen Informationsstand und Empathie finden sich (dem ersten Anschein nach) ähnliche Beispiele in der Literatur, beispielsweise in Poes »Das verräterische Herz«, auch hier in einer Gefahrensituation:
260 J. M. Peters: Die Struktur der Filmsprache, S.380. 261 HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS (HALLOWEEN, USA 1978, R: John Carpenter). 262 J. M. Peters: Die Struktur der Filmsprache, S.382. 263 A. Weibel: Spannung bei Hitchcock, S.134.
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»I was never kinder to the old man than during the whole week before I killed him. And every night, about midnight, I turned the latch of his door and opened it – oh so gently! [...] Oh, you would have laughed to see how cunningly I thrust it in! [...] It took me an hour to place my whole head within the opening so far that I could see him as he lay upon his bed. Ha! – would a madman have been so wise as this? [...] And every morning, when the day broke, I went boldly into the chamber, and spoke courageously to him, calling him by name in a hearty tone, and inquiring how he had passed the night. So you see he would have been a very profound old man, indeed , to suspect that every night, just at twelve, I looked in upon him while he slept. [...] Upon the eigth night I was more than usually cautious in opening the door. [...] To think that there I was, opening the door, little by little, and he not even to dream of my secret deeds or thoughts. I fairly chuckled at the idea; and perhaps he heard me; for he moved on the bed suddenly, as if startled. [...] His room was as black as pitch with the thick darkness, (fort he shutters were close fastened, through fear of robbers), and so I knew that he could not see the opening of the door, and I kept pushing it on steadily, steadily. [...] For a whole hour I did not move a muscle, and in the meantime I did not hear him lie down. He was still sitting up in the bed listening [...]. 264
Presently I heard a slight groan, and I knew it was the groan of mortal terror.«
/
»Nie war ich freundlicher zu dem alten Manne denn während der einen ganzen Woche, eh’ ich ihn mordete. Und jede Nacht, um Mitternacht, drückt’ ich die Klinke seiner Tür nieder und öffnete sie – oh, so sanft. [...] Oh, wenn Sie gesehen hätten, wie listig ich das anfing, – Sie hätten lachen müssen! [...] Es kostete mich eine Stunde, bis ich den Kopf zur Gänze so weit durch die Öffnung gebracht hatte, daß ich den Alten sehen konnte, wie er auf seinem Bette lag. Ha! – wäre wohl ein Verrückter so klüglich verfahren? [...] Und jeden Morgen, wenn der Tag dann anbrach, ging ich kühn in seine Kammer und unterhielt mich dreist mit ihm, indem ich ihn in herzlichem Tone beim Namen nannte und mich erkundigte, wie er die Nacht verbracht habe. Sie sehen also – er wäre schon ein sehr schlauer alter Mann gewesen, hätte er geargwöhnt, daß ich in jeder Nacht, genau um zwölf, geschlichen kam, um ihn im Schlaf zu betrachten. [...] In der achten Nacht war ich beim Öffnen der Türe noch vorsichtiger als gewöhnlich. [...] Zu denken, daß ich hier war und langsam, Stück um Stückchen, die Türe öffnete – und daße er nicht einmal im Traume etwas von meinen heimlichen Taten und Gedanken ahnte! Ich mußte förmlich kichern bei dieser Vorstellung; und vielleicht hörte er mich; denn ganz plötzlich bewegte er sich auf dem Bette, als habe ihn etwas erschrecken lassen. [...] In seinem Zimmer herrschte eine Finsternis von dichter Pechesschwärze (denn die Läden waren fest geschlossen, aus
264 Poe, Edgar Allen: »The tell-tale heart«, in: The Complete Works of Edgar Allan Poe. Edited by James A. Harrison. With textual notes by R. A. Stewart. Volume V. Tales – Volume IV. Reproduced from the 1902 New York edition, New York: AMS Press Inc. 1965, S.88-94, hier S.88-90.
90 | V ERFOLGUNGSJAGDEN Furcht vor Einbrechern) und so wußte ich, daß er’s nicht sehen konnte, wenn die Tür sich öffnete, und fuhr dann also fort, sie weiter, immer weiter aufzuschieben. [...] Eine geschlagene Stunde lang bewegte ich keinen Muskel und während dieser ganzen Zeit hörte ich nicht, daß er sich wieder legte. Er saß noch immer aufrecht in seinem Bette und lauschte... [...] Jetzt vernahm ich ein leichtes Stöhnen, und ich wußte, es war ein Stöhnen 265
tödlichen Entsetzens.«
Es gibt einige wichtige Unterschiede zu der zuvor beschriebenen Einstellung aus »Halloween«. Erstens fallen Erzählzeit und erzählte Zeit in »Das verräterische Herz« nicht zusammen. Das allein müsste für den Suspense noch keine Folgen haben: Denkbar wäre auch eine Kenntlichmachung der »Halloween«-Einstellung als Rückblende, ob nun der Perspektive eines zuverlässigen oder unzuverlässigen Erzählers zugeordnet. Gravierender könnte sich schon auswirken, dass die Figur in Poes Erzählung bereits das Ende vorwegnimmt: Der alte Mann wird sterben. Dennoch besteht das Potential, dass die Situation – allnächtlich und unwissentlich von jemandem mit mörderischen Absichten beobachtet zu werden, der einem im Alltag freundlich begegnet – dennoch stark genug an das Gefahrenbewusstsein rührt, um in einigen impliziten Rezipienten ein gewisses Maß an Empathie zu erzeugen. Diese Wahrscheinlichkeit besteht umso mehr, als das Opfer durch den Täter selbst zu Beginn der Kurzgeschichte als sympathisch beschrieben wurde und sein Alter den Eindruck von Hilflosigkeit verstärken könnte. Zudem wären die Sätze, die den tödlichen Ausgang vorwegnehmen, aus dem Text ebenso leicht zu kürzen, wie sich ein historisierender Hinweis der Einstellung in »Halloween« voranstellen ließe. Die »Ich-Erzählung«, so könnte man schließen, würde demnach in Film und Literatur ebenso dazu dienlich sein, Anteilnahme durch asymmetrische Informationsvergabe zu erzeugen wie die »auktoriale Erzählsituation«. Daher ließe sich aus der Erzählperspektive in der Literatur ebenso wenig allgemein auf die empathische Einbeziehung des Rezipienten schließen, wie aus der Kameraperspekive des Films. Umgekehrt legen weder die Ich-Erzählsituation noch die »subjektive« Kamera nahe, dass sich das »Ich« und der Rezipient auf demselben Informationsstand befinden, auch nicht in der Situation eines Zusammenfallens von Erzählzeit und erzählter Zeit. Die »subjektive« Kamera wird im Gegenteil gerne
265 Poe, Edgar Allan: »Das verräterische Herz (The tell-tale heart. Aus dem Englischen von Arno Schmidt und Hans Wollschläger)«, in: Edgar Allan Poe. Band 4. Phantastische Fahrten II. Faszination des Grauens, Herrsching: Manfred Pawlak 1979, S.746-754, hier S.746-748.
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eingesetzt, um diesbezüglich einen Überraschungseffekt zu erzielen. Wenn das Genre des Horrorfilms also besonders häufig auf dieses Mittel zurückgreift, so »geht es indes nicht so sehr um die verstärkte Identifikation als um die Beschneidung des Sichtfeldes. Der Begriff »subjektive Kamera« ist dabei ja insofern trügerisch, als niemand tatsächlich so starr sehen würde, wie die Kamera es glauben machen will. So sieht man in diesen Szenen keineswegs genausoviel wie die betreffende Figur, sondern entschieden weniger[
266
]; der kleine Bildausschnitt kann sich kaum gegen die erdrückende Übermacht 267
der Außenwelt behaupten.«
In »Halloween – Die Nacht des Grauens« erweist sich die »subjektive« Perspektive des Mörders am Schluss der Einstellung in einem Gegenschnitt schockhaft als die eines verwirrt und eher schutzlos aussehenden kleinen Jungen (siehe Abb. 4). Der implizite Zuschauer erlebt hier also nicht nur eine definitive Dissoziation zwischen seiner Perspektive und der des Protagonisten (die allerdings in der Einstellung zuvor bereits mindestens immanent war). Diese Dissoziation ist umso effektvoller (in diesem Fall potentiell schockhaft), weil die Annahmen, die der Rezipient aufgrund seiner eingeschränkten Informationen über seinen »Wirt« getroffen hat, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit konterkariert werden. Selbst bei einer Identifikation mit der subjektiven Perspektive – und sei sie auch nur optisch und akustisch –, erfährt der Zuschauer in diesem Moment endgültig, dass diese Perspektive die ganze Zeit über die einer gespaltenen »Persönlichkeit« war, die sich aus dem Protagonisten und dem Rezipienten zusammengesetzt hat. »Wie schon in der antiken Tragödientheorie bekannt war, befindet sich der Zuschauer vor der Rezeption einer Überraschung zunächst in einem bewusst herbeigeführten Irrtum (griechisch Hamartia), der durch einen plötzlichen Umschlag von Unkenntnis in Kenntnis zu einer sog. ›Wiedererkennung‹ (gr. Anagnorisis) führt, in welcher der Zuschauer 268
schlagartig das wahre Wesen der Protagonisten, Umstände und Ereignisse erkennt.«
Die Überraschung erfordert somit also eine logisch (fehl-)geschlossene Vorahnung, die in diesem Fall durch ein plötzliches Auseinanderfallen von Protagonist und Rezipient zwar eine starke Emotion erzeugen kann, die aber eben durch die
266 Allerdings vorausgesetzt, die Figur würde sich nicht vollständig in der Kameraperspektive erschöpfen, sondern darüber hinaus ein virtuelles Eigenleben führen. 267 N. Stresau: Der Horror-Film, S.51. 268 A. Weibel: Spannung bei Hitchcock, S.27.
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unerwartet große Distanz zwischen Rezeptionsmodus und Werk erzeugt wird. Unter identifikatorischen oder empathischen Gesichtspunkten ist die »subjektive Kamera« somit eher nicht das Mittel der Wahl, sie leitet vielmehr einen deduktiven Prozess ein, der veri- oder falsifiziert werden kann. In »Dr. Jekyll und Mr. Hyde«269 etwa wird sie eingesetzt, um den Identitätswechsel der Titelfigur/en einzuleiten: »Die Kamera schwenkt [...] zurück vor den Spiegel, vor dem Dr. Jekyll den Beginn seiner Verwandlung beobachtet hat. Aus dem Off ist das animalische Atmen Mr. Hydes zu hören, was die unheilvolle Erwartung des Zuschauers schürt, die von Dr. Jekyll geschaffene Kreatur im Spiegel zu sehen zu bekommen.«
270
Dabei bleibt bemerkenswerterweise offen, ob sich Jekyll nur äußerlich oder auch innerlich verändert hat – eine Möglichkeit, die der Ich-Erzählung im literarischen Text nicht innewohnt. Hier muss das »Ich« entweder von einem als solchen deutlich markierten anderen »Ich« abgelöst werden oder es wird beibehalten, wie dies in der literarischen Vorlage auch erfolgt: »And yet when I looked upon that ugly idol in the glass, I was conscious of no repugnance, rather of a leap of welcome. This, too, was myself. It seemed natural and human. [...] I lingered but a moment at the mirror: the second and conclusive experiment had yet to be attempted; it yet remained to be seen if I had lost my identity beyond redemption [...] and, hurrying back to my cabinet, I once more prepared and drank the cup, once more suffered the pangs of dissolution, and came to myself once more with the character, the stat271
ure, and the face of Henry Jekyll.«
/
»Und doch, wenn ich auf jenes scheußliche Monstrum in dem Spiegel blickte, wurde ich mir keines Widerwillens, eher eines Gefühls freudigen Willkommens bewußt. Das war auch mein Ich. Es erschien mir natürlich und menschlich. [...] Ich weilte nur einen Augenblick vor dem Spiegel: Das zweite und entscheidende Experiment mußte jetzt versucht werden. Es blieb noch festzustellen, ob ich meine Identität unwiederbringlich verloren hatte [...]. Und in mein Arbeitszimmer zurückeilend, bereitete und trank ich noch einmal
269 DR. JEKYLL UND MR. HYDE (DR. JEKYLL AND MR. HYDE, USA 1931, R: Rouben Mamoulian). 270 Khouloki Rayd: Der filmische Raum. Konstruktion, Wahrnehmung, Bedeutung, Berlin: Bertz + Fischer 2007, S.62-63. 271 Stevenson, Robert Louis: »Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde«, in: The Works of Robert Louis Stevenson. With Bibliographical Notes by Edmund Gosse. Volume IV. London: Cassell and Company Limited 1907, S.9-94, hier S.75-76.
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den Kelch, noch einmal erduldete ich die Qualen der Auflösung und kam wieder zu mir 272
mit dem Charakter, der Gestalt und dem Antlitz Henry Jekylls.«
Diese Passage legt nahe, dass Jekyll die Identität und das, was er den Charakter nennt, sehr stark an äußerlichen Eigenschaften festmacht, denn er behält (wenn auch im Rückblick) das Personalpronomen »Ich« bei und betont sogar, dass Hyde gleichfalls sein »Ich« gewesen sei. Demnach wäre Jekyll allerdings auch ein Heuchler, wenn er die Verantwortung für seine Taten Hyde zuschiebt, da Hydes verändertes Aussehen ihm lediglich die Gelegenheit gibt, eine unterdrückte Seite seines »Ichs« auszuleben. Im Film hingegen bleibt undeutlich, wie groß die Schnittmenge der Hydeschen Identität mit derjenigen Jekylls ist und ob sie sich lediglich auf einen identischen Informationsstand erstreckt (zu Beginn der Filmeinstellung kann man sich nicht einmal dessen sicher sein). Die »Jekyll-und-Hyde«-Persiflage »Der verrückte Professor«273 etabliert durch die »subjektive« Kamera ein relativ komplexes Verhältnis zwischen Information und Nichtinformation des Zuschauers. Das Publikum hört auf der Tonspur isolierte Schritte und sieht verschiedene Passanten erschrocken auf »die Kamera« reagieren (siehe Abb. 5). Die Zuschauer wissen weniger als alle beteiligten Filmfiguren. Es entwickelt sich aber eine Suspense-Situation, weil sie darauf schließen können, dass ihnen bei einem Gegenschnitt oder einem Spiegel als Objekt der Kamera ein Schreck bevorsteht. Sie können dies erstens aus den Reaktionen der Figuren und zweitens aus ihren hypertextuellen Erfahrungen schließen, die sie eventuell aus der Kenntnis anderer Versionen des Stoffes ziehen. Die Zuschauer »wissen« also beziehungsweise glauben zu wissen, dass ein negatives Ereignis bevorsteht. Die Informationsvergabe zwischen den Passanten im Film und ihnen ist eigentlich asymmetrisch »zugunsten« der Filmfiguren, andererseits aber scheint sie zu einem gewissen Grad auch kongruent zu sein. Die impliziten Zuschauer könnten insofern empathischen Anteil an den Reaktionen der Figuren nehmen, als sie selbst davon ausgehen müssen, sich bald schon in einer ähnlichen Situation zu befinden. Der Zuschauer könnte aus dieser gewissermaßen vorwegnehmenden Empathie den Impuls ableiten, etwa die Hände vor die Augen nehmen, um dem bevorstehenden negativen »Überraschungs«-Effekt zu entgehen, der eher als ein »Bestätigungs-Effekt« erwartet wird. Der Gegenschnitt zeigt dann aber einen (für die Verhältnisse des Darstellers Jerry Lewis)
272 Stevenson, Robert Louis: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde (The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Aus dem Englischen von Marguerite und Curt Thesing), Zürich: Diogenes 1979, S.95-96. 273 DER VERRÜCKTE PROFESSOR (THE NUTTY PROFESSOR, USA 1963, R: Jerry Lewis).
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relativ gutaussehenden Alter Ego und das vermeintliche Erschrecken der Passanten muss dementsprechend im Nachhinein als erstaunte Erregung über die zur Schau gestellte Coolness der Figur umgedeutet werden. Eine etwaige Anteilnahme an den »Opfern« des vermeintlichen Schrecks war also unnötig, der Suspense erweist sich im Nachhinein als Vorbereitung einer Surprise, die tickende Zeitbombe war die ganze Zeit über eine »Sexbombe«. Auch ein literarischer Text muss keineswegs preisgeben, um wen es sich bei dem Ich-Erzähler handelt und kann entsprechende Überraschungen vorbereiten, auch kann er zwei disparate »Ich-Erzählungen« in derselben Figur vereinen oder umgekehrt. In »Ein weites Feld« von Günter Grass wird etwa das ErzählerKollektiv »Wir vom Archiv« erst im späteren Verlauf des Romans und nur an wenigen Punkten individualisiert. Erst zum Schluss des Romans, als das Archiv nach der Wiedervereinigung »abgewickelt« wird, erfährt man über den Erzähler, der bis dahin durchgängig im Namen des Kollektivs gesprochen hat, auch er sei nun vom Personalabbau betroffen. Aufgrund ökonomischer Sachzwänge wechselt unvermittelt auf Seite 780 das Personalpronomen der Erzählung: »Wie überall, so mußte bei uns mit weniger Personal mehr geleistet werden. Mir wurde nur noch eine Halbtagsstelle zugestanden. Schon bewarb ich mich vergeblich in Marbach und anderswo...«274 Man könnte hier von einer Analogie zum filmischen Gegenschnitt sprechen, der die »subjektive« Erzählsituation ablöst, nur dass bei Grass nicht eine »subjektive« Perspektive anders als erwartet zugeordnet wird, sondern eine behauptet »kollektive« Perspektive als eine »subjektive« bloßgelegt wird, die also vom Kollektiv nur autorisiert wurde, wenn wir ihr Glauben schenken. Und doch lässt sich Weibels Prämisse, der Film eigne sich primär zu einer auktorialen Erzählerperspektive und damit eben auch zu einem »auktorialen Suspense« nicht ohne weiteres zurückweisen. Denn ermöglicht die »subjektive« Kamera tatsächlich das narrative Verfahren, auf das die Literatur Weibel zufolge leichteren Zugang hat, die epische Ich-Erzählung? Zunächst scheint die Kamera sogar ein Problem zu lösen, dass sich dem IchErzähler in »Das verräterische Herz« seiner Aussage nach stellt. Da er sich von Beginn an dem Vorwurf des unzuverlässigen Erzählens ausgesetzt sieht, äußert er den Wunsch, sein Leser (oder Zuhörer) könnte ihn als Augenzeugen beglaubigen:
274 Grass, Günter: Ein weites Feld, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2007, S.780.
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»You fancy me mad. Madmen know nothing. But you should have seen me. You should have seen how wisely I proceeded [...]! Oh, you would have laughed to see how cunningly 275
I thrust it in!«
/
»Sie meinen, ich sei verrückt. Verrückte sind Wirrköpfe. Nun, da hätten sie aber einmal mich sehen sollen! Sie hätten sehen sollen, wie klug ich vorging [...]! [...] Oh, wenn Sie 276
gesehen hätten, wie listig ich das anfing, – Sie hätten lachen müssen!«
Schon in Anbetracht dessen, dass der Erzähler sich vom »bösen Blick« aus einem Auge seines Opfers verfolgt fühlt, gibt es begründeten Zweifel daran, ob diese Zeugenschaft tatsächlich im Interesse des Erzählers läge. Gleichwohl scheint im Beispiel »Halloween« der Zuschauer ja tatsächlich vermittels der Kamera den Mord aus der optischen Perspektive des Täters zu verfolgen. Gerade seine inneren Vorgänge bleiben ihm dabei freilich verborgen, er muss also tatsächlich aus den Handlungen der Figur auf seine Absichten schließen. Darin tut sich allerdings noch nicht notwendigerweise eine Differenz zur literarischen IchErzählung auf, die ebenfalls nur eine Beschreibung von Handlungen und Ansichten preisgeben könnte, beispielsweise in dem Satz aus »Das verräterische Herz«: »And then, when I had made an opening sufficient for my head, I put in a dark lantern, all 277
closed, closed, so that no light shone out, and then I thrust in my head.«
/
»Und wenn ich sie dann so weit geöffnet, daß mein Kopf hindurchpaßte, steckte ich eine Blendlaterne hinein – die ganz dicht geschlossen war, so daß kein Schein nach außen 278
dringen konnte – und dann den Kopf hinterher.«
Die Erzählperspektive wird dadurch nicht unbedingt zuverlässiger, denkbar wäre auch in »Halloween« leicht ein Zusatz, der die gesamte Einstellung etwa als Traum markiert. Einen bedeutenden Gegensatz zur literarischen Ich-Erzählung stellt aber der Ton dar: Im genannten Filmausschnitt setzt nach 40 Sekunden mit einem Synthesizer-Ton der Score ein. Diese Musik könnte zwar eine Nähe zu der Perspektive des mutmaßlich triebgesteuerten Mörders signalisieren: Die schrille Höhenlage könnte zum Beispiel die Stiche des Messers vorwegnehmen, die elektronische »klangkörperlose« Instrumentalisierung die mechanische, unmenschliche Grausamkeit des Täters oder auch seine scheinbar körperlose, geis-
275 Poe: The tell-tale heart, S.88-89. 276 Poe: Das verräterische Herz, S.746-747. 277 Poe: The tell-tale heart, S.89. 278 Poe: Das verräterische Herz, S.747.
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terhafte Präsenz durch die »subjektive« Kamera, der Minimalismus der auf wenige Töne reduzierten Musik sein potentiell triebgesteuertes Verhalten. Und doch bleibt die Frage offen, ob es sich um ein nichtdiegetisches Leitmotiv des Täters mit Signalwirkung für die Zuschauer handelt, um einen nichtdiegetischen Ausdruck der Bedrohung, in der das zukünftige Opfer schwebt, oder um eine musikalische Repräsentation der »Innerlichkeit« des Täters. Der Literatur ist es möglich, durch die Wahl einer Erzählperspektive – ob nun zuverlässig oder nicht – dem Leser eine einzige Informationsquelle darzubieten (ohne dass dies zwangsläufig auch rückhaltlose Identifikation mit diesem Informanten bedingt).
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1.5 F ILMNARRATOLOGIE »Das literarische Erzählen entfaltet sich im Monokanal der verbalen Sprache. Wer die narrative Hoheit über diesen sprachlichen Kanal besitzt, wem der narrative Adressat also die strukturierende Hoheit über die sich in diesem Kanal realisierende Erzählung zuschreibt, der gilt als der Erzähler oder weniger anthropomorph ausgedrückt: als die narra279
tive Instanz.«
Nicole Mahne weist zwar darauf hin, dass in jenen literarischen Texten, in denen es sich um mündliche Erzählungen der Figuren handele, durch die Übertragung in Schriftsprache auch der Verweis auf eine übergeordnete Instanz vorliege. 280 Doch das ändert nichts an dem monokanaligen Informationsfluss, der auch polyperspektivische Werke kennzeichnet. Bild und Ton eines Films lassen sich dagegen selbst auf einer rein informellen Ebene kaum gleichzeitig derselben Perspektive zuordnen. Freilich ließe sich die Musik ausblenden, zugunsten einer Wiedergabe allein solcher Töne, die definitiv diegetisch sind. Die völlige optische Identifikation wäre dann damit ebenso gegeben wie die völlige akustische Identifikation, so scheint es. Dennoch stellt sich die Frage, ob damit auch die Konstitution einer Erzählperspektive gegeben wäre, die der Ich-Erzählung in der Literatur ähneln würde. So kann eine »subjektive« Kamera, wie gesagt, wohl die visuelle Wahrnehmung einer Filmfigur vertreten, nicht aber deren versprachlichte Gedankengänge. »Ich denke...« sagen kann nur die Figur selbst, bei der »subjektiven« Kamera also der Voice Over einer Erzählerstimme. Während diese Erzählerstimme jedoch abgespielt wird, beschreibt sie nicht oder nur teilweise die Bildebene – andernfalls würde das Publikum dieselben Informationen ja doppelt erhalten. Andy Warhols Experimentalfilm »Kitchen«281 beginnt mit einer solchen Bildbeschreibung, aber auch hier folgt die lineare Auflistung auf der Tonspur der Präsentation im Bild zwangsläufig verzögert. Und auch eine Nacherzählung, wie sie im Blindenfernsehen realisiert wird, muss stark vereinfachen. Es gibt im Film kein
279 Schweinitz, Jörg: »Multiple Logik filmischer Perspektivierung. Fokalisierung, narrative Instanz und wahnsinnige Liebe«, in: montage/av. Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation. 16/1/2007. Figur und Perspektive (2), S.83-100, hier S.89. 280 Vgl. Mahne, Nicole: Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S.102. 281 KITCHEN (USA 1960, R: Andy Warhol).
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solitäres »Ich denke/sehe...« Ein Voice Over in der 1. Person entspricht durch die Gleichzeitigkeit der Bildebene immer noch eher einem ´Er/Sie denkt/sagt: »Ich…«` Eine »subjektive« Kamera ähnelt durch den eingeschränkten Zugang zur Gefühls- und Gedankenebene der Figur eher einem »Er/Sie sieht/hört...« Auch in diesen Analogien manifestiert sich freilich nur ein behelfsmäßiger Orientierungsversuch an schriftsprachlichen Mitteln. »Die schriftliche Fiktion hat ein grammatisch gesichertes Repertoire zur Verfügung, um Figurensubjektivität schnell und sicher zu vermitteln.«282 Darin liegt, wie Paefgen darlegt, ein bedeutendes Distinktionsmerkmal gegenüber dem Film. Durch einen forcierten Versuch, Erzählsituationen aus der Literaturwissenschaft in ihm zu entdecken, wird das eigentlich Trennende eher verdeckt. »Die visuelle Perspektive taugt [...] ganz und gar nicht als schlichte Analogie zur literarischen Erzählperspektive oder zur literarischen Fokalisierung«283, stellt denn auch Jörg Schweinitz fest. Er ist aber durchaus der Ansicht, dass der Film die Erlebensperspektive einer Figur vermitteln könne. Edward Branigan seinerseits zählt Mittel der internen Fokalisierung im Film auf, von der »einfachen Wahrnehmung (z. B. eine Point-of-View-Einstellung) zu Eindrücken (z. B. unscharfe Point-of-View-Einstellungen einer Figur, die betrunken oder schwindlig ist oder unter Drogen steht) bis zu ‹tieferen› mentalen Vorstellungen (z. B. Träumen, Halluzinationen und Erinnerungen). Eines von vielen Beispielen interner Fokalisierung in THE WRONG MAN findet sich in der Gefängnis-Szene. Wir sehen 21 Einstellungen mit Manny allein in der Zelle, wie er um sich blickt und nervös auf und ab läuft (externe Fokalisierung). [...] Endlich sehen wir Manny, wie er, entsetzt und beschämt, die Hände zu Fäusten ballt, sich gegen die Wand lehnt, die Augen schließt. Nun beginnt die Kamera mit unsteten, schwingenden Bewegungen immer schneller vor seinem Kopf und der Wand zu kreisen, wobei sie eine konstante Distanz einhält. Die Einstellung endet in einem Crescendo disharmonischer Musik und mit einer langen Abblende. Diese bizarre Kamera-Arbeit soll die tiefe (nonverbale?) innere Auseinandersetzung des Protagonisten mit seiner Lage ver284
sinnbildlichen.«
In der Tat dürfte das durch die Kamera erzeugte Schwindelgefühl hier intern fokalisiert sein. Was die Musik betrifft, bringt sie einen inneren Gefühlszustand
282 E. K. Paefgen: Dem Bewusstsein bei der Arbeit zusehen, S.110. 283 J. Schweinitz: Film und Stereotyp, S.87. 284 Branigan, Edward: »Fokalisierung [Aus dem Amerikanischen von Christine N. Brinckmann]« in: montage/av. Zeitschrift für Theorie & Geschichte audiovisueller Kommunikation. 16/1/2007. Figur und Perspektive (2), S.73-82, hier S.77.
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zum Ausdruck und man kann insofern davon ausgehen, dass es nicht entscheidend ist, ob Manny sie hört oder sie lediglich ein Mittel ist, um seine Emotionen zu veräußerlichen (ähnlich den Worten in einer Erzählung). Branigan stellt die Frage, ob es sich um eine nonverbale Verarbeitung handelt. Auch in der Literatur erfahren wir natürlich nur das über das virtuelle Innenleben einer Figur, was die Schrift verrät, wie Genette betont: »Wenn einzig die narrative Fiktion uns einen direkten Zugang zur Subjektivität eines anderen verschafft, dann keineswegs auf Grund eines wundersamen Privilegs, sondern weil dieser andere ein fiktives Wesen ist [...], bei dem der Autor die Gedanken in dem Maß, wie er sie zu berichten vorgibt, imaginiert: mit Sicherheit errät man nur, was man erfin285
det.«
Insofern könnte man setzen, dass die Bilder und Klänge tatsächlich alles darstellen, was in Manny vor sich gehen soll. Sie tun dies freilich in »Der falsche Mann«286 nicht zur Gänze, denn gezeigt wird dabei weiterhin Manny aus der rein optischen Außenperspektive (oder es handelt sich um eine außerkörperliche Erfahrung, worauf es allerdings keinen Hinweis gibt). Insofern kann man von einem bedeutenden Anteil interner Fokalisierung sprechen, aber anders als in der Literatur kann sie keinesfalls alle Informationen erfassen, die das Werk in diesem Segment enthält. Man könnte nun das Beispiel einer »subjektiven« Kamera wählen, wie in dem von Branigan selbst genannten unscharfen Point-of-View-Shot: James Bond erwacht in »Goldfinger«287 aus einer Betäubung und sieht das Gesicht von Pussy Galore über sich, zunächst unscharf, dann klar. Die gesamte Einstellung könnte intern fokalisiert sein. Das Publikum scheint die Informationen im eingeschränkten Erfahrungshorizont Bonds zu erhalten. Aber darf man davon ausgehen, dass Bond sich auf dieselben Details des Bildes fokussiert wie der implizite Zuschauer? Die Zentrierung des »Objektes« Galore und die Bewegung ihres Mundes zu einem Lächeln legen sicher nahe, dass der Blick des impliziten Zuschauers wie auch der Bonds auf Galore gelenkt ist und nicht auf zum Beispiel die Lampe im linken oberen Bildrand. Angenommen aber, ein individueller Zuschauer würde sich auf Galores blaue Augen fokussieren und die leichten Stirnfalten dabei ebenso übersehen wie die kleine Hauterhebung über der rechten
285 Gérard Genette: Fiktion und Diktion (Fiction et diction. Aus dem Französischen von Heinz Jatho), München: Wilhelm Fink Verlag 1992, S.76. 286 DER FALSCHE MANN (THE WRONG MAN, USA 1956, R: Alfred Hitchcock). 287 JAMES BOND 007 – GOLDFINGER (UK 1964, R: Guy Hamilton).
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Augenbraue oder die kurze Freigabe von Zähnen zwischen den Lippen – selbst bei einem guten Überblick des Bildes, also nicht in einer der ersten Reihen vor einer großen Kinoleinwand. Die allenfalls durch Blicklenkung beeinflussbare, aber nicht vorhersehbare Perspektive des individuellen Zuschauers ist nicht nur auf der Ebene des Verständnisses und der Deutung, sondern bereits auf der Ebene der (in Peters’ Wort »nicht-expressiven«) Informationsaufnahme untrennbar mit der Filmrezeption verbunden. Von einer vollkommenen optischen Identifikation lässt sich insofern nur in einem höchst individualisierten Sinn sprechen, der freilich Peters’ Projekt einer allgemeingültigen semiologischen Klassifikation zuwiderläuft. Selbst bei dem – ohnehin seltenen – gleichzeitigen Einsatz von subjektiver Kamera und innerem Monolog der Figur gibt es weiterhin zwei parallele Erzählperspektiven. Wir können nicht sicher sein, dass der mit seinem Voice Over beschäftigte Protagonist all das auch bewusst wahrnimmt und kognitiv verarbeitet, was die Kamera aufzeichnet. Denn – und das ist der wesentliche Unterschied: die Zuschauer haben die Möglichkeit, ihre Blicke auf verschiedene Details des Bildes zu lenken und andere zu vernachlässigen. Ob der Protagonist allen Blicken des einzelnen Zuschauers folgt, wird im Voice Over nicht bestätigt. Der Film gleicht hier weit mehr den darstellenden und bildenden Künsten. Auch der Blick auf ein Gemälde etwa kann dessen verschiedene Komponenten kaum simultan aufnehmen, sondern wird es in individualisierten, »wilden« Panels organisieren; insofern wird auch die »Momentaufnahme« des einzelnen Bildes im Rezeptionsprozess verzeitlicht. Aber es ist immerhin möglich, die rein materielle Informationsfülle des Bildes – seine Farben, Linien und Punkte – linear recht ausführlich, wenn auch realiter kaum vollständig aufzunehmen. Gerade weil das Gemälde statisch ist, lässt es sich insofern leichter in einem linearen Vorgang segmentieren als der Film. Beim Film lenken simultan und linear vermittelte Informationen stets voneinander ab. Die von einem Gemälde gegebenen Informationen lassen sich nicht so »sauber« isolieren und sind somit nicht so präzise wie diejenigen der Literatur. Dafür muss der Betrachter beim Gemälde weder einander ablösenden Informationen »nachlaufen«, noch die von ständiger Auslöschung bedrohten Informationen des Filmbildes »festhalten«. Die Filmrezeption ist eine Verfolgungsjagd. »Um den Unterschied zum Film zu verdeutlichen, ist es sinnvoll, darauf aufmerksam zu machen, dass der Betrachter eines Standbilds beliebig viel Zeit hat, es mit seinem Blick abzutasten und sich jedes Detail genau anzuschauen. Bewegung hingegen bedeutet eine kontinuierliche Veränderung des Bildes, das heißt, die Information ändert sich. Der Zuschauer ist also damit beschäftigt, stetig neue Informationen aufzunehmen und zu ver-
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arbeiten, damit er die Bedeutung der Darstellung erfassen kann. Damit entstehen bei einer Bildkomposition völlig andere Voraussetzungen für die Blickführung. Bewegung zieht automatisch den Blick an. Der Zuschauer orientiert sich beim Film in der Regel weniger an Fluchtpunkten als an Objekten, die sich bewegen. Entscheidend ist das Verhältnis zwi288
schen Bewegungsdynamik und der Raumkomposition, in der sie sich vollzieht.«
Selbstverständlich kann auch der implizite Leser über Textpassagen hinweglesen. Ebenso ist in einer schriftlichen Erzählung Blicklenkung durch graphische Elemente möglich, sei es auch nur die Groß- und Kleinschreibung. Leser können einen Satz, auch das Kleingedruckte, jedoch prinzipiell noch einmal lesen. Wenn man vom kommunikativen Potential der Schrift ausgeht, so ist es zumindest möglich, ihre Gesamtheit auf einem rein informativen Niveau linear zu erfassen. Das Unterfangen, einen Film zur Gänze aufzunehmen, ist hingegen eine Herausforderung, die auch bei einer immens zeitaufwändigen Bild- und Tonbeschreibung groß ist. Der Literaturwissenschaftler Nicholas Rombes hat in einem Projekt versucht, »Blue Velvet« zu erfassen, indem er Standbilder des Films analysierte, die im Abstand von jeweils 47 Sekunden angehalten wurden. Er begann am 8. August 2011 und schloss am 17. August 2012. 289 Bei einer Rate von 24 Bildern pro Sekunde hätte der gesamte Film bei einer Bildanalyse pro Tag 473 Jahre gedauert.290 Auch ohne allzu lebensweltlich zu spekulieren, dürfte man annehmen, dass diese Intensität nicht ganz dem im Alltag gängigen Rezeptionsmodus entspricht. Der Film lässt dem Zuschauer insofern bei der sinnlichen Filterung mehr »Freiheit« als dem Leser, wenn auch nicht bei der kognitiven und affektiven Verarbeitung von Informationen (es sei denn man, wollte aus der quantitativen Bandbreite der Sinneseindrücke auch auf eine entsprechende Offenheit der Perzeption schließen). Es gibt demnach eine partielle interne Fokalisierung, die aber stets mit einer externen Fokalisierung einhergeht. Eine Ausnahme bestünde auch nicht in der Konstruktion eines allwissenden Ich-Erzählers, der die Geschichte des Films selbst konstruiert haben soll, Z. B., wenn sich die Binnenerzählung eines Films als Traum herausstellt. Auch in diesem Fall können wir nicht sicher sein, wie das »Ich« die Informationen der Bild- und Tonebene verarbeitet, während wir, wie gesagt, in der Literatur ausschließlich auf das Zeugnis eines »Ichs«
288 R. Khouloki: Der filmische Raum, S.81. 289 Rombes, Nicholas: The Blue Velvet Project. Blue Velvet, 47 seconds at a time. http://filmmakermagazine.com/27535-the-blue-velvet-project-1/#.U2d7VV4WnbQ 290 Vgl. Althen, Michael: »Von der Bläue des Blaus«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 56, 22.9.2005, S. 39.
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angewiesen sein können. Denn der Film kann sich nicht anders verwirklichen als durch eine simultane Multiperspektivität, die ihn konstitutiv von der Literatur abgrenzt – und ebenso von der Sprache. Dieser Grad an Multiperspektivität, der die kaum berechenbare Perspektive des Zuschauers miteinbezieht, ist keineswegs mit dem Genette’schen Modus der »Nullfokalisierung« zu verwechseln, »in dem die Erzählung keinen ›Blickpunkt‹ zu privilegieren scheint und sich nach Belieben in das Denken all ihrer Personen einfühlt«291, auch wenn Branigan den Terminus durch den der »Multifokalisierung« zu ersetzen sucht.292 Multifokalisierung wäre ein durchaus passender Terminus, um das Verhältnis zwischen dem Wissen des Films (ohne den Anthropomorphismus einer personellen Erzählinstitution) und dem Wissen der Figuren zu erfassen. Die gesamte Erfassung dieses Wissens würde für den Zuschauer allerdings eine Überforderung darstellen – immer vorausgesetzt, dass es überhaupt intersubjektiv erfahrbar existiert, wenigstens auf einer informellen »Daten«-Ebene. Und eine solche verwirrende Überforderung der kognitiven Verarbeitung wurde der Filmkunst an sich nicht nur von pädagogischer Seite immer wieder vorgeworfen, teilweise im selben Atemzug wie die gewaltsame Verschmelzung der Perspektiven von Zuschauern und Filmfiguren von fragwürdigem Ethos (siehe Teil 2 dieses Buches). Ein Film kann sehr wohl den Eindruck einer subjektiven Perspektivik erwecken und dies auch dominant gestalten, er kann sie jedoch nie verabsolutieren. Branigan erläutert die Kameraperspektive im Fall einer externen Fokalisierung wie folgt: »Wir sehen, was Manny anschaut, wenn er etwas anschaut, aber nicht aus seinem spezifischen, einmaligen Blickwinkel; wir müssen daraus ableiten, dass wir dasselbe gesehen haben wie er und auf gleiche Weise.«293 Dies gilt aber eben nicht nur im eyeline match, bei dem wir annehmen, dass wir in dieselbe Richtung schauen, wie die Figur in der Einstellung zuvor (konventionell verstärkt durch die 180°-Regel, nach der die zwischen der Figur und ihrem Objekt etablierte Handlungsachse nicht übersprungen wird und der Protagonist durchgängig in dieselbe Richtung zu schauen scheint, solange das Objekt im Gegenschuss sichtbar wird). Dass wir unsere Übereinstimmung mit dem Blickwinkel der Figur nur ableiten können, wie Branigan ihn formuliert, gilt vielmehr strenggenommen auch in den Fällen, die Branigan als spezifische, einmalige Blickwinkel auffassen würde, also vor allem in Point-of-View-Shots. Schweinitz nimmt durchaus zur Kenntnis, dass sich »die Komplexität [...] der Fokalisierung noch einmal (in einem Sinne, an den Genette nicht gedacht
291 G. Genette: Fiktion und Diktion, S.78. 292 Vgl. E. Branigan: Fokalisierung, S.82. 293 Ebd.
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hat) erhöht, wenn man die Frage nach der Wahrnehmungsperspektive im Film [...] in die Analyse mit einbezieht.«294 Er schreibt daher von einer doppelten Fokalisierung des Films, nämlich »der handlungslogischen und der bild- bzw. tonlogischen Fokalisierung«.295 Wie seine Termini verraten, weist Schweinitz der dem jeweiligen Film eingeschriebenen, die Erzählung organisierenden Kraft, »der ebenso wie dem literarischen Erzähler die Hoheit über alle Ausdrucksmittel des Mediums zuerkannt wird«296 große Bedeutung zu. Diese narrative Intelligenz entwirft Handlungslogik sowie Bild- und Tonlogik so, dass sie intersubjektiv nachvollziehbar werden, wobei sie auf »habitualisiertes Erfahrungswissen um konventionelle narrative Strukturen des Films«297 sowie hypertextuelles Wissen aufbauen. Auf dem eingeschränkten Zugang des individuellen Rezipienten zu dieser Logik zu beharren, mag demgegenüber spitzfindig erscheinen. Sie dürfte sich, eine Rezeption ohne starke Sichtbehinderung oder Tonstörungen vorausgesetzt, auch trotz der partiellen Fokussierung unterschiedlicher Details in einem Großteil des Publikums durchsetzen. Christian Metz rechnet in die »außerkinematographischen« Codes die Perzeption zwar ein, geht jedoch dabei ebenfalls davon aus, dass sich diese visuellen Gewohnheiten je nach der Kultur einer sozialen Gruppe durchaus gemeinsam erfassen lassen298 – was sich kaum bestreiten lässt. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich aber eben nur bis zu einem gewissen Grad voraussetzen. Daher wird in der narrativen Logik selbst bereits erkennbar, wie perspektivische Unterschiede berücksichtigt werden. Das zeigt sich bereits in dem Bemühen jener Filmschaffenden, die eine möglichst große intersubjektive Nachvollziehbarkeit bewirken wollten, ihr Bild von ablenkenden Details »rein« zu halten. Dies gilt sowohl für einen Vertreter der dialektischen Montage wie Eisenstein (siehe Kapitel 1.1) als auch für Hitchcock, die prinzipiell an die »Kollektivierbarkeit« der Zuschauerperspektiven glauben: »Zum Beispiel tragen zwei Schauspieler fast gleiche Anzüge, und schon unterscheidet sie das Publikum nicht mehr. Oder der Dekor ist unübersichtlich, und schon wissen die Leute nicht mehr richtig, wo sie sind. Und während der Zuschauer versucht, sich die Sache zu-
294 Schweinitz: Film und Stereotyp, S.94. 295 Ebd., S.95. 296 Ebd., S.89. 297 Ebd., S.98. 298 C. Metz: Semiologie des Films, S.153-354.
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chen.«
Genettes Modell auf den Film zu übertragen und anzupassen, ist insofern nicht irreführend, weil darin ein Fokalisierungsmodus trotz relativ geringer Alterationen durchaus dominant sein kann. Markus Kuhn schließt aus seinem Analysemodell dementsprechend »kognitivistische, zuschauer- und wirkungsbezogene Ansätze«300 bewusst aus und greift nur jene Ansätze heraus, »die mit einer klassisch-strukturalistischen Narratologie kompatibel sind.«301 Das ist selbstverständlich legitim, solange stets bewusst bleibt, dass der Film nicht allein narrativ, sondern auch eine darstellende Kunst ist. Kuhn wählt etwa das Beispiel eines wechselhaften Hervorhebens des Tons in einer von vier Split-Screen-Szenen. Er schließt daraus auf eine den Zuschauer steuernde, lenkende Instanz, die er als impliziten Autor nahelegt.302 Das Beispiel beweist aber eben auch, dass dieser »Autor« Prioritäten setzen muss und zwar nicht nur in einem linearen Ausschlussverfahren wie die Literatur, sondern in einem simultanen Abmischverfahren. Es stellt sich die Frage, wie es um jene Objekte der Kamera steht, die im »toten Winkel« der Blicklenkung liegen: Können sie unter narratologischen Gesichtspunkten vernachlässigt werden? Gehören sie als Überschuss nicht zur Erzählung, weil die erzählerische Instanz ihre Rezeption nicht vorsieht oder nur auf einer halbbewussten Ebene – auch, wenn sie vom individuellen impliziten Zuschauer entdeckt werden mögen oder beim wiederholten Sehen des Films an Schärfe gewinnen? Und doch ist dieses vermeintliche Treibgut im Erzählfluss der Grund, aus dem narrative Spielfilme »psycho-narration« in der dritten Person Singular auf sprachlicher Ebene ebenso einsetzen könnten wie Kuhn zufolge die Erzählliteratur.303 Ebensowenig kommen Spielfilme aufgrund der vielfältigen Varianten der Mindscreen ohne diese sprachliche psycho-narration aus.304 Die Mindscreen veräußerlicht die psychischen Vorgänge einer Figur, ohne dabei auf die »subjektive« Kamera zurückzugreifen. Ein Beispiel wäre etwa die von Branigan angeführte Einstellung in »Der falsche Mann«, in der Mannys Gesicht mit geschlossenen Augen zu sehen ist und die Kamera durch eine kreiselnde Bewegung of-
299 Zitiert nach: Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S.81. 300 Markus Kuhn: Film-Narratologie, S.8. 301 Ebd. 302 Vgl. ebd., S.165. 303 Vgl. ebd., S.151. 304 Ebd., S.151.
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fenbar sein Schwindelgefühl zum Ausdruck bringt. Die Mindscreen ersetzt aber die psycho-narration nicht, sondern geht über deren Möglichkeiten gleichsam hinaus wie es hinter sie zurückfällt. In einem literarischen Beispiel ließe sich, so das gewünscht ist, der innere Vorgang klar von der diegetischen Außenwelt trennen: »Der Druck war fort, aber sein Kopf dröhnte, sein Schmerz tobte heiß in dem entzündeten und mißhandelten Kiefer, und er fühlte deutlich, daß dies nicht das Bezweckte, nicht die wahre Lösung der Frage, sondern eine verfrühte Katastrophe sei, die die Sachlage nur verschlimmerte...«305 In der Mindscreen aber gehen Figur und Raum unweigerlich ineinander über, die subjektive Befindlichkeit lässt den Raum in »einzelne Splitter eines Traumes nahe des psychischen Erlebnishorizonts«306 zerfallen. Wenn Gefühle und Gedanken sich – zumindest in extremen Zuständen – in einer Veränderung des Raums ausdrücken, ist damit immer auch eine stark subjektivistische Aussage verbunden. Erstens sind die Formen und Figuren des Raumes – in den Filmen, in denen Mindscreens eingesetzt werden – nie objektive Materie, sondern immer psychisch erschaffen. Wenn es auch nur in einer Einstellung möglich ist, den Raum nach dem expressiven Ausdruck der Psyche zu gestalten, steht der Raum insgesamt unter »subjektivistischem Generalverdacht«. Zweitens lassen sich Psyche und Raum nicht mehr in Subjekt und Objekt trennen, sobald wir durch den Raum etwas über die inneren Vorgänge einer Figur erfahren. Denken und Fühlen sind demnach stets bildhaft – ob nun durch die Verformung von Figuren, durch die dramatische Inszenierung von Figuren oder durch stark abstrahierte Darstellungen (wenn die Mindscreen etwa auf Farben oder geometrische Formen zurückgreift). »Seelische« Vorgänge sind also in einem übertragenen Sinne vor einem geistigen Auge sichtbar beziehungsweise von einem inneren Ohr hörbar und nicht sprachlich strukturiert. Denken und Fühlen im Film, so er auf die Mindscreen zurückgreift, vermitteln sich auch den denkenden und fühlenden Figuren in Form eines quasi-sinnlichen Wahrnehmungsvorganges. Freud ging zwar in seiner Traumdeutung davon aus, der Trauminhalt sei in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen seien aber in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen.307 Im Film können Figuren nur sprachlich strukturiert denken, wenn ein Voice Over diese Gedanken als inneren Monolog ausspricht (oder die Figuren eben ihre Gedanken tatsächlich redend verfertigen). Thomas Buddenbrook mag wörtlich denken, »dies ist nicht die
305 Mann, Thomas: Buddenbrooks. Verfall einer Familie, Frankfurt a.M.: Fischer 1999, S.678. 306 N. Stresau: Der Horror-Film, S.22. 307 Freud, Sigmund: Die Traumdeutung, Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 1991, S.284.
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wahre Lösung der Frage, dies verschlimmert die Sachlage nur«. Er mag es aber auch nur fühlen und der Erzähler erst fasst diese deutlichen Gefühle in Worte. In einer Mindscreen jedoch müsste Buddenbrook seinen Schmerz und seine Ahnung in einem offenbar inneren Bild visualisieren oder in einer veränderten Wahrnehmung des äußeren Raumes. Wenn ein Film hingegen psycho-narration auf sprachlicher Ebene einsetzen würde, verlöre diese Ebene augenblicklich die Exklusivität der Informationsvergabe, die sie in der Literatur noch hat (beziehungsweise sie würde an semantischer Vieldeutigkeit gewinnen). Ein Voice Over würde dann über das Bild sprechen: »Er fühlte deutlich, daß dies nicht das Bezweckte, nicht die wahre Lösung der Frage, sondern eine verfrühte Katastrophe sei, die die Sachlage nur verschlimmerte.« Das Bild würde zu dieser Aussage entweder die körperliche Außenansicht dieser inneren Vorgänge darbieten. Sie würde verdeutlichen, dass diese Vorgänge sich in Mimik, Gestik oder sonstigem Verhalten der Figur ausdrücken, Körper und Geist hier also eine Einheit bilden. Oder die Außenansicht wäre kontrastiv und würde zu der Aussage kommen, dass die Figur ihre inneren Vorgänge nach außen hin unterdrückt und körperlich kontrolliert. Auch eine Mindscreen wäre in diesem Fall möglich. Sie würde deutlich machen, dass zu den Gefühlen, die sich vielleicht im Inneren Buddenbrooks als sprachliche Gedanken formen, auch in jedem Fall Gefühle in nichtsprachlicher audiovisueller Gestalt gehören. Zudem erschiene die Sprache des Erzählers durch die menschliche Stimme stärker als »persönlich«, als dies die Erzählinstanz des Textes täte, die möglicherweise nicht anthropomorph und implizit ist. In der Adaption der »Buddenbrooks« von 1959308 wird der Schmerz der Figur daher gezeigt durch das Schauspiel Hansjörg Felmys (etwa sein schweres Atmen), durch einen düster getragenen Score und durch die Betonung des anstrengenden Weges, den Thomas nach der Behandlung zu gehen hat. Die Kamera fokussiert in einer Einstellung zuerst den Boden in Nahaufnahme und zeigt dann den weiten Flur, in dessen hinterer Bildmitte Buddenbrook noch weit entfernt erscheint. Die Ahnung Buddenbrooks wird hingegen nicht versprachlicht und drückt sich auch nicht in einer Auflösung des weiterhin euklidischen Raumes aus. Er sagt in der Zahnarztpraxis: »Es dreht sich alles in großen Kreisen«. Die Kamera vollzieht aber diese Äußerung nicht nach, geschweige denn ersetzt sie, wie in »Der falsche Mann« (was ja auch weniger redundant wäre). »Der falsche Mann« basierte ironischerweise auf einem realen Vorfall und nicht auf einer literarischen Fiktion. Truffaut hielt dem Regisseur daher auch vor, die ro-
308 BUDDENBROOKS – 2. TEIL (BRD 1959, R: Alfred Weidenmann).
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tierende Kamera sei ein antirealistischer Effekt, der zu Hitchcocks hier verfolgtem Ziel absoluter Authentizität im Widerspruch stünde.309 In der Literaturadaption »Buddenbrooks« bleibt die Morbidität hingegen generell auf die Akkumulation von Todesfällen und anderen Katastrophen als Ereignissen der Handlung beschränkt. Sie findet aber in der filmischen Raumorganisation keine Entsprechung. Lübeck bleibt Lübeck, wie es prosperiert und Handel treibt, unbeeindruckt vom Niedergang der Familie. Doch selbst im Fall einer Mindmap dominiert die virtuelle Psyche einer Figur nie vollständig den filmischen Raum, weil sie, wie gesagt, mit der Perspektive des Zuschauers und -hörers zusammentrifft, welche die Informationen organisiert. Weil sich die schon rein optische Distanz zwischen der Perspektive der Figur und jener des Zuschauers nicht überbrücken lässt, ist der filmische Raum also weiterhin ein Ort, der durch die Figurenperspektive nur stark geprägt wird. Der Zuschauerblick macht sich aber als »Gast« in ihm stärker bemerkbar als in der Textrezeption. Er erschließt die »Psyche« der Figur folglich seinerseits räumlich und bildlich. »Das Fenster zum Hof«310 ist das klassische Beispiel für die allegorische Darstellung des voyeuristischen Verhältnisses zwischen dem Zuschauer und dem Film. So könnte man den Film »Bis das Blut gefriert«311 auch teilweise als Allegorie für das Verhältnis zwischen der Zuschauerperspektive und der Perspektive der filmischen Figur betrachten: Dr. Markway, ein Parapsychologe, will »Hill House«, ein Spukhaus, mit empirischen Methoden erforschen. In seinem Team dabei ist die psychisch labile Eleanor, die als Kind angeblich mit geistigen Mitteln einen Steinregen auf ihr Elternhaus erzeugt haben soll. Sie streitet diesen Zusammenhang jedoch ab und beharrt auf einem Streich von Nachbarn. Als sich Eleanor in Hill House verläuft, unternimmt die Kamera selbst keine Fahrten. Sie wechselt aber stetig die Perspektive auf die Frau, aus der Normal- in die Obersicht, Untersicht, in den Dutch Angle, den schwankenden Horizont und den Schwenk. So wird der klaustrophobische Eindruck erweckt, als werde Eleanor von allen Seiten durch das Haus selbst eingeengt und beobachtet beziehungsweise als habe das Haus sie verschlungen. Und doch wäre bei einer reinen Inhaltsangabe nichts weiter zu vermerken, als dass eine Frau angsterfüllt über die Flure hetzt. Es könnte sich ebensogut um eine Mindscreen handeln, demnach hätte also umgekehrt Eleanors Geist das Haus verschlungen. Zwar gibt es später Effekte, die auch von den anderen Teammitgliedern wahrgenommen werden, so etwa
309 F. Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S.233. 310 DAS FENSTER ZUM HOF (REAR WINDOW, USA 1954. R: Alfred Hitchcock). 311 BIS DAS BLUT GEFRIERT (THE HAUNTING, USA 1963, R: Robert Wise).
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atmende Türen. Doch auch hier wird nie deutlich, ob das Haus ein Eigenleben führt oder ob Eleanor es unbewusst durch ihre telekinetischen Kräfte bewegt. Die empirisch-wissenschaftliche Herangehensweise scheitert also, weil Dr. Markway nie weiß, ob seine Umgebung gerade nicht durch Eleanors subjektive Perspektive umstrukturiert wird, er also bereits eine Manifestation ihrer Psyche bewohnt (siehe Abb. 6). Er und sein Team befinden sich somit in einer Situation, die starke Ähnlichkeiten zu der des Publikums angesichts einer Mindscreen aufweist: Sie können nicht mehr erkennen, wo der Raum anfängt und die Figur aufhört, aber sie behalten doch ihre jeweils eigene subjektive Wahrnehmung. Sie sind nicht lediglich geträumte Figuren, sie sind aber möglicherweise im Traum Eleanors zu Gast. Gerade menschliche Behausungen sind im Film konventionell mit psychologischer Metaphorik aufgeladen. So erscheinen sie etwa aufgeteilt in »Es« (Keller), »Ich« (Erdgeschoss) und »Über-Ich«, wie die Villa der Bates’ in »Psycho« oder auch als Fixpunkte von Träumen der Zugehörigkeit wie das Anwesen »Manderlay« in »Rebecca«312 oder das Gut »Tara« in Vom Winde verweht«313. Die Träumerin ist auffällig häufig weiblich, so auch in »Bis das Blut gefriert«. Hier mag das Klischee des Nestbautriebes wirksam sein, aber auch die Assoziation des Hauses mit der Gebärmutter. Eine solche symbolische Zuordnung domestiziert dann auch den verstörend obszönen Effekt von atmenden Türen im Gruselfilm »Bis das Blut gefriert«, der sonst eine ähnliche Irritation erzeugen kann wie Meret Oppenheims Plastik der pelzigen Tasse (die ihrerseits durch eine einfache metaphorische Zuordnung als Vagina in einen Kausalzusammenhang entkräftet werden mag). Da die Filmrezeption in pädagogischen Texten oft als regressiver Akt gewertet wird (vgl. Kapitel 2 dieses Buches), werden sowohl die filmischen Räume als auch die dunklen Vorführsäle mit fötischen Rückzugsräumen konnotiert (Henry M. Taylor schreibt etwa vom »GebärmutterKino«314.). Auch andere Deutungen, etwa aus soziologischer Perspektive sind natürlich denkbar, wie etwa Stephen King das Spukhaus in »Amityville Horror«315 als Objektivierung der Immobilienkrise auffasste316 oder sich Möbel als
312 REBECCA (USA 1940, Regie: Alfred Hitchcock). 313 VOM WINDE VERWEHT (GONE WITH THE WIND, USA 1939, R: Victor Fleming, George Cukor (uncredited), Sam Wood (uncredited)). 314 Vgl. Taylor, Henry M.: »Spektakel und Symbiose: Kino als Gebärmutter – Thesen zur Funktion des Tons im gegenwärtigen Mainstream-Kino«, in: Cinema. 37. 1997, S.93-96. 315 AMITYVILLE HORROR (THE AMITYVILLE HORROR, USA 1979, R: Stuart Rosenberg).
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Warnungen an das Besitzbürgertum sowohl mit explizit (»Die fetten Jahre sind vorbei«317) als auch mit implizit politischer Absicht (»Poltergeist«318) verrücken lassen. Da der Topos des Geisterhauses im Film aber für gewöhnlich auf der Schwelle zwischen metaphysischer und psychischer Manifestation steht, ergibt er auch eine adäquate Metapher für den filmischen Raum an sich. Offensichtlich wandeln darin die Phantome von Figuren beziehungsweise Schauspielern, zugleich müssen diese erst durch Projektionen (des Filmprojektors ebenso wie des Publikums) heraufbeschworen werden. Und was auch immer in einer Filmrolle, einem Videoband oder einer Filmdatei umgeht, solange diese nicht abgespielt wird, wandelt es allein und wartet auf seine Erforschung. Wie Dr. Markway zu Beginn von »Bis das Blut gefriert« den Ort der Handlung vorstellt: »An evil old house. The kind, some people called haunted. It’s like an undiscovered country waking to be explored. Hill House had stood for ninety years and might stand for ninety more. Silence lay steadily against the wood and stone of Hill House. And whatever walked there, walked alone.«/In der deutschen Synchronfassung: «Ein böses altes Haus. Dunkel, geheimnisvoll, wie ein unentdecktes Land, das darauf wartet, erforscht zu werden. Neunzig Jahre steht Hill House und vielleicht steht es noch weitere neunzig Jahre. Unheimlich, friedhofsstill. Eine Stätte, die manche Leute ein Gespensterhaus nennen. Ein Haus, in dem es umgeht.«
Ohne diese Metapher um ihrer selbst willen zum Exzess zu treiben: Das Spukhaus als selbstreferentieller Handlungsort des Films trägt noch in einem anderen Punkt zum Verständnis der spezifisch filmischen Perspektivik bei. Gerade weil der Blick des Zuschauers im virtuellen Raum stets präsent bleibt, vermag es der Film, den Zuschauer visuell direkt zu adressieren, ohne ihn explizit anzusprechen. Die in sich geschlossene Handlungskontinuität bleibt somit gewahrt, die vierte Wand wird durchbrochen und doch nicht durchbrochen. In »The Ring«319 beispielsweise hat ein telekinetisch begabtes Mädchen, Samara, 320seinen Geist auf ein Videoband übertragen. Dazu hätte eine einfache Aufzeichnung auch ge-
316 Vgl. King, Stephen: Danse Macabre. Die Welt des Horrors (Danse Macabre. Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber), München: Ullstein 2004, S.241-242. 317 DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI (DE 2004, R: Hans Weingartner). 318 POLTERGEIST (USA 1982, R: Tobe Hooper). 319 THE RING (USA 2002, R: Gore Verbinski). 320 Bzw. in der früheren japanischen Version des Stoffes »RING – DAS ORIGINAL« (RINGU, JP 1998, R: Hideo Nakata): Sadako.
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nügt, nicht aber für den nächsten Schritt: Das tote Mädchen auf dem Videofilm im Film kommt aus dem Bildhintergrund näher und kriecht schließlich aus dem Fernsehbildschirm in das Zimmer des Zuschauers – immer noch in Schwarzweiß und von gelegentlichen Glitches (Frequenzstörungen) durchzogen. Wenn aber die vierte Wand zwischen dem Video im Film und dem Film selbst durchbrochen werden kann, so die Suggestion, erscheint die vierte Wand zwischen »The Ring« und dem Zuschauerraum ebenfalls instabiler. Wenn also Samara auf die Kamera zu kriecht, so fallen die Perspektive ihres Betrachters im Film und ihres Betrachters in der außerfilmischen Realität noch nicht zusammen. Es werden aber beide gleichermaßen durch Samaras bösen Blick adressiert. Es ist somit möglich, den Zuschauer einzubeziehen, ohne metafiktional zu werden oder ihn direkt anzusprechen. In ihrer literarischen Form ist psycho narration in der 3. Person im Film hingegen ebensowenig realisierbar, wie eine direkte Anrede des Zuschauers in der 2. Person. Wenn der Ich-Erzähler in Poes »Das verräterische Herz« seinen Adressaten anherrscht »Geben Sie acht!«, bricht das nicht zwangsläufig die Fiktion – es kann sich um die schriftliche Widergabe eines mündlichen Berichtes handeln oder um eine Briefanrede. Wenn hingegen eine Figur in die Kamera spricht und das Publikum direkt adressiert, stabilisiert dies die räumliche Wahrnehmung letztlich, weil sich der Film als Metafiktion durchschaubar macht. Nur einige wenige Kinderfilme greifen noch auf die Tradition des Kindertheaters zurück, ihr Publikum zum Mitmachen zu animieren, um die Handlung voranzutreiben, zum Beispiel in »Glücksbärchis Teil 2 – Jetzt im Abenteuerland«321 (die Glücksbärchis fordern hier das Publikum auf, eine gestorbene Figur wiederzubeleben, indem jeder zu seinem Sitznachbar sagen soll, wie viel ihm an ihm liegt). Eine Strategie, die Unglaubwürdigkeit der filmischen Adressierung im Erwachsenenfilm auszugleichen, ist es, die Asynchronität zwischen filmischem Raum und Zuschauerraum nicht zu verbergen, sondern den Spielfilm als Found Footage auszugeben. Der Film gibt sich somit als ebenso aufgezeichnetes Material zu erkennen wie ein Schriftdokument, muss dafür aber – wiederum anders als die Literatur – einen entsprechend großen Aufwand betreiben (etwa durch den Verzicht auf zahlreiche filmische Stilmittel wie nichtdiegetische Musik oder eine fließende Kameraführung, durch glaubwürdig realistische Schauspielleistungen usw). Mit dieser Strategie war pseudodokumentarischen Horrorfilmen
321 GLÜCKSBÄRCHIS TEIL II – JETZT IM ABENTEUERLAND (CARE BEARS MOVIE II – A NEW GENERATION, CN/USA 1986, R: Dale Schott).
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wie »Nackt und zerfleischt«322 oder »Blair Witch Project« mitunter tatsächlich illusionistischer Erfolg beschieden, bis sie sich in einem eigenen Subgenre als Konvention erkennbar machte. So ist es also streng genommen unzutreffend, wenn Mahne schreibt, bei der »subjektiven« Kamera sei »die optische Perspektive des Betrachters identisch mit der des Akteurs«323, richtig ist vielmehr, wenn sie im selben Absatz schreibt: »Die Sichtfeldbegrenzung des Protagonisten stimmt überein mit der des Zuschauers.«324 Die Zuschauerperspektive ist für den Film eben nicht nur konstitutiv in einem konstruktivistischen Sinn, sie wäre es selbst noch von einem positivistischen Standpunkt aus. Personalpronomen gibt es hier nur als akustische oder graphische Anteile der Bilder.325 »Da die Bilder nicht ›ich‹ sagen können [...], müssen wir ›ich‹ sagen, und wir tun es unablässig. [...] Sie wünscht sich gemeint zu sein. Es ist dieser eine Satz, der deutlich macht, was der Film (eigentlich) nicht kann, aber (gekonnt) dann doch zu leisten versucht; nicht wortwörtlich, weil ihm die ›Verben des Sagens und Meinens‹ nicht zur Verfügung stehen, aber doch mit Hilfe vieler bildtechnischer Mittel, sodass wir glauben zu wissen [...]. Zwar 326
fehlt uns die Sicherheit des ›Meint er mich?‹, aber wir merken es nicht [...].«
Auch Matthias Schönleber hält unter Bezugnahme auf Anke-Marie Lohmeier327 fest, dass primär der Filmzuschauer das ihm zur Verfügung gestellte Material klassifiziere und systematisiere: »Der Verzicht auf den impliziten Autor oder auf andere extradiegetische Erzählsubjekte und der Verweis auf das – vom Rezipienten zu leistende – Verfahren der systematischen Textbildung ist kein Sophismus. Wenn bei der filmischen Narration auf den Erzähler (auch auf den impliziten) aus den genannten Gründen verzichtet wird, tritt in der Gegen-
322 NACKT UND ZERFLEISCHT (CANNIBAL HOLOCAUST, IT 1980, R: Ruggero Deodato). 323 N. Mahne: Transmediale Erzähltheorie, S.98. 324 Ebd. [einen störungsfreien Blick des Zuschauers auf den Film selbstverständlich vorausgesetzt] 325 Vgl. Bach, Michaela: »Dead Men – Dead Narrators. Überlegungen zu Erzählern und Subjektivität im Film«, in: Walter Grünzweig/Andreas Solbach (Hg.): Grenzüberschreitungen: Narratologie im Kontext/Transcending Boundaries: Narratology in Context, Tübingen: Narr 1999, S.231-246, hier S.242. 326 E. K. Paefgen: Dem Bewusstsein bei der Arbeit zusehen, S.116. 327 Vgl. Lohmeier, Anke-Marie: Hermeneutische Theorie des Films, Tübingen: de Gruyter 1996.
112 | VERFOLGUNGSJAGDEN überstellung der Medienformate der Erzähler des literarischen Textes umso stärker her328
vor.«
Schönleber betrachtet Genettes Konzept der Fokalisierung als dem Film gemäßer als eine Übertragung von Stanzels Erzählsituationen,329 worin ihm nach den obigen Darlegungen zuzustimmen ist. Auch er kommt freilich zu dem Schluss, dass die Genette’schen Kategorien in Bezug auf den Film modifiziert werden müssen: »Nicht umsonst ist der Begriff ›Perspektive‹ im literarischen Zusammenhang ein Terminus, der eine ganze Vertextungsstrategie beschreiben kann, während er im filmischen Zusammenhang [...] auf die Einstellung, also eine denkbar kleine Kategorie des Gesamtfilms bezogen ist«. Schönleber wäre auf der oben dargelegten Grundlage nun insofern noch zu ergänzen, als nicht nur häufig die mehrkanalige Fokalisierung über Bild und Ton eine Einstellung oft multipel fokalisiert (teilweise auch extradiegetisch). Die Perspektive des systematisch textbildenden Zuschauers bedingt zudem innerhalb derselben Einstellung, dass nie von einer festen, sondern nur von einer dominanten Fokalisierung die Rede sein kann. Dies ist insofern von Bedeutung, als sich der Spielfilm in diesem Punkt einer lückenlosen Zuordnung zu den narrativen Künsten widersetzt. Der Spielfilm ist somit auch nicht gänzlich »mit narrationsanalytischen Kategorien beschreibbar.«330 Die aber immerhin doch dominanten Fokalisierungsmodi herauszuarbeiten, verspricht durchaus ergiebig zu sein. Als weitgehend fruchtlos haben sich hingegen die Analogien zur Literatur erwiesen, die zwischen filmsprachlichen und außerfilmsprachlichen Ebenen zu unterscheiden suchen. Ebenso irreführend sind jene Ansätze, die eine literarische Erzählsituation mit einer Positionierung der Kamera zu parallelisieren suchen. Literarische Erzählperspektive und Kameraperspektive haben allerdings gemeinsam, dass sie nicht in einem direkten Verhältnis zum Identifikationspotential des Rezipienten stehen. Es spricht vielmehr einiges dafür, Bezüge zwischen dem Informationsgefälle zwischen Rezipienten und Figur einerseits und empathischer Anteilnahme des Rezipienten an der Figur andererseits zu sehen. Schönleber befürwortet das Modell von Borstnar, Pabst und Wullf,331 das zwischen einem quantitativen (narrativen) Point of View und einem qualitativen (optischen) Point
328 M. Schönleber: Schnittstellen, S.222. 329 Vgl. ebd., S.216-217. 330 M. Schönleber: Schnittstellen, S.208. 331 Vgl. Borstnar, Nils/Pabst, Eckhard/Wulff, Hans Jürgen: Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, Konstanz: UVK 2002, S.169.
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of View der Informationsvergabe unterscheidet. Auch hier wird der in letzter Konsequenz schwer berechenbare Point of View des die Informationsfülle filternden Zuschauers zwar nicht einbezogen. An diesem Modell ist aber vor allem zu bedenken, dass es ebenfalls die Point of View Shots als Grundlage für identifikatorische Prozesse zwischen Rezipient und Filmfigur ansieht, also eine kongruente Informationsvergabe, wohingegen Hitchcocks angewandte Suspensetheorie von dem stärksten Identifikationsmoment durch eine asymmetrische Informationsvergabe »zugunsten« des Publikums ausgeht (die nicht an einen bestimmten optischen Point of View gebunden ist). Um noch einmal auf Poes »Das verräterische Herz« zurückzukommen: Der »Ich«-Erzähler in dieser Kurzgeschichte behauptet, sein Adressat hätte ihn bei dem Mord nur sehen müssen, um ihn nicht länger für verrückt halten zu können. Er schließt aus der Ruhe und Bedachtheit der äußeren Handlung auf die innere Verfassung. Gesund wäre demnach derjenige, der seine innere Nervosität in der Selbstdarstellung unterdrücken kann. Der Erzähler scheint also eben seine »Ich«-Perspektive als problematisch aufzufassen. Offenbar ahnt er, dass er die Geschichte nicht ganz so »grundgesund« und »ruhig« erzählen kann, wie er hofft. Der autodiegetische Erzähler stört sich also an der Kluft zwischen ihm und der literarischen Figur, die er rückblickend von sich selbst entwerfen möchte. Sein Erzählmodus gibt zuviel der eigenen Subjektivität preis. Er möchte aber wenigstens die Version seiner selbst innerhalb seiner Erzählung in ihrem Handeln intersubjektiv nachvollziehbar gestalten. Eine filmische Darstellung seiner Tat anstelle einer sprachlichen Aufzeichnung (oder eines mündlichen Berichtes) würde seinem Wunsch also entsprechen können – beziehungsweise seinem angeblichen Wunsch, denn offenbar versucht »Ich« durch seine erzählerischen Mittel, die eigene Tat nachträglich aufzuwerten. Vielleicht aber geht »Ich« auch tatsächlich davon aus, dass eine Augenzeugenschaft der Tat dem geistig gesunden Bild entsprechen würde, das er von sich entwerfen möchte. Vorausgesetzt, sein Tatbericht, wenn auch nicht dessen rückblickende Bewertung, sei insgesamt glaubwürdig, unterliegt er selbstverständlich einem naiven Fehlschluss. Im Besonderen bestünde sein Irrglaube darin, ein willkürlicher Mord könnte von den meisten Rezipienten überhaupt als rationale Tat bewertet werden. Im Allgemeinen würde er darin irren, dass seine subjektive Wahrnehmung der äußeren Vorgänge mit derjenigen des Zuschauers in jedem Fall übereinstimmen müsste. In diesem Punkt wäre ihm auch der Film kein adäquateres Mittel: Die Perspektiven des Zuschauers und der Figur verschmelzen hier ebenso wenig miteinander wie in der Literatur. Gerade weil der Filmzuschauer den Tathergang sehen kann, kann er ihn nur von seinem eigenen Standpunkt aus beobachten. Er wird also zwangsläufig und bereits rein optisch eine
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von der Perspektive der Figur zumindest leicht abweichende Perspektive einnehmen. In der literarischen »Ich-Erzählung« ist er hingegen noch weit mehr auf die Informationen angewiesen, die der Erzähler preisgibt. Dieser stellt sich nur offenbar nicht eben geschickt darin an, seine Unzuverlässigkeit zu kaschieren. Den Umstand, dass Rezipient und Figur in Film wie Literatur nie ganz zusammenkommen können, kann nicht nur durch die jeweiligen künstlerischen Mittel nahezu verdeckt werden. Er kann auch dazu dienen, ein entsprechendes Begehren zu inszenieren und dann zu konterkarieren. Ein solches Spiel der Distanz und Nähe lässt sich nicht nur im Fall »Das verräterische Herz« verfolgen, sondern ebenso in E.T.A. Hoffmanns »Der goldne Topf«. Diverse Erzähler in Hoffmanns Erzählungen sprechen Einladungen an den immanenten Leser aus, den Schritt in ihre Welt zu vollziehen. Immer wieder beklagen sie aber auch das Unvermögen ihrer Sprache, um fiktionalen und literarischen Raum miteinander zu verschmelzen. In »Der goldne Topf« wird dazu ein Avatar des Lesers erschaffen, um an seiner statt in die Geschichte einzugreifen: »Ich wollte, daß du, günstiger Leser! am dreiundzwanzigsten September auf der Reise nach Dresden begriffen gewesen wärest; vergebens suchte man, als der späte Abend hereinbrach, dich auf der letzten Station aufzuhalten; der freundliche Wirt stellte dir vor, es stürme und regne doch gar zu sehr, und überhaupt sei es auch nicht geheuer, in der Äquinoktialnacht so ins Dunkle hineinzufahren, aber du achtetest dessen nicht, indem du ganz richtig annahmst: ich zahle dem Postillion einen ganzen Taler Trinkgeld und bin spätestens um ein Uhr in Dresden, wo mich im goldnen Engel oder im Helm oder in der Stadt 332
Naumburg ein gut zugerichtetes Abendessen und ein weiches Bett erwartet.«
Im Kontext der bisherigen Erzählung wird diese Passage zur Suspense-Szene im Hitchcockschen Sinne. Die innere Ordnung dieses Absatzes wird durch Informationen verändert, die der Erzähler mit dem Leser bereits geteilt hat – in Dolars Worten ein Fleck im Feld des Sehens, aber nicht des im obigen Zitat Sichtbaren (wobei es sich hier eben bei dem Sichtbaren um ein Lesbares handelt). 333 Weder der Wirt noch der virtuelle Doppelgänger des Lesers ahnen, was der Leser selbst bereits weiß: Dass jede weitere Verzögerung dazu führen könnte, dass »du« sei-
332 Hoffmann, E. T. A.: »Der goldne Topf«, in: E.T.A. Hoffmanns sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe mit Einleitungen, Anmerkungen und Lesarten von Carl Georg von Maassen. Erster Band. Fantasiestücke in Callots Manier. Mit zehn Bildbeigaben und einem Faksimile, München/Leipzig: Georg Müller 1908, S.235338, hier S.291. 333 Vgl. M. Dolar: Der Zuschauer, der zuviel wußte, S.132.
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ner Rettungsfunktion nicht nachkommen wird. Denn in derselben Nacht soll die Figur Veronika zu einem verhängnisvollen Hexenritual verführt werden. Das für den Leser und die Figuren sonst emotional neutrale Gespräch wird im lesenden »Oszillieren zwischen Überschuß und Mangel«334 des Wissens zum retardierenden Moment. Der Wirt avanciert durch seine Fürsorge um den fiktionalen Leser gewissermaßen zu einem Gegenspieler des außerliterarischen Lesers. In dem Moment, in dem der fiktionale Leser diesem Werben widersteht, nähert er sich (wenigstens der Suspense-Theorie zufolge) dem Interesse des impliziten, »tatsächlichen« Lesers an, wenn auch aus einem anderen Motiv. Diese Annäherung wird verstärkt durch den erzählerischen Wechsel vom »du« in das introspektive »ich«. Dennoch ist hier nicht von einer plötzlichen Identifikation des Lesers in der außerliterarischen Wirklichkeit mit dem diegetischen Leser auszugehen: Die Asymmetrie des Wissens bleibt wirkmächtig. Im unmittelbaren weiteren Verlauf der Erzählung kommt der diegetische Leser nun also zu seinem Rettungseinsatz. Die Unmittelbarkeit des Geschehens wird durch einen Sprung ins Präsens verstärkt. Anstelle des Wirtes bremsen hier die Pferde das Verlangen des impliziten Lesers, das mit demjenigen seines diegetischen Stellvertreters noch nicht identisch sein kann. Bei letzterem handelt es sich offenbar allein um Erkenntnisinteresse, beim Rezipienten ist offenbar empathische Anteilnahme intendiert. Dennoch nähern sich beide Perspektiven in ihrem Informationsstand an: »Wie du nun so in der Finsternis daherfährst, siehst du plötzlich in der Ferne ein ganz seltsames flackerndes Leuchten. Näher gekommen, erblickst du einen Feuerreif, in dessen Mitte bei einem Kessel, aus dem dicker Qualm und blitzende rote Strahlen und Funken emporschießen, zwei Gestalten sitzen. Gerade durch das Feuer geht der Weg, aber die Pferde prusten und stampfen und bäumen sich – der Postillion flucht und betet – und 335
peitscht auf die Pferde hinein – sie gehen nicht von der Stelle.«
Während der Rezipient sein Vorwissen über die Motivation der sich nun darbietenden Szene dem fiktionalen Leser vorausbehält, fällt ihr Informationsstand in der Perspektive auf das äußere Geschehen zusammen. Dass der Erzähler als vermittelnde Instanz zwischen beide tritt, spielt dabei keine Rolle, da die Inkarnation des Lesers auf der Handlungsebene erklärtermaßen kurz zuvor von diesem Erzähler geschaffen wurde:
334 Ebd., S.133. 335 Hoffmann: Der goldne Topf, S.291-292.
116 | VERFOLGUNGSJAGDEN »– Unwillkürlich springst du aus dem Wagen und rennst einige Schritte vorwärts. Nun siehst du deutlich das schlanke holde Mädchen, die im weißen dünnen Nachtgewande bei dem Kessel kniet. Der Sturm hat die Flechten aufgelöst, und das lange kastanienbraune Haar flattert frei in den Lüften. Ganz im blendenden Feuer der unter dem Dreifuß emporflackernden Flammen steht das engelschöne Gesicht, aber in dem Entsetzen, das seinen Eisstrom darüber goß, ist es erstarrt zur Totenbleiche, und in dem stieren Blick, in den hinaufgezogenen Augenbrauen, in dem Munde, der sich vergebens dem Schrei der Todesangst öffnet, welcher sich nicht entwinden kann der von namenloser Folter gepreßten Brust, siehst du ihr Grausen, ihr Entsetzen; die kleinen Händchen hält sie krampfhaft zusammengefaltet in die Höhe, als riefe sie betend die Schutzengel herbei, sie zu schirmen vor den Ungetümen der Hölle, die, dem mächtigen Zauber gehorchend, nun gleich erscheinen werden! – So kniet sie da, unbeweglich wie ein Marmorbild. Ihr gegenüber sitzt auf dem Boden niedergekauert ein langes, hageres, kupfergelbes Weib mit spitzer Habichtsnase und funkelnden Katzenaugen; aus dem schwarzen Mantel, den sie umgeworfen, starren die nackten knöchernen Arme hervor, und rührend in dem Höllensud, lacht 336
und ruft sie mit krächzender Stimme durch den brausenden tosenden Sturm.«
Diese Beschreibung erzeugt nun potentiell sowohl für den Leser als auch für den »Leser« empathische Anteilnahme durch zugespitzte Gegensätze von Weiblichkeit in hoher Verdichtung: Veronika ist durch Diminutive wie »Händchen« und ihre statuesk verängstigte Passivität dazu angetan, Beschützerinstinkte zu wecken. Die wiederholte Bezugnahme auf die Engel hebt ihre Unschuld hervor, in Dichotomie zum zweimaligen Bezug der Hexenfigur auf die Hölle. Im selben Atemzug mag sie aber auch durch ihre (ebenso statuesk passive) Attraktivität, Schlankheit und ihr aufgelöstes Haar im Sturm erotische Begehrlichkeiten wecken. Diese Eigenschaften könnten dazu beitragen, im Leser durch einen »männlichen Blick« die »Tugenden« eines patriarchalen Beschützers wachzurufen – denn mutmaßlich handelt es sich bei dem fiktionalen Doppelgänger des Rezipienten oder der Rezipientin um einen Mann (er reist im frühen 19. Jahrhundert allein). Demgegenüber wird das denunziatorische Bild der Hexe gestellt, deren Schlankheit Hagerkeit ist und deren nackt freigelegte, knöcherne Arme nicht wie diejenige Veronikas an eine überzeitliche Statue, sondern an den Tod erinnern. Ihre Farbe ist kupfergelb, also nicht nur der Farbsymbolik allein schon nach giftig, während Veronikas kastanienbraune Haare genießbar und fruchtbar sind. Die animalischen Züge der Hexe – dem Motiv gemäß an Raubvögel und »feminine« Katzen gemahnend – tragen ihrerseits dazu bei, Leser und »Leser« an archaisch
336 Ebd., S.292.
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besetzte »männliche« Tugenden zu erinnern, diejenige des Jägers und Kämpfers. Gleich welchen Geschlechtes wird dem Leser hier nun eine innere Wandlung eingeschrieben, wobei der Verweis auf die bildende Kunst bemerkenswert ist: »Ich glaube wohl, daß dir, günstiger Leser! kenntest du auch sonst keine Furcht und Scheu, sich doch bei dem Anblick dieses Rembrandtschen oder Höllenbreughelschen Gemäldes, das nun ins Leben getreten, vor Grausen die Haare auf dem Kopfe gesträubt hätten. Aber dein Blick konnte nicht loskommen von dem im höllischen Treiben befangenen Mädchen, und der elektrische Schlag, der durch alle deine Fibern und Nerven zitterte, entzündete mit der Schnelligkeit des Blitzes in dir den mutigen Gedanken, Trotz zu bieten den geheimnisvollen Mächten des Feuerkreises; in ihm ging dein Grausen unter, ja der 337
Gedanke selbst keimte auf in diesem Grausen und Entsetzen als dessen Erzeugnis.«
Das sinnbildliche Gemälde droht den »Leser« in passiver Erstarrung ebenso zu bannen wie die Hexe Veronika hat erstarren lassen. Auf den ersten Blick paradox erscheint, dass das »Gemälde« diesen Effekt gerade deswegen hat, weil es angefangen hat, sich zu bewegen. Eigentlich müsste es den Betrachter also umso mehr aktiv involvieren können. Doch in dem Moment, in dem es Bestandteil desselben Raum-Zeit-Kontinuums geworden ist, droht der Betrachter/»Leser« zum Objekt seines eigenen Blickes zu werden. Sein Blick wird auf ihn zurückgeworfen, doch ist es abermals der Blick auf das schutzlose Mädchen, der neue subjektive Begierde zu wecken vermag. »Um den Leser vorübergehend in seine [...] Welt zu locken, spekuliert der Erzähler nicht nur auf das apollinische Bedürfnis, sittliche Ordnung zu schaffen, sondern weit eher auch auf sinnliche, dionysische Gelüste, die gewaltsamer – nämlich Fall der Erschießung der Hexe – und andeutungsweise sexueller Natur sind, wenn von dem ›recht innigen Verlangen‹ die Rede ist, mit dem der Leser das Mädchen in der Finsternis sucht.«338 Der Handlungsverlauf, der in der folgenden Passage vom Erzähler imaginiert wird, ließe sich dementsprechend in einem Ego-Shooter-Computerspiel optimal gestalten: »Es war dir, als seist du selbst der Schutzengel einer, zu denen das zum Tode geängstigte Mädchen flehte, ja als müßtest du nur gleich dein Taschenpistol hervorziehen und die Alte ohne weiteres totschießen!«339
337 Ebd., S.292-293. 338 Pietsch, Volker: Persönlichkeitsspaltung in Literatur und Film. Zur Konstruktion dissoziierter Identitäten in den Werken E.T.A. Hoffmanns und David Lynchs, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2008, S.65. 339 Hoffmann: Der goldne Topf, S.293.
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Doch hier fallen – ohne offensichtlichen Grund – die Gedanken und die Handlung des »Lesers« auseinander: »Aber, indem du das lebhaft dachtest, schriest du laut auf. »Heda!« oder: »Was gibt es dorten«, oder: »Was treibt ihr da!« – Der Postillion stieß schmetternd in sein Horn, die Alte kugelte um in ihren Sud hinein, und alles war mit einemmal verschwunden in dickem Qualm. – Ob du das Mädchen, das du nun mit recht innigem Verlangen in der Finsternis suchtest, gefunden hättest, mag ich nicht behaupten, aber den Spuk des alten Weibes hattest du zerstört und den Bann des magischen Kreises, in den sich Veronika leichtsinnig 340
begeben, gelöset.«
Ob hier die Würde des »Lesers« und mit ihm des Lesers in der außerliterarischen Welt durch den Verzicht auf den tötenden Schuss gewahrt wird? Ist die Literatur des frühen 19. Jahrhunderts noch nicht so weit wie die »subjektive Kamera« des Horrorfilms oder des Ego Shooters, die dem Rezipienten auch Morde unterschieben wollen? Beziehungsweise bei einer erfolgreichen Rettung Veronikas Umarmungen und Küsse, geschweige denn mehr? Darüber lässt sich nur spekulieren, in jedem Fall aber fallen Innenperspektive und äußeres Handeln des virtuellen Lesers auseinander, so dass er mehrdimensionaler wird. Andererseits erweist er sich aber auch zu einem gewissen Grad in sich ähnlich gespalten, wie der außerliterarische Leser selbst »aufgespalten« wird in sich und einen virtuellen Stellvertreter. Dieser Stellvertreter entwirft scheinbar ein eigenes Zukunftsszenario, das nicht eintreffen wird. Gleichsam wird der »tatsächliche« Leser darauf zurückgestoßen, dass er eben doch nicht zur Handlung gehören darf und auch »sein« Zukunftsszenario, wie es der Erzähler für ihn entworfen hat, nicht eintrifft. Wenn der Leser also als Puppe in einer Puppe erscheint, so agiert er weniger in Binnenerzählungen, als eher in Parallelwelten, die »parahistorische« Ereignisverläufe vorführen. Es handelt sich scheinbar, um mit Donald Winnicott341 zu sprechen, um Übergangsobjekte des Lesers, mit denen dieser in Übergangsräumen zwischen literarischer Fiktion und »Realität« sein Handeln austesten zu können glaubt – je mehr er sich auf das intensive Szenario des Erzählers einlässt. Aber das magische Denken, das dabei potentiell heraufbeschworen wird, bei dem der Leser seinen Stellvertreter also wie im Kasperletheater anfeuern oder warnen möchte, wird nach anfänglichen Erfolgen nun kalt desillusioniert:
340 Ebd., S.293. 341 Vgl. Winnicott, Donald W.: Vom Spiel zur Kreativität (Playing and Reality. Aus dem Englischen von Michael Erdmann), Stuttgart: Klett-Cotta 1979.
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»Weder du, günstiger Leser! noch sonst jemand fuhr oder ging aber am dreiundzwanzigsten September in der stürmischen, den Hexenkünsten günstigen Nacht des Weges, und Veronika mußte ausharren am Kessel in tödlicher Angst, bis das Werk der Vollendung 342
nahe.«
Der durch den »männlichen Blick« auf Schutzobjekt und Gegnerin verheißene Heldenstatus wird wieder dekonstruiert, die Hilflosigkeit Veronikas vielmehr mit der des ausharrenden Rezipienten parallel gesetzt (eine auch dem Publikum von Slasherfilmen vertraute Erfahrung). Durch solche enttäuschte Verheißung absoluter perspektivischer Identifikation wird dem Leser also seine Distanz zum Geschehen verdeutlicht. Er mag denselben oder sogar einen erhöhten Informationsstand gegenüber den Figuren haben. Doch dies bedeutet zugleich ein Weniger an Wissen darüber, ob die Erzählung die daraus entstehende Anteilnahme belohnen oder enttäuschen wird. Die Literatur hat also einen Vorteil darin, dass sie all das, was sie an Zeichen vermitteln möchte, zumindest potentiell auf den Leser übertragen kann. Sie hat in diesem Bereich etwas »mehr Macht« über den Leser. Der Film muss immer den Blick des Zuschauers auf eine bestimmte Zeichenmenge lenken. Um diesen Preis lässt er sich dafür von einer großen Masse zugleich rezipieren. Der Film hat eben darin einen Vorteil, dass er bereits auf der Zeichenebene einen syntaktischen Raum eröffnet, der sich jedem Zuschauer und -hörer potentiell etwas anders darbieten kann. Somit wird die Rezeption individualisiert und offen genug für einen Kinosaal mit 5920 Besuchern (wie das Roxy Theatre in New York von 1927 bis 1960).343 Erweist sich an dem Beispiel aus »Der goldne Topf« aber nun, dass sich beide Künste gleichermaßen auf die Negation verstehen? Sind Literatur und Film im selben Umfang dazu befähigt, regressive Hoffnungen auf eine intersubjektive Wahrnehmung aufklärerisch zu enttäuschen – also die Dissoziationserfahrung in der Moderne zu vermitteln?
342 Hoffmann: Der goldne Topf, S.293. 343 »8 BLICKWINKEL« (»VANTAGE POINT«, USA 2008, Regie: Pete Travis) heißt dementsprechend auch ein Thriller, in dem die Figuren als Stellvertreter des Publikums einen äußeren Tathergang aus eben jenen individuellen Blickwinkeln rekonstruieren müssen.
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1.6 S EHEN UND GESEHEN WERDEN / L ESEN UND GELESEN WERDEN Slavoj Žižek erfasst 1994 unter der Überschrift »Metastasen des Begehrens«344 ein Phänomen, dem sich auch der virtuelle Leser in »Der goldne Topf« zuordnen lässt. Žižek wählt allerdings andere Beispiele, darunter den Film »Das Fenster zum Hof«, in dem der Voyeur Jefferies zum Schluss von einem Nachbarn aus dem eigenen Fenster in den Hinterhof gestoßen wird – also auf eben jene »Bühne«, die sich seinen heimlichen Beobachtungen bislang darbot. Damit, so Žižek, verwandelt sich Jefferies »in einen Fleck in seinem eigenen Bild, er macht sich in diesem, d. h. in dem Raum, der als sein eigenes Feld der Sichtbarkeit definiert wird, (ge)sehen.«345 Dasselbe könnte man auch von dem Leser sagen, der als virtueller Leser in Hoffmanns Erzählung integriert wird, aber eben nur in einem übertragenen Sinne. Denn die fiktionale Figur Jefferies bleibt sich bei diesem Vorgang identisch, während die gemeinsame Identität des Rezipienten mit seiner fiktionalen »Abspaltung« im Fall von »Der goldne Topf« lediglich behauptet wird. Trotz dieses grundlegenden Unterschieds sei die Analogie noch etwas weiter verfolgt. Um das zu dürfen, sei gesetzt, dass es sich bei dem »Leser« nicht um einen behaupteten Stellvertreter des tatsächlichen Rezipienten handelt, sondern um den behaupteten Stellvertreter eines weiteren fiktionalen »Lesers« – nämlich um den »Leser«, den sich der Erzähler als Gegenüber vorstellt, um ihn in einer kurzen Fiktion auftreten zu lassen. Der Leser als Gegenüber, wie ihn sich der Erzähler vorstellt, erhält somit einen parasitenähnlichen »Auswuchs« der mit den Objekten seiner Begierde verflochten wird, also mit Veronika und der Hexe. Der Leser als Gegenüber der Erzählung wird also zu einer supplementären Figur innerhalb der Erzählung, einer Metastase des eigenen Begehrens, daran teilzuhaben. Wenn man Žižeks Äußerungen, die er unter anderem zu dem genannten Moment in »Das Fenster zum Hof« trifft, auch auf dieses literarische Beispiel anwendet, so markiert dieser Moment »die Verkehrung des Begehrens in den Trieb.«346 Das Begehren wird aufrechterhalten, solange das Feld der Sichtbarkeit
344 Žižek, Slavoj: »Metastasen des Begehrens. Von Wagner über Magritte zu Ridley Scott«, in: Michael Wetzel/Herta Wolf (Hg.): Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten, München: Wilhelm Fink Verlag 1994, S.249-269. 345 Ebd., S.268. 346 Ebd., S.268.
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organisiert, gestützt wird vom Begehren des Lesers als Gegenüber des Erzählers, Veronika zu retten und die Hexe zu töten. In dem Moment, da der Leser zu einem Objekt-Fleck in seinem eigenen Bild reduziert wird, tritt er in das Register des Triebes ein. Hier »wird ein Stück der [diegetischen] Realität in einen amorphen Fleck verwandelt [...], in einen Fleck jedoch, um den sich das gesamte Feld des Sichtbaren dreht, einen Fleck, der sich über das gesamte Feld ›verschmiert‹.«347 Die Figuren Veronika und die Hexe wissen nicht, dass sie vom Leser beobachtet werden, vom Leser auf allen drei Realitätsebenen – dem Rezipienten in der außerliterarischen Wirklichkeit, dem Leser als fiktionalem Gegenüber des Erzählers und dem Leser als fiktionaler Figur des Erzählers. Veronika und die Hexe geben aber gleichwohl ihre »Vorstellung« für das Begehren all dieser Leser. Diese Objekthaftigkeit wird in dem Moment verdeutlicht, in dem ein verkleinerter, papierner, untoter »Zwilling« des Lesers sich ihnen zugesellt. In diesem Moment droht der Leser freilich zum Objekt seines eigenen Blickfeldes zu werden. Da eine solche totale Vereinigung von Subjekt und Objekt im Trieb nicht geschehen darf, ohne dass der Erzählzusammenhang implodiert, wird sie vom Erzähler dann verhindert – gleich auf drei Ebenen. Auf der ersten Ebene, als der Erzähler Veronika in der kurzen innerdiegetischen Fiktion nicht errettet und die Hexe nicht tötet (wie in seiner Phantasie), sondern beide im Moment seiner Intervention verschwinden. Auf der zweiten und dritten Ebene zugleich, als der Erzähler sowohl dem Leser, den er als Gegenüber behauptet, als auch mittelbar dem tatsächlichen Rezipienten verdeutlicht, dass sie eben nicht Teil der Erzählung, also des eigenen Blickfeldes sein können. Gleichsam scheitert ein weiteres Begehren, eben das des Erzählers, den Leser in seine Welt hinüberzuziehen. Insofern haftet sich die Erzählerfigur ihrerseits dem Leser als parasitärer Auswuchs an, in dem Moment, in dem sie beginnt, ihn zu einem Objekt der eigenen Erzählung zu gestalten – der eigenen »Begierde« gemäß etwa als ein männliches Gegenüber, auch wenn es sich schon dem Informationsstand des Erzählers nach ebenso gut um eine Frau handeln könnte. Bemerkenswerterweise verharrt auch der Leser als Akteur der innerdiegetischen Fiktion zunächst, bevor er in das eigene Blickfeld eintritt: »Ich glaube wohl, daß dir, günstiger Leser, kenntest du auch sonst keine Furcht und Scheu, sich doch bei dem Anblick dieses Rembrandtschen oder Höllenbreughelschen
347 Ebd., S.269.
122 | VERFOLGUNGSJAGDEN Gemäldes, das nun ins Leben getreten, vor Grausen die Haare auf dem Kopfe gesträubt 348
hätten.«
Wenn man hier weiterhin auf Žižeks Kommentare zum »Fenster zum Hof« zurückgreift, gibt es dort einen ähnlichen Moment. Der Mann, der Jefferies aus seinem eigenen Fenster wirft, hatte zuvor bemerkt, dass er von Jefferies (gespielt von James Stewart) bei der Beseitigung einer Leiche beobachtet wurde. »Wann nun im [...] Verlauf des Films ›kehrt der Pfeil zum Subjekt zurück‹? Natürlich in dem Augenblick, als der Mörder im Haus gegenüber Stewards [sic!] Hinterfenster dessen Blick erwidert und ihn auf frischer Tat bei seinem voyeuristischen Akt ertappt: Genau in dem Moment also, als James Steward [sic!] sich nicht ›sich sehen sieht‹, sondern sich vom Objekt seines Sehens (ge)sehen macht, d.h. von diesem Fleck im dunklen Raum auf der anderen Seite des Hinterhofs, der seinen Blick angezogen hat, wechseln wir vom Register des Begehrens in das des Triebes.«349 Jefferies reagiert im Moment seiner Entdeckung erschrocken und erstarrt für einen kurzen Augenblick. Er muss nun fürchten, von dem ›Bumerang‹ seines begehrlichen Blickes tödlich getroffen, von seinem Objekt objektiviert zu werden, kurz: vom Trieb verzehrt zu werden. Ebenso geht es dem Leser, so wie ihn der Erzähler als präsenten Augenzeugen des Hexenrituals darstellt: Das Bild (hier als Gemälde Rembrandts oder des »Höllen-Brueghels« versinnbildlicht) vor seinen Augen tritt in Bewegung und droht, den Betrachter in seine Triebwelt zu ziehen. Sein Begehren (nach dem Feuerschein als Objekt seiner Neugierde) wird aber nun auf andere Objekte (Veronika und die Hexe) abgelenkt. Doch auch diese bleiben ihm unzugänglich – die narzisstische Hoffnung, die der Erzähler schürt, sich durch die Objekte selbst zu betrachten (als Beschützer und Helden, weiter gefasst als Ich-Ideal) geht nicht auf. Der Erzähler fungiert hier sozusagen im Lacanschen Sinne 350 als Repräsentant des »großen Anderen« der symbolischen Ordnung. Er weist dem Leser zu, was er zu begehren hat, indem er auf sprachliche und soziale Normen zurückgreift, in die der Leser bereits eingeführt wurde (beispielsweise Motive des Märchens). Doch das libidinös besetzte, unerreichbare »Objekt klein a« repräsentiert nur das, was im Moment der Geburt unerreichbar geworden zu sein
348 Hoffmann: Der goldne Topf, S.292. 349 Žižek: Metastasen des Begehrens, S.267. 350 Vgl. Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar. Buch XI. (Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse. Aus dem Französischen von Norbert Haas), Weinheim/Berlin: Quadriga 1987.
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scheint (tatsächlich aber überhaupt nur im Akt des Begehrens heraufbeschworen wird): die Verschmelzung von Subjekt- und Objektwelt. Stattdessen bleibt eine »radikale Heterogenität des Objekts qua Blick«351 – der Leser wird sozusagen durch zwei diegetische Inkarnationen hindurch auf sich selbst in die außerliterarische Wirklichkeit zurückgeworfen. Die Erzählung dient nicht als Spiegel, der ein »heiles, doch unbewegliches Spiegelbild, eine Art eingeforenes Kinobild«352 als »Ich« entwirft. Stattdessen enttarnt sie im Rezeptionsvorgang dieses »Ich« als »mich«, indem es auf das »polymorphe, chaotische Sprießen der körperlichen Triebe«353 verweist, das Reale, das eben unrepräsentierbar ist. »Das bedeutet, wir verbleiben im Register des Begehrens solange wir, indem wir die neugierige Haltung des Voyeurs einnehmen, auf dasjenige schauen, was wir [...] als das faszinierende X betrachten, wir schalten um in den Trieb, sobald wir uns (ge)sehen machen vom Fleck im Bild, vom unzugänglichen fremden Körper in ihm, von diesem Punkt, der unseren Blick anzog. Hierin besteht die Umkehrung, die den Trieb definiert: Sofern ich den Punkt im anderen, von dem aus ich angeblickt werde, nicht sehen kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich für diesen Punkt sichtbar zu machen. Der Unterschied zwischen diesem und dem narzißtischen sich selbst vom Standpunkt des Ich-Ideals aus Betrachten ist eindeutig: Der Punkt, von dem das Subjekt sich (ge)sehen macht, behält seine traumatische Heterogenität und Nicht-Transparenz, er bleibt ein Objekt im streng Lacan354
schen Sinn, nicht ein symbolischer Zug.«
An welchen Punkten aber lassen sich Žižeks Anwendungen der Lacanschen Begriffe auf den Film – natürlich unter der Voraussetzung diese Begriffe überhaupt anzuerkennen – nicht ohne Weiteres auf das literarische Beispiel übertragen? Wo ergeben sich qualitative Unterschiede zwischen Literatur und Film bei dieser Rücklenkung des Blickes? Dass Grundbegriffe der Psychoanalyse auf fiktionale Figuren angewendet werden, stellt in beiden Fällen kein Problem dar. In »Das Fenster zum Hof« wie auch in »Der goldne Topf« dürfte an der Interaktion der Figuren dasselbe grundsätzlich menschliche Prinzip veranschaulicht werden. Die Projektion differenzierter Psychen in abstrakte Figuren ist dazu eben gerade nicht von Nöten. Im Gegenteil schlägt Žižek eine mögliche Definition für »Realismus« wie folgt vor:
351 S. Žižek: Metastasen des Begehrens, S.267. 352 Ebd., S.250. 353 Ebd. 354 Ebd., S.267.
124 | VERFOLGUNGSJAGDEN »der naive Glaube, hinter dem Vorhang der Repräsentation gebe es wirklich eine volle, substantielle Realität [...]. Der ›Postrealismus‹ beginnt, wenn ein Zweifel an der Existenz dieser ›Realität hinter dem Vorhang‹ auftaucht, d. h., wenn die Ahnung erwächst, daß die 355
Geste des Verbergens allererst erzeugt, was zu verhüllen sie vorgibt.«
Repräsentativ für die durch den Schautrieb etablierten Beziehungen zwischen Sehendem und Bild sind die Figuren in »Das Fenster zum Hof« ebenso wie »Der goldne Topf«. Letztere Erzählung ist lediglich radikaler darin, den Rezipienten auf diese Stellvertreterfunktion der Figuren offen hinzuweisen, also die Zweifel an der Realität hinter dem Vorhang zu kräftigen. Allerdings findet sich bereits zu Beginn von »Das Fenster zum Hof« ein ähnlicher Verweis, als sich nämlich in der Titelsequenz hinter den Namen der Filmcrew die Rollläden eben jenes Fensters offenbar von selbst wie ein Theatervorhang öffnen. Paefgen stellt daher auch die für die Perspektivik dieses Films substantielle Frage »Wer zieht die Rollos hoch?« schon im Titel einer ihrer Arbeiten.356 Žižek greift auch seinerseits zu einem Beispiel aus der Literatur, nämlich einer Passage aus Gustave Flauberts »Madame Bovary«357. Dabei handelt es sich um die Kutschfahrt, die ein Liebespaar durch einen detailliert geschilderten Raum transportiert. Auf ihr »Innenleben« weist aber nur eine nackte Hand hin, die für einen kurzen Augenblick durch den Fenstervorhang stößt. »Für Flauberts Verteidiger war es ein Leichtes darzulegen, daß an diesen neutralen Beschreibungen von gepflasterten Straßen und alten Häusern nichts Obszönes ist – die Obszönität ist vollkommen auf die Einbildung des Lesers [...] beschränkt, der besessen ist vom ›wahren Geschehen‹ hinter dem Vorhang.... Es ist vielleicht kein bloßer Zufall, daß diese Szenerie Flauberts uns so eminent filmisch vorkommt. Es scheint, als spiele sie in dem, was die Filmtheorie hors-champ nennt, im Außerhalb des Feldes der Sichtbarkeit, das gerade in seiner Abwesenheit die Ökonomie des Sichtbaren organisiert: Während Dickens [...] die Korrelate dessen, was später zu den elementaren filmischen Vorgehensweisen wurde – die Dreiheit von eröffnender Totale [...] ›Amerikanischer‹ Einstellung (Halbtotale) und Großaufnahme; die Parallelmontage usw. –, in den literarischen Diskurs ein-
355 Ebd., S.259. 356 Paefgen, Elisabeth: »Film-Sehen und Literatur-Lesen oder: Wer zieht die Rollos hoch?« in: Andrea Bertschi-Kaufmann (Hg.): Lesekompetenz – Leseleistung - Leseförderung. Grundlagen, Modelle und Materialien, Zug: Klett und Balmer 2007, S.154-164. 357 Flaubert, Gustave: Madame Bovary. Hg. und übersetzt von Elisabeth Edl, München: Carl Hanser Verlag 2012.
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führte, ging Flaubert einen Schritt darüber hinaus: zu einem Außen, das sich dem üblichen Wechsel von Schuß und Gegenschuß entzieht, d.h. das ausgeschlossen bleiben muß, wenn 358
das Feld dessen, was repräsentiert wird, seine Konsistenz bewahren soll.«
Insofern scheint eine andere Form des »filmischen Schreibens«, das bereits und nicht nur Bazin in der Epik des 19. Jahrhunderts vorfand, dasselbe Potential freizusetzen wie der Film. In diesem Fall aber ähneln sich beide Künste nicht über die Montage, sondern über die topologische und topographische Organisation des eröffneten Raumes. Und doch stehen dem Film zwei Verfahren offen, die der Literatur nicht möglich sind; diese Verfahren erreichen jeweils eine neue Qualität darin, den Zweifel an der »Realität« hinter dem Vorhang zu wecken, beziehungsweise die Nichtrepräsentierbarkeit des »Realen« in jeglichem Zeichensystem anhand des eigenen Zeichensystems zu verdeutlichen. Erstens gelingt dies durch eine Ablenkung des Blickes und zweitens eben durch eine Fokussierung des Blickes.
358 S. Žižek: Metastasen des Begehrens, S.258.
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1.7 L ENKUNG UND ABLENKUNG DES B LICKES IN DER B ILDERFLUT Unter rein narrativen Gesichtspunkten könnte die Bedingung des Films, dem Zuschauerblick eine Fülle simultaner Eindrücke darzubieten, als Mangel erscheinen. In dem Schwarzweißfilm »Schindlers Liste«359 beispielsweise wird die Räumung des Krakauer Ghettos in verschiedenen Einstellungen aus der Aufsicht in der Totalen gezeigt. Damit der Blick des Zuschauers auf ein kleines Mädchen gelenkt wird, das sich von den Räumkommandos unbemerkt durch diese Greuel bewegt, ist das Kleid dieses Mädchens rot eingefärbt. Die Literatur hätte dies sozusagen nicht nötig, auch wenn sie symbolisch mit Signalfarben arbeiten kann, so braucht sie diese nicht, um ihren Inhalt auf einer »neutralen« Informationsebene zu vermitteln (es sei denn wiederum in den besonderen Fällen graphischer Hervorhebung, etwa durch den Rotstift des Korrektors). Natürlich manifestiert sich aber im Film keine Behelfslösung, ebenso gut hätte die Kamera etwa auf das Mädchen zoomen können. Vielmehr wird hier die Bedeutung des Individuums gerade durch den auffälligen Kontrast zu den vielfältigen simultan im Bild zu sehenden Objekten hervorgehoben. Die Blicklenkung hebt einerseits beispielhaft hervor, dass auch in diesem Massenmord jedes einzelne Opfer noch von Bedeutung ist und sich entgegen der Absichten der Täter nicht in einer anonymen Statistik auflöst. Andererseits wird auch die Individualität des im SchussGegenschuss-Verfahren zu sehenden Beobachters hervorgehoben: Oskar Schindler, der von einem Hügel aus auf das Ghetto herabschaut. Die rote Einfärbung suggeriert hier offenbar, dass sein Blick sich ebenso wie derjenige des Rezipienten auf das Mädchen richtet. Das Mädchen als Objekt von Schindlers Blick wird zum Anlass einer empathischen Spiegelung. Seine Identität (sein IchIdeal) wird durch das Betrachten des Anderen letztlich stabilisiert, in dem hier eine Wandlung zum aktiven Retter der Juden angedeutet wird. Diese Sequenz wurde verschiedentlich als kitschig und der Thematik des Holocaust unangemessen kritisiert,360 wozu offenbar beigetragen hat, dass es sich bei dem Objekt des
359 SCHINDLERS LISTE (SCHINDLER’S LIST, USA 1993, R: Steven Spielberg). 360 Vgl. Schultz, Sonja M.: Der Nationalsozialismus im Film. Vom TRIUMPH DES WILLENS bis INGLORIOUS BASTERDS, Berlin: Bertz + Fischer 2012, S.242245. /Vgl. auch: Karasek, Hellmuth: »Die ganze Wahrheit schwarz auf weiß. Regisseur Steven Spielberg über seinen Film ›Schindlers Liste‹«, in: Der Spiegel. 08/1994. 21.02.1994. Zitiert nach: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13684 794.html
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Blickes um ein kleines Mädchen handelt. Gerade dessen demonstrativ ausgestellte Schutzlosigkeit trägt, so Äußerungen der Filmkritik, dazu bei, die Juden zu einer Verhandlungsmasse zwischen dem Helden Schindler und dem Antagonisten, SS-Hauptsturmführer Amon Göth, zu objektivieren. In der durch die Blicklenkung forcierten Zusammenführung der Perspektiven Schindlers und des Zuschauers wird das Mädchen repräsentativ für die Juden auch zum Objekt des so scheinbar ermächtigten, im Grunde aber manipulierten Zuschauerblickes. So vergleicht Harold Brodkey »Schindlers Liste« mit jenen Filmen der 1930er Jahre, die messianische Omnipotenzphantasien aus den Kolonialreichen in phantastische Welten übertrugen: »Was historische Genauigkeit und historische Erkenntnisse angeht, liegt das Problem darin, dass die Geschichte aus dem Wirken disparater Willen besteht und ohne StarRegisseur ist [...]. Das pornographische Moment, das den Dorothy-im-Land-Oz-Filmen oder den Tarzan-Filmen inhärent war, bestand in der Einseitigkeit, mit der sie das Wirken eines dominanten Willens zeigten. Andere verzichten auf ihren Willen oder büßen ihr Recht auf einen eigenen Willen ein, weil der Wille des Helden oder die Heldin der überlegene war. Schindlers Liste führt eine Welt vor, die von Hierarchien phallischen Wollens und von Fügsamkeit gegenüber solchem Wollen bestimmt ist. Der letztlich beherrschende Wille jedoch ist der des Filmregisseurs. Der Film ist darauf fixiert, dass von solcher Unterwerfung unter einen starken Willen anständig Gebrauch gemacht werden könnte 361
[...].«
Brodkey geht also davon aus, dass die Blicklenkungen in »Schindlers Liste« die Funktion einer narzisstischen Selbstvergewisserung haben, wobei er allerdings den Regisseur meint (den Brodkey, selbst Schriftsteller, als Autoren begreift), nicht den Zuschauer im Publikum. Spielberg hat diese Sequenz verschiedentlich verteidigt. Einer Äußerung zufolge wollte er sie symbolisch verstanden wissen für die Offensichtlichkeit des Holocaust, die auch die damalige Weltöffentlichkeit nicht dazu bewogen hätte, einzugreifen, etwa durch eine Bombardierung der Bahnverbindungen, die zu den Konzentrationslagern führten. 362 Beiden Ausle-
361 Brodkey, Harold: »Amerikanische Filme, Sex, Nazis und moralische Fragen (American Movies and Sex and Nazis and Moral Questions)«, in: Harold Brodkey: Liebeserklärungen und andere letzte Worte. Essays (Sea Battles on Dry Land. Aus dem Englischen von Angela Praesent), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2001, S.255-273, hier S.263-268. 362 Steven Spielberg zitiert nach: Schickel, Richard: Steven Spielberg. Seine Filme, sein Leben (Steven Spielberg. A retrospective. Aus dem Englischen von Peter Friedrich
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gungen gemein ist jedoch die Bedeutung, die dem Individuum in dieser Sequenz zukommt. So ist in Spielbergs Rechtfertigung Schindler der Einzelne, der nicht, wie in Brodkeys Anklage, als »guter Faschist« über die Masse der Juden verfügt, sondern der sich über weltpolitische Strukturen hinwegsetzt, um möglichst vielen Individuen das Leben zu rettet (»Wer nur ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.« ist in den Ring eingraviert, den ihm seine Schützlinge schenken). In jedem Fall, ob es sich um ein autoritäres Führerprinzip oder im Gegenteil um eine humanistische Aussage handelt, versucht die Blicklenkung in dieser Sequenz entschieden, dem Zuschauer eine Erzählung nahezulegen. Gegenüber dem mehr oder weniger amorphen »Überschuss« der Bildelemente wird die Figur des Mädchens im roten Kleid zu einer Erzählfigur. Dieses Erzählen im Filmbild entsteht in einem dialektischen Bezug auf die Peripherie des Erzählens im selben Bild, dort wo die Figuren in die nicht mehr fokussierten Winkel übergehen. Dies provoziert offenbar in Hinblick auf das Thema des Holocausts auch verschiedene Positionierungen unter den Rezipienten, die sich ideologisch in der Erzählung »spiegeln«. Diese Erzählung in »Schindlers Liste« ist offenbar vieldeutig genug, um diverse Deutungen zuzulassen, aber sie eignet sich in jedem Fall als Ideologieträger. Das ist nicht negativ zu bewerten, im Umgang mit der Thematik vielleicht sogar politisch notwendig. Der Film legt nahe, dass auch der Zuschauer als Individuum einen Unterschied gegenüber dem politischen Morden in seiner Zeit ausmachen könnte (nur dass eben das kollektive Handeln der Juden mit Schindler und ihr Beitrag zur eigenen Rettung weitgehend auf die Zusammenarbeit zwischen der Figur Schindler und der ihr untergeordneten Helferfigur Itzhak Stern beschränkt wird). Eine narrative Instanz versucht also, durch die Farbe Rot in Verbindung mit dem Motiv des kleinen Mädchens den freien Blick des Zuschauers narrativ zu organisieren. Die Kritiker sehen in dieser Instanz Spielberg beziehungsweise das in ihm personifizierte Hollywoodkino, das den Zuschauer durch kitschige Effekte zum Affekt zwingen will. Ein nicht unähnliches Verfahren, Anteilnahme mit den Opfern am Beispiel eines individuellen Mädchens herzustellen, das in seiner Intimsphäre »beobachtbar wird«, wird bei den Bühnen- und Filmadaptionen des Tagebuches der Anne Frank wenigstens zum Zeitpunkt von »Schindlers Liste« nicht mehr kritisiert. Gerade die Farbe Rot als antirealistischer Effekt im »dokumentarischen« Schwarzweißfilm scheint als Blicklenkung erst so auf das eigene Verfahren zu verweisen, dass einige Zuschauer sich durch eine allzu »bil-
und Petra Kirchmann. Mit einem Vorwort von Steven Spielberg), München. Knesebeck 2012, S.162.
