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German Pages 320 [317] Year 2020
Anklage und Verteidigung
Biblische Untersuchungen – Neue Folge Herausgegeben von Lothar Wehr Band 1
Ivan Kachala
Anklage und Verteidigung Die apologetischen Intentionen des lukanischen Doppelwerks im Licht der späteren frühchristlichen Apologetik und paganer Vorwürfe gegen die Christen
Verlag Friedrich Pustet Regensburg
Der vorliegende Band wurde von der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt als Dissertationsschrift angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2020 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg Tel. 0941/920220 | [email protected] ISBN 978-3-7917-3198-8 Reihen-/Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg Griechische und hebräische Schriftfonts: © 1994–2015 BibleWorks, LLC Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany 2020 eISBN 978-3-7917-7310-0 (pdf) Unser gesamtes Programm finden Sie im Webshop unter www.verlag-pustet.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ....................................................................................................... 13 A.
Hinführung zum Thema ................................................................. 15
I.
Einleitung .......................................................................................... 15
II.
Forschungsüberblick ......................................................................... 16
III.
Fragestellung, Aufbau und Methodik der Untersuchung .................. 24
B.
Pagane Vorwürfe gegen die Christen ............................................ 27
I.
Tacitus und sein Christenkapitel in den Annalen .............................. 27
1.
Historische Einleitung zu Tacitus und seinem Werk ........................ 27
2.
Lateinischer Text und deutsche Übersetzung ................................... 28
3.
Begriffserklärung .............................................................................. 29
4.
Odium humani generis und dessen Verständnis ............................... 31
5.
Die Ausführungen über die Christen ................................................ 32
6.
Aussageabsicht des Tacitus .............................................................. 34
7.
Das Bild der Christen und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen ............................................................................... 37
7.1
Verächter des Kaiserkultes ............................................................... 37
7.2
Hasser des Menschengeschlechts ..................................................... 39
7.3
Verbrecher ........................................................................................ 40
7.4
Christsein – strafbarer Tatbestand .................................................... 41
II.
Plinius und seine Darstellung der Christen ....................................... 42
1.
Plinius und sein Werdegang ............................................................. 42
2.
Lateinischer Text und deutsche Übersetzung ................................... 43
3.
Die historische Situation in der Provinz ........................................... 47
4.
Begriffserklärung .............................................................................. 49
5.
Aussageabsicht des Plinius ............................................................... 52
6
6.
Inhaltsverzeichnis
Das Bild der Christen und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen ............................................................................... 54
6.1
Nomen ipsum .................................................................................... 54
6.2
Zugehörigkeit zur Hetaeria .............................................................. 55
6.3
Halsstarrigkeit ................................................................................... 56
6.4
Wahnsinniges und unvernünftiges Benehmen .................................. 57
6.5
Begehen geheimer Handlungen ........................................................ 58
6.6
Gottlosigkeit ..................................................................................... 60
6.7
Wirtschaftlicher Schaden .................................................................. 62
III.
Sueton und seine Beschreibung der Christen .................................... 63
1.
Sueton und seine Kaiser-Viten ......................................................... 63
2.
Lateinischer Text und deutsche Übersetzung ................................... 64
3.
Die Juden in Rom ............................................................................. 65
4.
Umstände und Datierung des Claudiusedikts ................................... 66
5.
Begriffserklärung .............................................................................. 68
6.
Impulsore Chresto – Chrestus oder Christus? .................................. 70
7.
Römische Religiosität und Religionspolitik ..................................... 74
8.
Aussageabsicht des Sueton in vit. Ner. 16,2 ..................................... 77
9.
Das Bild der Christen und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen ............................................................................... 78
9.1
Eine neue religiöse, aus dem Orient stammende Bewegung ............ 78
9.2
Eine jüdische Sekte ........................................................................... 79
9.3
Zauberer ............................................................................................ 80
9.4
Ständige Unruhestifter ...................................................................... 80
C.
Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum 82
I.
Justin ................................................................................................. 83
1.
Justin und seine Werke ..................................................................... 83
2.
Aussageabsicht des Autors ............................................................... 86
3.
Das Bild von den Christen. Verteidigungspunkte ............................. 88
3.1
Das richtige Verständnis des nomen christianum ............................. 88
3.2
Politisch verlässliche Staatsbürger .................................................... 89
Inhaltsverzeichnis
7
3.3
Die Christen seien keine Zauberer .................................................... 90
3.4
Die Christen glauben an den einen Gott ........................................... 91
3.5
Eucharistieerklärung ......................................................................... 93
3.6
Das Christentum ist keine neue Religion .......................................... 95
3.7
Das christliche Martyriumsverständnis ............................................. 99
II.
Aristides .......................................................................................... 100
1.
Aristides und sein Werk .................................................................. 100
2.
Der Kaiser als Adressat der Apologie ............................................. 102
3.
Die Deutung der Schrift .................................................................. 103
4.
Aussageabsicht des Autors ............................................................. 105
5.
Das Bild von den Christen. Verteidigungspunkte ........................... 106
5.1
Die Christen seien wahre Anbeter Gottes ....................................... 107
5.2
Die Christen verzehren keine Götzenopferspeise ........................... 107
5.3
Gefangenschaft und Bedrängnis wegen des Namens Christi .......... 108
5.4
Die Christen führen ein vorbildliches Leben .................................. 108
5.5
Die Christen seien rechtschaffen, heilig und langmütig ................. 109
5.6
Die Christen seien alle Brüder ........................................................ 109
5.7
Die Christen werden zu Unrecht den Verleumdungen ausgesetzt
III.
Athenagoras .................................................................................... 111
1.
Athenagoras und sein Werk Legatio pro christianis ...................... 111
2.
Aussageabsicht des Autors ............................................................. 111
3.
Das Bild von den Christen. Verteidigungspunkte ........................... 113
3.1
Misshandlungen, Ausraubungen und Vertreibungen durch den
110
Pöbel aufgrund des Christseins ....................................................... 113 3.2
Die Christen seien keine Atheisten ................................................. 114
3.3
Verteidigung der Christen gegenüber dem Vorwurf ödipodeischer Ausschweifungen .................................................... 116
3.4
Distanzierung der Christen von thyesteischen Praktiken ................ 117
3.5
Die Christen seien loyal zum Staat ................................................. 118
3.6
Ausbreitung der christlichen Lehre unter Ungebildeten ................. 119
IV.
Origenes .......................................................................................... 119
1.
Werdegang des Origenes ................................................................ 119
8
Inhaltsverzeichnis
2.
Die Motivation von Origenes für sein Werk Contra Celsum ......... 120
3.
Die Person des Celsus ..................................................................... 120
4.
VAlhqh.j lo,goj ................................................................................. 121
4.1
Entstehungsort ................................................................................ 122
4.2
Entstehungszeit ............................................................................... 123
5.
Aussageabsicht des Celsus und die Adressaten des Werkes ........... 123
6.
Das Bild von den Christen: Die Vorwürfe des Celsus gegen die Christen und ihre Widerlegung durch Origenes .............................. 125
6.1
Die Christen bilden angeblich heimliche Zusammenschlüsse ........ 125
6.2
Die falsche und negative Darstellung der christlichen Liebe .......... 126
6.3
Die Christen verstoßen gegen das gültige Gesetz ........................... 127
6.4
Die christliche Sittenlehre sei vulgär und sei weder eine altehrwürdige noch eine neue Wissenschaft ................................... 128
6.5
Die christliche Lehre sei eine Geheimlehre .................................... 129
6.6
Die christliche Lehre sei keine auf alten Wurzeln basierende, ehrwürdige Lehre ............................................................................ 130
6.7
Die Christen seien zusammen mit den Juden Aufrührer ................. 130
6.8
Die Christen seien lediglich abtrünnige Juden ................................ 132
6.9
Die Christen verehren keine von Menschenhand gebildeten Götter 133
6.10
Die Christen seien Zauberer ........................................................... 134
6.11
Die Verbreitung der christlichen Religion sei nur unter Einfältigen und Ungebildeten möglich .............................................................. 135
6.12
Die Christen pflegen keine Tischgemeinschaft mit Dämonen ........ 136
D.
Apologetische Intention des Lukas .............................................. 138
I.
Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium ................................ 138
1.
Arbeitsübersetzung Lk 23,1–25 ...................................................... 138
2.
Textkritik ........................................................................................ 140
3.
Formale Analyse ............................................................................. 141
3.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten ..... 141
3.2
Semantische Analyse ...................................................................... 141
3.2.1 Begriffserklärungen ........................................................................ 142
Inhaltsverzeichnis
9
3.2.2 Personen .......................................................................................... 143 3.2.3 Ort und Zeit .................................................................................... 146 3.3
Motive ............................................................................................. 146
4.
Synoptischer Vergleich ................................................................... 147
4.1
Vergleich mit Mk 15,2–15 .............................................................. 147
4.2
Vergleich mit Mt 27,1–26; Joh 18,28–19,16 .................................. 152
4.3
Ergebnis (Intention des Sonderguts des Lukas) .............................. 156
II.
Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi ..................................... 157
1.
Arbeitsübersetzung Apg 16,16–40 ................................................. 157
2.
Formale Analyse ............................................................................. 160
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten ..... 160
2.2
Semantische Analyse ...................................................................... 161
2.2.1 Begriffserklärungen ........................................................................ 161 2.2.2 Personen .......................................................................................... 162 2.2.3 Ort und Zeit .................................................................................... 163 2.3
Gliederung des Textes .................................................................... 164
3.
Literarkritik ..................................................................................... 165
3.1
Spannungen und Widersprüche ...................................................... 165
3.2
Parallelen ........................................................................................ 166
3.3
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil ......................................... 167
3.4
Ergebnis .......................................................................................... 170
4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund ..................................................... 171
4.1
Bürgerrecht des Paulus ................................................................... 171
4.2
Amtsträger ...................................................................................... 173
4.3
Philippi ........................................................................................... 174
5.
Intention des Evangelisten .............................................................. 175
III.
Die Gallioszene in Korinth ............................................................. 181
1.
Arbeitsübersetzung Apg 18,12–17 ................................................. 181
2.
Formale Analyse ............................................................................. 182
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten ..... 182
2.2
Semantische Analyse ...................................................................... 182
2.2.1 Begriffserklärungen ........................................................................ 182
10
Inhaltsverzeichnis
2.2.2 Personen .......................................................................................... 184 2.2.3 Ort und Zeit .................................................................................... 185 2.3
Gliederung des Textes .................................................................... 185
3.
Literarkritik ..................................................................................... 185
3.1
Spannungen .................................................................................... 186
3.2
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil ......................................... 186
3.3
Ergebnis .......................................................................................... 188
4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund ..................................................... 189
4.1
Amtsträger ...................................................................................... 189
4.2
Korinth ............................................................................................ 191
4.3
Die Juden in Korinth ....................................................................... 191
4.4
Bema ............................................................................................... 192
5.
Intention des Evangelisten .............................................................. 193
IV.
Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus ................................... 199
1.
Arbeitsübersetzung Apg 19,23–40 ................................................. 199
2.
Formale Analyse ............................................................................. 201
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Satzformen und Tempora ......... 201
2.2
Semantische Analyse ...................................................................... 202
2.2.1 Begriffserklärungen ........................................................................ 202 2.2.2 Personen .......................................................................................... 204 2.2.3 Ort und Zeit .................................................................................... 207 2.3
Gliederung des Textes .................................................................... 207
3.
Literarkritik ..................................................................................... 207
3.1
Spannungen und Wiederholungen .................................................. 208
3.2
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil ......................................... 209
3.3
Ergebnis .......................................................................................... 213
4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund ..................................................... 214
4.1
Ephesus und die Artemis von Ephesus ........................................... 214
4.2
Der Tempel von Ephesus ................................................................ 215
4.3
Das große Theater von Ephesus ...................................................... 216
5.
Intention des Evangelisten .............................................................. 217
Inhaltsverzeichnis
11
V.
Die Szene vor dem Statthalter Festus ............................................. 224
1.
Arbeitsübersetzung Apg 25,1–12 ................................................... 224
2.
Formale Analyse ............................................................................. 226
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten ..... 226
2.2
Semantische Analyse ...................................................................... 227
2.2.1 Begriffserklärungen ........................................................................ 227 2.2.2 Personen .......................................................................................... 228 2.2.3 Ort und Zeit .................................................................................... 230 2.3
Gliederung des Textes .................................................................... 230
3.
Literarkritik ..................................................................................... 231
3.1
Spannungen und Widersprüche ...................................................... 231
3.2
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil ......................................... 232
3.3
Ergebnis .......................................................................................... 237
4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund ..................................................... 237
4.1
Statthalterwechsel ........................................................................... 237
4.2
Cäsarea ........................................................................................... 239
4.3
Die politische Lage in Judäa zur Zeit des Paulus ............................ 240
4.4
Berufung an den Kaiser .................................................................. 242
5.
Intention des Evangelisten .............................................................. 243
VI.
Paulus in Athen ............................................................................... 249
1.
Arbeitsübersetzung Apg 17,16–34 ................................................. 249
2.
Einführung zu Apg 17,16–34 .......................................................... 251
3.
Traditionen ...................................................................................... 253
4.
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil ......................................... 253
5.
Das Paulusbild des Lukas in Apg 17,16–34 ................................... 256
5.1
Parallelen zwischen Paulus und Sokrates in den Augen von Lukas 256
5.2
Paulus auf Augenhöhe mit Epikureern und Stoikern ...................... 257
5.3
Der Areopag als eine große Bühne für den lukanischen Paulus ..... 259
5.4
Der lukanische Paulus als Kenner der antiken Rhetorik ................. 261
5.5
Einem unbekannten Gott: Anknüpfungspunkt für den lukanischen Paulus .......................................................................... 262
12
5.6
Inhaltsverzeichnis
Bedürfnislosigkeit Gottes als weiterer Anknüpfungspunkt für den lukanischen Paulus ............................................................. 264
5.7
Die Abstammung der Menschen aus „Einem“ (Adam – christlich; Urprinzip – heidnisch) .................................................................... 265
5.8
Die Gottesverwandtschaft des Menschen als Anknüpfungspunkt für den lukanischen Paulus ............................................................. 265
5.9
Die Schlussworte des Paulus zu den Athenern ............................... 267
5.10
Reaktion der Hörer auf die Rede und deren Ertrag ......................... 269
6.
Zusammenfassung .......................................................................... 270
E.
Zusammenfassung der Untersuchung ......................................... 272
I.
Aufrührer ........................................................................................ 273
II.
Feinde des Staates / politisch loyale Bürger ................................... 276
III.
Schaden für die Wirtschaft ............................................................. 278
IV.
Neue Religion / neue Lehre ............................................................ 279
V.
Jüdische Sektierer ........................................................................... 281
VI.
Gefahren durch die Ausbreitung des Christentums ........................ 283
VII.
Nomen ipsum als strafbarer Tatbestand .......................................... 285
VIII. Anthropophagie .............................................................................. 287 IX.
Zauberer .......................................................................................... 289
X.
Falsches Gottesbild ......................................................................... 291
XI.
Hetaeria – Geheimbund ................................................................. 292
F.
Quellen- und Literaturverzeichnis .............................................. 294
I.
Quellenverzeichnis ......................................................................... 295
II.
Literaturverzeichnis ........................................................................ 301
Vorwort
Als ich mich entschieden habe, am Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissenschaft der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zu promovieren, tat sich die Frage nach einem geeigneten Thema auf. Da ich im byzantinischen Ritus beheimatet und mit der Theologie der Kirchenväter vertraut bin, wollte ich nicht so sehr einzelne Worte oder Buchstaben im Neuen Testament untersuchen, sondern mich eher mit einem Thema befassen, das die beiden Flügel, neutestamentliche Exegese und Ausführungen der Kirchenlehrer, umfassen würde. Im Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Lothar Wehr kam die Idee auf, die apologetischen Intentionen des Lukas in seinem Doppelwerk genau herauszuarbeiten. Hiermit kamen die frühen christlichen Apologeten ins Spiel, die sich mehr oder weniger mit der gleichen Thematik wie Lukas beschäftigt haben. Diese willkommene Anregung aus dem Jahr 2012 wird nun hier als wissenschaftliche Untersuchung präsentiert. Rückblickend auf all die Jahre ist es mir ein inneres Bedürfnis, allen zu danken, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Als Erstes gebührt mein besonderer Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Lothar Wehr für die kritische, geduldige, gewissenhafte und umsichtige Betreuung, für die Erstellung des Erstgutachtens sowie für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe „Biblische Untersuchungen ‒ Neue Folge“. An dieser Stelle bin ich auch Herrn Prof. Dr. Dr. Johannes Hofmann zu Dank verpflichtet für jegliche Hilfe, das Zweitgutachten und seine guten Ratschläge während der Zeit des Verfassens. Begegnungen mit Herrn Prof. Dr. Georg Rubel aus Luxemburg und mit den Professoren des Collegium Biblicum München verdanke ich viele Impulse und konstruktive Anmerkungen. Ganz herzlich danke ich Herrn Dr. Christian Klee für seine fachlichen Korrekturen, die aufgebrachte Zeit und die großen Mühen. Die Treffen mit Dr. Klee und seiner Frau Brunhilde, die zunächst nur im Hinblick auf die Arbeit stattfanden, wuchsen mit der Zeit zu einer wahren Freundschaft. Zu danken habe ich auch der Gemeinschaft des Collegium Orientale, insbesondere dem jetzigen Rektor Erzpriester Dr. Oleksandr Petrynko für seine große Hilfe und für immer gute Ratschläge. Ebenfalls bin ich sehr dankbar seinen beiden Vorgängern, Domkapitular Msgr. Paul Schmidt und Archimandrit Dr. Andreas-A. Thiermeyer, dem Ersten Vorsitzenden von A.K.M.e.V., für ihre Ermutigung und die Zuschüsse zu den Druckkosten. An dieser Stelle gebührt mein Dank auch dem Erzbistum Bamberg sowie dem Erzbistum
14
Vorwort
Freiburg für die gewährten Zuschüsse bei der Veröffentlichung dieser Studie. Für weitere Korrekturen, die Lösung computertechnischer Probleme sowie für Formatierungsarbeiten bei der Veröffentlichung danke ich herzlich den Repetitoren des Kollegs, Herrn Dr. Robert Rapljenovic und Frau Klarissa Humml. Mein aufrichtiger Dank gilt dem bischöflichen Hilfswerk Renovabis bzw. seinen Spenderinnen und Spendern. Ihre großzügigen Stipendien ermöglichten mir das Lizentiatsstudium und zum größten Teil auch das Promotionsstudium in Eichstätt. In diesem Sinne gilt ein herzliches „Vergeltʼs Gott!“ dem Referat Weltkirche der Diözese Eichstätt und der Professor-SutorStiftung der KU Eichstätt-Ingolstadt. Nicht unerwähnt bleiben dürfen mein früherer Heimatbischof Sofron Mudryi OSBM († 2014), der mich immer wieder zum weiteren Studium ermutigte, sowie der jetzige Erzbischof und Metropolit von Ivano-Frankivsk (Ukraine), Dr. Volodymyr Vijtyshyn, mit dessen Segen ich nach Deutschland zum Studium kam. Schließlich danke ich herzlich meinen Eltern, Schwiegereltern, Verwandten und Freunden, die mich sehr persönlich unterstützt haben. Mein größter Dank jedoch gilt meiner lieben Ehefrau Mariana für alles, was wir zusammen, trotz der Entfernung wegen meines Auslandsstudiums, erlebt haben und noch erleben werden. Ihr und unseren beiden Söhnen Marko und Damian sei diese vorliegende Arbeit gewidmet. Eichstätt, den 24. Februar 2020, am Fest der Auffindung des Hauptes des hl. Johannes des Vorläufers Ivan Kachala
A. Hinführung zum Thema
I.
Einleitung
Diese Arbeit hat zum Ziel, die apologetischen Intentionen im lukanischen Doppelwerk deutlicher herauszuarbeiten, als es bisher geschehen ist. Dazu zieht sie die frühchristliche Apologetik bis ins angehende 3. Jahrhundert heran und die entsprechenden paganen Vorwürfe gegen die Christen. Leitend ist dabei die Vermutung, dass die späteren Auseinandersetzungen zwischen den Christen und ihrer paganen Umwelt ihre Wurzeln bereits in der Zeit des Lukas-Evangelisten haben. So können einige Passagen im lukanischen Doppelwerk angesichts der späteren Entwicklung christlicher Apologetik in einem neuen Licht erscheinen. Inhaltlich kreist die Arbeit um die Themen Anklage und Verteidigung. Das griechische Wort to. e;gklhma lässt sich im Deutschen mit „Anklage“, „Vorwurf“ oder „Beschuldigung“ übersetzen (Stellen bei Lukas, Apg 23,29; 25,16). Dieser Begriff ist für meine Untersuchung sehr treffend, weil seine Bedeutung und Verwendung in der Antike Folgendes zum Ausdruck bringen: Erstens bedeutet er allgemein den Vorwurf einer Schuld. Dasselbe Wort verwendet z. B. Platon1 in seinem Werk „Apologie des Sokrates“, worin diesem vorgeworfen wird, er leugne die von der Stadt anerkannten Götter und lehre andere. Eine weitere Bedeutung ist die gerichtliche Anklage bzw. die Anklageschrift selbst.2 Das zugehörige Verbum evgkale,w bedeutet eigentlich „zurufen“, jedoch im Sinn des Vorwerfens oder sogar des Einforderns einer Schuld. Im juristischen Sprachgebrauch besagt es, den Vorwurf einer Schuld gerichtlich zu untersuchen bzw. jemanden gerichtlich wegen eines Vergehens zu belangen. Auch bei Lukas kommt dieser Begriff vor (Apg 19,38.40; 23,28f.; 26,2.7). Das Substantiv h` avpologi,a heißt „Verteidigungsrede“ und wurde seit der Zeit Platons zur Bezeichnung von Reden und Schriften verwendet, die der gerichtlichen, schriftstellerischen Rechenschaftsablegung bzw. der Verteidigung gegenüber Beschuldigungen und Vorwürfen dienten (Stellen bei Lukas, in denen nicht nur das Substantiv, sondern auch Verbformen vorkommen, Lk 12,11; 21,14; Apg 19,33; 22,1; 24,10; 25,8.16; 26,1f.24). Dem platoni1 2
Vgl. Plat., apol. I,26c (ed. E. A. Duke 42). Vgl. hier und im Folgenden F. Passow, Handwörterbuch 1/2 762; W. Pape, Handwörterbuch I 704.
16
A. Hinführung zum Thema
schen Modell nach wurde „Apologie“, so Seckler, Terminus technicus für eine Verteidigung, in der der Mensch seine Überzeugungen im Hinblick auf Philosophie und Religion sowie sein Verhalten in der Gesellschaft begründen musste.3 Später erschienen „Apologien“ in Form von Reden, Briefen, Dialogen, Lehrgedichten und Traktaten. Die Verwendung dieser unterschiedlichen Genres war besonders während der Antike in der Mittelmeerkultur verbreitet. Unter den Schriften des NT befindet sich keine, die eine unmittelbare Apologie der Christen zum Thema hat. Trotzdem gibt es einige Spuren, so in 1 Petr 3,15 und Phil 1,7.16, wo der Begriff „Apologie“ verwendet wird. Darüber hinaus ist das Doppelwerk des Lukas auffällig bzw. seine ausgebauten Szenen sowohl im Evangelium als auch in der Apostelgeschichte. Lukas greift in seinen Erzählungen gegnerische Angriffe gegen die Christen seiner Zeit auf und widerlegt sie. Er schafft in seinen Darstellungen auch Erzählfiguren, die heidnische politische Autoritäten sind. Durch sie lässt der Verfasser die Vorwürfe gegen die Christen widerlegen. Seine ausgebauten Szenen zeigen nämlich deutlich (wie später zu erörtern sein wird), welchen Angriffen die christlichen Gemeinden zu der Zeit der Abfassung des Doppelwerkes ausgesetzt waren und wie sie agierten, um diese zu entkräften. Die Angriffe richteten sich entweder gegen einzelne Glaubenslehren und -praktiken oder generell gegen das Christentum. Davon ausgehend fühlten sich sowohl Lukas als auch spätere Apologeten verpflichtet, die wirklichen Ursachen jedes Konflikts zwischen den Christen und der heidnischen Gesellschaft ans Licht zu bringen, über den wahren Charakter der neuen Religion aufzuklären sowie ihren Anhängern eine wirklichkeitsgetreue Vorstellung zu vermitteln und die fehlende Berechtigung der Vorwürfe nachzuweisen. Bevor zur eigentlichen Untersuchung übergegangen wird, soll ein kurzer Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung skizzenweise geboten werden.
II.
Forschungsüberblick
Christoph August Heumann4 erkannte bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dass Lukas bestimmte Szenen in seinem Doppelwerk mit apologetischen Absichten konstruiert hatte. So wird beispielsweise an manchen Stellen der Apostelgeschichte beschrieben, wie römische Beamte das junge Christentum in Schutz nehmen. Paulus durfte trotz des gegen ihn in Rom laufenden Hauptprozesses dort predigen. Seitdem ist der Begriff der „lukanischen Apologetik“ in der Exegese eine feste Größe im Sinne einer fast politischen Verteidigung der Christen. Diese These wurde mehr als 200 Jahre 3 4
Vgl. hier und im Folgenden M. Seckler, Art. Apologie 845f. Vgl. Dissertatio 483–505.
II. Forschungsüberblick
17
später von Hans Conzelmann aufgenommen. Im Jahr 1954 erschien seine Habilitationsschrift „Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas“, worin er die besonderen Merkmale lukanischer Theologie sowie deren Apologie hervorhebt. Auf die bleibende Aktualität dieses Themas deuten die inzwischen wiederholten Neuauflagen von Conzelmanns Schrift 5 hin (die siebte und derzeit letzte Auflage kam 1993 auf den Markt). Dennoch sind bis heute keine ausführlichen Untersuchungen und eigenständigen Veröffentlichungen bekannt, die durch eine genaue Analyse der verfügbaren paganen und christlich-apologetischen Literatur die lukanischen apologetischen Absichten deutlicher zu erkennen helfen. Nur in den exegetischen Aufsätzen zum Evangelium und zur Apostelgeschichte werden apologetische Absichten des Lukas, besonders im Hinblick auf die politische Harmlosigkeit der Christen, kurz erwähnt und beleuchtet. Obwohl Conzelmann 6 die politische Apologie des Lukas im Evangelium und in der Apostelgeschichte behandelt, bietet er keine Begründung für die Aufmerksamkeit, die der Evangelist in seinen Schriften der Apologetik widmet, denn nach ihm hat Lukas unzweifelhaft politisch-apologetische Absichten.7 Sicherlich treibt die Parusieverzögerung den Verfasser des Doppelwerks dazu, der Apologie so viel Raum zu geben, aber wohl auch die vielen Vorwürfe aus jüdischen und paganen Kreisen gegen das noch junge Christentum. Die Behauptung, die Apostelgeschichte sei eine Verteidigungsschrift für Paulus, ist jedoch übertrieben.8 Conzelmann beleuchtet einige Stellen aus dem Evangelium. Bezüglich Lk 3,19 findet er, die Verhaftung des Täufers erfolge aus unpolitischem Grund und die Verse Lk 9,7–9 deuteten lediglich darauf hin, dass Herodes Jesus nur sehen wolle, was auf dessen politische Harmlosigkeit (vgl. auch die Herodesszene in Lk 23,6–12) hinweise. In Lk 23,1–25 sieht er Jesus als völlig ungefährlich für den römischen Staat dargestellt, was auch Pilatus in der Äußerung seiner eigentlichen Absicht, Jesus freizulassen, bestätigt. Auch entsprechende Textbeispiele aus der Apostelgeschichte werden von ihm erwähnt: so das vorbildliche Verhalten des Sergius Paulus in Apg 13,4–13; die „christenfreundliche Einstellung“ der römischen Beamten in Apg 16,16–40; 5
6 7 8
Aufgrund der Menge der Literatur sei hier nur der Beitrag von F. W. Horn, Haltung des Lukas 203–224 erwähnt, in dem er auf die Forschungsgeschichte eingeht. Vgl. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 128–139; darauf geht auch R. Bultmann in „Die Geschichte der synoptischen Tradition“ ein. Ebd. 128. Dass die Apostelgeschichte eine Verteidigungsschrift für Paulus ist, vertritt H. Sahlin, Messias 30–56, der über mehrere Seiten zu beweisen versucht, die Apostelgeschichte sei eine Apologie des Paulus; M. Dibelius, Aufsätze 180 meint, Lukas wolle den ersten Christen am Beispiel der Verhörszenen des Paulus zeigen, wie sie sich gegen die Angriffe verteidigen sollen.
18
A. Hinführung zum Thema
die Beschreibung, wie Gallio, der römische Prokonsul von Achaia, dem christlichen Prediger Paulus ein korrektes Verhalten bescheinigt, in Apg 18,12–17; die Erwähnung der mit Paulus befreundeten hohen Beamten in Apg 19,23–40 und die Szene mit Festus, dem römischen Statthalter in Judäa, in der aufgezeigt wird, dass Paulus sich römischem Recht unterwirft (Apg 25,1–12). Abschließend kommt Conzelmann zum Ergebnis: „Die Lukanische Apologetik stellt nicht nur ein zufälliges Element, eine praktische Einstellung zur Welt dar. Sie beruht auf einer grundsätzlichen Besinnung heilsgeschichtlicher Art.“9 Ganz im Sinne Conzelmanns untersucht Erich Grässer einige Stellen bei den Synoptikern und in der Apostelgeschichte und zeigt, wie die Parusieverzögerung die Darstellungen in den Evangelien beeinflusst hat und auf welche Weise die Verfasser damit umgegangen sind. Eine seiner Überschriften lautet: „Die Apologie der urchristlichen Naherwartung“10, und er geht eher von einem heilsgeschichtlichen Hintergrund aus. „Die inzwischen anhaltende Verzögerung und die damit verbundene unmerkliche Hinausschiebung des Endes machte eine tiefere Besinnung über die Problematik erforderlich.“11 So benötigte man begründete Aussagen, die einerseits den Verzug der Wiederkunft Christi rechtfertigten und andererseits Zukunftsperspektiven für die Christen bieten konnten. In seinen Ausführungen zeigt Grässer, wie Lukas mit diesem Problem umgeht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dieser nicht versuchte, dem Problem der Parusieverzögerung auszuweichen oder es apologetisch umzubiegen, sondern dass er eine positive Lösung anstrebte.12 Dabei wird die Absicht des Lukas vor einem heilsgeschichtlichen Hintergrund beschrieben, jedoch nicht auf seine apologetische Intention eingegangen. Nimmt man z. B. Apg 17,16–34 in den Blick, so erkennt man einige Parallelen zwischen dem lk Paulus und Sokrates. 13 Aus diesem Grund dürfte Lukas die Gattung der heidnischen Apologie vertraut gewesen sein. Es ist also naheliegend zu vermuten, dass er, ähnlich wie andere, versucht hat, das junge Christentum gegen die Vorwürfe der Heiden zu verteidigen. Gerhard Schneider14 fragt in einem Aufsatz nach der Absicht des Verfassers des Doppelwerks. Er richtet seinen Blick besonders auf das Schema „Verheißung und Erfüllung“, das bei Lukas immer wieder auftaucht. Dieses Schema zieht sich wie ein roter Faden durch Evangelium und Apostelgeschichte. Für Schneider gilt die Auffassung, die Apostelgeschichte sei eine für Paulus verfasste Verteidigungsschrift, als widerlegt, „denn die Apostel9 10 11 12 13 14
H. Conzelmann, Mitte der Zeit 139. Vgl. E. Grässer, Problem der Parusieverzögerung 128–178. Ebd. 128. Vgl. ebd. 178–215. Siehe D.VI.5.1. Vgl. G. Schneider, Lukas 9–30.
II. Forschungsüberblick
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geschichte bildet den zweiten Teil eines Werkes, dessen erster eine Evangelienschrift ist, die dem so verstandenen apologetischen Zweck schwerlich entspricht“15. Er schließt dabei keineswegs aus, dass das gesamte Doppelwerk des Lukas ein apologetisches Ziel verfolge, und zwar in dem Sinne, dass Lukas das Christentum als religio licita anstrebte und die Toleranz des römischen Imperiums erwirken wollte. Schneider widerspricht allerdings der Ansicht, Lukas stelle die Haltung der Vertreter Roms den Christen gegenüber absichtlich wohlwollend dar, um diese bei den Römern in einem positiven Licht erscheinen zu lassen. Seiner Meinung nach sind die Statthalter Felix und Festus im Prozess des Paulus eher projüdisch gezeichnet (Apg 24,22–26; 25,9–11). Schneider setzt sich auch mit dem apologetischen Schlussteil der Apg auseinander und schreibt: „Läßt sich somit die ,Apologie‘ des Schlußteils der Apostelgeschichte, insofern sie das Verhältnis des Christentums zu Israel reflektiert, als Eingehen auf ein ,innerkirchliches‘ Problem verstehen, so ist damit noch nicht erklärt, welche Rolle in diesem Teil des lukanischen Werkes die Bezugnahme auf den römischen Staat spielt. Daß eine Apologie an die Adresse Roms intendiert sei, ist bereits als unwahrscheinlich erkannt worden. Somit stellt sich die Frage, ob auch das Verhältnis zu den staatlichen Autoritäten unter dem Aspekt eines innerkirchlichen Anliegens gesehen ist.“16 Letztere Möglichkeit ist also nach Schneider nicht auszuschließen. Er lässt die Frage an dieser Stelle unbeantwortet, ohne nach möglichen anderen, für Lukas relevanten Gründen zu fragen. Auch Josef Ernst geht in seinem 1985 erschienenen Buch „Lukas. Ein theologisches Portrait“ auf die politische Apologetik des Lukas ein. 17 Er behandelt im Wesentlichen die gleichen Stellen aus dem Doppelwerk, die auch Conzelmann untersucht hat und in denen die apologetischen Absichten des Evangelisten sichtbar werden. Seine Schlussfolgerung ist, dass das Christentum in der Darstellung nach Lukas keine Gefahr für die Römer darstelle. Der Staat solle daher die christliche Kirche als legitime Größe anerkennen und ihre Mission nicht behindern.18 Ernst gibt allerdings nur einen kurzen Überblick über die politische Apologetik des Lukas; eine genaue Analyse der angeführten Stellen führt er nicht durch. Petr Pokorný behandelt in seiner „Theologie der lukanischen Schriften“ ebenfalls die politische Apologie des Lukas. Er erwähnt z. B. die dreimalige Unschuldserklärung des römischen Beamten Pilatus in Bezug auf Jesus 15 16 17 18
Ebd. 22. Ebd. 24f. Vgl. J. Ernst, Lukas 61–73. Vgl. ebd. 72f.
20
A. Hinführung zum Thema
(Lk 23,4.14.22). Ähnlich wie Pilatus handeln auch andere Stellvertreter Roms, beispielsweise wenn es um heidnische Verleumdungen und Vorwürfe gegen Paulus geht (Apg 23,29; 26,31f.). Die Christen selbst haben, nach seiner Interpretation der relevanten Bibeltexte, nichts mit den in verschiedenen Situationen auftretenden Tumulten zu tun. Diese werden immer wieder von deren Gegnern verursacht, mit dem Ziel, den Christen zu schaden. Nach Lukas, so Pokorný19, tritt das von Jesus verkündete Reich Gottes nicht in Konkurrenz zu den Königreichen dieser Welt, sondern es ist transzendenter Natur und besitzt eschatologische Bedeutung. Die Ordnungen des Reiches Gottes stünden nicht im Widerspruch zu den gottgewollten Ordnungen dieser Welt. So soll man beispielsweise dem Kaiser geben, was ihm gehört, und Gott, was Gott gehört, ohne dass dabei der Glaube verraten wird. Des Weiteren kommt Pokorný zum Schluss, dass Lukas in der Apg seinen Lesern zweifellos Material verschafft, damit sie sich verteidigen können, was besonders an der Rede Gamaliels in Apg 5,34–39 deutlich wird.20 Hier stellt sich die Frage, wogegen sich die Christen verteidigen mussten. Dieses Thema behandelt der Autor nicht. Walter Schmithals fragt in seinem Aufsatz „Die Apostelgeschichte des Lukas“, erschienen 1982, nach dem Anlass der lukanischen Sprechweise. 21 Nach Auslegung der Apg und unter Berücksichtigung der Exegese des Lukasevangeliums kommt er zu folgendem Ergebnis: In der Verfolgungszeit sei es Lukas besonders wichtig gewesen, die christlichen Gemeinden zu ermutigen, diese schwierigen Zeiten im Glauben durchzustehen. Denn die ersten Christen hatten unter schlimmen Repressalien zu leiden, galten sie doch als ein Teil des gegen Rom rebellischen Judentums (jüdische Aufstände 66–70). Davon ausgehend entstanden haltlose politische Vorwürfe gegen „die relativ kleine Schar der Christen, die den römischen Behörden als aktive judaisierende Sondergruppe innerhalb der eigenen heidnischen Bevölkerung erscheinen musste“22. Schmithals führt weiter aus, größere Verfolgungen seien unter Nero (54–68), Domitian (81–96) und Trajan (98–117), die in die Abfassungszeit des Doppelwerks fallen, bezeugt, so dass die lukanische apologetische Tendenz ohne weiteres verständlich wird. Außerdem stelle Lukas das „pharisäische“ Judentum als das mit dem Christentum fast identische genuine Judentum dar. Daraus sei ein apologetischer Nebenzweck zu vermuten. Nach der Zerstörung des Tempels war das Judentum nämlich bemüht, mit römischer Billigung eine neue Mitte zu finden. Diese kreiste um die pharisäisch verstandene Tora. „Auch konnte Lukas die Inkompetenz und Unzuständig19 20 21 22
Vgl. P. Pokorný, Theologie 177–180. Vgl. ebd. 179. Vgl. W. Schmithals, Apg 11f. Ebd. 11.
II. Forschungsüberblick
21
keit der römischen Behörden für das Christentum umso leichter demonstrieren, je mehr der christliche Glaube als eine Gestalt der jüdischen Religion erschien […].“23 Letztendlich trennt Schmithals deutlich zwischen apologetischer und heilgeschichtlicher Tendenz im lukanischen Doppelwerk, indem er schreibt: „Aber insgesamt läßt sich die ,judaisierende‘ bzw. ,heilsgeschichtliche‘ Tendenz des lukanischen Doppelwerks nicht aus Interessen der politischen Apologetik erklären.“24 Philip Francis Esler veröffentlichte 1987 seine Dissertation mit dem Titel „Community and gospel in Luke-Acts. The social and political motivations of Lukan theology“. Er gliedert seine Arbeit in acht Kapitel, in denen er die Wechselbeziehungen zwischen der Theologie des Lukas und den sozialen und politischen Bedrängnissen seiner Gemeinde erklärt. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen können folgendermaßen zusammengefasst werden: Lukas wollte stets seine christlichen Zeitgenossen in ihrem neuen Lebensstil bestärken, also einen neuen Sozialstatus in der damaligen Gesellschaft begründen und legitimieren;25 er schrieb für eine, soziologisch gesehen, „sektiererische Gemeinde“. Diese bestand nach Esler überwiegend aus Juden und gottesfürchtigen Heiden und hatte sich vom Judentum getrennt, was letztlich auch eine Belastung für die Christengemeinschaft war. 26 Nach Lukas wurde das Zusammenleben der Christen und Juden durch die Tischgemeinschaft der Judenchristen mit den Heiden erschwert, denn eine solche galt in den Augen der Juden als sektiererisch.27 Im achten Kapitel „Rome and the ancestral theme“ geht Esler auch auf politische Motive bei Lukas ein.28 Er argumentiert, dass es in der lukanischen Gemeinde auch Christen gab, die dem römischen Staat treu bleiben wollten, beispielsweise Soldaten und Staatsbeamte. Für diese schien es unvereinbar, als Christ zu leben und gleichzeitig loyaler Bürger des römischen Staates zu sein. Denn für den römischen Staat galt alles Neue zunächst als staatsgefährdend. Genau dies traf aber auf die Christen zu. Hinter ihrer Lehre wurde eine neue Religion vermutet und ihr Gründer war nach römischem Recht und auf römische Art und Weise hingerichtet worden. 29 Deshalb, so Esler, versuchte Lukas das Christentum als eine alte und ehrwürdige Religion darzustellen, die die Ordnung und Stabilität des Staates sicher nicht gefährde, sondern voll und ganz respektiere.30 Lukas habe z. B. die Stelle bei Mk 1,27, wo der Aus23 24 25 26 27 28 29 30
Ebd. Ebd. 12. P. F. Esler, Community 1–23. Vgl. ebd. 24–70. Vgl. ebd. 111. Vgl. ebd. 201–219. Vgl. ebd. 210–219; am besten 221. Vgl. ebd. 201; 218.
22
A. Hinführung zum Thema
druck didach. kainh, vorkommt, in ti,j o` lo,goj ou-toj (vgl. Lk 4,36) umformuliert.31 Des Weiteren weitet er die Erzählung über den jungen Wein in Mk 2,22 durch die Hinzufügung aus, dass keiner, der von altem Wein getrunken habe, einen jungen Wein möchte. Damit wolle er sagen, dass das Ältere gegenüber dem Jüngeren das Bessere sei (vgl. Lk 5,39). Für Esler ist Apg 17,19.21 auch ein Beweis dafür, dass Lukas beabsichtigt hat, das Christentum als eine alte Religion darzustellen. Der Evangelist, so Esler, stellt eine Verbindung zu den Vätern und Vorfahren Israels her, um das Alter der christlichen Religion deutlich zu machen, z. B. Apg 3,13; 5,30; 15,10; 22,14; 26,6; 28,25. Nach Esler stellt Lukas angesichts des Vorwurfs, das Christentum sei eine neue Religion, ein Werk zusammen, das schriftliche und mündliche Überlieferungen über Jesus und die frühen Gemeinden neu interpretierte, mit dem Ziel, seine Mitchristen zu beruhigen und ihnen die Angst zu nehmen. 32 Sein Doppelwerk soll also Antwort auf die Vorwürfe gegen die Christengemeinde bezüglich ihres Glaubens und ihrer gelebten Glaubenspraxis sein. Im Laufe der Zeit erfolgte die Trennung der ersten Christen von der Synagoge. Vermutlich war dieser Vorgang besonders für die Judenchristen ein schmerzliches Ereignis. Um das abzumildern, stellt Lukas, so Esler, das Christentum als die wahre Erfüllung jüdischer Traditionen dar. Esler verweist zwar auf die Apologeten Aristides, Justin und Athenagoras, die später ähnlich wie Lukas in Apg 17 die philosophische und literarische Ausdrucksweise der Heiden verwenden, geht aber nicht näher darauf ein. 33 Er tendiert zu der Ansicht, dass Lukas eher eine politische Legitimation für die Christen geschrieben habe als eine Apologie.34 Auch in der neuesten Forschung gibt es einige Beiträge zum Thema „lukanische Apologie“. Zu erwähnen ist der Aufsatz von Richard I. Pervo 35, der auch bestätigt, dass die Apostelgeschichte deutliche apologetische Züge hat. Allerdings stellt er die Einheit von Lukasevangelium und Apostelgeschichte in Frage. Ein wesentliches Interesse der Apg ist seiner Ansicht nach, bestehende Grenzen zwischen den Christen und Andersdenkenden darzulegen und zu verteidigen. In der Apg sind insbesondere die Juden diejenigen, die Jesus ablehnten. Gleichzeitig werden sie dort, im Gegensatz zu den Christen, als die „Bösen“ dargestellt. Die lukanische Apologetik nimmt also nach Pervo die Form eines Melodrams an.
31 32 33 34 35
Ausführlicher vgl. ebd. 216. Vgl. ebd. 221f. Vgl. ebd. 25. Darüber hinaus geht Esler kurz auf Tacitus, Plinius den Jüngeren und Sueton ein (vgl. ebd. 28f.; 79f.; 212). Vgl. ebd. 217f. Vgl. R. I. Pervo, Acts 29–46.
II. Forschungsüberblick
23
Er nennt folgende weitere Schwerpunkte in den apologetischen Aussagen der Apg36: gute Führung der Gemeinde, der Anspruch, dass das Christentum keine moralische oder politische Bedrohung für den Staat sei, die Unterdrückung falscher Lehren und eine hierarchisch geordnete Gemeinde als Grundlage für ein gutes Familienleben. Insbesondere weist Pervo darauf hin, dass der Autor des Lukasevangeliums und der Apostelgeschiche intensiv betont, dass der „christliche Weg“ keine neue Religion ist, sondern auf einer alten Tradition beruht, nämlich auf dem Gesetz und den Propheten. Abschließend erwähnt Pervo, dass die Apg sich zeitlich im Vorfeld der christlichen Apologetik befindet. Andrew Gregory beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Among the Apologists? Reading Acts with Justin Martyr“, erschienen 2013, mit Vergleichen zwischen der Apostelgeschichte und den Schriften von Justin dem Märtyrer.37 In den beiden Apologien Justins sowie im Dialog mit dem Juden Tryphon findet Gregory interessante Ähnlichkeiten mit der Apg. Um ein Beispiel zu nennen: Er erwähnt die Ähnlichkeit in der Art, mit der Justin Schriftnachweise verwendet (in seinem Dialog mit Tryphon), mit dem Lukasbericht über die Art des Umgangs von Petrus und Paulus mit den Juden.38 Sehr unterschiedlich ist allerdings der Ton des Justin gegenüber Rom im Vergleich zu der lukanischen Apologie. Während Lukas die Römer stets positiv und den Christen zugeneigt darstellt, sind Justins Apologie-Schriften den Römern gegenüber aggressiv. Ebenso unterschiedlich ist in beiden Werken das Verhalten der römischen Offiziellen zu den Christen beschrieben. Laut Justin, so Gregorys Urteil, beruhen die Entscheidungen der Römer gegenüber den Christen auf Gewalt und Tyrannei, wogegen die Apg Beispiele von freundlichem Verhalten der Römer den Christen gegenüber berichtet, wie z. B. Beamte in Philippi in Apg 16; Gallio in Apg 18; Felix in Apg 24; Festus in Apg 25. Diese Unterschiede zwischen den Werken Justins und der Apg des Lukas sind laut Gregory durch die weit auseinanderliegenden Zeiten ihrer jeweiligen Entstehung und dadurch bedingte unterschiedliche Perspektiven zu erklären. Auf mögliche Rückschlüsse aus Justins Schriften auf die apologetischen Intentionen des Lukas geht Gregory nicht ein. Des Weiteren sollte der Artikel von Knut Backhaus mit dem Titel „No Apologies! Lukas als Maßstab einer Apologia Christiana“, erschienen 2014, erwähnt werden.39 Darin geht der Autor auf die politischen und philosophischen Absichten des Lukas ein, z. B. in Lk 23,1–25 bei der Beschreibung des Verhaltens des lk Pilatus zu Jesus oder in Apg 17,16–34, wo die Vorgehens36 37 38 39
Vgl. ebd. 40–43. Vgl. A. Gregory, Among the apologists 169–186. Ebd. 172. Vgl. K. Backhaus, No Apologies 450–461.
A. Hinführung zum Thema
24
weise des lk Paulus bei seiner Mission in Athen dargestellt wird. Damit verfolgt Lukas – so Backhaus – die Absicht, die christliche Frohbotschaft für die Heiden „schmackhaft“ erscheinen zu lassen. Nach Backhaus bemüht sich Lukas in seinen Szenen, das Verhältnis zwischen der Denk- und Glaubenswelt der zeitgenössischen Mehrheitsgesellschaft und der christlichen Lehre in allen Facetten aufzuzeigen. Diese beiden Pole standen nämlich in einer Spannung zueinander. Nach Ansicht des Neutestamentlers Backhaus findet Apologia Christiana ihre Entfaltung unter vier Aspekten: 1. Selbstbewusstsein und Theozentrik, 2. Realismus und Sympathie, 3. Kritik und Humor, 4. Antwort. Zusammenfassend schreibt der Autor: „,Apologie‘ bedeutet […] zweifellos wie im üblichen Sprachgebrauch: Verteidigungsrede, Plausibilisierung der eigenen Geltungsansprüche gegenüber einer feindlichen oder skeptischen Öffentlichkeit. Aber von den diskursiven Entwürfen der frühkirchlichen Apologeten sind wir hier deutlich entfernt. Zwar ist besonders die Frage nach biblischer Abkunft und Alter des christlichen ,Weges‘ auch für Lukas höchst bedeutsam, aber er liefert keine Schrift- und Altersbeweise, er setzt sich nicht auseinander, er rechtfertigt nichts. Nichts wird ,bewiesen‘: Das Heil ,erweist‘ sich selbst als solches: Es zeigt sich.“40 Dieser kurze Forschungsüberblick soll aufzeigen, dass das Thema der lukanischen Apologetik in der Exegese vielfach diskutiert wurde. Dennoch existiert bis heute unter den Exegeten keine einhellige Meinung dazu. Wie bereits oben erwähnt, gibt es auch noch keine ausführliche Untersuchung zur Motivation, die Lukas bewegt haben könnte, seine Szenen in apologetischer Absicht zu gestalten. Ein Desiderat der Forschung ist bisher ebenso eine Darstellung der inhaltlichen Breite lukanischer Apologetik. Dem dritten Evangelisten geht es nicht nur um die Verteidigung der Christen gegen Vorwürfe aus dem politischen Bereich. Auch hinsichtlich ihrer religiösen Anschauungen und Praktiken sahen sich die Christen der Kritik ausgesetzt. Die vorliegende Arbeit setzt an dieser Forschungslücke an.
III.
Fragestellung, Aufbau und Methodik der Untersuchung
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, das lukanische Doppelwerk im Hinblick auf die Vorwürfe gegen das frühe Christentum genauer zu untersuchen. In den neutestamentlichen Schriften ist festgehalten, dass die ersten Christen von den Heiden mit verschiedensten Anschuldigungen konfrontiert wurden. Sie seien beispielsweise Aufrührer und Feinde des Staates und brächten an40
Ebd. 451.
III. Fragestellung, Aufbau und Methodik der Untersuchung
25
geblich die Wirtschaft ins Wanken. Dies lässt sich bei Lukas insbesondere in seinen Berichten über den Prozess Jesu bei Pilatus und über das Missionswirken des Paulus in der Apostelgeschichte nachlesen. Nun stellt sich die Frage, ob es darüber hinaus weitere Anschuldigungen gegenüber den Christen im Doppelwerk gibt, welche auf eine apologetische Absicht von Lukas hinweisen. Diese werden zusammenfassend am Ende dieser Untersuchung als Ergebnis dargestellt. In der bis jetzt erschienenen Literatur zum Doppelwerk des Lukas findet man immer wieder Hinweise auf die späteren sowohl paganen als auch christlichen Zeugnisse und auf Parallelen zwischen den Darstellungen des Lukas bezüglich der Christensituation seiner Zeit und deren Entwicklung, die in späteren Quellen beschrieben ist. Solche Parallelen erwähnt beispielsweise Esler41 in seinem Aufsatz, in dem er auf heidnische (Tacitus, Plinius, Sueton) und christliche Autoren (Aristides, Justin und Athenagoras) kurz eingeht. Da die Apostelgeschichte als einzige Quelle die ersten Schritte des jungen Christentums beschreibt, ist es hilfreich, zur Klärung der apologetischen Intention des Lukas zuerst die Jahrzehnte später entstandenen paganen Quellen intensiv zu untersuchen. Hierzu bieten sich besonders die diesbezüglichen Texte von Tacitus, Plinius dem Jüngeren und Sueton an. Die weitere Zuhilfenahme der Texte christlicher Apologeten, wie Justin, Aristides, Athenagoras und Origenes, soll es ermöglichen, eine begründete Antwort zu finden. Schließlich werden Lk 23,1–25; Apg 16,16–40; 18,12–17; 19,23–40; 25,1–12 untersucht. Im Text von Apg 17,16–34 sind Elemente zu finden, durch die er sich von den anderen Szenen erheblich unterscheidet. Diese Stelle wird daher erst als letzte ausgeführt. Es werden nur wenige Schritte der historisch-kritischen Methode angewendet; unmittelbar im Anschluss an einige einführende Erläuterungen wird das Paulusbild des Lukas aufgezeigt. Im Blickpunkt müssen auch weitere Aspekte stehen, etwa die Frage nach Art und Herkunft der Vorwürfe, nach ihrer Begründung und nach dem Umgang von Heiden und Christen mit dieser dauerhaften Spannungssituation. Welches Bild hatte ein Heide von den Christen, wie war die Wirkung der Christen auf Institutionen, auf die höhere Gesellschaft und auf die jeweilige politische Führung? Wie und von wem wurden die Vorwürfe vorgebracht, begründet und wie wurde versucht, sie zu widerlegen? Waren die Spannungsthemen von Anfang an vorhanden? Wie äußerten sie sich in den Anfängen und wie in späterer Zeit? Auf welche Weise haben die Christen und ihre Fürsprecher im Alltag sowie in ihrer Apologie darauf reagiert und mit welchem Erfolg? Und natürlich: Inwieweit helfen die späteren Schriftzeugnisse, den Blick für die vermutlich schon sehr früh entstandene Christenfeindlichkeit zu schärfen? Im Brennpunkt der vorliegenden Untersuchung steht also 41
Siehe dazu den Forschungsüberblick.
26
A. Hinführung zum Thema
die Analyse des lukanischen Doppelwerks, basierend auf den Schriften späterer Christengegner und Apologeten, im Hinblick auf die Wurzeln der Christenfeindlichkeit einerseits und die frühchristliche Apologetik andererseits. Es geht um die Darstellung dieser Problematik in den lukanischen Schriften, der darin aufzufindenden offensichtlichen Aussageabsichten und der Methodik der Verteidigungsstrategie des Lukas. Die Beantwortung dieser Fragestellung erfordert eine umfangreiche Untersuchung der apologetischen Literatur des 1. und 2. Jahrhunderts und der Werke, die sich damit beschäftigen, in Verbindung mit einer exegetischen Analyse relevanter Abschnitte im lukanischen Doppelwerk. Zum Verständnis der vorherrschenden verschiedenen Denkwelten hilft der Einblick in damalige Religionsphilosophien, die von der griechischen Philosophie und dem Judentum einerseits und der römischen Staatsreligion andererseits geprägt waren. Auch hierzu existieren umfangreiche literarische Quellen. Zur besseren Übersichtlichkeit wurde die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse nach den elf wesentlichen Themenkomplexen der Vorwürfe gegen die Christengemeinschaft gegliedert und in dem Bild eines Mosaiks dargestellt. Jeder Themenkomplex wird in Bezug auf die Vorwürfe der Christengegner und die Repliken der Fürsprecher der Christengemeinschaft untersucht. Dabei kommen auf der einen Seite Christengegner wie Tacitus, Plinius, Sueton oder Celsus zu Wort, auf der anderen Seite Fürsprecher wie Aristides, Athenagoras, Origenes, Justin und natürlich Lukas als Zielpunkt der Analyse. Bei den Genannten handelt es sich um die wesentlichen Personen, die sich, historisch nachgewiesen, im Konflikt zwischen Heiden und Christen engagiert haben. Zugleich deckt diese Auswahl den gesamten Zeitraum vom Beginn des Christentums bis ins frühe 3. Jahrhundert ab.
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
I.
Tacitus und sein Christenkapitel in den Annalen
1.
Historische Einleitung zu Tacitus und seinem Werk
Zur Person des Publius Cornelius Tacitus, zwischen 55 und 57 n. Chr. geboren und um das Jahr 120 verstorben, ist wenig bekannt. So weiß man beispielsweise nicht sicher, ob sein Vorname richtig ist, da er in jüngeren Handschriften Gaius genannt wird.1 Auch sein Geburtsort ist unbekannt; man nimmt jedoch an, dass seine Familie in Gallia Narbonensis oder Gallia Cisalpina beheimatet war. Vermutlich war sein Vater Prokurator von Belgica und der römische Ritter Cornelius Tacitus, den Plinius 2 der Ältere erwähnt. Der junge Tacitus fing nach einer gründlichen Ausbildung in Rom eine erfolgreiche Tätigkeit als Gerichtsredner an. Er heiratete im Jahre 78 die Tochter des Iulius Agricola, des Eroberers von Britannien. In Rom freundete er sich mit Plinius dem Jüngeren an und begann seine Karriere unter Vespasian (69–79). Unter Titus (79–81) war er Quästor, unter Domitian (81–96) Volkstribun oder Ädil. Aus unbekannten Gründen weilte Tacitus vier Jahre nicht in Rom, wurde dann aber im Jahr 97 Konsul und wohl um 112/113 Prokonsul der Provinz Asia3. Seine historischen Schriften, die während der Regierungszeit Domitians abgefasst worden waren, wurden erst nach dem Tod des Kaisers veröffentlicht. Mit den Annalen beschäftigt sich Tacitus ab dem Jahr 110 bis zu seinem Tod um das Jahr 120. Wann genau dieses Werk entstanden ist und veröffentlicht wurde4, ist nicht überliefert; seine Pläne, eine Darstellung der römischen Geschichte von Augustus (27 v. bis 14 n. Chr.) bis zur Regierung der Kaiser Nerva (96–98) und Trajan (98–117) niederzuschreiben, durchkreuzte vermutlich sein Tod. Tacitus beschreibt mit einem zeitlichen Abstand von ca. 50 Jahren in den Annalen XV,44,2–5 die Ereignisse in Rom unter Nero. Seine Beschreibungen und Darstellungen lassen erkennen, dass er sich um die res publica5 und ihre Zukunft sorgt. Tacitus favorisierte für die 1 2 3 4 5
Vgl. hier und im Folgenden A. Städele, Einleitung 7–10. Vgl. nat. VII,76 (ed. R. König 60). Hier konnte Tacitus Erfahrungen im Umgang mit den Christen sammeln; vgl. D. Flach, Plinius und Tacitus 222. Zur Datierung vgl. H. Volkmann, Annalen des Tacitus 236–239. Vgl. dazu H. Drexler, Tacitus 11–45.
28
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Regierung eine friedliche Zusammenarbeit zwischen Senat und Kaiser, wohingegen Nero und auch andere Kaiser danach strebten, alle Macht für sich zu behalten und als Tyrannen zu regieren.6 Bevor Annalen XV,44,2–5 besprochen wird, soll der lateinische Text mit der deutschen Übersetzung vorgestellt werden. 2.
Lateinischer Text und deutsche Übersetzung
XV,44,2 Sed non ope humana, non largitionibus principis aut deum placamentis decedebat infamia, quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos et quaesitissimis poenis adfecit, quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos appellabat.
XV,44,2 Doch weder durch humanitäre Hilfe noch durch Schenkungen des Kaisers oder Sühnopfer für die Götter wollte die üble Nachrede weichen; man blieb vielmehr des Glaubens, es habe auf kaiserlichen Befehl hin gebrannt. Um also dem Gerücht ein Ende zu bereiten, schob Nero andere als Schuldige vor und belegte sie mit den ausgesuchtesten Strafen: diejenigen nämlich, welche die Menge, weil sie wegen ihrer Schandtaten verhasst waren, Chrestiani nannte.
XV,44,3 auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat; repressaque in praesens exitiabilis superstitio rursum erumpebat, non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluunt celebranturque.
XV,44,3 Der Urheber dieses Namens war Christus, welcher unter der Herrschaft des Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war; und für den Augenblick unterdrückt, brach der unheilvolle Aberglaube wieder aus, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsland dieses Übels, sondern auch in Rom, wo aus der ganzen Welt alle Gräuel und Scheußlichkeiten zusammenströmen und gefeiert werden.
XV,44,4 igitur primum correpti qui fatebantur, deinde indicio eorum multitudo ingens haud proinde in crimine incendii quam odio humani
XV,44,4 Zunächst also griff man diejenigen auf, die ein Geständnis ablegten, dann wurde auf deren Anzeige hin eine große Anzahl, weniger wegen
6
Mehr dazu vgl. J. Tresch, Nerobücher 71–174.
I. Tacitus und sein Christenkapitel in den Annalen
29
generis convicti sunt. et pereuntibus addita ludibria, ut ferarum tergis contecti laniatu canum interirent aut crucibus adfixi [aut flammandi atque], ubi defecisset dies, in usu nocturni luminis urerentur.
des Verbrechens der Brandstiftung als einer hasserfüllten Einstellung dem Menschengeschlecht gegenüber, schuldig gesprochen. Und als sie in den Tod gingen, fügte man als Volksbelustigung hinzu, dass sie, in die Felle wilder Tiere gehüllt, von Hunden zerfleischt umkamen. Andere wurden an Kreuze geschlagen und zum Feuertod bestimmt; sobald sich der Tag neigte, wurden sie als nächtliche Beleuchtung verbrannt.
XV,44,5 hortos suos ei spectaculo Nero obtulerat, et circense ludicrum edebat, habitu aurigae permixtus plebi vel curriculo insistens. unde quamquam adversus sontes et novissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica, sed in saevitiam unius absumerentur.7
XV,44,5 Nero hatte für dieses Schauspiel seine Gärten zur Verfügung gestellt und veranstaltete ein Zirkusspiel, in dem er sich in der Tracht eines Wagenlenkers unters Volk mischte oder sich auf einen Rennwagen stellte. So kam es, dass sich für die, die doch schuldig waren und die ärgsten Strafen verdienten, Mitleid regte, als ob sie nicht dem Gemeinwohl, sondern zur Befriedigung der Mordlust eines Einzelnen geopfert würden.8
3.
Begriffserklärung
Die Varianten Chrestiani und Christiani in der Textüberlieferung von Annalen XV,44,2 erweckten in der Forschung die Frage, welche der beiden Schreibweisen die richtige wäre. Da der Autor im Folgenden den Gründer dieser Gruppe Christus nennt, wäre es folgerichtig, für seine Anhänger die Bezeichnung Christiani zu verwenden. Der ursprüngliche Name dürfte jedoch Chrestiani gewesen sein, was auch im Codex Mediceus II, der ältesten und zuverlässigsten Handschrift, überliefert ist. Diese These vertritt Köstermann9, dem aber Wlosok10 widerspricht, indem sie sagt, Chrestiani seien 7 8 9 10
Tac., ann. XV,44,2–5 (ed. H. Heubner 369). Selbständige Übersetzung des Verfassers unter Verwendung der Übersetzungen von E. Heller, Annalen 749–751 und A. M. Ritter, Alte Kirche 7. Vgl. E. Köstermann, Irrtum des Tacitus 456f. Vgl. A. Wlosok, Rom 9, Anm. 11.
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Anhänger von Chrestus gewesen. Diesen erwähnt nämlich Sueton, vit. Claud. 25,4 im Zusammenhang mit der Judenvertreibung aus Rom. Die Meinungen der Forscher sind also uneinheitlich. Meine Untersuchung folgt der Meinung von Harald Fuchs11, der die Lesart Chrestiani verwendet und diese für die Tacitusinterpretation ausgewertet hat. Demnach ist Chrestiani eine vulgäre Namensform für die Christen, die auch bei Tacitus erwähnt wird. 12 Diese ist vom griechischen Eigennamen Chrestos ableitbar, den häufig Sklaven trugen. Der Name selbst bedeutete etwa „tüchtiger“ und „rechtschaffener Mensch“. Chrestiani heißen also „die Wackeren“ bzw. „die Rechtschaffenen“. Mit dieser Bedeutung des Namens, die dem Volk vielleicht kaum bewusst war, treibt Tacitus, der möglicherweise als Statthalter in der Provinz Asia bessere Kenntnisse über die korrekte Bezeichnung der Anhänger dieser Gruppe besaß, sein ironisches Spiel, indem er die wahre Bedeutung dieses Begriffes in seinen Schriften verschweigt. Heutzutage gilt im Neugriechischen Chreste als ein beleidigendes Wort. Eine weitere Vermutung besteht darin, dass in der damals griechisch sprechenden Welt eine Tendenz der Ausspracheverschiebung bzw. der Vereinfachung stattfand. 13 Dementsprechend wurden das lange h und der Diphthong oi immer mehr als i bzw. u gesprochen, weshalb es beim Sprechen keinen wesentlichen Unterschied zwischen Cristianoi, und Crhstianoi, gab. Bei der Übertragung des Gehörten ins Geschriebene, z. B. ins Lateinische, konnte deshalb leicht Cristianoi, zu Crhstianoi, werden. Corripere (XV,44,4) wird üblicherweise mit „verhaften“, „hastig ergreifen“ wiedergegeben. Daneben kann dieses Wort als Terminus technicus auch mit „anklagen“, „vor Gericht ziehen“ übersetzt werden. Fuchs 14 hat z. B. 28 Stellen bei Tacitus, in denen dieses Wort vorkommt, untersucht und stellt fest, dass die Bedeutung „Anklage“ sinngemäß nur im Zusammenhang mit dem Ausdruck „vor Gericht“ interpretiert werden kann. Daraus lässt sich schließen, dass Tacitus eine Verhaftung mit sofortiger Anklage der Christen beschreibt, für die Nero wahrscheinlich verantwortlich zeichnet.15 Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass schon das Geständnis, Christ zu sein, bzw. das Bekenntnis zum Christentum ausreichend war, um als angeblicher Brandstifter verhaftet zu werden, worauf der Gebrauch von „sich bekennen“ oder „geständig sein“ sowie das Imperfekt hinweisen. Durch das Imperfekt fatebantur (XV,44,4) ist deutlich zu erkennen, dass der bezeichnete Zustand des fateri, nämlich das Bereits-„gestanden“-Haben, den Verhaftungsakt unmittelbar auslöste. Es ist unwahrscheinlich, dass dieses Bekenntnis vor Ge11 12 13 14 15
Vgl. H. Fuchs, Bericht 564f., Anm. 5 und 6. Vgl. hier und im Folgenden A. Wlosok, Rom 9f., die hier Fuchs folgt; D. Flach, Plinius und Tacitus 224. Vgl. hier und im Folgenden H. Hommel, Tacitus 179f. Vgl. H. Fuchs, Bericht 574f., Anm. 27. Vgl. hier und im Folgenden A. Wlosok, Rom 17.
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richt stattfand. Insofern bedeutet fatebantur, wie es von Wlosok formuliert ist: „Die, die sich schon immer öffentlich oder jedenfalls im Moment der Verhaftung als Christen bekannten, wurden sofort ergriffen.“ 16 Unter flagitia (XV,44,2) kann man „schändliche, entehrende Vergehen“, „Schandtaten“, „Niederträchtigkeiten“, „Skandale“, „Schimpflichkeiten“, „Lasterhaftigkeiten“, „niederträchtige Äußerungen oder Behauptungen“ und auch „Bösewichte“ verstehen.17 Wenn also Christen der flagitia beschuldigt wurden, wird deutlich, warum sie in der Bevölkerung so verhasst waren. 4.
Odium humani generis und dessen Verständnis
Insbesondere der Ausdruck odium humani generis (XV,44,4) ist von Interesse. Bei Cicero18 lässt sich gut erkennen, dass es sich dabei um eine Übersetzung des griechischen Wortes misanqrwpi,a handelt.19 In der „Menschenfeindlichkeit“ besteht nach dem Urteil des Tacitus die wesentliche Schuld der Christen. Jene spielte in der antiken Moral, vor allem bei den Stoikern eine besondere Rolle. Die Römer übernahmen diesen Begriff zur Förderung der staatlichen Gemeinschaft in ihre Staatsbürgerlehre. Versuchte sich also jemand von dieser Gemeinschaft zu distanzieren, galt er als menschenfeindlich. Dies bezeugt wiederum Cicero20, der ein solches Verhalten als Vergehen gegen das gemeinschaftliche Leben darstellt, was als eine Form der Ungerechtigkeit, der iniustitia, verstanden wird. Im Folgenden wird der Text des Cicero zitiert, aus dem die Ansicht der antiken Bevölkerung hervorgeht und mit dessen Hilfe die Bedeutung von odium humani generis bei Tacitus bezüglich der Christen besser verstanden werden kann: „Sunt etiam, qui aut studio rei familiaris tuendae aut odio quodam hominum suum se negotium agere dicant nec facere cuiquam videantur iniuriam. qui altero genere iniustitiae vacant, in alterum incurrunt; deserunt enim vitae societatem, quia nihil conferunt in eam studii, nihil operae, nihil facultatum.“21 ,,Es gibt auch Menschen, die teils aus Sorge um die Sicherung des Vermögens, teils aus einer gewissen Menschenverachtung heraus behaupten, sie kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten, und die niemandem Unrecht zu tun scheinen. Diese Leute bleiben von der einen Art von Ungerechtigkeit frei, geraten aber in eine andere hinein. Denn sie sondern 16 17 18 19 20 21
Ebd. Vgl. H. Georges, Handwörterbuch I 2778. Vgl. Cic., Tusc. 4,25f. (ed. O. Gigon 264). Vgl. hier und im Folgenden A. Wlosok, Rom 20f. Vgl. Cic., off. 1,29 (ed. R. Nickel 30). Ebd.
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sich von dem Leben in der Gemeinschaft ab, weil sie nichts dazu beitragen an Arbeitseifer, an Mühe und an Fähigkeiten.“22 Insbesondere das Absondern von der Gemeinschaft erzeugte immer den Verdacht der Bildung einer staatsgefährdenden politischen Vereinigung. Davon ausgehend ergeben sich aus dem Cicero-Text zwei Aspekte des Ausdrucks odium humani generis. Einerseits erkannte man in der gemeinschaftsfeindlichen Gesinnung der Christen eine politische, andererseits eine moralische Feindschaft. Als staatsgefährdende und verbrecherische Gruppe mussten die christlichen Märtyrer die von Tacitus am Schluss des Abschnitts beschriebenen Grausamkeiten ertragen. Sie leisten keinen Beitrag für das Wohl der bürgerlichen Gemeinschaft. 5.
Die Ausführungen über die Christen
Das Kapitel von Tacitus bietet einige Hinweise zu den näheren Umständen des Vorgehens Neros gegen die Christen. Der Abschnitt ist deshalb von großer Bedeutung, weil er eines der wichtigsten profanen historischen Zeugnisse für die Gründe der Christenverfolgung darstellt sowie die Vorwürfe gegen die Christen23 tradiert. Es handelt sich dabei um einen Bericht über den Brand Roms im Sommer des Jahres 64, den R. Hanslik24 genau beschrieben hat. Kaiser Nero stand unter dem Verdacht, die Brandstiftung befohlen zu haben. Um dieses Gerücht zu beseitigen, war es notwendig, einen Sündenbock dafür zu finden. Neros Vergehen sollte auf Unschuldige abgewälzt werden. 25 In dieser Situation half dem Kaiser die Tatsache, dass in seinem Reich eine bestimmte als religiöse Sekte bezeichnete Gruppe von Menschen in der Bevölkerung besonders verleumdet wurde und verhasst war, nämlich die Christen. Diesen konnte man ein solches Verbrechen zutrauen. Erwähnenswert ist die Art und Weise, wie Tacitus über die Christen spricht. Er schreibt: „quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos appellabat“ (ann. XV,44,2). Daran lässt sich erkennen, dass die Christen im Volk wegen ihrer Verbrechen bzw. Schandtaten verhasst26 waren. Der Kaiser kannte die Einstellung und Stimmung des Volkes gegenüber den Christen sehr gut und wusste daher, dass seine Behauptung, die Christen hätten den Brand gelegt, nicht bezweifelt 22 23 24 25 26
Übers. von A. Wlosok, Rom 21. Man könnte fragen, wann sich die ersten Christen in der Stadt Rom ansiedelten. Zur Ansiedlung vgl. J. Gnilka, Christen 266f. Vgl. R. Hanslik, Erzählungskomplex 92–108. Zur Grausamkeit des Nero, der die eigene Mutter umbringen ließ, vgl. Tac., ann. XIV,8,3–5 (ed. H. Heubner 313). Vom Hass gegen die Christen um des Namens Christi willen lesen wir z. B. in Lk 21,12–17.
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werden würde. Wie Nero auf die Idee kam, diese unbedeutende Gruppe zu beschuldigen, kann nur vermutet werden. Sicher ist allerdings, dass er christenfeindliche Berater hatte, die ihrerseits den Juden gegenüber freundlich gesinnt waren. Sie vermochten zwischen Juden und Christen zu unterscheiden, weil das Christentum in der heidnischen Umwelt für eine extreme jüdische Sekte gehalten wurde.27 Eine freundschaftliche Beziehung zum Judentum pflegte auch Neros intrigante Gattin Poppaea Sabina 28. Ihr Vertrauter, Ofonius Tigellinus29, war seit 62 einflussreichster Prätorianerpräfekt (praefectus praetorio) Neros und hatte als solcher ein spezielles kaiserliches Mandat mit Gerichtsbarkeit inne. Das wird bei der im Folgenden noch zu besprechenden Verurteilungsart der Christen zu beachten sein. Des Weiteren informiert der römische Historiker über den Urheber der „Sekte“. Er weiß genau, dass deren Ursprung in Judäa liegt und ihr Stifter, dessen Hinrichtung während der Regierung des Kaisers Tiberius (14–37) und der Statthalterschaft des Pontius Pilatus30 stattfand, den Namen Christus trug. Die Erwähnung der Herkunft dieses Aberglaubens ruft den Römern die zahlreichen jüdischen Aufstände in Erinnerung, die schließlich zur völligen Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahre 70 führten. Man kann fragen, woher Tacitus so gut über die Christen informiert war. Dazu gibt es verschiedene Vermutungen, die bei Wlosok31 ausgeführt sind. Des Weiteren fragt man sich auch, auf wessen Anzeige hin die Christen ergriffen wurden. Es könnte sich um sogenannte „falsche Christen“ gehandelt haben, die als Brandstifter aufgetreten sind und dadurch die Aktion des Kaisers in Gang setzten.32 Man weiß nicht genau, wie die Behörden sich gegenüber den Christen im Einzelnen verhalten haben, da dies dem Text nicht zu entnehmen ist. Welches Verhör vollzogen wurde oder welcher Gerichtshof eingesetzt war 27 28
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Vgl. A. Wlosok, Rom 12. Vgl. dazu G. Winkler, Art. Poppaeus 1054f. Im Jahr 64 traf Poppaea Sabina in Puteoli mit Flavius Josephus zusammen, der von ihr eine Reihe judenfreundlicher Maßnahmen erreichte; vgl. Joseph., ant. Iud. XX,252–254 (ed. L. H. Feldman 134). Vgl. Tac., ann. XV,61,2 (ed. H. Heubner 380). Tacitus bezeichnet ihn im Zusammenhang der Aufdeckung der pisonischen Verschwörung des Jahres 65 zusammen mit Poppaea Sabina als das intime consilium des grausam wütenden Kaisers. Zu seiner Grausamkeit und seinem Vorgehen gegenüber der eigenen Frau Octavia vgl. Tac., ann. XIV,60,1–5 (ed. H. Heubner 342); XV,58,3 (ed. H. Heubner 378). Tacitus verwendet für Pilatus die Amtsbezeichnung procurator, was historisch nicht korrekt ist, weil der Titel procurator erst unter Claudius üblich war. Die in Caesarea Maritima gefundene Pilatusinschrift nennt Pilatus praefectus Iudaeae. Vgl. A. Wlosok, Rom 13. Über die Christen dürfte Tacitus von seinem Freund Plinius erfahren haben, der mit ihm seit Studienzeiten befreundet war; vgl. Plin., Briefe VII,20 (ed. R. A. B. Mynors 214f.). Vgl. hier und im Folgenden A. Wlosok, Rom 17f.
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und, am allerwichtigsten, wie die Anklage glaubhaft gemacht wurde, bleibt unbekannt. Jedenfalls handelt es sich um ein außerordentliches Verfahren, da man dieses ohne geregelten Gerichtsprozess und ohne öffentliche Beweisführung durchführte. Auf Befehl des Kaisers wird es vermutlich zu einer cognitio extra ordinem vor dem praefectus praetorio, dem sogenannten Kaisergericht mit consilium, gekommen sein. Dieses hatte die Vollmacht, jedermann im Römerreich anzuklagen und zu richten. Zu seinen Kompetenzen zählte es, Anklage zu führen, Urteile zu fällen, die Strafe festzulegen und deren Vollzug anzuordnen. Natürlich wurden die Christen nicht von Nero selbst verhört, sondern von Ofonius Tigellinus, dem engen Vertrauten der Gattin des Kaisers, Poppaea Sabina. Da die Kaiserin, die den Juden zugeneigt war, Einfluss auf den praefectus ausüben konnte, kann man erwarten, dass Tigellinus über die Christen gut informiert war.33 Im Fall der Christen wurden keine korrekten Einzelprozesse und Untersuchungen durchgeführt, sondern eine Massenverurteilung vorgenommen. Möglicherweise konnte man mit Hilfe falscher Angaben oder Zeugen die Christen als solche beschuldigen, um das Verfahren zum gewünschten Ziel zu führen. Es wird über eine Verhaftung in zwei Phasen gesprochen, wobei alle Verhafteten zusammen überführt werden. Fast am Schluss des Christenkapitels beschreibt Tacitus das Handeln des Kaisers, der sich intensiv und theatralisch an diesem Schauspiel beteiligte, indem er seine Gärten für diese Volksbelustigung zur Verfügung stellte. Um das Fest noch spannender zu machen, wurden die Christen in Felle von Wildtieren gehüllt und so Hunden bzw. allgemein ausgedrückt wilden Tieren (ad bestias) vorgeworfen. Eine andere Unmenschlichkeit bestand laut Tacitus darin, dass ihre Leiber als lebendige Fackeln, die die Nacht erhellen, benutzt wurden. Während die einen in großen Qualen starben, jubelten und amüsierten sich die anderen. Aber die Grausamkeit und die ludibria, die Verhöhnung, die die Hinrichtung begleiteten, erweckten auch Mitleid beim Volk. 34 6.
Aussageabsicht des Tacitus
Man erkennt, dass der Autor keine besondere Vorliebe für Nero und dessen Regierungsmethoden hegte, denn er sagt deutlich, dass die feste Meinung bestand, der Brand sei befohlen worden; allerdings konnte solches nur der Kaiser. Die Absicht des Tacitus ist, den Kaiser als „schlauen Fuchs“ darzustellen, der seine eigene Schuld auf andere abwälzt. 35 In einer Einführung zu 33 34
35
Vgl. R. Hanslik, Erzählungskomplex 106. Vgl. D. Flach, Plinius und Tacitus 227f.; diese miseratio gilt als versöhnendes Licht gegenüber dem schrecklichen Tod der christlichen Märtyrer. Man kann darin eine gewisse Parallele zum Verhalten des Hauptmanns nach Mk 15,39; Mt 27,54 und Lk 23,47 erkennen. Vgl. J. Bauer, Tacitus 498.
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diesem Bericht bemerkt Tacitus, es sei ungewiss, ob der Brand „durch unglücklichen Zufall oder durch Heimtücke des Kaisers (forte an dolo principis)“36 entstanden sei, obwohl er später, wie oben erwähnt, darstellt, dass die starke Vermutung bestand, der Brand sei befohlen worden. Trotzdem bedeutet das nicht, dass Tacitus die Christen rechtfertigen will. Obwohl sie nicht am Brand Roms beteiligt waren, sollten sie doch aufs schärfste bestraft werden, denn sie störten mit ihrem Verhalten salus und utilitas publica und galten als Fremdkörper in der Gesellschaft. Der Historiker berichtet über die für einige Zeit gelungene Unterdrückung dieses „Aberglaubens“, der aber dann immer wieder mit neuer Kraft ausbrach, nicht nur in Judäa, sondern auch in Rom. Die Abneigung des Tacitus gegen alles Orientalische ist aus dem berühmten Exkurs am Anfang des 5. Historienbuches 37 bekannt, worin er das Judentum, ähnlich wie das Christentum, sowie ägyptische und andere östliche Sitten und Religionen verurteilt und verwirft 38. Alles Orientalische wurde als Gefahr und Bedrohung für das Römertum, die römischen Bräuche und Vätersitten gesehen.39 Tacitus macht sich als eifriger Römer in seinen Geschichtswerken zum Anwalt für alles Römische. Darum betrachtet er das Christentum mit Abscheu und Verachtung und verurteilt es. Wenn er den Kaiser und den Statthalter erwähnt, bedeutet das automatisch, dass er deren Urteil zustimmt. Als Römer konnte er nicht anders denken. So ist aus seiner Sicht auch die Hinrichtung Jesu rechtmäßig, weil dieser als Gründer der neuen Religion römisches Recht gebrochen hat, was auch die Kreuzigung bestätigt. Christus wurde ja zu der damals im römischen Recht härtesten Strafe verurteilt. Hörte ein Römer von einer Hinrichtung, verband er damit immer ein gerechtes Urteil. Daraus ergibt sich, dass Christus ebenso wie seine Anhänger zweifellos als Verbrecher galten, was die „Zukunftsperspektive“ der Christen wie ein „Brandmal“ belastete. Christus als Gründer der neuen Gemeinschaft propagierte eine exitiabilis superstitio, also eine verderbliche, unheilvolle religiöse Lehre, die abscheulich, schändlich und böse (atrocia, pudenda, malum) war. Daher galt sie moralisch und politisch als anstößig. 40 Als römischer Historiker sieht Tacitus das Christenthema ausschließlich aus römischem Blickwinkel und beschreibt, dass diese eigenartige Sekte auf dem gesamten Staatsgebiet verbreitet ist. Tacitus missbilligt zwar die äußeren Umstände der Bestrafung und stellt fest, dass die Christen unrechtmäßig für die Brand36 37 38 39 40
Tac., ann. XV,38,1 (ed. H. Heubner 365). Vgl. hist. V,5,1 (ed. J. Borst 516). Vgl. z. B. auch ann. II,85,4 (ed. H. Heubner 91). Vgl. hier und im Folgenden A. Wlosok, Rom 14f.; vgl. dazu J. Vogt, Christenverfolgung I 1162f.; vgl. auch Apg 16,21. Vgl. Tac., ann. XIII,32,2 (ed. H. Heubner 290), superstitio externa als Grund des Verfahrens gegen Pomponia Graecina.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
stiftung verurteilt worden waren, tatsächlich aber vertritt er die Meinung, die Christen hätten zu Recht die unerhörtesten Strafen verdient.41 Ausschlaggebend dafür war nicht, dass Tacitus als Angehöriger der Oberschicht etwa der Christen wegen wirtschaftlichen Schaden erlitten hätte. Er befürchtete vielmehr, dass dieser „Aberglaube“ die Harmonie im Volk und ein friedliches Zusammenleben der Volksgemeinschaft verhindern würde. Dementsprechend hielt er es für richtig, sofort gegen diese Gruppe vorzugehen. Ein weiteres Argument dafür, die Christen mit der Todesstrafe zu belegen, bestand in dem damaligen Verständnis des Wortes sontes. Dies lässt sich gut an einer Stelle bei Seneca42 erkennen, dessen Sprachgebrauch demjenigen des Tacitus verwandt ist. Demnach wurden unter sontes nicht die in einem Prozess schuldig Gesprochenen, sondern grundsätzlich die mali, die Bösen verstanden.43 Tacitus äußert sich mit einer gewissen Abneigung über das Christentum, das er als ein „Übel“ ansieht, das von Judäa kam und in die Hauptstadt des Imperiums eindrang, in der „alle Gräuel und Scheußlichkeiten zusammenströmen und gefeiert werden“ (ann. XV,44,3). Interessanterweise bemerkt er, dass die Christen nur äußerlich des Verbrechens der Brandstiftung angeklagt wurden, tatsächlich jedoch wegen des Verbrechens des odium humani generis. Im Bericht erkennt man auch seine persönliche Wertung der Situation. Sein Ziel ist es, den Leser davon zu überzeugen, dass die Christen, die Nero als Brandstifter hinrichten ließ, trotz ihrer Unschuld kein Mitleid verdient haben.44 Die Strafen für Brandstiftung waren schon zur Zeit des Tacitus Tod durch Kreuzigung, durch wilde Tiere im Zirkus oder durch Verbrennung.45 Diese Arten der Tötung wurden auch an den Christen zur Abschreckung öffentlich durchgeführt.46 Der römische Historiker ist fest davon überzeugt, dass die Staatsräson, die utilitas publica, sich vor denen schützen müsse, die ihre maiestas verletzen.47 Davon ausgehend hält Tacitus alle strengen Maßnahmen für gerechtfertigt, wenn es sich um die utilitas publica, das Reichs-
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46 47
Vgl. hier und im Folgenden D. Flach, Plinius und Tacitus 227f. Sontibus parent boni; vgl. Sen., Herc. fur. 252 (ed. C. Andresen u. a. 80). Vgl. K. Büchner, Humanitas Romana 348, Anm. 126. Vgl. D. Flach, Plinius und Tacitus 222. Vgl. Dig. 47,9,9 [Gaius] (ed. Th. Mommsen 829): „Qui aedes […] combusserit, vinctus verberatus igni necari iubetur, si modo sciens prudensque id commiserit […]“; Dig. 47,9,12 [Ulpianus] (ed. Th. Mommsen 830): „[…] qui data opera in civitate incendium fecerint, si humiliore loco sint, bestiis obici solent […]“; vgl. dazu H. Fuchs, Bericht 562f., Anm. 4; K. Büchner, Humanitas Romana 237; für J. Bauer, Tacitus 503 seien es nur Verbesserungsvorschläge, die nicht befriedigen können. Vgl. dazu Th. Mommsen, Strafrecht 925–927. Vgl. H. Hommel, Tacitus 188.
I. Tacitus und sein Christenkapitel in den Annalen
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interesse, handelt.48 Ähnlich stand Tacitus den großen brutalen Eroberungen der Römer gegenüber, die er einerseits als grausam empfand, von denen er andererseits begeistert war. Diese hatten ja nicht nur das Ziel der Erweiterung des Territoriums, sondern viel mehr auch das der Verwirklichung von virtus exercitum et Romani nominis gloria. Die schwerwiegenden „Kollateralschäden“ ihrer brutalen Eroberungen empfanden die Römer als unbedeutend im Vergleich zu dem hohen Ziel der Glorie Roms. Seiner politischen Einstellung nach war Tacitus kein Monarchist, sondern eher ein aristokratisch erzogener Republikaner.49 Deshalb hatte er nicht in erster Linie die Absicht, den Kaiserkult zu unterstützen, sondern es ging ihm vor allem um die dem Reich geschuldete Achtung, um die gloria Romani nominis. Diese konnte jedoch zu dieser Zeit nur im Kaiserkult ihren Ausdruck finden. 7.
Das Bild der Christen und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen
7.1
Verächter des Kaiserkultes
Ein Grund, weswegen die Christen verhasst waren, bestand vermutlich darin, dass sie sich abzusondern versuchten und sich nicht am Kaiserkult beteiligen wollten. Die Praktizierung des Kaiserkultes erfolgte immer zusammen mit Prozessionen, Wettspielen und zahlreichen Opfern. Es ist allerdings umstritten, ob dem Kaiser oder für den Kaiser geopfert wurde, da im Griechischen in beiden Fällen der Dativ verwendet wird. Jedenfalls war der Kaiserkult meist in den dichtbewohnten Teilen des Römischen Reiches, d. h. in Rom, und in den großen Städten der Provinzen, wie in Ephesus, Korinth und Philippi, verbreitet. Die Hauptträger des Kultes waren das Militär, Beamte, Händler, Zuwanderer, die lokale Oberschicht und all diejenigen, die um ein positives Verhältnis zum römischen Staat bemüht waren, denn wenn der Kaiser nicht verehrt wurde, bedeutete dies automatisch eine Missachtung des ganzen römischen Volkes.50 Die Römer hielten sich wie die Juden für ein von Gott(heiten) erwähltes Volk, dessen Rechte und dessen Überlegenheit akzeptiert werden mussten. Mit dem Wechsel der Staatsform von der Republik zum Prinzipat war jene maiestas, die Würde und das Ansehen aller Römer, auf den Kaiser als Institution und Person übergegangen. Die Missachtung dieser Ansprüche bedeutete eine Verletzung der Ehre des römischen Volkes und seiner Vertreter, was schon in der Zeit der Republik Bestandteil des römischen Strafrechts war. Somit galt, dass der Herrscher ein Anrecht hatte 48 49 50
Vgl. hier und im Folgenden J. Bauer, Tacitus 503; H. Hommel, Tacitus 188. Zu Leben und Prägung des Tacitus vgl. S. Schmal, Tacitus 11–19. Vgl. hier und im Folgenden H. Hommel, Tacitus 185f.; dazu auch J. Bauer, Tacitus 501f.; B. Kübler, Art. Maiestas 550f.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
auf Ehrfurcht, Ehrerbietung sowie Gehorsam und deren Verweigerung als Majestätsbeleidigung, crimen laesae oder minutae maiestatis, galt. Auf diese Weise wurde aus einem Staatsverbrechen ein Verbrechen gegen die Person des Herrschers und seine Familie, das oft als sacrilegium bezeichnet wird.51 Es war dem Römer stets bewusst, dass derartige Delikte den gesamten Staat gefährdeten und nicht nur das Kaiserhaus. Mit der Identifizierung der Person des Herrschers mit dem Staat wuchs die Bedeutung des Kaisers und er wurde zu einer Person mit göttlicher Natur. Davon ausgehend war das crimen laesae maiestatis einem Religionsfrevel vergleichbar. Seit der Regierungszeit des Tiberius (14–37) erstreckte sich der Schutz der geheiligten Person des Kaisers auch auf seine Bildnisse52; wer ihnen die schuldige Achtung versagte, riskierte sein Leben. Die Macht von Kaiser, Staat und Volk verbreitete sich über die gesamte Ökumene, also über alle von der römischen Herrschaft erfassten Länder, die als orbis terrarum bezeichnet wurden. Die kulturellen Werte der über den Erdkreis ausgedehnten römischen Herrschaft galten infolge des ökumenischen Reichsgedankens als Leistungen für die gesamte Menschheit53. Aus diesem Grund sollte die ganze Menschheit ihre Dankbarkeit und Anerkennung zum Ausdruck bringen und dafür auch an der Machtfülle und den Segnungen des Reiches beteiligt sein. 54 Die Identität der Begriffe orbis terrarum, orbis Romanus und imperium Romanum mit dem genus humanum wurde damit bereits grundgelegt. Des Weiteren wird vom genus humanum gegenüber seinem Beschützer und Wohltäter eine Reverenz gefordert, die ihren Ausdruck im Kaiserkult fand. Wer also wagte, sich dem Kaiserkult zu verweigern, widersetzte sich nicht nur dem Kaiser, sondern jedem Mitglied des Reiches und somit dem genus humanum. Dies voraussetzend kann man nicht bezweifeln, dass Tacitus mit dem odium humani generis der Christen auf ihre beharrliche und gesinnungsmäßig begründete Verweigerung anspielte, dem Kaiser zu opfern. Allerdings ist zu vermuten, dass in der damaligen Gesellschaft alle, die nicht an allgemeinen Festen und Kulten teilnahmen, als gottlos galten. Dementsprechend entstand ein Hass gegen die Christen, weil sie sich offensichtlich weigerten, sowohl den Göttern als auch dem Kaiser zu opfern. Das galt insbesondere, wenn ein Kaiser, wie Domitian (81–96), der ein Zeitgenosse des Tacitus war, sich als Herr und Gott verehren ließ. Diese Bezeichnung war bei den Christen jedoch für Christus reserviert (Joh 20,28); denn sie durften nicht „zwei Herren dienen“ (Lk 16,13). Tacitus aber fragt nicht nach dem 51 52 53 54
Vgl. Dio Cass., hist. 57,9,2 (ed. U. Ph. Boissevain 566f.); Cod. Iust. IX,29,1–3 (ed. P. Krueger 385). Vgl. Suet., vit. Tib. 58 (ed. M. Ihm 142). Vgl. Plin., n. h. III,39–41 (ed. G. Winkler 36–38); XXVII,2f. (ed. R. König 124– 126); XXXVI,118 (ed. R. König 82–84). Vgl. hier und im Folgenden H. Hommel, Tacitus 186f.
I. Tacitus und sein Christenkapitel in den Annalen
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Grund des befremdlichen Verhaltens der Christen, nach ihren religiösen Motiven; er hat in seiner knappen Darstellung kein Interesse daran, sondern ihm genügt es, wenn er die römischen Angaben über Christi Tod erwähnt sowie die weitere Ausbreitung der exitiabilis superstitio, die dem römischen Staat als eine Infektion und Bedrohung galt. So wird die römische Interpretation des umstrittenen odium humani generis der Christen deutlich. Sie galten als eine Sondergruppe, die sich heimlich versammelte und der verschiedene Schandtaten (flagitia) vorgeworfen wurden. 7.2
Hasser des Menschengeschlechts
Wie oben kurz erwähnt, waren die Christen in den Augen des Tacitus auch abscheulich und menschenfeindlich. Nachdem ihnen die Brandstiftung zugeschrieben wurde, begannen die ersten Verhaftungen, bei denen allein das Bekenntnis zu Christus ausreichend war, um als Brandstifter und „Feind Roms“ zu gelten. Begründet wurde dies mit der Annahme, die Christen seien eine extreme jüdische Sekte. Denn der Vorwurf der Misanthropie, den man in der Antike gegen die Juden erhoben hatte, galt auch für die Christen, da diese anfangs von jenen nicht zu unterscheiden waren. Eine Parallele zur Haltung der Christen gegenüber dem römischen Staat findet sich bei den Juden: Diese weigerten sich nämlich, die Führer des Perserreichs zu verehren, weshalb sie Tod und Ausrottung verdient hätten. Solches wurde ihnen von persischer Seite angedroht, was auch Josephus 55 beschreibt. Man liest bei ihm, dass die Juden ponhro.n e;qnoj waren und aufgrund ihrer Religion und ihrer Gesetze als Feinde des persischen Volkes sowie allgemein als menschenfeindlich galten. Hier liegt ein Bezug auf Est 3,8f. vor, wo den Juden vorgeworfen wird, sie seien politisch unzuverlässig. Auch wenn das Buch Ester ein historischer Roman 56 aus hellenistischer Zeit ist, so zeigt es doch den Ausgangspunkt des Misstrauens gegenüber den Juden. Über Jahre hinweg dürfte dieses Bild, welches später auf die Christen projiziert wird, das Denken der Menschen in der Region beeinflusst haben. Die Beziehung zwischen Juden und Römern im 1. Jahrhundert ist durch die zahlreichen jüdischen Aufstände sowie die Zerstörung des Tempels gekennzeichnet.57 So schreibt Josephus aus persischer Perspektive weiter, „dass mitten unter […] Völkern ein feindseliges Volk lebt, das die Gesetze nicht beachtet, dem König nicht gehorcht, seiner eigenen Gebräuche sich bedient, 55 56 57
Vgl. Joseph., ant. Iud. XI,26–30 (ed. R. Marcus 326–328). Josephus beschreibt die Juden hier aus persischer Perspektive als Aufruhr- und Kriegsstifter. Vgl. O. Kaiser, Einleitung 205. Tacitus selbst schreibt in dem Exkurs, der die Eroberung Jerusalems unter Titus einleitet, von den Juden: apud ipsos fides obstinata, misericordia in promptu, sed adversus omnis alios hostile odium; vgl. Tac., hist. V,5,1 (ed. J. Borst 516).
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
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unseren ganzen Staat hasst und heimtückische Pläne gegen uns hegt“ 58. Hier erkennt man eine Parallele zur Charakterisierung der Christen durch Tacitus, nämlich, dass diese mit ihrer konsequenten Feindseligkeit gegen alle Welt sowie ihrer Einstellung gegen die Staatsgewalt und die Anordnungen des Herrschers sich isolierten und unbeliebt machten. 59 Denn sie verweigern den Machthabern die göttliche Verehrung und missachten die Autorität der Herrschaft. Da aber verlangt wurde, dass alle Bürger eines Staates die maiestas rückhaltlos anerkennen, bildeten die Christen einen kontinuierlichen Unruheherd. Die „Ökumene“ bzw. der orbis terrarum, die als identisch mit der Reichsherrschaft Roms angesehen werden, werden in Est 8,12 mit basilei,a bezeichnet. Bei Josephus ist deutlich, dass die Ökumene mit dem Machtbereich des Herrschers faktisch identisch ist. Im Grunde genommen handelt es sich bei der Kaiserverehrung um das Ansehen und die Würde von Imperium, Statthalterschaft, Volk und gesamter Menschheit. Wenn eine inkriminierte Volksgruppe sich gegen all diese Mächte stellt, provoziert sie Hass und Feindseligkeit. Nach der Meinung der Römer sind die Christen also wegen ihrer hasserfüllten Einstellung gegenüber dem Menschengeschlecht auch im Volk selbst verhasst. Aber nicht nur aus diesem Grund, sondern eben auch, weil sie einem gefährlichen Aberglauben (superstitio) anhängen und diesen verbreiten. Aus dieser Sicht wird die Einstellung gegenüber den Christen verständlich. Wie groß der Hass gegen die Christen war, lässt sich in der Durchführung der Hinrichtungen erkennen. Die Tatsache, dass der Akt der Exekution der Christen von Nero als Volksfest zelebriert wurde, zeigt Hohn, Spott und Erniedrigung in besonders primitiver Form. 7.3
Verbrecher
Mit dem Ausdruck flagitia wirft Tacitus den Christen vor, dass sie genauso wie ihr Urheber, der von den Römern hingerichtet worden war, Verbrecher sind. Offensichtlich werden damit auch Eigenschaften wie atrocia und pudenda, also grässliche und dunkle Schändlichkeiten verbunden, 60 was ein in der Stadt Rom typischer Vorwurf gegen Geheimkulte oder Geheimbünde war. Unter diesem Verdacht stand jede verschworene Gemeinschaft religiöser oder politischer Art. Solche Vereinigungen galten als verbrecherisch, weil deren Mitglieder sich stets nur in der Nacht versammelten, vermutlich um geheimnisvolle Riten durchzuführen, und weil Nichteingeweihte davon ausgeschlossen waren. Explizit dachte man vor allem an sexuelle Orgien und 58 59 60
Joseph., ant. Iud. XI,217f. (ed. R. Marcus 418–420; übers. H. Clementz 520). Vgl. hier und im Folgenden H. Hommel, Tacitus 190f. Eine fast ähnliche Ausdrucksweise findet sich in Liv., Geschichte XXXIX,9,1 (ed. H. J. Hillen 22), wo auch die Bacchanalien so charakterisiert werden.
I. Tacitus und sein Christenkapitel in den Annalen
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Praktiken der schwarzen Magie.61 Die Absonderung von anderen erweckte den Eindruck politischer Verschwörung, so dass man von diesen Gemeinschaften Aufruhr oder revolutionären Umsturz befürchtete. Sie galten also als staatszersetzend. Ein bekanntes Beispiel einer solch verschworenen Kultgemeinschaft waren die Bacchus-Anhänger, gegen die der Staat um 186 v. Chr. vorging.62 Auch ihnen wurde, neben anderen Schandtaten, die Verantwortung für einen Brand zugeschrieben63. Eine ähnliche politische Parallele bilden die Catilinarier. Auch sie hatten die Absicht, durch einen Brand in Rom einen Umsturz zu verursachen. Dies ist bei Cicero64 und Sallust65 bezeugt. Welche Frevel nach Meinung der Römer die Christen in der Zeit Neros gegen den Staat begangen haben, lässt sich nicht mehr feststellen, aber dass sie den oben genannten Gruppierungen vergleichbar gelten konnten, ist nachvollziehbar. Darüber hinaus waren die Christen unbeliebt 66, einerseits wegen ihrer „Gottlosigkeit“ (sie verehrten weder die traditionellen Götter noch den Kaiser, keine Tempel, Altäre und Kultbilder), andererseits wegen ihrer sowohl politischen als auch moralischen „Gefährlichkeit“. 67 7.4
Christsein – strafbarer Tatbestand
Wenn die Christen in Rom auch sonst keine besondere Rolle gespielt hätten, so galten sie schon aufgrund ihres Namens als diskreditiert. Das Christsein bzw. die Bezeichnung Chrestiani charakterisierte sie als schändliche und lasterhafte Menschen, die allein aufgrund ihres Bekenntnisses zu verhaften und zu bestrafen waren. Ihre Gemeinschaft galt in der Vorstellung der Einwohner Roms als verdächtig und verbrecherisch. Wie oben gezeigt, wurden den Christen, vermutlich teils aus unbewusster, teils aus beabsichtigter Unkenntnis ihres wahren Verhaltens und ihrer eigentlichen Beweggründe, Menschenverachtung, Verachtung von Kaiser und Staat, Verschwörung gegen den römischen Staat, Sektierertum und heimliche „Schändlichkeiten“ bis hin 61 62 63 64 65 66
67
Den Christen wurde im 2. Jahrhundert vor allem Inzest und Ritualmord vorgeworfen; vgl. Tert., apol. 7,1f. (ed. T. Geoges 90f.). Vgl. Liv., Geschichte XXXIX,8–19 (ed. H. J. Hillen 20–44). Vgl. ders. XXXIX,14,10 (ed. H. J. Hillen 32). Vgl. Cic., Catil. 3,15 (ed. A. C. Clark 222f.); 4,4 (ed. A. C. Clark 231f.). Vgl. Sall., Catil. 43,2–4 (ed. J. Lindauer 58). Vgl. Orig., c. Cels. 4,6–8 (ed. M. Fiedrowicz 670–674); 4,23 (ed. M. Fiedrowicz 702); 5,14 (ed. M. Fiedrowicz 896–898). Die Polemik des Celsus gegen die christliche Vorstellung, dass diese Welt bald zugrunde geht, hat auch dazu beigetragen. Die Christen schienen den anderen Geheimkulten ähnlich zu sein. Dieser Vorwurf wog umso schwerer, denn sie traten in der damaligen Gesellschaft als eine organisierte Gemeinde auf. Vermutlich wurde jede sich abgrenzende Gruppierung von den römischen Regierenden als potentiell staatsgefährdend eingestuft. Ein Hinweis dafür findet sich in Plin., Briefe X,33f. (ed. R. A. B. Mynors 307f.).
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
zu Kannibalismus und sexuellen Orgien vorgeworfen. Alle diese Eigenschaften und Anschuldigungen galten offenbar als „Attribute“ des Christentums. Jede einzelne dieser Anschuldigungen hätte schon für eine Verurteilung ausgereicht. Da der Begriff „Christsein“ jedoch in den Augen der Römer all die genannten „Verbrechen“ in sich trug, war eine Verurteilung und Hinrichtung der Christen sozusagen „unvermeidlich“. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Christen galten als eine extreme, aus dem Judentum hervorgegangene sektiererische Gruppe. Sie ließen sich nicht in das römische Volk integrieren und weigerten sich aus staatlicher und gesellschaftlicher Perspektive, Rom als führende Weltmacht anzuerkennen sowie dem römischen Kaiser den nötigen Respekt zu zollen. Aus diesen Gründen galten sie als Störfaktor im römischen Volk und mussten zum Wohle des römischen Volkes sowie zur Gewährleistung der Sicherheit des Staates beseitigt werden.
II.
Plinius und seine Darstellung der Christen
1.
Plinius und sein Werdegang
Nach den von Tacitus überlieferten Christenverfolgungen soll nun der Briefwechsel zwischen Plinius dem Jüngeren, der 61 oder 62 in Novum Comum (heute Como, Oberitalien) geboren wurde, und Kaiser Trajan (98–117) näher betrachtet werden.68 Pliniusʼ Eltern starben bereits sehr früh, so dass er von seinem Onkel, Plinius dem Älteren, adoptiert wurde. Aus reicher Familie stammend erbte er sowohl das elterliche Vermögen als auch das seines Onkels. Dadurch konnte er sich als Wohltäter und Spender für die eigene Stadt betätigen; außerdem gründete er zahlreiche Stiftungen. Mit 19 Jahren begann Plinius seine Karriere, die ihn schließlich als Legat und Vertrauten Kaiser Trajans nach Asien führte. In der Provinz Bithynien-Pontus hatte Plinius mindestens 16 Monate lang, zwischen 109 und 113, das Amt des Statthalters inne.69 In der ihm vom Kaiser anvertrauten, Rom nicht vorbehaltlos zugeneigten Provinz kam es zu Anzeigen gegen die Christen. Aufgrund seiner Unerfahrenheit schildert Plinius dem Kaiser brieflich die dortige Situation, worauf Trajan in einem Antwortschreiben reagiert. Dieser Briefwechsel ist für die Bewertung der damaligen Situation der Christen von großer Bedeutung; er wird zunächst präsentiert und anschließend näher erörtert. 68
69
Vgl. hier und im Folgenden Ch. Kempf, Art. Plinius 727f.; H. Kasten, Einführung 662f.; zu Plinius und zu seinen Briefen vgl. K. Karl, Plinius 4–45; zum Reichtum des Plinius vgl. R. Lane Fox, Welt 607–615. Zur Datierung vgl. R. Freudenberger, Verhalten 17. Er hält die Zeit vom 17. September 111 bis zum Januar 113 für „endgültig gesichert“; vgl. dazu A. Wlosok, Rom 27.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
2.
43
Lateinischer Text und deutsche Übersetzung
Plinius Traiano imperatori X,96,1 Sollemne est mihi, domine, omnia, de quibus dubito, ad te referre. quis enim potest melius vel cunctationem meam regere vel ignorantiam instruere? cognitionibus de Christianis interfui num quam; ideo nescio, quid et quatenus aut puniri soleat aut quaeri.
Plinius an Trajan X,96,1 Es ist meine Gewohnheit, Herr, alles, worüber ich im Zweifel bin, Dir vorzutragen. Wer könnte denn besser mein Zaudern lenken oder meine Unwissenheit belehren? An Verfahren gegen Christen habe ich noch nie teilgenommen. Darum weiß ich auch nicht, was und inwieweit man zu strafen oder zu untersuchen pflegt.
X,96,2 nec mediocriter haesitavi, sitne aliquod discrimen aetatum, an quamlibet teneri nihil a robustioribus differant, detur paenitentiae venia, an ei, qui omnino Christianus fuit, desisse non prosit, nomen ipsum, si flagitiis careat, an flagitia cohaerentia nomini puniantur. interim, in iis, qui ad me tamquam Christiani deferebantur, hunc sum secutus modum.
X,96,2 Ich war mir auch ziemlich unsicher, ob ein Unterschied aufgrund des Alters zu machen sei oder ob man ganz Junge genauso behandeln solle wie Ältere; ob ferner Reue Verzeihung bewirke oder ob es einem, der einmal Christ gewesen, nichts hilft, wenn er es nicht mehr ist, ob der bloße Name, auch wenn keine Verbrechen vorliegen, oder nur die mit dem Namen verbundenen Verbrechen bestraft werden müssen. Vorerst bin ich mit denen, die mir als Christen angezeigt wurden, folgendermaßen verfahren:
X,96,3 interrogavi ipsos, an essent Christiani. confitentes iterum ac tertio interrogavi supplicium minatus; perseverantes duci iussi. neque enim dubitabam, qualecumque esset, quod faterentur, pertinaciam certe et inflexibilem obstinationem debere puniri.
X,96,3 Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Gestanden sie, so habe ich sie unter Androhung der Todesstrafe ein zweites und drittes Mal gefragt; beharrten sie, so ließ ich sie zur Hinrichtung abführen. Denn ich hatte keinen Zweifel, was immer sie gestehen mochten, so verdienten allein schon ihre Hartnäckigkeit und ihr unbeugsamer Starrsinn Bestrafung.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
X,96,4 fuerunt alii similis amentiae, quos, quia cives Romani erant, adnotavi in urbem remittendos. mox ipso tractatu, ut fieri solet, diffundente se crimine plures species inciderunt.
X,96,4 Andere, die einem ähnlichen Wahnsinn verfallen waren, habe ich, weil sie das römische Bürgerrecht besaßen, zur Rückführung nach Rom vormerken lassen. Wie es aber zu gehen pflegt, nahmen auf das gerichtliche Einschreiten hin bald die Anschuldigungen zu und es kamen weitere Fälle zur Anzeige.
X,96,5 propositus est libellus sine auctore multorum nomina continens. qui negabant esse se Christianos aut fuisse, cum praeeunte me deos appellarent et imagini tuae, quam propter hoc iusseram cum simulacris numinum adferri, ture ac vino supplicarent, praeterea maledicerent Christo, quorum nihil cogi posse dicuntur, qui sunt re vera Christiani, dimittendos esse putavi.
X,96,5 Mir wurde eine anonyme Anklageschrift mit zahlreichen Namen eingereicht. Diejenigen, die leugneten, Christen zu sein oder es je gewesen zu sein, die glaubte ich freilassen zu können, sobald sie nach meinem Befehl unsere Götter anriefen und vor Deinem Bild, das ich zu diesem Zweck zusammen mit den Statuen der Götter hatte bringen lassen, mit Weihrauch und Wein opferten und außerdem Christus fluchten, lauter Dinge, zu denen wirkliche Christen sich angeblich nicht zwingen lassen.
X,96,6 alii ab indice nominati esse se Christianos dixerunt et mox negaverunt; fuisse quidem, sed desisse, quidam ante triennium, quidam ante plures annos, non nemo etiam ante viginti. hi quoque omnes et imaginem tuam deorumque simulacra venerati sunt et Christo maledixerunt.
X,96,6 Andere, die von dem Denunzianten genannt wurden, gaben zunächst zu, Christen zu sein, widerriefen aber gleich darauf; sie seien es zwar gewesen, hätten es aber längst aufgegeben, manche vor drei Jahren, manche vor noch längerer Zeit, ein paar sogar vor zwanzig Jahren. Sie alle haben ebenfalls Deinem Bilde und den Götterstatuen gehuldigt und Christus gelästert.
X,96,7 adfirmabant autem hanc fuisse summam vel culpae suae vel erroris, quod essent soliti stato die ante lucem convenire carmenque Christo quasi
X,96,7 Sie beteuerten jedoch, ihre ganze Schuld und Verirrung habe darin bestanden, dass sie gewöhnlich an einem festgesetzten Tag vor Son-
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
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deo dicere secum invicem seque sacramento non in scelus aliquod obstringere, sed ne furta, ne latrocinia, ne adulteria committerent, ne fidem fallerent, ne depositum appellati abnegarent. quibus peractis morem sibi discedendi fuisse rursusque coeundi ad capiendum cibum, promiscuum tamen et innoxium, quod ipsum facere desisse post edictum meum, quo secundum mandata tua hetaerias esse vetueram.
nenaufgang sich versammelt, Christus als ihren Gott im Wechselgesang lobgepriesen und sich mit einem Eid verpflichtet hätten, nicht etwa zu einem Verbrechen, sondern zur Unterlassung von Diebstahl, Raub, Ehebruch, Treulosigkeit und Unterschlagung von anvertrautem Gut. Danach sei es bei ihnen Brauch gewesen, auseinanderzugehen und wieder zusammenzukommen, um Speise zu sich zu nehmen, jedoch gewöhnliche, harmlose Speise. Aber dies hätten sie nach meinem Edikt, durch das ich gemäß Deinen Instruktionen Hetärien verboten hatte, unterlassen.
X,96,8 quo magis necessarium credidi ex duabus ancillis, quae ministrae dicebantur, quid esset veri, et per tormenta quaerere. nihil aliud inveni quam superstitionem pravam, immodicam.
X,96,8 Umso mehr hielt ich es für angezeigt, von zwei Mägden, sogenannten Dienerinnen, die Wahrheit unter Anwendung der Folter herauszubekommen. Ich fand nichts anderes heraus als einen minderwertigen, maßlosen Aberglauben.
X,96,9 ideo dilata cognitione ad consulendum te decurri. visa est enim mihi res digna consultatione, maxime propter periclitantium numerum; multi enim omnis aetatis, omnis ordinis, utriusque sexus etiam, vocantur in periculum et vocabuntur. neque civitates tantum, sed vicos etiam atque agros superstitionis istius contagio pervagata est; quae videtur sisti et corrigi posse.
X,96,9 Somit habe ich die weitere Untersuchung vertagt, um mir bei Dir Rat zu holen. Die Sache scheint mir nämlich der Beratung zu bedürfen, vor allem wegen der großen Zahl der Angeklagten. Denn viele, jeden Alters, jeden Standes, auch beiderlei Geschlechts, sind jetzt und in Zukunft gefährdet. Nicht nur über die Städte, auch über Dörfer und flaches Land hat sich die Seuche dieses Aberglaubens verbreitet. Dennoch scheint es möglich, sie einzudämmen und auf den rechten Weg zu bringen.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
X,96,10 certe satis constat prope iam desolata templa coepisse celebrari et sacra sollemnia diu intermissa repeti passimque venire victimarum carnem, cuius adhuc rarissimus emptor inveniebatur. ex quo facile est opinari, quae turba hominum emendari possit, si sit paenitentiae locus.
X,96,10 Jedenfalls steht fest, dass die beinahe schon verödeten Tempel allmählich wieder besucht, die lange ausgesetzten feierlichen Opfer wieder aufgenommen werden und das Opferfleisch, für das sich bisher nur ganz selten ein Käufer fand, überall wieder Absatz findet. Demnach ist es leicht, sich vorzustellen, welch große Zahl von Menschen auf den rechten Weg zu bringen wäre, wenn man nur ihrer Reue stattgäbe.
Traianus Plinio X,97,1 Actum, quem debuisti, mi Secunde, in excutiendis causis eorum, qui Christiani ad te delati fuerant, secutus es. neque enim in universum aliquid, quod quasi certam formam habeat, constitui potest.
Trajan an Plinius X,97,1 Mein Secundus! Bei der Untersuchung der Fälle derer, die bei Dir als Christen angezeigt worden sind, hast Du ein völlig korrektes Verfahren eingeschlagen. Denn es lässt sich nichts allgemein Gültiges verfügen, das gleichsam als feste Norm gelten könnte.
X,97,2 Conquirendi non sunt; si deferantur et arguantur, puniendi sunt, ita tamen, ut, qui negaverit se Christianum esse idque re ipsa manifestum fecerit, id est supplicando dis nostris, quamvis suspectus in praeteritum, veniam ex paenitentia impetret. sine auctore vero propositi libelli in nullo crimine locum habere debent. nam et pessimi exempli nec nostri saeculi est.70
X,97,2 Fahnden soll man nach ihnen nicht; wenn sie aber angezeigt und überführt werden, muss man sie bestrafen, so jedoch, dass einer, der leugnet, Christ zu sein, und das durch die Tat, das heißt durch Anrufung unserer Götter beweist, wenn er auch für die Vergangenheit verdächtig bleibt, aufgrund seiner Reue Verzeihung erhält. Anonyme Anzeigen dürfen freilich bei keiner Anklage berücksichtigt werden. Denn es wäre ein äußerst schlechtes Beispiel und passt nicht in unsere Zeit.71
70 71
Plin., Briefe X,96.97 (ed. R. A. B. Mynors 338–340). Selbständige Übersetzung des Verfassers unter Verwendung der Übersetzungen von H. Kasten, Briefe 641–645 und A. M. Ritter, Alte Kirche 15f.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
3.
47
Die historische Situation in der Provinz
Plinius, dem Trajan die Verwaltung einer äußerst unruhigen Provinz übertragen hatte, berichtet, dass die Christen angezeigt und nicht von den oberen Gesellschaftsschichten, sondern von der Volksmenge vor den Statthalter geführt wurden. Dieser musste, um Unruhen zu vermeiden, die Anklagen nach dem geltenden römischen Recht behandeln. 72 Wegen des inkonsequenten Regiments der Senatsstatthalter bestand seit langem die Gefahr des Ausbruchs eines militärischen Protests. Die Konkurrenz unter den Städten und ihr Streben nach Selbständigkeit wirkten auf die sie umgebenden Bereiche zurück. Anstatt einig zu sein und so zum allgemeinen Nutzen beizutragen (der utilitas publica zu dienen), verfolgte jeder sein eigenes egoistisches Ziel, was die Harmonie des Römerreichs störte. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung und die Kämpfe zwischen den einzelnen Parteien in den Städten gefährdeten das Wohl des Volkes. Auch die finanzielle Lage der Provinz gestaltete sich schwierig, denn die Oligarchie der Reichen73 unterdrückte die Armen, ohne zu bedenken, dass auf diese Weise das Gleichgewicht verloren geht. Des Weiteren herrschte überall Unordnung, weil alle Geldmittel in Bauprojekte verschwanden. Wenn aber die Reichen durch Stiftungen dem einfachen Volk halfen oder grandiose Bauten für die Gemeinschaft errichteten, wurde dies von der Bevölkerung als plumper Versuch der Sympathiegewinnung interpretiert. Das einfache Volk, das aus Sicht der Oberschicht rechtlos, materiell in Not, unruhig und faul war 74, verbündete sich immer wieder in geheimen Bünden, was oftmals zu Zusammenrottungen, Aufständen, Brandstiftungen und Blutvergießen führte. Darüber hinaus war die Verschiedenheit der Mentalitäten zwischen Griechen und Kleinasiaten tendenziell für weitere Spannungen und Auseinandersetzungen verantwortlich. Aus all diesen Gründen gestaltete sich die Situation in der Provinz instabil, unruhig und unsicher. 72
73
74
Streitigkeiten der Städte um Titel vgl. Dion Chrys., Or. 38,31–33 (ed. G. Budé 50f.); Eifersucht über ihre Privilegien vgl. Plin., Briefe X,47,1 (ed. R. A. B. Mynors 314); das neidische Streben nach civitas libera, weil andere das schon hatten, wie z. B. die Stadt Amisus, vgl. Plin., Briefe X,92 (ed. R. A. B. Mynors 336); dazu im Folgenden vgl. W. Weber, Nostri saeculi 8–11. Diese waren immer bemüht, ihre eigenen Ambitionen durch das Erlangen einer höheren Position zu befriedigen; vgl. Plin., Briefe X,26f. (ed. R. A. B. Mynors 303f.). Plinius beschreibt eine Situation in Nikomedien, wo eine Feuersbrunst viele Privathäuser und öffentliche Gebäude zerstörte. Er schreibt an Kaiser Trajan: „Das Feuer hat sich aber so weit ausgebreitet, einmal infolge des starken Windes, sodann auch dank der Trägheit der Bevölkerung, die offenbar untätig und ohne sich zu rühren dabeistand und der Katastrophe zuschaute. Überdies gab es nirgends in der Stadt eine Feuerspritze, keinen Feuereimer, überhaupt kein Gerät zur Eindämmung des Feuers.“ Plin., Briefe X,33,2 (ed. R. A. B. Mynors 307; übers. H. Kasten 587).
48
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Gelder wurden zurückgehalten, der Geldverkehr stockte, die so entstehenden leeren und überschuldeten Kassen verlangten das Eingreifen der Statthalter. Diese nahmen dabei keinerlei Rücksicht auf die Frage nach Schuld bzw. Unschuld, so dass die Gefängnisse überfüllt waren. An vielen Orten walteten verbannte Verbrecher, die feindlich gegen das Reich eingestellt waren. Diese, von römischen Gerichten verurteilt, kehrten dann in die eigenen Ortschaften zurück und nahmen sogar städtische Anstellungen an. 75 Die allgemeine Unsicherheit ergriff auch den für Rom äußerst wichtigen Handel, so dass Plinius beabsichtigte, militärisch einzuschreiten, um in den gefährdeten Bereichen Ordnung zu schaffen76. Über die ständigen Revisionen und Verdikte waren die Menschen in den Provinzen immer wieder so empört, dass sie z. B. wegen Erpressung ihres koino,n zwei Statthalter im Amt anklagten.77 Von einem von diesen wird berichtet, dass er ein schlechter Statthalter war, der das Volk quälte, viele auswies oder sogar tötete. Ein kurzer Einblick in die kleinasiatische Geschichte lässt erkennen, dass der anatolische Boden spannungsgeladen war. Um diese Tatsache wusste Plinius sicherlich, weswegen er in seinem Handeln Umsicht walten ließ. So versuchte er unter allerlei Vorwänden Geheimbünde abzuschaffen, weil ihm bewusst war, dass diese sich gegen die römische Obrigkeit wenden könnten. Jede derartige Vereinigung stellt aus der Sicht des Kaisers eine Gefährdung für die Sicherheit und Stabilität des Staates dar. Es war Trajan und Plinius ein großes Anliegen, in der am Rande des Imperiums liegenden Provinz Ruhe zu bewahren, um die Romanisierung des Ostens durch eine zielgerichtete Eroberungspolitik ungestört weiter vorantreiben zu können.78 Die Ostprovinzen des Reiches sollten zu Ausgangsbasen für die Eroberung, die Besetzung und den Aufbau neuer Provinzen werden, um die Kriegszüge gegen die Parther erfolgreich zu gestalten. Aus diesem Grund wollte Plinius die angespannte Situation zwischen den Christen, dem Staat und der Bevölkerung in dem für Trajan so bedeutsamen Gebiet verbessern, denn die inneren Auseinandersetzungen störten die vorgesehene Erweiterung des Reiches. Als hier eingesetzter Statthalter wollte Plinius Aufruhr und Aufstände in seinem ohnehin unruhigen Regierungsgebiet verhindern. Aus diesem Grund lag ihm an einer Lösung des Problems mit den Christen.
75 76 77
78
Vgl. Plin., Briefe X,31,2–5 (ed. R. A. B. Mynors 306). Vgl. ebd. X,77f. (ed. R. A. B. Mynors 329f.); vgl. dazu F. Vittinghoff, Christianus 332f. Zum Prozess des Bassus vgl. Plin., Briefe IV,9 (ed. R. A. B. Mynors 105–108); ebenso über einen Prokonsul von 49 n. Chr. vgl. Tac., ann. XII,22,3 (ed. H. Heubner 246); zu Tarquitius Priscul 61 n. Chr. vgl. Tac., ann. XIV,46 (ed. H. Heubner 334). Vgl. hier und im Folgenden J. Speigl, Staat 52.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
4.
49
Begriffserklärung
Superstitio (X,96,8) wird im Altlatein ohne verächtlichen Beiklang gebraucht und bedeutete die Ekstase während eines Opfers zu mantischen Zwecken. 79 Erst später ab der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. änderte sich der Sinn des Wortes. Superstitio tritt nun als das Gegenteil zu religio auf und meint eine Denk- und Handlungsart, die aufgrund einer verfehlten Frömmigkeit entstanden ist. Die Anhänger dieses Aberglaubens fürchten die Götter im Gegensatz zu den Religiösen, welche die Götter ehren wie eigene Eltern. Die griechische Entsprechung dieses lateinischen Begriffs ist deisidaimoni,a80 und bedeutet „Glaube aus Angst, frommer Angstwahn in all seinen Formen, Religion als aus der Angst entsprungene Zwangsneurose und als Zwangsritual“81. In der lukanischen Apostelgeschichte hat deisidaimoni,a zwei Bedeutungen (Apg 17,22 – Gottesfurcht der Athener; 25,19 – Aberglaube des Paulus). Ministrae (X,96,8) waren diejenigen, die dem Stand der Freigelassenen oder Sklaven angehörten.82 Als Mitglieder von Kollegien hatten sie die Aufgabe der Ausübung und Unterstützung gottesdienstlicher Handlungen meist für bestimmte Gottheiten. Diese Bezeichnung meinte eine untergeordnete Art von Tempeldienerin und deutete auch nicht auf die soziale Herkunft ihrer Träger hin. Über das Auftreten solcher Personen haben wir nur Kenntnis aus Weiheinschriften, die in Pompeji gefunden wurden. Neben den männlichen Bezeichnungen gab es auch weibliche, die als Kultpflegerinnen galten, wie z. B. ministrae Bonae Deae83, ministra Matris Magnae84, ministrae Salutis85, ministrae sacrorum publicorum Praesidis Iunonis Populon86. In dem Brief des Plinius kann man ministrae als Dienerinnen übersetzen, die gewisse kirchliche Aufgaben hatten, über deren Inhalt Plinius allerdings schweigt. In Röm 16,1 empfiehlt auch der Apostel Paulus der Gemeinde von Rom eine ähnlich tätige Frau namens Phöbe, die auffälligerweise mit der maskulinen Form als dia,konoj th/j evkklhsi,aj bezeichnet wird. Index (X,96,6) bedeutet nicht nur eine Sache, sondern auch eine Person, die etwas anzeigt.87 Die anzeigende Person kann zugleich als Kläger88 und als Zeuge89 auftreten. Wenn aber dieser Zeuge zugleich ein Geständnis der Mit79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89
Vgl. hier und im Folgenden K. Abel, Art. superstitio 434. Ausführlicher dazu vgl. H.-J. Klauck, Umwelt 128–131. Ebd. 129. Vgl. hier und im Folgenden E. Marbach, Art. Ministri 1846–1848. Vgl. CIL V,762 (ed. Th. Mommsen 87). Vgl. CIL IX,3146 (ed. Th. Mommsen 298). Vgl. CIL IX,4460 (ed. Th. Mommsen 422). Vgl. CIL X,4791 (ed. Th. Mommsen 473). Vgl. hier und im Folgenden G. Kleinfeller, Art. Index 1263f. Vgl. Tac., ann. IV,28 (ed. H. Heubner 148). Vgl. Cic., ad Quint. fratr. 2,3,5 (ed. D. R. S. Bailey 43f.).
50
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
schuld ablegt, kann er (der Index) eigentlich keinen Anspruch erheben auf Befreiung von Strafe oder gar auf Belohnung. Dessen ungeachtet konnte der Zeuge mit seinem Geständnis und einer Aussage gegen Mitschuldige aufgrund einer besonderen Zusicherung (fide publica data) der Strafe entgehen, so wie auch Sklaven durch ihre Anzeigen die Freiheit erlangen konnten 90. Es war ursprünglich auch üblich, dass der einzelne Index, der nicht Mitschuldiger war, eine Belohnung wie Geld, Vorrechte, das Bürgerrecht oder die Freiheit91 erlangen konnte. Ferner bezeichnete man mit Index einen Finanzbeamten, der für die finanzielle Deckung von Heeresbedürfnissen in den Provinzen zuständig war, oder allgemein Beamte, deren Aufgabe es war, Verbrechen nachzuspüren und anzuzeigen. Man kann Index im Text des Plinius als Denunziant92 übersetzen, worunter wohl auch die Bedeutung Verräter und Ankläger zu vermuten ist. Hetaeriae (X,96,7) sind dauerhafte Zusammenschlüsse von Menschen in Gruppen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes. 93 Der älteste Gebrauch dieses Begriffs findet sich im kretischen Staatsrecht, wo die Hetärie eine Unterabteilung der Bürgerschaft bezeichnet. Die Zugehörigkeit zu einer Hetärie galt als Voraussetzung, um das Bürgerrecht zu bekommen. Des Weiteren deutete dieser Begriff auf einen Kultverein hin. Aber viel häufiger wird Hetärie zur Bezeichnung politischer Klubs gebraucht, die in den zahlreichen Parteikämpfen der griechischen Staaten eine große Rolle spielten94. Sie waren geheime Vereine und haben ihre Statuten nur in seltenen Fällen, meist überhaupt nicht bekannt gemacht. Die ältesten Hetärien waren wohl die Klubs der Pythagoreer oder Philosophenvereine, deren Blütezeit mit den Parteikämpfen im Zeitalter der Tyrannis beginnt. Um Alleinherrscher eines Staates zu werden, brauchte man große Unterstützung und das Vertrauen, was als Leitender eines derartigen politischen Klubs am leichtesten zu erlangen war. Sehr oft benannten sie sich nach dem Namen ihres Vorsitzenden oder Gründers. Davon ausgehend war es kein Wunder, dass die Römer, nach Eroberung all dieser griechischen Staaten, diese Klubs fürchteten. Sie galten schließlich auch als mit sta,sij vergleichbare Gruppierungen, die nur Unruhe 90
91 92
93 94
Vgl. Tac., ann. VI,3 (ed. H. Heubner 183f.); XV,71 (ed. H. Heubner 385f.); Plin., Briefe III,16,9 (ed. R. A. B. Mynors 91); Sall., Catil. 30,6 (ed. J. Lindauer 42); 48,4 (ed. J. Lindauer 64). Vgl. Sall., Catil. 50 (ed. J. Lindauer 68). Diese Übersetzung ist treffend, denn sie bezieht sich auf juristischen Sprachgebrauch. Denuntiatio bedeutet z. B. jede zu juristischen Zwecken erfolgende Mitteilung einer Tatsache oder ein Schriftstück (bei Plinius Anklageschrift), in dem eine Erklärung niedergelegt ist und das auf die Übersendung ausgerichtet ist. Vgl. dazu Th. Kipp, Art. Denuntiatio 222f. Vgl. hier und im Folgenden E. Ziebarth, Art. ~Etairi,a 1373f. Zu den politischen Vereinen vgl. E. Ziebarth, Vereinswesen 92–95.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
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hervorbrachten und somit den römischen Staat gefährden konnten. Ein Beweis dafür findet sich in einem Reskript95 des Plinius an Trajan, in dem er den Kaiser fragt, ob er es gestatte, in Nikomedien eine Feuerwehrmannschaft von wenigstens 150 Mann zur Bewältigung von Bränden aufzubauen. Der Kaiser antwortet darauf mit einem Verbot und begründet dieses damit, dass aus solchen Gruppen in kurzer Zeit politische Vereinigungen bzw. Geheimbünde (hetaeriae)96 entstehen können. Denn es gab damals bereits schlechte Erfahrungen, wie schon mehrmals angedeutet, mit den Bacchus-Anhängern97, gegen die der Staat 186 v. Chr. wegen Störung der öffentlichen Ruhe vorgegangen war. Legitime römische Vereine waren hingegen in der Öffentlichkeit bekannt und erkennbar strukturiert.98 Sie besaßen zum Beispiel eine an staatlichen Einrichtungen orientierte Organisation mit Mitgliederliste und gemeinsamem Vermögen und beschäftigten Amtsdiener. Der gemeinsame Besitz, der durch Eintrittsgelder, Mitgliedsbeiträge und Stiftungen gemehrt wurde, erlaubte verschiedenartige finanzielle Leistungen, Bereitstellung von Begräbnisplätzen, regelmäßige Gastmähler oder Geburtstagsfeiern. In Hetärien durften nicht nur Aristokraten, sondern auch Sklaven Mitglieder sein. 99 Prava, immodica (X,96,8) sind moralisch gefärbte Adjektive, die mit „schlimm“ oder „verkehrt“ zu übersetzen sind. Sie machen die Ablehnung und Verwerfung des Christentums vom religiösen und sittenpolitischen Standpunkt aus noch deutlicher.100 Amentia (X,96,4) kann „Wahnsinn“ oder allgemein „Unvernunft“ bedeuten wie auch religiöse „Verzückung“. 101 Der Begriff meint den verstandlosen Zustand eines Menschen. Sacramentum (X,96,7) hat auf Latein die Bedeutung von „Eid“.102 Der Begriff deutet ebenso auf die Verpflichtung der schwörenden Person gegenüber dem geleisteten Schwur hin. Dieses Wort wird auch für den Fahneneid verwendet, den der Soldat seinem Land bzw. dem Oberbefehlshaber geleistet hat; im Zivilrecht war sacramentum als Geldsumme für die Entsühnung einer Person wegen Falscheides gebräuchlich. Später bedeutete sacramentum auch ein Entgelt für ein gebrochenes Versprechen. Es kam nämlich immer wieder vor, dass falsche Eide geschworen wurden mit dem Ziel, persönliche Vorteile zu erlangen. Da diese falschen Eide auf religiöser Grundlage geschworen wurden, die Strafe der Götter aber in den wenigsten Fällen beobachtet wurde, 95 96 97 98 99 100 101 102
Vgl. Plin., Briefe X,33f. (ed. R. A. B. Mynors 307f.). Zu Entstehung, Verboten und Erlaubnissen der Vereine vgl. M. Öhler, Vereinsrecht 51–71. Vgl. Liv., Geschichte XXXIX,13f. (ed. H. J. Hillen 28–32). Vgl. hier und im Folgenden P. Herz, Art. Vereine 29f. Vgl. dazu F. Poland, Geschichte 328f. Vgl. A. Wlosok, Rom 35. Vgl. Th. Mayer-Maly, Art. Amentia 299. Vgl. hier und Folgenden W. Eder, Art. Sacramentum 1199f.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
entstand eine unmoralische Praxis, die mit Hilfe des sacramentum beseitigt oder zumindest eingeschränkt werden sollte. Es gab Eidschwörende, die den Umsturz des römischen Imperiums beabsichtigten. Über so eine Eidleistung bzw. Verschwörung erfahren wir bei Sallust 103. Er erzählt von einem Gerücht über den Senator Catilina im Jahre 63 v. Chr., der sich durch einen Schwur verpflichtet hatte, wegen des ungerechten Verfahrens gegen ihn wieder zurück zur Macht zu kommen. Dieser hätte angeblich „Menschenblut, mit Wein, vermischt in Schalen“, umhergetragen und dann, nach Verfluchung, wie es bei feierlichen Opfern üblich war, daraus getrunken. Ihm und seinen Verbündeten wurden auch Verbrechen, unterschiedliche Schandtaten und ehebrecherische Verhältnisse zugeschrieben. Plinius hat den Eid bzw. die „Verschwörung“ der Christen in ganz anderer Bedeutung vorgefunden, nämlich als „Unterlassung von Diebstahl, Raub, Ehebruch, Treulosigkeit und Unterschlagung von anvertrautem Gut“. 5.
Aussageabsicht des Plinius
Der Text handelt von Christenprozessen, mit denen Plinius sich auseinandersetzt. Er ist unsicher, wie er mit den Christen umgehen soll. Als Erstes erwähnt Plinius den Namen „Christ“ und fragt, ob die Christen schon wegen des nomen ipsum zu bestrafen sind. Plinius als Zeitgenosse und Freund des Tacitus vermutete im Christentum zuallererst einen verderbenbringenden Aberglauben, den man mit dem Judentum vergleichen konnte 104. Ohne Unterschied wurden die Christen für Juden gehalten. 105 Verschiedenartige Anschuldigungen und Gerüchte, wie rituelle Menschenopfer, Blutschande, sexuelle Promiskuität, die aus dem 2. Jahrhundert bekannt sind, dürften jedoch auch schon im ersten da gewesen sein und galten als schwerste Verbrechen.106 Sie waren jedoch in den Christenprozessen keine Anklagepunkte und konnten somit keine Bestrafung begründen. Anklagepunkte waren nur das nomen ipsum und die Zustimmung: Christianus sum. Als Beweise dafür dienen uns neutestamentliche Aussagen, wie die bei 1 Petr 4,16 und ähnlichen früheren Apologeten, deren Schriften in der vorliegenden Arbeit in späteren Kapiteln untersucht werden. Es scheint so zu sein, dass für Plinius die Behandlung der Apostaten am schwierigsten war. Denn diese gaben zunächst zu, Christen zu sein, behaupteten dann aber, schon vor mehreren Jahren bzw. vor langer Zeit dieses Bekenntnis aufgegeben zu haben. In der Statthalterpraxis hatte Plinius jene Christen, die angezeigt worden waren, 103 104 105 106
Vgl. Sall., Catil. 22f. (ed. J. Lindauer 34–36). Vgl. Tac., hist. V,2–6 (ed. J. Borst 512–520). Dies erkennt man bei Suet., vit. Claud. 25,4 (ed. M. Ihm 209). Vgl. hier und im Folgenden F. Vittinghoff, Christianus 345–348.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
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nach dreimaliger Befragung unter Androhung der Todesstrafe bei dreimaliger positiver Antwort vermutlich hinrichten lassen. Er war gut darüber informiert, dass wirkliche Christen keine kultischen Akte vor dem Kaiserbild oder vor Götterbildern vollziehen durften und dass sie Christus niemals verfluchen würden. Sie ließen sich nicht dazu überreden oder zwingen. Dabei genügte Plinius das bloße Selbstzeugnis der Angeklagten, keine Christen zu sein, um keine Strafverfolgung gegen sie durchzuführen. Daraus erkennt man, dass er keinen Wert darauf legte, jeden Schuldvorwurf einzeln zu überprüfen, um zu unterscheiden, was wahr oder falsch war. Es ging ihm nur darum, dass sich möglichst wenig Menschen zum Christentum bekannten. Rechtlich gesehen ist dieses Verhalten natürlich nicht korrekt, es ist politisch motiviert. So empfiehlt Plinius dem Kaiser, die Reue ehemaliger Christen, die wieder zur alten Götterverehrung zurückgekehrt waren, als Grund für die Begnadigung anzuerkennen. Nachdem Plinius von den Abtrünnigen erfahren hatte, dass bei ihren Zusammenkünften keine Schändlichkeiten stattfinden, und er bei der Vernehmung von zwei sogenannten Dienerinnen (ministrae) selbst unter Folter nur „einen minderwertigen, maßlosen Aberglauben“ fand, schob er das weitere Verfahren auf, um beim Kaiser Rat einzuholen. Die Apostaten ließ er weiterhin in Haft, denn es war nicht ausgeschlossen, dass sie nach Weisung des Kaisers doch zu bestrafen seien. Der Statthalter ist der Ansicht, dass die Angeklagten, falls sie ihrem Glauben nicht abschwören, mit dem Tode bestraft werden sollten. Jedoch war ihm die Rechtsgrundlage der Verurteilung unklar: nomen ipsum, si flagitiis careat, an flagitia cohaerentia nomini puniantur. Zur Zeit der Abfassung dieser Alternative dürfte Plinius durch Verhöre und Folterungen bereits einige Kenntnisse über die Christen gehabt haben. Durch die Bearbeitung von Einzelfällen hatte er erfahren, dass jemand im Gegensatz zur allgemeinen Denkweise Christ sein konnte, ohne an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Dementsprechend war es für Plinius nicht einfach, einen Zusammenhang zwischen Namen und Schändlichkeiten herzustellen, und er wandte sich an Trajan. Der Kaiser ging jedoch möglicherweise von dem Vorverständnis aus, dass jedem ehemaligen Christen sowohl ein Schuldverdacht als auch alle möglichen Schändlichkeiten zugeschrieben werden konnten. Darum wollte Plinius vom Kaiser erfragen, ob das bloße nomen (Christianum), selbst wenn von Schändlichkeiten frei, also unabhängig von möglichen flagitia, zu bestrafen sei oder ob eine mögliche Bestrafung nur dann erfolgen sollte, wenn den Christen flagitia bzw. gegen das römische Gesetz verstoßende Handlungen nachgewiesen werden konnten. Dabei neigte er selbst zur ersten Beurteilung. 107 Davon ausgehend kann man erkennen, dass den Anklägern der Christen die Strafbarkeit des Christseins bekannt 107
Vgl. R. Freudenberger, Verhalten 208, der der gleichen Ansicht wie Vittinghoff ist.
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
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gewesen sein dürfte; deswegen kam es vermutlich zu den vielfachen anonymen Anzeigen aus der Bevölkerung, in deren Augen alle Christen verdächtig waren.108 Das Reskript des Kaisers gibt allerdings eine eindeutige Antwort: Die Christen sind nicht auszuspionieren und anonyme Anzeigen sollen keine Berücksichtigung finden, damit es in der Provinz nicht zu unnötigen Auseinandersetzungen und Verwirrungen kommt. 109 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung Trajans, dass anonyme Anzeigen nicht in die Zeit passen. Werden die Christen jedoch angezeigt und überführt und geben sie ihren Glauben nicht auf, müssen sie mit Bestrafung rechnen; die Frage der flagitia bleibt dabei völlig ausgeklammert. 6.
Das Bild der Christen und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen
6.1
Nomen ipsum
Das Christsein war ein Sonderstraftatbestand, unabhängig davon, ob der Christ an Verbrechen beteiligt war oder nicht. Immer wieder erwuchsen Tumulte aus dem unzufriedenen Volk. Dieses suchte den Grund für sein Elend und seine Nöte nicht nur in der ungerechten Politik, sondern auch in der Frage, warum die Götter ihm nicht mehr gnädig seien. So machten sie die Christen mit ihrer abergläubischen Frömmigkeit zum Sündenbock. Daher zog schon das Bekenntnis zum Christentum die Todesstrafe nach sich. Hier erkennt man eine ähnliche Situation wie bei den Strafprozessen gegen die Christen zu Neros Zeit, was im vorherigen Kapitel analysiert wurde. Dabei drängt sich die Frage auf, warum unter diesem Bekenntnis etwas Verderbliches zu verstehen war. Mit dieser Fragestellung kommen wir zum Urheber dieser Bezeichnung. Der Gründer dieser „Sekte“ war Christus, und alle, die sich zu ihm bekannten, nannte man Cristianoi,.110 Es dürfte wohl auch bekannt gewesen sein, wie grausam Nero gegen die Christen in Rom vorgegangen war, nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch in den Provinzen. Das Gerücht, die Christen seien in Rom „Brandstifter“, hat vermutlich noch größeren Hass ausgelöst, der sich dann in zahlreichen Angriffen auf die Christen widergespiegelt hat.111 Wegen dieser flagitia der Christen in Rom und ihres Verhaltens als sich selbst ausgrenzende, sektenähnliche Gruppe
108
109 110 111
Vgl. A. Reichert, Konfusion 244; dagegen vgl. J. Salzmann, Lehren 135, Anm. 8, der schreibt: „Plinius stellt die Strafwürdigkeit des Christseins nicht eigentlich in Frage, denn es geht nur um die venia für Apostaten.“ Vgl. F. Vittinghoff, Christianus 349; 354. Vgl. dazu ebd. 356f. Mehr dazu vgl. W. Schäfke, Widerstand 464–467.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
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wirkte allein der Name Christ auf die Gesellschaft so provokativ, dass Christen mit der Todesstrafe rechnen mussten. 6.2
Zugehörigkeit zur Hetaeria
Unter anderem wurde den Christen höchstwahrscheinlich auch vorgeworfen, sich in einem Geheimbund zusammenzuschließen. Die Zusammenkünfte der Christen wurden von Außenstehenden genau beobachtet und mit politischen, dem Staat gefährlichen Klubs verglichen. Denn es gab zwischen beiden Gruppen etwas Ähnliches, was den Nichtchristen sofort ins Auge fiel. Erstens, wenn man z. B. die Eucharistiefeier der Christen betrachtet, konnte sie als Gastmahl einer Hetaeria-Versammlung verstanden werden. Der Apostel Paulus stellt in 1 Kor 11,17–34 diese Feier der ersten Christen in Korinth dar, woran sich erkennen lässt, dass dort neben der sakralen Feier ein gemeinsames profanes Mahl stattfand. Natürlich konnte das Volk den tiefen Sinn des Herrenmahles dieser zurückhaltenden, in Privathäusern versammelten Gruppe nicht verstehen; so war es naheliegend, die Christen mit einem dieser Klubs zu identi-fizieren. Zweitens zogen Geldsammlung und Spende der Gemeinden (vgl. l Kor 16,1–4; 2 Kor 8,6–15; Röm 15,25–27) die Aufmerksamkeit auf sich, weil dies in heidnischen Klubs ähnlich war. Darüber hinaus findet man ähnliche Parallelen in der lukanischen Apostelgeschichte. Hier handelt es sich um die Darstellung einer Gütergemeinschaft (vgl. Apg 4,32– 37) sowie um bereits damals aufgetretenen Betrug (Hananias und Saphira, vgl. Apg 5,1–11). Drittens wurden politische Hetärien112 öfters nach dem Namen ihrer Gründer oder Obersten benannt. Wenn Plinius aber die Angeklagten fragt, ob sie Christen seien, und dies von ihnen bejaht wird, bedeutete das, dass die Christen nicht nur von den Außenstehenden so bezeichnet wurden, sondern dass es ihnen selbst bewusst war, dass sie zu Christus, ihrem Gründer, ihrem Gott, gehören, weil sie alle eins in ihm sind (vgl. Gal 3,28). Viertens, zur christlichen Gemeinde, ebenso wie zu Hetärien, gehörten auch Sklaven, was auch Plinius bestätigt: „[…] viele jeden Alters, jeden Standes, auch beiderlei Geschlechts“. Diese Argumente der Heiden gegen die Christen waren mehr als genug, um die Christenvereinigung als politischen Geheimbund zu verleumden. Damit schließt sich der Kreis: Die Christen waren wegen ihres Bekenntnisses zu Christus von vornherein verdächtig. Ihr Verhalten galt als ordnungswidrig, da sie sich nicht der Gesellschaft anpassen wollten, sondern eine womöglich politisch unzuverlässige Gruppe bildeten, die den Staat gefährden konnte. Zuletzt soll noch erwähnt werden, dass wohl auch in Nikomedien, im Westen der Provinz, Prozesse gegen Christen stattgefunden haben. Diese Stadt war Sitz der Priester des Kaiserkults und besaß daher 112
Siehe B.II.4.
56
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
vermutlich auch einen Tempel.113 Wenn dies richtig ist, wird klar, warum Trajan114 ungeachtet eines großen Schadens durch Feuersausbruch in Nikomedien doch verboten hat, eine Feuerwehrmannschaft zu gründen, nämlich weil die Stadt unter Geheimbünden viel gelitten hat. Wenn aber die Christen in Nikomedien zusammenkamen, galten sie möglicherweise für Außenstehende als Mitglieder eines der Geheimbünde. 6.3
Halsstarrigkeit
Typisch für alle Christen war das Verharren bei ihrem Bekenntnis. Die Christen der ersten Jahrhunderte folgten in ihrem Verhalten Christus nach und verleugneten ihren Glauben nicht gegenüber den Obersten sowohl der Römer als auch der Juden.115 Die Machtträger, vor allem Plinius, empfanden dieses Festhalten am Glauben als halsstarrig und eigensinnig und interpretierten es vermutlich als oppositionelle Haltung. Denn die Christen weigerten sich, die staatlichen Götter anzuerkennen, blieben fest in ihrer eigenen Überzeugung und antworteten den Beamten mutig oder gar nicht. Damit verursachten sie Empörung und Hass der Amtsträger gegen sich. Die Beharrlichkeit (obstinatio) und scheinbare Respektlosigkeit der Angeklagten riefen die christenfeindliche Einstellung nicht nur bei den Vertretern Roms, sondern auch bei der nichtchristlichen Volksmenge hervor. Für dieses merkwürdige Verhalten mussten die Christen bestraft werden, nicht nur für ihr christliches Bekenntnis, sondern auch für ihren Ungehorsam und ihre Halsstarrigkeit, ungeachtet des Versuchs des Plinius, sie für den Staat zurückzugewinnen. Höchstwahrscheinlich hatte Plinius Interesse daran, möglichst viele Christen zum Glaubensabfall zu zwingen, damit sie am Leben bleiben konnten. Wenn Plinius dem Kaiser gegenüber behauptet, dass die verödeten Tempel wieder besucht werden, Fleisch verkauft und das Geschäft mit Opfertieren belebt wird, ist er offenbar der Überzeugung, dass man die Christen durch Folter dazu bewegen könne, zur traditionellen Religion zurückzukehren.116 Aus diesen Worten kann man auf eine relativ große Anzahl der in seiner Provinz lebenden Christen schließen. Trotzdem musste der Statthalter auch auf den Ungehorsam entsprechend reagieren, indem „er kraft seines Imperiums aus eigenem Ermessen durch einen Polizeiakt den Widerstand gegen die Staatsgewalt“117 verurteilte. Der Ausdruck pertinacia et inflexibilis obstinatio soll offenbar dem Kaiser Trajan aufzeigen, dass Plinius, 113 114 115 116 117
Vgl. W. Weber, Nostri saeculi 12. Vgl. Plin., Briefe X,33 (ed. R. A. B. Mynors 307). Vgl. hier und im Folgenden J. Hofmann, Aspekte 75. Zur humanitas gegenüber den Christen vgl. E. Lefevre, Römertum 176–180. W. Weber, Nostri saeculi 19.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
57
obwohl er innerhalb der gesetzlichen Regelungen einen großen Handlungsspielraum hatte, diesen nicht unüberlegt nutzte. Diese Handlungsfreiheit erklärt sich aus dem Grundsatz des geordneten Staats: „Justa imperia sunto, isque civis modeste ac sine recusatione parento. Magistratus nec oboedientem et innoxium civem multa, vinculis, verberibusve coherceto, ni par maiorve potestas populusve prohibessit ad quos provocatio esto.“118 Unter obstinatio wurde ein religiös-patriotischer Fanatismus verstanden.119 Die damals allgemein verbreitete philosophische Weltanschauung interpretierte die Haltung der Christen als fanatisch blinden Widerstand.120 Denn der römische Staat galt als tolerant zu allen, solange es der utilitas publica diente.121 Dazu gehörte jedoch das Verständnis, dass vor Jupiter Optimus Maximus, dem König der Römer und dem Herrn aller Welt, alle Bewohner sich beugen mussten. Dem staatlichen Selbstbehauptungsrecht tritt praktische Milde gegenüber, die als bedingte Toleranz zu bezeichnen ist. Wenn aber einige sich beharrlich gegen den Staat wenden, so sieht man in ihnen widerspenstige Feinde Roms, was auch die Pflicht des Plinius begründete, sie alle bestrafen zu müssen. 6.4
Wahnsinniges und unvernünftiges Benehmen
Plinius schreibt an Trajan, dass die Angeklagten auch unter Androhung der Todesstrafe bei ihrem Bekenntnis bleiben. Deshalb mussten sie abgeführt und bestraft werden. Auch andere, vor allem römische Bürger, die offensichtlich das Verfahren des Statthalters kannten, gestanden, Christen zu sein. Sie alle bezeichnet Plinius als diejenigen, die vom gleichen Wahn besessen sind. Trotz der Möglichkeit, bei Widerruf freigelassen zu werden, lassen sich viele nach Rom überführen oder nehmen die Gefahr auf sich, mit dem Tode bestraft zu werden. Diese Standhaftigkeit und Todesbereitschaft der Christen wurde für die Heiden zum Anstoß, so dass die Christen vermutlich als religiöse Fanatiker122 betrachtet wurden. Ihre Haltung wirkte in der nichtchrist118
119 120 121 122
Cic., leg. 3,3,6 (ed. R. Nickel 152; übers. R. Nickel 153): „Verordnungen sollen gerecht sein, und die Bürger sollen ihnen besonnen und widerspruchlos gehorchen. Ein Magistrat soll einen ungehorsamen und straffälligen Bürger mit einer Geldbuße, mit Gefängnis oder mit Schlägen bestrafen, wenn nicht eine gleichrangige oder eine höhere Gewalt oder das Volk Einspruch erhebt; bei diesen soll man Berufung einlegen können.“ Vgl. Tac., hist. V,5,1–3 (ed. J. Borst 516–518). Vgl. W. Weber, Nostri saeculi 19, Anm. 52; A. Wlosok, Rom 29. Vgl. hier und im Folgenden W. Weber, Nostri saeculi 20. Vom Stoiker Epiktet, dem Zeitgenossen der Märtyrer unter Kaiser Domitian, ist Folgendes bekannt: In dem Artikel über die Furchtlosigkeit zeichnet Epiktet das Bild von einem Despoten. Er erscheint sehr furchtbar, weil seine Leibwache anderen mit Waffen droht und seine Hofbeamten Bittsteller nicht vorlassen. Dann zählt
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
lichen Gesellschaft als völlig unkonventionell und als typisch für die unteren Schichten.123 Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Nichtchristen nahmen Anstoß am Verhalten der Christen und hielten sie für verrückt, weil sie ihrer Ansicht nach für einen unsinnigen Zweck in den Tod gingen, anstatt zurückzukehren zu der Religion der Väter. Ihre Todesbereitschaft wurde als unvernünftig, unverständlich, verächtlich und abscheulich oder als blinder, treuer Gehorsam zur Lehre ihrer Sekte empfunden. 6.5
Begehen geheimer Handlungen
Man darf vermuten, dass den Christen vorgeworfen wurde, sie seien nicht nur politisch gefährlich, indem sie an Hetärien teilnehmen, sondern sie seien auch Mitglieder eines geheimen, verderbenbringenden religiösen Kultes. Dieser Verdacht lässt sich bei Plinius erkennen, indem er in seinen Untersuchungen Gerüchten über Unmoral und Grausamkeit der Christen nachging. Der Hinweis auf cibus promiscuus et innoxius (X,96,7) kann nur sinnvoll sein, wenn man ihn mit thyesteischen Gelagen in Verbindung bringt. Der Statthalter schreibt, dass ihre Speise „eine gewöhnliche Speise“ sei. Hier wird vielleicht Bezug auf den Verdacht genommen, die Christen seien Kannibalen. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Heiden die christliche Eucharistie bzw. den Verzehr von Fleisch und Blut Christi nicht symbolisch, sondern mög-
123
der Autor auf, wer vor ihm keine Angst hat. Dazu gehören Kinder, die nichts von der Grausamkeit des Tyrannen wissen, Lebensmüde, die sich nach einem Schwert sehnen, und Geisteskranke, denen Leben, Leib, Frau, Kind oder Besitz gleichgültig sind. Zusammenfassend sagt Epiktet: „Aus Wahnsinn kann einer zu einer solchen Haltung gelangen und die Galiläer können es aus Gewöhnung“; aber aus vernünftigen Gründen kann es niemand; vgl. Epikt., Diss. IV,7,6 (ed. H. Schenkl 417f.). Diese Spannungssituation während der ersten Jahrhunderte in der heidnischen Gesellschaft wird uns durch Minucius Felix in dem Dialog „Octavius“ bezeugt. Aus den Worten des Caecilius Natalis, des heidnischen Sprechers, ergibt sich das Bild, das sich die gebildeten Heiden von den Christen machten. Hier wird gesagt, dass sich die Gruppe der Christen mehrheitlich aus den untersten Schichten der Bevölkerung zusammensetzt. Zu dieser Gruppe gehören Männer, aber besonders Frauen, deren Mitglieder sich an geheimen Zeichen erkennen, die sich als Brüder und Schwestern bezeichnen und sich voller Liebe behandeln. Sie erkennen die von den Vätern überlieferte Religion nicht an und meiden daher Götter, Opfer, Tempel und Priester. Sie nehmen auch nicht am Staatsdienst teil, scheuen die Öffentlichkeit und sprechen nur unter Gleichgesinnten über den Glauben. Die Christen verehren einen Menschen, der mit der härtesten Strafe Roms, nämlich der Kreuzigung, hingerichtet worden war. Sie ertragen das Foltern und Sterben furchtlos auf Erden, indem sie behaupten, dass der Tod nach dem Tod schrecklicher sei als das jetzige irdische Sterben; vgl. Min. Fel., Oct. 8,4–9,2 (ed. B. Kytzler 6f.). Zur römischen Religiosität und Religionspolitik vgl. M. Jacobs, Christentum 36– 46.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
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licherweise im wörtlichen Sinne verstanden haben könnten (vgl. Joh 6,51– 55). Dass auch Tacitus an solche Gerüchte glaubt, wenn er die Christen wegen ihrer Schandtaten als verhasst bezeichnet, ist nach der Meinung von Achelis124 anzunehmen. Mit der Aussage ne adulteria committerent (X,96,7) kann man sagen, dass Plinius davon gehört hatte und bei der Untersuchung eine Bestätigung sexueller Verfehlungen erwartet hatte. Sein Fazit ist jedoch, er habe nichts anderes als nur superstitio prava et immodica (X,96,8) entdeckt. Wonach sonst hätte Plinius Interesse gehabt zu suchen? Vielleicht vermutete er eine rituelle Verdrehtheit bei den Christen, eventuell freien Geschlechtsverkehr und Kannibalismus in Zusammenhang mit dem christlichen Gelage. Sein Fazit weist jedoch darauf hin, dass er wohl solche Vorwürfe aufdecken wollte, aber nichts dergleichen gefunden hat. Von Gerüchten über Orgien und Kannibalismus bei christlichen Häretikern weiß z. B. auch Justin125, der nur 25 bis 30 Jahre nach Plinius schreibt. Dementsprechend könnte dieser Verdacht zur Zeit des Plinius im Denken der Heiden verwurzelt gewesen sein. Darüber hinaus waren auch die Juden mit der Anklage der Menschenschlachtung konfrontiert.126 Die Römer waren besonders argwöhnisch, ablehnend, sensibilisiert in Hinsicht auf alle geheimnisvollen, nächtlichen Handlungen. Dies bezeugen uns verschiedene Texte.127 Deshalb wundert es nicht, wenn den Christen geheime, nächtliche Riten und Scheußlichkeiten wie Kannibalismus vorgeworfen wurden. 128 Des Weiteren vermutete Plinius unter der Geheimnistuerei der Christen eine Verschwörung, wie sie bei anderen fremdartigen Gruppierungen schon beobachtet worden war. Denn das Wort sacramentum erinnert an die Initiationsriten der Bacchanalien129 und die Catilinarische130 Verschwörung. Der 124 125 126
127
128
129
Vgl. H. Achelis, Christentum 294. Vgl. Just., 1 apol. 26 (ed. M. Marcovich 69–71). Vgl. Joseph., c. Ap. II,7f. (ed. F. Siegert 164); II,93–95 (ed. F. Siegert 171); Dio Cass., hist. 68,32 (ed. U. Ph. Boissevain 220). Zum besseren Verständnis vgl. F. J. Dölger, Sacramentum 204–207; R. Freudenberger, Vorwurf 98f. Cicero z. B. warf Vatinius vor, dass er die Seelen der Verstorbenen beschwört und die Eingeweide von Knaben opfert, um die Totengötter zu besänftigen; vgl. Cic., Vat. 14 (ed. G. Peterson 225f.). Ferner darf man annehmen, dass den Christen vorgeworfen wurde, sie benehmen sich wie auf Bacchanalien und singen bei jeder Feier irgendwelche Zaubergesänge; vgl. Liv., Geschichte XXXIX,10,7 (ed. H. J. Hillen 24). Plinius aber stellt fest, dass es nur ein Wechselgesang sei, in dem Christus, ihr Gott, lobgepriesen wird. Oder die Anmerkung des Trajan, man soll nach den Christen nicht fahnden und sie dürfen nicht anonym angezeigt werden, denn es „passt nicht in unsere Zeit“. Vielleicht denkt der Kaiser an die Zeit der Bacchanalien, in der ihre Mitglieder aufgespürt und an die Konsuln ausgeliefert wurden; vgl. Liv., Geschichte XXXIX, 14,6f. (ed. H. J. Hillen 32). Vgl. Liv., Geschichte XXXIX,8–19 (ed. H. J. Hillen 20–44).
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
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Statthalter berichtet an Trajan, dass die Christen sich durch einen Eid (sacramentum) binden und sich damit zu folgendem Verhalten verpflichten: nicht scelus aliquod zu begehen, sondern ne furta, ne latrocinia, ne adulteria, committerent, ne fidem fallerent, ne depositum appellati abnegarent (X,96,7). Trotzdem entstehen im Volk Verdächtigungen vergleichbar mit Bacchanalien und ihren angeblich konspirativen Tendenzen oder mit einer catilinarischen Verschwörung. Noch mehr als das einfache Volk war jeder gebildete Römer mit dem Bericht des Livius über die verschwörerischen Bacchanalien vertraut. Der Historiker betont wiederholt, dass Heimlichkeit und Dunkelheit dazu beitrugen, um Ritualmorde, Ausschweifungen, Verdrehtheiten und alle anderen flagitia, scelera und facinora nicht bekannt werden zu lassen.131 Bacchanalische und christliche „Verschwörung“ hatten nach der Meinung der Nichtchristen noch andere Gemeinsamkeiten, wie z. B. Feste und Zusammenkünfte als gute Gelegenheit für die Verbrechen 132, fremdländischen Ursprung133, Angst bei den Anhängern der traditionellen Götterverehrung über deren Weiterbestand134 und Verdacht auf Aufruhr 135. Also musste Plinius sich um einen Kult kümmern, der seiner Meinung nach den Bacchanalien ähnelte. Weil er jedoch in seinen Untersuchungen nichts Derartiges vorfand, wandte er sich zur Rückversicherung seines zukünftigen Handelns direkt an den Kaiser. 6.6
Gottlosigkeit
Nachdem man erkannt hatte, dass die Christen weder Juden waren und damit keinen Anspruch auf den religio licita-Status der Juden erheben durften, noch heidnische Gottesverehrer, wurde ihnen Atheismus 136 vorgeworfen. Sie besuchten schließlich keine heidnischen Tempel, verehrten weder die Götter noch den Kaiser, nahmen nicht an den Opferfeierlichkeiten und am Verzehr 130
131
132 133 134 135 136
Zu Catilina vgl. Sall., Catil. 22 (ed. J. Lindauer 34); Plut., vit. Cic. 10–18 (ed. K. Ziegler 322–331); Dio Cass., hist. 37,30 (ed. U. Ph. Boissevain 411f.); Cicero stellt in seinen catilinarischen Reden auch diese Situation dar. Vgl. Liv., Geschichte XXXIX,8,3–6 (ed. H. J. Hillen 20); 13,9f. (ed. H. J. Hillen 28–30); Geheimhaltung und Dunkelheit: XXXIX,14–16 (ed. H. J. Hillen 30–38); Ritualmorde: XXXIX,8,8 (ed. H. J. Hillen 20–22); 13,11 (ed. H. J. Hillen 30); Ausschweifungen und Verdrehtheiten: XXXIX,8,6–8 (ed. H. J. Hillen 20–22); 10,7 (ed. H. J. Hillen 24). Vgl. ebd. XXXIX,8,5 (ed. H. J. Hillen 20); 14,4 (ed. H. J. Hillen 32). Vgl. ebd. XXXIX,8,2f. (ed. H. J. Hillen 20); 15,33 (ed. H. J. Hillen 34); 16,8f. (ed. H. J. Hillen 38). Vgl. ebd. XXXIX,16,9 (ed. H. J. Hillen 38). Vgl. ebd. XXXIX,15,10 (ed. H. J. Hillen 34); 16,3f. (ed. H. J. Hillen 36). Mehr zum „Atheismus“ der Christen der ersten drei Jahrhunderte vgl. A. Harnack, Vorwurf 1–16; N. Brox, Vorwurf 274–282.
II. Plinius und seine Darstellung der Christen
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des Opferfleisches teil und waren nicht interessiert an den öffentlichen Angelegenheiten. Die Versammlungen der Christen in Privathäusern erregte Aufmerksamkeit, denn niemand durfte privat eigene Götter verehren, es sei denn, sie waren öffentlich anerkannt137. Dies alles fällt nicht nur den einfachen Leuten auf, sondern auch dem Statthalter Plinius. Dessen Aufmerksamkeit wird insbesondere geweckt durch den wirtschaftlichen Mangel, durch Abnahme der Gelder138, weil die Tempel verödet sind, wenig Opferfleisch verkauft wird und zu wenig Zucht der Opfertiere stattfindet. Plinius setzt daher die Hoffnung darauf, dass sich die wirtschaftliche Lage, wie es sich bereits andeutet, weiter verbessern wird. Durch die Nichtteilnahme am Götter- und Kaiserkult erzürnen die Christen die Götter und gefährden so das allgemeine Wohlergehen aller. Das römische Imperium und seine offizielle Religion verstanden sich damals als „die geistige Grundlage der römischen Gesellschaft und Staatsidee“139. Der Staat selbst war eine sakrale Institution. Keine Götter zu verehren war gleichbedeutend mit Staatsfeindschaft. Darum, so Cicero140, verdankt Rom seine Überlegenheit, Größe, Sicherheit, innere Ruhe und seine Macht über andere Völker ausschließlich der treuen Verehrung seiner Götter. Manche Kaiser wie z. B. Domitian (81–96) wollten sich auf gleiche Weise wie Götter verehren lassen, indem man vor ihren jeweiligen Statuen Weihrauchopfer darbringen musste. Dass Domitian z. B. unter den Senatoren und Philosophen unbeliebt war, geht daraus hervor, dass nach seiner Ermordung um 96 n. Chr. der Tempel in Ephesus umgewidmet und sein Name von den Wänden getilgt wurde. Seine Unbeliebtheit bei der Bevölkerung lässt sich bei Plinius erkennen, der darstellt, dass Domitian gewaltige Herden von Opfertieren auf ihrem Weg zum Kapitol vor seinem eigenen Standbild habe opfern lassen, um sich durch das Opferblut verehren zu lassen. Plinius erwähnt auch, dass Domitian viel Blut von Menschen vergossen hat.141 Im gleichen Sinn wie Plinius beschreibt Cassius Dio142 die Hinrichtung des T. Flavius Clemens im Jahr 95 n. Chr. zusammen mit der Verbannung seiner Frau Flavia Domitilla auf die Insel Pontia sowie die Hinrichtung des M. Acilius Glabrio und die Verurteilung vieler anderer teils zum Tod, teils nur zum Verlust ihres Vermögens. Ihnen allen sei nämlich Gottlosigkeit vorgeworfen worden, weil sie sich der jüdischen Lebensweise zugewandt hätten. Dies kann in zweierlei Hinsicht verstanden werden: Entweder waren alle diese Hingerichteten, wie von Euse137 138 139 140 141 142
Vgl. Cic., leg. 2,8,19 (ed. R. Nickel 90). Dass viel Geld nicht in staatlicher Hand war, wird von Plin., Briefe X,17,3 (ed. R. A. B. Mynors 300) berichtet. R. Feldmeier, Außenseiter 165. Vgl. Cic., nat. deor. II,8 (ed. W. Gerlach 152–154). Vgl. Plin., paneg. 52,7 (ed. W. Kühn 102). Vgl. Dio Cass., hist. 67,14,1–3 (ed. U. Ph. Boissevain 181).
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
bius143 überliefert, Christen und konnten damals nicht von den Juden unterschieden werden, oder sie waren keine Christen und weigerten sich einfach, den Kaiser zu verehren wegen seiner grausamen Regierung. Dies muss offenbleiben. Allerdings ist zu vermuten, dass in der damaligen Gesellschaft alle, die nicht an allgemeinen Festen und Kulten teilnahmen, als gottlos galten. Dementsprechend entstand Hass gegen die Christen, weil diese sich ganz offen weigerten, sowohl den Göttern als auch dem Kaiser zu opfern, insbesondere, wenn dieser Kaiser sich als Herr und Gott verehren ließ. 6.7
Wirtschaftlicher Schaden
Des Weiteren warf man den Christen die Verursachung von wirtschaftlichem Schaden144 für die Provinz vor. Da die Anzahl der Anhänger Christi immer größer wurde und das Christentum sich ausdehnte, spricht Plinius von magistratischer cura, indem er sich Sorgen um das friedliche Leben in seiner Provinz macht. Als guter Ökonom sieht der Statthalter im Christentum eine Gefahr, weil dadurch die salus publica gestört ist. Denn die Christen besuchten keine Tempel, kauften kein Opferfleisch und trugen zur Reduzierung der Anzahl der feierlichen Opfer bei. Diese Pest, diese bösartige Seuche, so nennt Plinius die Christen, greift einen der wichtigsten Aspekte der Gesellschaft an, nämlich die Wirtschaft. Zu den Geschädigten, die diesen Vorwurf erhoben und als Erste davon betroffen waren, gehörten die Priesterschaft sowie die Viehhändler und Großgrundbesitzer. Unter diesen Gruppen gab es offenbar die Delatoren. Das waren diejenigen, die mit den Opfern Geschäfte machten und daraus große persönliche Vorteile schöpften. Die erwähnte Entwicklung und ihre Ausbreitung bremsten den Handel, so dass weniger Geld in die staatliche Kasse floss. Alle, die sich zu Christus bekannten, galten als verirrte Schafe, denen der „wahre Weg“ gebahnt werden musste, um sie zu Reue und Umkehr zu zwingen. Die Furcht der Geschäftsleute vor einem wirtschaftlichen Zusammenbrechen der Provinz war sicherlich ein reales und ernstes Anliegen, denn die Provinz hatte ohnehin große finanzielle Probleme. Davon ausgehend war der Statthalter bemüht, vor einem drohenden Aufruhr die Christen für die traditionelle Religion zurückzugewinnen, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten.145 Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass das Christentum mit seinen Riten und Bräuchen in der heidnischen Gesellschaft als ein Gesinnungsverbrechen galt. Die Christen gefährdeten auf Dauer den Staat und trugen nichts 143 144 145
Vgl. Eus., h. e. 3,18,4 (ed. E. Schwartz 232). Vgl. dazu W. Plankl, Hintergründe 54–56; A. Wlosok, Rom 33f. Vgl. Apg 19,23–40, wo es auch zu Geschäftsproblemen aufgrund der Ausbreitung der Christen kommt.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
63
zur salus et utilitas publica bei. Die hier gezeigten Vorwürfe der Heiden gegen sie dürften ein Beweis dafür sein.
III.
Sueton und seine Beschreibung der Christen
1.
Sueton und seine Kaiser-Viten
Gaius Suetonius Tranquillus wurde um das Jahr 70 n. Chr. möglicherweise in Hippo, Nordafrika, geboren.146 Nachdem er in Rhetorik ausgebildet worden war, was zu seiner ritterlichen Herkunft passte, arbeitete Sueton als Rechtsanwalt. Dank der Freundschaft mit Plinius147 dem Jüngeren bekam er unter Trajan ab 114 n. Chr. die Ämter a studiis und a bibliothecis, wodurch er Zugang zu den kaiserlichen Archiven hatte. Wahrscheinlich durch die Vermittlung des späteren Gardepräfekten Septicius Clarus wurde er 119 n. Chr. von Hadrian (117–138) mit dem wichtigsten Hofamt148 ausgezeichnet: Der Kaiser ernannte ihn zum Sekretär seiner Kanzlei. Als aber Clarus im Jahr 121 n. Chr. sein Amt verlor, musste auch sein Freund Sueton zurücktreten. Danach hat Sueton wohl längere Zeit als Privatgelehrter gelebt. Wann er starb, ist unbekannt. Seinen ersten Band der Kaiser-Viten widmete Sueton dem Gardepräfekten Clarus: Das gesamte Werk, das das Leben der zwölf Kaiser von Cäsar († 44 v. Chr.) bis Domitian (81–96) umfasst, hat er vermutlich um das Jahr 130 abgeschlossen. Einer der für uns wichtigsten Abschnitte seines Werkes ist die Claudius-Biographie, die wahrscheinlich noch in den zwanziger Jahren entstand. Da er kaiserlicher Archivar war, ist es durchaus möglich, dass ihm kaiserliche Reskripte, Briefe und Edikte vertraut waren und er sie in seinem Werk verwenden konnte149. Zur Qualität seines Beitrages in der Wirkungsgeschichte gibt es unterschiedliche Bewertungen in der neueren Forschung.150 In jedem Falle bleibt das Werk von großer Bedeutung, besonders im Hinblick auf die Notizen in vit. Claud. 25,4 oder auch vit. Ner. 16,2, die mehr als sechzig Jahre, nachdem die Ereignisse stattfanden, aufgeschrieben wurden. Kaiser Claudius (41–54) wird von Sueton unter zwei Aspekten dar146 147 148 149 150
Zur Biographie des Sueton vgl. hier und im Folgenden M. Fuhrmann, Art. Sueton 411–413; W. Kierdorf, Einleitung 11–14. Vgl. Plin., Briefe I,24 (ed. R. A. B. Mynors 35); III,8 (ed. R. A. B. Mynors 78); X,94 (ed. R. A. B. Mynors 337). Zu den Posten im 2. Jahrhundert vgl. G. B. Townend, Post 375–381. Zum Umstand, dass Sueton seine Kenntnisse aus den kaiserlichen Archiven schöpft, vgl. A. Wallace-Hadrill, Suetonius 1–96. Zum Diskussionsüberblick vgl. H. Gugel, Technik Suetons 11–22; G. R. Lewis, Suetonius 3623–3674; W. Steidle, Sueton 13–177; P. Galland-Hallyn, Bibliographie 3576–3587.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
gestellt: Man erkennt die Kritik des Autors am Kaiser, der den Imperator durch wahre oder bloß kolportierte Skandale in ein schlechtes Licht rücken will.151 Daneben bietet der Biograph eine große Menge von Informationen über Regierungsmaßnahmen, die berechtigt und effektiv sind, aber in Spannung zum vorher entworfenen Charakterbild stehen.152 Diese doppelgesichtige Darstellung lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass der Autor über ausgezeichnete und umfangreiche Quellen verfügte, worunter sich wahrscheinlich sogar die eigenen Memorabilien des Kaisers befanden, die er fragmentarisch zitiert.153 Nun wird im Folgenden der Text präsentiert. 2.
Lateinischer Text und deutsche Übersetzung
Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit.154
Er [Claudius] vertrieb die Juden, die angestiftet von Chrestus wiederholt in Aufruhr waren, aus Rom.155
In der Regel wird das Partizip tumultuantis im Deutschen als Kausalsatz aufgelöst, wie z. B.: „Er vertrieb die Juden aus Rom, weil sie, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten“, wonach eine vollständige Vertreibung erfolgt wäre. Aus der faktischen Unmöglichkeit aufgrund der numerischen Stärke der Juden in Rom muss tumultuantis auf den betroffenen Personenkreis eingeschränkt verstanden werden, so dass man darüber hinaus folgendermaßen übersetzen könnte. „Die Juden, die – angestiftet von Chrestus – ständig Tumulte verursachten, vertrieb er aus Rom.“156 Es gibt noch einen Text bei Sueton, in dem die Christen im Zusammenhang mit dem Brand in Rom unter Nero zum Thema werden. Dieser wird im Folgenden dargestellt. Afflicti suppliciis Christiani, genus hominum superstitionis novae ac maleficae.157
151 152 153 154 155 156 157 158
Heimgesucht worden mit Hinrichtungen sind die Christiani, ein Menschenschlag eines neuen und schädlichen Aberglaubens.158
Vgl. V. M. Scramuzza, Claudius 26–32. Vgl. R. Riesner, Frühzeit 143. Vgl. z. B. Suet., vit. Claud. 25,3–5 (ed. M. Ihm 208f.). Suet., vit. Claud. 25,4 (ed. M. Ihm 209). Selbständige Übersetzung des Verfassers. Dies vertreten H. Botermann, Judenedikt 50; H. Omerzu, Prozeß 230. Suet., vit. Ner. 16,2 (ed. M. Ihm 231). Selbständige Übersetzung des Verfassers.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
3.
65
Die Juden in Rom
In vit. Claud. 25,4 schreibt Sueton, dass die Juden aus Rom vertrieben wurden, weil sie fortwährend Unruhen verursachten. Möglicherweise lässt sich tumultuantis nicht nur als Angabe eines Grundes verstehen, der zur Ausweisung diente, sondern bezeichnet auch den Kreis der Betroffenen. Dementsprechend ist die Vertreibung „aller“ (Apg 18,2) oder „der“ Juden zweifelhaft, denn deren Anzahl war sehr groß. Sie wird auf mehrere Zehntausend bis zu 50 000 geschätzt159. Eine so hohe Anzahl auszuweisen, hätte einen erheblichen Verwaltungsaufwand ausgelöst. Deshalb wird vermutet, dass nur die Oberschicht der Betroffenen vertrieben wurde. Ohne Verfahren durften die Juden nicht ausgewiesen werden, denn viele von ihnen besaßen das römische Bürgerrecht. Wenn es sich um eine umfangreiche Aktion gehandelt hätte, sollte dies bei Josephus zumindest kurz erwähnt sein, was nicht der Fall ist. Erwähnung findet bei Josephus160 dagegen die judenfeindliche Politik des Tiberius161 (14–37) im Jahr 19, was auch bei Tacitus162 beschrieben ist, aufgrund derer 4000 Juden im militärfähigen Alter zum Dienst gegen die Banditen in Sardinien gezwungen (also entgegen der üblichen Befreiung der Juden vom Militärdienst) und die restlichen Juden aus Rom vertrieben wurden. Die Beschreibungen der drei Historiker weichen allerdings in Details voneinander ab163, so dass sich die Meinungen der Forscher über die Hintergründe und den Zweck dieser Maßnahmen gegen die Juden unterscheiden. Was Claudius anregte, gegen die Juden vorzugehen, lässt sich nur vermuten. Es könnte sich um jüdischen Proselytismus, apokalyptische Ideen in den Randschichten der Gesellschaft, Unzufriedenheit im Volk, Aufstände der Sklaven oder um instabile soziale Situationen handeln.164 Darüber hinaus haben Tumulte wegen irgendeines Chrestos bei den römischen Behörden vermutlich das Fass zum Überlaufen gebracht, so dass sie in der beschriebenen Weise reagierten. Ein weiteres Hindernis für die Umsetzung einer derartig umfangreichen Maßnahme war die Unkenntnis der Gesamtzahl der Juden in Rom und ihrer Wohnorte.165 Die Römer hatten an ihnen kein Interesse, denn die Provinz Judäa war den anderen Provinzen ähnlich. Als aber die Juden durch ihre Aufstände in Palästina Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten, beobachtete man sie nach dem Jahr 70 sehr genau. Man betrachtete sie als Unruhestifter, 159 160 161 162 163 164 165
Vgl. F. Dexinger, Art. Judentum 340. Vgl. Joseph., ant. Iud. XVIII,81–84 (ed. L. H. Feldman 58–60). Vgl. Suet., vit. Tib. 36 (ed. M. Ihm 131). Vgl. Tac., ann. II,85,4 (ed. H. Heubner 91). Tacitus datiert diese Maßnahme ins Jahr 19 n. Chr.; Josephus setzt sie um das Jahr 30 an. Vgl. D. A. Cineira, Religionspolitik 190f. Vgl. hier und im Folgenden H. Botermann, Judenedikt 51f.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Feinde Roms oder als ein „Ferment der Unruhen“166. Die jüdische Minderheit Roms unterstand keiner zentralen Leitung, wie z. B. die Juden in Alexandrien, sondern sie setzte sich aus einer Reihe gleichberechtigter Synagogengemeinden zusammen, die jeweils auch aus wenigen Personen bestehen und sich in Privathäusern versammeln konnten. Insgesamt sind elf Synagogen schriftlich bezeugt, darunter die der Agrippesier 167, Augustesier168, Herodianer169, Verneclesianer170 und Hebräer171. Die römischen Behörden kannten sicherlich einige Synagogen, die an prominenter Stelle im Stadtgebiet lagen, die anderen aber möglicherweise nicht. Da die jüdische Religion erlaubt war (religio licita), bestand kein Anlass, Tätigkeit und Wirken der Synagogenmitglieder unter Aufsicht zu nehmen, solange sie die utilitas publica nicht störten. Wenn aber die öffentliche Ordnung ins Wanken gerät, weil innerjüdische Streitereien zu Aufruhr führen konnten, wurde diese Gruppe sehr schnell von Außenstehenden denunziert. 4.
Umstände und Datierung des Claudiusedikts
Die Datierung des Claudiusedikts bereitet der neueren Forschung eine große Schwierigkeit, denn es gibt zwei Meinungen dazu. Die eine geht davon aus, dass die Ausweisung der Juden aus Rom 49 n. Chr. stattgefunden habe, die andere setzt dafür jedoch das Jahr 41 n. Chr. an. Sueton bleibt diesbezüglich völlig unklar; er fasst seinen Stoff meist in Rubriken zusammen. Im Kontext seiner Claudius-Vita findet sich diese Notiz unter den anderen Kurzmitteilungen, die der Autor in vit. Claud. 25,3 mit den Worten peregrinae conditionis beginnt. Hier findet man auch Informationen über die Provinzen Achaia und Makedonien, die in die Verwaltung des Senats zurückgegeben worden waren, über die Lykier, die, im Gegensatz zu den Rhodiern, ihre Freiheit verloren, über die Einwohner von Ilion, denen auf Dauer die Tribute erlassen wurden, und über die germanischen Gesandten und deren Erlaubnis, in der Orchestra zu sitzen. Darüber hinaus erwähnt er auch die Juden, die wegen eines gewissen Chrestos aus Rom vertrieben wurden. Erst danach 166 167 168
169 170 171
D. A. Cineira, Religionspolitik 191. Vgl. CIJ I,503 (ed. J. B. Frey 367); CIJ I,425 (ed. J. B. Frey 323); CIJ I,365 (ed. J. B. Frey 284). Vgl. CIJ I,284 (ed. J. B. Frey 200); CIJ I,301 (ed. J. B. Frey 237f.); CIJ I,338 (ed. J. B. Frey 265f.); CIJ I,368 (ed. J. B. Frey 286); CIJ I,416 (ed. J. B. Frey 318); CIJ I,496 (ed. J. B. Frey 361f.). Vgl. CIJ I,173 (ed. J. B. Frey 124f.). Vgl. CIJ I,318 (ed. J. B. Frey 249f.); CIJ I,383 (ed. J. B. Frey 297f.); CIJ I,398 (ed. J. B. Frey 307f.); CIJ I,494 (ed. J. B. Frey 360). Vgl. CIJ I,291 (ed. J. B. Frey 230); CIJ I,317 (ed. J. B. Frey 249); CIJ I,510 (ed. J. B. Frey 373); CIJ I,535 (ed. J. B. Frey 397); zu Grabinschriften vgl. E. J. Schnabel, Mission 781.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
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wendet sich Sueton den religiösen Angelegenheiten zu, wo von der Religion der Druiden und vom Tempel der Venus Erycina erzählt wird. Erkennbar ist das Faktum, dass das Claudiusedikt nicht der Religionspolitik des Kaisers zuzurechnen ist, sondern den Weisungen gegenüber Menschen peregrinae conditionis. Selbstverständlich hatten die Tumulte einen religiösen Hintergrund, von dem die Römer nichts verstehen konnten und an dem sie auch kein Interesse hatten. Also war die Behauptung, das Volk der Juden habe Unruhen gestiftet, worauf man dringend reagieren musste. Vom Text her ist, wie man sieht, keine genaue Datierung möglich. Wie sehr die Meinungen der Forscher auseinandergehen, zeigt eine berühmte Stelle bei Orosius 172, einem Historiker aus dem 4. Jahrhundert, der auf die Notiz des Sueton eingeht. In seiner Historia adversus paganos zitiert Orosius173 die Suetonstelle mit der Angabe, dass die Ausweisung der Juden nach Josephus im neunten Regierungsjahr des Claudius stattgefunden habe, also im Jahr 49. Aber in den erhalten gebliebenen Texten des Josephus gibt es weder einen Hinweis auf eine derartige Vertreibung noch eine Angabe mit einem entsprechenden Datum. Da Orosius Josephus nur aus der Chronik des Hieronymus gekannt zu haben scheint174, ist seine Zeitangabe zur Ausweisung der Juden jedoch sehr unsicher. Nach der Meinung von Lampe 175 hat Orosius diese Zeitangabe in irgendeiner, nicht angegebenen Schrift gelesen. 176 Diese Vermutung wäre ein Kompromiss, aber wenn Tacitus darüber schweigt und dagegen eine Vertreibung unter Tiberius177 (14–37) erwähnt, verdient eine derartige Information wenig Vertrauen. Die Darstellung des Dio Cassius hilft auch nicht weiter, da das 60. Buch seiner Antiquitates Romanae nur bis zum Jahr 46 n. Chr. vollständig erhalten geblieben ist, danach aber nur eine Menge von lückenhaften Exzerpten enthält. Dass Orosius Anspruch auf die Wahrheit erhebt, spricht aus seiner wörtlichen Zitierung der Sueton-Notiz178, allerdings mit einigen marginalen Abweichungen179. Weiter könnte der Historiker aus 172 173 174 175 176 177
178 179
Zu Leben und Werk vgl. W. S. Teuffel, Geschichte III 405–409; F. Wotke, Art. Orosius 1185–1195. Vgl. Oros., hist. VII,6,15f. (ed. C. Zangemeister 451). Vgl. H. Botermann, Judenedikt 55f., Anm. 149; G. Lüdemann, Judenedikt 293f.; H. Schreckenberg, Flavius-Josephus-Tradition 95. Vgl. P. Lampe, Christen 7. Zu der These, dass Orosius die Quelle der Information vertauscht haben könnte, vgl. G. Lüdemann, Judenedikt 295f. Vgl. Tac., ann. II,85,4 (ed. H. Hebner 91) sowie auch Suet., vit. Tib. 36 (ed. M. Ihm 131); Joseph., ant. Iud. XVIII,83 (ed. L. J. Feldman 58–60); Dio Cass., hist. 60,6,6 (ed. U. Ph. Boissevain 669). Vgl. H. Omerzu, Prozeß 233. Erkennbar ist, dass Oros., hist. VII,6,15f. (ed. C. Zangemeister 451) in der Suetonstelle manche Buchstaben ändert: „Anno eiusdem nono expulsos per Claudium Urbe Iudaeos Iosephus refert. sed me magis Suetonius mouet, qui ait hoc modo:
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Eusebius180 geschöpft haben, der auch von der Ausweisung der Juden, unter anderem von Aquila und Priszilla spricht. Lüdemann 181 hält die Notiz des Orosius für irreführend, denn sie ist offenbar gemäß der Apostelgeschichte errechnet. Richtig wäre das erste Jahr der Regierung des Claudius, also 41. Natürlich wäre diese Angabe des Orosius eine große Bereicherung für die Chronologie des Apostels Paulus sowie des ganzen Christentums. Denn sie würde sehr gut zur Datierung der Gallioinschrift und zur Darstellung des Lukas in Apg 18,2 passen. Lukas berichtet nämlich über die Ankunft von Aquila und Priszilla in Korinth. Die Ursache dafür war die Vertreibung der Juden aus Rom.182 Zusammenfassend muss die Datierung des Claudiusedikts offenbleiben, wobei es immerhin als wahrscheinlich gelten kann, dass die Juden in den vierziger Jahren wegen des Chrestus aus Rom vertrieben wurden. 5.
Begriffserklärung
Um besser verstehen zu können, ob Chrestus und Christus dieselbe Person ist, muss nun auf das Wort cristo,j eingegangen werden. Das (großgeschriebene) Wort Cristo,j taucht in fast allen Schriften des Neuen Testaments auf und hat eine christologische Bedeutung. Es wird als VIhsou/j Cristo,j oder Cristo,j VIhsou/j verwendet. Cristo,j ist Verbaladjektiv vom Verb cri,w183, das „einreiben“, „bestreichen“ und „salben“ bedeuten kann. Also, eine Person wurde mit dem cri/sma184 bzw. mit Salböl oder Salbe gesalbt. Davon ausgehend bezeichnete man sie als Gesalbte, griechisch cristo,j. Zu den Gesalbten gehörten im Judentum bzw. im Alten Testament in erster Linie Könige und Priester. Obwohl die Propheten nicht gesalbt wurden, konnten sie durch den Empfang des Geistes als „gesalbt“ bezeichnet werden. 185 Auf einen gesalbten König, Herrscher und Erlöser warteten Teile des Judentums seit der Verheißung der Propheten bis in die Zeit Jesu. Der Gesalbte (Messias) sollte aus
180 181 182
183 184 185
Claudius Iudaeos inpulsore Christo adsidue tumultuantes Roma expulit; quod, utrum contra Christum tumultuantes Iudaeos coherceri et conprimi iusserit, an etiam Christianos simul uelut cognatae religionis homines uoluerit expelli, nequaquam discernitur.“ Vgl. Eus., h. e. 2,18,9 (ed. E. Schwartz 156). Vgl. G. Lüdemann, Judenedikt 293–295. Zu der Problematik und zur Lösung des Problems der Datierung des Claudiusedikts vgl. R. Riesner, Frühzeit 159–177; H. Omerzu, Prozeß 232–237; P. Lampe, Christen 7f.; H. Botermann, Judenedikt 54–57. Vgl. D. Sänger, Art. cri,w 1166–1169. Vgl. H. Balz, Art. cri/sma 1144f. Vgl. F. Hahn, Art. cristo,j 1148–1150.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
69
dem Haus David als König und Priester186 kommen und das Reich Gottes auf der Erde vorbereiten.187 Diese Hoffnung trugen viele Juden in ihren Herzen, besonders nach der Unterwerfung des jüdischen Volkes durch die Römer. Das jüdische Volk sehnte sich nach einem Befreier. Nach Geburt, Wirken und Auferstehung Jesu hatten die ersten Judenchristen ihn als den wahren Messias erkannt, der nicht die irdische Fortdauer und das Wohlergehen Israels, sondern das ewige Reich Gottes verkündete. Jesus wurde z. B. auch vom Geist gesalbt (vgl. Lk 4,18) und nach seiner Auferweckung und Erhöhung von der Gemeinde als Messias und Christus verstanden. Auch Paulus verwendet Cristo,j 271-mal und hat den geläufigen Doppelnamen VIhsou/j Cristo,j und den Titel o` Cristo,j zusammengeführt, so dass der Titel Teil des Namens geworden ist. Nachdem das Christentum in die griechische Welt eingedrungen war, verstärkte sich die Bedeutung des Eigennamens Christus. Für Nichtjuden war der Name Cristo,j so ungewöhnlich und unverständlich, dass sie stattdessen den ähnlich klingenden Sklavennamen Crh/stoj übernahmen, was gewöhnlich, vertraut und verständlich war. Als Beweise für diese These können uns einige Stellen aus frühester Zeit des Christentums dienen. So weist z. B. Tertullian188 die Heiden darauf hin, dass sie die Christen, die sie bekämpfen, fälschlicherweise als Chrestiani bezeichnen. Laktanz189 erläutert, dass Christus ein Herrschaftstitel ist und auf den jüdischen Brauch der Salbung zurückgeht, für Griechen aber nichts bedeute. Darüber hinaus waren offenbar in den ersten vier Jahrhunderten die beiden Begriffe austauschbar. So findet man in den kleinasiatischen Inschriften in Bezug auf Christen die Bezeichnung crhstianoi,. Ebenso tauchen in diesbezüglichen lateinischen Inschriften teils christiani, teils chrestiani190 auf. Sogar der Codex Sinaiticus bietet für drei Stellen im NT (Apg 11,26; 26,28; 1 Petr 4,16) Formen von crhstiano,j. Erst nach Konstantin setzt sich der richtige Name durch. Das Adjektiv maleficus in vit. Ner. 16,2 lässt sich zusammen mit dem Nomen maleficium erklären, das ursprünglich „Übeltat“ bedeutet. 191 Im Volksmund verstand man darunter neben dieser allgemeinen eine mehr spezielle Bedeutung wie „Missetat“ oder auch „Zauberei“. Da Zauberei nach damaliger Meinung andere Menschen schädigen konnte, zog ihre Anwendung die Todesstrafe oder öffentliche Verbrennung nach sich. Der römische 186 187 188 189 190 191
Zur Vorstellung des Messias als König und Priester vgl. G. Theißen, Der historische Jesus 462–466. Vgl. hier und im Folgenden F. Hahn, Art. cristo,j 1151–1165. Vgl. Tert., apol. 3,5 (ed. T. Geoges 70–73). Vgl. Lakt., Div. inst. 4,7,4–8 (ed. E. Heck 330–332). Vgl. CIL VI,1056 L. 2 Z. 82 (ed. E. Bormann 199). Vgl. hier und im Folgenden R. Taubenschlag, Art. Maleficium 870–872; vgl. auch F. J. Dölger, Sacramentum 212f.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Staat verurteilte jede Art von Magie, besonders wenn diese von anderen Nationen kam, z. B. aus Persien. Somit wird klar, was Sueton mit dem Adjektiv maleficae über die Christen sagen wollte, nämlich dass die Christen in den Augen der Römer als Zauberer und Magier galten.192 6.
Impulsore Chresto – Chrestus oder Christus?
Zu den wichtigen Punkten gehört auch die Erörterung des Anlasses und des Charakters der Tumulte.193 Dies führt zu der Frage, was unter dem Ausdruck impulsore Chresto verstanden wird. Hier zunächst ein Hinweis auf die Forscher, die diese Aussage nicht auf Christus beziehen. In ihrem Ansatz sind diese der Meinung, dass die Juden des 1. Jahrhunderts n. Chr. von allgemeiner politischer Anspannung und zugleich von messianischer Erwartung erfüllt waren, so dass der Begriff mit einem Messias zu tun hat. Deshalb lesen einige Chresto als Christo und meinen damit einen Gesalbten, nicht aber Jesus Christus. Man kann daher an einen uns unbekannten Messiasprätendenten oder an eine anonyme messianische Propaganda unter den Juden in Rom denken.194 Andere Autoren meinen, dass die Juden von einem jüdischen Chrestus zu Unruhen angestiftet wurden, von dem zwar nichts überliefert ist, was aber an der Lückenhaftigkeit der Überlieferung liegt. Der Name Chrestus kommt häufig vor195, jedoch nur in heidnischen Kreisen. In Rom war er unter Sklaven und Sklavinnen sehr beliebt und verbreitet.196 Allerdings begegnet uns dieser Name bei den Juden nur in der weiblichen Form Chreste. 197 Des Weiteren bezeichnet Zielinski198 das Claudiusedikt als beabsichtigte Maßnahme gegen die Juden, weil damals die Meinung vorherrschte, dass diese ihre Religion über die ganze Welt ausbreiten und damit Weltherrscher sein wollten. Borg199 vermutet, dass die Juden in Rom auf die schlimmen Schick192
193 194
195 196 197 198 199
Möglicherweise wurden Jesus und die Apostel von den Außenstehenden als Zauberer verstanden, die mit den Dämonen zu tun hatten (vgl. Mt 9,34; Mk 3,22; Lk 11,15; Apg 8,9). Hier und im Folgenden wird der Ausführung H. Botermann, Judenedikt 72–87 gefolgt. Vgl. R. Eisler, VIhsou/j I 132–134; VIhsou/j II 706–708. Er ist der Ansicht, dieser unbekannte Pseudo-Messias sei Simon Magus gewesen, denn er ging, gemäß dem auf Justin zurückgehenden Zeugnis des Eus., h. e. 2,13,1–3 (ed. E. Schwartz 123– 134), unter Claudius nach Rom. Er löste zunächst großen Zulauf aus, wurde dann aber von Petrus bekämpft. Vgl. dazu E. Bammel, Judenverfolgung 299. Es gibt zahlreiche Belege für Chrestus und Chreste; vgl. H. Solin, Personennamen II 929–933. Vgl. M. Karrer, Gesalbte 64–92. Vgl. CIJ I,683, Z. 5 (ed. J. B. Frey 495). Vgl. Th. Zielinski, L’Empereur Claude 128–130. Vgl. hier und im Folgenden M. Borg, Context 205f.; 212f.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
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sale ihrer Landsleute unter den Prokuratoren reagierten und es deshalb zu Aufständen kam. Die Messiaserwartung war auch in Rom nicht unbekannt, so dass die Suetonstelle als konkretes Zeugnis dafür dient, dass einige Juden in Rom Hoffnung auf ein befreites Palästina hatten. So gab es zu diesem Punkt unterschiedliche Ansichten: Chrestus sei ein unbekannter jüdischer Aufrührer, der eine politisch-religiöse Bewegung gegründet hat, um die Gottesherrschaft mit Gewalt einzuführen200. Eine andere Position vertritt Levick: Die Suetonstelle gebe nur den Hinweis, dass das Claudiusedikt mit Zusammenstößen zwischen orthodoxen Juden und einer extremen jüdischen Sekte, die man Christen nannte, zu tun haben könnte. 201 Hier stellt sich nun die Frage, ob die Juden in Rom wirklich bereit waren, die messianischen Ideen zu unterstützen. Im Gegensatz zu Rom war Palästina immer ein heißes Pflaster, denn die Eroberer missachteten die tausendjährige Tradition der Juden und deren Gesetze und wollten sie romanisieren. Dies löste natürlich immer wieder Proteste aus, beispielsweise durch Judas in Galiläa202 sowie durch Simon und Athronges203, die mit ihrem Auftreten Judäa unsicher machten. Andere Führer wie z. B. Theudas204 oder ein Ägypter205, der ein falscher Prophet war, propagierten die Befreiung von den Römern durch einen Aufstand. An möglichen Aufständen gegen die römische Herrschaft bestand also kein Zweifel. In der Diaspora, wo die Juden als Minderheit lebten, gab es keine wesentlichen Aufstände wie die in Palästina. Da die Juden in Rom verstreut wohnten und nicht wie in Alexandrien zwei von fünf Stadtvierteln besaßen und keinen eigenen Ethnarchen hatten, muss es einen bestimmten Grund gegeben haben, der die Tumulte innerhalb der
200
201 202 203 204
205
Vgl. S. Benko, Edict 417; ähnlich E. Köstermann, Irrtum des Tacitus 460, der behauptet: Zusammenfassend „dürfen wir unter Chrestus eine individuelle Persönlichkeit verstehen, einen Mann also, der bei den Zusammenrottungen der Juden als Einpeitscher und Rädelsführer unliebsam in Erscheinung trat“. Ihm geht es vor allem um den Nachweis, dass die Chrestiani des Tacitus keine Christen waren, sondern Anhänger des Chrestus. Vgl. B. Levick, Claudius 121f. Davon berichtet Joseph., ant. Iud. XVIII,4–10 (ed. L. H. Feldman 4–8); b. Iud. II,56 (ed. O. Michel 192); vgl. dazu Apg 5,37. Vgl. Joseph., ant. Iud. XVII,273–284 (ed. A. Wikgren 292–298). Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,97–99 (ed. L. H. Feldman 52–54). Dieser wurde vom Prokurator Cuspius Fadus enthauptet. Über sein Schicksal berichtet auch Apg 5,36. Vgl. Joseph., b. Iud. II,261–263 (ed. O. Michel 232); ant. Iud. XX,167–172 (ed. L. H. Feldman 90–92). Nach Josephus versammelte er 30 000 Menschen und führte sie zum Ölberg, um zu sehen, wie die Mauern Jerusalems einstürzen werden. Als aber der Prokurator Felix mit Waffen einschritt, verschwand dieser falsche Prophet. Jetzt wird auch klarer, warum Paulus in Apg 21,38 für einen Ägypter gehalten wird.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Synagogen auslöste. All die oben erwähnten Autoren tendieren dazu, unter Chrestos einen von jüdischer Naherwartung geprägten Messiasprätendenten zu sehen. Darüber hinaus vernachlässigen sie die lukanische Notiz in Apg 18, ungeachtet der genauen Zeit des Edikts, nach der prominente Missionare der ersten Generation, Priszilla und Aquila, Rom verlassen haben und in Korinth Anhänger von Jesus Christus waren. Statt Theorien zu konstruieren, wäre es sinnvoller, nach Gründen für eine Gleichsetzung von Chrestus mit Jesus Christus zu suchen. Bezüglich der Suetonstelle in vit. Claud. 25,4 und Apg 18,2 lässt sich sagen, dass es schon zur Zeit des Claudius, also in den vierziger Jahren, Christen in Rom gab. Sie konnten dort nicht von den Juden unterschieden werden; für die Außenstehenden bildeten die beiden Gruppen eine Einheit. Davon ausgehend mussten mindestens die führenden Personen sowohl der Juden als auch der Christen Rom verlassen. Zu diesen Vertriebenen gehörte auch das Ehepaar Priszilla und Aquila. Es wird spekuliert, dass sie keine Christen waren, bevor sie nach Korinth kamen. Dann stellt sich allerdings die Frage, warum ihre Taufe in keiner Überlieferung erwähnt ist. Da die Taufe dem Apostel Paulus ein großes Anliegen war, hätte er sicher erwähnt, wenn diese beiden Personen in Korinth von ihm getauft worden wären. Dagegen berichtet er in 1 Kor 1,16 von Stephanus, den er als Ersten in Achaia getauft habe, sowie von Krispus und Gaius (1 Kor 1,14). Also ist anzunehmen, dass Priszilla und Aquila schon in Rom Christen waren und dort die Taufe empfangen hatten. Dementsprechend wären sie nicht einem Chrestus nachgefolgt, sondern den christlichen Missionaren, die durch die Verkündigung des Jesus Christus ständig Tumulte zwischen Juden und Judenchristen ausgelöst haben. Die Heiden verstanden die Christen als Anhänger eines gewissen Chrestos, den sie für einen Sklaven hielten, und brachten auf diese Weise ihren Hohn zum Ausdruck. Da impulsore Chresto einen aktiven, also einen in Rom lebenden Aufrührer meint, kann Jesus Christus nicht gemeint sein, denn dieser war schon längst nicht mehr am Leben. Die christlichen Lehrer, die das Evangelium von Christus verkündeten, bekamen, vermutlich auch in Rom, von Juden Widerstand. Denn ihre Verkündigung mit Abschaffen der Beschneidung und Nichteinhalten bestimmter vorgeschriebener Gebote stand im Widerspruch zum Judentum. Aus der Apostelgeschichte lässt sich gut nachvollziehen, dass die Anhänger Jesu immer wieder mit den Juden Schwierigkeiten und Konflikte (vgl. Joh 9,22) hatten. Dies ist nicht verwunderlich, denn nach Lukas predigten die Apostel zunächst in den Synagogen (z. B. Apg 13,5; 17,1; 19,8) und dann erst bei den Heiden (vgl. Apg 13,46–48). Selbst der Apostel Paulus beschreibt in 2 Kor 11,23–27 seine Gefährdung nicht nur durch die Juden, sondern auch durch die Heiden, von denen er wegen des Evangeliums zu leiden hatte. Die fortgesetzten Streitigkeiten zwischen Anhängern und Gegnern der
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
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christlichen Lehre brachten Sueton zu der Annahme206, der Unruhestifter sei noch am Leben und stifte persönlich die Unruhe. Wenn man dies mit der Darstellung des Lukas in Apg 25,19 vergleicht, wird klar, dass die Heiden, wie z. B. der Statthalter Festus, der Meinung waren, Jesus lebe noch. Sie alle konnten nicht verstehen, dass Jesus von den Toten auferstanden und für die Christen unsichtbar in der Gemeinde gegenwärtig war. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die erste Erwähnung des Christus in einem offiziellen Dokument unter Claudius erfolgt ist, der als erster von den römischen Kaisern auch mit den Christen zu tun hatte. Zu dieser Zeit gab es keinen Anlass für die römische Obrigkeit, sich mit den Anhängern des von Pilatus verurteilten und gekreuzigten Christus zu beschäftigen. Wenn aber Sueton von drei Generationen zwischen dem Claudiusedikt und der Abfassung seines Werkes berichtet, konnte sich das Christentum in diesem Zeitraum zu zahlreichen Gemeinden entwickelt haben. Um 120 n. Chr. hatten die Außenstehenden, wie auch Sueton, eine andere Vorstellung von dieser Gemeinschaft als die, die in den vierziger Jahren vorherrschte. Als Freund des Plinius207 müsste Sueton eigentlich über die Vorkommnisse mit den Christen in Bithynien informiert gewesen sein, wie auch durch Tacitus208 über den Brand Roms. Als kaiserlicher Sekretär könnte der Autor durchaus die Unterlagen aus dem Archiv über die Ausweisung der Juden aus Rom wegen Chrestus in seinen Kaiser-Viten verwendet haben209. Diese Information hat Sueton wohl nur als kurze Notiz vorgefunden, die er in seine Biographien unverändert übernahm. Ältere kaiserliche Erlasse und Rechtssprüche waren gültig, wenn sie in einem konkreten Fall zitiert wurden. Normalerweise war es die Absicht der interessierten Partei, eine früher getroffene Entscheidung des Kaisers oder Senats als Präjudiz zu benutzen. Eine derartige Praxis lässt sich in den Plinius-Briefen erkennen. Das frühe Christentum war für die Römer bedeutungslos und unwesentlich. So lässt sich annehmen, dass Sueton mit Chrestus den Gründer des später von ihm erwähnten Menschenschlags der Christiani meint. Deren Mitglieder bezeichnet er in vit. Ner. 16,2 genauso wie Tacitus und Plinius als Anhänger eines schädlichen neuartigen Aber206
207 208 209
Sueton als heidnischer Historiker, der gar nichts von der Religion der Juden, noch viel weniger von der der Christen verstanden hatte, dachte sich, dass der Unruhestifter selbst persönlich dabei war. Vgl. Plin., Briefe X,96f. (ed. R. A. B. Mynors 338–340). Vgl. Tac., ann. XV,44,2–5 (ed. H. Heubner 369). Dies vertreten H. Janne, Impulsore 546 sowie R. Riesner, Frühzeit 144. H. Fuchs, Bericht 567, Anm. 10 äußert sich z. B. folgendermaßen: „Daß Sueton oder der Gewährsmann, auf den seine Angabe zurückgeht, den kaiserlichen Ausweisungsbefehl selbst gelesen und allenfalls nur dessen Begründung mißverstanden hat, ist aus der Beschaffenheit der Nachrichten, die Sueton in dem betreffenden Kapitel vereinigt hat, mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu erschließen.“
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
glaubens.210 In vit. Claud. 25,4 dagegen erkennt man keine persönliche Einschätzung des Sueton. Die Notiz ist schmucklos und bringt nur das Wesentliche zum Ausdruck. 7.
Römische Religiosität und Religionspolitik
In vit. Ner. 16,2 rechnet Sueton die Christen zu einer neuartigen und schädlichen abergläubischen Gruppierung, deren Mitglieder der Todesstrafe ausgesetzt waren. In der Notiz ist jedes Wort von großer Bedeutung und kann ein helles Licht auf den Sachverhalt der Christenlage werfen. Um dies besser verstehen zu können, wenden wir uns der Religiosität 211 und der Religionspolitik212 der Römer zu bzw. dem Verhalten des Staats gegenüber neuen, orientalischen Kulten. Im ganzen Römerreich gab es eine schillernde Vielfalt an Kulturen, Riten und Göttern, die von den jeweiligen römischen Statthaltern geduldet wurde, angefangen von verschiedenen Mysterienkulten bis hin zum jüdischen Monotheismus. Allerdings beruhte diese Vielfalt nicht etwa auf einer Toleranzpolitik, sondern vielmehr auf einem friedlichen Zusammenleben zahlreicher Völker und Nationen. Dies beschreibt z. B. Cicero folgendermaßen: „Jede Stadt hat ihre Religion, wir haben unsere.“213 Daran lässt sich erkennen, dass Rom, um der salus publica zu dienen, den verschiedenen Religionen gegenüber sehr wohlwollend eingestellt war. 214 Um Ruhe in den römischen Provinzen zu bewahren und Auseinandersetzungen und Aufstände zu verhindern, tolerierte der Staat aus politischen Motiven die Traditionen unterworfener Völker. Diese religiöse Haltung hatte zum Ziel, alle Volksgötter in der gesamten Ökumene mit entsprechenden Riten zu ehren, um sie alle gegenüber Rom gnädig zu stimmen. Rom ging niemals unnötig gegen diese Verehrung vor, solange diese den Staat nicht gefährdete; deshalb galt eine gottlose Haltung eines Bewohners als Nachteil für die Hauptstadt. Denn in der Antike hatte jeder Bürger unabhängig von seiner Herkunft die Pflicht, neben eigenen Göttern auch die Götter Roms öffentlich zu verehren. Nach diesem Grundsatz bedurfte es keiner Bekehrung zur römischen Religion, weil jeder nach der Geburt oder dem Erwerb des Bürgerrechts automatisch ein Gläubiger wurde. Oftmals ging die Verehrung der herkömmlichen griechischen und römischen Götter, der Lokalgottheiten, des Kaisergottes und der Mysterien-Gottheiten ineinander über. Darüber hinaus verbreiteten sich nach manchen siegreichen Eroberungen vielfältige Kulte 210 211 212 213 214
Vgl. R. Riesner, Frühzeit 147. Zum Ursprung der römischen Götterverehrung vgl. A. Grabner-Haider, Kulturgeschichte 16–18. Mehr dazu vgl. ebd. 18–27. Cic., Flacc. 69 (ed. A. C. Clark 232). Vgl. hier und im Folgenden C. Lepelley, Christen 235f.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
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aus den Provinzen bis nach Rom. Diese Kulte waren jedoch lange Zeit einer strengen Kontrolle unterworfen. Dies erfolgte durch die für religiöse Angelegenheiten zuständigen Priester (decemviri), die neue Kulte und Riten nur nach genauer Prüfung und Beobachtung genehmigten. Meistens handelte es sich dabei um griechische Kulte und Götter mit eigener langer Tradition und Geschichte, die die religiöse Haltung der Menschen in Griechenland und somit auch das öffentliche Leben dort prägten. Alle diese neuen Kulte und Riten waren erlaubt, solange der römische Kult Vorrang hatte, mit dem Ziel, ein friedliches Zusammenleben zu erreichen. Wenn aber die fremden Kulte die Grenzen der Toleranz überschritten und die öffentliche Ordnung durch sie gestört wurde, reagierte Rom dementsprechend, manchmal sogar mit Gewalt. Das beste Beispiel für ein gewaltsames Vorgehen ist die Hinrichtung vieler Anhänger des Dionysos-Kultes im Jahre 186 v. Chr.215 Obwohl die Dionysos-Mysterien sehr früh auch in Rom bekannt waren und dort akzeptiert wurden, trugen ihre Kultpraktiken dazu bei, dass Spannungen in der Gesellschaft entstanden. Der römische Historiker Livius wirft den in die Mysterien Eingeweihten vor, dass sie versuchen, „ein neues und feindseliges Volk“216 zu bilden. In der Kaiserzeit konnte der Dionysos-Kult trotz der restriktiven Haltung wieder ungehindert praktiziert werden, war jedoch stets in der Gefahr, unterdrückt zu werden, weil diese religiöse Bewegung die öffentliche Ordnung gefährden konnte. Des Weiteren ging der Staat etwas milder gegen das Druidentum in Gallien sowie in Britannien vor, indem er wegen des Verdachts, Aufstände zu begünstigen, diesen Kult schrittweise verbot. 217 Ein weiterer, sich zu Beginn der Kaiserzeit ausbreitender und aus Ägypten kommender Isis-Kult218 fand in Italien zahlreiche Anhänger. Obwohl dieser keine öffentliche Ordnung gefährdete, war er wegen seiner Herkunft jahrzehntelang Repressalien ausgesetzt.219 In römischen Augen repräsentierte jeder neue, unbekannte Kult, besonders wenn er aus dem Orient kam, eine Gefährdung und zog Aufmerksamkeit auf sich. Noch verdächtiger erschienen jene Kulte, deren Riten im Geheimen und nur von Eingeweihten vollzogen wurden. Aufgrund der Arkandisziplin220 und ihres geheimen Charakters herrschte die 215 216 217 218 219
220
Vgl. dazu H. Kloft, Mysterienkulte 32–41. Liv., Geschichte XXXIX,8–19 (ed. H. J. Hillen 20–44). Vgl. C. Lepelley, Christen 237; zur Etymologie vgl. Plin., n. h. XVI,249 (ed. R. König 154–156). Mehr dazu vgl. H. Kloft, Mysterienkulte 41–55. Vgl. Dio Cass., hist. 52,2 (ed. U. Ph. Boissevain 379f.): Verbot in Rom unter Augustus; Joseph., ant. Iud. XVIII,79f. (ed. L. H. Feldman 56–58): Maßnahmen gegen den Kult unter Tiberius; Tac., ann. II,85,4 (ed. H. Hebner 91): parallele Erwähnung über das Exil von Römern, die Anhänger des jüdischen Aberglaubens waren. Vgl. H. Kloft, Mysterienkulte 85f.
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Vorstellung vor, es könnten dadurch dunkle und schreckliche, den Römern gefährlich werdende Mächte der Gottheiten entfesselt werden. Sehr kritisch und aufmerksam war der Staat gegenüber dem aus Kleinasien stammenden Kybele-Kult, weil er mit seinen Praktiken dem Dionysos-Kult ähnlich war.221 Römische Bürger durften niemals Priester dieses Kultes werden, und die im Kult praktizierte Selbstentmannung galt als schimpflich und führte sogar zu erheblichen Schwierigkeiten bei Erbschaftsangelegenheiten. Diese gewisse Beschränkung führte zunächst zu einer kleinen Anhängeranzahl, aber die blutigen und orgiastischen Riten fanden Akzeptanz in der Bevölkerung, so dass sich der Kult im Laufe der Zeit weit verbreitete. Zusammenfassend kann man feststellen: Auch wenn die fremden Religionen und Kulte einer ständigen kritischen Beobachtung unterworfen waren, konnte jeder sich im Privatbereich einem Gott zuwenden und sogar an einem Initiationskult teilnehmen, etwa am Eleusis-Kult oder an anderen Mysterien wie Dionysos-, Isis-, Kybele- und Mithraskult222. Trotzdem erlaubte solche private Frömmigkeitsform223 nicht, die Götter Roms öffentlich nicht zu verehren224. Die Verehrung der römischen Götter mit dem Kaiser an der Spitze bedeutete die Hochschätzung der heiligen römischen Ordnung des Imperiums. Die Unterwerfung unter sie war zugleich eines der wichtigsten Integrationselemente für jede Provinz und jeden Bewohner. Es lohnt sich, neben all diesen Gottheiten und Religionen auch die Religion der Juden in den Blick zu nehmen.225 Als einziges Volk im Imperium verehrten die Juden nur ihren einen Gott und ihr Glaube galt als religio licita. Die Teilnahme an jedem heidnischen Kult war ihnen streng verboten, bedeutete dies doch einen Abfall vom eigenen Gott, vom Glauben und dem mosaischen Gesetz. Sie galt darüber hinaus als Verrat am Volk. Um dem jüdischen Gesetz zu folgen, mussten die Juden die Beschneidungsregel, das Sabbatgebot und die Reinheits- und Speisevorschriften beachten. Daran konnte man die Juden von allen anderen Volksgruppen unterscheiden. Sie genossen auch viele Privilegien und mussten an der Verehrung der römischen Götter und am Kaiserkult nicht teilnehmen, wenn sie nur für den Kaiser Opfer im Jerusalemer Tempel darbrachten. Grundsätzlich verstanden die Römer dies als die Religion eines besonderen Volkes. Ihre Nationalität als Juden und das sehr 221 222 223
224 225
Vgl. hier und im Folgenden ebd. 58–60; vgl. dazu C. Lepelley, Christen 237. Zum Mithraskult vgl. H. Kloft, Mysterienkulte 69–72. Vgl. R. Wilken, Christen 68–74. Verschiedene Formen der römischen Frömmigkeit durchdrangen jede Lebensweise, die dadurch Treue und Gehorsam gegenüber den Bräuchen und Überlieferungen, gegenüber den Gesetzen, schließlich gegenüber dem Vaterland zum Ausdruck bringen wollte. Der Staat verstand sich als sacra publica, die in der Öffentlichkeit ihre Götter verehrt. Vgl. dazu J. Rüpke, Religion 27–31. Vgl. hier und im Folgenden C. Lepelley, Christen 237f.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
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hohe Alter der jüdischen Glaubens- und Lebensformen verliehen ihnen das Recht, ihren Gott nach ihren eigenen Riten zu verehren. Als sehr alte Volksreligion hatte das Judentum seinen Platz in der römischen Ordnung religiöser Angelegenheiten. Denn die Römer hegten eine gewisse Verachtung und Misstrauen gegenüber jeder neuen religiösen Bewegung, alles Alte aber wurde bei ihnen mit Hochachtung und Respekt behandelt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede neue religiöse Bewegung, von Sueton als neuer Aberglaube bezeichnet, unter Verdacht stand und lediglich geduldet wurde. Auch der Monotheismus der Juden fand die Anerkennung Roms nur dank seines sehr hohen Alters. In jedem Falle wurde jedoch eine Weigerung, die römischen Götter und den Kaiser 226 zu verehren, zugleich als eine große Gefährdung für das Wohlergehen des Imperium Romanum empfunden. 8.
Aussageabsicht des Sueton in vit. Ner. 16,2
Nach der genauen Interpretation der Sueton-Notiz in vit. Claud. 25,4 wenden wir uns vit. Ner. 16,2 zu. Hier handelt es sich um die Ereignisse in Rom unter Nero, in denen die Christen als Brandstifter angeklagt und verurteilt worden waren. Sueton beschreibt dies im Unterschied zu Tacitus nur ganz kurz, aber mit seinem eigenen Urteil bezüglich dieser Gruppe. In der Darstellung wird die Bestrafung der Christen als nützliche und gute Maßnahme Neros präsentiert. Ebenso wie Tacitus und Plinius beschreibt Sueton die Christen als Anhänger eines neuen und schädlichen Aberglaubens (nova ac malefica superstitio). Dieses Urteil zeigt eine zensorische Haltung und legt die gleichen Maßstäbe an, die die römische Aristokratie vertrat. Durch das Wort nova bringt Sueton besonders den politischen oder römischen Aspekt zum Ausdruck, denn neuartig und fremdländisch war gleichbedeutend mit unrömisch. Wie schon gezeigt wurde, war für einen Römer und das Römertum zunächst alles, was aus dem Orient kam, eine Gefahr für die jahrhundertealten römischen Vätersitten. Tacitus begründet dies damit, dass die erwähnten Bräuche, woher sie auch immer stammen mögen, durch ihr hohes Alter gerechtfertigt wurden; die übrigen Einrichtungen sind verwerflich und abscheulich, sie setzten sich eben wegen ihrer Verkehrtheit durch. 227 Mit dem Wort maleficus erklärt sich der moralische Aspekt dieses Aberglaubens, weil die Christen durch ihr Verhalten der salus und utilitas publica schädlich waren, indem sie zur Zersetzung des römischen Imperiums beitrugen. In der Aussageabsicht des Sueton lässt sich deutlich erkennen, dass die Christen weder Recht noch Anspruch auf friedliche Existenz haben durften, weil sie einerseits eine neue Religion mitbrachten, andererseits aus dem Orient kamen. Zudem erwähnt 226 227
Zur Entstehung des Kaiserkults vgl. K. Christ, Geschichte 158–168. Vgl. Tac., hist. V,5,1 (ed. J. Borst 516).
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B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
Sueton nur schwerste Martern bzw. Todesstrafen gegen die Christen, ohne näher darauf einzugehen, mit welcher Grausamkeit Nero vorging oder welche Stimmung unter dem Volk herrschte. 228 9.
Das Bild der Christen und die gegen sie erhobenen Beschuldigungen
9.1
Eine neue religiöse, aus dem Orient stammende Bewegung
Nach der Erörterung der römischen Religionspolitik wird nachvollziehbar, welches Bild die heidnische Bevölkerung von den Christen hatte. 229 Das Christentum war für sie eine neue Religion aus dem Osten. Diese Neuheit und die Herkunft waren eine Ursache des Misstrauens und der Missachtung. In der Maßnahme bezüglich des Isis-Kultes erkennt man den Versuch der römischen staatlichen Autoritäten, das Volk vor orientalischer Verderbtheit zu bewahren und Rom zu schützen. Immer wenn jedoch die Maßnahmen gegen östliche Kulte keinen Erfolg brachten, wie z. B. beim Isis- oder Bacchus-Kult, dann versuchten die Behörden, die Kulte möglichst schnell zu romanisieren und heimisch zu machen. Im Hinblick auf die Christen, die kompromisslos weder den Kaiserkult und andere Götter noch heidnische Feste annehmen wollten, erschien Toleranz unmöglich. Wegen der Neuheit ihrer Religion konnten die Christen keinen Anspruch erheben auf die Vorzüge alter Religionen und Kulte. Etwas später berichtet Tertullian, dass die Römer nur dem geneigt waren, was alt war und somit einen besonderen Wert besaß.230 Die Römer gründeten ihre Achtung vor anderen Religionen nur auf deren Alter.231 Davon ausgehend wurde die Religion der Juden im Römerreich geduldet. Während das Judentum und sein Monotheismus unzweifelhaft alt waren, huldigten die Christen nur einem neuartigen Aberglauben und genossen daher nicht den Schutz der Vorliebe für das Altehrwürdige. Hieraus erklärt sich auch das Vorgehen der christlichen Autoren, die das Christentum an die jüdischen Wurzeln anknüpfen wollten, um diesem ebenso ein hohes Alter zu attestieren.232 Dazu kam als Verstärkung das Faktum der Herkunft aus dem Orient. Bei einem gebildeten und religiösen Römer rief das Chris228 229 230 231 232
Tacitus beschreibt die Todesstrafen der Christen, die bei der Bevölkerung Mitleid erweckten. Mehr dazu vgl. J. Hofmann, Aspekte 74; J. Walsh, Christenfrage 35–38. Vgl. Tert., apol. 19,1 (ed. T. Geoges 152f.). Vgl. Suet., vit. Aug. 93 (ed. M. Ihm 100); Tac., hist. V,5,1 (ed. J. Borst 516); Liv., Geschichte XXXIX,18,7 (ed. H. J. Hillen 42). Werke von Justin, Aristides, Athenagoras und Origenes werden in den folgenden Kapiteln behandelt. Die entsprechende Tendenz erkennt man auch bei Lukas, indem er alle Ereignisse mit Christus als Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiung versteht.
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
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tentum Verachtung hervor, weil es römische Tugenden zu verderben drohte. Neu, traditionslos und aus dem Osten – dies waren die auffälligen Merkmale des Christentums, durch welche die Außenstehenden aufmerksam wurden und die Gleichsetzung des Christentums mit superstitio (Tacitus, Plinius, Sueton) begründeten. Dieser Begriff war sicher kein Kompliment, sondern der Ausdruck einer Verachtung, den Sueton durch den Kontext über Neros lobenswerte Taten bekräftigt. Der bekannte griechischsprachige Satiriker der Antike Lukian233 berichtet ebenfalls über die Christen. Er bezeichnet Christus als den Urheber einer neuen Lehre und stellt ihn als einen Menschen dar, der von seinen Anhängern verehrt wird. Seine neue Lehre verkündet Sitten und Bräuche, welche die Römer weder annehmen konnten noch ausüben durften (vgl. Apg 16,21). 9.2
Eine jüdische Sekte
Die Tatsache, dass die ersten Christen Juden waren, erschwerte den Christen anfangs, ihre Mission zu verbreiten, und untergrub ihre Popularität in der heidnischen Welt. Die Juden waren besonders bei den Griechen unbeliebt. 234 Manches Negative wurde ihnen vorgeworfen, z. B. Absonderung235, fremdartige Bräuche und Riten, Scheußlichkeiten236, Anstiftung zu Aufruhr237, Zauberei238 und Heimlichtuerei239. Die Ähnlichkeit dieser Vorwürfe mit denen, die den Christen gemacht wurden, lässt sich gut erkennen. Sie lässt auch vermuten, dass die Christen bis zu Beginn des 2. Jahrhunderts als eine extreme jüdische Gruppe galten. Erst bei Tacitus und Plinius findet das Christentum seine Erwähnung als neue Religion, eigentlich zunächst als neuer Aberglaube. Das beste Beispiel dafür, dass die Christen von den Heiden als Juden verstanden wurden240, ergibt sich aus unserer Stelle in vit. Claud. 25,4. Mit 233
234 235 236 237 238 239 240
Vgl. Lukian, mort. Peregr. 11 (ed. P. Pilhofer 22). In ganz anderem Zusammenhang erfahren wir von Sallust, wie stark die novitas die Gemüter bewegte und wie die novitas der Verbrechen Catilinas und der durch sie heraufbeschworenen Gefahr für Sallust Anlass ist, auch nach den mores des Urhebers zu forschen; vgl. Sall., Catil. 4,4f. (ed. J. Lindauer 10). Vgl. J. Hofmann, Aspekte 74. Vgl. Cic., Flacc. 69 (ed. A. C. Clark 232); ferner Juden als Feinde der Götter vgl. Plin., n. h. XIII,46 (ed. R. König 126). Vgl. Plin., n. h. XXXI,95 (ed. R. König 64); Cic., Flacc. 69 (ed. A. C. Clark 232); Pers., sat. V,179–184 (ed. O. Jahn 60); Sen., Briefe 95,47 (ed. R. Nickel 322). Vgl. Cic., Flacc. 67 (ed. A. C. Clark 231); Suet., vit. Claud. 25,4. Vgl. Plin., n. h. XXX,11 (ed. R. König 122); Poseidonios bei Strabo vgl. Strab., Geogr. 16,2,43 (ed. H. L. Jones 294). Vgl. Juvenal, sat. 14,95–110 (ed. J. Adamietz 282); zur Einstellung der Römer gegenüber der Magie vgl. Plin., n. h. XXVIII,4–9 (ed. R. König 14–16). Dies bezeugt auch Apg 16,16–40; 18,12–17.