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lige Effekthascherei« manipuliert fühlen.363 Das Mädchen wird an späterer Stelle des Films, noch einmal durch sein rot eingefärbtes Kleid erkennbar, auf einem Leichenhaufen liegen. Gleichwohl hat es als Movens für die Entwicklung der Figur Schindler zum Helden dieser Geschichte gedient und insofern zur Rettung anderer Menschen beigetragen. In dem Spielfilm »As I Lay Dying«364 wird nicht der Massenmord an den Juden thematisiert, sondern der natürliche Tod einer Frau. Die anderen Figuren, ihre Familienangehörigen, können sie nicht mehr retten, sondern nur auf ihr Sterben und ihren Tod reagieren. »As I Lay Dying« kann es sich somit »leisten«, keine im engeren Sinne ideologische Position zu beziehen, sondern den Zuschauer auf sich selbst zurückzuwerfen. Eine »Identifikation« beziehungsweise empathische Anteilnahme zur Stärkung des »narzisstischen Ich-Ideals« wird in diesem Film sehr erschwert. Es handelt sich um die Adaption des Romans von William Faulkner, deutsch erschienen unter dem Titel »Als ich im Sterben lag«365. Faulkners Roman ist in kurze Kapitel unterteilt, die jeweils von einer Figur erzählt werden, mal im Präsens, mal in Präteritum oder Perfekt. Aus den begrenzten Informationen, die von diesen 15 verschiedenen Erzählern freigegeben werden, lässt sich ein Erzählzusammenhang von begrenzter Verbindlichkeit zusammenfügen. Insofern liegt hier ein schneller Perspektivwechsel vor, der im Diskurs bereits verschiedentlich als filmisches Schreiben bezeichnet wurde, in Analogie zum Montageverfahren. Der Film »As I Lay Dying« geht jedoch über einen solchen sequentiellen Perspektivwechsel hinaus und beschränkt sich auch nicht auf eine Einfügung von Analepsen oder Prolepsen in einen linearen Verlauf. Zu Beginn des Films sind Donnergrollen und dazu leises Vogelzwitschern zu hören, dann, nach der Einblendung des Filmtitels, der langsam zu einem Dröhnen anschwellende Grundton eines Kontrabasses. Dann ist in der rechten Bildhälfte der Kopf einer älteren Frau zu sehen, der vermutlich auf einem Kissen liegt. Sie sieht in die Kamera und sagt: »My father used to say that the reason for living was to get ready to stay dead a long time.«/»Mein Vater sagte, der Sinn unseres Lebens sei es, sich vorzubereiten auf ein langes Totsein.« Die linke Bildhälfte hingegen ist schwarz. Dabei handelt es sich nicht nur um einen nicht ausgeleuchteten Teil desselben Bildausschnittes. Stattdessen ist das Bild durch eine Split Screen in zwei Hälften geteilt, bis die Frau ihren Satz be-
363 Vgl. ebd., S.161. 364 AS I LAY DYING (USA 2013, R: James Franco). 365 Faulkner, William: Als ich im Sterben lag (As I Lay Dying. Aus dem Englischen von Maria Carlsson.), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2012.
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endet hat. Dann wird ihre Hälfte ausgeblendet. Der gesamte Bildkader bleibt vier Sekunden lang schwarz, um dann in seiner linken Hälfte dieselbe Frau zu zeigen. Dieses Mal ist ihre Büste rechts unten im Bildausschnitt zu sehen. Sie hält ihren Kopf gesenkt und trägt, am rechten Träger erkennbar, offenbar ein Nachthemd. Links von ihr steht, ihr und der Kamera den Rücken zugewandt, eine andere Frau. Diese Frau trägt langes blondes Haar und ein kurzärmeliges Hemd oder Kleid. Ihre Armhaltung deutet darauf hin, dass sie mit etwas beschäftigt ist. Im Hintergrund zu sehen ist eine unbearbeitete Holzwand, an der oben, im Schatten der blonden Frau ein Bild mit einer Landkarte hängt, vielleicht ein Kalender. Diese Bildbeschreibungen ließen sich weiter ausführen und um Farben, Muster, Physiognomien, Licht- und Größenverhältnisse detaillierter ergänzen. Von Bedeutung in diesem Kontext ist jedoch nur, dass die rechte Hälfte der Split Screen dieser Fülle eines (noch relativ einfach strukturierten) Bildes gegenüber schwarz ist. Dann wird wieder der gesamte Kader schwarz, um nun, wieder auf der rechten Seite, ein neues Bild freizugeben, das einer grünen, mit niedrigen Bäumen bewachsenen Wiese, über der dunkle Wolken aufziehen. Das Gewitterdonnern ertönt während dieser Sequenz immer wieder. Durchgängig ist der Basston zu hören, der zu einem dunklen Streicherakkord ergänzt und gelegentlich von dem vereinzelten Anschlag einer Saite begleitet wird. Soweit ergibt sich aus diesem regelmäßigen Wechsel zwischen schwarzem und halbschwarzem Kader sowie aus dem düsteren Score, dem Filmtitel und dem Satz in die Kamera ein recht klarer Zusammenhang. Er ließe sich als ebenso einfacher wie prägnanter Ausdruck des Verhältnisses zwischen Leben und Tod deuten. Das Leben ist, noch während es dauert, dem Tod anheimgegeben, bis zur endgültigen Schwarzblende – ein Memento Mori vermittels der Split Screen. Bisher könnte man sich jedes Einzelbild des Films als einen mal ganz, mal zur Hälfte zugeklappten Flügelaltar vorstellen. Freilich tritt die Tonebene hinzu: Das Sterben der Frau findet seine Entsprechung in der Schwüle vor dem herannahenden Gewitter und im Vibrieren der Saiten auf dem Score. Nach diesen ersten 1,12 Minuten des Films erhöht sich die Komplexität der Cadrage jedoch beträchtlich. Die Split-Screen wird beibehalten und zeigt nun zwei Einstellungen der diegetischen Welt gleichzeitig. Dieses Verfahren wird auch in einer Vielzahl der weiteren Sequenzen von »As I Lay Dying« über längere Zeiträume angewendet. Gegenüber Kuhns Beispiel eines in vier Bilder aufteilten Kaders (siehe Kapitel 1.5) mag das übersichtlich klingen. Doch eine narrativ lenkende Instanz, wie sie Kuhn in der wechselnden Lautstärke der simultan zu sehenden Szenen ausmacht, fehlt in »As I Lay Dying«. Im Gegenteil dient die Split Screen hier zumeist nicht wie traditionell dazu, gleichzeitige, aber in räumlicher Entfernung voneinander stattfindende Ereignisse zu verbinden. Stattdes-
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sen zeigen die beiden Einstellungen häufig dasselbe Geschehen aus mal leicht, mal deutlich versetzten Perspektiven. So jedenfalls scheint es, denn mitunter beginnt sich der bildlich etablierte Zusammenhang zweier simultaner Einstellungen noch innerhalb derselben aufzulösen. Beispielsweise ist auf der linken Hälfte des Kaders die Figur Dewey zu sehen, wie sie mit anderen Frauen am Sterbebett ihrer Mutter sitzt und dieser Luft zufächelt. Auf der rechten Hälfte betritt ihr Bruder Darl den Raum. Der Kader vereint nun offenbar die gegenüberliegenden Wände des Raums, also das Bett und die gegenüberliegende Tür: Die Frauen auf der linken Hälfte drehen sich zur Kamera um, während Darl auf der rechten Hälfte durch die Tür auf die Kamera hinzutritt (siehe Abb. 7). Dann wechselt dieses Bild auf der rechten Hälfte, während das Bild der fächelnden Frauen zur Linken beibehalten wird. Die rechte Hälfte zeigt nun eine Nahaufnahme der fächernden Dewey. Dabei scheint es sich um einen Ausschnitt aus demselben Bild zu handeln, dass in der halbtotalen Ansicht der Frauen auf der linken Bildseite zu sehen ist. Tatsächlich aber fächert Dewey in der rechten Hälfte bei näherem Hinsehen zeitversetzt zu Dewey im Ensemble der Frauen auf der linken Seite (siehe Abb. 8). Die auf der rechten Seite isolierte Dewey fragt nun in die Kamera: »What do you want, Darl?« (»Was willst du, Darl?«). Auf der linken Seite wechselt daraufhin die Einstellung. Anstelle der Frauen am Bett rückt nun eine Großaufnahme von Darls Gesicht. Darl zur linken und Dewey zur rechten sind also direkt miteinander konfrontiert. Konventionell wäre nun ein Gespräch zwischen beiden Bildhälften, etwa wie in einer durch die Split Screen verkürzten Telefonleitung zwischen Doris Day und Rock Hudson. Freilich sind schon die räumlichen Bedingungen des Gesprächs in »As I Lay Dying« nicht konventionell, da es leicht wäre, beide Figuren im selben Raum und somit in derselben Einstellung zu erfassen. Das Gespräch entwickelt sich auch nicht erwartungsgemäß: »She’s gonna die before we get back« (»Sie stirbt, bevor wir zurück sind.«), entgegnet Darl – allerdings nur auf der Tonspur. Darls Gesicht auf der linken Kaderhälfte bewegt nicht die Lippen. Seine Äußerungen scheinen damit der rechten Kaderhälfte zugeordnet zu sein, da Dewey darin auf sie reagiert und antwortet. Gleichwohl ist dies nur ein Umkehrschluss, die Stimme Darls bleibt im Off, also im Hors-champ. Dennoch nickt Darl auf der linken Seite kaum merklich, als Dewey ihn fragt, ob er den Halbbruder Jewel mitnähme. Und Dewey reagiert auf sein Nicken mit einer Warnung. Auch verlässt Darl auf der linken Seite den Raum wieder, als das Gespräch beendet ist, dass er auf der Bildebene doch nie geführt zu haben scheint. Diese Desorientierung im Raum-Zeit-Gefüge ist repräsentativ für einen Großteil des Films. Die simultan zu sehenden Bilder erwecken durch vermeintliche Anschlüsse den Eindruck, derselben diegetischen Welt zu entstammen und
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zeigen doch Parallelwelten. Dann wieder sind die Unterschiede offensichtlich und scheinen auf eine klar erkennbare zeitlich-räumliche Versetzung hinzuweisen: So wird auf der linken Hälfte ein Pferd in den Stall gebracht und auf der rechten Hälfte ausgeritten. Doch auch hier lassen sich die Bilder nicht in ein einfaches dialektisches Verhältnis zueinander setzen – in einem unberechenbaren Rhythmus wird eine Kaderhälfte wieder schwarz, wechseln die Handlungen auf die einander gegenübergesetzten Kaderhälften oder wird das Geschehen auf einer Seite unvermittelt in Zeitlupe gezeigt. Es ist somit nicht nur schwer möglich, die beiden Hälften in Beziehung zueinander zusetzen. Vielmehr ist es durch die ständigen Irritationen des Blickes langfristig unmöglich, auch nur das zentrale Geschehen beider Einstellungen gleichzeitig zu erfassen. Nicht nur lenkt eine Hälfte der Split Screen von der anderen ab – das entspräche ja einer orientierenden Blicklenkung. Vielmehr lenken die Hälften durch ihre jeweiligen, ständig wechselnden Effekte durchgängig von einander ab. Dieses Verfahren ließe sich nun als experimentelles, nichtrepräsentatives Beispiel abtun, dort wo der Spielfilm in der Tat die Grenze zum Avantgardefilm überschreitet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre »As I Lay Dying« etwa in Deutschland nicht auf DVD erschienen, wenn nicht der Star James Franco als Schauspieler und Regisseur (und Co-Autor des Drehbuches) daran beteiligt wäre, der im Multiplex- wie im Arthouse-Kino präsent ist. Dass es sich um »bewegendes, großes Arthouse-Kino«366 handelt, wie auf der Hülle verheißen, könnte jedenfalls durchaus noch die Erwartungen eines Filmerlebnisses wecken, das sich gerade durch einen differenzierten psychologischen Realismus vom »Hollywood-Mainstream« abgrenzt. Aller experimentalen Abstraktion zum Trotz wird aber immerhin in der Makrostruktur des Films doch ein linearer Vorgang erzählt, vom Sterben über den Transport bis zur Beerdigung der Mutter. »As I Lay Dying« führt dabei nur besonders radikal ein Prinzip vor Augen, das jedem Film innewohnt: Schon bei einer einfachen Einstellung lassen sich nicht alle Elemente des Kaders erfassen, weil entweder sie und/oder die Einstellungsfolge stets in Bewegung sind. Wenn in beiden Filmbeispielen das Sterben thematisiert wird, so ist diese Auswahl nur insofern morbide, als der Film die Vergänglichkeit des Raumes so adäquat zum Ausdruck bringt, wie keine andere Kunst. In »As I Lay Dying« ist die Fülle des filmischen Raums perspektivisch unfassbar, ebenso wie die Fülle des Lebens (diese Entsprechung wurde in der ers-
366 AS I LAY DYING (Köln: Splendid Film 2014).
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ten Minute des Films ja bereits etabliert). Stets muss sich der Rezipient entscheiden, im anstrengenden Bewusstsein dessen, dass er im selben Moment einen Vorgang oder Anblick verpasst. Sein Blickwechsel auf die jeweils andere Hälfte der Split Screen kann nicht anders als verspätet oder verfrüht sein. In »Schindlers Liste« hingegen wird die Perspektive des Rezipienten aus dem Überfluss des Lebens und Sterbens im Holocaust auf ein bestimmtes Leben gelenkt. In der schon visuellen »Rettung« des Motivs aus der unüberschaubaren Massenszene in die Erzählung behauptet sich auch die Identität des Sehenden. Sie behauptet sich als sinnhaft organisierender, also erzählender Blick gegenüber dem, was sich nicht gänzlich in diesem Narrativ erfassen lässt – dem unsichtbaren Schwund und Überfluss der Realität, der bei Žižek das nicht repräsentierbare Reale ist. Es ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich, dieses Phänomen in das Lacansche Theoriegebäude einzuordnen. Auf einer allgemeineren Ebene erfasst jeder Film das Verhältnis zwischen Leben und Tod durch das Verhältnis zwischen Konstruktion und Auflösung des filmischen Raums. Dieses wird wiederum durch das Verhältnis zwischen Blicklenkung und -ablenkung hergestellt. Es grenzt den Film konstitutiv von der Literatur ab, die sich potentiell fokussiert lesen und in toto zitieren lässt.
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1.8 ABLENKUNG UND L ENKUNG DES B LICKES IM B ILDERFLUSS Filme können in der Zeichenflut durch simultane Mittel (zum Beispiel Einfärbung der Figuren oder Split Screen) Orientierung schaffen, um einen narrativen Strang aus dem Material herauszumeißeln, oder Desorientierung, um die Bilder aus ihrer narrativen Funktionalisierung zu lösen. Filme können beide Effekte aber auch im Fluss der Bilder durch lineare Mittel erzielen. In »Profondo Rosso – Die Farbe des Todes«367 von 1975 beobachtet der Protagonist Marcus Daly von der Straße aus, wie hinter dem Fenster einer Gemäldegalerie ein Mord verübt wird. Er eilt zur Hilfe und betritt den Empfangsraum der Galerie. Die Kamera zeigt nun den Marmorboden eines Flurs, der perspektivisch auf einen entfernten Durchgang im Bildhintergrund zuläuft. Im Vordergrund sind rote Flecken zu sehen, Blut offenbar (siehe Abb. 9). Eine schnelle Kamerafahrt gleitet über den Boden in die Tiefe des Flurs, wobei weitere verschmierte Blutflecken Signale innerhalb dieser Bewegung setzen. Obwohl Daly offenbar diesen Spuren folgt, wie sich durch die Einbettung der Einstellung im Filmschnitt erweist, handelt es sich kaum um eine »subjektive« Kamera. Die Perspektive ist vielmehr knapp über dem Boden angesetzt, während Daly aufrecht läuft. Hierbei lässt sich nicht von der technisch unzureichenden oder auch nur unrealistischen Entsprechung einer subjektiven Perspektive sprechen, vielmehr scheint sich die Kamera zu verselbstständigen – beziehungsweise der Blick, den sie ermöglicht, und innerhalb dessen sich auch das Erzählen der Handlung vollzieht. Johannes Binotto schreibt, es sei kennzeichnend für das Werk des Regisseurs Dario Argento, zu dem »Profondo Rosso« zählt, die Barriere »zwischen der diegetischen Ebene der Handlung und der extradiegetischen Eben des Filmens«368 zu durchbrechen. Einen solchen Bruch könnte man auch in dieser Kamerafahrt erkennen, es muss sich aber nicht um einen solchen handeln. Die Kamera, vielmehr der organisierte und organisierende Blick, ist diegetisch ja, wie bereits gesagt, stets eine eigenständige Instanz, die mit den anderen
367 PROFONDO ROSSO – DIE FARBE DES TODES (PROFONDO ROSSO, IT 1975, R: Dario Argento). 368 Binotto, Johannes: »Untiefen. Zu den unheimlichen Räumen Dario Argentos«, in: Michael Flintrop/Marcus Stiglegger (Hg.): Dario Argento. Anatomie der Angst, Berlin: Bertz + Fischer, 2013, S.68-83, hier S.79.
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Codes des Films interagiert. Sie kann sich nur bis zu einem gewissen Grad mit den Perspektiven der Figuren angleichen. In der genannten Einstellung tut sie dies in Bezug auf die Blickrichtung und Bewegung des Protagonisten, aber eben nicht auf den Blickwinkel. Diese Betonung einer bleibenden Distanz bei gleichzeitigen Gemeinsamkeiten verweist das Sehen deutlich auf sich selbst. Sie könnte insofern tatsächlich auch auf den extradiegetischen Raum des Filmens sowie des Filmsehens verweisen. Dennoch lässt sich in diesem Moment noch nicht von dem expliziten Bruch sprechen, der in anderen Sequenzen in Argentos Werken auffällig ist. Einerseits ist die Bewegung der Kamera so schnell und ist das affektive Signal des Blutes so grell, dass die Unvereinbarkeit der Perspektiven leicht übersehen werden kann. Die Einstellung dauert zudem nur 2,5 Sekunden lang. Andererseits gilt für die Kamerabewegung auf die Objekte zu dasselbe wie für die Bewegung der Objekte auf die Kamera zu: Der Zuschauer kann gemeint sein, muss es aber nicht, solange die Ansprache nicht direkt und explizit erfolgt. Die Perspektive der Kamera erschüttert also hier nicht den narrativen Zusammenhang des diegetischen Raumes. In der folgenden Einstellung wird Daly beim Durchqueren des langen Flures gezeigt. Die Gemälde an den Wänden des Ganges ziehen dabei an ihm und der Kamera vorbei wie die Einzelbilder eines Filmstreifens. Diese Gemälde zeigen verzerrte, dämonenhafte Figuren, die an Munchs »Schrei« oder an Werke Francis Bacons erinnern. Diese Bilder können freilich durch die Bewegung der Kamera und Dalys sowie durch die Kürze der Einstellungen nur flüchtig wahrgenommen werden. Der Blick des Zuschauers mag ein Detail zur Kenntnis nehmen, aber dürfte damit überfordert sein, sie alle zu erfassen. Die Motive tragen zur bedrohlichen Atmosphäre bei, in der sich die Handlung vollzieht. Sie tun dies aber wenigstens teilweise auf einer subliminalen Ebene. Die Stimmung der Sequenz entsteht aus einem Nicht-Sehen, dass die Möglichkeit des Sehens beinhaltet.369 Die Bilder gehören somit zum diegetischen Raum, aber liegen teilweise doch im toten Winkel des Narrativs (siehe Abb. 10, Abb. 11 u. Abb. 12). Damit ist nicht gemeint, dass die Gemälde nicht gänzlich innerhalb des »narrativen Raums« legen, wie ihn Oliver Schmidt in Abgrenzung zum diegetischen Raum erklärt. Bei diesem narrativen Raum handelt es sich vielmehr um die Erzählwelt mit den ihr eigenen Gesetzmäßigkeiten.370 Schmidt nennt hier das Bei-
369 Vgl. N. Stresau: Der Horror-Film, S.26. 370 Vgl. Schmidt, Oliver: »Filmische Räume. Zur textuellen Bindung räumlicher Systeme im Film«, in: John A. Bateman/Matthis Kepser/Markus Kuhn (Hg.): Film, Text, Kultur. Beiträge zur Textualität des Films, Marburg: Schüren 2013, S.294319.
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spiel von »From Dusk till Dawn«, in dem die Figuren innerhalb desselben diegetischen Raums überraschend plötzlich einen anderen narrativen Raum betreten. Sie betreten expositorisch unvermittelt den Unterschlupf von Vampiren und wechseln damit von einem Gangsterfilm in einen Horrorfilm, in dem die Gesetze des Übersinnlichen gelten.371 Die Gemälde in der genannten Sequenz »Profondo Rosso« hingegen gehorchen denselben etablierten Gesetzmäßigkeiten wie die anderen Objekte ihrer Umgebung. Doch der Film kalkuliert ein, dass einige von ihnen nicht oder nur bruchstückhaft erkannt werden (wie das bei einem Standbild auf Video oder DVD möglich wäre, aber eben nicht im Kino des Jahres 1975). Wenn sie aber von der »narrativen Instanz« nur flüchtig gestreift werden, wie verhält sich dann der Überfluss an Zeichen zur Erzählung? Es scheint so, als würde innerhalb des Films ein weiterer Film ablaufen, denn wenn die einzelnen Gemälde von der Kamera abgefahren werden, so entspricht das gewissermaßen dem Verfahren des Zeichentrickfilms – nur, dass die Motive in der Bewegung keine Metamorphose ergeben und zudem nur im Hintergrund zu sehen sind. Wollte man zur Rezeption dieser Sequenz eine Analogie im Lesen von Literatur suchen, so wäre es wohl am ehesten das Lesen einer Papierseite, die mit einer beinahe leeren Tintenpatrone bedruckt und dann noch einmal in den mit einer neuen Patrone bestückten Drucker gelegt wurde. So als würde die vorherige Schrift noch schwach durch die klarere neue Schrift hindurchscheinen und sich gelegentlich ein Wort in die Erzählung mischen. Aber auch dies ist natürlich ein inadäquater Vergleich. Er wird umso weniger angemessen in Hinblick auf den späteren Umgang des Films mit eben diesen scheinbar rein dekorativen Motiven an der Peripherie des Erzählens. Daly übersieht im Vorbeilaufen, dass es sich bei einem der Bilder vielmehr um einen Spiegel handelt. Das scheinbare Porträt ist in Wirklichkeit das Gesicht der Mörderin (gespielt von Clara Calamai), die sich noch im selben Raum versteckt hält (siehe Abb. 13). Darauf wird Daly jedoch erst gegen Ende des Films aufmerksam, als er an den Tatort zurückkehrt. Daly bewegt sich dann ebenso langsam wie die Kamera, fokussiert die Bilder einzeln und sieht sich plötzlich selbst eingerahmt. Auch den meisten Zuschauern des Films dürfte dieser Umstand in der früheren Sequenz entgangen sein, nicht nur, aber umso mehr unter den Bedingungen einer Kinovorstellung:
371 Vgl. Schmidt (2013), S.310.
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»even if we could see that scene again, the vital details are so obscure as to be virtually impossible to comprehend. [...] Calamai’s face appears in the mirror with three other ghostly faces apparently reflected from another of the paintings, for a mere ten frames, less than half a second. The whole of the mirror is visible but for a single frame and to make matters worse, the camera is moving, this dolly shot making it very difficult to focus on the relevant part of the screen in time to take in the vital details (Ironically the mirror is positioned at the edge of the frame so those viewers watching the film in a pan-and372
scanned version would have even less chance of spotting this pivotal moment).«
Die Linearität des Filmschnitts und der Kamerabewegung verdecken hier also die simultane Staffelung von Figuren in der virtuellen Tiefe des Raums. Das zweidimensionale Gemälde erweist sich beim näheren Hinsehen als Reflexion dessen, was außerhalb des Blickfeldes lauert (des Todes, personifiziert durch die Mörderin). Eine Steigerung irritierender Effekte, von dem zwar unheimlichen, aber nur repräsentierenden Motiv eines Gesichtes zu einem lebendigen Signifikat, das sich als sein Signifikant getarnt hat.373 Wenn freilich der Rahmen eines Bildes seinen Inhalt nicht bannt, stellt dies auch den erweiterten Rahmen des Filmbildes in Frage. Es droht die Absorption in das eigene Blickfeld und eben dies geschieht Daly in dem Moment, in dem er sich selbst im Spiegel sieht. Als er sich von dem Spiegel wegdreht, steht, wiederum in einem von ihm unbemerkten Winkel, die Mörderin im Flur und greift ihn an. Sinnbildlich gesprochen ist Daly in dem Moment, in dem er sich in derselben Rahmung gesehen hat, in der er zuvor unterbewusst die Mörderin wahrgenommen hat, nun auch in dieselbe Welt wie diese eingetreten. Als sich das Objekt seinem fixierenden Blick entzieht, folgt daraus die Erkenntnis, dass Daly es war, der von dem vermeintlichen Bild aus einem toten Winkel heraus angestarrt worden war. In dieser früheren Sequenz verhält es sich so, wie Žižek über eine Einstellung aus »Vertigo« schreibt: Die Mörderin ist gemäß der Disposition des diegetischen Raumes in der Realität da, erscheint aber »als phantomhafter Auswuchs, der (wie der legendäre Zwert in Grimms Schneewittchen) hinter dem Spiegel lauert. Diese Einstellung ist Magrittesch in einem sehr präzisen Sinn: das zwergenhafte Mirage [...] schaut aus derselben
372 Gallant, Chris: Art of Darkness. The cinema of Dario Argento, Surrey: FAB Press, 2000, S.122-123. 373 Vgl. Pietsch, Volker (2012). o.p. Vgl. auch Barck, Joanna: »Tiefe Fallen. Von der gefährlichen Kunst, mit Bildern umzugehen«, in: Michael Flintrop/Marcus Stiglegger (Hg.): Dario Argento. Anatomie der Angst, Berlin: Bertz + Fischer 2013, S.2853, hier S.47.
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undurchdringlichen Dunkelheit hervor, die im Spalt des halboffenen Fensters in La lunette d’aproche [...] gähnt... [...] Wie Kant es faßt, gibt es kein positives Wissen vom Ding-an-sich, man kann nur seinen Ort bezeichnen, ihm ›Raum geben‹.«374 Das Beispiel des übersehenen Spiegels in »Profondo Rosso« funktioniert zwar nachträglich als Irritation der lineraren Rezeption, lässt sich aber zugleich als folgerichtiges Element der Filmerzählung einordnen. Das scheinbar dekorative Element an der Peripherie des Sichtbaren lässt sich nun als erhellendes Moment des kriminalistischen Kausalzusammenhangs genießen, so scheint es. Insofern, ließe sich hier argumentieren, erweist sich nur, dass auch der vermeintlich nicht narrative Überschuss eben doch zur Narration gehört. Aber dies setzt voraus, dass der Film wiederholt gesehen wird. Es gibt andernfalls keine Notwendigkeit dafür, dass die Mörderin in der ersten Sequenz tatsächlich flüchtig zu sehen ist, sobald man sie mit dem nachträglichen Wissen noch einmal abspielt. Die Rückblende zum Finale würde völlig genügen. Da dem Zuschauer andere Möglichkeiten der wiederholten Ansicht, geschweige denn des Standbildes, nicht zur Verfügung standen, könnte hier allenfalls auf einen wiederholten Kinobesuch oder vielleicht noch die Wiederansicht in einer Fernsehausstrahlung spekuliert worden sein. Die tatsächliche Präsenz des Motivs in der Sequenz dient also vor allem der Nachprüfbarkeit beziehungsweise regt dazu an, die eigene Wahrnehmung durch einen zweiten Ticketkauf überprüfen zu können. Es ist aber kaum möglich, aufgrund dieses Details bereits im Voraus auf die Lösung der Kriminalfalles zu schließen. Die Informationsvergabe ist dazu zu flüchtig, zu unvorhersehbar und nur wenigen Zuschauern zugänglich, andererseits handelt es sich bei der Lösung aber auch nicht um einen »Deus ex Machina«. »The audience are not supposed to solve the film’s apparently central conundrum. [...] Argento isn’t really interested in the whys and wherefores, in fact he doesn’t seem interested in the plot content of the film full stop. What does seem to get him all fired up is playing around with the form oft he murder mystery, providing a little lecture on the pleasures of looking through the movie camera [...].«
375
Damit die Narration funktioniert, muss der Film sozusagen wiederzurückgespult und als Standbild angehalten werden – das gilt sowohl für den Filmzuschauer als
374 S. Žižek: Metastasen des Begehrens, S.262. 375 Chris Gallant: Art of Darkness, S.123.
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auch für den Helden Daly, der erst in der kontemplativen Betrachtung der Bilder »aus der Zeit« herausfallen muss, um zu verstehen. Dementsprechend liegt die Motivation des Mordes in einem Kindheitstrauma begründet. Das traumatische Erinnerungsbild dominiert als »Flashback« des Todes das gesamte Leben der Betroffenen und löst nun auch weitere Opfer aus ihrem linearen Kontext. Eingerahmt zu werden ist motivisch in diesem Film eine Vorwegnahme des Todes: Das Mordopfer, das Daly in der Galerie sucht, sieht er zunächst von der Straße aus gerahmt in einem Fenster über sich, bis die Scheibe zerbricht und das Opfer dabei von einer Scherbe getötet wird.376 Wenn die Linearität des Lebens und des rational-kausalen Kriminalfalls von dem im Simultanen lauernden Tod und der Irrationalität des Mordes ablenkt, so ist in »Profondo Rosso« allerdings auch das umgekehrte Verfahren erkennbar. Kurz bevor Daly Augenzeuge des Mordes wird, unterhält er sich mit einem Freund vor einem Café mit einer breiten gläsernen Fensterfront. Darin sitzen zu einem Tableau Vivant erstarrte Figuren, die Edward Hoppers »Nighthawks« gleichen. »Für die filmische Narration ist dieser Wiedererkennungsmoment eine problematische Stelle, denn sie katalpultiert den Zuschauer gewissermaßen aus der Filmhandlung heraus: Während man ganz und gar damit beschäftigt ist, das entdeckte ›Gemälde‹ im Film zu bestaunen, wird man unaufmerksam für die Handlung. So situiert Argento seine [...] Protagonisten [...] vor dem Café und lässt sie einen langsamen ›alkoholisierten‹ Dialog füh377
ren...«
In dieser Sequenz wirkt also nun ein statisches Bild schon aufgrund seiner Größe und der Einstellungsdauer, die ihm beigemessen wird, dominant gegenüber der fortlaufenden Handlung. Der Antirealismus der im Bildzitat bewegungslosen Posen wirkt irritierend; dieser Effekt wird aber durch den Dialog im Vordergrund kontrastiv ausgeglichen. Verweise auf Gemälde wirken somit in »Profondo Rosso« immer wieder als irritierende Erinnerung an die Schnittmenge des Films mit den bildenden Künsten und auf das Unvereinbare mit den erzählenden Künsten.
376 Auch in der ersten Einstellung des Films nach dem Titelvorspann fällt der Schatten der Täterin (oder, wie zu diesem Zeitpunkt noch impliziert wird: des Täters) auf ein Gemälde an der Wand. Erst später wird deutlich, dass diese Einstellung das motivationale Kindheitstrauma gezeigt hat, das der weiteren Handlung zugrunde liegt. 377 J. Barck: Tiefe Fallen, S.41.
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Die Einbindung der bildenden Künste in den Erzählzusammenhang wird hier auf zwei Wegen möglich: Erstens, indem die linearen Bewegungen von Kamera, Schnitt und Figuren von der Nichterzählbarkeit der Bilder ablenken (das Café), bevor sie aus dem dekorativen Hintergrund heraustretend den Film dominieren. Zweitens, indem diese Bilder nachträglich wieder aufgesucht, aus dem dekorativen Hintergrund hervorgehoben und in die Erzählung eingebunden werden (das Gesicht in der Galerie). Dann verlieren sie jedoch eben diese bildnerische Eigenschaft und werden zu Repräsentanten beziehungsweise Funktionsträgern der Figuren und ihrer Handlungen. Die Ablenkung des Blickes vom Raum auf den Bilderfluss zugunsten der Narration in »Profondo Rosso« lässt sich mit einem anderen linearen filmischen Verfahren kontrastieren. In »Die Stunde des Wolfs«378 wird der Blick auf den Bilderfluss innerhalb desselben Raumes (also derselben Einstellung) gelenkt. Allerdings kommt dieser Fluss als Erzählfluss dabei irritierend ins Stocken. Der Maler Johan Borg leidet an Schlaflosigkeit. Besonders bedrängen ihn seine nächtlichen Ängste zur »Stunde des Wolfs«, der Zeit bis zum Anbrechen des Morgengrauens. Im schwedischen Sommer, in dem der Film spielt, ist das die Zeit zwischen drei und vier Uhr. Für Johan ist »diese Stunde [...] die schlimmste. [...] In dieser Stunde sterben die Meisten und die meisten Kinder werden geboren. Es ist die Zeit der Nachtmahre, weißt du? Und wenn wir aufwachen...« Johans ihm ergebene Frau Alma, die mit ihm durchwacht, entgegnet: »dann fürchten wir uns.« Zwar wird diese Uhrzeit in der Medizin tatsächlich als diejenige genannt, um die der Kreislauf eines Menschen mit durchschnittlichem Schlafrhythmus seinen Tiefpunkt erreicht und somit auch die psychische Verfassung fragil ist. Wenn für den Maler Borg diese Stunde eine Zeit des qualvollen Zweifels ist, so lässt sich dies auch metaphorisch für die Schaffenskrise vor dem künstlerischen Ausdruck sehen. Das Morgenlicht kann noch keine Formen unterscheiden und dadurch auch noch keine Bilder entstehen lassen. Um Alma seine Qual zu vermitteln, zeigt Borg ihr, wie lang eine Minute ist, beziehungsweise er zeigt es ihr eben nicht, sondern verkündet es. Borg sieht auf seine Armbanduhr, lässt diese Alma jedoch nicht sehen: »Manchmal ist eine Minute eine Ewigkeit. Pass auf, jetzt fängt sie an. 10 Sekunden.
378 DIE STUNDE DES WOLFS (VARGITMMEN, SE 1968, R: Ingmar Bergman).
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Diese Sekunden.... wie eine Ewigkeit.
Die Minute ist noch nicht vorbei.
Na endlich, sie ist vorbei.«
Das Vergehen von Zeit wird hier in einer beinahe statischen Einstellung eingefangen. Die Zeit vergeht dabei jedoch nicht in die Tiefe des Raumes hinein, sie wird also nicht durch die Bewegung der Kamera oder durch nennenswerte Bewegungen der Figuren repräsentiert. Auch wird sie nicht durch die Entfernungsverhältnisse einer tiefenscharfen Mise-en-scène versinnbildlicht, wie etwa in einer berühmten Einstellung von »Citizen Kane«. In »Citizen Kane«379 ist die Vergangenheit im Bildvordergrund nachvollziehbar: Man sieht ein leeres Glas neben einem geöffneten Medizinfläschchen. Eine schwer atmende Bettlägerige dahinter macht diese Objekte zu Indizien eines Selbstmordversuches. Die Zukunft kündigt sich als alarmiertes Klopfen und Rütteln an der Zimmertür im Bildhintergrund an, die schließlich von den Rettern aufgebrochen wird. In der hier angeführten Einstellung von »Die Stunde des Wolfs« wird der Raum zwar ebenfalls in drei Ebenen geteilt (siehe Abb. 14). Im linken Vordergrund des Bildkaders sind das rechte Profil und die Hände des Protagonisten, Johan Borg, zu sehen. Mit der rechten Hand hat er die Armbanduhr an seinem linken Handgelenk ergriffen. Am Ringfinger der linken Hand steckt zudem der Ehering. Hinter Borgs Kopf ist die Wölbung eines hellen Lampenschirms zu erkennen. Diese Lampe ruht auf einem sehr stabilen, langen Fuß mit vage erkennbaren Ornamenten. Diese Lichtquelle in der Bildmitte erhellt die rechte Körperhälfte von Borgs Frau Alma. Alma sieht auf ihren Mann und ist in
379 CITIZEN KANE (USA 1941, R: Orson Welles).
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einen Bademantel gehüllt. Um den Hals trägt sie eine Kette mit einem Anhänger, der sich im Schatten allerdings nicht näher erkennen lässt. Im Bildhintergrund links von Alma zu erkennen ist der Teil eines Fensters. Dessen Glasscheibe ist durch das Fensterkreuz in drei Quadrate getrennt. Vor allem die beiden unteren sind verschmiert oder beschlagen. Auf dem Fensterbrett stehen Farbtuben oder Lösungsmittel. Sie sind allerdings in der Dunkelheit und Entfernung eher aus dem bisherigen filmischen Kontext der Einstellung zu erahnen (Borg ist Maler). In der hinteren rechten Ecke des Kaders ist nur dunkel eine große, auf die Wand gezeichnete Figur zu sehen. Über ihr skizziertes Gesicht ziehen sich drei lange Striche; ob es sich um eine grobe Schraffur oder ein aus Unzufriedenheit durchstrichenes Werk handelt, lässt sich nicht wissen. Die Zeichnung ist auch nur bei erhöhter Aufmerksamkeit erkennbar, da sie vom Schein der Lichtquelle kaum noch erfasst wird. Aufgrund des Kontrastes (der Film ist schwarz-weiß) besser zu erkennen ist eine Papierzeichnung, die schräg hinter Almas Kopf hängt. Sie stellt möglicherweise eine Landschaft dar, falls ja, sind jedoch der Baum, der Hügel und der Himmelskörper umrisshaft abstrahiert. Diese Zeichnung ist links oben angerissen, während die Figur auf der Wand von rechts oben durchgestrichen ist. Weitere Zeichnungen an der Wand sind nur diffus wahrnehmbar. Dieser Bildinhalt ist nun die gesamte Minute über zu sehen, die an dieser Stelle von Interesse ist. Diese Minute macht aber nur ein Drittel der gesamten Einstellung bei statischer Kameraposition aus. In Bewegung zu sehen sind in dieser Minute allein die Atembewegungen Almas und vereinzelt die Lippenbewegungen Johans. In der schwedischen Originalversion ist ab der Ankündigung der Minute das Geräusch des Uhrentickens lauter als in den Einstellungen zuvor zu hören, in der deutschen Synchronfassung fehlt dasselbe. Die Raumordnung stiftet nun zwar ein Verhältnis zwischen Figuren, stellt jedoch keine erkennbare Beziehung zwischen verschiedenen Zeitpunkten her. Die dreckigen Fensterscheiben dichten den Raum gegen ein Außen, somit auch gegen die Möglichkeit eines plötzlichen Einbruches von Objekten aus dem Hors-champ in den Bildkader ab. Die Cadrage ist einfach – zwei Figuren, zwei Gegenstände, einige schemenhaft angedeutete Objekte, die an der Wand außerhalb des Fokus hängen. Zugleich ist der Raum durch die Nähe und Größe der beiden Figuren sowie der Lampe und der Uhr so gefüllt, dass kein Platz bleibt, den zusätzliche Elemente noch einnehmen könnten. Gegenüber der obigen, langen Beschreibung der Mise-en-scène (die gleichwohl eine relativ überschaubare Komposition erfassen soll) fällt die Inhaltsangabe des Handlungsverlaufes kürzer aus: Borg schaut auf seine Uhr und gibt an Alma weiter, wann eine Minute
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beginnt und wann dieselbe Minute endet. Dabei vergleicht er die vergehende Zeit, unter deren subjektiv wahrgenommener Langsamkeit er leidet, mit einer Ewigkeit. Das Verhältnis zwischen Figuren und Objekten im Raum gestaltet sich als eines der Abhängigkeiten: Johann macht sich von seiner Uhr abhängig, Alma von Johan. Diese Hierarchie liegt in der asymmetrischen Informationsvergabe begründet: Johan entnimmt der Uhr, wie spät es ist, während Alma auf Johans Angaben angewiesen ist. Damit ist sie seinen unvorhersehbar sporadischen Äußerungen ebenso ausgeliefert wie das Publikum. Da das Zifferblatt von der Kamera nicht gezeigt wird, bleibt die Zeit ohne Zeichen. Frida Grafe hat in einem zeitgenössischen Artikel über die Filme »Persona«380 und »Die Stunde des Wolfs« die Verwandtschaft zwischen deren Regisseur Ingmar Bergman und Alfred Hitchcock herausgestellt.381 Sie verortet diese in einer vergleichbaren Orientierung an Unterhaltung und Katharsis des Publikums. Auch Hans Schifferle stellt den Vergleich zwischen Bergman und Hitchcock her, konkret über die hier genannte Filmsequenz und vermittels des ›Suspense‹-Begriffs. Er verortet Alma (gespielt von Liv Ullmann) gemeinsam mit dem Publikum auf einer Position gegenüber Johan (gespielt von Max von Sydow): »Da demonstriert Max von Sydo, mit Schweiß auf der Stirn, seiner Frau Liv Ullmann und uns, den Zuschauern, wie schrecklich lang eine Minute ist.«382 Wie oben bereits ausgeführt (siehe Kapitel 1.4), ist es jedoch für Hitchcocks Verfahren »unerläßlich, daß das Publikum über die Einzelheiten, die eine Rolle spielen, vollständig informiert ist. Sonst gibt es keinen Suspense.«383Die einminütige Anspannung in »Die Stunde des Wolfs« beruht auf einer Ökonomie des Wissens, die eben auf dem Informationsvorsprung Borgs basiert. Dies gilt sogar immer noch gesetzt den Fall, ein Zuschauer würde anstatt auf den Film auf seine Uhr sehen (beziehungsweise auf die Zeitangabe des DVD-Players), denn er kann nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Erzählzeit und die von Borg verkündeten Zwischenstände deckungsgleich sein werden. Die Aufmerksamkeit
380 PERSONA (SE 1966, R: Ingmar Bergman). 381 Vgl. Vgl. Grafe, Frida: »Der Spiegel ist zerschlagen«, in: Filmkritik 11/68, 12. Jahrgang. Heft 143, S.760-772. Zitiert nach: Enno Patalas (Hg.): Frida Grafe: Aus dem Off. Zum Kino in den Sechzigern. Mit Auszügen aus dem Briefwechsel zwischen Josef von Sternberg und Frida Grafe. Ausgewählte Schriften in Einzelbänden: Vierter Band, Berlin: Brinkmann & Bose 2003, S.33-53, hier S.51. 382 Schifferle, Hans: »Die Stunde des Wolfs«, in: Die 100 besten Horror-Filme, München: Wilhelm Heyne 1994, S.170. 383 Hitchcock, Alfred in: Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S.62.
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verlagert sich somit von der Frage, ob und mit welchen Konsequenzen das Ereignis eintrifft, auf die Frage, wann es eintrifft. Das Ergebnis für Johan wie auch Alma Borg aus dem Ende der Minute ist dabei recht vorhersehbar eine vorübergehende Erlösung, die freilich in ihren Konsequenzen für die Handlung geringfügig sein dürfte (und ist). Die Intensität der Einstellung ergibt sich nicht aus dem Verhältnis zu dem Ereignis an ihrem Schluss. Konstitutiv ist vielmehr das Verhältnis zu der diesem Ereignis vorangehenden Zeitdauer. Insofern hat der Ausschnitt weniger gemein mit den narrativen Spannungsbögen in »Hitchcocks Filmen« als vielmehr mit jenen Darstellungen der Folter, bei denen viele Zuschauer dazu provoziert werden, ihre Hände vor Augen oder Ohren zu halten (etwa in »Der Marathon-Mann«384, in dem das Verhör durch einen Zahnarzt auditiv und visuell intensiv die Abwehrkapazitäten des Zuschauers zu erschöpfen droht). Es gibt allerdings in der subtilen Folter in »Die Stunde des Wolfs« kein Zeichen auf der Bildebene, das sich mit den Händen abwehren ließe. Allein auf der Tonebene lassen die Äußerungen Borgs auf ein erlösendes Signal hoffen (enttäuschen diese Hoffnung jedoch zunächst dreimal). In einer Unterhaltung mit Olivier Assayas und Stig Björkman über Hitchcock kommt Bergman auf sein eigenes Verhältnis zum Publikum zu sprechen und sieht zwar durchaus Parallelen zur Herangehensweise seines Kollegen: »Ich dachte immer: ›Ich bin sehr klar, sie müssen verstehen, was ich sage, das ist nicht schwer‹, und manches Mal habe ich bemerkt, daß ich nicht einfach genug, nicht klar genug war. Aber mein ganzes Leben habe ich auch im Theater mit dem oder für das Publikum gearbeitet. [...] Manchmal, zum Beispiel in Die Stunde des Wolfs oder im Licht im Winter habe ich mich meiner eigenen Liebe zum Publikum widersetzt und mir gesagt: 385
›Ich pfeif’ drauf!‹ «
Hitchcocks Szenarien lassen sich oft als das Zusammenlaufen von Handlungslinien visualisieren. Sie werden auch mitunter aus der Distanz so gefilmt, dass die narrativen Stränge in ihrer geometrischen Anordnung offenbar werden. 386 Im klaustrophobischen Zimmer der Borgs hat das Publikum dagegen keinen Logen-
384 DER MARATHON-MANN (MARATHON MAN, USA 1976, R: John Schlesinger). 385 Bergman, Ingmar in: Assayas, Olivier/Björkman, Stig: Gespräche mit Ingmar Bergman (Conversation avec Bergman. Aus dem Französischen von Silvia BeruttiRonelt), Berlin: Alexander 1990, S.78 386 Vgl. Taylor, John Russell: Die Hitchcock-Biographie. Alfred Hitchcocks Leben und Werk (Hitch – The Life and Times and Alfred Hitchcock. Aus dem Englischen von Klaus Budzinski), Frankfurt a.M.: Hanser 1982.
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platz. Seine Distanz zum Ziffernblatt bleibt trotz der Nähe der Uhr zur Kamera so groß, dass Borg seinen Wissensvorsprung behält. Wenn sich Borg diesem Zeichensystem ausliefert, weil ihm die natürliche Ordnung von Dunkelheit und Helligkeit nicht genügen kann, versetzt er damit Alma und das Publikum in eine Position, die noch außerhalb der symbolischen Ordnung steht. Sie können ihr Begehren nach dem Objekt – also einem bestimmten Zeitpunkt – nicht ausdrücken, weil sie die Uhrzeit nicht lesen können, gleich kleinen Kindern. Borg selbst gängelt Alma zwar dazu, mit ihm zu wachen, weil er aus Angst vor der Dunkelheit nicht schlafen kann – ein Bedürfnis, das in der konventionellen Darstellung Kinder gegenüber ihren Eltern äußern. In dieser Minute gelingt es ihm jedoch, das zeitpolitische Machtverhältnis umzukehren: Johan lässt Alma vorübergehend im Dunkeln. »Das Mitleiden mit den Helden und Heldinnen auf der Leinwand impliziert immer auch ein Gran Überlegenheit, das die Distanz im Kino gewährt. Sie speist sich aus der Zeitökonomie der filmischen Narration. Die Meisterschaft Alfred Hitchcocks besteht nicht zuletzt darin, dass er uns komfortable Zeit-Reisen schenkt, während sein gehetztes Personal 387
›gegen die Zeit‹, gegen das furchtbare tempus fugit zu kämpfen hat...«
Johan hingegen ersehnt das tempus fugit. Hitchcocks Suspense-Sequenzen simulieren eine Ermächtigung des Publikums – in Form von Unterhaltung – über die Zeitpolitik.388 Bergmans Szene überträgt die Opferrolle des Protagonisten auf das Publikum. So wenig die Sequenz mit Hitchcocks Spannungsbögen gemein hat, so wenig teilt sie auch mit Edgar Allan Poes Werken, die in der Literatur mehrfach als offensichtlicher Einfluss auf »Die Stunde des Wolfs« genannt werden.389 In Poes Erzählungen weren Objektträger des Memento Mori überbetont,
387 Kreimeier, Klaus: »Extension bis zum Nullpunkt. Die stillgestellte Zeit im Bewegungsbild«, in: Christine Rüffert, Irmbert Schenk, Karl-Heinz Schmid, Alfred Tews/Bremer Symposium zum Film (Hg.): ZeitSprünge. Wie Filme Geschichte(n) erzählen, Berlin: Bertz, 2004, S.20. 388 Vgl. ebd., S.17-20. 389 Vgl. Manns, Torsten in: Björkman, Stig/Manns, Torsten/Sima, Jonas: Bergman über Bergman. Interviews mit Ingmar Bergman über das Filmemachen (Bergman om Bergman. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt, Justus Grohmann und Christian Henning), Frankfurt a.M./Berlin/Wien: Ullstein 1978, S.237./Mosley, Philip: Ingmar Bergman. The Cinema as Mistress, London/Boston: Marion Boyars 1981, S.95./Weise, Eckhard: Ingmar Bergman, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987, S.98.
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so etwa das unter den Dielen weiterschlagende Herz (in »Das verräterische Herz«), das eben durch seinen dominanten, alles durchdringenden Rhythmus den Gedanken an die Vergänglichkeit wachruft. Borg hingegen wird an das Unrepräsentierbare des Todes durch die statische Dunkelheit, die Formlosigkeit des Nichts erinnert. Dagegen bietet er verschiedene Mittel auf: Die Personifizierungen seiner Angst auf Zeichnungen gehören ebenso dazu wie die Vergegenwärtigung der langsam vergehenden Nacht durch den Uhrzeiger. Insofern dichten auch die hinter Alma an der Wand hängenden Bilder den Raum gegen das Dunkel ab, das um das Haus herrscht. Durch den Entzug seiner Repräsentation aus dem linear erfahrbaren Raum wird das Objekt des Begehrens beziehungsweise der Furcht freilich umso präsenter – dies erfahren Alma und das Publikum nun an Johans Stelle, nachdem die Minute durch ihn angekündigt, beziehungsweise angedroht wurde. Durch Borgs sporadische Zwischenrufe wird die Zeit gerade in dem Moment, in dem sie sich mit der Rezeptionsdauer deckt, als in ihrer unbestimmten Relativität erfahrbar. Die Minute scheint den engen, dichten Bildkader mit drückender Langsamkeit auf den Siedepunkt zu bringen: Borgs Stirn ist schweißbedeckt, wenn er danach in der Geste des Melancholikers seinen Kopf auf die linke Hand stützt. Klaus Kreimeier hat seinen Artikel über die Zeit in »Der unsichtbare Dritte« unter den Titel »Extension bis zum Nullpunkt« gesetzt, »eine paradoxe Sprachfigur, die dem Manko gerecht zu werden sucht, dass der Filmanalyse die Begriffe fehlen...«390, um das Phänomen der stillgestellten Zeit im Bewegungsbild zu beschreiben. Doch während es in der gewählten Sequenz in »Der unsichtbare Dritte« (der Held wartet an einer Bushaltestelle auf einen vermeintlichen Informanten) durchaus noch Objekte gibt, die für das Vergehen der Zeit so zeichenhaft werden wie Ziffernblätter, ließe sich Kreimeiers Begrifflichkeit auf die Sequenz in »Die Stunde des Wolfs« treffend anwenden: »Zeit-Akkumulation. Oder, am Bild der Linie orientiert: eine Zeitdehnung, die kurz davor steht, den ›äußersten Punkt‹ zu erreichen. Aber diesen Punkt gibt es nicht, denn er wäre der Nullpunkt, in dem die Zeit zur Ruhe käme...«391 Angesichts dessen, dass in »Die Stunde des Wolfs« mit statischer Kamera eine lange Einstellung gefilmt ist, in der sich die Figuren nicht einander annähern und ohne die Tonebene beinahe statuenhaft erscheinen würde, mag den Schluss nahe legen, es handele sich nicht um eine an visuellen Lösungen ausgerichtete, »unfilmische« Ästhetik. Die Filme unter Dario Argentos Regie, darunter »Profondo Rosso«, werden von jenen Kritikern als oberflächlich und dra-
390 Klaus Kreimeier: Extension bis zum Nullpunkt, S.27. 391 Ebd., S.28.
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maturgisch unzureichend abgelehnt, die nur das Erzählkino gelten lassen.392 Ingmar Bergman hingegen wird zur Zeit von »Die Stunde des Wolfs«, also gegen Ende der 1960er Jahre, von vielen Kritikern vorgeworfen, er drehe »literarische« Filme. Jeder Konflikt werde darin durch explizite Dialoge ausgeführt und erklärt. Zudem griffen die Filme auf Metaphern zurück, die in der Literatur selbst längst veraltet seien. Nicht zuletzt werden die Vorwürfe von Literaten und Literaturkritikern geäußert, darunter so unterschiedliche Stimmen wie Peter Handke393 und Marcel Reich-Ranicki394. In besonderem Hinblick auf das scheinbar deckungsgleiche Verhältnis von »Erzählzeit« und »erzählter« Zeit in der angeführten Sequenz scheint schließlich eine Äußerung Hitchcocks über die Pflicht des Regisseurs, Zeit zu raffen und zu dehnen, die Beweisaufnahme der Anklage zu stützen: »Sind Sie nicht auch der Meinung, daß die Zeit im Film nie etwas zu tun haben sollte mit der realen Zeit? [...] Deshalb ist es auch ein Fehler, die Adaptation eines Romans dem Autor selbst zu überlassen, der doch nichts von der Gesetzlichkeit des Kinos weiß. Etwas anderes ist es sicher, wenn ein Theaterautor sein Stück für die Leinwand bearbeitet, aber auch er muß sich einer Schwierigkeit bewußt sein. Bei seiner Arbeit für die Bühne muß er das Interesse des Zuschauers drei Akte hindurch wachhalten. Diese Akte werden von zwei Pausen unterbrochen, in denen sich das Publikum entspannen kann. Aber in einem Film muß man das Publikum ununterbrochen zwei Stunden oder noch länger fesseln. Doch auch so ist der Bühnenautor immer noch ein besserer Szenarist als der Romanautor, weil er es gewohnt ist, mit einer Folge von Höhepunkten zu arbeiten. Die Sequenzen eines Films dürfen meiner Meinung nach nie auf der Stelle treten, es muß immer weiter gehen, wie die Räder eines Zuges oder besser noch wie eine Zahnradbahn. [...] Am nächsten kommt ihm noch die Novelle, deren Hauptregel es ist, daß sie nur eine einzige Idee enthält, die in dem Augenblick fertig ausgedrückt ist, wenn die Handlung ihren dramatischen 395
Höhepunkt erreicht.«
392 Vgl. Stresau (1987), S.58./Vgl. auch Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Horrorfilms, Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 1989, S.414-415 und S.420. 393 Vgl. Handke, Peter: »Abgedankte Metaphern im Film«, in: Film. 5. Jg. Nr. 11 (September 1967), S.10. 394 Reich-Ranicki, Marcel: »Der Heilige und seine Narren«, in: Die Zeit. 27. März 1964. Zitiert nach: http://www.zeit.de/1964/13/der-heilige-und-seine-narren 395 Hitchcock, Alfred in: Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S.6162.
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Paradox erscheint demgegenüber, dass nicht nur von denjenigen Kritikern, die dem Film positiv gegenüberstanden, der Vergleich zwischen Hitchcock und Bergman angestellt wurde – so von Grafe oder später Schifferle –, sondern dass auch Hitchcocks Gesprächspartner François Truffaut in einem Text über Bergman aus dem Jahr 1958 den starken Einfluss des US-amerikanischen Vorbildes konstatiert, »und zwar durch die Art des Dialogs zwischen einem Mann und einer Frau, der sich über kleine, fast unmerkliche und sehr wahrheitsgetreue Gesten abspielt und vor allem auf einem Spiel präziser und stilisierter Blicke basiert. [...] Außerdem hört Bergman [...] auf, die Einstellungen zu zerstückeln, und bemüht sich [...] die wichtigen Szenen konti396
nui[e]rlich zu filmen.«
Beide Eigenschaften treffen auf die hier fokussierte Einstellung aus »Die Stunde des Wolfs« zu. Daher handelt es sich selbst unter den minimalistischen Bedingungen annähernder Standbilder um eine visuelle Komposition, die nicht »ausgediente literarische Formen auf den Film« überträgt.397 Es wird nicht lediglich explizit das beredet, was in die Bildebene integriert sein sollte. 398 Diese Komposition besteht im Wesentlichen aus der Großaufnahme zweier Gesichter. Sie werden über ihre Blicke, die einander nicht treffen, in Beziehung zueinander gesetzt. Ein weiterer konstitutiver Bestandteil sind der Monologes des eines Ehepartners und das Schweigen des anderen. Dieser Gegensatz wird erst durch die auch visuelle Darstellung seiner Gleichzeitigkeit betont. »Bergman hat den Nihilismus des Gesichts am weitesten getrieben, das heißt sein Verhältnis zur Leere und Abwesenheit in der Angst, der Angst des Gesichts angesichts des Nichts. In einem ganzen Bereich seines Oeuvres stößt Bergman an die äußersten Grenzen des Affektbildes vor, er verbrennt das Ikon, er verzehrt und löscht das Gesicht genauso 399
bestimmt aus, wie Beckett es tut.«
396 Truffaut, François. Zitiert nach: Olivier, Roger W. (Hg): Ingmar Bergman: Der Film, das Theater, die Bücher (Ingmar Bergman – An Artist’s Journey – On Stage, On Screen, In Print. Aus dem Englischen von Isabel Leppla), Rom: Gremese 1999, S.50. 397 Grafe, Frida (2003), S.35. Grafe gibt an dieser Stelle allerdings nur zusammenfassend die Kritiker wieder, gegen die sie Bergmans Filme verteidigt. 398 Vgl. ebd., S.37. 399 G. Deleuze: Das Bewegungs-Bild, S.140.
1.8 A BLENKUNG
UND
L ENKUNG
DES
B LICKES IM B ILDERFLUSS
| 149
Der einminütige Ausschnitt aus »Die Stunde des Wolfs« ist somit nicht theaterhaft, fotografisch oder literarisch, sondern originär filmisch gestaltet. Aber die Begriffe der »erzählten Zeit« und der »Erzählzeit« führen hier insofern in die Irre, als das Vergehen der Zeit und das Erzählen nicht in einem sukzessiven wechselseitigen Bezug zueinander gestaltet sind. In den Pausen zwischen den Verlautbarungen Borgs wird der Vorgang des Minutenvergehens nicht erzählt. Die Erzählung ist in diesen Sekunden angehalten, aber der Film läuft weiter. Borg ermächtigt sich zum Erzähler der linearen Handlung, die sich in dieser Minute ereignet, kommt dieser Rolle aber sozusagen nur »stotternd« nach, indem er nur momentane Äußerungen tätigt, bei denen es sich zudem nach dem ersten Einwurf (»10 Sekunden«) nicht mehr um genaue Zeitangaben handelt. Weil sich der lineare Verlauf dieses Bildes unsichtbar auf dem Zifferblatt beziehungsweise in Borgs Blick darauf zu zentrieren scheint, wirken die Pausen zwischen diesen Worten potentiell auch erheblich länger als sie objektiv sind. Der Maler Borg bringt die Zeit somit selbst mit seiner Sprache noch momenthaft zum Ausdruck und nicht in einem erzählerischen Fluss. In »Profondo Rosso« wird der Blick also von dem vermeintlich unveränderlichen Gemälde, das tatsächlich eine Figur in der Zeit spiegelt, auf filmische Mittel abgelenkt, die das Vergehen von Zeit ausdrücken. In »Die Stunde des Wolfs« wird der Blick auf ein kaum veränderliches, beinahe gemäldehaftes Bild fokussiert, über dem gleichwohl die Veränderung der Zeit dräuend bewusst bleibt. Dementsprechend lässt »Die Stunde des Wolfs« auch insgesamt radikaler die Bedingungen eins kausallogischen Handlungszusammenhangs hinter sich, bleibt aber doch ein Spielfilm. Waren »Schinders Liste« und »As I Lay Dying« Literaturadaptionen, so finden sich in »Profondo Rosso« und vor allem in »Die Stunde des Wolfs« zahlreiche Verweise auf Werke der Erzählliteratur (so tragen in letzterem Figuren Namen aus den Erzählungen E.T.A. Hoffmanns, wie Lindhorst aus »Der goldne Topf«). Gleichwohl aber greifen all diese Filme zu Verfahren, die das Nichtnarrative des Films exemplarisch vor Augen führen und bringen die Codes der anderen im Film beteiligten Künste zur Geltung. Gemälde spielen in »Profondo Rosso« und »Die Stunde des Wolfs« nicht nur funktionale Rollen als Motive innerhalb der Erzählungen, sie stellen sich den Erzählungen auch formal als Hürden oder malstromhafte Untiefen in den Weg.
150 | VERFOLGUNGSJAGDEN
1.9 ABMISCHUNG VON T ON
UND
B ILD
Nicht nur auf der Bildebene vermittelt die Komposition des Spielfilms zwischen den narrativ wesentlichen Anteilen einerseits und der im Filmschnitt vergänglichen Fülle der Bildkader andererseits. Auch muss von Schnitt und Kamera bestimmt werden, welche Ebene den Takt vorgibt, soll das Publikum einer narrativen Spur durch den Film folgen können: eine rhythmisch dominante Tonebene, eine rhythmisch dominante Bildebene oder beide Ebenen in Parallelität? Zudem müssen auch in der Polyphonie aus Geräuschen, Musik und Sprache bestimmte Töne akzentuiert werden, sollen diese Funktionsträger einer Erzählung sein. Sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen Bewegung des Films trägt die Tonspur also dazu bei, den Blick zu lenken oder abzulenken; auf der Tonspur selbst muss gleichsam das Gehör gelenkt oder abgelenkt werden. Wenn die Bildinhalte im Film auch auf unterschiedlichen visuellen Kanälen zugleich kommunizieren können (z. B. Schauspiel, Farbsymbolik, Architektur, Kleidungssemantik, bildende Künste), so sind sie doch zumindest alle gleichermaßen »ikonisch« wahrnehmbar. Wie aber lassen sich visuelle und auditive Codes miteinander abmischen und wie die Codes der Musik und der Sprache, die theoretisch traditionell in Dichotomie zueinander gesetzt wurden. 1.9.1 Die Dichotomie von Musik und Sprache in der Überlieferung Eine Sequenz aus dem Film »Inferno«400 versinnbildlicht diesen scheinbaren Gegensatz zwischen der Musik einerseits und der Sprache (im engeren Sinne) andererseits. Der Student Mark sitzt in einer Vorlesung über Verdis »Nabucco«. Mit Kopfhörern hören er und seine Kommilitonen den Gefangenchor. Zugleich sollen sie ihn auf den Notenblättern vor sich verfolgen. »Va’, pensiero, sull’ali dorate...« (»Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln...«), singt der Chor der hebräischen Sklaven. Und vom Takt der Musik getragen fliegen auch die Gedanken des Protagonisten davon aus der »Knechtschaft« des Partiturlesens. Marks Blick wendet sich vom Notenblatt einer Frau im Auditorium zu. Gleichsam befreit sich die Kamera von ihrem Stativ zu einem entfesselten Flug durch den Hörsaal. Bis dahin hat sie den Raum in einem seitlichen Schwenk ausgemessen. Sie hat das Auditorium im Vorübergleiten von links
400 HORROR INFERNAL (INFERNO, IT, 1980, R: Dario Argento).
1.9 A BMISCHUNG
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nach rechts erfasst, sodann den Dozenten und die Tafel, auf die er schreibt, von rechts nach links. Dabei vollzog die Kamera noch dieselbe horizontale Bewegung wie der Blick beim Lesen eines Textes. Der Bildkader wirkt dadurch relativ flach. Dieser Eindruck ändert sich jedoch ab dem Moment, in dem Mark sich nicht länger auf das vor ihm liegende Blatt konzentrieren kann. Zunächst sieht Mark die geheimnisvolle Frau nur von hinten. Über ihrem fließenden Haar trägt sie keine Kopfhörer und statt eines Notenblattes liegt eine Katze auf ihrem Pult, der sie langsam durch das dichte Fell streichelt. Wie zu einem Gegenzauber greift Mark nun zu einem Brief, den seine Schwester ihm geschickt hat, kann sich aber auch auf diesen nicht konzentrieren. Sein Blick wird erneut von der Schrift auf dem Papier auf die Frau gelenkt. In einem unvermittelten Gegenschnitt sieht diese ihm nun direkt in die Augen (also in die Kamera) und wendet ihren Blick auch nicht ab (siehe Abb. 15). Ertappt in seinem schwelgerischen Voyeurismus kehrt sich das Verhältnis zwischen Mark und dem Objekt seiner Begierde nun um. Während das Notenblatt versprach, die Musik lesbar zu machen und sie dem Schüler als Lerngegenstand darbot, wird in diesem Blick nun die hypnotische, lähmende Gewalt der Musik offenbar. Die Kamera lenkt den Blick soghaft in die virtuelle Raumtiefe hinein, zunächst noch stockend, durch sich vergrößernde Einstellungen der offensiven Frau. Dann schwillt der Chor an, ein heftiger Wind stößt die Fenster des Vorlesungssaales auf und lässt das Haar der Frau flattern – im Kontrast zu den schweren Büsten der Komponisten, die vor den Fenstern positioniert sind und über die Studierenden zu wachen scheinen. Die Kamera veranschaulicht diesen Windstoß, indem sie durch das Fenster hinein und über die Köpfe der Studierenden hinwegfährt – die Perspektive des Zuschauers also der äolischen Perspektive annähert. Die Sinnlichkeit der Musik erscheint hier feminin personifiziert. Aller Weichheit des Frauenhaars und Katzenfells zum Trotz, die sich Marks Blick zunächst darbieten, ist diese »Muse« jedoch auch sirenenhaft machtvoll. Der Blick der Frau in die Kamera erfolgt in einem harten, unvorbereiteten Gegenschnitt. Der Schluss dieser Sequenz lässt das Musikzitat aus »Nabucco« ironisch erscheinen. In der Oper wird die Befreiung der Israeliten aus der babylonischen Sklaverei beschworen; im Film endet die vermeintliche Befreiung von dem Diktat der Schrift (der Partitur und des Briefes) in der »babylonischen« Abhängigkeit der Sinne von der sirenenhaften Frau als Verkörperung der Musik (sie wird sich im weiteren Verlauf der Handlung gemäß ihrer hexenhaften Attribute auch durchaus als Variation der Hure Babylon erweisen, als Mater Lacrimarum, »die Mutter der Tränen«). Diese habituelle geschlechtliche Zuordnung hat durchaus Tradition. Laut Hegels Vorlesungen über die Ästhetik ist die Musik
152 | VERFOLGUNGSJAGDEN »die Kunst des Gemüts, welche sich unmittelbar an das Gemüt selber wendet. [...] Ihr Inhalt ist das an sich selbst Subjektive, und die Äußerung bringt es gleichfalls nicht zu einer räumlich bleibenden Objektivität, sondern zeigt durch ihr haltungsloses, freies Verschweben, daß sie eine Mitteilung ist, die, statt für sich selbst Bestand zu haben, nur vom Inne401
ren und Subjektiven getragen, und nur für das subjektive Innere dasein soll.«
Hegel führt weiterhin aus: »In demselben Grade nun, in welchem der Geist sich die abstraktere Allgemeinheit zu einer konkreten Totalität der Vorstellungen, Zwecke, Handlungen, Ereignisse ausbildet, [...] verläßt er nicht nur die bloß empfindende Innerlichkeit [...], sondern muß es nun eben dieser Ausgestaltung wegen aufgeben, den dadurch neu gewonnenen Reichtum des Geistes auch ganz und ausschließlich durch Tonverhältnisse ausdrücken zu wollen. [...] Der Geist zieht [...] seinen Inhalt aus dem Tone als solchem heraus und gibt sich durch Worte kund, die zwar das Element des Klanges nicht ganz verlassen, aber zum bloß äußeren Zeichen der Mitteilung herabsinken. [...] Der Inhalt der redenden Kunst ist die gesamte Welt der phantasiereich ausgebildeten Vorstellungen, das bei sich selbst seiende Geistige, das in diesem geistigen Element bleibt und, wenn es zu einer Äußerlichkeit sich hinausbewegt, dieselbe nur noch als ein von dem Inhalte verschiedenes Zeichen benutzt.«
402
Die Empfindung in direktem Kontakt zum Unbewussten; der Geist, der die Konzentration des Bewusstseins fordert: Als dieses Gegensatzpaar werden die Musik und die Sprache, aber auch die Künste der Musik und der Literatur in der Geistesgeschichte immer wieder in Konkurrenz zueinander geführt, wobei je nach philosophischem Standpunkt die Hierarchie neu gesetzt wird. Schopenhauer ordnet, anders als Hegel, die Musik der Begriffssprache über, die nur ein Abbild der Erscheinungen sei, während es sich bei der Musik um ein Abbild des Willens handele.403 Nietzsche entwickelt an Musik und Begriffssprache sein Gegensatzpaar von der dionysischen Kunst des Bild- und Begriffslosen und der apolli-
401 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Ästhetik. Band II. 3. Teil. Das System der einzelnen Künste. Nach der 2. Ausgabe Heinrich Gustav Hothos (1842). Redigiert und mit einem ausführlichen Register versehen von Friedrich Bassenge, Berlin/Weimar: Aufbau Verlag 1976, S.262. 402
Ebd., S.330.
403 Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. Band II. Welcher die Ergänzungen zu den vier Büchern des ersten Bandes enthält. Reprografischer Nachdruck der 2., überprüften Auflage, Stuttgart/Frankfurt a.M.: Cotta – Insel 1968. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, S.574-575.
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nischen Kunst des Bildners. Auch Nietzsche betrachtet die sprachliche Ordnung der Begriffe defizitär als apollinische Spiegelung des dionysischen Grundes, wie er sich in der rauschhaften Musik ausdrückt. 404 In den musiktheoretischen Diskursen des 20. Jahrhunderts rückte man hingegen stärker die mathematische Logik und Rationalität der Musik in den Vordergrund. Unter anderem mag ein aus den zeitgeschichtlichen Erfahrungen begründetes Misstrauen gegenüber allem Rauschhaften zu dieser Akzentverlagerung beigetragen haben. Gleichwohl einigten sich noch Adorno und Hanns Eisler in ihrem gemeinsamen Werk über die Filmmusik darauf, »noch die gröbsten Illustrationen der Programmusik [...] [verhielten] sich zur Realität höchstens so wie der Traum zum wachen Bewusstsein« und »alle Musik, auch die ganz ›objektiv‹ gefügte und nicht expressive [gehöre] ihrer Substanz nach primär in den Innenraum der Subjektivität.«405 Musik wird also traditionell mit Gemüt, Rausch und Traum assoziiert, mit dem Unsagbaren, dem Ur-Einen und Absoluten. Die in »Inferno« inszenierte Bewegung ist nicht nur eine Heimkehr der Hebräer Verdis aus der Sklaverei oder eine Heimkehr des Lesers zur scheinbar leichteren, auditiven Rezeption. Sie ist deutbar als Heimkehr aus der Sklaverei der Erwachsenenwelt in die Sphäre einer unziemend jungen und attraktiven Mutterfigur (die »Mutter der Tränen«). Die Musik in ihrer entfesselten sinnlichen Kraft erscheint als eine verboten inzestuöse Regression. Dieser patriarchalen Zuschreibung getreu provoziert die Musik auch in »Inferno« daher nicht nur Schauer des Genusses, sondern auch der Beunruhigung (denn so definierte Freud das Unheimliche: als die unerwartete Rückkehr der ins Heimliche verdrängten Triebe406). Auch spätere Vertreter der Rezeptionspsychologie haben die Musik dahingehend gedeutet, dass sie den Zuhörer auf einer präödipalen, vorsprachlichen Ebene erreiche. Claudia Gorbman zufolge erleben sich Kinder im Mutterleib als eingebettet in einen Klangraum, den ebensowohl die Töne des eigenen Körpers wie die der Umgebung bilden. Alle tonale Musik inszeniere ein Stück erfüllter Sehnsucht nach
404 Vgl. Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie. Oder Griechenthum und Pessimismus. Neue Ausgabe mit dem Versuch einer Selbstkritik, Leipzig: Verlag von E. W. Fritzsch 1878. 405 Adorno, Theodor W./Hanns Eisler: Komposition für den Film, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2006, S.65. 406 Vgl. Freud, Sigmund: »Das Unheimliche (1919)«, in: Alexander Mitscherlich/ Angela Richards/James Strachey (Hg.): Sigmund Freud. Studienausgabe. Band IV: Psychologische Schriften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970, S.241-274.
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Heimkehr in dieses ursprüngliche Umhülltsein von Klang.407 Die Musik wird also als Medium des Es, die Schrift als Medium der Ratio tradiert. Richard Wagner beschrieb demgemäß die Beziehung zwischen der Kunst der Literatur und der Kunst der Musik als eine über Jahrtausende sich anbahnende, immer wieder verhinderte Annäherung zwischen unglücklich Liebenden: »Die Musik ist ein Weib. [...] Das Empfangene aber froh und freudig zu gebären, das ist die Tat des Weibes – und um Taten zu wirken, braucht daher das Weib nur ganz das zu sein, was es ist, durchaus aber nicht etwas zu wollen: denn es kann nur Eines wollen – Weib sein! [...] wer [müsse] denn der Mann sein, den dieses Weib so unbedingt lieben 408
soll? [...] Betrachten wir genau den Dichter!«
Wagners sexualisierende (und sexistische) Analogie lässt sich in »Inferno« jedoch nur zu bis zu einem gewissen Grad wiedererkennen: Die Frau widersetzt sich hier der ihr zugewiesenen Tat, den Blick des Mannes zu empfangen. Stattdessen begegnet sie diesem mit einem durchdringenden Drohstarren und verschwindet dann spurlos. In seiner Betrachtung kommt Wagner zu dem folgenden Schluss: »Das Können des Dichters ist aber das vollkommene Aufgehen der Absicht in das Kunstwerk, die Gefühlswerdung des Verstandes [...].«409 Der Verstand, so Wagner weiter, ist »von der Notwendigkeit gedrängt, sich einem Elemente zu vermählen, welches seine dichterische Absicht als befruchtenden Samen in sich aufzunehmen [...] vermöge, daß es ihn als verwirklichenden und erlösenden Gefühlsausdruck gebäre. Dieses Element ist dasselbe weibliche Mutterelement, aus dessen Schoße, dem urmelodischen Ausdrucksvermögen – als es von dem außer ihm liegenden natürlichen, wirklichen Gegenstande befruchtet ward, das Wort und die Wortsprache so hervorging, wie der Verstand aus dem Gefühle erwuchs, der somit die Verdichtung dieses Weiblichen zum Männlichen, Mitteilungsfähigen ist. Wie der Verstand nun wiederum das Gefühl zu befruchten hat [...], so drängt es das Wort des Verstandes, sich im Tone wiederzuerkennen, die Wortsprache in der Tonsprache sich gerechtfertigt zu finden. [...] der nur in der brünstigsten Liebeserregung aus seinen edelsten Kräften sich verdichtende Samen – der ihm nur aus dem Drange, ihn von sich zu geben, d. h. zur Befruchtung ihn mitzuteilen, erwächst, [...] – dieser zeugende Sa-
407 Gorbman, Claudia: Unheard Melodies: Narrative Film Music, Bloomington: Indiana University Press 1987, S.63-69. 408 Wagner, Richard: Oper und Drama. Hg. und kommentiert von Klaus Kropfinger, Stuttgart: Phillip Reclam 1984, S.118-122. 409 Ebd., S.215.
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men ist die dichterische Absicht, die dem herrlich liebenden Weibe Musik den Stoff zur 410
Gebärung zuführt.«
Das Zustandekommen dieses Zeugungsaktes sah Wagner erst im Gesamtkunstwerk seines musikalischen Dramas gewährleistet. Das »Volk« habe die Erhabenheit der Natur bewältigen müssen. Nach ersten Ausrufen lyrischer Ergriffenheit ginge »das Volk« dazu über, die Naturerscheinungen im Götterpantheon zu personifizieren, also im Mythos.411 Sein eigenes Wesen verdichtete und überhöhe es demgegenüber im Heldenepos.412 Der nächste Schritt sei die griechische Tragödie, in der, so Wagner, das Volk nicht nur den Helden verkörpern lasse, sondern auch die eigene Reflexion der Heldentaten, nämlich im Chor. 413 Im späteren Bemühen darum, sich von dem inneren Zwiespalt seiner mittelalterlichen, religiösen Schuldverstrickung abzulenken, öffne sich der Mensch ganz der Erkundung der Außenwelt.414 Daraus resultiere der Roman, zugleich jedoch eine neue Überforderung an weltlichen Eindrücken, insbesondere an politischen und religiösen Gewalterfahrungen.415 Der Dichter fühle sich genötigt, diese Masse an Eindrücken zu ordnen, sie in einander gegenübergestellten Figuren zu verdichten und selbst Stellung zu beziehen, nämlich im Drama. Das romanhafte Drama in der Nachfolge Shakespeares müsse sich in der Folge jedoch entweder am bürgerlichen Roman orientieren, wodurch es seinen Horizont auf ein glanzloses und stimmungsarmes Milieu verenge. 416 Oder es müsse sich die Weltgeschichte zum Vorbild nehmen und daran zwangsläufig scheitern, weil die Historiographie mittlerweile zu differenziert und politisch komplex geworden sei.417 Das Drama in der Tradition der französischen Klassik dagegen entwickele sich zum reinen, wortgewaltigen Hörspiel. Währenddessen kompensiere die Oper den Mangel, der vom spröden Racineschen Regeldrama erzeugt wurde, aber auch vom Shakespeareschen Drama mit seinem schnellen und daher notdürftig abstrahierten Szenenwechsel: den Mangel an sinnlicher Mise en scène, an Kostümen, Kulissen und Effekten, so dass die Oper das eigentliche Schau-
410 Ebd., S.242-244. 411 Vgl. ebd., S.161. 412 Vgl. ebd., S.162. 413 Vgl. ebd., S.163. 414 Vgl. ebd., S.179. 415 Vgl. ebd., S.186. 416 Vgl. ebd., S.147-148. 417 Vgl. ebd., S.153.
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spiel wurde.418 Inhaltlich jedoch pendele die Oper zwischen der Versklavung von Librettisten durch Komponisten einerseits und der Ignoranz von Librettisten durch Komponisten andererseits. Nicht der Wortdichter, erst der Tondichter, so Wagner, werde die Universalität des Unbewussten, Unwillkürlichen und Reinmenschlichen erfassen und dadurch zur allgemeinsamen Bewusstwerdung der Gesellschaft beitragen können.419 In Abkehr von der Nummernoper der Arien und Rezitative hin zur gesungenen Erzählung der durchkomponierten Akte steht somit das musikalische Drama der Zukunft als Verheißung dieses Wagnerschen Ideals.420 Wie aber gestalten sich nun Simultanwirkungen zwischen Erzählung und Musik in der Filmkunst? Wenn schon Lied, Melodram, Oper und Musical von einem fortwährenden Wettstreit zwischen einer zu inhaltlichen Musik und einer zu inhaltsleeren Sprache bestimmt zu sein scheinen, wie disharmonisch muss sich nun erst das wechselseitige Verhältnis im Spielfilm gestalten, umso mehr, als die Bildgestaltung zudem als gegenüber dem Theater noch potenzierte, dritte Kraft hinzutritt? Oder erfüllt der Film in einem noch höheren Maße das Ideale des Gesamtkunstwerks als das musikalische Drama? 1.9.2 Abmischung von Sprache und Bild im Film Die Verbreitung des Tonfilms seit 1927 stellte die Filmindustrie vor eine Reihe von Herausforderungen. Da es zunächst weder Untertitelung noch Synchronstudios mit ausgebildeten Sprechern gab, drehte man von vielen Filmen unterschiedliche Versionen in der jeweiligen Sprache des Importlandes. Schauspieler wurden dabei ersetzt421 oder mussten die Fremdsprache phonetisch lernen.422 Auch das Schauspiel änderte sich von der oft expressiven Gestik und Mimik des Stummfilms zu einem überwiegend realistischeren, intimeren Stil: »Der stets offene Raum der Theaterbüh418 Vgl. ebd., S.142-143. 419 Vgl. ebd., S.289-292. 420 Vgl. ebd., S.249-393. 421 Z. B. in »MARY« (MURDER, UK/DE 1930, R: Alfred Hitchcock), der deutschsprachigen Version von: »MORD – SIR JOHN GREIFT EIN!« (MURDER!, UK 1930, R: Alfred Hitchcock), oder »DRÁCULA« (USA 1931, R: George Melford), der spanischsprachigen Version von »DRACULA« (USA 1931, R: Tod Browning). 422 Z. B. Laurel und Hardy in »SPUK UM MITTERNACHT« (USA 1930, R: James Parrott), der deutschsprachigen Version von »DICK UND DOOF AUF GESPENSTERJAGD« (THE LAUREL-HARDY MURDER CASE, USA 1930, R: James Parrott).
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ne gleicht die Betonung des gesprochenen Wortes aus; sie wird bei der Nahaufnahme ebenso überflüssig wie die Grimasse, das übertriebene Schminken oder die große Geste.«423 Bei diesem Übergang nahmen die Karrieren mancher Schauspieler ein Ende, weil Stimme, Akzent oder Spiel für die neuen Bedingungen nicht geeignet waren. Auch mussten Drehbuchautoren gefunden werden, die sich auf das Verfassen von Dialogen verstanden, da viele Texte der frühen Tonfilme als allzu seicht und naiv aufgenommen wurden.424 Der Film setzte sich nunmehr nicht länger nur auf der Ebene der Handlung dem Vergleich mit der Literatur aus, also etwa hinsichtlich der Frage, welche Aspekte aus Vorlagen übernommen oder gekürzt wurden. Er wurde nun auch hinsichtlich seiner sprachlichen Gestaltung in direkter Konkurrenz zu Literatur und Theater wahrgenommen: »Die Autoren der Stummfilme waren nur selten bedeutende Schriftsteller. [...] Aber die mimischen Dialoge großer Schauspieler waren oft ausdrucksvoller, tiefer, ergreifender gewesen als die Dialoge der Schriftsteller. [...] Die stummen Dialoge solcher Darsteller ergriffen uns oft auch dann, wenn die Story des Films sehr einfältig war. Als jedoch diese großen stummen Sprecher zu reden begannen – geschah etwas Fürchterliches. Die unerhörte Trivialität ihrer hörbaren Worte überdeckte die menschliche Tiefe ihrer Blicke. 425
Jetzt sprachen ja nicht mehr sie, sondern die Drehbuchautoren.«
Regisseure wie Charles Chaplin oder René Clair standen dem Tonfilm oder doch zumindest der Sprache im Film zunächst kritisch bis ablehnend gegenüber.426 Sie befürchteten, dass der Film seine bildästhetischen Ambitionen ebenso verlieren würde wie seine universelle Verständlichkeit. Gerade die von Chaplin geschaffene Figur des Tramps war bis dahin in der Sowjetunion ebenso enthusiastisch rezipiert worden wie in den kapitalistischen Staaten.
423 Balázs, Béla: Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst, Wien: Globus Verlag, 1961, S.237. 424 Vgl. ebd. (1961), S.234./In dem Film »HIS GLORIOUS NIGHT« (USA 1929, R: Lionel Barrymore) beeinträchtigten seine Dialoge etwa den Ruf des Stummfilmstars John Gilbert. Gilbert haftete in der Filmgeschichtsschreibung von da an trotz einer melodiösen Stimme der Ruf eines am Sprechakt gescheiterten Schauspielers an. Vgl. Anger, Kenneth: Hollywood Babylon (Aus dem Amerikanischen von Sebastian Wolff.), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1979, S.145. 425 B. Balázs: Der Film, S.234. 426 Vgl. ebd., S.231/S.246./Vgl. auch: S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S.147-148, S.154.
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Winston Churchill nahm 1935 Chaplins pantomimisches Spiel zum Anlass, über die politische Dimension des Stummfilms zu reflektieren: »Amerikanische Filme hatten ihren besten europäischen Konkurrenten damals manches voraus. Sie waren einfacher und direkter und trafen dadurch die Bedürfnisse eines weitaus größeren Publikums. Hätten ihre Produzenten und ihre Stars von Chaplin und den Europäern gelernt, so hätte möglicherweise der Stummfilm dem Tonfilm getrotzt. [...] Ich würde gerne Filme sehen, die wieder ohne Ton gedreht wären [...]. Es gibt Millionen Menschen, deren Muttersprache niemals in irgendeinem Kino zu hören sein wird und die absolut keine andere Sprache verstehen. Mit der Hebung des Lebensstandards werden in Asien und Afrika neue Kinos entstehen und damit auch ein neues Filmpublikum – dem mit der Pantomime am wirkungsvollsten gedient wäre. Die englischsprachigen Nationen haben hier eine große Chance – und eine große Verantwortung. Der einfache Mensch denkt lieber in Bildern als in Worten. Das Gesehene bedeutet ihm mehr als das Gehörte. So könnte von den Filmen, die in stillen afrikanischen Tropennächten oder unter dem Himmel Asiens gezeigt werden, auf lange Sicht das Schicksal von Weltreichen und Zivilisationen abhängen. Das Ansehen, mit dessen Hilfe der weiße Mann seine unsichere Vorherrschaft inmitten der wimmelnden Vielfalt von Schwarzen, Braunen und Gelben auf427
rechterhält, wird durch diese Filme entweder befördert oder zerstört.«
Sergei Eisenstein hingegen schickte 1939 Chaplin eine Grußbotschaft, da er ihn als Teilnehmer am Klassenkampf gegen die faschistische Reaktion betrachtete: »Ihr Mittel ist die Kunst, die in der ganzen Welt verehrt wird als glühender Appell an die Menschenliebe, der alle Ihre Filme beherrscht.«428 Chaplin war es auch bis weit in die Tonfilmzeit gelungen, ideologisch relativ ausdeutbar zu bleiben, weil er das Sprechen in Filmen weiterhin vermied. Noch als er 1936 in »Moderne Zeiten«429 ein Lied darbietet, ist es in einem unverständlichen Pseudo-Esperanto gehalten. Erst zum Ende von »Der große Diktator«430 sah er sich 1940 durch den Kampf gegen die Nationalsozialisten zu einem langen Appell in die Kamera genötigt (die Parteipropaganda hatte Chaplin be-
427 Churchill, Winston: »Jedermanns Sprache (Everybody’s Language. Aus dem Englischen von Wilfried Wiegand.)«, in: Wilfried Wiegand (Hg.): Über Chaplin, Zürich: Diogenes 1989, S.65-72, hier S.69-70. 428 Eisenstein, Sergei: »»Hallo, Charlie!« [Aus dem Russischen von Lothar Fahlbusch]«, in: Wilfried Wiegand (Hg.): Über Chaplin, Zürich: Diogenes 1989, S.7778, hier S.78. 429 MODERNE ZEITEN (MODERN TIMES, USA 1936, R. Charles Chaplin). 430 DER GROSSE DIKTATOR (THE GREAT DICTATOR, USA 1940, R: Charles Chaplin).
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reits als Stummfilmschauspieler abgelehnt). Diese Sequenz dementsprechend auch der letzte Auftritt von Chaplins Kunstfigur beziehungsweise der Moment, in dem der Schauspieler selbst an die Stelle seiner Figur zu treten scheint. Freilich wird Sprache im Film nicht zwangsläufig zum Medium einer Narration über einen ideologischen Konflikt. Es gibt durchaus Beispiele dessen, was Kracauer die »unterminierte Sprache«431 nennt, nicht nur bei den wenig artikulierten Äußerungen von Chaplins »Tramp«-Figur. Es gibt Figuren, die in ihren Dialogen das absurde Theater vorwegzunehmen scheinen (Groucho und Chico Marx sowie in Ansätzen Bud Abbott und Lou Costello) oder sich lyrisch ausdrücken (im deutschen Sprachraum Heinz Erhardt). Allerdings ist dabei auch anzumerken, dass diese Figuren zumeist kompensatorisch in eine überdeutlich starke (d. h. einfache) narrative Struktur eingebunden werden, mit ebenso einfachen ideologischen Normen (eine bürgerliche Ehe muss gestiftet werden). Durch die gesprochene Sprache kommt nicht erst die Ideologie in den Film. Seine Vieldeutigkeit als ideologische Projektionsfläche nimmt aber durch die Sprache zumeist stark ab. Die Dialoge müssen sich nicht nur qualitativ an den verschiedenen Niveaus der Literatur und des Theaters messen lassen, sondern sich auch in der Regel bis zu einem gewissen Grad politisch wertend positionieren. In beiden Dimensionen müssen sie sich somit spezifischer an Zielgruppen unterschiedlicher Bildungsgrade und politischer Orientierung ausrichten. Zunächst mussten dazu Hierarchien zwischen Bild- und Tonebene unter dem Gesichtspunkt der Narrativität geklärt werden. Jedenfalls gingen viele Theoretiker und Praktiker des Films davon aus, dass es sich um ein hierarchisches Verhältnis handeln müsse. In dieser Frage traten diverse Stellungnahmen rückhaltlos dafür ein, den Bildern weiterhin die dominante Stellung einzuräumen, die sie auch im Stummfilm innehatten. In einer Vorherrschaft der Sprache sahen viele Autoren hingegen die Gefahr des abgefilmten Theaters. Kracauer nahm »Hamlet«432 unter der Regie von Laurence Olivier als Beispiel für das prinzipiell vergebliche Bemühen, Sprache und Bild im Gleichgewicht zu halten, gerade weil der Film auf dezidiert filmische Mittel wie eine abwechslungsreiche Kameraarbeit zurückgriffe: »Da das Aufnahmevermögen des Zuschauers begrenzt ist, müssen sich fotografische und sprachliche Bilder unvermeidlich gegenseitig neutralisieren; wie Buridans Esel weiß er nicht, wovon er sich ernähren soll, und verhungert schließlich. [...] Alle erfolgreichen
431 S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S.154. 432 HAMLET (UK 1948, R: Laurence Olivier).
160 | VERFOLGUNGSJAGDEN Versuche, das gesprochene Wort mit einzubeziehen, haben eines gemeinsam: sie reduzie433
ren den Dialog, um dem Bild seine Bedeutung zurückzugeben.«
Ein solches hierarchisierendes Verfahren ist Kracauer zufolge aber auch bei langen Sprechakten im Film möglich, nämlich dann, wenn der Redeinhalt selbst von reduzierter Bedeutung sei. Kracauer nennt unter anderem das Beispiel von »Ein Butler in Amerika«434, in dem der Protagonist (Charles Laughton) eine Rede Lincolns rezitiert, die dem US-amerikanischen Publikum aber so vertraut sei, dass es sich auf die Wandlung konzentrieren könne, die dabei schauspielerisch von Laughton dargestellt werde.435 Wenn Kracauer allerdings die Sprache dem Bild unterordnet und dazu auch mit dem Bild eines impliziten, andernfalls überforderten Publikums argumentiert, so spricht daraus auch ein bestimmtes ästhetisches und politisches Interesse daran, wie Film sein soll. Kracauer betrachtet den Film als eine Erweiterung der Fotografie, die »auf die weiten Räume der äußeren Realität ausgerichtet sein [soll] – eine offene, grenzenlose Welt, die nur wenig Ähnlichkeit zeigt mit dem begrenzten und geordneten Kosmos, den die Tragödie setzt.«436 Demgemäß bedroht die Sprache die »Errettung der äußeren Wirklichkeit«437, die sich Kracauer von dem Film verspricht. Sie lenkt von der physischen Realität und ihren Problemen ab zugunsten abstrakter Gedankengänge und nuancierter Äußerungen psychischer Vorgänge. Kracauer steht insofern auch anderen, »artifiziellen« Elementen des Films generell skeptisch gegenüber, so etwa der Tricktechnik. In der Dominanz der expressionistischen Kulisse über die Mise-en-Scène des deutschen Stummfilms sieht Kracauer 1947 retrospektiv den Schicksalsglauben und die demokratie- und aufklärungsfeindliche Mentalität der Deutschen bereits vor der Machtübertragung auf die NSDAP wirksam.438 Wenn auch politisch gänzlich anders ausgerichtet, so sieht Kracauer doch ähnlich wie Churchill und Eisenstein vor allem den Stummfilm als global und kollektiv wirksames pädagogisches Medium. Die Sprache wird dahingegen problematisiert, weil sie das Trennende wieder hervorhebt. Sie verweist auf die psychische Befindlichkeit des Einzelnen anstatt auf seine sozialen Interessen (argwöhnt Kracauer noch 1960), auf die fehlende mediale Repräsentation des kolo-
433 S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S.152. 434 EIN BUTLER IN AMERIKA (RUGGLES OF RED GAP, USA 1935, R: Leo McCarey). 435 S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S.153-154. 436 Ebd., S.13. 437 Vgl. ebd. 438 Vgl. ebd., S.74-83, S.96-104.
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nialisierten Volkes anstatt auf die Vorbildlichkeit der »Weißen« (sorgt sich Churchill 1935) beziehungsweise auf die nationale und ethnische Zugehörigkeit anstatt auf die internationale Klassenzugehörigkeit (sorgt sich Eisenstein 1938). 1.9.3 Abmischung von Musik und Sprache im Film Damit die Dialoge wenigstens dem Publikum in der ihm eigenen Sprache verständlich sind, muss zudem ihr Verhältnis zur Musik im Film reguliert werden. In Filmen aus der Frühzeit des Tonfilms sprechen die Figuren noch häufig ohne musikalische Untermalung, weil man befürchtet, das Publikum andernfalls auditiv zu überfordern. Beide Codes, Musik und Sprache, so die Sorge, könnten sich in der Simultanwirkung gegenseitig behindern. Technische Probleme kommen hinzu, so ist es noch nicht möglich, alle Elemente des Tons getrennt aufzunehmen und nachträglich differenziert abzumischen. So bietet sich dem Publikum ironischerweise der frühe Tonfilm über weite Strecken mitunter stummer dar als der Stummfilm, der bei Aufführungen möglichst permanent von Musik begleitet worden war. Bemerkenswerterweise hatte diese Stille jedoch in Verbindung mit bestimmten Sujets offenbar eine beunruhigende oder zumindest antirealistische Wirkung. Kracauer hatte diese Wirkung bereits in Bezug auf Stummfilme beschrieben, wenn die musikalische Begleitung ausfiel. Auch wenn das Geräusch des Projektors noch zu hören war, nennt Kracauer diese Erfahrung angsterregend: »Anstatt die fotografischen Qualitäten stummer Filmaufnahmen gebührend zu würdigen, fassen wir sie unwillkürlich, mit einem Gefühl merklichen Unbehagens, als bleiche Fantome auf [...]. Diese Bilder muten uns wie eine gespenstische Kopie der Welt an, in der wir leben – dem Schattenreich gleich, durch das sich die Tauben bewegen. [...] Hier nun beginnt Musik ihr Werk. [...] Wir nehmen, sobald Musik dazukommt, Strukturen wahr, 439
wo wir vorher keine gesehen hatten.«
Die Dialoge allein genügten nun offenbar nicht, um im Tonfilm an die Stelle der Musik zu treten. Abgesehen davon, dass sie nicht den ganzen Film über zu hören waren, füllten sie auch nicht den filmischen Raum aus, den die Leinwand in der Dunkelheit des Kinosaals eröffnete. Bei manchen Sujets mochte dies von Vorteil sein:
439 S. Kracauer: Theorie des Films, S.187.
162 | VERFOLGUNGSJAGDEN »The peculiarity of Dracula’s speech gets a tremendous boost from the volominously empty soundscape out of which it soars. [...] This quiet, which has long prompted complaints from critics who find the film static and slow, helped to make the film frightening 440
on its first release.«
Auch Joyce Carol Oates hat noch 60 Jahre später den traumartigen Eindruck beschrieben, den ein Film wie »Dracula«441 von 1931 bei ihr durch seine Stille hinterlassen hat.442 Die Filmindustrie konnte sich freilich nicht auf das Genre des Gruselfilms beschränken. Die Simultaneität von Musik und Dialogen wurde schon rasch etabliert. Dabei mussten jedoch Wege gefunden werden, auf denen die Musik die Sprache dort, wo beide zu hören waren, als narrative Instanz nicht behinderte, sondern unterstützte. Noch bis in die jüngere Zeit erscheinen daher Fachbücher, in denen Filmkomponisten Empfehlungen über die harmonische Gestaltung von Textpassagen abgeben. Sie geben etwa Hinweise dazu, welche Instrumente auf denselben Frequenzen wie die menschliche Stimme liegen und daher im Sinne der Verständlichkeit eher ausgespart bleiben sollten.443 Auch wird häufig eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Musik in Dialogsequenzen empfohlen, »da schnelle Musiken mit vordergründigen Rhythmusgruppen durch ihre starken Akzente Wortbestandteile auslöschen können.«444 Angesichts derartiger Beschränkungen stellt sich die Frage nach der Eigenwertigkeit des musikalischen Ausdrucks gegenüber der Sprache im Besonderen und der Handlung des Films im Allgemeinen. Wie oben bereits dargelegt (Kapitel 1.3), hatte Viktor B. Šklovskij die Montage des Stummfilms mit dem Versmaß der Lyrik verglichen. Béla Balász regte an, als Synthese aus Stumm- und Tonfilm eine Filmlyrik zu erschaffen, deren Inhalt nicht narrativ sei:
440 Spadoni, Robert: Uncanny Bodies: The Coming of Sound Film and the Origins of the Horror Genre. Berkeley/Los Angeles: University of California Press 2007, S.78. 441 DRACULA (USA 1931, R: Tod Browning). 442 Vgl. Oates, Joyce Carol: «Dracula (Tod Browning, 1931): The Vampire’s Secret.« Southwest Review. Vol. 76. No. 4. 1991. Herbst, S.498-510. 443 Vgl. Wehmeier, Rolf: Handbuch Musik im Fernsehen. Praxis und Praktiken bei deutschsprachigen Sendern, Regensburg: ConBrio Verlag 1994, S.110. 444 Bullerjahn, Claudia: Grundlagen der Wirkung von Filmmusik, Augsburg: Wißner Verlag 2001, S.25.
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»Der Text des Gedichtes wäre hörbar und die Gesichte des inzwischen abrollenden Bildstreifens würden den Text stumm begleiten und zwar nicht als Illustrationen, sondern als freie Assoziationen. Sie würden einander in kontrapunktischer Gleichzeitigkeit gegenseitig einen Sinn geben, so wie in Lied Melodie und Begleitung den Text des Gedichtes er445
gänzen.«
In der Tat sollte eine solche Filmlyrik vermittels der Musik zu einer gängigen Praxis werden, nämlich im Musikvideo, dessen rhythmische Gestaltung seinerseits auf die Schnittgeschwindigkeit der Spielfilme seit den 1980er Jahren Einfluss nahm. Eine besonders pointiert elliptische Form des Filmschnitts wird dementsprechend auch als »Hip-Hop-Montage« bezeichnet.446 Allerdings hatte diese Clipästhetik ihrerseits Vorbilder im Kino, nämlich in den Titelsequenzen, oft Residuen einer weitgehend selbstständigen Musikkomposition, die hier auch im Spielfilm den Rhythmus vorgeben konnte. Die Funktion der Musik in ihrem Verhältnis zur Schrift ist es dabei zumeist, die kognitive Anstrengung des Lesens weitgehend vergessen zu machen. Das graphische Zeichen kann dabei so in Bewegung versetzt werden, dass es über seine konventionelle semantische Konditionierung hinaus auch zur abstrakten rhythmischen Figur werden kann: So, wenn etwa die Namen der Darsteller im Vorspann zu »Liebesgrüße aus Moskau«447 in den Rock einer Bauchtänzerin eintauchen (siehe Abb. 16) oder zwischen ihren Oberschenkeln verschwinden. Es scheint, als verkörpere die Schrift ein phallisches Element, das sich dem weiblichen Klangkörper einschreibt und ihn penetriert. Handelt es sich hingegen um einen längeren, erzählenden Text, der im Bild zu sehen ist, überträgt sich der musikalische Rhythmus aus Gründen der Lesbarkeit nicht auf das Schriftbild. Die Musik trägt aber dennoch auch hier dazu bei, den Zuschauer aus der »kognitiven« Lesehaltung hervor zu mobilisieren, so dass die Leinwand nicht etwa zu einer über-, aber zweidimensionalen Papierseite wird. Zu Beginn von »Krieg der Sterne« etwa ist ein sehr eingängiges, aber durchaus traditionelles Titelthema zu hören, das »als heroischer Marsch vor Größe und Macht strotzt und unmittelbar den Zuschauer kraft dramatischer aufwärts gerichteter Intervalle (Quarte, Quinte, Septime) und charakteristischer
445 B. Balász: Der Film, S.249. 446 So zu sehen in »SNATCH – SCHWEINE UND DIAMANTEN« (SNATCH, UK/USA 2000, R: Guy Ritchie), Editor: Jon Harris, und »HOT FUZZ – ZWEI ABGEWICHSTE PROFIS« (HOT FUZZ, UK 2007, R: Edgar Wright), Editor: Chris Dickens. 447 LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU (FROM RUSSIA WITH LOVE, UK 1963, R: Terence Young).
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Triolen mitreißt...«448 Dieses Thema trägt vor allem dazu bei, den Zuschauer trotz einer relativ langen Textpassage auch umgehend affektiv einzubinden. Der Blick wird in einer einfachen Bewegung zunächst von links nach rechts gelenkt. Auf der Leinwand steht zu lesen: »Once upon a time...«/»Es war einmal...«, eine beruhigend altmodische Formel. Die erste Irritation erfolgt mit der Vollendung dieser Wendung durch: »in a galaxy far, far away.«/»in einer weit entfernten Galaxis«. Dann erst setzt die Musik ein, und zur schmetternden Fanfare wird nun ein mehrere Sätze langer, expositorischer Textkörper in die Tiefe des (Welt-)Raums hineingerollt, bis die Schrift sich am Horizont des Bildhintergrundes auflöst. Schließlich tritt an die Stelle der Schrift ein ebenso langes Raumschiff, das aus der Untersicht über das Publikum hinwegdonnert, so als hätten Text und Musik gemeinsam das Bild des Raumschiffes gezeugt. Bei einer Filmproduktion ergibt sich also aus der Simultaneität der musikalischen Rhythmen, der Rhythmen des Filmschnitts und der inneren Rhythmen der Einstellungen die Frage, wer bei diesem gemeinsamen Tanz führen soll. 1930 fordert Béla Balázs etwa in seiner Theorie des Tonfilms: »Bildrhythmus und Tonrhythmus müssen sich decken. Diese Regel bezieht sich aber nicht nur auf die Bewegungen im Bild, sondern auch auf die Bewegung der Bilder selbst in der Montage.«449 Wenn sich der Rhythmus der Filmmontage nun ganz dem Strom der Handlung und dem Fluss der Sprache unterordnet, dann mögen umso mehr die syntaktischen und semantischen Dissonanzen auffallen, die zwischen Bildern und Sprache einerseits und Musik andererseits vorkommen. Denn während die Montage dem Film lyrische Rhythmik verleihen mag, so hat die »optische Filmhandlung«, so Adorno und Eisler, »allemal den Charakter von Prosa, von Unregelmäßigkeit und Asymmetrie. Sie gibt sich als fotografiertes Leben: darin fingiert noch jeder Spielfilm dem documentaire. [...] Besonders kraß wird das Mißverhältnis von Symmetrie und Asymmetrie bei Begleitmusiken zu Naturvorgängen, wandernden Wolken, Sonnenaufgängen, Wind und Regen. [...] Verlaine konnte ein Gedicht über den Regen in der Stadt machen, aber der im Film abgebilde450
te Regen läßt sich nicht mitpfeifen.«
448 Moormann, Peter: »Die »Star-Wars«-Filme«, in: Peter Moormann (Hg.): Klassiker der Filmmusik, Stuttgart: Phillip Reclam 2009, S.206-210, hier S.208. 449 Balázs, Béla: Der Geist des Films. Mit einem Nachwort von Hanno Loewy und zeitgenössischen Rezensionen von Siegfried Kracauer und Rudolf Arnheim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2001, S.129. 450 T. W. Adorno/H. Eisler: Komposition für den Film, S.15.
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Adorno und Eisler gehen hier selbstverständlich von Filmen aus, die ihre Aufnahmen nicht durch digitale Effekte bearbeiten (und somit auch rhythmisieren) können, außerdem nicht von Animationen oder anderen tricktechnischen Effekten, die auch in prädigitalen Spielfilmen durchaus für »Naturaufnahmen« nutzbar gemacht wurden. Dient die Filmmusik der Erzählhandlung nun am besten, indem sie auch im Spielfilm die Aktionen der Figuren in einem weitgehenden Parallelismus begleitet – wie dies im Zeichentrickfilm als »Mickey Mousing« bekannt ist? Oder indem sie sogar syllabisch die Sprachmelodie des Textes nachvollzieht? Als Beispiel sei hier etwa die Musik von James Bernard genannt, der es sich zum Prinzip setzte, in all seinen Titelmelodien den Wortlaut des Filmtitels nachzuempfinden. So ist im Titelthema der »Dracula«-Adaption von 1958451 etwa der Titel »Dra-cu-la« als Daktylus herauszuhören. Dieses pleonastische Verfahren wirkt freilich fernab des Cartoons eher unfreiwillig erheiternd, wie Theodor W. Adorno und Hanns Eisler in ihrem Gemeinschaftswerk zur Filmkomposition bemerken: »Musik, wie sehr sie auch ihrer eigenen kompositorischen Gestalt nach bestimmt sein mag, ist doch nie bestimmt mit Rücksicht auf einen Gegenstand außerhalb ihrer selbst, auf den sie sich durch Nachahmung oder Ausdruck bezöge [...] und das ›Witzige‹, das alle Programmusik bezeichnet, die [...] naiv ein ihr Versagtes zu leisten sucht, rührt eben daher: es drückt den Widerspruch zwischen der reflektierten Gegenständlichkeit und dem musikalischen Medium aus und macht diesen Widerspruch gerade zu einem Element der Wirkung.«452 Auch Balázs vertritt die Ansicht, dass eine Nachahmung der Handlung durch die Musik den Film zu einem abgefilmten Musiktheater machen würde (so wie die Dialoge ihn auf abgefilmtes Theater zu reduzieren drohten). Die Bewegungen der Figuren im Bild würden dann musikalisch determiniert erscheinen wie im Ballett.453 Balázs kommt zu der Ansicht, dass solchen Tendenzen entgegen der Tonfilm vielmehr mittlerweile die Programm-Musik überflüssig gemacht habe, die im Stummfilm noch auch die Funktionen der Geräusche übernehmen musste.454 Aber auch Kompositionen, die sich weitergehende Freiheiten dabei lassen, die Bildebene zu unterstützen oder zu deuten, werden von Seiten Adornos und Eislers kritisch betrachtet. Insbesondere gilt dies für die gängige Praxis des Leitmotivs, das ebenfalls der Bildebene gegenüber als redundant bewertet wird,
451 DRACULA (UK 1958, R: Terence Fisher). 452 T. W. Adorno/H. Eisler: Komposition für den Film, S.65. 453 Vgl. B. Balázs: Der Film, S.245. 454 Vgl. ebd., S.245.
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weil es im Film nicht länger die metaphysische Sphäre symbolisiert, wie im Wagnerschen Musikdrama. Vielmehr kommt ihm im Film nur noch die Aufgabe zu, profane Figuren anzumelden, die ohnehin im Bild erkenntlich seien. 455 Die Filmmusik des klassischen Hollywood-Studiozeitalters basierte in starkem Maße auf der Musik der Romantik. Sie sollte narrativ funktional sein und Dialoge und Bilder untermalen, wobei das Leitmotiv strukturbildend wirkte. Ihre harmonische Sprache war tonal und orientierte sich kaum an den avancierten harmonischen Idiomen moderner Komponisten. Auch in der Verwendung nicht eigens komponierter Musik griffen viele Produktionen zunächst nicht auf die musikalische Avantgarde zurück – insbesondere nicht bei den Adaptionen literarischer Werke aus dem 19. Jahrhundert. Stattdessen unterlegte man etwa Sequenzen aus »Schuld und Sühne«456 mit Beethovens 9. Sinfonie und die Universal Studios eröffneten den ansonsten musikarmen Film »Dracula« 1931 mit Tschaikowskys »Schwanensee«. Die Musik ließ keinen Zweifel, dass hier Hochkultur gegeben werden sollte und dass sich das von staatlichen, sittlichen und kulturellen Institutionen misstrauisch beäugte Kino seiner Verantwortung gewiss war. Simultanwirkungen literarischer Stoffe und zeitgenössischer Musik hingegen gediehen im Spielfilm dort, wo die Erwartungen ohnehin gesenkt waren, im Genrekino. Da die phantastischen Filme weniger den Regeln der Prestige- und Alibiprojekte gehorchen mussten, erwiesen sie sich als Experimentierfeld. »Alarm im Weltall«457 von 1956 etwa verlegte die Handlung von Shakespeares »Der Sturm« auf einen fremden Planeten, wobei anstelle von Ariel der Roboter »Robby« trat. Bei dem atonalen Score handelte es sich um die erste, vollständig elektronische Filmmusik, noch zehn Jahre vor der Entwicklung des MoogSynthesizers. Die Komponisten, Louis und Bebe Barron, entwickelten für jede Figur eigene elektronische Schaltbretter. Die Barrons waren Beatniks, die in einem Nachtclub entdeckt worden waren und wohl nie die Chance bekommen hätten, an einer konventionellen Literaturverfilmung mitzuarbeiten (ebenso wenig wie Karlheinz Stockhausen). Auch das Theremin, die »Ätherwellengeige«, erlebte ihren ersten Filmeinsatz in den 1940er Jahren in Thrillern und Adaptionen populärer Literatur. So waren es gerade die Besucher der Science-Fiction-, Krimi- oder Horrorfilme, die unwissentlich mit den Entwicklungen der E-Musik im 20. Jahrhundert vertraut gemacht wurden. Allerdings wurde damit die
455 Vgl. T. W. Adorno/H. Eisler: Komposition für den Film, S.13. 456 SCHULD UND SÜHNE (CRIME AND PUNISHMENT, USA 1935, R: Josef von Sternberg). 457 ALARM IM WELTALL (FORBIDDEN PLANET, USA 1956, R: Fred M. Wilcox).
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Kunstmusik der Moderne auch über das Medium Film semantisch mit den Sujets der Spannungs- und Schauerliteratur besetzt, mit dem Über- und Außerirdischen. Jazz ist durch den Film mit der Pulp Fiction der schwarzen Serie verknüpft worden und folglich motivisch mit der Korruption der urbanen Halbwelt. Die Werke der Neuen Musik, von Penderecki, Ligeti und Bartók wurden großen Teilen des Filmpublikums primär nicht etwa durch Adaptionen des Nouveau Roman bekannt, sondern durch die Stephen-King-Adaption »Shining« oder die WilliamPeter-Blatty-Adaption »Der Exorzist«458. Avantgardistische, atonale Musik wird hier zum filmischen Äquivalent von Bildern des Horrors. Insofern würden auch Kompositionen, die zu einer radikalen Abstraktion des musikalischen Ausdrucks vordringen, im Spielfilm gemeinhin narrativ funktionalisiert, so könnte man aus diesen konventionellen Zuordnungen schließen. Es ließe sich allerdings mit dem Blick auf das konkrete Werk fragen, ob nicht die Musik auch dazu angetan ist, den Erzählzusammenhang wenigstens partiell in Frage zu stellen. Ein Beispiel wäre etwa weiter oben in »Inferno« gegeben, in dem die Kameraführung zum Rhythmus von Verdis Musik eine Eigendynamik entwickelt, die sich keiner diegetischen Perspektive mehr zuordnen lässt – es sei denn, man würde ihre Bewegung als die eines unsichtbaren Geistes erklären (eine Deutung, die der Film zwar zulässt, die aber nie explizit nahegelegt geschweige denn bestätigt wird). Ebenso gut könnte man sagen, dass die Kameraperspektive in diesem Moment diegetisch nicht zu verorten ist, sie ist ganz Bewegung, allerdings eine schwebende Bewegung zur Opernmusik. Gänzlich der Phantasie bleiben hingegen die Bilder überlassen, die Musik und Literatur bei inszenierten Lesungen inspirieren. Gleichwohl entstanden frühe Hörbücher mit Musikbegleitung als Nebenprodukte von Filmproduktionen. Allerdings kann man hier eher von Musik mit Literaturbegleitung sprechen. Hörspielversionen von Filmen mit eigener Orchestrierung hatte es bereits im US-amerikanischen Radio der 1930er Jahre gegeben. Um aber die Instrumentalmusik eines Films auf LPs zu vermarkten, wurden literarische Erzähltexte zu dieser Musik eingelesen. Der Musik allein maß man als Programm-Musik offenbar nicht genug eigenständigen Reiz bei. Freilich eigneten sich dazu schon aus Gründen der Dauer die wenigsten literarischen Vorlagen von Filmen. Es stand aber auch nicht zu erwarten, dass sich die Hörer mit Auszügen zufrieden geben würden, anstatt die Geschichte wenigstens in einer gekürzten Version vom Anfang bis zum Ende zu verfolgen. Man löste dieses Problem, indem man kurze Nacherzählungen der Roman- beziehungsweise Filmhandlung eigens verfasste, die unter Rücksichtnahme auf den Rhythmus der Musik geschrieben und ver-
458 DER EXORZIST (THE EXORCIST, USA 1973, R: William Friedkin).
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lesen wurden. In »Die Nacht des Jägers«459 etwa wird ein Geschwisterpaar, John und Pearl, von einem psychopathischen Wanderprediger (gespielt von Robert Mitchum) verfolgt. Er sucht Diebesgut, das in Pearls Puppe versteckt ist. Eine Actionsequenz, in der die Kinder sich vor dem Prediger auf ein Boot flüchten (siehe Abb. 17), wird auf der Schallplattenadaption460 keineswegs ausgespart, sondern ausführlich erzählt. Der Regisseur Charles Laughton spricht selbst über den Filmscore von Walter Schumann, in dem sich schrille, nervös repetitive Streicher auf rasch wechselnder Höhenlage von einem unsauber eingespielten Bläsersatz aus nur drei, später vier Tönen abheben: »One chance left by then. Remember Ben Harper’s skillful little boat Uncle Ben used for fishing? It rests now in the meadow of the shore on the riverbank a hundred yards downstream. One last chance, John, take Pearl’s small hand and the doll with it’s cursed treasure and run. To the boat, John, to the boat, quickly! Already the thrift razor-edged blade of the madman’s knife blinks in the moonshine, hear it whisper as it slashes its way through the [...] vines upon your very heels, John! Push, boy! [...] Quick, boy, he’s nearing to the water’s edge. And the boat swings free and delves on the waters like a broken leaf the warm saving arms of the great river. And preacher stands, outraged and bare found in the shadows. And helpless he watches his drift away and his throat shapes the outcry of a creature thwarted beyond reason, a voice as old and as terrored as the devil’s own.«
Bei der »Hörbuch«-Fassung wurden keine Dialoge des Films, jedoch einige Toneffekte übernommen, darunter ein Wutschrei Mitchums, als ihm die Kinder entkommen. Dieser Schrei mischt sich als Tonbrücke über sein elektronisches Echo in den Akkord einer friedlichen Nocturne, in der er entkräftet verhallt. Der Erzähler kommentiert über die Musik, in der nun ein leises Glockenspiel über hellen, sphärischen Streichern zu hören ist: »Safety. And the moonlit vision of the sleeping children in their small ark of safety. And Pearl cradeling the precious doll in their small arms, dreams a child’s gentle dream.« Die Erzählstimme unterbricht zugunsten eines diegetischen Schlafliedes, das Pearl (Sally Jane Bruce) im Film wie auf der Schallplatte singt (nachträglich intoniert von Betty Benson). An dieser Passage, die als Lesung zur Filmmusik geschrieben wurde, fallen folgende Aspekte auf: Die Nacherzählung setzt trotz ihrer durch das musikalische Tempo knapp bemessenen Zeit auf Repetition, auf
459 DIE NACHT DES JÄGERS (THE NIGHT OF THE HUNTER, USA 1955, R: Charles Laughton). 460 THE NIGHT OF THE HUNTER, New York: RCA Victor 1980, Composer: Walter Schumann.