B. Pagane Vorwürfe gegen die Christen
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der Voraussetzung, dass diese Notiz aus dem kaiserlichen Archiv stammt und Sueton sie nicht geändert hat, kommt man zum Ergebnis, dass die Christen von den Juden nicht unterschieden werden konnten. Aber im Laufe der Jahrzehnte wurden sie von der Bevölkerung für abtrünnig gewordene Juden gehalten241, die keine Ansprüche auf religio licita hatten. 9.3
Zauberer
Aus der Begriffserklärung kann man vermuten, was Sueton mit dem Ausdruck superstitionis novae ac maleficae meinte: Er hielt die Mitglieder dieses Menschenschlags für Zauberer (maleficus = magicus), die mit ihrer Magie und anderen Scheußlichkeiten zum Verderben der Römer beitragen konnten. Vermutlich war er darüber informiert, dass die Christen einen gewissen Jesus verehrten, der in den Augen der Außenstehenden als ein Zauberer gelten konnte, der Exorzismen durchführte und Tote zum Leben erweckte. Zugleich verbreitete sich die Kunde, dass seine Anhänger angeblich übernatürliche Kräfte hätten. Beispiele dafür sind zu finden bei der Heilung des Gelähmten durch Petrus (Apg 3,1–10) sowie am Schicksal des Zauberers Elymas (Apg 13,6–12). Derartiges wurde damals als geheimnisvolle Magie verstanden. 9.4
Ständige Unruhestifter
Nachdem scheinbar bewiesen worden war, dass die ständigen Unruhen in Rom durch die Christen entstanden, galten die Anhänger Christi als fortwährende Aufruhrstifter. Zwischen Juden und Christen entstandene Streitfragen in Bezug auf die Erfüllung der Vorschriften des Gesetzes gingen in Auseinandersetzungen über, so dass die beiden Gruppen das Wohlergehen des Staates störten. Dass die Christen immer als Unruhestifter galten, lässt sich gut aus der Mission des Apostels Paulus ersehen. Als vermutete Juden brachten die Christen die römischen Städte in Europa in Aufruhr. Dies kann man sehr gut in der lukanischen Apostelgeschichte sowie in den Briefen des Apostels Paulus (z. B. 2 Kor 11) erkennen. Darüber hinaus ist die ganze Geschichte des jungen Christentums eine Geschichte ständiger Unruhen. Deshalb ist es verständlich, dass auch Sueton die Stiftung der Unruhen in Rom dem Christus bzw. den christlichen Missionaren zuschreibt. In einer Zusammenfassung der Abhandlung dieser kurzen, aber sehr wichtigen Notizen des Sueton über die Anfänge und die Durchsetzung des jungen Christentums ist gut zu erkennen, dass die Christen zunächst als Juden 241
Vgl. Orig., c. Cels. 8,14 (ed. M. Fiedrowicz 1346–1348); 1,26 (ed. M. Fiedrowicz 242–246); 8,2 (ed. M. Fiedrowicz 1326–1328); 2,11 (ed. M. Fiedrowicz 374– 378).
III. Sueton und seine Beschreibung der Christen
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galten, später aber als neue schädliche Gruppierung, deren Mitglieder ständig mit der Todesstrafe bedroht waren, und außerdem als ständige Unruhestifter. In allen schriftlichen Hinweisen erkennt man ein sehr negatives Bild von den Christen. Auf diese Weise wurde versucht, die Verkündigung und Ausbreitung des Christentums zu verhindern und das Evangelium Christi zu negieren bzw. zu vernichten.
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Warum sich die ersten Autoren der christlichen apologetischen Literatur veranlasst fühlten, ihre Schriften als Verteidigung oder Rechtfertigung der Christen zu verfassen, kann man den drei heidnischen Autoren (Tacitus, Plinius, Sueton) entnehmen. Sie bezeichnen das Christentum als superstitio, was zu Denunziationen von Christen sowie zu Pogromen und Prozessen gegen sie führte. Dies dient uns nur als ein Hinweis. Trotzdem ist es von großer Bedeutung für die Behauptung, dass solche Aussagen über Christen die Apologeten veranlasst haben, nicht nur diese zu entkräften, sondern auch die wahren Hintergründe christlichen Glaubens und Verhaltens zu schildern. Aus den behandelten Kapiteln über die heidnische Polemik den Christen gegenüber lässt sich erkennen, mit welchen Vorwürfen die ersten christlichen Gemeinden konfrontiert waren – sie galten als Störfaktor in der damaligen Gesellschaft. Ein anderer Grund für das Entstehen der ersten Apologien1 dürften die vielen Fragen sein, die von Neubekehrten nach ihrem Eintritt in die Kirche gestellt wurden. Diese Fragenden kamen teilweise aus den früheren philosophischen Schulen und waren daher bemüht, ihr dort erworbenes Wissen mit dem Christentum in Verbindung zu bringen, um so ihren Wandel in der Lebensweise vor anderen zu rechtfertigen und ihren neuen Glauben vernünftig zu begründen. Das Auftreten der apologetischen Literatur bringt zum Ausdruck, dass die Kirche die Lage der Christen ernst genommen hat, um den Verleumdungen und Gerüchten gegen die Anhänger Christi ein Ende zu setzen; zumindest war es ein Versuch, der Stimme der Christenheit bei den Regierungsbeamten und dem Kaiser Gehör zu verschaffen. Die überlieferten Schriften waren gleichzeitig Appelle an die öffentliche Meinung und von vornherein zu einer weiträumigen Verbreitung der christlichen Lehre bestimmt. Sie galten als Missionsschriften mit der Absicht, den Heiden das 1
H. Nesselhauf, Hadrians Reskript 358 sagt z. B.: „Die apologetischen Schriften antworten auf die bedrängte Situation, in die die Christen durch die Verordnung Trajans geraten waren. Um die kursierenden falschen Vorstellungen aus der Welt zu schaffen, wird in den Apologien der christliche Glaube, der die religiöse Sonderstellung der Christen begründet, offen und ausführlich dargelegt und damit zugleich die Basis geschaffen für die Widerlegung des Verdachts, die Christen begingen rituelle Verbrechen.“
I. Justin
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Evangelium näherzubringen. Die Erwartung des nahen Weltendes in den neutestamentlichen Schriften hatte zunächst zu der Weisung geführt, Unrecht geduldig zu erleiden und die Gegner durch ein rechtschaffenes christliches Leben zu überzeugen (1 Petr 3,14–17; Röm 13). Dann aber befand sich die Kirche mit dem Ausbleiben der Wiederkunft Christi und des Endgerichts in einer neuen Situation. Da sie mit dem Fortbestand des römischen Imperiums rechnen musste, wollten die Christen ihr eigenes Existenzrecht sichern, denn sie befanden sich in einer unsicheren, aussichtslosen Rechtslage. Wenn man allein die Christenprozesse unter Plinius berücksichtigt, wo die bloße Bezeichnung Christ schon als strafbar galt, kann man dies verstehen. Die Apologeten, wie z. B. Justin, Aristides, Athenagoras und Origenes, wiesen dann auf die Inkonsequenz und Willkür dieses Vorgehens hin. Deshalb entstand zunächst das Verlangen nach Rechtssicherheit, das die Apologeten veranlasst hat, in ihren Werken auf eine grundsätzliche Regelung staatlicher Anerkennung zu drängen. Da es keine Regelung bei den Christenprozessen gab und die Provinzbehörden die Angeklagten nicht aus juristisch-stringenter, sondern eher aus politisch-pragmatischer Sicht verurteilten, richteten sich die christlichen Autoren an die höchste Instanz, nämlich an den Kaiser selbst, damit dieser den Christen das Recht auf ein friedliches Zusammenleben mit der Gesellschaft verleihe.
I.
Justin
1.
Justin und seine Werke
Das genaue Geburtsdatum von Justin ist unbekannt, vermutlich um 100.2 Schon bei Eusebius finden sich einige wenige Stellen aus der Biographie des Justin, die er aus erhaltenen echten Schriften des Apologeten entnommen hatte. Justin stammte aus der römischen Kolonie Flavia Neapolis (heute Nablus) in der Provinz Syria Palaestina. Die Namen seines Vaters und Großvaters, Priscus und Bakcheius3, weisen auf seine römische oder auch griechische Herkunft hin. Nichtsdestoweniger merkt man in seinem Stil und seiner Art kaum eine Spur von hellenistischer Formalbildung. Er selbst bezeichnet sich als Samarer,4 und einige Samaritanismen weisen tatsächlich auf eine gewisse kulturelle Verbundenheit zu Samarien hin. Justin zählt sich zu den 2
3 4
Vgl. hier und im Folgenden C. P. Vetten, Art. Justin 411f.; O. Skarsaune, Art. Justin 471; B. Pouderon, Christen 873f. Zum Thema Justin und Platonismus vgl. C. Andressen, Justin 157–195. Vgl. Just., 1 apol. 1 (ed. M. Marcovich 31f.). Vgl. Just., dial. 120,6 (ed. M. Marcovich 278).
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Heiden,5 denn er war nicht beschnitten. 6 Bevor er Christ wird, wendet er sich zunächst den Stoikern, später einem Peripatetiker, dann einem Pythagoreer zu; schließlich gehört Justin dem sogenannten, zeitgenössischen mittleren Platonismus an. Nach der Begegnung mit einem Greis am Strand, der Justin die Schwachstellen der platonischen Lehre aufzeigt und ihn in die Lehre des Christentums einführt,7 schließt er sich dem Christentum an, weil er dort die wahre Philosophie erkannt zu haben glaubt. Auch als Christ legt er den Habitus des Philosophen nicht ab.8 In Rom gründet Justin eine christliche Schule, zu der z. B. Tatian gehört9. Die letzten Jahre seines Lebens verbringt Justin in der Hauptstadt. Seinen Märtyrertod führt Eusebius10 direkt auf den feindseligen Zusammenstoß mit dem Kyniker Crescens zurück und setzt sein Todesdatum in das 15. Jahr des Antoninus Pius (138–161). Diese Angabe widerspricht jedoch der anderen Anmerkung des Eusebius, die besagt, dass Justin eine zweite Apologie an den Kaiser Marc Aurel (162–180) und an Lucius Verus gerichtet habe.11 Ob seine Hinrichtung als Christ unter dem Präfekten Rusticus (163–167) wirklich auf Crescens zurückzuführen ist, muss ungewiss bleiben, weil die Märtyrerakten dazu nichts aussagen. Dementsprechend gilt das Jahr 165 als ziemlich genau, was in Bezug auf die oben genannten Unstimmigkeiten bei Eusebius und auf die Überlieferung des Chronicon Paschale akzeptabel ist. Von seinen Schriften, die für uns als bekannt und authentisch gelten, sind zwei Apologien und der Dialog mit dem Juden Tryphon erhalten geblieben. Die erste Apologie ist nach dem Beginn des Prokonsulats des Felix12 zwischen 148 und 154 in Ägypten entstanden, die zweite etwa zwischen 150 und 160. Das andere Werk, in dem Justin gegen das Judentum polemisiert, muss später als die Apologien datiert werden, weil sie dort zitiert werden.13 Hinsichtlich der Adressaten der Werke des Justin gilt es zunächst zu fragen, ob der Dialog mit dem Juden Tryphon an Juden, Heiden oder gar an Christen gerichtet ist. Ein Dialog mit einem Juden gibt Anlass zu behaupten, das Werk sei an Juden adressiert mit dem Ziel, ihnen die „Unzulänglichkeit oder Vorläufigkeit“14 ihrer Gottesverehrung anschaulich zu machen und 5 6 7 8 9 10 11 12 13
14
Vgl. Just., dial. 41,3 (ed. M. Marcovich 138). Vgl. Just., dial. 28,2 (ed. M. Marcovich 114f.). Vgl. Just., dial. 3,1–2 (ed. M. Marcovich 73f.). Vgl. Just., dial. 1,2 (ed. M. Marcovich 69). Vgl. Tat., or. 18,6 (ed. M. Marcovich 38); 19,2 (ed. M. Marcovich 39). Vgl. h. e. 4,16 (ed. E. Schwartz 354–358). Vgl. h. e. 4,18,1–6 (ed. E. Schwartz 364). Vgl. Just., 1 apol. 29 (ed. M. Marcovich 75); zur Person des Munatius Felix vgl. A. Stein, Art. L. Munatius Felix 537f. Vgl. dial. 120,6 (ed. M. Marcovich 278). Zur Quellenfrage und zum Problem des Verhältnisses zwischen der ersten und der zweiten Apologie vgl. N. Hyldahl, Philosophie 13–16; B. Seeberg, Geschichtstheologie Justins 1–22. A. Rudolph, Denn wir sind jenes Volk 42.
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sie zum Christentum hinzulenken. Bis vor kurzer Zeit herrschte die Meinung, bei diesem Dialog ginge es um eine Streitschrift gegen die Juden, die dem jüdischen Leserkreis gewidmet sei.15 Somit diente der Dialog in der modernen Forschung als erste zuverlässige Quelle über rabbinische Anschauungen des 2. Jahrhunderts.16 Jedoch zeigte sich bei genauerer Analyse, dass diese Feststellung viele Fragen ungelöst lässt. Denn das von Justin geschilderte Streitgespräch hätte schwerlich einen Juden dazu bringen können, den von seinen Vorvätern ererbten Glauben aufzugeben, um sich dem Christentum anzuschließen. Dies liegt nicht nur an der heidnisch-griechischen Form der Darstellung oder an der für das Judentum kaum repräsentativen Gestalt des Tryphon, sondern auch an den mangelhaften Kenntnissen der rabbinischen Exegese. So galt z. B. die Verwendung der Septuaginta für die Juden als anstößig, weil der hebräische Urtext den jüdischen Kreisen weitaus angemessener erschien. Für einen gläubigen, schriftkundigen Juden wäre es nicht nötig gewesen, lange Bibelstellen zu zitieren, kurze Hinweise hätten genügt. Hyldahl z. B. sagt Folgendes: „[…] wie ein modernes antikommunistisches Buch nicht beabsichtigt, den Kommunismus auszurotten, sondern die westliche Welt von der Unhaltbarkeit des Kommunismus zu überzeugen, so wendet sich auch Dial. nicht an die Juden […]“.17 Nach Grube stellt der Dialog ein fingiertes Streitgespräch dar, das für Christen gedacht ist, damit sie das Alte Testament besser verstehen können.18 Ohne diese Möglichkeit auszuschließen, vertritt Voss19 die These, dass die Schrift des Justin mit jüdischen Missionsschriften konkurrieren konnte, die vor allem an die Heiden gerichtet sind. In dial. 23,3 gibt es eine Anspielung auf heidnische Adressaten im Text, denn Justin schreibt: „Also will ich dir, Tryphon, und denjenigen, die Proselyten werden wollen, eine göttliche Lehre verkünden, die ich von dem Greise gehört habe.“20 Obwohl es sich in den literarischen Dialogen21 formal um wirkliche Gespräche handelt, sind sie meist reine Fiktion. 22 Vermutlich ist auch der Dialog des Justin fiktiv, hat aber mit großer Wahrscheinlichkeit einen realen Hintergrund in der Auseinandersetzung zwischen Juden und Christen. So kann auch Tryphon, der als literarisches Stilmittel eingesetzt wird, als fingierte Dialogperson gelten. Auf der Grundlage seiner Apologien kann man annehmen, dass Justin bei seinem paganen Lesepublikum für Toleranz gegenüber den Christen werben 15 16 17 18 19 20 21 22
Vgl. N. Hyldahl, Philosophie 17. Vgl. hier und im Folgenden A. Rudolph, Denn wir sind jenes Volk 42f. N. Hyldahl, Philosophie 19. Vgl. K. L. Grube, Darlegung 1. Vgl. B. R. Voss, Dialog 38. Just., dial. 23,3 (ed. M. Marcovich 108). Vgl. A. Hermann, Art. Dialog 929–938. Vgl. A. Rudolph, Denn wir sind jenes Volk 46–50.
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
wollte. So beklagte er sich zehn Jahre nach dem Tode Hadrians (117–138) bei dessen Nachfolger über die gängige Prozesspraxis gegen die Christen zu Trajans Zeit und verwies dabei auf die aus einem Schreiben Hadrians hervorgehende Entscheidung, die ihm christenfreundlich zu sein schien.23 Es handelt sich um das Reskript24 an den Prokonsul Minucius Fundatus um das Jahr 125. Das Hadrian-Reskript könnte wegen einer auf den ersten Blick undeutlichen Formulierung als prochristliches Dokument missverstanden werden, wonach Hadrian, anders als Trajan, die Christen nicht wegen ihres bloßen Namens (nomen ipsum) verurteilte, sondern nur wegen darüber hinausgehender wirklicher Verbrechen, also wegen Verstößen gegen gültige Gesetze. Dies konnte Justin zu apologetischen Zwecken nutzen, um seinen Lesern zu zeigen, dass die Christen durch ein kaiserliches Dokument geschützt waren. Jedoch dürfte Kaiser Antoninus Pius selbst kaum diesem Missverständnis im Sinne eines Toleranzedikts aufgesessen sein. Er war allerdings nur der fiktive Adressat und hat möglicherweise auch nie Justins Apologie gelesen.25 In der Tat richtete sich der Text an ein breites heidnisches, juristisch nicht versiertes Publikum, das den Argumentationsworten des Autors geglaubt haben könnte.26 Das schließt jedoch nicht aus, dass die politische Spitze im Imperium von der Sache der Christen überzeugt werden sollte, indem Justin sich für eine universale Umkehr zum Christentum einsetzte. 2.
Aussageabsicht des Autors
Die geistliche Lage im 2. Jahrhundert wurde von vielfältigen Kulten und Göttermythen beeinflusst, die erst nach der Mailänder Vereinbarung von 313 Schritt für Schritt verdrängt wurden. Nach Wohlleben seien alle Kulte und 23
24 25 26
Vgl. hier und im Folgenden P. Kuhlmann, Religion 188–190; zum Reskript vgl. ebd. 191–195. „[Der Kaiser ist] gegen anonyme Denunziationen von Christen und kollektive Forderungen der Volksmenge. Eine gegen Christen gerichtete Anklage dürfte der Statthalter nur annehmen, wenn der Ankläger persönlich dafür einsteht und beweisen kann, dass sich die Beschuldigten gegen ein Gesetz verfehlt haben. Sollte ein Denunziant seine Anklage nicht beweisen können, dann müsse er – wegen wissentlich falscher Anklage – mit der eigenen Verurteilung rechnen“ – so J. Hofmann, Aspekte 81; vgl. auch H. Holfelder, Euvse,beia 243. Es sei „eine Fälschung“, die von Christen verfasst wurde – so urteilt H. Nesselhauf, Hadrians Reskript 357; 359–361. Zu dem Problem vgl. H. Nesselhauf, Hadrians Reskript 358f.; P. Kuhlmann, Religion 190. Vernünftiges und richtiges Verhalten der Kaiser und Philosophen bezüglich der Christen erschweren oder machen sogar unmöglich die Dämonen, deren Gegnerschaft Justin bewusst ist. Die Dämonen wollen die Kaiser am Lesen und am Verstehen seiner Apologie hindern; vgl. Just., 1 apol. 14 (ed. Marcovich 52f.); vgl. J. Speigl, Diskussion 277–279.
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fremdländische Mythen mehr oder weniger von den Römern geduldet.27 In dem damaligen religiösen Pluralismus und in der Vielfalt von Möglichkeiten der Heilsvermittlung fühlte sich die christliche Kirche gezwungen zu einem konkurrenzhaften Verhalten. Deshalb setzt sich Justin, wie die anderen Apologeten, aktiv mit diesem religiösen Pluralismus auseinander, indem er den christlichen Glauben verteidigt und gleichzeitig das Christentum als eine durch Vernunft begründete Religion empfiehlt. In seinen Schriften will er das Christentum als die wahre Philosophie darstellen. Um dies zu bekräftigen, benutzt Justin souverän die philosophischen und weltanschaulichen Begriffe seiner Zeit. So nutzt er auch platonische und stoische Elemente zur Entfaltung der christlichen Botschaft. Da es in der Kirche genügend Gebildete gibt, die den eigenen Glauben vernünftig begründen und ihren Übertritt zum Christentum rechtfertigen wollen, sieht sich Justin veranlasst, seine Werke zu verfassen, deren Apologie zugleich apologia pro vita sua28 ist. Der Apologet beabsichtigt, mit seiner Adressatenangabe direkten Einfluss auf die kaiserliche Politik zu nehmen sowie Recht und Wahrheit aufeinander zu beziehen.29 Justin hatte Interesse daran, dass seine Werke, die man heutzutage als Denkschriften oder offene Briefe betrachten würde, von möglichst vielen gelesen werden.30 In seiner ersten Apologie wendet er sich an den Kaiser und unterstreicht das gesetzwidrige Vorgehen der Behörden gegen die Christen. Er zerstreut gleichzeitig die Einwände gegen die christliche Religion, bietet Beweisgründe für die Wahrheit des christlichen Glaubens und weist die heidnischen Vorwürfe zurück. Justin bezeichnet den Kaiser als Philosophen, um ihn von der Wahrheit seiner Sache mit rationalen Begründungen und Argumenten zu überzeugen und somit den Prozess des Umdenkens in Gang zu setzen.31 Dabei verwendet er die damals übliche Form des philosophischen Diskurses, in dem unterschiedliche Ansichten einander gegenübergestellt werden, um ein gemeinsames Verständnis zu erreichen. Auf diese Weise, argumentierend und appellierend, spricht der Autor die politischen Machthaber an. In der zweiten Apologie nimmt Justin die Enthauptung dreier Christen zum Anlass, die wahren Gründe der Christenverfolgung zu beschreiben. Der Kaiser soll sich bei der Christenfrage nur der Liebes- und Gerechtigkeitsprinzipien bedienen. Mit dem Dialog schildert Justin wohl die älteste christliche Apologetik gegen das Judentum. Am eigenen Beispiel stellt der Autor seine weltliche Bildung und Bekehrung zum Christentum dar. Er will das Alte Testament für die Christen verständlich darlegen, indem er die Messianität 27 28 29 30 31
Vgl. hier und im Folgenden E. Wohlleben, Kirchen 243f. Zum Pluralismus vgl. J. Speigl, Diskussion 279–283. Zu den Grenzen des Pluralismus vgl. B.III.7. P. Bruns, Andere Religionen 48, Anm. 3. Vgl. H. Holfelder, Euvse,beia 250f.; J. Speigl, Diskussion 275–279. Vgl. P. Bruns, Andere Religionen 51–55. Vgl. H. Holfelder, Euvse,beia 247; 250.
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Jesu und seine Anbetungswürdigkeit als Gottes Sohn hervorhebt und die Kirche als neues und wahres Israel darstellt. Die Absicht des Justin wird in 1 apol. 3,432 folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Unsere Aufgabe ist es also, allen in unser Leben und in unsere Lehren Einblick zu verschaffen, damit wir nicht für solche, die erfahrungsgemäß mit unseren Verhältnissen nicht vertraut sind und aus Unwissenheit fehlen, Schuld auf uns selbst laden; eure Sache aber ist es, uns, wie die Vernunft es fordert, anzuhören und euch als gerechte Richter zu erweisen.“33 3.
Das Bild von den Christen. Verteidigungspunkte
3.1
Das richtige Verständnis des nomen christianum
Zu Trajans Zeit war das öffentliche Bekenntnis zum Christentum bzw. das nomen ipsum strafbar. Die Unterscheidung zwischen bloßem Christsein und „wirklichem Verbrechen“ der Christen ist das Leitthema nicht nur für christliche apologetische Literatur zu Justins und Eusebius’ Zeit, sondern auch für die moderne Forschung, da die Deutung des Reskripts Hadrians missverstanden wird, indem man sagt, der Kaiser habe die Strafbarkeit des nomen ipsum aufgehoben. Im Grunde genommen ging es Justin um die Rehabilitierung des nomen christianum. Das gesetzwidrige Verhalten, worüber das HadrianReskript spricht, bezog sich nicht etwa, wie es Justin interpretierte, auf Vergehen wie z. B. Mord oder Ehebruch, sondern vielmehr auf Verstöße gegen die vorangegangenen Christen-Erlasse der römischen Kaiser. Wie Justin argumentiert, geht aus einigen Abschnitten hervor: „Eine Namensbezeichnung ist weder ein gutes noch ein schlechtes Kriterium, wenn man von den dem Namen zugrunde liegenden Handlungen absieht. […] Denn aus dem Namen kann vernünftigerweise weder Lob noch Strafe erwachsen, sofern nicht aus den Werken etwas Tugendhaftes oder Schlechtes erwiesen werden kann. Alle, die vor euch angeklagt sind, bestraft ihr nicht, ehe ihre Schuld erwiesen ist. Bei uns aber nehmt ihr schon den Namen als Schuldbeweis an, obgleich ihr, soweit ihr nach unserem Namen urteilt, vielmehr unsere Ankläger bestrafen müsstet. Denn wir werden angeklagt, Christen zu sein […] Und wiederum, wenn einer der Angeklagten zum Leugner wird und einfach erklärt, er sei es nicht, so lasst ihr ihn gehen, als hättet ihr ihm keine Verschuldung vorzuwerfen. Wenn aber jemand bekennt, es zu sein, dann straft ihr ihn wegen seines 32 33
Just., 1 apol. 3,4 (ed. M. Marcovich 35). Dieses und die folgenden Zitate sind selbständige Übersetzungen des Verfassers unter Verwendung der Übersetzung von G. Rauschen in BKV 12.
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Bekenntnisses. Es wäre aber eure Pflicht, sowohl die Lebensweise des Bekennenden als auch die des Leugnenden zu prüfen, damit sich Schuld oder Unschuld aus ihren Taten ergebe.“34 3.2
Politisch verlässliche Staatsbürger
Die Christen standen unter dem Verdacht, politisch unzuverlässige Bürger zu sein. Justin widerspricht und erklärt, dass bei der Verkündigung des Reiches gar kein irdisches gemeint ist. Wenn die Anhänger Christi ein neues irdisches Reich erwartet hätten, wären sie problemlos bereit gewesen, ihr Christsein zu leugnen, um am Leben bleiben zu können. Sie haben jedoch keine Furcht vor dem Tod, da ihre Hoffnung nicht in der Gegenwart liegt. 35 Mit den Argumenten zur Verteidigung der Christen führt Justin zugleich eine Empfehlung an, indem er diese als die idealen Staatsbürger bezeichnet, da sie mit Blick auf das göttliche Gericht nur das Rechte tun. Wenn dieses Rechte aber nicht erkannt wird, liegt die Schuld nicht bei den Christen, sondern bei den Herrschern, die unter dem Einfluss böser Dämonen verblendet sind. Seine Empfehlung besteht auch darin, dass Justin die Christenheit als beste Stütze für den kaiserlichen Thron darstellt. Die Herrscher, die sich um Wahrheit und Philosophie bemühen, sollten dies erkennen. „Ihr habt aber von allen Menschen keine besseren Helfer und Verbündeten zum Frieden als uns. […] Wir beten zwar nur Gott allein an, aber in allen übrigen Stücken leisten wir euch freudigen Gehorsam, indem wir euch als Kaiser und Herrscher der Menschen anerkennen. Wir beten auch, dass ihr stets eure Kaiserherrschaft behaltet sowie vernunftmäßige Einsicht euer Eigen nennt.“36 Schließlich bringt Justin das von der Apologie des Sokrates entnommene Thema über die unrecht Handelnden, die sich mit diesem Handeln selbst schaden. Der Apologet droht mit der Strafe im ewigen Feuer, 37 weil sich die den Christen Unrecht tuenden Herrscher einmal vor Gott verantworten müssen. So sagt er: „Wir sind sogar fest davon überzeugt, dass jeder Mensch gemäß seinen Taten im ewigen Feuer seine Strafe erhalten wird, indem er entsprechend zu den ihm von Gott verliehenen Gaben zur Rechenschaft gezogen wird.“38 34 35 36 37 38
Just., 1 apol. 4,1–5 (ed. M. Marcovich 36). Vgl. 1 apol. 11 (ed. M. Marcovich 47). Just., 1 apol. 12,1 (ed. M. Marcovich 48); 17,3 (ed. M. Marcovich 58). Vgl. H. Holfelder, Euvse,beia 60f.; Th. Baumeister, Martyrium 635. Just., 1 apol. 17,4 (ed. M. Marcovich 58).
90
3.3
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Die Christen seien keine Zauberer
Der Apologet legt die christliche Lehre ausführlich dar, damit die Christen bei den Römern nicht mehr als schuldig gelten. Die Außenstehenden bildeten nämlich ihr Urteil über die Anhänger Christi auf der Grundlage von zahlreichen Gerüchten und Vorwürfen. Unterdessen gab es auch philosophische Kritik an den fremden und verdächtig anmutenden Glaubensinhalten. Justin weiß von den Konsequenzen der Bekehrung zum Christentum. „Denn sie [Dämonen] bemühen sich, euch als Sklaven und Diener zu haben, und mal durch Traumerscheinungen, mal durch Zauberränke machen sie sich alle untertänig, die in keiner Weise auf ihr Seelenheil bedacht sind. […] Wir [Christen] gaben uns früher mit Zauberkünsten ab, jetzt aber haben wir uns dem guten und ungezeugten Gott geweiht.“ 39 Justin kritisiert die heidnischen Praktiken: „Totenbefragungen, Beschauung der Eingeweide unschuldiger Kinder, Heraufbeschwörung menschlicher Geister, was die Zauberer Traumsender und Helfer“40 nennen. Das Thema Zauberei war für Justin von Bedeutung, 41 weil er diesbezüglich über einen gewissen Samaritaner Simon aus dem Landstrich Gittä zu berichten weiß. Dieser trat zur Zeit des Kaisers Claudius in Rom als Zauberer auf, wurde aufgrund der von ihm vollbrachten Zaubereien für einen Gott gehalten und wie ein Gott durch eine Bildsäule geehrt. Simon42 hatte einen Schüler, der auch von Samaria abstammte. Von den Dämonen beeinflusst begeisterte dieser durch seine Zauberei viele Menschen in Antiochien. Der Autor ist bemüht, durch Argumente zu zeigen, dass diese Gruppe, die man auch als Christen bezeichnet, keine wirklichen Christen sind, sondern Anhänger Simon des Zauberers. Es gibt „auch diejenigen unter den Philosophen, die keine gemeinsamen Lehrsätze haben, sich aber gleichermaßen als Philosophen bezeichnen“43 – so argumentiert Justin, um das Christentum von jeder Zauberei fernzuhalten. Es verbreitete sich möglicherweise die Meinung, die Christen seien Zauberer, weil ihre Führer durch ihre Worte und Handlungen viele Wunder bewirken konnten. Des Weiteren widerspricht Justin, wie in 1 apol. 30,144 nachzulesen ist, dem Vorwurf, dass „der sogenannte Christus 39 40 41 42
43 44
Just., 1 apol. 14,1–2 (ed. M. Marcovich 52). Just., 1 apol. 18,3 (ed. M. Marcovich 59). Vgl. Just., 1 apol. 18,3 (ed. M. Marcovich 69–71). Auffällig ist, dass bei Lukas in Apg 8,9–13 auch ein gewisser Simon aus Samaria vorkommt, der Zauberei trieb und viele verwirrte. Justin bringt Begriffe über das Orakel des Amphilochus und das von Dodona und von Python zur Sprache, für Lukas aber ist Python ein Wahrsagegeist (mit Dämonen verbunden); vgl. Apg 16,16. Just., 1 apol. 26,6 (ed. M. Marcovich 71). Just., 1 apol. 30,1 (ed. M. Marcovich 76).
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als Mensch ebenso wie andere Menschen Wundertaten durch Zauberei vollbrachte. […] und man deswegen geglaubt habe, er sei Gottes Sohn“ 45. Dabei stützt er sich nicht auf die Apostel und die Lehrer der Kirche, sondern auf die Vorhersagen derer, die ihn vor seiner Menschwerdung prophezeit haben, und auf die sichtbare Erfüllung dieser Prophezeiung. 46 Diese Beweisführung empfiehlt Justin auch seinen Lesern als sicher und richtig. Es herrschte außerdem die Meinung, dass Christus ein Sophist gewesen sei. Justin widerspricht diesem, denn Jesu Aussprüche waren nicht nur „kurz und bündig […], sondern sein Wort war Gotteskraft“47 im Gegensatz zu den Worten der Sophisten, die ihre Tätigkeit mit viel Wortgepränge begleiteten und schmückten. 3.4
Die Christen glauben an den einen Gott
Des Weiteren verteidigt Justin die Christen vor der falschen Meinung der Außenstehenden, die behaupten, Christen seien Atheisten48, weil sie keine heidnischen Götter verehren. Dabei wird erkennbar, dass der Autor sich einerseits rechtfertigen will, andererseits aber bewusst zum Gegenangriff übergeht, indem er die heidnischen Götter als Dämonen bezeichnet 49 und die Verehrung toter Götterbilder als Götzendienst verurteilt, weil dadurch der wahre Gott verhöhnt wird. In 1 apol. 9,1–2.550 beschreibt dies Justin wie folgt: „Aber wir [Christen] ehren auch nicht mit vielerlei Opfern und Blumengewinden die, welche von Menschen hergestellt, in Tempeln aufgestellt und Götter genannt wurden. [...] Wie unsinnig zu glauben, dass zügellose Menschen Götter zur Anbetung herstellen und für die Tempel, in denen sie aufgestellt werden, solche Menschen als Wächter anstellen und dass man nicht den Frevel erkennt zu denken oder zu sagen, Menschen seien der Götter Hüter!“51 Aus diesem Text kann man ersehen, dass der Apologet viel Wert legt auf die Widerlegung des Vorwurfs gegen die Christen. Es ist ihm auch von Bedeu45 46 47 48 49 50 51
Vgl. dazu Just., 2 apol. 6 (ed. M. Marcovich 145). Vgl. H. Holfelder, Euvse,beia 241f. Just., 1 apol. 14,5 (ed. M. Marcovich 53). Vgl. Just., 1 apol. 1–29 (ed. M. Marcovich 31–75); am besten 1 apol. 6 (ed. M. Marcovich 40). Just., 1 apol. 5,4 (ed. M. Marcovich 39): „die Geister [sind] nicht nur keine richtigen Gottheiten, sondern böse und ruchlose Dämonen“. Just., 1 apol. 9,1–2.5 (ed. M. Marcovich 43f.). Ähnlich wie Lukas in Apg 19,23–40, wo ebenfalls gegen die heidnischen Götter polemisiert wird. Apg 19,35 berichtet, dass die Stadt Ephesus Tempelhüterin der großen Artemis ist.
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tung, die heidnischen Mythen als unmoralische Göttererzählungen zu kritisieren.52 Justin bedient sich bei seiner Ablehnung der philosophischen Religionskritik, die mit der Dämonenvorstellung verbunden werden kann. Er betont, dass die Christen sich bewusst den falschen Götzen und Dämonen verweigern, weil sie sich nur zu dem einen wahren Gott, dem Vater aller Tugenden, bekennen.53 Dementsprechend dürfen die Christen nicht als Atheisten angeklagt werden. Um sich von der heidnischen Götterwelt abzugrenzen, entwickelt Justin seinen eigenen Gottesbegriff in Anknüpfung an die platonische Metaphysik. Der eine ewige Gott kann nicht gezeugt und den Leidenschaften unterworfen sein, wie es in der heidnischen Göttervorstellung angenommen wurde.54 Den Monotheismus der Christen erklärt Justin auf der Basis der platonischen Philosophie, indem er den Gott der Philosophen und den Gott der biblischen Offenbarung zusammenzudenken versucht. Eine Brücke zwischen dem christlichen Glauben und der Philosophie sieht er in der Vorstellung vom lo,goj spermatiko,j. Mit diesem von der stoischen Philosophie entlehnten Begriff deutet Justin die Präexistenz- und Präsenzaussagen über Christus. Für Justin ist Christus der göttliche Logos. Dieser wohnte zunächst als Kraft in Gott, dann aber ging er kurz vor der Schöpfung als Person hervor.55 Laut Justin ist der Logos dem Vater untergeordnet und dient ihm als Werkzeug bei der Erschaffung der Welt. 56 Bei der Schöpfung pflanzte der lo,goj spermatiko,j den Samen der Wahrheit in die menschliche Vernunft ein, aufgrund dessen alle Menschen Keime der Wahrheit Gottes in sich haben. Dementsprechend ist Gott zu keiner Zeit der Menschheit unbekannt geblieben, aber die wahre Erkenntnis und das Schauen des Logos in Fülle sind erst in Jesus Christus Wirklichkeit geworden. 57 Für den Autor gibt es zwei Möglichkeiten, den Logos erkannt zu haben: die erste bei den Propheten des Alten Testaments, die zweite in der griechischen Philosophie, die über die Wirksamkeit des Logos in der menschlichen Vernunft spricht. Alles Gute und Wahre, was bei den Philosophen zu finden ist, wird von Justin auf Christus bezogen: „Denn was auch immer die Denker und Gesetzgeber jemals Treffliches gesagt und gefunden haben, das ist von ihnen nach dem Anteil des Logos, der ihnen zuteilgeworden war, durch Forschen und Nachdenken mit Mühe erarbeitet worden.“58 52 53 54 55 56 57 58
Vgl. Just., 1 apol. 54 (ed. M. Marcovich 108f.); 64 (ed. M. Marcovich 124). Vgl. Just., 1 apol. 6 (ed. M. Marcovich 40). Vgl. Just., 1 apol. 25 (ed. M. Marcovich 68). Vgl. Just., 2 apol. 6,1–3 (ed. M. Marcovich 145). Vgl. Just., 2 apol. 6,3 (ed. M. Marcovich 145). Vgl. Just., 2 apol. 8 (ed. M. Marcovich 149). Just., 2 apol. 10,2 (ed. M. Marcovich 151).
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Des Weiteren erhebt Justin das Christentum über die Philosophie, denn ihre Wahrheit ist nur ein Teil der Wahrheit Christi. Die Christen nämlich beten an und lieben den Logos, der vom Gott ausgegangen ist. 59 Davon ausgehend wird das Christentum als Erfüllung und Überbietung des philosophischen Monotheismus verstanden. Bei weiteren Ausführungen kommt Justin auf einige griechische Philosophen zu sprechen, die ebenso wie Abraham und Elija als Christen bezeichnet werden. „Die, welche aus der Vernunft gelebt haben, waren Christen, wenn sie auch für gottlos gehalten wurden, wie bei den Griechen Sokrates, Heraklit und andere, unter den Nichtgriechen Abraham, Ananias, Azarias, Mischaël und Elias und viele andere.“60 Sokrates, der Justin als Beispiel des „christlichen“ Philosophen dient, forderte die Athener auf, den unbekannten Gott 61 zu suchen. Er ist wie Christus für seine Lehre hingerichtet worden.62 Im Gegensatz zu den Stoikern ist der Logos für Justin kein abstraktes Weltprinzip, sondern realer Mensch in Jesus Christus geworden, durch dessen Offenbarung man zu klarer und eindeutiger Erkenntnis gelangen kann.63 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Justin den Vorwurf von heidnischer Seite, die Christen seien gottlos, 64 dadurch entkräftet, dass er den Glauben an den einen Gott sowohl aus dem Alten Testament als auch aus der Philosophie heraus rechtfertigt. 3.5
Eucharistieerklärung65
Offensichtig war es für Justin von großer Bedeutung, die Eucharistie der christlichen Gemeinden richtig zu erklären, damit die Außenstehenden nicht etwa den Gerüchten66 folgen und urteilen, ohne das wahre Verständnis zu haben. Angefangen von der Tauffeier erzählt der Autor den Ablauf bei den Zusammenkünften der Christen. Er hat vermutlich die damals umlaufenden Vorwürfe gegen die Anhänger Christi vor Augen und will sie widerlegen. 59 60 61 62 63 64 65 66
Just., 2 apol. 13,4 (ed. M. Marcovich 157). Just., 1 apol. 46,3 (ed. M. Marcovich 97). Auffällig ist dieser Ausdruck in der Areopagrede des lukanischen Paulus in Apg 17,23. Vgl. Just., 1 apol. 5 (ed. M. Marcovich 38f.); 2 apol. 10 (ed. M. Marcovich 151f.). Lukas zieht z. B. auch Parallelen zwischen Sokrates und Paulus in Apg 17,16–34. Vgl. Just., 2 apol. 10 (ed. M. Marcovich 151f.). Vgl. J. Speigl, Diskussion 283–285. Vgl. Thema Eucharistie in Just., 1 apol. 65f. (ed. M. Marcovich 125–128). Die Schandtaten, zügellose Ausschweifungen und das Verzehren von Menschenfleisch in 1 apol. 26 (ed. M. Marcovich 69–71) beziehen sich auf die Häretiker. Das Problem ist nur, dass die Heiden zwischen denen und wahren Christen nicht zu unterscheiden vermochten.
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Die Getauften nennt er Brüder, weil derjenige, „der gläubig wurde und bei uns aufgenommen wurde“67, sich der Gemeinschaft der Gläubigen anschloss. Das Bad, in dem die Täuflinge durch Untertauchen getauft wurden, die Gebete, die Begrüßung durch einen Kuss und schließlich das Verzehren von Fleisch und Blut dürften von der damaligen Gesellschaft falsch verstanden worden sein. Deshalb erklärt Justin den wirklichen Sachverhalt. „Darauf werden dem Vorsteher der Brüder Brot und ein Becher mit Wasser und Wein gebracht; dieser nimmt es, sendet Lob und Preis dem Vater des Alls durch den Namen des Sohnes und des Heiligen Geistes empor und spricht eine lange Danksagung dafür, dass wir dieser Gaben von ihm gewürdigt worden sind.“68 Bemerkenswert ist das Faktum, dass Justin in diesen Sätzen die Worte „Fleisch“ und „Blut“ vermeidet und stattdessen „von dem verdankten Brot, Wein und Wasser (euvcaristhqe,ntoj a;rtou kai. oi;nou kai. u[datoj)“69, die unter den Anwesenden verteilt werden, spricht. Diese verdankten Gaben werden auch von Diakonen den abwesenden Christen, die etwa krankheitsbedingt verhindert waren, gebracht. Der Apologet erklärt auch den Sinn all dieser Gebete, die nichts anderes sind als Danksagungen, verbunden mit der Antwort „Amen“, was im Hebräischen „Es geschehe!“ bedeutet. Möglicherweise interpretierten die Heiden diese für sie unverständlichen Gebete und Akklamationen während des christlichen Gottesdienstes als eine Art von magischem Sprechen, wie etwa Flüche. Justin erklärt auch den Lesern das Wesen der Eucharistie. Es gibt zwei Bedingungen, um daran teilzunehmen: Zunächst muss die christliche Lehre und deren Wahrheit angenommen werden, dann folgt die Taufe als Nachlass der begangenen Sünden, die zugleich Wiedergeburt ist. Was die Eucharistie angeht, unterweist Justin in 1 apol. 66,270 wie folgt: „Denn nicht wie gewöhnliches Brot oder gewöhnlichen Trank genießen wir diese Gaben. [...] So wird nach unserer Lehre durch das Gebet […] die unter Danksagung geweihte Speise zum Fleisch und Blut dieses Jesus, um so unser Fleisch und Blut umzuwandeln und zu nähren.“ Dabei meint Justin natürlich nicht, dass die Christen bei der Eucharistie Fleisch und Blut Christi im wörtlichen Sinn zu sich nehmen. Wie er sagt, wird „unser Fleisch und Blut“ mit der geweihten Speise umgewandelt und 67 68 69 70
Just., 1 apol. 65,1 (ed. M. Marcovich 125). Dass sich die Christen als Brüder bezeichneten, begegnet uns auch bei Min. Fel., Oct. 9,2 (ed. B. Kytzler 7). Just., 1 apol. 65,3 (ed. M. Marcovich 126). Just., 1 apol. 65,5 (ed. M. Marcovich 126). Just., 1 apol. 66,2 (ed. M. Marcovich 127). Dieser Abschitt ist nach J. Hofmann, Aspekte 272 übersetzt.
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genährt. Das kann nur bedeuten, dass der gläubige Christ bei der Eucharistie Fleisch und Blut Christi in umgewandelter geistiger Form zu sich nimmt und dadurch umgewandelt, also im Glauben gestärkt wird. Mit dem Einsetzungsbericht kommt Justin auf die Evangelien zurück, wo er den AnamnesisBefehl71 Christi stark betont, indem er ihn an den Anfang der Einsetzungsworte stellt. Damit wird für die Leser besser verständlich, warum die Christen regelmäßig den Eucharistiegottesdienst feiern. Außerdem wurden nach Justin die von den Aposteln überlieferten Einsetzungsworte Jesu bzw. dieser Brauch von den bösen Dämonen in den Mithrasmysterien nachgeahmt. Justin teilt seinen Lesern mit, dass nur (mo,noj) die Apostel kommuniziert haben. Er will damit vermutlich darauf hinweisen, dass in der christlichen Gemeinde nur diejenigen an der Eucharistie teilnehmen dürfen, welche die drei oben beschriebenen Bedingungen erfüllen. Nur so gehören sie zur Gemeinschaft der Christen, ähnlich wie die Apostel Gemeinschaft mit Christus hatten. 3.6
Das Christentum ist keine neue Religion
In einigen Kapiteln seiner Apologie72 betont Justin intensiv das Judentum, wobei er besonders hervorhebt, dass es der Mutterboden des Christentums ist. Dabei spielen philosophische Überlegungen eine untergeordnete Rolle. Hingegen argumentiert Justin hier überwiegend auf Basis der alttestamentlichen Überlieferungen. Er interpretiert den Neuen Bund aus Sicht des Alten und verweist auf ihre gemeinsamen Wurzeln. Diese Strategie erkennt man besonders gut im Dialog mit dem Juden Tryphon.73 Justin interpretiert hier seitenlang Schriftstellen des Alten Testaments, nach denen Jesus Christus folgerichtig als die Erfüllung der dort niedergelegten Verheißungen gelten muss. 74 Der Grund für die außerordentliche Betonung dieses Zusammenhangs lag vermutlich darin, dass das Christentum als eine neue Religion betrachtet wurde, wogegen das Judentum ein hohes Alter und eine jahrhundertelange Tradition aufweisen konnte. Die Neuheit und vermutete Traditionslosigkeit machte das Christentum in der damaligen Gesellschaft zu einer ungeschützten Religion.75 Vor diesem Hintergrund kann man gut verstehen, dass viele zeitgenössische christliche Publikationen einerseits die jüdischen Wurzeln der Christen und andererseits gleichzeitig das hohe Alter des Judentums betonten. So sollte der Kritik an der Neuheit der christlichen Lehre begegnet 71 72 73 74 75
Dieses Motiv kommt nur bei Lukas in Lk 22,19 vor. Am besten in Just., 1 apol. 31–46 (ed. M. Marcovich 76–97); 48 (ed. M. Marcovich, 99); 50–53 (ed. M. Marcovich 101–107); 59 (ed. M. Marcovich 115). Vgl. Just., dial. 43–118 (ed. M. Marcovich 140–274). Vgl. Just., 1 apol. 52 (ed. M. Marcovich 104f.). Vgl. J. Walsh, Christenfrage 36; E. Wohlleben, Kirchen 247.
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
werden. Der folgende Text bei Justin zeigt diesen Aspekt der apologetischen Argumentation besonders deutlich: „Denn Mose ist älter als Platon und alle griechischen Schriftsteller. Und alles, was Philosophen und Dichter über die Unsterblichkeit der Seele, über die Strafen nach dem Tode, über die Betrachtung der himmlischen Dinge oder über ähnliche Lehren gesagt haben, das haben sie nur auf Grund der von den Propheten empfangenen Aussagen erfassen können und weiter ausgeführt.“76 Die Hauptperson der Prophezeiungen ist Jesus Christus, der göttliche Logos und Gründer der „Neuen Lehre“. Manches weist darauf hin, dass Justin sich im Rahmen seiner Beweisführung auch auf eine noch junge christliche Tradition beruft.77 So berichtet er beispielsweise, dass dieser Christus bereits etwa 2000 Jahre früher aus dem Dornbusch heraus Mose befohlen hatte, die Israeliten aus Ägypten ins gelobte Land zu führen. 78 Gleichzeitig will Justin den Juden beweisen, dass Christus Gottes Sohn und von Anfang her (pro,teron) sein Logos ist, der sich im Dornbusch als Feuer, später dann nur noch körperlos zu erkennen gab.79 Erst um die Zeitenwende wurde der Logos, Jesus Christus, nach dem Willen Gottes, seines Vaters, als Mensch geboren, um die Sünden der Welt auf sich zu nehmen und die Schöpfung zu erlösen. Gott hat, so Justin, durch sein Wort im Pentateuch sowie durch Propheten wie Mose, Jesaja, David, Micha, Jeremia, Daniel, Ezechiel, Sacharja, Zefanja und auch in den Texten der Psalmen auf das Kommen seines Sohnes hingewiesen und hat ihn für sein Wirken auf der Erde legitimiert. Justin weist auch darauf hin, dass das Wunder der Menschwerdung Jesu, sein Wirken auf Erden, sein freiwilliges Leiden, sein Tod, das Wunder seiner Auferweckung und seine Rückkehr zum Vater, die Himmelfahrt Christi, nichts Neues (kaino,n) darstellten. Ähnliches wurde schließlich schon vorher auch in Bezug auf die Söhne des Zeus berichtet. Im Gegensatz zu Christus haben sich diese jedoch in vielfacher Hinsicht unwürdig verhalten. 80 Deshalb bleibt ihnen der christlichen Lehre entsprechend die Unsterblichkeit versagt. Unsterblichkeit kann nur derjenige erlangen, der sich stets bemüht, mit einem tugendhaften Leben die Nähe Gottes zu suchen und in ihr zu bleiben. Mit einem parallelen Blick auf die Schriften Platons und das Alte Testament weist Justin auf einen interessanten Zusammenhang hin: Bei Platon werde das zweite göttliche Prinzip, der Sohn Gottes, als ein im All liegendes 76 77 78 79 80
Just., 1 apol. 44,8f. (ed. M. Marcovich 94f.). Vgl. J. Speigl, Diskussion 290f. Vgl. Just., 1 apol. 62 (ed. M. Marcovich 120). Vgl. Just., 1 apol. 63 (ed. M. Marcovich 121–123). Vgl. Just., 1 apol. 21 (ed. M. Marcovich 63f.).
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„X“ dargestellt. Justin sieht hierin eine Analogie zu Num 21,4–9 im Alten Testament. Dort hat Mose eine Schlange aus Kupfer an eine Art Kreuz gehängt. Das Anblicken dieses Zeichens rettete die Israeliten vor dem Sterben durch Schlangenbiss. Offenbar vollzieht Justin hier eine Typologisierung zwischen dem platonischen „Chi“ oder X, dem „Rettungs-Zeichen“ für die Israeliten in Num 21, und dem gekreuzigten Jesus Christus, der ebenfalls die Rettung bringt. Folgt man Justin, so hat Platon die Bedeutung des „X“ von Moses übernommen.81 Weiter betont Justin, dass Platon, obwohl er das Mysterium des Kreuzes Christi nicht verstanden habe, dennoch, wenn auch unbewusst, in seiner Lehre auf Christus hindeutet. In Bezug auf die mythologischen Geschichten von den Söhnen des Zeus ist Justin davon überzeugt, dass diese von Dämonen in die Welt gesetzt wurden, damit die Menschen die Nachrichten über Christus ähnlich deuten und so ihre Glaubwürdigkeit bezweifeln würden.82 Das Alte Testament und die dort zu findenden Prophezeiungen über Christus waren, so Justin, eine Quelle für die Dämonen, um die Mysterien Christi vorweg nachzuäffen. So seien die Göttermythen dem Christusmysterium nur deswegen ähnlich, weil die Dämonen die Mythen durch die Dichter vorweggenommen und als wahre Geschehnisse ausgegeben hätten.83 In der griechischen Philosophie ist allerdings in Bezug auf die ZeusSöhne kein Hinweis auf eine Kreuzigung zu finden, sondern nur in Bezug auf Christus.84 Diesen Umstand könnte man nach Justin als Flüchtigkeitsfehler der Dämonen interpretieren. Die bösen Geister hätten nämlich übersehen, Kreuzigung in die Mythen aufzunehmen. So sind nach Justin die Entstehung der griechischen Mythen und ihre Ähnlichkeit mit den christlichen Erzählungen zu verstehen. Nichtsdestoweniger wurden die Mythen, gerade aufgrund dieser Ähnlichkeit, ungeachtet dessen, dass sie die Christuswahrheit in Frage stellten, zu einer indirekten Bestätigung für genau diese. Diese Wahrheit erweist sich in vielfacher Hinsicht als logisch plausibel und authentisch. Ihre Wirkkraft erwächst insbesondere aus ihrem im Vergleich zu anderen Schriften hohen Alter und der langen Tradition.85 Darüber hinaus ist ein Vergleich von Jesus Christus mit den Zeus-Söhnen ohnehin nicht möglich, da letztere sich durch unwürdiges Verhalten selbst erniedrigt haben. 86 Justin hat somit zwei Argumentationsstränge für seine Apologie gegen die Angriffe der Heiden: Als Erstes kann er auf die Erfüllung der Prophezeiungen in den heidnischen Mythen hinweisen (die ja nach seiner Überzeugung 81 82 83 84 85 86
Vgl. Just., 1 apol. 60 (ed. M. Marcovich 116f.). Vgl. hier und im Folgenden Just., 1 apol. 54 (ed. M. Marcovich 108). Vgl. Just., 1 apol. 23 (ed. M. Marcovich 66). Vgl. hier und im Folgenden Just., 1 apol. 54f. (ed. M. Marcovich 108–111). Vgl. Just., 1 apol. 23 (ed. M. Marcovich 66). Vgl. Just., 1 apol. 21f. (ed. M. Marcovich 63–65).
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
wenigstens teilweise auf Basis des Alten Testaments entstanden sind). Zweitens ist die wunderbare Verwirklichung der alttestamentlichen Vorhersage von der Menschwerdung des Logos, des Sohnes Gottes, ein nicht zu widerlegender Beweis für die Wahrheit der christlichen Lehre. All diese Weissagungen sind ursprünglich nur in den Schriften des Judentums und des daraus erwachsenen Christentums zu finden. Sie sind Garant für die Wahrheit der christlichen Lehre. Christen sind somit Zeugen für die Echtheit und Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Schriften. Die Mythen in der heidnischen Denkwelt sind natürlich für Christen kein glaubhaftes Zeugnis für die Verlässlichkeit der biblischen Prophezeiungen. 87 Die Weissagungen im Alten Testament dagegen weisen deutlich auf das Kommen Christi zu den Menschen hin. Er, der Logos Gottes, zeigt sich selbst zusammen mit seiner Lehre als Verwirklichung dieser Prophezeiungen. Er verkündet die frohe Botschaft der Rettung und wird Lehrer all derer, die sich zu ihm bekennen. Seine ersten Nachfolger, die Apostel, führte er ein in das „Verständnis der Prophezeiungen, in denen […] alles als zukünftig vorhergesagt war“88, damit diese in allen Nationen das Evangelium verkündeten. Hierin zeigt sich nach Justin das eigentliche Ziel der christlichen Lehre. Sie ist eben keine neue Religion, sondern sie soll das seit Urzeiten vorhandene reine und unverfälschte Wort Gottes weltumspannend verkünden. Das Christentum soll somit universal sein, eine Heimat für alle Menschen. 89 Diese Argumentation von Justin lässt sich auch aus seiner Aussage über „alle Volksstämme der Menschen“ erschließen90, die, ermuntert durch die Predigt der Apostel, ihre alten Bräuche verließen. Zudem berichtet der Apologet hier über viele ehemalige Heiden, Juden oder Samariter, die überzeugte Christen wurden. 91 Justin verteidigt das Christentum also im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Erstens verweist er darauf, dass es sich dabei um eine alte Religion handelt, deren Auftauchen vor langer Zeit von den alttestamentlichen Propheten vorhergesagt wurde. Prophezeiungen dieser Propheten haben sich teilweise bereits verwirklicht, was er als einen klaren Beweis für deren göttliche Herkunft nutzen kann. Zweitens ist er bemüht, die christliche Lehre als wahre 87
88 89 90 91
Vermutlich ist aber Lukas bei der Geburtsgeschichte Jesu schon an dieser Thematik interessiert, da man bei ihm einige Ähnlichkeiten zwischen dem Mythos von der Geburt des Kaisers Augustus und Christi Geburt erkennt. Möglicherweise wollte Lukas zeigen, dass mit der Geburt Jesu alle Mythen relativiert werden, um Christus als überlegen und größer darzustellen. Just., 1 apol. 50,12 (ed. M. Marcovich 102). Das gleiche Motiv erkennt man bei Lk 24,44–49. Vgl. J. Speigl, Diskussion 306, der bemerkt, dass hier das paulinische Verständnis über die Universalität der Kirche zur Sprache kommt. Vgl. Just., 1 apol. 53,3 (ed. M. Marcovich 106). Interessant ist das Faktum der dreigliedrigen Nennung Juden, Samariter und Heiden auch bei Lukas in Apg 1,8.
I. Justin
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Philosophie aufzuzeigen, um somit die universelle Wahrheit und Gültigkeit dieser Religion für alle Menschen zu begründen. 3.7
Das christliche Martyriumsverständnis
Die Furchtlosigkeit der Christen vor dem Tod brachte selbst Justin zum Nachdenken, was ihm auch zum Anstoß wurde, sich dem Christentum anzuschließen. Das Thema „Martyrium“ ist für ihn von so großer Bedeutung, dass es zu den zentralen Inhalten seiner apologetischen Schriften wird. 92 Das vorbildliche Verhalten der Christen im Angesicht des Todes beeindruckte Justin sehr, was später zu seinem eigenen Martyrium führte. Er vergleicht die Todesbereitschaft der Christen mit einem Weinstock, der nur neue Triebe hervorbringen kann, wenn er beschnitten wird. 93 Nachdem Justin erfasst hat, wofür die Christen sterben, ist er bemüht, der Umwelt den Grund für diese Todesbereitschaft auf dem Weg der Vernunft darzulegen. Die Christen gehen in den Tod, weil sie Christus nicht verleugnen wollen und nur an den einen lebendigen Gott glauben. Christus ist für sie der Logos und die Wahrheit. Die Weisen schätzen nichts höher als die Wahrheit, und weder äußere Lebensumstände noch die Meinungen anderer können sie von ihr abhalten. Sie sind davon überzeugt, dass es besser ist zu sterben, als der Wahrheit untreu zu werden. Sie haben keine Angst vor dem Sterben, weil ihr Leben von Bekenntnis und Ausübung des Rechten erfüllt ist. 94 Weil sie in dieser Überzeugung leben, kann ihnen niemand ein wirkliches Übel zufügen, auch wenn sie selbst, als Übeltäter bezeichnet, dem Tod ausgeliefert werden. Denn das irdische Leben zu verlieren, ist für sie ein weitaus geringerer Schaden als der Verlust des ewigen Lebens. Die Grundlage für diese Haltung ist – und so sieht es auch Justin95 – die christliche Jenseitshoffnung auf die Auferstehung. 92 93
94 95
Vgl. Ch. Butterweck, Martyriumssucht 36f.; Th. Baumeister, Martyrium 631–634. Vgl. dial. 110,4 (ed. M. Marcovich 259): „Und dass es niemanden gibt, der uns erschreckt und knechtet, die wir über die ganze Erde hin zum Glauben an Jesus gekommen sind, ist augenscheinlich. Wenn uns nämlich der Kopf abgeschnitten wird und wir gekreuzigt werden und wilden Tieren, Kerker, Feuer und all den anderen Martern ausgeliefert werden, ist offenbar, dass wir nicht des Bekenntnisses abtrünnig werden; sondern wie [sehr] sich etwas Derartiges ereignet, desto eher werden andere Gläubige und Gottesfürchtige mehr durch den Namen Jesu geboren. Auf welche Weise, wenn von einem Weinstock einer die Frucht tragenden Teile herausschneidet, er, um neu zu sprossen, andere sowohl blühende als auch fruchtbare Zweige hervorbringt, auf dieselbe Weise geschieht es auch bei uns; der von Gott angepflanzte Weinstock nämlich und vom Retter Christus ist sein Volk.“ An dem Text erkennt man einige Übereinstimmungen mit Tac., ann. XV,44,2–5 (ed. H. Heubner 369). Vgl. Just., 1 apol. 2 (ed. M. Marcovich 33). Vgl. Just., 1 apol. 8 (ed. M. Marcovich 42).
100
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Die Christen wollen nicht in Lüge leben, sondern sehnen sich nach dem ewigen und reinen Leben bei Gott. Mit aufrechtem Tun und Bekenntnis zu Gott und, wenn nötig, mit ihrem Tod legen sie Zeugnis ab für ihren Glauben, der ihnen das ewige Leben verheißt. Die Verleugner und Ungerechten werden durch Christus bestraft und werden mit Leib und Seele eine ewige Strafe erdulden müssen. Justin war davon überzeugt, dass die Wahrheit gehasst wird. Da die Christen ihren Glauben offen als die Wahrheit vertreten haben, war es für ihn klar, dass sich der Hass der Gesellschaft gegen sie wenden musste. Die Verfolgung der Christen und ihre Bestrafung, teilweise mit dem Tod, bei gleichzeitiger Ausübung der unvernünftigen Kulte in der heidnischen Bevölkerung, waren für Justin ein Beweis dafür, dass die Wahrheit bei den Christen lag.96 Diese mussten jeden Tag mit dem Tod rechnen. Ihr Todesmut war zweifellos ein überraschendes Phänomen und ein überzeugender Beweis für die Wahrheit des christlichen Glaubens, was auf viele Menschen eine Anziehungskraft ausübte. Darin sieht Justin auch die Überlegenheit des Christentums über die heidnischen Kulte.
II.
Aristides
1.
Aristides und sein Werk
Nach Eusebius97 war Aristides ein gläubiger Mann, und gedrängt von der Religiosität der Christen habe er eine Verteidigungsschrift hinterlassen, die Kaiser Hadrian (117–138) zum Glauben führen sollte. Laut Hieronymus98 wirkte er in Athen als ein glänzend beredter Philosoph und Jünger Christi. Er habe gleichzeitig mit Quadratus dem Kaiser Hadrian eine Schrift übergeben, die eine Rechtfertigung der christlichen Lehre enthalten haben soll. Dieses Werk zugunsten der Christen sollte den Gelehrten die Klugheit des Aristides beweisen. So erwähnt z. B. Orosius99 Aristides den Athener und lobt seine Glaubenstreue und Weisheit. Nach ihm habe Aristides zusammen mit Quadratus Kaiser Hadrian veranlasst, ein Reskript an Fundanus zu verfassen. Die Apologie des Aristides bestand ursprünglich in griechischer Fassung, von der zunächst nur armenische Fragmente bekannt waren.100 Nach der Entdeckung einer syrischen Fassung wurde festgestellt, dass Johannes von Damaskus101 in seiner Geschichte von Barlaam und Josaphat einige Teile der Apologie 96 97 98 99 100 101
Vgl. Th. Baumeister, Martyrium 634. Vgl. Eus., h. e. 4,3,3 (ed. E. Schwartz 304); chron. 226,9 (ed. R. Helm 199). Vgl. Hieron., vir. ill. 20 (ed. E. C. Richardson 20). Vgl. Oros., hist. VII,13 (C. Zangemeister 468). Vgl. P. Pilhofer, Art. Aristides 60f. Vgl. dazu R. Volk, Art. Johannes von Damaskus 387–389.
II. Aristides
101
verarbeitet hatte. Die verschiedenen Entdeckungen ermöglichten eine weitgehende Rekonstruktion aus griechischen Fragmenten sowie aus syrischen und armenischen Übersetzungen.102 Die These, das Werk des Aristides sei ursprünglich eine jüdische Apologie gewesen und erst im 4. Jahrhundert zu einer christlichen Apologie umgestaltet worden, ist infolge des Überlieferungszustandes umstritten. Sie weist jedoch auf den Einfluss der jüdischen Proselytenpropaganda auf diese frühchristliche Literaturgattung hin. Wann genau die Apologie entstanden ist, muss offenbleiben. Allerdings gibt es dazu, so Hunger, zwei Annahmen. 103 Die erste beruht auf Eusebius und der syrischen Einleitung zur Apologie, wonach die Datierung in die Regierungszeit des Hadrian, also zwischen 117 und 138 n. Chr. fällt. Der zweiten Annahme nach ist sie während der Regierungszeit des Antoninus Pius entstanden, nämlich zwischen 138 und 161 n. Chr., weil dieser Kaiser in der Überschrift der syrischen Fassung als Adressat erwähnt wird. Aus diesen zwei Annahmen ist der Zeitraum zwischen 124 und 140 n. Chr. als mögliche Abfassungszeit anzusetzen.104 Nachdem Aristides das Weltall und dessen Harmonie betrachtet hatte, verstand er, dass es einen Weltbeweger geben muss. Gott, den der menschliche Geist nicht erreichen kann – so beginnt der Autor sein Werk. Die Menschen werden nach Aristides gemäß ihrer Art der Gottesverehrung in vier Gattungen eingeteilt: Barbaren, Griechen, Juden und Christen. Er führt zunächst die heidnischen Kulte ad absurdum, indem er ihre Götter und Gottesvorstellungen kritisiert. Dann legt Aristides die Religion der Juden dar, die auf einer wahren Gottesidee und auf Menschenfreundlichkeit beruht. Das Einzige, was der Autor hier für verwerflich hält, sind bestimmte Handlungen bei der Religionsausübung. Schließlich leitet er zu den Christen über. Sie allein besitzen seiner Ansicht nach die Wahrheit und sie haben nicht nur die richtige Gottesvorstellung, sondern halten gewissenhaft Gottes Gebote. Ihre Sittenstrenge, ihre Bruderliebe bis in Tod und ihr Verhalten in der Gesellschaft sind lobenswert. Die Christen sind für ihn ein neues Volk, welches auf die Anwesenheit von Jesus Christus in der Welt zurückgeht. Obwohl Aristides die Vergöttlichung von Menschen bei den Heiden kritisiert, stellt er Jesus Christus als einen „göttlichen Menschen“ dar. Der Autor legt in seinen Worten großen Wert auf die Lebensweise der Christen, die besonders in der täglichen Praxis erhaben ist. Mit der Aufforderung, die Verleumdungen der Christen zu beenden und sich zum wahren Gott zu bekehren, wird die älteste christliche Apologie abgeschlossen. 102 103 104
Vgl. hier und im Folgenden M. Fiedrowicz, Apologie 38f.; P. Pilhofer, Art. Aristides 60f. Vgl. W. Hunger, Apologie 390f. Vgl. ebd.
102
2.
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Der Kaiser als Adressat der Apologie
Nachdem Aristides die Wahrheit erkannt hatte, fühlte er sich veranlasst, diese Wahrheit denen darzulegen, die ihr zugeneigt sind. Zu den Geneigten zählt der Autor zuallererst den Kaiser; deshalb wird seine Schrift an diesen gerichtet. Man kann annehmen, dass Aristides erstens eine hohe Meinung vom Kaiser hat und ebenso wie die späteren Apologeten ihn als Wahrheitsliebenden betrachtet. Darüber hinaus ist es für den Kaiser als Herrscher notwendig zu wissen, dass die Welt nur dank des flehenden Gebets der Christen fortbesteht,105 woran der Autor keinen Zweifel hat. Andere Völker dagegen tragen nichts dazu bei, sondern bewegen sich im Irrtum und führen ein gottloses Leben. Als Neubekehrter, von Optimismus erfüllt, wünscht sich Aristides im Idealfall, dass der Kaiser Christ werde.106 Weiterhin soll der Kaiser die falschen, von den Griechen vorgebrachten Verleumdungen gegen die Christen erkennen. Und: Die Schrift soll den Kaiser, wenn er die volle Wahrheit und die Schönheit der christlichen Religion erfasst hat, dazu bewegen, das Christentum im Interesse des Reiches zu verbreiten. Entsprechend dem Schlussgedanken des Werkes sollen alle Menschen (darin ist auch der Kaiser eingeschlossen, denn das Werk ist ja an ihn gerichtet) sich den Christen anschließen.107 Den Kaiser mit seiner Macht versteht Aristides, so Hunger, als von Gott gegeben.108 Und als Philosoph wendet er sich also an den PhilosophenKaiser. Die Aufgabe eines jeden Philosophen sei es, die Wahrheit zu suchen und dann danach zu handeln. Das Handeln in und nach der Wahrheit wird dem Kaiser selbst und seinem Volk stets nur zum Wohle dienen. Man erkennt bei Aristides keine negative Einstellung gegenüber dem Kaiser. Um ihn zur Bekehrung zum Christentum zu bewegen, akzeptiert er ihn als Menschen und von Gott eingesetzten Herrscher und sieht über sein Heidentum und den Kaiserkult hinweg. Mit dem Wissen, dass die Christen in der damaligen Gesellschaft als eine unbedeutende sektiererische Gruppe galten, kann man vermuten, dass der Kaiser die Christen wohl nicht ernst nahm. So ist es eher unwahrscheinlich, wie von Hieronymus berichtet wird, dass Aristides seine Apologie dem Kaiser persönlich überreicht hat. Dementsprechend ist die Adressatenangabe der Apologie vermutlich fiktiv und der Kaiser hat die Schrift nie gelesen. 109 Trotzdem hat das Werk wegen seines hohen Alters eine große Bedeutung für die Forschung.
105 106 107 108 109
Vgl. Aristid., apol. 16,6 (ed. B. Pouderon 246). Diese These wird von W. Hunger, Apologie 400 vertreten. Vgl. Aristid., apol. 17,3 (ed. B. Pouderon 248–250). Vgl. hier und im Folgenden W. Hunger, Apologie 400. Solcher Meinung ist K.-G. Essig, Apologie 165.
II. Aristides
3.
103
Die Deutung der Schrift
Es gibt in der Forschung Zweifel daran, ob das Werk des Aristides gerechterweise als Apologie bezeichnet werden kann oder ob es sich dabei eher um die Werbeschrift eines Konvertiten handelt.110 Für die Bezeichnung „Apologie“ spricht Folgendes: Eusebius nennt diese Schrift avpologi,a111 und stellt sie in eine Reihe mit den Apologien von Quadratus und Serenios112. Nach Eusebius habe Serenios eine wirkliche Verteidigungsschrift über die Christen geschrieben. Diese Schrift wurde in einer Zeit verfasst, in der es keine größere Christenverfolgung gab. Deshalb geht es darin wohl um das Problem der ständigen Rechtsunsicherheit, in der die Christen lebten und die seit Trajans Reskript gewissermaßen wie ein Albtraum auf den Christen lastete. Was die Schrift von Aristides betrifft, bekommt man den Eindruck, als ob sie in einer ruhigen Zeit verfasst worden ist. So fordert beispielsweise Justin Gerechtigkeit für die Christen, und Athenagoras leidet sehr unter dem Unrecht und der Verfolgung. Dies alles lässt sich in ihren Werken erkennen, bei Aristides aber findet das kaum Ausdruck. Es wird eher beiläufig erwähnt, dass die Christen „wegen des Namens ihres Christus gefangen und bedrängt“113 werden. Der Autor spricht z. B. über die Verleumdungen der Griechen, welche ihr eigenes lasterhaftes Leben in lügnerischer Weise auf die Christen projizieren.114 Vorher aber führt er die sittlich reine Lebensweise der Christen aus, was die verleumderischen Aussagen natürlich widerlegt. 115 Hier kann man den apologetischen Charakter der Schrift erkennen, indem der wahre Glaube der Christen herausgestellt und betont wird. Das Bemühen, die Heiden für den eigenen Glauben zu gewinnen, gehört ebenso zur apologetischen Zielsetzung des Werkes von Aristides wie seine Absicht, die Vorwürfe gegen die Christen zu entkräften. Allerdings wird bei Aristides eine Verteidigung gegen den Hauptvorwurf der Christengegner, nämlich den, dass alle Christen Atheisten seien, vermisst. Alle anderen Apologeten hatten diesen Vorwurf in ihren Schriften zurückgewiesen. Zudem beinhaltet das Werk des Aristides im Vergleich zu Justin, Athenagoras oder Tertullian keinerlei Kritik an den staatlichen Obrigkeiten, sondern es ist dem Staat in Person des Kaisers gut gesinnt. Für den Charakter einer Werbeschrift spricht eine Stelle, an der der Autor seine Freude als Neubekehrter und sein Glück mitteilen wollte. Er schreibt: 110 111 112 113
114 115
Vgl. hier und im Folgenden W. Hunger, Apologie 392. Vgl. h. e. 4,3,3 (ed. E. Schwartz 304). Vgl. chron. 226,9 (ed. R. Helm 199). Aristid., apol. 15,7 (ed. B. Pouderon 240). Bei den Übersetzungen der AristidesApologie aus dem Syrischen stand mir freundlicherweise P. Franziskus Succar, der Vizerektor des Collegium Orientale in Eichstätt, immer hilfsbereit zur Seite, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Vgl. Aristid., apol. 17,2 (ed. B. Pouderon 248). Vgl. hier und im Folgenden, W. Hunger, Apologie 393.
104
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
„Nehmt also ihre Bücher her und lest sie! Ihr werdet finden, dass ich dies nicht aus mir selbst hervorgebracht habe oder als ihr Anwalt dies gesprochen habe, sondern, als ich mich in ihre Bücher eingelesen habe, habe ich dies bezeugt und auch was noch kommen wird. Deshalb fühlte ich mich auch verpflichtet, die Wahrheit zu zeigen denen, die sich nach ihr sehnen und die sich die zukünftige Welt wünschen.“116 Aristides stellt hier sein eigenes Erlebnis und seine Überzeugung dar, die er beim Lesen der Schriften gewonnen hatte. Er glaubt fest daran, dass auch die anderen beim Lesen der christlichen Schriften von diesen betroffen sein werden, und will sie motivieren, diese zu lesen. Gleich am Anfang117 macht er sich Gedanken über den Sinn seines Daseins und seiner Herkunft. Er erkennt auch, dass Gott der Beweger und Erhalter der Welt ist. Dafür, dass Aristides sich erst kurz vorher den Christen angeschlossen hatte, könnte die Formulierung „Nehmt ihre Bücher“ ‒ also nicht „unsere“ ‒ sprechen. Merkwürdig ist auch, dass der Autor distanziert von den Christen spricht, was für einen langjährigen Christen, der sich der christlichen Tradition vertraut wusste, ungewöhnlich wäre.118 Es handelt sich dabei nicht nur um ein methodisches Abstandnehmen, um in seinem Bericht objektiv zu wirken119, sondern um die Beschreibung seines persönlichen Denkens und Empfindens und identifiziert ihn als Konvertit. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn auch das Werk des Aristides nicht in allen Kriterien der frühen christlichen Apologetik entspricht, so ist es mindestens ein Versuch, ungeachtet aller Verleumdungen die Christen positiv darzustellen. Vermutlich war dieses Faktum auch Eusebius bewusst, nach dessen Urteil die Schrift des Aristides nicht im Einklang mit anderen Schriften der frühen Apologeten steht. Er betont nämlich, Serenios habe eine wirkliche Verteidigungsschrift verfasst, und bezeichnet trotzdem die Schrift des Aristides als Apologie. Ein möglicher Grund dafür könnte die Erklärung von Origenes120 sein, warum er zunächst keine Schrift gegen Celsus verfassen wollte: Er war nämlich der Ansicht, dass schriftliche Widerlegungen der Vorwürfe gegen die Christen viel weniger wirksam seien als die Betrachtung der christlichen Lebensführung. So galt das Werk möglicherweise schon damals als Apologie. Griechische, armenische und syrische Fragmente sprechen für eine große Verbreitung und Bedeutung der Schrift, so dass sie bei vielen Autoren Erwähnung findet und erhalten geblieben ist.
116 117 118 119 120
Aristid., apol. 16,4 (ed. B. Pouderon 244–246). Vgl. Aristid., apol. 1,1–2 (ed. B. Pouderon 182–187). Vgl. W. Hunger, Apologie 396. Nach ihm habe sich Aristides in seinem Eifer von den Christen distanziert und spreche in der dritten Person von ihnen. Vgl. R. Seeberg, Apologie 303. Vgl. Orig., c. Cels. praef. 2f. (ed. M. Fiedrowicz 184–186).
II. Aristides
4.
105
Aussageabsicht des Autors
In seinem Werk stellt Aristides das Christentum den anderen Religionen gegenüber. Im Unterschied zu den meisten Apologeten führt er weder den Weissagungs- noch den Altersbeweis an, dagegen setzt er einen starken Akzent auf die Lehre und die Lebensführung der Christen. Nach langem Suchen nach der Wahrheit sagt Aristides begeistert: „Ihre Lehre ist die Tür des Lichtes.“121 Mit der Intention, diese Tür auch seinen Adressaten zu öffnen, schreibt er seine Apologie. Mit literarischen Mitteln schafft der Autor eine positive Stimmung sowie Vertrauen und Offenheit für das Lesen seines Werkes. Er beginnt nicht unmittelbar mit Ausführungen über die Christen, sondern spricht über den Weltbeweger, der alles um der Menschen willen erschaffen hat.122 Ganz formal beschreibt der Autor die Herkunft von Barbaren, Griechen, Juden und Christen. Bemerkenswert ist, dass die ersten drei Gruppen nur mit einigen Sätzen erwähnt sind. Großes Gewicht legt er dagegen auf die Darstellung der Christen. Sein Werk beinhaltet eine vollständige Beschreibung ihres Gründers Jesus Christus und seines Lebensweges mit allen wichtigen Ereignissen. Aristides will seinen Adressaten genaue Kenntnis vermitteln, woher diese neue religiöse Gruppe kommt, wer sie gegründet und wie sie sich entwickelt hat. Zwar waren die Christen damals schon bekannt, aber sicherlich war nicht jeder mit ihrer Herkunft und Lebensweise vertraut, weshalb Aristides dieses sehr deutlich ausführt. Jedes Mal, wenn der Verfasser eine Gattung von Menschen beschreibt, weckt er die Aufmerksamkeit des Lesers, indem er ihn direkt anspricht. Auffällig ist, dass bei der Ausführung über die Christen die Anrede des Kaisers wesentlich öfters vorkommt als in anderen Abschnitten des Werkes. Damit beabsichtigt der Autor vermutlich, die Aufmerksamkeit des Kaisers zu wecken und beim Lesen der Apologie aufrechtzuerhalten. Er soll ja später schließlich auch Konsequenzen zugunsten der Christen ziehen. Aristides will die Menschen mit ihrer Lebensweise so darstellen, dass sie keine Schuld für ihr ausschweifendes Leben tragen können. Er erklärt dies folgendermaßen: Da die Menschen die Nachahmer der Götter sind, „nahmen [sie die Handlungen der Götter als] Ausrede, Ehebruch und Unzucht zu treiben, zu rauben und alles Böse, Verhasste und Abscheuliche zu verüben“123, weil die Götter ebenso handelten. Ein derartiges Verhalten von Göttern zu vermuten, muss jedoch ein Irrtum sein, denn, so sagt Aristides: „Es ist unmöglich, dass ein Gott Ehebruch, Unzucht, Homosexualität treibt oder seine Eltern tötet, sonst wäre er schlimmer als ein verderblicher Dämon.“124 Auf diese Weise argumentiert Aristides, dass es einer121 122 123 124
Aristid., apol. 17,3 (ed. B. Pouderon 250). Ähnlich beginnt der lk Paulus seine Areopagrede in Apg 17,16–34. Aristid., apol. 8,2 (ed. B. Pouderon 206); vgl. auch 11,7 (ed. B. Pouderon 220). Aristid., apol. 9,3 (ed. B. Pouderon 210).
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
seits unvernünftig ist, solche von Menschen „geschaffene“ Götter anzubeten. Da andererseits diese Götter sich nicht einmal selbst helfen können und ohnmächtig sind, wie sollten sie dann ihren Anbetern helfen können? Mit dieser Logik zeigt der Autor, dass der Götterkult überhaupt kein Fundament hat, auf das er sich stützen kann. Noch größere Unvernunft wirft er den Ägyptern vor, weil sie die tierische Natur vergöttlichen und anbeten. 125 Auch die Barbaren sind im Irrtum, weil sie die vier Elemente anbeten, 126 wie auch die Juden,127 die zwar über eine reinere Gottesidee verfügen, in Wirklichkeit aber auch Engel anbeten und viel Gewicht auf Äußerlichkeiten legen. Bezüglich der griechischen Götter argumentiert Aristides folgendermaßen: „Wenn es aber richtig ist, einen Gott zu bewundern, den man sieht, der aber [selbst] nicht sieht, um wie viel mehr verdient es Bewunderung, an eine unsichtbare Natur zu glauben, die alles sieht? Und wenn es sich ferner geziemt, die Werke eines Künstlers zu betrachten, um wie viel mehr geziemt es sich, den Schöpfer des Künstlers zu preisen.“128 Damit will er ausdrücken, dass der Gott der Christen zwar unsichtbar ist, jedoch gleichzeitig alles sieht. Darüber hinaus wollte Aristides das Christentum als bessere und vollkommene Religion darstellen und seinen Lesern empfehlen. Den damalig vorherrschenden religiösen Pluralismus beabsichtigt er durch den Glauben an den einen Gott der Christen zu ersetzen. Er knüpft damit an populäre Vorstellungen des mittleren Platonismus an. In apol. 17,2129 bringt der Autor, vielleicht aus eigener Erfahrung, ein Beispiel, wie sich jene verhalten sollten, die zum Christentum konvertieren wollen. Sie müssen sich ihrer begangenen Missetaten nicht schämen, denn sie haben sie nur aus Unwissenheit130 begangen. Daher werden ihnen ihre Sünden nachgelassen. An dieser Stelle schildert Aristides wahrscheinlich seinen eigenen Übertritt zum Christentum. Möglicherweise will er sich als Modell für seine Leser darstellen, die ja im Allgemeinen noch Heiden sind und die durch die Lektüre seines Werkes Mut fassen sollen, sich dem Christentum anzuschließen. 5.
Das Bild von den Christen. Verteidigungspunkte
Da die Christen in den ersten Jahrhunderten ständig darauf angewiesen waren, sich in der damaligen Gesellschaft zu legalisieren und anerkannt zu 125 126 127 128 129 130
Vgl. Aristid., apol. 12,1 (ed. B. Pouderon 220–222); 12,4 (ed. B. Pouderon 224). Vgl. Aristid., apol. 7,2 (ed. B. Pouderon 202). Vgl. Aristid., apol. 14,1–4 (ed. B. Pouderon 232–234). Aristid., apol. 13,4 (ed. B. Pouderon 230). Aristid., apol. 17,2 (ed. B. Pouderon 248). Das gleiche Motiv kommt auch in Apg 17,30 vor.
II. Aristides
107
werden, war Aristides bemüht, diese Gruppe positiv darzustellen. Er zeichnet ein sehr überzeugendes Bild von den Christen, wobei er aufzeigt, dass die christlichen Gemeinden nach seiner Ansicht die Aufgabe hatten, „die Menschen aus der Verderbnis zu einem neuen Leben zu führen“131. 5.1
Die Christen seien wahre Anbeter Gottes
Aristides stellt die Christen den Anhängern anderer Religionen gegenüber und sagt, dass sie der Wahrheit und der genauen Erkenntnis näher stehen als die Heiden. „Sie kennen Gott tatsächlich und sie glauben an ihn, den Schöpfer von Himmel und Erde, in dem alles ist und von dem alles ist, der keinen anderen Gott als Gefährten neben sich hat.“132 Auffällig sind hier einige parallele Formulierungen, die bereits am Anfang der Apologie verwendet wurden. Möglicherweise will der Autor mit diesen Wiederholungen den Glauben der Christen als vernünftig rechtfertigen. Er bedient sich des damaligen philosophischen Wortschatzes, um den eventuellen Vorwurf, die Christen seien Atheisten, zu widerlegen. Denn wie er schon in apol. 1,1–2133 betont, verfügt er über die Erkenntnis des einen göttlichen Schöpfers. Damit macht er klar, warum die Christen keine „Idole in Menschengestalt“134 oder keine „fremden Götter“135 anbeten. Was in apol. 1,2136 ganz neutral geschrieben steht, nämlich: „dass man Gott fürchten und niemandem Leid antun [soll]“, findet seine Erfüllung bei den Christen, sowohl in Bezug auf die wahre Gottesverehrung als auch darauf, dass sie keinem Menschen Leid antun. Denn „diejenigen, die betrübt sind, trösten sie und machen sie sich zu Freunden; ihren Feinden tun sie Gutes“137. 5.2
Die Christen verzehren keine Götzenopferspeise
Als Konsequenz aus der Tatsache, dass die Christen keine fremden Götter anbeten, hat sich ergeben, dass sie sich weigerten, am Genuss von Götzenopferfleisch teilzunehmen. Somit wurde auch das Opferfleisch am Markt von den Christen nicht gekauft. Durch dieses Verhalten zogen sie die negativ kritische Aufmerksamkeit der heidnischen Gesellschaft auf sich. Mit einem
131 132 133 134 135 136 137
L.-W. Barnard, Art. Apologetik I 376. Aristid., apol. 15,3 (ed. B. Pouderon 234–236). Aristid., apol. 1,1–2 (ed. B. Pouderon 182–186). Aristid., apol. 15,4 (ed. B. Pouderon 236). Aristid., apol. 15,6 (ed. B. Pouderon 240). Aristid., apol. 1,2 (ed. B. Pouderon 184). Aristid., apol. 15,4 (ed. B. Pouderon 238).
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
kurzen Satz138 erklärt Aristides den Grund des Verzichtes der Christen auf Götzenopferspeise, wobei dahinter ein großes Problem für die christliche Gemeinde stecken konnte.139 5.3
Gefangenschaft und Bedrängnis wegen des Namens Christi
„Und wenn man hört, dass jemand verhaftet oder bedrängt wird wegen des Namens ihres Christus, kümmern sich alle um das, was er benötigt; und wenn es möglich ist, ihn zu befreien, dann befreien sie ihn.“140 Aus dieser Notiz lassen sich einige Information entnehmen: Weil die Christen in der Gesellschaft allgemein bekannt waren, wurden sie oft nur wegen ihres Namens in Haft gehalten und bedrängt. Der Text spricht nicht vom Reskript des Kaisers Trajan gegen die Christen, aber man kann sich vorstellen, dass es in diesem Zusammenhang eine Bedeutung hatte. Vermutlich waren einige Mitglieder der Gemeinde über längere Zeit im Gefängnis wegen ihres Christseins, so dass Befreiungsaktionen vorkamen. Aus anderen kurzen Notizen wie: „Obwohl [die Christen] wissen, dass [die Griechen] sich irren und sie unterdrücken, ertragen und erdulden sie sie“141, wird deutlich, dass die Christen von den Griechen mit sinnlosen Behauptungen beschuldigt und verleumdet werden.142 5.4
Die Christen führen ein vorbildliches Leben
Im Hinblick auf eine künftige Welt verhalten sich die Christen im Unterschied zu den Heiden auffällig anders. Sie erfüllen die Gebote des Gesetzes und setzen diese im alltäglichen Leben um. Davon ausgehend „begehen sie keinen Ehebruch oder Unzucht, legen kein falsches Zeugnis ab, halten kein anvertrautes Gut zurück, begehren nicht, was ihnen nicht gehört, ehren Vater und Mutter, erweisen ihren Nächsten Gutes und, wenn sie richten sollen, richten sie nach Redlichkeit“143. Ein starker Akzent wird auf das Miteinanderleben gelegt bzw. auf die Beschreibung der Funktion einer christlichen 138
139 140 141
142 143
Vgl. Aristid., apol. 15,4 (ed. B. Pouderon 236–238): „Von der Götzenopferspeise essen sie nicht, denn sie sind rein.“ Das wesentliche Problem war ein wirtschaftliches, da die Christen das Opferfleisch nicht mehr kauften (siehe z. B. Plin., Briefe X,96). Dass es ein wichtiges Thema für die ersten Christen war, erkennt man an Apg 15,29; 1 Kor 8,4f.; Offb 2,20. Aristid., apol. 15,7 (ed. B. Pouderon 240). Aristid., apol. 17,2 (ed. B. Pouderon 248). Bemerkenswert ist, dass auch Lukas in Apg 5,41 ähnlich darstellt, dass die Apostel für den Namen Jesu Christi Schmach erleiden. Vgl. Aristid., apol. 17,3 (ed. B. Pouderon 248). Aristid., apol. 15,4 (ed. B. Pouderon 236).
II. Aristides
109
Gemeinde. Die christlichen Frauen seien rein wie Jungfrauen, die Töchter sittsam, die Männer enthaltsam. Bei den Christen wird keiner benachteiligt, seien es Sklaven oder Sklavinnen, Kinder, Waisen oder Witwen, Arme oder Fremde144; alle nennen sich „ohne Unterschied Brüder“145. Geprägt von der Lehre und von gottgefälligem Leben waren die Christen aus Liebe zu den anderen bemüht, diese vom Christentum zu überzeugen. Des Weiteren nehmen die Christen Rücksicht auf jedes Mitglied, damit niemand in Not gerät. Das friedliche und harmonische Zusammenleben146 in der Gemeinde soll vermutlich Anziehungskraft auf die Außenstehenden ausüben, so dass sich möglichst viele zum Christentum bekehren. 5.5
Die Christen seien rechtschaffen, heilig und langmütig
Nachdem der Autor das vorbildliche Leben der Christen geschildert hat, kehrt er wieder zu den Griechen zurück, deren Lebensweise zu der der Christen in schroffem Gegensatz stand: „Die Griechen hingegen, o Kaiser, weil sie schändliche Dinge tun wie Homosexualität und Inzest mit Mutter, Schwester und Tochter, wenden das Lächerliche ihrer Unlauterkeit gegen die Christen.“147 Zu Unrecht wurden den Christen schändliche Dinge vonseiten der Griechen vorgeworfen, weil Ehebruch, Unzucht 148 und alle Unlauterkeit149 ihnen fern waren. Trotzdem rechtfertigen die Christen ihre Ankläger und beten für sie, weil diese im Irrtum leben und keine wahre Erkenntnis besitzen.150 5.6
Die Christen seien alle Brüder
Die Bezeichnung „Brüder“ dürfte den Heiden verdächtig erschienen sein. Aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen stammende Mitglieder beider Geschlechter, immer am Morgen stattfindende Versammlungen und manch anderes ungewohnte Verhalten der Christen erweckten den Eindruck, diese Gruppe könnte die Stabilität des Staates gefährden. Dementsprechend erklärt Aristides den Sachverhalt so: „Sie nennen sich nicht Brüder dem Leibe nach, sondern [Brüder] im Geiste und in Gott.“151 Offensichtlich war es dem Autor wichtig, Klarheit in Bezug auf diese Bezeichnung herzustellen, damit die 144 145 146 147 148 149 150 151
Vgl. Aristid., apol. 15,5–6 (ed. B. Pouderon 238–240). Aristid., apol. 15,5 (ed. B. Pouderon 238). Ähnliche Darstellungen finden sich bei Lukas in Apg 2,43–47; 4,32–37. Aristid., apol. 17,2 (ed. B. Pouderon 248). Vgl. Aristid., apol. 15,4 (ed. B. Pouderon 236). Vgl. Aristid., apol. 15,5–6 (ed. B. Pouderon 238–240). Vgl. Aristid., apol. 17,2 (ed. B. Pouderon 248). Aristid., apol. 15,6 (ed. B. Pouderon 240).
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C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
christliche Liebe und Zuneigung zueinander von den Heiden nicht missverstanden werde. Als weiterer Beweis zu der Anschuldigung, die Christen gehörten einem Geheimbund an, dient die Notiz: „Ihre Wohltaten beteuern [die Christen] nicht vor den Ohren der Menge; sie bemühen sich [vielmehr] darum, dass niemand sie bemerke, und verheimlichen ihre Gabe wie einer, der einen Schatz gefunden hat und ihn verbirgt.“152 Die Worte wie „verheimlichen“ oder „verbergen“ deuteten darauf hin, dass die Heiden die Christen als eine Gruppe betrachteten, die sich der Arkandisziplin verpflichtet wusste. Denn der Autor erklärt auch gleich den Grund solchen Verhaltens: „Sie bemühen sich, gerecht zu werden, weil sie ihren Christus zu sehen erwarten und von ihm in großer Herrlichkeit zu empfangen, was ihnen verheißen worden war.“153 5.7
Die Christen werden zu Unrecht den Verleumdungen ausgesetzt
„Verstummen sollen nunmehr die Zungen derer, die unnütze Worte reden und die Christen verleumden, und sie sollen jetzt die Wahrheit sagen.“154 Nach dieser Aufforderung sollen die schweigen, die die Christen verleumden und Gemeines über sie reden. Wenn man sich die damalige Situation der christlichen Gemeinde vor Augen hält, ist klar, dass es nur die Außenstehenden bzw. Heiden sind, unter denen die Christen zu leiden haben. Zugleich ergeht die Forderung an die Heiden, jetzt und zukünftig die Wahrheit zu sprechen. Diese Wahrheit besteht nicht nur darin, über die Christen wahrhaft zu reden, sondern auch „den wahren Gott anzubeten“ sowie „die unvergänglichen Worte auf[zu]nehmen“.155 Auf diese Weise können sich die Heiden auf das furchtbare Gericht Jesu Christi, das „über das ganze Menschengeschlecht kommen wird“156, vorbereiten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Aristides bemüht war, den Heiden auf dem philosophischen Niveau den christlichen Glauben darzustellen. Dieser ist nämlich ein Glaube der Vernunft. Der Gott der Christen ist auch der einzige Schöpfer der Welt und Werkmeister des Alls. Aber im Gegensatz zu den Heiden verehren die Christen keine Götzen. Ihre brüderliche Liebe und rechtschaffene Lebensführung pflegen sie nicht nur in ihrer Gemeinschaft, sondern auch in der heidnischen Gesellschaft insgesamt.
152 153 154 155 156
Aristid., apol. 16,2 (ed. B. Pouderon 244). Aristid., apol. 16,2 (ed. B. Pouderon 244). Aristid., apol. 17,3 (ed. B. Pouderon 248). Aristid., apol. 17,3 (ed. B. Pouderon 248–250). Aristid., apol. 17,3 (ed. B. Pouderon 250).
III. Athenagoras
III.
Athenagoras
1.
Athenagoras und sein Werk Legatio pro christianis
111
Zu den Apologeten des 2. Jahrhunderts gehört auch Athenagoras. 157 Nur Methodius von Olympos († 311) erwähnt ihn namentlich bezüglich des Werks Legatio pro Christianis. Spätere Erwähnungen bei Ephiphanius und Photius verweisen auf Methodius. Eine um das Jahr 430 entstandene, leider jedoch verloren gegangene Schrift über die Geschichte des Philippus von Side bringt Athenagoras in Verbindung mit der Athener und der Alexandriner Schule. Des Weiteren erwähnt der Arethas-Codex Parisinus 451, datiert im Jahre 914, Athenagoras als den christlichen Philosophen aus Athen. Hier wird ihm unter anderem auch eine Schrift mit dem Titel „presbei,a peri. cristianw/n“ zugeschrieben, was sich als „Bittschrift für die Christen“ übersetzen lässt.158 Lateinische Übersetzungen geben dieses Wort als legatio wieder, was sinngemäß als supplicatio oder deprecatio zu verstehen ist.159 Aus dem Inhalt lässt sich das Werk Legatio pro Christianis mit einiger Wahrscheinlichkeit auf das Jahr 177 datieren.160 Diese Bittschrift für die Christen adressiert Athenagoras an Mark Aurel (161–180) und dessen Sohn Commodus (180–192), die als Autokraten und Philosophen geehrt werden. Es ist unwahrscheinlich, dass Athenagoras seine Apologie den Kaisern mündlich vorgetragen oder dass die Kaiser sie gelesen haben. Vermutlich war die Apologie als offener Brief an die Öffentlichkeit gerichtet. Die Schrift wurde in einem ähnlichen Stil wie eine Verteidigungsrede vor Gericht verfasst.161 2.
Aussageabsicht des Autors
Als Erstes stellt sich die Frage, warum Athenagoras 162 sein Werk nicht als Apologie bezeichnet, sondern als legatio, ins Deutsche übersetzt als „Bittschrift für die Christen“. Die Antwort hängt möglicherweise damit zusammen, dass der Autor die Absicht hatte, die Leser den Christen gegenüber gnädig zu stimmen, damit sie nach dem Lesen dieser Schrift entsprechend 157
158 159 160 161 162
Vgl. hier und im Folgenden P. Pilhofer, Art. Athenagoras 76f.; A. Eberhard, Einleitung 3f.; L. W. Barnard, Art. Apologetik I 380–282; W. R. Schoedel, Athenagoras IX–XXIII; J. H. Crehan, Athenagoras 4–11; M. Marcovich, Athenagoras 1–3. Vgl. S. Hausammann, Frühchristliche Schriftsteller I 198. Vgl. A. Eberhard, Einleitung 3. Vgl. P. Pilhofer, Art. Athenagoras 76. Vgl. L. W. Barnard, Art. Apologetik I 380f.; M. Fiedrowicz, Apologie 45f. Er nennt sich Apologet in Athenag., leg. 17,1 (ed. M. Marcovich 53).
112
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
handeln. Deshalb formuliert er dies als eine Bitte und nicht als Verteidigungsrede, weil eine solche gleich zu Beginn die Leser abstoßen könnte. Nach dem Lesen dieser Schrift sollten die Mächtigen, Menschenfreundlichen,163 also die Kaiser, die Christen „durch ein Gesetz gegen die brutale Behandlung in Schutz […] nehmen“164. Stellvertretend sagt Athenagoras: „Wir wagten unsere Situation kundzutun […] und wir bitten euch, auch für uns eine Lösung zu finden, so dass es aufhört, dass wir weiterhin denunziert und dann getötet werden.“165 Seine Redewendungen vermitteln den Eindruck, dass Athenagoras die Kaiser absichtlich lobt und ihnen schmeichelt, weil er genau weiß, dass freundliche Worte und höfliche Reden mehr bewirken können als stürmische Forderungen. Sicher weiß der Autor von den Verfolgungen und kennt all das Unrecht gegenüber den Christen, trotzdem bittet Athenagoras ungeachtet seiner Empörung geduldig weiter. Er versucht, ohne Bibelzitate die Leser von der christlichen Lehre zu überzeugen, er wendet sich, wenn auch nicht direkt, sondern in Form eines offenen Briefes an die Herrscher, als ein Philosoph an die Philosophen, damit die Christen endlich von Verleumdungen verschont bleiben. 166 Seine philosophischen Argumente sind so gewählt, dass Heiden und Christen das Christentum als eine logische Religion erkennen müssen. Sie entspricht den Ansprüchen der Vernunft und ist dem menschlichen Geist nicht fremd, sondern sogar förderlich. Überdies ist es für den Autor von großer Bedeutung, das Christsein zu rechtfertigen und zu widerlegen, dass der bloße Name etwas mit Verbrechen zu tun hat. Bei den Heiden galt nämlich schon die Verwendung des Namens als todeswürdiges Verbrechen. Athenagoras will in seinem Werk die drei größten Vorwürfe gegen die Christen widerlegen. Als Erstes widmet er mehrere Kapitel der Behauptung, die Christen seien Atheisten. Er bedient sich nur der Werke heidnischer Autoren, bei denen monotheistische Anklänge zu finden sind. Auf diese Weise will Athenagoras zeigen, dass die Christen, obwohl sie die Vielgötterei ablehnen, doch an den einen Gott glauben. Ferner griff Athenagoras auch andere verleumderische Vorwürfe auf, so z. B., die Christen seien Kannibalen oder sie führten ein ausschweifendes Leben. In leg. 37,1167 hofft der Autor, alle Anschuldigungen gegen die Christen entkräftet zu haben. Darum bittet er die Herrscher noch einmal, den Christen Ruhe zu verschaffen, damit deren „Leben ruhig und ungestört verlaufe“, und schließt seiner Bitte den höflich-untertänigen Wunsch an, dass „die Herrschaft in 163 164
165 166 167
Vgl. Athenag., leg. 2,1 (ed. M. Marcovich 24). Athenag., leg. 2,1. Bei den Übersetzungen von Legatio pro christianis aus dem Griechischen stand mir freundlicherweise Herr Felix Rohr, Repetitor im Collegium Orientale in Eichstätt, hilfsbereit zur Seite, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Athenag., leg. 1,3 (ed. M. Marcovich 23). Vgl. Athenag., leg. 2,1 (ed. M. Marcovich 24). Athenag., leg. 37,1 (ed. M. Marcovich 113).
III. Athenagoras
113
gerechter Erbfolge vom Vater auf den Sohn übergehe und [das] Reich wachse und gedeihe“168. 3.
Das Bild von den Christen. Verteidigungspunkte
Athenagoras zeichnet ein sehr positives Bild von den Christen. Er bemüht sich, die Vorwürfe mit damaligen philosophischen Methoden zu widerlegen. Man findet bei ihm einerseits breite Ausführungen über die drei großen Einwände und darüber hinaus kurze Erwähnungen von Dingen, die den Christen ebenfalls zur Last gelegt wurden. 3.1
Misshandlungen, Ausraubungen und Vertreibungen durch den Pöbel aufgrund des Christseins
Bevor der Autor zur Widerlegung der genannten Beschuldigungen169 übergeht, wird gezeigt, was die Christen nur wegen ihres Namens erleiden müssen. Als Erstes polemisiert er gegen verschiedene Arten von Götterverehrung, vor allem gegen Initiationsriten und Praktiken der Mysterienkulte verschiedener Nationen, die er als absurd bezeichnet. Trotzdem fühlt sich keiner von diesen Verehrern gezwungen, von seinen Bräuchen zu lassen, da diese durch kein Gesetz170 bestraft werden. Dagegen werden die Christen nur wegen des bloßen Namens zu Feinden. Bemerkenswert ist der Appell an die Herrscher, sich nicht durch Gerüchte verblenden zu lassen, z. B. durch Gerüchte aus der urteilslosen Menge, die sich nicht von Fakten, sondern nur vom Hörensagen171 beeindrucken lässt. Von der Logik her erkennt man die bedrängte Lage der Christen.172 Denn jedermann, jede Gemeinde, sogar der ganze Erdkreis genießt Anerkennung und eigenes Recht, allein den sogenannten Christen wird dies versagt. So sagt Athenagoras weiter: „Obwohl wir kein Unrecht verüben, sondern […] sowohl gegen die Gottheit als auch gegen eure Herrschaft uns in jeder Hinsicht gerecht verhalten, so lasst ihr doch zu, dass man uns misshandelt, ausraubt und fortjagt, indem der Pöbel uns aufgrund unseres bloßen Namens hin bekämpft.“ 173 Darüber hinaus erkennt man das ungerechte Verhalten der Volksmenge gegenüber den Christen, indem sie deren Bestrafung betreiben und ungeachtet 168 169 170 171 172 173
Athenag., leg. 37,1 (ed. M. Marcovich 113). Vgl. Athenag., leg. 3 (ed. M. Marcovich 26f.). Damit lässt sich vermuten, dass seit Plinius eine feste Regelung galt, die Christen zu bestrafen. Athenagoras sieht es als ungerecht; vgl. Athenag., leg. 1. Ähnliche Motive kann man auch bei Lukas erkennen, wie z. B. Apg 19,23–40. Vgl. Athenag., leg. 1 (ed. M. Marcovich 21–23). Athenag., leg. 1,3 (ed. M. Marcovich 23).
114
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
ihrer bürgerlichen Ehre die Christen beschimpfen oder in Schaden stürzen. Vom Kontext her kann man vermuten, dass der Ausdruck „in Schaden stürzen“ darauf hinweist, dass den Christen auch materiell geschadet wurde. Deutlich weisen die letzten Sätze von leg. 1 darauf hin, dass die Menge die Christen deswegen verfolgt, weil sie sich an den materiellen Gütern der Christen bereichern wollte. Damit lassen sich Entstehung und Verbreitung vieler Beschuldigungen gegen die Christen erklären. Für Christen aber spielt, im Gegensatz zu Heiden, materielle Bereicherung keine Rolle. Denn ihre Lehre verpflichtet jeden, auf etwas Böses mit Gutem zu antworten und keinen Widerstand zu leisten, wenn man gequält wird, keinen vor das Gericht zu ziehen und zusammen mit dem Hemd auch den Mantel zu geben. Der Name Christ war wie ein Brandmal, darum führt der Autor weiter aus: „Während die Richter über andere Angeklagte nicht eher eine Strafe verhängen, als bis diesen ein Unrecht nachgewiesen ist, untersuchen sie bei uns nicht, ob der Angeklagte ein Unrecht begangen hat, sondern bezeichnen schon das Tragen des Namens [Christ] als ein Unrecht.“174 Athenagoras versucht mit verschiedenen Mitteln zu beweisen, dass allein der Name weder gut noch schlecht sein kann. Nur über die Taten und den Lebenswandel der Angeklagten lassen sich Urteile fällen. Wenn durch diese Untersuchungen getanes Unrecht bewiesen worden ist, muss es bestraft werden. Nur weil jemand sich Christ nennt, darf er nicht automatisch gehasst und bestraft werden.175 Auf Grundlage dieser Haltung verteidigt der Autor die Christen, indem er die mächtigen Herrscher in leg. 2,1176 bittet, unparteiisch zu urteilen, sich nicht vom Tagesgeschwätz leiten zu lassen, sondern mit guter Information und Wahrheitsliebe über die Christen zu urteilen. Mit einer solchen Einstellung gewinnen beide, sowohl die Kaiser, weil sie dann keine Fehler mehr machen werden, als auch die Christen, weil sie dann nicht mehr bekriegt werden. So soll es den Christen gelingen, gedankenloses Gerede und Beschuldigungen zu widerlegen. 3.2
Die Christen seien keine Atheisten
Weil Außenstehende nicht erkennen können, dass die Christen an einen Gott, den Schöpfer des Alls, glauben, kommt es zu Missverständnissen und somit auch zu übler Nachrede und Verfolgung.177 Im Vergleich zu anderen, z. B.
174 175 176 177
Athenag., leg. 2,2 (ed. M. Marcovich 24). Vgl. M. Peglau, Presbeia 11–13. Athenag., leg. 2,1 (ed. M. Marcovich 24). Vgl. Athenag., leg. 4 (ed. M. Marcovich 28f.).
III. Athenagoras
115
Diagoras178, dem die Athener Atheismus vorwarfen, da er behauptete, es gebe keinen Gott, unterscheiden die Christen zwischen der Materie und Gott, zwischen dem göttlichen, ewigen Wesen und der gewordenen vergänglichen Materie. So fragt man sich, worauf die Heiden ihre Behauptung stützen, die Christen seien gottlos. Platon, Aristoteles und die Stoiker galten nach Athenagoras schon damals als diejenigen, die Gott als einen Einzigen auffassten.179 Trotzdem galt z. B. Platon nicht als Atheist. Dieser Logik nach „sind auch [die Christen] keine Atheisten, wenn [sie] den als Gott anerkennen und an ihm festhalten, durch dessen Wort alle Dinge gebildet worden sind und durch dessen Geist sie zusammengehalten werden“180. Mit rationaler Beweisführung macht Athenagoras den Lesern klar, dass es dieser Gott ist, der Schöpfer des Alls, an den die Christen glauben. In leg. 10 181 nennt der Autor verschiedene Attribute des einen und einzigen Gottes und versucht zum ersten Mal, die Trinität Gottes theologisch zu erklären. Weitere Ausführungen, die beweisen, dass die Christen keine Atheisten sind, werden den christlichen Lehrsätzen gewidmet, damit die Leser sich nicht von den unvernünftigen Gerüchten beeinflussen lassen, sondern Einblick in die Wahrheit gewinnen können. Zunächst wird die Feindesliebe 182 der Christen begründet, dann Tod, Gericht und Belohnung.183 Der wesentliche Vorwurf gegen die Christen beruht nach Athenagoras auf zwei Säulen: der Nichtteilnahme an allgemeinen Opfern sowie der Verneinung jener Götter, an die der Staat glaubt. 184 Denn die heidnische Religion bezeichnete jeden, der von ihren Riten abwich, als gottlos bzw. als Ketzer. Die Wahrheit jedoch besteht darin – so wendet sich Athenagoras an die Herrscher –, dass der wirkliche Gott der Opfer, des Blutes und des Duftes nicht bedarf. Wenn also alle Menschen die gleichen Götter gehabt hätten, so hätte man nicht unterscheiden können, was Gott und was Stoff oder was „[…] das Ungewordene und das Gewordene, das Seiende und das nicht Seiende, das geistig und das sinnlich Wahrnehmbare“ 185 sei. In einer Fragestellung führt Athenagoras aus: „Wären Stoff und Gott ein und dasselbe, nur zwei Bezeichnungen für eine Sache, dann wären wir freilich keine Gottesverehrer. Denn Stein und Holz, Gold und Silber sind für uns keine Götter. Wenn aber Stoff und 178 179 180 181 182 183 184 185
Diagoras aus Melos, Zeitgenosse des Protagoras, Anhänger der atomischen Philosophie, wurde wegen Profanierung der Mysterien aus Athen vertrieben. Vgl. Athenag., leg. 6 (ed. M. Marcovich 31–33). Athenag., leg. 6,3 (ed. M. Marcovich 32). Athenag., leg. 10 (ed. M. Marcovich 39–41). Vgl. Athenag., leg. 11 (ed. M. Marcovich 42f.). Ausführlich vgl. U. Heil, Menschenliebe 229–247. Vgl. Athenag., leg. 12 (ed. M. Marcovich 44f.). Vgl. Athenag., leg. 13 (ed. M. Marcovich 46f.). Athenag., leg. 15,1 (ed. M. Marcovich 50).
116
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Gott voneinander völlig verschieden sind, etwa so, wie der Handwerker und das zu seinem Handwerk nötige Material, warum macht man uns dann Vorwürfe?“186 Der Autor kritisiert die Götterstatuen und Götterbilder, vor allem die Entstehung der Artemisstatue zu Ephesus und zu Athen, denn „keines dieser Götterbilder kann sich rühmen, etwas anderes zu sein als Menschenwerk. […] Erde sind sie und Steine und Holz und verschwendete Kunst.“187 Athenagoras äußert sich auch dazu, warum er die Götterbilder angreift und sie als das, was sie tatsächlich sind, nämlich Götzen, darstellt. Er versucht auf diese Weise den Vorwurf gegen die Christen zu entkräften, sie seien gottlos, um so ihren Glauben zu rechtfertigen.188 Der Autor kritisiert zugleich heidnische Götter, indem er ihre abscheulichen Taten, wie sie in den Mythen erzählt werden, ironisch und polemisierend beschreibt.189 Schließlich beendet Athenagoras seine Ausführungen über den Vorwurf folgendermaßen: „Dass wir keine Atheisten sind, da wir an Gott, den Schöpfer dieses Alls, und an seinen Logos glauben, das habe ich, vielleicht nicht in einer der Sache angemessenen Weise, aber doch so gut ich es vermochte, bewiesen.“190 3.3
Verteidigung der Christen gegenüber dem Vorwurf ödipodeischer Ausschweifungen
Der erste Satz in leg. 31,1 ist eine Überleitung zu den anderen Vorwürfen gegen die Christen. Er sagt: „Ferner dichten [die Heiden] uns an, wir würden uns bei gottlosen Mahlzeiten und Beilagern vergnügen, einerseits um sich selbst zu bestätigen, uns mit Recht zu hassen, anderseits in der Erwartung, uns durch Einschüchterung von unserer Lebensweise abzubringen oder durch die Schwere der Anklagen die Behörden gegen uns einzunehmen und zu schonungslosem Vorgehen zu veranlassen.“191 Daraus ergibt sich, dass die Christen wegen ihres Namens verhasst, eingeschüchtert, vor den Behörden angeklagt und dem Unrecht ausgesetzt wurden. Athenagoras wirft zugleich der Menge vor, sie sei unvernünftig, denn ähnliche Methoden wie die gegen die Christen wurden schon gegen Pythagoras, Heraklit, Demokrit und Sokrates angewendet. Einige von diesen haben den 186 187 188 189 190 191
Athenag., leg. 15,2 (ed. M. Marcovich 50). Athenag., leg. 17,3 (ed. M. Marcovich 55). Vgl. Athenag., leg. 18 (ed. M. Marcovich 55–58). Vgl. Athenag., leg. 19–30 (ed. M. Marcovich 58–99). Athenag., leg. 30,3 (ed. M. Marcovich 99). Athenag., leg. 31,1 (ed. M. Marcovich 99).
III. Athenagoras
117
Tod gefunden, andere wurden ausgewiesen. Trotzdem konnte man die Tugenden nicht beseitigen. Ebenso wird es hier ablaufen: Die Christen werden angegriffen und verleumdet, aber dies alles wird letztlich wirkungslos bleiben, da sie bei Gott Gefallen gefunden haben. Für den Autor ist klar, warum die Heiden die Christen mit unwahren Anschuldigungen verleumden. Sie feiern die Leidenschaften ihrer Götter, z. B. die des Zeus, als Mysterien.192 Dementsprechend müsste man zunächst Zeus verabscheuen, der offensichtlich ein ausschweifendes Leben führte und gleichzeitig Beziehungen zur eigenen Mutter Rhea, zu seiner Schwester und zu seiner Gemahlin pflegte. Den Christen Zügellosigkeit vorzuwerfen, nur weil sie sich als Brüder und Schwestern bezeichnen, sei absurd. Je nach dem Alter nennen sich die Christen Söhne und Töchter, Brüder und Schwestern, Väter und Mütter. Nennt ein Christ eine Mitchristin Schwester oder einen Mitchristen Bruder, hat dies nichts mit Sexualität und schon gar nichts mit Inzest zu tun, denn der Leib eines jeden wird nicht entweiht, bleibt also heilig und unbefleckt. Weiter führt Athenagoras aus, es sei verboten, Mitchristen zweimal zu küssen. Jeder gebe nur mit Vorsicht einen Kuss und Gruß, ansonsten könnte man sich selbst des ewigen Lebens berauben. Um des ewigen Lebens willen haben christliche Männer nur eine Frau, um Kinder zu zeugen.193 Andere bleiben in der Hoffnung auf Gottes intensivere Nähe jungfräulich. Sogar jeder, der eine zweite Ehe eingeht, begeht nach Athenagoras Ehebruch. Der Autor vergleicht die Heiden, die selber ein ausschweifendes Leben führen, mit Fischen, denn „auch diese verschlingen alles, was ihnen vor das Maul schwimmt, und der Stärkere jagt den Schwächeren“194. 3.4
Distanzierung der Christen von thyesteischen Praktiken
Dass die Christen keine Kannibalen195 sein können bzw. nichts zu tun haben mit thyesteischen Praktiken, beweist Athenagoras in logischer Schrittfolge.196 Erstens: Um Menschenfleisch essen zu können, muss man zunächst einen Menschen töten. Dass dies durch Christen geschehe, sei eine von den Heiden erdichtete Lüge. Damit solches bewiesen werden könnte, müsste man einen Menschenmord und das Verzehren von Menschenfleisch beobachtet haben, man darf solches nicht einfach nur behaupten. 197 Zweitens: Sogar die Skla192 193 194 195 196 197
Vgl. hier und im Folgenden Athenag., leg. 32 (ed. M. Marcovich 101–103). Vgl. Athenag., leg. 33 (ed. M. Marcovich 104f.). Athenag., leg. 34,2 (ed. M. Marcovich 107). Mit e;gklhma avvnqrwpofagi,aj deutet Athenagoras auf böswillige Missinterpretation des Herrenmahls durch die Heiden hin; vgl. M. Peglau, Presbeia 17. Vgl. Athenag., leg. 35f. (ed. M. Marcovich 108–112). Vgl. M. Peglau, Presbeia 94–97; 112.
118
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
ven, die nichts verheimlichen können198, wissen nichts davon. Drittens: Den Christen ist es sogar verboten, bei Gladiatorenspielen und Tierkämpfen zuzusehen, weil es keinen großen Unterschied macht, einen Menschen zu töten oder eine Tötung mit anzusehen. „Wie sollten also [Christen], die niemals [bei Tötungen] zusehen, damit sie sich nicht mit Blutschuld und Frevel beflecken, jemand töten können?“199 Viertens: Die Christen nehmen keinem Menschen das Leben, vielmehr betrachten sie auch den menschlichen Embryo als einen Menschen, um den sich Gott sorgt. Nach dem christlichen Glauben kommt Kindsaussetzung einem Kindsmord gleich. 200 Fünftens: Die Christen glauben an die Auferstehung der Toten, deswegen ist es für sie inkonsequent, das Fleisch von Menschen zu essen, deren Leiber man ehrenvoll bestattet in der Hoffnung, dass sie zukünftig auferstehen werden.201 3.5
Die Christen seien loyal zum Staat
Athenagoras bemüht sich, den Herrschern klarzumachen, dass Christen ihre Loyalität zum Staat täglich in ihrem Leben beweisen. 202 Er nennt die Herrscher „würdig“ (a;xioi), womit er die Sympathie der Kaiser für die Sache der Christen zu gewinnen versucht.203 Zusammenfassend sagt der Autor, dass er alle Anschuldigungen gegen die Christen entkräftet und Nachweise gegeben habe, dass sie Gott verehren und ein anständiges Leben führen. Mit der nochmaligen Erwähnung, dass die Christen den Herrscher des Staates in ihr Gebet204 einschließen, sollen die Adressaten endgültig der Kooperationszusage der Christen vergewissert werden. Nach Athenagoras haben die Christen ihrerseits die Verpflichtungen als loyale Diener des Staates nicht nur abgeleistet, sondern weit übertroffen, denn die erwähnte Fürbitte für die Kaiser geht weit über Gehorsam und Loyalität hinaus. 205 Mit der Bezeichnung a;xioi drängt Athenagoras die Kaiser dazu, die Bitten oder Erwartungen ihres Gegenübers zu erfüllen. Beide Seiten, also die bittende und die erfüllende, würden davon nur profitieren. Davon ausgehend sollten beide Parteien „Ehre und Integrität des anderen durch gewissenhafte Einlösung der eigenen Verbindlichkeiten bestätigen“206. In den letzten Sätzen seiner Bittschrift hebt Athe198 199 200 201 202 203 204 205 206
Angeblich gab es die Meinung, dass die Sklaven nichts verheimlichen konnten. Athenag., leg. 35,1 (ed. M. Marcovich 109). Vgl. Athenag., leg. 35,2 (ed. M. Marcovich 110). Vgl. Athenag., leg. 36,1 (ed. M. Marcovich 110). Vgl. M. Peglau, Presbeia 22; 115–117. Vgl. Athenag., leg. 37,1 (ed. M. Marcovich 113). Schon in Athenag., leg. 11 (ed. M. Marcovich 42f.) sagt Athenagoras, dass die Christen für alle beten, sogar für ihre Feinde. Vgl. M. Peglau, Presbeia 116. Ebd.
IV. Origenes
119
nagoras besonders die Bestätigung der Kaiser auf dem Thron, das Wachstum des Reiches, das siegreiche Herrschen und das Ansehen des Kaiserhauses hervor, um weiter zu zeigen, dass es im Interesse der Christen sei, ruhig und friedlich zu leben und sich so für den Fortbestand der von Gott gefügten Ordnung gemäß ihren Kräften einzusetzen. 3.6
Ausbreitung der christlichen Lehre unter Ungebildeten „Bei uns dagegen findet man auch ungebildete Leute (ivdiw/tai207), Handwerker und alte Mütterchen, die, wenn sie auch nicht imstande sind, mit Worten die Nützlichkeit ihrer Lehre darzulegen, so doch durch Werke die Nützlichkeit ihrer [Lebens-]Grundsätze aufzeigen. Denn sie sprechen nicht auswendig Gelerntes nach, sondern sie handeln [stets] in gutem Sinne: Wenn sie geschlagen werden, schlagen sie nicht zurück, werden sie ausgeraubt, gehen sie nicht vor Gericht; den Bittenden geben sie, den Nächsten lieben sie wie sich selbst.“208
Daraus konnte die Ansicht entstehen, die christliche Lehre verbreite sich nur unter Ungebildeten.209 Im Vergleich zu den Sophisten, die angeblich Erkenntnis, aber keine guten Taten vorzuweisen hatten, konnten die Christen ohne intellektuelle Fähigkeiten Güte und Hilfsbereitschaft in ihrem Alltagsleben nachweisen. Die Heiden dürften Anstoß an der Verbreitung des Christentums genommen haben, da sie vermutlich der Ansicht waren, diese Religion sei Leuten hohen Ranges unwürdig, weil sie keine Vernünftigen bzw. Philosophen zu faszinieren vermag.
IV.
Origenes
1.
Werdegang des Origenes
Zu den bedeutendsten Vertretern der frühchristlichen Apologetik gehört Origenes. Er wurde um 185 in Alexandrien geboren.210 Sein Vater Leonidas, der ihn mit der Heiligen Schrift vertraut gemacht hatte, starb als Märtyrer. Origenes war als Grammatiklehrer tätig, gab dies aber bald auf, um die Heiden, die bekehrungswillig waren, zu unterweisen. Um philosophische Fragen 207
208 209 210
Das dürfte schon ein massiver Vorwurf gegen die Christen gewesen sein, denn z. B. in Apg 4,13 verwendet auch Lukas das Wort für die Charakterisierung von Petrus und Johannes. Athenag., leg. 11,3 (ed. M. Marcovich 43). Vgl. dazu U. Heil, Menschenliebe 238. Vgl. hier und im Folgenden J. Vogt, Art. Origenes 528.
120
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
beantworten zu können, studierte er Philosophie bei dem Platoniker Ammonios Sakkas. Dabei entdeckte er im Platonismus viele Berührungspunkte mit der Heiligen Schrift. Origenes genoss hohes Ansehen bei seinen Anhängern. Damals traten viele Heiden zum Christentum über und mussten in die christliche Lehre eingeführt werden. Diese Einführung übertrug Origenes seinem Helfer Heraklas – er selbst behandelte mit neuen Christen tiefere theologische Fragen. Seine Antworten auf manche umstrittene Fragen erregten das Misstrauen von Bischof Demetrius. Um 230 weihte der Bischof von Cäsarea Origenes zum Priester, woraufhin Demetrius zwei Synoden einberief und ihn aus der Gemeinde ausschloss. Origenes sammelte dagegen in Cäsarea eine Schülergemeinschaft um sich. Im Auftrag des dortigen Bischofs sollte er auch zu allen Büchern der Heiligen Schrift Predigten verfassen. Während der Verfolgung unter Decius (249–251) wurde Origenes so schwer gefoltert, dass er, etwa im Jahre 253, an den Folgen starb. 2.
Die Motivation von Origenes für sein Werk Contra Celsum
Origenes verfasste seine Schrift Contra Celsum auf die Bitte seines Freundes und Gönners Ambrosius211, der durch Origenes zum Christentum geführt wurde. Als reicher Alexandriner unterstützte Ambrosius 212 das theologische Wirken seines Lehrers, indem er ihm unter anderem ein gut ausgestattetes Schreibbüro zur Verfügung stellte.213 Darüber hinaus regte Ambrosius Origenes dazu an, weitere theologische Literatur zu schaffen, was von ihm auch finanziell gefördert wurde. Als Origenes die Stadt Alexandrien verlassen musste und nach Cäsarea ging, folgte ihm auch sein Förderer. Hier entstand zwischen 245 und 248 das aus acht Büchern bestehende Werk Contra Celsum, ca. siebzig Jahre nach der Verfassung der Schrift „Die wahre Lehre“ seines Gegners Celsus.214 3.
Die Person des Celsus
Über die Person des Celsus war Origenes nicht gut informiert. 215 Das Wenige, was wir über ihn wissen, ist dem Werk von Origenes entnommen. Es könnte sein, dass Origenes seinen Kontrahenten gar nicht näher beschreiben wollte. Wir erfahren von ihm über dessen Tod, der bereits lange Zeit zurück211 212 213 214 215
Vgl. Orig., c. Cels. praef. 1 (ed. M. Fiedrowicz 182); praef. 3 (ed. M. Fiedrowicz 184); c. Cels. 3,1 (ed. M. Fiedrowicz 514); 8,76 (ed. M. Fiedrowicz 1474). Zu Ambrosius vgl. A. Fürst, Christentum 68f. Vgl. hier und im Folgenden M. Fiedrowicz, Einleitung 9f. Vgl. C. Bussmann, Origenes 48–51. Vgl. M. Fiedrowicz, Einleitung 13–19.
IV. Origenes
121
lag,216 und über zwei Epikureer, die beide den Namen Celsus trugen. Einer von ihnen lebte zur Zeit Neros (54–68), der andere – der hier betrachtet wird – unter Hadrian (117–138) und noch später.217 Es ist unklar, ob der Autor namens Celsus, der mehrere Bücher gegen die Magie geschrieben hat, mit dem Autor218 des VAlhqh.j lo,goj identisch ist. Ebenso ist es für Origenes fraglich, ob dieser Verfasser derselbe ist, der zwei weitere Bücher gegen die Christen schrieb.219 Zudem ist unbekannt, welcher philosophischen Schule Celsus angehörte. Anfangs weist Origenes ihn dem Epikureismus zu, später aber dem Platonismus220. Obwohl die griechische Form Kelsos auf den lateinischen Namen Celsus zurückgeht, lassen sich keine eindeutigen Angaben für eine römische Herkunft des Verfassers ausmachen. Die Notizen bei Origenes weisen allerdings auf einen umfassend gebildeten Mann hin, der sehr gute Kenntnisse im Bereich der Literatur, Religionsgeschichte und Philosophie hatte. Im Vergleich zu den „ungebildeten Christen“ sagt Celsus von sich selbst, dass er alles weiß.221 Celsus hält sich für kompetent, den Irrtum der Christen sowie der Juden aufzuklären und sie über Gott, die Welt und die Menschen zu belehren. Er versteht sich als Lehrer, der die Wahrheit verkündet.222 Um die Christen und ihren Glauben gründlich kritisieren zu können, bemüht sich Celsus, auch die Schriften dieser neuen Religion zu studieren. Nach Origenes steckt in der Schrift des Celsus viel Unsinn, weil sein fiktiver Jude die Evangelienschriften der Christen verstanden zu haben meint, was aber überhaupt nicht stimmt.223 Es finden sich bei Celsus auch einige Berührungspunkte mit der apologetischen Literatur. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass er z. B. Werke des Justin oder Aristides gelesen oder etwas über deren Inhalte gehört hatte.224 4.
VAlhqh.j lo,goj
Die Schrift des Celsus ist nicht als ein Ganzes erhalten geblieben. Es lassen sich jedoch die ursprünglichen Teile des Werkes auf Grund der Widerlegung durch Origenes, der Celsus zitiert oder seine Passagen paraphrasiert und
216 217 218 219 220 221 222 223 224
Vgl. Orig., c. Cels. praef. 4 (ed. M. Fiedrowicz 188). Vgl. Orig., c. Cels. 1,8 (ed. M. Fiedrowicz 204–206). Vgl. Orig., c. Cels. 1,68 (ed. M. Fiedrowicz 340–342). Vgl. Orig., c. Cels. 4,36 (ed. M. Fiedrowicz 734–736). Zum Platonismus und Mittelplatonismus des Celsus vgl. M. Fiedrowicz, Einleitung 19–22; H. E. Lona, Wahre Lehre 42–49. Vgl. Orig., c. Cels. 1,12 (ed. M. Fiedrowicz 212–214). Vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 32–34. Vgl. Orig., c. Cels. 2,74 (ed. M. Fiedrowicz 496–498). Vgl. K. Pichler, Streit 45–50.
122
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
wiedergibt, weitgehend erschließen.225 Celsus-Fragmente kommen sowohl in einer abgrenzbaren, direkten Form als auch in indirekter Form vor. Origenes nimmt häufig einzelne Begriffe oder Satzteile aus dem Werk des Celsus und integriert sie in eigene Ausführungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Origenes möglicherweise vieles geändert bzw. eigene Akzente gesetzt hat. Besonderes schwierig ist es bei der Rekonstruktion des Werkes VAlhqh.j lo,goj, in dem viele Anspielungen eine Rolle gespielt haben, die aber nur im Kontext zu verstehen sind. Aus diesem Grund lässt sich nicht eindeutig sagen, was von Origenes stammt und was auf Celsus zurückgeht. Die Rekonstruktionsvarianten des ursprünglichen Textes von Celsus aus den CelsusZitaten des Origenes sind in der Forschung unterschiedlich bewertet worden.226 Mit dem Titel des Werkes gibt Celsus einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis seiner Argumentation und seiner Beurteilung der Christen. Er wollte den „falschen Lehren“ der Juden und Christen eine „wahrhaftige Lehre“ gegenüberstellen. Der platonische Titel seiner Schrift deutet auf die Absicht hin, die Leser davon zu überzeugen, dass die „wahre Lehre“ nicht im Christentum, sondern in der mittelplatonischen Philosophie und Theologie zu finden sei.227 4.1
Entstehungsort
Als mögliche Entstehungsorte seines Werkes „Die wahre Lehre“ wird in der Forschung über Rom und Alexandrien diskutiert.228 Nach Fiedrowicz sprechen für Alexandrien folgende Gründe: „Dort wurde Alethes Logos erstmals bekannt, dort entstand wahrscheinlich der von Celsus zitierte ,Dialog zwischen Papiskos und Jason‘, dort besaß der für Celsus maßgebliche Mittelplatonismus eine führende Position, dort war schließlich in der so genannten Alexandrinischen Schule jenes geistige Milieu gegeben, das als Hintergrund seiner Auseinandersetzungen mit dem Christentum erkennbar wird.“ 229 Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Alexandrien also der Entstehungsort von VAlhqh.j lo,goj.
225 226 227
228 229
Vgl. M. Fiedrowicz, Einleitung 22; K. Pichler, Streit 8–14; H. E. Lona, Wahre Lehre 16–19. Vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 17f. Vgl. Orig., c. Cels. praef. 4f. (ed. M. Fiedrowicz 186–190); c. Cels. 4,62 (ed. M. Fiedrowicz 792); 4,84 (ed. M. Fiedrowicz 834–836); vgl. auch H. Dörrie, Theologie 25f.; 43–48. Vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 56; auch K. Pichler, Streit 97f. M. Fiedrowicz, Einleitung 35.
IV. Origenes
4.2
123
Entstehungszeit
Die sehr knappe Angabe des Origenes über die Lebenszeit des Celsus ist bei der Datierung von VAlhqh.j lo,goj nur wenig behilflich.230 Es gibt dazu in der Forschung verschiedene Meinungen. Nach Keim231 ist die Entstehungszeit zwischen 177 und 178 anzusetzen. Als Begründung dafür dienen Hinweise, wie: eine Pluralform232 – unsere gegenwärtigen Herrscher –, sowie der Ausdruck der Angst, dass der Kaiser in die Hände der Barbaren fallen und das Reich zugrunde gehen könnte.233 Von dieser Datierung nach Keim gibt es keine große Abweichung. Aube,234 spricht von der Zeit zwischen 176 und 180; Funk235 gibt 170–185 an. Pichler entscheidet sich dafür, eher „einen weiteren Zeitraum, von der Mitte des 2. Jh.s bis zu Beginn des 3. Jh.s offenzulassen, als ein bestimmtes Datum anzugeben und dann hinzuzufügen, daß dieses Datum auf Mutmaßungen basiere“236. Ihm aber widerspricht Lona, der solche Abweichung für unlogisch hält. Denn solche Aussagen, wie Misshandlungen und Folterqualen der Christen,237 die Pluralform „unsere Herrscher“238 oder eine Aussage über die Gefahr, dass die Barbaren die Herrschaft auf Erden übernehmen239 und die Kaiser gefangen genommen werden könnten240, sowie ein dringender Aufruf an die Christen, dem Kaiser beizustehen241, passen wohl nur zum Ende der Regierungszeit des Mark Aurel (161–180). Deshalb erscheint die Entstehungszeit zwischen 177 und 180 plausibel. 5.
Aussageabsicht des Celsus und die Adressaten des Werkes
Was die Aussageabsicht des Celsus angeht, lassen sich, wie oben beschrieben, nur einige Informationen aus Contra Celsum ableiten. So tritt er als ein gebildeter Gegner der Christen auf und will sie mit seiner Schrift auf literarischer Ebene bekämpfen.242 Darüber hinaus verfolgt er das Ziel, das Christen230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242
Vgl. Orig., c. Cels. 1,8 (ed. M. Fiedrowicz 204–206). Vgl. Th. Keim, Rom 392f. Vgl. Orig., c. Cels. 8,71 (ed. M. Fiedrowicz 1462). Vgl. Orig., c. Cels. 8,68 (ed. M. Fiedrowicz 1456–1458). Vgl. B. Aubé, Perse,cutions 195. Vgl. F.-X. Funk, Zeit 314; W. Völker, Bild 12, Anm. 29. K. Pichler, Streit 97; mehr dazu vgl. K. Pichler, Streit 94–97. Vgl. Orig., c. Cels. 8,65 (ed. M. Fiedrowicz 1450). Orig., c. Cels. 8,71 (ed. M. Fiedrowicz 1462). Vgl. Orig., c. Cels. 8,68 (ed. M. Fiedrowicz 1458). Vgl. Orig., c. Cels. 8,71 (ed. M. Fiedrowicz 1462–1464). Vgl. Orig., c. Cels. 8,73 (ed. M. Fiedrowicz 1468–1470). Vgl. Orig., c. Cels. 2,63 (ed. M. Fiedrowicz 476): „Abhandlung gegen die Christen und ihren Glauben“; 6,22 (ed. M. Fiedrowicz 1048): „Celsus [will] seine Bildung in dem gegen uns gerichteten Werk zur Schau stellen“.
124
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
tum Schritt für Schritt als eine irrtümliche Religion zu entlarven, deren Lehrsätze für gebildete Heiden lächerlich erscheinen müssen. 243 Er ist sich dessen bewusst, dass das Christentum große Anziehungskraft besitzt und viele Sympathisanten unter den Heiden hat; diese zu neutralisieren und jene von ihrem Irrtum zu überzeugen, war sein Anliegen. Celsus begnügt sich aber nicht damit, seine Gegner anzugreifen, sondern er bemüht sich zugleich, sie zu belehren, ihnen die „wahre Lehre“ darzulegen. In den Belehrungen über Gott, Welt und Menschen wird, so Celsus, „wirkliche“ Wahrheit aufgezeigt, die von einem gesunden Verstand abzuleiten ist. Seine Ausführungen sollten vermutlich auch die Christen dazu bewegen, ihren Glauben aufzugeben und zu der traditionellen Religion zurückzukehren. Eine ähnliche literarische Art, mit der Gegner bekämpft, Leser unterrichtet und für eigene Überzeugungen geworben werden, erkennt man auch bei den christlichen Apologeten. Es handelt sich dabei vermutlich aber nicht um eine Kopie der heidnischen literarischen Gattung, sondern um ähnliche Absichten, die in den jeweiligen Schriften zum Ausdruck gebracht wurden. Obwohl Celsus die Christen als eine Randgruppe der Gesellschaft betrachtete, sieht er in deren Lehre und Lebensweise eine Bedrohung für seine Zeitgenossen. Dementsprechend kritisiert Celsus das Christentum; gefährde es doch die bestehende irdische und metaphysische Ordnung, wie es auch mit sämtlichen Überlieferungen (no,moj) breche, Neuerungen einführe sowie dem vernünftig-logischen Denken (lo,goj) Paradoxien entgegenstelle. Wie der Gerechte im platonischen Staat fühlt er sich um alle gleichermaßen besorgt244 und weiß sich daher verantwortlich für den Schutz des griechischen Ideals einer Lebensform nach dem Logos und Nomos vor der antiintellektuellen und antitraditionellen Haltung des Christentums.245 Darum bemüht sich Celsus, die Fundamente der neuen christlichen Religion negativ konnotiert bloßzustellen, und warnt vor möglichen fatalen Konsequenzen für die Gesellschaft. Sollten sich die Menschen doch bei der Annahme von Lehren der Vernunft und einem vernünftigen Führer anvertrauen und sich nicht von den Christen, die er mit den Bettelpriestern der Kybele, den Verehrern des Mithras und ähnlichen Kreisen vergleicht, ausnutzen und täuschen lassen.246 Zur Entlarvung des seines Erachtens logos- und traditionsfeindlichen sowie plagiatorischen Christentums bedient sich Celsus dabei „je nach Sachlage […] der Philosophie, der Geschichte, der Überlieferung, des
243 244 245 246
Vgl. zum gesamten Abschnitt 5 hier und im Folgenden M. Fiederowicz, Einleitung 28f.; 31–34. Vgl. M. Fiedrowicz 213 Anm. 55 zu Orig., c. Cels. 1,12. Vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 21f.; 51. Vgl. Orig., c. Cels. 1,9 (ed. M. Fiedrowicz 206).
IV. Origenes
125
gesunden Menschenverstandes, des Nationalgefühls [und] des Zeugnisses anderer Religionen mit ihren frappierenden Analogien“247. Was die Adressaten des VAlhqh.j lo,goj angeht, folge ich der Meinung von Fiedrowicz und Lona.248 Sprachlich und inhaltlich deutet das Werk auf eine Gruppe von Gebildeten hin, die Interesse am Christentum hatten. Die Schrift in ihrer dreifachen Dimension – Polemik, Belehrung und Werbung – beabsichtigt, jeden anzusprechen, entsprechend seiner Einstellung zum Christentum. Somit richtet sich „Die wahre Lehre“ des Celsus an eine breit gefächerte Leserschaft. Am Schluss seines Werkes249 lädt Celsus die Christen ein, ihre Lehre aufzugeben und sich in die römische Gesellschaft zu integrieren. Sie sollten sich auch politisch250 engagieren bzw. Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen und so den Kaiser unterstützen.251 Dieses politische Anliegen war vielleicht kein Hauptanliegen des Celsus, aber dass es eine Rolle gespielt hat, ist außer Zweifel. Die abschließenden Kapitel erscheinen wie versöhnende Gesten den Christen gegenüber. Doch fordert Celsus hier eigentlich nur alle auf, besonders jetzt, in einer schwierigen, bedrängten Lage 252, zusammenzustehen; er revidiert deshalb aber keineswegs seine negative Einschätzung des Christentums. 6.
Das Bild von den Christen: Die Vorwürfe des Celsus gegen die Christen und ihre Widerlegung durch Origenes
6.1
Die Christen bilden angeblich heimliche Zusammenschlüsse
Origenes führt gleich am Anfang seines ersten Buches die Hauptvorwürfe des Celsus an, mit denen die Christen attackiert wurden.253 Im Gegensatz zu den üblichen Formen des Gemeinschaftslebens in der Gesellschaft bildeten die Christen „untereinander heimlich Zusammenschlüsse gegen die gesetzliche Ordnung“254. Des Weiteren beschreibt Celsus diese Gruppe mit folgender Aussage: „Unter den Zusammenschlüssen (sunqh,kh) gibt es nämlich einerseits öffentliche, die in Übereinstimmung mit den Gesetzen (kata. no,mouj 247 248 249 250 251 252 253 254
M. Fiedrowicz, Einleitung 33. Vgl. M. Fiedrowicz, Einleitung 33f.; H. E. Lona, Wahre Lehre 52–54. Vgl. Orig., c. Cels. 8,68–76 (ed. M. Fiedrowicz 1456–1474). Zur religionspolitischen Intention des Celsus vgl. K. Pichler, Streit 86–93; H. E. Lona, Wahre Lehre 50. Vgl. Orig., c. Cels. 8,73 (ed. M. Fiedrowicz 1468–1470); 8,75 (ed. M. Fiedrowicz 1472–1474). Vgl. Orig., c. Cels. 8,68 (ed. M. Fiedrowicz 1456–1458). Vgl. Orig., c. Cels. 1,1 (ed. M. Fiedrowicz 194–196); H. E. Lona, Wahre Lehre 72. Orig., c. Cels. 1,1 (ed. M. Fiedrowicz 194; übers. C. Barthold 195).
126
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
gi,nontai) erfolgen, andererseits verborgene, die gegen die gesetzliche Ordnung (para. ta. nenomisme,na) zustandekommen.“255 Diese Zusammenschlüsse kommen zustande, weil jedes Mitglied sich dazu verpflichtet fühlt. Bestimmte Sitten und Gewohnheiten hatten damals also, aus der Tradition heraus, gesetzesähnlichen Charakter.256 Die christlichen Zusammenkünfte hatten damals gewissermaßen den Charakter von Geheimtreffen (kru,bdhn).257 Christen galten als Mitglieder einer geheimen Gemeinschaft 258. Dies wurde von Celsus verurteilt, da nach dem damaligen Verständnis eben nur öffentliche Zusammenkünfte legitim waren. Darauf antwortet Origenes und bringt ein Beispiel: Einer sei unter die Skythen geraten, bei denen frevelhafte Gesetze gelten. Er hat keine Möglichkeit zu entkommen und wäre sogar gezwungen, zusammen mit den Skythen zu leben. Darum dürfte jener „mit gutem Grund wegen des Gesetzes der Wahrheit, das bei den Skythen als Gesetzwidrigkeit gilt, mit Gleichgesinnten […] Zusammenschlüsse bilden“, auch wenn es gegen die „gesetzliche Ordnung“ jenes Volkes geschieht. „Ebenso sind vor dem Richterstuhl der Wahrheit die Gesetze der Heiden über die Götterbilder und den gottlosen Polytheismus noch frevelhafter als die Gesetze der Skythen.“259 Mit dieser Argumentation versucht Origenes die christlichen Zusammenkünfte auch gegen die geltende gesetzliche Ordnung zu rechtfertigen, weil sie um der Wahrheit willen geschehen. Des Weiteren sagt er, dass jene sittlich gut handeln, die sich gegen einen herrschenden Tyrannen wenden und sich heimlich treffen, um diesen Tyrannen zu beseitigen. Ebenso müssen die Christen, unter der Tyrannei des Teufels und der Lüge stehend, sich gegen eine vom Teufel stammende gesetzliche Ordnung wenden und eigene Zusammenschlüsse bilden. Damit auch die Heiden Rettung finden können, sollten sie sich dem entziehen, „was einem Gesetz von Skythen und Tyrannen gleicht“260. 6.2
Die falsche und negative Darstellung der christlichen Liebe
Im Zusammenhang mit dem obigen Vorwurf weist Celsus auf ein wesentliches Merkmal der christlichen Zusammenschlüsse hin, wonach in der christlichen Liebe zueinander (h` avga,ph Cristianw/n) die Grundlage für die Ge255 256
257 258 259 260
Ebd. Vgl. Orig., c. Cels. 5,25 (ed. M. Fiedrowicz 918–920); 8,69 (ed. M. Fiedrowicz 1458–1460). Dementsprechend lässt sich vermuten, warum für die Römer die christlichen Sitten in Apg 16,21 so gefährlich waren. Auch für Plin., Briefe X,96,7 spielte das Motiv eine Rolle. Vgl. Orig., c. Cels. 8,17 (ed. M. Fiedrowicz 1352): to. pisto.n avfanou/j kai. avporrh,tou koinwni,aj. Orig., c. Cels. 1,1 (ed. M. Fiedrowicz 194; übers. C. Barthold 195). Ebd.
IV. Origenes
127
meinschaftsbildung zu erkennen ist. 261 Diese Liebe wird von Celsus kritisiert und stellt die Christen als fragwürdige Gemeinschaft dar. Bezüglich der avga,ph in diesem Kontext zeigt sich deutlich die christliche Überlieferung. Zwar war den Außenstehenden vermutlich die gewachsene Hilfsbereitschaft unter den Christen im Rahmen der Christenverfolgung bekannt, nicht aber das Liebesgebot Christi, das die tatsächliche Begründung für die Agape unter den Christen war. Die Liebe unter den Christen wird negativ beurteilt, insofern sie „aus der gemeinsamen Gefahr resultiere und stärker sei als jeder Eid“262. Daher könne, so Celsus, eine solche Liebe keiner höheren Motivation entspringen und sei nur eine verbindende und verpflichtende Kraft zwischen den Christen. 6.3
Die Christen verstoßen gegen das gültige Gesetz
Die christlichen Zusammenschlüsse galten als ein Verstoß gegen das „gemeinsame Gesetz“.263 Der Ausdruck koino.j no,moj bezeichnet bei Platon z. B. die „goldene und heilige Leitung der vernünftigen Überlegung“264. Aristoteles meint damit im Unterschied zum besonderen Gesetz (i;dioj no,moj) das, was ungeschrieben bei allen Menschen anerkannt zu werden scheint 265 bzw. das Naturgesetz (kata. fu,sin)266. Dieses gemeinsame Gesetz hat Geltung für alle, weil es mit der Vernunft und mit der Natur übereinstimmt. Celsus greift mit seiner Aussage nicht nur das Verhalten der Christen in der Gesellschaft an, sondern den Kern des christlichen Glaubens. Dieser verstößt seiner Ansicht nach nämlich gegen Gesetz und Vernunft, was die wesentliche Kritik des VAlhqh.j lo,goj an den Christen ist. Die Frage nach dem Verstoß gegen das i;dioj no,moj berührt einen anderen Gesichtspunkt.267 Kritisiert werden besonders jene, die eigene Traditionen bzw. Sitten und Gebräuche zugunsten anderer aufgegeben haben. Diese Proselyten, zu denen Celsus auch die Christen zählte, meinten nach Celsus, eine größere Weisheit zu besitzen, und lehnten angeblich jede Gemeinschaft mit anderen ab. Jede Art von Proselytentum wird von Celsus verachtet. Selbst das altehrwürdige Judentum wurde von Celsus verachtet, weil selbst seine Lehre über den Himmel von anderen Völkern stamme. Origenes dagegen sagt, dass die jüdische Lebensform und 261 262 263 264 265 266 267
Vgl. Orig., c. Cels. 1,1 (ed. M. Fiedrowicz 194); H. E. Lona, Wahre Lehre 73; K. Pichler, Streit 119; W. Völker, Bild 45. Ebd. Vgl. Orig., c. Cels. 1,1 (ed. M. Fiedrowicz 194); H. E. Lona, Wahre Lehre 73f.; K. Pichler, Streit 122. Plat., Gesetze 645a (ed. G. Eigler 60). Vgl. Aristot., Rhetorik I,10 (ed. O. Gigon 1368b7). Vgl. ebd. I,13 (ed. O. Gigon 1373b7). Vgl. hier und im Folgenden Orig., c. Cels. 5,41 (ed. M. Fiedrowicz 952–954).
128
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
Lebensführung besser sei als die der übrigen Völker, da die Juden nur die für den Menschen wertvollen Einrichtungen beibehalten haben.268 6.4
Die christliche Sittenlehre sei vulgär und sei weder eine altehrwürdige noch eine neue Wissenschaft
Celsus bezeichnet die ethische Lehre (hvqiko.j to,poj) der Christen als primitiv und vulgär (koino,j).269 Im Gegensatz zur Lehre der anderen Philosophen hat diese Lehre keine Grundlage im hellenistischen Erbe. Sie ist nicht ehrwürdig (ouv semno,n), und zwischen ihr und den von Celsus bewunderten platonischen Worten270 gibt es einen großen Unterschied. Celsus behauptet, dass die christliche Lehre über die allgemein bekannten Grundsätze der Ethik hinaus keine neuen Erkenntnisse bringt.271 Diese Behauptung versucht er zu beweisen mit den Prinzipien der christlichen Demut272 und Armut273 und mit der Widersprüchlichkeit der christlichen Lehre274. Nach der Logik des Celsus gibt es in den platonischen Schriften keine gegensätzlichen Beweisführungen.275 Des Weiteren sagt Celsus, dass er „nichts Neues, sondern seit langem anerkannte Thesen“276 anführe und vertrete. Seiner Argumentation liegt der platonische Dualismus zugrunde.277 Er schenkt auch nur den alten Erzählungen gewisser Nichtgriechen und Griechen Glauben, da er sie für weise hält.278 Origenes verteidigt dagegen die christliche Lehre:279 Hätten nicht alle Menschen das gesunde Vorverständnis im Bereich der ethischen Prinzipien, so könnte der gerechte Gott die Sünden nicht bestrafen. Somit ist klar, dass Gott all das, was er durch Propheten und Jesus Christus verkünden ließ, in das Herz der Menschen eingeschrieben hat und der Mensch daher gegenüber Gott keine Entschuldigung hat. Das deutet auch die Heilige Schrift an, laut der Gott die Gebote mit seinem Finger in die Steintafeln schrieb, wenn diese auch durch die Schlechtigkeit der Anbeter des Goldenen Kalbes zertrümmert, 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279
Vgl. Orig., c. Cels. 5,42 (ed. M. Fiedrowicz 956). Orig., c. Cels. 1,4 (ed. M. Fiedrowicz 198–200). Vgl. dazu W. Völker, Bild 43f.; H. E. Lona, Wahre Lehre 76. Vgl. Orig., c. Cels. 6,18 (ed. M. Fiedrowicz 1042): platwnikw/n lo,gwn semno,teron. Vgl. Orig., c. Cels. 2,5 (ed. M. Fiedrowicz 360). Vgl. Orig., c. Cels. 6,15 (ed. M. Fiedrowicz 1034–1036). Vgl. Orig., c. Cels. 6,16 (ed. M. Fiedrowicz 1036–1038). Vgl. Orig., c. Cels. 7,18 (ed. M. Fiedrowicz 1214–1216). Vgl. C. Andresen, Logos 70. Vgl. Orig., c. Cels. 4,14 (ed. M. Fiedrowicz 684; übers. C. Barthold 685). Vgl. M. Fiedrowicz 684, Anm. 26 zu Orig., c. Cels. 4,14 (ed. M. Fiedrowicz 684). Vgl. Orig., c. Cels. 1,14 (ed. M. Fiedrowicz 218–220). Vgl. hier und im Folgenden Orig., c. Cels. 1,4 (ed. M. Fiedrowicz 198; übers. C. Barthold 199).
IV. Origenes
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also durch „die Flut der Sünde“ hinweggeschwemmt wurden. Gott jedoch schrieb die Gebote ein zweites Mal, „nachdem Mose Steintafeln zurechtgehauen hatte; als wenn das prophetische Wort die Seele nach der ersten Sünde für eine zweite Schrift Gottes bereitet“. Des Weiteren sei die christliche Lehre, Gewalt nicht mit Gewalt zu erwidern (vgl. Lk 6,29), alt und im Sinne Platos, der Sokrates sagen lässt, man dürfe „einem Menschen weder Unrecht erwidern, noch Böses tun, selbst wenn man noch so viel Böses von ihm zu erleiden hat“.280 Dies sei sogar vorher schon von göttlichen Männern vertreten worden.281 6.5
Die christliche Lehre sei eine Geheimlehre
Leider ist diese Aussage des Celsus nicht im Gesamtzusammenhang bekannt, weil man bei Origenes dazu nur eine knappe Erwähnung vorfindet.282 Trotzdem lässt sich der Gedankengang des Christengegners nachvollziehen. Redewendungen wie kru,fion to. do,gma (c. Cels. 1,7), sunqh,kaj krubdh,n (c. Cels. 1,1283), kru,fa poiei/n kai. dida,skein (c. Cels. 1,3284) weisen auf eine Tätigkeit der Christen hin, die bei den Heiden das Gefühl einer Gefährdung hervorrief. Origenes widerspricht einerseits Celsus, indem er sagt, dass fast die ganze Welt to. kh,rugma Cristianw/n besser kennt als die Ansichten der Philosophen.285 Darum sei die Behauptung, es handle sich um eine Geheimlehre, offensichtlich falsch. Geburt, Kreuzigung, Auferstehung und das Endgericht Gottes seien eben nicht unbekannt, wobei die Ungläubigen das Geheimnis der Auferstehung Christi nicht verstehen und es daher verspotten. 286 Andererseits, so Origenes weiter, sei dieser Vorwurf gegen die Christen völlig absurd, denn auch gewisse esoterische Inhalte in der Lehre der Philosophen bleiben der breiten Menge unverständlich. Somit gelte dieser Sachverhalt nicht nur für die Lehre der Christen. Zugleich macht Origenes Celsus den folgenden Vorwurf: Trotz der geheimen Durchführung der heidnischen Mysterienkulte werden diese, im Gegensatz zum Christentum, nicht angegriffen. All diese Angriffe gegen das Christentum basieren nach Ansicht des Origenes nur auf einem mangelnden Verständnis der christlichen Lehre. 280 281 282 283 284 285 286
Orig., c. Cels. 7,58 (ed. M. Fiedrowicz 1298; übers. C. Barthold 1299). Vgl. ebd. (ed. M. Fiedrowicz 1300). Vgl. Orig., c. Cels. 1,7 (ed. M. Fiedrowicz 202–204). Orig., c. Cels. 1,1 (ed. M. Fiedrowicz 194). Vgl. Orig., c. Cels. 1,3 (ed. M. Fiedrowicz 196). Vgl. hier und im Folgenden zum ganzen Abschnitt 6.6 Orig., c. Cels. 1,7 (ed. M. Fiedrowicz 202–204). Ebenso verspotten einige den lukanischen Paulus in Apg 17,18.32, nachdem er ihnen von der Auferstehung der Toten erzählte; zum Thema der Auferstehung vgl. Orig., c. Cels. 3,43 (ed. M. Fiedrowicz 588–590); K. Pichler, Streit 138.
130
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
6.6
Die christliche Lehre sei keine auf alten Wurzeln basierende, ehrwürdige Lehre
Celsus begründet diesen Vorwurf mit der Behauptung, die Christen besäßen keine altehrwürdige Tradition. Solch traditionsreiche Lehren wurden stets nur von weisen Völkern und weisen Männern bewahrt. 287 Zu den weisen Völkern zählt Celsus die Ägypter, Assyrer, Inder, Perser, Odrysen, Samothraker, Eleusinier, nicht jedoch die Juden.288 „Er setzte sich [nämlich] zum Ziel, den Ursprung des Christentums anzugreifen, der sich von den Juden herleitet.“ 289 Diese Abwertung des Judentums ist für Origenes jedoch nicht nachvollziehbar; denn die jüdische Lehre hat durchaus eine alte Tradition und sogar eine gewisse religiöse Verwandtschaft mit den von Celsus genannten Völkern, etwa in Anbetracht der Ähnlichkeit des Judentums mit manchen ihrer religiösen Prinzipien.290 Überhaupt sei Celsus inkonsequent, da er „den Erzählungen der Nichtgriechen und Griechen über das hohe Alter der von ihm aufgezählten Völker Glauben schenkte, während er die Erzählungen allein dieses Volkes [der Juden] als Lüge abstempelt“291. 6.7
Die Christen seien zusammen mit den Juden Aufrührer
Der Text in c. Cels. 3,1292 enthält folgende Angriffe gegen Christen und Juden: Christen und Juden streiten in einfältigster Weise miteinander; sie diskutieren miteinander über Christus, was einem Streit um des Esels Schatten gleicht; dieser Streit habe nichts Ehrwürdiges an sich, denn beide Parteien glauben an einen prophezeiten Erlöser; sie sind sich nur nicht darüber einig, ob der Verkündigte bereits gekommen ist oder erst kommen wird. 293 Mit dem Adverb euvhqe,stata wird allgemein ein Streit zweier Gegner beschrieben, der auf einfältigste, törichteste Weise geführt wird. Der Vergleich (mhde,n diafe,rein) mit des Esels Schatten deutet auf die Belanglosigkeit solcher Streitigkeiten hin. Die Aussage mhde,n semno,n bringt zum Ausdruck, dass der Streit zwischen Juden und Christen (zh,thsij) nichts Ehrwürdiges aufweist. Dem Urteil des Celsus kann man seine Ansicht entnehmen, dass Christen und Juden eine gemeinsame Glaubensbasis haben, nämlich die Erwartung der Ankunft eines Retters der Menschen, der durch den göttlichen Geist ange287 288 289 290 291 292 293
Vgl. Orig., c. Cels. 1,14–27 (ed. M. Fiedrowicz 218–248); vgl. dazu H. E. Lona, Wahre Lehre 83–97; O. Gigon, Kultur 106f. Vgl. Orig., c. Cels. 1,14 (ed. M. Fiedrowicz 220). Orig., c. Cels. 1,16 (ed. M. Fiedrowicz 222; übers. C. Barthold 223). Vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 92. Orig., c. Cels. 1,14 (ed. M. Fiedrowicz 218; übers. C. Barthold 219). Orig., c. Cels. 3,1 (ed. M. Fiedrowicz 514). Diese Streitigkeit konnte nach Celsus eine politische Gefahr für den Staat hervorrufen; vgl. C. Bussmann, Origenes 54–56.
IV. Origenes
131
kündigt worden war. Nach dem Glauben der Christen sei der Retter bereits gekommen, der jüdische Glaube lehnt dies jedoch ab. Den jüdischen Glauben konnte Celsus immerhin noch tolerieren, obwohl sie einiges von den Ägyptern übernommen hätten. Die Juden galten ihm zumindest als eine Nation, als ein Volk, das seine eigenen Gebräuche praktizierte.294 Das Christentum hingegen hatte seine Anhänger in verschiedenen Nationen.295 Diese Tatsache sorgte bei Celsus für Aufregung. Seiner Ansicht nach könnten dadurch die nationale Aufteilung der Erde gefährdet,296 die traditionelle Gottesverehrung der Völker verweigert297 und schließlich die Macht der Kaiser im Römischen Reich abgeschafft werden298. Origenes widerspricht den Angriffen des Celsus und betont, dass die Auseinandersetzung zwischen christlicher und jüdischer Lehre nicht mit einem Streit um des Esels Schatten verglichen werden kann.299 Denn anhand der Aufzeichnungen der jüdischen Propheten lassen sich der Geburtsort Jesu (Mi 5,1f.), die Geburt von einer Jungfrau (Jes 7,14) und die Wunder wirkende Tätigkeit des Prophezeiens (Dtn 28,46; Jes 8,18) beweisen. Darüber hinaus wurde auch vorhergesagt, dass Gott seine Gebote auf die Erde sendet und sein Wort schnell laufen wird (Ps 147,15), dass die Stimme seiner Apostel in alle Welt dringen wird (Ps 19,5), dass Jesus für uns leiden wird (Jes 53,5) und schließlich, dass er nach seinem irdischen Tod auferstehen wird (Ps 16,10). Sollten diese Prophezeiungen zufällig richtig sein, fragt Origenes, wobei in der Frage eine positive Antwort zur Rechtfertigung der christlichen Lehre enthalten ist. Origenes argumentiert, dass die Juden, wie die Schriftbeispiele zeigen, offenbar wahre Propheten von falschen unterscheiden konnten und die Schriften für heilig halten. Somit besteht kein Grund, an der Wahrheit der Aussagen über Christus zu zweifeln. Darüber hinaus musste Origenes auch die Juden verteidigen, denn über sie meint Celsus: „Die Juden seien der Abstammung nach Ägypter und hätten Ägypten verlassen, nachdem sie gegen das Gemeinwesen der Ägypter rebelliert und die religiösen Gebräuche Ägyptens verachtet hätten; […] was sie den Ägyptern angetan hätten, sei ihnen umgekehrt von denen widerfahren, die Jesus folgten und an ihn als Christus glaubten. Und in beiden Fällen 294 295 296 297 298 299
Vgl. Orig., c. Cels. 5,25 (ed. M. Fiedrowicz 918). Vgl. hier und im Folgenden die Ausführungen von Th. Baumeister, Gottesglaube 166f. Dieser Gedankengang lässt sich in Orig., c. Cels. 5,25 (ed. M. Fiedrowicz 919f.) vermuten. Vgl. Orig., c. Cels. 8,69 (ed. M. Fiedrowicz 1458–1460). Diese Befürchtung scheint Celsus in Orig., c. Cels. 8,68 (ed. M. Fiedrowicz 1456– 1458) und c. Cels. 8,71 (ed. M. Fiedrowicz 1462–1464) zu äußern. Vgl. hier und im Folgenden Orig., c. Cels. 3,2 (ed. M. Fiedrowicz 516).
132
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
sei die Ursache der Neuerung die Rebellion gegen das Gemeinwesen geworden.“300 Die Störung des Gemeinwesens durch Aufruhr (sta,sij)301 ist also ein typisches Erkennungszeichen sowohl für Juden als auch für Christen 302. Es ist für Origenes von großer Bedeutung, diese Beschuldigungen zu widerlegen. In heidnischen Augen wurden Judentum und Christentum nämlich als Religionen betrachtet, die aus Aufruhr entstanden waren.303 Dass die Juden ein selbständiges Volk sind, beweist Origenes anhand des AT, aus dem hervorgeht, wie die Juden nach Ägypten zogen, um nicht in Palästina verhungern zu müssen, und dass sich ihre Sprache von der ägyptischen unterscheidet. 304 Origenes widerspricht der Behauptung des Celsus, dass die in Ägypten anwesenden Hebräer ihren Ursprung einem Aufstand verdanken. 305 Die Bemühung von Celsus und seinen Anhängern, die Christen als Rebellen darzustellen, sei vergeblich, weil dies eben nicht nachweisbar sei. Denn das christliche Gesetz verbietet grundsätzlich die Tötung von Menschen unabhängig von der Größe persönlicher Schuld. Die Christen befolgen alle Gesetze der Obrigkeit, es sei denn, sie widersprechen göttlichen Gesetzen. Sie wenden niemals Gewalt an, sondern lassen sich wie Schafe töten, ohne sich an ihren Verfolgern und Feinden zu rächen. Stattdessen kämpft Gott für die Christen und setzt denen ein Ende, die sie verfolgen. 6.8
Die Christen seien lediglich abtrünnige Juden
Als direkte Folge der Streitigkeiten zwischen Juden und Christen entstand die Behauptung, dass die Christen von ihrem Glauben abgefallene Juden seien. 306 Nach Origenes erwähnt Celsus in seinem Alethes Logos absichtlich eine fiktive Rede eines Juden mit Jesus, 307 in der verschiedene Wahrheiten über Jesus als erdichtet dargestellt werden.308 Damit beabsichtigt er, andere Juden 300 301
302
303 304 305 306 307 308
Orig., c. Cels. 3,5 (ed. M. Fiedrowicz 520; übers. C. Barthold 522). Das Thema kommt auch vor in Orig., c. Cels. 8,2 (ed. M. Fiedrowicz 1326–1328); 8,49 (ed. M. Fiedrowicz 1414–1416). Der Begriff stasia,zwn in c. Cels. 8,11 (ed. M. Fiedrowicz 1340–1342) hat eine unverkennbare politische Konnotation; vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 432f. Für Celsus ist Jesus „Urheber einer Rebellion“ in Orig., c. Cels. 8,14 (ed. M. Fiedrowicz 1346–1348), was Origenes widerlegt und sagt, dass Jesus Urheber des Friedens sei, begründet mit Joh 14,27. Zu Streitigkeiten zwischen Christen und Juden vgl. K. Pichler, Streit 135f.; Apg 18,15; Ch. Reemts, Vernunftgemäßer Glaube 195. Vgl. Orig., c. Cels. 3,6f. (ed. M. Fiedrowicz 522–524). Vgl. hier und im Folgenden Orig., c. Cels. 3,8 (ed. M. Fiedrowicz 524–526). Vgl. K. Pichler, Streit 128–132. Vgl. Orig., c. Cels. 2,1 (ed. M. Fiedrowicz 348–352). Vgl. Orig., c. Cels. 1,28–71 (ed. M. Fiedrowicz 248–346).
IV. Origenes
133
vom Übertritt in das Christentum abzuhalten. Mit dem Vorwurf, Christen seien abtrünnige Juden, werden vor allem Judenchristen309 konfrontiert, so c. Cels. 2,1, weil sie sich von Jesus verführen ließen, seiner Lehre gefolgt seien und das Gesetz der Väter aufgegeben hätten. Ihre Lebensweise verrate, dass sie Überläufer seien.310 Origenes verteidigt die Judenchristen, indem er klarstellt: Die Christus nachfolgenden Juden hatten „das Gesetz der Väter“311 nicht verlassen, sondern sie leben nach wie vor nach dessen Vorschriften. Des Weiteren führt Origenes den Apostel Petrus als Beispiel an, um zu zeigen, dass auch er noch lange Zeit jüdische Gebräuche nach dem Gesetz des Mose beachtete. Petrus bedurfte, nach der lukanischen Darstellung in Apg 10,9–15, einer Erscheinung, um die Glaubenslehren dem Nichtjuden Kornelius mitzuteilen. Auf der Basis von Gal 2,12f.; 1 Kor 9,20; Apg 21,26 kritisiert Origenes die Aussagen des Celsus und wirft ihm die Unkenntnis der christlichen Schriften vor, denn anhand dieser Schriftstellen hätte er niemals behaupten können, Christen seien abtrünnige Juden. 6.9
Die Christen verehren keine von Menschenhand gebildeten Götter
Ein für die Christen typisches Merkmal war ihre Haltung zur Idolatrie. Origenes formuliert den von Celsus erhobenen Vorwurf gegen die Christen auf eine Weise, die erkennen lässt, dass dieser sich selbst widerspricht: „Deswegen halten sie die nicht für Götter, die von Menschenhand gefertigt sind, da es nicht vernünftig ist, dass die Produkte von überaus fragwürdigen und sittenlosen Künstlern Götter seien; denn oft handelt es sich um Erzeugnisse ungerechter Menschen.“312 Offensichtlich nahmen die Heiden daran Anstoß, dass die Anhänger Christi keine Götterbilder verehren wollten. Diese Verehrung verstanden die Christen als Götzendienst (c. Cels. 1,5: eivdwlolatrei,a). Mit Hilfe von Zitaten von heidnischen Schriftstellern zeigt Origenes, dass diese Haltung der Christen richtig ist, denn leblose Dinge können keine Götter sein und können somit auch nicht wie diese verehrt werden. Darüber hinaus zitiert Origenes Zeno von Kition: „Es wird keinerlei Bedarf bestehen, Tempel zu errichten. Einen Tempel darf man nämlich keineswegs für wertvoll und heilig halten, da er 309
310 311 312
Zunächst bestanden die christlichen Gemeinden nur aus Juden, später auch aus Heiden. Somit kann man auch alle Christen als vom Judentum Abtrünnige bezeichnen, denn sie waren für die Heiden am Anfang alle Juden. Vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 121–123. Vgl. hier und im Folgenden Orig., c. Cels. 2,1 (ed. M. Fiedrowicz 348; übers. C. Barthold 349). Orig., c. Cels. 1,5 (ed. M. Fiedrowicz 200; übers. C. Barthold 201); ähnlich in c. Cels. 7,62 (ed. M. Fiedrowicz 1306–1308).
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
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das Werk von Bauleuten und Handwerkern ist.“313 Das Thema Idolatrie kommt bei Origenes z. B. in c. Cels. 6,17314 vor, wo er philosophische Kritik an der deisidaimoni,a (Aberglaube315) übt. 6.10
Die Christen seien Zauberer
Das Hauptargument des Celsus war die Anschuldigung, dass Jesus Christus „durch Zauberei fähig war, seine scheinbaren Wunder zu vollbringen“ 316. Der Christengegner verwendet nicht die Worte ma,goj / magei,a, sondern go,hj / gohtei,a, mit den Bedeutungen betrügerischer Scharlatan / schwindlerische Zauberei.317 Origenes hingegen gebraucht die Begriffe öfter synonym. 318 Die wunderbaren Geschehnisse gehen nach Celsus angeblich auf Betrügerei zurück,319 weil Jesus als ein go,hj320 zu bezeichnen sei.321 Um den göttlichen Anspruch Christi zu bekräftigen, sollen die von ihm gewirkten Wunder als Beweis verwendet werden.322 Aber weil die Augenzeugen dieser Wunder nicht mehr befragt werden konnten, blieb eine Unsicherheit, ob diese wirklich stattfanden. Eine ähnliche Betonung der Wichtigkeit von Augenzeugen der Wunder Jesu begegnet uns bei Quadratus, der behauptet, dass die von Jesus Geheilten und Auferweckten teilweise bis in seine Zeit (125 n. Chr.) noch lebten. Das galt als starkes Argument für die Echtheit dieser Wunder, so dass diese nicht etwa zu bloßen Legenden (mu/qoi) werden konnten. Solange Wunder nur auf den vorhandenen Naturkräften beruhen, werden sie von Celsus akzeptiert. Wenn sie aber angeblich durch göttlichen Eingriff geschehen sind, begründet dies bei Celsus automatisch den Vorwurf der Unwahrheit. Seiner Ansicht nach sind alle Erscheinungen, die von Natur aus unmöglich sind, auch für Gott unmöglich. Deshalb wird es Origenes zu einem wichtigen Anliegen, den christlichen Begriff des Wunders zu klären. Das Hauptargument der Wundergeschehen bestand gar nicht in der Tatsache, dass Jesus tatsächlich Wunder wirkte, sondern vielmehr in der Frage, durch wessen Macht dies geschah. Zu fragen war, ob Jesus ein mit göttlicher Inspiration 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322
Orig., c. Cels. 1,5 (ed. M. Fiedrowicz 200; übers. C. Barthold 201). Orig., c. Cels. 6,17 (ed. M. Fiedrowicz 1038–1042). Der Terminus kommt auch bei Lukas zweimal in Apg 17,22; 25,19 vor. Orig., c. Cels. 1,6 (ed. M. Fiedrowicz 202; übers. C. Barthold 203). Vgl. Anm. 36 zu Orig., c. Cels. 1,6 (ed. M. Fiedrowicz 202). Vgl. Orig., c. Cels. 2,51 (ed. M. Fiedrowicz 452–454); 6,38f. (ed. M. Fiedrowicz 1082–1084). Vgl. Orig., c. Cels. 1,28 (ed. M. Fiedrowicz 248). Vgl. Orig., c. Cels. 1,71 (ed. M. Fiedrowicz 346); 2,32 (ed. M. Fiedrowicz 420); 6,42 (ed. M. Fiedrowicz 1090); 8,41 (ed. M. Fiedrowicz 1398). Vgl. H. E. Lona, Wahre Lehre 78; W. Völker, Bild 36–39. Vgl. hier und im Folgenden die Ausführungen von M. Fiedrowicz, Einleitung 58– 61 über die Wunder.
IV. Origenes
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erfüllter Wundertäter war, wie z. B. Asklepios, oder ob er nur verdächtigen Magiern ähnlich sei. Es ging des Weiteren darum, ob Jesus sich durch seine Wunder als Sohn Gottes offenbarte oder ob er als Betrüger entlarvt werden konnte. Für Celsus war der Gründer der Christen nur ein harmloser Zauberer, der wie viele ihm Ähnliche die Volksmenge betrogen bzw. mit seiner Kunst fasziniert hatte. Origenes wendet sich gegen diese Auffassung, indem er beweist, dass die Wunder göttlichen Charakter hatten und damit die Identität der Gestalt Christi mit dem Sohn Gottes erweisen. Moralische Qualitäten jedes Wundertäters zeigen sich z. B. im Verzicht auf eigene Bereicherung und auf Ansehen323. Der beste Beweis für dieses hohe moralische Niveau sind Jesus und die Apostel. Wenn die vollzogenen Wunder nicht im Widerspruch zur Moral stehen, dann müssen sie göttlichen Ursprungs sein. 6.11
Die Verbreitung der christlichen Religion sei nur unter Einfältigen und Ungebildeten möglich
Worin der ursprüngliche Angriff des Celsus bestand, lässt sich nicht genau sagen, weil es anhand von c. Cels. 1,27324 nicht ganz klar wird.325 Vermutlich störte Celsus die rasche Ausbreitung der christlichen Lehre bei den Einfältigen und Ungebildeten (oi` ivdiw/tai kai. avgroiko,teroi). Er sieht auch einen Zusammenhang zwischen dem Inhalt der Lehre der Christen und ihren Adressaten. Weil diese Lehre einfältig (ivdiwtiko,n), banal und ohne jede Aussagekraft (kai. ouvdamw/j evn lo,goij dunato,n) sei, kann sie nur unter Einfältigen erfolgreich sein. Das Urteil des Celsus gegen die Christen ist wie folgt: „Kein Gebildeter trete heran, kein Weiser, kein Verständiger. Denn solche Eigenschaften sind in unseren Augen ein Übel. […] wenn einer ungebildet ist, wenn einer einfältig ist, soll er ruhig kommen. Indem sie nämlich solche Leute aus diesem Grund ihres Gottes für würdig erklären, geben sie zu erkennen, dass sie nur die Dummen, Primitiven, Stumpfsinnigen, nur Sklaven, Weiblein und kleine Kinder überreden wollen und können.“326 Origenes weiß vom Widerstand gegen die Ausbreitung der Lehre Christi, der sich „die jeweiligen Kaiser, die ihnen untergeordneten Oberbefehlshaber und Statthalter, […] die Obrigkeiten in den Städten, die Soldaten und das Volk“ 323
324 325 326
Möglicherweise strebte der von Lukas dargestellte Simon der Zauberer auch nach hohem Ansehen, wenn er den Aposteln laut Apg 8,18–20 Geld anbietet, um durch Handauflegung den Heiligen Geist auf andere herabkommen zu lassen. Orig., c. Cels. 1,27 (ed. M. Fiedrowicz 246–248). Vgl. K. Pichler, Streit 140; Ch. Reemts, Vernunftgemäßer Glaube 192–198; M. Fiedrowicz, Einleitung 105f. Orig., c. Cels. 3,44 (ed. M. Fiedrowicz 590–592; übers. C. Barthold 591–593).
C. Christliche Apologetik gegen die Angriffe auf das Christentum
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widersetzten. Aber der Logos Gottes konnte nicht aufgehalten werden; „da er stärker war als so mächtige Widersacher, bezwang er ganz Griechenland und den größten Teil der fremden Regionen und bekehrte unzählige Seelen zu der von ihm gelehrten Gottesverehrung“.327 Darüber hinaus weist Origenes Celsus zurecht, weil dieser nicht erkennt, dass die ganze Gesellschaft durch die christliche Lehre rechtschaffener wird.328 Die schnelle Ausbreitung des Christentums sowohl geographisch als auch in den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten gilt Origenes als Hauptargument für seine Richtigkeit329; denn infolge der Verkündigung des Evangeliums erkennt man die lebensverwandelnde Kraft des Christentums und den moralisch-religiösen Fortschritt der Menschheit. 6.12
Die Christen pflegen keine Tischgemeinschaft mit Dämonen
Von den Christen wird gefordert, dass sie den über die Erde herrschenden Dämonen Dank sagen und ihnen Erstlingsgaben und Gebete darbringen, um von ihnen ein menschenfreundliches Verhalten zu erfahren.330 Die Weigerung der Christen, mit Dämonen zu verkehren, gilt der Gesellschaft als Ablehnung der damaligen Kultur und als Gefährdung der allgemeinen Ordnung. Wenn die Christen sich weiterhin so verhalten sollten, haben sie nach Celsus kein Recht auf Existenz, sogar kein Recht, geboren zu werden.331 Jedermann ist dazu verpflichtet, den Dämonen die ihnen zustehende Ehre zu erweisen. Dieser allgemeine Appell richtet sich also an alle Menschen. Es gibt keine andere Perspektive für die Christen, so Celsus, als den Dämonenkult in Ehren zu halten und sich in die Gesellschaft integrieren zu lassen. Diese Pflicht umfasst das ganze Leben und besteht nicht darin, etwa ein Bedürfnis der Dämonen zu stillen,332 sondern darin, sie den Menschen gegenüber freundlich zu stimmen.333 Die Gegenargumente des Origenes gründen zunächst in der Aussage des Paulus in 1 Kor 10,31, „alles zur Verherrlichung Gottes [zu] tun“, egal „ob wir essen oder trinken“, in Dankbarkeit unserem Schöpfer gegenüber. Die Christen unterstehen nur „dem über allem waltenden Gott 327 328 329
330 331 332 333
Orig., c. Cels. 1,27 (ed. M. Fiedrowicz 246; übers. C. Barthold 247). Vgl. Orig., c. Cels. 3,56–62 (ed. M. Fiedrowicz 612–626). Vgl. B. Aland, Auseinandersetzung 6f. Das geht hier und im Folgenden aus Orig., c. Cels. 1,27 (ed. M. Fiedrowicz 247); 2,30 (ed. M. Fiedrowicz 416–418); 2,79 (ed. M. Fiedrowicz 510); 3,29 (ed. M. Fiedrowicz 562–564); 7,26 (ed. M. Fiedrowicz 1230–1232) hervor. Vgl. Orig., c. Cels. 8,33 (ed. M. Fiedrowicz 1384–1386). Vgl. hier und im Folgenden Orig., c. Cels. 8,55 (ed. M. Fiedrowicz 1430–1432); siehe auch die Ausführungen von H. E. Lona, Wahre Lehre 440. Vgl. Orig., c. Cels. 8,63 (ed. M. Fiedrowicz 1446). In Orig., c. Cels. 8,45 (ed. M. Fiedrowicz 1408) bietet Celsus eine lange Liste ihrer Wohltaten.
IV. Origenes
137
durch Jesus den Christus“ (c. Cels. 8,33), der sie zu ihm hinführt. Darüber hinaus haben die Dämonen nur dort Macht, wo es einen Mangel an der Erkenntnis Gottes gibt, wo ein zügelloses Leben geführt wird, und dort, wo die Menschen dem wahren Gott ferne bleiben. Weil Celsus keinen wahren Gott kennt, bringt er den Dämonen Dankopfer dar. Die Christen „aber sagen dem Schöpfer des Universums Dank, essen die mit Danksagung und Gebet über die Gaben dargebrachten Brote, die durch das Gebet ein heiliger Leib geworden sind, der die heiligt, die ihn mit richtiger Intention genießen“ 334. Ein zweites Zitat bei Origenes bezüglich der Eucharistie sagt Folgendes: „Als Sinnbild für die Dankbarkeit gegen Gott besitzen wir auch das Brot, das wir ,Eucharistie‘ nennen.“335 Bemerkenswert ist, dass der Autor im Werk Contra Celsum nur vom Leib spricht, nicht aber vom Blut, das auch Teil des Herrenmahls war. Vermutlich gab es von heidnischer Seite die Verdächtigung, dass die Christen im wörtlichen Sinne Leib und Blut verzehren, anstatt an den kultischen Opfern dankbar teilzunehmen. In c. Cels. 8,33 verwendet Origenes die Worte „sw/ma a[gion“, was mit „ein heiliger Leib“ übersetzt wird.336 Mit dem Begriff euvcaristi,a337 meint Origenes, dass die Eucharistie in c. Cels. 8,33 Symbol338 der Dankbarkeit ist „für die Schöpfungsgaben wie auch für die Wirkung der Vorsehung, denn beides ist durch den Logos Gottes geleitet“339. Unter diesem Aspekt ist der Vorwurf des Celsus unbegründbar, weil die christliche Eucharistie die heidnischen Opfer an die Dämonen ersetzt. Doch danken die Christen dem wahren Gott und nicht den Dämonen. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Für Celsus ist ein monotheistischer Gottesglaube immer falsch. Zudem stört er den gesellschaftlichen Frieden, wenn er in eine Gemeinschaft eingebracht werden soll, die in einem überlieferten Götter-Pluralismus lebt. Die Annahme, dass alle Völker tatsächlich nach ein und demselben Gesetz leben könnten, ist für Celsus eine Utopie.340 Origenes aber erscheint als Anwalt einer derartigen revolutionären Utopie und ist der Ansicht, dass diese utopische Zukunft schon begonnen hat. Nach Celsus ist Aufruhr eine gegen die geltende Ordnung wirkende Kraft, nach Origenes aber der Anfang einer neuen, besseren Ordnung. Diese Ordnung wird sich gegen die Macht des Bestehenden durchsetzen und dieses schließlich ersetzen.
334 335 336 337 338 339 340
Orig., c. Cels. 8,33 (ed. M. Fiedrowicz 1386; übers. C. Barthold 1387). Orig., c. Cels. 8,57 (ed. M. Fiedrowicz 1436; übers. C. Barthold 1437). Vgl. L. Lies, Wort und Eucharistie 15. Zum Begriff vgl. ebd. 13–20. Zu diesem Problem vgl. ebd. 98–106. Ebd. 15. Vgl. Orig., c. Cels. 8,72 (ed. M. Fiedrowicz 1464–1468).
D. Apologetische Intention des Lukas
Nach den genauen Untersuchungen heidnischer und apologetischer Texte wird nun auf die apologetische Intention des Lukas eingegangen. Die Ergebnisse meiner bisherigen Analyse sollen uns helfen, unseren Blick zu schärfen, um die Absicht des Lukas in seinem Doppelwerk besser zu erkennen. Die von Lukas gestalteten Szenen zeigen nicht nur die ersten Schritte der jungen Kirche in ihrer Mission, sondern auch die Intention des Lukas. Die Analyse der Textstellen in Lk 23,1–25 und in Apg 16,16–40; 17,16–34; 18,12–17; 19,23–40; 25,1–12 soll diese Intention herausarbeiten. Diese Szenen wurden ausgewählt, weil sie die apologetischen Absichten des Lukas besonders deutlich erkennen lassen. Ihre Bedeutung hat bereits der Abschnitt „Forschungsüberblick“ gezeigt. Als Erstes wenden wir uns der Pilatusszene nach dem Lukasevangelium zu, dann werden die Stellen aus der Apostelgeschichte behandelt.
I.
Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
1.
Arbeitsübersetzung Lk 23,1–25 Jesus vor Pilatus
1
a b
Und ihre ganze Versammlung stand auf, und man führte ihn zu Pilatus.
2
a b c d e
Sie begannen ihn anzuklagen und sagten: Wir haben herausgefunden, dass dieser unser Volk aufwiegelt und es davon abhält, dem Kaiser Steuern zu zahlen, und sagt, er sei Christus, ein König.
3
a b c
Pilatus aber fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er antwortete ihm: Du sagst es.
4
a b
Pilatus sagte zu den Hohenpriestern und zur Volksmenge: Ich finde keine Schuld an diesem Menschen.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
5
a b c
139
Sie aber erklärten noch dringender: Er wiegelt das Volk auf, indem er in ganz Judäa, angefangen von Galiläa bis hierher, seine Lehre verbreitet. Jesus vor Herodes
6
a b
Als aber Pilatus das hörte, fragte er, ob der Mann ein Galiläer sei.
7
a b c d
Und als er erfuhr, dass Jesus aus dem Herrschaftsgebiet des Herodes stamme, schickte er ihn zu Herodes hinauf, der in diesen Tagen ebenfalls in Jerusalem war.
8
a b c d e
Herodes aber freute sich sehr, als er Jesus sah; denn seit langer Zeit schon wollte er ihn sehen, weil er von ihm gehört hatte, und er hoffte, irgendein von ihm vollbrachtes Wunderzeichen zu sehen.
9
a b
Und er stellte ihm vielerlei Fragen, er aber gab ihm keine Antwort.
10
a b
Die Hohenpriester und Schriftgelehrten standen dabei und klagten ihn heftig an.
11
a b c
Herodes mit seinen Soldaten verachtete und verspottete ihn, ließ ihm ein leuchtendes Gewand anlegen und schickte ihn zu Pilatus zurück.
12
a b
An ebendiesem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; denn vorher standen sie in Feindschaft gegeneinander. Das letzte Verhör und Jesu Verurteilung
13
a
Pilatus rief die Hohenpriester und die Vorsteher und das Volk zusammen
14
a b c d e f
und sagte zu ihnen: Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht mit der Behauptung, er wiegle das Volk auf; und siehe, ich habe ihn vor euch verhört und habe keine Schuld an diesem Menschen gefunden, deretwegen ihr ihn anklagt,
D. Apologetische Intention des Lukas
140
15
a b
auch Herodes nicht, denn er hat ihn zu uns zurückgeschickt. Seht also: Nichts Todeswürdiges ist von ihm begangen worden.
16
a
Ich werde ihn also züchtigen und dann freilassen.
18
a b c
Da schrien alle zusammen und sagten: Hinweg mit diesem; lass uns den Barabbas frei!
19
a
Dieser war wegen eines Aufruhrs in der Stadt und wegen eines Mordes ins Gefängnis geworfen worden.
20
a b
Wiederum redete Pilatus zu ihnen, denn er wollte Jesus freilassen.
21
a b
Sie aber schrien zurück: Kreuzige, kreuzige ihn!
22
a b c d
Zum dritten Mal sagte er zu ihnen: Was hat dieser denn Böses getan? Ich habe nichts Todeswürdiges an ihm gefunden. Ich werde ihn also züchtigen lassen und dann freilassen.
23
a b c
Sie setzten ihm mit lautem Geschrei zu und forderten, er solle gekreuzigt werden, und ihr Geschrei setzte sich durch.
24
a b
Und Pilatus entschied, dass ihre Forderung erfüllt werde.
25
a b c d
Er ließ den frei, den man wegen Aufruhr und Mord ins Gefängnis geworfen hatte und dessen Freilassung sie forderten, Jesus aber übergab er ihrem Willen.
17
2.
Textkritik
Hierzu muss kurz erwähnt werden, dass der Vers 17 in P 75 (2./3. Jh.) sowie in den Codices Vaticanus (4. Jh.) und Alexandrinus (5. Jh.) fehlt. Es könnte sich bei der in Mk 15,6 und Mt 27,15 erwähnten Pascha-Amnestie um eine von den Abschreibern eingefügte Glosse handeln, die von Mk 15,6 oder Mt 27,15 beeinflusst ist.1 Dieser Vers (Lk 23,17) findet sich z. B. in den Codices Sinaiticus (4. Jh.) und Freerianus (4./5. Jh.). Nach dem Prinzip „Je älter, desto 1
Vgl. B. M. Metzger, Commentary 179f.; W. Eckey, Lk II 930.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
141
zuverlässiger“ kann man erklären, dass der Vers 17 nicht zum ursprünglichen Text gehört. Außerdem ist eine Einfügung unter Einfluss der synoptischen Parallelen leichter zu erklären als eine spätere Streichung. 3.
Formale Analyse
3.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten
Die wenigen hier untersuchten Verse bilden das Glied einer Kette. Jeder Satz folgt logisch dem anderen, sei es ein Dialog zwischen Pilatus und Jesus in V 3, die Vorladung bei Herodes in VV 6–12 oder die Unterhaltung des Pilatus mit den jüdischen Behörden in VV 13–16. Der Abschnitt Lk 23,1–25 ist großteils im historischen Aorist geschrieben. Trotzdem findet man auch Sätze im Präsens (su. le,geij und su. ei= o` basileu.j tw/n VIoudai,wn in V 3, eu`ri,skw in V 4) und im Präsens Imperativ (stau,rou stau,rou auvto,n in V 21). Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Ankläger Jesus so schnell wie möglich kreuzigen lassen wollen. vApo,luson de. h`mi/n to.n Barabba/n in V 18 steht im Imperativ Aorist. Auch Futurkonstruktionen kommen vor, so z. B. in VV 16.22 auvto.n avpolu,sw. Dieses Tempus drückt die Überzeugung des Pilatus aus, dass Jesus von ihm freigelassen werden müsste. Die Verse 1–4 bestehen aus einfachen Sätzen im parataktischen Stil. Erst von V 5 an findet man Subjunktionen wie o[ti in V 5, dia. to in V 8 und Konjunktionen wie ga,r in VV 8.12.15. Bemerkenswert sind auch Infinitivkonstruktionen wie z. B. kathgorei/n, dido,nai in V 2, ivdei/n in V 8 und Partizipien (le,gontej) sowohl im Plural in VV 2.5.18 als auch im Singular (le,gwn in V 3, dida,skwn in V 5), die sich wiederholen. Man findet auch Personalpronomen wie auvtou/ in V 2, auvto,j und su, in VV 3.9. Um die Namen zu vermeiden, wird z. B. das Demonstrativpronomen tou/ton in VV 2.14.18 verwendet. Auffällig ist auch die Partikel de,, die insgesamt 20-mal und damit fast in jedem Vers vorkommt. Im vorliegenden Text findet man folgende Wortarten: Substantive wie z. B. to. plh/qoj in V 1, to. e;qnoj in V 2, o` lao,j in V 13f., Partizipien wie evxouqenh,saj, evmpai,xaj in V 11 und Adjektive wie i`kano,j in V 9, kako,j in V 22. Das Adjektiv euvto,nwj erscheint nur im Doppelwerk des Lukas (Lk 23,10 und Apg 18,28) und ist in keinem der anderen Evangelien zu finden. Damit hebt Lukas die Intensität der Auseinandersetzung zwischen der jüdischen Elite und Jesus besonders deutlich hervor. 3.2
Semantische Analyse
Im Gegensatz zur syntaktischen Analyse, die die Beziehungen zwischen Wörtern und Sätzen untersucht, ist es die Aufgabe der semantischen Analyse,
142
D. Apologetische Intention des Lukas
herauszufinden, welche Bedeutung einzelne Wörter und Sätze im Zusammenhang mit der ganzen Erzählung haben. So finden wir etwa zwei griechische Worte in V 3 (fhmi, und le,gw) mit ähnlicher Bedeutung oder auch das Partizip diastre,fonta in V 2 und das Verb avnasei,ei in V 5. Um den Text recht zu verstehen, muss man die Bedeutungen der Begriffe im jeweiligen Satzumfeld erkennen. Dies führt zur Notwendigkeit von Begriffsdefinitionen und Begriffserklärungen. Zudem ist es erforderlich, die im Text beschriebenen Personen einer genauen Betrachtung zu unterziehen. 3.2.1 Begriffserklärungen Basileu,j ist ein Begriff mit verschiedenen Bedeutungen. Man kann ihn z. B. mit „König“ übersetzen, worunter man nicht nur den irdischen, sondern auch den himmlischen König verstehen kann. 2 In der Bibel gibt es auch Stellen, an denen dieser Begriff im Plural erscheint (Könige der Erde), z. B. Mt 17,25 und Apg 4,26. Diese Bezeichnung erhalten auch der Pharao in Apg 7,10; David in Mt 1,6; Apg 13,22; Herodes der Große in Mt 2,1; Lk 1,5; Melchisedek als König von Salem in Gen 14,18 und ebenfalls der römische Kaiser in 1 Tim 2,2. In einer weiteren Bedeutung bezeichnet das Wort König auch einen Inhaber höchster Gewalt. Als König wird beispielsweise auch der Messias in Mt 2,2, Gott in Offb 15,3 und in Offb 9,11 der Herrscher der Unterweltgeister benannt. Der Ausdruck o` basileu.j tw/n VIoudai,wn bei Lk 23,3 bezeichnet Jesus als König der Juden in messianischer Sicht. Das Wort o` lao,j kann eine Menschenmenge bedeuten wie bei Lk 1,21 und Mt 27,25 oder ein Volk als Nation (Lk 2,31) oder sogar das Volk Gottes (Apg 3,23; Mt 15,8).3 VEsqh,j in V 11 bezeichnet die Kleidung in kollektivem Sinn. Obwohl Lukas e;nduma aus der Überlieferung (Lk 12,23 par. Mt 6,25) übernimmt, bevorzugt er selbst jedoch evsqh,j (Lk 23,11; 24,4; Apg 1,10; 10,30) für die Bezeichnung des Kleides der himmlischen Personen. 4 Dieser Begriff kommt oft zusammen mit dem Adjektiv lampro,j (leuchtend, glänzend) vor und wird in biblischen Texten oft im Zusammenhang mit göttlichen Erscheinungen gebraucht. Wenn man die beiden Worte zusammennimmt, bezeichnen sie ein festliches Gewand. Bovon übersetzt das Adjektiv lampro,j mit „leuchtend“, „von leuchtendem Weiß“ und verbindet dies mit der Vorstellung von einer Festkleidung.5 Purpur war nach dem damaligen römischen und griechischen Verständnis eines Königs und Kaisers würdig. Ein weiß leuch-
2 3 4 5
Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. basileu.j 272. Vgl. W. Bauer, Art. lao,j 948. Vgl. J. Jeremias, Sprache 302. Vgl. hier und im Folgenden F. Bovon, Lk III,4 407.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
143
tender Mantel war auch im Judentum für den vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen König Israels vorgesehen. Das griechische Wort paideu,w in V 16 bedeutet in erster Linie „erziehen“, „unterweisen“ und „bilden“, wie z. B. in Apg 7,22 und Apg 22,3.6 Eine zweite Bedeutung ist „Zucht üben“, „zurechtweisen“, „anleiten“, z. B. in 2 Tim 2,25 und Tit 2,12. Oftmals wird das Wort auch für Züchtigungen durch Gott (1 Kor 11,32; 2 Kor 6,9; Offb 3,19) gebraucht; aber auch Satan kann sie vollziehen, wie das als heilsame Züchtigung in 1 Tim 1,20 erwähnt ist. Andererseits kann darunter auch die Züchtigung menschlicher Väter zu verstehen sein (Spr 19,18; 29,17). In 1 Kön 12,11; 2 Chr 10,11 ist züchtigen im Sinne von „geißeln“ erwähnt. Letztere Bedeutung ist für unsere Betrachtung besonders wichtig, weil sie gut zu unserer Erzählung Lk 23,16.22 passt, in der das Wort paideu,w in der Bedeutung „geißeln“ verwendet wird. Die Geißelung galt, so Gielen, als eine Strafe, die einen Teil des Kapitalgerichtsverfahrens ausmachte.7 Bevor man einen Delinquenten kreuzigte, wurde er gegeißelt. Die Geißelung galt auch als eine Form der Warnung, wenn man die Schuld eines einer Straftat verdächtigen Menschen nicht beweisen konnte. Das Werkzeug der Geißelung war eine Peitsche mit mehreren an der Spitze angebrachten Knochenstücken, Metallstücken oder Bleikugeln. Damit wurden die unbekleideten Angeklagten oder Verurteilten geschlagen. Die Zahl der Schläge war nicht begrenzt, sondern unterlag der Willkür des Züchtigers. Bei Josephus findet sich z. B. eine Beschreibung einer Geißelung im Rahmen des römischen Verfahrens gegen Jesus, den Sohn des Ananias, der die Unruhe in Jerusalem unter dem Statthalter Albinus um das Jahr 62 n. Chr. verursacht hatte, wofür er verurteilt wurde.8 3.2.2 Personen Zur semantischen Analyse gehören auch die Personen, die uns im Text begegnen, und die Rolle, die sie im Geschehen spielen. Unter ihnen ist Pilatus, der aus dem römischen Rittergeschlecht der Pontier stammte und als Befehlshaber der römischen Militär- und Finanzverwaltung in den Jahren 26 bis 36 n. Chr. eingesetzt war.9 Der Cäsarea-Inschrift nach heißt er praefectus Iudaeae. Zu seiner Funktion gehörte auch das Richteramt, welches er innehatte. In Bezug auf seinen Chrakter überlieferte uns Philo Folgendes: „[…] er war nämlich von Natur aus unbeugsam, eigenwillig und unnachgiebig“ 10. Pilatus ist bekannt auch für „[…] seine Bestechlichkeit, seine Gewalttätig6 7 8 9 10
Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. paideu,w 1222. Vgl. hier und im Folgenden M. Gielen, Passionserzählung 168. Vgl. Joseph., b. Iud. VI,300–305 (ed. O. Michel 52). Vgl. hier und im Folgenden A. Stimpfle, Art. Pontius Pilatus 250f. Philo, leg. ad Gai. 301 (ed. A. Pelletier 275f.; übers. L. Cohn u. a. 249).
144
D. Apologetische Intention des Lukas
keit, seine Räubereien, Misshandlungen, Beleidigungen, fortgesetzten Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren sowie seine unaufhörliche und unerträgliche Grausamkeit“11. Mit den Juden geriet er sehr oft in Konflikte: Die Aufstellung der Bildnisse; Vereinnahmung von Tempelgeldern für eine Wasserleitung; die blutige Erstickung mehrerer Aufstände sind Beispiele dafür.12 Als Statthalter von Judäa residierte er in Cäsarea am Meer. Aber die Zeit der großen Wallfahrtsfeste verbrachte er in Jerusalem, damit seine Truppen Unruhen und Aufstände verhindern konnten.13 Bei sich hatte er eine bewaffnete Kohorte von ca. 1000 Soldaten. Während der Zeit seines Aufenthalts in Jerusalem wohnte er in dem Palast des Herodes im Westen der Oberstadt. 14 Dort ließen die römischen Prokuratoren den Richterstuhl aufstellen.15 Im römischen Imperium war es üblich, dass die Strafprozesse vor dem Statthalter öffentlich verhandelt wurden; der Präfekt hatte dabei einen großen Entscheidungsspielraum. In den Evangelien bezieht sich sein Name meist auf die Passion Jesu, aber es gibt auch andere Stellen, wie z. B. Lk 3,1, wo der Evangelist die Statthalterschaft des Pontius Pilatus erwähnt, oder Lk 13,1, wo berichtet wird, dass Pilatus galiläische Festpilger umbringen ließ. 16 Die Erwähnung des Pilatus ist auch in der Apostelgeschichte zu finden, so in Apg 3,13; 4,27; 13,28. Aber es handelt sich dabei immer um die Passion Jesu, genauso wie in 1 Tim 6,13.17 Als Statthalter war Pilatus administrativ sehr streng, was ihn letzlich die Statthalterschaft kostete. 18 Weil Galiläa als Heimatland Jesu galt, war nach Lukas auch der Landesherrscher Herodes Antipas indirekt am Prozess Jesu beteiligt. Er wird in Lk 3,1 im Zusammenhang mit Johannes dem Täufer erwähnt. Laut Lk 3,19f.; 9,7–9 ließ Herodes Johannes enthaupten, weil dieser ihm verschiedene Schandtaten vorgeworfen hatte. Lukas behauptet auch, dass Herodes seit langem den Wunsch hatte, Jesus zu begegnen, so in Lk 23,8. Dies erinnert natürlich an Lk 9,9, wonach Herodes äußerte, dass er nicht wisse, für wen er Jesus halten solle. Jesus sei ihm nie begegnet. Der Evangelist erzählt in Lk 13,31f. von Pharisäern, die Jesus vor Herodes warnen, weil dieser sich seinen Tod wünsche. Dort wird er von Jesus als ein Fuchs bezeichnet. Insgesamt berichten die Evangelien recht wenig über Herodes19. Aus anderen Quellen, wie aus dem uns von Josephus überlieferten Bericht, ist bekannt, 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Philo, leg. ad Gai. 302 (ed. A. Pelletier 276; übers. L. Cohn u. a. 250). Vgl. Joseph., ant. Iud. XVIII,55–62 (ed. L. H. Feldman 42–46). Vgl. hier und im Folgenden W. Eckey, Lk II 924. Vgl. Joseph., b. Iud. I,402 (ed. O. Michel 106). Vgl. Joseph., b. Iud. II,301 (ed. O. Michel 240). Vgl. A. Stimpfle, Art. Pontius Pilatus 251. Dazu ausführlicher vgl. L. Wehr, Pontius Pilatus 11–32. Vgl. Joseph., ant. Iud. XVIII,85–89 (ed. L. H. Feldman 60–64). Zu Herodes vgl. M. Tilly, Herodes 55–69.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
145
dass er ein Sohn Herodes des Großen war und um 20 v. Chr. in Jerusalem geboren wurde.20 Nach dem Tod seines Vaters Herodes 4 v. Chr. ererbte er die Vollmacht über Galiläa und Peräa, das Gebiet jenseits des Jordans.21 Er trug den offiziellen Titel des Tetrarchen (Vierfürst).22 Seine Regierungszeit war eine ziemlich ruhige und friedliche Epoche für die Einwohner, „weil er Ruhe und Bequemlichkeit liebte“23. Genauso wie sein Vater strebte er kontinuierlich nach Macht; seine Gattin Herodias war ein Motor seiner Politik.24 Zusammen mit ihr machte er sich auf den Weg nach Rom, um den Königstitel zu erbitten. Aber bald wurde ihm dort Verrat gegenüber dem römischen Imperium vorgeworfen, weil er in seinen Zeughäusern angeblich eine große Anzahl von Waffen aufbewahrte. Der neue Kaiser Caligula (Gajus) (37–41) war mit Agrippa I. sehr gut befreundet, so dass dieser im zweiten Jahr der Regierung des Kaisers (39 n. Chr.) zum König erhoben wurde. Herodes Antipas wurde auf Grundlage der oben erwähnten Beschuldigungen verurteilt, abgesetzt und nach Gallien (Stadt Lugdunum / Lyon) verbannt, wo er im Jahr 39 n. Chr. starb. Eine weitere Person der vorliegenden Erzählung ist Barabbas. Identität und Herkunft dieser Person sind unklar. Etymologisch betrachtet stammt sein Name vom Aramäischen aB'a; rB; und bedeutet „Sohn des Abba“. In der damaligen Zeit war dieser Name sehr verbreitet.25 Alle vier Evangelisten berichten über Barabbas (Mk 15,7.11.15; Lk 23,18; Joh 18,40; Mt 27,16f.20f.26), als Einziger nennt ihn Matthäus Barabbas-Jesus. Die letzten handelnden Personen sind die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und die Volksmenge, die alle Jesu Tod anstreben. Der Ausdruck a[pan to. plh/qoj in V 1 erscheint im NT nur in Lk 1,10; 8,37; 19,37 und in Apg 15,12; 25,24. Als Bezeichnung für die Gesamtheit des Synedriums steht plh/qoj auch in Apg 23,7.26 Oi` avrcierei/j in V 4, o` o;cloj in V 4 oder die später auftauchenden oi` grammatei/j in V 10 und o` lao,j in V 13 bilden die gesamte Gruppe der Ankläger gegen Jesus. Die Hohenpriester stammten aus einer Gruppe, die ein Mitglied zu diesem Amt bestimmte. 27 Es war nur für die Angehörigen der Leviten möglich, ein Hoherpriester zu werden. Die Leviten bildeten die sogenannten priesterlichen Familien (Apg 4,6). Aber es 20 21 22 23 24 25 26 27
Vgl. Joseph., b. Iud. I,664 (ed. O. Michel 176). Vgl. Joseph., ant. Iud. XVII,318 (ed. A. Wikgren 312). Vgl. Joseph., ant. Iud. XVII,188 (ed. A. Wikgren 252); XVIII,240 (ed. L. H. Feldman 144). Joseph., ant. Iud. XVIII,245 (ed. L. H. Feldman 146). Vgl. hier und im Folgenden Joseph., b. Iud. I,557 (ed. O. Michel 146–148); ant. Iud. XVIII,109–119 (ed. L. H. Feldman 76–84). Vgl. W. Schenk, Art. Barabbas 471f. Vgl. M. Wolter, Lk 739. Vgl. hier und im Folgenden G. Häfner, Kajaphas 36f.
D. Apologetische Intention des Lukas
146
gab nie zwei Hohepriester zur gleichen Zeit. Immer wenn die Evangelisten die Bezeichnung „Hohepriester“ in der Pluralform verwenden, sind wohl Familien gemeint. Obwohl die Schriftgelehrten nicht aus den Kreisen der jüdischen Elite stammten, sind sie als Kenner des Gesetzes auch am Prozess gegen Jesus beteiligt. Die Schriftgelehrten stammten meist aus dem einfachen Volk und standen diesem daher näher als alle anderen. Oi` a;rcontej gehören auch zu den Anklägern Jesu. Sie waren Mitglieder des Synedriums (Lk 18,18; Apg 3,17) und galten somit als jüdische Behörde.28 3.2.3 Ort und Zeit Die Erzählung erwähnt auch bestimmte Orte, an denen die Ereignisse stattfinden. Man erkennt sofort, dass das Gebiet Galiläa hier als Anknüpfungspunkt für das weitere Geschehen dient, weil Jesus aus Galiläa stammt, dem damaligen Herrschaftsgebiet des Herodes.29 In V 6 erscheint nur als Verdacht, was in V 7 klar wird, nämlich, dass es um einen Ortswechsel geht. Der neue Ort taucht etwa in der Mitte der Pilatusszene auf, weil Jesus von Pilatus zu Herodes gesandt wird, der sich gerade in Jerusalem aufhält. Die VV 8–12 beschreiben dann die Ereignisse bei Herodes. In dem kurzen Bericht über den Aufenthalt Jesu bei Herodes wird auch auf die Verachtung und Verspottung des Angeklagten hingewiesen. Schließlich wird in V 11 ein weiterer Ortswechsel erwähnt: Jesus wird wieder zu Pilatus vor den Gerichtshof zurückgebracht. Über die zeitliche Einordnung dieser Szene wird von Lukas nichts ausgesagt. Bei ihm wird das Auftreten Jesu vor Pilatus als logische Fortführung der Ereignisse um Jesus dargestellt. Im Gegensatz zu Lukas schreibt Markus (Mk 15,1), dass der Beschluss, Jesus an Pilatus auszuliefern, gleich in der Früh gefasst wurde (vgl. auch Mt 27,1 und Joh 18,28). 3.3
Motive
Der vorliegende Text Lk 23,1–25 beinhaltet ein auffälliges Motiv, das mit der Frage des Pilatus „Bist du der König der Juden?“ verbunden ist. Die Frage kann man nach Bovon unter zwei verschiedenen Aspekten betrachten. 30 Wenn das griechische Wort in V 2 cristo,j kleingeschrieben wäre, würde man es als das Adjektiv „gesalbt“ verstehen und Jesus hätte sich als gesalbter König Israels bezeichnet. In diesem Fall hätte Pilatus die jüdischen Bräuche verstehen müssen, um die Situation korrekt beurteilen zu können. In dem damaligen Judentum konnte Messianität in mehrfacher Weise verstanden 28 29 30
Vgl. W. Bauer, Art. a;rcwn 228. Vgl. M. Gielen, Passionserzählung 162. Vgl. F. Bovon, Lk III,4 384.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
147
werden. Das Wort ַ ָמ ׁׅשיחwurde im Griechischen mit „Messias“ transkribiert, wie z. B. bei Joh 1,41; 4,25.31 Dieser Begriff konnte nicht nur einen Messias als regierenden König bezeichnen, sondern auch den verheißenen Erlöser. 32 Wäre das Wort Cristo,j großgeschrieben, so würde es „Christus König“ bedeuten.33 Aber für das römische Imperium war es nicht von Bedeutung, ob Jesus mit cristo,j oder mit Cristo,j bezeichnet wurde. Es handelte sich vielmehr, so Bovon, um den Titel „König“. Den Römern ging es um die Gefahr einer entstehenden Unruhe, weil jedes mögliche Königtum die römischen Behörden in Aufregung versetzte. Die Römer waren grundsätzlich sehr zögerlich mit der Verleihung des Königstitels (lateinisch: rex). Im griechischsprachigen Raum war es jedoch fast unmöglich, diese Bezeichnung zu vermeiden; damit bezeichnete man auch den Kaiser. Was den Ausdruck „König der Juden“ angeht, so verwendeten ihn in den Evangelien nur Nichtjuden, wie es in der Szene bei Pilatus und in den synoptischen Evangelien gezeigt ist (z. B. Lk 23,3; Mt 2,2). Für Juden war der übliche Ausdruck „König Israels“ (Mk 15,32; Mt 27,42).34 4.
Synoptischer Vergleich
4.1
Vergleich mit Mk 15,2–15
Lukas, der das Markusevangelium als Vorlage verwendet hat, hat vieles verändert und entsprechend seiner Intention gestaltet. Nach einem genauen Vergleich mit der Erzählung von Mk 15,2–15 kann man Folgendes sagen: Die mk Darstellung der Pilatusszene lässt sich in zwei Abschnitte gliedern: VV 2–5 das Verhör Jesu vor Pilatus; VV 6–15 Versuch des Pilatus, Jesus freizusprechen.35 Im Gegensatz zu Markus gliedert Lukas seine Erzählung in drei Abschnitte: VV 2–5; VV 6–12 (Szene vor Herodes); VV 13–25. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass Mk 15,2–5 und Lk 23,2–5 ähnliche Gestaltung aufweisen, ebenso Mk 15,6–15 und Lk 23,13–25. Lukas lehnt sich zwar an die Mk-Vorlage an, bearbeitet sie jedoch mit eigenem Blickwinkel und eigener Absicht. Im Gegensatz zu Mk 15,2–5 zeigen die Ereignisse um Jesus bei Lukas den Rahmen eines römischen Gerichtsverfahrens. Dort galt die Regel, vor der Befragung des Angeklagten zunächst die Anklagepunkte zur Kenntnis zu nehmen. So verfährt Pilatus. Anschließend befragt er Jesus und stellt schließlich fest, es gebe keinen Grund, Jesus zu verurtei31 32 33 34 35
Vgl. J. Nelis, Art. Messsias 1138f. Vgl. J. Nelis, Art. Messiaserwartung 1146f. Vgl. hier und im Folgenden F. Bovon, Lk III,4 384f. Vgl. R. Schnackenburg, Joh III 283. Vgl. hier und im Folgenden M. Gielen, Passionserzählung 161f.
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D. Apologetische Intention des Lukas
len. Die Ankläger reagieren unzufrieden auf diese Feststellung des Pilatus und beteuern ihm gegenüber Jesu Schuld umso mehr, denn Jesus ist für sie ein Unruhestifter (Aufwiegelung des Volkes durch seine Lehre). Darüber hinaus übergeht Lukas die Verwunderung des Pilatus in Mk 15,5 über das Schweigen Jesu,36 was als Hinweis des Lukas gedeutet werden kann, dass Jesus dem wachsenden Druck des Verhörs ausweichen oder dass er sogar damit die Sinn- und Grundlosigkeit des gesamten Verfahrens demonstrieren wollte. Denn der Text in Mk 15,2.4 deutet darauf hin, dass der Richter Druck auf den Angeklagten ausüben will. So stellt auch Schenk fest, dass das Wort evperwta,w, das Markus in dieser Szene verwendet, „eine Ein-Satz-Sprechhandlung [ist], die den Angesprochenen auffordert, Auskunft, Entscheidung oder Bestätigung über eine Sache zu geben […]“37. Lukas verwendet zwar auch wie Markus das Wort evperwta,w, aber bei ihm handelt Pilatus als einer, der auf der Seite Jesu steht. So stellt Pilatus, nach Lukas, im Gegensatz zu Herodes dem Angeklagten Fragen, auf die Jesus allerdings schweigt (vgl. V 9). Nach Markus hat der Hohe Rat Jesus bereits am Vorabend zum Tode verurteilt und bringt ihn dann gefesselt am nächsten Morgen zum Statthalter. Lukas dagegen erwähnt keine Vorverurteilung Jesu durch die Juden, sondern nach seiner Darstellung beginnt das offizielle Gerichtsverfahren, das zu einem Urteil führen soll, erst mit der Vorführung Jesu vor die römische Instanz.38 Sehr auffällig ist, dass Lukas die in Mk 15,1 erwähnte Fesselung Jesu übergeht, worauf noch einzugehen sein wird. Für ihn kommt Jesus zu Pilatus zwar als ein mit Vorwürfen belasteter, aber noch als ein freier Mensch; Vorwürfe sind ja keine bewiesenen Fakten. Nicht der Hohe Rat hat das Recht, Todesurteile zu fällen, sondern allein der römische Gerichtsherr, in dessen Anwesenheit Anklagen vorgetragen werden müssen. Andere Prozessparteien dürfen anwesend sein, aber das letzte Wort hat der Richter. Die Anklage gegen Jesus (Lk 23,2) gründet auf drei schwerwiegenden Vorwürfen: auf der Aufwiegelung des Volkes durch eine Lehre (vgl. auch V 5c), der Aufhetzung, den Römern keine Steuern zu bezahlen, und dem Königs- bzw. Messiasanspruch. Diese Beschuldigungen werden von Lukas wohl bewusst gewählt, damit deren Falschheit und Nichtigkeit aufgezeigt wird. Zur ersten Anklage lässt sich, wie Bovon39 meint, Folgendes sagen: Lukas verwendet hier das Wort diastre,fw mit der Bedeutung „verdrehen“, „abwendig machen“. „In den Augen der Juden bringt Jesus das Volk vom Weg zu Gott ab und verdirbt es. Da sie sich an die Römer wenden, nimmt das Verb noch eine andere, eine 36 37 38 39
Vgl. W. Eckey, Lk II 922f. W. Schenk, Art. evperwta,w 52f. Vgl. hier und im Folgenden W. Eckey, Lk II 922f. Vgl. F. Bovon, Lk III,4 383.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
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ethische und politische Färbung an: Die Bestechung des Volkes hat gefährliche soziale Folgen; sie ruft Unruhen und Opposition gegen die Besatzungsmacht hervor.“40 Aber der lk Leser durchschaut diesen Vorwurf, denn er weiß, Jesu Wirken war unter anderem darauf gerichtet, das „ungläubige und verkehrte Geschlecht (genea. a;pistoj kai. diestramme,nh)“ der Juden (vgl. Lk 9,41) zu Jahwe zu führen. Die zweite Beschuldigung ist nach Lukas wie die erste grundlos und falsch. Auf die Frage in Lk 20,22, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen, gebietet Jesus nämlich, dem Kaiser zu geben, was dem Kaiser gehört, und Gott zu geben, was Gott gehört (vgl. Lk 20,25). Somit gibt Jesus nach Lukas seinen Anhängern aller Generationen die Botschaft, dass der Staat das Recht auf Steuern hat und die Bezahlung der Steuern nichts mit dem Glauben an Gott zu tun hat. Der dritte und somit letzte von Lukas dargestellte Vorwurf war für Pilatus besonders bedeutsam. Denn hier ging es um einen Christus 41, einen basileu,j, wodurch die Römer sich gefährdet fühlten und daher sehr sensibel reagierten. Deshalb geht sowohl der mk als auch der lk Pilatus unmittelbar auf diesen dritten Anklagepunkt ein und fragt nach, ob Jesus wirklich König der Juden sei. Auch hier weiß der lk Leser, dass Jesus sich niemals als Messias präsentiert hat. Obwohl seine Jünger ihn beim Einzug in Jerusalem mit den Worten: „Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn“ (Lk 19,38), als einen König bezeichneten, steht das Königtum Jesu nicht im Widerspruch zu irdischen Herrschern und hat keinen irdisch-politischen Hintergrund; es darf auf keinen Fall als Konkurrenz-Königtum betrachtet werden. Jesu Königtum bezieht sich auf die eschatologische Heilszeit, die in Erfüllung geht (vgl. Lk 1,32f.). Die Ankläger verstehen dies allerdings nicht und sehen in Jesus einen Rebellen, der eine mögliche Gefahr für das Imperium darstellt. Der lk Darstellung nach ist Jesus kein politischer König und er hat keine politischen Ambitionen. Der lk Pilatus durchschaut die Situation und bekennt daher Jesu Unschuld, indem er Jesus freizulassen beabsichtigt. Hier erkennt man sehr gut das apologetische Bemühen des Lukas. Er sagt mit dieser Szene: Die Verkündigung Jesu und die seiner Jünger sind für den römischen Staat nicht gefährlich.42 Mit VV 6–12 beschreibt Lukas ein weiteres Geschehen. Der Ausdruck Galiläa wird hier zum auslösenden Funken. Jesus wird zu Herodes geschickt.43 Diese Verse fehlen bei Markus. Hier wird von Lukas der langersehnte Wunsch des Herodes, Jesus bzw. „irgendein von ihm vollbrachtes Wunderzeichen zu sehen“, erwähnt. Aber er wurde von der Begegnung mit 40 41 42 43
Ebd. Siehe D.I.4.4. Vgl. G. Schneider, Lk II 473. Vgl. hier und im Folgenden M. Gielen, Passionserzählung 166f.
150
D. Apologetische Intention des Lukas
Jesus enttäuscht; dieser wirkte weder ein Wunder noch antwortete er auf seine Fragen. Auffällig ist in der Herodesszene, dass Lukas an dieser Stelle die Anklagen der Juden als schwere Beschuldigungen („sie klagten ihn heftig an“, V 10b) bezeichnet; dies weist auf große Emotionen der Ankläger hin. Die schweren Beschuldigungen, die in der Darstellung von Lukas vor Herodes geäußert wurden, fanden nach Mk 15,3f. vor Pilatus statt. Auch darin zeigt sich die lk Intention. Das Gerichtsverfahren vor dem römischen Beamten verläuft nach Recht und Gesetz. Vor Herodes, so die Darstellung des Lukas, sah sich Jesus nicht nur heftigen Anklagen, sondern Verachtung, Verspottung ausgesetzt, was sich unter anderem im Anlegen des leuchtenden Gewandes manifestierte. Das Gewand, das Herodes Jesus umlegen lässt, bedeutet aus der jüdischen Perspektive eine Art Verspottung, weil es Jesus scheinbar als Messias-König präsentiert. „Pilatus aber kann die Bekleidung als Zeichen dafür ansehen, daß auch Herodes Jesus als nicht schuldig im Sinne der Anklage betrachtet.“44 Am Ende dieser Szene steht ein kurzer Vers des Lukas, der von einer Veränderung des Verhältnisses zwischen den beiden Herrschern spricht. „An ebendiesem Tag wurden Herodes und Pilatus Freunde; denn vorher standen sie in Feindschaft gegeneinander“ (Lk 23,12). Möglicherweise spielt hier das in Lk 13,1 berichtete brutale Verhalten des Pilatus den Galiläern gegenüber eine Rolle, was zur Feindschaft zwischen den beiden führte. Nach der Szene vor Herodes schildert Lukas, dass Jesus zu Pilatus zurückgeschickt wird. Als Grundlage dafür verwendet Lukas Mk 15,6–15, um die Auseinandersetzungen zwischen dem Statthalter und den jüdischen Ältesten zu zeigen. Das Ringen geht hier um Freilassung oder Verurteilung Jesu. Die Schuldlosigkeit Jesu erweist sich darin, dass, wie von Pilatus geäußert, weder er selbst (Lk 23,14e) noch Herodes (Lk 23,15a) Jesus für einen Verbrecher halten. In Lk 23,15b taucht dann sogar, unter Berücksichtigung von Lk 23,4, die zweite Feststellung von Jesu Unschuld durch Pilatus auf, hier sogar ergänzt durch die Aussage, dass Jesu Wirken den Tod nicht verdient (ouvde.n a;xion qana,tou). Daran kann man den Vorsatz des Präfekten erkennen, ihn nur züchtigen zu wollen und ihn dann freizulassen (V 16). Da Pilatus beabsichtigt, Jesus freizulassen, will er mit dessen Geißelung die Volksmenge zufriedenstellen, um ihn so vor der Hinrichtung zu bewahren. Im Widerspruch dazu schreit jedoch die Volksmenge unisono: „Hinweg mit diesem, lass uns den Barabbas frei!“ (V 18b/c). Barabbas taucht in dieser Szene ganz plötzlich auf. Lukas erklärt nicht, ob hier der Brauch der Pascha-Amnestie zum Tragen kommen oder die geforderte Freilassung einer Person nur auf
44
W. Eckey, Lk II 929.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
151
Wunsch der Volksmenge erfolgen soll. Er berichtet nicht über eine Festtagsamnestie, sondern über einen Gefangenenaustausch. Mit V 18 wird die mk Vorlage fortgesetzt, in der das Volk Jesus beseitigen will, um Barabbas freizubekommen.45 Diese Forderung steht im Widerspruch zum Pilatus-Vorschlag und gleichzeitig zum römischen Gerichtsverfahren. Nach Lukas fungiert Pilatus als einer, der Jesus von seinen Anklägern auf dem Verhandlungsweg freibekommen will. Immer wieder spricht er die Menge an. Deren Antwort ist jedoch die wiederholte Forderung, Jesus zu kreuzigen (VV 20f.). Lukas präsentiert Barabbas als einen gefährlichen Verbrecher, da er wegen Aufruhr und Mord im Gefängnis war.46 Die Menge, die Barabbas als Rebellen und Unruhestifter kennt, verlangt dennoch seine Freilassung. Pilatus macht sich viel Mühe mit dem erneuten Versuch in Lk 23,16.20, Jesus für unschuldig zu erklären und in diesem Sinne Einfluss auf das Volk auszuüben. Aber dieses bleibt bei seiner Absicht, Jesus zu töten. Als eine Antwort auf Pilatus’ erneuten Versuch folgt in V 21b nachdrücklich ein zweifaches „Kreuzige ihn (stau,rou stau,rou auvto,n)“, während es in Mk 15,13 nur einmal steht (stau,rwson auvto,n). Den dritten Versuch des lk Pilatus, Jesus freizulassen, übernimmt Lukas in V 22 von Mk 15,14 (ti, ga.r evpoi,hsen kako,n). Auf die Frage „Was hat dieser denn Böses getan?“ folgt sofort die eindeutige Absicht des lk Pilatus, dass er ihn züchtigen und dann freilassen will (V 22d). Die Futurform (avpolu,sw) bringt die klare Entscheidung des Pilatus zum Ausdruck, er werde bzw. er wolle Jesus freilassen. Darüber hinaus verwendet Lukas (bei Mk 15,12 stellt Pilatus mit der Verwendung von ou=n eine Frage an die Ankläger Jesu, bei Lukas dagegen ist damit eine Schlussfolgerung des Pilatus angezeigt) in V 22d das Wort ou=n (also), das im Griechischen auf eine notwendige Folge aus dem Vorhergehenden oder auf das Resultat einer Auseinandersetzung hinweist. Übertragen wir diesen Grundsatz auf unsere Erzählung, so wird klar: Pilatus wollte Jesus nur züchtigen lassen und ihn danach freigeben. Der Gerichtsherr will ein drittes und letztes Mal die Schuldlosigkeit Jesu zeigen. Aber letztlich gelingt es ihm nicht, weil die Menge mit immer stärkerem Druck von ihm die Kreuzigung Jesu verlangt. Schließlich entscheidet sich Pilatus, ihrer Forderung nachzugeben. Im Unterschied zu Mk 15,15 nennt Lukas keinen eindeutigen Grund für die Meinungsänderung des Pilatus. Bei Markus ist ganz klar, dass der römische Richter das Volk zufriedenstellen will. Bei Lukas muss man dieses Motiv allerdings auch vermuten. Was aus der Pilatusszene des Lukas deutlich hervorgeht, ist dessen Absicht, Pilatus und somit die römische Seite am Prozess gegen Jesus zu entlasten, so als ob Pilatus keine Vollmacht über Jesu Schicksal gehabt hätte. Lukas stellt die paradoxe Situation dar: Die jüdi45 46
Vgl. hier und im Folgenden W. Eckey, Lk II 931. Vgl. hier und im Folgenden M. Gielen, Passionserzählung 169f.