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die direkte, appellative Anrede des Protagonisten und auf verdichtende Vergleiche. Der suggestiv raunende Laughton spricht komplizierte, lange Sätze schnell und auf derselben Tonhöhe, betont hingegen die kurzen Aufforderungen, wodurch seine Betonung sich dem Sprechgesang nähert. Die Sprache wirkt somit, obschon es sich um einen Erzähltext handelt, lyrisch, ja liturgisch, passend zum Film »Die Nacht des Jägers«, der maßgeblich durch Predigten, Gleichnisse und Kinderlieder strukturiert ist. Der epische Text gleicht sich einem rituellen Parlando an, der elementaren Ausdrucksbedürfnisse im Kinderlied, der magischen Verstärkung von Wörtern in der Beschwörungsformel und der Erhebung des Textes aus der Alltagssphäre im kultischen Gesang. Doch auch auf der Ebene der Handlung bewegen sich die Figuren über die Grenze zwischen Tod und Leben, Ufer und Fluss, Tag und Nacht, schließlich Kindheit und Reife (siehe Abb. 18). Der scheinbare Widerspruch zwischen der »apollinischen« Sprache und der dionysischen Musik scheint in dieser Grauzone an Schärfe zu verlieren. Diese Transgressivität wird im genannten Beispiel freilich außerhalb des eigentlichen Filmwerks erzielt, wenn sie auch nur über den Umweg des Films ermöglicht wird: Es handelt sich um die Geschichte zu einer Musik zu einer Geschichte. In der klassischen Studioepoche Hollywoods, in der die formale Ästhetik tendenziell eher dezent in den Dienst der Handlung trat, war diese mehrfache mediale Adaption wohl auch nötig, um ein solches Phänomen zu ermöglichen. Aber auch innerhalb von Filmen gibt es vergleichbare Beispiele von Monologen, die sich einem Parlando annähern, um den Rhythmus der Musik nicht zu behindern. Das gilt umso mehr in den Bewegungen des europäischen Nachkriegskinos461 und in den postklassischen oder postmodernen Filmen seit den 1980er Jahren. So etwa in »Trainspotting«462, in dem der Protagonist Renton in seinem Eröffnungsmonolog die normativen Vorgaben der kapitalistischen »Gesellschaft« appellativ herunterbetet: »Choose Life. Choose a job. Choose a career. Choose a family. Choose a fucking big television, choose washing machines, cars, compact disc players and electrical tin openers. Choose good health, low cholesterol, and dental insurance. Choose fixed interest mortgage repayments. Choose a starter home. Choose your friends. Choose leisurewear and matching luggage. Choose a three-piece suit on hire purchase in a range of fucking fabrics. Choose DIY and wondering who the fuck you are on Sunday morning. Choose sitting on that couch watching mind-numbing, spirit-crushing game shows, stuffing fucking junk food into your mouth. Choose rotting away at the end of it all, pissing your last in a miser-
461 Vgl. etwa: HIROSHIMA MON AMOUR. 462 TRAINSPOTTING – NEUE HELDEN (TRAINSPOTTING, UK 1996, R: Danny Boyle).
170 | VERFOLGUNGSJAGDEN able home, nothing more than an embarrassment to the selfish, fucked up brats you spawned to replace yourselves. Choose your future. Choose life. But why would I want to do a thing like that? I chose not to choose life. I chose somethin’ else. And the reasons? There are no reasons. Who needs reasons when you’ve got heroin?«/ »Sag ›ja‹ zum Leben, sag ›ja‹ zum Job, sag ›ja‹ zur Karriere, sag ›ja‹ zur Familie. Sag ›ja‹ zu einem pervers großen Fernseher. Sag ›ja‹ zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern und elektrischen Dosenöffnern. Sag ›ja‹ zu Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung. Sag ›ja‹ zur Bausparkasse, sag ›ja‹ zur ersten Eigentumswohnung, sag ›ja‹ zu den richtigen Freunden. Sag ›ja‹ zur Freizeitkleidung mit passenden Koffern, ›ja‹ zum dreiteiligen Anzug auf Ratenzahlung in hunderten von scheiß Stoffen. Sag ›ja‹ zu Do-it-yourself und dazu, dass du am Sonntagmorgen nicht mehr weißt, wer du bist. Sag ›ja‹ dazu, auf deiner Couch zu hocken und dir Hirn lähmende Game Shows reinzuziehen und dich dabei mit scheiß Junkfraß vollzustopfen. Sag ›ja‹ dazu, am Schluss vor dich hin zu verwesen, dich in einer elenden Bruchbude vollzupissen und den missratenen Ego-Ratten von Kindern, die du gezeugt hast, damit sie dich ersetzen, nur noch peinlich zu sein. Sag ›ja‹ zur Zukunft, sag ›ja‹ zum Leben. Aber warum sollte ich das machen? Ich habe zum ›Ja‹-Sagen ›nein‹ gesagt. Ich hab’ zu was anderem ›ja‹ gesagt. Und der Grund dafür? Es gibt keinen Grund dafür. Wer braucht Gründe, wenn man Heroin hat?«
Diese »Freiheit« zum Konsum (die im englischen Original durch das Wort »choose« noch deutlicher ad absurdum geführt wird), wird mit dem Punkrocksong »Lust for Life« von Iggy Pop und David Bowie vermischt, in dem der Drogenkonsum besungen wird. Diese Kombination wirkt einerseits kontrapunktisch, da die Musik eine entfesselte Lebenslust ausdrückt, andererseits werden der Güterkonsum in Rentons Monolog und der Drogenkonsum im von Iggy Pop gesungenen Songtext auch parallel gesetzt. Auch rhythmisch nähert sich Rentons Text einem Songtext an, obgleich er bei aller lyrischen Qualität die stereotype Biographie eines Erwachsenen in der kapitalistischen, vermeintlich entideologisierten »Wohlstandsgesellschaft« der 1990er Jahre erzählt. Der Song mit seinem treibenden Schlagzeug wirkt dem ersten Anschein nach nicht sehr komplex konstruiert, aber die grob unterschieden immerhin drei Ebenen der Instrumente, des Leadsängers und seines Chors sowie Rentons ergeben eine beträchtliche Polyphonie. Diese Klänge sind dennoch stimmig abgemischt, ohne hierarchisch organisiert zu sein (abgesehen davon, dass die Musik in den Passagen geringfügig leiser ertönt, in denen Renton spricht). Die Sprache muss also nicht die Tonspur dominieren, wenn eine längere, narrative Textpassage nicht eigens zur Musik geschrieben wird (die LP zu »The Night of the Hunter«) oder wenn Text und Musik bereits zuvor existieren und in gegenseitiger Berücksichtigung ausgewählt werden (wie für »Trainspotting«). Aber auch ein entgegengesetztes Ver-
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fahren ist erkennbar: wenn die Musikkomposition sich an einer nichtlyrischen Textpassage ausrichtet und sie selbst dann minimalistischer, monophoner und repetitiver wird. Zu Beginn des Films »Conan – Der Barbar«463 etwa berichtet ein Zauberer: »Between the time when the oceans drank Atlantis and the rise of the sons of Aryas, there was an age undreamed of. And unto this, Conan, destined to wear the jeweled crown of Aquilonia upon a troubled brow. It is I, his chronicler, who alone can tell thee of his saga. Let me tell you of the days of high adventure!«/ »Ich will von einem Zeitalter berichten, das begann, als Atlantis im Meer versank und das endete, als die Söhne des Aryas die Macht eroberten. Ich will erzählen von Conan, der dazu ausersehen war, in dieser Zeit der großen Abenteuer, seine Stirn, hinter der sich viele Sorgen verbargen, mit der Juwelenkrone von Aquilonien zu schmücken. Ich will die Geschichte meines Herrn erzählen.«
Die Musik zu dieser ominösen Einführung beschränkt sich auf Trommelschläge, erst danach setzt das vollorchestrierte Titelthema des Films ein. Ähnlich verhält es sich in der Eröffnungssequenz zu »Der Wüstenplanet«464, in der eine Prinzessin einen langen, recht komplexen Vortrag hält, der durch sphärische, einfache und lang anhaltende Synthesizerklänge unterlegt ist, die erst gegen Ende der Rede langsam und noch in verhaltender Lautstärke zur Melodie des Titelthemas übergehen. Durch solche Abmischverfahren kann der »dionysische Rausch« der Musik auf der Tonebene zugunsten der narrativen Ordnung rationiert werden.
463 CONAN, DER BARBAR (CONAN THE BARBARIAN, USA 1982, R: John Milius). 464 DER WÜSTENPLANET (DUNE, USA 1984, R: David Lynch).
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1.10 S TRATEGIEN DER NARRATIVEN D OMESTIZIERUNG FILMISCHER S IMULTANEITÄT UND T RANSGRESSIVITÄT In der Filmtheorie wurde die Literatur immer wieder zu Vergleichen herangezogen, um den Film zu definieren: von den Formalisten und Konstruktivisten nach dem Ersten Weltkrieg über die Autorentheorie und die Semiologie nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur transmedialen Narratologie der Gegenwart. Die Literatur selbst als Referenzobjekt wird dabei jedoch selbst nicht immer definitorisch klar umrissen. So sind oftmals die Übergänge zwischen der Schriftsprache und der Literatur als Kunstform undeutlich. Selbst Paech, der 1997 Wert auf diese Unterscheidung legt und die Künste zueinander in Bezug setzt, verfällt noch mitunter auf Vergleiche zwischen Film und Sprache. Auch ist dort, wo von Literatur die Rede ist, zumeist eine bestimmte Literatur gemeint, nämlich die Epik. Das ist auch dadurch bedingt, dass die theoretischen Texte dem Spielfilm besondere Priorität zukommen lassen. Lyrik wird in Hinblick auf den Spielfilm zumeist unter formalen Gesichtspunkten behandelt, so im Vergleich der Versmetrik mit der Montage bei Šklovskij. Wenn die Dramatik zum Vergleich herangezogen wird, so zumeist in Bezug auf die Aufführungspraxis des Theaters und weniger auf die dramatischen Texte. Aber auch die epische Literatur ist für die Beiträge besonders in Hinblick auf bestimmte Formate von Interesse: den realistischen Roman des 19. Jahrhunderts sowie ferner den Roman der literarischen Moderne im frühen 20. Jahrhundert. Dabei entsteht teilweise ein verallgemeinerndes Bild des Romans im 19. Jahrhundert als »bürgerlich«, »realistisch« und »psychologisch«, besonders in den Texten, in denen die sowjetische Avantgarde danach strebt, den Film von der Erzählliteratur abzugrenzen. Aber auch dort, wo »filmische« Verfahren in Romanwerken dieses Jahrhunderts ausgemacht werden (z. B. Ähnlichkeiten mit der Montage und der Großaufnahme), wird es doch als Ziel der Filmkunst vorgegeben, ihre Verhaftung in diesen Vorbildern zu überwinden und zur Moderne aufzuschließen – ob nun zur literarischen Moderne (so Bazins Ideal) oder zu den Erfordernissen der politischen Gegenwart (so die sowjetische Filmtheorie, aber auch Kracauer und Balázs). Insofern haben viele filmtheoretische Werke bis in die 1960er Jahre einen stark programmatischen Charakter. Es handelt sich weniger um sachliche wissenschaftliche Vergleiche, als vielmehr um »Poetiken« des Films, die vor der Literatur als negativer oder positiver Folie entwickelt werden. Die Übertragung sprachwissenschaftlicher und literaturwissenschaftlicher Termini auf den Film, auch dort, wo der Film als eigenwertige oder überlegene Kunstform aufgefasst wird, hat bis heute Folgen. So sind der Begriff der »Film-
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sprache« und das damit zusammenhängende Wortfeld bis heute weitverbreitet. Ob dies nun wörtlich oder sinnbildlich gemeint ist, wird in der Praxis der Medienpädagogik und -didaktik oft nicht mehr differenziert. Ebenso werden narratologische Kategorien auf den Spielfilm übertragen. Auch wenn dies im Bewusstsein der medialen Verschiedenheit geschieht und diese Kategorien entsprechend abgewandelt werden, so trägt dies dazu bei, dass der Film als narrative Kunstform aufgefasst und bewertet wird. Während der Film keine Sprache ist, ist er freilich durchaus auch narrativ (ob nun als Spielfilm, Animationsfilm oder auch Dokumentarfilm). Er geht jedoch nicht völlig in der Narration auf; im Umkehrschluss lässt er sich auch nicht gänzlich mit narratologischen Termini erfassen. Die eigenständige Perspektive des Zuschauers ist zwangsläufig ein integraler Bestandteil des filmischen Werkes, nicht nur auf der Verständnis- und Deutungsebene, wie in der Erzählliteratur, sondern bereits auf der Ebene der Datenaufnahme und Datenorganisation. Der Film muss daher, anders als die Erzählliteratur, Strategien der narrativen Domestizierung seiner Simultaneität und Transgressivität entwickeln. Der Film ist nicht selbst eine narrative Instanz, vielmehr machen sich narrative Instanzen im Film bemerkbar, jedoch nicht im Sinne von Erzählerfiguren. Vielmehr kann der Blick in der Bilderflut des filmischen Raums gelenkt werden, um den Erzählzusammenhang zu stützen (siehe »Schindlers Liste«). Er kann aber auch durch diese Bilderflut abgelenkt werden, um diesen Zusammenhang zu destabilisieren und den Zuschauer auf Rezeptionsmodi zu verweisen, die eher denen der darstellenden oder bildenden Künste ähneln (siehe »As I Lay Dying«). Alternativ kann der Blick im Bilderfluss der Montage vom filmischen Raum abgelenkt werden, damit der Zuschauer weiterhin der fortlaufenden Erzählung folgt (siehe »Profondo Rosso«). Umgekehrt kann der Blick im Bilderfluss gerade auf den filmischen Raum gelenkt werden. Wenn dieses Geschehen den Raum jedoch kaum verändert, beziehungsweise diese Veränderung ohne bildliche Repräsentation im Raum bleibt, kann die Erzählung beinahe zum Erliegen kommen (siehe »Die Stunde des Wolfs«). Im Interesse des Erzählens im Film muss zudem eine Aufgabenverteilung zwischen Bild- und Tonebene erfolgen. Dabei stellt sich die Frage, wie die Balance zwischen einer redundanten wechselseitigen Entsprechung einerseits und einer asynchronen »Überforderung« des Publikums andererseits gehalten werden kann. Die Musik bezieht sich häufig illustrativ auf das Bild, selbst dort noch, wo sie nicht mehr in der Tradition der Romantik steht, sondern aus den Werken der Neuen Musik gewählt wurde. Aber es gibt Beispiele, in denen sich der Rhythmus der Montage und des Bildinhaltes sowie die Bewegung der Kamera dem Rhythmus der Musik anpassen. Konventionell ist das natürlich der Fall in Musi-
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cals oder Musikfilmen und -sequenzen, ebenso in Titelvorspännen (siehe »Liebesgrüße aus Moskau« und »Krieg der Sterne«). Doch auch innerhalb von Spielfilmen gibt es Sequenzen, in denen der Erzählfluss zugunsten einer musikalischen Rhythmik aufgehalten und implizit in Frage gestellt wird (siehe »Inferno«). Auf der Tonspur müssen Musik und Sprache unter narrativen Gesichtspunkten so abgemischt werden, dass die für die Erzählung wichtigen Informationen Gehör finden. Zumeist werden diese durch die Sprache vermittelt (siehe »Conan, der Barbar« oder »Der Wüstenplanet«). Ein dem Inhalt nach erzählender Monolog oder Dialog kann aber auch lyrische Qualitäten annehmen, um sich dem musikalischen Rhythmus anzugleichen (siehe die Soundtrack-LPs zu »Die Nacht des Jägers« oder »Trainspotting«). Ein narratives Verfahren, das an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt wird, ist zudem die Domestizierung der filmischen Transgressivität im Animationsfilm. So sind etwa in den frühen, kurzen Zeichentrickfilmen der 1920er und 1930er Jahre die Figuren und Formen oft in ständiger Metamorphose begriffen. In den abendfüllenden Zeichentrickfilmen der Disney-Studios wurde der Raum stabilisiert und die Figuren wurden in verlässliche Subjekt-Objekt-Beziehungen überführt. Phantasmagorische Sequenzen, in denen das transgressive Potential der Animation voll ausgeschöpft wurde, wurden auf Traum- und Rauschsequenzen reduziert.465 So lässt sich zusammenfassend festhalten: Eine kleinste bedeutungstragende filmische Einheit lässt sich nicht ausmachen, weil im Film stets die Codes verschiedener Kommunikationssysteme simultan auftreten. Auch jene, die bereits auf eine lange Tradition zurückzuführen sind, verändern sich durch ihre Integration in den Film signifikant (etwa das Schauspiel zum Filmschauspiel). Aber auch eine den gesamten Film organisierende narrative Instanz lässt sich nicht ausmachen. Das gilt schon für die Autorenebene, weil der Film ein Kollektivwerk bleibt. Es gilt aber auch auf der Ebene des Filmwerks. Denn auch die Multiperspektivität des Films muss zwangsläufig einen Schwund an Informationen einkalkulieren. Stets stehen Informationen an der Peripherie des narrativ Wesentlichen, werden von manchen Zuschauern gesehen und gehört, von ande-
465 Vgl. Pietsch, Volker: »Die Metamorphose im Animationsfilm als integrative und segregative Dynamik. Wolfgang Reitherman: Das Dschungelbuch (1967)«, in: Stefan Keppler-Tesaki/Elisabeth K. Paefgen (Hg.): Was lehrt das Kino? 24 Filme und Antworten, München: edition Text + Kritik 2012, S.349-369, hier S.355-363.
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ren jedoch nicht. Auch bei wiederholter Filmsichtung lässt sich die Datenmenge eines Films nie vollständig erfassen, ergo auch nicht narrativ funktionalisieren. Simultaneität (Bilderflut), Transgressivität (Bilderfluss) und Polyphonie (Tonflut) des Films und des Filmerlebnisses werden im Bildungskontext traditionell problematisch gesehen. Diese Phänomene lassen sich nicht nur narrativ, sondern auch pädagogisch anscheinend nur schwer domestizieren. Vielmehr kommt der Verdacht auf, dass über diese Eigenschaften des Films unmerklich den Kindern und Jugendlichen unliebsame ideologische Inhalte vermittelt werden. Auch im Bildungskontext werden der Roman des 19. Jahrhunderts sowie spätere »psychologisch-realistische« Strömungen der Erzählliteratur zu maßgeblichen Referenzen erwählt. Diesmal wird diese Literatur (eigentlich das Bild, das man von ihr entwirft) dem Film jedoch lange Zeit über als vorbildlich gegenübergestellt, wie der folgende Teil des Buches zeigen wird. Positiv erscheinen Filme hier traditionell dann, wenn sie es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich über den ideologischen Gehalt der Filmerzählung zu orientieren (in einem Lernprozess der Versprachlichung oder kreativ-produktiven Verarbeitung). Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung mit der Narration ist dann selektiv wertend der eigenen Persönlichkeitsentwicklung anzueignen. Anstelle der Narration als künstlerisch gestaltetem Sujet bleibt dabei allerdings allzuoft die bloße Fabel zurück, ohne Berücksichtigung der medienspezifischen ästhetischen und kommunikativen Bedingungen – eine tote Hülle. Zudem könnte die Ideologie einseitig auf der Seite der Filmerzählung verortet werden, ohne die nichterzählenden beziehungsweise -erzählten Anteile des Films oder den eigenständig organisierenden Blick des Zuschauers zu berücksichtigen. Während das Lesen längst unter kognitivistischen Gesichtspunkten betrachtet wird, scheint der Film die Selbstständigkeit des Zuschauers außer Kraft zu setzen, zumindest in der Wahrnehmung vieler Pädagogen. Žižek gibt zu bedenken, »was häufig das unvorhergesehene Resultat unserer pädagogischen Bemühungen ist, einen Schüler von den Zwängen der Vorurteile und Klischees zu befreien: Nicht eine Person, die fähig ist, sich zwanglos und ungezwungen auszudrücken, sondern ein automatisiertes Bündel von (neuen) Klischees, hinter denen wir nicht länger die Gegenwart einer ›realen Person‹ empfinden. Wir wollen kurz an das übliche Ergebnis des psychologischen Trainings erinnern, das beabsichtigt, das Individuum von den Zwängen seiner alltäglichen geistigen Schranken zu befreien und sein ›wahres Selbst‹, seine authentischen kreativen Potentiale freizulegen [...]: Sobald es die alten Klischees losgeworden ist, die doch in der Lage waren, die dialektische Spannung zwischen ihnen selbst und der hinter ihnen stehenden ›Persönlichkeit‹ aufrechtzuerhalten, treten an deren Stelle neue Klischees, die die
176 | VERFOLGUNGSJAGDEN ›Tiefe‹ der Persönlichkeit hinter ihnen außer Kraft setzen... kurz: Sie wird zu einem wahr466
haften Ungeheuer, einer Art ›lebendigem Toten‹.«
Ebensolche Untoten werden im nun dargelegten Diskurs zum Inbegriff der Befürchtungen, die von Seiten der Medienpädagogik gegenüber dem Film und den kindlichen und jugendlichen Filmzuschauern gehegt werden.
466 S. Žižek: Metastasen des Begehrens, S.265-266.
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2. FILM UND BILDUNG
Bedingungen
Der folgende Teil des Buches wird den filmpädagogischen Diskurs im deutschsprachigen Raum behandeln und dabei seinen Schwerpunkt auf den Zeitraum zwischen 1978 und 2014 legen, da sich ab den späten 1970er Jahren die Auffassung davon, was die Filmrezeption zu einer risikoreichen Erfahrung macht, an bestimmten Gegenständen verdichtet. Diese Gegenstände wandeln sich im Verlauf der 1990er Jahre ebenso signifikant wie die Begriffe und Strategien des Diskurses. Gleichwohl bleiben bestimmte Ausgrenzungs- und Verwerfungspraktiken auch 2014 noch wirksam. Beteiligt sind überwiegend Sprecher aus der medienpädagogischen sowie der mediendidaktischen Disziplin, die sich erst nach und nach zu einer unterrichtsfachspezifischen Mediendidaktik Deutsch ausdifferenziert. 467 Um die Diskontinuitäten und Bedingungsmöglichkeiten des Diskurses herauszuarbeiten, wird seine Analyse zunächst mit einem Beitrag angestoßen, der außerhalb des oben genannten Diskursrahmens liegt, nämlich im Jahr 1924 veröffentlicht wurde. An späterer Stelle werden dann noch weitere Ereignisse aus dem Zeitraum zwischen der ersten öffentlichen Filmvorführung vor zahlendem Publikum am 1. November 1895 und der Premiere von »Krieg der Sterne« am 25. Mai 1977 einbezogen, um die »Prozesse der Verknappung, aber auch der Umgruppierung und Vereinheitlichung«468 des Diskurses und seine »Entstehung, die zugleich zerstreut, diskontinuierlich und geregelt ist«469 zu untersuchen.
467 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung in: Schönleber, Matthias: Schnittstellen. Modelle für einen filmintegrativen Literaturunterricht, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2012, S.57-114. 468 Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses (L’ordre du discours. Aus dem Französischen von Walter Seitter), Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 2003, S.41. 469 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S.41.
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2.1 D IE G ROSSAUFNAHME ALS M EDIUM DER K ÖRPERSPRACHE Ein Gesicht – zentral im Bild und in leichter Untersicht, wobei nicht erkennbar ist, ob dies der Perspektive der Kamera geschuldet ist oder dem Schauspieler, der seinen Kopf erhoben halten könnte. Denn dieser ist Bob Hoskins, ein Mann von dem relativ kleinem Körperwuchs von 1,66 Meter, und er spielt einen Gangster, der zehn Jahre lang eine Führungsposition ausgefüllt hat und nun, den Tod vor Augen, um Fassung ringt (siehe Abb. 19, Abb. 20, Abb. 21, Abb. 22, Abb. 23 u. Abb. 24). Der Haaransatz ist weit zurückgewichen, unter den schwarzen, kräftigen Augenbrauen liegen kleine, aber nicht schmale Augen mit dunklen Pupillen und langen Wimpern, dann eine kurze, breite Nase, ein Bartschatten über dem Mund und eine ausladende, prägnante Kinnpartie. Der runde Kopf ist überwiegend im linken Profil zu sehen, sodass stets das linke Ohr, seltener und nur ansatzweise auch das rechte zu erkennen ist. Unter dem kurzen, dicken Hals ist zudem der weiße Hemdkragen noch im Bild.470 In seinem Werk »Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films« von 1924471 suchte Béla Balázs die Filmsubstanz in Einstellungen wie dieser: Großaufnahmen von Gestalten und Physiognomien, vor allem von Menschen. Das obige Beispiel ist zwar dem britischen Film »Rififfi am Karfreitag« entnommen, der erst 1980 uraufgeführt wurde. Doch dies führt lediglich vor Augen, dass die filmischen Ausdrucksmittel, die Balázs als wesentlich betrachtete, nicht nur selbstverständlich die Erstpublikation seiner Theorie überdauert haben, sondern dass ihnen auch lange nach der Einführung des Tonfilms weiterhin ausschlaggebende Bedeutung beigemessen wurde und wird. Es handelt sich in »Rififfi am Karfreitag« um die finalen zwei Minuten des Films vor dem Abspann und im Prinzip um eine Stummfilmsequenz – zu hören ist ausschließlich Musik. Den Farbfilm in seinen Anfängen nahm Balázs in »Der sichtbare Mensch« bereits zur Notiz, maß ihm aber keine so entscheidende Bedeutung bei, als dass Farbe das, was für ihn das Wesen der Filmkunst ausmachte, notwendigerweise würde erschüttern müssen.472 Wenn Balázs schreibt, die Großaufnahmen seien »das eigenste Gebiet des Films«473, so meint er nicht die kleinste Einheit einer »Filmsprache«, sondern das distinkte Merkmal, durch das sich der Film als eigenständige Kunstform
470 RIFIFFI AM KARFREITAG (THE LONG GOOD FRIDAY, UK 1980, R: John Mackenzie). 471 Vgl. B. Balázs: Der sichtbare Mensch. 472 Vgl. ebd., S.97. 473 Ebd., S.49.
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ALS
M EDIUM
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auszeichnet. Gleichwohl sieht Balázs diese Kunst als das am besten geeignete Medium an, um eine bestimmte Sprache zu kommunizieren, nämlich die der Mimik und Gestik. Die Körpersprache der Schauspieler bleibt dabei allerdings in einem vagen definitorischen Status: Einerseits erscheint sie als eine Sprache, die durch den Film zwar zu neuer Geltung kommt, aber bereits eine ursprünglichere und dem Menschen tendenziell gemäßere Ausdrucksform ist. Andererseits wird sie auch als eine neuartige Sprache bezeichnet: »[A]uf der Leinwand der Kinos aller Länder entwickelt sich jetzt die erste internationale Sprache, die der Mienen und Gebärden.«474 Dass der Schauspielstil vor der Kamera sich von jenem auf der Bühne unterscheiden, sofern die Schauspieler mit dem neuen Medium umzugehen verstehen, könnte ebenfalls zu der Annahme verleiten, die spezifisch filmischen Gesten und Gesichtsausdrücke seien die »Phoneme« einer neuen, originären Gebärdensprache.475 Gleichwohl wird dieser Unterschied von Balázs aber eher als ein Ausdruck des Wahrhaftigen denn als Spiel aufgefasst, bei dem der Darsteller idealerweise den »Rassencharakter« seiner Rolle, wie Balázs im Vokabular seiner Zeit formuliert, selbst innehat: »Dieser wird nicht übertreiben müssen und nicht auf eine Reihe stereotyper Gebärden achten müssen wie eine Perücke, die zu locker auf dem Kopfe sitzt. Die nötigen Gebärden sind ihm eben angewachsen...«476 Auch wird die Internationalität dieser Sprache insofern eingeschränkt, als Balázs sie zunächst auf die »weiße Rasse« zu begrenzen scheint,477 an späterer Stelle jedoch auch das Mienenspiel anderer »Rassen« als durch den Film lesbar bezeichnet. Er deutet hierbei nur an, dass dies durch Pragmatik in Hinsicht auf den situativen Kontext der Mimik ermöglicht wird.478 Matthias Bauer zieht aus dieser verschwommen anmutenden Positionierung des (Stumm-)Filmschauspiels zwischen Langue und Parole den Schluss: »Man muss [...] den Unterschied machen zwischen dem filmischen Zitat eines Ausdruckszeichens, dessen Bedeutung die Menschen bereits aus der alltäglichen Erfahrung oder aus der Erfahrung anderer Künste kannten – und jenen Zeichen, die der Film eigens konstruiert. Folgerichtig stellt die Kinematographie nicht einfach einen Spiegel der Seele, sondern ein Simulakrum seelischer Bewegtheit dar – so wie umgekehrt ja auch die Schrift
474 Ebd., S.22. 475 Trotz der Lautlosigkeit von Gebärdensprachen hat sich der Begriff des »Phonems« in der Linguistik durchgesetzt. 476 Ebd., S.37. 477 Vgl. ebd., S.22. 478 Ebd., S.41-42.
188 | VERFOLGUNGSJAGDEN nicht einfach den Geist an sich offenbart, sondern eine Anschauungsform des Denkens 479
etabliert, die sich abspeichern und immer wieder von Neuem betrachten lässt.«
Balázs schreibt allerdings, man könne mit Hilfe des Kinematographen ein »Lexikon der Gebärden und der Mienen zusammenstellen wie das Lexikon der Worte«480 und dabei könnte eine »neue Grammatik«481 entstehen – ein Unterfangen, dem er allerdings präsumtiv Züge einer akademischen Bevormundung verleiht, denn er konstatiert, »das Publikum wartet aber nicht [...], sondern geht ins Kino und lernt von selbst«482 und die Menschheit sei »heut schon dabei, die vielfach verlernte Sprache der Mienen und Gebärden wieder zu erlernen«.483 Die noch ungefilmte Gesamtheit der Gestik und Mimik ist somit bereits das Medium innerer Vorgänge, wie alle Sprachen, gleich, ob sie gesprochen, geschrieben oder mit dem Körper signalisiert werden. In Balázs’ Perspektive speichert der Film diese Sprache jedoch nicht nur auf dem Filmmaterial; er hebt sie auch gegenüber dem alltäglichen Sprachgebrauch deutlicher hervor (dank der »Beschränkungen« des Stummfilms und der Größe der Leinwand). Er isoliert sie in Nahaufnahmen, macht sie aber auch wieder in einem rhetorischen Zusammenhang erfahrbar. So lässt sie sich dank der Handlungskontinuität »selbst« im Falle einer »indianischen Schauspielerin«484 decodieren. Dabei handelt es sich zwar um eine künstlerische Stilisierung. Diese ist aber im Idealfall eines gelungenen Films einer tieferen Wahrhaftigkeit verpflichtet, gerade weil die Großaufnahme es dem Darsteller erlaubt, auf Maske und Überbetonung in einem stärkeren Maße als im Theater zu verzichten. Sind die filmischen Mittel etwa der Montage, der Kamera oder des Filmschauspiels daher in Balázs’ Sinne mit einer Schrift parallel zu setzen? Leisten sie für die unmittelbaren Äußerungen der Gefühle vergleichbares wie die Schrift für die Gedanken? Anders als in Bauers kritischer Erweiterung von Balázs’ Ausführungen, ist aus dessen Sicht der Film eine Kunst, die auf unmittelbarem Weg zur nonverbalen Kommunikation Zugang findet, unter Umgehung einer Begriffsbildung und
479 Bauer, Matthias: »Der Film als Vorbild literarischer Ästhetik. Balázs, Musil und die Folgen«, in: Stefan Keppler-Tasaki/Fabienne Liptay (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film 1910-1960, München: edition text + kritik 2010, S.4179, hier S.57. 480 B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.19. 481 Ebd., S.19. 482 Ebd., S.19. 483 Ebd., S.17. 484 Vgl. ebd., S.41.
2.1 D IE G ROSSAUFNAHME
ALS
M EDIUM
DER
K ÖRPERSPRACHE
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-abgrenzung. Balázs betont wiederholt, dass die Körpersprache des Menschen – anders als etwa die Gebärdensprache – keine Worte nötig habe. Sie sei direkter Ausdruck der seelischen Vorgänge.485 Im Unterschied zur Schrift- oder Lautsprache, die das Denken zum Ausdruck bringen oder überhaupt erst formen, leistet der (Stumm-)Film Balázs zufolge keine solche Übersetzung (sprich Entfremdung, denn das »Wort scheint den Menschen vergewaltigt zu haben«486). Die Utopie von »Der sichtbare Mensch« ist eine Überwindung der »Sprachverwirrung von Babel«487 durch eine Weltsprache, die nicht mehr auf Gesetzen (wie denen einer Grammatik), sondern auf Traditionen beruht und die einen Beitrag zur Intersubjektivität der Völker leistet. Dem Film kommt dabei weniger die Funktion einer Schrift zu als jene des Buchdrucks, der zum Beispiel über die Verbreitung von Luthers Bibel dazu beigetragen hat, eine deutsche Schriftsprache zu formen. Da jedoch die nonverbale Kommunikation im Film eben keiner Begriffe bedarf, bildet sie nicht eine neue gemeinsame Sprache heraus (die sie ja offenbar in unbestimmter Vorzeit schon war), sondern eine »Normalpsychologie der weißen Rasse [...], die zur Grundlage jeder Filmfabel geworden ist. [...] Hier liegt der erste lebendige Keim jenes weißen Normalmenschen verborgen, der als Synthese aus den verschiedenen Rassen und Völkern einmal entstehen wird. Der Kinematograph ist eine Maschine, die, auf ihre Art, lebendigen und konkreten Internationalismus schafft: die einzige und gemeinsame Psyche des weißen Menschen.«
Dieses überholte psychologische Zuchtideal beschwört Balázs im Schönheitsideal des Filmstars auch als physisches Vorbild herauf.488 Dem zum Trotz findet seine These einer »Normalpsychologie [...], die zur Grundlage jeder Filmfabel geworden ist«, insofern Anschluss an den heutigen globalen Filmmarkt, als die medialen Franchises, die Filme als Primärmedien oder zumindest als zentrale Attraktionen beinhalten, implizit oder (etwa im Fall des »Star Wars«Franchises)489 explizit auf die Muster zurückgreifen, die Joseph Campbell als al-
485 Vgl. ebd., S.16-17. 486 Ebd., S.18. 487 Ebd., S.21. 488 Vgl. ebd., S.22. 489 Vgl. z. B. Schreckenberg, Ernst: »Die Reise des Helden. Zur Geschichte eines Erzählmodells in Hollywood«, in: Irmbert Schenk, Christine Rüffert, Karl-Heinz Schmid, Alfred Tews/Bremer Symposium zum Film (Hg.): Experiment Mainstream? Differenz und Uniformierung im populären Kino, Berlin: Bertz + Fischer
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len Mythen gemeinsam herausgearbeitet hat490 und die mit den Archetypen des kollektiven Unbewussten korrespondieren, die von Balázs’ Zeitgenossen Jung konstatiert wurden491.
2006, S.77-84./Krützen, Michaela: Väter, Engel, Kannibalen. Figuren des Hollywoodkinos, Frankfurt a.M.: Fischer 2007. 490 Vgl. Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten (The Hero With a Thousand Faces. Aus dem Amerikanischen von Karl Koehne), Frankfurt a.M.: Insel Verlag 1999. 491 Vgl. Jung, C. G.: Die Archetypen und das kollektive Unbewusste, Olten und Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag 1992.
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2.2 D ER F ILM
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G LOBALISIERUNG
Das den Monomythos variierende Marketing-System, das seit »Der weiße Hai«492 die Startwochenenden des Kinoverleihs als Impulse setzt, wird in der Fachliteratur und Filmkritik, insbesondere auch in der didaktischen Filmliteratur traditionell kritisch betrachtet. Bemängelt wird dabei gerade eine Konditionierung von Sehgewohnheiten, die in den Kontext von (westlichem beziehungsweise US-amerikanischem) Kulturimperialismus gestellt wird. Als »the force of white narrative«493 wird sie teilweise auch als Instrument »weißer« Herrschaftssicherung betrachtet: »Diese Internationalisierung, eher Amerikanisierung der Kinderkultur führt zum Verlust nationaler kultureller Identitäten, Traditionen, zu weltweiter Nivellierung.«494 Zu Beginn der 1990er Jahre erschloss das globale Media Franchising neue Märkte, einerseits durch die Digitalisierung, andererseits infolge der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation. Medienpädagogische Autoren im deutschsprachigen Raum begleiteten diesen Vorgang mit warnenden Stimmen. So wurden die Produkte des »Blockbuster-Kinos« etwa in den Kontext US-amerikanischer Militäreinsätze und -propaganda gesetzt: »So schlägt die Totalität der Verbildlichung [...] um in eine Über-Verbildlichung. [...] Wir sehen den Einschlag der Bombe aus der Nähe, oder wir verfolgen wie bei den Bildern aus dem Golfkrieg ihre Fluglaufbahn mit [...]. Inzwischen ist in der überverbildlichenden Filmproduktion, insbesondere aus den USA, an die Stelle des Schauens der Zweck getreten, durch die Perfektion des Tricks zu überwältigen, der die staunende Faszination an die 495
Stelle von Illusion und Träumerei setzt.«
492 DER WEISSE HAI (JAWS, USA 1975, R: Steven Spielberg). 493 Vgl. Estrada, Gabriel S.: »Star Wars episodes I-VI. Coyote and the force of white narrative«, in: Daniel Bernadi (Hg.): The Persistence of Whiteness. Race and Contemporary Hollywood Cinema, London: Routledge 2007, S.69-90. Vgl. z. B. auch Redmond, Sean: »The whiteness of the Rings«, in: Daniel Bernadi (Hg.): The Persistence of Whiteness. Race and Contemporary Hollywood Cinema, London: Routledge 2007, S.91-101. 494 Heidtmann, Horst: Kindermedien, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 1992, S.181-182. 495 Schäfer, Horst/Baacke, Dieter: Leben wie im Kino. Jugendkulturen und Film, Frankfurt a.M.: Fischer 1994, S.243.
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Balázs’ Vision der Herausbildung einer gemeinsamen Psyche des Normalmenschen fand hier ihre Entsprechung unter dystopischen Vorzeichen. So wurde der (zumal kindliche oder jugendliche) Zuschauer zwar auch durchaus als aktiver Rezipient betrachtet, dies jedoch in Hinsicht auf seine Bedürfnisbefriedigung durch Merchandise-Artikel nach dem Filmerlebnis. Der so psychisch konditionierte Normalmensch als genormter Konsument496 wurde zudem auch in die Nähe der gentechnischen Konstruktion gerückt. Wenn sich der diesbezügliche Vergleich von Judith Gerke-Reineke auch zunächst auf die Helden der Medienverbünde bezog (»Geklonte Medienhelden«497), so klingt nicht nur in dem Satz, mit dem sie ihre Studie abschließt – »Denn ähnliche Reglementierungen wie für die Genetik sind wohl kaum zu erwarten.«498 – leichtes Bedauern an. Ihre Arbeit legt auch nahe, dass die von ihr angenommene Identifizierung der Kinder mit den »Klonen« die menschliche Individualität an sich beeinträchtigen könnte. Diese kulturkritische Linie im Umgang mit den »Media Franchises« findet in manchen Schriften des 21. Jahrhunderts eine (weniger bewahrpädagogisch zugespitzte) Fortsetzung499. An ihre Stelle tritt aber auch häufig eine differenzierte oder sogar affirmative Haltung500, die sich nicht zuletzt Synergieeffekten mit literarischen Vorlagen von J.R.R. Tolkien, J. K. Rowling oder Stephanie Meyer verdankt und den damit verbundenen Hoffnungen der Leseförderung. Dazu kommt das gestiegene Bewusstsein für die impliziten mythischen Vorbilder älterer Franchises wie »Star Wars« und die daraus gewonnene Annahme, dass »ein leicht verdaulicher Weg zu sonst verschüttetem Kulturwissen nicht der schlechteste ist«501.
496 Vgl. Gerke-Reineke, Judith: Geklonte Medienfiguren. Merchandising am Beispiel ›Pumuckl‹. Eine Untersuchung zum kommerziellen Medienverbund, Münster: LITVerlag 1995, S.130. 497 Vgl. ebd. 498 Ebd., S.132. 499 Vgl. z. B. Voiges, Burkhard: »Der Wolfsjunge«, in: Alfred Holighaus (Hg.): Der Filmkanon. 35 Filme, die Sie kennen müssen, Berlin: Bertz + Fischer 2005, S.170176, hier S.175./Hennig-Thurau, Thorsten: »Vom Buzz getrieben. Das BlockbusterKino als Auslaufmodell: Wie (vermeintlich) sichere Hits das Kino gefährden«, in: epd Film 29 (2013), S.33-37. 500 Vgl. z. B. Hildebrand, Jens: film: ratgeber für lehrer. Köln: Aulis Verlag Deubner 2001, S.337./Josting, Petra/Maiwald, Klaus (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund. Grundlagen, Beispiele und Ansätze für den Deutschunterricht. München: KoPäd 2007. 501 J. Hildebrand: film: ratgeber für lehrer, S.337.
2.2 D ER FILM ALS M EDIUM DER G LOBALISIERUNG
| 193
Béla Balázs seinerseits nahm in seiner Vision der globalen Erneuerung eines mythischen, vorbabylonischen Zeitalters den Einfluss des Marktes durchaus zur Kenntnis. Jedoch sah er darin eine demokratische Chance für das Publikum, über die Nachfrage das Angebot zu regeln: »Aber zugestanden, daß es fast soviel schlechte Filme wie schlechte Bücher gibt, und zugestanden, daß die Herstellung eines Films so ungeheuer kostspielig ist, daß die Unternehmer einen Mißerfolg nicht riskieren können und daher unbedingt mit einem bereits vorhandenen Bedürfnis rechnen müssen. Was folgt daraus? Nur, daß es von euch, von eurem Bedürfnis, von eurer Genußfähigkeit abhängt, was für Filme ihr bekommen werdet. Der Film ist, mehr als jede andere, eine soziale Kunst, die gewissermaßen vom Publikum geschafften wird. Jede andere Kunst ist doch im wesentlichen durch den Geschmack, durch das Talent der Künstler bedingt. Beim Film wird aber der Geschmack und das Ta502
lent des Publikums entscheiden. In dieser Mitarbeit liegt eure große Mission.«
Balázs stellte den Mensch in das Zentrum seiner Filmtheorie, jedoch nicht als Objekt der Kamera und der Filmindustrie, sondern als potentiellen Gestalter auf beiden Seiten der Kamera oder auch vor Kinokasse und Leinwand. Helmut H. Diederichs hat darauf hingewiesen, dass Béla Balázs nicht zuletzt als Medienpädagoge betrachtet werden sollte, nicht nur wegen dessen praktischer Erfahrungen als Deutschlehrer vor dem Ersten und Dozent für Filmtheorie während des Zweiten Weltkrieges (im Moskauer Exil), sondern auch wegen Balázs’ wiederholter Plädoyers für die Integration der Filmkunst als prominenten Gegenstand der Hochschulbildung, des Schulunterrichtes sowie der Lehrerausbildung.503 Balázs didaktische Prämisse ist, wie bereits aus seinem Appell in der Vorrede zu »Der sichtbare Mensch« hervorgeht504, die Befähigung zur Selbstermächtigung. Dabei sieht der marxistisch fundierte Balázs den Markt jedoch nicht als ideales Umfeld oder Instrument einer individuellen Selbstverwirklichung. Er betrachtet vielmehr die Filmkunst als ein dem Markt entwachsenes und somit auch gewachsenes Instrument zur kollektiven Emanzipation von der Entfremdung im
502 B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.15. 503 Vgl. Diederichs, Helmut H.: »›Ihr müßt erst etwas von guter Filmkunst verstehen‹. Béla Balázs als Filmtheoretiker und Medienpädagoge«, in: Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenössischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kästner, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2001, S.115-147, hier S.115-117. 504 Vgl. B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.9-23.
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Kapitalismus. So treten Kamera und Projektor in die Tradition der Druckerpresse in der frühen Neuzeit oder der Maschinen in der Industrialisierung: »Doch hätte die Buchdruckerkunst nie so durchdringen können, wenn die durch die wirtschaftliche Entwicklung bedingte allgemeine Entwicklung des Geistes nicht schon auf dem Wege zur Abstraktion gewesen wäre. Die Buchdruckerkunst hat nur die ›Verdinglichung‹, wie Karl Marx den Prozeß jener Abstraktion nennt, beschleunigt. Geradeso wie im Bewußtsein der Menschen der Eigenwert der Dinge durch ihren Marktpreis verdrängt wurde, so hat sich ihr Bewußtsein vom unmittelbaren Sein der Dinge überhaupt allmählich entfremdet. Diese geistige Atmosphäre ließ die Buchkultur späterer Jahrhunderte so groß werden. Diese geistige Atmosphäre der kapitalistischen Kultur widerspricht dem Wesen des Films, der, obwohl in ihr entstanden, einer Sehnsucht nach konkretem, unbe505
grifflichem, unmittelbarem Erleben der Dinge entspricht.«
Die Druckmedien, darunter die Literatur, werden somit als Medien des Kapitalismus und des Bürgertums aufgefasst. Nun sind, in vereinfachter Zusammenfassung, wesentliche Komponenten des humanistischen Bildungsideals bekanntlich eine aufgeklärt distanzierte, geistig möglichst autonome Perspektive auf den Gegenstand der Betrachtung, die dem Bürger zu seiner Persönlichkeitsentwicklung in gesellschaftlicher Teilhabe verhilft: Das Niveau der Freiheit wird bei Humboldt in proportionalem Verhältnis zum Niveau der Bildung und zum Niveau der Individualität gesehen.506 Das humboldtsche Ideal prägt weiterhin die deutsche Bildungspolitik und die pädagogische wie didaktische Literatur, 507 wie nicht zuletzt in der oben angeführten Skepsis gegenüber den Möglichkeiten zur kognitiven Verarbeitung der konstatierten »Ekstasen der Wahrnehmungs-Überwältigung«508 in der Filmrezeption deutlich wird. In Balázs’ »Der sichtbare Mensch« ist der Film hingegen (wenn auch hier nicht ausgesprochen) ein Medium, welches, da es kollektiv hergestellt und ebenso kollektiv rezipiert wird, an die Stelle einer Isolierung des Lesers oder eines sprachlich und lokal begrenzten Theaterpublikums sozusagen (und frei nach den Worten des Kommunistischen Manifestes) die revolutionäre Vereinigung eines
505 Ebd., S.104. 506 Vgl. Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau: Verlag von Eduard Trewendt 1851, S.3-4. 507 Dies umso mehr vor den Bildungsreformen der 2000er Jahre an deutschen Schulen und Hochschulen. 508 H. Schäfer, D. Baacke: Leben wie im Kino, S.242.
2.2 D ER FILM ALS M EDIUM DER G LOBALISIERUNG
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globalen Publikums durch die Assoziation setzt.509 Wie die Industrie insgesamt ist auch die »Filmindustrie« zu den Bedingungen der Bourgeoisie entstanden. Gleichsam trägt sie das Potential zu einer nächsten Entwicklungsstufe in sich, denn sie ist keine (oder noch keine) übermächtige »Traumfabrik« einer dominanten US-amerikanischen Marktideologie. Anders klingt dies in den medienpädagogischen Schriften der 1980er bis 2000er Jahre,510 in denen das Präfix »über« konventionell den Rezeptionsmodus kennzeichnet: »Da die Reflexionszeit bei denjenigen, die viel Filme sehen, sehr kurz ist, ergibt sich kaum die Möglichkeit, Abwehrmechanismen zu entwickeln, die einem Übermaß an [...] 511
Manipulation entgegenwirken können.«
/
»Der häufige Bild- und Schnittwechsel überwältigt die Kinder, die nicht genug Zeit ha512
ben, das Geschehene zu verarbeiten.«
/
»Nicht nur der manifeste und der latente Inhalt, sondern auch die ästhetische Form üben einen massiven Regressionsdruck auf das Publikum aus, da die reflektierendes Handeln erst ermöglichende Sprache in den Hintergrund tritt und die Zuschauer durch eine gewal513
tige Bilderflut überschwemmt werden.«
/
509 Vgl. Engels, Friedrich/Marx, Karl: »Manifest der Kommunistischen Partei«, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke. Band 18, Berlin: Dietz Verlag 1973, S.459-493, hier S.474. 510 Vgl. z. B.: Leder, Dietrich: »Medienkritik zwischen subjektiver Einschätzung und objektiven Kriterien. Vier Fragen, vier Antworten und eine Vorbemerkung«, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.)/Marhild Hoffmann/Gernot Dallinger (Red.): Medienkritik im Blickpunkt. Plädoyer für eine engagierte Programmkritik, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1988, S.17-26. 511 Kahrmann, Klaus-Ove: »Dreh’n wir doch mal ’n richtigen Film! Pädagogische Dimensionen eines Projektes«, in: Klaus-Ove Kahrmann/Ulrich Ehlers (Hg.): Lebende Bilder. Aufsätze zur Medienpädagogik. Scheersberg: Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung Schleswig-Holstein 1985, S.43-68, hier S.45. 512 Zimmermann, Hans Dieter: Dumme werden dümmer. Hans Dieter Zimmermann über ein TV-Verbot für Vorschulkinder. Der Spiegel 43 (1989), S.227. 513 Röll, Franz-Josef: Mythen und Symbole in populären Medien. Der wahrnehmungsorientierte Ansatz in der Medienpädagogik, Frankfurt a.M.: Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik 1998, S.166.
196 | VERFOLGUNGSJAGDEN »Filmanalyse ist die Wiederweckung der Wahrnehmung angesichts der visuellen Reiz514
überschwemmung in den Medien.«
Die Filmindustrie nach Balázs’ Auffassung hat hingegen ökonomisch wie technisch nachvollziehbare Produktionsprozesse, die über die »geistige Atmosphäre«, das heißt konkret, durch die Publikumsnachfrage auch veränderbar sind. Nun ist seither (durch Vorreiter wie den 1996 online gegangenen Filmblog »Ain’t It Cool News«515) der Umstand eingetreten, dass die an die Media Franchises angebundenen Fandoms über das Internet auch an den Entwicklungsstadien eines neuen Projektes partizipieren und mit ihren Wünschen und ihrer Kritik in der Planung berücksichtigt werden.516 Dies könnte Balázs’ Prognose in Ansätzen Aktualität verleihen, ebenso wie die zunehmende Integration von Protagonisten möglichst vielfältiger Ethnien, die Herausbildung eigener, sehr nachhaltiger Synkretismen als multireligiöser und -philosophischer Projektionsflächen (z. B. »die Macht« in »Star Wars«; die »Matrix«517) oder der Abbau konkreter nationaler Feindbilder unter Berücksichtigung der diversen Zielgruppen eines globalen Filmmarktes. So wurden der chinesischen Verleihversion von »Iron Man 3«518 etwa vier Minuten mit chinesischen Schauspielern hinzugefügt519 und wurden die ursprünglich chinesischen Invasoren in »Red Dawn«520 vor der Premiere digital gegen Nordkoreaner ausgetauscht, da Nordkorea wegen seiner isolationistischen Politik ohnehin nicht Teil an der Kinoauswertung hatte.521
514 Beicken, Peter: Wie interpretiert man einen Film?, Stuttgart: Phillip Reclam 2004, S.13. 515 http://www.aintitcool.com 516 Vgl. Beier, Lars-Olav: »Ritter des heiligen Ernstes«, in: Der Spiegel 63 (2009), S.130-131. 517 MATRIX (THE MATRIX, USA 1999, R: Andy Wachowski/Larry (= Lana) Wachowski). 518 IRON MAN 3 (IRON MAN THREE, USA 2013, R: Shane Black). 519 Vgl. Tsui, Clarence: »›Iron Man 3‹ China-Only Scenes Draw Mixed Response«, in: The Hollywood Reporter [Online-Ausgabe]. Gepostet: 13:25 Uhr. 5.1.2013. http://www.hollywoodreporter.com/news/iron-man-3-china-scenes-450184 520 Red Dawn (USA 2012, R: Dan Bradley). 521 Vgl. Landreth, Jonathan: »Chinese press rails against ›Red Dawn‹«, in: The Hollywood Reporter [Online-Ausgabe]. Gepostet: 7:04 Uhr. 6.1.2010. http://www.holly woodreporter.com/news/chinese-press-rails-red-dawn-24152
2.2 D ER FILM ALS M EDIUM DER G LOBALISIERUNG
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Es bleibt aber natürlich spekulativ, inwiefern Balázs’ Zielvorstellungen, die von den technischen und wirtschaftlichen Bedingungen des Stummfilms ausgehen, übertragbar auf das Kino im Zeitalter der Digitalisierung sind, das auf 3DWiedergabe zurückgreift und mit High Frame Rate experimentiert, um die »Sehnsucht nach konkretem, unbegrifflichem, unmittelbarem Erleben der Dinge«522 zu befriedigen und zu nähren. In ihm kann die einst als »einzige gemeinsame Weltsprache«523 beschworene menschliche Mimik und Gestik in der Nahaufnahme einerseits digital nachbearbeitet oder erzeugt werden, andererseits aber auch durch Motion Capture Verfahren von Schauspielern auf animierte Figuren übertragen werden. Trotz dieser globalen Veränderungen und trotz der spezifisch ideologischen Gegensätze des Marxisten Balázs zum sozial-marktwirtschaftlichen System der Bundesrepublik Deutschland ist Balázs’ pädagogischer Ansatz zum Gegenstand des Films sehr wohl anschlussfähig an die heutigen Ansätze zur handlungsorientierten Medienpädagogik. Denn Balázs betrachtet die Vervollkommnung des filmischen Mediums nicht als zwangsläufige Entwicklung, weder eines freien Marktes noch (rückhaltlos) einer naturgesetzlichen Entwicklungskette im Sinne des historischen Materialismus. Vielmehr müssen die Zuschauer den Wert guter Filme einzuschätzen lernen, um den entsprechenden Druck auf die Produktion ausüben zu können. Dabei betont er freilich, dass es nicht darum ginge, eine intellektuelle Distanz zur Filmrezeption und ihrer »Rauschatmosphäre«524 an sich aufzubauen. Vielmehr gelte es, die Genussfähigkeit zu schulen und zu verfeinern: »Und wenn wir sie [die Filmkunst] verstehen lernen, so werden wir, wir Publikum, mit unserer Genußfähigkeit zu ihrem Schöpfer.«525 Für diese Medienkompetenz als Genusskompetenz bedarf es einer kritischen Urteilskraft, die in erster Linie die Nutzung und Weiterentwicklung der dem Film gemäßen Ausdrucksmittel bewerten kann. Dazu wiederum möchte Balázs mit »Der sichtbare Mensch« einen Beitrag leisten: Seine Theorie der Filmkunst geht eine untrennbare Einheit ein mit einer auf dieser ästhetischen Theorie fußenden Filmkritik und einer Pädagogik, die aus dieser Kritik lernt und sie selbst auszuüben versteht. Beabsichtigt ist nicht eine objektive Definition des Films an sich, sondern erklärtermaßen des »guten« Films. Dementsprechend handelt es sich auch nicht um die Bestimmung einer »Filmsprache«, sondern um eine Poetik der stilistischen Konventionen und Innovationen des Films.
522 B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.104. 523 Ebd., S.22. 524 Ebd., S.14 525 Ebd., S.15.
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2.3 B ILDUNGSPOLITISCHE UND DEUTSCHDIDAKTISCHE K RITERIEN DER F ILMAUSWAHL Ob das kritische Urteil eher vorwärtsgewandt ist in Hinblick auf die noch bevorstehende Verwirklichung des filmästhetischen Ideals, wie bei Balázs, oder eher rückschauhaltend in Hinblick auf die Enkulturation in ein filmhistorisches Erbe, wie sich dies in den jüngeren Filmkanones, wie jenem der Bundeszentrale für politische Bildung526, manifestiert, ändert nichts an dem erzieherischen Auftrag: Der Rezipient soll zur kritischen Auswahl, bewussten Nutzung und verständigen Bewertung von Medienangeboten befähigt werden. Dies gilt angesichts des Programms der fast 200 Kinos im Wien des Jahres 1924527, ebenso wie in der »Flut gewaltverherrlichender Videofilme«528um 1985. Es gilt auch noch gegenüber dem global und über verschiedenste Abspielmöglichkeiten zugänglichen Ausstoß der Industrie anno 2005. In diesem Jahr stellt Burkhard Voiges das Problem in seinem Beitrag zum Kanon der Bundeszentrale für politische Bildung dar: »wird es [doch] gerade für ein junges Publikum immer schwieriger, die Formsprache eines Films zu deuten und den ›Wert‹ eines Films zu erkennen. Seit vielen Jahren steigt die Anzahl der weltweit produzierten Filme beständig. Schon jetzt führt diese Filminflation beim Publikum zu erheblichen Irritationen, kaum ein Film, abgesehen von den Blockbustern der großen amerikanischen Studios, kann noch ausreichend von der Filmkritik gewürdigt werden. [...] Aufbau und Struktur der international vermarkteten Filme werden immer ähnlicher, die erzählten Geschichten folgen wohl kalkulierten Strickmustern; und die Sehgewohnheiten verändern sich. Man stelle sich vor, ein Jugendlicher, der gerade STAR WARS: EPISODE III – DIE RACHE DER SITH (2005; R.: George Lucas) gesehen hat, wird am nächsten Morgen im Rahmen einer Schulvorstellung mit DER WOLFSJUNGE ›konfrontiert‹: kontrastreich in schwarzweiß gedreht, mit endlos langen Einstellungen. Wie kann man vermitteln, dass hier Meister ihres Faches am Werk waren, 529
die genau wussten, was sie taten?«
526 Vgl. Holighaus, Alfred (Hg.): Der Filmkanon. 35 Filme, die Sie kennen müssen, Berlin: Bertz + Fischer 2005. 527 Vgl. B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.10. 528 Ehlers, Ulrich: »Eine kleine Antwort auf die innenweltverschmutzenden Videofilme«, in: Klaus-Ove Kahrmann/Ulrich Ehlers (Hg.): Lebende Bilder. Aufsätze zur Medienpädagogik, Scheersberg: Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung Schleswig-Holstein 1985, S.74-79, hier S.74. 529 B. Voiges: Der Wolfsjunge, S.175.
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In dieser Passage deutet sich freilich auch an, warum Balázs zwar einer solchen differenzierenden Filmbildung frühzeitig eine Alternative zur bewahrpädagogischen Medienkritik gewiesen hat, sich zugleich aber auch wieder gravierende Unterschiede auftun in den Bewertungskriterien, die an den Film angelegt werden sollen. Insbesondere sind Balázs’ aus der Sprachkritik entwickelten Maßstäbe nicht ohne weiteres anschlussfähig an diejenigen, die sich vermehrt in der Deutschdidaktik finden. So werden die narrativen Stränge der Media Franchises, wie oben zu lesen, und insbesondere noch in den 1980er bis 1990er Jahren als trivial und schablonenhaft abgelehnt. Dies umso mehr, als die in ihnen zum Ausdruck kommenden martialischen Stereotypen als schlechte Rollenvorbilder für die Konfliktlösungen der Jugendlichen im Alltag betrachtet werden. 530 Diese Figuren, Barbaren,531 Cyborgs532 und Vietnam-Veteranen533, wurden »im zeitgenössischen populären oder auch akademischen Diskurs nicht – oder nur sehr selten – als Symptome einer Krise patriarchaler Normen und Werte gelesen [...] (schon deshalb, weil eine solche Krise laut der hegemonialen neokonservativen Rhetorik ja nicht mehr existierte), sondern als sehr unmittelbare, ungebrochene Repräsentation von Maskulinitäts- und Nationalitätskonzepten, die tatsächlich eine Zeitenwende signalisierten.«534 Die – meist mit Gewaltdarstellungen verbundene – Effektlastigkeit gehe, so wird kritisiert, auf Kosten jedweder Figuren- und damit Handlungsentwicklung. »Statt Storys Überwältigung der Sinne« heißt etwa ein entsprechendes Kapitel in Horst Schäfers und Dieter Baackes Buch »Leben wie im Kino«535, in dem die Jugendlichen sehr wohl als Subjekte der Mediengestaltung betrachtet werden, dieser Subjektstatus aber als durch die Wahrnehmungs-Überwältigung gefährdet gesehen wird: »Dem entspricht, daß Jugendliche bei diesen Filmen immer mehr darauf verzichten, die ›Story‹ zu erzählen, die nach Schema abläuft und nicht das Wesentliche des
530 Vgl. z. B. U. Ehlers: Eine kleine Antwort auf die innenweltverschmutzenden Videofilme, S.74./H. Schäfer/D. Baacke: Leben wie im Kino, S.241-242. 531 Vgl. z. B.: CONAN DER BARBAR/BEASTMASTER – DER BEFREIER (THE BEASTMASTER,
USA 1982, R: Don Coscarelli).
532 Vgl. z. B.: TERMINATOR (THE TERMINATOR, USA 1984, R: James Cameron/UNIVERSAL SOLDIER (USA 1992, R: Roland Emmerich). 533 Vgl. z. B.: RAMBO (FIRST BLOOD, USA 1982, R: Ted Kotcheff)./LETHAL WEAPON – ZWEI STAHLHARTE PROFIS (LETHAL WEAPON, USA 1987, R: Richard Donner). 534 Weingarten, Susanne: Bodies of Evidence. Geschlechtsrepräsentationen von Hollywood-Stars, Marburg: Schüren 2003, S.182. 535 H. Schäfer/D. Baacke: Leben wie im Kino, S.243.
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Films ist; sie rekapitulieren vielmehr die eindrucksvollen ›Stellen‹ (wie früher in einer Erzählung die erotischen Partien herausgesucht wurden).«536 Dieser Rückschluss von einer Zunahme visueller und auditiver Effekte, hoher Schnitt- und Kamerageschwindigkeit sowie standardisierter Dramaturgie und Figurenzeichnung auf eine Zunahme sprachlichen Unvermögens der Kinder und Jugendlichen ist eine These, die sich stetig durch die medienpädagogische Literatur dieser Jahre zieht. Neben Splatter-Videos und dem Zapping durch TVSerien findet sie ihren bevorzugten Gegenstand in den »Event Movies« der Genres Fantasy, Action und Science Fiction aus einem Hollywood, das in den 1980er, aber auch noch den 1990er Jahren »erster Klasse im Simpson/Bruckheimer-Gulfstream-Jet«537 fliegt: »Kinder äußern sich bei der Wiedergabe spannender Fernseheindrücke vielfach nonverbal, versuchen mit seltsamen Geräuschen, also akustisch, nicht aber sprachlich, auszudrücken, was sie beeindruckte, seien es Explosionen, unerträgliche Spannung, rasante Fahrten, Sirenen, Gesten, Blicke, aggressive Bewegungen. Schilderungen von Kindern über Filme gleichen einem hilflosen Stakkato, verwirrend für den Zuhörer und schwerlich at538
traktiv für genaues Zuhören.«
Diese Verarbeitungen des Gesehenen durch Gestik, Mimik und Onomatopoesie werden also nicht als adäquate oder gar als performative Leistung der Kinder betrachtet. Stattdessen scheinen sie defizitär, ja potentiell gefährlich zu sein, denn die Bewegungen werden nicht als schauspielerische Nachstellungen aggressiver Handlungen wahrgenommen, sondern selbst als aggressiv. Die »Entfabelung« des Films führt zu einer Auflösung der Syntax, diese zu einem Unvermögen, lineare Zusammenhänge logisch herzuleiten. Dieses Unvermögen könnte wiederum zu einer Störung, Diskontinuität und fehlenden Folgerichtigkeit auch der biographischen Erzählung des Kindes oder Jugendlichen führen, ja »die Kom-
536 Ebd., S.244. 537 Biskind, Peter: Sex, Lies & Pulp Fiction. Hinter den Kulissen des neuen amerikanischen Films (Down and Dirty Pictures: Miramax, Sundance, and the Rise of Independent Film. Aus dem Englischen von Gunter Blank und Fritz Schneider), Berlin: Rogber & Bernhard 2005, S.21. Jerry Bruckheimer und Don Simpson verantworteten als Produzentenduo einige der größten Kassenerfolge zwischen 1983 und 1996, vor allem im Actiongenre. Nach Simpsons Tod produzierte Bruckheimer weitere Blockbuster, darunter die »FLUCH DER KARIBIK«-Filme. 538 Benz, Ute: Jugend, Gewalt und Fernsehen. Der Umgang mit bedrohlichen Bildern, Berlin: Metropol Verlag 1997, S.78.
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munikations-, die Diskurs- und insofern die Demokratiefähigkeit von Menschen an der Basis gefährdet.«539 Diese Konsequenzen werden nicht nur angesichts des US-amerikanischen Films in der Spätphase des Kalten Krieges und kurz danach befürchtet. Auch ein Autor wie Klaus Maiwald, der eine Integration von Media Franchises in den Deutschunterricht nicht nur nachdrücklich befürwortet, sondern auch durch seine didaktische Arbeit inspiriert540, sieht noch 2005 die potentiellen Risiken der »Entwirklichungsfilme«541 und ihrer »Derealisierung der einen chronologischkausalen Erlebniswirklichkeit«542: »Selbst, wenn Mediennutzer konstruktiv agieren, wird eine einseitige Praxis distanzloser Hingabe die Fähigkeiten zur Rezeption von Texten beeinflussen, die stärker ein Fingieren als ein Realisieren, Konzentration statt Diffusion, Verankerung statt Surfen, also eine fokussierte Konstruktion von Sinnganzheiten erfordern. »Zappen« ist kein Übel; ein Jugend543
licher, der vor dem Fernseher nichts anderes will und kann, schon.«
Um die Schlüsselqualifikationen des Lesens, Schreibens und Sprechens nicht zu gefährden, sind demnach Filme geeigneter, die eine dem Textstudium ähnliche Rezeption zuzulassen scheinen, also Reflexionspausen innerhalb der Ereigniskette bieten und durch eine vertiefende Figuren- beziehungsweise Konfliktentwicklung eine solche Konstruktion von Sinneinheiten ermöglichen. Gemeint sind damit Sinneinheiten psychischer oder sozialer Kausalzusammenhänge, bei denen menschliches Handeln beziehungsweise das menschliche Innenleben im Fokus steht, weniger hingegen Sinneinheiten technischer (z. B. Explosionen, Schießereien, Slapstick, Verfolgungsjagden) oder körperlicher Reiz-Reaktionsketten (z. B. Kämpfen, seine Körperlichkeit – Muskeln oder sekundäre Geschlechtsorgane – zur Schau stellen, bluten, andere Körperflüssigkeiten abson-
539 Ebd., S.82. 540 Vgl. Maiwald, Klaus: »Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-)Unterricht«, in: Petra Josting/Klaus Maiwald in Zusammenarbeit mit der AJuM der GEW (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund. Grundlagen, Beispiele und Ansätze für den Deutschunterricht, München: KoPäd 2007, S.35-48. 541 Vgl. Maiwald, Klaus: Wahrnehmung – Sprache – Beobachtung. Eine Deutschdidaktik bilddominierter Medienangebote, München: KoPäd 2005, S.26. 542 Ebd.. 543 Ebd., S.41.
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dern.544 Legt ein Film seine Prioritäten stärker auf die Darstellung solcher physischer Kausalzusammenhänge, so wird seine narrative Struktur als episodischer und sprunghafter wahrgenommen. Dem Ideal einer psychologisch und gesellschaftlich nachvollziehbaren, gerade deshalb auch ambivalenten Entwicklung der Figuren anstelle einer dualistischen Positionierung entspricht die Vorgabe einer übersichtlichen und kontinuierlich-linearen, anstelle einer vielfältig simultanen oder schnell geschnittenen filmischen Form. Ulf Abraham führt in »Filme im Deutschunterricht«545, dem ersten fachspezifischen Handbuch von 2009, mehrere Qualitätskriterien für Kinder- und Jugendfilme (die er erklärtermaßen aus einem seiner früheren Texte von 2002 übernimmt546) an. Auch er meint, die guten unter ihnen »präsentieren neben klischeehaft-statischen Figuren jedenfalls einige auf Entwicklung angelegte (Haupt-)Figuren, erzählen Geschichten auf für ihre Zielgruppe verständliche Weise, d. h. v. a. im Kinderfilm kontinuierlich und mit wenigen Sprüngen (Crosscuts), in erzählender, statt assoziativer Montage sowie mit weitgehend synchronem Ton, setzen anspruchsvolle Ausdrucksmittel des Films (z. Bps. Kontrast- und Parallelmontage, Vor- und Rückblende, Asynchronie von Ton und Bild) sparsam ein, [...] zeigen, welche Welt Kinder immer schon vorfinden und was es bedeutet, in ihr aufzuwachsen...«547 Abraham bezieht diese Kriterien freilich ausdrücklich auf den Kinder- und mit etwas weniger Vehemenz auf den Jugendfilm. Er macht deutlich, dass sie nicht notwendigerweise auf Erwachsenenfilme oder alle Jugendfilme zutreffen müssen.548 Andere Autoren, insbesondere der erklärt Hollywood-kritischen Linie der 1980er bis 1990er Jahre, argumentieren stärker ex negativo anhand von Filmen, die sich nicht nur oder gar nicht an Kinder und Jugendliche richten, von diesen aber gleichwohl konsumiert werden,
544 Letzteres ist ein beliebtes Motiv US-amerikanischer Blue Comedy seit dem Ende der 1990er Jahre. Vgl. z. B. VERRÜCKT NACH MARY (THERE’S SOMETHING ABOUT MARY, USA 1998, R: Bobby Farrelly/Peter Farrelly)./AMERICAN PIE (USA 1999, R: Paul Weitz). 545 Vgl. Abraham, Ulf: Filme im Deutschunterricht, Seelze-Velbert: Kallmeyer in Verbindung mit Klett, 2009. 546 Vgl. Abraham, Ulf: »Kino im Klassenzimmer. Klassische Filme für Kinder und Jugendliche im Deutschunterricht«, in: Praxis Deutsch 29, 2002, S.6-18. 547 Ebd., S.15. 548 Vgl. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.21.
2.3 B ILDUNGSPOLITISCHE UND DEUTSCHDIDAKTISCHE K RITERIEN DER F ILMAUSWAHL
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z. B. auf Video, etwa »Indiana Jones und der Tempel des Todes«549 (FSK: ab 16, in einer gekürzten Fernsehfassung: ab 12) oder »The Fog – Nebel des Grauens«550 (FSK: ab 16). Insofern handelt es sich hier um Kriterien nicht nur einer altersgerechten Filmauswahl, sondern einer allgemeinen Filmkritik, da Kinder und Jugendliche einem unzureichend reglementierten Fernsehprogramm und Videomarkt ausgesetzt zu sein scheinen. In den Qualitätskriterien für kindgemäße Filme, die in der didaktischen Literatur seit den 1980er Jahren entwickelt wurden, findet sich deutlich eine Kontinuität wieder. Sie soll hier nur in Hinblick auf das Qualitätsmerkmal einer linear nachvollziehbaren Organisation von Raum und Zeit, sowie von menschlichen Motivationen und Reaktionen herausgestellt werden. In diesem Sinne verkündet Hans Strobel, der bereits in der Oberhausener Pressekonferenz von 1962 »Papas Kino« für tot erklärte, 1982 in einem neuen Manifest den »Aufbruch zum neuen bundesdeutschen Kinderfilm«: »Durch das übliche Fernsehprogramm [...] wurden die Kinder teilweise daran gewöhnt – wie auch die Erwachsenen, an harten Sachen Spaß zu finden. Ihre Sensationslust ist bereits verschärft. Deswegen haben zunächst die Filme den größten Erfolg, die viel Action enthalten. Von Kinofilmen oder Kinderkino-Programmen erwarten sie zunächst das gleiche, und zwar Schießen, Flucht und Verfolgung. [...] Die Kinder wurden daran gewöhnt, die Bilderflut des Fernsehens über sich ergehen zu lassen. Sie sind bereits mit Eindrücken voll, haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und das Gesehene zu verarbeiten. [...] Kinderfilme haben den Zuschauer ernstzunehmen, ihm zu helfen, mit sich und seiner Umwelt besser fertig zu werden. Kinderfilme sollen das Selbstbewußtsein von Kindern stärken, sie stark machen, damit sie die Schwierigkeiten ihres Alltags leichter bestehen können. [...] Das ermöglicht Kindern, was Erich Kästner das ›Heimweh nach dem Glück schenken‹ nennt.«
551
549 INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES (INDIANA JONES AND THE TEMPLE OF DOOM, USA 1984, R: Steven Spielberg). Beispiel in: H. Schäfer/D. Baacke: Leben wie im Kino, S.243. 550 THE FOG – NEBEL DES GRAUENS (THE FOG, USA 1980, R: John Carpenter). Beispiel in: Lehmhaus, Fritz: »Kinder erleben Fernsehen. Medien – Erziehung – Medienerziehung«, in: Klaus-Ove Kahrmann/Ulrich Ehlers (Hg.): Lebende Bilder. Aufsätze zur Medienpädagogik, Scheersberg: Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung Schleswig-Holstein 1985, S.79-90, hier S.87. 551 Strobel, Hans: »Der Kinderfilm – Kino für alle. Kriterien und Aufgaben«, in: Wolfgang Schneider (Hg.): Aufbruch zum neuen bundesdeutschen Kinderfilm. Beiheft
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Ulrich Ehlers übernimmt diese Vorgaben 1985 und schreibt unter Bezugnahme auf Strobel: »Ein guter Kinderfilm versucht, überschaubare, verständliche, aber auch unterhaltsame Bilder zu liefern. Ein guter Kinderfilm ist glaubhaft, gut inszeniert, gibt die Möglichkeit, sich mit den Hauptdarstellern zu identifizieren und ermöglicht, die Handlung mit eigenem Erleben zu vergleichen. Ein guter Film schafft (Atem-)Pausen [...], um eigene Gedanken, 552
bzw. Fantasien zu entwickeln.«
Ehlers war unter anderem von 1974 bis 2007 Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Jugend und Film Schleswig Holstein (heute Landesverband Jugend & Film). Der Bundesverband Jugend und Film als Dachorganisation der deutschen Landesverbände beteiligt sich an der 1988 gegründeten European Children’s Film Association/Association Européenne du Cinéma pour l’Enfance et la Jeune. 553 So werden diese Kriterien in der (zu Beginn noch west-) deutschen Bildungs- und Kulturpolitik stetig von der Ebene der Bundesländer bis auf die europäische Ebene ausgeweitet. Im ständigen Austausch finden sie ihren Weg freilich auch wieder zurück in deutsche Fachbücher: An den Maßstäben der ECFA orientiert sich beispielsweise Ulf Abraham. Auch das Goethe-Institut als Botschafter des deutschen Films setzt bei der Auswahl von Filmen für die Jugendarbeit Maßstäbe. Diese beinhalten zentral eine Verhaftung der Protagonisten im Lebensumfeld der Zuschauer und eine mögliche Übertragung auf deren persönliche Entscheidungen. So heißt es auf der Seite der Initiative CinéAllemand, bei der eine deutsch-französische Jury die Filme aussucht: »Die Filme führen uns Figuren aus dem Alltag vor Augen, die wir – bewusst oder unbewusst – sehen oder nicht sehen. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem Land werden wir die Protagonisten der Filme wiedererkennen und es ist unsere Entscheidung, ob wir diese Figuren verstehen, akzeptieren, übernehmen oder zurückweisen wollen, indem 554
wir unsere persönlichen Einstellungen und Verhaltensweisen hinterfragen.«
18 zum Bulletin Jugend + Literatur, Hardenbek: Eulenhof-Verlag 1982, S.245-253, hier 251-252. 552 Ehlers (1985), S.76. 553 http://www.ecfaweb.org/ecfnet/quality.php?f=2 (Zugriff: 21.2.2013) 554 http://www.goethe.de/ins/fr/lp/prj/cal/deindex.htm (Zugriff: 21.2.2013)
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Auch bei den filmpädagogischen Einrichtungen des Goethe-Instituts spielt der (hier: fremd-)sprachliche Nachvollzug des Filmgeschehens naturgemäß eine wichtige Rolle. Sie leisten eine »Kombination von Programm- und Spracharbeit«, die »auch Pädagogische Verbindungsarbeit genannt« wird und »die Zielgruppe von geschätzten 20 Millionen Deutschlernenden weltweit« erreichen soll.555 Somit hat sich eine für viele sprach- und literaturdidaktische Empfehlungen (nicht nur des Faches Deutsch) charakteristische Trias herausgebildet: Diese Trias besteht aus filmtechnisch-gestalterischen, dramaturgischen und auch thematischen Kriterien. Zu deren letzteren gehört eine Situierung in Situationen und an Handlungsorten, die Gemeinsamkeiten mit dem kindlichen Erleben und Alltag aufweisen sollen und somit auch ein im Bezug auf diese Erfahrungen fundiertes Identifikations- oder Diskussionspotential. Suggeriert wird somit das Ideal eines formal wie inhaltlich psychologischen und gesellschaftskritischen Realismus, der sich unter den Bedingungen des Kinderfilms mit dem Coming-of-Age-Genre, also der Adoleszenzerzählung verknüpft. Ein Einfluss des unmittelbar zuvor eingesetzten kinderliterarischen Paradigmenwechsels hin zur sozialkritischen Kinder- und Jugendliteratur ist unverkennbar: »Es kommt zur Übernahme all der modernen Romanformen, die erwachsenenliterarisch seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zur Anwendung gelangten, wenn es um die literarische Verarbeitung der neuen, verlängerten Adoleszenz ging – des Entwicklungs-, Bildungs- oder des Adoleszenzromans nämlich. Der «neue«, moderne Jugendroman nimmt Teil an der Exploration der Schwierigkeiten einer Identitätsfindung unter den Bedingungen der Moderne, statt seinen Lesern Ablenkung und Evasion anzubieten, wie es die traditionelle Jugendliteratur zu einem Großteil getan hatte. [...] In der neuen Kinderliteratur ab 1970 werden die Kinder aus den Freiräumen, den teils exotischen Spiel- und Abenteuerwelten zurückgeholt und ins wirkliche Leben gestellt, wo sie für ihre Menschenrechte eintreten sollen. Man nimmt sie «ernst«, belässt ihnen einen Entscheidungsspielraum, respek-
555 Mosig, Tobias: Goethe-Institut e.V.: Weltvertrieb für deutsche Filme? Das GoetheInstitut als kultureller Botschafter des deutschen Films im Ausland und dessen aktuelle Zusammenarbeit mit German Films und den deutschen Weltvertrieben. Schriftenreihe des Erich Pommer-Instituts zu Medienwirtschaft und Medienrecht. Band 3, Berlin: VISTAS Verlag 2008, S.42.
206 | VERFOLGUNGSJAGDEN tiert ihre Entschlüsse, gewährt ihnen Mitsprache und Mitbestimmung, sieht in ihnen nicht 556
mehr Befehlsempfänger, sondern Verhandlungspartner.«
Vorstellungen über die Gestaltungsmittel und Motive aus literarischen Werken des Realismus und Naturalismus sowie aus dem literarischen Genre des Bildungsromans finden somit, wenigstens in groben Zügen, über die sozialkritische Kinder- und Jugendliteratur der 1970er und 1980er Jahre (sowie über diejenige der Neuen Sachlichkeit) ihren Weg in die filmnormative Auslese seit den 1980er Jahren. Der Alltagsbezug der Filme sollte freilich nicht einseitig hergestellt werden. Man sollte sich also im Bildungskontext nicht auf eine Überprüfung des filmischen Realitätsgehaltes beschränken, wobei dieser »Entzauberung« in der stärker defensiv ausgerichteten Literatur mehr Bedeutung zukommt, sie aber auch in produktions- und handlungsorientierten Projekten weiterhin eine Rolle spielt.557 Stattdessen sollen die Filme ihrerseits den Horizont der Kinder und Jugendlichen erweitern. Während jedoch Ines Müller die konstruktivistische Didaktik als Grundlage einer Filmdidaktik wählt, die ausführlich »den Schaffensprozess und die Analyse eines Films zum Ausgangspunkt von Filmbildung macht, um Lernenden einen praxisorientierten Zugang zum Film zu ermöglichen«558, steht bei der Erziehung zum »guten (Kinder-) Film« hingegen vor allem der Transfer auf die eigene gesellschaftliche Positionierung und auf geeignete Strategien zur Konfliktlösung im Vordergrund. Dabei wird das alltägliche Umfeld in den Konzepten des Goethe-Instituts oder des European Children’s Film Networks noch verstärkt auch in einem pluralistischen, transnationalen Zusammenhang gesehen.
556 Ewers, Hans-Heino: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Eine problemgeschichtliche Skizze. http://user.uni-frankfurt.de/~ewers/links/Untitled4.1. htm#a 557 Vgl. z. B. Möller-Rösch, Ursula: »Medienkritik und Medienanalyse im Schulfernsehen. Ein Erfahrungsbericht«, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.)/ Marhild Hoffmann/Gernot Dallinger (Red.): Medienkritik im Blickpunkt. Plädoyer für eine engagierte Programmkritik, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1988, S.164-178./Schöwer, Christiane: »Entzauberung der Medien durch ihren Gebrauch. Grundschüler produzieren ein Hörspiel und eine Reportage im Rahmen eines Forschungsprojekts«, in: Kinderfernsehen – Fernsehkinder. Vorträge und Materialien einer medienpädagogischen Fachtagung mit Programmachern, Pädagogen und Medienforschern im September 1989 in Mainz. Redaktion: Margit Krukow, Imme Horn, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1991, S.135-145. 558 I. Müller: Filmbildung in der Schule, S.60.
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Auf irritierende Begegnungen mit dem Fremden in diesem Zusammenhang mögen Filme vorbereiten. Auch hier genießt also, in weit vorsichtigeren Worten als bei Balázs freilich, der Film eine prominente Rolle als zumindest kontinentales Verständigungsmedium: »Der Film repräsentiert dabei eine Kommunikationsform, die sowohl innerhalb einer Nation als auch zwischen verschiedenen Nationen und Kulturen verwendet wird. Somit spielt neben der kulturellen Funktion des Films auch eine, mit ihr eng verknüpfte, (kultur-) politische Komponente eine tragende Rolle. Auch wenn diese auf den ersten Blick im Widerspruch zum künstlerischen Aspekt zu stehen scheint, mag der kulturellen Funktion die damit einhergehende pädagogische, psychologische und soziologische Bestimmung des Mediums Film gedanklich wieder etwas näher kommen.«
559
Der Transfer kann auch mit produktions- und handlungsorientierten Methoden erfolgen; im Zweifelsfall geht es aber dem Vokabular nach eher darum, auf diesem Weg bürgerliche Teilhabe an der medialen Öffentlichkeit und am kulturellen Erbe zu bewirken; wenn dabei auch Cineasten und Filmkünstler ausgebildet werden, ist dies ein begrüßenswerter Bonuseffekt.
559 T. Mosig: Goethe-Institut e.V.: Weltvertrieb für deutsche Filme? S.124.
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Insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren bedeutete das Ziel der Enkulturation für einen Großteil der medienpädagogischen Literatur, dass sich ihre Autoren wertend von den Filmen abgrenzten, deren Themen, Figuren und Konfliktlösungen »wörtlich« beziehungsweise »bildlich« genommen als unvereinbar mit dem zivilen bürgerlichen Leben erschienen. Gemeint sind für gewöhnlich Werke der Genres Fantasy, Action, Horror, Thriller und Science Fiction. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren gehören dazu auch Western, die damals noch regelmäßig gedreht wurden und in vieler Hinsicht einen Vorgänger des modernen Actionkinos darstellen.560 So erhält das 1978 ins Leben gerufene KinderFilmFest im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin im Jahr seiner Eröffnung positive Pressereaktionen, weil es Kindern eine Alternative zu solcher Genrekost bietet: »Besser als DRACULA und KING KONG finden Berliner Gören zur Zeit den WELTVERBESSERER OTTOKAR oder den HUND KLECKS, die gemeinsam mit anderen realistischen Kinderfilmen aus aller Welt in diesem Jahr zum ersten Mal in der Berlinale laufen.«561 Hier wie auch in der Selbstdarstellung der Festivalorganisation wird wohlwollend deutlich gemacht, dass die für die Zielgruppe getroffene Auswahl auf die Initiative der Kinder als kritischer, aufbegehrender (= frecher) und fordernder Akteure lediglich reagiert: »›Warum machen Sie immer nur Kino für die doofen Erwachsenen? Wir wollen unser eigenes Programm.‹ So wurde Berlinale-Chef Wolf Donner im Jahr seines ersten Festivals (1977) von Berliner Kindern bestürmt und gefragt. Und ein Jahr später boten die Interna562
tionalen Filmfestspiele Berlin zum ersten Mal ein eigenes Kinderfilm-Programm an.«
560 Vgl. Hessisches Institut für Bildungsplanung und Schulentwicklung (Hg.): Materialien zum Unterricht. Deutsch 1. Western. Darstellen, Filmen, Besprechen. Unterrichtseinheit für heterogene Lehrgruppen, 7. Jahrgangsstufe, Frankfurt a.M./Berlin/ München: Verlag Moritz Diesterweg, 1977. 561 Schmidt-Abels, Georg, dpa, zitiert nach: Internationale Filmfestspiele Berlin (Hg.): 10 Jahre KinderFilmFest 1978-1987. Dokumentation: Filme und Ereignisse. Redaktion: Manfred Hobsch/Renate Zylla. Berlin: Internationale Filmfestspiele Berlin, 1987, S.7. 562 Internationale Filmfestspiele Berlin (Hg.): 10 Jahre KinderFilmFest 1978-1987. Dokumentation: Filme und Ereignisse. Redaktion: Manfred Hobsch/Renate Zylla. Berlin: Internationale Filmfestspiele Berlin, 1987, S.7.
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In den ersten beiden Jahren werben die Veranstalter mit dem Slogan »Kino für Leute ab sechs« und zeigen als Plakatmotive keine kommenden filmischen Attraktionen, sondern Kinder als aktive, fröhliche und souveräne Zuschauer.563 Die Botschaft ist deutlich: Die Kinder sollen als gleichberechtigt ernstgenommen werden, die mit (Genre-)Filmen (aber auch traditioneller, lehrer- beziehungsweise erwachsenenzentrierter Erziehung) gemeinhin verbundene Haltung passiver Konsumenten steht nicht zu befürchten. In einem Handbuch zu Grundlagen, Methoden und Didaktik der Filmanalyse von 1980 kategorisiert Michael Schaaf »Konsumfilme« (also Genrefilme in Abgrenzung zum Autorenkino) nach dem Grad ihrer Deckungsgleichheit mit der »Realität«: »Der Unterhaltungsfilm (Slapstick, Komödie, Comic [gemeint ist wohl der animierte Cartoon]) hat die Funktion, den Rezipienten zu entspannen. Seine Handlungen sind konfliktlos, seine Machart ist schlicht. Gags und Action bilden das Handlungsgerüst. Der realitätsbezugsfreie Film (Western, Science-Fiction, Horrorfilm etc.) zeigt eine Welt der Gefahren und Kämpfe. Der Zuschauer wird von der Handlung angespannt und erregt. Er identifiziert sich mit dem Handlungsträger, der meistens das Prinzip des Guten verkörpert und zum Schluß in den meisten Fällen siegt. [...] Der scheinbar realitätsbezogene Film (Agentenfilm, Kriminalfilm, Sexfilm etc.) zeigt eine Traumwelt, in der die Helden ihre Abenteuer bestehen. Der Rezipient, der – in diese Traumwelt versetzt – sich von seinen Alltagsproblemen lösen kann, findet im Film eine Fülle von Konsumartikeln, mit denen die Traumwelt ausgestattet ist. Diese Konsumartikel [...] wird er kaufen wollen, um in 564
sein eigenes Leben ein wenig von der Traumwelt des Films zu transferieren.«
Hier ist zwar noch nicht von Media Franchises beziehungsweise in der Sprache der Deutschdidaktik von »Medienverbünden«, sondern von einzelnen Filmen die Rede. Dennoch wird hier bereits ein wesentlicher Aspekt der Dynamik deutlich, die Klaus Maiwald später Medienverbünde wie folgt definieren lässt: als »planvoll erzeugte fiktional-ästhetische Erlebnis- und Konsumzonen«.565 Als wichtig für Maiwalds Definitionsfindung erwies sich Donald Winnicotts Begriff der Übergangsobjekte (zur Vermittlung zwischen der subjektiven Phantasie und ob-
563 Vgl. Internationale Filmfestspiele Berlin: 10 Jahre KinderFilmFest 1978-1987. Titelblatt. 564 Schaaf, Michael: »Theorie und Praxis der Filmanalyse«, in: Silbermann, Alphons/Schaaf, Michael/Adam, Gerhard: Filmanalyse. Grundlagen – Methoden – Didaktik, München: Oldenbourg 1980, S.35-140, hier S.45. 565 K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.39.
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jektiver Umwelt).566 Dieser wurde ergänzt durch Ulf Abrahams Übergangsräume der fiktionalen Welten (zur Erprobung kreativer Selbstständigkeit). 567 Außerdem bezog sich Maiwald auf Wicklunds und Gollwitzers Theorie der Selbstergänzung durch Symbole (um zwischen defizitärer Realität und Idealvorstellung zu vermitteln).568 Wie später in gesteigertem Maße die Media Franchises halten die nach Schaaf »scheinbar realitätsbezogenen Filme« in den Worten Maiwalds »nicht nur Texte [im erweiterten Textverständnis], sondern entsprechende Artefakte als materiale Übergangsobjekte parat.«569 Es wäre nun möglich, als eine weitere Komponente der medienpädagogischen Auswertung von Genrefilmen die Kritik an den Filmen als Marketingvehikeln zu erfassen. Diese Kritik tritt in der Tat regelmäßig auf und so wie die Kritik am Militarismus den Namen des Vietnam-Revanchisten »Rambo« zu einem festen Begriff macht (»Rambo, der; -s, - s ‹ nach dem amerik. Filmhelden) [ugs. für jmd., der sich rücksichtslos u. mit Gewalt durchsetzt]«570), hat die Konsumkritik als Trigger den TV-Serientitel »Dallas«571. Die heftige Kritik an dem Eröffnungsfilm des KinderFilmfestes 1984, »Kidco«572, beginnt etwa mit dem Vergleich: »Ein DALLAS für Kinder mit dem Appell, alle Kräfte für private, finanzielle Bereicherung für die eigenen kleinen Belange zu mobilisieren, und dies, nachdem gesagt wurde, daß jede Sekunde auf dieser Welt ein Kind an Unterernährung stirbt. Der perfekten Machart des Films ist nicht nur die Auswahlkommission aufgesessen.«573 Christel und Hans Strobel schreiben zur sel-
566 Vgl. Donald Winnicott: Vom Spiel zur Kreativität. 567 Vgl. Abraham, Ulf: Übergänge: Literatur, Sozialisation und Literarisches Lernen, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1998. 568 Vgl. Wicklund, Robert A./Gollwitzer, Peter M.: Symbolic Self-Competion, Hillsdale, New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates, 1982. 569 K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.40. 570 Dudenredaktion (Hg.): Duden Rechtschreibung der deutschen Sprache. Redaktion: Dr. Werner Scholze-Stubenrecht/Dr. Matthias Wermke in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. h. c. Günther Drosdowski u.a. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag, 1996. 571 DALLAS ( USA/CAN 1978-1991, Creator: David Jacobs). 572 KIDCO (USA 1984, R: Ronald F. Maxwell). 573 Fried, Marco in: Die Wahrheit. 29. Februar 1984. Zitiert nach: Internationale Filmfestspiele Berlin (Hg.): 10 Jahre KinderFilmFest 1978-1987. Dokumentation: Filme und Ereignisse. Redaktion: Manfred Hobsch/Renate Zylla, Berlin: Internationale Filmfestspiele Berlin, 1987, S.59.
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ben Vorstellung: »Das Argument, daß sich die kleinen Zuschauer bei diesem Film amüsierten (›endlich mal ein Film, in dem die Kinder stark sind‹) ist angesichts eines Machwerks, das den ›american way of life for children‹ propagiert und die Rücksichtslosigkeit und den Egoismus einer Reagan-Ära widerspiegelt, unhaltbar.«574»Dallas«, die Serie über die (durchaus intrigante) Mineralölindustriellenfamilie Ewing wird zum Inbegriff der Reaganomics. 575 Dietrich Leder stellt etwa die These auf, dass »Dallas« nicht nur die Berichterstattung über den Gau von Tschernobyl verdrängte,576 sondern auch eine Imagekorrektur der USamerikanischen Nation am Beispiel der Stadt Dallas (bis dahin international vorwiegend als Tatort des Attentates an John F. Kennedy bekannt) vorgenommen hat.577 Zudem wird ihr zugerechnet, sie habe dabei geholfen, die »Familie Bush als Präsidentenfamilie mental und ikonographisch vorzubereiten«578. In jedem Fall rief sie eine Reihe auch deutscher Nachfolgeserien auf den Plan und wurde somit zusätzlich zum Inbegriff der Soap Opera. Häufige Kritikpunkte an den Soaps waren ihre Zuschauerbindung durch den Sog der CliffhangerDramaturgie und ihr Einfluss auf die öffentlich-rechtliche Programmgestaltung.579 »Auch in anderer Hinsicht setzte »Dallas« Maßstäbe. Mit einem großen Angebot mit Merchandising-Artikeln wurde erstmals eine erwachsene Zielgruppe mit allerlei Gegenständen des alltäglichen Bedarfs versorgt... [...] Der vermeintliche Luxus der Ewings wurde nun für jedermann erschwinglich angeboten. [...] Damit hat die Serie nachhaltig die Ökonomie der Serienproduktion seit Mitte der 1980er Jahre des 20. Jahrhunderts beein580
flusst.«
574 Strobel, Christel/Strobel, Hans in: Kinder/Jugendfilm-Korrespondenz. Nr. 18/2’84. 575 Vgl. Ang, Ien: Das Gefühl Dallas. Zur Produktion des Trivialen (Het geval Dallas/Watching Dallas. Aus dem Englischen von Adriane Rinsche), Bielefeld: Daedalus Verlag, 1986. 576 Vgl. auch den Film: AM TAG, ALS BOBBY EWING STARB (DE 2005, R: Lars Jessen). 577 D. Leder: Medienkritik zwischen subjektiver Einschätzung und objektiven Kriterien, S.20-21. 578 Khan, Sarah: Dr. House. Zürich-Berlin: diaphanes, 2013, S.40. 579 Vgl. Mikos, Lothar: »Dallas«, in: Thomas Klein/Christian Hißnauer (Hg.): Klassiker der Fernsehserie, Stuttgart: Phillip Reclam jun. 2012, S.125-133. 580 L. Mikos: Dallas, S.130.
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Einige Strategien, die im Diskurs um Film, Fernsehen und Video in den 1980er und mit nachlassender Intensität in den 1990er Jahren bis heute zu finden sind, greifen selbstverständlich weiter in die Vergangenheit der Medien- und Kulturkritik zurück. Sie erreichen aber angesichts der zusammenwirkenden zeitgenössischen Tendenzen – des verstärkt crossmedialen Marketings in Media Franchises in einer Ausrichtung am Familienpublikum sowie der neoliberalen Marktpolitik und der als konfrontativ wahrgenommenen Außenpolitik der NATO – eine bis dahin unerreichte Verdichtung und Intensität in den Texten der Medienpädagogik und Mediendidaktik. Besagte Konstanten lassen sich auf die in Tabelle 1 dargestellten Gegensatzpaare bringen, die sich in mal mehr, mal weniger umfassender Weise in den Texten finden und mal expliziter, mal impliziter in Bedingung zueinander gesetzt werden. Allerdings werden diese Bewertungskriterien in den Texten, in die sie Eingang gefunden haben, verschieden prioritär angewendet. Auch kann in der Bewertung ein tendenziell positiv besetzter durchaus einen negativ besetzten Aspekt ausgleichen. Oder er kann Werk und Rezeptionshaltung doch differenziert erscheinen lassen, etwa in der Studie zu der ZDF-Serie »Hals über Kopf«581, die Jan Uwe Rogge unter dem Titel »Trotz Action und schneller Schnitte nahe am kindlichen Alltagserleben« veröffentlicht hat582:
581 HALS ÜBER KOPF (BRD 1987-1990, Redaktion: Bärbel Lutz-Saal). 582
Rogge, Jan Uwe: »Trotz Action und schneller Schnitte nahe am kindlichen Alltagserleben. Ergebnisse einer Erhebung zu Rezeption, Akzeptanz und Verarbeitung von ›Hals über Kopf‹«, in: Kinderfernsehen – Fernsehkinder. Vorträge und Materialien einer medienpädagogischen Fachtagung mit Programmmachern, Pädagogen und Medienforschern im September 1989 in Mainz. Redaktion: Margit Krukow, Imme Horn, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1991, S.255-259.
2.5 D ER K ONSENS DER
MEDIENKRITISCHEN
K ONTRASTIERUNG
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Tabelle 1: Konstanten der medienkritischen Kontrastierung Dimension
kind-/jugendgemäßer Film
Rezeption
Kritik Auswahl Phantasie Sprachliche Verarbeitung Konfliktlösung lernen Rezeptionsumgebung: Festival/Programmkino Alltag Realismus Entwicklung Problematisierung von Missständen Offenlegung psychologischer und gesellschaftlicher Motivation Linearität Kontinuität Handlungszusammenhang Leerstellen als Reflexionsräume Vertiefung Pausen
Filmgehalt
Filmische Mittel
Produktion
nicht kind-/jugendgemäßer Film Konsum Sucht Nachahmung Sprachlosigkeit Gewaltausbruch Rezeptionsumgebung: Fernsehen/Video Genre Eskapismus Dualismus Gewaltverherrlichung (Militarismus) Affirmation des Systems (Kapitalismus) Simultaneität Sprung-/Episodenhaftigkeit Bilderflut Technische Perfektion
Weltkino
Effekte Tempo (Schnittgeschwindigkeit, schnelle Kamerafahrten) USA/Hollywood
Autorenfilm/Filmkollektiv
Filmindustrie
»Eltern lehnen den überzogenen Klaumauk und die Actionstrukturen ab. Sie wenden sich gegen die ihrer Meinung nach ›hektische Musik und Bilderfolge‹ und können sich nur selten auf die Verfremdungen einlassen. [...] Überforderung entnehmen die Eltern dem Nutzungsverhalten ihrer Kinder, die lachen, gefühlsbetont reagieren, unruhig sind, kommentieren, anfangen, sich zu bewegen. Die Reihe erfordert/fördert einen aktiven, jedoch nicht einen schweigenden Zuschauer. Da sich schöpferische Unruhe aus elterlicher Sicht häufig als störend erweist, kritisiert man ›Hals über Kopf‹. [...] Trotz der Rasanz, der Lebendigkeit und der Action-Momente hat ›Hals über Kopf‹ eine dem Kind angemessene Drama-
214 | VERFOLGUNGSJAGDEN turgie. Dies unterscheidet ›Hals über Kopf‹ von anderen beliebten Serien (z. B. ›Knight Rider‹), die auf die Rettung in letzter Minute zusteuern und die dem Zuschauer häufig 583
völlig in den Bann schlagen, ihm keine Zeit zum Mitvollziehen lassen.«
Wie sich hier exemplarisch zeigt, wird die grundsätzliche Opposition der Diskursordnung jedoch nicht in Frage gestellt. Es werden stattdessen die Grenzen ausgeweitet und Präferenzen der Kinder, die über die Peripherie des großzügiger abgezirkelten Kreises hinausgehen, etwa für die US-amerikanische Sci-Fi-/ Actionserie »Knight Rider«584, werden in den Erklärungszusammenhang einer scheiternden familiären Erziehung gesetzt: »Kinder, die von einem gefühlsmäßig ›leeren‹ Familienklima geprägt sind, die sich minderwertig und allein gelassen vorkommen, die eine nur schwach ausgebildete Identität besitzen und die über wenig Selbstbewußtsein verfügen, lehnen ›Hals über Kopf‹ aus thematischen Gründen ab. Sie [...] sind nicht in der Lage, diese positiv, produktiv und kreativ in die eigenen Alltagserfahrungen einzubinden. [...] Für solche Rezipienten bietet ›Knight Rider‹ imaginäre Fluchtmöglichkeiten, gestatten solche Serien narzißtische Größenphantasien, ein Abtauchen in eine innere Realität, die in der Vorstellungswelt das gestattet, was die äußere Wirklichkeit verwehrt. Während bei ›Hals über Kopf‹ der Weg aus der inneren in die äußere Realität führt, geht der Weg bei ›Knight Rider‹ umgekehrt.«585
Freilich hat die Medienkritik als Kritik an der Konsumgesellschaft je nach politischer Ausrichtung unterschiedliche Stoßrichtungen, die sich von vagen Antiamerikanismen zu theoretisch eingebetteten Analysen des Mediums im Kapitalismus erstrecken. Franz Josef Degenhardt bringt zum Beispiel die kommunistische Perspektive auf die Film- und Fernsehunterhaltung als Verblendungszusammenhang zum Ausdruck. In seinem »Lullaby zwischen den Kriegen« von 1983 spekuliert er seinerseits auf starke Affekte. Dazu dient ihm die dialektische Zuspitzung von Gegensätzen als poetisches Mittel: »Nimm meine Faust und wünsch dir was. Ja, unsere Fenster sind schußsicheres Glas./ Und der galaktische General/ mit den Tressen aus Milchzähnen, den Fingern aus Stahl,/
583 Ebd., S.256. 584 KNIGHT RIDER (USA 1982-1986, Creator: Glen A. Larson). 585 J.-U. Rogge: Trotz Action und schneller Schnitte nahe am kindlichen Alltagserleben, S.258.
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zieht sich Pantoffeln an, spielt mit E.T./ Wie lang eine Nacht langt, das weiß man nie./ Natürlich, das Mädchen ohne Beine und Hand/ unter den Trümmern im Morgenland,/ im Arm noch die Puppe, die Schleife im Haar,/ hat nichts mehr gespürt, als es soweit war./ [...] Nein, das Rauschen ist nicht im Fernsehgerät,/ das ist ein Flieger, der fliegt noch so spät./ Aber nein, der stürzt ganz gewiß nicht ab,/ nämlich das ist der strategische Stab,/ der macht einen Ausflug nach Engeland./ Nein, Stuttgart ist noch nicht abgebrannt./ Ja, Mr. Spock von der Enterprise,/ der ist dabei, weil er alles weiß./ Der beamt uns vielleicht auf den grünen Planet,/ wo deine Mutter am Info-Stand steht./ Die Unterschriftliste ist sicher schon voll,/ dann treibt es Herr Reagan nicht mehr so toll./ [...] Wir hören uns dafür, was der schwarze Mann/ in der Silberhose so lustig singt, an:/ Daß morgen ganz sicher der Morgen beginnt/ und Bobby Ewing doch noch gewinnt./ Ja, Max und Moritz, die beiden sind tot,/ die sind zermahlen zu braunem Schrot./ Ja, Donald Duck, der hat das gefressen./ Ja, auch den bösen Wolf, den kannst du vergessen,/ Mickey Mouse hat uns davon befreit./ 586
Die Mainzelmännchen, die wissen Bescheid.«
Als Anstoß der oft leidenschaftlich vorgetragenen kritischen Reaktionen in der Literatur dieser Zeit tritt die ideologische Beeinflussung durch Filme jedoch ebenso wie Product Placement deutlich zurück hinter die Darstellung von körperlicher Gewalt in den Genres.
586 LULLABY ZWISCHEN DEN KRIEGEN, Track 1 auf dem Album: FRANZ-JOSEF DEGENHARDT: LULLABY ZWISCHEN DEN KRIEGEN, Deutsche Grammophon Gesellschaft: Hamburg 1983.
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Die Kritik an der Gewalt in den Medien ist nicht an die marxistische Analyse oder die Kritische Theorie gebunden, sondern verläuft quer durch die politischen Lager. Sie lässt im Verlauf der 1980er Jahre bis ’90er Jahre auch nicht nach, während die historisch-materialistische Beurteilung weniger präsent wird. Die Detailgenauigkeit von Gewaltdarstellungen im Film nimmt seit den 1970er Jahren tatsächlich signifikant zu587, wird aber erst durch die Einführung der Videorecorder in die häusliche Sphäre in ihrem ganzen Ausmaß wahrgenommen. »Als Form der Mattscheiben-Kommunikation findet Video-Konsum zu Hause [...] statt bzw. innerhalb eines Grades öffentlicher Privatheit und privater Öffentlichkeit, deren Zusammensetzung und deren Grenzen der Veranstalter der Fleischbeschau selbst definieren kann. Dies beseitigt sehr weitgehend soziale Hemmungen und Hürden, wie sie etwa in der sozialen Form der Kino-Kommunikation gegeben sind, und sei die Abspielstätte auch 588
noch so verrucht.«
In seiner »kleine[n] Antwort auf die innenweltverschmutzenden Videofilme« formuliert Ulrich Ehlers etwa das Lernziel »Stell Dir vor, es gibt einen Zombie und keiner geht hin!?«589 und setzt den phantastischen Horrorfilm oder doch zumindest den Splatterfilm damit vor dem Hintergrund der bekannten Losung der deutschen Friedensbewegung590 parallel mit dem Krieg an sich. Michael Schaaf betrachtet die Gewalt hingegen durchaus als kathartisch: »Im Film kann der Rezipient sein gesamtes Bedürfnis nach Abenteuer und Heldentum abbauen. Nach Filmende ist er froh, wenn er in die Eintönigkeit, aber Gefahrlosigkeit seiner Umwelt zurück-
587 Vgl. Höltgen, Stefan: »Take a Closer Look. Filmische Strategien der Annäherung des Blicks an die Wunde«, in: Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Metelling (Hg.): Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, Berlin: Bertz + Fischer, 2006, S.20-28. 588 Zielinski, Siegfried: »Der Videorecorder als Durchlauferhitzer. Anregungen zum öffentlichen Nachdenken über Videoexzesse«, in: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse 14 (1984), S.9-13, hier S.10. 589 U. Ehlers: Eine kleine Antwort auf die innenweltverschmutzenden Videofilme, S.74. 590 »Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.« Nach Carl Sandburg: »Sometime they’ll give a war and nobody will come.« In: Sandburg, Carl: The People, Yes. New York: Harcourt, Brace and company, 1936, S.43.
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kehren kann.«591 Dabei geht Schaaf von dem Kinobesuch als Ort der Filmrezeption aus – VHS hat sich zu Beginn der 1980er Jahre noch nicht auf breiter Ebene durchgesetzt und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zeigt keine oder keine ungekürzten Splatterfilme. Zudem betrachtet Schaaf die Gewalt im Genrefilm aus einer ideologiekritischen, der Frankfurter Schule nahen Perspektive eher als systemstabilisierend: »Der Zuschauer erlebt den Vollzug der gewalttätigen Rache stellvertretend für eigene Unterdrückung und Erniedrigung. Der Dreck der DjangoFilmkulissen läßt ihn trotz seiner Bedeutungslosigkeit im realen Leben die vertraute und sichere Umgebung seines Hauses und Arbeitsplatzes vorziehen.«592 Mit dem Video ziehen diese medialen Gewaltdarstellungen virtuell und den Befürchtungen der Pädagogen zufolge auch verstärkt real in die häusliche beziehungsweise schulische Sphäre ein: »Mit dem Medium Video verbinde ich momentan in erster Linie Horror- und Gewaltfilme, Pressemeldungen von grausamen Gewalttaten nach dem ›Genuß‹ von Zombiefilmen und ähnlichen Video-Greuelwaren, Videotheken, die in meiner Wohnumgebung wie Pilze aus dem Boden schießen, Schüler, die sich montags gegenseitig mit Wochenend-VideoKonsum-Stunden zu überbieten suchen«.
593
Mit der Verbreitung der Videos scheint der »Leidensdruck« auf die Kinder und Jugendlichen, in jedem Fall aber auf die Medienpädagogen zuzunehmen. Entlang der Linie steigender Verkaufszahlen von Recordern und Kassetten ist jedoch kein Bruch in der Einschätzung der Auswirkungen von Gewaltdarstellungen zu konstatieren. So bezieht sich Schaaf zwar noch nicht auf die Videos. Er vertritt jedoch bereits die Ansicht, dass Gewalt im Film zur Imitation animiert anstatt kompensatorisch zu wirken, sobald im Kinosaal nicht nur Erwachsene sitzen, da »zumindest junge Menschen ihre Einstellungen weit eher durch den Einfluß eines Kinofilms ändern als durch gedruckte oder verbale Vermittlung.«594 »[D]ie Ankündigung im Werberatschlag [macht] deutlich, daß vorwiegend ein jugendliches Publikum anvisiert wird. Das Druckklischee zeigt Django in einer Schußstellung, die
591 M. Schaaf: Theorie und Praxis der Filmanalyse, S.45. 592 Ebd., S.90. 593 Harder, Susanne: »Seh(n)sucht im Videoland. Fünf Tage praktische Videoarbeit«, in: Klaus-Ove Kahrmann/Ulrich Ehlers (Hg.): Lebende Bilder. Aufsätze zur Medienpädagogik. Scheersberg: Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung Schleswig-Holstein, 1985, S.21-42, hier S.21. 594 M. Schaaf: Theorie und Praxis der Filmanalyse, S.139.
218 | VERFOLGUNGSJAGDEN ihn als professionellen Pistolenschützen ausweist. Damit wird er als Identifikationsfigur für eine Gruppe von Zuschauern verkauft, deren Lebensziel die Möglichkeit ist, sich mit 595
Gewalt gegen andere durchsetzen zu können.«
So wie Action und schnelle Schnitte im Beispiel »Hals über Kopf« durch den Alltagsbezug der Handlung aufgewertet werden, kann aber auch ein Western eine Rechtfertigung als Unterrichtsgegenstand erfahren, wenn er über sein Genre hinauszuweisen scheint. Dies führt Schaaf am Beispiel »Zwölf Uhr mittags«596 vor. »Zwölf Uhr mittags« wird in seiner Lesart als Anspielung auf den McCarthyismus597 gegen die scheinbar typischeren, nationalmythischen Western (wie der thematisch ähnliche »Rio Bravo«598) positioniert wird, so auch von Schaaf. Allerdings gibt Schaaf aus der Perspektive eines marxistischen Analyseverfahrens die Möglichkeit einer Deutung des Films als »staatsbürgerliche Lektion im Sinne eines spätkapitalistischen Imperialismus«599 an. Mit seinem Ruf »als ›Edelwestern‹, als einer mit Botschaft, dessen Story sich nicht selbst genug ist«600 und »der das Genre Western auf die Ebene der ›Diskussionsfilme‹ [!] gehoben hat«601, wurde »12 Uhr mittags« teilweise zwar als belehrend und prätentiös kritisiert.602 Wie André Bazin über den Film als »Überwestern« schrieb: »[S]icher ist, daß das sehr geschickte Drehbuch [...] versucht, eine Geschichte, die auch in einem anderen Genre gut hätte entfaltet werden können, mit einem klassischen Westernthema zur Deckung zu bringen. Das heißt, er behandelt dieses wie eine Form, die einen Inhalt braucht.«603
595 Ebd., S.90-91. 596 ZWÖLF UHR MITTAGS (HIGH NOON, USA, 1952, R: Fred Zinemann). 597 Vgl. Karasek, Hellmuth: Mein Kino. Die 100 schönsten Filme. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 1994, S.257./Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Die 100 besten Kultfilme. Von ›Metropolis‹ bis ›Fargo‹, München: Wilhelm Heyne Verlag, 1998, S.643. 598 RIO BRAVO (USA, 1959, R: Howard Hawks). 599 M. Schaaf: Theorie und Praxis der Filmanalyse, S.127. 600 Prinzler, Hans Helmut: »Zwölf Uhr mittags«, in: Bernd Kiefer/Norbert Grob unter Mitarbeit von Marcus Stiglegger (Hg.): Filmgenres: Western, Stuttgart: Phillip Reclam jun., 2003, S.154-160, hier S.157. 601 M. Schaaf: Theorie und Praxis der Filmanalyse, S.125. 602 Vgl. z. B.: H. H. Prinzler: Zwölf Uhr mittags, S.159./Jeier, Thomas: Der WesternFilm. München: Wilhelm Heyne Verlag, 1987, S.112. 603 Bazin, André: »Die Entwicklung des Westerns«, in: André Bazin: Was ist Film? (Qu’est-ce que le cinéma? Aus dem Französischen von Robert Fischer und Anna
2.6 D ER FILM ALS M EDIUM DER G EWALT
| 219
Eben diese Orientierung an der Geschichte anstelle der genretypischen Form trugen ihm aber einen kanonischen Status ein, sofern man in Hinsicht auf Filmbildung von einem deutschen Kanon sprechen kann. So findet sich noch 20 Jahre nach Schaafs exemplarischer und ausführlicher didaktischer Erschließung in seinem Kapitel »Zur Didaktik der Filmanalyse«604 »12 Uhr mittags« im Deutschbuch für die Oberstufe des Cornelsen-Verlags605 und aktuell beispielsweise im vom Kreismedienzentrum Hildesheim organisierten Niedersächsischen Filmkanon.606 Seine Aufwertung zum Unterrichtsgegenstand erfährt der Film durch Abgrenzung von seinem Genre als »einer der wenigen vielleicht authentischen Western«607, in dem »gegenüber anderen Western [...] das gesprochene Wort [...] eine große Rolle«608 spielt. Einmal mehr werden vermeintliche Authentizität und Sprachlichkeit also zu Qualitätskriterien, als zentrale Rechtfertigung hinsichtlich der auch hier präsenten Gewaltdarstellung wird jedoch die Vermeidung genreüblicher Stereotype hervorgehoben: »Er kehrt viele Stereotype des Western um [...]. So dreht Zinnemann genau betrachtet einen Film gegen den Western, zumindest gegen die Selbstverständlichkeit, mit der im Trivialwestern [...] der Vollzug von Gerechtigkeit [...] vorgetäuscht wird.«609 Wird auf formaler Ebene die hohe Veränderlichkeit und Varietät von Sinneseindrücken im Film traditionell als ständige Überforderung problematisiert, wird umgekehrt gerade die Statik von Typisierungen und die hohe Beständigkeit und Wiedererkennbarkeit von Motiven auf der inhaltlichen Ebene negativ gesehen; kommen beide Faktoren zusammen, erhöht sich demnach das Gewaltrisiko bei den Rezipienten.
Düpee). Hg. von Robert Fischer. Mit einem Vorwort von Tom Tykwer und einer Einleitung von François Truffaut, S.267-277, hier S.270. 604 M. Schaaf: Theorie und Praxis der Filmanalyse, S.119-140. 605 Einführung in Filmanalyse am Beispiel von »Lola rennt« und »12 Uhr mittags« in: Biermann, Heinrich/Schurf, Bernd: Texte, Themen und Strukturen. Deutschbuch für die Oberstufe, Cornelsen: Berlin 2001, S.432-446. 606 Vgl. Der Niedersächsische Filmkanon. http://nline.nibis.de/filmkanon/menue/ nibis.phtml?menid=1060&PHPSESSID=8b12e50462597099071bbeabcd1b8bf5 607 M. Schaaf: Theorie und Praxis der Filmanalyse, S.129. 608 Ebd., S.134. 609 Ebd., S.128-129.