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D. Apologetische Intention des Lukas
schen Oberen fordern die Freilassung eines Verbrechers, dessen Taten des Todes würdig sind (Aufruhr, Mord), und streben stattdessen die Kreuzigung des unschuldigen Jesus an. Die Tatsache, dass ein Unschuldiger (Jesus) hingerichtet und im Gegenzug ein verurteilter Verbrecher (Barabbas) freigelassen wurde, muss eigentlich das Sicherheitsinteresse Roms, seine objektive Gerichtsbarkeit und die politische Ruhe in der Stadt in wirkliche Gefahr bringen. Lukas zeigt in diesem Abschnitt die Ungefährlichkeit Jesu und seiner Anhänger dem Römerreich gegenüber auf. Jesu Kreuzigung soll der lk Leser als Ergebnis der massiven Forderung einer von der eigenen Elite emotionalisierten jüdischen Volksmenge verstehen, der Pilatus sich nicht widersetzen konnte. Für Lukas dürften zusammen mit Jesus auch die späteren Christen als unschuldig und ungefährlich für den Staat gelten. Er lässt diese Ungefährlichkeit in seiner Gestaltung durch den hohen römischen Beamten Pilatus bestätigen. Es gibt einen weiteren wesentlichen Unterschied zwischen beiden Synoptikern: Als letzte Anmerkung berichtet Mk 15,15, dass Pilatus Jesus auspeitschen ließ, bevor er gekreuzigt wurde, was Lukas nicht übernimmt. Er schließt seine Pilatusszene in V 25d nur mit der Feststellung: to.n de. VIhsou/n pare,dwken tw/| qelh,mati auvtw/n, wörtlich: „Jesus aber übergab er ihrem Willen“. Aus der Verwendung des Wortes paideu,w für das Geißeln bei Lukas anstelle des Wortes fragellw,saj, wie es bei Mk 15,15 und Mt 27,26 verwendet wird, kann man erkennen, dass Lukas Wert auf den Erziehungscharakter der Handlung legt. Damit lässt sich sehr deutlich die lk Absicht erkennen. Der Statthalter ließ Jesus am Ende des Prozesses nicht einmal geißeln, weil er ihn für unschuldig und nicht staatsgefährlich hielt. Er übergibt lediglich den Unschuldigen in die Hände der jüdischen Oberen. An diesem Handeln des Pilatus zeigt sich dessen von Lukas mit Absicht dargestellte menschliche Schwäche. Die Kreuzigung Jesu war demnach letztlich eine Folge des menschlichen Versagens von Pilatus. Der Darstellung des Lukas entsprechend ist Jesus dem Staat gegenüber loyal und freundlich gesinnt; er verweigert dem römischen Staat keine Steuern, ist kein weltlicher König und überhaupt kein Unruhestifter. 4.2
Vergleich mit Mt 27,1–26; Joh 18,28–19,16
Nach der vergleichenden Lektüre der Pilatusszene des Lukasevangeliums und des Markusevangeliums soll auch ein Blick auf zwei andere Evangelien geworfen werden, um zu sehen, was diese Berichte im Vergleich zu Lukas aussagen. Dabei muss auf Einzelheiten eingegangen werden. Als erster Teil des Vergleiches wird die mt Pilatusszene betrachtet und dabei versucht, die wesentlichen Unterschiede und Übereinstimmungen zwischen den beiden Synoptikern zu erfassen. Der Evangelist Matthäus hat ähnlich wie Lukas
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
153
auch die mk Vorlage als Stoff für seine Pilatusszene verwendet, aber im Vergleich zu Lukas erkennt man bei ihm nur kleine Änderungen.47 Mt 27,1f. bringt eine Einleitung in die Pilatusszene. Die weitere Fortsetzung des Prozesses unterbricht Matthäus jedoch mit der Erzählung vom Tod des Judas 48 VV 3–10, ein Text, der zum matthäischen Sondergut gehört. Er fügt sie ein zwischen die Festnahme und Auslieferung Jesu an Pilatus und die Befragung durch den Statthalter, ähnlich wie Lukas bei seiner Darstellung der Herodesszene in VV 6–12. Diese Einleitung entspricht sinngemäß Mk 15,1 auch in Bezug auf die Verwendung des Wortschatzes. Auffällig ist bei Lukas die Vermeidung des Satzteils dh,santej auvto.n, mit der Bedeutung „ihn gebunden oder gefesselt habend“. Das heißt, dass dem Lukas-Bericht entsprechend Jesus ohne Fesseln zu Pilatus geführt wurde, wogegen Matthäus in seiner Beschreibung die von den jüdischen Behörden willkürlich behauptete Gefährlichkeit Jesu darstellt. Vielleicht hat er dies mit einer Rückbeziehung auf Jes 3,10 (LXX) „Lasst uns den Gerechten fesseln […]“ verbunden. 49 Für die Bezeichnung des Pilatus verwendet Matthäus in V 11 das Wort h`gemw,n, was noch siebenmal in der mt Erzählung vorkommt. Mt 27,1f. zeigt, dass die Versammlung des Hohen Rates in der Nacht stattgefunden hat, aber Lk 23,1 berichtet nichts davon. Als Pilatus Jesus in Mt 27,11 fragte, ob er „der König der Juden“ ist, antwortet der Angeklagte: „Du sagst es.“ Dies ist als Bejahung der Frage zu interpretieren.50 Matthäus betont das Schweigen Jesu (V 14) deutlicher als Lukas, indem er schreibt, dass „er auf kein einziges Wort antwortete“. Des Weiteren soll noch die Frau des Pilatus erwähnt werden (Sondergut des Matthäus), von der in Mt 27,19 berichtet wird, dass sie einen Traum von dem Gerechten hatte und Pilatus ihm daher ihres Erachtens nichts antun solle. Eine solche Darstellung ist typisch für den Evangelisten (1,20; 2,12.13.19). Pilatus und seine Frau sind nach Matthäus von der Unschuld Jesu überzeugt. Deshalb bemüht sich der Statthalter, „Jesus mit Hilfe der Passaamnestie vor einer Verurteilung zu bewahren“51. Bemerkenswert ist bei beiden Evangelisten die zweifache Forderung des Volkes im Dialog mit Pilatus, Jesus solle gekreuzigt werden (Mt 27,22f.; Lk 23,21.23). Als eine Parallele zur lukanischen dreimaligen Erklärung der Unschuld Jesu durch Pilatus kann bei Matthäus V 24f. die von Pilatus gemachte Feststellung betrachtet werden: „Ich bin unschuldig an diesem Blut“, die vom Evangelisten eingeschoben wurde. Dieser Vers gehört zum Sondergut des Evangelisten mit
47 48 49 50 51
Vgl. G. Schneider, Passion 32. Vgl. W. Eckey, Lk II 923. Vgl. hier und im Folgenden J. Gnilka, Mt II 440f. Vgl. ebd. 455f. M. Gielen, Passionserzählung 157.
154
D. Apologetische Intention des Lukas
Bezug zu dem Ritus in Dtn 21,1–9 oder zu Ps 26,6; 73,13, wo die Worte „seine Hände in Unschuld waschen“ zu finden sind.52 Man kann somit deutlich erkennen, dass Matthäus und Lukas als Grundlage für ihren jeweiligen Bericht das Markusevangelium verwendet haben. Es gibt keine Gemeinsamkeiten von Lukas und Matthäus in der Abgrenzung gegen Markus. Im Gegenteil, alles, worin die beiden sich von Markus unterscheiden, gehört zum Sondergut oder zu ihrer jeweiligen Intention. So wurde beispielsweise Jesus nach Lukas nicht gefesselt zu Pilatus geführt, was bei den anderen Synoptikern aber so geschrieben steht (Mk 15,1; Mt 27,2). Das heißt, Matthäus übernimmt dies von Markus, Lukas hingegen nicht. Nach Lukas ließ Pilatus Jesus nicht geißeln, wovon jedoch alle anderen Evangelisten berichten (Mk 15,15; Mt 27,26; Joh 19,1). Im Vergleich zu Matthäus und Markus lässt Lukas (Lk 23,2) eine dreifache Anschuldigung53 gegen Jesus formulieren. Des Weiteren sind drei Unschuldserklärungen bei Lukas ausdrücklich hervorgehoben in VV 4.14.22 sowie auch die Absicht des Pilatus, Jesus freizulassen, in VV 16.20.22. Lukas stellt diese Absicht sehr deutlich sogar auf der sprachlichen Ebene dar („ich werde ihn freilassen“ – eine äußerst klare Aussage). Matthäus und Markus heben die Berücksichtigung des Wunsches der Juden deutlicher hervor, so in einer Fragestellung des Pilatus („Wen wollt ihr?“ – Mt 27,17; Mk 15,9; auch Joh 18,39). Darin zeigt sich die besondere apologetische Intention des Lukas. Im Folgenden soll die Pilatusszene bei Johannes und Lukas verglichen werden. Die johanneische Pilatusszene ist nach Gielen erzählerischer Höhepunkt des Evangelisten, den er durch verschiedene dramaturgische Ausgestaltungen in seiner Passionsdarstellung hervorhebt.54 Im Gegensatz zu Lukas, der diese Szene in drei Teile gliedert, hat die joh Version nach einer kurzen Einleitung sogar sieben Einzelszenen. Im Johannesevangelium zeigt sich deutlich die Mittlerrolle des Pilatus zwischen Angeklagtem und Anklägern, indem Jesus sich innerhalb des Prätoriums befindet, seine Gegner außerhalb. Das Verhör Jesu vor dem Statthalter in Joh 18,33 stimmt mit Lk 23,3 überein in der Frage „Bist du der König der Juden?“ und sinngemäß auch mit der Antwort, die bei allen Synoptikern wörtlich übereinstimmt. Johannes erweitert diesen Bericht allerdings, indem er zwischen dem Statthalter und dem Angeklagten einen Dialog über das Königtum Jesu einfügt. Die Ähnlichkeit zwischem seinem Text und dem der Synoptiker bedeutet jedoch nicht, dass Johannes die Texte von den Synoptikern übernommen hat. Im Unterschied zu Lk 23,9 hält der joh Jesus sein Schweigen nicht durch (Joh 19,11), sondern beginnt, mit Pilatus zu reden. Die Unschuldserklärung 52 53 54
Vgl. dazu J. Gnilka, Mt II 457. So ähnlich wie in Apg 25,8. Vgl. hier und im Folgenden M. Gielen, Passionserzählung 170–172.
I. Der Prozess Jesu nach dem Lukasevangelium
155
des Pilatus (Joh 18,38) ist ähnlich wie in Lk 23,4 formuliert; beide bringen ein wenig später die Pascha-Amnestie ins Spiel. Wenn man V 38 und V 39 bei Johannes vergleicht, fällt Folgendes auf: Obwohl der joh Pilatus die Unschuld Jesu feststellt, lässt er ihn trotzdem nicht gleich frei, sondern bringt die Pascha-Amnestie ins Spiel. Erst danach fragt er, ob die Ankläger wollen, dass o` basileu,j tw/n VIoudai,wn freigelassen werde. Als Antwort erhält er ein Geschrei, dass nicht Jesus, sondern der Räuber und Mörder Barabbas freigelassen werden solle. Im Vergleich zu den Synoptikern verarbeitet Johannes mit seiner Chronologie, die mit dem Schlachten der Paschalämmer verbunden ist, einen gewissen Widerspruch im Handeln der Juden. Dieser besteht darin, dass die Juden sich durch Betreten des heidnischen Gebäudes nicht verunreinigen wollen, aber gleichzeitig die Tötung Jesu vorantreiben. Jesus ist ja nach Joh 1,29.36 von Anfang an das Lamm Gottes gewesen. Auch Pilatus selbst wird aufgrund seiner Pendeldiplomatie von Johannes sehr negativ dargestellt.55 In der joh Pilatusszene bleibt Jesus souverän, denn weder die Juden noch Pilatus haben Macht über ihn. Der Dialog zwischen dem Richter und dem Angeklagten ist eine merkwürdige Darstellung, aus der die Distanzierung des Pilatus gegenüber dem jüdischen Volk sichtbar wird.56 Auf die Frage Jesu in Joh 18,34 „Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt?“ antwortet der Statthalter mit der Frage „Bin ich denn ein Jude?“ (V 35). Diese Frage könnte eine gewisse Verachtung des römischen Beamten gegenüber seinen Untertanen andeuten und darüber hinaus anzeigen, dass Pilatus keine Lust hatte, sich in die jüdischen Auseinandersetzungen einzumischen. Wenn man das Verhalten des lk und joh Pilatus in Bezug auf die Geißelung Jesu vergleicht, fällt auf: In beiden Beschreibungen beabsichtigt Pilatus, Jesus zu geißeln und dann freizulassen. Im Unterschied zur joh Darstellung teilt der lk Pilatus den Anklägern Jesu seine Absicht mit, Jesus züchtigen (paideu,w) zu wollen (vgl. Lk 23,16.22). Der joh Pilatus reagiert nicht auf die Forderung der Freilassung des Barabbas, und ohne es anzukündigen, lässt er (Joh 19,1) Jesus auspeitschen (mastigo,w). Nach Joh 19,2–3 wurde Jesus durch die römischen Soldaten während der Geißelung verspottet. Königskrone aus Dornen und Purpurmantel, heuchlerische Huldigung, Schläge ins Gesicht, all dies sind Zeichen der Verhöhnung, des Hasses und der Wut. Diese Darstellung fehlt bei Lukas ganz. Und wenn in Lk 23,36 beschrieben wird, dass die Soldaten den gekreuzigten Jesus verspotten, so schwächt das nicht die positive Haltung des offiziellen Vertreters der römischen Instanzen, des Pilatus, Jesus gegenüber, sondern zeigt lediglich das primitive Verhalten der „Henkersknechte“. In der lukanischen Darstellung der VV 1–25 wird Jesus von Herodes und seinen Soldaten verspottet (V 11). 55 56
Vgl. ebd. 172f. Vgl. R. Schnackenburg, Joh III 283f.
156
D. Apologetische Intention des Lukas
Somit gewinnt man den Eindruck, Lukas wolle die römische Seite am Prozess gegen Jesus unbeteiligt lassen. Noch ein wichtiges Merkmal im Vergleich der Pilatusszene bei Johannes und Lukas ist zu erwähnen. In einer Parallele zu Lukas spricht der joh Pilatus (Joh 19,6): „Nehmt ihn und kreuzigt ihn!“ Das heißt, er zieht sich zurück und will nichts mit der Verurteilung Jesu zu tun haben. Er hält Jesus für unschuldig und bestätigt dies sogar dreimal (Joh 18,38; 19,4.6). Diese dreifache Unschuldserklärung ist eine Parallele zu Lukas. Trotzdem ist Pilatus bei Johannes ebenso wie bei den Synoptikern nicht ganz unschuldig an der Hinrichtung Jesu, der größte Teil der Schuld liegt jedoch bei den Anklägern bzw. den Hohenpriestern und ihren Dienern. Die joh Pilatusszene endet damit, dass die Menge Druck (VV 12– 16) auf Pilatus ausübt, weil er sich dem Kaiser widersetze, wenn er Jesus freiließe. Somit könnte er seine Macht sowie seinen hohen Status verlieren. Diese Drohung und die Verschärfung der Situation veranlasst Pilatus schließlich, Jesus zur Kreuzigung zu übergeben. Davon ausgehend ist Jesus bei Johannes ein Opfer der menschlichen Schwäche des römischen Statthalters. 4.3
Ergebnis (Intention des Sonderguts des Lukas)
Aus dem oben Beschriebenen soll nun das Ergebnis der Untersuchungen zusammengefasst und ausgelegt werden. Es gab höchstwahrscheinlich Sonderüberlieferungen, die in der Passionsgeschichte sichtbar sind und die inhaltlich sehr nahe beieinanderliegen.57 Man erkennt einige Einzelheiten bei Lukas oder ganze Passagen, die bei den anderen Synoptikern entweder mit kleineren Abweichungen oder gar nicht zu finden sind. Das sind z. B. das Abendmahl (Lk 22,14–23) mit dem Anamnese-Befehl (V 19), die an Simon gerichteten Worte Jesu (Lk 22,31–36), die Herodesszene (Lk 23,6–12), die Reaktion Jesu auf die Volksmenge und die weinenden Frauen auf dem Weg nach Golgotha (Lk 23,26–31). Lukas kannte also die mk Vorlage gut. Darüber hinaus standen ihm andere Quellen sowie die mündliche Tradition zur Verfügung (vgl. Lk 1,1–4). Aus diesen Informationsquellen gestaltet er seine Erzählungen mit der eigenen theologischen Intention. Das lk Interesse und Bemühen zeigt sich darin, dass Jesus als politisch unschuldig dargestellt wird. Diese Unschuld wird sogar durch zwei politische Autoritäten bestätigt, durch Pilatus (Lk 23,4.14.16.20.22) und durch Herodes (Lk 23,15). Im Sinne des Lukas wollen die beiden Jesus freisprechen.58 Seine Absicht war, die römischen Instanzen möglichst von Schuld zu entlasten mit dem Ziel zu zeigen, dass das Christentum von Rom toleriert und als religio licita akzeptiert wurde. Eine ähnliche Situation, in der die römische und die jüdische Seite 57 58
Vgl. E. Schweizer, Lk III 235f. Vgl. G. Petzke, Sondergut 184; W. Eckey, Lk II 929.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
157
ebenfalls beteiligt sind, gibt es im Prozess gegen Paulus in Apg 25,24–27.59 Der Statthalter Festus und der König Agrippa II. arbeiten zusammen, bevor Paulus nach Rom überstellt wird. Bei einer so deutlichen Parallele zur Herodesszene könnte es sich um die Intention des Lukas handeln. Sicher bleibt aber, historisch gesehen, das Zusammenspiel zwischen den römischen und jüdischen Autoritäten, die agieren mussten wegen Unruhen im Volk durch Jesus.60 Ihn zu beseitigen bzw. kreuzigen zu lassen, war der einfachste Weg für die Römer, um die jüdische Obrigkeit zufriedenzustellen. Objektiv gesehen trug Pilatus die Verantwortung, ob Jesus hingerichtet werden soll oder nicht. Lukas aber gestaltet seine Pilatusszene in der Weise, dass die römische Seite in ein helles Licht gerückt wird. Die Römer seien nicht verantwortlich und für sie sei Jesus unschuldig. Darüber hinaus wird auch in der Herodesszene die Unschuld Jesu zum Ausdruck gebracht. Dementsprechend würde auch Herodes (V 15) „von Lukas als Zeuge der Unschuld Jesu verstanden“ 61. Zusammenfassend kann man somit sagen, dass Lukas nach seiner Absicht und nach seinem Verständnis der damaligen Situation die mk Vorlage intensiv bearbeitet und zusätzlich seine besonderen Quellen eingefügt hat, um seine theologische Intention in das Evangelium einzubringen. Er entlastet die römische Seite von der Beteiligung am Tod Jesu. Nach Lukas ist Pilatus überzeugt von der Unschuld Jesu. Das heißt, Jesus gilt für Pilatus nicht als ein staatsgefährdender Unruhestifter, sondern er verhält sich dem Staat gegenüber loyal. Mit der Unschuldsfeststellung des Pilatus für Jesus will Lukas ein positives Licht auf die kommenden Christengenerationen werfen. Denn Jesus, die Apostel und ferner alle Christen sind keine Unruhestifter oder politisch motivierte Rebellen, die dem römischen Imperium gefährlich werden könnten.
II.
Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
1.
Arbeitsübersetzung Apg 16,16–40 Die Austreibung des Wahrsagegeistes
16
59 60 61
a b c d
Es geschah aber, als wir zur Gebetsstätte gingen, dass uns eine Magd begegnete, die einen Wahrsagegeist hatte und wahrsagend ihren Herren großen Gewinn einbrachte.
Vgl. G. Vermes, Passion 70. Vgl. G. Petzke, Sondergut 188. M. Limbeck, Kommentar 551.
D. Apologetische Intention des Lukas
158
17
a b c
Diese lief hartnäckig hinter Paulus und uns her und schrie: Diese Menschen sind Knechte des höchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkünden.
18
a b c d e
Dies aber tat sie über viele Tage. Da war Paulus darüber aufgebracht, wandte sich um und sagte zu dem Geist: Ich befehle dir im Namen Jesu Christi, aus ihr auszufahren! Und er fuhr zur gleichen Stunde aus. Die Misshandlung und Einkerkerung von Paulus und Silas
19
a b c d
Als aber ihre Herren sahen, dass die Hoffnung auf ihren Gewinn dahin war (ausgefahren war), ergriffen sie Paulus und Silas, schleppten sie auf den Markt vor die Behörden,
20
a b
führten sie den obersten Beamten vor und sagten: Diese Menschen bringen Unruhe in unsere Stadt, weil sie Juden sind,
21
a b
und sie verkünden Sitten (Bräuche), die anzunehmen und auszuüben uns Römern nicht erlaubt ist.
22
a b c
Und die Volksmenge trat gegen sie auf und die obersten Beamten ließen ihnen ihre Kleider herunterreißen und befahlen, sie auszupeitschen.
23
a b
Sie ließen ihnen viele Schläge geben und sie ins Gefängnis werfen; dem Gefängniswärter befahlen sie, sie sicher zu verwahren.
24
a b
Da dieser solchen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innere Gefängnis und sicherte ihre Füße im Block. Die Kerkerszene
25
a b
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und priesen Gott; und die Gefangenen hörten ihnen zu.
26
a b c d
Plötzlich entstand ein starkes Erdbeben, so dass die Fundamente des Gefängnisses erschüttert wurden. Und sofort öffneten sich alle Türen und allen fielen die Fesseln ab.
27
a b
Als der Gefängniswärter wach wurde und die Türen des Gefängnisses offen sah,
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
159
c d
zog er das Schwert und wollte sich töten, weil er meinte, die Gefangenen seien entflohen.
28
a b c
Paulus aber rief mit lauter Stimme und sagte: Tu dir nichts Schlimmes an! Wir sind alle noch da.
29
a b
Er ließ sich eine Fackel bringen, stürzte hinein und fiel zitternd vor Paulus und Silas nieder.
30
a b
Und er führte sie hinaus und sagte: Ihr Herren, was muss ich tun, damit ich gerettet werde?
31
a b
Sie antworteten: Glaube an den Herrn Jesus und du wirst gerettet werden, du und dein Haus.
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a b
Und sie verkündeten ihm das Wort des Herrn und allen in seinem Haus.
33
a b c
Er nahm sie in jener Stunde der Nacht bei sich auf, wusch ihre Wunden und ließ sich mit all den Seinen auf der Stelle taufen.
34
a b c
Und er führte sie hinauf in seine Wohnung, bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Haus, da er zum Glauben an Gott gekommen war. Die Freilassung und Ausweisung der Missionare
35
a b c
Als es aber Tag wurde, schickten die obersten Beamten die Amtsdiener und ließen sagen: Lass jene Leute frei!
36
a b c d
Der Gefängniswärter meldete Paulus die Worte: Die obersten Beamten haben hergeschickt, dass ihr freigelassen werdet. Geht also jetzt hinaus und zieht in Frieden!
37
a b c d e f
Paulus aber sagte zu ihnen: Sie haben uns ohne Gerichtsurteil öffentlich schlagen lassen, obwohl wir römische Bürger sind, und uns ins Gefängnis geworfen. Und jetzt werfen sie uns heimlich hinaus? O nein! Sie sollen selbst kommen und uns hinausführen.
38
a b
Die Amtsdiener meldeten diese Worte den obersten Beamten. Diese gerieten in Furcht,
D. Apologetische Intention des Lukas
160
c d
als sie hörten, dass sie Römer seien.
39
a b c d
Und sie kamen und redeten ihnen zu, führten sie hinaus und baten sie, die Stadt zu verlassen.
40
a b c d
Da verließen sie das Gefängnis und gingen zu Lydia, trafen die Brüder, machten ihnen Mut und zogen dann weiter.
2.
Formale Analyse
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten
Die Erzählung ist größtenteils im Aorist gehalten. Doch schon am Anfang zeigt sich ein sichtbarer Riss in V 16. Sein folgender Abschnitt VV 16–18 steht z. B. mit eigener Überleitungswendung im Genitivus absolutus: VEge,neto de. poreuome,nwn h`mw/n eivj th.n proseuch.n.62 Wenn man den ganzen Text zusammen betrachtet, sieht man, dass der Aorist die wesentliche Erzählform von Lukas ist. Trotzdem gibt es auffällige Abweichungen, und zwar die Sätze, die im Präsens bzw. im Futur stehen, wie man an VV 20.21 sieht. Ou-toi oi` a;nqrwpoi evktara,ssousin h`mw/n th.n po,lin, kai. katagge,llousin e;qh a] ouvk e;xestin h`mi/n parade,cesqai ouvde. poiei/n ~Rwmai,oij ou=sin. Dies kann man so verstehen: Die christliche Verkündigung wird von der Bevölkerung als jüdische Sitte erkannt und infolgedessen empfinden die Römer dies immer noch als Gefährdung für ihre gesellschaftliche Regelordnung, so lange, bis sie begriffen bzw. gehört haben (avkou,santej in V 38 drückt eine abgeschlossene Handlung aus), dass die Missionare Römer sind. V 31b (swqh,sh| su. kai. o` oi=ko,j sou) bringt zum Ausdruck, dass der Glaube immer zur Rettung führen wird. Die vorher von Paulus in V 31a ausgesprochene Aufforderung steht im Imperativ Aorist: Pi,steuson evpi. to.n ku,rion VIhsou/n. Mit der Verwendung des Aorists drückt Lukas den Beginn einer Handlung aus, dass der Gefängniswärter zum Glauben kam. Ein weiterer Imperativ Aorist kommt in V 35c vor: VApo,luson tou.j avnqrw,pouj evkei,nouj. In der Folge taucht dann in V 36d eine Präsens-Imperativ-Form auf: Poreu,esqe evn eivrh,nh|. Zur Syntax lässt sich sagen, dass der überwiegende Teil der von Lukas berichteten Erzählszenen in Hauptsätzen dargestellt ist. Nebensätze kommen 62
Vgl. G. Lüdemann, Christentum 186f.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
161
in V 18 und V 19 vor. Im betrachteten Abschnitt begegnen auch einige Parataxen, wie man an der Verwendung der Konjunktionen kai. in V 20, V 21, V 22, V 30 und de, in fast jedem der Verse erkennt. Dagegen findet man nur wenige Hypotaxen, und zwar in V 19, V 36 und V 38, die durch o[ti eingeleitet werden. Darüber hinaus fallen mehrere Partizipialkonstruktionen auf, wie z. B. manteuome,nh in V 16, katakolouqou/sa in V 17, ivdo,ntej in V 19, proseuco,menoi in V 25, avkou,santej in V 38. Die Anzahl der Substantive unterscheidet sich kaum von der der Verben. Adjektive sind deutlich in der Minderheit; es kommen nur drei Adjektive vor: in V 16, V 18, V 23 das Adjektiv polu,j, in V 28 kako,j und in V 26, V 33 pa/j. An Adverbien werden verwendet: in V 26 a;fnw und in V 30 e;xw. 2.2
Semantische Analyse
2.2.1 Begriffserklärungen Pu,qwn in V 16 kommt in der ganzen Apg nur einmal vor. Es ist mit zwei Bedeutungen belegt.63 Zum einen war pu,qwn der Name der Schlange, die das Delphische Orakel behütete und Apollo getötet haben soll. Diese Erklärung passt jedoch nicht zu Apg 16,16. Zum anderen war pu,qwn die Bezeichnung für einen Bauchredner, die in der römischen Kaiserzeit verbreitet war und in der Zeit des Nero durch das Wort evggastrimu,qoj ersetzt wurde. Mit diesem Wort war nicht ein aus dem Bauchredner sprechender Geist gemeint, sondern der Bauchredner selbst. Platon erwähnt beispielsweise den Bauchredner Eurykles, ebenso Plutarch. Allerdings hat man keinen Beleg dafür, dass von einem pu,qwn Geistwesen ausgegangen sein sollen. Die Gleichsetzung von Dämon und Besessenem findet sich auch in den Evangelien (Mk 5,1–20; Mt 8,28–34; Lk 8,26–39). Sie mag Lukas und später die Kirchenväter zur Übertragung des Ausdrucks pu,qwn von dem Bauchredner auf den in ihm sprechenden Geist veranlasst haben. Jedenfalls liegt der Schluss nahe, dass die in V 16 erwähnte Magd als Bauchrednerin weissagte und somit mit dem Dämon fest verbunden war. VErgasi,a hat verschiedene Bedeutungen.64 Man kann diesen Begriff nicht nur als Ausdruck für allgemeines Gewerbe oder Beschäftigung (vgl. Apg 19,25), sondern auch für den Gewinn verstehen, der daraus abfällt. In diesem Sinne wird evrgasi,a Apg 16,16.19; 19,24 gebraucht. Desmo,j leitet seine Grundbedeutung vom Verb de,w (binden) ab.65 Die Grundbedeutung des Wortes ist „Band“ oder „Fessel“ im realen und im übertragenen Sinn. Sowohl im AT als auch im NT begegnet man diesem Wort. Ein von Dämonen besessener Mensch in Lk 8,26–39 zerreißt die Fessel eben63 64 65
Vgl. hier und im Folgenden W. Foerster, Art. pu,qwn 917–920. Vgl. hier und im Folgenden R. Heiligenthal, Art. evrgasi,a 122. Vgl. hier und im Folgenden F. Staudiger, Art. desmo,j 692–696.
162
D. Apologetische Intention des Lukas
so wie Samson in Ri 15,13f. Desmo,j taucht auch mehrfach in Apg auf. So beschreibt z. B. Apg 16,26, dass Paulus und Silas in Philippi gefesselt waren. Paulus selbst spricht in seiner Abschiedsrede (Apg 20,23) von Fesseln und Drangsal, die ihn in Jerusalem erwarten. Desmo,j kann auch „Gefangenschaft“, „Haft“ bedeuten. Lukas schildert z. B. in Apg 21,27–30 die Gefangennahme des Paulus. In Apg 23,29; 26,31 verwendet Lukas dieses Wort auch bei der Darstellung der Unrechtmäßigkeit der Gefangenschaft des Paulus. 2.2.2 Personen Der nächste Punkt unserer Betrachtung sind die Personen, die beteiligt waren. Die Hauptfigur ist Paulus. Paulus gehörte nicht zum Schülerkreis Jesu, aber wegen seiner Berufung durch Christus (Gal 1,15) ist er Apostel geworden.66 Er wurde etwa 10 n. Chr. geboren, wahrscheinlich in Tarsus, jedenfalls ist er in Tarsus aufgewachsen. Sein jüdischer Name war Saul, aber er hatte noch einen anderen, nämlich Paulus (Apg 13,9). Von seinem Vater hat er das römische Bürgerrecht geerbt. Als gebildeter Pharisäer und zugleich Christenfeind hatte er mit Eifer das Judentum verteidigt und seine Gegner verfolgt. Später wurde er durch göttliche Berufung zum Heidenapostel. Als Nachfolger Christi begann er sein Wirken im nabatäischen Arabien, in Syrien und Zilizien. Sein Fuß betrat den Boden Zyperns, Kleinasiens, Mazedoniens, Griechenlands und er plante eine große Missionsreise über Italien bis nach Spanien. Nach seiner Verhaftung in Jerusalem wurde er, da er römischer Bürger war, nach Rom gebracht67. Dort verkündigte er das Evangelium, bis er in den Sechzigerjahren von den Römern hingerichtet wurde. Sila/j war ein Begleiter des Apostels Paulus. 68 Er war ein angesehener Mann der Gemeinde von Jerusalem, der Prophetengabe (Apg 15,32) besaß. Silas wurde zunächst nach Antiochien gesandt (Apg 15,32–33), aber spätere Erzählungen berichten davon, dass er Paulus auf seiner Reise begleitete (Apg 15,40–18,5). Sein Name taucht neunmal in Apg auf. Es ist kaum zu bezweifeln, dass es sich um dieselbe Person handelt, die bei Paulus Sila/j heißt und in 1 Petr 5,12 unter dem Namen Silouano,j erscheint. Es kam in der damaligen Zeit vor, dass man für einen Namen zwei Schreibweisen verwendet, z. B. Priska (Röm 16,3; 1 Kor 16,19; 2 Tim 4,19) und Priszilla (Apg 18,2), trotzdem handelt es sich immer um die gleiche Person. 69 Wahrscheinlicher ist, dass Silas die gräzisierte Form eines semitischen Namens ist, die später mit Silvanus latinisiert wurde. Während der zweiten Missionsreise 66 67 68 69
Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. Pau/loj 1285. Vgl. dazu G. Rubel, Paulus 73–101. Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. Sila/j 1500. Vgl. hier und im Folgenden R. Hoppe, Art. Silas 272f.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
163
begleitete er Paulus (vgl. 1 Thess 1,1; 2 Thess 1,1). Laut Apg 15,22 war er ein Mitglied der Jerusalemer Delegation, die nach Antiochia gesandt wurde. Seine Spuren gehen bei der weiteren Mission verloren. Die nächste Gruppe bilden die Worte a;rcontej und strathgoi,. Obwohl diese oft andere Bedeutungen haben, bezeichnet das erste Wort die heidnischen Behörden, Beamte70 und das zweite die „obersten Beamten der römischen Kolonie Philippi“71. Der zweite Begriff ist nicht ganz korrekt, weil diese Männer eigentlich duumviri hießen, jedoch mehrfach in volkstümlicher Bezeichnung auf Inschriften als strathgoi, erschienen.72 Desmofu,lax ist eine Person, die in V 23 auftaucht und dann noch in V 27 und V 36 erwähnt wird. Sie bezeichnet einen Gefängniswärter. Die gleiche Bezeichnung erscheint auch in der Erzählung von Josef in Gen 39,21–23.73 In V 35 und V 38 geht es um r`abdou/coi. In Philippi standen den höheren Beamten zwei Liktoren zu, was am besten mit dem Wort „Amtsdiener“ übersetzt wird.74 Der Text beschreibt auch die Personen, die nicht aktiv in das Geschehen eingreifen. Dies sind z. B. de,smioi (Gefangene) in V 25, V 27 und oi` auvtou/ (die Seinen) in V 33. Die letzte Person ist die in V 40 genannte Frau Ludi,a. Dieser Name taucht nur an zwei Stellen, in Apg 16,14.40, auf.75 Ludi,a stammte aus der Stadt Thyatira in Lydien, die für ihren Tuchhandel berühmt war. Aus den oben genannten Stellen ist bekannt, dass sie eine Purpurhändlerin war und in Philippi ein Haus besaß. Aufgrund ihres Berufes war sie vermutlich wirtschaftlich unabhängig. In Philippi gab es eine kleinere jüdische Ansiedlung. Lukas bezeichnete Lydia als gottesfürchtige Frau, weil sie Verbindung zur jüdischen Gemeinde hatte und mit dem Judentum sympathisierte. Durch die Predigten von Paulus kam sie zum Glauben und ließ sich zusammen mit ihrer Hausgemeinschaft taufen. 2.2.3 Ort und Zeit Die vorliegende Erzählung lässt sich nicht unter traditionsgeschichtlichen Gesichtspunkten betrachten, da Lukas hier offenbar unterschiedliche ihm vorliegende Berichte zusammengefasst hat.76 Sie ist eng mit der LydiaGeschichte verknüpft. Von daher ist es klar, dass die Ereignisse in Philippi stattgefunden haben. Die Ereignisse der VV 16–18 spielen sich innerhalb der Stadt ab und beginnen mit dem Satz „als wir zur Gebetsstätte gingen“. In 70 71 72 73 74 75 76
Vgl. W. Bauer, Art. a;rcwn 228. Ebd. Art. strathgo,j 1537. Vgl. ebd. Art. strathgo,j 1537. Vgl. ebd. Art. desmofu,lax 352. Vgl. ebd. Art. r`abdou/coj 1468. Vgl. hier und im Folgenden ebd. Art. Ludi,a 976. So urteilt G. Schille, Apg 344.
164
D. Apologetische Intention des Lukas
VV 19f. nach der Austreibung des Wahrsagegeistes aus der Magd verändert sich der Ort des Geschehens. Zunächst werden Paulus und Silas auf den Marktplatz geschleppt, verurteilt, misshandelt und anschließend in den Kerker geworfen, wodurch der Ortswechsel eindeutig dargestellt ist. In V 25 schildert Lukas eine neue Begebenheit, in der er die Befreiung der Apostel und die Bekehrung des Gefängniswärters präsentiert. V 30 beschreibt wiederum einen Ortswechsel, wobei der Gefängniswärter die Missionare hinaus und anschließend in seine Wohnung hinaufführt (V 35). Alle bis hierher beschriebenen Ereignisse hängen unmittelbar miteinander zusammen und können daher als Einheit betrachtet werden. Bei Lukas spielen sowohl Ortsangabe als auch Zeitangabe eine wichtige Rolle, um das Geschehen zu schildern. In V 35a erkennt man dies deutlich an dem Satz „Als es aber Tag wurde“. Ungenaue Zeitangaben sind typisch für die Berichte des Lukas, wie man sie z. B. auch in V 18a/e findet. Obwohl die Zeitangabe „um Mitternacht“ in V 25a und „in jener Stunde der Nacht“ in V 33a ziemlich exakte Zeitangaben sind, sind sie nicht hilfreich, um die genaue Zeit und Dauer der Ereignisse festzulegen. Der Schluss des Berichtes erzählt in V 39d davon, dass die Missionare die Stadt verlassen können. Vorher gingen Paulus und Silas aber noch zu Lydia. 2.3
Gliederung des Textes
In der Erzählung Apg 16,16–40 berichtet Lukas über den Aufenthalt des Paulus in Philippi und seine Mission. Liest man die Erzählung, fällt sofort auf, dass VV 16–17 im Wir-Bericht fortgeführt worden sind. In den weiteren Ereignissen handelt sich aber nur um Paulus und seinen Begleiter Silas. Timotheus dagegen, der auch an der Missionsreise beteiligt war, taucht in dem betrachteten Text nicht mehr auf. Lukas dürfte der Bericht über die Austreibung des Wahrsagegeistes (VV 16–18) vorgelegen haben, den er in seine Sprache kleidete. Als Folge der Austreibung ergibt sich der zweite Bericht über die Misshandlung und Einkerkerung der Missionare (VV 19– 24). Diesem Geschehen folgt die Erzählung der Freilassung und Ausweisung des Paulus und des Silas aus der Stadt Philippi (VV 35–40). Die Kerkerszene VV 25–34 schildert den Bericht, der die Ereignisse zwischen Mitternacht und Tagesanbruch darstellt. In dem von Lukas erzählten Befreiungswunder geht es nicht in erster Linie um die Rettung der inhaftierten Missionare, sondern um die Rettung des Kerkermeisters (V 30b „damit ich gerettet werde?“). V 30 und die Ereignisse von der Wunderbefreiung scheinen „eine plumpe 77 sekundäre Erzählung“ zu sein. Möglicherweise stammt dieser Bericht aus Erzählungen von Paulus. Dieser diente Lukas als Anhaltspunkt zum Ausbau 77
H. Conzelmann, Apg 101.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
165
der Kerkerszene, in der das Befreiungswunder als Motiv zur Verfügung stand. 3.
Literarkritik
Der Abschnitt Apg 16,16–40 wird in der Literatur unterschiedlich interpretiert. Weiser führt in seinem Kommentar zu dieser Stelle verschiedene Meinungen an, z. B. die von Marshall, der diesen Bericht für eine historisch zuverlässige Überlieferung hält.78 Dibelius und Conzelmann sind der Ansicht, die Befreiungswunderlegende VV 25–34 sei von Lukas bearbeitet und in den Erzählzusammenhang eingesetzt worden. Dies wird von beiden damit begründet, dass VV 35–40 nicht mehr auf das Befreiungswunder eingehen. 79 Dagegen wendet sich Weiser, indem er schreibt, „dass der Befreiungswunderlegende die Einleitung fehlt und der Zusammenhang mit der Bekehrung des Gefängniswärters unerklärt bleibt“80. Deshalb kann man annehmen, dass die Erzählung nicht als selbständiger Bericht überliefert wurde. Haenchen geht davon aus, dass das Befreiungswunder von Lukas gestaltet wurde und die anderen Teile, deren ursprüngliche Quelle in Philippi liegt, von ihm sehr stark geformt wurden.81 Schille ist der Meinung, der Abschnitt VV 16–34 habe in seinem Kern einen historischen Hintergrund bei der Gründung der Gemeinde in Philippi und er sei nur von Lukas redaktionell bearbeitet worden.82 Kratz weist nach, dass die Notiz über die Dämonenaustreibung und die Anklage wegen der Geschäftsschädigung und des Volksaufruhrs aus der Überlieferung stammen.83 Er vermutet, der Verfasser der Apostelgeschichte habe diese Kurznotizen ausgebaut und umgeformt, um eine Spannung zwischen der christlichen Verkündigung und dem Heidentum aufzulösen. Laut Plümacher ist der Abschnitt VV 16–40 nicht in den Kontext eingebunden, was aber dem Episodenstil gut entspreche.84 Darüber hinaus findet man verschiedene Meinungen und Vermutungen, die allerdings sehr umstritten sind. 3.1
Spannungen und Widersprüche
Der vorliegende Text weist gewisse Spannungen auf, da manche Elemente nicht zusammenpassen.85 Um ihn richtig zu verstehen, ist zumindest die 78 79 80 81 82 83 84 85
Vgl. I.-H. Marshall, Act 265f. Vgl. M. Dibelius, Aufsätze 26f.; H. Conzelmann, Apg 101. A. Weiser, Apg II 424. Vgl. E. Haenchen, Apg 440–443. Vgl. G. Schille, Anfänge 43–50. Vgl. hier und im Folgenden R. Kratz, Rettungswunder 474–482; am besten 479. Vgl. E. Plümacher, Lukas 95. Vgl. hier und im Folgenden G. Schille, Apg 344.
D. Apologetische Intention des Lukas
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Kenntnis der Lydia-Geschichte notwendig. Während die VV 16–18 in der Stadt spielen, war es für den Verfasser notwendig, als Exposition für die Lydia-Geschichte einen Gang aus der Stadt einzufügen. Ebenso verwundern das plötzliche Verschwinden des Timotheus und das Verlassen des Wir-Stils in der Berichterstattung. Im letzten Teil des Textes, in V 37, stellt Lukas den Paulus als den allein Handelnden dar. Man fragt sich auch, warum sich der Apostel auf seine Rechte als römischer Bürger erst dann beruft, nachdem die Freilassung angeordnet wurde, und nicht, wie man es erwarten würde, vor der Verhaftung und Geißelung.86 Für die Beamten in Philippi werden zwei unterschiedliche Bezeichnungen verwendet, obwohl nicht eindeutig zu erkennen ist, ob und wie beide Gruppen sich unterscheiden. In V 19 sind sie als a;rcontej erwähnt, aber in den VV 20.22.35.38 als strathgoi,. Zudem entstehen am Schluss der Erzählung Widersprüche zu dem zuvor Berichteten: Paulus verlangt in V 37 ein offizielles Geleit aus der Stadt, begibt sich jedoch nach der Entlassung zunächst ins Haus der Lydia und verlässt dann die Stadt ohne amtliche Begleitung. Diese einzelnen Szenen passen nicht zusammen. Ebenso lassen sich in VV 28–30 einige Unstimmigkeiten feststellen: Man fragt sich, woher Paulus nach dem Erdbeben weiß, dass alle Gefangenen noch da sind, und woran der Gefängniswächter erkennt, dass das Erdbeben nur mit den christ-lichen Missionaren zu tun hat und darüber hinaus keine weitere Bedeutung hat.87 3.2
Parallelen
Die Befreiungserzählung des Paulus in VV 25–34 hat eine auffällige Parallele zu der Befreiungserzählung des Petrus in Apg 5,19–21.88 Das Befreiungswunder des Petrus ist historisch schwer nachweisbar und entspricht auch nicht dem Kontext einer vorlukanischen Quelle, sondern ist vielmehr Werkzeug der lk Aussageabsicht. Die Szene hat keinen ursprünglichen Platz in der Erzählung (vgl. Apg 5,17–42), da sie, trotz der mutmaßlichen Überraschung der Hohenpriester, im Verhör mit keinem Wort erwähnt wird. Nach Weiser gehört sie wohl ursprünglich der Petrus-Tradition (vgl. Apg 12,6–17) an und ist dann in erzählerisch veränderter Weise sowohl auf den Apostel Petrus in Apg 5,19–21 als auch auf Paulus in Apg 16,25–34 übertragen worden. Lukas deutet darauf hin, dass Gott alle Pläne der Apostelgegner, die Verkündigung des Evangeliums zu verhindern, zunichtemacht; er selbst steht den Missionaren bei und hilft ihnen in der Not. Nach der Darstellung des Lukas finden die Befreiungswunder bei den Hauptträgern der Evangeliumsverkündigung, 86 87 88
Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 115; G. Schneider, Apg II 219. Vgl. E. Plümacher, Lukas 95f. Vgl. hier und im Folgenden A. Weiser, Apg I 156.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
167
Petrus und Paulus, statt. Für Lukas sind die Befreiungswunder ein wesentliches Merkmal während der christlichen Verkündigung, was sich besonders deutlich an den Stellen Apg 5,18–21; 12,1–19; 16,19–34 zeigt. An den Erzählungen erkennt man auch gewisse Steigerungen.89 In 5,18 wird nur mit einem Satz über die Einkerkerung berichtet, in 12,4 schon von vierfacher Bewachung und schließlich in 16,23f. von sicherer Bewachung im inneren Gefängnis und Fesselung der Füße. Die Szene in Apg 5,19f. erwähnt nur kurz einen Engel, der die Gefangenen befreit und Anweisungen gibt. In Apg 12,7– 10 ist eine ausführliche Beschreibung der Befreiung dargestellt, und der vorliegende Text berichtet in Apg 16,26 von einem Erdbeben, das die Öffnung aller Türen und das Zerbrechen aller Fesseln zur Folge hat. Eine andere Parallele ist in Apg 10,25 und V 29b unseres Textes zu finden: Ebenso wie der Heide Kornelius dem Petrus, so fällt der heidnische Gefängniswärter dem Paulus und Silas zu Füßen. In beiden Fällen empfängt der Betreffende nach der Unterweisung die Taufe. 3.3
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil
Daher muss im Einzelnen herausgearbeitet werden, wo die lk Merkmale besonders gut sichtbar sind. Die Austreibungserzählung VV 16–18 geht auf die Tradition zurück. Dieser Ansicht ist Eckey90, der meint, die in Röm 15,19 und in 2 Kor 12,12 von Paulus erwähnten Zeichen und Wunder zeigen, dass es bei der Verkündigung des Evangeliums durch Paulus Wunderzeichen gegeben hat. Nimmt man dies an, kann die Erzählung von der Austreibung des Dämons aus der Sklavin einen historischen Kern haben. Natürlich muss man damit rechnen, dass „Lukas eine wohl ursprünglich nur kurzgefasste Mitteilung über die Austreibung eines Wahrsagegeistes durch Paulus zu einer fast ganz stilgemäßen Exorzismusgeschichte ausgebaut und mit der vorangehenden Erzählung verbunden“91 hat. Eine typisch lk Wendung, die als eine Verbindungsbrücke in den Erzählungen gilt, finden wir z. B. in V 16: evge,neto de.. Diesen Ausdruck verwendet Lukas sehr oft in seinen Texten, z. B. in Lk 1,8; 2,1.6; 3,21; 5,1; 6,1 und Apg 4,5; 8,1; 9,19.32; 14,1; 19,1. Bemerkenswert ist, dass die Verbform evge,neto im NT 202-mal vorkommt, davon in mehr als der Hälfte aller Fälle bei Lukas. 92 Man kann vermuten, dass auch die Kennzeichnung eines Geistes mit pu,qwn in Apg 16,16 auf Lukas zurückgeht. Wenn man nämlich die Exorzismusgeschichten Lk 4,31–37 und Mk 1,23–28 vergleicht, erkennt man, dass Lukas die Erzählung von Markus erweitert hat. 89 90 91 92
Vgl. hier und im Folgenden ebd. Apg II 428; R. Kratz, Rettungswunder 489. Vgl. W. Eckey, Apg II 364. A. Weiser, Apg II 425. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 167–173.
168
D. Apologetische Intention des Lukas
Er fügt in Lk 4,33 neben dem von Mk 1,23 übernommenen Ausdruck „unreiner Geist“ noch die Information ein, dass der Mann von einem Dämon besessen war. Der Vergleich einer weiteren Szene, nämlich Mk 5,1–20 und Lk 8,26–39, weist ebenfalls auf lukanische Änderungen hin. Lukas beschreibt hier einen Mann, der von Dämonen besessen war (Lk 8,27) und nicht, wie Markus (Mk 5,2), von einem unreinen Geist. Ob die Gewinnsucht in V 16 als Motiv auf Lukas zurückgeht oder von ihm aus der Tradition übernommen wurde, ist schwer zu sagen. Das Wort evrgasi,a kommt außer in Eph 4,19 nur dreimal bei Lukas vor (Lk 12,58; Apg 16,16; 19,24). Wenn man aber allgemein das Verhältnis zwischen dem Evangelium und materiellem Gewinn im Doppelwerk vergleicht, lässt sich vermuten, Lukas wolle die christliche Verkündigung von aller Gewinnsucht distanzieren. Dies ist nicht nur aus den Summarien in Apg 2,43–47; 4,32–37 zu erkennen, sondern auch aus Apg 5,1–11; 8,18–20; 19,23–27; 24,25f. Gewinnsucht, falsches Besitzstreben und Geld sind Themen, die dem Verfasser sehr wichtig sind. Darüber hinaus fällt bei einem Vergleich von Apg 16,16 mit 19,24 eine fast wörtliche Übereinstimmung (evrgasi,an parei/cein) auf. Der Zusammenhang zwischen der heidnischen Religiosität und der Gewinnsucht zeigt sich bei Lukas besonders deutlich an der Gestaltung der Szenen in Philippi und Ephesus, wo die christliche Missionierung Konflikte auslöst, weil sie die heidnische Vermarktung der Wahrsagerei und die Verflochtenheit zwischen Religion und Geschäften aufdeckt.93 Weiter ist zu erkennen, dass die Magd (V 17a) Paulus und seinen Begleitern nachläuft.94 Lukas verwendet hier das gleiche Wort katakolouqe,w wie auch in Lk 23,55, das nur an diesen beiden Stellen im NT vorkommt. Wenn man die Erzählung Lk 23,55 mit Mk 15,46f. vergleicht, lassen sich die lk redaktionellen Spuren erkennen. In V 17b werden die Missionare als Knechte des höchsten Gottes bezeichnet (dou/loi tou/ qeou/ tou/ u`yi,stou). Der Ausdruck o` qeo,j u[yistoj95 kommt im NT z. B. bei Mk 5,7 mit einer Parallele bei Lk 8,28 sowie in Hebr 7,1 vor. Lukas aber verwendet diesen Titel, um den einen allmächtigen Gott Israels zu bezeichnen (vgl. Lk 1,32.35.76; 6,35; Apg 7,48). Eine derartige Gottesbezeichnung war vor allem in der hellenistisch-jüdischen Diaspora verbreitet. In V 17b kann man eine doppeldeutige Bedeutung dieser Verwendung vermuten. Öfter benützt Lukas Begriffe, die sowohl für Christen als auch für Heiden akzeptabel sind, wie z. B. in Apg 17,22 und Apg 25,19. Wenn Lukas also die Sklavin sagen lässt, Paulus sei ein Knecht des höchsten Gottes und verkünde den Weg des Heils, könnte 93 94 95
Vgl. W. Eckey, Apg II 367. Vgl. hier und im Folgenden A. Weiser, Apg II 426. Vgl. W. Eckey, Apg II 365.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
169
dies das Interesse der Heiden für die christliche Mission wecken und es wäre ein guter Anknüpfungspunkt gefunden, um Heiden für das Christentum zu werben. Die Heiden verehrten nämlich Zeus als den Höchsten, so dass ihnen diese Ausdrucksweise vertraut war. Darüber hinaus dürfte auch die Wendung „Weg des Heils“ in V 17c mit Berücksichtigung von Apg 13,10; 18,25 auf Lukas zurückgehen. Auch das verwendete Wort evpi, in V 18a, das mit dem Akkusativ einer Zeitangabe verknüpft ist (z. B. Lk 10,35; 18,4; Apg 3,1; 4,5; 13,31; 16,18; 17,2; 19,8.10.34; 27,20) und nie so bei Mk und Mt verwendet wird, dürfte aus der Feder des Verfassers kommen.96 Zum Ausdruck „im Namen Jesu Christi“ kann man in Apg 3,6 (evn tw/| ovno,mati VIhsou/ Cristou/), genauso wie zum Ausdruck „ausfahren aus“ in Lk 4,35; 8,29.33 (evxe,rcomai), Parallelen finden. Mit diesem Wort beschreibt er das Ausfahren eines Dämons aus dem Mann und mit dem gleichen Wort beschreibt er auch das Verlassen des pu,qwn aus der Sklavin in V 18e. Auffällig ist, dass Lukas dasselbe Wort verwendet, um die zerstörte Hoffnung auf den Gewinn in V 19b (evxh/lqen h` evlpi.j th/j evrgasi,aj auvtw/n) darzustellen. Somit kann man einen Zusammenhang zwischen dem Dämonischen und dem falschen Gewinnstreben erkennen. Wie der Dämon aus der Magd ausfährt, fährt auch bei den heidnischen Herren jede Hoffnung auf den Gewinn aus. Noch zu erwähnen ist, dass die Bezeichnung der Führenden (a;rcontej) in V 19d typisch lukanisch ist (Lk 23,13; Apg 4,5). Im NT verwendet ausschließlich Lukas den Terminus strathgoi, als volkstümliche Bezeichnung für die obersten Beamten. Das Wort e;qoj in V 21a erscheint außer in Joh 19,40 und Hebr 10,25 im NT nur bei Lukas. Es ist „lukanischer Terminus technicus zur Bezeichnung des mosaischen Gesetzes als einer für die kulturelle Identität des Judentums in der hellenistisch-römischen Welt konstitutiven religiösen Institution“97. Im Gegensatz dazu bezeichnet Lukas den heilsgeschichtlichen Aspekt des mosaischen Gesetzes mit dem Wort no,moj.98 Bei Apg 16,21 und 26,3 wird der Abstand im sittlichen Denken zwischen Juden und Römern sehr deutlich. An beiden Stellen handelt es sich um einen kulturellen Aspekt und taucht gleichermaßen und folgerichtig das Wort e;qoj auf. Somit ist es naheliegend, dass die Anklageformulierung in V 21b lukanischen Ursprungs ist. Die Betonung der Sicherheitsvorkehrungen in V 23f. entspricht lukanischer Erzähltechnik, da er damit besonders deutlich das weitere Geschehen des Befreiungswunders vorbereitet. In Bezug auf das Befreiungswunder in VV 25–34 sowie die Freilassung und Ausweisung von Paulus und Silas in VV 35–40 lässt sich Folgendes 96 97 98
Vgl. A. Weiser, Apg II 426. K. Löning, Evangelium 2623, Anm. 44. Vgl. hier und im Folgenden, A. Weiser, Apg II 427f.
D. Apologetische Intention des Lukas
170
sagen: Die Historizität dieser Ereignisse steht nach Eckey im Blick auf 1 Thess 2,2 und Phil 1,30 außer Zweifel; die Bekehrung des Gefängnisaufsehers hat wohl auch in Philippi stattgefunden. Eckey hält auch die Historizität eines Erdbebens für möglich und argumentiert damit, dass sich in dieser Region öfter Erdbeben ereigneten.99 All das, was Lukas aus der Tradition als kurze Berichte bekannt war, baut er in seine Texte ein. Die lk Gestaltung des Befreiungswunders in VV 25–34 erkennt man vor allem im Vergleich mit anderen Stellen, wie z. B. Apg 5,19 und Apg 12,6–11, worauf auch im vorherigen Kapitel eingegangen worden ist. Zunächst werden die Apostel, nachdem sie in das öffentliche Gefängnis geworfen wurden, von einem Engel des Herrn befreit, dann Petrus, der ebenfalls gefangen genommen wurde, und schließlich Paulus und Silas. An diesen ähnlichen Erzählungen lassen sich gewisse Steigerungen erkennen sowie eine von Lukas beabsichtigte Parallelisierung zwischen Petrus und Paulus. 100 Obwohl VV 35–40 durch die Selbstzeugnisse des Paulus historisch bewiesen sind, erkennt man deutlich den lk Stil und die Inhalte, die von Lukas beeinflusst worden sind. Besonders auffallend ist dies bei Ausdrücken wie z. B. „bei Tagesanbruch“ (Apg 12,18; 23,12, ungenaue Zeitangabe) und „zieht in Frieden“ (vgl. Lk 7,50; 8,48), vor allem aber im Anspruch des Paulus auf das römische Bürgerrecht. 101 Dieses Recht ist Lukas von großer Bedeutung, er erwähnt es mehrmals sowohl direkt (vgl. 16,37; 21,39; 22,25; 23,27) als auch indirekt (vgl. 25,10f.21.25f.; 28,19). Unter dem Blickwinkel, dass Lukas diese Erzählung entsprechend seiner Absicht gestaltet hat, ist V 40 auch ihm zuzuschreiben. Die Erwähnung der Brüder erscheint plötzlich und überraschend und passt besser zum lukanischen Stil als zu den ihm vorliegenden Quellen. Dementsprechend präsentiert die lk Gestaltung Paulus als ein vorbildliches Mitglied nicht nur im israelitischen Gottesvolk, sondern auch im römischen Staat. Zusammen mit Paulus als einem vorbildlichen Christen werden alle Christen der damaligen Zeit als treue Bürger Roms dargestellt, als Bürger, die den Rechtsschutz der römischen Behörden in Anspruch nehmen konnten. 3.4
Ergebnis
Mit der oben beschriebenen Analyse lässt sich also zeigen, dass Lukas eine Reihe von kurzen Notizen vor sich hatte, die er für seine Gesamtkomposition verwendete und in seinem dramatischen Episodenstil szenisch ausbaute. Der ganze Bericht ist voll von Steigerungen, die die einzelnen Szenen in ihrem 99 100 101
Vgl. W. Eckey, Apg II 372f. Vgl. A. Weiser, Apg II 428; W. Eckey, Apg II 373. Vgl. hier und im Folgenden A. Weiser, Apg II 429f.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
171
Ablauf miteinander verbinden. Ausdrücklich stammen von Lukas der WirStil, die konkrete Ausgestaltung der Exorzismusgeschichte (VV 16–18), die Anklage wegen der Geschäftsschädigungen (VV 19f.), die Angst um das Verderben der römischen Sitten (V 21) sowie die Schilderung der Härte der Gefangennahme und der anschließenden Haft (V 23f.); ebenso sind die Befreiungswundererzählung mit den Nuancen des Berichts über die Bekehrung des Gefängniswärters (VV 25–34), das Streitgespräch über das römische Bürgerrecht (VV 37–39) und der Besuch im Haus der Lydia Lukas zuzuschreiben (V 40). 4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund
4.1
Bürgerrecht des Paulus
Ob Paulus ein römischer Bürger war oder nicht, lässt sich seinen Briefen nicht entnehmen, er erwähnt es nämlich an keiner Stelle. Direkte Erwähnungen diesbezüglich finden sich nur bei Lukas in der Apostelgeschichte. Daher entsteht die Frage, ob Paulus das römische Bürgerrecht tatsächlich besaß oder nicht. Zur Klärung dieser Frage folgen wir den Ausführungen von Omerzu.102 Wegen Quellenmangel in Bezug auf die Zeit des Übergangs von der Republik zum Prinzipat sind Bedeutung und Verbreitung der civitas Romana schwierig zu beurteilen. Unter Cäsar gab es z. B. Gründungen neuer Provinzen, die von Veteranen besiedelt waren. Die Neugründungen brachten es mit sich, dass den Ansiedlern in hoher Zahl das Bürgerrecht verliehen wurde. Als Augustus (27 v. bis 14 n. Chr.) Kaiser wurde, wurde die civitas Romana nur noch selten verliehen. Die Wege zur Erlangung der Bürgerschaft Roms waren vielfältig. Einerseits besaßen Kinder, deren Eltern beide Römer waren, automatisch das Bürgerrecht. Andererseits konnte man dieses Recht auch anderweitig erlangen. So bestand z. B. die Möglichkeit, nach der Freilassung als Kriegsgefangener freigekauft zu werden und auf diese Weise das Bürgerrecht zu erlangen oder nach der Entlassung als Veteran mit dem Bürgerrecht belohnt zu werden. Unter Claudius (41–54) entwickelte sich ein reger Handel mit dem Bürgerrecht. Es gab auch die Möglichkeit des Doppelbürgerrechts. Einzelne Provinzbewohner bekamen, besonders im Osten des Reiches, aufgrund der Verdienste gegenüber Rom angeblich die civitas neben ihrem eigenen Bürgerrecht. Dies ist jedoch umstritten, da es spätestens seit Augustus, also zur Zeit des Paulus, nicht mehr möglich war, das Doppelbürgerrecht zu besitzen. Die Frage nach dem Erwerb des Bürgerrechts von Paulus bleibt also im Dunkeln. Trotzdem halten viele Forscher an der Historizität des Bürger102
Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 17–24.
172
D. Apologetische Intention des Lukas
rechts von Paulus fest. Dafür sprechen nicht nur die direkten Erwähnungen des Lukas, sondern auch die tief verwurzelte Paulus-Tradition in Rom. Zudem muss man davon ausgehen, dass Lukas sich auf vorliegende Überlieferungen stützt. Nur als Römer durfte Paulus an den römischen Kaiser appellieren, was zur Überstellung ins Herz des Imperiums führte. Es wird aber von Stegemann103 argumentiert, dass Paulus kein römisches Bürgerrecht besaß, wofür seine Selbstzeugnisse über Misshandlungen sprechen. Als römischer Bürger hätte er keine Strafen erleiden dürfen. An dieser Stelle lohnt es sich, auf die paulinischen Zeugnisse kurz einzugehen. In 1 Thess 2,2 spricht Paulus davon, dass er in Philippi viel zu leiden hatte und misshandelt wurde. In 2 Kor 11,24f. wird berichtet, dass Paulus fünfmal von den Juden gegeißelt wurde und dreimal vermutlich von römischen Staatsorganen. Und in 2 Kor 6,5 erwähnt der Apostel, dass er neben Schlägen auch Gefängnishaft erduldet hat. Dies alles geschieht, obwohl römische Bürger eigentlich vor Misshandlungen geschützt waren. Auch wenn man berücksichtigt, dass die entsprechenden römischen Gesetze manchmal missachtet worden sind, so erscheint ein dreimaliger Verstoß in Bezug auf ein und dieselbe Person sehr ungewöhnlich. Die Misshandlungen des Paulus und sein römisches Bürgerrecht lassen sich wahrscheinlich so erklären: Paulus als römischer Bürger hätte sich all diesen Bestrafungen entziehen können, aber es schien ihm wohl ein kleineres Übel zu sein, dies und die jüdischen Disziplinierungen zu ertragen, als ein langwieriges Verschleppen vor staatliche Instanzen hinnehmen zu müssen, was letztlich seine Mission massiv behindert hätte. Paulus ist ja von Jesus Christus zum Apostel berufen (Gal 1,1– 12), daher ist er auch bereit, alles zu ertragen, „um dem Evangelium Christi kein Hindernis in den Weg zu legen“ (1 Kor 9,12). Der Bericht von Lukas ist also als historisch korrekt anzunehmen. 104 Die Misshandlungen als römischer Bürger und die Missachtung seiner Sonderrechte hat Paulus freiwillig in Kauf genommen, da sein Hauptbestreben die Leidensnachfolge und seine Missionsstrategie waren. Lukas ist es wichtig, durch die Erwähnung des Bürgerrechts seine Apologetik fortzusetzen und zu zeigen, dass die Romreise des Paulus aufgrund seines Appellationsrechtes plausibel ist. Unter anderem gibt es noch einen Hinweis bei Josephus, der zeigt, dass der Besitz des Bürgerrechts und das Erleiden von Misshandlungen in bestimmten Fällen wohl auch miteinander vereinbar waren. Gemäß einem Bericht hat der Statthalter Gessius Florus im Jahre 66 n. Chr. mehrere Juden, die den römischen Ritterrang besaßen, öffentlich geißeln und kreuzigen lassen.105
103 104 105
Vgl. W. Stegemann, Apostel Paulus 223f. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 51f. Vgl. Joseph., b. Iud. II,308 (ed. O. Michel 242).
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
4.2
173
Amtsträger
Die Amtsträger in unserer Erzählung sind von großer Bedeutung. Hier folge ich der Ausführung von Omerzu.106 Bevor auf die Interpretation des Amtes eingegangen wird, soll der Ort, wohin Paulus und Silas geschleppt wurden, besprochen werden. Die Anschuldigung der Apostel findet auf der avgora, statt, die unter anderem auch Gerichtsort ist, 107 zu dem die Apostel evpi. tou.j a;rcontaj geschleppt wurden.108 Wenn auch dieser Terminus, nach Ansicht von Omerzu, in engerem Sinn keine Gerichtsinstanz bezeichnet, so weist er doch auf den offiziellen Charakter des Geschehens hin. Im Hinblick auf die Beamten in Philippi lässt sich sagen, dass der Begriff a;rcwn ursprünglich aus der Zeit der griechischen Polis-Verfassung stammt. Außerdem kommt diese Bezeichnung auch noch in Offb 1,5 vor und ist dort mit Christus verknüpft.109 Im Grunde genommen beschreibt dieser Begriff im NT entweder überweltliche Mächte oder römische und jüdische Beamte aller Art. Bemerkenswert ist, dass im NT nur in Apg 16,19 städtische Beamte als a;rcontej bezeichnet werden. In Lk 12,58110 kommt dieser Begriff ebenfalls vor, hier aber mit der spezifischen Bedeutung eines Richters. Wenn man Apg 16,19.20 betrachtet, scheint ein Zusammenhang zwischen den Begriffen a;rcontej und strathgoi, und den damit gemeinten Ämtern zu bestehen. 111 Diese beiden Begriffe haben eine Beziehung zu den Worten r`abdou/coi und desmofu,lax.112 Das heißt, in Philippi begegnet uns eine Hierarchie von städtischen Beamten – die duumviri iure dicundo ‒, die als Zweimännerkollegium seit der späten Republik an der Spitze von Kolonien und Munizipien stand. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass alle offiziellen Inschriften in Philippi im 1. und 2. Jahrhundert in lateinischer Sprache abgefasst wurden. Diese städtischen Beamten in Apg 16 könnten mit dem griechischen Wort strathgoi, gemeint sein.113 Obwohl es in der römischen Zeit für Philippi nicht epigraphisch zu belegen ist, kann man doch davon ausgehen, dass zumindest für Korinth die Identität beider Instanzen bewiesen werden kann. Zu den Kompetenzen des Zweimännerkollegiums gehörten nicht nur die Oberaufsicht über die städtische Verwaltung und die Berufung und Leitung des Rates, 106 107 108 109 110 111 112 113
Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 141. Vgl. D. Medicus, Art. forum 603. Der Bedeutung des griechischen Wortes avgora, entspricht im Lateinischen forum. Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 142. Vgl. G. Delling, Art. a;rcwn 476–488. Hier begegnet eine Hierarchie von Beamten, da auch o` pra,ktwr, der Gerichtsdiener, erwähnt ist. Vgl. H. Conzelmann, Apg 101; W. Elliger, Paulus 53f. Zu den Beamten in Philippi vgl. P. Pilhofer, Philippi I 193–199. Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 144; W. Elliger, Paulus 53f.; für die Nachweise vgl. Pilhofer, Philippi I 196f.
D. Apologetische Intention des Lukas
174
sondern bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. eine begrenzte Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit, was mit Apg 16 übereinstimmen könnte. Unter der Befehlsgewalt der höchsten Beamten (a;rcontej) gab es zwei Aufseher, die im Griechischen r`abdou/coi und in lateinischer Sprache lictores genannt wurden.114 Die Liktoren mussten die Hinweise und Anordnungen des Magistrats ausfertigen und darauf achten, dass ihm angemessener Respekt entgegengebracht wurde. Sie haben ihren Beamten fasces vorangetragen als Symbol der Polizeigewalt, die sie besaßen. Diese fasces bestanden ursprünglich aus Ruten, die mit einem roten Band um eine Axt gebunden waren. Die Axt stand als Symbol für die Todesstrafe, die von den Amtsträgern angeordnet werden konnte, die Ruten als Symbol für körperliche Züchtigung. Selbst die Gerichtsdiener hatten die Kompetenz, vor Gericht zu laden sowie Verhaftungen und Prügelstrafen durchzuführen. Dies alles beschreibt recht gut die in Apg 16 erwähnten r`abdou/coi. Mit der Aufgabe, Gefangene einzukerkern und zu bewachen, ist der sogenannte carcerarius (Kerkermeister) betraut. Dieses Amt ist nur in der Philippi-Episode erwähnt, und zwar mit dem griechischen Wort desmofu,lax. Hier ist es für den Fortgang der weiteren Erzählung eingefügt worden. 4.3
Philippi
Philippi war damals die Stadt, in der Paulus und Silas während der zweiten Missionsreise zum ersten Mal auf europäischem Boden den „Weg des Heils“ (Apg 16,17) verkündeten.115 Diese Stadt wurde von Philipp II. von Makedonien um 356 v. Chr. eingenommen, befestigt und von Krenides in Philippi umbenannt. Im Laufe der Jahre wurde die Stadt ausgebaut, aber als Aemilius Paullus nach der Schlacht von Pydna 168 v. Chr. Makedonien teilte, wurde Amphipolis zur Hauptstadt, wodurch Philippi an Bedeutung verlor. Diese Situation dauerte an, bis die Stadt im Jahr 42 v. Chr. römische Kolonie wurde. Damit begann die zweite Phase von Philippi. Für den Kaiser Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) war diese Siedlung von großer Bedeutung. Ihre fruchtbare Ebene mit einem sicheren Zugang zum Meer, die starken Befestigungen und ihre Nähe zur Via Egnatia waren in jeder Hinsicht sehr vorteilhaft. Viele Bewohner der Kolonie waren entlassene Soldaten, die Antonius ansiedeln ließ. Eine neue Welle von Siedlern kam im Jahr 31 v. Chr. nach Philippi, nachdem Octavian über seinen Rivalen gesiegt hatte. Es handelte sich meistens um italische Bürger, die treue Anhänger von Antonius waren.
114 115
Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 144; W. Elliger, Paulus 54f.; P. Pilhofer, Philippi I 199. Vgl. hier und im Folgenden W. Elliger, Paulus 36–42.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
175
Die Stadt bekam den neuen Namen Colonia Iulia Philippensis. In diese Stadt kamen die christlichen Missionare. 5.
Intention des Evangelisten
Der Verfasser der Apostelgeschichte hat den Text so gestaltet, dass man seine Intention erkennen kann. VV 16–18 beschreiben eine Szene in Form einer Exorzismusgeschichte, die die Probleme darstellt, mit denen Paulus und Silas bei ihrer Begegnung „mit einer tief im Alltagsleben verwurzelten heidnischen Religiosität zu ringen hatten“116. Sie dient im Sinne des Evangelisten zugleich als „Abgrenzung gegenüber der Mantik“117. V 16 knüpft nicht an V 13 an, in dem Lukas den Gang zur Gebetsstätte 118 beschreibt, da die Missionare sofort vor die Stadtbehörde geschleppt werden.119 Es handelt sich in unserem Text um einen Sabbat. An diesem Tag ging man üblicherweise zum Gebetsort. Lukas berichtet von einer Magd, die einen Wahrsagegeist hat. Dieser spricht allerdings die Wahrheit, indem er Paulus und Silas als Knechte des höchsten Gottes bezeichnet. Da er dies als Diener des niedrigen Gewinns tat und christliche Verkündigung und Geldgier sich gegenseitig ausschließen, konnte es nicht der Heilige Geist sein. In V 19 ist die Rede von einem Gewinn durch die Wahrsagerei, der nun wohl ausbleiben wird. Es ist zu erkennen, dass Lukas zwischen der Magd und dem aus ihr sprechenden pu,qwn streng differenziert. In VV 16b–18b ist die Rede von einer Sklavin, die sich immer wieder auf den Weg machte, vor allem zu den gut besuchten Orten der Stadt, um andere mit ihrer Begabung zu faszinieren und so Geld zu verdienen. Was in den Augen der Philipper wahrscheinlich als eine Gabe galt, ist mit der christlichen Verkündigung unvereinbar, denn sie deckt die Geldgier der heidnischen Herren auf, die die Magd für ihre persönliche Bereicherung ausnutzten. Die Hartnäckigkeit der Frau und ihr fortgesetztes Hinterherschreien ärgerte Paulus. Obwohl sie die Wahrheit sagte über die Zugehörigkeit der Missionare zu dem höchsten Gott, sprach Paulus sie nicht, wie man erwarten würde, direkt an, sondern wandte sich unmittelbar an den Geist (V 18c). Lukas will damit zeigen, dass Paulus im Namen Jesu Christi dem Dämon zu befehlen vermag und ihn austreiben kann. Die Austreibung der Dämonen aus einem Mann durch Jesus in Lk 8,26–39 zeigt seine Vollmacht über die bösen Geister und bestätigt seine 116 117 118
119
J. Roloff, Apg 245. H. Conzelmann, Apg 100. Proseuch, bedeutet normalerweise „das Gebet“, aber in Apg 16,13.16 ist eine Gebetsstätte gemeint, vielleicht gab es keine Synagoge in Philippi; vgl. E. Haenchen, Apg 433. Nach M. Hengel, Proseuche 175 sei mit dieser Bezeichnung „ein wirkliches Gebäude“ gemeint. Vgl. hier und im Folgenden J. Jervell, Apg 422f.
176
D. Apologetische Intention des Lukas
Sohnschaft des höchsten Gottes. Auch in VV 16–18 zeigt sich ein ähnliches Motiv. Die christliche Verkündigung in der Kraft Jesu Christi erweist sich stärker als der Dämonenglaube der Heiden. Hier klingt eine Konkurrenz an zwischen der heidnischen Religiosität und dem Christentum, in der das Letztere das Erstere übersteigt und letztendlich besiegt. Des Weiteren lässt sich mit VV 16–18 vermuten, dass die besessene Frau, eine Magd sowohl ihrer Herren als auch des Dämons, von beider Knechtschaft befreit war, nachdem Paulus den bösen Geist ausgetrieben hatte. Von der geistigen Knechtschaft kam sie frei durch die Handlung des Paulus und von ihren weltlichen Besitzern wegen des Verlusts ihrer Fähigkeit, diesen durch Wahrsagen Geld zu verdienen. Den VV 16–18 kann man auch entnehmen, dass die einzige geistige Knechtschaft, die gleichzeitig frei macht, die Zugehörigkeit zum höchsten Gott ist, zum Gott der Christen. Sie führt auf den Weg des Heils. Lukas ist es auch wichtig, in V 18a den Zeitraum des Aufenthalts der Missionare in Philippi aufzuzeigen. Über eine längere Zeit verkünden Paulus und Silas „gefährliche Bräuche“, was ihnen später auch vorgeworfen wurde. Eine derartige Tätigkeit erfordert, um erfolgreich zu sein, vorab eine gewisse missionarische Vorarbeit. Der Verfasser will an dieser Stelle auch betonen, dass nur der auferstandene Jesus Christus Heilung und Rettung schenkt (vgl. Apg 3,6.16; 4,10.30).120 VV 19–24 berichten über die Erregung der Herren121, die die Magd als Objekt des Gelderwerbs benutzen.122 Üblicherweise verursacht eine Dämonenaustreibung bei Anwesenden eine Beurteilung des Geschehenen. Sehr oft wird sie als furchterregend und erschreckend empfunden (Lk 4,36; 8,35). Laut V 19 aber sind die heidnischen Herren lediglich darüber empört, dass sie von der Sklavin nicht mehr profitieren und sich nicht länger bereichern können. Angesichts der Gefahr, gute Einnahmen zu verlieren, agieren sie gegen die Missionare mit Zorn. An dieser Reaktion auf das Wirken im Namen Jesu Christi erkennt der Leser die religiöse Niedrigkeit und das menschenverachtende Verhalten der heidnischen Gesellschaft. Die Besitzer der Magd sind Römer, und nach dem damaligen Verständnis war jeder Bürger von Rom automatisch ein religiöser Mensch (vgl. B.III.7). Dementsprechend kann man die Aussageabsicht des Lukas so verstehen: Die Römer, die ohnehin als religiös gelten, sind in Wirklichkeit selber Sklaven der Geldgier. Das Maß und die Stärke ihrer Religiosität hängen davon ab, mit welcher Geldmenge ihre Taschen gefüllt werden. Im Gegensatz dazu erweist sich die 120 121
122
Vgl. R. Kratz, Rettungswunder 487. Vgl. J. Zmijewski, Apg 608, der damit wohl das Besitzerehepaar der Sklavin meint; vgl. dagegen G. Schille, Apg 345, der sagt: „Die ,Herren‘ der Magd stellt man sich als Teilhaber vor, nicht als Ehepaar […].“ Vgl. hier und im Folgenden A. Weiser, Apg II 435.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
177
christliche Lehre frei von jeder Gewinnsucht. Lukas zeigt damit auch den allgemeinen Konflikt zwischen Evangelium und Geld auf sowie die Unmöglichkeit, dass beide in Einheit existieren.123 Mit Absicht schafft der Verfasser einen Zusammenhang zwischen dem evxelqei/n des Wahrsagegeistes in V 18e und der Angst vor einem finanziellen Verlust in V 19b (vgl. D.II.4.3). Das Austreiben des Wahrsagegeistes bringt den Besitzern der Magd die Gefahr eines finanziellen Verlustes, was sie auch sofort erkennen, aber rechtlich nicht einklagen können. Stattdessen nutzen sie die ohnehin negative Stimmung der Gesellschaft gegenüber den Juden und verkünden, dass die Missionare Juden seien. Die Besitzer der Sklavin benutzen die angebliche Unruhestiftung durch die Verkündigung von Paulus und Silas als Basis für die Anklage gegen die beiden. Das gleiche Motiv findet man in Apg 19,23–27. Die Gegner des Evangeliums werden von Lukas durch ihre niedrigen Motive diskreditiert.124 Die Geschäftsschädigung war der eigentliche Anlass ihrer Rachsucht, trotzdem begründeten sie offiziell ihre Anklage vor der Behörde mit einem Aufruhr in der Stadt.125 Sie verschwiegen absichtlich den wahren Grund ihrer Anklage, nämlich die Gefahr für ihr Geschäft, und brachten stattdessen angeblichen Aufruhr und eine gefährliche Verbreitung jüdischer Sitten als Anklagegründe vor. Eine negative Einstellung zu den Juden lässt sich deutlich an der folgenden Ausdrucksweise erkennen: Ou-toi oi` a;nqrwpoi evktara,ssousin h`mw/n th.n po,lin( VIoudai/oi u`pa,rcontej. Diesen Satz kann man im Deutschen als Kausalsatz übersetzen, was vielleicht sogar besser die lk Absicht zum Ausdruck bringen würde und darüber hinaus auch die Beziehungen, historisch gesehen, zwischen den Juden und den Heiden besser aufzeigen würde.126 Weil die Missionare Juden sind, wollen sie angeblich verwerfliche Sitten und Bräuche einführen. Die Auffälligkeit, dass an dieser Stelle die Gegner der christlichen Missionare direkt die erwähnten Römer sind und nicht, wie in vielen anderen Berichten, entweder Juden (z. B. Apg 6,9–7,60; 9,20–29; 13,45.50; 17,5–9; 18,6.12; 21,27–26,32) oder gelegentlich auch Heiden (z. B. Apg 14,2.5; 19,23–40), ist bereits bei Weiser erwähnt.127 Wenn man diese Tatsache historisch kritisch betrachtet, lässt sich sagen, dass derartige Szenen das damalige Verhältnis zwischen Römern und Christen angemessen darstellen. Denn im Gegensatz zu den üblichen Gestaltungen des Lukas zeigten die Römer den Christen gegenüber keine freundliche Haltung. Diese Gegnerschaft der Römer in Bezug auf die Christen erwähnt Lukas im Allgemeinen nicht. Auch hier, in V 20, präsentiert er die 123 124 125 126 127
Vgl. hier und im Folgenden F. W. Horn, Glaube 55; R. Pesch, Apg II 114. Vgl. G. Schille, Apg 346; F. W. Horn, Glaube 226. Vgl. R. Kratz, Rettungswunder 491. Vgl. B.III.9.2. Vgl. hier und im Folgenden A. Weiser, Apg II 435f.; G. Schneider, Apg II 216.
178
D. Apologetische Intention des Lukas
Römer als Gegner der Juden. Am Schluss setzt er einen deutlichen Akzent auf das römische Bürgerrecht der Missionare, das die Grundlage für ihre Freilassung ist. Die ganze Szene zeigt, dass sich die Anklagen gegen die Missionare nur auf die Verbreitung jüdischer Bräuche bezog, nicht aber auf die Verkündigung des Evangeliums. Die ganze Szene ist typisch und aufschlussreich für die lukanische Apologetik, denn sie ist so formuliert, dass keine Feindschaft zwischen Römern und Christen herauszulesen ist und gleichzeitig die Möglichkeit zur Freilassung der Missionare durch das römische Bürgerrecht gegeben ist. Darüber hinaus will Lukas zeigen, dass die Stadtbewohner nicht imstande sind, Christen von Juden zu unterscheiden. 128 Und er wusste, dass die Juden bei den Römern keine Proselyten werben durften, obwohl das Judentum als religio licita galt.129 Mit den erwähnten unannehmbaren Bräuchen für die Römer sind nach Weiser130 und Eckey131 wohl folgende Punkte gemeint: Wehrdienstverweigerung, Sabbatbeachtung, Speisegebote, Sondergerichtsbarkeit und Geldspenden für den Tempel in Jerusalem. Hierüber berichtet Josephus. Er erwähnt die Bräuche als Zugeständnisse des römischen Bürgerrechts gegenüber den Juden.132 Obwohl die Römer diese Bräuche im Allgemeinen tolerierten, findet man doch skeptische Äußerungen darüber. So z. B. bei Tacitus133, der uns berichtet, dass die Sitten der Juden verwerflich und abscheulich seien. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass Lukas ihre Propaganda als Grund für die Maßnahmen der Römer gegen die Missionare verwendet, die als Juden verstanden wurden. 134 Auch die Stadtbewohner reagieren entsprechend dem damals im Römerreich weitverbreiteten Antijudaismus, denn die Juden galten als Unruhestifter und Gegner des Imperium Romanum (z. B. jüdische Widerstände gegen die Römer in Palästina). In VV 22–24 beschreibt Lukas, dass die Behörden der Volksmenge zustimmen und ohne Gerichtsverfahren die Missionare auspeitschen und einkerkern lassen. Der Verfasser schildert die Sicherungsvorkehrungen in der Szene der Inhaftierung der Missionare sehr sorgfältig, als Basis für die nächste Wundererzählung. VV 25–34 erzählen vom Befreiungswunder. Das Ziel dieses Berichts ist nicht allein die Rettung der Gefangenen, wie es zu erwarten wäre, sondern in 128 129 130 131 132 133 134
Vgl. J. Jervell, Apg 423f. Vgl. G. Schille, Apg 346. Vgl. A. Weiser, Apg II 436. Vgl. W. Eckey, Apg II 368. Vgl. Joseph., ant. Iud. XIV,226f. (ed. A. Wikgren 122); XVI,27–30 (ed. A. Wikgren 12–14). Vgl. Tac., hist. V,5 (ed. J. Borst 516–518). Vgl. hier und im Folgenden A. Weiser, Apg II 436; zur negativen Einstellung der Römer gegen die Juden vgl. W. Eckey, Apg II 369–371.
II. Die Gefangenschaft des Paulus in Philippi
179
erster Linie die Bekehrung des Kerkermeisters. Lukas will auch die göttliche Macht zeigen, die sich an dem plötzlich entstandenen Erdbeben, am sofortigen Öffnen aller Gefängnistüren und am Abfallen der Fesseln zu erkennen gibt.135 Die Hervorhebung der Nachtzeit für göttliches Eingreifen findet man bei Lukas auch in Apg 5,19 und Apg 12,6.136 Die Nacht ist in der Antike und in der neutestamentlichen Symbolsprache eine besondere Zeit für das rettende Eingreifen Gottes, wie es grundsätzlich bei Müller gezeigt wird. 137 Auch in der vorliegenden Szene sorgt Gott zur Nachtzeit für die Befreiung seiner Diener, die ihm Hymnen singen. Das Verhalten der Missionare im Gefängnis entspricht dem der drei Jünglinge im Feuerofen in Dan 3,24, die unschuldig gefangenen genommen wurden und Gott mit Lobliedern preisen. 138 Wenn man die Erzählung von Joseph aus der hellenistisch-jüdischen Schrift „Testament Josephs“ (2. Jh. v. Chr.) mit der des Lukas vergleicht, erkennt man ähnliche Motive. Paulus und Silas sind gefesselt, singen Gott Hymnen und die Gefangenen hören ihnen zu. Joseph lag auch in Fesseln, pries den Herrn und eine Ägypterin hörte ihm zu. 139 Es ist naheliegend zu vermuten, dass die lk Gestaltung in VV 25–34 eine Anspielung darauf ist. Das Erdbeben ist eine Wirkung des Handelns Gottes, mit dem Gott seine Macht erweist, wie z. B. auf dem Berg Sinai (Ex 19,18: der ganze Berg bebte) oder auch in der Darstellung des Osterereignisses bei Mt 28,2 (es geschah ein großes Erdbeben). Kennt man die Josefsszene und das Beben des Berges Sinai, könnte man auch vermuten, dass Lukas mit seiner Schilderung indirekt auf die Durchgängigkeit der Heilsgeschichte hinweisen will, dass die christliche Verkündigung in den alten Schriften wurzelt. Mit der Öffnung aller Türen, dem Abfallen aller Fesseln und der Tatsache, dass die befreiten Gefangenen nicht entflohen, will Lukas das Wunder in verstärkter Weise präsentieren. 140 Weiter geht es Lukas vor allem darum zu zeigen, dass der Gefängniswärter an der Selbsttötung gehindert wurde. Wären nämlich die Gefangenen tatsächlich entflohen, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre, so hätte es wahrscheinlich keine Bekehrung, keine Taufe und kein Freudenmahl gegeben. Mit dem Verbleib aller Häftlinge im Gefängnis, die das ungewöhnliche Verhalten ihres Wächters vermutlich miterlebt haben, zeigt Lukas den Weg zur Rettung auch für andere, die sich vielleicht später den Missionaren anschließen werden. Paulus erweist sich als derjenige, der den leiblichen Tod des Gefängniswärters verhindert und letztendlich den Weg des Heils aufzeigt, also die seelische Rettung. Der Glaube des Kerkermeisters an den Herrn Jesus (V 31) 135 136 137 138 139 140
Vgl. J. Zmijewski, Apg 610. Vgl. W. Eckey, Apg II 373. Vgl. P.-G. Müller, Art. nu,x 1181–1185. Vgl. A. Weiser, Apg II 437; W. Eckey, Apg II 373. Vgl. TestXII.Jos. 8,5 (ed. J. Becker 123). Vgl. A. Weiser, Apg II 437f.
180
D. Apologetische Intention des Lukas
bewirkt das Heil nicht nur für ihn, sondern für sein ganzes Haus (V 33c). Und der Glaube an den Herrn Jesus ist zugleich der Glaube an den Gott der Christen (V 34c). Dies wird deshalb hervorgehoben, weil der Bekehrte ein Heide war. Das Ereignis schließt ab mit dem Mahl als einem Zeichen großer Freude. Lukas beschreibt solche Freude z. B. nach der Taufe des äthiopischen Hofbeamten in Apg 8,39 und als die Heiden erfahren haben, dass das Heil auch ihnen geschenkt ist, in Apg 13,48. Mit solchem Jubel und solcher Freude, wie es auch in Apg 2,46 beschrieben ist, will Lukas darstellen, „daß der empfangene Glaube Freude über die Gegenwart und das Kommen des rettenden Herrn auslöste und daß diese Freude im gemeinsamen häuslichen Mahl erfahren wurde“141. Lukas verbindet in den VV 25–34 sehr klug die Erzählung über ein Befreiungswunder mit der Erzählung über eine Bekehrung und will damit vermutlich darlegen, dass Befreiung, gewirkte Wunder und Bekehrung miteinander verbunden sein können. VV 35–40 schildern das weitere Geschehen, in dem über die Freilassung der Apostel berichtet wird. Lukas beschreibt diese Szene ohne Erklärung, wie die Freilassung erreicht worden ist. Er berichtet nur über die Entscheidung der Behörden.142 Nach der Ansicht von Haenchen halten die Behörden die Auspeitschung und eine Nacht im Kerker für eine ausreichende Strafe für Paulus und Silas und lassen sie deshalb frei. 143 Für Schneider ist dies ein Beweis, dass es bei der Einkerkerung um ein vorsorgliches Handeln der Behörden ging, das vom Erdbebenereignis unabhängig sei.144 Als die Meldung von der Freilassung durch die Behörden zu Paulus kommt, erklärt er empört, dass ihnen Unrecht geschah, weil sie als römische Bürger ohne Gerichtsprozess inhaftiert und ausgepeitscht worden waren (V 37). Deshalb fordert er eine öffentliche Rehabilitierung durch die Beamten, weil diese das römische Recht gebrochen haben. Sie, die römischen Beamten, lassen Unrecht zufügen. Davon ausgehend wird Folgendes klar: Paulus, der sowohl Jude als auch Römer war, erweist sich als guter Staatsbürger; er ist dem Staatsrecht gegenüber gehorsam. Mit der Rehabilitierung der Person des Paulus und des Silas will Lukas vermutlich auch ein positives Licht auf die Verkündigung der christlichen Lehre werfen. In der Zeit der Abfassung der Apostelgeschichte galten die Christen nämlich als eine negative Gruppe (siehe die Ausführungen bei Tacitus, Plinius und Sueton). Wenn man den gesamten Szenenverlauf betrachtet, so scheint es unlogisch, dass die Missionare sich erst jetzt auf das Bürgerrecht berufen und nicht bereits bei ihrer Festnahme, aber aus apologetischer Sicht ist es sinnvoll. 141 142 143 144
A. Weiser, Apg II 439. Vgl. ebd. 439. Vgl. E. Haenchen, Apg 437. Vgl. G. Schneider, Apg II 218.
III. Die Gallioszene in Korinth
181
Es ist eher ungewöhlich, dass die Vertreter der Staatsorgane ins Gefängnis gehen, um den Gefangenen gut zuzureden, aber es passt sehr gut zur lk Intention. Die römischen Beamten erkennen ihren begangenen Fehler an, fürchten sich deshalb, denn so sind sie in der Gefahr, ihre hohe Position zu verlieren. Vermutlich bitten sie Paulus deshalb um Schweigen über ihre Gesetzwidrigkeit und geleiten Paulus und Silas aus der Stadt. Darüber hinaus erkennt man eine irrtümliche Entscheidung in Verbindung mit menschlichem Versagen der römischen Behörden von Philippi. Wenn es zu Differenzen kommt, so liegt die Ursache im Fehlverhalten einzelner römischer Amtsträger. Lukas ging es nicht bloß um die Unschuld von Paulus und Silas, sondern vielmehr um den Beweis, dass das Christentum rechtliche Integrität besitzt. Darüber hinaus weist Lukas mit dieser Szene darauf hin, dass die Verkünder der christlichen Lehre die staatliche Ordnung anerkennen.
III.
Die Gallioszene in Korinth
1.
Arbeitsübersetzung Apg 18,12–17 Die Anklage der Juden vor dem Statthalter Gallio
12
a b c
Als aber Gallio Statthalter von Achaia war, traten die Juden einmütig gegen Paulus auf, führten ihn vor den Richterstuhl und sagten:
13
a b
Dieser verführt die Menschen, in gesetzwidriger Weise Gott zu verehren.
14
a b c d
Als aber Paulus etwas erwidern wollte, sagte Gallio zu den Juden: Wenn es ein Verbrechen oder ein böses Vergehen wäre, ihr Juden, hätte ich eure Klage billigerweise angenommen.
15
a b c
Wenn ihr aber über Lehre und Namen und das Gesetz bei euch streitet, seht selber zu! Ich will darüber kein Richter sein.
16
a
Und er trieb sie vom Richterstuhl fort.
17
a b c
Alle aber ergriffen den Synagogenvorsteher Sosthenes und schlugen ihn vor dem Richterstuhl. Um all das kümmerte sich Gallio nicht.
182
D. Apologetische Intention des Lukas
2.
Formale Analyse
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten
Der Text ist überwiegend im Aorist gehalten. Der erzählende Aorist als Haupttempus prägt die gesamte Erzählung. Im ersten Vers findet man einen einleitenden Genitivus absolutus: Galli,wnoj de. avnqupa,tou o;ntoj. Es tauchen aber auch präsentische bzw. Infinitivsätze auf, wie z. B.: Para. to.n no,mon avnapei,qei ou-toj tou.j avnqrw,pouj se,besqai to.n qeo,n in V 13 oder me,llontoj de. tou/ Pau,lou avnoi,gein to. sto,ma in V 14. Darüber hinaus ist eine einmalige Verwendung einer Futurkonstruktion in V 15b (o;yesqe auvtoi,) zu erkennen. Bezüglich des Textes kann man die präsentischen und die futurischen Formen so verstehen: Die Juden sehen Paulus als Übertreter des Gesetzes und wollen ihn richten lassen. Ihre Anklagen werden als gegenwärtige und dringende Sache mit der Begründung der Gefährdung des Staates dargestellt. Dennoch fühlt sich Gallio nicht zuständig, Gericht zu halten. Lukas lässt ihn im Futur sagen o;yesqe auvtoi,, was man in zweierlei Hinsicht interpretieren kann: Einerseits kann es bedeuten: „seht selber zu, das ist eure Sache“, andererseits: „ihr werdet sehen“, wobei man bei dieser Interpretation vermuten kann, dass Gallio den negativen Ausgang der Situation im Voraus ahnt. In der Tat kommt es ja anschließend zur Verprügelung des Sosthenes. In der gesamten Erzählung kommt kein Imperativ vor, weder im Präsens noch im Aorist. Bei Betrachtung der Syntax findet man kein Übergewicht bestimmter Satzarten. Hauptsätze treten zusammen mit Nebensätzen auf, und zwar in V 13, V 14, V 15. In diesem Abschnitt lässt sich auch eine Parataxe erkennen, wie in V 12, die mit kai. verbunden ist. Hypotaxen findet man in V 13 und V 15, die durch o[ti bzw. eiv gekennzeichnet sind. Auch Partizipien kommen vor, wie z. B. le,gontej in V 13, me,llwn in V 14 oder evpilabo,menoi in V 17. Verben und Substantive kommen etwa in gleich großer Anzahl vor. Darüber hinaus findet man das Adjektiv ponhro,j in V 14, das adjektivische Pronomen pa,ntej in V 17 und das Adverb o`moqumado,n in V 12, das an mehreren Stellen in der Apg erscheint und ein Merkmal für den lk Stil ist, wie weiter unten gezeigt wird. 2.2
Semantische Analyse
2.2.1 Begriffserklärungen Bh/ma ist ein vom Verb bai,nw abgeleitetes Substantiv.145 Im NT taucht dieses Wort an zwölf Stellen auf: achtmal in Apg, zweimal bei Paulus, einmal bei 145
Vgl. hier und im Folgenden B. Schaller, Art. bh/ma 517f.
III. Die Gallioszene in Korinth
183
Matthäus und einmal bei Johannes. Außer in Apg 7,5 („Schritt“, „Fußschritt“ – ursprüngliche Bedeutung) wird der Begriff im NT immer in der hellenistischen Amts- und Rechtssprache gebraucht. Er ist ein Terminus technicus und bezeichnet Sitz- oder Standplätze. In Apg 12,21 versteht man bh/ma als eine Rednertribüne, von welcher Herodes Agrippa I. zur Volksmenge spricht. In 2 Kor 5,10 und Röm 14,10 verwendet Paulus dieses Wort bei einer Beschreibung des göttlichen Endgerichts: bh/ma als Richterstuhl Christi. Dieser Begriff ersetzt hier den gewöhnlich verwendeten Begriff qro,noj (Dan 7,9; Mt 19,28; 25,31f.; Offb 20,4.11). Bei Ausübung der richterlichen Funktion (Mt 27,19; Joh 19,13) sitzt man auf dem bh/ma, und als Angeklagter (2 Kor 5,10; Röm 14,10; Apg 18,17) steht man vor dem bh/ma. In Apg 18,12.16; 25,6.10.17 sowie in Mt 27,19; Joh 19,13 bezeichnet bh/ma den Amtssessel, von dem aus der höhere römische Beamte seine Gerichtsfunktionen ausübte. Einen derartigen Richterstuhl benutzt Pilatus beim Prozess Jesu (Mt 27,19; Joh 19,13), so wie auch Gallio in Korinth oder Florus, der letzte Prokurator, in Judäa.146 Zh,thma bezeichnet eine Streitfrage.147 Dieses Wort hängt zusammen mit dem Verb zhte,w (suchen), das sowohl profane wie auch feindliche (Mt 2,13; Mk 11,18; 12,12) oder auch religiöse Bedeutung (Joh 4,23; 1 Kor 4,2) haben kann. Ein gutes Beispiel für die Verwendung von zh,thma findet man in Apg 15,2, wo Paulus und seine Mitarbeiter nach Jerusalem geschickt werden, um die Streitfrage über die Beschneidung der Heiden zu klären. Ähnliche Situationen in Bezug auf Streitfragen findet man in Apg 23,29; 25,19; 26,3 wie auch in der Erzählung Apg 18,15, wo auch der Gegenstand der Auseinandersetzungen aus dem Text hervorgeht. ~Ra|diou,rghma kann man mit „Leichtfertigkeit“, „Betrügerei“ und „Gaunerei“ übersetzen. In V 14 unserer Erzählung ist damit ein Vergehen gemeint, das gerichtliche Bestrafung fordert und „schlimme Betrügerei“ bedeutet.148 Die Apg ist die einzige Schrift des NT, die diesen Begriff verwendet, und zwar an zwei Stellen: einmal wie oben erwähnt und ein zweites Mal in Apg 13,10. Darüber hinaus kann dieses Wort auch eine Bezeichnung für „Fälschung“, „Nachlässigkeit“, „Gewissenlosigkeit“ oder „Schlechtigkeit“ sein.149 Krith,j bezeichnet im NT einen Richter.150 Der Begriff weist auf einen menschlichen Richter als Amtsperson hin, wie z. B. Mt 5,25; Lk 18,2; Apg 18,15; 24,10, oder auf einen Menschen, der urteilt oder verurteilt, auch wenn er nicht dazu berufen ist, z. B. Jak 5,9; 4,11. Auch im AT haben Richter die 146 147 148 149 150
Vgl. Joseph., b. Iud. II,301 (ed. O. Michel 240). Vgl. hier und im Folgenden E. Larsson, Art. zh,thma 255f. Vgl. H. Balz, Art. r`a|diou,rghma 497. Vgl. O. Bauernfeind, Art. r`a|diou,rghma 972f. Vgl. hier und im Folgenden F. Büchsel, Art. krith,j 944.
184
D. Apologetische Intention des Lukas
Bezeichnung kritai,. Gott als Richter ist in 2 Tim 4,8; Hebr 12,23; Jak 4,12 erwähnt. In Apg 10,42 wird auch Jesus als der Messias mit diesem Wort bezeichnet. 2.2.2 Personen Die Person Gallio wird im NT nur in Apg 18,12–17 im Rahmen eines Gerichtsstreites erwähnt. Als Statthalter von Achaia (V 12) weist er in Korinth eine Anklage gegen Paulus aus formalrechtlichen Gründen ab.151 Der Name Sosthenes kommt im NT zweimal vor.152 Zum einen in Apg 18,17, zum anderen in 1 Kor 1,1. Apg 18,17 erzählt von einem korinthischen Synagogenvorsteher, der in Korinth vor dem Richterstuhl geschlagen wird. In 1 Kor 1,1 erwähnt Paulus Sosthenes als den Bruder und Mitabsender seines Briefes. Solange es nicht bewiesen ist, dass in beiden Fällen ein und dieselbe Person gemeint ist, darf man sie nicht miteinander gleichsetzen. Zur Zeit des Paulus war dieser Name sehr verbreitet. Wenn es sich dabei um eine Person handeln würde, die gleichzeitig Synagogenvorsteher war, dann müsste seine Bekehrung oder Taufe in Apg zumindest kurz erwähnt sein, da er an der Spitze einer jüdischen Gemeinde stand. Der Synagogenvorsteher Sosthenes war der Nachfolger des zum Christentum bekehrten Krispus (Apg 18,8) und dürfte auch ein Bekannter von Krispus gewesen sein. Aus der Darstellung der Gallioszene nach Lukas geht hervor, dass die anwesende Menge das jüdische Oberhaupt Sosthenes angreift, nachdem der Statthalter die Anklage der Juden gegen Paulus zurückgewiesen hat. Eine weitere Gruppe, die in der Erzählung beteiligt ist, sind die Juden, von denen die Anklage erhoben wird.153 Da die Juden an mehreren Stellen im NT erwähnt werden, soll hier nur diese Gruppe in der Apg betrachtet werden. Dort werden die Juden, ebenso wie bei Joh, oftmals in einer feindlich gesinnten Haltung den Anhängern Jesu gegenüber dargestellt. Lukas schildert die Juden oft als Gegner der christlichen Verkündigung und der Missionare. Sie versuchen auch mehrmals Paulus zu töten (Apg 9,23.29; 14,19) und behindern seine Mission. Die dabei entstehenden Auseinandersetzungen laufen meistens nach gleichem Muster ab: zunächst der Beginn der Mission und deren Erfolg; dann die feindliche Reaktion der Juden auf die Tätigkeit der Missionare; schließlich deren Weiterreise. Die Gegensätze zwischen den Juden und den Missionaren bemerkt man besonders an folgenden Stellen: In Apg 13,46 wenden sich Paulus und Barnabas mit ihrer Verkündigung an die Heiden; in Apg 18,6 entscheidet sich Paulus, zu den Heiden zu gehen, denen das Heil Gottes ebenfalls zugedacht ist (Apg 28,28). 151 152 153
Vgl. S. Fay, Art. Gallio 81; siehe Inhaltsverzeichnis D.III.4.1. Vgl. hier und im Folgenden L. Wehr, Art. Sosthenes 287. Vgl. hier und im Folgenden H. Kuhli, Art. VIoudai/oj 480–482.
III. Die Gallioszene in Korinth
185
2.2.3 Ort und Zeit Die Erzählung beginnt mit einer Zeitangabe unter Verweis auf die Statthalterschaft des Gallio. Dieser Zeitangabe könnte man entnehmen, dass Paulus mit seiner Mission in Korinth noch gar nicht angefangen hat, obwohl er dort bereits 18 Monate tätig war (Apg 18,11). Die Szene verläuft so, dass man sich gut vorstellen kann, dass die Episode nur wenige Stunden dauerte. Von der Ortsangabe her lässt sich sagen, dass der Tumult irgendwo in der Stadt beginnt, vielleicht bei der Synagoge. Dann allerdings ziehen die Juden vor den Richterstuhl des Prokonsuls, das heißt wahrscheinlich zum Forum, ins Zentrum der Stadt. Dort bleiben sie, bis ihre Anklage abgewiesen wird. Die Verprügelung ihres Synagogenvorstehers findet vor dem bh/ma statt (V 17). 2.3
Gliederung des Textes
Der Text lässt sich folgendermaßen gliedern: V 12a ist ein Hinweis auf das Amt des Statthalters; V 12b/c stellt die Vorführung des Paulus vor das Gericht durch die Juden dar; anschließend erfolgt die Anklage in V 13; in VV 14f. erklärt Gallio seine Nichtzuständigkeit in Bezug auf diese Anklage; dann, in V 16, folgt die Zurückweisung der Kläger vom Richterstuhl; die Verprügelung des Synagogenvorstehers Sosthenes durch die Volksmenge ist in V 17a/b beschrieben; die Szene endet mit V 17c, mit der Darstellung des Desinteresses des Statthalters an dieser Situation. 3.
Literarkritik
Die Grundlage der Episode VV 12–17 geht auf ein Einzelereignis zurück und gehört zur korinthischen Lokaltradition. Nach Weiser154 hat Lukas dieses Geschehen aus Überlieferungsgut übernommen. Das ließe sich an Folgendem erkennen: Der Beginn des Abschnitts sei mit einem erzählerischen Satz gestaltet und die Episode sei eine in sich geschlossene Einheit, weil sie keine vorhergehenden Ereignisse benötigt und weder erzählerisch noch inhaltlich mit solchen verbunden sei. Auch durch die Erwähnung des Sosthenes sei sie selbständig, da im vorausgehenden Text Krispus als Synagogenvorsteher erscheint. Die Mehrheit der Exegeten, so Weiser, nimmt ein zugrunde liegendes Einzelgeschehen an. Es gebe viele Meinungen darüber, worin es bestand. Die einen seien sich sicher, sogar ohne historisch-kritische Analyse, dass eine Anklage gegen Paulus durch Juden vor Gallio stattgefunden hat.155 Dagegen meinen andere, dass es keine Anklage gegen Paulus gegeben habe. 154 155
Vgl. hier und im Folgenden A. Weiser, Apg II 486. Vgl. A. Deissmann, Paulus 221; K. Haacker, Gallio-Episode 252–255; G. Schneider, Apg I 130f.; Apg II 248; 252.
D. Apologetische Intention des Lukas
186
Unter ihnen weist Weiser auf den Exegeten Schmithals hin, der es für „die größere Wahrscheinlichkeit“ halte, dass die Namen von Gallio und Sosthenes nicht aus der Tradition stammen. Lukas habe sie bloß aus profaner Überlieferung genommen und in die von ihm gestaltete Episode eingeführt.156 Laut Lüdemann habe eine Tradition vorgelegen, die nur „einen Besuch Pauli in Korinth mit der Person des Gallio zusammenbrachte […]. Möglicherweise ist Lukas aus derselben Tradition auch die Person des Sosthenes zugeflossen […]“157. Demgegenüber vertritt Suhl eine ganz extreme Position158, wonach es eine Anklage des Paulus durch eine synagogale jüdisch-orthodoxe Minderheit mit dem neugewählten Synagogenvorsteher Sosthenes an der Spitze gegeben habe. Gallio habe sie nach eingehender Prüfung, wie es Lukas berichtet, abgewiesen, woraufhin „Mitglieder der christlich unterwanderten Synagogengemeinschaft“159 Sosthenes verprügelten. Die überzeugendste Position nehmen Haenchen und Roloff an, da sie sich am klarsten an den Text halten. Nach ihrer Ansicht habe eine Anklage des Paulus durch Juden vor Gallio stattgefunden, aber sie wurde mit einer Nichtzuständigkeitserklärung abgewiesen. Infolgedessen verprügelte die judenfeindliche Menge den jüdischen Sprecher Sosthenes.160 3.1
Spannungen
Der Abschnitt trägt gewisse Spannungen in sich. So wird Paulus am Schluss der Gallioepisode gar nicht vom Tumult berührt, „als habe er sich wie ein Nebel aufgelöst“161, andererseits wird Sosthenes ganz plötzlich ins Spiel gebracht. V 16 und V 17 stehen in Spannung zueinander: In V 16 werden alle vom Richterstuhl weggeschickt; in V 17 wird aber beschrieben, dass alle ihn vor dem Richterstuhl verprügelten. 3.2
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil
Der Verfasser Lukas hat auch in dieser Erzählung einige für ihn typische Merkmale hinterlassen. Dies zeigt sich vor allem auf der sprachlich-syntaktischen Ebene. Zu den lukanischen Gestaltungsanteilen dieser Episode zählt zunächst die Einleitung in die Erzählung mit einem Genitivus absolutus (Galli,wnoj de. avnqupa,tou o;ntoj). Das nur einmal im NT verwendete Wort katefi,stamai ist möglicherweise der lukanischen Neigung für Komposita 156 157 158 159 160 161
So vermutet W. Schmithals, Apg 167f. G. Lüdemann, Paulus I 179. Vgl. A. Suhl, Paulus 126. Ebd. Vgl. E. Haenchen, Apg 478; J. Roloff, Apg 273. G. Schille, Apg 367.
III. Die Gallioszene in Korinth
187
geschuldet, zumal das Verb evfi,sthmi zum Vorzugsvokabular des Lukas gehört und sich von 18 Belegen insgesamt im NT nur dreimal außerhalb des lk Doppelwerks findet.162 Auch in Bezug auf die Einmütigkeit der Juden gegen Paulus in V 12 kann man lk Spuren erkennen. Er verwendet hier das Wort o`moqumado,n,163 das innerhalb des NT nur in der Apg und im Römerbrief vorkommt: Apg 1,14; 2,46; 5,12; 8,6; 18,12; 19,29; Röm 15,6. Beim Verb a;gw geht mehr als die Hälfte der Belegstellen im NT auf Lukas zurück. Die Gegner des Paulus und deren Vorgehen beschreibt Lukas häufig mit dem allgemeinen Ausdruck oi` VIoudai/oi, woran sich der lk Stil ebenfalls erkennen lässt (Apg 9,23; 13,45.50; 14,2.19; 16,20; 23,12). Die Formulierung der Anklage in V 13, die aussagt, dass Paulus die Menschen dazu verführt, in gesetzwidriger Weise Gott zu verehren (para. to.n no,mon avnapei,qei ou-toj tou.j avnqrw,pouj se,besqai to.n qeo,n), entspricht ebenfalls dem Stil des Lukas. Omerzu164 hat in ihrer Ausführung aufgezeigt, dass das Kompositum avnapei,qw Hapaxlegomenon sei und Lukas eine große Vorliebe für das entsprechende Simplex pei,qw habe. Obwohl dieser Begriff sich auch auf andere Personen beziehe, gelte er aber als Terminus technicus für den Erfolg des missionarischen Wirkens des Paulus (vgl. Apg 13,43; 17,4; 18,4; 19,8; 28,23). Darüber hinaus erkennt man die lk Hand auch in dem Wort se,bomai (V 13b). Wenn wir diesen Ausdruck mit anderen Stellen vergleichen, wie z. B. mit Apg 16,14; 17,17; 18,7, lässt sich sagen, dass Lukas damit die Heiden meint, denen die jüdische Religion nicht unbekannt war. Darüber hinaus dürfte die gesamte Formulierung des Vorwurfs in V 13 auf Lukas zurückgehen. Denn der Vergleich des V 13 mit den Stellen Apg 16,21; 17,6f.; 19,26; 21,28; 24,5f. zeigt mehr oder weniger ähnliche Gestaltung. Lukas stellt dar, dass Paulus direkt oder zusammen mit seinen Mitarbeitern angeklagt wird, entweder wegen der falschen Gottesverehrung oder der Störung öffentlicher Ruhe. Letztlich führen diese Anklagen jedoch dazu, dass Paulus seine christliche Mission ungeachtet aller Schwierigkeiten erfolgreich weiterführen kann und die vorgebrachten Vorwürfe sich als nichtig erweisen. Das Christentum breitet sich aus und bekommt immer mehr Zulauf. Dieser Zulauf erfolgte auch von den Gottesfürchtigen; also diejenigen, die dem Judentum nahestanden, ohne Prosyleten zu sein, wandten sich dem Christentum zu. Obwohl Lukas darüber nichts berichtet, kann man in dieser Situation eine im Hintergrund wachsende Konkurrenz zwischen Juden und Christen erahnen. 165 Die von Lukas formulierte Anklage lässt sich doppeldeutig verstehen. Mit der
162 163 164 165
Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 441f. Vgl. A. Weiser, Apg II 478. Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 253. Vgl. A. Weiser, Apg II 488; auch V. Stolle, Zeuge 95.