220 | VERFOLGUNGSJAGDEN
2.7 S TEREOTYPE
IN
M EDIA F RANCHISES
Die Genres, aber insbesondere die Genrefilme der Media Franchises seit den 1980er Jahren, scheinen unter anderem aufgrund ihrer mit der Videoclipästhetik des MTV-Zeitalters zunehmenden visuellen und auditiven Dynamik verstärkt auf inhaltliche Stereotype zur Orientierung angewiesen zu sein. Sie benötigen den Wiedererkennungswert des Markenkerns für Fortsetzungen und für das Branding der Merchandisingartikel. Eines der grundsätzlichen Erfolgsprinzipien in Hollywood ist die selbstähnliche Reproduktion.610 Diese systematische Selbstreferentialität der US-Filmwirtschaft erleichtert den kreativen Prozess nicht nur der Dreharbeiten, sondern auch der Werbung und des Merchandisings. Wie bei den Filmen selbst greift man bei Spielzeug auf alte Kunststoffgussformen und Konzepte zurück; so verkaufte die Firma Mattel das Playset »Slime Pit«, das 1986 zu der von deutschen Medienpädagogen weitgehend abgelehnten TV-Serie »He-Man«611 im Handel erschien, im Jahr 2001 überarbeitet unter dem Logo der als Beitrag zur Leseförderung begrüßten »Harry-Potter«-Adaptionen als »Harry Potter Slime Chamber Playset«, obwohl ein solcher schleimtriefender Schlangenturm in deren Handlung überhaupt keine Rolle spielt. Es erschien dann noch einmal als »Mutant Slime Pit« in stärker veränderter Fassung zum Relaunch des »Masters-of-the-Universe«-Franchises im Jahr 2003. Gleichwohl ist, so verschieden die Franchises auch sein mögen, hinter beiden wirksam die tradierte Konnotation der Schlange beziehungsweise des Reptils als Symbol »des Todes, der Zerstörung, des Bösen, der Verführung und des Teufels«612. Deren Gift wird hier mit dem 1976 eingeführten aus Guaran hergestellten Mattel-Erfolgsprodukt »Slime«, einem Inbegriff synthetischer Spielzeugproduktion, zu einem narrativen Zusammenhang verbunden, der wiederum an den Verlust der Unschuld und den Ursprung der Erbsünde gemahnt, denn der Schleim verändert die ihm ausgesetzten Figuren durch Mutation zu zombiehaften Kämpfern des Bösen. Auch hier tritt also eine »biochemische«, im Grunde magische Transformation anstelle
610 Vgl. Pietsch, Volker: »Body Snatchers. Recycling in Hollywood«, in: Christian W. Thomsen/Angela Krewani (Hg.) Hollywood. Recent Developments, Stuttgart/ London: Edition Axel Menges, 2005, S.85-90, hier S.89. 611 HE-MAN – IM TAL DER MACHT (HE-MAN AND THE MASTERS OF THE UNIVERSE, USA 1983-1985, Creator: Roger Sweet). 612 Rösch, Gertrud Maria: »Schlange«, in: Günter Butzer/Joachim Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler, 2008, S.324325, hier S.324.
2.7 S TEREOTYPE IN M EDIA F RANCHISES
| 221
von Willensentscheidung, psychischer oder sozialer Determination, wodurch die Gewaltanwendung gegen die Gegner als sanktioniert betrachtet werden könnte. »Die Kritik am Stereotyp resp. an dessen verzerrender Wirkung, wie sie in vielen sozialpsychologischen Texten aber auch in der klassischen Medienkritik üblich war und teilweise noch ist, erweist sich daher häufig als eine Kritik, die an den imaginären und mythologischen Denkformen geübt wird, welche hinter den im Stereotyp geronnenen Vorstellungsschemata stehen. Sie lässt sich mithin auch als Teil der uralten Vernunftkritik am 613
Mythos lesen.«
Nicht zuletzt, da die Media Franchises auf überkommene politische und ethnische Stereotype teilweise direkt zurückgreifen und sie mythisch aufladen (etwa im stärker realitätsbezogenen Actiongenre die Russen in »Rocky IV – Der Kampf des Jahrhunderts«614 oder »Rambo III«615) oder sie auf den Mythen entlehnte Figuren übertragen (das animalische Beduinenvolk der Tusken im »Star Wars«-, die mit Kriegsbemalung und Nasenringen ausgestatteten Orks im »Der Herr der Ringe«-Franchise) werden so auch Tötungen bis hin zu genozidalen Akten vereinbar mit einem heroischen Rollenmodell. Auch haben sich Begriff und Konzept der »Rasse« in der High Fantasy erhalten und wurden aus dem englischen Sprachraum nach Deutschland reimportiert. Für die deutsche Kultur- und Bildungspolitik im europäischen und globalen Kontext bleibt es somit bei der Auswahl von Filmen auch heute Lernziel, zum Abbau stereotyper Vorstellungen des »Anderen« beizutragen: »Der rote Faden dieser neuen Ausgabe des Festivals deutscher Filme für die Jugend ist der Perspektivenwechsel. Die ausgewählten Produktionen stellen sowohl unsere Wahrnehmung der Welt als auch die der anderen (andere Kulturen, andere Generationen, andere Persönlichkeiten …) sowie unsere Weltanschauungen und unsere Auffassungen in Fra616
ge.«
613 Schweinitz, Jörg: Film und Stereotyp. Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses, Berlin: Akademie Verlag, 2006, S.39. 614 ROCKY IV – DER KAMPF DES JAHRHUNDERTS (ROCKY IV, USA 1985, R: Sylvester Stallone). 615 RAMBO III (USA 1988, R: Peter McDonald). 616 http://www.goethe.de/ins/fr/lp/prj/cal/deindex.htm?wt_sc=cineallemand4
222 | VERFOLGUNGSJAGDEN
2.8 K RITERIEN ZUR KANONISCHEN I NTEGRATION AUSGRENZUNG DES POPULÄREN F ILMS
UND
Stereotype stehen als »intersubjektiv normierend wirkende Schemata [...] von vornherein im Verdacht des ungeprüft Übernommenen«617. Dass »Filmgenres [...] nichts anderes sind als komplexe Familienverbände interdependenter Stereotype«618gereicht ihnen bei der Kanonisierung von Filmen unter politischen Gesichtspunkten zum Nachteil. Die Auswahl des Goethe-Instituts ist in Bezug auf Genrefilme freilich ohnehin eingeschränkt beziehungsweise findet eher in Retrospektiven des Kinos in der Weimarer Republik statt. Denn in Deutschland spielt das Genrekino nur in Hinblick auf romantische Komödien von den 1980er Jahren bis zur Gegenwart durchgängig eine vitale Rolle, vereinzelten, spektakulären Vorstößen in Fantasy (»Die unendliche Geschichte«619), Science Fiction (»Das Arche Noah Prinzip«620), Action (»Die Katze«621) oder Horror (»Anatomie«622) zum Trotz. Zwar zeigt das Goethe-Institut »schwerpunktmäßig Arthouse-Filme, [...] eine eindeutige kulturelle-kommerzielle Trennung dieses Mediums [ist] besonders im Ausland sehr schwierig, da dort selbst in Deutschland als kommerziell geltende Filme meist als kulturelle Filme im Arthouse-Bereich wahrgenommen werden.«623 Gemeint sind hiermit zum Beispiel geschichtsbezogene Melodramen wie »Das Wunder von Bern«624. Aber auch der international zusammengesetzte Kanon der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr 2005, an dem Filmschaffende, -wissenschaftler und -journalisten, aber nur ein Medienpädagoge im engeren Sinne (Reinhold T. Schöffel) mitgewirkt haben, ist zurückhaltend, was die Aufnahme von Filmen aus den wiederholt als eskapistisch prob-lematisierten Genres betrifft. So findet sich nach dem Animationsfilm »Das Dschungelbuch«625 von 1967 nur noch eine Studioproduktion, die zumindest der Konzeption nach in diese Sparte fallen würde, der Science Fiction-Film
617 J. Schweinitz: Film und Stereotyp, S.37. 618 Ebd., S.36. 619 DIE UNENDLICHE GESCHICHTE (BRD/USA 1984, R: Wolfgang Petersen). 620 DAS ARCHE NOAH PRINZIP (BRD 1984, R: Roland Emmerich). 621 DIE KATZE (BRD 1988, R: Dominik Graf). 622 ANATOMIE (BRD 2000, R: Stefan Ruzowitzky). 623 Mosig (2008), S.130-131. 624 DAS WUNDER VON BERN (DE 2003, R: Sönke Wortmann). 625 DAS DSCHUNGELBUCH (USA 1967, R: Wolfgang Reitherman).
2.8 K ANONISCHE I NTEGRATION UND A USGRENZUNG
DES POPULÄREN
FILMS
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»Blade Runner«626 von 1982. Er genießt allerdings innerhalb seines Genres eine ähnliche Ausnahmestellung wie »12 Uhr mittags« innerhalb des Westerns. So wie letzterer gegen die Western John Fords und Howard Hawks’ positioniert wird, bezeichnet etwa Hellmuth Karasek »Blade Runner« als »düstere Replik auf den Weltraumoptimismus von E.T.« in der »Zeit der ›Haut den Lucas’Spektakel der STAR WARS [...], der STAR TREKS...«627. Das Genre Horror ist im Kanon der Bundeszentrale durch »Nosferatu – eine Symphonie des Grauens« (1922), die Slapstickkomödie durch »Der beleidigte Bläser«628 (1928), der Kriminalfilm durch »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«629 und »Emil und die Detektive«630 (beide von 1931), der Fantasyfilm durch »Der Zauberer von Oz«631 (1939), der Western durch »Höllenfahrt nach Santa Fé«632 (1939) und der Psychothriller durch »Vertigo – Aus dem Reich der Toten«633 (1958), repräsentiert. Weitere Filme beinhalten zwar Genreelemente (z. B. »Goldrausch«634 von 1925 etwa des Slapsticks und Abenteuerfilms, »Taxi Driver«635 von 1976 des Psychothrillers und Actionfilms, »Stalker«636 von 1979 des Science-Fiction-Films), sind aber doch bereits zur Zeit ihres Erscheinens vorrangig als Filme rezipiert worden, deren Ambitionen deutlich über die Perfektion oder Variation von Genreregeln hinausgehen. Der Rückgriff auf das Genrekino erfolgt dann, wenn die Beispiele aus der Zeit vor den Erneuerungsbewegungen der Nouvelle Vague, des Neuen Deutschen Films, der Britisch New Wave oder des New Hollywood stammen. Dies deutet darauf hin, dass die betreffenden Filme bereits einen Klassikerstatus erreicht haben, den sie ihrem Einfluss auf die Journalisten und Filmschaffenden dieser Bewegungen verdanken: »Vertigo« unter der Regie des durch die politique des auteurs »geadelten« Alfred Hitchcock637 oder »Höllenfahrt nach Santa Fé« unter der Regie John Fords, der von der französischen Filmkritik
626 BLADE RUNNER (USA 1982, R: Ridley Scott). 627 H. Karasek: Mein Kino, S.434-435. 628 DER BELEIDIGTE BLÄSER (YOU’RE DARN TOOTIN’, USA 1928, R: Edgar Kennedy). 629 M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (DE 1931, R: Fritz Lang). 630 EMIL UND DIE DETEKTIVE (DE 1931, R: Gerhard Lamprecht). 631 DER ZAUBERER VON OZ (THE WIZARD OF OZ, USA 1939, R: Victor Fleming). 632 HÖLLENFAHRT NACH SANTA FÉ (STAGECOACH, USA 1939, R: John Ford). 633 VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN (VERTIGO, USA 1958, R: Alfred Hitchcock). 634 GOLDRAUSCH (THE GOLD RUSH, USA 1925, R: Charles Chaplin). 635 TAXI DRIVER (USA 1976, R: Martin Scorsese). 636 STALKER (UdSSR 1979, R: Andrei Tarkowski). 637 Vgl. S. Frisch: Mythos Nouvelle Vague, S.141.
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der Nachkriegsjahre ebenfalls wegen seines distinkten Stils ernstgenommenen 638 und von New-Hollywood-Regisseuren wie Peter Bogdanovich639 und Martin Scorsese640 verehrt wurde. Die Filme sind somit vor ihrem Eingang in die Empfehlungslisten und didaktischen Aufbereitungen schon durch die Fachliteratur ausführlich aufgearbeitet worden und als Klassiker etabliert. Dies spielt besonders beim Filmkanon der Bundeszentrale eine Rolle, dessen im Einzelnen nicht immer transparente Auswahlkriterien im Vorwort recht knapp auf künstlerische Qualität und eine wenigstens punktuelle filmhistorische Bedeutung zurückgeführt werden.641 Er ist aber deutlich von der Tradierung des kulturellen Erbes und nicht von der didaktischen »Instrumentalisierung« her konzipiert (das wird bereits an der Zusammensetzung des Auswahlkomitees erkennbar). Eine weitere Rolle dürfte aber auch spielen, dass ein Risiko, das mit dem Genrekino gemeinhin in Verbindung gebracht wird, nicht mehr gegeben ist: Die sensuelle Überforderung in Verbindung mit Stereotypie sowie emotionaler und ideologischer Manipulation. Durch die Veränderung der Sehgewohnheiten können diese Filme aus historischer Distanz betrachtet werden. So schreibt Prinzler zu »Höllenfahrt nach Santa Fé« (deutscher Alternativtitel: »Ringo«, Originaltitel: »Stagecoach«), es erschiene »der Western inzwischen wie ein Genre ohne die Chance der Wiederkehr«642 und der Kosmos John Fords habe »es inzwischen in unserem Erfahrungsfeld zwischen europäischer Hochkultur und amerikanischem Pop besonders schwer. [...] Legenden und Mythen machen uns zunehmend misstrauisch, vor allem, wenn sie aus Amerika kommen.«643 Ob Prinzler mit diesem »uns« auch generell SchülerInnen einbeziehen möchte, wird nicht deutlich. Auf das Genrekino der jüngeren Zeit bezogen erschiene seine Aussage sonst durchaus hinterfragenswert, bezogen auf die Mythen des klassischen Westerns dagegen nachvollziehbar. Entscheidend ist jedoch die konservatorische Intention: »Der Western ist als Genre aus dem Film der Gegenwart jedoch verschwunden. Einige seiner Spuren sind vielleicht noch in anderen Genres erkennbar. Aber auch wenn es nie wieder einen großen Western geben sollte [...], bleibt
638 Ebd., S.140. 639 Vgl. das dokumentarische Porträt: DIRECTED BY JOHN FORD (USA 1971, R: Peter Bogdanovich). 640 Vgl. TAXI DRIVER. In vieler Hinsicht stellt der Film eine Reminiszenz dar an: DER SCHWARZE FALKE
(THE SEARCHERS, USA 1956, R: John Ford).
641 Vgl. A. Holighaus: Vorwort, S.9-11, hier S.10. 642 Prinzler, Hans Helmut: »Stagecoach«, in: Alfred Holighaus (Hg.): Der Filmkanon. 35 Filme, die Sie kennen müssen, Berlin: Bertz + Fischer 2005, S.57-64, hier S.58. 643 Ebd., S.63.
2.8 K ANONISCHE I NTEGRATION UND A USGRENZUNG
DES POPULÄREN
FILMS
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er Teil des Genrekinos. Und damit das nie vergessen wird, ist STAGECOACH ein Kanonfilm.«644 Die Integration des Genrekinos in die Institutionen der Kultur- und Bildungspolitik hat somit eine stark museale Funktion. Eine Domestizierung ist gar nicht mehr nötig, da klischeehafte Darstellungen ethnischer Gruppen (etwa der »Indianer«), der Geschlechter oder das Pathos der ideologischen Aussage nicht mehr als manipulativ wirksam erscheinen. »[E]in stabilisiertes Schema [kann] [...] auch [dadurch] als Stereotyp erfahren werden, dass es lediglich reflektierend von seinem Kontext abgelöst und vor einen anderen Horizont der Reflexion gestellt wird. Das ist etwa der Fall, wenn ein – in gewissen Kontexten an sich gut funktionierendes – Schema aus der Perspektive anderer, möglicherweise komplexerer oder zumindest veränderter Erfahrungen und Erwartungen kritisch betrachtet wird. Solche Entautomatisierung oder Denaturalisation kann es dann als arm, reduziert oder kognitiv verzerrend erscheinen lassen. Dieser zweite, für den Diskurs Intellektueller zum populären Kino besonders wichtige Aspekt beruht auf einer Perspektivverschie645
bung.«
Die historisch gewandelte Perspektive macht populäre Filme kritischen Intellektuellen mitunter freilich überhaupt erst genießbar und zugänglich, weil die Filme als Ideologieträger ihre Brisanz verloren haben beziehungsweise aus überlegenironischer Distanz gesehen werden können – außer in weiterhin tabuisierten Fällen wie NS-Propagandafilmen, die nicht nur die Nostalgie von Rechtsradikalen wecken könnten, sondern auch offen gegen fundamentale Prinzipien der Menschenwürde und der sozialen Ordnung verstoßen (selbst eine Freigabe dieser Vorbehaltsfilme wird jedoch aktuell diskutiert646). Währenddessen wird für Kinder und Jugendliche die besagte kognitive Distanz gegenüber dem populären Film durch historische Beispiele stark erleichtert. Die kritische Perspektivverschiebung ist nicht mehr in erster Instanz auf die Vermittlung der Lehrkraft angewiesen, die ohnehin den Vorwurf der Bevormundung provoziert; eher schon geht es nun im Gegenteil darum, Respekt oder gar Liebe gegenüber einem geschichtlich einflussreichen Kulturgut zu wecken. Die Konventionen der Genreunterhaltung haben sich seit den ersten drei Vierteln des 20. Jahrhunderts so stark verändert, dass den älteren Werken ebenso das Potential einer Irritation von Sehgewohnheiten innewohnt wie avantgardisti-
644 Ebd., S.64. 645 J. Schweinitz: Film und Stereotyp, S.40. 646 Vgl. VERBOTENE FILME (DE 2013, R: Felix Moeller).
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schen oder experimentellen Filmen. Beispielsweise stieg die Schnittgeschwindigkeit von durchschnittlich sechs Sekunden langen Einstellungen in den 1980er Jahren auf zwei Sekunden pro Einstellung in den 1990er Jahren 647, wobei eine Rate wie jene der Eröffnungssequenz von »Ein Quantum Trost«648 aus dem Jahr 2008 mit 0,65 Sekunden pro Einstellung649 bislang die äußeren Grenzen des »Mainstream«-Kinos markiert. Verlässliche quantitativ-qualitative Schlüsse lassen sich nun allerdings kaum so empirisch ziehen, wie dies etwa Werner Faulstich in den 1970er und 1980er Jahren 650 mittels Tabelle und Sequenzprotokoll anregte. Faulstich, der auch an einer empirischen Literaturwissenschaft arbeitete651, definierte damals »Spannung im Film […] als eine Kategorie des Verhältnisses von Zahl der Einstellungen pro Segment…«652 und stellte auf dieser Basis eine »Spannungskurve« des Filmes auf. Wie Gerhard Hroß aber zu Recht vermerkt, ist die »Länge von Einstellungen irrelevant für die Spannung. Die vierminütige Einstellung zu Beginn von HALLOWEEN ist ein schlagendes Beispiel.«653 Wie in »Halloween – Die Nacht des Grauens« werden nicht allein schnelle Gegenschnitte, sondern auch verzögerte oder besonders schnelle Kamerafahrten, Reißschwenke, Split Screen, Stroboskoplicht, Herztöne im unteren Hörbereich, Staffelungen in der Tiefe des Bildes und andere Mittel zur Spannungssteigerung eingesetzt,654 ganz zu schweigen von dramaturgischen Mitteln auf der inhaltlichen Ebene. Insofern kann Pennings Aussage zutreffen, dass Sequenzen des Stummfilms »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens«, »wenn sich Nosferatu [...] in zeitlupenhaftem Tempo über das Deck bewegt, [...] bis
647 Althen, Michael: Die Leute mit den Scherenhänden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 53, 27.7.2002, S. 53. 648 JAMES BOND 007 – EIN QUANTUM TROST (QUANTUM OF SOLACE, UK/USA 2008, R: Marc Forster). 649 Jones, Frederick Tilby: »Beyond Continuity – 3. Post Continuity Cinema: Technology and Television«, in: Hope Lies At 24 Frames Per Second [Online-Magazin]. http://hopelies.com/2013/08/21/beyond-continuity-3-post-continuity-cinematechnology-and-television/ 650 Vgl. W. Faulstich: Einführung in die Filmanalyse. 651 Vgl. Ludwig, Hans-Werner/Faulstich, Werner: Erzählperspektive empirisch. Untersuchungen zur Rezeptionsrelevanz narrativer Strukturen. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1985. 652 W. Faulstich: Einführung in die Filmanalyse, S.136. 653 G. Hroß: escape to fear, S.17. 654 Vgl. N. Stresau: Der Horror-Film, S.24-30.
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heute nichts von ihrer Schreckenskraft verloren«655haben, freilich je nach den äußeren Bedingungen der Vorführung und der Konstitution des Rezipienten. Von Bedeutung für die Kanonisierung eines phantastischen Horrorfilms ist jedoch, dass selbst diese Sequenzen mit ihren genrebildenden Effekten nachgeordnet werden, offenbar zum Vorteil des Films. Sie werden gar als »Action« einer zurückhaltenden Ästhetik konstrastiert, die im Alltag verhaftet und durch Aufnahmen in freier Natur »authentisch« eingebettet sei: »Doch die plakativen Momente des Horrors, etwa die Maske des Monsters und sein Schatten, die später zu Standards des Genres wurden, sind keineswegs die dominierenden Kräfte in NOSFERATU. In seiner Inszenierung zieht Murnau allemal die Andeutung, die Ahnung des Übernatürlichen vor. [...] Die von der Natur erzeugte Atmosphäre des Übernatürlichen ist in NOSFERATU weit wichtiger als das, was wir heute Action nennen: Der 656
Horror ist nicht künstlich, er entsteht aus dem Alltäglichen.«
Dem Kanon der Bundeszentrale sind keine Altersstufen oder Reifeniveaus des Zielpublikums zugeordnet. Allerdings dürfte die Altersfreigabe kein Grund dafür sein, dass etwa das Horrorgenre auf die Stummfilmzeit beschränkt wird und sich Actionfilme gar nicht finden. Der vom Kanon berücksichtigte »Taxi Driver«, der Themen wie Amoklauf und Kinderprostitution behandelt, ist in Deutschland ebenso ab 16 Jahren freigegeben wie etwa die Horrorfilme »Bram Stoker’s Dracula«657 oder »Ring«, umgekehrt ist »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« ab 12 Jahren freigegeben, was auch auf etliche weitere Horrorfilme wie »Augen der Angst«658 oder »Blair Witch Project«659 zutrifft. Die ausgesuchten Werke sind also nicht nur dazu angetan, den genretypischen Erwartungshaltungen des Publikums gegenüber konträr zu laufen. Vielmehr entsprechen sie nicht mehr den zeittypischen Erwartungen an Spielfilme überhaupt. Während hier die Filmbildung also einen Raum für historische Differenzerfahrungen schafft, weist Ulf Abraham in »Filme im Deutschunterricht«660
655 Penning, Lars: Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, in: Alfred Holighaus (Hg.): Der Filmkanon. 35 Filme, die Sie kennen müssen, Berlin: Bertz + Fischer 2005, S.13-19, hier S.14. 656 L. Penning: Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, S.14-15. 657 BRAM STOKER’S DRACULA (USA 1992, R: Francis Ford Coppola). 658 AUGEN DER ANGST (PEEPING TOM, UK 1960, R: Michael Powell). 659 BLAIR WITCH PROJECT (THE BLAIR WITCH PROJECT, USA 1999, R: Daniel Myrick/Eduardo Sánchez). 660 Vgl. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht.
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darauf hin, dass Genrefilme dazu dienen können, um aus dem Vorwissen der Lernenden und ihrer Erwartungshaltung zu schöpfen.661 Sie eigneten sich aber auch, um einen Vergleich »verschiedener Medien hinsichtlich der Genres, die sie ausgebildet haben und nutzen«662 durchzuführen. Der im Deutschunterricht zumeist übliche Bezug zwischen Literatur und Film wird somit über den Vergleich der (in der Regel literarischen) Vorlage mit der Adaption hinaus erweitert um eine »medienübergreifende[n] Genre- bzw. Textsortensystematik«663, so dass die genrekonventionellen Motive und Stoffe als Rahmen gefasst werden, innerhalb dessen ein Vergleich durchgeführt werden kann. Einen solchen Vergleich führt Abraham in seinem Handbuch jedoch (noch) nicht durch. Stattdessen wählt er Beispiele für die Klassen 4-12, auf welche die bereits bekannten Kriterien unter anderem des psychologischen und sozialen Realismus weitestgehend zutreffen: »Katja und der Falke«664, »Pünktchen und Anton«665, »Schwarzfahrer«666, »Mein Freund Joe«667, »Jenseits der Stille«668, »Kick It Like Beckham«669, Nach fünf im Urwald«670, »Amok«671 und »Lichter«.672 Letzterer wird etwa vom Lexikon des Internationalen Films bewertet als: »Eine bravourös entwickelte und inszenierte Bestandsaufnahme bundesdeutscher Wirklichkeit, die die komplizierten sozialen und menschlichen Verhältnisse in kleine Geschichten und verschrobene Gesichter umsetzt. Die Nähe der Handkamera ermöglicht dabei eine mitunter schmerzhafte Unmittelbarkeit, wobei der Film trotz seines Realismus 673
eine feine Balance zwischen drückender Schwere und leichteren Momenten wahrt.«
661 Ebd., S.47. 662 Ebd., S.48. 663 Ebd., S.48. 664 KATJA UND DER FALKE (FALKEHJERTE, DK/NO/IT/DE 1999, R: Lars Hesselholdt). 665 PÜNKTCHEN UND ANTON (DE 1999, R: Caroline Link). 666 SCHWARZFAHRER (DE 1993, R: Pepe Danquart). 667 MEIN FREUND JOE (MY FRIEND JOE, UK/DE/IR 1996, R: Chris Bould). 668 JENSEITS DER STILLE (DE 1996, R: Caroline Link). 669 KICK IT LIKE BECKHAM (UK/DE/USA 2002, R: Gurinder Chadha). 670 NACH FÜNF IM URWALD (DE 1995, R: Hans-Christian Schmid). 671 AMOK (DE 1992, R: Mark Schlichter). 672 LICHTER (DE 2003, R: Hans-Christian Schmid). 673 http://www.zweitausendeins.de/filmlexikon/?sucheNach=titel&wert=520750
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Von einem solchen Realismus weichen Animationsfilme für die Primarstufe ab (»Der Maulwurf als Filmstar«674, »Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh«675), die als »nichtrealistische Filme [....] ein Anlass [sind], darüber zu sprechen, dass ein Film – ähnlich wie die Buchliteratur – stets eine eigene Vorstellung von Wirklichkeit aufbaut und damit eine fiktionale Welt schafft.«676 Weitere Filme, die deutliche Fiktionssignale setzen, sind »Der kleine Prinz«677 (Klasse 4-6) sowie »Das Mädchen mit dem Perlenohrring«678 und »Eyes Wide Shut«679 (beide für die Klassen 11 bis 12 vorgesehen), die Strukturelemente der Fantasy, des Erotikfilms, des Verschwörungsthrillers oder (wie auch eine Sequenz von »Pünktchen und Anton«) des Musicals aufweisen. Sie werden aber doch in ihrem Rückgriff auf Werke weithin anerkannter Literarizität nicht als konventionelle Genreunterhaltung wahrgenommen. Stattdessen dürften sie allgemein als »Literaturverfilmungen« betrachtet werden, bei denen also »in der filmischen Realisation ein Interesse an der spezifischen Werk-Gestalt der Vorlage erkennbar ist«680 und bei denen »der Regisseur die Kenntnis der Vorlage [zumindest dem Namen nach] bei seinen Rezipienten voraussetzt.«681 Wenigstens bei den Oberstufenbeispielen handelt es sich um Programmkinofilme. Die folgende Passage wird durch Abraham nicht direkt zur Begründung der Auswahl angeführt, könnte aber doch als programmatisch gelesen werden, auch wenn alle Filme in den Praxisbeispielen auch unter der Vorgabe einer Erschließung filmtechnischer und -analytischer Terminologie behandelt werden: »Obwohl die wenigsten Filme – auch in den realistischen Genres! – wirklich in einem alltagssprachlichen Sinn streng genommen ›realistisch‹ sind, stellt der Spielfilm eine solche Fülle an Wirklichkeitsbezügen her, dass man sagen kann: Kein anderes Medium eignet sich so gut dafür, eigenes Weltwissen zu überprüfen und zu erweitern, Vorurteile gegenüber gesellschaftlicher Wirklichkeit zu überdenken, Werte zu klären und Normen zu dis-
674 DER MAULWURF ALS FILMSTAR (KRTEK FILMOVA HVEZDA [TV-Film], CZ 1988, R: Zdenek Miler). 675 DIE VIELEN ABENTEUER VON WINNIE PUUH (THE MANY ADVENTURES OF WINNIE THE POOH,
USA 1977, R: John Lounsbery/Wolfgang Reitherman).
676 U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.110. 677 DER KLEINE PRINZ (THE LITTLE PRINCE, UK/USA 1974, R: Stanley Donen). 678 DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING (GIRL WITH A PEARL EARRING, UK/LU 2003, R: Peter Webber). 679 EYES WIDE SHUT (UK/USA 1999, R: Stanley Kubrick). 680 A. Bohnenkamp: Vorwort, S.13. 681 Ebd., S.14.
230 | VERFOLGUNGSJAGDEN kutieren, den Umgang einer Kultur mit ihrer eigenen Entwicklungsdynamik zu reflektieren usw. Solche Überlegungen scheinen auf den ersten Blick nicht in die Deutschdidaktik zu gehören... [...]. Aber gerade das Fach Deutsch geht – traditionell im Literatur- und im ›Aufsatzunterricht‹ – mit einer Fülle von Themen um und muss das auch tun, um seinen 682
Aufgaben gerecht zu werden.«
Hier scheint Kracauers Ideal des Films als Erretter der äußeren Wirklichkeit nachzuhallen: »Das Kino kann als ein Medium definiert werden, das besonders dazu befähigt ist, die Errettung physischer Realität zu fördern. Seine Bilder gestatten uns zum ersten Mal, die Objekte und Geschehnisse, die den Fluß des materiellen Lebens ausmachen, mit uns fortzutragen. [...] Strenggenommen stellen Malerei, Literatur, Theater usw., soweit sie Natur überhaupt einbeziehen, diese gar nicht dar. Sie benutzen sie vielmehr als Rohmaterial für Werke, die den Anspruch auf Autonomie stellen. Im Kunstwerk bleibt vom Rohmaterial selbst nichts übrig; oder genauer gesagt, alles, was davon übrigbleibt, ist so geformt, daß es die Intentionen des Kunstwerks erfüllen hilft. [...] Das unterscheidet den traditionellen Künstler [...] vom Filmregisseur; ungleich diesem würde er aufhören, Künstler zu sein, wenn er Leben im Rohzustand, wie es von der Kamera wiedergegeben wird, seinem Werk 683
einverleibte.«
Allerdings legt Abraham in seinen Ausführungen schon vorab besonderen Wert auf die Feststellung, dass auch die realistisch anmutende Gestaltung ein stilistisches Mittel des fiktionalen Films ist. Das Ausrufezeichen scheint vor dem sonst wenig beachteten Umstand zu warnen, dass gerade dieser Realismus umso mehr dazu angetan sein könnte, ihn mit einer authentischen Wiedergabe der »äußeren Wirklichkeit« zu verwechseln. Er mag somit ideologisch keineswegs unbedenklicher sein als der mit stereotypen Zuspitzungen und augenfälligen Stilisierungen gestaltete Film (man denke etwa an die Diskussion in der globalen, besonders deutschen Medienöffentlichkeit um »Der Untergang«684, mit seinem Anspruch, Hitlers letzte Tage im Bunker mit den Mitteln des psychologischen Realismus wiederzugeben). Bemerkenswert ist die Gleichbehandlung, die Abraham an späterer Stelle Film und Literatur zuteil werden lässt. In dieser Passage geht es darum, die SchülerInnen insbesondere der Primarstufe für den Unterschied zwischen Me-
682 U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.53. 683 S. Kracauer: Theorie des Films, S.289-390. 684 DER UNTERGANG (DE 2004, R: Oliver Hirschbiegel).
2.8 K ANONISCHE I NTEGRATION UND A USGRENZUNG
DES POPULÄREN
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dien und der sogenannten außermedialen Wirklichkeit zu sensibilisieren.685 In den zugespitzten Diskussionsbeiträgen der 1980er und ’90er Jahre dagegen scheint dies überwiegend als Problem des filmischen Mediums wahrgenommen zu werden. Kracauer erschien der Film noch als eine potentiell weitaus stärker mit Realität angereicherte, wahrhaftigere Kunst als die Literatur. Nun hingegen erscheint die photographische Suggestion von Wirklichkeit als eine verhängnisvolle »Fata Morgana«: »Jeder Mensch kann an sich selbst beobachten, daß er des öfteren nicht klar zu sagen vermag, woher seine Erinnerungsbilder stammen – aus der Wirklichkeit oder aus den Medien«686, schreibt etwa Klaus-Ove Kahrmann 1985. Er schließt daraus, dass der an sich legitime Filmkonsum zeitlich begrenzt werden sollte, um die Unterscheidung besser treffen zu können. Eine größere Erfahrung mit Filmen diene demnach nicht dazu, Reduktionsmuster leichter zu erkennen, weil die Wirklichkeit als Referenzgröße fehle, »so geht uns in dieser Zeit die Möglichkeit, die ästhetische Vielfalt der Realität zu erleben, verloren. [...] Jeder ›Vielseher‹ sollte sich überlegen, ob er zum ›Medienmenschen‹ werden will. Wenn nicht, dann gibt es nur einen Weg: Mehr Wirklichkeit und weniger Film erleben! Wir sollten uns bewußt machen, daß Film immer Erfahrung ›aus zweiter Hand‹ bedeutet.«687 Kahrmann spricht hier ganz allgemein von Filmen, dennoch dienen einmal mehr auch in diesem Text zum Schluss Figuren aus der zeitgenössischen Genreunterhaltung als anschauliche Beispiele, nämlich Jean-Paul Belmondos Rollen in Actionfilmen wie »Der Außenseiter«688. Die Stilisierung figürlicher Motive des Films erscheint hier ausnahmslos als verlustreiche Reduktion, nicht als Pointierung, Fokussierung oder Abstraktion, die den Blick auf die »Realität« schärfen könnte. Von der Existenz dieser Realität, die durch Medien zwar bedroht, an sich aber nicht medial durchwirkt ist und die bei einem funktionierenden Wahrnehmungsapparat auf natürliche Weise erfahrbar ist, wird in bemerkenswertem Positivismus ausgegangen:
685 U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.110. 686 Kahrmann, Klaus-Ove: Lebende Bilder. Überlegungen zu einer mediengerechten Film- und Fernsehpädagogik, in: Klaus-Ove Kahrmann/Ulrich Ehlers (Hg.): Lebende Bilder. Aufsätze zur Medienpädagogik, Scheersberg: Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung Schleswig-Holstein 1985, S. 127-150, hier S.128. 687 K.-O. Kahrmann: Lebende Bilder, S.142. 688 DER AUSSENSEITER (LE MARGINAL, FR 1983, R: Jacques Deray).
232 | VERFOLGUNGSJAGDEN »Film vereinfacht nicht nur die ästhetische Vielfalt der Realität, sondern auch deren Inhalt. [...] Auch eine Person kann im Film nicht in allen Ausprägungen ihrer Persönlichkeit abgebildet werden. Deshalb sind Charaktere im Filmgeschehen nicht in ihrer ganzen Breite entwickelt, sondern mit Vorliebe auf Extrem-Klischees festgelegt. [...] Diese Typisierungen schaffen Abhängigkeiten, so daß es zu Verlustängsten kommen kann, wenn be689
stimmte ›Lieblinge‹ mal nicht zu gewohnter Zeit im Fernsehen erscheinen.«
689 Kahrmann (1985), S.143.
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Zum Angstbild einer Reduktion von Persönlichkeit wird mit der Etablierung des Video Home Systems die Figur des Zombies. Diese Reduktion, so die Sorge, könne sich von den fiktionalen Wesen auf ihre Zuschauer übertragen. Die defizitäre Medienwirklichkeit drohe die »Realität« zu überlagern. In dieser Figur bündeln sich die an die Filmrezeption geknüpften Befürchtungen so prägnant, dass der »Zombie« für die Filmwiedergabe auf Video zusammen mit »Dallas« (Fernsehen) und »Rambo« (Kino) eine Art »unheiliger Trinität« bildet. Die Intimität der heimischen Videorezeption in Verbindung mit selbstständiger Programmgestaltung erscheint als verhängnisvolle Freiheit. Das liegt auch daran, dass die Verleihe aus einem eher billigen Angebot schöpfen, so dass Video »das Medium für Porno und harte Actionfilme [...][wird] und [...] so sehr schnell ein Schmuddelimage«691 erreicht. »Jene tausend Videotheken, die es 1980 in Deutschland gab, verliehen aber hauptsächlich so genannte B-Titel [...]. Die Marktkapazität dieser B-Titel war jedoch 1984 erschöpft. [...] Von nun an begann man damit, die Zweitverwertung großer Kinoerfolge, so genannte A-Titel, auf Video voranzutreiben. [...] B-Titel, die als Programmalternative den Verkaufserfolg des Rekorders bis dahin wesentlich mitbewirkt hatten, wurden [...] bald lästig. Obwohl der Hardcore-Horrorfilm im B-Titel-Angebot bis dahin einen zahlenmäßig geringen Anteil gehabt hatte, avancierten vereinzelte, im Fernsehen zwecks ›Abschreckung‹ gezeigte Ausschnitte [...] zum Leitbild des gesamten Mediums. [...] Nicht zu übersehen ist, dass die Gewaltdebatte erst dann öffentlich Wirkung zeigte, als das Rekordergeschäft im Wesentlichen abgeschlossen war. [...] nach Einführung des Privatfernsehens im Jahr 1984 zirkulierte zunächst mehr oder weniger dieselbe B-Film-Masse zwischen Sat 1 und RTL [...]. Konservative Politiker, die maßgeblich an der Durchsetzung des Privatfernsehens beteiligt waren, störten sich zunächst nicht daran, dass dort verhältnismäßig mehr 692
›Gewaltfilme‹ gezeigt wurden als von den öffentlich-rechtlichen Sendern.«
690 VERDAMMT, DIE ZOMBIES KOMMEN (THE RETURN OF THE LIVING DEAD, USA 1985, R: Dan O’Bannion). 691 Bartsch, Christian: »Die deutsche Zensurgeschichte von Tobe Hoopers ›The Texas Chainsaw Massacre‹«, in: Die Akte TCM [Redaktion: Christian Bartsch]. Booklet zu THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE. Turbine Classics GmbH 2012, S.3-15, hier S.7. 692 Riepe, Manfred: »Maßnahmen gegen die Gewalt. Der TANZ DER TEUFEL und die Würde des Menschen. Aspekte der Gewaltdebatte im Zusammenhang mit Sam
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Die Mitte der 1980er Jahre parteiübergreifend einsetzende Kritik an den »Zombie-Videos« meint nicht allein das Subgenre des Zombiefilms, nicht einmal nur den Splatter- oder Horrorfilm, sondern das Wiedergabe- und Aufzeichnungsmedium »Video« an sich. Wenn das Wort »Zombie« zum Schlüsselbegriff wird, liegt das nicht nur an seiner Einprägsamkeit: Zombies sind im Film mehr als nur stereotype Figuren, vielmehr sind sie bereits von der Konzeption her auf Instinkte reduzierte Massenmenschen. Als wandelnde Tote verzehren sie Menschenfleisch und dürfen daher auch scheinbar ohne Gewissensnot unpersönlich und in großen Massen, also am effektivsten mit Schusswaffen vernichtet werden. Hierdurch überschneiden sich die Formate des Horror- und Actionfilms, sowie in der späteren Adaption durch Computerspiele auch des Ego-Shooters. Gerade aufgrund seiner Leere ist das Motiv der Zombieinvasion so polyvalent, dass es nicht nur diverse Ängste des Filmpublikums in sich vereinen kann, sondern auch die Ängste vor diesem Publikum: So wird von Kritikern und kritischen Pädagogen einerseits geargwöhnt, dass die Zuschauer sich mit der Reaktion der Helden auf die Zombies, also der Ausrottung identifizieren könnten, wenn der »reaktionären Lösung zuviel [...] Platz eingeräumt wird«693 und »die Zombies [...] auch für die Unterprivilegierten der Erde stehen [können], die aufgebrochen sind, an dem Reichtum der anderen teilzuhaben.«694 Es fröhne der subgenre- und stilbildende Erfolg »Zombie«695 von 1978 etwa Joe Hill zufolge einer »vergessen geglaubten Herrenmenschenideologie«.696 Laut Norbert Stresau scheint er den Faschismus als Antwort auf die Auflösung der Gesellschaft zu befürworten.697 Die Frage, inwiefern die phantastische Figur des Zombies stellvertretend für den Menschen oder bestimmte menschliche Gruppen wahrgenommen wird und somit dazu dienen könnte, »ethnische Säuberungen« zu propagieren, wurde zu einer zentralen Frage in der Zensurdebatte, die sich an der Indizierung des Films »Tanz der Teufel«698 entzündete699.
Raimis THE EVIL DEAD«, in: Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Metelling (Hg.): Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.167-186, hier S.175-176. 693 N. Stresau: Der Horror-Film, S.201. 694 Hill, Joe: »Zombie«, in: filmdienst 32 (1979), S.13. 695 ZOMBIE (DAWN OF THE DEAD, USA 1978, R: George A. Romero). 696 J. Hill: Zombie, S.13. 697 N. Stresau: Der Horror-Film, S.201. 698 TANZ DER TEUFEL (THE EVIL DEAD, USA 1981, R: Sam Raimi). 699 Vgl. M. Riepe: Maßnahmen gegen die Gewalt, S.176-178.
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Am 1. März 1984 sendete Radio Bremen in der ARD in der abendlichen Jugendsendung »Klons«700 einen ersten Fernsehbeitrag zu Gewaltdarstellungen im Video, an demselben Abend wurde im ZDF die Dokumentation »Mama, Papa, Zombie – Horror für den Hausgebrauch«701 ausgestrahlt. Am 12. März berichtet »Der Spiegel« in der Titelstory »Horror-Video. Blutrausch im Kinderzimmer« über die Vorbereitung von Gesetzesinitiativen und führt sie auf Lobbyismus zurück: »Weil aber die deutsche Elektro- und Unterhaltungsindustrie, anders als die Japaner, den lange zuvor absehbaren Videoboom verschliefen, verlangen sie um so dringlicher nach geschäftlichem Ausgleich durch eine Vermehrung und Privatisierung der Fernsehprogramme. Die Christenunion [...] nutzt nun geschickt den Abscheu vor dem Videoschund, um die öffentliche Aufmerksamkeit, Elternsorgen wie konservative Vorbehalte von der künftigen Dauerberieselung durch mehr TV-Programme und längere Sendezeiten abzulenken. Schon basteln die Bonner Koalitionspartner an diversen Gesetzen, um die Horror702
Flut einzudämmen.«
Ob ein solches Manöver dabei eine Rolle spielte, lässt sich hier nicht klären; in der Tat wurde das Thema »Gewaltdarstellung im Fernsehen« aber erst 1992 auf breiter Ebene durch die Politik aufgegriffen.703 Bundesjugendministerin Angela Merkel kritisierte sie öffentlichkeitswirksam in der Sendung »Explosiv – der heiße Stuhl«704 auf RTL plus. Die Debatte wird jedoch von Beginn an nicht nur polemisch, sondern auch parteipolitisch geführt. In der ZDF-Dokumentation »Mama, Papa, Zombie« von 1984 warnt Wolf-Dieter Gramatke, Geschäftsführer der deutschen Abteilung von RCA Columbia Pictures International Video, vor der »Verdammung eines neuen Mediums, nämlich Video, zur Förderung der Kabelprojekte – das so geliebte Kind. [...] Was jetzt Gesetz werden soll, passt natürlich in die geistigmoralische Wende in unserem Lande. Nur weg von der so mühsam erkämpften Liberalität und zurück zur Gesinnungsschnüffelei wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten...«
700 KLONS (BRD 1984. R: o.A). 701 MAMA, PAPA, ZOMBIE – HORROR FÜR DEN HAUSGEBRAUCH. (BRD 1984. R: Claus Bienfait). 702 »Zum Frühstück ein Zombie am Glockenseil«, in: Der Spiegel 38 (1984), S.34-55, hier S.35. 703 Vgl. M. Riepe: Maßnahmen gegen die Gewalt, S.176. 704 EXPLOSIV – DER HEISSE STUHL (BRD 1989-1994, Ausgabe vom 15.9.1992).
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In ihren ökonomischen Interessen nicht betroffene, aber regierungskritische Autoren attackieren die Zensurvorstöße der CDU als »Doppelmoral«, weil »diejenigen, die am lautesten schreien über die synthetischen Schlächtereien und Spermaergüsse, allzuhäufig identisch sind mit denen, die als verantwortliche Politiker und unverantwortliche Pädagogen eine kritische Film- und Fernsehkunde in den Schulen verhindert oder zumindest nicht gefördert haben [...].«705 Siegfried Zielinski beschwört hier zwar nochmals den medienkritischen Unterricht im Geiste der Frankfurter Schule herauf und führt ihn als Alternative zur Zensur ins Feld. Aber hier wie in anderen Stellungnahmen, sofern sie nicht aus der Videobranche selbst verlauten, wird es parteiübergreifend als ein drängendes Problem betrachtet, dass die Verfügbarkeit von Videos für Kinder und Jugendliche in der häuslichen Privatsphäre der staatlichen und gesetzlichen Kontrolle de facto entzogen ist. »Links und Rechts [...] vereinigten sich um der vermeintlich guten Sache willen – der Boulevard- und Reizjournalismus macht’s möglich (allen voran der Spiegel, der seinen Titelgeschichtenschnellschuß in Sachen Videohorror vornehmlich auf die subjektiv gefärbten, also kaum verallgemeinerbaren Impressionen von Lehrern und Videokonsumenten stützte... [...]). Zurück blieben krude Vorstellungen – und ein Gesetzentwurf. Denn 706
Minister Geißler hält Wort.«
1985 wird tatsächlich § 131 des Strafgesetzbuches um einen Zusatz ergänzt. Der Paragraf wurde 1973 eingeführt, um neonazistische Propagandamaterialien verbieten zu können. Er richtete sich gegen Gewaltverherrlichung und Gewaltverharmlosung. Dem neuen Zusatz zufolge verboten werden können von jetzt an Gewaltdarstellungen, die in einer die Menschenwürde verletzenden Weise vorliegen. Dem nunmehr vollen Wortlaut nach also »Schriften (§ 11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt...«707
705 S. Zielinski: Der Videorecorder als Durchlauferhitzer, S.9. 706 Neumann, Hans-Joachim: »Horror-Videos – gibt es die und etwas dagegen? Wie ein wichtiges Thema öffentlich zu Tode diskutiert wurde«, in: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse 14 (1984), S.14-18, hier S.15. 707 »§ 131 Gewaltdarstellung«, in: Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBI. I, S. 3322), das durch Artikel 5 Absatz 18 des Ge-
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Die Gewalt gegen die Zombies in »Tanz der Teufel« (siehe Abb. 25) fällt nach einer Entscheidung des Münchner Amtsgerichtes von 1985 unter dieses Verbot, weil sie als menschenähnliche Wesen aufgefasst wurden. 1992 hebt das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung auf, unter anderem auch, weil Zombies eben keine Menschen seien. Eine ungekürzte Fassung des Films bleibt jedoch weiterhin durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Andererseits wird die Gewaltdarstellung im Zombiefilm eben nicht mehr als metaphorisch betrachtet, sondern aufgrund der tricktechnisch zunehmend naturalistischen Darstellung des motivimmanenten Kannibalismus als Gewaltpornographie aufgefasst. Die Übertragung des Zuschauers einer »defizitären«, gewaltverherrlichenden Narration auf die eigene Realität ist hier weniger von Bedeutung. Vielmehr erscheint seine potentielle Konditionierung zum Sadisten (bemerkenswerterweise nicht zum Masochisten) als bedrohlich, weil sich die Objektivierung menschlicher Körper durch die Kamera direkt in das ReizReaktionssystem des Rezipienten einprägen könnte. Die Momenthaftigkeit und gleichzeitige Flüchtigkeit des Filmbildes wird durch die Schockeffekte des Horrorfilms demnach nicht nur intensiviert, sie richtet sich direkt an das »Es«, setzt es womöglich frei wie Dr. Jekylls Elixier Mr. Hyde. Die Loslösung aus dem Erzählzusammenhang ist demnach auch eine Loslösung von der Instanz des ÜberIchs, wie Christoph B. Melchers und Werner Seifert in ihren psychologischen Untersuchungen nahelegen: »Frühere Generationen hatten für die Bebilderung ihrer Lebenserfahrungen [...] andere Quellen. Literatur und andere Künste, Philosophie und Religion boten an, wofür ein Bedürfnis bestand. Mit der Videotechnik ist vielleicht insofern nun doch eine neue Lage entstanden, als zum ersten Mal der Film zur Hauptquelle für Bilder werden kann. [...] Die Horrorproduktionen zeigen auf eine drastische Art und Weise, daß wir elementare Leidquellen öffnen würden, unterwürfen wir uns nicht verwickelten, kulturellen Anforderungen. [...] Die Sinnzerstückelung, die entsprechende Filme betreiben, verwandelt den Horror in das Versprechen, daß die episodische körperliche Lust vielleicht doch erst dann voll auszuschöpfen ist, wenn Störungen durch übergreifende Motivations- bzw. Sinnzusammenhänge vom Tatort ferngehalten werden. [...] ...unser ›Bedürfnis‹ nach übergreifenden Zusammenhängen, die wir als Linderungsmittel brauchen, [stößt] sozusagen an eine natür-
setzes vom 10. Oktober 2013 (BGBI. I S. 3799) geändert worden ist. Auf der Website des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: http://www. gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stgb/gesamt.pdf
238 | VERFOLGUNGSJAGDEN liche Grenze [...], wenn wir versuchen, etwas von dem mitleben zu lassen, das wir im 708
Laufe der Entwicklung im Fundus abgelegt haben.«
Die spezifischen Rezeptionsmöglichkeiten des Videorekorders mit Rück- und Vorspulfunktion sowie später auch Standbild und Zeitlupendarstellung scheinen diesen Verlust der narrativen (und somit auch gesellschaftlichen) Ordnung zugunsten von Momentaufnahmen der verdrängten Körperlichkeit zu begünstigen. Die »Dosis« ist sozusagen nicht mehr dramaturgisch gestreckt, sondern in Reinform erhältlich: »Die auf Oberflächenreize relativ beliebiger Aneinanderreihung reduzierte Dramaturgie und Ästhetik der Video-Exzesse kommt diesen Gebrauchswert-Eigenschaften des Videorekorders [...] sehr stark entgegen. Ähnlich wie bei den aus Clips zusammengeschnittenen Pop-Video-Kassetten kann in jedem Serien-Zombie, -Bruce Lee, -Kung Fu oder -Porno an beliebigen Stellen eingestiegen oder herausgegangen werden. Komplexere Spannungsbö709
gen können dadurch nicht zerstört werden, weil sie gar nicht existieren.«
Quantität ist dieser Auffassung nach prinzipiell ein negativer Faktor: die Masse der Gewaltdarstellungen, die durch die in Massen auftretenden, tötenden und getöteten Zombies potenziert wird und in der Masse von Videos wiederum eine entindividualisierte Masse hungriger Videokonsumenten erzeugt. Für dieses Medium scheint nicht mehr zu gelten, was Stresau für den Splatterfilm im Kino noch gelten lässt: »Bezieht man nur die Ereignisse auf der Leinwand in die Diskussion ein, ist es tatsächlich nicht schwer, im Splatterfilm die Gleichheit von Signifikat und Signifikant und damit die Grundvoraussetzung jeglicher Pornographie zu entdecken. Tatsächlich besteht Film jedoch aus mehr als nur den Ereignissen auf der Leinwand; erst im Kopf des Zuschauers 710
entsteht das eigentliche Filmerlebnis.«
Stresau leitet aus diesem Umstand ab, dass das Kinopublikum dem Geschehen eine metaphorische Bedeutung geben kann, sofern es dabei durch eine narrative Einbettung der Gewaltdarstellungen unterstützt wird. Von dieser kognitiven Be-
708 Melchers, Christoph B./Seifert, Werner: »›...das Bild ist jetzt noch nicht weg‹. Psychologische Untersuchungen und Überlegungen zum Video-Horror«, in: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse 14 (1984), S.21-31, hier S.30-31. 709 S. Zielinski: Der Videorecorder als Durchlauferhitzer, S.11. 710 N. Stresau: Der Horror-Film, S.158.
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teiligung des Zuschauers geht aus der zeitgenössischen medienpädagogischen Perspektive zwar eine Gefahr aus, die in der bereits angeführten ideologischen Übertragungsleistung besteht. Spätestens das Video aber setzt die kognitive Verarbeitung ohnehin außer Kraft: Der kindliche oder jugendliche Zuschauer läuft Gefahr, selbst zu einer Art Zombie zu werden, also zum geistlosen, auf seine (audiovisuellen) Reaktionen reduzierten und der Sprache nicht mehr mächtigen Konsumenten, der nach Bildern ebenso süchtig ist wie ein Zombie nach Fleisch. Wurde im historischen Vampirglauben die Infizierung durch die Wiedergänger gefürchtet, so hier die Infizierung durch nunmehr virtuelle Untote, die in ihren Auswirkungen gleichwohl nicht weniger real sein könnte. Die Infizierten können dabei zur Nachahmung angeregt werden und/oder desensibilisiert. Für mediale Stimulation wie auch Habitualisierung bietet der Zombie ein ideales Sinnbild, wird er zur Gewalt doch nicht durch persönliche Motive angetrieben, sondern kommt ihr als triebgesteuerter Automat nach, ohne auch nur punktuell eine Bedürfnisbefriedigung erreichen zu können. Auch gibt es für seine bloße Existenz keine oder nur vage angedeutete Erklärungen, so dass sich die Mittel der »christlich-abendländischen Kultur« (Sakramente, Schrift und Schriftenlehre usw.) gegen ihn als wirkungslos erweisen. Als in dieser Form originäres Produkt eines säkularen Materialismus allgemein und der US-amerikanischen Populärkultur im Besonderen lässt sich der Zombie nicht ohne weiteres in die europäische Kulturgeschichte einordnen. Anders als der Vampir etwa lag er vor seinem Leinwanddebüt nicht in literarischer Bearbeitung vor und ist somit eine primärmedial filmische Figur. Zwar gibt es das Vorbild des Zombies im haitianischen Voodookult, mit denen er aber nur noch die Eigenschaft des wiederauferstandenen und geistlosen Toten gemein hat. Der Kannibalismus und die infektiösen Bisse wurden dem Motiv hingegen 1968 durch den ersten modernen Zombiefilm »Die Nacht der lebenden Toten«711 beigefügt, ebenso wie die Verlagerung von seinem karibischen Hintergrund hin in das Alltagsumfeld des kapitalistischen Westens. Auch das Auftreten in Massen, die Tötungsmethode des Kopfschusses und, zumindest häufig, eine gewisse Beliebigkeit oder Unerklärlichkeit seines epidemischen Auftauchens sind neue Aspekte. Zombies zeichnen sich somit seit »Die Nacht der lebenden Toten« dadurch aus, dass sie sich gerade auch aus mittelständischen Weißen rekrutieren können, und eben anders als der exotische Zombie des Voodoo-Kultes, die Mumie oder der Vampir keine ethnisch und/oder historisch externalisierte Bedrohung der Gesellschaft darstellen (siehe Abb. 26). Auch insofern stellen sie offenbar nicht nur einen stärkeren Bezug
711 DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN (NIGHT OF THE LIVING DEAD, USA 1968, R: George A. Romero).
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zum westlichen Rezipienten dar, sondern möglicherweise vom Standpunkt der westlichen Medienkritik auch eine stärkere Infektiösität. Die Gefahr wird, ebenso wie bei dem gleichsam in den 1970er Jahren populär werdenden Motiv des Serienmordes, in der Mitte der Gesellschaft verortet: Das System verschlingt sich selbst. Filmfigur und Rezipient gleichen sich zumindest optisch tatsächlich einander an. Aus diesem Umstand ergibt sich freilich ein Potential des Subgenres zur Gesellschafts- und Konsumkritik (wenn etwa die Zombies sich in dem Film »Zombie« vor einem Einkaufszentrum versammeln, was einer der Helden so kommentiert: »Some kind of instinct. Memory of what they used to do. This was an important place in their lives.«). Diese Erkenntnis bestimmt mittlerweile auch in Deutschland durch Autoren wie Dietmar Dath 712 die öffentliche Rezeption dieses Subgenres. Diese mögliche Auslegung spielt jedoch keine wesentliche Rolle in den medienpädagogischen Beiträgen der 1980er Jahre. Der Horrorfilm beziehungsweise der Genrefilm wird gemeinhin nicht rehabilitiert, allenfalls als überschätztes Symptom einer sozialen Fehlentwicklung relativiert. So betrachtet Dieter Korzak »Primitiv-Filme[n] mit Schwarz-weiß-Botschaften« als Saat »in einem bereits bestellten Feld« aus Bildungsferne, Leistungsdruck und Minderwertigkeitsgefühlen«713. Auch Hans-Joachim Neumann weist darauf hin, dass die Frage nach den soziologischen Voraussetzungen des Phänomens meist geflissentlich übersehen werde: »Die Diskussion hätte dann allerdings für deutsche Eltern wahrscheinlich Unliebsames zu Tage gefördert. Etwa die Frage, ob Kinder auf diese spektakuläre und zugegeben krude Weise emotionale Defizite ausgleichen. Aufgewachsen unter der alles abschirmenden Käseglocke Mittelstandsfamilie, fehlen ihnen womöglich elementare Erfahrungen wie z. B. Krankheit, Unfall oder Tod. Eingezwängt in eine nivellierte, auf materiellen Wohlstand ausgerichtete Leistungsgesellschaft [...] haben Kinder kaum noch Zeit, Gesehenes und Erlebtes emotional zu verdichten und damit zu verarbeiten. [...] Indem sie sich dem eigentlich Unerträglichen von der Videokassette aussetzen, versuchen sie wohl nur ganz unbewußt, mit untauglichen Mitteln sich selbst die Normalität existentieller emotionaler Erfahrungen zu verschaffen. Wenn dem aber tatsächlich so ist, dann müssen nicht Kinder und Jugendliche vor den Horrorvideos geschützt, sondern Erwachsene daran gehindert werden, ihnen starke, gefühlsmäßige Eindrücke zu verwehren und sie damit in einen infantil-
712 Vgl. Dath, Dietmar: »Falsches Fleisch. Über Zombies«, in: Heute keine Konferenz. Texte für die Zeitung. Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 2007, S.141-153. 713 Korczak, Dieter: »Reizwaren-Bedürfnisse. Thesen zum Zusammenhang von Jugend, Freizeit und Videokonsum«, in: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse 14 (1984), S.19-20, hier S.20.
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unreifen Traumzustand zwischen kindlicher Lust auf Erfahrungen und dem Realitätsprin714
zip der Erwachsenenwelt zu halten.«
Verbote erscheinen überhaupt in medienpädagogischen Publikationen weitgehend nur als Ergänzungen oder auch ineffektive Lösungen, denn das »Zombievideo« steht oftmals nur als »kampfrhetorisches« Extrembeispiel stellvertretend für den Vertrieb des kommerziellen Genrefilms. In der daran festgemachten Diskussion geht es also keineswegs allein um den Jugendschutz vor den »Video Nasties«715, die wenigstens dem äußeren Anschein nach nur für Erwachsene konzipiert sind. Vielmehr geht es auch um das umfassendere Problem der kommerziellen Kinder-, Jugend- und Familienfilme, die auf die Motive des Splatterfilms verzichten müssen und können716 Kurz: Es geht um den Schutz der Jugend vor einem Realitätsverlust in der audiovisuellen Mediatisierung. Mit der schützenswerten Realität ist dabei offensichtlich, aber gemeinhin unausgesprochen, die Realität der Erwachsenen gemeint. Sie ist zwar ihrerseits mediatisiert, wird aber als »authentischer« dargestellt. Die Erwachsenenwelt kann sich – ob nun aus kapitalismuskritischer, kulturpessimistischer oder wertkonservativer Perspektive – in ihrer ideologischen Opposition gegen etwas einigen, das als Synthetisierung und Synkretismus wahrgenommen wird, kurz, gegen die Gründungsmythen der Globalisierung: »Die amerikanischen Serien vermitteln Kindern in aller Welt die politischen Normen und kulturellen Werte des Herstellungslandes. [...] Japanische Zeichentrickserien, die teilweise in amerikanischem Auftrag entstehen [...] übernehmen diesen Wertekanon. Dieser Internationalisierung, eher Amerikanisierung der Kinderkultur führt zum Verlust nationaler kultureller Identitäten, Traditionen, zu weltweiter Nivellierung. In den Zeichentrickfilmen sind übereinstimmend gezeichnete, verkitschte Gebirgslandschaften einmal die Alpen, ein anderes Mal die Rocky Mountains, [...] treten sich gleichende Kinder mit großen runden Augen als Franzosen, Japaner oder Amerikaner auf. Science Fiction-Technik und futuristische Kulturlandschaften haben – durchaus genregemäß – ohnehin keinen erkennbaren
714 Neumann, Hans-Joachim: Horror-Videos – gibt es die und etwas dagegen? Wie ein wichtiges Thema öffentlich zu Tode diskutiert wurde medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse 14 (1984), S.14-18, hier S.18. 715 »Video Nasties« ist ein Schlagwort der National Viewers’ and Listeners Association während der parallel in Großbritannien stattfindenden Zensurdebatte. 716 Erst 2013 versucht sich die Teenagerromanze WARM BODIES (USA 2013, R: Jonathan Levine) nach dem Erfolg des TWILIGHT-Franchises an einer Umdeutung auch des Zombies zum romantischen Liebhaber.
242 | VERFOLGUNGSJAGDEN Nationalcharakter mehr. Handlungsgrundstrukturen sind auf gut gegen böse, auf die Ebene des Märchens reduziert, damit in aller Welt verständlich. [...] Weiterer kultureller Nivellierung leisten die erfolgreichen Medienverbundsysteme dadurch Vorschub, daß sie die gesamte Populärkultur plündern, daß sie Versatzstücke aus unterschiedlichen Genres, 717
Kulturkreisen und Zeitaltern nehmen.«
717 H. Heidtmann: Kindermedien, S.181-182.
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Einige Autoren erkennen an, dass es nicht darum geht, den Kindern und Jugendlichen mit autoritärem Gestus die Filmrezeption »zu vermiesen«.718 Vielmehr soll Medienkompetenz als Hilfe zur Selbsthilfe in der selbstständigen Entscheidungsfähigkeit münden. Das scheint nahezulegen, dass Genrefilme, da sie schon nicht werbend behandelt werden können, überhaupt nicht behandelt werden sollten. Stattdessen mag es konstruktiver sein, am positiven Gegenbeispiel zu lernen und lehren. Dies befürwortet etwa der in Deutschland viel rezipierte Alain Bergala, wenn auch mit dem alternativen Argument, das Kino sei weniger wegen »schlechter« Filme im ideologischen und psychologischen Sinne gefährlich, als vielmehr wegen »mittelmäßiger« Filme, die einen negativen Einfluss auf die Geschmacksherausbildung der Kinder hätten und die er im »Popcorn-Kino« verortet.719 Wenn jedoch die Kinder und Jugendlichen nicht rundweg dazu erzogen werden sollen, ihren Geschmack so zu »verfeinern«, dass sie die »trivialen« zugunsten der empfohlenen Filme ablehnen beziehungsweise zugunsten von Literatur und sozialen Freizeitbeschäftigungen,720 dann besteht – zumal in der deutschen Fachdidaktik – die Herausforderung eben darin, actionbetonte Filmerlebnisse distanzschaffend in verbale und textuelle Strukturen zu überführen721, also zu »versprachlichen«.722 »Am auffälligsten bei Erzählungen von Kindern über Gesehenes ist, daß ihre Sprache an das Gesehene überhaupt nicht heranreicht. [...] Viele Kinder können überhaupt nicht verbal verständlich machen, was sie [...] bei hochkomplexen und schnell aufeinanderfolgenden Bildereindrücken, erlebt haben, so daß sie nur stammelnd und stotternd Worte, verknüpft mit vielen ›und dann und dann‹ finden. [...] ...zugleich mit der Sprache entgleiten Kindern ausgerechnet die einzigen Hilfsmittel, die sie zu kritischem Bildersehen dringend benötigten, denn nur Sprache liefert die Instrumente kritischen Denkens. [...] Es besteht offenbar eine Wechselwirkung zwischen dem Zuwachs am Konsum von Filmbildern und der Zunahme kindlicher Sprachfähigkeit [sic!]. Sie könnte zweierlei erklären: erstens die von vielen Pädagogen beklagte wachsende Sprachunfähigkeit und Sprachunwilligkeit vie-
718 C. Schöwer: Entzauberung der Medien durch ihren Gebrauch, S.136. 719 Vgl. Bergala, Alain: Kino als Kunst, S.41. 720 Vgl. z. B. U. Ehlers: Ein kleine Antwort auf die innenweltverschmutzenden Videofilme./H. Schäfer/D. Baacke, Leben wie im Kino. 721 Vgl. z. B. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.28. 722 F. Krämer: SpielFilmSpiel, S.153.
244 | VERFOLGUNGSJAGDEN ler Kinder und Jugendlicher, die zweitens dazu führt, daß viele ihre Konflikte nur bra723
chial, nicht aber verbal austragen können.«
Angesichts solch harscher, aber der zugrundeliegenden Tendenz nach nicht unrepräsentativer Ausführungen stellt sich die Frage, ob es bei einer Förderung der sprachlichen Kommunikation von Filmrezeption darum geht, ein Vokabular für die spezifisch filmischen Ausdrucksmittel zu vermitteln und entwickeln, oder darum, eine darstellende Kunst nachträglich auf ihren erzählenden Anteil zu reduzieren – beziehungsweise auf die Erzählung über einen Konflikt und seine Lösung. Dieser Anteil muss jedoch ebenso wenig ihren eigentlichen Gehalt ausmachen, wie dies im Ballett oder in Oper und Musical der Fall wäre. Spezialeffekte, Stunts, Slapstick- und eben Tanz- und Kampfchoreographie im Film können in einem vergleichbaren Verhältnis zur Geschichte stehen, wie Tanz und Gesang im Musiktheater. Sie sind dann also nicht als retardierende, sondern substantielle Bestandteile. Actionfilme wären demnach etwa nicht zwangsläufig Filme, die in erster Linie grob skizziert von einem Konflikt erzählen, also zum Beispiel davon, wie eine militärische Elitetruppe Geiseln aus der Gewalt eines Diktators befreit. Wahrzunehmen wäre auch die detailgenaue, rhythmisch präzise und originelle Darstellung von Elementen, Maschinen oder von der Erotik und Versehrung von Objekten und menschlichen Körpern. John D’Amico hat die Actionsequenzen in den Filmen Michael Bays z. B. überzeugend mit bildenden Kunstwerken des Futurismus verglichen. 724 Zugleich können solche Darstellungen durch die narrativen Bezüge metaphorisch aufgeladen sein. Wenn also in »Der Tod in Venedig«725 ausführlich große Blumenvasen und Lampenschirme gezeigt werden (siehe Abb. 27), geht es nicht allein um Haushaltsdesign, sondern um die Dekadenz eines in dekorativer Kompensation erstickenden, seiner Vitalität beraubten Großbürgertums (unter anderem). Wenn in »Jurassic Park« ein Tyrannosaurus rex gezeigt wird (siehe Abb. 28), geht es gleichsam nicht nur um Dinosaurier, sondern um die gemäß der Chaostheorie scheiternde Domestizierung von Natur innerhalb einer synthetischen und marktgesteuerten »Spaßgesellschaft« (unter anderem). Analog zu Musik und Tanz und anders als zum Beispiel deskriptive Passagen literarischer Texte – wie poetische Landschaftsbeschreibungen oder veräußerlichende Schilderungen von Ereignisketten wie Stierkämpfen –, müssen
723 U. Benz: Jugend, Gewalt und Fernsehen, S.78-81. 724 D’Amico, John: Michael Bay: Futurist. Geposted am 16. 5. 2014. http://smugfilm. com/michael-bay-futurist/ 725 TOD IN VENEDIG (MORTE A VENEZIA, IT/FR 1971, R: Luchino Visconti).
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Filmsequenzen, die nicht deutlich erkennbar dem Kausalzusammenhang der Fabel dienen oder zumindest quantitativ in einem ungleichen Verhältnis zu diesem stehen, einer prominenten Position der Medienpädagogik zufolge erst in Sprache übersetzt werden, um angemessen rezipiert werden zu können. Als Transferleistung wird die kritische Wertung häufig noch vor der subjektiven Wirkungsbeschreibung oder dem analytischen Verstehen genannt (oder auch anstelle dessen).726 Zugleich wird dem Instrument der Sprache offenbar kein spielerisches, irritierendes, irrationales oder auch manipulatives Potential beigemessen. Stattdessen »wird mit einem überkommenen Gegensatz kognitiv-rationaler vs. affektiv-sinnlicher Erfahrung operiert und Sprache wird [...] reduktiv auf Seiten der Rationalität verrechnet.«727 Tiemann führt diese zugespitzte Kontrastierung auf die breite Resonanz Neil Postmans im deutschsprachigen Raum der 1980er Jahre zurück (»Das Verschwinden der Kindheit« lag in deutscher Übersetzung 1982 vor728, »Wir amüsieren uns zu Tode« 1985729): »Berief man sich im literarischen Kampf gegen ›Schmutz und Schund‹ auf die klassische Dichotomie von Anerkanntem und Trivialem, so verläuft die Trennlinie nun grundsätzlich zwischen Text und Bild. [...] Lesekultur wird bei Postman zum Synonym für domestizierende Sozialisationsprozesse, denen es vorrangig um Triebkontrolle und Affektbeherrschung geht.«730 Sollen Sprachkompetenz und Kritikfähigkeit am Film geschult werden, sind freilich die genannten Risiken bildgewaltiger Manipulation und Überforderung in den traditionellen Gegenständen des Literaturunterrichtes, also in Literaturadaptionen wie »Der Schimmelreiter«731 oder »Homo Faber«732 schlichtweg nicht gegeben. Daher rücken die Genrefilme als Unterrichtsgegen-
726 Vgl. z. B.: M. Schaaf : Theorie und Praxis der Filmanalyse, S.120/K.-O. Kahrmann: Dreh’n wir doch mal ’n richtigen Film!, S.148. 727 Krämer, Felix: SpielFilmSpiel. Szenisches Interpretieren von Film im Rahmen von Literaturdidaktik und Medienerziehung. [= Medien im Deutschunterricht. Beiträge zur Forschung, 4), München: KoPäd 2006, S.80. 728 Vgl. Postman, Neil: Das Verschwinden der Kindheit (The Disappearance of Childhood), Frankfurt a.M.: S. Fischer 1983. 729 Vgl. Postman, Neil: Wir amüsieren uns zu Tode (Amusing Ourselves to Death), Frankfurt a.M.: S. Fischer 1985. 730 Tiemann, Hans-Peter: Filme erleben: zur medientheoretischen Begründung und unterrichtspraktischen Handhabung einer Film- und Fernsehdidaktik im DeutschUnterricht der 5. und 6. Klassen, Münster: LIT Verlag 1991, S.52-53. 731 DER SCHIMMELREITER (BRD 1979, R: Alfred Weidenmann). 732 HOMO FABER (BRD/FR/GR 1991, R: Volker Schlöndorff).
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stände unter diesem Gesichtspunkt auch gerade wegen des Bedarfs an Domestizierung in den Fokus. Die Einsicht in Genreregeln soll etwa dazu beitragen, dass die SchülerInnen lernen, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. »Geeignet sind Genera, die auf die meisten Leser und Zuschauer in der Lebensphase zwischen dem 5. und dem 10. Schuljahr eine besondere Anziehungskraft ausüben, also etwa der Western, das Mordrätsel, die Schauerphantastik, die Science-Fiction und der Thriller.«733 Wolfram Buddecke betrachtet dabei den Film allerdings nicht als der (Trivial-)Literatur unterlegen, sieht aber doch erhöhten Handlungsbedarf angesichts des erhöhten Realitätseindruckes, den audiovisuelle Medien erwecken können.734 Genreübliche Handlungskonventionen, die andernorts Gegenstand der kritischen Ablehnung sind, erscheinen hier als Chance, die Verwirrung durch die von den Bildreizen erzeugten Affekte zu lindern, gerade weil ihre Schemata als einfach und deutlich herauszuarbeiten erscheinen. Allerdings hat sich gegenüber dieser dominanten Tendenz zur »Gesprächstherapie« der Genrerezeption in den letzten anderthalb Jahrzehnten eine Akzentverschiebung ergeben. So hat parallel dazu die produktions- und handlungsorientierte Deutschdidaktik im Film insofern einen lohnenden Gegenstand gefunden, als es leicht fällt, an seinen Ausdruckmitteln die Grenzen des philologischen Ansatzes zu markieren, denn kaum »dürfte es gelingen, mit dem üblichen Konzept eines der Filmdarbietung nachgeschalteten ›Filmgesprächs‹ das wirkliche Spektrum evozierter Emotionalität abzurufen. Während das drohende ›Sprechen über Filme‹ schon den Rezeptionsgenuß verstellt und als ungeliebtes Unterrichtsritual zu Distanzhaltungen disponiert, läuft ein eher ›ungezügelter‹ Filmkonsum, der sich didaktischer Arrangements enthält, Gefahr, daß hier die Summe der ›Folge735
lasten‹ des Regelunterrichts ausagiert wird.«
Es ist bezeichnend, dass Tiemann zu Beginn seiner Ausführungen auch kurz auf den radikalen Sprachskeptiker Bálazs zurückgreift736 (wenn auch in Hinblick auf
733 Buddecke, Wolfram: Fernsehunterhaltung in der Sekundarstufe I. Zur Rolle von Spiel- und Sachfilmen im Literaturunterricht, Hannover: Schroedel Schulbuchverlag 1986, S.60. 734 Vgl. ebd., S.52-55. 735 H.-P. Tiemann: Filme erleben: zur medientheoretischen Begründung und unterrichtspraktischen Handhabung einer Film- und Fernsehdidaktik im DeutschUnterricht der 5. und 6. Klassen, S.173. 736 Ebd., S.10-11.
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den Beitrag, den das Kino zur Erweckung des Theaters aus seiner bürgerlichen Institutionalisierung geleistet habe). Doch auch, wenn Filme bei Tiemann nicht mit den Mitteln der distanzierten, sprachlichen Analyse, sondern unter Ausschöpfung der emotionalen Wirkung behandelt werden (letztere wird weiterhin als der emotionalen Wirkung von Literatur gegenüber gemeinhin überlegen gesetzt), so dient doch auch der handlungs- und produktionsorientierte Ansatz weiterhin der Distanzierung, sobald nicht mehr länger nur Filme behandelt werden, die in Kritik, Wissenschaft und Filmgeschichte als wertvoll anerkannt sind: »Angesichts massenmedial normierter, klischeehafter Darstellung gilt es, Widerstände zu mobilisieren und solche kindlichen Lesarten zu unterstützen, in denen sich gegenläufige Interpretationen artikulieren.«737 Eben mit dieser Motivation sowie um »kindliche Erschütterungen aufzufangen«738, sollten die Lehrkräfte auch die Szenarien des Eventkinos behandeln, sozusagen in einer Art der »gestalttherapeutischen« Verarbeitung. Felix Krämer sieht 2006 zeitgemäß handlungs- und produktionsorientierte Verfahren und sprachliche Kognitivierung in wechselseitiger Bedingung. Er vermerkt allerdings (fünfzehn Jahre nach Tiemanns Appell), dass das Eventkino im deutsch- beziehungsweise filmdidaktischen Diskurs kaum auftauche und betrachtet dies als Versäumnis.739 Krämer sieht eine Integration einmal mehr deswegen als notwendig an, weil die gehobenen Literaturverfilmungen den aktuellen Rezeptionserfahrungen der SchülerInnen zu wenig entsprächen. Er betont jedoch, dass das Anliegen der von ihm vorgestellten sprachgeleiteten Wahrnehmungsbildung nicht sei, »lebensweltliche Medienpraxis zu rekonstruieren, zu korrigieren oder gar auszutreiben; es geht nicht darum, Kindern und Jugendlichen beizubringen, dass sie Kinofilme, Videoclips und Werbespots ›richtig‹ oder gar nicht rezipieren sollten. Vorgesehen ist vielmehr eine imaginativ-rationale Beobachtung von Medienangeboten innerhalb eines eigenen Dispositivs, bei dem Kritik und Genuss, Analyse und Imagination keine Gegensätze, sondern Einheiten bilden. [...] Der Aufbau differenzierter und differenzierender Sprachlichkeit ist das Hauptziel. Dies meint keine vorschnelle und einseitige Subsumtion der Bilderlebnisse unter den rationalen Diskurs von Begriffen und Kategorien, sondern das Vermögen, an Medienangebote sprachlich anzuschließen und diese Anschlüsse wiederum in sprachlichsoziale Prozesse der Aushandlung von Bedeutung einzuspeisen. Ausgegangen wird somit
737 Ebd., S.227. 738 Ebd., S.232. 739 Vgl. F. Krämer: SpielFilmSpiel, S.160
248 | VERFOLGUNGSJAGDEN von einer konstruktivistischen Auffassung von Kommunikation als sprachlicher Herstellung von Konsensualität.«
740
Bei Krämer ist das Ziel also nicht mehr die »Übersetzung« des Filmerlebnisses in Sprache, sondern die sprachliche Herausbildung von Visual Literacy, die den SchülerInnen auch als Voraussetzung produktionsorientierter Verfahren dienen soll.741 Das Eventkino erscheint deshalb als geeignet dazu, weil es ein Bestandteil ihrer Lebenserfahrung ist und nicht länger als etwas betrachtet wird, das »Erfahrung nachträglich von Außen überformt«742. Die Schnittmenge der Filmhandlung mit den außerfilmischen Alltagserfahrungen der SchülerInnen in ihrem sozialen Umfeld wird gemessen an dieser Bildung audiovisueller Kompetenz als nachrangig betrachtet.
740 Ebd., S.79-80. 741 Vgl. ebd., S.15. 742 Rajewski, Irina O.: Intermedialität, Tübingen/Basel: Francke 2002, S.47.
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2.11 D ER W ANDEL DER PHANTASTISCHEN F ILMGENRES ZUM R EALISMUS Wenn Ulf Abraham hingegen in seine pädagogischen und ästhetischen Kriterien für Kinder- und Jugendfilme »auch fantastische Welten«743 einbezieht, bezieht er sich auf deren inhaltlichen Bezüge zur Lebenswelt des Publikums. Er knüpft diese somit ausdrücklich nicht mehr an einen oberflächlichen Realismus der Darstellung. Solche Bezüge lassen sich vielmehr demnach auch zu Konfliktsituationen herstellen, die in phantastische Motivik und Symbolik übertragen und gegebenenfalls überhöht wurden. Andererseits würde sich eine Abgrenzung zu den zuvor oft geschmähten Genres selbst unter Beibehaltung früherer Standpunkte mittlerweile weniger aufdrängen, da sich auch von der Produzentenseite her Veränderungen ergeben haben. Es hat sich seit den Erfolgen von »Der Herr der Ringe – Die Gefährten« und »Harry Potter und der Stein der Weisen«744 im Jahr 2001 insbesondere im Fantasygenre ein forcierter psychologischer Realismus ergeben, nämlich durch den verstärkten Rückgriff auf literarische Vorlagen und epische Erzählstränge, die sich über Trilogien bis hin zu Oktologien erstrecken. Dazu bei tragen weiterhin die Verlängerung des einzelnen Event-Films auf bis zu drei Stunden und die stärkere Orientierung an einem Publikum, das die Franchise-Figuren von der Kindheit bis mindestens zum Ende der Pubertät als parallel heranwachsende Begleiter haben (und als Erwachsene nostalgisch wiederentdecken) soll. Figuren müssen langfristig entwickelt werden und ambivalent sein, damit das Publikum sich vor und während der verlängerten Kinovorstellung mit Nacho- und Popcorn-Menüs eindecken kann, damit es nach dem Cliffhanger des Filmendes zur Fortsetzung ins Kino zurückkehrt und damit es später zuhause die Extended Version mit zusätzlich erhellenden Szenen ausleiht oder kauft. Auch müssen die Gesellschaften, innerhalb derer sie sich bewegen, ausführlicher und detaillierter geschildert werden. Dies trägt ebenfalls zur Verdauerung bei, aber gibt auch die Gelegenheit, diverse Zielgruppen mit möglichen Identifikationsfiguren zu repräsentieren, was im Merchandising umso mehr Produkte schafft (etwa die Replika der Zauberstäbe nahezu sämtlicher Figuren aus dem »Harry-Potter«-Universum). Die phantastischen Welten werden somit,
743 U. Abraham: Kino im Klassenzimmer, S.15. 744 HARRY POTTER UND DER STEIN DER WEISEN (HARRY POTTER AND THE SORCERER’S STONE, UK/USA 2001, R: Chris Columbus.
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nach dem Vorbild von Tolkiens »Der Herr der Ringe«745, geographisch, soziologisch und ethnologisch bis in den letzten Winkel kartographiert. In einer Umkehrung werden literarische Vorlagen, die weit karikatur- und märchenhafter skizzierte Figuren aufweisen, weil sie eben als Kinderbücher konzipiert waren, in der filmischen Adaption nun psychologisiert, politisiert und ethnisch sowie geschlechtlich differenzierter gestaltet: So etwa »Der kleine Hobbit«746, bei dem nach einer schlüssigen Hochrechnung des Filmkritikers Mark Kermode auf die 95 356 Worte der englischen Textfassung747 jeweils 16,36981 Frames der Filmtrilogie748 kommen dürften, also 1/3 Sekunde pro Wort. 749 Hinzugefügt wurde unter anderem eine Liebesgeschichte zwischen einem Zwerg und einer Elbe, was die bestenfalls auf »rassischer« Koexistenz basierende und überhaupt recht asexuelle Welt der Tolkienschen Literatur deutlich durchlässiger (und für Liebespaare im Publikum eventuell attraktiver) macht. »Es ist ein Kapitalismus, der das Heterogene und Deviante gelten lässt, um effizient zu wirtschaften. Er erfordert nicht länger eine primäre disziplinierende Macht, [...] vielmehr sind durch Permission neue Märkte entstanden.«750 Archaische, typologisch umrissene und zu einem gewissen Grad »leere« Heldenfiguren sind dagegen im Film seltener geworden. 751 Nichtsdestoweniger
745 Tolkien, J.R.R.: Der Herr der Ringe (The Lord of the Rings. Aus dem Englischen von Margaret Carroux und E.-M. von Freymann), Stuttgart: Hobbit Presse, KlettCotta 1992. 746 Tolkien, J.R.R.: Der kleine Hobbit (The Hobbit or There and Back Again. Aus dem Englischen von Walter Scherf), München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1974. 747 Tolkien, J.R.R.: The Hobbit or There and Back Again, London: HarperCollins UK, 1991. 748 DER HOBBIT – EINE UNERWARTETE REISE (THE HOBBIT: AN UNEXPECTED JOURNEY, USA/NZ 2012, R: Peter Jackson)./DER HOBBIT – SMAUGS EINÖDE (THE HOBBIT: THE DESOLATION OF SMAUG, USA/NZ 2013, R: Peter Jackson)./DER HOBBIT – HIN UND ZURÜCK (THE HOBBIT: THERE AND BACK AGAIN, USA/NZ 2014, R: Peter Jackson). 749 Vgl. KERMODE UNCUT: THE DESOLATION OF SMAUG – AN ANALYSIS. Kanal: Kermode and Mayo’s Film Review. Gepostet am 10.12.2013. http://www.youtube. com/watch?v=P87Ahev4CDE 750 Ritzer, Ivo: Fernsehen wider die Tabus. Sex, Gewalt, Zensur und die neuen USSerien, Berlin: Bertz + Fischer 2011, S.86-87. 751 Weswegen sich eine Autorin wie die Georg-Büchner-Preisträgerin 2012, Felicitas Hoppe, bereits programmatisch einer Rettung dieses Typus in der Literatur angenommen hat.
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halten sich die Media Franchises weiterhin in hohem Maße an die überlieferten Erzählmotive und Schemata, wie sie Joseph Campbell erfasst hat. 752 Mit einem im deutschen Raum etwa durch die Arbeiten Michaela Krützens753 steigenden Bewusstsein für diese Wurzeln verändert sich jedoch die mediendidaktische Perspektive auf diese Konventionen in zunehmendem Maße seit den 2000er Jahren. An eben die zuvor bemängelten narrativen Strukturen werden nun Hoffnungen geknüpft. Sie richten sich vor allem auf die Erschließung literarischer Stoffe durch die populären Umformungen, auf die durch die intermediale und intertextuelle Verschränkung der Stoffe im Franchise als Motivation zur Leseförderung und schließlich auf die Integration jener Kinder und Jugendlichen, die man nicht nur über die technische Komponente der Nichtprintmedien, sondern auch über die in den Genres vermuteten attraktiveren Rollenbilder anzusprechen hofft: Jungen.
752 Vgl. J. Campbell: Der Heros in tausend Gestalten. 753 Vgl. z. B. Krützen, Michaela: Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt, Franfurt am Main: Fischer Verlag 2004.
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2.12 D IE ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHE R EHABILITIERUNG DES G ENREFILMS Bereits 1992 erkennt etwa Horst Heidtmann, der den Produktionen selbst gegenüber ein durchaus kritisches Vokabular wählt, an, dass die Kinder in den filmischen »Bildsegmenten, Versatzstücken aus dem gesamten Korpus trivialer Kultur, vielleicht einer neuen, zeitgemäßen, internationalen Form von Märchen«754 begegnen könnten. Auch er konstatiert zwar, dass Kinder diesen »gigantischen Bilderbrei [...] weder zusammenhängend noch durchgängig«755 aufnähmen. Aber er betrachtet es durchaus nicht als problematisch, wenn sie keinen linearen narrativen Zusammenhang übernehmen. Im Gegenteil: Das in der medienpädagogischen Literatur vielgeschmähte »Zappen« erscheint als eine Chance zur eigenständigen und kreativen Verarbeitung und zur Einbindung in den eigenen, alltäglichen Erlebnishorizont. »Kinder [...] vernetzen die Informationen jedoch anders als Erwachsene. Kinder nehmen selektiv wahr, sie richten ihre Aufmerksamkeit auf Details (Figuren, Eigenschaften, Requisiten), die sie erkennen, interessieren, die in der aktuellen Situation eine bestimmte Bedeutung für sie haben. [...] Im Rezeptionsprozeß der Kinder werden die Originale, die gesehenen Filme, Motive, Figuren individuell umgeformt, mit eigenständigen Ergebnissen (die sich beim gleichen Film Kind für Kind unterscheiden können). Im Spiel der Kinder untereinander, im Rollenspiel mit Figuren vermengen sie die industriell gefertigten, seriell gelieferten Figuren, Versatzstücke, Geschichten, lassen Lurchi und He-Man gegen Peter 756
Pan im Känguruhland kämpfen.«
Besonders bemerkenswert ist hier, dass die Handlungskontinuität der Werke als völlig marginal dafür betrachtet wird, ob es den Rezipienten gelingt, sie in ihre individuellen Entwicklungs- und Bildungsbiographien (oder, etwas niedriger angesetzt, in ihren alltäglichen Tagesverlauf) zu integrieren, auch dann, wenn es sich um kleinere Kinder handelt. In Analogie zu diversen Kulturtechniken, die sich in der Digitalisierung entwickeln oder in den kommenden Jahrzehnten erst noch entwickeln werden, beziehungsweise in diesen Jahren erst zu Breitenwirksamkeit gelangen (Remix, Recut, Crossover) erscheinen die Kinder hier als »postmoderne« DJs. Ihre Aneignung und Kombination des Tradierten darf ebenso als selbstständige kreative Leistung gelten wie die Neuanordnung mündlich
754 Ebd., S.183. 755 Ebd., S.183. 756 Ebd., S.183-184.
2.12 DIE ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHE R EHABILITIERUNG
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tradierter Märchen- oder Legendenstoffe in der Literatur. Dass die letzteren auch als Vorbilder der Stoffe in kommerziellen Medienverbünden erkannt werden, erleichtert die Relativierung auch des viel kritisierten Rezeptionsverhaltens: »Die Phantasietätigkeit von Kindern wird durch AV-Medienkonsum nicht eingeengt, sondern verlagert und erhält andere Requisiten vorgegeben. [...] Kinder und Jugendliche wählen heute aus dem gesamten Medienangebot das für sich aus, was in der jeweils konkreten Situation die jeweils spezifischen Bedürfnisse befriedigen kann, auch aus den Printme757
dien.«
In dem Umstand, dass die Media Franchises auch Bücher und Magazine beinhalten, sieht Heidtmann jedoch noch keinen Gewinn für die Leseförderung, im Gegenteil: »In den neueren Verbundsystemen ist die Literatur nur noch selten der Rohstofflieferant, häufiger entstehen stattdessen Buchfassungen nach der Vorlage von Filmen oder Hörspielen. Diese ›Verbuchungen‹ beschränken sich fast immer auf direkte Nacherzählung der Haupthandlungslinien, sparen aus, was sich medienspezifisch im Film durch Kameraführung, Mimik, Gestik, Stimmungen, Atmosphäre realisiert, liefern im Medium Buch eigentlich keine mediengerechte Literatur. [...] Diese Form des Verbundes muß in der Praxis in den Augen Heranwachsender die Leistungsfähigkeit erzählender Literatur dis758
kreditieren.«
»Der Club der toten Dichter«759 von Nancy H. Kleinbaum stellte bis dahin das seltene Beispiel eines »Buches zum Film« dar, das wegen der thematischen Eignung der Filmvorlage und nicht wegen seiner literarischen Qualität den Eingang in die Fächer Deutsch und Englisch fand, eben weil man den Film selbst nicht in das Zentrum des Unterrichts stellen konnte oder wollte (ein rarer Ausflug von Bastei-Lübbe in die exklusive Sphäre der Schullektüre). Die literarische Adaption von Drehbüchern ist auf dem Buchmarkt seither zurückgegangen, auch, weil die Kinder zur Verdauerung des Filmerlebnisses durch die schnellere Vermarktung auf DVD oder online, nicht mehr auf »Bücher zum Film« angewiesen sind. Derweil haben die Literaturadaptionen in Folge der »Harry-Potter«- und
757 Ebd., S.185. 758 Ebd., S.180. 759 Kleinbaum, Nancy H.: Der Club der toten Dichter (Dead Poets Society. Aus dem Amerikanischen von Ekkehart Reinke), Bastei-Lübbe: Bergisch-Gladbach 1990.
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»LOTR«760-Erfolge den Willen zur didaktischen Ausschöpfung von Synergieeffekten befördert. Dies trägt wiederum erkennbar zur Konzeption von Literatur in Hinblick auf eine potentielle Franchise-Vermarktung bei. Heidtmann vermag zehn Jahre zuvor unter medienpädagogischen Zielvorstellungen noch eher ein Nebeneinander der Medien zu sehen, das möglichst ein gleichberechtigtes Nebeneinander sein sollte, weil die bis dahin übliche Polarisierung der Literatur einen Imageschaden beschert: »Mit den audiovisuellen Medien verbindet sich für Kinder – wie auch im öffentlichen Bewußtsein überhaupt – ein als einfach und unkompliziert eingestufter Rezeptionsvorgang. [...] Mit dem Fernsehen verbinden sich eher Bedeutungen wie Unterhaltsamkeit und Vergnügen, mit dem Buch Konnotationen wie Arbeit, Erarbeiten, Askese, Anstrengung. [...] Kinder, die Lesen für anstrengend halten, werden eher dazu neigen, darauf zu verzich761
ten.«
Nicht bezweifelt wird hier allerdings, dass das Lesen tatsächlich ein kognitiv stärker fordernder Rezeptionsvorgang sei, nämlich in Abgrenzung zu den audiovisuellen Medien ein Akt der Decodierung.762 Wie Heidtmann nimmt im selben Jahr auch Jan-Uwe Rogge die Übereinstimmung der filmischen und präfilmischen Motive zur Kenntnis. Er sieht sie aber weniger als freigesetzte Rudimente medial fragmentierter Erzählzusammenhänge, aus denen sich die Kinder bedienen. Vielmehr rückt er die Ähnlichkeit der narrativen Strukturen mit den Entwicklungsschritten der kindlichen Psyche in den Vordergrund. Als Beispiel wählt er dabei Cartoonserien, deren Gestaltung er zunächst unter den bereits bekannten Gesichtspunkten zusammenfasst: »Logik und Sinn sind außer Kraft gesetzt. Gefühle herrschen vor. Sprache hat in der Dramaturgie keinen Platz.«763 Diese Eigenschaften werden jedoch hier nicht länger negativ aufgefasst, sondern als der kindlichen Psyche durchaus gemäße und ihrer Gesundheit zuträgliche Regressionsangebote: »Viele Cartoons sprechen den Zuschauer auf einer vorsprachlichen Stufe an, sie gestatten ein Zurücksinken in frühkindliche Formen der Welt- und Realitätswahrnehmung. Die
760 »LOTR« ist die online gängige Abkürzung für »Lord of the Rings«. 761 H. Heidtmann: Kindermedien, S.185-186. 762 Ebd., S.185. 763 Rogge, Jan-Uwe: »›Die Mahlzeit ist immer die gleiche, auf die Soße kommt es an.‹ Über Märchenhaftes und Archetypisches in Zeichentrickserien«, in: medien + erziehung. 3/92, S.125-130, hier: S.129.
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Begegnung mit solch frühkindlichen Trennungs- und Vernichtungsängsten geschieht aber in einer spielerisch geschützten Art und Weise [...].«764 Hier greift weiterhin, wie zuvor etwa bei Melchers und Seifert 765, die medienpsychologische Sichtweise des Films als eine im Kontrast zur Schrift dem Unterbewussten nähere Ausdrucksform: »Es scheint geraten«, so auch HansPeter Thiemann 1991, »hier vor allem die emotional-produktiven Momente von Regressionsprozessen herauszustellen, entsprechende Erlebniswelten nicht länger zu pathologisieren, sondern vielmehr von Hingabe- und Genußfähigkeit zu sprechen und die damit verbundene Erinnerungsarbeit als Indikator für psychische Vitalität auszuweisen...«766 Über eine solche Stressbewältigungsfunktion hinaus weist aber die Ähnlichkeit der »Heldenreise«, wie Rogge sie als strukturbildendes Prinzip vieler Cartoons erkennt, mit dem Individuationsprozess. Unter Rückgriff auf Jung schließt Rogge somit darauf, dass die Kinder mit den Plot Points der Filme die Stufen ihrer psychischen Entwicklung nachvollziehen, beziehungsweise auch vorwegnehmend erproben können. »Der klare überschaubare Aufbau, die klar strukturierten Figurenkonstellationen sowie der formelhafte Handlungsaufbau«767 werden somit nicht länger als problematische Reduktionen der »außermedialen Wirklichkeit« angesehen, sondern als Hilfestellungen zu deren Verarbeitung. Stereotype und Konventionen erscheinen somit als notwendige Stadien auf einer Entwicklung hin zu einem höheren Reifeniveau (auch der Medienkompetenz). Kinder brauchen demnach das Fernsehen ebenso wie Märchen, wie zuvor bereits Bruno Bettelheim 1989 konstatiert hat. 768 Problematisch werde dies nur, wenn der Cartoonheld, anders als Rogge zufolge der typische Märchenheld, aufgrund der episodischen Struktur der Serie zum Schluss seiner Reise keine Lehre gezogen habe, sondern lediglich der Status quo etabliert werde.769
764 Ebd., S.129. 765 Vlg. C. B. Melchers/W. Seifert: »...das Bild ist jetzt noch nicht weg«. 766 H.-P. Tiemann: Filme erleben: zur medientheoretischen Begründung und unterrichtspraktischen Handhabung einer Film- und Fernsehdidaktik im DeutschUnterricht der 5. und 6. Klassen, S.113-114. 767 J.-U. Rogge: »Die Mahlzeit ist immer die gleiche, auf die Soße kommt es an«, S.128. 768 Vgl. Jänz, Franziska: »Bruno Bettelheim meint: Kinder brauchen Fernsehen«, in: Die Zeit. 13. Januar 1989. Nr. 3. Im Online-Archiv der »ZEIT«. http://www.zeit.de/ 1989/03/kinder-brauchen-fernsehen 769 J.-U. Rogge: »Die Mahlzeit ist immer die gleiche, auf die Soße kommt es an«, S.125.
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Die Bedürfnisse der kindlichen und jugendlichen Rezipienten nach Genreunterhaltung werden nicht länger in der Kompensation sozialer Defizite oder in einer Reaktion auf Suchtmittel verortet, sondern im Grundstrukturmodell der menschlichen Psyche: »So ist denn ein Weg geöffnet für die Analyse der Wechselwirkung zwischen Publikumsbedürfnissen und Produktstrukturen. [...] Und erfolgreiche Cartoons sind dann nicht allein das Ergebnis von kommerziellen Medienverbundstrategien, sie sind der Ausdruck kollektiver Träume, Sehnsüchte, Bilder und Motive, die sich – individuell und nicht allein aktu770
ell geprägt – erhalten haben.«
Auf Rogge sowie auf die Ergebnisse von Theunert, Lenssen und Schorb 771 bezieht sich auch Jens Hildebrand in seinem »Film: Ratgeber für Lehrer«772 2001 und begründet die Eignung filmischer Anspruchsniveaus für die jeweiligen Schulstufen mit den altersspezifischen, entwicklungspsychologischen Voraussetzungen der Kinder, wie sie in diesen Studien der 1990er Jahre für die Fernsehrezeption herausgearbeitet wurden (das Fernsehen ist in jenen Arbeiten Medium der Wahl, ist es doch nach der Etablierung des Privatfernsehens, wie gesagt, nun selbst stärker in die Diskussion gerückt). Zum Ende dieses Jahrzehntes haben sich freilich in Kino und Video- beziehungsweise DVD-Markt die bereits oben angeführten Entwicklungen in den Media Franchises vollzogen, die nun von Hildebrand berücksichtigt werden: Literaturadaptionen, längere Erzählzusammenhänge und psychologischer Realismus. Harry Potter wird als Beispiel dafür angeführt, dass populäre Helden nicht flach und stereotyp sein müssen. Aber gerade deswegen betrachtet Hildebrand J. K. Rowlings Romane und ihre filmischen Adaptionen als eher für Teenager geeignet, während Kinder unter zehn Jahren klar kontrastierte und typisierte Protagonisten und Antagonisten zur Orientierung benötigen würden. Die ablehnend bewertete Position im zentralen Konflikt der Filme wird zwar in Schurken personifiziert. Dies wird hier aber nicht als Mittel ideologischer Manipulation aufgefasst, sondern als eine nötige Konkretisierung und befreiende Externalisierung vager und nicht greifbarer Konflikte in der Alltagsrealität der Kinder. 773 Klischees und Stereotype erscheinen somit als ebenso altersgemäß wie eine schematische Dramaturgie. In einer
770 Ebd., S.129-130. 771 Vgl. Theunert, Helga/Lenssen, Margrit/Schorb, Bernd: »Wir gucken besser fern als ihr!« – Fernsehen für Kinder, Kopäd Verlag: München, 1995. 772 Vgl. J. Hildebrand: film-ratgeber für lehrer, S.18-42. 773 Vgl. ebd., S.30.
2.12 DIE ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHE R EHABILITIERUNG
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Umkehrung der Wertigkeiten werden nun gerade Filme, die mit starken Überzeichnungen und Typisierungen arbeiten, zu geeigneten Anlässen, um erzieherisch auf die Unterschiede zwischen Fiktion und Realität hinzuweisen, allerdings in einem spielerischen und nicht besserwisserischen Tonfall. »Haben sie [ihre Ängste] symbolische Form, können Kinder mit ihnen umgehen, experimentieren, eben spielen und sie dadurch bearbeiten. Wirken sie real oder rühren an wirkliche Probleme, reagieren Kinder überfordert oder blocken ab. [...] Sind sie wirklich von derartigen Problemen betroffen, wollen sie sich in der Serie nicht damit auseinanderset774
zen. Der Fernseher soll Geschichten erzählen, die das Leben nicht schreibt.«
Wird die Handlungsebene des »typischen« Genrefilms also aufgewertet, erscheinen jedoch die mit ihm assoziierten filmischen Mittel der Geschwindigkeit und der Simultaneität weiterhin durchaus als eine potentielle Überforderung zumindest kleinerer Kinder.775 Auch weicht Hildebrand nicht von der Ansicht ab, dass quantitativ hoher Fernsehkonsum einerseits und dass filmische Gewaltdarstellungen andererseits belastend wirken können. Das gelte auch, wenn letztere sich in jugendfreien Filmen abspielten, etwa in den Animationsfilmen der Disney Studios. Wenn diese beiden Faktoren zusammenwirken, können die Vereinfachungen der Handlungskonflikte Nachahmungseffekte zeitigen, allerdings nur in einem weiteren Zusammenspiel mit einer entsprechenden sozialen Disposition der Zuschauer, »wenn sie Gewalt aus dem Alltag als Durchsetzungsmittel kennen und daher emotional stark verunsichert, ja verängstigt sind.«776 Auch Hildebrand hält gesetzliche oder (zumindest radikale) elterliche Verbote für wenig erfolgversprechend, wie diese ja schon in den 1980er Jahren von medienpädagogischer Perspektive tendenziell als ineffizient aufgefasst wurden. Auch die Auseinandersetzung mit dem technischen (Videofilm) und dem inhaltlichen (Genre) Format, ist in schulischen und außerschulischen Projekten jener Jahre bereits empfohlen worden. Sie sollte seinerzeit im handlungs- und produktionsorientierten Ansatz vorrangig zur Dekonstruktion eines »Verblendungszusammenhangs« dienen.777 Hildebrand geht jedoch einen Schritt weiter: Da Konflikte im Genrefilm für die Kinder und Jugendlichen die Funktion haben, Ängste aus dem Alltagsumwelt zu abstrahieren, kann die ausführliche Beschäftigung
774 Ebd., S.34. 775 Vgl. ebd., S.31. 776 Ebd., S.41. 777 Vgl. z. B. S. Harder: Seh(n)sucht im Videoland/C. Schöwer: Entzauberung der Medien durch ihren Gebrauch.
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mit diesen Filmen sowohl innerhalb der Familie als auch in der Schule dazu dienen, sich mit den Abgründen der eigenen Psyche und des eigenen Umfeldes auseinanderzusetzen. Dabei kann man sich aber auch der Mittel der filmischen Abstraktion bewusst werden. Auf diesem Weg lässt sich im Umkehrschluss ein vertiefter Einblick in die Normen und Werte des eigenen »direktrealen« Alltagsumfeldes gewinnen.778 Hildebrand wählt daher als Beispiel eines geeigneten Unterrichtsgegenstandes, das er auf den folgenden Seiten intensiv behandelt, den Film »Shining«779. Er grenzt ihn allerdings dann wiederum durch verschiedene Sicherungsmechanismen gegen konventionelle Genreunterhaltung ab: »Aber The Shining ist kein Horrorfilm, sondern ein kunstvoll inszenierter, anspielungsreicher und auf die Innenperspektive gerichteter Psychothriller, der seine Wirkung subtil entfaltet und daher mehr als jeder Hollywood-Film geeignet ist, im Unterricht der Jahrgangsstufe 12 oder 13 das filmische Auge zu schulen. Und nein, es handelt sich nicht wirklich um eine Verfilmung des gleichnamigen Romans – dieser Film ist zu 99 Prozent Stanley Kubrick. [...] In heute gängigen und meist ab 12 Jahren freigegeben Filmen wie Jurassic Park und Indiana Jones sterben Menschen, oft zu Dutzenden, die verschiedensten Tode [...]. The Shining ist alles andere als ein Gewaltfilm. Es gibt drei Szenen, die empfindsamere Gemüter verunsichern können: die ›Fahrstuhlvision‹, in der eine Blutwelle in Zeitlupe verzögert aus einem Fahrstuhl schwappt, die ›Badewannensequenz‹, in der zuerst eine nackte junge Frau und dann eine nackte alte Frau zu sehen sind; und jene kurzen, aber überflüssigen Sekunden, in denen der Hotelkoch Hallorann ermordet wird. [...] Ich tendiere daher dazu, die beiden erstgenannten Einstellungen zwar für durchaus aushaltbar zu halten, während die Mordszene gekürzt werden sollte [...] Wie bereits angedeutet handelt es sich bei The Shining nicht um einen temporeichen Schocker, sondern um ein komplexes Kunstwerk, dessen Spannung sich primär aus dem Zusammenwirken subtiler Stilmit780
tel und aus der Figurenzeichnung entwickelt.«
»Shining« wird also einem (Sub-)Genre zugeordnet, das vergleichsweise realistischer erscheint, weil es, anders als der Horrorfilm keine übersinnliche Dimension erwarten lässt, sondern explizit psychologische Begründungen wählt. Tatsächlich verengt diese Zuordnung zum Psychothriller wie auch zur innenperspektivischen Narration den Deutungsspielraum des komplexen Films beträchtlich. »Shining« könnte, um nur ein Beispiel zu nennen, in der letzten Sequenz sehr wohl darauf hinweisen, dass die verstorbene Hauptfigur Jack Torrance zum
778 Vgl. J. Hildebrand: film-ratgeber für lehrer, S.41-42. 779 SHINING (THE SHINING, USA 1980, R: Stanley Kubrick). 780 J. Hildebrand: film-ratgeber für lehrer, S.48-49.
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Totentanz der Hotelgeister hinzugestoßen sein mag (der Film spielt offenbar in der Gegenwart der 1970er Jahre, Torrance ist jedoch nun auf einer Photographie aus dem Jahr 1921 zu sehen, so als habe das historische Bild ihn absorbiert). Der Film hält beide Möglichkeiten offen, im Gegensatz zur Romanvorlage Stephen Kings, gegen die der Film »Shining« ebenfalls »in Schutz genommen wird«, dies offensichtlich, da der Regisseur Stanley Kubrick filmkanonisch weit mehr als Künstler etabliert ist als der Schriftsteller Stephen King dies literaturkanonisch ist. Dass der Film zu 99% nicht auf Kings Vorlage zurückginge, ist schlicht eine Behauptung, die jeder Grundlage entbehrt. Ebenso wird der Anteil der anderen am Film beteiligten Personen, etwa des Kameramannes John Alcott, des Cutters Ray Lovejoy, der Co-Drehbuchautorin Diane Johnson etcetera, nicht beachtet, um »Shining« zusätzlich als Autorenfilm gegen beliebige Hollywoodfilme zu stellen, insbesondere gegen die Media Franchises, die unter der Regie Steven Spielbergs entstanden sind, also das »Indiana Jones«- und das »Jurassic Park«-Franchise. Die Genrezuordnung von »Shining« wird von Hildebrand selbst nicht durchgehalten, so schreibt er im selben Kapitel: »Und The Shining ist eben jener epische »Horrorfilm«, der den Schrecken in der Psyche der Protagonisten und nicht in der Fratze mutierter Monster sucht.«781 Ironischerweise ist es aber die (entschieden phantastische) Romanvorlage Kings, in der die Figuren psychologisch relativ differenziert, introspektiv und realistisch geschildert werden, sowie Entwicklungen durchmachen. Derweil fällt der spätere Mörder Torrance in der Darstellung Jack Nicholsons von Filmanfang an durch ein bedrohliches Grinsen auf. Seine Frau Wendy, dargestellt von Shelley Duvall, wirkt nicht nur durch ihr Spiel, sondern bereits durch ihr fragiles Aussehen mit überdurchschnittlich großen Augen und dünnem Körper durchgängig nervös und ängstlich. Aggressive und defensive Konstitutionen schlagen sich im Verlaufe des Films in zunehmend eskalierendem Verhalten nieder. Die Darstellung dieses von Beginn an offen angelegten Prozesses ist aber kaum subtil zu nennen. Im Gegenteil wird Nicholsons Performance für gewöhnlich als Beispiel extremen Overactings mit durchaus fratzenhaft monströsen Grimassen zitiert 782 (das aber durchaus zum streng formalistischen Konzept des Films passt) (siehe Abb. 29). Formale Eigenschaften werden von Hildebrand einmal mehr dazu benutzt, den Film aufzuwerten; offenbar schließen sich ein »temporeicher Schocker« und ein »komplexes Kunstwerk« gegenseitig aus. Die Integrität desselben erscheint jedoch nicht unantastbar; so wird, bei aller Kubrick zugestandenen Meisterschaft, die Sequenz, in der eine Figur mit einem Beil getötet wird, als überflüssig bezeichnet und mit
781 Ebd., S.50. 782 Vgl. z. B. R. M. Hahn, V. Jansen: Lexikon des Horrorfilms, S.404.
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Rücksicht auf die SchülerInnen der Zensur überantwortet. Als potentiell verunsichernd für empfindsame Zuschauer werden allein drei Sequenzen erfasst, in denen mehr oder weniger tabuisierte Körperlichkeit in einem bedrohlichen Zusammenhang explizit dargestellt wird (Blut, Nacktheit und Verwesung, Mord). Dass auch oder gerade die anderen Sequenzen des Films eine nachhaltig verunsichernde Wirkung zeitigen könnten, wie dies ja auch genregemäß beabsichtigt ist, wird nicht in Erwägung gezogen (um nur wenige Beispiele zu nennen: der effektvoll vorbereitete Schockeffekt, in dem die ermordeten Zwillingstöchter vor Torrances Sohn Danny erscheinen und ihn auffordern, mit ihnen zu spielen/das Finale, in dem der wahnsinnige Torrance seinen kleinen Sohn mit einem Beil durch ein nächtliches Labyrinth verfolgt/ein bizarrer Moment, in dem Wendy Zeuge wird, wie ein Geist in einem Bärenkostüm sich offenbar zum Sex mit einem anderen Geist bereit macht). Kurz: Die provokative und vom Standpunkt Hildebrandts aus sehr konsequente Wahl des Filmbeispiels »Shining« wird offenbar in Anbetracht möglicher Reaktionen der beratenen Lehrkräfte nur durch größere argumentative Verdrängungsleistungen möglich. Die grundsätzlich im Diskurs etablierten Grenzen werden weiter beibehalten und einmal mehr um einen Einzelfall gedehnt; »Shining« ist sozusagen der »Zwölf Uhr mittags« des Horrorfilms. Nichtsdestoweniger aber beinhaltet der Filmkatalog, den Hildebrandt an das Ende seines Ratgebers setzt, eine Auswahl an diversen Filmen, unter denen sich viele Beispiele finden, die wegen der traditionell und in der Begründung zu »Shining« noch vom Autor selbst angewandten Kriterien sonst eher ausgesondert würden. Jedoch wird der Liste die Bemerkung vorangestellt, dass sich nicht alle Filme als Unterrichtsgegenstände eignen würden. Vielmehr wird eine Auswahl prinzipiell sehenswürdiger und bekannter Filme (teilweise) unter didaktischer Perspektive vorgestellt. Es finden sich hier neben drei Ausnahmen (»Das Leben ist schön«783, »Leningrad Cowboys Go America«784, »Die sieben Samurai«785) nur deutsch- oder englischsprachige Filme, wohl deshalb, weil die Unterrichtsfächer Deutsch und Englisch in dem ansonsten nicht fachdidaktisch gekennzeichneten und spezifizierenden Ratgeber etwas nähere Berücksichtigung finden. Empfehlungen, einen Film in den Unterricht aufzunehmen oder nicht, werden innerhalb der einzelnen kurzen Angaben zu den Beispielen nicht immer begründet (oder gegeben), werden aber jedenfalls nicht pauschal nach Genrezugehörigkeit, Produktionsweise (also »auteur«-Status des Regisseurs) oder nach
783 DAS LEBEN IST SCHÖN (LA VITA È BELLA, IT 1997, R: Roberto Benigni). 784 LENINGRAD COWBOYS GO AMERICA (FIN/S 1989, R: Aki Kaurismäki). 785 DIE SIEBEN SAMURAI (SHICHININ NO SAMURAI, J 1954, R: Akira Kurosawa).
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bestimmten filmischen Stilmitteln (Schnitt- oder Kamerageschwindigkeit etcetera) getroffen. Es finden sich im Gegenteil Filme, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Media Franchises oder den besonders problematisierten Genres »Action« und »Horror« deutlich in das »Feindbild« der medienpädagogischen Debatte der 1980er und zum Teil 1990er Jahre fallen. Diese werden aber hinsichtlich ihres didaktischen Potentials individuell kommentiert (»Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt«786, »Halloween – Die Nacht des Grauens«, »Independence Day«, die »Indiana Jones«-Filme, die »James Bond«-Filme, »Der weiße Hai«, »Jurassic Park«787, die »Lethal Weapon«-Filme, »Men in Black«788, »Mission: Impossible«789, die »Nightmare on Elm Street«-Filme, »Rambo«, »Scream – Schrei!«790, die »Star Trek«-Filme, die »Star Wars«-Filme, die »Terminator«-Filme und »Matrix«). Im Vokabular der Kommentare findet sich gleichwohl die herkömmliche Tendenz wieder, sobald die Eignung von Filmen eher negativ beschieden wird. Filme werden etwa kritisch betrachtet, wenn sie »die Action-Elemente bis an die Grenze der Glaubwürdigkeit« ausreizen, wie »Mission: Impossible II«791. »Jurassic Park« wird zwar wegen seiner Tricktechnik als historisch wichtig erkannt, eignet sich für den Unterricht aber weniger als der Roman, offenbar, weil er eher durch seine Dinosaurier als durch seine Hauptdarsteller überzeuge. »Independence Day« wird dagegen positiver gewertet, da hier die Schauspieler ihre Charaktere »über die Begrenzungen des Drehbuchs hinaus« tragen (wobei Jeff Goldblum in beiden Filmen eine Hauptrolle mit jeweils denselben Manierismen spielt). Es werden drei mit ihren Effekten vergleichsweise zurückhaltende James-Bond-Filme als am gelungensten bezeichnet (»Goldfinger«, »In tödlicher Mission«792, »Die Welt ist nicht genug«793) und es bewegen sich die »Nightmare on Elm Street«-Filme mit ihren surrealen, mit aufwendigen Spezialeffekten erzeugten Gewaltdarstellungen, Hildebrandt zufolge, nicht am äußeren, sondern am »unteren [!] Rand des Genre-Main-
786 ALIEN – DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT (ALIEN, USA/UK 1979, R: Ridley Scott). 787 JURASSIC PARK (USA 1993, R: Steven Spielberg). 788 MEN IN BLACK (USA 1997, R: Barry Sonnenfeld). 789 MISSION: IMPOSSIBLE (USA 1996, R: Brian De Palma). 790 SCREAM – SCHREI! (SCREAM, USA 1996, R: Wes Craven). 791 MISSION: IMPOSSIBLE II (USA/DE 2000, R: John Woo). 792 JAMES BOND 007 – IN TÖDLICHER MISSION (FOR YOUR EYES ONLY, UK 1981, R: John Glen). 793 JAMES BOND 007 – DIE WELT IST NICHT GENUG (THE WORLD IS NOT ENOUGH, UK/USA 1999, R: Michael Apted).
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streams«794. »Alien« erscheint anders als das »Nightmare«-Franchise oder auch die Fortsetzungen der »Alien«-Filme als wenigstens in Auszügen geeigneter Horrorfilm, weil man darin das Monster »fast nie zu Gesicht bekommt«. Bei den »Star Wars«-Filmen werden die drei jüngeren Teile an früherer Stelle als »für das in Videospielen weniger trainierte Auge als anstrengend bunt, recht hektisch und im Vergleich zu den älteren Filmen als recht flach«795 beschrieben; gleichwohl aber eignen sich die Film der Reihe prinzipiell und aufgrund ihrer großen Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen zur »Bewusstmachung urtypischer Erzählstrategien und grundlegenden Kulturwissens«796, auch in der Unterstufe ließen sie sich »als Teil eines modernen Märchens behandeln«797: »Zwar müssen sich Figuren wie Harry Potter und sein Gegenspieler, der böse Zauberer Voldemort, heute als Abziehbilder von Luke Skywalker und Darth Vader lesen lassen [Ähnlichkeiten sind tatsächlich nur partiell gegeben]; doch gehen auch Lucas’ Figuren, ihre Konstellation und ihr Weg durch die Heldengeschichte auf bekannte Erzählungen und bewährte Erzählmuster zurück. Und da ein leicht verdaulicher Weg zu sonst verschüttetem Kulturwissen nicht der schlechteste ist, lohnt eine Beschäftigung mit dem Phänomen 798
auch im Unterricht.«
Zwischen der psychischen Entwicklung des Erwachsenwerdens, den Motiven und Figuren des Mythos und schließlich den Motiven und Figuren des kommerziellen Genrekinos wird eine dreifache Parallelität gezogen. Dieselbe wird auch in weiteren Publikationen der 2000er Jahre zur Grundlage einer umfassenderen Integration des populären Kinos. So fordert Klaus-Dieter Felsmann 2008 »etwas mehr Mainstream innerhalb der Filmbildung [...]. Nicht nur, weil man dadurch näher an den dominierenden Sehgewohnheiten Jugendlicher wäre, sondern auch deshalb, weil solche Filme auch wirtschaftlich nicht funktionieren würden, wenn sie keine Projektionsflächen und Identifikationsmöglichkeiten für die noch immer wichtigste Zuschauergruppe des Kinos bieten würden, was letztlich auch unmittelbare Voraussetzung für eine bildungsintendierte Auseinandersetzung mit dem Medium ist. In fiktionalen Konstruktionen kann der junge Zuschauer Gefühle [...] stellvertretend mit- und durchleben, was bei der eigenen Identitätsfindung von entscheidender Bedeutung ist. Noch heute ist die »Mat-
794 J. Hildebrand: film-ratgeber für lehrer, S.328. 795 Ebd., S.295. 796 Ebd., S.295. 797 Ebd., S.277. 798 Ebd., S.337.
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rix-Trilogie (1999-2003) bei pädagogisch ambitionierten Erwachsenen vielfach mit dem Stigma einer unzulässigen Gewaltdarstellung behaftet; jugendliche Zuschauer entschlüsseln aber gerade die damit verbundenen Elemente als Formen einer filmkünstlerischen Überhöhung, in deren Kontext sie sich vor allem für den messianischen Helden Neo interessieren, mit dessen Suche nach einem unverstellten Block auf unsere Welt sie sich identi799
fizieren.«
In diesem Sinne wird der erste Film, »Matrix«, auch zum Gegenstand einer Reihe von Unterrichtskonzepten und -handreichungen, wie 2010 im CornelsenBand aus der Reihe Kursthemen Deutsch, »Filmisches Erzählen: Muster und Motive«800. So wie »Star Wars« verschiedene Topoi der Sagen, der Genreliteratur und des früheren Genrefilms kombiniert, wählen die »Matrix«-Filme ihren besonderen Schwerpunkt in einer Verschmelzung verschiedener Weltreligionen und Philosophien und machen dabei ihre Zitate weit offensichtlicher. Die Figuren heißen »Morpheus«, »Trinity«, »Persephone« oder »Niobe«, die entsprechenden Anspielungen lassen sich also über eine Suchmaschine im Internet für jeden Zuschauer rasch aufdecken. Diese Vernetzung der Mythen über das Medium des Computers, die sowohl auf der potentiellen Rezeptions-, als auch auf der Inhaltsebene des Films vor sich geht, verweist auf einen weiteren Aspekt, der für die veränderte Haltung gegenüber den Media Franchises in den 2000er Jahren entscheidend ist.
799 Felsmann, Klaus-Dieter: »Unverstellte Blicke. Identifikationsfiguren im Kontext der Filmbildung«, in: Filmdienst 61 (2008), S.22-23. 800 Vgl. Kötter, Engelbert/Schmolke, Phillip: Filmisches Erzählen: Muster und Motive. Cornelsen Verlag: Berlin 2010.
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2.13 D ER F ILM ALS U NTERRICHTSTHEMA SEIT DER D IGITALISIERUNG Besagte Vernetzung über den Computer findet natürlich auch auf der Ebene der Distribution statt, worauf die Mediendidaktik nun in größerem Umfang reagiert (die erste Website, die zur Vermarktung eines Spielfilms geschaffen wurde, war die Seite der Paramount Pictures, der Viacom Consumer Products und der Viacom Interactive Services zu »Star Trek – Treffen der Generationen«, die am 28.10.1994 online ging801). So schreibt Gudrun Marci-Boehncke 2007: »im digitalen Zeichencode von 1 und 0 gibt es eine neue einheitliche Codierung für alle Texte. Nur die Dekodierungssysteme auf der Ebene der Software, die die Umsetzung in einem dann wieder distinkten peripheren Ausgabemedium [...] steuert, sind noch unterschiedlich So kann eine CD oder DVD Datenträger sein für Filme, Audio-Texte oder Schrifttexte. [...] Unter den Bedingungen dieser universalen Währung digitaler Kommunikation werden ökonomisch wie technisch optimale Synergieeffekte durch Firmenkoopera802
tion erreicht.«
Von diesen Synergieeffekten hoffen Mediendidaktiker durchaus zu profitieren. Die Digitalisierung wird nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance begriffen. Erst durch sie lässt sich beispielsweise ein Film zielsicher nach Kapiteln und Übersetzungen ordnen und sichten. Zudem wird die DVD in der Regel mit einem Appendix und »Fußnoten« in Form von Audiokommentaren ausgestattet. Die Digitalisierung ist der Ursprung des allgemeinen medialen Paradigmenwechsels, dessen »Meta-«803, »Universal-«804 oder auch »Symmedium«805
801 Die Seite selbst ist offline, wird aber auf der offiziellen Seite des »Star Trek«Franchises in Screenshots vorgestellt: http://movies.trekcore.com/generations/ originalsite/generationswebsite.pdf 802 Marci-Boehncke, Gudrun: »global kickers: Die Wilden Fußballkerle als Weltmarke«, in: Petra Josting/Klaus Maiwald (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund. Grundlagen, Beispiele und Ansätze für den Deutschunterricht, München: koPäd 2007, S.131-142, hier S.134. 803 Youngblood, Gene: »Metadesign«, in: Florian Rötzer (Hg.): Digitaler Schein, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1991, S.305-322, hier S.309. 804 Idensen, Heiko: Netz/Werk/Erzählweisen. Zur Entstehung von Gedanken und Geschichten beim Netz-Werken. Auf: Johannes Auer/Christiane Heibach/Beat Suter (Hg.):
Netzliteratur.net.
Netzliteratur//Internetliteratur//Netzkunst:
netzliteratur.net/idensen/emaf97.htm#Netz/Werk/Kultur
http://www.
2.13 DER FILM ALS UNTERRICHTSTHEMA SEIT DER DIGITALISIERUNG
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der Computer ist. Sie ermöglicht auch, anders als noch die Rezeption über das Video, dass die literarischen Produkte der Franchises direkt mit den audiovisuellen, auditiven und interaktiven Produkten verlinkt werden. Andererseits können die nicht schriftsprachlichen Textformen durch Online-Kommentare, Blogs, Fanfiction und andere hypertextuelle Umgebungen in direkter Nachbarschaft schriftlich verarbeitet werden. Die Media Franchises806 scheinen sich nun besonders gut, ja besser für diese Arbeit zu eignen, »weil der (fiktionale) Inhalt konstant bleibt«. 807 In einer Umkehr der in den 1980er und 1990er Jahren vorherrschenden Tendenz spricht für sie nun gerade die wiederholte Variation desselben Stoffes mit denselben leicht wiedererkennbaren Handlungsmustern, Motiven und Figuren als »Markenkernen«. Medienverbünde nehmen nun stärker eine horizontale statt vertikale Struktur an. Lizensierte Produkte werden nicht mehr mit mehr oder weniger großer Verzögerung nach dem Erscheinen des Stoffes im Leitmedium produziert und rezipiert, sondern sind über die Plattform der Homepage miteinander verlinkt. Diese Synchronisation wird auch langfristig geplant, außerdem ist die Erhältlichkeit online nicht mehr von z. B. Sendeterminen abhängig, wodurch auch ältere Produkte zugänglich bleiben808 (es sei denn, sie sind gänzlich erfolglos oder werden zur Wertsteigerung limitiert). Die Verdauerung in verschiedenen Parallelwelten soll nun der Konzentration auf denselben Stoff dienen: »Wenn die Geschichte [...] schon bekannt ist, kann das wahrnehmende Bewusstsein dem Tempo leichter folgen, und Lernende sperren sich auch weni-
805 Frederking, Volker: »Symmedialität und Synästhetik. Begriffliche Schneisen im medialen Paradigmenwechsel und ihre filmdidaktischen Implikationen am Beispiel von Erich Kästners ›Emil und die Detektive‹«, in: Volker Frederking (Hg.): Filmdidaktik und Filmästhetik. Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2005. Band 4, München: koPäd 2006, S.204-229, hier S.207. 806 Oder, wie es in der Fachsprache der deutschen Mediendidaktik zumeist heißt: »Medienverbünde«. 807 K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.44. 808 Vgl. Hengst, Heinz: »›Buy us all – don’t break up the family‹. Stichwort Medienvebrund – Im Zirkel des Populären«, in: Petra Josting/Klaus Maiwald (Hg.): Kinderund Jugendliteratur im Medienverbund. Grundlagen, Beispiele und Ansätze für den Deutschunterricht, München: KoPäd 2007, S.23-24.
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ger dagegen, dass unterbrochen, ein DVD-Kapitel nochmals aufgesucht, eine Sequenz wiederholt wird.«809 Derweil soll die Abwechslung der medialen »Benutzeroberfläche« einerseits der Motivation der Rezipienten förderlich sein soll, andererseits aber auch »relativiert sich die Macht der Filmbilder«810, denn weiterhin hat eine »Didaktik des Films [...] vor allem dafür Sorge zu tragen, dass Kognition und Reflexivität nicht sozusagen überwältigt werden von einem Medium, das vor allem in der Tradition Hollywoods auf große Gefühle abhebt, auf Emotionalität und Empathie setzt«.811 So besteht die Hoffnung, verschiedene Marketing- und Darstellungstechniken der Verbünde übernehmen zu können, nun zugleich neben der Absicht, den SchülerInnen eine Distanz zu denselben Techniken zu ermöglichen. Weniger Betonung wird auf den letzteren der beiden Faktoren gelegt, wenn der Nutzen der Franchises für eine potentiell geschlechtsspezifische Förderung der Lese-, Schreib- und Medienkompetenzen erwogen wird.
809 U. Abraham: »Kinderfilme«, in: Petra Josting/Klaus Maiwald (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund. Grundlagen, Beispiele und Ansätze für den Deutschunterricht, München: KoPäd 2007, S.73-83, hier: S.79. 810 Ebd., S.79. 811 Ebd., S.79.
2.14 D ER F ILM ALS M EDIUM DER M ÄNNLICHKEIT
2.14 D ER F ILM
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M ÄNNLICHKEIT
Im beginnenden 21. Jahrhundert werden zunehmend Jungen als Bildungsverlierer diskutiert.812 Dass sie über audiovisuelle und digitale Medien Anschluss an den Unterricht finden könnten, ist zu einem bedeutenden Argument für die Berücksichtigung der popkulturellen Mainstream-Unterhaltung geworden.813 Eine Affinität von Jungen nicht nur zur medialen Aufnahme- und Wiedergabetechnik des Films, sondern auch zu den für Blockbuster und Quotenhits bewährten Genres, wurde bereits in den 1980er und ’90er Jahren konstatiert. Deren primäre Zielgruppe wurde dabei sowohl geschlechtlich als auch sozial eingegrenzt: »Es handelt sich um meist männliche Haupt- und Sonderschüler, junge Arbeiter und Arbeitslose, die eher quartierbezogen in städtischen Milieus leben. Ihr Handeln ist gegenwartsorientiert, und sie sind am Abenteuer ebenso interessiert wie an Liebesabenteuern und kameradschaftlichem Zusammengehörigkeitsgefühl. Das sind Szenen, in denen immer noch ein Machismo vorherrscht und Mädchen ihre Mitgliedschaft nur durch kulturelle Unterordnung sichern können. [...] Diese Jugendkultur besteht aus fleißigen Kinogängern. Natürlich sind Rambo-Filme ebenso beliebt wie alle Formen von Action-Reißern, Roadmovies, Straßenbanden- und City-Cops-Filmen oder Horrorfilme. [...] Beliebt sind die harten Männer der neuen »One-Man-Against-All-Filme«, Gewaltszenen, Sciencefiction-Phantasie aller Art. In dieser Szene gastieren auch Vielseher, die eher zu Hause in langen Video-Nächten mehrere Filme hintereinander ansehen. Das sind Intensitätserlebnisse innerhalb einer verwalteten Welt, die so gar keinen Spielraum läßt für persönliche Entfaltung, für Bewährung, das Zeigen von Mut und Einsatzbereitschaft, also von körperbetonter Identität. Diese Jugendszenen sind durch eine zunehmend abstrakt gewordene, 814
sich nicht mehr erklärende Umwelt in besonderem Maße marginalisiert [...].«
812 Vgl. z. B. Hurrelmann, Klaus/Schulz, Tanjev (Hg.): Jungen als Bildungsverlierer. Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen?, Beltz Juventa: Weinheim 2012./Fegter, Susann: Die Krise der Jungen in Bildung und Erziehung. Diskursive Konstruktion von Geschlecht und Männlichkeit, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012./Marcus Helbig: Sind Mädchen besser? Der Wandel geschlechtsspezifischen Bildungserfolgs in Deutschland, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2012. 813 Vgl. K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.44. 814 H. Schäfer/D. Baacke: Leben wie im Kino, S.37-38.
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Die genannten Filme werden in dieser Zeit als kompensatorische als auch ursächliche Komponenten einer Krise des Mannes gewertet, nicht aber als Chancen zu deren Überwindung, denn einerseits wird der »noch« vorherrschende Machismo selbst als ein zu bewältigendes Problem betrachtet, der aber in den bedenklichen Filmen nicht hinterfragt, sondern stilisiert werde. Andererseits wird das Problem auch in einem Umfeld verortet, das die Jungen und jungen Männer mangels Alternative zum Eskapismus zwinge. In den Untersuchungen, die zur Filmrezeption unternommen werden, werden die kommunizierte Einsicht in die eigenen Verstörungen durch dieses Genrekino sowie die Wahrnehmung von Details, die das darin propagierte Männerbild irritieren, in der Regel positiv bewertet. So benötigen beispielsweise Jungen (eventuell von Mädchen) Hilfe dabei, belastende Gewaltszenen nicht länger als Beweis für die eigene Furchtlosigkeit zu marginalisieren, und dabei, mit von den Deutungsangeboten der Filme abweichenden Bewertungen kämpferischer Helden bei ihren Mitschülern durchzudringen.815 Diese defizitäre Wahrnehmung der in den Filmen überkommenen männlich besetzten Wertvorstellungen weicht jedoch zurück. Sie tut dies in dem Maße, in dem die Verschränkung von geringerer Bildung und körperlich-heroischem Männlichkeitsideal nicht länger als ein Phänomen wahrgenommen wird, dass einen – wenn auch problematisierten – Status Quo innerhalb bestimmter Schulformen und Milieus aufrechterhält. Vielmehr scheint diese Kombination langfristig zum Rückgang männlicher Gymnasialbildung zu führen. Die Rollenvorbilder der Superhelden werden jetzt vielmehr als Chance gesehen, diejenigen Bereiche für Schüler wieder attraktiver zu gestalten, die als feminin besetzt gelten: das Medium Buch, die Kompetenzen Lesen und Schreiben, den Deutschunterricht, die höhere Schulbildung, die »weichen« Geisteswissenschaften und schließlich das Reden und die Sprache an sich. So sind etwa die seit 2012 erschienenen Erstlesebücher des Fischer-Verlags, in denen Batman Superschurken jagt und die im Frühjahr 2013 auch Eingang in ein Projekt der Stiftung Lesen in
815 Vlg Bachmair, Ben: »Fernseherlebnisse sind längst Primärerlebnisse. Über die symbolische Verarbeitung von Fernseherlebnissen in der Grundschule«, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Margit Krukow/Imme Horn (Red.): Kinderfernsehen – Fernsehkinder. Vorträge und Materialien einer medienpädagogischen Fachtagung mit Programmmachern, Pädagogen und Medienforschern im September 1989 in Mainz, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1991, S.213-221, hier S.217218.
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Kooperation mit der Franchisekette McDonald’s fanden,816 »nur für Jungs« ausgewiesen.817 Diese Empfehlung der Stiftung Lesen ist umso bemerkenswerter, als mit »Batman« zwar schon seit langem Bildungspolitik betrieben wurde, es sich dabei aber früher um einen bevorzugten Gegenstand der Bewahrpädagogik handelte: von einer politisch einflussreichen Zensurkampagne des Kinderpsychologen Fredric Wertham 1954818 über die Proteste der Christian Defense Coalition, unter denen McDonalds 1992 das Merchandising zum Film »Batman Returns« aus seinen Happy-Meal-Tüten zurückzog,819 bis hin zu der deutlich differenzierteren Debatte um den Amoklauf während einer Filmvorführung von »The Dark Knight Rises« in Aurora 2012, in der gleichwohl noch die deutsche Literaturkritikerin Iris Radisch ihren Artikel mit der Überschrift »Die Verantwortung der Bilder« betitelte und einen Zusammenhang zu der »kulturindustriell simulierte[n] Gewalt«820 herstellte. Dieser Schuldzuweisung scheinen die »Batman«Kinderbücher entronnen zu sein beziehungsweise es scheint sich ausgerechnet die Gewaltdarstellung zu einem Vorteil zu gestalten, weil sie mit den unterstellten Interessen »der« Jungen korrespondiert – jedenfalls solange sie innerhalb der berechenbaren Gesetzen des Franchises erfolgt (der Vigilant Batman also beispielsweise fair kämpft und seine Gegner nicht tötet, wie in dem didaktischen Anhang »Wie würdest du entscheiden?« herausgestellt wird821). Offenbar wandelt sich auch das unter ökonomischen Gesichtspunkten lange verlustreiche Unvermögen des »Batman«-Franchises, sich durch eine kurzlebige TV-Serie wie
816 Vgl. https://www.stiftunglesen.de/programmbereich/familie/buchaktion 817 Vgl. z. B.: Stevens, Eric: Batman: Die Jagd nach der Superbombe (The Revenge of Clayface. Aus dem Amerikanischen von Christian Dreller). Mit Bildern von Gregg Schigiel, Erik Doescher, Mike DeCarlo, Lee Loughridge, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 2012. 818 Vgl. Wertham, Fredric: Seduction of the Innocent, New York: Amereon Limited 1956. 819 Vgl.Thompson, Anne/Pat H. Broeske: »Hawking ›Batman‹. Parents lead a backlash against a violent movie and its kiddie tie-ins«, in: Entertainment Weekly. #126. Jul 10, 1992. Zitiert nach dem Online-Archiv der Entertainment Weekly. http://www. ew.com/ew/article/0,,20610393_311012,00.html 820 Iris Radisch: »Die Verantwortung der Bilder. Wie hängen der Batman-Film und das Attentat von Aurora zusammen?«, in: Die Zeit 31/2012. Zeit Online. Die Zeit Archiv. http://www.zeit.de/2012/31/Film-Attentat-Gewaltakt 821 Vgl. E. Stevens: Batman: Die Jagd nach der Superbombe, S.57.
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»Birds of Prey«822 (über Batmans Tochter) oder einen erfolglosen Kino-Spin-Off wie »Catwoman«823 geschlechterübergreifend zu vermarkten, hier zu einem Potential, nämlich um den Jungen der 2. und 3. Schulklasse über das Gefühl von Exklusivität eine Legitimation des Leseerlebnisses zu verschaffen. Diese Integration der US-amerikanischen Superhelden in den Deutschunterricht und in den europäische Kultur- und Bildungskanon, wie sie etwa durch Elisabeth Schmitt in »Von Herakles bis Spider-Man«824 auch für die mit Bat- und Superman (DC Entertainment) konkurrierenden Helden von Marvel Entertainment unternommen wurde, wird freilich auch durch Entwicklungen auf Seiten der Produzenten erleichtert. Das narzisstische Körperideal populärer männlicher Stars, wie es noch in den 1980er Jahren vorherrschte, wird von der Forschung übereinstimmend durch das wehrhafte Selbstbild der USA unter Reagans Präsidentschaft begründet. Ein weiterer Erklärungsansatz nennt die Verdrängung von Verunsicherungen infolge der Vietnam- und Iran-Traumata sowie der feministischen Bewegung. Die extremen Muskel- und Waffengrößen der Figuren Arnold Schwarzeneggers oder Sylvester Stallones werden fetischisiert825 und selbst noch die Körperlichkeit der Tanzfilmstars wie John Travolta oder Patrick Swayze verhält sich affirmativ zu den überlieferten Geschlechtergegensätzen. 826 Parallel zum Ende des Kalten Krieges und zum Beginn von Clintons Präsidentschaft geht die Tendenz fort vom Bodybuilder und »hyperphallischen ›Hard Body‹ «827 zu Helden, die auch als romantische Liebhaber glaubwürdig sind (Michael Keaton,
822 BIRDS OF PREY (USA 2002-2003, Creator: Laeta Kalogridis). 823 CATWOMAN (USA 2004, R: Pitof). 824 Vgl. Schmitt, Elisabeth: Von Herakles bis Spider-Man. Mythen im Deutschunterricht, Baltmansweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2006. 825 Vgl. Holmlund, Chris: »Masculinity as multiple masquerade. The ›mature‹ Stallone and the Stallone clone«, in: Steven Cohan/Ina Rae Hark (Hg.): Screening the male. Exploring masculinities in Hollywood cinema, London/New York: Routledge 1993, S.213-229./Tasker, Yvonne: »Dumb movies for dumb people«, in: Steven Cohan/Ina Rae Hark (Hg.): Screening the male. Exploring masculinities in Hollywood cinema. London/New York: Routledge 1993, S.230-244./Jeffords, Susan: »Can masculinity be terminated?«, in: Steven Cohan/Ina Rae Hark (Hg.): Screening the male. Exploring masculinities in Hollywood cinema, London/New York: Routledge 1993, S.245-262./S. Weingarten, »Bodies of Evidence«, S.177-183./Morsch, Thomas: »Muskelspiele. Männlichkeitsbilder im Actionkino«, in: Christian Hißnauer/Thomas Klein (Hg.): Männer, Machos, Memmen, Mainz: Bender, 2002, S.49-74. 826 Vgl. H. Schäfer, D. Baacke: Leben wie im Kino, S.77-94. 827 Vgl. S. Weingarten: Bodies of Evidence, S.181.
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Nicholas Cage, Pierce Brosnan), eine Entwicklung, die in den großen Kassenerfolgen des »Fluch der Karibik«-Franchises um den metrosexuellen Piratenkapitän Jack Sparrow (Johnny Depp) (seit 2003) und den »Sherlock Holmes«Neuverfilmungen (seit 2009) mit ihrer zunehmend unverstellten homoerotischen Koketterie zwischen Holmes (Robert Downey jr.) und Watson (Jude Law) einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Seit dem 11. September 2001 entspricht die Körperlichkeit vieler männlicher Filmstars (wie Christan Bale, Daniel Craig oder Gerald Butler) allerdings auch wieder stärker einem maskulinen Ideal von Kraft und Härte. Jedoch wird sie ergänzt um die Fähigkeit zur Selbstreflexion und einige andere Komponenten, die den reaktionären Actionhelden der 1980er Jahre fehlten. So werden Teile des männlichen Rollenverhaltens, die früher idealtypisch in Szene gesetzt wurden, nun durch traumatische Erfahrungen psychologisiert (etwa die Promiskuitivität und die Gewalttätigkeit James Bonds). Im bei Kritik und Publikum sehr erfolgreichen James-Bond-Film »Skyfall«828 wird der ödipale Komplex, der bis dahin Teenagern, Komikern und Psychopathen vorbehalten war,829 auf den männlichen Helden per se, James Bond, und seine Chefin übertragen (wobei Bond seine »Mutterbindung« jedoch im Gegensatz zu seinem bisexuellen Gegenspieler überwindet, weil er in der Lage ist, sein Verhältnis zur Vorgesetzten professionell einzuordnen). Auch wird der athletische Körper James Bonds stärker ausgestellt, der Körper der »Bond-Girls« im Bruch mit der Tradition hingegen verhüllt (ebenso verhält es sich mit der Objektivierung der männlichen Körper in den »Twilight«-Filmen von 2008 bis 2012). Die bis dahin auf ein männliches Zielpublikum ausgerichteten Franchise-Vehikel binden mittlerweile gleichrangig zu den Actionhandlungen melodramatische Liebesgeschichten ein (die »Harry Potter«-Filme 2001 bis 2011, die »Herr der Ringe«-Filme 2001 bis 2003, die »Spiderman«-Filme seit 2002, die »Fluch der Karibik«-Filme seit 2003, die »Dark Knight«-Filme von 2005 bis 2012). »Sogar eine Liebesgeschichte zwischen dem Lego-Männchen Emmett und einem burschikosen Lego-Weibchen wird im Film [»Lego«830] angedeutet [...]. Dass überhaupt auch eine Frau im Film vorkommt ist den Strategen von Lego zu verdanken. In den nächsten Jahren wollen sie mehr Mädchen als Kunden gewinnen.«831
828 JAMES BOND 007 – SKYFALL (UK/USA 2012, R: Sam Mendes). 829 Vgl. Fischer, Lucy: »Mama’s Boy. Filial hysteria in White Heat«, in: Steven Cohan/Ina Rae Hark (Hg.): Screening the male. Exploring masculinities in Hollywood cinema, London/New York: Routledge 1993, S.70-85. 830 LEGO (THE LEGO MOVIE, AU/USA/DK 2014, R: Phil Lord/Christopher Miller). 831 Wolf, Martin: »Die Steine der Weisen«, in: Der Spiegel 68 (2014), S.122-124, hier S.124.
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Auch wenn die Konzeption insofern noch die konventionellen geschlechtlichen Zuschreibungen berücksichtigen mag, so darf sich doch innerhalb des in der Rezeption vereinten gemischtgeschlechtlichen Publikums jede und jeder individuell aussuchen, mit welchen Eigenschaften er und sie sich identifiziert. Dabei weisen sehr wohl auch dieselben Figuren feminin oder maskulin assoziierte Charakteristika auf, wenn etwa Mädchen und Frauen zunehmend als Kriegerinnen auftreten (z. B. in »Die Tribute von Panem«832, »Merida – Legende der Highlands«833 oder »Snow White and the Huntsman«834) und in den PókemonSpielen, -Filmen etcetera »die Trainer wie klassisch maskuline Samuraikrieger auf der Suche nach Kämpfen durchs Land ziehen, [...] [aber] auch in der Mall einkaufen oder an der Sportstätte einchecken, um sich auf ein Treffen vorzubereiten, oder – wenn sie sich das leisten können – ihren Pokémon in der Kindertagesstätte abgeben.«835 Allerdings zeigt sich die didaktische Literatur weniger an diesem transgressiven Potential der Franchises interessiert, sondern an einer ebenso starken und entgegengesetzten Tendenz: durch Marktdifferenzierung diverse Zielgruppen zu schaffen beziehungsweise bestehende zu kultivieren. Somit wird die Produktpalette um geschlechtsspezifisch markierte Waren erweitert. Ferner wird durch die Signalfarben Rosa und Blau eine Orientierung im mannigfaltigen OnlineAngebot gegeben. Durch die Vermarktung von Protagonistinnen aus verschiedenen Animationsfilmen unter dem gemeinsamen Label »Disney Princess« vermochten die zeitweilig aus ihrer Marktstellung verdrängten Disney Animation Studios vermittels ihrer Ausrichtung auf eine erklärt weibliche Zielgruppe gegenüber den seit Mitte der 1990er Jahre aufrückenden Animationsstudios an Boden zurückgewinnen. Damit und mit den Verfilmungen der »Twilight«Romane von Stephanie Meyer wurden im Kino Franchises lanciert, die sich primär an ein weibliches Zielpublikum richten und in den Internetdebatten zu Filmen eine stark polarisierende Wirkung zeitigen. Sie äußert sich auch in wütenden, defensiven Reaktionen auf den Einbruch in eine männliche Domäne.836 Ki-
832 DIE TRIBUTE VON PANEM – THE HUNGER GAMES (THE HUNGER GAMES, USA 2012, R: Gary Ross). 833 MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS (BRAVE, USA 2012, R: Mark Andrews/Brenda Chapman/Steve Purcell). 834 SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN (USA 2012, R: Rupert Sanders). 835 H. Hengst: »Buy us all... don’t break up the family«, S.32. 836 Vgl. Kermode, Mark: »Move over, Luke Skywalker... I’m a Twilight man«, in: The Observer,
10.11.2012.
http://www.guardian.co.uk/culture/2012/nov/10/twilight-
breaking-dawn-better-than-star-wars/O’ Hara, Helen: The Twilight legacy: How it’s
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noketten wie CinemaxX bieten »Männerabende« mit Actionfilmen, entsprechenden Snackmenüs und Werbeaktionen (etwa des Magazins »Playboy«) und »Ladies Nights« mit Liebesfilmen, Sekt und der Zeitschrift »Gala« an, während Homosexuelle (Männer) in »Gay Nights« als dritte Gruppe, allerdings mit noch kargem Zusatzprogramm angesprochen werden. Die geschlechterspezifische Förderung von Lese- und Medienkompetenz übernimmt also mit der Empfehlung, dass man mit den einst geschmähten heroischen Stereotypen die männlichen (auch präpubertären) Schüler zurückgewinnen könne, und mit scheinbar elitären Siegeln wie »Nur für Jungs« ein Marketingprinzip. Dabei wird ein feminin besetztes Produkt durch eine maskuline Imagekorrektur »aufgewertet«, so wie die »männliche« Cola Zero an die Seite der »weiblichen« Cola Light rückt.837 Die »männliche« Literatur ist offenbar nicht nur inhaltlich entsprechend an körperlichen und technischen Aktionen ausgerichtet, sondern es handelt sich auch graphisch um eine zurückhaltend eingesetzte, also domestizierte Form von Comic- und Filmästhetik (in den Superheldenbänden des Fischer-Verlages etwa vereinzelte Sprechblasen und ein durch zahlreiche Bilder aufgelockerter Fließtext). Wie nur noch Batman der Polizei dabei helfen zu können scheint, der Kriminalität Herr zu werden, so auch den Lehrkräften in ihrer Bekämpfung der männlichen Leseunlust. Allerdings warnt Lieutenant Gordon838 den Titelhelden zum Filmende von »Batman Begins« 839 angesichts des sich durch erste Verbrechen ankündigenden Superschurken Joker: »What about escalation? [...]We start carrying semiautomatics, they buy automatics. We start wearing Kevlar, they buy armor-piercing rounds. [...]And you’re wearing a mask and jumping off rooftops. Now, take this guy. Armed robbery, double homicide. Got a taste for the theatrical, like you.«/Und was ist, wenn es schlimmer wird? [...] Wenn wir halbautomatische Waffen benutzen, benutzen sie bald vollautomatische. Wenn wir kugelsiche-
changing cinema. Love it or loathe it, Twilight might make the movies better... Empire Online. http://www.empireonline.com/features/the-twilight-legacy 837 Umgekehrt rücken die »weiblichen« Creamy-Paprika-Chips »Mädelsabend« der Firma Chio mit der Aufschrift »Nur für Mädels« an die Seite der als figurschädigend gefürchteten »Männerprodukte« Snacks. 838 ...und nicht die Medienöffentlichkeit, wie Abraham schreibt. Vgl. Abraham, Ulf: Fantastik in Literatur und Film. Eine Einführung in Schule und Hochschule. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2012, S.170. 839 BATMAN BEGINS (USA 2005, R: Christopher Nolan).
274 | VERFOLGUNGSJAGDEN re Westen benutzen, benutzen sie panzerbrechende Munition. [...] Und Sie tragen eine Maske und springen von Wolkenkratzern. Wie finden Sie den hier? Bewaffneter Raubüberfall, Doppelmord. Hat einen Hang zur Theatralik, genau wie Sie.«
Im »Batman«-Franchise wird stets auch angedeutet, dass Batman sich durch seine extremen Maßnahmen die Gegner selbst erst schafft, die er zu bekämpfen vorgibt. Erschafft gleichsam die geschlechterspezifische Leseförderung erst die Stereotype, die sie überwinden möchte? Daraufhin deuten bereits aktuelle Studien wie jene, die im Rahmen des laufenden Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft, »Sind Jungen die neuen Bildungsverlierer«, entstehen.840 Inwiefern Didaktiker und Lehrkräfte ähnlich selbstreflexiv mit den zur Motivationsförderung wiederbelebten geschlechtlichen Stereotypen umgehen wie dies die Franchises selbst zum Teil bereits tun, bleibt daher abzuwarten.
840 Vgl. z. B. das Interview von Carola Padtberg-Kruse mit Martin Latsch: Jungs als Bildungsverlierer: Wenn du denkst, du bist schlecht, dann bist du auch schlecht. Gepostet am 19. 11. 2013. http://www.spiegel.de/schulspiegel/bildungsforscherueber-jungen-vorurteile-bewirken-schlechtere-leistung-a-930380.html
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2.15 S YNERGIEEFFEKTE ZWISCHEN P OLITIK UND POPULÄREM F ILM JENSEITS DER B ONNER R EPUBLIK Verändert hat sich freilich teilweise auch das politische Klima gegenüber der Debatte in den 1980er Jahren, die von der kritischen Theorie, der Friedensbewegung und auch auf konservativer Seite von der kulturellen Selbstbehauptung gegenüber den USA geprägt wurde. Mittlerweile integrieren Regisseure wie Till Schweiger Genreelemente des patriotischen US-Actionfilms ins deutsche Kino, so etwa in »Schutzengel«841 (um einen heldenhaften deutschen AfghanistanVeteranen). »Schutzengel« wurde bei seiner Premiere am 18. September 2012 von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière persönlich in Begleitung von Bundeswehrsoldaten empfohlen.842 Die neue Berufsarmee versprach sich offenbar einen Synergieeffekt auf die Anwerbung. Beinahe leicht naiv erscheint demgegenüber die Irritation Hauke Friedrichs’ darüber, dass die Bundeswehr noch nie soviel Werbung für einen Film gemacht habe, obwohl dieser gänzlich unauthentisch sei: »Die Action-Szenen sind für deutsches Kino eigentlich gut gemacht – sie wirken aber völlig überzeichnet [...] die Schusswechsel [sehen] aus, als ob Schweiger das Schießen von John Rambo gelernt hat.«843 Dem Film war jedoch kein Kassenerfolg beschieden und (anders als um Schweigers romantische Komödie »Keinohrhasen«844) konnte sich kein Merchandising-System um ihn bilden. Da das Action- und Thrillergenre also auf absehbare Zeit überwiegend auf das deutsche Fernsehen beschränkt bleibt, scheint die Beteiligung des deutschen Militärs am Genrekino für die Mediendidaktik kein so drängendes Thema darzustellen, wie dies etwa angesichts der langjährigen und systematischen Kooperation der US-amerikanischen Filmindustrie mit dem US-amerikanischen Streitkräften auf der Hand läge. Gleichwohl schließen die Franchises auch in den phantastischen Genres eben nicht nur an Mythen an, sondern bemühen sich um Konsens mit diversen politischen, religiösen und an-
841 SCHUTZENGEL (DE 2012, R: Till Schweiger). 842 Vgl. Gemballa, Hans-Joachim: Roter Teppich und Uniform. Geposted auf der Homepage
des
Bundesministeriums
der
Verteidigung
am
20.9.2012.
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYzBCsIwEES_xQ8wmwhC8dZaBK9 eNN62aYgrTVLWbXvx400OzsAc5jEDTyhOuFJAoZxwggdYR6dhU0Ncg3rnhUur IiX6iGdaItzrZvTK5eSlpvgkVDIwSmY1Z5apkoW5EEUjWG36Thv9l_k2tj1fjkYfmt3q4czY4gINuW9Q_fyMMfYbO1u9wO8YJey/ 843 Friedrichs, Hauke: Keinohrhase am Hindukusch. Gepostet auf Zeit Online am 27.9.2012 http://www.zeit.de/kultur/film/2012-09/film-schutzengel 844 KEINOHRHASEN (DE 2007, R: Til Schweiger).
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deren Interessengruppen. Ideologische beziehungsweise religiöse Prägungen sind jedoch nicht nur auf ökonomische Begleitumstände zurückzuführen, bestehen also nicht nur in der Vermeidung von Konflikten mit diversen Interessengruppen. Sie sind auch zentrale Bestandteile, die bereits im Primärmedium angelegt sind (wenn das auf dem christlichen Schriftsteller C. S. Lewis zurückgehende Franchise um »Die Chroniken von Narnia« sich etwa als christliche Alternative zu »Harry Potter« oder »LOTR« empfiehlt und zum Auftakt der KinoTrilogie845 auch eine Soundtrack-CD mit christlichen Rockbands produziert846). Sie lassen sich selbstverständlich ebenso auf einflussreiche Autorenpersönlichkeiten (etwa den Atheisten Gene Rhoddenberry als der Urheber des »Star-Trek«Franchises oder die Mormonin Stephenie Meyer als die Urheberin des »Twilight«-Franchises) zurückführen wie auf das politische System, innerhalb dessen (oder derer) ein Franchise produziert wurde. Sie üben daher beträchtliche politische »soft power« aus, die sich freilich nicht immer so klar konturiert herausarbeiten lässt wie in den Einparteiensystemen. Da etwa in der DDR die staatlichen Erziehungsanliegen die Filmkultur steuerten, konnte man hier die eigenen Defizite in der didaktischen Massenwirksamkeit auch direkt an den Kinokassen ablesen: Die ostdeutschen Kinos waren in den 1970er und 1980er Jahren wirtschaftlich zunehmend von Importen aus dem Westen abhängig geworden. »Brave Literaturverfilmungen und risikolose Gesinnungsfilme locken die Zuschauer auf die Dauer eben nicht mehr ins Kino. [...] Nur Hollywood beherrscht den Trick, dem Publikum wirklich wirksam Ideologie zu vermitteln – gerade indem es auf oberflächliche Thesenvermittlung verzichtet, sondern auf den unbewußten Mythenbedarf des Publikums eingeht und es auf diese Art und Weise mitbestimmen läßt. Der Erfolg einzelner Filme läßt sich nicht vorprogrammieren, der Erfolg einer ganzen Filmindustrie durchaus: durch diesen dynamischen Regelprozeß, in dem Publikum und Produktion wechselseitig aufein847
ander reagieren.«
845 DIE CHRONIKEN VON NARNIA: DER KÖNIG VON NARNIA (THE CHRONICLES OF NARNIA: THE LION, THE WITCH AND THE WARDROBE, USA/UK 2005, R: Andrew Adamson). 846 MUSIC INSPIRED BY THE CHRONICLES OF NARNIA. THE LION, THE WITCH AND THE WARDROBE, EMI/Walt Disney Pictures/Walden Media 2005. 847 Lacher-Remy, Georg: »PROGRESSives Filmesehen in Berlin, Hauptstadt der DDR«, in: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse 15 (1985), S.26-34, hier S.31.
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Angesichts dieses krisenhaften Umstandes kamen Lothar Bisky und Dieter Wiedemann 1985 in ihrem Buch »Der Spielfilm – Rezeption und Wirkung« zu dem Schluss, dass Unterhaltungsfilme einem legitimen Bedürfnis gerade auch der Leistungsträger innerhalb der Volkswirtschaft entsprächen.848 Eine Rehabilitierung des Genrefilms begann, die, ähnlich wie später die westdeutsche Rehabilitierung des Genrefilms durch den Mythos, in der Antike ansetzte, allerdings beim antiken Drama: »Die in zweieinhalbtausend Jahren entstandene Weltdramatik von Aischylos bis Brecht hat Archetypen für die Gestaltung der Konflikte und der Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft geschaffen, die für die darstellenden Künste insgesamt, unabhängig vom Medium, nach wie vor bedenkenswert und sogar produktiv aufhebbar sind.«849Während Archetypen und Stereotype850 neue Anerkennung als künstlerische Mittel fanden, wurde auch die aristotelische Dramatik in Auseinandersetzung mit Brecht neu bewertet: »Die Dramaturgie des ›plot‹, der individuellen Verwicklung gehört von jeher zum Handwerkszeug erfolgreicher Schreiber und Regisseure der Unterhaltungsgenres Lustspiel, Abenteuer- und Kriminalfilm, Western usw., Genres, die in unserer nationalen Produktion leider weitgehend fehlen, aber vom Publikum dringend gewünscht werden. Daher verdient diese Dramaturgie unsere Aufmerksamkeit. Die Problematik besteht lediglich in ihrer un851
angemessenen Verwendung.«
Dass die Jugendlichen der DDR nach Identifikationsfiguren in linearen Erzählstrukturen verlangten, verdeutlichte den Lehrenden der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR, »Konrad Wolf« ihren »Nachholebedarf [sic!] bei der theoretisch-analytischen Aufarbeitung dieser letztgenannten Strukturen. Sie sind
848 Vgl. Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Der Spielfilm – Rezeption und Wirkung, Berlin: Henschelverlag Kunst & Gesellschaft 1985, S.153-154. 849 Thurm, Brigitte: »Die Renaissance der Archetypen«, in: Filmdramaturgie und Wirkungsforschung, in: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft. Schriftenreihe der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR »Konrad Wolf«. Nr. 29. 1987. 28. Jg, S.92-102, hier S.91. 850 Vgl. Schweinitz, Jörg: »Stereotyp – Vorschlag und Definition eines filmästhetischen Begriffs«, in: »Filmdramaturgie und Wirkungsforschung«, in: Beiträge zur Filmund Fernsehwissenschaft. Schriftenreihe der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR »Konrad Wolf«. Nr. 29. 1987. 28. Jg, S.111-127. 851 B. Thurm: Die Renaissance der Archetypen, S.100.
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durch die kapitalistische Filmindustrie in Verruf gekommen. Aber, wenn man es genau nimmt, zu Unrecht.«852 Als effektive, aber problematische, weil die Klassengegensätze beschwichtigende Verwendung wird als Beispiel etwa von Brigitte Thurm der Western »Höllenfahrt nach Santa Fè« genannt (mittlerweile, wie gesagt, Bestandteil des Filmkanons der Bundeszentrale für politische Bildung). Als eine »angemessene Verwendung« im Gegensatz dazu erscheinen Filme, die ein Einfühlungsangebot in Hinblick auf »progressive« Protagonisten geben können, dieses jedoch mit Verfremdungen verschränken, nach dem Vorbild von Grabbes Theaterstück »Napoleon oder Die hundert Tage«853. Thurm ruft zu einer Überwindung dieses vermeintlichen Gegensatzes auf, indem sie zudem das Komödiengenre als Vorbild anführt, in dem zwar stories entwickelt würden und gleichwohl ein offenes Kommunizieren mit dem Zuschauer möglich sei854 – eine solche Übertragung metafiktionaler, intertextueller oder anachronistischer Effekte auch auf nichtkomödiantische Genres scheint das postmoderne Kino heraufzubeschwören. Bemühungen, diesen Wünschen nachzukommen, krankten den Ergebnissen der Rezeptionsforschung zufolge jedoch noch daran, dass es sich lediglich um partielle Zugeständnisse handelte. Diese bildeten als Garnierung der DEFASpielfilme durch nachrangige Action-, Comedy-, Pop- oder Rockmusiksequenzen keine stilistische Einheit. Sie gäben dem jugendlichen »Lebensgefühl (Artikulationsweisen, Erfahrungen, aber auch Sehnsüchten uws.) keine filmische Entsprechung«855. »Dem Unterhaltungs- oder Genrefilm als solchem wird kein Interesse entgegengebracht, die Aufmerksamkeit gilt ihm nur sekundär, als (zufälligem) Träger gewisser Funktionen. [...] In wirklich selten naiver Manier versucht man, die angeblichen Bedürfnisse des Publikums mit einer Art besonders klischeehafter [...] Märchenware zu befriedigen...«856
852 Ebd., S.101-102 853 Vgl. Grabbe, Christian Dietrich: »Napoleon oder Die hundert Tage«, in: Grabbe’s Werke in vier Bänden. Dritter Band. Hg. und mit textkritischen Anhängen und der Biographie des Dichters von Eduard Grisebach, Berlin: B. Behr’s Verlag 1902, S.1179. 854 B. Thurm: Die Renaissance der Archetypen, S.102. 855 Stiehler, Hans-Jörg/Dieter Wiedemann: »Medienwirkungen als Analysegegenstand«, in: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft. Schriftenreihe der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR »Konrad Wolf«. Nr. 29. 1987. 28. Jg, S.140-157, hier S.156. 856 G. Lacher-Remy: PROGRESSives Filmesehen in Berlin, Hauptstadt der DDR, S.32.
2.15 S YNERGIEEFFEKTE ZWISCHEN POLITIK UND FILM JENSEITS DER BONNER REPUBLIK
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Gegenwärtig unternimmt die chinesische Regierung etwa verschiedene Vorstöße, in Bereich der Popkultur zu den USA aufzuschließen. Der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung Chinas ist bislang keine entsprechende Popularität ihrer Unterhaltungsindustrie beschieden.857 Parallel zur Politik (konzertiert in der Volksrepublik China oder als isolierter Vorstoß eines Ministeriums in der Bundesrepublik Deutschland) bemüht sich die Mediendidaktik, sich des Genrekinos zu bedienen und seine Muster und Bauformen mit eigenen (Lern-)Inhalten zu füllen. Dass die Medienverbünde aber bereits durch andere Akteure ideologisch durchdrungen werden, wird dabei im Gegensatz zum oft polemischen Tenor der 1980er Jahre wenig thematisiert, beziehungsweise eher als Gegenstand des Politik-, Geschichts- Religions- oder Ethikunterrichtes wahrgenommen. Dieser Umstand dürfte jedoch auch auf den apologetischen Duktus zurückführen, mit dem die didaktische Literatur sich bemüht, »über einen Stammtischdiskurs zur Frage der Fantastik als weltfremder Fluchtliteratur hinauszukommen«.858
857 Vgl. Daun, Matthias: «Die ganze Welt lernt heute Mandarin». Pop-Musik in China – zwischen Hurra-Patriotismus und hinterfragten Geschlechterrollen. Gepostet auf Neue Zürcher Zeitung am 19.2.2010. http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/pop_jazz/ die-ganze-welt-lernt-heute-mandarin-1.5019151/Kung, Michelle: Pekings Hunger auf Hollywood. China kauft US-Kinokette. Gepostet auf n-tv.de am 21.5.2012. http://www.n-tv.de/wirtschaft/China-kauft-US-Kinokette-article6310621.html/ Ackeret, Markus: Chinas Traum von Hollywood. Gepostet auf Neue Zürcher Zeitung am 15. 10. 2013. http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsnachrichten/ chinas-traum-von-hollywood-1.18167413 858 U. Abraham: Fantastik in Literatur und Film, S.197.
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2.16 D IE
LITERATURDIDAKTISCHE I NTEGRATION DES PHANTASTISCHEN F ILMS
Die aktuelle didaktische Literatur legitimiert nicht nur die Nichtprintmedien. Auch die phantastische Literatur wird im didaktischen Kontext wieder aufgewertet. Wie Ulf Abraham meint, könnte sie gerade durch zahlreiche filmische Adaptionen ihren guten Ruf verloren haben, zumindest im deutschsprachigen Raum.859 Um diesem Umstand abzuhelfen, legt Abraham 2012 die »medienübergreifende Genre- bzw. Textsortensystematik« für die »Fantastik in Literatur und Film«860 vor, die er bereits 2009 in seinem Handbuch zur Filmdidaktik Deutsch gefordert hat.861 Darin kommt er nach der Auswertung diverser Arbeiten (insbesondere May862) zu dem Schluss, dass das lange als reaktionär diffamierte Genre der Fantasy zwar ideologisch in den Dienst genommen werden könne. Es könne aber ebenso sehr zur Hinterfragung von Normen beitragen. 863 Er verteidigt die phantastische Literatur im Vergleich zur realistisch-problemorientierten Kinder- und Jugendliteratur auch gegen den Vorwurf, sie sei weniger komplex. Sie biete im Gegenteil zusätzlich zu Perspektivwechseln auch einen Wechsel zwischen verschiedenen Welten.864 Hier geht Abraham entscheidend über die bereits angeführten Tendenzen der Deutschdidaktik in den 2000er Jahren hinaus: Er leitet aus diesen emanzipatorischen Bestrebungen gegenüber der realistischen Literatur die Notwendigkeit ab, die Phantastik nicht allein als Mittel zur Leseförderung einzusetzen. Stattdessen soll sie als gleichberechtigter Unterrichtsgegenstand anerkannt werden, in ihrer Komplexität, ihren Herausforderungen und in ihrem Potential. Er widerspricht unter Rückgriff auf verschiedene Studien dem Truismus, Genreliteratur habe bedingungslos einen motivationalen Effekt auf Kinder und Jugendliche. Vielmehr bedürfe die phantastische Literatur einer differenzierteren wissenschaftlichen Aufarbeitung unter didaktischer Perspektive an Schule und Hochschule. Dieselbe müsse sowohl intertextuell als auch transkulturell und intermedial sein, da viele Texte der phantastischen
859 Ebd., S.206. 860 Vgl. U. Abraham: Fantastik in Literatur und Film. 861 Vgl. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.48. 862 Vgl. May, Markus: »Phantastik zwischen Affirmation und Subversion«, in: Thomas LeBlanc/Bettina Twrsnick (Hg.): Macht und Mythos, Wetzlar: Phantastische Bibliothek 2005, S.13-36. 863 Vgl. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.184. 864 Vgl. U. Abraham: Fantastik in Literatur und Film, S.189.
2.16 DIE LITERATURDIDAKTISCHE I NTEGRATION DES PHANTASTISCHEN FILMS
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Literatur unter all diesen Aspekten voraussetzungsreich seien. Zudem seien sie häufig mehrfachadressiert an Leser mit unterschiedlicher literarischer Erfahrung: So lassen sich Referenzen an andere (nicht nur literarische) Werke herausarbeiten, an das kulturelle Umfeld der Werkgenese und an mediale Produktions- und Rezeptionsmodi.865 Intermedialität erscheint somit hier nicht allein als ein Begleitumstand, der für die Vermittlung von Literatur instrumentalisiert werden kann. Vielmehr darf sie als integraler Bestandteil der Literatur gelten. Diese Medienreflexion durch die phantastische Literatur ist ein vielversprechendes Thema für Wissenschaft und Lehre. Die erzählerischen und darstellerischen Mittel lassen sich daran in ihrer Medienspezifik zur Kenntnis zu nehmen. Daraus wäre zu folgern, dass etwa Genrefilme im Unterricht nicht länger an den Maßstäben der realistischproblemorientierten Kinder- und Jugendliteratur gemessen würden (wie dies verstärkt in den 1980er bis 1990er Jahren der Fall war). Aber es genügt auch nicht, diese Maßstäbe um diejenigen der Mythen oder der Genreliteratur für Kinder und Jugendliche zu ergänzen (wie sich dies von den 1990er Jahren bis heute durchsetzte). Filme müssten vielmehr aus einer medienästhetischen Perspektive wahrgenommen werden. Demnach ginge es im Unterricht nicht mehr primär darum, die Handlung zu rekonstruieren. Der Erzählinhalt des Films muss nicht mehr aus den »überfordernden«, davon »ablenkenden« filmischen Mitteln herausgefiltert werden, damit die SchülerInnen sich auf den »inhaltlichen Kern« fokussieren können. »Der Film kann keineswegs ›alles besser‹ als das Buch; er kann anderes. Eine Vorstellungswelt im Kopf der Rezipient/-innen zu schaffen und ihre Imagination zu modulieren, ist seine Stärke. [...] In anderer Hinsicht (etwa, wenn es um die Darstellung von Gefühlen und Gedanken geht), tut sich der Film schwerer als der buchliterarische Text. Gefühle muss er in Stimmungen umsetzen (Beleuchtung, Farben, Filter), Gedanken per Assoziationsmontage (mindscreen) andeuten oder von einem off-Erzähler auf letztlich unfilmische 866
Weise aussprechen lassen.«
Über diesen Vergleich ließe sich in vieler Hinsicht streiten, etwa über die offenbar zugrundeliegende Annahme, Gedanken seien zwangsläufig sprachlich strukturiert. Gedanken können (auch) als eine bildliche Assoziationsmontage völlig adäquat vermittelbar sein. Fragwürdig erscheint zudem, ob sich Gefühle leichter
865 Vgl. ebd., S.195-205. 866 Ebd., S.200.
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über Sprache darstellen lassen als über Licht und Farben, Musik oder Filmschauspiel. Letztlich handelt es sich um verschiedene Formen der Gestaltung von Phänomen, die sich a priori überhaupt nicht erfassen lassen. Sie lassen sich stattdessen nur über diese (und andere mediale) Formen ausdrücken. Auch für die Ansicht, dass der in vielen anerkannten Werken eingesetzte off-Erzähler »unfilmisch« sei, ließen sich Gegenargumente anführen. Im hier ausgebreiteten Zusammenhang entscheidend ist jedoch weit mehr, dass von Abraham eine Abkehr von der Tendenz vertreten wird, den didaktischen Wert eines Films vorzugsweise mit seiner Handlung und seinen Figuren zu begründen. Dieser Wert ergibt sich stattdessen gerade aus seinen distinkt nichtliterarischen Ausdrucksformen. Abraham ist nicht der erste Autor, der diese Verschiedenheit anerkennt. Um nur ein Beispiel zu nennen, hat Michael Sahr ein Bewertungsschema für Literaturadaptionen durch den Film erarbeitet. Demnach ist die höchste Qualitätsstufe erreicht, wenn die inhaltliche Abwandlung der Vorlage den Bedingungen des Medientransfers gerecht wird. 867 Aber der differenzierenden Reflexion über die jeweiligen Stärken und Schwächen der Künste kommt bei Abraham eine zentrale Stellung zu. Sie erscheint nicht länger nur als Mittel eines Abgleichs zwischen Literatur und Adaption. Auch dient sie nicht mehr primär dazu, zwischen »Realität« und Film zu unterscheiden. Dass dieses Plädoyer für die Beachtung der Form anhand von Science Fiction, Horror und Fantasy vorgebracht wird, ist keineswegs beliebig. Abraham argumentiert für den phantastischen Film, dass dieser innere oder verdrängte Realitäten versinnbildlichen könne.868 Auch entspricht es etwa dem Wesen des Horrorgenres in besonderem Maße, die wahre Bedeutung in labyrinthischen Strukturen aus diversen fiktionalen Medienerzeugnissen zu verschlüsseln.869 Durch solche fiktionalen Quellen sollen zudem häufig Binnenerzählungen beglaubigt werden. Insofern ist die reflexive Darstellung von Medialität in diesem Genre besonders verbreitet. Fantasy und Horror schöpfen aufgrund ihrer thematisch (nicht zwangsläufig ideologisch) häufigen Rückwärtsgewandtheit auch aus-
867 Vgl. Sahr, Michael: Kinder – Bücher – Verfilmungen. Der literarische Kinderfilm im Unterricht, Kallmünz: Laßleben 1997, S.32-33./Vgl. auch die Anwendung dieses Schemas auf Adaptionen phantastischer Literatur in: Necknig, Andreas Thomas: Wie Harry Potter, Peter Pan und Die Unendliche Geschichte auf die Leinwand gezaubert wurden. Literaturwissenschaftliche und didaktische Aspekte von Verfilmungen phantastischer Kinder- und Jugendliteratur, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2007. 868 Vgl. U. Abraham: Fantastik in Literatur und Film, S.206. 869 Vgl. N. Stresau: Der Horror-Film, S.89.
2.16 DIE LITERATURDIDAKTISCHE I NTEGRATION DES PHANTASTISCHEN FILMS
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führlich aus dem »Mythen-Pool«. Werke beider Genres sind daher häufig durchsetzt von intertextuellen Bezügen. Das Plädoyer für eine verstärkt intertextuelle, transkulturelle und intermediale Perspektive ließe sich aber leicht über die genannten Genres hinaus auf alle Spielfilme erweitern. Abraham selbst allerdings stellt in seiner Einführung Literatur und Film noch nicht unter Berücksichtigung der besagten medienspezifischen Besonderheiten gegenüber. Eine Ausnahme bildet eine kurze Passage zum Beispiel »Die unendliche Geschichte«.870 Gerade diese Passage weicht jedoch von den literaturdidaktischen Konventionen nicht ab: Die filmische Adaption wird mit der literarischen Vorlage871 verglichen und dabei als unterlegene Version des Stoffes bewertet. Abraham gibt noch einen weiteren Verweis auf die medienspezifischen Ausdrucksformen. Unter Rückgriff auf Werner C. Barg 872 führt er an, der Anstieg von Produktionen der phantastischen Genres sei auf die CGI-Revolution sowie seit den 2010er Jahren auch auf das 3D-Kino zurückzuführen.873 Abraham mahnt hier an, solche visuellen Effekte nicht lediglich zu erklären und zu goutieren, weil der Film eben nicht alles besser könne als das Buch. Darin zeichnet sich ansatzweise einmal mehr die Abqualifizierung oder doch zumindest Relativierung des »Überwältigungskinos« ab. Von diesem Kino solle man sich nicht blenden lassen, es müsse weiterhin an einer spezifischen Leistung gemessen werden. Diese Leistung wird von Abraham zwar nicht als die medienspezifische Vermittlung einer Geschichte oder einer Aussage betrachtet. Dafür verortet er sie in der Vermittlung von Gedanken und Gefühlen der Protagonisten (und nicht in einer Wirkung der Filmeffekte auf die Gedanken und Gefühle der Rezipienten). Abgesehen von diesen relativ knappen Verweisen auf distinkt filmische Ausdrucksformen gibt das Buch überwiegend einen Überblick der Geschichte, der Motive, Schlüsselfiguren, Dichotomien und Diskurse der literarischen Fantastik wieder. Die Zusammenhänge mit den betreffenden Kategorien werden nicht immer schlüssig hergestellt (so spielt der Medien-Diskurs in dem hierfür gewählten Beispiel »Batman Begins« schlicht keine Rolle). Filme werden auch nur ergänzend hinzugezogen, sofern sie inhaltliche Schnittstellen aufweisen.
870 Vgl. U. Abraham: Fantastik in Literatur und Film, S.200-201. 871 Vgl. Ende, Michael: Die unendliche Geschichte, Thienemann Verlag: Stuttgart 1979. 872 Vgl. Barg, Werner C.: »Fantasy – Phantastische Weltorientierung für Kinder und Jugendliche«, in: Klaus Maiwald/Petra Josting (Hg.): Verfilmte Kinderliteratur, München: koPäd 2010, S.51-61. 873 Vgl. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.200.
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Diese Nachrangigkeit kommt schließlich darin zum Ausdruck, dass mitunter eher Inhaltsangaben der Filme gegeben werden. Nichtsdestoweniger aber setzt Abraham ein wichtiges Signal, weil er darüber hinausgeht, Filme allein über die Schnittstelle der Literaturadaption beziehungsweise der intermedialen Beziehungen innerhalb desselben Media Franchises zu vergleichen. Die thematischen (Unterrichts-)Reihen, die er anregt, beziehen sich auf gemeinsame Motive, Stoffe und Themen. Durch diese freiere Inbezugsetzung würde sich der Vergleich zwangsläufig auch weiter von der dominanten Orientierung an der Storyline lösen. Die Werkintegrität der Vergleichsgegenstände würde stärker gewahrt. Eine Reflexion der medialen Ausdrucksmittel würde erleichtert. Inhaltliche Aussparungen und Ergänzungen gegenüber der prägenden Ersterfahrung müssten die Wahrnehmung von SchülerInnen, Lehrkräften und Forschern nicht mehr bestimmen. Abraham regt somit in seinem Handbuch am Beispiel der phantastischen Genres eine intermediale und -textuelle Motivdidaktik und -forschung nach dem Verfahren des Cross-Mapping an. Diese ließe sich nun noch um weitere Genres erweitern, um Werke, die sich keinem Genre zuordnen lassen sowie um nichtnarrative Werke. Zur Vertiefung wäre aber eine Medienreflexion unter »formalen« Gesichtspunkten nötig, wie dies auch von Abraham bereits gefordert wird.
2.17 DISKONTINUITÄTEN DES FILMPÄDAGOGISCHEN DISKURSES
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2.17 D ISKONTINUITÄTEN DES FILMPÄDAGOGISCHEN
D ISKURSES
Der Referenzrahmen des oben verhandelten Diskurses beinhaltet medienpädagogische, -didaktische, -politische und auf diese Themen bezogene journalistische Publikationen des deutschsprachigen Raumes in den Jahren 1978 bis 2014. Die Gegenüberstellung mit Béla Balázs’ 1924 veröffentlichtem filmtheoretischen Werk »Der sichtbare Mensch« führt exemplarisch einen Umstand vor Augen: Die in diesem Diskurs formulierten allgemeinen Wahrheiten stehen in einem relativen Verhältnis zum spezifischen Umfeld der Bundesrepublik Deutschland in dieser Zeitspanne. Hat sich seit Balázs ein Verbot als Prozedur der Ausschließung etabliert, um »die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen«874? Wohl eher kann man hier von einer Grenzziehung und Verwerfung875 sprechen. Bereits in den 1920er Jahren wird der Film zwar als passiv-sinnliche Erfahrung der literarischen Lektüre als einer intellektuellen Leistung gegenübergestellt, insofern wirkt der Diskurs der Stummfilmzeit bis heute nach.876 Allerdings kommt der Sprachskepsis darin eine prominent vertretene Position zu. Sie wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur von Balázs zum Ausdruck gebracht, sondern lässt sich als Strömung bei Autoren von Fritz Mauthner über Ludwig Wittgenstein bis hin zu Hugo von Hoffmannsthal erkennen.877 Balázs knüpft an den Film die Hoffnung auf eine globale Selbstermächtigung der Menschen. Er soll zu einer in Balázs’ Worten internationalen, im Grunde aber transnationalen Einheit der »weißen Rasse«, aber auch zu einer darüber hinausgehenden wortlosen Verständigung aller Völker führen. Der Film könne den Menschen dazu verhelfen, ihre Entfremdung zu überwinden, nicht nur zu ihrer Arbeit in der Moderne seit der Industrialisierung, sondern zu ihrer »Natur« in der Moderne spätestens seit der Frühen Neuzeit, zu der die Sprache in Druckerzeugnissen als strukturgebendes Machtinstrument beigetragen habe (wenn nicht seit einer mythischen Antike, wie Balázs’ Bezüge auf den Turmbau
874 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S.11. 875 Vgl. ebd. 876 Vgl. Liptay, Fabienne: »›Von der Ziffer zur Vision.‹ Fragwürdige Leitdifferenzen zur Ordnung der Künste«, in: Stefan Keppler-Tasaki/Fabienne Liptay (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film 1910-1960, München: edition text + kritik 2010, S.15-87, hier S.16. 877 Vgl. ebd., S.15-16.
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zu Babel nahelegen878). Balázs’ erklärt didaktische Filmtheorie geht somit über eine spezifisch marxistische Perspektive auf den Film weit hinaus. Sie ist zwar deutlich von einer solchen geprägt, wenn sie den Film zum nächsten Schritt auf einer Entwicklungslinie der Künste gegenüber der bürgerlich konnotierten Literatur erklärt. Dennoch lässt sich die Utopie in »Der sichtbare Mensch« nicht so konkretisieren, dass sich ihre fehlende Entsprechung im westdeutschen Diskurs der 1980er bis 2010er Jahre auf ihre Verhaftung in der marxistischen Theorie der 1920er Jahre zurückführen ließe. Auch in der DDR hat Balázs keinen prägenden Einfluss auf die Filmdidaktik ausgeübt. Die sprachskeptische Perspektive dominiert aber auch nicht den Diskurs der Weimarer Republik. Vielmehr wird die kulturkonservative Sichtweise auf den Film, die ihn allenfalls als werkgetreue Literaturadaption gelten lässt, von Balázs ausführlich argumentativ berücksichtigt. Balázs versucht freilich, sie zu widerlegen. Ihn leitet die Hoffnung auf eine Überwindung der Sprache. Erst dann sei eine zwischenmenschliche Kommunikation möglich, die eine Steuerung durch akademische, staatliche und wirtschaftliche Instanzen unterläuft. Diese Hoffnung spielt jedoch im hier ausgebreiteten Diskurs über den Film seit den späten 1970er Jahren keine nennenswerte Rolle – auch nicht, und das ist eine entscheidende Ausschließung, als gegensätzliches Modell, das man argumentativ berücksichtigen müsste. Die oft stärker praxisorientierte Ausrichtung einiger medienpädagogischer und -didaktischer Quellen sollte nicht den Schluss nahelegen, diesen Unterschied durch eine qualitative Fallhöhe zwischen ihnen und Balázs’ theoretischem Werk zu erklären. Auch Balázs – insbesondere in seiner appellativen Einleitung – greift zu den Mitteln des Pathos, der Polemik und der Mystifizierung. Dabei handelt es sich auch um ein aus dem diskursiven Referenzrahmen der Zwischenkriegszeit erklärliche Stilmittel. Nichtsdestoweniger ist »Der sichtbare Mensch« ein ausführliches und in sich geschlossenes Pionierwerk, das einem Diskurs vorangestellt wird, der teilweise aus Artikeln und Handbüchern der vergangenen dreißig Jahre rekonstruiert wurde. Auch, wenn einige dieser Publikationen gerade in den 1980er Jahren mitunter zu polemischen Zuspitzungen greifen, so handelt es sich doch größtenteils um Autoren, die Filmbildung im schulischen wie auch akademischen Kontexte geprägt und Bildungspolitik gestaltet haben. Die wenigsten drücken sich dabei so drastisch aus wie folgt: »In hohem, ja erschreckenden Maße unfähig zur Konzentration, zur längerdauernden Hingabe an einen einzigen Gegenstand oder an ein einziges Thema, zum wirklich sachbezo-
878 Vgl. B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.21.
2.17 DISKONTINUITÄTEN DES FILMPÄDAGOGISCHEN DISKURSES
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genen und engagierten Arbeiten, dazu in unguter Weise frühreif, nervös und hyperaktiv, ständig in Bewegung, unwohl, ständig Ansprüche stellend, fordernd, konsumversessen – so präsentiert sich heute eine ganze Kindergeneration. 1988. Wie das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL berichtet, ist im Königreich Bhutan das Fernsehen abgeschafft worden. [...] Man stelle sich vor, der amerikanische Präsident verbiete in seinem Land das Fernsehen. Oder der deutsche Bundeskanzler, der Schweizerische Bundesrat oder irgendeine andere Regierung erließe ein gleiches Verbot – was wäre die Folge? Vermutlich dieselbe, wie wenn die zweite heilige Kuh unserer Zivilisation, das Auto, geschlachtet würde. Dabei ist die Menschheit nachweislich die längste Zeit ohne Fernsehen ausgekommen. [...] Assyrer, Ägypter, Griechen und Römer, die Mönche und Nonnen des Mittelalters, Luther und Wallenstein, Barock und Rokoko, Goethe und Heine, Schopenhauer und Nietzsche, sie alle mußten ohne Fernsehen auskommen. Was aber haben die Leute denn früher nach Feierabend so gemacht? Hören wir, was uns der Dichter J. C. Heer in seiner Biografie »Joggeli« über einen Abend im Hause seiner Familie erzählt! Die Szene spielt in der Schweiz etwa ums Jahr 1870 und zwar im damals – trotz der Fabrik – noch 879
recht ländlichen Winterthurer Vorort Töß. Bei ihnen ist ein Samenhändler zu Gast.«
Es folgt die entsprechende Idylle der generationen- und ständeübergreifenden Geselligkeit im Urkreis um die Feuerstelle. Doch so durchsichtig diese Rhetorik auch wirkt, so steht selbst diese Quelle ihrer Tendenz nach nicht außerhalb der Grenzen, die ihr von dem ihr zeitgenössischen Diskurs gesetzt werden. Eher noch dürfte sie darauf hindeuten, wie erst die Auswirkung von Film und Fernsehen auf Kinder und Jugendliche von Teilen der deutschsprachigen Gesellschaft im nicht schriftlich fixierten Diskurs aufgefasst wurde: »Die zentrale These dieses Buches ist eigentlich die: Fernsehkinder sind wandelnde Fernsehgeräte. Es sind TV-Kisten auf zwei Beinen. Fernsehkinder sind so bunt, ja grell gekleidet, wie der Fernseher bunt und grell ist. Sie sind so laut wie er. Sie haben ständig Musik in den Gehörgängen, so wie er ständig Musik macht. Sie reden sehr viel und sagen dabei 880
recht wenig, genau wie der Fernseher.«
Die Thesen der an dem Diskurs beteiligten Akteure, soweit sie hier berücksichtigt wurden, werden im Übrigen weitaus überzeugender begründet, unter Einbezug empirischer Studien, von Theorien der Entwicklungspsychologie oder auch der Filmwissenschaft. Doch nicht nur spielen Balázs’ Arbeiten trotz seiner er-
879 Biscioni, Renato: Fernsehkinder. Vom Umgang mit einem beherrschenden Medium, Zürich/Wiesbaden: Orell Füssli Verlag 1991, S.4-5. 880 Ebd., S.73-74.
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klärt medienpädagogischen und -kritischen Zielsetzungen keine Rolle für die Herleitung aus der Tradition (oder allenfalls eine höchst marginale Rolle für den Ansatz des produktiv-handlungsorientierten Unterrichtes). Die utopische Hoffnung, die nicht nur er an den Film als Medium der Globalisierung knüpfte, ist in den 1980er und frühen 1990er Jahren dystopischen Befürchtungen gewichen. Die Nachahmung der Körpersprache im Film durch Kinder und Jugendliche wird nicht als die Entwicklung der Kultur im Sinne einer »unmittelbare[n] Körperwerdung des Geistes«881 aufgefasst, sondern dort, wo sie thematisiert wird, entweder als die Einschreibung einer spezifisch US-amerikanisch geprägten Populärkultur und ihrer Ideologie in Körper und Geist der Kinder und Jugendlichen oder – beziehungsweise in einem nächsten degenerativen Schritt – um die Regression in eine vorsprachliche, allerdings durch (gewalt-)pornographische Konditionierung pervertierte Körperlichkeit. Nicht zuletzt verplanen Filme den Körper der Zuschauer auch auf eine für das Erziehungssystem als unproduktiv eingeschätzte Dauer, weswegen sich besonderer rhetorischer Widerstand gegen das »Vielsehen« auf Videocassette sowie gegen das »Zappen« im Fernsehen richtet. Als Alternative dazu werden »reale« Erfahrungen wie Sport und Spiel aufgezeigt (nicht zuletzt offenbar, da eine solche körperliche Auslastung in der Freizeit dem Stillsitzen im Unterricht zugute kommen könnte). Wenn jedes »Erziehungssystem [...] eine politische Methode [ist], die Aneignung der Diskurse mitsamt ihrem Wissen und ihrer Macht aufrechtzuerhalten oder zu verändern«882, worum geht es dann in der Auseinandersetzung mit dem Film? Diese Aneignung der Diskurse soll weiter gewährleistet werden, die Filmerlebnisse in die gesprochene und die geschriebene Sprache übersetzt werden. Somit werden sie in einen Diskurs zwischen Erziehern sowie Kindern und Jugendlichen überführt. Dies erleichtern Filme, die sich durch eine kontinuierlich entwickelte Handlung und ebenso entwickelte Figuren sowie dialogische Konfliktlösungen auszeichnen. Filme hingegen, die andere filmische Ausdrucksmittel simultan und in hoher Geschwindigkeit einsetzen, erscheinen aus zweierlei Gründen als problematisch: Erstens könnten sie die Aneignung der Diskurse durch die Kinder und Jugendlichen grundsätzlich gefährden. Zweitens könnten sie die Diskurshoheit der Erzieher gefährden, wenn sie deren Sprache unterlaufen und durch für diese nicht verständliche oder beherrschbare kommunikative Strukturen das Dispositiv verändern. Solche Filme werden daher entweder aus dem medienpädagogischen Diskurs mit den Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen oder diese Grenzziehung wird um bestimmte Gegenstände erweitert (etwa um die Filme »12 Uhr mittags« oder
881 B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.21. 882 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S.30.
2.17 DISKONTINUITÄTEN DES FILMPÄDAGOGISCHEN DISKURSES
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»Shining«). Damit diese Werke (in einer erweiterten Anwendung des Begriffes »Text«) als Primärtexte »über ihr Ausgesprochensein hinaus gesagt sind, gesagt bleiben, und noch zu sagen sind«883 dürfen jedoch bestimmte Abstufungsregeln offenbar nicht außer Kraft gesetzt werden. Als grundsätzlich ausgeschlossen erscheint dabei die Vorstellung einer Prioritätsverschiebung infolge einer ikonischen Wende, durch die Sprache nicht länger durch den Diskurs vor allem zu einem bedeutungshaltigen Sprechen und Schreiben geformt werden soll (etwa indem letztere Kompetenzen wie bei Balázs den Filmpädagogen und -kritikern dazu dienen, sich selbst bis zu einem gewissen Grad als formgebende Prinzipien obsolet zu machen). Der Standardsprache soll weiterhin die maßgebliche Aufgabe zukommen, die Masse der Bilder und das Rauschen der Klänge, aber auch der Sprache und des Denkens zu organisieren884 (das beinhaltet auch Verfahren wie das Filmgespräch, das klärende Schreiben, das expressive Schreiben, das rhetorische Schreiben und das poetische Schreiben.885 Das ist weniger selbstverständlich, als es erscheinen mag; so spielen produktiv-handelnde Verarbeitungen durch andere kreative Ausdrucksformen (etwa durch das Filmen selbst) eine deutlich kleinere Rolle. Der Film wird somit als Gegenstand besonders nachdrücklich im Deutschunterricht verankert. »Was ist denn eigentlich ein Unterrichtssystem – wenn nicht eine Ritualisierung des Wortes, eine Qualifizierung und Fixierung der Rollen für die sprechenden Subjekte, die Bildung einer zumindest diffusen doktrinären Gruppe, eine Verteilung und Aneignung des Diskurses mit seiner Macht und seinem Wissen? Was ist denn das »Schreiben« (das Schreiben der »Schriftsteller«) anderes als ein ähnliches Unterwerfungssystem, das vielleicht etwas andere 886
Formen annimmt, dessen große Skandierungen aber analog verlaufen?«
Ausgegrenzt werden in den 1980er Jahren bis teilweise hinein in die Gegenwart bestimmte Formen filmischen Ausdrucks, sofern sie nicht in die Rituale des Sprechens und Schreibens integrierbar erscheinen. Dazu müssen sie Eigenschaften aufweisen, die diese »Defizite« ausgleichen. Als problematische Eigenschaften des Films gelten: Schnittgeschwindigkeit und eine gesteigerte Simultaneität visueller und auditiver Effekte, Genre- oder Franchisezugehörigkeit, Stereotypie. Diese Ausschlusskriterien korrespondieren mit Begriffen, die der Foucaultschen Diskursanalyse
883 Ebd., S.18. 884 Vgl. ebd., S.33. 885 U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.80-82. 886 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S.30.
290 | VERFOLGUNGSJAGDEN »als regulative Prinzipien dienen: die Begriffe des Ereignisses, der Serie, der Regelhaftigkeit, der Möglichkeitsbedingung. Jeder dieser Begriffe setzt sich jeweils einem anderen genau entgegen: das Ereignis der Schöpfung, die Serie der Einheit, die Regelhaftigkeit der Ursprünglichkeit, die Möglichkeitsbedingung der Bedeutung. Diese vier anderen Begriffe (Bedeutung, Ursprünglichkeit, Einheit, Schöpfung) haben die traditionelle Geschichte der Ideen weitgehend beherrscht, in der man übereinstimmend den Augenblick der Schöpfung, die Einheit eines Werks, einer Epoche oder eines Gedankens, das Siegel einer indi887
viduellen Originalität und den unendlichen Schatz verborgener Bedeutungen suchte.«
Man könnte somit annehmen, dass es die medienpädagogischen Beiträge vor allem in den 1980er und frühen 1990er Jahren als Aufgabe betrachten, den Kindern und Jugendlichen die kritische Analyse von Werken zu ermöglichen, die ihnen als bedeutsame, ursprüngliche und einheitliche Kreationen erscheinen müssen, deren scheinbar allgemeine Wahrheiten sie aber vielmehr als Verknappung des Diskurses sehen müssten: Die Regelhaftigkeit der Genres und der Franchises als eine gewaltsame Praxis, die seriell produzierten Stereotype als Beschneidungen des Überflusses, die allzu offensichtlichen ökomischen und ideologischen Möglichkeitsbedingungen des kommerziellen Films als Äußerlichkeiten einer behaupteten inneren Bedeutung. Allerdings ist ein wesentliches Prinzip der von Foucault in »Die Ordnung des Diskurses« eingeforderten Methode hier nicht erfüllt, dasjenige der Diskontinuität: »Daß es Verknappungssysteme gibt, bedeutet nicht, daß unterhalb oder jenseits ihrer ein großer, unbegrenzter, kontinuierlicher und schweigsamer Diskurs herrscht, der von diesen Verknappungssystemen unterdrückt oder verdrängt wird und den wir wieder emporheben müssen, indem wir ihm endlich das Wort erteilen.«888 Eben von einem solchen, von der Verdrängung bedrohten Diskurs gehen jedoch die medienpädagogischen Ansätze zum Film in diesen Jahren zumeist aus, der in vielen Publikationen nicht einmal als »Diskurs« anerkannt wird, sondern vielmehr als »Realität« von Erfahrungswerten einer Scheinwelt medialer Erfahrungen gegenübergestellt wird. Nur scheinbar richtet sich eine breite Strömung der deutschsprachigen Medienpädagogik daher allein gegen das kommerzielle Genrekino aus Hollywood. Tatsächlich ist dieses nur eine extreme Ausformung dessen, was die »traditionelle Geschichte der Ideen« kraft seiner bloßen Existenz bedrohen könnte. Bedeutung, Ursprünglichkeit, Einheit und Schöpfung scheinen sich in dem geschlossenen künstlerischen Werk ebenso zu manifestieren wie in dem entwicklungspsychologischen Modell einer kontinuierlichen Reifung vom
887 Ebd., S.35. 888 Ebd., S.34.
2.17 DISKONTINUITÄTEN DES FILMPÄDAGOGISCHEN DISKURSES
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Kind zum Erwachsenen – weshalb eben Filme, die sich mit diesen Modellen vereinbaren lassen, also »Autorenfilme« und die Filme, die mit dem Stilmittel des psychologischen Realismus arbeiten, nicht als Gefährdung der vermeintlichen Kontinuität betrachtet werden. Die »Eventfilme« hingegen scheinen als Ereignisse die Kontinuitätsmodelle überstrapazieren oder gar zu sprengen, sowohl ihrer quantitativ erhöhten medialen Repräsentation als »Superwaren« wegen, als auch wegen der qualitativen Dominanz des Augenblicks über den Handlungsbogen. Sie sollen einigen Positionen zufolge aus dem Diskurs zwischen Erziehern, Kindern und Jugendlichen ausgegrenzt werden, ja in manchen Vorstößen zu Zensurmaßnahmen insgesamt tabuisiert. Sofern das aber nicht möglich ist, müssen sie mit dem Machtinstrument einer Übersetzung in die Standardsprache reguliert werden, klassifiziert, angeordnet und verteilt, kurz gebändigt. 889 Welche Ereignisse aber sind ursächlich für die Diskontinuität zwischen dem Diskurs in den 1920er Jahren, für dessen erweiterte Grenzen Balázs’ »Der sichtbare Mensch« als ein doch immerhin prominentes und auch seinerzeit durch Rezensenten wie Robert Musil,890 Siegfried Kracauer891 und Erich Kästner892 positiv aufgenommenes Beispiel dienen kann, und zwischen dem Diskurs in den späten 1970er bis frühen 1990er Jahren, sowie in einem weiteren Schritt zwischen jenem Diskurs und demjenigen der 1990er Jahre bis zur Gegenwart? Zunächst sind Ereignisse zu konstatieren, die sich in ihrer Dauer sehr wohl über die Jahreszahl 1978 hinaus zurückerstrecken.
889 Vgl. ebd., S.17. 890 Vgl. Musil, Robert: »Ansätze zu neuer Ästhetik. Bemerkungen über eine Dramaturgie des Films«, in: Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenössischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kästner, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2001, S.148-167. 891 Vgl. Kracauer, Siegfried: »Bücher vom Film«, in: Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenössischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kästner, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2001, S.170174. 892 Vgl. Kästner, Erich: »Ästhetik des Films«, in: Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenössischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kästner, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2001, S.175-176.
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2.18 F ILM UND S CHRIFT ALS G EGENSTÄNDE DES D ISKURSES – E REIGNISSE UND S ERIEN ZWISCHEN 1895 UND 1977 SOWIE 1978 UND 2014 Den Ruf eines jugendgefährdenden Opiats hatte der Film bereits parallel zur Balázs’ Theoriebildung inne und bereits zuvor, in seinen Anfängen als dubioses Jahrmarktvergnügen in den Wanderkinos des späten 19. Jahrhunderts. Auch die Überdimensionalität des Körpers in der Großaufnahme, die Balázs als potentielles Medium einer nonverbalen Völkerverständigung schätzt, ließe bereits frühzeitig auch als übermächtiger Stimulus Rufe nach Zensur laut werden, zumal wenn es sich um Aufnahmen des menschlichen Körpers handelte, wie in dem 47sekündigen Skandalfilm »Der Kuss«893 von 1896, in dem ein (angekleidetes) Paar bei eben dieser Zuwendung zu sehen ist. Aber nicht nur dem Film, auch dem Kino selbst wurde eine transgressive Energie beigemessen, die aus der Dunkelheit des Zuschauerraums, aus einem Publikum, das sich anfänglich aus den ärmeren und ungebildeten Milieus oder auch der Bohème zu rekrutieren schien und aus dem oft spekulativen Leindwandgeschehen womöglich unkontrollierbare Synergieeffekte zeitigen mochte. 894 Unter feuerpolizeilichen Gesichtspunkten stellte der Celluloidfilm vor der flächendeckenden Umstellung der Kinos auf den Sicherheitsfilm zu Beginn der 1950er Jahre schließlich ein nicht nur sittliches Risiko dar.895 Eine Rolle bei seinem Erfolg nicht nur der Literatur sondern auch dem Theater gegenüber scheint unter anderem gespielt haben, dass die Nahaufnahme auf der großen Leinwand einen besseren Blick gewährte. Darauf könnte hindeuten, was Siegfried Kracauer hervorhebt: »Um 1910 hatte das Theater der Provinzstadt Hildesheim den Ausfall von 50 Prozent der Besucher zu verzeichnen, die zuvor gewöhnlich die billigsten Plätze lösten.«896 Unter diesem Wettbewerbsdruck schlossen sich auch dramatische Künstler der Kinoreformbewegung an, die sich seit 1910 aus Lehrerverbänden, Geistlichen und Juristen rekrutierte. Sie begann auch damit, Genretypologisierungen vorzunehmen
893 DER KUSS (THE KISS, USA 1896, R: William Heise). 894 Vgl. Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films (From Caligari to Hitler. Aus dem Englischen von Ruth Baumgarten und Karsten Witte.), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2005, S.22./Vgl. auch Braidt, Andrea B.: Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung, Marburg: Schüren Verlag 2008, S.18. 895 Vgl. Kermode, Mark: The Good, the Bad and the Multiplex. What’s Wrong With Modern Movies?, London: Random House Books 2012, S.2-4. 896 S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S.22.
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und die diversen Typen anhand der Maßstäbe ihrer Disziplinen zu bewerten, etwa anhand der zehn Gebote, der polizeirechtlichen Erfordernisse des Jugendschutzes oder des literarischen Kanons.897 »Die deutsche Bewegung unterschied sich [...] von ähnlichen im Ausland dadurch, daß sie sich in erheiternder Empörung über die Sorglosigkeit gefiel, mit der die meisten Filme literarische Meisterwerke behandelten. So passierte es 1910, daß ein DON CARLOS-Film zwei Protagonisten aus Schillers Drama unter den Tisch fallen ließ. Dies war in den Augen der Kinoreformer ein Verbrechen. Denn ein »literarischer« Film hatte einzig die 898
Pflicht zu erfüllen, sein Vorbild integral zu bewahren.«
Die öffentliche Filmvorführung selbst ist somit das Ereignis, das seit dem 1. November 1895 (durch die Brüder Skladanowsky im Berliner Wintergarten) »zur Herausbildung einer empirisch fundierten, häufig konservativ-ästhetischorientierten Filmpädagogik bzw. -erziehung [...] führte«899, deren Vertreter eine möglichst enge Anlehnung der Filme an die Schriftkultur fordern, um die Öffentliche Ordnung nicht zu gefährden. Diese konservative Orientierung an der Literatur korrespondiert jedoch keineswegs allein mit dem Sittlichkeitsempfinden im wilhelminischen Bildungsbürgertum, sie blieb vielmehr auch vor einem gänzlich anderen politischen Hintergrund evident. Dass Filme in der Rezeption Kollektiverlebnisse waren und in der Produktion für gewöhnlich auch heute noch Kollektivergebnisse, nicht zuletzt auch Industrieprodukte sind, ließ sie bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber der Literatur als massenkonfektioniert und kommerziell ebenso manipuliert wie manipulativ erscheinen.900 Die Produktionsstätten Babelsberg und Hollywood geraten dabei ebenso ins Visier monarchistischer wie marxistischer
897 Vgl. A. B. Braidt: Film-Genus, S.18-19. 898 S. Kracauer: Von Caligari zu Hitler, S.24. 899 Wiedemann, Dieter: »Film«, in: Jürgen Hüther/Bernd Schorb/Christiane BrehmKlotz (Hg.): Grundbegriffe Medienpädagogik, München: KoPäd Verlag 1997, S.100-103, hier S.101. 900 Vgl. Keppler-Tasaki, Stefan: »Glossar für Hollywood. Deutsch-amerikanische Literaturbeziehungen vor den Herausforderungen der Filmstadt«, in: Stefan KepplerTasaki/Fabienne Liptay (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film 1910-1960, München: edition text + kritik 2010, S.296-342.
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Kapitalismuskritik. »Hades des modernen Menschen«901 und »Hölle-Wut«902, so schmähte Joseph Roth die sich herausbildende Filmindustrie, als »Hollywood« betitelt Bertolt Brecht »den Markt, wo Lügen gekauft werden«.903Diese Kontrastierung bleibt dauerhaft und parteiübergreifend wirksam, wenn 1961 etwa Walther Schmieding die westdeutsche Filmindustrie aus der Perspektive der Frankfurter Schule (und unter Rückbezug auf Brecht) als kompensatorische Erholung vom spätkapitalistischen Arbeitsdruck versteht, die über die Filmförderung durch die Steuern der Arbeitnehmer finanziert wird und so staatlich subventioniert die Politik der Kabinette Adenauer ideologisch unterstützt. 904 Die künstlerische Misere, dass das westdeutsche Nachkriegskino nicht einmal diesen Funktionen noch gerecht zu werden versteht, führt er auch zurück auf »das schlechte Verhältnis, das zwischen Literatur und Film in Deutschland herrscht. Die Autoren und Intellektuellen verachten den Film und weigern sich, für ihn zu schreiben. Die Filmindustrie verachtet die Literatur vielleicht nicht – sie kennt sie erst gar nicht. Jede zweite verworrene Illustrierten-Kolportage wird in Deutschland für Verfilmungszwecke erworben, aber die Romane und Erzählungen der Böll, Andersch, Grass, Walser, Lenz, Bachmann, Koeppen, Müthel, Zwerenz scheint kein Filmgewaltiger zu lesen. [...] Und die Vernachlässigung der Literatur durch den Film gilt nicht nur für die neuere Literatur – auch die dem Bürgertum so vertrauten Carossa, Wiechert, Bergengruen, Ina Seidel und 905
Gertrud von Le Fort hat man bisher übersehen.«
In jedem Fall also – ob nun im Sinne der »fröhlichen Restauration« oder ihrer Gegner906 – wird der Rückgriff auf seriell veröffentlichte, pauschal auch sprachlich als illustrativer eingeschätzte Illustrierten-Stoffe als nicht vereinbar mit der künstlerischen oder auch »nur« niveauvoll unterhaltenden Qualität eines Films betrachtet. Das Primat der Literatur gehört auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu
901 Roth, Joseph: »Der Antichrist«, in: Klaus Westermann (Hg.): Joseph Roth: Das journalistische Werk 1929-1939, Köln: Kiepenheuer und Witsch 1991, S.571-665, hier S.580. 902
Ebd., S.614.
903 Brecht, Bertolt: »Hollywood«, in: Bertolt Brecht: Ausgewählte Gedichte. Nachwort von Walter Jens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1964, S.63. 904 Vgl. Schmieding, Walther: Kunst oder Kasse. Der Ärger mit dem deutschen Film, Hamburg: Rütten & Loening Verlag 1961, S.9-14. 905 Ebd., S.15. 906 Vgl. Mayer, Hans: Die umerzogene Literatur. Deutsche Schriftsteller und Bücher 1945-1967, Berlin: Wolf Jobst Siedler Verlag 1988, S.81.
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den Konstanten in der Filmbewertung durch zahlreiche Pädagogen und manche Kritiker. Maiwald stellte 2005 die von ihm in jüngerer Zeit konstatierte Privilegierung des Sehsinns in den Kontrast zu einer »Bildfeindlichkeit, deren Ursprünge bis zu Platos Höhlengleichnis und zum byzantinischen Bilderstreit verfolgt werden können. Die prachtvoll verzierte und kolorierte mittelalterliche Handschrift wich der nüchtern bedruckten Buchseite; in manch sinnenfroher Kathedrale ersetzte protestantische Wortstrenge die Polyästhetik der katholischen Messe; die Aufklärung radikalisierte eine diskursbasierte und Triebe entweder sublimierende oder rigoros kontrollierende Vernunft so weit, dass sogar Schrifttum unter ihr Verdikt fiel, insbesondere, wenn es die Sinnlichkeit vornehmlich ›lesewütiger Frauenzimmer‹ im Übermaß erregte. Der pädagogisch gelagerte Widerwille richtete sich gegen vermeintlichen ›Schmutz und Schund‹ stets mit besonderer Heftigkeit, wenn dieser den Sehsinn traf: Fil907
me und Comics, neuerdings PC- und Videospiele.«
Würde man dieser Auffassung folgen, könnte man schließen, dass die kulturkonservative Filmpädagogik von der Kinoreformbewegung bis in die 1990er Jahre nur eine Fußnote in einer Serie darstellt, deren jahrtausendealten Strukturen sie sich einfügt. Gleichsam ließe sich der Film als Ereignis in die ikonische Wendung einordnen, die sich Gottfried Boehm zufolge seit dem 19. Jahrhundert vollzieht.908 Auch die Problematisierung dieser Wendung am Beispiel des Films durch die Medienpädagogik ist nicht erst seit den 1980er Jahren erkennbar, sondern bereits seit den 1890er Jahren. Wenn Maiwald ein Jahrhundert später mahnt, »das roll back einer Bildfeindlichkeit«909 könne ohne Vermittlung durch die Medienpädagogik zu einer raum-zeitlichen Desorientierung der Jugendlichen führen910, so hat Balázs die »neue Wendung zum Visuellen«911 bereits 1924 als Ablösung der spätestens seit der frühen Neuzeit vorherrschenden Schriftkultur gesehen (seine terminologische Analogie zu Boehm wurde von Fabienne Liptay erkannt und hervorgehoben912).
907 K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.24. 908 Boehm, Gottfried: »Die Wiederkehr der Bilder«, in: Was ist ein Bild? Hg. von Gottfried Boehm, München: Wilhelm Fink Verlag 1994, S.11-38, hier S.13. 909 K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.24. 910 Vgl. ebd., S.41-42. 911 B. Balázs: Der sichtbare Mensch, S.16. 912 Vgl. F. Liptay: »Von der Ziffer zur Vision.«, S.27.
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Aber Balázs hat diese Wende uneingeschränkt begrüßt. Auch er hielt eine Vermittlung durch Filmkritiker und -pädagogen zwar für sinnvoll, diese sollte jedoch nicht einer Balance zwischen Filmrezeption und nötigen Differenzerfahrungen führen und somit letztlich in den Dienst der Schlüsselkompetenzen des Faches Deutsch, Lesen und Schreiben, genommen werden, sondern der Wendung zum Visuellen zu ihrer Verwirklichung verhelfen. Eine vergleichbar radikale und prominent vorgetragene profilmische und schriftfeindliche Position ist im deutschsprachigen Diskurs der 1980er Jahre bis heute nicht mehr erkennbar beziehungsweise findet in den 1980er Jahren sogar eine gegensätzliche Entspre chung im medienpädagogischen »Feindbild« des kommerziellen MainstreamKinos.
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2.19 R EZEPTIONSMODI ALS G EGENSTÄNDE DES D ISKURSES – E REIGNISSE UND S ERIEN ZWISCHEN 1950 UND 1977 SOWIE 1978 UND 1996 Welche Ereignisse haben aber diese Radikalisierung der Medienkritik bedingt? Einerseits hat dazu offensichtlich die Veränderung der technischen Wiedergabemöglichkeiten und der Rezeptionsmodi beigetragen. Seit der Gründung der ARD (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland) 1950 wurden die Fernsehsender aus einer pädagogischen Perspektive diskutiert, wobei jedoch sowohl Chancen als auch Risiken gegeneinander abgewogen wurden. In einem 1963 vom Hessischen Rundfunk gesendeten Gespräch mit Adorno stellt Hellmut Becker, zu dieser Zeit Präsident des Deutschen Volksschulverbandes, fest, dass das Fernsehen als Einbruch in die Intimsphäre auf den Widerstand sehr vieler deutscher Lehrer und Intellektueller stoße. Dieser Widerstand dürfe aber nicht dazu führen, so Becker, ein ehemaliges Mitglied des George-Kreises, »daß das Kind des Intellektuellen oder des Lehrers beim in der Nähe wohnenden Arbeiter fernsieht und uneingeführt diesem Medium nun erst recht ausgesetzt ist.«913 Das Fernsehen wird, anders als das Kino, als – im deutschen Kontext – eher staatliche denn im engeren Sinne marktwirtschaftliche mediale Repräsentanz im Privatraum wahrgenommen, die ohne die entsprechenden erzieherischen Begleitmaßnahmen einen Verfall des Bildungsbürgertums bewirken könnte. Als Gegenmaßnahmen werden in dem Gespräch von Seiten Adornos bereits wesentliche Grundzüge der medienpädagogischen Richtlinien erkennbar, die auch in den 1980er Jahren noch wirksam sind: Die Befähigung zur »richtigen« Programmauswahl, die ideologiekritische Kategorisierung der Programmpunkte im Sendefluss und daraus resultierend eine Konfrontation mit den eigenen Alltagsproblemen anstelle von Eskapismus (in diesem Sinne erwähnt Adorno auch die Entwicklung einer Art von Fernsehsüchtigkeit).914 Zum Inbegriff ideologischer Verschleierung werden bereits hier amerikanische Fernsehspiele und deren deutsche Nachahmungen, 915 die wegen ihrer unterschwelligen Beeinflussung von Adorno für gefährlicher gehalten wer-
913 Becker, Hellmut, zitiert nach: Adorno, Theodor W./Hellmut Becker/Gerd Kadelbach: »Fernsehen und Bildung. Gespräch im Hessischen Rundfunk. Gesendet am 1. Juni 1963«, in: Adorno, Theodor W.: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker. 1959-1969. Hg. von Gerd Kadelbach, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970, S.52-73, hier S.54. 914 Vgl. T. W. Adorno, ebd., S.56-57. 915 Vgl. T. W. Adorno ebd., S.57.
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den als explizit politische Sendungen.916 Becker stellt hier den Bezug zur impliziten Propaganda der Unterhaltungsfilme in der NS-Zeit her.917 Dennoch wird das Fernsehen nicht zwangsläufig als ein Medium betrachtet, dass nicht auch pädagogisch in einem vorteilhaften Sinne wirksam sein könnte. Becker setzt auf der einen Seite die Möglichkeit einer medial noch unvermittelten, authentischen Erfahrung offenbar voraus und sieht es als gefährlich an, dass junge Menschen »für sehr direkte menschliche Zusammenhänge Klischeevorstellungen annehmen, bevor sie sie überhaupt selbst erlebt haben«918. Becker wählt als Beispiel für solche Zusammenhänge, die man besser früh genug vor der Beeinflussung durch solche Klischees kennenlernen solle, die Liebe... Auf der anderen Seite hebt Adorno unter Bezug auf Paul Valéry hervor, dass die Menschen die Liebe erst als literarisches Konstrukt erlernten, »und was also den Büchern recht ist, sollte dem Fernsehen billig sein.«919 Adorno lehnt Fernsehsendungen dann ab, wenn sie zu einer geschlossenen und harmonischen Weltsicht beitragen, also den Blick von den gesellschaftlichen Widersprüchen ablenkten, wozu das Fernsehen durch seinen »formalideologischen Charakter«920 zwar besonders geeignet sei, aber offenbar nicht prädestiniert. Das Fernsehen als konkurrierendes Bildungsmodell zum öffentlichen Schulwesen921 kann, so Ulrich Beer 1969, eine »sorgsame Auswahl[...] und eine gute Allgemeinorientierung durch die Grundschule vorausgesetzt, [...] sich jetzt aus einem Zauberglas in ein erhellendes Fenster zur Welt, aus einem Bilderquirl in eine Bildungsmittel verwandeln. Der an der Realität in höchstem Grade interessierte SchülerInnen etwa von der vierten oder fünften Klasse an weiß dem Apparat den Vorzug mehrdimensionalen Lernens abzugewinnen, auf den der Lehrer zumeist verzichten muß. [...] Bildungs- und Lernprozesse sind dann am wirksamsten und nachhaltigsten, wenn sie gefühlsmäßig motiviert sind. [...] Sicher liegt darin auch die Gefahr, daß die Anschaulichkeit gegenüber der Abstraktion, gegenüber der Verarbeitung und
916 Vgl. T. W. Adorno, ebd., S.58. 917 Vgl. H. Becker, ebd., S.58. 918 H. Becker, ebd., S.58. 919 T. W. Adorno, ebd., S.61. 920 T. W. Adorno, ebd., S.57. 921 Vgl. Heimann, Paul: »Die modernden Massenmedien Film, Funk und Fernsehen als Bildungsmächte der Gegenwartskultur«, in: Technische Mittler in Unterricht und Erziehung. Heft 7. Hg. von der september-gesellschaft. Frankfurt a.M., 1966, S.924, hier S.22.
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Einordnung übererlebt und überbewertet wird. Aber wir wissen, daß die Anschauung die 922
Grundlage der Erfahrung und des Lernens ist.«
Spricht Adorno von der Notwendigkeit, die Zuschauer (nicht nur die Kinder und Jugendlichen) zur kriteriengeleiteten Wahl und Kritik zu befähigen, so nennt Beer unter Rückbezug auf Juliane Metzger ebensolche Kriterien zur Entwicklung und Auswahl eines altersgemäßen Programms, damit das Fernsehen sein positives Potential entfalten kann. Diese Kriterien stimmen in vielen Punkten mit denjenigen überein, die auch in den 1980er Jahren bis heute Gültigkeit beanspruchen, sind allerdings noch etwas ausschließlicher formuliert, was sich auch dadurch erklärt, dass hier Kinder im Grundschul- oder sogar Vorschulalter gemeint sind und nicht Jugendliche. Umso bemerkenswerter ist, dass sich viele der formalen Qualitätsmerkmale bis heute auch in den Filmempfehlungen für ältere Kinder und Jugendliche wiederfinden: »Das Tempo des Geschehens muß langsam sein und die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse eingehalten werden. Vor- und Rückblenden sind zu meiden. Auch die Realitätsebenen sollen sich nicht verschieben, indem etwa Träume als reales Geschehen eingeblendet werden. Wenn der Wechsel der Ebenen nötig ist, muß er ausdrücklich vorbereitet sein. Bei Kleinkindern sind Großaufnahmen spärlich zu verwenden und langsam einzuführen. Ganze Figuren werden vom Kind vorgezogen, Teile [...] halten sie für ›kaputt‹. Der Standpunkt der Kamera darf nicht zu häufig und schon gar nicht plötzlich wechseln. Die Fabel soll einfach und überschaubar sein... [...]. Will man vermeiden, daß Kinder an Nebensächlichkeiten hängen bleiben, muß man – wie gesagt – die Schwerpunkte der Handlung besonders deutlich herausheben. [...] Verfremdungen müssen als solche erkennbar sein. Darum sollen Märchenfiguren als Puppen und nicht durch Menschen darge923
stellt werden.«
Auch bestimmte Genres, wie der Märchen- oder der Kriminalfilm werden nicht grundsätzlich abgelehnt, bedürfen aber Beer zufolge bereits besonderer Aufbereitung durch die Erwachsenen als Produzenten, Programmgestalter und erwachsene Begleiter der kindlichen Rezeption.924 Problematisch erschien gemessen an diesen Vorgaben etwa das seit 1973 auch in Deutschland ausgestrahlte US-amerikanische Vorschulfernsehen. Puppen sorgen hier zwar für die nötige Verfremdung. Aber die Schriftsprache wurde
922 Beer, Ulrich: Bildung vorm Bildschirm?, Tübingen: Katzmann Verlag 1969, S.49. 923 Ebd., S.27. 924 Vgl. ebd., S.42-45.
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selbst einer Ästhetik des bewegten Bildes angepasst, anstatt umgekehrt zu verfahren: »Verdächtig ist ›Sesam‹-Skeptikern der wild psychedelische Wirbel exakt kalkulierter Puppenspiel-, Zeichentrick-, Tier-, Musical-, Dokumentar- und Spielfilm-Spots, das grelle Feuerwerk von minuten-, oft nur sekundenknappen Farb- und Formenräuschen, ein hektischer Bildungs-Trip, auf dem nach ganz gerissener Commercial-Manier bei ständiger Wiederholung Zahlen, Buchstaben, Wörter, Bedeutungen und logische Zusammenhänge ans Kind gebracht werden sollen. Da hämmern höllisch die Alphabete, da zucken flipperhaft Ziffern in reißendem Rhythmus, und auf flinken Alliterations-Jux (›Lustige Leute lieben lange Leitern‹) folgt ‒ höchst gewagt ‒ die Geschichte des O und das Lied von der 925
Sechs.«
Am öffentlich-rechtlichen Fernsehen also werden Zielvorstellungen und kanonische Auswahlkriterien der Medienpädagogik entwickelt. Doch seit dem Herbst 1978, in dem erstmals Videocassetten auf den Markt kommen, auf denen sich die durchschnittliche Spielfilmlänge von zwei Stunden aufzeichnen lässt926, bricht das Ereignis VHS in die Privathaushalte ein. Seit 1976 hatte es von Japan aus seinen Siegeszug gegen andere Videoformate angetreten. Wird zuvor noch der Rezeptionsmodus des Fernsehens deswegen kritisch gegen die Literatur abgesetzt, weil es in seinem Tagesprogramm »nicht zurückblättern oder verweilen«927 kann und weil die Kinder sich zeitlich »nach dem Fernsehen richten [müssen], auch wenn sie um diese Zeit viel besser spielen oder schlafen würden«928, so wird im Gegensatz dazu das Video, wie oben ausgeführt, gerade deswegen kritisiert, weil es die Filme jederzeit verfügbar macht. Es entzieht sie der Steuerung durch das öffentlich rechtliche Programm mit seinen festen Tageszeiten für kindgerechte Sendungen. Als problematisch wird auch empfunden, dass sich spektakuläre Sequenzen zurückspulen oder im Standbild anhalten lassen. Sie werden somit aus dem Erzählkontext gerissen und bieten sich einem potentiell pornographischen Blick dar. Folgt man der im Diskurs nunmehr verbreiteten Rhetorik, weckt das Video in kürzerer Zeit größere Befürchtungen als das Fernsehen, weil es im Gegensatz zu diesem allein durch den Markt gesteuert
925 »›Kinder sind nämlich auch mal dran‹«, in: Der Spiegel 33 (1973), S.54-68, hier S.57. 926 Vgl. Naeher, Gerhard: Stirbt das gedruckte Wort? Neue Medien. Die große Herausforderung, Ulm: Neue Mediengesellschaft Ulm 1982, S.49. 927 Ulrich Beer: Bildung vorm Bildschirm?, S.25. 928 Ebd., S.25.
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wird, beziehungsweise am Gesetzgeber vorbei die Eltern de facto dazu ermächtigt, ihren Kindern und Jugendlichen auch nicht altersgemäße Filme auszuwählen, die im Fernsehen nie oder zumindest nicht ungekürzt gesendet würden. Eventuell befördert die fokussierte Aufmerksamkeit, die dem Video auch von Seite der ersten Kabinette Kohl zukommt und die 1985 in der Ergänzung von §131 des Strafgesetzbuches resultiert, auch eine Übertragung von der mit dem Privatfernsehen assoziierten Kritik auf das Video. Die Verwertung der seit den späten 1960er Jahre erfolgreichen Splatterfilme durch das Wiedergabe- und Aufzeichnungsmedium Video führt in den 1980er Jahren zu einer Fokussierung der Initiative auf die als infektiös gefürchteten Gewaltdarstellungen, deren verschiedenste Genre-Ausformungen zumeist im Begriff des »Zombiefilms« verallgemeinert werden. Die Medienpädagogik sowie die journalistische und politische Öffentlichkeit formen somit ein eigenes Stereotyp, das des Zombies. Es personifiziert sowohl das Video selbst, als auch seinen kindlichen und jugendlichen Konsumenten in letzter Konsequenz. Der Komiker Tom Gerhardt wird, indem er das stammelnde Endprodukt einer solchen Entwicklung darstellt, ab 1988 so erfolgreich, dass er bald selbst als »Videot« in Fernsehen und Kinofilm929 auftritt. Zu Beginn der 1990er Jahre richten sich dann viele der zuvor den Videomarkt betreffenden Vorwürfe gegen das Fernsehen, zumal das Privatfernsehen, nachdem die Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen 1993 eine Studie zur Gewaltdarstellung im deutschen Fernsehen veröffentlicht hatte. 930 Ein weiteres Ereignis von Bedeutung war ein Gewaltverbrechen: Am 12. Februar 1993 war in Liverpool der zweijährige James Bulger von zwei zehnjährigen Jungen ermordet worden. Einer unbewiesenen These der »Sun« zufolge hatten diese zuvor den Film »Chucky 3«931 auf Video gesehen. In Deutschland wurde »Chucky 3« über den Monat November 1993 in Deutschland mehrfach auf dem Pay-TVSender Premiere ausgestrahlt.932 Zu diesen technischen und ökonomischen Veränderungen der Filmwiedergabe und der Filmrezeption, also jeweils Ereignissen von vergleichsweise kurzer Dauer (der Videomarkt und das Privatfernsehen prägen die deutsche Debatte um den
929 Z. B. VOLL NORMAAAL (DE 1994, R: Ralf Huettner). 930 Vgl. Groebel, Jo/Gleich, Uli: Gewaltprofil des deutschen Fernsehprograms: eine Analyse des Angebots privater und öffentlich-rechtlicher Sender, Opladen: Leske + Budrich 1993. 931 CHUCKY 3 (CHILD’S PLAY 3, USA 1991, R: Jack Bender). 932 Vgl. Riepe: Maßnahmen gegen die Gewalt, S.170-171.
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Film unter weitgehendem Ausschluss des Themas »Internet« zwischen 1984 und der CeBit933-Messe 1996 in Hannover), kommt ein weiteres Event hinzu, um die medienpädagogischen und bildungspolitischen Positionen zum Film in den 1980er Jahren zu radikalisieren: Die thematische und motivische Veränderung des Genrekinos und seiner ökonomischen Bedingungen.
933 Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation.
2.20 FILMGENRES ALS G EGENSTÄNDE DES D ISKURSES
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2.20 F ILMGENRES ALS G EGENSTÄNDE DES D ISKURSES – E REIGNISSE UND S ERIEN ZWISCHEN 1916 UND 1977 SOWIE 1978 UND 1990 Die in den 1980er Jahren kritisch betrachteten Genres umfassen grob die Varianten des phantastischen Films (wie Fantasy, Horror und Science Fiction), des Actionfilms (wie Abenteuer-, Kriegs- und Martial-Arts-Film), des Thrillers (wie Kriminalfilm und Psychothriller) und ihre diversen Sub- und Crossgenres sowie zu einem geringeren Grad die Filme weiterer Genres, dort wo sie die Darstellung von Körperlichkeit ins Zentrum stellen (Slapstick, Sex, Tanz) und das TVFormat der Soap Opera. In der Stumm- und frühen Tonfilmzeit hatten deutsche Filme in mehreren dieser Formate Maßstäbe gesetzt, in Psychothriller (z. B. »Das Cabinet des Dr. Caligari«934) Vampirfilm (»Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens«), Fantasy (»Die Nibelungen«935, »Faust – Eine deutsche Volkssage«936), Polizei- und Gangsterfilm (»Dr. Mabuse, der Spieler – ein Bild unserer Zeit«937, »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«), Abenteuerfilm (»Die Spinnen« 938 ), Science Fiction (»Metropolis« 939), und Musical (»Die Drei von der Tankstelle«940). Die Bedeutung dieser Genres für die Filmkunst wurde durchaus erkannt: Sie verhalfen den Filmschaffenden dazu, sich von der bebilderten Literatur beziehungsweise dem abgefilmten Theater zu lösen. 941 Zu diesem Schluss kam nicht nur Kristin Thompson retrospektiv, sondern bereits der Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler Paul Wegener, der am 24. April 1916 in einer programmatischen Rede beklagte: »[D]as Kino geriert sich als
934 DAS CABINET DES DR. CALIGARI (DE 1920, R: Robert Wiene). 935 DIE NIBELUNGEN: SIEGFRIEDS TOD (DE 1924, R: Fritz Lang)./DIE NIBELUNGEN: KRIEMHILDS RACHE, DE, 1924, R: Fritz Lang). 936 FAUST – EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE (DE 1926, R: Friedrich Wilhelm Murnau). 937 DR. MABUSE, DER SPIELER, 1. TEIL – DER GROSSE SPIELER – EIN BILD DER ZEIT (DE 1922, R: Fritz Lang)./DR. MABUSE, DER SPIELER, 2. TEIL – INFERNO, EIN SPIEL VON MENSCHEN UNSERER ZEIT
(DE 1922, R: Fritz Lang).
938 DIE SPINNEN, 1. TEIL – DER GOLDENE SEE (DE 1919, R: Fritz Lang)./DIE SPINNEN, 2. TEIL – DAS BRILLANTENSCHIFF, DE 1920, R: Fritz Lang). 939 METROPOLIS (DE 1927, R: Fritz Lang). 940 DIE DREI VON DER TANKSTELLE (DE 1930, R: Wilhelm Thiele). 941 Vgl. Thompson, Kristin: »›Im Anfang war...‹ Über einige Verbindungen zwischen deutschen fantastischen Filmen der 10er und 20er Jahre«. Aus dem Englischen von Michael Wedel, in: Thomas Elsaesser/Michael Wedel (Hg.): Kino der Kaiserzeit. Zwischen Tradition und Moderne, München: Edition Text + Kritik 2002, S.134-156.
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Pantomime, Drama oder illustrierter Roman. Es gibt aber Filmmöglichkeiten, die sich eben aus der Technik des Wandelbildes ergeben, und für die nicht Theaterstücke, nicht spannende Dramen, nicht Sensationsromane, sondern Stoffe, deren Reiz vornehmlich in Bildwirkungen liegt, geschrieben werden müssen.«942 Wegener machte solche Stoffe im Märchen und in der schwarzen Romantik ausfindig, bei Hoffmann, Poe oder Wilde und postulierte als ideales Ziel der Filmkunst eine kinetische Lyrik, die auf das Tatsachenbild überhaupt verzichten solle.943 Auf dieser Suche nach einer originären Filmästhetik sollten – in der Nachfolge Georges Méliès‹ – Tricktechnik, Production Design und visuelle Effekte die entscheidende Rolle einnehmen, während man noch von einer relativ statischen Kamera ausgehen musste. Wegener wird in der Forschungsliteratur als neuromantischer Vertreter einer frühen Moderne im Film aufgefasst,944 der den sogenannten expressionistischen deutschen Stummfilm prägte, bis beide Richtungen um 1924 durch eine neue Ästhetik abgelöst wurden, vermittels »einer frei beweglichen Kamera, einer klassisch-analytischen Szenenauflösung nach dem Vorbild Hollywoods sowie einer dreidimensionalen mise en scène. Derartige Techniken erzeugten keine statische, piktoriale Komposition, sondern suggerierten stattdessen einen expansiven, realistischen Raum. [...] Die Genres der zweiten Hälfte der 20er Jahre reflektieren diese Verschiebung. Sowohl der epische Historienfilm als auch die expressionistische Fantasie waren im Rückgang begriffen und wurden durch eine breite Vielfalt ›zeitgemäßerer‹ Genres ersetzt: etwa durch die Filme der Neuen Sachlichkeit mit ihrer gesellschaftskritischen Ausrichtung, durch schwungvolle Komödien mit Lilian Harvey, Melodramen mit Jenny Jugo oder die Protestfilme der Prometheus und anderer linksgerichteter 945
Gruppen.«
Dennoch ist hier kein so harter Bruch mit »überkommenen« Genres im deutschen Sprachraum zu konstatieren, dass sich daraus allein die vehemente Skepsis der 1980er Jahre bereits erklären würde. Einige von ihnen bleiben durchaus auch nach 1924 präsent und werden technisch wie motivisch dieser neuen Ästhetik angepasst, teilweise in Remakes der Stummfilme (»Unheimliche Geschich-
942 Paul Wegener: »Die künstlerischen Möglichkeiten des Films«, in: Kai Möller: Paul Wegener. Sein Leben und seine Rollen, Hamburg: Rowohlt 1954, S.102-113, hier S.104. 943 Vgl. ebd., hier S.111. 944 Vgl. Schönemann, Heidi: Paul Wegener. Frühe Moderne im Film, Stuttgart/London: Axel Menges 2003, S.6. 945 K. Thompson: ›Im Anfang war...‹, S.152.