D. Apologetische Intention des Lukas
188
Verwendung des no,moj166 erscheint Paulus als ein Gesetzesbrecher, sowohl den Juden als auch den römischen Behörden gegenüber. Hier lässt sich die lk Vorliebe zu Ausdrücken erkennen, die doppeldeutig zu interpretieren sind. Auffällig ist, dass no,moj bei Lukas von großer Bedeutung ist. Er erwähnt diesen Begriff beispielweise in der Apg achtmal im Akkusativ und achtmal im Genitiv. Der lk Stil ist auch in V 14 gut zu erkennen. Lukas drückt den Wunsch des Paulus aus, die Anschuldigung zu erwidern, aber Gallio kommt ihm zuvor und ergreift das Wort. An dieser Stelle zeigt sich deutlich die redaktionelle Tätigkeit von Lukas. Sie fällt durch die Verwendung folgender Vorzugsworte auf: me,llontoj de. tou/ Pau,lou avnoi,gein to. sto,ma. Annähernd die Hälfte der von me,llw abgeleiteten Worte im NT findet sich bei Lukas (zwölfmal im Evangelium und 34-mal in Apg)167. In der Apg fügt Lukas aber häufig, wie auch hier, eine Konstruktion mit anschließendem Infinitiv ein (Lk 21,36; 22,23; Apg 13,34; 21,37; 22,29; 23,15.20).168 Ebenso erscheint avnoi,gw to. sto,ma als mehrmals wiederholter Ausdruck, und zwar: Apg 8,32.35; 10,34; Lk 1,64. Auch die Redeeinleitung zeigt lk Merkmale: ei=pen o` Galli,wn pro.j tou.j VIoudai,ouj. Lukas verwendet gewöhnlich bei Verben des Sagens zur Bezeichnung der Adressaten pro.j mit Akkusativ anstelle des Dativs.169 Besonders der Ausdruck ei=pen pro.j kommt fast ausschließlich im Doppelwerk vor.170 Das Wort avdi,khma findet sich außer in V 14 nur noch in Apg 24,20 und Offb 18,5. Der parallel gebrauchte Ausdruck avdike,w kommt, ebenso wie der verwendete Begriff r`a|diourgi,a, nur in Apg 13,10 und nur einmal im NT vor. Das Vokabular in VV 14f. ist zum Teil vergleichbar mit Apg 23,29 oder 25,18f., wo Lukas die römischen Behörden urteilen lässt, woraus man die lk Gestaltung erschließen kann. Weitere lk Merkmale sind seine gern verwendeten Wörter evpilamba,nomai, pa,ntej, tu,ptw in V 17. Das Wort me,lei findet sich außer in V 17 innerhalb des Doppelwerks nur noch in Lk 10,40. Rein sprachlich betrachtet lässt sich sagen, dass dieser Abschlussvers auf Lukas zurückgeht. 3.3
Ergebnis
Nachdem man die lk Merkmale in den Blick genommen hat, kommt man zu der Feststellung, dass Lukas wahrscheinlich nur unvollständige Kenntnisse der Ereignisse vor dem Richterstuhl des Statthalters hatte. Dafür sprechen auch die historisch bezeugten Personen Gallio und Sosthenes, die er wohl aus 166 167 168 169 170
Ausführlich vgl. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 133f.; W. Stegemann, Synagoge 238–241. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 673–675. Vgl. H. Schürmann, Jesu Abschiedsrede 13; W. Radl, Paulus 417. Mehr dazu vgl. W. Radl, Paulus 425. Vgl. J. Jeremias, Sprache 33.
III. Die Gallioszene in Korinth
189
dem Überlieferungsgut übernommen hat.171 Dieses Geschehen hat er in seine eigene Sprache gekleidet in V 12, V 14, V 15, V 17. Darüber hinaus dürfte ihm auch von der Tradition bekannt gewesen sein, dass Gallio aufgrund fehlender Rechtsgrundlage die Juden abgewiesen hat. Dass Lukas in V 14 einen ihm vorliegenden Bericht berücksichtigt, ist außer Zweifel, aber die Antwort des Gallio auf die jüdische Anklage in V 15 entspricht sowohl sprachlich als auch inhaltlich der lk Tendenz, in der er stets die jüdischen Vorwürfe durch kluge Argumentation entkräftet. Die negative Reaktion des Gallio, sich auf eine reine Betrachterrolle zurückzuziehen, und ebenso seine Gleichgültigkeit in Bezug auf die Ereignisse gehen höchstwahrscheinlich auf Lukas zurück. 4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund
4.1
Amtsträger
Die Gallioszene in Apg 18,12–17 ist von großer Bedeutung. Sie dient vor allem als Fixpunkt nicht nur für die Mission und den Aufenthalt des Apostels Paulus in Korinth, sondern für die ganze Chronologie des Urchristentums. Deshalb enthält dieser Abschnitt vieles, was die historische Einordnung der damaligen Ereignisse erleichtert. Der Statthalter war ältester Sohn des aus Spanien stammenden Rhetors und römischen Ritters L. Annaeus Seneca. 172 Er wurde um 5 v. Chr. in Cordoba unter dem Namen Lucius Annaeus Novatus geboren und eventuell durch testamentarische Festlegung von dem väterlichen Freund und Rhetor L. Junius Gallio173 adoptiert. Später nahm er dann, um 50 n. Chr., dessen Namen an und nannte sich künftig L. Junius Gallio Annaeus.174 Sein leiblicher jüngerer Bruder war Seneca, der bekannte Philosoph, Dichter und Erzieher des Kaisers Nero. Zusammen mit seinem Vater, dem älteren Seneca, kam Gallio unter Tiberius (14–37) nach Rom und nahm eine Ämterlaufbahn auf. Er gehörte zum engeren Freundeskreis des Kaisers Claudius und hatte auch Beziehungen zu dem künftigen Kaiser Nero. Es wird angenommen, dass Gallio im Frühjahr 51 n. Chr. von Claudius zum Prokonsul von Achaia mit dem Sitz in Korinth ernannt wurde. Etwa im Jahre 55 n. Chr. wurde Gallio Suffektkonsul in Rom175 und war ein Vertrauter Neros. Aber später kam es dazu, dass sein Bruder Seneca zum Selbstmord gezwun-
171 172 173 174 175
Vgl. G. Schneider, Apg II 247; E. Haenchen, Apg 472. Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 247. Vgl. ebd. Zur Person L. Junius Gallio vgl. Sen., contr. 10, pr. 13 (ed. M. Winterbottom 362–364); Tac., ann. VI,3,1 (ed. H. Heubner 183). Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 247. Vgl. Plin., n. h. XXXI,62 (ed. R. König 46).
190
D. Apologetische Intention des Lukas
gen wurde. Daraufhin musste auch Gallio 65 n. Chr. sterben.176 Bei Tacitus und Cassius erscheint er z. B. charakterschwach, weil er wegen des Todes seines Bruders um sein Leben fleht177, und unterwürfig, weil er nach der Ermordung des Claudius vor Nero eine sarkastische Bemerkung abgibt178. Aus einem Brief Senecas ist bekannt, dass Gallio in Achaia Fieber bekam, ein Schiff bestieg und die Provinz verließ, weil er das Klima des Landes nicht vertragen konnte.179 Im gleichen Sinne berichtet Plinius, dass Gallio nach seinem Konsulat wegen einer Lungentuberkulose eine Reise nach Ägypten unternahm, um sich durch Anwendungen mit Meerwasser heilen zu lassen. 180 Laut Elliger könne die erstere Notiz die Vermutung rechtfertigen, dass Gallio sein Prokonsulat wenn nicht vorzeitig abgebrochen, so doch wenigstens unterbrochen habe.181 Bei der Beschreibung der Person Gallios muss man auch Einblick in die Gallio-Inschrift nehmen. Es handelt sich dabei um insgesamt neun in Delphi gefundene, in Stein gehauene Fragmente. 182 Es ist eine Antwort des Kaisers Claudius auf einen Bericht von Gallio, in dem er den Kaiser über die Streitigkeiten in dieser Stadt informiert. Aber es ist nicht klar, an wen dieser Brief183, in dem Gallio als Freund des Kaisers und Prokonsul bezeichnet wird, gerichtet ist. Der Adressat kann die Stadt Delphi oder Gallios Nachfolger sein. Weil in diesem Reskript etwas über die 26. Akklamation des Claudius als Imperator ausgesagt wird, lässt sich vermuten, dass Gallio im Frühsommer 51 n. Chr. sein Amt in Achaia angetreten hat. Die 176 177 178
179 180 181 182 183
Vgl. Dio Cass., hist. 62,25 (ed. U. Ph. Boissevain 64). Vgl. Tac., ann. XV,73 (ed. H. Heubner 386–387). Davon berichtet Dio Cass., hist. 61,35,2–4 (ed. U. Ph. Boissevain 18). Gallio äußert sich über den von Nero ums Leben gebrachten Claudius, dass dieser mit einem großen Haken in den Himmel erhoben worden sei. Aber in Wirklichkeit wurden mit solchen Haken die im Gefängnis zum Tode Verurteilten von den Scharfrichtern aufs Forum gezogen und von da in den Tiber geschleppt. Vgl. Sen., Briefe 104,1 (ed. R. Nickel 406). Vgl. Plin., n. h. XXXI,62f. (ed. R. König 46). Vgl. W. Elliger, Paulus 236. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 249f.; W. Elliger, Paulus 233, Anm. 56; J. Roloff, Apg 272f. Vgl. H. M. Schenke, Einleitung 51. Der wichtigste Teil dieses Briefes wurde durch Plassart und Oliver rekonstruiert: „Tiberius Claudius Cäsar Augustus Germanicus, im 12. Jahr seiner tribunizischen Gewalt, zum 26. Mal als Imperator proklamiert, Vater des Vaterlandes, grüßt […]. Schon lange war ich der Stadt Delphi nicht nur wohlgesonnen, sondern habe auch Sorge getragen für ihr Gedeihen, und ich habe stets den Kult des pythischen Apollo beschirmt. Weil sie aber jetzt von Bürgern entblößt sein soll, wie mir gerade L. Junius Gallio, mein Freund und Statthalter, gemeldet hat, so gebe ich die Anweisung, in der Ansicht, daß Delphi den früheren Glanz ungeschmälert behalte, daß ihr auch aus anderen Städten freigeborene Menschen als neue Bürger nach Delphi ruft und daß ihr ihnen und ihren Nachkommen alle Vorrechte von Delphi zugesteht wie Bürgern von gleichem und selbem Rechtsstatus […].“
III. Die Gallioszene in Korinth
191
Amtszeit dauerte normalerweise ein Jahr. Trotzdem bleibt es umstritten, ob es genau dieses Jahr oder 52 n. Chr. war. 4.2
Korinth
Die Hafenstadt Korinth liegt zwischen dem nördlichen Griechenland und der Peloponnes.184 Sie wurde um 900 v. Chr. von den Dorern gegründet und hatte damals keine große Bedeutung. Später wuchs Korinth durch Keramikprodukte, Webereiprodukte sowie durch Handelsgeschäfte zu einer politisch und wirtschaftlich einflussreichen Stadt. Ihre zweite Etappe der wirtschaftlichen Blüte begann 338 v. Chr., da die Stadt ein Sitz des Synedrions der panhellenischen Vereinigung war. Der Verlauf ihrer Entwicklung hing immer wieder mit Kriegen oder Eroberungen zusammen, die oft ihre Lage verschlechterten. Diese griechische Periode der Stadt dauerte bis zu ihrer Zerstörung durch die Römer im Jahre 146 v. Chr. Jetzt bezeichnete man Korinth als eine römische Stadt. Ihre Wiederherstellung entstand durch eine Neugründung durch Cäsar 44 v. Chr. als römische Kolonie (Colonia Laus Iulia Corinthiensis). Sie ist nach typisch römischer Art und Weise ausgebaut worden. Es wurden auch italische Siedler und Freigelassene dorthin umgesiedelt. Wegen guter geographischer Lage, des Zugangs zum Meer und der zwei Häfen konnte man gute Geschäfte betreiben. Im Laufe der Jahre kamen auch viele Griechen und zahlreiche Juden in die Stadt. Im Jahre 27 v. Chr. wurde Korinth die Hauptstadt der Provinz Achaia und Residenz des Prokonsuls. Die gemischte Bevölkerung brachte in die Stadt auch ihre einheimischen religiösen Kulte mit. Nicht zufällig hatte Korinth einen Ruf des Sittenverfalls, weil dort, durch den Artemiskult, die Tempelprostitution sehr verbreitet war. Es gab auch soziale Ungleichgewichte unter den Einwohnern und Auseinandersetzungen zwischen armen und reichen Bevölkerungsgruppen. Korinth hatte im 1. Jahrhundert ungefähr 80 000 Einwohner, rechnet man aber auch umliegende Dörfer und Städte hinzu, könnte diese Zahl bis ca. auf 100 000 steigen.185 4.3
Die Juden in Korinth
Die Juden hatten als Gemeinde in Korinth eine lange Geschichte hinter sich. Es ist schwierig festzustellen, wann genau die ersten Juden nach Korinth kamen. Als gesichert gilt aber, dass viele Juden nach Korinth zogen, als die Stadt römische Kolonie wurde. Ihre Anwesenheit in mehreren Städten kann man in der Apg nachvollziehen: In Derbe (16,3) und in Thessalonich hatten 184 185
Vgl. hier und im Folgenden W. Elliger, Paulus 203–210; W. Elliger, Mit Paulus unterwegs 89–93. Vgl. E. J. Schnabel, 1 Kor 17.
D. Apologetische Intention des Lukas
192
sie eine Synagoge (17,1), was ein Beweis ist für eine nicht geringe Anzahl von Gemeindemitgliedern; dagegen ist in Philippi nur eine Gebetsstätte der Juden erwähnt (16,13); in Athen hatten die Juden offenbar ebenfalls eine Synagoge (17,17). Wie aus Apg 18,4 zu entnehmen ist, existierte auch in Korinth eine Synagoge, und in der ganzen Erzählung über das Missionswirken von Paulus spielen die korinthischen Juden eine große Rolle. Aber die Apg ist nicht das einzige Werk, aus dem sich ihre Anwesenheit und Bedeutung beweisen lässt. Es gibt eine Stelle bei Philo 186, wo gesagt wird, dass die Juden nicht nur in Judäa wohnen, sondern auch, dank der Kolonien, in den meisten anderen Ländern. Neben Ägypten, Phönizien, Syrien, Pamphylien, Zilizien erwähnt er unter den europäischen Gebieten auch Korinth als Wohnort der Juden. Dass sie in Korinth eine Synagoge hatten, ist auch durch einen archäologischen Fund, nämlich einen Türsturz mit der Aufschrift „Synagoge der Hebräer“187 belegt. Freilich kann man nicht sicher beweisen, dass diese Aufschrift aus dem 1. Jahrhundert stammt.188 Die meisten Forscher datieren diesen Türsturz in das 3. Jahrhundert. Dennoch erscheint es wahrscheinlich, dass diese Synagoge die erste in Korinth war, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie älter war als der gefundene Türsturz. Darüber hinaus wurde sie nicht einfach „Synagoge der Juden“, sondern „Synagoge der Hebräer“ genannt, das heißt, entsprechend ihrer ethnischen Herkunft. Darum wird vermutet, dass die Juden dort ursprünglich hebräisch oder aramäisch sprachen und erst später die griechische Sprache annahmen189. In fester Verbindung zu den Juden standen jedenfalls auch Heiden, sogenannte Gottesfürchtige, die dann später zu dem Kern der heidenchristlichen Gemeinde gehörten. 190 4.4
Bema
Der in Apg 18,12–17 erwähnte Richterstuhl verweist auf das wohl erhalten gebliebene Fundament auf dem Forum in Korinth. Es ist ein Bauwerk mit einem rechteckigen Fundament von 15 mal 7 Meter.191 Es ragt gut zwei Meter empor im Vergleich zum tieferen nördlichen Teil des Forums, während sich die Südseite dem Boden anpasst. Auf beiden Seiten dieses Fundaments sind Reste der dazugehörenden Bauten zu sehen, an die früher Treppen angebaut waren. Diese Treppen galten als eine Verbindung zwischen dem Nordmarkt und dem höheren Südmarkt. Das Fundament ist wahrscheinlich der 186 187 188 189 190 191
Vgl. leg. ad Gai. 281f. (ed. A. Pelletier 262). CIJ I,718 (ed. J. B. Frey 518). Vgl. hier und im Folgenden E. J. Schnabel, 1 Kor 22. Vgl. G. Sellin, Streit 65, Anm. 97, der behauptet, dass die Mitglieder der korinthischen Synagoge Griechisch sprachen. Vgl. ebd. 65f. Vgl. hier und im Folgenden E. Dinkler, Bema 118.
III. Die Gallioszene in Korinth
193
Rest des bh/ma, vor dem die Gallioszene stattgefunden hat. Diese Vermutung erscheint glaubhaft, weil das Monument in der Mitte des Marktes liegt, genau an der Stelle, wo die Hauptstraße Lechaion vom Meer durch Propyläen auf den Marktplatz führt. Die erhalten gebliebenen Mauern zeigen keinen Zugang zu der Tribüne von der nördlichen Seite, sondern man konnte nur von Süden aus hinaufsteigen. Die Fassade zum Markt war glatt und scheint damals mit Marmor ausgeschmückt gewesen zu sein. Das damalige bh/ma bezeichnete im Allgemeinen einen erhöhten Ort, von dem aus man zu den Anwesenden gut reden konnte; es war sozusagen ein Mittelpunkt für das öffentliche Leben. Daneben bezeichnete bh/ma den Richterplatz an Gerichtsstätten.192 Wenn ein Richter von oben auf die Angeklagten schaute, war es auch zugleich ein Zeichen der Macht und Gewalt. Was Apg 18,12–17 betrifft, so lässt sich hier nicht mit Sicherheit feststellen, ob dieses bh/ma genau der Ort ist, an dem Paulus vorgeführt wurde. Wie Dinkler sagt, geht aus dem Text nur hervor, dass es sich um ein ordentliches Gerichtsverfahren und eine amtliche Handlung des Gallio handelt. 193 Auch die Gerichtspraxis in der Kaiserzeit kann uns wegen des Quellenmangels keine ausreichende Auskunft geben. Der Gerichtsprozess könnte, so weiter die Ausführung von Dinkler, entweder in einer Basilika, im Prätorium der kaiserlichen Beamten, oder nach Apg 18,12–17 auf dem Markt vor der Rednertribüne stattgefunden haben. Die Existenz der Basiliken kann man von der Überlieferung her nachvollziehen, z. B. in Athen oder in Rom. Es gab solche Gerichtsgebäude auch in den Hauptstädten der römischen Provinzen. In kleineren Orten, wo es nicht notwendig war, ständig Gericht zu halten, war es auf den von staatlichen Beamten angeordneten Zeitraum begrenzt. In diese Städte reisten dann entweder der Prokonsul oder ein kaiserlicher Legat, die ihren Richterstuhl mit sich führten. Anscheinend trifft dieses Verfahren provisorischer Lokalgerichte auf Korinth nicht zu. Die Berichte in der Bibel, wie z. B. der Prozess Jesu vor Pilatus bei Mt 27,27; Mk 15,16 und Joh 19,13, lassen deutlich erkennen, dass das bh/ma, von dem aus das Urteil gefällt wurde, nicht im Prätorium selbst war. Somit ist dieses Fundament auf der Agora in Korinth wahrscheinlich identisch mit dem bh/ma, vor dem Paulus von den Juden angeklagt wurde. 5.
Intention des Evangelisten
In der Gallioszene kann man die lk Intention erkennen. VV 12f. bringen eine neue Situation ins Spiel. Diese neue Lage hebt Lukas hervor, um damit zu
192 193
Vgl. W. Elliger, Paulus 225f. Vgl. E. Dinkler, Bema 123f.
194
D. Apologetische Intention des Lukas
zeigen, dass die Juden mit dem Amtsantritt194 des Gallio versuchen, Paulus verurteilen zu lassen. Man hat von V 12, ähnlich wie von Apg 25,1 den Eindruck, die Juden wollen die Unerfahrenheit des neuen Prokonsuls ausnutzen und bringen deshalb einmütig ihre Anklagen gegen Paulus vor in der Hoffnung, dass sie schnell angenommen werden. Aber in beiden Fällen bleibt der Erfolg aus. Gallio vertreibt sie vom Richterstuhl und Festus gibt ihrer Bitte nicht nach (Apg 25,3f.). Wenn man den ganzen Aufenthalt von Paulus in Korinth betrachtet, das heißt die gesamten Berichte in Apg 18, so ist die Gallioszene „der Höhepunkt des Gesamtabschnitts“195. Im Gegensatz zum Missionswirken des Apostels in Philippi, wo die Anklage von römischer Seite erhoben wird, kommen hier die Beschuldigungen von den Juden. Die Juden nehmen Paulus gefangen und führen ihn vor den Statthalter, den höchsten Vertreter der rechtlichen Gewalt. Dass die Vorwürfe in V 13 sehr ungenau formuliert sind, verdankt sich sicher der lukanischen Redaktion, nämlich dass Paulus angeblich die Menschen zu einer ungesetzlichen Gottesverehrung verführt und damit gegen das Gesetz verstößt. 196 Hier ist nämlich unklar, welches Gesetz gemeint ist, das jüdische oder das römische. Man kann die lk Intention darin erkennen, dass er no,moj in vielfältiger Weise verwendet: no,moj Mwu?se,wj (Lk 2,22; 24,44; Apg 13,38; 15,5; 28,23), no,moj Kuri,ou (Lk 2,23f.39). In einer ähnlichen Szene, vor dem Statthalter Festus, spricht er vom no,moj tw/n VIoudai,wn (Apg 25,8). Dies erklärt sich nur damit, dass die Anklage in V 13 eine Zweideutigkeit197 enthält und dies auch von Lukas so beabsichtigt ist. Offenbar geht es auf der Erzählebene um das römische Gesetz, nicht aber um das jüdische. Dieser Ansicht ist Omerzu198, was auch nachvollziehbar und logisch ist. Die Ankläger benutzen also das römische Gesetz als Basis für ihre Anklage, ansonsten hätten sie Paulus nicht vor den Statthalter führen können. Denn wäre das jüdische Gesetz Basis ihrer Anklage gewesen, dann wäre Gallio als römischer Statthalter der falsche Ansprechpartner gewesen und eine jüdische Bestrafung hätte ausgereicht. Darüber hinaus, so weiter Omerzu, sei es auch ausgeschlossen, dass die Juden Paulus heidnischer Gottesverehrung beschuldigen. Denn aus Sicht der lk Juden treibe Paulus Propaganda, durch die die Heiden von ihm zur jüdischen Gottesverehrung animiert würden. Dieses Thema lässt sich in der Apg an verschiedenen Stellen erkennen, wie z. B. Apg 18,7. An der Person des Gallio will der Verfasser beispielhaft zeigen, dass sich hohe römische Beamte im 194
195 196 197 198
Dass diese Anklage am Anfang des Amtsantritts war, ist für manche Forscher selbstverständlich; vgl. E. Haenchen, Apg 472; R. Pesch, Apg II 150; H. Omerzu, Prozeß 252. G. Schneider, Apg II 252. Vgl. W. Eckey, Apg II 418. Vgl. Stegemann, Synagoge 238–241; dagegen vgl. J. Jervell, Apg 461. Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 254f.
III. Die Gallioszene in Korinth
195
Allgemeinen gegenüber dem Christentum absolut richtig verhalten und die Christen ebenso wie Juden das Existenzrecht (religio licita) haben sollen.199 Darum hat Lukas diesen „jüdischen Status für das Christentum in Anspruch nehmen wollen“200. Lukas stellt Gallio als denjenigen dar, der die Auseinandersetzung zwischen Juden und Paulus als innerjüdische Streitigkeit versteht. In dieser Deutung kann man einen wichtigen Hinweis auf seine apologetische Tendenz erkennen, indem er nämlich aufzeigt, dass die staatlichen Behörden zu den Christen loyal sind und das Christentum für den Staat als nicht gefährlich erachten.201 In diesem Sinne steht Gallio auf der gleichen Ebene wie die Beamten in Philippi (16,36) und in Ephesus (19,31) oder wie Kladius Lysias (23,29), Felix (24,22–24) und Festus (25,18f.; 26,31f.), die keinen Grund sehen, gegen die christlichen Missionare vorzugehen. Lukas verfolgt das Motiv, indem er eine gewisse Nähe zur Anklage in Philippi zeigen will. Dort entsteht Aufruhr wegen der Bekehrung von Heiden zum Christentum, hier aber sind es die Juden, die Unruhe verursachen. Entscheidend bleibt jedoch, „dass in dem einen Fall Heiden, in dem anderen Juden die Mission des Paulus kritisieren“202. Aber Lukas, der die damaligen gesellschaftlichen Strömungen kennt und gut beurteilen kann, verteidigt Paulus und mit ihm die Christen, sowohl gegenüber den Heiden als auch gegenüber den Juden. Es ist ihm wichtig zu zeigen, dass die römischen Beamten das gesamte Geschehen gut verstehen und entsprechend reagieren. Mit dieser Darstellung verdeutlicht Lukas, dass das Christentum Zuneigung und Anerkennung in der Gesellschaft verdient. Hier zeigt sich seine Apologetik. VV 14f. offenbaren vor allem die lk Intention und sein apologetisches Motiv. Die Vorwürfe der Juden versteht Gallio als „ein plumpes Manöver“203. In seiner Antwort, in der die ganze Verachtung des römischen Aristokraten gegenüber dem Judentum mitschwingt, deutet er den Fall als eine innerjüdische Streitigkeit, in die er sich nicht einmischen will. Nach der lk Darstellung versteht der Statthalter Paulus als eine Person, die kein konkretes Vergehen gegen den Staat begangen hat, indem sie z. B. die öffentliche Ruhe gestört oder Aufruhr gestiftet hätte. Es lasse sich von der Anklage (V 13) her nichts Derartiges nachweisen.204 Somit besteht keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Staat. Lukas stellt Paulus in seiner Bereitschaft dar, sich verbal zu verteidigen, jedoch kommt ihm der Statthalter zuvor. Hätte es sich hier um ein wirkliches Vergehen gehandelt, „würde Gallio es ordnungsgemäß 199 200 201 202 203 204
Vgl. W. Elliger, Paulus 236. H. Omerzu, Prozeß 256. Vgl. W. Elliger, Paulus 236. H. Omerzu, Prozeß 256. J. Roloff, Apg 273. Vgl. ebd. 273.
196
D. Apologetische Intention des Lukas
behandeln, d. h. die Klage annehmen“205. Einerseits ist es selbstverständlich, dass der hohe Beamte in den Augen der paganen Welt mehr Autorität genießt als Paulus. Darum kommt nach der Darstellung von Lukas Gallio zu Wort und nicht der Apostel. Andererseits könnte es wohl in der schriftstellerischen Absicht des Lukas liegen206, dass Paulus sich hier nicht verteidigt, was mit den zukünftigen Ereignissen zu tun hat. In dieser Szene übernimmt Gallio die Antwortrede an die Juden, weil „Lukas ihn [Paulus] offensichtlich vor Beginn des Hauptprozesses nicht vor einem Richter zu Wort kommen lassen will“207. Die Intention des Lukas in Bezug auf den Hauptprozess kann man an den folgenden Szenen erkennen. Sie laufen nach ähnlichem Muster ab und weisen auf eine Parallelgestaltung hin. In Apg 16,22f., bei den Ereignissen in Philippi, ließen die obersten Beamten Paulus und Silas auspeitschen und ins Gefängnis werfen, ohne sich genau zu erkundigen, welche Bürger die beiden seien; erst später, nachdem bekannt wurde, sie seien Römer, wurden die Missionare freigelassen. Im Fortgang der Apostelgeschichte stößt man ein Kapitel weiter auf eine ähnliche Darstellung. In Thessaloniki kommt es ebenfalls zum Aufruhr wegen Paulus und Silas (Apg 17,5–9). Weil die beiden nicht gefunden wurden, werden Jason und andere mit ihm vor die Stadtpräfekten geführt.208 Dort wurde von ihnen nur eine Bürgschaft genommen und danach waren sie wieder frei. Nach lk Darstellung gab es hier keine direkte Begegnung von Paulus und Silas mit staatlichen Vertretern. Die Missionare wurden von den Brüdern vermutlich wegen der Gefahr nach Beröa geschickt (Apg 17,10). Die Vorwürfe in Apg 17,7 waren sehr ernst, dennoch gingen die Stadtpräfekten nicht darauf ein. Eine Bürgschaft erscheint als viel zu geringe Bestrafung für eine derartige Anklage. Gallio hingegen geht direkt auf die Anklage ein, auch wenn kein Verhör stattfindet. Er lehnt diese ab, ohne sie weiter zu prüfen, weil es nicht in seiner Kompetenz liegt, über jüdische Lehre, Namen und Gesetz zu richten. Damit will Lukas das Verhalten des Gallio als „Präzedenzfall“209 des Umgangs von Rom mit dem Christentum darstellen und diese Gallioepisode als „Idealfall der römischen Praxis suggerieren“210. Gallio gilt als Vorbild für das ideale Verhalten der Staatsorgane, die alle sofort und ohne Verhör die jüdischen Anklagen verwerfen sollten. 211 „Lukas
205 206 207 208
209 210 211
G. Schneider, Apg II 252. Gegen diese Ansicht ist W. Elliger, Paulus 236. H. Omerzu, Prozeß 258. Interessant ist in Apg 17,7 die Formulierung der Anklage (Verstoß gegen die Gesetze des Kaisers und Behauptung, dass Jesus ein König sei), die an Lk 23,2 und an Apg 25,8 erinnert. E. Haenchen, Apg 477. H. Conzelmann, Apg 116. Vgl. H. Conzelmann, Mitte der Zeit 133; A. Weiser, Apg II 494.
III. Die Gallioszene in Korinth
197
beabsichtigt mit seiner Darstellung, die öffentliche Meinung seiner Zeit zugunsten der Christen zu beeinflussen.“212 V 16 schildert die Vertreibung der Anwesenden vom bh/ma. In diesem Vorgehen des Gallio könnte man auch eine antijüdische Einstellung 213 des Statthalters erkennen, die Lukas möglicherweise verheimlichen will 214. Paulus wird schließlich nicht von ihm gerechtfertigt. Er bleibt auch weiterhin den Anfeindungen seiner Landsleute überlassen. 215 Weil Gallio sein Desinteresse an Paulus und am Christentum zeigt, konnten die enttäuschten Juden Paulus später vielleicht mit der Synagogenstrafe bestrafen.216 Darüber reflektiert der Apostel selbst in 2 Kor 11,24f., wo er ausdrücklich sagt, dass er viel von den Juden zu leiden hatte. Dies könnte seine Wurzel in der Gallioszene haben, was für Lukas nicht von Bedeutung ist. V 17 berichtet von der weiteren Entwicklung des Geschehens, im Verlauf dessen alle den jüdischen Synagogenvorsteher Sosthenes 217 ergreifen und ihn verprügeln. Den Anstoß dazu gab offenbar Gallio mit seiner Ablehnung der Anklage des Paulus durch die Juden. Diese diente „als ein auslösender Funke für den Volkszorn“218. Die ganze Begebenheit endet „mit einer derb-burlesken Szene“219: Mit pa,ntej (alle) meint Lukas vermutlich die Volksmenge, die sich in der Nähe des Richterstuhls befand und den Gerichtsstreit zwischen den Juden und Gallio wahrgenommen hatte. Obwohl der Statthalter die Ankläger vom Richterstuhl weggewiesen hat (V 16), folgten sie seinem Befehl nicht. Stattdessen verprügelten alle dort Anwesenden, in einer Art „Wutreaktion“ auf den unbefriedigenden Entscheid des Prokonsuls, den Synagogenvorsteher Sosthenes (V 17). „Der Schlag fällt [also] auf den Schläger zurück.“220 Ein ähnliches Motiv lässt sich in der Erzählung vom Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus (Apg 19,23–40) erkennen. Dort reagiert die Volksmenge auf das Auftreten und die Verteidigungsabsicht des Juden Alexander (Apg 19,34) ebenfalls zornig, indem sie fast zwei Stunden schreit: „Groß ist die Artemis der Epheser!“221 Die hier betrachtete Szene lässt sich 212 213
214 215 216 217 218 219 220 221
A. Weiser, Apg II 494. Gallio könnte von seinem Bruder Seneca geprägt sein, bei dem eine antijüdische Tendenz vorkommt. Dies betont ausdrücklich W. Stegemann, Synagoge 247; vgl. auch J. Roloff Apg 273. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 264f. Vgl. W. Elliger, Paulus 237. Vgl. G. Schneider, Apg II 253; H. Conzelmann, Apg 116; J. Jervell, Apg 462. Sosthenes erwähnt Lukas nirgendwo, so dass er zu der Tradition gehört haben muss. Vgl. J. Roloff, Apg 273; ähnlich auch R. Pesch, Apg II 151. G. Schneider, Apg II 253. H. Conzelmann, Apg 116; ähnlich W. Eckey, Apg II 419. Zu der Ansicht, dass die Juden unbeliebt waren, vgl. Tac., hist. V,5,1 (ed. J. Borst 516).
198
D. Apologetische Intention des Lukas
so interpretieren, dass die lk Juden, die gegen Paulus Anklage erhoben hatten, um ihn verurteilen zu lassen, nun in der Person des Sosthenes selbst die Bestrafung erleiden. Aus der Art, wie Lukas das Desinteresse des Gallio den Juden gegenüber darstellt, kann man dessen antijüdische Einstellung vermuten. Schließlich lässt er, der als Statthalter eigentlich für Ruhe, Ordnung und Recht verantwortlich zeichnet, die Verprügelung des Juden Sosthenes ohne Reaktion geschehen. Lukas erwähnt in seiner Szene den Apostel Paulus, die eigentliche Hauptperson dieser Auseinandersetzung, überhaupt nicht. Dieser kommt „sauber“ und schuldlos aus der Situation heraus und bleibt, wie im nächsten Vers berichtet wird, noch einige Tage am Ort. Lukas betont in der Gallioszene sehr deutlich die Unwilligkeit des Statthalters, auf die Klage der Juden einzugehen, und die Niederlage der jüdischen Kläger. Vermutlich geht er auch absichtlich nicht auf die Schwierigkeiten (Apg 18,6) bei der Verkündigung in der Synagoge ein, da dies wohl negativ für Paulus ausgegangen wäre. Insbesondere beweist die Szene die Kraftlosigkeit der Anklage der Juden „bis hin zu ihrer Unfähigkeit, dem geprügelten Sosthenes Beistand zu leisten“222. Im Gegensatz zum Verhalten der Juden gehorchen die Christen, wie hier am Verhalten des Paulus zu erkennen, dem kaiserlichen Gesetz und stiften niemals Unfrieden. Die verschiedenen Streitfragen der Juden interessieren den Statthalter nicht. Die Tatsache, dass Sosthenes als jüdischer Synagogenvorsteher ohne Konsequenzen verprügelt werden konnte, weist darauf hin, dass das Recht auf der Seite der Christen gesehen wurde. Diese waren von aller aufrührerischen Gesinnung weit entfernt und hatten die Bevölkerung der großen heidnischen Stadt offenbar zum überwiegenden Teil schon für sich eingenommen. 223 Auf diese Weise verteidigt Lukas mit seiner Darstellung der Szene das Christentum gegen den Vorwurf umstürzlerischer Denkweise und zeigt, dass die Christen keineswegs Juden sind. Hier ist sein apologetisches Interesse deutlich zu erkennen. 224 Er macht die gesamte Gallioszene „zum apologetischen Paradigma“225.
222 223 224 225
J. Roloff, Apg 274. Vgl. W. Schmithals, Apg 167. Vgl. G. Schille, Apg 367. H. Conzelmann, Apg 115.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
IV.
Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
1.
Arbeitsübersetzung Apg 19,23‒40
199
Einleitung der Erzählung 23
a
Um jene Zeit aber entstand wegen des Weges ein nicht geringer Aufruhr. Brandrede des Silberschmieds Demetrius
24
a b
25
a b
26
a b c d
27
a b c
Diese und die anderen damit beschäftigten Arbeiter holte er zusammen und sagte: Männer, ihr wisst, dass aus diesem Gewerbe unser Wohlstand kommt. Nun seht und hört ihr, dass dieser Paulus nicht nur in Ephesus, sondern fast in der ganzen Provinz Asia eine große Volksmenge überredet und verführt hat, indem er behauptet, die mit Händen gemachten Götter seien keine Götter.
e
So besteht die Gefahr, dass nicht nur dieses unser Geschäft in Verruf kommt, sondern dass auch das Heiligtum der großen Göttin Artemis für nichts geachtet wird, ja dass sie, die von der ganzen Provinz Asia und von der ganzen Welt verehrt wird, auch im Begriff ist, ihre Hoheit zu verlieren.
a b c d
Als sie das hörten, wurden sie wütend und schrien: Groß ist die Artemis der Epheser!
d
28
Denn ein Silberschmied namens Demetrius, der silberne Artemistempel herstellte, verschaffte den Handwerkern eine nicht geringe Einnahme.
Erzählung vom Aufruhr in der Stadt 29
a b c
Und in der Stadt herrschte allgemein Aufruhr; sie stürmten einmütig ins Theater und schleppten die Mazedonier Gaius und Aristarch, Reisegefährten des Paulus, mit sich.
D. Apologetische Intention des Lukas
200
30
a b
Als aber Paulus in die Volksversammlung gehen wollte, ließen es die Jünger nicht zu.
31
a b c
Aber auch einige Asiarchen, die seine Freunde waren, schickten zu ihm und baten ihn, sich nicht ins Theater zu begeben.
32
a b c d
Dort schrien die einen dies, die andern das; denn in der Volksversammlung herrschte völliges Durcheinander und die meisten wussten gar nicht, weshalb sie zusammengekommen waren.
33
a b c d
Die Juden schickten Alexander nach vorn und aus der Volksmenge gab man ihm noch Hinweise. Alexander winkte mit der Hand und wollte vor der Volksversammlung eine Verteidigungsrede halten.
34
a b c d
Als sie aber erkannten, dass er ein Jude war, schrien sie alle fast zwei Stunden wie aus einem Mund: Groß ist die Artemis von Ephesus! Die Rede des Stadtschreibers
35
a b c d
Der Stadtschreiber beruhigte die Volksmenge und sagte: Ihr Männer von Ephesus! Wer von den Menschen wüsste nicht, dass die Stadt der Epheser die Tempelhüterin der Großen Artemis und ihres vom Himmel gefallenen (Bildes) ist?
36
a b c
Weil dies unbestritten ist, ist es also nötig, sich ruhig zu verhalten und nichts Unüberlegtes zu tun.
37
a b
Ihr habt diese Männer hergeführt, die weder Tempelräuber noch Lästerer unserer Göttin sind.
38
a b c
Wenn Demetrius und mit ihm die Handwerker gegen jemanden eine Klage haben, werden Gerichtstage abgehalten und es gibt Prokonsuln; dort sollen sie einander verklagen.
a b
Wenn ihr aber noch etwas darüber hinaus verlangt, so wird das in der gesetzmäßigen Versammlung gelöst werden.
39
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
40
a b c d e
201
Sonst sind wir in Gefahr, des Aufruhrs angeklagt zu werden aufgrund des heutigen Tumults, weil kein Grund vorliegt, mit dem wir diese Zusammenrottung werden rechtfertigen können. Nach diesen Worten löste er die Versammlung auf.
2.
Formale Analyse
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Satzformen und Tempora
Die Satzformen bestehen aus Hauptsätzen und damit verbundenen Nebensätzen. Die Nebensätze werden durch Konjunktionen und Relativpronomen eingeleitet. Nach der Überschrift wird der Grund beschrieben, durch den der Aufruhr entstanden ist. Lukas verwendet in V 24 ga,r, eine Partikel, die zur Begründung, Erklärung, Folgerung und Fortführung gebraucht wird. In V 40 werden die beiden Partikel kai., ga.r (kausale Konjunktion) zusammenhängend verwendet. In VV 25f. taucht eine dreimalige Wiederholung von o[ti (Konjunktion als Ersatz für den erklärenden Infinitiv) auf, was nach Verben des Sagens typisch ist. Die meisten der Sätze sind mit einem Relativpronomen gebildet. Es kommen auch Partizipien vor, wie z. B. sunaqroi,saj, pei,saj, le,gwn, pe,myantej. In V 26 und V 27 finden wir avlla,, welches nur zweimal verwendet wird und einen Gegensatz zum Vorangehenden oder eine Verschiedenheit bezeichnet. Im Text wird es mit „sondern“ übersetzt. Der Ausdruck eivj avpelegmo.n evlqei/n in V 27 ist sonst nicht belegt.226 Darüber hinaus ist die Akklamation Mega,lh h` :Artemij VEfesi,wn bemerkenswert, sowohl in V 28 als auch in V 34. Dieser Ausruf ist ohne Verb formuliert. Eine ähnliche Übereinstimmung begegnet uns in 1 Kor 8,6, wo es sich formkritisch ebenfalls um eine Akklamation227 handelt, und zwar wiederum ohne passendes Verb ei-j qeo,j228. Das deutet darauf hin, dass solche Anrufungen einer Gottheit verbreitet waren. Wirft man nun einen Blick auf die Tempora, so sieht man, dass die Szene im historischen Aorist erzählt wird. Aber trotzdem gibt es auch präsentische Formen, wie z. B. qewrei/te kai. avkou,ete in V 26 oder die Verben ginw,skei und ou=san in V 35, die in den Reden des Demetrius und des Stadtschreibers 226 227
228
Vgl. E. Preuschen, Apg 118. Unter Akklamation ist ein inhaltlich affirmativer, bestätigender Zuruf zu verstehen, der an die Hörer gerichtet ist. Anerkannt werden entweder Personen oder deren Leistung. Im Grunde genommen bringt die Akklamation „Groß ist …“ deutliche Propaganda zum Ausdruck bzw. sie drückt öffentlichen Bekenntnischarakter vor anderen aus. Ausführlich vgl. K. Berger, Formgeschichte 231–236. Vgl. H. Merklein, 1 Kor 187f.
202
D. Apologetische Intention des Lukas
vorkommen. Bemerkenswert in V 24 ist das verwendete Imperfekt parei,ceto. Dieses Tempus drückt hier die Dauer des Geschehens aus und zeigt, dass es die finanziellen Vorteile vom Verkaufen der Artemistempel in Ephesus seit langer Zeit gibt. Demetrius bot und bietet den Handwerkern nicht geringen Gewinn, aber damit es dabei bleibt, müssen zunächst seine Feinde beseitigt werden. Darüber hinaus finden sich noch weitere Verben im Imperfekt, so in V 31 pareka,loun (vgl. Lk 7,4; 8,31; Apg 13,42; 19,31; 25,2), in V 28 und V 32 e;krazon. In der Erzählung tauchen nur zwei futurische Konstruktionen auf: in V 39 evpiluqh,setai, in V 40 dunhso,meqa. Des Weiteren ist in V 36 das partizipiale Perfekt katestalme,nouj zu erkennen, welches eine Handlung in der Vergangenheit zum Ausdruck bringt, die bis in die Gegenwart fortwirkt. Das heißt, vom Beginn des Tumults an war die Menge unruhig, aber nachdem der Stadtschreiber der wütenden Menge gut erklärt hat, dass die Stadt Ephesus Tempelhüterin der Artemis ist und sie sich darum nicht sorgen sollten, verhält sich die Volksmenge von diesem Zeitpunkt an ruhig. In V 29 tritt das ansonsten sehr oft in der Apg verwendete Adverb o`moqumado,n229 auf sowie in V 36 avnantirrh,toj230. Auffällig ist die Infinitivform avpologei/sqai mit dem vorangehenden Imperfekt h;qelen, was für den Text wichtig ist, weil hier gezeigt wird, dass Alexander ebenso wie Paulus in Apg 26,1 die Hand ausstreckt, um die Verteidigungsrede zu halten. Trotzdem hört ihm keiner zu, im Gegensatz zu dem lk Protagonisten Paulus. 2.2
Semantische Analyse
2.2.1 Begriffserklärungen Der von Lukas verwendete Begriff o``do,j in V 23 kann verschiedene Bedeutungen haben.231 Er bezeichnet sowohl den Weg als auch den Ort des Geschehens wie bei Mt 2,12; Lk 3,5, ferner die Straße, z. B. Lk 14,23; Apg 8,36, aber ebenso Haltung, Weg, Gang oder Reise wie in Lk 12,58; 24,32 oder Apg 9,27. In unserer Erzählung ist aber etwas anderes gemeint: In Apg 19,23 ist o``do,j als Lehre oder neue Denkrichtung zu deuten, durch welche die Unruhe in der Stadt entstand. In einer weiteren Bedeutung kann darunter auch eine Lehre, die als Schulmeinung gilt, oder auch eine Sekte, wie in Apg 24,14, zu verstehen sein. Der Begriff wurde auch von Paulus in 1 Kor 4,17 verwendet, hier aber, ebenso wie in V 23, ist damit die christliche Lehre gemeint. Eine solche Verwendung findet sich auch in Apg 16,17: o`do.n 229
230 231
Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 769. Dies kommt elfmal innerhalb des NT vor, nur einmal in Röm 15,6, ansonsten ausschließlich in der Apg (am besten zu erkennen 18,12). Dieses Wort begegnet nur noch bei Lukas in Apg 10,29. Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. o`do,j 1123–1125.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
203
swthri,aj; in 18,25: o`do.n tou/ kuri,ou; in 18,26: o`do.n tou/ qeou/. Davon ausgehend kann man auch peri. th/j o`dou/ in diesem Sinne interpretieren. Das Wort ta,racoj in V 23 kann man wörtlich als Aufruhr oder Tumult übersetzen.232 Darüber hinaus lässt sich dieser Begriff auch als seelische Erregung oder Bestürzung verstehen. Das verwendete Wort kommt in gleicher Bedeutung wie in V 23 (Erregung) auch in Apg 12,18 vor. An beiden Stellen wird die Aufregung durch die Protagonisten der christlichen Verkündigung verursacht: wegen der missionarischen Tätigkeit des Paulus in Apg 19,23 und wegen der wunderbaren Befreiung des Petrus in Apg 12,18. Das Wort euvpori,a in V 25 bedeutet allgemein „bequemer Lebensunterhalt“, „Überfluss“; hier ist es als Wohlstand zu verstehen. 233 Der Begriff dh/moj in V 30 hatte ursprünglich die Bedeutung von abgeteiltem Stück. 234 Davon ausgehend kann er Folgendes bezeichnen: „Gau“, „Gemeinde“, also Abteilung eines Volkes oder einer Einwohnerschaft, sowie „Land“, „Gebiet“, „Wohnsitz“ eines Volkes oder auch „Volk“ als Einwohnerschaft eines Landes bzw. einer Stadt. Diese letzte Bedeutung lässt sich in Apg 12,22; 17,5; 19,30.33 erkennen. Die griechische evkklhsi,a ist ein sehr wichtiger Begriff, der im NT 114mal mit sehr verschiedenen Bedeutungen auftritt.235 Bei Johannes kommt dieses Wort allerdings nicht vor.236 Das Substantiv evkklhsi,a ist etymologisch aus dem Präfix evk und kale,w gebildet. Von daher kann man es als Gesamtheit der Herausgerufenen verstehen. Im klassischen Griechentum, aber auch im Hellenismus ist es ein technischer Ausdruck für freie Männer, die gesetzesgemäß in die Volksversammlung berufen sind wie z. B. in Apg 19,39.237 Zweitens wird es für Menschenversammlungen wie in Sir 26,5 oder Apg 19,32; 19,40 verwendet. Im AT bedeutet es auch die Versammlung der Israeliten, die zusammenkommen, um wichtige Dinge zu besprechen und zu entscheiden, so in Dtn 4,10; Ri 20,2; 21,5; 1 Chr 13,2; Neh 5,7; 8,2 (jeweils LXX). Drittens bezeichnet es die christliche Gemeinde oder die Gemeindeversammlung, z. B. 1 Kor 11,18; Apg 5,11; 8,3; 11,26. Als Hausgemeinde versteht man diesen Begriff in Röm 16,5 oder 1 Kor 16,19 und meint dabei nicht nur die lokale Kirche, sondern auch die universale wie in 1 Kor 1,2; 10,32 und Gal 1,13. In unserem Text also ist mit evkklhsi,a eine Versammlung der Menschen (V 32 und V 40) und eine offizielle Versammlung (V 39) gemeint. 232 233 234 235 236 237
Vgl. ebd. Art. ta,racoj 1606. Vgl. S. Pedersen, Art. euvpori,a 205. Vgl. hier und im Folgenden W. Grundmann, Art. dh/moj 62. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 330f. Vgl. hier und im Folgenden J. Roloff, Art. evkklhsi,a 999. Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. evkklhsi,a 485f.
204
D. Apologetische Intention des Lukas
2.2.2 Personen In V 24 tritt ein Silberschmied namens Demetrius auf, von dem die Auseinandersetzung ausgeht. Wie aus dem Text hervorgeht, handelt es sich um einen Mann, der Silbertempelchen herstellte (poiw/n naou.j avrgurou/j).238 Er sieht den Kult der Stadtgöttin Artemis und sein eigenes Geschäft in Gefahr und versammelt deshalb die beteiligten Handwerker und Zuarbeiter, um die Sache mit Paulus zu klären. Im Römischen Reich gab es z. B. Vereinigungen239 der Silberschmiede, deren Mitglieder von dessen Vorsitzendem zu Versammlungen einberufen wurden. Davon ausgehend könnte Demetrius einfach ein Leiter eines derartigen Silberschmiedvereins gewesen sein. Die Demetriusrede in VV 24–27 bezeichnet ihn als einen, der wirtschaftliche Interessen und religiöse Sorge in Verbindung bringt. Allerdings ist er ein Gegner der christlichen Missionierung, denn er erkennt die Gefahr, dass diese erfolgreich sein könnte. Aus dem 1. Jahrhundert ist aus Ephesus eine Inschrift240 überliefert, in der von einem Demetrius erzählt wird, aber dieser ist ein Tempelpfleger (neopoi/oj), was zu Demetrius in Apg 19,23–40 nicht passt. Vermutlich war Demetrius ein häufig verwendeter Name. VAri,starcoj ist ein männlicher Name und bedeutet „bester Herrscher“. 241 Trotzdem besagt diese Bezeichnung nichts in Bezug auf den im NT erwähnten Aristarch, von dem in Apg 19,29; 20,4; 27,2 sowie in Phlm 24 und Kol 4,10 die Rede ist. In Apg 20,4 wird er zusammen mit Timotheus und anderen erwähnt. Aristarch gehörte zu den Reisebegleitern des Paulus auf der sogenannten Kollektenreise nach Jerusalem (Apg 20,1–6). Apg 19,29 bezeichnet ihn als Makedonier und Apg 20,4 als Mann aus Thessalonich. Möglicherweise war Aristarch von der dortigen Gemeinde als Abgesandter für die Kollektenreise ausgewählt worden (vgl. 2 Kor 8,19.23). Zusammen mit Gaius trifft Aristarch in unserem Text (Apg 19,29) ein. Die beiden sind hier Makedo,naj genannt. In Apg 27,2 wird Aristarch erneut erwähnt, nämlich auf der Reise nach Rom. Allerdings bleibt unklar, ob er hier Gefährte, Mitgefangener oder Helfer ist. In Kol 4,10 wird Aristarch als Mitgefangener erwähnt. Paulus hatte also einen Mitarbeiter namens Aristarch, wie auch aus Phlm 23f. klar wird. Hier wird er definitiv nicht als Gefangener, sondern als Mitarbeiter des Paulus benannt. Es lässt sich also sagen, dass er sich aktiv für die christliche Verkündigung eingesetzt hat. Ga,io? j ist ein sehr verbreiteter römischer Name, der im NT an fünf Stellen erscheint (3 Joh 1; 1 Kor 1,14; Röm 16,23; Apg 19,29; 20,4).242 In Apg 19,29 238 239 240 241 242
Vgl. hier und im Folgenden R. Schwindt, Art. Demetrius 57. Derartige Vereinigungen sind auf Inschriften erhalten geblieben; vgl. P. Lampe, Acta 19 66–69. IvE. 1578A (ed. Ch. Börker 86). Vgl. hier und im Folgenden J. Hainz, Art. Aristarch 34f. Vgl. L. Wehr, Art. Gaius 79f.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
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kommt ein Gaius vor, der zusammen mit Aristarch Reisebegleiter des Paulus ist. Beide sind aus Makedonien und werden wegen des Aufruhrs ins Theater von Ephesus geschleppt.243 Durch ihr öffentliches Wirken war das Geschäft der Silberschmiede in Ephesus bedroht. Nach Apg 20,4 begleitet Gaius Paulus auf seiner Missionsreise. Die meisten Handschriften sprechen von Derbe als seinem Herkunftsort, der nach Apg 14,6 in Lykaonien liegt. Nur die Handschrift D weist darauf hin, dass er aus der Stadt Doberus (in der Nähe von Philippi in Mazedonien) herkommt. In diesem Fall könnte er mit dem Gaius in Apg 19,29 identisch sein; dies bleibt jedoch nur eine Vermutung. Erwähnt wird noch ein Gaius in 1 Kor 1,14, der sich von Paulus taufen ließ. Dieser aber ist vermutlich mit dem Korinther Titius Justus (voller Name Gaius Titius Justus) identisch; an die Synagoge grenzte sein Haus, in dem Paulus auch zu Besuch war (Apg 18,7). Mit diesem Korinther Gaius ist eher der in der Grußliste des Römerbriefs erwähnte Gaius identisch, bei dem die ganze korinthische Gemeinde zusammentraf. Deshalb müssen die beiden Personen in Apg 19,29 und 20,4 unterschieden werden. Diese Personen scheinen Träger des sehr verbreiteten Namens Gaius zu sein und unterscheiden sich auch von dem korinthischen Gaius (1 Kor 1,14; Röm 16,23), ebenso wie von dem Adressaten in 3 Joh 1.244 Als Lösung dieser Problematik bietet Schille an, die Angabe „Makedonier“ in Apg 19,29 sei nicht eine Herkunftsangabe, sondern Aristarch und Gaius hätten gemeinsam in Makedonien gearbeitet und seien deshalb so genannt worden.245 Dem widerspricht Weiser, der behauptet, dies sei angesichts der sonstigen Verwendung des Wortes Makedw,n im NT nicht nachvollziehbar, da es dort immer als Bezeichnung des Herkunftsorts gemeint sei (Apg 16,9; 27,2; 2 Kor 9,2.4). Auch im Blick auf Apg 20,4, wo die Angabe Derbe die lykaonische Herkunft des Gaius und Timotheus kennzeichnet, sei die Erklärung von Schille unwahrscheinlich. 246 Darüber hinaus muss man anmerken, dass der Inhalt von Apg 19,29 in der Exegese umstritten ist und es daher aktuell nicht möglich ist festzustellen, wie es tatsächlich war. Dementsprechend muss es offenbleiben. VAsia,rchj verwendet der Verfasser in Apg 19,31 in der Pluralform. Dies spricht für die Deutung als Abgeordnete des koino.n VAsi,aj (des Landtags von Asien).247 Laut Haenchen waren die Städte der römischen Provinz Asia in einem Bund zusammengeschlossen. 248 Dieser Bund hatte wesentliche religiöse und kultische Pflichten, wie die Sorge um den Kaiserkult und den 243 244 245 246 247 248
Vgl. hier und im Folgenden H. Giesen, Art. Gaius 80f. So urteilen W. Ollrog, Paulus 51 und A. Weiser, Apg II 553; E. Haenchen, Apg 508 und G. Schneider, Apg II 276, Anm. 30 erwägen es. Vgl. G. Schille, Apg 387; 396. Vgl. A. Weiser, Apg II 553. Vgl. P. Trummer, Art. VAsia,rchj 415. Vgl. hier und im Folgenden E. Haenchen, Apg 508, Anm. 4.
206
D. Apologetische Intention des Lukas
Tempel der Roma. Der erste Bundestempel wurde in Pergamon erbaut, spätere dann in Smyrna und Ephesus. Jedes Jahr wurden ein Asiarch für das ganze Bundesgebiet und ein weiterer für jede Bundesstadt mit einem Bundestempel gewählt. Zur Zeit des Paulus gab es drei bis vier Asiarchen, die immer aus den vornehmsten und reichsten Familien stammten. Es ist umstritten, inwieweit ein Asiarch zugleich avrciereu,j war. Vom Text ausgehend denkt man in erster Linie an eine politische Behörde, obwohl es zunächst eine religiöse Organisation mit nur bestimmten politischen Aufgaben war. Diese Gruppe war ein Werkzeug für jeden Provinzialstatthalter, um die Loyalität gegenüber der römischen Herrschaft zu sichern. Im Lichte dieser Funktion der Asiarchen könnte der Verfasser durch VV 30f. seine apologetische Intention betonen wollen, da die politischen Instanzen auf der Seite des Paulus sind und ihn vor den möglichen Misshandlungen bewahren wollen. Die Person VAle,xandroj birgt Schwierigkeiten in Bezug auf die Bestimmung ihrer Identität.249 Es ist unklar, ob es sich dabei um denselben Schmied Alexander handelt, der uns in 2 Tim 4,14 und 1 Tim 1,20 als Apostat begegnet. Ein Mann mit Namen VAle,xandroj kommt auch noch in Mk 15,21 vor, womit der Sohn des Simon von Kyrene bezeichnet wird. VAle,xandroj als ein Jude aus hohepriesterlichem Geschlecht taucht auch in Apg 4,6 auf. Es wäre auch möglich, dass diese Person von Lukas absichtlich in die vorliegende Erzählung eingebracht wurde, weil er sie wegen ihres Bekanntheitsgrades nicht übergehen konnte. Allerdings ist der VAle,xandroj in V 33 ein Jude, der versuchen wollte, die Menge zu beruhigen. Dies dient dem Verfasser dazu, um die christliche Verkündigung und die jüdische Religion als gegeneinander gerichtet darzustellen (Apg 13,44f.; 17,5–9; 18,1–12). Der Jude VAle,xandroj soll an dieser Stelle in der lk Darstellung zeigen, dass er und die anderen Juden mit den christlichen Missionaren nichts zu tun haben. In V 35 wird das Wort grammateu,j verwendet, was für Juden Schriftgelehrte bedeutet; in Ephesus hingegen war es der Titel eines hohen Beamten, nämlich eines Sekretärs.250 Dieses Wort finden wir 62-mal im NT, davon 57mal in den synoptischen Evangelien, viermal in der Apostelgeschichte und einmal in der Briefliteratur. 251 Bei den Synoptikern steht dieses Wort immer im Zusammenhang mit den Hohenpriestern oder Ältesten und sie verstehen darunter die Mitglieder des Synedriums, wie in Mk 14f. In unserem Fall hat dieser Begriff stattdessen eine profane Bedeutung und bezeichnet einfach den Stadtschreiber.
249 250 251
Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. VAle,xandroj 68. Vgl. ebd. Art. grammateu,j 331. Vgl. hier und im Folgenden G. Baumbach, Art. grammateu,j 624.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
207
2.2.3 Ort und Zeit Offensichtlich spielen sich die Ereignisse innerhalb der Stadt Ephesus ab. Es lässt sich vermuten, dass die Brandrede des Demetrius auf der Agora oder an einem Versammlungsort der ephesinischen Silberschmiede stattgefunden haben könnte. Allerdings ist Derartiges im Text nicht zu erkennen. V 29 gibt einen Hinweis auf einen Ortswechsel, wo beschrieben ist, dass die wütende Volksmenge zum Theater strömt, um dort die Paulusbegleiter zu ergreifen. Darüber hinaus liefert der Text keine Ortsangaben. VV 31–33 deuten jedoch darauf hin, dass der Tumult in der Volksmenge, das Auftreten Alexanders und die Rede des Stadtschreibers im Theater stattfanden. Was die Zeitangaben angeht, so lassen sich nur sehr allgemein gehaltene Hinweise im Text erkennen. Lukas verzichtet auf eine genaue zeitliche Zuordnung und benutzt lediglich den Begriff „um jene Zeit“. Darüber hinaus gibt es nur eine Zeitangabe, nämlich, dass die erregte Menge zwei Stunden lang geschrien hat (V 34). Ansonsten bekommt man aus der Erzählung den Eindruck, dass sich der Tumult und das Durcheinander sehr rasch entwickelten und innerhalb eines Tages wieder abgeklungen waren. 2.3
Gliederung des Textes
Der Text lässt sich in drei Szenen gliedern. Zunächst wird in V 23 eine Überschrift präsentiert. Dann folgt in VV 24–28 die Rede des Silberschmieds Demetrius, die in der Volksmenge einen Tumult verursacht, der damit endet, dass die Menge einstimmig zu schreien beginnt: „Groß ist die Artemis der Epheser!“ Im zentralen Erzählstück VV 29–35 wird über diesen Tumult und die Akklamation berichtet. Interessanterweise enden beide Abschnitte mit demselben Ausruf: „Groß ist die Artemis der Epheser!“ Dies setzt die beiden Passagen in einen Rahmen. In VV 35–40 folgt schließlich die Verteidigungsrede des Stadtschreibers. Der Text ist also folgendermaßen gegliedert: Überschrift V 23; Brandrede des Silberschmieds Demetrius VV 24–28; Erzählung vom Tumult in der Stadt VV 29–34; Rede des Stadtschreibers VV 35–40. 3.
Literarkritik
Die Szene in Apg 19,23–40 wird in der Forschung verschieden bewertet. Bei den auftauchenden Fragen zu Historizität, Tradition und Redaktion kommt es zu divergierenden Meinungen der Exegeten. Weil der Tumult in Ephesus von Paulus verursacht wurde, er selbst aber nicht darin verwickelt wird, kann man vermuten, die Erwähnung des Paulus sei redaktionell.252 Alfons Weiser253 hat 252 253
Vgl. M. Dibelius, Aufsätze 178, Anm. 2; G. Schille, Anfänge 92f.; G. Schille, Apg 373; J. Roloff, Apg 291. Vgl. A. Weiser, Apg II 541f.
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D. Apologetische Intention des Lukas
versucht, in seinen Ausführungen zu Apg 19,23–40 einige Meinungen auszuwerten. So zitiert er z. B. das Ergebnis von Roloff254, welcher der Ansicht ist, den Grundstoff der Erzählung bilde eine ephesinische Lokaltradition, die an die kritische Situation in der Frühzeit der Gemeinde erinnert. Weiser 255 widerspricht Roloff sowie Dibelius und Schille, die der Ansicht sind, die Episode in Ephesus habe nichts mit den von Paulus in 2 Kor 1,8–10 geschilderten Bedrängnissen zu tun. Der Logik nach wären dann die Ereignisse in Ephesus nur lukanische ausgedachte Szenerie. Die erwähnten Personen wie Aristarch und Gaius seien nach Weiser „ein vorluk Überlieferungselement“256. Im Gegensatz zu Elliger, der in Apg 19,23–40 „keinen historisch zuverlässigen Bericht, sondern eine bunte Folge von anschaulich erzählten Episoden und knappen, sachlichen Mitteilungen (18,24–19,40)“257 sieht, sagt Eckey, „die Geschichte mit viel Lokalkolorit hat wahrscheinlich einen realen historischen Hintergrund“258. Auch die Selbstzeugnisse des Paulus in 1 Kor 15,32; 16,8f. und 2 Kor 1,8–10 dürften dafürsprechen, dass die von Lukas dargestellten Ereignisse einen historischen Kern haben. Denn seine Beschreibung der Gegner in Ephesus, der Not und einer lebensbedrohlichen Situation in der Provinz Asia sowie die Erwähnung von Aristarch im Philemonbrief V 24 als seinen Mitarbeiter stellen einen Konflikt dar, der am Ende der Missionstätigkeit in Ephesus stattgefunden hat. Weil Paulus seine Schwierigkeiten und Nöte nur am Rande erwähnt ‒ sein Hauptanliegen war ja die Verkündigung des Evangeliums ‒, kann man vermuten, dass die Szene des Lukas in Apg 19,23–40 historische Ereignisse darstellt. Lukas stellt im Unterschied zu den Selbstaussagen des Paulus eine Erfolgsepisode dar und vermeidet es, Paulus miteinzubeziehen, weil es nicht zu seiner feierlich gestalteten Geschichte der Mission in Ephesus (vgl. 19,11–20) passen würde. 3.1
Spannungen und Wiederholungen
In der Erzählung gibt es inhaltliche Spannungen wie z. B. die unerklärte Ergreifung und Verschleppung von Aristarch und Gaius in V 29; die künstlich wirkende Einführung des Paulus mit der ausführlichen Begründung für sein Fernbleiben von der Volksmenge in V 30f.; das unmotivierte „Intermezzo“259 mit Alexander und mit den Juden und deren Einführung in V 33f. Die Szene mit Alexander gehört zu den inneren Schwierigkeiten der DemetriusGeschichte, da sie im ganzen Kontext so isoliert erscheint, dass sie „weder 254 255 256 257 258 259
Vgl. J. Roloff, Apg 291. Vgl. A. Weiser, Apg II 543. A. Weiser, Apg II 543. W. Elliger, Ephesos 137. W. Eckey, Apg 445. E. Haenchen, Apg 511.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
209
einen vernünftigen Anlaß noch einen sinnvollen Schluß hat“ 260. Nachdem die Volksmenge erkannt hat, dass Alexander ein Jude ist, steigert sich der Tumult zu einem zweistündigen Geschrei; trotzdem bleibt es für Alexander folgenlos. Darüber hinaus fragt man sich, warum Demetrius nicht mehr als handelnde Person in Erscheinung tritt. Wiederholungen sind im Text nahezu nicht zu finden. Eine Ausnahme bildet die Akklamation „Groß ist die Artemis der Epheser!“, die sowohl in V 28 als auch in V 34 vorkommt. 3.2
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil
Der dramatische Aufbau der Szene, die Gestaltung der direkten Rede und eine gewisse Kritik an der heidnischen Religiosität lassen lk Merkmale erkennen. Wenn man diese Szene im Kontext des Vorhergehenden betrachtet, erkennt man sofort einen Umbruch der gesamten Ereignisse. Paulus wollte schon nach Apg 19,21 nach Jerusalem abreisen, dagegen wird sehr ausführlich (Apg 19,23–40) die sogenannte Demetriusszene dargestellt. In V 40 endet sie, weil in Apg 20,1 der Reisebericht fortgesetzt wird (ähnlich wie Apg 14,7–18). Dadurch wird in typischer Weise erkennbar, wie der lk Stil durch derartige dramatische Episoden geprägt wird. In V 23 kommt der Ausdruck evge,neto de. vor, der für Lukas typisch ist. Von den 202 Stellen im NT261, an denen dieser Begriff auftaucht, befindet sich fast die Hälfte im lk Doppelwerk.262 Meist präsentiert Lukas damit neue Ereignisse, die nicht immer in einem Zusammenhang mit anderen stehen, wie das in Ephesus der Fall ist. Als lukanisch erweist sich auch die Verwendung des Ausdrucks ta,racoj ouvk ovli,goj, der wie in Apg 12,18 wörtlich vorkommt.263 Ebenso dürfte kata. to.n kairo.n evkei/non auf Lukas zurückgehen (vgl. Apg 12,1). Er verwendet in der Apg sehr oft Redewendungen, wie z. B.: in diesen Tagen (Apg 1,15; 5,37; 6,1), in jenen Tagen (Apg 2,18; 7,41; 9,37) oder in jener Zeit (Apg 12,1; 19,23). Die Häufigkeit des Auftretens dieser Redewendungen weist darauf hin, dass diese zum lk Stil gehören. In der Bezeichnung peri. th/j o`dou/ meint der Verfasser die christliche Verkündigung, wie z. B. in Apg 9,2; 19,9; 22,4; 24,14.22. Wegen dieses Weges bzw. der Lehre kommt es in Ephesus zu einem Konflikt. Die Verwendung des Begriffs o``do,j in V 23 und zusammen mit anschließendem Genitiv (Apg 16,17: o`do.n swthri,aj; 18,25: o`do.n tou/ kuri,ou; 18,26: o`do.n tou/ qeou/) zeigt typisch den lk Gebrauch dieses Wortes im Sinne „christliche Lehre“.
260 261 262 263
Ebd. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 167–173. Am besten zu erkennen: Apg 4,5; 8,1; 9,32.37; 14,1; 16,16; 19,1. Vgl. W. Radl, Paulus 433.
210
D. Apologetische Intention des Lukas
In VV 24–28 lassen sich ebenfalls die lk Spuren erkennen. Die Redewendung Dhmh,trioj ga,r tij ovno,mati in V 24a dürfte auf Lukas zurückgehen. Denn er verwendet solche Wortkombinationen sehr gern, die so in den anderen Evangelien nicht zu finden sind. Die folgenden Verwendungen tij ovno,mati Zacari,aj in Lk 1,5; tij ovno,mati Ma,rqa in Lk 10,38; tij ovno,mati La,zaroj in Lk 16,20 oder tij ovno,mati Si,mwn in Apg 8,9; tij gunh. ovno,mati Ludi,a in Apg 16,14 zeigen besonders gut den lk Sprachgebrauch. Darüber hinaus kann man in V 24 das gleiche Motiv (evrgasi,a) wie in Apg 16,16 erkennen. Dort ist es ein wahrsagendes Mädchen, das Gewinn bringt, hier ist es das Anfertigen von silbernen Tempeln der Artemis, was ebenfalls Gewinn bringt. Dass es Lukas darauf ankommt, die Verflochtenheit der Gewinnsucht mit der heidnischen Religiosität aufzuzeigen, wurde bereits in den Ausführungen zu Apg 16,16–40 beleuchtet.264 Was in V 24a und in V 25b auf der Erzählebene über eine nicht geringe Einnahme von der Herstellung der Silbertempel sowie über den vom Gewerbe (evrgasi,a) kommenden Wohlstand gesagt wird, findet in V 27 eine Erklärung des Demetrius. Obwohl das Wort evrgasi,a in V 27 nicht auftaucht, wird vom Kontext her klar, dass es ums Geschäft geht. Dieses drückt Lukas mit dem Wort me,roj aus. Wenn wir aber die Verwendung dieses Wortes im Doppelwerk überprüfen, erkennen wir, dass es für Lukas einen Teil, Anteil bzw. ein Stück von etwas bedeuten kann.265 Sehr interessant ist die Stelle in Apg 5,2. Da begegnen wir Hananias, der einen Teil (me,roj) von dem verkauften Besitz den Aposteln zu Füßen legt. Mit diesem Teil kann Lukas nur das Geld meinen. Somit wird mit diesem Begriff in V 27 der finanzielle Schaden allen Mitbeschäftigten zum Ausdruck gebracht. Auch in der Formulierung der Anklage gegen Paulus in V 26b lassen sich einige Merkmale des Lukas erkennen. Dem Verfasser zufolge sagt Demetrius, dass Paulus mit seiner Lehre nicht nur die Stadt Ephesus überredet und verführt, sondern sogar die ganze Provinz Asia. Man erkennt hier eine Steigerung bzw. Dramatisierung der Ereignisse. Auch in V 27d kommt eine ähnliche Redewendung vor, indem gesagt wird, die Göttin Artemis werde sowohl in der ganzen Provinz Asia als auch in der ganzen Welt verehrt. Diese Redewendungen dürften auf den Verfasser zurückgehen. Die Übertreibung in V 26b, dass fast (scedo.n) die ganze Provinz Asia von Paulus in Unruhe versetzt worden sei, entspricht dem lk Stil.266 Denn eine ähnliche Wortbildung findet sich in Apg 13,44, wo Lukas beschreibt, dass sich fast (scedo.n) die ganze Stadt versammelt hatte, um das Wort des Herrn zu hören. Dieses Wort kommt außer Hebr 9,22 nur bei Lukas vor. Darüber hinaus erkennt man die lk Gestaltung auch am Ausdruck i`kano.j o;cloj (wörtlich: eine 264 265 266
Siehe D.II.4.3; D.II.5. Vgl. G. Nebe, Art. me,roj 1008f. Vgl. G. Lüdemann, Christentum 224.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
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ziemliche bzw. große Volksmenge) in V 26b. Dass Lukas eine Vorliebe zu überspitzten Aussagen hat, lässt sich auch an Apg 11,24.26 erkennen (vgl. Apg 2,41; 4,4). Von 41 Stellen, bei denen das Wort i`kano,j auftaucht, finden sich zweiundzwanzig im Doppelwerk des Lukas.267 Auch die Formulierung in V 26d (uvk eivsi.n qeoi. oi` dia. ceirw/n gino,menoi) weist auf lk Spuren hin. Ein ähnlicher Gedankengang findet sich in Apg 7,48; 17,24. Bei diesen Versen klingt eine Polemik gegen die heidnische Gottesverehrung an. Auch die Erzählung vom Tumult in der Stadt (VV 29–34) weist eine typisch lukanische Ausdrucksweise auf. Dass die Unruhe der Handwerker sich auf die Stadt überträgt (V 29), geht auf die lk Technik der Dramatisierung zurück. In Bezug auf die Sprache kann man sagen, dass der Ausdruck w[rmhsa,n te o`moqumado,n dem Verfasser zuzuschreiben ist. Die gleiche Redewendung findet sich ebenfalls in Apg 7,57. Wie die Juden einmütig auf Stephanus losstürmten, stürmen auch die Epheser einmütig ins Theater, wobei sie Gaius und Aristarch mit sich schleppen. Allein das Wort o`moqumado,n kommt innerhalb des NT elfmal268 vor, außer Röm 15,6 nur in der Apg, was auf lk Ausdrucksweise hindeutet. V 32 ist ähnlich wie V 29 in einem dramatischen Stil gestaltet. Das völlige Durcheinander, das Schreien und die Unwissenheit der im Theater Anwesenden sind wesentliche Züge eines Dramas. Ein solches findet sich auch in der Festnahme des Paulus in Jerusalem (Apg 21,27–36). Sowohl die Szene in Jerusalem (Apg 21,36) als auch in Ephesus (Apg 19,28d und 19,34d) enden mit einem Geschrei: „Weg mit ihm!“269 bzw. „Groß ist die Artemis der Epheser!“ Schließlich folgt das Eingreifen der Behörde in beiden Szenen (19,35; 21,31). Schlussfolgernd kann man annehmen, dass die Einführung der Juden zu den lk Merkmalen gehört, um durch sie die „Provokation der ephesinischen Heiden […] bis nach Jerusalem [zu] verlängern“270. Das Wort evkklhsi,a in V 32b und V 39b verwendet Lukas offenbar in verschiedenen Bedeutungen: Einerseits meint er damit die Gemeinde bzw. die Kirche271 (vgl. Apg 9,31; 11,26; 15,22), andererseits variiert er den Wortsinn und bezeichnet damit eine gesetzliche Versammlung (V 40e). Eine ähnliche Verwendung von Begriffen findet sich z. B. in V 30a (dh/moj) und V 33b (o;cloj). Ähnliches trifft auch auf den Begriff „Aufruhr“ zu, der in V 23a als ta,racoj, in V 29a als su,gcusij und in V 40b als sta,sij und sustrofh, erscheint. Zu der Frage, ob die Einführung des Alexander und der Juden als lukanisch betrachtet werden soll, müssen zunächst die Vermutungen einiger 267 268 269 270 271
Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 520f. Vgl. ebd. 769. Das gleiche Schreien gibt es beim Prozess Jesu in Lk 23,18. K. Löning, Saulustradition 198. Vgl. G. Schille, Anfänge 91, Anm. 175.
212
D. Apologetische Intention des Lukas
Exegeten dargestellt werden. So wertet z. B. Schneider die unvermittelte Erwähnung dieser Personen als etwas, das „für Lukas keine Bedeutung haben dürfte“272, oder als ein Anzeichen dafür, dass dem lk Text „eine überlieferte Geschichte“273 zugrunde liegt. Haenchen ist der Ansicht, die Alexander-Notiz sei redaktionell von Lukas eingeführt worden, und zwar möglicherweise in Anknüpfung an den Schmied und Gegner des Paulus, Alexander, von dem auch 1 Tim 1,20 und 2 Tim 4,14 sprechen. Dies dürfte eine Legende über dieses Ereignis gewesen sein, die Lukas in die Demetrius-Episode eingebracht habe.274 Dem widersprechend sagt Schneider, laut Apg 19 trete Alexander „gerade nicht als Gegner des Paulus auf“275, und Conzelmann ist der Meinung, „der Hinweis auf den Alexander von I Tim 1,20 II Tim 4,14 ist keine Erklärung“276. Es gibt also unter den Exegeten keine einheitliche Meinung zu der Frage, welche Rolle die Juden in der lk Darstellung dieser Szene spielen. Am naheliegendsten erscheint, dass Lukas die Juden benutzt, um einerseits ihre Unbeliebtheit bei den Heiden zu zeigen, andererseits die Abgrenzung zwischen Judentum und Christentum darzulegen sowie die Tatsache zu unterstreichen, dass die christlichen Missionare bei den Behörden nicht unbeliebt waren. Was aber wohl stimmen mag, ist die ablehnende Einstellung der Juden gegenüber den christlichen Missionaren. Das setzt Lukas stillschweigend voraus. Der Jude Alexander will sicher nicht Christen verteidigen, sondern Juden, die in den Augen der Heiden als Unruhestifter gelten konnten. Es gab nämlich keine Unterscheidung zwischen den christlichen Missionaren und den „echten“ Juden (vgl. Apg 16,20), deshalb wollen die Juden sich von Paulus und dem Christentum distanzieren, indem Alexander alles ans Licht bringen soll. Dies allerdings führt zu einer zweistündigen Akklamation der Artemis, weil die Volksmenge erkannt hat, dass er ein Jude war. Die Angabe der Dauer von zwei Stunden steigert die Dramatik der Erzählung. Es scheint nicht logisch zu sein, dass der durch Paulus verursachte Tumult sich gegen einen Juden entlädt277, nicht aber gegen die Paulusbegleiter; die Situation verläuft jedoch analog zur Episode vor Gallio (Apg 18,12–17), bei der sich der Volkszorn ebenfalls gegen Sosthenes richtet, nachdem Paulus durch den Verfasser aus dem Schauplatz entfernt wurde. Dass aber die Juden in der Provinz Asia gegen Paulus bzw. gegen die christliche Lehre eingestellt waren, lässt sich nicht nur aufgrund der Verse 33f. vermuten, sondern 272 273 274 275 276 277
G. Schneider, Apg II 273. Ebd. Vgl. E. Haenchen, Apg 511; auch G. Schille, Apg 388f. G. Schneider, Apg II 273f., Anm. 8. H. Conzelmann, Apg 121f. Zur Tatsache, dass es in Asien Judenfeindlichkeit gab, vgl. Joseph., ant. Iud. XIV,110–118 (ed. A. Wikgren 58–64); XIV,185–189 (ed. A. Wikgren 100–102).
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
213
wegen Apg 21,27 sogar behaupten. Die Ausdrucksweisen in V 33c/d (o` de. VAle,xandroj katasei,saj th.n cei/ra h;qelen avpologei/sqai tw/| dh,mw| ) und in Apg 26,1 (to,te o` Pau/loj evktei,naj th.n cei/ra avpelogei/to) zeigen einige Parallelzüge der lk Gestaltung. Es gelingt Alexander nicht, eine Verteidigungsrede zu halten, Paulus dagegen schon. Das Wort avpologe,omai ist für Lukas von großem Interesse, denn er verwendet es sowie das zugehörige Nomen avpologi,a zehnmal von 17-mal im NT.278 Auch bei der Betrachtung der Rede des Stadtschreibers in VV 35–40 lässt sich die lk Gestaltung erkennen. Zunächst wird bestätigt, dass der Artemiskult zu Ephesus gut behütet und sicher ist. Dem Stadtschreiber gelingt es, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem er die Epheser lobt (captatio benevolentiae),279 sie seien die Tempelhüter der Großen Artemis. Darauf dürften sie ohne Zweifel stolz sein. Interessant ist, dass der lk Paulus auch bei den Athenern Gehör findet, indem er das Lob ausspricht (vgl. Apg 17,22), sie seien sehr religiös. Daraus kann man die lk Gestaltung vermuten. Im folgenden V 36 wird gefordert, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren. V 37 nimmt dann Bezug auf V 29 und stellt fest, dass die Paulusbegleiter weder als Tempelräuber noch als Gotteslästerer zu bezeichnen seien. Die Missionare als Vertreter der Christen werden in dieser Szene von der offiziellen Behörde als schuldlos bezeichnet. Dies könnte als Aussage von Lukas bezüglich der allgemeinen Bewertung der Gesamtheit der Christen durch die Behörden gewertet werden. Die weiteren Verse (VV 38–40) beziehen sich auf die Rede des Demetrius in VV 24–29. Der Stadtschreiber versteht also, worum es sich handelt, obwohl er nach der Darstellung der Ereignisse überhaupt keine Ahnung davon haben sollte, denn die Ansprache des Demetrius fand vor einer geschlossenen Gesellschaft statt. Demetrius selbst kommt nicht zu Wort und die Volksmenge weiß nicht, warum sie sich versammelt hat, trotzdem scheint der Stadtschreiber gut informiert zu sein. Die Rede von Demetrius verursachte den großen Tumult in V 29, die Rede des Stadtschreibers dagegen beruhigt die Volksmenge. Demetrius und seine Handwerker sollen sich also ans Gericht wenden und die Epheser an die ordentlichen Volksversammlungen. Auf diese Weise wird die Berechtigung des Aufruhrs offensichtlich bestritten und damit auch vor einem neuen Tumult gewarnt. 3.3
Ergebnis
Lukas hat die Ereignisse dieser Szene offenbar auf der Basis verschiedener Überlieferungen, unter anderem einer mehr oder weniger großen Anzahl von disparaten ephesinischen Einzelnachrichten, zusammengefasst und mit sei278 279
Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 101. Vgl. W. Eckey, Apg II 454; D.VI.5.4.
214
D. Apologetische Intention des Lukas
nem dramatischen Stil zu einer Erzählung ausgebaut. 280 Darauf verweist die Erwähnung bestimmter ephesinischer Persönlichkeiten und Einrichtungen und auch der Hinweis auf den Artemiskult. Eine Person wie Aristarch in V 29 war offenbar in der ephesinischen Gemeinde gut bekannt. Dafür spricht auch der Philemonbrief in V 24, der aussagt, dass Aristarch engen Kontakt zu dem in Ephesus inhaftierten Paulus hatte. Die Miterwähnung des Gaius und die Bezeichnung als Makedonier in V 29 könnten dafürsprechen, dass es sich um eine von Apg 20,4 unabhängige Überlieferung handelt. Die weiteren Personen wie Demetrius, Alexander und der Stadtschreiber müssten auch in Ephesus bekannt gewesen sein. Aber die heidnische Religiosität und die damit verbundenen Geschäfte und die Gewinnsucht in V 25, V 27 (vgl. Apg 16,19), die Maßstäbe der Ausbreitung christlicher Verkündigung in V 26 (vgl. Apg 17,6), das Heraushalten des Paulus in V 30 aus dem Geschehen, die Unterstützung des Paulus durch die staatlichen Beamten V 31, die Einführung des Juden Alexander in die Erzählung V 33 sowie des Stadtschreibers V 35 gehören zu den lk Vorzugsthemen. 4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund
4.1
Ephesus und die Artemis von Ephesus
Ephesus als eine der historischen Städte hat eine uralte Geschichte. Sie reicht bis zur Gründung im Jahr 900 v. Chr. zurück.281 Ephesus erlebte verschiedene Perioden in seiner Geschichte, angefangen von der altionischen (bis 560 v. Chr.), über die griechische (bis ca. 290 v. Chr.) und die hellenistischrömisch-byzantinische (gegen 290–1000 n. Chr.) bis zur Eroberung der Stadt durch die osmanischen Türken im Jahre 1426. Ferner ist zu sagen, dass Ephesus seit 133 v. Chr. die Hauptstadt der römischen Provinz Asia und Sitz des Prokonsuls gewesen ist.282 In der Zeit des Paulus war sie eine reiche Stadt mit verschiedenen Handels- und Geschäftsbeziehungen.283 Ihre Berühmtheit basierte auf der Göttin Artemis von Ephesus, deren Verehrung damals sehr verbreitet war, und besonders auf dem prächtigen und ihr geweihten Tempel, der zu den sieben Weltwundern gehört. Ephesus war auch eine Stadt mit zahlreichen Kulten. Die wichtigsten von ihnen waren die des Zeus, der Aphrodite, der Athene, des Asklepius, des Dionysos, der Demeter sowie der Kaiserkult bzw. die Vergöttlichung der Kaiserfamilie. Von größter Bedeutung war 280 281 282 283
Lukas gestaltet wohl Szenerien, aber er erfindet keine Geschichten – H. Conzelmann, Apg 121; aufgenommen von G. Schneider, Apg II 273. Vgl. hier und im Folgenden J. Keil, Ephesos 13. Vgl. F. Mußner, Apg 112. Vgl. H.-J. Klauck, Magie 118.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
215
jedoch der Artemiskult.284 Aus der griechischen Mythologie ist uns bekannt, dass Artemis nicht nur als jungfräuliche Göttin der Jugend verehrt wurde, sondern auch als Schutzpatronin der Jagd. In den bekannten Darstellungen trägt sie eine kurze Tunika und ist mit einem Bogen bewaffnet. Die griechischen Siedler, die nach Kleinasien kamen, brachten diese Artemis mit und integrierten sie in den Kult der dort heimischen Muttergottheit. Artemis wurde damals ganz besonders verehrt; Wohl und Schutz der Stadt wurden ihr anvertraut. Was ihre Skulptur betrifft, lässt sich nur sagen, dass ihr Kern aus Holz bestand und eine nicht sehr große menschliche Figur darstellte. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie einmal aus dem Feuer gerettet; von oft stattgefundenen Ölsalbungen war sie geschwärzt. In späteren Zeiten wurde die Figur mehr und mehr geschmückt. 285 Zutaten wie die Mauerkrone, eine Halskette mit den Tierkreiszeichen oder ein Prunkgewand aus Goldblech sind solche späteren Schmuckstücke. Die ursprüngliche Figur der Göttin ist verloren gegangen. Ähnliche Artemis-Steinfiguren haben zahlreiche Gebilde am Oberkörper, die im christlichen Denken als weibliche Brüste gedeutet wurden und ihre Fruchtbarkeit darstellen sollten. Ein solcher Kult gab vermutlich auch Anlass zu sexuellen Deutungen. Dazu lässt sich jedoch nichts Genaues sagen, obwohl es einige Hinweise für mögliche andere Bedeutungen gibt, wie z. B. Eier, Datteln, Trauben oder die Hoden der Stiere, die bei derartigen Kulten verwendet wurden. 4.2
Der Tempel von Ephesus
Die Geschichte des Tempels in Ephesus erstreckt sich über Jahrhunderte. Etwa in der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. ließ der reiche und mächtige König Krösus zur Anerkennung seiner Oberhoheit einen Tempel bauen, für den er selbst mehrere Säulen stiftete.286 In der Zeit Domitians (81–96), als der Tempel ausgebaut wurde, war auch noch ein mit Säulen umrahmter Platz vor dem Hestiaheiligtum im Prytaneion ausgeschmückt worden, um in der Mitte auf einem einfachen Postament eine Statue der Artemis aufzustellen. In zweifacher Lebensgröße mag sie auf dem Sockel, zusammen mit einem Kopfaufsatz, etwa fünf Meter hoch aufgeragt haben.287 Der Tempel war außerhalb der Stadt, ca. zwei Kilometer vom Zentrum errichtet worden als ein massives, großartiges Gebäude.288 Heute ist von diesem Tempel nur eine Säule geblieben. Die Grundfläche des Tempels betrug 130 mal 70 Meter. 128 Säulen mit 284 285 286 287 288
Zu Artemis vgl. K. Wernicke, Art. Artemis 1372f. Vgl. hier und im Folgenden W. Elliger, Ephesos 113–136, hier 121; H.-J. Klauck, Magie 119. Vgl. J. Keil, Ephesos 15. Vgl. dazu F. Miltner, Ephesos 41–43. Vgl. H.-J. Klauck, Magie 119.
216
D. Apologetische Intention des Lukas
einer Höhe von 19 Metern zeigten seine Mächtigkeit.289 Seine Berühmtheit war ein Grund dafür, dass er auch auf Münzen dargestellt wurde.290 Der Tempel galt sogar als eine Bank, da sich in ihm hohe Bargeldbeträge befanden, denn er war ein Symbol der Sicherheit. Zweimal im Jahr wurde die Göttin durch das Feiern großer Feste verehrt. Des Weiteren fanden mindestens einmal pro Monat Prozessionen in die Stadt und zurück statt. Durch die vielen Besucher blühten die Geschäfte in besonderer Weise. Im Jahre 263 n. Chr. drangen jedoch die Goten ein und zerstörten den herrlichen Tempel der Artemis. Seine völlige Zerstörung erfolgte schließlich durch das Christentum.291 Möglicherweise wurden nach dem Sieg des Christentums Steine des Tempels für andere Zwecke benutzt, z. B. als Baumaterial, was natürlich zur endgültigen Vernichtung führte. 4.3
Das große Theater von Ephesus
Mit dem Anwachsen der Bevölkerung wurde es notwendig, das Theater zu vergrößern. Diese Arbeiten wurden unter Kaiser Claudius (41–54) begonnen und erst unter Trajan (98–117) abgeschlossen.292 Der Umbau bezog sich sowohl auf das Bühnengebäude als auch auf den Zuschauerraum. In diesem neu umgebauten Raum mit den drei Rängen von 22 Sitzstufen hatten etwa 24 000 Menschen Platz. Trotz des Raubes der marmornen Sitzstufen lässt sich abschätzen, dass die durchschnittliche Tiefe des Zuschauerraumes etwa 60 Meter maß und die Gesamtbreite in der Front ca. 145 Meter betrug. Das 40 Meter breite und 25 Meter tiefe Bühnengebäude bestand aus Bühne und Bühnenwand, wobei die eine Seite als Kulisse diente, die andere Seite als Akustikanlage, damit die Worte der Schauspieler alle Menschen im Zuschauerraum erreichen konnten. Diese Architektur bezeugt die hohe Kunst der damaligen Baumeister. Wenn man sich fragt, warum Lukas die Ereignisse im Theater beschreibt, so liegt folgende Erklärung nahe: Das Theater war ihm möglicherweise bekannt. Er lässt die beiden Missionare, Aristarch und Gaius, dorthin schleppen, um seine Erzählung dramatischer zu gestalten. Man kann gut nachempfinden, wie angsterfüllt diese beiden Mitarbeiter des Paulus im Zentrum des Theaters stehen und um sie herum viele tausend Menschen mit tumultartigem Geschrei. Dieses Bild vermittelt wirklich den Eindruck einer dramatischen Situation.
289 290 291 292
Vgl. dazu R. Pesch, Apg II 180. Vgl. hier und im Folgenden H.-J. Klauck, Magie 119. Vgl. J. Keil, Ephesos 51–53. Vgl. hier und im Folgenden F. Miltner, Ephesos 30f.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
5.
217
Intention des Evangelisten
In der gesamten Erzählung lässt sich die lk Intention erkennen. In V 23 stellt Lukas die christliche Lehre als Ursache eines schweren Aufruhrs dar. Er will damit aufzeigen, dass durch die Missionstätigkeit des Paulus zu der damals etwa 200 000 Menschen zählenden Bevölkerung schon so viele Christen gehörten, dass die christliche Lehre öffentliche Aufmerksamkeit fand. VV 24–28 bringen zum Ausdruck, worin die eigentliche Ursache der Unruhe in Ephesus liegt. Initiiert wird der nicht geringe Aufruhr gegen die Christen von Demetrius, der in seinem Gewerbe eine führende Rolle spielt. Denn es heißt, dass er den Handwerkern eine nicht geringe Einnahme verschafft, womit gleich zu Anfang das ökonomische Motiv angesprochen wird. Der Aufruhr hat vor allem wirtschaftliche Interessen als Ursache, weil es in der Begründung des Demetrius in erster Linie um gute Geschäfte geht und dann erst um Religiosität (nur V 26d, V 27c/d/e und V 28d sprechen direkt ein religiöses Argument an). Dafür spricht auch die Tatsache, dass Demetrius und nicht etwa die Priesterschaft der Artemis die Anklage gegen Paulus erhebt. Als erste Schädigung durch die christliche Verkündigung nennt Demetrius in V 27a/b den materiellen Verlust, dann aber, dass auch der Artemistempel und die Göttin selbst gefährdet seien. Sein Motiv ist jedoch nur Eigennutz, es geht ihm weder darum, die Ehre der Artemis zu retten, noch darum, eine mögliche falsche Lehre zu entlarven, sondern er sieht seinen Gewinn gefährdet und sein Einkommen geschmälert. Geschäfte und Religiosität sind so sehr miteinander verbunden, dass man nicht unterscheiden kann, wo das eine endet und das andere beginnt. Dies zu zeigen ist für den Verfasser von Bedeutung, weil er daran Interesse hat, die niederen Absichten der Heiden aufzuzeigen und den heidnischen Kultbetrieb293 zu diskreditieren. Das gleiche Motiv ist in Apg 16,16.19 zu erkennen. Die Äußerungen über die Gefährdung der Geschäfte wären viel passender zu der Zeit des Lukas bzw. zu der Zeit der Abfassung der Apg gewesen als zur Zeit des Paulus. Höchstwahrscheinlich gab es nämlich während der paulinischen Missionstätigkeit noch nicht so viele Christen, dass sie die Geschäfte der Heiden gefährden konnten.294 Aber gegen Ende des 1. Jahrhunderts könnte dies zutreffen, wenn man z. B. den Brief von Plinius dem Jüngeren295 an Kaiser Trajan (98–117) berücksichtigt. Man kann annehmen, dass die Lage bezüglich der heidnischen Religiosität und der Geschäfte damit von der Wirkungszeit des Paulus (geöffnete Tür für das Evangelium, vgl. 1 Kor 16,8f.) bis zur Niederschrift der Szene durch Lukas sich immer weiter ver293 294 295
Vgl. K. Löning, Evangelium 2631. Paulus spricht in 1 Kor 16,8f. nur über eine in Ephesus geöffnete Tür, die weit und wirksam ist. Siehe oben die Ausführungen über die Christen bei Plinius in B.II.
218
D. Apologetische Intention des Lukas
schlechterte, bis Plinius darauf reagieren musste. Die Überlegungen über Apg 19,23–40 veranlassen Weiser zu folgender Vermutung: „Lukas projiziert die Erfahrungen seiner Epoche in die Zeit der paulinischen Wirksamkeit zurück und läßt auf diese Weise sogar den Christengegner Demetrius indirekt den großen Erfolg der urchristlichen Mission bezeugen.“296 Dass Lukas voneinander unabhängige, zu verschiedenen Zeiten bzw. an unterschiedlichen Orten geschehene Ereignisse verbindet und zu einem Geschehen zusammenführt, kann man auch in Apg 15 erkennen, da er dort die sogenannten Jakobusklauseln mit dem Apostelkonvent297 verknüpft. Ähnlich könnte es auch hier gewesen sein: Der Verfasser projiziert die Begebenheiten seiner Zeit bezüglich der wirtschaftlich-religiösen Schädigungen des Artemiskultes auf die Missionstätigkeit des Paulus. Vor diesem Hintergrund wird verständlicher, warum der lk Demetrius so überzeugend über den möglichen Niedergang der Artemis spricht: weil dieser Prozess nämlich bereits begonnen hatte. Gut erkennbar in der Demetrius-Rede ist ihr ironischer Hintergrund, den Lukas hineinlegt, um „die Verquickung von Religion, Patriotismus und Kommerz“298 aufzudecken. Nach der Meinung des Demetrius ist sein Gewerbe ein Dienst zur größeren Ehre der Göttin und zum Ruhm der Stadt Ephesus, die so eng mit ihr verbunden ist.299 Wenn aber diese enge Verbindung zusammenbräche, hätte es fatale Folgen sowohl für die Wirtschaft als auch für die Religion. Hier fehlt eigentlich eine Begründung, warum die Reduzierung der Produktion von Artemis-Tempelchen auf die Religiosität der Menschen eine unmittelbare Wirkung haben soll. Aber möglicherweise war es lk Absicht, die Brüchigkeit der damaligen religiösen Welt zu zeigen und damit auch die „Konkurrenzsituation“300 zwischen Christen und Heiden hervorzuheben. Dass die Volksmenge zu schreien beginnt: „Groß ist die Artemis der Epheser!“, ist „nichts weiter als der verzweifelte Versuch, die Brüchigkeit der religiös-ideologischen Basis durch die Flucht in rauschhafte kollektive Emotionen auszugleichen“301. Nach Roloff will Lukas mit der Demonstration der inneren Stärke und Geschlossenheit der Artemis-Verehrer in Wahrheit deren Schwäche aufzeigen. Denn diese haben dem christlichen Glauben nichts entgegenzusetzen außer „die lautstarke Selbstbestätigung des Kollektivs“302. Das kollektive Geschrei der Volkmenge dient dazu, sich selbst von ihren Göttern und ihrer Frömmigkeit zu überzeugen. Wenn es aber auf jeden Einzelnen ankäme, dann stünde wohl Gewinnsucht über dem eigenen Glauben. 296 297 298 299 300 301 302
A. Weiser, Apg II 545 Ausführlich vgl. J. Gnilka, Paulus 101–107. J. Roloff, Apg 292. Vgl. ebd. H.-J. Klauck, Magie 126. J. Roloff, Apg 292; G. Schneider, Apg II 275 spricht von einem religiösen Protest. Ebd.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
219
Der echte Glaube von Christen besteht dagegen in der personhaften Bindung jedes einzelnen seiner Glieder an den lebendigen Herrn und in der Erfahrung seiner Gegenwart im Geist. Die Christen sind unabhängig in ihrem Glaubensbekenntnis und nehmen weder Rücksicht auf die von Händen gemachten Götter (V 26d) noch auf Geschäfte wie die Herstellung irgendwelcher religiöser Nachbildungen (V 24a). Für Lukas ist das Thema von Interesse, weil er damit den christlichen Glauben der heidnischen absurden Religiosität gegenüberstellt. Ihm ist es wichtig, die christliche Lehre der damaligen Welt als eine bessere und als die vollkommene Religion zu präsentieren. Wenn aber Menschen aus heidnischer Umgebung in die christliche Gemeinde eindringen wollten, die sich nicht ehrlich gegenüber dem christlichen Glauben verhielten (Apg 5,1–11; 8,18–24), konnten sie bestraft werden oder sie mussten sich bekehren. VV 29–34 stellen die neue Entwicklung dar. Die aufgehetzte Volksmenge verursachte einen Aufruhr in der ganzen Stadt. Es wird nicht berichtet, ob diese Unruhe von Demetrius und seinen Leuten bewusst inszeniert wurde. Jedenfalls ist das Theater ein Ziel des weiteren Geschehens, weil alle wie in einer „Massenpsychose“303 dorthin strömen. Die Szene dürfte von Lukas etwas übertrieben dargestellt sein, aber er will möglichst alle daran beteiligt haben, damit sie später, am Schluss der Erzählung, erfahren können, was für eine Religion das Christentum ist, worauf der Stadtschreiber in V 37 hinweist. Hätten sie an der Theaterversammlung nicht teilgenommen, wären sie vielleicht nie zu dieser Kenntnis gekommen. Auf die Weise werden, nach lk Darstellung, erste Schritte in der sogenannten Missionierung gemacht, weil jeder ahnt, worum es sich handelt. Des Weiteren hält Lukas in seiner schriftstellerischen Darstellung die Person des Paulus heraus, indem er in dieser Szene nicht zu Wort kommt. Nach Absicht des Verfassers kommt der Höhepunkt seiner Apologie erst in den Kapiteln 22–26, nämlich im Hauptprozess. Für die aktuelle Situation reicht es völlig aus, wenn der Stadtschreiber zugunsten der Christen spricht, es klingt „aus [seinem] Mund […] viel überzeugender“304 als wäre es von Paulus gekommen. Lukas benutzt hier das gleiche Motiv wie in der Gallioszene, wo ebenfalls ein anderer, nämlich Gallio, statt Paulus spricht. Die Anwesenheit des Paulus in Ephesus setzt Lukas voraus, aber mit gut begründeten literarischen Mitteln übergeht er dessen direkte Beteiligung im Theater. Er schildert den guten Willen des Paulus, sich der Menge zu stellen, um nicht den Eindruck zu hinterlassen, er wolle sich aus Angst um seine Sicherheit zurückhalten und „seine Gefährten […] in Stich lassen“305; vielmehr wird er von seinen Jüngern und den Asiarchen gehindert, 303 304 305
W. Schmithals, Apg 180. E. Haenchen, Apg 513; vgl. auch G. Schneider, Apg II 276. H.-J. Klauck, Magie 122.
220
D. Apologetische Intention des Lukas
sich dorthin zu begeben. Die freundschaftliche Beziehung zwischen diesen Asiarchen und Paulus ist nach Weiser306 unwahrscheinlich, ebenso wie die Vermutung, dass sie um die Gefährdung des Paulus wussten und sich Sorgen um ihn machten. Dagegen entspricht es ganz der lk apologetischen Tendenz, dass Paulus nach der Meinung der Asiarchen unschuldig war 307 und das Christentum schon die Sympathie der höchsten Kreise gewonnen hatte308. Das heißt, die paulinische „Botschaft [hat] schon Angehörige höchster Kreise erreicht, die sich im Unterschied zur aufgepeitschten Menge korrekt verhalten und [Paulus] retten wollen. Pragmatisch gesehen, bedeutet das auch, daß Lukas die Zustimmung philosophisch gebildeter und aufgeklärter Heiden einholt, die sich weltanschaulich mit den Christen solidarisieren müssen gegen fanatische Geschäftemacher in den eigenen Reihen“309. Die vornehmen Kreise bzw. Aristokraten als Verantwortliche für die Ordnung in der Stadt hatten sowieso kein Interesse an einer Eskalation in der Stadt. Deswegen meinen sie, Paulus bliebe lieber weit weg vom Theater. Wenn Paulus den Rat der Asiarchen beachtet, was auch in der lk Erzählung der Fall ist, handelt er eigentlich für das gemeinsame Wohl der Bewohner von Ephesus und für die Ordnung der Stadt.310 Darüber hinaus liegt der Schluss nahe, hochangesehene Männer, die die besten Verbindungen zur römischen Verwaltung hatten, setzen sich für Paulus ein und der Aufruhr des Demetrius ist ein Zeichen der Empörung darüber. Dies dient natürlich als „das allerbeste Entlastungszeugnis für Paulus und das Christentum“311 und als Hinweis dafür, dass „das durch blinde Leidenschaft des Aufruhrs bedrohte Evangelium durchaus rechtmäßigen Schutzes bedarf und ihn verdient“312. Statt des Paulus werden zwei seiner Begleiter von der Menge ins Theater mitgenommen, um sie „als Sündenböcke der Volkswut preiszugeben“ 313. Des Weiteren erwähnt Lukas die im Theater versammelte Menge, die offenbar überhaupt nicht weiß, worum es geht, da einer dies, der andere das schreit. Hier dürfte Lukas ein bekanntes antikes Motiv314 verwendet haben, in dem eine führungslose und leicht beeinflussbare Volksmasse, durch Juden gegen 306 307 308 309 310 311 312 313 314
Vgl. A. Weiser, Apg II 552; auch E. Haenchen, Apg 511; 513; J. Molthagen, Christen 37; anders vgl. R. Pesch, Apg II 181. Vgl. W. Schmithals, Apg 180. Vgl. J. Roloff, Apg 293; J. Molthagen, Christen 37. H.-J. Klauck, Magie 122. Vgl. W. Eckey, Apg II 453. E. Haenchen, Apg 513. A. Weiser, Apg II 552. J. Roloff, Apg 293. Dies lässt sich an o;cloj erkennen, indem das Wort zunächst die Schar der ungeordnet durcheinanderlaufenden Menschen bedeutet. Zum antiken Motiv vgl. R. Meyer, Art. o;cloj 582f.
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
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die christlichen Missionare angestachelt, erwähnt wird (Apg 13,45; 14,19; 17,5.8.13; 21,27). Dass kein wahrnehmbares sachliches Gruppeninteresse in der Menge herrscht, wird besonders an der Reaktion auf Alexander erkennbar, der von einigen aus der Menge Hinweise erhält. Das Erkennen seiner jüdischen Identität reicht aus, um ein zweistündiges Geschrei „Groß ist die Artemis der Epheser!“ auszulösen. Die Absicht von Lukas bei dieser Episode ist es zu zeigen, dass alle Einwohner der Stadt, auch die Juden, an dem Tumult beteiligt sind. Das Auftreten von Alexander nutzt er zu einer Eskalierung des Szenenablaufs, in dem die aufgehetzte Menschenmenge darauf mit zweistündigem315 Geschrei reagiert. Hier hätte man erwarten können, dass Aristarch und Gaius zu Wort kommen, um sich zu verteidigen. Hingegen kommen die Juden ins Spiel, was auf den ersten Blick nicht logisch zu sein scheint. Es wird jedoch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass Lukas mit diesem literarischen Mittel absichtlich die Selbstverteidigung der Christen, sowohl des Paulus als auch seiner Gefährten, vermeidet (vgl. z. B. Apg 17,5– 9; 18,14f.), um dies in den Kapiteln 22–26 ausführlich darzulegen. Damit, dass Alexander noch einige Hinweise von der Menge erhielt, beleuchtet der Verfasser schlaglichtartig das Durcheinander, das in V 32 beschrieben ist. Beim Lesen der ganzen Apostelgeschichte fallen immer wieder ähnlich gestaltete Aufruhrszenen auf, in denen die Juden gegen die christlichen Missionare agieren. Das ist z. B. der Fall in Antiochia (13,50), in Ikonium (14,2.5), in Lystra (14,19), in Thessalonich (17,5–9), in Korinth (18,12–17), in Jerusalem (21,27–34).316 Lukas hat die Absicht darzustellen, dass die Juden den Christen gegenüber überwiegend negativ eingestellt waren und das Christentum bekämpfen wollten. Dass die Juden der Provinz Asia den Christen gegenüber besonders gegnerisch gesinnt waren, lässt sich an folgenden Stellen erkennen: Sie sind direkte Gegner des Stephanus in Apg 6,9; sie sind ebenfalls beteiligt an der Verhaftung des Paulus in Jerusalem in Apg 21,27. Davon ausgehend ist es nachvollziehbar, wenn die Juden im Herzen der Provinz Asia, also in Ephesus, auch als Hintermänner auftreten. Sie finden bei den Ephesern jedoch kein Gehör, als sie versuchen, die Christen in ein schlechtes Licht zu rücken, aber sie geben nicht auf, gegen Paulus vorzugehen. Denn in Jerusalem betreiben sie die Aufwieglung gegen Paulus (Apg 21,27–36), in deren Folge Paulus fast umgebracht worden wäre, wenn der Oberste der Kohorte nicht eingegriffen hätte. Paulus blieb am Leben und wurde nur verhaftet. So ist der Plan der Juden, mit Hilfe der aufgewiegelten Volksmenge 315
316
Dieses Geschrei dient Lukas dazu, dass Alexander selbst nicht zu Wort kommt, sondern das ganze Geschehen in stärkeres Durcheinander übergeht, was ein Zeichen für den Antijudaismus sein kann; vgl. Apg 16,21; H. Conzelmann, Heiden 119f.; A. Weiser, Apg II 554. Vgl. A. Weiser, Apg II 548.
222
D. Apologetische Intention des Lukas
den Christen zu schaden, gescheitert. Entsprechend der bekannten lk Absicht kann man schließen, dass Alexander mit seinem versuchten Auftritt die Juden verteidigen wollte, um den Ephesern den Unterschied zwischen ihnen und den Christen darzulegen. Dies vorausgesetzt, zeigt die schnelle Reaktion der Juden, dass sie befürchteten, der Aufruhr hätte ein Judenpogrom auslösen können,317 denn sie wussten, dass die Heiden nicht genau zwischen Juden und Christen differenzieren konnten. Mit seiner Darstellung wollte Lukas vermutlich auch die Christen von den Juden unterscheiden, damit bei seinen Lesern kein Verdacht entsteht, das Christentum sei Judentum und die Christen seien ein „radikaler Flügel der Juden“318. Wenn die Juden nichts mit den Christen zu tun haben wollen, müssen sich die Christen selbst der heidnischen Bevölkerung als diejenigen stellen, die nichts Unrechtes (vgl. V 37) tun. Wenn jemand ihnen jedoch etwas vorzuwerfen hat, soll er sich an die entsprechenden Instanzen wenden, nicht aber während eines Aufruhrs ein Urteil fällen. Lukas will darlegen, dass die aus dem Judentum entstandene Kirche, die sich in der Welt des Imperiums noch fremd fühlt, ihren von den Juden unabhängigen Weg zu finden trachtet. 319 In der Darstellung der VV 35–40 kommt der Stadtschreiber zur Sprache und löst damit die Spannung des dramatischen Ablaufs. Lukas legt zunächst ein Lob für die Epheser in den Mund des hohen Beamten, weil sie bzw. die ganze Stadt Tempelhüterin der Artemis sind. Deshalb bräuchten sie sich keine Sorge zu machen. So prächtig und gewaltig der Tempel sei, so dauerhaft sei ihr Kult. Als starkes Argument dafür dient auch noch der Glaube daran, dass ihr Bild angeblich „himmlische Herkunft“320 hat, das heißt, nicht von Menschenhand gemacht ist. Mit diesen Begründungen war die Volksmenge zufrieden, weil sie sich damit auf festem und sicherem Boden stehend empfand. Deshalb kam sie schließlich zur Ruhe. Darüber hinaus betont die Rede des Stadtschreibers, dass die Paulusbegleiter weder Tempelräuber noch Lästerer der Göttin seien. Josephus weiß z. B. zu berichten, dass auch die Juden seitens der Heiden angeschuldigt wurden, sie hätten die heidnischen Tempel beraubt, würden sich damit bereichern und hätten über die heid-
317 318 319 320
Vgl. H.-J. Klauck, Magie 123. J. Roloff, Apg 293. Vgl. J. K. Riches, Anfänge 178. Der echte Ursprung der Göttin könnte ein Meteorstein sein, der auf der Erde einschlug und später als Fetisch verehrt wurde. Es gibt einen Beleg aus der Antike bei Euripides, in dem Orest zum Gott Apollon sagt, dass er in der Trauer Land gehen und aus dem der Göttin geweihten Tempel das Götterbild rauben solle. Dieses sei einst vom Himmel gefallen; vgl. Eur., Iph. Taur. 85–90 (ed. G. A. Seeck 12).