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ten«946 anno 1919947 und 1932, »Der Student von Prag« anno 1913948, 1926949 und 1935950). Allerdings teilt der Aufbruch zum neuen bundesdeutschen Kinderfilm zu Ende der 1970er und Beginn der 1980er Jahre deutliche programmatische Gemeinsamkeiten mit der sozialkritischen Kinder- und Jugendliteratur. Diese rekurrierte ihrerseits nicht zuletzt auf die neusachliche Strömung der Weimarer Republik. Die deutschen Filme der Zwischenkriegszeit, die dieser Strömung zugeordnet werden konnten, waren von Siegfried Kracauer in seinem filmsoziologischen Pionierwerk »Von Caligari zu Hitler«951 als politisch konstruktive Beiträge zu Humanisierung und friedlichem Fortschritt deutlich von solchen Filmen abgegrenzt worden, die durch eine regressive Moral der Machtübertragung auf die Nationalsozialisten Vorschub geleistet hatten.952 Viele Schlüsselwerke der phantastischen Genres hingegen deutete er als Ausdruck und Verstärkung autoritärer Dispositionen im deutschen Volk, was sich im regelmäßigen Auftritt Unterwerfung fordernder Tyrannengestalten, im Topos der Erlösung durch Selbstopferung und nicht zuletzt auch in der dräuenden Dominanz der (teilweise expressionistisch stilisierten) Kulisse niederschlug, in der sich das unabwendbar über der Menschheit verhängte Schicksal manifestierte. 953 In dieser Deutung der Filmgeschichte der Weimarer Republik als Vorgeschichte des Nationalsozialismus, die Kracauer 1946 abschloss, wurden prägende Genrefilme wie »Nosferatu«, »Die Nibelungen« oder »Metropolis« mit dem NS-Regime konnotiert, darin der Linie entsprechend, die es in die Tradition der deutschen Romantik einordnete und dabei auf den Blutmythos der schicksalhaften Volksgemeinschaft, das propagandistische »Gesamtkunstwerk« und die okkultistische Inszenierung eines pseudo-germanischen Heidentums im Nationalsozialismus abhob.954
946 UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (DE 1932, R: Richard Oswald). 947 UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (DE 1919, R: Richard Oswald). 948 DER STUDENT VON PRAG (DE 1913, R: Stelan Rye/Paul Wegener). 949 DER STUDENT VON PRAG (DE 1926, R: Henrik Galeen). 950 DER STUDENT VON PRAG (DE 1935, R: Artur [= Arthur] Robison). 951 Vgl. Kracauer: Von Caligari zu Hitler. 952 Vgl. ebd., S.234. 953 Vgl. ebd., S.67-104. 954 Vgl. Berlin, Isaiah: The Roots of Romanticism. Hg. von Henry Hardy, Princeton: Princeton University Press 2013, S.163./Vgl. auch Bärsch, Claus-Ekkehard: Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NSIdeologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S.349.
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Der spezifisch nationalsozialistische Genrefilm jedoch ist auch vor dem Hintergrund der pseudo-darwinistischen und rassenhygienischen Strömungen des 19. Jahrhunderts zu sehen, die sich keineswegs als antirational verstanden. Sie reduzierten den Wert eines Menschen auf seine biologischen Funktionen. Auch dadurch wurde möglich, dass sich das Gewaltpotential der deutschen Gesellschaft ab 1933 nicht in einer erzwungenen politischen oder religiösen Missionierung, sondern in einer biologischen Ausrottung entlud. Ebenso wie der menschliche Körper wurden die Künste auf ihre Zweckmäßigkeit reduziert. Dieser Zweck bestand darin, den erzwungenen Konsens der Diktatur attraktiv zu gestalten und die Rezipienten zu Opferbereitschaft und Wehrhaftigkeit zu erziehen. L’art pour l’art sollte der Vergangenheit angehören: »…indem sie [die Kunst] das Hauptgewicht auf sittliche Werte […] legt, die allein ein härteres, zu heroischen Opfern bereites Geschlecht ermöglichen, wird auch die Pathologie der ästhetischen Typen mehr und mehr verschwinden, diese Kulturkrankheit, die aus einer Überfeinerung entwurzelt-subjektiver Phantasie, passiven Einfühlungsvermögens und verfeinerter Sinnlichkeit bestand.«955 Wie alles Fremde oder vom biologischen Durchschnitt abweichende, wurde auch die avantgardistische Kunst der Moderne, da man sie nicht verstand, als infektiöse Krankheit begriffen: Prof. Dr. h. c. Paul Schultze-Naumburg, 1930 bis 1940 Leiter der Weimarer Kunsthochschule von Minister Fricks Gnaden, bereiste mit dem Diavortrag »Verfall des Menschen – Entartung der Kunst« die deutschen Städte. Darin verglich er Porträtstudien abstrakter Künstler mit Fotografien deformierter Menschen, um einen dubiosen Zusammenhang herzustellen und die Künstler als geisteskrank zu diffamieren. Schultze-Naumburgs Sammlung bekam auch eine Sonderabteilung in der berühmt-berüchtigten Ausstellung »entarteter Kunst«. Künstler und so auch Filmschaffende sollten also das Deformierte nicht mehr abbilden, es sei denn in verhetzenden Karikaturen. Ihre Ästhetik musste eine Ästhetik der medizinischen Gesundheit werden, auf dass auch das Publikum gesunden mochte. Die Ärzte wiederum hatten ästhetische Experten zu sein, die den Menschen nicht länger heilen, sondern ihn, wie Bildhauer, bearbeiten und optimieren sollten. Probleme der Medizin wurden zu Problemen der Ästhetik und umgekehrt. Insofern ist das Genrekino der Weimarer Republik auch als ein Gebiet anzusehen, auf dem sich Filmschaffende mit morbiden Stoffen, psychischen Abgründen und Schattierungen noch befassen durften. Das Interesse an diesen
955 Obenauer, K. J.: »Die Problematik des ästhetischen Menschen in der deutschen Literatur, München 1933, S.404/405 [Auszug]«. In: Wulf, Joseph: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Gütersloh: Sigbert Mohn Verlag 1963, S.313.
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Themen ist nicht nur als Ausdruck einer passiven Haltung zwischen anarchischem Chaos und präfaschistischer Tyrannei zu betrachten, sondern auch als aktive Auseinandersetzung mit dem Verdrängten. Der im Nationalsozialismus geförderte Antirationalismus sollte vielmehr hinter die Aufklärung zurückfallen,956 anstatt diese um eine differenzierte und transgressive Verarbeitung innerer Vorgänge oder gar um die Gestaltung des dissoziierten Menschen der Moderne und seinen Absolutheitssehnsüchten und ängsten zu ergänzen. Von 1933 bis 1945 entstanden daher unter insgesamt 1094 Spielfilmen allein 12 Werke mit phantastischen Themen 957 und keine Horrorfilme. Dementsprechend wurde die deutsche Tradition der phantastischen Literatur und die noch junge Blüte des phantastischen Films durch Hitlers Regierung gekappt beziehungsweise im Filmgeschäft über Exilanten wie Curt Siodmak oder Peter Lorre nach Hollywood verlagert. »Hatte sich das ›Kino des Phantastischen‹ etwa verdächtig gemacht? Waren die Regionen des Phantastischen möglicherweise ein Zufluchtsort für ›innere Emigration‹, wo man [...] vielleicht sogar im Gewand entrückter Unverbindlichkeit Zeitkritik üben konnte [...] Vielleicht war es auch die Angst davor, sich des Antirationalismus als des eigenen Bodens und seiner Abgründe gewahr zu werden...«958
Im Gegensatz zu einer Konfrontation mit der eigenen Schwäche sollte die Denunziation des Unerwünschten im NS-Propagandafilm vor allem Verachtung bewirken, wobei die Gefahr jedoch nie als der weltlichen Kontrolle durch den Maßnahmenstaat entzogen erscheinen durfte (auch wenn man, wie in »Jud Süß«959, unterschwellig auf Topoi der Schauerromantik zurückgriff). Reichsfilmintendant Fritz Hippler brachte die offizielle Haltung zu diesen Genres 1942 auf den Punkt: »So können im Rahmen eines sonst sehr anständigen Films [...] märchenhaft wirken sollende Passagen, flüsternde Geisterstimmen, unwahrscheinlicher Seelenkrampf eingestreut sein. Ja, ab und zu entsteht ein ganzer ausgewachsener Filmwechselbalg auf dieser Grundlage, zu dem sich dann der Schöpfer meist in genauso unverständlicher Affenliebe bekennt, wie manche Eltern zu ihrem kretinistischen Kindskrüppel. Sogar darüber hinausge-
956 Vgl. Wetzel, Kraft/Hagemann, Peter A.: Liebe, Tod und Technik. Kino des Phantastischen 1933-1945, Berlin: Verlag Volker Spiess 1977, S.13. 957 Vgl. ebd., S.7. 958 Ebd., S.9. 959 JUD SÜSS (DE 1940, R: Veit Harlan).
308 | VERFOLGUNGSJAGDEN hend behauptet er oft, gerade das sei eigentlicher Film, alles andere sei schnödeste Reali960
tät oder photographiertes Theater oder sonst was Unanständiges.«
Freilich setzte die NS-Filmpolitik alle nichtphantastischen Unterhaltungsgenres dezidiert ein, um die »Moral« des Publikums aufrechtzuerhalten. Gerade in ihrer Ablehnung der Avantgarde betrachteten die Entscheidungsträger den Film als eine sinnlichere Volkskunst, die sich von den Gesetzen der Literatur und der Bühne sowie von der vermeintlich jüdisch geprägten intellektuellen »Überspitzung« lösen sollte, wie Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda forderte.961 Hitler selbst intervenierte im Bereich der Filmzensur zugunsten von Genrefilmen962 wie etwa im 1944 langwierig zwischen verschiedenen Akteuren umstrittenen Fall »Die Feuerzangenbowle«963. Doch vor allem Goebbels insistierte, teilweise auch in Differenz zu Hitler, darauf, dass die Propaganda im nationalsozialistischen Film eher Erfolg versprach, wenn sie in der Dramaturgie von Genrekonventionen erschien, als in plakativ politischen »Kulturfilmen«.964 Auf Anweisung der »Kanzlei des Führers« begleitete ein Filmteam etwa den Massenmord der Aktion T4, um ihn in dem Propagandafilm »Dasein ohne Leben«965 auch offiziell in den Kinos zu rechtfertigen. Doch verunsichert durch die Proteste des Bischofs von Münster gegen die Aktion führte man den Film 1942 schließlich nur zur Probe vor ausgesuchtem Publikum auf. Stattdessen wurde die »Euthanasie« vorsichtiger in dem Melodram »Ich klage an«966 thematisiert. Hier hatte man auch die Lehre aus den Erfahrungen mit der antisemitischen Propaganda gezogen. Der pseudo-dokumentarische Film »Der ewige Jude«967 von 1940 war kein großer Publikumserfolg gewesen. Auf so direktem Wege wollte sich der Großteil des Kinopublikums offenbar nicht mit der Juden-
960 Hippler, Fritz: Betrachtungen zum Filmschaffen. Schriftenreihe der Reichsfilmkammer. Bd. 8, Berlin: Max Hesses Verlag 1942, S.8. 961 Vgl. Moeller, Felix: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich. Mit einem Vorwort von Volker Schlöndorff, Berlin: Henschel Verlag 1998, S.65-66. 962 Vgl. ebd., S.332. 963 DIE FEUERZANGENBOWLE (DE 1944, R: Helmut Weiss)./Vgl. Goebbels, Joseph: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Hg. von Elke Fröhlich. Teil II. Diktate 19411945. Band 11: Januar-März 1944. Bearbeitet von Dieter Marc Schneider, München/New Providence/London/Paris: K. G. Saur Verlag 1994, S.168 – 170. 964 Vgl. F. Moeller: Der Filmminister, S.347. 965 DASEIN OHNE LEBEN (DE 1942, R: Hermann Schweninger). 966 ICH KLAGE AN (DE 1941, R: Wolfgang Liebeneiner). 967 DER EWIGE JUDE (DE 1940, R: Fritz Hippler).
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verfolgung konfrontieren lassen, denn im Gegensatz dazu hatte im selben Jahr der Spielfilm »Jud Süß«, der seine Titelfigur in historischer Kulisse gegenüber »arischen«, positiven Identifikationsfiguren vorführte, hohe Einspielergebnisse. Diese Instrumentalisierung der nichtphantastischen Genres trug dazu bei, dass das unpolitisch gewandete Unterhaltungskino nach dem Zweiten Weltkrieg in der Auseinandersetzung um den Film vor einem akademischen Hintergrund nun nicht mehr allein in einer kanonischen Abgrenzung zwischen »Hoch-« und »Trivialkultur«, sondern auch als suggestiver Ideologieträger umfassend diskreditiert war: »Adorno:
Ich halte, wenn ich das aufnehmen darf, im Grunde die üblichen Fernsehspiele für politisch viel gefährlicher als jemals eine politische Sendung.
Becker:
Ja, ich würde sagen, wenn ich heute einen Film übers Dritte Reich machen würde, dann würde ich nicht einmarschierende SA zeigen, sondern versuchen, Ausschnitte aus Liebesfilmen zu bringen, die in dieser Zeit gedreht wurden, und man würde wahrscheinlich dem Klima des Dritten Reichs auf eine sehr viel subtilere Weise nahekommen.«
968
Somit wurde dem Genrekino jedoch in der Werkanalyse unter soziologischer Perspektive, wie sie Kracauer eingeführt hatte, nun das Interesse der Forschung wie der Lehre zuteil. Zusätzlich legte die empirisch-psychologischen Wirkungsanalyse ein besonderes Augenmerk auf den populären Film. So ist etwa das filmpsychologische Kompendium, das 1969 im Auftrage der Bundesarbeitsgemeinschaft Aktion Jugendschutz herausgegeben wurde, kapitelweise nach einer Genreauflistung strukturiert. Es kritisiert die Freigabepolitik der Freiwilligen Selbstkontrolle als zu liberal: Kriminalfilme könnten »schon durch die Undurchsichtigkeit der Handlung [...], aber [...] schon [durch] das Infragestellen der kindlichen, heilen Welt verwirrend wirken«.969 Wildwestfilme würden die »Erziehung zur ›leiblichen und seelischen Tüchtigkeit«970 durch Gewaltdarstellungen ebenso beeinträchtigen wie die »Erziehung zur ›gesellschaftlichen Tüchtigkeit«971 durch die Glorifizierung von Selbstjustiz. Kriegs-, Agenten- und Aben-
968 T. W. Adorno/H. Becker/G. Kadelbach: Fernsehen und Bildung, S.58. 969 Gärtner, Heinz: »Darstellung krimineller Handlungen – Das Prinzip der ›sozialethischen Verwirrung‹«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag 1969, S.63-67, hier S.67. 970 Beddig, Hermann: »Der Wildwest-Film«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag 1969, S.68-72, hier S.72. 971
Ebd., hier S.72.
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teuerfilme riefen Gefahren bei »Jugendlichen durch Übererregung, Verrohung, Mißachtung der Menschenwürde und des Menschenlebens«972 hervor. Horror-, Science Fiction- und Fantasyfilme lösten durch die »Begegnung mit der ›fratzenhaften Verzerrung‹, den ›Unformen‹, den ›Negationen des Lebens‹«973 seelische Lähmung und Anfälligkeit für Massenpsychosen aus. Liebes- beziehungsweise Sexfilme führten »zu einer Kollektivierung des Eros«.974 Komödien und Genreparodien überforderten »häufig die Verständnisleistungen des ›durchschnittlichen‹ Jugendlichen«975, weshalb es gleich sei, »ob ein an sich gefährdender Inhalt in realer oder ironisierender Form geboten«976 werde. Die Verfremdung der Konflikte durch die Genrekonventionen, wie etwa die Situierung in anderen räumlichen, zeitlichen oder gar dimensionalen Lebensverhältnissen, diene im durchschnittlichen »Gebrauchsfilm«977 gerade nicht im Sinne der Brecht’schen Verfremdung einer kritischen Distanz des Publikums, sondern im Gegenteil der Verharmlosung fragwürdiger Handlungen, die gleichwohl »starke Affekte auf dem Wege der Gefühlsansteckung«978 auslösen können. »[J]e nachdem, ob die Akzente, die der Film setzt, mehr im Inhaltlichen oder mehr im Dynamischen liegen, wobei vor allem die Affektivität und die Triebdynamik Gewicht haben«979, verstärkt sich im letzteren Fall die stimulierende Wirkung auf die »primitive Schicht im Menschen«980. Auch hier werden bereits geschlechtsspezifisch bevorzugte Filmgattungen auf der Basis empirischer Datenerhebung festgestellt, nach denen männliche Jugendliche »Aktions-Filme« und weibliche
972 Schlinker, Heribert: »Der Kriegsfilm«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag 1969, S.73-77, hier S.77. 973 Böttcher, Hans: »Horrorfilme«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag 1969, S.78-82, hier S.81. 974 Böttcher, Hans: »Erziehungswidrige »Sexualisierung« durch Film«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag 1969, S.83-94, hier S.93. 975 Keilhacker, Margarete: »Verständnis für ironisierende Darstellungsweise im Kinderund Jugendalter«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag 1969, S.95-99, hier S.99. 976 Ebd., S.99. 977 Baus, Magdalene: »Wirkung der Raum-Zeit-Verfremdung auf Kinder und Jugendliche«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag, 1969, S.100-105, hier S.102. 978 Ebd., S.104. 979 Ebd., S.103. 980 Ebd., S.103.
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in der Mehrzahl »Gemüts-Filme« bevorzugen981 (wobei das Verhältnis nach Prozentzahlen jeweils allerdings immer noch bemerkenswert ausgewogen ist 982). Es wird eine Wechselwirkung aus sozialer Überredung und Disponiertheit für Klischeebildung und -verwirklichung durch die Stereotype der Filmwirklichkeit,983 sowie eine Verständnisverengung durch die Ersatzbefriedigung »primitiver Emotionen und Wunschvorstellungen«984 kritisiert. Ebenso wie es sich mit den Bewertungskriterien für den kindgemäßen Film verhielt, deren Entwicklung durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen dringlich wurden, sind also auch bereits viele wirkungsanalytische Lehrmeinungen zwischen der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands und den Grenzüberschreitungen der Jugendkultur in den späten 1960er Jahren voll ausgebildet worden. Aber was führte dazu, dass sich die Medienkritik im Sinne des Jugendschutze in den 1980er Jahren so gezielt gegen bestimmte Genres richtete, dass die Initiative sowohl im Strafgesetzbuch und in Indizierungen als auch im Duden Spuren hinterließ (siehe »Rambo«)? Zum einen wurde das tendenziell gesellschaftskritische Kino des New Hollywood gegen Ende der 1970er zunehmend durch Eventfilme in den Schatten gestellt, die sich vor allem seit »Krieg der Sterne« 1977 auch an ein Familienpublikum richteten und zudem ihre Profite hauptsächlich durch ein noch vor der Premiere geplantes Merchandising erwirtschafteten. Dass sich Toyetic als Wirtschaftsfaktor durchsetzte bedeutete, »Filme, so zu konzipieren, dass sie zur spielerischen Inszenierung unter Einsatz von viel Spielzeug einladen«.985 Dazu wiederum eigneten sich phantastische und actionbetonte Stoffe besonders. Sie integrierten Vorbilder für Roboter, Modellbausätze, Actionfiguren, Kuschel- und Plastiktiere, Spielzeugwaffen und -fahrzeuge in die Handlung (»Krieg der Sterne« gelang es in einer Pionierleistung, all diese diversen Spielzeugtypen erzählerisch durch eine bis dahin ungekannt umfassende
981 Vgl. Albrecht, Gerd: »Umfang und Motivation jugendlichen Filmbesuchs«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag, 1969, S.7-22. 982 69% aller männlichen ziehen gegenüber 47% der weiblichen Jugendlchen »Aktionsfilme«, 53% der weiblichen gegenüber 31% der männlichen Jugendlichen »Gemütsfilme« vor. Vgl. ebd., S.13. 983 Vgl. Riedel, Karl Veit: »Filmerleben zwischen Phantasie und Wirklichkeit«, in: Hans Böttcher (Hg.): Filmpsychologisches Kompendium, Hamm: Hoheneck-Verlag 1969, S.16-22., hier S.21. 984 Ebd., hier S.20. 985 Vgl. Hengst: »Buy us all – don’t break up the family«, S.25.
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Genrekombination zu vereinen). Die Produktionssteigerung von Merchandisingartikeln bis hin zur allseits präsenten Superware986 intensivierte auch die Assoziation der betreffenden Genres mit Kommerzialität allgemein und der USamerikanisch beziehungsweise japanisch oder tawainisch dominierten Plastikverarbeitung, die wie oben dargelegt zum Inbegriff einer synthetisch unnatürlichen und stereotyp genormten Massenproduktion wurde. Phantastik wurde somit zu einem gewissen Grad synonym mit Materialismus wahrgenommen. Auch die nun schnell aufeinanderfolgende Auswertung im Kino, auf Videocassetten und im Fernsehen sowie die dichte Frequenz von Fortsetzungen, die inhaltlich zumeist eher Remake-Charakter hatten (man beachte etwa das Recycling von Gags in »Police Academy« I987-VII988 (siehe Abb. 30 u. Abb. 31), »Eis am Stiel« I989VIII990, »Freitag der 13.« I991-XI992 etcetera), trugen zur Wahrnehmung einer »Bilderflut« und »Konsumsuchtkette« bei, ferner zur Verhaftung der jeweiligen Markennamen auch bei jenen, die dem Interesse nach weniger damit in Berührung gekommen wären (also Teilen des kritischen Bildungsbürgertums). Auch für Fortsetzungen sind zudem phantastische Filme im besonderem Maße geeignet, weil sie auf der Handlungsebene mit geringem erzählerischen Aufwand die Endgültigkeit des Todes oder auch die Ordnung von Zeit und Raum außer Kraft setzen können: »Kein anderes Genre kann mit so vielen Fortsetzungen, Remakes und Rip-Offs aufwarten wie der Horrorfilm. [...] So ist auch die Bedrohung immer eine Bedrohung aus der Zeit [...]. Wo sich die Zeit nicht mehr linear bewegt, kann auch der Raum nicht mehr existieren, muß sich auflösen, in Fragmente zerfallen: in einzelne Splitter eines Traumes nahe des psychischen Ereignishorizonts. [...] Den Raum als starre Folie, vor dem sich z. B. im klassischen Western das eigentliche Geschehen abspielt, gibt es [...] nicht; der Angriff aus der Tiefe der Vergangenheit [...] vernichtet nach und nach alle bislang als unabänderlich betrachteten Naturgesetze: Die Toten leben, die Lebenden sind tot, die Einheit aus Ego, Id
986 Vgl. ebd., S.22. 987 POLICE ACADEMY – DÜMMER ALS DIE POLIZEI ERLAUBT (POLICE ACADEMY, USA 1984, R: Hugh Wilson). 988 POLICE ACADEMY 7 – MISSION IN MOSKAU (POLICE ACADEMY: MISSION TO MOSCAU, USA 1994, R: Alan Metter). 989 EIS AM STIEL (ESCIMO LEMON, IL 1978, R: Boaz Davidson). 990 EIS AM STIEL, 8. TEIL – SUMMERTIME BLUES (SUMMERTIME BLUES – LEMON POPSICLE VIII, BRD/IL 1988, R: Reinhard Schwabenitzky). 991 FREITAG DER 13. (FRIDAY THE 13TH, USA 1980, R: Sean S. Cunningham). 992 FREDDY VS. JASON (FREDDY VS. JASON, USA 2003, R: Ronny Yu).
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und Superego spaltet und verteilt sich auf verschiedene Personen, Zombies fressen Fleisch, obwohl ihr Magen längst zerfallen ist. Doppelt wirksam wird dieser Angriff dadurch, daß wir den Raum in aller Regel über unseren Gesichtssinn erfahren: So gilt der 993
Angriff des Genres immer auch ein wenig unseren Augen...«
Diese Relativierung des Raum-Zeit-Kontinuums relativiert ebenso alle Konsequenzen der sich in ihm ereignenden Konflikte. Sie kennzeichnet auch Fantasy und Science Fiction, in Ansätzen die bis ins Fantastische dimensionierten Actionfilme und die Animationsfilme und Komödien mit ihren teilweise surrealen Verformungen des Körpers. In den 1980er Jahren erreichen diese Darstellungen der Auflösung eine neue qualitative Dimension. Dazu führen einerseits die Effekte des Splatterfilms, die es zwar bereits seit den späten 1960er Jahren gibt. Auf Video dringen sie aber erstmals in den Raum vor, den sich die Erziehungsberechtigten mit ihren Kindern teilen. Damit finden sie nun auch Eingang in den Mainstream.994 So wird der durch Brandnarben entstellte Kindermörder Freddy Krueger mit seinem klingenbestückten Handschuh aus »Nightmare – Mörderische Träume«995 im Verlauf der 1980er Jahre zu einem populären Star (siehe Abb. 32, Abb. 33 u. Abb. 34). Er tritt unter anderem in einer US-Fernsehserie996, einer – allerdings auf Protestbriefe hin eingestellten – deutschen Hörspielserie des Labels Europa997 und diversen Videospielen998 auf und rappt in einem Song der Fat Boys999 mit. Eine andere, substantielle Veränderung betrifft jedoch nicht in erster Linie die Inhalte der Filme, sondern deren technische Umsetzung. Die maskenbildnerischen Fortschritte mit Latexschaum, der erste Einsatz von CGI-Effekten, etwa im Morphingverfahren, die Erhöhung der Schnittfrequenz im Rhythmus der MTV-Videoclipästhetik und die Unterlegung der Filme mit Popsongs führten dazu, dass die im Genrekino bereits seit langem beanstandeten Motive nun in einer rapide gesteigerten Dynamik und Intensität an Geschwindigkeit und Simultaneität erschienen. Menschliche Körper und andere Objekte ließen sich nun
993 N. Stresau: Der Horror-Film, S.20-24. 994 Vgl. S. Höltgen: Take a Closer Look, hier S.28. 995 NIGHTMARE – MÖRDERISCHE TRÄUME (A NIGHTMARE ON ELM STREET, USA 1984, R: Wes Craven). 996 FREDDY’S NIGHTMARES (USA 1988-1990, Creator: Wes Craven). 997 A NIGHTMARE ON ELM STREET, BRD: Europa 1990, R: Heikedine Körting. 998 z. B.: A NIGHTMARE ON ELM STREET, USA: LJN 1989, Composer: David Wise. 999 ARE YOU READY FOR FREDDY, Track 9 auf dem Album: THE FAT BOYS: COMING BACK HARD AGAIN, USA: Polydor 1988.
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nicht mehr nur stockend wie in der Stop Motion, sondern zunehmend so fließend transformieren wie im Zeichentrickfilm. »Die durch die elektronische Informationsverarbeitung und -vernetzung eingeleitete Einverleibung der Welt in die industriellen Produktionsschleifen versinnbildlicht sich als erst kritisch, später opportunistische Gegenbewegung in den Zerlegungssemantiken und blutenden Datenströmen des Splatterfilms als reine Bewegung am nicht mehr weiter reduzierbaren Organischen des Menschen. [...] Das Kino des Splatter und Gore inszeniert sich als ein Kurzschluss des filmischen mit dem realen Körper. [...] Der filmische Körper verbindet sich vollständig mit dem realen Körper in einer Art nachträglichen Virtualisie1000
rung.«
Dies provozierte alarmierte Reaktionen von Medienpädagogen, die vor einer nachhaltigen Desorientierung der Kinder und Jugendlichen in Zeit, Raum und Syntax warnten, die eine Reduktion auf Körperfunktionen zur Folgen haben würde. Der Film entsprach nun seinen technischen Möglichkeiten nach der Vision, die Paul Wegener 1916 geäußert hatte, nur dass das Wandelbild in Wegeners Schöpfungsszene noch im Bilderrahmen vor einer statischen Kamera fixiert und natürlich mit analogen Effekten erzeugt wurde: »Ich könnte mir eine Filmkunst denken, die – ähnlich wie die Musik – in Tönen, in Rhythmen arbeitet. In beweglichen Flächen, auf denen sich Geschehnisse abspielen, teils noch mit der Natur verknüpft, teils bereits jenseits von realen Linien und Formen. [...] Denken Sie an eines der Böcklinschen Meeresbilder mit den Fabelwesen der Tritonen und Nereiden und stellen Sie sich vor, der Maler würde dieses Bild in Hunderten von Exemplaren mit den leisesten Verschiebungen malen, so daß sich aus ihnen kontinuierliche Bewegungsabläufe ergäben, so würden wir plötzlich eine sonst reine Phantasiewelt vor unseren Augen lebendig werden sehen. [...] Es wäre ein ungeheuerlich erschreckender Eindruck, eine Welt leben zu sehen, die eigentlich nur in einem toten Bilde existiert! [...] So treten wir in eine ganz neue bildliche Phantasiewelt wie in einen Zauberwald ein und kommen zu dem Gebiet der reinen Kinetik, der optischen Lyrik, wie ich sie genannt habe, die vielleicht einmal eine große Bedeutung gewinnen wird und dem Menschen neue Schönheiten erschließt. [...] Stellen Sie sich einen Film dieser Art, womöglich mit Musikbegleitung vor. Eine weite leere Fläche. Plötzlich wachsen vom unteren Rande mächtige Lilien auf, die Lilien blühen auf, die Blätter züngeln in die Höhe, werden allmählich zu
1000 Kusche, Ralph: »Vorbemerkung zu Blick und Ökonomie«, in: Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Metelling (Hg.): Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.123-126, hier S.124.
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Flammen, die Flammen geben einen dicken Rauch, der Rauch wandelt sich zur schweren Wolke, aus der Wolke fallen große kristallene Tropfen, sie fallen immer dichter, es entsteht das Meer, jetzt wogt das ganze Bild nur wie eine spiegelnde See. Aus dem Meer steigen seltsame Gestalten auf, sie bändigen die Wogen, die Flut ebbt zurück. Es tauchen merkwürdige Wasserpflanzen auf, sie breiten sich allmählich über das ganze Bild aus und werden zu Eisblumen auf dem erstarrenden Meer. Eine prachtvoll belebte Fläche. In dieser Fläche bilden sich allmählich gewisse Zellkerne, Zentren. Diese Zentren erschließen neue Flächen, die Flächen klären sich mehr und mehr in schneller Bewegung. Plötzlich brechen die Zellkerne auseinander und strahlen wie Feuerwerkskörper aus! [...] Es ließe sich unter Heranziehung aller erdenklichen Formen und Elemente, wie künstlichen Dampf, Schneeflocken, elektrische Funken und so weiter, sicher ein Film schaffen, der zum künstlerischen Erlebnis wird – eine optische Vision, eine große symphonische Phantasie! Das wäre allerdings die letzte Möglichkeit. Daß sie einmal kommen wird, glaube ich bestimmt – und daß ein späteres Menschengeschlecht auf unsere jungen Bemühungen 1001
wie auf ein kindliches Stammeln zurückblicken wird, davon bin ich auch überzeugt.«
In den 1980er Jahren hingegen wurde das »Wandelbild« auch auditiv und in schnellen Raumfahren der Kamera erfahrbar und weitete sich zunehmend auf sämtliche – auch ursprünglich nicht virtuellen – Figuren und Objekte vor der Kamera aus. Wie verdrängte Archetypen tauchten die Figuren der Weimarer Republik und ihrer exilierten Filmschaffenden in leicht abgewandelter Form nun im US-amerikanischen Kino wieder auf, so der Maschinenmensch Maria aus »Metropolis« als Droide C3-PO in »Krieg der Sterne«, das Stadtbild aus »Metropolis« in »Blade Runner« oder die Figur des Werwolfs, wie sie Curt Siodmak in »Der Wolfsmensch«1002 als Anspielung auf die unverschuldet zu Monstern erklärten Juden neu definiert hatte,1003 in »American Werewolf«1004, »Das Tier«1005 oder »Teen Wolf«1006.
1001 P. Wegener: Die künstlerischen Möglichkeiten des Films, S.111-113. 1002 DER WOLFSMENSCH (THE WOLF MAN, USA 1941, R: George Waggner). 1003 Vgl. MONSTER IM MONDLICHT (MONSTER BY MOONLIGHT! THE IMMORTAL SAGA OF ›THE WOLF MAN‹, USA 1999, R: David J. Skal)./Siodmak, Curt: Unter Wolfsmenschen. Band 1: Europa. Bonn: Weidle Verlag 1996. 1004 AMERICAN WEREWOLF (AN AMERICAN WEREWOLF IN LONDON, UK/USA 1981, R: John Landis). 1005 DAS TIER (THE HOWLING, USA 1981, R: Joe Dante). 1006 TEEN WOLF (USA 1985, R: Rod Daniel).
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2.21 H OLLYWOOD ALS G EGENSTAND DES D ISKURSES – E REIGNISSE UND S ERIEN ZWISCHEN 1937 UND 1977 SOWIE 1978 UND 1990 Die US-amerikanische Aufbereitung europäischer Märchen- und Mythenmotive hatte zwar bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland Widerspruch erregt, so etwa als die NS-Presse an der Adaption von »Schneewittchen und die sieben Zwerge«1007 durch die Wald Disney Productions eine Ausschlachtung deutschen Volksguts monierte.1008 Diese Perspektive auf die Vereinigten Staaten als künstliches Amalgam von Kulturen und Völkern, das allein durch einen schrankenlosen Kapitalismus gelenkt wurde, erhielt sich bis in die Bundesrepublik durch verschiedene erfolgreiche Publikationen1009, die antidemokratische und völkische Ressentiments bedienten. Hollywood erschien darin als Propagandazentrum des amerikanischen Traums, hinter dessen Fassade polymorph perverse Orgien stattfanden.1010 Die fortbestehenden sozialen und ethnischen Ungleichheiten wurden in Blicken hinter diese Fassade beleuchtet. Dass die Verhältnisse der amerikanischen »Negerslums« im Vorschulfernsehen durch die »Sesamstraße« beschönigt würden, stellte für Herald Hohenacker als Leiter der Projektgruppe Erziehungswissenschaft und musische Programme beim Bayerischen Rundfunk etwa 1973 ein Hauptargument dar, die Sendung nicht auszustrahlen, bevor die Rahmenhandlung mit ihren afroamerikanischen Protagonisten nicht durch eine deutsche Eigenproduktion ersetzt worden war.1011 Auf einem anderen intellektuellen Niveau diente Hollywood der Kritischen Theorie als herausragendes Beispiel der Kulturindustrie. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und unter den Bedingungen des Kalten Krieges wurde zudem auch von Seiten der staatlichen Bildungspolitik die Notwendigkeit einer
1007 SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE (SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS, USA 1937, R: David Hand). 1008 Vgl. Storm, Jörg-Peter/Dreßler, Mario: Im Reiche der Micky Maus. Walt Disney in Deutschland 1927-1945, Potsdam: Henschel 1991, S.112-122./Laqua, Carsten: Wie Micky unter die Nazis fiel. Walt Disney und Deutschland, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992, S.95. 1009 Vgl. Adam, Christian: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 2013, S.123-126. 1010 Vgl. z. B. Fernau, Joachim: Halleluja. Die Geschichte der USA, München: Herbig 1977. 1011 Vgl. Hohenacker, Harald: »Slum-Kunde aus dem Kübel. Harald Hohenacker über ›Sesamstraße‹«, in: Der Spiegel 27 (1973), S.62.
2.21 HOLLYWOOD ALS G EGENSTAND
DES
D ISKURSES
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ideologiekritischen Filmrezeption hervorgehoben, wobei Anklänge der Totalitarismustheorie vernehmbar scheinen. So der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg Kurt Georg Kiesinger in seinem Grußwort zur Bundestagung des deutschen Filmclubs in Stuttgart 1966: » ›Die Diktaturen organisieren den Enthusiasmus, die Demokraten hingegen organisieren die Kritik‹, hat einmal der bekannte französische Soziologe Raymond Aran gesagt. [...] Die deutschen Jugendfilmklubs und Jugendfilmgruppen erwerben sich ein großes Verdienst um unsere Jugend, indem sie sie zu einer kritischen Haltung hinführen.«1012 Die Bundestagungen stehen folgerichtig unter Motti wie »Moderne Filme im Einflussbereich der Massenmedien« (1967) oder »Film – Mittel politischer Propaganda« (1970). In den 1980er Jahren konnten sich diese politisch höchst unterschiedlich begründeten Argumentationslinien der Filmkritik auf die Media Franchises als ein gemeinsames Ziel einigen. Die revisionistischen bis gemäßigt konservativen Akteure fanden darin ein verdichtetes Feindbild des Materialismus und der Massenkultur sowie der Verdrängung respektive Vereinnahmung deutscher Bildungsgüter. Viele der prägenden deutschsprachigen Filmschaffenden waren durch das NS-Regime ins Exil vertrieben worden, wo sie wichtige Beiträge zur US-amerikanischen Filmindustrie geleistet hatten. Die deutsche Filmproduktion musste zudem mit geringeren Budgets auskommen. Ökonomisch bedeutende Vorstöße auf den internationalen Markt gelangen somit nur in Ausnahmefällen (»Das Boot«1013, »Die unendliche Geschichte«). Bei den marxistischen bis linksliberalen Akteuren hingegen war die kritische Sicht auf die kapitalistische Filmwirtschaft wirksam, die durch die marktliberalen »Reaganomics« ab 1981 geschärft wurde. Die Hoffnungen auf eine Revolution Hollywoods durch die »Autoren« des New Hollywood wurden durch finanzielle Misserfolge wie »Heaven’s Gate«1014 und »Einer mit Herz«1015 enttäuscht. Die dualistische Rhetorik des ehemaligen Filmschauspielers Ronald Reagan griff zudem auf Topoi der phantastischen Genres zurück:
1012 Kiesinger, Kurt-Georg: »Grußwort des Ministerpräsidenten des Landes BadenWürttemberg«, in: Publikation zur Bundestagung der deutschen Jugendfilmclubs. Stuttgart 31.5. bis 5.6.1966. Junge Menschen im Gegenwartsfilm – Ansätze zur Filmbeurteilung, o. P. 1013 DAS BOOT (BRD 1981, R: Wolfgang Petersen). 1014 HEAVEN’S GATE (USA 1980, R: Michael Cimino). 1015 ONE FROM THE HEART (USA 1982, R: Francis Ford Coppola).
318 | VERFOLGUNGSJAGDEN »So, in your discussions of the nuclear freeze proposals, I urge you to beware the temptation of pride–the temptation of blithely..uh..declaring yourselves above it all and label both sides equally at fault, to ignore the facts of history and the aggressive impulses of an evil empire, to simply call the arms race a giant misunderstanding and thereby remove 1016
yourself from the struggle between right and wrong and good and evil.«
Die »Strategic Defense Initiative« zum Schutz gegen Raketen wurde dementsprechend in den Medien häufig »Star Wars«-Programm genannt.1017 Die mythische Überhöhung des Militarismus und einer archaischen Männlichkeit im Genrekino weckte hier offenkundig Erinnerungen an die Propaganda der NSZeit. Inbegriff revanchistischer US-Propaganda nach dem Rückzug aus Vietnam 1975 und dem Iran 1981 wurden für den Diskurs in Deutschland, wie oben ausgeführt, die Serie »Dallas« für das Fernsehen und das »Rambo«-Franchise um einen Vietnamveteranen, der amerikanische Gefangene in Vietnam1018 und in Afghanistan1019 (s. Abb. 35) befreit. Auch auf die Friedens- und Umweltbewegung wirkten die technisierten Actionspektakel nicht als wünschenswerte Freizeitbeschäftigung für Kinder und Jugendliche. Allerdings wurde die Popkultur nicht nur als parteipolitisches Vehikel angesehen, sondern auch als eskapistischer Ausdruck einer No-Future-Einstellung, die sich eben solchen Parteizuordnungen entziehen wollte, nachdem sich sowohl die Militärbündnisse als auch die jeweiligen internen Widerstandsbewegungen moralisch diskreditiert zu haben schienen: »Man hat gesagt, daß sowohl Lucas (›Krieg der Sterne‹) wie Spielberg, die sich gelegentlich auch bei ihren Millionen-Unternehmen verbünden, eine neue Infantilität für alle Altersklassen ins Kino gebracht hätten, damit ihre teuren Produkte gleichzeitig von Zehnjährigen, deren Eltern und womöglich noch deren Großeltern gesehen werden könnten: ›Glück für die ganze Familie‹. Doch ist das Kino aller Altersklassen, ist die neue Kindlichkeit Hollywoods sicher mehr als nur ein ökonomisches Mittel im Überlebenskampf. Es entspricht vielmehr einer Zeitstimmung, die sich nach schlüssigen Märchen sehnt, die Kinder wie Erwachsene in ihren Bann ziehen. Das (Buch-)Phänomen Michael Ende (›Die unendliche Geschichte‹, ›Momo‹) gehört in diesen Zusammenhang, ebenso, daß Kinder
1016 Vgl. Reagan: Address to the National Association of Evangelicals. 1017 Vgl. Fitzgerald, France: Way Out There in the Blue: Reagan, Star Wars and the End of the Cold War, New York: Simon & Shuster 2001. 1018 Vgl. RAMBO II – DER AUFTRAG (RAMBO: FIRST BLOOD PART II, USA 1985, Regie: George P. Cosmatos). 1019 Vgl. RAMBO III.
2.21 HOLLYWOOD ALS G EGENSTAND
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D ISKURSES
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wie Erwachsene sich in erdachte Fluchtwelten, etwa die von Tolkiens ›Der Herr der Rin1020
ge‹, zurückziehen.«
Gerade diese »Regressionsangebote« werden aus entwicklungspsychologischer Perspektive zu Beginn der 1990er Jahre zunehmend auch positiv gesehen. Die Neubewertung, welcher der »populäre« Film in mehreren medienpädagogischen Beiträgen der 1990er Jahre unterzogen wird, ist jedoch nicht nur auf eine diskursinterne Entwicklung der Argumentation oder auf eine neue Generation von Akteuren zurückzuführen. Darüber hinaus ist dieser Wandel durch ein Ineinandergreifen veränderter Distributions- und Rezeptionsmodi, veränderte filmische Konventionen und ein verändertes weltpolitisches Umfeld bedingt.
1020 Vgl. »›E.T.‹ oder Der Frieden der Sterne«, in: Der Spiegel 36 (1982), S.166-172, hier S.170.
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2.22 E REIGNISSE
UND
S ERIEN ZWISCHEN 1978
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Platons sokratischer Dialog »Politeia«1021 ist einer der grundlegenden Texte der europäischen Kultur. Darin erläutert der Verfasser das Spannungsverhältnis, in dem sich jede Kultur zwischen Bewahrung und Veränderung befindet. Die Paideia, die Erziehung, soll Platon zufolge die Wächter der Polis zum Nichtverstehen des Fremden und zum Verstehen des Vertrauten befähigen. Gegen jede Veränderung spricht zunächst, dass sie den Modus der bereits gesicherten Reproduktion in Gefahr bringt. Gleichzeitig liegt jedoch im Lernprozess an sich die Notwendigkeit von Veränderung begründet. Die Aneignung von neuem Wissen muss eine Unterscheidung zwischen Freund und Feind verkomplizieren. Diesem Paradoxon wird begegnet, indem in der Friedenszeit alle Freiheiten der Vieldeutigkeit gelten, dabei aber laufend überwacht und von einem generalisierten Verdacht in Klammern gesetzt werden.1022 Besonders Kunst und Wissenschaft, die auf Austausch und Reflexion angewiesen sind, schwächen scheinbar die Verteidigungsbereitschaft, sprich: das Immunsystem. Die Metapher der »Infektion« für den als feindlich betrachteten Einfluss ist angesichts dessen eigentlich nahe liegend, dennoch wurde sie erst im Nationalsozialismus allumfassend angewendet (siehe Kapitel 2.20). In der Filmkunst wird traditionell eine besondere Infektionsgefahr gesehen. Gegen ihre simultanen und transgressiven »Bilderfluten« wird daher regelmäßig ein Narrativ verordnet, sowohl auf der filmischen Ebene als stringent nachvollziehbare Erzählung als auch auf der außerfilmisch in der »Versprachlichung« und Vergegenwärtigung der Filmhandlung. Besonders vehement werden Strategien der narrativen Domestizierung dann eingefordert, wenn eine Gesellschaft auf Statik und Geschlossenheit angelegt ist (so etwa in der stalinistischen Sowjetunion, ohne jegliches Potential einer systemimmanenten Entwicklung jedoch im Nationalsozialismus). Aber auch in einer pluralistischen Gesellschaft sorgen quantitative und qualitative Steigerungen der filmischen Informationsflut für Forderungen nach deren selektiver Domestizierung. So war dies etwa der Fall angesichts der zunehmenden massenmedialen Verbreitung des Films im Kino, im Fernsehen und schließlich auf Video, bei zugleich nachlassender Kontrolle im öffentlichen Raum.
1021 Vgl. Platon: »Politeia«, in: Sämtliche Werke. Bd. 2: Lysis, Symposion, Phaidon, Kleitophon, Politeia, Phaidros. Aus dem Altgriechischen von Friedrich Schleiermacher, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1994, S.195-537. 1022 Vgl. Baecker, Dirk: »Kultur und Schrecklichkeit«, in: Bazon Brock/Gerlinde Koschik (Hg.): Krieg und Kunst, München: Wilhelm Fink Verlag 2002, S.19-33.
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Byung-Chul Han geht davon aus, dass diese immunologische Dialektik der Negativität jedoch an Bedeutung verliert. Im Übergang von der Disziplinargesellschaft zur globalisierten und digitalisierten Leistungsgesellschaft sei vielmehr eine Vermassung des Positiven zu erkennen: »Das immunulogische Paradigma verträgt sich nicht mit dem Globalisierungsprozess. [...]Die Positivisierung der Welt lässt neue Formen der Gewalt entstehen. Sie gehen nicht vom immunulogisch Anderen aus. Vielmehr sind sie dem System selbst immanent. [...] Jene neuronale Gewalt, die zu psychischen Infarkten führt, ist ein Terror der Immanenz. Dieser unterscheidet sich radikal von jenem Horror, der vom Fremden im immunulogischen Sinne ausgeht. Die Medusa ist wohl der immunologische Andere in seiner äußersten Steigerung. Sie stellt eine radikale Andersheit dar, die man nicht anblicken kann, ohne daran zugrunde zu gehen. Die neuronale Gewalt entzieht sich dagegen jeder immunulogischen Optik, denn sie ist ohne Negativität. Die Gewalt der Positivität ist nicht privativ, sondern saturativ, nicht exklusiv, sondern exhaustiv.«1023
Anders als Fernseher und Video durchdringt der Computer auch die Arbeitswelt und zwingt so die am medienpädagogischen Diskurs beteiligten Akteure dazu, sich das Medium aktiv anzueignen, auch schreibend und lesend. Die Digitalisierung erleichtert aber auch den praktischen Umgang mit Filmen im Unterricht durch die im Vergleich zum Video gezieltere Aufrufbarkeit von Sequenzen, die Kapitelstruktur und gegebenenfalls die Paratexte der DVD. Die im Internet sofort abrufbare Vernetzung der Filme mit Belletristik und Sachbüchern, mit Kritiken und Forumsdiskussionen sowie nicht zuletzt mit Fan-fiction, macht die vielfältigen wechselseitigen Beziehungen zwischen Film und Schriftsprache auch auf anderen Gebieten augenfällig als denen der Literaturadaption. Bestseller phantastischer Literatur, die das Lesen selbst und auch das Schreiben (von Fanfiction) wieder als aktuelle Freizeitbeschäftigungen von Kindern und Jugendlichen erscheinen ließen, steigerten um die Jahrtausendwende das Renommee der betreffenden Genres und der filmischen Literaturadaptionen. Aufgrund der schnelleren Verfügbarkeit von Filmen auf DVD und im Internet steigerte sich die »Nachschlagbarkeit« von Werken und gleichsam wurde die logische Kontinuität der Media-Franchises zu einem bedeutenden Thema in den OnlineDiskussion der Fandoms, ebenso wie gegebenenfalls die Werktreue zur literarischen Vorlage. Diverse Formate kamen infolgedessen außer Mode: Die Fortsetzung als lose kaschiertes Remake und die Fernsehserie in einer episodischen Struktur, in der überwiegend der Status Quo erhalten blieb. Daher und weil der
1023 Han, Byung-Chul: Müdigkeitsgesellschaft, Berlin: Matthes & Seitz 2013, S.11-17.
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Aufenthalt des Publikums in den Multiplex-Cinemas verlängert werden muss, nehmen sich die Filme Zeit für detaillierte Schilderungen, zum Teil multiperspektivisches Erzählen sowie Figurenentwicklungen und Handlungsbögen, die sich über mehrere Filme erstrecken. Auch werden mit Rücksicht auf diverse Zielgruppen Signale der Parität gesetzt. Qualitätskriterien des psychologischen Realismus, die in Deutschland aus der sozialkritischen Kinder- und Jugendliteratur auf den Film transferiert wurden, gelten somit nun auch für den phantastischen Genrefilm. Stereotype und aus den Mythen entlehnte Handlungsmuster, die weiterhin wirkmächtig sind und variiert werden, erscheinen unter dieser realistischeren Oberflächenstruktur aber der Medienpädagogik nun auch als wichtige Orientierungshilfen in Zeiten der fortgeschrittenen Globalisierung und der digitalen Medienvielfalt. Zudem wird die Hoffnung geäußert, das europäische Erzählerbe durch die Rückverfolgung dieser Motive und Stoffe erhalten zu können. Die Dominanz der US-amerikanischen Filmindustrie wird seit dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Teilung weniger kritisch gesehen, zudem haben die japanische und die britische Popkultur seit den 1990er Jahren massiv an Breitenwirksamkeit aufgeholt und starken Einfluss auf die USA ausgeübt. Auch die im »Krieg gegen den Terror« in der deutschen Öffentlichkeit massiv formulierte Kritik an den Vereinigten Staaten spielt im Entferntesten nicht mehr dieselbe Rolle im medienpädagogischen Filmdiskurs wie in den 1980er Jahren, vielmehr wird die US-Filmindustrie seit den 1990er Jahren eher noch als vergleichsweise liberale Kraft betrachtet. Schließlich aber gelten sowohl die Integration der digitalen Medien als auch der Genres in den Unterricht als Voraussetzungen, um Jungen nicht zu Bildungsverlierern werden zu lassen. Dabei erscheint nun offenbar auch die Reanimation mehr oder weniger aggressiver Bilder von Maskulinität im Heldentypus als legitim. »Sogenannte sinnlose bzw. nicht hinreichend motivierte Gewalt gilt als gefährlich – die Indizierungs-Urteile der Filmzensur haben dafür die – philosophischer Terminologie abgeschauter – Formel einer Gewalt- und Scheußlichkeits-Darstellung um ihrer selbst willen gefunden. Gewalt dagegen, die durch anerkannte gesellschaftliche Normen, etwa der Moralität, der gerechten Konkurrenz und verdienten Leistung abgesichert ist, gilt als vorbild1024
lich.«
1024 Berg, Jan: »Das Bild der Medien im Jahr 2000 – Modebilder der Verheißung und des Schreckens«, in: Knut Hickethier/Eggo Müller/Rainer Rother (Hg.): Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF-Tagung, Berlin: Edition Sigma 1997, S.74-97, hier S.89.
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All diesen Veränderungen durch die aufgeführten Ereignisse zum Trotz bleibt eine Prämisse von den 1970er Jahren bis heute erhalten: Die geschriebene und gesprochene Standardsprache als Struktur, in welche das Filmerleben überführt werden sollte, um einen erfolgreichen Bildungsweg zu gewährleisten. Dementsprechend orientieren sich maßgebliche Empfehlungen zur Filmbildung zumal für den Deutschunterricht an Aspekten des Plots, der Chronologie, von Handlungssträngen und den Figuren in ihrem Beziehungsgeflecht (beziehungsweise ihrer jeweiligen »Entwirrung«). Die spezifisch filmischen Ausdrucksformen werden (wenigstens in der Theorie) keineswegs ignoriert. Es gilt jedoch häufig, den zuvor genannten Aspekten ihnen gegenüber Geltung zu verschaffen, sich also sozusagen »durch« die filmische Form oder gar »trotz« der filmischen Form über die inhaltlichen Strukturen der Erzählung zu orientieren. Der Film wird also nicht an allgemein literarischen Kriterien gemessen, sondern an Kriterien, die eine »Versprachlichung« durch die Kinder und Jugendlichen zu erleichtern scheinen. Im Wesentlichen decken sie sich weiterhin mit den Darstellungsmitteln eines psychologischen Realismus. Da die Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen nunmehr parallel mit der Heldenreise gesetzt wird, kann selbst noch der Rückgriff auf den Mythos in diese Darstellungsmittel eingegliedert werden. So wird es zum obersten Prinzip der Filmdidaktik, die Kontinuität dieses Reifeprozesses, die Kontinuität der Filmhandlung und die Kontinuität der Syntax zu wahren. Wenigstens aus einer deutschdidaktischen Perspektive werden Filme vor allem als Erzählzusammenhänge betrachtet (somit der narrativen Kompetenz dienlich, auch sein Leben als kohärenten Lernprozess, als Lernbiographie beziehungsweise Lebenslauf zu erzählen). Lücken sollen dazu dienen, sie durch die eigene Vorstellungskraft zu füllen, fließende Transformationen in ihren Entwicklungsstadien transparent gemacht werden. »Kontinuität ist also nicht nur eine Leistung des Mediums, sondern auch des Rezipienten [...]: Das zu betonen ist wichtig, weil die Ansicht, Filme ließen die Imaginationsfähigkeit verkümmern, leider noch immer weit verbreitet ist. Dabei ist grundsätzlich nicht das Medium selbst ›Schuld‹, sondern immer seine – zu ausschließliche, exzessive, einseitige, oberflächliche – Nutzung. [...] Besonders ›langsame‹ Filme [...] zeigen, wie viele soge1025
nannte Leerstellen der Zuschauer beim Sehen erst besetzt.«
In der Sinnproduktion der Filmdidaktik werden somit gewissermaßen der »Zufall, das Diskontinuierliche und die Materialität« [...] [durch] eine bestimmte Form der Historie zu bannen versucht, indem sie das kontinuierliche Ablaufen
1025 U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.40.
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einer idealen Notwendigkeit erzählt.«1026 Dementsprechend steigert sich auch die Legitimation von Filmen und vor allem TV-Serien dann für den Literaturbetrieb allgemein, wenn sie scheinbar Ähnlichkeiten mit den realistischen Romanepen des 19. Jahrhunderts aufweisen: »Das Megamovie ist das Fernsehformat der nuller Jahre. Es wurde zum Stoff für Partygespräche der gebildeten urbanen Klasse und es nahm den gesellschaftlichen Platz ein, den bis vor wenigen Jahrzehnten noch der Roman innehatte. Die Komplexität und Größe der Stoffe, die es erzählt, sind vielleicht vergleichbar mit den epischen Romanen des 19. Jahrhunderts, mit ›Krieg und Frieden‹ oder ›Die Brüder Karamasow‹.«
1027
Die Rede ist dann von Qualitätsfernsehen, das auch gegen das Kino mit seiner kürzeren Form und seinem Einsatz von 3-D-Effekten oder neuartigen digitalen Soundsystemen als die erwachsenere und überlegene Kunstform positioniert wird. »Auch wenn die TV-Serie als audiovisuelles Medium nicht über spezifisch literarische Techniken wie etwa psychologische Introspektion verfügt, so nähert sie sich nach Meinung des Feuilletons [...] dennoch sukzessive der Mehrdimensionalität epischer Erzählungen an. [...] Eine Serie wie The Wire wird aber nicht nur dem Kino gegenübergestellt, sie wird auch gegenüber der eigenen Gattung verteidigt.[...] Dem Feuilleton [...] ist daran gelegen, durch die Adelung von TV-Serien zu ›anspruchsvoller‹ Kunst ihre eigene Beschäftigung mit dem Gegenstand zu legitimieren und damit gleichzeitig eine möglichst große Leserschaft anzusprechen, die sich wiederum aus dem identischen Zielpublikum von 1028
Feuilleton und ›Qualitätsfernsehen‹ rekrutiert: aus dem Bildungsbürgertum.«
Parallel verhält sich die Abgrenzung der Graphic Novel gegen den Comic anhand der Qualitätsmerkmale der Kohärenz, Komplexität und Originalität. 1029 Zudem wird gerade auf dem aktuellen deutschen »Graphic-Novel«-Markt, auf dem man offensichtlich auch auf die Verwertung als Schullektüre spekuliert, auf die Adaption literarischer Vorlagen oder das biographische Porträt historischer
1026 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S.38. 1027 von Rohr, Mathieu: »Angst vorm Absturz«, in: Der Spiegel 63 (2009), S.130. 1028 I. Ritzer: Fernsehen wider die Tabus, S.24-25 1029 Vgl. Weiner, Stephen: Faster Than a Speeding Bullet: The Rise of the Graphic Novel, New York: Nantier Beall Minoustchine 2003.
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Persönlichkeiten gesetzt.1030 Dieselben Kriterien finden sich zudem in Diskursbeiträgen, die Computerspiele als Kulturgüter etablieren möchten. Es findet ein regelrechter Überbietungswettbewerb darin statt, welche Kunstform die große Erzählung in die Postmoderne zurückbringen kann: » ›Grand Theft Auto V‹ erzählt die Geschichte von De Santa und zwei weiteren komplex angelegten Figuren, in die man sich als Spieler hineinversetzen kann. Man verbringt viel Zeit mit ihnen, mehr, als man normalerweise mit einem Filmhelden verbringt, mehr also als beispielsweise mit Walter White oder Carry Mathison, den Antihelden aus den Fernsehserien ›Breaking Bad‹ oder ›Homeland‹. Das Spiel dauert 45 Stunden - wenn man wirklich gut ist. [...] Irgendwann, nach einigen Verfolgungsjagden, Explosionen und Erniedrigungen durch Ehefrau, Psychoanalytiker und Kinder, versenkt De Santa sein Geld ausgerechnet in einem Filmprojekt über die Finanzkrise. Was wohl auch eine Art höhnischer Kommentar eines jungen Unterhaltungsmediums zu Hollywood ist, das sich der Filmindustrie inzwischen überlegen fühlt, und zwar moralisch, erzählerisch – und wirtschaftlich sowie1031
so.«
Man könnte also schließen, dass die Macht die Filmrezeption organisiert, wohingegen die Möglichkeit der Repression im Diskurs schnell, im Grunde bereits mit der Kinoreformbewegung 1910 kaum noch ernsthaft erwogen wird, ob nun bedauernd oder erleichtert. Den ökonomischen Erfordernissen der Gouvernementalität entsprechend geht es dabei darum, Verschwendung von Zeit im Exzess beziehungsweise exzessive Zeitverschwendung einzuschränken. 1032 Man soll »über die affektive Aufladung zum nachhaltigen Lernen«1033 kommen und »mit Gefühlen umgehen«1034 lernen. Die »Genussfähigkeit« von »regressiven«, also sinnlichen Erfahrungen soll gesteigert werden. Gemeint ist damit zum Bei-
1030 Vgl. Platthaus, Andreas: Siegeszug unter falscher Flagge. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 30.12. 2010, S.29. 1031 Oehmke, Phillip: »Mut zur Unmoral«, in: Der Spiegel 67 (2013), S.114-117, hier S.114. 1032 Vgl. Hiegemann, Susanne: »Über die Notwendigkeit von Medienkritik«, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.)/Marhild Hoffmann/Gernot Dallinger (Red.): Medienkritik im Blickpunkt. Plädoyer für eine engagierte Programmkritik, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1988, S.27-30, hier S.34. 1033 U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.41. 1034 Ebd., S.40.
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spiel häufig das kollektive Erleben von Filmen auf der großen Leinwand 1035 (wobei das Kino im Vokabular der Filmbildungspolitik zunehmend Züge des Guckkastenbühnen-Theaters als bildungsbürgerlich-repräsentativem Raum annimmt), im Gegensatz zu einem »anarchischen«, partiellen und eventuell illegalen Erleben, etwa auf dem Smartphone oder im Online-Streaming (womöglich innerhalb des Schulunterrichts).1036 Das »richtig« genossene Filmerlebnis soll dann aber wieder vermittels der Sprache in einen konstruktiven gesellschaftlichen Beitrag umgewandelt werden: »Um sich aber nicht nur in der eigenen Subjektivität zu verfangen, müssen die subjektiven Eindrücke dann an den konkreten Film rückgebunden werden, wobei die Genauigkeit in der Wahrnehmung des Films und der Artikulation dieser Wahrnehmung von zentraler Bedeutung ist.«1037 Die »kommerziellen« Genrefilme und die Rezeptionsformen des Videosehens und Fernsehens sind als Gegenstände des Diskurses insofern von Bedeutung, als sie in diesen Klassifikationsmustern der Filmdidaktik (vor allem der sich erst allmählich herausbildenden Filmdidaktik Deutsch) die filmischen Ausdrucksmittel und Rezeptionsmodi repräsentieren, die der konsistenten Identitätsbildung inkommensurabel sein sollen, werden sie nicht in eine intersubjektive Kommunikation zwischen Kindern und Jugendlichen einerseits und Erwachsenen andererseits übersetzt. Von den Bildungsinstitutionen und weiteren politischen Institutionen aus, die sich mit den Themenkomplexen Erziehung, Kultur und Medien befassen, können diese Gegenstände aber durch die »Klassifikati-
1035 Vgl. z. B. Tschütscher, Dominik: »Im Kino. Filmvermittlung für Schulen im Österreichischen Filmmuseum«, in: Bettina Henzler/Winfried Pauleit/Christine Rüffert/Karl-Heinz Schmid/Alfred Tews (Hg.): Vom Kino lernen. Internationale Perspektiven der Filmvermittlung./Learning from the Cinema. International Perspectives on Film Education, Berlin: Bertz + Fischer 2010, S.121-125, hier S.124. 1036 Vgl. auch die Werbekampagnen der Zukunft Kino Marketing GmbH, an der der Hauptverband Deutscher Filmverleiher, der Verband der Filmverleiher e.V. und der Multiplexverband Cineropa e.V. beteiligt sind, etwa die diversen Kampagnen gegen Raupkopierer (seit 2003) oder die Kampagne »Filmbefreier« zur »artgerechten Haltung« von Filmen 2008. 1037 Henzler, Bettina: »ich du er sie es. Intersubjektivität in der Filmbildung«, in: Bettina Henzler/Winfried Pauleit/Christine Rüffert/Karl-Heinz Schmid/Alfred Tews (Hg.): Vom Kino lernen. Internationale Perspektiven der Filmvermittlung/Learning from the Cinema. International Perspectives on Film Education, Berlin: Bertz + Fischer, 2010, S.66-77, hier S.74.
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ons-, Anordnungs-, [und] Verteilungsprinzipien«1038 [...] sowohl aus-, als auch eingegrenzt werden. Sie sind sozusagen nur einer »surplus repression« unterworfen, während sich die »basic repression« 1039 im Grunde gegen die Provokation richtet, nichtsprachlich zu erzählen. Die diskursspezifischen Formen der Ausschließung und Aneignung haben sich gebildet, um in der Verarbeitung diverser Ereignisse weiterhin den Bedürfnissen einer Medienpädagogik zu entsprechen, die in der Tradition des idealistischen Bildungsbegriffes steht. Ihr Ziel ist es, das Subjekt vor der Entgrenzung schützen. Ein weiteres ihrer Ziel ist es, die Enttäuschung darüber zu mildern, dass eine Verschmelzung zwischen Subjekt und Objektwelt, wie sie der Film angeblich suggeriert, eine dauerhafte Stillung des Begehrens, gar nicht möglich ist. Diese Erkenntnis soll in einem geschützten Umfeld vermittelt werden, mit zunehmend weniger konfrontativen Methoden – bevor sie zu möglicherweise gefährlichen Enttäuschungsmomenten in der außerfilmischen Realität führen kann.
1038 M. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S.17. 1039 Vgl. Horowitz, Gad: Repression: Basic and Surplus Repression in Psychoanalytic Theory: Freud, Reich and Marcuse, University of Toronto Press: Toronto 1977.
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2.23 D ER F ILM
ALS PHILOSOPHISCHE UND PÄDAGOGISCHE P RAXIS
Es erscheint paradox, dass die Kriterien, die zur Auswahl von Filmen, die als Differenzerfahrungen zum Event-Kino bis in die 1990er Jahre empfohlen werden und auch von Filmen, die noch seit den 1990er Jahren als kind- und jugendgemäß betrachtet werden, sich am Deleuzeschen Bewegungsbild zu orientieren scheinen. Das Bewegungsbild des klassischen Films gehorcht Deleuze zufolge dem Prinzip, das Ganze sei das Offene. Die Filme, die in der Frühzeit Hollywoods unter der Regie und Produktionsleitung D. W. Griffiths entstanden, konditionierten das Publikum darauf, die Einzelbilder des Films als Teile einer organischen Einheit wahrzunehmen, innerhalb derer sie sich zueinander raumzeitlich verhalten. Das Publikum konnte sich darauf verlassen, dass ihm diese Relationen durch die Komposition der Bilder transparent gemacht werden (es sei denn, es käme zu Anschlussfehlern).1040 Werden im klassischen Kino beispielsweise größere Komplexe von Innenräumen dargestellt, wird die räumliche Kontinuität etwa häufig vermittelt, in dem die Figuren ausgiebig bei der Durchquerung der Räume gezeigt werden, beim Hinaus- und Hineingehen, Besteigen von Treppen und Öffnen von Türen. Der zeitgenössische Zuschauer ist hingegen so daran gewöhnt, verschiedene Orte in der raschen Montage schnell zuzuordnen, dass die zeitliche Durchmessung eines Hausflures misstrauisch einen Horroreffekt erwarten lässt, also gerade die durch eine Überbetonung des Raumes vorbereitete plötzliche Störung seiner Ordnung. Freilich gibt es bereits im klassischen Kino mannigfaltige filmische Verfahren der Abkürzung; wird etwa eine Häuserfassade nach einer Aufblende von außen gezeigt und stellt die nächste Einstellung eine Gruppe von Menschen in einem Innenraum dar, so darf das Publikum darauf vertrauen, dass es sich um ein Zimmer des zuvor etablierten Hauses zu dieser Zeit handelt. Noch 1991 erzielt »Das Schweigen der Lämmer«1041 einen Überraschungseffekt, indem es diese Erwartungshaltung durch eine gezielt irreführende Parallelmontage enttäuscht. Auch in den sowjetischen Filmen, bei denen Sergei Eisenstein für die Regie und weitere Funktionen wie den Schnitt verantwortlich zeichnete, steht das Ein-
1040 Vgl. Deleuze, Gilles: Das Bewegungs-Bild. Kino 1 (Cinéma 1. L’imagemouvement. Aus dem Französischen von Ulrich Christians und Ulrike Bokelmann.), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1997, S.49-53. 1041 DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER (THE SILENCE OF THE LAMBS, USA 1990, R: Jonathan Demme).
2.23 D ER F ILM ALS
PHILOSOPHISCHE UND PÄDGOGISCHE
P RAXIS
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zelbild immer noch für das Ganze, nicht wie bei Griffith für das Ganze eines ordentlich gegliederten Raumes (mit einer entsprechend statischen Gesellschaftsordnung), sondern als dialektische Einheit des Entwicklungsgesetzes.1042 »[Ü]berall, wo es Bewegung gab, gab es in der Zeit ein irgendwo offenes und veränderliches Ganzes. Aus diesem Grund hatte das kinematographische Bild ein ›Off‹, das einerseits auf eine in anderen Bildern aktualisierbare Außenwelt und andererseits auf ein veränderliches Ganzes verwies, das sich in der Gesamtheit der miteinander verknüpften Bil1043
der ausdrückte.«
Man könnte somit davon ausgehen, dass das Bewegungs-Bild sich zur außerfilmischen Welt mimetisch verhält, »sofern dieses Konzept auf die Nachahmung der Natur als natura naturata geeicht ist«.1044 Einige der medienpädagogischen Diskursbeiträge vor allem in den 1980er Jahren gehen, wie oben bereits ausgeführt, tatsächlich von einem Gegensatz zwischen der Filmwelt und einer Realität als Welt authentischer Erfahrungen aus. Dennoch werden »klassische« Filme, die ein geschlossenes Raum-Zeit-Kontinuum suggerieren, als geringeres Risiko betrachtet, die Alltagsrealität der Kinder und Jugendlichen durch die filmische Realität zu überblenden. Banal gesagt scheint die größte Befürchtung nicht darin zu bestehen, dass die naiven Zuschauer glauben könnten, der Film sei in der selben Raumzeit angesiedelt wie sie und man könne etwa, wenn man mit dem Schiff zur Skull Island fahren würde, dort das Reich King Kongs betreten, mit der entsprechenden Verzögerungszeit durch die Reise. Das ist natürlich sehr wohl ein möglicher Rezeptionseffekt bei jüngeren Kindern, er lässt sich aber relativ leicht desillusionieren. Das Ganze des Bewegungs-Bildes stellt zwar eine Idee dar, die Bewegung ist also eher als Entwicklung zu erfassen, denn als Fortbewegung. Dennoch lässt sich die ideologische Herleitung an diesen Filmen nicht nur durch die Kette der Einzelbilder nachvollziehen. Sie lässt sich auch in ihrer Dialektik aufdecken (oder eben im Ausbleiben einer solchen Dialektik, jedenfalls in ihrer kompositorischen Struktur). Anstatt eine Gefahr darzustellen, scheinen die Filme durch diese Struktur einem Entwicklungs- und Verstehensprozess zu entsprechen, der bei den SchülerInnen gewünscht ist: »von der Gesamtsituation zur verwandelten Situa-
1042 G. Deleuze: Das Bewegungs-Bild, S.53-54. 1043 Ebd., S.233. 1044 Früchtl, Josef: Vertrauen in die Welt. Eine Philosophie des Films, München: Wilhelm Fink Verlag 2013, S.35.
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tion über die Entwicklung und Überwindung der Gegensätze.«1045 Das sensomotorische Schema im Film ist intakt, die Reizreaktionskette zwischen den Figuren ist deutlich nachvollziehbar. Auch die Genrefilme des klassischen Kinos finden sich dementsprechend häufiger in den filmdidaktischen Handreichungen. Auch die Filme, die Deleuze dem Bewegungs-Bild zuordnet, erschöpfen sich nicht in Mimikry, aber Josef Früchtl fasst den Bruch zwischen Bewegungs- und Zeit-Bild bei Deleuze auf als die typisch modernistische Abgrenzung eines modernen Kunstkonzeptes von einem klassischen durch die Autonomie von der Nachahmung.1046 Deleuze schreibt dem Zeit-Bild die Macht zu, uns den Glauben an die Welt zurückzugeben: »Das Band zwischen Mensch und Welt ist zerrissen. Folglich muss dieses Band zum Gegenstand des Glaubens werden: es ist das Unmögliche, das nicht anders als in einer Glaubenshaltung zurückkehren kann. [...] Der Mensch ist in der Welt wie in einer rein optisch-akustischen Situation. [...] Von daher ist es notwendig, daß das Kino nicht die Welt 1047
filmt, sondern den Glauben an die Welt, unser einziges Band.«
Gerade dadurch, dass das moderne Kino, so Deleuze, das sensomotorische Band und das Band zwischen Mensch und Welt (also die große organische Komposition) bräche, könne es den Bedürfnissen des Menschen nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gerecht werden, denen die Suggestion eines Ganzen naiv und unglaubwürdig erscheinen müsste, wenn dieses Ganze Kontinuierliches und Diskontinuierliches durch Rationalität miteinander versöhnt. Es gibt verschiedene Verfahren des Zeit-Bildes. Im neorealistischen italienischen Film, in dem Deleuze es zuerst ausmacht, bewegen sich die Figuren nicht mehr als Akteure durch die (nunmehr zufällig erscheinenden) Räume und Situationen, sondern lassen sich als Sehende und Hörende durch sie treiben, weil sie nicht mehr folgerichtig zu reagieren müssen.1048 Die Figuren als Zuschauer bedingen rein optisch-akustische Bilder, die Darstellung der Zeit ist nicht mehr von der Montage abhängig (als Bild der Zeit), sondern die Bewegung wird einer direkten Darstellung der Zeit untergeordnet (als Zeit-Bild). Bei Jean-Luc Godard wird der Schnitt inkommensurabel, die Einzelbilder bedingen einander nicht mehr nach rational erkennbaren Maßstäben und in den radikalen Werken des modernen
1045 G. Deleuze: Das Bewegungs-Bild, S.54. 1046 J. Früchtl: Vertrauen in die Welt, S.35. 1047 Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2 (Cinéma 1. L’image-temps. Aus dem Französischen von Klaus Englert.), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1997, S.224. 1048 Vgl. ebd., S.11-26.
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»Autorenfilms« (z. B. bei Godard, Jean-Marie Straub und Marguerite Duras) werden auch Töne und Bild einander rhythmisch und »inhaltlich« asynchron. Ihr Bezug ist irrational, jedoch nicht beliebig, stattdessen gewinnen die Zeit-Bilder durch diese Differenzen an Lesbarkeit und Vieldeutigkeit hinzu. 1049 Es geht jedoch nicht darum, diese aufklaffenden Abgründe zu überbrücken und durch die eigene Phantasie zu füllen, vielmehr darum, im Akt des Sehens und Hörens von eben dieser Kette der Rationalität befreit zu werden: »[D]iese Leere ist nicht mehr ein motorischer Teil des Bildes, insofern es sie überwindet, um seinen Lauf zu nehmen: statt dessen ist sie die radikale Infragestellung des Bildes [...]. So gewinnt der Fehlanschluß, indem er zum Gesetz wird, einen neuen Sinn.«1050 Das Ganze ist nun nicht mehr das Offene, sondern das Außen, das in diesem Zwischenraum liegt; es versöhnt das Kontinuierliche mit der irrationalen Zerstückelung. Die Macht des Denkens tritt dann zurück »zugunsten eines Ungedachten im Denken [...], eines dem Denken eigenen Irrationalen, eines jenseits der Außenwelt befindlichen Außen, das dennoch in der Lage ist, uns den Glauben an die Welt zurückzugeben. Es stellt sich nicht mehr die Frage: Gibt uns das Kino die Illusion der Welt?, sondern: Wie gibt uns das Kino den Glauben an die Welt zu1051
rück?«
Auch wenn der Körper optisch und akustisch erreicht wird, bevor Begriffe wirksam werden können, spielt das Zeit-Bild in Deleuzes Sinne in den Risikoerwägungen der Medienpädagogik keine Rolle. Einerseits, weil das Autorenkino, aus dem Deleuze seine Beispiele schöpft, als Differenz zum »kommerziellen« Kino eher positiv gewertet wird, andererseits, weil es in den entschiedensten Befreiungsschlägen gegen die Bilderkette als zu anspruchsvoll betrachtet wird, als dass es jüngere Kinder erreichen könnte. Auch die reine, nicht linear und zweckgebunden organisierte Zeit wird nicht als der Verlust der raumzeitlichen Orientierung begriffen, der kindliche und jugendliche Filmzuschauer bedroht. Diese scheinen im schlimmsten Fall eher durch eine »luftdicht« fesselnde Bilderkette und simultan überdeterminierte Bilder in eine Zeitorganisation eingespeist zu werden, die mit der Civitas konkurriert. Als Risiken betrachtet werden wechsel- und gleichzeitig sowohl die Sucht nach dem nächsten Bild (durch den Sog, der eben durch die lückenlose Kontinuität des Bilderstroms erzeugt wird beziehungsweise durch das Versprechen,
1049 Vgl. ebd., S.309-334. 1050 Ebd., S.235. 1051 Ebd., S.236.
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diesen fortzusetzen, etwa im Cliffhanger der Soap Opera) als auch die Dekontextualisierung des Bildes, aber nicht durch das Irritationsmoment etwa eines Zwischenraums. Die Herauslösung des Bildes aus seinem erkennbar kausalen Ablauf wird stattdessen als eine Überpräsenz des Bildes (und Tones) selbst problematisiert, als seine Einprägung in den Körper des Rezipienten (erleichtert z. B. durch Rückspul-, Standbild- und Zeitlupenfunktion der Videorecorder). Sensomotorisches Schema und die organische Komposition jener Filme, die zumindest in den 1980er Jahren kritisiert werden, werden als intakt angesehen; gerade darin liegt offenbar das Risiko: Die Einstellungen schließen aneinander an, aber die Schnittfrequenz beschleunigt sich und mit ihnen die Reizreaktionskette; es potenziert sich zudem die Inbezugsetzung der Wahrnehmung durch die Figuren und ihrer dadurch bedingten Aktionen auch innerhalb derselben Einstellungen. Das Bewegungsbild wird also vor allem dort als problematisch wahrgenommen, wo es nicht mehr im klassischen Kino angesiedelt werden kann, also etwa im realistischen Hollywoodfilm, wie er bis in die 1950er Jahre vorherrschte. Es würde sich demnach um ein Kino handeln, das nicht die Macht hätte, dem Menschen den Glauben an die Welt zu geben. Deleuze zufolge also »schlechtes« Kino,1052 weil es weiterhin die Illusion von Welt geben wollte, aber lauter, schneller, kurz: gewaltsamer: »Was wurde aus Hitchcocks suspense, Eisensteins Schock und Gances Erhabenem, als sie von mittelmäßigen Autoren aufgegriffen wurden? Wenn die Gewalt nicht mehr die des Bildes und seiner Vibrationen, sondern die des Repräsentierten ist, fällt man in eine blutige Arbitrarität, und wenn die Größe nicht mehr die der Komposition ist, sondern reines und einfaches Anschwellen des Repräsentierten, gibt es keine geistige Stimulation und kein Entstehen des Denkens mehr. Eher handelt es sich um eine allgemeine Schwäche bei Autor und Zuschauern. [...] Und dennoch gibt es einen weitaus wichtigeren Grund: die Massenkunst und die Behandlung der Massen, die nicht getrennt werden durfte von der Wandlung der Massen zum wahrhaften Subjekt, ist der Propaganda und der staatlichen Manipulation verfallen: einer Art Faschismus, der Hitler mit Hollywood und Hollywood mit Hitler vereinigte. [...] Es waren nicht oder nicht allein die Mittelmäßigkeit und Vulgarität der herrschenden Produktion daran schuld, eher Leni Riefenstahl, die keineswegs 1053
mittelmäßig war.«
Früchtl vertritt die Ansicht, dass dem Zwang, den die ständige Bewegung nicht nur als Inhalt der Filmbilder, sondern auch als ihr gestalterisches Prinzip, auf die
1052 Vgl. Deleuze (1997 b), S.224. 1053 Deleuze (1997 b), S.215.
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Objekte und das perzipierende Subjekt ausüben, in der Tat Gewalt und Zerstörung inhärent seien.1054 Bei Deleuze wird jedoch die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt negiert weil Körper, Bewusstsein und Film in einem neuronalen Netz eingebunden sind. Innerhalb dessen sind sie in stetiger Veränderung begriffen. Bei Früchtl spielt das Subjekt dagegen eine wichtige Rolle: So kann es sich der Gewalt der filmischen Bewegung entziehen, indem es etwa die Filmsicht unterbricht oder abbricht.1055 Diese Entscheidungsfreiheit, der in den bewahrpädagogischen Diskursbeiträgen zum Jugendschutz wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, führt dazu, dass das Bewegungsbild auch im zeitgenössischen Genrefilm bei Früchtl positiver gesehen wird: nämlich als eine Struktur, in der sich das Subjekt wiedererkennt. Denn das Subjekt könne sich nur in einem stetigen, gewaltsamen Prozess der Bewegung, der Selbstüberholung und Anpassung konstituieren. Nicht nur sei der Film somit ein »Medium der anschaulichen und sinnlich-affektiven Selbstreflexion, der ästhetischen Selbstvergewisserung mitsamt der subjekteigenen Gewalttätigkeit«1056 in der Moderne, der Genrefilm entspräche diesem Prinzip sogar am meisten. Früchtl lehnt Deleuzes Aussage, der (gute) Film könne im Zeit-Bild den Glauben an die Welt zurückgeben, in dieser Form ab, weil er die direkte Darstellung der nicht-linearen Zeit als metaphysisches Konzept ablehnt.1057 Er möchte Deleuzes Aussage insofern revidieren, als er vertritt, das Kino könne den Glauben an die moderne subjektivistische Welt wieder herstellen.1058 Früchtl kategorisiert die Genres sogar danach, auf welche Weise sie Subjektivität gestalten: »[D]er Western klassisch, mit dem Helden als Gründungsfigur; Crime-Film und Thriller romantisch, mit dem Verbrecher, bevorzugt dem Maffioso, und dem Cop oder dem Privatdetektiv als agonalen, in sich zerrissenen Figuren; der Science-Fiction-Film postromantisch, mit dem Cyborg als Verkörperung der schöpferischen Potenz des Ich; die Komödie, die die klassischen, romantischen und postromantischen Ansprüche des Ich ins Lächerliche zieht; das Melodram, das als Gegenmodell zum Western und Crime-Film die Subjektwerdung der Frau, allgemeiner der empfindsamen Seele thematisiert; schließlich der Actionfilm, der das Moment der Bewegung, der dynamisierten Handlung, das in jedem
1054 Vgl. J. Früchtl: Vertrauen in die Welt, S.49. 1055 Vgl. ebd., S.50. 1056 Ebd., S.53-54. 1057 Vgl. ebd., S.161-163. 1058 Vgl. ebd., S.15.
334 | VERFOLGUNGSJAGDEN der genannten Genres eine mehr oder weniger belangreiche Funktion innehat, verabsolu1059
tiert [...]. Der Actionfilm ist das der Moderne angemessenste ästhetische Medium.«
Bei diesen genretypischen Zusammenfassungen handelt es sich freilich um grobe Vereinfachungen, wie überhaupt in Früchtls eigentlich doch pragmatischer »Philosophie des Films« konkrete Filme als »lebensweltliche« Phänomene eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, als gelegentlich herangezogene und dann manchmal eigentümlich wiedergegebene Beispiele (wenn etwa das ungebrochene Rollenmodell Lara Croft in »Tomb Raider«1060 als weibliches Äquivalent der dissoziierten Figuren aus »Fight Club«1061 aufgeführt wird oder behauptet wird, »Die Vögel«1062 mit seinem elektronisch erzeugten Möwenkreischen würde »auf den Ton als Angstmacher verzichten«.).1063 Aber Früchtls Arbeit in ihrem Rückgriff auf die Kant’sche »als ob«-Haltung, in der die Filmerfahrungen als »ästhetische Erfahrungen der Hoffnung Raum geben, wir könnten unseren Wunsch nach einem gelingenden Handeln sowie möglicherweise auch nach einem gelingenden Leben erfüllen«1064 bietet eine adäquate philosophische Entsprechung zu der Versöhnung mit dem Genrekino und mit der Figur des Helden, 1065 wie sie in den Beiträgen zum filmdidaktischen Diskurs seit den 1990er Jahren evident wird. Das bewegliche Subjekt, das im Gewaltakt der filmischen Bewegung seines eigenen »work in progress« ansichtig wird, insbesondere aber in dem filmischen Spannungszustand zwischen der durchsichtigen Inszenierung heldischer Präsenz und ihrer trotzdem erdrückenden Evidenz,1066 kann der (nicht nur, aber insbesondere männliche) Schüler sein, dem so vermittels des Films das Vertrauen daran zurückgegeben werden kann, in die moderne Welt zu passen. Die bewegliche und bewegende Präsenz des Helden wird akzeptiert und soll nun auch nutzbar gemacht werden. Sie dringt ebenso durch die ideologische Manipulation wie durch das Muster der genretypischen Konventionen und durch die diversen medialen Ausformungen im Franchise, ja sogar als kleine, robuste
1059 Ebd., S.54. 1060 LARA CROFT: TOMB RAIDER (USA/UK/JP/DE 2001, R: Simon West). 1061 FIGHT CLUB (USA 1999, R: David Fincher). 1062 DIE VÖGEL (THE BIRDS, USA 1963, R: Alfred Hitchcock). 1063 Vgl. J. Früchtl: Vertrauen in die Welt, S.42. 1064 Ebd., S.185. 1065 Vgl. auch Früchtl, Josef: Das unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004. 1066 Vgl. J. Früchtl: Vertrauen in die Welt, S.147.
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Erzählung durch die postmodern ironische Kenntlichmachung all dieser Inszenierungen. Sie alle erscheinen nach der Erkenntnis, dass Fiktion und Illusion nicht dasselbe sind,1067 weniger gefahrvoll, ja sie bestätigen in ihrer scheinbar oberflächlichen, formalen Vielfalt eher noch die Struktur, die aus den Tiefen der Vorgeschichte zu rühren scheint. Die Kunstwerke beziehungsweise Unterhaltungsmedien erscheinen als Requisiten1068 in diesem »Spiel« der lebensbejahenden Modifikation von Subjektivität (zu diesen Requisiten gehören auch tatsächliche Spielzeuge und andere Merchandisingartikel). Die Reise des Helden als Lernprozess ist der politische Mythos des Identity Building. Sie eignet sich zum individualistischen Mythos der entwicklungspsychologisch gekoppelten Mediendidaktik – jedenfalls, seitdem der Held seine Identität in der differenziert vorgeführten Dynamik eines Character arc herausbildet und nicht länger als weitgehend statischer Typus erscheint. Denn der Bewegung als einer formalen Gewalt der Filmkunst wird weiterhin eine (abgeschwächte) Skepsis entgegengebracht, sie soll respektiert und energetisch abgeschöpft werden, ihr gegenüber dient die Sprache weiterhin als nachträglich erforderliche »vertrauensbildende« Maßnahme. Hier steht eben doch die Herausbildung einer Identität im Vordergrund, die individuell und konsistent ist und bei der nicht alle Eigenschaften einer ständigen Modifikation unterliegen, sondern die unerwünschten, die also im Sinne des deutschen Bildungssystems der Entfaltung in einer sozialen Marktwirtschaft, einem Rechtsstaat und einer freiheitlichdemokratischen Grundordnung nicht zuträglich sind. Klaus Maiwalds Befund des Phänomens bezeichnet die Schwelle zwischen medienpädagogischer Affirmation und Kritik: »Neuere Identitätstheorien sehen Medienfiguren, -symbole und –mythen als Steinbruch, aus dem Identität(en) fortwährend auf- und umgebaut werden [...]. Medienverbünde als große Text- und Produkt-Baukästen drängen sich für solche Identitätsbricollagen regelrecht auf. Im günstigen Fall führt dies zu einem souveränen Spiel mit den Möglichkeiten der patchwork identity, im ungünstigen zu fragwürdigen Leitfiguren, Identitätsdiffusion 1069
und Realitätsverlust.«
1067 Vgl. ebd., S.22. 1068 Vgl. ebd., S.34. 1069 K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.40.
336 | V ERFOLGUNGSJAGDEN
2.24 R ISIKEN
EINER PRIMÄR AN LINEAREN ORIENTIERTEN F ILMDIDAKTIK
S TRUKTUREN
Der filmdidaktische Diskurs seit den 1990er Jahren erschöpft sich selbstverständlich nicht in der Thematisierung der Heldenreise. Dieses Motiv kommt aber der didaktischen Perspektive auf den Film entgegen, die seine linearen Strukturen hervorhebt und all seine Strukturen in einen linearen schrift- oder gesprochen sprachlichen Text und in eine lineare psychologische Entwicklung der SchülerInnen zu überführen trachtet. In ihrer extremen Ausprägung kann diese Perspektive dazu führen, dass die filmischen Mittel der Simultaneität, der räumlichen Segmentierung durch den Schnitt, aber auch des scheinbar stufenlosen linearen Flusses negativ bewertet werden, zugunsten einer um ihre irrationalen Züge reduzierten Auffassung von Literatur und Sprache (und das ausgerechnet um das »Orwell-Jahr« 1984 herum besonders signifikant). In einer differenzierteren Ausprägung kann diese Perspektive immer noch dazu führen, dass die Filme prioritär als Träger handlungs- und figurenbezogener Informationen betrachtet und behandelt werden. Dadurch bedingt kann sich der Fokus auf Literaturverfilmungen und Filme über gesellschaftlich relevante Stoffe richten, die wiederum scheinbar eine sprachliche Diskussion im Unterricht erleichtern, zumal im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht. Wichtige formale Aspekte des Films könnten dabei nivelliert werden. Es könnte auch die Untrennbarkeit von Inhalt, Form und Wirkung zugunsten einer vereinfachenden Decodierbarkeit dessen verdrängt werden, was als »Filmsprache« vermittelt wird (z. B. Kameraeinstellung aus der Untersicht = bedrohliche Wirkung des Kameraobjektes). Diese Tendenzen sind weder der allgemeinen Medienkompetenz noch dem Literaturverständnis noch der Leseförderung förderlich, ebenso wenig wie einem Verständnis gesellschaftlicher Konflikte, weil Filme ebenso wie Bücher als austauschbare Ideenträger erscheinen. Die SchülerInnen müssen das Buch nicht unbedingt lesen, sie müssen sich nur die Inhaltsangaben auf Wikipedia durchlesen, um die Unterschiede zum Film zu kennen (und umgekehrt). Ja, eigentlich genügt es überhaupt, die Inhaltsangaben und vielleicht noch Figurenprofile zu lesen. Ines Müller empfiehlt in ihrem Buch »Filmbildung in der Schule« als Unterrichtsinhalte und Kompetenzen des Faches Deutsch: »erweiterte Literalität und erweiterter Textbegriff (bewegtes Bild, Bildsprache), Dramaturgie, Erzählstrukturen, Vergleich Literarische Vorlage – Filmische Adaption, filmsprachliche Elemente kennen, Filmanalyse, Filmproduktion, audiovisuelle Kommunikation, visuelle Alphabetisierung, Medienwechsel, Intermedialität, Fernsehformate kennen,
2.24 RISIKEN EINER
PRIMÄR AN LINEAREN
S TRUKTUREN ORIENTIERTEN FILMDIDAKTIK
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verstehen und anwenden, Inhalt + Form, Spannung im Film, Figurenanalyse, Narration, Filmgenres, Epochen der Filmgeschichte, Drehbuch, schreiben, Szenische Darstellung, Rollen- und Sprechtraining«.
1070
Abgesehen von der weit verbreiteten, dennoch mindestens streitbaren Wortwahl der »Literaliät«, der »Filmsprache« und der »Alphabetisierung«, sind dies alles einleuchtende und legitime Punkte. Dass »audiovisuelle Kommunikation« zwar auftaucht, aber die Befassung mit der Filmmusik beispielsweise erst als Inhalt des Musikunterrichtes genannt wird, scheint naheliegend, da Deutschlehrkräfte, so sie nicht auch Musik unterrichten, zumeist nicht die Termini und weiteren erforderlichen Kompetenzen beherrschen dürften, die erforderlich wären. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Film im Rahmen eines Filmcurriculums tatsächlich auch in den anderen Fächern gesetzt ist, wie nicht nur Müller sondern seit 2008 auch die Verfasser des Freiburger Filmcurriculums1071 zurecht befürworten. Abgesehen vielleicht von Sport und Mathematik1072 gibt es kein Fach, dass den Film allein als Medium für Fachinhalte benutzen müsste, anstatt ihn auch in dieser medialen Eigenschaft selbst zu thematisieren. Eine interdisziplinäre Koordination des Themas erscheint nicht an jeder Schule realistisch. In der Praxis ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Film weiterhin nur punktuell als Exkurs auftaucht und primär dem Fach Deutsch zugeordnet wird. Dann aber werden die Begriffe der »Dramaturgie«, der »Erzählstrukturen«, der »Figurenanalyse« und der »Narration« nicht nur rasch dominieren. Sie werden auch aus Gründen fehlender Kenntnisse leicht primär unter inhaltlichen Gesichtspunkten erfolgen. Oder aber die Ausdrucksmittel des Films werden aus Gründen des Zeitmangels und der Überprüfbarkeit von Leistungen in Form eines schnellen »Sprachkurses« eingeübt. Dies erzeugt jedoch nicht nur, wie gesagt, ein schematisch unflexibles Verständnis der Filmkunst. Wie Abraham warnt, könnte eine Verabsolutierung der semiotischen Betrachtungsweise auf Kosten jener Gefühle der SchülerInnen gehen, die zur Realität ihrer Filmrezeption gehörten.1073 Der vage mediale Definitionsstatus des Films zwischen einer Übertragungstechnik, die unter anderem auch Kunst vermitteln kann, und einem Medium
1070 I. Müller: Filmbildung in der Schule, S.136. 1071 Vgl. M. Fuchs/M. Klant/J. Pfeiffer/M. Staiger/R. Spielmann: Freiburger Filmcurriculum, S.84-90. 1072 Auch diese Ausgrenzung mag wohl nur einem Mangel an Phantasie geschuldet sein. 1073 Vgl. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.40.
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schöpferischer Phantasie als selbstständiger Kunstform erlaubt seine Integration in die bereits bestehenden Fachdisziplinen. Damit bleibt der Film aber weiterhin ein vor allem referentieller Lehrstoff und dies hauptsächlich in seiner Eigenschaft als Variante der erzählenden oder darstellenden Kunst, also ein Lehrstoff der Deutschstunde. Die fachliche Integration ohne entsprechende curriculare und programmatische Orientierung legt nahe, dass die DeutschlehrerInnen ihre neuen methodischen Kenntnisse auf die herkömmlichen Schwerpunkte des Filmeinsatzes anwenden. Zum einen wäre dies, wie gesagt, der Film als Diskussionsanlass gesellschaftlich relevanter Themen, die ebenso gut in die Zuständigkeit des Geschichts-, Ethik- oder Religionsunterricht fallen könnten, zum anderen der Medientransfer am Beispiel der Literaturverfilmung. Daraus resultieren folgende Probleme: Auch wenn eine hierarchische Wertung nicht länger intendiert ist, wird eine Adaption unvermeidlich am Erwartungshorizont des Primärmediums gemessen, die Werktreue der Storyline droht zum Hauptkriterium zu werden, wo Werktreue oder Wandel der Plotessenz und die Verschiedenheit der gestalterischen Anforderungen im Fokus stehen sollten. Anstelle der Werktreuediskussion tritt bei Filmen zu gesellschaftlich relevanten Themen die Frage nach der Authentizität der Umsetzung. Auch werden künstlerische und mediale Ausdrucksformen unter ein Primat literarischer Termini nivelliert. Hinsichtlich des medienpädagogischen und -didaktischen Diskurses wurde hier von Ausgrenzungen und Verwerfungen gesprochen, es lässt sich aber nicht von einem Verbot sprechen. Die mögliche »Gleichberechtigung« des Films gegenüber der Schriftsprache und der gesprochenen Sprache ist nicht einer Tabuisierung unterworfen (wenngleich die Hoffnung auf eine Marginalisierung der Sprache durch den Film tatsächlich im deutschen Diskurs nur vor dem Zweiten Weltkrieg noch prominent vertreten wurde).
2.25 P ERSPEKTIVEN EINER GLEICHBERECHTIGENDEN I NTEGRATION DES F ILMS
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2.25 P ERSPEKTIVEN EINER GLEICHBERECHTIGENDEN I NTEGRATION DES F ILMS ALS D IFFERENZERFAHRUNG Jutta Wermke setzte einen bedeutenden Markstein, als sie 1997 in ihrem Buch zur Integrierten Medienerziehung im Fachunterricht den Schwerpunkt bereits auf das Fach Deutsch legte. Dabei ließ sie die Kompetenzverlustthesen hinter sich, die von einem durch die audiovisuellen Medien bedingten Rückgang primärer sinnlicher Erfahrung ausgingen.1074 Im Gegenteil wurden, wie Wermke ausführt, die Naturerfahrungen bereits durch die Industrialisierung zurück- und die Nahsinne in »unserer Kultur« traditionell verdrängt: »Alte und Neue Medien können diesen Defiziten in Grenzen entgegensteuern durch Ausweitung der Erfahrungsmöglichkeiten und durch Aktivierung des Vorstellungsvermögens.«1075 Auch wird das Aufbrechen der narrativen Linearität am Beispiel des Zappens, welches noch bei Maiwald 2005, sollte es überhand nehmen, als Gefahr eines Verlustes an Fokussierung betrachtet wird,1076 hier als konstruktiver Akt der Selbstermächtigung verstanden: »Der Zapper verfährt demnach souverän, selbstbestimmend und aktiv mit dem Medium, wird als Schüler jedoch selten dafür gelobt.«1077 Der medienintegrative Deutschunterricht, dessen es dringend bedürfe, setze vielmehr die mediale »Mehrsprachigkeit« der Lehrkräfte voraus sowie die Notwendigkeit, »die unterschiedlichen Kompetenzen von Buchsozialisation und von AV- beziehungsweise Computersozialisation auch im Unterricht zu reflektieren«1078 damit Integration nicht Projektion werde. Auch Wermke benutzt noch den Begriff der »Versprachlichung«1079, aber legt Wert darauf, dass es eher die Form audiovisueller Medien und ihr künstlicher Status zu sein scheine, der im Gegensatz zu den Inhalten die Kinder und Jugendlichen affiziere, so dass »die ›Gemachtheit‹ von Medien am Buch zu thematisieren wäre«1080. Auch tritt sie für eine
1074 Wermke, Jutta: Integrierte Medienerziehung im Fachunterricht. Schwerpunkt Deutsch, München: KoPäd Verlag 1997, S.59-60. 1075 Ebd., S.61. 1076 Vgl. K. Maiwald: Wahrnehmung – Sprache - Beobachtung, S.41. 1077 J. Wermke: Integrierte Medienerziehung im Fachunterricht, S.58. 1078 Ebd., S.61. 1079 Ebd., S.63. 1080 Ebd., S.60.
340 | VERFOLGUNGSJAGDEN »gegenläufige kategoriale Ausrichtung [ein]. Da Abgrenzung und Vergleich von einfachen zu komplizierteren Bauformen [...] übliche Ansatzpunkte schulischer Rhetorik und Poetik [sind,] [...] aber Entgrenzungen und Vernetzungen Standard einer audiovisuellen Medienästhetik sind und auch populäre Produkte durch komplexe Strukturierungen auffallen, die offenbar gefallen, sind gängige Regeln curricularer Reihenfolgen zu überden1081
ken.«
Vor allem aber erscheint das Buch bei Wermke nicht länger notwendigerweise als das normative Leitmedium des Unterrichtes. Audiovisuelle (und andere) Medien können in den Dienst buchorientierten Unterrichts gestellt werden, ebenso aber kann das Verfahren umgekehrt erfolgen, wobei es im Idealfall zu einer Mehrperspektivität kommt, durch die Sprach- und Medienerziehung von einander profitieren.1082 Im Idealfall kämen so auch SchülerInnen und Schule zueinander, weil die SchülerInnen aufgrund ihrer bereits erworbenen Kompetenzen in den audiovisuellen und digitalen Medien ernstgenommen würden, zugleich aber weiterhin mit den literarischen, auch kulturell schon seit langem überlieferten Werken konfrontiert würden.1083 Freilich ist von Fall zu Fall zu differenzieren, ob literarische beziehungsweise schriftsprachliche Werke oder vielmehr deren Medien gemeint sind. Wenn von einer Überwindung der einseitigen »Buchkultur« die Rede ist, bedeutet das nicht unbedingt, dass die Mediendidaktik als Gebiet des Deutschunterrichts gleichwertig neben Literatur- und Sprachdidaktik treten soll, je nachdem geht es auch allein darum, die Schlüsselkompetenzen nicht mehr an Print- sondern (auch) digitalen Medien zu schulen (was Medienkompetenz in extremo auch auf den Erwerb einer technischen Fertigkeit verengen könnte). Da der Computer sowohl Schreiben und Lesen als auch Bild- und Filmrezeption ebenso wie -generierung ermöglicht, wird er teilweise auch zum Hoffnungsträger auf die Gestaltung eines Gesamtkunstwerkes, die an Ideen der Romantik erinnert: »Der »symmediale Deutschunterricht«, wie ihn Volker Frederking propagiert, sieht vor, dass »die im Deutschunterricht dominierende ästhetische Monokultur im Umgang mit Sprache und Literatur durch einen ästhetischen Pluralismus ersetzt [wird], der die sinnlichen Engführungen des neuzeitlich vorherrschenden literalen Paradigmas überwindet und Schüler(inne)n Raum gibt für den
1081 Ebd., S.61. 1082 Vgl. ebd., S.53. 1083 Vgl. ebd., S.51.
2.25 P ERSPEKTIVEN EINER GLEICHBERECHTIGENDEN I NTEGRATION DES F ILMS
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reflektierten Aufbau einer nicht nur printmedial verorteten ästhetischen Kompetenz.«1084 Was aber, wenn umfassende Zielvorstellungen wie eine solche synästhetische Bildung am Computer programmatisch, aber auch methodisch in die Ausbildungs- und Lehrpraxis der Lehrkräfte (noch) nicht oder nur punktuell durchdringen, auch aufgrund von Ort zu Ort weiterhin unterschiedlicher technischer Ressourcen? Was, wenn eine systematische curriculare Verankerung des Films in allen Jahrgangsstufen auf sich warten lässt? Wie lässt sich eine Didaktik, die nicht nur intertextuell, sondern auch intermedial reflektiert ist, gewährleisten, gleich ob sie schwerpunktmäßig eher zu einer literatur-, film-, sprach- oder mediendidaktischen Perspektive hin tendiert? Verschiedene der hier bereits zitierten Beiträge vor allem seit den 2000er Jahren lassen keinen Zweifel daran, dass Filme »nicht einfach neutrale Behälter für Geschichten, sondern mediale Äußerungsformen mit spezifischen Darstellungsästhetiken und Rezeptionsmustern«1085 sind. Auch Abraham stellt sehr wohl fest: »So wenig allerdings dagegen zu sagen ist, schwierige oder lange Texte durch den Einsatz der jeweiligen Verfilmung erschließbarer zu machen, so schwer wiegt die Gefahr, den Filmen dabei gar nicht eigentlich gerecht zu werden. Das Medium wird unangemessen instrumentalisiert, wenn neben den inhaltlich-stofflichen Vergleich mit einer Vorlage 1086
nicht der ästhetische Vergleich tritt. Welches Medium eignet sich wofür?«
Eine ausführliche und systematische Gegenüberstellung von Literatur und Film in einem auch ästhetischen Vergleich bleibt in Abrahams Einführung in die »Fantastik in Literatur und Film« freilich noch aus, aber der in diesem Sinne wichtige Beitrag der Einführung liegt darin, dass es in einem praxisorientierten Handbuch den Schwerpunkt verlagert, fort von dem Vergleich zwischen Literatur und filmischer Adaption hin zu einem freieren Vergleich zwischen Leitmotiven, Schlüsselfiguren und Dichotomien der fantastischen Genres. Die möglichen Bezüge potenzieren sich somit um ein vielfaches und entfernen sich von der Gefahr des rein inhaltlichen Abgleichens und einer Filmdidaktik, die nicht eigentlich aus einer literarisch oder sprachlich, sondern vielmehr einer linear orientierten Perspektive betrieben wird.
1084 V. Frederking: Symmedialität und Synästhetik, S.213-214. 1085 K. Maiwald: Ansätze zum Umgang mit dem Medienverbund im (Deutsch-) Unterricht, S.41. 1086 U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.72.
342 | VERFOLGUNGSJAGDEN
Elisabeth K. Paefgen vertrat 2002 auf dem Symposion Deutschdidaktik gegenüber Ulf Abraham noch einen erheblich konservativeren Standpunkt gegenüber der Mediendidaktik im Deutschunterricht. Auch zu diesem Anlass trat sie jedoch bereits dafür ein, sich nicht auf »sogenannte ›Literaturverfilmungen‹ [zu] beschränken; diese werden immer eine sinnvolle Rolle spielen, aber wenn die Auswahl sich allein nach der Titelidentität richtet, fallen zu viele literaturnahe und -ergiebige Filmproduktionen weg. Auch Filme, die auf den ersten Blick nichts mit Literaturstoff zu tun haben, können für das Verstehen von Literatur genutzt werden: SIE KÜSSTEN UND SIE SCHLUGEN IHN von François Truffaut und eine Erzählung über Kindheit in den fünfziger, sechziger Jahren; VERHÄNGNIS von Louis Malle und eine griechische Tragödie; IM LAUF DER ZEIT oder ALICE IN DEN STÄDTEN von Wim Wenders und eine der Geschichten aus Simple Stories von Ingo 1087
Schulze.«
Paefgen regt somit am Beispiel des europäischen »Autorenfilms« an, was Abraham später für den Genrefilm vorlegen wird. Sie beschränkt sich jedoch nicht allein auf inhaltliche Parallelen als Kriterien einer Inbezugsetzung. Ausdrücklich tritt sie für eine Schärfung der distinkten künstlerischen Ausdrucksformen durch differenzierende Gegenüberstellungen ein: »Filme sollten nicht nur nach ihren Inhalten ausgewählt und nach ihren Botschaften ausgewählt werden, wie z. B. ZWÖLF UHR MITTAGS oder DIE ZWÖLF GESCHWORENEN. Filme sollte[n] auch gerade mit Blick auf formale Experimentierfreude und neue Bild-Ton-Arrangements ausgesucht werden. So könnte man z. B. LETZTES JAHR IN MARIENBAD [...] vergleichen mit dem fragmentarisiert erzählten Roman Mutmaßungen über Jakob von Uwe Johnson. [...] Inhaltlich liegen die beiden Werke weit auseinander, 1088
unter formalen Gesichtspunkten berühren sie sich.«
Dieser Ansatz löst, wenn man ihn weiter verfolgt, auch diverse praktische Probleme des filmintegrativen Deutschunterrichts:
1087 Paefgen, Elisabeth K. zitiert nach: Soll Deutsch ein Medienfach werden? Kulturhistorische, didaktische und bildungspolitische Streitfragen. Elisabeth K. Paefgen contra Ulf Abraham. Eröffnungsdiskussion, 22.09.2002. 14. Symposion Deutschdidaktik. Friedrich-Schiller-Universität Jena. o.P. http://www.personal.uni-jena.de/ ~x9krmi/SDD2002/sonst/vortrabr.htm 1088 E. K. Paefgen: Soll Deutsch ein Medienfach werden?, o.P.
2.25 P ERSPEKTIVEN EINER GLEICHBERECHTIGENDEN I NTEGRATION DES F ILMS
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Die Lehrkräfte können auch, um nur einen singulären literarischen Aspekt zu behandeln, Filme aufgrund eines irgendwie ähnlich gearteten Gesichtspunktes als Beispiele heranziehen, und in einem intertextuellen und/oder -medialen Vergleich den SchülerInnen dabei helfen, die Profile der jeweiligen Künste zu schärfen. So können sie sich über deren jeweils unterschiedliche Vermögen bewusst werden – sofern entsprechende Grundlagen in der Lehrerausbildung erarbeitet wurden beziehungsweise entsprechende Materialien bereitstehen. Es erscheint sinnvoller, auf das jeweilige Potential von Literatur und Film nötigenfalls nur punktuell, aber dafür vertiefend hinzuweisen, als die Unterschiede zu übergehen oder in einem Schnellverfahren filmische Fachbegriffe einzuüben. SchülerInnen und Lehrkräfte können, ist die Grundstruktur einer solchen »Crossmapping«-Vernetzung erst abrufbar, flexibel entscheiden, ob sie »Arthouse«-, »Mainstream«-, »Underground«- oder was auch immer für Filme behandeln möchten. Und schließlich ist das in der Praxis drängende Zeitproblem noch in einer anderen Hinsicht reduziert, weil die ausführliche und detaillierte Kenntnis der gesamten Handlung eines Films oder auch einer literarischen Erzählung nicht in jedem Fall zwingend erforderlich ist. Die Konzentration auf die formale Gestaltung eines Motivs, Symbols, Themas oder einer Figur kann es auch erlauben, sich auf Beispiele innerhalb von Beispielen zu beschränken: Paefgen tritt dafür ein, dass Filmausschnitte oft genügen, um daran ein literarisches Erzählphänomen beziehungsweise dessen Bewältigungsproblem zu behandeln.1089 Dies lässt sich allerdings erst seit der Digitalisierung flüssig praktizieren, Alain Bergala zufolge ermöglicht die DVD eine neue Praxis des Schauens, »nämlich «ein Stück» Film zu sehen [...] und den «Filmschnipselfetischismus» auszuprobieren.«1090 Die Digitalisierung ermöglicht eigentlich erst die Praxis, die jenem Denken entspricht, das Winfried Pauleit als »Kino-Denken« benennt: »KinoDenken, das meint jenseits konkreter Filme ein assoziatives, vom Film inspiriertes Denken in Montagen von Texten, Bildern, Körpern, Tönen, Geräuschen, Geschichten, Zeiten und Räumen, die sich nicht auf ein abgeschlossenes, filmisches Artefakt zurückführen lassen.«1091
1089 E. K. Paefgen: Soll Deutsch ein Medienfach werden?, o.P. 1090 Bergala: Kino als Kunst, S.23. 1091 Pauleit, Winfried: »Diesseits der Leinwand. Differenzerfahrung als Persönlichkeitsbildung im Kino«, in: Bettina Henzler/Winfried Pauleit/Christine Rüffert/Karl-Heinz Schmid/Alfred Tews (Hg.): Vom Kino lernen. Internationale Perspektiven der Filmvermittlung./Learning from the Cinema. International Perspectives on Film Education, Berlin: Bertz + Fischer, 2010, S.29-38, hier S.30.
344 | VERFOLGUNGSJAGDEN
Der Film muss somit kein Zombie sein, also die entleerte und auf körperliche Reizreaktionen reduzierte Hülle von Literatur, die ihre Zuschauer entweder auffrisst oder infiziert, wie dies die medienpädagogische Polemik der 1980er Jahre mitunter nahelegt. Er muss auch kein Vampir sein, der in verführerischer Aufmachung und lichtscheuer Umgebung die Literatur aussaugt – ein etwas liebevollerer Vergleich, der verschiedentlich hinsichtlich des Stumm- und frühen Tonfilms angewendet wird, so bei Bronfen1092, Liptay1093 und in dem Film »Shadow of a Vampire«1094 – und schon gar nicht ein Vampir, der seine paralysierten Zuschauer ihrer Energien beraubt. Der Film kann vielmehr wie Frankensteins Monster eine aus den verschiedensten Künsten, Kameraeinstellungen und -objekten zusammengeflickte Kreatur sein, die durch Elektrizität zum Leben erweckt wird, mehr ist als die Summe ihrer Teile, und die, mächtig, aber nicht von Grund auf gefährlich, den Zuschauer so behandelt, wie sie von ihm behandelt wird. Wie könnte eine nähere Untersuchung dieser Nahtstellen nun en detail aussehen?
1092 Vgl. Bronfen, Elisabeth: »Das Kino als Vampir. Tod Brownings Dracula (1931)«, in: Stefan Keppler/Michael Will (Hg.): Der Vampirfilm Klassiker des Genres in Einzelinterpretationen, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006, S.55-72. 1093 Vgl. Liptay: »Von der Ziffer zur Vision.«, hier S.20. 1094 SHADOW OF THE VAMPIRE (UK/USA/LU 2000, R: E. Elias Merhige).
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3. LITERATUR IM FILM
3. Bedingungen
Im diesem Teil des Buches sollen konkrete Beispiele dafür gegeben werden, wie die Kunst der Literatur sich im Film manifestiert. Dabei werden keine ausführlichen Vergleiche zwischen literarischen Vorlagen und Adaptionen durchgeführt. Vielmehr wird als gemeinsamer Bezug die motivische Darstellung der Literatur im Film gewählt, also Darstellungen des Schreibens und Lesens, sowie von Büchern und Bibliotheken. Nachdem filmtheoretische und filmpädagogische Reflexionen der Literatur behandelt werden, folgen nun also Reflexionen der Literatur in filmischen Werken.
3.1 K ONVENTIONELLE D ARSTELLUNGEN LITERARISCHER W ERKGENESE IM F ILM Roland Barthes unterschied in seinem Essay »Literatur oder Geschichte« zwei in der Literaturgeschichte verbreitete Vorstellungen von literarischer Werkgenese: »Zunächst und wesentlich eine Alchemie. Es gibt auf der einen Seite die Materialien, historische, biographische, traditionelle (die Quellen), und auf der anderen Seite (denn es ist natürlich offensichtlich, daß zwischen diesen Materialien und dem Werk ein Abgrund besteht, gibt es ein Irgend etwas mit edlen und unbestimmten Namen: schöpferischer Impuls, Geheimnis der Seele, Synthese, also: das Leben. [...] So wie das Opium durch eine einschläfernde Kraft einschlafen läßt, so schafft Racine durch eine ›schöpferische Kraft‹. [...] Das Pikante ist, daß der romantische Mythos von der Inspiration (denn im Grunde ist Racines schöpferischer Elan nichts anderes als der profane Name seiner Muse) sich hier mit einem ganzen szientivischen Apparat verbündet. [...] Eine andere und nicht minder partikulare [Vorstellung] besteht darin, den Autor, seine Geliebten und seine Freunde mit
354 | VERFOLGUNGSJAGDEN seinen Personen zu identifizieren. [...] ....die fiktive Person kann nur aus einer wirklichen Person entstehen.«1095
Diesen Lesarten, die Barthes 1960 konstatierte, scheint die filmische Darstellung bis heute überwiegend zu folgen: Literatur erscheint konventionell entweder als (geringfügige) Verschlüsselung biographischer Stationen oder als Alchemie, beziehungsweise als eine der »dunklen Künste«. Diesen Varianten wird nämlich jeweils eine Wertung zuteil: Durch ein glückliches oder optimistisches Ende wird das filmische Stereotyp des Schriftstellers zumeist dann belohnt, wenn dieser »authentisch« schreibt, also seine Alltagserfahrungen unprätentiös und wahrhaftig wiedergibt. Erst dann, so die häufig suggerierte Lehre, wird er sein Publikum erreichen, anstatt allein den elitären Status eines intellektuellen Künstlers erreichen zu wollen. Erst dann wird es ihm auch gelingen, durch seine aufrichtige Beichte oder die Reflexion seiner selbst eine konstruktive Lehre für sein eigenes Verhalten zu ziehen. Diese Konvention soll im Folgenden an einem Beispiel konkretisiert werden: In »Schmeiß die Mama aus dem Zug!«1096 quält sich der Schriftsteller Larry Donner durch eine Schaffenskrise. Daher muss er sich als Lehrer für kreatives Schreiben verdingen. In einer Sequenz wird einer seiner Kurse gezeigt, wobei nacheinander die Bemühungen zweier Teilnehmer vorgeführt werden. Bei dem ersten verlesenen Beitrag handelt es sich um einen Kriegsroman, der auf einem U-Boot spielt. Die Verfasserin, Mrs. Hazeltine, setzt anstelle technischer Termini jedoch recht polyseme Vokabeln ein: »›Dive! Dive!‹ yelled the captain through the thing. So the man who makes it dive pressed a button or something and it dove, and the enemy was foiled again. ›Looks like we foiled them again‹ said Dave. ›Yeah‹, said the Captain, ›we foiled those bastards again, didn’t we, Dave?‹ ›Yeah‹ said Dave. The end«/» ›Tauchen! Tauchen, Männer!‹, so schrie der Kapitän durch das Ding. Und der Mann, der das Tauchding bedient, drückt auf einen Knopf oder so was und lässt es tauchen. Und damit waren sie dem Feind wieder entwischt.
1095 Barthes, Roland: Literatur oder Geschichte (Histoire et Littérature: à propos de Racine. Aus dem Französischen von Helmut Scheffel), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1969, S.11-35, hier S.29-30. 1096 SCHMEISS DIE MAMA AUS DEM ZUG (THROW MOMMA FROM THE TRAIN, USA 1987, R: Danny DeVito).
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Sieht aus, als ob wir dem Feind wieder entwischt sind«, sagte Dave. ›So ist es‹, sagte der Kapitän, ›wir sind diesen Schurken wieder entkommen, nicht wahr, Dave?‹ ›Ja, ja‹, sagte Dave.‹ Und Ende.«
Diesem Text folgt der Beitrag eines anderen Teilnehmers, der sich in den Augen des Kursleiters schon durch Titel und Konzept disqualifiziert: Larry Donner:
»One hundred girls, I’d like to pork. [...] Chapter One: Kathleen Turner. Chapter Two: Cybill Shephard. Chapter Three: Suzanne Pleshette, Chapter Four: The girl in the taco commercials, Chapter Five: The woman in 4-B. Chapter Six: The Oriental Laker Girl, Chapter Seven... Mr. Pinsky, this is not literature.« [...]
Mr. Pinsky:
»It’s literature... it’s fantasy. It’s my fantasy, like Melville. This is my
Mrs. Hazeltine:
»It’s wacking material.«
great white whale.« Mr. Pinksy:
»Isn’t that literature?«
Larry Donner:
»Mr. Pinsky, how do you associate ›Moby Dick‹ to a list of women you
Larry Donner:
»100 Mädchen, die ich ferkeln möchte. [...] Kapitel Eins: Kathleen
like to have sex with?«/ Turner. Kapitel Zwei: Cybill Shepherd. Kapitel Drei: Suzanne Pleshette. Kapitel Vier: Das Mädchen aus der Taco-Werbung. Kapitel Fünf: Die Frau aus 4b. Kapitel Sechs: Das Thai-Mädchen aus dem Reisebüro. Kapitel Sieben: Chris... Mr. Pinsky, das ist keine Literatur!« [...] Mr. Pinsky:
»Das ist Literatur, Phantasie. Meine Phantasie, wie bei Melville. Das ist
Mrs. Hazeltine:
»Das ist blanke Pornographie.«
Mr. Pinsky:
»Das ist keine Literatur?«
Larry Donner:
»Mr. Pinsky, wie kriegen Sie das zusammen, ›Moby Dick‹ und eine Li-
mein großer weißer Wal.«
ste von Frauen, mit denen Sie Sex haben möchten?«
Die Verteidigung Mr. Pinskys ließe sich durchaus diskutieren, doch der Film ist eher daran interessiert, den Gegensatz zwischen der profanen Onanie und der Great American Novel »Moby Dick« humoristisch auszuspielen. Zudem spricht das Ende des Films dafür, dass der Kursleiter Recht hat: Donner überwindet seine eigene Schreibblockade, indem er das ursprüngliche Romankonzept aufgibt, um die Geschichte seiner jüngsten Erlebnisse zu erzählen. Donners Kritik an Pinsky wird nicht widerlegt. Stattdessen muss Donner diese Kritik lediglich beherzigen, also nicht in Phantasien darüber schwelgen, was er erreichen möchte.
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Vielmehr soll er die ›Street Credibility‹ erlangen, durch eigene Erfahrungen zu wissen, wovon er schreibt. In seinem Kurs beschränken sich Donners Ratschläge auf den Appell zu mehr Authentizität. So kritisiert er Mrs. Hazeltine nicht mit dem Verweis auf sprachliche Abwechslungslosigkeit, sondern auf eine ungründliche Recherche zu U-Boot-Technik: »Otherwise it was very good. It was very real.«/»Aber sonst war es... war es recht gut. Wie soll ich sagen, durchaus realistisch.« Es werden jedoch keine weiteren Auseinandersetzungen über Stil oder formale Aspekte in dem Kurs gezeigt. Auch bleibt der Autor unter seinesgleichen sozial isoliert. Er gehört weder einer literarischen Strömung oder Denkschule, noch Künstlerfreundschaften oder gar -kollektiven an. Sein Verhältnis zu anderen veröffentlichten Schriftstellern ist im Gegenteil von neidvoller Konkurrenz oder geistigem Diebstahl gekennzeichnet. Gleichwohl droht Donner an einer stilistischen Herausforderung zu scheitern: Er fixiert sich auf den perfekten ersten Satz, anstatt umstandslos die Handlung seines Textes »herunterzuschreiben«. Dies gelingt ihm erst, indem er seine ästhetischen Erwägungen und damit seine Entscheidungsschwäche überwindet. Der Roman, den er schließlich erfolgreich veröffentlicht, ist offenbar eher ein Bericht über ein verlängertes »Wochenenderlebnis«. Bis dahin wird der Lehrer für kreatives Schreiben durch seine Schaffenskrise für die Hybris einer angemaßten geistigen Autorität bestraft. Er erscheint als passiv aggressiv, sozial gehemmt und verbittert über das Desinteresse der Öffentlichkeit. Als Ursache und Resultat dieser Eigenschaften wird sein abstraktes Denken ausgemacht. Dieses wird jedoch nicht vermittels einer Reflexion über Sprache dargestellt, sondern vermittels von Unproduktivität und in Snobismus kompensierter Erfolgslosigkeit. Repräsentiert Donner die akademische Perspektive auf Literatur, so erscheint diese als hohl und substanzlos. Der unkreative Ästhetizist als Literaturlehrer ist eine konventionelle Filmfigur. An ihr wird die vermeintliche Scharlatanerie der Moderne aufgezeigt – dies hat dieses Stereotyp mit der populären Figur des psychopathischen Psychiaters gemein. Die um Autonomie bemühte Kunst, die nicht mehr in verbindlichen Traditionszusammenhängen aufgehoben zu sein scheint1097, wird parallel zur Psychologie als eine der Irrlehren der Säkularisierung dargestellt.
1097 Vgl. Apel, Friedmar: Deutscher Geist und deutsche Landschaft. Eine Topographie, München: Albrecht Knaus Verlag 1998, S.11./Wellmer, Albrecht: »Adorno, die Moderne und das Erhabene«, in: Albrecht Wellmer: Endspiele. Die unversöhnliche Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1999, S.178-203, hier S.180./ Hetzer, Theodor: »Francisco Goya und die Krise der Kunst um 1800 [1932]«, in:
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Die Figur des Literaturlehrers eignet sich dazu gegenüber derjenigen des nicht akademisch angebundenen Schriftstellers in pointierter Form. Aber auch andere Schriftstellerfiguren müssen das in Spielfilmen verbreiteten Erfolgsrezept verinnerlichen: »Im Anfang ist die Tat!« Als weitere Beispiele seien hier in einer kleinen Auswahl genannt: »Basic Instinct«1098, »Erbarmungslos«1099, »Bullets Over Broadway«1100, »Shakespeare in Love«1101, Die Wonder Boys«1102, »Storytelling«1103, »Nix wie raus aus Orange County«1104, »Before Sunset«1105, »Der Tintenfisch und der Wal«1106, »Brothers Grimm«1107, »World’s Greatest Dad«1108 und »7 Psychos«1109. Es erscheint nun naheliegend, im kommerziellen Spielfilm ideologische Gründe für diese Darstellungskonventionen zu finden: Der Schriftsteller soll ein Produkt herstellen, er darf sich nicht zu lange dem Austausch mit der Gesellschaft, also dem Literaturmarkt entziehen. Für einen produktiven Arbeitsprozess muss der Autor zudem regelmäßig selbst reale Güter konsumieren. Diese Ökonomie der Literatur im Film ist insofern parallel zu anderen Darstellungen der Ökonomie im Film, in denen die »ehrliche« Realwirtschaft noch an die Produktion materieller Güter gebunden ist und oft im Familienbetrieb hergestellt wird. Ihr gegenübergestellt wird die »verantwortungslose« Finanzwirtschaft, die mit abstrakten Werten spekuliert.1110 Der Fertigstellung des Produktes ist, auch in »Schmeiß die Mama
Gertrude Berthold (Hg.): Schriften Theodor Hetzers. Band 9. Zur Geschichte des Bildes von der Antike bis Cézanne. Stuttgart: Urachhaus Verlag 1998, S.177-198. 1098 BASIC INSTINCT (USA/FR 1992, R: Paul Verhoeven). 1099 ERBARMUNGSLOS (UNFORGIVEN, USA 1992, R: Clint Eastwood). 1100 BULLETS OVER BROADWAY (USA 1994, Regie, Woody Allen). 1101 SHAKESPEARE IN LOVE (UK 1998, R: John Madden). 1102 DIE WONDER BOYS (WONDER BOYS, USA/DE/UK/JP 2000, R: Curtis Hanson). 1103 STORYTELLING (USA 2001, R. Todd Solondz). 1104 NIX WIE RAUS AUS ORANGE COUNTY (ORANGE COUNTY, USA 2002, R: Jake Kasdan). 1105 BEFORE SUNSET (USA 2004, R: Richard Linklater). 1106 DER TINTENFISCH UND DER WAL (THE SQUID AND THE WHALE, USA 2005, R: Noah Baumbach). 1107 BROTHERS GRIMM (THE BROTHERS GRIMM, USA/UK/CZ 2005, R: Terry Gilliam). 1108 WORLD’S GREATEST DAD (USA 2009, R: Bobcat Goldthwait). 1109 7 PSYCHOS (SEVEN PSYCHOPATHS, USA 2012, R: Martin McDonaugh). 1110 Vgl. WALL STREET (USA 1987, R: Oliver Stone)./PRETTY WOMAN (USA 1990, R: Gary Marschall).
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aus dem Zug«, die Resozialisierung des Schriftstellers in eine hoffnungsvolle Zweierbeziehung oder in die Familie beigefügt, also in die »Keimzelle des Staates«: Larry kommt nach der Veröffentlichung wieder mit seiner Freundin Beth zusammen, von der er sich in seiner Schreibkrise entfremdet hat. Zudem wird er von einem seiner Schüler, dem kindlichen Owen geläutert. Dieser Konvention ist auch eine populistische Komponente inhärent, nämlich in Hinblick auf das von der Filmindustrie vorgesehene Massenpublikum: Der weltfremde Intellektuelle wird gedemütigt und vorgeführt, bis er vom ›einfachen Volk‹ lernt und sich den gesetzten bürgerlichen Normen anpasst. Zudem reflektiert sich in Larry Donners Konflikt die Aufgabe des leicht nachvollziehbaren Geschichtenerzählens, die den Drehbuchautoren von der Industrie zugewiesen wird. Der konventionelle Lernprozess der Schriftstellerfigur ließe sich sozusagen als Akt öffentlicher Selbstkritik betrachten – oder auch als Diffamierung all jener Schriftsteller, die nicht den Gesetzen der Drehbuchdramaturgie folgen, wie sie von Robert McKee in dem programmatisch betitelten Handbuch »Story«1111 verbreitet werden: »Die Wissenschaft, einst die große Erläuterin, verzerrt das Leben durch ihre Komplexität und stiftet Verwirrung. Wer kann ohne Zynismus Ökonomen, Soziologen, Politikern zuhören? Religion ist für viele zu einem leeren Ritual geworden, hinter dem sich Heuchelei verbirgt. Da unser Glaube an traditionelle Ideologien abnimmt, wenden wir uns der Quelle 1112
zu, an die wir immer noch glauben: der Kunst der Story.«
Larry Donner beschließt seinen Kurs mit den Worten: »Remember, a writer... writes always.« Bemerkenswerterweise wird diese Äußerung in der deutschen Synchronfassung noch um einen Satz ergänzt: »Sie müssen sich immer vor Augen halten: Schreiben kommt vom Schreiben. Auch Hemingway hat mit Kurzgeschichten angefangen.« Auch wenn Hemingway in der englischen Originalfassung nicht genannt wird, so ließe sich doch fragen, ob »Schmeiß die Mama aus dem Zug« ein verkürztes Verständnis des modernen Realismus zum Ausdruck bringt. Larry Donner wird in zwei Sequenzen dabei dargestellt, wie er über den ersten Satz seines Werkes sinniert. Die erste ist zugleich die Eröffnungssequenz des
1111 McKee, Robert: Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens (Story. Substance, Structure, Style and the Principle of Screenwriting. Aus dem Englischen von Eva Brückner-Tuckwiller, Kosef Zobel und Katharina Broich), Berlin: Alexander Verlag 2004. 1112 Ebd., S.19.
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Films: »The night was...« Diese Worte sind in einer Detailaufnahme des in die Schreibmaschine eingespannten Blattes zu sehen. In einer abrupten Abfolge von Jump Cuts bei statischer Kamera wird daraufhin Donner dabei gezeigt, wie er die begonnene Seite wieder fortwirft, auf die Schreibmaschine starrt, aus dem Fenster sieht, sich auf der Schreibmaschine aufstützt, zu einer Seite Papier greift, sie dann aber doch zurücklegt, sich in seinem Stuhl zurücklehnt, eine neue Seite einspannt und diese sofort wieder fortwirft. Dieser Vorgang wiederholt sich in zwei Einstellungen, wobei Donner seine Wurfbewegungen sportlich variiert. Eine Nahaufnahme zeigt den mittlerweile überfüllten Papierkorb. Die nächsten Einstellungen sind wieder aus der statischen Kameraperspektive auf den Schreibtisch aufgenommen. Donner holt sich zunächst Tee, wobei er ausführlich den Beutel in die Tasse stippt. In der nächsten Einstellung fügt er eine klare, der Glasform zufolge mutmaßlich alkoholische Flüssigkeit hinzu. Schließlich erscheint er nach einem weiteren Jump Cut mit einen Schwamm. Donner wischt zunächst den Tisch, dann die Schreibmaschine ab. Es folgt eine Nahaufnahme des eingespannten Blattes. Donner hat keine Fortschritte gemacht: »The night was...« Eine weitere Nahaufnahme zeigt eine Klebefilmrolle, dann ist Donner zu sehen, wie er sich mit dem Klebefilm das Gesicht zu einer Fratze verklebt (»The phantom of the novel«, murmelt er dabei). Schließlich greift er zur Bedienung des Fernsehers, womit der Arbeitsprozess endet. Die Statik der Kamera in den Einstellungen von Donner lässt ihn im Bildkader hinter seinem Schreibtisch gefangen erscheinen. Auch der Roman selbst bleibt in demselben Stadium, worauf die beiden Großaufnahmen überdeutlich verweisen. Die drei Worte wirken übermächtig in ihrer Präsenz, wie auch der Papierkorb und der Kleberollenspender gegenüber Donner und seinem Arbeitsplatz überproportionale Bedeutung annehmen. Trotz der ansonsten statischen Kamera wird hier Zeit elliptisch in der Montage gerafft. Die harten Jump Cuts verdeutlichen jedoch, dass Donner sich nicht im Schreibfluss befindet. Die Fixierung auf Worte, Papierkorb und Klebefilm führen vielmehr zu einer temporären Dissoziation seines Zustandes. Die Worte blicken auf Donner zurück, der daraufhin versucht, seinen Blick auf andere Objekte zu lenken. Er wird so sehr von der Objektwelt beherrscht, dass er schließlich seine menschliche Identität zu verlieren droht. In einer selbstironischen Performance entstellt er sich zum »Phantom des Romans«, womit er auf den missgestalteten, einsamen Künstler aus Gaston Leroux’ Roman »Das Phantom der Oper«1113 rekurriert1114.
1113 Leroux, Gaston: Das Phantom der Oper (Le Fantôme de l’Opéra. Aus dem Französischen von Johannes Piron), München/Wien: Carl Hanser Verlag 1988.
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In Hemingways »Paris – Ein Fest fürs Leben« steht über das Gelingen der literarischen Arbeit zu lesen: »All you have to do is write one true sentence. Write the truest sentence that you know. [...] If I started to write elaborately, or like someone introducing or presenting something, I found that I could cut the scrollwork or ornament out and throw it away and start with the first true simple declarative sentence I had written. Up in that room I decided that I would write one story about each thing that I knew about.
1115
/
Alles was du tun mußt, ist, einen wahren Satz zu schreiben. Schreib den wahrsten Satz, den du weißt. [...] Wenn ich anfing, sorgsam ausgearbeitete Sätze zu schreiben oder zu schreiben wie jemand, der etwas einleiten will oder darstellen möchte, fand ich, daß ich die Schnörkel oder Verzierungen wegschneiden oder fortwerfen konnte und mit dem ersten, wahren einfachen Aussagesatz, den ich geschrieben habe, anfangen konnte. Oben in jenem Zimmer beschloß ich, über jede Sache, über die ich Bescheid wußte, eine Story zu 1116
schreiben.«
In einer naiven Rezeption dieses Diktums scheint in »Schmeiß die Mama aus dem Zug« (repräsentativ für eine Fülle weiterer Schriftstellerfilme) Wahrhaftigkeit mit Wirklichkeit verwechselt zu werden. »Was jedoch ist das Wirkliche? [...] das Wirkliche ist immer nur eine Interferenz. Wenn man behauptet, man kopiere das Wirkliche, heißt das, daß man eine ganz bestimmte Interferenz wählt. [...] ...die Literatur ist weit davon entfernt, eine analogische Kopie des Wirk1117
lichen zu sein, sie ist im Gegenteil das Bewußtsein vom Irrealen der Sprache.«
Der Schriftsteller als Filmfigur muss hingegen ein »Method Actor« sein, kein Erfinder, aber auch kein Finder, vielmehr ein Nachempfinder seiner selbst (ohne
1114 Beziehungsweise auf Lon Chaneys Interpretation der Rolle in DAS PHANTOM DER OPER (THE PHANTOM OF THE OPERA, USA 1925, R: Rupert Julian). 1115 Hemingway, Ernest: A Moveable Feast. London: Arrow Books 2004, S.7. 1116 Hemingway, Ernest: Paris – Ein Fest fürs Leben (A Moveable Feast. Aus dem Englischen von Annemarie Horschitz-Horst.), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009, S.16-17. 1117 Barthes, Roland: »Literatur heute. Interview in Tel Quel. 1960«, Nr. 7, in: Literatur oder Geschichte (Histoire et Littérature: à propos de Racine. Aus dem Französischen von Helmut Scheffel), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1969, S.70-84, hier S.81-82.
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die differenzierte Bedeutung, die an den aristotelischen Begriff der mimêsis geknüpft ist). Doch sollte über diese ökonomischen und kulturgeschichtlichen Erklärungsansätze für diese Konvention nicht ein weiteres Motiv unerwähnt bleiben. Es liegt in den jeweiligen medienspezifischen Möglichkeiten und Grenzen der Literatur und des Films begründet. Denn welche Optionen zur Darstellung literarischen Arbeitens stehen im Spielfilm überhaupt zur Verfügung? »In Künstlerfilmen, in deren Mittelpunkt Musiker, Maler oder Fotografen stehen, kann man den Beruf, die künstlerische Arbeit, durch Instrument und Musik vermitteln, durch die Ausdruckskraft von Farben oder Szene, in denen der Fotograf bei der Arbeit [...] gezeigt wird. Wie aber ist die Entstehung von Literatur bildlich darstellbar? [...] ...wenn das Geschriebene nicht zum Teil der Handlung oder der Künstler zum Protagonisten wird, der selbst vorliest 1118
oder erzählt, erfährt der Zuschauer nicht, was der Inhalt seines Werkes ist.«
Freilich wäre ein Film, in dem über längere Passagen ein Text verlesen wird (ob nun on- oder off-screen) durchaus umzusetzen.1119 Dies widerspräche aber den Erwartungen des impliziten Publikums ebenso wie den Grundsätzen, die sich in den ersten vierzig Jahren des Kinos herausgebildet haben: Zunächst in der Emanzipation der bildlichen Darstellung von den Zwischentiteln des Stummfilms, später in der Emanzipation von der theaterhaften Dialoglastigkeit des frühen Tonfilms. Alfred Hitchcock (den Larry Donner in »Schmeiß die Mama aus dem Zug« einem seiner Schüler als Vorbild für kausallogisches Erzählen empfiehlt) fasste diese Grundsätze wie folgt zusammen: »Wenn man im Kino eine Geschichte erzählt, sollte man nur den Dialog verwenden, wenn es anders nicht geht. [...] Die Folge ist [sonst] das Verschwinden des filmischen Stils und auch ein Schwund an Phantasie. Wenn man einen Film schreibt, kommt es darauf an, den Dialog und die visuellen Elemente säuberlich zu trennen und, wann immer es möglich ist, 1120
dem Visuellen den Vorrang zu geben vor dem Dialog.«
Die Zurückhaltung gegenüber langen, gesprochenen Textpassagen kennzeichnet nicht nur das kommerzielle Genrekino, sondern ist argumentativ mit der Entwick-
1118 Netzow, Kirsten: Schriftstellerfilme, Berlin: Autorenhaus Verlag 2005, S.9. 1119 Ein Beispiel wäre etwa: HAMBURGER LEKTIONEN (DE 2006, R: Romuald Karmakar). Dieser Film zeigt ausschließlich eine Lesung. 1120 Hitchcok, Alfred zitiert nach: F. Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S.53-54.
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lung des Films als einer eigenständigen Kunstform verknüpft. Literarische, zumal erzählerische Texte müssten entweder in ein tautologisches Verhältnis zu den Bildern treten oder in eine dialektische Beziehung (etwa, um einen unzuverlässigen Erzähler zu demaskieren, wobei der Film in der Regel die Erzählung der Bildebene bestätigt). In der Regel sind daher auf der Tonspur eher lyrische Texte in begrenztem Umfang zu finden, zumeist Songtexte. Verfasser von erzählender Literatur werden hingegen zumeist nur bei der Recherche für ihre Werke gezeigt beziehungsweise, wie im Fall von »Schmeiß die Mama aus dem Zug« bei der unfreiwilligen Ideenfindung. Diese Werke müssen daher mehr oder weniger identisch mit der gezeigten Handlung sein, damit das Publikum sie überhaupt beurteilen kann. Der Erfolg des Autors zum Filmschluss ist damit also auch als Eigenlob der Filmschaffenden auslegbar. Er ist eine nachträgliche Einschwörung des Publikums auf die Tragfähigkeit des soeben (z. B. mit der Kinokarte) erstandenen Produktes. Dort, wo der Schreibprozess selbst gezeigt wird, erfährt der Zuschauer kaum je mehr als den ersten Satz des Textes. Schreiben wird in der Regel ex negativo dargestellt, weil das Ringen um einen Satz sich leichter bebildern lässt. Gemäßer als das Tippen auf eine Tastatur sind dem audiovisuellen Medium die Szenarien der Prokrastination, die sich aus der Schreibblockade ergeben. Diese kann sich in erotischen Phantasien1121 ebenso entladen wie in Gewaltakten.1122 Mit einem Mord endet beinahe auch die schöpferische Krise Larry Donners in »Schmeiß die Mama aus dem Zug«. Donner wird noch in einer zweiten Sequenz bei seiner schriftstellerischen Arbeit gezeigt. Im Selbstgespräch hält er folgenden Monolog: »The night was hot. Wait, no. The night... the night was... humid. The night was humid. Wait, no. Hot, the night was hot. The night was hot and wet. Wet and hot. The night was wet and hot, hot and wet. Wet and hot, that’s humid. The night was humid. Maybe, the night isn’t humid. See, maybe... maybe the night isn’t humid. Maybe it was humid in the morning and the night was cold. That gives you fog. Ah, the night was foggy. The night was... The night was... The night was... The night... The night was dry, yet it was raining. The... The.. The streets were wet, but the night was as bright as the earrings in Margaret Donner’s ears! My god, I’m going out of my mind! Fuck it! The night was humid. That’s it and that’s all!/ »Die Nacht war heiß. Nein, quatsch. Die Nacht... die Nacht war schwül. Die Nacht war schwül. Nein, schwül war sie auch nicht. Die... heiß... heiß... Die Nacht war heiß... Die
1121 Vgl. ICH SEHE DEN MANN DEINER TRÄUME (YOU WILL MEET A TALL DARK STRANGER, USA/ESP 2010, R: Woody Allen). 1122 Vgl. SHINING.
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Nacht war heiß und feucht. Heißfeucht, feucht und heiß. Die Nacht war feucht und heiß, heiß und feucht. Feucht und heiß, das ist schwül. Die Nacht war schwül. Aber wenn die Nacht nun gar nicht schwül war. Nehmen wir mal an, äh... nehmen wir mal an, äh, die Nacht war gar nicht schwül, vielleicht war’s am Morgen schwül und nachts war es kalt. Das würde Nebel bedeuten. Aha! Die Nacht war nebelig. Die Nacht! Die Nacht war... Die Nacht war... Die Nacht war... Die Nacht... Die Nacht war trocken und es regnete. Die... Die Stra... Die Straßen waren nass, aber die Nacht war eine strahlende Pracht, wie die Ohrringe in Margaret Donners Ohrläppchen! Oh Gott, oh Gott, ich dreh’ noch durch! Scheiße! Die Nacht war schwül! Schwül war sie, ein für alle mal! Ahh!«
Dieses Mal sitzt Donner nicht an seinem Schreibtisch, sondern läuft in seiner Wohnung auf und ab. Eine Einstellung zeigt ihn dabei, wie er wiederholt frontal auf die Kamera und dann wieder in den Bildhintergrund zurückläuft, wobei die Kamera ihm folgt. Daran schließt sich eine Einstellung an, in der die Kamera ihn mit einem Schwenk von der Seite aufnimmt. Donner läuft von der rechten Bildseite auf die linke Bildseite hinzu, an der er sich in einem Wandspiegel anspricht: »Nehmen wir mal an, äh, die Nacht war gar nicht schwül...« Die beiden Einstellungen bleiben weiterhin jeweils statisch in derselben Kameraperspektive. Die Bewegungen der Kamera und des Protagonisten bringen aber Unruhe in den Kader. Donner läuft wie ein gefangenes Raubtier in seiner Wohnung und im Bildausschnitt auf und ab. Eine dritte Einstellung zeigt Donner im Bildhintergrund. Er steht vor einem Duschvorhang, wobei am linken Bildrand weiterhin sein Spiegelbild zu sehen ist. Der Spiegel ist ein einfaches Symbol von Donners Dissoziation im Selbstgespräch. »Schmeiß die Mama aus dem Zug« ist von Anspielungen auf Hitchcocks Filmwerk durchsetzt; auch wenn der Duschvorhang nicht unbedingt auf die Mordsequenz in »Psycho« verweisen muss, so liegt die Assoziation doch auch nicht fern. Schließlich steigert sich Donner so sehr in sein Selbstgespräch, dass er die Nacht mit den Ohrringen seiner Exfrau vergleicht – jenen Ohrringen, die sie sich nur leisten konnte, weil sie Donners letztes Werk erfolgreich plagiiert hat. Donner trägt sich mit Mordphantasien bezüglich seiner Exfrau und läuft in diesem Moment händeringend auf die Kamera zu: »[I]ch dreh noch durch!« Mit einem Fluch setzt er sich wieder hinter die Schreibmaschine, wobei er nun in der Untersicht zu sehen ist. Donner scheint damit zwar seine Arbeitsmaterialien zu beherrschen, doch die Tiefenstaffelung im Raum gibt ein anderes Signal: Die Schreibmaschine ist übergroß im Vordergrund zu sehen, das Blatt Papier etwas kleiner darüber und erst darüber und dahinter erscheint, sehr viel kleiner, Donners Kopf. Das Bild erweckt somit den Eindruck, als würde der Kopf aus der Schreibmaschine hervorragen, als sei der verhinderte Schriftsteller ebenso darin
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eingespannt wie das Papier. Zuletzt zeigt die Kamera Donners Arbeitsplatz dann auch aus der Obersicht, wobei Donner selbst mit einem Aufatmen an die Decke (also in die Kamera schaut) – als wolle er seinem Schöpfer danken. Doch im Gegenschnitt ist dann nur Donners Schüler Owen an dessen Arbeitsplatz zu sehen. Owen wird Donners vermeintliche Erlösung konterkarieren, indem er gleichzeitig auf exakt denselben klischeehaften Anfangssatz kommt. Bald darauf werden beide gemeinsam versuchen, Donners Exfrau und Owens dominante Mutter zu ermorden. Erst diese (letztlich erfolglose) Handlung verhilft Donner zu seinem Roman (und Owen immerhin zu einen Aufklapp-Bilderbuch). Das Schreiben allein genügt Donner nicht, um seine inneren Dämonen zu exorzieren. Er muss vielmehr die Welt jenseits von Schreibtisch und Seminarraum betreten, seinen Konflikt darin lösen und erfolgreich wieder zurückkehren, um anzuwenden, was er gelernt hat. Es gibt noch eine andere verbreitete Möglichkeit, das Schreiben von Erzählliteratur im Film zu visualisieren. Sie entspricht dem zweiten konventionellen Verständnis von literarischen Werken, wie es Roland Barthes genannt hat: der Literatur als Erzeugnis von Alchemie beziehungsweise eines Musenkusses oder auch einer dämonischen Besessenheit. Zumeist wird das Verfassen von Literatur hier als gefahrvolles Eindringen in eine andere Dimension dargestellt. Aufgrund des Primats der filmischen Mittel ist es dem Schriftsteller im Film nicht erlaubt, seine Sprache differenziert durch Sprache zu hinterfragen. So er nicht aus dem eigenen Leben schöpft, muss er also eine phantastische Parallelwelt erschaffen, die mit den Mitteln des Films veranschaulicht werden kann. Die Rede ist hier also davon, die Ebene der literarischen Erzählung im Film als weitere Realitätsebene, soll heißen als Binnenerzählung oder parallelen Handlungsstrang zu zeigen. Die Konstruktion dieser Welt wird auf der Handlungsebene des Films nicht explizit thematisiert; der Schriftsteller ordnet also zum Beispiel seine Stilmittel nicht in ihrem Verhältnis zum Symbolismus ein oder kommentiert gar diese Mittel in Hinblick auf ihre Markttauglichkeit. Diese zweite Ebene unterscheidet sich entweder deutlich erkennbar von der ersten oder sie vermischt sich im Laufe des Films auf eine für den Protagonisten irritierende Weise mit der ersten Ebene. In beinahe jedem Fall aber ergibt sich aus Distanz oder Nähe der Ebenen zueinander ein Konflikt für den Schriftsteller. Dieses Wechselverhältnis zweier Welten erinnert nicht von ungefähr an Todorows Definition der phantastischen Literatur1123. Da es sich eben nicht um Erzählwelten,
1123 Vgl Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur (Introduction à la littérature fantastique. Aus dem Französischen von Karin Kersten, Senta Metz und Caroline Neubaur), Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 1992.
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sondern um andere Dimensionen handelt, droht dem Schriftsteller (oder, wenn auch seltener, der Schriftstellerin), von diesen Welten aufgesogen zu werden. Andernfalls droht ihm die umgekehrte Gefahr, die Bewohner dieser Sphären in seine Realität zu entlassen. Als Filmbeispiele für diese Konvention seien hier in einer kleinen Auswahl genannt: Die Thriller und Horrorfilme »Das Wachsfigurenkabinett«1124, »Kafka«1125, »Die Mächte des Wahnsinns«1126, »Zimmer 1408«1127, »Antichrist«1128, »Sinister«1129, sowie die Komödien »Harry außer sich«1130, »Schräger als Fiktion«1131, »Midnight in Paris«1132, »Ruby Sparks – Meine fabelhafte Freundin«1133. Die entfesselte Phantasie eines Schriftstellers hat demnach im Film konventionell etwas Bedrohliches oder Lächerliches an sich, wenn sie sich zu weit von seinen Erfahrungen in der Alltagsrealität entfernt.1134 Das ergibt sich schon aus dem diesem Kontrast innewohnenden Konfliktpotential des Films. In »Schmeiß die Mama aus dem Zug« drohen die Mordphantasien Donners und Owens Realität zu werden. Zuletzt setzt sich aber ihr Bürger- und Familiensinn durch, so dass umgekehrt die realen Erfahrungen wieder zu Papier gebracht werden können. Zwar ist der Vampirismus des Kunstwerks an seinem Schöpfer oder seinem Modell ein Motiv, das sich zu Edgar Allan Poe zurückverfolgen lässt, doch deshalb sind die hier genannten Filme noch nicht in der Tradition des Symbolismus zu verorten. Da der Realitätsverlust überwiegend negativ dargestellt wird, handelt es sich vielmehr um eine gegenseitige Ergänzung der beiden Motivstränge konventioneller Schriftstellerfilme: »Authentisches Schreiben« nah an der Lebenswelt, ist »gutes« Schreiben, Phantasmen werden bestraft.
1124 DAS WACHSFIGURENKABINETT (DE 1924, R: Paul Leni, Leo Birinsky). 1125 KAFKA (FR/USA 1991, R: Steven Soderbergh). 1126 DIE MÄCHTE DES WAHNSINNS (IN THE MOUTH OF MADNESS, USA 1994, R: John Carpenter). 1127 ZIMMER 1408 (1408, USA 2007. R: Mikael Håfström). 1128 ANTICHRIST (DK/DE/FR/SE/IT/PL 2009, R: Lars von Trier). 1129 SINISTER (USA/UK 2012, R: Scott Derrickson). 1130 HARRY AUSSER SICH (DECONSTRUCTING HARRY, USA 1997, R: Woody Allen). 1131 SCHRÄGER ALS FIKTION (STRANGER THAN FICTION, USA 2006, R: Marc Forster). 1132 MIDNIGHT IN PARIS (ESP/USA 2011, R: Woody Allen). 1133 RUBY SPARKS – MEINE FABELHAFTE FREUNDIN (RUBY SPARKS, USA 2012, R: Jonathan Dayton/Valerie Faris). 1134 BARTON FINK (USA 1991, R: Joel Coen) bewegt sich beispielsweise zwischen Komödie und Horrorfilm.
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ALS
F ILMFIGUREN
Parallele Konventionen lassen sich in der filmischen Darstellung des Lesens finden. Literatur ist in beiden Fällen der Schlüssel zur persönlichen Entwicklung. Das Schreiben dient jedoch eher zur Aufarbeitung von Vergangenheit und die Schriftsteller werden dementsprechend oft in der Midlife Crisis vorgestellt. Als lesende Protagonisten sind hingegen häufig Schüler und Schülerinnen zu sehen (sicher auch, weil es sich um eine Kulturtechnik handelt, die im Kinder- und Jugendfilm als wünschenswert propagiert wird).1135 Dieser Umstand lässt das Lesen als zukunftsorientierten Initiationsritus erscheinen. Seiner lebensverändernden Wirkung wird dabei bemerkenswert große Macht beigemessen, umso mehr, wenn die Parallele des Lesers im Film zu der Rezeptionshaltung des Filmpublikums herausgearbeitet wird, explizit durch die Protagonistin selbst etwa in »Einfach zu haben« (siehe Abb. 36 u. Abb. 37). Bemerkenswerterweise sind es gerade die sogenannten Qualitätsfernsehserien, die in den Feuilletons als letigime Fortsetzung der Romane des 19. Jahrhunderts betrachtet wurden, in denen das Lesen oft eine geringere Wertigkeit einnimmt. Literatur kommt in Serien wie »Boardwalk Empire«1136, »The Wire«1137 oder »Die Sopranos«1138 zwar als Prestigeobjekt des gesellschaftlichen Aufstieges vor, der jedoch gerade an diesem Bildungsgut an seine Grenzen stößt. Bücher sollen Medien des Austausches zwischen den sozialen Milieus werden; anders als in den Schriftstellerfilmen scheitert jedoch diese Kommunikation bereits im Anflug. Carmela Soprano, die durch die Mafiageschäfte ihres Mannes zu Wohlstand gekommene Kleinbürgerin, versteht »Madame Bovary« 1139 nicht, mit denen der Literaturprofessor ihres Sohnes sie für sich gewinnen möchte, aber als sie mit ihm schläft, erhält der Essay ihres Kindes eine gute Note (die Episode trägt im Original den zynischen Titel »Sentimental Education«1140). Bereits zu Schulzei-
1135 Vgl. z. B.: SIEBEN SOMMERSPROSSEN (DDR 1978, R: Hermann Zschoche)/DER CLUB DER TOTEN DICHTER (DEAD POETS SOCIETY, USA 1989, R: Peter Weir)/MR. BILL (RENAISSANCE MAN, USA 1994, R: Penny Marshall)/FORRESTER – GEFUNDEN! (FINDING FORRESTER, USA 2000, R: Gus Van Sant.)/DONNIE DARKO/EINFACH ZU HABEN (EASY A, USA 2010, R: Will Gluck) 1136 BOARDWALK EMPIRE (USA 2010-2014, Creator: Terence Winter) 1137 THE WIRE (USA 2002-2008, Creator: David Simon) 1138 DIE SOPRANOS (THE SOPRANOS, USA 1999-2007, Creator: David Chase) 1139 Vgl. Flaubert, Gustave: Madame Bovary. 1140 DIE SOPRANOS, SE 05, EP 06: BITTERE LEHREN (THE SOPRANOS, SE 05, EP 06: SENTIMENTAL EDUCATION, USA 2004, Regie: Peter Bogdanovich)
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ten ihres Sohnes1141 hat sie darüber geklagt, dass im Unterricht »Billy Budd«1142 als Werk über Homosexualität gelehrt wurde. Ein afroamerikanisches Straßenmädchen in Baltimore erwidert in »The Wi1143 re« , als ein weißer Tourist sie nach dem »Poe House« fragt, »Look around you, every house around you is a poe house« (sie meint damit die SlangAbkürzung von „Poverty“). Der Dealer Stringer Bell, der seinen Drogenhandel zu einem bürgerlichen Geschäft aufwerten möchte und Universitätskurse besucht, wird schon bald erschossen, bei der Durchsuchung seines Hauses 1144 finden die Polizisten eine Ausgabe von »The Wealth of Nations«1145. Die Journalisten in »The Wire« versuchen ihrerseits unter dem okönomischen Druck auf des Zeitungswesen ihren Reportagen einen »Dickensian Aspect«1146 zu verleihen, was sich jedoch in sentimentalen Verzerrungen der Realität niederschlägt. In »Boardwalk Empire«1147 kann der afroamerikanische Alkoholschmuggler Chalky White seiner Familie zwar ein für die 1920er Jahre untypisches Leben in Wohlstand bieten. Er will jedoch vor dieser Familie geheimhalten, dass er das Buch, das sein Sohn ihm geschenkt hat, nicht lesen kann. Auch vor seinen afroamerikanischen Mithäftlingen gibt er vor, es handele sich um »Tom Sawyer« 1148; tatsächlich ist es »David Copperfield«1149 von Charles Dickens.
1141 DIE SOPRANOS, SE 04, EP 12: BEI ELOISE (THE SOPRANOS, SE 04, EP 12: ELOISE, USA 2004, Regie: James Hayman) 1142 Vgl. Melville, Herman: Billy Budd (Aus dem Amerikanischen von Peter Gan). Hamburg: Edition Maritim 2002. 1143 THE WIRE, SE 03, EP 02: BEI ALLEM RESPEKT (THE WIRE, SE 03, EP 02: ALL DUE RESPECT, USA 2004, R: Steve Shill) 1144 THE WIRE, SE 03, EP 12: LETZTE WAHRHEIT (THE WIRE, SE 03, EP 12: MISSION ACCOMPLISHED, USA 2004, R: Ernest Dickerson) 1145 Vgl. Smith, Adam: Der Wohlstand der Nationen (An Inquiry into the Nature and Cause of the Wealth of Nations. Aus dem Englischen von Horst claus Recktenwald), München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999. 1146 THE WIRE, SE 05, EP 06: DER DICKENS’SCHE ASPEKT (THE WIRE, SE 05, EP 06: THE DICKENSIAN ASPECT, USA 2008, R: Seith Mann) 1147 BOARDWALK EMPIRE, SE 02, EP 02: NUR WIR ALLEIN (BOARDWALK EMPIRE, SE 02, EP 02: OURSELVES ALONE, USA 2011, R: David Petrarca) 1148 Vgl. Twain, Mark: Tom Sawyers Abenteuer. Huckleberry Finns Abenteuer (Aus dem Englischen von Lore Krüger). Hg. und mit Anmerkungen versehen von Klaus-Jürgen Popp. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1988. 1149 Vgl. Dickens, Charles: David Copperfield (Aus dem Englischen von Gustav Meyrink), Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2008.
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Dieser selbstreflexiven Haltung gegenüber den Zuschreibungen der Kritiker ist die generelle materialistische oder allenfalls düster existentialistische Tendenz der Serien gemäß, bei denen es sich um »verhinderte Entwicklungsgeschichten« handelt. Immer wieder versuchen die Figuren, aus ihren jeweiligen Milieus auszubrechen, doch deren Strukturen – ökomonisch, politisch, sexuell – erweisen sich in der Regel als nicht überwindbar. Am Ende jeder Staffel erfolgt entweder die resignative Rückkehr zum Status Quo oder der Tod. Im Spielfilm wird hingegen, anders als Schriftstellern, selbst Figuren, die aus eskapistischen Motiven lesen, meist ein glückliches Ende zuteil – noch dann, wenn sie sich in ihrer Vorstellungswelt zu verlieren drohen. Der Leser als Held zwischen zwei Welten ist daher häufiger im Fantasy- als im Horrorgenre anzutreffen, so etwa in »Die unendliche Geschichte« oder »Der Pagemaster – Richies fantastische Reise«1150. Es stellt sich freilich die Frage, warum in diesen Genres überhaupt der Umweg über das Zeigen der Lektüre beziehungsweise des Romanprojektes gewählt wird, um eine phantastische Welt einzuführen. Entscheidender Unterschied zu phantastischen Filmen, die auf Darstellungen des Lesens und Schreibens verzichten, ist das stärkere Gewicht der ersten, der »realen« Welt des Protagonisten. Gezeigt wird hier das Phantasieren unter den Bedingungen eines sozialen und ökonomischen Drucks. Selbst dort, wo die Entwicklung des Lesers gemessen an diesen Anforderungen seiner Umgebung misslingt, wird seiner Figur kompensatorisch eine sympathisierende Stilisierung zuteil – anders als der Figur des Schreibenden. Das lesende Phantasieren wird dann auch als rebellischer Akt und kritischer Entwurf zur Gegenwelt deutlich, gerade dort, wo es in Selbstzerstörung und Tod endet.1151 Auch das jugendliche Alter vieler lesender Protagonisten ist dieser aufbegehrenden Haltung zumeist gemäß. Ein prägnantes Beispiel dafür findet sich etwa in »Vincent«1152. »Vincent« ist ein animierter Kurzfilm, den die Disney Studios ihrem Zeichner Tim Burton erlaubten, dann aber rasch aus den Kinovorprogrammen zurückzogen. Der Film ist also in einer Gratwanderung zwischen kommerziellen Studiointeressen und einer persönlicher Verwirklichung Burtons entstanden. In »Vincent« zieht sich die Titelfigur in die Werke Poes zurück. Sei-
1150 DER PAGEMASTER – RICHIES FANTASTISCHE REISE (THE PAGEMASTER, USA 1994, R: Pixote Hunt/Joe Johnston). 1151 Vgl. z. B.: UND ERLÖSE UNS NICHT VON DEM BÖSEN (MAIS NE NOUS DÉLIVREZ PAS DU MAL,
FR 1971, R: Joël Séria).
1152 VINCENT (USA 1982, R: Tim Burton).
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ne Mutter fordert Vincent jedoch beharrlich dazu auf, mit den anderen Kindern Sport zu treiben. Vincents Rückzug endet in einem selbstzerstörerischen Wahn, doch wird ihm dabei auch ein mindestens ambivalentes, wenn nicht verherrlichendes Pathos zueigen. Vincent bringt seine individuelle Sichtweise radikal zum Ausdruck und dem passen sich auch die räumlichen Dimensionen an. Demgemäß orientiert sich die ästhetische Komposition auch durchgängig am expressionistischen deutschen Stummfilm, mit seinen Lichtkegeln inmitten sich verselbstständigender Schatten (siehe Abb. 38) und mit seinen steilen Treppen, die diagonal durch den Bildkader schneiden (siehe Abb. 39). Zudem wird das Geschehen von der Erzählerstimme des Schauspielers Vincent Price in Versen kommentiert. Dieser Namensvetter der Titelfigur war seinerseits Star diverser Poe-Adaptionen der 1960er Jahre. Wenn Poes Literatur nun freilich mit den Stilmitteln des Expressionismus in der Weimarer Republik visualisiert wird, stellt dies weniger einen ästhetischen Bruch oder eine Neuinterpretation dar. Vielmehr lässt sich »Vincent« damit in eine stringente, wenn auch nicht immer direkte Abfolge der Poe-Rezeption einordnen. Ein roter Faden zieht sich zwischen Deutschland und den USA durch Literatur und Film: E.T.A. Hoffmanns Werke der Schwarzen Romantik beeinflussten Poe, Poes und Hoffmanns Werke wiederum den expressionistischen deutschen Stummfilm, dieser über die deutschen Exilanten den klassischen USamerikanischen Gruselfilm und dieser den Fernsehzuschauer Tim Burton. Burton schließlich verknüpft in postmodernen Filmen Stilmittel und Motive von Gothik und Gothic, Expressionismus, Surrealismus, Neoklassizismus und faschistischer Ästhetik sowie US-amerikanischer Pop- und Plastikkultur mit schwarzromantischen Stoffen zu überbordend eklektizistischen Themenparks. »Vincent« ist als Frühwerk in Burtons Filmographie noch ungewöhnlich streng expressionistisch gestaltet. Der Animationsfilm scheint auch besser geeignet als der Spielfilm, um den expressionistischen Ausdruck in Raumtiefe und lineare Zeit zu übertragen. So kritisierte Rudolf Arnheim selbst an dem formal radikalen Spielfilm »Das Cabinet des Dr. Caligari«: »[D]ie Figuren [...] sind keineswegs stilisiert; sie haben solide Schaupielergesichter, anziehbare Kleider, natürliche Gebärden [...] Man hätte den Dekorationsmaler Marionetten entwerfen lassen und damit seine verrückten Kulissen bevölkern sollen.«1153 Der einzige Schauspieler, der tatsächlich in Maske und Funktion an eine Marionette erinnert, ist hier Conrad Veidt. Er drückt sich so eng an den schiefen
1153 Arnheim, Rudolf: »Dr. Caligari redividus«, in: Rudolf Arnheim: Kritiken und Aufsätze zum Film. Hg. von Helmut H. Diederichs, München/Wien: Fischer Taschenbuchverlag 1977, S.177
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Wänden entlang, dass er mit der Kulisse zu verschmelzen scheint. So ist Veidts Spiel prägend für Tim Burtons Werk 1154 geworden, wie sich auch in »Vincent« zeigt. Die expressive Mimik der Figur und ihre direkte Fixierung der Kamera, die ihrerseits die Augenpartie durch Detailaufnahmen betont, weist deutliche Parallelen zu Aufnahmen Veidts in »Das Cabinet des Dr. Caligari« auf. Vincents Mutter erhält dagegen keinen eigenen Gesichtsausdruck. Anstelle eines theatralischen Spotlights erscheint sie lediglich in dem rechteckigen Türausschnitt von Sonnenlicht, durch den sie Vincent kommandiert. Der Vorstadtgarten, in den Vincents Mutter ihren lesewütigen Sohn schickt, erscheint nur als flache Ebene vor einer weißen Folie (siehe Abb. 40). Natur ist in der Suburbia auf einige dekorative Blumenbeete und einen englischen Rasen reduziert. Das Pathos der Diagonale, das den zweidimensionalen Raum des übrigen Films dynamisiert, fehlt hier. Gegenüber den expressiven Formen von Vincents Sphäre gibt die Außenwelt ein karges Bild ab. Zudem spielt Vincent seine Lektüre in dieser Sphäre kreativ nach (da sich das Lesen andernfalls kaum abwechslungsreich veranschaulichen ließ, ebenso wenig wie das Schreiben an sich). Der Übergang in die Literatur wird also als Simultanwirkung effektvoller filmischer Mittel inszeniert. Auch für den Zuschauer wird das Lesen somit als Akt erkennbar, der die ohnehin erwartete Sensualität des Filmerlebnisses sogar noch verstärkt. Ihrem hochbegabten Kind mit seinen Künstlernaturell gegenüber bleibt Vincents Mutter im wahrsten Wortsinn gesichtslos. Sie gewinnt aber durch ihre Beine und ihren Körper eine erdrückende Präsenz im Bild. In diesem Zusammenhang erfährt das Poesche »Nevermore«, das über der letzten Einstellung des Films zu hören ist, eine Bedeutungserweiterung: »Nimmermehr« wird nun auch zu einer Widerstandsbezeugung des introvertierten Jungen gegen die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen eines häuslichen Matriarchats. Somit zeigt sich an dem Beispiel »Vincent«, gerade wegen seines schauerromantisch düsteren Endes: Die grenzüberschreitende Souveränität der Verschwendung und des Rausches wird lesenden Filmfiguren tendenziell deutlich eher zugestanden als schreibenden.
1154 Veidt war auch das Vorbild für die Comicfigur des Jokers, die in BATMAN (USA 1989, R: Tim Burton) den Antagonisten abgab.
3.3 D IE UNZULÄNGLICHKEIT
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L ITERATUR
Es gibt jedoch auch Filme, die einen alternativen Blick auf das Schreiben werfen und sich dem Authentizitätsgebot versagen. Wie »Schmeiß die Mama aus dem Zug« beginnt auch »Manhattan« 1155 mit der Suche eines Schriftstellers nach dem perfekten Romananfang. Paefgen hat den Film (unter anderem) daraufhin analysiert, inwiefern Manhattan als Erzählraum die flüchtigen Liebesbeziehungen der Figuren bedingt.1156 Sie hat »Manhattan« mit Goethes Roman »Die Wahlverwandtschaften«1157 unter der Fragestellung verglichen, wie in beiden Werken experimentelle Erzählformen gefunden werden, um das gemeinsame Thema der wechselnden Paarkonstellationen zu verarbeiten.1158In dieser Arbeit nun soll der Filmbeginn unter einem anderem Schwerpunkt betrachtet werden: Was verrät er darüber, wie in »Manhattan« die Figur des Schriftstellers und die Literatur, die er repräsentiert, bewertet werden? In den ersten Einstellungen sind in SchwarzWeiß gehaltene Stadtansichten des New Yorker Bezirks zu sehen. Dazu erklingt zuerst die »Rhapsody in Blue«, gespielt von den New Yorker Philharmonikern. Dann ist zusätzlich auch ein Voice Over zu vernehmen: »›Chapter one. He adored New York City. He idolised it all out of proportion.‹ Uh, no. Make that ›He romanticised it all out of proportion. To him, no matter what the season was, this was still a town that existed in black and white and pulsated to the great tunes of George Gershwin.‹ Uh... no. Let me start this over. ›Chapter one. He was too romantic about Manhattan, as he was about everything else. He thrived on the hustle, bustle of the crowds and the traffic. To him, New York meant beautiful women and street-smart guys who seemed to know all the angles.‹ Ah, corny. Too corny for a man of my taste. Let me... try and make it more profound. ›Chapter one. He adored New York City. To him, it
1155 MANHATTAN (USA 1979, R: Woody Allen). 1156 Vgl. Paefgen, Elisabeth K.: »Literarisch und filmisch erzählte Wahlverwandtschaften: Erzählen als Experiment. Goethes Roman, François Truffauts JULES ET JIM, Woody Allens MANHATTAN und Eric Rohmers L’AMI DE MON AMIE«, in: Elisabeth K. Paefgen: Wahlverwandte. Filmische und literarische Erzählungen im Dialog, Berlin: Bertz + Fischer 2009, S.65-109. 1157 Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers. Die Wahlverwandtschaften. Kleine Prosa. Epen. Hg. von Waltraud Wiethölter in Zusammenarbeit mit Chrstoph Brecht, Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 2006. 1158 Außerdem verglich sie beide Werke mit den Filmen JULES UND JIM (JULES ET JIM, FR 1962, R: François Truffaut) und DER FREUND MEINER FREUNDIN (L’AMI DE MON AMIE,
FR 1987, R: Eric Rohmer).
372 | VERFOLGUNGSJAGDEN was a metaphor for the decay of contemporary culture. The same lack of integrity to cause so many people to take the easy way out was rapidly turning the town of his dreams...‹ No, it’s gonna be too preachy. I mean, face it, I wanna sell some books here. ›Chapter one. He adored New York City, although to him it was a metaphor for the decay of contemporary culture. How hard it was to exist in a society desensitised by drugs, loud music, television, crime, garbage...‹ Too angry. I don’t wanna be angry. ›Chapter one. He was as tough and romantic as the city he loved. Behind his black-rimmed glasses was the coiled sexual power of a jungle cat. I love this. New York was his town and it always would be.«/ »›Erstes Kapitel: Er betete New York an. Er vergötterte diese Stadt über alle Maßen.‹ Nein, nein, nein... es muss heißen, es muss heißen: ›Er idealisierte sie über alle Maßen.‹ Ja. ›Für ihn existierte diese Stadt, in der das Leben im Rhythmus der unsterblichen Melodien von George Gershwin pulsierte nur in Schwarz-Weiß‹, äh, ›ganz gleich zu welcher Jahreszeit.‹ Ach, ich fang gleich noch mal von vorn an. ›Erstes Kapitel: Er hatte zu romantische Ansichten über Manhattan, wie auch über alles andere. Er wühlte sich durch das Tohuwabohu der Menschenmasse des Verkehrs, für ihn war New York gleichbedeutend für schöne Frauen und Kerle, die ganz genau wussten, wo’s lang geht...‹ äh, ah... kitschig, viel zu kitschig für einen Mann von meinem Geschmack (räuspert sich), also noch mal von vorne und etwas tiefschürfender. ›Erstes Kapitel: Er betete New York an, für ihn war diese Stadt ein Sinnbild für den Verfall der zeitgenössischen Kultur, des Mangels an individueller Integrität, der die Leute dazu verführte, den leichtesten Weg zu gehen. Für ihn verwandelte sich die Stadt seiner Träume zu einer...‹ ach, das wird ja ’ne Predigt, bloß das nicht, möchte ja gerne noch ›n paar Bücher an den Mann bringen. ›Erstes Kapitel: Er betete New York an, obwohl es für ihn das Sinnbild für den Verfall der zeitgenössischen Kultur war. Es war nicht leicht, in einer Gesellschaft zu leben, die gegen Drogen, laute Musik, Fernsehen, Verbrechen und Müll immun geworden war.‹ (ächzt) ...es ist zum... (seufzt) aber ich will mich ja nicht aufregen. ›Erstes Kapitel: Er war genauso hart und romantisch wie die Stadt, die er liebte. Hinter seiner schwarzgeränderten Brille lauerte die mühsam gebändigte sexuelle Kraft einer Dschungelkatze.‹ Hä (lacht), gut gesagt, necht? ›New York war seine Stadt und würde es immer sein.‹
Diese Stimme, die aus dem »Off« zu hören ist, ist nicht dazu angetan, Vertrauen zu ihrer Perspektive zu wecken. Der erste Satz könnte noch von einem nichtdiegetischen Erzähler stammen, also einem Erzähler, der nicht Teil der Handlung ist (beziehungsweise nicht retrospektiv über seine früheren Handlungen berichtet). Vielleicht handelt es sich sogar um einen nullfokalisierten Erzähler, dessen Stimme und vielleicht auch Wissen über der Skyline New Yorks schwebt, über dem Protagonisten, von dem sie uns berichtet, also über der Handlung. Passend zu dieser möglichen Schöpferperspektive ist der Tonfall – im Deutschen wie im
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DER
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englischen Original von religiöser Hingabe bestimmt: »Er betete New York an. Er vergötterte diese Stadt über alle Maßen.« Doch die zu erwartende Hymne wird umgehend korrigiert, als sich der Erzähler selbst unterbricht. Die Wortwahl ist nun skeptischer: »Er idealisierte sie... [im Englischen: »romanticized«1159]« Anstelle der Stadt als solcher rückt nun ein Bild der Stadt, bei dem sich der Protagonist nicht an der unmittelbaren Anschauung, sondern an musikalischen und fotographischen Motiven orientiert. Das Vokabular bezüglich der Stadt selbst fällt distanzierter aus – »idealisierte« deutet auf die subjektive Begrenztheit der Perspektive hin. Zeitlos hingegen sind die künstlerischen Quellen dieser Perspektive: »unsterblich« die Melodien von George Gershwin, »Schwarz-Weiß« ist die Stadt »ganz gleich zu welcher Jahreszeit«. Werden hier bereits Hierarchien zwischen der Stimme und den anderen audiovisuellen Mitteln deutlich? Aus welcher Perspektive erleben wir »Manhattan«? Wenn die Erzählerstimme die allein verbindliche Stimme der Filmerzählung wäre, würde sie auch die Bilder dieser Welt vor unseren Augen entstehen lassen. Wir werden jedoch darauf hingewiesen, dass wir nur die subjektive Version einer Welt sehen und hören. Entweder ist die Kameraperspektive die Perspektive des Protagonisten, der in dem Roman die Hauptfigur werden soll – in diesem Fall war sie es von Anfang an und die Erzählstimme lässt uns nur an deren begrenztem Horizont teilhaben. Auf der visuellen und musikalischen Ebene ist sie also intern verortet. Oder der Protagonist, von dem die Erzählstimme berichtet, ist stark autobiographisch. In diesem Fall betet der Erzähler das Objekt seiner Erzählung, »New York« zu Beginn selbst an, wenn auch mittelbar durch die Sprache in der 3. Person. Da im Bild aber die Skyline von New York zu sehen ist, würde die Stimme sich als Gebet an die Stadt richten. Die Erzählerstimme läge dann nicht organisierend über den Bildern, sondern würde sie aus dem Blickwinkel des genießenden, ja begehrenden Betrachters kommentieren – die Perspektive des Schriftstellers, der diese Bild- und Toneindrücke New Yorks wahrnimmt und stotternd versucht, sie zu verarbeiten. Wenn man nun aber die Selbstberichtigung des Erzählers einbezieht, dann nehmen wir diese Bilder von Anfang an aus seiner nicht nur anbetenden, sondern idealisierenden Perspektive wahr, also in Schwarz-Weiß und im Rhythmus von George Gershwin. Dadurch wäre der gesamte bisherige Film wiederum dem Träger der Erzählstimme unter-
1159 Zur deutschen Synchronisation des Films vgl. Pisek, Gerhard: Die große Illusion. Probleme und Möglichkeiten der Filmsynchronisation. Dargestellt an Woody Allens »Annie Hall«, »Manhattan« und »Hannah and Her Sisters«, Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 1994.
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geordnet, so unzuverlässig dieser auch sein mag. Befinden wir uns somit also doch im Roman? Diese demnach für den Film umfassend gültige Erzählperspektive wird jedoch auf eine Inspiration durch Künste zurückgeführt, bezeichnenderweise nicht auf die Literatur, sondern auf Musik und Schwarz-Weiß-Fotografie. Und in der Tat beginnt der Film nicht sofort mit der Ansage »1. Kapitel«, sondern mit vier wortlosen Einstellungen der Stadt in Schwarzweiß, die von der »Rhapsody in Blue« Gershwins untermalt sind und auch den Filmtitel »Manhattan« als aufblinkende Neonschrift an einer Häuserfassade integriert haben. Es handelt sich also weder um New York, was wir da sehen und hören, noch um New York als Schauplatz eines in Entstehung begriffenen Romans, sondern um ein New York aus Musik und Filmaufnahmen, kurz: um ein Stummfilm-NewYork, das den Versuch einer literarischen Erzählung durch die Erzählerstimme inspiriert. Der Schriftsteller, dem wir zuhören, ist, wie wir, in erster Instanz Filmzuschauer und -zuhörer. Trotz des gemeinsamen Themas »New York« beziehen sich Bild und die zu hörenden Formulierungsansätze im Folgenden auch nur sporadisch direkt aufeinander. In einem illustrativen Verhältnis hören lässt sich etwa die Passage »für ihn war New York gleichbedeutend für schöne Frauen und Kerle, die ganz genau wussten, wo’s lang geht...«; simultan zu sehen sind die Einstellungen einer Frau in androgyner Mode vor einem Damenbekleidungsgeschäft und einer körperbetont gekleideten Frau, der vier Bauarbeiter nachsehen. Andere Bilder folgen in der Montagesequenz verspätet auf eine Entsprechung im Text; ein Berg von Müllsäcken ist beispielsweise erst zu sehen (siehe Abb. 41), nachdem der Sermon über »Drogen, laute Musik, Fernsehen, Verbrechen und Müll« von seinem Autor bereits als zu »aufgeregt«/»too angry« revidiert wurde. Die Bilder eines Schiffes und eines Fischladens mit Kunden und Verkäufern auf den »Mangel an individueller Integrität, der die Leute dazu verführte, den leichtesten Weg zu gehen« zurückzuführen, ist schließlich nur mit etwas mühsamer Deutungskonstruktion möglich. Ebenso steht die Aussage »Er war genauso hart und romantisch wie die Stadt, die er liebte« in keinem Bezug zu der Innenansicht des Guggenheim Museums und einer älteren Dame vor einem Gucci-Geschäft. Der Satz stellt aber auch keinen erkennbaren Widerspruch zu diesen Bildern her – die Impressionen der Stadt und die literarischen Phrasen verlaufen über weite Strecken scheinbar in berührungsloser Parallelität zueinander. Insgesamt fünf Anläufe benötigt der Schriftsteller für sein erstes Kapitel, doch die Montagesequenz weist jeweils keine erkennbaren Zensuren auf. Im Gegenteil wird in der 28. Kameraeinstellung die 17. Einstellung wieder aufgegriffen: Menschen verlassen eine Fähre an der selben Hafenstelle, an der zuvor eine Fähre kurz vor dem Andocken gezeigt wurde (siehe Abb. 42). Wenn man
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auch nicht weiß, ob es sich um dasselbe Schiff handelt, so ist hier doch eindeutig ein Kontinuitätsmerkmal in passender chronologischer Abfolge gesetzt. Doch in der Zwischenzeit hat der Schriftsteller bereits zwei weitere Kapitelanfänge probiert und wieder verworfen. Die mögliche Wiederaufnahme der Schiffsankunft bleibt freilich eine Ausnahme, denn in einem Punkt gleichen sich Bild und Romanmanuskript dann doch: Auch die Einstellungen New Yorks wirken, so durchdacht ihre Aufnahme und Auswahl natürlich ist, bruchstückhaft und konfus. Die Jahres- und Tageszeiten wechseln ohne kontinuierliche Reihenfolge von einer Einstellung zur nächsten. Die Räume, die sich in diesen Einstellungen den Zuschauern darbieten, weisen häufig mehrere Ebenen hintereinander auf, auf denen sich Figuren und Fahrzeuge zugleich in unterschiedliche Richtungen bewegen, dabei nicht nur von einer Seite des Bildes auf die andere wechselnd, sondern auch vom Bildvorder- in den Hintergrund und umgekehrt, mitunter verharrend und auf Personen im Off, also jenseits des Bildrahmens reagierend, die ihnen Basketballs oder denen sie begierige Blicke zuwerfen, oder auf Orte hinter der Kamera, auf die sie zeigen. Auch auf diversen Höhen ist Bewegung zu finden, wie etwa die Roosevelt-Island-Tramway-Luftseilbahn. In mehreren Einstellungen flackern dazu Neonlichter auf und ab. Zusätzlich verstellen Zäune und Ampeln den Blick, die in das Bild hineinragen, aber als Motive nur angeschnitten werden, ebenso wie die Schrift von Werbeanzeigen und Verkehrszeichen nicht immer vollständig erkennbar ist beziehungsweise auf Taxidächern und Bussen an der Kamera vorbeirauscht. Es handelt sich bei »Manhattan« um einen Film, in dem Literatur thematisiert wird, nicht um eine Literaturverfilmung. Doch finden sich hier durchaus Ähnlichkeiten in der audiovisuellen Verarbeitung des Motives »Großstadt« zu seiner literarischen Verarbeitung in etwa Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz« von 1929: »Die Strafe beginnt. Er schüttelte sich, schluckte. Er trat sich auf den Fuß. Dann nahm er einen Anlauf und saß in der Elektrischen. Mitten unter den Leuten. Los. [...] Der Wagen machte eine Biegung, Bäume, Häuser traten dazwischen. Lebhafte Straßen tauchten auf, die Seestraße, Leute stiegen ein und aus. In ihm schrie es entsetzt: Achtung, Achtung, es geht los. [...] »Zwölf Uhr Mittagszeitung«, »B.Z.«, »Die neuste Illustrierte«, »Die Funkstunde neu«, »Noch niemand zugestiegen?« Die Schupos haben jetzt blaue Uniformen. Er stieg unbeachtet wieder aus dem Wagen, war unter Menschen. Was war denn? Nichts. Haltung, ausgehungertes Schwein, reiß dich zusammen, kriegst meine Faust zu riechen. Gewimmel, welch Gewimmel. Wie sich das bewegte. [...] Was war das alles. Schuhgeschäfte, Hutgeschäfte, Glühlampen, Destillen. Die Menschen müssen doch Schuhe haben,
376 | VERFOLGUNGSJAGDEN wenn sie so viel rumlaufen, wir hatten ja auch eine Schusterei, wollen das mal festhalten. 1160
[...]«
Die Versuche der Romanfigur, sich selbst zur Ordnung zu rufen, muten ähnlich an – auch wenn sich Döblins Franz Biberkopf milieubedingt drastischere Selbstvorwürfe als Allens Isaac Davis macht. Freilich beziehen die sich hier auf die unmittelbar sinnlich erfahrene Reizüberflutung der Großstadt; das zweimalige Signal, es ginge los, meint die wiederholte Anfahrt der Trambahn. Im Gegensatz zu dem entlassenen Sträfling Franz Biberkopf in »Berlin Alexanderplatz« kann der Schriftsteller in »Manhattan« mit der Distanz des Halbgebildeten daran gehen, diese überwältigenden Eindrücke erzählerisch zu strukturieren. Allerdings scheitert er daran vorerst. Sein 1. Kapitel wandelt sich von der emphatischen Hymne (»er betete New York an) über das kulturelle Zitat (Gershwin und Schwarz-weiß) den möchtegern-toughen Machokitsch (»für ihn war New York gleichbedeutend für schöne Frauen und Kerle, die genau wussten, wo’s lang geht«), die kulturkritische Predigt (»New York [...] [war] für ihn ein Sinnbild für den Verfall der zeitgenössischen Kultur«) und die kulturpessimistische Hasspredigt (»Drogen, laute Musik, Fernsehen, Verbrechen und Müll«) bis hin zur vollständigen Projektion der eigenen Persönlichkeit auf die Stadt (»er war genauso hart und romantisch wie die Stadt, die er liebte«). Die literarische Verarbeitung der Stadt – und damit auch der synonym gesetzten Bereiche, nämlich der Gegenwartskultur, der Sexualität und der eigenen Persönlichkeit – die literarische Verarbeitung all dessen scheitert an der Übermacht anderer künstlerischer Vorbilder, sie scheitert an Phrasenhaftigkeit, ökonomischen Zwängen (»ach, das wird ja ’ne Predigt, bloß das nicht, möchte ja gerne noch ’n paar Bücher an den Mann bringen«) und schließlich an der pubertären Omnipotenzphantasie von der mühsam gebändigten Dschungelkatze, die als überraschende Pointe der bis dahin einsichtigen Selbstkritik des Verfassers ein Ende setzt. Allerdings wird hier, wie Paefgen schreibt, auch der für den Film kennzeichnende »ironische Gestus [erkennbar], dessen distanzierende Wirkung nicht nur der scheinbar unbeholfene Erzähler des Prologs ausnutzt, sondern den die Figur des Isaac auch während der erzählten Ereignisse beibehält.«1161
1160 Döblin, Alfred: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte von Franz Biberkopf, München: Deutscher Taschenbuchverlag 2001, S.15-16. 1161 E. K. Paefgen: Literarisch und filmisch erzählte Wahlverwandtschaften: Erzählen als Experiment, S.85.
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Und doch: »Als der Film in New York uraufgeführt wurde, überschüttete das Publikum allein schon diese Anfangsszene mit tosendem Beifall...«1162 und es erscheint völlig berechtigt, diese Reaktion als Aufflammen von Lokalpatriotismus zu werten, der sich bei den ersten Seiten von »Berlin Alexanderplatz« wohl weniger aufdrängt. Denn es ist nicht die Literatur, der in »Manhattan« das Potential beigemessen wird, die Kontingenzerfahrung der Moderne aufzufangen, sondern die Musik. George Gershwins »Rhapsody In Blue« gelingt es, die Collageschnipsel der Stadt zusammenzufügen und ihr den Rhythmus vorzugeben. Mit dem Moment, in dem der letzte Satz der Schriftstellerstimme verklungen ist, wechselt die Kamera wieder, wie zum wortlosen Beginn, in Panoramaeinstellungen der Skyline, die nun hinter den Baumwipfeln des Central Parks und unter den Wolken des Abendhimmels zu sehen sind und somit die Einheit zwischen Himmel und Erde herstellt. Die tiefliegende Sonne strahlt als natürliche Lichtquelle, die Musik schwillt triumphal an und mit ihrem Tempo steigert sich auch die Schnittgeschwindigkeit. Mit diesem jetzt angepassten Rhythmus kehrt der Film wieder auf die nun nächtlichen Straßen zurück – auch die Kontinuität der Zeit wird also gewahrt. Die hereinbrechende Nacht löst hier offenbar die romantische oder romantisierte Perspektive ein, die zuvor angekündigt worden war. Sie ist die Sphäre der Erfüllung von Sinnen und Sinnlichkeit. Motive der Liebe folgen, mal mit dem Pathos eines sich auf einem Balkon küssenden Liebespaares, mal dezent wie der Aufkleber auf einer Pferdekutsche für Pärchen, auf dem »I love NY« zu lesen steht. Die Aufschrift »Broadway« füllt demgegenüber zentral das Bild aus und stellt die Bedeutung der Musik und des Theaters gegenüber der Epik heraus. Selbst die Kamera, bislang stets statisch positioniert, begibt sich auf eine Fahrt über die Straße in die Tiefe des Raumes. In dieser Einstellung beginnt sie, sich dem Crescendo der Musik anzupassen. Die mit zehn Sekunden wieder deutlich längere Einstellung von dem hell erleuchteten Kreis des Yankee Stadions setzt eine harmonische Verzögerung, bevor in triumphalem Tutti das Thema des Rhapsodiebeginns wieder erklingt. Seinen Beckenschlägen scheinen die Explosionen des Feuerwerks so deckungsgleich zu entsprechen, wie dies durch den Zeichentrickfilm als »Mickey Mousing« bekannt ist: Ein pleonastischer, gemeinsamer Höhepunkt von Ton und Bild (siehe Abb. 43). Solche Bilder scheinen eher einen
1162 Rauh, Reinhold: Woody Allen. Seine Filme – sein Leben, München: Wilhelm Heyne Verlag 1991, S.133.
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Großstadtmythos zu entwerfen,1163 als den Montagestrukturen von »Berlin Alexanderplatz« zu folgen. »Die Stadt macht (oder hat) auch keine Probleme in diesem Film (die haben nur die Menschen); selbst Bilder vom täglichen, abendlichen oder nächtlichen Autoverkehr bringen keine Störung in die Filmbilder, weil nicht der Verkehrslärm zu hören ist, sondern die häufig asynchron eingespielten Dialoge. Immer wieder signalisieren die totalen Aufnahmen der Straßen und Museen New Yorks so etwas wie Weite, Freiheit, Unabhängigkeit 1164
und Bewegungsspielraum.«
Für diese Totalen, die auch am Ende der Eröffnungssequenz stehen, scheint Gershwins Musik ein weit passenderer Soundtrack zu sein als die Dialogsätze, die mal stocken, mal sich ineinander verwickeln. So scheint »Manhattan« zum Ende seiner Exposition nach der Irritation durch die Sprache wieder zu dem Ideal der Stummfilmzeit zurückzufinden. Ist der Film nun reaktionär, nicht nur in seiner Restauration einer künstlerischen Ausdrucksform der 1920er Jahre, sondern reaktionär in einem noch höherem Ausmaß durch den Versuch, die Kontingenzerfahrung der Moderne zu überwinden? Kann die Filmkunst dem sprachlichen Mangel abhelfen, die Welt in ihrer Fülle zu erfassen, dem Mangel, den 1816 der Erzähler in E.T.A. Hoffmanns Erzählung »Der Sandmann« wie folgt formuliert: »Und nun wolltest Du das innere Gebilde mit allen glühenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und mühtest Dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war Dir, als müßtest Du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht zusammengreifen, so daß es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien Dir farblos und frostig und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst... [...] [so] quälte ich mich ab, [...] bedeutend – originell, ergreifend, anzufangen: ›Es war einmal!‹ – der schönste Anfang jeder Erzählung, zu nüchtern! – ›In der kleinen Provinzial-Stadt S. lebte‹ – etwas besser, wenigstens ausholend zum Climax. Oder gleich medias in res: › ›Scher er sich zum Teufel‹, rief, Wut und Entsetzen im wilden Blick, der Student Nathanael [...]‹ – Das hatte ich in der Tat schon aufgeschrieben, als ich in dem wilden Blick des Studenten Nathanael etwas Possierliches zu verspüren glaubte; die Geschichte ist aber gar nicht
1163 Vgl. E. K. Paefgen: Literarisch und filmisch erzählte Wahlverwandtschaften: Erzählen als Experiment, S.93. 1164 Ebd., S.86.
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spaßhaft. Mir kam keine Rede in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln schien. Ich beschloß gar nicht anzufangen.
1165
Der erzählende Schriftsteller in Hoffmanns »Der Sandmann« hat »also den Ehrgeiz, erstens verschiedene Aspekte der [...] geschilderten Welt gleichzeitig zu erfassen und zweitens die Distanz dieser Welt zu ihren Lesern aufzuheben.«1166 Auch hier verweist der Schriftsteller auf eine andere Kunstform, nämlich die der Malerei, um dem vermeintlichen kommunikativen Mangel der Literatur abzuhelfen: »Hattest Du aber, wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß Deines innern Bildes hingeworfen, so trugst Du mit leichter Mühe immer glühender und glühender die Farben auf und das lebendige Gefühl mannigfacher Gestalten riss die Freunde fort und sie sahen, wie Du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemüt hervorgegangen...«1167 Diese Symbiose aus Literatur und Malerei, in der verschiedene Zeichen nicht nur im selben Ausdruck vereint werden, sondern über eine lineare Narration hinweg, erfüllt sie sich 80 Jahre später in der Filmkunst? »Immerhin suchte Hoffmann durch Illustrierung seiner eigenen Werke offensichtlich, deren Wirkungskraft zu steigern.«1168 Doch so, wie man die Schaffenskrisen der Schriftsteller in E. T. A. Hoffmans Werk nicht mit derjenigen des Autors Hoffmann verwechseln sollte, so sollte auch die Sprachskepsis des Schriftstellers in »Manhattan« nicht mit der des Drehbuchautors und Regisseurs Woody Allen verwechselt werden. Woody Allen wird aufgrund dieser Personalunion die persönliche »Handschrift« eines Autorenfilmers bescheinigt. Deswegen und auch wegen der literarischen Erzählungen und Bühnenstücke, die er veröffentlicht hat, wird ihm auch gerne eine Nähe zu literarischen Erzählformen konstatiert. 1169 Wegen ihres Sprachwitzes, ihrer häufigen Ansiedelung im Intellektuellenmilieu der amerikanischen Ostküste und ihrer stilistischen und verbalen Zitate von Kafka bis Böll werden seine Filme in Kontrast zu den US-amerikanischen Studioproduktionen
1165 Hoffmann, E. T. A.: »Der Sandmann«, in: E.T.A: Hoffmann: E. T. A. Hoffmanns sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe, Dritter Band, herausgegeben von Carl Georg von Maaßen, München/Leipzig: Georg Müller 1909, S.3-42, hier S.1819. 1166 Pietsch (2008), S.10. 1167 Hoffmann: Der Sandmann (1909), S.18. 1168 Pietsch (2008), S.11. 1169 Vgl. Reimertz, Stephan: Woody Allen. Eine Biographie, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag 2000, S.24./R. Rauh: Woody Allen, S.43.
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gesetzt. Der Schwerpunkt, den sie auf die Dialoge legen, lässt sich auch daran absehen, dass ihren Drehbüchern »eine literarische Eigenexistenz zugebilligt«1170 wurde und sie in deutscher Übersetzung bis zu Beginn der 1990er Jahre im Diogenes-Verlag veröffentlicht wurden. Wenn also Allen gemeinsam mit seinem Co-Autor Marshall Brickman in »Manhattan« die Wirkmächtigkeit der Literatur gegenüber dem Alltagsleben mit Skepsis behandelt, so sind es doch auch eben diese literarischen Mittel des Dialogs, die er von Beginn des Films an dazu einsetzt. Nicht einer der Kapitelanfänge wird den Bildern gerecht, die von der Stadt New York zu sehen sind, aber alle fünf Anfänge zusammengenommen inklusive der selbstkritischen Einwürfe werden New York gerecht beziehungsweise dem Liebesverhältnis des Schriftstellers zu seinem Sujet, das von einem Wechselspiel aus Projektion, Verklärung, Hass und vor allem dem stetigen Zweifel an diesen Gefühlen geprägt ist. Und selbst wenn der Schriftsteller vorerst verstummt, ermöglichen Musik und Bilder nur eine Gesamtperspektive aus der zuvor deutlich eingestandenen künstlerischen und künstlichen Distanz – »für ihn existierte diese Stadt, in der das Leben im Rhythmus der unsterblichen Melodien von George Gershwin pulsierte, nur in Schwarz-Weiß...« Auch die Jazzmusik George Gershwins, die als Rhapsodie gerade in ihrem Mittelteil aus locker verbundenen, improvisiert wirkenden Motiven besteht, auch die auf Schwarz-Weiß-Kontraste reduzierte Fotografie des verantwortlichen Kameramannes Gordon Willis sind Eingeständnisse in die Fragmentarität und das Unausgefüllte des Großstadtlebens. Gemeinsam gelingt es in dieser Exposition, mit Sprache, Musik, Kamera und natürlich mit der Architektur und den Bewohnern Manhattans, diese Unvollständigkeit in einer überzeugenden Geschlossenheit zu artikulieren. Wenn dann gegen Ende des Films der Schriftsteller Isaac Davis die elf Dinge nennt, die für ihn das Leben lebenswert machen, dann findet sich darunter nur ein literarischer Text, Flauberts »Erziehung der Gefühle«1171 (bezeichnenderweise ein Werk über den Abstand zwischen intellektuellem, urbanem Habitus und reifer Lebenstüchtigkeit). Die anderen »Dinge« sind Groucho Marx, Willie Mays, die Jupitersymphonie, schwedische Filme, Louis Armstrongs Aufnahme des »Potatoe Head Blues«, Marlon Brando, Frank Sinatra, Cezannes Äpfel,
1170 Karasek, Hellmuth: »Woody Allens Fluch der Lächerlichkeit. SPIEGELRedakteur Hellmuth Karasek zum deutschen Start der ›Stardust Memories‹«, in: Der Spiegel 35 (1981), S.162-164, hier S.162. 1171 Vgl. Flaubert, Gustave: Die Erziehung der Gefühle. Geschichte eines jungen Mannes (L’Éducation sentimentale. Histoire d’un jeune homme. Aus dem Französischen von Cornelia Hasting), Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuchverlag 2010.
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Krabben im Lieblingsrestaurant und das Gesicht seiner Exfreundin: Das Leben als synästhetisches Gesamtkunstwerk, mehr als die Summe seiner Teile. In einem unsentimentalen Erziehungsprozess erkennt Isaac, dass die Literatur allein ihm nicht genügt. Die Filmkunst vermag es, sich all diese Bestandteile zu eigen zu machen: Varieté und Sport, Musik und frühere Filme, Malerei und attraktive Gesichter in der Großaufnahme. Selbst der kulinarische Genuss ist zumindest enger mit der Rezeption von Filmen anstelle anderer Künste verbunden. So sind Snackangebote fest im Ritual des Kinobesuches etabliert und werden, anders als bei Theater und Konzert, nicht nur in den Pausen verzehrt. Weniger die begrenzten Auswirkungen von Literatur auf Verfasser und Leser als die Kommunikationsprobleme zwischen diesen Parteien werden in Filmen thematisiert, die nach Vorlagen Stephen Kings entstanden sind. Gemäß Kings literarischem Legitimationsproblem als Genreautor1172 rücken hier der Literaturbetrieb und die Erwartungshaltungen der Verlage und Leser in den Fokus. Immer wieder geht es um Autoren, die sich von der »Trivialliteratur«, die ihnen ein Auskommen beschert hat, lösen möchten, um mit einem ambitionierten Werk die Akzeptanz der Kritiker zu gewinnen. Die Strafe folgt auf dem Fuße: In »Stark«1173 nimmt das Pseudonym, unter dem Thad Beaumont schamvoll Thriller verfasst hat, Form an, als er es symbolisch beerdigen möchte und erweist sich als ebenso brutal wie seine ungeliebten Werke. In »Das geheime Fenster«1174 wird Mort Rainey von einem psychopathischen Stalker des Plagiats bezichtigt, der immer mehr auch in seinem Lebenswandel unheimliche Parallelen zu ihm aufweist. In »Misery«1175 wird Paul Sheldon von seinem »größten Fan« Annie Wilkes gefangen gehalten und dazu gezwungen, die Heldin seiner Groschenromane in Fortsetzungen wieder auferstehen zu lassen. Dazu verbrennt sein Fan die einzige Kopie seines potentiellen Lebenswerkes vor seinen Augen, weil es eine verwirrende, achronologische Struktur hat, im Bewusstseinsstrom verfasst ist und „schmutzige Wörter“ benutzt. Die Trivialliteratur manifestiert sich in diesen Werken als »Es«, als verdrängtes Unterbewusstes der literarischen Kunst, aber auch als schlechtes soziales Bewusstsein der ökonomischen Zwänge, denen die Mehrzahl der Schriftstel-
1172 Seine Auszeichnung mit der Medaille des National Book Award für sein Lebenswerk sorgte 2003 für einen Skandal, als dies ihn in eine Reihe mit Preisträgern wie John Updike, Arthur Miller und Philip Roth stellte. 1173 STARK (THE DARK HALF, USA 1993, R: George A. Romero) 1174 DAS GEHEIME FENSTER (SECRET WINDOW, USA 2004, R: David Koepp) 1175 MISERY (USA 1990, R: Rob Reiner)
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ler und ihrer Leser ausgesetzt sind. Die Dingwelt verdrängt die Abstraktion. So beginnt »Misery« unter dem Klang des Schreibmaschinentippens mit Detailaufnahmen der Belohnungen, welche sich der Autor nach Beendigung seines Manuskripts zuteilwerden lassen möchte: Eine Lucky Strike und ein Streichholz, ein Champagnerglas und das Schild einer in einem Glaskübel wartenden Flasche Dom Pérignon. Hier verweisen die Zigarette danach und der sprudelnde Champagner noch auf die Selbstgenügsamkeit des onanistischen Schreibvergnügens und das einzelne Glas, durch dessen Kelch der Schreibende verzerrt zu sehen ist (siehe Abb. 44 u. Abb. 45), auf seine Einsamkeit (die der Schriftsteller durchaus mit seiner sehnsüchtigen Leserin teilt, mit der er sich lange vor der ersten Begegnung in einem Verhältnis der wechselseitigen Ausbeutung befindet). Nachdem Sheldon erst in der erzwungenen Gemeinschaft mit seiner ihn auch sexuell begehrenden Leserin gefangen ist wird die Achtsamkeit kleinen Objekten gegenüber für ihn zur Frage von Leben und Tod – gehortete Schmerzpillen, verschmierte Buchstaben (siehe Abb. 46), eine Haarklammer, und, als besonderer Hohn für seine künstlerischen Ambitionen, ein falsch wieder aufgestellter Porzellanpinguin aus der Sammlung seiner Peinigerin, durch den er sich verrät. Die visuelle Vergrößerung jener Kleinigkeiten korrespondiert natürlich auch mit der Herausforderung, ein Kammerspiel filmisch zu gestalten. Doch zugleich weist die monströse Bedeutung all dieser Dinge auf die materielle Welt an sich, auf das oberflächliche Realismusdiktat der Unterhaltungsliteratur und auf den peniblen Ordnungswahn des sozial isolierten Nerds im Besonderen, der sich in einem agressiven Beharren auf einer vermeintlich lückenlosen Handlungslogik einer auch noch so unwahrscheinlichen und klischeehaften Geschichte Bahn bricht. Einen besonders furchteinflößenden Ausbruch hat Annie Wilkes, als sie Sheldon zu narrativer Redlichkeit bekehren will. Sie führt ihm den Cliffhanger eines Kinoserials vor Augen, der in der nächsten Folge nicht korrekt aufgelöst wurde, wobei ihr enttäuschtes Kindergesicht über ihrem goldenen Kruzifix von der Kamera aus leichter Unterperspektive immer näher herangezoomt wird: »This isn’t what happened last week! Have you all got amnesia? They just cheated us! This isn’t fair! He didn’t get out of the cockadoodie car!«/»Das ist aber letzte Woche nicht passiert! Habt ihr denn alle Gedächtnisschwund? Die haben uns reingelegt! Das ist nicht fair! Er konnte aus dieser elendigen Karre nicht raus!«
Wenn Sheldon nicht alle Details in seinem Roman wie auch in seiner Lebenswelt genau richtig kombiniert, in beidem nicht exakte logische Zusammenhänge aufbaut und für seine Entführerin keinen lückenlosen Illusionszusammenhang konstruiert, wird er sterben. Wie Žižek über das Objekt bei Hitchcock schreibt:
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»Das Paradox seiner Rolle besteht darin, daß es, obwohl es ein Überbleibsel des Realen, ein ›Exkrement‹ ist [...] als positive Bedingung für die Wiederherstellung einer symbolischen Struktur fungiert: Die Struktur der symbolischen Tauschakte kann sich nur insoweit errichten, als sie in diesem gänzlich materiellen Element, das als ihre Garantie wirkt, verkörpert ist.»1176
Daher kann Sheldon Annie seine Geschichte eben doch auch nicht nur einfach erzählen; es kommt ihr vielleicht nicht auf eine kunstvolle Sprache an, aber auf die Exaktheit der Details und damit, im übertragenen Sinne wie auch im wortwörtlichen, auf die materielle Dichte des Buches. Mit der Drohung, das Manuskript anzuzünden, gelingt es dem Autor, die Leserin in einen Hinterhalt zu locken und sie mit der Schreibmaschine zu erschlagen. Ist in »Manhattan« die Literatur allein nicht in der Lage, die verwirrende Vielfalt der begehrten Welt zu erfassen, setzt die Literatur sich im Gästezimmer von Annie Wilkes’ entlegenem Farmhaus aus Objekten der Begierde zusammen, die in der direkten Gegenüberstellung von Autor und Leser als Ersatzbefriedigung offenbar werden.
1176 Vgl. Žižek, Slavoj: »Alfred Hitchcock oder Die Form und ihre geschichtliche Vermittlung (Alfred Hitchcock, or, The Form and its Historical Mediation. Aus dem Englischen von Robert Pfaller)«, in: Slavoj Žižek, Mladen Dolar, Alenka Zupančič, Stojan Pelko, Miran Božovič, Renata Salecl: Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten (Everything you always wanted to know about Lacan (but were afraid to ask Hitchcock). Aus dem Englischen von Isolde Charim, Thomas Hübel, Robert Pfaller, Michael Wiesmüller.), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2002, S.11-23, hier S.19.
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Trotz dieses Potentials kommt der Literatur als Bildungsgut auch eine legitimatorische Funktion für den Film zu. Während die Avantgarde des Films sich um eine Emanzipation von literarischen Strukturen mühte, rückten die europäischen und US-amerikanischen Studios ihre Produkte explizit in die literarischen Traditionen. So beginnen etwa die Märchenadaptionen der Walt Disney Studios regelmäßig mit der Einstellung eines sich öffnenden Buches. Gerade im Kinderfilm war diese Einrahmung durch dieses etablierte Medium dazu angetan, die Vorwürfe zu mildern, die gegen die Verführung von Minderjährigen im Kinosaal laut wurden. Lebt der Verfasser der literarischen Vorlage aber noch, wird er mitunter in die Filmproduktion eingebunden, auch vor der Kamera. Ein Autor, der sich besonders auf diese wechselseitige Vermarktung im Medienverbund verstand, war etwa Erich Kästner, der in den Film- und Hörspieladaptionen seiner Kinderbücher mitunter selbst als Erzähler auftrat. In »Das fliegende Klassenzimmer«1177 etwa erscheint er, getreu der literarischen Vorlage, auf einer Wiese am Fuße der Alpen und versucht, sich in die richtige Stimmung zu bringen, um eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben. Doch dies verläuft nicht ganz problemlos, wie Kästners Stimme erklärt, die als Voice Over über Bilder seiner nicht sehr konzentrierten Arbeit und über den auf romantische und volkstümliche Melodien rekurrierenden Score Hans-Martin Majewskis gelegt ist: »Mitten im Sommer eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben, ist gar nicht so einfach. Die Wiesenblumen blühen, die Zittergräser verneigen sich respektvoll, man weiß nicht genau vor wem, und ich, ich beschreibe bei 38 Grad Celsius gerade die berühmte Schneeballschlacht, die im vorigen Dezember drüben in Kirchberg, zwischen den Tertianern des Gymnasiums und denen der Oberrealschule stattfand. ...bei 39 Grad! Manchmal blicke ich zur Zugspitze hinauf, damit mir wenigstens etwas kühler und winterlicher zumute wird. Aber heute hilft nicht einmal der Schnee im Fernglas. Außerdem scheint Eduard schon auf dem Heimwege zu sein. Eduard hat es gern, wenn ich ihn nach Hause bringe; wir haben den gleichen Weg. Er wohnt zwar nicht in meinem Hotel, aber bei einem Bauern, grad um die Ecke. Jetzt ist Eduard noch ein hübsches kleines Kalb, aber der Bauer hat neulich gesagt, später würde er sicher einmal ein großer Ochse werden. Am Nachmittag spazierte ich dann nach Kirchberg. Kirchberg liegt 600 Meter überm Meeresspiegel, hat 20 000 Einwohner und zwei höhere Schulen. Hoch über den Gassen und Marktplätzen, überm Fluss und der Brücke, ragt eine alte Festung in den Himmel. Sie hatte neulich ihren 750.
1177 DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER (BRD 1954, R: Kurt Hoffmann).
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Geburtstag und so schaut sie gelassen und abgeklärt auf das jugendliche Gewimmel zu ihren Füßen.«
Diese Situation nimmt bereits die Aussage des Films vorweg: Am besten lässt sich zwar am Objekt und vor Ort lernen; ein Lehrer beziehungsweise Künstler jedoch (und zwischen beiden Berufen gibt es bei Erich Kästner selbst ja viele Berührungspunkte) kann seinen Stoff durch Phantasie anschaulich machen. Das Kino selbst wird zum fliegenden Klassenzimmer, in dem Moment, in dem die Figur Erich Kästner mit der Binnenerzählung beginnt und mit ruhigen Luftaufnahmen und zu heller Flötenmusik den Handlungsort Kirchberg vorstellt. Ganz anders als in »Manhattan« sind der Kommentar des Erzählers und die Bildmotive über Ton- und Bildschnitt zuverlässig aufeinander abgestimmt. Fluss und Brücke, Festung und Jugendliche werden im Moment ihres Erscheinens sogleich benannt und anders als bei Woody Allens New York genügen bei Kirchberg wie in einem Lexikonartikel einige Daten für den sofortigen Überblick: 600 Meter über dem Meeresspiegel, 20 000 Einwohner und 2 höhere Schulen. Anders als die 61 isolierten Einstellungen, aus denen sich »Manhattan« kaum zusammenfügen will, sieht die Kamera hier in nur drei Einstellungen ebenso »gelassen und abgeklärt über das jugendliche Gewimmel zu ihren Füßen« wie die 750 Jahre alte Festung – und wie Kästners Erzähler. Zugleich ist der vorherige Auftritt des Schriftstellers Kästner als Figur auch eine Werbung für ihren Darsteller, Kästner selbst. »Die Zittergräser verneigen sich respektvoll, man weiß nicht genau, vor wem« kommentiert Kästners Stimme, doch der langsame Kameraschwenk, der sich seinem Schreibtisch nähert, klärt die Lage beiläufig: Sie verneigen sich vor Kästner selbst. Die Lage, bei sonnigem Wetter am Schreibtisch zu sitzen, schafft eine empathische Grundlage mit dem von Hausaufgaben geplagten Zielpublikum (siehe Abb. 47). Bier und Zigaretten nehmen sich heutzutage natürlich in einem Kinderfilm geradezu anarchisch aus, doch tragen sie hier gemeinsam mit der Freizeitkleidung und der touristischen Situation zur Verhaftung des gar nicht bohemehaften Künstlers in der deutschen Mittelschicht bei. Stärker noch als in der Vorlage nimmt die Filmsequenz vor dem Hintergrund der damaligen westdeutschen Heimatfilmwelle forciert idyllische Züge an, wenn Kästner ein hinzutrabendes Kalb streichelt. Seine ironische Bemerkung, irgendwann würde es ein großer Ochse sein, nimmt sich in dieser Szenerie geringfügiger kritisch aus als im Buch. Natürlich dient auch sie den Sympathien der Kinder im Publikum. In der letzten Einstellung des Films wird dann die Figur Jonny Trotz, die später ein großer Dichter werden möchte, noch einmal die aktuelle Ausgabe von »Das fliegende Klassenzimmer« in die Kamera halten, die ihm
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Kästner signiert hat. Kästners Unterschrift steht somit auch beglaubigend am Ende des Films. Diese letzte Einstellung bewirbt zudem das Buch, das nach dem Kinobesuch im Handel zu erwerben ist. So wie Erich Kästner den mehr oder weniger direkten Kontakt mit dem Publikum sucht, so ist auch seine Figur des Schriftstellers im Film ihrer Welt nicht entfremdet wie Woody Allens Figur in »Manhattan«. Sie ist Teil einer Szenerie, deren Intaktheit auch nicht durch harte Schnitte unterbrochen wird. Weiche Überblendungen lassen vielmehr die Bilder hier ineinander übergehen; auch hastet Kästner dem Stadtgeschehen nicht mit seinen Worten hinterher, sondern hält aus dem Abstand von zwei Jahreszeiten Rückschau darauf. Das Hindernis, auf das er stößt, ist keine Stilunsicherheit, keine Angst vor dem kommerziellen Misserfolg, sondern das Klima, das der Entfaltung seines Einfühlungsvermögens in seine Figuren im Wege steht – wenn Kästner die Schwierigkeiten dieser intersubjektiven Einheit aus Künstler, Protagonisten und Leser beziehungsweise Zuschauer auch mit der Ironie der neuen Sachlichkeit eben auf Sachzwänge herunterbricht. Die Natur als Sujet der Literatur muss der Natur als äußerer Genesebedingung der Literatur noch entsprechen, zwar nicht zeitgleich, aber doch in der physischen und psychischen Nachempfindung. Es bedarf zumindest der Inspiration durch die ferne, aber weniger majestätische, als nüchtern zu beobachtende Zugspitze, die der Schriftsteller auf seine Augenhöhe holt. Das Schwarz-Weiß ist hier nur eine Produktionsbedingung, man darf naiv davon ausgehen, dass die Wiesenblumen vor den Augen Kästners in Farbe blühen. Derweil existiert das New York des Schriftstellers in »Manhattan« nur in Schwarz-Weiß, ganz gleich, zu welcher Jahreszeit, als ein Raum des postmodernen Films. Manhattan ist von Anfang an nicht Manhattan, auch wenn es an realen Schauplätzen gedreht wurde, aber Kirchberg ist Kirchberg, auch wenn es so wie im Film nicht als Drehort existiert. Und selbst, wenn es im Film eine Phantasie sein sollte, so ist es eine, die eine realistische Gestalt annimmt und konkrete, auch pädagogische Auswirkungen im Publikum zeitigen kann – getreu der (wenn auch unter medizinischen Gesichtspunkten vorurteilsbeladenen) Aussage in Kästners Buch »Pünktchen und Anton«: »Migräne sind Kopfschmerzen, auch wenn man gar keine hat.«1178 Anders als für die vom Autor selbst begleitete Adaption von „Das fliegende Klassenzimmer“ war für den US-amerikanischen »Universal«-Gruselfilm »Frankensteins Braut«1179 die literarische Vorlage von Mary Shelley nur ein
1178 Kästner, Erich: Pünktchen und Anton. Ein Roman für Kinder, Hamburg/Zürich: Dressler Verlag 2014, S.24. 1179 FRANKENSTEINS BRAUT (BRIDE OF FRANKENSTEIN, USA 1935, R: James Whale)
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»thematischer Nukleus«.1180 Doch gerade »Frankensteins Braut« legitimiert sich noch ausdrücklich durch die Urheberin. In einem Prolog wird die Werkgenese aufgegriffen, in der die (hier bereits ordentlich verheirateten) Shelleys mit Lord Byron die Aussicht des Romans auf Veröffentlichung diskutieren. Diese Einführung stellt die Parallelität von Zensurdebatten im 18. und 20. Jahrhundert heraus und relativiert so die bevorstehenden Schrecken. So erklärt Mary Shelley: »The publishers did not see that my purpose was to write a moral lesson. The punishment that befell a mortal man who dared to emulate God.«/ »Ich glaube, die Verleger erkennen nicht, dass im Grunde meine Geschichte eine moralische Lektion ist. Die Bestrafung eines Sterblichen, der wetteifert mit Gott.«
Shelley, die während dieser Sequenz mit Nähen beschäftigt ist, erscheint als häuslicher Gegenpol zu dem, was die Schauerliteratur an Transgressionspotential verheißt. Bei dieser Erzählerin, die sich selbst vor der Dunkelheit fürchtet, kann das Publikum sich sicher fühlen. Freilich kann dem Beginn auch eine ironische Demaskierung von Geschlechterrollen zugestanden werden, wenn Lord Byron sagt: »Can you believe that bland and loveley brow conceived of Frankenstein?«/»Shelley, können Sie sich vorstellen, dass hinter dieser lieblichen Stirn das fürchterliche Ungeheuer Frankenstein entstand?« In Anbetracht der Protocamp-Clique, die der homosexuelle Regisseur James Whale für die DReharbeiten um sich versammelte, erscheint diese Lesart umso wahrscheinlicher.1181 In diesem Film erschafft Frankenstein eine Braut für sein Monster. Ebenso wie Shelley wird diese von Elsa Lanchester gespielt, »als ultimative Schöpferin und als definitives Geschöpf.«1182 Die Braut bleibt ambivalent gegenüber der ihr zugedachten Rolle: Einerseits widersetzt sie sich dem Zweck, zu dem sie geschaffen wurde, der Verpaarung mit der männlichen Kreatur. Andererseits sucht sie Zuflucht bei ihrem Schöpfer. Frauen leisten in diesem Film von 1935 nur passiven Widerstand gegen ihre Ob-
1180 Kohl, Norbert: »Du bist mein Schöpfer, aber ich bin dein Herr!« Marys Kopfgeburt und die Folgen. In: Mary Shelley: Frankenstein oder Der moderne Prometheus (Frankenstein or The Modern Prometheus. Aus dem Englischen von Karl Bruno Leder & Gerd Leetz). Mit einem Essay und einer Bibliographie von Norbert Kohl, Frankfurt a.M.: Insel 1988, S.301-373, hier: S.350. 1181 Darunter Ernest Thesiger und Elsa Lanchester, ihrerseits Alibigattin des homosexuellen Charles Laughton. 1182 Schifferle, Hans: »Frankensteins Braut«, in: Hans Schifferle: Die 100 besten Horror-Filme, München: Wilhelm Heyne 1994, S.54.
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jektivierung. Sie müssen ihn durch systemimmanente Moral begründen, wie Gottesfurcht (in Shelleys Fall) oder im Fall der Braut durch Keuschheit und Widerwillen gegen einen gesellschaftlich »inadäquaten« Partner. Der Einbezug von Shelleys Autorinnenschaft in »Frankensteins Braut« ist also signifikant. Er führt erstens dazu, dass eine weibliche Erzählperspektive die Deutungsmöglichkeiten der Binnenhandlung erweitert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der rein männliche Schöpfungsakt von Frankenstein und seinem Kollegen Pretorius (im Dialog eingeführt als »a very queer looking old gentleman«/zu deutsch nicht so doppeldeutig als »ein sehr absonderlicher Mann«) wird durch den Umstand, dass die weibliche Kreatur der Erzählerin ähnelt, ad absurdum geführt. Shelleys Präsenz erinnert kundige Zuschauer auch an die verbreitete biographische Deutung des Romans: »Stets war sie [Mary Godwin/Shelley] gefordert, den hochgespannten intellektuellen Erwartungen Godwins sowie ihres späteren Ehemannes durch Lektüre und literarische Betätigung zu genügen, um nicht völlig an den Rand gedrängt, d. h. auf ihre Rolle als Frau fixiert zu werden. Die Situation des Geschöpfes [...] erinnert mitunter an die Lage, in der sich Mary selbst gegenüber ihren beiden engsten Bezugspersonen befunden hat.«1183
Eine andere Deutung sieht die Kreatur als Wiedergeburt von Shelleys Kind: »If the novel’s status as a myth of procreation does not itself suggest the element of motherhood, one should at least know that Mary Shelley was eighteen and the mother of a six month old child when she began writing her story. This child, born prematurely, and dead after two weeks, was apparently erased from conscious memory soon after. {...} For Mary Shelley, authorship and motherhood were equivalent aspects of the same urge toward realization and expression of the self.«1184 (Rubenstein 1976: 165-168)
Doch auch bei Unkenntnis der biographischen Auslegungen propagiert »Frankensteins Braut« weibliche Schöpferkraft. Diese Schöpferkraft soll im Prolog demütig die Naturgewalten würdigen – Mary Shelley beginnt aus Furcht vor dem Gewitter, zu erzählen. Derweil versucht ihr Alter Ego Frankenstein, das Gewitter zu unterwerfen und fängt für seine Experimente den Blitz ein. Der Einbezug Shelleys führt zweitens dazu, dass »Frankensteins Braut« als frühes Produkt des Horrorgenres mehrfach legitimiert wird: Durch die etablierte
1183 Kohl, Norbert: »Du bist mein Schöpfer, aber ich bin dein Herr!«, S.329. 1184 Rubenstein, Marc A.: »My Accursed Origin: The Search for the Mother in Frankenstein«, in: Studies in Romanticism, 15 (1976), S.165-194, hier: S.165-168.
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Kunstform der Literatur, als moralische Parabel, als Adaption von »alter« Literatur (die von der Zensur längst abgesegnet wurde), schließlich als Werk einer Frau, die, abgesehen von eskapistischer Phantasie, ihrem Rollenverhalten gerecht wird, durch Nähen, Empfindlichkeit, pädagogische Verantwortlichkeit und bescheiden abschätzige Reaktionen auf Komplimente.
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3.5 B ÜCHER
ALS FILMISCHE
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In der Stumm- und frühen Tonfilmzeit diente die Literatur dem Film häufig zur Legitimation. Mit dem Siegeszug neuer audiovisueller und interaktiver Medien wurde sie auch dazu genutzt, um die jüngeren Konkurrenten des Kinos abzuwerten. Bücher wurden, wenigstens bis zur Digitalisierung, konventionell positiv gegen das Fernsehen1185 oder Computerspiele1186 abgegrenzt. Dabei übernahmen Spielfilme dieselben kulturpessimistischen Argumente, die in ähnlichem Wortlaut gegen sie geäußert wurden. Da die Handlungen der Bücher in diesen Filmen mit den filmischen Binnenerzählungen identisch sind, wird das Prestige der Kulturtechnik Lesen direkt auf die Filme übertragen. Anders als in Filmen über das Schreiben rückt in Filmen über das Lesen häufiger das Buch als Motiv in den Vordergrund. Der gelungene erste Satz ist ein Zauberspruch, mit dem der Schriftsteller den Raum seiner Phantasie betreten kann; das Buch erscheint demgegenüber als fetischisiertes, magisches Artefakt. Das Lesen kann die im Papier gebannten Geister entfesseln. Bücher versetzen ihre Leser in die Dimension der Literatur. Die Implikationen dieses Vorgangs ließen sich mit einem Rückgriff auf das synoptische Schema Bourdieus in »Die männliche Herrschaft«1187 rasch zuordnen: »Öffnen«, »Eintreten«, »Feucht«, »Innen«, »In sich aufnehmen«, »Schlucken«, »Weiche« Grenzen – die Konfrontation mit dem sich öffnenden Buch ist auch als initiatorisches Moment einer erwachenden, weiblich besetzten Sexualität erkennbar, die noch mystisch und bedrohlich erscheint. In diversen Filmen verschlucken Bücher ihre Leser im wörtlichen Sinn oder verfolgen sie, mit den Buchdeckeln schnappend, einer Vagina Dentata ähnelnd, so in »Armee der Finsternis«1188 oder, bezahnt, pelzig und auf Spinnenbeinen, in »Harry Potter und der Gefangene von Askaban«1189. Nun ist das literarische Werk als Verdichtung eines gefahrvollen Wissens ein Motiv, das aus der Literatur scheinbar direkt übernommen wurde. Es findet sich
1185 Vgl. z. B. TIME BANDITS (UK 1981, R: Terry Gilliam)./MATILDA (USA, 1996, R: Danny DeVito). 1186 Vgl. z. B. DIE BRAUT DES PRINZEN (THE PRINCESS BRIDE, USA 1987, R: Rob Reiner). 1187 Vgl. Bourdieu, Pierre: Die männliche Herrschaft (La domination masculine. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder), Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2012, S.24. 1188 ARMEE DER FINSTERNIS (ARMY OF DARKNESS, USA 1992, R: Sam Raimi). 1189 HARRY POTTER UND DER GEFANGENE VON ASKABAN (HARRY POTTER AND THE PRISONER OF AZKABAN, UK/USA 2004, R: Alfonso Cuarón).
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zum Beispiel bei Leo Perutz (»Der Meister des jüngsten Tages«1190), E. T. A. Hoffmann (»Der Sandmann«1191), Umberto Eco (»Der Name der Rose«1192) oder als das in Menschenhaut gebundene Necronomicon in den Erzählungen H. P. Lovecrafts1193. Bemerkenswert ist jedoch, dass Bücher in der filmischen Konvention überhaupt kultische Objekte bleiben. Selbst in den Utopien und Dystopien des Science-Fiction-Films dient Literaturkenntnis weiterhin dazu, Zivilisationsgrade zu markieren. Im »Star-Trek«-Franchise bauen gesamte Gesellschaften auf einzelnen Büchern auf, die versehentlich auf Planeten zurückgelassen wurden. Dies zeitigt bei der »falschen« Literatur mitunter fatale Folgen – ein Mafiaplanet beruft sich auf das Geschichtsbuch »Chicago Mobs of the Twenties«1194, eine Casino-Welt auf den Trivialroman »Hotel Royale«1195 oder ein nationalsozialistisch organisierter Planet auf »Mein Kampf«1196. Das »richtige« Buch hingegen kann die Menschheit oder gar die gesamte Galaxie retten. Bei einem solchen Werk handelt es sich stets um ein Buch der Hochliteratur, von der die Schöpfer des Franchises ein recht kanonisches Konzept zu haben scheinen. Von bleibendem Wert im Weltraum des 23. und 24. Jahrhunderts erweisen sich im Wesentlichen Melville, Rostand, Hugo, Dickens, Joyce und immer wieder
1190 Vgl. Perutz, Leo: Der Meister des Jüngsten Tages, Wien: Paul Zsolnay Verlag 2003. 1191 Vgl. Hoffmann (1909). 1192 Vgl. Eco, Umberto: Der Name der Rose (Il nome della rosa. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber.), München: Hanser Verlag 1982. 1193 Vgl. z. B.: Lovecraft, H. P.: »Stadt ohne Namen (The Nameless City. Aus dem Englischen von Charlotte Gräfin von Klinckowstroem)«, in: Franz Rottensteiner (Hg.): Lovecraft Lesebuch. Mit einem Essay von Barton Levi St. Armand, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1987, S.33-46./Lovecraft, H. P.: »Der Flüsterer im Dunkeln (The Whisperer in Darkness. Aus dem Englischen von H. C. Artmann)«, in: Franz Rottensteiner (Hg.): Lovecraft Lesebuch. Mit einem Essay von Barton Levi St. Armand, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1987, S.163-240. 1194 RAUMSCHIFF ENTERPRISE: EPIGONEN (STAR TREK: A PIECE OF THE ACTION, Se02, Ep17. USA 1968, R: James Komack). 1195 RAUMSCHIFF ENTERPRISE – DAS NÄCHSTE JAHRHUNDERT: HOTEL ROYALE (STAR TREK – THE NEXT GENERATION: THE ROYALE, Se02, Ep 12. USA 1989, R: Cliff Bole). 1196 RAUMSCHIFF ENTERPRISE: SCHABLONEN DER GEWALT (STAR TREK: PATTERNS OF FORCE,
Se02, Ep21, USA 1968, R: Vincent McEveety.
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Shakespeare. In »Star Trek – Der erste Kontakt«1197 befindet sich etwa der europäische Raumschiffkapitän Picard auf einer Zeitreise. Dabei wird er durch eine bodenständige, afroamerikanische Frau aus dem 21. Jahrhundert geläutert, als diese ihn mit Kapitän Ahab vergleicht. Diese ethische Zuordnung literarischer Bildung wird hier jedoch weniger kritisch kommentiert, als vielmehr praktiziert: Die Afroamerikanerin selbst hat »Moby Dick« zwar nie gelesen, aber der weiße Franzose kann sofort eine Passage zitieren und findet zu seinem kultivierten Entwicklungsniveau zurück. Das Buch ist im Film konventionell also ein Objekt des Alten, wobei diese Musealisierung offenbar mit einem schlechten Gewissen vollzogen wird: Mitunter verübt das Medium Rache an der zeitgenössischen Gesellschaft. Es verübt dann einen »Angriff aus der Tiefe der Vergangenheit [und] vernichtet nach und nach alle bislang als unabänderlich betrachteten Naturgesetze«1198. Bücher verkörpern somit auch verdrängte Spiritualität oder den Tod an sich. In diesem Zusammenhang werden Bibliotheken und Antiquariate in Filmen zu weihevollen Tempeln dieser Kultgegenstände. In dem Thriller »Sieben«1199 recherchieren zwei Polizisten den Fall eines Serienmörders. In einer Sequenz brütet der jüngere der Beiden des Nachts in seinem Apartment über der Fallakte. Der ältere, belesene Detective, mit dem bezeichnenden Namen William Somerset, bemüht sich derweil in seiner Wohnung einzuschlafen. Doch der Straßenlärm hält ihn davon ab. Auch Somersets Versuch einer Selbsthypnose scheitert: Mit einem Metronom versucht er, einen Takt in die Kakophonie aus Geschrei, Motorengeräuschen und Sirenen zu bringen. Schließlich hält es ihn nicht mehr im Bett: Er verlässt seine Wohnung und steigt in ein Taxi. Den Taxifahrer weist er an, ihn möglichst weit weg von der alltäglichen Gewalt auf den Straßen zu fahren. Sein Refugium wird die Bibliothek. Sie stellt in diesem Film eine Insel der Ruhe dar. Dem Wachpersonal hält Somerset vor, dass es an diesem Arbeitsplatz voller Bücher nichts Besseres zu tun habe, als die ganze Nacht über zu pokern. Einer der Angestellten stellt daraufhin, um seine Kultiviertheit zu beweisen, klassische Musik an: Bachs 3. Orchestersuite in D-Dur (BWV 1068 Air). Die Musik entfesselt hier weniger dionysische Energien. Im Gegenteil bringt sie Form in das großstädtische Chaos und tritt als gleichrangiges Gegenmittel neben die Literatur. Für Somerset schafft sie auch die nötige Distanz, sich den finsteren Abgründen der Menschheit zu stellen. Erst
1197 STAR TREK – DER ERSTE KONTAKT (STAR TREK: FIRST CONTACT, USA 1996, R: Jonathan Frakes). 1198 N. Stresau: Der Horror-Film, S.23. 1199 SIEBEN (SE7EN, USA 1995, R: David Fincher).
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ALS FIMLISCHE
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seine Buchrecherche gibt ihm die nötigen Hinweise auf den Täter. Trotz de Sade und Brett Easton Ellis, trotz aller Literatur der Sub- und Gegenkulturen scheinen Bücher und etwa Ska oder Hip-Hop der filmischen Konvention nach unvereinbar zu sein. Bei der Inszenierung literarischer Sphären greifen Filme regelmäßig auf klassische oder klassisch anmutende Orchestrierungen zurück. 1200 So sehr allerdings in »Sieben« die Bibliothek als Ruhe- und Fluchtpunkt erscheint, ist sie doch auch hier ambivalent als Hüterin eines alten Geheimwissens. Aus dem Studium ihrer Schätze bezieht auch der religiös motivierte Serienmörder seine Inspiration. »Die von ihm gelegten Spuren kann der belesene Detektiv deshalb so mühelos entziffern, weil das Anliegen des Mörders – die Erscheinung der irdischen Gewalt aus einer bedeutungslosen Handlung in einen bedeutsamen Akt zu überführen – sich mit Somersets Anliegen deckt, die Beweggründe für ein Verbrechen zu verstehen. Mit anderen Worten: Beide bewegen sich bevorzugt auf der Eben der Repräsentation, was bedeutet, daß sie leibliche Körper immer auch als zeichenhafte Gestalten begreifen wollen.«1201
Doch mindestens ebensosehr wie Cop und Mörder in den Bereich des Zeichenhaften fliehen, ist die palastartige Bibliothek des Films auch umgekehrt ein Ort, an dem das Zeichenhafte in höchster Potenz sinnlich und räumlich erfahrbar wird (wobei die Musik hier den Geruch und die Dreidimensionalität des Raums sowie die Taktilität der Einbände kompensiert). Die schockierenden Tatfotos werden von den Buchillustrationen zwar in eine historische Kette menschlicher Gräueltaten eingeordnet und erklärbar gemacht, gleichsam erwachsen diese Fotos aber auch aus den unheimlichen Büchern – so wie sich zu Beginn von Disneys Märchenfilmen die Buchdeckel über den Bildern des Animationsfilms öffnen und diese langsam in Bewegung gesetzt werden. Und auch zur Bücherei als Transformationsraum entfaltet der Soundtrack eine sakrale Aura, die das Grauen weder gänzlich neutralisiert noch es gänzlich transzendiert. Was Bach hier zum Ausdruck bringt, ist nicht nur die vergeistigte Distanz zur Welt, son-
1200 Dem entsprechen die für diesen Schauplatz typischen langen Kamerafahrten, vgl. Mielke, Christian: »Lesen und Schreiben sehen. Dichtung als Motiv im Film«, in: Kay Kirchmann/Jens Ruchatz (Hg.) unter Mitarbeit von Boris Goesl und Peter Podrez: Medienreflexion im Film. Ein Handbuch, Bielefeld: transcript 2014, S.225241, hier: S.229. 1201 Bronfen, Elisabeth: Einleitung. Der Gang in die Bibliothek. Seven (David Fincher), in: Bronfen, Elisabeth: Heimweh: Illusionsspiele in Hollywood, Berlin: Verlag Volk und Welt, 1999, S.9-38, hier: S.16-17.