IV. Der Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus
223
nischen Götter gelästert.321 Obwohl es für die Juden verboten war, irgendwelches heidnisches Tempelgut mitzunehmen (vgl. Dtn 7,25f.), kann man doch vermuten, dass derartige Vergehen zur Zeit des Lukas stattgefunden haben. Des Weiteren schreibt Josephus, niemand solle über die Götter fremder Völker lästern und dürfe fremde Heiligtümer berauben. 322 Diese im Heidentum verbreiteten Vorwürfe finden sich in V 37, mit nur zwei Worten erwähnt. Mit der schon oben genannten Absicht lässt Lukas den hohen Beamten überzeugend aussprechen, dass diese Männer keine Verbrecher bzw. Tempelräuber oder Lästerer sind. Die Unschuldserklärung für die beiden gilt sicherlich auch für Paulus und kann als positive Aussage über alle Christen interpretiert werden.323 Eine derartige Rechtfertigung aus dem Mund des römischen Magistraten scheint unvorstellbar zu sein, aber sie entspricht sehr gut den lk apologetischen Interessen. 324 Mit der Unschuldserklärung der christlichen Missionare durch eine hohe Instanz zeigt Lukas beispielhaft ein weiteres Mal, dass Christen verlässliche Staatsbürger sind, die jeglichen staatsfeindlichen Aktivitäten fernstehen.325 Somit erkennt man in der literarischen Konstruktion dieser Szene, ähnlich wie in der Gallioszene, die lukanische Absicht, die Christen als treue und unbescholtene Staatsbürger darzustellen. Darüber hinaus hätte man erwarten können, dass Aristarch und Gaius angesprochen werden, weil der Tumult eigentlich durch ihr missionarisches Wirken ausgelöst wurde und die Volksmenge sich ihretwegen im Theater versammelte. Stattdessen spricht der Stadtschreiber Demetrius und seine Zunftgenossen an, mit entsprechenden Hinweisen, an wen sie sich wenden sollten. Mit diesem literarischen Mittel vermeidet Lukas weiterhin die Erwähnung der Paulusbegleiter, weil sie, ebenso wie Paulus in der Gallioszene, aus der Situation „sauber“ herauskommen sollen. Die Unruhestifter und die Menge sollen entweder den römischen Prokonsul ansprechen, der damals in den Städten seiner Provinz regelmäßige Gerichtstage für Straf- und Kapitalprozesse abhielt, oder die gesetzmäßige Versammlung der Bürger von Ephesus, die für religiöse Fragen zuständig war.326 Dass die Versammlung im Theater ungesetzlich ist und somit kein Recht besitzt, Urteile zu fällen, ergibt sich aus V 40. Deshalb warnt der Stadtschreiber, ein derartiger ungesetzlicher Aufruhr bringe die Teilnehmer in Gefahr, selber verklagt zu werden. Darüber hinaus wird ein derartiger Tumult der Stadt Ephesus selbst als Tempelhüterin 321 322 323 324 325 326
Vgl. Joseph., c. Ap. I,249 (ed. F. Siegert 157); I,310 (ed. F. Siegert 162); I,318 (ed. F. Siegert 163); Röm 2,22. Vgl. Joseph., ant. Iud. IV,207 (ed. H. St. J. Thackeray u. R. Marcus 100). Vgl. J. Jervell, Apg 493. Vgl. J. Molthagen, Christen 39. Vgl. D. Schinkel, Und sie wußten nicht 112. Vgl. H.-J. Klauck, Magie 125.
D. Apologetische Intention des Lukas
224
der großen Göttin schaden. 327 Solche Vorkommnisse könnten bei den Behörden als staatsgefährdende Unruhe verstanden werden, auf die sie sofort reagieren müssten.328 Wenn aber die Römer durch die Vermittlung ihrer Prokonsuln reagierten, dann nahmen sie keine Rücksicht; 329 die Reaktion war „in der Regel heftig und kannte kein Pardon“330. Des Weiteren wird vom Stadtschreiber ausdrücklich bestätigt (V 40c/d), es gebe keinen Grund, mit dem man diesen Aufruhr vor dem Prokonsul oder vor der gesetzlichen Versammlung rechtfertigen könnte. Der Verfasser formuliert diesen abschließenden Vers, um ganz klar zu machen, dass ein Vorsprechen bei höheren Instanzen sinnlos wäre, da die missionarische Tätigkeit des Paulus gegen kein Gesetz verstößt. Davon ausgehend kann man schließen: Überall dort, wo im römischen Imperium das Recht regiert, „haben die Christen nichts zu fürchten“331. „[…] das Christentum erweist sich hier als Sieger“ 332, weil der Stadtschreiber die Versammlung auflöst. Die nicht direkt erwähnte, aber vom Text vorausgesetzte Freilassung von Aristarch und Gaius bestätigt, dass das Christentum trotz aller Beschuldigung wieder einen Triumph auf seinem Weg erlebt hat333, denn eine gefährliche Situation ist wieder zugunsten der Christen ausgegangen. Betrachet man das Gesamtbild der Szene, so zeigt sich die klare Aussage von Lukas, dass zwischen den Christen und dem Staat keine Spannung besteht und die Missionare zusammen mit Paulus nicht als staatsgefährdend betrachtet werden.
V.
Die Szene vor dem Statthalter Festus
1.
Arbeitsübersetzung Apg 25,1–12 Einleitung der Erzählung
1
327 328
329 330 331 332 333
a b
Als Festus in der Provinz angekommen war, ging er nach drei Tagen von Cäsarea nach Jerusalem hinauf.
Vgl. W. Eckey, Apg II 456. Hier könnte man vermuten, der Prokonsul hätte von diesem Tumult nichts erfahren. Dagegen äußert sich Dion Chrys., Or. 46,14 (ed. G. Budé 104; übers. W. Elliger 606) wie folgt: „Denn nichts, was in den Städten vorgeht, bleibt den Prokonsuln […] verborgen. Wie die Angehörigen Kinder, die zu Hause allzu ungezogen sind, den Lehrern melden, so werden auch die Fehler der Gemeinden diesen Prokonsuln hinterbracht.“ Zur Lage in der Provinz Asia vgl. B.II.3. W. Eckey, Apg II 456. R. Pesch, Apg II 182. J. Jervell, Apg 494. Vgl. G. Schneider, Apg II 278; W. Elliger, Ephesos 140; E. Plümacher, Lukas 99.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
225
Die Szene in Jerusalem 2
a
Und die Hohenpriester und die Vornehmsten der Juden erstatteten bei ihm Anzeige gegen Paulus.
3
a b c d
Sie drangen auf ihn ein (gegen Paulus) und baten ihn um einen Gunsterweis, dass er ihn nach Jerusalem kommen lasse. Sie planten nämlich einen Anschlag, ihn unterwegs zu töten.
4
a b c
Festus nun antwortete, Paulus bleibe in Cäsarea in Haft und er selbst werde in Kürze abreisen.
5
a b c d e
Die unter euch, die dafür zuständig sind, sagte er, sollen mit herabkommen, und wenn an dem Mann etwas Unrechtes ist, sollen sie ihn anklagen. Die Szene in Cäsarea
6
a b c d
Er verweilte nicht länger als acht oder zehn Tage bei ihnen, dann reiste er nach Cäsarea hinab. Am folgenden Tag setzte er sich auf den Richterstuhl und befahl, Paulus vorzuführen.
7
a b c d e
Als dieser erschien, umringten ihn die Juden, die von Jerusalem herabgekommen waren, und brachten viele schwere Beschuldigungen vor, die sie aber nicht beweisen konnten.
8
a b c d
Paulus verteidigte sich: Ich habe weder gegen das Gesetz der Juden noch gegen den Tempel noch gegen den Kaiser etwas verbrochen.
9
a b c d
Festus aber, der den Juden eine Gunst erweisen wollte, antwortete dem Paulus und sprach: Willst du nach Jerusalem hinaufgehen und dich dort vor mir dieser Dinge wegen richten lassen?
10
a b c
Paulus sagte: Ich stehe vor dem Richterstuhl des Kaisers und da muss ich gerichtet werden.
D. Apologetische Intention des Lukas
226
d e
Den Juden habe ich kein Unrecht getan, wie auch du sehr gut weißt.
11
a b c d e f g
Wenn ich also ein Unrecht begangen und etwas Todeswürdiges getan habe, weigere ich mich nicht zu sterben. Wenn aber nichts an dem ist, dessen diese mich anklagen, kann niemand mich ihnen preisgeben. Ich appelliere an den Kaiser!
12
a b c
Da besprach sich Festus mit seinem Rat und antwortete: An den Kaiser hast du appelliert, zum Kaiser wirst du gehen.
2.
Formale Analyse
2.1
Sprachlich-syntaktische Analyse: Tempora, Syntax, Wortarten
Die gesamte Erzählung ist größtenteils mit direkten Reden gestaltet (VV 4f., V 8, V 9, VV 10f., V 12). Sie ist vom Aorist als Erzähltempus geprägt, daneben gibt es aber auch präsentische Konstruktionen (V 4, V 5, V 8, V 11), die sich mit aoristischen abwechseln. Es lässt sich beobachten, dass das Imperfekt als Tempus nur zweimal verwendet wird: in V 2 pareka,loun und in V 7 i;scuon. Zu erkennen ist aber auch das Perfekt: in V 10 e`stw,j; V 11 pe,praca; V 12 evpike,klhsai. Nur einmal, in V 12, wird in der Erzählung mit dem Wort poreu,sh| das Futur verwendet, als Festus sagt, dass Paulus zum Kaiser reisen wird. Darüber hinaus sieht man nur eine einmalige Imperativkonstruktion in V 5 (kathgorei,twsan) in der Präsensform. Die Betrachtung der Syntax lässt erkennen, dass der Verfasser seine Szenen in Hauptsätzen darstellt mit zahlreichen Partizipialkonstruktionen, sowohl im Aorist in V 1: evpiba,j, V 6: diatri,yaj, kataba,j, kaqi,saj, V 9: avnaba,j, V 12: sullalh,saj (es sind Partizipien, die für Lukas in der Erzählung abgeschlossene Handlungen darstellen) als auch im Präsens in V 3: aivtou,menoi, poiou/ntej, in V 7: katafe,rontej, in V 8: avpologoume,nou. Dies sind Partizipien, die zum Ausdruck bringen wollen, dass der Prozess des Paulus noch nicht zu Ende ist, das heißt, er ist noch gegenwärtig und dauert an. Am besten ist dies zu erkennen an den Begriffen katafe,rontej und avpologoume,nou. Auch wenn Festus nicht zulässt, dass Paulus nach Jerusalem geht, bringen die Juden viele und schwere Beschuldigungen vor, die sie gemäß der Erzählung nicht beweisen können. Für die Juden ist Paulus sowieso schuldig und soll sterben. Ebenso wie mit avpologe,omai setzt sich die Verteidigung des Paulus
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
227
in Apg 26,1 fort. Auffällig ist das im Perfekt gesetzte Verb evpike,klhsai (V 12), das offensichtlich die Erzählung 25,1–12 abschließen will. Der Prozess des Paulus begann noch bei Felix, wurde dann durch Festus fortgesetzt und geht jetzt zu Ende. Nebensätze findet man in V 3 (die Konjunktion o[pwj kommt bei Lukas 22-mal334 vor, und zwar Lk 2,35; 7,3; 10,2; 11,37; 16,26.28; 24,20; Apg 3,20; 8,15.24; 9,2.12.17.24; 15,17; 18,27; 20,16; 23,15.20.23; 25,3.26) oder eiv in V 5 und in V 11. Bemerkenswert ist die Verwendung des Infinitivs avnelei/n (töten) in V 3, worauf später bei der Behandlung der lk Merkmale näher eingegangen wird. Es gibt im Text keine Parataxen, allerdings tauchen Hypotaxen auf. Auffällig ist das Zitat in V 8, eingeleitet durch o[ti (vgl. Apg 18,13; 23,20; 26,31). Die Erzählung enthält auch einige Adjektive wie z. B. a;topoj in V 5 (vgl. Lk 23,41; Apg 28,6), polu,j in V 6 und in V 7 (in Bezug auf Jesus vgl. Lk 22,65), baru,j in V 7, a;xioj in V 11 (derartige Verwendung in Lk 23,15; Apg 23,29; 25,25; 26,31) sowie Adverbien, wie evkei/ in V 9 (im Zitat, eingeleitet durch o[ti vgl. Apg 19,21), ka,llion in V 10. 2.2
Semantische Analyse
2.2.1 Begriffserklärungen :Axioj hängt etymologisch mit „wiegen“, „Waage“ zusammen und hat im engeren Sinn die Bedeutung „gleichwertig“, „würdig“, „angemessen“.335 Im NT kommt a;xioj sehr oft vor, fast immer in Verbindung mit einem Genitivobjekt (Mt 10,37f.) oder mit einem Infinitiv (Lk 15,19.21). Allgemein hat dieser Begriff sehr breite Bedeutung. In Röm 8,18 werden die Leiden der gegenwärtigen Zeit der Herrlichkeit gegenübergestellt. Mit diesem Adjektiv wird auch positiv die Belohnung der Arbeiter (Mt 10,10; Lk 10,7) beschrieben. Aber in Lk 23,15 und Apg 23,29; 25,25; 26,31 erkennt man eine negative Verwendung, die im Zusammenhang mit dem Tod eines Angeklagten (Jesus und Paulus) liegt. In Apg 25,11 wie auch in oberen Belegen kommt a;xioj in Verbindung mit qa,natoj vor. VAdike,w findet sich fast in allen neutestamentlichen Schriften außer Mk, Eph, Phil, 1 Thess, 1 Tim, Tit, 2 Joh, 3 Joh.336 Der Hauptakzent der Verwendung dieses Wortes liegt jedoch im lk Doppelwerk bzw. bei Paulus. VAdike,w bedeutet „Unrecht tun“, wie eben in Apg 25,10.11. In der Regel ist mit dem Unrecht auch ein Schaden für die Betroffenen verbunden, deshalb kann avdike,w speziell im Rechts- und Geschäftsleben die Bedeutung „schädigen“ annehmen. Bei Lukas begegnet uns dieser Begriff 19-mal in verschiedenen 334 335 336
Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 757. Vgl. hier und im Folgenden P. Trummer, Art. a;xioj 271f. Vgl. hier und im Folgenden M. Limbeck, Art. avdike,w 74f.
228
D. Apologetische Intention des Lukas
Formen.337 Ihm ist es wichtig zu zeigen, dass diejenigen, denen Unrecht getan wurde, an der Tischgemeinschaft mit dem Herrn teilnehmen werden (Lk 13,27). Das entscheidende Gericht findet nach der Auferstehung statt, sowohl für Gerechte als auch für Ungerechte (Apg 24,15.25). Für Lukas bedeutet das beschriebene Vorgehen ein Vergehen gegen bestehendes Recht, nicht aber einen Streit um die „rechte Lehre“ (Apg 18,12–16; 24,20f.; 25,10f.). Die oben genannten Begriffe a;xioj qa,natoj und avdike,w stehen in der Erzählung in einem Zusammenhang, denn Paulus setzt „Unrecht“ und „Todeswürdiges“ auf die gleiche Ebene. Kathgore,w kommt im NT 22-mal vor und bedeutet „anklagen“, „verklagen“.338 Nur einmal in Röm 2,15 hat dieser Begriff eine übertragene Bedeutung, ansonsten wird er immer in rechtlicher Bedeutung gebraucht. Bei den Synoptikern bezieht sich kathgore,w immer auf Jesus, indem seine Gegner ihn anklagen (Mk 3,2; Mt 12,10; Lk 6,7). Im Prozess Jesu kommt dieses Wort bei Lukas dreimal vor: Lk 23,2 „die Anklage erheben“ und Lk 23,10.14. Aber in Offb 12,10 bezeichnet das Nomen o` kath,gwr den Satan. Die Belege in der Apg sind eng mit dem Prozess des Paulus verbunden, wie z. B. „Anklage erheben“ in Apg 22,30; 24,2.19; 25,5.11 oder „der Angeklagte“ in Apg 25,16 und „beschuldigen“ in Apg 24,8.13. Der Begriff ca,rij hat verschiedene Bedeutungen.339 Die profane ist „Gunst“, „Gefallen“, wie eben in der Erzählung der Apg 25,3.9. Ebenso profan ist die Verwendung in Apg 2,47. Darüber hinaus wird dieses Wort auch religiös gebraucht, mit der Bedeutung „Gnade“: „Gnade finden“ in Lk 1,30; Apg 7,46; 4,33, „Gnade geben“ in Apg 7,10. Das Wort wird auch in Verbindung mit geisterfüllten Männern gebraucht, wie z. B. bei Stephanus in Apg 6,8. Barnabas erkannte z. B. die Gnade Gottes in der Entstehung der christlichen Gemeinde in Antiochien (Apg 11,23). In 1 Kor 16,3 und 2 Kor 8,1–3 bezeichnet ca,rij die Kollekte als Dankesgabe. Das von ca,rij abgeleitete Verb cari,zomai ist in Apg 25,11.16 als Gunst erweisen zu verstehen; in diesem Sinne spricht auch Petrus in Bezug auf Barabbas in Apg 3,14 (kai.. hv|th,sasqe a;ndra fone,a carisqh/nai u`mi/n). 2.2.2 Personen Festus war ein römischer Statthalter in der Provinz Judäa und der Nachfolger des Felix.340 Es ist schwierig festzustellen, wann genau sein Amtsantritt stattfand und wie lange er dieses Amt innehatte, bis es durch seinen Tod beendet
337 338 339 340
Vgl. ebd. 78. Vgl. hier und im Folgenden G. Schneider, Art. kathgore,w 672. Vgl. hier und im Folgenden H. Conzelmann, Art. ca,rij 382–384. Vgl. V. Hasler, Art. Fh/stoj 1007.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
229
wurde.341 Der Name „Festus“ ist lateinischer Herkunft und bedeutet etymologisch „festlich“, „feierlich“.342 Unter seinem Befehl wurde Paulus an das kaiserliche Gericht nach Rom überstellt. Festus hatte noch den Beinamen Po,rkioj, was in der Apg 24,27 erwähnt ist. Darüber hinaus findet sich diese Erwähnung des Festus innerhalb der Apg 25,1–24; 26,24f.32. Oi` prw/toi ist eine Gruppe von Juden, die zusammen mit den Hohenpriestern die Anklage gegen Paulus erhebt. 343 In Apg 25,2 tritt sie als oi` prw/toi tw/n VIoudai,wn auf, ähnlich wie in Apg 28,17. Es gibt auch einige Übereinstimmungen, wie z. B. in Lk 19,47: Oi` prw/toi tou/ laou/; in Mk 6,21: Oi` prw/toi th/j Galilai,aj; in der Apg 13,50: Oi` prw/toi th/j po,lewj und in 28,7: ~O prw/toj th/j nh,sou. Es handelte sich stets um die Angesehensten, die Vornehmsten der Juden. Oi` dunatoi, waren Männer, die zusammen mit Festus nach Cäsarea kommen sollten, um Paulus zu verurteilen.344 Sie gehörten wohl zu der Oberschicht des jüdischen Volkes. Die Nennung oi` dunatoi, hat den gleichen Stamm wie das Adjektiv dunato,j und ist in speziellem Sinn ein politischer Terminus technicus für diejenigen, die Vollmacht haben bzw. Macht ausüben können. Davon ausgehend versteht sich diese Gruppe der Ankläger des Paulus als „stark“ und „fähig“. Oi` avrcierei/j sind die Hohenpriester, die im NT fast immer im Zusammenhang mit dem öffentlichen Wirken Jesu, mit dem Gerichtsprozess gegen ihn oder mit der Verfolgung der Missionare auftreten.345 Diese Bezeichnung kommt sowohl im Singular (38-mal) als auch, wie eben in Apg 25,2, im Plural (62-mal) vor. In der Regel bezeichnet die pluralische Form eine Führungsgruppe, die aus den Jerusalemer Oberpriestern, ihren Anhängern und den vornehmsten Mitgliedern des Priestergeschlechtes besteht. Sie fungiert neben den Schriftgelehrten, Ältesten und Archonten des Synedriums (Mt 26,59; Mk 14,53.55; Apg 22,30) „als geistliches Gerichts- und Polizeiorgan sowie administratives Konsistorium am Tempel“346. An ihrer Spitze ist immer ein regierender Oberpriester in Jerusalem. Darüber hinaus kann sich diese Gruppe, z. B. Mt 26,14; Mk 14,10; Joh 12,10; Apg 9,14.21; 26,10.12, zusammen mit den Schriftgelehrten (Lk 23,10; Mk 11,18) oder Pharisäern (Mt 21,45; Joh 7,32) als das „Synedrium“ verstehen. Für die Erzählung spielen oi` avrcierei/j deshalb eine Rolle, weil sie zusammen mit den Vornehmsten der Juden die Anklage gegen Paulus erheben und dadurch die weitere Ent341 342 343 344 345 346
Zum Statthalterwechsel von Felix zu Festus siehe D.V.4.1. Vgl. L. Simon, Art. Festus 75. Vgl. hier und im Folgenden W. Bauer, Art. prw/toj 1452–1454. Vgl. hier und im Folgenden J. Zmijewski, Art. dunato,j 868. Vgl. hier und im Folgenden U. Kellermann, Art. avrciereu,j 395. Ebd.
230
D. Apologetische Intention des Lukas
wicklung des Geschehens verursacht wird. Die beiden Gruppierungen sind offensichtlich der Motor zukünftiger Ereignisse des Prozesses gegen Paulus. 2.2.3 Ort und Zeit Die Perikope charakterisiert ein Orts- und Zeitwechseln und spielt sich dadurch in einem raschen Tempo ab. Bereits in V 1 wird berichtet, dass Festus, nachdem er in der Provinz angekommen war, nach drei Tagen von Cäsarea nach Jerusalem hinaufging. In VV 2–5 werden Ereignisse in Jerusalem beschrieben. Dann folgt in V 6b der Ortswechsel, worauf sich das weitere Geschehen in Cäsarea abspielt (VV 6–12). Der Verfasser gibt in V 6a als Zeitangabe über den Aufenthalt des Statthalters in Jerusalem „acht oder zehn Tage“ an. Der weitere Gerichtsprozess entwickelt sich in Cäsarea, weil Festus es eilig hat. Er will die Sache des Paulus schnell klären, deshalb setzt er sich schon am nächsten Tag auf den Richterstuhl (V 6c), um über Paulus zu urteilen. Die weiteren Verhandlungen spielen sich dem Bericht zufolge vor dem Richterstuhl ab. 2.3
Gliederung des Textes
Die Szene ist ein in sich ziemlich geschlossenes Erzählstück und auf Steigerung angelegt. V 1 präsentiert eine einleitende Situationsangabe. In VV 2–5 wird von dem unverzüglichen Antrittsbesuch des Festus in Jerusalem berichtet. Bei dieser Gelegenheit erneuern die Vertreter der Juden die Anklage gegen Paulus und wollen, dass der Statthalter ihnen den Gunsterweis erbringt, Paulus nach Jerusalem kommen zu lassen (V 3c). Ihr Plan, Paulus unterwegs zu töten (V 3d), scheitert, weil Festus diese Bitte ablehnt (V 4b); dafür bietet er ihnen an, nach Cäsarea hinabzukommen (V 5c). VV 6–12 stellen den zweiten Hauptteil der Erzählung dar „mit dem wirkungsvoll gestalteten Höhepunkt der Berufung an den Kaiser“347. Nachdem er zurückgekehrt war (V 6b), eröffnet Festus eine neue Verhandlung und lässt Paulus herbeiführen (V 6c/d). V 7d stellt „die summarische Wiedergabe jüdischer Anklagen“348 dar. V 7e zeigt dann, dass diese Anschuldigungen kraftlos und unbeweisbar sind. Paulus verteidigt sich in einer direkten Rede (V 8). Statt des Urteils erfolgt ein Dialog zwischen Festus und dem Gefangenen, indem der Statthalter eine Verlagerung des Prozesses nach Jerusalem vorschlägt (V 9c/d). Paulus aber lehnt es ab (V 10) und stellt fest, dass er den Juden kein Unrecht getan hat und dass er, hätte er Unrecht getan, eine Verurteilung akzeptieren würde. Der Höhepunkt dieser Rede ist dann die Berufung an den
347 348
A. Weiser, Apg II 636. Ebd. 637.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
231
Kaiser (V 11g). In V 12 stimmt Festus zusammen mit den Ratgebern dem Wunsch des Paulus zu. 3.
Literarkritik
Der Abschnitt Apg 25,1–12 ruft frühere Ereignisse in Erinnerung, die unmittelbar mit dem gesamten Prozess des Paulus verknüpft sind. Die von den Juden geplante Tötung des Paulus wird in Apg 23 ausführlich beschrieben mit dem Ergebnis, dass der Gefangene nach Cäsarea überstellt wird. Die Verhandlung vor Festus hat eine enge und ausführliche Parallele in Apg 24, wo die Anklagen gegen Paulus in breiten Reden dargestellt werden, hier hingegen ist die Anklage nur mit wenigen Worten beschrieben. Es stellt sich die Frage, in welchem Bezug bzw. in welchem Verhältnis diese Erzählung zu vorhergehenden Szenen steht. Hat der Verfasser die Szene vor Festus als eine Dublette zu den früheren Berichten gesetzt, oder verwendet er irgendein Überlieferungsgut? Die Mehrheit der Forscher ist sich einig, dass der Bericht über die Berufung an den Kaiser in Apg 25,11–12 historisch zuverlässig ist. Lukas hat dies von der Tradition übernommen und in seine Erzählung eingebaut. Dass der Verfasser diese Szene selbst konstruiert hat, ist unwahrscheinlich.349 Im römischen Recht war eine derartige Berufung möglich;350 Weiser führt einige Meinungen von Exegeten an und widerlegt diese, indem er am historischen Kern dieser Szene festhält. 351 So zitiert er Schille352, der meint, die Berufung des Paulus an den Kaiser sei vielleicht doch Lukas zuzuschreiben. Darüber hinaus ist Weiser auch mit der Ansicht von Schmithals nicht einverstanden, der die Ansicht vertritt, es gebe keine Festnahme des Paulus in Palästina, sondern erst in Rom und die Berufung an den Kaiser habe keine historische Grundlage.353 3.1
Spannungen und Widersprüche
Die Erzählung hat in sich auch Spannungen und Widersprüche, die sich zwischen VV 9–11 und dem Kontext erkennen lassen. 354 Beispielsweise lehnt Festus in den VV 3f. eine Überstellung des Paulus nach Jerusalem ab, dagegen macht er Paulus den Vorschlag in V 9, den Prozess nach Jerusalem zu 349
350 351 352 353 354
Vgl. A. Weiser, Apg II 637; G. Bornkamm, Paulus 116f.; V. Stolle, Zeuge 264– 267; J. Roloff, Apg 341–344; G. Schneider, Apg II 356; dies wird von E. Haenchen, Apg 597 bezweifelt. Siehe D.V.4.4. Vgl. A. Weiser, Apg II 637f. Vgl. G. Schille, Apg 442f. Vgl. W. Schmithals, Apg 219f. Vgl. J. Roloff, Apg 342; J. Zmijewski, Apg 827f.
232
D. Apologetische Intention des Lukas
verlegen. Möglicherweise sah Festus den angeklagten Paulus doch nicht schuldlos, oder er war einfach ein Karrierist, der seine Entscheidung gegen die eigene Überzeugung trifft. Lukas überbrückt diese problematischen Stellen elegant, indem er Festus diese Entscheidung, die für Paulus ungünstig war, in eine Frage (V 9c/d) kleiden lässt. Diese Frage ist im Grunde ein Gunsterweis gegenüber den Juden. Vom Verhandlungsprozess her müsste das Urteil von Festus gesprochen werden. Mit dem Ausdruck kriqh/nai evpV evmou/ stellt sich die Frage, wozu dieses Verfahren in Jerusalem gegen Paulus dienen soll. In V 11 beruft sich Paulus auf den Kaiser bzw. will vor dem Kaiser gerichtet werden, obwohl Paulus selber in V 10b sagt, dass er schon vor dem Richterstuhl des Kaisers steht. 3.2
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil
Zum besseren Verständnis der Szene in Apg 25,1–12 soll diese Passage in Bezug auf das Vorkommen typisch lk Merkmale betrachtet werden. In V 1 berichtet Lukas in einer kurzen Notiz über die Ankunft des neuen Statthalters Festus in Cäsarea und seine Reise nach drei Tagen nach Jerusalem. Die Zeitangabe (meta. trei/j h`me,raj) in V 1 geht vermutlich auf Lukas zurück. Diese Zeitangaben sowohl in V 1 als auch in Apg 24,1 (nach acht Tagen) und Apg 24,24 (nach einigen Tagen) geben der Erzählung mehr Lebendigkeit und Spannung. Mit der Angabe „drei Tage“ will Lukas eventuell den „frühest möglichen Termin“355 ankündigen, an dem Festus das Zentrum der Juden besucht. Was die weiteren sprachlichen Formulierungen in V 1 angeht, lässt sich Folgendes vermuten: Da das Verb evpibai,nw mehrfach innerhalb der Apg erscheint (wie z. B. 20,18; 21,2.4; 25,1; 27,2)356, dürfte es zum Verfasser gehören. In Bezug auf das Verb avnabai,nw ist in der Exegese umstritten, ob es von Lukas stammt. Einerseits gibt es die Meinung, dass die Verwendung des Wortes „unmittelbar mit der Konzentration des Doppelwerks auf Jerusalem in Beziehung steht“357, andererseits wird von Radl358 das Wort avnabai,nw der lukanischen Redaktion zugewiesen. Auffällig ist die Bezeichnung der Provinz Judäa mit nur einem Wort: evparcei,a|, das nur in V 1 und Apg 23,34 vorkommt und eventuell von Lukas aus der Tradition übernommen wurde. Er verwendet diese Bezeichnung nämlich nirgendwo sonst. Die Szene in Jerusalem vor Festus in VV 2–5 erweckt den Eindruck, dass die Juden nur darauf warten, um die Sache mit Paulus zu erledigen. Wenn man VV 2f. mit Apg 24,1f. vergleicht, erkennt man gewisse Steigerungen in 355 356 357 358
E. Haenchen, Apg 592. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 400. H. Omerzu, Prozeß 467f. Vgl. W. Radl, Paulus 398f.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
233
der Erzählung. Während in Cäsarea nur ein Hoherpriester und ein Vornehmer (Anwalt) die Anklage gegen Paulus vor Felix erheben, treten in Jerusalem bereits mehrere der Hohenpriester359 und der Vornehmsten gegen Paulus auf. Es liegt in der Natur der Sache, dass Paulus in Jerusalem mehr Gegner hat als unter der gemischten Bevölkerung von Cäsarea, aber man darf die lk Vorliebe zu Steigerungen in seinen Gestaltungen nicht vergessen (vgl. z. B. Apg 19,26b.27d). Während in Cäsarea der Prozess ganz offiziell abläuft, aber zu keinem Urteil führt, versuchen in Jerusalem die Ankläger auf hinterhältige Art und Weise Paulus nach Jerusalem bringen zu lassen. Ein Gunsterweis bezeugt kein römisches gesetzliches Verfahren, sondern gilt als menschliches Entgegenkommen den Juden gegenüber. Die Ausdrucksweise oi` prw/toi tw/n VIoudai,wn kann auch aus der Feder des Lukas stammen, denn mit prw/toi meint der Verfasser die Vornehmsten der Juden, die am Prozess des Paulus beteiligt sind. Obwohl die Hohenpriester und die presbu,teroi im lk Doppelwerk fast immer zusammen auftreten, variiert Lukas in V 2 seine Sprache und fügt die prw/toi zu den Gegnern des Paulus. Für ihn gehören sie zu dem Hohen Rat.360 Die Verwendung von prw/toi kommt noch in Apg 13,50 vor, wo Lukas damit die Ersten der Stadt Antiochia bezeichnet. Diese treten aufgrund der Aufhetzung durch die Juden ebenfalls gegen Paulus und seinen Mitarbeiter Barnabas auf. Mit dem gleichen Wort bezeichnet Lukas in Apg 28,17 die Führenden der römischen Judenschaft. V 3 erinnert an Apg 23, wo auch gezeigt wird, dass die Juden Paulus umbringen wollen (VV 15.21.27). Lukas stellt also in V 3d kein unbekanntes Motiv dar, sondern das schon seit langem geplante Vorhaben der Juden, Paulus zu töten. Die lk Gestaltung kann man auch am Partizip aivtou,menoi erkennen. Dieses kommt innerhalb des NT z. B. in Apg 25,3.15; Lk 23,23 vor und zeigt eine Bitte der Juden um eine Gunst an. Hier sieht man wieder die lk Vorliebe für Partizipkonstruktionen, was die formale Analyse aufgezeigt hat. Für Lukas ist offenbar auch das Wort ca,rij von Bedeutung, denn er verwendet es im Prozess des Paulus schon in Apg 24,27, ebenso wie in Apg 25,3.9. Von der semantischen Analyse ausgehend ist zu erkennen, dass ca,rij als Wort nicht nur im Verhör des angeklagten Paulus begegnet, sondern an mehreren Stellen in verschiedenen Bedeutungen, sowohl in der Apg als auch im Lk. 361 Auch die Konjunktion o[pwj ist offensichtlich lukanisch, denn sie kommt insgesamt 22-mal (die genauen Stellen sind in der formalen Analyse angeführt) im lukanischen Doppelwerk vor. Ebenso weisen die Verben metape,mpomai und avnaire,w durch 359 360 361
Vgl. Apg 22,30; 23,14; 25,15 oder Lk 22,66; 23,4.10.13. Hier wird die Pluralform verwendet. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 469. Wie häufig das Wort auftaucht, vgl. I. Howard Marshall, Concordance 1089– 1091.
234
D. Apologetische Intention des Lukas
ihre Häufigkeit auf Lukas hin.362 Der Ausdruck kata. th.n o`do,n (V 3d) dürfte auch zu Lukas gehören. Obwohl er mit dem Nomen o`do,j die christliche Lehre meint, kann er seine Bedeutung auch variieren, wie bereits im vorherigen Kapitel in Bezug auf den Ausdruck evkklhsi,a gezeigt wurde. Wenn man den Ausdruck evn ta,cei (in Kürze) in V 4c im lk Doppelwerk sucht, so findet man ihn an vier Stellen von insgesamt acht im NT.363 Somit ist anzunehmen, dass er zu den lk typischen Merkmalen gehört. Der Gebrauch des Wortes avnh,r in V 5d ohne genaue Namensbezeichnung reflektiert den gerichtlichen Charakter dieser Szene. Ähnliche Distanz zum Angeklagten erkennt man auch bei Lk 23,4.6, wo Jesus ebenso, ohne namentlich benannt zu sein, als a;nqrwpoj bezeichnet wird. Das Adjektiv a;topoj kommt hier (V 5d) in gleichem Zusammenhang wie in der Passion Jesu in Lk 23,41 vor. Aus diesen beiden rein sprachlichen Beispielen lässt sich vermuten, dass Lukas eine Parallelität zwischen Jesus und Paulus darstellen will, worauf unten kurz eingegangen wird. Bezüglich der Szene in Cäsarea (VV 6–12) lässt sich Folgendes sagen: In V 6 erkennt man eine gewisse Nähe zu dem Ausdruck diatri,bontej h`me,raj tina,j in Apg 16,12. Lukas verwendet hier das Partizip diatri,bontej, wonach die Angabe einer ungenauen Zeitdauer, „einige Tage“, folgt. Auch in Apg 25,6 benutzt Lukas ein Partizip (diatri,yaj) zusammen mit einer nur ungefähren Zeitangabe („acht oder zehn Tage“). Vermutlich gehört dies zum lukanischen Stil. Die Verwendung des Begriffs bh/ma in V 6c geht auf Lukas zurück.364 Was die Partizipien kataba,j und kaqi,saj in V 6 angeht, so dürften sie vom Verfasser stammen. Dieser Ansicht ist z. B. Omerzu365, die diese Szene in Apg 25,1–12 genau untersuchte. Omerzu verweist auch auf Radl, der der Meinung ist, Lukas liebe nicht nur die Häufung von Partizipformen, sondern reihe diese auch gern asyndetisch aneinander.366 Des Weiteren ist die Verbindung von keleu,w mit dem Infinitiv von a;gw typisch lukanisch.367 Dies erkennt man an den Stellen Lk 18,40; Apg 21,34; 23,10; 25,6.17. Darüber hinaus findet sich aivti,wma nur einmal im NT, aber für Lukas ist es offensichtlich ein Synonym zu aivti,a im Sinne von „Klage“, „Beschuldigung“. Auch die Adjektive polla. kai. bare,a erinnern an Lk 23,10, worauf noch eingegangen wird. Die Verwendung von ouvk i;scuon368 und katafe,rw369 ist ebenfalls luka-
362 363 364 365 366 367 368 369
Vgl. ebd. 668; 58. Vgl. ebd. 1018. Zum Bema siehe D.III.2.2.1; D.III.4.4. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 464–496, hier 475. Vgl. W. Radl, Paulus 434. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 475. Vgl. W. Radl, Paulus 413f. Vgl. G. Lüdemann, Christentum 261.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
235
nisch370. In V 8 wird die Verteidigungsrede des Apostels geschildert (tou/ Pau,lou avpologoume,nou o[ti ou;te eivj to.n no,mon tw/n VIoudai,wn ou;te eivj to. i`ero.n ou;te eivj Kai,sara, ti h[marton). Diese Rede wird durch avpologe,omai eingeleitet. Dieses Wort steht im Genitivus absolutus.371 Nach Omerzu372 weise der zweimal verwendete Genitivus absolutus mehr auf den lk Stil hin als auf den traditionsgeschichtlichen Aspekt. Auch die Reihung der drei Subjekte der Verteidigung durch ou;te könnte, so Omerzu weiter, auf den Verfasser zurückgehen. Darüber hinaus begegnet das Verb a``marta,nw auch in Lk 15,18.21; 17,4 mit eivj und personalem bzw. sachlichem Akkusativobjekt. Möglicherweise verwendet Lukas die unterschiedlich gelagerten Vorwürfe ganz bewusst, weil er damit zeigen will, dass h[marton bei jedem Vorwurf (Gesetz, Tempel, Kaiser) eine etwas andere Bedeutung hat. Aufgrund der Ähnlichkeit zu Apg 24,27 (qe,lwn te ca,rita kataqe,sqai toi/j VIoudai,oij) lässt sich annehmen, dass V 9 ebenfalls lukanisch ist, weil der Ausdruck sprachlich ähnlich formuliert ist (qe,lwn toi/j VIoudai,oij ca,rin kataqe,sqai). Dass V 9 seine Existenz dem Lukas verdankt, darauf weist auch noch der Septuagintismus avpokriqei.j ei=pen hin, der der lk Redaktion zugeschrieben wird. 373 In Apg 25,18–20 ist eine Aussage von Festus zu finden, die zu verstehen gibt, dass der Statthalter sich für jüdische Auseinandersetzungen nicht zuständig fühlte. Dies fällt in die Verantwortung des Agrippa. Festus ist eher für die Rechtsprechung bei politischer Unruhestiftung verantwortlich als für innerjüdische Konflikte. Trotzdem bezeichnet er sich in V 9 durch den Ausdruck kriqh/nai evpV evmou/ als derjenige, der das Urteil fällen will. Darüber hinaus bleibt das Verständnis dieses Ausdrucks auf ein jüdisches Verfahren hin offen. Die Doppeldeutigkeit von kriqh/nai evpV evmou/ (ist zu verstehen: entweder direkt von mir oder in meiner Anwesenheit) weist auf lk Spuren hin, wie es auch in Apg 18,12–17 mit der doppelten Bedeutung von no,moj aufgezeigt wurde.374 Somit kann man annehmen, dass auch dieser Ausdruck auf Lukas zurückgeht. In der Betrachtung des folgenden Verses lassen sich einige lukanische Sprachmerkmale finden. Ein weiteres lukanisches Charakteristikum ist die unpersönliche Form dei/375, die insgesamt 27-mal im lk Doppelwerk vorkommt. Dieser Ausdruck taucht bei den anderen Synoptikern erheblich selte370
371 372 373 374
375
Das Wort katafe,rw kommt in Apg 20,9 vor und bedeutet „in einen Zustand geraten“, in Apg 26,10 bezeichnet es die Stimmabgabe des Christenverfolgers Paulus, so meint H. Omerzu, Prozeß 476, Anm. 286. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 477. Vgl. hier und im Folgenden ebd. Vgl. W. Radl, Paulus 400f. Der lk Begriff deisidai,mwn in Apg 17,22 und Apg 25,19 kann zweideutig verstanden werden; vgl. dazu D.VI.4. Auch die Verwendung von e`no,j in Apg 17,26a ist ebenso zu verstehen; vgl. dazu D.VI.5.7. Vgl. H. Schürmann, Paschamahlbericht 79f.
236
D. Apologetische Intention des Lukas
ner auf.376 Auch das Verb avdike,w und das von ihm abgeleitete Nomen377 dürften der lk Gestaltung entstammen. Das Verbum avdike,w wird insbesondere mit doppeltem Akkusativ378 verwendet. Der Ausdruck a;xion qana,tou in V 11b weist ebenfalls auf den Verfasser hin, besonders in der Verbindung mit pra,ssw, wie man es auch in Lk 23,15; Apg 25,25; 26,31 findet. Auch der Infinitiv avpoqanei/n379 dürfte auf Lukas zurückgehen, da er 16-mal im NT vorkommt, davon sechsmal im lk Doppelwerk. Bei Betrachtung von V 12 lässt sich sagen, dass poreu,omai zusammen mit evpi, auf den lukanischen Stil380 hindeutet und auch möglicherweise sullale,w, weil dieses Verb abgesehen von den Verklärungserzählungen (Mk 9,4; Mt 17,3; Lk 9,30) im NT nur noch dreimal bei Lukas erscheint, beispielsweise in Lk 4,36; 22,4; Apg 25,12.381 Auch evpike,klhsai, das außer in V 12 noch an mehreren Stellen im Doppelwerk vorkommt, weist auf Lukas hin.382 Im Weiteren soll die Parallelisierung zwischen Lk 23,1–25 und Apg 25,1–12 in den Blick genommen werden, im Hinblick darauf, welche lukanischen Merkmale sich erkennen lassen bzw. was von den sprachlichen Formulierungen oder vom Sinn her aufeinander hinweist. Bei genauer Betrachtung beider Passagen lässt sich erkennen, dass in Lk 23,2 und Apg 25,8 folgende Übereinstimmungen vorkommen: In der Szene vor Pilatus findet sich eine dreifache Beschuldigung gegen Jesus (Tou/ton eu[ramen diastre,fonta to. e;qnoj h`mw/n kai. kwlu,onta fo,rouj Kai,sari dido,nai kai. le,gonta e`auto.n Cristo.n basile,a ei=nai); ebenso spricht Paulus in Apg 25,8 von der gegen ihn angebrachten dreifachen Anklage (Ou;te eivj to.n no,mon tw/n VIoudai,wn ou;te eivj to. i`ero.n ou;te eivj Kai,sara, ti h[marton). Der Vorwurf diastre,fonta to. e;qnoj h`mw/n und ou;te eivj to.n no,mon tw/n VIoudai,wn bezieht sich auf das Judentum. Die Klage, dass Jesus angeblich das Volk davon abhält, dem Kaiser Steuern zu zahlen (kwlu,onta fo,rouj Kai,sari dido,nai), und dass Paulus sich nichts gegen den Kaiser hat zuschulden kommen lassen (ou;te eivj Kai,sara, ti h[marton), betrifft die römische Seite. Die letzte Anklage e`auto.n Cristo.n basile,a ei=nai und ou;te eivj to. i`ero.n kann in beiderlei Hinsicht verstanden werden, denn einerseits trugen die Römer die Verantwortung für die öffentliche Ruhe und Ordnung sowohl in Jerusalem selbst als auch im Jerusalemer Tempel, da das römische Recht „den Schutz des Tempels garantiert“383, andererseits gaben die Juden die Anstöße zum 376 377 378 379 380 381 382 383
Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 188. Vgl. ebd. 20. Vgl. W. Radl, Paulus 397; H. Omerzu, Prozeß 259. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 94f. Vgl. W. Radl, Paulus 425. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 999. Vgl. ebd. 403f. H. Conzelmann, Apg 143.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
237
Tumult. Deshalb kann angenommen werden, dass diese übereinstimmenden Anschuldigungen der Feder von Lukas entstammen. In Lk 23,10b beschreibt der Verfasser es mit den Worten euvto,nwj kathgorou/ntej auvtou/ ähnlich wie in Apg 25,7d mit polla. kai. bare,a aivtiw,mata katafe,rontej. Auffällig sind die verwendeten Adverbialen (heftig; viele und schwere), die vom Sinn her in beiden Fällen das Gleiche zum Ausdruck bringen. Es liegt nahe, diese Parallelisierung der Anklagen bei Jesus und Paulus und deren Steigerung Lukas zuzuschreiben. Bemerkenswert ist die Beschreibung a;xion qana,tou sowohl in Lk 23,15b als auch in Apg 25,11b. Die zum Sondergut des Lukas gehörende Herodesszene in Lk 23,6–12, die schon behandelt wurde, findet ihr Spiegelbild im Prozess des Paulus, wo Lukas sie ausführlich in den Versen 13–27 des 25. Kapitels sowie im Kapitel 26 beschreibt. Nachdem nun die typisch lukanischen Merkmale betrachtet wurden, wird im Folgenden das Ergebnis dieser Betrachtung dargestellt. 3.3
Ergebnis
Als Ergebnis der Untersuchnung von Apg 25,1–12 in Bezug auf lk Merkmale lässt sich zusammenfassend sagen: Lukas hatte wahrscheinlich nur kurze Berichte zur Verfügung, beispielsweise einen Bericht über den Aufenthalt des Festus in Jerusalem. Für die Tradition dürfte die Verwendung von evparcei,a| sprechen. Den Bericht über die Berufung des Paulus an den Kaiser hat Lukas ebenfalls der Tradition entnommen. Mit seiner literarischen Begabung gestaltete er aus den vorliegenden Unterlagen eine Szene. Ungenaue Zeitangaben, spannende Dialoge, kurze Wiederholungen der vorherigen Motive (z. B. Paulus umzubringen), Doppeldeutigkeit von kriqh/nai evpV evmou/ gehen auf Lukas zurück. Ausschlaggebend in dem Ganzen ist eine Parallelität zwischen dem Prozess Jesu vor Pilatus und Herodes und dem des Paulus vor Festus und später vor Agrippa. Ähnlich formulierte, dreistufige Anklagepunkte, sprachliche Darstellung der Feindseligkeit der Juden sowohl Jesus als auch Paulus gegenüber sind wesentliche Spuren lukanischer Gestaltung. 4.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund
4.1
Statthalterwechsel
Um sich mit dem Thema zu beschäftigen, sollte zunächst der Amtsantritt des Felix in den Blick genommen werden.384 Zum Statthalter von Judäa385 wurde 384 385
Zu Felix vgl. L. Simon, Art. Felix 74. Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,137 (ed. L. H. Feldman 72–74); b. Iud. II,247 (ed. O. Michel 230).
238
D. Apologetische Intention des Lukas
er ca. 52/53 n. Chr. ernannt. Felix ersetzte in diesem Amt Ventidius Cumanus.386 Als freigelassener Sklave machte er sehr schnell Karriere, einerseits dank der drei Ehen mit Frauen königlicher Herkunft. 387 Seine dritte Ehe mit der jüngsten Tochter des jüdischen Königs Agrippa I. bzw. der Schwester Agrippas II., Drusilla, sicherte ihm eine Verbindung zu den Juden. 388 Andererseits war die Rolle seines Bruders Pallas für seinen raschen Aufstieg nicht unbedeutend. Dieser besaß die hohe Position des Finanzministers am Kaiserhof des Claudius. Dass er Statthalter von Judäa wurde, verdankt Felix der Protektion durch den Bruder und der Vermittlung des Hohenpriesters Jonathan.389 Warum und wann genau Felix abberufen wurde, ist schwierig festzustellen. Im Folgenden folgen wir der Ausführung von Omerzu 390. Demnach ist das Jahr 54/55 n. Chr. terminus ante quem. Weil Felix in Judäa schlecht regierte und die politische Lage in der Provinz zunehmend bedrohlich wurde, ist er gemäß der Notiz von Josephus391 in Rom angeklagt worden. In seiner Regierungszeit vergrößerte sich auch der Hass der Juden den Römern gegenüber. Der Bruder kommt Felix zu Hilfe, so dass er unbestraft blieb. Als aber Nero im Jahr 55 n. Chr. als Kaiser ins Amt kam, fiel Pallas bei diesem in Ungnade392 und war nicht mehr in der Lage, seinem Bruder zu helfen. Auf eine frühere Abberufung weisen auch einige Angaben in der armenischen Version der Chronik des Eusebius393 (letztes Jahr des Claudius = 54 n. Chr.) oder in dem von Hieronymus wiedergegebenen Chronicon des Eusebius394 (zweites Jahr des Nero = 56 n. Chr.) hin. Allerdings kann man aus diesen Notizen keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen. Omerzu395 führt die Notizen von Josephus396 an und verweist auf seine Inkonsequenz. Josephus weiß nämlich von zahlreichen Ereignissen des Felix397 zu berichten, die aber in die Jahre 63/64 fallen. Nach Omerzu398 wäre das Amtsende um das Jahr 60 n. Chr. gewesen, weil Albinus, der Nachfolger des Festus, spätestens seit 386 387 388 389 390 391 392 393 394 395 396 397 398
Vgl Joseph., ant. Iud. XX,134–136 (ed. L. H. Feldman 70–72); XX,137 (ed. L. H. Feldman 72–74); b. Iud. II,223–246 (ed. O. Michel 226–230). Vgl. Tac., hist. V,9,3 (ed. J. Borst 524). Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,139–144 (ed. L. H. Feldman 74–78); Apg 24,24. Vgl. Suet., vit. Claud. 28 (ed. M. Ihm 211); Joseph., b. Iud. II,240 (ed. O. Michel 228). Vgl. hier und im Folgenden H. Omerzu, Prozeß 405. Vgl. ant. Iud. XX,182–184 (ed. L. H. Feldman 98–100). Vgl. Tac., ann. XIII,14 (ed. H. Heubner 279). Vgl. Eus., chron. 208 (ed. J. Karst 215). Vgl. Eus., chron. 208,2 (ed. R. Helm 182). Vgl. H. Omerzu, Prozeß 405. Vgl. vit. 13f. (ed. F. Siegert 26–28). Vgl. Joseph., b. Iud. II,247–270 (ed. O. Michel 230–234); ant. Iud. XX,160–172 (ed. L. H. Feldman 88–92). Vgl. H. Omerzu, Prozeß 405f.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
239
Sommer 62 n. Chr. im Amt war399. Deshalb lässt sich feststellen, dass der Statthalterwechsel400 von Felix zu Festus um 60 n. Chr. stattgefunden haben muss. Dieser Statthalterwechsel wird in den Quellen chronologisch nicht näher beschrieben. Über die Statthalterschaft des Festus 401 lässt sich auch nur wenig berichten, was nicht an der Kürze seiner Amtszeit liegen dürfte, sondern eher an seiner gerechten Regierung, da Josephus ansonsten wohl über Skandalgeschichten berichtet hätte. 4.2
Cäsarea
Haefeli hat in seinem Buch „Cäsarea am Meer“ ein Bild dieser Stadt gezeichnet. Hier wird seiner Darstellung gefolgt. 402 Sie wurde von Herodes dem Großen gegründet und zu Ehren des römischen Kaisers Augustus benannt. Noch um das Jahr 27 v. Chr. hatte Herodes den Plan, auf einem Hügel mitten in der Landschaft Samaria die unschöne Stadt Samaria zu dem Sebaste auszubauen. Nach der Neugründung der Stadt wollte er hier seine zweite Residenz haben. Die günstige Ortslage an der Meeresküste, der Mangel eines großen Hafens im ganzen Land sowie der Wunsch, in Ansehen und Gunst der Römer aufzusteigen, und seine persönliche Sicherheit waren wichtige Gründe für Herodes, Stratonsthurm neu zu erbauen und es Cäsarea zu nennen. Herodes der Große ließ als Erstes den Hafen Sebastos, dann die Stadt selbst bauen, in der sich Kaisertempel, Königspalast, Theater, Rennbahn, die öffentlichen Anstalten, die öffentlichen Plätze und die Kanalisation befanden, alles nach römischer Art und Weise. Die gesamten Ausbaumaßnahmen dauerten von 22 v. Chr. bis zum Jahr 10/9 v. Chr. Dann erfolgte eine große Einweihungsfeier mit Kampfspielen zu Ehren des Kaisers. Die aus Juden, Syrern und Griechen bestehende Bevölkerung erreichte damals 40 000 bis 50 000 Einwohner (etwa die Hälfte davon waren Juden). Im Jahre 6 n. Chr. kam der erste römische Landpfleger nach Cäsarea, der zunächst für Judäa und Samaria, später aber für das ganze Land zuständig war. Er hatte dort eine Residenz und eine Garnison von ca. 3000 Mann. Im Laufe der Jahre wurde die Stadt einer der wichtigsten Orte und Zentren der römischen Herrschaft in Palästina, bis sie schließlich von römischen Truppen nach der Eroberung Masadas um 73 n. Chr. völlig vernichtet wurde.
399 400 401 402
Vgl. Joseph., b. Iud. II,271f. (ed. O. Michel 234). Vgl. J. Zmijewski, Apg 829; A. Weiser, Apg II 639; H. Omerzu, Prozeß 468; R. Riesner, Frühzeit 200. Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,182–188 (ed. L. H. Feldman 98–102); b. Iud. II,271 (ed. O. Michel 234). Vgl. dazu L. Haefeli, Cäsarea 9–73; auch Joseph., ant. Iud. XV,267–298 (ed. A. Wikgren 382–398).
240
D. Apologetische Intention des Lukas
4.3
Die politische Lage in Judäa zur Zeit des Paulus
Als römische Provinz hatte Judäa nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Allgemeine Empörung verursachten die Volkszählung und steuertechnische Formalitäten.403 Für die Juden galt eine solche Volkszählung von alters her als eine Handlung gegen Gottes Willen (vgl. 2 Sam 24). Darüber hinaus war jeder über 14 Jahre verpflichtet, Steuern zu zahlen sowie seinen gesamten Besitz anzugeben. Schon aus diesem Grund hätte Widerstand ausbrechen können, aber durch die Vermittlung des Hohenpriesters konnte das vermieden werden. In einem ersten Konflikt bildete sich eine oppositionelle Gruppe von extremen Patrioten gegenüber der feindlichen Herrschaft der Römer. Ihre Mitglieder bezeichneten sich als „Zeloten“ – „Eiferer“ und hatten als Motto die letzten Worte des Mattathias nach 1 Makk 2,50404. Ein Schock für die Juden war auch das Faktum, dass Jerusalem seinen Rang als Hauptstadt von Judäa verlor und in den größeren Städten und Festungen römische Besatzungen lagen. Selbst in Jerusalem war ständig eine Kohorte mit Reiterei in der Burg Antonia stationiert. Die römischen Prokuratoren hatten außer dem militärischen Kommando auch die oberste Gerichtsbarkeit in ihrer Hand. Der obersten Justizbehörde in Jerusalem, dem Synedrium, oblag die allgemeine Rechtspflege sowohl in Kriminal- als auch in Zivilsachen. Die Besitzer des römischen Bürgerrechts unterstanden nicht ihr, sondern direkt dem Prokurator, und die Juden selbst durften ohne Genehmigung des Statthalters keine Todesurteile fällen. Jahrzehnte hindurch kam es immer wieder zu Tumulten, die oft durch das Unverständnis der römischen Prokuratoren gegenüber den jüdischen Gesetzen und Sitten verursacht wurden, wie beispielsweise der Fall des Pontius Pilatus zeigt.405 Einen neuen Anstoß zu Unruhen gab der Befehl des Kaisers Caligula.406 Er wollte nämlich seine Statue im Allerheiligsten errichten lassen.407 Nur die Ermordung des Caligula408 bewahrte Jerusalem vor der drohenden Plünderung. In der Regierungszeit von Agrippa I. (41–43) erlebte Judäa, aber vor allem Jerusalem, eine Zeit der Blüte und Autonomie. Er nahm viele Bauprojekte in Angriff, unter anderem erbaute er eine weitere Mauer an der Nordseite der Stadt. Er gab vielen Forderungen der Pharisäer statt, um damit der Volksmenge zu gefallen. Als ein Beweis seines weitgehenden Einverständnisses mit den Pharisäern kann die Hinrichtung des Jako403 404 405 406 407 408
Vgl. hier und im Folgenden I. Lande-Nash, Jerusalem 117f. „Jetzt ereifert euch für das Gesetz, meine Söhne, setzt euer Leben ein für den Bund unserer Väter.“ Vgl. Joseph., ant. Iud. XVIII,55–59 (ed. L. H. Feldman 42–46). Vgl. G. Schöne, Jerusalem 30. Vgl. Joseph., b. Iud. II,184f. (ed. O. Michel 218); ant. Iud. XVIII,258 (ed. L. H. Feldman 152). Vgl. Joseph., ant. Iud. XIX,138–144 (ed. L. H. Feldman 280–282).
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
241
bus (Apg 12,2) gesehen werden. Nach Agrippas Tod nahmen die Römer alle Macht in ihre Hand. Sie wurden zwar ersucht, die nationalen Gefühle der Juden zu respektieren, trotzdem war die Zeit der römischen Prokuratoren von 44 bis 66 n. Chr. mit vielen blutigen Widerständen verbunden. Einen Anstoß unter anderen gab die pharisäische Partei, die „zunehmend die abwartende Haltung den Römern gegenüber aufgab“409. So brach unter Cuspius Fadus ein Streit der Bewohner von Philadelphia mit den Juden aus, in dessen Verlauf viele Juden ums Leben kamen. Des Weiteren kam es zu Auseinandersetzungen über die hohepriesterlichen Gewänder.410 Der Statthalter Tiberius Alexander musste die Zeloten Jakobus und Simon kreuzigen lassen, um die rebellische Partei zu unterdrücken.411 Weil Letzteres ihm nicht gelang, löste es heftige Empörung unter den Massen aus. Unter seinem Nachfolger Cumanus steigerten sich die Spannungen, so dass es bereits bei den geringsten Anlässen gefährliche Tumulte gab.412 Als sich einer der Soldaten während des Paschafestes unanständig benahm, kam es zu einer Unruhe, weil die Juden dies als Gotteslästerung verstanden hatten. Um den Aufstand zu ersticken, rief Cumanus alle Soldaten zu den Waffen. Bei der Flucht fanden viele den Tod, so dass aus der Freude des Festes Jammer und Wehklage wurde. Als Rache dafür entführten einige Unruhestifter einen Diener aus Cäsarea, worauf der Statthalter ganze Dörfer plündern ließ. Die Beziehungen zwischen den Juden und den Römern verschlechterten sich immer mehr, da es trotz schärfster Maßnahmen des neuen Statthalters Felix zahlreiche terroristische Banden gab. Felix ließ nämlich den Hohenpriester Jonathas413 heimlich töten.414 Darüber hinaus gab es noch streng religiöse Gruppen, wie z. B. die Sekte der Essener, sowie auch falsche Propheten und Wundertäter, die mit ihren öffentlichen Aktionen Unruhe stifteten. In der letzten Zeit des Felix „kam es in Caesarea zu einem Konflikt der Juden mit den Griechen, die ihnen das Bürgerrecht in der von Herodes gegründeten Stadt streitig machten. Den blutigen Kämpfen versuchte der Prokurator dadurch ein Ende zu machen, daß er Vertreter beider Parteien nach Rom sandte, damit sie ihren Fall dem Kaiser unterbreiteten“415. Unter solchen Begleitumständen und einer allgemein unruhigen politischen Situation entwickelte sich auch der Prozess des Paulus.
409 410 411 412 413 414 415
E. Otto, Jerusalem 161. Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,6–13 (ed. L. H. Feldman 4–8). Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,102–104 (ed. L. H. Feldman 54–56). Vgl. hier und im Folgenden Joseph., ant. Iud. XX,105–117 (ed. L. H. Feldman 56–62). Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,163–165 (ed. L. H. Feldman 88–90). Vgl. hier und im Folgenden I. Lande-Nash, Jerusalem 126. I. Lande-Nash, Jerusalem 126f.
242
4.4
D. Apologetische Intention des Lukas
Berufung an den Kaiser
Die Frage nach der Historizität der Berufung des Paulus an den Kaiser ist in der Exegese umstritten. Als Erstes soll geklärt werden, worin sich Appellation und Provokation unterscheiden. Nach Weiser bedeutet Appellation, „daß es nach dem ergangenen, vom Richter gefällten Urteilsspruch möglich war, an einen Amtskollegen dessen, der das Urteil gefällt hatte, an einen übergeordneten Magistrat oder an Volkstribunen zu appellieren“. 416 Nach Eckey geht es bei Appellation um provocatio, „die dem römischen Bürger vor der Urteilsprechung der für ihn regional zuständigen Instanz gestattet ist“. 417 Im Imperium Romanum hatten römische Bürger das Recht auf die Provokation. In Provinzen, wo keine Geschworenengerichte vorhanden waren, wie z. B. in Judäa, konnte man beim Kaiser Berufung einlegen.418 Im Folgenden wird darauf eingegangen, in welchen Fällen Paulus als römischer Bürger die Berufung an den Kaiser vorbringen konnte. Um das Thema umfassend zu untersuchen, sollen verschiedene Theorien berücksichtigt werden. Die erste Meinung wurde von Mommsen formuliert, der behauptet, Provokation eines römischen Bürgers sei ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil oder gegen die Polizeigewalt eines Magistrats gewesen. Dies begründete automatisch für das weitere Verfahren die Zuständigkeit des Volksgerichts. 419 Diese beiden Verfahren sowohl vor dem Magistrat als auch vor dem Volk bildeten nach Mommsen den magistratisch-komitialen Strafprozess.420 Wo es unmöglich war, das Zusammentreten des Volksgerichts zu erreichen, z. B. außerhalb der Stadt, diente die sogenannte feldherrliche Provokation nur der Ablehnung eines inkompetenten Gerichts und der Überstellung nach Rom. 421 Die nur durch den Prozess des Paulus belegte Berufung an den Kaiser, nach Mommsen eine Provokation, bestand im Prinzipat fort, unterscheidet sich aber Mommsen zufolge von der kaiserlichen Appellation, weil sie keinen Urteilsspruch voraussetzt. Kritisch zu dieser Theorie äußert sich Omerzu, die behauptet, die Provokationstheorie sei insofern problematisch, als nie ein zweigeteilter (magistratisch-komitialer) Prozess mit einer Provokation verbunden gewesen sei, denn es gehe vielmehr immer um zwei getrennte Verfahren. 422 Darüber hinaus entstanden spätere Theorien, die praktisch ihren Anfang bei Mommsen nehmen. So sei nach Bleicken die Provokation nicht gegen ein magistratisches Urteil gerichtet, sondern diente lediglich der Einschränkung 416 417 418 419 420 421 422
A. Weiser, Apg II 642. W. Eckey, Apg II 536. Vgl. A. Weiser, Apg II 642; H. Conzelmann, Apg 144. Vgl. Th. Mommsen, Staatsrecht 148f.; 160f. Vgl. dazu Th. Mommsen, Strafrecht 163. Vgl. dazu ebd. 473–478. Vgl. H. Omerzu, Prozeß 79.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
243
willkürlicher Polizeigewalt.423 Nach Noethlichs gab es für bestimmte Fälle im römischen Bürgerrecht die Wahl des Gerichtsverfahrens, wie z. B. in der Heimatgemeinde, durch den römischen Statthalter oder eine civitas libera.424 Wenn man das römische Recht berücksichtigt, heißt es zur Provokation bei Cicero: „ne quis magistratus civem Romanum adversus provocationem necaret neve verberaret“425. Darüber hinaus wird nach der Lex Iulia426 jeder Amtsträger belangt, wenn er einen römischen Bürger, obwohl dieser Provokation eingelegt hat, tötet oder schlägt oder befohlen hat, dass dies geschieht, oder ihm etwas auf seinen Hals aufgebürdet hat, um ihn zu foltern. Des Weiteren wird gemäß der Lex Iulia de vi publica427 verboten, einen Angeklagten zu fesseln oder ihn daran zu hindern, sich binnen einer bestimmten Frist in Rom einzufinden. Aus allen zugänglichen historischen Quellen ist es nicht möglich, eindeutig zu bestimmen, ob es sich im Prozess gegen Paulus bei dessen Berufung an den Kaiser um eine Appellation oder eine Provokation gehandelt hat. Nimmt man ausschließlich Apg 25,1–12 zu Hilfe, ist die Interpretation von Eckey der lk Darstellung am nächsten, da Paulus vor erfolgtem Urteil von seinem Recht Gebrauch macht, dem Kaiser vorgeführt zu werden. Berücksichtigt man die politische Situation in Judäa, so dürfte es für Festus die beste Lösung gewesen sein, Paulus an den Kaiser zu übergeben. Er konnte dadurch einerseits Unruhen vermeiden und andererseits gute Beziehungen zu den Juden aufrechterhalten. 5.
Intention des Evangelisten
In der Gestaltung von Apg 25,1–12 lässt sich eine lukanische Absicht feststellen: V 1 bezeichnet einen neuen Wandel in der zweijährigen Verzögerung des Prozesses des Paulus. Lukas will zeigen, dass es mit diesem Statthalter gelingt, die Sache des Paulus in Palästina zu einem Ende zu bringen. Festus erscheint als „ein zuverlässiger und korrekter Beamter“428, weil er sofort nach drei Tagen nach Jerusalem geht, nicht nur um sich den führenden Juden vorzustellen, sondern auch um „seine Sympathie zu bekunden“429, mit ihnen
423 424 425
426 427 428 429
Vgl. J. Bleicken, Art. provocatio 2455f. Vgl. K. L. Noethlichs, Paulus 69, Anm. 53. Cic., rep. II,53 (ed. R. Nickel 198; übers. R. Nickel 199: „kein Magistrat [durfte] einen römischen Bürger ohne Berufungsmöglichkeit an das Volk töten oder schlagen“). Vgl. Dig. 48,6,7 (ed. Th. Mommsen 851). Vgl. Dig. 48,6,8 (ed. Th. Mommsen 851). J. Roloff, Apg 340. G. Schneider, Apg II 357.
244
D. Apologetische Intention des Lukas
Kontakt aufzunehmen430 und „eine friedliche Zusammenarbeit“431 zu schaffen. Festus wird vom Verfasser als „ein dynamischer Prokurator“ 432 präsentiert, der im Unterschied zu Felix ein „pflichtbewusster und handlungsfähiger“433 Verwalter ist. Mit der Schaffung einer guten Stimmung lässt sich nun erwarten, dass „er auch die Sache des Paulus wieder in Bewegung bringen wird“434. In VV 2f. vermittelt Lukas dem Leser den Eindruck, dass die Juden während dieser zwei Jahre auf diesen Besuch des Statthalters gewartet hatten, immer noch mit dem Wunsch, den gefangengenommenen Paulus zu töten. Der Verfasser wiederholt keine genauere Information über die Anklage gegen Paulus, aber nach der lk Vorstellung weiß der Leser wohl, „worum es sich dabei handelte“435. Lukas beabsichtigt, „daß dabei der Fall des Paulus sogleich zur Sprache kommt“436, weil er damit zeigen will, dass die Juden die Unerfahrenheit von Festus für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Die Hohenpriester437 und die Ersten des Volkes bringen die Anklage vor Festus an erster Stelle vor, trotz aller anderen möglicherweise auch wichtigeren politischen Themen, und erbitten sich sogleich „als Morgengabe“438 die Überstellung des Gefangenen nach Jerusalem. Hier lässt sich das gleiche auch von Lukas in Apg 18,12–17 geschilderte Motiv der Juden nachvollziehen, die Unerfahrenheit des neuen Statthalters nutzen zu wollen, um für sich ein positives Ergebnis zu erreichen. Mit dem Amtsantritt des Gallio erheben die Juden die Anklage gegen Paulus, ebenso verstehen sie beim Besuch des Festus die von ihnen gewünschte Verlegung des Angeklagten „als Zeichen seines guten Willens“439 ihnen gegenüber. In beiden Fällen bleibt ihr Wunsch unerfüllt, weil Paulus in der Gallioszene doch nicht verurteilt wird und in der Szene vor Festus in Cäsarea bleibt. Der Prokonsul soll den Fall des Paulus in Jerusalem verhandeln, da es ebenso wie beim Prozess Jesu um „ein religiöses Delikt“440 geht. Lukas zeigt in der vorliegenden Szene (VV 2f.), dass die Juden die Gelegenheit wahrnehmen wollen, den neuen und unerfahrenen Statthalter 430 431 432 433 434 435 436 437
438 439 440
Vgl. J. Roloff, Apg 342. D. Dormeyer, Apg 357. R. Pesch, Apg II 264; ähnlich vgl. A. Weiser, Apg II 639. H. Omerzu, Prozeß 468. Dagegen J. Jervell, Apg 578: „Er will politische Vorteile aus den Juden ziehen.“ J. Roloff, Apg 342. G. Schneider, Apg II 357. J. Roloff, Apg 342. Lukas gebraucht hier den Plural und verschweigt, dass damals ein neuer Hoherpriester, Ismael, an die Stelle des Hananias getreten war; vgl. Joseph., ant. Iud. XX,179 (ed. L. H. Feldman 96). W. Schmithals, Apg 217. J. Roloff, Apg 342. D. Dormeyer, Apg 357.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
245
Festus zu überreden, ihnen Paulus nach Jerusalem auszuliefern, um so ihr Ziel, Paulus zu vernichten, zu erreichen. Damit spitzt der Verfasser die Dramatik der Erzählung zu. Zugleich bereitet er Raum für die spätere Entscheidung des Paulus zur Berufung an den Kaiser (V 10). VV 4f. stellen die weitere Entwicklung des Prozesses dar. Der Statthalter folgt dem Willen der Juden nicht. Er lehnt höflich, aber bestimmt ab. Seine pragmatische Entscheidung begründet er damit, dass Paulus sich in Cäsarea in Haft befindet und er selber in Kürze dorthin fahren werde. Mit dem Ausdruck evvn ta,cei ist von Lukas für „ein rasches Ingangkommen des Verfahrens gegen Paulus in Cäsarea gesorgt […]“441. Obwohl die Juden weiter am Verfahren gegen Paulus beteiligt sind, sind sie auch unbewusst Mittler der Überstellung des Paulus nach Rom, woran auch Lukas Interesse hat. In diesem Geschehen wird Festus von Lukas als Herr der Situation dargestellt, weil er sofort den Vorschlag macht, dass die Zuständigen mit ihm nach Cäsarea kommen können, um dort ihre Anklage vorzubringen. Mit dem Hinweis des Festus „wenn an dem Mann etwas Unrechtes ist“ zeigt Lukas ihn nicht nur als „einen vorsichtig-korrekten Beamten“442, sondern auch als „einen objektiven Richter“443. „Ob tatsächlich ein Vergehen im strafrechtlichen Sinn vorliegt, läßt er dahingestellt“444, denn es ist nicht erlaubt, „ohne ordentliches Gerichtsverfahren [zu] entscheiden“445. Lukas geht es um „die Zeichnung des guten römischen Rechtes“446; deshalb präsentiert sich Festus als ein „rechtlich denkender Mann“447, der zunächst dieses Recht anwenden muss. VV 6f. beschreiben nun den Beginn des Gerichtsverfahrens gegen Paulus. Der Verfasser will vor allem die Ernsthaftigkeit der Sache aufzeigen, indem Festus nach dem Aufenthalt in Jerusalem sich bereits am folgenden Tag des Falles annimmt. Er lässt Paulus vorführen (vgl. Lk 23,1; Apg 6,12; 18,12; 19,37; 25,17.23) zum Richterstuhl (vgl. Apg 18,12.16.17). Wenn auch „die Szene […] nur skizziert“448 ist, lassen sich doch einige Parallelen zum Prozess Jesu erkennen, und zwar: Wie Jesus vor Herodes (Lk 23,10) steht auch Paulus hier umringt von seinen hasserfüllten Anklägern, wie vor Feinden; wie bei Jesus449 gibt es auch bei Paulus (vgl. V 7) einen Mangel an Beweisen. 441 442
443 444 445 446 447 448 449
J. Roloff, Apg 342. R. Pesch, Apg II 265. Dagegen J. Jervell, Apg 579: „Festus handelt inkorrekt, denn er weiß, dass Paulus unschuldig ist. Er hätte schon längst freigelassen werden müssen. Trotzdem setzt der Statthalter den Prozess fort.“ J. Zmijewski, Apg 830. Dagegen vgl. C. P. Thiede, Paulus 179–181. J. Roloff, Apg 342. W. Schmithals, Apg 217. G. Schille, Apg 441. W. Schmithals, Apg 217. H. Conzelmann, Apg 143. Vgl. A. Weiser, Apg II 638. Er versteht die Stelle als Analogie, wo freilich die Feststellung der Unschuld Jesu im Vordergrund steht.
246
D. Apologetische Intention des Lukas
Obwohl die Juden die Vorwürfe vorbringen, ist von Lukas deren Zurückweisung durch Paulus vorausgesetzt. Eine ähnliche Tendenz findet man auch beim Prozess Jesu, indem der Leser die Anklagen sofort als unbegründet erkennt. Darüber hinaus zeigt die textliche Darstellung, dass sich die Kläger mit ihren Klagen selbst disqualifizieren.450 V 8 berichtet über die Verteidigung des Paulus. Diese „ist hier dreifach gegliedert und grundsätzlich zusammengefaßt“451, was natürlich an die dreifache Anklage gegen Jesus erinnert (vgl. Lk 23,2). In der von Lukas formulierten direkten Rede des Angeklagten werden in Apg 24,11–19 nur Stichworte der Verteidigung hervorgehoben und die Anklage zugleich zurückgewiesen. Der Verfasser präsentiert Paulus als einen Unschuldigen und will damit in der Person des Paulus452 zeigen, dass die Christen weder gegen jüdisches noch gegen römisches Recht verstoßen. Denn Paulus als Vertreter des wahren Judentums (vgl. 24,14–16) kann keineswegs das jüdische Gesetz verletzen. Ebenso wurde der Tempel von ihm nicht profaniert (vgl. 24,18f.); schließlich hat er auch keinerlei Aufruhr angestiftet (vgl. 24,11f.). Zuletzt ist es auch sicher, dass Paulus kein Vergehen gegen den Kaiser begangen hat, wie er selbst betont, weil jede Verletzung der kaiserlichen Majestät die Todesstrafe nach sich gezogen hätte; ansonsten wäre Paulus schon längst unter Felix hingerichtet worden. „Der Kaiser repräsentiert das römische Recht“453 und Paulus respektiert dieses Recht. Als Intention von Lukas lässt sich vermuten, dass er die Christen vom Judentum abtrennen und so eine gute Ausgangssituation für die Verkündigung des Evangeliums schaffen will. Aus Apg 1,8 und 19,21; 23,11 ist zu erkennen, dass Lukas das Ziel hat, mit der christlichen Lehre Rom zu erreichen. Die Juden können Paulus und den Christen auch nichts vorwerfen, denn die Christen bestehen keineswegs auf ihre Legalität als Teil des Judentums, sondern sie wollen nur die ungerechten Vorwürfe zurückweisen. Mit der Vorbereitung der Grundlage der Appellation an den Kaiser bzw. der Überstellung nach Rom deutet Lukas darauf hin, dass die Zeit reif ist, ins Herz des Imperiums vorzudringen bzw. bis an die Grenzen der Erde zu kommen. Paulus liegt daran, „kurz vor seiner Appellation an den Kaiser nochmals umfassend seine Unschuld erklären“454 zu können. V 9 ist in der Exegese schwer deutbar. Logischerweise hätte man erwarten können, dass jetzt die Freilassung des Paulus kommt, dagegen macht der Statthalter den Vorschlag der Verlegung des Prozesses nach Jerusalem, im 450 451 452 453 454
Vgl. A. Weiser, Apg II 640; auch H. Omerzu, Prozeß 476. G. Schneider, Apg II 358. Paulus ist für Lukas ein Beispiel des sich ideal verhaltenden Christen. G. Schille, Apg 441. H. Omerzu, Prozeß 480.
V. Die Szene vor dem Statthalter Festus
247
Widerspruch zu seiner Aussage in V 4. Damit stellt sich die Frage, was der Verfasser mit dem Angebot des Festus an Paulus gemeint hat. Die Ungewöhnlichkeit dieses Verhaltens des Festus wird durch die Formulierung seines Angebots als Frage etwas abgemildert, da sie zulässt, dass Paulus selbst darüber entscheidet. Ausgehend von den Ereignissen unter dem Statthalter Felix bieten sich unterschiedliche Interpretationen an. Erstens: Festus erwartet die ablehnende Antwort von Paulus, was ihn selbst von allen weiteren Aktionen befreit. Er muss nicht einmal ein Urteil sprechen. Er muss nur nach einer eventuellen Berufung von Paulus an den Kaiser diesen nach Rom überstellen. Zweitens: Festus ahnt oder weiß sogar von dem Mordkomplott der Juden und geht scheinbar auf den Wunsch der Juden ein, wohl wissend, dass Paulus ablehnen wird. Damit zeigt er den Juden gegenüber Entgegenkommen und vermeidet gleichzeitig, Mitschuldiger an dem geplanten Komplott zu werden. Auch in diesem Fall ist ein Urteilsspruch nicht erforderlich, sondern ebenfalls nur eine Überstellung nach Rom. Lukas hat diese Szene sehr logisch konstruiert. Sicherlich war ihm zur Kenntnis gekommen, dass Paulus an den Kaiser appelliert hatte. Es lag ihm offenbar daran darzustellen, dass der römische Statthalter Paulus gegenüber wohlgesinnt war. Mit dem unerwarteten und scheinbar unlogischen Angebot des Festus an Paulus, einen neuen Prozess in Jerusalem durchzuführen, lenkt er das Verfahren in die Richtung, Paulus vor den Juden zu schützen; denn Paulus hatte gar keine andere Wahl als die der Berufung an den Kaiser, die Festus zulassen musste. Gleichzeitig signalisierte Festus damit den Juden ein scheinbares Entgegenkommen. Auf diese Weise stellte Lukas einmal mehr einen hohen römischen Beamten als den Christen gegenüber freundlich eingestellt dar. VV 10f. werden von Lukas so dargestellt, dass Paulus den Vorschlag des Statthalters als eine Auslieferung an die Juden versteht. Dementsprechend lehnt er ab. Für ihn ist das jüdische Gesetz nicht zuständig, weil er, wie Festus selber weiß455, nichts von dem getan hat, was die Juden gegen ihn vorbringen, und auf diese Weise kann niemand, auch nicht der Statthalter, ihn an die Juden ausliefern. Im Gegenteil, das kaiserliche Gericht ist für Paulus zuständig. Der Verfasser verwendet hier das Wort dei/, von dem bereits gezeigt wurde, dass es dem lk Stil angehört. Damit beabsichtigt er, eine von Gott verfügte Notwendigkeit aufzuzeigen, dass Paulus nach Rom gehen wird (vgl. Apg 19,21; 23,11) und auch, dass er sich dort vom Kaiser richten lassen muss, wozu die Appellation an den Kaiser ein wesentlicher Schritt ist. Paulus setzt die Auslieferung an die Juden mit einer Todesgefahr gleich, daher wird es von Lukas nochmals als eine von Jerusalem ausgehende Bedrohung hervorgehoben. Diese Bedrohung ist ein zweiter Grund für die Appellation des 455
Dagegen vgl. G. Schille, Apg 442.
248
D. Apologetische Intention des Lukas
Paulus an den Kaiser, über die Festus in Apg 25,21 an Agrippa II. berichtet. Hier lässt sich die lk Intention erkennen, dass er „die Verantwortung des Festus für den rechtlichen Schritt des Paulus zu Lasten der Juden“ 456 abmildert. Die Römer werden für Paulus dank seiner römischen Bürgerschaft Retter und Hüter vor der Feindschaft der Juden. Darüber hinaus zeigt sich in V 11 eine ausdrückliche Betonung, dass Paulus „Recht und Gesetz durchaus achte“457. Wenn aber wirklich etwas Todeswürdiges vorläge, weigerte er sich nicht, dafür zu sterben.458 Mit dieser Aussage des Angeklagten verfolgt Lukas ein Motiv, dass ein Mensch in Respekt und Anerkennung von Recht und Gesetz sich bereit erklärt, falls er schuldig ist, dafür zu sterben. Das weitere Geschehen schildert Lukas so, dass es für Paulus in diesem Fall nur einen einzigen Ausweg gibt, um „aus der Gefahrenzone“459 entfliehen zu können, nämlich die Berufung an den Kaiser. Obwohl der Verfasser hier kein Bürgerrecht des Paulus erwähnt, wird es doch von ihm vorausgesetzt (vgl. Apg 16,37; 22,25–29). So ist Paulus bewusst, dass die Vollmacht des Festus begrenzt ist, insbesondere gegenüber römischen Bürgern. Denn es gibt noch eine übergeordnete Instanz, die kaiserliche Majestät, an die er seine Appellation richten kann. V 12 bildet den Höhepunkt der gesamten Erzählung, in der Lukas die Appellation an den Kaiser mit der Zustimmung des Rates bzw. der Beisitzer beschreibt. Nach kurzer Beratung im consilium der Gerichtsbeisitzer460 bestätigt Festus, dass Paulus nach Rom überstellt werde. Der Verfasser schildert die Aussage, dass Paulus den Kaiser angerufen hat, in einer feierlichen Sprachform461. Mit der Bestätigung des Festus, Paulus werde zum Kaiser nach Rom gehen, erfüllt sich das Wort des Herrn (vgl. Apg 23,11) sowie die ganze Intention des Lukas (Apg 1,8), Zeugen bis an die Grenzen der Erde zu sein. „Es geht um den Weg von Jerusalem nach Rom, von den Juden zu den Heiden, von Israel zum neuen Israel, das aus Juden und Heiden gebildet ist.“462 Zusammenfassend zeigt sich die wesentliche lukanische theologische Absicht: Paulus wurde vom römischen Staat ein für alle Mal anerkannt. Deshalb gibt es von nun an keinen Grund mehr, an der Zuverlässigkeit und der politischen Loyalität der Christen zu zweifeln. In diesem Sinn verschweigt Lukas 456 457 458 459 460 461 462
H. Omerzu, Prozeß 488f. R. Pesch, Apg II 266. Hier erkennt man eine Anspielung auf das allgemein bekannte Motiv bei Sokrates, für die Wahrheit und das Recht zu sterben. Vgl. zu Sokrates C.I.3.4 und D.VI.5.1. G. Schille, Apg 442. Vgl. Joseph., ant. Iud. XX,113–117 (ed. L. H. Feldman 60–62). Vgl. J. Roloff, Apg 344; A. Weiser, Apg II 642; R. Pesch, Apg II 267; N. Scholl, Lukas 125. A. Weiser, Apg II 642; ähnlich vgl. N. Scholl, Lukas 125.
VI. Paulus in Athen
249
das Ende des Prozesses des Paulus. Darüber hinaus will er in Festus den römischen Staat „nicht offen des Rechtsbruches bezichtigen“463, sondern zeigen, dass die Kirche unter dem Schutz des Imperiums steht und nach Unabhängigkeit vom Judentum trachtet.
VI.
Paulus in Athen
1.
Arbeitsübersetzung Apg 17,16–34 Ankunft in Athen und Begegnung mit den Philosophen
16
a b c d
Während aber Paulus in Athen auf sie wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, als er sah, dass die Stadt voll von Götterbildern war.
17
a
Er setzte sich in der Synagoge mit den Juden und den Gottesfürchtigen auseinander und auf dem Markt an jedem Tag mit den gerade Anwesenden.
b 18
a b c d
Einige aber sowohl von den epikureischen als auch von den stoischen Philosophen unterredeten sich mit ihm und einige sagten: Was will dieser Körnerpicker sagen? Andere aber: Er scheint ein Verkünder fremder Gottheiten zu sein, weil er Jesus und die Auferstehung (als Evangelium) verkündete.
19
a b c
Und sie nahmen ihn mit, führten ihn auf den Areopag und sagten: Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die von dir vorgetragen wird?
20
a b c
Denn du bringst befremdende Dinge zu Gehör; nun wollen wir erfahren, was dies bedeuten soll.
21
a b c
Alle Athener nämlich und die Fremden, die sich dort aufhielten, hatten für nichts anderes so viel Zeit, als irgendeine Neuigkeit zu sagen und zu hören. Areopagrede des Paulus
22
463
a b
Paulus stellte sich aber in die Mitte des Areopags und sagte: Ihr Männer von Athen, nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr religiös;
R. Pesch, Apg II 267.
D. Apologetische Intention des Lukas
250
23
a b c d
denn als ich umherging und eure Heiligtümer besichtigte, fand ich einen Altar, auf dem geschrieben stand: Einem unbekannten Gott. Was ihr nun ohne es zu kennen verehrt, dies verkündige ich euch.
24
a b c
Gott, der die Welt und alles in ihr schuf, dieser, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in handgemachten Tempeln.
25
a b c
Er lässt sich auch nicht von menschlichen Händen bedienen, als ob er etwas bräuchte, er, der selbst allen Leben, Atem und alles gibt.
26
a b c
Und er schuf aus einem Einzigen das ganze Menschengeschlecht, damit es auf dem ganzen Erdenrund wohne, und er hat für sie geordnete Zeiten und die Grenzen ihres Wohnsitzes festgesetzt,
27
a b c
damit sie Gott suchen, ob sie denn ihn ertasten und finden könnten, ihn, der nicht fern ist einem jeden von uns.
28
a b c
Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige eurer Dichter gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.
29
a b c d
Da wir also von Gottes Geschlecht sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei gleich Gold, Silber, Stein, einem Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung.
30
a b c
Gott, der über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen hat, gebietet jetzt den Menschen, dass alle überall umkehren,
31
a b c d e
weil er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten will durch einen von ihm bestimmten Mann, wobei er eine Beglaubigung für alle erbrachte, indem er ihn von den Toten auferweckte. Reaktion der Zuhörer: Ablehnung und Zulauf
32
a b c d
Als sie aber von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, die anderen aber sagten: Wir wollen dich darüber ein anderes Mal hören.
VI. Paulus in Athen
33
a
So ging Paulus weg aus ihrer Mitte.
34
a b c d e
Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysius, ein Mitglied des Areopags, und eine Frau namens Damaris und auch noch andere mit ihnen.
2.
251
Einführung zu Apg 17,16–34
Nachdem Paulus in Thessalonich (Apg 17,1–9) und in Beröa (17,9–15) missioniert hatte, musste er Beröa wegen Gefährdung verlassen. 464 Unterwegs nach Korinth (vgl. 1 Thess 3,1) hielt sich Paulus in Athen465 auf, in der Stadt, die als das berühmte Zentrum der geistigen Tradition Griechenlands sowie seiner Religion und Kultur galt. Im 1. Jahrhundert lebte Athen vom Ruhm seiner Vergangenheit und Blütezeit. Die Stadt beherbergte etwa 5000 Bürger, außerdem weitere Einwohner ohne Bürgerrecht. Darüber hinaus war Athen der Ort, zu dem von überall her die Menschen strömten, um an den Festen teilzunehmen, Sehenswürdigkeiten zu betrachten oder sich in die Mysterien von Eleusis einweihen zu lassen. Als Paulus in dieser berühmten Stadt ankam, nutzte er die Zeit, um zu den Menschen von Athen öffentlich zu predigen. Seine Mission dürfte jedoch nicht lange gedauert haben, denn sein Erfolg scheint gering gewesen zu sein. Es ist keine Erwähnung über eine Gemeindegründung bekannt und kein überlieferter Brief des Paulus an die Athener. Obwohl der Abschnitt Apg 17,16–34 mit dem voranstehenden Kontext verbunden ist, zeigt sich doch eine eigene Erzähleinheit mit spezifischen Besonderheiten.466 Im Vergleich mit den oben behandelten Szenen erscheint Paulus in Athen allein.467 Er wurde von seinen Begleitern dorthin gebracht (Apg 17,15) und jetzt wartet er in der Stadt auf Silas und Timotheus. Diese situationsbedingte Wartezeit nutzt er aus, um sich einen Überblick von Athen zu verschaffen. Er will auch nicht lange in der Stadt bleiben. 468 Im Unterschied zu den anderen Erzählungen (vgl. Apg 13,42–46; 18,4–6; 19,8–10), wo Paulus sich mit seiner Verkündigung zunächst an die Juden wendet und nach deren Ablehnung zu den Heiden geht, predigt er in Athen gleichzeitig sowohl in der Synagoge für die Juden und Gottesfürchtige als auch auf der 464 465 466 467 468
Warum Apg 17,16–34 erst jetzt behandelt wird, siehe A.III. Zu Athen vgl. W. Elliger, Paulus 117–199; W. Eckey, Apg II 389f.; J. Roloff, Apg 257. Vgl. J. Zmijewski, Apg 633. Vgl. G. Schneider, Apg II 232. Vgl. W. Eckey, Apg II 391.
252
D. Apologetische Intention des Lukas
Agora für die dort Anwesenden (V 17). Nach einer an heidnische Zuhörer gerichteten Predigt in Apg 14,15–17 bietet sich für den lukanischen Paulus hier in Athen eine gute Gelegenheit, nicht etwa wie in Lystra vor Barbaren, sondern vor einem philosophisch gebildeten Publikum zu sprechen. 469 Darum ist diese Erzählung einer der Höhepunkte der ganzen Apostelgeschichte. 470 Sie lässt sich dreiteilig gliedern. VV 16–21 und VV 32–34 dienen der Erzählung als Rahmen, in dessen Mitte (VV 22–31) die Areopagrede des Paulus steht. Während der Stadtbesichtigung wurde Paulus sehr zornig wegen der zahlreichen Götterbilder. „[W]ie ein alttestamentlicher Prophet und als Sendbote Jesu Christi, der unter dem Ersten Gebot und dem Bildverbot (Ex 20,2–5 par. Dtn 5,6–10) steht“471, ist er über heidnische Götzenverehrung empört. Die Gespräche des Paulus in der Synagoge und auf dem Markt verursachen Diskussionen (V 17a) sowie verschiedene Bewertungen und Reaktionen der Zuhörer (V 18a/b). Epikureer und Stoiker äußern den Verdacht, Paulus sei „ein Verkünder fremder Gottheiten“ (V 18c). Von diesen Philosophen geleitet begibt sich Paulus zum Areopag, um die neue Lehre darzustellen (VV 19f.). In V 21 wird das Interesse der Philosophen mit der allgemeinen Neugier der Athener begründet. Dann hält er seine große Areopagrede (VV 22– 31). Die feierliche Anrede „Ihr Männer von Athen“ (V 22b), sein Hinweis auf die heidnische Frömmigkeit (V 22b), die Anknüpfung an die Altarinschrift vom unbekannten Gott (V 23a/b/c) und die gleichzeitige Unwissenheit der Athener über diesen Gott (V 23d) sind Kernthemen am Anfang der Rede, mit denen Paulus die Aufmerksamkeit der Zuhörer bindet. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen kritisiert er die Formen der heidnischen Religiosität (VV 24–29). Am Ende seiner Rede greift Paulus das Motiv der Unwissenheit der Heiden wieder auf und verbindet dies mit einem umfassenden Aufruf zur Umkehr (V 30). Abschließend warnt er vor dem kommenden Gericht und weist auf den auferstandenen Christus hin, der den Erdkreis richten wird (V 31). Die Zuhörer wollen jedoch nichts über die Totenauferstehung hören, somit wird Paulus unterbrochen (V 32). Obwohl die Rede kompositorisch gesehen ans Ende gelangt ist, deutet die weitere Rahmenerzählung darauf hin, dass nun eigentlich die christologische Verkündigung folgen müsste; aber die meisten Zuhörer haben nun kein Interesse mehr. Sie weichen aus, denn für die Heiden ist das Auferstehungskerygma ein Skandalon. Darum zieht sich Paulus zurück (V 33). In V 34 werden die zum Christusglauben gekommenen Personen teils namentlich erwähnt.
469 470 471
Vgl. J. Roloff, Apg 255; J. Zmijewski, Apg 633; A. Weiser, Apg II 458. Vgl. G. Schneider, Apg II 231; A. Weiser, Apg II 458. W. Eckey, Apg II 391.
VI. Paulus in Athen
3.
253
Traditionen
Was Lukas aus der Tradition überliefert bekommen hat, dürfte eine Itinerarnotiz über die Predigttätigkeit des Paulus in der Synagoge und auf der Agora gewesen sein. „Der Aufenthalt des Paulus in Athen ist durch 1 Thess 3,2 historisch gesichert.“472 Nach Nauck473 hat Lukas aus der christlichen Missionsverkündigung einige Motive übernommen, wie z. B. die Schöpfung in VV 24–26, die Erhaltung in V 26 und die Erlösung in V 31. Diese Motivgruppen finden sich auch in der Missionsliteratur des hellenistischen Judentums. Entgegen dieser Interpretation von Nauck ist Haenchen 474 der Ansicht, das Schema creatio – conservatio – salvatio gelte hier nicht, weil es nirgendwo und auch nicht im vorliegenden Text streng durchgeführt wurde. Eckey hingegen teilt die Meinung von Nauck und führt dessen Interpretation weiter aus, da sie am naheliegendsten erscheint. Er schreibt dazu: „Bei der Gestaltung der Areopagrede arbeitet Lukas mit traditionellen Motiven hellenistisch-jüdischer Propagandaschriften und urchristlicher Missionspredigt, die unbeschadet jeweils anderer theologischer Akzentsetzung z. B. größtenteils auch in Röm 1,18–2,10 und im Ersten Clemensbrief begegnen.“475 Traditionell erscheint der Name des Areopagiten Dionysius. Mit dieser Annahme lässt sich am besten die redaktionelle Angabe erklären, Paulus sei vor dem Areopag aufgetreten.476 Darüber hinaus ist der Name der bekehrten Frau Damaris traditionell. Dieser Frauenname kommt an keiner anderen Stelle der neutestamentlichen Schriften vor,477 so dass man annehmen kann, Lukas habe ihn aus der Tradition bzw. von ihm bekannten Gemeinden übernommen. 4.
Lukanische Merkmale / lukanischer Stil
Nun soll kurz auf die wesentlichen lk Merkmale in diesem Abschnitt eingegangen werden. In dieser Erzählung zeichnet Lukas „die Begegnung des Paulus mit den Heiden und des Christentums mit dem hellenistischen Heidentum“478. Wie man der Apostelgeschichte entnehmen kann, erwähnt Lukas, dass Paulus vor Juden (Apg 13), vor Christen (Apg 20) und vor Heiden (Apg 17) predigt. Den lk Stil erkennt man gut an der Gestaltung der Szene. Kunstvoll fügt Lukas die Areopagrede (VV 21b–31) in den erzählerischen 472 473 474 475 476 477 478
Ebd. 389. Vgl. dazu W. Nauck, Tradition 25–28. Vgl. E. Haenchen, Apg 503, Anm. 4; ähnlich auch H. Conzelmann, Apg 112. W. Eckey, Apg II 389. Vgl. G. Lüdemann, Christentum 200f. Vgl. W. Bauer, Art. Da,marij 340; mehr zu dem Namen vgl. J. Hainz, Art. Damaris 50. A. Weiser, Apg II 458.
254
D. Apologetische Intention des Lukas
Rahmen ein, so dass keine Spannungen und kein Bruch entstehen, sondern alles logisch miteinander verknüpft ist. Das schriftstellerische Vermögen von Lukas erweist sich in der Verwendung vieler Anspielungen und Zitate aus dem jüdischen, hellenistisch-jüdischen und philosophischen Milieu. Was auf der Erzählebene von Lukas berichtet wurde, wird von Paulus später ausgeführt und erklärt. V 16 und V 23 deuten z. B. auf diesen Zusammenhang hin. Sein Sprechen von Gott in V 18, von den Philosophen abschätzig bewertet, wird in VV 24–28 von Paulus ausführlich dargelegt. Das Thema Auferstehung kommt sowohl in V 18d als auch in V 31e vor. Weiter findet man typisch lukanische Redewendungen, wie z. B. pa/san h`me,ran (täglich) in V 17b. Lukas verwendet sie auch in Apg 5,42. Was den Ausdruck pro.j tou.j paratugca,nontaj (zu den gerade Anwesenden) in V 17b angeht, so kommt er nur hier bei Lukas vor. Wenn man die Erzählung in Mk 12,18–27 mit Lk 20,27–40 (die Frage nach der Auferstehung) vergleicht, erkennt man, dass Lukas die mk Vorlage kurz unterbricht und in V 35 ausführt, wo er das Wort tugca,nw verwendet.479 Lukas gibt bezüglich der gezeigten Reaktionen gerne die jeweiligen Gruppen an (Apg 17,18.32.34; vgl. 2,12f.; 5,33f.; 14,4; 23,6–9; 28,24), die fast immer entweder positiv oder negativ zur christlichen Verkündigung eingestellt sind.480 Die Ausdrücke evpilamba,nomai (im NT 17-mal, davon zwölfmal im lk Doppelwerk) 481 und a;gw (im NT 67-mal, davon 39-mal bei Lukas)482 sind Vorzugsworte für den Verfasser. Jemanden (mit-)nehmen bzw. ergreifen und (hin-)führen erinnert an Apg 9,27, wo Barnabas Saulus (mit-)nimmt und ihn zu den Aposteln führt; auch Juden führen Paulus zu Gallio (Apg 18,12), und später wird Sosthenes ergriffen (V 17) oder Jesus wird vor Pilatus geführt in Lk 23,1 (vgl. Apg 19,37; 21,30; 23,19).483 Wenn man VV 21b–31 mit Apg 14,15–17 vergleicht, erkennt man ein ähnliches Motivgerüst, indem die Heiden darauf hingewiesen werden, dass nicht die wertlosen Götzen verehrt werden sollen, sondern nur der lebendige Gott, der alles erschaffen hat und sich als Lenker von allem erweist. Eine Strukturähnlichkeit erkennt man z. B. auch an 1 Thess 1,9f. und an 1 Kor 8,6. Des Weiteren kann das Wort deisidai,mwn bei Lukas sowohl als „religiös“ (vgl. V 22b) als auch als „abergläubisch“ (vgl. Apg 25,19) verstanden werden.484 In Apg 25,19 kommt das aus dem gleichen Stamm abgeleitete Wort deisidaimoni,a vor, das als Substantiv die analoge doppelte Bedeutung haben kann. Der Wortstamm kommt im NT nur bei Lukas an diesen beiden Stellen vor. Einer479 480 481 482 483 484
Zur Häufigkeit dieses Wortes vgl. I. Howard Marshall, Concordance 1048. Vgl. A. Weiser, Apg II 459. Vgl. I. Howard Marshall, Concordance 404. Vgl. ebd. 16. Vgl. A. Weiser, Apg II 460. Vgl. F. Staudinger, Art. deisidaimoni,a 675–678.
VI. Paulus in Athen
255
seits meint es Religion oder Frömmigkeit, andererseits jedoch Aberglauben.485 Eine doppelte Bedeutung in der Verwendung lässt sich auch aus evx e`no,j in V 26a ableiten.486 Auch der Ausdruck „Einem unbekannten Gott“ geht wahrscheinlich auf Lukas zurück.487 Darüber hinaus benutzte Lukas vermutlich ganz bewusst die Neutrumformen für die Bezeichnung des Göttlichen (V 23d: o] ou=n avgnoou/ntej euvsebei/te( tou/to evgw. katagge,llw u`mi/n; V 29c: to. qei/on), um den Heiden klarzumachen, dass der Gott der Christen genau das ist, was sie unwissend verehren. Nach dem Ausdruck „Einem unbekannten Gott“ hätte man das Relativpronomen „den“ erwartet. Dies wird jedoch von Lukas vermieden. Stattdessen gebraucht er ein Neutrum und knüpft an die Unwissenheit der Heiden an, um zu betonen, dass ihnen kein „neuer Gott am polytheistischen Götterhimmel [verkündet werde], sondern der Eine und der Einzige […]“488. Wenn man dem Partizip avgnoou/ntej (V 23d) bzw. dem Verb avgnoe,w und a;gnoia in der Apg nachgeht, begegnet man ihm in Apg 3,17 und Apg 13,27. Im ersten Fall spricht Petrus auf dem Tempelplatz zu den Juden (Apg 3,11– 26), indem er die Tötung und Auferweckung Jesu ausführt. Die Brüder sowie die jüdischen Führer haben aus Unwissenheit gehandelt und Jesus töten lassen. Gott aber wendete ihre Tat zum Guten. Nun müssen sie umkehren und Buße tun (vgl. Apg 3,19). Die Unwissenheit also entlastet die Juden.489 Im zweiten Fall wendet sich Paulus in Apg 13,26–41 an die Söhne aus Abrahams Geschlecht und erklärt ihnen, dass die Bewohner von Jerusalem und die jüdischen Führer in Unkenntnis der wahren Natur Jesu gehandelt haben. Obwohl sie ihn nicht erkannt haben, brachten sie die Worte der Propheten zur Erfüllung. Letztendlich führt Gott die Hinrichtung Jesu durch seine Auferweckung zum Guten. Des Weiteren wird in Apg 13,38 zum Ausdruck gebracht, dass die Sünden durch Jesus vergeben werden. In beiden Fällen gibt es nicht nur eine positive Seite (5000 wurden gläubig, Apg 4,4; viele wurden gläubig, Apg 13,43), sondern auch eine negative (Festnahme und Haft des Petrus in Apg 4,3 und Lästerungen gegen Paulus in Apg 13,45). Betrachtet man die Situation des lk Paulus in Athen, erkennt man ähnliche Motive, so die Unkenntnis der Heiden in V 23d, Gottes „Hinwegschauen“ über diese Unwis485
486 487 488 489
Man kann vermuten, dass Lukas damit zeigen will, dass Festus deisidaimoni,a als amtlichen Ausdruck für Religion verwendet – vgl. Joseph., ant. Iud. XIX,290 (ed. L. H. Feldman 350–352); b. Iud. II,174 (ed. O. Michel 216) ‒ und kein großes Interesse hat, sich mit der fremden Frömmigkeit auseinanderzusetzen (vgl. Apg 18,15). Lukas verwendet öfter Begriffe, die doppeldeutig sind; vgl. die Bedeutung von no,moj in der Szene vor Gallio (Apg 18,12–17). Vgl. D.VI.5.7. Siehe D.VI.5.5. A. Weiser, Apg II 469. Vgl. W. Schmithals, Art. avgnoe,w 51.
256
D. Apologetische Intention des Lukas
senheit (V 30a), der Ruf zur Umkehr (V 30c) als Voraussetzung für die Entlastung, Auferweckung als Beglaubigung (V 31). Lukas stellt das Ergebnis der Paulusrede nur als Teilerfolg dar. Die Nichtannahme mancher Zuhörer kompensiert er geschickt, indem er in V 32d darstellt, dass andere Zuhörer die Erklärung der Auferweckung auf später verschieben wollen. Und einige wurden sogar gläubig (V 34). Dieser Vergleich und die vorstehenden Ausführungen sollten genügen, um die lukanische Gestaltung in Apg 17,16–34 zu erkennen. 5.
Das Paulusbild des Lukas in Apg 17,16–34
Die Erzählung in Apg 17,16–34 stellt Paulus nicht nur als einen konsequenten Vertreter des jüdisch-christlichen Monotheismus dar, der über heidnische Götterbilder sehr empört war, sondern auch als einen in der griechischen Philosophie bewanderten christlichen Verkünder. Als Erstes wird das Evangelium in der Synagoge den Juden und Gottesfürchtigen verkündet, aber nicht nur dort, denn Paulus begibt sich auch zur Agora, um den Heiden die christliche Botschaft zu predigen.490 Das Verhalten des lukanischen Paulus in Athen setzt einige Akzente, die so sichtbar zum ersten Mal in der Apg erscheinen, die den Judenchristen unbekannt gewesen sein dürften, nicht aber den Anwesenden auf der Agora. Lukas verarbeitet sogar einige Parallelen zu Sokrates in seiner Erzählung. 5.1
Parallelen zwischen Paulus und Sokrates in den Augen von Lukas
Mit der Beschreibung des Verhaltens von Paulus auf dem Markt, aus der hervorgeht, dass dieser bestrebt ist, mit jeder Person ins Gespräch zu kommen, rückt Lukas Paulus in die Nähe von Sokrates, dessen Gestalt und Wirken den Athenern, vor allem den Lesern der Apg, gut bekannt war.491 Dessen Bemühen, einen jeden auf dem Markt anzusprechen, wurde den Einheimischen lästig, denn es war unmöglich, über die Agora zu gehen, ohne von Sokrates angesprochen zu werden. In V 18 vermuten einige, Paulus sei ein Verkünder fremder Gottheiten. Dies erinnert an die Hauptanklage im Prozess des Sokrates: „Sokrates tut Unrecht, denn er erkennt die Götter nicht an, welche der Staat anerkennt, und führt dagegen andere, neuartige göttliche Wesen ein.“492 Ebenso wie Paulus sich mit den Philosophen auseinandersetzt, dispu490
491 492
Hier scheint es so zu sein, dass Paulus nicht etwa wie in Apg 13,46 zunächst den Juden, dann aber den Heiden das Evangelium verkündigt, sondern er geht gleichzeitig zu den beiden Gruppen. Vgl. H.-J. Klauck, Magie 91. Xen., mem. I,1,1 (ed. P. Jaerisch 6; übers. P. Jaerisch 7).
VI. Paulus in Athen
257
tierte Sokrates mit den Sophisten. Sokrates wurde vor Gericht gestellt, Paulus auf den Areopag.493 Wie Sokrates spricht auch Paulus sein Auditorium an mit den Worten: „Ihr Männer von Athen“. Diese Worte erinnern an den Beginn der Apologie des Sokrates, die folgendermaßen lautet: „Wie meine Ankläger auf euch, ihr Männer von Athen, gewirkt haben, weiß ich nicht.“494 Obwohl die Art der Anrede der Apostelgeschichte nicht fremd ist – kommt sie doch in ähnlicher Form auch z. B. in Apg 1,11 (:Andrej Galilai/oi) und Apg 2,14 (:Andrej VIsrahli/tai) vor –, fällt sie hier besonders auf. Diese Anrede in der Tradition des Sokrates dürfte in der Stadt Athen, also im Zentrum der griechischen Philosophie und Kultur, auf die Zuhörer besonders positiv gewirkt haben.495 Mit dieser Parallelisierung des Auftretens von Paulus mit dem überlieferten Verhalten des Sokrates beabsichtigt Lukas wahrscheinlich eine Autoritätssteigerung des Paulus bei der gebildeten Schicht der Bevölkerung. 5.2
Paulus auf Augenhöhe mit Epikureern und Stoikern
Lukas zeichnet sein Paulusbild nicht nur mit Hilfe der Parallelen zu Sokrates, sondern auch indem er Paulus als einen Menschen darstellt, der sich nicht nur mit den Juden und Gottesfürchtigen auseinandersetzen kann, sondern als eine geistig sehr flexible Person auch mit den Heiden. Paulus diskutiert sogar mit Angehörigen der damaligen großen Philosophenschulen der Epikureer und der Stoiker. Die Verkündigung der christlichen Lehre durch Paulus findet also auch bei den gebildeten Athenern statt. In Lystra (vgl. Apg 14,8–18) war solches nicht möglich, weil die unaufgeklärte, eher barbarische Volksmenge nicht fähig war, Ähnlichkeiten der christlichen Theologie mit den damals geltenden philosophischen Grundideen zu erkennen. Jetzt ist für Lukas der Zeitpunkt gekommen, das Christentum den gebildeten Heiden näherzubringen. In VV 17f. präsentiert Lukas das breite Feld der Tätigkeit des Paulus in Athen. Während die Philosophen, Epikureer und Stoiker, sich ins Gespräch mit ihm einlassen, klingt das christliche Kerygma für andere wie Schwätzerei. Wieder andere vermuten unter Worten des Paulus die Verkündigung fremder Gottheiten. Aus diesen Versen erkennt man, dass nur die philosophischen Kreise, im Wesentlichen zwei Gruppen, mit Paulus sprechen. Lukas erwähnt nur Epikureer und Stoiker, während andere bekannte Philosophenschulen gar nicht zur Sprache kommen. 496 Die Frage ist, warum Lukas nur diese beiden Gruppen erwähnt. Um die Intention des Lukas und sein Paulusbild besser zu verstehen, lohnt es sich, kurz auf Epikureer und Stoiker ein493 494 495 496
Siehe D.VI.5.3. Plat., apol. I,17a (ed. E. A. Duke 29; übers. E. Heitsch 11). Vgl. R. Hoppe, Philosoph und Theologe 115f. Vgl. J. Roloff, Apg 257.
258
D. Apologetische Intention des Lukas
zugehen. Die Schule der Epikureer geht auf ihren Gründer Epikur (342–270 v. Chr.) zurück. Epikureer waren nicht auf die Theorie, sondern auf die Praxis ausgerichtet. Sie wurden als Seelsorger und Therapeuten verstanden.497 Mit ihrer Lehre beabsichtigten sie, die Menschen auf ihre Bestimmung und ihren Lebensweg aufmerksam zu machen. Mit den Fragen, wie man Seelenruhe und Lebensglück erlangt und ungeachtet aller Ängste unerschütterlich bleibt, stand die Lehre Epikurs dem alltäglichen Leben der Bevölkerung sehr nahe. Für die Epikureer galt selbst der Tod nicht mehr als fatales Ereignis. Die Glückseligkeit konnte man nur durch eine bescheidene Lebensführung erlangen, indem man von allen körperlichen und seelischen Leiden frei wird. Bezüglich der Stoiker weiß man, dass sie ihren Namen von der Stoa Poikile, der „bunten Wandelhalle“ auf der Agora zu Athen herleiten, wo Zenon (333–262 v. Chr.) als ihr Gründer lehrte. Für die Stoiker war die Ethik der zentrale Punkt ihres Denkens. Diese Lebenslehre verband sich unmittelbar mit einer Gottesvorstellung, „die ihrerseits einen engen Bezug zur Kosmologie hat“498. Im Zeushymnus des Kleanthes lässt sich dieser Zusammenhang gut erkennen: „Erhabenster der Unsterblichen, vielnamiger, stets alles beherrschender Zeus, Herr der Natur, der du alles nach dem Gesetz lenkst, sei gegrüßt! […] Dir folgt diese ganze Welt, sich um die Erde drehend, so wie du sie führst, und freiwillig läßt sie sich von dir beherrschen.“ 499 Hierbei muss man berücksichtigen, dass der Kosmos der Stoiker selbst göttlicher Natur ist. In der christlichen Lehre dagegen ist Gott der, der den Kosmos und alles ins Leben ruft. Das menschliche Leben hat, der stoischen Philosophie entsprechend, nur dann göttlichen Charakter, wenn es in Harmonie mit Kosmos und Natur ist. Aus dieser kurzen Ausführung erkennt man, dass Lukas nur die praktisch ausgerichteten Philosophenschulen der Epikureer und Stoiker in seine Erzählung einführt, weil diese dem Christentum am nächsten standen und vielleicht als Konkurrenzlehren galten.500 Mit ihren Grundideen konnte Paulus aus lukanischer Sicht seine Verkündigung am ehesten in Verbindung bringen. Denn die von den Stoikern behandelten Themen wie die Gottesverwandtschaft des Menschen, die Fragestellung nach der Beziehung Gott – Mensch, das Leben in Gott und die Zukunft der Welt und des Menschen sind auch beim lk Paulus wichtige Themen, die er in Apg 17,22–31 anspricht.501 Wie oben bereits erwähnt, beschreibt Lukas eine zweifache Reaktion der anderen 497 498 499 500 501
Vgl. hier und im Folgenden R. Hoppe, Philosoph und Theologe 112; W. Eckey, Apg II 393. R. Hoppe, Philosoph und Theologe 113. Kleanth., Zeushymnus (ed. B. Effe 156; übers. B. Effe 157f.). Vgl. H.-J. Klauck, Magie 92. Vgl. R. Hoppe, Philosoph und Theologe 114.
VI. Paulus in Athen
259
Zuhörer. Diese sowohl offene als auch ablehnende Reaktion findet sich auch im Pfingstereignis (Apg 2,1–13). In der Darstellung des Lukas wird die Verkündigung des Paulus für einige zum Anstoß. Die Bezeichnung spermolo,goj, übersetzt als „Körnerpicker“, „Saatkrähe“ oder „Schwätzer“, bringt Verachtung und Spott zum Ausdruck. 502 Paulus wird also von diesen als einer verstanden, der seine Kenntnisse von anderen gestohlen hat und sie als eigenes Wissen ausgibt. Eine andere Gruppe wiederum hat eine etwas positivere Einstellung zu Paulus, indem sie die christliche Verkündigung als Verkündigung fremder Gottheiten vermutet, worunter sie Jesus und die Auferstehung (Anastasis503) verstehen. Diese Interessierten wollen zwar mehr darüber erfahren, was auch in V 21 begründet wird und was auch zur Areopagrede des Paulus führt, sie reagieren jedoch anschließend bezüglich der Auferstehungsverkündigung mit Desinteresse und Spott (V 32). 5.3
Der Areopag als eine große Bühne für den lukanischen Paulus
Neben der Synagoge und der Agora wird von Lukas der Areopag eingeführt als ein Ort, der für das allgemeine Paulusbild der Apostelgeschichte von besonderer Bedeutung ist. Der Ausdruck evpi. to.n :Areion Pa,gon h;gagon ist allerdings nicht so eindeutig zu verstehen, wie man es sich wünschen würde. Er kann einerseits als lokale Angabe verstanden werden, mit dem Ergebnis, dass Paulus auf den Areshügel nordwestlich der Akropolis geführt worden wäre. Andererseits kann auch die Areopag genannte Gerichtsbehörde504 – die zu Zeiten des Paulus jedoch nicht mehr auf dem Areshügel, sondern in der sogenannten Königshalle (Stoa Basileios) an der Agora zu tagen pflegte ‒ gemeint sein.505 Der Areopag als Gerichtsinstanz genoss seit alters hohes Ansehen bei der Bevölkerung und Autorität; er galt als eine starke Stütze für Staat und Gesellschaft.506 Seine Mitglieder waren Männer, die aufgrund ihrer Erfahrung allgemein bekannt waren und akzeptiert wurden. Dieses Gremium hatte ursprünglich Aufgabe und Einfluss in allen wichtigen Bereichen der Politik und der Finanzen. In neutestamentlicher Zeit, also auch zur Zeit des Paulus, war es jedoch nur noch für Religions- und Erziehungsangelegenheiten zuständig. Was also meinte Lukas in V 19 mit evpi. to.n :Areion Pa,gon h;gagon? Dazu gibt es zwei Varianten: die lokale Interpretation (das wäre der Areshügel) und die nichtlokale Interpretation (das wäre die Gerichtsbehörde). 502 503 504
505 506
Vgl. hier und im Folgenden H.-J. Klauck, Magie 93. Anastasis konnte als eine Göttin verstanden werden. Darunter konnte man ein Gremium verstehen, das seinen Namen vom Areopag herleitete. Dieses tagte zunächst auf dem Areshügel, wechselte aber später seinen Ort in ein Gebäude an der Agora, behielt jedoch den alten Namen. Mehr dazu vgl. E. Kirsten, Griechenlandkunde 80; 125. Vgl. hier und im Folgenden R. Hoppe, Philosoph und Theologe 114f.
260
D. Apologetische Intention des Lukas
In der exegetischen Forschung wird die lokale Variante bevorzugt, weil dies wohl besser zu Kontext und Inhalt passt. Wenn wirklich der Gerichtshof gemeint wäre, wäre Paulus mit seiner Verkündigung „fremder Götter“ vermutlich gleich verurteilt worden. Dagegen spricht jedoch der Text in V 20 über den Wunsch der Zuhörer, mehr Information zu dem bisher Gehörten zu erhalten. Daraus wird klar, dass es um eine Erweiterung der Information über die verkündete neue Lehre (h` kainh. au[th h` u`po. sou/ laloume,nh didach,) ging und nicht um eine Anklage wegen der Propagierung neuer Gottheiten. Darüber hinaus ist eine Lokalisierung der Szene auf dem Areshügel für das Paulusbild des Lukas viel ertragreicher und bedeutender als eine Rede von Paulus vor dem Areopag in der Stoa Basileios mit eventueller Anklage. Paulus als Vertreter des Christentums steht auf dem Areshügel in der Mitte der polytheistischen Welt und heidnischen Kultur, an dem Ort, von dem aus die Akropolis und zahlreiche Heiligtümer zu sehen waren. Hier auf dem Hügel zeichnet Lukas Paulus als jenen, der praktisch aus der Höhe in alle Richtungen der Erde schauen kann. Unter diesen Gegebenheiten ergreift Paulus das Wort, als ob er zu jedem noch heidnischen Bewohner spräche. Sein Publikum befindet sich um ihn herum, um ihm, dem Christen, der in seiner Anhängerschaft hohe Autorität besaß, zuzuhören. Darunter sind vermutlich nicht nur Hochgebildete aus philosophischen Schulen, sondern auch einfache Leute, die mit ihm auf den Areshügel kamen. In V 21 zeichnet Lukas auch ein Bild von den Athenern („alle“ kann auch ironisch verstanden werden), die nichts anderes tun, als nur Neuigkeiten zu erzählen und zu hören. Dies bestätigt uns auch z. B. Thukydides, indem er Kleon sagen lässt: „Auf die Neuheit eines Gedankens hereinfallen, das könnt ihr gut, […] ihr Sklaven immer des neuesten Aberwitzes. […] Der Hörlust preisgegeben, tut ihr, als säßet ihr im Theater, um Redekünstler zu genießen […].“507 Der entscheidende Punkt in der Lokalisierung der Paulusrede besteht für Lukas in der direkten Verbindung des Paulus mit der großen Vergangenheit der Stadt Athen. Lukas beschreibt Paulus als eine Person, die sich in die Bildungstradition Athens einfügt. Warum war Lukas die Erwähnung des Areopags so wichtig? Vielleicht aus dem Grund, den Elliger anführt: „Eine Agora und eine Akropolis gab es auch in anderen Städten, einen Areopag nur in Athen.“508 Dies war für den Verfasser eine Besonderheit, welche die allgemeine Bedeutung der Paulusrede zusätzlich hervorheben sollte.
507 508
Thuk., Krieg III,38,4–6 (ed. K. Bayer 386; übers. G. P. Landmann 387). W. Elliger, Paulus 178.
VI. Paulus in Athen
5.4
261
Der lukanische Paulus als Kenner der antiken Rhetorik
In der Areopagrede (VV 22–31) erweist sich der lk Paulus als Kenner der antiken Rhetorik. Er beginnt seine Rede mit einer captatio benevolentiae509, um den heidnischen Zuhörern zu schmeicheln, welch fromme Menschen (V 22) sie doch seien. Dadurch versucht Paulus Aufmerksamkeit und freundliche Zustimmung für die Inhalte seiner Rede zu gewinnen. Das Wort, das Lukas Paulus in den Mund legt, deisidai,mwn (mit der doppelten Bedeutung: gottesfürchtig oder abergläubisch), verstehen die Athener natürlich im positiven Sinn, da sie sich für besonders fromm halten. Paulus handelt hier genau in der Tradition der Stadt. Die Menschen in Athen hatten nämlich den Ruf, besonders gottesfürchtig zu sein, wie man auch den Texten des griechischen Tragikers Sophokles510 (497–405 v. Chr.) entnehmen kann. Des Weiteren berichtet Pausanias (2. Jh. n. Chr.): „Bei [den Athenern] gibt es aber nicht nur Menschenfreundlichkeit, sondern sie ehren auch die Götter mehr als andere. […] Und es ist ganz deutlich, dass diejenigen, die mehr Frömmigkeit haben als die anderen, auch mehr Wohlergehen genießen.“511 Josephus512 betont die besondere Frömmigkeit der Athener, indem er sie als „die Frömmsten aller Griechen“ bezeichnet (hier erscheint auch das Wort euvsebh,j). Diese oben angeführten Beispiele von Hoppe513 dürften ausreichen, um klar zu machen, dass Paulus aus heidnischer Perspektive die Wahrheit sagte. Die Schmeichelworte an die Athener hatten nach Klauck allerdings auch ihre Tücken. 514 Denn deisidai,mwn spannt einen Bedeutungsbereich „von der frommen Gottesfurcht bis zum krassen Aberglauben“515. Die christlichen Leser des Lukas dürften diese Anrede des lk Paulus mit einer gewissen Skepsis aufnehmen. Vielleicht durchschauen sie das Spiel mit den zwei Bedeutungen von deisidai,mwn; für sie wird die Frömmigkeit der Athener suspekt. In hellenistischem Judentum hat deisidai,mwn eine zumindest unklare Bedeutung, wie man z. B. den Texten von Philo516 entnehmen kann. Er bezeichnet wahrhafte Frömmigkeit mit evuse,beia und Furcht vor den Dämonen mit deisidaimoni,a als zwei Gegensätze und fügt die deisidaimoni,a sinngemäß zwischen die Begriffe Frömmigkeit und Gottlosigkeit ein. Heiden und Juden interpretierten das Wort also mit entgegengesetzter Bedeutung. 509 510 511 512 513 514 515 516
Vgl. G. Schille, Apg 355f., der bezweifelt, dass es ein Lob an die Athener sei, sondern vielleicht eher spöttisch gemeint sei. Vgl. Sophokl., Oed. Col. 260–265 (ed. W. Willige 594). Paus., descrip. I,17,1 (ed. W. H. S. Jones 80–82; übers. E. Meyer 99). Vgl. Joseph., c. Ap. II,130 (ed. F. Siegert 174). Vgl. R. Hoppe, Philosoph und Theologe 116f. Vgl. H.-J. Klauck, Magie 97. Ebd. Vgl. Philo, cherub. 42 (ed. J. Gorez 38).
262
D. Apologetische Intention des Lukas
So gibt sich Paulus in V 16 in seinem Zorn über die Götzenbilder als echter Jude und Monotheist zu erkennen. In der Anrede (V 22) zeigt er sich jedoch als kluger Rhetoriker. Auf diese Weise passt er sich der Sprache und der Denkwelt seiner stoischen und epikureischen Zuhörer an. Darüber hinaus sollen die Griechen erkennen, dass ihnen eine tiefere Frömmigkeit angeboten wird.517 Deshalb macht Paulus die Gemeinsamkeiten zwischen seinem Gott und dem Gott der Griechen zum Schwerpunkt seiner Rede und spricht damit gleichzeitig die Heiden in der Erzählung und die Christen als Adressaten der Apostelgeschichte an.518 5.5
Einem unbekannten Gott: Anknüpfungspunkt für den lukanischen Paulus
Nach dem „Lob“ an die Heiden begründet Paulus seine Ansicht, dass die Athener einen unbekannten Gott unwissend verehren. Als Beweis dafür führt Lukas die entsprechende Inschrift an einem Altar an. Kurz davor in V 23a berichtet der lk Paulus nicht über Götterbilder (katei,dwla), sondern über heidnische Heiligtümer (seba,smata). Paulus als Kontrahent der Philosophen spricht dem Auditorium angepasst. Eine Doppeldeutigkeit, wie oben erwähnt, lässt sich auch hier erkennen. Im Gegensatz zu den hellenistisch-jüdisch geprägten Lesern der Apostelgeschichte, die seba,smata immer negativ beurteilen und mit Götzenbildern verbinden, ist das Wort für die Griechen positiv zu verstehen, weil sie sehr stolz auf ihre ehrwürdigen Heiligtümer sind. 519 Die sogenannte Einführung fremder Götter auf der Agora in V 18, die von manchen spöttisch kritisiert wurde, wird in V 23 durch die geschickte Erwähnung des Altars für den unbekannten Gott entkräftet. Lukas versetzt sich in die Lage der Zuhörer und vermutet, dass die Anwesenden auf dem Areopag eine Rechtfertigung für das angebliche Einführen fremder Götter benötigen. Dabei handelt es sich ja tatsächlich nicht um eine Einführung fremder Götter. Im Gegenteil, mit dem respektvollen Hinweis auf den Altar für den unbekannten Gott hebt Paulus gerade die Frömmigkeit der Athener hervor. Es stellt sich die Frage, ob dieser Altar überhaupt existierte oder ob seine Erwähnung nur ein aussageorientierter Einschub von Lukas ist. Nach der Überlieferung gab es nur Altäre für unbekannte Götter, also die Pluralform. Pausanias berichtet, dass es ein Demeterheiligtum, einen Zeustempel und „Altäre der unbekannten Götter“ gegeben habe. 520 Darüber hinaus ist Philo517
518 519 520
H.-J. Klauck, Magie 97 spricht beispielsweise über „Unterscheidung von erzählter Kommunikation und Kommunikation durch Erzählung“ und sagt, dass die Athener gar nicht erkannten, „wie vergiftet dieses Lob war“. Vgl. R. Hoppe, Philosoph und Theologe 118. Vgl. ebd. Vgl. Paus., descrip. I,1,4 (ed. W. H. S. Jones 4).
VI. Paulus in Athen
263
strat521 der Meinung, dass es weiser sei, allen Göttern Gutes zuzusprechen, zumal in Athen, wo man sogar den unbekannten Göttern Altäre aufgestellt hat. Auch Hieronymus meint diesbezüglich, dass die Inschrift des Altars nicht lautete, wie der lukanische Paulus behauptete, „Einem unbekannten Gott“, sondern in Pluralform, den Göttern Asiens, Europas und Afrikas, den unbekannten und fremden Göttern.522 Diese Änderung von Plural zu Singular hat also vermutlich Lukas vorgenommen. 523 Damit würde Lukas, so Klauck, im Umgang mit klassischen philosophischen Werken zu der Praxis des hellenistischen Judentums tendieren, die Pluralform „Götter“ und den Eigennamen „Zeus“ grundsätzlich durch den Singular „Gott“ zu ersetzen. Auf diese Weise bekamen heidnische Texte einen monotheistischen Klang, um apologetischen Zwecken zu dienen. Durch die Weihe eines Altars an unbekannte Götter versuchte man ängstlich möglichst keinen Gott zu vergessen, sondern alle, auch die nicht bekannten Götter zu verehren. Denn gemäß damaliger antiker Religiosität mussten alle Götter verehrt werden, andernfalls hätten sie mit Zorn und Strafen auf die Menschen reagiert. Dass diese Änderung (Plural – Singular) in V 23 von Lukas kommt, bestätigt die verwendete Wortfolge „was ihr verehrt“; beim Sprechen von einem Gott wäre die Wortfolge „den ihr verehrt“, also maskulin Singular, logisch. Der Autor hütet sich also, der Aufschrift am Altar ein klar umrissenes personales Gottesbild zu geben. Des Weiteren handelt der lk Paulus in der Rede vom unbekannten Gott im Einklang mit der Bibel. Denn der hier benannte unbekannte Gott ist gleichzeitig der verborgene Gott, über den die alttestamentliche Prophetie spricht (vgl. Jes 45,14f.). Lukas setzt im Interesse des philosophischen Paulusbildes absichtlich den Singular ein, damit die Zuhörer auf den Monotheismus vorbereitet werden.524 Erst dann lässt sich eine Basis schaffen, auf der die Heiden als mögliche zukünftige Christen überzeugt werden können. Der Verfasser vermutet, dass die Verkündigung des Paulus wenigstens bei den Stoikern eine positive Einstellung erzeugen kann, um auf diese Weise einen Anknüpfungspunkt für den christlichen Monotheismus an die philosophische Religiosität zu schaffen. Für die gebildeten Christen aus den hellenistisch-jüdischen Kreisen ist diese Absicht bei der Verwendung der singularischen Inschrift am Altar erkennbar. Sie sehen darin eine Überzeugungsstrategie des Missionars, welche die heidnischen Gebildeten zum Christentum führen soll. Wie beim Begriff deisidaimoni,a versucht der lk Paulus auch hier eine Brücke zwischen den lukanischen Gemeindechristen und der nichtchristlichen Hörerschaft zu schlagen. 521 522 523 524
Vgl. Philostr., Leben VI,3 (ed. F. C. Conybeare 12). Vgl. Hieron., in Tit. comm. 1,12 (ed. PL 26, 607). Vgl. hier und im Folgenden H.-J. Klauck, Magie 98f. Vgl. hier und im Folgenden R. Hoppe, Philosoph und Theologe 119.
264
5.6
D. Apologetische Intention des Lukas
Bedürfnislosigkeit Gottes als weiterer Anknüpfungspunkt für den lukanischen Paulus
In VV 25f. findet man in der lukanischen Gestaltung sehr wichtige theologische Themen über die Erschaffung der Welt durch Gott und die Bedürfnislosigkeit Gottes. Mit diesem Gedanken verbindet sich in der Antike eine allgemeine Gottesvorstellung der gebildeten Kreise. Eine derartige philosophische Vorstellung erscheint im NT allerdings nur hier, in der Areopagrede, woraus erkennbar ist, dass sich der lk Paulus in die heidnische Vorstellungswelt der Griechen hineindenkt. Dass es solche Motive gab, beweisen uns die Stellen bei Euripides525, Platon526 und Seneca527. Paulus erweist sich also als ein Kenner traditioneller und zeitgenössischer hellenistischer Gottesvorstellung. Ähnliche Vorstellungen waren auch eine wichtige Grundlage des hellenistischen Judentums, wie es von Philo überliefert ist: „Von der Frömmigkeit, die in der Bedienung Gottes besteht, darf man nicht sagen, dass sie dem göttlichen Wesen etwas Nutzbringendes verschafft. […], da es weder etwas braucht noch etwas unter allem existiert, das ihm etwas Besseres, als er selbst ist, bieten könnte […].“528 Schließlich hebt Philo hervor, dass Gott keine Dienste benötigt. 529 Auch die Tempelkritik der Stephanusrede in Apg 7,48–50 muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden; auch hier tauchen sinngemäß ähnliche Aussagen auf wie in VV 24f. Darüber hinaus finden wir solche Gedanken auch im Tempelweihegebet des Salomo in 1 Kön 8,27, wo er aufzeigt, dass Gott nicht auf Erden wohnt. Selbst die Himmel können ihn nicht fassen, um wie viel weniger dieses Haus.530 In Tob 7,17 wird Gott als „Herr des Himmels und der Erde“ bezeichnet, der alles erhält, in dem allem Lebenskraft und Lebensatem gegeben wird. So auch in Jes 42,5: „So spricht Gott, der Herr, der den Himmel erschaffen und ausgespannt hat, der die Erde gemacht hat und alles, was auf ihr wächst, der den Menschen auf der Erde den Atem verleiht und allen, 525
526 527 528
529 530
Eur., Herakl. 1345 (ed. J. Diggle 170; übers. J. J. Donner 355): „Denn nichts bedarf doch – ist er wahrhaft Gott – ein Gott: Das alles sind armselige Dichtermärchen nur.“ Vgl. Plat., Tim. 77 (ed. I. Burnet 77). Sen., Briefe 95,47 (ed. R. Nickel 322): „Gott braucht keine Diener. Wozu denn? Er selbst dient dem Menschengeschlecht, er ist überall und für alle da.“ Philo, quod det. pot. insid. 55 (ed. I. Feuer 56; übers. H. Leisegang 294). Vgl. dazu Joseph., ant. Iud. VIII,111 (ed. R. Marcus 274; übers. H. Clementz 373): „Unmöglich können die Menschen mit Werken Gott für die erhaltenen Wohltaten danken, denn die Gottheit bedarf nichts und ist zu erhaben, als dass ihr damit vergolten werden könnte.“ Vgl. ebd. Auch Ps 50,12f. spricht eine Opferkritik aus.
VI. Paulus in Athen
265
die auf ihr leben, den Geist.“ Dass Paulus absichtlich in V 24 das dem AT vertraute Wort gh/ (Erde) durch das Wort ko,smoj (Welt) ausgetauscht hat, ist naheliegend. Dadurch wird eine Anknüpfung an die Kosmologie der Stoiker erreicht, die zum Pantheismus tendieren. 531 Auf diese Weise zeigt Lukas in VV 24f., dass Paulus das theologische Denken des Hellenismus und des hellenistischen Judentums in seine Missionsarbeit einbindet.532 Als ein im Hellenismus bewanderter Jude kann er den Dialog mit den Heiden auf Augenhöhe führen. Die christlichen Leser aber erkennen aus der Darlegung des Lukas, dass Paulus dem biblischen Schöpfergott unerschütterlich treu ist. 5.7
Die Abstammung der Menschen aus „Einem“ (Adam – christlich; Urprinzip – heidnisch)
In VV 26f. wird das Thema Schöpfung weiter entfaltet. Gott schuf aus Einem (evpoi,hse,n te evx e`no,j) das ganze Menschengeschlecht (pa/n e;qnoj avnqrw,pwn) – so führt der lk Paulus weiter aus. 533 Dieser Eine (e`no,j) ist natürlich Adam (vgl. Lk 3,28), von dem alle Menschen abstammen. Hier aber wird, mit kluger Rhetorik, der Name Adam im Hinblick auf die heidnische Hörerschaft ganz bewusst verschwiegen. Einerseits will der lk Paulus seine Zuhörer nicht mit einem fremden für sie völlig unbekannten Namen irritieren; andererseits steckt hinter dieser Redewendung des lk Paulus eine semantische Doppeldeutigkeit. Der Ausdruck „aus Einem“ (evx e`no,j) kann im Griechischen sowohl im Maskulinum verstanden werden, was dann auf einen Stammvater aller (Adam) hindeuten würde, als auch im Neutrum, was die stoische Lesart zum Ausdruck brächte, dass alles, also auch die Menschen, aus einem Urprinzip entstanden ist. Mit diesem dialektischen Kunstgriff macht Paulus seine Worte gleichermaßen für Christen und Heiden annehmbar. 5.8
Die Gottesverwandtschaft des Menschen als Anknüpfungspunkt für den lukanischen Paulus
In VV 28f. wird ein den Heiden bekanntes Motiv von Lukas aufgegriffen. 534 Denn die Dreistufung (Leben – Bewegen – Sein) könnte die Athener vermutlich gleich an die antike Naturphilosophie erinnern, wo z. B. Leben den Pflanzen zukommt, Leben und Bewegung den Tieren, Leben, Bewegung und Sein den Menschen. Obwohl es keine direkte Parallele zu V 28a gibt, kom531 532 533 534
Vgl. H.-J. Klauck, Magie 99f. Vgl. R. Hoppe, Philosoph und Theologe 121f. Vgl. hier und im Folgenden H.-J. Klauck, Magie 101. Vgl. hier und im Folgenden H.-J. Klauck, Magie 103–107; R. Hoppe, Philosoph und Theologe 123f.; W. Eckey, Apg II 404–406.
266
D. Apologetische Intention des Lukas
men doch einige dieser Elemente in der griechischen Philosophie vor, z. B. dort, wo die Philosophen über den höchsten Gott Zeus nachgedacht haben. So sagt Platon: „Als nun der schaffende Vater dies Abbild der ewigen Götter von Bewegung und Leben erfüllt sah, freute er sich, und diese Freude ward ihm zum Antrieb, es dem Urbild noch ähnlicher zu machen.“ 535 Darüber hinaus beinhaltet auch V 25c ähnliche Aussagen über Leben, Atmung und alles, was der Schöpfergott den Christen und allen Menschen gibt. VEn auvtw/| in V 28a kann man sowohl aus stoischer als auch aus biblischer Perspektive betrachten, denn es ergeben sich aus dem Griechischen zwei Möglichkeiten, also in ihm (stoisch) oder durch ihn (jüdisch bzw. christlich). Wie schon oben angemerkt, ist die Areopagrede so aufgebaut, dass sie dem religiösen Denkschema der Heiden und dem der jüdisch gebildeten Christen gleichermaßen entgegenkommt. In allen Passagen der Rede erweist sich der lk Paulus als ein flexibler Gesprächspartner, der in beiden Geisteswelten zu agieren weiß. Dies bestätigt auch sein Eingehen auf das Zitat des Dichters Aratos von Saloi (3. Jh. v. Chr.), wir seien seines Geschlechts536 (V 28c), wo er sich als Kenner der heidnischen Literatur zeigt. Natürlich versteht Lukas unter Gottesverwandtschaft die Gottebenbildlichkeit des Menschen aus dem ersten Schöpfungsbericht. Er spricht aber nicht direkt davon, so wie er es auch in V 26a vermieden hat, den Namen Adam zu erwähnen. Denn damit hätte er bei den Heiden sofort Widerspruch hervorgerufen. Der sich auf dem jüdischen Boden befindende Paulus spricht mit dem Ausdruck „eure Dichter“ einerseits eine gewisse Distanzierung aus, um unerwünschte Implikationen des Zitats zu vermeiden. Andererseits findet man ähnliche Ausdrucksweisen wie in V 28b auch an anderen Stellen der Bibel, wie z. B. in Apg 13,33: w`j kai. evn tw/| yalmw/| ge,graptai tw/| deute,rw|; Apg 7,48: kaqw.j o` profh,thj le,gei oder auch Apg 1,20; 7,42; 15,15. Solche Redewendungen sind den jüdischen Zuhörern ebenso vertraut wie den Heiden. Auf diese Weise können beide Zuhörergruppen mit denselben Worten angesprochen werden. Die Judenchristen nehmen keinen Anstoß an dieser Ausdrucksweise, für die Heiden ist es ein sehr guter Anknüpfungspunkt. Die doppelte Strategie des lk Paulus besteht also darin, dass er sowohl die jüdischen Zuhörer anhand der Bibel zu überzeugen und zu gewinnen versucht als auch heidnische Zuhörer anhand der Aussagen eigener ihnen vertrauter Dichter und Philosophen, in deren Denken sich ein gewisses Verständnis des christlichen Gottesbildes zeigt. In V 29 präsentiert sich der lk Paulus als Ablehner der goldenen, silbernen und steinernen Gebilde, der Kunst und der Erfindungen der Menschen, die das 535 536
Plat., Tim. 37d (ed. I. Burnet 37d; übers. O. Apelt 55). Vgl. Arat., Phainomena 5 (ed. B. Effe 136). Der gleiche Gedanke kommt bei Kleanth., Zeushymnus (ed. B. Effe 156–158) vor, wo Zeus als Herr über die Natur und Lenker des Alls verherrlicht wird.
VI. Paulus in Athen
267
Göttliche darstellen wollen. Er knüpft dort an, wo parallel zum biblischen Verbot für Götterbilder auch in der heidnischen Literatur ähnliche Gedanken auftauchen. Dion Chrysostomos sagt beispielsweise: „Sollte aber jemand meinen, das Material sei zu wertlos und verstoße gegen die Würde des Gottes, so ist dies zutreffend und richtig.“537 Laut Plutarch538 sind alle dem Aberglauben verfallen, die den Handwerkern vertrauen, die aus Metall oder Stein Götterstatuen anfertigen. Auch Seneca539 äußert sich kritisch, weil weder Gold noch Silber noch irgendein anderer Stoff eines Gottes würdig und ihm keineswegs ähnlich seien. Somit greift Lukas ein bekanntes Motiv unter den gebildeten Athenern auf. Diesbezüglich gibt es zwischen Paulus und den christlichen Lesern der Apostelgeschichte die Übereinstimmung, dass von Menschenhänden gemachte Götterbilder im Widerspruch zu dem einen Gott der Bibel (JHWH) stehen. Dazu findet man verschiedene Stellen in der Bibel, z. B. Ex 20,4; Weish 13,10–19; 15,7–17; Jes 40,18–20; 44,9–20; Jer 10,3–9. 5.9
Die Schlussworte des Paulus zu den Athenern
In den VV 30f. greift der lk Paulus wichtige Begriffe auf, die ihm von großer Bedeutung sind, wie z. B. die Unwissenheit der Heiden in Bezug auf die Vergangenheit, die Umkehr der Heiden in Bezug auf die Gegenwart, das Gericht in Gerechtigkeit in Bezug auf die Zukunft. 540 Das Wort „Unwissenheit“ in V 30a erinnert an V 23d bzw. an die Altarinschrift „Einem unbekannten Gott“. Dort hält Paulus diese Unkenntnis für noch nicht ausreichendes Wissen der Heiden und verurteilt sie dafür nicht. Darüber hinaus dienen ihm diese Begriffe dazu, die Areopagrede zu einem logischen Abschluss zu bringen, der gleichzeitig zum Höhepunkt der christlichen Verkündigung führt, nämlich zu Jesus Christus. In ihrer Unkenntnis werden die Heiden keineswegs diskreditiert, vielmehr soll diese ihnen ein dringender Anstoß zur Umkehr werden. Gleichzeitig verwendet Paulus das Motiv der Geduld Gottes, um das Gespräch mit den Athenern weiterhin aufrechtzuerhalten, ohne die eigene Position zu verlassen. Wenn der lk Paulus aber zu den Philosophen sagt, dass Gott „über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen hat“, spielt er auf unbekanntes Wissen bzw. eine Ahnung der Heiden von einem für sie noch nicht geoffenbarten Gott an. Diese Anspielung soll die Hörer zur Einsicht bringen. Deswegen übt der lk Paulus hier keine Kritik an den Heiden wegen ihres Götzendienstes, sondern „rechtfertigt“ das Verhalten der Athe537 538 539 540
Dion Chrys., Olymp. Rede 80 (ed. H.-J. Klauck 104; übers. H.-J. Klauck 105). Vgl. Plut., superst. 6b (ed. H. Görgemanns 21). Vgl. Sen., Briefe 31,11 (ed. G. Fink 182). Vgl. hier und im Folgenden R. Hoppe, Philosoph und Theologe 124–127; H.-J. Klauck, Magie 107f.; W. Eckey, Apg II 406f.
268
D. Apologetische Intention des Lukas
ner als Folge ihrer Unkenntnis. Sie sollen nur umkehren. Man könnte vermuten, dass das Thema „Umkehr“ (V 30) in dem heidnisch-„theologischen“ Sprachgebrauch völlig unbekannt sei. Bei Xenophon541 findet sich jedoch eine Beschwörung des Euryptolemos an die Athener, in der sie aufgefordert werden, im Sinne der Götter das Rechte und Wahre zu tun. Wenn sie frevelhaftes Handeln bei sich erkennen, dann sollen sie umkehren. Was also den Heiden allgemein bekannt gewesen sein dürfte, bringt der im Hellenismus bewanderte Paulus ins Gespräch. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die christlichen Leser haben von Unkenntnis und Umkehr der Heiden ein anderes Verständnis. Denn sie kennen Gott (1 Thess 4,4; Eph 4,17; 1 Petr 1,14) im Gegensatz zu den Heiden, sie sind umgekehrt (1 Thess 1,9), weg von den Götzen zu dem einen Gott, und sie gehören zu den Völkern, die die Umkehr als Gottes Geschenk verstehen (Apg 11,18). Auch später verteidigt sich Paulus vor Agrippa II. in Apg 26,20 mit dem Argument, er bewege die Heiden zur Umkehr und zu entsprechendem Handeln. In VV 30f. wird wieder die doppelte Strategie des lk Paulus erkennbar. Den stoischen Philosophen versucht er ihre eigene Gottesvorstellung bewusster zu machen, die schon Berührungspunkte mit dem einen Gott hat. Als Gesprächspartner der Heiden lässt er sich auf die Denkkategorien der Philosophen ein, um seine Zuhörerschaft zum Nachdenken anzuregen, mit dem Ziel der Erkenntnis des einen Gottes. Die christlichen Leser erkennen die Strategie des Paulus, der sich damit für die Umkehr der Athener hin zum Christusglauben einsetzt. Für sie selbst sind seine Worte nur noch eine Vergewisserung der Richtigkeit ihrer längst getroffenen Entscheidung, Christen zu sein. In der Darstellung des Lukas zeigt sich Paulus als ein Missionar, der durch seine Areopagrede den Heiden den christlichen Glauben darlegt in der Hoffnung, dass diese auch, wie die Christen früher, sich bereit erklären, die christliche Verkündigung bzw. Gott für sich anzunehmen. Diese Entscheidung ist aus Sicht des Paulus die einzige vernünftige Konsequenz der heidnischen Philosophie. Des Weiteren führt der lk Paulus in V 31 aus, dass Gott den Erdkreis durch einen von ihm bestimmten Mann richten wird. Ohne Namensnennung dieses Mannes und ohne den rationalen Boden des Hellenismus zu verlassen, kommt er zum Kernpunkt des christlichen Kerygmas. Auffällig ist das Wort pi,stij, das nicht die gewöhnliche, neutestamentliche Bedeutung „Glaube“ hat, sondern hellenistisch zu verstehen ist mit der Bedeutung „Beglaubigung“. 542 Damit wird gezeigt, dass die Initiative von dem einen Gott kommt, der in eine 541 542
Vgl. Xen., hist. Gr. I,7,20 (ed. G. Strasburger 66–68). A. Weiser, Apg II 476f. meint, dass pi,stij absichtlich von Lukas gewählt wurde, um sowohl in heidnischem als auch in christlichem Interesse zu agieren. Für J. Roloff, Apg 266 ist es ein indirekter Anklang an christliche Leser, die das Wort als Ziel der Verkündigung verstehen sollen; vgl. Joseph., ant. Iud. II,218 (ed. H. St. J. Thackeray 258).
VI. Paulus in Athen
269
Beziehung zum Menschen tritt und der sich in seinem Handeln zu erkennen gibt. Mit dem Hinweis auf einen Mann, den Gott auferstehen ließ, soll dem Publikum klar werden, dass dieser Gott auch zukünftig handeln werde und ihm, dem Auferweckten, das Gericht überlassen wird. Die Auferweckung dieses Mannes als Richter des Erdkreises und damit auch des Menschen zeigt Gott als den Handelnden und unterstützt die Vorstellung von der Verwandtschaft von Gott und Mensch, also die Nähe Gottes zum Menschen (V 29). Mit avnasth,saj auvto.n evk nekrw/n verweist Paulus auf den theologischanthropologischen Aspekt der Nähe zwischen Gott und der Welt und der Verwandtschaft zwischen Gott und den Menschen. Davon ausgehend wird der Begriff pi,stij bewusst gewählt, um den Heiden zu zeigen, dass Gott in der Auferstehung Jesu ein Beispiel für sein zukünftiges Handeln in der Welt und für seine Beziehung zur Welt geschaffen hat. Denn Jesus verkörpert den Begriff der Gottesverwandtschaft schlechthin. Bei den Heiden versucht Paulus den Zugang auf ganz andere Weise zu erreichen. Er vermeidet eine direkte Erwähnung des Auferstehungskerygmas bzw. der Bekenntnistradition (1 Thess 1,10; 1 Kor 15,3–5; Lk 24,34). Stattdessen spricht er über die Auferstehung eines Mannes von den Toten als Beweis für das Handeln Gottes für alle (pa/sin). Dieser Gedanke stützt seine Intention, in der die Erkennbarkeit Gottes zu einer Brücke werden soll zwischen der christlichen Lehre und der stoischen „Theologie“. Allerdings zeigt die Reaktion der Hörerschaft, dass sie die Auferstehung von den Toten mit Gotteserkenntnis nicht in Zusammenhang bringen können. Die gebildeten Judenchristen dagegen sehen in der Auferstehung jenes Mannes (Jesu) den Zentralpunkt ihres Glaubens, und für den lk Paulus ist diese der Schlüssel zum Gottesverständnis. Also zeigen sich auch hier unterschiedliche Ebenen des Verständnisses bei den jeweiligen Gruppen. Nicht alle Philosophen akzeptieren den von Paulus vorgetragenen Beweis. Sie verstehen die Auferstehung aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Während für einige dieser Gedanke überhaupt nicht nachzuvollziehen ist, lassen sich andere teilweise überzeugen (Apg 17,34). 5.10
Reaktion der Hörer auf die Rede und deren Ertrag
In den VV 32–34 stellt Lukas die Reaktion der Zuhörer auf die Areopagrede des Paulus dar. Man bekommt den Eindruck, die Auferstehung Jesu sei „Sprengstoff“ für die Athener. Deshalb erscheint die Rede des lk Paulus in Bezug auf seine Missionsarbeit eigentlich als Misserfolg. Die Bewertung der Aussagen in seiner Rede auf dem Areshügel entspricht etwa dem Ergebnis seiner Diskussionen mit dem heidnischen Publikum auf der Agora. In V 32 ist beschrieben, dass manche Zuhörer nicht nur kein Interesse an weiteren Erklärungen haben, sondern über Paulus sogar spotten. Ähnlich wie in V 18 erwähnt wollen einige nichts mehr davon hören, während andere zumindest
270
D. Apologetische Intention des Lukas
weitere Gespräche in Erwägung ziehen. Eine totale Ablehnung zeigt sich in dem profanen griechischen Wort cleua,zw, was so viel wie „verspotten“ und „verhöhnen“ bedeutet.543 Verglichen mit V 18b (Körnerpicker) zeigt sich in V 32b eine Steigerung der negativen, spöttischen Reaktion. Dennoch erreicht Lukas mit seiner Darstellung des Paulus in Athen ein wichtiges Ziel, nämlich zu berichten, dass das Christentum mit dem dortigen Heidentum in Berührung gekommen ist und der Gott der Bibel von den gebildeten Athenern angenommen werden konnte. Deshalb geht Paulus ebenso wie Jesus in Lk 4,30 als unabhängiger Verkünder, der seine Mission erfüllt hat, aus ihrer Mitte (V 33). Obwohl der Ertrag auf den ersten Blick sehr gering zu sein scheint, gibt es doch die ersten wichtigen Früchte der Verkündigung unter den Heiden, wie die Bekehrung von Dionysius dem Areopagiten, einer Frau namens Damaris und anderen zeigt. 6.
Zusammenfassung
Lukas will mit der Gestaltung von Apg 17,16–34 ein klares Signal geben, dass sich die christliche Mission erfolgreich mit der damaligen Denkwelt und Geisteshaltung auseinandersetzen konnte. Der lk Paulus vermag auf Augenhöhe mit den Philosophen zu sprechen. Somit entspricht, so die Botschaft des Lukas, die Darstellung der christlichen Lehre dem Bildungsniveau der damaligen Gesellschaft. Das methodische Vorgehen späterer christlicher Apologeten, immer wieder zu versuchen, die christliche Lehre philosophisch zu erklären, findet man in ersten Ansätzen bereits in der Areopagrede. Wie bei Sueton zu erkennen ist, dessen Zeugnisse im Vergleich zur Apg eine spätere Entwicklung darstellen, galt das Christentum als eine neue Religion 544, die aus dem Osten stammt und die als eine jüdische Sekte 545 zu verstehen war. Die Neuheit und die östliche Herkunft waren ein Ärgernis für die Heiden. Aus dieser Sicht erscheint der lk Paulus in den Augen der Athener als Verkünder fremder Gottheiten (xe,nwn daimoni,wn dokei/ kataggeleu.j ei=nai) und somit auch die christliche Lehre als eine neue Lehre (kainh. didach,). Darum lässt Lukas Paulus philosophische Anknüpfungspunkte finden, die aufzeigen sollen, dass die Lehre der Christen gar nicht neu sei und dass jetzt den Heiden verkündete Wahrheiten längst in ihrer Denkwelt existieren. Deshalb erwähnt Lukas in V 23 den Altar für einen unbekannten Gott und spielt auf die Unwissenheit der Heiden bezüglich ihrer Gottesverehrung an. Auch die Darstellung der Parallelen zwischen christlicher Lehre und zeitgenössischer heidnischer Philosophie und Gottesverehrung in der lk Gestaltung soll aufzeigen, dass das Christentum keine fremde und anstößige Lehre ist. Die doppel543 544 545
Vgl. W. Bauer, Art. cleua,zw 1760. Vgl. B.III.9.1. Vgl. B.III.9.2.
VI. Paulus in Athen
271
deutige Verwendung von Ausdrücken wie deisidai,mwn (abergläubisch / fromm) oder evx e``no,j (der eine = Adam, das eine = die Urmaterie) bildet eine semantische Brücke zwischen der christlichen Lehre und der heidnischen Philosophie. Mit dem Gebrauch des Wortes ko,smoj statt des vertrauten gh/ und der Wortfolge evn auvtw/|, womit der lk Paulus auf den Pantheismus der Stoa eingeht, werden weitere Anknüpfungspunkte aufgezeigt. Auch die Anspielungen auf die Zitate der heidnischen Autoren sind Anhaltspunkte der Verbindung zwischen christlicher und heidnischer Glaubens- und Denkwelt. Was in Apg 17,16–34 nur mit wenigen Versen erwähnt wird, findet seine Entfaltung später bei den christlichen Apologeten. So verteidigt Justin 546 das Christentum, indem er ausführt, es handle sich nicht um eine neue Religion und auch nicht um eine Verkündigung fremder Gottheiten. Athenagoras 547 verteidigt die Christen ebenfalls und widerspricht der Ansicht, das Christentum finde seine Kundschaft nur unter den Ungebildeten. Auch Origenes 548, dem all diese Vorwürfe bekannt waren, kritisiert die von Menschenhänden gemachten Götter. Mit seinem Paulusbild stellt Lukas den Völkerapostel als Missionar dar, der mit den Inhalten der zeitgenössischen Philosophie vertraut ist und aufzeigen kann, dass zwischen dieser und dem Christentum zahlreiche denkerische Gemeinsamkeiten bestehen.
546 547 548
Vgl. C.I.3.4; C.I.3.6. Vgl. C.III.3.6. Vgl. C.IV.6.9.
E. Zusammenfassung der Untersuchung
Auf der Grundlage der Ausführungen in den Texten der paganen Autoren Tacitus, Plinius und Sueton kann man sehr gut nachvollziehen, mit welchen Vorwürfen die Christen von Außenstehenden konfrontiert wurden. Bei den Apologeten Justin, Aristides, Athenagoras und Origenes ging es in erster Linie darum, negative Ansichten zu korrigieren, die Vorwürfe zu widerlegen und das Christentum als Religion zu empfehlen. Im lukanischen Doppelwerk, besonders in Lk 23,1–25; Apg 16,16–40; 17,16–34; 18,12–17; 19,23–40; 25,1–12, kann man die apologetische Tendenz des Lukas deutlich erkennen. Mit Hilfe der späteren paganen wie christlichen Autoren ist es möglich, die Intention des Lukas besser zu verstehen, denn die Vorwürfe, denen die Apologeten widersprochen haben, sind ja vermutlich über einen längeren Zeitraum entstanden. Betrachtet man nun das lukanische Doppelwerk unter diesem Aspekt, so treten die apologetischen Absichten des Lukas noch deutlicher hervor. Die Schönheit eines jeden Mosaiks lässt sich nur dann bewundern, wenn der Künstler alle nötigen Steinchen und Teilchen gefunden und an die richtige Stelle gesetzt hat. Übertragen auf das vorliegende Thema soll in dieser Untersuchung ein Bild der Apologie des Lukas zusammenfassend dargestellt werden, das sich wie ein Mosaik durch ein gezieltes Setzen der einzelnen Texte (Mosaikbausteine) nach Gewicht und Bedeutung aus Einzelbeobachtungen zusammenfügt. Denn die Analyse der späteren Texte liefert mit ihren Ergebnissen in vielen Fällen Elemente, welche helfen, die Intentionen des Lukas noch präziser herauszuarbeiten und weitere Feinheiten in seiner Apologetik zu erkennen. Selbst Texte, die Jahrzehnte später verfasst wurden, tragen zum Verständnis des lukanischen Werkes bei. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse meiner Arbeit Entwicklungen auf, aus denen Rückschlüsse auch auf die Situation der lukanischen Gemeinde gezogen werden können. Somit war es mir ein Anliegen, all diese Mosaiksteine zu einem umfassenden Gesamtbild zusammenzufügen. In folgenden elf zusammenfassenden Thesen sei der Ertrag dieser Untersuchung festgehalten. Ich beginne mit den Vorwürfen gegen die Christen, die historisch sicher belegt sind, und bewege mich schrittweise weiter bis zu den Vorwürfen, die vermutlich sehr früh entstanden sind und bereits in den lukanischen Schriften anklingen.
I. Aufrührer
I.
273
Aufrührer
Zu den Grundbausteinen meines „wissenschaftlichen Mosaiks“ bezüglich der apologetischen Absichten des Lukas in seinem Doppelwerk gehört der Vorwurf, die Christen seien Aufrührer gewesen. Immer wieder tauchen diese Anschuldigungen auf, sei es vonseiten der Heiden, sei es vonseiten der Juden. Die Heiden sahen vielfach in den Christen Fremdkörper der Gesellschaft, die sich nicht integrieren wollten. Daran nahmen sie Anstoß. So baute sich eine Spannung auf, die sich öfters durch Aufruhr und Tumult entlud. Für die Juden galten Christen als Ungläubige, die das mosaische Gesetz missbilligten oder zumindest relativierten, den Sabbat entweihten, Reinheitsgebote nicht beachteten und Jesus zu Unrecht als Messias verehrten. Die Diskussionen zwischen beiden Gruppen erzeugten Konflikte, die auch zu Unruhen führten. Wirft man einen kurzen Blick auf die Ergebnisse der historisch späteren, von mir analysierten Texte, so erkennt man Folgendes: Für Tacitus1 ist, den Tatsachen entsprechend, Christus Urheber der christlichen Lehre, deren Anhänger, wie der Historiker meint, einem „Aberglauben“ (superstitio) folgten. Nach seiner Interpretation hat der römische Staat mit der Hinrichtung Christi durch das Kreuz dem geltenden Recht entsprechend gehandelt, insbesondere, da Jesus aus dem berüchtigten Unruheherd Judäa kam. Wäre er nicht ein Rebell und Unruhestifter gewesen, hätte Pontius Pilatus ihn im Namen Roms freigelassen. Tacitus sah Christus und dessen Gefolgschaft als Aufrührer und Verbrecher, für die Zukunft gebrandmarkt. Ebenso urteilte Sueton2, der allerdings die Christen nicht von den Juden unterschied. Er nimmt an, ein gewisser Chrestos sei Auslöser der Unruhen, worauf Claudius mit der Ausweisung der Oberschicht der Juden reagieren musste. Ursächlich dafür waren, historisch gesehen, Streitigkeiten zwischen Christen und Juden um die Person Christi, wodurch Sueton Frieden und Gemeinwohl des Staates gefährdet sah. In dem etwas späteren Werk des Origenes 3 Contra Celsum erkennt man ähnliche Tendenzen. So urteilt der Christengegner Celsus, Christen und Juden führten Streitgespräche über Christus, was er spöttisch als einen Streit um des Esels Schatten bezeichnete. Die Juden toleriert Celsus immerhin, weil sie ein Volk sind, das seinen Gebräuchen treu bleibt. Im Gegensatz zu diesen bestehe das Christentum jedoch aus Mitgliedern verschiedener Nationen (vgl. Apg 15,14). Von daher fürchtet er eine Gefahr für die nationale Aufteilung der Erde. Auch die Weigerung der Christen, die römischen Götter und den Kaiser zu verehren, wird von Celsus kritisiert. Dies könnte den Frieden im Reich gefährden und dieses nach außen schwächen. Celsus beschuldigt die 1 2 3
Siehe B.I.5; B.I.6; B.I.7.3. Siehe B.III.6; B.III.9.4. Siehe C.IV.6.7.
E. Zusammenfassung der Untersuchung
274
Christen, Rebellen zu sein. Dieser Behauptung widerspricht Origenes, indem er versucht, die falschen Anschuldigungen gegen die Christen zu widerlegen. Blicken wir nun zurück auf die lukanischen Schriften, so wird aus dem oben Erwähnten noch klarer, warum Lukas den Vorwurf, Christen seien Aufrührer, aufgreift und sie mit seiner Apologie „reinwäscht“. Zu diesem „Reinwaschen“ gehört auch die von Lukas gestaltete Pilatusszene.4 Ein Vergleich dieses Textes mit synoptischen und johanneischen Parallelen zeigt deutlich seine Absicht, darzustellen, dass Pilatus die Unschuld Jesu bezeugte. Dreimal erwähnt Lukas in seinem Evangelium (Lk 23,16.20.22) die Absicht des Pilatus, Jesus freizulassen, da er keine Schuld an ihm findet. Die Volksmenge dagegen fordert Jesu Tod. Mit seinen Worten an das Volk will der lk Pilatus Einfluss auf die randalierende Menge ausüben, ihre Ansicht zu ändern und zu erkennen, dass die Vorwürfe gegen Jesus haltlos sind. Er bietet an, zwischen der Freilassung Jesu und des Barabbas (V 19a), eines Rebellen und Mörders, zu wählen. Paradoxerweise entscheidet sich die Menge für Barabbas und fordert nachdrücklich, mit zweifachem stau,rou stau,rou auvto,n (V 21c), Jesus zu kreuzigen. Lukas zeichnet hier einen von Jesu Unschuld überzeugten Präfekten Pilatus und entlastet damit die römische Seite von einer Verantwortung am Tod Jesu. Die gesamte Pilatusszene soll zeigen, dass Jesus mit aufrührerischen Bewegungen in Judäa nichts zu tun hatte. Seine Verkündigung war keine Gefahr für den römischen Staat und wurde von diesem auch so bewertet. In der Aussage des Pilatus „Ich habe nichts Todeswürdiges an ihm gefunden“ (V 22c) wird diese Bewertung für die kommenden Christengenerationen vorweggenommen: Jesus und seine Anhänger und Nachfolger waren niemals Unruhestifter oder eine Gefahr für weltliche Institutionen. Auch aus den Texten der Apostelgeschichte geht hervor, dass Jesu Anhänger immer wieder Schwierigkeiten und Konflikte mit den Juden hatten. Schließlich predigten sie zunächst ja auch in den Synagogen (z. B. Apg 13,5; 17,1; 19,8) und erst später bei den Heiden (vgl. Apg 13,46–48). Dass die Christen trotz ihrer friedlichen und letztlich „weltabgewandten“ Haltung immer wieder als Unruhestifter galten, zeigt Lukas auch in seiner Darstellung der Mission des Apostels Paulus. Er beschreibt, dass die Christen als vermeintliche „Juden“ die römischen Städte in Europa in Aufruhr brachten. Zum Beispiel erzählt er in Apg 19,23–40 von einem durch Paulus verursachten Tumult in Ephesus5, der sich nicht gegen Paulus oder seine Begleiter entlädt, sondern gegen einen Juden; diese Situation läuft ähnlich ab wie die Episode vor Gallio (Apg 18,12–17), bei der sich der Volkszorn ebenfalls gegen den Juden Sosthenes richtet. 4 5
Siehe D.I.4. Siehe D.IV.5.
I. Aufrührer
275
Welche Absicht hat Lukas mit den oben erwähnten Episoden verfolgt? In erster Linie wollte er vermutlich auf die Beteiligung der Juden am jeweiligen Tumult hinweisen. Die christlichen Missionare sind nach seiner Darstellung nicht die Auslöser des eigentlichen Tumults. Dieser wird im Gegenteil von den Heiden provoziert, die ihren Zorn dann gegen die Juden (damals meist nicht von den Christen unterschieden) entluden. In weiteren Passagen des Textes beschreibt Lukas, dass Tumulte in erster Linie seitens der Juden verursacht wurden und nicht von den Christen. So sind es in Apg 13,50 ebenfalls Juden, die vornehme gottesfürchtige Frauen und die Oberschicht der Stadt Antiochia aufhetzten und dazu beitrugen, dass Paulus und Barnabas verfolgt und vertrieben wurden. Und wiederum sind es Juden, welche die Stadt Thessalonich aus Eifersucht (Apg 17,1–9) in Aufruhr bringen, weil die Mission von Paulus und Silas dort erfolgversprechend verläuft. In Apg 17,6 werden die christlichen Missionare von den Juden beschuldigt, die ganze Welt in Aufruhr zu bringen. In typisch lukanischem Stil ist dargestellt, dass hier, ähnlich wie in Ephesus, viele Menschen in der ganzen Provinz Asia von Paulus verführt und aufgehetzt werden; hier ist sozusagen „die ganze Welt“ ins Chaos gefallen. Fazit: Die christlichen Missionare sind Aufrührer und stören die gesellschaftliche Ordnung – so denken die Heiden in Ephesus (Apg 19,26) oder die Juden in Thessalonich (Apg 17,6). Im Gegensatz dazu erkennen die christlichen Leser der Apostelgeschichte die lukanische Sichtweise: Die Missionare sind keineswegs Aufrührer. Ähnliche Beschuldigungen findet man in Apg 17,7 und in Lk 23,2: der Verstoß gegen die Gesetze und die Behauptung, Jesus sei ein König. Beide Vorwürfe sollen die Christen als Verbrecher darstellen sowie sie der Planung eines Umsturzversuchs beschuldigen. Die Juden von Thessalonich eilten sogar nach Beröa, als sie erfahren hatten, dass Paulus und Silas dort ebenso in der Synagoge mit Erfolg predigten, und versuchten die christliche Verkündigung zu stören (vgl. Apg 17,10–13). Juden aus Asien sorgten dafür, dass das ganze Volk in Jerusalem in Aufruhr geriet, weil Paulus angeblich überall gegen jüdische Lehre, Volk und Gesetz auftrat. Die dramatische Szene in Apg 21,27–38 zeigt, wie Paulus ergriffen und zu Unrecht angeklagt wird. In Apg 24,5 klagt Tertullus Paulus an, er sei ein Unruhestifter im jüdischen Volk und auf dem ganzen Erdkreis und sei ein Anführer der Nazoräersekte. Lukas lässt aber in der weiteren Erzählung diese Ansicht des Tertullus durch Paulus widerlegen (Apg 24,10–21). Aus all diesem wird erkennbar, dass Lukas mit seinen Schriften auch die Absicht verfolgte, Paulus und die junge Gemeinschaft der Christen gegen den Vorwurf des Unruhestiftens zu verteidigen bzw. davon freizusprechen. Denn auch römisch-politische Autoritäten stellen den Christen, in der Darstellung des Lukas, ein gutes Zeugnis aus und charakterisieren sie als politisch loyal. Dies wird im Folgenden zusammenfassend erläutert.
276
II.
E. Zusammenfassung der Untersuchung
Feinde des Staates / politisch loyale Bürger
Dass Lukas sich veranlasst fühlte, auf diesen Vorwurf einzugehen, zeigt sich in Lk 23,1–25, wonach Jesus keine politische Gefahr darstellt, und in den Szenen der Apg 18,12–17; 19,23–40; 25,1–12, wonach die staatsfreundliche Haltung der Christen wie ein roter Faden durchgezogen wird. Die apologetische Absicht des Lukas wird noch klarer bei Betrachtung der Ausführungen bei Tacitus und Plinius. Tacitus6 beschreibt ausführlich die Verurteilung und Hinrichtung Jesu durch einen namentlich erwähnten Präfekten. Seine Anhänger wurden von den römischen Regierenden als potentiell staatsgefährdend eingestuft, weil sie sich von der Gemeinschaft absonderten. Mit odium humani generis charakterisiert Tacitus die Christen als Menschen mit einer grundsätzlich gemeinschaftsfeindlichen Gesinnung und damit als eine das Gemeinwohl gefährdende Gruppe. Für Plinius 7 ist das Verhalten der Christen starrköpfig und eigensinnig, weil sie im Glauben unbeugsam waren und dieser superstitio treu blieben. Das interpretiert er als Ungehorsam dem Staat gegenüber. So entstand eine christenfeindliche Einstellung bei den Machtträgern und der Bevölkerung. Das römische Imperium war tolerant zu jedem, der der utilitas publica diente. Doch diese Toleranz konnten die Christen nach der Sichtweise von Plinius nicht beanspruchen. Diesem Bild von politisch unzuverlässigen Christen widersprachen die christlichen Apologeten. Justin8 erklärt, dass unter dem Reich, das verkündigt wird, kein diesseitiges, sondern ein jenseitiges Reich zu verstehen ist. Er charakterisiert die Christen als unpolitisch und empfiehlt sie wegen ihres Ethos und ihrer Kaisertreue als ideale Staatsbürger. Wie das Judentum müsste der christliche Glaube auch religio licita sein. Diese Anerkennung versucht Aristides9 durch eine positive Gesinnung dem Kaiser gegenüber zu erlangen. In seinem Werk fehlt jegliche Kritik am Staat; vielmehr klingt Respekt und Anerkennung für Staat und Kaiser aus seinen Ausführungen. In ähnlicher Absicht handelt auch Athenagoras10, wenn er den Kaiser bittet, die Christen vor den brutalen Behandlungen in Schutz zu nehmen. Seine lobenden und freundlichen Worte sollen beim Kaiser Wohlwollen erzeugen. Nach Athenagoras sind die Christen nicht nur gehorsame und loyale Diener des Staates, sondern sie schließen den Kaiser stets in ihre Fürbitten ein. Wie bei den späteren Apologeten, so erkennt man bereits bei Lukas eine „freundliche“ Einstellung gegenüber den staatlichen Instanzen. In der Pilatus6 7 8 9 10
Siehe B.I.4; Tac., ann. XV,44,3. Siehe B.II.6.3. Siehe C.I.3.2. Siehe C.II.2; C.II.3. Siehe C.III.2; C.III.3.5.
II. Feinde des Staates / politisch loyale Bürger
277
szene11 erkennt Pilatus, dass Jesus keine politischen Ambitionen hat, und stellt dessen Unschuld fest. Lukas zielt in dieser Szene auch darauf ab, eine Verantwortung der römischen Behörden für die Kreuzigung Jesu zu verneinen. Auch an anderen Stellen des lukanischen Doppelwerks finden sich Textstellen, die Lukas als Verteidiger eines unpolitischen Christentums zeigen, der gleichzeitig bemüht ist, die positive Beziehung zwischen Christen und staatlichen Autoritäten hervorzuheben. So findet man in Apg 16,16–40 deutliche apologetische Spuren des Lukas zu diesem Themenkomplex.12 Hier kommt klar zum Ausdruck, dass die christliche Verkündigung sich nicht gegen den römischen Staat richtet, sondern lediglich Anerkennung als eigene Religion erwartet. Auch die Gallioszene13 (Apg 18,12–17) weist in diese Richtung. Hier beschreibt Lukas, dass sich der hohe römische Beamte gegenüber dem Christentum absolut richtig verhält. Gallio interpretiert die Auseinandersetzung zwischen den Juden und Paulus als innerjüdische Streitigkeit, womit Lukas einen Hinweis gibt auf die gute Beziehung zwischen den Christen und dem römischen Staat und auf dessen politisch neutrale Bewertung des Christentums. Ähnlich sind die Szenen mit staatlichen Vertretern in Apg 16,36; 19,31 oder 23,29; 24,22–24; 25,18f.; 26,31f. zu beurteilen. Sie alle sehen keinen Grund, gegen die Christen vorzugehen, womit Lukas zeigen will, dass das Christentum mit den Behörden keine Schwierigkeiten hatte und in der Gesellschaft Anerkennung verdient. Weitere Bestätigungen dieser apologetischen Tendenz des Lukas finden sich in Apg 19,23–40.14 Durch Erwähnung der dem Paulus wohlgesinnten Asiarchen (V 31) macht Lukas klar, dass die christlichen Missionare damals von den politischen Instanzen bereits ein gewisses Maß an Legitimität zugesichert bekamen. Im Prozess gegen Paulus (Apg 25,1–12) zeigt sich ebenfalls die apologetische Absicht des Lukas:15 Der christliche Missionar Paulus wird vom römischen Staat vor den Nachstellungen der Juden beschützt und im Verfahren dem Gesetz entsprechend behandelt; damit will Lukas ein klares Zeichen setzen für die Zuverlässigkeit und politische Loyalität aller Christen. Auch an weiteren Stellen in der Apostelgeschichte verweist Lukas immer wieder auf eine „freundliche Gesinnung“ zwischen Paulus und den staatlichen Behörden, so z. B. wenn er den freundlichen Umgang römischer Offiziere mit Paulus (Apg 21,37–39; 22,25f.; 22,27–29) schildert.16
11 12 13 14 15 16
Siehe D.I.4. Siehe D.II.5. Siehe D.III.5. Siehe D.IV.3.2; D.IV.5. Siehe D.V.5. Apg 23,10; Apg 23,29; 24,22; 25,16.25–27; 28,7 sind Stellen, wo sich die von Lukas dargestellten Amtsträger mit Paulus gut verstehen.
278
III.
E. Zusammenfassung der Untersuchung
Schaden für die Wirtschaft
Der Vorwurf an die Christen, mit ihrem Verhalten der Wirtschaft Schaden zuzufügen, erscheint in den lukanischen Schriften nur selten. Wo er erwähnt wird, zeigt der Text allerdings die große Bedeutung des Themas für die Heiden. Ich fasse zunächst die Ergebnisse meiner Untersuchungen zu diesem Vorwurf bei dem heidnischen Autor Plinius und den Apologeten Aristides und Athenagoras zusammen. Plinius17 als Statthalter von Bithynien-Pontus ist überzeugt, dass die Christen in Kleinasien wirtschaftlichen Schaden verursachen. Als Grund bezeichnet er das Verschmähen von Opferfleisch, was den entsprechenden Umsatz verringere und in Folge auch die Anzahl der feierlichen Opfer reduziere. Beides bedeute weniger Geld in der staatlichen Kasse. Da sich die Anzahl der Christen ständig vergrößere, fürchte er um die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität seiner Provinz und um den inneren Frieden. Die Christen mit ihren Riten und Bräuchen waren für ihn Gesinnungsverbrecher, die auf Dauer den Staat gefährdeten und nichts zu salus et utilitas publica beitrugen. Der Apologet Aristides18 erwähnt diesen wirtschaftlichen Aspekt nicht. Seine Verteidigung der Christen, in der er auch deren Motivation für ihr Verhalten in Bezug auf Opferfleisch und Teilnahme an Tempelfesten erklärt, lässt jedoch vermuten, dass ihm das Thema bekannt war. Bei Athenagoras 19 erscheint das Thema Wirtschaft in ganz anderem Zusammenhang. Bei ihm sind es Heiden, die wirtschaftlichen Schaden verursachen, indem sie versuchen, sich an den Christen materiell zu bereichern. Aus dieser Sicht erklärt er auch die Entstehung vieler Beschuldigungen gegen die Christen. Bei Lukas ist die Demetrius-Episode in Apg 19,23–40 die zentrale Stelle, an der Wirtschaft und Religion in Berührung kommen. 20 Lukas zeigt darin deutlich die Verwobenheit von heidnischer Religiosität mit materiellen Geschäften. Der hier beschriebene Aufruhr hat seinen Ursprung in erster Linie in wirtschaftlichen Interessen; Ausgangspunkt der Aufregung ist nämlich die Angst, das Gewerbe mit religiösen Symbolen könnte unter der christlichen Verkündigung leiden. Erst später taucht die angeblich notwendige Verteidigung der heidnischen Göttin Artemis auf als Argument für die Notwendigkeit, den christlichen Verkündern Einhalt zu gebieten. Die Absicht des Lukas, den mammonbelasteten Kultbetrieb der Heiden der Reich-Gottes-Verkündigung der Christen als negatives Beispiel gegenüberzustellen, ist klar zu erkennen. Das Thema Wirtschaft und materieller Gewinn finden wir auch in 17 18 19 20
Siehe B.II.6.7. Siehe C.II.5.2. Siehe C.III.3.1. Siehe D.IV.3.3; D.IV.5.
IV. Neue Religion / neue Lehre
279
Apg 16,16–40, wo es Unruhen in Philippi verursacht. 21 Der Wahrsagegeist erkennt Paulus und Silas als Diener des höchsten Gottes (V 17). Er selbst war nur Diener des niederen Gewinns, der seinen Nutzern viel Geld einbrachte. Mit der großen Entrüstung bei den Heiden nach dem Austreiben des Dämons macht Lukas auch an dieser Stelle die religiöse Unglaubwürdigkeit der heidnischen Umwelt deutlich. Die christliche Religion ist dagegen frei von materiellen Interessen. Weitere Hinweise auf dieses Thema finden sich in Apg 4,32–37; 8,18–20. Lukas stellt in Apg 4 das Ideal der ersten Christengemeinde dar, in der das soziale Element und die Solidarität Grundbausteine des Gemeinwohls sind. Persönliches Eigentum spielt, im Vergleich zu Heiden, keine Rolle. In Apg 8,18–20 wird Simon von Petrus gemahnt, dass die Verleihung des Heiligen Geistes durch Handauflegung der Apostel nicht mit Geld zu erlangen sei. Die Botschaft, dass das Evangelium und Geld in einem grundsätzlichen Konfliktverhältnis zueinander stehen, zieht sich wie ein roter Faden durch die lukanischen Schriften. 22
IV.
Neue Religion / neue Lehre
Der Vorwurf, das Christentum sei eine neue Religion, wird nun aus der Sichtweise der heidnischen Autoren und der christlichen Apologeten zusammengefasst und rückblickend auf die lukanischen Schriften betrachtet. Tacitus23 versteht Jesus als Gründer der neuen Religion, der römisches Recht gebrochen hat und dafür gekreuzigt wird. Als Urheber der neuen Gemeinschaft propagiert Christus eine exitiabilis superstitio, eine verderbliche, unheilvolle und somit moralisch und politisch verwerfliche religiöse Lehre. Diese sei neu entstanden und könne ihren Wert und ihre Gültigkeit, im Gegensatz zum jüdischen Glauben, nicht durch Tradition und hohes Alter rechtfertigen. Auch Sueton24 bezeichnet (in vit. Ner. 16,2) die Christen als abergläubische Angehörige einer neuartigen und schädlichen Gruppierung, deren Mitglieder die Todesstrafe verdient hätten. Das Christentum war unrömisch, was Sueton mit dem Wort nova auch sagen will, und somit suspekt. Und wegen der fehlenden Tradition hatte es keinen Anspruch auf die Vorzüge alter Religionen und Kulte. Etwas später berichtet Tertullian ebenfalls über die tradi-
21 22 23 24
Siehe D.II.5. Auch der Statthalter Felix hat nach Lukas Interesse am Geld, das er von Paulus zu bekommen hofft (Apg 24,26). Siehe B.I.6. Siehe B.III.7; B.III.8; B.III.9.1.
280
E. Zusammenfassung der Untersuchung
tionsgeprägte Sichtweise der Römer, die alles, was alt war, gleichzeitig als wertvoll achteten.25 Dies galt auch und insbesondere für die Religion. Vor diesem Hintergrund versteht man die Absicht der christlichen Autoren hervorzuheben, dass das Christentum aus den Wurzeln des jüdischen Glaubens gewachsen war und somit eine viele Jahrhunderte alte Tradition hatte. Auf diese Feststellung legt auch Justin26 in seiner Apologie großes Gewicht, wenn er den Neuen Bund aus der Sicht des Alten interpretiert. Christus und das von ihm begründete Christentum sind für ihn Beweise der Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen. Zugleich bemüht er sich, das Christentum als wahre Philosophie zu begründen, die universelle Wahrheit in sich trägt. Die gleiche Intention erkennt man auch bei Origenes 27, der das Christentum gegen die Angriffe des Celsus verteidigt. Der Christengegner bezeichnet die Lehre der Christen als barbarisch und nicht ehrwürdig, weit entfernt von der Lehre der Philosophen. Und auch er behauptet, es fehle ihr an Alter und Tradition. Dieser Aussage versucht auch Origenes zu widersprechen mit dem Argument, dass die jahrhundertealte jüdische Religion Wurzel des christlichen Glaubens sei. Tatsächlich haben die Juden eine mit anderen alten Völkern (Ägypter, Assyrer, Inder, Perser) vergleichbare Tradition. Doch Celsus zählte die Juden eben nicht zu den alten und traditionsreichen Völkern, obwohl das Judentum bereits als religio licita galt. Origenes wirft Celsus hier Inkonsequenz gegenüber den Juden vor, die sich letztlich negativ auf das Christentum auswirkt. Aus dem Wissen, das bei der Analyse der späteren Texte erworben wurde, erkennt man, dass für das junge Christentum zwei Hürden besonders schwer zu überwinden waren. Das waren die herrschenden Vorstellungen der zeitgenössischen heidnischen Philosophie und die angebliche Neuheit des Christentums. Beides taucht bereits im lukanischen Doppelwerk auf. Lukas geht die Problematik in zwei Schritten an. Er verweist zunächst auf die Gemeinsamkeiten zwischen christlicher Lehre und der heidnischen philosophischen Religiosität, was sehr gut in Apg 17,16–34 erkennbar ist.28 In der Areopagrede des Paulus wird eine geistige Brücke zwischen heidnischer und christlicher Welt geschlagen. Mit kluger Rhetorik weist der lukanische Paulus hier darauf hin, dass das Christentum viele Anknüpfungspunkte an die heidnische Denkweise hat und somit nicht wirklich „neu“ ist. Gleichzeitig baut er eine semantische Brücke zwischen heidnischer und christlicher Anthropologie. 25 26 27 28
Vgl. Tert., apol. 19,1 (ed. T. Geoges 152f.). Siehe C.I.3.4; C.I.3.6. Siehe C.IV.6.4; C.IV.6.5; C.IV.6.6; C.IV.6.7. Siehe D.VI.5.3; D.VI.5.4; D.VI.5.5; D.VI.5.7.
V. Jüdische Sektierer
281
Auch das Verständnis des Judentums als Wurzel des Christentums ist deutlich im Doppelwerk zu erkennen. Immer wieder findet man Hinweise auf das AT und die Erfüllung der alttestamentlichen Prophetie. Das Motiv „Verheißung ‒ Erfüllung“ bildet das Rückgrat der lukanischen Theologie und die Grundlage seiner Apologetik. Wie ein roter Faden zieht sich der Hinweis auf die alten Schriften durch Evangelium und Apostelgeschichte. Von den vielen diesbezüglichen Textstellen seien beispielhaft nur die folgenden angeführt: In Lk 24,44–53 weist Jesus auf die Erfüllung der alttestamentarischen Prophetie hin, indem er die Verheißungen in Bezug auf seine Person erwähnt, die sich bereits bewahrheitet haben. „Alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich gesagt ist.“ Christus ist der im AT verheißene Messias, der Spross Isais, den die Wurzel des Judentums hervorbringt (Jes 11,1–3). Die Beschreibung der Dämonenaustreibung in Lk 4,33–37 ist vermutlich von Mk 1,23–28 übernommen worden. Am Ende der Erzählung aber, in Lk 4,36, vermeidet Lukas den von Markus verwendeten Ausdruck didach. kainh, / neue Lehre (Mk 1,27), sicherlich mit der Absicht, der Kritik am jungen Christentum keine neue Nahrung zu bieten. Einen weiteren Hinweis auf die Erfüllung alttestamentlicher Prophetie gibt Lukas bei der Beschreibung der Wahl des Matthias zum Apostel, als Nachfolger von Judas Iskariot. Hier „[…] musste sich das Schriftwort erfüllen, das der Heilige Geist durch den Mund Davids im Voraus über Judas gesprochen hat“ (Apg 1,16). In seiner Predigt an das Volk (Apg 3,11–13) spricht Petrus in der Darstellung des Lukas über den „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den Gott unserer Väter […]“, der seinen Knecht Jesus verherrlicht hat, und bezeichnet damit das Judentum eindeutig als Wurzel des Christentums. Weiter erwähnt Lukas hier das prophetische Wort über die Leiden Christi (Apg 3,18), das auch in seinem Evangelium (Lk 18,31–34) auftaucht, und weist damit auf die Erfüllung von AT-Verheißungen hin, u. a. auf Jes 53,4–6, Ps 22,18 oder Dan 9,26. Das Verheißung-Erfüllung-Schema von Lukas wurde aus der Tradition (z. B. Röm 1,2; Gal 3,6–10; Mt 1,22; 2,15; Mk 1,2; 14,49) übernommen, könnte aber bei ihm dazu dienen, Vorwürfe zurückzuweisen, dass das Christentum eine neue Religion sei.
V.
Jüdische Sektierer
Einerseits knüpften Lukas und die Apologeten an altehrwürdige Schriften der Juden an, andererseits versuchten sie, die Christen von den Juden abzugrenzen. Das war auch notwendig, denn diese galten vielerorts als eine aus dem Judentum hervorgegangene extreme Sekte. Nach Tacitus 29 ließen sie sich 29
Siehe B.I.7.2; B.I.7.4.
282
E. Zusammenfassung der Untersuchung
nicht integrieren und weigerten sich, Rom als führende Weltmacht anzuerkennen und dem römischen Kaiser Respekt zu zollen. Diese aus dem Judentum entstandene „radikale Gruppe“ war daher unbeliebt und, wie die Juden, dem Vorwurf der Misanthropie ausgesetzt. Die Ablehnung der Juden und ihrer Lebensart durch die Griechen ist bei heidnischen Autoren wie Sueton, Plinius und Cicero erwähnt. Tacitus äußert sich dahingehend, dass ihre Sitten „verwerflich und abscheulich“30 seien. Viele der Vorwürfe gegen die Juden wurden auch gegen die Christen erhoben, was auf deren Einschätzung als jüdische Sekte hinweist. Etwa bis zum Beginn des 2. Jahrhunderts unterschieden die Heiden nicht zwischen Juden und Christen. Das bestätigt auch Sueton.31 Auch Origenes32 geht auf dieses Thema ein. Er verteidigt die Christen gegen die Behauptung des Celsus, sie seien abgefallene Juden. Die Juden selbst jedoch konfrontieren vor allem die Judenchristen mit dem Vorwurf, zur Lehre Jesu übergelaufen zu sein und das Gesetz der Väter aufgegeben zu haben. Die Christen wurden somit von jeder Seite als Abtrünnige bezeichnet, von den Heiden als abtrünnige Juden, von den Juden als abtrünnige Sektierer. Man kann bei Lukas beide Sichtweisen erkennen. Die Sichtweise der Juden bestätigt Lukas in Apg 24,14, wo Paulus sagt, die Juden bezeichneten seine Lehre als Sekte. In Apg 28,22 zeigt der Verfasser, dass die Ersten der Juden in Rom die christliche Gemeinschaft ebenfalls für eine Sekte halten. Auch die Sichtweise der Heiden, Christen seien abtrünnige Juden, erscheint bei Lukas mehrfach, so z. B. in Apg 16,16–40, wo er beschreibt, dass die christlichen Missionare Paulus und Silas als Juden bezeichnet werden.33 In Apg 18,12–17 findet man ebenfalls diese Ansicht der Heiden: 34 Gallio interpretiert den Aufruhr als Streit zwischen konservativen und progressiven Juden über das jüdische Gesetz; er sieht in Paulus den Anhänger einer abtrünnigen jüdischen Sekte. Lukas widerspricht jedoch in seinen Schriften den beiden falschen Sichtweisen. Er will zeigen, dass die oberflächliche Gleichsetzung von Juden und Christen ein Fehler ist, der dem jungen Christentum schadet. In dieser Absicht erwähnt er kaum Differenzen zwischen Römern und Christen, sondern beschreibt vielmehr die Konflikte zwischen Römern und Juden. Ein Beispiel dafür findet sich in der Textstelle Apg 19,23–40,35 aus der hervorgeht, dass Lukas auch hier, wie in vielen anderen Situationen, die Juden als verantwortlich für die entstehende Unruhe beschreibt, der Christ Paulus, eigentlicher 30 31 32 33 34 35
Tac., hist. V,5 (ed. J. Borst 516–518). Siehe B.III.9.2. Siehe C.IV.6.8. Siehe D.II.5. Siehe D.III.5. Siehe D.IV.5.
VI. Gefahren durch die Ausbreitung des Christentums
283
Auslöser des Tumults, von den römischen Behörden hingegen nicht beschuldigt wurde. Es ist für Lukas von Bedeutung, die ungerechtfertigte Gleichsetzung von Christen und Juden zu entkräften und den Unterschied zwischen beiden Religionsgemeinschaften klarzumachen. Obwohl die Christen im Judentum ihre Wurzeln haben, geht doch das Christentum weit darüber hinaus, sowohl vom spirituellen Anspruch der Erlösung (Lk 22,19f.) als auch vom geographischen Anspruch, beginnend in Jerusalem, über ganz Judäa und Samarien bis an die Grenzen der Erde (vgl. Lk 24,47; Apg 1,8). Lukas stellt das Christentum als unabhängige Religion dar und empfiehlt es den Heiden als eine bessere, vollkommene Religion.
VI.
Gefahren durch die Ausbreitung des Christentums
Die Lehre des Christentums breitete sich (von bereits sehr früher Zeit an) innerhalb weniger Jahrzehnte in allen Regionen des damaligen Römerreichs aus. Diese rasche Ausbreitung der neuen Lehre und die dadurch vermutete Gefahr für den römischen Staat sind am besten bei Plinius 36 beschrieben. Aus seinem Brief an Trajan geht hervor, dass er diesen Aberglauben als eine Gefahr für das Gemeinwohl betrachtet. Der Statthalter befürchtet eine Ausdehnung dieser Seuche in größerem Maßstab. Diese für ihn unerfreuliche Entwicklung will er verhindern und die Christen zurück zum – aus seiner Sicht – wahren Weg bringen. So versucht er, möglichst viele von ihnen zum Glaubensabfall zu bewegen. Auch Tacitus37 befasst sich mit diesem Thema. Die bei ihm erwähnten Tötungen von Christen in Rom hingen höchstwahrscheinlich damit zusammen, dass die Christen, auch durch ihre große Anzahl in der Hauptstadt, Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Denn nach Ansicht vieler Bewohner Roms waren die Christen dem Menschengeschlecht gegenüber feindlich eingestellt. Dies weckte Hass gegen sie. In der Folge wurden viele von ihnen, wie bei Tacitus erwähnt, bei den Behörden angezeigt, verurteilt und grausam zu Tode gebracht. Die Grausamkeit der Römer gegenüber den Christen sollte vermutlich für die Heiden als Abschreckung wirken, sich dem Christentum anzuschließen. Damit wäre das Hauptziel erreicht, nämlich die Ausbreitung dieser Religion zu verhindern oder zumindest zu behindern. Andere Aussagen über die Verbreitung des Christentums spiegeln sich vermutlich auch bei Athenagoras38 und Origenes39 wider. Diese bemühten sich, das Christentum 36 37 38 39
Siehe B.II; Plin., Briefe X,96f. Siehe B.I.7.1. Siehe C.III.3.6. Siehe C.IV.6.11.
284
E. Zusammenfassung der Untersuchung
gegen den Vorwurf zu verteidigen, es verbreitete sich nur unter den Ungebildeten und Einfältigen. Diese Ansicht kommt im Wesentlichen von Celsus, der behauptet, die christliche Lehre sei so banal und entbehre jeglicher Aussagekraft, dass sie nur von einfältigen Menschen, niemals von Gebildeten angenommen werden könne. Die Apologeten wiesen hingegen darauf hin, dass philosophisches Wissen für ein Leben als Christ unerheblich sei. Auch ohne intellektuelle Fähigkeiten übten Christen Güte und Hilfsbereitschaft im Alltagsleben. Origenes kritisiert Celsus, weil dieser in seinem blinden Fanatismus die positive Wirkung der christlichen Lehre auf rechtschaffenes Verhalten der Menschen in der Gesellschaft nicht erkennt. 40 Origenes ist sich bewusst, dass der Widerstand gegen die Ausbreitung der christlichen Lehre im Wesentlichen von den Mächtigen der Gesellschaft ausgeht. Er weiß aber auch, dass der Logos Gottes sich nicht aufhalten lässt und die Christenheit weiter wachsen wird. Sein wichtigstes Argument für die Richtigkeit der christlichen Lehre ist ihre schnelle Ausbreitung, sowohl geographisch als auch in den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Auch diese späteren Vorwürfe gegen die Christen existierten bereits latent in den Anfangsphasen der Verkündigung, zur Zeit des Lukas. So ist dies auch in seinen Schriften zu finden. In Apg 17,4 berichtet er von der Bekehrung einer Schar von Griechen in Thessalonich, darunter nicht wenige Frauen aus vornehmen Kreisen, in 17,12 von vornehmen griechischen Frauen und Männern in Beröa. Mit dem Wort „vornehm“ möchte Lukas vermutlich auch auf deren Bildungsgrad hinweisen. Wenn man die Szene in Apg 17,16–34 in Blick nimmt, erkennt man das Ziel des Verfassers zu zeigen, dass die christliche Botschaft in Athen mit dem dortigen Heidentum in Berührung kam und auch bei den gebildeten Athenern wahrgenommen wurde. 41 Zwar scheint der Ertrag zu diesem Zeitpunkt noch gering zu sein, doch erste Früchte der Verkündigung sind erkennbar. So schließt sich neben anderen auch Dionysius der Lehre an, als Areopagit ein zweifelsfrei gebildeter Mann. In diesen Textstellen stellt Lukas dar, dass die christliche Lehre eben nicht nur von Einfältigen annehmbar ist. Das bei Plinius und Tacitus erwähnte Argument, die Ausbreitung des christlichen Glaubens könnte eine Gefahr für den Staat darstellen, klingt auch bei Lukas bereits an, jedoch noch sehr leise. So erzählt er in Apg 18 von den Judenchristen Aquila und Priszilla, die mit anderen Juden gemäß einer Verordnung von Kaiser Claudius aus Rom ausgewiesen wurden. In Apg 28,16– 18 erfahren wir, dass der Apostel Paulus in Rom predigen durfte, jedoch nur unter Aufsicht der römischen Behörden. Das fast explosionsartige Wachstum der jungen Christengemeinde erzeugte bei Heiden und Juden erwartungs40 41
Vgl. Orig., c. Cels. 3,56–62 (ed. M. Fiedrowicz 612–626). Siehe D.VI.5.10.
VII. Nomen ipsum als strafbarer Tatbestand
285
gemäß Emotionen wie Misstrauen, Angst, Neid und Ablehnung. In der Folge musste es also zu Auseinandersetzungen kommen. Lukas nutzt vermutlich die schnelle Ausbreitung der Lehre in seinen Darstellungen, wie auch später Origenes, als weiteres Argument für deren Richtigkeit. 42
VII.
Nomen ipsum als strafbarer Tatbestand
Im Gegensatz zu der lukanischen Darstellung der Bezeichnung „Christen“ in Apg 11,26, die einen positiven Eindruck vermittelt, verraten uns die späteren paganen Texte eine ganz andere Bedeutung dieser Bezeichnung. In den Augen der damaligen heidnischen Bevölkerung galten die Christen nämlich als eine Gruppe, die sich von der Gemeinschaft absonderte und nichts zum Gemeinwohl beitrug. Sie galten daher prinzipiell als suspekt, speziell auch als lasterhaft und verbrecherisch. Für Tacitus43 ist der für die Christen verwendete Eigenname Chrestiani die spöttische Bezeichnung für diese sektiererische Gruppe. Vom einfachen Volk wurde dies nicht recht verstanden, denn das Wort Chrestiani bedeutet im Griechischen „die Rechtschaffenen“. 44 Nach der Sichtweise der Bevölkerung galt für die Christen jedoch, wegen der genannten Gründe, eher das Gegenteil. Tacitus benutzt hier das Stilmittel der Ironie als eine weitere einfache, aber wirksame Waffe gegen die Christen. Schon aufgrund ihres Namens Chrestiani galten sie als diskreditiert. Plinius45 gibt sogar zu bedenken, ob Christen nicht schon aufgrund ihres Namens zu bestrafen seien. Der Zeitgenosse und Freund des Tacitus vermutete im Christentum zuallererst einen verderbenbringenden Aberglauben. Christsein war für ihn ein Sonderstraftatbestand, auch ohne weitere Verbrechen. Alle, die sich Christen nannten, galten in seiner Vorstellungswelt als gefährliche religiöse Fanatiker. Anhand der Ergebnisse bei Sueton46 erkennt man, dass der Name Cristo,j für Nichtjuden so ungewöhnlich und unverständlich gewesen war, dass sie stattdessen den ähnlich klingenden Sklavennamen Crh/stoj übernahmen, der für sie vertraut und verständlich war. Die Heiden betrachteten die Christen als Anhänger eines gewissen Sklaven Chrestos und brachten auf diese Weise ihren Hohn zum Ausdruck. Alle drei heidnischen Autoren verstehen die Bezeichnung Chrestiani in einem negativen Sinn. Aus dem Grund ist es den Apologeten ein Anliegen, 42
43 44 45 46
Besonders deutlich ist das an den Stellen Orig., c. Cels. 1,27 (ed. M. Fiedrowicz 247); 2,30 (ed. M. Fiedrowicz 417–419); 2,79 (ed. M. Fiedrowicz 511); 3,29 (ed. M. Fiedrowicz 563–565); 7,26 (ed. M. Fiedrowicz 1231–1233) erkennbar. Siehe B.I.3; B.I.7.4. Dies leitet sich von Crh/stoj ab; vgl. K. Weiß, Art. Crh/stoj 472. Siehe B.II.5; B.II.6.1. Siehe B.III.5.
286
E. Zusammenfassung der Untersuchung
das nomen christianum zu rehabilitieren und dessen wahre Bedeutung aufzuzeigen. Justin47 versucht logisch zu erklären, dass eine Namenbezeichnung an sich neutral sei und kein Bewertungskriterium sein kann. Deshalb sei es ungerecht, Menschen oder Gruppen von ihnen auf der Grundlage ihres nomen ipsum zu verurteilen. Aristides48 legt viel Gewicht auf die Beschreibung des Gründers der christlichen Lehre, Jesus Christus, und dessen Lebensweg. Damit will er die Christengemeinschaft und deren Entwicklung seinen Lesern bekannt und vertraut machen und darstellen, dass es keinen Grund gibt, schon gar nicht den ihres Eigennamens, Christen anders zu behandeln als andere loyale Bürger des Staates. Athenagoras 49 beschreibt die bedrückende Situation der Christen, die vielfach wegen ihres bloßen Namens misshandelt, ausgeraubt und fortgejagt wurden. Bemerkenswert ist sein Appell an die Herrscher, sich nicht durch Verleumdungen und Gerüchte verblenden zu lassen. Auch er bemüht sich nach Kräften, die irrige Ansicht zu widerlegen, dass die bloße Bezeichnung „Christ“ gleichbedeutend mit verbrecherischem Handeln sei. Obwohl die Schriften der genannten Apologeten eine spätere Entwicklung aufzeigen, tragen sie sehr viel zum Verständnis diesbezüglicher Stellen im lukanischen Doppelwerk bei: In Apg 11,26 werden die Jünger zum ersten Mal Christen genannt. Die moderne Exegese nimmt an, die Jünger seien von Nichtchristen Cristianoi, genannt worden, abgeleitet von Cristo,j. Von den hier ausgeführten Texten der heidnischen und christlichen Autoren ergibt sich, dass diese Bezeichnung einen negativen Klang hatte. Die christlichen Leser gewinnen von dieser Schriftstelle jedoch einen positiven Eindruck. Lukas zeigt auf, dass die Bewohner der Stadt Antiochia zwischen Juden und Jesu Anhängern zu unterscheiden vermochten, und zeichnet ein gutes Bild von den Christen. Auch dies lässt Absicht erkennen. Die Loslösung des jungen Christentums vom Judentum war für ihn offenbar so wichtig, dass er nicht auf die negative Einstellung der Heiden gegenüber den Christen eingeht. Auch in seinem Evangelium erwähnt Lukas bereits das Thema nomen ipsum. So spricht Jesus in Lk 21,12 von Festnahmen und Verfolgung der Christen um seines Namens willen. Möglicherweise hat Lukas die Stelle Mk 13,9 absichtlich verändert und schreibt anstatt „um meinetwillen“ bei Markus „um meines Namens willen“. Im weiteren Verlauf, in Lk 21,17, übernimmt er von Mk 13,13 die Wendung „um meines Namens willen“ unverändert, weil diese Ausdrucksweise seinen Intentionen entspricht.
47 48 49
Siehe C.I.3.1. Siehe C.II.4; C.II.5.3. Siehe C.III.2; C.III.3.1.
VIII. Anthropophagie
287
VIII. Anthropophagie Aus den späteren heidnischen und christlichen Texten und mit Blick auf das Doppelwerk des Lukas lassen sich einige neue Erkenntnisse gewinnen bezüglich des Vorwurfs der Anthropophagie gegen die ersten Christen. So schreibt Plinius50, dass ihre Speise eine gewöhnliche harmlose Speise sei. Möglicherweise vermutete er einen Vorwurf gegen die Christen, sie seien Kannibalen, was aus der Interpretation ihrer Handlungen bei der Eucharistie abgeleitet worden war. Aber bei der Befragung der Christen kommt er dann zum Ergebnis, es sei nur eine gewöhnliche Speise. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Heiden die christliche Eucharistie, also den Verzehr von Fleisch und Blut Christi, im wörtlichen Sinne verstanden haben könnten. Auch Tacitus meint dies vermutlich, oder er benutzt dieses Bild als hilfreiches Argument zur Verleumdung der Christen und Erweiterung des Umfangs ihrer Schandtaten.51 Dieses falsche Verständnis der Eucharistie bei den Heiden war Justin52 bewusst. Er bemühte sich daher, durch Aufklärung dieses unsinnige Denken zu beseitigen, und beschreibt detailliert den gesamten Ablauf der christlichen Danksagungsfeier. Insbesondere den kritischen Teil, den Verzehr von Fleisch und Blut, stellt er als symbolischen Akt dar. Dabei gebraucht er klugerweise die Worte „Brot und Wein“ und erklärt, dass diese beiden Substanzen durch Gebet und Danksagung zur geweihten Nahrung werden, zu „Fleisch und Blut“ Christi in „umgewandelter geistiger Form“. 53 So werden diese Substanzen geistige Nahrung und Glaubensstärkung für die Christen. Auch Athenagoras54 wollte den Vorwurf des Kannibalismus gegen die Christen widerlegen. Dabei argumentiert er rein logisch, indem er darstellt, dass man nur totes Menschenfleisch essen kann, den Christen jedoch der Glaube verbietet, Menschen zu töten. Zudem konnte den Christen niemals nachgewiesen werden, jemals einen Menschen getötet zu haben. Er argumentiert weiter, Christen betrachteten das Leben des Menschen als Geschenk Gottes, auch bereits den menschlichen Embryo. Als stärkste Verteidigung gegen die niederträchtige Anschuldigung der Heiden erwähnt er den Glauben an die Auferstehung, der den Christen ganz und gar verbietet, tote Menschen zu verspeisen, Menschen, die ja zukünftig auferstehen werden. Den gleichen Gedankengang verfolgt auch Origenes55, indem er erklärt, dass Christen in der Eucharistie dem Schöpfer des Universums Dank sagen, das nach Danksagung und Gebet 50 51 52 53 54 55
Siehe B.II.6.5. Siehe Tac., ann. XV,44,2. Siehe C.I.3.5. Just., 1 apol. 66,2 (ed. M. Marcovich 127). Siehe C.III.3.4. Siehe C.IV.6.12.
288
E. Zusammenfassung der Untersuchung
geheiligte Brot essen und dadurch selbst geheiligt werden. Im Werk Contra Celsum spricht er wohl absichtlich nur vom umgewandelten Leib, nicht aber vom Blut, das bei jedem Herrenmahl vorhanden ist. All dies spiegelt sich auch bereits bei Lukas. Nur er spricht im Vergleich zu den anderen Evangelisten von Brotbrechung in Bezug auf die Eucharistiefeier. Die Bezeichnung „Leib und Blut“ erscheint bei ihm nur im Bericht über die Einsetzungsworte (Lk 22,19f.). In der Forschung gibt es auch die Vermutung, die lukanische Gemeinde und auch Christen im palästinischen Raum hätten die Eucharistie nur mit Brot gefeiert.56 Diese Annahme muss jedoch als widerlegt gelten. Denn das Vorhandensein von Brot und Wein bei der christlichen Eucharistiefeier war Lukas gewiss sehr wichtig. Das zeigen die Einsetzungsworte (Lk 22,19f.), bei denen Brot und Wein bzw. Leib und Blut ausdrücklich genannt werden. Diesen Bericht hat Lukas wohl nicht von Markus übernommen, sondern aus eigenen Überlieferungsquellen. Unter der Bezeichnung „Brotbrechen“ versteht Lukas also das Abendmahl mit beiden Gaben Brot und Wein. Des Weiteren gibt es auch einige Quellenbelege bei Ignatius von Antiochien (Martyriumstod in der Regierungszeit von Trajan, 98–117), worin ebenfalls die Wendung „Brotbrechen“ auftaucht.57 Auch für Ignatius bedeutet dieser Begriff die Eucharistiefeier mit Brot und Wein. Daraus kann man schließen, dass Lukas mit seiner Wortwahl die Christen gegen den in seiner Zeit bereits 56
57
Dazu gibt es verschiedene Meinungen. Die erste besteht darin, dass Lukas hier vermutlich an das Sättigungsmahl denkt, das anfangs mit der Eucharistie verbunden war. Dies wird von A. Weiser, Apg I 104f.; H. Conzelmann, Apg 37; F. Mußner, Apg 26 vertreten. R. Pesch, Apg I 130–132 hält dies ebenfalls für möglich. J. Jervell, Apg 155 bezweifelt, dass es in Apg 2,42–47 um eine Eucharistiefeier als Sakrament geht; es handle sich vielmehr nur um Sättigung. Des Weiteren findet man die Ansicht, dass der Verwendung des Begriffs „Brotbrechen“ die vorrangige Bedeutung des Brotes zugrunde liegt. Laut G. Kretschmar, Art. Abendmahlfeier I 230 sei das „Brotbrechen“ in Apg 2,42.46; 20,7.11; vgl. Lk 24,30.35; Apg 27,35 sicher auf das Abendmahl zu beziehen. Bemerkenswert sei, dass diese Terminologie den Akzent auf das Brot lege. Kretschmar kommt ebd. 240 zu dem Ergebnis: „Gemäß dem alten Kümmerbrauch, das Abendmahl nur mit Brot und Wasser zu feiern – Wein gehörte für den Palästinenser nur zum Festmahl –, die später aufgewertet und ausgemünzt wurden, bleibt hier das Brot noch lange das zentrale eucharistische Element […].“ R. Pesch, Abendmahl 57 sagt z. B., dass die ersten christlichen Gemeinden keinen Wein für alltägliches Feiern der Eucharistie zur Verfügung hatten. Der Wein gehörte nämlich zu den Luxusgütern. Vgl. IgnEph. 20,2 (ed. A. Lindemann 190); ausführlicher zu dieser Stelle bei Ignatius vgl. L. Wehr, Arznei 105f.; zum Brotbrechen bei Lukas vgl. M. Theobald, Eucharistie 90–92; vgl. weitere Belege bezüglich des Eucharistieverständnisses von Ignatius in IgnSm. 7,1 (ed. A. Lindemann 230); IgnPhld. 4 (ed. A. Lindemann 220); IgnRom. 4,1f. (ed. A. Lindemann 210–212); 7,3 (ed. A. Lindemann 214–216).
IX. Zauberer
289
entstandenen Vorwurf der Anthropophagie verteidigen und den falschen Gerüchten ein Ende setzen wollte.58 Folgende Stellen bringen seine Absicht beispielhaft zum Ausdruck: In Apg 2,42.46 beschreibt er, dass die Neubekehrten an der Tradition des Brotbrechens und an den Gebeten festhalten. Hier ist sicher die Eucharistiefeier gemeint, aber die Worte Leib und Blut bleiben unerwähnt. Auch im Evangelium wird seine Absicht deutlich: In Lk 24,30 gibt sich der auferstandene Herr seinen Jüngern beim Brechen des Brotes zu erkennen. Da Christus hier selbst spricht, könnte man die Worte aus dem Einsetzungsbericht (Lk 22,14–20) erwarten. Lukas vermeidet dies vermutlich mit Absicht. So erkennt man auch bezüglich des absurden Vorwurfs der Anthropophagie, dass die in späteren Zeiten massive Anschuldigung wohl bereits in den ersten Anfängen des Christentums spürbar war und von Lukas erkannt wurde, der mit kluger Wortwahl versuchte, diese Anschuldigung im Keim zu ersticken.
IX.
Zauberer
Die Heiden vermuteten sogar, dass die Christen Zauberer sein könnten. Man kann dies einer Notiz bei Sueton59 in vit. Ner. 16,2 entnehmen. Für ihn und für andere Römer galten sie als Zauberer und Magier. Vermutlich war Sueton darüber informiert, dass die Christen einen gewissen Jesus verehrten, der für Außenstehende dank verschiedener Wundertaten als Zauberer gelten konnte. Das Thema Zauberei war Justin60 bekannt; er geht ebenfalls darauf ein und versucht die Christen von einer Gruppe abzugrenzen, die Simon der Zauberer gegründet hatte. Diese Gruppe wurde von den Heiden offenbar auch den Christen zugerechnet, was zu der Ansicht führte, Christen würden sich mit Zauberei beschäftigen. Diese Meinung verbreitete sich möglicherweise auch, weil einige ihrer Anführer durch Worte und Handlungen Wunder bewirkten. Justin widerspricht ferner dem Vorwurf, dass Christus ebenso wie andere Menschen Zauberei betrieben hatte und dadurch von anderen als Gottes Sohn gesehen wurde. Dabei stützt er sich nicht auf die Apostel und die Lehrer der
58
59 60
Vgl. W. Schmithals, Apg 39, der sagt, dass uns in Apg 2,46f. vermutlich eine apologetische Tendenz des Lukas begegnet. „Den Christen wurde vorgeworfen, bei ihren für die Heiden geheimnisvollen Mahlzeiten, besonders bei der Eucharistie, […] schreckliche Dinge zu treiben. Selbst den Verzehr getöteter Kinder unterstellte man ihnen.“ Schmithals bringt als Beweise dafür Just., 1 apol. 26 (ed. M. Marcovich 69–71); Min. Fel., Oct. 9 (ed. B. Kytzler 7f.); Tert., apol. 8f. (ed. T. Georges 94–108). Siehe B.III.5; B.III.9.3. Siehe C.I.3.3.
E. Zusammenfassung der Untersuchung
290
Kirche, sondern auf alttestamentliche Verheißungen über Jesus und deren sichtbare Erfüllung. Auch Origenes61 berichtet über dieses Thema. Er wehrt diese Anschuldigung ab und begründet die von Christus vollbrachten Wunder mit dessen Eigenschaft als Sohn des allmächtigen Gottes. Für den Christengegner Celsus war der Gründer des Christentums nämlich nur ein harmloser Zauberer, der, wie viele andere, durch geschickte Betrügereien das Publikum auf den Marktplätzen in Staunen versetzte. Origenes widerspricht dieser Verleumdung des Celsus, indem er darstellt, dass Christi Wunder göttlichen Charakter hatten und damit die Identität des Menschen Jesus mit dem Sohn Gottes erwiesen sei. Er bezieht sich dabei auf noch nie Dagewesenes wie Totenauferweckungen und Heilungen, was nicht als geschickte Betrügerei interpretiert werden konnte, sondern auf die Mitwirkung göttlicher Macht hinwies. Im Rückblick auf Lukas erkennt man, dass das Thema Zauberei bereits die sehr frühe christliche Verkündigung begleitete. In seinen Schriften stellt Lukas dar, dass die Wunderzeichen der christlichen Missionare weit entfernt sind von profaner Zauberei und dieser unendlich weit überlegen sind. Das geht z. B. aus Apg 13,6–12 hervor, wo beschrieben ist, dass Paulus den Zauberer Barjesus durch ein wunderwirksames Wort zeitweise blendet, um dessen Herrn den Zugang zum christlichen Glauben zu erleichtern. Auch Apg 19,11–20 bestätigt diese Überlegenheit christlicher Wunderzeichen und zeigt zugleich die Konsequenz dieser Überlegenheit in der zumindest teilweisen Abschaffung heidnischer Zauberpraktiken durch Verbrennung von Zauberbüchern in Ephesus. Und in Samaria wirkt der christliche Missionar Philippus so überzeugend, dass alles Volk und selbst der dort anerkannte heidnische Zauberer Simon zum Glauben kommen und sich taufen lassen (Apg 8,4–13). Der naheliegende heidnische Vorwurf der Zauberei tauchte also bereits im jungen Christentum auf, gewann zunehmend an Einfluss und wurde von späteren Christengegnern, vermutlich auch gegen besseres Verständnis, zum eigenen Vorteil genutzt. Lukas erkannte diese Gefahr sehr früh und berücksichtigte sie in seinen Schriften. Dabei hob er den Unterschied zwischen heidnischen Zaubertricks und den wunderwirksamen Handlungen der Missionare hervor. Letztere sind, wie er schlüssig darstellt, nur erklärbar durch Mitwirkung göttlicher Macht.
61
Siehe C.IV.6.10.
X. Falsches Gottesbild
X.
291
Falsches Gottesbild
Im Doppelwerk des Lukas gibt es nur indirekte Hinweise für die Ansicht, Christen seien in den Augen der Heiden gottlos gewesen. In der damaligen heidnischen Gesellschaft galten alle, die nicht an allgemeinen Festen und Kulten teilnahmen, als gottlos. Da die Christen sich weigerten, den Göttern der Heiden zu opfern, wurden sie den Gottlosen zugerechnet und es entstand allgemeines Misstrauen und Hass gegen sie. Das Stigma der Gottlosen war natürlich noch gefährlicher, wenn ein Kaiser wie Domitian (81–96) als Herr und Gott verehrt werden sollte. Diese Bezeichnung war bei den Christen nur für Christus reserviert (Joh 20,28); sie durften nicht zwei Herren dienen (Lk 16,13). Späteren Texten kann man entnehmen, dass dieses Verhalten der Christen nicht nur auf das einfache Volk befremdlich wirkte, sondern auch dem Statthalter Plinius62 in Kleinasien missfiel. Seine Aufmerksamkeit wurde insbesondere geweckt durch den so entstehenden negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation. Diese war Folge der Nichtteilnahme der Christen an heidnischen Festen sowie der Weigerung, heidnische Tempel zu besuchen, bei Opferfeierlichkeiten mitzuwirken und Opferfleisch zu verzehren. Aber auch das mangelnde Interesse der Christen an öffentlichen Angelegenheiten und ihre geheimen Versammlungen in Privathäusern empfand er als staatsgefährdend. Immerhin verstand sich der römische Staat selbst als eine sakrale Institution; die römischen Götter nicht zu verehren, war gleichbedeutend mit Feindschaft gegenüber dem Staat. Vor diesem Hintergrund verteidigt Justin63 die Christen gegen den Vorwurf, sie seien Atheisten64, nur weil sie keine heidnischen Götter verehrten. Dabei setzt er bewusst zum Gegenangriff an, indem er die heidnischen Götter als Dämonen bezeichnet.65 Die Verehrung von Götterbildern ist für ihn reiner Götzendienst, eine Verhöhnung des wahren Gottes. Auch Aristides 66 hält das in den Mythen überlieferte Handeln der Götter für schlimmer als das eines Dämons und rechtfertigt damit das Verhalten der Christen. Athenagoras 67 äußert, die üblen Nachreden der Heiden gegen die Christen seien unlogisch. Ihr Glaube an einen Gott sei ähnlich der Auffassung von Platon, Aristoteles und jener der Stoiker, die alle in einer unpersonalen Weise monotheistisch dachten. An diesen einen Gott, den Schöpfer des Alls, so argumentiert er, 62 63 64 65 66 67
Siehe B.II.6.6. Siehe C.I.3.4. Vgl. Just., 1 apol. 1–29 (ed. M. Marcovich 31–75); am besten 6 (ed. M. Marcovich 40). Vgl. Just., 1 apol. 5,4 (ed. M. Marcovich 39). Siehe C.II.4. Siehe C.III.3.2.
292
E. Zusammenfassung der Untersuchung
glauben die Christen. Der Autor verurteilt alle Götterstatuen und -bilder, vor allem die Artemisstatue zu Ephesus und Athen, als von Menschen gemachte, unfähige Götzen, letztlich als „verschwendete Kunst“68. Origenes69 argumentiert auf die Angriffe analog zu Athenagoras: Es ist sinnlos, leblose Dinge zu verehren. Sie sind keine Götter, sondern unvermögende und wertlose Götzen. Mit Hilfe von Zitaten heidnischer Schriftsteller unterstützt der Autor die richtige Haltung der Christen. Darüber hinaus, so Origenes, seien Tempel niemals heilig, da auch sie nur Menschenwerk sind. Die oben zusammengefasste spätere Entwicklung des speziellen Vorwurfs der Gottlosigkeit klingt schon bei Lukas an. Dies erkennen wir z. B. an Apg 19,26, wo Demetrius Paulus vorwirft, er habe viele Menschen in der Provinz Asia mit seiner Behauptung aufgehetzt, „die mit Händen gemachten Götter seien keine Götter“, wonach die Christen natürlich als gottlos gelten. Ferner finden sich in Apg 7,48f.; 17,24 die Redewendungen, dass Gott nicht in von Hand gemachten Tempeln wohne, sondern Herr über Himmel und Erde sei.
XI.
Hetaeria – Geheimbund
Die ersten christlichen Gemeinschaften und deren private Zusammenkünfte galten in den Augen mancher Heiden wahrscheinlich als Hetaeria (Geheimbund). Geheimbünde, egal ob religiöser oder politischer Art, verband Tacitus70 mit den Heimlichkeiten, Schändlichkeiten und Verbrechen und somit letztlich mit dem Begriff der Staatsgefährdung. Sexuelle Orgien, schwarze Magie und politische Verschwörung waren vermutete Praktiken solcher Geheimbünde. Bei Plinius71 wird Hetärie zur Bezeichnung politischer Parteien gebraucht, die ihre Inhalte und Regeln im Allgemeinen geheim hielten. Darum bemüht sich später Aristides72, das Verhalten der Christen zu erklären und von Geheimkulten abzugrenzen. Origenes73 beweist gegenüber Celsus die Legitimität der christlichen Zusammenschlüsse. Diese, so argumentiert er, entstehen und wachsen nur auf dem Boden der christlichen Liebe. Die Versammlungen der Christen und insbesondere die Eucharistiefeier konnten also als eine Hetaeria-Zusammenkunft verstanden werden. Auch Geldsammlung und Spenden in den christlichen Gemeinden (vgl. 1 Kor 16,1–4; 2 Kor 8,6–15; Röm 15,25f.) zogen die Aufmerksamkeit auf sich, weil dies in heidnischen Gemeinschaften ähnlich war. 68 69 70 71 72 73
Athenag., leg. 17,3 (ed. M. Marcovich 55). Siehe C.IV.6.9. Siehe B.I.7.3. Siehe B.II.4; B.II.6.2. Siehe C.II.5.6. Siehe C.IV.6.1.
XI. Hetaeria – Geheimbund
293
Auch bei Lukas findet man Anklänge, z. B. in der Darstellung einer Gütergemeinschaft (Apg 4,32–37), bei der die Gemeinde der Gläubigen alles gemeinsam besaß, was an das gemeinsame Vermögen74 der heidnischen Hetaeria-Versammlungen erinnert und somit den Vorwurf seitens der heidnischen Autoren rechtfertigen würde. Zu erwähnen ist auch, dass politische Hetärien meist nach dem Namen ihrer Gründer 75 oder Obersten benannt wurden. Auch unter diesem Gesichtspunkt konnten Christengemeinschaften als solche vermutet werden, da sie ja ihren Namen von Christus ableiteten. Argumente, um die Christengemeinschaft als politischen Geheimbund zu verleumden, gab es also mehr als genug. Damit schließt sich der Kreis: Die Christen waren von vornherein verdächtig, politisch unzuverlässig und somit staatsgefährdend. Wie die vorliegende Arbeit zeigt, erzeugen die Themen der späteren Apologeten bei Projektion auf das lukanische Doppelwerk Resonanzen. Sie klingen alle, mehr oder weniger laut, mehr oder weniger deutlich, bereits in den lukanischen Texten an. In der Umkehrung bedeutet dies, dass all die Konflikte des jungen Christentums mit der jüdischen und heidnischen Umwelt bereits sehr früh entstanden sind und sich im Lauf der Zeit zu immer größerer Intensität aufschaukelten. Lukas hat also die Hindernisse, die der Verbreitung der christlichen Lehre im Weg stehen, schon sehr früh „erspürt“.
74 75
Siehe B.II.4. Siehe B.II.6.2.
F. Quellen- und Literaturverzeichnis
Die Abkürzungen und die Kürzel für die zitierten Schriften folgen Siegfried M. SCHWERTNER, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben (IATG3), Berlin, Boston 32014. Die Titel der Kommentare zu biblischen Schriften werden in den Fußnoten mit dem Kürzel des jeweiligen biblischen Buches wiedergegeben. Die Abkürzungen der biblischen Bücher richten sich nach: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Luxemburg, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen, Freiburg 2017, 1409. Die Abkürzungen der Quellen sind dem im Internet zugänglichen Verzeichnis zu entnehmen: https://www.antike-und-christentum.de/rac_tools/abkuerzungen Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: HäsTh Hänssler Theologie HRA Handbuch der römischen Altertümer IvE Inschriften von Ephesos PhStGRA Pharos – Studien zur griechisch-römischen Antike RUB Reclam Universal-Bibliothek SPhFUA Schriften der philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg Stw Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft StTA Studia et Testimonia Antiqua SyHBdR Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft ThLL Theologische Lehr- und Lernbücher WzNT Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur
I. Quellenverzeichnis
I.
295
Quellenverzeichnis
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Biblische Untersuchungen – Neue Folge Daniela Riel
Kyrios und Gottessohn Die grundlegende Bedeutung der Präexistenz Christi für die paulinische Soteriologie Biblische Untersuchungen – Neue Folge, Band 2 496 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-7917-3203-9 Auch als eBook
In jüngerer Zeit steht in der systematischen Theologie aufs Neue die Frage nach der Präexistenz Christi zur Debatte. Insbesondere ihre Relevanz für das Bekenntnis des frühen Christentums wird immer wieder bezweifelt. Angestoßen von dieser Diskussion setzt sich diese exegetische Studie mit der Bedeutung der Präexistenz Christi für die paulinische Theologie auseinander. Dazu werden ausgewählte Schrift stellen bei Paulus in den Blick genommen, um sie hinsichtlich einer möglichen Präexistenzaussage zu untersuchen. Ein besonderer Fokus liegt auf dem paulinischen Heilsverständnis sowie der Frage, ob theolo gische Konzepte erkennbar sind, in die Paulus den Präexistenzglauben integriert. So stellt die Studie die zentrale Bedeutung der Präexistenz Christi für die paulinische Soteriologie heraus. Daniela Riel, Dr. theol., geboren 1988, ist Persönliche Referentin des Generalvikars des Bischofs von Passau sowie Referentin für Neu evangelisierung in der Diözese Passau. Verlag Friedrich Pustet Unser komplettes Programm unter:
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