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dern ebenso die göttliche Macht, welche kulturelle Überlieferug weiterhin über eine Welt ausübt, für die sie, dem bigotten Kulturpessimismus des Mörders zum Trotz, die ganze Zeit über strukturgebend geblieben ist – das kommt in ihren Ungleichheiten ebenso zum Ausdruck wie auch in den fundamentalistischen Anschlägen ebendieses Mörders (sowie in dem Umstand, dass die Bibliothek eine solche geschützte Sonderstellung einnimmt, während um sie herum soziales Elend herrscht). Die Musik repräsentiert schließlich in einem weiteren Schritt auch sublimierte Sinnlichkeit in Form eines potentiellen ästhetischen Genusses an der Gewalt als Ausdruck absoluter Kontrolle und Objektivierung – ebensogut wie Somerset als gelassenen Aufklärer kann man sich zu Bach als Score vorstellen, wie der Täter in den Gewaltdarstellungen der Bücher schwelgt. Ohne eine solche Aura muss hingegen konventionell die Internetrecherche im Film auskommen. In »Catwoman« versucht die Titelheldin das Geheimnis ihrer Identität online zu ergründen. Dargestellt wird diese Suche durch eine schnelle Montage von Katzen-Bildern zu elektronischer Ambient Music. Suggestiv sind darunter die Marken »Apple« und »Yahoo« geschnitten. Doch diese Suche bringt Catwoman gleichwohl nicht voran. Erst in der Privatbibliothek einer Professorin findet ihre Initiation statt. Diese Sequenz ist in längeren Einstellungen gedreht und wird von Frauenchören begleitet. Die Mise-en-scène ist umrahmt vom Halbkreis der Bücherregale und in goldenes Halblicht getaucht. Und doch, als Catwoman die Bücher durchblättert, ist wieder nur eine Reihe von Illustrationen zu sehen, die Katzenmotive in einem kulturgeschichtlichen Längsschnitt zeigen. Diese Bilder werden jedoch von der Professorin mit sanfter Autorität kommentiert. Catwomans literarischer Mentorin wurde ihr Lehrstuhl an einer Universität gestrichen, wofür sie deren patriarchale Strukturen verantwortlich macht. Sie erweist sich als Vertreterin eines esoterischen Differenzfeminismus. Passend dazu trägt die Professorin den Vornamen Ophelia, womit sie an die durch diese Figur repräsentierte Konnotation von Weiblichkeit und Natur (bzw vegetativer und fluider Fruchtbarkeit) erinnert. Auch gegenüber dem Internet erscheinen Bücher hier also als sakrale Schriften, die in meditativer Ruhe absolute Wahrheiten offenbaren, nicht jedoch als Medium der Ratio (siehe Abb. 48). Die Figuren der Antiquare oder Bibliothekare sind in Filmen konventionell Mentoren, ältere, weise und exzentrische Hüter ihres Heiligtums. Diese widersinnig dunklen Lesestätten erwecken, wie nächtliche Museen oder Kinderzimmer, die Furcht oder Hoffnung, die literarischen Figuren würden zum Leben er1202 wachen. In »Inferno« ist es die Orgelmusik Keith Emersons, die eine unheimlich sakrale Aura entfaltet:
1202 Vgl. V. Pietsch: Die deutsche Twilight Zone, S.145.
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Protagonistin ist hier die junge Musikstudentin Sara. Ihr Haar und ihre Kleidung sind regennass, als sie den immens hohen, aber nur schwach beleuchteten Lesesaal durch einen roten Vorhang betritt. Sara geht vorbei an den Lesetischen, vorbei an einem älteren Herren, der in seine Lektüre versunken ist, und dichter vorbei an einer jungen Frau, die unvermittelt von ihrem Buch zu Sara aufschaut und sie aus unerfindlichen Gründen wissend anlächelt. Sara dreht sich erschrocken um, als sie ein weißhaariger, hagerer Greis in schwarzem Anzug, offenbar ein Mitarbeiter der Bibliothek, fragt, ob sie nach etwas suche. Eingeschüchtert verneint Sara zunächst, bevor sie zugibt, ein Buch mit dem Titel »Die drei Mütter« zu suchen. Der alte Mann entgegnet, es stünde direkt hinter ihr. Wieder dreht sie sich um und dann ein weiteres Mal, um sich zu bedanken, doch der Mann entfernt sich bereits wortlos. Anstelle eines sich öffnenden Buchdeckels rückt hier zunächst der rote Vorhang am Eingang des Lesesaals (siehe Abb. 49). Er vereint das Abgetrennte und doch leicht Erreichbare, das Verhüllte und doch in leuchtendem Rot erst Hervorgehobene, das Unsichtbare und das stofflich Schwere und Sensuelle, kurz, er ist das Symbol der Verführung. Er signalisiert, dass das Dramatische, das sich doch erst in den Büchern finden sollte, bereits den Raum beherrscht. Für den Voyeurismus, der die junge Frau als Repoussoir-Figur des Publikums in diese verbotene Spähre hineinlockt, wird der Zuschauer sogleich gemaßregelt. Unvermittelt trifft ihn der höhnisch-wissende Blick einer Leserin in die Kamera (siehe Abb. 50). Die Leserin straft den Filmzuschauer, der ihr Silentium stört. »Außenszenen oder Hinweise auf das gegenwärtige, urbane Leben fehlen fast völlig« [...], »auf geradezu schlafwandlerische Weise«1203 bewegt sich die junge Frau durch die römische Biblioteca Filosofica, in der »Artefakte früherer Zeiten in turmhohen Aufschichtungen eine nahezu monströse Präsenz«1204 erlangen. Die Bücher, vor denen sie zum Halt kommt, sind dem expressiven Stil des italienischen Giallofilms gemäß in grellem Rot ausgeleuchtet wie die Anzeige eines Pornokinos (siehe Abb. 51). Dennoch benötigt Sara in ihrer Desorientierung drei Umdrehungen, bevor sie das Werk finden darf, das ebenfalls die mystisch besetzte Zahl »Drei« im Titel trägt und ebenso wie die geheimnisvolle Leserin und der Bibliothekar bereits auf sie gewartet zu haben scheint. Schriftsteller wie Leser sind hier nur Diener eines zwischen Buchdeckeln und auf Bücherregalen schlafenden Unterbewussten, zu dem, im Sinne von
1203 Groh, Thomas: »Inferno (1980)«, in: Michael Flintrop/Marcus Stiglegger (Hg.): Dario Argento. Anatomie der Angst, Berlin: Bertz + Fischer 2013, S.201-204, hier S.203. 1204 Ebd., S.203.
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Freud und Lacan, die Sprache der Schlüssel ist. Wird es geweckt, kann es die Welt im Inferno auflösen. Die Literatur ist das libidinös besetzte Objekt der Begierde, das die Figuren und den Raum, die Kamera und die Musik, kurz den Film um sich herum in Bewegung versetzt. Kommt es zum Stillstand, sehen wir ein, dass sein Versprechen an uns unerfüllbar ist, ist auch der Film mit seinen Verlockungen am Ende, mit einem höhnischen Lächeln aus dem zweidimensionalen Abgrund direkt in die Kamera.
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Ergebnisse und Fazit
Kunstwerke lassen sich zu Werken anderer Künste auf vielfältige Weise in Bezug setzen – das scheint ein Gemeinplatz zu sein. Dennoch dominiert in Lehre und Forschung weiterhin ein Bezugspunkt zwischen Literatur und Film, derjenige der Adaption. Der Vergleich zwischen (zumeist literarischer) Vorlage und (zumeist filmischer) Adaption soll in der Legitimität seines Erkenntnisinteresses hier keineswegs bezweifelt werden. Ebenso wenig sollen die Forschungsergebnisse nivelliert werden, die sich solchen Vergleichen verdanken. Kritisch zu betrachten ist hingegen die Dominanz dieses Vergleichsverfahrens in der interdisziplinären Forschung und Lehre zu Film und Literatur. Der Fokus auf die Literaturverfilmung vernachlässigt nach wie vor eine große Vielfalt weiterer Bezüge, die sich gewinnbringend zwischen den beiden Künsten herstellen lassen. In Kapitel 1.1 dieser Arbeit wurde der Vergleich behandelt, den Joachim Paech in seinem Standardwerk »Literatur und Film« und weiteren gegen Ende der 1990er Jahre erschienenen Publikationen anstellt. Paechs entscheidende Prononcierung in seinem intermedialen Zugriff ist, dass er zwischen Medien und Künsten differenziert. Er nimmt erklärtermaßen einen Vergleich zwischen literarischen Texten und Filmen vor, der medial bedingte Differentiale unter ästhetischen Gesichtspunkten herausarbeiten soll. Eine Nähe zu semiotischen Arbeiten Christian Metz’ macht sich allerdings gelegentlich darin bemerkbar, dass Paech auf Analogien zwischen der Schriftsprache und der filmischen Ausdrucksmittel zurückgreift. Paech geht zudem von einer »Literarisierung des Films« aus, der er entscheidende Bedeutung für die Entwicklung der Filmkunst beimisst und die mit dem Erscheinen der ersten abendfüllenden Spielfilme ansetzt (ähnlich Metz, der die Entwicklung der »Filmsprache« auf dieses Format zurückführt). Diese Sichtweise bedingt, dass der Film vorwiegend als erzählende Kunst betrachtet wird. Dementsprechend werden Erzähltexte, insbesondere Romane des 19. und 20. Jahrhunderts zur wichtigsten literarischen Referenzgröße. Auch wird bestimmten filmischen Ausdrucksmitteln eine hervorgehobene Bedeutung beige-
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messen, insbesondere der Montage. Literarische Verfahren, die Ähnlichkeiten zum Filmschnitt aufweisen, werden somit als filmisch oder präfilmisch aufgefasst. Der Filmschnitt wird vor allem hinsichtlich seiner narrativen Funktion wahrgenommen. Eigenschaften des Films, die sich innerhalb derselben Einstellung ausprägen, werden für die Herausbildung einer komplexen Narration als unbedeutend bewertet. Sie erscheinen hier zudem als dem Theater verhaftet, so dass die Erzählliteratur als wichtigster Einfluss auf die filmische Ästhetik dargestellt wird. Dies führt freilich dazu, dass Paechs Arbeit Hierarchien zwischen Erzählliteratur und Film immanent bleiben, obwohl es sein erklärtes Ziel ist, den Film als eine der Literatur gleichwertige Kunstform zu behandeln. Diese Gleichwertigkeit gründet sich hier darauf, dass der Film mit etwas anderen, aber doch analogen Mitteln das vermag, was die Literatur schon früher vermag, nämlich Erzählungen zu schaffen, die den Herausforderungen der Moderne adäquat sind. In Kapitel 1.2. wurde Paechs intermedialer Ansatz daher mit einem Verfahren Elisabeth K. Paefgens verglichen. Dieses Verfahren ließe sich, rekurrierend auf Elisabeth Bronfen, als transmediales Cross-Mapping bezeichnen. Filmische und literarische Werke werden dabei unter dem Gesichtspunkt diverser struktureller Ähnlichkeiten verglichen, die sich aber nicht aus dem adaptiven Transfer ergeben müssen. Methodisch begünstigt wird ein solches Verfahren durch die Digitalisierung, die es erleichtert, Filmsequenzen auch isoliert zu betrachten und Aspekte wie Perspektivik oder Motivik en detail zu analysieren. Auch der filmische Raum lässt sich somit genauer beobachten. In Verfahren der prädigitalen Zeit wurde dagegen häufig die Sequentialität des Films untersucht, nicht zuletzt in einem didaktischen Kontext. Die Erinnerung der linearen Handlung war hier noch weit mehr Voraussetzung für die Orientierung des Analytikers, ob nun anhand von Sequenzprotokollen oder einer literarischen Vorlage. Matthias Schönleber befürwortet dahingegen Paefgens Verfahren insbesondere aufgrund der Problematik des seit den 1980er Jahren gängigen Vergleichs zwischen Literatur und Literaturverfilmung. Dieser Vergleich sei einer qualitativen Hierarchisierung zugunsten der Literatur förderlich, insbesondere in der schulischen Praxis. Schönleber setzt sich argumentativ besonders von André Bazins Plädoyer für die Literaturverfilmung ab. Zwischen Bazins Plädoyer und Schönlebers Gegenrede ist freilich eine sukzessive Entwicklung unter prinzipiell durchaus ähnlichen Anliegen erkennbar: Bazin zufolge hat die Filmkunst dasselbe Potential wie die Literatur, bedarf aber im Vergleich zu letzterer im Jahr 1952 noch der Entwicklung. Dabei solle sie sich stärker am Roman der Moderne anstatt am Roman des 19. Jahrhunderts orientieren. Zudem sei eine Abkehr vom Kollektivwerk der Filmindustrie hin zum Autorenwerk förderlich. Paech vertritt
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über vierzig Jahre später die Ansicht, Film und Literatur hätten denselben qualitativen Grad des Erzählvermögens erreicht. Er wendet weiterhin Vergleiche zwischen Vorlage und Adaption an. Paech wählt aber exemplarisch in »Literatur und Film« bereits eine Filmvorlage und deren literarische Adaption aus, um die traditionell hierarchische Sichtweise aufzubrechen. Schönleber betrachtet ebenfalls beide Künste als einander gleichwertig. Er zieht aber unter anderem aus seiner didaktischen Perspektive heraus den Schluss, dass Paefgens Verfahren unter Umgehung des Adaptionsvergleiches erfolgversprechender ist, um diese Gleichwertigkeit herauszuarbeiten. Als Begriff für die alternativen Schnittstellen zwischen Literatur und Film wählt Schönleber den der »Erzählprobleme«. Sowohl Paechs als auch Paefgens Anliegen ist es, gerade die Differentiale der beiden Künste im Vergleich herauszuarbeiten und so den Blick für ihr unterschiedliches Potential zu schärfen. Dazu erscheint ein weiterer Schritt nötig und vielversprechend. Der Begriff des »Schrittes« sei hier insofern gewählt, als er in der Entwicklung der »Enthierarchisierung« der Künste Literatur und Film steht, die von Bazin über Paech bis zu Paefgen und Schönleber ein Movens der Vergleiche bleibt. Gerade in diesem Sinne soll jedoch auch ein Bruch herbeigeführt werden, nämlich in Bezug auf den Parameter der Narrativität. Filme, gerade auch Spielfilme, sollen qualitativ nicht nur nicht an den Vorgaben von Literaturvorlagen gemessen werden, sondern auch nicht an den Vorlagen der Erzählliteratur allgemein. Diese Sichtweise verdankt sich Paefgen, die in ihren Arbeiten hervorhebt, dass Filme nicht nur mit anderen Mitteln als die Literatur erzählen können, sondern dass sie eben auch vermögen, nicht zu erzählen – und zwar innerhalb der anteilig relativ stark narrativen Formate. Martin Seel schreibt zwar zu Recht: »Selbst die erzählende Literatur kann das Erzählen nicht nur unterbrechen, verlangsamen oder hinauszögern, sondern beinahe ganz suspendieren.«1205 Anders als erzählende Literatur vermögen Filme aber zeitlich simultan die Erzählung zu entwickeln und zugleich nichtnarrative Strukturelemente zu enthalten. Anders als die erzählende Literatur müssen Spielfilme jedoch auch eben diese Beziehungen zwischen narrativ funktionalen Elementen und Elementen an der Peripherie der Erzählung gestalten. Wie die erzählende Literatur können und müssen Spielfilme damit umgehen, dass nicht alle in ihnen enthaltenen Informationen intersubjektiv nachvollzogen werden können. Anders als in der Literatur gilt dies aber nicht nur auf der Verständnis- und Deutungsebene, sondern bereits auf der Zeichenebene.
1205 Seel, Martin: Die Künste des Kinos, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 2013, S.119.
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Das Bewusstsein über diese grundlegende Differenz sollte Vergleichen zwischen Literatur und Film zugrunde liegen. Das bedeutet keineswegs, dass es nicht konstruktiv sein kann, etwa literaturwissenschaftliche Begriffe auf den Film anzuwenden beziehungsweise diese in Hinblick auf den Film zu ergänzen oder abzuwandeln. Auch bezüglich der Literatur stellen Kategorien und Termini ja doch nur Orientierungshilfen dar, die sich auf ein konkretes Werk mehr oder weniger differenziert anwenden lassen. Es sollte jedoch, gerade hinsichtlich narratologischer Kategorien, stets bewusst bleiben, dass ein Film schon in seiner Eigenschaft als »Text« nicht gänzlich in seiner Erzählung aufgehen kann. Vielmehr ist die Erzählung umgekehrt ein mehr oder weniger dominanter Bestandteil eines filmischen Kunstwerkes. In Vergleichen kommt dieser Umstand traditionell nur andeutungsweise oder gar nicht zum Ausdruck; seine Vernachlässigung hat problematische Folgen. So werden Filme und ganze Filmgenres qualitativ einseitig daran gemessen, inwiefern sie Träger von Erzählungen sind. Filmische Mittel, die als wichtig für diese narrative Dimension betrachtet werden, wertet der Diskurs auf. Andere filmische Mittel werden eher vernachlässigt oder abgewertet, wenn sie der Simultaneität und Transgressivität der Objekte im Filmkader Vorschub leisten. Filme, Filmgenres und filmische Mittel, die komplexen Erzählungen als förderlich betrachtet werden, werden ihrerseits einseitig und primär unter inhaltlichen Gesichtspunkten behandelt. Diese Tendenzen verstärken sich, je praxisbezogener oder auch polemischer die Diskursbeiträge verfasst sind. Dabei entsteht im Umkehrschluss häufig ein vereinfachtes Bild des literarischen Realismus und der literarischen Moderne, der Erzählliteratur sowie der Literatur und der Sprache allgemein. Die Priorität, die sich auf Narrationen der beiden Künste richtet, ist stets vor einem ideologischen Hintergrund zu sehen. Die nicht erzählenden Künste sind nicht weniger ideologiehaltig; ebensowenig sind die nichtnarrativen Anteile des Films ideologiefrei. Offenbar aber lassen sich ideologische Ziele an den Konflikten in Erzählungen besonders prägnant veranschaulichen und diskutieren. Das kann sowohl implizit als auch explizit, sowohl auf einer weltanschaulichem als auch auf einer konkret parteipolitischen Ebene geschehen. Je stärker jedoch das Bemühen erkennbar ist, sich gegen eine bestimmte Ideologie zu immunisieren, desto vehementer wird gefordert, die Simultaneität und Transgressivität des Films zugunsten eines klar erkennbaren Narrativs zu begrenzen. Diese Strategien sind innerhalb und außerhalb filmischer Werke erkennbar, letzteres etwa im bildungspolitischen Diskurs. Gegenüber der schriftsprachlichen Literatur steht der Film dabei – zu Recht oder zu Unrecht – unter besonderem Verdacht, weil er durch seine verschiede-
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nen Kommunikationskanäle schwieriger zu überprüfen erscheint. Das Potential zur kollektiven Rezeption lässt den Film andererseits als Ideologieträger im Sinne eines Hoffnungsträgers erscheinen. Die Filmtheoretiker und -praktiker der sich konsolidierenden Sowjetunion (siehe Kapitel 1.3) etwa verlangen in ihren programmatischen Schriften, der Film solle sich nicht mehr an der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts orientieren. Diese wird recht pauschal als psychologische Selbstfindungsliteratur eines individualistischen Bürgertums abgelehnt. In den Poetiken des Films, die in der Sowjetunion der 1920er bis 1930er Jahre entworfen werden, wird keineswegs eine radikale Freisetzung der filmischen Simultaneität und Transgressivität gefordert. Vielmehr soll die Lenkung des Zuschauerblickes auf dialektische Gegensätze etabliert werden. Damit das Publikum diese Dialektik deutlich nachvollziehen kann, wird die Montage zur distinkten Ausdrucksform der Filmkunst erklärt; die Simultaneität lässt sich erst mit der Einführung des Tonfilms nicht mehr länger marginalisieren, wobei auch Ton und Bild Eisenstein zufolge in einen dialektischen Gegensatz treten sollen. Zwar vergleichen Wertow und Šklovskij den Schnittrhythmus mit der lyrischen Metrik, zwar entwickelt Eisenstein das Ziel eines rein intellektuellen Films, der abstrakte Zusammenhänge in Bildgegensätzen darstellen könne. Diesen Ansätzen zum Trotz richtete sich die Priorität in Theorie und Praxis durch eine Orientierung an der Publikumsnachfrage und -beeinflussung rasch auf den Spielfilm. Mit der Herausbildung des sozialistischen Realismus wurde die formale Dialektik zunehmend zugunsten eines linearen Montage- und Erzählflusses aufgegeben. In Kapitel 1.4 wurden die Vergleiche behandelt, die unter filmsemiotischem Erkenntnisinteresse zwischen Literatur und Film angestellt wurden. Sowohl Christian Metz als auch Jan Marie Peters trennen vorfilmische von spezifisch filmsprachlichen Ausdrucksformen. Bei Metz erscheint die Sequentialität der Einstellungen als originär filmische Sprache, bei Peters die Kameraperspektivik und -bewegung. Beide nehmen an, dass die filmische Mise en Scène, Schauspieler, Musik, graphische und tricktechnische Elemente sich durch die Integration in den Film nicht substantiell filmisch verändern. Stattdessen gehen sie wenigstens von einem Minimum photographischer Realität aus, eine Voraussetzung, die sich aber nicht bestätigen lassen kann. Die Auffassung vom Film als einer Sprache ist nicht tragfähig; gerade wegen dieser Erkenntnis war die filmsemiotische Forschung von Bedeutung. Ungeachtet dessen ist der Terminus der Filmsprache ebenso wie das ihn umgebende Wortfeld bis heute gebräuchlich und befördert Missverständnisse, zumal sinnbildliche und wörtliche Intention des Gebrauchs ineinander übergehen.
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Peters’ Annahme eines graduellen Bezuges zwischen der Kameraprspektive und der Involviertheit des Zuschauers führt zum Problem der Perspektivik in Literatur und Film. Die einfache Übereinstimmung zwischen »subjektiver« Kamera und Zuschauerbeteiligung lässt sich ebenso widerlegen wie die Annahme einer einfachen Steigerung von Leseridentifikation über die »Ich«-Erzählweise. Sowohl in der Literatur als auch im Film erscheint bezüglich der rezeptiven Anteilnahme eher die Suspense-Theorie erfolgversprechend, wie sie Alfred Hitchcock aus der Praxis abgeleitet hat. Folgt man dieser Theorie, so ist, wie Adrian Weibel herausarbeitet, die Symmetrie beziehungsweise Asymmetrie der Informationsvergabe zwischen Zuschauer und Figur(en) für die Beteiligung des ersteren ein entscheidender Faktor. Während Weibel den Fokus vor allem auf »negative Information« und daraus resultierende Emotionen legt, lässt sich dies aber auch auf die Antizipation eines positiven Ereignisses übertragen. Anstatt von einer Identifikation des Zuschauers (und Lesers) mit bestimmten Figuren ließe sich somit auch von einer situativen Empathie (und Antipathie) ausgehen, die je nach Informationsstand wechseln kann. Für den Unterschied zwischen Literatur und Film ist diese Frage der Perspektivik insofern bedeutend, als es der Erzählliteratur möglich ist, alle Informationen einer isolierten Figurenperspektive zuzuordnen. Der Spielfilm vermag hingegen nicht nur, verschiedene Perspektiven simultan anstatt nacheinander zu vermitteln. Es ist dem Spielfilm vielmehr gar nicht möglich, alle Informationen des Kaders derselben Figurenperspektive zuzuordnen. Das liegt daran, dass die individuelle Zuschauerperspektive diese Informationen aus der Textmenge filtert, der Zuschauer den »Filmtext« also nie gänzlich in sich aufnehmen kann. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Figurenperspektive und die Zuschauerperspektive hinsichtlich der Textmenge zwangsläufig auseinanderfallen. In der Literatur sind die Perspektive des Lesers und die Figurenperspektive ebenfalls unvereinbar. Doch es ist möglich, vollständig zusammenzufassen (zu zitieren), welche Informationen einer fiktionalen Figur zur Verfügung stehen (oder welche Informationen diese Figur preisgibt). Der Leser kann sich hier rein informell einen vollständigen Überblick nicht über ein Geschehen, aber über eine bestimmte Perspektive auf ein Geschehen schaffen. Angesichts eines Films lässt sich nicht in Übereinkunft sagen, welche »Textmenge« an Zeichen der Figurenperspektive entspricht, weil jeder Zuschauer individuell Zeichen auswählt. Diese Menge kann mit derjenigen der Figur übereinstimmen oder auch nicht. Auch durch Strategien der Blicklenkung und Tonakzentuierung lassen sich nur Wahrscheinlichkeiten erhöhen. Ob ein Film aber zur Gänze das visualisiert und zu Gehör bringt, was eine Figur wahrnimmt,
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wird nie explizit bestätigt, auch nicht bei einer »subjektiven« Kamera oder einer Mindscreen. Aus diesem Grund ist, wie in Kapitel 1.5 dargelegt, auch der filmnarratologische Ansatz spätestens an dem Punkt problematisch, an dem ein gesamtes Filmbild perspektivisch einer immanenten Erzählinstanz zugeordnet wird (oder auch multiplen werkimmanenten Instanzen). Grundlegend ist dagegen stets die Frage zu stellen, wie es sich unter narratologischen Gesichtspunkten mit den Zeichen verhält, die von dem jeweiligen Zuschauer nicht beachtet werden können, zumal deren periphere oder subliminale Wahrnehmung oder deren Nichtbeachtung bei der Werkgenese (Produktion) offensichtlich ebenso einkalkuliert wird wie ihre mögliche Beachtung. In Kapitel 1.6 stellte sich in diesem Sinne die Frage, ob Erzähltexte und Spielfilme im selben Ausmaß das Vermögen teilen, den impliziten Rezipienten auf die eigene Rezeptionshaltung zu verweisen, indem sie die Distanz zwischen ihm und den Figurenperspektiven verdeutlichen. Slavoj Žižek verweist unter Bezugnahme auf Lacan auf literarische wie filmische Beispiele, in denen nicht der Eindruck erweckt wird, das Subjekt könne sich in einer narzisstischen Selbstspiegelung festigen. Stattdessen gebe es künstlerische Verfahren, in denen das Objekt die Rezipienten auf ihre Blicke zurückverweist und somit die Unrepräsentierbarkeit des Realen deutlich werden lässt. Žižek wählt dabei ein »filmisch geschriebenes« Beispiel der epischen Literatur im 19. Jahrhundert: Flauberts »Madame Bovary«. Allerdings, so folgerten die Kapitel 1.7 bis 1.10, ist der Film aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften nicht nur in besonders vielfältiger Weise zu diesem Effekt befähigt, er ist dazu vielmehr disponiert. Soll dieser Effekt eingegrenzt oder vermieden werden, müssen bestimmte Strategien der narrativen Domestizierung filmischer Simultaneität und Transgressivität angewendet werden. Die relativ entschiedene Anwendung oder relativ weitgehende Vermeidung solcher Strategien hat daher auch stets eine pädagogische und politische Dimension. Als grundlegende Strategien erfasst wurden die Lenkung und die Ablenkung des Blickes in der Bilderflut (Kapitel 1.7), die Ablenkung und Lenkung des Bildes im Bilderfluss (Kapitel 1.8), sowie die Abmischung von Ton und Bild (Kapitel 1.9). In Anbetracht der überlieferten Dichotomie zwischen Musik und Sprache (Kapitel 1.9.1) stand zur Diskussion, welche Hierarchien zwischen Sprache und Bild (Kapitel 1.9.2), sowie Musik und Sprache (Kapitel 1.9.3) etabliert werden sollten, zugunsten des Erzählzusammenhangs. Blicklenkung und -ablenkung können jedoch ebenso wie die Tonakzentuierung auch dazu beitragen, diesen Zusammenhang infrage zu stellen. So werden punktuell Rezep-
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tionsmodi provoziert, die eher auf die nichtnarrativen Eigenschaften des Films verweisen (also auf seine Bezüge zu den bildenden, darstellenden oder musikalischen Künsten). Der Film lässt sich, so fasste Kapitel 1.10 zusammen, nur in der Bewegung rezipieren, nur in der Bewegung analysieren und nur in der Bewegung definieren. Das spezifische Differential der Filmkunst gegenüber der Literatur liegt darin, dass der Film bereits auf der Zeichenebene im permanenten Wechsel zwischen der Fokussierung einerseits und der Transgressivität und Simultaneität andererseits begriffen ist. Ein weiteres Differential liegt in der inhärenten Spannung zwischen der Simultaneität des Kaders und der Transgressivität der Formen (sowohl innerhalb der Einstellung als auch in der Montage). Der Film erreicht aber somit unter allen Künsten eine besondere Qualität darin, die Vergänglichkeit gestalterisch auszudrücken. Wenn Vergleiche zur epischen Literatur angestellt werden, so müssen dabei stets die Bezüge zu anderen literarischen Formen und zu anderen Künsten zwar nicht ausführlich vertieft, aber doch bewusst gehalten werden. Bei Paech und Bazin, Wertow und Šklovskij, Pudowkin, Eisenstein und Ėjchenbaum, Metz und Peters, Kuhn, Žižek und Kracauer bleibt gleichwohl die epische Literatur zumal des 19. Jahrhunderts eine maßgebliche Bezugsgröße – beziehungsweise die jeweilige, mehr oder weniger differenzierte Auffassung von dieser Literatur. Kontinuierlich dient der »realistische«, »psychologische«, »bürgerliche« Roman zur Definition dessen, was der Film vermag und soll, ob nun in einer positiven oder negativen Abgrenzung. Parallel dazu problematisieren Adorno und Eisler die Orientierung der Filmmusik an der romantischen Musik des 19. Jahrhunderts. Bei den Autoren, die den positiven Einfluss der präfilmischen Epik auf die Entwicklung des Films hervorheben (also vor allem bei Bazin und Paech), sehen freilich auch den nächsten Entwicklungsschritt in der Orientierung am Roman der Moderne. Weiterhin positiv und vorbildlich erscheint dahingegen die Literatur der realistischen Strömungen (beziehungsweise ein mehr oder weniger verallgemeinerndes Bild dieser Literatur) im medienpädagogischen Diskurs zum Film. Ein prominentes Gegenbeispiel zu dieser Tradition im deutschsprachigen Raum wurde in den Kapiteln 2.1 und 2.2 mit Béla Balázs vorgestellt. Balázs erhofft sich von der Filmkunst die Überwindung einer Entfremdung, die er der schriftlichen und gesprochenen Sprache als Medium des Kapitalismus anlastet (teilweise noch umfassender als einem Medium der »abendländischen Philosophie«). Balázs ist zwar Filmkritiker und -theoretiker, aber auch Filmpädagoge und stellt seinen Schriften wiederholt ein pädagogisches Anliegen voran: »Solange nicht alle Lehrbücher der allgemeinen Kunstgeschichte und der Ästhetik das Kapitel
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über die Filmkunst aufgenommen haben, solange diese Kunstgattung nicht auf den Universitäten und in den Mittelschulen als Pflichtgegenstand gelehrt wird, haben wir eine entscheidende Wendung der Entwicklungsgeschichte des Menschen in unserem Jahrhundert nicht in die Sphäre des Bewußten erhoben.«1206 Diese Euphorie ist jedoch nicht repräsentativ für den deutschsprachigen medienpädagogischen Diskurs zum Film. Dieser Diskurs wurde in Teil 2 dieses Buches einer Analyse unterzogen, dabei wurde ein besonderer Schwerpunkt auf den Zeitraum zwischen 1977 und 2014 gelegt (Kapitel 2.2 bis 2.16). Hinsichtlich der kanonischen Kriterien der Filmauswahl ist hier eine Kontinuität von der fachdidaktischen Ebene bis hin zur Ebene der auswärtigen Kulturpolitik erkennbar (Kapitel 2.3). Diese Kriterien rekurrieren auf programmatische Forderungen, die zwischen 1978 und 1982 zum neuen westdeutschen Kinderfilm erhoben wurden. Die »Emanzipation zum realistischen Kinderfilm« 1207 wurde ausgerufen. Die hier genannten Qualitätsmerkmale weisen wiederum deutliche Parallelen zu den Eigenschaften der sozialkritischen Kinder- und Jugendliteratur auf, die sich in den 1970er Jahren herausbildete. Die Kinderfilmproduktion der bisherigen westdeutschen Nachkriegszeit wurde als politisch reaktionär aufgefasst, »verniedlichte oder vergröberte Geschichten in einem uniformen Märchenklischee, untermischt von öden Späßen, Ballett, Flitter und viel Moral, mit kitschigen Verzuckerungstechnicken aufgeplustert.«1208 Diese Eigenschaften der westdeutschen Märchen- und Abenteuerfilme wurden zum Teil auf die phantastischen Genres an sich übertragen, so dass »Realismus« sich im Diskurs als maßgebliches Qualitätskriterium durchsetzte. Die Genrefilme wurden auch zum Gegenstand der Konsumkritik (Kapitel 2.4). In diesem Kritikpunkt trafen sich diverse politische Interessen und Argumentationslinien der 1980er Jahre ebenso wie in weiteren konsensualen, medienkritischen Kontrastierungen (Kapitel 2.5). Filme standen gegenüber der Literatur verstärkt unter dem Verdacht, Gewalt zu verherrlichen (Kapitel 2.6) und Stereotypen zu befördern (Kapitel 2.7). Diese Kritik traf häufig den Film an sich, in gradueller Steigerung aber allgemein Genrefilme, dann Filme bestimmter Genres (den phantastischen Film, den Thriller und den Actionfilm mit ihren jeweiligen Subgenres sowie den Animationsfilm) und besonders die US-amerika-
1206 B. Balázs: Der Film, S.10. 1207 Schneider, Wolfgang: »Stationen des deutschen Kinderfilms. Eine Materialiensammlung zu seiner Geschichte«, in: Wolfgang Schneider (Hg.): Aufbruch zum neuen bundesdeutschen Kinderfilm, Hardebeck: Eulenhof-Verlag Ehrhardt Heinold, 1982, S.8-33, hier S.29. 1208 Ebd.
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nischen »Eventfilme«, um die sich in den 1980er Jahren die Media Franchises bildeten. Auf einer formalen Ebene wurden filmische Mittel dann als nicht kindgerecht betrachtet, wenn sie sich nicht unauffällig in den Dienst einer überschaubaren und differenzierten Handlungs- und Figurenentwicklung stellten. Allgemein problematisch erschienen also die Steigerungen filmischer Simultaneität und Transgressivität, die sich durch eine neue filmische Ästhetik sowie technische Neuerungen ergaben. Populäre Filme konnten dennoch kanonisch integriert werden, sofern sie »problematische« Eigenschaften durch die genannten Gütekriterien ausglichen (Kapitel 2.8). Diese Kriterien zur Integration und Ausgrenzung blieben bis in die Gegenwart wirksam. Auch wenn die Grenzen zunehmend erweitert wurden, orientierte sich die Legitimation dieser Grenzerweiterungen an Maßstäben, die auf die sozialkritische Kinder- und Jugendliteratur zurückzuführen sind. In den 1980er Jahren wurde den Filmen noch verstärkt das Potential beigemessen, sich einer kognitiven Verarbeitung zu entziehen und ihr kindliches und jugendliches Publikum auf einer reizreflexiven Ebene zu beeinflussen. Dies erschien besonders alarmierend angesichts der » Zombievideos« (Kapitel 2.9). Als Gegenmaßnahme wurde die »Versprachlichung« des Filmerlebnisses zu einer Schlüsselkompetenz der Filmdidaktik im Unterricht, naturgemäß besonders im Deutschunterrichtes (Kapitel 2.10). Die Förderung dieser sprachlichen (oder auch produktivhandelnden) Nach- und Vorbereitung der Filmrezeption bedingte, dass sich der Unterricht zumindest kritisch auch mit den bis dahin eher tabuisierten Filmformaten auseinandersetzte. Diese Zuwendung wurde in den 1990er bis 2000er Jahren durch verschiedene Faktoren erleichtert. Einer dieser Faktoren war die zunehmende Orientierung der phantastischen Filmgenres an psychologischrealistischen Erzählweisen der Kinder- und Jugendliteratur (Kapitel 2.11), ein weiterer die entwicklungspsychologische Rehabilitierung von Regressionsangeboten (Kapitel 2.12). Die Bedeutung dieser Faktoren weist freilich schon darauf hin, dass sich an grundsätzlichen Maßstäben der Filmpädagogik (und nun auch fachspezifischen Filmdidaktik) wenig änderte. Filme wurden wie zuvor umso positiver bewertet, wenn sie sich an realistischen Erzählformen der Epik orientierten. Weiterhin schien die Filmkunst an sich den Beiträgen zufolge im Vergleich zur Literatur eine passiv-regressive Rezeptionsweise zu begünstigen. Noch 2013 schreibt Martin Seel in »Die Künste des Kinos«: »Im Kino feiern wir die passive Seite unserer Existenz, ohne deren Genuss alle unsere Aktivitäten einigermaßen vergeblich wären. In dieser Aufforderung zum Geschehenlassen besteht das Ethos des Kinos«.1209
1209 M. Seel: Die Künste des Kinos, S.16.
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Im direkten Vergleich zwischen Film und Literatur formuliert er weiterhin: »Der literarische Text ist eine Partitur, die von den Leserinnen und Lesern zur Aufführung gebracht wird. Der im Kino dargebotene Film dagegen ist eine Vorführung, die ihre Zuschauer weit stärker an den eigenen Ablauf bindet.«1210 Die Deutschdidaktik steht freilich seit den späten 1990er Jahren auch unter dem Druck verschiedener Faktoren, die sie dazu bewegen, den Film zunehmend in die Leseförderung miteinzubeziehen. Einer dieser Faktoren ist die Digitalisierung, die sich aufgrund ihrer Durchdringung der Arbeitswelt nicht mehr wie Kino, Fernsehen und Video notdürftig in die außerschulische Freizeit verdrängen lassen (2.13). Ein weiterer Faktor ist der Bedarf, der an einer geschlechtsspezifischen Leseförderung gesehen wird (2.14). Filme wirken aufgrund ihrer technischen Produktions- und Rezeptionsweise und aufgrund der besonders populären, aber problematisierten Genres als eine stärker männlich besetzte Kunstform als die Literatur. Unter beiden Gesichtspunkten erscheinen Filme aufgrund der konventionell gesehenen Gemeinsamkeiten zur epischen Literatur noch am ehesten geeignet, Synergieffekte zugunsten der literarischen Sozialisation zu erzeugen. Diese Neubewertung von Zuschreibungen unter einer gleichzeitig kaum veränderten, episch-literarisch geprägten Perspektive auf den Film, ist jedoch nicht unkritisch zu sehen (Kapitel 2.15). Wurden Filme in den 1980er Jahren unter narrativen und ideologiekritischen Gesichtspunkten oft verallgemeinernd negativ bewertet, so werden sie seit den späten 1990er Jahren unter ebenso narrativen Gesichtspunkten entweder ideologisch affirmativ betrachtet oder aktiv als ideologische Funktionsträger eingesetzt. So erhoffen sich auch staatliche Institutionen Synergieffekte. Aber bereits auf der fachdidaktischen Ebene werden Filme tendenziell zum Anlass genommen, mythologische Strukturen bereitwillig zu reaktivieren und ökonomische sowie politische Bedingungen eher zu nutzen als sie zu thematisieren. Auch die Funktionalisierung zur Leseförderung führt zu einer vereinfachten und verallgemeinerten Auffassung des Films. Dies gilt selbst noch für Filme, die Produkte von Media Franchises sind, aber wegen ihrer globalen Ausrichtung an diversen ethnischen, sexuellen, subkulturellen und politischen Zielgruppen durchaus transgressive Tendenzen aufweisen können. Die literaturdidaktische Integration des phantastischen Films hebt etwa motivische Archetypen hervor, die sich von den Filmen ausgehend über die Literatur bis hin zu den antiken Mythen zurückverfolgen lassen (Kapitel 2.16). Dabei sollten jedoch weder die diversen historischen Bedingungen noch die diversen künstlerischen und medialen Bedingungen der jeweiligen Werke vernachlässigt werden. Andernfalls werden die Werke auf die Bestätigung der »Reise des Helden« als einer
1210 Ebd., S.120-121.
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systemunabhängigen, kollektiv unterbewussten Erfolgsgeschichte reduziert, in der sich die Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen als lineares Erfolgsmodell narzisstisch widerspiegelt. Es lassen sich also zwar Diskontinuitäten des filmpädagogischen Diskurses zwischen den 1980er, 1990er und 2000er bis 2010er Jahren festhalten (Kapitel 2.17), von denen die aber bereits in Teil 1 des Buches benannte Orientierung an einer mehr oder weniger vagen Auffassung von realistischer Erzählliteratur unberührt bleibt. Obschon Balázs bereits als Gegenbeispiel angeführt wurde, so gibt es freilich auch Argumentationslinien, die sich bis in seine Schaffenszeit zurückverfolgen lassen. Bemerkenswert erscheint dagegen vor allem, dass sich seither keine vergleichbar rezipierte Stimme mehr im deutschen pädagogischen Diskurs erhoben hat, die so vehement die Literatur und die Schriftsprache allgemein gegenüber dem Film abgewertet hat. Der Film wird bereits seit den ersten öffentlichen Vorführungen 1895 auch vehement als Bedrohung der Schriftkultur kritisiert, insbesondere von organisierten Vertretern der erzieherischen Institutionen Schule, Kirche und Rechtsprechung (Kapitel 2.18). Sie fordern eine kompensatorische Ausrichtung der Filme an den Klassikern des literarischen Kanons. Die deutsche Premiere von »Krieg der Sterne« im Jahr 1978 markiert den Beginn einer Entwicklung, mit der sich die Konkurrenz zur Literatur aus bewahrpädagogischer Perspektive in einem Feindbild verdichtet und potenziert, nämlich dem des Eventfilms als Kern eines Media Franchises. Zudem werden ab dem Sendebeginn des öffentlich-rechtlichen Fernsehens 1950 die Rezeptionsmodi des Films gegenüber denen der Literatur besonders problematisiert (Kapitel 2.19). Zwar haftet bereits dem Kino ein dubioses Image an, doch mit der quantitativen Ausweitung des Angebots über das Fernsehen wird der Konkurrenzdruck auf die Literatur erhöht. Nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Filmpropaganda wird von den Vertretern der Frankfurter Schule der mediale Eingriff des öffentlichen Raums in den Privatraum der Bürger diskutiert. Aufgrund seines über die öffentlich-rechtlichen Institutionen beeinflussbaren Programms erscheint das Fernsehen aber durchaus auch als potentielles Mittel der Aufklärung. Ab 1978 verschärft sich jedoch die Kritik am Film bezüglich veränderter Rezeptionsmodi: Durch die Etablierung des Home Videos entzieht sich die Filmsichtung sowohl zeitlich als auch inhaltlich der öffentlichen Kontrolle. Zudem ermöglicht die Videotechnik eine Isolation von Sequenzen und Bildern aus dem Erzählzusammenhang. Dieser Umstand dient als Argument für die Gefahr einer (gewalt-) pornographischen Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen. Danach verlagert sich die Videokritik zu Beginn der 1990er Jahre auf die Kritik am Privatfernsehen. Mit der digitalen Revolution, die in Deutschland ab 1996 verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung dringt, steigern sich die
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quantitative Verfügbarkeit von Filmen und die Verfügbarkeit von Ausschnitten und Einzelbildern erheblich. Die marktgesteuerte und isolierte Filmrezeption unter Umgehung des öffentlich-rechtlichen Raumes wird nun nicht länger als Unterschichtsphänomen betrachtet. Da auch zum Lesen und Schreiben zunehmend der Computer benutzt wird, er aber ebenso als Medium der Filmwiedergabe dient, taugt dieses interaktive Medium nicht zum negativen Sinnbild der Filmrezeption im Kontrast zur Lektüre, wie dies das Video oder der Fernseher noch taten. Der populäre Genrefilm wird in besonderem Maße als negativer Einfluss auf die literarische und sprachliche Sozialisation betrachtet (Kapitel 2.20). Als Gründe werden verallgemeinernd seine Kommerzialität und seine damit einhergehende Tendenz zur Stereotypisierung angeführt. Auch die konstatierte Tendenz des Genrefilms, einen differenzierten Erzählzusammenhang zugunsten von Bild- und Toneffekten zu vernachlässigen, wird kritisch gesehen. Als positive Gegenbeispiele werden nicht nur realistische Darstellungs- und Erzählformen des Films und der Literatur angeführt, sondern teilweise auch eine »außermediale« Alltagsrealität und Authentizität. Darin drückt sich offensichtlich ein positivistisches Verständnis von Wirklichkeit aus. Diese »Wirklichkeit« wird gleichwohl weniger gegensätzlich zur fiktionalen Literatur oder auch zu ihrer Repräsentation durch die Sprache gesehen. Offensichtlich wird hier eher die Alltagsrealität eines erwachsenen Bildungsbürgertums, die noch stärker schriftlich und literarisch durchwirkt zu sein scheint, der angenommenen Alltagsrealität des jugendlichen Filmpublikums gegenübergestellt. Bestimmte Genres werden unter dem Gesichtspunkt des realistischen Erzählens als besonders kritisch angesehen, so die phantastischen Filmgenres sowie Thriller-, Action- und Abenteuergenres, außerdem der cartooneske Animationsfilm und die Slapstickkomödie. 1916 betrachtet Paul Wegener gerade die phantastischen Stoffe für die Entwicklung der filmischen Ausdrucksmittel als wegweisend (denen Joachim Paech z. B. nur Bedeutung auf einem niedrigen Entwicklungsniveau zugebilligt hat). Wegener hat dabei besonders die Tricktechnik und die mit ihr erzeugten metamorphischen Effekte vor Augen. Mit der Exilierung bedeutender Filmschaffender in den 1930er Jahren nimmt der prägende Einfluss der deutschen Filmproduktion auf die internationale Entwicklung des populären Films ein jähes Ende. Joseph Goebbels betrachtet bestimmte Genres wie das Melodram, die Komödie, den Historien- oder den Musikfilm als besonders geeignet für die implizite Vermittlung von Propaganda. Der phantastische Film hingegen wird von der Reichsfilmkammer abgelehnt, wegen seiner utopischen und dystopischen Gegenentwürfe zur Gesellschaft ebenso wie wegen seiner metaphorischen Polyvalenz und
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seiner »destruktiven« Tendenzen zur Zersetzung des Raums im Horrorfilm, die als dekadent und morbide erscheinen. Nach 1945 hält die politisch linke und bürgerlich-liberale Filmkritik den vermeintlich »unpolitischen« Unterhaltungsfilm für nachhaltig belastet. Aber auch die im Nationalsozialismus unterdrückten Genres werden nicht rehabilitiert. Von Seiten vieler Vertreter, die sich der politischen Rechten zuordnen, trifft den populären Film ohnehin elitärer Kulturpessimismus. Dieser Bruch in der deutschen Filmgeschichte bleibt bis in die Gegenwart wirksam, allerdings wird die Ablehnung des Genrekinos im öffentlichen Diskurs zugespitzt, als Eventfilme wie »Krieg der Sterne« einen Fantasyboom in den 1980er Jahren vorbereiten. Tricktechnische Innovationen ermöglichen eine Intensivierung und Beschleunigung der simultanen und transgressiven Eigenschaften des Films. Diese Entwicklung löst nicht nur die Bewegung des New Hollywood ab, sondern auch die mit dieser Bewegung ökonomisch wie programmatisch verknüpften Erneuerungsbewegungen des europäischen Films. Ab der zunehmenden Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation 1990 zeichnet sich eine Wende ab: Actionfilme und phantastische Filme werden nun weniger als propagandistische Vehikel und eskapistische Verschleierungen der US-amerikanischen, republikanischen Regierungspolitik betrachtet. Auch werden die konstatierten »Regressionsangebote« dieser Filme in ihrer entwicklungspsychologischen Bedeutung aufgewertet. Erst mit dem zweiten Fantasyboom werden die populären Filme jedoch nicht nur als in Maßen legitime Ablenkung von der Literatur betrachtet, sondern sogar auf breiter Ebene für die Leseförderung funktionalisiert. Diese Wende tritt 2001 mit »Harry Potter und der Stein der Weisen« sowie »Der Herr der Ringe – Die Gefährten« ein, zwei Adaptionen phantastischer Literatur (die ihrerseits im Bildungskontext aufgewertet wird). Die US-amerikanische Dominanz auf dem Filmmarkt trägt ebenfalls zu den Gegensätzen bei, die im filmpädagogischen Diskurs von Film und Literatur sowie von schlechten und guten Filmen entworfen werden (Kapitel 2.21). Erkennbar wird eine kontinuierliche Kontrastierung von »europäischer Lesekultur« und »amerikanischer Bilderflut«, von »europäischer Authentizität und Originalität« und »amerikanischer Synthetik und Aneignung«. Hollywood als Inkarnation der US-amerikanischen Filmindustrie wird zum gemeinsamen Ziel der Kapitalismus- und Imperialismuskritik unterschiedlichster Provenienz. Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 und dem Ende des Kalten Krieges verliert diese defensive Haltung an Vehemenz. In den Ereignissen und Serien des filmpädagogischen Diskurses zwischen 1895 und 2014, sowie besonders zwischen 1978 und 2014 (Kapitel 2.22) lassen
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sich bei aller Wechselhaftigkeit durchgängig wirksame Konventionen zusammenfassen: Filme werden an dem Vorbild der Literatur gemessen, wobei diese Kontrastierung beiden Künsten nicht gerecht wird. Filme werden insbesondere an dem Vorbild realistischer Erzählformen gemessen, an der Literatur des Realismus, der Neuen Sachlichkeit und der sozialkritischen Kinder- und Jugendliteratur. Auch diese Kontrastierung wird weder den Filmen noch den benannten literarischen Strömungen gerecht. Das Lesen von Literatur wird im Vergleich mit dem Sehen von Filmen pauschal als kognitiv aktiverer und weniger manipulierbarer Rezeptionsvorgang betrachtet, allerdings auch als weniger affektiv und sinnlich. Um einer »Überforderung« beziehungsweise Manipulation der Kinder und Jugendlichen vorzubeugen, müssen die Transgressivität und Simultaneität des Films narrativ domestiziert werden, damit die Filmwirkung vermittels des Narrativs wiederum literatur- und sprachdidaktisch domestiziert werden kann. Die Auffassung eines »guten« Films, also einer differenzierten Filmerzählung als philosophischer und pädagogischer Praxis, korrespondiert mit den graduellen Modellen der Entwicklungspsychologie sowie mit dem humanistischen Bildungsideal (Kapitel 2.23). Filme werden über ihre Erzählung dazu funktionalisiert, die Entwicklung des Rezipienten zu einem gesellschaftlich verantwortlichen Individuum zu festigen und Konflikte der »Alltagsrealität« zu veranschaulichen (das gilt ab den 2000er Jahren auch für die Filme der phantastischen Genres). Weder soll die Inbezugsetzung der Filmkunst und des Bildungsideals, noch die Inbezugsetzung der Filmkunst und der epischen Literatur, noch die Inbezugsetzung der Filmkunst und der realistischen Erzählweisen an dieser Stelle abgelehnt werden. Es soll auch nicht pauschal der populäre Genrefilm als vollkommene Verwirklichung filmischer Ausdrucksweisen kanonisiert werden. Er steht vielmehr stellvertretend für die filmischen Eigenschaften, mit denen die Filmkunst im Vergleich zur Literatur als negativ behaftet erschien, die aber doch substantiell sind. Eine primär an linearen Strukturen orientierte Filmdidaktik weist diverse Risiken auf (Kapitel 2.24). So kann sich der Fokus auf den Inhalt unter Nichtbeachtung der kunstspezifischen Ästhetik und medienspezifischen Form richten. Distinktionen zwischen dem Film und der Literatur können verschwimmen. Umgekehrt könne Filme ebenso wie Filmgenres und filmische Ausdrucksmittel verallgemeinernd auf- oder abgewertet werden, wenn sie einem Idealbild von Literatur nicht gerecht werden. Auch die Wahrnehmung der Literatur im Vergleich zum Film kann deren irritierendes, spielerisches, manipulatives und affektives Potential vernachlässigen. Ideologiekritik kann sich einseitig auf bestimmte
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Strukturen des Films richten und andere Strukturen darüber vernachlässigen. Nicht zuletzt können Filme und literarische Texte dazu genutzt werden, ein einseitiges Idealbild der kontinuierlichen persönlichen Entwicklung als kausallogischer Erfolgsgeschichte zu propagieren. Bezüglich der Integration der früher negativ besetzten Filmformate ließe sich konstatieren, dass diese auch den schulischen Leistungsanforderungen unterworfen werden und selbst zu Funktionsträgern der Leistungsgesellschaft werden. Kontemplative, affektive und schwelgerische Rezeptionsmodi sollen in diesem Sinne als »regressive« Regenerationspausen und Anlässe zur Versprachlichung und Nacherzählung instrumentalisiert werden. Das Image des Films ginge im Literaturunterricht somit schlimmstenfalls seiner viralen und subversiven Kraft langfristig ebenso verlustig wie das Image der Literatur (und dann wären die Computerspiele an der Reihe). Diesen Risiken gegenüber eröffnen sich Perspektiven einer gleichberechtigten Integration des Films als Differenzerfahrung (Kapitel 2.25) in den Literaturunterricht. Das transmediale Cross-Mapping, wie es Paefgen vorexerziert, erscheint dazu als ein geeignetes Verfahren. Voraussetzung dafür ist jedoch ein grundliegendes Bewusstsein über die nicht nur partielle, sondern basale Differenz zwischen der Kunst der Literatur und der Kunst des Films. Um dieses Bewusstsein zu befördern, hat die vorliegende Arbeit diese Distinktion möglichst weitgehend betrieben, bis zu einem Nullpunkt des Sprachlichen und bis zu einem Nullpunkt des Narrativen im Spielfilm. Ziel war es dabei, die Paradigmen, die den Vergleich zwischen Film und Literatur seit 1895 geprägt haben, in der Theorie- und Diskursanalyse herauszuarbeiten und dann exemplarisch zu durchbrechen. Nach dieser Auflösung falscher, missverständlicher oder auch nur allzu dominanter Kombinationen, die sich über 119 Jahre gefestigt haben, lassen sich nun Filme und literarische Texte wieder als eigenständig wahrgenommene Werke einander annähern. So wird es möglich, »analog etwa zu den Figuren der Intertextualität [...], und anknüpfend an die Darstellung ›intermedialer Konfigurationen‹ [...] eine historisch begründete Systematik der Figurationen der Intermedialität, zum Beispiel im Film, aber auch in anderen medialen Konstellationen herauszuarbeiten.«1211 Anstelle von Intermedialiät sollte man unter Bezug auf Kapitel 1.2 allerdings eher von Transmedialität sprechen. In diesen transmedialen Figurationen lassen sich zunächst drei große Bereiche auseinanderhalten, die selbstverständlich interferieren: der Bereich der Theorie, der Bereich der Geschichte und der Bereich der individuellen Werkstruktur.
1211 J. Paech: Intermedialität, S.469.
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Auf der Ebene der Theorie wurden beispielsweise Film und Literatur in dieser Arbeit wie folgt miteinander verglichen: unter formalistischer und kognitivistischer Perspektive, unter semiotischer und narratologischer Perspektive, unter der Perspektive der ästhetischen Kunsttheorie sowie unter poststrukturalistischer und neokantianischer Perspektive. Auf der Ebene der Geschichte können Filme unter dem Aspekt gemeinsamer historischer Bedingungen der Werkgenese und Rezeption behandelt werden.1212 Von besonderer Bedeutung sind dabei die Mediengeschichte und die damit verbundenen Debatten zu Zensur und Medienkritik. 1213 Untersuchen lassen sich zudem der Einfluss literarischer Strömungen auf die Rezeption und Produktion von Filmen einerseits1214 sowie der Einfluss filmischer Stilepochen auf die Literatur andererseits. Auf der Ebene der individuellen Werkstruktur lassen sich literarische Texte mit Filmen unter dem Aspekt der Adaption vergleichen.1215 Weitere Bezüge ergeben sich durch explizite und implizite Zitationen von literarischen Werken durch den Film und umgekehrt.1216 Auch lässt sich der Vergleich über gemeinsame Genres oder Genreeigenschaften herstellen.1217 Weitere Anlässe finden
1212 In diesem Buch etwa die marxistisch-leninistische Revolution und die stalinistische Diktatur in der Sowjetunion, die politique des auteurs in der europäischen Nachkriegszeit, der überlieferte Gegensatz zwischen Musik und Sprache bis hin zum Wagnerschen Gesamtkunstwerk, die Einführung des Tonfilms und der Nationalsozialismus, der Kalte Krieg und die Globalisierung. Von durchgängiger Bedeutung erwies sich zudem das Humboldtsche Bildungsideal und seine Herausforderung durch die Bedingungen der Moderne und Postmoderne. 1213 Hier etwa die Einführung des Kinos, des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, des Videos und des Privatfernsehens sowie die Digitalisierung. 1214 Im Zusammenhang dieses Buches: Romantik, Realismus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit, sozialistischer Realismus, sozialkritische Kinder- und Jugendliteratur, Roman der Moderne. 1215 So in diesem Buch etwa die filmische Adaption des Romans »Buddenbrooks« von 1959 mit der Vorlage oder die filmischen Adaptionen der Erzählung »Dr. Jekyll und Mr. Hyde« von 1931 und 1963 mit ihrer Vorlage. 1216 Siehe etwa die Anspielungen auf »Faust« in DONNIE DARKO, wie in der Einleitung erläutert. 1217 So wurden Passagen aus den literarischen Texten »Hänsel und Gretel«, Das verräterische Herz«, »Der goldne Topf« und »Dr. Jekyll und Mr. Hyde« mit Filmsequenzen aus HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS, DR. JEKYLL UND MR. HYDE, DER VERRÜCKTE PROFESSOR und DAS FENSTER ZUM HOF verglichen.
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sich in Motiven und Symbolen, Stoffen und Themen, die von literarischen und filmischen Werken gleichsam verarbeitet werden. Von besonderem Interesse sind dabei Reflexionen der filmischen Kunst durch die literarische Kunst und umgekehrt, etwa dort, wo im Film Schriftsteller und Leser, Schreiben und Lesen, Bücher und Bibliotheken dargestellt werden. Dabei handelt es sich freilich weitgehend um versteckte Selbstreflexionen des Films. Der Film ist zu verschieden von der Literatur, um mit seinen formalen Mitteln etwas anderes gestalten zu können als genuin filmische Erfahrungen, wenn er das Lesen und Schreiben zeigen soll. Weder auf eine kleinste sprachliche Einheit noch auf eine größte narrative Instanz lässt sich der Film bringen. Möglich ist es nur, ihn von seinen Extremen her einzugrenzen, also von einem hohen Maß an Simultaneität oder Transgressivität einerseits und von einer entschiedenen Domestizierung derselben andererseits. Was den Film definitorisch auszeichnet, liegt somit in der Bewegung zwischen seinen verschiedenen künstlerischen Codierungen, in einem flüchtigen und in stetiger Veränderung begriffenen Zwischenraum So hat das Filmsehen, aber auch das Schreiben und Reden über den Film stets den Charakter einer Verfolgungsjagd, so wie Jonathan Harker in »Bram Stoker’s Dracula«1218 versucht, die Eindrücke der wilden, an seinem Zugfenster vorbeifliegenden Landschaft Transsylvaniens in seinem Tagebuch einzufangen (siehe Abb. 52). Wie in »Profondo Rosso« hetzt der Rezipient durch die Montage der Bedeutung nach, während diese sich in der Tiefe des filmischen Raums versteckt hält. Wie in »Die Nacht des Jägers« muss sich der Jäger im Gewirr der Mise-en-scène zurechtfinden und bleibt schließlich am Ufer zurück, während die Bedeutung ihm im Erzählfluss davontreibt. Das eigentlich »Filmische« bleibt unfassbar, es liegt in einer ständigen Hervorhebung und Abmischung, in einer ständigen Sortierung und Vermengung der verschiedenen Künste. Daher lässt sich der Film als Kunst lediglich durch einen Vergleich mit einer anderen Kunstform definitorisch begreifen, aber nur in dem Bewusstsein dessen, dass er gleichzeitig auch mit allen anderen Kunstformen verglichen werden müsste. Die Strategien der narrativen Domestizierung schaffen auch ideologische Orientierungen in Filmen. Doch auch dort, wo sie den Blick des Zuschauers auf sich selbst zurückwerfen und ihm die narzisstische Selbstspiegelung verweigern,
Gemeinsamer Bezugspunkt waren dabei Genreeigenschaften des Psychothrillers gemäß der Hitchcock’schen Suspensetheorie. 1218 Bram Stoker’s Dracula (USA 1992. R: Francis Ford Coppola).
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befreien sie sich nicht von der Ideologie. Durch die Blicklenkung und die Tonakzentuierung wird die Erzählung jedoch deutlicher. Gleichsam wird der ideologische Konflikt, von dem sie handelt, transparenter. Insofern stellen Blicklenkung und Tonakzentuierung nicht nur narrative, sondern auch pädagogische Verfahren dar. In den filmtheoretischen Beiträgen werden stets politische Interessen deutlich, oft explizit und appellativ. Nicht zuletzt aus diesem Grund kommt der Narrativität im Film eine besondere Priorität auch im medienpädagogischen Bildungsdiskurs zu. Filme sind schwer nachzuerzählen, aber welche anderen Methoden bieten sich in der Praxis überhaupt an? Durch ein Verfahren aus der Praxis der Filmdistribution könnten die SchülerInnen schreibend und lesend zu den flüchtigen Eindrücken des Filmerlebnisses aufholen – so der folgende Ausblick am Ende dieses Buches.
Ein Vorschlag für die Praxis: Spuren in Filmen lesen und legen
Angeregt durch das transmediale Cross-Mapping sei hier ein methodisches Verfahren vorgeschlagen, dass sich für die Filmdidaktik im besonderen Maße eignet, wenn Filme in Bezug zu literarischen Texten gesetzt werden sollen. Es eignet es sich aber auch generell, um das Schreiben und Sprechen zum Film auf eine Weise zu schulen, die der filmspezifischen Ästhetik und Medialität gerecht wird. Durch die Digitalisierung ergibt sich auch im Unterricht die Möglichkeit, nicht mehr länger nur über Filme, sondern in Filmen zu schreiben und zu sprechen. Die Rede ist hier von den Paratexten des Films, die sich in OnlineFilmblogs oder im DVD-Bonusmaterial vorfinden, insbesondere von Audiokommentaren. Dabei handelt es sich nicht mehr um eine nachträgliche »Versprachlichung« und »Nacherzählung« des Filmerlebnisses. Vielmehr treten die Kommentare auf Tonspuren in eine simultane Wechselbeziehung mit dem Bild ein. »Während das Video die Filmgattungen in den Vordergrund gestellt hat, scheinen jene Paratexte einer anderen Organisationslogik zu unterstehen, nämlich dem Prinzip der Autorschaft, das auf den Prozess der Autorisierung aus der Zeit der Einführung des Buchdrucks zurück zu führen ist. [...] Gespräche, Interviews, hauptsächlich aber Audiokommentare der Filmemacher selbst, fördern in hohem Maße den Aufstieg des gesprochenen Wortes innerhalb der extrafilmischen Diskursnetzwerke. Denn [...] findet über einen Film kein Gespräch statt, so verliert dieser eines seiner wichtigsten Diskursfelder. Das verringert 1219
wiederum beträchtlich seine kulturelle Relevanz.«
1219 Gwóźdź, Andrzej: »Film nach dem Kino. Ein Paratext mit Ausblick auf die Filmgeschichtsschreibung«, in: Andrzej Gwóźdź (Hg.): Film als Baustelle. Film under
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1984 wurde auf der Laser Disc der Criterion Collection von »King Kong und die weiße Frau«1220 von dem Filmhistoriker Ronald Havers der erste Audiokommentar eingesprochen. Seither hat sich dieses Feature in vielfältige Formen ausdifferenziert, begünstigt durch die über die DVD bis zur BluRay stetig erhöhte Speicherkapazität. Im Sprung von Tonspur zu Tonspur lässt sich binnen einer Sekunde der Perspektivwechsel zwischen persönlichen Erinnerungen, Formanalyse und philosophischer Exegese vollziehen. So finden sich etwa auf »The Ultimate Matrix Collection«1221 für jeden Film des Franchises diverse Audiokommentare: Je ein Kommentar von den Filmkritikern Todd McCarthy, John Powers und David Thomson, je ein Kommentar von den Philosophen Ken Wilber und Cornel West sowie Kommentare beteiligter Filmschaffender wie der Schauspielerin Carrie Anne Moss oder des Komponisten Don Davis. Von einem wissenschaftlichen und didaktischen Verfahren für Cineasten wurde der Audiokommentar mit der Etablierung der DVD zum konventionellen Bestandteil des Bonusmaterials. Eine besondere Reichhaltigkeit paratextuellen Materials sollte als Qualitätsmerkmal kostspieliger DVD-Veröffentlichungen dienen. Eventuell bleiben die Paratexte nicht auf Filmveröffentlichungen jenseits des Kinos beschränkt, wie der Vorstoß zum »in-theatre-commentary« andeutet: Zu »Looper«1222 hat der Regisseur Rian Johnson noch vor der DVD-Erstausgabe eine MP3 online zur Verfügung gestellt, die er dem Publikum über die Smartphone-Kopfhörer während des wiederholten Kinobesuchs empfiehlt. Solcherart eingebunden in die Filmvermarktung können Audiokommentare freilich nur im begrenztem Umfang auch Kritik an den jeweiligen Werken beziehungsweise an deren Produktionsbedingungen üben. Gleichsam wird das Format aber auch durch Filmschaffende dazu genutzt, um Mythisierungen der Werkgenese durch den Wissenschafts- und Kulturbetrieb zu persiflieren. So enthält die DVD-Veröffentlichung anno 2001 von
re-construction. Das Kino und seine Paratexte. Cinema and its paratexts, Marburg: Schüren 2009, S.72-88, hier S.81. 1220 THE CRITERION COLLECTION: KING KONG (New York: The Voyager Company 1984). 1221 THE ULTIMATE MATRIX COLLECTION (BluRay-Edition. Burbank: Warner Bros. Pictures/Warner Home Video 2008). 1222 LOOPER (USA/CN 2012. R: Rian Johnson).
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»Blood Simple«1223 außer der Einführung durch einen fiktionalen Filmhistoriker auch den Audiokommentar eines ebenso fiktionalen Set Designers. Die Funktion der fiktionalen Paratexte lässt sich hier mit dem Fußnotenapparat in Arno Schmidts Roman »Die Gelehrtenrepublik«1224 vergleichen, in dem die historischen Anmerkungen und Fehlinterpretationen des Herausgebers Teil der (Meta-) Fiktion sind.1225 Anerkennte Filmschaffende wie Woody Allen oder David Lynch verweigern sich dem Audiokommentar, um die Vieldeutigkeit ihrer Werke offenzuhalten, demgegenüber nutzen aufstrebende Regisseure wie Eli Roth ihn zu ihrer Etablierung als auteurs. Wieder andere Filmschaffende versuchen, ihre kommerziellen Misserfolge zu rehabilitieren oder wenigstens zu entschuldigen (so Joel Schumacher auf dem Kommentar zu »Batman und Robin«1226). Die flexible digitale Abmischung bietet auch kontroversen Meinungen Gelegenheit für Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit: Fans, Kritiker sowie Regisseure, die von der Vermarktung ihrer Filme ausgeschlossen wurden (so Tom Holland, der Regisseur von »Chucky – Die Mörderpuppe«1227), stellen im Internet alternative Kommentare zum Download bereit. Filmblogs, wie sie Harry Knowles 1996 mit seiner Website ›Ain’t it cool News«1228 begründete, arbeiten ebenso mit Audiokommentaren. Zu den geläufigen Methoden gehören aber auch zwischen die Filmsequenzen geschnittene Moderationen, erhellende Montagen diverser Filmausschnitte (etwa nach motivischen Gemeinsamkeiten) oder Re-Cuts, also neue Schnittfassungen von Sequenzen, Trailern und ganzen Spielfilmen. Einige Filmblogger haben durch ihre Kritiken so große Popularität erlangt, dass sie eigene Franchises mit entsprechenden
1223 BLOOD SIMPLE (Culver City: Columbia Tristar Home Video 2001). 1224 Schmidt, Arno: Die Gelehrtenrepublik. Kurzroman aus den Roßbreiten. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 2004. 1225 Es gibt noch eine Fülle weiterer Varianten der Paratextparodie: Die Extraordinarily Deluxe Edition von MONTY PYTHONS ›DIE RITTER DER KOKOSNUSS‹ enthält z. B. einen (gebrüllten) Kommentar für Schwerhörige sowie Untertitel für Leute, die den Film nicht mögen (nämlich dem »anspruchsvolleren« Text zu Shakespeares »Heinrich IV, Teil 2«). Die DVD zu MONTY PYTHONS ›DER SINN DES LEBENS‹ enthält eine Tonspur für Einsame mit »typischen Ehepartner-Geräuschen« wie Schnarchen oder einer Klospülung. 1226 BATMAN & ROBIN (Two-Disc Special Edition. Burbank: Warner Home Video 2005). 1227 CHUCKY – DIE MÖRDERPUPPE (CHILD’S PLAY, USA 1988, R: Tom Holland). 1228 http://www.aintitcool.com
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Merchandisingartikeln begründet haben (z. B. Channel Awesome1229, Red Letter Media1230 oder Cinemassacre1231). Welches Potential birgt nun der Audiokommentar im Besonderen als Methode für die Lehre, insbesondere den Deutschunterricht?1232 Erstens wird der Audiokommentar als Form des Schreibens und Sprechens zu Filmen dieser Kunstform besonders gerecht. Da das Wesen des Films in der Bewegung liegt, passt sich auch die Sprache dieser Eigenschaft an. Einen Vortrag, der sich simultan auf der Tonebene und auf der Ebene bewegter Bilder vermittelt, für das Publikum verständlich zu gestalten, stellt eine anspruchsvolle Aufgabe dar. Die zeitliche Präzision wird dabei ebenso geschult wie die Betonung (die aber, anders als im direkten Vortrag vor dem Plenum, bei der Aufnahme eingeübt werden kann). Die Verfasser entwickeln zudem ein Rhythmusgefühl hinsichtlich des Films, aber auch hinsichtlich des eigenen Vortrags. Die Tonebene des Films muss zudem nicht vernachlässigt werden, denn es ist ja möglich, den eigenen Kommentar für Dialoge, Geräusche oder Musik zu unterbrechen (wie dies etwa auf der Soundtrack-LP zu »The Night of the Hunter« souverän gehandhabt wird, siehe Kapitel 1.9.3). Die Vortragenden sind zudem dazu angehalten, Inhaltsangaben zu vermeiden. Da eine Bildbeschreibung allzu offensichtlich redundant wäre, fällt es somit leichter, von der Storyline des Films zu abstrahieren. Somit kann aber auch am Gegenstand des Films das Schreiben zur Literatur eingeübt werden, das allzu oft in die additive Deskription von Handlungsmomenten und Figureneigenschaften mündet, ohne eigenständige Gedanken zu formulieren. Da filmischer »Text« und »Sekundärtext« in Simultaneität rezipiert werden können, ist diese Gefahr hier weitaus geringer als beim nachträglichen Schreiben und Sprechen zu Filmen und literarischen Texten. Der Audiokommentar eröffnet vielmehr eine ebenso große Vielfalt an Schreibhaltungen und Textsorten, wie sie Abraham für das nachträgliche
1229 http://channelawesome.com 1230 http://redlettermedia.com 1231 http://cinemassacre.com 1232 Zeitlich parallel zur Entstehung dieses Buches wurden im Projekt »Kunst der Vermittlung« unter der Leitung von Michael Baute und Stefan Pethke sowie unter Mitarbeit von Volker Pantenburg und Stefanie Schlüter als Modellverfahren für die Hochschullehre studentische Kommentarfilme entwickelt, die sich an der Tradition des filmvermittelnden Films anstatt am Audiokommentar oder Vlog orientieren und sich auf die essayistische Textform konzentrieren: http://www.kunstder-vermittlung.de/essays/
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Schreiben zu Filmsichtungen erkennt1233: Klärendes Schreiben ist ebenso möglich wie expressives, poetisches oder rhetorisches Schreiben (oder auch freies Sprechen). Zu nennen wären: •
• • • • • • • • • • •
Vergleiche zwischen Literatur und Film (adaptive Vergleiche eignen sich hier ebenso wie transmediales Cross-Mapping, wobei die betreffenden Passagen des literarischen Textes auch direkt zu den Filmsequenzen eingelesen werden können) Kritiken Rankings (begründete Bestenlisten oder »Schlechtestenlisten«/Abwägungen zweier Filme gegeneinander, die eine gemeinsame Eigenschaft verbindet) Begründungen von Altersfreigaben oder -empfehlungen Genrezuordnungen oder -abgrenzungen Formanalysen bestimmter filmischer Mittel Zuordnungen oder -abgrenzungen zu bestimmten Kulturen und Zielgruppen (geographisch, ethnologisch oder subkulturell definiert) Zuordnungen oder -abgrenzungen zu bestimmten Strömungen und Stilrichtungen (z. B. Expressionismus, Surrealismus etcetera) Einordnungen vor (film-)historischen Hintergründen Psychologische, genderorientierte, politische, soziologische oder theologische Deutungen beziehungsweise Ideologiekritik Subjektive Kommentare (über biographische Bezüge, Brüche bisheriger Sehgewohnheiten oder andere individuelle Rezeptionserfahrungen) Künstlerische Kommentare (literarische Texte, Nachsynchronisationen, Musikwechsel, Improvisationen)
In Hinblick auf die praktische Realisierbarkeit dieser Methode gilt es nun freilich einiges zu bedenken. Ist das Verfahren an sich zu aufwändig gemessen an seinem Ertrag? Zwar mögen die SchülerInnen Medienkompetenz und insbesondere Filmkompetenz auch im technischen Sinne erwerben, weil sie ein wichtiges Stadium der Postproduktion von Filmen selbst nachvollziehen können (den Bildund Tonschnitt). Doch selbst, wenn das entsprechende technische Equipment allen SchülerInnen bereitstünde, so bedeutet dies nicht nur, dass sich Lehrkräfte und SchülerInnen unter Umständen erst mit der jeweiligen Software vertraut machen müssen. Auch die Rechtefrage stellt sich dort, wo Filme eigenständig geschnitten, be-
1233 Vgl. U. Abraham: Filme im Deutschunterricht, S.82.
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arbeitet und gegebenenfalls kopiert werden. Die Rechtslage ist diffizil, noch in Veränderung begriffen und soll an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. 1234 Entscheidend ist, dass sich der Audiokommentar selbst noch unter Minimalbedingungen erfolgreich umsetzen lässt: Auch ein live zur Filmwiedergabe verlesener Text, bei dem die Sequenz intakt bleibt, wird den Lernzielen völlig gerecht (mit Ausnahme eben der praktischen Aneignung der Filmschnittsoftware). Freilich stellt diese Live-Variante eine weit größere Herausforderung für den freien Vortrag oder den Vortrag nach Stichworten dar. Die Digitalisierung hat eine neue Flexibilität für die Filmrezeption geschaffen. Der Horizont für Vergleiche zwischen Film und Literatur wurde dadurch immens erweitert. Die Digitalisierung schafft aber auch die Voraussetzungen für neue produktive Wege, Filme zu sehen, zu hören und zu schneiden einerseits und Texte zu lesen und zu schreiben andererseits zusammenzuführen. Die Bewegungen zwischen Literatur und Film werden flüssiger, wenn die Nahtstellen zwischen den so diversen Künsten auch sichtbar bleiben. In den Worten Dr. Frankensteins: »It’s alive!«/»Es lebt!« (Siehe Abb. 53)1235
1234 Vgl. diesbezüglich etwa die DVD IM FALSCHEN FILM? EINE UNTERRICHTS-DVD ZU FRAGEN DES
URHEBERRECHTS UND ZUM SCHUTZ DES GEISTIGEN EIGENTUMS.
AB KLASSENSTUFE 8 (Hg. von Vision Kino. Netzwerk für Film- und Medienkompetenz. Berlin: Vision Kino 2011). 1235 FRANKENSTEIN (USA 1931, R: James Whale).
Literatur
F ORSCHUNGSLITERATUR UND
ANDERE
S ACHTEXTE
Adam, Christian: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 2013. Adorno, Theodor W./Becker, Hellmut/Kadelbach, Gerd: »Fernsehen und Bildung. Gespräch im Hessischen Rundfunk. Gesendet am 1. Juni 1963«, in: Gerd Kadelbach (Hg.), Theodor W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker. 1959-1969, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1970, S. 52-73. Abraham, Ulf: Fantastik in Literatur und Film. Eine Einführung in Schule und Hochschule, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2012. Abraham, Ulf: Filme im Deutschunterricht, Seelze-Velbert: Kallmeyer in Verbindung mit Klett 2009. Abraham, Ulf: »Kino im Klassenzimmer. Klassische Filme für Kinder und Jugendliche im Deutschunterricht«, in: Praxis Deutsch 29 (2002), S. 6-18. Abraham, Ulf: Übergänge: Literatur, Sozialisation und Literarisches Lernen, Opladen: Westdeutscher Verlag 1998. Ahrendt, Hannah: »Die verborgene Tradition«, in: Wilfried Wiegand (Hg.), Über Chaplin. Mit 22 Fotos, Zeittafel, ausführlicher Filmographie und Bibliographie, Zürich: Diogenes 1989, S. 149-180. Albersmeier, Franz-Josef: Die Herausforderung des Films an die französische Literatur. Entwurf einer ›Literaturgeschichte des Films‹. Band 1: Die Epoche des Stummfilms (1895-1930), Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1985. Albersmeier, Franz-Josef: Theater, Film und Literatur in Frankreich. Medienwechsel und Intermedialität, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992. Albersmeier, Franz-Josef: Theater, Film, Literatur in Spanien. Literaturgeschichte als integrierte Mediengeschichte, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2001.
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F ILME 7 PSYCHOS (SEVEN PSYCHOPATHS, USA 2012, R: Martin McDonaugh) 8 BLICKWINKEL (VANTAGE POINT, USA 2008, R: Pete Travis) 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM (2001 – A SPACE ODYSSEE, USA 1968, R: Stanley Kubrick) ALARM IM WELTALL (FORBIDDEN PLANET, USA 1956, R: Fred M. Wilcox) ALEXANDER NEWSKI (ALEKSANDR NEVSKIY, UdSSR 1938, R: Sergei M. Eisenstein) ALEXANDRE AJAS MANIAC (MANIAC, FR/USA 2012, R: Franck Khalfoun)
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ALIEN – DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT (ALIEN, USA/UK 1979, R: Ridley Scott) AMERICAN PIE (AMERICAN PIE, USA 1999, R: Paul Weitz) AMERICAN WEREWOLF (AN AMERICAN WEREWOLF IN LONDON, UK/USA 1981, R: John Landis) AMITYVILLE HORROR (THE AMITYVILLE HORROR, USA 1979, R: Stuart Rosenberg) AMOK (DE 1992, R: Mark Schlichter) AM TAG, ALS BOBBY EWING STARB (DE 2005, R: Lars Jessen) ANATOMIE (BRD 2000, R: Stefan Ruzowitzky) DIE ANKUNFT EINES ZUGES AUF DEM BAHNHOF IN LA CIOTAT (L’ARRIVÉE D’UN TRAIN A`LA CIOTAT, FR 1896, R: Auguste Lumière und Louis Lumière) ANTICHRIST (DK/DE/FR/SE/IT/PL 2009, R: Lars von Trier) ARBEITER VERLASSEN DIE LUMIÈRE-WERKE (LA SORTIE DES USINES LUMIÈRE, FR 1895, R: Louis Lumière) DAS ARCHE NOAH PRINZIP (BRD 1984, R: Roland Emmerich) ARMEE DER FINSTERNIS (ARMY OF DARKNESS, USA 1992, R: Sam Raimi) AS I LAY DYING (USA 2013, R: James Franco) AUGEN DER ANGST (PEEPING TOM, UK 1960, R: Michael Powell) DER AUSSENSEITER (LE MARGINAL, FR 1983, R: Jacques Deray) AUSSER ATEM (À BOUT DE SOUFFLE, FR 1960, R: Jean-Luc Godard) BAADER (DE 2002, R: Christopher Roth) BARTON FINK (USA 1991, R: Joel Coen) BASIC INSTINCT (USA/FR 1992, R: Paul Verhoeven) BATMAN (USA 1989, R: Tim Burton) BATMAN BEGINS (USA 2005, R: Christopher Nolan) BEASTMASTER – DER BEFREIER (THE BEASTMASTER, USA 1982, R.. Don Coscarelli) BEFORE SUNSET (USA 2004, R: Richard Linklater) DER BELEIDIGTE BLÄSER (YOU’RE DARN TOOTIN’, USA 1928, R: Edgar Kennedy) BLADE RUNNER (USA 1982, R: Ridley Scott) BOOGIE NIGHTS (USA 1997, R: Paul Thomas Anderson) BIRDS OF PREY (USA 2002-2003, Creator: Laeta Kalogridis) BIS DAS BLUT GEFRIERT (THE HAUNTING, USA 1963, R: Robert Wise) BLAIR WITCH PROJECT (THE BLAIR WITCH PROJECT, USA 1999, R: Daniel Myrick und Eduardo Sánchez) BOARDWALK EMPIRE (USA 2010-2014, Creator: Terence Winter)
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BOARDWALK EMPIRE, SE 02, EP 02: NUR WIR ALLEIN (BOARDWALK EMPIRE, SE 02, EP 02: OURSELVES ALONE, USA 2011, R: David Petrarca) DAS BOOT (BRD 1981, R: Wolfgang Petersen) BRAM STOKER’S DRACULA (USA 1992, R: Francis Ford Coppola) DIE BRAUT DES PRINZEN (THE PRINCESS BRIDE, USA 1987, R: Rob Reiner) BROTHERS GRIMM (THE BROTHERS GRIMM, USA/UK/CZ 2005, R: Terry Gilliam) BUDDENBROOKS – 2. TEIL (BRD 1959, R: Alfred Weidenmann) BULLETS OVER BROADWAY (USA 1994, R: Woody Allen). EIN BUTLER IN AMERIKA (RUGGLES OF RED GAP, USA 1935, R: Leo McCarey) DAS CABINET DES DR. CALIGARI (DE 1920, R: Robert Wiene) CATWOMAN (USA 2004, R: Pitof) DIE CHRONIKEN VON NARNIA: DER KÖNIG VON NARNIA (THE CHRONICLES OF NARNIA: THE LION, THE WITCH AND THE WARDROBE, USA/UK 2005, R: Andrew Adamson) CHUCKY – DIE MÖRDERPUPPE (CHILD’S PLAY, USA 1988, R: Tom Holland) CHUCKY 3 (CHILD’S PLAY 3, USA 1991, R: Jack Bender) CITIZEN KANE (USA 1941, R: Orson Welles) DER CLUB DER TOTEN DICHTER (DEAD POETS SOCIETY, USA 1989, R: Peter Weir) COCKTAIL FÜR EINE LEICHE (ROPE, USA 1948, R: Alfred Hitchcock) CONAN, DER BARBAR (CONAN THE BARBARIAN, USA 1982, R: John Milius) DALLAS (USA/CAN 1978-1991, Creator: David Jacobs) DIE DAME IM SEE (THE LADY IN THE LAKE, USA 1947, R: Robert Montgomery) DASEIN OHNE LEBEN (DE 1942, R: Hermann Schweninger) DICK UND DOOF AUF GESPENSTERJAGD (THE LAUREL-HARDY MURDER CASE, USA 1930, R: James Parrott) DIRECTED BY JOHN FORD (USA 1971, R: Peter Bogdanovich) DIRTY DANCING (USA 1987, R: Emile Ardolino) DONNIE DARKO (USA 2001, R: Richard Kelly) DRACULA (USA 1931, R: Tod Browning) DRÁCULA (USA 1931, R: George Melford) DRACULA (UK 1958, R: Terence Fisher) DIE DREI VON DER TANKSTELLE (DE 1930, R: Wilhelm Thiele) DR. JEKYLL UND MR. HYDE (DR. JEKYLL AND MR. HYDE, USA 1931, R: Rouben Mamoulian) DR. MABUSE, DER SPIELER, 1. TEIL – DER GROSSE SPIELER – EIN BILD DER ZEIT (DE 1922, R: Fritz Lang)
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DR. MABUSE, DER SPIELER, 2. TEIL – INFERNO, EIN SPIEL VON MENSCHEN UNSERER ZEIT (DE 1922, R: Fritz Lang) DR. SELTSAM ODER WIE ICH LERNTE DIE BOMBE ZU LIEBEN (DR. STRANGELOVE OR HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB) (UK/USA 1964, R: Stanley Kubrick) DAS DSCHUNGELBUCH (USA 1967, R: Wolfgang Reitherman) DIE EHE DER MARIA BRAUN (BRD 1979, R: Rainer Werner Fassbinder) EINFACH ZU HABEN (EASY A, USA 2010, R: Will Gluck) EINS, ZWEI, DREI (ONE, TWO, THREE, USA 1961, R: Billy Wilder) EIS AM STIEL (ESCIMO LEMON, IL 1978, R: Boaz Davidson) EIS AM STIEL, 8. TEIL – SUMMERTIME BLUES (SUMMERTIME BLUES – LEMON POPSICLE VIII, BRD/IL 1988, R: Reinhard Schwabenitzky) EMIL UND DIE DETEKTIVE (DE 1931, R: Gerhard Lamprecht) THE ENCHANTED DRAWING (USA 1900, R: J. Stuart Blackton) ERBARMUNGSLOS (UNFORGIVEN, USA 1992, R: Clint Eastwood) E.T. – DER AUSSERIRDISCHE (E.T. THE EXTRATERRESTRIAL, USA 1982, R: Steven Spielberg) DER EWIGE JUDE (DE 1940, R: Fritz Hippler) DER EXORZIST (THE EXORCIST, USA 1973, R: William Friedkin) EXPLOSIV – DER HEISSE STUHL (BRD 1989-1994, Ausgabe vom 15.9.1992, R: o.A). EYES WIDE SHUT (UK/USA1999, R: Stanley Kubrick) DER FALSCHE MANN (THE WRONG MAN, USA 1956, R: Alfred Hitchcock) FAUST – EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE (DE, 1926, R: Friedrich Wilhelm Murnau) DAS FENSTER ZUM HOF (REAR WINDOW, USA 1954, R: Alfred Hitchcock) DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI (DE 2004, R: Hans Weingartner) DIE FEUERZANGENBOWLE (DE 1944, R: Helmut Weiss) FIGHT CLUB (USA 1999, R: David Fincher) DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER (BRD 1954, R: Kurt Hoffmann) THE FOG – NEBEL DES GRAUENS (THE FOG, USA 1980, R: John Carpenter) FORRESTER – GEFUNDEN! (FINDING FORRESTER, USA 2000, R: Gus Van Sant) FRANKENSTEIN (USA 1931, R: James Whale) FRANKENSTEINS BRAUT (BRIDE OF FRANKENSTEIN, USA 1935, R: James Whale) FREDDY’S NEW NIGHTMARE (WES CRAVEN’S NEW NIGHTMARE, USA 1994, R: Wes Craven) FREITAG DER 13. (FRIDAY THE 13TH, USA 1980, R: Sean S. Cunningham) FREDDY’S NIGHTMARES (USA 1988-1990, Creator: Wes Craven) FREDDY VS. JASON (FREDDY VS. JASON, USA 2003, R: Ronny Yu) DER FREUND MEINER FREUNDIN (L’AMI DE MON AMIE, FR 1987, R: Eric Rohmer)
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STARK (THE DARK HALF, USA 1993, R: George A. Romero)
DAS GEHEIME FENSTER (SECRET WINDOW, USA 2004, R: David Koepp) GLÜCKSBÄRCHIS TEIL II – JETZT IM ABENTEUERLAND (CARE BEARS MOVIE II – A NEW GENERATION, CN/USA 1986, R: Dale Schott). GOLDRAUSCH (THE GOLD RUSH, USA 1925, R: Charles Chaplin) GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN (THE MOST DANGEROUS GAME, USA 1932, R: Ernest B. Schoedsack) DER GROSSE DIKTATOR (THE GREAT DICTATOR, USA 1940, R: Charles Chaplin) HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS (HALLOWEEN, USA 1978, R: John Carpenter) HALS ÜBER KOPF (BRD 1987-1990, Red.: Bärbel Lutz-Saal) HAMBURGER LEKTIONEN (DE 2006, R: Romuald Karmaker) HAMLET (UK 1948, R: Laurence Olivier) HARRY AUSSER SICH (DECONSTRUCTING HARRY, USA 1997, R: Woody Allen) HARRY POTTER UND DER GEFANGENE VON ASKABAN (HARRY POTTER AND THE PRISONER OF AZKABAN, UK/USA 2004, R: Alfonso Cuarón) HARRY POTTER UND DER STEIN DER WEISEN (HARRY POTTER AND THE SORCERER’S STONE, UK/USA 2001, R: Chris Columbus) HEAVEN’S GATE (USA 1980, R: Michael Cimino) HE-MAN – IM TAL DER MACHT (HE-MAN AND THE MASTERS OF THE UNIVERSE, USA 1983-1985, Creator: Roger Sweet) DER HERR DER RINGE – DIE GEFÄHRTEN (THE LORD OF THE RINGS: THE FELLOWSHIP OF THE RING, USA/NZ 2001, R: Peter Jackson) HIROSHIMA MON AMOUR (FR/JP 1959, R: Alain Resnais) HIS GLORIOUS NIGHT (USA 1929, R: Lionel Barrymore) DER HOBBIT – EINE UNERWARTETE REISE (THE HOBBIT: AN UNEXPECTED JOURNEY, USA/NZ 2012, R: Peter Jackson) DER HOBBIT – SMAUGS EINÖDE (THE HOBBIT: THE DESOLATION OF SMAUG, USA/NZ 2013, R: Peter Jackson) DER HOBBIT – HIN UND ZURÜCK (THE HOBBIT: THERE AND BACK AGAIN, USA/NZ 2014, R: Peter Jackson) HÖLLENFAHRT NACH SANTA FÉ (STAGECOACH, USA 1939, R: John Ford) HOMO FABER (BRD/FR/GR 1991, R: Volker Schlöndorff) HORROR INFERNAL (INFERNO, IT 1980, R: Dario Argento) HOT FUZZ – ZWEI ABGEWICHSTE PROFIS (HOT FUZZ, UK 2007, R: Edgar Wright) HUGO CABRET (HUGO, USA 2011, R: Martin Scorsese) ICH KLAGE AN (DE 1941, R: Wolfgang Liebeneiner) ICH SEHE DEN MANN DEINER TRÄUME (YOU WILL MEET A TALL DARK STRANGER, USA/ESP 2010, R: Woody Allen)
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L’ÎLE DE CALYPSO: ULYSSE ET LE GÉANT POLYPHÈME (FR 1905, R: Georges Méliès) DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK (THE EMPIRE STRIKES BACK, USA 1980, R: Irvin Kershner) IM ZEICHEN DES BÖSEN (TOUCH OF EVIL, USA 1958, R: Orson Welles) INDEPENDENCE DAY (USA 1996, R: Roland Emmerich) INDIANA JONES UND DER LETZTE KREUZZUG (INDIANA JONES AND THE LAST CRUSADE, USA 1989, R: Steven Spielberg) INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES (INDIANA JONES AND THE TEMPLE OF DOOM, USA 1984, R: Steven Spielberg) IRON MAN 3 (IRON MAN THREE, USA 2013, R: Shane Black) IWAN DER SCHRECKLICHE I (IVAN GROZNYY, UdSSR 1944, R: Sergei M. Eisenstein) IWAN DER SCHRECKLICHE II (IVAN GROZNYY. SKAZ VTOROY: BOYARSKIY ZAGOVOR, UdSSR 1958, R: Sergei M. Eisenstein) JAMES BOND 007 – EIN QUANTUM TROST (QUANTUM OF SOLACE, UK/USA 2008, R: Marc Forster) JAMES BOND 007 – GOLDFINGER (UK 1964, R: Guy Hamilton) JAMES BOND 007 – IN TÖDLICHER MISSION (FOR YOUR EYES ONLY, UK 1981, R: John Glen) JAMES BOND 007 – SKYFALL (UK/USA 2012, R: Sam Mendes) JAMES BOND 007 – DIE WELT IST NICHT GENUG (THE WORLD IS NOT ENOUGH, UK/USA 1999, R: Michael Apted) JENSEITS DER STILLE (DE 1996, R: Caroline Link) JUD SÜSS (DE 1940, R: Veit Harlan) JULES UND JIM (JULES ET JIM, FR 1962, R: François Truffaut) DER JUNGE TÖRLESS (BRD 1966, R: Volker Schlöndorff) JURASSIC PARK (USA 1993, R: Steven Spielberg) KAFKA (FR/USA 1991, R: Steven Soderbergh) KATJA UND DER FALKE (FALKEHJERTE, DK/NO/IT/DE 1999, R: Lars Hesselholdt) DIE KATZE (BRD 1988, R: Dominik Graf) KEINOHRHASEN (DE 2007, R.. Til Schweiger) KICK IT LIKE BECKHAM (UK/DE/USA 2002, R: Gurinder Chadha) KIDCO (USA 1984, R: Ronald F. Maxwell) KITCHEN (USA 1960, R: Andy Warhol) DER KLEINE PRINZ (THE LITTLE PRINCE, UK/USA 1974, R: Stanley Donen) KLONS (BRD 1984, R: o.A) KNIGHT RIDER (USA 1982-1986, Creator: Glen A. Larson)
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KRIEG DER STERNE (STAR WARS, USA 1977, R: George Lucas) DER KUSS (THE KISS, USA 1896, R: William Heise) LARA CROFT: TOMB RAIDER (USA/UK/JP/DE 2001, R: Simon West) DAS LEBEN IST SCHÖN (LA VITA È BELLA, IT 1997, R: Roberto Benigni) LEGO (THE LEGO MOVIE, AU/USA/DK 2014, R: Phil Lord/Christopher Miller) LENINGRAD COWBOYS GO AMERICA (FIN/S 1989, R: Aki Kaurismäki) LETHAL WEAPON – ZWEI STAHLHARTE PROFIS (LETHAL WEAPON, USA 1987, R: Richard Donner) LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU (FROM RUSSIA WITH LOVE, UK 1963, R: Terence Young) LICHTER (DE 2003, R: Hans-Christian Schmid) LOOPER (USA/CN 2012, R: Rian Johnson) DIE MÄCHTE DES WAHNSINNS (IN THE MOUTH OF MADNESS, USA 1994, R: John Carpenter) DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING (GIRL WITH A PEARL EARRING, UK/LU 2003, R: Peter Webber) MAMA, PAPA, ZOMBIE – HORROR FÜR DEN HAUSGEBRAUCH (BRD 1984, R.. Claus Bienfait) MANHATTAN (USA 1979, R: Woody Allen) DER MARATHON-MANN (MARATHON MAN, USA 1976, R: John Schlesinger) MARY (MURDER, UK/DE 1930, R: Alfred Hitchcock) M*A*S*H*: GENUG DES IRRSINNS! (M*A*S*H*: POINT OF VIEW, SE7 EP10, USA 1978, R: Charles S. Dubin) MATILDA (USA 1996, R: Danny DeVito) MATRIX (THE MATRIX, USA 1999, R: Andy und Larry (= Lana) Wachowski) DER MAULWURF ALS FILMSTAR (KRTEK FILMOVA HVEZDA [TV-Film], CZ 1988, R: Zdenek Miler) M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (DE 1931, R: Fritz Lang) MEIN FREUND JOE (MY FRIEND JOE, UK/DE/IR 1996, R: Chris Bould) MEN IN BLACK (USA 1997, R: Barry Sonnenfeld) MERIDA – LEGENDE DER HIGHLANDS (BRAVE, USA 2012, R: Mark Andrews/Brenda Chapman/Steve Purcell) METROPOLIS (DE 1927, R: Fritz Lang) MIDNIGHT IN PARIS (ESP/USA 2011, R: Woody Allen) MISERY (USA 1990, R: Rob Reiner) MISSION: IMPOSSIBLE (USA 1996, R: Brian De Palma) MISSION: IMPOSSIBLE II (USA/DE 2000, R: John Woo) MODERNE ZEITEN (MODERN TIMES, USA 1936, R: Charles Chaplin)
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MONSTER IM MONDLICHT (MONSTER BY MOONLIGHT! THE IMMORTAL SAGA OF ›THE WOLF MAN‹, USA 1999, R: David J. Skal) MONTY PYTHON’S ›DAS LEBEN DES BRIAN‹ (MONTY PYTHON’S LIFE OF BRIAN, GB 1979, R: Terry Jones und Terry Gilliam) MORD – SIR JOHN GREIFT EIN! (MURDER!, UK 1930, R: Alfred Hitchcock) MR. BILL (RENAISSANCE MAN, USA 1994, R: Penny Marshall) NACH FÜNF IM URWALD (DE 1995, R: Hans-Christian Schmid) DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN (NIGHT OF THE LIVING DEAD, USA 1968, R: George A. Romero) DIE NACHT DES JÄGERS (THE NIGHT OF THE HUNTER, USA 1955, R: Charles Laughton) NACKT UND ZERFLEISCHT (CANNIBAL HOLOCAUST, IT 1980, R: Ruggero Deodato) DIE NIBELUNGEN: KRIEMHILDS RACHE (DE 1924, R: Fritz Lang) DIE NIBELUNGEN: SIEGFRIEDS TOD (DE 1924, R: Fritz Lang) NIGHTMARE – MÖRDERISCHE TRÄUME (A NIGHTMARE ON ELM STREET, USA 1984, R: Wes Craven) NIGHTMARE III – FREDDY KRUEGER LEBT (A NIGHTMARE ON ELM STREET III – DREAM WARRIORS, USA 1987, R: Chuck Russell) NIGHTMARE ON ELM STREET 4 (A NIGHTMARE ON ELM STREET 4 – THE DREAM MASTER, USA 1988, R: Renny Harlin) NIX WIE RAUS AUS ORANGE COUNTY (ORANGE COUNTY, USA 2002, R: Jake Kasdan) NOAH (USA 2014, R: Darren Aronofsky) NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (DE 1922, R: F. W. Murnau) OKTOBER – 10 TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN (OKTYABR, UdSSR 1928, R: Grigori Aleksandrov und Sergei M. Eisenstein) OLD SHATTERHAND (BRD/FR/IT/JUG 1964, R: Hugo Fregonese) ONE FROM THE HEART (USA 1982, R: Francis Ford Coppola) DER PAGEMASTER – RICHIES FANTASTISCHE REISE (THE PAGEMASTER, USA 1994, R: Pixote Hunt und Joe Johnston) PANZERKREUZER POTEMKIN (BRONENOSETS POTEMKIN, UdSSR 1925, R: Sergei M. Eisenstein) DAS PERFEKTE VERBRECHEN (FRACTURE, USA/DE, 2007, R: Gregory Hoblit) PERSONA (SE 1966, R: Ingmar Bergman) DAS PHANTOM DER OPER (THE PHANTOM OF THE OPERA, USA 1925, R: Rupert Julian) PLANET TERROR (USA 2007, R: Robert Rodriguez) THE PLAYER (USA 1992, R: Robert Altman)
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POLICE ACADEMY – DÜMMER ALS DIE POLIZEI ERLAUBT (POLICE ACADEMY, USA 1984, R: Hugh Wilson) POLICE ACADEMY 3 – ...UND KEINER KANN SIE BREMSEN (POLICE ACADEMY 3 – BACK IN TRAINING, USA 1986, R: Jerry Paris) POLICE ACADEMY 7 – MISSION IN MOSKAU (POLICE ACADEMY: MISSION TO MOSCAU, USA 1994, R: Alan Metter) POLTERGEIST (USA 1982, R: Tobe Hooper) PRETTY WOMAN (USA 1990, R: Gary Marschall) PROFONDO ROSSO – DIE FARBE DES TODES (PROFONDO ROSSO, IT 1975, R: Dario Argento) PSYCHO (USA 1960, R: Alfred Hitchcock) PÜNKTCHEN UND ANTON (DE 1999, R: Caroline Link) RAMBO (FIRST BLOOD, USA 1982, R.: Ted Kotcheff) RAMBO II – DER AUFTRAG (RAMBO: FIRST BLOOD PART II, USA 1985, R: George P. Cosmatos) RAMBO III (USA 1988, R: Peter McDonald) RAUMSCHIFF ENTERPRISE: EPIGONEN (STAR TREK: A PIECE OF THE ACTION, SE02, EP17, USA 1968, R: James Komack) RAUMSCHIFF ENTERPRISE: SCHABLONEN DER GEWALT (STAR TREK: PATTERNS OF FORCE, SE02, EP21, USA 1968, R: Vincent McEveety) RAUMSCHIFF ENTERPRISE – DAS NÄCHSTE JAHRHUNDERT: HOTEL ROYALE (STAR TREK – THE NEXT GENERATION: THE ROYALE, SE02, EP 12, USA 1989, R: Cliff Bole) REBECCA (USA 1940, R: Alfred Hitchcock) RED DAWN (USA 2012, R: Dan Bradley) RIFIFFI AM KARFREITAG (THE LONG GOOD FRIDAY, UK 1980, R: John Mackenzie) RING – DAS ORIGINAL (RINGU, JP 1998, R: Hideo Nakata) THE RING (USA 2002, R: Gore Verbinski) RIO BRAVO (USA 1959, R: Howard Hawks) ROCKY IV – DER KAMPF DES JAHRHUNDERTS (ROCKY IV, USA 1985, R: Sylvester Stallone) RUBY SPARKS – MEINE FABELHAFTE FREUNDIN (RUBY SPARKS, USA 2012, R: Jonathan Dayton/Valerie Faris) DIE RÜCKKEHR DER JEDI-RITTER (RETURN OF THE JEDI, USA 1983, R: Richard Marquand) RUSSIAN ARK – EINE EINZIGARTIGE ZEITREISE DURCH DIE EREMITAGE (RUSSKIY KOVCHEG, RU 2002, R: Aleksandr Sokurov) DER SCHIMMELREITER (BRD 1979, R: Alfred Weidenmann)
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SCHINDLERS LISTE (SCHINDLER’S LIST, USA 1993, R: Steven Spielberg) SCHMEISS DIE MAMA AUS DEM ZUG (THROW MOMMA FROM THE TRAIN, USA 1987, R: Danny DeVito) SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE (SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARFS, USA 1937, R: David Hand) SCHRÄGER ALS FIKTION (STRANGER THAN FICTION, USA 2006, R: Marc Forster) SCHULD UND SÜHNE (CRIME AND PUNISHMENT, USA 1935, R: Josef von Sternberg) SCHUTZENGEL (DE 2012, R: Till Schweiger) DER SCHWARZE FALKE (THE SEARCHERS, USA 1956, R: John Ford) DIE SCHWARZE NATTER (DARK PASSAGE, USA 1947, R: Delmer Daves) SCHWARZFAHRER (DE 1993, R: Pepe Danquart) DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER (THE SILENCE OF THE LAMBS, USA 1990, R: Jonathan Demme) SCREAM – SCHREI! (SCREAM, USA 1996, R: Wes Craven) SHADOW OF THE VAMPIRE (UK/USA/LU 2000, R: E. Elias Merhige) SHAKESPEARE IN LOVE (UK 1998, R: John Madden) SHINING (THE SHINING, UK/USA 1980, R: Stanley Kubrick) SIEBEN (SE7EN, USA 1995, R: David Fincher) DIE SIEBEN SAMURAI (SHICHININ NO SAMURAI, J 1954, R: Akira Kurosawa) SIEBEN SOMMERSPROSSEN (DDR 1978, R: Hermann Zschoche) SINISTER (USA/UK 2012, R: Scott Derrickson) SNATCH – SCHWEINE UND DIAMANTEN (SNATCH, UK/USA 2000, R: Guy Ritchie) SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN (USA 2012, R: Rupert Sanders) SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE (DE 2005, R: Marc Rothemund) DIE SOPRANOS (THE SOPRANOS, USA 1999-2007, Creator: David Chase) DIE SOPRANOS, SE 05, EP 06: BITTERE LEHREN (THE SOPRANOS, SE 05, EP 06: SENTIMENTAL EDUCATION, USA 2004, Regie: Peter Bogdanovich) DIE SOPRANOS, SE 04, EP 12: BEI ELOISE (THE SOPRANOS, SE 04, EP 12: ELOISE, USA 2004, Regie: James Hayman) SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD (C’ERA UNA VOLTA IL WEST, IT/USA 1968, R: Sergio Leone) DIE SPINNEN, 1. TEIL – DER GOLDENE SEE (DE 1919, R: Fritz Lang) DIE SPINNEN, 2. TEIL – DAS BRILLANTENSCHIFF (DE 1920, R: Fritz Lang) SPUK UM MITTERNACHT (USA 1930, R: James Parrott) STALKER (UdSSR 1979, R: Andrei Tarkowski) STARK (THE DARK HALF, USA 1993, R: George A. Romero) STARSHIP TROOPERS (USA 1997, R: Paul Verhoeven)
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STAR TREK – DER ERSTE KONTAKT (STAR TREK: FIRST CONTACT, USA 1996, R: Jonathan Frakes) STAR WARS – EPISODE I: DIE DUNKLE BEDROHUNG (STAR WARS – EPISODE I: THE PHANTOM MENACE, USA 1999, R: George Lucas) STAR WARS – EPISODE II: ANGRIFF DER KLONKRIEGER (STAR WARS – EPISODE II: ATTACK OF THE CLONES, USA 2002, R: George Lucas) STAR WARS – EPISODE III: DIE RACHE DER SITH (STAR WARS – EPISODE III: REVENGE OF THE SITH, USA 2005, R: George Lucas) STORYTELLING (USA 2001, R: Todd Solondz) DER STUDENT VON PRAG (DE 1913, R: Stelan Rye und Paul Wegener) DER STUDENT VON PRAG (DE 1926, R: Henrik Galeen) DER STUDENT VON PRAG (DE 1935, R: Artur [= Arthur] Robison) DIE STUNDE DES WOLFS (VARGITMMEN, SE 1968, R: Ingmar Bergman) TANZ DER TEUFEL (THE EVIL DEAD, USA 1981, R: Sam Raimi) TAXI DRIVER (USA 1976, R: Martin Scorsese) TEEN WOLF (USA 1985, R: Rod Daniel) TERMINATOR (THE TERMINATOR, USA 1984, R: James Cameron) DAS TIER (THE HOWLING, USA 1981, R: Joe Dante) TIME BANDITS (UK 1981, R: Terry Gilliam) DER TINTENFISCH UND DER WAL (THE SQUID AND THE WHALE, USA 2005, R: Noah Baumbach) TOD IN VENEDIG (MORTE A VENEZIA, IT/FR 1971, R: Luchino Visconti) DER TOTMACHER (DE 1995, R: Romuald Karmaker) TRAINSPOTTING – NEUE HELDEN (TRAINSPOTTING, UK 1996, R: Danny Boyle) DIE TRIBUTE VON PANEM – THE HUNGER GAMES (THE HUNGER GAMES, USA 2012, R: Gary Ross) UND ERLÖSE UNS NICHT VON DEM BÖSEN (MAIS NE NOUS DÉLIVREZ PAS DU MAL, FR, 1971, R: Joël Séria) DIE UNENDLICHE GESCHICHTE (BRD/USA 1984, R: Wolfgang Petersen) UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (DE 1919, R: Richard Oswald) UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (DE 1932, R: Richard Oswald) UNIVERSAL SOLDIER (USA 1992, R: Roland Emmerich) DER UNSICHTBARE DRITTE (NORTH BY NORTHWEST, USA 1959, R: Alfred Hitchcock) DER UNTERGANG (DE 2004, R: Oliver Hirschbiegel) VERBOTENE FILME (DE 2013, R: Felix Moeller) VERDAMMT, DIE ZOMBIES KOMMEN (THE RETURN OF THE LIVING DEAD, USA 1985, R: Dan O’Bannion)
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DER VERRÜCKTE PROFESSOR (THE NUTTY PROFESSOR, USA 1963, R: Jerry Lewis) VERRÜCKT NACH MARY (THERE’S SOMETHING ABOUT MARY, USA 1998, R: Bobby Farrelly und Peter Farrelly) VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN (VERTIGO, USA 1958, R: Alfred Hitchcock) DIE VIELEN ABENTEUER VON WINNIE PUUH (THE MANY ADVENTURES OF WINNIE THE POOH, USA 1977, R: John Lounsbery und Wolfgang Reitherman) VINCENT (USA 1982, R: Tim Burton) DIE VÖGEL (THE BIRDS, USA 1963, R: Alfred Hitchcock) VOLL NORMAAAL (DE 1994, R: Ralf Huettner) VOM WINDE VERWEHT (GONE WITH THE WIND, USA 1939, R: Victor Fleming/George Cukor (uncredited)/Sam Wood (uncredited) DAS WACHSFIGURENKABINETT (DE 1924, R: Paul Leni/Leo Birinsky) WALL STREET (USA 1987, R: Oliver Stone) WARM BODIES (USA 2013, R: Jonathan Levine) DER WEISSE HAI (JAWS, USA 1975, R: Steven Spielberg) THE WIRE (USA 2002-2008, Creator: David Simon) THE WIRE, SE 03, EP 02: BEI ALLEM RESPEKT (THE WIRE, SE 03, EP 02: ALL DUE RESPECT, USA 2004, R: Steve Shill) THE WIRE, SE 03, EP 12: LETZTE WAHRHEIT (THE WIRE, SE 03, EP 12: MISSION ACCOMPLISHED, USA 2004, R: Ernest Dickerson) THE WIRE, SE 05, EP 06: DER DICKENS’SCHE ASPEKT (THE WIRE, SE 05, EP 06: THE DICKENSIAN ASPECT, USA 2008, R: Seith Mann) DIE WONDER BOYS (WONDER BOYS, USA/DE/UK/JP 2000, R: Curtis Hanson) WORLD’S GREATEST DAD (USA 2009, R: Bobcat Goldthwait) DER WÜSTENPLANET (DUNE, USA 1984, R: David Lynch) DAS WUNDER VON BERN (DE 2003, R: Sönke Wortmann) DER WOLFSMENSCH (THE WOLF MAN, USA 1941, R: George Waggner) DER ZAUBERER VON OZ (THE WIZARD OF OZ, USA 1939, R: Victor Fleming) ZIMMER 1408 (1408, USA 2007, R: Mikael Håfström) ZOMBIE (DAWN OF THE DEAD, USA, 1978, R: George A. Romero) ZWÖLF UHR MITTAGS (HIGH NOON, USA, 1952. R: Fred Zinemann)
L ITERATUR
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DVD-AUSGABEN AS I LAY DYING, Köln: Splendid Film 2014. BATMAN & ROBIN, Two-Disc Special Edition. Burbank: Warner Home Video 2005. BLOOD SIMPLE, Culver City: Columbia Tristar Home Video 2001. THE CRITERION COLLECTION: KING KONG, New York: The Voyager Company 1984. IM FALSCHEN FILM? EINE UNTERRICHTS-DVD ZU FRAGEN DES URHEBERRECHTS UND ZUM SCHUTZ DES GEISTIGEN EIGENTUMS. AB KLASSENSTUFE 8, Hg. von Vision Kino. Netzwerk für Film- und Medienkompetenz. Berlin: Vision Kino 2011. MONTY PYTHON AND THE HOLY GRAIL (EXTRAORDINILARY DELUXE THREE-DISC EDITION), Culver City: Sony Pictures Home Entertainment 2006. MONTY PYTHON’S THE MEANING OF LIFE (TWO-DISC-COLLECTOR’S-EDITION), Los Angeles: Universal Studios 2003. THE ULTIMATE MATRIX COLLECTION (BLURAY-EDITION), Burbank: Warner Bros. Pictures/Warner Home Video 2008.
M USIKALBEN UND ALBENTRACKS ARE YOU READY FOR FREDDY, Track 9 auf dem Album: THE FAT BOYS: COMING BACK HARD AGAIN, USA: Polydor 1988. LULLABY ZWISCHEN DEN KRIEGEN, Track 1 auf dem Album: FRANZ-JOSEF DEGENHARDT: LULLABY ZWISCHEN DEN KRIEGEN, Deutsche Grammophon Gesellschaft: Hamburg 1983. MUSIC INSPIRED BY THE CHRONICLES OF NARNIA. THE LION, THE WITCH AND THE WARDROBE, EMI/Walt Disney Pictures/Walden Media 2005. A NIGHTMARE ON ELM STREET, BRD: Europa 1990, R: Heikedine Körting. A NIGHTMARE ON ELM STREET, USA: LJN 1989, Composer: David Wise. THE NIGHT OF THE HUNTER, New York: RCA Victor 1980, Composer: Walter Schumann.
Medienwissenschaft Florian Sprenger, Christoph Engemann (Hg.)
Internet der Dinge Über smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt 2015, 400 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3046-6 E-Book PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3046-0 EPUB: 26,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3046-6
Susan Leigh Star
Grenzobjekte und Medienforschung (hg. von Sebastian Gießmann und Nadine Taha) Oktober 2017, 536 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3126-5 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3126-9 EPUB: ISBN 978-3-7328-3126-5
Geert Lovink
Im Bann der Plattformen Die nächste Runde der Netzkritik (übersetzt aus dem Englischen von Andreas Kallfelz) Mai 2017, 268 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3368-9 E-Book PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3368-3 EPUB: 21,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3368-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Medienwissenschaft Gundolf S. Freyermuth
Games | Game Design | Game Studies An Introduction (With Contributions by André Czauderna, Nathalie Pozzi and Eric Zimmerman) 2015, 296 p., pb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-2983-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2983-9
Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.)
Zeitschrift für Medienwissenschaft 17 Jg. 9, Heft 2/2017: Psychische Apparate Oktober 2017, 216 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4083-0 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4083-4 EPUB: ISBN 978-3-7328-4083-0
Annika Richterich, Karin Wenz, Pablo Abend, Mathias Fuchs, Ramón Reichert (eds.)
Digital Culture & Society (DCS) Vol. 3, Issue 1/2017 – Making and Hacking June 2017, 198 p., pb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3820-2 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3820-6
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